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Full text of "Monatshefte für Kunstwissenschaft 5.1912"

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MONATSHEFIE 


FÜR 


KUNSTWISSENSCHAFT 


HERAUSGEGEBEN VON 
PROF. DR.G. BIERMANN 


V. JAHRGANG 1912 


— A 


VERLAG KLINKHARDT & BIERMANN + LEIPZIG 


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ABHANDLUNGEN н 


Heft 1: Seite 
v. Bchubert-Soldern, F., Zur Entwicklung der technischen und künstlerischen Ausdrucks- 
saittel in Dürers Kupferstichen . . . . ee ©. ж Pu E ee ee 1—14 
Simonson, George А., Das E GE von Guardi in der Groultsammlung zu 
FF SI 0 
Schaeffer, Emil, Ein Medicäer-Bildnis von Mantegna ....... . 157—321 
Heft 2: x 
Leitechuh, Fr. Friedrich, Zur Geschichte der Malerei in Würzburg im 15.—16. Jabr- 
hundert. . . .. È e ze en оа ОЁ . 41—51 
Gaertner, F. W., Zwei ZEN cabekannts 1 Marun Bchonguuer und Beitrag | 
zur Bestimmung seines vielumstrittenen Geburtejahres. . . . è . .  52—60 
Dehio, G., Aus den Anfängen des Realismus in der deutschen Plastik dea 15. Jahrhunderte 61—63 
Heft 3: 
Voss, Hermann, Vermeer van Delft und die Utrechter Schule . . ....... 79—83 
Y Herrera, Francisco Murillo, Ein Gemälde von Juan de Ruelas 84 
Habicht, V. C., Johannes Zicks Tätigkeit in der Sala Terrena zu Würzburg. 85—00 
Koegler, Hans, Die Holzschnitte des Basler Malers Conrad Schnitt. . 91—94 
Heft 4: 
Escher, Konrad, Das Grabmal des heiligen Ronan іп Locronan . ы б. i . 111—128 
David, Harry, Dürers Simsonbolzschnitt (В. 2) und Israel von 1 r 129—131 
Josephi, W., Die Apostel des Güstrower Doms . . . ee o o o 032—133 
Gall, Ernst, Studien zur Geschichte des Chorumganges a). ааа + 134—149 
Heft 5: 
у. Sonnenthal, S., Beiträge zur Bedeutung der sienesischen Malerei des Quattrocento . 163—176 
Weber, Paul, Die Ausgrabungen im Kloster Herrenbreitungen an der Werra . . . . 177—184 
Haendcke, Berthold, Dürers Selbstbildnisse und „konstruierte Figuren“. . 185—189 
Heft 6: 
Grisebach, August, Architekturen auf niederländischen und französischen Gemälden des 
15. Jahrhunderts 4 = A ‚ 207—215 
Bombe, Walter, Der Palazzo Medici-Riccardi und DES? Wiederherstellung . . 216—223 
Everth, Erich, Bildformat und Komposition in Raffaels Stanzen . . 224 - 229 
Benziger, C., Unbekannte Kupferstiche des 15. Jahrhunderts in der Stadtbibliothek zu Born 230—232 
Heft 7: 
Schubring, Paul, Die Tongruppe der Pietà in S. Satiro in Mailand . . 249—253 
Grisebach, August, Architekturen auf niederländischen und französischen Gemälden des 
15. Jahrhunderts (Fortsetzung) . . . . sas.. ee oe. и . 254—272 
Uhde-Bernays, Hermann, Der Mantegna der баш Weber. si. Sa 78 . 273—278 
Stadler, Franz, Zum Wiederaufbau von Multschers Sterzinger Altarwerk . 279—281 
Heft 8: 
Hahr, August, Donatellos Bronze-David und das Praxitelische Erosmotiv e 303—310 
Geisberg, Мах, Teigdruck und Metallschniit. . 311—320 
Voss, Hermann, Venus entwaffnet den Cupido . . . . . . . 321—322 
Heft 9: 
Mayer, August L., Der Meister des ,,Borro“-Bildes . . . . oe + o o 343—345 
Bombe, Walter, Urkundliches aus dem Archiv der Mercanzia in Flores oe . > 346—357 
Gall, Ernet, Studien sur Geschichte des Chorumganges (II) . . . . . 2 . . . . 358—376 


Heft то: Seite 
Gebhardt, Carl, Giovanni d’Alemagna . . . ee... 395—403 
Haendcke, Berthold, Der niederländische Einfuß auf die Malerei Toskana -Umbriens 

im Quattrocento von ca. 1450—1500. pn © © © © © © © o o 404—419 
Kritzinger, Н. H., Die Madonna di Foligno . . . . . e e © «© © © © o « « 480—425 


Heft 11: 
Baer, Leo, Der Hausbuchmeister Heinrich Mang und Hans Schnitzer von Armsheim . 447—455 
Bombe, Walter, Die Kunst am Hofe Federigos von Urbino . . . o o + . 456—474 


Grill, Erich, Die große thronende Maria im Kirchenraum des Großh. 1 
zu Darmstadt | кы e е D D e ° . 0 e D e D D D е D e ° e D е е е e D 475—479 


Heft 12: 
Gebhardt, Carl, Frankfurter Maler des 15. und 16. Jahrhunderts. . . . . . . . . 495—507 
Gall, Ernst, Studien zur Geschichte des Chorumganges oy ee o ++. 508—519 
Zoege von Manteuffel, K., Paul Casteels. . . . . een. + 520—523 


Heft ı: 

Tietze, Hans, Ergänzende Bemerkungen zum 
beschreibenden Verzeichnis der illuminierten 
Handschriften in Österreich (Adalbert Graf 
zu Erbach Fürstenau), S. 22—24. 

Der jüngere Canaletto und seine Radie- 
rungen (Р. Ettinger), 8. 24—26. 


Heft 2: 

Gotische Kölner Plastiken im Depot des 
Großherzoglich Hessischen Landes- 
museums zu Darmstadt (V.C. Habicht), 
8. 63—65. 

Das König Wenzel-Fresko in der Moritz- 
kapelle zu Nürnberg (Hugo Kehrer), 8. 65 
bis 67. 


Heft 3: 
Eine Zeichnung des Theodokopulos (Al- 
bertina) (Joseph Meder), 8. 95. 
Zu Matthias Grünewald (Ed. Firmenich- 
Richartz), 8. 96—97. 
Zu Leonardo da Vincis Brustbild eines 
Engels (E. Möller), 8. 97—98. 


Heft 4: 
Jonas Bubenka, ein ungarischer Holz- 
schneider des 17. Jahrhunderts (Z. Ta- 
käcs), 8. 150. 


Heft 5: 
Eine Handzeichnung Grecos in der Alber- 
tina? (А. L. Meyer), S. 190. 


Fli mische Künstler im Ausland (F. Mar- 
cus), 8. 190—191. 


Heft 6: 
Eine Zeichnung J. Callots in der Kgl. Graphi- 
schen Sammlung zu Miinchen (Herm. Nasse), 
8. 233 — 234. 


Heft 8: 
Über die Abstammung des Veit Stoss (P. 
Ettinger), 8. 323—325). 
Ein unveröffentlichter Abel Grimmer 
(Herm. Nasse), 8. 325—327. 


Heft 9: 
Contribution a l' Etude du peintre Sutter- 
mans (P. Bautier), 8. 377—378. 
Ein Bild des Utrechter Malers Luemen 
van Portengen (E. Rosenthal), S. 378—380. 


Heft 10: 

Zur Sienesischen Malerei des Quattro- 
cento (8. v. Sonnenthal), 8. 426—429. 

Ein unbekannter Brief d. Malers Parrasio 
Michele (Constance J. Ffoulkes), 8.429— 431. 

Grünewald-Schule in Frankfurt (Carl Geb- 
hardt), S. 431—432. 

Über die Abstammung des Veit Stoss 
(Max Loßnitzer), S. 432—433. 


Heft 11: 
Ein unbekanntes Blatt des Meisters der 
Nürnberger Passion (С. Benziger), 8. 480 
bis 481. 


Heft 12: 
Dürers Hand (Kurt Gerstenberg), S. 524—526. 
Ein verschollenes Werk Hans Multschers 
(Franz Stadler), S. 526—527. 


REZENSIONEN . 


Aldenhoven, Carl, Gesammelte Aufsätze (Kern), 
8. 153. 

Alexandre, Arsène, Durand - Ruel, Portrait et 
Histoire d’un marchand (O. Grautoff), 8. 297. 

Aubert, Andreas, Die norwegische Malerei im 
19. Jahrhundert (Sievers), 8. 67. 

Back, Friedrich, Mittelrheinische Kunst (Paul 
Clemen), 8. 327. 

Barrès, Maurice, Gréco et le secret de Tolede 
(O. Grautoff), 8. 338. 

Baum, Julius, Die Ulmer Plastik um 1500 (M. 
Schuette), 8. 239. 

Bedford, Richard P., St. James the Less * W. 
Singer), 8.295. 


Bernath, M. H., New York und Boston (Bernouilli), 
8. 388. 

Boppe, A., Les Peintres du Bosphore au dix- 
huitième siècle (O. Grautoff), S. тоб. 

Böttiger,John, Philipp Hainhofer und der Kunst- 
schrank Gustav Adolfe in Upsala (E. Basser- 
mann-Jordan), 8. 238. 


Brockhaus, Albert, Netsuke, Versuch einer Ge- 


schichte d. japanischen Schnitzkunst ee) 
8.29. 
Brockwell, Maurice W., The „Adoration of the 
Magi“ by Jan Mabuse (H. W. Singer), S. 157. 
Bruck, Robert, DieSophienkirche in Dresden, ihre 
Geschichte u. ihre Kunstschätze (Roch), 8. 196. 


Carpeaux, Kollektion 
(Kieser), 8. 534. 
Coulin, Jules, Die sozialistische Weltanschauung 

in der französischen Malerei (W. Balzer), 8. 73. 

Creutz, Мах, Die Anfänge d. monumentalen Stiles 
in Norddeutschland (E. Cohn-Wiener), 8. 191. 

Cust, Lionel, Notes on Pictures in the Royal 
Collections (H. W. Singer), 8. 67. 

Dehio, G., Handbuch der deutschen Kunstdenk- 
mäler (Baum), 8. 154. 

Desdevises du Dézert, G. et Bréhier, Louis, 
Clermont-Ferrand, Royat et le Puy de Döme 
orné de 117 gravures (O. Grautoff), 8. 390. 

Dictionnaire des artistes et ouvriers d’art de la 
France: l’Abbé Brune, Franche-Comté (O. Grau- 
toff), 8.441. 

Diener-Schönberg, Alfons, Die Waffen der 
Wartburg (E. Haenel), 8. 335. 

Dodgson, Campbell, Catalogue of Early Ger- 
man and Flemish Woodcuts preserved in the 
Department of Prints and Drawings in the 
British Museum (H. W. Singer), 8. 34. 

Doering, Oskar, Deutschlands mittelalterliche 
Kunstdenkmäler als Geschichtsquelle (G. E. 
Lüthgen), 8. 71. 

Donath, A, Psychologie des Kunstsammelns (Н. 
Friedeberger), S. 156. 

Ferrigni, Mario, Madonne Fiorentine (Schott- 
müller), 8. 532. 

Fontaine, André, Les Collections de l’académie 
royale de peinture et de sculpture (O. Grau- 
toff), 8. 296. 

Fontaine, André, Les Doctrines d’art en Franee: 
De Poussin à Diderot (O. Grautoff), 8. 296. 

Friedlinder, Walter, Das Kasino PiusIV. (H. 
Voss), 8. 381. 

Furcy-Raynaud, Inventaire des Sculptures exé- 
cutées au ХУШе siècle pour la Direction des 
Bätiments du Roi (Hildebrandt), 8. 527. 

Gandilhon, Alfred, Bourges et les Abbayes et 
Chateaux du Berry (Grautoff), S. 490. 

Ganz, Paul, Hans Holbein der Jüngere (R. Ber- 
noulli), 8. 235. 

Genewein, Anton, Vom Romanischen zum Em- 
pire (A. E. Brinckmann), 8. 72. 

Giesecke, Albert, Giov. Battista Piranesi (A. 
Grisebach), 8. 436. 

Goethe als Zeichner (H. Friedeberger), 8. 99. 

Goya, Francisco de, Tauromachie (G. Biermann) 
8. 197. 

Gramm, J., Die ideale Landschaft, ihre Entstehung 
und Entwicklung (Feulner), 8. 528. 

Gutmann, Emil, Das Großherzogl. Residenz- 
schio8 zu Karlsruhe (Lohmeyer), S. 487. 


„lart de notre temps“ 


Handzeichnungen der französischen Mei- 
ster (Biermann), 8.532. 

Handzeichnungen der Uffizien (Biermann), 
8. 532. 

Hanfstaengl, Eberhard, HansStethaimer (Hans 
Karlinger), 8. 31. 

Hausenstein, Wilhelm, Der nackte Mensch 
in der Kunst aller Zeiten (G. F. Hartlaub), 8. 33. 

Herbert, J.A., Illuminated Manuscripts (Vitzthum), 
8. 439. 

Hind, A. M., A Short History of Engraving and 
Etching (H. W. Singer), S. 104. 

Hooch, Pieter de, jan Vermeer van Delft, 
Originalabbildungen nach ihren vorziiglichsten 
Gemälden (Biermann), 8. 532. 

Hoeber, Fritz, Die Frübrenaissance in Schlett- 
stadt (Grisebach), 8. 104. 

Hofmann, Friedrich H., Frankenthaler Por- 
zellan (Е. Zimmermann), 8. 440. 

Hofmann, Theobald, Raffael in seiner Bedeu- 
tung als Architekt (А. Haupt), 8. 151. 

Holländer, Eugen, Plastik und Medisin (A.Roth- 
schild), В. 242. 

Holmes, C. J., Notes en the Art of Rembrandt 
(H. W. Singer), 8. 242. 

Horst, C., Barockprobleme (A. Feuiner), S. 198. 

Hourticq, Louis, Geschichte der Kunst in Frank- 
reich (Hildebrandt), 8. 527. 

Jantzen, Hans, Das niederländische Architektur- 
bild (Lilienfeld), S. 235. 

Josephi, Walter, Die Werke plastischer Kunst 
im Germanischen Nationalmuseum (Schuette}, 
8.27. 

Justi, Ludwig, Zeichnungen aus dem Besitz der 
Nationalgalerie (G. Biermann), 8. 32. 

Kautzsch, Paul, Der Mainzer Bildhauer Hans 
Backoffen und seine Schule (Fr. Back), 8. 292. 

Klaiber, Hans, Der Ulmer Münsterbaumeister 
Matthäus Böblinger (Baum), 8. 487. 

Koepp,Friedrich, Archäologie (Ths. Otto Ache- 
Нв), 8. 94. 

Кгот тев, Rudolf Heinrich, Studien zu Fede- 
rigo Barocci (Н. Voss), 8. 381. 

Lamberton, Clark D., Themes from St. John’s 
Gospel in Early Roman Catacomb Painting 
(Н. W. Singer), 8, 201. 

Lazar Béla, Paul Merse von Szinyei, ein Vor- 
läufer der Plainairmalerei (C. Gebhardt), S. 387. 

Leidinger, Georg, Miniaturen aus Handschriften 
der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München 
(Vitzthum), 8, 387. 

Lemonnier, Henry, Procès verbaux de l’Aca- 
demie royale d' Architecture (1691—1703) (O. 
Grautoff), S. 390. 


Levertin, Oscar, Jacques Callot (Kruse), 8. 483. 

Liefmann, M., Kunst und Heilige (G. Sobotka), 
S. 291. 

Lohmeyer, Karl, Die Briefe Baltasar Neumanns 
von seiner Pariser Studienreise 1723 (Hanns 
Schulze), S. 105. 

Löwy, Emanuel, Die griechische Plastik (P. 
Herrmann), S. 234. 

Major, Basel (R. Bernoulli), S. 200. 

Malamani, Vittorio, Canova (E. Hildebrandt), 
8. 486. 

Male, Emile, L’art religieux du ХПе siècle en 
France (C. de Mandach), 8. 105. 

Manet (О. Grautoff), 8.73. 

Martin, Henry, Le Boccace de Jean sans Peur 
des cas des nobles hommes et femmes (Vitz- 
thum), 8. 28. 

Mayer, Aug. L., Die Sevillaner Malerschule (V. 
v. Loga), S. 104. 

Mayer, Aug. L., El Greco (Kühnel), 8. 154. 

Meier, Burkhard, Die romanischen Portale 
zwischen Weser u. Elbe (Р. F. Schmidt), 8. 238. 

Mortet, Victor, Recueil de textes relatifs а l’histo- 
ire de l’architecture et à la condition des archi- 
tectes en France, au moyen-äge; XIe et XIIe 
siècles (E. Gall), S. 198. 

Muchall-Viebrock, Thomas, Dominikus Zim- 
mermann (Ph.M.Halm), 8. 389. 

Neuss, W., Das Buch Ezechiel in Theologie und 
Kunst bis zum Ende des 12. Jahrhunderts 
(Bergner). 8. 337. 

Oldenbourg, Rudolf, Thomas de Keysers Tätig- 
keit als Maler (W. Martin), 8. 481. 

Overloop, E. van, Dentelles Anciennes des 
Musées Royaux des Arts Décoratifs et Indu- 
striels a Bruxelles (Schuette), S. 69. 

Pagenstecher, Rudolf, Unteritalische Grab- 
denkmiler (P. Herrmann), S. 438. 

Patzak, Bernhard, Die Renaissance- und Barock- 
villa in Italien (J. Strzygowski), 8. 434. 

Pauli,Gustav, Max Liebermann (H.Friedeberger) 
8. 243. 

Pazaurek, Gustav E., Glasperlen und Perlen- 
arbeiten in alter und neuer Zeit (G, E. Lüthgen), 
8. 200. 

Péladan, L'art idéaliste et mystique précédé de 
la réfutation esthétique de Taine (O. Grautoff), 
8. 35. 

Plan, Pierre Paul, Jacques Callot, Maitre-Graveur 
(Н. Nasse), 8. 192. 

Plietzsch, Eduard, Vermeer v. Delft (K. Freise), 
8. 100. 

Reclus, Onésime, Atlas pittoresque dela France 
(O. Grautoff), 8. 244. 


Reinach, Salomon, Répertoire de peintures du 
‘moyen-àge de la Renaissance (E. Möller), S. 68. 

Ricci, Corrado, Baukunst und dekorative Skulp- 
tur der Barockzeit in Italien (Н, Voss), S. 70. 

Riehl, Berthold, Bayerns Donautal (Karlinger), 
S. 529. 

Rintelen, Friedrich, Giotto und die Giotto- 
Apokryphen (Vitzthum), S. 282. 

Rosenthal, Léon, Daumier (O. Grautoff), 8. 157. 

Sauermann, M., Die gotische Bildnerei u. Tafel- 
malerei in der Dorfkirche zu Kalchreuth (C. 
Gebhardt), S. 71. 

Scheffler, Karl, Die Nationalgalerie zu Berlin 
(Rosa Schapire), S. 533. 

v. Schlosser, Julius, Der burgundische Para- 
mentenschatz des Ordens vom Goldenen Vliesse 
(Schuette), S. 294. 

Schmidt, Robert, Das Glas (M. Sauerlandt), 8. 383. 

Schnorr von Carolafeld, L., Porzellan der 
europiischen Fabriken des 18. Jahrhunderts 
(C. F. Foerster), S. 386. 

Sievers, Johannes, Bilder aus Indien (G. Bier- 
mann), 8. 297. 

Stein, Henri, Les architectes des cathédrales 
gothiques (O. Grautoff), S. 201. 

Steinmann, Ernst und Hans Witte, Georg 
David Matthieu, ein deutscher Maler des Ro- 
koko (W. Lesenberg), 8. 26. 

Stückelberg, Basler Denkmalpflege (R. Bernoulli) 
8. 200. 

Thieme, Ulrich, Allgemeines Lexikon der bil- 
denden Künstler (Н. W. Singer), S. 241. 
Troinitzky, S., Das Porzellan der Kaiserl. Ere- 

mitage (W. v. Seidlitz), 8. 155. 

Vaillat, Léandre, La société du XVIIIe siècle 
et ses peintres (O. Grautoff), 8. 338. 

Wackernagel, Basel (R. Bernoulli), 8. 200. 

Waetzold, Wilhelm, Einführung in die bilden- 
den Kiinste (Deri), S. 333. 

Weigelt, Curt H., Duccio di Buoninsegna (G. F. 
Hartlaub), S. 331. 

Weisbach, Werner, Impressionismus, ein Pro- 
blem der Malerei in der Antike und Neuzeit 
(K. Freyer), 8. 293. 

Willis, Fred. C., Die niederländische Marine- 
malerei (Н. Jantzen), S. 289. 

Willers, Heinrich, Verzeichnis der bis zum 
2. August 1912 erschienenen Schriften Carl 
Justis (G. Müller), S. 490. 

Windegg, W. Eggert, Künstlers Erdewallen 
(H. Höhn), 8. 337. 

Zeller, Adolf, Die Kunstdenkmäler der Provinz 
Hannover (Burkhard Meier), S. 330. 

Zimmermann, H.E., Watteau (Bernoulli), 8. 489. 


- Luce — Ta 


| 


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LAG KLINKHARDT&BIERMANN'LEIPZIG 


FIAHRGANG ‘HEF T 1 ——TANUARIO12 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abonnementspreis halbjährlich 12 M., zusammen mit dem CICERONE 18 М. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT ı 


ABHANDLUNGEN LITERATUR 


F. von SCHUBERT-SOLDERN, Zur Ernst Steinmann und Hans Witte, Georg 
И А David Matthieu, ein deutscher Meister des 
Entwicklung der technischen u. kunst- Rokoko (1737—1778) (Lesenberg J... 8. аб 
lerischen Ausdrucksmittel in Dürers Walter Josephi, Die Wer plastischer Kunst im 
erstich i : Germanisch ee Schuette) S. 2 
Kupf en. Mit 17 Abbildungen auf Henry Martin, Le Boccace de Leen ep) Pour 
14 Tafeln ............. З. 1 des cas des nobles hommes et femmes. 
GEORGE A. SIMONSON, Das Zere- CItzthum ) 8. 8 


2 tici G 11 bert h N h 
Ss ven in der Groult- ы Brockhaus, etsuke. Versuch einer 


sammlung zu Paris. Mit 1 Abbildung (Kiimmel)................6- 8. a9 
auf 1 Tafel S. 15 Eberhard Hanfstaengl, Hans 5 


EMIL SCHAEFFER, Ein Medicäer- lingerer... 


ger) 
ildnis Mantegna i si. Ludwig Justi, Zeichnungen aus dem Besitz 
2 Ve - POSARE der Nationalgalerie (Biermann) 8. 33 


dungen auf 1 Tafel ....... S. 17 Wilhelm Hausenstein, Der nackte Mensch 
in der Kunst aller Zeiten (Hartiaub 
MISZELLEN Campbell Ce Catalogue of Lo de 


Hans Tietze, Ergänzende Bemerkungen zum man and Flemish Woodcuts preserved in the 
beschreibenden Verzeichnis der illuminierten British Museum (Singer) 8. 


34 
Friedrich Koepp, Archäologie (Achelis) S. 34 
Handschriften in Österreich (Graf zu Erbach Peledan. L'art idéaliste et mystique précédé de la 


Fürstenau) e 0 ө е ө ө 0 ө ө 0 a ө ө ө ө ө ө 8. 22 réfutation esthétique de Taine (Grautoff) 8. 35 
Der jüngere Canaletto und seine Radierun- Rundschau 8. 36 
gen (Ettinger) .........00- 0.0 8.24 Neue Bücher! 8. 40 


A. S.DREY Ausstellung 


Königl. Bayer. Hofilef 
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JULIUS BÖHLER : MÜNCHEN 


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BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITATEN 


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ZUR ENTWICKLUNG DER TECHNISCHEN 
UND KÜNSTLERISCHEN AUSDRUCKS- 
MITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


Mit siebzehn Abbildungen auf vierzehn Tafeln. Von F. VON SCHUBERT-SOLDERN 


Bus die Arbeiten des Meisters E. S. den Höhepunkt der von Goldschmieden 
betriebenen Kunst des Deutschen Kupferstichs im XV. Jahrhundert, so stellt 
sich Diirers Werk als der Schluß und Gipfelpunkt des Kiinstlerstichs dieser Friih- 
epoche dar. In gewisser Hinsicht gipfeln in ihm alle Bestrebungen dieser Entwick- 
lungsperiode auf diesem Gebiete, denn tatsächlich tritt der Kupferstich mit Dürer 
nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Italien, in den Niederlanden und zum Teil 
auch in Frankreich in ein neues Entwicklungsstadium. So ist beispielsweise ein 
Marc. Anton ohne die Kenntnis der Errungenschaften Dürers auf diesem Gebiet eben- 
sowenig zu verstehen, wie ein Lucas van Leyden. 

In seinen frühesten Arbeiten steht Albrecht Dürer technisch zwischen Martin 
Schongauer und dem Hausbuchmeister, indem er, wie Wölfflin treffend bemerkt, 
die Wirkungen, die diese beiden Meister anstrebten, in seinen Arbeiten zu vereini- 
gen sucht. Er handhabt den Stichel freier und weniger korrekt wie Schongauer, 
ohne jedoch die malerische Feinheit des Hausbuchmeisters zu erreichen. Seine 
frühesten Blätter, wie der Gewalttätige B. 92, die Madonna mit der Heuschrecke 
B. 44 oder die Landsknechte mit dem Türken zu Pferde B. 88, zeigen einen rauhen, 
unreinen Strich, der durch die lockere Art des Auftrags mehr wie gekratzt als ge- 
stochen wirkt. Die Linien liegen ziemlich weit voneinander entfernt, sind flüchtig 
und unregelmäßig gezogen und überall bemerkt man deutlich die der Führung des 
Grabstichels noch ungewohnte Hand. Eine Modellierung der Körper ist zwar an- 
gestrebt, bleibt aber vorläufig noch ganz unplastisch, ja sie wirkt bedeutend un- 
körperlicher als die Martin Schongauers, dessen Gestalten doch deutlich aus der 
Bildfläche hervortreten, wenn auch eine ausgesprochene Raumgestaltung noch fehlt. 
Auch in der Wiedergabe des Stofflichen steht Dürer in dieser Frühzeit sowohl 
Schongauer als dem Hausbuchmeister ganz erheblich nach, und von einer Licht- 
führung und bewußten Verteilung der Werte im Bildraum sind noch kaum die An- 
sätze vorhanden. Alles ist hier ungefähr in der gleichen Tonstärke, mit der gleichen 
Technik wiedergegeben, zwischen Vorder- und Hintergrund zeigen sich kaum Spuren 
einer tonigen Differenzierung und die Figuren des Vordergrundes heben sich wohl 
zeichnerisch aber nicht malerisch und räumlich von den Hintergründen ab. Höch- 
stens wird die Wirkung der Luftperspektive dadurch zum Ausdruck gebracht, daß 
die entferntesten Teile der Landschaft nur in der Kontur wiedergegeben sind. 

Schon in dem Liebeshandel B. 93 jedoch wird Dürers Strichführung regelmäßiger 
und klarer, die Form plastischer und voller und der Strich nimmt jenen etwas 
harten metallischen Glanz an, der den Arbeiten bis zur Madonna mit der Meerkatze 
eigen bleibt. Ein ganz wesentlicher Fortschritt in der Behandinng des Räumlichen und 
Körperlichen macht sich aber erst beim Raub der Amymone bemerkbar. Die dunkle 
Bergkette, die den Hintergrund begrenzt, zeigt hier bereits eine weichere Abstufung 
der Töne, durch eine immer zarter und lockerer werdende Modellierung; eine Wir- 
xung, die noch dadurch erhöht wird, daß sich die weiter vorgeschobenen Hügel 
dunkel von den ganz hell gelassenen, aus dem Grunde ausgesparten Wolken ab- 
heben, während sich die weiter zurückliegenden heller werdenden Ketten auf den 


Monatsbefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft ı I I 


nach dem Horizonte zu immer mehr abdunkelnden Himmel projizieren. — Schon 
hier erkennt man, daß die Mittel, deren sich der Kupferstich bei der Behandlung 
der Luftperspektive bedient, andere sind wie bei der Malerei. Dort dje immer heller 
werdenden Hintergründe gegen den abdunkelnden Himmel, in der Malerei die dunk- 
leren Nuancen des Geländes projiziert auf den nach dem Horizonte zu sich aufhellenden 
Himmel. Dürer ist der erste, der die dem Kupferstich eigentümlichen Ausdrucks- 
möglichkeiten und Ausdrucksmittel klar erkannt und durchgebildet hat. — Im Vorder- 
grunde allerdings versteht er es noch nicht über die unplastisch wirkende Aus- 
drucksweise hinauszukommen. In gewisser Hinsicht ist dies bei den Hexen von 
1497 der Fall, die sich bereits plastisch vom Hintergrunde abheben, aber noch nicht 
jene zarten Übergänge zeigen, die in seinen späteren Arbeiten die Körperlichkeit in 
so vollkommener Weise vortäuschen. Auch in der Madonna mit der Meerkatze 
stehen die Licht- und Schattenflächen noch unvermittelt, fast ohne Übergänge neben- 
einander, doch hebt sich hier die Gestalt der Madonna bereits kräftig und wirkungs- 
voll von der sich im Hintergrunde dehnenden Landschaft ab, die in bezug auf die 
Behandlung des Himmels und der Luftperspektive dem Raub der Amymone am 
nächsten steht. Im übrigen zeigt dieses reizvolle Blatt einen etwas harten metal- 
lischen Glanz und eine zu geringe Abtönung der Hintergründe, so daß die Raum- 
illusion nicht unwesentlich beeinträchtigt wird. 

Eine freiere und bewufitere Verteilung der Tonstärken zeigt sich schon in dem 
Hieronymus В. 61 und dem Verlorenen Sohn, wo Dürer es versteht, den Hinter- 
grund zur Vordergrundfigur zu stimmen und die Schatten weicher und zarter nach 
den Lichtern hin überzuleiten. Besonders der Verlorene Sohn ist durchaus hell in 
hell gehalten und könnte als eine Freilichtdarstellung gelten, wenn hier überhaupt 
Raumlichtwirkungen angestrebt wären. Doch diese machen sich erst in einer spä- 
teren Epoche des Schaffens Dürers bemerkbar. 

Vollständig scheint Dürer aus diesem Anfangsstadium erst im „Großen Herkules“ 
(der Eifersucht) herauszutreten, denn deutlich kündigt sich hier in der Behandlung 
der Platte, in der Tönung und Modellierung die zweite Phase in seiner Entwick- 
lung als Stecher an. Hier zeigt sich schon eine feinere Abstufung in der Modellierung 
der Körperformen, und seine Gestalten heben sich klar und doch ohne Härten vom 
Hintergrunde ab, der in seinen Tonwerten bereits auf ihr plastisches Hervortreten 
gestimmt ist. So dient die in der Mitte des Bildes angebrachte dunkle Baumkulisse 
nicht bloß dazu, die Landschaft des Hintergrundes in zwei Teile zu teilen und so der 
perspektivischen Schwierigkeit, die Gründe hintereinander anzuordnen, aus dem Wege 
zu gehen, sondern auch dazu, für die hellen mit kräftigen Glanzlichtern behandelten 
Figuren eine wirksame Folie zu schaffen. Hier gewinnt auch der menschliche 
Körper dadurch Rundung und Plastik, daß Dürer ihn nicht mehr wie früher, aus- 
schließlich den zeichnerischen Konturen folgend modelliert, sondern Licht und 
Schatten werden zart gegeneinander abgestuft, wobei allerdings die ausgedehnten 
ungegliederten Lichtflächen den modellierten Schattenflächen gegenüber immer noch 
dominieren. Den augenfälligsten Fortschritt aber zeigt der „Große Herkules“ in 
der Behandlung der Landschaft, denn hier sind die Wirkungen der Luftperspektive 
bereits klar zum Ausdruck gebracht, die drei Gründe in der Tonstärke bereits deut- 
lich gegeneinander abgestuft und das allmähliche Aufgehen der Einzelform in 
großen Gesamtformen meisterhaft wiedergegeben. Das kleine Stück Bergland aber, 
das im Hintergrunde dieses Stichs erscheint, gehört wohl zu dem Besten, was 
Dürer auf landschaftlichem Gebiete geschaffen hat. 

Noch zielbewußter und zarter sind die Werte in dem stilistisch nahe verwandten 


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heiligen Eustachius gegeneinander abgewogen, wo die Figur wie beim „Großen 
Herkules“ hell gegen eine dunklere Landschaftskulisse gestellt ist, die links den 
Mittelgrund bildet, während der Hintergrund rechts nur durch einige zarte Umriß- 
linien angedeutet ist. Hand in Hand damit geht eine sehr zarte und regelmäßige 
Stichelführung, die selbst den feinsten Einzelheiten stofflich gerecht zu werden sucht. 

Dürer hat in den beiden genannten Blättern dem landschaftlichen Teil der Dar- 
stellung eine Aufmerksamkeit zugewendet, wie kaum in einer seiner früheren oder 
späteren Arbeiten. Wenigstens spricht aus keiner, vielleicht die „Nemesis“ ausge- 
nommen, jene innige Freude an den Reizen der freien jungfräulichen Natur, jene 
fast kindliche Liebe zu jeder dieser vielen reizvollen Einzelheiten, wie gerade hier. 
Ist die Landschaft in Dürers früheren Blättern mehr als Schauplatz des figür- 
lichen Vorgangs, in seinen späteren Stichen mehr als räumliches Milieu gedacht, 
so steht sie im Herkules und in der Eifersucht gleichberechtigt neben der figür- 
lichen Darstellung. Die jugendliche Freude am Gegenständlichen und die noch nicht 
verblaßten Reiseeindrücke sind es wohl hier, die ihn in seinen landschaftlichen 
Hintergründen gleich den Brüdern van Eyck eine Welt im kleinen schildern lassen. 
Der Mangel an Anregung auf diesem Gebiete, wohl vor allem aber künstlerische 
Erwägungen, wie die Rücksicht auf eine geschlossene Raum- und Bildwirkung, 
mögen ihn dann in seinen späteren Arbeiten bewogen haben, jene so reichen land- 
schaftlichen Hintergründe durch ruhigere, einheitlicher wirkende zu ersetzen. 

Das dahin gerichtete Streben zeigt sich schon in der „Nemesis“ oder „Großen 
Fortuna“. Dürer hat das Problem, die Figur vor oder in den Raum zu stellen, hier 
umgangen, indem er sie über die Landschaft stellt, auf den weißen Hintergrund 
projiziert, und so die Möglichkeit gewonnen, sowohl den menschlichen Körper als 
auch den landschaftlichen Raum unabhängig voneinander frei zu gestalten. Die 
„Große Fortuna“ vertritt bereits jene Richtung, deren Streben auf das körperliche, 
plastische Hervortreten der Figur durch die Wahl eines einheitlichen stark kon- 
trastierenden Hintergrundes geht, und eröffnet zugleich jene Reihe von Feinstichen, 
die für Dürers Stil um 1505 charakteristisch sind. Die außerordentlich regelmäßige 
feinlinige Technik, die den Stichen aus dieser Zeit den eigentümlich seidigen Glanz 
verleiht, dient wohl hauptsächlich dazu, das Wesen der Linie vergessen zu machen 
und die Linienschattierung als einheitlichen Ton der weißen Fläche gegenüberzu- 
stellen. Unbedingt setzt aber diese äußerst zarte vermalende Manier, die Körper 
zu modellieren, ruhige einheitlich wirkende und zugleich stark kontrastierende 
Hintergründe voraus, und darum kann es als ein charakteristisches Merkmal dieser 
Periode des Feinstichs gelten, daß sich die Figuren entweder dunkel von einer 
einheitlich hellen Folie oder hell von einem dunkel gehaltenen Hintergrund ab- 
heben. 

Das Landschaftliche tritt bei der „Großen Fortuna“ scheinbar stark zurück, und 
doch legt es in die Darstellung erst den Stimmungsgehalt. Wie bekannt, hat 
Dürer hier eine Partie aus dem Eisacktal bei Clausen wiedergegeben, und dem 
Detail wie beim Eustachius und dem „Großen Herkules“ seine ganze Sorgfalt zu- 
gewendet. Was aber diesem kleinen Fleckchen Landschaft gegenüber jenen großen 
Landschaftsszenerien besondere Bedeutung verleiht, das ist die atmosphärische 
Stimmung, das gewitterliche Raumdunkel, das über ihm liegt. Während die Land- 
schaften aller früheren Stiche in einem gleichmäßig über den ganzen Bildraum ver- 
teilten Lichte erscheinen, während dort alle atmosphärischen Lichteffekte fehlen, 
begegnen wir hier einem ersten Versuche, eine Landschaft in drohender Gewitter- 
beleuchtung darzustellen und das Raumlicht wiederzugeben. Der Vordergrund ist 


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grell von den Strahlen der Sonne beleuchtet, während sich der Hintergrund all- 
mählich abdunkelnd in dem heranziehenden drohend geballten Gewölk verliert. 

Das Streben, die Körper unabhängig von einem räumlichen Hintergrund plastisch 
in fein vermalender Technik herauszubilden, zeigt sich besonders deutlich ausge- 
sprochen auch in dem Wappen mit dem Totenkopf, in dem die Wiedergabe des 
Stofflichen zur höchsten Meisterschaft gediehen erscheint. Der metallische Glanz 
des Helms, die Struktur der Stoffe sind hier fast bis zur Wirklichkeitsvortäuschung, 
so weit man in der Schwarzweißkunst von einer solchen reden kann, zum Aus- 
druck gebracht, und das plastische Hervortreten der Formen durch die kräftige 
Kontrastwirkung auf das Höchste gesteigert. Nach den gleichen Grundsätzen sind 
schließlich auch das Wappen mit dem Hahn, B. 100, und der einer Komposition 
Jacopo Barharis verwandte Stich „Apollo und Diana“, B. 68, behandelt. 

Um dieselbe Zeit bringt Dürer ein anderes System zur vollen Reife, das gleich- 
falls im wesentlichen auf dem Prinzip der Kontrastwirkung beruht und wohl in 
dem Streben des Meisters begründet ist, die Figur nicht wie bei der „Großen 
Fortuna“ und den anderen genannten Blättern unabhängig vom räumlichen Hinter- 
grund einfach dunkel auf den weißen Papiergrund zu projizieren, sondern sie nun 
vor den räumlichen Hintergrund zu stellen, ohne dabei auf wirksame Kontraste 
verzichten zu müssen. Daß das Problem damit eine wesentliche Änderung erfährt, 
daß hier die Projektion von dunkel auf hell nicht ohne weiteres verwendbar ist, 
bedarf wohl keiner näheren Erklärung. Das zeigt beispielsweise auch der Fahnen- 
schwinger, B. 87, wo das räumliche landschaftliche Element fast vollständig zurück- 
treten muß, um die sich dunkel vom hellen Grund abhebende Gestalt des Fähn- 
richs nicht in ihrer Gesamtwirkung zu beeinträchtigen. Soll sich also die Figur 
kräftig und plastisch vom räumlichen Hintergrund ablösen, so muß sie besonders 
bei der zarten vermalenden Technik Dürers in dieser Epoche hell auf dunklem 
Grunde stehen. In diesem Sinne ist das Problem im Sündenfall von 1504 gelöst. 
Die Gestalten des ersten Menschenpaares stehen hier ganz hell fast weiß vor dem 
dunkeln Waldhintergrund und ihre Körper sind mit den zartesten Strichen und 
Punkten modelliert, um die Flächenhelligkeit der dunkeln Folie gegenüber nicht zu 
beeinträchtigen. Mit dieser bis zur höchsten Vollendung gesteigerten Feinstich- 
manier, gelingt es Dürer nicht bloß seinen Gestalten Rundung und Körperlichkeit 
zu geben und das An- und Abschwellen der Formen bis zu ihren zartesten Ab- 
stufungen festzuhalten, er versteht es auch, wie Lippmann hervorhebt, die zartere 
Struktur der weiblichen Haut der derberen männlichen gegenüber voll zum Aus- 
druck zu bringen, indem er hier mit zarten Strichen, dort aber fast nur mit Punk- 
ten abtönt. 

Das gleiche Prinzip, die Figur hell auf dunklem Grund zu projizieren, findet auch 
in der Satyrfamilie, B. 69, und dem Kleinen und großen Pferd, B. 96 und 97, An- 
wendung, nur leitet hier die kräftigere mehr auf Körperlichkeit des Strichs ge- 
richtete Technik bereits zu den Stichen der folgenden Perioden über. 

Hand in Hand damit geht das Streben Dürers, in seinen Stichen nunmehr auch 
das Raumdunkel wiederzugeben, wenn er auch wohl noch nicht daran denkt, das- 
selbe auf den figürlichen Hauptvorgang selbst auszudehnen. Des ersten Versuchs 
in dieser Richtung habe ich schon bei der Großen Fortuna Erwähnung getan; die 
Stimmung ist hier vielleicht einheitlicher, weil sie nicht durch die vor den Bild- 
raum gestellten Figuren beeinflußt wird, andererseits aber hebt im Sündenfall der 
Gegensatz zwischen dem ins hellste Licht gesetzten Menschenpaar und dem in 
dämmerigen Schatten gehüllten Hintergrund die Wirkung des Raumdunkels, das 


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auch die Tiere des Paradieses umfängt. Vor allem aber gibt diese scharfe Be- 
leuchtung der Vordergrundfiguren Dürer die Möglichkeit, sich im Hintergrund einer 
reicheren Tonskala zu bedienen, hier zum ersten Male dunkel in dunkel zu model- 
lieren und auch dem Raumdunkel eine gewisse Leuchtkraft zu geben. 


Auf dem Höhepunkt seiner fein vermalenden Technik langt Dürer in der Ge- 
burt Christi von 1504, B. 2, an, wo er es versucht die Figuren in den Raum und 
nicht mehr wie früher vor den Raum zu stellen. Aber hier mag sich ihm gezeigt 
haben, daß nur einige wenige der frühesten Drucke die angestrebte Raumdunkel- 
wirkung wirklich zum Ausdruck brachten, während die bald erschöpfte Platte nur 
Baue Abzüge ohne Tiefen bringen konnte. Darum sehen wir ihn, wie Lippmann 
und nach ihm Wölfflin hervorheben, in seinen späteren Arbeiten einen kräftigeren 
volleren Strich annehmen, der seine dritte Stilperiode, die Zeit seiner Meisterstiche, 
kennzeichnet. 


Zum besseren Verständnis des kommenden seien die bis jetzt gewonnenen Er- 
gebnisse kurz wiederholt. 


Dürers frühe Arbeiten zeigen eine rein zeichnend konturierende Madellierung, die 
nur die wesentlichsten Körperformen ;durch wenig ausgedehnte Schatten angibt, 
neben denen hart und unvermittelt die großen ungegliederten Lichtflächen stehen; 
Der Raum, in dem die Figuren dargestellt sind, zeigt ein durchaus gleichmäßig 
verteiltes Licht ohne irgend welche Andeutung von Helldunkelwirkungen. Gegen 
das Ende der ersten Periode nehmen die die Körper modellierenden Schatten all- 
mählich an Ausdehnung zu, stehen nicht mehr unvermittelt neben den Lichtflächen, 
sondern werden in zarten Abstufungen in diese iibergeleitet. Das Streben nach 
dieser zarten Abtönung führt zu einer im höchsten Grade feinlinigen Technik, in 
der die Wiedergabe des Stofflichen bis zur Vollendung gesteigert erscheint. Die 
landschaftlichen Hintergründe, die bisher in den gleichen Valeurs gehalten waren 
wie die Figuren des Vordergrundes, werden nach rückwärts zu abgetönt und stei- 
gern auf diese Weise die Raumwirkung. Daneben machen sich im weiteren Ver- 
lauf die ersten Versuche bemerkbar, das Raumdunkel zum Ausdrck zu bringen, in 
das die Figuren jedoch noch nicht einbezogen sind, diese stehen vielmehr noch 
vor dem Raum, und heben sich entweder dunkel von einer hellen oder hell von 
einer dunklen Folie ab. 


Die dritte Periode in Dürers Schaffen wird nun dadurch gekennzeichnet, daß der 
Meister einerseits von der fein vermalenden Manier zu einer kräftigeren Strich- 
technik übergeht, in der der Strich am Körper gewinnt, andererseits zu einer ein- 
heitlicheren Bild- und Raumwirkung zu gelangen sucht, indem er das Helldunkel 
im ganzen Bildraum zur Geltung bringt und auch den figürlichen Vorgang in das- 
selbe einbezieht, die Figur also nicht mehr vor, sondern in den Raum stellt. 


Dieser Wandel spricht sich bereits in einigen der 1507 und 1508 entstandenen 
Blätter, wie dem Christus am Kreuz, B. 24, und dem Christus am Ölberg von 
1508, aus, wo bereits eine Gesamtstimmung erreicht ist, die an die Hauptblätter 
dieser Periode erinnert. Das Licht fällt von vorn ein und beleuchtet zunächst die 
Figurengruppen und die Landschaft, die sich hell von dem dunkeln Himmel abhebt. 
Auch hier ist demnach die Komposition noch auf Kontrastwirkung berechnet, der 
Unterschied besteht jedoch darin, daß die Beleuchtung der Figuren und der Land- 
schaft gemeinsam ist, während als kontrastierendes Element der dunkle Himmel 
dient. Dieses Prinzip behält Dürer, beiläufig bemerkt, bis in die späteste Periode 
seines Schaffens bei; wir begegnen ihm in vielen Blättern der Passion, in der 


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Melancholie, in den beiden Madonnen von 1520 und in den Christophorusdarstel- 
lungen von 1521. 

Noch deutlicher tritt der neue Stil in den Passionsstichen von 1512 hervor. In 
Blättern, wie Pilatus wäscht sich die Hände, beherrscht Dürer die Wiedergabe des 
Raumdunkels, und erreicht dies vor allem durch eine entsprechend veränderte 
Technik. Während in der Zeit seiner Feinstichmanier die Linien sich fast immer 
der Form des dargestellten Gegenstandes anschmiegen, bildet sich in den Blättern 
der Passion eine Tonschraffierung aus, die zunächst keine Rücksicht auf die Form 
nimmt, sondern ausschließlich dazu bestimmt ist, die Tonwerte zum Ausdruck zu 
bringen. Teils mit der modellierenden Schattierung verbunden, sie ergänzend 
und unterstützend, teils ganz unabhängig von ihr, vertritt sie hier die Stelle der 
Tonplatte im Zwei- oder Mehrplattendruck, indem sie die Lichter und Schatten den 
im Bildraum herrschenden Beleuchtungsverhältnissen anpaßt. Deutlich zeigt sich 
diese Tonlage beispielsweise in den Gewändern der Engel, die das Schweißtuch 
der heiligen Veronika halten, B. 25. Diese Art, die Zeichnung durch besondere 
vielfach übergelagerte Systeme von Strichlagen zu tönen, behält Dürer bis in die 
letzte Zeit seiner Tätigkeit als Stecher bei, ja sie tritt in seinen späten religiösen 
Darstellungen, wie den Madonnen von 1519, 1520 und 1521, immer stärker her- 
vor. Die Erkenntnis jedoch, daß die Klarheit und Reinheit der Form durch eine 
allzu ausgedehnte Anwendung der Tonschraffierung beeinträchtigt werden kann, 
mag wohl dazu beigetragen haben, sie gerade in den Hauptblättern, Ritter, Tod 
und Teufel, Melancholie und dem Hieronymus im Gehäus, teilweise durch andere 
Ausdtucksmittel zu ersetzen; wie diese drei Hauptblätter in Dürers Werk überhaupt 
eine Sonderstellung einnehmen. 

Bei „Ritter, Tod und Teufel“ ist die Fassung des Raum- und Lichtproblems noch 
verhältnismäßig sehr einfach und weist große Verwandtschaft mit dem Sündenfall 
auf. Die Felswand im Hintergrund dient noch immer als einheitlich dunkle Folie, 
wie die dunkle Waldkulisse beim Siindenfall, von der sich die Figuren abheben; 
aber diese stehen nicht mehr wie dort besonders beleuchtet vor dem Raum, son- 
dern das Felsengekliift, das sie umgibt, hüllt auch sie in seine düsteren Schatten 
ein, und nur die Landschaft mit dem Schloß, die in helles Tageslicht getaucht aus 
der Ferne herüberschaut, steht in kräftigem Kontrast zu den ernsten dunkeln 
Schattentönen, die im Vordergrund herrschen. Auf diesen Gegensätzen zwischen 
dem ganz hell gehaltenen Hintergrund und dem in düsteres Helldunkel gehiillten 
Vordergrund, aus dem nur die auf den Figuren liegenden scharfen Glanzlichter 
hervorleuchten, beruht im wesentlichen die dieser Arbeit Diirers eigentiimliche 
Lichtstimmung; sie bildet gleichsam das Grundmotiv seiner Raumkomposition. 
Kreuzlagen finden hier verhältnismäßig noch weitgehende Verwendung, insbeson- 
dere dort, wo tiefere Schatten und ruhige einheitliche Flächen ein reines klares 
Herausarbeiten der Einzelformen nicht fordern, wie beispielsweise bei der Wieder- 
gabe des Geländes oder beim Bauch und Schenkel des Pferdes des Ritters. Im 
andern Falle aber sucht Dürer die Form möglichst durch einfache Strichlagen zum 
Ausdruck zu bringen, wie beim Harnisch des Ritters, dem Kopf und Hals des 
Pferdes u. a. m. Nur die hellsten Lichter bleiben ausgespart; doch sind die Kreuz- 
lagen bei „Ritter, Tod und Teufel“ nicht etwa wie beim Schweißtuch der heiligen 
Veronika, B. 25, oder den späten Madonnen von 1520 und 1521 als Zeichenlage 
und Tonlage behandelt, sondern beide Systeme folgen in verschiedener Richtung 
den Formen der Körper und bringen erst gemeinsam die Form und Tonstärke zum 
Ausdruck. Hier zeigt sich auch, wenngleich weniger ausgesprochen, jene male- 


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rische Technik, die für jede Nuance, für jedes Vor- und Zurücktreten des Reliefs 
ein anderes Strichsystem anwendet, eine Technik, die in den nachfolgenden Haupt- 
blättern von 1514 auf ihrer vollen Höhe steht. 

Ein Vergleich mit dem großen und kleinen Pferd zeigt hier den großen Fort- 
schritt in der technischen Behandlung und der Wiedergabe des Raumlichts. Bei 
den erstgenannten Blättern sucht Dürer noch vorwiegend durch die großen hellen 
Flächen des Pferdeleibes zu wirken, die sich scharf von dem dunklen Hintergrund 
abheben, während die Modellierung nur in zarten Scattierungen angegeben ist. Bei 
„Ritter, Tod und Teufel“ wird das Pferd durch die seinen ganzen Körper deckende 
Modellierung und Schattierung, die nur die hellsten Lichter ausspart ein Teil des 
Raums, in dem es sich bewegt. Nicht mehr das Licht allein bringt die Fläche 
zum Ausdruck, sondern die Richtung und Dichte der Schattierung gibt den Ton, 
die Lichtstärke und die Stellnng des Beschauers zur Fläche wieder. 

Weit weniger einfach als in Ritter, Tod und Teufel hat sich Dürer die Aufgabe 
der Raumgestaltung und Lichtfiihrung in der Melancholie gestellt. Hier dient der 
Figur nicht mehr ein einheitlich dunkler Hintergrund als Folie, eine Vielheit von 
Motiven mit ihrem ganzen Reichtum an Tönen und Abstufungen ist es, die den 
Raum gliedert und belebt, und die das gereifte Können Dürers zu einer einheit- 
lichen Tonwirkung, zu einem ruhig wirkenden Hintergrund zusammenfaßt. Wölfflin 
würdigt, wie mir scheinen will, die Bedeutung der perspektivischen Raumkonstruk- 
tion dieses Blattes nicht genügend. Tritt sie in „Ritter, Tod und Teufel“ stark 
zurück, ist sie im „Hieronymus im Gehäus“ durch ein System regelmäßig ver- 
laufender Fluchtlinien gegeben, so scheint es sich Dürer in der Melancholie ge- 
radezu zur Aufgabe gemacht zu haben, die Linear- und Raumperspektive, ohne Zu- 
hilfenahme derartiger regelmäßig verlaufender Fluchtlinien lediglich durch asym- 
metrisch gestellte und geformte Gebilde zum Ausdruck zu bringen. So bildet der 
Rock der weiblichen Gestalt, der Mühlstein und der große unregelmäßig geformte 
Steinblock eine Fluchtlinie, die die Entfernung des Blockes und der Mauer von der 
Bildfläche bestimmt, während die im Vordergrunde verstreuten Gegenstände als 
Maßstab für die Stellung des Blocks einerseits und der weiblichen Gestalt anderer- 
seits im Bildraum dienen. Über sie hinweg wird der Blick stufenweise zur Kugel, 
zu dem ruhenden Hund, dem Block, dem Schmelztiegel und über diesen hin zu 
dem landschaftlichen Hintergrund geleitet. Das Verhältnis des Blockes zur Mauer 
wird einerseits durch die Bodenstufe, andererseits durch die Leiter charakterisiert, 
die ihrerseits wieder den Distanzmaßstab für die zwischen ihren Sprossen sichtbar 
werdende Landschaft bildet. Selbst die Dicke der Wand wird durch die Wage 
uud die Lage des Nagels bestimmt, an den sie hängt. So liegt in dieser schein- 
baren Regellosigkeit ein strenges System, eine überzeugende Logik des räumlichen 
Beieinander und Hintereinander, die geradezu zwingend jedem Objekt seinen Platz 
im Raume anweist. 

Gegen „Ritter, Tod und Teufel“ bedeutet die Melancholie auch in bezug auf die 
Verteilung des Lichtes einen ganz wesentlichen Fortschritt. Beruht dort die Licht- 
wirkung im Wesentlichen auf dem Gegensatz zwischen den auf den Figuren ruhen- 
den Glanzlichtern, der dunklen Mittelgrundkulisse und der hellen Landschaft im 
Hintergrund, so schließt sich hier eine Vielheit von Tönen, von Schatten und 
Lichtflächen zu einer einheitlichen geschlossenen Raumdunkelwirkung zusammen. 
Auch hier lenken zunächst die auf der weiblichen Gestalt ruhenden Glanzlichter 
das Auge auf sich, der Mittelgrund dagegen bewegt sich meist in Halbtönen, so 
daß der Blick weiter nach dem Hintergrund geleitet wird, wo ihn die Lichterschei- 


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nung am Himmel, der Regenbogen, und die hell bestrahlte Landschaft festhalten. 
Dürer hat hier wohl als erster auf dem Gebiete des Kupferstichs den Versuch ge- 
macht, die Lichtquelle im Bildraum selbst darzustellen und mit der in ihm herr- 
schenden Beleuchtung in Einklang zu bringen. Vollständig ist ihm die Lösung 
dieses Problems allerdings nicht gelungen, denn tatsächlich fällt das Licht für den 
Bildraum von rechts her ein; dagegen hat er es vortrefflich verstanden, den Be- 
schauer über die Verschiedenheit der Beleuchtung hinwegzutäuschen, und die 
Lichtverteilung im Raume scheinbar durchaus einheitlich zu gestalten, so daß der 
ganze Bildraum wie von den Strahlen der untergehenden .Sonne durchglüht er- 
scheint. Mit dem höchsten künstlerischen Feingefühl und durchaus folgerichtig ist 
hier das Spiel des Lichts mit seinen Reflexen auf all diesen Flächen, Kanten und 
Falten beobachtet und durchgeführt, und der Bildraum bis in seine äußersten Win- 
kel, bis in die tiefsten Schatten hinein belebt. So ist auch die Schattenmodellie- 
rung eines Gesichts, die Dürer bereits im bogenschießenden Apoll angestrebt hatte, 
hier vollständig durchgeführt. Das Gesicht der geflügelten weiblichen Gestalt ist 
ganz in Schatten gehüllt, aus dem nur das Weiß der Augen hervorleuchtet, und 
doch ist hier jedes Detail der Gesichtsmuskulatur, jede zarte Nuance dunkel in 
dunkel herausmodelliert. 

Doch nicht bloß das Raumlicht versteht Dürer in seiner Melancholie zu meistern, 
sondern auch die Farbenwirkungen. Die immer reicher werdende Nuancierung 
und Abtönung in den Arbeiten des Meisters bringt es schließlich mit sich, daß er 
wenigstens im Vordergrund die Farbenwerte durch Helligkeitswerte ausdrückt, und 
so in seinen Meisterblättern den Eindruck der Farbigkeit erweckt. Mit Recht 
weist daher Wölfflin darauf hin, daß hier eine grundsätzliche Neuerung vorliegt. 

Wie in der Wirkung so unterscheidet sich die Melancholie auch in der tech- 
nischen Behandlung ganz wesentlich vom „Ritter, Tod und Teufel“, denn gerade 
dadurch setzt Dürer seine Meisterschaft ins vollste Licht, daß er seine Technik 
durchaus dem Gegenstande anpaßt, und sich dementsprechend in seinen 3 Haupt- 
blättern wesentlich voneinander abweichender technischer Ausdrucksmittel bedient. 
In der Melancholie sucht er nach Möglichkeit mit einfachen Strichlagen auszu- 
kommen und wendet Kreuzlagen nur mit der äußersten Sparsamkeit an, um die 
Klarheit der Form und die Durchsichtigkeit der Schatten nicht zu beeinträchtigen. 
In weit höherem Maße als in „Ritter, Tod und Teufel“ drückt Dürer hier fast jede 
Tonstärke, jede Veränderung der Flächenrichtung, jedes An- und Abschwellen der 
Form durch eine veränderte Richtung der Linienschattierung aus, und fast jede 
Tonstärke, jede Nuance hat ihr eigenes Strichsystem. Es ist daher unmöglich in 
Worten auszudrücken, wie unendlich verwickelt sich beispielsweise die Behandlung 
der Draperie der weiblichen Gestalt mit ihrer Fülle von ineinander greifenden oder 
lose nebeneinander stehenden Liniensystemen bei näherer Betrachtung darstellt. 
Dürer setzt hier, um mich eines Ausdrucks der Malerei zu bedienen, die Töne oft 
nebeneinander, ohne sie zu vertreiben, er arbeitet nicht mehr mit zeichnerischen 
Konturen und zeichnerischer Schattierung, sondern wie der Maler mit nebenein- 
ander gesetzten Licht- und Schattenflächen, und geht damit von der rein zeichne- 
rischen zur rein malerischen Behandlung der Platte über. Selbst die Begrenzung 
der Körper durch Konturlinien ist, wo es möglich ist, vermieden und an ihre Stelle 
treten Tonwerte. Ein vorzügliches Beispiel hierfür liefert der große unregelmäßig 
behauene Steinblock, der die Mitte des Bildes einnimmt. und dessen perspektivische 
Konstruktion Sandrart besonders hervorhebt. Seine Fächen werden nicht mehr 
durch Linien begrenzt, sondern ausschließlich durch Tonwerte zum Ausdruck ge- 


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bracht, er hat also aufgehört eine lineare Konstruktion zu sein und sich in eine 
rein malerische verwandelt, wo an Stelle der Linie die Licht- und Schattenfläche 
steht. Und hier erkennt man auch besonders deutlich, wie jede Seite des Blocks 
durch ein anderes Liniensystem gekennzeichnet ist. 

Ebenso wie dem Ton und der Farbe, so paßt sich Dürers Technik in der Melan- 
cholie auch dem Material an, denn er findet fast für jeden Stoff, für jeden Körper 
die geeigneten technischen Ausdrucksmittel. Der lange feine Strich, der der Model- 
lierung des Körpers folgt, das kurze Strichelchen bis zum Punkt herunter in all 
ihren vielen Kombinationsmöglichkeiten, die größere oder geringere Dichte oder 
Regelmäßigkeit der Strichführung, alles greift hier zusammen, um mit den Mitteln 
der Schwarzweißkunst die größtmögliche Stoffexpension zu erzielen, ohne die Ein- 
heit des Tons und der Bildwirkung zu stören. Neben der Größe der Komposition 
und dem Stimmungsgehalt bildet diese fast unbegrenzte Vielseitigkeit in der male- 
rischen Behandlung der Werte und des Stofflichen einen Hauptreiz dieses Meister- 
stichs Diirers. 

Eine Steigerung der technischen Ausdrucksmittel ist wohl nach der Melancholie 
kaum mehr möglich, dagegen bedeutet der heilige Hieronymus im Gehäus in be- 
zug auf die Lichtführung noch einen weiteren Schritt nach vorwärts, in bezug auf 
die Raumgestaltung aber vielleicht den Höhepunkt in Dürers Schaffen, denn die 
Hauptfigur ist hier nicht mehr wie in den anderen Meisterblättern in den Vorder- 
grund gerückt, sondern sitzt im Grunde des Raums. Das Problem, an das Dürer 
in seinen früheren Blättenr nur vorsichtig tastend heranzutreten wagt, ist hier ge- 
löst; die figürliche Darstellung beherrscht den Bildraum nicht mehr ausschließlich, 
und der räumlichen Umgebung ist nicht mehr bloß die Rolle zugewiesen, den 
Schauplatz dieses Vorganges abzugeben, sondern beide Elemente sind nun so eng 
miteinander verwoben und zu einem Ganzen vereinigt, daß das eine ohne das an- 
dere kaum zu denken ist. Können wir uns die Gestalten des Ritters, Todes und 
Teufels ohne Schwierigkeiten auf einen einfachen dunklen Grund projeziert denken, 
ohne daß der Darstellungsinhalt oder die Darstellungsform eine wesentliche Ände- 
rung dadurch erfahren würden, ist diese Abstraktion von dem räumlichen Milieu 
selbst bei der Melancholie in einem gewissen Grade noch denkbar, so erscheint sie 
beim heiligen Hieronymus im Gehäus ausgeschlossen. Denn beide Elemente ge- 
winnen erst durch ihre Vereinigung Bedeutung, nnd werden erst durch sie zum 
fertigen in sich geschlossenen Kunstwerk. Es ist die große Tat des Genies, das 
hier aus der Darstellung des figürlichen Vorgangs mit räumlichem Hintergrund die 
reine Milieuschilderung herausgestaltet. Dementsprechend ist auch das Licht ver- 
teilt. Der ganze Raum ist mit hellem klaren Sonnenlicht erfüllt, das vielfach ge- 
brochen durch die Butzenscheiben der rundbogigen Fenster hereinströmt, während 
sich über dem Vordergrund ein warmes Halbdunkel breitet, aus dem der Kopf und 
die Gestalt des Löwen gedämpft hervorleuchten. Über diese sanften Mitteltöne 
und über die weiten hellen Fenster, wird das Auge zu dem hellsten Licht im 
Raume geführt, dem Kopf des Heiligen und dem hell beleuchteten Tisch, hinter 
dem er vertieft in seine Arbeit sitzt. Der Kompostion entsprechend ist also auch 
der Lichtakzent nach dem Hintergrund verschoben. 

Deutlich läßt sich in den 3 Hauptblättern eine auf Vereinheitlichung der Bild- 
wirkung gehende Entwicklung verfolgen, deren Schlußpunkt der Hieronymus im 
Gehäus bildet. In „Ritter, Tod und Teufel“ wie in der Melancholie arbeitet Dürer 
noch mit zwei verschiedenen Lichtquellen, deren eine für den Vordergrund außer- 
halb des Bildraums, die andere für den Hintergrund in diesem selbst liegt. Wäh- 


9 


rend aber in ersterem Blatt die auf der figürlichen Darstellung ruhenden Lichter 
noch vorherrschen und nur ein verhältnismäßig schwaches Gegengewicht in dem 
hellen Stückchen Hintergrundlandschaft finden, stehen sich in der Melancholie die 
kräftig beleuchteten Gestalten im Vordergrunde und die strahlende Himmelserschei- 
nung im Hintergrunde bereits nahezu gleichwertig gegenüber. Im Hieronymus im 
Gehäus endlich sind alle diese Kompositionselemente zu einer Einheit zusammen- 
gefaßt. Das Licht liegt hier ausschließlich im Bildraum, es ist gleichsam ein Teil 
desselben geworden, wie die Figur, in der Licht- und Raumkomposition sich wie 
in einem Brennpunkt vereinigen. 

In technischer Hinsicht steht der heilige Hieronymus im Gehäus auf der Höhe 
der Melancholie. Auch hier vermeidet Dürer Kreuzlagen und wendet sie in aus- 
gedehnterem Maß nur bei den Wandflächen des Raums an. Im übrigen kann man 
bei diesem letzten Hauptblatt eher von einer Vereinfachung der technischen Mittel 
sprechen, was wohl teilweise auf die Komposition mit ihren einheitlichen ruhigen 
Linien zurückzuführen ist. Das Stoffliche ist hier vielleicht noch täuschender und 
wahrer wiedergegeben als in der Melancholie, doch bevorzugt Dürer im Vergleich 
zu der ungeheueren Mannigfaltigkeit der technischen Ausdrucksmittel, der wir in 
der Melancholie begegnen, die einheitlichen einfachen Linienzüge, deren Ausdrucks- 
fähigkeit allerdings fast noch gesteigert erscheint. 


Was aber den drei Meisterblättern Dürers einen besonderen Platz unter den 
Kunstschöpfungen ihrer Zeit anweist, das ist in erster Linie die Stimmung, die in 
ihnen zum Ausdruck kommt; denn sie sind die ersten, ja vielleicht die einzigen 
Verkörperungen seelischer Stimmungen in dieser Epoche. Es handelt sich hier 
nicht, wie beispielsweise bei den Niederländern, um eine vielleicht gar nicht so sehr 
gewollte als durch die Art und den Charakter der Naturmotive gegebene Stim- 
mung; sie ist vielmehr zum eigentlichen Zweck geworden, dem die figürlichen und 
Raummotive nur als Ausdrucksmittel dienen. Auch in dieser Richtung aber zeigen 
die drei Hauptblätter eine deutlich erkennbare Steigerung. In Ritter, Tod und 
Teufel ist das Moment der Stimmung verhältnismäßig noch schwach ausgeprägt; 
es liegt hier vor allem im figürlichen Vorgang selbst, zu dem dann der Gegensatz 
zwischen dem düsteren Vordergrund und dem hellen freundlichen Hintergrund unter- 
stützend hinzutritt. Viel deutlicher spricht es schon aus dem zweiten Meisterblatt, 
der Melancholie, zu uns, obzwar die jüngsten Forschungsergebnisse über die Bedeu- 
tung dieser Darstellung gerade in dieser Hinsicht zu Zweifeln Anlaß geben könnten. 
Seit Giehlow wissen wir, daß Dürer das Wort Melancholie nicht in unserem heu- 
tigen Sinne verstand, sondern im Sinne der Aristotelischen Philosophie, wo es gleich- 
bedeutend ist mit der Vertiefung in die Probleme der Wissenschaften und Künste. 
Wölfflin fügt ein Zitat aus Dürers eigenen Schriften hinzu, wo er die Melancholie 
als Resultat geistiger Überanstrengung durch zu intensive Beschäftigung des Malers 
mit seiner Kunst erklärt. Die Dürersche Melancholie ist daher für Wölfflin die 
Verkörperung jener Tiefsinnsstimmung, jener apathischen Meditation, die sich häufig 
als Folge allzu intensiver Vertiefung in die künstlerischen und wissenschaftlichen 
Probleme einstellt. Dieser Erklärungsversuch scheint mir eine sehr glückliche 
Ergänzung zu Giehlows Ansführungen zu bilden und jene Fragen ausreichend zu 
beantworten, die sie noch offen lassen. Zu der dissoluten Seelenverfassung, die 
sich in der Haltung der geflügelten weiblichen Gestalt und der um sie herrschen- 
den scheinbaren Verwirrung ausspricht, scheint mir die schwermütige Sonnen- 
untergangsstimmung, die über dem ganzen Bilde liegt, vorzüglich zu passen, und 


10 


die wehmütige Erkenntnis der Endlichkeit alles Strebens und Ringens nach Erkennt- 
nis höchst stimmungsvoll zu symbolisieren. 

Kann es bei der Melancholie immerhin noch zweifelhaft sein, ob es tätsächlich 
in Dürers Absicht lag, jene Stimmung in seiner Arbeit zum Ausdruck zu bringen, 
die wir heute darin zu sehen glauben, so ist ein solcher Zweifel beim Hieronymus 
im Gehäus fast ausgeschlossen. Der schwermütig grübelnden Tiefsinnsstimmung 
der Melancholie, dieser Verkörperung seelischer Disharmonie, gegenüber, spricht 
aus dem Hieronymus-Stiche der stille Friede und die sonnige Ruhe der geordneten 
Arbeit, die Harmonie eines geläuterten in sich abgeklärten Geistes. Alles dient 
dazu, diese Stimmung zum Ausdruck zu bringen: der still in seine Arbeit vertiefte 
Heilige, die ruhigen Linien des Raums, seine schlichte Ausstattung, die behagliche 
Ordnung, die in ihm herrscht, die friedlich nebeneinander schlummernden Tiere 
und nicht zum wenigsten das lachende Sonnenlicht, das sich durch die hohen 
Fenster in das Zimmer ergießt. Kaum glücklicher und überzeugender konnte wohl 
der Zustand innerer Beschaulichkeit und inneren Friedens zur Anschauung gebracht 
werden. | 

Die Jahre 1513 und 1514 stellen sich in bezug auf die malerische Behandlung 
des Kupferstichs, in bezug auf die Ausgestaltung des räumlichen Milieus und auf 
Stimmungsgehalt als die Höhepunkte in Dürers Schaffen dar. Von 1518 ab macht 
sich ein immer stärker werdender Zug nach dem akademisch Konstruierten hin 
bemerkbar. Seinen Arbeiten kommt immer mehr und mehr jenes schöpferische 
Element des unmittelbaren künstlerischen Empfindens abhanden, das seinen frühen 
Blättern jenen eigentümlichen Reiz verleiht, um sich in seinen Meisterstichen zur 
Größe und Klarheit emporzuschwingen. Das lebendig Geschaute und Empfundene 
wird Schritt für Schritt durch die theoretische Konstruktion verdrängt und an die 
Stelle der liebevollen Beobachtung der Natur, der frohen Empfänglichkeit für ihre 
Vielgestaltigkeit, tritt deutlich das Streben nach Vereinfachung, nach Zurückführung 
all dieser Fülle von Formen und Gestaltungen auf möglichst einfache geometrische 
Figuren. Das freie künstlerische Gestalten weicht der theoretischen Spekulation, 
die mit dem Leben nur mittelbar in Verbindung steht und sich zur Natur ungefähr 
so verhält, wie die direkte Anschauung zum abstrakten Begriff. 

Dies kommt auch in der technischen Behandlung der Arbeiten dieser Spätzeit 
zum Ausdruck. Hier zeigt sich die Vereinfachung der Mittel darin, daß jenes 
komplizierte System von Strichen, Strichelchen und Punkten, das vor allem der 
Stoffexpression diente, sowie jene malerische Art, die Strichsysteme nebeneinander 
zu setzen, aufgegeben wird. Mit Vorliebe bedient sich nun Dürer kräftiger mit 
dem hohen Stichel gezogener einheitlicher Strichlagen, die in den Schattenpartien 
durch Kreuzlagen verstärkt werden. An die Stelle der malerischen tritt in diesen 
späten Arbeiten eine rein stecherische Behandlung der Platte. Ein Vergleich der 
Gewandfalten der geflügelten weiblichen Gestalt in der Melanchoiie mit dem Ge- 
wande der von Engeln gekrönten Madonna, B. 39, zeigt deutlich, daß es Dürer 
nicht mehr so sehr um die Belebung der Form, als um ihre Zurückführung auf 
einfache Linien- und Flächenkomplexe zu tun ist, und daß er hier vor allem 
möglichst einheitliche in sich geschlossene Licht- und Schattenmassen anstrebt. 
Darum auch kann er durchgehende Schraffierungen und Kreuzlagen anwenden, 
ohne die Gesamtwirkung zu stören. Hand in Hand damit geht ein allmähliches 
Zurücktreten des räumlichen Milieus. Während Dürer in seinen frühen Arbeiten 
dasselbe mehr gegenständlich als Schauplatz des figürlichen Vorgangs faßt, wäh- 
rend er in seinen Meisterstichen dazu gelangt, die Figur und die räumliche Um- 


II 


gebung zu einem künstlerischen Ganzen zu vereinigen, in dem beide Elemente 
gleichwertig nebeneinander stehen, dient der räumliche Hiutergrund hier haupt- 
sächlich dazu, die figurale Komposition zu ergänzen und zu unterstützen. Alles, 
was diesem Zwecke nicht unmittelbar dient, wird weggelassen, und darum wohl 
hauptsächlich sehen wir in Dürers späteren Blättern, die Darstellung der räum- 
lichen Umgebung auf das Notwendigste beschränkt, ja zuweilen nur flüchtig ange- 
deutet. 

Schon beim heiligen Antonius von 1519, B. 58, wohl dem letzten Blatt, in dem 
der landschaftliche Hintergrund noch eine bedeutendere Rolle spielt, paßt sich der 
landschaftliche Aufbau dem figuralen vollständig an, und folgt fast getreu der Kon- 
turlinie der Gestalt des Heiligen, der im Vordergrunde sitzt. Auch Wölfflin ist 
dies nicht entgangen, im übrigen aber will ihn die Darstellung des Bergstädtchens 
mit ihrer Fülle von Einzelheiten fast wie ein Rückfall in alte schlechte Gewohn- 
heiten anmuten. Er übersieht dabei, daß es sich bei Dürer hier doch wohl um 
etwas anderes gehandelt haben mochte als lediglich um die Darstellung eines 
detailreichen landschaftlichen Hintergrundes. Vergleicht man das Stadtbild mit ver- 
wandten Darstellungen einer früheren Schaffensperiode Dürers, wie beispielsweise 
mit dem Schloß, das im Hintergrunde des Eustachius-Stichs, oder dem Städtchen, 
das im „Großen Herkules“ dargestellt ist, so erkennt man, daß dort von einer 
strengen perspektivischen Konstruktion noch kaum die Rede sein kann. Höchstens 
wird das räumliche Verhältnis der einzelnen Objekte zueinander, nur so beiläufig 
durch Überschneidungen oder durch raumbildende Elemente, wie eine Straße oder 
einen nach der Tiefe führenden Weg, angedeutet; perspektivische Hilfsmittel, deren 
sich Dürer auch in ausgedehnterem Maße bei der von oben gesehenen Landschaft 
der großen Fortuna bedient. In allen diesen Stichen stehen die landschaftlichen 
Motive da wie flache Hintergrundkulissen und entbehren vielfach der Körperlichkeit. 
Beim heiligen Antonius hingegen zeigt das Städtchen eine perspektivische Durch- 
bildung, wie wir sie bei keiner der voraufgehenden Stadt- und Burgansichten wieder- 
finden; und zwar handelt es sich hier nicht wie bei der „großen Fortuna“ um einen 
Blick von oben herunter, sondern das Städtchen ist von unten aus gesehen. Es 
ist als habe sich Dürer ein Vergnügen daraus gemacht, bei der Wiedergabe all 
dieser Mauern, Häuser und Türme, mit ihren mannigfaltigen Stellungen, mit ihren 
Verkiirzungen und schief zum Beschauen verlaufenden Fluchtlinien, seine umfassen- 
den Kenntnisse der Linearperspektive ins volle Licht zu setzen. Trotz des großen 
Reichtums an Details gibt dieses Gewirre von Giebeln, Häusern und Türmen doch 
ein Raumbild so klar und übersichtlich, daß das Verhältnis jedes Einzelobjekts zu 
den anderen Objekten und zum Beschauen ohne weiteres deutlich wird, und daß 
das Ganze körperlich und plastisch im Raume steht. Nur im Verhältnis zwischen 
Vorder- und Mittelgrund zeigt sich jene räumliche Unklarheit, die allen landschaft- 
lichen Darstellungen dieser Zeit eigen ist. | 

Der etwas trockenen schweren Strichtechnik entsprechend haben die späteren reli- 
giösen Darstellungen Dürers meist einen dunkleren schwereren Ton. Wie der 
Meister danach strebt, die Formen bis zur Abstraktion von der Wirklichkeit der 
Erscheinung zu vereinfachen, so sucht er auch die Verteilung des Lichts im Raum 
so einheitlich wie möglich zu gestalten, denn nur dieses kräftige Konzentrieren der 
Beleuchtung macht es ihm möglich, Licht und Schatten zu einheitlichen geschlos- 
senen Flächen zusammenzufassen. Das zeigt sich deutlich bei der Madonna von 
1519, B. 36, und den Madonnen von 1520, B. 37 und 38. Bei der Madonna von 
1518, B. 39, ist das Licht noch stark zerstreut und das Streben nach Freilicht- 


12 


wirkungen deutlich erkennbar, während bei jenen drei Mariendarstellungen das 
Licht fast ausschließlich von den Strahlennimben auszugehen scheint, die die Köpfe 
umgeben. Der ganze übrige Bildraum ist in ein warmes leuchtendes Helldunkel 
gehüllt, aus dem nur die Nimben und die bestrahlten Gesichter und Gewandpartien 
hervorleuchten. 

Diese letzteren Madonnen ebenso wie die beiden Christophorus-Darstellungen, B. 51 
und 52, bedeuten, vom Standpunkt der frischen lebendigen Naturauffassung betrachtet, 
unverkennbar eine Erstarrung des Formgefühls, in bezug auf geschlossene Bild- 
wirkung und Lichtführung aber eine kräftige Fortentwicklung. ‘Was in der Melan- 
cholie angestrebt, im „Hieronymus im Gehäus“ für den Bildraum durchgeführt ist, 
das ist in diesen späteren Arbeiten auf das höchste gesteigert, denn nun scheint der 
Bildraum das Licht nicht mehr zu empfangen, sondern zu spenden. Selbst die 
Schatten haben hier eine Leuchtkraft und Wärme, die man selbst bei den Meister- 
stichen Dürers vergeblich suchen würde. Ein Vergleich der stehenden Madonna 
auf dem Halbmond von 1516, B. 32, mit der sitzenden Madonna, B. 36, zeigt, wie 
dort die Lichtwirkung fast ausschließlich auf dem Kontrast zwischen den schattierten 
Flächen und den ausgesparten Lichtern beruht, also kaum über die einfache Schwarz- 
weißwirkung hinausgeht. Und doch bedeutet B. 32 schon einen ganz wesentlichen 
Fortschritt gegen die früheren Darstellungen dieser Art, wie B. 31 bis zu der frühen 
Madonna, B. 30, hinunter, wo der Strahlenkranz noch rein zeichnerisch durch schwarze 
Linien angegeben wird. 

Deutlich erkennt man an dieser Reihe, wie Dürer gegen das Ende seiner Tätig- 
keit als Stecher von ganz anderen Grundsätzen ausgeht als in seinen früheren 
Arbeiten. Während er in letzteren nur die helle Fläche als gegebene Grundlage 
nimmt und durch die Schattentöne gliedert und belebt, geht er in seinen späteren 
Stichen geradezu von der beschatteten Fläche aus, um von ihr bis zu den hellsten 
Lichtern emporzusteigen. Der Prozeß, der sich in der Stecherkunst bis zur Er- 
findung der Schabkunst abspielt, das Streben nach flächiger Helldunkelwirkung, 
läßt sich in der Entwicklung des Dürerschen Stichs schon vorausahnen. 

Zeigt sich in Dürers späten religiösen Darstellungen eine gewisse Abkehr von 
der direkten Naturbeobachtung, eine Art Abstraktion von der Wirklichkeit, so be- 
wahrt sich der Meister in seinen Bildnissen, die alle in die letzte Periode seiner 
Tätigkeit als Stecher fallen, die ganze Frische des Auges, die ganze Lebendigkeit 
und Freiheit des Vortrags, die seine Meisterstiche auszeichnet. Hier, wo ihn der 
Gegenstand selbst zur treuen Wiedergabe der Natur zwingt, läßt er alle seine 
theoretischen Spekulationen beiseite und folgt rein seinem künstlerischen Blick und 
seinem durchdringenden Verständnis für das Leben der Form. Auch technisch 
stehen seine Bildnisstiche seinen Meisterblättern ungleich näher als seinen spä- 
teren religiösen Darstellungen. Entscheidend mag hier auch mitgesprochen haben, 
daß die religiösen Darstellungen vorzugsweise für den Handel und für weitere 
Verbreitung bestimmt waren und, um eine möglichst große Anzahl brauchbarer 
Abzüge zu liefern, in einer kräftigeren dauerhafteren Stichmanier ausgeführt 
werden mußten, während dieser Grund bei den Bildnisstichen meist weggefallen 
sein dürfte. Jedenfalls zeigen sie noch dieselbe zarte Strichführung, dasselbe 
Streben nach täuschender Wiedergabe des Stofflichen und schließlich die gleiche 
malerische Technik, die Strichlagen wie Farbenflächen nebeneinander zu setzen. 
Nur wendet Dürer Kreuzlagen in größerem Umfange an als in den Arbeiten 
seiner frühen und mittleren Schaffensperiode. Er bedient sich ihrer hier vorzugs- 
weise zur feineren Modellierung der Köpfe, und zwar weit mehr zur Durcharbei- 


13 


tung der feinsten und zartesten Formen als zur Anlage der tieferen Schatten. Wir 
begegnen daher häufig gerade in den tiefsten Schatten einfachen kräftigen Strich- 
lagen, während die zarten Modellierungen der Gesichter oft zwei oder drei Strich- 
lagen übereinander zeigen, die jede in ihrer Art den Linienzügen der Muskulatur 
folgen, und unter sich wieder bestimmte Richtungssysteme bilden. Dürer wählt 
für seine Bildnisse einen einheitich hellen oder dunklen Grund, um die Wirkung 
nicht zu beeinträchtigen. Der Vorhang, den er im Hintergrunde des Bildnisses 
Alberts von Mainz, B. 107, anbringt, ist wohl als ein erster nicht eben glücklicher 
Versuch zu betrachten, die Farbigkeit des Stichs zu erhöhen. In seinen späteren 
Bildnissen finden wir ihn nicht wiederholt, nur in dem Porträt des Erasmus von 
Rotterdam hat Dürer den Nachdruck wohl notgedrungen auf das Beiwerk gelegt, 
da, wie Wölfflin treffend bemerkt, die nach einer flüchtigen Zeichnung aus dem 
Gedächtnis wiedergegebenen Züge des großen Weisen, hier unmöglich im Mittel- 
punkt der Darstellung stehen konnten. 

Wie Lippmann hervorhebt, kann Dürer als Begründer des Bildnisstrichs ange- 
sehen werden. Bei ihm zuerst steht das gestochene gleichwertig und gleichberech- 
tigt neben dem gemalten Bildnis und neben der Porträtskulptur. Was vor ihm 
geschaffen wurde, geht nicht weit über eine auf Kupfer übertragene Feder- oder 
Umrißzeichnung hinaus. Ihm blieb es vorbehalten, die technischen Mittel des 
Kupferstichs ihrem Wesen nach zu erkennen und soweit zu verfeinern und in ihrer 
Ausdrucksfähigkeit zu steigern, daß sie der Aufgabe, alle Feinheiten des mensch- 
lichen Gesichtes mit seiner ganzen individuellen Eigenart und seinem inneren 
Leben wiederzugeben in vollem Maße künstlerisch gerecht zu werden vermochten. 
Um dies zu erreichen, aber bedurfte es der ganzen durch rastlose schöpferische 
Tätigkeit gesammelten Lebenserfahrung einer genialen Persönlichkeit wie Dürer; 
und darum ist es wohl nicht als Zufall zu betrachten, daß gerade das Bildnis das 
Ende seiner Stecherzeit bezeichnet und gleichsam den Schlußsein dieses großen 
Gebäudes bildet. 


DAS ZEREMONIENSTÜCK VON GUARDI 
IN DER GROULTSAMMLUNG ZU PARIS 


Mit einer Abbildung auf einer Tafel Von GEORGE A. SIMONSON 
Г einem früheren Hefte dieser Zeitschrift erzählte ich, wie Guardi im Jahre 1782 für 

einen gewissen Pietro Edwards, welcher Bilderrestaurator und Kunsthändler war, 
einen Zyklus von vier Zeremonienstücken malte, wozu die Anwesenheit des Papstes 
Pius VI. in Venedig Anlaß gab’). Zu dieser Serie gehört auch das Gemälde von 
Guardi, welches die Groultsammlung enthält. Deshalb will ich alle vier Darstellungen 
kurz wieder beschreiben, bevor ich mich mit dem eigentlichen Thema dieses Auf- 
satzes befasse. 

Bild Nr. ı des Zyklus, welches verschollen ist, hat als Gegenstand die Ankunft 
des Papstes in S. Giorgio in Alga. Das in diesem Heft zum erstenmal abgebildete 
Zeremonienstück der Groultsammlung ist Nr. 2. Es zeigt das Te Deum zu Ehren 
von Pius VI. in der Kirche von SS. Giovanni e Paolo. Die Motive von Nr. 3, welches 
gegenwärtig in der Mondsammlung (London) befindlich ist, und Nr. 4, welches im 
Ashmolean Museum, Oxford, aufbewahrt ist, sind der Empfang des Dogen und des 
Senats vom Papste im großen Audienzsaale des Klosters von SS. Giovanni e Paolo, 
und die päpstliche Segnung). 

In dem erhaltenen Manuskript des Originalpaktes von Pietro Edwards mit Guardi 
(contratto Guardi) wird das Zeremonienstück Nr. 2 als „Pontificale nella chiesa 
dei SS! Giovanni e Paolo“ einfach beschrieben. Im folgenden will ich erst einige 
Bemerkungen über das topographische Element der Darstellung machen, und her- 
nach Einzelnes über die Zeremonie selbst, welche von Guardi so flott und malerisch 
wiedergegeben ist, mitteilen. 

Die früheste Beschreibung davon findet sich in dem Katalog zu der in Mailand im 
Jahre 1872 erfolgten Ausstellung von Werken Alter Meister (Catalogo delle opere d’arte 
antiche esposte a Milano nel 1872), worin ein Bild von Guardi mit dem Titel „In- 
terno della chiesa dei Frari (sic!) con solennità ecclesiastica, presente il Papa ed 
il Doge“ vorkommt. Ein Blick auf den Kirchenraum (siehe Illustration) wird ge- 
nügen, um den Leser, welcher Venedig kennt, zu überzeugen, daß SS. Giovanni e 
Paolo und nicht S. Maria Gloriosa dei Frari die Kirche ist, welche Guardi gemalt 
hat. Der Papst und der Doge sind im Hintergrund des Bildes dargestellt, obwohl 
beide schwer erkennbar sind infolge des stark reduzierten Mafistabes der Abbil- 
dung*). Nun ist die Frage, ob das Zeremonienstiick der Groultsammlung identisch 
ist mit demjenigen, welches oben beschrieben ist. Es wäre möglich gewesen, daß 
Guardi den Innenraum sowohl der einen als auch der anderen Kirche dargestellt hätte, 
und daß sein Gemälde der Frarikirche verloren gegangen wäre. Nun wissen wir, 
um welchen Papst es sich bloß handeln kann (nämlich Pius VI.), da kein anderer 
päpstlicher Fuß Venedig im achtzehnten Jahrhundert betrat, und wir wissen auch, 
daß er keiner Zeremonie in der Frarikirche beiwohnte. Es ist daher offenbar 
erstens, daß im Ausstellungskatalog eine Verwechslung der Dominikaner- mit der 
Franziskanerkirche stattfand, was begreiflich ist, weil sie einander in gewissen Be- 


(1) Siehe des Verfassers Monographie über Francesco Guardi (Methuen & Co., London), S.42, 82. 
(2) Siehe Monatshefte für Kunstwissenschaft (Dezember 1910, S. 488), „Ein Zeremonienstück von Guardi 
im Ashmolean Museum zu Oxford“. 

(3) Vom Gesichtspunkt des Malers ist der Papst auf der linken Seite des Hochaltars, der Doge (Paolo 
Renier) ihm gegenüber auf der rechten dargestellt. 


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ziehungen ähnlich sind, und zweitens, daß bloß ein Zeremonienstück vorliegt, das- 
jenige der Groultsammlung, welches seinerzeit in Mailand ausgestellt war. Hat 
doch der frühere Besitzer desselben (Dr. Corrado Cramer) zu gleicher Zeit ein anderes 
Werk von Guardi derselben Ausstellung geliehen („Ricevimento solenne di un 
Pontefice“), welches auch zur „Pius VI.“-Serie gehört!). 

Was die Anwesenheit von Pius VI. in SS. Giovanni e Paolo betrifft, so werden 
zwei Gelegenheiten seines Erscheinens berichtet. Am 16. Mai (1782) beteiligte er 
sich an dem feierlichen Te Deum, weiches der Patriarch von Venedig, Monsignor 
Giovanelli, zu seinen Ehren anstimmte, und am 19. Mai (Pfingstsonntag) besuchte 
er dasselbe Gotteshaus, um das Hochamt zu halten. Die Musik fiir das Te Deum, 
welches in SS. Giovanni e Paolo gesungen wurde, ist von dem greisen Komponisten 
Hasse geschrieben und von Galuppi geleitet worden. 

Als Abspiegelung des Barockgeschmackes des Zeitalters ist die Travestie des 
Innenraums der Kirche, wie dieselbe in Guardis Malerei Ausdruck findet, und zwar 
in den darin abgebildeten, seltsam dekorierten Chor- und Orchesterbiihnen, sehr 
charakteristisch. 

Meines Wissens hat Guardi bloß einen anderen Kircheninnenraum gemalt, näm- 
lich denjenigen der Markuskirche (Königl. Museum, Brüssel), worin man die Vene- 
zianer sieht, wie sie ihrem neuerwählten Dogen (höchstwahrscheinlich Alvise 
Mocenigo IV.) zurufen. Das Bild, welches im Jahre 1763 gemalt sein soll, stammt aus 
der reifen Periode von Guardis Schaffen. Da Brustoloni, sein Zeitgenosse, eine 
populäre Gravierung darnach hinterlassen hat, und das Originalgemälde schon seit 
1845 im Brüsseler Museum sich befindet, ist es natürlich, daß es viel bekannter 
geworden ist als das Te Deum-Stück, welches, bevor es in die Groultsammlung 
überging, bloß zwei sporadische öffentliche Erscheinungen gemacht hat, d.h. bei 
der Mailänder Ausstellung und später bei der in London -erfolgten Versteigerung 
der Cavendish-Bentinck Collection, welche viele namhafte Werke von Guardi enthielt. 

Als künstlerische Leistung steht das Te Deum Zeremonienstück viel höher als 
dasjenige in Brüssel, sowohl in bezug auf Farbenreiz als in der Genialität der Staf- 
fierung. Der sonnige Lichteffekt, womit Guardi die Kirche von SS. Giovanni e Paolo 
beleuchtet, erinnert an den mattgoldenen Farbenton, welcher in seinen Veduten so 
hoch geschätzt ist. Man darf sagen, daß Guardi nie vergaß, daß er vor allem Land- 
schaftsmaler war, ob er Architektur- oder Figurenszenen darstellte. Das merk- 
würdige Phänomen dabei, vom psychologischen Standpunkt betrachtet, ist, daß er 
mit seiner Naturanlage zur Landschaftsmalerei sich zum erfolgreichsten aller Maler 
von öffentlichen Zeremonien ausbilden konnte, Gewöhnlich sind offizielle Staats- 
oder Kirchenfunktionen, wenn sie auf Leinwand übertragen werden, monoton und 
konventionell. Guardis derartige Kompositionen sind stets geistreich und lebhaft. 
Wie hat er nun das Problem gelöst, woran so viele andere Genremaler gescheitert 
sind? Während sonst in Zeremonienbildern die Figuren die Hauptrolle spielen und 
der Künstler unsere Sympathien für seine Zeitgenossen durch naturgetreue, indi- 
viduelle Porträts zu erregen sucht, verflechtet Guardi seine Figuren sozusagen in 
dem Gewebe einer einheitlichen szenischen Komposition. Dies ist die Darstellungs- 
weise des Landschaftsmalers und, widersinnig wie die Aussage erscheinen mag, 
erklärt sie seinen epochemachenden Erfolg als Zeremonienmaler. Dasselbe Vorgehen 
liegt den Staffagen seiner zahlreichen Veduten von Venedig und seiner capricci 
zugrunde, und diesen ursprünglichen Dialekt seiner Kunst hat er nie abgeleugnet. 


(1) Dieses Bild ist jetzt in der Mondsammlung, London. 


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EIN MEDICAER-BILDNIS VON MANTEGNA 


Mit drei Abbildungen auf einer Tafel Von EMIL SCHAEFFER 


m Jahre des Heiles 1427, und zwar am ı. August, kaufte Cosimo de’ Medici für 

zweiundsechzig Golddukaten in Venedig eine tscherkessische Sklavin!), die Mag- 
dalena hieß, zweiundzwanzig Jahre alt sein mochte, gesund war und wohlge- 
staltet an all’ ihren Gliedern, an den sichtbaren sowohl wie an denen, die verborgen 
bleiben?). Diesen letzteren nun muß Cosimo eine besonders rege Neugier ent- 
gegengebracht haben: zum mindesten lesen wir, daß eine tscherkessische Sklavin 
dem Medici einen Sohn gebar, und da drängt sich die Vermutung auf, Cosimos 
Geliebte aus dem Osten und jene Magdalena möchten ein und dieselbe Person 
gewesen sein. Wann Cosimo diese natürliche Vaterfreude empfand, wissen wir 
nicht; aber dieweil Medicäer den Versucher, so er in Weibesgestalt ihnen nahte, 
niemals mit der Standhaftigkeit des heiligen Antonius bekämpften, dürfen wir an- 
nehmen, daß der kleine Carlo de’ Medici bereits im Jahre 1428 der Florentiner Sonne 
entgegenblinzelte. Die Warmwasserversorgung war damals noch unbekannt, dafür 
besaß man eine Kultur, die nicht allein auf die Pflege der Fingernägel, sondern auch 
auf die der unehelichen Kinder sich erstreckte. Gemeinsam mit Piero und Gio- 
vanni, die Cosimo „im dumpfen ehelichen Bette“ gezeugt hatte, wuchs Carlo im 
väterlichen Hause heran. Dem Jüngling, der den Pfad zum Himmel einschlagen 
sollte, verschaffte die väterliche Liebe Pfründen und Pfarreien, und zu Beginn der 
fünfziger Jahre sandte ihn Cosimo nach Rom, wo er vielleicht auch die politischen, 
jedenfalls aber die künstlerischen Interessen seines edlen Hauses wahrnahm. 
Er suchte, wie Carlos auffallend schlecht stilisierten Briefe erzählen, aus dem Nach- 
laß des eben verstorbenen Pisanello Medaillen zu erwerben, berichtet von Antiken, 
die dem reichen Kaufherrnsohne tagtäglich angeboten werden, und fahndet nach 
gewissenhaften Schreibern, um die Episteln des sicilischen Tyrannen Phalaris, die 
damals noch als echt galten, für die Bibliothek des Vaters kopieren zu lassen?). 
Uns fehlt alle Kunde darüber, wie lange Carlos römisches Agentenidyll dauerte. 
Länger als ein Dezennium keinesfalls; denn am 3. August des Jahres 1460 hielt der 
Sohn Cosimos, zum Probst der Kathedrale von Prato ernannt, seinen festlichen Ein- 
zug in die stille tuskische Landstadt, allwo er bis zu seinem seligen Hinscheiden, 
das anno 1492 am 29. Mai erfolgte, als Seelenhirte seine Lämmer friedsam weidete‘). 
Die Prateser, „die nach keiner anderen Freiheit verlangten als den Behörden zu 
gehorchen, die Florenz regierten“), haben bei also löblicher Gesinnung einem Medici 
die Würde kaum zur Bürde gemacht; kleine Kompetenzstreitigkeiten mit der Kom- 
mune konnten das gegenseitige gute Einvernehmen ernstlich nicht gefährden, und 
als es Carlo gar zuwege brachte, den Bischöfen Pistoias die Jurisdiktion über die 


(т) Vgl. über das Sklavenwesen in Florenz: Zanelli, „Le schiave orientali a Firenze nei sec. XIV. e 
XV.“, Firenze 1885. 

(2) Den Kaufvertrag siehe bei Fabronius, „Magni Cosmi Medicei Vita“, Pisis MDCCLXXXIX, vol. 
II (Adnotationes), p. 214. „...Sclavam de genere Circassiorum aetate annorum viginti duorum vel 
circa vocatam Magdalenam, sanam et integram de persona et de omnibus et singulis suis membris, 
tam occultis quam manifestis.. .“ 

(3) Siehe Carlos Briefe bei Gaye, „Carteggio“ etc., Firenze 1839, I., р. 163. 

(4) Siehe Baldanzi, „Della chiesa Cattedrale di Prato‘, Prato MDCCCXLVI, р. 169f. 

(5) Machiavelli, „Istorie Fiorentine“, Italia 1826. Opere П, lib. VII, p. 293: ,,... non si desirerò 
mai altra libertà, che servire a que’ magistrati che Firenze governarono“. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 1 2 17 


Prateser Kirchen zu entziehen, feierte man an den Ufern des Bisenzio diesen be- 
scheidenen Erfolg wie eine Großtat. | 

Trotz alledem wäre die Erinnerung an seine zweiunddreißigjährige „Regierung“ 
wohl bald aus dem Gedächtnis der Prateser entschwunden, wenn Carlo, als echter 
Medici auf die Ausschmückung seiner Kathedrale bedacht, nicht den Maler Fra 
Filippo Lippi mit aller gebotenen Strenge verhalten hätte!), die Fresken des Dom- 
chores, die zu malen er schon unter seinem Amtsvorgänger begonnen, endlich ein- 
mal zu vollenden. Die Launen dieses Bohémien zu zügeln, mochte dem Kirchen- 
gewaltigen bisweilen schwieriger dünken als gegen den Starrsinn einer Munizipal- 
vertretung anzukämpfen, und so begreift sich’s leicht, wenn Carlo, im Frohgefühl 
seines Sieges über den unsteten Künstler, es Mit- und Nachwelt irgendwie 
kundtun wollte, daß die Pieve von Prato ihren herrlichsten Schmuck einzig und 
allein seinem beharrlichen Drängen verdanke. Darum ließ er sich von Filippo 
unter jene Trauernden reihen, die auf dem Fresko, das die Leichenfeier für den 
heiligen Stephanus schildert, mehr gefaßt als ergriffen zur Bahre des Märtyrers 
niederschauen?). Aus diesen etwas provinzlerisch wirkenden Chor- und Domherren 
den Sohn des erhabenen Cosimo herauszufinden, hält nicht schwer. Ein ungeheurer 
weitbauschiger roter Mantel umhüllt den hochgewachsenen, vielleicht etwas ver- 
fetteten Körper, die rote Kappe des Propstes ist auf das rundliche Haupt gestülpt; 
aber eindringlicher als diese äußerlichen Zeichen seines Amtes lassen die strengen 
Züge des Medici, seine ruhigen und doch befehlenden Augen ihn als den Mann er- 
kennen, der hier zu gebieten hatte und anscheinend nicht gewohnt war, einen 
Widerspruch zu hören oder gelassen zu tragen. 

Dieses Porträt von Fra Filippo, das die Prateser bei ihren Morgen- und Abend- 
andachten immer vor Augen sahen, wurde selbstverständlich zum offiziellen Bildnis 
Carlos de’ Medici, und als der Herzog Cosimo anno 1566 im Dom zu Prato dem 
längst verstorbenen Oheim „ad conservandam gentilis optimi memoriam“ durch 
Vincenzo Danti ein würdiges Marmorgrab, geschmückt mit dem Reliefporträt Carlos, 
errichten ließ, mußte sich der Plastiker genau an das „Vor-Bild“ des Malers halten“). 
Kein Schriftsteller erwähnt ein anderes Porträt des Propstes, und doch ist Carlo de’ 
Medici noch einmal konterfeit worden, von einem Größeren sogar als Fra Filippo: 
Die „Albertina“ zu Wien besitzt von der Hand des Dalmatiners Martino Rota‘) 
einen Stammbaum des Hauses Medici, der, aus kleinen Porträtstichen in Medaillon- 


(1) Vgl. darüber Henriette Mendelsohn, „Ега Filippo Lippi“, Berlin MCMIX, p.115 und im An- 
hang Dokument XXVII, p. 240. Aus der „Selva di Memorie“ des Kapitelarchivs in Prato: Am 
6. April 1464 berichtet eine Kommission, die Fra Filippos Rechnungen zu prüfen hatte, dem Magistrat: 
„. +. esservi poco modo che Fra Filippo perfezionasse la sua opera, si non s’intrometteva messer Carlo de’ 
Medici proposto...“ 
(2) Vasari (ed Milanesi) II., р. 624 (vita di Fra Filippo Lippi): „Ritrasse in questa opera messer Carlo, 
figliuolo naturale di Cosimo de’ Medici, il quale era allora proposto di quella chiesa...‘ 
(3) Eine Beschreibung und Würdigung des Grabmals gibt Vasari (ed. Milanesi) VII, p. 632 (,,Degli 
Accademici del disegno“). Die vollstindige Grabschrift lautet: 
CAROLO - MEDICI - COSMI - F · 
PRAEPOSITO - QVI- OBUT MCDXCIV. 
COSMVS - MEDICES - FLORENTIN - ET - SENEN - DVX - I · 
AD - CONSERVANDAM - GENTILIS · OPTIMI - MEMORIAM. 
M-H-P-C-MDLXVI. 

Das Todesjahr ist hier falsch angegeben. Carlo starb 1492. 
(4) Siehe über Martino Rota, der zwischen 1558 und 1586 tätig war, Kristeller, „Kupferstich und 
Holzschnitt in vier Jahrhunderten“, Berlin 1905, p. 268. — Der Stich ist von Bartsch nicht beschrieben. 


18 


form zusammengesetzt, ein Bild Carlos enthält, dessen Vorlage wir vergebens im 
Dom von Prato, mit mehr Glück dagegen zu Florenz in der „Stanza di Prometeo“ 
des Palazzo Pitti suchen werden!). Dort, in der alten Residenz der Medici, war 
das Porträt des Ahnen in eine jener düsteren Ecken verbannt worden, an denen 
diese Galerie fast noch reicher ist als an lichten Wunderwerken. Endlich aber 
strahlte ihm die Gnadensonne der Forschung; sie zerstreute das Dunkel der Ano- 
nymität, das den Namen des Künstlers umhüllte, und heute prangt unter dem Ge- 
mälde ein neues Cartellino mit der stolzen Aufschrift „Andrea Mantegna“ ). Daf 
der mantuanische Hofmaler einen hohen geistlichen Dignitär hier porträtierte, be- 
weist an Kappe und Gewandung die karminrote Farbe, die so wirksam sich vom 
blaugrünen Hintergrunde abhebt. Ist aber dieser Priester, dessen Wangen wie mit 
gelblichbraunem Pergament überspannt scheinen und der trotzdem, wie die leiden- 
schaftlichen Lippen und die Energie der mit größter Feinheit modellierten felsigen 
Stirne bekunden, sich das Ungestüm der Jugend in die Jahre der Falten und Run- 
zeln gerettet hat — ist dieser Choleriker aber darum auch schon Carlo de’ Medici? 
Können wir Martino Rota, der die Medaillons des Stammbaumes mehr als zwei 
Menschenalter nach Carlos Tode stach?), als glaubwürdigen Zeugen hierfür gelten 
lassen? Die anderen Porträts dieses Blattes sind sämtlich authentisch, wir können 
von jedem ohne weiteres die Vorlage bezeichnen, und gerade bei diesem einen 
Bildnis hätte der Kupferstecher vom Pfade der historischen Gewissenhaftigkeit 
abweichen sollen? Warum? Aus welchem Anlaß? Vielleicht aber kam dieses 
Porträt erst in Martino Rotas Tagen zu der Bezeichnung „Bildnis des Carlo de’ 
Medici“? Sucht man nicht, seit es einen Kunsthandel gibt, Porträts vergangener 
Epochen dadurch interessanter, soll heißen leichter verkäuflich zu machen, daß ihre 
Modelle in einer unheiligen Taufe die Namen längst begrabener Zelebritäten emp- 
fangen? Gewiß! Aber Carlo de’ Medici war just der unberühmteste Sproß seines 
edlen Hauses. Kein Geschichtsschreiber berichtet auch nur einen Ausspruch von 
ihm, geschweige denn eine Tat, und achtzig Jahre nach seinem Tode wußte wohl 
kein Mensch jenseits der Prateser Gemarkung, daß er überhaupt gelebt hatte. Es 
wäre eine verfehlte Spekulation gewesen, irgend ein altes Gemälde als Porträt des 
Carlo de’ Medici auszugeben, und wenn zu Martino Rotas Zeiten ein Bildnis als sein 
Konterfei galt, dann führte es diesen Namen zu Recht, nicht erst seit Kurzem, 
sondern auf Grund verbürgter Traditionen. 


(x) Die Photographie des ziemlich handwerksmäßigen Stiches gibt diesen etwa um ein Drittel vergrößert 
wieder; die Nebeneinanderstellung der Reproduktionen des Stiches und des Porträts enthebt mich wohl 
der Beweisführung, daß das Bildnis im Palazzo Pitti oder ein mit ihm vollkommen übereinstimmendes 
Gemälde die Vorlage Martino Rotas gewesen ist. 

(a) Katalog-Nr. 375. Auf Holz, Höhe 0.40 m, Breite 0.26 m. — Das Mantegneske des Porträts erkannte 
zuerst Kristeller: In seinem „Andrea Mantegna“, Berlin 1902, p. 480 ist es mit folgenden Worten 
charakterisiert: „Bildnis eines Geistlichen. Schwache Kopie aus dem 16. Jahrhundert, augenschein- 
lich nach einem verlorenen Originalbild Mantegnas‘. Wie mir der geschätzte Verfasser gütigst mit- 
teilte, ist er auch heute noch derselben Ansicht. Für ein Original Mantegnas dagegen halten das Bild 
Berenson (,,North Italian Painters of the Renaissance“, New York und London 1907, р. 254), Ricci, 
der das Cartellino mit Mantegnas Namen unter dem Bilde anbringen ließ, Venturi (,l’Arte“ IX. 1906, 
p- 64) und Suida („Zeitschrift für bild. Kunst“, N. F. XVI. 1905, p. 190 f.), der freilich mit Recht bemerkt, 
daß das Bild „in den unteren Partien völlig verrieben ist‘. 

(3) Der Stammbaum ist nicht datiert, aber da die jüngsten dort erwähnten Mitglieder des Hauses Medici 
Don Antonio (1576 — 1621), Don Filippo (1577 — 1582), die Söhne Francescos I., und Don Cosimo 


(1572 — 1576), der Sohn des Pietro de’ Medici sind, läßt sich annehmen, daß Rota um das Jahr 1580 
den Stich schuf. 


19 


Und wie verhält sich nun Mantegnas Bildnis des Carlo de’ Medici zu dem von 
Fra Filippos Hand? Hinc illae lacrimae! Dem ersten Blick offenbart sich wenig 
Gemeinsames. Aber man vergesse nicht: der Toskaner malte Carlo ums Jahr 1463, 
das Werk des Paduaners stellt einen Mann von mindestens fünfzig Jahren dar und 
vier Lustren verändern das Antlitz eines Menschen. Dazu kommt: Mantegna ge- 
зене dem Willen zum hohen Stil eine kniefällige Demut vor der Natur. Hier malte 
er die Hakennase in ihrer ganzen schroffen Häßlichkeit ab, jedes Fältchen der 
Haut war ihm heilig, und mit welcher pedantischen Zärtlichkeit hat er nicht die 
dunklen Haare gezeichnet, die unter der Kappe hervordringen! Fra Filippo hat viel- 
leicht niemals Einzelbildnisse geschaffen!), subtiles Individualisieren entsprach nur 
selten seinen Neigungen. Wir kennen sein eigenes Porträt aus der Marienkrönung 
der Florentiner Accademia: auch das Fresko zu Prato, auf dem wir Carlo de’ Medici 
gewahren, enthält, laut Vasari*), ein Selbstporträt des Künstlers. Niemand aber 
konnte bis heute mit Sicherheit behaupten: der hier ist Fra Filippo*)! Und doch: 
obgleich Fra Filippo den jugendlichen Carlo nur als einen unter vielen im Fresko 
porträtierte, Mantegna den bejahrten Kleriker im Einzelbildnis malte, obschon 
diese beiden Großen in ihrer Art, Menschen zu schildern, einander so wenig 
glichen, trotz alledem wird das schärfer untersuchende Auge manchen für den 
alten Propst charakteristischen Zug schon im Antlitz des jungen entdecken. Man 
betrachte auf beiden Bildnissen den Mund Carlos, die Kinnpartien, den auffallend 
großen Raum zwischen der Nase und den Lippen, betrachte vor allem die harte 
Klarheit des Blickes und das einem strengen Willen botmäßige Temperament, 
das irgendwo zwischen den Augen, um die Nasenwurzel herum. zu wohnen scheint. 
Die Adlernase freilich, die bei Mantegna dem Antlitz Carlos etwas von granitener 
Starrheit aufprägt, hat der mildere Fra Filippo ein wenig abgeplattet, wodurch das 
Angesicht des Medici an Schönheit gewann, was es an Energie des Ausdrucks ein- 
büßte !). 

Genug! Stellt der Stich Martino Rotas in Wahrheit den Prateser Dombeherrscher 
dar, oder, was das nämliche besagt, hat Andrea Mantegna in dem Bildnis des Pa- 
lazzo Pitti wirklich Carlo de’ Medici porträtiert, woran zu zweifeln wir keinen ernst- 
haften Grund haben, so bleiben noch die Fragen nach dem „Wo“ und „Wann“ 
übrig, die man leider nur mit Hypothesen beantworten kann. Denn ein Prateser 
Dompropst zählte nicht zu den Persönlichkeiten, deren Reisen Klio zu buchen 
pflegte, und auch Künstlerfahrten betrachtete man damals nicht „sub specie aeterni“, 
verzeichnete sie nicht sofort zu Nutz und Frommen der Wissenschaft. Durch einen 
Zufall nur erfahren wir, daß sich Mantegna im Jahre 1466, als Carlo de’ Medici das 
vierte Dezennium noch nicht erreicht hatte, zu Florenz aufhielt®); ob ihn sein Weg 


(1) Wir besitzen weder ein Einzelporträt von Fra Filippo, noch haben wir Berichte über die Existenz 
eines solchen. 


(2) Vasari (ed Milanesi) II., p. 624. 

(3) Vgl. darüber Crowe e Cavalcaselle: „Storia della pittura in Italia“, Firenze 1892, vol. 5, p. 206f- 
u. Anm. 

(4) Derartiges kam bisweilen vor. Man vergleiche z. B. das Bildnis des Massimiliano Sforza von Luini 
im Castello Sforzesco zu Mailand mit dem Porträt des Herzogs bei Campo, „Cremona Fedelissima‘‘. 
In Milano MDCXLV, р. 16, das in einem vorzüglichen, dem Agostino Caracci zugeschriebenen Stich 
„un quadro й oglio di mano di Leonardo Vinci, in casa di Francesco Melcio gentil’huomo Milanese“ 
reproduziert. Hier wird die Krümmung der Nase kaum angedeutet, Luini dagegen hat sie ohne Re- 
touchen wiedergegeben. 


(5) Vgl. Kristeller, Op. cit., p. 235. 


20 


noch einmal zum Arno führte? Chi lo sa. Doch anno 1483 stattete Lorenzo de’ 
Medici dem Großmeister der norditalienischen Malerei in seinem Atelier zu Mantua 
eine Visite ab!). Begleitete Carlo damals den erlauchten Neffen, wurde bei diesem 
Anlaß sein Porträt gemalt? Wir können es nicht behaupten, immerhin aber scheint 
dieses Entstehungsdatum wahrscheinlich, weil es ebenso sehr dem Aussehen des 
Medici wie der ganzen Art seines Porträts entspricht, das, pathetisch und natura- 
listisch zugleich, in solcher Vereinigung des scheinbar Unvereinbaren noch an Man- 
tegnas anno 1474 vollendete Bildnisse im Castello di Corte zu Mantua erinnert. 
Jedenfalls ist es das späteste der uns erhaltenen Einzelporträts von Mantegna, was 
dem kleinen Gemälde neben der künstlerischen die historische Bedeutung sichert. 
Wann es den Medicischen Sammlungen einverleibt wurde, läßt sich auf Tag und 
Stunde ebenfalls nicht feststellen. In einem Inventar aus den Tagen Cosimos I. finden 
wir zum ersten Male das Porträt als „un quadretto di messer Carlo de’ Medici pro- 
posto di Prato“ verzeichnet*). Den Schöpfer des Bildes wußten die Verfasser dieses 
primitiven Kataloges nicht mehr zu nennen und bald sollte auch der Name „Carlo 
de’ Medici“ in jenes tote Meer der Vergessenheit herabsinken, dem wir Historiker 
mit dem armseligen Netzwerk unserer Wissenschaft so gern einen winzigen Teil 
der unermeßlichen Beute wieder ablisten möchten. 


(1) Vgl. Kristeller, Op. cit., p. 541, Dokument Nr. 86 (Brief des Francesco Gonzaga an Marchese 
Federico). 

(2) Abgedruckt bei Müntz, „Les collections d’Antiques formées par les Médicis au XVle siècle“, 
Paris MDCCCXCV, p. 61. (Aus dem Inventario Generale della Guardaroba di S.E. dal 1553 al 1568.) 
Da wir von keinem anderen Bildnis des Prateser Propstes wissen, liegt es mehr als nahe, diese Notiz 
auf das Porträt im Palazzo Pitti zu beziehen, das, etwas unter Lebensgröße gehalten, ja auch der Be- 
zeichnung „quadretto“ entspricht. 


2ї 


ERGÄNZENDE BEMERKUNGEN ZUM 
BESCHREIBENDEN VERZEICHNIS 
DER ILLUMINIERTEN HANDSCHRIF- 
TEN IN ÖSTERREICH. V. Band, Ros- 
siana in Wien- Lainz. Von Hans Tietze. 


Diese kürzlich erschienene, sehr gründliche Arbeit 
bereichert unsere Kenntnis der illustrierten Hand- 
schriften, besonders derjenigen des späten Mittel- 
alters um ein wesentliches. Bisher waren die 
reichen Bestände der Rossiana den Forschern gar- 
nicht oder doch nur oberflächlich bekannt. Erst 
durch Tietzes genaue Beschreibung der Hand- 
schriften und die geschickte Auswahl der Illu- 
strationsproben wird die wissenschaftliche Ausbeute 
der halbverborgenen Schätze in die Wege geleitet, 
und es gereicht dem Verfasser zu nicht geringem 
Verdienste, daß sich auf Grund seiner Publikation 
bestimmte Anhaltspunkte für die Einzelforschung 
ergeben. 

Soweit es ohne Einsicht der Originale tunlich 
ist, geben wir zu folgenden Codices ergänzende 
Erläuterungen und bringen einige abweichende 
Ansichten zum Ausdruck. 

Nr. 43, Biblia sacra IX. 4. Die abgebildete Initiale, 
sowie die aus der ausführlichen Beschreibung er- 
sichtlichen ikonographischen Eigentümlichkeiten 
lassen vermuten, daß die Handschrift noch dem 
ausgehenden. 13. Jahrhundert entstammt, nicht wie 
angegeben dem 14. Kunstgeschichtliche Bedeu- 
tung kommt ihr deshalb zu, weil sie einer relativ 
seltenen Bibelgruppe angehört, deren wichtigstes 
Exemplar — Nr. lat. 14397, Paris, Bibl. nat. — von 
der Königin Blanche de Castille, Mutter Ludwigs 
des Heiligen, der Kirche von St. Victor in Paris 
geschenkt wurde. Anscheinend stimmen die wich- 
tigsten alttestamentlichen Buchanfänge in der eben 
genannten Bibel mit den entsprechenden Initialen 
in IX.4. ziemlich genau überein. Zu letzteren sei 
im einzelnen bemerkt: Fol. 123 darf es nicht heißen: 
David, Goliath und Saul, sondern: ein Bote, der 
David die Nachricht von Sauls Tod überbringt, 
wird enthauptet. Fol.134'. Ein Jüngling führt Abisag 
zum ruhenden David. Fol. 147'. Der kranke König 
Ochozias entsendet einen Boten zum Götzen Beelze- 
bub, um ihn zu fragen, ob er wieder gesund würde. 
Der gleiche Gedanke liegt an derselben Textstelle 
dem Initialbild der jüngsten Vulgata der Blanche- 
Gruppe Nr. 152 der Universitätsbibliothek von Bo- 
logna zugrunde. Im allgemeinen ist diese Dar- 
stellung zu Reg. IV recht selten. 

Fol. 259. Ecclessiastes. Der Miniator entnimmt 


22 


seiner Vorlage versehentlich die auf den Eccle- 
siasticus beziigliche Darstellung. 

Fol. 369. Baruch. Wohl ein Druckfehler. 

Fol. 377. Maccabäer I. Kampfgerüstete Männer 
kommen in französischen Vulgaten an dieser Stelle 
nur ausnahmsweise vor. Vgl. Bologna Università, 
Nr. 152. 

Fol. 399‘. Der Stammbaum Jesse erinnert stili- 
stisch an Bologna 152. 

Festen Boden gewinnen wir für die Bestimmung 
von IX. 4 bei den Initialbildern zu den Paulinischen 
Briefen. Hier waltet kein Zweifel: jede einzelne 
Miniatur verkörpert denselben Ideengang wie die 
entsprechenden Buchanfänge der sogenannten 
Blanche-Gruppe. Man vergleiche die Zusammen- 
stellung in „Kunstgeschichtliche Forschungen“, 
herausgegeben vom Kgl. Preuß. Hist. Institut in 
Rom, Band I: Graf zu Erbach-Fürstenau, Die Man- 
fredbibel. Anhang zum zweiten Kapitel (unter 
Hinweglassung der italienischen Bibel von La Cava). 
Im besonderen wire zu bemerken: 

Fol. 449. Der Verfasser glaubt den Apostel Paulus 
zu sehen, welcher den Sohn einer betenden Frau 
erweckt. Nach den erwähnten Paralleten handelt 
es sich um die Spendung des Sakramentes an einen 
knieenden Jüngling, hinter dem eine Frau betet. 
Wahrscheinlich ist infolge von Abblättern der 
Farbe die Hostie nicht mehr erkennbar. 

Fol. 460'. Enthauptung des Apostels. Vgl.Bologna 
Università 152. Die drei anderen Bibeln bringen 
gleichfalls eine Enthauptung, doch ist es zweifel- 
haft, ob damit das Martyrium des Apostels ge- 
meint ist. 

Fol. 463. St. Paulus erweckt Tote. Diese Be- 
zeichnung ist wohl ungenau. Cod. 152, Bologna 
Universitä, bringt Paulus in Verbindung mit der 
allgemeinen Auferstehung, die anderen verwandten 
Codices stellen ihn symbolisch, als den Prediger 
der Auferstehung, neben einige den Särgen ent- 
steigende Jünglinge. 

Fol. 464'. Wahrscheinlich die Vernichtung des 
filius perditionis“. 

Fol. 466. Krönung des guten Streiters; nicht, wie 
Tietze annimmt, Krönung eines Königs. 

Fol. 467. Der Beschreibung nach stimmt die, 
vor der Epistel ad Titum in unserer Gruppe üb- 
liche, etwas drastische Lehrszene ziemlich genau 
mit 152 in Bologna überein. 

Fol. 468. Initialbild zur Epistel ad Philemon, 
vgl. ebenfalls Bologna 152. Aus der ikonographi- 
schen Vergleichung ergibt sich, daß Nr. IX. 4 in 
der Mitte steht zwischen der Bibel der Blanche de 


Castille, Paris, Bibl. Nat. lat. 14397 und der jüng- 
sten Handschrift der Gruppe, Bologna Università, 


152. 
* e * 


Nr. 44. Libri 4 Regum et 2 Paralipom. IX. 303. 
Fol. 3. König David im Gebet vor dem Altar kniend. 
Eher Helkana oder Hanna betend. Von der Mitte 
des 13. bis weit in das 14. Jahrhundert begegnet 
man nämlich an dieser Stelle fast regelmäßig der 
betenden Hanna oder Helkana und Hanna. In 
einigen Pariser Bibeln zwischen 1300 und 1330 
trägt das Ehepaar Kronen. Ein ähnliches Mißver- 
ständnis des hergebrachten Schemas wird wohl 
auch in IX. 303 obwalten. 

Fol. 102'. Vgl. IX. 4, Fol. 134. Neben dem ruhen- 
den König steht ein junges Paar. Die Bedeutung 
ist folgende: Abisag wird unter Anwendung eines 
leisen Zwanges zum alternden David gebracht; 
manchmal ist hierbei nur ein Jüngling tätig, Öfters 
sind es mehrere, 


Fol. 167‘. Der kranke König Ochozias sendet 
einen Boten zum Götzen Beelzebub. Vgl. IX. 4, 
Fol. 147°‘. 


Nr. 66. Bonaventura. Metationes Vitae D.N.Jesus 
Christi etc. VII.a 3, Fig. 47: ein Heiliger, der sich 
in einem Innenraume, vor einem großen, auf einem 
Altare stehenden Kruzifix geißelt, könnte, nach der 
Vermischung von französischem und italienischem 
Stil zu urteilen, recht wohl, wie Tietze meint, aus 
der Provence stammen. Fig. 48, die Szenen aus 
dem Leben des Heiligen Dominikus, machen den 
Eindruck von guten Kopien nach toskanischen 
Fresken aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. 

Nr. 80. Zacharias Chrysopolita Concordantia Evan- 
geliorum IX. 277 setzt der Verfasser um 1100 an. 
Die Kanontafeln, Fig. 70, verlangen eine spätere 
Datierung, noch weniger ist der segnende Christus, 
Fig. 71, was Kopftyp, Gewandstil und gemusterten 
Grund anlangt, so friih denkbar. 

Nr. 95. Biblia sacra VIII. 194. Eine systematische 
Vergleichung dieser Bibel mit der nach Venturi 
mit ihr verwandten mans. theol., Fol. 16, der Stutt- 
garter Bibliothek, ergibt bei den ikonographisch 
wichtigsten Buchanfängen so viele grundsätzliche 
Abweichungen, daß von einer Zusammengehörig- 
keit beider, trotz gewisser Übereinstimmung im 
Technischen, nicht die Rede sein kann. Es ge- 
nügt auf den Exodus, Reg. I—IV, Esther und die 
Propheten, unter letzteren besonders auf Jeremias, 
Abdias, Naum und Malachias hinzuweisen. Die 
Darstellungen stehen inhaltlich unter stärkerem 
französischem Einfluß als die der gleichzeitigen 
bolognesischen Bibeln. 

Fol. 159 muß es anstatt Sturz der Isabel wahr- 


scheinlich heißen: Sturz des Königs Ochozias. 
Mit Recht hebt der Verfasser die Drolerien und 
die ungemein frischen Schilderungen aus der Tier- 
fabel hervor. 

Nr. тот, Biblia sacra VIII. 193. Die angebliche 
Verwandtschaft mit Vat. lat. 20 ist nicht ersichtlich, 
dagegen hat Tietze vollkommen recht, wenn er in 
der allgemeinen Anordnung französischen Einfluß 
annimmt; dieser tritt sogar in ungewöhnlicher 
Stärke hervor. Vgl. die Genesis und Reg. I. 

Nr. 103. Biblia sacra УШ. 122. Über diese wich- 


tige, lokalisierbare Vulgata wird an anderer Stelle 


ausführlich gehandelt werden. 

Nr. 107. Choralis liber seu Antiphonia, IX. 299. 
Dem Verfasser ist darin beizupflichten, daß eine 
gewisse Ähnlichkeit mit G. Ш. 2 der Bibl. con. von 
Siena vorhanden ist, allerdings mitder Beschränkung 
auf die altertiimliche Madonna und ein paar andere 
Miniaturen. Die besten Bilder von Siena G.IIL 2 
stehen schon den Meisterwerken der sienesischen 
Trecentisten nahe. 

Beide Proben aus IX, 299, Fig. 99 und Fig. 100 
tragen das Gepräge einer älteren Kunstauffassung. 
Ob unter den nichtabgebildeten Miniaturen sich 
solche befinden, die Tietzes Vergleich mit dem 
angiovinischen Gebetbuch, Wien 1921, rechtfer- 
tigen, entzieht sich unserer Kenntnis. Im Be- 
jahungsfalle wären sie von einer späteren Fand 
nachgetragen. 

Nr. 110. Clemens’ V. Constitutiones IX. 281. Die 
Randleisten der in Fig. 101 abgebildeten Seite ver- 
raten umbrische Herkunft. Das gleiche gilt von 
Nr. 112, Dante IX. 177, in dem Tietze ganz richtig 
ein jüngeres Werk derselben Schule erkennt. 

Nr. 114. Graduale IX. 302. Beide Abbildungen, 
sowohl der gekreuzigte Christus (Fig. 103), als auch 
die Assunta (Fig. 104) verbieten, den Codex über 
das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts hinauszu- 
rücken. Der Gekreuzigte ist durchaus verschieden 
von dem in Italien seit etwa 1300 feststehenden 
sogenannten giottesken Typus; er entspricht im 
Gegenteil, abgesehen von dem architektonischen 
Hintergrund, Zug um Zug dem Schema der zweiten. 
Hälfte des 13. Jahrhunderts. Hauptmerkmale der 
in verhältnismäßig großer Anzahl erhaltenen Kru- 
zifixe aus dieser Zeit sind neben der auch später 
beibehaltenen Neigung des Hauptes die Ausbiegung 
des Körpers nach links und die getrennte An- 
nagelung der Füße. Auch die Assunta, Fig. 104, 
gehört einer Werkstatt an, in der man den großen 
sienesischen Malern noch nicht nacheiferte. Äußer- 
stenfalls darf man dies Graduale einem zurückge- 
bliebenen Zeitgenossen Simone Martiniszuschreiben. 
Mit den Handschriften, die sich um die Berliner 


23 


Hamilton gruppieren, hängt es nicht zusammen. 
Tietzes dahingehende Meinung ist nur dann ver- 
stindlich, wenn die Ausmalung der Handschrift 
eine Unterbrechung von etwa 40 Jahren erfahren 
haben sollte, und könnte sich höchstens auf spätere 
Ergänzungen beziehen. 

Nr. 115. Missale Romanum VIII. 214. Obwohl 
der behauptete Zusammenhang mit der neapolita- 
nischen Bibel, Wien 1191, aus Tafel II und Fig. 
105 nicht klar ersichtlich ist, läßt doch der Kopf 
in der linken oberen Ecke auf Tafel II und die 
Initiale daselbst neapolitanischen Ursprung ver- 
muten. Die die ganze Seite umziehende, in üppigem 
toskanischen Blattwerk ausgeführte Randleiste zeigt 
keine rein neapolitanischen Merkmale, wogegen 
die Umrahmung in Fig. 106 für die Herkunft aus 
Neapel spricht. 

Nr. 131. Missale Romanum VIII. 119. Tietzes 
Annahme neapolitanischer Herkunft hat viel für 
sich, auch die Zusammenstellung mit der Eneide 
Siena S. VI, 11 kann man gutheißen. Das Kanon- 
bild, Fig. 113, ist von anderer Hand als die Initialen. 
Eine kleine Unstimmigkeit hat sich in den be- 
schreibenden Text eingeschlichen. Die einleiten- 
den Worte reden von französischen Anklängen 
im Ikonographischen der Weltgerichtsdarstellung 
mit den Auferstehenden und dem Höllenrachen, 
während die anscheinend genaue Beschreibung 
des Bilderschmuckes das Weltgericht garnicht er- 
wähnt. Die Bemerkung über das Weltgericht würde 
bei Tafel III, Handschr. 115, VIII. 214 zutreffen. 

Nr. 134. Alvarus Pelagius IX. 278. Nicht vom 
Ende des 14. Jahrhunderts, sondern ziemlich frühe 
Arbeit des Niccolò di Giacomo. Man vergleiche 
seine Frühwerke, Vat. lat. 1456 (L’Arte 1907, Lisetta 
Giaccio, Appunti interno alla miniatura bolognese 
del sec. XIV), Vat. lat. 2534 (L’Arte 1911, Conte 
Erbach, La miniatura bolognese nel trecento) und 
Milano Ambrosiana B. 42 inf. (Leone Dorez, La 
canzone delle vertu e delle scienze). Die Miniatur 
Fig. 114 steht in der Mitte zwischen den genannten 
Jugendwerken und den Arbeiten aus der Haupt- 
schaffenszeit des Meisters. 

Nr. 135. Duranti Gulielmus УШ. 242. Die abge- 
bildeten Miniaturen entstammen nicht, wie Tietze 
meint, der Werkstatt des Niccolò, sondern der- 
jenigen des von Lisetta Giaccio Pseudo Niccolò 
getauften Miniators (L’Arte 1907). 

Nr. 139. Terentius IX. 135. Der Abbildung nach 
zu urteilen sind die beiden Figuren eigenhändig 
von Niccolò di Giacomo ausgeführt worden. 

Wir haben aus der Fülle des Dargebotenen nur 
dasjenige herausgegriffen, wofür genügendes Ver- 
gleichsmaterial vorhanden war. Auch im übrigen 


24 


enthält der Band V sehr wertvolle beschreibende 
Abhandlungen, die die Einzelforschung anregen 
dürften. 

Adalbert Graf zu Erbach Fürstenau. 


DER JÜNGERE CANALETTO UND 
SEINE RADIERUNGEN. 


Der Aufsatz Herrn Moritz Stübels im November- 
heft dieser Zeitschrift, „Der jüngere Canaletto und 
seine Radierungen“, läßt sich auf Grund vorwie- 
gend polnischer Quellen in folgendem ergänzen: 
Die Canalettos, welche mit der Brühlschen Ge- 
mäldegalerie von Katharina II. erworben wurden, 
befinden sich in der Tat jetzt nicht mehr in der 
Petersburger Ermitage — das einzige hier als 
Bellotto figurierende Gemälde „Die Rialtobrücke“ 
(Nr. 320) wird von Alexander Benois in seinem 
jüngst herausgegebenen „Führer durch die Ermi- 
tage- Gemäldegalerie“ dem Vidzentini zugeschrieben 
—, doch dürften diese Bilder sämtlich in den rus- 
sischen Kaiserschlössern in oder um St. Petersburg 
aufzufinden sein!). Wie Dr. Bohdan Puljanowski, 
der Konservator der Radziwillschen Sammlungen 
in Nieswiez, auf dessen Aufsatz noch zurückzu- 
kommen sein wird, mitteilt, befinden sich im 
Schloß zu Gatschina acht Dresdner, sieben Pirnaer 
und eine Venezianer Ansicht von Canaletto. Die 
Anzahl der Pirnaer Veduten stimmt somit mit den 
von Herrn Stübel auf S. 475 aufgeführten Daten 
aus dem Verzeichnis der Brühlschen Bilder fast 
überein. Vielleicht wird der im Druck befindliche 
neue Katalog der Ermitage-Gemäldegalerie genaue 
Angaben über die aus derselben verschwundenen 
Canalettos bringen. È 

Zu den in Polen entstandenen oder dorthin mit- 
gebrachten Bildern Canalettos übergehend — daß 
C. auch Ansichten von Krakau gemalt hat, wie 
Herr Stübel (S. 481) sagt, ist nicht bekannt — 
muß natürlich in erster Reihe der stets gut be- 
kundete EdwardRastawiecki zu Rat gezogen werden. 
In seinem 1850 — 57 herausgegebenen „Lexikon 
polnischer und in Polen wirkender Maler“ (Slo- 
wnik malarzöw polskich) gibt R., mit Sebastiano 
Ciampi übereinstimmend, ein Verzeichnis von 59 
Arbeiten (Nr. 59 unvollendet), welche Canaletto 
für König Stanislaw August ausgeführt hat, wobei 
auf Grund des Katalogs der königlichen Gemälde- 
galerie auch die Maße in Zoll sowie die bezahlten 
Preise mitgeteilt sind und bei einigen wenigen 
Gemälden sogar deren spätere Besitzer. Außer- 
dem führt Rastawiecki noch neun weitere Werke 
(1) Eine „Ansicht von Königstein“ im Rumjantzew-Museum 


zu Moskau, die letzterem aus der Ermitage zugewiesen 
wurde, stammt wohl auch aus der Brühlschen Sammlung. 


C.s auf, die sich in den Privatschlössern Wilanów 
(früher den Grafen Potocki, momentan Grafen 
Branicki gehörig) und Krolikarnia bei Warschau 
zu jener Zeit, d. h. um 1850, befanden und wohl 
auch noch jetzt befinden. 

Über das Geschick der 22 Werke (aus der Ge- 
samtzahl der 59 in königlichem Besitz), welche 
seinerzeit das königliche Schloß in Warschau 
schmückten, gibt Dr. B. Puljanowski in einem 
im Warschauer Wochenblatt ,,Tygodnik Illustro- 
мапу“ (Nr. 24, 1911) veröffentlichten Aufsatz 
nähere Auskunft, wobei eine ausführlichere Be- 
handlung des Themas andernorts in Aussicht ge- 
stellt wird. 

Laut Kabinettsordre des Zaren Nikolaus I. dele- 
gierte das Hofministerium im Januar 1832 den 
Konservator Professor Warneck samt dem Restau- 
rator Planat aus der Ermitage nach Warschau, 
wo aus den Öffentlichen Bibliotheken die nach 
Petersburg zu überführenden Stiche gewählt, so- 
wie die Gemälde aus dem königlichen Schloß be- 
hutsam entfernt und verpackt werden sollten. Im 
Mai des gleichen Jahres langten in der Ermitage 
14 Kisten an, worunter sich die 22 Canalettos aus 
dem Warschauer Schloß befanden, 21 Warschauer 
Ansichten und die „Königswahl Stanislaw Augusts“. 
Letzteres Gemälde wurde, wiederum laut Kabinetts- 
ordre des Zaren an die Ermitage, nach Moskau 
behufs Plazierung in einem der dortigen Palais 
übersandt, wo es ja auch J. G. Kohl gesehen hat. 
Wo sich das Bild momentan befindet weiß ich 
nicht zu sagen; in den dem Publikum zugäng- 
lichen Räumen des Kremls hängt es jedenfalls 
nicht, doch wird dies früher oder später sicher- 
lich zu ermitteln sein. Die Warschauer Veduten 
sollten im Taurischen Palais (jetzt hält die Duma 
hier ihre Sitzungen) plaziert werden und zwar, 
wie der Zar befahl, „genau so, wiein Warschau“. 
Jetzt hängen diese 21 Bilder in Gatschina, und 
Dr. Puljanowski hat seinem erwähnten Aufsatz 
Aufnahmen derselben beigefügt. 

Zwei weitere Warschauer Ansichten Canalettos 
befinden sich in Warschauer Privatbesitz und figu- 
rierten auf der diesjährigen seitens der „Gesell- 
schaft zum Schutze der Denkmäler der Vergangen- 
heit“ arrangierten Ausstellung „Das alte War- 
schau“!). Das eine signierte Bild: „Ansicht des 
Lustschlosses Lazienki‘ gehört dem Baron Leopold 
Kronenberg,daszweite: „Gesamtansicht Warschaus, 
von der Vorstadt Praga gesehen‘ entstammt der 
Sammlung der Grafen Przezdziecki. Letztere Ve- 
dute ist übrigens nicht mit Nr. 13 bei Ciampi iden- 


(з) Siehe den Katalog dieser Ausstellung: „Pamiatki Starej 
Warszawy“ (Warschau, 1911). 


tisch, die sich in Gatschina befindet und durch die 
Radierung Canalettos allgemein bekannt ist. 

Auf der erwähnten Ausstellung war außerdem 
eines der Wahlbilder Canalettos zu sehen, im Be- 
sitze der Grafen Raczynski, was also mit dem 
noch in Moskau aufzufindenden, dem von Napoleon 
weggeschafften und dem Bilde des Kaiser-Fried- 
rich-Museums in Posen vier Repliken oder Kopien 
ergäbe. Das Warschauer Gemälde trägt in der 
rechten Ecke die Aufschrift: Second Tableau du 
Champ d’Election de S. M. Stanislas Auguste qui 
fu elü Roi de Pologne et Grand Duc de Lithuanie 
p. p: p. p: le 7 Septembre 1764: peint par Ber- 
nardo Belotto de Canaletto l’an 1778 pour la se- 
conde fois selon les derniers relations et documents 
avec beaucoup de Porträts de personnes trop connus 
dont on ne voit ici bas, que ceux qui ont le plus 
de rapport а l’histoire. Le premier de Гап 1776 
fat donné par Sa Majesté a Son Excellence Mgr. 
le Comte Rzewuski Marechal de la cour (folgen 
einige Erläuterungen der dargestellten Hauptper- 
sonen)“. Aus dieser Aufschrift könnte man eigent- 
lich schließen, daß ursprünglich zweikompositionell 
verschiedene Wahlbilder vorhanden waren, worauf 
ja auch die von Herrn Stübel zitierten Worte Ber- 
noullis „zwei andern sehr großen, sich auf die Wahl 
des Königs beziehenden Gemälden“ zu verweisen 
scheinen. Natürlich kann nur ein genauer Ver- 
gleich der vorhandenen Bilder diese Frage auf- 
klären. 

Haben wir in der sitzenden Figur in der rechten 
Ecke des reproduzierten Wahlbilds in der Tat das 
Selbstporträt Canalettos? Die diesbezügliche An- 
gabe — den Eindruck eines Selbstbildnisses macht 
die Figur übrigens nicht — des polnischen Dich- 
ters und Historikers Niemcewicz an den früheren 
Besitzer!) des Posener Bildes in allen Ehren, 
scheint es mir bei dem Wirklichkeitssinn des 
Künstlers nicht allzu wahrscheinlich, daß dieser 
sich auf einem Bilde porträtiert hätte, das er nur 
nach Berichten und Dokumenten gemalt. Auch 
wäre es ja verwunderlich, daß Ciampi, der bei 
drei andern Bildern genau die Selbstporträts Cana- 
lettos notiert, dies bei einem so wichtigen Gemälde 
unterlassen hätte. Ebenso spricht die polnische 
Kleidung der stehenden Figur nicht sehr dafür, 
daß hier Merlini dargestellt ist. Sollte sich der 
Architekt Stanislaw Augusts so gekleidet haben, 
wo der Hof größtenteils französische Tracht trug? 

Zum Schluß noch einige Notizen aus dem Ra- 
stawieckischen Kiinstlerlexikon. Auch К. bemerkt 
(Bd. ш, 8. 132), daß Canaletto den Titel conte Bel- 


(1) Es soll wohl Graf Raczynski und nicht Karzinski heißen. 
Auch der Name Leinski diirfte verstiimmelt sein. 


25 


lotti, von dem Heineken spricht, niemals in Polen 
geführt hat. Karl de Perthées, mit dem zwei 
Töchter Canalettos nacheinander verheiratet waren, 
war Geograph und Oberst in königlichen Diensten. 
Er zog später nach Wilna, und von seiner 1818 
daselbst verstorbenen Tochter erwarb Graf Kon- 


stantin Tyszkiewicz eine Sammlung von 47 Zeich- 
nungen Canalettos, welche, laut Mitteilung Rasta- 
wieckis, sich in den Sammlungen T.s in Lohojsk 
(Gouvernement Minsk) befanden. Leider sind diese 
Sammlungen jetzt in alle Winde verstreut. 

P. Ettinger. 


ERNST STEINMANN u. HANS WITTE, 
Georg David Matthieu, ein deutscher 
Maler des Rokoko (1737—1778). Leipzig, 
Klinkhardt & Biermann, 1911. М. 30.—. 

Jedes Werk über deutsches Rokoko füllt eine 
schmerzliche Lücke aus. Die deutsche Forschung 
getraut sich auch heute noch zögernd nur an ein 
solches zu glauben. Und zugegeben sei, es bleibt 
stets eln spezifisch französisches Gewand, in das 
sich im 18. Jahrhundert das gesamte Europa hüllte. 
Es entstand so eine Einheitlichkeit der Kultur, 
wie sie keine Zeit gekannt hat. Auch die Ver- 
treter des wahren Rokoko in Deutschland waren 
eben Franzosen. Den Pesne in Berlin, Silvestre 
in Dresden reiht sich nun der Name des Schweriner 
Hofmalers Georg David Matthieu an. — Aller- 
dings, auch Chodowiecki steht in diesem Rahmen, 
doch vertritt er eine Sondergattung: das bürger- 
liche Rokoko, aus dem ein anderer Geist wehte, 
ein fast revolutionärer Vorbote, der dem höfischen 
Stil den Todesstoß versetzen sollte. 

Matthieu ist so rein der Typ des Hofmalers, 
daß er in dem goldenen Käfig dieses Titular- 
Kammerdienertums als Künstler schließlich lang- 
sam dahinsiechte. Das ist die Tragik dieses 
Lebens, dessen künstlerische Werte in der kurzen 
Spanne eines Dezenniums geschaffen wurden. 

Doch sie verlangen gebieterisch gekannt und 
anerkannt zu werden. Kaum istein Künstler seiner 
Qualität wohl jemals so voll und ganz für die 
Nachwelt versunken und auch der Forschung un- 
bekannt geblieben, wie Matthieu. Seine Werke 
schlummerten in stillen Schlössern, nur von dem 
Gesichtspunkte des Ahnenbildes aus gewertet. 

Ernst Steinmann, in seiner Stellung als Direktor 
der Großherzogl. Sammlungen, hat sie durch die 
Ausstellung dieses Sommers im Schweriner Museum 
zum erstenmal vereinigt und jetzt in Verbindung 
mit dem Archivrat Dr. Witte alles erreichbare 
Material über den Maler zusammengestellt und in 
einer vornehm ausgestatteten Publikation nieder- 
gelegt. Fünfzig Lichtdruckwiedergaben von Por- 
trätarbeiten Matthieus geben dem Forscher eine 
Grundlage für das eigene Urteil. Allerdings kann 


26 


dies nicht endgültig sein bei einem Künstler, der 
in höchstem Sinne Kolorist ist. Eine Erwartung 
sieht sich getäuscht. Nicht tiefgründige Psycho- 
logie und Ausdeutung seelischer Vorgänge ist bei 
Matthieu am Werke. In reinster Nachfolge der 
Hof- und Gesellschaftsästhetik seiner Zeit war sein 
Ziel „die gute Form“, das schöne Bild als solches. 
Schönpflästerchen, Schminke, das Lächeln der Kon- 
vention... so sinkt der Mensch selbst zum Wert- 
grade eines feinen Stoffes, eines edlen Schmuckes 
hinab. Die Kohlezeichnungen dürften daher wohl 
nicht so sehr hoch einzuschätzen sein. Das Kom- 
positionelle ist schwach. Die Einzelfigur mit ihrem 
ganzen stofflichen Drum und Dran, in zarter Be- 
ziehung zu dieser nächsten Umgebung, in der 
malerischen Bindung all dieses Leblosen — das 
ist das Wollen des Künstlers, das sich durchaus 
auf der Linie etwa zu Bouchers Porträt der Mar- 
quise de Pompadour bewegt. 

Die gemeinsame Arbeit des Kunstgelehrten und 
des Archivforschers hat ein außerordentlich glück- 
liches, in seiner Eigenart schon interessantes Er- 
gebnis gezeitigt. Für Ernst Steinmann bedeutet 
Matthieu eigentlich einen Seitensprung, eine Episode 
in seinem ganz der italienischen Renaissance ge- 
widmeten Schaffen. Und fast muß man sagen der 
Charakter dieser Rokokoepoche hat in ihm Saiten 
anklingen lassen, die seiner Eigenart vielleicht 
näher liegen wie manche Momente der Renaissance 
in ihrem herben, blutvollsten Wesen. Was ich 
meine, macht die geistvoll feinsinnige Studie über 
J. Antoine Houdon, die er kürzlich im fünften Heft 
der Monatshefte erscheinen ließ, begreiflich. Da 
erfährt man, was es heißt: Gemeinsamkeit eines 
Lebensideals, das über Zeiten hinweg immer 
wieder neu auflebt in Menschen, die gleiches be- 
wußt oder unbewußt in sich tragen. — Verspürt 
man hier den lebendigen Hauch subtilster Rokoko- 
kultur, so zeichnet Hans Witte, heute wohl einer 
der besten Kenner der sozialen Verhältnisse des 
ı8. Jahrhunderts in Mecklenburg, mit scharfen 
Strichen das Bild eines bedrängten Kleinstaates in 
der gefahrvollen Nachbarschaft des großen Preußen- 
königs. Auch die einzelnen Glieder der herzog- 
lichen Familie und die Vertreter des Hofes und. 


des Regierungsapparates erstehen in klaren Zügen. 
Eine vornehme Offenheit, zuweilen auch mit leich- 
tem Anflug von Sarkasmus führte hier die Feder. 
Und es versteht sich, daß all den gewundenen 
Wegen der archivalischen Forschung mit pein- 
lichster Schärfe nachgegangen ist. 

Was wir heute von Matthieus Leben wissen, 
soviel wir von Werken seiner Hand kennen, ist 
in diesem Buche eingeschlossen. Anregung soll 
es bieten zur Weiterforschung und eine erste 
Handhabe für die Wertung eines der glanzvollsten 
Koloristen, der in deutschen Landen gelebt. 

Wilhelm Lesenberg. 


WALTER JOSEPHI, Die Werke plasti- 
scher Kunst im Germanischen Na- 
tionalmuseum. Mit 64 Tafeln und 160 
Textabbildungen. Nürnberg 1910, Verlag 
des Germanischen Nationalmuseums. 


Wissenschaftliche Museumskataloge (mit zuver- 
lässigen Abbildungen) sind ohne Zweifel die ver- 
dienstlichsten Werke, die ein Kunsthistoriker 
schreiben kann, und wenn ein solcher Band zum 
weitaus größten Teile, wie es hier der Fall ist, 
deutsche Skulpturen behandelt, so ist damit von 
vornherein gesagt, daß der Autor eine höchst ent- 
sagungsvolle und schwierige, aber auch dankens- 
werte Arbeit geleistet hat. 

Es kann den Sammler bedenklich stimmen, wie 
allgemein das Interesse an der dem naiven moder- 
nen Menschen schwer zugänglichen deutschen Holz- 
plastik in den letzten Jahren geworden ist. Aber 
zum Glück ist es nicht nur in die Breite, sondern 
auch in die Tiefe gegangen; ist es der Wissen- 
schaft und nicht nur dem Kunsthandel zugute ge- 
kommen. 

Dem Liebhaber deutscher Skulptur hat das Jahr 
1910 zwei stattliche Kataloge als wichtige Quellen- 
werke beschert — die der Nürnberger und der 
Berliner Sammlung —, und ihm damit ein lang- 
entbebrtes und langersehntes Studienmaterial für 
die Kenntnis der deutschen Plastik in mustergül- 
tiger Weise an die Hand gegeben. Mögen ihnen 
in nicht zu ferner Zeit München, Stuttgart und 
die Privatsammler folgen, die in vorbildlicher 
Weise schon damit begonnen haben. Wenn das 
geschehen, und wenn einmal die Inventarisation 
Deutschlands vollendet und alle seine Winkel 
nach Kunstwerken durchforscht sind, dann wird 
wohl endlich die Zeit reif sein für die Geschichte 
der deutschen Plastik, die so starke Gegensätze 
und schwer zusammenzuschließende Erscheinungen 
aufweist. 


Der neueste Katalog des Germanischen National- 
museums heißt offiziell: Die Werke plastischer 
Kunst, indessen begrenzt das Vorwort das Gebiet 
sehr viel enger, als man aus dem Titel schließen 
darf. Bleiplaketten, Grabdenkmale und Bronzepi- 
taphien, Medaillenmodelle und Werke der negativen 
Plastik, Biscuit- und Porzellanbildwerke und die 
geprigten Damsteine werden ausgeschaltet, um 
teils für sich, teils im Zusammenhang mit eng 
verwandten Gruppen (Medaillen) behandelt zu 
werden. Zur Übersichtlichkeit trägt die Loslösung 
der ins Kunstgewerbe übergehenden Kleinplastik 
entschieden bei, aber mit dem Ausschalten der 
Grabplastik wird nur ein möglichst baldiges Er- 
scheinen dieses versprochenen Sonderbandes ver- 
söhnen. 

Die Einteilung des Stoffes geschieht nach dem 
Material, dem einzigen Prinzip, das sich streng 
durchführen läßt, und das dem Ganzen die straffe 
Übersichtlichkeit gibt, die es als Nachschlagebuch 
vor allen Dingen haben muß. Innerhalb dieser 
großen Gruppen ist nach Zeit und nach Ort ge- 
gliedert. 

Das Schema der Behandlung des Einzelobjekts 
weicht insofern von den üblichen Kataloggewohn- 
heiten ab, als die Beschreibung des Kunstwerkes 
nach seinem Inhalt, nach Erhaltung, Herkunft und 
Erwerbung an zweiter Stelle kommt und ihr eine 
kurze Angabe der „wesentlichsten Eigenschaften“ 
des Gegenstandes (Art der plastischen Darstellung, 
Material, Maße) vorangeht. Den Beschluß bildet 
wie üblich das Kunsthistorische, das hier in aus- 
gezeichneter Weise und mit vollständiger Angabe 
der modernen Literatur behandelt ist. Eine Arbeit, 
die bei der Bedeutung speziell der Nürnberger 
Plastik und ihrer häufigen Behandlung in der 
Literatur sehr hoch einzuschätzen ist, auch wenn 
sie sich bescheiden zurückhält. 

Indessen bedingt das geläufige Schema: ı. Be- 
schreibung des Kunstwerkes, 2. kurze Mitteilung 
seiner wesentlichen Eigenschaften mit Angabe von 
Erhaltungszustand, Herkunft und Erwerbungsart 
eine größere Ubersichtlichkeit. Denn diese dem 
Forscher wichtigen Angaben sucht er nicht bei 
der Beschreibung der künstlerischen Darstellung, 
mit der sie nichts zu tun haben; und da sie auch 
im Druck des Nürnberger Katalogs von der Be- 
schreibung nicht abgesetzt sind, so bedeutet diese 
Art der Anordnung keine Erleichterung der Praxis. 
Wo Abbildungen das Wort unterstützen, wünscht 
man sich bisweilen die Beschreibungen kürzer. 
Wenn auch mit dem Bearbeiter die Uneinheitlich- 
keit der Abbildungen und das Fehlen von Bildern 
für sämtliche Darstellungen zu bedauern ist, so 


27 


bedeutet dieser neue Katalog doch einen außer- 
ordentlichen Gewinn gegenüber den beiden voraus- 
gegangenen. 

Die Zuschreibungen sind mit einer sympathischen 
Zurückhaltung gemacht, schon eine flüchtige Durch- 
sicht bezeugt dies in den vielen Fragezeichen. 
Sehr dankenswert ist die endliche Verweisung der 
Tonbüste Nr. 122 in die Neuzeit, wobei noch 
immer ein Zweifel erlaubt ist, ob sie nicht doch 
in das 19. Jahrhundert gehört. — Für die Apostel 
391 und 392 scheint mir ein Zusammenhang mit 
der Ulmer Plastik fühlbar zu sein; aus der gleichen 
Werkstatt hervorgegangen, sind doch — nach den 
Abbildungen zu schließen — die beiden Köpfe 
nicht von dem gleichen Meister. Ein Musterbei- 
spiel für die Sprödigkeit, die deutsche Holzbild- 
werke dem Bearbeiter entgegenstellen, sind die 
sechs Statuetten der Todsünden 490 — 495. Sie 
tragen schwäbische, fränkische, bayrische Eigen- 
schaften vereint und man spürt deutlich zwei ver- 
schiedene Hände in ihnen (490 und 495, und die 
übrigen vier, von denen sich 494 abhebt), aber 
wo sie hingehdren, das mit Sicherheit festzustellen, 
ist bisher nicht möglich. 

Die Werke, die der Skulpturensammlung des 
Germanischen Nationalmuseums ihre Physiognomie 
verleihen, sind Nürnbergischen Ursprungs und 
Eigentum der Stadt oder aus kirchlichem Besitz 
erworben, man denke an die Figuren vom schönen 
Brunnen, an Adam Krafts Leidensstationen, an 
die Tonapostel aus der Frauenkirche, die Vischer- 
schen Kleinbronzen, die im besten Sinne klassische 
Madonna von Nürnberg; an Veit Stoß, an Dürers 
Rahmen zum Allerheiligenbilde. Sie sind zu Wahr- 
zeichen der alten Kunststadt Nürnberg geworden. 
Dieses Verwachsensein von Sammlung und Ort, 
diese Bodenständigkeit gibt dieser an sich schon 
köstlichen Skulpturensammlung eine Bedeutung und 
zugleich ein persönlich lebendiges, vertrautes Ge- 
präge, die modernere Sammlungen bei allem Auf- 
wand und allem Zielbewußtsein niemals werden 
erwerben können. Schuette. 


HENRY MARTIN, Le Boccace de Jean 
sans Peur des cas des nobles hom- 
mes et femmes. Reproduction des cent 
cinquante miniatures du manuscrit 5193 
de la Bibliothèque de l'Arsenal Brüssel 
und Paris, б. van Oest & Cie., 1911. 

Das heute so lebhaft erwachte Interesse fiir die 
illustrierten Handschriften des Mittelalters bewegt 
sich auf der Grenzscheide zwischen Wissenschaft 
und Bibliophilentum. In Frankreich und England 


28 


zumal hat sich die Sammlerleidenschaft den ver- 
hältnismäßig wenigen noch in freiem Besitz be- 
findlichen Erzeugnissen dieser reichen und intimen 
Kunst zugewandt. Es ist dort eine Forderung 
des guten Geschmacks geworden, am Bilderschmuck 
und Zierwerk der alten Manuskripte Gefallen zu 
finden. Und es hat sich in Verbindung hiermit 
die stete Folgeerscheinung des Sammlertums, eine 
ausgezeichnete Kennerschaft, entwickelt. Der Eng- 
länder betrachtet die Handschriften mit strenger 
Sachlichkeit, prüft ihren Bestand, zäblt Seiten und 
Lagen und registriert mit aller Gewissenhaftigkeit 
des geschulten Bibliothekars ihren Textgehalt und 
die Gegenstände der bildlichen Darstellung. Der 
Franzose verliebt sich in die Malereien, er spürt 
den Umständen ihrer Entstehung nach, leuchtet 
in die geheimsten Winkel der Ateliers hinein, 
zitiert die Schatten der „Meister“ mit und ohne 
Namen, um schließlich die Ergebnisse solcher 
kritischen Betrachtung mit den Aussagen der Ge- 
schichte zu dem glänzenden Bilde einer hohen 
künstlerischen Kultur seiner Ahnen zu verbinden. 
Wer wollte leugnen, daß die Kunstwissenschaft 
den offenbarsten Nutzen von solchem Sport hat? 
Sie verdankt ihm, gewißlich mehr als der Rück- 
sicht auf ihre besonderen Interessen, jene Fülle 
kostbarer Handschriftenpublikationen, die in den 
letzten Jahren in England und Frankreich er- 
schienen sind und die ohne die Unterstützung 
oder die Kaufkraft reicher Bücherfreunde niemals 
zustande gekommen wären. 

Doch hat die Sache auch eine bedenkliche Kehr- 
seite: diese Publikationen bleiben immer Zufalls- 
erscheinungen und werden bei ihrer luxuriösen 
Ausstattung stets nur Wenigen zugänglich sein. 
Voller Gewinn aber könnte aus ihnen doch nur 
gezogen werden, wenn nicht private Liebhaber- 
interessen die Wahl des Gegenstandes bestimmten, 
wenn nicht ein Glücksfall nur das eine oder das 
andere dieser Werke in unsere Hände spielte, 
sondern wenn für ihre Herausgabe die kunstge- 
schichtliche Bedeutung allein maßgebend wäre 
und sie alle zum mindesten in unseren großen 
öffentlichen Bibliotheken zur Verfügung des For- 
schers stünden mit ihrer reichen Fülle von unbe- 
kanntem Material. Wir in Deutschland dürfen ja 
nun hoffen, an Stelle solcher Zufallsproduktion eine 
systematisch geregelte Publikation der gesamten 
deutschen Handschriftenmalerei zu erhalten in den 
vom Deutschen Verein für Kunstwissenschaft be- 
gründeten „Denkmälern deutscher Kunst“. 

Das Werk, das hier angezeigt wird, ist eine 
echte Frucht französischer Bibliophilie. Einwand- 
frei in seiner Ausstattung, höchst lehrreich und 


ergötzlich anzusehen in der Fülle seiner 150 von 
Not und Tod der Großen dieser Erde erzählenden 
Bilder, von einem Text begleitet, für dessen Quali- 
tät der Name des Direktors der Pariser Arsenal- 
bibliothek allein schon bürgt, und doch — vielleicht 
— etwas trop de bruit pour une omelette. Man 
frägt sich, ob gerade dieser Boccaccio auf so viel 
Platzverdrängung in einer Bibliothek ein Anrecht 
hat. Mit den im Novemberheft dieser Zeitschrift 
angezeigten ,,Heures de Milan“ kann er sich seiner 
kunstgeschichtlichen Bedeutung nach nicht messen. 
Seine Miniaturen gehören doch zum Durchschnitt 
— wenn auch zum Durchschnitt einer auf diesem 
Gebiet besonders leistungsfähigen Zeit: der ersten 
Jahre des 15. Jahrhunderts. Ja, einige von ihnen 
sind sogar recht zurückgebliebene Arbeiten, die 
man kaum einem höfischen Atelier, seis nun in 
Dijon oder Bourges, zutrauen möchte. Sie ver- 
halten sichzuden annähernd gleichzeitigen Wunder- 
werken der Heures de Chantilly wie die handwerk- 
lichen Wandmalereien später Trecentisten zur neuen 
Kunst eines Gentile da Fabriano. Nur einer der 
an der Handschrift tätigen Künstler hat Anspruch 
auf höhere Bewertung. Martin hebt die ihm zu- 
fallenden Bilder selbst hervor und identifiziert ihn 
wohl mit Recht mit dem ,,Maitre des Heures de 
Boucicaut“ (vgl. Durrieu, Revue de l’art ancien et 
moderne, t. XIX und XX, 1906). In der Kühnheit 
der Bewegungen und der Gruppierung, in der 
Schirfe der an allerdings nur wenigen Punkten 
hervorbrechenden Einzelbeobachtung überragt er 
alle seine Genossen, ohne doch darum eine führende 
Stellung in der Stilentwicklung einzunehmen. 
Von der entschiedenen Überschätzung des kunst. 
geschichtlichen Wertes der Miniaturen abgesehen, 
ist der Text des Autors der „Miniaturistes francais‘ 
(Paris 1906) würdig. Die Geschichte der Hand- 
schrift und ihres Textes wird ausführlich darge- 
legt; den einzelnen Bildern sind genaue Beschrei- 
bungen beigegeben. Es gelingt, die Entstehungszeit 
zwischen 1409 und 1419 zu fixieren, dagegen läßt 
sich die Herstellung für Jean sans Peur, in dessen 
Nachlaß sich das Manuskript befand, nicht mit 
Sicherheit behaupten. Rührend ist es zu hören, 
daß Marguerite de Baviere, die Witwe des 1419 
ermordeten Herzogs Johann, das Buch von ihrem 
Sohne entlieh, um sich in ihrem Leid mit dem 
Anblick der „nobles hommes et femmes“ zu trösten, 
die gleich ihr herbem Schicksal haben unterliegen 
müssen. Solche intime Momente sind von hohem 
Wert für unser Urteil über die Stellung, die die 
Kunst der Handschriftenmalerei im Leben der da- 
maligen Menschen eingenommen hat. Vitzthum. 


ALBERT BROCKHAUS, Netsuke 
Versuch einer Geschichte der japanischen 
Schnitzkunst. Mit 272 schwarzen und 53 
bunten Abbildungen. 2. verbesserte Auf- 
lage. XVI, 482 S. Leipzig, 1909. 


Das vortreffliche Werk, wohl die beste Behand- 
lung, die einem Einzelgebiete der japanischen 
Kunst in europäischer Sprache bisher geworden 
ist, war kurze Zeit nach seinem ersten Erscheinen 
(1905) vergriffen. Zur Freude der Liebhaber der 
Netsuke ist es nunmehr neu aufgelegt worden — 
in ebenso vornehmer äußerer Gestalt, aber leider 
fast unveränderten Inhalts. So kommen wir nicht 
nur um die Beschreibung der 700 Netsuke, um 
die sich die Brockhaussche Sammlung in dem 
kurzen Intervall zwischen den beiden Auflagen 
vermehrt hat, sondern um manche wertvolle Lehre, 
die uns der Verfasser vermutlich zu geben hätte. 
Sicherlich ist es nicht das Bewußtsein, etwas Ab- 
geschlossenes und Abschließendes gegeben zu 
haben, was ihn zu dieser bescheidenen Selbstbe- 
schränkung bewog. Denn er selber weist mehr 
als einmal darauf hin, daß das von ihm errichtete 
Gebäude nicht nur des Ausbaues bedarf, daß auch 
seine Fundamente nicht überall auf festem Grunde 
stehen. Sein Werk ist eben ein „Versuch“ und 
als solcher nicht nur %erdienstlich, sondern sehr 
wohl gelungen. Eine wirkliche Geschichte der 
Netsukekunst aber läßt sich nur in Japan schreiben, 
wird allerdings auch in Japan nur die Frucht müh- 
samer Arbeit langer Jahre sein können. Der euro- 
päische Autor kann uns die Forderung des dos 
Hot лоо сто nicht erfüllen, denn er selber steht 
eigentlich in der Luft und muß die Basis sozu- 
sagen postulieren, auf die er sich stellt. Uns fehlt 
für ein Urteil über die großen Netsukeschnitzer 
und ihre Werke, auf die es doch eigentlich allein 
ankommt, leider jeder sichere Maßstab, solange 
wir nicht viel mehr von ihnen wissen, als daß sie 
tausendfach gefälscht worden sind, — und es wird 
nicht besser werden, ehe nicht jemand, der sehen 
kann, zum Studium der sicheren, natürlich in Japan 
bewahrten Originale vorgedrungen ist. Die Freude 
an der Kopie dauert niemals lange: über kurz 
oder lang bekommt sie doch das fatale faux air 
der Unfreiheit, das uns immer wieder von allen 
noch so vollendeten Kopien zu den Originalen, 
d.h. den freien Darstellungen freier künstlerischer 
Vorstellungen, zurückführt. Anders ist es nur, 
wenn die Kopien eben keine Nachbildungen, son- 
dern Neubildungen sind, die dem „Originale“ 
nicht ähnlicher zu sein pflegen, wie das Kind dem 
Vater. 


29 


Leider ist von japanischer Seite auf eine einiger- 
maßen brauchbare Geschichte der Netsukekunst nicht 
zu rechnen, denn die Japaner haben mit ihrer 
großen Kunst noch redlich zu tun; den, Netsuke, 
zu Deutsch Knöpfen, werden sie noch lange Zeit 
Ruhe gönnen müssen und sich inzwischen viel- 
leicht wundern, daß man einem kleinen Eckchen 
ihrer Kunst so viel Aufmerksamkeit und so mühe- 
volle Arbeit widmet, ehe für den Europäer die 
großen Linien des Baues einigermaßen feststehen. 

Dem schönen und berechtigten Eifer des Samm- 
lers, dem die Netsuke sehr viel mehr bedeuten 
als sie im Gesamtorganismus der japanischen 
Kunst zu bedeuten scheinen, liegen diese Zweifel 
wohl sehr fern. Manche Abschnitte seines Buches 
würden wohl wesentlich anders ausgefallen sein, 
wenn der Verfasser versucht. hätte, sein Thema, 
wie der Untertitel zu versprechen scheint, mehr 
im Zusammenhange mit der großen Kunst zu be- 
handeln. Die Kapitel, die über sein engeres Thema 
hinausgreifen, sind unzweifelhaft die schwächsten 
und anfechtbarsten des ganzen Buches, weil sie 
nicht auf eigener Anschauung beruhen. Der Pan- 
egyrikus auf die Kunst der Tokugawazeit S. 105 ist 
bei dem Verehrer der Netsuke verstindlich, die 
alle dieser Zeit angehören. Aber berechtigt ist er 
nicht. Die Kiinste treten damals nicht ,,ihren Sieges- 
lauf an“, sondern schreiten mit beängstigender Ge- 
schwindigkeit dem Grabe zu, und wenn gar S. 114 
das Jahr 1603 das Geburtsjahr der nationalen 
Kunst genannt wird, so muß der getreueste Lehns- 
mann der Tokugawa, deren Verdienste zu igno- 
rieren allerdings im europäisierten Japan Mode 
geworden ist, dazu den Kopf schütteln. So wenig 
dem heutigen feingebildeten Japaner „nur die Kunst 
überhaupt eine Kunst ist, die sich möglichst eng 
an die stark stilisierten chinesischen und koreani- 
schen Vorbilder anlehnt“ (S. 65), so wenig wird 
er allerdings im Ukiyoé „das Phinomenalste 
sehen, was Japan geleistet hat“ (S. 114). Was 
übrigens die dem Ukiyoé zugerechneten Töpfereien, 
Lacke, Metallarbeiten mit dieser Malerei der 
kleinen Leute zu tun haben, vermag ich nicht ein- 
zusehen. ‘Wenige werden dem Verfasser auch 
bei seinem Vergleiche zwischen Malerei, Bild- 
hauerei und Kunstgewerbe (S. 51) folgen können. 
Ich weiß nicht, was ich mir unter einem „die 
Naturwahrheit anstrebendem Kunstgewerbe“ und 
„den Kinderschuhen der Stilisierung“ vorstellen 
soll, verstehe aber noch weniger den Gegensatz 
zwischen den Malern und Netsukeschnitzern Rippo, 
Ritsuo, Korin, Shfizan und Shügetsu, da ich noch 
nie ein plastisches Netsuke von Korin und Ritsuò 
oder Bilder von Shilzan und Shfigetsu — dem 


30 


Netsukeshi wohlverstanden, nicht dem großen 
Maler des 16. Jahrhunderts — gesehen habe. Die 
auf derselben Seite (52) auf die Höhe des realisti- 
schen „Dorfschulzen“ gestellten, übrigens ebenso 
unrealistischen beiden Nid im Kofukuji sind nebenbei 
weder von Anderson und Satow entdeckt worden, 
noch stammen sie aus der Zeit um боо. Sie sind 
seit langem sehr berühmt und sichere Werke des 
Jökei (13. Jahrhundert). Durch diesen ganzen Ab- 
schnitt zieht sich die in Europa weit verbreitete 
Idee, daß das „Anstreben der Naturwahrheit“ 
irgendetwas mit Kunst zu tun habe, und daß das Er- 
reichen dieser Naturwabrheit mit der Erreichung 
der künstlerischen Absicht gleichbedeutend sei. 
Gewiß ist der Monju des Tuji „une presence qui 
subjugue“, aber nicht obwohl, sondern weil er gar 
keine Naturwahrheit erreicht oder nur erstrebt. 
Das Wandern auf den Nebenwegen der japanischen 
Kunst führt nur gar zu leicht von den Haupt- 
wegen ab: die zierlichen Arbeiten der Netsuke- 
künstler verlangen oder vertragen mindestens eine 
naturalistische Behandlung, die der Tod der großen 
Plastik wire. Unzweifelhaft würde auch Brockhaus 
sein Urteil revidieren, wenn er sich auch mit 
dieser großen Plastik mehr beschäftigt hätte, die 
er sehr kurz, aber nichts weniger als richtig ab- 
handelt. Nach ihm könnte es fast scheinen, als 
wenn sie erst mit dem Shogun Hidetada, also in 
der Zeit der sogen. primitiven Netsuke, in rechten 
Flor käme. In Wahrheit ist sie schon ein paar 
Jahrhunderte früher eines sanften Todes verblichen; 
eigentlich nur die Maskenschnitzerei rettet ein Stück 
der guten Tradition. Aber ihre erste Blüte liegt 
keineswegs im 10.—15., sondern im 8. Jahrhundert. 
Die bei Brockhaus aufgefiihrten Maskenschnitzer 
des 8.—14. Jahrhunderts sind übrigens mehr oder 
weniger legendenhaft und verdienten überhaupt 
keine Erwähnung. Eine Reihe sehr historischer 
und ganz außerordentlicher Künstler gehören aus 
anderen Gründen nicht in das Buch hinein: Ken- 
zan, Korin und gar Köetsu haben mit der Net- 
sukekunst nicht das geringste zu tun. Koetsu, ein 
Universalgenie, wie es wenige gegeben, sollte nur 
als Maskenschnitzer mit den höchsten Ehren ge- 
nannt werden, wenn auch die paar Masken in 
seinem Lebenswerk sehr wenig bedeuten. 
Glücklicher ist der Verfasser in der Behandlung 
seines eigentlichen Themas. Allerdings leidet sie 
gelegentlich unter außerordentlicher Breite. Selbst 
in dem ganz vortrefflichen einleitenden Kapitel 
über Wert und Wesen der Netsuke im allgemei- 
nen und in der Geschichte der Netsukekunst 
könnte manches gekürzt werden. Das Kapitel über 
Schrift und Sprache ist recht interessant und lehr- 


reich, zumal für den, der die Elemente des Japa- 
nischen nicht kennt und diese Sprache für eine 
Sprache hält wie andere auch, aber eigentlich 
überflüssig. Zudem muß eine solche theoretische 
Aufzählung einiger Schwierigkeiten des Japanischen 
irreführend wirken, weil sie notwendigerweise die 
vielen Korrektiven ignoriert, die in praxi sehr 
oft die theoretischen Schwierigkeiten aufheben. 
Es scheint mir unzweifelhaft, daß ein nicht zu 
alter Europäer Japanisch ebenso gut lernen könnte, 
wie etwa Polnisch oder Russisch — allerdings 
mit dem Aufwande von vielleicht zwanzig- 
mal so großer Arbeit. Wenn die Japaner „noch 
keinen Europäer gefunden haben, der alle kursiven 
Schriften lesen könnte“, so haben sie Recht. Ich 
habe aber auch noch keinen Japaner gefunden, 
der das könnte. Freilich stolpert der des Japani- 
schen beflissene Europäer noch nach zehn oder 
zwanzig Jahren über jede Postkarte, die ein japa- 
nischer Schüler glatt herunterliest. In vielen Fällen 
kommt es übrigens bei den Namen gar nicht auf 
die „richtige“ Lesung an. Sie ist den Japanern 
ganz gleichgültig und kann uns daher noch gleich- 
gültiger sein. Das Maßgebliche sind die Schrift- 
zeichen, ihre Transkription ist für uns Europäer 
eine Frage der Zweckmäßigkeit. Denn es ist in 
der Tat peinlich, einen Herrn, den man als Shözui 
zu begrüßen gewohnt war, plötzlich unter der 
Maske Masayuki erkennen zu müssen. Erst die 
chinesischen Charaktere lösen jeden Zweifel. 

Die reproduzierten Bezeichnungen und das sorg- 
fältige Register der Schriftzeichen werden daher 
nicht nur den Netsukesammlern nützlich sein. Der 
Katalog der Sammlung Brockhaus — leider nicht 
der ganzen —, der den Schluß bildet, gehört eben- 
falls wegen seiner vortrefflichen Erläuterungen der 
Netsukemotive zu dem besten Rüstzeug des an- 
gehenden Sammlers — wie das ganze Buch. Ich 
halte es trotz mancher, wenn auch grundsätzlicher, 
Bedenken für eine der besten Arbeiten auf dem 
Gebiete der ostasiatischen Kunstgeschichte, die ge- 
rade in Deutschland so häufig das Opfer unwissen- 
den Dilettanten und skrupelloser Büchermacher 


geworden ist. Kümmel. 


EBERHARD HANFSTAENGL, Hans 
Stethaimer. Kunstgeschichtliche Mono- 
graphien XVI. Leipzig, 1911, Hiersemann. 
50 S., 24 Lichtdrucktafeln. 

Das Kapitel Niederbayern wird, wenn es einmal 
genigend bekannt ist, ein nicht unwesentlicher 
Beitrag zur Charakteristik der deutschen Spitgotik 
sein. Namentlich hat vermöge glücklicher politi- 


scher Konstellationen im 15. Jahrhundert das Leben 
der niederbayrischen Städte einen erstaunlichen Auf- 
schwung genommen, ja hat sich teilweise bis zur 
Raffiniertheit gesteigert, so daß das Kunstschaffen 
stark individuelles Gepräge erhielt und ruhig neben 
das Sachsens etwa oder einzeiner Gebiete des Nieder- 
rheins gestellt werden kann. Von dem relativ 
wenigen, was aus Niederbayern gut bekannt ist, 
sei hier an die Plastik der Wendezeit von der 
Gotik zur Renaissance, an die Anfänge der Land- 
schaftsmalerei im 16. Jahrhundert und endlich an 
die Architektur Landshuts erinnert. Wenn der 
Ulmer Chronist Felix Fabri am Ende des 15. Jahr- 
hunderts von dem Ulmer Münster behauptete, es 
sei so groß, daß es das Futteral des Straßburger 
Münsters genannt werde, so rühmt der gleichzeitige 
Landshuter Chronist Veit Arnpeck mit nicht ge- 
ringerem Stolz, daß der Turm zu St. Martin in 
Landshut alles bisher dagewesene überragen werde. 
Wenn dies auch nicht eben als Beweis gelten 
kann für das Kunstvermögen der Landshuter an 
sich, so legt es doch Zeugnis ab für ihr repräsen- 
tatives Bewußtsein. 

Ein Kind dieser Zeit ist der Landshuter Bau- 
meister HansStethaimer, einer der ausdrucksvollsten 
Charakterköpfe der deutschen Spätgotik. Auch 
Stethaimer hat recht eigentlich das Schicksal der 
gotischen Architekten geteilt, von denen Rodin 
einmal sagte, ihr künstlerisches Wollen sei so 
übermäßig stark gewesen, daß darin alles, selbst 
die Kunde der Persönlichkeit unterging. Seine 
Werke haben sich einer lebendigen Anerkennung 
erfreut seit den Tagen, wo der oben erwähnte 
Chronist seine Landshuter Chronik schrieb, bis 
herauf zur Zeit, in der das kunsthistorische In- 
teresse für spätgotische Architektur zu Wort kam. 
Die Kenntnis seines Namens dagegen ist kaum 
älter als ein halbes Jahrhundert. 

Stethaimers Tätigkeit fällt in die Wende des 
74. und ı5. Jahrhunderts. Das Resümee seines 
Wirkens ist nicht ohne Stolz auf der Grabinschrift 
in Landshut aufgeführt; die sämtlichen geschicht- 
lich ihm zugehörigen Bauwerke stehen — über 
Ober- und Niederbayern verstreut — noch. Unter 
diesen Voraussetzungen fragt man sich, warum 
ein Meister, dessen Bedeutung im Rahmen der 
allgemeinen Kunstgeschichte keineswegs unbekannt 
geblieben ist, nicht längst eine eingehende Cha- 
rakteristik erfuhr. Der Grund hierfür liegt in der 
großen Schwierigkeit, aus dem doch relativ recht 
knappen Material eine sichere Entwicklung zu re- 
konstruieren. 

Diese Aufgabe hat Hanfstaengl sehr glücklich 
gelöst. Ich glaube nicht, daß es ein Fehlgriff 


3I 


war, das Thema auf Stethaimer allein zu be- 
schränken. Allerdings hätte der Glanz der Person 
auch an dem Abglanz auf seine weitverbreitete 
Schule illustriert werden können — für den Spezial- 
forscher eine dankbarere Aufgabe als die vor- 
liegende — aber für die Kenntnis der Ausgangs- 
punkte der spätgotischen Baugeschichte Nieder- 
bayerns, speziell Landshuts, war es verdienstvoller, 
zuerst einmal gründlich den Kern zu fixieren. Über- 
dies tut die Monographie mehr als dies und eröffnet 
Ausblicke auf eine Reihe von Entwicklungslinien. 
Vor allem wird, wer das seinerzeit von Dehio an- 
geregte Problem der Zusammenhänge unserer 
spätgotischen Architektur mit den Ostländern, be- 
sonders Österreich verfolgen will, die vorliegende 
Monographie nicht umgehen können. Das reich 
beigegebene Illustrationsmaterial bildet für die nicht 
immer einfachen stilistischen Untersuchungen eine 
willkommene Unterlage. Hans Karlinger. 


LUDWIG JUSTI, Zeichnungen aus 
dem Besitz der Nationalgalerie. Ver- 
lag von Julius Bard, Berlin. 

Das Studium der Handzeichnungen alter und 
neuerer Meister gibt für jedes Stoffgebiet der Kunst- 
geschichte vielleicht die feinsten Erkenntnismög- 
lichkeiten, weil es unmittelbar in die Werkstatt 
des Schaffenden einführt. Behält dieser Satz für 
jede künstlerische Persönlichkeit Beweiskraft, so 
bekommt er erhöhte Berechtigung solchen Meistern 
gegenüber, die sich dem Innersten ihres Wollens 
nach im Großen überhaupt nicht haben ausgeben 
können, zum Teil deshalb, weil sie eine zeitge- 
mäße Kunstanschauung vor Aufgaben gestellt hat, 
denen sie ihrer Veranlagung nach garnicht ge- 
wachsen waren. So verschiebt sich z. B. gerade 
bei den Künstlern des neunzehnten Jahrhunderts, 
allen voran bei den Klassizisten und Nazarenern, 
das Bild nicht unwesentlich, wenn wir von den 
bemalten Wänden den Blick zu den Studien und 
zu den flüchtigen Skizzen hinlenken, die oftmals 
von einer Feinheit des künstlerischen Stiles, von 
einer so modernen Empfindung erfüllt sind, daß 
man einfach die Kraftvergeudung bedauern muß, 
die diesen Künstlern großenteils Aufgaben zuge- 
wiesen, welchen sie weder ihrer Eigenart noch 
ihrem Können nach gerecht werden konnten. 

Mit Recht hat daher Ludwig Justi bei den Neu- 
erwerbungen für die Nationalgalerie den stärksten 
Nachdruck auf die Handzeichnungen des neun- 
zehnten Jahrhunderts gelegt, und es ist nicht dank- 
bar genug zu begrüßen, daß er gleichzeitig den 
Versuch unternimmt, die schönsten Blätter aus 


32 


dem reichen Bestande seiner Sammlung in muster- 
gültigen Reproduktionen dem Studium zugänglich 
zu machen. 

Hundert Zeichnungen sollen zunächst in einer 
monumentalen Publikation mit den Mitteln der bis 
zum äußersten gesteigerten Lichtdrucktechnik, die 
in der Qualität der Wiedergabe den Originalen in 
nichts mehr nachsteht, in zehn Lieferungen ver- 
öffentlicht werden und schon die Zusammenstellung 
der ersten Lieferung, die mit den zum Teil far- 
bigen Zeichnungen von Schadow, J. Anton Koch, 
C. David Friedrich, Schnorr von Carolsfeld, Franz 
Krüger, Hosemann, Böcklin, Feuerbach, Menzel 
und Leibl ein großes Kapitel deutscher Kunstge- 
schichte andeutet, läßt sehr greifbar die kunst- 
historischen Gesichtspunkte erkennen, unter denen 
die Auswahl dieser Sammlung erfolgen wird. Und 
das ist es, was ihrinerster Linie ihren dauernden 
Wert sichern muß. Durch diesen intimen Um- 
gang mit den Schätzen aus den Sammelmappen 
der Nationalgalerie soll sich das Verständnis für 
die Eigenart deutscher Kunst im neunzehnten Jahr- 
hundert vertiefen, sollen gerade diejenigen Meister 
stärker in unser Bewußtsein eindringen, vor deren 
ausgeführten Historienbildern uns gar zu oft das 
Frösteln überkommt. 

Die Publikation verfolgt demnach einen doppelten 
Zweck: neben das Moment künstlerischen Ge- 
nießens tritt das der kunsthistorischen Belehrung, 
und dieses wird gerade bei dem hier behandelten 
Gebiete ungemein fruchtbar sein. Das Gewand 
aber, in dem dieses monumentale Unternehmen 
vor die Öffentlichkeit tritt und die Qualität der 
Reproduktionen sind dem Gegenstande durchaus 
würdig. Ich glaube kaum zuviel zu sagen, wenn 
ich diese Publikation als das Vollkommenste an- 
spreche, was bisher an technischer Wiedergabe 
einem so ungeheuer diffizilen Gegenstand gegen- 
über versucht worden ist, und Herausgeber und 
Verleger dürfen sich in gleicher Weise zu dem 
Gelingen der ersten Lieferung beglückwünschen. 

Es handelt sich hier um ein Dokument deut- 
scher Kunst, für das man gerade in den Kreisen 
der Sammler und Kunstgelehrten die größte Be- 
achtung erhoffen darf, weil es vorbildlich ist und 
auch anderwärts Nachahmung finden sollte. Erst 
wenn die reichen Schätze unserer Sammlungen 
in solcher Form dem örtlich nicht mehr begrenzten 
Studium erschlossen werden, erst dann haben wir 
wirklich die Grundlagen für die Erkenntnis einer 
vielsagenden künstlerischen Epoche, die bisher 
noch gar zu abseits von dem Arbeitspensum des 
Kunstgelehrten gestanden ist. 

Justi aber, der mit klarem Blick den Wert dieses 


Kapitels erkannt hat, der als Leiter der National- 
galerie durch seine Neuerwerbungen bahnbrechend 
im Sinne der Erkenntnis der uns am allernächsten 
stehenden künstlerischen Vergangenheit vorange- 
gangen ist, stellt durch die hier angezeigte Publi- 
kation seiner eigenen anerkannten Kennerschaft 
ein neues vielsagendes Zeugnis aus. 

Georg Biermann. 


WILHELM HAUSENSTEIN, Der nackte 
Mensch in der Kunst aller Zeiten. Mit 150 
Abbildungen. R. Piper & Co., Verlag in 
München. 


Hausensteins, des rasch bekannt gewordenen 
Kunstschriftstellers Bücher haben den Vorzug, daß 
ihr Verfasser kein Spezialist ist. Die künstlerischen 
Probleme erscheinen bei ihm in den umfassenden 
Zusammenhängen einer bestimmten soziologischen 
Weltanschauung wirklich als Lebensfragen, um 
so mehr, weil diese Weltanschauung keine aka- 
demische ist, sondern eine höchst aktuelle, gegen- 
wärtige und praktisch-radikale, und weil der Ver- 
treter dieser Weltanschauung kein bloßer Theore- 
tiker, sondern ein intensiv erlebender, mit aller 
künstlerischen Empfindsamkeit und allem modernen 
Zeitinstinkt begabter Mensch ist. Was er uns 
sagt, klingt stets persönlich und polemisch indivi- 
duell, ist aber doch — oder vielmehr gerade des- 
wegen — getragen von dem Unterton einer ge- 
wissen Sehnsucht nach einer überindividuellen 
großen Organisation der gesamten menschlichen 
Lebensverfassung,eingeschlossen der künstlerischen, 
einer Sehnsucht, die ihn politisch in eine Bewe- 
gung treibt, von der er vielleicht jene geistige 
Kathedrale erhofft, an der die Künstler der Zu- 
kunft mitarbeiten sollen, wie einst die Gotiker. 

Freilich, eben jene Architektonik ist es, die das 
jüngste Buch Hausensteins vermissen läßt. Was wir 
entbehren, sind methodische Durchführungen der 
Hauptideen, eine klare Sichtung und übersichtliche 
Ordnung des verschwenderischen Materials an Be- 
obachtungen und Gedanken, das hier leider journa- 
listisch verzettelt wird. Nicht, daß sein Buch kein 
streng „wissenschaftliches“ ist, werfen wir dem Autor 
vor; dieser sehr relative Mangel würde reichlich auf- 
gewogen dadurch, daß es ein künstlerisches ist. Aber 
sind nicht die Bücher Jakob Burckhardts ebenfalls 
künstlerisch in höchstem Grade? Und wenn es das 
unzweifelhafte Recht des Kunstschriftstellers ist, daß 
er an das Vergangene den Maßstab zeitgenössischer 
Geschmacksformen und Entwicklungsrichtungen 
legt, muß diese ,,Contemporanéité“ sich auch in 
dem bloß Zeitgenössischen, Vergänglich-allzuver- 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft x 


gänglichen einer journalistischen Diktion, einer 
Ausdrucksweise vordrängen, die man nur alg 
„schlecht und modern“ btandmarken kann? 

Wenn es das Kennzeichen einer Wahrheit ist, 
daß ihre Aussprache im gegebenen Moment das 
Leben fördert, so sagt Hausenstein ohne Frage 
eine ganze Menge von Wahrheiten. Wie schade, 
daß er seinen Erkenntnissen nicht das würdige 
Gewand des Wahren, eine schlackenfreie, von 
allzu ephemeren Beimischungen literatenhaften 
Sprachgebrauchs reine Redeform zu verleihen weiß. 
So klug und treffend, so spürsinnig und geistig 
behende, ja so schwärmerisch im Grunde die 
Bücher Hausensteins sind, sie werden sehr rasch 
veralten, und wer es heute nicht fühlt, wird doch 
in kurzer Zeit bereits das peinlich Manirierte dieser 
Sprache empfinden. Es ist der fatale Eindruck, 
den man auch bei so klugen Kunstschriftstellern 
wie dem bereits veralteten Muther und jetzt bei 
Meier-Gräfe niemals ganz los wird (von denen 
Hausenstein übrigens nur den ersteren übertrifft!), 
ein fortwährendes Jonglieren mit Erkenntnissen, 
immer hart auf den Fersen des voraneilenden Zeit- 
geistes, immer aktuell, schlagend, polemisch, hoch- 
mütig, heftig, aber stets in Formulierungen von 
einer flüchtigen, vergänglichen Prägnanz, die neben 
einer Unzahl anderer Stilunarten, vor allem durch 
einen erstaunlichen Massenverbrauch von Fremd- 
wörtern ihren Schein erhält, von Fremdwörtern, 
welche in gewissen Atelier- und Kritikerkreisen 
gerade im Schwange sind und darum in ihrem 
ganzen Bedeutungsgehalt auch nur auf das Ver- 
ständnis eben jener Kreise Anspruch erheben 
dürften. 

Weniger wäre mehr! möchte man angesichts 
des fortwährenden espritvollen Brillantfeuers aus- 
rufen, in dem die klug ausgewählten Beispiele der 
Aktmalerei in Hausensteins geschichtlicher Dar- 
stellung an uns vorüberziehen. Der journalistische 
Relativismus liefert bei seiner Beweglichkeit eine 
Unmenge von Stand- und Gesichtspunkten, von 
denen einige wenige, bei energischer Durchführung, 
ein gutes und übersichtliches Buch zu bilden im- 
stande wären. Ein Lange, ein Löwy, ein Riegl 
und manche der jüngeren haben solche Bücher 
geleistet, oder hätten sje leisten können. Gerade 
an seiner Fülle, an seinem Allzu-wissend-sein, an 
seinem Mangel an Borniertheit verunglückt Hausen- 
stein. Was er gibt, ist eine chronologische Reihen- 
folge von Darstellungen der Nacktheit, die er sehr 
geschmackvoll, geistreich und treffend kommentiert. 
Über das bloß Sukzessive kommt dieser Historiker 
im Grunde nicht hinweg, das ist das Primitive in 
diesem umständlichen Raffinement. Freilich, von 


3 | 33 


der „Synthese“, diesem Begriffe, in dem sich eine 
Unmasse von Sehnsucht zusammendrängt, ist bei 
Hausenstein viel die Rede. Aber diese Sehnsucht 
ist wohl so stark in ihm, weil er sie selbst in 
seinem kleinen Kreise nicht zu erfüllen vermag. 

G. F. Hartlaub. 


CAMPBELL DODGSON, Catalogue of 
Early German and Flemish Wood- 
cuts preserved in the Department 
of Prints and Drawings in the Bri- 
tish Museum. Vol II. London 1911. 


Der Band umfaßt die drei Abteilungen B (Augs- 
burger Schule), C (die schwäbischen, baierischen, 
Donau- und polnischen Schulen) und C (säch- 
sische Schule) gegenüber der einen Abteilung A, 
den Nürnbergern, des ersten Bandes. Wie das 
Thema keine solche Bedeutung und kein so hohes 
Interesse beansprucht als dasjenige des ersten 
Bandes, so ist auch die Lösung vielleicht ein klein 
wenig minder geglückt. Von einer Reihe der in 
Frage kommenden Künstler war nicht viel neues 
zu sagen, Über andre, hinwiederum, arbeiten im 
Augenblick ein erklecklicher Prozentsatz der jün- 
geren Kunsthistoriker — der deutsche Holzschnitt 
des XVI. Jahrhunderts beansprucht gegenwärtig 
gewissermaßen ein Sportinteresse, — und da kann 
man nur sagen: лауте gei! Für Weiditz vertröstet 
uns der Verfasser auf einen zukünftigen Katalog, 
den die englische Bibliographische Gesellschaft 
herauszugeben verspricht. Bei den Breu wirft er 
im Appendix so ziemlich alles um, was er im 
Buch selbst vorn gesagt hat, da in der Zwischen- 
zeit die Arbeiten Röttingers ihn eines anderen 
belehrt haben. Unter diesem Übelstand, daß das 
Buch sich eigentlich mehrere Jahre lang im Druck 
befand, hat es etwas gelitten. Wie alle die Kataloge 
des Kabinetts im British Museum setzt sich 
auch dieser insofern zwischen zwei Stühle, als er 
eine gründliche, abschließende Wissenschaftlich- 
keit erstrebt, sich aber doch nur an das gerade 
vorhandene Material hält. Als Sammlungskatalog 
wird er somit schwerfällig und breit, während 
andrerseits die ungeheure aufgewandte Mühe bei 
den Oeuvreverzeichnisen einem fast verloren dünkt, 
weil doch nie dabei ein vollständiges Oeuvrever- 
zeichnis, das auch anderwärts als solches benutzbar 
wäre, herausspringt. Der Titel unsres Bandes gibt 
gar nicht einmal an, daß neben den illustrierten 
Büchern im Kupferstichkabinett des British Mu- 
seums auch noch alle die aus einer ganz ge- 
trennten Sammlung, der dortigen Bibliothek näm- 
lich, mitangeführt sind. Wiederum aber werden 


34 


Photographien von Seltenheiten aus andern Samm- 
lungen ganz in der gleichen Weise wie die vor- 
handenen Originale selbst behandelt, was, meines 
Erachtens, doch erst dann einen Sinn hätte, wenn 
wirklich Photographien von sämtlichen be- 
kannten Blättern, die eben nicht im Original vor- 
handen sind, herbeigeschafft worden wären. 

Wer mit den angedeuteten Vorbehalten — zu 
denen der Verfasser selbst meist nicht den Anstoß 
gegeben hat — sich ein Urteil über die nun von 
Dodgson tatsächlich geleistete Arbeit bilden will, 
wird wiederum zu einem fast unumschränkten 
Lobe kommen. Auch für diese Schulen bleibt 
sein Band ein unentbehrliches Nachschlagebuch, 
weil es ein sorgfältiges Resumé über den gegen- 
wärtigen Stand der Wissenschaft gibt. Die bio- 
graphischen Angaben sind ebenso vollständig wie 
die ausgezeichneten bibliographischen. Der größte 
Teil der wissenschaftlichen Leistung tritt gewisser- 
maßen stillschweigend in Erscheinung, denn er 
besteht in der Verteilung der einzelnen Arbeiten 
an bestimmte Künstler, also in dem Erkennen 
ihrer persönlichen Stilverschiedenheiten. In weit- 
aus den meisten Fällen wird man mit des Ver- 
fassers Urteil übereinstimmen können. Wertvolle 
Zugaben sind auch die Nachrichten über die ver- 
schiedenen Zustände einzelner Blätter, z. B. der 
Helldunkelholzzschnitte Cranachs und Burgkmairs 
(über die die ältere Literatur keine oder nurkonfuse 
Mitteilungen macht), die unterscheidenden Be- 
schreibungen der Einzelblätter von Folgen die in 
der bisherigen Literatur nur summarisch aufgeführt 
sind, wie z. B. Passavant Nr. 2 von Michael Osten- 
dorfer, und die wohl lückenlosen Ortsnachweise 
von allen Abdrücken einzelner Blätter, die nur 
einigermaßen zu den Seltenheiten gehören. So 
wird es auch dieses Mal niemandem einfallen 
können, diesen zweiten Band Dodgons übergehen 
zu wollen, wenn er irgendeinen der darin aufge- 
nommenen Künstler weiter behandeln will. 

H. W. Singer. 


FRIEDRICH KOEPP, Archäologie. І: 
8°, 1095. und 8 Tafeln; II.: 8°, 102 S. und 
16 Tafeln; III.: 8°, 131 S. und 16 Tafeln. 
(Sammlung Göschen, Nr. 538—540.) Leip- 
zig, 1911. Preis geb. а M. —.80. 

Mit starkem Mißtrauen habe ich zu diesen drei 
Bändchen im Taschenformat gegriffen, denn zu 
oft erleben wir, daß Katechismen, Kompendien, 
Abrisse und wie sie sonst sich nennen mögen, 
von Unberufenen verfertigte Schneiderscherze sind, 
die nicht die Zeit des Lesens lohnen, dem Wissen- 


den nichts sagen und dem Unwissenden eine weudijs 
dota vortäuschen. Das bietet dieses Buch zum Glück 
nicht; es ist, wie ich mit Freude konstatiere, von der- 
lei toto caelo verschieden; sein Verfasser war nach 
Kräften bemüht, dem Leser den Weg zu den Quellen 
zu weisen, während die Kompendienschneider den 
geduldigen Leser mit der törichten Behauptung 
zu entlassen pflegen, nun wisse er alles, was der 
„Gebildete“ von diesem Fache wissen „müsse“. 
Die Anlage des Buches weicht weit ab von der 
üblichen Kleiderordnung unserer Handbücher und, 
wer die drei Bändchen durcharbeitet, kann viel 
lernen, aber zuerst und vor allem lernt er, gemäß 
den verständigen Intentionen des Verfassers, daß 
ihm hier nur Stückwerk, nur Durchblicke und 
Ausschnitte geboten werden, und daß zur genaueren 
Kenntnis nur das eigene Herabsteigen zu den 
Quellen führt. Dazu helfen die Literaturangaben, 
die die großen Publikationen, praktische Hilfs- 
mittel und wichtige Aufsätze, namentlich auch 
der neuesten Zeit nachweisen; der Wunsch nach 
einer neuen Auflage von Michaelis’ wertvollem 
Literaturnachweis (р. 13) sei auch an dieser Stelle 
ausgesprochen. Beigegeben sind dem Werke 40 
Tafeln von vorzüglicher Schärfe und Exaktheit der 
Ausführung ; besonders muß hervorgehoben werden, 
daß es den Bemühungen des Verfassers gelungen 
ist, die Erlaubnis zur Reproduktion mancher Tafeln 
aus neueren und neuesten Werken zu erwirken, 
die in ihren ursprünglichen Publikationen nach- 
zuschlagen vielen unmöglich oder zu umständlich 
sein wird; die 28 Abbildungen im Text sind wesent- 
lich schlechter. Die Auswahl der Bilder ist gut, 
nicht beschränkt auf den Apoll von Belvedere, die 
Venus von Milo und das Dutzend der in dem 
Kopfe jedes und in dem Salon manches „Gebil- 
deten“ unserer Tage zu findenden Repertoirs von 
Antiken. 

Der Text ist klar und mit gesundem Urteil ge- 
schrieben. Über Einzelheiten kann an dieser Stelle 
nicht diskutiert werden. Vergessen scheint eine 
Erwähnung der Publikation der Akropolis-Vasen 
vonB.Graef, von der bisher vier Hefte vorliegen. 
Die — für mein Gefühl etwas starke — Betonung 
der Leistungen deutscher Arbeit mag in der Absicht 
der „Einführung“ seine Rechtfertigung finden. 

Alles in allem eine Arbeit, die ihre dankbaren 
Leser finden wird und soll; mögen sie an Koepps 
Seite den Weg zu den Quellen finden. Hoffent- 


lich wird in nicht allzuferner Zeit das große Hand- 
buch von Bulle ihnen und uns allen eine syste- 
matische Übersicht der gesamten Archäologie dar- 
bieten. Ths. Otto Achelis. 


PELADAN. L'art idéaliste et mysti- 
que précédé de la réfutation esthé- 
tique de Taine. Sansot & Cie., Paris. 
Frs. 3.50. 

Dentiefschürfenden, ästhetischen Untersuchungen 
von Lipps bis Worringer hat Frankreich so gut 
wie nichts gegenüberzustellen. Probleme, wie Fied- 
ler, Hildebrandt und Christensen sie sich gestellt 
haben, sind in Frankreich niemals aufgeworfen, 
niemals zur Diskussion gelangt. Darum mag 
Peladans Buch, das die Themen unserer deutschen 
Ästhetiker wenigstens berührt, hier ein paar Worte 
der Charakterisierung verdienen, vor allem, weil 
es eines der ganz wenigen Bücher ist, die die 
großen ästhetischen Probleme überhaupt erkennen. 
Das Buch erschien zum ersten Male vor sechzehn 
Jahren, als Streit- und Kampfschrift zur Zeit der 
Gründung des Salons de la Rose-Croix. Den 
Charakter einer Kampfschrift hat das Buch auch 
heute noch behalten. Es zieht sich teilweise durch 
den agressiven Ton, teilweise durch die flüchtige 
Behandlung großer Probleme auf ein niedrigeres 
Niveau herab als unsere ästhetischen Schriften. 
Die brutale und schwerfällige Abfertigung Taines 
kann in Deutschland nur einfältig wirken; denn 
Taines Mängel und Einseitigkeiten sind bei uns 
lange schon erkannt. Bedauerlich ist die apho- 
ristische Flüchtigkeit des zweiten und dritten 
Teiles, die immer nur an der Oberfläche der Pro- 
bleme bleibt. Der Wert des Buches liegt allein 
іп den Abschnitten über ,,l’art mystique, in denen 
der Verfasser die Seelenstimmung darzulegen ver- 
sucht, aus der zu allen Zeiten die große, klassische 
Kunst der Griechen, Michelangelos und Raphaels 
aufgestiegen ist. Künstler, die die Natur ab- 
schrieben, wie die holländischen Kleinmeister oder 
Courbet läßt Peladan nicht gelten; dagegen nur 
die, die aus übervoller Seele ein erhöhtes Ideal- 
bild des Seins schufen. Wagner, Beethoven, 
Michelangelo, Raphael, Dürer (Melancholie) sind 
seine Götter. Natürlich kämpft er auch gegen 
den Impressionismus. Das gibt dem Buch für 
Frankreich aktuelle Bedeutung. O. Grautoff. 


35 


DER CICERONE. 
Heft 22: 


ZOLTAN VON TAKACS, Die Neuerwerbungen des 
Museums für bildende Kunst in Budapest. (20 Abb.) 


Heft 23: 
а. B., Hugo von Tschudi +. 


ROBERT SCHMIDT, Neuerwerbungen des Berliner 
Kunstgewerbemuseums. (ro Abb.) 


HERMANN VOSS, Eine Grünewald-Fälschung des 
17. Jahrhunderts. (2 Abb.) 


GEORG JACOB WOLF, Stauffers Waldlandschaft 
von 1879. (1 Abb.) 


Heft 24: 
K. LOHMEYER, Ein Prunkjagdwagen des Kur- 
fürsten Karl Theodor von der Pfalz. (3 Abb.) 


ERNST STEINMANN, Hackert-Reliquien. (2 Abb.) 
C.F.R., Ein Studienblatt des Jan Vermeer. (1 Abb.) 


а. B., Das Bismarck-Denkmal am Rhein; ein SchluB- 
wort. 


— no 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 3: 

ROBERT BREUER, Die Neuerwerbungen der 
Nationalgalerie. (14 Abb.) 


MAX SCHMID, Das Kaiser Friedrich-Denkmal zu 
Aachen von Prof. Hugo Lederer-Berlin. 


WILHELM MICHEL, Neue Gemälde von Walther 
Püttner. (12 Abb.) 


ANTON JAUMANN, Architekt Eduard Pfeiffer, 
Berlin. (14 Abb.) 

DIE KUNST. 

Heft 3: 

HUGO HABERFELD, Ferdinand Hodler. (16 Abb.) 
WILHELM MICHEL, August Brömse. (7 Abb.) 


ALBERT DREYFUS, Jean Auguste Dominique In- 
gres. (т farb. Tafel nnd 22 Abb.) 


DEUTSCHE MONATSHEFTE. 
Dezember: 

KARL WIDMER, Rudolf Hellwag. (8 Abb.) 
MAX CREUTZ, Ein rheinischer Wirkteppich. 


KUNST UND KUNSTLER. | 
Heft 3: 


MAX EISLER, Spaziergänge von Josef Israels. 
(3 Abb.) 


KARL SCHEFFLER, Waldemar Rösler. (10 Abb.) 


WALTER CURT BEHRENDT, Das Berliner Stadt- 
haus. 


EMIL WALDMANN, Kiinstlerische Probleme in 
der vorklassischen Plastik. II. (13 Abb.) 


36 


JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST- 
SAMMLUNGEN. 

aa. Bd., IV. Heft (G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, 
GEORG HABICH, Der Augsburger Geschlechter- 
tanz von 1522. (1 Tafel in Lichtdruck und 9 Abb.) 
M. GEISBERG, Holzschnittbildnisse des Kaisers 
Maximilian. (1 farb. Tafel und 5 Abb.) 
ROBERT SCHMIDT, Die venezianischen Email- 
gläser des XV. und XVI. Jahrhunderts. (1 Licht- 
drucktafel und 21 Abb.) 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 8: 
WITTE, Eine Reliefgruppe des Jan Bormans. (т Ab- 
bildung, ı Tafel.) 
Neuerwerbung in der Sammlung des Freiherrn 
Albert von Oppenheim in Köln. 
SCHNÜTGEN, Heinrich Gabriel und Münde- 
lein, Die aus dem alten Klosterökonomiegebäude 
durch Umbau entstandene Kirche zu Listernohl. 
(9 Abb.) 
LADISLAUS PODLACHA, Abendländische Ein- 
flisse in den Wandmalereien der griechisch-orien- 
talischen Kirchen in der Bukowina. II. (5 Abb.) 


Heft 9: 

AUGUST SCHMARSOW, Altenburger Galerie- 

studien, L: Die Verkündigung, Kat.-Nr. 149. (1 Abb.) 
Statt „Schule von Bologna“ „Florentiner Schule 
der ersten Jahrzehnte des XV. Jahrhunderts“. 


LADISLAUS PODLACHA, Abendländische Ein- 
flüsse in den Wandmalereien der griechisch-orien- 
talischen Kirchen in der Bukowina, III. (Schluß). 
(7 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
Heft 2: 
CARL JUSTI, Zurbaran und kein Ende. (1 Abb.) 


HANS MACHOWSKY, L.P. als Zeichner. Auch 
eine Wiederentdeckung. (12 Abb.) 

MAX LEHRS, Jenny von Bary-Doussin. (1 Gra- 
vüre, 3 Abb.) 

HERMANN VOSS, Italienische Gemilde des 16. 
und 17. Jahrhunderts in der Galerie des Kunst- 
historischen Hofmuseums zu Wien. (22 Abb.) 


HERMANN STRUCK, Marcus Behmer. (2 Abb.) 


ORIENTALISCHES ARCHIV. 
Heft 1: 


C. GURLITT, Zur Topographie Konstantinopels 

im 16. Jahrhundert. (5 Abb.) 

J. KUDERNA, Turkmenenteppiche. (8 Abb.) 
Wendet sich gegen die vermutete Abhängigkeit 


der zentralasiatischen Knüpfkunst von der per- 
sischen. 


M. HARTMANN, Über einige Anlagen und Bau- 

werke Jarkands (Chinesisch-Turkestan). (12 Abb.) 

E. ZIMMERMANN, Wann ist das chinesische Por- 

zellan erfunden und wer war sein Erfinder? 
Nach einer Kritik verschiedener Hypothesen ge- 
langt der Verfasser zu dem Schluß, daß das Por- 
zellan in China um die Wende des 6. Jahrhunderts 
n. Chr. (Sui-Dynastie) vom damaligen Minister 
der öffentlichen Arbeiten Ho Chou bei dem Ver- 
suche, auf keramischem Wege Glas herzustellen, 
erfunden wurde. 

J. KURTH, Meisterinnen des japanischen Holz- 

schnittes. (6 Abb.) 
Sanki Ryu-jo (1. Hälfte des 18. Jahrhunderts), 
Hishikawa Osawa Nishikawa Omume, Kitagawa 
Sendai -jo (Gattin des Utamaro), Shinowana, 
Katsura Miki-jo, Kurikana -jo, Kunihita-jo, O-yei- 
jo u. v. a. 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 

Heft 2: 

O. DOERING, Balthasar Schmitt. (39 Abb., 2 Taf.) 
HANS SCHMIDKUNZ, Große Berliner Kunstaus- 
stellung 1911. 

J. W., Die Visitenkarte. 

O. DOERING, Ausstellungen in Rom. L 


Heft 3: 
DAMRICH, Zur Geschichte der Heiligenattribute. 
HUGO STEFFEN, Über Wiederherstellung, An- 
bauten u. Freilegung alter Kirchengebäude (Schluß). 
(7 Abb.) 
St. Georgskirchlein von Milbertshofen. (5 
Abb.) 
F. SCHMIDT, Eine gestickte Kasel aus dem Mittel- 
alter. (4 Abb.) 
Im Besitz des Erfurter Бош, zweites Viertel des 
13. Jahrhunderts. 
ANDREAS HUPPERTZ, Alfred Lüdke. dee Abb., 
2 Tafeln.) 
HANS SCHMIDKUNZ, Berliner Kunstbrief. 
О. DOERING, Ausstellungen in Rom. II. (Schluß.) 
PHILIPP MARIA HALM, Neuere Krippenkunst. 
(x Abb.) 


KUNST UND KUNSTHANDWERE. 
Heft 10: 
H. FISCHEL, Das moderne amerikanische Wohn- 
baus. (24 Abb.) 
P. G. KONODY, Die National Competition 1911. 
(12 Abb.) 
Hebt die Tendenz der englischen Kunstgewerbe- 
schule hervor, praktischen Bedürfnissen zu ge- 
nügen; daher die allgemeine Anlehnung an alte 
Vorbilder und der Untergang modernistischer 
Bestrebungen. 


O. MÜNSTERBERG, Zu den „Zahnstochern“ und 


„Netzemail“ der ‘Sammlung Figdor in Wien. (7 


Abb.) 


Publiziert einige einschlägige chinesische Stücke 
der Sammiung Knuth-Tsinanfu. ` 


E.W.BRAUN, Fugers Porträt des Prinzen Friedr. 

Wilhelm von Hohenlohe-Kirchberg. (2 Abb.) 
Hinweis auf die Elfenbeinminiatur in der Samm- 
lung Figdor und das große Fugersche Ölbild, 
das noch in Schloß Kirchberg erhalten ist. 


Heft 11: | 

W. THEOBALD, Die Goldschlägerkunst im Alter- 

tum und Mittelalter. (13 Abb.) 
Die Entstehung des Blattgoldes. Das Blattgold 
im alten Agypten und bei den vorderasiatischen 
Völkern. Die Israeliten. China. Indien. Alt- 
Griechenland und Rom. Spuren der Blattgold- 
schlägerei im Mittelalter. Das Luca-Ms. Die 
„Mappae Clavicula“. Theophilus. 


C. RUJE, Mexikanische Majoliken. (16 Abb.) 
J. FOLNESICS, Kopenhagener Porzellan. (6 Abb.) 


Besprechung des Werkes von Arthur Hayden: 
über die Geschichte des Kopenhagener Porzellans. 


REVUE DE L'ART CHRETIEN. 

Nr. 5: 

ANDRÉ BLUM, Des rapports des miniaturistes 
francais du XVe siècle avec les premiers artistes 
graveurs. (8 Abb.) 

E. CHARTRAIRE, Les tissus anciens du trésor 
de la cathedrale de Sens. II. (19 Abb.) 


RAYMOND KOECHLIN, Quelques ivoires gothi- 
ques francais connus antérieurement au XIXe siècle. 
II. (Schluß.) (16 Abb.) 


MELANGES: 
E. de Liphart, Nouvelles acquisitions du РА 
de 1 Ermitage A Saint-Petersbourg. (4 Abb.) 


J.Peyrot, Une découverte intéressante à Chartres. 
(7 Abb.) 

CHRONIQUE. (3 Abb.) 

BIBLIOGRAPHIE. © 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VII., Nr. 80, Novembre 1911. 

LEONCE BENEDITE, La peinture ER 
GASTON RAPHAEL, Dessins de Goethe. 


LEANDRE VAILLAT, L'art decoratif au Salon 
d’Automne. 


L’ART DECORATIF. О 

Nr. 160 und 161, Novembre, Decembre 1912. 
LOUIS VAUXCELLES, Le Salon d'Automne. 
MAURICE MAIGNAN, Coure de décoration. 
LOUIS PICARD, L’art wallon. 

FERNAND ROCHES, Porcelaines de Copenhague. 
MAURICE TESTARD, L'art et l'enfant. 


LA GRANDE REVUE. 
25. ХІ. 1911 — то. XII. 1911. 


GEORGES DEON ELIT EES: L'oeuvre de Gustave 
Moreau. 


ADOLPHE DERVAUX, André Methey. 
37 


REVUE D’EUROPE ET D’AMERIQUE. 
XIV., Novembre. 
PIERRON, Le sculpteur Pierron. 


— 


JOURNAL DES ARTS. 
XXII., Nr. 78/79. 
ROBERT PLE, La Renaissance francaise. 


LE FEU. 
Nr. 80. | | 
HENRI BERENGIER, Le Giorgione. 


L’ARTE. 

fasc. 5: 

LEONE PLANISCIG, Studii su la scultura vene- 

ziana del Trecento. (16 Abb.) 
Die Arca del rel. Odorico da Pordenone in Car- 
mine zu Udine; Versuch einer Rekonstruktion, 
Zusammenhang mit dem (gegen Venturi) kurz 
nach 1300 datierten Sarkophag des sel. Simeone 
in Venedig. 


LUIGI SERRA, Le origini dell’architettura Barocee: 
(17 Abb.) 

Hinweis auf barocke Züge bei Serlio und Palladio, 
im Gegensatz zu Vignola, Betonung der barocken 
Elemente bei den Oberitalienern: Sanmichele, 
Sansovino, Galeozzo Alessi. 


G.J]. HOOGEWERFF, Quadri olandesi e fiamminghi 
nella Galleria nazionale d’arte antica in Roma. 
(14 Abb.) 
Bilder von Breenbergh, Bamboccio, Helmbreker, 
Both, Remmers, Judith Leyster, P. de Hoogh, 
Bol. Neu ist die Zuweisung des Porträts von 
Don Giacomo di Barthos an Luigi Gentile. 

LISETTA MOTTA CIACCIO, Un codice miniato 

di scuola napolitona nella Biblioteca del Re in 

Torino. (2 Abb.) 

MARIA PEROTTI, Federico Zuccari. (3 Abb.) 
Einflüsse von Michelangelo, Parmegianino, Raf- 
fael, Correggio, Sebastiano del Piombo, Baroccio 
auf Zuccari. 

Cronaca. Bollettino bibliografico. 


fasc. 6: 
P. LIBAERT, Un'opera sconosciuta di Guglielmo 
Giraldi. (6 Abb.) 
Neuerworbener Kodex der Ambrosiana nach einer 
(abgekürzten) Signatur auf den Ferrareser Gug- 
lielmo Giraldi bestimmt. 
LEONE PLAUISCIG, Studii su ia scultura vene- 
ziana del Trecento. (20 Abb.) 
. Grabdenkmàler in Udine und Venedig, Portale 
in Vicenza, Gemona und Venzone, darunter viel 
unpubliziertes Material. 
MARIA PEROTTI, Federigo Zuccari. (2 Abb.) 
Schiuß des Artikels in Heft 5. 
MARIO SALMI, Una pittura ignorata di Guglielmo 
de Marcillat. (Abb.) 
Verktindigung Mariae bei den Franziskanern von 
Sargiano (Arezzo), 1524 dem Meister in Auftrag 
gegeben. 


38 


LUDOVICO FRATI, Un’opera ignota di Vitale da 
Bologna. 
Dokumente, aus denen das Geburtsdatum (c. 1320) 
und die Tatsache hervorgeht, daß der Künstler 
in der Jugend als Bildhauer tätig war. 
A. BERTINI CALOSSO, Le mostre retrospettive 
in Castel Sant’ Angelo. (ro Abb.) 
L. VENTURI, Opere d’arte a Maggio e a S. Pietro 
di Zuglio. (10 Abb.) 


_———— 


RASSEGNA D’ARTE. 
fasc. то: 
GIUSTINO ORISTOFONI, Le vetrale del 300 nella 
Basilica inferiore di Assisi. (8 Abb.) 
Fortsetzung aus fasc. 9. Behandelt die Glasfenster 
des Giovanni Bonino d’Assisi und seiner Schule. 
ALESSANDRO DEL VITA, Nuovi documenti sui 
pittori Bartolommeo della Gatta, Lorentino d’Andrea, 
Angelo di Lorentino e Domenico Pecori. 
LORENZO FIOCCA, Trebula Mutusca, chiesa di 
Santa Vittoria in Monteleone Sabino. (9 Abb.) 
L. CAMPI, Un ritratto attribuito a Sebastiano del 
Piombo. (Abb.) 
Kardinalsbildnis im Besitz des Verfassers, dem 
von J.Breck publizierten Bildnis der Sammlung 
Davis in Newport stilistisch verwandt. 
LEANDRO OZZOLA, Uno scultore lombardo del 
Rinascimento. (2 Abb.) 
Ambrogio Montevechi aus Mailand, Urheber eines 
Altars mit der Kreuzigung in der Kathedrale zu 
Piacenza (1504). 


fasc. II: 

UMBERTO GNOLI, Una tavola sconoscinta di 

Giovan Bellini. (Abb.) | 
Madonna mit Kind aus der mantegnesken Periode 
des Meisters beim Principe Potenziani zu Rieti. 

PIETRO PICCIRILLI, Monumenti dell’ Italia meri- 

dionale. Marsica e Cicolano. (16 Abb.) 
Mittelalterliche Kirchen, Hiuser und dekorative 
Arbeiten in Pescina, 8.Benedetto, Cappelle, Corvaro 
und Borgocollefegato. 

UMBERTO GIAMPAOLI, Le tombe di Lorenzo 

Cibo e di Eleonora Malaspina nella Chiesa di S. 

Francesco in Massa. (4 Abb.) 

GUIDO CAGNOLA, Il furto del dipinto di Lorenzo 

Lotto, la Madonna col figlio ed angeli dal palazzo 

municipale di Osimo. (Abb.) 


MUSEUM. 
Heft 8: 
R. DOMENECK, Exposiciòn de Artes decorativas. 
(7 Abb.) 
Bespricht die vom Circulo de Bellas Artes in 
Madrid veranstaltete Ausstellung modernen spa- 
nischen Kunstgewerbes. | 
А. L. MAYER, Una exposiciön retrospectiva de 
pintura española en Munich. (8 Abb.) 
Betrifft die Ausstellung spanischer Gemälde in 
der Galerie Heinemann in München. 


M. RODRIGUEZ CODOLA, Nestor Martin Fernan- 
dez de la Torre. (Farbentafel, 9 Abb.) 
Betrifft einen katalanischen Künstler, der als 
Maler und Graphiker tätig ist. 
J. AGAPITO Y REVILLA, El Colegio de S. Gre- 
gorio de Valladolid. (6 Abb.) 
Studie über diese am Ende des 15. Jahrhunderts 
vom Bischof Franz Alonso de Burgos gegründete 
Hochschule — ein hervorragendes spätgotisches 
Baudenkmal — mit wichtigen historischen Doku- 
menten. 


Heft 9: 

J. AGAPITO Y REVILLA, EI Colegio deS. Gregorio 

de Valladolid. (8 Abb.) 

Fortsetzung des Aufsatzes aus dem vorhergehen- 
den Heft. 

E. ROMERODE TORRES, Valdés Leal. (15 Abb.) 
Behandelt einige bisher unpublizierte Gemälde 
und Zeichnungen dieses Sevillaner Meisters. 

M. RODRIGUEZ CODOLA, Una tabla del siglo 

XV. (Farbtafel.) 


Darstellung des Ы. Michael mit der Seelenwage, 
Eigentümer nicht genannt. 


Heft то: 
J. GUDIOL Y CUNILL, Una casulla del museo de 
Vich. (Farbtafel, 10 Abb.) 


Behandelt eine vermutlich italo - sarazenische 
Kasel mit eingesetzter gotischer Stickerei und 
einige verwandte Stücke aus Barcelona. 


M. RODRIGUEZ CODOLA, La „Gioconda“. (2 Abb.) 
Gegenüberstellung des Originals und derMadrider 
Kopie. 

A. GASCON DE GOTOR, Campanarios umdejares 

de Aragon. (15 Abb.) 

Vorzügliche Aufnahmen maurischer Glocken- 
türme in Aragon. 


LES ARTS. 
Novembre. 
La Collection de Madame Louis Stern. 
I. CARLE DREYFUS, Les objets d’Art. (19 
Abb. 
П. ae GUIFFREY, Les tableaux. (14 Abb.) 
MAURICE HAMEL, Salon d’Automne. (9 Abb.) 


HIPPOLYTE GAUTIER, Un portrait de femme 
par L.-M. Van Loo. (1 Abb.) 


THE STUDIO. 
December. 


AXEL GAUFFIN, The landscape paintings of 
Prince Eugen of Sweden. (11 Abb.) 


T. MARTIN WOOD, The water-colours of Marins 
A. J. Bauer. (14 Abb.) 


ISIDORE KONTI, A Hungarian sculptor in Ame- 
rica. (8 Abb.) 


FRANK RUTTER, The portrait paintings of John 
Duncan Fergusson. (6 Abb.) 


39 


WALTHER EGGERT WINDEGG, Künstlers 
Erdenwallen. Briefe von Moritz v. Schwind. C.H. 
Becksche Verlagsbuchhandlung, Oskar Beck, Mün- 
chen. Preis М. 3.50 (Leder М. 6.—). 


WILHELM HAUSENSTEIN, Rokoko. Verlag R. 
Piper & Co., München. 


WERNER WEISBACH, Impressionismus. Ein 
Problem der Malerei in der Antike und Neuzeit. 
BandII. G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, Berlin. 


MAX von BOEHN, Biedermeier. Deutschland von 
1815—1847. Verlag Bruno Cassirer, Berlin. 


KARL SCHEFFLER, Die Nationalgalerie zu Berlin. 
Ein kritischer Führer. Mit 200 zum Teil mehr- 
farbigen Abbildungen. Verlag ebenda. 


JULIUS VOGEL, Die Gemäldesammlung Emil 
Meiner in Leipzig. Privatdruck. 


FRIEDRICH RINTELEN, Giotto und die Giotto- 
Apokryphen. Verlag Georg Müller, München. 


CARL HORST, Barockprobleme. Verlag Eugen 
Rentsch, München. 


ALFRED LAUTERBACH, Die Renaissance in 
Krakau. Verlag ebenda. 


PAUL CLEMEN, Die Kunstdenkmäler der Rhein- 
provinz. 7. Bd., I. Abt.: Die Kunstdenkmäler der 
Stadt Köln. 2.Bd., L Abt.: Die kirchlichen Denk- 
mäler der Stadt Köln. Bearbeitet von Hugo 
Rathgens. Druck und Verlag von L. Schwann, 
Düsseldorf. Preis geh. M. 5.—, geb. M. 6.50. 


AUGUST SCHMARSOW, Juliano Florentino, ein 
Mitarbeiter Ghibertis in Valencia. Verlag B. G. 
Teubner, Leipzig. Preis geb. M. 4.—. 


HEINRICH BROCKHAUS, Michelangelo und die 
Medici - Kapelle. II. verbesserte Auflage. Verlag 
Е. A. Brockhaus. Preis geh. М. 4.—. 


LEO STERNBERG, Der Westerwald. Im Auftrage 
des Westerwaldklubs herausgegeben. Verlag von 
August Bagel, Düsseldorf. Preis brosch. M. 4.50, 
geb. M. 5.50. | 


EMIL GUTMAN, Das Großherzogl. Residenzschloß 
zu Karlsruhe. (Zeitschrift für Geschichte der Archi- 
tektur, Herausgegeben von Dr. phil. Fritz Hirsch. 
Beiheft 5.) Verlag Carl Winters Universitätsbuch- 
handlung, Heidelberg. 


PAUL LAFOND, Roger van der Weyden. (Col- 
lection des Grandes Artistes des Pays-Bas.) О. van 
Oest & Cie., Brüssel-Paris. 


H. WÖLFFLIN, L’art classique. Initiation au genie 
de la renaissance italienne. Traduit de l’Allemand 
sur la quatrieme édition par Conrad de Mandach. 
Librairie Renouard, H. Laurens, Editeur, Paris. 


KARL WOERMANN, Von Apelles zu Böcklin und 
weiter. Gesammelte kunstgeschichtliche Aufsitze, 
Vorträge und Besprechungen. I. Bd. bis zum sieb- 
zehnten Jahrhundert. П. Bd. seit dem siebzehnten 
Jahrhundert. Paul Neff, Verlag (Max Schreiber), 
Esslingen. Preis geh. М. 36.—, geb. М. 40.—. 


V. Jahrgang, Heft I. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz, 
WaldmannstraBe т71. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 

Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr.M.K. ROHE, München, Clemensstr. 105. / In ÖSTER- 
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN 
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer- 
straat 22. | In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. / In der SCHWEIZ: 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 


Montags 10— 1a und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telefon: Amt Groß-Lichterfelde 456. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlicheg 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


40 


Tafel 


Abb. 1. Der Gewalttitige, B. 92 


Zu: F. VON SCHUBERT-SOLDE RN, ZUR ENTWICKLUNG DER TECHNISCHEN UND KÜNSTLERISCHEN 
AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb.2. Madonna mit der Heuschrecke, B. 44 


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Abb. 4. Die vier Hexen, B. 75 


Abb. 3. Madonna mit der Meerkatze, B. 42 


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Abb. 5. Der verlorene Sohn, B. 28 


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AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb. 6. Die Eifersucht oder „Der Große Herkules‘, B 


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AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb.7. Sankt Eustachius, B. 57 


Zu: F. VON SCHUBERT-SOLDERN, ZUR ENTWICKLUNG DER TECHNISCHEN UND KÜNSTLERISCHEN 
AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb. 8. Große Fortuna (Nemesis), B. 77 


Zu: F. VON SCHUBERT-SOLDERN, ZUR ENTWICKLUNG DER TECHNISCHEN UND KÜNSTLERISCHEN 
AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb. 9. Der Sündenfall, B. ı 


Zu: F. VON SCHUBERT-SOLDERN, ZUR ENTWICKLUNG DER TECHNISCHEN UND KÜNSTLERISCHEN 
AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb. 12. Ritter, Tod und Teufel, B. 98 


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AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb. 13. Die Melancholie, B. 73 


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Abb. 14. Der heilige Hieronymus im Gehäus, B. 60 


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AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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Abb. 15. Der heilige Antonius, B. 58 


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AUSDRUCKSMITTEL IN DÜRERS KUPFERSTICHEN 


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| Tafel 15 


FRANCESCO GUARDI, Das Te Deum zu Ehren von Pius VI. in der Kirche von SS. Giovanni e Paolo (Venedig) 


Paris, Groultsammlung 


Zu: GEORGE A. SIMONSON, DAS ZEREMONIENSTÙCK VON GUARDI IN DER GROULTSAMMLUNG ZU 
PARIS 


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ANDREA MANTEGNA, Bildnis eines Geistlichen 
| Florenz, Palazzo РИЧ baum des Hauses Medici) Wien, Albertina 


FRA FILIPPO LIPPI, Bildnis des Carlo de’ Medici. 
(Detail aus dem Fresko „Die Beweinung des hl. Stepha- 
nus im Dom zu Prato) 
/ , 


Zu: EMIL SCHAEFFER, EIN MEDICÄER-BILDNIS VON MANTEGNA 


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WISSENSCHAF de 


ans ‘HEF T2— FEBRUAR 191 
М АС KLINKHARDTEBIERMANN:ERIPZIC 


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ABHANDLUNGEN 


FR. FRIEDRICH LEITSCHUH, Zur 
Geschichte der Malerei in Würzburg 
im XV.— XVI. Jahrhundert.. S. 41 

F. W. GAERTNER, Zwei bisher unbe- 
kannte Jugendwerke Martin Schon- 
gauers und Beitrag zur Bestimmung 
seines vielumstrittenen Geburtsjahres. 
Mit 2 Abbildungen auf 1 Tafel S. 52 

G.DEHIO, Aus den Anfängen des Rea- 
lismus in der deutschen Plastik des 
15. Jahrhunderts. Mit 4 Abbildungen 
auf ı Tafel S. 61 


MISZELLEN 


Gotische Kölner Plastiken im Depot des 
Großh. Hess. Landesmuseums zu Darmstadt 
(Habicht). Mit 4 Abbild. auf 1 Tafel . 

Das König Wenzel-Fresko in der Morits- 
kapelle zu Nürnberg (Kehrer). Mit 1 Abbild. 


LITERATUR ` 


Andreas Aubert, Die norwegische Malerei im 
XIX. Jahrh. 1814— 1900 (Sievers) . . 8. 67 


A. S. DREY 


Königl. Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximillanstraße 39 
PARIS, 39 Rue La Boetie 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abonnementspreis halbjährlich ra M., zusammen mit dem CICERONE 18 M. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 2 


LIONEL CUST, Notes on Pictures in re 
Collections (Singer 8. 67 


Reinach, Salomon, Répertoire de peintures 
du Moyen-Age et de la Renaissance, t. so 
1905 — 1910 (Möller) ........... 8. 6 

E. van Overloop, Dentelles Anciennes des 
Musées Royaux des Arts Decoratifs et Indu- 
striels à Bruxelles (Schuette) ...... 8. 69 


Corrado Ricci, Baukunst u. dekorative Skulp- 
tur der Barockzeit in Italien (Voss) . . 8. 70 


M. Sauermann, Die gotische Bilidnerei und 
Tafelmalerei in der Dorfkirche zu Kalchreuth 
(Gebhardt) ................. 8. 70 

Oskar Doering, Deutschlands mittelalterliche 
Kunstdenkmäler alsGeschichtsquelle (Lüthgen) 

8. 71 


Anton Genewein, Vom Romanischen sum 
Empire. Eine Wanderung durch die Kunst- 
formen dieser Stile (Brinckmann) ...8.72 

Jules Coulin, Die sozialistische Weltanschau- 
ung in der französischen Malerei (Balzer) 8.73 

Manet, 48 Planches hors-texte, accompagnées 
de 48 notices rédigées par Jean Laran et Ge- 


orges Le Bas précédées d'une introduction 
de Louis Hourticq (Grautoff) ...... 8. 73 
Rundschau 8. 74 


Ausstellung 


kostbarer Antiquitäten + Ein- und 
Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Gemälde, Porzellane, Möbel und 


Antiquitäten jeder Art. 


JULIUS BÖHLER - MÜNCHEN 


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AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITATEN 


ZUR GESCHICHTE DER MALEREI IN 
WÜRZBURG ІМ XV.—XVI. JAHRHUNDERT) 


000000000000006000000000200000000000000000000000000000000020000000000 Von FR. FRIEDRICH LEITSCHUH 


s wäre vielleicht zuviel behauptet, wollte man annehmen, daß Würzburg im 

XV. Jahrhundert eine selbständige Malerschule besessen hat. Aber fraglos 
ist, daß ein überaus lebhafter Betrieb auf dem Gebiet der Decken- und Tafelmalerei 
dort herrschte und daß eine Reihe von Aufträgen, auch von auswärts, an Würz- 
burger Maler erging, die in großer Zahl nachweisbar sind. 

Die Geburtsstunde der Malerei in Würzburg schlug bereits im XIV. Jahrhundert, 
als ein weitberiihmter Maler und Bildschnitzer, Meister Arnold?), dort auftauchte, 
den der Dichter der Minneburg verherrlicht und den noch ein Jahrhundert später 
Hans Rosenpliit, der „Schnepperer“, in seiner Gießener Spruchsammlung rühmt, 
jener Dichter, der in seinem patriotischen Stolze sonst immer nur über den Glanz 
und die Blüte seiner Vaterstadt Nürnberg begeisterte Worte zu finden weiß. 

Die Anfänge der Malerei Würzburgs lassen sich zunächst im Dienste der Bild- 
nerei verfolgen, denn die plastische Arbeit, die Figur sowie das Ornament, konnte 
der farbigen Bemalung nicht entbehren; der künstlerische Eindruck der zahllosen 
Grabdenkmäler der Bischöfe und Ritter wurde durch das farbige Element ebenso 
erhöht wie die Wirkung der Statuen und der Reliefs an den Kirchenportalen. 

In einer so kirchenreichen Stadt, wie es das mittelalterliche Würzburg war, fand 
die Malerei einen fruchtbaren Boden; den frommen Meßstiftungen folgte nicht selten 
die Stiftung eines Altarbildes, und manche für den Gebrauch der Kirche bestimmte 
liturgische Handschrift wurde mit Initialen und Miniaturen reich versehen. Dazu 
kommt noch, daß der kunstliebende fürstbischöfliche Hof, persönlich teilnehmend, 
mit großer Freigebigkeit fortgesetzt Maler und Zeichner in seinem Dienst beschäf- 
tigte. Die Aristokratie der Bildung und des Besitzes folgte seinem Beispiele. Im 
wesentlichen ist die Kunstpflege in der alten Mainstadt eine Frucht der Religion, 
aber auch das Alltagsleben und noch mehr die nicht seltenen Tage hochgestimmter 
Festesfeiern verlangten nach der Stimmung schaffenden heiteren Anmut und nach 
äußerem Prunk und selbst die Schule begehrte hier die Mitwirkung der künst- 
lerischen Unterweisung. 

In der Kunstprovinz Würzburg gewahren wir ein stetes Kommen und Gehen 
der Meister. Konrad Maler von Würzburg zieht 1477 nach Niirnberg*), Konrad 
Lukas von Breslau läßt sich in der Mainstadt nieder usw. Aber von Bedeutung 
ist, daß sich doch eine führende Malerfamilie nachweisen läßt: die Familie Maeler 
(auch Moler und Möler), deren Auftreten und Wirksamkelt wir durch einige Gene 
rationen hindurch verfolgen können. 

Das Dokument, das uns über die Maler des XV. Jahrhunderts in Würzburg Auf- 
schluß gibt, ist das Zunftregister, und als der erste Maler, mit dem es anhebt, wird 
Kunz Maeler genannt, ein Würzburger Kind. 


(1) Verzeichnis Würzburger Maler, Bildhauer und Glaser. Pergamenthandschrift im Germ. Museum, 
Nürnberg. Vgl. Deutsches Kunstblatt 1851, S. 404 ff. und Mitteilungen aus dem Germ. Nationalmuseum 
1890, S. a5 ff. 

(a) Vgl. F. F. Leitschuh, Würzburg (Berühmte Kunststätten), S. 111 ff. 

(3) Vgl. Repertorium für Kunstwissenschaft XXIX. Bd. 1906, S. 341 (Albert Gümbel, Archivalische Bei- 

träge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte). 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 2. 4 41 


Er empfing seine künstlerische Erziehung durch seinen Vater, der ebenfalls in 
Würzburg bis 1471 als Maler tätig war. Über die von Kunz Maeler in Würzburg 
ausgeführten Werke sind keine Nachrichten erhalten; er ist aber identisch mit dem 
1477 nach Nürnberg ziehenden Meister Konrad, den Thode!) irrtümlich mit dem 
Meister Konrad Mut identifizierte. 

Der alte Würzburger Meister Maeler besaß zwei Söhne, den älteren oben er- 
wähnten Konrad, der in Würzburg mit dem Kosenamen Kunz genannt wurde, und 
den jüngeren Klaus, der ebenfalls Maler war. Bald nach dem Tode ihres Vaters 
trennten sich ihre Wege. Ein Prozeß, den sie 1472 um die väterliche Verlassen- 
schaft führten, erzählt uns von den Ursachen der Entzweiung des Briiderpaares. 
In diesem Erbschaftsprozesse werden aber zwei von dem Vater Maeler hinter- 
lassene Arbeiten genannt: ein gemalter Traghimmel?), also ein Baldachin, dessen 
Stoff mit einer religiösen Darstellung geschmückt war, und ein Gemälde, das auf 
15 fl., nach damaligem Geldwerte ziemlich hoch, geschätzt war. 

Konrad Maeler, der Sohn, ist wenige Jahre nach Beendigung des Prozesses nach 
Nürnberg übergesiedelt, wo er uns als „Illuminierer“ auf der Lorenzer Seite be- 
gegnet; er kehrte aber, obwohl er das Bürgerrecht in Nürnberg erwarb, wieder 
nach Würzburg zurück, wo er, ebenso wie sein Bruder Klaus, starb. 

Der Nachkomme eines dieser Brüder war der zu Würzburg geborene Simon 
Maeler, der als Maler und Musiker — er war Organist der Marienkapelle — eine 
ähnliche Doppelstellung im Kunstleben Würzburgs einnahm, wie später Paul Lautensack 
in Bamberg. Vor allem geben uns die Rechnungen der Stadt willkommenen Auf- 
schluß über die Art seiner besonderen Befähigung. 

Nach einer alten Tradition stammt die reiche Festdekoration im frühgotischen 
sogen. Wenzelsaal des Würzburger Rathauses aus jener an unerfüllten Hofinungen 
überreichen Zeit, als König Wenzel bei den neuen „Reichsbürgern“ Einkehr hielt. 
Es handelt sich um eine baldachinartige, in gotischem Rankenwerk ausgeführte 
Dekoration an der Ostseite des Saales. Über diesem gemalten Thronhimmel er- 
scheinen in Schildbogen zusammengesetzte Wappen, unter denen der doppelt ge- 
schwänzte Löwe nachweisbar ist*). Es unterliegt keinem Zweifel, daß der heute 
in Deutschland einzigartige Saal schon in älterer Zeit mit Wappen geschmückt war 
und daß er als eines der ältesten Denkmäler deutscher Wappenkunst in Betracht 
zu kommen hat, im gewissen Sinne als eine Fortsetzung der Handschrift des „Gel- 
dener Herold“. 

Ähnliche Festdekorationen in Profanbauten gehörten im feudalen Mittelalter nicht 
zu den Seltenheiten. Ich erinnere nur daran, daß in den Jahren 1305/06 ein aus- 
gedehnter Zyklus von Wappen in dem unteren Saal des Hauses „Zum Loch“ in 
Zürich aus Anlaß des Besuches des Königs Albrecht und seines Kanzlers entstand 
(heute im Landesmuseum in Zürich). 

Eine Erneuerung und Ergänzung aber erfuhr die festliche Dekoration, die unter 
Bischof Julius leider unter der Tünche verschwand und erst im XIX. Jahrhundert 
wieder aufgedeckt wurde, im späten XV. Jahrhundert durch Simon Maeler. 1483 
malte er an dem inneren Getäfel des Erkers im Rathause „allerlei lustig Gezier“, 
von dem noch Spuren vorhanden sind. Dann läßt sich seine Tätigkeit für den 
Methof (curia Medonis), die städtische Lager- und Verkaufsstätte für Bier und Wein, 


(1) Die Malerschule von Nürnberg, 1891, S. 266. 
(2) Vgl. Bock im Organ für christliche Kunst 1862, S. 21—22. 
(3) Vgl. Bernatz, Der Grafen Eckartbau zu Würzburg, 1899, S. тїї. 


42 


nachweisen, in dem nach einem bereits 1473 gefaßten Beschlusse eine „gebührliche 
Ratstube“ eingerichtet werden sollte. 1483 „färbte“ Simon Maeler den neuen Ofen 
im Methofe und malte „Vögel und Gewächse“ in die neugestaltete Ratstrinkstube, 
alles um 6 Pfund Geldes fränkischer Wé&ahrung'). 1485 malte er um 4 Pfund 
18 Pfennige die Kapelle des Rathauses, die den Heiligen Felix und Adauktus ge- 
weiht ist, ferner ein „Panierlein in der Stadt Gewölblin“ und endlich „etliche Bretter 
zum neuen Häuslein zu Bleichach“. Mit dem letzteren ist der Neubau eines städti- 
schen Hauses im Pleichacher Viertel gemeint, in dem die Viertelmeister, Sechser 
und übrigen Bürger ihre Versammlungen abhielten?). 

Des Meisters dekorative Kunst kam auch in den Gemächern auf dem Schlosse 
Marienberg, die als vorbildliche Sehenswürdigkeiten ihrer Zeit galten, zur Entfaltung. 
Als der Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer 1495 den greisen Bischof Rudolf von 
Scherenberg besuchte, schilderte er den Reichtum des Schlosses Marienberg und 
erzählte u. a.: „Ascendensque Stubellam quandam viridi colore depictam, loci situm 
diligenter speculabar, et plura alia“). 

Simon Maelers Hand hat mit der anmutig heiteren Dekoration, die er den Ge- 
mächern des Rathauses und des Schlosses zu Würzburg verlieh, Proben seiner Ge- 
schicklichkeit in der Ausmalung größerer Räume gegeben. Sein ornamentaler 
Dekorationsstil, der ein freies, malerisches Beieinander, ein lustiges Spiel von Ge- 
stalten und Formen pflegte, läßt auf eine nichtungewöhnliche Gewandtheit schließen. 

Diese ausgesprochen dekorative Befähigung Simon Maelers machte ihn auch 
zum eigentlichen Wappenmaler und in dieser Eigenschaft konnte er nicht nur dem 
Familienstolz der adligen Geschlechter schmeicheln, sondern auch den Reichtum 
des feierlichen Gepränges bei manchem Anlaß mehren. So spielte er 1498 bei dem 
Trauergottesdienst für den Ritter Moriz von Schaumberg nicht nur die Orgel in 
der Domkirche, sondern malte auch zwei Wappenschilder: „qui ceinit in organis 
ac duos depinxit clipeos“ lauten die Worte der Rechnung. Ebenso stellte er seine 
Wappenkunst bei den Exequien für den Herzog Otto von Bayern zur Verfügung 
und fertigte abermals zwei Wappenschilde. Die Domstiftsbaurechnung von 1508 
erwähnt, daß dem Meister Simon, „dem clein malerlein“ für etliche Wappen 2 Pfund 
24 Pfennige gezahlt worden seien. Daß er auch untergeordnetere Arbeiten über- 
nahm, wie alle Meister dieser Zeit, auch in Italien, beweist ein weiterer Eintrag, 
der uns berichtet, daß er 1505 in der Domkirche um 5 Gulden r Ort „einen newen 
Zeyger“ gemalt und vergoldet und „die new hore mit rott farb für rost“ gefaßt 
habe; ausdrücklich ist dabei die Mitwirkung eines Gesellen erwähnt. Daran an- 
schließend sei noch eines, allerdings recht wenig bedeutungsvollen Eintrages vom 
Jahre 1491 gedacht, der sich in der Rechnung des geistlichen Fiskalats in Würz- 
burg befindet; nach diesem Vermerk hat Simon Maeler für die genannte Stelle die 
spangrüne Farbe zur Verfertigung des Siegelwachses geliefert. 

Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß Simon Maeler auch Miniatur- 
maler war. Nach der Rechnung der Liebfrauenkapelle zu Würzburg, der der 
Meister, wie erwähnt, als Organist diente, malte er 1493 in ein zum Besitzstand der 
Kapelle gehöriges Missale die Darstellung des Gekreuzigten um ı Pfund 12 Pfennige. 


(1) Später, im XVI. Jahrhundert, wurden die Wände der „grünen Stube“ mit drei Gemälden: David, 
Salomo und Hieronymus geschmückt; in der großen Stube hingegen hingen im XVII. Jahrhundert 
bildliche Darstellungen der heiligen Dreifaltigkeit, der Muttergottes und der Stadt Jerusalem. 

(2) Vgl. Oegg, Entwicklungsgeschichte der Stadt Würzburg, herausgegeben von A. Schäffler 1880, 
S. 376. 

(3) Vgl. Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken, XIV. Bd. 1858. 


43 


Als vielbeschäftigter Rivale des Meisters Simon auf dem Gebiete der Würz- 
burger Miniaturmalerei erscheint übrigens um dieselbe Zeit ein Frater des Domini- 
kanerordens, Hans Müller. Die Vielseitigkeit des „klein Malerleins“ erklärt es, daß 
er einen sehr ausgedehnten Werkstattbetrieb unterhielt; in dem Zunftregister 
werden als seine Schüler bezeichnet: Steffan Dittmer, Christoph Zeller, Martin 
Bagel, Philipp Schreck, Bernhardt, des Georg von Grumbach Knecht, Kilian Steyn 
und Hans Weyssel von Bamberg. 

Als weitere Angehörige der Malerfamilie Maeler werden Peter und Gallus Maeler 
in dem Register der vereinigten Künstlerzunft zu Würzburg als älteste Maler mit 
aufgeführt; von ihrem Schaffen wird uns indes keine nähere Kunde. 

Der eigentliche Monumentalmaler Würzburgs um die Mitte des XV. Jahr- 
hunderts scheint der nicht der Zunft angehörige Konrad Gümplein gewesen zu 
sein. Von ihm wird besonders hervorgehoben, daß er Freskomaler war, daß er 
auf nassen Kalk malen konnte. Gerade damals wurden die Wandflächen vieler 
der Würzburger Kirchen und Kapellen mit Schilderungen religiöser Gegenstände 
geschmückt. 1460 malte Konrad Gümplein in den Chor der Marienkapelle, in der 
Nähe der Orgel, einen großen Heiligen Christophorus. Leider ist diese Fresko- 
malerei nicht erhalten geblieben; sie mußte 1535 unter der Tünche verschwinden. 
Eine andere Schöpfung des Meisters für dieselbe Kirche war eine auf „Gölsch“ 
(Leinwand) gemalte Darstellung des „Jüngsten Gerichtes“, von der ebenfalls jede 
Spur verschwunden ist. 

Zu den ältesten Malern Würzburgs gehört auch Meister Lukas von Breslau; es 
scheint mir sehr fraglich, ob er mit dem etwa gleichzeitigen Würzburger Illuminator 
Konrad Lukas identifiziert werden darf, der in der sog. Tatzrechnung des Würz- 
burger Domkapitels 1481 erscheint und wenige Jahre nachher gestorben zu sein 
scheint. 

Vielleicht gehört — wie ich vermute — Meister Lukas von Breslau nicht zu 
den kleinen hausbackenen Provinzmeistern und ist für die kunstgeschichtliche 
Forschung von einer gewissen Bedeutung. Vielleicht steht er dem „Breslauer 
Meister von 1447“ nicht allzu ferne!). Es unterliegt keinem Zweifel, daß das bekann- 
teste Werk dieses Meisters, der Barbaraaltar (heute im Museum schlesischer Alter- 
tümer zu Breslau), von ausgesprochen fränkischen (Nürnberger) Einflüssen durch- 
zogen ist. Dieses Altarwerk zeigt in der Mitte die Heilige Barbara, links den 
Heiligen Felix in priesterlicher, rechts den Heiligen Adauktus in vornehmer welt- 
licher Tracht. Wenn es nun auch unzweifelhaft ist, daß der Altar für die Barbara- 
kirche in Breslau ausgeführt wurde, so besteht doch wahrscheinlich ein Zusammen- 
hang zwischen den beiden männlichen Heiligenfiguren und dem Altare der Rats- 
kapelle in Würzburg. Die letztere Kapelle besitzt eine Meßstiftung zu Ehren der 
beiden Heiligen, die ihr den Namen gab; sie bewahrte auch ein, heute verschol- 
lenes Altarwerk mit der Darstellung der beiden Märtyrer. Der Tag der beiden 
Heiligen (30. August) wurde in Würzburg von Ratswegen alljährlich festlich mit 
Kirchgang und Imbiß begangen. 

Meister Lukas von Breslau scheint während einer Reihe von Jahren in Wiirz- 
burg, wohin er wohl von Nürnberg aus gekommen war, gearbeitet zu haben. Daß 
er aber in der Mainstadt kein festansässiger Meister war, geht daraus hervor, daß 
von ihm keine Schüler im Zunftbuch namhaft werden. Obwohl er kaum mit dem 
Meister von 1447 identifiziert werden darf, möchte ich doch darauf hinweisen, daß 


(т) Thode, Die Malerschule von Nürnberg, 1891, S. 83. 


44 


in annähernd dieselbe Zeit, in der der Breslauer Altar zur Ausführung gelangte, 
die Herstellung des Altars für die Würzburger Ratskapelle fällt. Ob Reliquien 
der beiden Märtyrer in der Barbarakirche in Breslau aufbewahrt wurden, die es 
rechtfertigen, daß der Meister des Altarwerkes zu der Patronin der Kirche die 
beiden erwähnten Heiligen gesellte, kann ich nicht feststellen. Aber die Verwen- 
dung der beiden Figuren auf dem Barbaraaltar wäre jedenfalls unterblieben — die 
außerordentliche Seltenheit der bildlichen Darstellung der Heiligen Felix und 
Adauktus brauche ich kaum besonders hervorzuheben — wenn nicht der Maler aus 
einer Stadt gekommen wäre, in der der Kultus dieser beiden Heiligen längst volks- 
tümlich war, in der sie ihre eigene Kapelle besaßen, in der ihr Andenken alljähr- 
lich festlich erneuert wurde mit „fröhlich nachtmahl und Tanz“, weil an diesem 
Tag im Jahre 1304 König Albrecht die alten Rechte und Freiheiten Würzburgs in 
Schutz genommen und ein frohes Fest mit den Bürgern gefeiert hatte. 


Bedauerlicherweise bieten die Urkunden keine sichere Handhabe zur Ermittlung 
des hochbedeutenden Meisters der im Germanischen Museum bewahrten Kreuzigung 
und des Bildnisses eines Geistlichen, die beide aus der Freiherrlich von Zu Rhein- 
schen Sammlung aus Würzburg stammen und nach einer alten Tradition auch in 
Würzburg entstanden sein sollen. Robert Vischer!) hat zuerst in der Literatur die 
Vermutung ausgesprochen, der „Wolgemut an Kunst um ein beträchtliches über- 
ragende, aber mit ihm sehr verwandte Meister“ könne ein Würzburger sein. Von 
den erwähnten Würzburger Malern kämen zeitlich in Betracht Konrad Maler, der 
1477 nach Nürnberg zog, außerdem Meister Lukas von Breslau und Konrad Giimp- 
lein. Bei dem Mangel jedes stilkritischen Anhaltspunktes — wir kennen annähernd 
den Grad der Befähigung, aber nicht die Malweise dieser Meister — wäre es ein 
müßiges Unterfangen, lediglich auf Grund zeitlicher Übereinstimmung eine Zuwei- 
sung der erwähnten Bilder an einen der Würzburger Meister zu versuchen. Ver- 
gebens war freilich auch das Bemühen, eine Erwähnung des Hans Pleydenwurff 
in Würzburger Urkunden zu finden. Nun glaubte man bisher von den erwähnten 
Würzburger Gemälden des Germanischen Museums mit Sicherheit sagen zu können, 
daß sie einem Würzburger Kanonikus Schönborn ihre Entstehung verdanken; denn, 
so nahm man an, als Stifter der Kreuzigung Christi ließ er sich auf ihr mit dem 
stehenden roten Löwen im Wappen malen. Da weiter ein Vergleich ergibt, daß 
derselbe Stifter auf dem kleinen Porträt erscheint, das ihn im Brustbilde, in vio- 
letter, pelzbesetzter Damastschaube mit einem grünen Buch in der Linken zeigt, 
so versah man dieses berühmte Greisenbildnis mit dem Namen „Kanonikus Schön- 
born“. Aber diese Bezeichnung entbehrt jeder Begründung. Soviel ich ersehe, 
läßt sich ein Kanonikus Schönborn im XV. Jahrhundert weder in den Würzburger 
Kollegiatstiften Haug und Neumünster, noch im Domkapitel, noch als Stiftsherr von 
St. Burkard nachweisen. Das ohnehin nicht ganz unverdächtige Wappen bei dem 
Stifterbildnis zeigt wohl einen stehenden roten Löwen, aber das Schönbornsche 
Familienwappen enthält einen im roten Felde gehenden goldenen Löwen. Der 
klangvolle, aber erst in viel späteren Jahrhunderten mit der Kunstgeschichte Frankens 
so innig verknüpfte Name der Schönborn trägt, so scheint es mir, die Schuld, daß 
man bisher auf eine Nachprüfung des Sachverhalts verzichtete. Der sog. Schön- 
born im Germanischen Museum, jenes lebensprühende, weiche Greisenantlitz, in 
das die Runenschrift des Alters und der geistigen Arbeit ihre nervösen Linien ge- 
graben hat, stellt, nach dem kostbaren Damastgewand zn schließen, einen hohen 


(1) Studien zur Kunstgeschichte, S. 355. 
45 


kirchlichen Würdenträger, ich vermute den greisen Johannes von Alendorf, den 
Kanzler des Bischofs Rudolf von Scherenberg, dar. 


Auf Grund der glaubhaft überlieferten Tatsache, daß Baron Zu Rhein die beiden 
Gemälde, die ihrem Stilcharakter und der überaus charakteristischen Zusammenstellung 
der Farben nach von einem und demselben Meister stammen müssen, in Würzburg 
erwarb, darf man wohl annehmen, daß sie auch in Würzburg entstanden sind’). 
Gerade um die Zeit der Entstehung dieser Werke waren die künstlerischen Be- 
ziehungen Würzburgs zu Nürnberg besonders lebhaft. Um 1457 z. B. wurden „von 
eines Malers Knecht“ etliche Lindenbretter, doch wohl schon mit Kreidegrund ver- 
sehen, von Nürnberg nach Würzburg geschafft, ein untrügliches Zeichen, daß ein 
Nürnberger Maler in Würzburg am Werke war. So spricht das, was sich aus den 
Urkunden ergibt, wenigstens nicht gegen die Möglichkeit, daß ein Nürnberger 
Meister, der um das genannte Jahr Beziehungen zu Würzburg geknüpft hatte, in 
der Folge auch die Kreuzigung und das Porträt des greisen Priesters in Würzburg 
ausführte, und dieser Nürnberger Meister, von dem wohl auch der Entwurf zu einer 
prächtigen Alt- Würzburger Teppichwirkerei mit der Kreuzigung Christi herrührt 
(heute im Wagnerschen Kunstinstitut in Würzburg), kann nur Hans Pleydenwurff 
gewesen sein. Beachtenswert bleibt immerhin auch, daß annähernd in derselben 
Zeit, als Hans Pleydenwurff den Auftrag für den Hochaltar von St. Elisabeth in 
Breslau erhielt, jener Meister Lukas von Breslau in Würzburg tätig war. 


Die oben erwähnte sog. Tatzrechnung des Domkapitels zu Würzburg vom Jahre 
1481 enthält eine Reihe von Zahlungsposten, die man ohne weiteres auf denselben Meister 
Lukas von Breslau — wohl nicht mit Recht — beziehen wolite?). Ich lasse sie 
nachstehend folgen: Item 11 Guldin Conrado Luce ad illuminandos libros oratio- 
nales ex iussu dmi Wilhelmi de Vinsterlohe (Domherr und Senior) in via Johannis 
bapte“. „Item ı Pfund xij Pfennige Conrado Luce von funff Versalen (großen An- 
fangsbuchstaben) in der bibel“, die Eberh. Hasberg rubrizierte. 


Dieser Konrad Lukas war also wohl, wie Alban Kistner, der sechs Missalien mit 
Initialen und Randschmuck vegetabilischer Art verzierte, vornehmlich Miniaturmaler 
und scheint als solcher das Vertrauen des Domkapitels in hohem Grade besessen 
zu haben. Ich glaube in den Miniaturen einer Handschrift der Würzburger Uni- 
versitätsbibliothek Werke seiner Hand feststellen zu können. 


(x) Auch der bekannte, vielumstrittene Hochaltar in der Domkirche zu Meißen wurde zur Würzburger 
Malerei in Beziehungen zu bringen gesucht. Robert Vischer hat a.a. O. S. 412 vermutet, der Meister 
dieses Gemäldes sei vielleicht ein Würzburger, oder doch eine Zeitlang in Würzburg anwesend ge- 
wesen; denn „im vordersten König ist wahrscheinlich Herzog Sigismund abgebildet, welcher um 1475 
als Bischof von Würzburg starb“. In der Tat zeigt der wohlbeleibte kniende König, dessen Wettiner 
Abstammung durch den am Boden stehenden gekrönten Herzogshut besonders angedeutet ist, unver- 
kennbar die Züge eines hohen geistlichen Wiirdentrigers. Aber der Hinweis auf den geistig be- 
schränkten Herzog Sigmund, auf den 1443 seines Amtes entsetzten Würzburger Bischof, der drei Jahre 
ein unseliges Regiment im Hochstift ausübte, dürfte schon deshalb gänzlich verfehlt sein, weil Sigmund 
bereits 1463 in Rochlitz, wo er von seinen Brüdern gefangen gehalten wurde, starb. An Friedrich, 
Herzog von Sachsen, der bis 1498 Kanonikus des Würzburger Hochstifts und später Hochmeister des 
deutschen Ordens war, ist deshalb nicht gut zu denken, weil dieser schon mit 36 Jahren 1510 starb. 
Viel naheliegender wäre die Annahme, daß sein kunstliebender Vetter Ernst, Erzbischof von Magde- 
burg, der Bruder Friedrichs des Weisen, als Stifter des Bildes dargestellt ist. Ich glaube sonach nicht, 
daß der Auftraggeber des Altarbildes seinen Sitz in Würzburg hatte und daß irgendwelche Beziehungen 
des Hochaltarbildes zur Würzburger Malerei vorhanden sind. 

(2) So A. Niedermayer in seiner Kunstgeschichte der Stadt Würzburg (1864), S. 236. 


46 


Hauptsächlich als Wappenmaler wirkte in Würzburg Sigmund Pfister, der unter 
Bischof Lorenz von Bibra „mehrere Visierungen mit Wappen an die Wand der 
Domkirche“ zu malen hatte, wofür er nach Ausweisung der Baurechnung 16 Pfund 
erhielt. Von ihm stammte auch die Bemalung der als Schlußsteine der Gewölbe- 
gurten eingesetzten Wappenschilder in den Seitenschiffen des Domes und die 
Wappenmalerei am Chore von St. Burkard. 

Von auswärts, von Ulm, war der Maler Hans Lippert (auch Liphardt) nach 
Wiirzburg gekommen, der 1481 als Geselle nachweisbar ist und in der Folge sich 
daselbst das Biirger- und Meisterrecht erwirbt. Lippert war vor allem ein ge- 
schätzter Ornamentmaler, der ebenso den Wänden der Säle wie den Brettern der 
Truhen den Reiz der Farbigkeit zu verleihen wußte. 1486 schmückte er zwei 
Truhen in der Steuerstube des Rates der Stadt mit Blumen und Wappen und 
empfing dafür т Pfund 12 Pfennige (Rats-Rec.). Die Domstiftsbaurechnung vom 
Jahre 1505 läßt den Meister noch von einer anderen Seite kennen: „Item 2 Gulden 
Meister Hans Liepert von der schule zu molen arborem purphirianam, arborem 
consaguinitatis et affınitatis, arborem virtutum etc. und die schreybpritter widder 
swartz zu fassen.“ Es handelt sich also zunächst um die Ausmalung der Dom- 
schule, jener altehrwürdigen Schule, die gerade jetzt wieder einer Blütezeit ent- 
gegenging. Wir haben hier also einen frühen Fall der künstlerischen Ausgestaltung 
der Schulräume; ein Beweis, daß diese pädagogische Forderung nicht neu ist und 
schon längst vor Comenius erhoben wurde. Daß das gegenständliche Interesse, 
die Anknüpfung an Unterrichtsstoffe, bei dieser künstlerischen Ausschmückung zu 
ihrem Rechte kam, konnte nur noch die Bedeutung dieser Wandmalereien erhöhen. 
Die Domstiftsbaurechnung vom Jahre 1507 unterrichtet uns darüber, daß die Aus- 
malung der Domschule noch eine Ergänzung fand; sie bemerkt, daß Meister Lippert 
abermals einige Bildnisse in die Schule gemalt und auch den Ofen mit Figuren- 
malereien geschmückt habe. Wir hören von dem Meister, dem auch die Fassade 
manches Bürgerhauses ihren Schmuck zu verdanken hatte, noch einmal im Jahre 1512: 
er malte auf die Heerreisewagen der Stadt Würzburg vier Wäpplein, jegliches um 
12 Pfennig, und bemalte einen neuen Ofen im Rathaus, wofür er 3 Pfund 18 Pfennige 
aus dem Stadtsäckel empfing. 

Aus Augsburg war— wenn auch nur vorübergehend — am Anfang des XVI. Jahr- 
hunderts Linhardt Beck unter Fürstbischof Lorenz von Bibra nach Würzburg ge- 
kommen. Es ist zweifelsohne, daß wir in ihm den bekannten Augsburger Meister 
Leonhard Beck zu erkennen haben, der vornehmlich als Zeichner für den Holz- 
schnitt seine Bedeutung besitzt!). Er war 1501 mit Hans Holbein dem Älteren 
in Frankfurt a. M. tätig und kam wohl von dort zuerst nach Würzburg. Die Rechnung 
des Domstiftes erwähnt ausdrücklich, daß Linhardt Beck von Augsburg stammte. Er 
malte mit seinen „Knechten“ in das einstige Sterngewölbe des Domchores den thro- 
nenden Heiland, umgeben von den zwölf Aposteln. Von Becks Hand rühren auch die 
aus dem Jahre 1504 stammenden Gemälde an den Pfeilern in der Schottenkirche zu 
Würzburg her, die ihre Entstehung dem kunstpflegenden Lorenz von Bibra verdanken. 
Drei der unter der Kalktünche vor einigen Jahren wieder aufgetauchten Gemälde, 
die in einer Art Temperamalerei auf den Wandbewurf gemalt sind, stellen Heilige 
dar: den Heiligen Martin von Tours, den Heiligen Kilian und die Heilige Katharina. 


(1) Beck erhielt 1503 das Meisterrecht in Augsburg, heiratete 1505 und starb 1542. Vgl. S. Laschitzer, 
Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, V., S. 163ff. Sein hl. Georg 
in der Kaiserlichen Gemäldegalerie, Wien. Vgl. Thieme-Becker, Künstlerlexikon, III. Band. Die spätere 
Geschichte des Würzburger Salvator-Gemäldes werde ich an anderer Stelle behandeln. 


47 


Nach dem Zins- und Gültbuch des Schottenklosters waren zwei andere Pfeiler mit 
den Einzelfiguren der Heiligen Colonat und Totnan bemalt!). Der Charakter der 
Figuren Becks, wie er aus seinen Kompositionen zum „Theuerdank“, zum „Weiß- 
kunig“ und zur Folge der „Österreichischen Heiligen“ zur Genüge bekannt ist — 
er war auch als Wandmaler in der Moritzkirche in Augsburg tätig — läßt sich 
auch in diesen Wandmalereien unschwer wieder erkennen. Der Stoffkreis, den 
Beck hier behandelt, liegt ihm ganz besonders. Seine stattlichen Heiligendarstel- 
lungen sind feierliche Erscheinungen, die noch heute in wunderbarer Farbenfrische 
an den Kirchenpfeilern leuchten; mannichfach in ihren Bewegungsmotiven, ge- 
schmackvoll in ihrer reichen Gewandbehandlung, erfüllt von dem Duktus der großen 
rhythmischen Linie kennzeichnen sie den neben Hans Burgkmair wirkenden Augs- 
burger Meister, dessen Wirksamkeit kein unrühmliches Blatt in der Geschichte der 
Würzburger Monumentalmalerei bedeutet. 

Aber auch nach anderer Richtung hin ist Becks Aufenthalt in Würzburg von 
Bedeutung geworden. Die Veranlassung, weshalb Beck öfters nach Würzburg kam, ist 
nicht mit der Nähe Frankfurts, wo er 1501 arbeitete, allein zu erklären. Als Ver- 
mittler des Auftrages der fürstbischöflichen Regierung an ihn erscheint der gelehrte 
Sekretär des Würzburger Bischofs Lorenz von Bibra, Johann Sieder, der Übersetzer 
und Herausgeber des „Apulejus“. In dem nach dem Tode Sieders gedruckten 
Privileg Kaiser Ferdinands II. von 1535 heißt es: „daß obiger Sieder, Bruder des 
kaiserlichen Rathes Johann Lucas, außer . . Apuleius verschinerer Zeit aus Latei- 
nischer in hoch und gut teutsche Sprach transferiert und hinder sein verlassen 
hatte: die Commentarien und auslegung .... Philippi Beroaldi; Item Lucianum 
von der waren Sag, Dergleichen Plinium, Eusebium, Auch Plutarchum und andere 
mer der Philosophen und Histori Schreiber Bücher.“ 

Sieder hatte seinen „Apulejus“ von langer Hand vorbereitet und als Illustrator 
Leonhard Beck, der ihm vielleicht durch seinen Bruder bekannt geworden war, 
in Aussicht genommen. Die ersten 37 Holzschnitte des Werkes: 

Ain schoen lieblich auch kurzweilig gedichte Lucii Apuleii von ainem gulden 
Esel ... verdeutscht durch Johann Sieder, secretarien weilandt des ... Lorentzen 
von Biber, Bischoffen zu Würtzburg etz. Augsburg, Weissenhorn 1538?) . . . 
gehen, so scheint es mir, auf flüchtige Handzeichnungen Becks zurück, die aber 
ziemlich lange vor dem Erscheinen des Buches ausgeführt worden sein miissen. 
Die erwähnten Holzschnitte werden von H. Röttinger dem Hans Weiditz, dem 
Petrarkameister zugeschrieben. Nach meinem Dafürhalten wurde in der Zeit, als 
Beck in Würzburg malte, zwischen ihm und Sieder der Plan der Illustration des 
Werkes beraten; Beck hatte ohne Zweifel den ganzen Auftrag übernommen und auch 
einen Teil der Entwürfe geliefert. Wenn Röttinger?) im Apulejus nur „die letzten 
unzweifelhaften Spuren des Vorbildes Becks“ findet, so bedeutet das im wesent- 
lichen keinen Widerspruch gegen meine aus historischen Tatsachen gezogene Ver- 
mutung. 

Gleichzeitig und auch schon früher entfaltete sich eine ungemein produktive 
Tätigkeit im Würzburger Altarbau. In vielen der älteren Kirchen wurden neue 
Altarwerke gestiftet, bei deren Ausführung sich die Malerei und Plastik zu monu- 


(1) Vgl. Stamminger, Franconia Sacra, 1889, S. 62. Hier werden die Wandgemälde irrtümlicherweise 
der Schule Lukas Kranachs zugeschrieben. 

(2) Vgl. Wichmann-Kadow in Naumanns Archiv für zeichnende Künste, I. Jahrg. (1855), S. 129, und 
Heinrich Réttinger, Hans Weiditz (1904), S. 26ff. und S. 63. 

(3) a. a. O., S. 37. 


48 


mentaler Wirkung vereinigen sollte. Um die Mitte des XV. Jahrhunderts bedurfte 
namentlich die neuerbaute Marienkapelle einer ganzen Anzahl von Altären. Meister 
Gall (wohl nur der Vorname?), ein tüchtiger Schreiner und Bildschnitzer von 
Schweinfurt, der vom Rate der Stadt eigens für die Inneneinrichtung der Kirche 
mit einer kleinen Jahresbesoldung und freiem Sitz in der Stadt gewissermaßen als 
leitender Architekt verpflichtet worden war, verfertigte 1457 die Altarschreine. Auf- 
fallend ist nun, daß, wie bereits erwähnt, „des Malers Knecht“ etliche Lindenbretter, 
die vier Gulden fünf Pfund sechs Pfennige kosteten, von Nürnberg für den offen- 
bar von dort stammenden Altartafelmaler holen mußte. Die Vermutung ist nahe- 
liegend genug, daß diese Bretter, bereits mit dem Kreidegrund überzogen und für 
die Bemalung völlig präpariert, von Nürnberg bezogen wurden. 

Mehrere bedeutendere Aufträge zur Ausführung von Altarwerken gingen in jener 
Zeit (1457) dem vielbeschäftigten Würzburger Bürger und Maler Hans Feuerer zu, 
dessen Name in den Urkunden und Rechnungen häufig angeführt wird. Besonders be- 
deutsam erscheint sein künstlerischer Anteil an der ursprünglichen Ausstattung der 
Würzburger Marienkapelle; er scheint überhaupt ein Künstler von Rang gewesen 
zu sein, dessen Schaffensweise in der Würzburger Lokalschule besonderen Anklang 
fand. Für die Beurteilung der Frage nach den eigentlichen Schöpfern der goti- 
schen Schnitzaltäre ist der schriftliche Vertrag von Wert, in dem das Bauamt der 
Marienkapelle die näheren Bedingungen wegen Ausführung eines Altarwerkes mit 
Gemälden und Schnitzwerken mit Hans Feuerer vereinbarte). 

Am besten läßt sich die Entwicklung des fränkischen Altars dieser Zeit an den 
für Würzburg so charakteristischen Flügelaltären mit Darstellungen aus dem Leben 
des hl. Kilian und seiner Genossen verfolgen. Der ktinstlerische Wert dieser Tafeln, 
mit denen viele Kirchen versorgt wurden, ist ein sehr verschiedener, doch geht 
die Erfindung zumeist auf eine nicht ungeübte Meisterhand zurück. Fast immer 
weist irgendeine lokale Zutat oder Anspielung auf ihre Entstehung in einer der 
Würzburger Werkstätten hin. So ist z. B. sicher Würzburger Ursprungs die im 
Besitz der Kunstsammlung der Würzburger Universität (Wagnersches Institut) auf- 
bewahrte mittlere Tafel eines Flügelaltars, die die Ermordung des hl Kilian und 
seiner Genossen darstellt. Den Hintergrund des Bildes bildet der Main mit St. Bur- 
kard und dem Marienberg mit dem fürstbischöflichen Schloß. Das Bild rührt wohl 
von demselben Würzburger Meister her, der die Stadtansicht von Würzburg für 
die Hartmann Schedelsche Chronik gezeichnet hat. Diese Stadtansicht nimmt unter 
den Zeichnungen der Chronik mit der von Nürnberg die erste Stelle ein und legt 
namentlich durch die peinliche Sorgfalt, mit der das Schloß behandelt ist, die Ver- 
mutung nahe, daß ein mit den Gebäuden des Marienbergs besonders vertrauter 
Meister die Zeichnung geschaffen hat. Ich möchte sie dem oben erwähnten Simon 
Maeler zuweisen, der wohl auch der Schöpfer der Altartafel mit der Ermordung 
des hl Kilian sein dürfte. Wir können öfters beobachten, daß die Meister, die mit 
der Herstellung einer Stadtansicht für die Hartmann Schedelsche Chronik betraut 
waren, die erste Gelegenheit begierig ergriffen, um ihre Zeichnung als landschaft- 
lichen Hintergrund für eine Altartafel zu verwerten. Ein gleicher Fall liegt wohl 
auch hier vor: der Hintergrund des Bildes deckt sich fast völlig mit der ent- 
sprechenden Partie aus dem Holzschnitte. 

Die großen Altäre der späteren Zeit waren meist private Stiftungen einzelner. 
Eine charakteristische Würzburger Schöpfung des beginnenden XVI. Jahrhunderts 


(т) Vgl. C. G. Scharold, Beiträge zur älteren und neueren Chronik von Würzburg, 1821, 4. Heft, S. 321. 


49 


ist der von Lorenz von Bibra für die 1497 erbaute Lorenzkapelle zu Gerolzhofen 
gestiftete Flügelaltar mit Schnitzereien Riemenschneiders und Malereien, die heute 
im Bayrischen Nationalmuseum aufbewahrt werden!). 

Wie lange in der konservativen Würzburger Lokalkunst die alte gotische Form 
des Wandelaltars beibehalten wurde, zeigt das von dem Würzburger Maler und 
Bürger Alexander Müller 1589/91 gefertigte Altarwerk in der Kirche zu St. Bur- 
kard, das als Marienaltar die Lebengeschichte Marias (zum Teil im kompositionellen 
Anschluß an Dürer) in halberhabener Schnitzarbeit, als Passionsaltar das кешеп 
Christi in Tafelmalerei veranschaulicht?). 

Das Auftreten Riemenschneiders als Altarbauer im Jahre 1490 führte zunächst 
keine wesentlichen Änderungen in den angedeuteten Beziehungen zwischen Malerei 
und Plastik herbei. Riemenschneiders Altarwerke sind freilich zumeist Schnitzaltäre; 
es läßt sich urkundlich kein Fall nachweisen, in dem dem Meister gleichzeitig auch 
die Anfertigung der Altartafeln, also der Gemälde, übertragen worden wäre. 

Allmählich brachte das in Würzburg gewaltig wachsende Ansehen Riemenschneiders 
insofern ein Zurückdrängen der Tafelmalerei, als er selbst für die mangelnde Mit- 
wirkung der Malerei bei dem Aufbau seiner Altäre einen Ersatz in der sorgfältigen 
Polychromie, in der Bemalung und Verzierung seiner Heiligenfiguren und seiner 
malerisch angeordneten Altarreliefs zu bieten suchte. Doch wurde die Bildnerei 
dabei keineswegs so mächtig, daß sie die andern Künste völlig in den Schatten 
stellte. Es blieb vielmehr im allgemeinen bei einer Art Gleichberechtigung, die 
auch durch die gleichzeitige Pflege der Glasmalerei und das stärkere Hervortreten 
des Kupferstichs und des Holzschnitts gewahrt wurde. 

Den köstlichsten Altar vom Anfang des XVI. Jahrhunderts besaß Würzburg in 
seinem einstigen Hochaltar in der Neumünsterkirche?), einem Wandelaltar, der in 
seinem Schreine stehende Heiligenfiguren enthielt. Erhalten sind von ihm noch an 
Ort und Stelle zwei von innen und außen von verschiedenen Händen bemalte 
Flügel, die gelegentlich der vor etwa einem Jahrzehnt vorgenommenen Restauration: 
durchsägt wurden, so daß wir jetzt vier Tafeln besitzen: die Anbetung der drei 
Könige und die Geburt Christi, dann die Verktindigungsszene. Robert Vischer 
dachte bei der Anbetung der Magier an einen Wolgemut nahestehenden, bei der 
Geburt Christi an einen unter Dürers Einfluß stehenden Meister, während Thode 
(Die Malerschule von Nürnberg, S. 301) meinte, die Tafeln seien von einem „un- 
bekannten Meister der Übergangsrichtung, der aber vermutlich nicht der Nürnberger 
Schule angehört“. Ich möchte mich über die Tafeln, die ich in meinem „Würz- 
burg“ (5. 80—83) veröffentlicht und kurz besprochen habe, noch in einem späteren 
Aufsatze eingehend äußern; hier will ich nur erwähnen, daß sich im Hintergrund 
der Anbetung ein bärtiger Kerl, mit einer Mütze auf dem Haupte, ein Fähnlein in 
der Hand befindet, dessen Gesichtsziige die gleichen sind, die wir auf dem Selbst- 
porträt Grünewalds (Kohlezeichnung der Erlanger Sammlung) von 1529 finden. Um 1510 
scheint sich Grünewald gleichzeitig mit Leonhard Beck in Würzburg aufgehalten 
zu haben. 

Das Bild des Würzburger Kunstschaffens im XV. Jahrhundert bedarf noch einer 
Ergänzung durch einen kurzen Blick auf die Glasmalerei, der sich in Würzburg 
eine überaus stattliche Schar tüchtiger Meister und Gesellen widmete. Die Glaser 


(т) Vgl. Katalog des Bayrischen Nationalmuseums, VI., Nr. 13330 und VIII., Nr. 401a. 
(2) Vgl. Leitschuh, Würzburg, S. 27. 
(3) Vgl. Kugler, Kleine Schriften II, S. 419. 


50 


waren, wie anderwärts auch hier in der Lukasbruderschaft, der Zunft der Maler 
und Schnitzer. Doch müssen schon ziemlich frühzeitig in Würzburg Werkstätten 
entstanden sein, die die komplizierte Technik der Glasmalerei vorzugsweise pflegten. 

Einen bedeutenden Aufschwung nahm die Glasmalerei in Würzburg infolge des 
Zusammenwirkens einer Reihe vorteilhafter Umstände. In umfassender Weise 
wurde sie zum Schmucke der kirchlichen Bauten in Stadt und Land herangezogen. 
So wurden u. a. die zehn Chorfenster des Domes in Würzburg mit Glasmalereien 
versehen ungefähr in derselben Zeit, als Leonhard Beck das Gewölbe bemalte, dann 
folgten die Fenster der Sepulturkapelle des Domes, deren Baugeschichte mit dem 
Jahre 1440 beginnt; endlich war der stattliche Bau der Marienkapelle von Anfang 
an auf die Eingliederung bunter Glasgemälde in die Wandfläche der Kirche be- 
rechnet. 

Der figuralen kirchlichen Glasmalerei trat im XV. Jahrhundert die Wappen- 
malerei ebenbürtig an die Seite, deren besondere Pflege mit der stattlichen Anzahl 
Würzburger Wappenmaler im Zusammenhange steht. Wertvolle Reste der Wappen- 
malereien sind noch in den Fenstern der Sepultur des Domes erhalten. 

Über Stil und künstlerische Eigenart der Würzburger Glasmaler des XV. Jahr- 
hunderts unterrichten uns am besten die farbenprächtigen Glasmalereien in der 
an erlesenen Kunstwerken so reichen Pfarrkirche zu Münnerstadt an den sieben 
hohen Fenstern des Chors, die in ihrer hohen technischen Vollendung, in der 
strengen Schönheit der Zeichnung und Harmonie der tiefen dunklen Farben eine 
hervorragende Stellung in der Geschichte der deutschen Glasmalerei einnehmen!). 
Neben den großen wirkungsvollen Gestalten der Heiligen Magdalena, Katharina, 
Elisabeth und Kilian erscheinen die Apostel und die Szenen aus der Leidens- 
geschichte des Herrn in einem Stil, der noch strenge, altertümliche Züge aufweist. 
Früher befand sich unter diesen Glasmalereien auch ein vollständiges Kiliansfenster, 
12 Meter hoch und fast 2 Meter breit. 

Unter den Würzburger Glasmalern wird 1423 Hans Trull genannt, dann treten 
die Glasmalerfamilien Wylant, Götz, Schneydewint, Zyrbel, Stengel u. a. auf. 
Offenbar befanden sich in den Werkstätten der Würzburger Tafelmaler oft tüchtige 
Glasmalergesellen, denn die Würzburger Malerordnung von 1571 enthält, um Hader 
und Zank zu vermeiden, die ausdrückliche Bestimmung, daß der Tafelmaler nicht 
mehr das Recht besitzt, einen Glasmalergesellen, der Glaser nicht die Befugnis, 
einen Flachmalergesellen zu halten. 


(х) In dem „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler“, Bd. I, sind die Glasmalereien leider nicht er- 


wähnt 
— р öͤ— ö . 's —.. ʃ—¼—. Ta КОЕСУҢ .. — ⅜ . ſ!ü—————é ЭЕ ИШИ eng —— 
51 


ZWEI BISHER UNBEKANNTE JUGEND- 
WERKE MARTIN SCHONGAUERS UND 
BEITRAG ZUR BESTIMMUNG SEINES 
VIELUMSTRITTENEN GEBURTSJAHRES 


Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel Von F. W. GAERTNER 


urch einen merkwiirdigen, wohl einzig dastehenden Zufall wurden zwei Tafel- 

bilder Martin Schongauers vor Zerstérung bewahrt und uns erhalten. Der 
Anfang dieses Jahrhunderts verstorbene Holzschnitzer und Bildhauer Heinrich Meyer 
in Staufen (Baden), ein bekannter Altertiimersammler, bemerkte in den achtziger 
Jahren vorigen Jahrhunderts eines Tages bei einem Spaziergange, daB die Dach- 
luken des Hauses eines seiner Freunde mit eigentiimlich bemalten Brettern ver- 
nagelt waren. Er stellte seinen Freund dariiber zur Rede und erfuhr, daB diese 
Bretter, welche sich bei näherer Besichtigung als Bruchstücke gut gemalter Heiligen- 
bilder herausstellten, von einem nach Aufhebung des dortigen Kapuzinerklosters 
(1834) abgebrochenen Altar herstammten. Der Altar war völlig zertriimmert, die 
einzelnen Teile zu allen möglichen Schreinerarbeiten benützt und nur eine auf 
beiden Seiten bemalte Holztafel intakt vorhanden. H. Mayer erkannte in derselben 
sofort ein bedeutendes Meisterwerk der Malerei und brachte sie in seinen Besitz, 
da sie sonst in kurzer Zeit, wie die übrigen Teile des Altares, „den Weg aller 
Bretter“ gegangen wire. | 

Die eine Seite der Holztafel stellte „Christus am Ölberg“, die andere „St. Sebastian 
und St. Arbogast“ dar. Die Tafel bildete die Türe des Altarschreins: „Christus am 
Olberg“ nach außen und „St. Sebastian und St. Arbogast“ nach innen schauend, in- 
folgedessen letzteres Bild in den Farben leuchtender erhalten. 

Ein Freiburger Privatsammler, welcher in ständigem Geschäftsverkehr mit Mayer- 
Staufen stand, bestimmte denselben, die Tafel auseinandersägen zu lassen und so- 
mit die beiden Bilder getrennt zu erhalten. 

„Christus am Ölberg“ blieb in Staufen, „St. Sebastian und St. Arbogast“ kamen 
nach verschiedenem Wechsel in Besitz eines Karlsruher Sammlers. 

Wie viele Kunsthistoriker um Urteile über diese Bilder gebeten wurden, ist mir 
nicht bekannt. Mir liegt nur eines von David Burckhardt - Basel vor, in welchem 
er „fragliches Bild (Christus am Ölberg) als sicher in die Umgebung Schongauers, 
ja sogar als ein echtes Werk aus dessen Schule“ bezeichnet. Burckhardt schließt: 
„Die Entstehung des Bildes fällt sicherlich erst gegen Ende des XV., vielleicht in 
den Anfang des XVI. Jahrhunderts, da für die Gruppe des Judas mit den Kriegs- 
knechten ein Blatt aus Dürers großer Holzschnittpassion verwendet ist. (Nur be- 
findet sich die Judasgruppe rechts von Christus, auf dem Bilde aber links.)“ 

Daß D. Burckhardt sich hierin getäuscht hat und daß fragliche Tafelbilder Werke 
von der Hand Martin Schongauers selbst sind, werde ich in dieser Abhandlung 
beweisen. 

Die Beschreibung der Bilder schicke ich voraus: Bildgröße 71><65 cm, auf Tannen- 
holz gemalt (charakteristisch für М. Schongauer). т. „Christus am Ölberg“ (Abb. 1): 
In Mitte des Bildes Christus in dunkelblauem, faltigem Gewande, Hals und Füße 
freilassend, vor einem Felsen kniend. Kopf und Körper aus der Profilstellung ein 
Viertel nach links gedreht. Die oberen Zweidrittel des Kopfes von einfach goldenem, 


52 


mit zwei schwarzen Kreisen eingefaßtem Nimbus umrahmt. Lange, schwarzbraune 
Locken und ein kurzgeschnittener Vollbart bedecken Kopf und Gesicht. Der Ge- 
sichtsausdruck friedlich ergeben. Die Augen ins Leere blickend, die Lippen fest 
geschlossen, die Hände im Gebet erhoben. Auf einem Vorsprung des Felsens und in 
Augenhöhe von Christus ein goldner Kelch, in dessen Öffnung eine aufrechtstehende 
Hostie. Links im Hintergrund, dem betenden Christus sich nähernd, Judas, in Aus- 
druck und Gebärde wie von Gewissensbissen erfaßt, in gelbem Gewande, seinen 
Verräterlohn im roten Beutel auf der Brust tragend. Neben ihm der ihm zu- 
sprechende Hauptmann der Häscher in Bruststahlpanzer, rotem Barett und eng- 
anliegenden roten Beinkleidern. Diesen beiden schließen sich mit Picken bewaffnete 
Söldner an, durch die Pforte des eingefriedigten Gartens Gethsemane eintretend. 
Die Landschaft ist dem Motiv entsprechend hüglig, mit einzelnen Bäumen bepflanzt. 
Der Himmel zeigt Abendstimmung, ist in lichten Farben getönt und nach oben 
zu mit rosa und violetten Wolken abschließend. 

2. „St. Sebastian und St. Arbogast“ (Abb. 2): Beide Figuren sind in ein Drittel 
Lebensgröße. Der heilige Sebastian, mit dem linken Oberarm und dem rechten 
Handgelenk an einen tiefverzweigten dürren Baum gebunden, der am Ende eines 
Astes frische Blätter zeigt, ist mit einer reichgefalteten Purpurtoga bedeckt, welche 
mit der linken Hand zusammengehalten, über Schultern und linken Vorderarm fällt 
und Oberkörper und Füße freiläßt. Er ist als blondgelockter, muskulöser junger 
Mann dargestellt, den Kopf nach links oben gewendet, die Augen sehnsuchtsvoll 
nach oben gerichtet und den Mund schmerzlich verzogen. Sein Oberkörper ist 
von 6 Pfeilen durchbohrt. 

Der heilige Arbogast steht in vollem Bischofsornat rechts neben dem heiligen 
Sebastian. Der mit langen grauen Haaren bedeckte Kopf, ebenfalls nach links ge- 
wendet, ist leicht geneigt, die Augen auf ein Psalterium gerichtet, welches er in 
der linken Hand hält, mit der rechten gerade im Begriffe, ein Blatt zu wenden. 
Auf dem Haupte die mit Juwelen und reicher Goldstickerei aufschwarzbraunem Grund 
geschmückte und mit rosa Atlas gefütterte Mitra oder Inful, deren Bänder über beide 
Schultern herabfallen. Das ebenfalls mit Gold und Perlen bestickte dunkelbraune, 
mit rosa Atlas gefütterte Obergewand oder die Planeta läßt am Halsausschnitt 
das Humerale und am Armausschnitt die Albe sichtbar. Die hauptsächlich aus 
Blumenmustern (Lilien und Erdberrblüten) bestehende Goldstickerei ist reliefartig 
auf den Malgrund aufgelegt. Unter der Planeta ein dunkel olivgrünes Diakonen- 
kleid oder Dalmatica deren seitliche Schlitze dunkelbraune Litzen mit Goldstickereien 
einfassen und deren unterer Rand eine breite dunkelbraune Litze mit dem Namen 
des Heiligen, „S(anctus) Arbogast...us“ (in Gold gestickt), trägt. Die Hände sind mit 
rosa Handschuhen bekleidet, welche auf dem Handrücken die Male Jesu in Juwelen 
tragen und deren Stulpenzipfel ebenfalls mit Edelsteinen verziert sind. An die rechte 
Schulter lehnt der Bischofstab, das pedum pastorale, unter dem Knauf der Krüm- 
mung das Sudarium oder Fanon herabhängend. Die Incurvatuta in reicher gotischer 
Goldarbeit, der Stab selbst rosa, wie Futter der Mitra, der Planeta und Farbe der 
Handschuhe. Der Nimbus der beiden Heiligen ist durch je drei rinnenartige, in 
den glatten Goldgrund eingegrabene Vertiefungen (ohne weitere Verzierung) ange- 
deutet. 

Links unten, in der Ecke der Donator der Bilder auf einem Betstuhl kniend, 
worauf ein rotgeperlter Rosenkranz mit schwarz-goldener Quaste liegt. Der mit 
dichtem, lockigem, schwarzbraunem Haar umgebene Kopf des Stifters ist in 3/4 Pro- 
filstellung nach links oben gewendet. Die Augen sind auf einen senkrechten an 


53 


den Enden регоШеп, zweimal gerafften weißen Bandstreifen gerichtet, auf dem die 
Worte „Miser.... mei.. deus“ zu lesen. Die Hände des Stifters sind in Bitt- 
stellung erhoben. Seine Kleidung besteht in schwarzem Untergewand und stahl- 
blauer, pelzgefütterter Schaube. Rechts vom Donator sein Familienwappen. Das 
Schild mit goldenem Querbalken, dessen oberer Rand mit einer wachsenden roten 
Lilie und zwei roten Kleeblättern besetzt ist. Auf dem Schilde der Stechhelm mit 
rotgoldener reicher Helmdecke, von goldener Helmkrone gehalten. Als Helmzier 
der armlose, mit enganliegendem roten Gewande bekleidete Oberkörper einer 
Frau, deren Kopf von turbanartigem weißen Tuche mit flatterndem Ende bedeckt 
ist. Der Hintergrund des Bildes zeigt in hügeliger Landschaft rechts eine dichte 
Baumgruppe, zu welcher sich ein einspänniges Fuhrwerk mit voranschreitendem 
Führer hinaufarbeitet. Ein steiniger Weg führt von dem mit Felsblöcken be- 
deckten Vordergrund bergan an abgeholztem Hügel vorüber. Am Horizont ein 
felsiger Bergrücken, dessen linke Kuppe eine Ritterburg krönt. Die Luft ist, wie 
oben angedeutet, ein einfacher Goldgrund. 


Dieses Bild wurde offenbar nach spezieller Angabe des Stifters gemalt. Die 
Zusammenstellung der beiden Heiligen Sebastian und Arbogast, deren Legenden 
keine Ähnlichkeit aufweisen, wäre sonst nicht zu erklären. 


Der heilige Arbogast ist der Schutzheilige des ElsaB und deshalb auch der 
Patron des Stifters. Er bildet auf dem Bilde die Hauptfigur, da alle landschaft- 
lichen Darstellungen in enger Beziehung zu dessen Legende und Eigenschaft als 
Bischof von Straßburg stehen. Seine Wahl, auf einem Stiftungsgemälde angebracht 
zu werden, ist erklärlich aus einer Eigenschaft als Hauptpatron, welcher in allen 
Lebenslagen angerufen zu werden pflegt. 


Schwieriger ist der heilige Sebastian auf dem Bilde zu deuten. Er ist der Patron 
gegen die Pest und der Patron der Schiitzengesellschaften. Es wäre deshalb 
möglich, daß der Donator, welcher im XV. Jahrhundert als geachteter Bürger in 
Neuenburg a. Rh. lebte (s. u.) in Anbetracht des Nutzens und der Wichtigkeit der 
Schützengilden in jenen kriegerischen Zeiten unter Sigismund und Friedrich IIL 
dieselben auf seinem Vermächtnisbilde durch ihren Schutzheiligen, den heiligen 
Sebastian, ehren wollte. Wahrscheinlicher jedoch ist es, aus der unverkennbaren 
Ähnlichkeit der Gesichtszüge des Stifters und des heiligen Sebastian, in Zusammen- 
hang mit dem Psalm „Miser mei deus“ auf dem Spruchband des Bildes, welcher 
Psalm nur bei Beerdigungen und Geißelungen gesprochen wird, herauszulesen, 
daß ein nahes Familienmitglied des Donators an der Pest gestorben war, zu dessen 
Seelenheil das Altarbild gestiftet wurde. Obwohl aus den Chroniken der Stadt 
Neuenburg nicht hervorgeht, daß die Pest im XV. Jahrhundert daselbst epidemisch 
gewütet, — wie wir aus Aufzeichnungen des XVI. und XVII. Jahrhunderts wissen, — 
so ist doch anzunehmen, daß die Pest oder pestartige Krankheiten bestanden 
haben. In jenen bewegten Zeiten des Groß- und Kleinkrieges, in welchen Neuen- 
burg mit Truppendurchzügen, Einquartierungen und Belagerungen schwer betroffen 
wurde und in welcher Zeit außerdem noch durch große Überschwemmungen unge- 
sunde sanitäre Verhältnisse entstanden sind, werden durch die vorhandene Prädis- 
position sporadisch-endemisch auftretende pestartige Fälle nicht zu den Seltenheiten 
gehört haben!). Was wäre deshalb natürlicher gewesen als der Wunsch des . 


(1) F. Hugle, Geschichte der Stadt Neuenburg a. Rh. Freiburg i. B. 1881. O. Bihler, Archival des 
katholischen Pfarrarchivs Neuenburg a. Rh. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. Bd. 
XXVI. Heft 3, 1911. 


54 


Stifters nach einem solchen Todesfall in der Familie, auf dem Bilde den Patron 
gegen die Pest, den heiligen Sebastian, anbringen und ihm die Züge des teuren 
Toten geben zu lassen, zu seinem und seiner Angehörigen Heil. Noch eine dritte 
Möglichkeit, die Anwesenheit des heiligen Sebastian auf dem Stiftungsbilde zu er- 
klären, besteht in der Kombination der beiden vorausgehenden: der durch das Bild 
geehrte Tote mag eine hohe Würde in der Schützengilde bekleidet haben, was 
durch den heiligen Sebastian als Patron gegen die Pest und als Patron der Schützen- 
gilden angedeutet werden sollte. 

So wie das ausschlagende Reis am dürren Ast des Marterpfahls die Worte des 
Kirchenvaters Cyprian, „Sanguis Martyrum, semen Christianorum“ versinnbildlichen 
soll, so ist darin auch der Wunsch des Stifters zu erblicken, daß nach den Tagen des 
Schmerzes wieder freudigere Tage kommen möchten. 

Nur ein trauriger Anlaß kann zur Entstehung der Bilder geführt haben. Auf 
dem einen der vom Stifter im höchsten Seelen- und Körperschmerze ausgerufene 
Psalm „Miser mei deus“! Auf dem anderen Christus am Olberge, im Garten 
Gethsemane, trauernd und zagend, niederkniend und betend: „Mein Vater, ist’s 
möglich, so gehe dieser Kelch von mir!“ Bittere Erfahrungen, einschneidende 
Ereignisse müssen den Stifter bewogen haben, diese düsteren Motive zu wählen! 

Erquickend wirkt dagegen die Figur des heiligen Arbogast! Vom ,,Miser mei 
deus“ in der kerzenerleuchteten, weihraucherfüllten Kapelle, an der Bahre des 
Todes, vom „Miser mei deus“ beim Klatschen der Geißelschläge in dumpfer 
Klosterkammer, hinaus in die lachende, blühende Landschaft, deren Schöpfer jener 
ehrwürdige Greis im Bischofsornate, der heilige Arbogast! 

Rechts oben im Bilde die dichte Baumgruppe der „Heiligen-Forst“ bei Hagenau, 
in welchen sich Arbogast aus seinem Geburtslande Aquitanien zurückgezogen hatte, 
um als Einsiedler zu leben. Im Gegensatz zu anderen verbrachte er die Tage 
nicht nur in Bußübungen, sondern er begann den undurchdringlichen Urwald urbar 
zu machen. Bald drang sein Ruf hinaus in das Land und von den Zenobiten’) 
eifrigst unterstützt hörte der Forst von Hagenau bald auf, eine Wildnis zu sein. 
Die Baumstümpfe auf dem grünen Hügel in der Mitte des Bildes, das am Wald- 
rande sich emporarbeitende Fuhrwerk mit seinem voranschreitenden Führer, der 
mit Felsen bestreute Weg, deuten die eben geschilderte Episode aus der Legende 
des heiligen Arbogast an. Vom König Dagobert auf den Bischofstuhl in Straßburg 
berufen, starb er daselbtt im Jahre 679°). 

Am Horizont der Landschaft, zwischen den beiden Heiligen hindurchgesehen, 
einer jener bizarren Buntsandsteinformationen, wie wir sie in den Vogesen und 
der Hardt häufig antreffen. Links vom heiligen Sebastian auf felsiger Höhe eine 
stattliche Burg, die Dagsburg. 

Nach Aussterben der Grafen von Dagsburg (1201), eines der ältesten elsässischen 
Dynastengeschlechter, aus welchem auch der einzige aus dem Elsaß stammende Papst 
Leo IX., der Heilige, (1049) stammte, wurde die Dagsburg straßburgisch-bischöfliches 
Lehen. Die Grafen von Leiningen, durch Heirat mit den Grafen von Dagsburg verwandt, 
residierten daselbst, bis dieses Schloß 1679 von den Franzosen zerstört wurde’). 


(1) Zenobiten= хогидВос (хогибс gemeinsam, fiog Leben) Mitglieder eines religiösen Ordens in Klöstern 
oder anderen Gemeinplätzen lebend, zum Unterschied von Anachoreten oder Eremiten, welche ein 
Einsiedlerleben führen. 

(2) Grandidier, Histoire de l’eglise et des évéques-princes de StraBbourg. Straßbourg 1776. 


(3) J. Naeher, Die Burgen in Elsaß-Lothringen, Straßburg 1886. M. Merian, Topographia Alsatiae, 
Frankfurt 1632—88. 


55 


Die Tatsache nun, daß die Dagsburg straßburgisch-hischöfliches Lehen war und 
daß aus dem Geschlechte der Grafen von Dagsburg der einzige elsäßige Papst 
Leo IX., der Heilige, hervorging, haben jedenfalls den Stifter und Meister unseres 
Bildes dazu bestimmt, dieselbe auf dem Gemälde anzubringen. Daß die Burg kein 
bloßes Phantasiegebilde des Künstlers ist geht daraus hervor, daß nichts auf dem 
Bilde Willkürlichkeit atmet, sondern da5 alles wohldurchdacht und harmonisch zu- 
sammengestellt ist. 


Schon eine oberflächliche Betrachtung ergibt, daß diese Bilder von einem ersten 
Künstler und Meister des XV. Jahrhunderts gefertigt sind, und eingehendes Studium 
lassen in ihren Anklängen an den flandrischen Meister Rogier van der Weyden 
unzweifelhaft die oberrheinische Schule erkennen. Die Abendstimmung auf dem 
Bilde „Christus am Ölberg“, die Zeichnung und geniale Farbenzusammenstellung 
und Farbenabstufung auf dem Bilde der Heiligen Sebastian und Arbogast; das Rot der 
Toga, der Fütterung der Mitra und Planeta und der Handschuhe; das Grün der 
Dalmatica und der Hügel und Bäume; das Schwarz-Braun-Gold des Obergewandes 
und der Mitra; das Weiß des Humerale und der Albe; das Rot und Gold des 
Wappens und das Gold der Luft; die naturwahr wirkenden Fleischtöne; die cha- 
rakteristische Zeichnung der Köpfe, Hände und Füße; der Faltenwurf der Ge- 
wänder; die Detaillierung des Baumschlags, des Kelchs, der Curvatur des Baculus 
— alles deutet darauf hin, daß Martin Schongauer selbst den Pinsel geführt hat. 
An Schönheit und künstlerischem Wert ist besonders das Bild der Heiligen Arbo- 
gast und Sebastian der „Madonna im Rosenhag“ zu St. Martin in Kolmar eben- 
bürtig, den übrigen bekannten Tafelbildern Schongauers jedoch überlegen. Die 
etwas schwerfällige Behandlung des Faltenwurfs (besonders der Albe des heiligen 
Arbogast), welche auf anderen späteren Schongauerschen Tafelbildern flüssiger ist, 
. lassen auf ein Jugendwerk schließen, welches trotz dieser kleinen Schwächen die 
Schöpfung eines genialen Künstlers bleibt. Zur Evidenz wird die Schongauersche 
Urheberschaft jedoch durch die Tatsache, daß laut Wappen des Stifters (s. u.) die- 
selben um die Mitte des XV. Jahrhunderts entstanden sein müssen, und daß kein 
deutscher Maler jener Zeit, als Martin Schongauer, imstande war, solche Kunstwerke 
zu schaffen. Da Martin Schongauer erst Anfang der sechziger Jahre des XV. Jahr- 
hunderts eine Werkstatt in Kolmar eröffnete und mit Lehrlingen und Gesellen 
arbeitete, so fallen unsere Bilder nicht unter die sogenannten Werkstattarbeiten, 
an welchen, je nach dem bezahlten Preise, der Meister viel, wenig oder gar nicht 
Hand anlegte, sondern sie sind von Schongauer selbstgemalte Jugendwerke, welche 
ihrer Vollendung wegen gewiß mithalfen, seinen Ruf zu begründen. „Wohldurch- 
dacht und wohlvollbracht“ waren seine Werke und „wohlgeacht“ war der größte 
deutsche Meister des XV. Jahrhunderts, weit über die Grenze des Vaterlandes 
hinaus! 


Der Name desStifters, welcher durch sein Wappen bestimmt wurde, ist Haesing, 
ein Adelsgeschlecht in Neuenburg a. Rh. Schon im XIV. Jahrhundert finden wir 
in noch vorhandenen Urkunden in den Archiven von Neuenburg den Namen Haesing 
erwähnt!). Eines Cuntze Haesings Siegel 1381, 1385 zeigt im Schilde eine halbe 
Lilie mit Fuß. Cunrad Haesing, 1433 Schultheiß und Pfleger des Kapuzinerkon- 
ventes, war 1449 Ratsherr in Neuenburg. Ein Bruder desselben Rudolf (1442) 
starb 1453. Seine Schwestern Margarete und Dorothea heirateten die Junker Franz 


(1) Kindler v. Knobloch, Oberbadisches Geschlechterbuch, Heidelberg 1894/1910. Kindler v. Knobloch 
der alte Adel im Oberelsaß, Berlin 1882. F. Huggle, Geschichte der Stadt Neuenburg, Freiburg i. B. 1889. 


56 


Herich sen. und jun., gesessen in Kolmar, waren jedoch beide schon Anfang der 
fünfziger Jahre verwitwet. Das Siegel Cunrad Haesings zeigt im Schilde einen 
Querbalken dessen oberer Rand mit einer wachseaden Lilie und zwei Kleeblättern 
besetzt ist und auf dem gekrönten Helme als Helmzier einen weiblichen Kopf hat. 
Cunrads Haesing Wappen entspricht somit genau demjenigen auf dem Bilde der 
Heiligen Arbogast und Sebastian, während z. B. das Wappen eines Junkers Ludwig 
Haesing (1488) denselben Schild führt. jedoch auf dem Helm einen gekrönten 
männlichen Kopf besitzt. Von Kaiser Friedrich III. geadelt, finden wir Cunrad 
Haesing und seinen Bruder 1468 unter den vorderösterreichischen Ständegliedern. 
Zum letztenmal wird Cunrad Haesing als Bürger Neuenburgs im Jahre 1476 erwähnt. 

Cunrad Haesing, der Pfleger des Kapuzinerkonventes, ein Mann in den besten 
Jahren mit dichtem, schwarzgelocktem Haar, ist also der Stifter unserer Bilder. 
Den Anlaß hierzu bildete der Tod eines Bruders Rudolf (1453). Durch Empfeh- 
lung seiner in Kolmar lebenden Schwester betraute er den Kolmarer Künstler 
Martin Schongauer mit der Anfertigung des Doppelgemäldes, dessen Ausführung 
in die Mitte der fünfziger Jahre des XV. Jahrhunderts fällt. Dieses Altarbild wurde 
in die Kirche des Kapuzinerklosters, dessen Pfleger Cunrad Haesing war, gestiftet. 
Vor der gänzlichen Zerstörung Neuenburgs durch Marquis von Vauban am 9. April 1675 
waren die Neuenburger Kapuziner durch die Breisacher gewarnt worden, alles be- 
wegliche Gut schleunigst in Sicherheit zu bringen. Alles Wertvolle und Entbehr- 
liche wurde sogleich nach Schliengen und Staufen geschafft. Die aus Neuenburg 
ausgezogenen Kapuziner beschlossen, ihre neue Niederlassung in Staufen zu bauen. 
Am 17. Oktober 1683 wurde mit dem Baue feierlich begonnen und am 24. Juni 1685 
wurde das Kloster von den Mönchen bezogen und tags darauf die Klosterkirche 
durch ein Hochamt der Öffentlichkeit übergeben. In dieser Klosterkirche fand 
unser Schongauer wieder Aufstellung. 

Beim Übergang von Staufen an Baden (1806), wurde das Kapuzinerkloster durch 
das Verbot, neue Insassen aufzunehmen, in den Aussterbezustand versetzt. Am 
10. Oktober 1834 wurde es als letztes der badischen Kapuzinerklöster aufgehoben 
und das Anwesen für 5000 Gulden an die Gemeinde verkauft, welche es als Schule 
umbauen ließ. Hierbei sind manche wertvolle Kunstschätze verschleudert worden, 
wie auch der Altar, von welchem unser Schongauer einen Teil bildete in die Hände 
eines biederen Handwerkers kam, welcher die einzelnen Teile desselben benutzte, 
um die Dachlucken seines Hauses zu vernageln. Wie verhütet wurde, daß unser 
Schongauer von demselben Schicksal bewahrt blieb, haben wir in der Einleitung 
gesehen. 

Die Provenienz dieser Bilder und deren Entstehungszeit ist somit festgestellt. 
Auf Grund derselben wird eine kritische Untersuchung der bisherigen Angaben 
über das Geburtsjahr Schongauers gerechtfertigt sein: 

In fast allen neuen kunstgeschichtlichen Werken und in fast allen Katalogen von 
Galerien, welche Werke Schongauers oder seiner Schule besitzen, wird als wahr- 
scheinliches Jahr seiner Geburt „um 1450“ angegeben. Die Künstlerlexika Nagler 
(1845) und Singer (1901) halten an der älteren Annahme fest, daß Schongauer um 
das Jahr 1420 geboren ward. Die neuere Annahme des Geburtsjahrs „um 1450“ 
ward hauptsächlich begründet von v. Wurzbachs kritischer Untersuchung Martin 
Schongauers (Wien 1880) und von David Burckhardt in seiner Dissertation „Die 
Schule Martin Schongauers am Oberrhein“ (Basel 1888), Der letztere sagt auf 
Seite 7 seiner Dissertation: „Es könnte übrigens noch direkter, als es Wurzbach 
tut, bewiesen werden, daß Schongauer gegen das Jahr 1450 geboren ist. In den 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 2. 5 57 


Kolmarer Bürgerrollen treffen wir die Brüder Martins, Ludwig und Paul verzeichnet, 
die sich 1493 und 1494 das Bürgerrecht erwarben. Martin Schongauer befindet 
sich in diesen ausführlichen Listen nicht erwähnt, obschon er ebenfalls Bürger 
von Kolmar gewesen sein muß, da er ja einer Werkstatt vorstand und also zünftig 
war. Schongauer war eben bereits durch seine Geburt als Sohn eines Kolmarer 
Bürgers im vollen Genuß des Bürgerrechts und brauchte sich also nicht mehr be- 
sonders aufnehmen lassen wie seine Brüder, welche also vor der Ubersiedlung 
ihres Vaters nach Kolmar resp. seiner Aufnahme ins Bürgerrecht geboren sein 
müssen. 1445 erlangte der Vater Caspar Schongauer das Bürgerrecht, somit ist 
es klar, daß sein Sohn Martin erst nach diesem Termin geboren sein kann.“ 
Dieser kategorische Schlußsatz enthält jedoch einen Trugschluß, da die Praemissen 
falsch sind. Dr. Eugen Waldner, der frühere Archivar in Kolmar, schreibt in der 
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (XIV. Band ı. Heft 1898): „Bei Hypo- 
thesen über den Geburtsort Martin Schongauers und seiner Brüder ging man immer 
von der willkiirlichen Voraussetzung aus, die Bürgersöhne besäßen schon von Ge- 
burt dasBürgerrecht und brauchtem nicht erstin die Bürgerliste eingetragen zu werden. 
Doch ein bloßer Blick auf diese Liste zeigt uns, daß nicht nur die Söhne 
von gewöhnlichen Bürgern, sondern selbst von Ratsherrn und Städte- 
meistern erst durch eine förmliche Aufnahme Vollbürger wurden. Wenn 
nun Martin Schongauer in den betr. Verzeichnissen, welche bis zum Jahre 1494 
keine Lücken aufweisen, nicht vorkommt, so müssen wir eben den Schluß ziehen, 
daß er das Bürgerrecht nie erworben hat.“ 

Das Geburtsjahr Martin Schongauers war also nicht um die Mitte des XV. Jahr- 
hunderts wie auch Bach!) und Singer?) neuerdings annehmen, sondern, wie wir 
sehen werden, um 1435. 

Wir haben absolut keine Beweise, daß der Vater Martin Schongauers, Caspar, 
erst Ende der dreißiger Jahre in Kolmar ansässig geworden ist, ebensogut. kann er 
schon Ende der zwanziger oder Anfang der dreißiger Jahre nach Kolmar verzogen 
sein. Wir wissen nur, daß Caspar Schongauer 1445 das Bürgerrecht erworben hat 
und laut Ratsbestimmung 5 Jahre vorher in Kolmar seßhaft gewesen sein muß. Die 
Behauptung Waldners, daß Caspar Schongauer als junger Geselle nach Kolmar kam 
und eine Kolmarerin geheiratet hat, da er sonst nicht schon im selben Jahre seiner 
Bürgerrechtserwerbung Ratsherr geworden wäre, ist hinfällig durch die Inschrift 
des von Hans Burgkmair geschriebenen Zettels, welche auf der Rückseite seines 
Münchner Bildes des „Hipsch Martin Schongauer Maler“ steht: „Abe(r) von seinen 
Oelltern ain augsburger bur(ger)“. Seine Mutter war auch eine Augsburgerin, wie 
sein Vater laut Wappen auf dem Bilde Schongauers einer Augsburger Patrizier- 
familie Schongauer angehörte (Weizels Wappenbuch). Einen Rückschluß auf Martin 
Schongauers Geburtsjahr gestattet diese Tatsache nicht. 

v. Wurzbachs Behauptung, der auf dem Münchner Bilde portraitierte Schongauer 
stelle einen ungefähr dreißigjährigen Mann dar, ist eine Täuschung. Das Bild 
stellt im Gegenteil einen ı8—2ojährigen Jüngling dar, dem eben der Bart sprießt, 
dessen volles, glattes Gesicht und dessen schöne große träumerische Künstleraugen 
jener Übergangszeit vom Jüngling zum Mann angehören, in welcher Ideale dem 
rauhen Kampf ums Dasein zu weichen beginnen. Die auf der Vorderseite des 
Burgkmairschen Bildes stehende viel umstrittene Zahl 1453? oder 1483? soll, wie 


(т) М. Bach, Repert. für Kunstwissenschaft, XXII. Band 1899. 
(2) Singer H. W., Künstlerlexikon, Frankfurt 1901. 


58 


auch ich annehme, das Jahr angeben. in welchem das Portrait Schongauers gemalt 
wurde. Wie ein zwanzigjähriger Jüngling hat also im Jahre 1483 Schongauer, 
8 Jahre vor seinem in Breisach erfolgten Tod (1491), ausgesehen! Nach einem 
fast abgeschlossenen Leben voll angestrengter künstlerischer Tätigkeit, voll müh- 
seliger Reisen und voller Aufregung in jenen unruhigen Zeiten des XV. Jahrhunderts 
— ein Gesicht ohne Fältchen, Flaum auf der Oberlippe, das Rehauge der Jugend, 
jener volle weiche Mund, in dessen Winkel noch keine Alterrune eingegraben! 
Unmöglich! Schon aus diesem äußeren Grunde, abgesehen von der aus dieser Ab- 
handlung hervorgehenden Tatsache, daß Schongauer schon um 1455 Meisterwerke 
schuf, müssen wir als Entstehungszeit des Münchner Schongauer Portraits die auf 
diesem befindliche Jahreszahl für „1453“ ansprechen. 

Ich komme jetzt zurück auf die in der Einleitung erwähnte Burckhardtsche Be- 
stimmung unseres Bildes „Christus am Olberg“. Burckhardt bezeichnet, wie ge- 
sagt, dieses Bild als ein echtes Werk aus der Schule Schongauers. Seine Ent- 
stehungszeit jedoch legt er um das Ende des XV. vielleicht Anfang des XVI. Jahr- 
hunderts, „da für die Gruppe des Judas mit den Kriegsknechten ein Blatt aus Dürers 
großer Holzschnittpassion verwendet ist.“ Angenommen, Burckhardt hat nur dies 
eine Bild „Christus am Ölberg“, und nicht dessen Rückenbild, „St. Arbogast 
und St. Sebastian“ gesehen, aus welch letzteren genau die Entstehungszeit be- 
stimmt werden kann, so ist dennoch sein Schluß hinfällig durch die Tatsache, daß 
schon fast ein halb Jahrhundert, bevor der Dürersche Stich des „Christus am Öl- 
berg“ entstand (1515), die Stiche der Passion Schongauers mit seinem betenden 
Christus am Ölberg in alle Welt zertreut waren und Bewunderung erregten. Da 
die Dürerschen und Schongauenrsche Stiche desselben Motivs große Ähnlichkeit be- 
sitzen, so ist vielmehr anzunehmen, daß Dürer, welcher Schongauer als großen 
Künstler schätzte und ihn auch 1492 in Kolmar aufsuchen wollte, jedoch nicht 
mehr unter den Lebenden fand, aus der Schongauerschen Quelle geschöpft hat. 

Der Schongauersche Stich „Christus am Ölberg“, meiner Überzeugung nach in 
Komposition und Zeichnung den beiden Dürerschen gleichen Motivs bedeutend über- 
legen, hat, wie wir sehen werden, große Ähnlichkeit in charakteristischen Einzel- 
heiten mit unserm Tafelgemälde „Christus am Ölberg“. In der Anordnung ist der 
Stich das Spiegelbild des Ölbildes, ein für die Beurteilung unwesentlicher Umstand. 
Vor allem fällt uns jedoch die gleiche Form des Felsens auf, vor welchem Christus 
kniet. Ähnlich den oben erwähnten eigentiimlichen Gesteinsbildungen der Vogesen 
und der Hardt steigt der Fels auf dem Gemälde und Stich sockelförmig empor, 
nach der Kuppe zu hinten überhängend. Die Höhe des Felsens ist auf beiden die 
gleiche. Auch die Stellung des äußeren Fußes des knienden Christus, vor allem 
aber die Zeichnung und der Ausdruck des Judaskopfes läßt auf Stich und Gemälde 
die gleiche Hand erkennen. In die Augen springend ist auch hier wieder der 
Unterschied der fortgeschritteneren Technik des Stichs mit seiner flotten Zeichnung 
und seinem flüssigen Faltenwurf gegenüber der etwas schwerfälligeren Art der 
Darstellung des Gewandes, der Füße und Hände auf dem Tafelbilde. Und dennoch 
sind beide Geschwister verschiedenen Alters. Die Familienähnlichkeit ist unver- 
kennbar! Das Tafelbild entstand in der Jugendzeit des Künstlers und der Stich in 
den ausgereiften Mannesjahren. 

Stellen wir nun nochmals die durch die urkundlichen Forschungen des Wappens 
des Stifters unsrer Bilder erhaltenen Befunde, die kritischen Vergleiche mit Wer- 
ken aus der sogen. Oberrheinischen Schule am Ausgang des Mittelalters und die 
Provenienz der Bilder zusammen, so müssen wir als Meister derselben 


59 


Martin Schongauer, als Stifter Cunrad Haesing und als Entstehungszeit 
die fünfziger Jahre des XV. Jahrhunderts bezeichnen. In jener Zeit, in 
welcher der Lehrling als Kind in die Werkstatt des Meisters trat, als Junge auf 
die Wanderschaft zog, als Jüngling schon selbständige Werke schuf, ist es nicht 
erstaunlich, von Meistern zu hören, welche noch nicht das zwanzigste Lebensjahr 
zurückgelegt hatten. Im Alter des Burgkmairschen Schongauer ist der Schöpfer 
unserer Bilder, ein ungefähr zwanzigjähriger Jüngling, in jugendlicher Begeisterung 
den ehrenvollen Auftrag des „vesten“ Junkers Cunrad Haesing ausführend, miter- 
schüttert von der Trauer des Stifters; erfüllt vom Zauber der Legenden des hei- 
matlichen Schutzpatrons, weihte er Herz und Hand der Ausführung jener Gemälde, 
welche zum Seelenheil des Dahingeschiedenen und der Hinterbliebenen, Aufstellung 
in der Kapuzinerkirche in Neuenburg fanden. 

So entstanden die Jugendwerke Schongauers um die Mitte des XV. Jahrhunderts, 
zeugend von seinem damaligen bedeutenden künstlerischen Können und den Wer- 
ken des gereiften Meisters an genialer Behandlung und virtuoser Technik in nichts 
nachstehend. 

Das Geburtsjahr Martin Schongauers ist somit um 1435. 


60 


AUS DEN ANFÄNGEN DES REALISMUS 
IN DER DEUTSCHEN PLASTIK DES XV. 
JAHRHUNDERTS Von G. DEHIO 


Mit vier Abbildungen auf einer Tafel scc00000000000000000000000000000000000000 00000000000 50000550 E ESS eee e 


ür wenige Entwicklungsepochen in der Geschichte der deutschen Kunst sind 

wir zurzeit so lebhaft interessiert, als für diese. Das Schwierige im Problem 
ist, daß es sich eigentlich um zwei Bewegungen handelt: um fremde Einströmungen, 
daneben aber gewiß auch um ein spontanes Erwachen. Und auch der erste Faktor 
ist nicht so einfacher Natur, wie man es sich früher vorstelite. Den niederländisch- 
burgundischen Anregungen gingen italienische voraus und die Wege, auf denen die 
einen und die anderen kommen, sind nichts weniger als geradlinig. Die Unruhe, 
die die Kunst von innen heraus ergriffen hat, setzt sich in äußere Bewegung um; 
sprunghaftes Eingreifen von Wanderkiinstlern wird öfters wichtiger, als die normale 
Fortentwicklung der Schulen. 

Der folgende Fall wird auf diese Verhältnisse ein in mancher Hinsicht interes- 
santes Streiflicht werfen. 

Die Rolle, die für die Malerei das schwäbische Bodenseegebiet gespielt hat, ist 
bekannt. Wollte man, einem Analogieschluß folgend, die ersten Realisten in der 
Bildhauerkunst ebenfalls am Bodensee suchen, so würde man sich jedoch getäuscht 
sehen. Soviel wir zurzeit wissen, ist vielmehr Ulm der Ort. Paul Hartmann (vgl. 
die Besprechung seines Buches im Aprilheft) hat die erste, noch ganz vereinzelte 
Regung des neuen Stils an den Archivoltaposteln des Miinsterwestportales nachge- 
wiesen. Die Entstehungszeit ist überraschend früh. Sie liegt sicher innerhalb der 
beiden ersten Jahrzehnte des XV. Jahrhunderts, wahrscheinlich noch vor 1415. An 
eine rein bodenwüchsige Entwicklung kann nicht wohl gedacht werden, irgendwie 
muß ein Lichtstrahl aus der Gegend Klaus Slüters den Ulmer Apostelmeister ge- 
getroffen haben. Vermutungen über seine Vorgeschichte zu äußern, wäre müßig. 
Auch ist er in Ulm oder sonstwo in Schwaben nicht wieder anzutreffen. Irgendwo 
habe ich gelesen, daß man ihn mit dem Meister Hartmann, der 1420 die Statuetten 
an der Stirnwand der Vorhalle oberhalb der Bögen ablieferte, hat identifizieren 
wollen. Das ist aber völlig mißgegriffen. | , 

Nun habe ich den Ulmer Apostelmeister an einem уоп Ulm sehr weit entfernten 
Punkte wiedergefunden. Er ist der Urheber der Reliefs an der Tumba des Erz- 
bischofs Friedrich von Saarwerden im Dom zu Köln (Tafel 18). Man vergleiche: 
dasselbe gepreßte Sitzen auf niedrigen Stühlen, dieselbe sehr bestimmt ausgeprägte 
Gewandbehandlung, dieselbe Form der unter dem Saum des Kleides vorlugenden 
Fußzehen, dieselben Kopftypen, dieselbe Haar- und Bartbehandlung, zusammen- 
fassend: dieselben mimischen und physiognomischen Mittel zur Darstellung ge- 
spannten Nachdenkens. Das sind Übereinstimmungen, die um so schwerer wiegen, 
als sie in technisch verschiedner Form — das eine Mal Rundplastik, das andre Mal 
Relief — auftreten und die vollends eindeutig werden durch den großen Abstand, 
der sowohl das Ulmer als das Kölner Werk von ihrer künstlerischen Umwelt trennt. 
Dazu sind wir in der günstigen Lage, die zeitliche Nähe der Entstehung bestimmter 
als in den meisten ähnlichen Fällen nachweisen zu können. Für die Ulmer Apostel 
verbürgt die Eigenschaft als Archivoltfiguren das Zusammengehen mit der Archi- 
tektur. Hartmann sagt mit vorsichtigem Spielraum: erstes oder zweites Jahrzehnt 


61 


des XIV. Jahrhunderts. Man wird aber, meine ich, die Grenzen noch enger ziehen 
können. Die Statuen außen an der Stirnwand der Eingangshalle wurden 1420 ab- 
geliefert. Augenscheinlich ist dieser Teil um einiges später ausgeführt worden, als 
das Portal. Es wird deshalb für die Apostel die zweite Hälfte des zweiten Jahr- 
zehnts nicht mehr in Betracht kommen. Nun die Datierung in Köln: Friedrich von 
Saarwerden starb 1414. Nichts hindert anzunehmen, was an sich das nächst- 
liegende ist, daß die Ausführung in eines der folgenden Jahre fällt. Doch auch 
schon ohne diese chronologischen Stützpunkte, allein nach den inneren Merkmalen, 
erweisen sich die Kölner Arbeiten als die späteren. Sie sind abgerundeter im Vor- 
trag, weniger eiensinnig, aber auch weniger frisch und energisch. Es ist weit wahr- 
scheinlicher, daß diese Motive ihre erste Fassung in der Rundplastik, als im Relief 
gefunden haben. Das Saarwerdengrabmal gilt von jeher und mit Recht für das 
Beste, was die Kölnische Plastik des frühen XV. Jahrhunderts hervorgebracht hat, 
wie es auch sicher die erste Probe des neuen Stils auf dem Kölnischen Boden ist. 

Mit dieser letzten Feststellung gewinnt der mitgeteilte Fall allgemeines Interesse. 
Der erste Anstoß in der Richtung des neuen Stils, so sehen wir nun, ist nach Köln 
nicht von den nahen Niederlanden gekommen, sondern auf weiten Umwegen über 
Dijon, Oberrhein und Schwaben — genau auf denselben Wegen, auf denen einige 
Jahre später der neue Stil in die Kölnische Malerei kommen sollte, durch den 
Schwaben Stephan Lochner. 


62 


GOTISCHE KÖLNER PLASTIKEN im 
Depot des Großh. Hess. Landesmuseums 
zu Darmstadt. 

Mit vier Abbildungen auf einer Tafel. 


Ich habe von dem Vorhandensein dieser Stücke 
— es handelt sich um zwei Statuen und dreiKöpfe — 
im Depöt des Großh. Landesmuseums leider erst 
nach dem Erscheinen Fr. Lübbeckes: „Die gotische 
Kölner Plastik“ ) Kenntnis erhalten. Ich hätte den 
Verfasser sonst auf diese Skulpturen aufmerksam 
gemacht. Da dies nicht mehr möglich war, die 
Werke aber wohl einer Würdigung wert sind, sei 
es mir gestattet, dieselben zu publizieren und einige 
Bemerkungen über sie zu machen. 

Was zunächst die Provenienz der Stücke be- 
trifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß 
sie aus dem Nachlasse des Barons von Hüpsch 
stammen, dessen Sammlung ja bekanntlich 1805 
testamentarisch in den Besitz des damaligen Land- 
grafen Ludwig X. von Hessen überging. Es han- 
delt sich um zwei Gruppen. Die erste besteht aus 
drei Sandsteinköpfen, die zweite aus zwei in ganzer 
Figur erhaltenen Marmorstatuetten. 

Die drei Köpfe (Abb. ı u.2) verleugnen auch ohne 
Kenntnis der Provenienz ihre Kölnische Herkunft 
nicht. Es ist sogar sofort möglich, die Kölnischen 
Plastiken zu nennen, mit denen sie die deutlich- 
sten Beziehungen aufweisen: nämlich die Domchor- 
apostel. An eine ehemalige Aufstellung unserer 
Plastiken im Dome selbst ist allerdings kaum zu 
denken. Denn einmal ist eine Wiederholung dieses 
Motivs im Dome sehr unwahrscheinlich und dann 
scheinen mir die Köpfe auch zu Gestalten gehört 
zu haben, die Helden darstellen. Wenigstens 
weisen die am weitesten rechts stehenden der 
Hansasaalfiguren sehr ähnliche turbanartige Kopf- 
bedeckungen auf, wie der mittelste der unsrigen 
gleichfalls eine trägt. Es ist sehr wahrscheinlich, 
daß die Köpfe unserer Plastiken zu Helden ge- 
hörten, die irgendwo an dem, 1349 durch den 
Niederbrand zerstörten, Rathaus angebracht waren. 
Da ich die Köpfe in die Zeit um 1340 setze, 
liegen darin keine chronologischen Schwierigkeiten. 
Die Häufigkeit des Motivs der Helden ist auf- 
fallend und, wie man mit Recht annehmen kann, 
für Köin besonders charakteristisch. Was die 
Reste der Wandmalereien gleichen Gegenstandes 
betrifft, die sich jetzt im Walraf - Richartzmuseum 
befinden, so erscheinen sie unbedingt durch die 


(1) Pr. Lübbecke: Die gotische Kölner Plastik. 
1910. 


Straßburg, 


Plastiken, zu denen unsere Köpfe gehörten, be- 
einflußt zu sein. 

Die Köpfe (Abb. 1 u. 2) selbst sind etwas kleiner 
als lebensgroß und weisen noch reichliche Spuren 
ehemaliger Bemalung auf, die sehr sorgfältig und 
bis in die Einzelheiten mit matten Leimfarben 
ausgeführt gewesen sein muß. 

Der Meister — und man kann bei dem offen- 
sichtlichen Zusammenhange der Köpfe wohl von 
einem Meister reden — arbeitet mit wenigen 
sich ziemlich gleichbleibenden Mitteln. Wie er 
den ganzen Kopf anlegt, die Nase lang und grade 
verlaufen läßt, die Augen stark geschlitzt und mit 
scharf betonten Lidern bildet, das Jochbein unge- 
bührlich betont, die Oberaugenknochen knochig 
vortreten läßt und Schnurr- und Vollbart behandelt — 
ist bei den drei Köpfen dasselbe. Abwechslung 
erreicht er eigentlich nur durch Äußerlichkeiten: 
durch Anbringung der Kopfbedeckung, leichte Ände- 
rung der Bärte und des Haupthaares. Und doch 
verdient der Künstler unser vollstes Interesse. 
Untersucht man nämlich das Verhältnis dieser 
Skulpturen zu den Domchoraposteln genauer, во 
kann es einem nicht zweifelhaft sein, daß wir in 
dem Verfertiger derselben einen Schüler des Meisters 
jener Statuen zu erblicken haben. Lübbeckes Ver- 
mutung von der Kölnischen Autorschaft des Meisters 
der Domchorapostel gewinnt eine wesentliche Stütze 
durch den Nachweis des Vorhandenseins Kölnischer 
Schularbeiten des Meisters. Zugleich zeigen die 
Köpfe aber auch ein folgerichtiges Weiterschreiten 
auf der vom Meister der Domchorapostel einge- 
schlagenen Bahn und dienen damit zur Vervoll- 
ständigung unserer Vorstellung von der Entwick- 
lung der Kölnischen, wie der deutschen Plastik 
überhaupt. 

Über die Beziehungen der Köpfe zu den Dom- 
choraposteln bedarf es wohl keiner Worte. Wich- 
tiger ist die Herausschälung des neuen und anders- 
artigen Momentes, das in ihnen liegt. Um es 
gleich vorauszusagen: sie sind gröber, aber auch 
menschenähnlicher. Der Meister der Domchor- 
apostel steht noch auf dem Boden einer großen, 
idealisierenden Tradition. Die Köpfe seiner Ge- 
stalten sollen nicht die von Menschen, es sollen 
die der christlichen Götter, oder sagen wir Heroen 
sein. In ihren Zügen liegt etwas erdenfernes, 
visionäres und übermenschliches. Der Verfertiger 
derselben trägt noch den letzten Nachklang der 
Künstlersehnsucht, le beau dieu zu schaffen, in 
sich. Der Bildhauer unserer Köpfe dagegen fühlt 
schon stark das Verlangen einer neuen, anderen 


63 


Zeit, die nach Naturwahrheit und Ausdruck strebt. 
Die Stirnen seiner Gestalten sind schon nicht mehr 
so unmenschlich hoch wie die der Domchorapostel, 
die Augen weniger abgrundtief, die Münder voller 
und sinnlicher und die Bärte weniger flammen- 
gleich. Diese Abwandlung des Ideals des Meisters 
der Domchorapostel ist ebensowenig zu verkennen 
als die Beziehungen, die die Köpfe noch zu diesen 
Statuen aufweisen. Somit stellt sich der Meister 
unserer Köpfe als ein — wenn auch nicht be- 
deutender, aber doch sehr beachtenswerter — Schüler 
seines großen Vorgängers dar. 

Ebensowenig wie bei den oben besprochenen 
Köpfen ist bei den beiden Marmorstatuetten die 
Kölnische Herkunft zu verkennen. Da die beiden 
in der Größe — ca. 55 cm — genau miteinander 
übereinstimmen, und der Charakter der einen als 
Klagenden zweifelsohne zu bestimmen ist, scheidet 
die Möglichkeit, daß die Figuren vom Hochaltar 
stammen könnten, ziemlich aus. Jedoch soll dies 
nicht apodiktisch behauptet werden; wenn es mir 
auch wahrscheinlicher dünkt, sie sich als zu den 
Tumben Wilhelm von Genneps oder Walram von 
Jülichs gehörig zu denken, wobei es natürlich un- 
möglich ist, sie einem bestimmten dieser Grab- 
denkmäler zuzuweisen. Stilistisch gehören die 
beiden Figuren vollkommen zu den Hochaltar- 
statuetten, von denen uns ja glücklicherweise eine 
ganze Anzahl überkommen ist. 

Am besten erhalten von den beiden ist die, eine 
bl. Katharina (Abb. 3) darstellende, die außer einer 
störenden Beschädigung an der Nase und am 
Schwerte keine wesentlichen Verletzungen aufweist. 
Die andere (Abb. 4) — ohne besondere Attribute — 
muß wohl als eine „Klagende“ anzusprechen sein. 
Leider ist diese Figur sehr stark mitgenommen 
und abgerieben, so daß von dem ursprünglichen 
Aussehen derselben nur noch eine mangelhafte 
Vorstellung möglich ist. 

Die hl. Katharina steht mit leicht ausgebogener 
rechter Hüfte und nach rechts geneigtem Haupte 
da. Mit ihrer rechten Hand umfaßt sie ein mäch- 
tiges Schwert, das mit seiner Spitze auf dem Kopfe 
eines besiegten, mit einer Krone geschmückten 
Mannes aufruht. Die Linke hält das stark beschä- 
digte Rad mit aufwärts gebogenen Fingern dicht 
an der Seite. Das einfache Idealgewand liegt eng 
am Körper an, ohne daß dadurch der Bau des- 
selben verdeutlicht wird. Über einem glatten 
Untergewande ist ein Mantel so drapiert, daß er 
Rücken und Arme bedeckt und mit einem großen 
Zipfel von rechts nach links quer über den Körper 
herübergelegt ist. Die dadurch entstehenden Fal- 
ten zerstören zwar die Linie des Körpers, sind 


64 


aber an sich malerisch und weich ins Material ein- 
gezogen. Auffallend breit ist der Kopf gebildet 
und die Züge sind nur wenig herausgearbeitet. Der 
Künstler versteht es noch nicht, ins Material hinein- 
zugehen. Hier ist der, ja jetzt verpönte, Vergleich mit 
Elfenbeinplastiken doch angebracht. Denn obwohl 
der Künstler ein weit widerstandsfähigeres Material 
— Marmor — vor sich hat, geht er doch ebenso 
behutsam zu Werke, als ob er es mit sprödem 
Elfenbein zu tun hätte. 

Was die Beziehungen zu den Hochaltarfiguren 
betrifft, so überhebt mich auch hier ein Blick auf 
die Abbildungen jedes weiteren Wortes. Nament- 
lich auf die Beziehungen zu der bei Lübbecke — 
Taf. XX unten — abgebildeten Heiligen (die zweite 
von rechts) möchte ich aber doch hinweisen. Zu- 
gleich ergibt sich aus einer solchen Betrachtung 
auch der Schluß, daß wir es bei unseren Figuren 
mit den Hochaltarstatuen gegenüber fortgeschritte- 
neren zu tun haben. Gehören die Gestalten zu 
den Grabmälern, so ist dies ja selbstverständlich, 
denn es ist doch anzunehmen, daß Wilhelm von 
Gennep zunächst die Hochaltarplastiken und dann 
erst sein Grabmal, das er sich allerdings auch schon 
zu seinen Lebzeiten errichten ließ, in Auftrag ge- 
geben hat. Aber in die Zeit um 1350 werden 
unsere Statuetten ebenso zu verlegen sein, wie die 
Hochaltarplastiken auch und eskann sich nur um 
eine kurze Zeitdifferenz handeln. Das Weiterent- 
wickelte in unseren Figuren sehe ich in dem 
weniger starken Ausbiegen der Hüfte, dem sicheren 
Stehen und dem doch schon etwas Vollerwerden 
der Züge, die in den Hochaltarstatuen noch flacher 
und flauer behandelt sind, als bei den unsrigen. 

Stärker noch als es Lübbecke getan hat, möchte 
ich die Abhängigkeit dieses Skulpturenkreises von 
der westlichen Kunst hervorheben. Namentlich 
angesichts einer solchen Figur wie unserer Ы. 
Katharina drängen sich einem doch unbedingt 
französische Plastiken als Vorbilder vor. Genaue 
Übereinstimmungen lassen sich natürlich nicht auf- 
weisen. Aber ich möchte doch auf die nahen Be- 
ziehungen hindeuten, in denen unsere hl. Katha- 
rina zu einer Madonna wie der der Kollektion Mr. 
Doistau!) steht. Man findet da doch Eigenheiten, 
die nicht allein mit „Zeitstil“ abgetan werden können 
und die doch auf eine zum mindesten kurze Schulung 
in gleichen, größeren Kunstzentren hinweisen ). Die 
wellige, wie ausgeschnittene Behandlung der Haare, 


(1) Abgebildet: Gazette des Beaux Arts, зе Période, Tome 
32, р. 137. 
(2) Ich möchte hier auf die sehr zutreffenden Ausführungen 
Fr. Wittes, allerdings bezüglich anderer Plastiken, in der 
Zeitschrift für christl. Kunst, XXIV. Jahrg., Heft 3, р. 64—68 
verweisen. 


die gekniffenen, halbmondförmigen Augen, die all- 
zugroße, kugelige Stirn, die feine Behandlung der 
Hände, das starke Anpressen der Arme und das 
genau gleiche glatte Anliegen des Untergewandes 
auf der flachen Brust gehören hierher. Wie kommen 
nun solche nicht zu leugnenden Übereinstimmungen 
— und es ließen sich bei einiger Mühe gewiß 
noch schlagendere finden — nach Köln? An einen 
Einfluß durch von Hand zu Hand gehenden Skizzen- 
büchern, Pausen usw. — wie Lübbecke glaubt — 
zu denken, scheint mir nicht nur sehr gesucht und 
unwahrscheinlich, sondern auch nicht ausreichend, 
um solche Abhängigkeiten und vor allem die Fähig- 
keit, sich so einzufühlen, zu erklären. Denn diese 
Fähigkeit tritt uns zuweilen doch so überraschend 
entgegen, daß man sich fragen muß: sind es viel- 
leicht nicht doch französische Künstler? Daran 
glaube ich nun bei unseren Statuen nicht. Denn 
es liegt doch eine nicht zu verkennende Abwand- 
lung des französischen Ideals in der Vergröberung, 
Verbreiterung und der Schlichtheit vor. Die Ge- 
stalten sind gemütlicher, menschlicher und zugäng- 
licher als z.B. die genannte französische Madonna, 
die sehr unnahbar und vornehm tut. Die vorhan- 
denen Beziehungen erkläre ich mir durch die Frei- 
zügigkeit und Beweglichkeit der „Bildhauer“, wie 
sie im XIV. und noch mehr im XV. Jahr- 
hunderts gang und gäbe gewesen sein müssen. 
Die Leute haben da gelernt, wo es etwas zu ler- 
nen gab und das war eben im Westen: in Frank- 
reich, Burgund, Flandern usw.. Denn daß eine 
solche Arbeit wie die unserer hl. Katharina nur 
durch Schulung in einer Werkstatt des Westens 
und nicht allein durch Absehen und Nachempfinden 
möglich ist, scheint mir fraglos. Diese Beweg- 
lichkeit deutscher Bildhauer zugegeben, stehe ich 
nicht an, auch eine solche — wenn auch in be- 
dingterem Maße — für die westlichen Künstler 
nach Deutschland anzunehmen. Ich bin überzeugt, 
daß sich einzelne immer in deutschen Hütten be- 
funden haben werden, wie es die Hüttenbücher der 
Zeit ja auch dartun. 

Bei der Figur der „Kiagenden‘!) ist es schon das 
Motiv an sich, das auf die westlichen Einflüsse 
hinweist. Die Figur ist von einem Mantel so eng 
umhüllt, daß die Arme überhaupt nicht und nur 
die vor der Brust gefalteten Hände unter dem- 
selben zu gewahren sind. Eine dicke Kapuze am 
Mantel umhüllt den ganzen Kopf und läßt nur 
eben die Fleischteile des Gesichtes frei. Auffallend 
ist das senkrechte feste Stehen — ohne Einbie- 
gung! — und die Einfachheit des Faltenspieles 


(1) Diese Figur ist allein von den Plastiken und змаг im 
romanischen Kreuzgang aufgestellt. 


des Gewandes. Es sind außerordentlich wenige 
und senkrecht steil zu Boden verlaufende Falten, 
die wir gewahren. Das Gesicht ist am stärksten 
mitgenommen, doch lassen sich das Größer- und 
Lebendigerwerden der Augen und eine Zuspitzung 
ins Oval trotzdem bemerken. 

Ich fasse meine Betrachtungen über diese beiden 
Statuen dahin zusammen, daß ich sie von einem 
der Grabmäler Wilhelm von Genneps oder Wal- 
ram von Jülichs herrührend ansehe und für reifer 
und entwickelter als die Hochaltarfiguren halte. 

V. C. Habicht. 


DAS KÖNIG WENZEL-FRESKO IN 
DER MORITZKAPELLE ZU NÙRN- 
BERG. 

Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 

Ich will versuchen, im folgenden die Deutung 
eines Wandbildes der Nürnberger Moritzkapelle zu 
geben ), das bisher nur einmal in der Literatur 
ausführlicher von C. Gebhardt?) besprochen wurde. 
Freilich ist es ihm weder geglückt, den Inhalt mit 
Bestimmtheit zu deuten, noch das Stilverhältnis 
klarzustellen. Das in Frage stehende Wandbild 
schmückt die nördliche Wand der einschiffigen 
Kapelle und ist vor zehn Jahren von Prof. 
J. Schmitz-Nürnberg freigelegt worden. Es sind 
vier Szenen in einen ziemlich steil abfallenden 
Spitzbogen eingeordnet. Unterhalb des Scheitels 
sieht man in einem eingezäunten, mit Bäumen 
und Blumen besetzten Garten eine weibliche, 
stehende Figur mit blauem, pelzverbrämtem Rock 
und goldnem Gürtel. In der Linken hält sie ein 
geflochtenes Körbchen, während die Rechte ein 
mit einem Siegel versehenes Schriftstück von einem 
knienden Boten in Empfang nimmt. Über ihr 
schwebt ein Adler mit mächtig ausgebreiteten 
Schwingen. Links am Bildrande steigt ein bärtiger 
König von seinem Pferde; offenbar erwartet er 
die Rückkehr des Boten. Unterhalb dieser Dar- 
stellung sind unter einem horizontalen Streifen 
drei zum Teil schlecht erhaltene, gegeneinander 
nicht abgetrennte Szenen sichtbar. Aber man er- 
kennt doch noch, daß es sich links um eine 
(1) Ich bemerke, daß ich anfänglich an die Alexandersage 
dachte, worauf mich gerade die Schulszene hinwies. Ich 
glaubte in dem Lehrer Aristoteles und in der weiblichen 
Gestalt des oberen Bildes Olympias, König Philipps II. Ge- 
mahlin, zu sehen, um so mehr als nach dem „Alexanderlied 
des Pfaffen Lamprecht“ Olympias von einem Adler träumt, 
und solche Träume künftige Macht verkünden. Dieser Deu- 
tung steht aber die Taufe im Wege. Dann liegt es auch 
näher, lokale Verhältnisse anzuziehen. Endlich werden aus 
der Alexandersage nur das menschenfressende Pferd Buke- 
phalos und Alexanders Greifenfahrt dargestellt! 


(2) C. Gebhardt: „Die Anfänge der Tafelmalerei in Nürn- 
berg.“ Straßburg i. Els. 1908, р. 15. 


65 


Geburt handelt. Von der Lagerstätte der Kind- 
betterin ist noch das Fußende mit grüner Decke 
sichtbar, und unter dem Bogen der Wochenstube 
steht der königliche Vater, den wir eben 
kennen gelernt haben. Er hält den Neugeborenen 
zum Zeichen seiner Anerkennung mit beiden Armen 
hoch. Es folgt die Taufe des Knaben. Wiederum 
der König, links vom Taufbecken mit einem Pagen, 
und ihm gegenüber ein Erzbischof, an dem Pal- 
lium erkennbar, der den kräftigen Täufling hoch- 
hält!). Im ganzen nehmen zehn Personen an dem 
Taufakte teil. Im Bilde nebenan ist der Knabe 
herangewachsen. Er geht zur Schule, in der ihn 
der König besucht. Wir sehen, wie der Prinz im 
Kreise von Kameraden vor einem aufgeschlagenen 
Buche sitzt und die ersten Leseübungen vornimmt. 
Der Lehrer steht rechts im Mittelgrunde ). 

Die hier zu beantwortende Frage ist die, um 
welche Ereignisse es sich handelt. Wenn man 
die drei Motive, König, Erzbischof und Adler ein- 
mal fester ins Auge faßt, kommt man ans Ziel. 
Da das Fresko, ganz allgemein gesprochen, im letz- 
ten Drittel des 14. Jahrhunderts entstanden ist, 
liegt es sehr nahe, an Kaiser Karl IV. zu denken. 
Und daß unser Meister ihn in der Moritzkapelle 
wirklich dargestellt hat, sagt das Bild. Wir haben 
vor allem in der böhmischen Kunst eine genügende 
Anzahl seiner Porträts, und wir besitzen ein viel- 
leicht noch einwandfreieres, literarisches Denkmal 
in der „Cronica“ des 1363 in Florenz verstorbenen 
Matteo Villani®). Villani hat Karl IV. auf seinem 
ersten Zuge nach Italien 1354/55 gesehen und 
seine Eindrücke folgendermaßen wiedergegeben: 
„Er war von mittlerer Statur, aber klein nach 
deutschen Begriffen, etwas verwachsen, da er, 
wenn auch nicht übermäßig, den Hals und den 
Kopf nach vorne hielt; hatte dunkle Hautfarbe, 
ein breites Gesicht und große, dicke Augen. Seine 
Backen waren dick, sein Bart schwarz und der 
vordere Teil des Kopfes kahl!“ ). Über die Be- 
schaffenheit der Flaare sagt Villani zwar nichts 
Näheres, aber wir wissen doch, daß der Kaiser einen 
starken, fast senkrecht herabfallenden Schnurrbart, 
(1) Ich mache darauf aufmerksam, daß der Restaurator diese 
Szene mit der „Darstellung Christi‘ (!) identifizierte und des- 
halb den Heiligenschein aufmalte. 

(2) Die Beschreibung gebe ich kurz, da ich auf dieses Wand- 
bild in meinem in kurzem erscheinenden Buche über „Die 
gotischen Wandmalereien in der ehemaligen Kaiserpfalz 
zu Forchheim bei Bamberg“ ausführlicher zurückkomme. 
(3) Matteo Villani: „Cronica.“ Firenze 1846, t. I, р. 376, da- 
zu Fr. Palacky: „Geschichte von Böhmen.“ Prag 1842, 
Bd. II, II, р. 431. 

(4) Ed.Heyck: „Deutsche Geschichte.“ Bielefeld 1906, Bd. II, 
р. 307, 313; С. Heffner: „Die deutschen Kaiser- und Königs- 
siegel.“ Würzburg 1875, р. 23, Tafel XI, 88; vgl. auch das 


goldene Reliquienkreuz im Domschatz zu Prag, bei A. Pod- 
laka-Ed. Sittler: „Der Domschatz und die Bibliothek des 


66 


einen kräftigen, geteilten Vollbart und reichliches, 
bis auf die Schultern wallendes Lockenhaar trug, 
(vgl. etwa die Statue Peter Parlers im Prager 
Dom, oder am Altstädter Turm der Karlsbrücke, 
die Malereien in Karlstein und die Miniaturen der 
goldenen Bulle!). Somit haben wir in dem bärtigen 
Porträtkopf „Böhmens Vater, des heiligen Römi- 
schen Reichs Erzstiefvater“ zu erblicken. Mit dieser 
Identifizierung ist es nun verhältnismäßig leicht, 
den Sinn der übrigen Szenen zu erraten. 

Dem Adler über der weiblichen Gestalt kommt 
ein ganz bestimmter Inhalt zu. Schon bei den 
Griechen galt er als König der Vögel, und gleich 
Zeus war er ein Spender von Licht, Fruchtbarkeit 
und Glück. Er war vor allem das Sinnbild der 
irdischen Macht und wurde so auch in der christ- 
lichen Symbolik gewertet?). Der Adler ist zum 
deutschen Reichsadler geworden, den schon Kari 
der Große nach seiner Krönung in Rom zum 
Symbol seiner Macht erhoben haben soll, und 
zum Zeichen der Herrschaft erscheint er auf Siegeln 
und Münzen der deutschen Könige. Anders aus- 
gedrückt: der Adler ist das Symbol der weltlichen 
Herrschaft, ist Reichssymbol. Der alte Kaiser- 
aar breitet im Bilde der Moritzkapelle seine schir- 
menden Fittige über die weibliche Gestalt aus, die 
damit als Königin charakterisiert werden soll. Das 
dritte Motiv ist das Pallium, das der Erzbischof 
als besonderes Abzeichen seiner Würde anlegt. 

So haben wir alle Elemente gefunden, um nun- 
mehr die endgültige Deutung auszusprechen. Der 
Gedanke liegt nahe, daß durch den Pinsel Ereig- 
nisse festgehalten sind, denen lokale Bedeutung 
zukommt, die sich in Nürnberg abgespielt haben. 
Erinnern wir uns noch an die Tatsache, daß 
Wenzel IV. in Nürnberg geboren wurde. 

Ich sage also: die obere Szene bringt die Wer- 
bung Karls IV. um Anna, Tochter Herzog Hein- 
richs II. von Schweidnitz. (Sie vermählte sich am 
27. Mai 1353 mit Karl, dessen dritte Gemahlin sie 
war und starb am 11. Juli 1362.) Der Neugeborene 
des zweiten Bildes ist Wenzel, der am 26. Febr. 1361, 
am St. Gertruden- Tag in Nürnberg auf der Burg 
geboren wurde’). 


Metropolitan-Capitels“, in: „Topographie der Historischen u. 
Kunstdenkmale im Königreich Böhmen“. Prag 1903, р. 46; 
dazu die Münzen bei Al. Donckauer: „Beschreibung der 
Sammlung böhmischer Münzen und Medaillen.“ Prag 1888, 
р, 83, Tafel XVIII. 

(1) E. Michael: „Culturzustände des deutschen Volkes 
während des dreizehnten Jahrhunderts.“ Freiburg i. В. 1897, 
Bd. I, p. 279. 

(2) Er. Grützner: „Symbole und Wappen des alten deut- 
schen Reiches.“ Leipzig 1902, р. 13; В. J. Römer-Büchner: 
„Der deutsche Adler nach Siegeln geschichtlich erläutert.“ 
Frankfurt a. M. 1858, p. 21. 

(3) Joh. Looshorn: „Die Geschichte des Bistums Bamberg.“ 
München 1891, Bd. III, p. 288; Th. Lindner: „Geschichte des 


Die Taufe Wenzels im dritten Bilde fand am 
тт. April, dem zweiten Sonntag nach Ostern, in 
der der Moritzkapelle benachbarten Sebalduskirche!) 
in Gegenwart des Mainzer Erzbischofs Gerlach von 
Nassau und des Erzbischofs von Köln statt. Der 
Prager Erzbischof Ernst von Pardubitz?) spendete 
die Taufe. KarlIV. sah sich frühzeitig nach einem 
Erzieher um und hatte Petrarca berufen wollen, 
der aber ablehnte. Wenzel wurde dann von Burg- 
hard, dem Probst zum Wischehrad und Kanzler 
Böhmens unterrichtet. Er erscheint im vierten 
Bilde. 

Deutschen Reiches unter König Wenzel.“ Braunschweig 


3875, р. 17; vgl. „Die Chroniken der fränkischen Städte.“ 
Leipzig 1869, Bd. III, p. 161. 


(1) Das sog. Wenzel-Taufbecken im Westchor ist im XV. 
Jahrhundert entstanden. 

(з) Dieser Erzbischof kniet mit Karl ГУ. vor dem Auferstan- 
denen im Pontificale des Albert von Sternberg, Bischofs 
von Leitomischl, a. 1376, Klosterbibliothek Strahow, fol. 34b. 


Mit diesen Darlegungen glaube ich den Gesamt- 
inhalt des Nürnberger Wandbildes festgestellt zu 
haben. Wer die zeitgenössische Geschichte und 
die Literatur kennt, weiß, welch ein Jubel bei der 
Geburt des Kaisersohnes in Nürnberg herrschte !). 
Wird doch überliefert, daß die Gefangenen freige- 
lassen wurden, der Kaiser Steuernachlaß bewilligte. 
Klerus und Volk veranstalteten feierliche Prozes- 
sionen, Wallfahrten wurden gelobt. Zum Tauftage 
hatte Karl IV. einen Reichstag nach Nürnberg 
berufen, wohin er auch die Reichskleinodien aus 
Prag kommen ließ, um sie dem Volke zu zeigen. 
Die Kurfürsten und mehr als 50 geborene Fürsten 
waren zugegen. Endlich hatte der Papst einen 
Ablaß wie am Gründonnerstag erteilt. 

Hugo Kehrer. 


(1) Th. Lindner а. a. O., p. 18; Fr. M. Pelsel: „Lebensge- 
schichte des Römischen und Böhmischen Königs Wences- 
laus.“ Prag 1788, Bd. I, p. 2. 


ANDREAS AUBERT, Dienorwegische 
Malerei im XIX. Jahrhundert. 1814 
bis 1900. Verlag von Klinkhardt & Bier- 
mann in Leipzig. 

Die vorliegende Arbeit ist eine deutsche Über- 
setzung des für das große Nationalwerk „Norwegen 
im 19. Jahrhundert“ geschriebenen Beitrages über 
die Entwicklung norwegischer Malerei innerhalb 
dieses Zeitraumes. Auch als Einzelschrift ist sie, 
wie das Nachwort bedeutet, noch zweimal in den 
Jahren 1904 und 1908 erschienen. Die Stellung 
der norwegischen Malerei des vergangenen Jahr- 
hunderts ist allein schon wegen ihrer Beziehungen 
zu unserer Kunst wichtig genug, um diese deut- 
sche Ausgabe zu rechtfertigen. Aubert beginnt 
bei Dahl als dem eigentlichen Begründer der hier 
in Frage stehenden Epoche, würdigt dessen Nach- 
folge und die befruchtenden Resultate, die sich 
aus den Einflüssen von Seiten der Düsseldorfer 
und Münchener Schule ergaben. Nach München 
wird Paris der Sammelpunkt norwegischer Künst- 
ler; aus den dort geschöpften Anregungen erwächst 
erst jene Periode norwegischer Malerei, die uns 
in ihren Vertretern wie Werenskiold oder Krogh, 
am stärksten aber wohl in Edvard Münch interes- 
siert. Sein unvergleichlich eindringliches, ernstes 
Selbstporträt, das hier abgebildet ist, redet eine 
garnicht mißzuverstehende Sprache von der über- 
ragenden Bedeutung dieser Persönlichkeit. — Als 
guter Kenner seiner heimatlichen Kunst, als liebe- 
voller Beobachter leitet Aubert durch das von ihm 


behandelte Gebiet, aber der gleichmäßig, allzu ak- 
zentlos dahinfließende Text hat etwas Ermidendes, 
es fehlt die Fähigkeit, packend und plastisch zu 
charakterisieren. Vielleicht trägt wenigstens zum 
Teil die Übersetzung daran Mitschuld: dieses 
Deutsch ist einfach unmöglich, es ist beinahe un- 
lesbar. Fast jeder Satz enthält unbeabsichtigte 
Wortwiederholungen und Banalitäten. Wir hören, 
daß Gude ein „Schönheitsverehrer“ ist (8.21) und 
daß ein Hochgebirgsbild von ihm „einen sicheren 
Naturboden“ besitzt (S. ac); das „Strahlenbündel 
des Sonnenauges“ (8. зо) müssen wir ebenso über 
uns ergehen lassen, wie den rätselhaften Satz: „ев 
ist ein Entwicklungsprozeß, ein Vernorwegi- 
schen“. Das steht wörtlich auf Seite 2. — 

J. Sievers. 


LIONEL CUST, Notes on Pictures in 
the Royal Collections. London, Chatto 
& Windus. 4°. 1911. 

Der Band faßt eine erste Auswahl aus der Reihe 
von Aufsätzen zusammen, die Cust im Burlington 
Magazine während der letzten Jahre veröffentlicht 
hat. Bekanntlich gab der Umstand daß Edward VII 
kurz nach seiner Thronbesteigung die Privat- 
sammlung von Ölbildern in den königlichen 
Schlössern neu ordnen ließ, die Anregung zu diesen 
Aufsätzen. Das interessanteste, was bei dieser 
Gelegenheit wieder aus dem Dunkel der Vergessen- 
heit gezogen wurde, sind die Bilder die des Prinz- 
gemahl Albert, der Vater Edwards VII, zusammen- 


67 


gebracht hatte. Die meisten Kapitel im vorliegenden 
Band sind solchen Bildern gewidmet, darunter 
wichtige Werke von Cranach, Sano di Pietro, 
Geutile da Fabriano, Pessellino usw., auch Tizian-, 
Moro-, Borborelli- und andere Attributionen. Zu- 
letzt werden noch einige Van Dijchs behandelt, 
wohl das Beste was der Herausgeber selbst für 
den Band beisteuerte. Außer ihm haben sich hier 
nämlich noch М. Н. Bernarth, Т. Borenius, Н. Cook, 
E. v. Dobschütz, Langton Douglas, R. Steel und 
C. C. Stopes zu den besprochenen Werken geäußert. 
Bei den zahlreichen und verschiedentlichen Fragen 
die in diesem Band angeschnitten werden, wird 
man vieles finden das zum Widerspruch heraus- 
fordert. So z.B. stellt die Photogravüre gegen- 
über Seite 48 natürlich nicht einen „Adam und 
Eva“ Cranachs, sondern Apollo und Diana dar. 
(Die Landschaft übrigens entspricht gar nicht dem 
Charakter der sächsischen Schweiz.) Das Ölbildnis 
Cranachs gegenüber 8.54 möchte man eher dazu 
verwenden um den Nachweis zu führen daß der 
bekannte Holzschnitt fälschlich durch irgend 
welchen unverständlichen Zufall, auf „Luther als 
Junker Jörg“ benannt worden ist, als daß man 
die Benennung für das Ölbildnis mit dem Hinweis 
auf den Holzschnitt zu stützen suchte. Aber ge- 
rade derartige Einwände weisen nur auf das In- 
teresse hin, daß der Band allseitig ansprechen wird. 

Hans W. Singer. 


REINACH, SALOMON, Répertoire de 
peintures du Moyen-äge et de la 
Renaissance, t. I—III, 1905—1910. 12°. 
Paris, Ernest Leroux. 


Wer hätte nicht schon geseufzt über die bisher 
geübte umständliche, schwer in die Anschauung 
überzuführende und Mißverständnisse nicht aus- 
schließende Zitierung von weniger bekannten Ge- 
mälden, mochtesienun durch Angabe oftschwanken- 
der Benennungen und veränderlicher Numerierung 
nach den meist unübersichtlichen Galeriekatalogen 
geschehen, oder mochte man es für das einfachste 
halten, die Verlagsnummern einer photographischen 
Firma aus deren unkritischen Verzeichnissen an- 
zuführen, was den Besitz oder Erwerb der Photo- 
graphie voraussetzte! Wie kolossal müßten Biblio- 
thek oder Photographiensammlung sein, die, wenn 
auch unter großem Zeitverlust, die nötige Anschau- 
ung zu vermitteln vermöchten! Seit längeren 
Jahren besaßen wir ein mehr auf weitere Kreise 
zugeschnittenes Unternehmen in dem „Klassischen 
Bilderschatz“, dessen 12 Jahrgänge mit 1728 Ab- 


68 


bildungen eine erkleckliche Summe kosteten. Da- 
zu traten seit verschiedenen Jahren die wertvollen 
Sammelbände der „Klassiker der Kunst“, aber sie 
beschränken sich auf die namhaftesten Künstler. 

Nun hat ein eminent praktischer Forscher den 
weitschauenden Plan gefaßt, den ganzen Bestand 
öffentlichen und privaten Besitzes an Bildern aus 
der Zeit von 1280 — 1580 in handlichen Bänden 
unter Beigabe zuverlässiger Abbildungen zu inven- 
tarisieren. Schon sind in fünf Jahren 3600 Bilder in 
drei Bänden erschienen, von denen jeder zu dem er- 
staunlich billigen Preise von 10 Frs. käuflich ist. 
Das Material fiir eine Reihe weiterer Binde liegt 
vor. In Deutschland ist das Unternehmen wenig 
bekannt geworden, wie auch meines Wissens bis- 
lang keine deutsche Zeitschrift darüber berichtet 
hat, so daß ich hoffen darf, manchem durch den 
Hinweis auf dieses wertvolle Hilfsmittel seiner 
Studien einen Dienst zu erweisen. 

Die Abbildungen sind ikonographisch geordnet: 
Altes Testament, Leben Jesu und Mariä, Engel, 
Heilige, Allegorien, Mythologie, profane Geschichte, 
Genre und Bildnisse. Doch mußten letztere, um 
den Raum auszunutzen, öfters in anderen Abtei- 
lungen Platz finden. Unter den Bildern stehen 
Notizen von sehr wechselndem Umfang und natür- 
lich auch ungleichmäßigem Werte, weil der Ver- 
fasser sich auf die Angaben seiner Vorlagen und 
eigene Erfahrung angewiesen sah. So ergaben 
sich im zweiten und dritten Band nicht wenige 
Korrekturen und Zusätze, die aber noch für manche 
Berichtigung Raum lassen. Drei Arten von Ver- 
zeichnissen ermöglichen ein schnelles Auffinden: 
nach den Autoren, nach den Gegenständen und nach 
den Orten der Aufbewahrung. Die Illustrationen 
sind Strichätzungen, die größtenteils von der ge- 
schickten Hand des Herrn Aristide Weber durch 
Überzeichnung von Photographien hergestellt sind. 
Ähneln sie in ihrer Form auch den vor 100 Jahren 
üblichen Umrißstichen, so unterscheiden sie sich 
von diesen wesentlich durch die unvergleichlich 
größere Treue gegenüber den Originalen. Für 
Fragen der Ikonographie reichen sie wohl allemal 
aus, aber auch für die Bestimmung von Stil, Schule, 
Verwandtschaft und Urbeber kommt man mit den 
meisten Blättern ziemlich weit. Oft ist sogar der 
Ausdruck ganz überraschend getroffen. Daß da- 
neben einige Blätter — meist von anderen Händen 
angefertigt — weniger gelungen sind, tut dem 
Werte des Buches keinen Eintrag. Einige Male 
hat allerdings die Verkleinerung wohl die zulässigen 
Grenzen überschritten. Die Linienzeichnung emp- 
fahl sich vor dem Netzdruck durch die weit größere 
Deutlichkeit im Detail und die Billigkeit der Her- 


stellung, da auf diese Weise der Erwerb des Re- 
produktionsrechtes gespart wurde. 

Man wird in Zukunft jedes Bild auf das Be- 
stimmteste durch einen Buchstaben und eine Zahl 
bezeichnen, 2. В. Кёр. С. 366 ! und im dritten Bande 
sofort das gemeinte Bild, hier die thronende Ma- 
donna von Franc. Napolitano in Zürich, vor sich 
haben. Schon in den drei bisher herausgekomme- 
nen Bänden besitzt man in übersichtlichster An- 
ordnung und handlichem Format einen wahren 
Schatz von Abbildungen, zum größten Teil nach 
seltenen Vorlagen, wie Privat- und Auktionskata- 
logen und nicht im Handel befindlichen Photo- 
graphien. Ich schließe mit dem Wunsche, daß 
das für die Kunstforschung überaus verdienstvolle 
Unternehmen mit Unterstützung der internationalen 
Gelehrtenwelt rasch und glänzend voranschreite. 

Im folgenden seien noch einige Korrekturen zum 
dritten Bande angemerkt. Das Jünglingsporträt 
С. 43% („Sebastiano“, wohl dieselbe Person wie 
C. 443) kann wegen des Alters des Dargestellten 
nicht der Bologneser Juwelier und Poet Girolamo 
Casio sein, wie aus einem Vergleich mit dessen 
um 1495 und 1500 gemalten Bildnissen (C. 210 
und C. 291) ersichtlich ist. C. 372 ist kein B. Luini, 
sondern augenscheinlich ein Beltraffio und vielleicht 
überhaupt kein Weib, sondern ein weibisch auf- 
geputzter Jüngling, ähnlich C. 43? und 443%. Da- 
gegen ist C. 106° wohl ein Mädchen, wegen des 
Mieders. Es scheint, daß die meisten der Darge- 
stellten der Familie Casio angehören. Der Geburt 
Christi von Botticelli C. 66 fehlt die bedeutsame 
griechische Inschrift, die geheimnisvoll auf den 
Tod Savonarolas Bezug nimmt und die Datierung 
enthält. C. 393 ist gestochen v. Ign. Fumagalli, 
Scuola di Leon. da Vinci in Lombardia 1811, Т. VII; 
schönere Réplique im Oldenburger Museum; beschä- 
digte in der Sammlung 8.Reinach, Paris; уоп C. 406? 
gute Réplique in der Sammlung v. Mumm, Frank- 
furt (Abb. Mackowski, Verrocchio, 8. 83). С. 443 
ist Dublette von C. 198. 486? ist statt S. Bernard 
S. Bernardin zu lesen; 587 Jaques Mineur statt 
Majeur. С. 592? ist nur eine geringe Kopie aus der 
Zeit des Rokoko. 594! Sesto ist mehr als fraglich; 
G. Frizzoni, Arte 1906, 410 ersieht darin einen charak- 
teristischen B. Lanino. 638? jetzt Nat. Gallery. 692? 
S. Katharina ist eine Nachbildung der Mona Lisa. 
764 anstelle von Morellis Attribution (Sodoma) ist 
„unbekannter Florentiner‘ zu setzen. 744 ist auch 
die confession dargestellt, 745 auch onction. 7521 
nach einer Zeichnung Michelangelos in Windsor. 
437 und 521 gehören zu Fra Bartolomeos Madonna 
in Besancon, siehe Knapp, Fra B., S. 124. Bei 
C. 279 ist die übermalte Kopie in der Eremitage 


Nr. ag zu erwähnen. 202! ist aus dem Leben des 
sel. Johannes Gualbertus, des Stifters der Vallom- 
brosaner: er verschont den Mörder seines Bruders 
und der Kruzifixus neigt das Haupt zu ihm. 254? 
ist das Fragezeichen hinter Beltraffio zu streichen; 
das Bild ist als Vinci gestochen von W. Hollar. 
Im Ortsverzeichnis fehlt unter Zürich das Bild 
366! von Fr. Napolitano. 

Sehr wichtig und bequem ist die Einrichtung, 
daß bei jedem neuen Band die Register und Kor- 
rigendentafeln alle früheren Bände mitumfassen, 
so daß nur das Verzeichnis des jeweilig letzten 
Bandes befragt zu werden braucht. Das bietet zu- 
gleich auch den großen Vorteil, daß die Verzeich- 
nisse (sie umfassen im letzten Bande 61 Seiten!) 
andauernd vervollkommnet werden können. 

E. Möller. 


E. van OVERLOOP, Dentelles Anciennes 
des Musées Royaux des Arts Décoratifs 
et Industriels à Bruxelles. G. van Oest 
& Cie., Editeurs, Bruxelles, Paris 1911. 

Unter den Spitzensammlungen der großen euro- 
päischen Museen nimmt die des Musée du Cin- 
quantenaire in ihrer selbstgewollten Beschränkung 
elne ganz besondere Stellung ein. Sie ist boden- 
ständig; was sie sucht, und was sie enthält, ist fast 
ausschließlich heimatliches Kunstgewerbe. Und 
im Gegensatz zu jenen, von einem geschichtlichen 
Gesichtspunkte aus geformten Sammlungen, wo 
jede Spitzengattung mit typischen Beispielen ver- 
treten ist, konnte Brüssel, als Hauptsitz der be- 
deutenden niederländischen Spitzenklöppelkunst des 
17. und 18. Jahrhunderts, sich das leisten und sich 
auf die im Lande gefertigten Kunstwerke be- 
schränken. 

М. van Overloop hat eine Mustersammlung der 
einheimischen Spitze erstrebt, und mit welchem 
Erfolg zeigt diese schöne Publikation der bedeu- 
tendsten Stücke des Brüssier Museums. 

Sie bietet das reiche Abbildungsmaterial zu 
seinem trefflichen Führer durch die Spitzensamm- 
lung und bildet mit ihm zusammen die zuver- 
lässigste und anschaulichste Darstellung der Ge- 
schichte der belgischen Klöppelspitze des 17. und 
18. Jahrhunderts. Overloop hat durch die Klar- 
legung der technischen Unterschiede der verschie- 
denen ,,réscaux‘ der Kiöppelspitze zuerst Licht 
gebracht in die dunkle Frage nach den verschie- 
denen Fabrikationsorten. 

Brüssel ist bei weitem der bedeutendste Spitzen- 
ort der Niederlande gewesen, hinter dem das 
benachbarte Malines und auch Valenciennes weit 


69 


zurücktreten; Brabant bedeutet die in das derbere 
provinzielle Wesen übersetzte Brüssler Art. Von 
besonderer Wichtigkeit sind die drei datierten — 
1720, 1751 und 1757, 1759 — und die durch ge- 
schichtliche Beziehungen auf 1599, 1708 und 1747 
datierbaren Stücke Brũssler Herkunft; eine Eigen- 
heit, die bei keiner anderen Klöppelspitze nieder- 
ländischer Herkunft bisher bekannt geworden ist. 

Von dem auf 100 Tafeln festgelegten Werk sind 
bisher drei Lieferungen mit 60 Tafeln erschienen; 
ein knapper Begleittext bringt die Beschreibungen 
und alles historisch Wissenswerte. — Äußerlich 
bedeutet diese Publikation vor allen ähnlichen 
Tafelwerken einen großen Fortschritt durch die 
geringe Verkleinerung und durch die zahlreichen 
Detailaufnahmen der Spitzen. Der Druck der 
Tafein ist nicht gleichmäßig gut, die dritte Liefe- 
rung steht in dieser Beziehung sehr zurück hinter 
der ersten. Schuette. 


CORRADO RICCI, Baukunst und de- 
korative Skulptur der Barockzeit in 
Italien. (Band V der Bauformen-Biblio- 
thek.) Stuttgart 1912. Verlag Julius Hoff- 
mann. 


Dieser mit 315 einwandfrei ausgeführten Auto- 
typien illustrierte Band wird voraussichtlich wie 
wenige Veröffentlichungen auf dem Gebiete der 
italienischenBarockarchitektur belebend und fördernd 
wirken. Eine gleich günstige Gelegenheit die 
klassischen Schöpfungen von Bernini, Rainaldi, 
Berrettini und der anderen Meister des römischen 
Hochbarock in guten Abbildungen beisammen zu 
haben, und zwar in verständnisvoller, kritisch 
sondernder Auswahl, war bislang nicht vorhanden; 
dabei vermeidet Ricci jede Einseitigkeit und wird 
auch den vernachlässigten Monumenten des ita- 
lienischen Südens durchaus gerecht. Vorzügliche 
Beispiele des phantasievolisten Barock bietet er 
uns mit den Chorgestühlen von Monte Cassino, 
von Andria und Bisceglia, den geschnitzten Decken 
in Pescocostanzo (Prov. Aquila), den prunkvoll 
mit Steinmosaik verkleideten Interieurs der Kirchen 
von Palermo u. a.; eine ganz abweichende Nuance 
vertreten die von Spanien stark beeinflußten Fas- 
saden von Lecce. Neben der Glut und Phantastik 
des Südens die kühlen, vornehmen Anlagen Nord- 
italiens: Venedig mit den Bauwerken des Baldassare 
Longhena, Genua mit den Stuckierungen eines 
Bergamasco, den berühmten Treppen und Höfen 
des Bartolommeo Bianco, Mailand und Bologna 
mit ihren von Ricchini und Triachini erbauten 
Palästen. Außer den Hauptorten sind überall auch 


70 


entiegenere Plätze mit berücksichtigt; dennoch ist 
das Bild nicht weniger geordnet und übersichtlich 
wie umfassend und verschiedengestaltig. Sehr 
eingehend ist die Behandlung des Kunstgewerbes 
(Portale, Schränke, Truhen, Eisengitter, Chorstihle); 
wie Ricci im Text hervorhebt, wollte er die Ein- 
heitlichkeit und Geschlossenheit des Stiles in allen 
seinen verschiedenen Äußerungen recht schlagend 
herausarbeiten. Es hängt mit dieser Tendenz zu- 
sammen, wenn er den Barock im wesentlichen 
mit dem Stile des 17. Jahrhunderts, also mit dem 
Begriff des Seicentismo, identifiziert, dessen Mittel- 
punkt in der Literatur die Poesie eines Marino, 
in der bildenden Kunst das Schaffen Lorenzo Ber- 
ninis bezeichnet. 

Der kurze einleitende Text leidet unter der von 
Dr. Julius Baum besorgten Verdeutschung, die von 
Riccis elastischer, elegant-rhetorischer Prosa nichts 
zu retten verstanden hat und selbst von sprach- 
lichen Mißverständnissen nicht frei ist. (S. УШ 
oben: „Die Gruppe der hi. Katharina von Siena 
und des hl. Dominikus und Sixtus“, wo Ricci nicht 
eine plastische Gruppe, sondern offenbar die beiden 
Kirchen S. Caterina und S. Domenico e Sisto auf 
der piazza Magnanapoli in Rom meint, ferner 
8. X: „Man kann sagen, daß jeder bedeu- 
tende römische Palast die Schnecke auf- 
nahm, so der Vatikan...“ — War dem Über- 
setzer der deutsche terminus technicus: Wendel- 
treppe für Scala a chioccola oder a lumaca wirk- 
lich nicht geläufig?) 

Damit aber genug der Aussetzungen, die doch 
gegenüber den ausgezeichneten und vortrefflich 
angeordneten Abbildungen kaum in die Wagschale 
fallen. Für alle, die sich mit der Architektur des 
italienischen Seicento beschäftigen, wird sich der 
Band sicher als unentbehrlich erweisen. 

Hermann Voss. 


M. SAUERMANN, Die gotische Bild- 
nerei und Tafelmalerei in der Dorf- 
kirche zu Kalchreuth. (Beiträge zur 
fränkischen Kunstgeschichte, herausgege- 
ben von Friedrich Haack-Erlangen.) Th. 
Bläsings Universitäts-Buchhandlung, Er- 
langen. 

Die Kunstwissenschaft hat allen Grund, der Lokal- 
forschung für ihre stille, bescheidene Arbeit dank- 
bar zu sein; erhält sie doch von ihr vielfach das 
Material erst zugeführt, das sie dann für ihre 
höhere Aufgabe nutzbar und ertragreich macht. 
Unter diesem Gesichtspunkte darf man die von 
Haack herausgegebene neue Sammlung willkommen 


heißen, die uns Beiträge zur fränkischen Kunstge- 
schichte zu liefern verspricht. Im ersten Heft be- 
handelt H. M. Sauermann die Kalchreuther Dorf- 
kirche, die dem Patronat der Nürnberger Patrizier- 
familie Haller unterstand und die diesem Patronate 
einen nicht unbeträchtlichen Schatz an Werken 
der Nürnberger Kunst verdankt. 

Nachdem die Baugeschichte der Kirche klarge- 
stellt ist (das Langhaus wurde 1471, der Chor 
1494, der Turm in seiner heutigen Gestalt 1788 
erbaut), bespricht Sauermann die einzelnen Kunst- 
denkmäler. Die Kalchreuther Tonapostel, die Pück- 
ler - Limpurg in die Literatur eingeführt, gibt er 
mit diesem einer und derselben Nürnberger Werk- 
statt, führt aber die Qualitätsdifferenz auf die un- 
gleiche Begabung der ausführenden Künstler, nicht 
auf die zeitliche Differenz der Entstehung zurück. 
Das Epitaph mit dem Tode Mariae, eine Stiftung 
des Leupoltt Haller, hatte ich seinerzeit in die 
Literatur eingeführt und als Arbeit des Meisters 
des Wolfgangaltars bestimmt; Sauermann verweist 
auf die von einem Kalchreuther Pfarrer überlieferte 
Überschrift des Epitaphs, die es 1476 datiert, 
möchte aber trotz der vollkommenen Typenüberein- 
stimmung das Bild einem Nachfolger geben, weil 
es nicht darnach strebe, die Bildfläche kompositionell 


abgewogen zu füllen, sondern den Vorgang recht 


deutlich und ausdrücklich zu machen. Diese Dif- 
ferenz vermag ich nichtzu sehen und muß daher 
beim Meister des Wolfgangaltars als Schöpfer des 
Bildes bleiben; dieser selbst ist übrigens nur ein 
später Nachzügler der Kunst der 30er Jahre (des 
„Meister Berthold‘, wie S. nach älterer Termino- 
logie es symbolisch ausdrückt), dürfte aber kaum 
noch in den 70er Jahren schulebildend gewirkt 
haben. (Die Frau des Leupoltt Haller heißt übrigens 
wirklich Martha, nicht Maria, wie S. nach Bieder- 
mann konjiziert — man muß in genealogischen 
Fragen stets auf das Hallerbuch als die ursprüng- 
lichste Quelle zurückgehen — und der Marientod 
kommt bei Frauen jedes Namens, nicht nur bei 
Schutzbefohlenen der Gottesmutter, als Epitaphdar- 
stellung vor.) Den jetzt zerlegten rechten Seiten- 
altar der Kirche hatte Dörnhöffer anläßlich der 
Nürnberger Jubiläumsausstellung besprochen und 
ihn einem unter Wohlgemuts Einfluß stehenden 
Künstler zugeteilt; S. vermag den Altar 1474 
zu datieren und gibt ihm der in Pleydenwurffs 
Tradition arbeitenden frühen Wolgemutwerkstatt. 
Den Hauptaltar hatte ich gelegentlich der Stilstufe 
der 80er Jahre zugeteilt und ihn mit dem Rochus- 
altar von St. Lorenz in Verbindung gebracht; 8. 
kommt zu ähnlichem Resultat, indem er ihn 1498 
datiert und von dem Meister des Heilsbronner 


Hochaltars abhängig macht (nach Rauchs Kon- 
struktion Hanns Traut), der ja in seiner Frühzeit 
den Rochusaltar geschaffen hat; den Meister der 
Schnitzereien dieses Altars erkennt S. in dem 
Schnitzer des sog. Cranachaltars in Heilsbronn 
wieder. Die Schnitzereien des linken Seitenaltars 
von 1516 gibt S. der Stoßschule, seine Malereien 
rückt er (vielleicht etwas zu nahe) an Wolff Traut 
heran. Das bekannte Sakramentshäuschen gibt er mit 
Daun Kraft selber, sollte aber doch dabei die Mit- 
arbeit der Werkstatt nicht so unbedingt in Abrede 
stellen. Die sehr schöne Pietà läßt sich einstweilen 
noch nicht näher bestimmen, doch weist S. auf 
stilverwandte Werke in der Katzwanger Kirche 
hin; eine Holzstatuette des hl. Jacobus teilt er 
mit guten Gründen der Vischer-Schule zu. 
Bringt auch die Arbeit Sauermanns nichts wesent- 
lich neues, so bestätigt und begründet sie doch 
in dankenswerter Weise manche beiliufige An- 
nahme der früheren Forschung, und sie zeigt 
wieder, wie auch schon die ähnlichen Arbeiten 
von Schulz über die Kirchen von Kraftshof und 
Altenfurt, das eine eingehende Beschäftigung mit 
den Dorfkirchen Frankens — eine lohnende Auf- 
gabe gerade für jüngere oder minder sichere«Krifte 
— dankenswerte Beiträge zur Kunstgeschichte 
Nürnbergs zu bringen vermag. C. Gebhardt. 


OSKAR DOERING, Deutschlands mit- 
telalterliche Kunstdenkmäler als 
Geschichtsquelle. Hiersemanns Hand- 
bücher В. 7, Leipzig, Karl W. Hiersemann, 
1910. Preis geb. М. 12.—. 


Titel und Inhalt des Buches entsprechen sich 
nicht ganz. Zwar ist stets darauf hingewiesen, 
daß den Kunstdenkmälern neben ihrem kunstge- 
schichtlichen Werte eine historische Bedeutung 
zukomme. Allein da der Begriff der Geschichts- 
quelle zu weit gefaßt ist, wurde die Zuweisung der 
Denkmäler in die rein historischen Zusammen- 
hänge zum Teil verschwommen. Zugegeben, daß 
die Mehrzahl der hier behandelten Denkmäler eine 
Geschichtsquelle darstelle, so kann die Fragestel- 
lung im wissenschaftlichen Sinne doch nur die 
sein, ob diese in einem Kunstwerke sich mani- 
festierende Geschichtsquelle nicht durch andere, 
bessere, nicht durch eine primäre Geschichtsquelle 
eliminiert werde. Das Fehlen jeglicher anderen, 
sichereren Urkunde würde das in Frage kommende 
Kunstdenkmal erst zur wirklichen Geschichtsquelle 
erheben. 

Von diesem prinzipiellen Gesichtspunkte abge- 
sehen, bringt dieses Handbuch den überreichen 


71 


Stoff der Kunstdenkmäler von der karolingischen 
Zeit bis zur Renaissance zur Sichtung, Ordnung, 
Systematisierung, die der Vollendung nahe kommt. 
Das ungeheure Tatsachenmaterial wurde in einer 
Weise zusammengefaßt, die für die einzelnen 
Gruppen der Denkmäler stets die treibenden Mo- 
mente der Entwicklung zur Darstellung kommen 
ließ. So werden in der Baukunst die Kirche, die 
Burg und die Stadt mit ihren vielfältigen Denk- 
mälern, den Stadtbefestigungen, Rathäusern, Ro- 
landen, Wohnbauten in knappster monographi- 
scher Fassung behandelt, in der Malerei und 
Plastik die Bildniskunst, Bildnisplastik, die Grab- 
stätten und Denkmäler, in der angewandten 
Kunst Heraldik und Epigraphik. Aus der klaren 
Übersichtlichkeit der Zusammenstellung aller histo- 
risch wichtigen Denkmäler gewann Verfasser viel- 
fach neue interessante Gesichtspunkte, die für die 
Entwicklungsgeschichte bedeutsame Anregungen 
bilden. Denn aus der Verquickung rein historischer 
Tatsachen mit den Denkmälern der Kunst ergeben 
sich Rückblicke auf die Einwirkungen von Einzel- 
persönlichkeiten, Genossenschaften sowie der un- 
geordneten, nicht klar faßbaren Masse des Volkes 
oder einzelner Stände, die geeignet sind, über die 
ästhetische Gesetzmäßigkeit in der mittelalterlichen 
Kunst Aufklärung zu geben. 

Diese Vielgestaltigkeit der Probleme, die gleich- 
sam von selbst aus einer erschöpfenden Behand- 
lung des Materials hervorwuchs, gibt diesem Hand- 
buche die Bedeutung eines für alle Fälle zuver- 
läßlichen Nachschlagewerkes. Um so mehr als in 
den Anlagen zu den einzelnen Kapiteln die Denk- 
mäler, in Gruppen gesondert, chronologisch auf- 
gezählt sind. Hier sei auch der Anhang erwähnt, 
der die bekanntesten Heiligen in ihren Beziehungen 
zu Orten, Ständen und Verhältnissen bringt. 

Daß in bezug auf die Auswahl des Stoffes einiges 
nicht befriedigt, mag einem subjektiv gefärbten 
Urteil entspringen. Doch hätte vielleicht bei der 
Behandlung des Materials auch der Gesichtspunkt 
wirksam sein können, die Merkmale bei den Ein- 
zelformen der Architektur, der Trachten, der Iko- 
nographie, die für die Datierung mittelalterlicher 
Kunstwerke wesentlich sind, für die bisher kein 
einwandfreies Nachschlagewerk besteht, genauer 
zu berücksichtigen. Für diese vom Stoff vielleicht 
etwas abseits liegenden Gebiete wäre eine ein- 
gehendere Darstellung von Nutzen gewesen. 

Daß Ausstattung, Druck, Abbildungen nichts zu 
wünschen übrig lassen, versteht sich bei Hier- 
semanns Handbüchern von selbst. 

G. E. Lüthgen. 


72 


ANTON GENEWEIN, Vom Romani- 
schen zum Empire. EineWanderung 
durch die Kunstformen dieser Stile. 2 Bd. 
KL-8°. Verlag Ferd. Hirt & Sohn, Leip- 
zig. Preis M. 9.—. 

Das Werk stellt sich die Aufgabe, die typischen 
Merkmale der behandelten Stile möglichst reich- 
haltig zu zeigen. „Das konstruktive Moment“, so 
heißt es in dem Prospekt, „ist nur da berücksich- 
tigt worden, wo es das Verständnis der Stilforde- 
rungen erforderte, sonst beschränkt sich der Ver- 
fasser auf das Vorführen und Veranschaulichen 
dieser selbst, da deren genaue und gründliche 
Kenntnis erfahrungsgemäß im Vordergrunde des 
allgemeinen Interesses steht.“ Wirklich? 

Man erkennt gern die geleistete Arbeit an. Eine 
Fülle von Detailformen sind zusammengestellt und 
der Text ist in ernster Arbeit entstanden. Gün- 
stiger wäre es gewesen, wenn der allergrößte Teil 
der 947 Abbildungen nicht nach den vom Ver- 
fasser gezeichneten und bei seinem Unterricht be- 
nutzten Wardtafeln hergestellt wäre. Handelt es 
sich doch in den meisten Fällen um Umzeich- 
nungen aus größeren Vorlagewerken, also um 
eine doppelte Abschleifung, und man kann aus 
dem Vergleiche einer gewöhnlichen und etwa einer 
exakten Meßbildaufnahme ersehen, welche Fein- 
heiten selbst der gewissenhafte Zeichner verwischt. 
So machen denn auch viele, viele Abbildungen 
in beängstigender Weise den Eindruck von Blech- 
ornamentik. Kunsthistorikern wie Architekten wird 
es scheinen, daß die Seele hier den Leib verlassen 
habe. Das Hauptgewicht ist auf die Renaissance 
gelegt, die Kunst Deutschlands gegen 1800 wird 
„als tiefster Stand des Formempfindens“ bezeichnet. 
Dieses Urteil charakterisiert die künstlerische Be- 
trachtungsweise des Verfassers. Immerhin ist das 
Werk seines geringen Preises wegen als Kompen- 
dium empfehlenswert. 

Eine andere Antwort wird die prinzipielle Frage 
erhalten, wie weit diese Kompendien wünschens- 
wert sind. Kunstgeschichtliche Untersuchungen 
fassen die Aufgabe heutzutage doch anders an, 
man beginnt nicht mehr das Kolleg „Gotische 
Baukunst“ mit Formlehre, sondern wird das Detail 
aus größeren Verbindungen herleiten. Ebenso 
macht sich unter Architekten — man kann sagen 
in moderner Weiterentwicklung der reichen Schäfer- 
schen Tradition, die alles aus dem konstruktiven 
Element entwickelte — mehr und mehr das Be- 
streben geltend, die Form nicht mehr absolut, 
sondern durch und durch bedingt zu fassen. Diese 
Bedingungen aufzuweisen und das Immanente im 


Formwechsel darzustellen, wird auf Jahre hinaus 


die Aufgabe des architektur-geschichtlichen Unter- 


richts sein. Dabei soll die architektur - geschicht- 
liche Forschung gewiß nicht zu kurz kommen. 
Mir deucht aber, der geschichtliche Unterricht an 
praktischen Lehranstalten dürfte schon pragmati- 
scher sein, wie er noch in vielen Fällen ist. Da 
das Buch Geneweins aber vor allem für fachliche 
Lehranstalten gedacht ist, muß es sich auch ge- 
fallen lassen, unter diesem Gesichtspunkt weniger 
hoch bewertet zu werden. A. E. Brinckmann. 


JULES COULIN, Die sozialistische 
Weltanschauung in der französischen 
Malerei. Leipzig, Klinkhardt & Biermann. 

Das Buch zerfällt in zwei Hauptteile. Der erste, 
entschieden wertvollere, behandelt die Theorie von 
der Kunst als soziologischer Erscheinung, die Ent- 
wicklung dieser Theorie und die sozialistischen 
Kunsttheorien im besonderen. Er führt vor allem 
zu zwei interessanten Ergebnissen: er zieht Paral- 
lelen zwischen Guyaus soziologisch - ästhetischem 
System und gewissen Theorien der deutschen 
Ästhetik, speziell von Lotze und Lipps, und zeigt 
ihre Übereinstimmung in der Ansicht, daß das 
Kunstwerk, ohne irgendwie Tendenzen zu ver- 
folgen, unvermeidlich ethisch und sozial wirksam 
ist. Und er weist nach, wie der französische 
Sozialimus im Gegensatz zum deutschen den Ge- 
fühlswerten und religiösen Momenten mehr Raum 
läßt und deshalb für die Kunst bisher fruchtbarer 
geworden ist. Der zweite Teil charakterisiert die 
bedeutendsten Vertreter und Werke der sozialisti- 
schen Tendenzkunst in Frankreich. — Coulins 
Ausführungen sind schon deshalb beachtenswert, 


weil sie die französische Malerei auf Strömungen 
hin untersuchen, die heute fast ganz übersehen 
werden. Das Werk gibt ferner manchen lehr- 
reichen Einblick in die französische Kunstkritik. 
Allerdings würde die Darstellung viel gewonnen 
haben, wenn der Verfasser mit den Zitaten überm 
und unterm Strich etwas ökonomischer gewaltet 
hatte. Auch wäre bei der Menge der benutzten 
Literatur eine zusammenfassende Bibliographie 
oder wenigstens ein Namenregister erwünscht ge- 
wesen. W. Balzer. 


MANET. 48 Planches hors-texte, accom- 
pagnées de 48 notices rédigées par Jean 
Laran et Georges Le Bas précédées d’une 
introduction de Louis Hourticq. (L’art de 
notre temps.) Preis Fr. 3.50. 


Mit diesem vierten Bande ist diese Sammlung 
in den Verlag der Librairie centrale des Beaux-Arts, 
13 rue Lafayette, übergegangen. Charakter und 
Ausstattung blieben von dieser Verlagsänderung 
unberührt. Auch der neue Manet gewidmete Band 
verdient das gleiche Lob, das an dieser Stelle den 
früheren Bänden gespendet wurde. Die Illustrationen 
sind so geschickt ausgewählt worden, daß alle 
Perioden des Meisters vollgültig vertreten sind. 
Die die Abbildungen begleitenden Notizen sind 
knapp und präzise gehalten und geben über die 
Entstehung und den Charakter der Bilder vorzüg- 
liche Aufschlüsse. Hourticqs kurze Einleitung ist 
stilistisch und kunstkritisch ein kleines Meister- 
werk. Es sei diese vortreffliche Publikation hier 
noch einmal aufs nachdrücklichste empfohlen. 

O. Grautoff. 


BERICHTIGUNG. Herr Dr. Paul Kristeller ersucht mich, den Lesern dieser Zeitschrift mitzuteilen, 
daß nicht er „zuerst“ — wie ich in meinem Aufsatz „Ein Medicäer-Bildnis von Mantegna“ (Monats- 
hefte für Kunstwissenschaft 1912, р. 19, Anm. 2) schrieb — „das Mantegneske des Porträts erkannte“, 
sondern selber erst durch Professor Hans Mackowsky in einem Privatgespräch auf dieses Bildnis und 


dessen an Mantegna gemahnende Art hingewiesen wurde. 


Emil Schaeffer. 


rs ng АЕА SS л St a So AY 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 2 


6 73 


DER CICERONE. 
Heft z: 


O. v. FALKE, Die Ausstellung von Kirchenge- 
wändern des Mittelalters im Berliner Kunstgewerbe- 
museum. (zz Abb.) 


GEORG BIERMANN, Karl Schuch als Landschafter. 
(7 Abb.) 

AUG. L. MAYER, Zwei Gemälde des Antonio 
Pereda. (2 Abb.) 

Heft 2: 


AUGUST STOEHR, Hanauer und Frankfurter Fay- 
encen. I. (тт Abb. und 1 Markentafel.) 


HERMANN EHRENBERG, Solimena. (1 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 
Heft 4: 
MAX LIEBERMANN, Hugo von Tschudi T: 


KARL SCHEFFLER, Notizen über die 23. Aus- 
stellung der Berliner Sezession. (21 Abb.) 


PAUL GSELL, Zeichnung und Farbe. Ein Ge- 
spräch mit Aug. Rodin. 


LOVIS CORINTH, Wilhelm Leibls „Wilderer“. 
(4 Abb.) 


OTTO KÜMMEL, Ostasiatische Plastik. (10 Abb.) 
BOTHO GRAEF, Das Abbedenkmal in Jena. 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
Heft 4: 

WERNER WEISBACH, Gedanken zu der Neuge- 
staltung der Berliner Nationalgalerie. (8 Abb.) 


E. WALDMANN, Die Athenische Bildergalerie. 
(22 Abb.) 


AUGUST L. MAYER, Die Gemäldesammlung des 
Bowes-Museums zu Barnard-Castle. (12 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 4: 


WILHELM MICHEL, Albert Weisgerber-München. 
(15 Abb.) 


W. FRANK, Josse Goossens-München. (10 Abb.) 


PAUL FECHTER, Fortbildungen des Impressio- 
nismus. 


ARTHUR ROESSLER, Anmerkungen zu Anton 
Hanak und seinem Werk. (5 Abb.) 


DIE KUNST. 

Heft 4: 

GEORG JACOB WOLF, Karl Stauffer-Bern (17Abb.) 
Hugo von Tschudi f. 


FRITZ von OSTINI, Der Bildhauer Emil Epple. 
(6 Abb.) 


HUGO HABERFELD, Gustav Klimt. (16 Abb.) 
MAX OSBORN, Leonhard Sandrock. (7 Abb.) 


74 


G. HOWE, Das Bismarck - Nationaldenkmal am 
Rhein. (3 Abb.) 


H. JANTZEN, Bruno Goldschmitts Freskenzyklus 
„König Laurin“. 


DIE KUNSTWELT. 

Heft 3: 

HANS W. SINGER, Berthold Hellingraths Ra- 
dierungen aus dem alten Danzig. (то Abb.) 
FELIX LORENZ, Peter Severin Kröyer. (7 Abb.) 


GEORG HERMANN, Die Erziehung zum Kunst- 
historiker. 


SCHMÜLLING, Habenwir einen nationalen Baustil? 


GEORGES MORIN, Aus der Werkstatt des Künst- 
lers: Medaillenkunst. (19 Abb.) 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft ro: 

WITTE, Zur Frage nach der Heimat des trans- 
luziden Emails (Reliefschmelz) im 14. Jahrhundert. 
(2 Abb., ı Tafel.) 


JOHANN GEORG, Herzog zuSachsen, Kunstschätze 
im Sinaikloster (Schluß). (5 Abb.) 

JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Tabernakel 
in einigen griechischen Kirchen Palästinas und 
Syriens. (2 Abb.) 


G. SUPKA, Beiträge zur B der Luftfahrt 
Alexanders des Großen. (4 Abb.) 


REVUE DE L’ART CHRETIEN. 

Nr. 6: 

GABRIEL MILLET, Portraits кунов (4 Abb., 

ı Tafel.) 

E. CHARTRAIRE, Les tissus anciens. du trésor 

de la cathedrale de Sens (Schlußartikel). (19 Abb., 

ı Tafel.) 

CARL. R. AF UGGLAS, L'exposition d'art religieux 

ancien de Stringnàs (Suède). (Schlußartikel). (тт 

Abb.) 

MÉLANGES: 
HENRI CLOUZOT, Le vitrail de l’arbre de Jessé 
à Notre-Dame de Niort. (1 Abb.) 

`: HENRI DROUOT, De quelques dessins du XVIII e 
siècle représentant les tombeaux des ducs de Bour- 
gogne. 
HENRI CHABEUF, Le Christ de Saint-Jean de 
Dijon. (2 Abb.) 

CHRONIQUE. 

BIBLIOGRAPHIE. 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VIL, Nr. 81, Dezember 1911: 

CAMILLE MAUCLAIR, Les dessins de Hans Hol- 
bein au musée de Bale. 


LEANDRE VAILLAT, Tapis de la Savonnerre 
au Garde-Meuble national. 


LES ARTS. 

Decembre. 

ART. JAHN RUSCONI, Exposition des portraits 
italiens a Florence. (41 Abb.) 


LA REVUE BLEUE. 
23. XII., 1911: 
PELAD AN. L'anarchie au Louvre. 


MERCURE DE FRANCE. 

Nr. 348: 

P. MAUREL, La maison oü est mort Watteau à 
Nogent sur Marne. 


VERS ET PROSE. 
Tome XXVII, 1911: 
JULES BORELY, Cézanne а Aix. 


ART ET DECORATION. 
Dezember 1911: 

P. VERNEUIL, Ernest Biéler. 
ARDENNE DE TIZAC, Tapis chinois. 
LOUIS HOURTICQ, L'art chrétien. 


L'ART DECORATIF. 

20. ХП. 1911: 

HENRI FRANTZ, Montmartre et ses jardins. 
PAUL LAFOND, La Ferronnerie espagnole. 
MAURICE TESTARD, Alfred Lenoir. 


LA PHALANGE. 
Nr. 65, 1911: 
HENRI HERTZ, Henri de Groux. 


LA RENAISSANCE CONTEMPORAINE. 
Nr.22— 24, 1911: 

GUSTAVE DUPIN, Les ritranx anciens de la 
France. 


J. C. HOLL, La jeune peinture contemporaine. 


JOURNAL DES ARTS. 
Nr. 85, 23. ХП. 1911: 
L’agrandissement du Louvre et du Luxembourg. 


STARYJE GODY. 


November: 


PIERRE MARCEL, Les Dessins francais, le XVI 
siecle. (17 Abb.) 
Reproduktion von Zeichnungen von Niccolo dell’ 
Abbate, Rosso, Primaticcio, der Fontainebleau- 
Schule, A. Caron, J. Bunel, Jean Goujon, G. Pilon, 
E. Delaune aus russischen öffentlichen und Privat- 
sammilungen. 


BARON A. von FOELKERSAM, Le nacre et son 
application aux arts. (15 Abb. aus der Ermitage.) 
W. WOINOFF, L’esquisse de S. Ricci pour son 
tableau de l'Ermitage. (т Abb.) 
Entwurf zu dem „Raub der Sabinerinnen“ von 
R. in der Ermitage, der sich im Museum von 
Helsingfors befindet und hier als Tiepolo kata- 
logisiert war. 


Dezember: 

N. LANCERAY, Adrian Sacharoff und das Ad- 

miralitätsgebäude in St. Petersburg. (29 Abb.) 
Biographie des russischen Architekten 8. (1751 
bis 1811) und Geschichte seines Meisterwerkes, 
des Admiralitätsgebäudes. 


APOLLON. 

Heft 9: 

A. TRUBNIKOFF, Tier- und Stillebenmaler; Hol- 

länder und Vlämen des ХУП. Jahrhunderts. (27 Abb.) 
Abbildungen von Werken der J. van Streek, 
Hondekoeter, Snyders, P. Gysels, Jan Weenix, 
М. Bloem, B. van der Helst, Р. de Hooghe, УУ. 
van Aelst, A. van Utrecht, A. van Beyeren, P. 
Claesz, W. Kalf, A. Mignon, С. de Heem, Н. 
van der Borcht, B. van der Ast, W. Gabron, 
J. van der Heyden und Alonzo Vasquez aus russi- 
schen und sonstigen Sammlungen. 


Heft 10: 

BARON N. WRANGELL, Die Gemäldesammlung 

von J. S. Ostrouchow in Moskau. (45 Abb.) 
Reproduktion von Werken folgender russischer 
Kinstler: Lewitzky, Antropow, Skorodumow, 
Schebujew, Kiprensky, Brullow, Schtschedrin, 
Tropinin, Selentzow, Fedotoir, Alexander Iwanow, 
Graf Th. Tolstoj, Sawrassow, Kramskoj, Wassil- 
jew, Levithan, Kuindji, W. Wasnetzow, Rjepin, 
Wrubel, Sjerow, Maljawin u. a. 

G. LUXOMSKI, Die Architektur auf der Ausstel- 

lung zu Rom 1911. (6 Abb.) 


P.J. NJIERADOWSKY, Die Ausstellung von Werken 
Orest Kiprenskys. (7 Abb.) 


ORIENTALISCHES ARCHIV. 

Heft 2: 

C. GURLITT, Zur Topographie Konstantinopels im 

16. Jahrhundert. II. (23 Abb.) 

Fortsetzung aus Heft 1. Mit vielen alten An- 
sichten. 

F. W. DREPOHL, Eine Freudenfeier im türkischen 

Heerlager zu Ofen am Ende des 16.Jahrhunderts. 

T. KRYGOWSKI, Polnische Knipfteppiche. I. 

(4 Abb.) 

Mit archivalischen Notizen über die Fabriken 
von Sluck. Angaben über den Coccus polonicus, 
historischen Daten usw, 

M. VON BRANDT, Das chinesische Glas. (19 Abb.) 
Mit Bezugnahme auf die vom Verf. zusammen- 
gebrachte, im Berliner Kunstgewerbemuseum be- 
findliche Sammlung. 

F. G. MÜLLER - BEECK, Ursprung der japanischen 

Motive in Kunst und Kunstgewerbe. (34 Abb.) 


75 


MUSEUM. 
Heft тї: 


M RODRIGUEZ CODOLA, Mela Mutermilch. (Farb- 
taf, 16 Abb.) 


Betrifft eine polnische Malerin, deren Arbeiten 
in Barcelona ausgestellt waren. 


E. KUHNEL, Las artes musulmanas de España 
en la Exposiciön de Munich. (Taf., 14 Abb.) 


Behandelt die spanisch-maurische Kunst auf der 
Mohammedan. Ausstellung, München 1910. 


A. GASCON DE GOTOR, El retablo у la estatua 
de 8. Pedro el Viejo de Huesca. (4 Abb) 


Protestiert gegen den beabsichtigten aber noch 
rechtzeitig vereitelten Verkauf zweier mittelalter- 
licher Kunstwerke an das Ausland. 


R.... La Virgen de la Estrella. (Abb.) 


Betrifft das kürzlich aus S. Marco in Florenz ent- 
wendete und seither wieder aufgefundene Bild 
von Fra Angelico. 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 
Dezemberbeft 1911: 


HERBERT COOK, Leonardo da Vinci and 
Some Copies. (2 Tafeln mit 5 Abbildungen.) 


Behandelt einen sogen. „Johannes der Täufer“, 
der 60 Jahre in einem Hause in Cheshire, Eng- 
land, verborgen gewesen war und dem gleich- 
benannten Bilde des Earl of Crawford (momen- 
tan noch in den Grafton Galleries ausgestellt) 
sehr ähnlich ist, ohne freilich dessen Feinheiten 
und Leonardesken Geist zu erreichen; sodann 
eine „Heilige Anna Selbdritt“ von der Hand 
Salaines, die wahrscheinlich unter Leonardos 
eigener Aufsicht entstanden ist und jetzt in der 
Leuchtenberg-Galerie in St. Petersburg hängt; 
schließlich eine Madonna mit Kind in Madame 
Léon Bénois Collection in St. Petersburg, die 
Cook zusammen mit Dr. G. Frizzoni (Mailand) 
und de Liphart (Petersburg) für ein echtes Früh- 
werk Leonardos hält, etwa aus dem Jahre 1478. 


PAUL LAFOND, Andrés de Najera. (a Tafeln 
mit 5 Abbildungen.) 


In A. de Näjera wird ein fast unbekannter spani- 


scher Holzschnitzer des frühen 16. Jahrhunderts 
mit mehreren bedeutenden Werken vorgeführt, 
der italienischen Einfluß aufweist, aber starke 
eigne und nationale Art verrät. 


CLAUDE PHILIPPS, Il Rosso (Fiorentino) 
by Himself (?). (3 Tafeln.) 


Das „Porträt eines Jungen Mannes“ (Nr. 245) im 
Berliner Kaiser Friedrich - Museum, das im offi- 
ziellen Katalog als ein freilich zweifelhafter 
Franciabigio bezeichnet wird, weist Ph auf Grund 
einer eingehenden Stilkritik und zahlreicher Ver- 
gleiche mit anderen Werken dem Il Rosso zu, 
ja er glaubt, es handle sich hier um ein Selbst- 
porträt Rossos. 


JOSEF STRZYGOWSKI, Tbe Origin of Chri- 
stian Art. 


Abdruck eines Vortrages, den Professor St. in 
King’s College, London, im vergangenen No- 
vember gehalten hat, und in dem er seine be- 


76 


kannten Ansichten über den Ursprung der christ- 
lichen Kunst in prägnanter Kürze formuliert. 


HENRY NEWTON VEITCH, EnglishDomestic 
Spoons. I. (x Tafel und mehrere Textabbildungn.) 


ROGER FRY, Exhibition of Old Masters at 
the Grafton Galleries. II. (3 Tafeln.) 


Bespricht Rogier van der Weydens ,,Leoncello 
d'Este“, Hugo van der Goes „Trinität“ aus dem 
Holyrood-Palast in Edinburg; den sogen. „Ig. 
Loyola“, der dem Tizian zugeschrieben wird, 
aber dem Salvatore Rosa nahesteht; die „Judith 
mit dem Kopf des Holofernes“ und die „Diana 
und Actacon“, die beide dem Tizian zuge- 
schrieben werden und die Fry für wenigstens 
teilweise von Tizians Hand entworfen und ge- 
malt anspricht; schließlich Nic. Poussins „Bac- 
chanal‘, das offenkundig auf Tizians gleich- 
namigem Gemälde in Madrid basiert. 
HERBERT CESCINSKY, Thomas Sheraton, 
Cabinet Maker. 


Will Sheratons Ruf als Kunsttischler und Ent- 
werfer von Kunstmöbeln als völlig unberechtigt 
nachweisen. 
Notes on Various Works of Art. Letter to 
the Editors. Reviews and Notices. German 
Periodicals. Art in France. 


Januarheft 1912: 


Editorial Article: „The Nation and its Art 
Treasures“. 


Behandelt im Anschluß an das gleichnamige 
kleine Buch des Mr. Witt die Frage, wie die 
bedeutendsten Werke alter Meister in englischem 
Besitz der Nation erhalten bleiben können. Vor- 
geschlagen wird, wie schon so oft, eine 10,/°ige 
Steuer aller Kunstauktionen, Erhöhung des Zu- 
schusses für die National Gallery um das Dop- 
pelte, d. h. zu 200000 Mk., und Bereitstellung 
von 10 Millionen Mark für den Ankauf gewisser 
erstklassiger Werke, wenn immer diese auf den 
Markt kommen sollten. Bis dahin sollen die 
Zinsen dieses Kunstkapitals auch noch der Natio- 
nal Gallery zufallen. 


In Memoriam Alphonse Legros. 


LIONEL CUST, A Marble Bust of Charles I 
by Hubert Le Sueur. (1Tafel mit 4 Abbildungen.) 


Bespricht eine vor einem Jahr vom Viktoria und 
Albertmuseum aus Holland erworbene Marmor- 
büste Karls I. aus dem Jahre 1631. 


A.CLUTTON-BROCK, Chinese and European 
Religious Art. (1 Tafel mit 2 Abbildungen.) 


Vergleicht an dem Beispiel des Tizianschen Jo- 
hannes des Täufers in der Academia zu Venedig 
und des chinesischen Heiligen Monja, der dem 
Maler Ma Lin aus der Sungperiode zugeschrieben 
wird (im Myoshinji-Kloster in Japan), die euro- 
päische und chinesische religiöse Art. Tizians 
Täufer ist eine Art „Bluff“, der chinesische 
Heilige dagegen der Ausdruck eines Seelenzu- 
standes. 


G. F. HILL, Notes on Italian Medals — XII. 
(a Tafeln mit 15 Abbildungen.) 


Behandelt vornehmlich den Gebrauch von Me- 


daillen für Bucheinbände; sodann eine Medaille 
MaximiliansI im Stile Gian Marco Cavallis u. a. тп. 


D. 8. MAC COLL, A Portrait by Alfred Ste- 
vens. (1 Tafel.) 
Bespricht das in der Tate Gallery ausgestellt ge- 
wesene Portrit des Mr. Jobin, das offenbar in 
Italien um 1840 entstanden ist. 


D. T. B. WOOD, Tapestries of The Seven 
Deadly Sins-L (3 Tafeln mit 9 Abbildungen.) 
Behandelt die Folge wahrscheinlich Brüsseler 
Wandteppiche, die sieben Todsünden darstellend, 
von denen im November 1910 ein Stück um 
6700 „£ in London versteigert wurde. Die Serie 
stammt aus der Zeit um 1500, weist aber noch 
keinerlei Spuren von Renaissanceeinflüssen auf. 


JOHN PLATT, Ancient Korean Tomb Wares. 
(2 Tafeln mit 13 Abbildungen.) 
Die koreanischen Tonwaren, die seit dem rus- 
sisch-japanischen Kriege in sahlreichen Exem- 
plaren aus den alten Gräbern hervorgeholt worden 
sind, stellen sich in Schönbeit der Form und 
Güte der Ausführung den chinesischen Stücken 
aus der Sung- und Yuanperiode an die Seite. 
SIDNEY COLVIN, A Note on the Bénois Ma- 
donna of Leonardo da Vinci. (1 Tafel mit 
2 Abbildungen.) 
Knüpft an den Artikel des Mr.H. Cook über die 
Madonna in St. Petersburg (im Dezemberbeft 


des Burl. Mag.) an und weist auf eine Hand- 
zeichnung Leonardos im Britischen Museum 
(Nr. 1027) hin, die unzweifelhaft als Vorstudie 
jener Madonna zu gelten habe, so daß diese nun 
wohl als sicher von dem jungeu Leonardo selber 
stammend angesehen werden müsse. 

Notes on The Collections Formed by Tho- 

mas Howard, Earl of Arundel and Surrey, 

K.G.— Ш. 

Letters to the Editors (darunter einer, der die 
umständliche Methode beschreibt, wie allein 
Kunstwerke für englische Staatssammlungen er- 
worben werden können). 

Reviews and Notices. Recent Art Publi- 

cations. Spanish Periodicals. ArtinFrance 


THE STUDIO. 
Januar: 
CHARLES MARRIOTT, The water-colours of Sir 
Alfred East. (2 farb. Tafeln, 7 Abb.) 

ACHILLE SEGARD, Charles Cottet, Painter of 
Breton Life and Scenes. (1 farb. Tafel, 8 Abb.) 
Etchings by American artists in Paris. IL. — Lester 
Ө. Hornby. By E. A. Taylor. (1 farb. Tafel, то 
Abb.) 

A. BEAUMONT, The late Felix Ziem. 


(1 farb- 
Tafel, 5 Abb.) 


V. Jahrgang, Heft IL 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz, 
WaldmannstraBe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 

Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. М. К. РОНЕ, München, Clemensstr. 105. / In ÖSTER- 
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN 
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer- 
straat as. In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon 11. I In der SCHWEIZ: 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 
Montags 10—12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. 


— Telefon: Amt Groß-Lichterfelde 456. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur”, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT BACHS begründeten. 


77 


Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


ALTHOLLÄNDISCHE MALEREI 


Gemälde von holländischen und vlämischen Meistern, die sich in Rathäusern, kleinen Museen, 
Kirchen, Stiften, Waisenhäusern, Senatszimmern etc. und in Privathäusern befinden. Ausge- 
wählt und beschrieben von Professor Dr. W. Martin, Haag und E.W.Moes, Amsterdam. 


Jährl. 12 Lieferungen im Format 26x36 cm. Preis pro Lieferung mit 6 Tafeln u. beschreib. Text 
bei Subskription auf einen Jahrg. M. 2.50, Preis f.d. Jahrg. M. 80.—, Leinwandmappe dazu M.4.— 


Die Publikation bedeutet eine Fundgrube kunstgeschichtlicher Erkenntnis und ist als solche in ihrer Art einzig. 
Sie ist unentbehrlich für Sammler, Kunstgelehrie, Kunsthändler. Museen, Bibliotheken, kunstwissenschaftliche 
Institute. Bisher erschienen: 


Lieferung 8: SAMUEL VAN HOGSTRATEN, Die Vor- 
steher der „Münze von Holland“ im Jahre 1657 (Dor- 
trecht) / FRANZ FLORIS (zugeschrieben) Heilige Familie 
(Zwolle) / NICOLAES MAES, Bildnis von Jacob de 
Witt (Dortrecht) / NIEDERLANDISCHER MEISTER UM 
1636, Bildnis von Anna von Harest (Zwolle) / JAN 
VAN GOYEN, Blick auf Dordrecht (Schloß „Het Loo“) / 
MELCHIOR D'HONDECOETER, Hahn, Hennen und 
Küchlein (Haag) a 


Lieferung 4: HENDRIK TEN OEVER, Die Prediger von 
Zwolle im Jahre 1601 (,,Groote Kerk“ in Zwolle) / JAN 
VAN SCOREL, Porträts von Pieter Bicker und Anna 
Codde (Baronin Schimmel-Penninck van der Oye) / 
UNBEKANNTER MEISTER AUS DEM ENDE DES 
18. JAHRHUNDERTS, Porträt von Prinz Wilhelm 
George Frederik von Oranien (Schloß ,,Het Loo") / 
JAN VICTORS, Die Prophetin Anna (Dordrecht) / 


ADAM WILLAERTS, Das Einlaufen der holländischen 
Flotte in Dover (Privatbesitz Amsterdam) п 


Lieferung 5: AERT DE GELDER, Herman Boerhave mit 
Frau und Tochter / MEISTFR des TODES DER MARIA, 
Porträts von Anthonius van Hilten und Agniete van 
den Rhijne / ANTHONIE VAN MONTFOORT, genannt 
van Blockland, Das heilige Abendmahl / HENDRICK 
DUBBELS, Hafen nach Sonnenuntergang / TER 
DUBBELS, Kanal mit Schiffen 


Lieferung 6: CORNELIS BISSCHOP, Regenten und Re- 
gentinnen des Gast- oder Krankenhauses zu Dordrecht 
im Jahre 1671 / AERT DE GELDER, Bildnis des Hen- 
drik Notemann / AERT DE GELDER, Porträt einer Dame 
in Phantasiekostüm / PIETER AERTSEN, Die Anbetung 
der Könige / DIRK MAAS, Wilhelm Ill. auf der Wild- 
schweinsjagd, 1693 / LAURENS CRAEN, Stilleben o 


Probelleferungen und Prospekte gratis durch jede Buchhandlung des In- und Auslandes. Vom Verlag nur 
gegen Einsendung von Mark —.80 In Briefmarken. 


Verlag von E. A.Seemann in Leipzig 


Soeben erschien: 

Offizieller Bericht 
über die Verhandlungen des IX. Internat. 
Kunsthistorischen Kongresses in 
München, 16.—21. September 1909 
Gr Bi 138 Seiten. Geheftet M. 3.— 


Der mit Interesse erwartete Bericht über die Münchner Tagungen 

ist noch besonders bemerkenswert durch die Beigabe der Ein- 

und des Generalprogramms für den nachsten kunst- 
historischen Kongreß Rom, Oktober 1912 


Shepherd's панге von Gemälden 
Altenglischer Meister 


enthält u. a. ausgewählte Werke von 


Reynolds | Gainsborough / Romneg 
Hoppner / Crome / Constable / Cotman 
Raeburn / Wilson 


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Bezug der früheren Jahrgänge des Cicerone 
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1. Jahrgang 1909 


der Monatshefte fur Kunstwissenschaft 


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Tafel 17 


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Abb. ı. Christus am Ölberg 


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Abb. 2. St. Sebastian und St. Arbogast 


Zu: F. W. GAERTNER, ZWEI BISHER UNBEKANNTE JUGENDWERKE MARTIN SCHONGAUERS UND BEL 
TRAG ZUR BESTIMMUNG SEINES VIELUMSTRITTENEN GEBURTSJAHRES 


M. f.K. V, 2 


Tafel 18 


Vom Grabmal des Erzbischofs Friedrich von Saarwerden im Dom zu Köln 


Zu: G. DEHIO, AUS DEN ANFÄNGEN DES REALISMUS IN DER DEUTSCHEN PLASTIK DES XV. JAHR- 
HUNDERTS 


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Tafel 20 


Wenzel-Fresko in der Nürnberger Moritzkapelle 


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Zu: HUGO KEHRER, DAS KÖNIG WENZEL-FRESKO IN DER MONT Z KAPELLE ZU NÜRNBERG 


M. f. K. V., 2 


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LIAHRGANG ‘HEFT 3  MARZ1912| 
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Monatshefte für Kunstwissenschaft 


== Abonnementspreis halbjährlich ra Mark === 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 3 
ABHANDLUNGEN. LITERATUR 


HERMANN VOSS, Vermeer van Delft Goethe als Zeichner (Friedeberger) . . 8. 99 
und die Utrechter Schule. Mit 6 Ab- Eduard Plietssch, Vermeer van Delft (Freise) 
bildungen auf 3 Tafeln ..... S. 79 8. 100 

FRANCISCO MURILLO Y HERRERA, August L. Mayer, Die Sevillener nn 
Ein Gemälde von Juan de Ruelas. Beiträge su ihrer Geschichte (v. Logs) . 8. 104 
Mit ı Abbildung auf 1 Tafel. . . S. 84 Fritz Hoeber, Die Frührenaissance in Schlett- 


ie stadt (Grisebach) ............. 8. 104 
V. C. HABICHT, Johannes Zicks Tätig- 
keit in der Sala Terrena zu Würzburg. . Hind, A Short History of Engraving and 


A Etching (Singer 8. 105 
Mit 3 Abbildungen auf 2 Tafeln S. 85 Elle Male, L'art religieux du XIe siècle 


HANS KOEGLER, Die Holzschnitte des en France. Etude sur l'iconographie du moyen- 
Basler Malers Conrad Schnitt. Mit age et sur ses sources d’inspiration (Mangart) 


25 Abbildungen auf 1 Tafel.. . S. 91 8. 105 
Karl Lohmeyer, Die Briefe Baltasar Neumanns 

MISZELLEN von seiner Pariser Studienreise 1723 (Schulze) 
Eine Zeichnung des Theodokopulos (Al- 8.105 
bertina). Mit x Abb. auf х Tafel (Meder) 8.95 А Boppe, Les Peintres du Bosphore au dix- 
Zu Matthias Grünewald (Firmenich-Richartz) huitième siècle (Grautoff) ........ 8. 106 

8. 96 
Zu Leonardo da Vincis Brustbild eines Rundschau ................. 8. 107 


Engels (Möller) .............. 8.97 Neue Bücher 8. 110 


A. S.DREY Ausstellung 


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MÜNCHEN Verkauf wertvoller Skulpturen, 
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ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITATEN 


VERMEER VAN DELFT UND DIE UTRECH- 
TER SCHULE Von HERMANN VOSS 


Mit sechs Abbildungen auf drei Tafeln „»оооееоееөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөзөөөзөөөөөөөөөөөөөө 


icht selten gewinnen die Gemälde, mit denen die holländischen Sittenbild- und 

Interieurmaler die Hintergründe der Wohnräume auf ihren Bildern beleben 
und schmücken, bei liebevollerem Eindringen für uns ein unerwartetes Interesse. 
Sie scheinen uns zunächst das bürgerliche Heim des Holländers im allgemeinen zu 
schildern, belehren uns aber darüber hinaus auch über den Geschmack und die 
besonderen Liebhabereien der einzelnen Meister, sei es in der Verteilung und 
Rahmung der schmückenden Gemälde, sei es in der Bevorzugung der Werke 
bestimmter Meister und Schulen. Da in vielen Fällen der Künstler selbst seine 
kleine Galerie besaß, auch wohl gelegentlich sich mit dem Bilderhandel beschäf- 
tigte, so ergab sich ihm von selber die Auswahl; ein schlagendes Beispiel dafür 
ist der Delfter Vermeer, von dem wir wissen, daß er gegen sein Lebensende den 
Handel mit Gemälden betrieb und naturgemäß die Bilder aus eigenem Besitz vor- 
zugsweise auf seinen Interieurs anbrachte. 

Der neueste Biograph des Meisters, Eduard Plietzsch'!), stellt in einem Exkurs 
seiner Monographie die „Bilder auf Vermeers Gemälden“ zusammen. Dabei zeigt 
sich freilich, wie auffallend gering noch unser wirkliches Wissen über diesen Punkt 
ist: mit Ausnahme der auf der „Allegorie“ (Mauritshuis) frei kopierten „Kreuzigung“ 
von Jakob Jordaens (heute in der Teirinckschen Schule zu Antwerpen) lauter 
„könnte sein“, „erinnert“ und „läßt denken“, aber keine wirklichen Nachweise. 

Und doch verrät manches der auf den Hintergründen gebrachten Bilder einen 
ausgesprochenen Stil, der den Kreis des in Frage kommenden sehr verengert. So 
kann der Utrechter Ursprung des Sittenbildes auf dem „Konzert“ der Sammlung Salting 
(Abb. 1) und des Gardner-Museums in Boston nicht verkannt werden; in der Tat ist 
es eine genaue Kopie des dem Dirk van Baburen zugeschriebenen Bildes „Die 
Kupplerin“ (Abb. 2) im Rijksmuseum. Der Vergleich mit dem ehemals Saltingschen 
Bilde läßt erkennen, wie außerordentlich getreu der Künstler seinem Vorbilde ge- 
folgt ist, mit welch feinem Gefühl er auch den malerischen Eigenheiten jenes 
Baburenschen Bildes gerecht wird, wie glücklich er vor allem in der Kontrastierung 
der derben Urwiichsigkeit des Utrechters mit der eigenen vornehm zurückhaltenden 
Kunstweise gewesen ist. Daß die Kuppelszene Baburens mit solcher Genauigkeit 
auf zwei Schöpfungen des Delfter Meisters vorkommt, erlaubt wohl ohne große 
Bedenken den Schluß: das Gemälde gehörte zu den Dingen, die ihn tagtäglich um- 
gaben, bildete vielleicht einen Gegenstand seines kleinen Kunsthandels. Was mag 
ihn nun an diesem seinem eigenen Schaffen so durchaus entgegengesetzten Werke 
interessiert haben? 

Die Erinnerung an sein berühmtes Frühbild, die „Kupplerin“ der Dresdener 
Galerie, drängt sich unwillkürlich auf, wenn auch der Vergleichspunkt zunächst nur 
in einer Äußerlichkeit besteht: der Übereinstimmung des Sujets. Die Utrechter 
Schule besaß gewissermaßen das Monopol auf diese durch musikalische Nebenbe- 
schäftigung gemäßigten, meist in lebensgroßen Figuren gehaltenen Darstellungen 
lockeren Lebenswandels, die in Italien im Kreise Caravaggios aufgekommen, von 


(1) Eduard Plietzsch, Vermeer van Delft. Leipzig 1911. Verlag Karl W. Hiersemann. Mit 35 Tafeln. 
Eine für weitere Kreise geschriebene, sehr lesbare Arbeit, in der allerdings die Probleme der Jugend- 
entwicklung Vermeers nicht erschöpft sind. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 3. 7 79 


den italienisierenden Niederländern übernommen und in Utrecht quasi stereotypisiert 
waren. Wir kennen von Honthorst, den man als Führer dieser Gruppe betrachten 
darf, eine Reihe ähnlicher Szenen, so das vorzüglich gemalte, als Nachtstück mit 
Kerzenlicht behandelte galante „Konzert“ der Galerie Borghese in Rom, das ähn- 
liche Bild der Galerie Steengracht im Haag und etwa noch das reizvolle, die Szene 
erweiternde „Puffspiel“ des Berliner Kaiser Friedrich-Museums. Eigentümlich ist 
allen diesen Fassungen des Gegenstandes durch Honthorst eine feine Zurückhal- 
tung, ja eine poetische Verklärung des Zweideutigen. Ganz anders der derbe, jeden 
Zweifel ausschaltende Dirk van Baburen. Sein (von 1623 datierter) „Verlorener 
Sohn“ in der Mainzer Galerie (Abb. 3), noch greller aber das von Vermeer benutzte 
Bild (gegen dessen Zuweisung angesichts der Übereinstimmungen mit dem Mainzer 
Exemplar sich kaum Bedenken erheben können) geben an Realistik und brutaler 
Gemeinheit das äußerste, das in der künstlerischen Wiedergabe überhaupt noch er- 
träglich ist. In die Nähe beider Darstellungen kann man ein der Kunsthandlung 
A. de Burlet in Berlin gehöriges, sehr ansprechendes „Musizierendes Paar“ (Abb. 4) 
versetzen, dessen stilistische Verwandtschaft mit den Bildern in Mainz und Amster- 
dam aus der Abbildung sofort ersichtlich wird. Weitere Beispiele aus dem gleichen 
Kreise, besonders von Jan van Bijlert (die Kupplerin im Museum von Lyon u. a.), 
und Terbrugghen wären leicht anzuführen. 


So verschieden von Vermeer nun diese ganze Gruppe auch ist, man begreift doch, 
was ihn daran künstlerisch interessieren konnte: die leuchtenden, ungebrochenen 
Farben (Vorliebe für helles Gelb, leuchtendes Rot und Blau, für changierende 
Seidenstoffe), die Schärfe der Modellierung und des Helldunkels, die er selber an- 
strebte, die von Caravaggio übernommene Feinheit in der malerischen Wiedergabe 
von Teppichen, Musikinstrumenten, Büchern, Gläsern u. a. 


Vermeers künstlerische Veranlagung war allerdings von Hause aus zu über- 
wiegend auf das Reinmalerische gerichtet, als daß bei ihm von Abhängigkeit oder 
einer tiefer reichenden inneren Verwandtschaft mit den Utrechtern die Rede sein 
könnte; dennoch scheint mir die Dresdener „Kupplerin“ nicht nur in der Wahl und 
Auffassung des Gegenstandes die Kenntnis jener Schule zu verraten. Der befremd- 
liche Gedanke, die Szene hinter die Brüstung eines Balkons zu verlegen, ist ein in 
Utrecht besonders beliebter Kunstgriff, um eine bühnenhafte Greifbarkeit hervorzu- 
bringen (vgl. beispielsweise das schöne, von 1624 datierte Konzertbild Honthorsts 
im Louvre), auch die theatralische Anordnung des Teppichs erinnert an jene Gruppe 
(mag auch bei Vermeer schon ganz ausschließlich das malerische Interesse vor- 
walten), endlich einzelne Motive wie die — ganz dem Baburenbild entsprechend — 
tapsig über die Schulter des Mädchens gelegte Hand des jungen Mannes, die phan- 
tastisch bunten und putzenden Kostüme u. a. 


Ein ganz anderes Gesicht gewinnt nun die Frage der Beziehungen Vermeers zu 
den Utrechtern, wenn wir die beiden jetzt fast allgemein als seine frühesten Werke 
anerkannten Gemälde „Diana mit ihren Nymphen“ (Haag; Abb. 5) und „Christus bei 
Maria und Martha“ (Sammlung Coats)!) heranziehen. Das Dianabild trug dereinst die 
Signatur Vermeers, die in die Bezeichnung Nicolas Maes abgeändert wurde und galt 
noch bis vor zehn Jahren als ein Werk des Utrechter Vermeer. Was bei diesem 
zauberhaften, weltenfernen Bild in der Tat an die Schöpfungen des Delfters erin- 
nert, ist der wundervolle Zusammenklang von Zitrongelb, Orange, Karmin und 


(1) Das Bild der Sammlung Coats ist von Hofstede de Groot und Bredius anerkannt; bei der Haager 
Diana ist Hofstede de Groot im Zweifel. 


80 


Blau, die innerliche Harmonie und Ruhe der Gesamtwirkung. Daneben läßt sich 
aber nicht verkennen, daß die eigentlichen, stilkritisch greifbaren Argumente für 
die Zugehörigkeit zu seinem Oeuvre außerordentlich schwach sind, ja daß in Kom- 
position, Malweise, Zeichnung und Gewandbehandlung unleugbar ein prinzipieller 
Gegensatz zu den spätern Bildern, mit Einschluß der Dresdener Kuppelszene, be- 
steht. Enger sind dagegen die Beziehungen zu dem Gemälde der Sammlung Coats, 
das gewisse Charakteristika des „Bades der Diana“, wie den gekräuselten Gewand- 
wurf, den tektonischen Aufbau in vielleicht noch gesteigertem Maße besitzt und 
allem Anschein nach vorher entstanden ist. Beide Bilder sind somit als eine 
Gruppe für sich zu betrachten, die zu den typischen Werken Vermeers (zu denen 
trotz allem auch das Dresdener Frühbild gehört) keine wirklich zwingenden Be- 
ziehungen besitzt. 


Könnte man beide als Erzeugnisse einer allerersten Phase des Delfter Meisters 
betrachten, so wäre nun nicht nur ein entscheidender Hinweis auf die Utrechter 
Richtung gegeben, sondern der Ursprung Vermeers aus diesem Kreise endgültig 
bewiesen. Denn das Dianabild besitzt in der Behandlung der Komposition, in der 
klaren, schönfarbigen Koloristik, dem Landschaftlichen alle Charakteristika jener 
Schule; dem Thema wie der formellen Behandlung nach gehört es zu jenen arka- 
disch-idyllischen Mythologien, die durch die dortigen Meister aus Italien nach Holland 
verpflanzt worden sind. Es genügt, an das Honthorstsche Gemälde in Kopenhagen, 
Diana von den Nymphen nach dem Bade geschmückt, weiter an die im Burlington 
Magazine (Jahrg. 1911) veröffentlichte Darstellung verwandter Art und die in der 
Komposition besonders ähnliche „Diana mit Nymphen“ von Jakob van Loo (Berlin, 
Kaiser Friedrich-Museum) zu erinnern — letztere allerdings nicht direkt der Utrech- 
ter Schule angehörig, aber künstlerisch ganz auf ihr fußend. 


Die Schwierigkeit, die sich nun m. E. einer solchen Rekonstruktion der Vermeer- 
schen Jugendentwicklung entgegenstellt, besteht in dem folgenden. Bei dem außer- 
ordentlichem Abstand, der die von Vermeer mit 24 Jahren gemalte Dresdener 
Kuppelszene von dem Haager Bilde trennt, wäre eine um mehrere Jahre frühere 
Entstehung des letzteren unbedingt anzunehmen, ebenso würde das Gemälde der 
Sammlung Coats wieder eine nicht unerhebliche Spanne Zeit vorher entstanden 
sein müssen; wir sind also gezwungen, ein Werk von der auffälligen Reife und 
Meisterschaft der Haager Diana einem etwa (günstigsten Falles) Zweiundzwanzig- 
jährigen zuzuweisen, während die in der Beherrschung des Raumes und überhaupt 
in der Komposition wesentlich unentwickeltere Kuppelszene, die auch im Helldunkel 
und im Kolorit den noch unfertigen, tastenden Anfänger bezeugt, notgedrungen 
später angesetzt werden muß — wegen der viel engeren Beziehungen zu den 
übrigen Werken Vermeers, deren Elemente sie in der Hauptsache schon in sich 
trägt ). 

Zu all diesen Schwierigkeiten der Stilkritik und der Chronologie gesellen sich 
psychologische Unverständlichkeiten. Es ist schwer sich vorzustellen, daß ein 
Künstler, dessen Phantasie sich während seines ganzen übrigen Lebens in einem 
auffallend engen Kreise bewegt hat, in seiner Jugend religiöse und mythologische 
Stoffe mit solcher vollkommenen Sicherheit und Phantasiekraft gestaltet haben 
sollte, wie sie die beiden fraglichen Werke, besonders das Dianabild, ohne Zweifel 


(x) Ganz unmöglich ist es, die ıgıı im Burlington Magazine irrtümlich Vermeer zugeeignete „Diana 
mit Nymphen“, in englischem Privatbesitz, vor das Haager Bild zu setzen, dem sie in weitem Abstand 
unterlegen ist. 


81 


verraten. Gerade wenn man eine Leistung, wie die viel später entstandene reli- 
giöse „Allegorie“ des Mauritshuis heranzieht, erkennt man, wie die Vorstellungs- 
fähigkeit des Künstlers Schiffbruch erleidet, sobald sie sich über den Kreis des All- 
täglichen hinauswagt. Man könnte vielleicht dagegen einwenden, daß Fälle von 
Erlahmung der Phantasie in späteren Jahren auch bei anderen Künstlern bekannt 
seien und ferner, daß noch das Dresdener Bild über das Mittelmaß der Vermeer- 
schen Phantasie hinausgreife. Beide Einwände treffen aber nicht den Kern der 
Sache, denn in unserem Falle würde es sich eben nicht um ein allmähliches Er- 
lahmen, sondern um ein plötzliches und zwar sehr frühes Abbrechen handeln: ge- 
rade das Dresdener Bild, so reich es im rein malerischen Sinne erscheint, ist 
außerordentlich arm in der Gestaltung des Räumlichen, in der Differenzierung der 
Figuren und Köpfe und im plastischen Herausarbeiten des Motivs, in denselben 
Zügen also, die den Reichtum des Haager Gemäldes in erster Linie ausmachen. 

Angesichts aller dieser äußeren und inneren Schwierigkeiten drängt sich uns 
wieder die mit Unrecht ad acta gelegte Frage auf, ob die beiden angeblichen Früh- 
bilder des Delfter Vermeer nicht doch von Jan Vermeer von Utrecht herrühren 
könnten. Nach dem ungenügenden Material, das wir über diesen Künstler be- 
sitzen, sind wir allerdings vorderhand kaum in der Lage mit Ja oder Nein klar zu 
entscheiden; das einzige sichere Bild seiner Hand, ein 1679 entstandenes Gruppen- 
porträt der Vorsteher des Waisenhauses zu Utrecht, bietet wegen des Gegenstandes 
und des späten Datums keine ausreichenden Anhaltspunkte. Wie der Utrechter 
Vermeer in seiner früheren Zeit gemalt haben mag, läßt sich aber nach der uns 
bekannten Tatsache ausdenken, daß er in jugendlichem Alter nach Rom ging, dort 
mit Drost und vor allem mit Johann Carl Loth lebte und Figurenbilder „in großem 
Stil“ malte. Er gehörte demnach zu jener auf die Honthorst, Bijlert, Baburen usw. 
folgenden Generation um Jan Gerrits van Bronckhorst, die den veristischen Stil und 
das schroffe Helldunkel der Caravaggioschule aufgibt und eine weichere, der ge- 
meinen Wirklichkeit abgewandte Welt heraufzubeschwören sucht, wie sie uns ähn- 
lich schon aus den Idyllen Abraham Bloemaerts bekannt ist. Besonders interessiert 
in diesem Zusammenhang die Erwähnung des Einflusses von Carl Loth auf den 
Utrechter Vermeer; der inRom und später in Venedig ganz im Charakter der Italiener 
malende Bayer nimmt nämlich zwischen dem krassen Naturalismus Caravaggios 
und der Idealität des späteren Seicento eine Art Mittelstellung ein. Auch stilistisch 
steht er den beiden fraglichen Bildern nicht ferne, zumal in dem eigentümlichen, 
unruhigen Gewandgekräusel, das sich auf seinen Werken ähnlich wie auf dem 
Dianabild und — stärker noch — auf dem Gemälde in Skalnorlie Castle findet — 
ganz im Gegensatz zu dem ruhigen Meister von Delft. 

Um die hier gemeinte Gruppe von Künstlern und Bestrebungen noch schärfer zu 
charakterisieren, sei ein in der Literatur unbekanntes Gemälde in russischem Privat- 
besitz herangezogen (Abb. 6), das musizierende Frauen in einer Landschaft darstellt. 
Während die links sitzende Tamburinschlägerin ein durchsichtiges Plagiat der Guitarre- 
spielerin Caravaggios in der Liechtenstein-Galerie ist, weist die freie, lockere An- 
ordnung, die freiere Behandlung der Form und der ganze idyllische Charakter der 
Szene auf eine wesentlich spätere Phase. Die Beziehungen zu dem Haager Diana- 
bild sind so deutlich, daß man trotz individueller Unterschiede nicht daran zweifeln 
kann mit der gleichen Schule, derselben Phase und ganz verwandten künstlerischen 
Bestrebungen zu tun zu haben. In der Behandlung der Gewänder fällt wieder die 
Ähnlichkeit mit dem Stile des Carl Loth stark in die Augen. 

Ich darf nicht wagen, aus den hier vorgetragenen Argumenten einen bestimmten 


82 


Schluß zugunsten der Autorschaft des Utrechter Vermeer für die beiden fraglichen 
Gemälde zu ziehen. Meine Absicht ging in erster Linie darauf hinaus, die Be- 
ziehungen der Haager Diana zur Utrechter Schule klarzulegen und somit die Alter- 
native zu stellen: entweder sind beide Gemälde, zumal die Diana, Werke einer 
vollständig unter Utrechter Einfluß stehenden ersten Phase des Delfter Vermeer 
(demnach ein Phänomen der Frühreife), oder wir haben in ihnen Arbeiten des 
Utrechter Vermeer zu sehen, von dem wir zwar vergleichbare Bilder nicht kennen, 
der aber wegen der Signaturen sonst allein in Frage kommt. Für die erstere Mög- 
lichkeit würden allerdings einige von mir betonte Tatsachen sprechen: der Umstand, 
daß Vermeer noch später Bilder der Utrechter Schule auf seinen Gemälden an- 
brachte und ein paar an Utrecht gemahnende sekundäre Züge auf der Dresdener 
„Kupplerin“. Wieviele Bedenken sich andrerseits gegenüber diesen verhältnis- 
mäßig unbeträchtlichen Argumenten erheben müssen, ist in den vorstehenden Aus- 
führungen nachdrücklich hervorgehoben worden. 


EIN GEMÄLDE VON JUAN DE RUELAS 


Mit einer Abbildung auf einer Tafel Von FRANCISCO MURILLO Y HERRERA 


nsre Kenntnis des Malers Juan de Ruelas’) ist in jüngster Zeit in überraschender 

Weise bereichert worden, nachdem ein wegen seiner hohen Aufstellung und 
der schlechten Beleuchtung bisher unbeachtetes Bild?) der Universitätskirche zu 
Sevilla nach einer sorgfältigen Reinigung im Salon de Actos untergebracht, zum 
Ruhm und zur Würdigung seines Schöpfers beitragen wird. Dem derzeitigen Rektor 
D. Francisco Pages, der die Kosten der sorgfältigen Restaurierung und des präch- 
tigen Rahmens aus eigenen Mitteln deckte, haben wir dafür zu danken. 

Ein Wunder des Heiligen Franz Xaver, das die Legende nicht überliefert hat, 
ist hier dargestellt. Wir sehen den Schüler San Ignatios den Kelch segnend sich 
in die Lüfte erheben, während eine zahlreiche Menge um den Altar drängt. Staunen 
und Entsetzen malt sich in den Köpfen der Zuschauer, bis zur mystischen Ver- 
ziickung in dem Antlitz einer aufblickenden Frau im Vordergrund abgeklärt. 
Nur der Ministrant im Mittelgrund mit Kelch und Glöckchen hat, wie durch seinen 
Beruf an Wunder gewöhnt, die Haltung bewahrt. Bei dem Realismus, mit dem 
diese Gestalten gemalt sind, besonders bei dem Bildniskopf eines Edelmannes, werden 
wir an die Kunst des Velazquez erinnert. Der Heilige selbst in dem weißen Chor- 
hemd mit dem prachtvollen Porträtkopf, von dem Lichtstrahlen ausgehen, leitet zum 
oberen Teil des Bildes herüber, bildet die Vermittelung der im Kirchendämmer- 
schein versammelten Menschheit zu der himmlischen Glorie. Zwei jugendliche 
Engel in karminroten, violetten und grünlichen Gewändern schwingen, den Heiligen 
bewillkommnend, Weihrauchfässer, während eine entzückende Gruppe nackter ge- 
flügelter Genien und Seraphimköpfe, aus gelblichen Wolken herausschauend, an der 
Handlung ihre Anteilnahme bekundet. Ganz links sieht man auf dem Altar das 
Steinbild der Concepcion imaculada. 

Die vollendete Technik zwingt uns, das Bild in die letzten Jahre des Meisters 
zu Setzen. Verschwunden ist jene trockene Malweise, welche an die Zurbarans 
erinnert, wie wir sie in den Bildern der Colegiata zu Olivarez wahrnehmen können. 
Kurze, abgehackte Pinselstriche, die, um einen musikalischen Ausdruck zu gebrauchen, 
einem Staccato gleichen, finden wir hier. Obwohl skizzenhaft angelegt, sind diese 
Köpfe von außerordentlicher Kraft; aus der gehörigen Entfernung betrachtet scheinen 
sie zu leben und sich zu bewegen. Vor diesem Bilde wird uns die Bedeutung 
Ruelas’ für die sevillanische Malerei klar, denn alles, was wir an Zurbaran und 
Velazquez bewundern, sieht man schon im Keim, und wenn Cean Bermudez, um 
den Meister zu loben, behauptete, er arbeite wie Tintoretto, Palma oder die Carracci, 
so ist dies vor der Apotheose des heiligen Franz Xaver kaum zu verstehen. 


(х) Vergleiche Monatshefte 1911, S.5ı. Anmerkung der Redaktion. 
(2) Größe: 3,42 X 2,20 m. 


84 


JOHANNES ZICKS TÄTIGKEIT IN DER 
SALA TERRENA ZU WÜRZBURG 


Mit drei Abbildungen auf zwei Tafein Von V. C. HABICHT 


it dem in letzter Zeit in erfreulicher Weise erwachten Interesse an der Barock- 

kunst geht ein— man kann wohl ruhig sagen — erstmaliges objektives Werten 
dieser Epoche und ein sachgemäßes Durchforschen der seither stark vernachlässigten, 
schließlich aber allein zuverlässigen Archivalien Hand in Hand. Namentlich auf dem 
Gebiete der Architektur dieser Zeit haben die neuesten Forschungen überraschende 
und ungemein klärende Resultate zutage gefördert. Es ist ja stets so gewesen, 
daß die Stiefkinder der Wissenschaft abfällige und ungerechte Urteile über sich 
ergehen lassen müssen, und daß erst ein intensiveres Sich-mit-ihnen-beschäftigen 
nicht allein ihre Stellung innerhalb ihrer Zeit, sondern auch ihren Platz in unserem 
ästhetischen Gewissen festlegen kann. Zweifellos wirft es nun ein eigentümliches 
Licht auf die wegwerfenden Beurteiler der Baroque, deren es sogar jetzt noch 
gibt, daß gerade Hauptanforderungen, wie man sie an jede hohe Kunst stellt, näm- 
lich bei Leichtigkeit und Freiheit des Schaffens hohes technisches Können und ein 
äußerst kultivierter Geschmack, in diesem Falle mit zur raschen Abfertigung bei- 
getragen haben. Mit Schlagwörtern, wie Virtuosentum und Manier, dazu hier so- 
gar noch „ausländischer“, läßt sich jede Kunstepoche abtun. Ganz abgesehen davon, 
daß solche Momente mit dem wahren, allgemeingültigen Werte des Kunstwerkes 
garnichts zu tun haben und daß es für eine Wissenschaft keine vorgefaßten Urteile 
geben sollte, spricht aus solchen Kritiken etwas wie Neid über die Mühelosigkeit 
des Schaffens heraus. Man erbaut sich so gerne an der Verzweiflung des Ringens 
nach Ausdruck und hat es so gründlich getan, daß man sich nun auch einmal an 
der „Leichtigkeit der Hand“ mit Fug und Recht ergötzen darf. Diesen Zweck hat 
die heilige Wissenschaft ja nebenbei auch. 

Nicht zu den, selbst dem Namen nach Vergessenen gehört Johannes Zick, eben- 
sowenig wie sein noch bekannterer Sohn Januarius. Jedoch über das Leben, den 
Entwicklungsgang der beiden Meister schwebt noch das meiste im Unklaren. Es ist 
deshalb vielleicht nicht unangebracht, einige positive Tatsachen über Johannes Zick 
beizubringen!) und auf eines seiner Werke näher einzugehen. Die Tätigkeit Johannes 
Zicks in Würzburg ist wohl, dank der hervorragenden Stellung und der sich ziem- 
lich gleichbleibenden Schätzung der Residenz, nie vergessen worden. Sie, wie die 
in Bruchsal, schwebt jedem bei der Nennung seines Namens vor, und diese beiden 
Orte sind es auch, bei deren mehr oder minder gründlichen Behandlung?) er stets 
seinen Platz behauptet hat. Doch dabei ist es im großen und ganzen geblieben. 
Ein weiteres Eingehen auf ihn, Durchforschen der Archivalien und Einreihung der 
Werke in die Kunstgeschichte erschien wenigstens bezüglich der Würzburger Arbeiten 


(1) Eine umfassende Monographie über die beiden Meister beschäftigt mich zurzeit. Ich wage deshalb 
mit diesen Zeilen die Bitte um Nachricht über Werke, namentlich des Januarius, die im Privatbesitz 
mir nicht zugänglich sind, auszusprechen. Ebenso dankbar wäre ich für gelegentlich gefundene 
archivalische Notizen, besonders bezüglich des Aufenthaltes, Beschäftigung usw. des Johannes in der 
Zeit bis 1740, da ich gerade bei der Klärung der Jugendzeit des Meisters bis jetzt noch auf große 
Schwierigkeiten stoße. 

(2) Wille: Bruchsal, Heidelberg 1900, p. 82. Hirsch hat in seinem „Bruchsaler Schloß“, Heidelberg 
1910, p. 31 ff., eingehender über des Meisters dortige Tätigkeit berichtet. 


85 


überflüssig. Allein schon durch das Heranziehen der Hofkammerprotokolle von 
1749 und 1750 ergab sich eine Reihe wichtiger Tatsachen und Anhaltspunkte. 
Ehe ich darauf eingehe, lasse ich hier die betreffenden Stellen folgen: 


Hofkammerprotokoll 1749, p. 659, 19. 8. 1749. 


Mahlung des Plavon in der unteren sala terrena betr. „Herr Obrist Neumann pro- 
duciret, ein hochfürstl. gnädigstes Rescript de dato Wernek vom 16. curr. Innhalts 
welchen Ihro hochfürstl. Gnaden gnädigst äußern, daß Ihro dasjönige gehorsambst 
vorgetragen worden, was Er Н. Obrister wegen der mahlung des Plavon in der unteren 
sala terrena an H. obermarschallen berichtlich hat gelangen laßen, mit der gnädigsten 
Erklärung, daß ihnen der von dem mahlern vorgezeigte Scico sowohl in dem ge- 
danken, als in der Colorite gefalle, und diese sala terrena jedoch einstmahlen müßte 
zugerichtet werden, anbey auch aus dieser Arbeit sodann mit so mehrerer verläßig- 
keit könnte geurtheilet werden, ob dieser meister alle erforderliche Fähigkeit habe, 
um ihm die Arbeit in dem großen saal anzuvertrauen, dahero Er Obrist die verfü- 
gung dahin zu machen hätte, damit der diesfallsige accord bey hochfürstl. Hof- 
kammer vordersambst berichtiget, undt hiernach bey der noch fürwehrenden guten 
Witterung der würkliche Anfang gemachet werdte: wo im mittels Ihro hochfürstl. 
Gnaden den mahlmeistern sowohl zu Beherzigung eines mehreren Fleißes, und größerer 
Achtsamkeit in der Zeichnung / als worüber ihm von einigen die Ausstellung ge- 
macht würdte / allbereits angewiesen, als auch wegen des Preises, den er auf 
1000 Fl. anzufordern vermeinte, vorgängig erklärt hätten, wie solcher nach seinen 
abzumeßen wäre, welcher für den Plavon der dasigen anticammera gezahlt worden 
somit höchst dieselbe nicht gemeinet seyen, über 700 bis 800 FI. zu bewilligen, 
wobey Ihro hochfiirstl. mit eigner hoher Handt beygesetzt haben: „Weilen wir für 
dieses Jahr mit vielen ausgaben überhäuft seynd, so wird allein wegen verfertigung 
veitshöchheim dieser saala terrena sodann wegen dem großen saal der Bedacht zu 
nehmen seyn, damit wir mit der ausgab nicht zu kurtz stehen mögen.“ Zu dessen 
gehorsamsten Befolgung nun hat man ohnermangelt, mit dem aufgestellten mahler- 
meistern Johann Zick in München wohnhaft einen accord zu tentiren, undt solchen 
bis auf 1150 FI. rhein. herunter zu bringen, also zwar, und dergestalten, daß ersag- 
ter mahlermeister den untern, mittlern Plavon so nach aussag des H. Obristen Neu- 
manns 60 Fuß ausmachen solle, zu Ihro hochf. Gnaden höchsten Wohlgefallen nicht 
allein den vorgelegten Scicco nach proportion gleichen mahlen, sondern auch die 
farben, taglöhner und sonsten alles, ausgenommen den weiß, kalch und sandt nebst 
dem gerüst, welches hochf. gnädigste Herrschaft beyzuschaffen, und zu stellen sich 
vorbehalten, auf seine Kösten zu machen und anzudingen verbunden seyn solle und 
wolle; nachdem nun aber eines Theils diese Forderung noch zu hoch zu seyn ge- 
schienen hat, zumahlen die übrige kleinere neben Plätze darunter nicht begriffen seyn 
sollen, anderen Theils hingegen in Erinnerung gebracht worden, daß weder die Thor, 
noch die Gatter eingehenket, viel weniger aber der Hauptplatz noch zur Zeit ge- 
flastert anmit wann diese Arbeiten angehen, die fuhren sich verdoppeln folgsam 
vieler staub und kalch in die mahlerey sich legen, auch vieles durch anhenkung der 
gatter und fuhren sich verstoßen auch bey dermahliger später Jahrs Zeit die mah- 
[егеу nicht sobald ausdrucknen sondern gar vertosten, und abschießen dürfte, so 
haltet camera ohne zielvorschrift unterthänigst dafür, daß diese bedenklichkeiten 
einen Bedracht verdienen, somit Ihro hochf. Gnaden zur Erlauchtesten Erwegung 
gehorsambst auszustellen, und höchst deroselben weitere gnädigste willensmeynung 
hierüber gehorsambst auszubitten wäre.“ 


86 


Hierzu auf der linken Seite, р. 661 (r.). Responsio Celsissimi. „Ihro hochfürstl. 
Gnaden erklären gnädigst, daß es die hintere sala terrena gegen den garten ge- 
meinet seye, und erfordere die nothdurfft, daß solche um so schleuniger verfertiget 
werde, als sonsten übers jahr, wenn man in garten gehe, keine eintzige retirade 
anzutreffen, und zu haben seye, Ihro hochfürstl. Gnaden befehlen demnach, daß mit 
solcher arbeit ohnverzüglich angefangen — vorher aber nochmahlen tendiret werde, 
ob nicht ein wohlfeiler accord zu treffen seye, wo nicht? so approbieren Höchst- 
dieselbe die 1150 Fl. rhein. mit der gnädigsten Erwiderung, daß gute Zeichnung, 
und colorite verschaffet werden solte, in maßen höchstdieselbe von dieser arbeit 
abmeßen wolten, ob diesen mahlermeister die arbeit in großen saal anzuvertrauen 
seye oder nicht? in relae 7. Aug. 1749.“ 


Hofkammerprotokoll 1749, p. 716. 9. 9. 1749. 

Salae terrenae mahlung von mahlern Zick und großen Saals von mahlern visconti. 
„Herr Obrist Neumann zeigt an, welchermaßen Ihro Hochfürstl. Gnaden gnädigst 
befohlen, daß der Mahler Zick die salam terrenam, dahingegen der Mahler Visconti 
das obrer und den großen saal ausmahlen solte, solchem nach ist für rathsam an- 
gesehen worden, wegen richtig stellung der contrakten insolang bis ein undt andere 
Mahlerey zum Theil gestellet, einen Anstand zu nehmen, um sodann die Arbeit 
nach ihrem wahren werth destobesser taxieren zu können.“ Darunter Responsio Cel- 
sissimi. „Ihro hochfürstl, Gnaden wolte gern die Salam terrenam bald fertig haben, 
dahero der hierzu erforderliche Marmorstein von dem großen Saal in andere flügel 
sowohl, als jene so von dem alten schlößlein, und in dem Julierspithal noch vor- 
räthig, hierzu employret werden könnten. in relae de 13. Septemb. 1749. 


Hofkammerprotokoll 1750, р. 618. 23. IX. 1750. 

Mahlung 12 rondell in der sala terrena durch mahlern Zick. „Es wurdte vorge- 
tragen, welcher Gestalten der Mahler Johannes Zick von Kempten den großen Plavon 
ad 1800 Fuß in quadrat nunmehro fertig habe, mit bitt, daß ihm auf die dortselbst 
noch zu mahlen seyenden 12 große und kleine rondell abgeschloßen werden möge, 
in der unterthänigsten Zuversicht, daß weilen er den Plavon mit schaden gemahlet, 
ihm für die rondell 500 Fl. würden gezahlet werden, gestalten diese Arbeit 816 Fuß 
ausweist und ihm, wenn er solche accordant machen wollte, viele mühe und nach- 
denkens verursachte, nicht zweifelnd, da bey dem vorigen contract ad rroo FL nur 
auf den Fuß 28 Fl. rhein. gezahlt worden, und er zur Erhaltung seiner reputation 
diesen nachtheiligen accord hätte eingehen müßen, man würdte ihm hierin gnädigst 
willfahren, allermaßen die ı2 rondell in Quadrat 816 Fuß ausmachten, und nach 
dem vorigen contract 516 Fl. 48 austragten, worauf demselben nach vorgegangener 
Behandlung zur resolution ertheilet worden, daß man ihm 500 FL rhein. dafür zahlen 
wolle, mit der gegebenen vertröstung jedoch, daß wann er gute und schöne arbeit 
machen würdte, ihm ein douceur noch zu Theil werden solte.“ Links daneben 
steht: approb. Similiter in relae de 23. IX. 1750. 


Hofkammerprotokoll 1750, p. 637. 24. IX. 1750. 

Contract mit mahlern Zick wegen ı2 Rondell in der sala terrena. „Nach dem 
Mahler Johann Zick aus München den Plavon in der unteren sala terrena zum ver- 
gnügen in fresco ausgemahlet, als ist nach unterthänigst abgelegter relation und 
erfolgter gnädigster bewilligung mit demselben wegen gleichmaßiger mahlung deren 
in dieser sala terrena annoch befindlichen 12 großen und kleinen rondell der weitere 
contract dahin abgeschloBen worden, das Er Zick diese 12 rondell mit ebenso 
guthen farben, zeichnung und fleiß, als er den Plavon bereits gefertigt, nicht nur 


87 


auf seine Kosten auszumahlen, sondern auch die taglöhner undt sonsten alles |:aus- 
genommen den weiß, kalch und sand nebst dem Gerüst, welches die Hofkammer 
anzuschaffen, einzudingen und zu bestellen übernommen hat:| wogegen eine hoch- 
fürstl. Kammer sich erklärt, und verbindlich gemacht, für vorberührte Arbeit ihrem 
Mahlern Zick 500 Fl. rhein. bey dem Hofkammerzahlamt dergestalten ausbezahlen 
zu laßen, daß wann er recht gute und schöne arbeit machen würde, derselbe an- 
noch eine besondere douceur zu gewarten haben sole.“ 
* 4 * 

Was zunächst die Berufung Zicks nach Würzburg betrifft, so scheint es der ent- 
scheidenden und ausschlaggebenden Stellung des „Herrn obristen“ Neumann ent- 
sprechend, daß dieser dieselbe veranlaßt hat. Daß Neumann gerade Zick berufen 
hat, wirft kein unbedeutendes Licht auf die Anerkennung, die der Meister damals 
genossen haben muß. Zweifelsohne hat Neumann auch vorher Gelegenheit gehabt, 
sich eine eigene Meinung von Zicks Können zu verschaffen. Ich vermute, daß dies 
in Biberach der Fall gewesen ist, wo Zick 1746 die zu seinen besten Arbeiten 
zählenden Deckengemälde geschaffen hatte. 

Zu einem sicheren Resultate bezüglich der Herkunft Zicks bin ich durch den 
Eintrag: „von Kempten“ in dem Hofkammerprotokoll vom 24. II. 1750 gekommen. 
Der Meister stammt in der Tat aus Kempten und ist dort am 5. Februar 1680 ge- 
tauft worden!). Er erscheint als der zweitälteste Sohn des Stukkateurs Martin Zick 
(Taufeintrag vom 9. Juli 1683... Martini Zick caementarii). Der Tätigkeit des Vaters 
als Stukkateur konnte ich bis jetzt noch nicht weiter nachgehen. Nach Meidinger’?), 
der mit den Namen nicht so genau vorgeht, hat ein Michael Zick die Stukkaturen 
in Raitenhaslach verfertigt. Es ist sehr leicht möglich, daß er Martin Zick meint, 
zumal Johannes Zick 1738 urkundlich in Raitenhaslach mit ziemlich bedeutenden 
Arbeiten beschäftigt ist. Auf jeden Fall hat des Vaters künstlerische Tätigkeit 
mitbestimmend für die Ausbildung Johannes’ gewirkt. Denn wir finden durch den 
Vertrag?) für das Kloster Schussenried Johannes’ Tätigkeit auch als Stukkateur aus- 
drücklich bezeugt. Ich kann mich hier auf die Jugendzeit und den Entwicklungs- 
gang Johannes Zicks nicht weiter einlassen, zumal ich dazu jetzt noch nicht in der 
Lage bin. | 

Aus dem Eintrage vom 9.49. 1749 geht ferner hervor, daß ein Mahler Visconti 
dazu ausersehen war, „das obrer geschoß mit den großen saal“ auszumahlen‘). Bei 
der gewaltigen Bedeutung dieses Auftrages, der aber bekanntlich Tiepolo endgültig 
übertragen wurde, kann es sich nur um einen sehr bekannten Künstler handeln. 
Um so verwunderlicher ist es, daß ich trotz einigen Suchens nichts näheres über 
diesen Meister in den einschlägigen Werken über Würzburg erwähnt fand. 


(1) Cf. Liber Baptistatorum nomina continens... parochiae ad S. Laurentium de anno 1665 usque ad 
annum 1687. (Kempten, Kath. Stadtpfarramt, Reg. Nr. а.) 1680, 5. II.: Joann Georg filius legitimus 
Martini Zick et Mariae Kempterin. Patrini: Joan: Luitprecht de Par: Buechenberg et Barb: Weixlerin 
aus Callmach“. Die Familie ist nach den zahlreichen Einträgen in Kempten ansässig gewesen. Unter 
den vielen männlichen Kindern kommt nur Johann Georg in Betracht, da der nächste Johann erst 
1719 getauft wird (Johann Adam, geb. 5. August 1719). 

(2) Meidinger: Historische Beschreibung verschiedener Städte und Märkte... 1790, I. Teil, p. 88. 

(3) Konzept im Kameralamtsarchiv Waldsee, s. Kasten 188. 

(4) Hofkammerprotokoll 1749, Register: Mahlung großen Saals von Mahlern viscondi und Contract 
hierwegen, р. 716, 784, 795. Ich denke diese demnächst zu veröffentlichen und der Person und Tätig- 
keit Joseph Viscontis noch weiter nachzugehen. 


88 


Ein wenig schönes Bild auf die Behandlung des Künstlers sowohl durch den 
Bauherren als auch durch seine Organe wirft das Feilschen um den Preis und 
man glaubt es, daß Zick die Wahrheit spricht, wenn sogar ein hochfürstliches Hof- 
kammerprotokoll die Aussage Zicks „er hätte zur Erhaltung seiner reputation diesen 
nachtheiligen accord eingehen müssen“, wiedergibt. Ja er spricht sogar davon, 
daß er den „plavon“ der Sala terrena mit „schaden“ gemalt habe. Wenn ег damit 
auch vielleicht etwas übertreibt, so ist doch so viel gewiß, daß der Preis von 
1150 FL für ein so riesiges Gemälde wie das des Gartensaales eine ungemein 
niedrige Bezahlung ist, zumal wenn man erwägt, wieviel unglaublich viel höhere 
Summen С. В. Tiepolo — zum größten Teile doch wohl nur weil er Ausländer 
war — verlangen konnte. Noch unangenehmer berührt das Handeln um die 12 
Rondells in der Sala terrena. 500 fl. für diese 12 recht beträchtlich großen Bilder 
ist ein Spottpreis. Man begreift es kaum, wie es diese Grandseigneurs, die Bau- 
herren wie Bauleiter doch waren, nur über sich bringen konnten, einem Künstler die 
schäbige, schülerhafte Behandlung angedeihen zu lassen, die sich darin äußert, daß 
man ihm ein Douceur verspricht, „wenn er recht schöne und guthe arbeit machen 
würde.“ Dieses Verhalten dem Meister gegenüber ist um so merkwürdiger, als 
aus dem Hofkammerprotokoll vom 19. 8. 1749, p. 659 hervorgeht, daß man nach 
dem Ausfall der Malerei in der Sala terrena sogar in Erwägung gezogen hat, dem 
Meister die Ausmalung in dem großen Saale anzuvertrauen. Daß dies nicht zur 
Ausführung gekommen ist, mag wohl nicht allein an den Malereien des Meisters 
gelegen haben. Vermutlich sah man in dem doch nun schon Siebzigjährigen nicht 
den geeigneten Mann für die hochfliegenden Pläne, zumal man scheinbar den Ehr- 
geiz hatte, den namhaftesten ausländischen Künstler heranzuziehen. 

Tritt man nun zu einer eigenen Beurteilung der Gemälde in die Sala terrena, so 
ist man überrascht von der festlich-heiteren Pracht der Farben, wie sie noch jetzt 
erstrahlt und bei ihrem Entstehen einst noch weit lebendiger gewirkt haben muß. 
Jauchzende Lebensfreude und ehrliches Sichbekennen zum Genießen, gepaart mit 
feinster Kultur spricht aus allem, aus der Wahl der Farben, dieser luftig - zarten 
Töne, jeder Bewegung, jedem Blicke und aus den Handlungen der Gestalten nicht 
minder. Zunächst beschäftigt einen das Einzelne garnicht. Die Illusion einer noch 
heitereren, noch lebenslustigeren, noch glücklicheren Welt als der sogar, die sich 
einst in diesem Raume versammelt hatte und deren Sinn für höchste Lebenskunst, 
deren Fähigkeit zu ernstestem Streben und berauschendstem, erlesenstem Genusse 
uns heute nicht anders als mit Neid erfüllen kann, diese Illusion ist es, die uns 
vor allem umfängt. In der Macht und Unmittelbarkeit, mit der sie uns ergreift, 
liegt die Schönheit und Berechtigung dieser Kunst. Ihr Streben nach Empfinden 
und schlichtem Gehalte ist nicht minder hoch als in einer anderen Epoche der 
Kunst auch; wofern man nur die Freude und das restlose Bejahen des Lebens als 
ein Gefühl und als einen Ausdruck der Gesinnung gelten lassen will. Ja man 
möchte sich dazu versteigen, vom Verkünden dithyrambischer Daseinsfreude zu 
sprechen, wenn man bedenkt, daß es ein Greis gewesen ist, der mit solcher Glut 
die Schönheit der Jugend, des Lebens und seiner Freuden geschildert hat. Darin 
steckt Kraft und Größe und in einem besonderen Sinne auch Tiefe. Aber die un- 
erträgliche, unwahre Allegorie, dies ewige Spiel mit Schäfern und Schäferinnen, 
Götter und Göttinnen und dazu in dem lächerlich gezierten à la mode - Kostüm? 
Kaum einer derer, die solchergestalt einwenden, leugnet die unzerreißbare Ver- 
ankerung unserer Kultur in der antiken und wehrt es einer Zeit, diesen Fond mit 
eigenen Anschauungen und Vorstellungen zu amalgamisieren. Hätten wir nur 


89 


wieder eine Epoche wie jene, die mit sicherlich weniger, ungemein weniger kriti- 
tischem und wissenschaftlichem Verständnisse und Wissen, dafür aber auch mit 
ungemein stärkerer Intensität in der Antike lebte, der Nährmutter unserer nordi- 
schen Kultur für ewige Zeiten! 

In dem Saale befindet sich ein zweiteiliges Deckengemälde und in den Gewölbe- 
zwickeln der Bogenwände vier größere und acht kleinere supraportenartige Stücke. 
Dem Eintretenden zeigt sich an der nach dem Garten zu gelegenen Seite an der 
Decke ein Göttermahl, gegenüber die Ruhe Dianas nach der Jagd (vergl. Abb. r). 
Rechts und links ist das Gemälde durch Ballustraden abgeschlossen. An der linken 
Seite steht die Inschrift: Joann. Zick Monacensis Inv. et Pinx. 1750. 

In dem Göttermahle erkennt man sofort den Nachklang an die in der veneziani- 
schen Kunst erfundenen und stets gepflegten festlichen Bankette. Zick soll ja bei 
G. B. Piazetta in die Schule gegangen sein, eine tiberall aufgestellte, leider nie 
begründete Behauptung, der ich bald nachgehen zu können hoffe und die bei einem 
Vergleiche der Werke Anspruch auf Wahrheit zu haben scheint. Einer Interpre- 
tation bedarf das Bild nicht, wie die meisten Barockbilder ja trotz der Fülle ihrer 
Gestalten ein Hineingeheimnissen von tiefen Vorstellungsgehalten durch die offen- 
sichtliche Lust an der reinen Dekoration ex ovo ad absurdum führen. Den Reiz 
üppig-schöner Frauen und die göttliche Pracht herrlicher Männerkörper wollen alle 
piese Bilder — selbst die kirchlichen — schildern. So auch dieses. Und dann vor 
allem durch Farben wirken. Unter diesen sind es ein tiefleuchtendes Blau und 
ein eigenartiges Rostrot, die in einer gewissen Rhythmik immer wiederkehren. Auf 
unserem Bilde ist es ein riesiger blauer Mantel der Gruppe mit Bacchus und Mars 
links und der rote des Merkur rechts, die in diesen zwei Haupttönen das Bild ein- 
rahmen. 

Bei dem Bilde der Ruhe der Diana ist es die Bildung der Blätter mit ihrer be- 
. sonderen Form und die schwarzgrüne Farbe, die sehr an ähnliche Erscheinungen 
bei Piazetta erinnern. Diana selbst ist in die Hauptfarben Rot (Obergewand) und 
Blau (Mantel) gehüllt. Innerhalb dieser auch hier mitsprechenden beiden Farben 
dominiert aber ein wundervolles Grün — dem Landschaftlichen entsprechend — 
in den Gewändern der Jäger. Äußerst geschmackvoll klingen diese Töne in dem 
gelben Mantel Neptuns (links) mit dem braunroten des Schäfers rechts aus. 

Die 12 Rondells (Abb. 2 und 3) enthalten Genreszenen, in denen Putti ihr Wesen 
treiben. Auch ihnen möchte ich keine besonderen Deutungen unterschieben, wie 
es etwa geschehen ist, sie ihrer Zwölfzahl wegen für Symbolisierungen der Monate 
zu halten. Sie wollen nichts anderes als das reizende Spiel entzückend gesehen 
und beobachteter Kinderkörper zum Gegenstand haben. 

Zum Schluß möchte ich an Hand dieser dem Meister bestimmt gehörigen Gemälde 
auf einige Charakteristika der Kunst Johannes Zicks hinweisen. Da ist vor allem 
die noch sehr deutliche Anlehnung an venezianische Vorbilder hervorzuheben, die 
sich in der Gegenüberstellung des silberweißen Inkarnats der Frauen gegen das 
rötlichbraune der Männer, in der starken Bevorzugung des Nackten, in der stets 
fast schwarz gehaltenen Wiedergabe der Schlagschatten innerhalb der Lokalfarben 
und in der eigentümlichen Bildung der tiefgrünen Blätter äußert. Der gegen die 
spätere Zeit der Barockmalerei auffallend dunkle Ton der ganzen Farbenskala und 
das Herausheben einiger in ihrer Sonderheit charakterisierter Töne gehören noch 
hierzu. 


90 


DIE HOLZSCHNITTE DES BASLER MALERS 
CONRAD SCHNITT Von HANS KOEGLER 


Mit fünfundzwanzig Abbildungen auf einer Tafel 00000000000000000000000000000000000080002000000000000s00e0000s000 


m neunten Heft des vierten Jahrganges dieser Zeitschrift habe ich unter dem Titel: 
„Der Meister C. S.“ das graphische Werk des in Basel hauptsächlich in den 

1530 er Jahren tätigen Monogrammisten C.S. der „Notitia dignitatum“ und der Schwei- 
zer Bannerträger zusammengestellt, zunächst ohne Absicht auf Vollständigkeit, ver- 
mutlich aber doch in den Hauptsachen. Am Schluß dieser Zusammenstellung sagte 
ich, daß die Identität dieses Monogrammisten C. S. mit dem aus Konstanz stam- 
menden Basler Maler Conrad Schnitt sehr nahe liege, wenn ich sie auch noch 
nicht endgültig behaupten wollte. Heute bin ich im bejahenden Sinn einen großen, 
wohl entscheidenden Schritt vorwärts gekommen. 

Über Conrad Schnitt ist, soviel ich bisher weiß, an drei Stellen geschrieben 
worden. Zuerst von dem auch für Kunst so sehr interessierten Basler Staats- 
archivar Dr. Rudolf Wackernagel im „Deutschen Herold“ 1891, Nr. 11, unter dem 
Titel: „Wappenbücher in Basel“. Daß das bekannte Wappenbuch im Basler Staats- 
archiv von Schnitts Hand sei, ist völlig gesichert durch eine Eintragung im Buch 
selbst, durch eine Urkunde und wohl auch durch Briefstellen; näheres ist bei 
Wackernagel angegeben, wo auch die wichtigsten Lebensdaten Schnitts angeführt 
sind, was dann August Bernoulli im sechsten Band der Basler Chroniken er- 
gänzt hat (S. 89ff.). Nach diesen Quellen wurde Conrad Schnitt am 10. Juli 1519 
als Maler in die Zunft zum Himmel in Basel’aufgenommen. Im Februar 1525 be- 
warb er sich vergeblich um das Amt eines Kornschreibers; noch vor 1528 ver- 
heiratete er sich mit Clara Oesy und im Januar 1528 wurde ihm vom Rat das ein- 
trägliche Amt eines Schaffners im aufgehobenen Augustinerkloster verliehen. Im 
Jahr 1529 machte er unter den Basler Mannschaften den ersten Kappelerkrieg mit, 
1530 bis 1534 war er Meister seiner Zunft zum Himmel und trat damit in den Rat 
ein, dem er bis 1536 angehörte. Während dieser Zeit kam er mehrmals in beson- 
dere Ausschüsse, wobei er sich auch als ein fast zu eifriger Förderer der Refor- 
mation zeigte. In den Jahren 1532 und 1533, also während der wichtigen Zeit der 
Wiederherstellung der Universität, die in den vorausgegangenen Reformationswirren 
völlig darniedergelegen hatte, war unser Maler Conrad Schnitt einer der drei „De- 
putaten“, welche die vom Rat über die Universität gesetzte Behörde bildeten. Mit 
Recht hebt Wackernagel das Amt des Deputaten als Schnitts wichtigste Funktion 
hervor, die in ihm einen Mann von Einsicht und Bildung vermuten lasse. Der 
Kunsthistoriker D. Burckhardt hat dagegen in seinem kurzen Artikel im Schweizerischen 
Künstlerlexikon!) aus diesem wichtigen Hinweis wohl zu wenig gemacht, er läßt 
Schnitt außerdem „seines Zeichens offenbar nur Flachmaler“ sein. 

Das Amt eines Deputaten für die Angelegenheiten der Universität behielt Schnitt 
übrigens auch noch bei, als er 1536 aus dem Rat. ausschied. Schnitt starb im 
November 1541, ein Sohn Augustin trat als Maler 1546 in die Himmelzunft, eine 
Tochter Susanna heiratete den Goldschmied Vergilius Warinschlager. 

Conrad Schnitt war, wie sein Wappenbuch und zeitgenössische Urteile beweisen, 


(1) Schweizerisches Künstlerlexikon, redigiert von Carl Brun. Frauenfeld, III. Bd., S. 79. — D. Burck- 
hardt hat unter den Literaturangaben die „Basler Chroniken‘ übersehen, in deren 6. Band, der schon 
einige Jahre früher erschienen war, Schnitts Chronik samt vielen Lebensnachrichten veröffentlicht 
worden waren. 


91 


ein eifriger Heraldiker und Genealoge, er stand mit Gelehrten wie Gilg Tschudi 
und Johannes Stumpf in Verkehr, hat augenscheinlich Latein verstanden und sogar 
eine heute noch erhaltene Chronik!) geschrieben, in der auch sein Wappen von 
seiner Hand gemalt vorkommt. Dies weist zusammen mit seinem Amt als Deputat 
doch ausdrücklich auf einen geistig höher stehenden Mann hin, dem man, da er 
doch von Beruf Maler war, auch in seinem Fach eher die höhere Laufbahn und 
nicht bloß den Handwerker hätte zutrauen sollen, der bloß einmal ein „gut gezeich- 
netes und flott in Farben ausgeführtes Wappenbuch anlegte“ (Schweizerisches Künst- 
lerlexikon S. 79). — R. Wackernagel hat denn auch, unabhängig von vorgefaßten 
Meinungen, dem frischen Eindruck des Wappenbuches Wort gegeben, obwohl ihm 
von weitergehender künstlerischer Tätigkeit Schnitts auch nichts bekannt war; es 
heißt an der betreffenden Stelle im „Deutschen Herold“: „Die Ausführung ist im 
Ganzen eine vortreffliche. Die Zeichnung der Wappen und Helmzierden ist frei 
von aller Befangenheit und zeigt den sicheren geübten Meister; einzelne Zeich- 
nungen, namentlich der Helmzierden, sind geradezu von künstlerischer Schön- 
heit; weniger sorgfältig ist die Malerei“. 

Nachdem ich nun das Holzschnittwerk des fortlaufend für Basel tätigen Mono- 
grammisten C. S. zusammengestellt hatte und fand, daß es sich zeitlich mit der 
Lebenszeit des Malers Conrad Schnitt in Basel deckt, und nachdem ich dieses Werk 
des C. S. mit dem sicheren Wappenbuch des Conrad Schnitt verglichen hatte und 
fand, daß sich auch der Stil beider, so weit sich Vergleichspunkte ergeben, deckt, 
und nachdem wir in dem Maler Conrad Schnitt einen Mann höherer Bildung er- 
kennen müssen, war ich innerlich von der Identität des Monogrammisten C. S. und 
des Malers Conrad Schnitt bereits überzeugt, zumal mir Herr Staatsarchivar Dr. R. 
Wackernagel?) aus seinen umfassend angelegten Basler Kollektaneen die wichtige 
Gegenprobe mitteilte, daß bisher aus der Zeit von ungefähr 1530 bis 1545 kein 
anderer Maler, Zeichner oder Formschneider mit den Initialen C. S. in Basel be- 
kannt sei, als Conrad Schnitt. Daß ich in meinem oben zitierten Aufsatz über das 
Holzschnittwerk des Monogrammisten C. S. die Identität desselben mit Conrad 
Schnitt noch nicht endgültig behauptete, hatte darin seinen Grund, daß man unter 
den vielen über C. Schnitt überlieferten Nachrichten keine hatte, welche ihn aus- 
drücklich als wirklichen Künstler, als Kunstmaler, wie man heute in der Schweiz 
sagt, beglaubigte. Diese Nachricht, das ist das Entscheidende, haben wir aber 
jetzt, und somit kann ich die Identität als eine beweisbare Behauptung aufstellen. 

Die Nachricht ist keineswegs verborgen, sondern sie steht in dem sogenannten 
Inventar B. des ehemaligen Amerbachischen Kunstkabinettes?) in Basel. 
In diesem Inventar von 1578/79, das die Handzeichnungen, Holzschnitte und Kupfer- 
stiche umfaßt, steht: „C. Schnit“ als offenbar gleichberechtigter Meister angeführt 
mit fast allen unseren bekannten deutschen Graphikern; es gehen dem „С. Schnitt“ 
in der Aufzählung unmittelbar voran: „НВ С 1534“ (Hans Baldung Grün), „HS:JS. 


(1) Kritische Ausgabe von August Bernoulli im 6. Band der „Basler Chroniken“, Leipzig, S. Hirzel 1902, 
S.87ff. — Von dem gemalten Doppelwappen dieser Chronik sagt A. Bernoulli S. 166, daß „seine Aus- 
führung ganz an Schnitts Wappenbuch erinnere“. Diese richtige Beobachtung kann man dahin be- 
stätigen, daß in dem Doppelwappen der Chronik eine sehr gute eigenhändige Arbeit Schnitts zu er- 
kennen ist. (Detailabbildung: siehe auf der Abbildungstafel 27 den ersten Kopf links oben.) 

(2) Für diese Mitteilung und überhaupt für hilfsbereite Förderung meiner Untersuchung über Conrad 
Schnitt bin ich Herrn Dr. Rudolf Wackernagel aufrichtigen Dank schuldig. 

(3) Die Amerbachschen Inventare, in der Ausgabe von Prof. P. Ganz und Dr. E. Major, Basel 1907, 
S. 36. 


92 


1536“ und das Zeichen der Schaufel (Hans Leonhard Schäufelin), „Albr. Glocken- 
don“. Es folgen dem „С. Schnit“ unmittelbar nach: „N. Hogenb.“, „JB:HB.1529“, 
»H C B. 1526“, „HSB. 1548“ (Hans Sebald Beham) usw. — Daß es sich hier spe- 
ziell um Holzschnitte handle, ist nicht gesagt, es könnten schließlich auch Hand- 
zeichnungen gemeint sein, was aber gleichgültig ist, denn soviel traue ich meiner 
eigenen Stilkritik schon zu, daß ich nichts weiter brauchte als die Nachricht, daß 
Conrad Schnitt überhaupt als ein echter Künstler neben den anderen galt. 

Wer nun meine Identititsbehauptung nicht zur seinigen machen will, der über- 
bürdet sich zugleich die Aufgabe, das nunmehr durch das Amerbachsche Inventar 
beglaubigte Kunstschaffen des Conrad Schnitt irgendwoanders unter den Monogram- 
misten C. S. nachzuweisen, und nicht unter dem in Basel gleichzeitigen, stilistisch 
mit dem Wappenbuch!) übereinstimmenden Werk unseres Monogrammisten C. S. 
der Notitia dignitatum und der Schweizer Bannerträger. Ich bin aber überzeugt, 
daß es zu solchen Umwegen nicht kommen wird, sondern daß die deutsche Gra- 
phik um das stattliche Werk einer glücklicherweise gut beurkundeten Persönlichkeit 
bereichert wird und stelle eine Monographie über C. Schnitt in Aussicht. Damit 
ich aber mit meiner Ansicht über die stilistischen Zusammenhänge einstweilen 
nicht ganz unkontrollierbar operiere, gebe ich auf der zugehörigen Abbildungstafel 
einige wenige Proben aus Conrad Schnitts Wappenbuch und aus den Holzschnitten 
des Basler Monogrammisten C. S. — Es ist nicht zu vergessen, daß das Wappen- 
buch 3750 hingezeichnete und kolorierte Wappen enthält, also naturgemäß flüch- 
tigere, weniger ausführende Arbeit zeigt, als die auf Bestellung hin vollkommen 
durchgeführten Holzschnitte. 

Die zwei Abbildungen links in dem obersten Abbildungsstreifen zeigen Mohrenköpfe 
aus der Chronik und dem Wappenbuche Schnitts in verwandter Auffassung mit dem 
dritten Mohrenkopf aus einem der signierten Bannerträger. Augen und Nase dieses 
Bannerträgers leiten zu dem wichtigen Gesichtstypus des Mädchens aus dem Wappen- 
buch hinüber, der rechts daneben abgebildet ist. Die ganze Bauart des Kopfes dieses 
Mädchens sowie seine verdickten Augenlider und geschwollene Nase findet man 
deutlich in dem Windkopf aus einem der Ptolemäus-Holzschnitte wieder und darunter 
in den zwei gekrönten Frauenköpfen aus den Holzschnitten der Notitia dignitatum, 
ebenso links davon in den zwei Kinderköpfen des großen Alphabetes?) von 1540. 


(1) Schnitts Wappenbuch war nachweislich nie in Amerbachschem Besitz, kann also nicht das in 
jenem Inventar bezeugte Werk Schnitts sein. Unter den anonymen Zeichnungen der Basler Kunstsamm- 
lung, die aus dem Amerbachschen Kabinett stammen, befindet sich keine, die überzeugend auf den 
Stil Conrad Schnitts hinwiese, es ist nichts ganz deutliches zu finden, am ehesten könnte man noch 
bei einigen Blättern aus Holbeins Schule an ihn denken, aber das will ich lieber aus dem Spiel lassen. 
Mit den Initialen С. 5. (getrennt) ist nur eine große Zeichnung mit dem allegorischen Raub der „Europa“ 
versehen, die etwa zwischen 1520 und 1524 anzusetzen ist, also einer Zeit angehört, aus der man über 
Schnitts Stil noch allzu wenig weiß, außer dieser möglichen Zeichnung selbst. — In dem aus- 
führlichen, etwa 200 Seiten starken Katalog der Holzschnitte und Kupferstiche des Amerbachschen 
Kabinetts wird Schnitts Name nicht genannt, von seinen Werken kommt darin allerdings die Schweizer- 
karte Gilg Tschudis vor, aber ohne Kiinstlernotiz. Es ist also nicht zu entscheiden, ob mit der Nen- 
nung im kurzen Inventar B. Handzeichnungen oder Schnitte gemeint waren. Übrigens sind die 
inventarisierten Bestände des Amerbachschen Kabinetts heute nicht mehr lückenlos in der Basler Kunst- 
sammlung nachweisbar, so fehlen z. В. das Mondinstrument Sebastian Münsters von 1529 und die 
Sophianus-Karte von Griechenland in der Ausgabe Oporins von 1544, oder von den Holbeinschen Holz- 
schnitten das Lutherbildnis in Rundform, das ich neulich in Bernhart Brandts „Volkumnen Begriff 
aller lobwürdigen Geschichten“ (Basel, bei Kündig 1553) wieder auffand. 

(2) Reproduziert in den Holbein-Initialen von Schneeli und Heitz als Nr. XXXV. 


93 


In der mittleren Abbildungsreihe sieht man links auffallend übereinstimmende 
bärtige Männertypen; zunächst ist links der gekrönte Kopf aus einem signierten 
Holzschnitt der Notitia dignitatum, und darunter der entsprechende Typus aus dem 
Wappenbuch, sodann der große barhäuptige Holzschnittkopf aus Sebastian Münsters 
Kosmographie mit einer rechts davon abgebildeten Parallele aus dem Wappenbuch. 

Die vielen kleinen Köpfe rechts zeigen dann zu zwei feiner empfundenen, mit 
markanten kleinen Hakenstrichen gezeichneten Holzschnittköpfen eines jungen 
Mannes und eines Engels aus der Notitia dignitatum, eine Reihe von sechs gleich- 
gezeichneten Köpfen gleichen Schlages aus dem Wappenbuch. Man ist gezwungen, 
mit Kopftypen zu arbeiten, weil die Helmzierden des Wappenbuches eben keine 
ganzen Figuren, sondern nur Oberkörper, meist ohne Arme, tragen. Nicht unerwünscht 
werden da wenigstens die Federn des untersten Abbildungsstreifens zeigen, daß 
auch Gegenstände in ebenso einleuchtender Weise den gleichen Duktus der Hand 
und die gleichen Formvorstellungen bezeugen. Die kleine Abbildung ganz unten 
links aus dem Wappenbuch zeigt bei großer Vereinfachung doch die gleiche Staf- 
felung und Bewegung wie der große Federbusch des signierten Bannerträgers 
ganz rechts, und die Federn des mittleren reicheren Busches aus dem Wappenbuch 
stimmen in der zeichnerischen Einzelausführung mit der aufrechten Feder auf dem 
Helm des gleichfalls mit C. S. signierten Bannerträgers links davon doch äußerst 
genau überein. So glaube ich, kann angesichts aller äußeren zusammentreffenden 
Umstände die künstlerische Identität des Conrad Schnitt mit dem Basler Mono- 
grammisten С. S für sicher gelten!). 


(1) Wenn durch fortschreitende Untersuchung die vorher in Anmerkung erwähnte Zeichnung mit dem 
Raub der Europa sich als sichere Arbeit des Conrad Schnitt ergeben würde, so wird dann auch die 
Frage zu prüfen sein, wie weit einige Basler Holzschnitte von etwa 1521 bis 1524 mit Conrad Schnitt 
zusammenhängen; solche Holzschnitte wären etwa „das Mönchskalb vor Papst Hadrian“, oder die Illu- 
strationen zu Gegenbachs „History vom Pfarrer, Geist und Murner“ und andere stilistisch zugehörige 
Illustrationen in Gengenbachischen Druckwerken, vielleicht auch einige bei Lamparter 1521 erschienene 
Holzschnitte. Das alles soll aber nichts weiter, als eine Richtung angeben, in der man suchen und 
prüfen müßte. 


94 


MISZELLEN 


EINE ZEICHNUNG DES THEODO- 
KOPULOS (Albertina). 
Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 

Das gegenwärtig außerordentlich gesteigerte In- 
teresse für Theodokopulos’ Kunstwerke und Kunst- 
weise bringt auch nach und nach einiges Zeich- 
nungenmaterial an den Tag. Wir sind hier so 
wie überhaupt bei allen spanischen Zeichnungen 
recht übel daran. Da die offenen und verborgenen 
Schätze Spaniens noch nicht behoben und be- 
arbeitet sind, so fällt es auch der Forschung in 
Deutschland schwer, ihre kümmerlichen Reste mit 
mit den richtigen Namen zu versehen, und es ist 
interessant zu beobachten, wie fast alle deutschen 
oder ausländischen Handzeichnungs-Publikationen 
den spanischen Meistern wissentlich ausweichen. 
Es wäre wohl sehr zu wünschen, daß die auf spani- 
sche Kunst eingeschossenen deutschen Fachleute 
auch einmal eine kritische Auswahl guter Handzeich- 
nungen spanischer Meister in grundlegender Weise 
wagen würden. Ihr Verdienst wäre ein dauerndes. 

Die Erkenntnisschwierigkeiten bei EI Greco sind 
etwas geringer, seine bizarren, oft krankhaft ge- 
streckten Formen werden es ermöglichen, seine 
Handzeichnungen von den italienischen Bezeich- 
nungen, unter denen sie verborgen liegen, zu 
befreien, um wenn auch im bescheidensten Maße 
ein vorläufiges Oeuvre anzulegen. In der Ausgabe 
Handzeichnungen alter Meister aus der Albertina 
und a. S. veröffentlichte ich einen männlichen 
Kopf, der zuerst unter Caracci ging und von Suida 
Greco zugeschrieben wurde. H. Kehrer brachte 
im letzten Septemberheft dieser Zeitschrift die an- 
geblich einzige Zeichnung des Meisters aus der 
Madrider Nationalbibliothek, die Figur eines Jo- 
hannesEv.,welche bereits freilich in recht schlechter 
Abbildung in dem 1908 erschienenen Werke Cossios 
publiziert war. Ich reihe hier eine dritte an. Die- 
selbe (Tafel 28) trug den Namen Titian, so lautet 
wenigstens eine alte Bezeichnung unten am Rande 
unter der später darüber gesetzten rätselhaften In- 
schrift i). Auf der Rückseite standen versuchsweise 
Benennungen wie Domenichino oder Biliverti. Unter 
diesen schwankenden Bezeichnungen kam das Blatt 
1907 als unbekannter Italiener mit mehreren anderen 


(1) Kohleentwurf, noch deutlich sichtbar, mit braun ge- 
wordener Tinte gezeichnet und braunschwarz getuscht. 
Inv.-Nr. 21200, 34><23 cm. Von der lieblosen Hand eines 
„Kunstverständigen‘ gewaltsam in vier Stücke zerrissen, 
dann von einem anderen Besitzer wieder zusammengefügt, 
aber ohne richtigen Zusammenhang, so daß z. B. die Falten- 
züge jenseits der Risse nie eine Fortsetzung fanden. Die 
Abbildung ist aber bereits nach der in der Albertina voll- 
zogenen Restaurierung gemacht. Ohne Wasserzeichen. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 3 


Skizzen in die Albertina und wurde erst gelegentlich 
seiner Bearbeitung zu einem echten Theodokopulos. 
Es war dies nicht besonders schwierig, denn die 
Zeichnung zeigt bereits alle Eigentümlichkeiten 
und Schrullen des Meisters, wie sie in Venedig 
unter Tizian, Tintoretto und Bassano anhuben und 
sich in Mittelitalien fortsetzten, Manieriertheiten, 
doch noch ohne krankhafte Steigerungen, über- 
lange Oberkörper, dünne gestreckte Hälse, aufge- 
regte Bewegungen, laute Affekte, die sich durch 
Aufreißen von Augen und Mund äußern. 

Bedarf es hier auch keiner weiteren Beweise 
für die Echtheit, so stützt die unten sichtbare und 
über die früher vorhandene Notiz „Titian“ gesetzte 
Signatur in anscheinend griechischen Buchstaben 
die Zuschreibung. Diese sinnlose Aufschrift deute 
ich mir in der Weise, daß ein Besitzer die viel- 
leicht ehemals richtige Bezeichnung durch Be- 
schneiden des Blattes — und es ist an allen 
Seiten verschnitten — entfernte und in Unkenntnis 
der merkwürdig verschlungenen Buchstaben El 
Grecos sie wieder nach bestem Können darauf 
setzte. Wenigstens läßt sich aus den letzten 
Zeichen, aber nur an der Hand echter Signaturen, 
noch еіп ovdog хо herausdeuten (Siehe: Signaturen- 
tafel bei M. B. Cossio, El Greco Taf. II). | 

Die Komposition bewegt sich strenge nach italie- 
nischem Schema. Die Madonna in der Mitte, 
etwas höher auf Wolken schwebend, und um sie 
symetrisch gruppiert stehend und kniend, Johannes 
Evangelista und Papst Gregor (links), Maria Mag- 
dalena und Antonius (rechte). Zwischen den 
Heiligen in der Mitte ein Durchblick in eine 
Landschaft. Pentimente, wie der rechte Arm der 


. Jungfrau, die rechte Hand des Papstes, Varianten 


in den Konturlinien des Jesukindes beweisen das 
Durchringen der richtigen kompositionellen Formen 
und schließen jeden Gedanken an eine Kopie aus. 

Wollte man sich nach etwaigen Vorbildern für 
derlei Konversationsbilder mit einer schwebenden 
Madonna umsehen, so käme in erster Linie der 
Typus der römischen Schule in Betracht. Raphael 
bildete hier mit seiner Madonna da Foligno ge- 
wissermaßen den Ausgangspunkt, und endlose 
Reihen von Nachahmungen folgten diesem be- 
rühmten Andachtsbilde bis herauf in die neu- 
römische Schule. Als Theodokopulos 1570 nach 
Rom kam, wie wir aus dem Briefe des Julio Clovio 
erfahren, fand er diese Art Madonnen mit den 
üblichen vier Heiligen bereits in vielen Varianten 
vor. Um diese Zeit müssen wir auch die Ent- 
stehung der Zeichnung ansetzen. Joseph Meder 


8 95 


ZU MATTHIAS GRÜNEWALD. 


Aus den umfänglichen Kollektaneen zur Kunst- 
und Kulturgeschichte, welche Sulpiz Boisserée 
aufspeicherte, will ich heute schon, vorgreifend eine 
Notiz bekannt geben, die vielleicht der Grünewald- 
Forschung Nutzen bringt. Der Bildersammler unter 
den deutschen Romantikern schreibt nämlich in 
Band Ma, „Mahlereien in Deutschland, Italien u.s.w.“ 
(Kölner Stadtarchiv), S. 44/45: „Bey Kammerherrn 
у. Holzhausen zu Frankfurt. Kleines Bildchen 
c... 3 Fuß: 12 Z. breit worauf ein Blinder, der 
von einem Knaben über das Eiß geführt, durch 
2 Mörder erschlagen wird, ganz so wie Sandrart ein 
gleiches Bild von Grünewald beschreibt mit diesen 
Zeichen: (welches auf der Reise nach Schweden 
soll untergegangen seyn, Holzhausen behauptet, 
es käme aus Dänemark her)“. 

Die Bezeichnung des Gemäldes hat Sulpiz da- 
neben sorgsam vermerkt. Es ist zunächst die 
Signatur des Philipp Uffenbach (r Vos ver- 
bunden) — vgl. J. Heller, Monogrammen-Lex. 1831, 
S.311, Nagler, Monogrammisten IV 1881, Nr. 3407 — 
darunter 1520 und zum Schluß G in M. 

Die leider undatierte Angabe ist in mancher 
Hinsicht von Wichtigkeit und darf auf keinen Fall 
übersehen werden. Als ein verständiger Beobachter 
war Sulpiz Boisserée zeitlebens bemüht, mit red- 
lichem Eifer und durchaus nicht kritiklos, den 
Denkmälerbestand zu bereichern und zu sichten. 
Seine bestimmt gefaßten Aussagen über Gegen- 
wärtiges, Tatsächliches können als zuverlässig an- 
genommen werden, so gern er allerdings große 
Namen auf den Lippen führte. Die Täuschung 
durch ein Falsifikat ist in unserem Fall ausge- 
schlossen, und doch besaß der Freiherr von Holz- 
hausen auf дег „Oed“ in diesem Stück bestimmt 
kein Original des „deutschen Correggio“. 

Die Ausstellung der Galerie Holzhausen im Stä- 
delschen Institut (1911) bestätigte zwar nicht un- 
mittelbar Boisserées Angaben, doch sie brachte eine 
wichtige Erginzung. Man sah eine Komposition, 
die wahrscheinlich einst das Gegenstück zu der 
beschriebenen Szene gewesen ist!). Die Gruppe 
der Klagenden am Fuße des Golgatha, datiert 1588 
(die letzte Ziffer undeutlich) und wieder versehen 
mit der Signatur des Philipp Uffenbach, überraschte 
durch eine kraftvolle koloristische Haltung, eine 
Charakteristik der Gestalten, die sich entschieden 
von Grünewald herleitet. Der Enkelschüler hat 
eine alte Darstellung zeitgemäß umgewandelt und 


(1) Die Maße passen zwar nicht zu den Angaben Boisserées, 
doch sind diese selten ganz genau und gehen meist nur auf 
allgemeine Schätzung zurück. — Vgl. auch „Chronologie 
der Kunstgeschichte“, zwei Mappen aus Boisserces Besitz. 
dLegat H. Hüffer, Kgl. Univ.-Bibl., Bonn.) 


96 


sich dabei über das gewohnte Niveau seiner 
Leistungen weit erhoben. ,,...das dritte Blat war 
etwas imperfecter | ala vorige zwey | und sind sie 
zusammen Anno 1631. oder 32. in damaligem 
wilden Krieg weggenommen / und in einem Schiff 
nach Schweden versandt worden | aber neben vielen 
andern dergleichen Kunststücken durch Schiffbruch 
in dem Meer zu Grund gegangen“ i). 

Bei dem Gemälde des Philipp Uffenbach, das 
Boisserée bei Holzhausen sah, scheint der Anschluß 
an Grünewald über eine Vermutung hinausgehoben, 
ја für den Leser der ,,Teutschen Akademie“ so- 
gleich kenntlich gewesen zu sein. 

Für die Absicht, ein Meisterstück der Malerei 
genau zu reproduzieren und sich allzeit gegen- 
wärtig zu halten, spricht schon die Aufnahme des 
Entstehungsdatums 1520?) nebst der Signatur des 
Urhebers der Komposition. Doch was enthielt 
diese nun eigentlich als Sujet? 

Joachim von Sandrart berichtet: „Auf ein ande- 
res Blat war gebildet ein blinder Einsidler / der 
mit seinem Leitbuben / über den zugefrornen 
Rheinstrom gehend / auf dem ЕВ von zween 
Mördern überfallen / und zu todt geschlagen wird / 
und auf seinem schreyenden Knaben ligt / an 
Affecten und Ausbildung mit verwunderlich natür- 
lichen wahren Gedanken gleichsam überhäuft an- 
zusehen: 

Wie kam nur die Abbildung eines Verbrechens, 
das sich in der Nähe, auf der winterlichen Eis- 
fläche des Rheins zugetragen, über den Altar? Die 
Auftraggeber des 16. Jahrhunderts hielten sich zu 
solchem Bedarf doch sonst stets an Bibel oder 
Legende. Woraus wurde ferner die Blindheit des 
Eremiten ersichtlich, der sterbend auf dem Leib 
seines Führers lag? 

Prüft man nach dem Bericht die einzeinen Ele- 
mente, aus denen die wildbewegte Szene, als ein 
Figurenknäuel sich zusammensetzte, so kann es 
kaum mehr fraglich bleiben, daß vom Maler gar 
nichts anderes als der Tod des Dominikanerheiligen 
(1) J. v. Sandrart, Teutsche Akademie, neue Ausgabe 1774, 
III. z, p. 228 f. Die Originale der Mainzer Dombilder konnten 
auch 8. (geb. 12. V. 1606 zu Frankfurt) nur aus Jugendein- 
drücken noch erinnerlich sein. — J. L. Sponsel, Sandrarta 
„Teutsche Akademie‘, Dresden 1896. 

(2) H. A. Schmid, Die Chronologie der Werke Griinewalds 
im „Repertorium für Kunstwissenschaft‘ XXXII, 1909, S. 414. 
„Zum Teil schon vor 1525, vermutlich die Bilder für den 
Mainzer Dom“. -- Vergl. auch Heinrich Alfred Schmid, „Die 
Gemälde und Zeichnungen von Matthias Grünewald‘, Straß- 
burg 1907 ff. — Entwürfe und Einzelstudien zu den Mainzer 
Altargemälden scheinen nicht erhalten; auch ließ sich bis- 
her keine Stichreproduktion, wie die von R. Sadeler nach 
dem Kreuzigungsbild bei Herzog Wilhelm von Bayern von 
1605 nachweisen. — Eine annähernd gleichzeitige Darstel- 
lung der Ermordung des Petrus Martyr befindet sich in der 


Paulinerkirche zu Leipzig. Vgl. C. Gurlitt, „Kunstdenk- 
mäler des Königreichs Sachsen", Н. 17 (1895), S. 97. 


Petrus Martyr (} 1252) gemeint war. In einer 
Wildnis sah man den Überfall eines Gesalbten, 
der mit brechenden Augen und tastender Hand 
(laut der Legende) das Credo mit dem eigenen 
Blut auf den blanken Boden schreibt, dann ferner 
die erhobenen Schwerter Gewalttätiger und den 
niedergestürzten angstvollen Gefährten. 

Möge dieser Versuch einer Interpretation es 
den Forschern erleichtern, Philipp Uffenbachs 
Kopie der merkwürdigen Darstellung wieder auf- 
zufinden. 

Die Sammlung Holzhausen hat manches von 
ihrem früheren Bestand eingebüßt. Eine Anzahl 
Gemälde ist verkauft worden. Sulplz Boisserée 
erwarb schon 1811 von dem Kammerherrn das Bild 
der Herodias von Lucas Cranach (Höhe: 1 101/,“, 
Breite: 1‘ 10!/,”), „von welchem das darauf befind- 
liche Haupt Johannis wegen allzu großer Beschä- 
digung abgesägt worden“. Amalie von Hellvig, 
geb. Freiin von Imhoff in Friedrich Schlegels 
„Deutsches Museum“ UI, Wien 1813, S. 288. — 
Joseph Heller, „L.Cranachs Leben und Werke“ 1854, 
S.88; Waagen, „Kunstwerke und Künstler in D.“ 
1,1843, S. 113. Lithographie von N. Strixner 1825, 
Nürnberg, Germanisches Museum, Nr. 217; Werk- 
stattarbeit, z. T. übermalt. — Ebenso 1815 „ein 
Brustbild der Maria, einfacher Hintergrund, scheint 
ein Bruchstück aus einer Verkündigung“ (Höhe: 
x’ 8“, Breite 1‘ 2“). 

Ferner befand sich in der Sammlung Holzhausen 
ein Hieronymus, dem Michel Wohlgemut zuge- 
schrieben und eine Tafel, datiert 1437, mit der 
lebensgroßen Gestalt des hl. Bartholomäus. 

Vermutlich war es Friedrich Schlegel, der in 
einem Schreiben vom 9. Mai 1808!) Sulpiz zuerst 
auf die Galerie hinwies: 

„In Frankfurt sah ich die Sammlung eines Schöffen 
von Holzhausen, kommen Sie durch, so versäumen 
Sie diese ja nicht. Es sind viele altdeutsche Bilder 
darin. Ein angeblicher Dürer schien mir dessen 
nicht ganz würdig und das bekannte Zeichen also 
falsch („Franciscus, den Holzhausen für Dürer 
ausgibt‘, a. a. O., S. 132). Ein großer Cranach 
aber, ein Urteil Salomonis, gehört unstreitig zu 
den sehr guten altdeutschen Bildern, die ich je 
gesehen. Er hat noch viele altdeutsche Bilder, 
die er aber bisher so schlecht geachtet, um einen 
goldenen Rahmen daran zu wenden. Nun hat er 
aber versprochen, Alles aufzustellen“. 

Eduard Firmenich-Richartz. 
(1) ..Sulpiz Boisserée“ I, Stuttgart 1862, S. 51. — Lucas Cra- 


nachs , Christus als Kinderfreund“ konnte allerdings schlim- 
mer wie hier kaum verkannt werden. 


ZU LEONARDO DA VINCIS BRUST- 
BILD EINES ENGELS. (Monatshefte für 
Kunstwissenschaft IV., Dezember 1911.) 


Herrn Dr. Gronau verdanke ich die folgende 
wertvolle Notiz, die er einem 1570 aufgestellten 
Inventar der Medici entnahm: 

Uno quadro entrovi una testa di San Giovanni 
di mano di Lionardo da Vinci. (Arch. di Stato di 
Firenze, Guardaroba, Filza 73.) 

Weil diese Aufzeichnung nur zwei Jahre spiter 
fällt als die Drucklegung des Passus bei Vasari, 
so darf als sicher gelten, daß es sich um jenes 
Bild handelt, das Vasari als „Engel“ benannt hat. 

Durch die vorstehende Notiz glaube ich aber 
meine Annahme, daß auf dem ursprünglichen 
Bilde Leonardos ein Engel und nicht der S. Jo- 
hannes-B. dargestellt war, durchaus nicht erschüttert, 
wie denn auch Georg Gronau seinen Fund einfach 
als eine Bestätigung des Vasari bezeichnete. 

Es handelt sich nicht allein darum, den Wert 
zweier Zeugnisse abzuwägen, von denen das eine 
von einem ernsten Schriftsteller stammt, der das 
Bild bewundert und genau beschrieben hat, wäh- 
rend das andere nur die Notierung irgendeines 
herzoglichen Beamten ist, der den Besitz seines 
Herrn aufzeichnet! Die zum Himmel weisende 
Hand, der zur Herstellung des Gleichgewichts der 
Komposition geforderte Flügel, die Zeichnung des 
Leonardoschülers aus dem Anfang von 1507, das 
deutlich angegebene leichte Gewand auf der Hand- 
zeichnung in Venedig und die Kopie in Peters- 
burg sind unbestreitbare Zeugnisse von ausreichen- 
der Beweiskraft, daß der ursprüngliche Gegenstand 
der Komposition ein Engel war. 

Ich glaubte schon darauf hinweisen zu dürfen, 
daß diese Einzelgestalt eines Engels für die da- 
malige Zeit ikonographisch höchstwahrscheinlich 
ein Novum war, eine Idee, weiche dem die Alle- 
gorie liebenden und in poetisch - sinnvoller Ver- 
tiefung stets seine eigenen Wege gehenden Genius 
des Leonardo entsprungen sei. Deshalb war ein 
Irrtum des Beamten wohl verzeihlich, zumal 
da die Flügel von dem dunklen Hintergrund sich 
wenig abhoben und ferner, weil schon in Leonar- 
dos Werkstatt die Komposition in den den Floren- 
tinern so vertrauten Patron ihrer Stadt umgewandelt 
und durch Kopien mannigfach verbreitet war. 

Welches Kreuz für die Forscher ungenaue Titel 
in früheren Verzeichnissen bilden, könnte gerade 
die Leonardo-Literatur mit starken Beispielen be- 
legen. Ich beschränke mich auf die eine Bemerkung, 
daß Du Rameau, einer der Direktoren der Louvre- 
galerie, in einem Verzeichnis des Jahres 1784 die 


97 


Halbfigur von Leonardos S. Giovanni unter dem 
Titel „une vierge“ aufführt. (Engerand, I. c. 8.) 

Es ist mir noch der Gedanke gekommen, ob 
die bekannte Notiz in Franc. Albertinis Memoriale 
von 1510 auf das von Vasari beschriebene Brust- 
bild eines Engels gedeutet werden könnte Es 
heißt dort: Lascio (ich übergehe) in Sancto Salvi 
tavole bellissime, et un angelo di Leonardo Vinci. 
(Racc. Vinc. VI, 136.) 

Es wäre ja nicht unmöglich, daß das spätestens 
1509 vollendete Bildchen im Kloster oder vielleicht 
sogar in der Kirche S. Salvihing. Aber wir wissen, 
daß in dieser Kirche sich das berühmte Altarge- 
mälde der Taufe Christi befand, auf dem Leonardo 
als Gehilfe des Verrocchio einen der knieenden 
Engel nach eigenem Empfinden vollkommen um- 
gestaltet hatte. Aus Vasaris wohl etwas über- 
treibender, aber im wesentlichen zuverlässiger Dar- 
stellung geht hervor, daß dies Bild gerade durch 
diese Schöpfung des jungen Leonardo eine große 
Berühmtheit erlangt hatte. Deshalb ist es recht 
wohl verständlich, wenn Albertini auf diese Sehens- 
würdigkeit von Florenz aufmerksam machte, in- 
dem er nicht die Darstellung der ganzen Kompo- 
sition, sondern nur deren vorzüglichsten, famose- 
sten Teil nannte — wie das heute noch in der 
Akademie von Florenz oft genug geschehen wird. 

Herr Baron v. Liphart hatte die neue Freund- 
lichkeit, mir mitzuteilen, daß der Restaurator 
Н. Siderow, der 1888 die Petersburger Kopie auf 
Leinwand übertrug, erkläre, er habe das Brett neu 
gefunden und auf der Rückseite bemalt, um die 
Neuheit zu verdecken. Diese Wahrnehmung sei aus 
Subordinationsrücksichten dem Herrn Somof nicht 
kundgegeben, weil dieser das Bild für alt gehalten 
habe. 

Bei allem Respekt vor dieser so bestimmten Aus- 
sage möchte ich doch erwidern, daß das Bild für 
meine und andere Augen so starke und von dem 
ursprünglichen Stil abweichende Ausbesserungen 
aufweist, daß man es für eine einheitliche Fälschung 


aus der Zeit des Empire — welcher auch der 
Charakter nicht entspricht — doch nicht ansehen 
kann. Auch die Geschichte des Auftauchens der 


Kopie spricht dagegen. Ob man ein Brett, das 
mindestens тоо Jahre alt ist — denn sicher hätte 


ein Fälscher sich keines ganz neuen bedient — 
von einem 300 Jahre alten so leicht und mit 
Sicherheit unterscheiden kann, vermag ich nicht 
zu beurteilen. a 

Im Dezemberheft des Burlington Magazine publi- 
zierte Mr. Herbert Cook aus englischem Privatbe- 
sitz ein bisher unbekanntes Bild des 6. Johannes 
in der Wüste, das auf das Exemplar beim Earl 
of Crawford snriickgeht, aber erheblich größer ist. 
Hochformat und ruhiger landschaftlicher Hinter- 
grund sind Vorziige, aber Zeichnung und Model- 
lierung sowie Ausdruck sind weniger fein. 

Die von mir nach Müller - Waldes Beispiel im 
Besitz von Mr. Haveburn kurz zitierte Nachbildung 
des Ambrosiana-Johannes gehört, wie Mr. Н. Cook 
mir freundlichst mitteilt, Mr. H. B. Hewetson in 
London, den auch der Katalog der Winter- Exhi- 
bition of Early Italian Art 1893/94 als Besitzer 
verzeichnet. 

Meine Deutung, daß wir in dem von Amoretti 
aufgeführten „Verkündigungsengel“ eine Wieder- 
holung der von Vasari beschriebenen Komposition 
erkennen dürfen (537), ist in einem Referat in der 
„Kunstchronik“ 1912, S. 191, als „sehr gewagt“ be- 
zeichnet. Ich meine aber, wenn Emil Jakobsen 
noch im Jahre 1902 die Schülerzeichnung als Ver- 
kündigungsengel auffassen konnte, so dürfen wir 
in dem kurzen Zitat des Katalogs von Amoretti 
denselben Irrtum noch eher vermuten. — Die 
vorgeschlagene Lösung: A. habe mit dem Titel 
„angelo in atto d’annunziare В. V.“ ein vollstän- 
diges Verkündigungsbild bezeichnen wollen, ist 
undenkbar; die andere Deutung: es habe ihm die 
Teilkopie einer Verkündigung vorgelegen, dürfte 
heute weniger Beifall finden als früher. 

Was die Bemängelung der Konstatierung von 
Übermalungen an der Hand von Photographien 
anlangt, so ergeben gerade die bei seitlichem 
Reflexlicht aufgenommenen „schlechten“ Photos 
klarere Resultate als die Besichtigung der Originale. 
Eine zur Reproduktion ungeeignete zweite Auf- 
nahme war in jener Hinsicht noch wertvoller und 
ließ auch, wie Herr v. Liphart schrieb, die nee) 
besser erkennen als das Gemälde. 

S. 544 ist infolge eines Lapsus calami St. Cloud 
statt „Cloux“ gedruckt worden. E. Möller. 


GOETHE ALS ZEICHNER. 

Im Jahre 1815 fanden Verhandlungen zwischen 
Goethe und dem Radierer Jac. Wilh. Roux statt 
über eine illustrierte Ausgabe der, italienischen 
Reise. Roux sollte die Zeichnungen Goethes und 
seiner römischen Freunde radieren und die Blätter 
sollten als Beiheft der italienischen Reise erscheinen. 
Der Plan kam damals nicht zur Ausführung, und 
so sind nahezu 100 Jahre vergangen, bis jetzt der 
Insel-Verlag, der Erfüller so mancher unerfüllt ge- 
bliebenen Goethischen Wünsche, eine Ausgabe der 
italienischen Reise darbot!), geschmückt mit den 
Zeichnungen Goethes, seiner Freunde und Kunst- 
genossen, zusammengestellt von George von Graeve- 
nitz, dem trefflichen Kenner des Goethischen Italiens. 

Wir haben nichts verloren bei dieser fast hundert- 
jährigen Verzögerung. Denn statt einer Gabe aus 
zweiter Hand, die die Goethischen Skizzen ähn- 
lich „abgerundet“ und vielleicht verflacht hätte, 
wie es später die Radierungen von Lieber und 
Holdermann taten, haben wir jetzt originaltreue 
Reproduktionen aller, auch der verriebensten Blätt- 
chen vor uns. 

Woher diese Blätter im einzelnen stammen, und 
wie sie ausgewählt wurden, mag hier außer Be- 
tracht bleiben. Darüber geben das Nachwort und 
die Anmerkungen von Graevenitz bestens Auskunft. 
Auch von den Arbeiten der Freunde, Hackert, 
Kniep, Tischbein usw. will ich nicht sprechen. 
Ich möchte hier dic Frage aufwerfen nach dem 
rein künstlerischen Wert der Goethischen Zeich- 
nungen, oder, mitanderen Worten, fragen: Hätten 
diese Blätter auch Wert, würden sie die Repro- 
duktion lohnen, auch wenn sie nicht von Goethe 
wären? 

Ruland hat von einigen Goethischen Zeich- 
nungen gesagt, daß sie mit Ehren in einer Aus- 
stellung der Modernen erscheinen könnten; Schu- 
chardt zugestanden, daß „Erfindung, Komposition, 
Anlage, Andeutung der Farbe bei den meisten 
Zeichnungen so beschaffen sind, bescnders bei 
den Landschaften, daß kein Künstler sich deren 
zu schämen brauchte.“ Graevenitz stimmt beiden 
zu, meint aber doch, daß Goethe in seiner „starken 
und in diesem Falle bedauerlichen Eindrucks- 
fähigkeit“ sich gar zu selbstvergessen an seine 
Lehrer und Vorbilder hingegeben habe. Weiter 
geht noch W. v. Oettingen, der jetzige Herr des 


(1) Goethes italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, 
seiner Freunde und Kunstgenossen. Mit Unterstützung 
des Goethe-Nationalmuseums herausgegeben von Georg 
von Graevenitz. Leipzig, im Insel- Verlag, 1912 (in Halb- 
leder M. 40.—, in Leder M. 60.—). 


Goethehauses, der der Goetheschen Zeichentätig- 
keit nur insoweit Wert zugestehen will, als sie 
eine Art dieses gewaltigen Wesens war, sich zu 
dokumentieren. Und Goethe selbst hätte ihm 
wohl Recht gegeben. 

Und doch scheint mir das ein wenig ungerecht 
zu sein. Die Zeichnungen, die die italienische 
Reise begleiten, sind chronologisch angeordnet und 
lassen gut überblicken, was er in Italien und von 
seinen Lehrern und Gefährten, von Hackert, Tisch- 
bein, Verschaffelt und Kniep gelernt hat. Und 
man darf ruhig zugeben, daß er an Sicherheit der 
Perspektive, an leichterem Ausdruck, an der Fähig- 
keit des Fertigmachens (die Aufmerksamkeit auf 
die Bildmäßigkeit eines Motivs dankte er dem 
Geschmacke der Zeit und der Erziehung des 
Vaters) bedeutendes in dieser Schule gewonnen 
hat. Auch die Technik, die er anwendet, ist die 
seiner Lehrer, und auch in der Bevorzugung des 
Linearen vor dem Malerischen schreitet er in 
ihren Geleisen. Und doch stimmt bereits hier 
die Rechnung nicht. Wenigstens darf man fragen, 
bei wem in seinen Kreisen man damals Vorbilder 
für eine so schwere, kraß-kontrastierende Färbung 
wie die der Ruinen des Palatin (Nr. 19) oder eine 
so feine, schwebende Tonstimmung wie auf der 
Ansicht der Villa Aldobrandini (Nr. 138), die fast 
wie gegen das Licht gesehen wirkt, zu suchen 
hätte? Hier steht er, völlig unbeeinflußt durch 
irgendeine Tradition, vor der Natur „als ein Mensch 
allein“. Und auch sonst lassen die Zeichnungen 
erkennen, daß er das, was das künstlerische der 
Naturwiedergabe ausmacht: den Drang und die 
Fähigkeit, die Erscheinung zu klären, zu verein- 
fachen und nach ihrer notwendigen Verknüpfung 
und Erstreckung zu schildern, als Mitgift der Natur 
von Uranfang an besessen hat. Öttingen sagt von 
der Kunsterziehung des jungen Goethe: „Er ge- 
wöhnte sich (in Frankfurt), im Kunstgenuß keine 
tiefere Erregung, sondern mehr ein Spiel des Ge- 
schmackes und des Verstandes zu suchen.“ Aber 
gleich die dritte Skizze unseres Bandes, auf der 
Hinreise an der Donau entstanden, beweist, daß 
Goethe, schon ehe er in Italien eintrat, das Leben, 
das die Linie der in die Tiefe des Bildes leiten- 
den Flufiufer führt, mit einer leidenschaftlichen, 
fast schmerzhaften Intensität nachzuempfinden ver- 
mochte. In dem seltsamen Selbstcharakterisierungs- 
versuch, überschrieben „Problematisches“, sagt 
Goethe von sich: „Eine Besonderheit, die ihn 
sowohl als Künstler wie auch als Menschen immer 
bestimmt, ist die Reizbarkeit und Beweglichkeit, 


99 


welche sogleich die Stimmung von dem gegen- 
wärtigen Gegenstande empfängt, ihn also entweder 
flieben, oder sich mit ihm vereinigen muß“. Die 
Fähigkeit, das charakteristische, ganz eigene Leben 
einer Erscheinung, die Artikulation von Flächen 
und Linien, die Schönheit und das bedeutsame 
innere Leben von Gelenken aller Art leidenschaft- 
lich zu empfinden; den Drang dies nachzubilden, 
schmerzhaft durch den ganzen Körper zu fühlen, 
das war ihm von jeher eingeboren, und damit be- 
saß er, um es noch einmal zu sagen, was die 
Grundlage und den Charakter alles künstlerischen 
Schaffens ausmacht: Trieb und Fähigkeit, die 
mannigfachen Erscheinungen der Wirklichkeit zu 
klären, zu sondern, und nach ihrer Notwendigkeit 
und in vereinfachter Wirkung darzustellen. 

Hand in Hand mit dieser Eigenschaft geht, 
ebenso sicher von Uranfang in ihm gelegen, und 
genährt und befestigt durch seine botanischen und 
geologischen Studien, ein feines Gefühl für das 
organische und natürlich - logische belebter und 
unbelebter Bildungen. Es gibt unter den Neapoli- 
taner Blättern zwei Darstellungen eines Sonnen- 
unterganges am Meere (Nr. 66/67): eine Skizze 
von Goethe, und dann dieselbe Skizze, abgerundet 
durch Lieber. Auf dem Goethischen Blatte haben 
die Bäume im Vordergrunde etwas unvergleichlich 
organischeres als bei Lieber. Sie wurzeln fest im 
Boden, man kann den Verzweigungen der Wurzel- 
fasern nachgehen und man spürt auch in den 
Stämmen, unbeschadet aller rapid- skizzenhaften 
Ausführung, etwas von aufsteigendem Wachstum. 
Goethe führt hier auch, in richtigem Empfinden 
für die Wichtigkeit einer stabilen Basis, den 
Vordergrund hinter den Baumwurzeln noch ein 
Stück ins Bild hinein; Lieber stellt die Bäume, 
zugunsten der Bildwirkung, auf einen messerrücken- 
schmalen Grat und verstärkt so den Eindruck des 
Haltlosen, den er durch das Weglassen der Wurzel- 
stränge geschaffen hat. Ein Vergleich der Dar- 
stellungen eines Vesuvausbruches von Goethe 
(Nr. 101) und von Tischbein (Nr. 58) zeigt ferner, 
daß auch hier Goethe seinem Lehrer an Intensität 
des Ausdrucks, in der Fähigkeit, den Eindruck des 
Emporschießens und Abwärtsströmens der glühen- 
den Massen zu erwecken, weit überlegen ist. 

Das gleiche wäre zu sagen von dem Eindruck 
der Tiefenillusion. Auf den Goethischen Dar- 
stellungen weitgedehnter Landschaften spürt man 
etwas von der Unendlichkeit des Raumes, und die 
oftmals meisterhaft duftig behandelte Ferne läßt 
selbst neben frühen römischen Blättern die Blatter 
der Freunde flacher, in der Darstellung der Fernen 
gröber erscheinen. 


ТОО 


An Sicherheit der Stoffcharakteristik endlich hat 
Goethe auch nicht allzuviel seinen Lehrern zu 
verdanken. Seine eigenen landschaftlichen Studien 
in Frankfurt und in Wetzlar, vor allem aber wohi 
in den ersten Weimarischen Jahren, hatten ihm 
hier bereits genügende Ausdrucksfähigkeit ver- 
schafft. 

Dies galt alles nur von der Landschaft. Was 
Goethe in der Darstellung der menschlichen Figur 
leistete, läßt sich aus diesem Bande, ja überhaupt aus 
dem bisher veröffentlichten Material nicht mitSicher- 
heit abnehmen. Die Staffagefiguren auf den italieni- 
schen Skizzen sind meist recht schlecht, und auch das 
übrige der physiognomischen Skizzen erhebt sich 
nicht über das — recht mäßige — Niveau der Frank- 
furter und Weimarer Porträtzeichnungen. Der Advo- 
katReccaini (Nr. 9) ist völlig verunglückt in den Pro- 
portionen wie in der Bewegung, dagegen sind von 
den skizzierten Hintergrundfiguren die beiden 
äußersten der oberen Reihe recht fein in Bewe- 
gung und Ausdruck. Was von den übrigen figu- 
ralen Studien des Bandes auf Goethe selbst zu- 
rückgeht, ist fraglich. Aber wie sicher ist in dem 
einzigen fraglos echten Stück (Nr. 146) das Stehen 
des Aktes gegeben. 

Das Kapitel vom Zeichner, Maler und (vielleicht) 
Architekten Goethe ist noch ungeschrieben. Es 
fehlt dazu noch an allen Vorarbeiten, vor allem 
an einer kritischen Sichtung des Materials. Des- 
halb konnten auch hier nur vorläufige Bemerkungen 
gegeben werden, um so mehr, als alles Gesagte 
sich an die italienischen Studien anschließen sollte. 
Immerhin hoffe ich gezeigt zu haben, daß das 
Oeuvre Goethes genug künstlerische Qualitäten 
zu besitzen scheint, um auch unabhängig von 
seinem Schöpfer einige Aufmerksamkeit zu ver- 
dienen, und man wird Hackerts, des vielbeschäf- 
tigten, mit seiner Zeit geizenden Lehrers Vorschlag 
begreifen: Goethe solle sich ihm auf 18 Monate 
anvertrauen, dann wolle er etwas aus ihm machen. 

H. Friedeberger. 


EDUARD PLIETZSCH, Vermeer van 
Delft. Mit 35 Tafeln. Leipzig 1911. Ver- 
lag von Karl W. Hiersemann. In Leinen 
geb. M. 9.—. 

Eigentlich ist’s zu verwundern, daß so lange 
Zeit dahingehen mußte, bis eine wohlfeile 
deutsche Vermeermonographie erschienen ist, die 
sich auch der weniger begüterte Kunstfreund an- 
schaffen kann. Aber es ist auch wieder zu ver- 
Denn die Aufgabe ist hier besonders 
schwierig. Über einen so raffiniert einfachen und 


stehen. 


40 


dabei künstlerisch so hoch stehenden Maler läßt 
sich nicht so leicht etwas auf gleicher Stufe 
stehendes sagen, nur zu oft kann der Fall ein- 
treten, daß der Interpret fühlt: hier reichen deine 
Worte nicht aus, hier versagt die Sprache.... 

Ein rein wissenschaftliches Buch über 
Vermeer könnte diese Schwierigkeit ja vielleicht 
bis zu einem gewissen Grade noch umgehen —, 
aber ein solches Buch fehlt gegenwärtig gar nicht 
so sehr. Die Entwicklungsgeschichte Vermeers 
läßt sich vorläufig doch nur auf Grund stilkritischer 
Wahrscheinlichkeitsrechnung aufbauen. Der Rest 
sind ein paar kunsthistorische Einzelfragen über 
falsche Zuschreibungen. 

Es fehlte bisher aber das für einen größeren 
Leserkreis bestimmte Vermeerbuch. In einem 
solchen darf der Versuch, den Entwicklungsgang 
des Delfter Künstlers klarzulegen, schon eher in der 
angedeuteten Weise unternommen werden. Selbst 
auf die Gefahr hin, daß dieser wahrscheinlich am 
meisten den kleineren Kreis der Fachleute 
interessieren wird —, wenn ich mich über das 
Kunstinteresse des größeren Publikumsnichttäusche. 

Doch sei dem, wie es will, wir haben hier in 
erster Linie zu prüfen, was den Kunsthistoriker 
an dem vorliegenden Buche angeht. Und da sei 
zuerst gleich das wichtigste mitgeteilt: Plietzsch 
gibt nicht nur ein neues Buch über Vermeer, 
sondern er bringt auch gleich einen neuen Ver- 
meer, oder richtiger einen alten, der bisher für 
verschollen galt und seit 1866 vor aller Welt 
verborgen war — im königlichen Kupferstich- 
kabinett in Berlin. Wie war das eigentlich mög- 
lich! Sah man bislang die niederländischen Hand- 
zeichnungen durch, so fand man als Vermeer nur 
eine Zeichnung, von Metsu. Das war alles. Und 
nun haben sie dort auf einmal eine echte Öl- 
skizze von ihm! Plietzsch führt den von ihm 
entdeckten Vermeer eigentlich mit zu großer Be- 
scheidenheit ein — er spricht von ihm, als sei 
er schon immer dagewesen (was ja auch richtig 
ist) und nur in einer Anmerkung im letzten 
Kapitel lesen wir: „Dieses Knabenporträt ist iden- 
tisch mit der Nummer 46b in Hofstede de Groots 
Vermeerkatalog seines beschreibenden Verzeich- 
nisses.... und galt seit der Zeichnungenver- 
steigerung G. Leembruggen in Amsterdam am 
5.März 1866, wo es an Suermondt gelangte, bis 
zur Stunde für verschollen.“ Wo es eigentlich 
so lange im Kupferstichkabinett geschlummert 
oder welche Rolle es dort bis dahin gespielt hat, 
verschweigt Plietzsch und bringt damit den Leser um 
den Genuß der frohen Teilnahme an seiner Ent- 
deckungsgeschichte. Schade. 


Die Neugierde und auch das schlechte Gewissen, 
diesen Vermeer womöglich selbst eihmal gesehen 
und als solchen nicht erkannt zu haben, trieb 
mich, Herrn Dr. Plietzsch um nähere Auskunft 
über seine Entdeckung zu bitten. Er war so 
freundlich, mir mitzuteilen, daß diese Ölskizze 
in der sogenannten zweiten Garnitur aufbewahrt 
wurde und zwar als Arbeit eines Unbekannten. 
Wer also die ganze zweite Garnitur — die nur 
auf besonderen Wunsch vorgelegt wird — nicht 
durchgesehen hat, hat auch nie diesen neuen 
Vermeer übersehen. Wer ihn aber gesehen, seine 
Stilverwandschaft erkannt, aber doch nicht als 
Vermeer anerkannt hat und auch jetzt noch nicht 
als solchen gelten lassen will, mag das nun ein- 
mal näher begründen. Ich für meine Person muß 
gestehen, daß mir schon nach der Abbildung 
die Zuweisung dieser Ölskizze an Vermeer selbst 
einleuchtete. Ich freue mich deshalb des glück- 
lichen Fundes und wiederhole, was ich früher bei 
anderer Gelegenheit einmal schrieb: Durch den 
neuen seltenen Fund ist eine Hoffnung neu be- 
lebt worden, die auch allgemeiner gefaßt werden 
darf: daß trotz des seit geraumer Zeit schon be- 
triebenen eifrigsten Suchens und Jagens nach 
alter Kunst doch noch mit unerwarteten Ent- 
deckungen gerechnet werden darf. Und wenn 
wir uns zurückblickend vergegenwärtigen, wie aus 
W. Bürgers „Sphinx“ im Laufe der Jahre eine 
allgemein hochgeschätzte und allen liebgewordene 
Künstlerpersönlichkeit geworden ist, über deren 
bürgerliche Verhältnisse doch auch nicht mehr 
völliges Dunkel herrscht, so scheint es nicht aus- 
geschlossen, daß auch auf seinen künstlerischen 
Entwicklungsgang noch einmal ein heller, klären- 
der Lichtstrahl fallen wird. 

Auch in der Beziehung ist das Buch von 
Plietzsch ein weiterer Schritt vorwärts. Soweit 
es mit dem heute vorliegenden Material mög- 
lich ist, hat er versucht, das Werk Vermeers 
in seiner Entstehungsfolge zu erkennen und den 
Entwicklungsgang des Meisters von Bild zu Bild 
zu verfolgen. Natürlich hat er nicht bei jedem 
Tag und Stunde der Entstehung bestimmen wollen. 
Aber er hat doch, wie vor ihm noch niemand, 
mit großem Fleiß und auch Geschick eine Ord- 
nung unter den Werken Vermeers getroffen, die 
sich am übersichtlichsten zunächst aus der Reihen- 
folge der Abbildungen darbietet. 

Die erste bekannte Gruppe der Jugendwerke 
bilden „Christus bei Maria und Martha“, „Diana 
mit ihren Nymphen“ i) und die ,,Kupplerin“ von 1656. 


(1) Plietzsch glaubt fest an lie Authentizität dieses Werkes 
und sucht sie durch kompositionelle und figürliche Momente 
neu zu belegen. 


IOI 


Der erste Einfluß P. de Hoochs zeigt sich in 
dem „Schlafenden Mädchen“ der früheren Samm- 
lung R. Kann (jetzt im Besitze von B. Altman in 
New York). Wegen der gleichen Malweise und 
des gleichen Modelle muß an dies Bild dann 
angereiht werden die Gruppe der „Briefleserin“ 
in Dresden, des „Soldaten und lachenden Mäd- 
chens“ der früheren Sammlung Mrs. Joseph (jetzt 
in Amerika, im Besitze von Herrn Frick in New 
York, aber vorläufig noch nicht in New York, 
sondern auf dessen Gut bei Boston), des „Mäd- 
chen, das Milch ausgießt“, im Rijksmuseum und 
ferner — auch unter Einfluß P.deHoochs stehend — 
die „Straße in Delft‘ der Sammlung Six und die 
berühmte „Ansicht von Delft‘. 

Die dann folgende Gruppe der „Meisterwerke“ 
wird repräsentiert durch die „Briefleserin“ der 
Sammlung van der Hoop im Rijksmuseum, das 
„Mädchen mit dem Perlenhalsband“ in Berlin 
und die „Perlenwägerin“ bei Widener in Phila- 
delphia. Dabin gehört auch das „Mädchen mit 
Wasserkanne“ und die Bildnisse (in Budapest, in 
Berlin [die wiedergefundene Ölstudie], bei Arenberg 
und im Mauritshuis). 

Bei der nun folgenden Gruppe aus der letzten 
Hälfte der 60er Jahre etwa, die die farbenreicheren 
mehrfigurigen Genrebilder umfaßt, sind wieder 
Unterabteilungen zu machen: ı. die Kniefiguren- 
stücke „Dame und Dienstmagd“ bei J. Simon, 
„Dame mit Laute“ bei Mrs. Huntington, „Schrei- 
bende Dame“ bei Р. Morgan und die ,,Guitarre- 
spielerin‘ der Sammlung John G. Johnson. 2. Der 
„Liebesbrief“ bei A. Beit. 3. „Herr und Dame 
am Klavier“ in Windsor Castle und das „Konzert“ 
im Mrs. Gardener Museum in Boston. 4. Das 
„Mädchen mit Weinglas“ in Braunschweig und 
5. „Herr und Dame beim Wein“ im Kaiser-Fried- 
rich-Museum und die „Musikstunde“ bei C. Frick. 

Nun kommen die drei Gelehrtenbilder. 

Zwischen diese und die Pariser „Spitzenklöpp- 
lerin“ sowie das „Mädchen mit Flöte“ der Samm- 
lung de Grez wäre der Amsterdamer „Liebesbrief“ 
einzuschieben, und dann folgen die Bilder allego- 
rischen Inhaltes oder mit allegorischen Andeutungen 
(„Atelier mit der Viktoria“, „Allegorie des neuen 
Testaments“, und die drei Bilder mit Damen am 
Spinett), in welcher Gruppe sich ein Nachlassen 
der Kunst Vermeers bezüglich der Auffassung des 
Stoffes wohl bemerken und aus der Entwicklung der 
gesamten Kunst und Kultur Hollands erklären läßt. 

Wenn vielleicht auch nicht in allem diese 
Reihenfolge genau eingehalten werden kann — 
Plietzsch will sich ja selber nicht so festlegen —, 


(1) Nach einer freundl. Mitteilung von Herrn Dr. Erasmus. 


102 


so muß man doch zugestehen, daß sich die Sache 
stilistisch im großen und ganzen wohl halten läßt. 

Höchstens bei dem Budapester Porträt, das 
Hofstede de Groot mit „um 1656 noch genauer 
als Plietzsch — „nicht nach 1660“ — ansetzt, 
möchte ich hier einen Einwand machen, insofern als 
Plietzsch für die Bestätigung seiner, auf Grund 
des Kostüms gewonnenen Datierung „Ausgang 
der 5oer Jahre“ noch als ein neues Moment an- 
fügt: die genaue Anlehnung an Rembrandts weib- 
liches Bildnis in der Sammlung Jussopoff in St. 
Petersburg, das nach Bode um 1660 gemalt 
wurde. „Das Budapester Bild ist nämlich fast 
eine Wiederholung im Gegensinne von dem Por- 
trät Rembrandts“. Ist dieses wirklich um 1660 
entstanden und jenes nicht nach 1660, so kann 
es wohl kurz darauf und vielleicht auch unter un- 
mittelbarem Einfluß des Rembrandtschen Bildes 
gemalt sein. Muß das aber der Fall sein? Wie 
ist dann Vermeer, der nicht aus Delft herausge- 
kommen ist, mit diesem in Amsterdam gemalten 
Bildnis einer Dame aus dem Kreise Rembrandts 
bekannt geworden? Wo hat er es sehen, wo stu- 
dieren können? Wie wird aber weiter die Sache, 
wenn Valentiner Recht hat und dies Bild die 
Frau des Titus darstellt — und dann nicht vor 
1668 gemalt ist? — Zu dieser Möglichkeit hat 
Plietzsch in seinem Buche nicht Stellung ge- 
nommen — er hat auch von Valentiners Datierung 
jenes Frauenporträts, die von der Bodeschen 
abweicht, keine Notiz genommen. Die merk- 
würdige Übereinstimmung in der Auffassung, in 
der Ähnlichkeit der Kleidung, die Art, wie die 
Figur im Bildraum steht, wie sich die Lage der 
Hände, die in beiden Bildern einen Fächer halten, 
gleich ist, diese Übereinstimmung ist, wie jeder 
zugeben muß, allerdings sehr groß und scheint 
mehr als zufällig zu sein. Will man die direkte 
Beeinflussung durch Rembrandt aufrecht erhalten, 
und wäre Valentiners Datierung richtig, so müßte 
das Budapester Porträt ein Jahrzehnt später gesetzt 
werden, was freilich auch nicht ohne weiteres ein- 
leuchten will. Darauf hinweisen möchte ich hier 
noch, daß die Armhaltung, welche die Damen in 
jenen beiden Bildnissen von Rembrandt und Ver- 
meer gewählt haben, beispielsweise auch bei Ver- 
spronck beliebt ist, nur daß dieser den Körper 
meist mehr in Seitenansicht gibt. 

Im zweiten Kapitel behandelt Plietzsch Vermeer 
und seine Nachahmer. Mit wenigen Sätzen skiz- 
ziert er mehr andeutungsweise das Verhältnis 
P. de Hoochs, G. Metsus, G. Terborchs und 
Michiel Sweerts, sowie einiger Nachahmer aus 
späterer Zeit zu Vermeer. 


Darauf folgt ein Lebensabriß des Künstlers und 
ein Verzeichnis der erhaltenen 38 Werke nach 
ihren Aufbewahrungsorten. 

In dem Kapitel „Exkurse und Anmerkungen“ 
werden einige Fragen behandelt, für die nur 
der Kunsthistoriker Interesse haben wird. Plietzsch 
weist da u. a. von den dem Vermeer zugeschrie- 
benenen Handzeichnungen die im Berliner Kupfer- 
stichkabinett befindliche dem Metsu zu. Den 
„Knaben hinter dem Stuhl“ in der Albertina aber, 
der früher Rembrandt und Terborch, dann von 
Valentiner aber dem Vermeer gegeben wurde, 
hält er für eine Arbeit G. v. d. Eeckhouts. Ich 
bin im Augenblick nicht in der Lage, die von 
Plietzsch zum Beweise herangezogenen beiden 
Aquatintakopien von C. Ploos van Amstel von 
zwei ähnlichen Pinselzeichnungen des Eeckhout 
nachzupriifen; aber ich vermochte auch nie eine 
Zeichnung Vermeers in jenem Blatte zu sehen. — 
Auch darin stimme ich Plietzsch bei, wenn er 
die Zuschreibung der im Städelschen Institut be- 
findlichen Skizze der Ansicht von Delft, die „all- 
gemein als eine Vorstudie Vermeers fiir sein 
Gemälde im Mauritshuis im Haag angesehen“ 
wird, für nicht absolut sicher hält. Von später 
Hand sind gewiß einige Stellen hinzugefügt oder 
überarbeitet. Die genaue Übereinstimmung mit 
dem Gemälde spricht m. E. auch eher stark 
gegen eine Vorstudie, ebenso wie z.B. das (aus- 
geführte) Bild der Sammlung de Gelder in Uccle 
bei Brüssel, das nach Vansype möglicherweise 
eine Vorstudie sein soll, sicherlich später als das 
Vermeersche Original entstanden und — wie auch 
Plietzsch sagt — von einem unbekannten Nach- 
ahmer herrührt. Ein solcher könnte doch auch 
ganz gut als Zeichner des Frankfurter Blattes — 
auch wenn es nach der Natur gemacht ist — in 
Frage kommen. 

Aus der Reihe der Anmerkungen greife ich die 
von Plietzsch vorgeschlagene Zuweisung des 
großen Bildes „Der Unterricht“ in der Londoner 
National Gallery an Michiel Sweerts heraus!). 
Wenn ich hier ohne nochmalige Nachprüfung 
nicht sofort beipflichten kann, so verkenne ich — 
nach der mir vorliegenden kleinen Abbildung — 
nicht, daß man auf den Namen Sweerts kommen 
kann. Die als möglich ausgesprochene Zuweisung 
der kleinen ,,Hollindischen Stube“ in Berlin 
(Nr. охар) ап P. de Hooch statt an Vermeer halte 
ich auch für diskutabel. 

(1) Dies Bild ist übrigens nur ein Fragment. Die andere 
wenig kleinere rechte Hälfte befindet sich seit kurzem auch 
in der National Gallery und stellt die Frau mit noch drei 


Kindern dar. (Nr. 2764 des Kataloges von 1911). Beide Teile 
zusammen bildeten also ursprünglich ein Familienbildnis. 


Bei der Anmerkung über das „Porträt eines 
Mannes“ im Brüsseler Museum, das A.J. Wauters 
dem Vermeer zuschreibt, erwähnt Plietzsch nur, 
daß Bredius es dem Jan Victors gibt. Wie Van- 
zype (S.45) mitteilt, ist Bredius von dieser Zu- 
schreibung wieder abgekommen. Plietzsch hätte der 
Vollständigkeit halber noch weiter sagen können, 
daß es jetzt von de Groot und anderen dem Nicolas 
Maes gegeben wird, unter dessen Namen es auch 
1900 in die Brüsseler Galerie kam und in Sedel- 
meyers Cat. of 300 paintings 1898 publiziert 
worden war, während Smith es früher, als es noch 
in englischem Privatbesitz war, als Werk von 
Rembrandt beschrieben hatte. Aber ich darf hier 
dem Verfasser nicht Unrecht tun — wir sind da- 
mit schon mitten in Fragen drin, die einen größeren 
Leserkreis absulut nicht mehr interessieren können. 

Plietzsch durfte — auch in diesem Kapitel der Ex- 
kurse und Anmerkungen, das er den Leuten vom 
Fach zugestand — von solchem Apparat absehen. 
Wollte erdoch, wie man allenthalben sieht, möglichst 
zusammengefaßt nur das wesentlichste bringen. 

Damit komme ich auf seinen Stil zu sprechen, 
auf den in einem solchen Buche besonderer Wert 
gelegt werden muß. Auch hier war Plietzsch 
glücklich, Offenbar steht seine Schreibweise unter 
dem starken Einfluß der künstlerischen Ausdrucks- 
weise des von ihm interpretierten Meisters — und 
ich muß gestehen, es ist dem Verfasser wohl ge- 
lungen, die ihm zu Gebote stehenden Mittel des 
Wortes — wie jener die der Zeichnung und Farbe — 
klar, bestimmt und haushälterisch anzuwenden. 
„Nirgends sind die Spuren einer hastigen und 
verschwommenen Pinselführung zu sehen, sondern 
bedächtig und mit sauberer Sorgfalt ist jeder Farben- 
fleck hingemalt‘‘ — das könnte man in übertragenem 
Sinne auch von dem Stile des Verfassers sagen. 

Die Einleitung, gleich die zwei ersten Abschnitte, 
die den Inhalt, die Stimmung der Gemälde Ver- 
meers schildern, um dann seine Kunst in ihren 
typischen Wesenselementen zu umreißen, entbehrt 
wirklich nicht eines zarten Hauches jener stillen, 
klaren, einfachen Kunst. Leider hat sich gerade 
im ersten Satze ein Lapsus eingeschlichen, wenn 
es vom ruhigen hellen Tageslicht heißt, daß 
es den Raum und die letzten Ecken und Winkel 
eines Gemaches mit sammetweicher Dunkelheit 
überspannt! 

Die Ausstattung des Buches in ultramarin- (aber 
nicht Vermeer-) blauem Leinenband mit Gold- 
schnitt, gutem Papier, einfachem klaren Druck und 
guten Autotypien verstärkt noch den angenehmen 
Eindruck, den man aus der Lektüre gewonnen hat. 

Kurt Freise. 


103 


AUGUST L. MAYER, Die Sevillaner 
Malerschule. Beiträge zu ihrer Ge- 
schichte. Verlag von Klinkhardt & Bier- 
mann in Leipzig. 19711. | 

Auf seinen Greco hat August L. Mayer in 
wenigen Monaten ein ziemlich umfangreiches 
Buch folgen lassen. Die Geschichte der Sevillaner 
Malerschule ist außer von Narciso Sentenach, 
dessen etwas veraltetes Werk demnächst in einer 
sehr erweiterten englischen Ausgabe eine Wieder- 
geburt feiern soll, zusammenfassend noch nicht 
behandelt worden, gewiß ein sehr schwieriges 
Unternehmen, für dessen gelungene Durchführung 
dem Verfasser der größte Dank gebührt. 

Das Lob der verdienstvollen Arbeit, die sich auf 
dem von Gestoso publizierten Dokumentenschatz 
und umfangreichen sehr gründlichen eigenen For- 
schungen aufbaut, möchte ich durch Aufführung 
einiger Meinungsverschiedenheiten nicht abschwä- 
chen. Mancher Benutzer des trefflichen Buches 
wird es schmerzlich empfinden, daß gerade der 
Hauptmeister der Sevillaner Schule, Murillo, etwas 
stiefmütterlich behandelt ist, und sich mit der all- 
zu bescheidenen Begründung dieser Unterlassungs- 
sünde nicht zufrieden geben. Allein bei dem Fleiß 
und der Jugend des um die Erforschung der spa- 
nischen Kunstgeschichte rastlos bemühten Ver- 
fassers dürfen wir erwarten, auch über dieses schwie- 
rige Gebiet bald Aufklärung zu erhalten. V.v.Loga. 


FRITZ HOEBER, DieFrührenaissance 
in Schlettstadt. Verlag der Elsässischen 
Rundschau, Straßburg ıgır. 80S. Mit 27 
ganzseitigen und 56 Abbildungen im Text. 
Preis M. 10o.—. 


An drei Bauten des kleinen elsässischen Ortes: 
dem Hotel Ebersmünster (1541), dem Wohnhaus 
des Stadtbaumeisters Stephan Ziegler (1538, 1545) 
und der Johanniterkomturei (1565) wird Wesen 
und Entwicklung der Renaissance im Elsaß unter- 
sucht. In ihrer Anlage repräsentieren sie drei 
verschiedene Typen nordischen Wohnbaus: einen 
Reisehof und vornehmen Wohnsitz (Absteige- 
quartier für die Äbte der berühmten Benediktiner- 
abtei Ebersmiinster), ein biirgerliches Privathaus und 
ein Stiftsgebiude. Grundriß und Aufbau halten 
an spätmittelalterlicher Disposition fest: Zu einem 
neuen, selbständigen Ausdruck im eigentlich Archi- 
tektonischen kommt man auch im Elsaß erst gegen 
Ende des Jahrhunderts (der neue Bau in Straßburg 
1582—85). Für die dekorativen Formen dagegen 
ist, wie der Verfasser nachweist, die Renaissance 


104 


Venedigs maßgebend gewesen, im Gegensatz zu 
den von der Lombardei beeinflußten nordost- 
deutschen Stilprovinzen. Hoeber geht mit be- 
wundernswerter Gründlichkeit bis ins kleinste De- 
tail und gibt wirklich „erschöpfende“, musterhafte 
Analysen. Bei seiner gleichmäßig alles berück- 
sichtigenden, keine Einzelheit außer acht lassen- 
den Methode kommt manches zutage, was über 
die lokalen Grenzen hinaus für den stilgeschicht- 
lichen Charakter der deutschen Renaissance von 
Bedeutung ist. So z. B. wenn beobachtet wird, 
daß das Gesimsprofil an einem Portal des Hotel 
Ebersmünster aus einer Wiederholung von Kar- 
nies, Plättchen, Karnies, Plättchen besteht, daß 
also mitten in einem renaissancistischen Formen- 
apparat das mittelalterliche Prinzip der Auf- 
einanderfolge gleicher Profilteile Geltung behält. 
Dem einheitlichen, rhythmisch gesteigerten Profil 
der Renaissance kommt der deutsche Meister nur 
darin entgegen, daß er die Wiederholung des 
Profils nicht in gleichmäßigen Abstufungen (wie 
bei einem gotischen Portalgewände), sondern in 
verschiedener Größe gibt. — 

Die eindringlichen Erörterungen, die zur Cha- 
rakteristik des nordischen „Renaissance“phänomens, 
zur Beurteilung des deutsch-mittelalterlichen Wesens 
in diesem merkwürdigen Assimilierungsprozeß 
reiches Material liefern, werden unterstützt durch 
vorzügliche zeichnerische Aufnahmen und Photo- 
graphien, wie sich denn überhaupt mit der Aus- 
stattung keine andere architekturgeschichtliche Ab- 
handlung neuerer Zeit an Sorgfalt und Gediegenheit 
vergleichen läßt. Grisebach. 


A. M. HIND, A Short History of En- 
graving and Etching. Second Edition 
Revised, London, 8°. Constable 1911. 


Die erste Auflage dieser Geschichte des Kupfer- 
stichs wurde schon an dieser Stelle (Zentralblatt f. 
Kunstwiss. Lit. und Bibl. 1909 pp. 52—53) von 
mir gebührend hervorgehoben. Kieine Verbesser- 
ungen sind zwar auf nicht weniger als 118 ver- 
schiedenen Seiten angebracht worden, sie sind 
aber durchgehends so geringfügiger Natur, daß 
die Neuauflage beim ersten Durchblättern Seite 
für Seite zu stimmen und nur eine Titelauflage 
zu sein scheint. Es handelt sich auch, wie der 
Verfasser selbst angibt, nur um kleine sachliche 
Berichtigungen, die Lebensdaten, Rechtschreibung 
von Namen und Angabe der Bibliographie betreffen. 


. An dem Abbildungsmaterial ist nichts geändert 


worden: das Papier aber ist schwächer, und so 
ist die jetzige Ausgabe zu zwei Drittel des Preises 


der Früheren erhältlich. — Es hätte dem Buch 
nur nützlich sein können wenn wenigstens das 
letzte Kapitel, das die modernen Künstler behandelt, 
umgearbeitet worden wäre, denn gerade hier trägt 
der Verfasser manche tatsächliche Irrtümer vor 
und zeigt oft wenig Glück in den Versuchen mit 
einer oder ein paar Zeilen die Künstler zu charak- 
terisieren (z. B. wenn er von Strang sagt das Bildnis 
sei seine Hauptstärke, wenn er Cameron in die 
Gefolgschaft Whistlers statt Méryons stellt, wenn 
er von Otto Fischer meint er führe die Ideen 
Meyer Basels weiter (!), oder ihm Otto Fikentscher 
als „würdigen Nebenbuhler“ zur Seite setzt). Es 
kann einen überhaupt wundern wem mit derartigen 
mageren und dürftigen Angaben, — auch wenn 
sie sachlich richtig und in der Auffassung treffend 
wären, — wirklich gedient ist. Der Laie braucht 
eine Anschauung, in die der einzelne Künstler 
als solcher nur eingefügt und als eine Persönlich- 
keit erscheinen muß, als die man ihn in solchen 
zwei höchstenfalls drei Zeilen doch nicht darlegen 
kann. Der Fachmann braucht ausgiebige Einzel- 
eingaben, die er natürlich hier auch nicht findet. 
Aber, mag man sich wundern oder nicht, Anklang 
scheinen solche Bücher doch zu finden: das be- 
weist das Erscheinen dieser Neuauflage bereits 
nach zwei Jahren, womit den guten Eigenschaften 
des Buches zugleich ein leuchtendes Zeugnis aus- 
gestellt worden ist. Hans W. Singer. 


A 
EMILE MALE, L’art religieux du XIIIe 
siecle en France. Etude sur l’icono- 
graphie du moyen-äge et sur ses 
sources d’inspiration. 3° éd. Paris (Ar- 
mand Colin) 1910. 

Dieses hochbedeutsame Werk liegt nun in einer 
dritten, vermehrten und verbesserten Auf lage vor. 
Trota der deutschen Ubersetzung, welche auf die 
zweite Auflage hin erschienen ist, wird es von 
Kunstliebhabern, die den Feinheiten der Sprache 
Rechnung tragen, im Originaltexte mit Vorliebe 
gelesen werden. Denn Male verbindet mit seiner 
Gelehrsamkeit und Kennerschaft eine seltene Gabe 
der Darstellung. Die größte Einfachheit gesellt 
sich in seinem Satzbau zu feiner, vornehmer Form- 
vollendung. Und diese entspringt nicht etwa nur 
einer glücklichen Anlage, sondern auch der leiden- 
schaftlichen Hingabe, mit welcher der Verfasser 
sein wissenschaftliches Gebiet durchforscht und 
sozusagen in demselben auflebt. Selten ist die 
französische Kunst des Mittelalters stofflich so 
richtig erkannt und in so prägnanter Art zum Aus- 
druck gebracht worden. 


Wir lassen hier eine kurze Übersicht des In- 
haltes folgen: Nach einer Einführung, in der die 
kritischen Merkmale der mittelalterlichen Ikono- 
graphie berührt werden, geht der Verfasser zur Be- 
handlung seines eigentlichen Themas über und 
wendet hierzu eine den „Spiegeln“ des Vincent 
von Beauvais entnommene Einteilung an. Unter 
dem „Spiegel der Natur“ werden Darstellungen 
von Tieren und Pflanzen erörtert (Neues über einen 
von Honorius d’Autun abgeleiteten Darstellungs- 
zyklus auf einem Fenster der Kathedrale zu Lyon). 
Der „Spiegel des Wissens“ bringt die Kalender- 
illustrationen, die Darstellung der sieben Künste 
usw. in unseren Gesichtskreis. Im „Spiegel der 
Ethik“ erscheinen die Tugenden und Laster, die 
Psychomachia des Prudentius usw. 

Umfangreicher ist der „Spiegel der Geschichte“. 
Wir durchgehen der Reihenfolge nach das alte 
Testament, die Evangelienbücher, die legendari- 
schen Zusätze zur Heiligen Schrift, die Heiligen- 
kunde, Anspielungen auf Ereignisse der Völkerge- 
schichte und -sage, schließlich die Apokalypse 
und das Weltgericht. Unter dem vorletzten Kapitel 
behandelt M. ausführlich das auf Karl den Großen 
bezügliche, bisher nie vollständig erklärte Glas- 
fenster der Kathedrale von Chartres. 

Eine Schlußbetrachtung führt uns die französi- 
schen Kathedralen in ihrer Gesamtbedeutung für 
Kunst und Geschichte vor Augen. Da ist Christus 
das Zentrum der Welt. Um ihn herum finden 
wir die Beantwortung auf alle unsere Fragen. 
Wir erfahren, wie die Weit erschaffen wurde und 
wie sie vergehen wird. Wir lernen dabei, daß 
unser Leben ein Ringen bedeutet. Die Kathedrale, 
ein himmlisches Jerusalem, ist ein Symbol: Sym- 
bol der Einheit alles menschlichen Wirkens, Sym- 
bol des Glaubens, Symbol der Liebe. Während 
Jahrhunderten haben alle zu ihrem Bau beigetragen. 
Sie trägt in sich ein Ideal, das tief ins Volksge- 
müt eingedrungen war. C. de Mandach. 


KARL LOHMEYER, Die Briefe Bal- 
tasar Neumanns von seiner Pariser 
Studienreise 1723. Verlag L. Schwann. 
Düsseldorf, 1911. 

Seit einer Reihe von Jahren hat die Kunstge- 
schichte begonnen sich mit der deutschen und 
speziell rheinischen Barock- und Rokokoarchitektur 
zu beschäftigen, wie sie ausgehend von den Bischofs- 
sitzen Mainz und Würzburg am Anfange des 18. 
Jahrhunderts im Anschlusse an das französische 
Vorbild sich in den umgebenden Städten aus- 
breitete. Man hat sich mit den Bauten in Mainz 


105 


und Würzburg, in Trier und Mannheim, in Saar- 
brücken und Schwetzingen, in Bruchsal, Heidel- 
berg und Biebrich beschäftigt und eine Fülle in- 
teressanten Materials aus den Archiven gewonnen. 
Meister, deren Namen wir kaum kannten, sind zu 
gewichtigen Persönlichkeiten geworden. Man denke 
nur an Maximilian von Welsch in Mainz, an 
Friedrich Joachim Stengel, der in Biebrich, Saar- 
brücken und an anderen Stellen tätig war, an 
Kaspar Wilhelm Freiherrn Ritter zu Gruensteyn 
in Mainz, an Adam Breunig in Heidelberg und 
an Baltasar Neumann, den Erbauer der Würz- 
burger Residenz. 

Die Briefe Baltasar Neumanns, die Karl Loh- 
meyer, der verdienstvolle Biograph Friedrich Joa- 
chim Stengels, herausgibt, sind sehr wichtig für 
diese Zeit, da der bisher übliche von Italien her- 
kommende Stil von dem französischen verdrängt 
wird und die Künstler die verwandteren französi- 
schen Formen sich anzueignen suchen. 

Seit 1719 hatte sich Baltasar Neumann mit dem 
Palastbau in Würzburg beschäftigt. Der Kur- 
mainzische Baudirektor Maximilian von Welsch 
war sein Berater, aber seine ganz italienische 
Kunst, die nur geringen französischen Einfluß 
hatte, war unmodern geworden und der jüngere 
Neumann ward deshalb von dem Fürstbischof 
Johann Philipp Franz von Schönborn nach Paris 
1723 gesandt, um die französische Kunst zu stu- 
dieren. 

Die Briefe Neumanns aus Paris an den Fürst- 


bischof beschäftigen sich mit den Bauten und 
Künstlern in Paris, über die er aufs Gewissenhaf- 
teste seinem Gönner berichtet und die noch viel 
Material für weitere Forschungen über die einzel- 
nen Meister bietet. Hanns Schulze. 


A. BOPPE, Les Peintres du Bosphore 
au dix-huitieme siecle. Hachette &Cie. 
Fr. 3.50. 

Die Ausstellung „La Turquerie“, die im vorigen 
Frühjahr im Pavillon Marsan veranstaltet wurde, 
lehrte zur Überraschung der Fachgenossen, daß 
die Künstler, die sich im 18. Jahrhundert an Men- 
schen, Landschaften und den künstlerischen Er- 
zeugnissen der Türkei begeisterten, bei weitem 
zahlreicher waren als man bisher annahm. Die 
Türkei hat damals auf französische wie auf deut- 
sche Kunstkreise starken Einfluß ausgeübt. Bisher 
war aus diesem Kreise nur Liotard in der Kunst- 
geschichte bekannt. Boppe hat nach umfassenden 
Studien auf diesem Gebiet eine ganze Künstler- 
gruppe dieser Zeit, wie Favray, J. B. van Mour, 
Hilaire, Melling, Castellan u. a. der Vergessenheit 
zu entreißen vermocht. Die bedeutendsten Künstler 
dieses Kreises sind in diesem Buche biographisch 
dargestellt. Diese gründlich durchgearbeiteten 
Untersuchungen fügen der kunstgeschichtlichen 
Forschung ein neues Gebiet hinzu und geben für 
die Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts wertvolle 


neue Ausblicke. O. Grautoff. 


DER CICERONE. 

Heft 3: 

AUG. L. MAYER, Madrider Privatsammlungen. II. 
Die Gemälde der Sammlung R.Traumann. (11 Abb.) 


AUGUST STOEHR, Hanauer und Frankfurter Fay- 
encen. II. Teil. (9 Abb. und 1 Markentafel.) 


Heft 4: 
WALTER BOMBE, Neue Entdeckungen in Santa 
Croce. (3 Abb.) 


JOSEPH BRECK, Noch ein Beispiel für einen 
Drachen- und Phoenix-Teppich. (1 Abb.) 


PAUL HEITZ, Ein unbekannter Kupferstich des 
Meisters E. S./ Maria im Strahlenkranze. (1 Abb.) 


F. M., Belgisches Steinzeug. 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 5: 

E. BENDER, Die Winter-Schwarz - Weiß-Ausstel- 
lung der Berliner Sezession. (3 Tafeln, 30 Abb.) 
GEORG SWARZENSKI, Künstler und Kunstpreise. 


E. ZIMMERMANN, Die Plastik auf der Winter- 
ausstellung der Berliner Sezession. (15 Abb.) 


DIE KUNST. 

Heft 5: 

VITTORIO PICA, Hermen Angiada у Camarasa. 
D farb. Tafel, 12 Abb.) 

Stimmen zur Entscheidung im Wettbe- 
werb um das Bismarck - Nationaldenkmal. 
WILHELM MICHEL, Max Mayrshofer. (13 Abb.) 


JOHANNES SIEVERS, Die XXIIL Ausstellung der 
Berliner Sezession. „Zeichnende Künste“. (24 Abb.) 


DIE KUNSTWELT. 

Heft 4: 

GEORG VOSS, Friedrich der Grofe und die Kunst. 
(33 Abb.) 

OTTO MARCH, Friedrich der Große im Städte- 
bau. (46 Abb.) 

F. A. GEISSLER, Hermann Prells Deckengemälde 
im Festsaal des Neuen Dresdner Rathauses. (14 Abb.) 


FRANZ SERVAES, Die Herbstausstellung der 
Wiener Sezession. (7 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 
Heft 5: 
ALFRED LICHTWARK, Der Sammler. (14 Abb.) 


OTTO WENZEL — AUG. VERMEHREN, Die 
Arbeitsweise Michelangelos. (8 Abb.) 

ERICH HANCKE, Eugene Delacroix in seinem 
Tagebuch. (12 Abb.) 


HERMANN UBELL, Zwei Rübezahl-Illustratoren: 
Ludwig Richter und Max Slevogt. (9 Abb.) 


Е.Р. RIESENFELD, Eine Büste Hunolds. (a Abb.) 


HERMANN UHDE - BERNAYS, Eine Landschaft 
von Karl Stauffer-Bern. (1 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
Heft 5: 

EWALD BENDER, Radierungen von Hans Meid. 
(4 Abb.) 

CORNELIUS GURLITT, Polnische Porträts. (2 Ab- 
bildungen.) 

GUSTAV PAULI, Eine Naturstudie Albrecht Dürers. 
(30 Abb.) 

CURT BAUER, Die Familie Cascella. Die moderne 
Kunst in den Abruzzen. (27 Abb.) 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 
Heft 4: 
WILLIBRORD VERKADE, Malerbrief П. (6 Abb.) 


GUST. LEVERING, Der Kruzifixus in der Hof- 
kirche zu Heilsbronn. (1 Abb.) 


FERDINAND NOCKHER, Illustration oder Buch- 
schmuck. 


WENZEL FRANKEMÖLLE, Theo Molkenboer. 
(6 Abb.) 


O. DOERING, Die Denkmalpflege- und Heimat- 
schutztagung zu Salzburg 1911. 


JOS. WAIS, Der Wirtshausschild. (1 Abb.) 
RICH. RIEDL, Aus Österreichisch - Ungarischen 
Kunstwerkstätten. 

Heft 5: 

A. BLUM-ERHARD, Bilder aus Siena. 

PH. M. HALM, Xaver Dietrich. (ı Taf., 25 Abb.) 


FRANZ WOLTER, Die Winterausstellung der Se- 
zession in München. 


ANDREAS HUPPERTZ, Edelmetallarbeiten. (4 Ab- 
bildungen.) 


E. VISCHER, Karlsruher Kunstverein. 


BONE, Ausstellung der Vereinigung für christliche 
Kunst in Düsseldorf. 


Е. THURNHOFER, Neue Glasgemälde v. A. Pacher. 
HANS SCHMIDKUNZ, Berliner Kunstbrief I. 


MUSEUM. 

Heft 12: 

R. DOMENECH, Concurso de proyectos para el 

monumento con memorativo de las Cortes, Con- 

stitution у Sitio de Cadiz. (9 Abb.) 
Mit den Entwiirfen verschiedener Architekten und 
Bildhauer, von denen drei in die engere Wahl 
gelangten. 

M. BERARDI, Vettore Zanetti. (Taf., 6 Abb.) 

A. L. MAYER, Los cuadros del Greco y de Goya 

de la colección Nemes en Budapest. (8 Abb.) 
Bespricht die 11 Bilder von Greco und die zwei 
Goyas der Sammlung Nemes. 


107 


G. CAUDEL, Andres Methey. (10 Abb.) 
Gelegentlich einer Ausstellung von Arbeiten 
dieses französischen Keramikers. 

La arqueta de Palencia. (5 Abb.) 
Geschnitztes Elfenbeinkästchen, datiert 441 d. N. 
(= 1050 n. Chr.), bisher in der Kathedrale von 
Palencia, jetzt im Archäol. Museum in Madrid. 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 11: 

HUGO STEFFEN, Kurfürst Kardinal Albertus und 
seine Bauten in Halle a. S. (1 Taf., 12 Abb.) 
ALFRED TEPE, Malerisch. Eine entwicklungs- 
geschichtliche Kunststudie. (5 Abb.) 

JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Drei Ikone 
aus Jerusalem. (3 Abb.) 


ORIENS CHRISTIANUS. 

(Halbjahrshefte f. die Kunde des christlichen Orients.) 
Im Auftrage der Görregesellschaft herausgegeben 
von Dr. A. Baumstark. — Neue Serie. 1. Band. 
Heft x (1911): 

STRZYGOWSKI, Der algerische Danielkamm. 
KAUFMANN, Menas und Horus-Harpokrates im 
Lichte der Ausgrabungen in der Menasstadt. 


Heft a: 
GRAF, Ein bisher unbekanntes Werk des Patri- 
archen Eutychios von Alexandrien. 

JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Die grie- 
chische Kirche in Hama. 

BAUMSTARK, Ein apokryphes Herrenleben in 
mesopotamischen Federzeichnungen vom Jahre 1299. 


STEGENSEK, Die Kirchenbauten Jerusalems im 
vierten Jahrhundert, in bildlicher Darstellung. 


LES ARTS. 


Januar: 

PELADAN, LaJoconde Histoire d’un tableau. (7 Ab- 
bildungen.) 

GABRIEL MOUREY, „L’Autel de l'Amour“ par 
Greuze. (ı Abb.) 

CH. BUTTIN, La collection du général Moser а 
Charlottenfels. (8 Abb.) 

THIÉBAULT-SISSON, Un chef- d’oeuvre du Pous- 
sin „L'inspiration du poète“. (a Abb.) 

LOUIS VAUXCELLES, Seconde Exposition de la 
Société Anglaise des Artistes Graveurs-Imprimeurs. 
D’estampes originales en couleurs. (37 Abb.) 


LA GRANDE REVUE. 
XVI., Nr. 1. 
AUREL, Helene Dufan. 


LES MARGES. 
IX., Nr. 31. 
MICHEL PUY, Van Dongen. 


108 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VII., Nr. 82. 

GABRIEL MOUREY, Daniel Vierge. 

LOUIS MERLET, La maison d’Albert Dürer. 
LEANDRE VAILLAT, L'art chrétien moderne. 


ART ET DECORATION. 

XVI., Nr. 1. 

PAUL CORNU, Carlégle. 

M. P. VERNEUIL, Toiles nouvelles imprimees. 
PAUL VITRY, Navum Aronson. 


L’ART DECORATIF. 

XIV., Nr.163 und 164. 

ROBERT DE MONTESQUION, Rodolphe Bresdin. 
ANDRE VERA, Le nouveau style. 


PIERRE GODET, Puvis de Chavannes et la pein- 
ture d’aujourd’hui. 


J. GAUTHIER, L’architecture ornamentale dans les 
Hotels du Bas-Langueda. 


THE STUDIO. 


Februar: 


MARION HEPWORTH DIXON, Edward Stott: 
An appreciation. (9 Abb.) | 


STODART WALKER, A Scottish landscape pain- 
ter: James Cadenhead. (7 Abb.) 


HENRY FRANTZ, A painter of the sea: Eugene 
Boudin. (7 Abb.) 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 


Februarheft 1912. 


EDITORIAL ARTICLE: The National Gallery 
Administration. 
Bespricht die unzeitgemäße Verwaltung der N. G. 
im Anschluß an den Artikel des Mr. Mc. Koll 
im „Nineteenth Century“. 


LIONEL CUST, Notes on Pictures in the 

Royal Collections — XXIII. (2 Tafeln mit 7 Ab- 

bildungen.) 
Behandelt im Anschluß an ein lange Zeit dem 
Quentin Matsys zugeschriebenes Bild „Die Geiz- 
halse“ in Windsor Castle das oft wiederkehrende 
Motiv zweier Gold zählender Männer oder eines 
Mannes und einer Frau. Das Bild im Schloß 
Windsor wird dem Cornelis van de Capelle zu- 
gewiesen. 


WALTER ARMSTRONG, A Claim for Gerrit 

Willemsz. Horst. (3 Tafeln mit 4 Abbildungen.) 
Gibt ein 1910 in der Winterausstellung der Royal 
Academy zu sehen gewesenes und in ihr dem 
Rembrandt zugeschriebenes Doppelporträt aus 
der Sammlung der Mrs. Wauchope dem wenig 
bekannten G. W. Horst zu. Hofstede de Groot 
u. a. hält Jan Victors für seinen Maler. Das 
Kaiser Friedrich-Museum besitzt zwei sicher sig- 
nierte Werke des Horst, die dem Verfasser als 

Grundlage zu Stilvergleichungen dienten. 


GUSTAVO FRIZZONI, Three Little-Noticed 
PaintingsinRome. (2Tafeln mit 3 Abbildungen.) 
Die drei besprochenen Gemilde sind: Anbetung 
der Hirten, in der Chiesa di San Rocco in der 
Via Ripetta von Baldassare Peruzzi, erneuert im 
17. Jahrhundert durch den Feronesen G.B. Gaulli 
(П Baciccio); ein Frauenbildnis aus der Galleria 
Borghese, das Lionardesken Einfluß verrät und 
wohl von Cesare da Sesto (Cesare Milanese) 
stammt, und ein Frauenporträt als „Heilige Ca- 
tharina“ von Andrea Piccinelli (П Brescianino), 
von dem offenbar auch eine im gleichen Museum 
befindliche aufrechtstehende Venus mit einem 
Amorino stammt, die unter dem Namen Francia- 
bigio geht. 


D. 8. MAC COLL, Constable As A Portrait- 


Painter. (1 Tafel.) 

Bespricht im Anschluß an das jetzt als Lehen 
des Admirals W. Bridges in der Tate Gallery 
hängende Familienbildnis der Bridges aus dem 


Jahre 1804 Constables Tätigkeit als Porträtist, 
die ein gar trauriges Kapitel in dem Leben 
dieses „Erderoberers‘ ausmacht. 

SIR CHARLES HOLROYD and THOMAS OKEY, 

Alphonse Legros: Some Personal Remi- 

niscences. (1 Tafel mit 2 Abbildungen.) 

D. T. B. WOOD, Tapestries of The Seven 

Deadly Sins. II. (3 Tafeln mit 16 Abbildungen.) 
Fortsetzung des friiher begonnenen Aufsatzes, 
in der vor allem der Zusammenhang des The- 
mas und auch der Einzelheiten der Wandteppiche 
mit den mittelalterlichen Mirakelspielen und 
Moralitäten sowie den großen Festaufzügen aus 
englischen und französischen resp. burgundischen 

- Quellen dargetan wird. 


Notes on Various Works of Art. Letters 
to the Editors. Reviews and Notices. Re- 
cent Art Publications. Foreign Periodi- 
cals. Art in France. 


109 


NEUE BÜCHER nn 


RUDOLF MICHEL, Die Mosaiken von Santa Con- 
stanza in Rom. Dieterichsche Verlagsbuchhandlung 
Theod. Weicher, Leipzig, Preis geh. M. 2.40. 
EUGEN HOLLÄNDER, Plastik und Medizin. Ver- 
lag Ferdinand Enke, Stuttgart. Preis in Leinwand 
geb. М. 30.—, kart. М. 28.—. 

ARTHUR FRIEDEL, Mensch und Tier. (Grund- 
lagen einer Anatomie für Künstler.) Verlag Ernst 
Reinhardt, München. Preis M. 5.—. 

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Ulrico Hoepli, Mailand. Preis L.18.—, geb. L.25.—. 
PIETRO TOESCA, La Pittura et la Miniatura nella 
Lombardia, Ebenda. Preis L. 60.—, geb. L. 68.—- 
GEORG GALLAND, Hohenzollern und Oranien. 
(Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 144.) 
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), Straßburg. Preis 
M. 8.—. 

KARL RAUPP, Handbuch der Malerei. 
J. J. Weber, Leipzig. Preis M. 3.—. 
Tresor de l’Art Belge au XVIIe siecle. Me- 
morial de l’Exposition d'Art ancien à Bruxelles 1910. 


Verlag 


Verlag G. Van Oest & Cie., Briissel. Preis Fr. 200.—, 
Leinenausgabe Fr. 400.—. 


LOUIS HOURTICQ, Geschichte der Kunst in 
Frankreich. Verlag Julius Hoffmann, Stuttgart. 
Preis geb. М. 6.—. 

FRANCISCO DE GOYA, Tauromachie, Faksimile- 
Ausgabe, 43 Heliogravüren. Herausgegeben von 
Dr. Heinr. Pallmann. Delphin -Verlag, München. 
PAUL GANZ, Holbein. Klassiker der Kunst, 
Band XX. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt. 
GEORGE GRAPPE, Claude Monet. Mit einer 
Gravüre und 52 Originalreproduktionen. Otto Beck- 
mann, Verlag. 

J. M. GUYAU, Die Kunst als soziologisches Phi- 
nomen. (Philosophisch-soziolog. Bücherei XXIV.) 
Verlag von Dr. Werner Klinkhardt, Leipzig. 

W. BODE, Die Anfänge der Majolikakunst in Tos- 
kana unter Beriicksichtigung der Florentiner Majo- 
liken. Verlag von Julius Bard, Berlin. 

E. BOERSCHMANN, Die Baukunst und religiöse 
Kultur der Chinesen. I. Berlin, Georg Reimer. 


Dem vorigen Hefte (Heft 2) lagen Prospekte der Verleger JULIUS HOFFMANN, Stuttgart, liber „Geschichte 
der Kunst in Frankreich‘ von Louis Hoarticg und ANTON SCHROLL & Co. in Wien über „Der bur- 
gandischeParamentenschatzdes Ordens vom goldenen Vliese“ bei, auf die wir nachträglich unsere 


Leser besonders hinweisen. Diesem Hefte liegt wiederum ein Prospekt der Firma ANTON SCHROLL & Co. in Wien 
über „Tempelmaße‘ von Odilo Wolf bei, auf den wir ebenfalls das Interesse unserer Leser hinlenken. 


V. Jahrgang, Heft III. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz, 
WaldmannstraBe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr.M.K. ROHE, München, Clemensstr. 105. [ In ÖSTER- 
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK Е. WASHBURN 
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. /In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer- 
straat 22. In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon rr. | In der SCHWEIZ: 
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 
Montags 10—12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telefon: Amt Groß-Lichterfelde 456. 
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


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Tafel 22 


Abb.3. DIRK van BABUREN, Der Verlorene Sohn Mainz, Galerie 


Abb. 4. DIRK van BABUREN, Musizierendes Paar 


Zu: HERMANN VOSS, VERMEER VAN DELFT UND DIE UTRECHTER SCHULE 


M. f. K. V., 3 


Tafel 23 


Abb.5. Diana mit ihren Nymphen Haag, Mauritshuis 


Abb.6. Musizierende Frauen Russischer Privatbesitz 


Zu: HERMANN VOSS, VERMEER VAN DELFT UND DIE UTRECHTER SCHULE 


A. . K. v. 3 


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Tafel 24 


JUAN DE RUELAS, Der Heilige Franz Xaver Im Salon de actos der Universität zu Sevilla 


Zu: FRANCISCO MURILLO Y HERRERA, EIN GEMÄLDE VON JUAN DE RUELAS 


M. .. K. V., 3 


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Tafel 26 


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Zu: V. C. HABICHT, JOHANNES ZICKS TÄTIGKEIT IN DER SALA TERRENA ZU WÜRZBURG 


M. f. K. V, 3 


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Tafel 27 


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Ausschnitte aus dem gemalten Wappenbuch und aus Holzschnitten Conrad Schnitts 


‚ DIE HOLZSCHNITTE DES BASLER MALERS CONRAD SCHNITT 


HANS KOEGLER 


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Tafel 28 


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Zu: JOSEPH MEDER, EINE ZEICHNUNG DES THEODOKOPULOS 
(Albertina) 


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ONAI SHEFTE 
FUR 7 


ИТАНЕСАМО-НЕЕ Т 4=————АРЕП 1912 
VERLAG KIINKHARDTEBIERMANN:LEIPZIG 


TT ENTIRE VA 


ABHANDLUNGEN 


KONRAD ESCHER, Das Grabmal des 
heiligen Ronan in Locronan. Mit 

4 Abbildungen auf 2 Tafeln.. S. 111 
HARRY DAVID, Dürers Simsonholz- 
schnitt (B. 2) u. Israel von Meckenem. 
Mit 2 Abbildungen auf ı Tafel S. 129 
W. JOSEPHI, Die Apostel des Güstro- 
wer Doms. Mit 4 Abbild. auf 2 Tafeln 
S. 133 

ERNST GALL, Studien zur Geschichte 
des Chorumganges. I. Mit 4 Abbild. 
davon 3 auf 2 Tafeln ..... S. 134 


MISZELLEN 


Jonas Bubenka, Ein ungarischer Holzschneider 
des 17. Jahrhunderts (Takács) ..... 8. 150 


A. S. DREY 


Könlgl. Bayer. Hoflieferant 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


=== Abonnementspreis halbjährlich ха Mark 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 4 


LITERATUR 


Theobald Hofmann, Raffael in seiner Be- 
deutung als Architekt. IV. Bd. Vatikanischer 
Palast (Haupt)) 8. 151 

Carl Aldenhoven, Gesammelte Aufsätze 
(Kern- 8. 153 

Aug. L. Mayer, El Greco. Eine Einführung in 
das Leben und Wirken des Domenico Theo- 
toocopuli, gen. El Greco (Kühnel) .... 154 

G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenk- 
miller, IV. Südwestdeutschland (Baum) 8. 154 

S. Troinitzky, Das Porzellan der Kaiserl. Ere- 
mitage (v. Seidlit g)). 8. 155 

A. Donath, Psychologie des Kunstsammelns 
(Friedeberger) .............. 8. 156 

Maurice W. Brockwell, The ‘Adoration of 
the Magi’ by Jan Mabuse (Singer) . . S. 157 

Léon Rosenthal, Daumier. L'art de notre 
temps (Grautoff) ............. 8. 157 

Rundechaù i... ð 8. 158 

Neue Büchern 8.159 


Ausstellung 


kostbarer Antiquitäten • Ein- und 

Verkauf wertvoller Skulpturen, 

Gemälde, Porzellane, Möbel und 
Antiquitäten jeder Art. 


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AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
"ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITÄTEN 


DAS GRABMAL DES HEILIGEN RONAN 
IN LOCRONAN Von KONRAD ESCHER 


Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln €00000000000000000000000000000000000000000000LL0CCCCCCCCCCLLLLLECLC0CLCOCCCCC6 


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U“ den zahlreichen Skulpturen der spätgotischen Kirche von Locronan (Depar- 

tement Finistere) nimmt das Grabmal des heiligen Ronan, des Patrons der 
Ortschaft, die erste Stelle ein. Es befindet sich in der Kapelle du Pénity, welche, 
an die Südseite der Kirche angebaut, mit dieser mittelst zwei Arkaden kommuni- 
ziert. Laut J. M. Abgrall!) wurde es durch die Herzogin Anne de Bretagne, Königin 
von Frankreich, oder durch ihre Tochter Renee de France, Herzogin von Ferrara, 
errichtet. Die Frage der Entstehungszeit soll unten erörtert werden. 

Die Grabplatte), die auf sechs Engelfiguren ruht, trägt die Liegefigur des Heiligen 
in bischöflichem Ornat; das Haupt mit der Mitra liegt auf einem Kissen zwischen 
zwei Engelchen in halb liegender, halb sitzender Stellung. Dasjenige zur Linken 
berührt mit der rechten Hand die Mitra*), mit der linken das Ende des Pedums, 
während sein Partner die linke Hand auf die Mitra, die rechte auf das Knie legt; 
beide Engelchen sind mit einer gegürteten Tunika bekleidet. Der heilige Ronan 
selbst trägt Sandalen, Alba, Stola, Dalmatica, Pluviale, Handschuhe, Ring, Mitra; 
die linke Hand umfaßt das Pedum (mit Velum), die rechte spendet den Segen. Das 
Ende des Pedums ist einem Löwen in den Rachen gestoßen, der, zu Füßen des 
Heiligen liegend, in den Pranken einen Wappenschild hält. 

Wie der Kapellenboden selbst, so steigt auch die Grabplatte von Westen nach 
Osten an, weil das östliche Engelpaar auf sehr hohen Plinthen, das westliche da- 
gegen nur auf niedrigen, flachen Basen steht. Die Entfernung der Grabplatte 
(Unterkante) vom Boden beträgt zu Häupten 0,775 m, zu Füßen (westlich) 0,69 m. 
Die Höhe der Engelfiguren variiert von 0,98 m zu 0,90 und 0,86 m. Die Gesamt- 
länge beträgt 2,04 m, die Breite der Grabplatte zu Häupten 0,745 m, zu Füßen 0,73 m. 
Inklusive Engelfiguren variiert sie von 1,07 m zu ı m. 

Die sechs Engel‘) tragen die Grabplatte mittelst ihrer schwerfälligen großen 
Flügel; sie sind also als Stützpfeiler oder, besser gesagt, als Karyatiden verwendet, 
(1) J. M. Abgrall, Architecture Bretonne. Etude des Monuments du Diocèse de Quimper. Quimper 
1904, p. 806. 

(2) Die Beschreibung fußte auf den Photographien von M. Abgrall, Douaré und F. Martin-Sabon Nr. 3548 
und wurde revidiert, nachdem der Verfasser das Original besichtigt hatte. 

(3) Das übliche ist, daß die Engel die Kissen stützen (s. u.). Verwandte Beispiele: Grabmal des Bi- 
schofs Juba, + 1186, im Kreuzgang von Eine (Pyrénées Orientales), XII. Jahrhundert. (Abb. Vitry und 
Briere, Documents de sculpture francaise du Moyen-äge. PI. XXVII, Fig. a.) Nach A. Marignan, 
Histoire de la sculpture en Languedoc du XIIe — XIIe siecle, Paris 1902, p. 132, ist der Grabstein 
gegen 1200 entstanden. — Portal „des hl. Sixtus“ am nördlichen Querflügel der Kathedrale von Reims. 
ХШ. Jahrhundert: zwei Engel in Halbfigur zu beiden Seiten des Heiligen. 

Über andere Heiligengriber in derselben Diözese vgl. Abgrall, op. cit., р. 305—308. Das Grab des 
bl. Jona in der gleichnamigen Kapelle bei Plouvien bildet selbst wieder eine kleine Kapelle mit zwei 
Eingängen; Biendarkaden gliedern die Wände. Der Tote trägt bischöflichen Ornat und spendet, 
lebend aufgefaßt, den Segen. Zwei Engel in ganz ähnlicher Haltung wie die der zwei Engelchen am 
Grab in Locronan stützen das Kissen. Zu Füßen des Heiligen ein Hund. Vgl.G. Toscer, Le Finistere 
Pittoresque, Ie partie: Pays de Léon et Tréguier. Brest 1906, p. 245.. 

(4) Monsieur l'abbé Abgrall schreibt (ор. cit.): „Tenant des livres et des écussons“. Schon die photo- 
graphische Abbildung genügt, um zu zeigen, daß es sich nicht um Bücher, sondern nur um Wappen- 
schilder handelt. Bücher hätten nur dann Verwendung finden können, wenn die Engel als Teilnehmer 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 4. 9 III 


zugleich aber auch als Träger von Wappenschildern. Obgleich diese Engel unbe- 
weglich dastehen, kaum aus dem Steinblock herausgewachsen scheinen, hat der 
Bildhauer doch versucht, etwas Wechsel in Haltung und Kleidung zu bringen. 
Aber er dachte nicht daran, die Engel so zu postieren, daß etwa eine Hand die 
Grabplatte stützte, während die andere das Wappen hielt; er ließ sie auch die 
Grabplatte nicht mit den Schultern tragen, denn sonst hätte er allen dieselbe Rich- 
tung geben, d. h. er hätte einen Leichenzug darstellen müssen. Es lag ihm aber 
offenbar nur am Ausdruck des struktiven Gedankens, und man kann sich überdies 
noch fragen, ob seine Kräfte für die genannten Aufgaben ausgereicht hätten. — 
Die Köpfe sind etwas vorgeneigt, damit zwischen ihnen und der Grabplatte noch 
die schweren klotzigen Nimben Platz finden. Fünf dieser Engel tragen eine ge- 
gürtete Tunika, einer außerdem noch einen Chormantel, den eine Agraffe zusammenhält. 

Jeder der Engel trägt einen Wappenschild; derjenige rechts (vom Beschauer) zu 
Füßen des Heiligen, d. h. also der an die Südwestecke des Grabmals postierte, hat 
einen Schild neben sich stehen. Zwei Schilde sind am Rand der Grabplatte zu 
Häupten des Heiligen, zwei kleinere an der entgegengesetzten Seite angebracht; 
einen zwölften Schild hält der Löwe in seinen Pranken. Es sind hauptsächlich die 
Wappen der Bretagne, und, laut freundlicher Mitteilung von Herrn Bourde de la 
Rogerie in Quimper, Archivar von Finistère, die der Familien du Juch und Nevet!). 
Seine Angaben (vgl. Anmerkung) sind in einem Punkte zu berichtigen. Von den 
beiden Schildern an der westlichen Schmalseite des Grabmals, also zu den Füßen 
der Heiligenfigur, zeigt derjenige rechts (vom Beschauer) Losangenform, ist geteilt 
und enthält links den bretonischen Hermelin, rechts die französische Lilie, während 
der Schild links nur mit Hermelin gefüllt ist, aber außerdem Helm, Helmdecke 
und Helmzier trägt. Dieses Wappen kann sich nur auf Anne de Bretagne beziehen. 


an den Funeralien aufgefaßt wären. (Vgl. Grabmal des hl. Stephanus in Aubazine, Ende des XIII. Jahr- 
hunderts; Abguß im Museum des Trocadero.) Bei der Besichtigung des Grabmals überzeugte sich 
der Verfasser davon, daß keine einzige der Engelfiguren ein Buch, sondern alle Wappenschilder halten. 


(x) Brief vom 12. Mai 1911: „Voici les blasons qu'on peut encore distinguer sur le tombeau de St. 
Ronan. Je dezigne par des chiffres romains ceux qui se trouvent sur la dalle tumulaire, et par des 
chiffres arabes ceux que portent les cariatides. [Zu Häupten]: I. D’hermine plein (très visible). П. Quoi- 
que effacé on peut encore у retrouver quelques traces d’hermine. [Zu Füßen]: Ш. D’hermine plein- 
surmonté du cimen. IV. Ecu en losanges а 3 mouchetures d’hermine sans cimen. V. (dans la patte 
du lion): D’hermine plein. [Die Beschreibung der übrigen Wappenschilde beginnt links zu Füßen des 
Heiligen und setzt sich rechts zu Häupten fort.] т. La cariatide tient sur la poitrine un écu а 3 pals, 
а ses pieds autre écusson portant parti au rer une demie macle (qui est Trianna) au 2... 2. Ecu 
ayant un seul meuble au centre. 3. Un lion rampant (du Juch). 4. Un lion passant ou léopard (Nevet). 
5. Deux fasces. 6. Fascé ondé de 6 pièces au chef de... (probablement Nevet)“. Der Hermelin ist 
das Wappen der Herzöge von Bretagne. Bezüglich des Wappens der Familie du Juch vgl. Paris, Bib- 
liotheque Nationale, Dep. des manuscrits, pieces originales 1597, Généalogie francaise: „de Juch: d’azur 
au lyon d’argent armé lampassé. Ebenda: du Juch de Toulancoat: D’azur au lion d’argent armé et lampassé 
de gueulez“. Die Angaben über diese Wappen stimmen nicht miteinander überein. In dem von Ogée 
publizierten Dictionnaire historique et géographique de la province de Bretagne, Rennes 1843, tome I. 
ad vocem Locronan wird ausdrücklich bemerkt, daß sich am Ronangrab, das von Anne de Bretagne 
errichtet wurde, die Wappen Frankreichs und der Bretagne befinden. „Les armes de Bretagne, alliées 
å celles de France, furent placées sur un des bouts du monument, sous la tete de la statue“. (Die 
Angabe ist ungenau; das Alliancewappen befindet sich, wie gesagt, nicht zu Häupten, sondern zu 
Füßen des Heiligen.) Eine hervorragende Rolle spielte die Familie Nevet sowohl beim Bau des Ortes 
wie der Kirche; ihr Wappen findet sich hier wie am Grabmal: ,,L’écusson des Nevet fut placé du 
cété de l’Evangile. Ces mémes seigneurs se réserverent le choeur de la nouvelle église pour le lieu 


II2 


Nach der bis anhier nie näher präzisierten Angabe, Anne de Bretagne oder Renee 
de France hätten das Grabmal des heiligen Ronan errichtet, ist zu schließen, daß 
es am Anfang oder in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts entstand. „Les 
deux premières travées du bas-cété Sud s’ouvrent sur la chapelle du Pénity, longue 
de 16 mètres et large de 5m 70, élevée sur l’emplacement de l’ermitage de saint 
Ronan et recouvrant aussi son tombeau. Au-dessus de ce tombeau est un monu- 
ment de Kersanton qui fut érigé, soit par la duchesse Anne, vers 1505, soit vingt 
ans plus tard par sa fille Renée de France qui devint duchesse d'Este et de Ferrare“!), 
Dom Francois Plaine gibt ausführlichere Mitteilungen’): „Le tombeau monumental 
de saint Ronan que Гоп admire actuellement comme une des merveilles artistiques 
du Finistère, fut érigé au commencement du ХУІ siècle par ordre de la princesse 
Renée de France, fille puinée de Louis XII. et de la reine Anne de Bretagne, dont 
je viens de parler. C’était un gage de sa pieuse gratitude: car sa mère attribuait 
sa naissance aux prières de Saint Ronan“. — An verschiedenen Orten hatte der 
Heilige seinen Kultus: „Comme culte local, la vénération, dont ce saint est resté 
objet depuis treize siècles et plus, a revétu en maintes occations un caractère 
d’eclat et de grandeur qui annonce un thaumaturge d'un rare merite“?). 

Als Etappen in der Geschichte der Verehrung des Heiligen nennt Dom Francois 
Plaine: die Translation des Körpers von Hillion nach Locronan, die Erneuerung 
seines Oratoriums daselbst, die Wunder in Quimper, die Bereicherung der Kirche 
von Locronan durch den Grafen von Cornouaille im XI. Jahrhundert, die Entstehung 
einer Stadt Locronan beim Grab des Heiligen, die großen Wallfahrten dahin und 
schließlich die Errichtung des Grabmals. Während des XI. Jahrhunderts besaß die 
Kathedrale von Quimper einige Reliquien des heiligen Ronan, die 1219 in einem 
kostbaren, im XVIII. Jahrhundert verschwundenen, Reliquienschrein geborgen wurden. 

Innerhalb der bretonischen Plastik des XVI. Jahrhunderts behauptet das Grabmal 
des heiligen Ronan eine wichtige Stellung. Die Skulptur trägt einen lokalen, ganz 
für sich abgeschlossenen Charakter, den man am besten mit archaisch, in vielen 
Fällen sogar als moros bezeichnen kann: eine konservative Bauernkunst vollständig 
religiöser Natur; es ist eine ländliche Kunst, innerhalb welcher fein veranlagte 
Künstler keinen Platz finden. Vom Anfang des XVL bis tief ins XVII. Jahrhundert 
hinein bleibt der Grundcharakter im wesentlichen derselbe; Portalskulpturen, vor 
allem aber Kalvarienberge bilden die wichtigsten Monumente. 

Der Stil der Grabfigur des heiligen Ronan zeigt spätgotische Formempfin- 
dung; echt mittelalterlich ist der Zwiespalt in der Auffassung; als tot gedacht, ist 
der Heilige trotzdem als lebend dargestellt. Parallele, röhrenähnliche Falten glie- 


de leur sépulture. Leurs armes furent placées aux clefs des voütes, tant du choeur que de la nef, aux 
arcades et voütes des ailes, sur la porte principale et dans tous les lieux éminents, immédiatement 
après celle de Bretagne et de France en alliance. La maitresse vitre portait aussi ces dernieres armes 
et au-dessous un seigneur de Nevet était représenté armé de toutes pièces, en cotte d'armes, sur un 
cheval en harnaché de son harnois de combat. La cotte d’armes du cavalier était armoriée de son 
écusson d'or au léopard de gueule, tenant la bannière chargé du dit écusson. Le reste du vitrail était 
occupé par la représentation des alliances de la famille Nevet avec les principales de la province. 
Cette église est aujourd’hui dépouillée de tous ses ornements“. Ogée, Dictionnaire. 


(1) J. M. Abgrall, op. cit., p. 39. 

(2) Vie inédite de Saint Ronan traduite du latin avec Prolégomenes et Eclaircissements par le R.-P. 
dom Francois Plaine. Bulletin de la société archéologique du Finistere, Vol. XVI, 1889, р. 263—319. 
Die zitierte Stelle findet sich auf Seite 271. 

(3) Loc. cit. 


113 


dern Alba und Dalmatica; auf der Oberfläche und an den Seiten reihen sich kon- 
zentrisch, in fast gleicher Reliefstärke, die bogenförmigen Falten des Pluviales an- 
einander, während sich die Säume, die vom rechten Unterarm herabfallen, in den 
bekannten gotischen Schlangenlinien ringeln; an sich überschlagende Wellen erinnert 
auch der Saum der Alba. Die plastische Wirkung dieser Grabfigur ist eine mehr 
dekorative; ein feineres plastisches Empfinden, das im Gewand die Körperformen 
zur Geltung bringt und auch die leisen Übergänge nachfühlt, ging dem Künstler, 
ging der bretonischen Plastik überhaupt ab. Die Form des Pedums schließt sich 
an diejenige des XV. Jahrhunderts an: der ursprüngliche Knauf ist zu einem oft über- 
aus komplizierten Gehäuse erweitert, in dem der Goldschmied (und Bildhauer) in 
der Wiedergabe aller Details gotischer Architektur brillieren konnten. Gehäuse und 
Krümmung — sonst mit zierlichen Blättern belegt — erscheinen hier wesentlich 
vergröbert, massiv, ähnlich wie die Mitra, die im XV. Jahrhundert zuweilen schon 
eine viel geschmeidigere und höhere Form angenommen hatte. — Die Oberfläche 
des Gesichts ist platt, der Ausdruck finster und doch starr; über andere Mittel, 
Ehrwürdigkeit und Heiligkeit deutlich zur Anschauung zu bringen, verfügt diese 
archaische Kunst nicht. Die Figuren der wappentragenden Engel sind kaum erst 
vom Steinblock befreit, befangen in der Haltung, gleichförmig in dem morosen Ge- 
sichtsausdruck — wenn von Ausdruck überhaupt gesprochen werden darf —, die 
Flügel an den Oberarmen angewachsen (!) mit breiten glatten Flächen, scharfen 
Kanten und eingeritzter Zeichnung. Und trotzdem offenbart der Bildhauer ein 
Streben nach Abwechslung: er erzielt sie in der Haltung der Arme und in der 
Bekleidung. Wohl sind die Arme regungslos an den Körper gepreßt, aber um die 
Körperlichkeit zu veranschaulichen, läßt er bei einzelnen Figuren — allerdings zu 
stark — die Kniee vortreten. Parallele und konzentrische Röhrenfalten bestreiten 
im wesentlichen den plastischen Eindruck, aber schon das Vorhandensein von 
zweierlei Falten, und dann bei einzelnen Gestalten das Ausbreiten der Falten auf 
der Basis bringen, wenn auch in sehr primitiver Weise, Abwechslung in das 
Ganze. Höchst eigentümlich sind die Haare behandelt: wie eine Kappe oder Haube 
schließen sie sich dem Kopfe an, schwer und massiv, in parallele Lockenmassen 
geteilt, oder durch eingeritzte Linien als lange bis auf die Schultern herabfallende 
Locken charakterisiert (mittlere Figur der linken Seite). 

Das Grabmal des heiligen Ronan ist laut Mitteilungen von M. Abgrall aus Ker- 
santon gemeiBelt'); ein Blick auf die Abbildungen zeigt sofort, daß das Material den 
Stil offenbar stark beeinflußte; dieselbe Steinart bestimmt auch im wesentlichen den 
Charakter der bretonischen Skulptur. Bei Anlaß der Beschreibung des Kalvarien- 
berges von Plougouven bemerkt Mr. Abgrall, seine Reliefszenen stehen in techni- 
scher Ausführung über denjenigen von Tronoén, sie seien korrekter, weniger pri- 
mitiv, weil dazu Kersanton verwendet worden sei, der allen Feinheiten des Meißels 
nachgebe. Angesichts des komplizierten Gefältes an der Grabfigur, der allerdings 
nicht sehr feinen Details an Pedum und Mitra, der wenigen noch erhaltenen 
Wappenbilder, wird man sich, mit gewisser Reserve, der Ansicht Abgralls an- 
schließen dürfen; über den Lokalcharakter, der durch das Material bestimmt war, 
kam auch dieser Künstler nicht hinaus. Wenn Mr. Abgrall ferner bemerkt, der 
Kersanton sei in der Bretagne sehr gebräuchlich, wenn sich also der Stil der bes- 


(x) Architecture bretonne, р. 134. Léon Palustre, La Renaissance en France, Ш. Bretagne, bemerkt р. 49 
zu diesem Material: „Le kersanton ou pierre de Daoulas est une roche d’un gris noir parsemé de points 
brillante qui, par sa contexture très fine, se préte admirablement aux travaux les plus délicats. Les 
principaux gisements sont, а l’ouest de la rade de Brest, au Moulin-à-Mer et à Rosmorduc“. 


114 


seren Skulpturen nach seinen Qualitäten richtet, so erscheinen die Feinheiten, die 
dieser Stein erlaubt, denn doch sehr relativ. 

Die Skulpturen von Kirchenportalen (Guimiliau), Beinhäusern, vor allem aber von 
Kreuzen und Kalvarienbergen, von denen uns Photographien der „Commission pour 
la conservation des monumentes historiques“ und von Е. Martin-Sabon zur Verfügung 
stehen, tragen alle archaischen Charakter, d. h. sie scheinen in eine viel frühere 
Zeit zurückzureichen als es wirklich der Fall ist. Komposition, Bewegung, Ge- 
wandstil, Haare erinnern vielfach an das frühe Mittelalter; und trotzdem sprechen, 
abgesehen vom Datum, das an einer Reihe von Denkmälern erhalten ist, manch- 
mal die Bewegungen in ihrer überzeugenden Bestimmtheit, die völlig plastische 
Auffassung des Körpers, sprechen psychische Akzente und gewisse Drapierungs- 
motive dafür, daß das betreffende Denkmal dem XVI. Jahrhundert, der Renaissance 
angehört, die hier viel schwerer mit der Gotik um ihre Anerkennung zu kämpfen 
hatte als z. B. an der Loire. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Ronangrab 
zu beurteilen. Die Frage, wie der Künstler dazu gekommen sein mochte, Engel 
als Karyatiden zu verwenden, soll unten eingehend erörtert werden. Der Meister 
besaß ein entwickeltes Gefühl für eine gewisse einfache Größe; nur in der Grab- 
figur an gotische Tradition gebunden, fühlte er sich bei den Karyatiden freier; sie 
verraten trotz aller Starrheit eine gewisse Rundung und Fülle, in der ganzen Er- 
scheinung sowohl als in den Falten; der Parallelismus der Falten und die Starrheit 
der Haltung sind archaisch; aber die plastische, stoffliche Empfindung, das Streben 
den Eindruck auf weniges zu reduzieren, zeugt für modernes Künstlergefühl. In 
einer höchst eigenartigen und interessanten Weise mischen sich hier traditioneller, 
lokaler, zum Teil durch das Material gebotener Archaismus und ein reiferes künst- 
lerisches Empfinden, das über die Annahme äußerlicher Details hinaus nach der 
Erfassung der neuen Grundprinzipien ringt. 

Die Geschichte der bretonischen Plastik ist so wenig bekannt, von der Forschung 
noch kaum berührt, daß der Versuch einer Datierung des Ronangrabes aus stilisti- 
schen Indizien unstatthaft ist. Die Angaben, die wir Mr. Abgralls Buch über die 
Architektur und Plastik in der Diözese Quimper entnehmen konnten, genügen nicht 
ganz, um die Frage zu lösen. Der Verfasser vermittelt zwar die Daten verschie- 
dener Kirchen aus dem ХУІ. Jahrhundert, ohne aber über deren Stil zu informieren!). 
Einige der Kalvarienberge sind datiert: Plougouven 1554, Guimiliau 1581 — 1588, 
Plougastel 1602—-1604, St. Thégonnec 1610, Pleyben gegen 1650. Der ganz gotische 
Kalvarienberg von Meilars ist undatiert; Mr. Abgrall scheint ihn in den Anfang des 
XVL Jahrhunderts zu setzen. Auch unter den sogen. Triumphbögen, d. h. den Ein- 
gangstoren zu den Friedhöfen, tragen die Renaissancemonumente ein spätes Datum. 
Auf Grund dieser Tatsachen ist man nun zu der Annahme geneigt, daß die Renais- 
sance erst spät in der Bretagne und speziell in diesem Teil Eingang findet; auch 
wenn das Ronangrab erst um 1525 errichtet sein sollte, wäre es immerhin eines 
der ersten Denkmäler des neuen Stils?). 


П. 


Auch іп ikonographischer Beziehung erfordert das Ronangrab eine eingehende 
Betrachtung. Die Grabplatte mit dem Toten, der ein Ungeheuer tötet, die Engel 
zu Häupten, wappenhaltende Engel: lauter Elemente, welche der mittelalterlichen 


(1) Léon Palustre, op. cit., p. 58ff. Abgrall, op. cit., p. 128ff. 
(2) Das Nähere über die Datierungsfrage vide Abschnitt IV. 


115 


Sepulkralkunst völlig geläufig sind. Nach mittelalterlicher Auffassung ist, wie schon 
bemerkt, der gisant nicht tot, sondern als Prälat und Heiliger spendet er den 
Segen und überwindet das Böse in der Gestalt des Ungeheuers zu seinen Füßen. 
Eine entsprechende Darstellung zeigt das Bronzegrabmal des Bischofs Geoffroy d’Eu 
(+ 1237) in der Kathedrale von Amiens. Zu Füßen des Bischofs winden sich zwei 
Drachen!). Am Ronangrab liegt das Tier zu Füßen des Heiligen; es ist kein 
Drache, sondern ein Löwe, der mit beiden Vorderpranken einen Wappenschild hält, 
indessen ihm der Bischof das Ende des Pedums in den Rachen stößt. Offenbar 
vereinigte der bretonische Meister zwei sich ganz widersprechende Ideen. Nach 
mittelalterlicher Anschauung bedeuten Löwe und Drache, die auf diese Weise be- 
siegt werden, das Böse, das der Gläubige überwindet?). Der Bibeltext sagt (Psalm 
90, 3): „Conculcabis leonem et draconem, super aspidem et basiliscum ambulabis.“ 
Im XIV. Jahrhundert änderte die Kunst die Rolle der Tiere zu Füßen der Toten. Fried- 
lich daliegend oder in genrehafter Auffassung bedeutet der Löwe den Mut des Mannes, 
der Hund die Treue und die häuslichen Tugenden des Weibes*). Auch diese Aus- 
legung geriet in Vergessenheit, sobald eine dekorative Kunst diese Tiere als Wappen- 
halter zu Füßen der Toten verwendete. Das schönste Beispiel bietet Michel Colombes 
Grabmal für Herzog Franz II. von der Bretagne und seine Frau, das sich heute in 
der Kathedrale von Nantes befindet (1502—1507)*). Der Meister des Ronangrabes 
vereinigte die dekorative Verwendung mit der ursprünglichen Auslegung als Symbol 
des Bösen; es mag sein, daß ihn ein ganz bestimmter Grund zu dieser Lösung 
zwang. Wenn eine vorgeschriebene Anzahl von Wappenschildern angebracht 
werden mußte, wenn er sie auf die Karyatiden verteilte und je zwei zu Häupten 
und zu Füßen anbrachte und damit noch nicht auskam, so ist es begreiflich, daß 
er schließlich, um die Vorschrift zu erfüllen, zu dem genannten Ausweg griff, viel- 
leicht mit vollem Bewußtsein des gedanklichen Widerspruchs. 

Zu den allerwichtigsten Bestandteilen des gotischen Grabmals, besonders in 
Frankreich und Italien, gehören die Engel, denen die verschiedensten Rollen zu- 
kommen; wir finden sie als Freifiguren in Relief (Stein oder Bronze), in die Stein- 
platte gezeichnet, in größerer oder geringerer Anzahl. — Engelchen knien zu Häupten 
der Entschlafenen, um die Kissen zu stützen: Grabmal Philipps, des Bruders des 
heiligen Ludwig, in der Abteikirche von St. Denis; das Grabmal Franz’ II. in Nantes. 
— Die Haltung der zwei Engelchen am Ronangrab ist etwas unbestimmt; eine 
Rolle ist ihnen nicht zugeteilt, sie begniigen sich mit reiner Assistenz. 

Mit Beriicksichtigung der kiinstlerischen Parallelen, die oben genannt wurden, 


(х) Vgl. Grabmal des Guillelmus de Kersanzon, f 1327, in der Kathedrale von St. Pol de Léon. Photo- 
graphie F. Martin-Sabon, Nr. 2633. (Literatur: M. l’abbé J. Clec'h, Visite а la cathédrale de St. Pol de 
Léon et а la chapelle N.-D. du Creisker, Morlaix 1907, р. 25. — М. l’abbé Peyron, La cathédrale de 
Saint Pol et le Minihy Léon, Quimper 1901, p. 111.) — Grabmal für Raimondo della Torre, Patriarch 
von Aquileja (| 1298), im Dom von Aquileja. Auf der Deckplatte des Sarkophages die liegende Figur 
in episkopaler Kleidung, die Füße auf einem Drachen; daneben das Patriarchenkreuz und Pedum, beide 
in den Schweif bezw. Rachen des Ungeheuers gestoßen. Zu Häupten rechts und links je ein Engel 
mit Weihrauchfaß. (Sammlung von Abbildungen mittelalterlicher Grabdenkmale aus Ländern der 
Österreichisch-Ungarischen Monarchie, redigiert von Dr. Karl Lind. Kunsthistorischer Atlas, heraus- 
gegeben von der K. K. Zentralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen 
Denkmale. II. Abteilung, Taf. VI, Fig. 5.) 


(2) Emile Male, L’art religieux de la fin du moyen-äge en France, р. 436. 
(3) Op. cit., p. 463. 
(4) Vgl. Paul Vitry, Michel Colombe, p. 353 ff. 


116 


läßt sich dafür eine Deutung finden. Ihre Stellung ist eine halb sitzende, halb 
liegende. Widersprechende Forderungen brachten also den Künstler hier in Ver- 
legenheit, und diese Widersprüche sind nur die logische Folge des schon mehrfach 
erwähnten Gegensatzes in der Hauptfigur: Liegen und Stehen. Er wollte die 
Engelchen neben dem Kissen sitzend darstellen, also gleichsam als Totenwache. 
Aber abgesehen davon, daß seine Kräfte diesem Problem vielleicht nicht gewachsen 
waren, richtete er sich schließlich nach dem Gedanken, es handle sich um eine 
aufrechtstehende Relieffigur oder Freistatue, zu deren beiden Seiten zwei schwe- 
bende Engelchen angebracht werden könnten. In diesem Falle handelte es sich 
um eine Apotheose des Verstorbenen. Er ist schon unter den himmlischen Heer- 
scharen. Die ungeschickte Haltung der Hände bei beiden Engeln ist also nur 
Resultat der Verlegenheit. | 

Die Kunst des XV. Jahrhunderts verwendet die Engel bereits ganz dekorativ, 
ähnlich wie es die italienische Kunst des Quattrocento mit den Putti tut. Die Engel, 
in weißen oder bunten Gewändern, mit farbigen Flügeln, mit Schmuck im Haar, 
fungieren als Wappenhalter; im XV., vorab aber im XVI. Jahrhundert!) finden sie 
auch im Grabmal Aufnahme: Grabmal der zwei Söhne Karls VIII. in der Kathedrale 
von Tours (Werkstätte Michel Colombes). Zwei Engelchen stützen die Kissen, zwei 
halten zu Füßen die Wappenschilder. Auf dem Sarkophag des Bischofs Guillaume 
Guéguen (+ 1524) in St. Pierre in Nantes?) sah man zu Häupten ein Engelchen, 
das Kissen stützend, eines zu Füßen anbetend und an der Rückwand der Nische 
zwei Engel mit dem Wappenschild. Das eigenartige Bastarnaigrab in Monttrésor?) 
trägt auf den vier Ecken je ein Engelchen mit Wappenschild. Am Ronangrab 
treten die Engel als Wappenträger in außergewöhnlich großer Zahl auf; ja es sind 
sogar die Hauptfiguren, welchen diese Funktion übermittelt ist, allerdings nur wie 
eine Nebenbeschäftigung. Die dekorative Verwendung der ursprünglich ganz religiös 
aufgefaßten Engel ist hier noch ausgedehnter als früher; sie bildet ihrerseits ein 
Argument für die Entstehung des Grabmals im XVI. Jahrhundert; allerdings tritt 
sie hier etwas vor der tektonischen Bedeutung der sechs Engel, vor ihrer Ver- 
wendung als Karyatiden zurück, und für diese ist nun die Erklärung zu suchen. 


III. 


Das Frappierende im Aufbau des Ronangrabes sind die in erster Linie als Stütz- 
pfeiler verwendeten Engel, vor welchen diejenigen zu Häupten des Toten zurück- 
treten. Kannte die französische Grabmalskunst bis zum XVI. Jahrhundert Karyatiden? 
Traten je Engel in dieser Funktion auf? Sarkophag oder Grabplatte werden ge- 
legentlich von liegenden Löwen getragen“), die menschliche Figur aber, seien es 
Menschen oder Engel oder Allegorien, kam in Frankreich in dieser Bedeutung bis 


(x) Grabmal des Jean sans Peur, Herzogs von Burgund, und der Margaretha von Baiern Im Museum 
von Dijon; vollendet 1469. Zu Häupten des Herzogs halten zwei kniende Engelchen den Helm, zu 
Häupten der Frau den Wappenschild. Am Grabmal Philipps des Kühnen fungieren die Engel nur als 
Helmträger. Das Grabmal wurde 1411 vollendet. 

(2) Gaignières, Collections de tombeaux è Oxford, (Kopien im Kupferstichkabinett der Pariser-National- 
bibliothek, Reserve Pe 1 h., Fol. 193.) Henri Bouchot, Inventaire des dessins exécutés pour Roger 
de Gaignières, Nr. 2924. 

(3) Département Indre-et-Loire. Photographie Monuments historiques, Nr. 4227. 

(4) Sarkophag aus Cahen im Museum von La Rochelle. Abguß im Trocadéro; XII. Jahrhundert. Bronze- 
grabplatten der zwei Bischòfe Geoffroy d’Eu und Evrard de Fouilloy in der Kathedrale von Amiens; 
ХШ. Jahrhundert. Grabmal von König Philipp I. von Frankreich in St. Bénoit-sur-Loire. Vgl. М. l’abbé 


117 


zum Ende des XV. Jahrhunderts, soweit die erhaltenen Denkmäler Rückschlüsse 
erlauben, nicht vor!); das erste Monument dieser Art ist mit größter Wahrschein- 
keit das berühmte Grabmal des Philippe Pot im Louvre (um 1480), das Werk eines 
burgundischen Meisters. Diese Pleurants, das Leichengeleit in den schwarzen 
Kapuzenmänteln, welche langsam einherschleichend die Grabplatte mit dem Toten 
auf ihren Schultern zu Grabe tragen und dabei seine Wappenschilde halten, sind 
weit mehr als Karyatiden im antiken Sinne des Wortes, es sind lebende Wesen 
von packendem Realismus. Die Pleurants, ursprünglich kleine Figürchen in den 
Sarkophagnischen, haben ihren Platz verlassen, haben sich von Statuetten oder 
Relieffiguren zu Freistatuen von fast natürlicher Größe ausgewachsen. Zu allem ist 
die ursprüngliche Bemalung noch erhalten; wie muß dies Werk an seinem ur- 
sprünglichen Standort, im Kloster Citeaux gewirkt haben, bevor es in den viel zu 
engen und in seiner Farbe störenden Louvresaal eingeschlossen wurde! „Rien de 
plus reel, rien de plus solide que ces huit chevaliers, massifs comme des piliers 
romans et, en méme temps, rien de plus mysterieux“?). Zu Anfang des XVI. Jahr- 
hunderts begannen sich auch die Allegorien des Grabmals zu isolieren, als große 
Freistatuen gleiche Bedeutung zu erlangen wie die Grabfiguren; zu erinnern an 
Michel Colombes Grabmal Herzog Franz’ II. in Nantes. Auf demselben Wege 
gingen die Brüder Giusti weiter, in ihrem pompöseren, klassischeren Grabmal Lud- 
wigs XII. in der Abteikirche von St. Denis; sie befreiten zugleich die Apostelfiguren, 
die ähnlich wie die Pleurants ihren Platz in den Nischen hatten. Schon vor, haupt- 
sächlich aber mit dem Eindringen der Renaissance lösen sich also da und dort 
die plastischen Zutaten des Grabmals vom Zwange der Architektur, je nachdem 
ihnen der Künstler einmal eine ganz besondere Bedeutung verleihen wollte. 

Engel als Karyatiden kennt seit dem XII. Jahrhundert die kirchliche Baukunst 
Frankreichs*), aber nur ganz vereinzelt und an nur untergeordneter Stelle; dem 
Grabmal bleiben sie anscheinend völlig fremd. Oder sollte etwa der Meister des 
Ronangrabes vom Grabmal des Philippe Pot beeinflußt sein? Konnte also das bur- 
gundische Werk mit seinem Realismus, seinem aus der Wirklichkeit gegriffenen 
Thema, das Vorbild für das archaische Heiligengrab in Locronan mit seinen rein 
tektonisch verwendeten Trägern abgeben? 

Eine Erklärung hierfür läßt sich vielleicht finden. Der Meister des burgundischen 
Grabmals stellte in naturalistischer, wenn auch abgekürzter Weise den Leichenzug 
des 1483 verstorbenen Philippe Pot dar; die Pleurants waren daher unbedingt not- 
wendig. Anders verhält es sich beim Grabmal des legendarischen Heiligen der 
Bretagne, dessen Wirken nach der kirchlichen Überlieferung um Jahrhunderte zu- 


Rocher, Histoire de l’abbaye royale de St. Bénoit-sur-Loire, Orléans 1865, Tf. 17. Ehemaliges Grab- 
mal Karls des Kahlen in St. Denis. Die Platte ruhte auf vier liegenden Löwen und diese fußen auf 
je einem Säulenpaar; 13. Jahrhundert. Gaignières, op. cit., Pe. ra, Fol. 12; Inventaire Nr. 1984. 


(1) Vgl. letzte Anmerkung. 

(2) Emile Male, L’art religieux de la fin du moyen-äge en France, р. 454. Portal der Kirche St. Trophime 
in Arles; XU. Jahrhundert. 

(3) Westportal der alten Prioratskirche von Charlieu (Dép. Loire), 12. Jahrhundert. Abguß im Tro- 
cadero. (Vgl. Marcou, Musée de sculpture comparée, Série I. planche 31.) — Portal der Kirche von 
St. Reverien (Dep. Nievre): in der Mitte der Hohlkehle stützen zwei vierflügelige Engel den Keilstein. 
— Das Fenster Notre-Dame de Belle-Verriere in der Kathedrale von Chartres. Vier Engel tragen die 
Säulen, welche die obere Hälfte des Fensters stützen; XIII. Jahrhundert. Portal der Kirche St. Yved-de- 
Braisne; XIII. Jahrhundert. Vitry et Briere, Documents de sculpture francaise du moyen-äge. Taf. XXXVI, 
Fig. 2 und 4. 


118 


rückliegt. Engel als Träger von Wappenschilden eigneten sich für diesen Fall un- 
gleich besser, entsprachen auch, wie oben gesagt wurde, durchaus der künstlerischen 
Anschauung des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Renaissance; das 
Ronangrab würde sich also, rein gegenständlich betrachtet, aus lauter französischen 
Elementen zusammensetzen. Ist nun aber die Verwendung dieser sechs Engel als 
Stützfiguren zwingenderweise aus dem burgundischen Werk abzuleiten? Man braucht 
sich nur die Pleurants statt alle in der nämlichen Richtung gehend nach außen 
gedreht zu denken, und sie entsprechen den Engeln am Ronangrab; nur hat dann 
die Grabplatte keine genügenden oder gar keine Auflageflächen mehr. Es ließe sich 
ja denken, daß der Bretone, der Meister des Ronangrabes, eben aus dieser Erwä- 
gung heraus die Flügel seiner Engelsfiguren als Stützpfeiler verwendete. Das Denk- 
mal des Philippe Pot fand Bewunderung und Nachahmung; Anne de Bretagne 
müßte es wenigstens durch eine Zeichnung gekannt und dem bretonischen Bild- 
hauer die Weisung gegeben haben, in Locronan einen ähnlichen Aufbau, nur mit 
andern Figuren, zu errichten. 

A. Kleinclausz veröffentlicht ein nur noch in der Skizze Gaignières erhaltenes 
Grabmal, welches in deutlicher Weise eine Nachahmung des Grabmals des Philippe 
Pot darstellt!). Es ist das Grab des Jacques de Mälain (gestorben laut Inschrift am 
2. IV. 1527) und seiner Frau Loyse de Savoisy (gestorben 7. IX. 1515), das sich in 
der Kirche St. Martin-de-Lux (Cöte d’Or) befand und während der Revolution zerstört 
wurde (Abb. 4). Die Platte mit den zwei Liegefiguren und zwei Tieren ruht auf acht 
Pfeilerchen, vor deren jedem ein Kapuzenmann, d. h. ein Pleurant, steht. Sie haben 
die Wappenschilde umgehangen, einer der in Abbildung wiedergegebenen Reihe 
hält ein offenes Buch auf der Hand. Nach der Zeichnung Gaignieres sind diese 
Pleurants viel kleiner als die zwei Gisants, also als unter lebensgroß zu denken; 
als Reliefiguren an die Pfeiler angelehnt, fungieren sie selbst nicht als Träger. 
Das Mälain-Grab ist also eine Nachahmung des Pot-Grabes auf burgundischem 
Boden, aber bereits unter dem merklichen Einfluß der Renaissance im Stil, wie 
selbst die Zeichnung Gaignieres erkennen läßt. Es kann noch zu Lebzeiten beider 
Dargestellten, also vor 1515, beim Tode der Frau, nämlich im Jahre 1515 oder kurz 
nachher oder gar erst beim Tode des Mannes 1527 entstanden sein. 

Ein Einfluß des Mälaingrabes auf das Ronangrab ist so gut wie ausgeschlossen; 
gerade das Wesentliche, nämlich die Achtzahl der Stützen und die Applikation der 
Figuren an Pfeiler finden sich beim Ronangrab nicht. — Wenn nachgewiesen 
werden kann, daß das Mälaingrab später entstanden ist als das Ronangrab, so ist 
aus denselben Gründen an ein Abhängigkeitsverhältnis des Burgundischen vom 
Bretonischen nicht zu denken. Die acht Pleurants weisen ausschließlich auf das 
Grabmal des Philippe Pot, und außerdem gehört das weit abgelegene Ronangrab 
ausschließlich dem Interessenkreise der Anne de Bretagne an und war das Denk- 
mal eines eingeschränkten Lokalkultus. 

Es bleibt also immer noch die ungelöste Frage, ob das Ronangrab unter dem 
Einfluß desjenigen des Philippe Pot entstanden sein könnte. Zwei ausschlaggebende 
Momente sind hervorzuheben: statt je vier Trägern zeigt das Ronangrab beiderseits 
nur je drei und dies hat zur Folge, daß sie viel zu weit auseinandergerückt scheinen; 
zwischen den einzelnen Stützfiguren klaffen zu weite Lücken. Das Mälaingrab 
hatte genau die Achtzahl der Träger von seinem Vorbild übernommen. Zweitens 


(1) A. Kleinclausz, L’art funéraire de la Bourgagne au moyen-àge (deuxieme et dernier article). Gazette 
des Beaux-Arts 1902, premier volume (Quarante-quatrieme année, troisieme période tome vingt-septieme), 
Р. 319. 


119 


erscheinen die Engel des Ronangrabes wesentlich kleiner als der Gisant in Lebens- 
größe; sie sind also nicht als real existierende Figuren, sondern dekorativ aufge- 
faßt; der packende Realismus der acht Pleurants am Grab des Philippe Pot beruht 
aber zum Teil darauf, daß sie in fast natürlicher Größe gehalten sind. Der Künstler 
des Mälaingrabes ist aber in diesem sehr wesentlichen Punkte von seinem Vorbild 
abgewichen, keineswegs zum Vorteil seines Werkes. Andere Einflüsse, und zwar 
sehr starke, müssen ihn zu dieser fatalen Inkonsequenz bewogen haben. Er steht 
übrigens, wie schon gesagt wurde, auf dem Boden der Renaissance, und gerade 
diese dekorative Verwendung der Pleurants ist ein neuer Beweis dafür. Es liegt 
daher auf der Hand, die Quellen seiner Kunst nicht nur in Burgund, sondern auch 
in der italienischen Kunst zu suchen, die sich ja damals auf den verschiedensten 
Wegen in Frankreich ausbreitete (siehe unten). 

Die italienische Grabmalkunst vom XII. bis ins XV. Jahrhundert und länger noch 
zeigt eine weitverbreitete Verwendung von Statuen als Stützen des Sarkophages 
oder als Relieffiguren vor Stützen: Grabmal des Petrus Martyr in St. Eustorgio in 
Mailand, des Raimondo del Balzo in Sta. Chiara in Neapel, des Kardinals Brancacci 
ebendaselbst; der Sarkophag für die Königin Maria von Ungarn in Sta. Maria di Donna 
Regina!) ruht auf vier Pfeilern, an deren Fronten die Gestalten der Kardinaltugenden 
stehen, geflügelt wie Engel; zwei ähnliche Statuen weist das Grabmal der Maria 
von Durazzo in Sta. Chiara auf. Die Karyatiden am Grabmal des Francesco Pazzi in 
Sta. Croce in Florenz krümmen sich unter der Last des Sarkophages?). 

Der Gedanke an einen Einfluß seitens der italienischen, speziell der neapolitani- 
schen Kunst des XIV. Jahrhunderts auf das bretonische Ronangrab scheint wenig 
begründet. Allein erstens finden sich solche Karyatiden nicht nur in Unteritalien, 
sondern auch in Florenz, und die Pisaner Kunst, von der sie ja ihren Ursprung 
nahmen, fand durch Giovanni Balduccio da Pisa, den Urheber des Petrus Martyr- 
grabes in St. Eustorgio in Mailand, auch im Norden Italiens Verbreitung. Zweitens 


(1) André Michel bemerkt dazu in der Histoire de l’art, Tome II, a, p. 604: „Pour la première fois les 
cariatides dont Giovanni Pisano avait fait les supports d'une tribune sacrée soutenaient un cercueil“. 
Karyatiden finden sich außerdem z.B. an den Grabmälern Philipps von Tarent, Johannes’ von Durazzo, 
Karls von Kalabrien. Abbildung der Grabmäler des Raimondo del Balzo, der Maria von Ungarn, der 
Maria von Durazzo bei Venturi, Storia dell’arte italiana IV. La scultura del Trecento e le sue origini, 
Fig. 198, 225, 227. Der Sarkophag der Maria von Ungarn ist nach Venturi, op. cit., p.273, ein Werk 
des Tino da Camaino aus dem Jahre 1325. Bei Anführung dieser Beispiele ist aber ausdrücklich zu 
bemerken, daß bei vielen die gefliigelten Allegorien nicht selbst tragen, sondern nur der Stütze, Säule 
bezw. Pfeiler vorgesetzt sind; so am Grabmal Karls des Erlauchten in Sta. Chiara, Werk Tinos da 
Camaino, der Maria von Ungarn; am Grab des Philipp von Tarent, Werk des Tino da Camaino in 
San Domenico Maggiore, stehen ungeflügelte Allegorien an den Säulenschäften. Venturi, op. cit., 
Fig. 203. 

(2) „A Firenze una sola sepoltura richiama la forma tipica de’ sepolcri napoletani disegnata da Tino, 
ed è quella di Francesco Pazzi a Santa Croce“. Venturi, op.cit.,p. 300. Beiläufig bemerkt verwandte 
die italienische Kunst auch Freifiguren von Engeln als Karyatiden: Statuen der Erzengel Michael und 
Gabriel im South Kensington Museum in London. Vgl. South Kensington Museum, Italian Sculpture 
of the Middie Ages and Period of the Revival of Art. A Descriptive Catalogue of the Works forming 
the above Section of the Museum, with additional Illustrative Notices by J.C. Robinson, London, 1862, 
Nr. 5797 to 5800 inclusive. Two statues of Archangels and a group of three Saints, originally the 
angle-piers of a marble pulpit ascribed to Nicola or Giovanni Pisano. ‘These fragments came from a 
church in the neighbourhood of Pisa, and the original position, in work, of the three angle-piers 
may be seen from a photograph, placed near them, of the celebrated marble pulpit by Nicola Pisano 
in the baptistery of the cathedral at Pisa, corresponding details of which they closely resemble“. 
Abb. bei Venturi, op. cit., Fig. 29. 


120 


erhalten sich die Karyatiden am Grabmal bis in die Renaissanceperiode hinein: 
Grabmal des Kardinals Branda in der Collegiata von Castiglione d’Olona!), des 
Giovanni Borromeo?), heute auf der Isola Bella, und schließlich in Venedig am Grab- 
mal des Dogen Mocenigo. Die Karyatiden, naturalistischer durchgeführt, bleiben 
auch in der Renaissanceskulptur Neapels: Grabmal des Sergiani Caracciolo in San 
Giovanni a Carbonara, und dasjenige des Lodovico Aldemoresco in San Lorenzo‘). 
Ein italienisches Grabmal des XV. Jahrhunderts kann also ebensogut die Kompo- 
sition des Ronangrabes beeinflußt haben, wie ein älteres. 

Es wäre nicht das erste Mal, daß die französische Grabkunst ihr Vorbild im Süden 
suchte; es geschah dies schon einmal zu einer Zeit, da die Plastik Frankreichs in 
sich abgeschlossen, keine Einwirkung von Süden her duldete, so lebhaft auch die 
politischen, kommerziellen und künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und 
Neapel im besonderen waren‘). 

Die Kathedrale von Limoges besitzt in ihrem Chor das Grabmal des Raynaud 
La Porte‘), Erzbischof von Bourges seit 1316, Kardinal von St. Nereus und 
Achilleus seit 1320, seit 1321 Kardinalbischof von Ostia, gestorben 1325 in Avignon. 
Der Aufbau ist französisch, nur steht auf dem Sarkophag, zu Häupten und zu 
Füßen des Toten je ein Engel, der einen Vorhang zurückzieht, während er mit der 
andern Hand ein Weihrauchfaß schwingt. So charakteristisch diese Figuren für 
die italienische Grabmalkunst des XIV. Jahrhunderts sind, so selten finden sie sich 
in Frankreich*); die schon genannten Beziehungen des Prälaten zu Italien erklären 
die Einführung dieses speziell und ausschließlich italienischen Motives zur Geniige. 
Beiläufig mag auch ein anderes Kunstwerk Erwähnung finden, das einen höchst 
interessanten Beleg für die künstlerischen Beziehungen zwischen Frankreich und 
Neapel darstellt. Es sind die Statuten des Heiligen-Geist-Ordens, den Ludwig von 
Anjou, König von Jerusalem, Neapel und Sizilien im Jahre 1352 in Neapel gründete. 
Tafel XV der uns vorliegenden Publikation?) zeigt das Grabmal eines Ritters, „qui 
acheta sa partie du droit désir“, wie die ob dem Grabmal an die Wand gemalte 
Inschrift besagt. Der Sarkophag ruht auf vier Säulen, die jede von einem liegenden 
Löwen getragen werden; zwischen den zwei vorderen Säulen aber stehen zwei 
Engel, die ihrerseits mit erhobenen Armen den Sarkophag stützen. Zu Häupten 
und zu Füßen steht je ein Engel, der auf die Taube des Heiligen Geistes hin- 
deutet. Der Text der Statuten lautet französisch, die Miniaturen sind das Werk 
eines italienischen, wahrscheinlich neapolitanischen Malers. Im XIV. Jahrhundert 
wanderten zahlreiche französische Künstler nach Italien, italienische Meister arbeiten 
in Königlichem Dienst; Franzosen und Italiener standen zusammen im Dienste 


(x) Venturi, Storia dell’arte italiana VI. La scultura del Quattrocento, Abb. 559. 

(2) A. G. Meyer, Oberitalienische Frührenaissance II, Blütezeit. Taf. X, p. 163ff. 

(3) Abbildungen davon: 8. di Giacomo, Napoli, parte prima. Italia Artistica, Nr. 82. Bergamo 1907. 
(4) André Michel, Histoire de l'art, Tome Ш, 1, р. 104ff. 

(5) Cathédrale de Limoges, histoire et description, par l’abbé Arbellot, Paris 1883, р. 111 Є. Abbildung 
bei Viollet-le-duc, Dictionnaire raisonné IX, Fig. 25. 

(6) Wir fanden die Bestätigung unserer Ausführungen nachträglich bei André Michel, Histoire de l’art, 
Tome II, a, p. 712: „Ce motif d’importation italienne est unique, & cette époque, en France. La tombe 
d’ailleurs et un travail absolument francais“. Das Motiv findet sich seit Arnolfos Grabmal des Kardi- 
nals de Braye (Dom von Orvieto, 1285) besonders häufig in der Grabmalkunst des XIV. Jahrhunderts, 
in Neapel, Rom, Assisi, Florenz, Padua u. a. O. Die wichtigsten Beispiele sind bei Venturi, op. cit., 
IV abgebildet. 

(7) „Manuscrit du ХГУ е siecle conservé au Louvre dans le musée des souverains francais‘ publié par 
M. le comte Horace de Viel-Castel 1853. 


121 


Clemens’ VI. in Avignon!); bedeutend war der Import italienischer Gemälde und 
anderer Kunstwerke. Und trotzdem war der Einfluß ein höchst sporadischer; die 
Architektur war und blieb die französisch-gotische; dasselbe war mit der Skulptur 
der Fall; nicht einmal die Papstgräber von Avignon stammen von italienischen 
Meistern?). Nur in der Malerei vermochte Italien seit der zweiten Hälfte des Jahr- 
hunderts eine Stilwandlung zu vollziehen?). 

Nicht weniger lebhaft waren die künstlerischen Beziehungen im XV. Jahrhundert)). 
Italienische Meister standen im Dienste Ludwigs XI. und Renés von Anjou; eine 
Kolonie von italienischen Arbeitern und Kaufleuten lebte in Paris sowohl als Lyon 
und Marseille. Vitry mag Recht haben, wenn er diese Künstler nur als verein- 
zelte, für den Gesamtverlauf unwesentliche Faktoren wertete; sie sorgten für den 
Bedarf an Medaillen, Miniaturenhandschriften, Goldschmiedearbeiten, also kurz: ihr 
Gebiet war mehr die Kleinkunst. Aber es ist nicht bekannt, daß einem von ihnen 
— außer etwa Francesco Laurana — größere Aufgaben übertragen worden wären 
in der Weise, daß ein Italiener gegenüber den Einheimischen eine maßgebende, 
hervorragende Stelle eingenommen hätte. 

Der große, folgenschwere Umschwung setzt mit dem Ende des XV. Jahrhunderts, 
mit der systematischen Bewunderung und Bevorzugung italienischer Kultur und 
Kunst ein. Wie wäre sonst Karl VIII. dazu gekommen eine ganze Kolonie italie- 
nischer Künstler an den Ufern der Loire anzusiedeln? Es sind der Faktoren genug 
vorhanden, welche die starke, allerdings in all ihren Einzelziigen nicht mehr ver- 
folgbare Einwirkung italienischer Kunst erklären: die Feldzüge, die zwar gelegent- 
lich ihren Zweck nicht erreichten, aber doch mit der südlichen Kultur Beziehungen 
vermittelten, die Besetzung Genuas, die endlosen Gesandtschaften herüber und hin- 
über, die französischen Benefizien, die mit vollen Händen an italienische Prälaten 
ausgeteilt wurden, dann das lebhafte Interesse hochgebildeter geistlicher Würden- 
träger für die südliche Kunst. Allen voran steht der Kardinal Georges d’Amboise, 
erster Minister Ludwigs XIL, dann auch Robert von Lenaucourt, Erzbischof von 
Tours (1484—1509), Louis de Crevant, Abt von Vendöme, Antoine Bohier, Abt von 
Fecamp u. a. Dichter und Humanisten erleichterten die Vermittelung neuer Ge- 
danken und Interessen). Mit den aus Italien importierten Marmorwerken sollten 
nicht auch Werkstattzeichnungen oder Skizzen nach vorhandenen Denkmälern, 
gleichviel welchen Datums, den Weg über die Alpen gefunden haben? So gut wie 
im XV. Jahrhundert der Maler Jean Fouquet in Italien, namentlich in Rom, kopierte, 
was sein Interesse beschäftigte — gedrehte Säulen, Triumphbogen usw. — so gut 
wie später der Maler der Königin Anna, Jean de Bourdichon, seine Miniaturen mit 
italienischen Renaissancemotiven ausstattete, so gut konnte sich auch der Meister 
des Mälaingrabes im Lux durch italienische Vorbilder direkt oder indirekt bewogen 
fühlen, in einem wichtigen Punkt von seinem burgundischen Vorbild abzuweichen. 
Gerade die eigentlich sinnwidrige Art, in der er die Pleurants vorführt, weist auf 
die italienische Grabmalkunst als Ursprungssphäre; dabei muß aber betont werden, 


(x) André Michel, op. cit. III, 1, p. 105. 

(2) Eugène Muentz, Les tombeaux des papes en France. Gazette des Beaux-Arts, 2¢ période, 36, р. 379. 
Trotzdem wissen die Urkunden eine Reihe von italienischen Bildhauern, Goldschmieden, Malern, Miniatur- 
und Glasmalern namhaft zu machen. Notes sur quelques artistes d'Avignon. Archives de l’art Francais, 
Tome 7¢, Paris 1856, р. 177ff. 

(3) André Michel, op. cit. Ш, 1, р. 105. Dvorak, Jahrbuch der kunsthist. Samml. des allerh. Kaiserhauses, 
XXII, р. 99 ff. 

(4) Paul Vitry, Michel Colombe et la sculpture francaise de son temps, р. 111 ff. 

(5) Paul Vitry, op. cit., p. 133. 


122 


daß die italienische Kunst nur Allegorien, nicht aber naturalistisch aufgefaßte Träger 
in kleinerem Maßstabe bildete. Daß die scheinbar oder wirklich tragenden allegorischen 
Figuren kleiner gebildet wurden als die Gestalt des Toten, zeigen hauptsächlich die 
Grabmäler in Neapel: das der Maria von Ungarn, der Maria von Durazzo, der Isa- 
bella del Balzo, sämtlich gotisch, ferner das des Kardinals Brancacci und das des 
Kardinals Branda in Castiglione d’Olona. Die Stützen des Sarkophages, Pfeiler oder 
Säulen, waren das Primitive, die Figuren das Sekundäre. 

Wie beim Mälaingrab läßt sich der Ursprung der Stützfiguren des Ronangrabes 
ebenfalls in Italien suchen. Auch sie sind wesentlich kleiner als die Liegefigur. 
Gerade die für die Gesamterscheinung so ungenügende Dreizahl der Stützen an 
jeder Längsseite läßt sich durch ein italienisches Vorbild, d. h. eine Zeichnung, sei 
es Entwurf oder Kopie oder durch eine auf ein italienisches Werk gegründete bin- 
dende Weisung für den Meister erklären. Zwar kommen an den italienischen 
Gräbern (an den Fronten) zwei, drei und vier Stützen vor, m. E. sprechen die 
schon erwähnten Nachteile dieses Werkes für eine sklavische Nachahmung des 
Vorbildes. Die Wahl der Engel mit Wappen ließ sich recht wohl aus ihrer Ver- 
breitung in der gotischen Kunst der Heimat erklären; konnten aber nicht auch die 
geflügelten Allegorien des italienischen Grabmals die Idee dazu gegeben haben? 

Der Einwand, die Allegorien der italienischen Grabmäler seien mit Stützen ver- 
bunden, was am Ronangrab nicht zutreffe, wäre nicht stichhaltig; denn erstens 
sind auch an italienischen Grabmälern nicht immer Stützglieder vorhanden, zweitens 
werden sie von den Figuren oft fast verdeckt, und drittens, wenn dem Meister des 
Ronangrabes eine Kopie nach einem alten Grabmal mit Stützfiguren vorlag, so 
konnten sehr wohl in der Frontansicht die tektonischen Stützen überhaupt weg- 
fallen und nur die Figuren sichtbar sein, und dasselbe war möglich und sogar wahr- 
scheinlich, wenn er nach einem zeitgenössischen Entwurf oder einer Werkstatt- 
zeichnung arbeitete; denn damals konnte man bei Tragfiguren der tektonischen 
Stützen entbehren. Hatte er also die Aufgabe, sechs Engel als Stützfiguren zu 
meißeln, und waren ihm tektonische Stützen weder vorgezeichnet noch kontraktlich 
vorgeschrieben, so griff er, um der Grabplatte mit ihren Figuren ein sicheres Auf- 
lager zu gewähren, zu dem Ausweg, die Flügel der Engel gleichsam als Stützpfeiler 
zu verwenden; ihre fast kubische, steinklotzmäßige Behandlung macht diese Erklä- 
rung unabweislich. Nur eine im Grunde noch primitive Kunst vermochte auf solche 
Auswege zu verfallen. Also auch das weit von allen größeren Kunstzentren ent- 
fernte Ronangrab steht mit italienischer Grabmalkunst in Beziehung. Der plötz- 
liche Eingriff einer gereiften in eine primitive Kunst hat dieses ganz einzigartige 
Werk erzeugt. Im folgenden Kapitel soll erklärt werden, wie ein solcher Eingriff 
möglich war. 


IV. 


Die ausführlichsten und bestimmtesten Auskünfte über die Entstehung des Ronan- 
grabes erteilt der von Ogée publizierte „Dictionnaire historique et géographique de 
la province de Bretagne“, Rennes 1843, Band I. Aus den Angaben über Locronan 
ist Folgendes entnommen: „La duchesse Anne avait une dévotion particulière a saint 
Ronan. Etant reine de France, elle donna au bourg de Locronan le titre de ville, 
et confirma les priviléges accordées par ses prédécesseurs, en accordant tous ceux 
appartenant au nouveau titre de ville. Elle y fit construire à ses frais un certain 
nombre de maisons, et bientòt trois ou quatre cents familles s’y fixèrent. Cette 
population nécessita l’agrandissement de l'église: elle donna des ordres а ce sujet; 


123 


et la famille Nevet, qui déjà avait fourni tous les matériaux pour la construction 
des maisons, tint à l’honneur de se charger de la construction de l'église „en forme 
de cathédrale, dit un ancien titre, et qu'il n'y en avait guère qui la surpassàt, tant 
en structure, tour que Clocher, tout en pierres de tailles“. Cette construction eut 
lieu vers la fin du XV siècle. La chapelle primitive fut comprise dans le nouvel 
édifice, séparée cependant du corps principal par deux arcades, supportées par un 
pilier. La duchesse fit ériger а ses frais, а la même époque, dans cette 
chapelle, le tombeau du saint, qu'on voit encore, élevé sur six piliers 
en pierres grises. Les armes de Bretagne, alliées à celles de France, furent 
placées sur un des bouts du monument, sous la tête de la statue. — Un acte, dont 
on n'a pu distinguer la date, signé Halnay, prétre, et de Lesormel, sénéchal, porte 
que la duchesse Anne, reine de France, se rendit А Locronan en 1505, imitant en 
cela la dévotion de ces ancétres envers le bon saint Ronan. Elle visita son 
tombeau, fit nombreuses largesses à l’église, accorda de nouvelles exemptions 
aux habitants de la ville, pour avoir eu de Dieu des enfants, par l’intercession 
dudit saint. 

Sa fille, la princesse Renée, duchesse de Ferrare, eut la méme dévotion que sa 
mere à saint Ronan. Elle fit relever à ses frais, en ‘1530, la chapelle dite du 
Pénity, ой se trouve le tombeau du saint, et у fonda une messe quotidienne а per- 
pétuité, en accordant une rente de 300 livres sur ses salines du Croisic“. 

Die Frage der Entstehungszeit scheint durch diese Angaben endgültig gelöst: 
Anne de Bretagne baute zu Ende des XV. Jahrhunderts die Kapelle und das Grab- 
mal des heil. Ronan; Renée de France ließ erstere im Jahre 1530 erneuern. Leider 
fehlen den ausführlichen und so bestimmt gefaßten Angaben alle dokumentarischen 
Nachweise, so daß eine Nachprüfung unbedingt erforderlich ist. Daß Anne de Bre- 
tagne Kapelle und Grabmal errichten ließ, kann nicht mehr bezweifelt werden; 
das älteste bekannte Dokument, das Wappen am Grabmal, nennt sie ausdrücklich 
als Urheberin. 

Das Departementalarchiv in Quimper enthält unter den „Monuments historiques, 
Locronan“ einen an das Ministerium gerichteten, 8. März 1845 datierten Brief, der 
zunächst über den Zustand der Kirche von Locronan referiert, außerdem aber noch 
Folgendes mitteilt: „Au reste dans les archives de la paroisse, qui contiennent plu- 
sieurs documents interessants, il existe un curieux manuscrit où Гоп trouve quel- 
ques renseignemens sur ce tombeau. Le manuscrit a pour titre: Aveu de Nevet; 
voici ce qui concerne le tombeau de St. Ronan: „„En laquelle chapelle fist la 
duchesse et royne (Anne de Bretagne) elever sur six piliers un tombeau en pierre 
grise, non commune, sur le lieu de la sépulture du dict saint Ronan, et dessus est 
representé en habit pontificaux et faict poser ses armes et en alliance avec celles 
de France“. Laut mündlicher Mitteilung von Herrn Bourde de la Rogerie be- 
finden sich keine Archivalien mehr in Locronan; es war dem Verfasser nicht mög- 
lich, dort eingehendere Nachforschungen anzustellen, er erfuhr nur, daß besagtes 
Manuskript das Datum 1645 trägt. Entscheidend für seinen dokumentarischen Wert 
vorab ist der Umstand, daß es aus der Familie Nevet stammt, die, wie oben ge- 
sagt wurde, beim Bau von Kirche und Kapelle eine so bedeutende Rolle spielte. 

Die Herzogin Anne de Bretagne zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten 
ihres Landes, und blieb auch als Königin ganz das Kind ihrer Heimat!). Ihre Leib- 


(1) Brantöme, Vie des Dames illustres. Pantheon littéraire II, Paris 1848: „Elle avait réellement le 


coeur plus breton que français“. „(Le roi) quelques fois, en ses goguettes et gayetés l'appelloit le 
plus souvent sa Bretonne“. 


124 


garde bestand hauptsächlich aus Bretonen!). Nach dem Tode ihres ersten Gatten, 
des Königs Karl VIII. ( 1498), zog sich Anna nach Nantes zurück, bis ihre zweite 
Ehe mit Ludwig XIL geschlossen wurde. Sie erteilte den Auftrag, die Geschichte der 
Bretagne zu schreiben?) und setzte alles daran, dem Historiographen das Sammeln 
der Dokumente zu erleichtern. Als Königin von Frankreich sollte sie einst nach 
ihrem Tode in St. Denis bestattet werden, ihr Herz aber, so bestimmte sie aus- 
drücklich, soll nach Nantes überführt werden, und dort in der Gruft Franz II., ihres 
Vaters, ruhen?). Als Ludwig XII. 1505 schwer erkrankte, gelobte sie, im Falle der 
Genesung eine Wallfahrt nach der Bretagne, für den Fall des Todes, den man 
damals allgemein befürchtete, traf sie schon die Vorbereitungen zur Rückkehr nach 
Nantes. Der König genas, und die fünfmonatliche Wallfahrt, welche die Königin als- 
bald unternahm, glich einem Triumphzug‘). Obgleich Le Roux de Lincy in seiner 
ausführlichen Geschichte Annas nirgends bemerkt, daß ihre Reise auch Locronan 
berührt habe, wird allgemein angenommen, es sei dies der Fall gewesen und die 
Königin habe die Stadt reichlich beschenkt. Bestand damals das Grabmal des 
heiligen Ronan schon, oder nahm sie erst jetzt die Veranlassung zu seiner Errich- 
tung? Ogée und Dom Francois Plaine stimmen miteinander in der Angabe überein, 
Anne de Bretagne habe der Fürbitte des heiligen Ronan ihre Kinder verdankt. 
Wenn diese Mitteilung richtig ist, wenn die Königin dem Heiligen ihren Dankeszoll 
in der Form entrichtete, daß sie sein Grabmal bauen ließ oder seiner Stadt Gutes 
erwies, so ergibt dies ein Argument zur Datierung des Grabmals. Im Jahre 1499 
war Claude, nachmals Gattin Franz’ I. geboren; 1503 kam ein Sohn zur Welt, der 
aber unmittelbar nach seiner Geburt starb. Es folgte Renee, geboren am 25. Ok- 
tober 1510, die nachmalige Herzogin von Ferrara. Anna kam dann 1512 mit einem 
zweiten Sohn nieder, der aber das Schicksal des ersten teilte). So blieben ihr also 
die beiden Töchter. — Im Jahre 1514 schied sie auf Schloß Blois aus dem Leben. 
Wenn also ausdriicklich bemerkt wird, sie habe dem Heiligen fiir mehrere Kinder 
gedankt, so kann dies nur zu einer Zeit gewesen sein, wo außer der ersten Tochter 
auch noch eines der jüngeren Kinder am Leben blieb, also nach 1510. Sollte die 
Mutter nicht insbesondere für das Leben ihrer beiden Töchter gedankt haben, als 
auch das jüngste Kind, d. h. der zweite Sohn, bei seiner Geburt starb? Demnach 
wäre das Grabmal des heiligen Ronan zwischen 1512 und 1514 entstanden. 

Daß Anne de Bretagne seine Entstehung veranlaßte, begreift sich ohne weiteres, 
wenn man ihr lebhaftes Interesse nicht nur für humanistische Bildung sondern 
für die Künste insbesondere berücksichtigt. Sie war es, welche das herrliche 
Grabmal Franz’ II. in Nantes errichten ließ. In ihrem Dienste standen Schreiber, 
Tafel- und Miniaturmaler, Italiener sowohl als Franzosen“). Der Katalog ihrer 


(1) Ders.: „Et d’autant qu’elle avoit le coeur grand et haut, elle voulut avoir ses gardes, et si institua 
la seconde bande des cent gentils hommes; car auparavant n’y en avoit qu’une: et la plus grand part 
de sadicte garde estoient Bretons, qui jamais ne falloient, quand elle sortoit de sa chambre, fust pour 
aller à la messe, ou s’aller promener, de l’attendre sur ceste petite terrasse de Blois qu'on appelle 
encor la Perche aux Bretons, elle-mesme l’ayant ainsy nommée“. 


(2) Nach Gobineau, Histoire de Bretagne 1707, war es Pierre le Baud. 

(3) Ders. a. a. O., p. 837. | 

(4) Le Roux de Lincy, Vie de la reine Anne de Bretagne, ed. Paris, Curmer 1848, Tome I, p. 200. 
(5) Le Roux de Lincy, op. cit, Tome І, р. 192f. 

(6) Le Roux de Lincy, op. cit., Tome II, Livre troisième, Chap. premier, p.7ff.: „Des qu'elle fut par- 
venue au tròne Anne de Bretagne s’entoura de savants, de lettrés, d’artistes et d’ouvriers habiles, afin de 
pouvoir mettre chaque jour а contribution leur science, leur talent ou leur industrie“. - 


125 


Kunstsammlung nennt Gemälde, Skulpturen, Goldschmiedearbeiten, Tapisserien!). 
Jean de Bourdichon malte ihr Livre d' Heures), Jean Perréal zeichnete die Entwürfe 
für das Grabmal ihrer Eltern in Nantes. Bevor sie dessen Ausführung an Michel 
Colombe, wahrscheinlich Bretone von Ursprung, übertrug, wollte sie Italiener dafür 
bestellen; der Marmor war in Genua gekauft. Von ihrem Vater hatte sie die 
Bücherliebhaberei geerbt; sie teilte sie mit ihren beiden Gatten?). Sie spielte für 
die französische Kunst eine eminent wichtige Rolle zu einer Zeit, da sich der Über- 
gang zur Renaissance vollzog; sie lebte gleichzeitig mit den großen französischen 
Mäzenen; der Kardinal d’Amboise war ja der erste Minister Ludwigs XII. Sie 
besaß eine Reihe italienischer Bilder, welche Karl VII. von seinem Neapeler Zug 
mitgebracht hatte. Sollten ihre Anhänglichkeit an die Heimat, ihre Devotion, ihr 
lebhaftes Interesse für einheimische wie italienische Kunst nicht genügende Argu- 
mente sein, ihr die Errichtung des Ronangrabes zuzuschreiben, selbst wenn das 
Wappen am Grabmal nicht jeden Zweifel ausschließen würde? 

Anders verhält es sich mit Renée de France. Die Angabe von Dom Francois 
Plaine, die Prinzessin Renée habe am Anfang des XVI. Jahrhunderts das Grabmal 
errichtet, ist schon deshalb irrig, weil, wie schon gesagt, Renée 1510 geboren 
wurde. Solite sie wirklich die Urheberin sein, so wäre das Jahr ı525, das von 
Abgrali vorgeschlagen wurde, das früheste zulässige Datum. Gegen die Angabe 
Ogées, Renée habe im Jahre 1530 die Kapelle erneuert, sprechen, falls sie nicht 
durch unbestreitbare Dokumente gestützt wird, andere Tatsachen. Im Jahre 1528 
war die Prinzessin nach vielen Projekten endlich mit dem Herzog Ercole von 
Ferrara vermählt worden. Von Italien aus sollte sie sich um das abgelegene Lo- 
cronan bekümmert haben? Es könnte ja sein, daß ihr die Königin Anna die Unter- 
haltung der Penitykapelle mit dem Ronangrab ans Herz gelegt hatte, und daß 
Renée später den Wunsch ihrer Mutter erfüllte. Andere Tatsachen aber lassen es 
höchst fraglich erscheinen, daß sie sich besonders für diese Kultstätte interessierte. 
Ihr Biograph, Rodocanachi, bemerkt: „Renee ne fut rien moins qu'une catholique 
convaincue, et, quoique instruite et vivant dans un milieu artistique, elle ne s’occupa 
que fort peu d'art et de littérature. — La théologie l’absorba“‘). Einer ihrer Lehrer 
war Lefèvre d'Etaples „fervent adepte des idées nouvelles, plus tard surveille 
par l’inquisition Man weiß, daß Renée de France eine Beschützerin der Calvi- 
nisten wurde. Die apodiktische Angabe Ogees: „Renée eut la même dévotion que 
sa mere à St. Ronan“ fällt also in sich zusammen. Ogée datiert, wahrscheinlich 
mit gleich guter Begriindung, die Entstehung von Kapelle und Grabmal ins Ende 
des XV. Jahrhunderts. In so abgelegener Gegend sollte damals ein Werk ent- 
standen sein, daß schon Verständnis für Renaissancempfinden zeigt, und dazu noch 
in einer Periode, in der Frankreich erst anfıng innerlich mit der italienischen 
Kunst Fühlung zu nehmen? Da viele Denkmäler der Bretagne, besonders Glas- 
gemälde, Skulpturen in Stein und Holz und dergl. nicht mehr erhalten sind, wird nie 
mit völliger Gewißheit ein Schluß bezüglich des Eindringens der Renaissance in 


(1) Ders., op. cit., Livre cinquieme, p. 155ff. Details sur la vie privée d’Anne de Bretagne, femme 
de Charles VIII. et de Louis XII. saisis d’extraits des inventaires de meubles ayant appartenu à cette 
princesse, par Le Roux de Lincy, Paris 1850. „Elle semblait avoir eu un intérét special pour des 
manuscrits illuminés et des tableaux italiens“, р. то. 

(2) Émile Male, Trois oeuvres nouvelles de Jean de Bourdichon peintre de Charles VIII, de Louis XII 
et de Francois I. Gazette des Beaux-Arts, 3me période, Vol. 27, p. 185—203. 

(3) Paul Vitry, Michel Colombe et la sculpture francaise de son temps, p. 382. 

(4) E. Rodocanachi, Renée de France, Duchesse de Ferrare. Paris 1895, p. 7. 


126 


diese Gegend gezogen werden können. Natürlich ging Nantes als herzogliche 
Residenz und als Vaterstadt der Königin Anna künstlerisch voran: 1502—1507 das 
Grabmal Franz’ IL, 1508 das des Bischofs Guegen, 1514 die Kapelle der Collegiats- 
kirche Notre-Dame’). Etwas unbestimmte Nachrichten sprechen davon, italienische 
Meister seien im Gefolge von Charlotte d’Aragon, der zweiten Gattin Guys XVI. 
von Laval, nach Schloß Vitré gekommen, und zwar vor 1505, in weichem Jahre 
Charlotte starb?). Mr. Abgrall bemerkt, daß sich an dem zwischen 1481 und 1490 
entstandenen Lettner von Lambader zwei Medaillons unter lauter Flamboyantdeko- 
ration finden). Das nächste von ihm genannte Denkmal der Diözese Quimper 
wäre das 1533 datierte Portal von Lampaul-Guimiliau, 1537 die Westfassade der 
Kirche von Rumengol. Palustre nennt, als etwas früher entstanden, das Portal von 
Ploérmel. Die Schloßkapelle von Vitre mit ihrem berühmten Erker ist zwischen 
1526 und 1531 zu datieren, aber die Meister kamen mit größter Wahrscheinlichkeit 
aus der Loiregegend‘). An den Kirchenportalen kam die Renaissance erst in der 
Regierung Heinrichs II. endgültig zum Sieg°); die Beinhäuser von Quimper, 1514 
bis 1515 und Pleyben, wohl gleichzeitig, sind noch völlig gotisch; die klassischen 
Spezimina des Renaissancestils datieren aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts‘), 
ganz ähnlich wie die sogen. Triumphbogen, d. h. die Eingangstore zu den Friedhöfen“). 
„Le mouvement d' innovation qui se produit en France des les dernières années du XVe 
siecle, notre pays de Bretagne semble зу montrer réfractaire pendant bien long- 
temps“). Die Gotik widerstand in der Architektur bis tief ins XVII. Jahrhundert 
hinein. Die Renaissancebewegung in der Bretagne vollzog sich anscheinend in ver- 
einzelten Anläufen. An der 1520 datierten Kirche von Kerfons kämpften beide 
Stile miteinander’). Das Grabmal des heiligen Ronan in Locronan wird als einer 
der frühesten Ansätze betrachtet werden müssen, Mittelalter und Renaissance 
halten sich in diesem Denkmal die Wage. Die einzigartige Komposition ließe sich 
erst dann durch französische Tradition erklären, wenn ein ähnliches Grabmal er- 
erhalten wäre; aber selbst die reiche Dokumentensammlung Gaignières bietet nichts 
Entsprechendes. Bis anhin ist in Frankreich nur ein Heiligengrab bekannt, das eine 
ähnliche Konstruktion aufwiese!°). Der italienische Einfluß erklärt sich unschwer 
durch die Vermittelung der Königin Anne de Bretagne, die, auf Grund ihrer engen 
Beziehungen zu Künstlern und Werken, die aus Italien nach Frankreich kamen, 
einen diesbezüglichen Auftrag erteilen konnte. Allerdings, sollte nicht Anne de 


(1) Leon Palustre, La Renaissance en France, Vol. III, Bretagne, р. 14. 

(2) Ders., а. а. O., р. зо. 

(3) Abgrall, Architecture Bretonne, р. 187. 

(4) Léon Palustre, loc. cit. 

(5) Ders., a. a. O., p. 40. 

(6) Ders., a. a. O., p. 47. 

(7) Ders., a. a. O., p. 56f. 

(8) Abgrall, op. cit., p. 66. 

(9) Léon Palustre, op. cit., p. 72. 

(10) Grabmal des heil. Elophe, Martyrer des IV. Jahrhunderts in St. Élophe (Dep. Vosges). Die Grab- 
platte mit der Figur des Heiligen ruht auf sechs Pfeilern, an welche Figuren in Relief angelehnt sind; 
XIII. Jahrhundert. (Der Verfasser fand die Abbildung in einem der Sammelbände der Bibliothek des 
„Musée des arts décoratifs“ in Paris.) Ähnlich: Stiftergrab im Dom zu Limburg а. L. — Menschliche 
Figuren als Karyatiden, an Säulen angelehnt, zeigt das mittelalterliche Kirchhofskreuz in Mezy-Moulins. 
Vgl. Dr. Ing. Arthur Mäkelt, „Mittelalterliche Landkirchen aus dem Entstehungsgebiet der Gotik“. 
Wasmuth 1906, Abbildung p. 95, Text p. 97. — Zuweilen verwandte die Kunst für das Heiligen- 
grab einen besonderen Typus, welcher demjenigen des Ronangrabes im Prinzip nicht nur ähnlich 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 4. 10 127 


Bretagne das Grabmal errichtet haben, so wäre man leicht geneigt, es nach Analogie 
von Kalvarienbergen und Portalskulpturen viel später anzusetzen. Der Meister 
des Ronangrabes ist nicht bekannt. Wenn die Forschung einmal die Aufmerksam- 
keit auf dieses Gebiet richtet, das noch fast Neuland ist, so lassen sich vielleicht 
noch entsprechende Werke finden, kann die Stellung und Bedeutung des Ronan- 
grabes noch schärfer präzisiert werden. Vorläufig nimmt es für uns eine in künst- 
lerischer und ikonographischer Hinsicht isolierte Stellung ein und bedeutet in weit 
entlegener Gegend einen Ableger italienischer Kunst in mittelalterlich bretonische 
Kunsttradition und einen erstaunlich frühen, nur durch Vermittelung einer mit ita- 
lenischer Kunst vertrauten Persönlichkeit erklärbaren Vorstoß der Renaissance, dessen 
Nachwirkungen sich zunächst nur sehr sporadisch nachweisen lassen. 


sieht, sondern eng verwandt ist: Grabmal der Patronin in der Kirche St. Magnance in St. Magnance 
(Kanton de Quarre-ies- Tombes, Dép. Yonne). Der Sarkophag mit Schrägdach ruht auf vier Säulen; 
XII. Jahrhundert. (Description des Villes et Campagnes du Departement de l’Yonne, par Victor Petit, 
Auxerre 1882), р. 229. Grabmal des hl. Fuscianus, Victoric und Gentianus in Saints (Dép. Somme), An- 
fang des XIII. Jahrhunderts. Cliché de la Commission des Monum. hist., Nr. 2404. 


DURERS SIMSONHOLZSCHNITT (B.2) UND 
ISRAEL VON MECKENEM Von HARRY DAVID 


Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel „ооооееоооөеөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө 


aß der junge Dürer von Italien abhängig ist, erscheint uns heute selbstverstind- 

lich, ebenso seine Abhängigkeit von Schongauer. Dagegen ist man gegen eine 
Beeinflussung durch andere deutsche Künstler meist sehr skeptisch, besonders wenn 
es sich um einen Meister handelt, den man stets als Nehmer, nie aber als Geber 
des großen Nürnbergers zu betrachten gewohnt ist: Israel von Meckenem. 
Trotzdem wird man im folgenden Fall das umgekehrte Verhältnis annehmen 
miissen. 

Wenn man den frühen Holzschnitt Dürers, „Simson den Löwen bezwingend“ 
(B. 2), mit Israel von Meckenems Kupferstich mit dem gleichen Thema (B. 3) ver- 
gleicht, so überrascht die Übereinstimmung der Komposition; als Hauptunterschied 
fällt nur auf, daß bei Dürer der Kopf des Tieres herumgerissen ist. 

Das Wesentliche der Darstellung ist die Aktion des Kampfes, und diese findet bei 
Dürer einen höchst merkwürdigen Ausdruck. Simson stemmt, auf dem Rücken des 
Löwen sitzend, diesem den rechten Fuß in den Nacken und versucht so den Rachen 
auseinanderzureißen („dilacerare“ [lib. Jud., Cap. XIV, V. 5, 6). Daß Dürer — wie auch 
Wölfflin annimmt — sich den Kampf so gedacht hat, daß sein Held zunächst die 
Bestie zu Boden treten und dadurch kampfunfähig machen soll, kann man außer 
anderem auch aus Dürers Grisaillezeichnung aus der Sammlung Hiilot schließen 
(Abb. bei Ephrussi), welche den Held auf dem Rücken des zu Boden gerungenen 
Tieres zeigt. 

Die Wiedergabe dieses Vorganges ist aber bei Dürer entschieden mißglückt, denn die 
hier dargestellte Kraftaufwendung müßte zur Folge haben, daß sich Simson selbst in 
die Höhe oder weiter nach hinten zurückschöbe. Ein noch so starker Reiter kann 
nie das Pferd, auf welchem er selbst sitzt, zu Boden treten. Das Unzulängliche 
in der Bewegung beruht eben darauf, daß Simson sein linkes Bein nicht nach 
hinten auf den Boden aufstemmt und daher nicht mit der Wucht seines Körpers 
die Bestie niederpressen kann in der Art, wie es vorher und später oft genug dar- 
gestellt worden ist. Auch Wölfflin empfindet in seinem Dürerbuche die Unklarheit 
dieser Bewegung und tadelt es besonders, daß der niedertretende Fuß, der Träger 
der größten Energie, fast völlig überschnitten und daher unsichtbar ist. Er weist 
auf den merkwürdigen Gegensatz hin, daß der ganz gleichzeitige Holzschnitt des 
„Erkules“ (B. 127) von einer seltenen bildnerischen Klarheit in der Bewegung der 
Hauptperson ist. Dagegen dürfte Wölfflin mit seiner weiteren Ansicht, daß der 
Ausdruck für die Kraftaufwendung, welchen Dürer hier für den alten Bildstoff ge- 
funden habe, etwas ganz neues sei, nur in sehr beschränktem Maße Recht behalten. 
Das Grundmotiv hat ihm jedenfalls Meckenem vorweggenommen. Zwar kommt der 
in den Nacken des Löwen gestemmte Fuß auch in der Lübecker Bibel von 1494 
vor. Möglicherweise hat auch hierzu Meckenems Stich die Anregung gegeben. 
Durch die Frontalstellung von Simsons Unterkörper wird aber hier das ganze Be- 
wegungsmotiv derart verändert, daß es für Dürers Simson gar nicht mehr in Betracht 
kommen kann. So beliebt die Darstellung des Simsonkampfes auch in der zweiten 
Hälfte des 15. Jahrhunderts ist — ich nenne nur die Biblia pauperum, die Kölner 
Bibel, das speculum humanae salvationis und die zahlrehen Einzelblätter — so bleibt 
die von Meckenem und Dürer dargestellte Kampfesart doch eine Ausnahme. 


129 


Von der Übereinstimmung dieses Hauptmotivs abgesehen, möchte ich dann noch 
auf die so primitiv hingesetzte Burg Meckenems hinweisen, welche Dürer vielleicht 
die Anregung zu der seinigen, so prächtig ausgestalteten gegeben haben könnte, denn 
die „Burg“ kann nicht als ikonographischer Bestandteil des Simsonkampfes betrachtet 
werden. Übrigens scheint auch bei Meckenem unterhalb des Burgfelsens ein See 
angedeutet zu sein. 

Dann der Löwe selbst. Der Vergleich beider Tiere zeigt höchst charakteristisch 
die Umwandlung des kleinköpfigen, schmächtigen Löwen des 15. in das mähnen- 
umwallte, mächtige Tier des 16. Jahrhunderts. Sicherlich hat Dürer zu der Um- 
gestaltung auch noch andere Löwenbilder zu Hilfe genommen. Daß aber dieses 
doch maßgebend geworden ist, beweist mir außer der genau übereinstimmenden 
Stellung der abnorm behaarten, mit vorgestreckten Krallen bewehrten Tatzen der 
höchst auffällige Fehler in der Gebißbildung, der ganz gleichmäßig auf beiden 
Blättern vorhanden ist: zwei Eckzähne an jeder Seite der Kiefer anstatt eines. Das 
ist um so interessanter, weil von nun ab diese Mißbildung ein Charakteristikum 
des Dürerschen Löwen bleibt und bei ornamentaler Ausgestaltung — so 2. В. an 
der Ehrenpforte — direkt zu einem Merkmal wird, die Hand Dürers von der seiner 
Mitarbeiter zu scheiden. Irgendeine Naturbeobachtung kann da nicht zugrunde gelegen 
haben, denn das Raubtiergebiß, selbst bei Hund und Katze, beruht in dieser Beziehung 
auf der nämlichen Zahnformel. 


* 
Ы * 


Wenn man nun Israel von Meckenem neben Dürer nennt, so wird man natürlich 
zunächst in ersterem den Nachahmer vermuten. Chronologisch wäre das möglich, 
denn er starb erst 1503, während das Dürersche Blatt schon 1495 entstanden sein 
könnte. Aus inneren, in der Persönlichkeit Meckenems liegenden, wie aus stilisti- 
schen Gründen erscheint es aber dennoch ausgeschlossen. Denn unter den 95 (von 
600) seiner Stiche, deren Vorbilder bisher noch nicht bekannt geworden sind, be- 
findet sich eine Anzahl von so ausgeprägter stilistischer Eigenart, daß eine Kopie 
nicht in Frage kommt. Als „bezeichnende und selbständige Arbeit“ dieser Kategorie 
wird nun von Lehrs wie von Geisberg, dem Spezialforscher auf diesem Gebiete, dieser 
Kampf Simsons mit dem Löwen genannt. Sie wird in das Jahr 1475 gesetzt, wo der 
Meister seine Wanderschaft aufgab und sich als Goldschmied in Bocholt niederließ, 
ein Jahr also, das für ein Dürersches Blatt noch garnicht in Betracht kommen kann. 
Wenn übrigens Meckenem kopierte, so besorgte er das gründlich. und er wäre 
sicherlich der letzte gewesen, der von dem Dürerschen Blatt nur eine Anregung 
genommen hätte. 

Außerdem zeigt ein Blick auf die beiden Blätter, daß es entwicklungsgeschicht- 
lich geradezu ein Unikum wäre, wenn Meckenems typisch primitive Darstellung in 
Anlehnung an ein Blatt entstanden sein könnte, welches alle Merkmale einer neueren, 
so unendlich fortgeschrittenen Zeit trägt. Es liegen immerhin 20 Jahre dazwischen. 

Es bleibt noch die Frage, ob beide nicht ein gemeinschaftliches drittes Vorbild 
benutzt haben. Bei Meckenem muß man zunächst an den Meister E. S. denken. 
Sein Einfluß liegt allerdings auch hier auf der Hand; man vergleiche nur das 
Hinterteil des Löwen und besonders dessen Schweifhaltung mit dem Tiere auf 
dem Simsonkopf dieses Meisters (L. 4). Daß aber in unserem Falle ein verloren 
gegangenes Blatt desselben die Vorlage gewesen sein könne, halte ich schon des- 
halb für ausgeschlossen, weil der beim Meister E. S. häufig vorkommende Löwe 
ganz typische Charakteristika zeigt, die bei Meckenem fehlen; das sind außer den 


130 


bereits oben genannten besonders die in einem spitzen Winkel herausstehenden 
Sprunggelenke der Hinterschenkel und die Anzahl der Klauen: drei anstatt vier. 
Übrigens wissen wir zufällig, daß Meckenem jenen Stich L. 4 des Meisters E. S. 
gekannt hat, denn nach einer Mitteilung von Geisberg hat er den Unterärmel 
Simsons für den Stirnwulst eines St. Georg (Cat. Malaspina I, p.8) benutzt (s. Lehrs, 
„Geschichte und Katalog des niederländischen und französischen Kupferstiches im 
15. Jahrhundert“, Wien 1908). 

Aber selbst in dem Falle, daß Meckenems Blatt eine Kopie wäre, bliebe der 
Mangel an Originalität bei Dürers prächtigem Holzschnitte bestehen. 


131 


DIE APOSTEL DES GÜSTROWER DOMS 


Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von W. JOSEPHI 


uf der historischen Ausstellung kirchlichen Kunstgewerbes in Schwerin 1911 

erregten vier halblebensgroBe Holzfiguren die ganz besondere Aufmerksamkeit 

der Kunstfreunde und Gelehrten; fielen sie doch stilistisch so sehr aus ihrer Um- 

gebung heraus, daß sich selbst dem Laien der Gedanke aufzwang, hier vor etwas 

ganz AuBerordentlichem zu stehen, wenigstens für Mecklenburg, dessen Plastik, von 
einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht allzu bedeutend ist. 

Zwölf solche Apostelbilder, von denen die vier ausgestellten nur eine Probe waren, 
befinden sich in der an Denkmalen alter Kunst überreichen Domkirche zu Güstrow; 
sie sind in der Tat etwas so bedeutendes, daß es sich kaum begreifen läßt, daß 
nicht nur die allgemeine Kunstforschung bisher völlig achtlos an ihnen vorüberge- 
eilt ist, sondern auch die Lokalgeschichtsschreibung. Und doch sind sie bei weitem 
das Bedeutendste, was Mecklenburg an Werken der Schnitzkunst aufzuweisen hat. 
Vielleicht tragen an diesem Übergehen die leider etwas verunglückten Abbildungen 
im mecklenburgischen Kunstinventar schuld, und deshalb möchte ich sie in besseren 
Reproduktionen den Fachgenossen bekannt machen, um dadurch die Aufmerksam- 
keit auf sie zu lenken. 

Die aus hartem Eichenholz geschnitzten Figuren sind nicht bemalt, eine ziemlich 
seltene Erscheinung im Gebiet der mecklenburgischen Kunst. Es sind seltsam auf- 
geregte Gestalten, die der unbekannte Schnitzer geschaffen hat, Gestalten von einem 
Realismus und einer Tiefe der Charakterwiedergabe, daß sie geradezu faszinierend 
wirken. Überhaupt dürfte es wenig Werke der deutschen Schnitzkunst geben, die 
so zu fesseln vermöchten. Hier sind nicht die abgeklärten, stillen Denker darge- 
stellt, die ernsten und ruhigen Künder des Wortes, das hier sind wilde Streiter,. 
deren verwitterte Gesichtstypen einer Landsknechtstruppe entnommen sein mögen 
Feurige Entschlossenheit, wilder, nie versagender Mut, äußerster Wagesinn, unaus- 
löschliche Streit- und Händelsucht scheinen unter den niedrigen Stirnen zu wohnen, 
gewaltige Stürme toben in den Köpfen dieser leicht an den slawischen Typus an- 
klingenden Gestalten, echter Landsknechtstrotz wohnt ihnen inne. Wir können 
uns beim besten Willen nicht denken, daß diesen Männern die Entsagung fordern- 
den Lehren der Bergpredigt in Fleisch und Blut übergegangen seien; sie sind 
nicht die Jünger des Herrn, sondern seine kraftvollen, kühnen, aber auch skrupel- 
losen Streiter. 

Und das stürmische Leben, das sich in den Gesichtern ausspricht, es klingt auch 
in Haltung und Gewandung wieder. Wie wundervoll verwegen ist jene zur Seite 
dahinstürmende Gestalt mit dem energisch geschnittenen Profil aufgefaßt, die der 
Künstler keck in Rückenansicht zu bilden sich nicht scheute! Wie lebensvoll in 
momentaner Affektbewegung ist jener wildgelockte Gottesstreiter dargestellt, dem 
eine ältere Restaurierung zwar falsch aber doch sinnvoll eine Hellebarde in die 
Hand gegeben hat. Wer die mecklenburgische Plastik kennt, jene ruhige, selbst- 
zufriedene Kunst, der jede Aufregung, jede erschütternde Bewegung fern liegt, der 
muß sich vor diesen extremsten Kontraposten staunend fragen: wie konnte hier 
derartiges geschaffen werden und wer war der Meister, der nicht nur den Ge- 
stalten, sondern auch in begründetem stilistischen Einklang den sie umhüllenden 
Gewändern ein so wild stürmendes Leben verleihen konnte?’ Gewiß nicht alle 
Figuren verkörpern diesen wilden Trotz in der gleichen Weise wie die eben ge- 


132 


nannten, aber gerade aus diesen spricht das eigenste Können dieses gewaltsamsten 
aller deutschen Schnitzer; will er ruhige, sinnige, resignierte Charaktere darstellen, 
wie etwa Johannes, da versagt sein Können. 

Schlie, in seinem mecklenburgischen Kunstinventar (Bd. IV, S. 206), denkt an Ver- 
wandtschaft mit dem Altar der Bartscheerer und Wundärzte in St. Marien zu 
Rostock (Bd. І, S. 27), ich glaube, mit Unrecht; die Ähnlichkeit mit diesem Altar, 
einem echt niederdeutschen, aber wie viele spätgotische Altäre Mecklenburgs stark 
von den Niederlanden beeinflußten Schnitzwerk, das an künstlerischer Bedeutung 
tief unter den Güstrower Aposteln steht, ist nur äußerlich. Dagegen bieten die 
Schnitzaltäre zu Lanken (Bd. IV, S. 554) und Zehna (Bd. IV, S. 274) zweifellos 
Analogien, aber bei weitem nicht so bedeutend, daß man sie demselben Meister 
zuschreiben könnte; allerdings halte ich in diesem Falle einen Schulzusammenhang 
für zweifellos. 

Der Meister, der sich so kühn über alle Traditionen hinwegsetzte, der dies ganz 
Neue, für Mecklenburg Unerhörte schuf, muß von auswärts gekommen sein; aber 
woher? War er ein Oberdeutscher, ein Bayer oder ein Franke? Mir scheinen 
seine Werke am ersten an die Arbeiten des Veit Stoss und derjenigen oberdeut- 
scher Schnitzer anzuklingen, die man mit mehr oder weniger Recht in dessen Ein- 
fußsphäre versetzt; ich meine natürlich ganz allgemein in der Grundtendenz ihres 
künstlerischen Schaffens. 

Wer dieser namenlose Meister auch gewesen sein mag, er war jedenfalls ein 
ganz Großer in seiner Kunst. Die Anregung zu geben, daß die heute so rege For- 
schung auf dem Gebiete der deutschen Plastik sich mit ihm beschäftige, daß sie diese 
für Mecklenburg so auffällige Erscheinung kläre, soll der Zweck dieser Zeilen sein. 


133 


STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHOR- 
UMGANGES Von ERNST GALL 


Mit vier Abbildungen, davon drei auf zwei Tafeln «»ооеооеооөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө 


I. 
SAINT-MARTIN IN TOURS 


в ist bekannt, daß vor mehreren Jahrzehnten die Frage nach der Entwicklung 

des Chorumganges das lebhafteste Interesse gerade der besten deutschen!) und 
französischen) Archäologen in Anspruch nahm. Obwohl Dehio sie als eine der 
„allerwichtigsten“ bezeichnete, ist seitdem leider nichts mehr geschehen, die keines- 
wegs vollständig abgeschlossene Untersuchung dariiber zu berichtigen und womög- 
lich zu erweitern. Allerdings sind diese und ähnliche Fragen verhältnismäßig kompli- 
ziert, weil sich nur wenig Denkmäler aus dem frühen Mittelalter erhalten haben. 
Wenn so eine große Versuchung vorliegt, durch Kombinationen die Lücke der 
monumentalen Überlieferung zu füllen, so wird man doch sagen müssen, daß es 
schließlich für die Forschung vorteilhafter ist, sich mit wenigen, aber jeder Prüfung 
standhaltenden Resultaten zu begnügen, als sich an einer langen Reihe von Hypo- 
thesen zu berauschen. Manche möchten glauben, daß wenigstens die einfache 
Feststellung des Tatbestandes, die doch eigentlich allem andern vorangehen sollte, 
längst vollzogen sei. Die Verhältnisse liegen jedoch keineswegs so günstig und 
wer den Dingen auf den Grund geht, wird zu seinem Erstaunen wahrnehmen, wie 
hier noch viel, wenn nicht gar alles zu tun ist. 

Das trifft vornehmlich für St. Martin in Tours zu, einen Bau, dem in dieser Frage 
bekanntlich allgemein eine außerordentliche Bedeutung zugeschrieben wird. Während 
es sonst unmöglich ist, einen Chorumgang nachzuweisen, dessen Alter über das 
Jahr 1000 zurückreicht, soll die Entstehung des Motives hier um ein volles Jahr- 
hundert weiter rückwärts liegen, ja, einige Forscher haben sich nicht gescheut, so- 
gar eine Kluft von mehr als einem halben Jahrtausend für möglich zu halten. 

Es muß äußerst leichtsinnig, ja verwegen erscheinen, diese so schwierige Frage 
von neuem zu behandeln, zumal ein großer Teil des Beweismaterials heute nicht 
mehr vorhanden ist, der wenigstens einigen Forschern noch offen vor Augen lag. 
Unternehme ich es trotzdem, so geschieht es keinesfalls um nach so vielen Hypo- 
thesen noch eine neue aufzustellen. Meine Absicht geht vielmehr dahin, in die 
Diskussion Quellen einzuführen, die zwar nicht vollständig unbekannt sind, aber 
aus Unachtsamkeit und teilweise sogar mit Bewußtsein in den Hintergrund gedrängt 
wurden. Wenn ich so gezwungen werde, mich in Gegensatz zu stellen zu einem 
von mir so unendlich verehrten Forscher wie R. de Lasteyrie und ebenso zu allen 
übrigen, so wolle man das als in der Sache begründet anerkennen. 


(1) G. v. Bezold im „Zentralblatt der Bauverwaltung“ 1886. Dehio in der „Kirchlichen Baukunst des 
Abendlandes“, I, 265; ferner im „Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen“ 1889, р. 13 und „Rep. 
für Kunstwiss.“ 1893, p. 218. 

(2) In Frankreich bot die älteste Zusammenstellung D. Ramée im „Bulletin Monumental“ 1860. In der 
neueren Literatur fehlt es im allgemeinen an zusammenfassenden Untersuchungen dieser Art; das 
mustergültig durchgearbeitete System der französischen Archäologie baut sich vornehmlich auf Mono- 
graphien auf: man findet einige kritische Bemerkungen über Chorumgänge bei E. Lefevre - Pontalis, 
La cathédrale romane d'Orléans in den „Mém. de la Soc. archéolog. de l’Orl&annais“ 1905, р. 352. Die 
wichtigen Monographien werden bei Gelegenheit genannt werden. Man findet natürlich auch Wichtiges 
bei Enlart, „Manuel d'archéologie francaise“, I, р. 172 und 227. 


134 


Bekanntlich existiert die alte Kirche St. Martin heute nicht mehr. Nachdem schon 
während der Revolution dem Kollegiatstift und seinen zahlreichen Schätzen ein 
rasches Ende bereitet und auch die Ostteile der Kirche vollständig zerstört waren, 
wurde die Ruine im Jahre 1802 auf Abbruch verkauft. Was bis dahin noch be- 
standen hatte, zeigt eine Ansicht von 1798, die zuletzt von Ch. de Grandmaison 
veröffentlicht ist!). Erhalten blieben nur zwei Türme: die Tour Charlemagne am 
nördlichen Querhaus und die Tour de l’Horloge, der ehemalige Südturm der West- 
fassade. An Stelle der alten Basilika erhob sich bald ein neuer Stadtteil mit seinen 
Straßen und Häusern. Es war kein archäologisches, sondern im wesentlichen ein 
religiöses Interesse, das in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Gesellschaft 
ins Leben rief, die dem zugrunde gegangenen Bauwerk nachspürte, vor allem, um 
das Grab des Heiligen Martin wieder aufzufinden. Unterstützt durch einige alte 
Pläne, vornehmlich den von Jacquemin aus dem Jahre 1779?), konnte man im 
Jahre 1860 und 1861 dank der Hilfe privater Gönner daran denken, Ausgrabungen 
vorzunehmen. Sie fanden im allerbescheidensten Umfange statt: kein Architekt, 
kein Archäologe leitete die Arbeiten, sondern ein Ingenieur bei der Eisenbahn Paris- 
Orleans, St. Ratel. Das Grab des Heiligen wurde in ganz zerstörtem Zustande 
aufgefunden, und gleichzeitig konnte eine Reihe von Fundamenten festgestellt 
werden. Damals veröffentlichte Broschüren?) mit den Resultaten der Ausgrabungen 
scheinen die lokalen Grenzen von Tours nicht überschritten zu haben, denn Qui- 
cherat wußte in seiner berühmten Arbeit, die er 1869/70 unserer Kirche widmete, 
noch nichts davon‘). Die Rekonstruktion, die der einflußreiche Gelehrte damals 
von der Kirche des fünften Jahrhunderts entwarf, muß als geradezu verhängnisvoll 
bezeichnet werden, denn bis auf R. de Lasteyrie hat sie bei allen späteren For- 
schungen fast als Quelle gedient. Erst durch die Notizen von Ch. de Grand- 
maison im Bulletin Monumental’) erfuhr nach mehr als einem Dezennium die 
weitere Wissenschaft von den gemachten Ausgrabungen. Er beschränkte sich dar- 
auf, abgesehen von den Fundamenten der nach der Revolution zerstörten Kirche, 
auf solche einer älteren Anlage hinzuweisen, die er dem тт. Jahrhundert zuschrieb. 
An diesen Quellen schöpfte Dehio für seine „Kirchliche Baukunst des Abendlandes“ 
und bereicherte sie durch eine nicht geringe Anzahl von Hypothesen. 

Durch die Funde war das Interesse weiterer Kreise geweckt, und bald flossen 
die Mittel reichlicher, so daß man in den Nachforschungen weiter gehen konnte. 
Über dem Grab des Heiligen war zunächst nur eine kleine Kapelle erbaut worden, 
und man entschloß sich jetzt im Jahre 1886 an deren Stelle einen großen, prunk- 
vollen Neubau zu errichten. Um dessen Fundamente zu setzen, wurde das ganze 
Terrain, das er einnehmen sollte, aufgegraben und bei dieser Gelegenheit Teile 
von übereinanderliegenden Chor- und Querhausfundamenten aufgefunden, die im 
wesentlichen drei zeitlich verschiedenen Bauten angehörten. Kurz bevor diese 
Arbeiten ausgeführt wurden, veröffentlichte St. Ratel einen längeren Bericht seiner 


(х) Tours archéologique im Bulletin Monumental 1874, р. 74. 

(2) Gute Reproduktionen bei Ratel, La Basilique de St. Martin de Tours; Chevalier, Les fouilles de 
St. Martin de Tours. 

(3) Notice sur le tombeau de St. Martin et la découverte qui en a été faite le 14 XII. 1860; publiée 
par la commission de l’Oeuvre St. Martin 1861. Ch. de Grandmaison in den Mém. de la Soc. archéol 
de Touraine, XIII, p. s1. 

(4) J. Quicherat, Restitution de la Basilique de St. Martin de Tours; zuerst in der Rev. archéol. 1869/70. 
Abgedruckt in den Mélanges d’archéologie et d'histoire, vol. II, p. 30. 

(5) Tours archéologique, Bulletin Monumental 1873/74. In Buchform 1879 erschienen. 


135 


Funde aus den Jahren 1860/61!). Er schrieb darin die seinerzeit gefundenen, sehr 
spärlichen Fundamente teils dem rr., teils dem 5. Jahrhundert zu, ja einige wenige 
Reste sogar dem 4. Jahrhundert. Die Motive, die ihn zu dieser sehr verspäteten 
Veröffentlichung bewogen, werden klar, wenn man bedenkt, daß er zu den neuen 
Arbeiten nicht zugezogen werden sollte, ihm sogar offiziell der Zutritt verwehrt 
wurde. Die neuen Ausgrabungen leitete wiederum kein Archäologe, sondern ein 
gelehrter Geistlicher, Casimir Chevalier. Es wurde sonst niemand zugelassen 
und R. de Lasteyrie erzählt, daß es selbst ihm nur durch die Hilfe eines Sub- 
alternen möglich geworden sei, auf den Bauplatz zu gelangen. St. Ratel konnte 
durch die Freundlichkeit des Bauunternehmers Zutritt erhalten und in aller Eile 
ein paar Notizen machen, während der Zeit, in der Chevalier abwesend war. Es 
ist unnötig, dem noch ein Wort der Kritik zuzufügen. 

Die damals bloßgelegten Fundamente wurden nicht etwa erhalten, sondern teils 
zerstört, teils wieder zugegraben, mit Ausnahme von zwei Kapellen, die unter der 
Krypta der heutigen Kirche noch sichtbar sind. Es ist das die mittlere Kapelle 
des Umganges und die südlichste Kapelle des Südquerhauses; sie sind heute voll- 
ständig von modernem Mauerwerk umgeben und wirken in ihrer Isolierung wie ein 
paar riesige Museumsobjekte. Die losen Fundstücke sind in einem Musée Martinien 
vereinigt worden, das sich neben der zuletzt genannten Kapelle in einem unerleuch- 
teten Raum befindet, wo man sich zur Arbeit eine Wachskerze anzünden muß. 
Das sind also neben den beiden genannten Türmen die einzigen Reste der alten 
Basilika, die der Archäologe heute noch studieren kann. Im übrigen ist man an- 
gewiesen auf die von Chevalier und Ratel veröffentlichten Pläne und Photo- 
graphien, ihre Beschreibung und Interpretation. 

Wenn ich diesen ersten Teil meines Berichtes etwas länger ausgeführt habe, so 
war das notwendig, um begreiflich machen zu können, unter welchen Bedingungen 
und Voraussetzungen die verschiedenen Arbeiten entstanden sind, die an diese 
letzten Ausgrabungen ankniipften. Sie sind verhältnismäßig sehr zahlreich, und 
jede von ihnen hier zu analysieren wäre nicht nur unmöglich, sondern auch ohne 
sonderliche Bedeutung für unsere Zwecke?) Es wird genügen, wenn ich die 
wesentlichen Meinungen da anführe, wo ich mich selbst zur Sache äußere, und so 


(1) St. Ratel, Les Basiliques de St. Martin de Tours, Brüssel 1886. 

(2) Damit man nachprüfen könne, nenne ich hier die wichtigeren Arbeiten und zwar chronologisch geordnet: 
C. Chevalier, Les fouilles de St. Martin de Tours, Tours 1888. Pläne! 

G. Dehio, Die Basilika des heiligen Martin in Tours, und ihr Einfluß auf die Entwicklung der kirch- 
lichen Bauformen des Mittelalters. Jahrb. der Kgl. Preuß. Kunstsamml. 1889, Bd.X, р. 13. 

St. Ratel, Les basiliques de St. Martin de Tours, Supplément, Paris 1890. 

C. Chevalier, Les fouilles de St. Martin de Tours, note complémentaire, Paris 1891. 

St. Ratel, Les basiliques de St. Martin de Tours, note supplémentaire, Paris 1891. 

К. de Lasteyrie, L’église St. Martin de Tours, Paris 1891. Extrait des Mém. de l’Académie des Ins- 
criptions et Belles-Lettres, t. 34,1. 

C. Chevalier, Le plan primitif de St. Martin de Tours. L’ami des Monuments et des Arte, 1892; Bd. VI, p. 131. 
G. Dehio, Zwei Probleme zur Geschichte der Anfänge des romanischen Baustils, Repertorium für Kunst- 
wissenschaft 1893, Bd. XVI, p. 217. 

Ch. de Grandmaison, Résultat des fouilles de St. Martin de Tours en 1886; Bibl. de l’Ecole des 
Chartes 1893, Bd. LIV. 

St. Ratel, Revue rétrospective des travaux occassionnés par les fouilles. Mém. de la Soc. archéolog. 
de Touraine 1897. 

Die äußere Geschichte des Stiftes berichtet: E. R. Vaucelle, La collégiale de St. Martin de Tours (397 
bis 1328), Mém. de la Soc. archéol. de Touraine 1907, t. XLVI. Archiologisch unbedeutend. 


136 


eine mehr systematische Anordnung die Klarheit des Ganzen unterstützen kann. 
Nur sei hier kurz vorausgeschickt, daß zunächst, wie ja zu erwarten war, Cheva- 
lier und Ratel abweichende Ansichten äußerten und z. T. heftig aneinanderge- 
rieten, bis im Jahre 1891 vor dem Institut de France Robert de Lasteyrie gegen 
beide Stellung nahm. Er erklärte, daß die ältesten Fundamente des Chorumganges 
nicht, wie Chevalier wollte, dem Bau des Perpetuus aus dem 5. Jahrhundert an- 
gehörten, sondern erst nach dem letzten Einfall der Normannen im Jahre 903 ent- 
standen sein könnten. Seitdem haben trotz der Gegenschriften von Chevalier 
und Ratel alle Archäologen seine Meinung vertreten. 

Gehe ich jetzt zur Sache selbst über, so muß zunächst festgestellt werden. daß 
trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die zwischen Chevalier und R. deLasteyrie 
bestanden, sie doch gerade in Dingen übereinstimmten, die notwendig für den einen 
wie den andern die erste und hauptsächlichste Basis aller weiteren Untersuchungen 
abgeben mußten. Es scheint nämlich, als habe R. de Lasteyrie die Ansicht Che- 
valiers ohne weiteres übernommen, wenn er sagt, die jüngsten Fundamente seien 
ein Werk des 13. Jahrhunderts, und die nächstältesten im Anfang des 11. Jahrhunderts 
vom Thesaurarius Herveus ausgeführt. 

Es ist von vornherein klar und bedarf keiner Erläuterung, daß man bei der 
Altersbestimmung von verschiedenen, übereinanderliegenden Fundamenten sich zu- 
nächst an die jüngsten halten und dann allmählich, so wie man in den Boden 
hinabsteigt, Schritt für Schritt die Jahrhunderte rückwärts verfolgen muß. Nichts 
kann somit von so ausschlaggebender Wichtigkeit sein, wie die exakte Feststellung 
und Begründung des Alters, das man den ersten gefundenen Schichten zuschreiben 
will. Der grobe methodische Fehler Chevaliers, der den Leser sofort mit einem 
großen Sprunge in das 5. Jahrhundert versetzte, liegt auf der Hand, und das nur 
sehr geringe Interesse, das er den jüngsten, aber zunächst wichtigsten Schichten 
entgegenbrachte, konnte ihn nur noch verstärken. 

Ich will nun zeigen, daß die oben genannten Voraussetzungen z.T. irrtümlich sind, 
und wir wenden uns zu diesem Zwecke jenen zuerst aufgedeckten Resten der 
beiden jüngsten Martinsbasiliken zu. Die erste Schicht, die auf unserem Plane mit 
einer weiten Kreuzschraffierung versehen ist, entspricht genau dem Chorgrundriß 
auf dem Plan Jacquemins von 1779. Dieser Plan zeigt auf den ersten Blick, daß 
der Chor und das Schiff zwei verschiedenen Bauperioden angehören: ersterer ist 
ein Erneuerungsbau, der breiter und geräumiger werden sollte als die ursprüngliche 
Anlage, so daß seine Pfeiler außerhalb der Achsen der Schiffspfeiler liegen und die 
äußere Wand des Umganges, an die die Kapellen sich anlegen, gegen die Quer- 
hauswände an einem Punkte stößt, wo das augenscheinlich nicht vorgesehen war. 
Es ist nicht zweifelhaft, daß dieser Bau dem 13. Jahrhundert angehört; vor allem 
die sehr charakteristische Form der hochgotischen Pfeilergrundrisse, wie die lang- 
gezogenen Widerlager zwischen und an den Kapellen weisen darauf hin. Man 
kann noch weiter gehen und wenigstens annähernd die Periode umgrenzen, der er 
seine Entstehung verdankt. Die Form der Kapellen und ihre Verbindung mit dem 
Umgang ist eigenartig, überhaupt sind doppelte Umgänge nicht allzuhäufig. Zwar 
sind die Wölbungen in den Plan von Jacquemin nicht eingezeichnet, aber ihre 
Ergänzung ergibt sich von selbst und ungezwungen, wenn man beachtet, wie den 
großen Pfeilern zwischen den beiden Umgängen außen jedesmal das stärkste 
Widerlager entspricht, zwischen ihnen also die Hauptgurtbogen eingespannt gewe- 
sen sein müssen; die Pfeiler an den Kapelleneingängen werden, nach ihrer Struktur 
zu urteilen, die Diagonalrippen aufgenommen haben. Vergleicht man mit diesem 


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Abb. 2. Plan der Ausgrabungen vom Jahre 1886, mit Benutzung der Maße des Planes von Parcq bei 

Chevalier, Les fouilles de St. Martin de Tours, Tours 1888. Links unten Querschnitt nach a-b des 

Planes. — Kreuzschraffiert: die Reste vom Chor des 13. Jahrhunderts (zur Vervollständigung siehe den 

Plan von Jacquemin). Längsschraffiert: die Reste der Basilika des 12. Jahrhunderts: die aufgehenden 

Mauern eng, die Fundamente weit. Schwarz: die Reste der Basilika des Herveus. Weiß: eine Ver- 
stärkungsmauer, wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert. 


vervoliständigten Plan den Grundriß des Chores der Kathedrale von Bourges, so 
ist die Übereinstimmung ohne weitere Erörterung schlagend: der Plan von St. Martin 
scheint entwickelter, denn die Kapellen haben bereits eine größere Selbständigkeit 
erlangt, während sie in Bourges sogar ursprünglich nicht vorgesehen waren!). Der 
Chor von Bourges ist in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts erbaut und muß 
1218 bereits fertig gewesen sein?). Wir werden also zunächst schon durch die 
bloße Vergleichung auf die beiden ersten Dezennien des 13. Jahrhunderts als Er- 
bauungszeit für den Chor von St. Martin geführt. Was die Geschichte des Kollegiat- 
stiftes von St. Martin berichtet, weist auf dieselbe Periode. Die Wende des 12. und 
13. Jahrhunderts war für die ganze Touraine eine Zeit der wildesten Kriegsstürme. 
Schon 1194 brach Richard І, König von England, in die Umgegend ein, vertrieb 
die Kanoniker von St. Martin und raubte ihr Stift aus. Es wird nicht ohne Zer- 
störungen dabei abgegangen sein, doch war das nur der Anfang von viel größeren 
Übeln. Im Jahre 1202 nahm Philipp August die Stadt ein und verbrannte sie zum 
Teil; galt dies Unternehmen mehr der eigentlichen Stadt als dem „castrum novum“, 
in dem das Martinsstift hinter seinen Mauern lag, so hausten nach dem Abzüg der 
Franzosen die Engländer unter Johann ohne Land weit ärger und verwandelten am 
29. August die ganze Neustadt in einen rauchenden Triimmerhaufen. Zahlreich 


(1) cf. Buhot de Kereers im Bulletin Monumental 1874. 
(3) Amédée Boinet, La Cathédrale de Bourges, Paris 1911, p. 11,12. Dort auch gute, farbige Pläne. 


138 


sind die Quellen, die davon berichten!), besonders lebhaft schildert der Autor des 
Chronicon Turonense Magnum?) das Entsetzen der in der sicher auch schwer be- 
schädigten Kirche zusammengedrängten Bevölkerung. Die Basilika des heiligen Martin 
blieb bestehen, aber die Verwüstungen sind so arg gewesen, daß man später zu 
einer vollständigen Erneuerung des Chores schreiten mußte. 

Bis hierher bin ich also einer Meinung sowohl mit Chevalier wie mit Robert 
de Lasteyrie — ‘aber nun beginnen auch die Schwierigkeiten. Dieser eben be- 
sprochene Neubau aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, eine Kopie des Chores 
der Kathedrale von Bourges, ist an Stelle einer älteren Anlage getreten. Deren 
Mauerreste sind mit einem Niveauunterschiede von 1,15 m gegenüber dem gotischen 
Chore aufgefunden worden. Sie bilden einen Teil eines nur einschiffigen Chorum- 
ganges mit Kapellenkranz, und außerdem zwei Kapellen von der Ostseite des siid- 
lichen Querhauses; man findet sie auf dem Plan mit einer Horizontalschraffierung 
bezeichnet. Teile von ihnen sind in den oben genannten zwei Kapellen noch 
sichtbar, doch will ich die technischen Auseinandersetzungen erst weiter unten 
bringen, da sie uns vorläufig nicht weiterhelfen und die eigentlichen Hauptfragen 
nur trüben könnten, indem ich hier nur als wichtig betone, daß es sich um eigent- 
liche Fundamente, wie um nicht unbeträchtliche Massen von aufgehendem Mauer- 
werk handelt. Der wesentliche Charakter dieser Mauerzüge besteht darin, 
daß sie sich auf das allergenaueste mit dem Grundriß des Querhauses 
und Schiffes auf dem Plan von Jacquemin verbinden lassen. Es wäre also 
das natürlichste von der Welt, sie als gleichzeitig mit diesen Westteilen der Basi- 
lika entstanden zu denken. Allein das ist keineswegs die Meinung von Chevalier 
und R. de Lasteyrie. Dieser sagt: „Die Mauerzüge gehören sicher den Bauunter- 
nehmungen des Herveus an. Die Art, in der der Mauerverband gehandhabt ist, 
wie der Platz, den sie einnehmen, gerade unter denen des 13. Jahrhunderts, machen 
die Sache sicher“*). Er setzt sie also in den Anfang des 11. Jahrhunderts, wäh- 
rend Querhaus und Schiff in eine Periode des 12. Jahrhunderts gehören, die wir 
noch näher zu bestimmen haben werden. Natürlich ist R. de Lasteyrie die sehr 
nahe Beziehung unserer Schicht zu den Westteilen der Kirche gleichfalls aufge- 
fallen, aber er zieht nun merkwürdigerweise den Schluß, diese möchten auch ihrer- 
seits dem Bau des Herveus angehören, doch hat er nichts einzuwenden, wenn 
Chevalier sie erst dem 12. Jahrhundert zuweisen will, wie er sagt der Zeit um 
1125. Dies letzte Datum, wie die alleinige Berufung auf Guillaume de Nangis, läßt 
mich vermuten, daß К. de Lasteyrie für die Baugeschichte des 12. Jahrhunderts 
seine Ansichten nur aus Chevaliers Angaben geschöpft hat. 

Welcher Periode muß in Wahrheit der Bau von Querhaus und Schiff zu- 
geschrieben werden, die beide höchstwahrscheinlich eine einheitliche Bauunter- 
nehmung bildeten, trotz der etwas abweichenden Formen der Pfeilergrundrisse? 
Daß diese unmöglich in die ersten Jahre des 11. Jahrhunderts fallen kann, lehrt 
schon ein Blick auf den Plan, dessen großartige fiinfschiffige und zudem auf Ge- 
wölbe berechnete Anlage keinesfalls einer so frühen Zeit angehört; auch der ent- 
wickelte Plan der Pfeiler weist mit Bestimmtheit auf das 12. Jahrhundert, als dessen 
noch heute redende Zeugen man sofort die Tour Charlemagne wie die paar Reste 
des nördlichen Querhauses erkennt, die unter ihrem Schutz noch dastehen. Eine 


(1) Gesta Philippi Augusti auctore Rigordo magistro und Quillelms Armoricus de gestis Philippi Augusti 
bei Bouquet XVII, p. 41, 55, 76. 

(2) ed. Salmon, Chroniques de Touraine, Tours 1854, p. 148. 

(3) R. de Lasteyrie, op. cit. р. 12, 13. 


139 


nähere Umgrenzung des Alters gestatten in eindeutiger Form die schriftlichen Nach- 
richten. 

Es ist hier die Bemerkung am Platze, daß wir über die Baugeschichte von 
St. Martin im allgemeinen vorzügliche Quellen besitzen; es gibt nicht allzuviele 
Kirchen, die sich in dieser Hinsicht mit unserem Bau messen könnten, ja in einer 
Beziehung nimmt die Überlieferung sogar einen hervorragenden Platz ein: wir 
haben vom Ende des ı2. Jahrhunderts eine vollständige Baugeschichte der Kirche, 
die in fortlaufender Erzählung von den Anfängen des Stiftes bis zu den zeitgenös- 
sischen Bauunternehmungen des Schreibers berichtet, und zwar in der ausge- 
sprochenen Absicht, über diese vornehmlich Aufklärung zu geben, während wir 
sonst nur allzuhäufig unsere Baunachrichten Quellenpartien entnehmen, die den 
Charakter von nebensächlichen Notizen tragen. Es ist das ein Brief, den um das 
Jahr 1190 der Dekan, der Schatzmeister und das Kapitel von St. Martin an den 
Erzbischof Philipp von Heinsberg in Köln richteten!). Dieser hatte sich nach den 
Reliquien des heiligen Martin, seinem Kult und seiner Basilika in Tours bei ihnen 
erkundigt, und sie geben ihm nun darüber Auskunft, die beste und zuverlässigste 
fraglos, die damals überhaupt zu haben war. 

Für unsere Frage interessiert uns dieser Brief besonders, denn er stellt eine 
zeitgenössische Quelle dar, die im Stift selbst abgefaßt ist. Es ist hier nötig, dar- 
aus auch gleichzeitig das anzuführen, was sich auf den älteren Bau des Herveus 
bezieht: „Dein parvo succedentium annorum elabente circuitu, circa Verbi humanati 
millesimum tertium, vel secundum quosdam sextum, domnus Herveus, superbi san- 
guinis altitudine, reditibus et divitiis gloriosus et, quod amplius est, pia?) religiosi 
animi Deo sanctoque pontifici obligatus, et aulae eius archiclavus, eamdem aulam 
longo senio et crebris barbarorum concussionibus incendiisque et imbrium infusioni- 
bus iam fatiscentem, iactans in Domino cogitatum suum, a fundamentis eruit et 
magnis impendiis, Francorum primoribus certatim se iuvantibus, in hunc qui hac- 
tenus perduravit statum incomparabili secundum aedificia quae tunc temporis 
fiebant venustate infra vicennium consummavit, et anno ab incarnatione Domini 
MXIIII!°®), tempore incliti et in Deum piissimi regis Roberti a domno Hugone, venera- 
bili Turonensium archipraesule, adstantibus totius regni episcopis et principibus in 
magna gloria, eo die quo et prior dedicata fuerat, consecrari fecit. Qua scilicet con- 
secratione festive completa, ante missarum solemnia corpus patronis cum arca sua 
gemmata et aurea a capella claustrali in qua per illos vigintos annos iacuerat educ- 
tum in novam basilicam cum multa reverentia introduxit et in loco quo cernitur 
sub ciborio argenteo decenter composuit. Sed et hos limites tanti huius operis 
nostra et civium excessit devotio, et idem archiconfessoris palatium, 
quibusdam in locis manentibus, quibusdam in locis evulsis prioribus 
fundamentis, in hanc fastigiorum celsitudinem quae hodie prae oculis 
est, Deo nos per eius merita iuvante extulimus“ ). 

Man sieht, hiernach kann keine Unklarheit mehr herrschen. Der Bau des Her- 
veus aus den ersten Jahren des 11. Jahrhunderts, zweifelsohne eine flachgedeckte 
Anlage, hat bis nach Mitte des 12. Jahrhunderts bestanden. Der Ehrgeiz des Ka- 


(х) Analecta Bollandiana Ш, 1884. р. 221 ff. 

(2) Zu erginzen etwa devotione. 

(3) Im Text der Vorlage steht MCXIII, es muß fraglos wie angegeben heißen. 

(4) Die hier verwendeten Ausdrücke haben einen fast typischen Charakter zur Bezeichnung eines Neu- 
baues; cf. Gesta Episc. Autissiodorensium, c. 36 (bei Duru): „Basilicam S. Johannis B. post defectum 
veteris ab imis extruens fundamentis, in sublime fastigium extulit“. 


140 


pitels, wie die immer wachsende Verehrung der Gläubigen erforderten einen Neu- 
bau, dessen Herrlichkeit die eigenen Erbauer trotz aller zuriickhaltenden Beschei- 
denheit doch wenigstens mit ein paar Worten erwähnen. Das was hier von den 
Fundamenten gesagt wird, zeigt ohne weiteres, daß es sich um eine im wesent- 
lichen voliständige Erneuerung handelte, bei der nur gerade ein Teil der alten 
Fundamente erhalten blieb, eben wie die Ausgrabungen lehren, die des Chores. 
Sie bildeten hier die Hauptstütze der neuen Anlage, so daß man sich damit be- 
gnügen konnte, an neuen Fundamenten nur eine mäßig starke Mauer in einer 
Höhe von noch nicht einem Meter zu ziehen, auf der dann das aufgehende Mauer- 
werk in fast gleicher Stärke ruhte. Wenn der Chor aus dem Bau des Herveus 
beibehalten wäre, würde unser Autor sich bestimmt nicht so ausgedrückt haben, 
wie es geschieht; auch sachlich wäre eine solche Annahme nicht zu verstehen, 
denn man wird sich im Chor, dem allerheiligsten und wichtigsten Teil der ganzen 
Kirche, nicht mit Flickwerk haben begnügen wollen. In weichem Jahre die 
Arbeiten begonnen wurden, zeigt uns eine zweite Quelle, in der es heißt: „Anno 
denique Verbi MCLXXV, nobiles et eximii burgenses ecclesiam saepe nominati an- 
tistis Martini, igne crematam et nimia vetustate confectam, aedificare et 
nobili fastigio revocare coeperunt“!). Da hier von Bränden gesprochen wird, 
muß ich hinzufligen, daß es sich um Brände handelt, die sich 1122 und 1095 er- 
eignet hatten, wie der Schreiber ausdrücklich kurz vorher erwähnt. Was hier ge- 
sagt wird, stimmt in allem und vornehmlich in der Zeitangabe mit der oben 
genannten Quelle vortrefflich überein. 

Das Gebäude, um das es sich bei diesen gleichlautenden Nachrichten handelt, 
zeigt der Pian von Jacqemin, bei dem jedoch durch den gotischen Neubau der 
dazugehörige Chor ersetzt ist. Daß dieser durch die oben genannte zweite Schicht 
bezeichnet wird, kann nach allem, was wir ausgeführt haben, nicht gut zweifelhaft 
sein. Um das festzustellen bedarf es keines sonderlichen Scharfsinnes, und R. de 
Lasteyrie wäre nicht fehl gegangen, wenn er nicht durch ein äußerst merkwür- 
diges Verfahren Chevaliers in die Irre geleitet wäre. Dieser hat es sich die 
größte Mühe kosten lassen, die unzweideutigen Quellenaussagen mißzuverstehen, 
um einen sehr milden Ausdruck zu gebrauchen. Auf Seite 110, Anm. 1 seiner Schrift 
wird unsere erste Quelle zitiert, und zwar zunächst die Stelle des Briefes, die sich 
auf den Bau des Perpetuus aus dem 5. Jahrhundert bezieht, es folgt dann eine 
Reihe Punkte, wo alles das weggelassen ist, was direkt vom Bau des Herveus ge- 
sagt wird und weiter werden die Bemerkungen angeschlossen, die vom Neubau des 
12. Jahrhunderts berichten. Durch die Reihe Punkte täuscht nun Chevalier dem 
Leser vor, diese letzten Äußerungen bezögen sich auf den Bau des Herveus, und 
im Text wird dann auch kühn der interessante Passus von den Fundamenten auf 
den Bau des Herveus interpretiert. Das war aber Chevalier noch nicht genug; 
auf Seite 118 wird dies Verfahren fortgesetzt, und eine Reihe von Punkten, die 
diesmal jene wichtige Nachricht vom Zurückgehen bis auf die Fundamente unter- 
drückt, dient dazu, die Äußerung „quae hodie prae oculis est“ auf den Bau des Her- 
veus zu beziehen, während sie in Wahrheit zum Neubau des 12. Jahrhunderts ge- 
hört. Und so kann denn Chevalier erklären, daß der Neubau des gotischen 
Chores an Stelle des Baues aus dem Anfang des тт. Jahrhunderts getreten sei, und 
die zweitjüngste Schicht dieser Periode zuschreiben: eine Behauptung, der leider 
alle Glauben geschenkt haben. Um seine Mißverständnisse vor allzu früher Auf- 


(1) De commendatione Turonicae Provinciae, bei Salmon, Chroniques de Touraine, р. 302. Wahr- 
scheinlich abgefaßt von Jean de Marmoutier um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts. 


141 


klärung zu bewahren, tut er so, als sei die Quelle nur handschriftlich in der Biblo- 
thek zu Tours vorhanden, während sie in Wahrheit schon 1884 in den Analecta 
Bollandiana erschienen war. 

Robert de Lasteyrie sprach indes auch von der Technik des Mauerverbandes, 
die großen Fugen schienen ihm für eine relativ frühe Periode charakteristisch zu 
sein. Ich gehe noch weiter unten auf ähnliche Fragen ein, doch sei hier schon 
der Vollständigkeit halber und zur Sicherstellung unseres ersten und wichtigsten 
Resultates gesagt, daß es nicht angeht, alle Bauten, wo sich breite Mörtelschichten 
zwischen den Steinlagen zeigen, dem тт. Jahrhundert zuzuweisen. Mein Urteil 
möchte hier parteiisch erscheinen, und so will ich mich begnügen, eine Äußerung 
von E. Lefèvre-Pontalis, eines Meisters in dieser Materie, anzuführen, obwohl 
man das dort genannte Beispiel noch um viele andere bereichern könnte. Er sagt 
von der Westvorhalle von St. Benoit-s.-Loire: „Ich habe niemals die Meinung der 
Archäologen geteilt, die ihre Erbauung dem Abt Gauzlin zugeschrieben haben, um 
1022, indem sie sich beeinflussen ließen durch jene großen Fugen, die im Anjou 
und Poitou während des ganzen 12. Jahrhunderts im Gebrauch sind“). 

Ist somit das Alter der beiden jüngsten Schichten von St. Martin festgestellt, die 
dem ersten Viertel des 13. und der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts angehören, 
so kann auch kein Zweifel mehr bestehen, in welche Zeit die dritte und älteste 
Schicht gehört: sie ist der Rest vom Bau des Herveus, der in den ersten Jahren 
des rr. Jahrhunderts ausgeführt wurde. 

Doch wollen wir uns bei diesem Schlusse nicht beruhigen, ich will vielmehr 
zeigen, daß auch, abgesehen von dem eben Ausgeführten, diese Mauern nach allem, 
was wir mit Sicherheit sagen können, nur dem Herveus zugeschrieben werden 
dürfen und daß die Behauptung Lasteyries, sie sei ein Werk der Bauunterneh- 
mungen nach dem letzten Normanneneinfall von 903, unter allen Umständen irr- 
tümlich ist. Erst dann nämlich, wenn sich unsere Aufstellungen von beiden Rich- 
tungen gegenseitig unterstützen, kann ich das Gebäude unserer Schlußfolgerungen 
als auf unerschütterlich festen Grundlagen ruhend anerkennen. 

Wir müssen dazu die Geschichte des Herveischen Baues etwas näher betrachten. 
Nach der Annahme von R. de Lasteyrie und Chevalier, die ihm bekanntlich die 
zweitjüngste Schicht gleichsetzen, würde sich der Chor der Kirche vollständig auf 
älteren Fundamenten aufgebaut haben, und zwar so, daß der Neubau im Plan nichts 
anderes dargestellt hätte als eine fast genaue Kopie seines Vorgängers. Diese 
Meinung nun steht im vollständigsten und unüberbrückbarsten Gegensatz zu allen 
gesicherten zeitgenössischen, wie traditionellen Nachrichten. 

Im allgemeinen geht zunächst aus allem, was uns berichtet wird, hervor, daß der 
Bau des Herveus etwas außerordentliches war, der damals kaum seinesgleichen 
hatte. Die Quellen beschränken sich indes nicht auf diese allgemeinen Ausdrücke, 
sondern berichten Einzelheiten, die für uns von großem Wert sind. Es heißt, der 
Bau sei größer und weiter gewesen als der frühere, und es wird ausdrücklich er- 
klärt, er habe sich auf neuen Fundamenten erhoben. Das steht nicht nur ein- 
mal da, sondern ist die allgemeine Überlieferung des Mittelalters. Als Zeitgenosse be- 
richtet zunächst Rodulphus Glaber davon. Ich weiß sehr wohl, daß man viele 
Einwendungen gegen diesen Autor erhoben hat. Sein Werk besteht aus Einzel- 
notizen, deren Zusammenstellung eine klare systematische Anordnung stark ver- 
missen läßt. Darum ist aber der Wert der Einzelnotizen an sich nicht geringer, 


(x) Bulletin Monumental 1911, р. 18. 


142 


und für den, der weniger die politische als vornehmlich die geistige Geschichte 
des Mittelalters untersucht, haben sie sogar eine außerordentliche Bedeutung da- 
durch, daß sie zum großen Teil auf persönlichen Eindrücken des fraglos viel und 
weitgereisten Autors beruhen. Er scheint auch Herveus gekannt zu haben, denn 
er legt ein nicht gewöhnliches Interesse für ihn an den Tag. Jedermann kennt die 
schönen, poetischen Sätze, in denen er von der Flut neuen Lebens berichtet, die 
die Baukunst im Beginn des 11. Jahrhunderts erfaßte !). Es ist nun sehr charakte- 
ristisch, wie er als erstes Beispiel für diese Bewegung gerade den Neubau des 
Herveus in Tours nennt. Und im einzelnen berichtet er davon folgendes: „Prete- 
rea vir Deo plenus mente concepit, ut ecclesiam, cui custos adscitus fuerat, ampli- 
oris altiorisque totius operis corpore sublimaret. Sancto itaque Spiritu 
se docente designavit latomis incomparabilis iactare fundamentum operis 
quod ipse, ut optaverat, ad perfectum duxit“. Und in der Brevis Historia S. Juliani 
Turonensis, einer Chronik, die zwischen 1054 und 1076 geschrieben sein wird und 
den fraglichen Ereignissen noch ganz nahe steht, heißt es: „Anno 994 monasterium 
Beati Martini satis spectabile igne crematum est. Pro quo Herveus thesaurarius 
sancti praesulis iacit fundamenta huius monasterii, quod hodieque superest“ ). 
Ahnliche Notizen finden sich in einer ganzen Reihe von Chroniken, besonders in- 
teressant sind dann die oben angeführten Nachrichten aus dem Brief der Kanoniker 
an Philipp von Heinsberg. Er ist zwar erst weit später geschrieben, indessen 
haben seine Verfasser nicht bloß aus der Tradition geschöpft und diese durch Zu- 
sätze bereichert, denn sie waren sicherlich in der Lage, in den Archiven ihres 
Stiftes ein Material heranzuziehen, das nur ihnen zugänglich war. Ich stehe des- 
halb nicht an, gerade diesen Brief für die denkbar zuverlässigste und wertvollste 
Quelle der Baugeschichte von St. Martin zu erklären. Ein schlagender Beweis für 
den Sachverhalt ist vornehmlich die vollkommene Übereinstimmung dieser ganz 
offenbar voneinander unabhängigen Nachrichten. Keine noch so spitzfindige Inter- 
pretation wäre in der Lage, die tiefe Kluft zu überbrücken, die zwischen dieser ein- 
heitlichen Überlieferung und der von R. de Lasteyrie vertretenen Meinung sich 
auftut. Denn wer könnte ernsthaft eine Erklärung unterstützen, die von der An- 
gabe der Chronisten gerade den Chor ausnehmen wollte, jenen Teil des Gebäudes, 
der das Grab des Heiligen deckte und auf die ganze Anlage den bestimmendsten 
Einfluß hatte? Man möchte weiter gehen und sagen Rodulphus Glaber habe vor- 
nehmlich an ihn gedacht, als er den Bau der Kirche als neu und unerhört pries, 
denn wie konnte bei der sicher flachgedeckten Anlage der Aufriß etwas so Außer- 
ordentliches bieten, zu einer Zeit, in der man gerade die ersten schüchternen Ver- 
suche machte, die langgestreckten Wände der Schiffe architektonisch zu gliedern, 
die Probleme einer Hochschiffswélbung aber doch noch in einiger Ferne lagen“). 
Ein Umgang mit Kapellenkranz rings um den Chor war damals indes zum minde- 
sten eine sehr seltene Anlage, und des Staunens wohl wert. 

Auch diese Nachrichten gestatten es also nicht, den Bau des Herveus mit der 
zweiten Schicht der gefundenen Mauerzüge gleichzusetzen; es ist allein die dritte 


(х) Historiarum liber Ш, cap. IV, ed. Prou, р. 62—64. 

(2) Salmon, Chroniques de Touraine, p. 229. 

(3) Die Frage nach den ersten Hochschiffsgewdlben in Frankreich ist nicht ganz einfach zu beantworten. 
Ich glaube, man wird das Tonnengewölbe im oberen Geschoß der Vorhalle von Tournus als erstes 
nennen können, das einigermaßen diesen Namen verdient. Es wird erst nach der Weihe von 1019 
entstanden sein. Im wahren Sinn des Wortes sind Hochschiffsgewölbe nicht vor den letzten Jahren 
des 11. Jahrhunderts ausgeführt, die ältesten, die wir kennen, in St. Etienne in Nevers, anno 1097 


geweiht. 
Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 4. її 143 


und älteste, die damit in Verbindung gebracht werden kann. R. de Lasteyrie 
wollte diese in den Anfang des то. Jahrhunderts setzen; obwohl die Unmöglichkeit 
eines solchen Verfahrens schon von zwei ganz verschiedenen Seiten her dargetan 
ist, will ich zum Schluß noch zeigen, daß eine solche Annahme, auch für sich be- 
trachtet, schwerwiegenden Bedenken gegenüber steht, indem sie der historischen 
Wahrscheinlichkeit, wie jeder Überlieferung zuwiderläuft. Ja, ich muß sogar er- 
klären, daß R. de Lasteyrie auch dann noch sich auf falschem Wege befunden 
hätte, wenn selbst alle seine soeben als irrtümlich erwiesenen Voraussetzungen 
sich einwandfrei begründen ließen. 


Es ist hier der Ort, die Gründe zu nennen, die R. de Lasteyrie ins Feld führte, 
um Chevaliers Behauptungen zu widerlegen, die sich ja auf den gleichen Voraus- 
setzungen aufbauten. Dabei sei vorausgeschickt, daß R. de Lasteyries ganze 
Demonstration sozusagen negativ war, indem sie zwar eine Anzahl Einwände gegen 
Chevalier erhob, es aber unterließ zu untersuchen, ob seine Annahme nun ihrer- 
seits mit der historischen Überlieferung in Einklang zu bringen sei. Und dieser 
Grund ist es wohl gewesen, der auch Dehio veranlaßte, trotzdem er R. de Lastey- 
ries Resultat übernahm, auszusprechen, dessen Gründe seien nicht absolut zwingend. 
Die Beweisführung de Lasteyries beruht auf der Darlegung folgender fünf Punkte: 
ı. Die Basilika des Perpetuus aus dem 5. Jahrhundert kann sich höchstens bis ins 
9. Jahrhundert hinein erhalten haben, denn die zahlreichen Normanneneinfälle haben 
nachher nicht einen Stein mehr davon bestehen lassen; 2. Die Annahme eines Chor- 
umganges mit Kapellenkranz ist unvereinbar mit den Nachrichten bei Gregor von 
Tours, der nur von einer Abside spricht und nicht von mehreren; 3. Sie ist ebenso 
unvereinbar mit dem, was wir über die Baukunst jener fern zurückliegenden Zeiten 
wissen; 4. Die aufgefundenen Fundamente selbst enthalten kein Kennzeichen des 
5. Jahrhunderts, bei ihrer Interpretation haben sich zudem Ratel und Chevalier 
in schwerwiegende Widersprüche verwickelt; 5. Quicherats Annahme eines Chor- 
umganges, wie der größte Teil seines Rekonstruktionsversuches, ist irrtümlich, und 
die Nachrichten Gregors von Tours zeigen die Kirche des heiligen Martin als eine 
normale Basilika mit gewöhnlichem Chore. 


Der sehr ungleiche Wert dieser Argumente ist einleuchtend; mit Ausnahme des 
ersten können sie gerade ausreichen, um wahrscheinlich zu machen, daß der Bau 
des Perpetuus keinen Umgang gehabt hat, aber niemals beweisen, daß nun die 
fraglichen Fundamente dem Anfang des то. Jahrhunderts angehören. Ja, manche 
der genannten Gründe können sogar mit dem gleichen Rechte gegen eine Datierung 
in das то. Jahrhundert wie gegen eine solche in das 5. Jahrhundert angeführt 
werden, denn auch aus jener Zeit kennen wir sonst durchaus keine Chorumgänge 
anderswo, und die Fundamente weisen auch nichts auf, das für die genannte Periode 
charakteristisch wäre. Es konzentriert sich also alles auf die am Anfang stehende 
Behauptung, der Bau des Perpetuus habe die Normanneneinfälle nicht überdauert. 

R. de Lasteyrie stützt sich hier vollständig auf die Untersuchungen von Mabille 
über die verschiedenen Einfälle der Normannen in die Touraine!) und nach deren 
Zusammenfassung schließt er kategorisch: „Man kann also versichern, ohne sich 
vor einem Irrtum fürchten zu müssen, daß alle diese aufeinanderfolgenden Wieder- 
herstellungen (,,restaurations“) die Basilika des 5. Jahrhunderts bis auf den letzten 
Stein haben müssen verschwinden lassen, lange bevor die Feuersbrunst von 997 


(1) E. Mabille, Les invasions Normandes, dans la Loire et les perégrinations du corps de St. Martin. 
Bibl. de (École des Chartes 1869, t. XXX, p. 149. Cf. Vogel, Die Normannen und das friinkische Reich. 


144 


einen Neubau notwendig machte“. Dieser Satz enthält schon einen argen Wider- 
spruch in sich selbst, denn Wiederherstellungen haben den Zweck eine ältere An- 
lage zu erhalten, mindestens ihre Fundamente, nicht aber sie bis auf den letzten 
Stein zu vernichten. Gehen wir dann zur These selbst über, so hat R. de Lastey- 
rie die Bedeutung und den Umfang der Arbeiten, zu denen die zahlreichen Einfälle 
nötigten, erheblich übertrieben. Natürlich ist es hier unmöglich, einzeln Jahr für 
Jahr die verschiedenen Ereignisse zu notieren und ihre Bedeutung für die Bauge- 
schichte von St. Martin ins rechte Licht zu rücken. Doch will ich zusammen- 
fassend einiges berichten, indem ich vorausschicke, daß sich unsere Kenntnisse 
vornehmlich auf Urkundennotizen und einige magere Angaben Karolingischer 
Annalenwerke, besonders der Annales Bertiniani stützen!). Nirgends wird da an- 
gegeben, daß die Kanoniker von St. Martin zu irgendeiner Zeit einen vollen Neubau 
unternommen hätten. Jede historische Wahrscheinlichkeit spricht vielmehr dagegen, 
denn alle Welt lebte damals in beständiger Furcht vor den unaufhörlichen, und in 
kurzen Abständen sich wiederholenden Raubzügen der nordischen Piraten; war so 
alle Unternehmungslust gelähmt, so fehlten andererseits auch die nötigen Mittel, 
um kostspielige Bauunternehmungen ins Werk zu setzen. Man wird froh gewesen 
sein, wenn es gelang, die Bauten wieder in einen leidlich brauchbaren Zustand zu 
bringen, mit sparsamer Beibehaltung alles dessen, was noch irgend zu verwenden 
war. Denn es kann als sicher betrachtet werden, daß die Normannen keinesfalls 
die Kirchen jedesmal bis auf den Boden hin abrissen. Das ist ausdrücklich be- 
zeugt: beim ersten Einfall von 853 z. B. flüchten die Kanoniker mit ihren Kostbar- 
keiten und den Reliquien des heiligen Martin nach Cosmeri, aber schon im folgen- 
den Jahre sind sie zurück, und es wird in einer Urkunde ausdrücklich erwähnt, 
daß der Körper des heiligen Martin wieder an seinem Platze in der Kirche ruhe. 
Das ist mit einem Neubau nicht zu vereinigen. Geradeso geht es bei einer Anzahl 
weiterer Einfälle zu. Längere Zeit ruht der Heilige erst nach dem Einfall von 872 
außerhalb Tours, wie es scheint bis zum Jahre 885, doch auch hier werden schon 
878 in der Kirche Schenkungsakte vorgenommen und Gottesdienste abgehalten. Ich 
könnte diese Liste fortsetzen, doch genügt es, wenn ich noch auf den letzten Ein- 
fall von 903 zu sprechen komme, den R. de Lasteyrie besonders hervorhob. 
Damals ruhte schon seit 887 der Körper des Heiligen nicht in seiner Kirche, son- 
dern in Tours selbst; es war das nur eine Vorsichtsmaßregel, denn im Jahre 898 
wird ausdrücklich die Basilika und der Gottesdienst, der in ihr gefeiert wird, er- 
wähnt. Man trug den kostbaren Schatz auch nicht eher wieder an seinen eigent- 
lichen Platz, bis nicht die Befestigung der Neustadt, in der die Basilika lag, beendet 
war. Die wesentlichste Bautätigkeit dieser Zeit erschöpfte sich in der Erbauung 
dieses castrum novum, da man endgültig allem Unheil ein Ziel setzen wollte durch 
Aufführung regelrechter Mauern rund um den Stiftsbezirk. Häufig geschieht dieser 
Arbeiten Erwähnung, aber auch nicht mit einem Worte wird angegeben, daß die 
Kirche ganz neu erbaut sei, die wenigen Nachrichten, die wir haben, legen viel- 
mehr eine Restauration nahe); und so scheint mir Mabille durchaus das Richtige 
getroffen zu haben, wenn er sagt, daß am 12. Mai 919 der Körper des heiligen 


(1) E. Mabille, La Pancarte Noire de St. Martin de Tours, brilée en 1793 restituée d’apres les textes 
imprimés et manuscrits. Tours 1866. — Annales Bertiniani, ed. Waitz, Hannover 1883. 

(2) Vornehmlich interessant ist der Brief, den König Alphons von Spanien an die Kanoniker richtete; 
siehe die Inhaltsangabe bei Mabille, Pancarte Noire, р. 112. Vollständig bei Monsnyer, Historia cele- 
berrimae eccl. 8. М. 1663, р. 172 des unvollendeten Drucks (Paris, Bibl. Nationale). Von der Kirche wird 
da gebraucht „munire“ und „instaursre“. 


145 


Martin wieder in seine „alte restaurierte Kirche“ zurückgebracht worden sei. 
Warum gerade in dieser Schlußfolgerung R. de Lasteyrie von Mabille abwich, 
vermag ich nicht zu erklären, doch will ich gerne zugeben, daß die nur allzu 
knappen Angaben, aus denen man in dieser Frage sich sein Urteil bilden muß, 
nicht allzuviel Präzisierung vertragen’). 

Anders und besser steht es in dieser Hinsicht aber mit einer zweiten Reihe von 
Überlieferungen, die sich zunächst auf den Bau des Herveus beziehen, doch bei 
dieser Gelegenheit nicht versäumen, auch einen Blick weiter rückwärts zu tun. Es 
wird nämlich allgemein und ausnahmslos versichert, daß der Bau des Herveus 
an Stelle der Basilika des Perpetuus getreten sei, die sich bis dahin er- 
halten habe. Es ist wahr, diese Chronisten aus dem 11. und 12. Jahrhundert 
waren keine Archäologen und mußten sich zudem auf ältere Gewährsmänner 
stützen, die den Bau des Perpetuus noch gekannt hatten. Doch wird bei dieser Ge- 
legenheit ein bestimmtes Detail berichtet, bei dem unmöglich ein Irrtum unterge- 
laufen sein kann, da es auf der Festtradition der Kirche beruht. Rodulphus Glaber, 
der vermutlich Herveus selbst gekannt hat, wie ich schon oben sagte, berichtet von 
der Weihe des Neubaues und zur Bestimmung des Datums sagt er: „Venerabatur 
enim eodem die preteritae dedicatio basilicae, quarto videlicet nonarum 
mensis Julii“ ). Am 4. Juli war aber seiner Zeit nach dem Zeugnis Gregors von 
Tours die Kirche des Perpetuus im 5. Jahrhundert geweiht worden*). Diese muß 
sich also tatsächlich trotz aller Restaurationen bis zum Ende des 10. Jahrhunderts 
erhalten haben. Wollte man R. de Lasteyries Behauptung verteidigen, so müßte 
angenommen werden, daß bei dem angeblichen Neubau von 903 und bei allen noch 
vorangehenden Restaurationen, die keinen Stein vom Bau des Perpetuus übrigge- 
lassen haben sollen, immer gerade der 4. Juli als Weihetag innegehalten sei; es 
müßte dann am Anfang des 11. Jahrhunderts eine feste Tradition darüber bestanden 
haben, der auch Herveus sich unterwarf. Wäre eine solche nun tatsächlich vor- 
handen gewesen, so würde Rodulphus Glaber darauf und nicht auf einen be- 
stimmten Einzelfall hingewiesen haben. Diese Nachricht, die auch sonst häufig 
wiederholt wird, muß als durchaus ausschlaggebend bezeichnet werden; die Glaub- 
würdigkeit und Zuverlässigkeit der übrigen Angaben wird damit in ein gutes Licht 
gerückt und man hat durchaus keinen Grund zu zweifeln, wenn die Kanoniker an 
Philipp von Heinsberg schreiben, erst Herveus habe die alte Basilika des 
Perpetuus endgültig abgerissen, die reichlich mitgenommen gewesen sei durch 
die häufigen Einfälle der Normannen und die Stürme langer Jahrhunderte. Gerade 
dieser Hinweis auf den traurigen Zustand, in dem sich das alte Gotteshaus befand, 
mit der ausdrücklichen Betonung, es sei das der Wut der Normannen zu danken 
gewesen, erscheint mir in diesem Zusammenhang besonders wertvoll, denn er legt 
dar, daß die Schreiber die Geschichte ihrer Kirche ausgezeichnet kannten und ganz 
genau wußten, was für eine Rolle die Normannen darin gespielt hatten. 

Es muß als sicher hingestellt werden, daß die Basilika des Perpetuus, entstanden 
gegen Ende des 5. Jahrhunderts, sich wenigstens in der wesentlichen Disposition 
trotz aller Ausbesserungen bis zum Ausgang des ro. Jahrhunderts erhalten hat. Erst 


(x) Es ist ein durchaus unzuverlässiges Verfahren, aus Urkundennotizen auf das tatsächliche Vorhanden- 
sein oder Nichtvorhandensein der Reliquien schließen zu wollen; es sind das meist formelhafte Wen- 
dungen bestimmter Kanzleien. Mabilles Untersuchungen müssen deshalb äußerst vorsichtig benutzt 
‘werden. 

(2) Historiarum liber III, cap. 4, ed M. Prou p. 64. 

(3) Historiae Francorum liber III, cap. 14. SS.Mer.I, 82. 


146 


Herveus entschloß sich nach einem neuen Brande, der sich im Jahre 997 ereignet 
hatte, des Flickwerks jetzt genug sein zu lassen und einen Neubau in einer durch- 
aus glänzenden, ungewöhnlichen Anordnung auf neuen Fundamenten aufzuführen. 


Die langen Jahre des Friedens hatten den Wohlstand des Stiftes außerordentlich 


vermehrt, so daß ihm schier unermeßliche Schätze zur Verfügung standen und 
nichts den kühnen Flug seiner Ideen hemmte. Daß nur ihm jene letzte und dritte 
Schicht zugeschrieben werden kann, glaube ich auf drei verschiedenen Wegen ein- 
drücklich genug dargelegt zu haben, einmal durch Feststellung des Alters der 
jüngeren Schichten, dann durch Hinweis auf die ihm zeitgenössischen Baunach- 
richten und endlich dadurch, daß ich die Unmöglichkeit eines großen Neubaues 
kurz nach 903 nachwies. 


Alle wesentlichen Teile der BE Fundamente können also nicht früher 
entstanden sein als im Anfang des ır. Jahrhunderts. Widersprechen nun diesem 
zunächst rein historischen Ergebnis Charakter und Behandlung der Mauern, die bei 
den Ausgrabungen gefunden sind? Sind etwa unzweifelhafte Anzeichen ihrer Ent- 
stehung innerhalb des ersten Jahrtausends nachgewiesen worden? Chevalier 
drückte sich in dieser Hinsicht vorsichtig aus, um so mehr aber bestand Ratel 
auf dem „gallo-römischen‘“ Mörtel der ältesten Schicht. Man wolle mir erlauben, 
prinzipiell zu sagen, daß es unter keinen Umständen angeht, einem Mauerwerk 
dieses oder jenes Alter zuzuweisen, wenn man seine Behauptung auf nichts anderes, 
als den Mauerverband oder den Charakter des Mörtels stützen kann. Dies Ver- 
fahren ist zwar bei Architekten vornehmlich sehr beliebt, doch ist das noch keine 
genügende Legitimation für seine Berechtigung. In unserem Falle sagt Ratel, er 
habe den Mörtel genau untersucht und gefunden, er sei vollständig identisch mit 
dem der gallo-römischen Mauern von Tours und anderen Orten. Das mag sein, 
doch ist eine solche Erklärung für die Datierung ganz wertlos, wenn nicht auch 
gleichzeitig gesagt wird, wann denn eigentlich die von den Römern geiibte Tech- 
nik der Mörtelbereitung durch eine andere ersetzt worden ist. Unsere Kenntnisse 
von der Baukunst des frühen Mittelalters sind so außerordentlich lückenhaft, daß 
solche und ähnliche Feststellungen nicht als sichere Kriterien zur Altersbestimmung 
verwandt werden können. Selbst für Zeiten, aus denen wir eine verhältnismäßig 
große Anzahl von Bauten besitzen, wie das 12. und 13. Jahrhundert, dürfen Argu- 
mente dieser Art nur mit der größten Vorsicht und Zurückhaltung benutzt werden, 
um wieviel mehr also für eine Periode, deren Bauten so unendlich spärlich auf uns 
gekommen sind! Ratel gibt selbst keine eigentliche Beschreibung der ältesten 
Mauern, dagegen sagt Chevalier folgendes: „les parois, tant a l'intérieur qu’au de- 
hors, sont revétues d’un petit appareil assez régulier, celui que М. de Caumont 
appelait le petit appareil allongé, formé de moellons calcaires oblongs parementés 
avec soin“. Ich bin nicht der erste, der diese Beschreibung als vollkommen miß- 
lungen bezeichnen muß, schon Grandmaison hat darauf hingewiesen und seiner- 
seits vornehmlich auf die große Nachlässigkeit in der Schichtung aufmerksam ge- 
macht!). 

Wir haben eine gewöhnliche Bruchsteinmauer vor uns, die aus ganz unregel- 
mäßigen Steinen verschiedenster Größe in sehr reichlicher Mörtelbettung hergestellt 
ist; um dem Kern nach außen hin eine größere Festigkeit zu geben, sind an den 
Seitenflächen sehr roh bearbeitete, längliche Steine kleineren Formates verwendet 
worden, und zwar derart, daß eine ungefähre horizontal durchgehende Lagerung 


(1) Bibl. de 1’Ecole des Chartes 1893. 


147 


der einzelnen Schichten verfolgt werden kann. Man hat dabei aber so wenig 
Wert auf äußere Sorgfalt gelegt, daß der Mörtel nirgends abgestrichen wurde, son- 
dern noch heute so unordentlich die Wand bedeckt, wie er beim Bauen flüssig 
zwischen den Steinen hervorquoll. Das, was de Caumont den „petit appareil 
allongé“ nannte, hat ein ganz anderes Aussehen und kann am ehesten mit einer 
sehr sauber ausgeführten Backsteinmauer verglichen werden, wo Stein für Stein 
dieselbe Größe und Form hat und alle Fugen auf das sorgfältigste behandelt sind. 
Ein hervorragendes Beispiel dieser Technik ist die Vorhalle von St. Philibert in 
Tournus, wie der größte Teil des Schiffes derselben Kirche, deren älteste Teile 
nicht vor dem 11. Jahrhundert entstanden sind. 

Es scheint im allgemeinen der Glaube verbreitet zu sein, daß eine Mauer um so 
älter wäre, je unregelmäßiger sie ausgeführt sei, und man pflegt sie dann gewöhn- 
lich dem то. Jahrhundert zuzuweisen, jedenfalls ist das die Methode, der Ch. de 
Grandmaison offenbar folgt. Wir wissen zwar sehr wenig über die Baukunst 
jener Periode, doch ist das noch kein Grund, ihr alles mögliche Schlechte zuzu- 
trauen. Als sicher dagegen muß hingestellt werden, daß einmal die Mauertechnik 
der Karolingischen Zeit im allgemeinen sehr sorgfältig gewesen ist und daß anderer- 
seits diese Technik sich noch mitten im XI. Jahrhundert findet, wenigstens in den 
Landschaften rund um Tours. Es gehört z. B. zur Charakteristik des Karolingischen 
Mauerbaues, daß man reichlich von einer Art Inkrustation Gebrauch machte und 
vornehmlich eine große Vorliebe zeigte für die Verwendung von Ziegeln zu Zier- 
zwecken!), was nachher den romanischen Bauleuten von zu kleinlicher Wirkung 
war. Man findet solche Ziegel noch in der Couture zu Le Mans, auf die ich noch 
zu sprechen komme, ein Bau, der keinesfalls vor der Mitte des rr. Jahrhunderts 
entstanden ist. Bis zu dieser Zeit also hat sich hier ein letzthin römisches Ver- 
fahren erhalten, und es ist durchaus unwahrscheinlich, daß bei dieser lange fortge- 
setzten Tradition das ro. Jahrhundert übersprungen sei. Wegen der Unregelmäßig- 
keit seines äußeren Mauerbaues hat man den Chor der Kirche St. Julien du Pré in 
Le Mans in das 6. Jahrhundert setzen wollen, doch stammt er in Wahrheit erst 
aus den letzten Jahren des 11. Jahrhunderts. Diese Beispiele, die ich absichtlich 
einer Tours benachbarten Gegend entnommen habe, sollen zeigen, wie wenig in 
dieser Materie allgemeinen Vorstellungen zu trauen ist, die indes nur allzuoft als 
Kriterien in die Untersuchung eingeführt werden. Es kann somit aus der Nach- 
lässigkeit der Technik keine Berechtigung hergeleitet werden, die in Frage stehen- 
den Mauern der Karolingischen oder gar einer noch früheren Periode zuzuschreiben. 

Aber sind nicht die Kieinheit der Kapellen, der fast ununterbrochene Zug ihrer 
äußeren Mauern und deren Stärke selbst vortreffliche Argumente für ein hohes 
Alter? Man hat indes nicht erst nötig Ausgrabungen zu machen, um zu erkennen, 
daß die Mehrzahl aller Chorumgänge auf ähnlich massiven Fundamentmauern er- 
baut sind, die noch häufig ein gut Stück aus dem Boden herausragen, wie etwa 
an Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand, St. Paul in Issoire und St. Etienne in 
Nevers, um nur ganz bekannte Beispiele zu nennen. Denn etwas anderes als Fun- 
damente kann in diesen ältesten Mauern von St. Martin nicht erblickt werden. Che- 
valier hat zwar das Gegenteil behauptet, ohne allerdings einen einzigen triftigen 
Grund zu nennen, doch haben ihm sowohl Ratel wie R. de Lasteyrie wider- 


(1) Für die kunstreiche Behandlung des Mauerwerkes denke ich an Bauten wie die Vorhalle in Lorsch 
und die Kirche in Cravant. Uber die Verwendung von Ziegeln vergleiche man R. de Lasteyrie, L’ég- 
lise St. Philibert de Grandlieu, Paris 1909, Extrait des Mémoires de l’Académie des Inscriptions et 
Belles-Lettres, t. 38, 2, p.73 des Separatabdruckes. 


148 


sprochen. Und in der Tat stände die Stärke unserer Mauern von 2,65 m für ähn- 
liche Zwecke in der Baugeschichte des Mittelalters nicht nur ohnegleichen da, sie 
wäre auch im Verhältnis von Arbeitsleistung und Zweck gänzlich unverständlich: 
um ein kleines Stück Raum zu gewinnen führt man nicht Mauern auf, die die drei- 
bis vierfache Fläche einnehmen, zumal der Seitenschub der sehr kleinen Gewölbe 
über den Kapellen nur ein äußerst geringfügiger sein konnte. Den Grundriß vom 
aufgehenden Mauerwerk des Chores der Basilika des Herveus kennen wir nicht, 
doch wird er ungefähr so ausgesehen haben, wie der vom Bau des 12. Jahrhunderts. 

Vom Fundamentmauerwerk dieser zweiten Anlage läßt sich nichts neues sagen; 
es ist fast so ausgeführt wie das ältere, so daß man es mit diesem für gleichzeitig 
halten würde, wenn nicht die Achsenverschiebung und der daraus sich ergebende 
ungleichmäßige Rücksprung gegenüber den älteren Mauern den wahren Sachverhalt 
zeigte. Im aufgehenden Mauerwerk dieses Baues, von dem sich noch beträchtliche 
Reste in den oben näher bezeichneten Kapellen erhalten haben, ist naturgemäß 
eine ganz andere Technik angewandt worden. Hier sind zur Wandbekleidung gut 
behauene Steine mittlerer Größe zu einem durchaus regelmäßigen, wohlgefügten 
Mauerwerk durch Mörtelschichten mäßiger Stärke verbunden, wie man es so in 
fast allen Bauten aus der Blütezeit des Mittelalters findet (Abb. 4). Die genauen 
Maße können dem beigefügten Plan und Grundriß entnommen werden. 

Die Kapellen des Querhauses scheinen mir von Grund auf einer Bauzeit anzu- 
gehören, eben diesem im Jahre 1175 begonnenen großen Erweiterungsbau. Che- 
valier gibt hier wieder zwei getrennte Entstehungszeiten an, doch verwechselt er 
abermals Fundament und aufgehendes Mauerwerk. Der Beweis ist noch heute sehr 
einfach zu führen, da die Mauern hier für die Anlage von modernen Zugängen quer 
durchschnitten werden mußten, und man an ihrem Kern die vollständig einheitliche 
Bauausführung konstatieren kann. 

Damit glaube ich alles das ausgeführt zu haben, was in unserer Frage von wirk- 
lich entscheidendem Werte ist, und ich fasse meine These dahin zusammen, daß 
der älteste nachweisbare Chorumgang in St. Martin in Tours erst im Anfang des 
тї. Jahrhunderts entstanden ist. 

Bekamntlich hielt Dehio auch nach den Ausführungen von R. de Lasteyrie noch 
daran fest, daß dieses Motiv des Umganges schon im Bau des Perpetuus vorge- 
bildet gewesen sein müsse. Gegenüber den glänzenden Darlegungen des franzö- 
sischen Gelehrten, die Quicherats These widerlegen, steht hier eine unbewiesene 
und, wie ich betonen will, durchaus unbeweisbare und unwahrscheinliche Behaup- 
tung. Wenn man auch gerne zugeben will, daß eine solche reiche Ausgestaltung 
des Chores nicht auf einmal und plötzlich entstanden sein wird, so ist doch damit 
noch keineswegs gesagt, die Vorstufe müsse unbedingt in Tours gesucht werden. 
Ich werde in einem zweiten Artikel die Basis unserer Untersuchungen erweitern 
und auch zeigen können, daß sogar nicht einmal vom Bau des Herveus weitrei- 
chende Einflüsse ausgegangen sind, indem die Mehrzahl aller frühen Chorumgänge 
mit St. Martin keine irgendwie näheren Beziehungen haben und durchaus unabhängig 
davon entstanden sind. Als Kuriosum sei schon hier notiert, daß die so sehr in 
den Vordergrund geschobene Kirche St. Remy in Reims überhaupt keinen Chorum- 
gang gehabt hat. Wir werden auch darlegen können, daß zur Karolingerzeit unser 
Motiv in der Umgebung von Tours gänzlich unbekannt war, indem zwar schon die- 
jenigen kultischen Bedürfnisse vorlagen, die später zur Entstehung des Chorum- 
ganges führten, aber zunächst nur in einer sehr unvollkommenen Form befriedigt 
werden konnten. (Fortsetzung „Die frühen Beispiele“ folgt.) 


149 


JONAS BUBENKA, Ein ungarischer 
Holzschneider des 17. Jahrhunderts. 


Dieser unbedeutende Künstler verdient kaum 
einige Aufmerksamkeit. Seine falsche Einführung 
in die Kunstgeschichte durch das Thiemesche 
Lexikon veranlaßt mich jedoch über ihn und seine 
Bedeutung einige korrigierende Worte mitzuteilen. 

Die ungarischen Autoren August v. Szalay und 
Elemér у. Czakó, die über den Künstler in unga- 
rischen Zeitschriften geschrieben haben, besprechen 
ihn als den Urheber der Holzschnittillustrationen 
des berühmten Orbis Sensualium Pictus von Jo- 
hann Amos Comenius. Die erste ungarische Aus- 
gabe des Werkes ist 1675 in Brassò (Kronstadt) 
erschienen. Im Jahre 1685 wurde dann das Buch 
auch in Löcse (Leutschau) durch Samuel Brewer 
verlegt und sowohl diese Ausgabe als auch alle 
darauffolgenden sind mit Bubenkas Iliustrationen 
versehen. Es handelt sich bei den Neuausgaben 
immer um Neudrucke der zuerst verwendeten Holz- 
stöcke. Der Künstler hat das Blatt, auf dem eine 
Malerwerkstatt dargestellt ist, mit der Signatur 
„Sculpsit Jonas Bubenkius Leutschoviae: 1. 6. 79.“ 
versehen. 

Die genannten ungarischen Kunstschriftsteller 
haben nun die erste, 1658 in Nürnberg bei Johann 
Endter erschienene Ausgabe des Orbis Pictus nicht 
gekannt und Czaké — der jüngere unter ihnen — 
ließ sich in dieser Unkenntnis dazu verleiten, die 
sehr schwachen und mit groben Fehlern gezeich- 
neten Bildchen mit nicht geringen Lobpreisungen 
als die Vorbilder der deutschen Ausgaben des 
ХУШ. Jahrhunderts vorzustellen. Dieser Fehler 
wurde dann auch in das erwähnte Künstlerlexikon 
hineingeschleppt. Dort heißt es nämlich: ,,B. 
schnitt für die Originalausgabe des weltberühmten 
Werkes 152 Illustrationen, welche, wie aus Come- 
nius Text an einigen Stellen ersichtlich, auch bei 
der Abfassung des Textes als Voriage dienten. 
Trotz der primitiven Ausführung sind diese Arbeiten 
Bs. doch in mehrfacher Beziehung wichtig: sie 


150 


dienten auch für die späteren Ausgaben des Werkes 
als Vorbild. Das erste und letzte (identische) Bild 
zeigt die Figur Comenius, wie er in lang herab- 
wallendem ungar. Kostüm auf der Wiese lust- 
wandelnd einem Knaben Unterricht erteilt. Auf 
dem schon erwähnten Schnitt 78 der ersten Aus- 
gabe, der ein Maleratelier veranschaulicht, gilt 
der vor der Staffel sitzende, nach Modell arbeitende 
Maler als Selbstportrit Bs. Die technischen Mängel, 
vielerorts unangenehm fühlbar, werden durch Klar- 


heit und knappe Anschaulichkeit aufgewogen, Vor- 


züge, die Comenius, dessen System eben die An- 
schaulichkeit entsprach, veranlaßt haben dürften, 
an diesen Illustrationen trotz deren Mängel fest- 
zuhalten.“ 

In der Wahrheit ist unser Bubenka leider nur 
ein schwacher Kopist. Die erste Brewersche Aus- 
gabe des Orbis Pictus enthält nämlich nur plumpe 
Nachbildungen der anonymen Illustrationen der 
Endterschen Originalausgabe. Welche künstlerische 
Bildung der ungarische Comenius-Illustrator besaß, 
erbellt am besten eben aus der bereits erwähnten 
Darstellung des Malerateliers, wo der Künstler 
seine Ungeübtheit außer durch die fehlerhafte 
Wiedergabe der Formen auch durch seine Nach- 
lässigkeit im Kopieren verrät. Er vergißt nämlich 
manchmal einige Teile des Bildes im Gegensinne 
auf den Stock zu zeichnen, so daß infolge dieser 
Unachtsamkeitkomisch wirkende Widersinnigkeiten 
entstehen. Die perspektivische Darstellung des 
Raumes auf dem oben erwähnten Blatte entspricht 
z. B. einem links- und diejenige der Fensterge- 
wände einem rechts aufgenommenen Augenpunkte. 
Auch das Märchen vom Selbstporträt des Künstlers 
ist, wie aus dem obigen ersichtlich, eine sehr 
naive Erfindung. 

Bubenkas Kopistentätigkeit ist umso leichter zu 
kontrollieren, als die Originalausgabe des Orbis 
Sensualium Pictus durch die тото bei Klinkhardt 
und Biermann erschienene Faksimileausgabe von 
Johannes Kühnel leicht zugänglich geworden ist. 

Z. Takacs. 


THEOBALD HOFMANN, Raffaelin 
seiner Bedeutung als Architekt. IV. 
Band: Vatikanischer Palast. Leipzig, Gil- 
bersche Verlagsbuchhandlung. 232 S. mit 
147 Textbildern und 81 Tafeln. 


Ein weiterer Band des gewaltigen hoch ver- 
dienstlichen Werkes, über das ich hier bereits des 
öfteren berichtete; ganz im gleichen Stil und Um- 
fang, wie die früheren, doch durch die verstärkte 
Mitarbeit kundiger Gelehrter ausgezeichnet, die 
die wissenschaftliche Bedeutung der Arbeit noch 
erhöht. Es handelt sich naturgemäß hier vor- 
wiegend um Raffaels Loggien, die architektonisch- 
dekorative Hauptleistung Raffaels im Vatikan — da 
die Stanzen in dieser Hinsicht nicht in Betracht 
kommen — und das Wunderwerk ihrer Zeit auf 
diesem Gebiete. (Die Architektur auf den Fresken 
der Stanzen ist in einem früheren Bande bereits 
behandelt.) 

Der neue Band zerfällt dem Gegenstand nach 
in drei Abteilungen; die erste, von Hofmann allein 
bearbeitet, gibt einen Abriß der Baugeschichte 
des Vatikans mit Bramantes und Raffaels Anteil 
am Bau; in der zweiten behandelte Professor 
W. Amelung die Stuckreliefs in den Loggien und 
ihre Vorbilder; in der dritten Dr. F. Weege den 
malerischen Schmuck der Loggien in seinem 
Verhältnis zur Antike — und zuletzt das Bade- 
zimmer des Kardinals Bibbiena, einen allerdings 
bekannten doch bisher noch nicht auch nur einiger- 
maßen publizierten reizvollen farbigen Innenraum 
mit Raffaelischer Dekoration. — 

Nach dem früher hier über die Art Gesagten, 
in der der Verfasser seine Aufgabe anfaßt und die 
bildlichen Materialien über den Gegenstand mög- 
lichst vollständig zusammenträgt, um dem Leser 
das Ergebnis seines Sammelns sozusagen zu eigener 
Schlußfolgerung in die Hand zu geben, ist es 
leicht sich ein Bild des neu Gebotenen zu 
machen. Es genügt zu sagen, daß auch hier 
wieder an Material alles dem Verfasser Erreich- 
bare gegeben ist. 

Im Sinne der gestellten Aufgabe kommt natür- 
lich hauptsächlich der erste Abschnitt in Betracht. 
Hofmann hat darin Raphaels Anteil an den vati- 
kanischen Bauten behandelt, den er als oberster 
Bauleiter und Nachfolger seines Oheims Bramante 
während der letzten sechs Jahre seines Lebens 
daran nahm. 

Dieser Anteil erstreckte sich nicht allein auf die 
Erbauung und Ausstattung der oberen Stockwerke 


der Loggien, sondern auch auf die Herstellung 
eines Treppenhauses dazu und auf die Fortführung 
des Bramanteschen Riesenwerkes des Belvedere- 
hofs, dessen östlicher Flügel unter Raffael größten- 
teils fertig gestellt wurde. So mußte auch dieser 
Bauteil des Vatikans behandelt werden, obwohl 
das hierüber Gebotene an sich über die im Titel 
gestellte Aufgabe etwas hinauszugehen scheint, 
da Raffaels eigener künstlerischer Anteil nicht 
allzu bedeutend ist. Immerhin scheinen im Ober- 
geschoß dieser Hofhallen einige Einzelheiten auch 
auf Raffael zu deuten. — Wir gewinnen indessen 
so eine außerordentlich klare und übersichtliche 
wie vollständige Einsicht in die Entstehung und 
die allmähliche Ausgestaltung der riesigen Bra- 
mantinischen Schöpfung, wie sie anderweit nir- 
gends — auch bei Letarouilly nicht — in solcher 
Art geboten ist. Das Hauptstück ist aber die 
Geschichte der Erbauung der Loggien durch Bra- 
mante und ihrer Um- und Ausgestaltung wie ihrer 
Vollendung durch Raffael. Aus den Nachrichten 
und anderen Anhaltspunkten schließt Hofmann, 
daß Raffael das zweite Geschoß der Loggien mit 
der herrlichen Dekoration geschaffen, aber auch 
noch das dritte Säulenstockwerk bis zum Architrav 
projektiert und fertig gestellt habe. Antonio da 
Sangallo d. j. habe dieses dann vollendet. Von 
Bramante stamme das Erdgeschoß und das erste 
Stockwerk nebst der schönen Groteskenmalerei 
des letzteren. 

An diese Folgerungen knüpft der Verfasser noch 
den Gedanken, daß diese drei Hallen Raffaels einst 
die Front des vatikanischen Palastes gegen die 
Stadt hätten bilden sollen, und ihre Herumführung 
in Hofgestalt auf allen drei Seiten des Cortile di 
S. Damaso nicht in der ursprünglichen Absicht 
gelegen hätten. Die schöne Zeichnung des Heems- 
kerk bestärkt ihn dieser Ansicht. 

Freilich sieht man gerade auf dieser höchst 
deutlich die Bildung des Eckpfeilers der Siulen- 
halle in der geknickten Form der Hofecke, läßt 
sich also die Absicht der Fortführung der Halle auf 
der Nordseite doch nicht verkennen. Das könnte 
sich übrigens erst bei Erbauung des oberen Ge- 
schosses eingestellt haben, obwohl es nicht völlig 
einleuchten will, wie eine so lange dreistöckige 
Halle ohne alle Eckbauten die Hauptfassade des 
päpstlichen Palastes gegen die Stadt hin hätte 
bilden können. Man vergleiche die Villa Madama 
desselben Raffael, deren Halle zwischen derben 
flankierenden Baukörpern sitzt. Selbst das Posener 
Rathaus, vielleicht der einzige italienische Bau, 


151 


der eine mehrstöckige offene Halle als Fassade 
aufweist, hat einfassende kräftige Eckverstärkungen. 

Ferner dürfte man den überzeugenden Beweis 
dafür noch vermissen, daß die bekrönende Säulen- 
halle wirklich von Raffael selber geplant sei. Das 
Badesimmer Bibbienas liegt so weit zurück, daß 
es in keiner Beziehung zur Halle zu stehen braucht. 
Wir lesen auch nur, daß Raffael ein Modell der 
Loggien geliefert und die alte Bramantesche Archi- 
tektur darin stark bereichert habe „соп maggiore 
ordine ed ornamento che non aveva fatto Bramante“. 

Wenn ich damit einen wenig bekannten Kupfer- 
stich vergleiche, der den Zustand der Baulich- 
keiten der Peterskirche um 1514 (im Spiegelbild) 
schildert und einen Blick in den Hof von S. Damaso 
gewährt!), so wäre, falls überhaupt der Stich ganz 
wörtlich zu nehmen sein sollte, dies alles etwas 
anders zu erklären. Dann hätte bereits Bramante 
die beiden Bogenhallen der Loggien errichtet (man 
sieht über die alte Peterskirche die Vierungspfeiler 
und Bogen der neuen hervorragen, dazu die eine 
Apsis des Querschiffes, also den Zustand zur Zeit, 
als Bramante starb) — doch wären dort nur ein- 
fache Pfeiler ohne Pilaster gewesen; das ganze be- 
reits unter Dach, ohne die oberste Säulenhalle. 
Mit dem heutigen Zustande verglichen entbehrt 
diese Architektur also der schönen dorischen und 
jonischen Pilaster und sonstigen Schmuckes, und 
man müßte annehmen, daß Raffaels Plan diese 
„Ordnungen“ (maggior ordine) hinzugefügt habe. 
Und ihr Stil gegenüber dem des Erdgeschosses 
spricht in der Tat dafür. 

Ich bin der Lage ein zweites Dokument hierzu 
anführen zu köunen: den Stich, der die Grotesken 
eines Bogenfeldes der unteren (‚Bramantinischen‘) 
Loggia darstellt; mitten darin steht aber: hec 
Romae sunt inpontificis domo Raphael durbinas 
inuentor. Darnach wire doch die Dekoration der 
unteren Halle von Raffael, und nicht von Bra- 
mante. Und der Stich mag noch aus des Meisters 
Zeit selber stammen, jedenfalls aber von jemanden, 
der den Sachverhalt kennen konnte. Es ist die- 
selbe Wand, aber vollständig dargestellt, deren 
oberen Teil Hofmann auf Tafel XXXVI, links, 
nach Letarouilly abbildet. 

Diese kleinen Meinungsverschiedenheiten, die 
ja nur beweisen, daß noch nicht alle Мег ge- 
stellten Fragen auch schon endgültig beantwortet 
sind, und selbst Hofmann nicht jedes bildliche 
Dokument dazu hat auftreiben können, beeinträchtigt 
den hohen Wert seiner neuen Arbeit natürlich in 
keiner Weise. 


(1) Auch H. v. Geymüller hat ihn in seinem Werk über die 
Peterskirche abgebildet. 


152 


Insbesondere sind denn auch die beiden folgen- 
den Abschnitte von besonderer Bedeutung, die 
sich damit beschäftigen, die Vorbilder der Stucka- 
turen wie der Malereien in der römischen Antike 
und die Beziehungen der raffaelischen Dekoration 
zu dieser nachzuweisen. Das geschieht durch die 
eingehendste photographische Darstellung aller 
Einzelheiten der Loggien auf den Tafeln und die 
Beibringung der antiken und sonstigen Vorbilder 
dafür im Text. Alle möglichen Materialien sind 
von Amelung und Weege mit staunenswertem 
FieiBe hierfür beigebracht, sowohl Gemmen und 
Kameen, Sarkophage, Reliefs, Statuen und Gruppen 
— selbst einige Anlehnungen an J. della Quercia 
werden nachgewiesen — als Malereien im goldnen 
Hause, in den Titusthermen, in Pompeji, nebst Stu- 
dien insbesondere des G. da Udine und anderer, 
sodaß wir ein ganz außerordentlich klares Bild 
von jenen Beziehungen gewinnen. 

Zuletzt beschäftigt sich der Band mit dem ziem- 
lich vergessenenBadezimmer des Kardinals Bibbiena, 
das hier zum ersten Male vollständig aufgenommen 
erscheint, sowohi in Photographie wie in Zeichnung. 
Dr. Weege weist auch hier die ganz nahe Ver- 
wandtschaft der reizenden Malereien mit der An- 
tike in Stil und Gegenstand nach. Für uns be- 
deutet die Veröffentlichung, die freilich die stark 
zerstörten Hauptdarstellungen fast nur noch nach 
älteren Stichen und Aufnahmen bringen konnte, 
eine höchst wertvolle Erweiterung des bekannten 
Werkes Raffaele. — 

Es sei an dieser Stelle bemerkt, daß sicher der- 
gleichen Arbeiten Raffaels mehr vorhanden waren, 
die einer Einfügung oder eines Nachweises noch 
warten, auch bisher nicht beschrieben sind. So 
kenne ich zwei rotgedruckte Kupferstiche, wohl 
aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, deren Unter- 
schrift lautet: Chambre peinte par Raphael d’Urbin 
hors de la porte Colline dans la maison de plai- 
sance de S. E. Mr. le cardinal Joseph Doria — 
du cété du midi — bezw. du cété du nord. Sie 
zeigen ebenfalls eine gewölbte Kammer mit reichen 
Grotesken der Wände in ähnlichem Stile wie das 
Badezimmer. Der Zeichner und Stecher heißt 
Francois Gonzalvez. Ob dieses verschollene Ge- 
mach heute noch existiert, weiß ich freilich nicht. 

Am Schlusse sei mir der Wunsch gestattet, daß 
in dem noch zu erwartenden letzten Teil, der Raffaels 
kirchliche Werke enthalten soll, für den Architekten 
ein Überblick der von dem Künstler angewandten 
architektonischen Formensprache, seiner Profile 
und sonstigen baukünstlerischen Einzelheiten ge- 
geben werden möge, der uns tiefere Einsicht in 
die Formenbehandlung des Architekten Raffael 


gewähren würde. Davon enthalten auch die 
früheren Bände außer Band I nicht allzu viel. 
Nicht minder einige Aufklärungen über das eigent- 
liche Technische in Material- wie Farbenbehand- 
ung, so die eigentümliche Herstellung der Stuck- 
reliefs (z. T. durch eingedrückte Formen, wie es 
scheint) und dergleichen Interessantes mehr. Das 
gehörte eigentlich noch zur Vollständigkeit. 
Albrecht Haupt. 


CARL ALDENHOVEN, Gesammelte 
Aufsätze, herausgegeben von Dr. A. Lind- 
ner. Leipzig 1911. Verlag Klinkhardt & 
Biermann. 

Der Verfasser der Aufsitze hat sich in seinem 
Buche über die Altkölner Malerei sein wissenschaft- 
liches Denkmal errichtet. Aere perennius, denn 
wer immer sich mit der Geschichte der alten 
Kölner Kunst und mit ihren Meistern beschäftigen 
will, wird auf dieses Werk zurückgreifen. Es be- 
durfte daher keiner Verherrlichung des Gelehrten 
nach seinem Tode oder gar einer Rehabilitation. 
Mit um so größerer Freude ist es zu begrüßen, 
daß ein Mitarbeiter Aldenhovens, der ihm auch 
freundschaftlich nahe gestanden hat, Dr. A. Lindner, 
die zahlreichen kleinen Gelegenbeitsarbeiten Alden- 
hovens gesammelt und mit einer biographischen 
über die Persönlichkeit und die Lebensschicksale 
des Verfassers ausgezeichnet orientierenden Ein- 
leitung herausgegeben hat. Perlen einer langen, 
Leben und Kunst umschlingenden Kette! Der 
Mensch, der Künstler und der Gelehrte Aldenhoven 
reichen sich in diesen Aufsätzen die Hand. Die 
Mehrzahl ist fir die bekannte Zeitschrift „Die Nation“ 
geschrieben worden, die Aldenhovens Freund Theo- 
dor Barth herausgab. Die Arbeiten verdanken ihre 
Entstehung den verschiedensten Anlässen. Ward 
hier für den Autor die Freude an der Betrachtung 
eines Kunstwerkes und das Bedürfnis nach Mit- 
teilung einer gewonnenen künstlerischen oder 
wissenschaftlichen Erkenntnis, ein politischer Streit 
der Grund, die Feder zu ergreifen, so dort eine 
vor der Natur plötzlich auftauchende Empfindung 
oder Eingebung poetischer Art. Mit gleicher An- 
mut und Beredsamkeit — auch im mündlichen 
Verkehr war Aldenhoven ein Meister der Rede — 
plaudert der Verfasser über die Dinge des all- 
täglichen Lebens wie über gelehrte Fragen, nie- 
mals wird er dabei doktrinär - wissenschaftlich. 
Der Eindruck, den die Lektüre hinterläßt, ist inner- 
lich und stark. Man empfindet, daß hinter den 
Dingen ein Mann steht, der etwas zu sagen hat 
und der das, was er sagt, auf seine Weise aus- 


spricht. Unbekümmert um Lob oder Tadel. Auch 
wo er zum Widerspruch reizt, zieht Aldenhoven 
den Leser in seinen Bann, dem Zauber seines 
Geistes und seiner Sprache vermag niemand dauernd 
zu widerstehen. Niemand legt wohl auch den 
Band aus der Hand, ohne zu bekennen, daß er 
beim Lesen eine Fülle reicher Anregungen emp- 
fangen hat. 

Wie das Vorwort besagt, solite das Buch ein 
Lebensbild des Verfassers werden in dessen eigenen 
Werken; die Aufgabe, die sich der Herausgeber 
in diesem Programm gestellt, hat er zweifellos 
gut gelöst. Der umfangreiche Stoff ist nach Materien 
in vier Gruppen eingeteilt, innerhalb der Gruppen 
wieder chronologisch geordnet. So ergaben sich 
die einzelnen Abschnitte: „Antike und neuere 
Kunst“, „Religion und Zeitfragen“, „Literatur und 
Eigenes“. Den Kunstfreund und Historiker werden 
die Abhandlungen, die sich mit der bildenden 
Kunst befassen, am meisten Interessieren. Sie 
behandeln Themata aus der Antike, dem Mittel- 
alter, der Renaissance und Neuzeit. Mit Vorliebe 
verweilte Aldenhoven bei der Betrachtung von 
Erscheinungen der Antike und der Renaissance, 
deren verwandte Geistesrichtungen seinem Wesen 
am meisten entsprachen. Der Vater Aldenhovens 
war klassischer Philologe, der Sohn hatte den 
Sinn für das klassische Altertum gewissermaßen 
mit der Muttermilch eingesogen. Inhaltlich dürften 
die Arbeiten aus diesen Gebieten zu den besten 
des Buches gehören, wie die Aufsätze über „Grie- 
chische Götterideale‘, „Spoleto“, „Ravenna“, „Lo- 
renzo de’ Medici und Savonarola in ihrem Ver- 
hältnis zur bildenden Kunst“. Wie weit Alden- 
hoven in die Vorstellungskreise der antiken Welt 
eingedrungen war, dafür gibt vielleicht das Mär- 
chen von Aithra den besten Beleg. Die „schöne 
glatte Wunde“ konnte nur ersinnen, wer selbst 
in Sparta zuhause war. Von den Abhandlungen 
über die mittelalterliche Kunst sei der Artikel über 
die Altkölnische Malerschule, von den Aufsätzen 
über die neuere deutsche Malerei der über die 
Casa Bartholdy hervorgehoben. 

Allen an der Veröffentlichung Beteiligten: dem 
Herausgeber A. Lindner, Frau Frida Mond in 
London, die die Publikation anregte und durch 
ihre Munifizenz förderte, wie dem Verlag gebührt 
Dank für die schöne Gabe, die sie uns in der 
Sammlung der Aufsätze Carl Aldenhovens beschert 
haben. G.J. Kern. 


153 


AUG. L. MAYER, El Greco. Eine Ein- 
führung in das Leben und Wirken 
des Domenico Theotocopuli, gen. 
El Greco. 91 S., 50 Abb. Delphin-Verlag, 


München 1911. 

Der Verf. behandelt in drei Kapiteln die äußeren 
Lebensumstände des Künstlers, die Werke, die 
uns von ihm erhalten sind und die Eigentümlich- 
keiten seines Stils, besonders im Hinblick auf die 
Probleme der modernen Malerei. Er hat aus 
einem reichen Material das Wichtigste herauszu- 
schöpfen und in knapper, sachlicher Darstellung 
mitzuteilen verstanden. Vielleicht wird man nicht 
in allen Punkten das Greco-Problem so betrachten, 
wie es uns hier vorgeführt wird; vor allem dürfte 
die Abschätzung der Einflüsse, aus denen heraus 
der Verf. den Künstler zu seinem Stil gelangen 
läßt, gelegentlich Widerspruch finden. So ist 
Tintoretto dabei entschieden zu kurz gekommen, 
dessen koloristische Ausdrucksform gerade von 
dem Griechen aus ihrer kompositionellen Gebun- 
denheit gelöst und zu wildem Pathos gesteigert 
werden sollte. Ferner ist der byzantinischen In- 
gredienz, aus der sich viele Härten, zumal in der 
Bildgestaltung, bei Theotocopuli erklären ließen, 
eigentlich gar nicht Rechnung getragen; eine 
Untersuchung in dieser Richtung hätte sich zweifel- 
los gelohnt, denn zu jener Zeit war die byzantinische 
Freskenmalerei in den Provinzen durch Panse- 
linos, Theophanos von Kreta u. a. zu Leistungen 
gelangt, an denen kein Künstler, der mit ihr in 
Berührung kam, achtlos vorübergehen konnte. 
Der Zusammenhang mit Correggio in einigen Früh- 
werken hätte dagegen wohl kaum Erwähnung ver- 
dient, wie denn zu dessen harmonischer Ausge- 
glichenheit nicht leicht ein stärkerer Gegensatz 
gefunden werden dürfte, als die stete Zerrissenheit 
und Dissonanz in den Werken Grecos. Sie ist 
wohl im wesentlichen verschuldet durch die Unter- 
ordnung des primären, kompositionellen Problems 
unter sekundäre, technische Ausdrucksmittel. Diese 
Erscheinung des sich selbst widersprechenden 
Kunstwerkes ist es denn auch, die ihn in gewissem 
Sinne der modernen Malerei nahe zu bringen 
scheint, obwohl alle in der Richtung beliebten 
Vergleiche von wesentlich falschen Voraussetzungen 
auszugehen pflegen. Der Verf. erörtert am Schluß 
seiner Betrachtungen die Beziehung zu Cézanne, 
die vielen schon zu einem Evangelium zu werden 
droht, und kommt erfreulicherweise zu dem Er- 
gebnis, daß hier die Gegensätze viel stärker sind 
als die Berührungen. 

Das nützliche Büchlein wird hoffentlich vornehm- 


154 


lich bei denjenigen Eingang finden, die ihr ge- 
samtes Kunstempfinden neu orientieren zu müssen 
glaubten, seit sie die Tartarenpost von der „Ent- 
deckung“ dieses sog. neuen Genius erreichte, einer 
Entdeckung, die übrigens nach der Madrider Greco- 
Ausstellung (1902!), nach der zweibändigen Pu- 
bikation von Cossio und nach der lebhaften 
Lanzierung durch den Kunsthandel einigermaßen 
post festum kam. Wir können also dieser Mono- 
graphie sicherlich keine bessere Empfehlung mit 
auf den Weg geben, als wenn wir von ihr sagen, 
daß sie geeignet erscheint, den Unfug wieder gut 
zu machen, den ein allzu leicht beschwingter 
Kunstschreiber mit einigen sensationellen Ent- 
hüllungen über seine spanischen Erlebnisse in 
den weitesten Kreisen angerichtet hat. 

Ernst Kühnel. 


G. DEHIO, Handbuch der deutschen 
Kunstdenkmäler, IV. Südwestdeutsch- 
land. Berlin, Wasmuth, 1911. 

Der vorletzte Band dieses trefflichen Inventares 
umfaßt Südwestdeutschland, d. h. die preußischen 
Regierungsbezirke Wiesbaden, Koblenz und Trier, 
Lothringen, das Großherzogtum Hessen, die Pfalz, 
Elsaß und drei Viertel von Baden. Der größere Teil 
des Gebietes ist inventarisiert, für den übrigen stan- 
den dem Verfasser, der das meiste aus eigener An- 
schauung kennt, in Fachleuten wie Friedrich Schnei- 
der, Kautzsch, Neeb, Rauch und Rott tüchtige Mit- 
arbeiter zur Verfügung. Demgemäß ist denn auch 
dieser Band der beste und sorgfältigste unter den 
bisher erschienenen; zumal die knappen Mono- 


| graphien der Dome zu Mainz und Worms, des 


Heidelberger Schlosses und der Münster zu Straß- 
burg und Freiburg sind wahre Kabinettstücke 
kunsthistorischer Darstellung. Daß die bisher noch 
nicht bearbeiteten Kreise Badens Lücken auf- 
weisen, wird keinen Forscher, der die Mühen der 
Inventarisationsreisen kennt, wundernehmen. Er- 
staunlicher sind die vielen Mängel in der Bear- 
beitung der pfälzischen Kunstdenkmäler, für die 
doch ein ganz brauchbares Inventar vorlag. So 
fehlen z. В. das Grabmal Rudolfs von Habsburg, 
ein Hinweis auf das von Maximilian geplante 
Kaiserdenkmal Valkenauers und der mit der Art 
des Hausbuchmeisters verwandte Altar aus Boss- 
weiler im Speyerer Dom, der Altar in Maikammer, 
das Königskreuz bei Göllheim. Ein Prinzip, nach 
dem die Burgen ausgewählt sind, ist nicht zu er- 
kennen. Während z. B. Trifels und Hohenburg 
beschrieben sind, fehlen Wasigenstein, Madenburg 
und Rietburg. In Erbach i. O. hätten die wich- 


tigen Grabsteine aus der Steinbacher Basilika Er- 
wähnung verdient, im Kreuzgange von St. Stephan 
in Mainz die schöne Magdalenenstatue aus dem 
Ende des 13. Jahrhunderts, die vor etwa sechs 
Jahren daselbst gefunden wurde. Bei der mittel- 
rheinischen Plastik um 1500 wird der Name Back- 
ofen allzu oft zur Kennzeichnung eines lokal all- 
gemein verbreiteten Stiles gebraucht. Beträchtlich 
ist endlich die Zahl störender Druckfehler, z. B. 
im Anfange der Beschreibung des Straßburger 
Münsters. Immerhin können diese kleinen Aus- 
stellungen der Anerkennung des Ganzen keinen 
Eintrag tun. Möchte der letzte Band des Werkes, 
dem kein anderes Land Europas eine ähnliche 
Leistung an die Seite stellen kann, in Bälde er- 
scheinen. Baum. 


S. TROINITZKY, Das Porzellan der 
Kaiserl Eremitage. St. Petersburg 1911 
(aus Starije Gody, russisch), 8. 

Zu Ende 1910 wurden etwa 1000 Silbersachen 
und gegen 6500 Porzellane europäischer Herkunft 
aus den Beständen der Kaiserlichen Schlösser in 
Petersburg und Umgegend in die Eremitage über- 
geführt, wo sie jetzt aufgestellt sind, das Silber in 
der ehemaligen Galerie Peters des Großen, das 
Porzellan in der ehemaligen Galerie der Kostbar- 
keiten. Über diese Porzellanschätze, deren Haupt- 
bestandteil namentlich frühes Meißner bildet, be- 
richtet nun das vorstehende reich illustrierte Ver- 
zeichnis in durchaus sachlicher Weise. 

Die Sammlung war auf Grund von Listen 
gebildet worden, die Grigoröwitsch in den Jahren 
1884—88 über die Porzellanvorräte des Winter- 
palais in St. Petersburg, der Schlösser von Peter- 
hof, Zarskoje Selò, Warschau, Jeldgin, Katharinen- 
hof, Petrowsk, Gätschina, Ropscha und des Hauses 
im Petersburger Sommergarten aufgestellt hatte. 
Daraus war dann, unter Zuhilfenahme der Silber- 
vorrite, das Museum Alexanders III. entstanden, 
das in drei Zimmern des dritten Stockes im 
Winterpalais, nach dem Admiralitätsplatz zu, auf- 
gestellt wurde, wo es freilich so gut wie unzu- 
gänglich war. Den Anstoß zur Überführung in 
die Eremitage bot der Umstand, daß die Galerie 
Peters des Großen von dort zu Anfang des Jahres 
1910 ап die Akademie der Wissenschaften abge- 
geben worden war. 

Schon Peter der Große hatte, wie Berling be- 
richtet, bei seinem Besuch von Plaue a. d. Havel 
im Jahre 1717 in der dortigen, mit Hilfe von aus 
Meißen herübergelockter Arbeiter kurz vorher ge- 
gründeten Porzellanmanufaktur ein Service aus 
roter Masse mit vergoldetem Wappen bestellt, 


wovon jedoch bisher noch kein Stück hat wieder- 
gefunden werden können, wenn sich nicht solche 
unter den noch in den genannten Schlössern ver- 
bliebenen „Vorräten“ befinden. — Die Kaiserin 
Elisabeth (reg. seit 1741) begründete dann die 
Petersburger Manufaktur, die fast ausschließlich 
für den Hof arbeitete. 

Die interessantesten der noch erhaltenen, hier 
abgebildeten Meißner Stücke sind die folgenden 
(die Nummern sind die der Tafeln): 

2. Sechs Tassen mit Chinesenszenen in Silber, 
um 1720, ohne Marke. 

9. Kaffeeservice mit schwarzen Landschaften und 
silbernen Ornamenten, ebenso. 

то. Kaffeeservice mit Chinesenszenen in Gold, 
auf einem kunstvollen vergoldeten Silberaufbau 
von Joh. Engelbrecht in Augsburg; die silbernen 
Löffel bezeichnet G.I. (Irminger). 

тт. Ähnliches, etwas späteres Teeservice, auf 
noch reicherem Untersatz, mit K. P. M. und der 
Schwertermarke bezeichnet. Die Löffel ebenfalls 
G.L bezeichnet. 

14. Reiche Uhr mit zwei Kindern als Bekrönung. 
In Gold datiert: 17. Mai 1727. 

15. Vergoldetes Teeservice mit ausgesparten 
blauen Blumen. 

17. Teeservice mit Jagdszenen in Gold. Mit der 
Bezeichnung: © jagd. 

18. Tee- und Kaffeeservice mit schrägen Land- 
schaften und goldnen Ornamenten. 

a1. Service mit wassergrünem, gelbem und rotem 
Grunde. 

22. Schreibgarnitur mit dem Bironschen Wappen 
(Graf seit 1730, Herzog seit 1737). 

23/24. AR = Vasen. 

Weiterhin: Tiere; Gefäße in Form von Früchten; 
Figuren; Jagd- und Kriegsvase, bemalt. 

42. Vase von 68cm Höhe mit dem Reliefbild- 
nis der Kaiserin Elisabeth, dem sitzenden Apoll 
auf dem Deckel, und bunten Reliefblumen. 

Der Schneider des Grafen Brühl. 

44. Das Modell der Reiterfigur August III für 
den Jüdenhof, von 1753, bemalt, angeblich in 
wesentlich späterer Ausführung. 

45. Teeservice mit violettem Schuppengrunde. 

46 und49. Das Andreas-Tischservice, wahrschein- 
lich aus dem Anfang der sechziger Jahre; die 
Leuchter sind dieselben wie beim Schwanenservice, 
nach Desplaces Stichen nach Meistoneies gefertigt 
(siehe Kunst und Kunsthandwerk 1905, 31). 

47. Dazu ein Teeservice. 

48. 50. Jagdspeiseservice, von Katharina II. für 
das Jagdhäuschen in Zarskoje Selö bestellt, aus 
gegen 600 Stücken bestehend. 


155 


Wien: 

52. 53. Bemalter Elefant als Bekrönung eines 
Gestells für Teetassen, um 1730, ohne Marke. Sehr 
reich. 

54. Unter verschiedenen Gruppen namentlich 
eine Muschel, die von einer mit Trauben ge- 
schmückten, sitzenden Frau gestützt wird, weiß, 
bezeichnet: Ludwig v. Lücke. 

55. Speiseservice mit dem russischen Wappen, 
um 1730, ohne Marke. 

Sevres: 

59 Tischchen, grün mit Gold, von 1756. 

61ff. Service für Katharina II. von 1778/79, aus 
744 Stücken bestehend, Preis 300000 livres. 

Die Erzeugnisse der Petersburger Manufaktur 
beginnen mit den fiinfziger Jahren des 18. Jahr- 
hunderts. 

Gardnersche Fabrik: 

76 ff. Das Georgs-Service, zweite Hälfte des 18. 
Jahrhunderts. 

Berlin: 

85. Kaffee- und Teeservice mit Watteauszenen 
in rot, um 1770. 

88. Tempel mit der sitzenden Gestalt Katharina II., 
Geschenk Friedrichs des Großen von 1772. 

W. v. Seidlitz. 


A.DONATH, Psychologie des Kunstsam- 
melns mit 50 Abbildungen. Bibliothek fiir 
Kunst- und Antiquititensammler Bd. о. 
Berlin W. 1911, Rich. Carl Schmidt & Co. 


Man wäre, dem Titel nach berechtigt, eine andere 
Behandlung des Themas zu erwarten, eine mehr 
psychologische, die die tausend Gründe und Ab- 
gründe des Sammelns und die Verschiedenheit 
der Sammlertemperamente aufdeckte, und man ist 
enttäuscht, wenn gleich der erste Satz des Vor- 
worts das Thema des Titelblattes beschränkt auf 
einen „Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des 
Sammelwesens und eine knappe Darstellung der 
wichtigsten Phasen des Kunstmarkts.“ 

Indessen ist Herr Donath auch an diesem Ufer 
als Entdecker gelandet, nachdem ihm die einzige 
größere Vorarbeit, Jacob Burckhardts Abhandlung 
über die Sammler (in den Beiträgen zur Kunst- 
geschichte von Italien) entgangen zu sein scheint, 
was um so mehr zu bedauern ist, als er hier auch, 
außer einem gehäuften Reichtum an Einzelwissen, 
vielleicht die Anregung gefunden hätte, ebenfalls, 
wie Burckhardt, das Problem des gegenseitigen 
Einflusses von Sammlertätigkeit und Kunstproduk- 
tion in den Kreis der Betrachtungen zu ziehen. 

Daß das Mosaikbild, das der Verfasser aus vielen 


156 


zeitgenössischen Quellen, einigen Spezialstudien über 
die Geschichte einzelner Sammlungen und unend- 
lich vielen Katalogen zusammenstellte, fast zur 
Hälfte die Gegenwart darstellt, nachdem die Ge- 
schichte der älteren Zeit atemlos und — hier 
meldet sich der Chronist des Tages — meist im 
Präsens erzählt worden ist, wird die Leser weiter 
nicht betrüben, da sie durch hübsche und lehrreiche 
Kapitel über Preissteigerung, über Fälschungen 
und über die amerikanische Gefahr erfreut werden, 
Kapitel, wie sie eben nur ein Mann schreiben 
kann, der Kunstentwicklung und Kunstmarkt seit 
Jahren mit offenem Blick und lebendigem Interesse 
miterlebt, und oft genug glossiert hat. Die Künst- 
ler aber dürfen sich den trostreichen Satz zu Herzen 
nehmen, daß ein großer Prozentsatz der Sammier 
durch die hohen Preise für alte Kunstwerke förm- 
lich dahin gedrängt werde, moderne Kunst zu 
sammeln. Die „amerikanische Gefahr‘ hat also 
auch ihre guten Seiten. 

Daß eine solche erste Bearbeitung eines so aus- 
gedehnten Gebietes ihre Lücken hat, ist durchaus 
selbstverstindlich. Und da ich hoffe, daß das 
Interesse der Sammler für die Geschichte ihrer 
Zunft dem Buche zu einer zweiten Auflage ver- 
helfen werde, so möchte ich für diese einige Ver- 
vollständigungsvorschläge machen. 

Unter den sammelnden Künstlern fehlen die 
Italiener des Quattrocento, vor allem Ghiberti 
(sein Nachlaß bei Vasari, vita di Ghiberti), die 
Bellini, Francesco Squarcione (wieviele Leser des 
Donathschen Buches werden wissen, daß der S. 32 
genannte „Schneider Squarcione“ der Vater der 
Schule von Padua und Mantegnas Lehrer war?) 
und sein Schüler Mantegna, Giulio Romano (Vasari, 
vita di Giulio) und Sodoma (Verzeichnisse bei 
Milanesi, documenti und in den lettere pittoriche). 
Bei allen diesen Künstlern haben die Sammlungen 
einen großen Einfluß auf ihre und ihrer Schüler 
Kunst gehabt, sie wurden oft geradezu (bei Squar- 
cione z. B.) als Lehrmittel angeschafft. Die italieni- 
schen Medaillen der Renaissance gehen geradezu 
von einer Nachahmung der antiken Münzen aus. 

Im 18. Jahrhundert fehlen die Sammlungen Cari 
Augusts in Weimar. Sie hätten eine Erwähnung 
verdient, denn einmal zeigen sie, was Energie 
und Kunstverstand selbst bei geringen Mitteln und 
in kurzer Zeit leisten können, und dann ist die 
Bibliothek in Weimar das letzte vorhandene Bei- 
spiel der alten Kunstkammer. An dieser Stelle 
hätte auch der Zentralagenturen in Rom gedacht 
werden müssen, wie eine jahrzehntelang der Hof- 
rat Reiffenstein als Vertrauensmann von fürstlichen 
und privaten Sammlern innehatte. 


Noch empfindlicher sind die Lücken im 19. Jahr- 
hundert, weil die Sammlungen, die fehlen, am 
stärksten auf ihre Zeit gewirkt haben. Zunnächst 
fehlt die Sammlung der Brüder Boisserée, die 
Kenntnis und Verständnis der niederrheinischen 
Kunst zum ersten Male ermöglicht hat, und die 
so bedeutend war, daß sie 1827 für 240000 Gulden 
in den Besitz Ludwigs I. von Bayern überging. 
Ferner fehlt die Raffaelsammiung, die der Prinz- 
gemahl von England in den soer Jahren anlegte, 
in Originalen und Reproduktionen Raffaelis ganzes 
Werk umfassend, angelegt zu dem eingestandenen 
Zweck, einmal eine vollständige Kenntnis von 
Raffaels Werk zu ermöglichen und ferner durch 
Ausstellung und Verbreitung der Reproduktionen 
die einheimische Produktion günstig zu beein- 
Aussen. Endlich fehlt die Sammlung Schack, von 
deren Bedeutung man ebensowenig zu reden 
braucht, wie von dem Einfluß, den ihr Besitzer 
und Schöpfer auf die deutsche Kunst in der zweiten 
Hälfte des Jahrhunderts gehabt hat. 

Zu erwägen wäre auch, ob nicht in ein Buch 
über Kunstsammeln zwei Kapitel gehörten: eines 
über die kirchlichen Schatzkammern und deren 
Einfluß auf die Produktion des Goldschmiede- und 
Textilkunstgewerbes, und ein zweites über die 
Kataloge, von dem Katalog der kaiserlich-chinesi- 
schen Bronzesammlung mit seinen feinen Aqua- 
rellen an, über die illuminierte Pergamenthandschrift 
über den Halleschen Domschatz, das Wittenberger 
Heiligtumsbuch mit seinen Holzschnitten und den 
kupferstichgeschmückten Thesaurus Brandenburgi- 
cus von Beger bis zu den Luxuskatalogen Pierpont 
Morgans. jedenfalls wäre aus dem Begerschen 
Thesaurus besseres und genaueres über die alte 
Berliner Kunstkammer zu erfahren gewesen als 
aus Sandrarts mageren Berichten vom Hörensagen. 

H. Friedeberger. 


MAURICE W. BROCKWELL, The 
‘Adoration of the Magi’ by Jan Mabuse. 
Formerly in the Collection of the Earl of 
Carlisle. With seven Plates. London 1911. 
Privately Printed, kl. 4°. 

Daß über 800000 Mark je für ein Gemälde des 
Jan Gossart gezahit werden würden, und wenn es 
auch sein bestes sei, hätte man sich noch vor 
zehn Jahren nicht träumen lassen. Die Erwerbung 
der „Anbetung“ dieses Meisters durch die Londoner 
National! Gallery im August des vorigen Jahres, 


hat denn auch gehöriges Aufsehen hervorgerufen, 
und rechtfertigt die Veröffentlichung der vorliegen- 
den Monographie. Der Verf. bekennt, er habe das 
Bild nur zehn Tage lang studieren können, aber 
er hat es ohne Glas gesehen und es ist so photo- 
graphiert worden, wonach die Abbildungen in 
diesem Werke hergestellt worden sind. Nicht so 
bald dürfte jemand wieder dazu gelangen, das 
fragile Werk ohne das schützende Glas zu sehen. 
Nach einer genauen, ins einzelne gehenden Be- 
schreibung des Werkes, wobei Brockwell entgegen 
der Notiz in Wurzbachs Lexikon behauptet, es 
sei ausgezeichnet erhalten, folgt eine weitgehende 
Untersuchung der Herkunft des Gemäldes, wobei 
der Verf. Hymans und anderen bestimmt entgegen- 
tritt, die behauptet haben, daß es einstens der 
Galerie Orléans zugehérte. Sodann kommt eine 
kurze Biographie Gossarts in der Brockwell mancher- 
lei angeblich irrige Auffassungen zu widerlegen 
sucht, und vor allem das Todesjahr des Meisters 
in eins mit dem seines Testaments, also 1533, zu- 
sammenfallen läßt. 

Ausgiebig zitiert werden endlich alle Autoritäten 
wie Walpole, Bryan, Stanley, Waagen, und be- 
sonders Scharf, die sich schon zu dem Bild geäußert 
haben, sowie Zeitungsartikel abgedruckt, die dem 
früheren Erscheinen des Werkes auf Ausstellungen 
und dem jetzigen Auftauchen gewidmet waren. 

Der Gossart ist auf Betreiben des englischen 
Galerie-Vereins (National Art-Collections Fund) er- 
worben worden, und das veranlaßt den Verf. zum 
Schluß eine interessante Beleuchtung der Tätigkeit 
dieses Vereins zu bieten, der innerhalb der sieben 
Jahre seines Bestehens für die National Gallery 
bereits so wichtige Werke wie die Rokeby Venus 
des Velazquez und die Herzogin von Mailand, 
Christina, des Holbein gerettet hat. Von diesen, 
sowie von Rembrandts Mühle, für deren Erwerb 
der Verein sich auch, allerdings vergeblich, be- 
müht hatte, birgt der Band ebenfalls gute Ab- 
bildungen. Hans W. Singer. 


LEON ROSENTHAL, Daumier. L'art 
de notre temps. Bd.V. 48 Tafeln. F. 3.50. 
Librairie centrale des Beaux - Arts, Paris. 

Auch dieser neueste Band der hier bereits an- 
gezeigten Serie reiht sich würdig den früheren 
Bänden an. Rosenthals Text stützt sich auf die 
Vorarbeiten von Champfleury, Alexandre, Béraldi, 
Hazard und Delteil. Otto Grautoff. 


157 


DER CICERONE. 

Heft 5: 

ALFRED STIX, Ausstellung von Neuerwerbungen 
der Kaiserl. Gemildegalerie in Wien. (11 Abb.) 
GEORG BIERMANN, Nochmals „Der Rheinische 
Bismarck“. 

Heft 6: 


MAX SAUERLANDT, Die Fayencemanufaktur im 
Dorotheenthal bei Arnstadt. (19 Abb., 1 Markentaf.) 
M. K. ROHE, Eine Ausstellung französischer Ro- 


kokomalerei in der Galerie Heinemann in Miinchen. 
(7 Abb.) 


— e 


DIE KUNSTWELT. 

Heft 5: 

W v. OETTINGEN, Ernst Pfannschmidt. (15 Abb. 
und 4 Tafeln.) 


GEORG BIERMANN, Zur Erziehung des Kunst- 
historikers (eine Erwiderung). 


ERNST SCHUR, Spitzenkunst. 

FELIX LORENZ, Ferdinand Schmutzer. (6 Abb. 
und 4 Kunstbeilagen.) 

H. E. WALLSEE, Die Galerie Ed. F. Weber in 
Hamburg. (2 Abb.) 

GEORGES MORIN, Medaillenkunst. II. (8 Abb.) 


G. E. LÜTHGEN, Die XL Jahresausstellung der 
Vereinigung Kölner Künstler. 


DIE KUNST. 

Heft 6: 

F. v. SCHUBERT - SOLDERN, Frank Brangwyn. 
(17 Abb.) 

KURT ERASMUS, Jacob Maris. (8 Abb.) 


GEORG JACOB WOLF, Winterausstellung der 
Münchner Sezession. I. | Kollektivausstellung der 
Wiener Sezession. (24 Abb., ı farb. Tafel.) 


KONRAD LANGE, Die Notlage unserer Maler. 


MITTEILUNGEN AUS DEN SÄCHSI- 
SCHEN KUNSTSAMMLUNGEN. 
Herausgegeben mit Unterstützung der General- 
direktion der Königl. Sammlungen zu Dresden. 
Jahrgang U: 

PAUL HERRMANN, Mumienbildnisse aus römi- 
scher Kaiserzeit. (2 farbige und ı Textabb.) 
GEORG TREU, Antikes Weihrelief eines Schau- 
spielers. (1 Taf., 5 Abb.) 

Holz- und Metallschnitte im Kupferstich- 
kabinett zu Dresden. 

ERNST KÜHNEL, Der arabische Globus. (3 Abb.) 
MAX GEISBERG, Der verlorene Sohn. (1 Taf.) 
MAX ENGELMANN, Das Meisterstück des Nürn- 
berger Uhrmachers Paulus Schuster. (1 Taf., 3 Abb.) 


ERICH HAENEL, Hofkleider Johann Georgs I. 
(4 Abb.) 


158 


JOHANNES SCHINNERER, Die Sammlung Becher. 
(1 Abb.) 

HANS POSSE, Die Umgestaltung der Dresdner 
Gemäldegalerie. (3 Abb.) 

Pöppelmanns Bildnis im Stadtmuseum zu Dres- 
den. (1 Abb.) 

ERNST ZIMMERMANN, Die Anfänge der Blau- 
malerei. (4 Abb.) 

HANS W. SINGER, Die Farbenkupferstiche Le 
Blons. (1 Taf.) 

F. v. SCHUBERT-SOLDERN, Die Kupferstich- 
sammlung König Friedrich Augusts II. 

ALFRED LICHTWARK, Zu Karl Woermanns 
letzter Erwerbung. (1 Taf.) 

WOLDEMAR v. SEIDLITZ, Forains Lithographien 
und Radierungen. (4 Abb.) 


GEORG TREU, Bronzebüste Wilhelm Wundts 
von Max Klinger. (1 Taf., 1 Abb.) 


KUNST UND KUNSTHANDWERK. 
Heft ı: 


A. WALCHER v. MOLTHEIN, Die Bestecksamm- 
lung im Schloß Steyr. (109 Abb.) 


Behandelt ausführlich die verschiedenen Formen 
des Messers in Mittelalter und Renaissance, so- 
wie kurz Löffel und Gabel und schließlich ihre 
seit dem 17. Jahrh. übliche Zusammenstellung 
im Besteck. Daran schließt sich eine historische 
Betrachtung der Messerschmiedekunst in der 
Stadt Steyr. Die Sammlung wurde vom Grafen 
Lamberg (| 1901) zusammengebracht und ist 
die bedeutendste ihrer Art. 


J. LOUBIER, Bucheinbände der K. K. Hofbibliothek 
in Wien. (то Abb.) 


Eingehende Besprechung des von der genannten 
Bibliothek kürzlich herausgegebenen, von Dr. 
Gottlieb besorgten Tafelwerkes. 


H. FISCHEL, Aus dem Wiener Kunetleben. 
Kleine Nachrichten. — Mitteilungen. — Literatur. 


Heft 2: 


K. FR. LEONHARDT, Die Salzburger Grabmal- 
plastik vor Hans Valkenauer. (19 Abb.) 


Die Abbildungen zeigen Grabplatten in Salzburg, 
Friesach, Pfarrkirchen, Niederschönenfeld, Wie- 
ner-Neustadt, Knittelfeld, Michaelbeuern, Seckau, 
Au, Gars, Burghausen, Marzoll, Reichenhall, 
Raitenhaslach. 


C. RUGE, Amerikanische Kunstausstellungen der 
Saison 1910/11. (15 Abb.) 


J.FOLNESICS, Kgl. sächsische Porzellanmanufaktur 
Meißen. (9 Abb.) 


Eingehende Besprechung der von Dr. Berling 
herausgegebenen Festschrift zum 200 jährigen 
Jubiläum der Meißener Manufaktur. 


Н. FISCHEL, Aus dem Wiener Kunstleben. 
Kleine Nachrichten. — Mitteilungen. — Literatur. 


KUNST UND KÜNSTLER. 

Heft 6: 

ALFRED LICHTWARK, Der Sammler (Schluß). 
(11 Abb.) 

Briefe von Alfred Rethel. (7 Abb.) 

Aus einem Tagebuch Karl Schuchs. (9 Abb.) 
MAX J. FRIEDLANDER, Friedrich der Grofe in 
der Kunst. (5 Abb.) 

JULIUS ELIAS, Albert von Keller. (8 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 6: 

ROBERT BREUER, Max Pechstein-Berlin. (21 Ab- 
bildungen.) 

Zu einigen Blättern aus Hans Böhlers ost- 
asiatischer Studienmappe. (9 Abb.) 

PAUL WESTHEIM, Leopold Graf von Kalckreuth. 
(7 Abb.) . 

ARTHUR ROESSLER, Bildhauer Jan 8tursa-Prag. 
(12 Abb.) 


ZEITSCHR. FÙR BILDENDE KUNST. 
Heft 6: 

K. FRIEDRICH LEONHARDT und HELMUTH 
TH. BOSSERT, 8tudien zur Hausbuchmeisterfrage. 
(14 Abb.) 

FRIEDRICH PERZYNSKI, Ostasiatische Neuer- 
werbungen der Berliner Museen. (15 Abb.) 
FEDERIGO HERMANIN, Angelo Zanellis Skulp- 
turen am Nationaldenkmal in Rom. (2 Abb.) 


ANZEIGER FÙR SCHWEIZERISCHE 
ALTERTUMSKUNDE. 

1911, 3. Heft: 

W. DEONNA, Monuments anciens trouvés en 
Suisse. 

D. VIOLLIER, Fouilles executées par les soins du 
Musée National: IV. Le cimetitre barbare de l’em- 
pereur Auguste. 

J. R. RAHN, Die Ruine Fryberg (Fridberg). 

AD. FLURI, Die ältesten Pläne der Stadt Bern und 
die Künstler, die damit in Beziehung. stehen. 

E. HAHN, Eine Porträtmedaille von Friedrich 
Hagenauer. | 

Dr. F.v.JECKLIN, Die Veräußerung des Kirchen- 
schatzes der St. Martinskirche zu Chur. 

EMMA REINHART, Winterthurer Glasmaler. 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 13: 

FRITZ WITTE, Der grofie Krusifixus in Maria 
im Kapitol zu Köln und sein Alter. (1 Taf.) 
ALFRED TEPE, Malerisch. Eine entwicklungs- 
geschichtliche Studie. II. (Schluß.) (2 Abb.) 


JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Die litur- 
gische Rolle im großen griechischen Kloster zu 
Jerusalem. (4 Abb.) 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1913, Heft 4. 


BURKHARD MEIER, Eine Madonna als Аары. 

(т Abb.) 

FRITZ WITTE, Kunsthistorische Notizen aus den 
Ausgaben- und Einnahmeregistern der Domfabrik 
zu Osnabrück, I415—1550. 

Bücherschau. 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 
Heft 6: 


OSKAR DOERING, Georg Busch. Zum so. Ge- 
burtstag des Künstlers. (3 Taf., 41 Abb.) 


RICHARD RIEDL, Wiener Herbstausstellungen. 


— — — 


LES ARTS. 

Februar: 

PAUL VITRY, Les expositions rétrospectives de 
Tournai, Malines et Charleroi (1911). (45 Abb.) 


LA NOUVELLE REVUE FRANCAISE. 


Nr. 39: 
JACQUES RIVIERE, Felix Vallotton. 


L'ART DECORATIF. 

Nr. 165 und 166: 

L. CH. WATTELIN, Les miroirs persans. 
PELADAN, La France monumentale en 1912. 
FERNAND ROCHES, Vieux papiers peints. 


ART ET DECORATION. 

XVI., Nr. a: 

LÉONCE BENE DTTE, Louis Morin. | 
Papiers de Garde de Georges Auriol. 
E. GRASSET, Armoiries Japonaises. 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VII., Nr. 83: 

ADOLPHE THALASSO, Les trésors du musée 
d’Athènes. 


LES MUSEES DE FRANCE. 
1912, Nr. 2: 
GASTON MIGEON, Friences de Perse (au Louvre). 


PAUL ALFASSA, Les peintures de Sainte-Croix 
de Verinet par Maurice Denis. 


RAYMOND KOECHLIN, Utamaro. 


REVUE INDEPENDANTE. 
II., Nr. g: 
ALBERT GLEIZE über Le Fauconnier. 


REVUE PEDAGOGIQUE. 
t. 59, Nr. 12: 


GASTON RAPHAEL, Les écoles 5 
et d'arts decoratifs en Allemagne. 


12 159 


RIVISTA D’ARTE. 
VIII., fasc. 1—32: 
ANTONIO MUNOZ, La chiesa di 8. Eligio in Roma 
e il suo recente restauro. (14 Abb.) 
Behandelt die kürzliche Wiederherstellung der 
von Geymiller Raffael zurückgegebenen Kirche. 
CARLO GAMBA, Un diregno di Fra Bartolommeo 
nella raccolta Heseltine. (Abb.) 
Kompositionsentwurf für das Altarbild mit der 
hl. Anna in den Uffizien. е 
LUIGI MUSSI, Le chiese di Massa luneure rei 
documenti della Curia Vescovile di Luni-Sarzona 
(dal 1500 al 1700). 
RAFFAELLO GIOLI, Alcune tavole del Pisano. 
(3 Abb.) 
JACQUES MESNIL, La data della morte di Ma- 
saccio. | 
Per la storia della Cappella Brancacci. | 
ALESSANDRO DEL VITA, Nuovi documenti sul 
pittore Don Bartolommeo Della Gatta. 
Verfasser schiebt das Todesjahr bis in die Jahre 
1502—1505 (statt wie bei Milanesi 1491). 


RASSEGNA D'ARTE. 


asc. 12: 
FRANCESCO MALAGUZZI VALERI, Maestri mi- 
nori del Quattrocento. (19 Abb.) 

Zanetto Bugatto, di Blubo, Gottardo Scotti, Do- 
nato da Montorfano und Agostino da Voprio. 
M. L. BERENSON, Il Sassetta e la leggenda di 

8. Antonio Abate. (3 Abb.) 

Bilder der Antoniuslegende von Sanetta in New 

Haven und Siena. 

DIEGO SANT’AMBROGIO, Nel Museo di Porta 
Giovia. (Abb.) 

Grabstein von Antonello Arciaboldi (1439). 
UMBERTO GNOLI, Opere sconosciute di Pietro 
Alemanno. (2 Abb.) 

Madonnen in Paris (Musée des Arts décoratifs) 

und London (Sammlung Cook). 

F. MASON PERKINS, Un dipinto del Crioelli. 
(Abb.) 

H. Jacobus in Brooklyn, Sammlung F. L. Fabbott. 
E. SCHAEFFER, Nuovi acquisti dei Musei di 
Berlino. 


STARYJE GODY. 


Januar: 


N. MAKARENKO, La collection des princes L. et 
E. Kotchoubey. (18 Abb.) 


E. DE LIPHART, La collection de tableaux des 

princes L. et E. Kotchoubey. (18 Abb.) 
Die Sammlungen der Fürsten К. in St. Peters- 
burg abstammen größtenteils vom Prinzen Eugen 
Beauharnais und der Großfürstin Maria, der 
Tochter des Zaren Nikolaus I., welche mit einem 
Herzog von Leuchtenberg vermäht war. Herr 
M. behandelt die kunstgewerblichen Gegenstände 


der Sammlung, worunter sich wertvolle, meist 
französische Möbel, Tapisserien, Bronzeuhren etc. 
befinden, sowie ein kostbarer Prachtdegen Махі- 
milians І. von Bayern mit Miniaturporträts deut- 
scher Fürstinnen. E. v. L. bespricht u. a. Ge- 
mälde von Pesugino, des bisher ganz unbe- 
kannten Bartolomeo diSeraphimo,Longhi, 
Juan Juanes, Morales, D. Teniers, Miere- 
velt, Greuze, Robert Hubert, M. J. Vien 
Vicomte Alexandre Beauharnais) und Baltasar 
Denner (Porträt des Friedrich Hoffmann). Ein 
prächtiges Knabenbildnis des Fra Vittorio 
Ghislandi, das seinerzeit von der Großfürstin 
Maria in Florenz erworben wurde, hält Liphart 
fir vielleicht identisch mit dem Bildnis, welches 
Ghislandi 1732 dem Marquis Andrea Gerini nach 
Florenz gesandt hatte. 


N. SOLOVIEFF, Valérien Langer et son oeuvre. 
(29 Abb.) 
Russischer Graphiker (1802 bis nach 1865). 


MUSEUM. 

Heft 1: 

М. UTRILLO, EI „primitivismo. (8 Abb.) 
Gelegentlich einer Kollektivausstellung des Bild- 
hauers Enrique Casanovas in den Galerien des 
„Fayans Català“ (Herbst 1911). 

M. RODRIGUEZ CODOLA, Dibujos de Frank 

Brangwyn. (5 farb. Taf., 9 Abb.) 

H. POST, Los talleres de Artes y Oficios Unidos. 

(16 Abb.) i 
Behandelt die Entstehung und die Tätigkeit der 
„Vereinigten Werkstätten für Kunst im Hand- 
werk“. 


Ecos artisticos. 


APOLLON. 
Heft 1: 


W.ADARJUKOW, Abriß der Geschichte der Litho- 

graphie in Rußland. (68 Abb.) 
Verfasser вїе u. a. fest, daß die erste künst- 
lerische Lithographie in Rußland von Alexan- 
der Orlowski am 18. März 1816 ausgeführt 
wurde. Das Blatt befindet sich in einem bisher 
ganz unbekannt gebliebenen Album von 13 Lithos 
in der Kais. Ermitage. 


THE STUDIO. 

März: 
ALEXANDER J. FINBERG, Turner at Farnley 
Hall. (7 Abb.) 

MAX EISLER, The Van Randwijk Collection. I. 
The School of The Hague. (12 Abb.) 

LEOPOLD HONORE, An Alsatian landscape pain- 
ter: Henri Zuber. (7 Abb.) 

Some Paris sketches by Lester G. Hornby. 
(7 Abb.) | 
A. S. LEVETUS, The Jubilee Exhibition of the 
Royal Hungarian Art Society, Budapest. (9 Abb.) 


— ———— ͤ Bmö́é.. —ͤͤ— ut: —- — — — — — — — — —— ää — . — —. — — — — 


160 


NEUE BÜCHER ЖИЛ 


Beiträge zur Geschichte des alten Mönch- 
tums und des Benediktinerordens. Heraus- 
gegeben von P. Ildefons Herwegen. Heft 1—2. 
Wilhelm Neuß, Das Buch Ezechiel in Theologie 
und Kunst bis zum Ende des 1a. Jahrhunderts. 
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Preis М. 10.—, geb. M. 12.—. 


L. SCHNORR v. CAROLSFELD, Porzellan (Bd. 3 
der Bibliothek für Kunst- und Antiquitätensamm- 
ler). Richard Carl Schmidt & Co., Berlin. 


LUDWIG GURLITT, Louis Gurlitt. Ein Künst- 
ler des 19. Jahrhunderts. Verlag Julius Bard, Berlin. 
Preis М. 18.—. 


R.MULLER FREIENFELS, Psychologie der Kunst. 
Bd. I und II. Verlag B. G. Teubner, Leipzig. Preis 
eines Bandes M. 4.40 geh. Beide Bände in einen 
Band geb. M. 10.—. 

FRITZ SCHILLMANN, Viterbo und Orvieto. (Be- 
rühmte Kunststätten, Bd. 55.) Verlag E. A. See- 
mann, Leipzig. 

JOSEF LUDWIG FISCHER, Ulm, (Berühmte 
Kunststätten, Bd. 56.) Ebenda. 


GEORG LEIDINGER, Miniaturen aus Handschriften 
der Kgl. Hof- u. Staatsbibliothek, München. Heft 1: 
„Miniaturen des sogenannten Evangelariums Kaiser 
Ottos III.“ Verlag Riehm & Tietze, München. 
Einzelpreis М. 30.—. Für Abonnenten der ganzen 
Sammlung М. 24. —. 


JULIUS v. SCHLOSSER, Paramentenschatz des 
Ordens vom goldenen Vliese. Verlag von Anton 
Schroll & Co., Wien. Preis in eleganter Mappe 
K. 60.—. | 

ODILO WOLFF, Tempelmaße. Ebenda. Preis 
К. 15.—. 

ARNOLD v. SALIS, Der Altar von Pergamon. 
Beitrag zur Erklärung des hellenistischen Barockstils 
in Kleinasien. Verlag Georg Reimer, Berlin. Preis 
М. 8.—. 

FRITZ KNAPP, Wanderungen durch die Werk- 
stätten fränkischer Bildhauer. Verlagsbuchhand- 
lung Stürtz, Würzburg. 


VALENTIN HOPF, Die Thüringer Holzschnitz- 
kunst. Selbstverlag. 


G. J. KERN und HERMANN UHDE-BERNAYS, 
Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter. Aus 
dem Besitz der Königlichen National-Galerie zu 
Berlin. Bd. II. Verlag Meyer & Jessen, Berlin. 


FRIEDLAENDER, Das Kasino Pius IV. Verlag 
Karl W. Hiersemann, Leipzig. Preis M. 40.—. 


MAX SLEVOGT, 96 Reproduktionen nach seinen 
Gemälden, mit einem Vorwort von Karl Voll. 
Verlag Georg Müller, München. 


ROBERT BREUER, Das Kunsthandwerk in Hessen. 
Ecksteins Biographischer Verlag, Berlin. Preis 
kart. M. 1.—. 


V. Jahrgang, Heft IV. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz, 
Waldmannstrafe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 

Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr.M.K. ROHE, München, Clemensstr. 105. / In ÖSTER- 
REICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN 
FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemer- 
straat 22. | In FRANKREICH: OTTO GRAUTOFF, Paris, Quai Bourbon rr. | In der SCHWEIZ: 


Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 


Montags 10— 1a und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telefon: Amt Groß -Lichterfelde 456. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


161 


FirmentafelderMonatshefte firKunstwissenschaft 


Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben. 
Wegen Beteiligung wende man sich an die Inseratenabteilung der „Monatshefte für Kunstwissenschaft“ in Berlin- Lankwits. 


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mannshaus). Ausstellung von Orig.-Gemälden und Radierungen holländischer Meister. 


Abb. ı. Locronan, Grabmal des hl. Ronan Photographie von Mr. l'abbé Abgrall 


Abb. 2. Locronan, Grabmal des hl. Ronan Photographie von F. Martin - Sabon 


Zu: KONRAD ESCHER, DAS GRABMAL DES HEILIGEN RONAN IN LOCRONAN 


M. f. K. v. 4 


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M. f. Kk. v, 4 


ART 
12 ** 


Abb. 3. Grabmal des Philipp Pot, im Louvre in Paris 


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W % 4 — — 
Sul N) 


Abb. 4. Grabmal des Jacques de Mälain und seiner Gattin, ehemals in St. Martin- 
de-Lux, nach einer Zeichnung Gaignieres 


Zu: KONRAD ESCHER, DAS GRABMAL DES HEILIGEN RONAN IN LOCRONAN 


Tafel 30 


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Tafel 31 


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ISRAEL von MECKENEM, Kupferstich (B. 3): Simson, den Löwen bezwingend 


ALBRECHT DÜRER, Holzschnitt (B. 2): Simson, den Löwen bezwingend 


Zu: HARRY DAVID, DÜRERS SIMSONHOLZSCHNITT (B. 2) UND ISRAEL VON MECKENEM 


M. f. K. V, 4 


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Tafel 32 


Apostelfiguren der Domkirche zu Güstrow 


Zu: W. JOSEPHI, DIE APOSTEL DES GÜSTROWER DOMS 


u. f. K. v, 4 


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Tafel 33 


Apostelfiguren der Domkirche zu Güstrow 


Zu: W. JOSEPHI, DIE APOSTEL DES GÜSTROWER DOMS 


M.f.K.V,4 


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Tafel 34 


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Abb. т. Ausschnitt aus dem Plan von Jacquemin vom Jahre 1779. Nach einem Lichtdruck 
bei Ratel, La Basilique de St. Martin de Tours, Briissel 1886. 


Abb. 3. Ansicht der Ausgrabungen im Jahre 1886, gesehen aus der Richtung nach Westen. Nach einer 
Zeichnung von Masquelez, zuerst reproduziert von Ratel. Man vergleiche den Plan von diesen Aus- 


grabungen auf Abb. 1. 
Zu: ERNST GALL, STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHORUMGANGES 


M. f. K. v, 4 


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Tafel 35 


Abb.4. Ansicht der südlichsten Kapelle von der Ostseite des Südquerhauses bei den Ausgrabungen 
von 1886. Nach einer Aufnahme bei Chevalier, Les fouilles de St. Martin de Tours, Tours 1888. 
Aus der zweiten Schicht. Chevalier wie R. de Lasteyrie haben hier Mauern aus den ersten Jahren des 
11. Jahrhunderts sehen wollen. Auch abgesehen von den historischen Erwägungen, wäre dies nach 
dem Charakter der Technik höchst unwahrscheinlich, der nur auf das 12. Jahrhundert weisen kann. 
Denn in der nächsten Umgebung, in Poitiers (St. Hilaire) und Le Mans (Kathedrale) wird noch in der 
Mitte des тт. Jahrhunderts Bruchsteinmauerwerk sehr unvollkommener Art verwandt. 


Zu: ERNST GALL, ZUR GESCHICHTE DES CHORUMGANGES 


M. f. K. v. 4 


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Ben TE 
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NIAHRGANG HEFT5#——MAII912 
VERLAG KLINKHARDT& BIERMANN:LEIPZIG 


ъч CX eo Se role eg ү 


ABHANDLUNGEN 

S. v. SONNENTHAL, Beiträge zur Be- 
deutung der sienesischen Malerei des 
Quattrocento. Mit 4 Abbildungen auf 
2 Tafeln S. 163 

PAUL WEBER, Die Ausgrabungen im 
Kloster HerrenbreitungenanderWerra. 
Mit 6 Abbildungen auf 4 Tafeln und 
ıı Textbildern S. 177 


BERTHOLD HAENDCKE, Dürers 


Selbstbildnisse und ,,Konstruierte 
Figuren“. Mit 7 Abbildungen auf 
eln S. 185 

MISZELLEN 
Eine Handseichnung Grecos in der Al- 
bertina? (Mayer 8. 190 
Flämische Künstler im Ausland (F. M.) 
8. 190 

LITERATUR 


Max Creutz, Die Anfänge des monumentalen 
Stiles in Norddeutschland (Cohn-Wiener) 8.191 


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Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 5 


Pierre Paul Plan, Jacques Callot, Maitre- 
Graveur (1593—1635) (Nasse) ..... 8. 192 
Robert Bruck, Die Sophienkirche in Dresden, 
ihre Geschichte und ihre Kunstschätze (Roch) 

8. 196 

Francisco de Goya, Tauromachie (Bier- 
mann } 8. 197 
С. Horst, Barockprobleme (Feulner). . . 8. 198 


Victor Mortet, Recueil de textes relatifs a 
l'histoire de l’architecture et à la condition 
des architectes en France, au moyen-àge; 
XIe et XIIe siècles (Gall) ....... 8. 199 

Drei Monographien über Basel: Major, 
Basel, Stätten der Kultur | Wackernagel, 
Basel, Berühmte Kunststätten | Stückelber g. 
Basler Denkmalpflege (Bernoulli). . 8. зоо 


Gustav E. Pasaurek, Glasperlen und Perlen- 
arbeiten in alter u. neuer Zeit (Lüthgen) 8. 200 
Clark D. Lamberton, Themesfrom St. John’s 
Gospel in Early Roman Catacomb Painting 


(Singer S. зог 
Henri Stein, Les architectes des cathédrales 
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BEITRÄGE ZUR BEDEUTUNG DER SIENE-. 
SISCHEN MALEREI DES QUATTROCENTO 


Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von S. v. SONNENTHAL 


is vor nicht allzuferner Zeit hat man der sienesischen Malerei des Quattrocento 

jede kunstgeschichtliche Bedeutung abgesprochen und im besten Falle zuge- 
gegeben, sie hätte die im Trecento zu Siena gelösten Kunstprobleme, ohne sie nach 
irgendwelcher Richtung weiter auszubilden, als Erbe der Väter übernommen und 
von Generation zu Generation weitervererbt. Es war zum Grundsatze geworden, 
daß die Malerei Sienas im Trecento schöpferisch, im Quattrocento stagnierend, im 
Cinquecento von anderen italienischen Schulen empfangend gewesen sei. 

In den letzten Jahren hat die Zahl der Forscher, die sich das Studium der Sie- 
nesen zur Aufgabe gestellt haben, bedeutend zugenommen, und namentlich die 
Mostra des Jahres 1904 hat anregend gewirkt und manche höchst wertvolle Arbeiten 
über diesen bis dahin verhältnismäßig wenig bearbeiteten Teil der italienischen 
Malerei zutage gefördert. Die Führerrolle haben englische und amerikanische Ge- 
lehrte in die Hand genommen; aber auch in deutscher Sprache sind Untersuchungen 
veröffentlicht worden, die an Ernst und Gründlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. 
Im allgemeinen werden in allen diesen Arbeiten die Quattrocentisten Sienas recht 
geringschätzig behandelt. Rothes!) z. В. versucht die Abhängigkeit der Entwick- 
lung fast aller italienischen Schulen von den Sienesen des Trecento nachzuweisen, 
während er für ihre Quattrocentisten nur hin und wieder ein Wort der Anerkennung 
findet. Jacobsen?) ist wohl der erste, der es unternimmt den vielgeschmähten sie- 
nesischen Malern des ı5. Jahrhunderts — findet doch sogar noch der „Cicerone“ 
die Meister dieses „wunderlich archaistischen Stiles neben ihren Zeitgenossen aus 
anderen Schulen keiner näheren Betrachtung wert“ — einigermaßen zu der ihnen 
gebührenden Schätzung zu verhelfen. Aber, wie es mir scheinen will, tut er es 
noch zaghaft und schüchtern, wie eben ein Pionier, der mit der Axt durch die wüst 
verschlungenen Urwaldstämme des Vorurteils den ersten Weg bahnt, und als ver- 
ständiger Mann, im Gefühle mannigfacher unvorhergesehener Gefahren, die ihm bei 
diesem Kulturwerke droben, keine Vorsicht außer acht läßt. | 

Ist aber wirklich diese Materie nicht kräftiger anzupacken? Ist es nicht möglich 
nachzuweisen, daß auch im Quattrocento die Malerei Sienas manch lebensvollen 
Keim gesäet hat, der dann in anderen italienischen Schulen schöne Früchte zeitigte? 

* „ * | | 

Man kann und muß weit zurückgreifen, will man die Aschenbrödelrolle der siene- 
sischen Malerei ins rechte Licht rücken. — = 

Wie bekannt, gab es durch lange Jahre in Siena eine Bestimmung, die ‚dem 
fremden Maler, wollte er dort seine Kunst ausüben, die Bezahlung bestimmter 
Taxen vorschrieb: also eine Art Schutzzoll für die heimische Produktion. Milanesi 
sagt, diese Verordnung sei „nata della gelosia e mantenuta dall’ interesse“ und 


(1) Walter Rothes: „Die Blütezeit der sienesischen Malerei“, вы 1904 (Zur Kunstgeschichte деа 
Auslandes, XXV). 

(2) Emil Jacobsen: „Sienesische Meister des Trecento“, E 1907 (Zur Kunstgeschichte des Aus- 
landes, Heft 51). Derselbe: „Das Quattrocento in Siena“, Straßburg 1908 (Zur Kunstgeschichte des 
Auslandes, Heft 59). 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 5. 13 163 


Jacobsen!) meint, Milanesi hätte wahrscheinlich recht. Es wird mir schwer, mich 
dieser Ansicht anzuschließen. Jacobsen selbst sagt in der Einleitung zu seinem 
„Quattrocento in Siena“: „Die Echtheit, der Erdgeruch sind das Kriterium, handele 
es sich um Feldblumen oder Palmen“. Warum sollten die kunstliebenden und 
kunstverständigen Sienesen nicht aus den lautersten Gründen gewillt gewesen sein 
ihrer heimischen Kunst durch alle Mittel diesen bodenständigen „Erdgeruch“ zu be- 
wahren? Zu den wahren Höhen kann nur ein nationales Kunstschaffen führen und 
es ist ein unverkennbares Zeichen des Niedergangs, daß die Gegenwart so vielfach 
mit diesem Grundsatze gebrochen hat. — Wie fein und richtig empfunden dieser 
ängstliche Lokalpatriotismus der Sienesen im Grunde war, ergibt sich aus der Tat- 
sache, daß die Schöpferkraft der sienesischen Malerei erst dann nachließ, als jene 
ominöse Verordnung nicht mehr zu Recht bestand. Dann kamen die fremden Ein- 
flüsse immer mehr zur Geltung und Sienas bedeutendster Maler des Cinquecento, 
Sodoma, war in keinem Sinne mehr Sienese. | 

Man kann übrigens kaum leugnen, daß der Streit darum, ob Florenz oder Siena 
die Wiege der italienischen Malerei gewesen sei, ein Streit, der heute ab und zu 
unter den Forschern aufflammt, möglicher- ja sogar wahrscheinlicherweise auch schon 
zu Zeiten des Giotto und des Duccio die Gemüter bewegt hat. Daß sich die großen 
Geister damals bewußt waren, daß die Kunst auf einen bedeutsamen Wendepunkt 
gelangt sei, ist wohl anzunehmen; und daß gerade zwischen den erbitterten Geg- 
nern Florenz und Siena auch diese Rivalität aufgetaucht sei, scheint mir mehr als 
wahrscheinlich. Die Feindseligkeiten unter den Städten Italiens zeigten sich da- 
mals nicht allein in politischer Hinsicht, auch die Kunstbestrebungen mußten oft zu 
Eifersüchteleien führen’). 

Im Palazzo publico zu Siena hängt die berühmte Madonna des Guido, über die 
in der Gelehrtenwelt ein heißer Kampf entbrannt ist. Das Bild ist unverdächtig 
1221 datiert, aber man hat die Jahreszahl angezweifelt und nachzuweisen versucht 
daß dafür 1281 zu lesen sei"); die eine oder die andere Auffassung soll für die 
Priorität des Guido oder Cimabue — für Siena oder Florenz maßgebend sein‘). 
Jacobsen hat eine dritte Lösung gefunden"). Er kommt zwar auch zu dem Resul- 
tate, daß die Echtheit der Datierung 1221 unzweifelhaft ist, aber das Bild könne 
deshalb für die Priorität der Sienesen nicht maßgebend sein, weil „Madonna und 
Kind zu Duccios Zeit oder wahrscheinlich etwas früher ganz renoviert wurden“. 
Schließlich spricht Jacobsen die Vermutung aus, daß die Renovierung nicht, wie die 
Tradition besagt, von Duccio, sondern von dem Florentiner Coppo di Marcovaldo 
herrühre. Ich möchte dagegen glauben, daß gerade die Tradition, die Duccio mit 


(x) а. a. О., р. 79, 80. 

(2) Langton Douglas bemerkt sehr richtig, das Unglück Sienas sei es gewesen, daß Duccio keinen 
heimischen Kunstforscher besessen habe, der seinen Ruhm hätte der Welt verkünden können, wie die 
florentinischen Forscher es aus Lokalpatriotismus für Cimabue taten. 

(3) з. Rothes, a. a. O., р. 32. 

(4) L. Coletti, „Arte Senese”, Treviso 1906, der sich mit viel Geschick und Temperament die Aufgabe 
gestellt hat, die Priorität der Sienesen vor den Florentinern zu beweisen, berührt die Frage des Guido 
überhaupt nicht, sondern zieht seine Folgerungen ausschließlich aus einem Vergleiche zwischen Duccio 
und Cimabue. Interessant ist, wie er das viel zitierte Urteil des Dante (Purg, XI.94) zu erklären und 
zu entkräften sucht. Er fragt u.a. wie es der Dichter hätte wagen können, einem sienesischen Meister 
den Vorzug über einen florentinischen zu geben, er, der den Provenzan Salvani, einen der sienesischen 
Heerführer in der Schlacht von Montaperto, nur deshalb ins Fegefeuer versetzt, weil er den „Stolz“ 
besessen habe zu wünschen, daß Siena Florenz überflügle. 

(5) a. a. O., p. 18 und 19. 


364 


der Wiederherstellung des Bildes in Zusammenhang bringt, darauf hinweist, daß 
das ursprüngliche Bild von so großer Bedeutung für die Sienesen war, daß sie das 
schadhafte nur ihrem allergrößten Meister zur Übermalung anvertrauen wollten. 
Die besondere Wertschätzung, die man dadurch dem Werke Guidos bewies, mag 
ihren Grund eben darin haben, daß sich die Sienesen wohl bewußt waren, gerade 
dieses Bild in einem stolzen Streite gegen Florenz ausspielen zu können. Es ist 
weiter klar, daß, welcher Künstler auch immer die Übermalung vorgenommen hat, 
das wiederhergestellte Bild in allem Wesentlichen — so besonders in dem wich- 
tigsten Verhältnisse zwischen Mutter und Kind — mit dem ursprünglichen Werke 
identisch ist und es sein mußte, da das ausbesserungsbedürftige Bild (wie ja schon 
die Tatsache der Renovierung selbst beweist) wertvoll erschien und gewiß in keiner 
Weise von dem Restaurator willkürlich hätte abgeändert werden können. Die Ver- 
wandtschaft des mit 1261 datierten Bildes des Coppo in der Kirche Servi di Maria 
mit dem Guido des Palazzo publico beweist nichts weiter, als daß das Werk des 
Florentiners von dem um до Jahre älteren des Guido da Siena beeinflußt ist. Tat- 
sächlich macht es den Eindruck, als rühre die Madonna der Servi von einem 
schwachen Kiinstler, der das Bild des Guido in vielen Punkten ganz unverstanden 
hitte wiedergeben wollen; man vergleiche z. B. die Art wie das Kind sitzt und 
die Behandlung der Engel’). Wäre die Vermutung Jacobsens richtig und hätte 
Coppo willkürlich individuelle Züge aus seinem Servibilde in das Werk Guidos 
übertragen — denn irgendein Zusammenhang ist nicht abzuweisen —, dann müßte 
die Renovierung wohl nach der Entstehungszeit des Servibildes vorgenommen 
worden sein. In diesem Falle hätte Coppo gewiß nicht versäumt, dem Kinde jene 
Pergamentrolle in die Hand zu geben, welche die Maler Sienas zu jenen Zeiten so 
gerne anbringen, um auf das bedeutsame Ereignis hinzuweisen, dem die Sienesen 
ihren ruhmvollen Sieg über die Florentiner bei Montaperto zuschrieben: die formelle 
Schenkung Sienas an die hl. Jungfrau im schweren Kriegsjahre 1260. 

Je weiter übrigens der Zeitpunkt der Schaffung des Bildes von der Restaurierung 
zurückliegt, um so verständlicher wird es, daß eine solche überhaupt notwendig 
geworden sei; auch dieser Umstand spricht eher für Duccio als für Coppo, vor 
allem aber für die Richtigkeit der Datierung mit 1221. — 

Ich habe diese Frage hier so weitläufig behandelt, denn sie bedeutet sozu- 
sagen die erste Leidensstation der sienesischen Kunst in ihrem Ringen mit Florenz. 
Mag nun aber die Frage, welche der beiden Städte die Wunderblume der italie- 
nischen Malerei der Welt geschenkt habe, wie immer beantwortet werden: darüber, 
daß die Sienesen im Trecento den Florentinern überlegen waren, sind heute fast 
alle Forscher einer Meinung. Sieht man von Giotto ab, der, ein Zeitgenosse des 
Duccio, im allgemeinen diesem vorgezogen und höher gestellt wird": alles, was 
diesen beiden Großen mehr oder minder unmittelbar als Schüler und Nachahmer 
im 14. Jahrhundert folgte, zeigt in den beiden Schulen grundverschiedene Qualitäten. 
In Siena stete Entwicklung, Vertiefung, Erweiterung; in Florenz Schablone und 


(1) Es ist bemerkenswert, daß die Anbringung der Engel bei Guido und Coppo die gleiche Differen- 
zierung zeigt, wie auf der Ruccellai-Madonna des Duccio und der thronenden Madonna des Cimabue 
in der Akademie zu Florenz; bei den Florentinern sind die Engel stehend angebracht, während sie 
bei den Sienesen schweben oder knien. Bei Guido und Coppo sind sie vorerst nur als raumfüllende 
kleine Nebenfiguren gedacht. 

(2) Mit Ausnahmen freilich. Chledowski geht so weit, in Giotto nicht viel mehr als einen talentierten 
Maler zweiten Ranges, in Duccio eines der größten Malergenies zu sehen. Auch L. Coletti urteilt 
Ahnlich. | 


165 


Verflachung. Meister wie Simone Martini, Lippo Memmi, die beiden Lorenzetti u. a. 
hat Florenz zu jener Zeit nicht hervorgebracht und seine besten Maler des Quattro- 
cento konnten noch unendlich viel von den sienesischen Trecentisten lernen. Diese 
Einflüsse waren teils unmittelbare, teils solche, die auf dem Umwege über andere 
von den Sienesen mehr oder minder abhängige Schulen nach Florenz drangen. 

Das soll nun alles im ı5. Jahrbundert mit einem Schlage anders werden. Die 
Malerei in Siena verknöchert und kommt nicht mehr von der Stelle; die alten Typen 
und Kompositionen werden mit wenig Talent immer und immer wieder abgeleiert; 
hie und da gelingt noch Vereinzeltes, aber der Schwung und alle Individualität 
fehlt. Dagegen bei den Florentinern überall Fortschritt, neue Gesichtspunkte, neue 
Lösungen verschiedenster Probleme. 

So haben neuere und neueste Forscher geurteilt und damit nur fortgesetzt, was 
die zünftigen Kenner vergangener Jahrhunderte begonnen. Man hat darauf hinge- 
wiesen, daß sich das Verhältnis im Kunstschaffen der beiden Städte aus mancher- 
lei äußeren Gründen naturgemäß umkehren mußte, daß mit dem ungeahnten Auf- 
schwunge und der Kräftigung des florentinischen Staatswesens und dem gleich- 
zeitigen Niedergange und der Stagnation der politischen Verhältnisse in Siena hier 
das Vertrocknen, dort das üppige Aufblühen der Künste eintreten mußte. Aber 
einerseits waren die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Sienas auch im 
14. Jahrhundert durchaus keine ruhigen und verläßlichen oder derart, daß sie die 
Kunstpflege besonders gefördert hätten: fortgesetzte Kriege mit den Nachbarn, 
innere Zwistigkeiten, die das Gemeinwesen erschütterten, endlich Hungersnot und 
furchtbare Heimsuchungen durch die Pest (1348) hätten wohl Gründe genug sein 
können, um eine stete Kunstentwicklung hintanzuhalten. Andrerseits aber fallen 
die Höhepunkte politischer Macht und künstlerischer Entwicklung bei einem Volke 
in den seltensten Fällen zeitlich zusammen; ja es scheint, daß gerade in Zeiten 
politischen Niederganges die Künste ihre schönsten Blüten treiben. Als Schulbei- 
spiel mag die Geschichte der venezianischen Malerei angeführt werden. 

Derartige mittelbare Einwirkungen waren es also wohl nicht, die den sogenannten 
Niedergang der sienesischen Malerei verschuldeten. Ist aber ein solcher wirklich 
festzustellen und läßt sich nicht vielmehr beweisen, daß die Entwicklung der siene- 
sischen Kunst auch im 15. Jahrhundert stetige und nur weniger sprunghafte Fort- 
schritte machte, als die gleichzeitige in Florenz? 

Es wäre wohl der Mühe wert, dieser Frage ohne Voreingenommenheit an den 
Leib zu rücken. Vielleicht gelingt es, eine alte Ehrenschuld abzutragen und die 
Bedeutung jener Männer, die im 15. Jahrhundert Kirchen und Paläste des sienesi- 
schen Territoriums mit ihrem Pinsel schmückten, in ein helleres Licht zu rücken, 
den Verkannten die Anerkennung zuzubilligen, die ihnen durch von Generation zu 
Generation fortgeschleppte absprechende Urteile systematisch vorenthalten wurde. 
Wenn ich es unternehme, an einem Beispiele zu erläutern, wie ungerecht mir 
das geringschätzige Verdikt über die Quattrocentisten Sienas erscheint, so verhehle 
ich mir durchaus nicht die Schwierigkeiten des Versuches einer solchen Ehren- 
rettung. In einer Zeit, wo das Austoben der Individualität Trumpf ist, wird man 
wenig Geschmack finden an einer Schule, die mit zähem Willen an ihrer nationalen 
Tradition festhielt und dem einzelnen Künstler nur eine schrittweise Entwicklung 
über den Rahmen des jeweils Anerkannten erlaubte. — Die Antike freilich verdankt 
ihre ganze Größe dieser Tugend, die den Modernen als schlimmster Fehler er- 
scheinen mag. Schließlich arbeitet die Natur auch nicht anders; nicht gewaltsam 
und plötzlich, sondern langsam und stetig haben sich die Lebewesen zu höheren 


166 


Ordnungen entwickelt. Es werden auch wieder Tage kommen, wo man über die 
„Katastrophentheorie“ in der Kunst lächeln wird’). Der Meister, bei welchem ich 
zunächst versuchen möchte darzutun, daß eine möglichst unbefangene Einschätzung 
seiner Vorzüge und Fehler zu einer ganz anderen Wertung seiner Qualitäten führen 
muß, als die jetzt übliche, ist Matteo di Giovanni. — 

Aus dem umbrischen Borgo San Sepolcro stammend, also nicht gebürtiger Sienese, 
können wir Matteo di Giovanni di Bartoli als Künstler doch unbedingt zu den Voll- 
blutsienesen zählen, denn wie kaum einer hat er es verstanden in sienesischem 
Sinne zu schaffen und weiterzubilden. Wollte man zögern (wie Crowe und Caval- 
caselle es zu tun scheinen) Matteo als Sienesen zu werten, weil seine Wiege nicht 
in Siena stand, dann dürfte man auch viele große Meister der venezianischen 
Schule als nicht zu dieser gehörig betrachten, denn kaum einer von ihnen ist ge- 
borener Venezianer. 

Das Geburtsjahr Matteos ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt. Während 
z. B. Crowe und Cavalcaselle ) und Venturi?) 1435 angeben, und Jacobsen‘) sagt, er sei 
„jedenfalls nicht früher als 1430 geboren“, betont Schubring') ausdrücklich, daß 
Matteo um 1420 geboren sei). Die Kenntnis der richtigen Jahreszahl wäre gerade 
hier von allergrößter Wichtigkeit; man könnte aus ihr vielleicht mit mathematischer 
Genauigkeit die Unmöglichkeit gewisser supponierter Einflüsse anderer Meister auf 
Matteo feststellen. 

Noch mehr sind wir auf bloße Vermutungen angewiesen, wenn wir angeben 
sollten, bei welchem Meister er in die Schule gegangen ist. Es bleibt gleicher- 
weise für den durch und durch sienesischen Grundzug seiner Kunst, wie für seine 
persönliche Note bezeichnend, daß man Matteo mit den verschiedensten seiner Vor- 
läufer in Siena in Zusammenhang zu bringen versucht hat: Domenico di Bartolo, 
Sassetta und Sano di Pietro sollen ihn beeinflußt haben”); aber auch an Vecchietta 
und an Benvenuto di Giovanni soll er zuweilen erinnern®). Man sieht also: genug 
Abhängigkeiten, vor allem, wenn man bedenkt, daß die Art der anderen Quattro- 
centisten Sienas zumeist mit Leichtigkeit auf das Schülerverhältnis zu einem oder 
zwei älteren Meistern zurückgeführt werden kann. Matteo ist mit jeder Faser so 
durchaus Sienese, daß er eben als Fortsetzung aller bis zu seinen Tagen hervor- 
gebrachten sienesischen Kunst erscheinen muß; und dabei doch wieder so anders 
und individuell, daß es ganz unmöglich ist, ihn zu einem Vorläufer in irgendein be- 
stimmtes Verhältnis zu bringen. | 

Aber nicht nur von den Meistern Sienas, auch von solchen anderer italienischer 
Schulen hat man ihn in Abhängigkeit gebracht. Wie wenig auch hierin die Kritik 
einer Meinung ist beweist der Umstand, daß er dem einen völlig unter florentini- 
schem Einfluß zu stehen scheint, während die andern z. B. auf Gentile da Fabriano 


(1) So hat Dvorak die festgewurzelte Ansicht, als sei die Kunst der beiden van Eycks sozusagen plötz- 
lich aus dem Nichts entstanden, in einwandfreier Weise widerlegt, und ihre organische Entwicklung 
aus Früherem bewiesen. | 

(2) „Geschichte der italienischen Malerei“, deutsche Ausgabe IV. 1, р. 92. 

(3) „Storia dell’ arte italiana‘ 1911, VII, p. 504. 

(4) a. a. O., p. 56. | 

(5) „Monatshefte für Kunstwissenschaft“, I. Jahrg., Heft 7/8, р. 597. Juti- August 1908 salto ш 
gleichzeitig 'mit der Arbeit Jacobsens). 

(6) Auch in der alten Ausgabe des Kataloges der Galerie in Siena stand noch 1420. 

(7) s. Jacobsen, a. a. O., p. 56. 

(8) в. Crowe und Cavalcaselle, a. a. O., р. gr. 


167 


hinweisen. Sicher ist, daß Matteo manchmal an Botticelli erinnert; aber es wird 
zu untersuchen sein, ob man diese Wahrheit nicht auch umkehren könnte. 

Die Neuzeit hat das zeitgenössische Urteil über italienische Künstler fast in allen 
Fällen bestätigen müssen. Zu jenen Zeiten, da keine Tagespresse mit ihren ver- 
wickelten Abhängigkeiten den Lesern den Geschmack eines einzelnen oder einer 
bestimmten Gruppe suggerieren konnte, wußte die Allgemeinheit mit merkwürdig 
sicherem Gefühl Gutes von Schlechtem zu unterscheiden. Das ist langsam anders 
geworden, als die zünftige Kritik eines Pietro Aretino und Vasari begann, den Ge- 
schmack subjektiv zu beeinflussen. | 

Matteo besaß zu seinen Lebzeiten einen ganz hervorragenden Ruf und galt nicht 
nur für den bedeutendsten der damaligen Meister Sienas, sondern war ganz im 
Allgemeinen als großer Künstler geschätzt. Das sollte zu denken geben. 

Man hat ihn den Masaccio Sienas genannt und mit Ghirlandajo verglichen. Es 
dürfte nicht leicht sein, zwischen Masaccio und Matteo ein anderes tertium com- 
parationis zu finden, als eben vielleicht die Erwägung, daß wie Masaccio für die 
florentinische, so Matteo für die sienesische Kunst einen Markstein bedeutet. 

Ein Vergleich mit Ghirlandajo ließe sich nicht leicht ziehen; dagegen ist nach- 
zuweisen, daß es in der Entwicklung Ghirlandajos eine Zeit gegeben hat, in der er 
stark unter sienesischem Einfluß gestanden zu haben scheint. Im Jahre 1482 malte 
der Künstler in der Johanneskapelle der Collegiata zu S. Gimignano auf Bestellung 
des Giuliano Martini Cetti das Fresko der Verkündigung. Es ist mehr als wahr- 
scheinlich, daß Ghirlandajo seinen damaligen Aufenthalt in S. Gimignano oder viel- 
leicht seinen zweiten, der beiläufig ins Jahr 1484 fällt (als er die entzückenden Fresken 
der Kapelle der hl. Fina ausfiihrte) dazu benutzte, um auch das so nahe Siena zu be- 
suchen. Für einen Florentiner mußte die ehemalige Rivalin der Arnostadt eine 
gewaltige Anziehungskraft besitzen und fiir einen Maler von ganz besonderem In- 
teresse sein, die großen Trecentisten Sienas kennen zu lernen. Will man nicht 
schon in dem ganz sienesisch ansprechenden Verkiindigungsengel der Collegiata) 
eine Wirkung des eben Geschauten auf Ghirlandajo erkennen, so zeigt sich eine 
solche doch unverkennbar in den beiden um jene Zeit gemalten thronenden Madon- 
men der Uffizien und der Akademie zu Florenz. Namentlich das Uffizienbild mit 
seinen blumengeschmiickten, den Thron umdrängenden Engeln, seinem streng sym- 
metrischen Aufbau und der Blumenvase vor den Stufen in Mitte des Vorder- 
grundes?), mutet im höchsten Grade sienesisch an. Sienesisch erscheinen mir aber 
vor allem die beiden Madonnen selbst: in sich gekehrt, die Augenlider schwer ge- 
senkt, die Bambini in etwas pretiöser Stellung haltend, erinnern sie mich nun am 
allerehesten an die Madonnen des Matteo, freilich ins Florentinische übersetzt. 
Wie Matteos Madonna vom Schnee (1477) tragen sie beide den Mantel kapuzen- 
artig über dem Kopfe, vorne durch eine Agraffe zusammengehalten. Auf allen drei 
Darstellungen bilden — abgesehen von den Engeln — je zwei stehende und zwei 
kniende Heiligenfiguren die Gesellschaft der Madonna; ja, der Teppich, der die 
Stufen auf dem Uffizienbilde deckt, zeigt ein ganz ähnliches „bolbeinisches“ Muster, 
wie derjenige auf der Madonna vom Schnee?). 


(x) Manche vermuten, dieser Engel sei von G.s Schwager Sebastiano Mainardi aus S. Gimignano 
gemalt. | 

(2) Man vergleiche т. В. die thronende Madonna des Ambruogio Lorenzetti in der Galerie zu Siena; 
auch hier die blumenbekränzten Engel und die Blumenvase zu Füßen des Thrones. 

(3) Wie ganz anders Domenico vor seinem Aufenthalte in S. Gimignano die thronende Maria dar- 
stellte, zeigt das Bild in der Kathedrale von Lucca, das ca. 1480 oder 1481 gemalt ist. 


ı68 


Es scheint mir außer Zweifel, daß Domenico wenigstens eine Zeitlang unter 
sienesischem Einfluß gestanden habe: und zwar nicht nur unter dem Einfluß sie- 
nesischer Meister des Trecento, sondern auch unter demjenigen seiner sienesischen 
Zeitgenossen. Nachweisbar ist dieses Verhältnis allerdings nur in seinen damals 
entstandenen Bildern der Maesta!). Das ist verständlich, da sich die Tafelmalerei 
Sienas, der Stadt der heiligen Jungfrau, fast ausschließlich mit Madonnendarstellungen 
beschäftigte, in welchen sie schon im 14. Jahrhundert richtunggebend war. 

Auch Matteo hat das Thema in einer großen Reihe von Bildern behandelt. Er 
malte die thronende Madonna, das Christkind auf dem Schoße, umgeben von Engel- 
scharen und von Heiligen verehrt‘), auch die Himmelfahrt Mariens in einem viel- 
figurigen Bilde?) und eine Anbetung der Könige). Am liebsten und häufigsten 
aber malte er die heilige Jungfrau als Kniestück, entweder allein mit dem Kinde, 
oder in Begleitung einiger Engel, zu welchen bisweilen noch ein bis zwei Heilige 
kommen; von den Nebenfiguren sieht man fast nichts als die Köpfe. 

In dem Verhältnis zwischen Mutter und Kind liegt etwas innig Menschliches und 
doch auch darüber hinaus spiegeln sich mystische Reflexe der kommenden Tragödie. 

Das Kind ist entweder völlig nackt oder mit einem Flemdchen bekleidet, zu- 
weilen auch in prachtvollem Brokatgewande dargestellt. Sehr oft hält es einen 
Gegenstand, der ihm als Spielzeug dient in der Hand, aber doch anders als irdische 
Kinder es tun; und einmal ist dieses Spielzeug ein Rosenkranz’), den sich das 
Knäblein wie eine Fessel um den Arm schlingt. Ein leidender Zug liegt fast immer 
in den Augen mit den schweren Lidern, die in die Zukunft blicken, manchmal aber 
lächelt es auch müde, wenn ihm Engel Schneebälle oder eine Schüssel voll 
Kirschen reichen. Ganz vorzüglich ist die kindlich ungeschickte Fingerhaltung beim 
Segnen wiedergegeben. Matteo liebt es überhaupt, das Jesuskind in unbehilflichem 
Kindesalter darzustellen. Ein schwerer Vorwurf, dem man dem Meister gemacht 
hat, hängt damit zusammen, daß nämlich das Kind zuweilen wasserköpfig aussieht. 
Bei Neugeborenen und in den ersten Lebensmonaten zeigen sich aber, wie man 
weiß, sehr oft arge Mißverhältnisse zwischen Kopf, Körper und Gliedmaßen, und 
es dürfte einfach die Beobachtung am Modell Matteo veranlaßt haben diesen ge- 
wiß unschönen Typus zu malen. Schließlich muß man es dem Künstler überlassen, 
in welchem Alter er das Jesukind auf dem Schoße Marias darstellen will und 
zwischen dem Wickelkinde Dürers (В. 38) und den strammen 8 — 10 jährigen Jungen 
des Andrea del Sarto liegen viele Abstufungen. Mir ist der Beweis interessant, 
daß Matteo ein scharfer Beobachter war und vielleicht als erster auf die unhar- 
monischen Körperverhältnisse im frühesten Kindesalter bewußt hingewiesen hat. | 

Der Typus seiner Madonnen wie seiner heiligen Frauen iiberhaupt hat etwas Be- 
rückendes. Märchenprinzessinen, die Fleisch und Blut geworden sind, aber ihre 


(1) Sign. Cecconi in Florenz besitzt von der Hand Matteos einen ganz hervorragenden Ы. Hieronymus 
im Gehäuse. Die Jahreszahl kann ebensogut 1482 wie 1492 gelesen werden. Will man dieses Bild 
durchaus mit den verwandten Darstellungen des Ghirlandajo und Botticelli in Ognissanti zu Florenz 
(gemalt ca. 1480) vergleichen, so wird der vorurteilsfreie Beobachter gestehen müssen, daß das Visio- 
näre in keinem der Köpfe so vortrefflich ausgedrückt, die ganze Auffassung so monumental - michel- 
angeleak ist, wie bei Matteo. Das Bild ist dem Besten an die Seite zu stellen, was die gleichzeitige 
florentinische Malerei geleistet hat. 

(2) Galerie, Siena; 8. Maria delli Nevi, Siena; Dom zu Pienza. 

(3) Nationalgalerie, London. 

(4) Lunette über dem Barbarabilde in S. Domenico, Siena. 

(5) Galerie Siena, Nr. 286. 


169 


transzendentale Abstammung nicht verleugnen. Ätherische, „übersinnlich-sinnliche“ 
Wesen, die erdenweltverloren, traumbefangen in die Unendlichkeit zu blicken scheinen, 
aus der sie des Künstlers Genius materialisiert hat. Ich denke, kein Maler des 
Quattrocento hat süßere — und doch dabei so gar nicht süßliche — Frauenköpfe 
geschaffen, als Matteo. Daß fast alle diese Köpfe Formen- und Geistesverwandt- 
schaft untereinander besitzen, ist wohl wahr; doch begegnen uns gleiche Verhält- 
nisse noch unter den größten Meistern der. Hochrenaissance. 

Ganz unbeschreiblich schön und wie aus einer anderen Welt sind z. B. die drei 
Heiligen auf dem Barbarabilde zu S. Domenico in Siena. Man muß bis auf Lionardo 
gehen, um wieder so unsagbaren und rätselhaften Frauenliebreiz zu finden, wie ihn 
die hl Katharina von Ägypten auf diesem Bilde zeigt. Das zarte Oval des locken- 
umrahmten Köpfchens mit der feinen Nase und dem kleinen schwellenden Mund, 
die tiefgesenkten Augen!), die man so gerne einmal ganz aufgeschlagen sehen 
möchte, der graziöse Hals und das weiche Kinn geben eine Harmonie, die man, 
einmal gesehen, nicht wieder vergißt (s. Abb.). 

Nicht minder reizvoll ist die Madonna aus der Contrada della Selva in Siena, 
‚wenn es sich hier überhaupt um eine Madonna?) handeln soll (s. Abb.). Es scheint mir 
aber, daß die Dargestellte, die von zwei Engeln und zwei Heiligen umgeben, das 
Christkind auf dem Schoße hält, gar nicht die Mutter Gottes, sondern eine andere 
heilige Frau darstellt. Für diese Auffassung spricht das ganz besonders jugend- 
liche Aussehen der Dargestellten und der Umstand, daß die Madonnen Matteos — 
soweit ich feststellen konnte — ausnahmslos mehr oder minder schwere Nimben 
tragen, während auf unserem Bilde kaum die Andeutung eines Heiligenscheines zu 
bemerken ist. Vor allem aber scheint der bisher nicht genügend beobachtete Um- 
stand auffallend, daß das Kind der weiblichen Figur einen Ring an den kleinen 
Finger der linken Hand steckt, ein Motiv, das nur dann leicht verständlich wäre, 
wenn nicht die Madonna, sondern die hl. Katharina dargestellt sein soll. Diese 
Auffassung der mystischen Verlobung, bei der die Heilige das Kind auf ihren Knien 
hält, wäre ganz Eigentum des Matteo und sehr verwegen. Dem Maler der „Kinder- 
morde“ sieht es nicht unähnlich, in eine oft und oft gebrachte Darstellung ein neues 
kühnes Motiv zu bringen. 

An überraschenden und selbständigen Zügen fehlt es Matteo in seinen Madonnen- 
darstellungen nicht. Man denke z. B. an die reizenden Engelscharen, die in seiner 
Madonna delle Nevi mit Schüsseln voll Schneeballen dem Christkinde nahen; oder 
an den Engel, der, über das ganze Gesicht grinsend, auf das Kind herablächelt?) 
in dem schon (S. 169, Anm. 5) erwähntem Bilde mit dem Rosenkranz. 

Matteos männliche Typen — wenn schon sie einer gewissen Größe nicht ent- 
behren — stehen denjenigen des Ghirlandajo und Botticelli wohl nach; mit Aus- 
nahme des schon erwähnten Hieronymus (S. 169, Anm. 1), der den besten Männer- 
gestalten dieser beiden Meister ganz ebenbürtig ist. — Die Kunstprobleme, die sich 
Siena und Florenz. gestellt hatten, waren dem verschiedenen Naturell der Ein- 
wohner entsprechend nicht die gleichen. Während sich die träumerisch - verson- 
nenen Sienesen immer wieder mit ihrem Lieblingsthema, der Darstellung ihrer 


(1) Man beachte das hervorragende Können Matteos, der den Eindruck schwer beschatteter Augen er- 
reicht, indem er mit zwei Pinselstrichen die Wimpern andeutet. 

(2) Auch Jacobsen reproduziert das Bild unter dieser Bezeichnung. 

(3) Ein Gegenstück zu dem heftig weinenden Engel auf Domenico di Bartolos Madonnenbild von 1433 
in der Galerie zu Siena; der gewollte Ausdruck ist aber hier dem älteren Meister durchaus -nicht ge- 
lungen. , 


170 


Stadtpatronin und dem frommen Sichversenken in das Menschlich - Mystische der 
Gottesmutter beschäftigten und dadurch zu Frauenmalern katexochen wurden, hat 
sich der nüchternere Sinn der Florentiner frühzeitig einem gewissen Realismus zu- 
gewandt und auf die Porträtmalerei geworfen. Die Absicht, recht viele Zeitgenossen 
im Bilde der Nachwelt zu überliefern, hat sie veranlaßt, selbst in ihre kirchlichen 
Devotionsbilder und Historien die Porträtmalerei einzuführen. Diese Gepflogenheit 
allein macht es schon erklärlich, daß sie in Behandlung des Männertypus größere 
Gewandtheit zeigen, als die Sienesen. Man braucht aber nur auf die Einbände der 
‘alten Gabellen hinzuweisen, um festzustellen, daß die Florentiner ursprünglich auch 
hier von den Sienesen beeinflußt sind und daß auch die Priorität der Bildnismalerei 
den Sienesen zukommt. Freilich haben sie zumeist nur in profanen Darstellungen 
diese Kunst erprobt, in religiösen dagegen absichtlich — und vielleicht mit gutem 
Grunde — die Darstellung ganz unidealisierter Köpfe für gewöhnlich vermieden. 
Hie und da findet man aber auch bei den Sienesen in religiösen Bildern Porträts 
angebracht. Jacobsen hält, wie ich glaube, mit vollem Recht den hl. Damian auf 
dem Altarbilde der Galerie zu Siena (Nr. 432) für das Bildnis eines Zeitgenossen 
des Matteo. Mir erscheint auch die hl. Magdalena auf dem Barbarabilde von S. Do- 
menico als das Porträt einer vornehmen Sienesin. 

Neben seinen zahlreichen Madonnenbildern gibt es eigentlich nur noch einen 
künstlerischen Vorwurf, der Matteo wiederholt beschäftigte. Es ist der bethle- 
hemitische Kindermord, den er uns in nicht weniger als vier oder fünf Exem- 
plaren!) hinterlassen hat. Trotz der Geringschätzung, die diese Bilder bei fast 
allen Kunstgelehrten gefunden haben, eine Geringschätzung, die nicht selten ge- 
radezu in Hohn über die Ohnmacht des Künstlers, den Stoff zu bewältigen, aus- 
artet, halte ich gerade diese Schöpfungen für vorzüglichste Dokumente seiner außer- 
ordentlichen Bedeutung. Man hat sich viel den Kopf darüber zerbrochen, warum 
der Künstler immer wieder an diesen dem träumerisch-sanften Wesen der Sienesen 
so wenig zusagenden Stoff herangetreten ist. Paul Schubring versucht in einem 
geistreichen Aufsatze?) den Beweis zu erbringen, daß alle diese Kindermorddarstel- 
lungen durch das berüchtigte Blutbad angeregt wurden, das die Türken im Jahre 
1480 nach der Einnahme Otrantos anrichteten. Wenn nun schon einerseits darauf 
hingewiesen werden kann, daß ja der Gegenstand auch der sienesischen Kunst des 
Trecento geläufig war — ich erinnere an das Fresco des Barna in S. Gimignano 
und an das Wandgemälde in S. Maria dei Servi?) —, so scheint mir andrerseits 
gegen diese Auffassung vor allem der Umstand zu sprechen, daß das Entstehungs- 
jahr des Bildes іп der Servi ja noch gar nicht allgemein feststeht und daß es sehr 
wohl möglich, ja wahrscheinlich ist, daß das Bild lange vor 1480 gemalt wurde. 
Pietro Rossi und andere haben ursprünglich 1471 gelesen, die meisten Neueren 
geben 1491 als Entstehungszeit des Bildes an. Der Vorgang Jacobsens, die Jahres- 
zahl 1471 schon deshalb für unmöglich zu halten, weil dann die Otranto-Hypothese 
hinfällig wäre, erscheint mir verkehrt. Schließlich ist der Zusammenhang zwischen 
der Tragödie von Otranto mit den Bildern Matteos doch nichts weiter als Hypo- 
these. Es ist durchaus nicht einleuchtend, warum Matteo nicht ein einziges Mal 
den wirklichen Vorgang: die Ermordung des Erzbischofs, der Priester, Frauen und 


(1) Siena: 8. Maria dei Servi, 8. Agostino und Dom-Paviment; Neapel: Museum; Galerie zu Aix, Nr. 138. 
Ferner eine Schulkopie nach dem Neapler Bilde in der Alten Pinakothek zu München. 

(2) в. 8.167, Anm. 5. | | 

(3) Ich möchte dieses Bild weder, wie es geschehen ist, dem Ambruogio, noch dem Pietro Lorenzetti 
zuweisen, sondern einem späteren archaisierenden Nachahmer. 


171 


Kinder, die sich in die Kathedrale geflüchtet hatten und von den Türken vor den 
Augen des Großveziers hingeschlachtet wurden, gemalt und das furchtbare Ereig- 
nis nur allegorisiert der Nachwelt überliefert haben sollte. Die Zeiten, da sich die 
Sienesen in Allegorien gefielen, waren damals vorüber. 

Venturi in seinem 1911 erschienenen VII. Bande der „Storia dell’ arte italiana“ 
schreibt wieder 1471 und meint, das Neapler Exemplar sei wahrscheinlich noch 
früher entstanden. Ich weiß nicht, woher Venturi die von ihm aufgestellte Chro- 
nologie ableitet, stilkritisch scheint sie mir aber durchaus berechtigt. Nimmt man 
das Bild in S. Agostino, dessen Entstehungsjahr mit 1482 feststeht, als Ausgangs- 
. punkt der Untersuchung an, dann wird man vor allem auf diesem Bilde ein weit 
vorgeschrittenes Verständnis in der Behandlung der Renaissancearchitektur gegen- 
über den Bildern in Neapel und in der Servi feststellen können. Die Kreuzgewölbe 
mitten in der Renaissancearchitektur der beiden letztgenannten Bilder sind im 
Agostinobilde kassetierten Tonnengewölben gewichen, die Bogen sind weniger 
überhöht, die Gliederung harmonischer. Man mag dagegen einwenden, daß auch 
das Paviment im Dom, dessen Ausführungsjahr 1481 sichergestellt ist!), Kreuz- 
gewölbe zeigt. Aber abgesehen davon, daß Matteo wahrscheinlich die Architektur 
dieses Bildes derjenigen des Domes mehr anpassen wollte, ist es auch möglich, 
daß die Zeichnung zu dem Paviment viele Jahre vor der Ausführung zurückliegt. 
Das Servibild zeigt in den Gestalten des Herodes und seiner beiden Räte eine 
Symmetrie, die mit dem Darstellungsgegenstand wenig übereinstimmt und die man 
wohl kaum dem gereifteren Künstler zusprechen wird. Auch koloristisch erscheint 
das Agostinobild den anderen überlegen. Ich möchte die Vermutung aussprechen, 
daß Matteo, angeregt durch das ältere Wandgemälde in S. Maria de’ Servi, seine 
erste Strage-Tafel für eben dieselbe Kirche und zwar schon im Jahre 1471 gemalt 
hat, und daß dann nach der Katastrophe von Otranto der Meister veranlaßt wurde, 
zur Erinnerung an die türkische Greueltat den beziehungsreichen und ihm geläu- 
figen Vorwurf noch mehrmals zu behandeln. 

Man darf überzeugt sein, daß das erste derartige Bild Matteos auf seine Zeit- 
genossen einen gewaltigen Eindruck gemacht hat. Ob wir heute den realistischen 
Versuch des sienesischen Meisters als gelungen oder mißlungen ansehen, tut nichts 
zur Sache. Wichtig ist nur die Feststellung, daß dieser Versuch eben von Matteo 
ausgegangen ist, und zwar zu einer Zeit, da ein solches Unternehmen noch ein 
völlig neues genannt werden konnte. Betrachtet man Absicht und Ausführung des 
Künstlers vom Gesichtspunkte seiner Zeit und seiner Schule aus, so wird man ihm 
auch heute eine ganz außerordentliche und schöpferische Leistung zubilligen. Frei- 
lich, in einer glücklichen Zeit, wo heimatlose Kunstfertigkeiten und internationales 
Virtuosentum wenig galten, mußte jeder Schritt in unerforschtes und unbebautes 
Kunstgebiet aufs Innigste mit der Tradition der Schule verknüpft sein und sich 
folgerichtig mit zwingender Notwendigkeit aus dieser vollziehen. So wie die Ge- 
stalten seiner Marien und heiligen Frauen, im echtesten Sinne sienesisch, wie 
Märchenträume anmuten, so sind auch die Personen selbst in Matteos Strage-Bil- 
dern und die Art wie sie agieren, nichts weiter als durch Form und Farbe mate- 
rialisierte böse Träume, die wohl als solche voll märchenhafter Wahrheit sind, 
aber gar nicht beanspruchen, mit der Realität des wirklichen Erdelebens gemessen 
zu werden. Von dieser Seite wollen die Bilder gesehen werden und dann ge- 
hören sie vielleicht mit zu den besten Märchendarstellungen, die die bildende 
Kunst überhaupt kennt. | | 


(1) s. Cust: ,,The pavement masters of Siena“, London 1901, p. 62. 


172 


Der Kindermord spielt sich in allen diesen Bildern im Hofe eines Renaissance- 
palastes ab, der in reichster Architektur gehalten und mit Reliefs, Friesen usw. 
geschmückt ist. Matteo zeigt sich hier — wie übrigens auch in vielen seiner 
Madonnendarstellungen — als hoher Schätzer der Renaissance, ja der eigentlichen 
Antike. Man wird nicht vielen Malern aus jener Zeit begegnen, die mit gleicher 
Lust und Liebe den architektonisch-plastischen Formenschatz der Antike in ihren 
Bildern verwerten. In dieser Beziehung ist er der unmittelbare Vorgänger Fran- 
cesco di Giorgios. Dadurch, daß die Szene sich weder im Freien, noch aber auch 
in einem von vier Wänden abgegrenzten Raume abspielt, erreicht Matteo nebst 
größerer Geschlossenheit ein Doppeltes: einerseits die Empfindung des sich in an- 
grenzende Räume erweiternden Massenhaften, andrerseits die lähmende Vor- 
stellung, daß sich hier beim Fehlen jeder Entrinnungsmöglichkeit das Verhängnis 
bis zu seinem letzten Ende erfüllen muß. 

Gewiß, die Bilder leiden alle an einer gewissen „Unschaubarkeit“ (ich glaube 
diesen prägnanten Ausdruck in Wölfflins Dürerwerk gelesen zu haben) und zeigen 
wenig harmonische Verhältnisse in der Komposition. Doch hat Matteo in anderen 
vielfigurigen Darstellungen gezeigt, daß ihm der Sinn für übersichtliche Anordnung 
durchaus nicht mangelt, und so sehe ich im Aufbau der Strage weniger die Folge 
künstlerischer Hilflosigkeit, als vielmehr eine bestimmte Absicht auf das Ver- 
worrene hin. | 

Die Stragebilder sind allesamt recht flach und ohne rechte Tiefe. Sie wirken 
aber — namentlich jenes von S. Agostino mit den blonden Frauen, dem vielen 
Gold, den blitzenden Klingen, den leuchtend und eindrucksvoll über die Köpfe 
ragenden Händen und Kindergliedmaßen — ganz hervorragend malerisch. Sie er- 
scheinen wie der Versuch, die dekorative Wirkung der Dompavimente ins Verti- 
kale zu übertragen!) und haben eine erstaunlich raumfüllende Kraft. | 

Matteo hat sein Äußerstes versucht, den leidenschaftlichen Paroxysmus der han- 
delnden Personen in Körperstellung, Gemütsausdruck und Gruppierung zum Aus- 
druck zu bringen. Faßt man diese Gestalten schlechthin als Menschen von Fleisch 
und Blut auf, dann wird man zugeben müssen, daß der Künstler oft bis hart an 
die Grenze des Lächerlichen geht; sollen es aber in die Erscheinung gebrachte 
Fabelwesen sein, die einen höllischen Traum bevölkerten, Märchenfiguren, wie 
Riesen, Zwerge und Drachen, dann wird man bedingungslos das Können des 
Meisters anerkennen, der einen wunderbaren Scheinrealismus in Farben festzu- 
halten wußte. Und so erhalten die Darstellungen auch gegenständlich einen 
großen Reiz, | | 

Herodes, der als Veranlasser des Gemetzels in den Bildern eine dominierende 
Stellung einnimmt, erscheint in seinen überlebensgroßen Formen und mit der gro- 
tesken Physiognomie beiläufig wie der Menschenfresser Oger. Der Umstand, daß 
er auf allen Bildern die gleichen Gesichtszüge zeigt, läßt darauf schließen, daß 
Matteo in diesem Herodes vielleicht das fratzenhaft karikierte Porträt einer be- 
stimmten Persönlichkeit festhalten wollte. 

Am auffallendsten und seltsamsten in diesen Stragebildern sind die Frauen- 
gestalten in ihren Bewegungsorgien. Laufend, stehend, kniend, hockend, liegend, 
nach vorne oder nach hinten übergebeugt, den Mund zum Weinen verzogen oder 
auch in tötlichem Schreck weit aufgerissen, umflattert von dünnen, vielfaltigen Ge- 
wanden, haben sie mit den Schergen den Kampf um ihre Kinder aufgenommen. 


(1) в. a. Schubring, a. a. O. 
173 


Das Weib auf dem Servibilde, das einem dieser Unmenschen, der gerade das 
Schwert auf ihren Kleinen zückt, mit megärenhafter Grimasse die Nägel ins Ge- 
sicht bohrt, ist eine Figur, wie sie bis dahin in der italienischen Kunst kaum in 
solcher Kraft und Ursprünglichkeit geschaffen worden ist. — Im Gegensatze zu 
ihr, auf der anderen Seite desselben Bildes, eine Mutter, die in stiller Resignation 
das Kind an den Schoß drückt, in dem sie es einst schützend geborgen. Man 
kann in den Stragebildern überhaupt mit staunendem Interesse verfolgen, wie sehr 
es der Künstler verstanden hat, Charakter und Temperament der unglücklichen 
Mütter auf das feinste zu differenzieren und, trotz aller Wahrung des SE 
eine psychologische Studie zu Wege zu bringen. | 

Die Frauen in den Stragebildern des Matteo erinnern sofort an Schöpfungen 
eines berühmten Florentiners, der mit unserem Meister wiederholt in Zusammen- 
hang gebracht wird: versucht man eine dieser Gestalten aus der Verwirrung ihrer 
Umgebung herauszuschälen, so drängt sich dem Betrachter die schlagende Ähn- 
lichkeit mit einem gewissen Frauentypus des Botticelli auf. Ganz „botticellisch“ 
wirkt auch die Einzelfigur der samischen Sibylle des ношр die Matteo 
im Jahre 1483 verfertigt hat!) (s. Abb.). 

Natürlich hat man den Sienesen als von dem Florentiner beeinflußt hingestellt; 
aber bei näherer Untersuchung wird es — worauf ich schon hingedeutet habe — 
wahrscheinlicher, daß sich das Verhältnis gerade umgekehrt gestaltet hat. Sandro 
Filipepi ist 1444 geboren. Es ist doch kaum anzunehmen, daß der um mindestens 
vierzehn, vielleicht aber gar um volle vierundzwanzig Jahre ältere sienesische 
Meister, der im Rahmen sienesischer Tradition seine eigenen charakteristischen 
Wege ging, in vorgeriickten Jahren plötzlich angefangen hätte, von dem viel jünge- 
ren Florentiner diesem subjektiv eigentümliche Darstellungsformen anzunehmen. 
Es ist ferner auffallend, daß sonst in den Werken des Matteo nicht das geringste 
auf florentinischen Einfluß hinweist, während man bei Botticelli gar manche An- 
klänge an die Trecentisten und Quattrocentisten Sienas findet?). Bei der Schätzung 
der Priorität florentinischer Künstler. muß man sehr vorsichtig zu Werke gehen; 
denn einem Kunstschriftsteller wie Vasari, der so sehr geneigt ist, die Meister 
seiner zweiten Heimat öfter über Gebühr mecauezustecichens haben die Sienesen 
Niemand gegeniiber zu stellen. 

Der erste nachweisbare Versuch Matteos, durch eigentiimliche Rhythmen nie 
rische Wirkungen zu erzielen, stammt aus dem Jahre 1471, welche Datierung ich 
für das Servibild festhalten möchte; aus früherer Zeit ist uns eben kein Bild 
Matteos mit der Darstellung von Bewegungsvorgängen erhalten. Die vergleichbaren 
Schöpfungen Botticellis beginnen mit dem kleinen Judith-Bild der Uffizien (s. Abb.), das 
als Frühwerk betrachtet wird, dessen Datierung mit 1469 aber durchaus nicht fest- 


(1) Oder er erhielt wenigstens in diesem Jahre die Bezahlung von vier Lire für die hierzu verwendete 
Zeichnung (vgl. Cust, a. a. O., p. 47), die freilich — wie ich es auch schon von dem Stragebilde des 
Domes bemerkt habe — lange vorher entworfen sein konnte. Das Sgraffito ist 1483 datiert. 

(2) Um einige Beispiele anzuführen: Die blumenbekränzten Engel des Berliner Madonnenbildes Botti- 
cellis sind ein echt sienesisches Motiv, das bis auf Simone Martini zurückgeht. — Die Engel, welche 
in Giovanni di Paolos „jüngstem Gericht“ in der Galerie zu Siena (gemalt 1445) die Auserwählten 
umarmen, finden sich wieder in der „Anbetung der Hirten“ der Londoner Nationalgalerie, einem Werke 
aus den letzten Lebensjahren Botticellis. Die Ähnlichkeit ist hier viel größer, als mit den gleichartigen 
Gruppen auf Fra Angelicos Gerichtsbildern. — Botticelli (oder einer seiner Schüler) geht auch nur 
einen Schritt weiter als Matteo, wenn er im Madonnenbilde der Sammlung Poldi - Pezzoli das Kind 
statt mit dem Rosenkranze, mit der Dornenkrone und den Nägeln spielen läßt. 


174 


steht!). Diese Judith zeigt mit der „Sibylla Samia“ des Matteo eine unverkennbare 
Wesensähnlichkeit.e Es hat mehr Wahrscheinlichkeit für sich anzunehmen, daß 
Botticelli das öffentlich zugängliche Dompaviment in Siena gesehen hat, als daß 
Matteo die Judith, die sich damals wahrscheinlich in Florentiner Privatbesitz?) be- 
fand, vor Augen bekommen hätte. Die beiden Werke Botticellis aber, die im 
allerbedeutendsten Maße die besprochene Eigentümlichkeit besitzen und heute wohl 
seinen Hauptruhm bilden, Primavera und Geburt der Venus, sind lange nach 1471 
entstanden. Ä 

Auf der Mostra Senese des Jahres 1904 war ein merkwürdiges Bildchen des 
Simone Martini aus der Sammlung Stroganoff ausgestellt: eine Madonna auf 
niedrigem Polstersitze, mit der Rechten den Mantel auf der Brust zusammenhal- 
tend, mit der Linken ein Buch gegen das Knie stemmend. Das Bild mutet bei- 
nahe an, als wäre es von einem Japaner gemalt. Es stellt den Schimmer eines 
Versuches dar, die Rhythmik der Linien zu malerischer Wirkung zu verwenden. 
Dieselben Verhältnisse zeigen sich ähnlich, nur noch verschwommener, in Simone 
Martinis und Lippo Memmis Verkündigung in den Uffizien. Dieses Problem finden 
wir also schon im frühen Trecento bei einem Sienesen angedeutet. Aber auch 
die unmittelbaren Vorläufer des Matteo, z. B. Taddeo Bartolo, Domenico di Bartolo 
und Giovanni di Paolo, scheinen zuweilen derartige Versuche gemacht zu haben, 
wobei sie freilich über schüchterne Andeutungen nicht gekommen sind. Jedenfalls 
erscheint die Tatsache interessant, daß ein Sienese, der diesem Problem auf den 
Leib rücken wollte, an seine heimatliche Schule anknüpfen konnte. Matteo scheint 
nach Neigung und Veranlagung wohl dazu geeignet. Es ist vielleicht kein Zufall, 
daß gerade im Märchenlande Japan die bildenden Künste die Richtung der unbe- 
schränkten Verwendung der Linie zum Ausdrucke malerischen Sinnenzaubers ein- 
geschlagen haben. Im Abendlande konnte Matteo, der große Märchenerzähler, auf 
den Gedanken kommen, die Wirkung rhythmisch-pulsierender Linienführung zu ver- 
suchen. Noch einen anderen großen Meister Sienas, Francesco di Giorgio, sehen 
wir zuweilen dieselben Wege gehen“). Francesco stand in gewisser Beziehung 
nachweislich unter dem Einflusse Matteos; es erscheint durchaus unwahrscheinlich, 
daß er, der seine Tätigkeit als Maler schon im Jahre 1476 aufgegeben hatte, die 
Anregung zu diesen Versuchen auf dem Umwege über Matteo von Botticelli sollte 
empfangen haben. Matteo hat, wo es irgend anging, also vor allem in der Dar- 
stellung von Bewegungsvorgängen, aber auch in der überfeinerten Haltung seiner 
Madonnen und heiligen Frauen, das neue Kunstprinzip anzuwenden und auszubilden 
versucht. Meine Überzeugung ist, daß Botticelli in der angedeuteten Richtung von 
dem älteren sienesischen Meister beeinflußt worden sei. Wie und wann Botticelli 
mit den Werken Matteos bekannt wurde, ob vielleicht erst in den Jahren 1481—83 
auf seiner Reise nach und von Rom, oder etwa — was wahrscheinlicher ist — 
bei einem früheren Besuche Sienas, ist nicht nachzuweisen. 

Botticelli ist in so vielen Beziehungen dem Sienesen überlegen, daß man wohl 
bisher den Gedanken von sich gewiesen hat, der Schwächere könne in irgendeiner 
Richtung des Stärkeren Lehrmeister gewesen sein. Derartige absprechende Ent- 
scheidungen sollten vorsichtiger gefällt werden. Hat man doch in dem „Jüngsten 


(1) Crowe und Cavalcaselle können es überhaupt keiner bestimmten Epoche zuschreiben. 

(a) Wenn der Florentiner Kunstliebhaber Rodolfo Sirigatti das Bild der Bianca Capello schenken 
konnte (vgl. Venturi, „Storia dell’arta italiana‘ VII, p. 598), so dürfte es wahrscheinlich auch vorher 
immer in Privathänden gewesen sein. 

(3) Am deutlichsten in seiner Verkündigung der Galerie zu Siena. 


175 


Gericht“ des sienesischen Quattrocentisten Giovanni di Paolo die große Gebärde 
des richtenden Heilandes der Sixtina in nuce entdecken können! 

Das Interesse für Matteo di Giovanni scheint in letzter Zeit, namentlich in Eng- 
land im Wachsen begriffen zu sein; sicherlich ein Beweis, daß man in den Werken 
des Meisters eine starke und eigentümliche. Individualität zu entdecken beginnt!). 

Untersuchungen des Lebenswerkes anderer sienesischer Künstler werden vielleicht 
ein überraschendes Licht darauf werfen, wie sehr die sienesische Malerei auch im 
Quattrocento befruchtend auf andere italienische Schulen gewirkt habe. Dann wird 
man mit dem Vorurteil brechen müssen, daß die Malerei Sienas im 15. Jahrhundert 
zu einer verknöcherten Lokalkunst herabgesunken und in Kleinstadtrezepten er- 
starrt sei. — 


(х) Einige Bilder des Matteo haben in den Londoner Auktionen des Frühjahr 1911 recht gute Preise 
erzielt. — Leider war es mir trotz eifrigster Bemühung nicht möglich, Reproduktionen der „Geschichte 
der Camilla“ aus der Sammlung Charles Butler (versteigert Ende Mai), und der „Hochzeit des Ludo- 
vico Sforza“ aus der Abdy-Auktion (5. Mai) zu erhalten. Gerade die Behandlung solcher, bei Matteo 
ganz ungewohnter Vorwürfe könnte über das Wesen des Meisters manchen weiteren Aufschluß geben. 
Was ich von „Madonnen“ im Kunsthandel gesehen habe, war, wie ich glaube, zumeist Werkstatt- 
oder Schülerarbeit. 

Da es naturgemäß nicht möglich war, alle von mir erwähnten Bilder hier zu reproduzieren, verweise 
ich auf das reiche Abbildungsmaterial zu den Abhandlungen Jacobsens, Rothes’, Schubrings usw. 


176 


DIE AUSGRABUNGEN IM KLOSTER 
HERRENBREITUNGEN AN DER WERRA 


Mit sechs Abbildungen auf vier Tafeln und elf Textbildern Von PAUL WEBER 


oo...„„eoeeo......0....0.0000990000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 000 0000 0 
v 


m rechten Ufer der Werra liegen nahe dem Badeorte Salzungen auf steilem 
Uferrande die Überreste des ehemaligen mächtigen Klosters Breitungen, heute. 
zu dem preußischen Kreise Herrschaft Schmalkalden gehörig (siehe Tafel 38). Im 
Mittelalter hieß es Burgbreitungen, erst in nachmittelalterlicher Zeit erhielt es samt 
dem daran sich anschließenden Dorfe den Namen Herrenbreitungen, im Gegensatze 
zu dem gegenüber auf dem andern Ufer der Werra liegenden Frauenbreitungen, in 
welchem sich ein Frauenkloster befand, und dem nördlich angrenzenden Alten- 
breitungen. 

Zwischen dem steil zur Werra abfallenden Felsen und dem Flusse zieht die alte 
Heer- und Handelsstraße von Nürnberg nach Braunschweig dahin. Der Brei- 
tunger Felsen bildet eine natürliche Deckung und Sperre dieser wichtigen Straße. 
Wahrscheinlich befand sich hier schon in frühgeschichtlicher Zeit eine Grenzveste 
der Thüringer gegen die Franken. Später, als das Christentum in diese Gegend 
eindrang, scheint der heilige Kilian, der Apostel der Thüringer und Franken, von 
hier aus die Umgegend missioniert zu haben. Damals mag das erste christliche 
Kultgebäude an dieser Stätte erwachsen sein, vielleicht neben dem Eingang zur 
Veste, da, wo heute die Dorfkirche steht, deren Turm noch aus romanischer Zeit 
stammt. Sie war einst dem Erzengel Michael geweiht. 

Im Anfang des zehnten Jahrhunderts finden wir urkundlich die deutschen Könige 
in der Breitunger Mark begiitert. Der große Wald auf dem linken Werraufer, der 
sich von da in das Rhöngebirge hineinzieht — der heutige „Abtswald“ — mag als 
willkommenes Jagdgebiet schon lange vordem, vielleicht schon in Karolinger Zeiten, 
seine Anziehungskraft auf die Herrscher ausgeübt haben. Der Ort Frauenbreitungen, 
am Eingang zu dem großen Forste gelegen, hieß bis ins zwölfte Jahrhundert 
Königsbreitungen. Im Jahre 933 tauscht Heinrich I. die Orte Barchfeld (Barcu- 
elda) — eine Stunde unterhalb an der Werra gelegen, wohl auch eine alte thü- 
ringische Grenzveste —, und Breitungen (Bretinga) an das Stift Hersfeld gegen 
Güter in der Unstrutgegend aus. In der gleichen Urkunde wird eine Mutterkirche 
(aecclesia matrix) in Breitungen erwähnt, nach welcher die Umgegend eingepfarrt 
ist, — ein Hinweis darauf, daß von Breitungen aus die Missionierung erfolgt war. 

Spätestens in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts, jedenfalls vor dem Jahre 
1049, erwuchs dann auf der Stelle der alten Burg auf dem rechten Ufer ein 
Kloster, das den Namen „Burgbreitungen“ weiterführte. Es wurde mit Benediktiner- 
mönchen aus Hersfeld besetzt und der Jungfrau Maria geweiht. Das Klostersiegel 
zeigt die thronende Gottesmutter zwischen zwei Burgtürmen. Rasch gelangte die 
Gründung zu großem Reichtume und hohem Ansehen. Viele Dörfer in der Um- 
gegend gehörten ihm. Als seine Schirmvögte treten die Landgrafen von Thüringen, 
später die Herren von Frankenstein, zuletzt die Grafen von Henneberg auf, Kirch- 
lich blieb es dauernd in engster Verbindung mit Hersfeld. 

Die Anlage des mächtigen Klosteranwesens ist noch heute in den Grundzügen 
deutlich zu erkennen. Der breite und tiefe Graben, der es gegen Norden vom 
Berghange trennt — ursprünglich wohl eine natürliche Talmulde, die durch Kunst 
erweitert und abgeschrofft wurde — mag noch von der ältesten Burganlage her- 


177 


rühren. Die Mauerziige im Osten, Norden und Süden sind im wesentlichen noch 
die mittelalterlichen. Mancherlei Reste aus romanischer Zeit finden sich in den 
verschiedenen Gebäuden, die den weiten Hof umgrenzen, verbaut. 

Die Kirche (siehe Tafeln 38, 39, 40 und 41), nur eine kurze Strecke von der 
oben erwähnten alten Michaelskapelle entfernt, stammt aus der Zeit von etwa 1100 
bis 1125. Wahrscheinlich trat sie an die Stelle einer einfacheren Anlage aus der 
Gründungszeit des Klosters. Die Mittel zu diesem Neubau, — einer mächtigen drei- 
schiffigen Basilika mit hochragendem Turme an der Westseite —, gab der Pfalzgraf. 
Siegfried von Orlamiinde (} 1124). Er ward zum Lohne dafür im Innern der Kirche 
beigesetzt und in der Umschrift seines Grabsteines als „fundator istius ecclesiae“ 
gepriesen. (Der Grabstein, der leider nur in ungenügenden älteren Abbildungen 
und in einer freien hölzernen Nachbildung aus der Renaissancezeit [in der Löwen- 
burg bei Kassel] erhalten ist, war noch im Jahre 1875 in Breitungen vorhanden, 
ist aber seither spurlos verschwunden.) 

An diesem Kirchenbau des Pfalzgrafen Siegfried ist dann nur im fünfzehnten Jahr- 
hundert ein kleiner gotischer Teilbau vorgenommen worden, im übrigen erhielt er 
sich das Mittelalter hindurch unverändert. Auch als der letzte Schirmherr des 
Klosters, Graf Boppo von Henneberg, im Jahre 1553 nach dem Abzug der letzten 
Mönche Besitz von dem Kloster ergriff und es sich zu einem stattlichen Schlosse 
umbaute, blieb die Klosterkirche im wesentlichen unverändert. 1555 wurde sie 
als SchloBkapelle zum evangelischen Predigtgottesdienste eingerichtet. 1583 kam 
die Herrschaft Schmalkalden an das reformierte Hessen - Cassel. Das Jahr 1608 
beraubte im hessischen „reformierten Bildersturme“ alle Kirchen der Herrschaft 
Schmalkalden ihrer Kunstwerke aus katholischer Zeit, so auch die Breitunger 
Schloßkirche. Der dreißigjährige Krieg brachte dann die bauliche Zerstörung. Das 
schwedische Heer, das längere Zeit in und um Breitungen gelagert hatte, steckte 
im Jahre 1640 bei seinem Abzuge Schloß und Kirche in Brand, nachdem beide vor- 
her völlig ausgeplündert und verwüstet worden waren. 

Jahrzehntelang standen die Trümmer ohne Dach. Dann stellte Hedwig Sophia, 
die energische Regentin aus dem Hause Hessen-Cassel, das Schloß wieder her, die 
Kirche aber nur zur Hälfte. Chor und Querhaus wurden abgetragen und eingeebnet. 
Das Langhaus erhielt ein neues, steileres Dach, als das romanische gewesen war; der 
Turm an Stelle des Halbzylinderdaches, welches er seit 1555 getragen hatte, ein 
schlichtes Satteldach. Das Innere ward von oben bis unten mit einer dicken Putz- 
schicht verkleidet, um die Brandspuren an den Pfeilern, Säulen und Wänden zu 
verdecken. Der Vierungsbogen und die beiden Bogenöffnungen der Seitenschiffe 
gegen das Querhaus hin wurden zugemauert und nur einige . in 
ihnefi angebracht. 

Das also verkürzte Kirchengebäude diente noch eine Zeitlang als Grablege für 
einzelne Glieder des landgräflich hessischen Hauses, geriet aber immer mehr in 
Verfall und bietet jetzt schon seit langem einen äußerlich zwar recht malerischen, 
innen. aber recht betrüblichen Anblick dar. 

Im Jahre 1866 kam Herrenbreitungen mit dem ganzen Kreise Schmalkalden aus 
kurhessischem in preußischen Besitz. Die ehemaligen Kloster- und Schloßgebäude 
stehen seitdem unter Verwaltung des preußischen Domänenfiskus und dienen als 
Wohnungen für Beamte und landwirtschaftliche Arbeiter, die Klosterkirche aber 
verblieb im Besitze des landgräflichen Hauses Hessen-Philippsthal-Barchfeld. | 

1900 wurde auf Kosten des landgräflichen Hauses die Südmauer des südlichen 
Seitenschiffes, die sich stark. gesenkt hatte, aus den alten Steinen neu aufgeführt 


178 


—— чан и къ == 


und dabei ein schönes Renaissanceportal mit dem Wappen des Grafen Boppo von 
Henneberg von 1609 wieder eingefügt. Ein zweites hennebergisches Wappen von 
1579 wurde an der Innenseite wieder eingemauert. Im übrigen muß das Bauwerk 
sich selber erhalten. Die Dächer lassen den Regen durch, der Turm ist wegen 
Morschheit der Holztreppen neuerdings gesperrt. 

Trotz des verwahrlosten Zustandes wirken die Reste der schönen ehemaligen 
Basilika durch ihre Höhe, ihre feinen Maßverhältnisse und ihre großzügige Ein- 
fachheit noch heute ganz außerordentlich. Es handelt sich um ein mit bedeuten- 
dem Können geschaffenes Werk reifster Benediktinerkunst des beginnenden zwölften 
Jahrhunderts, des eingehendsten kunstgeschichtlichen Interesses durchaus wert. 


EE A A 


ee oer a ers МЭЭМ 


S 
Grundriss der Klosterkirche in Herrenbreitungen, nach den Ausgrabungen der Jahre 1910 und 1911 


Über die Einzelheiten geben die vorzüglichen Aufnahmen der kgl. preuß. Meß- 
bildanstalt, die im Jahre 1909 angefertigt wurden, und unsere Zeichnungen Auf- 
schluß. Doch sei zur Erläuterung noch auf einiges hingewiesen. | 

Der hohe Turm steht ganz innerhalb des Langhauses, denn die Seitenschiffe 
umfassen ihn an der Nord- und Südseite. Ob diese Art der Anordnung, die ja eine 
bedeutende Verkürzung des Mittelschiffs zur Folge hatte, aus Rücksicht auf Reste 
einer älteren Anlage geschehen ist, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen. Der 
Haupteingang zur Kirche führte von Westen her durch das Erdgeschoß des Turmes 
ins Mittelschiff. Vor dem jetzt vermauerten Westportal befand sich einst wohl eine 
Vorhalle, von der zwei Pilaster erhalten sind. Die Ostseite des Turmerdgeschosses 
öffnet sich in einem großen Spitzbogen gegen das Mittelschiff, — vermutlich eine 
nachträgliche Umänderung eines ursprünglich kleineren Rundbogens. Völlige Sicher- 
heit ließ sich hierüber nicht gewinnen, da alles verputzt ist. Solite der Spitzbogen 
ursprünglich sein, so wäre sein Vorkommen in so früher Zeit höchst bemerkenswert. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 5. 14 ї79 


Gegen die Seitenschiffe hin sind die Wände der Turmhalle ganz geschlossen. 

Über dem Erdgeschoß besitzt der Turm noch vier Obergeschosse aus romani- 
scher Zeit, über diesen eine Glockenstube mit halbkreisförmig geschlossenen Giebel- 
wänden von dem Umbau im sechzehnten Jahrhundert. 

Die gekuppelten Fensterpaare im dritten Obergeschoß sind durch rohe Stützen 
geschieden, welche einst wohl nach außen durch vorgesetzte Halbsäulen ver- 


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Gurtgesims des Mittelschiffs Lisenenfuß, Westfront Pfeilerfuß, Südschiff 


blendet waren. Die Stütze an dem Fensterpaare der Nordseite ist so zerstört, daß 
ein baldiger Einsturz des darüberbefindlichen Teiles des Turmes zu befürchten ist. 

An die Turmwände lehnen sich die Hochwände des Mittelschiffs an, welche auf 
der Nordseite von .drei Pfeilern, auf der Südseite von einem Pfeiler und zwei 


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Kämpfer, Nordschiff Kämpfer, Ostseite Kämpfer, Südseite 


Säulen getragen werden. Ein Grund für diesen unsymmetrischen Stützenwechsel 
ist nicht erkennbar. Pfeiler und Säulen sind unter sich durch ganz schlichte 
Rundbogen verbunden. In den Hochwänden beiderseits je drei große romanische 
Fenster, deren Sandsteineinfassung abwechselnd rote und weiße Quadern zeigt. 
Derselbe Wechsel von rot und weiß kehrt auch an allen andern Bogen des Bau- 


werks wieder. 


180 


Der einzige architektonische Schmuck der Hochwände besteht aus einem auf- 
fallend schlicht profilierten, horizontalen Gurtgesimse. Die großen, leeren Flächen 
darüber werden einst mit Wandmalereien geschmückt gewesen sein. Sie sind 
jetzt verputzt. 

Die Pfeiler haben flache Kämpfer an Stelle der Kapitäle, mit ziemlich reicher 
Profilierung. Die Basen der Pfeiler sind ähnlich profiliert. Die Schäfte der beiden 
Säulen sind aus Sandsteinquadern aufgemauert, die sehr sorgfältig in die Rundung 
gearbeitet und fast ohne Mörtelverband geschichtet sind. Sie tragen auffallend unbe- 
holfene, weit ausladende Würfelkapitäle ohne Deckplatte und ohne alle Verzierung. 

Alle Formen weisen auf das erste Viertel des zwölften Jahrhunderts hin, was 
also mit der Lebenszeit des Pfalzgrafen Siegfried gut übereinstimmen würde. 

Von alter Ausstattung hat sich nur der ganz schlichte steinerne Altar er- 
halten und ein frühgotisches Säulenbündel auf einer feingeformten quadratischen 
Basis (überdeckt von einer nicht dazu gehörigen Steinplatte, welche die Kanzel 
von 1555 getragen haben wird). 

‚ Der Fußboden ist hoch mit Schutt überdeckt, aus welchem an einigen Stellen 
verwitterte Sandsteinplatten hervorragen. 

In der Nordwand des nördlichen Seitenschiffs ist eine kleine Rundbogentür mit 
eingesetztem Tympanon, von dessen etwaiger einstiger Verzierung jetzt nichts 
mehr zu erkennen ist. Das Mittelschiff ist mit einer kunstlosen, flachen Holzdecke 
aus dem siebzehnten Jahrhundert überspannt. 

Die AuBenseiten des Langhauses sind verputzt. Vom Querhause ist nur ein 
Teil der Westmauer im Ansatze noch erkennbar. Die Ausdehnung des Langhauses 
einschließlich der Turmhalle bis zur Querhausgrenze beträgt 21,80 m, die Breite 
11,50 m, die Mauerstärke 80 cm. Die Mauer des nördlichen Seitenschiffs ist nied- 
riger als die des (neuaufgeführten) südlichen Seitenschiffs. 

Anläßlich der mir übertragenen staatlichen Inventarisation der Bau- und Kunst- 
denkmäler des Kreises Herrschaft Schmalkalden lag mir daran, den ehemaligen 
Gesamtgrundriß der Kirchenanlage festzustellen. Ich ließ in den Jahren 1910 und 
1911 den östlich an das Langhaus stoßenden Teil des sogenannten Mönchgartens 
ausgraben. Hierbei stießen wir schon kurz unter der Rasenfläche auf die Mauern 
des Querhauses und eines Chorhauptes mit drei Apsiden. Die Mauern sind etwa 
gleichmäßig in einer Höhe von 1,00 m bis 1,30 m erhalten. Leider bestehen sie, 
wie auch das Langhaus, aus sehr vergänglichen Sandsteinen, die außerdem durch 
das lange Lagern in der Erde stark zersetzt sind. Die Zwischenräume waren 
mit Schutt des niedergelegten Baues ausgefüllt. Darin fanden sich so zahlreiche, 
gut erhaltene Werkstücke, daß mit ihrer Hilfe ein ganz klares Bild des ehemaligen 
Aufbaues gewonnen werden kann. 

Alle anstehenden Mauerteile zeigten sich weiß verputzt; jedenfalls aus der Zeit 
der Einrichtung der Kirche zum evangelischen Gottesdienste, Damals mögen auch 
die Zwischenmauern bei a, b und c eingezogen worden sein, welche auf der 
Zeichnung schraffiert angegeben sind. Alle Profilstücke der Pfeiler und Pilaster und 
die im Schutte gefundenen Zierstücke sind aus härterem Sandsteine gefertigt. Die 
Fundamente der drei Conchen laden weit aus. Sie sind aus auffallend kleinen 
Bruchsteinen, sehr fett in Mörtel gelegt, geschichtet. 

Die Grundrißgestaltung hat nahe Verwandtschaft mit anderen Benediktinerbauten 
der Zeit, z. B. Hamersleben, ferner mit den Prämonstratenserkirchen in Jerichow 
und Germerode und mit der Liebfrauenkirche in Halberstadt. Die Zugehörigkeit zur 
sächsisch-thüringischen Baugruppe ist sofort offensichtlich. 


ї8ї 


Die beiden Nebenchöre öffnen sich in Pfeilerstellungen gegen den Hauptchor 

und gegen das Querhaus. Ihre Bogen ruhten auf Kämpfern von der gleichen Pro- 
filierung wie die an den Pfeilern des Langhauses. Auch die Profilierung der Pfeiler- 
sockel ist die gleiche, wie im Langhaus. Das ganze Kirchengebäude scheint also 
in einer Bauperiode geschaffen worden zu sein. Reste von Schachbrettfries und 
Rundbogenfries, die sich im Schutte fanden, lassen auf die übliche Außenverzierung 
des Chores schließen. 
Die innere Rundung beider Nebenapsiden war als Altar ausgestaltet. Die halb- 
kreisförmigen Steinplatten, unterstützt von einer aufgemauerten Vorderwand, haben 
auf einem schmalen Absatz in der Rundung aufgelegen. Die nördliche Altarnische 
ist etwas anders gestaltet als die südliche. In letzterer fand sich hinter der Altar- 
wand eine ewige Lampe aus Glas, — wohl von den Mönchen vor ihrem Abzuge 
hier versteckt —, und ein, leider nur in Scherben geborgenes, unglasiertes Ton- 
gefäß, das einst wohl Reliquien enthielt. 

Die Trittplatten vor beiden Altären (h und i) sind noch erhalten. Vom Haupt- 
altar fand sich keine Spur mehr. Wahrscheinlich ist er identisch mit dem in das 
Langhaus übertragenen. 

Der Boden des Chores und Querhauses zeigte sich mit quadratischen, flachen 
Backsteinplatten belegt. An einigen Stellen fehlen sie oder sind zu Haufen ge- 
schichtet. Augenscheinlich sind in Kriegszeiten die hier angelegten Gräber auf- 
gebrochen worden. Daraus erklärt es sich auch, daß nur eine einzige Grabplatte 
noch gefunden wurde, und auch diese in beschädigtem Zustande, was ja sonst bei 
dem Reichtum des Klosters und der Zahl der hier bestatteten Äbte schwer zu 
verstehen wäre. Diese Platte lag gerade in der Mittelachse des Baues, unmittel- 
bar vor der Trennungsmauer von Lang- und Querhaus. Es ist die des letzten 
hier bestatteten Abtes, Christophorus Rotthardt, der 1536 zur Regierung kam und 
1541 starb. 

Auf der 1,05 X 1,75 m großen Sandsteinplatte ist der Abt in ganzer Figur in 
Hochrelief dargestellt, geschmückt mit der Mitra, einem großen Amulett auf der 
Brust und vier großen Fingerringen über dem edelsteingeschmiickten Handschuh 
der Rechten. Die Linke hält den reich verzierten Abtstab. Die Gewandbehand- 
lung mit zahlreichen kleinen Ohrfältchen an den Hauptfalten erinnert an die 
gleichzeitige Mainzer Grabplastik. Eine reife, sehr sorgfältige Renaissancearbeit, 
leider stark in Zersetzung begriffen. Das Gesicht ist ganz verwischt. 

Von den nicht allzu zahlreichen Kleinfunden ist ein Stück eines höchst zier- 
lichen, aus rotem Ton gebrannten, gotischen Zierbandes zu erwähnen, bei dem es 
nur zu bedauern ist, daß sich nicht noch mehr Teile davon auffinden ließen. 

Einige Rätsel in der Gesamtanlage bleiben vorläufig noch ungelöst. Zunächst 
die große Erweiterung des Raumes am nördlichen Nebenchore. Trotz alles Suchens 
fand sich keine Mauer oder Spur einer solchen zwischen k und 1, wo man sie 
doch erwarten solite. Bei m liegt die Trittplatte des Einganges. Allerdings ist 
gerade dort die Mauer fast ganz zerstört. Bei n tritt der Mauerzug etwas über 
die Fluchtlinie vor. Bei g stößt eine Mauer von 1,10 m Stärke an, während sonst 
die Mauern des Querhauses und Chores durchweg 80 cm messen. Von o bis p 
kehrt die gleiche Stärke von 1,10 m nochmals wieder, ebenso bei einem Mauer- 
zuge, der mit der Nordmauer des nördlichen Seitenschiffes parallel läuft und bei 
d endet, aller Wahrscheinlichkeit nach aber ursprünglich zu dem Mauerzuge g in 
Verbindung gestanden hat. Vermutlich handelt es sich hier um Reste einer älteren 
Anlage, 


182 


Noch rätselhafter ist ein im Oberbau 80 cm, am Fuße aber 120 cm starker 
Mauerzug (e), der von Süden heranstreicht und im Bogen bei der südlichen Neben- 
apsis einschwenkt. Leider ist gerade bei der Stelle f das Mauerwerk so verwit- 
tert, daß nicht deutlich zu erkennen ist, ob die Fundamente der Apside in diesen 
von Süden kommenden Mauerzug eingebunden sind. Ganz deutlich aber ist zu 
sehen, daß die Mauer e etwas gänzlich von dem übrigen Kirchenbau Verschiedenes 


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Zierband aus gebranntem Ton, in */, der natürlichen Größe 


ist. Sie besteht aus kleinen härteren Quadern, die in einer ganz anderen Art be- 
arbeitet sind als alle übrigen Mauerziige. Diese Art ist charakteristisch für die 
vorromanische Zeit. An der Ostseite setzt die Mauer in einem glatten Vorsprung 
ab, der wie das Auflager für einen Fußboden aussieht, nach Westen ist sie in meh- 
reren starken, sorgfältig gearbeiteten Wülsten abgetreppt. 


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Leider ließ sich dieser Mauerzug vorläufig nicht weiter verfolgen, da er unter 
der jetzigen Umfassungsmauer des Mönchgartens weitergeht. 

Als Vermutung möchte ich aussprechen, daß in ihm ein Rest der Burganlage 
zu erblicken sei, welche vor Anlage des Klosters hier bestand und dem 
Kloster den Namen Burgbreitungen gab. Für die Datierung gibt vielleicht 
ein kleines Weihwasserbecken einen Anhalt, welches sich früher in der Siidmauer 
eingesetzt befand und jetzt im Langhause lagert. Seine eingeschnittenen Orna- 


183 


mente können doch wohl nicht gut später als aus ottonischer, vielleicht 
sogar noch aus karolingischer Zeit datiert werden. Haben wir in dem 
Weihwasserbecken einen Rest aus der alten Burgkapelle vor uns, so 
würde eine vermutungsweise Datierung jenes rätselhaften Mauerzuges 
in die gleiche Zeit nicht als zu kühn erscheinen dürfen. 

Die freigelegten Mauerzüge wurden sorgfältig abgedeckt und mit Rasen be- 
legt, die größeren Fundstücke an Ort und Stelle eingemauert. Die kleineren sind 
im hennebergischen Museum auf der Wilhelmsburg in Schmalkalden geborgen 
worden. Die Ausgrabungsstätte selbst, die ganz auf fiskalischem Gebiete liegt, 
konnte infolge freundlichen Entgegenkommens der Behörden abgegrenzt und dauernd 
für die Besichtigung offen erhalten werden. Die Ausgrabungen werden fortgesetzt. 
Eine ausführliche Veröffentlichung wird das staatliche Inventarwerk über die Bau- 
und Kunstdenkmäler des Kreises Schmalkalden bringen. 


DÜRERS SELBSTBILDNISSE UND ,,KON- 
STRUIERTE FIGUREN“ von BERTHOLD HAENDCKE 


Mit sieben Abbildungen auf zwei Tafeln C000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 


as Selbstporträt Dürers in München ist, seitdem Thausing in seinem so solide 

gearbeiteten Buche (II, p. 18) über den Altmeister von Nürnberg seine Zweifel 
an der Jahreszahl 1500 niederschrieb, Gegenstand vieler Untersuchungen geworden. 
Zuletzt haben Heidrich (1907) und soeben Ochenkowski diese Frage im „Reper- 
torum für Kunstwissenschaft“ (5. Heft) erörtert. Heidrichs Forschung nimmt Wölff- 
lin im Anhange seines Buches über Dürer an. „Es ist“, sagt er, „der Dürer der vene- 
zianischen Briefe, der vor uns steht“, nachdem er im Text bemerkt hat, „daß die 
Hand lässig in den Pelz greift, eine italienische Bewegung.. Der Ruhm von 
Dürers Hand, den Zeitgenossen uns überliefern, ist immerhin ein spätgotischer Ruhm. 
Das Kostüm entspricht dem auf dem Rosenkranzbilde“. Da Ochenkowski in sorg- 
samer Arbeit eine Antwort zu geben versucht hat, ob der braune Rock, den Dürer 
auf dem Bildnisse trägt, der welsche Rock sei, von dem unser Künstler an Pirk- 
heimer schrieb, und Wölfflin erklärt, daß das Kostüm dem auf dem Rosenkranz- 
bilde entspräche, so mag mit diesem Rock unsere Auseinandersetzung beginnen. 
Zunächst hat Wölfflin wenig sorgfältig zugesehen, wenn er meint, daß der Rock 
des Selbstporträts dem auf dem Rosenkranzbilde „entspräche“. Wenn Wölfflin 
sich auch in diesem Falle offenbar außerstande sah, auf Grund der Autopsie zu ur- 
teilen, so hätte ihm ein Blick in Neuwirths Studie über Dürers Rosenkranzfest (1885) 
aus der Verlegenheit helfen können, da er dieser Schrift eine genaue Beschreibung 
des Kostiims zu entnehmen vermocht hätte. In einem schweren, mit braunem 
Pelze besetzten Mantel, schreibt Neuwirth, unter welchem ein am Halse leicht an- 
liegender brauner Rock zu sehen ist, den ein Knopf zusammenhält, erscheint der 
Meister, unter und über dessen Auge zwar Sprünge, aber keine übermalten Stellen 
nachweisbar sind; die blonden, teilweise in die Stirn reichenden Haare wallen in 
schönen Linien auf die Schultern herab. Die weiten, bauschigen Ärmel wechseln 
in Rot und Schwarz und fallen bis auf die ineinander gelegten Hände. Die Ähn- 
lichkeit besteht also nur in einem braunen Rock, über den wir aber, da der Mantel 
über ihm liegt, weiter nichts feststellen können. Der Rock auf dem Dürerschen Selbst- 
porträt enthält als modische Besonderheit einzig die eher etwas engen Ärmel und 
die geschlitzten Puffen an der Schulter. Diese gepufften Ärmel ähneln in dieser für 
die deutsche (!) Tracht charakteristischen Eigentümlichkeit dem Gewande, das Dürer 
dem Pfeifer auf dem Jabachschen Altar, der jetzt etwa 1503/05 datiert wird, gegeben 
hat, während die Kleidung Dürers auf dem Hellerschen Altar (1508) mit dem auf 
dem Rosenkranzbilde in der Weite der Überärmel eine gewisse Gleichheit aufweist. 

In den Vordergrund der Erörterung ist aber Heidrichs Behauptung zu stellen, die 
auf L. 185 publizierte Handstudie sei sowohl zu der Maria mit dem Zeisig von 
1506 (Berlin) wie zu Dürers Selbstporträt in München benutzt; demzufolge sei dies 
letztere auch etwa 1506 gemalt. 

Es handelt sich bei der Handstudie auf L. 185 offenbar um die linke Hand eines 
Mannes. Die Hand weist starke Knöchelbildung an den Gelenken, reichlich lappige 
Haut und ziemlich viele Falten auf den dünnen, langen Fingern auf. Sie ruht 
lässig auf dem Tisch und macht mit Daumen und Zeigefinger die charakteris- 
tische Zangenbewegung; die übrigen Finger sind aufgestellt, der kleine Finger ist 
etwas gehoben. Leider wird das obere Ende des Zeigefingers verdeckt. Die Hand 
der Madonna mit dem Zeisig ist dagegen abwärts gestreckt. Der Daumen greift 


185 


leicht in den Strauß, den ein Engel in seiner Linken darbietet, der Zeigefinger der 
Madonna berührt die beiden ersten Finger der Engelhand, die drei andern fleischi- 
gen Finger liegen aneinander an. Ähnlichkeiten in der Bewegung finden also 
lediglich in der Zangenstellung, im Abstand des dritten Fingers vom zweiten statt, 
während die drei letzten Finger anders gelagert sind. Will man beide Hände (die 
Studie und die Linke der Madonna) aus dem Bewegungsmotiv heraus in Verbin- 
dung setzen, so ist die Möglichkeit dazu vorhanden. Es frägt sich aber, ist die 
Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß Dürer sich die Mühe genommen hat, eine männ- 
liche Handstudie für eine Frau umzuarbeiten, obwohl er die ganze übrige Figur ohne 
Frage nach dem Modell gemalt hat? Die Antwort auf diese Frage bietet die rechte 
Hand der Madonna. Diese schlanke und doch fleischige Hand weist nämlich eine 
nicht alltägliche anatomische künstlerische Schönheit auf: der vierte Finger ist ausge- 
sprochen kürzer als der Zeigefinger. Wenn Dürer aber eine besonders schöne 
Frauenhand, die er auch ihrem Werte entsprechend sehr sorgfältig durchgearbeitet 
hat, als Modell besaß, dann sollte er, der so geschickte Künstler, sich abgemüht 
haben, aus — es sei hier zunächst in Heidrichs Sinne angenommen — seiner männ- 
lichen Hand die Linke der Frau zu entwickeln, nur weil die Hand eine ganz natür- 
lich und schlicht gesehene Greifbewegung zu machen hat? Dürer hätte ferner, 
weil auf dem Madonnenbild die Hand abwärts und seitlich gewandt ist, eine ganz 
andere Muskellage als bei der ruhig aufruhenden und gerade fortgestreckten männ- 
lichen Hand beobachten müssen. Da die Madonna zwar eine anatomisch ungewöhn- 
lich schön gebildete rechte Hand besitzt, die linke aber keine besonderen Eigenheiten 
im Bau aufweist, so kann man, das gebe ich zu, niemanden zwingen, die Handstudie 
L. 185 als irrelevant für dies Bild zu betrachten; während weiterhin niemand un- 
mittelbar genötigt werden kann, seine Auffassung, die linke Frauenhand auf dem Madon- 
nenbilde sei aus der linken Männerhandstudie entwickelt, aufzugeben, weil auch in 
diesem Falle anatomische Besonderheiten nicht geltend gemacht werden können. 
Aber wer diese Meinung festhalten will, der versäume nicht, sich die rechte Hand 
der Madonna genau anzusehen und die für einen ausgebildeten Künstler recht selt- 
same Handlungsweise, von dem vorhandenen Modell in einem einzigen, ganz alltäg- 
lichen Motiv Zuflucht zu seiner eigenen Person zu nehmen, sorgsamst zu überlegen. 

Wie steht es nun mit der Hand Dürers auf dem Münchener Selbstporträt? Ist 
es erweisbar, daß die Studie L. 185 für dies Selbstbildnis gezeichnet wurde? Ganz 
allgemein kann man nur sagen, daß beide Hände die eines Mannes, und daß es 
sogenannte sensitive (nach Carus), langfingerige Hände sind, und daß beide die 
Zangenbewegung mit Daumen und Zeigefinger machen. Eine anatomische Merk- 
würdigkeit scheint sich am obersten Gliede des Zeigefingers von Dürers Hand in 
der starken Einziehung zu markieren, doch fehlt hier bei der Studie das Vergleichs- 
moment. Die Stellung der Hände weicht erheblich voneinander ab. Die Finger- 
haltung der liegenden Hand auf der Studie ist eine ganz normale, während der Schluß 
der drei letzten Finger auf Dürers Selbstbildnis nicht von jeder Hand leicht, ich 
will sagen gewohnheitsmäßig gemacht wird, so daß hier der Studie gegenüber 
möglicherweise eine Besonderheit festzustellen wäre. Auch konnte Dürer die Zeich- 
nung keineswegs als Studie zum Bewegungsmotiv seiner Rechten nehmen, denn 
in beiden Händen ist die Muskellage bzw. die Verkürzung ganz und gar nicht die- 
selbe. Es ist also erstens nicht zu beweisen, daß die Handstudie L. 185 als eine 
Studie nach Dürers Hand betrachtet werden muß und zweitens nicht, daß die 
Studie für diese Hand benutzt ist. Wenn Wölfflin von dieser Hand Dürers geist- 
voll als von einer gotischen Schönheit spricht, so klingt dies nach mehr als da- 


186 


hinter steckt. Wölfflin hat wahrscheinlich an die langfingerigen dünnen Hände, 
wie sie uns am bekanntesten aus Schongauers und ähnlicher Künstler Arbeiten 
sind, gedacht, aber diese unanatomischen Hände haben mit der von Natur schlank- 
gliederigen und sorgsam der Natur nachgezeichneten Hand Dürers gar nichts zu tun. 
Jene Hände verhalten sich zueinander wie ein Phantasiewerk zur Wirklichkeit. 
Dürer besaß eben einfach die in Deutschland auch heute wahrlich nicht seltene 
lange, feinfingerige Hand, wie sie geistig feinfühligen Menschen so oft zu eigen ist. 
Wenn ich schließlich sagen darf, was ich persönlich hinsichtlich der Identität der 
Handstudie L. 185 und Dürers Hand glaube, so muß ich sagen, daß ich davon 
wegen der Hand auf dem Selbstporträt von 1493 überzeugt bin. | 

Wölfflin beschreibt das Münchener Selbstbildnis Dürers so anmutig, daß ich seine 
Worte hierher setze. Das Bild beherrscht unsere Vorstellung von Dürer durch- © 
aus, das edle Gesicht mit den langfallenden Locken, der große Ernst der weit ge- 
öffneten, ruhig blickenden Augen, die denkerhafte Stirn und die Fülle sinnlicher 
Empfindung in dem lebhaft geschwungenen, vollen Munde. Trotzdem hat man 
immer gefunden, daß dem Kopf das überzeugend individuelle Gepräge fehle. Und 
es genügt eine Vergleichung mit den älteren Selbstbildnissen, um zu erkennen, wie 
wenig Dürer hier auf die Nachbildung des Wirklichen ausgegangen ist. Er malt 
sich nicht wie er war, sondern wie er sein wollte. Die großen Augen hat er nicht 
gehabt; die seinigen waren klein geschlitzt, sie lagen flach und die Brauen gingen 
in hohem Bogen darüber hin. Die charakteristische Form der lebhaft gebogenen 
Nase spricht gar nicht mit. Hier. ist alles im -Sinne des feierlich Stillen genommen. 
Neuerdings ist dann auch nachgewiesen worden, daß die Proportionen mit den 
Normalproportionen Dürers in wichtigen Punkten übereinstimmen. — Diesen Aus- 
führungen Wölfflins kann ich nur sehr bedingt beipflichten. Ich bemerke z. B. auf 
dem Bilde ganz deutlich die Erhöhung auf der Nase, die alle Dürerschen Porträts 
aufweisen und auch die unschöne Verdickung am Nasensteg, die ebenfalls stets zu 
sehen ist. Die Augen nebst Bogen sind allerdings etwas anders gebildet, „verschönt“. 
Die Augen scheinen aber eigentlich nur ein wenig größer zu sein, weil sie en face 
gestellt sind, und dadurch das Weiße des Auges stärker mitspricht, sie „größer“ er- 
scheinen läßt. Daß die Augen sonst flacher im Gesicht Dürers liegen, als auf dem 
Münchener Selbstporträt, ist eine geradezu unrichtige Behauptung. Wie genau Dürer 
hier als Porträtist gearbeitet, bestätigt auch Ochenkowski. „Bei den Augen finden 
wir den bekannten Fehler Dürers wieder; das linke Auge liegt tiefer im Kopfe, 
das rechte flacher. (Dürer hatte anatomisch nicht ganz normale Augen. Der Verf.) 
Der Abstand der Irissterne von der Nasenwurzel ist nicht gleichmäßig, jedoch ist der 
etwas schielende Blick bei diesem Bildnisse wenig auffallend und nur bei einer 
sehr genauen Betrachtung wahrzunehmen.“ 

Weit interessanter als Wölfflins Ausführungen ist aber die von L. Justi aufgestellte 
Behauptung, daß wir in Dürers Selbstporträt einen „konstruierten Kopf“ vor uns sehen, 
eine Aufstellung, die um so anregender ist, als L.Justi behauptet, daß er „bei Porträts 
und dergleichen niemals das geringste von regelmäßigen Abmessungen bemerkt“ habe. 
Es hätte nahe gelegen, Dürers andere Selbstporträts darauf zu untersuchen. Dann 
hätte Ludw. Justi m. E. feststellen können, daß alle Selbstbildnisse Dürers diese 
„regelmäßigen Abmessungen“ aufweisen. Die Untersuchung wird allerdings dadurch 
erschwert, daß diese andern Bildnisse alle in einer dem Profil sich nähernden Hal- 
tung, also gedreht, dargestellt sind, aber hier kann ja die Rechnung einigermaßen 
dem Zirkel helfen. Die beigegebenen Abbildungen erhärten meine Annahme. 
Die Differenzen zwischen den drei Maßen, innerer und äußerer Augenwinkel, wie 


187 


Drittelabstand sind keineswegs größer als bei dem Münchener Porträt. Ein Ver- 
gleich, geometrischer wie arithmetischer, mit der von L. Justi gegebenen Abbildung 
(Konstr. Figuren, S. 49), wird jeden objektiv nachprüfenden Fachgenossen über- 
zeugen. Ich betrachte auf Grund der beigegebenen Abbildungen meine Behauptung, 
daß die auch von Thausing wahrgenommene Regelmäßigkeit im Münchener Bildnisse 
Dürers bedingt ist durch die dem Antlitze des Künstlers eigene Ebenmäßigkeit der 
Gesichtszüge; nur das eine gebe ich zu, daß Dürer dieses Gleichmaß seiner Züge 
in diesem Falle etwas schärfer betont hat. Dürer war ein schöner Mann, wußte 
dies und freute sich in ganz natürlicher Weise daran. Ochenkowski hat seiner- 
seits ganz richtig auf die Verwandtschaft des Dürerschen Selbstbildnisses in Mün- 
chen mit dem auf dem Rosenkranzbilde hingewiesen. Hier wäre auch an die 
Übereinstimmung mit dem Porträt auf den Flügeln des Jabachschen Altars zu er- 
innern. Wann und wo ist das Münchener Bildnis entstanden? — 

Ochenkowskis Untersuchungen haben die Tafel, auf der das Bild gemalt ist, als 
Pappelholz dargetan, die Wahrscheinlichkeit, daß der Meister das Gemälde in Venedig 
geschaffen hat, ist damit einigermaßen erschüttert. Ein brauner Rock war ferner 
am Ende auch in Deutschland zu kaufen, da Augsburg wie kein anderer Ort große 
Färbereien für gelieferte Rohstoffe besaß. Sollte der Jabach-Altar für 1503—1505 
richtig datiert sein, so möchte ich, mit Thausing, am ehesten für diese Zeit ein- 
treten. Allerdings komme ich nicht leicht über van Manders Bemerkung weg, der 
das Bild in Händen gehabt hat und schreibt: ,,...doe ik daer was to 1577, het 
selfde was gedaen (als ick meen) to 1500 doe hy ontrent 30 Jaer oudt was“. Also 
damals hat Mander seiner Erinnerung nach die Jahreszahl 1500 gelesen, eine merk- 
würdige Übereinstimmung mit der heutigen modernen Aufschrift. Als besonders 
wichtig scheint es mir übrigens nicht, ob das Bild 1503 oder 1506 in Nürnberg oder 
in Venedig entstanden ist. Da L. Justi auch zugesteht, daß unmittelbar nach Dürers 
Rückkehr von Venedig eine irgend auffallende Veränderung in seinen Proportions- 
studien nicht eingetreten sei, so konnte auch die angebliche Konstruktion dieses 
Selbstbildnisses von Wölfflin nicht dafür ins Feld geführt werden, daß in dem 
Münchener Porträt der „Dürer der venezianischen Briefe“ vor uns stehe. 

Ohne mich weiter auf L. Justis Untersuchungen über Dürers Proportionsstudien 
jetzt näher einlassen zu wollen, möchte ich doch ganz allgemein bemerken, daß 
ich auch in diesem Falle mich zu Thausings zwar nüchtern aber gut sachlich- 
wissenschaftlich und sachlich-künstlerisch vorgetragenen Ansichten bekenne. Diese 
gehen — mit zwei Worten sei es gesagt — dahin, daß Dürer der Theoretiker von 
Dürer dem Praktiker strenge zu sondern sei. Ehe ich darauf eingehe, sei ein kur- 
zer historischer Rückblick gestattet. Ich bilde hier den Kopf des Adam vom Bam- 
berger Dom und den Kopf eines Wohlgemuthschen Bildes in München ab, und 
weise auf eine ebenmäßig aufgebaute nackte Mädchenfigur, in Elfenbein geschnitzt, 
von etwa 1420—50 in München (die Erbsünde) hin. Da ich an anderer Stelle auf 
kunstgeschichtliche Fragen dieser Art einzugehen beabsichtige, so begnüge ich mich 
hier mit dem Hinweis, daß also ganz offensichtlich jedenfalls schon jahrhundertelang 
eine klare Proportionalität in der Kopfbildung in den deutschen Werkstätten bis zu 
Dürers Lehrer hin bekannt war. Der Vollständigkeit halber sei auch auf Villard de 
Honnecourts Skizzenbuch, Tafel XXXVII, verwiesen; ed. Lassus (1858). Auf Tafel XXIV 
und XXVI derselben Ausgabe finden wir sogar geometrische Zeichnungen für einen 
proportionalen Aufbau der ganzen, achtköpfigen Körper. Es lassen sich also die von 
L. Justi für Dürer beanspruchten Proportionsschemata auf Werke des 13. Jahrhunderts 
in annähernd ähnlicher Weise anwenden. Namentlich stimmen die Kopfhöhen, die 


188 


Begrenzungslinien des unteren Brustmuskels, die Lage der Brustwarzen und die der 
Knie (vgl. z. B. den Adam in Bamberg, die „Kirche“ in Straßburg, die alte Fürstin in 
Naumburg usw.). Da L. Justi (wie auch Ochenkowski) zugeben muß, daß Dürer ver- 
schiedene Schemata angewendet hat, die sich von einem gedrungenen Körperbau zu 
einem schmäleren verändern, so wird er auch für andere Kunstperioden Abweichungen 
von einem Schema schlechthin konzedieren müssen. Ich bemerke aber ausdrücklich, 
daß ich persönlich hinsichtlich des künstlerischen Schaffens der Meister des 13. Jahr- 
hunderts und anderer Zeiten im Prinzip an gar keine anderen Konstruktionen glaube, 
als an die, welche auch heute noch, und zwar einfach aus der Natur der Sache her- 
aus, von allen Künstlern für Figuren angewendet werden. Andrerseits ist zu beachten, 
daß Künstler neben Dürer, wie etwa Brüggemann, ähnliche ,,Konstruktions“gedanken 
hegten wie Dürer, ohne daß eine Kenntnis der Theorien des Meisters von Nürnberg er- 
weisbar wäre; denn das Studium der Dürerschen Stiche würde nicht ausgereicht 
haben, weil Dürer in seinen Kunstwerken sehr verschiedene Schemata aufgestellt hatte. 

Für Dürer nehme ich, abgesehen von einzelnen besonderen Fällen wie z.B.für die 
Wiener Zeichnung von 1501, eben dasselbe freie Schaffen als Tatbestand an, nur 
hat sich in Dürer der Theoretiker kräftiger als bei seinen Fachkollegen gerührt — wie 
es scheint; denn Dokumente wie Villard de Honnecourts Skizzenbuch und Roritzers 
Buch „von der Fialen Gerechtigkeit“ müssen uns auch bei derartigen Schlüssen etwas 
bedenklich gegenüber dem Zahne der Zeit machen. Wie L. Justi für Dürers „Großes 
Glück“ und für die „Eva“ von 1507 eine „Konstruktion“ annehmen kann, entzieht 
sich, abgesehen von anderen Fragen, bei den starken Körperdrehungen bzw. Über- 
schneidungen meinem Verständnis für die praktische Arbeit eines Malers. Dürer hat 
uns m.E. auch ganz deutlich gesagt, daß er nur einen, seiner Meinung nach allerdings 
in Italien begonnenen historischen Prozeß fördern wolle, wenn er bemerkt, „denn was 
sich vor anderthalbhundert Jahren (also seit etwa 1350, ein andermal schreibt er aber 
auch, daß diese Kunst vor 200 Jahren von den Walchen wiedererfunden) wieder an- 
gefangen hat; aber die solches wieder angefangen, haben uns nichts aufgerissen und 
schriftlich an den Tag gebracht... solches hat mich beides bewegt, daß ich unter- 
standen hab, (wenn) nach folgete Meinung fürzulegen“. Wie Dürer Theorie und Praxis 
im allgemeinen getrennt und wiederum aufeinander bezogen wissen wollte, erfahren 
wir weiterhin bei unvoreingenommener Lektüre seiner Schriften. Er schreibt bekannt- 
lich: „In diesem ist aber mein Meinung nit (!), daß ein Idlicher allweg sein Leben 
lang messen soll. Aber dorzu ist dies Nochschreiben gut, so du Solchs gelernt hast 
und wol auswendig kannst, das dich wissenhaft macht, wie ein Ding sein soll 
Dann ob dich dein Hand in der freien Erbet verführen wollt durch die Schnelligkeit 
der Erbet, so werd dir dann dein Verstand durch ein recht Augenmoss (!) und 
durch die gewahnt (!) Kunst, daß du gar wenig fehlst, und macht dich gewaltig in 
deiner Erbet und benimmt dir den großen Irrtum, und erscheint allweg dein Gemäl 
der Gerechtigkeit gemäss. Aber so du kein rechten Grund hast, si ist es nit mügen, 
daß du etwas Guts machst, du seiest der Hand so frei als du wöllest.“ 

Obwohl zugegeben ist, daß Dürer, da die Ansichten in ihm sich langsam klärten, 
auch Aussprliche getan hat, die schärfer die Wichtigkeit der theoretischen Studien 
betonen, so resumiere ich mich dennoch dahin: daß der Künstler Dürer die Theorie 
der Proportionen (wie etwa die Anatomie in anderer Hinsicht) als einen Teil des 
künstlerischen Wissens betrachtet habe, der dem Maler bei der technischen Bewäl- 
tigung seiner Aufgaben eine mit der wachsenden manuellen Geschicklichkeit stetig 
„unwillkürlicher“ werdende Hilfe sein solle; denn ein Künstler, sagt der Altmeister, 
„geusst genugsam heraus, was er lange Zeit von aussen hineingesammelt hat“, — 


189 


EINE HANDZEICHNUNG GRECOS IN 
DER ALBERTINA? 


Die in der vorletzten (Marz) -Nummer der „Monats- 
hefte“ von Meder als eine Arbeit Grecos veröffent- 
lichte Handzeichnung aus dem Besitz der Wiener 
Albertina bedarf doch wohl „weiterer Beweise für 
ihre Echtheit“ als Meders kurze Bemerkung, er er- 
kenne darin „alle Eigentümlichkeiten und Schrullen 
des Meisters, doch ohne die krankhaften Steige- 
rungen“. Wir vermögen in diesem Blatt, das den 
wirklichen Schwung Grecos vermissen läßt und in 
vielem kleinlich und flau wirkt (so in der Gestalt 
des Evangelisten Johannes), nicht die Hand Theoto- 
köpulis zu erkennen und vermuten vielmehr, daß 
es in den Kreis der Schüler Correggios, der Manie- 
risten von Parma, Bedoli und Parmiggianino, ge- 
hört. Es besitzen ja diese Künstler in Formbildung, 
Farbgebung und Landschaftsbehandlung mehr als 
einen Berührungspunkt mit Greco, so daß Meders 
Behauptung an und für sich wohl verständlich ist. 

A.L. Mayer. 


FLÄMISCHE KÜNSTLER IM AUS- 
LAND. 


Die Belgier sind eifrig bemüht, die Bedeutung 
ihrer Landsleute, die aus der Heimat in andere 
Länder aus freien Stücken oder durch besondere 
Umstände gegangen sind und sich dort betätigt 
haben, hervorzuheben und kunsthistorisch den An- 
teil festzustellen, welchen sie im Auslande an 
Arbeiten gehabt, deren Verdienst oft andern zuge- 
schrieben worden ist. Insoweit es sich bei solchen 
Richtigstellungen nicht um bloße Eitelkeit handelt, 
ist es nur gerecht, den Belgiern das einzuräumen, 
was ihnen zukommt, besonders wenn sie das Ur- 
sprüngliche in ihren Arbeiten im Auslande beibe- 
halten und nicht der Eigenart anderer Milieus ge- 
opfert haben. 

Zweifellos ist die Verwendung flämischer Künst- 
ler in Italien, Frankreich, Deutschland Holland 
historisch festgestellt, und zwar waren es nicht 
bloß Mitarbeiter, sondern Männer mit eigenen, 
selbständigen Konzeptionen. So wirkte Claus 
Sluyter, | 1405, in Dijon, wo er 1389 als Nach- 
folger Jean de Marvilles u.a. an der Karthause von 
Champmol und am Grabmonument von Philippè 
le Hardi tätig wur. Claus de Werwe, welcher 
letzteres fertigstellte, war gleichfalls Belgier. Der 
Lütticher Besche wirkte am Bau der Kathedrale 
von Upsala, Egide van den Block aus Mecheln 
an Bauten in Danzig, wo sein Landsmann Anton 


190 


van Oberbergh das Rathaus fertigstellte, und 
am Zeughaus als Baumeister. Letzterer hat auch 
in Thorn das Rathaus erbaut, sowie an den Be- 
festigungswerken mitgewirkt. 

Welche Tätigkeit der Mechelner Alexander 
Colin (1527—1612) in Heidelberg entwickelte, wo 
er am Otto-Heinrichsbau des Schlosses als Bau- 
meister und in Innsbruck, wo er als Bildner am 
Maximiliansdenkmai in der Hofkirche daselbst 
von 1558 bis 1566 arbeitete, ist bekannt. Von 
ihm ist die kniende Erzstatue des Kaisers, dessen 
Ähnlichkeit unverkennbar ist, sind die ebenfalls 
in München gegossenen Figuren der vier Kardinal- 
tugenden, sodann jene zwanzig Marmorreliefs, 
welche die Heldentaten des Kaisers und die wich- 
tigsten Vorgänge aus dessen Leben von 1447 bis 
1516 (der Kaiser starb 1519) schildern, und die 
Thorwaldsen als das Vollendetste in ihrer Art er- 
klirte. Colin erhielt für jedes der Miniaturreliefs 
240 Gulden. Außerdem stammen von ihm das 
Grabmal des Erzherzogs Ferdinand II. (gest. 1595), 
bei Lebzeiten desselben gearbeitet, in der Silber- 
kapelle der Hofkirche in Innsbruck, mit den Wappen 
der österreichischen Länder, vier Reliefs, Taten des 
Erzherzogs darstellend, sodann das Grabmal der 
ersten Gemahlin desselben, Philippine Welser, mit 
zwei Reliefs. Während das Maximiliansmonument 
1572 fertig war, wurden die letzteren Grabmäler 
erst 1583 vollendet. 

In Bayern wirkte der Bildhauer Adrièn de 
Vries, von dem u. a. der Herkulesbrunnen in 
Augsburg ist, besonders aber Peter de Witte 
aus Brügge, 1540—1622. Der vor der St. Michael- 
Hofkirche in München stehende Erzengel Michael 
ist nach einer Zeichnung des Künstlers, der sich 
Peter Candid nannte, gearbeitet. Von ihm ist der 
Entwurf zu der Mariensäule in derselben Stadt. 
Zur Erinnerung an den Sieg am weißen Berg 1620 
errichtet, trägt sie oben die Jungfrau als Schutz- 
patronin Bayerns und an den Ecken vier Unge- 
heuer: Pest, Krieg, Hungersnot und Ketzerei. 
Witte hat sodann mit Н. Schön von 1612 — 1619 
an dem alten Residenzschloß unter dem Kurfürsten 
Maximilian I. gearbeitet. 

Die Börse des Gresham in London, welches Ge- 
bäude 1569 nach dem Modell der Antwerpener er- 
richtet wurde, ist von dem Baumeister van Pae- 
schen hergestellt. In Holland ist die Dekoration 
des alten Stadthauses von Amsterdam, jetzt könig- 
liches Palais, von Artus Quellind.A., 1609 — 1668. 
Das Brüsseler Cinquantenaire-Museum besitzt die 
Skizzen zu dieser Dekoration, zwei Giebel, welche 


die Seemacht und den kolonialen Reichtum Hollands aber für Louis XIV. im Versailler Schloß, wo er 
schildern, ferner Basreliefs: Mars, Diana, Apollo die Basreliefs der Kapelle fertigte, am Apollobassin 
mit der Schlange Typhon kämpfend, Maas und diverse Gruppen, die im Louvre befindliche Statue 
Schelde, Nymphen und Tiere. Der Mechelner des Hannibal u. a. m. 
Bildhauer Rombaut Verhulst ist der Autor der Es würde zu weit führen, alle belgischen Künst- 
Grabmäler der Admirale Tromp, de Ruyter und ler hier namhaft zu machen, welche für den prunk- 
van Ghendt. Der Bildhauer Francois Duques- liebenden König von Frankreich als Baumeister, 
noy, I594— 1644, von dem sich Arbeiten in Rom, Bildhauer, Medailleure und Dekorateure tätig ge- 
Wien, London, Paris befinden, schuf u. a. das wesen sind; sie werden sich wohl meistens mit 
„Engelkonzert“ in der Apostelkirche zu Neapel in bescheideneren Rollen begnügt und sich den Pli- 
der Kapelle des Kardinals Filomarini, sowie die nen untergeordnet haben, die von den führenden 
hl. Susanna in der Kirche 8. Maria di Loreto in französischen Künstlern konzipiert wurden. Aber 
Rom, die Statue des hi. Andreas in der Peters- daß von diesen zahlreiche Mitarbeiter aus Lüttich, 
kirche daselbst. Der Antwerpener Sebastian Antwerpen, Mecheln usw. zugezogen worden sind, 
Slodtz, 1655—1726, arbeitete in Rom, besonders ist Tatsache und spricht für deren Begabung und 
technische Zuverlässigkeit. F.Marcus. 


MAX CREUTZ, Die Anfänge des mo- römischen Ziffern als Datum muß allerdings, trotz 
numentalen Stiles in Norddeutsch- der interessanten Folgerungen, die Verf. an seine 
land. Köln тото, Dumont-Schaubergsche Lesart derselben knüpft, noch offen bleiben, da 
Buchhandlung. der Gedanke an eine Inventarnummer oder etwas 
ähnliches vorliufig wenigstens nicht widerlegt 
werden kann. Überhaupt ist es durchaus notwendig, 
sich das Hypothetische in der geistvollen Kon- 
struktion dieses Meisters, vor allem in seiner 
Identifizierung mit dem Theophilus der Schedula 


Das Buch beginnt nach einer kurzen Einleitung, 
die den Stil des karolingischen Kunstgewerbes er- 
Srtert, die Geschichte der plastischen Entwicklung 
mit dem Bernwardkreis, innerhalb dessen der 
Übergang vom „weichen antikisierenden“ zum stets gegenwärtig zu halten. Schon Rosenberg 
инеге DEF an demi Verhälmin der Darstellunge: hat hier gewarnt!). Es ist doch sehr verdächtig, 


9 an da und Säule Bernwards dargelegt sind. 4 das „Qui et Rugerus“ erst so spät auftaucht; 
Allein gesichert kann diese Entwicklung nicht er- ein Literarhistoriker würde es wohl kaum als 


scheinen, Ger man anstatt an ein Nacheinander stichbaltige Autorbezeichnung anerkennen wollen. 
derselben Stilbewegung auch an ein Nebeneinander E, wire vielmehr notwendig, die Gegenmöglich- 


zweier уоп ‘verschiedenen Punkten:resipierter Stile keit in Betracht zu ziehen und spätere Kunst- 
denken kann, namentlich bei einer so eklektischen theorien daraufhin durchzusehen, welchem „Ruge“ 
))) ва notwendig sein mud) rus“ man wohl eine solche Schrift hätte damals 
da sie sich nicht um einen Künstler, sondern um zuweisen können?). Verf. gibt dem Rogkerus 


einen Mäzen gruppiert. Es folgen ottonische und außerdem noch eine sehr zentrale Stellung und 
heinrizische Werke, großenteils der Kleinplastik, + macht — in sich stilistisch nicht sehr einheit- 


schließlich Gravierarbeiten, unter denen die jjche — Werkstätten in Hildesheim, Fritzlar und 
Aachener Schüssel mit der Ursula-Legende sti- pe gerborn direkt ‚in Köln indirekt von ihm ab- 


listisch wie ikonographisch gleich interessant ist. hängig. Es folgen zwei kleinere Exkurse über 


Der folgende Abschnitt ‚gruppiert Ale Entwicklung Buchmalerei und Wandteppiche, beide gleichfalls 
vom 11. bis zum 12. Jahrhundert um die Gestalt 
des Rogkerus von Helmershausen, und führt sie (1) Marc Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst. 


Niello, Frankfurt a. M., 1908, 8. 13 ff. 
an Hand der beiden großen Hildesheimer Reli- (2) Wäre es unmöglich, daß jener Unbekannte, der diese 


quienschreine sehr anschaulich über ihn hinaus. flüchtige Identifizierung „Qui et Rugerus“ im 17. Jahrhundert 

binwarf, dabei an Rogier van der Weyden gedacht hätte? 
Der Verfasser hebt die Unsicherheit in bezug auf Vasari nennt „Rugieride Bruggia“ Überlieferer des Eyckschen 
das Oeuvre des Rogkerus gebührend bervor, be- Arcanums der Ölmalerei. Lessing glaubt diese 8 

bereits beim Theophilus zu finden („Vom Alter der Ol- 
sonders in der Frage des Abdinghofer Tragaltars, malerei“) und zitiert dabei geradezu (Anm. О) Jene Vasari- 
dessen starkes Temperament zu dem ziemlich klobi- stelle. Mir scheint die wissenschaftliche Spielerei einer 
gen Stil des urkundlich verbürgten Werkes über- Identifizierung beider Persönlichkeiten (etwa als hätte Rogier 


sar = . sein Geheimnis durch die „Schedula‘ überliefert) ganz im 
haupt nicht recht passen will. Die Lesung der Sinne jener skrupellosen Zeit. 


19I 


пиг in Beziehung zu Rogkerus behandelt, was für 
die Halberstädter Teppiche eine etwas frühere 
Datierung ergibt. Übrigens wäre es interessant 
gewesen, wenn Verf. einer auch sonst gegebenen 
Anregung, die Wandteppiche und Wandmalerei 
in Parallele bringt, weiter nachgegangen wäre. 
Er wäre dann auf das aller romanischen Kunst 
zugrunde liegende Stilproblem, nämlich ihr Ver- 
hältnis zum Zweck gestoßen. Die Buchmalerei 
erscheint auf 3 Seiten etwas gar zu stiefmütterlich 
behandelt. 

Der folgende Abschnitt bespricht zunächst, den 
vorhergehenden Kapiteln parallel gehend, die Groß- 
plastik. Beginnend mit den Reliefs von Werden 
und der Madonna des Essener Domschatzes wird 
die Entwicklung bis zu den Reliefs der Münsterer 
Mauritskirche, deren Publikation äußerst dankens- 
wert ist, zu der Merseburger Grabplatte und dem 
Wittekind-Monument in Enger geführt, das man 
allerdings doch wohl erst um die Mitte des 12. Jahr- 
hunderts wird ansetzen können. Gesondert werden 
die Externsteine und die Quedlinburger Äbtissin- 
nengräber behandelt, für die letzteren zieht der 
Verfasser einen westfälischen Grabstein von un- 
bedingter Stilverwandtschaft mit heran. Die Frage 
nach den künstlerischen Beziehungen zwischen 
Sachsen und Westfalen hätte allerdings auf brei- 
terer Basis erörtert werden müssen, ebenso wie 
die Abgrenzung des zur Diskussion stehenden 
Gebietes überhaupt. Jetzt erscheint die Nichter- 
wähnung der Lübecker Tongruppe und anderer 
Werke ziemlich unmotiviert. Angeschlossen sind 
Madonna und Tympanon des Erfurter Domes — 
es handelt sich aber doch wohl um einen Altar- 
aufsatz — und die Gröninger Empore, die zu einem 
kurzen Schlußkapitel: „Die romanische Plastik in 
der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts“ hiniberfihren. 
Sein Schwerpunkt wird auf die Frage der byzan- 
tinischen Anregungen und die Selbständigkeit 
ihrer Verarbeitung in Norddeutschland gelegt. 
Warum hier aber gegen Goldschmidt polemisiert 
ist, der doch ebenfalls die byzantinischen Vor- 
bilder als Anregungen zum selbständigen Schaffen 
wertet („erst mit ihrer Hilfe schöpfte man freier 
aus der Natur“), ist unerfindlich. Der plastische 
Höhepunkt wird im Erfurter Wolframus gesehen. 

Man muß dem Verfasser Dank wissen, daß er 
eine im einzelnen noch so wenig untersuchte Ent- 
wicklung, wie die vom ottonischen zum eigentlich 
romanischen Stil überhaupt einmal zur Diskussion 
gestellt und ihre Werke chronologisch gegliedert 
hat. Im einzelnen bleibt mancbe Frage unerörtert, 
mancher Widerspruch erlaubt, vor allem auch 
stilgeschichtlich, da die bestimmte Problemstellung 


192 


und Gliederung, die der Titel fordert, nicht ganz 
durchverfolgt erscheint. Ein Register wäre bei 
der großen Zahl der behandelten Denkmale sehr 
wünschenswert gewesen. Auf die Abbildungen, 
großenteils nach schönen Aufnahmen Dr. Stödtners, 
und ihre Auswahl ist großer Wert gelegt. Der 
Druck mit Behrenstype ist munterhaft. 

Ernst Cohn-Wiener. 


PIERRE PAUL PLAN, Jacques Callot, 
Maitre-Graveur (1593-1635). Brüssel, 
G. Van Oest & Co. 


Das großartige Tafelwerk, auf dessen damals be- 
vorstehendes Erscheinen ich vor einem halben 
Jahre an dieser Stelle aufmerksam machen konnte i), 
liegt schon jetzt vollständig in fünf Lieferungen 
vor. 100 prachtvolle Tafeln illustrieren den Text 
und den Katalog. Ausstattung und Material sind 
mustergültig. Die 282 (Meaume zählt 882 Blatt!) 
Abbildungen in Heliotypie (Lichtdruck), denen 
noch zwei nach gestochenen Portrits Callots bei- 
gegeben sind, kommen bisweilen der Feinheit der 
Originale so nahe, daß man Original und Repro- 
duktion miteinander verwechseln könnte. Viel 
trägt hierzu der sehr glücklich gewählte gelbliche 
Ton und die ausgezeichnete Qualität des Papieres 
bei. Nur hin und wieder läßt selbst hier, wo doch 
äußerste Sorgfalt auf treue und mustergültige Wie- 
dergabe angewandt ist, der Hintergrund an Schärfe 
zu wünschen übrig. Das gilt z.B. von Plan Nr. 255 
(die Kerzen), 436, 453, 882 (der Hügel) und 877 
(die Architektur) u.a. Hier sind statt feiner Um- 
rißlinien nur weiße Stellen, Auf anderen Blättern 
verschmelzen die bei Callot stets deutlichen Kreuz- 
und Quer-(Gitter-)Schraffierungen zu schwarzen 
Flecken, Es soll hiermit weniger ein Tadel aus- 
gesprochen, als einmal festgestellt werden, wie 
schwer auch der vollkommensten Technik die 
Wiedergabe unendlich zarter und weich ver- 
schwimmender Linien derartiger Radierungen stets 
fallen wird. Oft mag das auch an dem Erhaltungs- 
zustand der Vorlagen selbst liegen. 

Daß eine Menge Seltenheiten abgebildet worden 
sind, ist höchst dankenswert. Wünschenswert wäre 
die Maßangabe, ob Originalgröße, ob verkleinert 
usw. gewesen. Auch ist es recht schade, daß gar 
keine Zeichnungen wiedergegeben sind. — Plan 
gliedert den sehr umfangreichen Stoff in vier Ab- 
schnitte. Wir werden in geschickter; rasch vor- 
anschreitender und höchst lebendiger, ja tempera- 
mentvoller Darstellung, die in den Hauptlinien 


(1) Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrgang 1911, 
Heft 9. 


der grundlegenden Arbeit Meaumes folgt, über 
alles irgendwie Wichtige und über alles Tatsich- 
liche aus Leben und Werk des Lothringer Meisters 
anschaulich unterrichtet. Die zugrunde liegende 
Literatur ist im allgemeinen gut durchgearbeitet. 
Es werden überall die nötigsten literarischen 
Quellen, wenn auch nicht erschöpfend, angegeben. 
Meine 1909 erschienene Monographie scheint der 
Verfasser gar nicht zukennen (wenigstens nimmt 
er nirgenda Bezug darauf, obwohl nach einem 
Passus des letzten Absatzes, 8. 30, der Text im 
Jahre 1910 geschrieben worden ist). Auch die in 
vielen Zeitschriften zerstreut erschienenen Aufsätze 
werden nur ausnahmsweise erwähnt. Andrerseits 
lernen wir aber einige bisher weniger oder gar 
nicht bekannte Schriften kennen: das ist die Studie 
von Léon Gozlan im ,,Artiste‘ des Jahres 1839 
(8. 9), der Sonderdruck A. Houssayes mit zehn 
Callotschen Radierungen in der „Librairie а Estam- 
рев“ (8. 6) und der Bericht Jean Dolents „Avant 
le Déluge“, Paris 1871, über eine Ausstellung in 
der Sammlung Dutuit (8.14 und 19). 

Über Herkunft und Vorfahren, Name und Familie 
Callots erfahren wir Ausführliches. Erhebliche, 
bisher unbekannte biographische Tatsachen werden 
aber nicht beigebracht. Abweichend von der Mehr- 
zahl neuerer Forscher hält Plan (wenigstens auf 
dem Buchtitel) nicht 1592, sondern das Jahr 1593 
für Callots Geburtsjahr. Mir scheint die Inschrift 
auf dem Grabe keinen Zweifel zuzulassen. Danach 
ist Callot 1592 geboren. Plan meint, der Streit 
über das Geburtsjahr sei von keiner Bedeutung: 
„Callot est né а la gloire & Florence en 1617, ou 
parurent les Caprici“ usw. — Die Flucht mit den 
Zigeunern verweist Plan ins Gebiet der Legende. 
Die Blätter der „Zigeuner“ seien Produkte der 
reinen Phantasie und nicht etwa eigener Erfahrung 
(S. 17). Auch an der Bekanntschaft mit Canta 
Gallina, die Baldinucci ausdrücklich bezeugt, zweifelt 
Plan anscheinend. Dessen sowie Tempestas Ein- 
flüsse sind aber schon rein stilistisch sicher er- 
weisbar. M.E. wären von den römischen Arbeiten, 
in denen Plan mit Recht noch nicht die Klaue 
des Löwen spüren will, immerhin die „Grablegung“ 
nach Salimbeni und das große „Ecce Homo“ als 
unbedingte Meisterwerke des Stichels hervorzu- 
heben gewesen. Ob wirklich, wie Plan meint, uns 
nur ein Teil der in Rom entstandenen Arbeiten 
erhalten ist? — Mit Recht vermutet Plan, der auch 
an die abenteuerliche Liebesgeschichte mit Tho- 
massins Frau nicht glaubt, in den ,,Curiosités ga- 
lantes“, Amsterdam 1687, eine Fiktion, erfunden 
von A.Houssaye. Die hier angezogene Oper von 
Grétry kenne ich nicht. Dankenswert ist die 


Wiedergabe aller auf jene Liebesgeschichte bezüg- 
lichen Stellen aus Houssayes bekanntem Buch. 
Daß die erwähnte Radierung von I. Silvestre, be- 
zeichnet: „Demoiselle Catherine Puttinger“ usw. 
nicht Callots Frau, die keine Kinder hatte, vor- 
stellt (S. 9), ist dem Verfasser, der betont, daß die 
Inschrift nur auf den Abzügen des dritten Zu- 
stands sich befinde, ohne weiteres zuzugeben. 
Festzuhalten ist mit Plan, daß Callot Ende 1611 
mit seinem Freund J. Henriet nach Florenz ging, 
wo er in G. Parigis Atelier Poccetti kennen lernte. 
In der Radierung nach Poccetti (Hölle und Pur- 
gatorium) sieht Plan Zusammenhänge mit Brueghel. 
Sie ist ihm die heidnisch - weltliche Interpretation 
des Themas (8. 11). Interessant sind Plans Mit- 
teilungen über die „Wunder der Annuntiata“ 
(8. 11, Anm.). Auf dem zweiten Blatt dort ist 
nach Plan eine Vorläuferin der Guillotine darge- 
stellt! — Daß die ,,Zwischenspiele nicht nach 
Canta Gallinas, sondern Callots eigener Zeich- 
nung entstanden sind, scheint mir im Gegensatz 
zu Plan sicher!). Mit Recht geht Plan (8.13) auf 
die beiden Fassungen der „Versuchung des heiligen 
Antonius‘, die Teniers u. a. beeinflußt hat, aus- 
führlicher ein. Hier offenbare sich Callots rein 
intellektuelle Sinnlichkeit im Gegensatz zu Bruegbel 
(8. 14). — Der „Impruneta“ zollt Plan höchstes 
Lob. Ein Meisterwerk sei sie, „unique dans l’histoire 
de l’art“ (S. 14). Hier sieht er in Callots Genie 
vorausweisend einen Vorläufer („créateur“) der 
Eisen und Moreau, zurückweisend einen Zusammen- 
hang mit Jean Cousin und Bernhard Salomon (Де 
petit Salomon“), Franzosen, denen Callot ebenso- 
viel wie den Italienern zu verdanken habe. Worte 
hoher Bewunderung findet Plan auch für das Haupt- 
moment, das dieses und andere Blätter charakteri- 
siert: die Kunst der Gruppierung, ohne zu isolieren. 
Die äußeren Lebensumstände, die Callot schon 
1621 nach Nancy zurückriefen, werden von Plan 
richtig und ihrer Bedeutung nach hervorgehoben. 
Übrigens bezeugt ein bei Gualandi „Memoires“ II, 
8.125 publizierter, von Guhl (Kunst und Künstler 
des 17. Jahrhunderts) übersetzter Brief Callots an 
D. Pandolfini, daß er vor August 1621 mit dem 
Vicomte de Toul dorthin zurückgekehrt war. — 
Hier in seinem Vaterlande geht es Callot fortan 
so gut, daß Plan das bekannte Sprichwort um- 
kehren will. | 

In den „Bettlern“, die wie die „Баш“ ,,d’inspi- 
ration purement italienne‘ seien, will Plan nicht 
das beste aus Callots Oeuvre sehen, mehr „дез 
hors d’oeuvres‘ — trotz völliger Meisterschaft und 


(1) Siebe =. B. die schöne Vorzeichnung zum I. Intermede 
ia Berlin, K. K. 


193 


völliger Beherrschung der Technik (S. 16). Plan 
meint, daß die „gobbi“, jene ergreifende Synthese 
menschlicher Entstellung und Armut, die auch an 
Bosch denken läßt, von Brueghel und von den 
„songes drölatiques“ beeinflußt seien (8. 16, Anm.). 
Von den „Landschaften“ betont Plan zu Recht, 
daß sie frei sind von jeglicher Sentimentalität. 
Plan weist den Vorwurf, daß die Natur Callot nicht 
angezogen habe, aber zurück und schränkt ihn 
dahin ein, daß die Landschaft für Callot „n’a que 
l’importance d'un décor“. Callots eigentliche Welt 
sei die der Bewegung der Masse und der „guig- 
nols humains“ (S. 17). — Soviel ist ganz sicher 
zuzugeben, was auch Plan betont: Callot sieht stets 
mehr das Pittoreske der Erscheinungen, nicht das 
Grausame der tatsächlichen Vorgänge. — Daß 
Callot in Nancy jene Inschrift, von der Plan 8.20 
spricht, auf zwei Kupfergrabplatten Heinrichs II, 
radiert hat, teilt schon Meaume mit (Auszug aus 
den Hofzahlamtsrechnungen). Die Frage, ob Callot 
die Blätter zu La Rochelle und Ré auf eigenen 
Antrieb oder auf Bestellung Ludwigs XIII. gearbeitet 
hat, was streitig war, entscheidet Plan mit Recht 
zugunsten der letzteren Annahme (8. 23). Die 
Zeichnungen zu Breda dagegen sind an Ort und 
Stelle gemacht, die Radierung ist, wie Plan her- 
vorhebt, erst in Nancy ausgeführt worden. — Im 
weiteren Verlauf seiner Untersuchung weist Plan 
auf die Bedeutung der Festspiele und aufdie beiden 
bekannten Versuche Callots im „Hell- Dunkel“ hin. 
Neu ist schließlich die Mitteilung, daß Callot die 
Blätter der „Münzen“ auf Bestellung Gaston d’Or- 
léans verfertigt babe. 

Das sind einige Stichproben aus dem reichen 
Inhalt des Planschen Textes. Er trifft, im wesent- 
lichen als Einführung und erklärender Hinweis 
auf die Tafeln anzusehen, in allem die wünschens- 
werte Mittellinie. In allen Hauptpunkten wird man 
dem Verfasser beitreten müssen. Daß man in der 
ästhetischen und künstlerischen Wertung der ein- 
zeinen Arbeiten sehr oft abweichender Ansicht 
sein kann, ist eine Sache für sich. Ich habe Ge- 
legenheit gehabt, auf besonders charakteristische 
Stellen hinzuweisen. Man könnte bisweilen glauben, 
daß Plan seinen Helden eher unter- als überschätzt. 
Man könnte z. B. aus den ,,Hinrichtungen“, auf 
deren sehr fesseinde Interpretation (S.19) ich noch be- 
sonders hinweisen möchte, z. B. doch mehr als das 
bloß Pittoreske und das Erstaunliche dieses ,,coup 
de force“ herauslesen, in dem der Autor nach 
Plan: „s'est amusé а representer tous les suppli- 
ces en usage de son temps“ (S. 18). Man könnte 
in den „miseres“ — die sicherlich auch von den 
Heimsuchungen, die die Heimat erfahren mußte, 


194 


erzählen, was Plan bestreitet — doch auch wohl 
mehr sehen als „des simples mais admirables 
tableautins amusants‘ (S. 26) oder des „guignols 
amusants qu'on nous montre avec le talent le plus 
surprenant“, wie Plan will. Das sind aber Auf- 
fassungsfragen und gerade die sehr persönliche 
und höchst geistreiche Charakteristik und Poin- 
tierung Plans fesselt den Leser. Was ich aber 
vermisse, ist eine schärfere Darstellung und Ana- 
lyse der Entwicklung des Callotschen Stils und 
eine Schilderung des historischen und kulturge- 
schichtlichen Hintergrundes. 

Im fünften Abschnitt geht Plan noch kurz auf 
die Zeichnungen im allgemeinen ein, in denen 
Callot mehr als ein „Virtuos‘ gewesen sei. Von den 
angeführten 330 Zeichnungen der Kollektion San- 
tarelli ist jedoch eine große Anzahl m. E. auszu- 
schalten. Ebensowenig stammen m. E. alle in 
dem angegebenen ,,Inventaire des dessins du 
Louvre“ usw. abgebildeten Zeichnungen von Callot. 
Die Frage, ob Callot gemalt habe, wird mit Recht 
verneint. Doch wird ihm, m.E. zu Unrecht, jene 
in Öl gepinselte Zeichnung des heiligen Sebastian 
(Louvre) zugesprochen. — Das Skizzenbuch der 
Albertina (herausgegeben von Thaussing), ist sicher 
von der Hand Stefano della Bellas, was Plan da- 
hingestellt sein läßt. 

Im letzten Abschnitt gibt Plan einen kritischen 
Katalog aller von Callot selbst gestochenen und 
radierten Blätter. Zu den eigenhändigen Arbeiten 
rechnet er das sehr zweifelhafte Blatt M. 70, während 
er mit Recht die beiden Verkündigungen M. 73 
und M. 74 und auch M. 882 ausscheidet. M. 903 
scheidet Plan gleichfalls aus. Auch mir scheint 
letzteres Blatt zum mindesten zweifelhaft. 

Im wesentlichen stellt sich der Kalalog als ein 
abkürzender und berichtigender Auszug aus Meau- 
mes grundlegendem Katalog dar. Die Plattenzu- 
stände und die Maße werden überall, sehr oft mit 
wichtigen Richtigstellungen und Ergänzungen der 
Angaben Meaumes, angeführt. Häufig findet sich 
eine kurze Notiz, ob und wo eine Zeichnung zu 
dem betreffenden Blatt vorhanden ist. Ein Ver- 
zeichnis der Tafeln ist im Anhang beigegeben. 

Im einzelnen möchte ich zu dem Katalog 
folgendes bemerken (ich zitiere die Nummern 
Plans): 

Nr. 4—9. „Les Mois“ sind nach Zeichnungen 
Josse de Mompers, nach solchen A. Collaerts ge- 
stochen. 

Nr. 10—13. „Les Saisons‘ nach Stichen Joh. 
Sadelers, nach Gemälden Jacobo Bassanos. 

Nr. 48. „Le petit ecce homo“ ist nach Vanni 
(s. Meaume, Additions). | 


Nr. 49. „La vierge etl’enfant а la cage“ ist sebr 
zweifelbaft. Mariette kennt es nicht. 

Nr. 52—66. „Pompe funèbre etc.“. 

Von den übrigen Stichen sind sechs nach Tem- 
pesta, fünf nach Schiaminozzi und drei nach Mei 
Tienghi (s. M.). 

Nr. 69. „Sainte Familie d’après Andrea del Sarto“. 
Nach M. ist im II. Zustand auch das Wappen ver- 
ändert. 

Nr.70. „Le grand Ecce Home“. M. kannte fünf 
Zustände. 

Nr.72—112. „Miracles de l’Annonciade de Flo- 
rence“. Sie sind Christine von Lothringen ge- 
widmet. 

Edmund Bruwaert hat in einem Artikel der Gaz. 
des Beaux-Arts, April 1911, р. 261ff.: ,,unlivre de 
la Bibliothèque N. ayant appartenu & Jacques Callot 
et orné de ses dessins“ nachgewiesen, daß Titel- 
blatt und die Verkündigung М 75 auf einem Blatte 
gedruckt sind. Es sind also 42 Stiche. Das Buch 
ist das hier genannte und 1619 erschienene. Es 
enthält auch drei Zeichnungen von Callots Hand. 
Im Ш. Zustand der Miracles ist (в. М.) auch die 
Adresse ausgetilgt. 

Nr. 124—128. „Joutes à cheval“ sind nach den 
maschinellen Plänen und Angaben Parigis, aber 
nach eigenen Zeichnungen radiert. 

Nr. 125. „Le char de Thétis“. M. kennt auch 
eine zweite, etwas veränderte Platte: Nr. 637 bis. 

Nr. 128. „Vue d’ensemble de la fête“, zwei Zu- 
stände, der zweite retuschiert mit Adresse Rossis. 

Nr. 133—148. „Principeaux faits etc. de Ferdi- 
папа de Medici eren, Zu Nr. 133, 138, 139, 140, 
142, 143—45 gibt es unvollendete Probedrucke. 
Zu Nr. 138 auf der Rückseite der Katafalk und eine 
Landschaft. Von der ganzen Folge existieren neue 
Abzüge mit italienischer Schrift, numeriert 1—15 
und bezeichnet „Matteo Roselli inv.“ 

Nr. 211. „L'assomption au chérubin“. Nach M. 
zwei Zustände. I. Oval in Punktierung. 

Nr. 216. „L'eventail“. Ein III. Zustand kommt vor. 

Nr. 255. „Catafalque de l’Empereur Mathias‘. 
Der Katafalk geht nicht unter dem Namen 
„petit prédicateur“. Letzterer ist eine kleine Kopie 
im Gegensinn ohne den Katafalk. 

Nr. 257—263. „Les sept péchés capitaux“, auch 
Stichelarbeiten! 

Nr. 266— 271. „La tragédie de Soliman‘. Das Buch 
erschien schon 1619 in Venedig ohne Abbildungen. 

Nr. 279. „Le moulin à eau“. Nach M. zwei Zu- 
stände. П.: bezeichnet ,,J. Silvestre cum pr. Reg.“, 
sehr verdorben. 

Nr. 304 — 324. „Les gobbi‘, im III. Zustand Nr. 19 
statt 20, 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 5. 


Nr. 329—353. „Les Gueuz“. Ursprünglich zu 
zwei und zwei abgezogen. Nur Titel und 331 mit 
Hintergrund. 

Nr. 357—373. „Figures variées“. Nr. 3, 5, 7, 10 
und 13 der num. Folge kommen nach M. ohne 
Hintergrund vor. 

Nr. 434. „Le Martyre de St. Sébastien“. М.Е. 
ist die Ölzeichnung im Louvre eine Kopie hier- 
nach (s. o.). Ein Ш. Zustand: „Р. Mariette le fils“. 

Nr. 483. „Le crucifiement‘. Es ist die Kreuz- 
errichtung. Sie ist von J. Silvestre nach Callot 
radiert. 

Nr.489—491. „Les saintes antiquitésdela Vosge“. 
Der Titel ist nach M. im Buch dreimal wiederholt. 

Nr. 492—528. „Les Emblémes de la Vierge“. 
Nach M. eine dritte Auflage des Buches bei B. 
Audran. 

Nr. 573. „St. Francois d’Assisi“. Vielleicht besser 
mit dem Zusatz: „avec un livre“. 


Nr. 575— 577. „Les trois Sacrifices. Die An- 
gabe: „es sind Ovale“ wäre nötig. 
Nr. 754—769. „Le Sauveur etc.“. Von vielen 


der „Apostelblätter“ gibt es drei Zustände. 

Nr. 822. „Annonciation (2. planche)“. Auch Gott 
Vater erscheint oben in den Wolken. 

Diese wenigen Berichtigungen sollen den Wert 
des Katalogs in keiner Weise herabsetzen. Bei 
den größeren Folgen, der „capricci“, der „balli“, 
der „Noblesse“ u. a. wäre aber wenigstens eine 
kurze Angabe jedes einzelnen Blattes nützlich ge- 
wesen. Wertvoll ist die chronologische Anord- 
nung. Alle Arbeiten, soweit nicht Daten ausdrück- 
lich angegeben sind, genau ihrer Entstehungszeit 
nach zu bestimmen, wird überhaupt unmöglich 
sein, ganz besonders die der Zeit in Nancy 
zwischen 1625 — 1629. Für mehrere Daten hat 
Meaume schon die Archivalien (Quittungen, Rech- 
nungen) beigebracht. Ich möchte nurnoch einige 
besonders umstrittene Verschiedenheiten in der 
Datierung feststellen. Der reifen Technik nach 
sind m. E. die verschiedenen „Madonnendar- 
stellungen“ erst In Florenz entstanden, wofür auch 
die Vorlagen sprechen. Von der Folge der „Judith“ 
usw. müssen die ersten fünf Blätter noch in Flo- 
renz entstanden sein und nur der Rest, wie Plan 
will, in Nancy. Stilistisch stehen die ,,varie figure“ 
den „capricci“ so nahe, daß sie zeitlich kurz auf 
sie folgen müssen. Von den „Landschaften‘ meint 
Plan, sie seien mit Wahrecheinlichkeit in die Jahre 
1623 — 1624 zu setzen. Mir scheinen sie den 
„varie figure‘ so nahe zu stehen, und auch im 
Motiv so italienisch zu sein, daß sie wohl noch 
in die Zeit des Florentiner Aufenthaltes fallen. 
Lothringisches Papier kann Callot nach Florenz 


15 195 


bezogen haben. Zu den „balli“ und „gobbi“ ent- 
standen die Zeichnungen noch in Florenz, wie die 
Zeichnungen zum mindesten zu „Pont Neuf“ und 
„Louvre“ noch in Paris entstanden sind. Aus 
den von Bruwaert veröffentlichten (в. о.) Zeich- 
nungen scheint hervorzugehen, daß die „Predigt 
des Heiligen“ und die des „Johannes der Täufer“ 
nicht vor 1624 entstanden sein können. 

Alles in allem kann man das Prachtwerk nur 
wärmstens der Beachtung, ganz besonders von 
Seiten der Sammler, empfehlen. Hermann Nasse. 


ROBERT BRUCK, Die Sophienkirche 
inDresden, ihre Geschichte und ihre 
Kunstschätze. 102 S., 64 Lichtdrucktaf. 
(Veröffentlichung des Vereins für Ge- 
schichte Dresdens.) Dresden 1912, H.von 
Keller. 


Die vorliegende Arbeit bietet mehr als ihr Titel 
erwarten läßt Sie ist aus Veranlassung von Um- 
bauten entstanden, die mit „Ausgrabungen“ ver- 
bunden waren. Diese hatte Bruck zu überwachen. — 
Bruck stellt zunächst die Baugeschichte der Kirche 
dar. ,,Die Sophienkirche ist die einzige Kirche 
Dresdens, von der trotz mehrfacher baulicher Ver- 
änderungen noch wesentliche Teile ihrer mittel- 
alterlichen Gestaltung erhalten geblieben sind.“ 
Sie ist 1351 als Kirche des wohl vor 1265 ge- 
gründeten Barfüßerklosters errichtet worden. Der 
Wirkungsweise des Ordens entsprechend war sie 
von vornherein eine weitriumige Predigtkirche mit 
zwei gleich hohen, durch drei Pfeiler getrennten 
Schiffen. Dafür, daß hier die zweischiffige Anlage 
aus der Zeit der Erbauung herrührt, sprechen die 
zwei Chöre, welche mit drei Seiten eines nicht 
ganz regelmäßigen Achteckes die Schiffe ab- 
schließen. Seit etwa 1400 schließt sich an den 
Südchor die Begräbniskapelle einer Familie Bus- 
mann an. Bemerkenswert sind hier vor allem die 
Konsolen an zwei in den Winkeln der kleinen Chor- 
anlage aufsteigenden Diensten. Diese Konsolen 
werden von Bildnisbüsten getragen. Es sind Stif- 
terbildnisse; die Dargestellten weisen sich durch 
eine Hausmarke als der Stifter Busmann und seine 
Frau aus. 1421 wurde die Kirche nach Westen 
verlängert und in der zweiten Hälfte des 15. Jahr- 
hunderts scheint man sie neu eingewölbt zu haben. 
1541 fielen nach Einführung der Reformation durch 
Heinrich den Frommen Kloster und Kirche an 
den Rat, welcher wahrscheinlich schon vorher den 
Klosterschatz bekommen hatte. Dabei hatten die 
letzten Mönche allem Anscheine nach die Reliquien 
aus ihren Behältnissen genommen und in einer 


196 


Gruft versteckt. Sie sind jetzt wieder aufgefunden 
und dem bei dieser Gelegenheit überhaupt wesent- 
lich bereicherten Dresdner Stadtmuseum übergeben 
worden. Bei ihnen fanden sich zwölf kleine runde 
Perimutterscheiben mit Darstellungen aus dem 
Leben Christi und aus der Legende; sie stammen 
zum Teil aus der zweiten Hälfte des ı5. Jahr- 
hunderts, zum Teil sind sie auch älter. — Der Rat 
benutzte die Grundstücke nicht, wohl aber der 
Landesherr. Bis 1563 diente die Kirche als Zeug- 
haus, dann allen möglichen Zwecken, welche man- 
nigfache bauliche Veränderungen bedingten. 1599 
bis 1602 wurde sie wieder zur Kirche umgebaut. 
Hierbei wurden die 73 vorhandenen Leichensteine 
abgezeichnet und numeriert. Während baulicher 
Arbeiten im Schloß und in der Schloßkapelle bat 
sich — 1602 — der Kurfürst die zeitweilige Über- 
lassung der Kirche zu Hofgottesdiensten aus und 
Polycarp Leyser weihte sie als „Kirche zu St. 
Sophien“. Der Kürfürst dachte bei dem Namen 
nach seinen eigenen Worten an „die seelige und 
wahre sterbkunst“, während der Rat ursprünglich 
der Kurfürstinmutter Sophia ein Kompliment hatte 
machen wollen, die dann auch der Kirche mehr- 
fach ihre Gunst erwies. Nach Aufhören der Hof- 
gottesdienste wurde die Kirche nur zu Begräbnis- 
zwecken benutzt. 1606 stiftete Sophie den Altar 
des Giov. Maria Nosseni. 1696 wurde der Kreuz- 
gang abgebrochen und eine Sakristei erbaut. 1737 
verlegte man den protestantischen Hofgottesdienst 
aus der Schloßkapelle in die Sophienkirche, welche 
damit sämtliche kirchlichen Ausstattungsstücke der 
Schloßkapelle sowie die Glocken vom Schloßturm 
übernahm. Für diese wurde nach George Bährs 
Entwurf ein Glockenturm errichtet. An der West- 
front brachte man das „goldene Тог“ an, das den 
Eingang zur Schloßkapelle gebildet hatte. Jetzt 
steht es bekanntlich am Jüdenhof. Hier bringt 
nun Bruck Neues: Im Gegensatz zu den bisherigen 
Zuschreibungen von Gurlitt, Haendcke, Mackowsky 
u.a. glaubt er in dem 1554—1565 als sächsischer 
Hofsteinmetz tätigen Hans Kramer den alleinigen 
Urheber gefunden zu haben. Kramer, den Otto 
Richter als den Meister des mit HK bezeichneten 
Bünau-Reliefs aus der alten Frauenkirche nachge- 
wiesen hat, ging von Dresden nach Danzig. Auf 
Grund des Vergleichs der ihm von Cuny zuge- 
schriebenen Danziger Arbeiten und des Bünau- 
Reliefs kommt Bruck zur Annahme der Urheber- 
schaft K.s für das „goldne Тог“. Dieses Resultat 
ist für die Geschichte der sächsischen Renaissance- 
Bildnerei doch so wichtig, daß eine ausführliche, 
noch genauer belegte Beweisführung an anderer 
Stelle wünschenswert erscheint. Mir persönlich 


scheint z. B. der Zusammenhang zwischen dem 


Bünau-Relief und dem Relief an der Attika des 


Tores weniger eng als zwischen diesem und der 
Bautzner Rolandfigur, dem ,,Dutschmann“. Der 
wird dem Dresdner Bildhauer Christoph Walter II 
(so Gurlitt im Inventarisationswerk) zugeschrieben 
und ist 1575 oder 76 aufgestellt worden — also 
zehn Jahre nach Kramers Weggang von Dresden 
nach Danzig. — Bei den Veränderungen von 1737 
erhielt die Busmannkapelle, welche nun zur Sa- 
kristei des Oberhofpredigers wurde, einen Altar von 
1662 und einen Taufstein aus farbigen Steinen. 
1773 begannen die Barbareien mit der Wegnahme 
des Maßwerks, der Pfosten und der Bleiverglasung 
aus den Fenstern. 1834 beraubten Arbeiten, die 
das Innere „freundlicher“ machen sollten, die Kirche 
manches wertvollen Kunstwerkes. Nach 20 Jahren 
schrieb man einen Wettbewerb für die äußere 
Umgestaltung aus, wobei der Rat und vor allem 
sein Baudirektor Eichberg durchaus moderne Grund- 
sätze vertraten. Aber dem Siege des akademischen 
Rates verdanken wir das jetzige „gotische“ Aus- 
sehen, das die Kirche 1864—1868 nach Arnolds 
Plänen erhalten hat. 1910 machten sich wieder 
Arbeiten im Inneren nötig und hierbei fand man 
— es sind die von Bruck geleiteten Ausgrabungen — 
viele der alten Grabplatten und in den zahlreichen 
Grüften viele Wertgegenstinde. Zur würdigen 
Aufstellung einiger fürstlichen Särge wurde nach 
Erlweins Plänen eine Krypta gebaut. — Soweit 
Brucks Darstellung der Baugeschichte, deren wert- 
volister Teil — der Exkurs über Hans Kramer — 
innerlich zum nächsten Abschnitt gehört, wo die 
Besprechung der Kunstwerke in der Kirche wieder 
zu höchst wertvollen Erörterungen über die wei- 
tere Geschichte der Dresdner Renaissance- und 
Barockplastik Anlaß gibt. Durch vergleichende 
Studien gelingt es Bruck, die Arbeiten des Se- 
bastian Walter und des Zacharias Hege- 
wald am Grabdenkmal des Nosseni genau zu 
unterscheiden. Die so gewonnene Stilcharakteristik 
gestattet dann weiter, Walters Anteil an dem von 
Nosseni entworfenen, 1606 errichteten Altar nach- 
zuweisen und Erbsteins Deutung des „S.W.1640% 
auf einem Relief im Grünen Gewölbe zu bestätigen. 
Ferner können dem Seb. Walter, dessen künst- 
lerische Persönlichkeit so durch Brucks Arbeit 
feste Umrisse erhält, noch ein Relief und mehrere 
in der Sophienkirche aufgefundene Grabsteine zu- 
gewiesen werden. Im weiteren Verlauf werden 
sämtliche bei den Grabungen vorgefundenen Steine 
und Epitaphien besprochen und daraus wird höchst 
beachtenswertes Material für die Kultur- und ins- 
besondere für die Kunstgeschichte Dresdens im 


17. Jahrhundert beigebracht. Der nächste Abschnitt’ 
gilt den kunstgewerblichen Schätzen, die іп den’ 
Grüften gefunden wurden. Entsprechend den schwil-: 
stigen Grabreden und -inschriften geb ја das 17. Jahr- 
hundert besonders viel Schmuck und Тапа тї 
ins Grab. Neben den eigentlichen Grabbeigaben 
(Ringe, Kränze) fand sich viel wertvoller Schmuck, 
den die Lebenden getragen haben, — interessante 
Zeugnisse der damaligen Goldschmiedskunst, die 
sich nun im Stadtmuseum befinden. Von beson- 
derer Schönheit sind die acht Ordens- oder Gesell- 
schaftsketten aus den Jahren 1589—1630, von denen 
einige wohl deutlichere Abbildung verdient hätten. 
Zum Schluß bespricht Bruck noch das bereits 
bekannte kostbare Kirchengerät. — Sein Buch ist 
m.E. von hohem Werte für die sächsische Kunst- 
geschichte. Dies und die Überzeugung, daß wir 
gerade für die berührten, von der Wissenschaft etwas 
stiefmütterlich behandelten Zeiten, so eingehende 
Lokalforschungen nötig haben, möge die Ausführ- 
lichkeit an dieser Stelle rechtfertigen. Roch. 


FRANCISCO DE GOYA, Tauromachie. 
Faksimile-Ausgabe mit 43 Heliogravüren. 
Herausgegeben von Dr. Heinrich Pallmann. 
Delphin-Verlag, München. 


Der Herausgeber dieser schönen Neuausgabe von 
Goyas berühmtem Stierkampfzyklus glaubt sich 
mit Recht den Dank aller Goyafreunde zu erwerben, 
die „bei der Unerreichbarkeit der ersten Ausgabe 
und der Minderwertigkeit aller späteren Drucke“ 
sicher eine ebenso willkommene wie künstlerisch 
feine Gabe ungemein begrüßen werden. Auch daß 
er den 33 Blättern der ersten, von dem Künstler 
selbst besorgten Publikation, noch weitere zehn 
Arbeiten angefügt hat, von denen sich sieben be- 
reits in der dritten vom Kupferstecher Loizelet 
besorgten Edition, drei weitere im Besitz der 
Biblioteca nacional in Madrid befinden, darf als 
dankenswerte Vervollständigung dieser grandiosen 
Folge angesprochen werden. Ausschlaggebend 
aber bleibt für den inneren Wert dieser Faksimile- 
Ausgabe doch in erster Linie die Qualität der 
Reproduktion an sich. Und die ist einwandfrei 
und in ihrer Art mustergültig zu nennen und 
kommt dem Eindruck der Originale bis zum Äußer- 
sten nahe. Sie wurde mit einer Sorgfalt über- 
wacht, die auch dem jungen Verlag alle Ehre 
macht und die einen fast vollgültigen Ersatz für 
die so selten gewordene Erstausgabe garantiert, 
die dem Goyaforscher heute nur noch in wenigen 
Exemplaren zugänglich ist. Aus diesem Grunde 
darf man die Publikation als vorbildlich für ähn- 


197 


liche Neuausgaben bezeichnen, die sich in den 
letzten Jahren — in dem Maße wie die Repro- 
duktionstechnik vorangeschritten ist — zu einer 
Lieblingsspezies der verlegerischen Betätigung her- 
ausgebildet haben. Ihr Wert für die Wissenschaft 
wird übrigens — was hier in Parenthese ange- 
merkt sei — in dem Maße wachsen, je mehr sich 
diese Freude an der originalgetreuen Wiedergsbe 
wichtiger künstlerischer Dokumente den wirklich 
entlegenen Quellen zuwendet, aus denen sich die 
Fundamente kunsthistorischer Erkenntnis dem Be- 
wußtsein des Forschers mitteilen. 

Heinrich Pallmann hat ein wertvolles Nachwort 
mit einem beschreibenden Katalog der Blätter dem 
reproduzierten Künstleroeuvre beigegeben und auch 
dazu ist an dieser Stelle kurz folgendes anzumerken: 
Der Wert dieser Ausführungen besteht für mein 
Gefühl ganz in der schönen Konzentration des 
Themas. In wenigen knappen Strichen wird Goyas 
Persönlichkeit skizziert und darnach wird sehrein- 
drucksvoll zu dem eigentlichen Stoffgebiet überge- 
leitet. Und auch dieses selbst ist nur durch reflex- 
artige Hinweise beleuchtet, die den schaffenden 
Meister im Umkreis seiner Welt und der Motive, 
die anregend seine Nadelarbeit befruchtet haben, 
offenbaren. Es ist hier literarisch kein Zuviel und 
kein Zuwenig gegeben und das ganze liest sich 
als eine feine Introduktion zum richtigen Verständnis 
des reproduzierten Künstleroeuvres. 

So darf man auch dem Herausgeber zu seiner 
besonderen Arbeit Glück wünschen, die für ihr 
Teil der Qualität der Reproduktion gleichwertig 
zur Seite tritt. G. Biermann. 


C. HORST, Barockprobleme. Verlag 
von Eugen Rentsch, München, 1912. 8°. 
XVI und 308 S. Preis М. 10.—. 

Wer dieses ,,Barockprobleme“ benannte Buch 
in die Hand nimmt um sich Aufklärung über den 
Barock zu verschaffen, der wird es enttäuscht 
wieder weglegen. Erst im letzten Kapitel geht der 
Verfasser auf eine Definition des Barock ein, um 
aber sogleich wieder zu seinem eigentlichen Thema 
abzuspringen, das man „Michelangelo und Alberti“ 
oder „Michelangelo und Alberti als Vorläufer des 
Barock“ betiteln möchte. Doch wären auch diese 
Titel viel zu eng. Den eigentlichen Inhalt des 
Buches bilden weitgehende, kunstphilosophische 
Erörterungen, die sich äußerlich an die genannten 
Themen anschließen und die, das ist das Neue 
und Merkwürdige an dem Buch, beginnen mit 
dem Nachweise, daß der Platonismus durch Ver- 
mittelung Plotins besonderen Einfluß auf die be- 


198 


ginnende Renaissance gewonnen hat. Doch lassen 
wir hier lieber den Verfasser selbst sprechen. 
Ausgehend vom Platonismus ging der Verfasser 
„an eine Beobachtung über die Leistungsfähigkeit 
der methodischen Quellen seiner ästhetischen 
Macht... und versuchte diese als die Idee der 
Liebe, begründet in der Erkenntnis der harmoni- 
schen Einordnung des Menschen in das All und 
erwachsen aus dem direkten Verhältnis zu der 
Güte des höchsten Architekten... zu fassen... 
Wie sie die Künstler der... Renaissance... durch 
Eroberung des Raumes zur Kraftentfaltung in der 
Bewegung, darin zu Beziehungen und endlich aus 
diesen zur Komposition gelangen ließ“, das wollte 
er im ersten Kapitel zeigen. Das erste Kapitel 
ist Michelangelo gewidmet. Das zweite Alberti 
und das dritte wieder Michelangelo und damit 
schließen die „Barockprobleme“. 

All die kunstphilosophischen Deduktionen er- 
schweren die Lektüre ganz bedeutend und lassen 
auch gute Partien, wie z. B. die Analyse einzel- 
ner Werke Albertis und Michelangelos, zurück- 
treten. Literarisch ist das Buch gut fundiert; aber 
neue Resultate werden für die „Kunstphilologie“, 
auf die übrigens mancher scharfe Seitenhieb ab- 
fällt, nicht gewonnen. Sie sind natürlich auch 
nicht gesucht. Ob nun die junge „Kunstwissen- 
schaft“ an der Milch des Platonismus zu frischem 
Leben erstarken wird, das bleibt abzuwarten. 

Adolf Feulner. 


VICTOR MORTET, Recueil de textes 
relatifs à l’histoire de l’architecture 
et à la condition des architectes en 
France, au moyen-âge; XIe et XIIe 
siècles. Paris, A. Picard & fils, 1911. 8°, 
LXV— 515 p. Preis Fr. 12.50. 

Eine Zusammenstellung der Quellen, die die 
mittelalterliche Baugeschichte angeben, ist seit 
langem als ein sehr dringendes Bedürfnis emp- 
funden worden. Schlosser konnte mit seiner be- 
kannten Publikation diesen Anforderungen nur 


zum geringsten Teile gerecht werden, da er in 


seinem kleinen Bande sich allzu weite Grenzen 
gesteckt hatte. Hier hat nun ein Autor, der allen 
Archäologen seit langem durch seine vortreff- 
lichen Arbeiten über die Pariser Kathedrale be- 
kannt ist, sich eine sehr weise Beschränkung auf- 
erlegt, indem er einmal bestimmte zeitliche Gren- 
zen — vom Anfang des тт. bis zur Mitte des 
12. Jahrhunderts — aufstellte und sich andrerseits 
territorial an sein Heimatland hielt. Dadurch hat 
eine Fülle von Dokumenten ans Licht gestellt 


werden können, die, wenn auch häufig nur von 
geringem Umfange, doch die interessantesten Auf- 
schlüsse gewähren. Selbstverständlich ist keine 
absolute Vollständigkeit aller nur irgend erreich- 
baren Notizen erstrebt, — man wird sich nach wie 
vor für monographische Arbeiten selbst umschauen 
müssen — aber es sind alle diejenigen Nach- 
richten ausgewäht worden, die nicht nur eine 
trockene Aufzählung von Daten enthalten, sondern 
gleichzeitig über die Architekten oder die Arbeits- 
weise und die Beschaffung des Baumaterials be- 
richten. So sind natürlich auch Überlieferungen 
aufgenommen, die sich aufkeinen bestimmten Bau 
beziehen, sondern Verordnungen allgemeiner Natur 
bieten, wie die Baustatuten der Chartreuser oder 
die bekannteren Constitutiones Farfenses; dabei 
sind gleichmäßig Bauten berücksichtigt, die reli- 
giösen oder öffentlichen Zwecken dienen. Die An- 
ordnung dieser Quellenauszüge ist nach chrono- 
logischen Gesichtspunkten erfolgt, doch во, daß 
nach Möglichkeit Nachrichten, die ein und der- 
selben Quelle entstammen, auch in einem Kapitel 
vereinigt sind. Dadurch ergibt sich natürlich die 
Unbequemlichkeit, zuweilen Nachrichten, die ver- 
schiedener Herkunft sind, aber sich auf einen Bau 
beziehen, an getrennten Stellen suchen zu müssen. 
Dies würde als Übelstand empfunden werden, 
wenn nicht ganz ausgezeichnete Register als sichere 
Führer dienten. Ein erstes ist im wesentlichen 
topographischer Natur: es enthält die Namen der 
Orte, dann aber auch die der Architekten, der 
Bauherrn, wie ikonographische Hinweise. Ein 
zweites dient archäologischen Untersuchungen 
weiterer Art, indem es z.B. alle diejenigen Quellen 
nachweist, aus denen man sich über die Verwen- 
dung von Wölbungen unterrichten kann. Zum 
Schluß wird noch ein Glossar geboten, in dem die 
Bedeutung der technischen Worte untersucht wird. 
Ebenso praktischen Zwecken dienen die zum größten 
Teil sehr umfangreichen Kommentare, die jedem 
Auszug in Anmerkungen beigegeben sind. Auf 
sie sei hier ganz besonders hingewiesen, denn sie 
bieten Erörterungen baugeschichtlicher Art und 
bibliographische Notizen, die besonders denen 
empfohlen seien, die mit der sehr umfangreichen 
französischen Spezialliteratur weniger vertraut sind. 
Der Autor hat selbst in einer Einleitung gezeigt, 
wie die hier gesammelten Nachrichten verwertet 
werden können, unabhängig von den positiven 
Angaben über die Entstehung eines bestimmten 
Bauwerks. Er zeigt zunächst im allgemeinen, 
wie die schriftlichen Überlieferungen die Bautätig- 
keit im großen charakterisieren: im 11. Jahrhundert 
überall die Anspannung aller Kräfte und als deren 


Ergebnis im Anfang des 12. Jahrhunderts größter 
Reichtum der Erscheinung. In vielen Einzelfragen 
können überhaupt nur die schriftlichen Quellen 
Auskunft geben: so wird auf die nur sehr allmähliche 
Verdrängung des Holzbaues durch den Steinbau 
hingewiesen und auf einen besonders interessanten 
Bericht aufmerksam gemacht, nach dem in der 
Gegend von Angers im Anfang des 11. Jahrhunderts 
ein kleiner Steinbau durch einen größern aus Holz 
ersetzt wurde, weil man sich hier um diese Zeit 
im Steinbau noch nicht allzuviel zutraute. Ebenso 
sind für die Geschichte des Gewölbebaues der 
romanischen Zeit die schriftlichen Zeugnisse außer- 
ordentlich aufschlußreich. Es werden z. B. mehrere 
große Gewölbeanlagen aus dem letzten Viertel des 
11. Jahrhunderts genannt, so in St. Benoit-s.-Loire 
und in St. Martial-de-Limoges, Kirchen, von denen 
die letztere sogar schon im Mittelschiff vollständig 
in Stein gedeckt war; von den vorhandenen Bauten 
könnten wir diesem Beispiel nur noch St. Etienne 
in Nevers zufügen. Es werden weiter wichtige 
Nachrichten hervorgehoben, die den Bau von 
Burgen, städtischen Befestigungen und öffentlichen 
Anlagen betreffen. Endlich wird der sozialen 
Stellung der Architekten und Bauarbeiter ein 
Kapitel gewidmet. Für letztere Frage weise ich 
als Ergänzung dieser nur andeutenden Ausführungen 
auf eine Arbeit von Eugene Lefevre - Pontalis im 
Bulletin Monumental 1911, р. 422 hin, wo ein voll- 
ständiges und ausführlich besprochenes Verzeich- 
nis aller bekannten französischen Architekten und 
Bildhauer des 1x. und ı2. Jahrhunderts geboten 
wird. Derselbe Autor hat ebendort, p. 515, auch 
die Angaben unseres Recueil für die ursprüng- 
liche Bedeutung technischer Ausdrücke (triforium 
und deambulatoire) verwertet und damit ein Bei- 
spiel gegeben, wie vielseitig die Arbeit Mortets 
herangezogen werden kann. 

Die Geschichte der mittelalterlichen Baukunst 
hat lange Zeit daran gekrankt, daß eine Reihe von 
Daten, die von den älteren Forschern aufgestellt 
waren, immer wieder und wieder kritiklos wieder- 
holt wurden. Wenn die historischen Quellen leicht 
zugänglich gemacht werden, so wird dem am 
wirksamsten gesteuert werden können, denn sie 
bieten die bestimmten Größen dar, deren jede 
Stilkritik unbedingt bedarf und ohne die eine 
Kunstgeschichte überhaupt unmöglich wire. Es 
ist zu hoffen, daß der Verfasser seine so dankens- 
werte Arbeit auch für die späteren Perioden fort- 
setzt, und ebenso, daß sich in Deutschland jemand 
findet, der auch für unser Land etwas ähnliches 
unternimmt. Ernst Gall. 


199 


DREI MONOGRAPHIEN ÜBER BASEL. 
MAJOR, Basel. Stätten der Kultur. Bd. 28. 
Verlag von Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1911. 
Preis M. 4.—, broch, М. 3.—. | 
WACKERNAGEL, Basel. Berühmte Kunst- 
stätten. Bd. 57. Verlag E. A. Seemann, Leipzig 
1912. Preis M.4.—. 

STÜCKELBERG, Basler Denkmalpflege. Ver- 
lag von Wepf, Schwabe & Co., Basel 1911. Preis 
broch. Fr. 2.—. 

Drei grundverschiedene Arbeiten über dasselbe 
Thema, in schöner Weise einander ergänzend, 
alle drei geeignet, die Aufmerksamkeit des Kunst- 
freundes auf die Kunstdenkmäler Basels hinzu- 
lenken. 

Major wählt die historische Darstellung und rollt 
in frappantem Wechsel farbenreiche Bilder aus 
der Vergangenheit vor uns auf. Er besitzt die 
seltene Gabe, die trockenen und kärglichen Ergeb- 
nisse historischer Forschung zu einem lebendigen 
Eindruck umzugestalten und da, wo die Ergeb- 
nisse versagen, eigene Hypothesen überzeugend 
einzuflechten. Er will offenbar kein wissenschaft- 
lich kritisches Buch schreiben (als solches würde 
es zu sehr zur Kritik verlocken, allein schon durch 
den Umstand, daß Erwiesenes neben Vermutetem 
gleichberechtigt steht); er gibt mehr: eine wahr- 
haft populär geschriebene Kulturgeschichte Basels 
in nuce. — 

Wackernagel zeigt sich dagegen als echter Bas- 
ler: kühl und kritisch, vorsichtig und oft unent- 
schieden; nur verschämt tritt der eigentümliche 
Basler Lokalpatriotismus zutage. Die vorhandenen 
Denkmäler und Dokumente stehen im Mittelpunkt; 
die fragmentarische Kenntnis, die sie vermitteln, 
muß genügen: die Gegenwart tritt in ihre Rechte. 
Das reiche Bildermaterial ist überaus sorgfältig 
ausgewählt; viele Bilder werden zum ersten Male 
publiziert. Leider sind die Klischees nicht immer 
von entsprechender Qualität. ‘Wackernagel zeigt 
sich nicht allein als gewissenhafter Forscher; er 
hat auch Herz und Gefühl für die moderne Kunst. 
Er weist auf die stattliche Schar junger Basler 
Künstler hin, die in ihrem Reichtum und in ihrer 
Eigenart als besonderer Ruhmestitel Basels gelten 
dürfen. 

Stückelberg gibt dankenswerte und mühevolle 
Kleinarbeit, verglichen mit den umfassenden Mono- 
graphien Majors und Wackernagels. Er sondiert 
den Denkmälerbestand Basels, macht auf viele 
wenig bekannten Stücke aufmerksam und läßt durch 
die Aufzeichnung einer Unzahl größerer und klei- 
nerer Vandalismen, denen die Basler Kunstdenk- 
mäler bis in die neueste Zeit hinein ausgesetzt 


200 


waren, den Wunsch rege werden, daß endlich auch 
in Basel entscheidende Schritte getan würden, um 
nach Möglichkeit den heutigen Bestand zu sichern. 
Die Ordnung nach Gegenständen macht das kleine 
Buch zu einem brauchbaren Nachschlagewerk, dag 
ein Interesse beansprucht für alle, die sich mit 
einem besonderen Gebiete der Kunstgeschichte be- 
fassen; bemerkenswert sind die Zusammenstellungen 
über Wandgemälde, Chorstühle, Glasgemilde, Wap- 
pen und Grabmäler. Als wertvolle Beigabe wird 
man die 33 bisher unveröffentlichten Bilder be- 
trachten, die zum Teil zur Illustration der Denk- 
mälerschändung beigefügt sind, andrerseits Auf- 
nahmen von schwer zugänglichen oder zerstörten 
Kunstwerken wiedergeben. Rudolf Bernoulli. 


GUSTAV E. PAZAUREK, Glasperlen 
und Perlenarbeiten in alter und 
neuer Zeit. Darmstadt 1911. Verlags- 
anstalt Alexander Koch. 


Man möchte sagen ein zu umfassender wissen- 
schaftlicher Apparat wurde in Bewegung gesetzt, 
um der historischen Entwicklung der Glasperlen- 
arbeiten gerecht zu werden. Denn entwicklungs- 
geschichtlich, in einen größeren Zusammenhang 
eingeordnet, haben vielleicht nur die Arbeiten 
wissenschaftliche Bedeutung, die nicht eigentlich 
Perlenarbeit vorstellen, sondern eine Nachahmung 
anderer, kostspieligerer Techniken. Auf solche 
historisch interessanten Stücke der romanischen 
Zeit im Halberstädter Domschatz, im Provinzial- 
museum zu Hannover, im Dom zu Münster in 
Westfalen, im Schnütgen-Museum in Köln hat P. 
zum ersten Male hingewiesen. Wie hier die Form- 
gebung völlig in Anlehnung an die Vorbilder ihrer 
Zeit erfolgt ist, so bleibt es mit den Perlenarbeiten 
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Eigenart for- 
maler Gestaltung ist in keinem Falle nachweisbar. 
Trotzdem erhalten manche Arbeiten dadurch er- 
weiterte Bedeutung, daß sie, die in ihrem kolo- 
ristischen Leben unzerstörbar sind, das Farbenge- 
fühl, den Farbengeschmack bestimmter Zeiträume 
wiederspiegeln oder wenigstens ergänzende Ein- 
blicke in die koloristische Auffassung gestatten. 
Außerdem ergeben sich aus der Fabrikation der 
Glasperlen Beziehungen zur Herstellung der byzan- 
tinischen, ravennatischen und frühvenezianischen 
Mosaikarbeit sowie des byzantinischen und roma- 
nischen Grubenemails. 

Das Interesse für die geschichtliche Entwicklung 
und die Verwendungsarten der Glasperlen hat 
seinen Grund in der Wiederbelebung der Perlen- 
arbeiten in neuester Zeit. Daher hat P. mit Recht 


nach eingehender Untersuchung des historisch Ge- 
wordenen auf die modernen Arbeiten, auf die An- 
lehnungsmöglichkeiten an alte Hausindustrie, auf 
die schon vielfältig vorhandenen künstlerischen 
Entwürfe hingewiesen. Daß er hier die unbedingte 
Forderung der Materialgerechtheit stellt, das Heraus- 
wachsen der künstlerischen Formen aus der Tech- 
nik der Herstellung verlangt, ist selbstverständlich. 
Die Ausstattung des Buches mit 94 Abbildungen 
und sieben Tafeln ist, da das Material zerstreut 
und relativ schwer zugänglich ist, von wesent- 
licher Bedeutung. G. E. Lüthgen. 


CLARK D.LAMBERTON, Themes from 
St. John’s Gospel in Early Roman 
Catacomb Painting. Princeton (N. J., 
О. S. A.), University Press, 1911, 8°. 
Während man vor mehreren Jahren noch die 
Entstehungszeit des vierten Evangeliums möglichst 
weit herabsetzte, nimmt man heute an, daß es 
mindestens zur Zeit Tatians und Theophilus’ 
(170—180 A. D.) bereits anerkannt worden ist. 
Der Verfasser sucht nun aus den frühchristlichen 
Katakombenmalereien nachzuweisen, daß wir selbst 
diese Annahme um etwa 50 Jahre hinaufschieben 
müssen, Das Johannesevangelium enthält einige 
Themata, die überhaupt nicht anderswo vorkommen, 
sowie eine zweite Gruppe, die zwar anderswo vor- 
kommen, die aber auf Grund archäologischer Be- 
weisführung auf das vierte Evangelium als Ur- 
quelle zurückgeführt werden müssen. Endlich 
gibt es noch Themata, die sich überhaupt nicht 
in der anerkannten Bibel vorfinden lassen, jedoch 
durch ihren Charakter die Abhängigkeit vom Jo- 
hannesevangelium bezeugen. Der Verfasser be- 
spricht nun alle, wie sie in der Cappella greca der 
Katakomben erscheinen, und findet oft eine Auf- 
fassung die einzigartig ist und von der üblichen 


abweicht, die also, wie er folgert, entstanden sein 
muß, ehe der uns bekannte Typ festgestellt worderi 
war. Das spricht für ihre frühe Entstehung. Da- 
zu kommen Technik und Kolorit, die er in Ver- 
bindung mit der Pompejanischen Malerei bringt. 
Das Fehlen der Gestalt Christi, der Schnitt der 
Gewandung, der Stil der Bauten, das alles führt 
er als Argumente für die frühe Entstehung der 
Malereien an; im ganzen arbeitet er elf solcher 
Argumente sorgfältig durch. 

Es folgen eingehende Untersuchungen über den 
frühen Einfluß des vierten Evangeliums und über 
den Ursprung der eucharistischen Symbolik. Die 
außerordentlich fleißige und ergebnisreiche Schrift 
ist eine Doktorarbeit des Princeton College, die 
erste mir bekannte, die zu uns aus einer amerikani- 
schen Hochschule herübergekommen ist. Sie 
braucht den Vergleich mit keiner von unsren 
deutschen kunsthistorischen Doktorarbeiten zu 
scheuen. Hans W. Singer. 


HENRISTEIN, Les architectes des 
cathédrales gothiques, illustrè de 24 
planches hors-texte, broché Fr. 2.50. Paris, 
H. Laurens. 

Der Wert dieses kleinen Handbuches liegt darin, 
daß die Baugeschichte der berühmtesten Kirchen 
Frankreichs knapp dargestellt ist und die Archi- 
tekten dieser Sockelbauten gruppenmäßig zusam- 
mengestellt sind. Leider enthält dieser erste Ver- 
such manche Flüchtigkeiten und Irrtümer, die 
durch eine eindringlichere Kenntnis der einschligi- 
gen Literatur hätten vermieden werden können. 
Die Bamberger Domskulpturen haben mit denen 
von Chartres kaum etwas gemein; die zwischen 
Laon und Limburg gezogenen Parallelen sind eben- 
falls anfechtbar. Noch eine Reihe ähnlicher Be- 
denken wären zu erheben. Otto Grautoff. 


DER CICERONE. 
Heft 7: 
GEORG BIERMANN, Neuerwerbungen d. Gemälde- 


galerie des Wallraf - Richartz - Museums zu Köin. 
(x Tafel und 18 Abb.) 


G. B., Stätten der Arbeit. (9 Abb.) 


Heft 8: 


E. VOIGTLANDER, Ein Madonnenbild des Quentin 
Massys. (1 Tafel.) 


O. RIESEBIETER, Hubertusburger Fayencen aus 
der Periode Tännig. (т Abb.) 


M. K. ROHE, Eine Miniaturenausstellung im Mün- 
. chener Kunstverein. (6 Abb.) 


GEORG BIERMANN, Die Ausstellung der Berliner 
Sezession 1912. 


DEUTSCHE MONATSHEFTE. 
Heft 4: 
S., Ernst Hardt. (8 Abb. und ı Tafel.) 


K. EBINGHAUS, Ein bergischer Baumeister. (8 Ab- 
bildungen.) 


A. E. BRINCKMANN, Reiterdenkmale. (7 Abb.) 


DIE KUNST. 
Heft 7: 


WILHELM MIESSNER, Fritz Klimsch. (1 Tafel 
und 13 Abb.) 


P. ETTINGER, Boris Kustodjew. (ro Abb.) 


ALOIS TROST, Radierungen von Ferdinand 
Schmutzer. (1 farb. Tafel und 13 Abb.) 


ALEXANDER VON GLEICHEN - RUSSWURM, 
Fritz Behn. (13 Abb.) 


H. RÒTTINGER, Alfred Cossmann. (8 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
Heft 7: 
MAX J. FRIEDLANDER, Das Bildnis von 1456 in 


der Liechtenstein-Galerie. — Zu Peter Halms Ra- 
dierung. (2 Abb.) 

HILDEGARD HEYNE, Moritz v. Schwind als Sil- 
houettenkünstler. (5 Abb.) 

OSKAR POLLAK, Die Neuerwerbungen der Ge- 
mäldegalerie des Wiener Hofmuseums. (ro Abb.) 
WALTHER BIEHL, Eine Tonstatuette des heil- 
Sebastian vom „Meister der Johannesstatuen“. (4 Ab- 
bildungen.) 

MAX G. ZIMMERMANN, Bildnisse eines Ehe- 
paares von Cornelis de Vos. (3 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 7: 
J. SCHINNERER, Reinhold Max Eichler. (16 Abb.) 


FRIEDR. LÜBBECKE, Benno Elkan-Alsbach i.H. 
(10 Abb. und 1 Tafel.) 


202 


DIE KUNSTWELT. 

Heft 6: 

GEORG BIERMANN, Der Schotte Muirhead Bone. 
(7 Abb.) 

FELIX LORENZ, Fritz Burgers Porträts. (6 Abb.) 
PAUL SCHUBRING, Der Kampf um die Form. 
FRIEDRICH SEESSELBERG, Karl Schaefer. 
KARL FR. NOWAK, Die Heimatstadt als Kunst- 
erzieherin. 

A. G., Kunstgewerbliches aus Ostasien. 


GEORGES MORIN, Medaillenkunst. III. Die Tech- 
nik. (5 Abb.) 


KUNST UND KUNSTHANDWERK. 
Heft 3: 

H. UBELL, Die Sammlung gotischer Holzskulp- 
turen im Museum Francisco - Carolinum in Linz. 


(33 Abb.) 
Es handelt sich durchweg um provinzielle Spät- 
gotik vom Ende des ı5. Jahrhunderts an. 


H. FISCHEL, Publikationen über Volkskunst in 

der österr.-ungar. Monarchie. (15 Abb.) 
Besprechung der von Miss Levetus besorgten 
Spezialnummer des „Studio“: Peasant Art in 
Austria and Hungary (Herbst 1911), sowie der 
Publikationen von N. Brück - Auffenberg: „Dal- 
matien und seine Volkskunst“ und von Dugan 
Jurković über „Slowakische Volkskunst“ (beide 
im Verlag von Schroll & Co., Wien). 

Н. FISCHEL, Aus dem Wiener Kunstleben. 


Kleine Nachrichten. — Mitteilungen. — Literatur. 


KUNST UND KÜNSTLER. 

Heft 7: 

KARL SCHEFFLER, Der Kampf um Bismarck. 
PAUL GAUQUIN, Degas. (1 Tafel, то Abb.) 


KARL SCHEFFLER, Max Liebermann als Zeich- 
ner. (14 Abb.) 


WALTER CURT BEHRENDT, Messels Nachfolge. 
(15 Abb.) 


JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST- 
SAMMLUNGEN. 


33. Bd., I. Heft (G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, 
Berlin). 


WILHELM BODE, Zur Erinnerung an Hugo von 
Tschudi. 

BENNO GEIGER, Marco Marziale und der soge- 
nannte nordische Einfluß in seinen Bildern. (8 Abb.) 
HARRY DAVID, Zwei neue Dürerzeichnungen. 
(2 Tafeln.) 

PAUL FRANKL, Der Ulmer Glasmaler Hans Wild. 
(x Tafel und ат Abb.) 

HEINRICH WEIZSÄCKER, Die Heimat des Haus- 
buchmeisters. (2 Tafeln und 6 Abb.) 


ANZEIGER FÜR SCHWEIZERISCHE 
ALTERTUMSKUNDE. 

1911, 2. Heft: 

A. NAEF, L’église de San Pellegrino l’ancienne 
chapelle de la Garde suisse des Papes à Rome. 


C. BENZINGER, Hans Heinrich Gessner, ein un- 
bekannter Meister aus der Wende des 16./17. Jahr- 
hunderts. 

E. A. GESSLER, Basler Zeughaus-Inventar von 
1630. 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
XXV. Jahrg., Heft 1: 

SCHNÜTGEN, Der XXV. Jahrgang der „Zeitschrift 
für christliche Kunst“. 

FRITZ WITTE, Die Stellung der Kirche zur 
Modernen. 

SCHNÜTGEN, Winke für Altarbauten. (1 Abb.) 
JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Einige 
Kunstwerke in und bei Jerusalem. (5 Abb.) 

C. STEINBRECHT, Beiträge zur Kunstgeschichte 
der Burg Heilsberg im Ermland. (4 Abb.) 

MAX CREUTZ, Frühromanische Bronzearbeiten 
in Nordwestdeutschland. (4 Abb.) 

J. A. ENDRES, Die Wandgemälde der Allerheiligen- 
kapelle zu Regensburg. (1 Abb.) 

OTTO у. FALKE, Pariser Seidenstoffe des 13. Jahr- 
hunderts. (4 Abb.) 


JOSEPH SAUER, Eine Kreuzigungsdarstellung der 
„Sammlung Schnütgen“. (1 Tafel.) 


REVUE DE L'ART CHRETIEN. 


LVe année, ıre livraison: 


POUZET, Notes sur les chapiteaux de l’abbaye de 
Cluny. L (5 Taf., 12 Abb.) 


ANDRE DEMARTIAL, Leonard Limosin, &mail- 
leur et graveur. (11 Abb.) 


G. SANONER, La Bible racontée par les artistes 
du moyen-äge. VL Le Péché. (x Abb.) 


MELANGES: 


LOUIS DE FARCY, Quelque pièces du trésor de 
la cathédrale de Narbonne. (6 Abb.) 


JOS. CASIER, Exposition internationale de l’art 
chrétien moderne. (3 Abb.) 


JOS. CASIER, L’exposition des anciennes in- 
dustries tournaisiennes. (5 Abb.) 


JEAN CORDEY, Les primitifs nicois а l’expo- 
sition de Turin. (1 Abb.) 


CHRONIQUE. (s Abb.) 
BIBLIOGRAPHIE. 


— 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VII., Nr. 84: 

LEON ROSENTHAL, La peinture Allemande. 
ROBERT DE LA SIZERANNE, L’imagier Mossa. 


LEANDRE VAILLAT, L'art décoratif: les Meubles 
et la décoration en Angletcore (1680—1800). 


LES ARTS. 
März: 
ACHILLE SEGARD, Un recent achat de la National- 


Gallery. L’adoration des mages par Jean Gossart, 
dit Mabuse. (9 Abb.) 


GABRIEL MOUREY, „La Serenade“ de Jordaens. 
(т Abb.) 


MAURICE HAMEL, Ziem (1821—1911). (12 Abb.) 


CHARLES SAUNIER, L’oeuvre de Toni Robert- 
Fleury (1838—1911). (8 Abb.) 


ART ET DECORATION. 

XVI., Nr. 3: 

M. P.-VERNEUIL, Ce que doit être l’étude de la 
nature. Comment on doit l’interpréter (Suite). 
LUCIEN MAGNE, La Mosaïque d’Email. 


ETIENNE AVENARD, Les Poteries d’André 
Méthey. 


L’ART DECORATIF. 
Nr. 167 und 168: 


JACQUES RIVIERE, Poussin et la peinture con- 
temporaine. 


TH. DE KULMER, Tapis Suédois anciens et mo- 
dernes. 


С. DE DANILOWICZ, L'art Malinois. 
WILLIAM RITTER, Gustave Fjaestad. 
PAUL LAFOND, La Ferronnerie Espagnole. 


RYTHM. 
І, Nr. 4: 
MICHAEL T. H. SADLER, After Gauguin. 


LA PHALANGE. 

VII., Nr. 69: 

AUREL, L'enseignement d' Emile - Antoine Bour- 
delle. 


REVUE D'EUROPE ET D'AMÉRIQUE. 
XV., März: 


JACQUES RIVIERE, Sur les tendances actuelles 
de la peinture (,,Cubisme“). 


REVUE DES BIBLIOTHEQUES. 

XXI., Nr. ro—12: 

EMILE CHATELAIN, Les Reliures armoiriées de 
la Bibliothèque de l’Université. 


LA RENAISSANCE CONTEMPORAINE. 
Tome VI., Nr. 2—6: 

MARC ELDER, Van Dongen. 

PAUL COMBIER, Memling a l’Hopital Saint-Jean. 
J. C. HOLL, La jeune peinture contemporaine. 


GUSTAVE DUPIN, Les vitraux anciens de la 
France. 


203 


THE STUDIO. 

April: 

A. STODART WALKER, The portraits of Sir 
George Reid, R.S.A. (12 Abb.) 

MALCOLM C. SALAMAN, A new school of colour- 
printing for artists. 

MAX EISLER, The Van Randwijk Collection. II. 
The Barbizon school. (9 Abb.) 


SELWYN BRINTON, An American sculptor: 
Daniel Chester French. (8 Abb.) 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 

März 1912: 

ANANDA K. COOMARASWANAY: Rajput 

Paintings. (x farb. Tafel, 6 Abb.) 
Unter Rajputmalereien sind solche von der Hand 
hindostanischer Maler vom 15.— 19. Jahrhundert 
zu verstehen, die bisher meist mit den Erzeug- 
nissen der Mughalschule verwechselt wurden, 
während sie nur hier und da deren und persi- 
sche, auch chinesische Einflüsse aufweisen. Die 
Räjputmalereien sind, im Gegensatz zu den 
Mughalwerken, einem tiefreligiösen Gefühl ent- 
flossen, und ihre Hauptgegenstände sind Krishna 
und Siva. 


R. L. HOBSON, Bristol Porcelain in the 

Trapnell Collection. (1 Tafel mit 10 Abb.) 
Bespricht die Bristoler und Plymonther Porzellan- 
manufakturen an der Hand der kiirzlich in den 
Handel gekommenen Trapnellkollektion. Diese 
Manufakturen waren die einzigen in England, 
die ernstlich versuchten, nach chinesischem und 
Meißner Muster hartmassiges Porzellan herzu- 
stellen. Stücke aus diesen Manufakturen sind 
von großer Seltenheit. 


A.BREDIUS, Did Rembrandt Paint The Por- 

trät of Elisabeth Bas? (4 Tafeln mit то Abb.) 
Kommt zu dem Resultat, vermutlich durch ge- 
nauen Vergleich mit zwei unbezweifelten Por- 
träts von Bols Hand aus der Asburtonsammlung, 
jetzt Eigentum des Mr. Alfred de Rothschild, 
daß F. Bol der Maler dieses Porträts ist. 

Notes on the Collections formed by Tho- 

mas Howard etc. IV. 

LIONEL CUST, A Museum of Oriental Art. 
Plidiert für ein Museum für orientalische Kunst 
in Verbindung mit einer Akademie zum Studium 
der orientalischen Sprachen etc. 

HERBERT COOK, The Portrait of Ginevra 

dei Benci by Leonardo da Vinci. (x Tafel 

mit 2 Abb.) 
Hält Leonardos frühe Autorschaft des Porträts 
der Ginevra dei Benci in der Liechtenstein- 
Galerie aufrecht. 

ROGER FRY, Exhibition of Pictures of the 

Early Venetian School at The Burlington 

Fine Art Club. L (3 Tafeln mit 10 Abb.) 
Behandelt nur zwei Bilder aus dem Leben des 
heiligen Mamas, Eigentum des Mr. J. Annan 
Bryce, die Mr. Fry als zu zwei weiteren im 
Correr-Museum und einem im Museo Civico in 
Verona gehörig nachweist. Die fünf Tafeln 


204 


haben offenbar einst zusammen eine Predella 
gebildet. Der unbekannte Maler läßt schon in 
etwas die späteren Triumphe Carpaccios als des 
Schöpfers reicher erzählerischer Kompositionen 
vorausahnen. 


Notes on Various Works of Art. Letters 
to the Editors. Reviews and Notices. Fo- 
reign Periodicals. Art in France. 


April 1912: 
O. M. DALTON, Byzantine Enamels in Mr. 
Pierpont Morgans Collection. (х kolorierte 
und 2 andere Tafeln.) 
Bespricht nach einigen allgemeinen Bemerkungen 
über das Thema „Byzantinische Emaillen“ meh- 
rere Stücke der Morgansammlung byzantinischer 
Emaillen anläßlich des Ankaufs der bekannten 
Sevenigorodskoiemaillen durch Morgan. 


ROGER FRY, The Redeemer by Giovanni 

Bellini. (ı Tafel.) 
Behandelt den kürzlich vom Louvre angekauften 
jugendlichen Bellini, „Christus als Erlöser“ dar- 
stellend, der aus einer Pariser Privatsammiung 
stammt und hier erstmals abgebildet wird. Fry 
weist besonders auf den symbolischen Gebrauch 
der Farbe in diesem Bilde hin, das nicht bloß 
absolut sicher von Bs. eigener Hand herrühre, 
sondern den Meister auch in seinem edelsten 
und tiefsten Fühlen repräsentiere. 


G. T. RIVOIRA, Antiquities of St. Andrews. 

(3 Tafeln.) 
Anläßlich des 1911 gefeierten 53500 jährigen Stif- 
tungsfestes der ältesten schottischen Universität 
St. Andrews werden eine Reihe von Bildhauer- 
werken und Architekturstücke aus der zerstörten 
Kirche zu St. Regulus in der Universitätsstadt 
besprochen und ihre Entstehungszeit zu fixieren 
gesucht. 


ARTHUR B. CHAMBERLAIN, Holbeins Visit 
to "High Burgondy”. 
Erzählt von den Fahrten der Abgesandten Hein- 
richs VIII. nach Frankreich und Burgund, unter 
ihnen Holbein, um für den König eine Ge- 
mahlin zu finden resp. Porträts sich dazu eig- 
nender junger Damen anzufertigen. 


CAMPBELL DODGSON, Staynemer: An Unk- 
nown Landscape-Artist. (2 Tafeln.) 
In der National Gallery of Scotland befindet sich 
eine Federzeichnung, 30><43 cm im Umfang, 
eine Landschaft darstellend, gezeichnet: Monte 
Zersello, staynemer: Fec:, Isola Pons. In den 
Wolken erscheint das Weib mit Sternen ge- 
krönt und das siebenköpfige Tier aus der Apo- 
kalypse. Offenbar also ist eine Darstellung der 
Insel Patmos gemeint. Staynemer scheint ein 
völlig unbekannter Künstler etwa aus der Zeit 
um 1600, wahrscheinlich deutscher Nationalität 
zu sein; seine Zeichenmanier aber läßt darauf 
schließen, daß er ein Nachfolger Bruegels oder 
De Gheyns war. Im Brit. Museum wird ein 
Blatt von De Gheyn aufbewahrt, in Oxford 
(Christ Church Library) zwei weitere ähnlicher 
Art, und ein anderes befindet sich jetzt im Be- 
sitz der Mrs. Marray Baillie in ston Grange 
bei Leicester. Die Oxforder Blitter sind, wie 


sich bei einem Vergleich herausstellte, genau 
Kopien von Teilen des in Schottland befind- 
lichen Blattes. Die zwei anderen Blätter aber 
beweisen deutlich Staynemers Abhängigkeit von 
De Gheyn. 
ROMNEY GREEN, Principlesand Evolution 
of Furnitur Making. I. (2 Tafeln.) 
Behandelt zunächst Material und Entwurf und 


deren Zusammenhänge in der Herstellung von 
Möbeln. 


ROGER FRY, Exhibition of the Early Ve- 
netian School at the Burlington Fine Arts- 
Club. II. (3 Tafeln.) 
Fortsetzung aus dem Märzheft. Besprochen werden 
vor allem: Semitecolo, Carlo Crivelli, zwei Bilder 
von Gentile Bellini und ein Bild von Mansueti. 
Notes on Various Works of Art. Letter to 


the Editors. Reviews and Notices. Italian 
Periodicals. Art in France. — Recent Art 


| Publications. 


FRITZ WITTE, Die Skulpturen der Sammlung 
Schnütgen in Cöln. Mit einem Vorwort von Dom- 
` kapitular Prof. D. Dr. Alex. Schnütgen. Verlag für 
Kunstwissenschaft, G. m. b. H., Berlin. Subskrip- 
tionspreis des in Russisch - Leinen gebundenen 
Exemplares M. 100.—. Nach Schluß der Subskrip- 
tion (15. Mai d. J.) Preis М. 125.—. 

J. Disegni della R. Galleria degli Uffizi. 
Verlag Leo S. Olschki, Florenz. Preis М. 240.—. 


PIERRE BAUTIER, Juste Suttermans, peintre des 
Médicis. (Collection des Grands Artistes des Pays- 
Bas.) G. Van Oest & Cie., Brüssel. 


MARIA GRUNEWALD, Das Kolorit in der Vene- 
zianischen Malerei. Verlag Bruno Cassirer, Berlin. 


FRITZ von OSTINI, Hugo von Habermann. R. 
Piper & Co., München. Preis М. 20.—. 


FIEREUS-GEVAERT, La peinture en Belgique. 
Les primitifs Flamands IV. Fin du XVle siecle: 
Realistes et Romanisants. G. Van Oest & Cie., 
Brüssel. 


A.MATTHAEI, Deutsche Baukunst im Mittelalter 
(3. Auflage). Aus Natur und Geisteswelt. Verlag 
von B. G. Teubner, Leipzig. 


Michelangelo-Mappe des Kunstwarts. I. Die 
Hauptbilder der Sixtinadecke. II. Die Propheten 
und Sybillen. Ш. Das jüngste Gericht. Kunst- 
wart - Verlag, Georg D. УУ. Callwey in München. 


M. LIEFMANN, Kunst und Heilige. Ein ikono- 
graphisches Handbuch zur Erklärung der Werke 
der italienischen und deutschen Kunst. Preis brosch. 
M. 5.50, geb.M.6.80. Eugen Diederichs Verlag, Jena. 


W. DE GRÜNEISEN, Etudes comparatives. Le 
portrait: traditions héllenistiques et influences orien- 
tales. Verlag Modes, Rom. Preis Fr. 40.—. 

H. VON KLEINMAYR, Die deutsche Romantik und 


die Landschaftsmalerei. Verlag J. H. Ed. Heitz 
(Heitz & Mündel), Straßburg. 


GÜRTLER, Die Bildnisse der Erzbischöfe und Kur- 
fiirsten von Köln. Ebenda. 


JOSEPH GRAMM, „Ideale Landschaft“. Herder- 
sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg i. Br. Preis 
kart. М. 33.—, in Leinwand geb. М. 36.—. 


CHARLES VAN DEN HAUTE, La Corporation des 
Peintres de Bruges 1353 — 1801. Subskriptionspreis 
Fr.12.—. Nach Schluß der Subskription (15. Juni d. J.) 
Fr. 15.—. Verlag „Flandria“, Bruges-Courtrai. 


GUSTAVE CAULLET, Musée de Peinture et de 
Sculpture de Courtrai. Catalogue. Preis Fr. 2.—, . 
illustr. Fr. 3.50. Verlag „Flandria“, Bruges-Courtrai. 


MORIZ DREGER, Josef Führich. Verlag von Ar- 
taria & Co., Wien. 2 Bände: Tafelband mit 60 Tafeln 
und Textband mit 45 Illustrationen. Subskriptions- 
preis für beide Teile geb. in Original-Halbleinenband 
M. 82.—. 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der HERDERSCHEN VERLAGSBUCHHANDLUNG, Freiburg i. Br. über Joseph 
Gramm, „Ideale Landschaft“ und der Firma Eugen Rentsch Verlag, München, über Cari Horst, 
„Barockprobleme‘ und Alfred Lauterbach, „Die Renaissance iu Krakau“, bei. Ferner verweisen 


wir auf die Beilage des Verlages „FLANDRIA“, Bruges und Courtrai, über zwei demnächst erscheinende Werke: 

„La corporation des peintres de Bruges 1353— 1801 von Charles van den Haute und ,,Musée de 

PeintureetdeSculpture de Courtrai"“, Catalogue von Gustav Caullet. — Wir empfehlen unsern Lesern 
diese Prospekte zur gefl. Beachtung. 


V. Jahrgang, Heft V. 
Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz, 
WaldmannstraBe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 
Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. | 
In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien 1, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASH- 
BURN FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, 


de Riemerstraat 22. | In FRANKREICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon тт. | In der 
SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 
Montags 10— 1a und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telephon: Amt Groß-Lichterfelde 436. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


205 


Firmentafel der Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben. 
Wegen Beteiligung wende man sich an die Inseratenabteilung der „Monatshefte für Kunstwissenschaft“ in Berlin- Lankwitz. 


Aachen. Ant.Creutzer 
vorm. M. Lempertz. An- 
u. Verkauf, sowie Versteigerung 
erstklassiger Gemälde und Anti- 
quitäten. Kunstverlag. Wissen- 
schaftlich. Antiquariat. Spezial- 
kataloge auf Wunsch. 


Berlin. Berliner Kunstauk- 
tionshaus Gebrüder Heilbron. 
SW., ZimmerstraBe Nr. 13. 
Übernahme von Auk- 
tionen, spez. von Privat- 
sammlungen. 


Frankfurt a.Main. 


— Philipp Bode, weserstraße 24. 
Übernahme von Kunst- 
sammlungen in Kupfer- 
stichen, Gemälden, Anti- 
quitäten etc. z. Versteigerung. 


Köln. J. M. H EB E R L E 


(H. Lempertz’ Söhne) G. m. b. H., 
Friesenplatz Nr. 15. Auktionshaus für 
Kunstgegenst., Gemälde, Stiche etc. 


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Abb. ı. Schloß Herrenbreitungen mit der Kloster- und der Dorfkirche, von Südwesten 
Aufnahme der kgl. Meßbildanstalt 


Abb. 2. Klosterkirche Herrenbreitungen, von Südosten Aufnahme der kgl. MeBbildanstalt 


Zu: PAUL WEBER, DIE AUSGRABUNGEN IM KLOSTER HERRENBREITUNGEN AN DER WERRA 


M. f. K. v, 5 


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Tafel 39 


Aufnahme der kgl. Meßbildanstalt 


Abb.3. Herrenbreitungen. Blick vom Mönchsgarten aus 


Zu: PAUL WEBER, DIE AUSGRABUNGEN IM KLOSTER HERRENBREITUNGEN AN DER WERRA 


M. f. K. v, ; 


Tafel 40 


Abb. 4. Einfahrt zum Schloßhof und Westseite der Klosterkirche Aufnahme der kgl. Meßbildanstalt 


Zu: PAUL WEBER, DIE AUSGRABUNGEN IM KLOSTER HERRENBREITUNGEN AN DER WERRA 


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Tafel 43 


A. DÜRER, Handstudie. Budapest BAMBERG, Adam 


BRÜGGEMANN, Eva. Schleswig 


Zu: BERTHOLD HAENDCKE, DÜRERS SELBSTBILDNISSE UND „KONSTRUIERTE FIGUREN" 


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FAHRGANG -HEFT6==____JUNI1912 


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Monatshefte fur Kunstwissenschaft | 


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INHALTSVERZEICHNIS HEFT 6 
ABHANDLUNGEN Paul Gans, Hans Holbein der Jüngere m) 


235 
AUGUST GRISEBACH, Architekturen auf nieder- 

ländischen und französischen Gemälden des =. re Le niederländische — 
15. Jahrhunderts. Ein Beitrag sur Entwicklung Gies вае еее 235 
der Formensprache d. nordischen Renaissance. I. Burkhard Meier, Die romanischen Portale 
Mit зо Abbildungen auf 4 Tafeln . . . . 8.207_ zwischen Weser und Elbe (Schmidt) . 8.238 
WALTER BOMBE, Der Palazzo Medici-Riccardi John Böttiger, Philipp Hainhofer und der Kunst- 

und seine Wiederherstellung. Mit 12 Abbildun- schrank Gustav Adolfs in Upsala 
gen auf 6 Tafeln 8.216 Jordan 8.238 
ERICH EVERTH, Bildformat und Komposition Julius Baum, Die Ulmer Plastik um 1500 
in Raffaels Stanzen 8.324 (Schuette) ................. 8.239 
С. BENZIGER, Unbekannte Kupferatiche des 15. Ulrich Thieme, Allgemeines Lezikon der bil- 
Jahrhunderts in der Stadtbibliothek zu Bern. denden Künstler (Singer) ........ 8. 241 
(в ingeeerrr e 8. 242 
MISZELLEN Eugen Holländer, Plastik und Medisin (Rotb- 
Eine Zeichnung J. Callots in der Kgl. Gra- schild) e ө ө ө е ee ée e ө ө ө э э о о ө о ө e 243 
phischen Sammiung zu München. Mit 2 Ab- Gustav Pauli, Max Liebermann. Klassiker der 
bildungen auf einer Tafel (Nasse) . . 8. 233 Kunst in Gesamtausgaben (Friedeberger) S. 243 
Onésime Reclus, Atlas pittoresque de la France 


LITERATUR (Grautoff) ................. 8.244 


en Löwy, Die griechische Plastik (Herr- Rundschau .,................ 8. 245 
mann 


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DES 15. JAHRHUNDERTS 


EIN BEITRAG ZUR ENTWICKLUNG DER FORMENSPRACHE 
DER NORDISCHEN RENAISSANCE. I. Von AUGUST GRISEBACH 


Mit zehn Abbildungen auf vier Tafeln ... „ eee e eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee 


VORBEMERKUNG 

kees Burckhardt und Н. v. Geymüller haben zuerst auf den Wert aufmerksam ge- 
macht, den die auf Bildern dargestellten Architekturen neben den ausgeführten 

Bauten für die Erkenntnis der architektonischen Phantasie einer Zeit haben. 

Die vorliegende Arbeit ist gedacht als ein Beitrag zur Geschichte des architek- 
tonischen Formgefühls in den nordischen Ländern des 15. Jahrhunderts vor dem 
Eindringen der Renaissance. Es ist zugleich ein Versuch, die neue Bewegung, die 
in den gemalten Architekturen früher als anderswo zutage tritt, in ihren Anfängen 
zu fassen und damit dem Verständnis der nordischen „Renaissance“ näher zu kommen. 
Daß mit dem Aufzeigen einiger architektonischer Formquellen die Untersuchung 
dieses synkretistischen Stiles nicht abgeschlossen ist, versteht sich von selbst. 

Der Ehrgeiz der realistischen Malerei des 15. Jahrhunderts, die Objekte in allen 
ihren Einzelheiten getreu wiederzugeben, hat für Material in ausreichender Weise 
gesorgt. Es ist überdies erstaunlich, wie stark die Maler dieser Zeit architektonisch 
interessiert waren. Bilder ohne Gebäude im Hintergrund gehören zu den Aus- 
nahmen. Stadtansichten, Straßenbilder oder einzelne Bauwerke finden sich auch 
dort, wo das Thema nicht dazu nétigte. Das lebhafte Interesse an der Tätigkeit 
des Bauens selbst bezeugen eine große Anzahl Darstellungen von unvollendeten 
Gebäuden, an denen gearbeitet wird!). 

Eine Betrachtung der noch völlig im gotischen Realismus erwachsenen Entwürfe 
wurde vorangestellt, einmal, um den Gegensatz zu der folgenden Periode zu ver- 
deutlichen, aber auch um zu zeigen, wieviel in diesen durchaus realistisch wirkenden 
Architekturen bereits an phantasievollen Ideen steckt. Es ist der Boden, in dem 
die neue architektonische Bewegung wurzelt. Je näher man der Zeit kommt, in 
der sie auch die Formierung der ausgeführten Gebäude zu bestimmen beginnt, desto 
stärker gärt es in den gemalten Architekturen. Aus den in der Wirklichkeit denk- 
baren Entwürfen werden Gebilde, deren Phantastik über alles real möglich schei- 
nende hinausgeht. 


L 


DIE ZEIT DES REALISMUS 
І. DAS REALISTISCHE STADT- UND STRASSENBILD 

Die Architektur auf italienischen Bildern bleibt bis ins 15. Jahrhundert hinein ein 
schematisches Attribut auf dem Schauplatz der handelnden Personen. Eine un- 
realistische Kulissenarchitektur, die ihre Anregung eher den gleichzeitigen Theater- 


(х) Gebaut wird u. a.: Livre d’Heures de Chantilly (pl. XXVI, XXXVI); Livre d’Heures de Turin (pl. XXIX); 
van Eyck, Barbara (Antwerpen); Fouquet, Antiquités Judaiques (pl. VIII); Cité de Dieu (Ed. De la Borde); 
Simon Marmion (Berlin, K.-F.-M. 1645); Chronik von Jerusalem (Jahrbuch der Ksth. Samml. XX, Tafel 
XXXI); Le Tavernier, Chroniques de Charlemaine; Roussilon-Handschrift (Jahrbuch der Ksth. Samml. XX, 
214); Dorez, Les manuscriptes à peintures de Ja Bibl. de Lord Leicester, 1908 (pl. XLV, LU). 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 6. 16 207 


bühnen entnimmt als wirklichen Gebäuden. Auch dort, wo den Hintergrund der 
Bildbühne ein Platzprospekt bildet, der einen engeren Anschluß an die Wirklichkeit 
sucht, wie bei der Erweckung der Thabita in der Brancaccikapelle, ordnet der 
Maler im Vordergrund Hauskulissen im traditionellen Schema des Trecento an: ein 
Zimmer, dessen Wand nach dem Beschauer zu aufgeschnitten ist. Es soll ledig- 
lich ein Hinweis darauf sein, daß die Szene in einem Innenraum vor sich geht. 
Die Architektur steht nicht in demselben Verhältnis zur Wirklichkeit wie die 
Figuren, die sich in ihr bewegen. 

Der Norden gibt um diese Zeit bereits der Architektur eine neue Bedeutung im 
Bilde. Auch hier hatte die gemalte Architektur zunächst nur eine attributive, orna- 
mental-rahmende Rolle gespielt wie in Italien. Man zeigte gleichzeitig die Außen- 
und Innenansicht der Gebäude. Auch wenn man sich die Fronten geschlossen 
denkt, entspricht die Architektur nicht der Wirklichkeit. Sie weckt nur den Ein- 
druck: dies soll eine Kapelle, eine Kirche, ein Haus bedeuten. Um die Wende des 
14. Jahrhunderts beginnt man, sich von der italienischen Überlieferung zu entfernen. 
Melchior Broederlam hält auf den Altarflügeln in Dijon (1392) noch an der Anord- 
nung geöffneter Spielzeuggebäude fest. Ebenso steht es mit einigen Darstellungen 
im Gebetbuch des Herzogs von Berry in Chantilly (vor 1416): Der nach Taddeo 
Gaddi komponierten Darbringung im Tempel, der Verkündigung u. a. In der Wieder- 
gabe einzelner nordischer Architekturmotive macht sich jedoch bei den nach italieni- 
scher Schablone aufgeschnittenen Gebäuden der Versuch bemerkbar, die Architektur 
zu individualisieren. Noch deutlicher wird das auf anderen Blättern derselben 
Gruppe, die die geschlossene Häuserreihe einer Straße zeigen: Christus vor Kaiphas’ 
Haus, Kreuztragung. Der Maler hat sich bestrebt, wie Dvofäk sagt), Haus für 
Haus zu charakterisieren. Von einer Naturtreue, die in der Straße vor Kaiphas’ 
Haus eine Vorstellung von dem damaligen Poitiers oder Bourges vermitteln könnte, 
ist aber wohl doch nicht die Rede. Die Behandlung der Architektur in ihrer Ge- 
samterscheinung schließt sich noch an die italienische Tradition: die Architektur im 
Verhältnis zu der naturalistischen Behandlung der Figuren summarisch abzutun. 
Nur Details, wie die Fensterumrahmungen und die Hausbekrönungen, zeigen, wie 
sich das Auge schärfer auf die außermenschlichen Objekte einzustellen beginnt. 
Dvofäk bezeichnet diese Stufe der Entwicklung als einen „Kompromiß zwischen 
traditionellen Kunstformen und individuellen Naturbeobachtungen“. 

Von einer ganz anderen Sachlichkeit sind die Porträts der herzoglichen Schlösser, 
mit denen ein anderer der Brüder aus Limburg dasselbe Gebetbuch geschmückt 
hat. Auf diese frühesten Denkmäler malerischer Architekturaufnahmen wird bei der 
Betrachtung des gotischen Architekturporträts zurückzukommen sein. Hier sei nur 
daran erinnert, welche Bedeutung sie entwicklungsgeschichtlich besitzen für die 
Erklärung der „großen Kunst des Hintergrundes“ bei Jan van Eyck. Wie er es 
verschmäht hat, seine Figuren in Gebäude zu stellen, die gleichzeitig ihr Inneres 
und ihr Äußeres zeigen, wie er Räume darstellt, an deren Existenz man glauben 
kann, so gibt er auch in den Architekturprospekten des Hintergrundes ein überzeu- 
gendes Stück Wirklichkeit. 

Die italienischen Maler schließen die Szene gern durch eine hohe Steinmauer 
ab, über die nur Baumkronen herüberragen und vor deren geschlossener Wand die 
Figuren sich wie auf einer „Reliefbühne“ bewegen. Der Norden öffnet den Schau- 
platz nach rückwärts und führt den Blick — frei oder gerahmt durch ein Fenster, 


(x) Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen, XXIV. 


208 


eine Tür oder offene Arkaden — in eine liebevoll detaillierte Landschaft hinaus, 
auf ein Bild im Bilde. Zu den Anregungen, die in Florenz um die Mitte des 
15. Jahrhunderts von niederländischen Bildern ausgingen, gehört auch dieses Hinein- 
führen in eine zurückliegende Landschaft ). 

Das Eingehen auf eine zurückliegende Zone macht es erst möglich, Architekturen 
wirklichkeitsgetreu in ihrer natürlichen Erscheinung innerhalb der Landschaft dar- 
zustellen. Es wird vor allem jetzt erst möglich, einen einheitlichen Komplex von 
Gebäuden, den Organismus einer Stadt, überzeugend zu schildern. Ein prachtvolles 
frühes Beispiel besitzen wir in dem Stadtprospekt der Rolinmadonna van Eycks 
(Louvre). Städtebilder auf italienischen Bildern der Trecento kommen auch vor — 
dort, wo das Thema sie notwendig verlangt: Die Vertreibung der Dämonen aus Arezzo 
(Assisi). Es sind aber nur Abbreviaturen von Städten. Gleichwie bei den Hauskulissen 
im Vordergrund soll auch hier nur ein Hinweis gegeben werden: dies bedeutet eine 
Stadt. Die Bischofsstadt mit der Vorstadt am anderen Flufufer, auf die man von 
dem Söller der Rolinmadonna hinabsieht, erscheint dagegen in einer Naturtreue, 
die bis in den kleinsten Zug konsequent ist. Kirchen und einzelne hohe Gebäude 
bilden nicht, wie es bei primitiven Städtedarstellungen der Fall ist, ein eng zusam- 
mengedrängtes Konglomerat, sondern wachsen in natürlichen Abständen und rich- 
tigem Größenverhältnis aus den Reihen der Bürgerhäuser heraus. Die Gebäude in 
ihrer Gesamtheit erscheinen nicht als kompakte Masse. Sie haben den notwendigen 
Raum zwischen sich: Straßen und Plätze. In der lockerer gebauten Vorstadt so- 
viel, daß Bäume bestehen können. Und nun bläst der Maler seinem Gebilde 
gleichsam den Lebensodem ein, indem er Plätze, Straßen und Brücke mit Menschen 
bevölkert, tausenden von Menschen im Maßstab der Häuser, die von der Wirklich- 
keitstreue der Architektur, von der lebendigen Existenz der Stadt vollends über- 
zeugen?). Die künstlerische Spiegelung städtischen Lebens ist hier von ebenso fas- 
zinierender Eindruckskraft wie bei einer Straßenimpression von Monet oder Pisarro. 

In dieselbe Kategorie wie die Vedute der Rolinmadonna gehören die Stadt im 
Hintergrund der Madonna bei Gustav Rotschild, der Karthäusermadonna in Berlin, 
der Roger zugeschriebenen Lucasmadonna in München, die Straße auf der Verkün- 
digung des Genter Altars, der Ausblick im Hintergrund der zwei Heiligen des Kon- 
rad Witz in Straßburg u. a. 

Bei all diesen Architekturen haben wir den Eindruck: so lag die Wirklichkeit 
vor dem Auge des Malers. Er hat sich das mit dem Silberstift notiert und dann 
im Bild wiederholt. Von einer Entlehnung aus dem Vorrat italienischer Tradition 
ist nichts mehr zu spüren. Daß es sich um einen „objektiven Tatbestand“ handle, 
erscheint bei der genauen Detaillierung und dem Naturalismus der malerischen Be- 
handlung so unzweifelhaft, daß man immer wieder nach den architektonischen 
Modellen fahndet, die benytzt sein könnten. Die Stadt der Rolinmadonna gilt 
Lafenestre als ein Porträt von Lyon“). Rosen hat sie mit Lüttich identifizieren 
wollen und stellt eine Photographie des heutigen Lüttich dem Bilde van Eycks 
gegenüber‘). Voll meint hierzu, die Ähnlichkeiten gingen nicht so weit, daß alle 


(2) Der Cicerone (5. A., S. 656) spricht von einem „geradezu entscheidenden Anstoß“, den die flan- 
drische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luftperspektive (verhältnismäßig) so vor- 
züglich wahren Architekturen den italienischen Malern gab. 

(2) Ein Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, der in der Stadt eine Darstellung von Brügge sieht, hat 
mehr als 2000 Figuren gezählt (Weale, Hub. a. J. van Eyck, S. 117). 

(3) Le Musée du Louvre, S. 287. 

(4) Die Natur in der Kunst, 8.941. 


209 


Zweifel behoben wiirden!). Weale*) hat beobachtet, die Landschaft stelle die 
Gegend von Maastrich dar, die Hauptkirche rechts zeige den Typus einer fran- 
zösischen Kathedrale, der Kirchturm links davon (unmittelbar neben der rechten 
Säule der Halle) dagegen ähnle dem Turm von S. Martin in Utrecht. Daß letzterer 
wirklich als Vorbild gedient hat, ist dem Umriß nach möglich. — Jedenfalls ergibt 

eine Prüfung im einzelnen, daß Architekturtypen aus verschiedenen Gegenden nach- 
` barlich zusammengestellt sind, daß es sich nicht um einen einheitlich der Wirk- 
lichkeit entnommenen Stadtprospekt handelt. | 

Von der hochgelegenen Stadt auf der Anbetung des Lammes, hinter der Schar 
der weiblichen Heiligen, sagt Weale, sie sei „augenscheinlich inspiriert, wenn auch 
kein vollkommenes Abbild von Köln“ ). Für den isolierten Turm weiter links nennt 
er wieder S. Martin in Utrecht als Modell‘). Ob die Vermutung mit Köln stimmt, 
ist recht zweifelhaft. Gewiß aber ist, daß die Architekturen des Genter Altars eben- 
falls aus verschiedenen Quellen herzuleiten sind, aus Reiseeindrücken, die vielleicht 
durch Skizzen unterstützt waren, aus bloßen Erzählungen von fremdländischen 
Bauten, aus Spielen der Phantasie. Die Hingabe des Malers an jedes einzelne 
Objekt, die Freude an der naturalistischen Erscheinung auch von solchen Gebäuden, 
die er in Wirklichkeit nicht gesehen hat, — er ruht nicht eher, bis er nicht auch 
die Rüstlöcher in die Mauer eingezeichnet hat — das macht, daß die Gemeinschaft 
von Gebäuden doch einen ebenso einheitlichen und überzeugenden Eindruck hervor- 
ruft wie die Gemeinschaft der Sträucher und Blumen, bei denen der Botaniker 
zwar ein sorgfältiges Naturstudium im einzelnen erkennt, hinsichtlich des Vege- 
tationsbildes im ganzen jedoch zu dem Schluß kommt, daß keine Rücksicht darauf 
genommen wird, ob Pflanzen entfernter Gegenden im Bilde nebeneinander wachsen. 

Verglichen mit den Städten der Rolin- und Rotschildmadonna wirken die Archi- 
tekturprospekte am Horizont der Anbetung des Lammes immerhin altertiimlich 
durch das nahe Beieinander großer Gebäude. Die Bürgerhäuser geben nicht als 
Masse den Ausschlag. Außerdem stehen sie nicht in natürlichem Größenverhältnis 
zu den übertrieben hohen Turmgebäuden. Von diesen möglichst mannigfache Indi- 
viduen zu zeigen, scheint dem Maler wichtiger gewesen zu sein als die natura- 
listische Darstellung einer Stadt. Auch der Umstand, daß zwei Städte in geringer 
Entfernung voneinander auftauchen, wirkt altertiimlich. Wenn man nicht annehmen 
will, daß diese Architekturen in ihrer Anlage auf Hubert zurückgehen, so gewinnt 
— allein nach der Darstellung der Architektur zu urteilen — die späte Datierung 
der Rolinmadonna, die Voll und Heidrich gegen Bode, Kämmerer, Kern bestreiten, 
an Wahrscheinlichkeit. 

Die Kirche in der Stadt der Rotschildmadonna bezeichnet Weale als eine exakte 
Wiedergabe der alten S. Paulskirche in London, von der Südseite“). In der Tat 
ist das Verhältnis von Langhaus und Turm, der Gesamteindruck des letzteren, Ge- 
schoßteilung und Helm, von einer Ähnlichkeit, wie sie architektonischen Porträts 
der Zeit entspricht. Daß aber die Stadt als Ganzes kein Abbild des alten Lon- 
don gibt, bedarf keiner Erörterung. — 

Auf Rogers Middelburger Altar in Berlin (Abb. ı) sieht man rechts von der 
Krippe in eine Straße hinein, die so sehr einer bestimmten Örtlichkeit entlehnt 


(x) Altniederländische Malerei, S. 255. 

(2) a. a. O., 8.116. 

(з) a. a. O., 8.43. 

(4) a. a. O., S.43. Innere Gründe für die Darstellung gerade dieser Kirche S. 47. 
(5) a. a. O., 8. 111 und 186. 


ато 


scheint, daß man angenommen hat, sie entstamme der zwischen 1450—1460 ge- 
gründeten Stadt Middelburg (in Brabant), für deren Hauptkirche der Gründer der 
Stadt, der Schatzmeister des Herzogs von Burgund, Bladelein, das Altarbild gestiftet 
hat. Voll benutzt diese Annahme dazu, seine Datierung zu stützen: „Die Stadt wird 
erst gegen 1460 das Aussehen erlangt haben, das sie auf Rogers Tafel trigt‘*). 
Tschudi, der es zweifelhaft läßt, ob Middelburg dargestellt ist, spricht immerhin 
die Vermutung aus, das feste Haus am Eingang des Städtchens scheine das Por- 
trät des Middelburger Schlosses zu sein“). Er übersieht, daß es ein Gebäude 
romanischen Charakters ist und demnach nicht gut in der Mitte des 15. Jahr- 
hunderts gebaut sein kann. Skeptischer noch wird man gegen die Porträttreue, 
wenn man das Straßenbild auf dem Dreikönigsaltar in München (Abb. 2) mit dem 
des Berliner Altars vergleicht. Auch hier soll Middelburg dargestellt sein?). Die 
Anlage im ganzen hat für den ersten Augenblick etwas Verwandtes. Geht man 
jedoch Schritt für Schritt die Straßen herunter, so merkt man, daß sich kein Haus 
auf beiden Bildern in derselben Form wiederfindet. Nur das einem Palas ähnliche 
Gebäude vorn links hat an gleicher Stelle in München ein Analogon. Dieselbe Figur, 
derselbe Umriß, fast dieselbe Gartenmauer, die sich nach vorn heranlegt. Aber 
eine getreue Wiederholung ist es nicht. Anstatt in einem romanischen Doppelfenster 
öffnet sich in München die Wand in schlanken, von einem Kielbogengesims über- 
dachten Maßwerkfenstern, die der Fassade ein wesentlich andres Gesicht geben. 
Vielleicht hat man in dieser gotischen Variante ein Porträt des Middelburger 
Schlosses, das Roger später romanisch umstilisierte. (Man nimmt an, daß ungefähr 
ein Jahrzehnt zwischen der Entstehung der beiden Bilder liege.) Daß aber die 
Straße im übrigen nicht jener eben begründeten Stadt entnommen ist, dafür bürgt 
das dem Kastell gegenüberliegende Gebäude mit seiner romanischen Gliederung — 
im Gegensatz zu dem gotischen Charakter des entsprechenden Hauses auf dem 
Berliner Bilde. 

Die Gewohnheit, Architekturporträts in eine Phantasieumgebung zu stellen, be- 
schränkt sich nicht auf die Niederlande. Hinter den heiligen Antonius und Paulus 
des sog. Basler Meisters von 1445 in Donaueschingen sieht man eine kleine um- 
mauerte Stadt, deren Tor Daniel Burckhardt als das Spalentor von Basel indenti- 
fiziert hat‘). Nur für diesen einen Bau hat der Maler ein bestimmtes Vorbild be- 
nutzt. Weder das Städtchen selbst, noch die landschaftliche Situation stimmen mit 
Basel überein. In Fouquets Livre d’Heures für Estienne Chevalier verhält es sich 
ebenso mit der Darstellung von Notre Dame im Hintergrund der Beweinung, des 
Donjons von Vincennes auf dem Hiobsbilde (Abb. 8) u.a. — 

Es ergibt sich, daß die Maler jener porträthaft wirkenden Darstellungen von 
Städten, Strassen und Plätzen zwar einzelne Gebäude der Wirklichkeit nachzeich- 
neten (inwieweit porträtgetreu, werden wir sehen), sie aber ohne Bedenken in eine 
Umgebung eigner Erfindung hineinstellten. Eine Umgebung, die sich allerdings 
aufbaut aus lauter der Anschauung entnommenen Motiven. Sie brauchen in natura 
niemals so nebeneinander existiert zu haben, komponiert sind sie aber mit einem 
derartigen Realitätsgefühl, daß der Eindruck entsteht, wir hätten ein bis ins Einzelne 
treu nachgebildetes Konterfei einer bestimmten Lokalität vor uns. 


(z) a. a. O., 8.71. 

(2) Berliner Galeriewerk Ui, 8. 15. Tschudi macht aufmerksam auf eine Kopie nach diesem Kastell 
bei Sander, Flandria illust. IV. Abb. Nr. 12. 

(3) Voll a. a. O., 8.67. 

(4) Basler Festschrift тоот, 8. 308. a 


211 


2. IDEALBAUTEN VAN EYCKSCHER ZEIT 


Neben Architekturen, die den Eindruck machen, Jan van Eyck habe sie wirk- 
lichen Gebäuden nachgezeichnet, oder er habe vor der Natur entstandene Zeich- 
nungen aus Skizzenbüchern auf die Bildtafel übertragen, wobei er sich nicht getreu 
an das Modell gehalten, sondern Einzelheiten nach der Laune des Augenblicks 
umgestaltet hat, begegnen uns solche, die ihrem Gesamthabitus nach unmöglich 
so vor seinen Augen gestanden haben können, die völlig Gebilde seiner Phantasie sind. 

Dazu gehört das turmartige Gebäude (Abb. 3) auf dem Flügel der gerechten 
Richter des Genter Altars. Vier, im Grundriß quadratische Körper sind über Eck 
aufeinandergesetzt. An den Kanten von Türmchen mit Spitzhelmen flankiert, die 
Wand durch Blenden und langgeschlitzte Fenster gegliedert, kann der Bau als 
Apotheose einer die Höhenbewegung konsequent betonenden, Massigkeit und hori- 
zontale Lagerung möglichst negierenden Architekturrichtung gelten. Geht man den 
konstruktiven Möglichkeiten nach, so findet man, daß eine derartige über Eck ge- 
stellte Folge von Baukörpern — eine Kompositionsweise, die bei spätgotischen 
Sakramentshäuschen reajisiert wird — im großen Maßstab nicht ausführbar ist. Ein 
an die Stabilität seiner Phantasiegebäude denkender Architekt ist Jan nicht ge- 
wesen. Ob dies Turmgebäude einen Palast oder einen Kultbau darstellen soll — 
wer weiß es. Formen profaner und kirchlicher Architektur sind daran vereinigt. 
Einer praktischen Bestimmung scheint es nicht dienen zu sollen. Es ist ein Ideal- 
bau in demselben Sinne wie Gebäude auf Bildern der großen Renaissancemaler 
Italiens, ein durch keine materielle Hemmung beschränkter, vollkommener Ausdruck 
der architektonischen Phantasie jener Zeit. Fragt man aber, wo Jan etwa archi- 
tektonische Eindrücke empfangen haben könnte, auf Grund deren er zu einer solchen 
Idee angeregt wurde, so würde ich auf England raten. Ich weiß kein bestimmtes 
Gebäude ähnlicher Art dort anzugeben, doch scheint mir die englische Gotik im 
Gesamtcharakter mehr verwandte Züge zu besitzen, als die eines anderen Landes!). 
Die Annahme, Jan sei in England gewesen, wird gestützt durch die erwähnte 
Übereinstimmung der Kirche in der Stadt der Rotschildmadonna mit S. Paul in 
London. | 

Unter den verschiedenartigen Turmgebäuden, die am Horizont der Anbetung des 
Lammes aufsteigen, sei noch auf eines hingewiesen: jenen reichen Monumentalbau 
in der Stadt nahe am rechten Bildrand (Abb. 4). Aus dem Walmdach eines, 
wie es scheint, vierkantigen Unterbaus hebt sich ein polygoner Schaft, auf dessen 
Plattform ein schlankerer, mit einem Spitzhelm endigender Turm emporwächst, 
An den Unterbau schließt sich chorartig ein rechteckiger Anbau, von zwei spitz- 
behelmten Türmen flankiert. Auffallend an diesen Türmen die Überleitung von 
dem kräftigen Stamm zu dem schlanken Aufsatz durch ein eigentümlich geschweiftes 
Pultdach, das unmittelbar auf den runden Fensterbogen ansetzt. Ein Motiv, das 
genügen würde, um diesen Bau als einen Traum des Malers zu kennzeichnen, 
Doch auch abgesehen hiervon: wo fände sich unter ausgeführten Gebäuden für die 
Komposition im ganzen ein Analogon? So wie die Kathedrale — denn ein kirch- 
liches Bauwerk scheint es diesmal zu sein — hier erscheint, ist sie eine ideale 
Verkörperung Eyckschen Architekturgefühls. 

Phantasiegebäude haben wir auch in der Stadt der Berliner Kreuzigung: das 
hohe Haus mit dem Satteldach (Abb. 5), auf dessen First ein runder kuppel- 
gedeckter Turm reitet, von vier über den Ecken des Gebäudes sitzenden Türmchen 


(т) Vgl. Kathedraltürme bei Fr. Bond, Gothic Architecture in England, 1905, S. 586 ff. 


212 


gleicher Art umgeben. Ebenfalls ein Spiel der Phantasie der mächtige Bau rechts 
davon: hoch aufwachsend auf quadratischem Grundriß, an den Ecken polygone 
Türme. Die Wand durch Blenden vertikal gegliedert, fünf Reihen kleiner Fenster, 
deren Maßstab einen Schluß auf die außerordentliche Höhe des Gebäudes ermög- 
licht. Die Fassade schließt mit einer um die Türme herumgeführten Balustrade. 
Bis dahin könnte man an den Idealbau eines gotischen Kastells denken. Unmittel- 
alterlich, unnordisch aber ist die Bekrönung: eine grosse Kuppel, vier kleine über 
den Türmen. Auf der Hauptkuppel ein ringförmiger Aufsatz, auf eine Lichtquelle 
wie beim Pantheon hinweisend. Im Gegensatz zu Rosen, der meint, die Archi- 
tektur stimme durchaus nicht zu denen van Eycks!), scheint sie mir wohl zu der 
phantastisch - naturalistischen Richtung der Genter Altararchitekturen zu passen. 
Auch hier eine Stadt, in der phantasievoll Erfundenes und der Wirklichkeit Ent- 
lehntes nachbarlich vereint sind. Das Motiv der Kuppelkrönung hat seinen Grund 
darin, daß Jerusalem charakterisiert sein soll, wie das bei Städtedarstellungen auf 
Kreuzigungsbildern üblich zu sein pflegt?). Setzt man die Berliner Kreuzigung, wie 
Rosen und Voll®) es tun, in Nach-Eycksche Zeit, so ist im Hinblick auf die Archi- 
tektur zu sagen, daß dann der Maler sich an die Architekturdarstellung der Eyck- 
schen Richtung archaisierend angeschlossen oder eine Eycksche Komposition kopiert 
hat. Denn die Städtebilder und Phantasieentwürfe einzelner Bauten späterer Zeit 
tragen einen völlig anderen Charakter. Die Generation der Roger und Bouts ist 
nüchterner, phantasieloser. Und wenn sie neben der Wiedergabe gleichzeitiger 
Architektur Idealbauten komponieren, kleiden sie diese lieber in romanische Formen, 
während van Eyck seine Fassaden aus gotischem Empfinden heraus aufbaut. 
Seine Idealbauten unterscheiden sich von denen auf Bildern nach 1450 dadurch, 
daß sie völlig frei sind von Renaissancegefühl Er kleidet seine Phantasien weder 
in antike oder italienische Formen, noch sucht er — wie man es später aus einer 
unbewussten Neigung zum neuen Stil tat — Anschluß an das Romanische. Wenig- 
stens nicht, um Idealbauten in diesem Stil zu komponieren. Seine romanischen 
Innenräume lehnen sich verhältnismäßig eng an die Wirklichkeit. Nur einmal hat 
er die Außenansicht eines romanischen Rundbaus gezeichnet, auf der Anbetung des 
Lammes ganz rechts, dicht neben dem vorhin beschriebenen gotischen Phantasie- 
bau, wie um diesen in seiner Eigenart noch nachdrücklicher zu charakterisieren. 


3. DAS GOTISCHE ARCHITEKTURPORTRÄT 


Der Vergleich der Genfer Seelandschaft von Konrad Witz mit einer photographi- 
schen Aufnahme derselben Uferstrecke zeigt, wie das Auge des gotischen Malers 
die Berglinien umstilisiert, den Umriß ins steil Ansteigende, spitz Zulaufende 
steigert‘). Gewiß nicht deshalb, weil dem 15. Jahrhundert an einer naturalistischen 
Wiedergabe nichts lag. Witz war sicherlich des Glaubens, die Landschaft gut 
„getroffen“ zu haben. Auch die Differenz aus der Unfähigkeit einer noch unent- 
wickelten Kunst erklären zu wollen geht nicht an. Wenn Hodler heute das gleiche 
Ufer malt, wird eine photographische Aufnahme auch ihm „Unrichtigkeiten“ nach- 
weisen. 


(1) a. a. O., S. 104. Er bezeichnet sie als „schwere bürgerliche Bauart Westflanderns“ (7). 

(2) Vgl. im II. Teil dieses Aufsatzes über Jerusalem - Darstellungen; ebendort über die Petersburger 
Kreuzigung und die Frauen am Grabe. 

43) a. a. O., 8.48. 

(4) Gegenüberstellung in der Basler Festschrift 1901. 


213 


Wie jene Landschaft ändert natürlich auch ein und dasselbe architektonische 
Gebilde in der künstlerischen Interpretation verschiedener Zeiten den Ausdruck. 
Nicht allein nach der Seite einer mehr malerischen oder mehr zeichnerischen Auf- 
fassung, einer detaillierten oder einer nur das Wesentliche buchenden Wiedergabe. 
Sondern Format und Proportionen wechseln je nach dem Zeitgefühl und dem 
persönlichen Temperament des Malers. Von der objektiven Wahrheit einer Photo- 
graphie der Meßbildanstalt ist auch die relativ treuste Aufnahme weit entfernt. 

Für einige architektonische Darstellungen können wir durch einen Vergleich mit 
anderweitigen bezeichneten Abbildungen oder noch existierenden Denkmälern die 
Modelle nachweisen und somit auch hier wie bei der Landschaft des Witz eine 
Kontrolle üben über den Grad und die Art der Portrittreue. Da sehen wir, daß auch 
so lebensgetreu wirkende Aufnahmen wie die Schlösser im Livre d’Heures des 
Herzogs von Berry dem Zeitempfinden unterworfen sind, daß auch hier, wo man 
gewiß den objektiven Tatbestand geben wollte, eine Umstilisierung stattgefunden hat. 

Das Schloß von Vincennes bei Paris (Abb. 6): Hinter einem Gehölz auf dem 
Monatsbild des Dezember ragen eine Reihe von Turmbauten in die Luft. Um 
einen höheren Donjon in der Mitte gruppieren sich die übrigen, wie es scheint, in 
geringen Abständen und von nicht viel niedrigerer Figur. Daß die Beziehungen der 
Türme zueinander in Wirklichkeit andere waren als man nach der Miniatur erwartet, 
darüber belehren uns spätere Ansichten!) (Abb. 7) und Grundrisse’). Der Maler 
des Gebetbuchs hat die an der Grenzmauer des umfangreichen rechteckigen Burg- 
bezirks verteilten Mauertürme unnatürlich weit nach vorn gerückt und sie im Ver- 
gleich zum Donjon unverhältnismäßig hoch gezeichnet. Das in der Ebene gelegene 
Vincennes konnte unmöglich so aus dem Walde aufragen. Nimmt man für das 
Schloß dasselbe Bodenniveau an wie für die Lichtung mit der Sauhatz im Vorder- 
grund, so bekommen die Gebäude eine unwahrscheinliche, Wolkenkratzern ähnliche 
Höhe. Wesentlich erschien dem gotischen Künstler allein die Sihouette der auf- 
steigenden Türme. Auf ihre Verbindung durch die Mauer, die Charakterisierung der 
beträchtlichen Ausdehnung des Gebäudekomplexes auf der Ebene, darauf geht er 
nicht ein®). — Der Tendenz in der Aufnahme des Ganzen entspricht die Dar- 
stellung im einzelnen. Für die Auffassung des Donjon haben wir einen Zeugen 
in der etwa 45 Jahre jüngeren Darstellung desselben Gebäudes in Fouquets Gebet- 
buch (Abb. 8). Wie stark der Gotiker die Höhenentwicklung übertrieben hat, er- 
kennt man daran, daß ihm an dem hochgereckten Wandstreifen zwischen den Eck- 
türmen nur Platz für je ein Fenster in jedem Geschoß bleibt, während in Wirk- 
lichkeit zwei nebeneinander saßen. Fouquet, der als erster ein Gefühl für die neue 
Schönheit aus Italien mitbringt, sieht die heimatliche Umgebung bereits mit anderen 
Augen. In der breiteren stämmigeren Figur des Schlosses gibt er zugleich ein 
naturgetreueres Porträt. 

Mehun-sur-Yèvre (Abb. 9 u. 10): Eine Gegeniiberstellung der beiden Ansichten 
im Livre d’Heures und auf dem Stich von 1737 läßt keinen Zweifel, daß es sich um 
dasselbe Bauwerk handelt. Das 18. Jahrhundert sah das Schloß als Ruine, die 
‘Turmhelme, der Zugang über die steinerne Brücke fehlen. Die Differenz in den 
Proportionen ist beträchtlich. Unmöglich ist es nicht, daß der Zeichner von 1737 


(x) Vgl. auch die Ansicht bei Du Cercean, Bastiments de France, die von der Gegenseite genommen ist. 
(а) Du Cerceau, а. а. O. und Violet-le-Duc, Diction. І, 393. 

(3) Man vergleiche, wie Fra Angelico auf der Kreuzabnahme in der Akademie, Fiorenz, den horizon- 
talen Zug einer Mauer, die nur wenig von Wachttürmen überschnitten wird und hinter der die Ge- 
bäude der Stadt kaum hervorragen, als Stimmungsfaktor benutzt. 


214 


das Gebäude im Sinne seiner Zeit umstilisiert, d. h. Türme und Fronten unter- 
setzter und breiter dargestellt hat, als sie in Wirklichkeit sind. Gewiß aber ist 
der Maler des 15. Jahrhunderts nach der entgegengesetzten Seite inkorrekt vor- 
gegangen. So rührenartig gestreckt wie seine Türme, so schmalbrüstig wie seine 
Fassade mit den überschlanken Fenstern der Schloßkapelle und den steilen 
Wimpergen war die Wirklichkeit nicht. Das Schloß hat sich dieselbe Umdeutung 
gefallen lassen müssen wie die emporgedrehten Bergkegel im Hintergrund i). 

In demselben Sinne wie Vincennes und Mehun-sur-Yèvre wird man auch andere 
Schlösser im Gebetbuch des Herzogs korrigieren dürfen. 

Porträtaufnahmen von der eingehenden Charakterisierung der Schlösser in Livre 
d’Heures von Chantilly gibt es später nicht mehr. Nach 1450 schwindet das 
Interesse an der getreuen Wiedergabe bestimmter Gebäude immer mehr, das frei 
Erfundene überwiegt. Memlings Kölner Veduten auf dem Ursulaschrein gehören 
zu den Ausnahmen. Wie ungenau er — abgesehen von dem übermäßigen Zu- 
sammendrängen der Gebäude — im einzelnen verfährt, zeigt ein Vergleich des 
Turmes von Groß St. Martin bei der Ankunft der Ursula mit dem Denkmal selbst. 
Bei Memling sitzen die Arkaden über dem Fenstergeschoß, in Wirklichkeit ist es 
umgekehrt. Er läßt ferner die Ecktürmchen auf Konsolen aufsitzen, statt daß sie 
von unten aufsteigen. Statt der drei Fensterpaare zeichnet er zwei in gotischer 
Proportion. 

Das 16. Jahrhundert kennt keine Porträtarchitektur auf Bildern. Man ist zu sehr 
mit Phantasieentwürfen beschäftigt. Erst die holländischen Maler des 17. Jahr- 
hunderts entdecken in den Gebäuden ihrer Umgebung wieder ein Objekt für Raum- 
und Lichtprobleme. 


(1) Die verschiedene Anordnung der Fenster an den Türmen und der Seitenfront mag auf beiden Auf- 
nahmen nicht zuverlässig sein oder auf Umbauten in der Zwischenzeit beruhen. Auffallend sind die 
durch zwei Stockwerke reichenden Spitzbogenfenster an der Seitenfront der späteren Darstellung, 
während die frühere an dieser Stelle zwei rechteckige Fenster im Obergeschoß zeigt, mit Kielbogen 
und Fialen spätgotisch reich gerahmt. — Ein Rekonstruktionsversuch von Darcy abgebildet bei En- 
lart, Manuel d’Archéol. franc. I, a, Fig. 256. 


215 


DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND 
SEINE WIEDERHERSTELLUNG’ 


Mit zwölf Abbildungen auf sechs Tafeln Von WALTER BOMBE 


I. 


ls Cosimo Medici aus dem Venezianer Exil heimgekehrt war, suchte er seiner neu 

gewonnenen Machtstellung durch einen Palastbau, der alles übertraf, was die 
Florentiner Baukunst bis dahin geleistet, auch äußerlich sichtbaren Ausdruck zu ver- 
leihen. Er betraute daher seinen Hausarchitekten Michelozzo mit dem Entwurf des 
neuen Palastes. Die früheste urkundliche Nachricht über den Neubau findet sich 
in der Steuerangabe Cosimos und seines Neffen Pierfrancesco vom Jahre 1446, in 
der ausdrücklich bemerkt wird, daß an Stelle einzelner niedergelegter Häuser der 
Palast an der Ecke der Via Larga aufgeführt werde). Noch in der Steuererklärung 
von 1451 wird der Palast als im Bau begriffen angegeben, aber schon im November 
desselben Jahres war er der Vollendung nahe, wie sich aus einem Gutachten der 
Sachverständigen ergibt?). Vermutlich war Anfang 1452 der Palast schon bewohn- 
bar, und Cosimo konnte nunmehr in den Neubau einziehen, während sein Neffe 
Pierfrancesco, das Haupt der jüngeren Linie, in dem benachbarten alten Familien- 
hause verblieb. Eine alte Ansicht von Florenz vom Jahre 1472 zeigt den neuen Palast 
und daneben das schmale, spitzdachige Familienhaus (s. Abb. 1)*), das damals dem 
Pierfrancesco gehörte, und in welchem auch die Familie Cosimos gewohnt hatte, 
bevor sie den Palast hatte beziehen können. 

Sicherlich fand Cosimo Schwierigkeiten an den strengen Gesetzesvorschriften, die 
es verboten, daß ein Gebäude die übliche Häuserhöhe überragte „damit die Unter- 
tanen es nicht zur Verteidigung (im Falle eines Bürgerkrieges) benutzten und so 
die Autorität der Regierung in Frage stellten“ . Um so größeres Staunen erregte 
der Riesenbau bei den Zeitgenossen, und ein Florentiner Miniaturmaler der Zeit 
hat uns in vierzehn Illustrationen eines Virgil- Kodex, der jetzt in der Biblioteca 
Riccardiana aufbewahrt wird, den Palast und seine allmähliche Entstehung vor 
Augen geführt (s. Abb. 2—7). 


П. 

Auf einem dieser Blätter (s. Abb. a) wird nach Aeneis І, Vers 551—612 das erste 
Zusammentreffen des Aeneas mit Dido geschildert. Ort der Begegnung ist der 
Tempel der Juno, ein sechseckiger Bau, der an drei Seiten geschlossen und hier 
mit Szenen aus dem trojanischen Kriege dekoriert ist. Rechts wird Karthago er- 


(1) Vortrag, gehalten in der Sitzung des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, am 28. März 1912. 
(2) Der Zeitpunkt des Baubeginnes steht nicht sicher fest. Karl Frey nimmt an, daß der Palast schon 
1435 begonnen und etwa 1440 nahezu vollendet worden sei („Michelagnolo Buonarroti, Quellen und 
Forschungen zu seiner Geschichte und Kunst“, Bd. I, 1907, S. 24ff.), während Warburg, auf Grund 
einer Notiz im Zibaldone des Giannozzo Salviati: „nell'anno 1444 si cominciò a murare la chasa di 
Cosimo Medici“ und auf Grund der Steuerangaben von 1446 und 1451 das Datum 1444 für den Beginn 
des Baues annimmt („Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz“, a. Heft, Frühjahr 1909, 
S. 85 ff.). 

(3) Siehe Arturo Linaker, „Dal Palazzo dei Medici al Museo Mediceo“, in „Marzocco“ (Florenz), 
anno XVI, 1911, Nr. ag, 16. Juli. Der Verfasser beruft sich auf einen ihm durch Giovanni Poggi mit- 
geteilten Urkundenfund. 

(4) Diese Ansicht von Florenz ist durch Warburg in einer Ptolemäus - Übersetzung des Jacopo 
d’Agnolo da Scarperia (Cod. vat. urb. 277) entdeckt und in den Mitteilungen des kunsth. Instituts а. a. O. 
gewürdigt worden. 


216 


baut; aber die Königsburg, deren Bau bis zur Höhe des Hauptgeschosses gedieben 
ist, gleicht dem Palazzo Medici. — Auch auf dem zweiten Blatte, das wir in Ab- 
bildung 3 vorlegen, sehen wir die Bauarbeiter am Werke. Dargestellt ist das 
Wiedersehen des Aeneas mit Cloanthus, nach Aeneis I, Vers 615. — Alsdann wird 
geschildert, wie Cupido, in Gestalt des Knaben Ascanius, von Aeneas umarmt wird 
und Dido betört (nach Aeneis I, Vers 695—720). Durch das Tor erhalten wir einen 
Einblick in den Säulenhof Michelozzos. Links erstreckt sich der Garten, aus dem 
Zypressen aufragen (s. Abb. 4). — Im Hofe des Palastes findet das Gastmahl zu 
Ehren des Aeneas statt (I, Vers 723—756). Durch das Tor in der Mitte des Hofes 
blicken wir in den Garten (s. Abb. 5). — Auf den folgenden Blättern erscheint die 
trojanische Königsburg in der Gestalt des Palazzo Medici. Der gefesselte Sinon 
kniet vor Priamus, den Laokoon vergebens warnt (II, Vers 103). Durch die Tür der 
Loggia erblicken wir die nach rechts ansteigende Treppe. Links erhebt sich ein 
interessanter Rundbau mit Säulen und Nischen. — Das hölzerne Pferd ist in die 
Stadt gebracht worden. Die Griechenhelden steigen heraus (II, Vers 250—267). 
Ein Krieger öffnet die Tür des Palastes. Rechts ist die Landung der Griechen 
dargestellt. Ein Teil der Flotte liegt noch vor der Insel Tenedos. — Es beginnt 
der Kampf um die Stadt (II, Vers 361—369). Vom Palast werden Steine herabge- 
worfen. Zur Linken erscheint die Trajanssäule, die Stadtmauer und das Meer. — 
Androgeus wird getötet (II, Vers 370—391). Die Trojaner verteidigen ihre Königs- 
burg. Links sehen wir ein brennendes Haus nahe der Stadtmauer, rechts eine 
Kirche und einen Rundbau aus weißem und schwarzem Marmor, der an das Floren- 
tiner Baptisterium erinnert. — Der Palast des Priamus wird gestürmt (II, Vers 436 
bis 444). Rechts tobt der Straßenkampf (s. Abb. 6). — Pyrrhus dringt auf einer 
Sturmleiter in den Palast (II, Vers 491—495). Agamemnon und andere Griechen- 
helden stehen kampfbereit davor. Zur Linken des Palastes erblicken wir den von 
einer zinnengekrönten Mauer eingefaßten Garten, aus dem Zypressen aufragen. — 
Als der Feind eindringt, läßt sich Priamus den Harnisch anlegen. Hecuba sucht 
ihn zurückzuhalten (II, Vers 506—522). Die Szene spielt im Garten des Palastes. — 
Von links her dringen die Griechen in den Garten; Pyrrhus tötet den Polites, einen 
Sohn des Priamus. Der König wirft mit zitternder Hand die Lanze: „telumque im- 
belle sine ictu coniecit...“ (II, Vers 548). — Durch Pyrrhus tödlich verwundet, 
bricht Priamus über der Leiche des Polites zusammen. Hecuba stürzt schreiend 
herbei (П, Vers 550—555). Schauplatz ist, wie vorher, der Garten des Palastes. — 
Der Schatten der Creusa erscheint dem Aeneas: „Opstipui, steteruntque comae, 
vox faucibus haesit“ (II, Vers 767). Links der Palast und ein Tor, rechts Kämpfende 
(s. Abb. 7). 

Der Künstler, dem wir diese reizvollen Miniaturen verdanken, ist der Forschung 
vorläufig noch ein Unbekannter. Wir wissen nur, daß er dem Pesellino nahesteht 
und daß er auch ein geschickter Cassonemaler gewesen ist, der in ähnlich naiver 
Weise römische Baudenkmäler auf Truhenbildern wiedergibt'). Mit einem höchst 
sympathischen und gesunden Realismus begabt, weiß er die Szenen des antiken 
Epos in Tracht und Sitte der Zeit zu übertragen, und er versteht es meisterlich, 


(x) Die nahe Verwandtschaft zwischen diesen Miniaturen und Darstellungen der Aeneide auf Cassone- 
bildern im Besitze der Yale University in New Haven hat schon Weisbach in seiner schönen Mono- 
graphie über Pesellino (Berlin 1901) und fast gleichzeitig Mary Logan in ihrem Aufsatz: „Compagno 
di Pesellino“ in der „Gazette des Beaux-Arts“, Ш пе Serie, Band 26 (1901) betont, während Hülsen 
die erste eingehende Untersuchung dieser Cassonebilder unter Vorlage reichen Abbildungsmaterials im 
„Bullettino della Commissione Archeologica Comunale“, Rom 1911 bietet. 


217 


die Freude an seinem Stoffe, die ihm beim Schaffen beseelte, seinen späten Be- 
trachtern mitzuteilen. 

Wie dieser unbekannte Miniaturist, so haben auch Dichter der Zeit den fürstlichen 
Palast der Medici verherrlicht und seine Schönheit gepriesen. So besingt ein Dichter 
der Zeit den Palast und seinen Garten in gut gemeinten, aber holprigen Versen: 

„Ire quarti o piü della chasa paterna 
murò in Firenze di stanze si dive, 
che tutte le beltà dell’altre sperna. 


Nè alchun morto nè alchuno che vive 
non vide in terra mai difizio bello, 
quanto à murato questo chlaro cive. 


Tanto meraviglioso e tanto snello 
ch’a nulla cosa gli so dar simiglio 
macchi ne vuole il ver vada a vederlo. 
Quest’é il palazzo pien di maraviglia 
che più d' una cittade chosta e vale, 
ch’abita Chosmo cholla sua famiglia.... 
Et a questo palazzo un bel giardino 
chon chorte, logge, volte e acqua e prato 
E fu fatto e fiorito in un mattino. 


Ed è di sì gientile ordini ornato, 
di lauri, mortella, aranci e bossi, 
ch'un mostro mostra ciò che v' piantato“*), 


und der Dichter Alberto Avogrado aus Vercelli feiert den Garten mit seinen wunder- 
lichen, in lebendigen Buchsbaum geschnittenen Tierformen: 


„Multa mihi scripta sunt, tandem veniamus ad hortum cui talis haud 
nullum non reor esse parem. 
Ortus enim est magnus sed nec pro fructibus actus 
Sed quo sit tantum buttea planta decens. 
Quam verti in varias cogit manus apta figuras 
Hic elephas, hinc est dente timendus aper. 
Videris et puppim velis maris aequora passis 
Scindere, nec desunt prora rudensque rati. 
Illic est aries, illic lepus auribus altis, 
Illic est vulpes fallere docta canes; 
Cornibus arboreis fas est te visere cervos 
Et quae fert centum lumina cernis avem. 
Quid moror? hic tot sunt brutorum corpora buxo, 
Et diversa quidem, quot reperire licet‘ ). 


Die Loggia an der Ecke, der prächtige Hof mit seinen Säulenhallen, die klare 
Disposition sämtlicher Räume auf dem gleichen Niveau, wie das die Regeln der 
Renaissancearchitektur verlangten, die Großräumigkeit des Ganzen und die wunder- 


{1) Auf dieses Gedicht wies zuerst Arturo Linaker in seinem oben erwähnten Aufsatz hin. 

(a) Alberti Avogradi Vercellensis: „De religione et magnificentia ilustris Cosmi Medices Fiorentini libri 
duo.“ (Herausgegeben von О. Lami in ,,Deliciae eruditorum“, Florentiae 1742, tom. XI, р. 117—149.) 
Der Text des Lami wurde durch Prof. A. Linaker mit dem des Ms. Laurent. Piut. XXXIV, Nr. 46, 
L IV n. 12 verglichen. 


218 : 


— ———K—— — ¶— — —— eee DES = 


volle Ausstattung des Inneren erregten Bewunderung bei den Zeitgenossen und 
späteren Geschlechtern. Das Haus der Renaissance, das noch heute für unsere 
Wohnungen vorbildlich ist, haben spätere Künstler vielfach umgemodelt, aber dieser 
Musterbau des neuen Stiles steht als etwas ganzes, in sich geschlossenes in so 
früher Zeit einzig da. Hier hat Michelozzo zuerst die Abstufung der Rustika in den 
einzelnen Stockwerken zur Anwendung gebracht. Während im Erdgeschoß die 
Quadern nur an den Kanten bearbeitet, sonst aber roh gelassen sind, zeigt das 
erste Stockwerk bearbeitete Blöcke, deren Fugen tief einschneiden, und der Ober- 
stock nur noch in den vertieften Fugen einen Anschein von Rustika. Das gleiche 
ist bei den Gurtgesimsen der Fall, deren oberes feiner und zarter gebildet ist, als 
das untere, und diese stufenweise Verfeinerung des Materials nach oben wird auf 
das wirksamste unterstützt durch die allmählich abnehmende Stockwerkshöhe. Ein 
vielfach nachgeahmtes, prachtvolles, vielleicht nur zu schweres Kranzgesims schließt 
die Fassade nach oben ab. 

Die kleinen, hochgelegenen Fenster im Erdgeschoß und ein Kranz von Zinnen 
nebst Wehrgang an der Gartenmauer gaben dem Bau in seinen unteren Teilen den 
ernsten, festungsartigen Charakter!). Der öfters bemängelte Umstand, daß der Abstand 
der Türöffnungen voneinander ungleichmäßig ist, und daß die Fenster der oberen 
Stockwerke nicht symmetrisch über der Achse der Türöffnungen steben, findet 
vielleicht eine Erklärung in weitgehender Rücksichtnahme des Architekten auf die 
Anordnung der inneren Räume). Das mittelalterlich anmutende Säulchen in den 
sehr lang gestreckten Bogenfenstern der oberen Geschosse besitzt ein klassisches 
Kompositkapitäl, dessen Formen, dem Zeitgeschmack entsprechend, voneinander ver- 
schieden sind, während die Füllungen über den kleinen Bogen zu den Seiten der 
Säulchen nicht mehr, wie früher, durchbrochen werden. Die Kompositkapitäle des 
Hofes zeigen nur eine Blattreihe mit ausgehöhlten Rippen und schweren, tiefge- 
zackten Umschlägen, die sich nur wenig vom Kapitälhalse loslösen, durchweg von 
gleicher Form. 

In der Mitte des Säulenhofes stand, genau in der Achse der beiden Eingänge von 
Via Larga und Via dei Ginori, der Bronzedavid Donatellos auf einem marmornen 
Sockel von Desiderio da Settignano, und in der Mitte des Gartens ein Zierbrunnen, 
den Donatellos Gruppe der Judith mit Holofernes krönte. Donatello hat vielleicht 
auch die schönen Medaillonreliefs über den Säulenhallen des Hofes, nach antiken 
geschnittenen Steinen entworfen. Eine breite Treppe führt hinauf zu der Haus- 
kapelle, deren Farbenpracht von entzückender Wirkung ist. 

Die Reise der heiligen drei Könige nach Bethlehem zieht wie auf einem Gobelin 
in einer prachtvollen Prozessionskavalkade an uns vorüber, mit den Bildnissen der 
Medici, des Malers selbst und mit dem ganzen reichen Gefolge einer italienischen 
Fürstenreise der Renaissance. In weniger als zwei Jahren hat der rasch schaffende 
Meister diese Fresken bei künstlicher Beleuchtung gemalt, und nur bei Kerzenschein 
entrollte sich den Zeitgenossen die Pracht des völlig fensterlosen Raumes. Das 
einzige kleine Fenster der Kapelle wurde erst 1659 eingebrochen, als der neue Be- 
sitzer des Hauses, Francesco Riccardi, die neue Treppenanlage herstellen ließ, der 
die Kapelle beinahe zum Opfer fiel’). 


(1) Vasari in seiner Vita Donatellos (ed. Milanesi, Bd. 2, S. 408) erwähnt den Zinnenkranz der Garten- 
mauer, dessen Spuren jetzt, nach den Wiederherstellungsarbeiten, deutlich zu erkennen sind. 

(2) з. Hans Stegmann, „Michelozzo di Bartolommeo“, München 1888, S. 52. 

(3) Von der Sakristei, die man bis jetzt fiir spurlos verschwunden hielt, ist vor kurzem der obere Teil mit 
einem schönen Friese, der die drei Federn mit dem Diamantring aufweist, wieder zum Vorschein gekommen. 


219 


III. 


In den mit auserlesenen Kunstwerken geschmückten Räumen des neuen Palastes 
hauste Cosimo während der letzten zwölf Jahre seines Lebens, nach ihm Piero der 
Ältere und später hielt Cosimos Enkel, Lorenzo il Magnifico, hier sein glänzendes 
Haus. Für Lorenzo modellierte Verrocchio die Brunnenfigur des Knaben mit dem 
Fisch, die ursprünglich im Garten der Villa Careggi stand und durch den Wasser- 
druck drehbar gemacht wurde, wie ein deutscher Reisender, Hans Georg Ernstinger, 
in seinem ,,Raisbuch“ um 1600 angibt!). In Lorenzos Auftrage hat Sandro Botticelli 
die Pallas mit dem Centauren, die Allegorie des Friihlings und die Geburt der Venus 
gemalt, Pollajuolo drei Bilder mit den Taten des Herakles, Domenico Ghirlandajo 
die Geschichte des Vulkan, und eine ganze Schar von Malern, Bildhauern und 
Architekten gearbeitet, unter ihnen Bertoldo *), der junge Michelangelo und Sangallo. 
Einen märchenhaft reichen Besitz an Kunstwerken aller Art und kostbaren Juwelen 
entrollt uns das im Florentiner Staatsarchiv noch erhaltene Inventar des Magnifico °’). 
Danach besaß Lorenzo auch Werke von Masaccio, Fra Angelico, Filippo Lippi, 
Paolo Uccello, und von nordischen Künstlern waren Jan van Eyck und Petrus Christus 
in seiner Sammlung vertreten. Zu diesen Meisterwerken der Plastik und Malerei 
gesellten sich kunstgewerbliche Gegenstände von höchstem Werte, Teppiche aus 
Flandern, Keramiken, Kleinodien, goldene und silberne Gefäße. 

Glanzvolle Feste haben in diesen Räumen stattgefunden. Berühmt ist vor allem 
die Hochzeit Lorenzos mit Clarice Orsini am 4. Juni 1469. Florentiner Chronisten 
haben uns getreue Schilderungen der Festlichkeiten hinterlassen, die Lorenzo 
seiner Braut zu Ehren veranstaltete. Vom Sonntag bis zum Dienstag wurden 
fünf Gastmähler in den Räumen des Erdgeschosses, den Loggien und dem 
Garten des Palastes gegeben. Am Sonntag früh hielt die Braut auf einem herr- 
lichen Zelter, den der König von Neapel Lorenzo geschenkt hatte, feierlichen Ein- 
zug in den Palast, wo die Familie Lorenzos sie inmitten ihrer Kunstschätze er- 


(т) Bruchstücke aus dem „Raisbuch“ des Hans Georg Ernstinger teilte Fräulein Dr. Frida Schottmüller 
in der Sitzung des Kunsthistorischen Instituts vom Dezember 1907 mit. Ernstinger hat zu Ende des 
16. und Anfang des 17. Jahrhunderts mehrmals Italien bereist und legt in seinem „Raisbuch“ naiv 
Rechenschaft ab über das Gesehene. Wissensdrang und Kunstverständnis haben den harmlosen 
Italienwanderer nicht beschwert. Er erzählt vom Tempel des heiligen Antonius in Padua und von der 
ewigen Stadt. In Florenz interessiert ihn der Palazzo Vecchio: „Der alte Palast des Grossherzogen 
von Florenz ist ein hohes und gross Gebey mit einem Thurm, alles von Ziegeln (sic!) aufbaut. Im 
Eingang desselben ist erstlich zu sehen ein märmelstainerner Rörbrunnen, darauf die Cupido 
vom Wasser umgtrieben wiert und geust sich das Wasser an etlichen Orten aus in ain Brunnen- 
сог“. Interessant und neu ist die Tatsache, daß die Bronzefigur des Knaben mit dem Fisch ursprüng- 
lich drehbar gewesen ist und durch Wasserkraft angetrieben wurde. Ähnliche Wasserkünste befanden 
sich in vielen Gärten der Renaissance. Die Figur wurde im Jahre 1555 mit dem zugehörigen Porphyr- 
becken aus dem Garten der Villa Careggi in den Hof des Palazzo Vecchio gebracht. Leider wird 
nicht gesagt, ob die Figur erst bei der Neuaufstellung drehbar gemacht wurde. Das ,,Raisbuch“ des 
Ernstinger ist von Dr. Walther, Tübingen 1877, in der Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 
(Nr. 135) herausgegeben worden. 

(2) Zu den interessantesten Stücken unter Bertoldos Arbeiten für die Medici gehört das Kinder-Bacchanal 
im Museo Nazionale, dessen Grundgedanken das Emblem der Familie Medici bildet, der Diamantring, 
den die Putten zum Spiel verwenden. Das Relief ist aber, wie Gronau in der Rivista d’Arte (anno V, 
p. 118) zeigte, nicht dauernd im Besitz der Medici verblieben. Die Nachforschungen Gronaus ergaben, 
daß der Herzog von Urbino es im Jahre 1596 käuflich erworben hat. Mit den Kunstschätzen seines 
Hauses ist es erst wieder in den Besitz der Medici zurückgelangt. 


(3) Von Eugene Müntz im Auszuge in seiner Monographie „Les collections des Medicis au XVe 
siècle“, Paris 1888, veröffentlicht. 


220 


wartete. Am Dienstag früh hörte sie in San Lorenzo die Messe, in der Hand eines 
der unzähligen Hochzeitsgeschenke ihres prachtliebenden Gemahls, ein Messbuch 
mit goldenen Buchstaben auf Ultramarin, mit einem Deckel von geschnittenem 
Kristall. Zweihundert Gäste saßen an der Hochzeitstafel, die drei Tage hindurch 
erneuert wurde; dazu war in den Räumen des Erdgeschosses fortwährend für 
tausend Personen gedeckt, um Gratulanten zu speisen. Tanz und Lustbarkeiten 
wechselten mit den Bewirtungen, und am dritten Tage beschloß ein Turnier und 
ein Umritt durch Florenz die Feier. So wurde die Hochzeit des Magnifico mit der 
römischen Fürstentochter gefeiert, nach der Absicht Lorenzos, um der Bürgerschaft 
von Florenz das Vorbild eines einfach-vornehmen Hochzeitsfestes zu geben. 

Piero der Jüngere, Lorenzos Sohn, fügte den ererbten Kunstschätzen neue hinzu, 
aber als König Karl VIII. in Florenz einzog, stürmte der Pöbel den stolzen Palast, 
und der König selbst raubte unter dem Vorwande, die Medici seien ihm große 
Summen schuldig, Kunstwerke und Juwelen im Werte von 100000 Scudi, nach heu- 
tigem Geldwert fast zwei Millionen. So wurde an einem Tage der kostbare Kunst- 
besitz zerstreut, an dem die größten Künstler der Arnostadt geschaffen hatten. 
Alles, was die späteren Großherzöge aus dem Hause Medici an Kunstwerken auf- 
häuften, erreicht kaum an Wert die Sammlung erlesener Stücke, die der Herrscher- 
wille des Magnifico in einem Leben zusammengebracht hat, das nur dreiundvierzig 
Jahre zählte. 

Als nach der elfmonatlichen Belagerung durch die Truppen Karls V. die Stadt 
sich am 12. August 1530 ergab, wurde Alessandro de’ Medici erblicher Herzog und 
der Palazzo Cosimos des Alten seine Residenz. Hier fanden 1536 glänzende Feste 
zu Ehren Margaretas von Österreich, der Tochter Karls V. statt, die Alessandro 
heimführen durfte!). Aber die Herrschaft des zügellosen jungen Fürsten sollte nicht 
von langer Dauer sein. Lorenzino, der Genosse des leichtsinnigen Alessandro bei 
manchem Liebeshandel, ermordete ihn 1537 in einem Zimmer seines Hauses, das 
mit dem Palast in Verbindung stand. Die Leiche des Herzogs wurde heimlich in 
die alte Sakristei von S. Lorenzo gebracht und dort in aller Eile bestattet. Statt 
des unbeliebten Lorenzino wählte der Florentiner Senat den Sohn des Giovanni 
delle Bande nere, des ruhmvollen Anführers der „schwarzen Banden“, Cosimo de’ 
Medici, der mit Hilfe spanischer Truppen den Aufstand der Florentiner Republikaner 
‘ bekämpfte und den Bau Michelozzos zu seiner Residenz machte. 

Dann kam die Zeit, als Cosimos Gemahlin Eleonora da Toledo den Palast bezog 
und spanisches Zeremoniell und steife Eleganz am Florentiner Fürstenhofe einführte. 
Aber bald wurde ihr der gewaltige Palast zu eng, und darum siedelte sie zuerst 
in den Palazzo Vecchio, und später, im Jahre 1549, in den Pitti über, den 
Ammanati für sie ausbauen mußte. Das schöne Haus in Via Larga aber blieb un- 
bewohnt, und im Jahre 1659 verkaufte es Großherzog Ferdinand П. für 41000 Scudi 
an den Marchese Gabriello Riccardi, der es einem Umbau im barocken Geschmacke 
der Zeit unterzog, wobei ein Teil der Sakristei der Hauskapelle und die Treppe 
der Medici zerstört wurden. Die neue Wendeltreppe, ein Werk des Archi- 
tekten Faggini, der den Umbau leitete, erregte große Bewunderung bei dem Zeit- 


(1) Vasari beschreibt die Zurüstungen zu den Festlichkeiten zu Ehren Margaretas von Österreich in 
einem Briefe an Francesco Rucellai vom Mai 1536 (ed. Milanesi, Ва. 8, S. 261—262), ihren Einzug in 
einem Briefe an Pietro Aretino vom 3. Juni 1536 (ebenda, S. 262—265) und widmet dem ,,Apparato 
fatto in Firenze per le nozze di D. Francesco de’ Medici“ eine sehr eingehende Schilderung (ebenda, 
8. 5а: — 622). Die Hochzeitsfeier selbst fand laut Angabe Lapinis (Diario ed. Jodoco del Badia) im 
Garten und Kasino bei S. Marco statt. 


221 


genossen Cinelli, der in seinen „Bellezze di Firenze“ die Schönheit und Zweck- 
mäßigkeit der Anlage preist und für die Zerstörung eines Teils der alten Haus- 
kapelle und der Sakristei kein Wort des Bedauerns findet. Im Jahre 1715 wurde 
der Palast nach Norden um sieben Fenster vergrößert, ein Marstall und eine mit 
antiken Büsten geschmückte Terrasse wurde hinzugefügt. Einen durch den Neu- 
bau gewonnenen großen Saal dekorierte Luca Giordano mit Fresken, welche die 
Medicäer als Lichtgottheiten darstellten, und mehr als fünfzig Statuen wurden an 
den Wänden aufgestellt. Aus dem alten Säulenhofe Michelozzos aber machten die 
Riccardi ein Museum, indem sie antike Büsten, Fragmente von Reliefs und In- 
schriften. an den Wänden anbrachten. 

Mit der Erwerbung des Palastes durch den Staat im Jahre 1814 beginnt eine 
neue Phase in der Geschichte des Bauwerkes, die unriihmlichste von allen. In 
barbarischer Weise wurden die bunten Balkendecken weiß übertüncht, Zwischen- 
stockwerke eingebaut und kleine Räumlichkeiten geschaffen, die teils zu Bureaux, 
teils zu Schlafzimmern für über zweihundert „Guardie“, teils zu Gefängnissen 
dienten, die den Höllenbolgen Dantes nicht unähnlich waren. Und durch das stolze 
Haupttor in Via Larga, das einst die fürstlichen Medicäer aufnahm, rollte bis vor 
kurzem der Zellenwagen, in seinem Innern schmutziges Gesindel bergend, das in 
den licht- und luftlosen Gefängnissen des Erdgeschosses und des Kellers ein keines- 
wegs freundlicher Willkomm erwartete. 


IV. 

Das Verdienst, diesen unwiirdigen Zuständen ein Ende bereitet zu haben, gebührt 
Professor Arturo Linaker, der vierzehn Jahre lang die Propaganda für die Wieder- 
herstellung des Erdgeschosses mit einer Ausdauer betrieb, die der höchsten Be- 
wunderung würdig ist. Schon vor Jahrzehnten hat man im Piano Nobile den Saal 
Karls VIII. mit seinen Nebenräumen, die jetzt der Präfekt der Provinz bewohnt, und 
den Saal, in welchem der Consiglio Provinciale tagt, mit Gobelins geschmückt, den 
Säulenhof wiederhergestellt und seine Sgraffitodekorationen aufgefrischt und ergänzt, 
aber erst nachdem die Gelasse des Erdgeschosses von Via Cavour bis Via dei Ginori 
geräumt waren, konnten mit Erlaubnis des kunstsinnigen Präfekten von Florenz, 
Conte Cioja, Restaurierungsarbeiten größeren Stils beginnen. Die schon von Filarete 
und Vasari beschriebene Loggia dei Medici an der Ecke der Via Larga und der 
Via dei Ginori, die uns einige Miniaturen des Virgil der Riccardiana, ein Bild des 
Francesco Granacci in der Galerie Crespi in Mailand, mit dem Einzuge Karls VIII. 
und andere Wiedergaben vor Augen führen (s. Abb. 8), ist wieder aufgefunden 
worden. Als man an einigen Stellen den Bewurf entfernte, stellte sich heraus, 
daß das gegenwärtige Kappengewölbe nicht das ursprüngliche ist. Weitere Nach- 
forschungen führten dann zur Entdeckung der gemeißelten Sockel, die einst das 
Kreuzgewölbe trugen. Um 1530 wurde die Loggia, vielleicht aus statischen Gründen, 
geschlossen und nach Vasaris Angabe soll damals kein geringerer als Michelangelo 
die vielbewunderten drei „Finestre inginocchiate“ geschaffen haben, die laut einer 
Notiz del Migliores die ersten ihrer Art in Florenz waren. Vasari selbst vervoll- 
ständigte 1534 die im Inneren der Loggia schon vorhandenen Dekorationen Giovannis 
da Udine durch Fresken seiner eigenen Hand. In späteren Zeiten wurde der so ge- 
wonnene Innenraum durch Hinzuziehung eines Korridors vergrößert und zugleich 
das alte Kreuzgewölbe in ein Kappengewölbe umgewandelt, wobei die Dekorationen 
Giovannis da Udine und die Lunetten Vasaris der Zerstörung anheimfielen. Eine 
zweite, schon von Filarete erwähnte Loggia blickte auf den Garten nach Via dei 


222 


Ginori. Auch diese Loggia, deren Kompositsäulen von den Riccardi mit Stuck- 
dekorationen überkleidet wurden, gehört der Zeit der Erbauung des Palastes an, 
wie ein Vergleich der nach vorsichtiger Beseitigung des Stuckdekors zum Vorschein 
gekommenen Кар е mit denen des Hofes zeigt (з. Abb. 9—10). Außer diesen 
beiden Loggien sind vier große Säle zu neuem Glanz auferstanden. | 


V. 


Die Frage, welchen Zwecken die schönen Räume in Zukunft dienen sollen, ist 
augenblicklich noch Gegenstand lebhafter Diskussion. Nächst der von maßgebender 
Seite geplanten Verlegung der Accademia della Crusca in einige der Nordräume 
des Erdgeschosses wird die Gründung eines Medici-Museums sicherlich mit Freude 
begrüßt werden. Hier könnte die schöne Madonna Filippo Lippis, die jetzt provisorisch 
im Saal des Luca Giordano aufgestellt ist und außer einer Reihe von Kunstwerken 
aus dem Besitze der Provinz die großartige Serie von Medicäerbildnissen Suster- 
manns, die wir vor wenigen Monaten in der Mostra del Ritratto bewunderten, Auf- 
stellung finden. Im Verein mit den kostbaren Gebildwebereien, die bisher aufge- 
rollt in Magazinen bewahrt werden, müßten diese Bilder eine prächtige Wirkung 
ausüben. In dem einst hochgepriesenen Garten (s. Abb. 11— 12) aber müßte die heute 
ganz sinnwidrig auf der Mauer der Loggia dei Lanzi aufgestellte Judithgruppe Dona- 
tellos prangen, als Brunnendekoration, wie es der Wille ihres Schöpfers war, und zu 
beiden Seiten des Portals nach Via dei Ginori die Marsyasfiguren, die einst als 
monumentale Türhüter gedient haben. Der Orpheus und der Laokoon Bandinellis, 
von frischem Grün umgeben, zur Rechten und zur Linken der wiederhergestellten 
Statue Herzog Alessandros von Bandinelli, der David Donatellos, der einst in der 
Mitte des Säulenhofes stand, und den Lorenzo und Giuliano dei Medici 1476 den 
Operai des Palazzo Vecchio schenkten, und zahlreiche andere Bildwerke, die jetzt 
in verschiedenen Florentiner Museen untergebracht sind, könnten, wie einst, zum 
Schmucke des fürstlichen Hauses der Medicäer, seines Gartens und seines Hofes Ver- 
wendung finden. Hoffen wir, daß der Tag nicht mehr fern sei, an dem wenigstens 
einige der jetzt in Museen, Palästen und Gärten der Stadt zerstreuten Kunstschätze 
der Medici wieder in die Räume zurückkehren, für die sie geschaffen wurden. 


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Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 6. 17 223 


BILDFORMAT UND KOMPOSITION IN 
RAFFAELS STANZEN Von ERICH EVERTH 


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as Bildformat beschreibt so gut eine Linie, wie irgendeine lineare Form im Bild, 

es ist sogar die größte Linie, die das Bild aufweisen kann, und ist außerdem 
die letzte, die Randlinie, die wie eine Silhouette stark spricht; sie wirkt also be- 
sonders, auch wenn sie nicht besonders beachtet wird. Zu dieser Linie können 
und missen die Linien im Innern des Bildes in ein erträgliches Verhältnis gebracht 
werden sp gut wie dort die Linien untereinander; zumal in einer Linearkompo- 
sition, die wesentlich mit großen Richtungen und nicht mit Farben oder mit Licht- 
führung komponiert. 

Raffael führte die klassische italienische Linienkomposition auf ihren Gipfel. Er 
hatte im kleinen wie im großen ein Gefühl für die behutsame Begegnung von 
Linien, wie es nur einmal dagewesen ist; also daß sie sich gleichsam höflich 
treffen, sei es, daß sie sich sacht aneinander anlegen oder eine Strecke weit neben- 
einander gehen oder von fern mit Rücksicht, einander verwandt oder korrespan- 
dierend, jedenfalls wie mit tiefem Einverständnis ihre Bahnen ziehen und sich niemals 
stören. In seinem Raume stoßen sich nicht hart die Sachen, sondern fühlen sich 
wohl und konfliktlos, miteinander verträglich. Es ist etwas Verbindliches, Glück- 
liches in diesen Linien, so wie man sich die Gebärde des Malers ungemein urban 
vorstellen wird. 

So ist von vornherein kein Zweifel, daß bei ihm auch die Eigenheit des Formats 
stets besonders in Obacht genommen sein wird, daß nicht nur kein Gedränge ent- 
steht, die Anordnung der Figuren sich der Begrenzung anpaßt und keine Friktion 
der Linien am Rande eintritt, sondern daß auch von weit aus dem Innern des 
Bildes her allerlei feine Bezüge sich finden werden, gleichsam hinüberwinkende 
Grüße, und daß das ganze Bild in seinem Liniengefühl unausgesetzt unter dem 
Eindruck des ganzen soundso begrenzten Bildraumes stehen wird. Am deutlichsten 
mußte das werden an seinen großen Wandbildern, wo ihm die innere Einheit mit 
der Wand besonders angelegen sein mußte und wo die umfassende Kontur des 
Ganzen besonders groß war. Und da in den Stanzen nicht das gewöhnlichste For- 
mat der Malerei, das Rechteck, sondern ein anderes vorherrscht, so wird der Fall 
noch prononzierter. Was ist in diesem Falle zu erwarten? Daß Rundformen, 
kleine und große, im Innern des Bildes der dominierenden Rundform antworten 
werden, parallel oder im Gegensinn, jedenfalis ähnlich in Form und Ausdruck — 
gerade bei monumentalen Bildern sind Parallelismus und Kontrast ausgiebig ver- 
wendete Mittel — weiter aber, daß die Mitte, wenn auch nicht das genaue 
Zentrum des Kreises, und die Radien sich geltend machen werden und wieder 
namentlich die Durchmesser, die parallel zu der Grundlinie liegen oder senkrecht 
auf ihr stehen. Sehen wir zu. 

Ein großes Schema geht durch die Stanzenbilder hindurch, eine Halbkreisanord- 
nung der Figuren nach hinten, wobei dieser Halbkreis natürlich auch in der Fläche 
als Richtung sich bemerkbar macht. Dieses große Thema tritt zuerst in der Dis- 
puta am stärksten, weil am frischesten und vielleicht naivsten, und jedenfalls am 
reinsten hervor. Später behielt er es im Grundzug durchaus bei, ergriff es also 
wohl bewußt, mußte es aber variieren und dabei in natürlicher Entwicklung kompli- 
zieren. In der Disputa ist es noch unverhüllt und ohne Finessen. Sie zeigt 
sich auch hierin als das jugendlichste von den Bildern. Aber sie war schon durch 


224 


ein gewaltig erhöhtes Feingefühl den Werken der Vorgänger überlegen und auch 
seinen eigenen frühesten Sachen. Weder Perugino noch Francia, diese beiden Fein- 
fühligen, kamen in ähnlichen Formaten auf jenen formalen Gedanken; z. В. in Peru- 
ginos Tapferkeit und Mäßigung (im Collegio dei Cambio in Perugia) wurde eine 
Reihe stehender Figuren in einer Ebene vorn unten entwickelt, darüber zwei 
Sitzende im Bogen, aber nicht nach hinten ausgewölbt, sondern alles vorn flach. 
Und ähnlich vergleiche man nur die beiden Sposalizii von Perugino und Raf- 
faei und man wird sich überzeugen, wieweit auch in dieser Hinsicht schon das 
raffaelische Jugendwerk dem Lehrer überlegen ist (wie es überhaupt allerlei Rund- 
formen an das Format anklingen läßt). So einfach das Bild einerseits ist, so voll und 
gleichsam ausschöpfend ist doch der Raum ausgemessen und angeeignet, den 
der Betrachter sich fast von selber an Hand des Formats und diesem entsprechend 
nach hinten begrenzt; denn wenn man ein Halbkreisformat vor sich sieht und dann 
im Bilde überhaupt in die Tiefe gegangen wird, dann kommt man auch dort der 
Ähnlichkeit. nach, auf eine runde Sphäre, und dadurch klingen auch die Hauptlinien 
harmonisch zusammen — wie eine Sphärenharmonie in der Tat. In den folgenden 
Bildern bleibt die stille Stimmung nicht, so werden denn auch gewisse formale 
Modifikationen im Hauptthema nötig, als das Orchester gewaltiger aufrauscht. Die 
weiche Rundung aber, die auch dann noch blieb, kam Raffaels harmonischer Natur 
auch dann zurecht. So wie Beethoven oft in grellen Dissonanzen selbst noch Har- 
monien findet, die dem heutigen Hörer in ihrer Mildigkeit fast schon sogleich den 
Trost zu enthalten scheinen. 

Für eine möglichst augengemäße Komposition größten Stils ist ein solches Aus- 
biegen nach hinten und oben der denkbar befriedigendste Weg. An einer solchen 
weichen und gleichsam ausweichenden Kurve kann man sanft entlanggleiten, sie 
stellt sich nicht breit und hart in den Weg; auch beschreibt das Auge bei seit- 
lichen Bewegungen gern Kurven nach oben und sieht selbst eine hochliegende 
Horizontale wie den First eines Hauses leicht in dieser geometrisch-optischen Täu- 
schung. Und der Bezug auf das Format gibt dem Werke das Zusammenhängende, 
Feste, Klassisch - ruhige, Dauernd - geordnete, ja streng Monumentale, wie sich das 
auch bei der Größe des Formats besonders schickt. Aber wie in aller Beherrscht- 
heit zugleich ein freies Moment liegt, so auch hier, zumal bei diesen sanften Kurven 
und leichten Schwingungen; es gibt härtere Linien und schwerere Formate, die 
ebenso monumental wären, die aber nicht das apollinische Element enthielten, das 
hier dem Monumentalen beigemischt is. Und wenn man schon durch den Zu- 
sammenhang jener Tiefendominante mit der Hauptbegrenzungslinie des Randes 
mehr genötigt wird, das Ganze einheitlicher zu überblicken als wohl sonst, so faßt 
gerade die Kreisform besonders einheitlich zusammen. 

Die Disputa. Die vielen einzelnen Gestalten im oberen Kranze würden in einer 
geraden Reihe entwickelt keinen so logischen Abschluß vorne finden, sich unter- 
einander nicht so nahe kommen und also keine so geschlossene Gesellschaft bilden. 
Gerade in diesem ersten, jugendlichen Bild ist ja noch ein Vielerlei, das sonst zer- 
splittert wirken könnte. Durch diesen deutlichen halben Ring dort oben wird ferner 
die entsprechende Anordnung unten im selben Sinne geklärt. Und dazwischen die 
Bodenlinie läßt Raffael auch nicht gerade verlaufen, sondern wieder geschweift, mit 
Bezug zu dem oberen Linienthema, das außerdem schon oben vielfache Begleitung 
-erhält — durch die tragenden Wolkenstreifen und die Engel unten und oben, die 
oberen dabei in schräger Körperhaltung, dem Schwunge des Kreises dort folgend. 
Unter dem Scheitel des Bogens erscheinen in senkrechter Folge Gott Vater, Christus, 


225 


die Taube des Geistes und der Altar; der letztere etwa im Zentrum des ganzen 
Kreises und die Taube in ihrer runden aura ungefähr im Mittelpunkt des Bildes — 
die Konzentrierung um eine Mittelachse und einen Zentralpunkt ist nicht nur all- 
gemein besonders monumental, weil einfach, streng, ruhig und im Gleichgewicht, 
sondern erwächst hier sozusagen aus dem Wesen des Kreises. Eine besondere 
kleinere Rundform, ein Glorienhalbkreis parallel dem Bildrand, umschließt Jesus mit 
seinen beiden Nebenfiguren. Langweilig kann es nicht werden, weil die verschie- 
denen Halbkreise nach unten und oben sich im Gegensinn senken und beben und 
sich auf diese Art antworten und nicht bloß wiederholen. Trotzdem erfrischt die 
ebene horizontale Grundfläche mit ihren immer wieder unterstrichenen Wagrechten, 
die etwa an den dort liegenden Durchmesser des Kreises anklingen (ebenso mit 
dem Holzgeländer und der Steinbrüstung links und rechts) und gleicherweise ihre 
radial ausstrahlenden Querstreifen, die ein breites, ruhiges Flächenmuster bilden. 
Also: fester Boden unter den Füßen neben ali dem Schweben, das aber dem 
schwingenden und kreisenden Rund des Formats zuinnerst verwandt ist. 


Parnass. Hier nur eine Reihe von Menschen, rings dem Bogen entlang 
und zugleich nach hinten geführt. Ebenso die drei Bäume. Wenn etwas davon 
die Tür, die unten in der Mitte hereinschneidet, nahe legt, so erklärt sie zum min- 
desten nicht das, weshalb der Ring sich auch vorn noch nach innen zu rundet, 
weshalb die obere Kopfreihe dem Scheitelbogen umgekehrt antwortet und warum 
Apollo mit seinem Baum genau unter dem Scheitelpunkt sitzt. Die symmetrische 
Verteilung der beiden anderen Bäume verstärkt die Zentralkomposition. Es sind 
geschmeidige Drehungen in den einzelnen Körpern und besonders viel Kurven in 
den Gewändern, so daß alles unter dem Eindruck des absonderlichen, um die Tür 
herum geschwungenen Bogenformates und zugleich aus dem Geiste der Musik ent- 
standen scheint. 


Die Schule von Athen ist eckiger, gerader, energischer, der Maler war herber 
und männlicher geworden, aber der große Bogen diktierte ihm doch. Es zeigt sich 
der Halbkreis nach hinten in der Gesamtanordnung der Figuren; die vordere Reihe 
trifft den Randbogen beiderseits mit einer verwandten Schwingung, führt nach innen 
und ist in der Mitte offen — der Mann mit der Kiste ist nur in den Weg gewor- 
fen, um das Exempel zu komplizieren, die einzige Dissonanz im Bilde; daneben 
sind in der Mitte Überleitungen schräg nach hinten zu da, bis zu der Stelle, wo 
auch die hintere Reihe sich in der Mitte nach hinten ausbiegt. Die ganze Archi- 
tektur geht in der Mitte mächtig zurück, und dreimal klingt dort, perspektivisch 
nach hinten heruntergehend, je ein großer tiefer Bogen an den Rahmenbogen vorn 
an (auch die perspektivische Senkung der Architrave faßt man gern als Gegenrich- 
tung zu der steigenden Wölbung vorn auf). Dem ersten Bogen begegnet im 
Gegensinn das runde Gesims einer Kuppel, unter dem große runde Medaillons der 
Wand eingefügt sind. Auch die Kassettenfüllungen der großen Bogen sind zwar 
eckig, doch von einer dem Runden angenäherten Form. Apoll und Minerva zeigen sich 
in ihrer Haltung mit Lanze und Leier durch die Neigung des nahen Rahmenbogens 
bestimmt. Der Boden im Vordergrunde prinzipiell wie in der Disputa; und auch 
die Isokephalie der hinteren Personenreihe ist hier im Sinne des wagerechten Durch- 
messers empfunden. Im senkrechten Radius des großen Bogens stehen die Haupt- 
personen, links und rechts von ihm, also gleichberechtigt (keiner in der Mitte und 
der andere etwa neben ihm) aber nicht im Zentrum des Kreises, damit sie mehr 
ins Zentrum des Bildes kommen. 


226 


Stärke, Weisheit, Mässigung. Die Verteilung der Körper und die Schiebung 
der Glieder, namentlich der Beine, entsprechen dem Format. Das Bild ist auch 
nicht so flach, wie manche meinen, die mittlere Figur ist deutlich nach hinten ge- 
rückt, übrigens genau in der Mitte, und um die Beine der beiden Seitenfiguren 
lagern derartige Schatten, daß diese Beine stark herausmodelliert nach vorn kommen, 
die der mittleren Gestalt dagegen weit weniger. Kurven sind überall, in den 
Leibern der Engel und in den Geräten, im Fackelhorn wie im Zaumzeug und in 
dem Eichenzweig. — Die Hand, die die Aufgabe fühlte, dieses niedrige Bogenseg- 
ment auszumalen, wo der Bogen des Randes überall nahe war, kam von dem 
Einfluß dieser Rundung nicht wieder los. 

Die Vertreibung des Heliodor. Wieder der Schwung im Halbkreis in die 
Tiefe und aus der Tiefe hervor, symmetrisch rechts und links vorn Gruppen, in der 
freien Mitte zieht der betende Papst das Auge nach hinten und die Figur auf dem 
Säulensockel hilft dazu; und zwar von links nach rechts führt das Auge dabei eine 
Kreisbewegung aus, schon von der vorderen Gruppe links nimmt die Kniende es 
schräg mit sich hinein und rechts dringt die Reitergruppe hervor aus der Tiefe, 
wieder genau in der entsprechenden schrägen Richtung; so ist die Bewegung, auf 
deren starken Eindruck hier alles abzielt, einheitlich und groß, der ausholende 
Schwung kommt der Darstellung des Geschehnisses zugute, beschreibt aber im 
Grunde dieselbe Form wie in der Disputa. Nur der Papst vorn und seine Träger 
stören auch in diesem Betracht, sonst bleibt das aufgeregte und machtvoll geballte 
Bild, in das auch das Licht besonders energisch eindringt, dennoch dem Eindruck 
jener großen Kurve untertan. Ja, dieses mehr malerische Bild mit den starken 
Schatten enthält überhaupt eine besonders kräftige Empfindung für die Raumwöl- 
bung nach hinten und zeigt auch deshalb jenes Schema so ausgeprägt. „Die ein- 
rahmenden Bogenlaibungen sind mit plastisch-illusionären Schatten behandelt“, sagt 
Wölfflin; es war also auf den Bogen besonders geachtet worden. Die Architek- 
tur vertieft sich ebenfalls von beiden Seiten her perspektivisch nach der Mitte zu 
und weiß kaum genug zu tun an Repliken der Wölbung; in der Mitte sowohl wie 
an den Seiten gibt sie mehrmals große runde Säulen an wichtigen Stellen und nicht 
eckige Pilaster (wie die Schule von Athen, die das Kräftige im Herben suchte, es 
ausschließlich tat) und führt das Motiv der Rundung bis in die kleinsten Abmes- 
sungen durch; Beispiel: die zwei achteckigen Unterbauten am Altar und seine ab- 
gerundete Decke, der Leuchter und die Voluten dem Papst gegenüber. Und der 
Fußboden vorn greift diesmal gleichfalls zu Mustern, die in der Verkürzung sich 
der Rundung nähern und so bei ihren großen Flächen sehr viel Ruhe geben, wie 
man sie gerade in diesem Bilde braucht. Das Bild ist strenger und zugleich 
klingender komponiert als die Schule von Athen, harmonischer und doch im einzel- 
nen freier und wuchtiger. 

Die Messe von Bolsena. Die Figuren sind ähnlich geordnet wie im Parnaß, 
zum Teil ein Verdienst der Tür. Doch oben die dunkle Holzschranke, die sich mit 
solcher Entschiedenheit nach hinten schwingt und perspektivisch unter der Akme 
des großen Bogens antwortend sich nach abwärts senkt, war freie Erfindung und 
bindet nun, wie eine tiefe Baßbegleitung, den etwas unruhigen Rhythmus des not- 
wendig schiefen Bildes, das doch die Mitte nach Möglichkeit festhält. Und die 
ganze Architektur geht nicht nur durch die Verkürzung nach hinten zusammen, 
sondern verengt sich auch im Grundriß nach hinten; auch Bogen sind wieder da, 
einige noch vollständig sichtbare mit dunkel-wuchtiger Leibung sehr prononziert, 
andere höhersteigende noch angedeutet; dazu mehrmals runde Säulen. 


227 


Petri Befreiung. Abermals unten die Tür und zum dritten Male die Figuren 
so, daß sie auch unten das Bild gleichsam einwärts runden. Diesmal aber unter 
dem Scheitel des Rahmenbogens ein mächtiges Tonnengewölbe und das ganze Bild 
auf diese Weise zentral vertieft; denn die mächtige Breite der das Kerkergewölbe 
tragenden Pfeiler füngt den Blick stark ein, und die seitlichen Öffnungen sind nur 
klein. Entsprechend auch die inhaltliche Hauptsache, die eigentliche Befreiungs- 
szene, wo auch die stärkste und größte Helle scheint, zentral, die anderen beiden 
nur „Nebenszenen“; und der Weg des Befreiten heraus deshalb nicht einfach, son- 
dern um das mittlere Feld nach vorn herumbiegend. Im Innern des Gewölbes die 
runde Glorie des Engels, und die drei irdischen Personen unten in einer Kurve 
hingeschmiegt, die der Tonnendecke des Gefängnisses strikte antwortet. Wer hier 
an Zufall glaubt, mags tun und mag auch an der lichten Mandorla des Engels 
rechts vorbeisehen, ohne sich zu freuen, wie sie und der Rahmen sich begegnen. 
Das Bild ist Raffaels malerischstes, aber auch die Lichtphänomene weiß er im 
eigentlichen Sinne des Wortes in seine Kreise zu ziehen. Daß links der sonst gern 
auch nach hinten geschlossene Raum sich dennoch öffnet, gibt um so kräftiger den 
nötigen Eindruck, daß es ins Freie geht, ein Ausbruch geschieht. 

Begegnung Leos I mit Attila. Dieses Bild ist entstanden, als schon Leo X. 
Papst war, als Raffael also vielfältiger in Anspruch genommen wurde und sich den 
Stanzen immer weniger widmen konnte, Nun wird auch von unserem Gesichts- 
punkt aus „alles anders“, der bekannte Qualitätsabsturz tritt auch bei dieser Be- 
trachtungsweise hervor. Die Landschaftssilhouette begegnet dem Rahmen ohne 
Verständnis, die Mitte ist kaum ausgezeichnet und höchstens die linke Gruppe reiht 
sich so in den Hintergrund hinein, wie man es von Raffael hätte erwarten können; 
rechts galoppieren entsprechend zwei Rosse schräg hinein, doch das ist alles. 

Der Borgobrand, wo Raffael im einzelnen wohl mehr gehört, doch ganz nicht 
einmal der Karton, wird in der Architektur scharf verletzend. Nicht nur das archi- 
tektonische Ragout im Hintergrunde ist vom Übel, sondern auch vorn wird an die 
edie Schwingung des Rahmenbogens angestoßen, daß man es knirschen hört. Dieser 
Grad von künstlerischem Durcheinander kann nicht als legitime Charakterisierung 
der zu schildernden Zerstörung gelten — auch das Heliodorbild ist dramatisch und 
ist gerade durch die höchste Form und Notwendigkeit zu stürmender Stoßkraft ge- 
ballt. Es hätte freilich hier noch schlimmer werden können, wenn die Öffnung in 
der Architektur nach hinten zu nicht auch hier noch wieder in der Mitte gegeben 
wäre, wenigstens ungefähr. (Bisher waren alle Architekturen streng zentral ge- 
stellt, weil Kreisformate die Mittelachse besonders festzuhalten streben; und am 
weitesten nach hinten ging es in der Mitte, weil dort die ideell ergänzte kreisför- 
mige Begrenzung der Tiefendimension am weitesten Spielraum gibt.) Die einzelnen 
Bogen nun und Rundformen, die im Borgobrande vorkommen, wird kein Mensch 
bewerten und ableiten wie in den früheren Werken. Auch ist zum erstenmal der 
Rahmen als Kulisse angesehen, dergestalt, daß es hinter ihm rechts und links noch 
von Menschen wimmelt. Niemals vorher in den Stanzen ist man so zum Vollzug 
dieser unangenehmen Vorstellung gezwungen — als wären Rahmen und Bildinhalt 
nur zufällig aneinandergeschoben, als entzöge der Rahmen eigentlich dem Auge 
einen Teil des Bildes. An solchen dissonierenden Gegenbeispielen wird man erst 
inne, wie die Disputa mit ihren abgemessenen Sphären gleich einer Glocke klingt 
und die anderen meisten Bilder in derselben Form abgestimmt sind. 

Über die Seeschlacht von Ostia, wo Raffaels Beteiligung man möchte sagen 
unter Null war, lohnt es unter keinem Gesichtspunkt mehr zu reden. Im Attilabild 


kamen die Randfiguren wenigstens hinein ins Bild und alle strömten immerhin der 
Mitte zu, und im Incendio gehen die bedeutendsten und raffaelischen Motive am 
Rande rechts und links hinein ins Bild; nichts davon hier. Wie haft auf einmal 
der Bogen das Bild abschneidet, da gar nichts Korfespondierendes mehr drinnen 
ist! Das „gut Abgeschnittene“ eines Bildes liegt dagegen doch gerade darin, daß 
überhaupt das Abschneiden nicht gemerkt wird. 

Der Reinigungseid Leos III. wird hier nur erwähnt, weil sein Autor sich die 
Messe von Bolsena ad hoc angesehen und nicht verstanden hat; er möchte ab- 
schreiben und kann selbst das nicht mehr, denn statt die Figurenreihe in einheit- 
lichem Bogen hinauf und nach hinten zu verteilen, reißt er sie auseinander und 
gewinnt nur kantige Gruppenprofile. 

In der Krönung Karls des Großen gar ließ der Maler sich von der Türe so 
ins Bockshorn jagen, daß er mit der Hauptsache bis an den gegenüberliegenden 
Rand wich. Die edle Bogenlinie des Randes fällt als das einzig Anständige an dem 
Bilde um so mehr auf, als drinnen alles schwunglos, ihr so fremd wie möglich, 
weil schräg und schief und zickzackig ist. (Beispiele und Gegenbeispiele, und die 
letzteren bestätigen den Wert der ersteren noch einmal scharf!). 


(1) Ein Kompositionsschema hat in den Stanzen schon Böcklin gefunden, aber noch nicht den Bezug 
auf das Rundformat durch entsprechende Tiefenbegrenzung, Betonung des Zentrums und runde Einzel- 
konturen. Auch paßt sein Schema auf viel frühere Werke Raffaels besser (Krönung der Maria im 
Vatikan, Madonna mit Heiligen in New York); schon am Sposalizio dagegen finde ich Bedeutendes 
in der Rücksicht auf das Format geleistet, wie denn überhaupt jenes Böcklinsche Schema für bestimmte 
Formate besonders geeignet ist und unter keinen Umständen als „das alte Motiv der Florentiner“ be- 
zeichnet werden kann, wie er es tut; im oberen Teil der Raflaelischen Dreifaltigkeit (San Severo in 
Perugia) dämmert das Raumthema der Disputa sum ersten Male. Böcklin sagt bei Floerke (a. Aufl., 
8.179): „Wie Raffael während der Arbeit lernte, sieht man deutlich in den Stanzen. Das alte Motiv 


der Florentiner С ist во gut wie bei Fra Angelico ete. sein Kompositionsrückgrat bei diesen Wand- 


bildern. In der Disputa liegt es noch völlig nackt und naiv da. In der Schule von Athen hat er 
dies Hervortreten des Schulknochengerüsts gemerkt; der Witz bleibt zwar im wesentlichen derselbe, 
aber er ist nicht mehr so simpel für jedermann affichiert. Er versuchte ihn zu verdecken durch Auf- 
lösen oder Zerstreuen der großen, die Komposition bildenden Glieder. Sonst haben wir wiederum die 
untere, von beiden Seiten hinaufgebaute Masse, und die obere, іп deren Mitte, wie dort der hi. Geist ètc., 
hier der lichte Bogen mit den zwei Figuren. Aber hierbei merkte өг, daß das Ding unsubig geworden 
war, und nun machte er den Heliodor fast auf der gleichen Kompositionsbasis, aber frei, unabhängig 
und so groß und breit in den einzeinen Versatsstücken und Figuren, daß hier niemand mehr das 
Rechenexempel sieht, und wer es findet, freut sich über seine geniale Einfachheit und Feinheit.“ 


UNBEKANNTE KUPFERSTICHE DES 
15. AHRHUNDERTS IN DER STADT BIBLIO- 
THEK ZU BERN Von C. BENZIGER 


Mit drei Abbildungen auf einer Tafel . „cee eee eee eee eee eee eee e eee 


ie Berner Stadtbibliothek besitzt in ihren Sammlungen eine lateinische Perga- 
menthandschrift aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die nebst einigen 

Fragmenten vorab Werke des Sallust enthält). Der kleine Oktavband scheint 
oberitalienischer Herkunft zu sein, gewisse Anzeichen der Schrift und die elegante 
Illuminierung der Initialen deuten auf Venedig hin. Wir werden in dieser Annahme 
noch bestärkt, wenn wir Einband und Innenseite der mit Kupferstichen ganz über- 
klebten Buchdeckel betrachten. Jedenfalls war der erste Besitzer der Handschrift 
ein kunstliebender Bücherfreund, der auch für eine der schönen Textschrift ent- 
sprechende Hülle besorgt war). Die einfache geometrische Punzenarbeit des Leder- 
einbandes findet sich in Venedig in dieser Zeit häufig und der Kupferstich mit dem 
Markus-Löwen des Israhel von Meckenem, der allem Anschein nach gleichzeitig 
eingeklebt worden ist, bestätigt nur das Gesagte. Er dürfte, wie auch die übrigen 
sechs Blätter, aus der Mappe eines deutschen Buchkünstlers stammen, der, wie 
zahlreiche seiner Berufsgenossen, sich in damaliger Zeit in der Lagunenstadt auf- 
hielt. Zudem liebte es die Frühzeit, zur Ausschmückung leerer Innenflächen von 
Bucheinbänden diese mit Illustrationen zu überkleben; Vorsatzpapieren gleich bildeten. 
sie einen wesentlichen Bestandteil des vornehm ausgestatteten Buches. Eine große 
Zahl unserer wertvollsten Bilderinkunabeln sind uns auf diese Weise erhalten ge- 
blieben, ihrer langen Reihe schließen sich auch die nachgenannten Kupferstiche an. 

Vier Blätter sind bereits bekannt und zum Teile vielfach beschrieben, wir be- 
gnügen uns dieselben hier der Vollständigkeit der Standorte halber kurz anzuführen. 

Meister von 1462. | 

Vogel-fünf. B. Lehrs I. 188. Die Karte wurde vertikal durchgeschnitten und die 
linke Hälfte unter die rechte geklebt. 

Tier-zwei. A. Lehrs I. 177, 38. 

Israhel von Meckenem. 

Der Pelikan. B. X. 114, 14. Geisberg, 437. 

Der Markus-Löwe. Lehrs II. 263, 187a. B. VI, p. 46. Cop. P. II. 63, 187 Cop. 

Die bisher unbeschriebenen und nicht bekannten Blätter lassen wir hier mit den 
nötigen Angaben versehen folgen, wir werden uns bemühen, dieselben nach den 
Gesichtspunkten des Lehrschen Oeuvrekataloges darzustellen“). Wenn uns auch 
von den ältesten Kupferstechern nur die wenigsten mit Namen und Daten über- 
liefert sind, so lassen sie sich doch durch ihre Technik mit annähernder Sicherheit 
derart gruppieren, daß wir wenigstens einen Überblick über einzelne Ateliers und 
Schulen erhalten. Im vorliegenden Falle scheint es mir ziemlich leicht die Schule, 
nicht aber den Meister zu bestimmen. Daß die zwei zunächst zu beschreibenden 
Stiche in den Kreis des Meisters der Spielkarten gehören, darüber dürfte kein Zweifel 


(х) Н. Hagen, Catalogus Codicum Bernensium, Bernae 1875, р. 93, Mscpt. A. 70. 

(2) Die einzigen Einträge, welche sich in dem Buche befinden, lauten auf die Namen: Victorius Crinotus 
und Wolffgang Celer (Schnell), die aber vermutlich nicht die anfänglichen Besitzer waren. 

(3) Für die Bestimmung bin ich Herrn Geheimrat M. Lehrs und Herrn Dr. E. v. Mayenburg zu be- 
sonderem Danke verpflichtet. Die Abbildungen wurden in Originalgröße ausgeführt. Sämtliche Originale 
sind auf verschiedenem Papiere gedruckt und besitzen keine Wasserzeichen. 


230 


bestehen. Wenn wir uns aber entschlossen haben, sie in dieser Gruppe dem 
Meister von 1462 zuzuschreiben, so geschah es mit Rücksicht auf das Urteil von 
Autoritäten, die sich eher für diesen Künstler entschieden haben. | 

Über das Leben des Meisters von 1462 bleiben wir ohne jede Nachricht, wahrschein- 
lich war er niederrheinischer Herkunft; er scheint sich aber vielfach auf Wanderschaft 
herumgetrieben zu haben, wenigstens finden wir Spuren seiner Werke an den ver- 
schiedensten Orten, selbst in Italien. Lehrs schildert ihn als den dem Meister der 
Spielkarten zunächststehenden Künstler, wir teilen diese Ansicht vollends; ein Ver- 
gleich unserer beiden Stiche mit den 20 bisher dem Meister von 1462 zugeschrie- 
benen Blättern hat uns in dieser Ansicht nur bestärkt. 

Simson zerreißt den Löwen. | 

Die Darstellung bezieht sich auf eine biblische Episode aus der Geschichte der 
Brautwerbung Simsons. Darnach wurde der Held auf seiner Brautreise von einem 
Löwen überfallen. In seiner übernatürlichen Stärke bemächtigte sich Simson also- 
gleich des Tieres und zerriß es, „wie man ein Böcklein in Stücke reißt“. Simson 
sitzt ein wenig nach rechts gewendet mit gekreuzten Beinen auf dem erbeuteten 
Tiere. Sein krauses Haupthaar, das von einem breiten Bande gehalten wird, um- 
flattert das bartumrahmte Antlitz. Der Riese macht sich eben daran, die Kehle 
des Löwen aufzureißen, nachdem er dessen Schweif sorgfältig um den linken Arm 
geschlungen. Gegen diese gewaltsame Behandlung scheint sich der Löwe, der den 
Bezwinger scharf beobachtet, mit Kraft entgegenzustemmen. Ein üppiger Rasen- 
teppich breitet sich zu ihren Füßen aus. Simson trägt ein lang herabwallendes 
Kleid, das mit derselben Einfassungsborde versehen ist, wie sie sich auch am 
Kleide eines Begleiters in der Darstellung der Grablegung vom selben Künstler 
(Lehrs Taf. 20, Nr. 58) vorfindet. Das Blatt, dessen Plattenrand ror >< 75 mm mißt, 
gehört zu den besten Arbeiten des Meisters. Wir haben hier im Gegensatz zu den 
zahlreichen Kopistenarbeiten zweifellos ein Original vor uns!). Die tiefe Schwärze 
des Druckes hat in nichts gelitten, wie auch die Feinheiten der Stichelarbeit zu 
ihrer vollen Geltung kommen. Es ist auffallend, daß der Stich sich mit keinem 
anderen Blatte desselben Meisters direkt vergleichen läßt, wiewohl zeichnerische 
wie technische Verwandtschaften sich nachweisen lassen. Die meisten Annäherungs- 
punkte finden sich eben nur vereinzelt in den Bildern wieder, wie z. B. die vom 
Meister mit Vorliebe verwendete Punktierarbeit, die einzig an der Rückseite des 
Löwen angewendet wird. In der Behandlung des Haares weist der Simsonstich 
einen großen Fortschritt auf, die etwas harten Stränge erhalten nunmehr eine Weich- 
heit, die der frühe Kupferstich nur selten erreichte. Auch die Faltung des Gewandes 
bekommt mehr Modulation, als wir bei den meisten übrigen Bildern des Künstlers 
zu sehen gewöhnt sind. In der Zeichnung verlieren sich zwar die auch bei den 
übrigen Stichen beobachteten Härten und Disproportionen nicht, allein die zweck- 
mäßige Anordnung in der Komposition, die sicheren Konturen, die gut gewählten 
Schwarz-weiß-Effekte bewirken einen sehr günstigen Gesamteindruck. 

Vogel-drei-Karte. 

Das zweite, ebensogut erhaltene Blatt stammt aus einem Kartenspiel. Es bildet 
eine Variante zu einer bereits bekannten Vogel-drei-Karte, deren Vögel aber 
einer anderen Gattung angehören. Das Blatt bringt drei verschiedene Eulen, alle 
freistehend, von denen mir die obere besonders gut gelungen zu sein scheint. Eine 


(1) Das Simson-Sujet war in der mittelalterlichen Kunst sehr beliebt, auch in Kupferstichen fand es 
Verwendung. Vgl. Lehrs, der Meister mit den Bandrollen, Dresden 1886, S. 29. сй 


231 


weniger gute Ausführung desselben Vogels findet sich in einer Vogel-sechs-Karte 
(Lehrs I, S. 188, 62). Der Stich wurde leider beschnitten, so daß der Plattenrand 
nicht mehr erkenntlich ist, die Blattmaße betragen 89 x 58 mm. Unsere Karte 
zeichnet sich durch einen besonders kräftigen Druck aus, dank einer außerordent- 
lich feinen und dichten Strichführung bewirkte der Stecher ein fast reliefartiges 
Hervortreten der Bilder. Wir schreiben das Blatt der Schule des Meisters der 
Spielkarten zu, möchten es aber weniger bestimmt ftir eine Arbeit des Meisters 
von 1462 ansehen, in jedem Falle wird damit die bereits stattliche Sammlung spät- 
mittelalterlicher Karten um ein schönes Stück vermehrt?). 

Ein drittes und letztes Blatt unserer Sammlung, zwei Ornamentblumen dar- 
stellend, weist Max Lehrs dem Meister des Dutuitschen Ölbergs zu, dessen 
Strichweise sich mit der des Stechers unserer Platte zu decken scheint. Es handelt 
sich dabei um das Original zu der Kopie vom Meister der Marter der Zehntausend ), 
der dasselbe Blatt im Spiegelbilde ausgeführt hat. Das Blatt, das 89 >< 48 mm 
mißt, befindet sich in gutem Zustande. Ursprünglich dürfte dasselbe als Vorlage 
für ein Goldschmiedewerk hergestellt worden sein, von dem uns bereits andere 
ähnliche Ornamentstiche bekannt geworden sind, und dessen Blätter sich im Ger- 
manischen Museum zu Nürnberg und im Kgl. Kupferstichkabinett in München be- 
finden. Der Stich bietet mehr Interesse durch die Zeichnung als durch seine bloße 
Technik. Die eigentümliche, etwas unruhige Linienführung in der Stilisierung dieser 
Phantasieblume, die aus einem palmenartigen Gewächs zwei ebenso sonderbare 
Blumen, eine Blüte und eine Knospe, treibt, legt für ein ganz besonders dekorativ- 
künstlerisches Empfinden Zeugnis ab. Wir brauchen uns daher nicht zu verwundern, 
wenn so hervorragende kunstgewerbliche Zeichnungen in jener Zeit der Blüte der 
Goldschmiedekunst infolge großer Nachfrage auch ihre Nachstecher erhalten haben. 


(x) Vgl. Lehrs, Geschichte und kritischer Katalog des deutschen, niederländischen und französischen 
Kupferstichs im 15. Jahrhundert, Wien 1908, Bd. I, 8. 109 ff. 
(2) Vgl. Lehrs, Katalog der im German. Museum befindlichen deutschen Kupferstiche des 15. Jahr- 
hunderts, Nürnberg 1887, S. 25, Nr. 78, Anmerkung, und W. Schmidt, Die Inkunabeln des Kupferstiches 
im Kgl. Kabinett zu München, München 1887, 8.7, Nr. 25. 


232 


EINE ZEICHNUNG J. CALLOTs in der 
Kgl. Graphischen Sammlung zu München. 
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel. 

Ein glücklicher Zufall ließ mich die hier mit 
gütiger Erlaubnis der Direktion der Kgl. Graphi- 
schen Sammlung (München) abgebildete schöne 
Zeichnung finden (Abb. 1). Sie lag unter den un- 
bekannten Franzosen und Italienern des 17. Jahr- 
hunderts. Das ganze Papier (0,38 cm X 0,27 cm) 
ist von einem braunen Öl durchtränkt, an einzelnen 
Stellen, namentlich rechts und in der Mitte, be- 
schädigt; viele größere Risse sind mit Zeitungs- 
streifen ausgeflickt. 

Die braun getuschte, weiß gehöhte Pinselzeich- 
nung, die nur selten die Vorzeichnung in schwarzer 
Kreide erkennen lässt, stammt laut Stempel der 
Rückseite aus altem Mannheimer Besitz!). Jene 
ölige Beschaffenheit des Materials dürfte von dem 
stark plastisch aufgetragenen Weiß (Ölfarbe oder 
Gouache?) herrühren, möglicherweise auch von 
einer Grundierung in brauner Ölfarbe. 

Ein Blick auf die hier gleichfalls abgebildete 
(Abb. 2) Radierung Callots aus der „Großen Pas- 
sion“ (Meaume 18): „Kreuzerrichtung‘ — die einzige 
dieser Folge, die nicht vom Meister selbst, son- 
dern von Isr. Silvestre nach Callots Zeichnung 
radiert ist — orientiert uns. Unsere Zeichnung 
ist nicht die unmittelbare Vorlage zu Silvestres Ra- 
dierung, sondern eine, in vielen Einzelzügen ab- 
weichende, freiere und mehr großzügige Skizze im 
Gegensinn®). | 

Die Komposition ist im großen und ganzen die 
gleiche: In der Mitte der Vorgang selbst: Das Ein- 
rammen des Kreuzes, an das Christus schon fest- 
genagelt ist, dahinter die zuschauenden Wachen 
und Krieger, weiter rechts die Frauen, dann das 
Volk an und auf dem Hügel, rechts und links im 
Vordergrund die einschließenden Gruppen. Nur 
enthält die Zeichnung weniger Figuren und dafür 
weit mehr Leben und Bewegung. Neu und ganz 
anders gestaltet ist die prachtvolle Reitergruppe 
der linken Ecke mit der zusammengeroliten Stan- 
darte. Die nackten gefesselten Verbrecher der Ra- 
dierung fehlen. Hier, wie auch auf der abweichen- 
den Gruppe von Fußvolk und Reitern der rechten 


(з) Riickseits auch die Inventarnummer: 34713. Unten in 
der rechten Ecke die Zahl 635 (oder боз) in schwarser 
Tusche. 

(2) Es muß außerdem auch die nach Mariette (Abcedario I, 
8. 624) in Biel und Bister gezeichnete unmittelbare Vorlage 
noch vorhanden sein. Daß Callot des Öfteren mehrmals 
das gleiche Thema versucht hat, ist 'bekannt, wir können 
dies sowohl in den Radierungen wie bei den Zeichnungen 
feststellen. 


Ecke sind außerdem alle Figuren in lebhafter 
Aktion (galoppierende Rosse, das Hineinfihren 
eines Rosses, der erregt deutende junge Krieger, 
der Hauptmann zu Pferd usw.). 

Zu Füßen des in der Mitte liegenden Kreuzes 
sehen wir nur einen Mann beschäftigt, der breit- 
spurig dasteht, den Baumstamm niederdrückt und 
die Säge mit festem Griffe führt; die Radierung 
gibt (dort sind es zwei Arbeiter) gerade diese Funk- 
tion weit lahmer. Mit welcher Wucht saust ferner 
der muskulöse Arm des Söldners nieder, der den 
letzten Nagel in Christi linke Hand schlägt. Wie 
schwungvoll holt jener andere mit der Spitzhacke 
aus! Sind es hier auch die gleichen Motive und 
Figuren, so ist doch alles viel nerviger und prä- 
ziser gefaßt. Die beiden Schächer finden sich auf 
unserer Zeichnung im Hintergrunde neben jener 
gleichen Gruppe, die um die Kleider Christi wür- 
felt. Hier im Hintergrunde stimmt alles übrige so 
ziemlich überein; es wird aber die (auf der Ra- 
dierung weit kompaktere) Masse des Volkes zuletzt 
nur noch durch einige bloße Striche und Flecken 
dargestellt. Ganz freie Erfindung ist die italienisch 
empfundene weite Landschaft mit den phantasti- 
schen und doch so ruhigen Architekturen und der 
stark bewölkte Himmel, aus dem Blitze zucken. 
Es geht überall in die Tiefe. Wir werden von 
vorne nach hinten in die Vorgänge hineingeführt. 
Es wird eine weite Fernsicht geschaffen. Dabei 
ist die Zeichnung in der Komposition enger und 
geschlossener, auch mehr in die Höhe als in die 
Breite gebaut. In der Radierung werden wir zwar 
möglichst genau über jedes einzelne Motiv in- 
formiert, aber ihr fehlt die großartige elementare 
Wucht der Zeichnung, die die schrecklichen Vor- 
gänge zu einem seelischen Erlebnis werden läßt. 

Für Callot charakteristisch sind einmal: die Typen 
der Fahnen, der Pferdeköpfe und zum andern die 
abgerissene, ja vernachlässigte und doch so sichere 
Zeichnung der Extremitäten und das Arbeiten aus 
dem Dunklen ins Licht. Für ihn sind weiter 
charakteristisch: die in energisch abgesetsten Kon- 
turen dunkel gehaltenen, in die Handlung un- 
mittelbar einführenden Gestalten des Vordergrundes. 
Und weiter: dae resolut und keck, oft sehr dick 
aufgesetzte Weiß, mit dem die scheinbar flüch- 
tigen, aber bestimmt formgebenden Pinselzüge ver- 
stärkt und modelliert werden. 

Nirgends ist der Vortrag peinlich und ängstlich, 
Ohne Detailmalerei wird nur der Eindruck einer 
Erscheinung oder die Gewalt einer Aktion gegeben. 
Die Linien verlaufen nicht ruhig, sondern wir haben 


233 


äußerst energisch absetzende, dicke Pinselzüge, die 
die Konturen scharf umreißen. Über die Flächen 
aber wird das Weiß, scheinbar unbekümmert in 
dicken Lagen gegossen und zwar so, daß die 
Formen wie herausgehauen erscheinen. Dies Weiß 
wird hier in ähnlicher Weise zum Decken ver- 
wandt, wie auf anderen Zeichnungen die gleiche 
Wirkung durch Aussparen erzielt wird!). Nirgends 
finden sich leere Stellen. Alles ist intuitiv er- 
faßt, von gewaltigem Leben erfüllt und doch in 
knapper Synthese zusammengehalten. Relativ nüch- 
tern und leer erscheint dagegen die Radierung, 
die zwar den Absichten des Meisters zu folgen 
sucht, sie aber eigenwillig kleinlich verdeutlichend 
nicht umsetzt und so erklärt, sondern eher be- 
schränkt und verkleinert. Sie übersetzt gleichsam 


(1) Z. B. Zeichnung zum Bethlehemitischen Kindermord 
(Louvre) in blau und brauner Tusche. Kampf der Lapithen 
und Centauren (Uffizien), mehrere Landschaftszeichnungen 
dort und im Louvre. 


nur den äußeren Aufbau, nicht aber den inneren 
Gehalt unserer auffallend malerisch (etwa wie 
Callots Landschaften) erfaßten Skizze, deren hohe 
künstlerische Qualität außer Zweifel ist!). 
Technik und Material sind für Callot nicht un- 
gewöhnlich. Die Uffizien bewahren die Zeich- 
nungen von Edelfrauen und Kavalieren (Nr. 2487, 
2490 und 2491 z. B.), die in bläulich-violetter Tusche 
gepinselt sind. Auch schwarze und graue oder 
gelbliche Tusche kommt vor. Ein anderes Blatt 
(2651), das drei Reihen Bauerntypen zeigt, besteht 
in Feder, Tusche und weißer Gouache. — Auf 
Nr. 2493 der Uffizien ist mit Kreide auf graues 
Papier gezeichnet und weiß erhöht worden. Das 
sind nur Beispiele. Hermann Nasse. 
(х) Einzig Stef. della Bella, über den ich in Kürze eine 
Monographie erscheinen lassen will, könnte, wollte man 
Callots Urheberschaft bezweifeln, wegen dieser starken 


Betonung des Malerischen in Frage kommen. Allein alle 
angeführten Gründe sprechen gegen diesen und für Callot. 


REZENSIONEN CW. 


EMANUEL LÒWY, Die griechische 
Plastik. Tafelband mit 297 Abb. Text- 


band 154 S. 8°. Leipzig 1911. Klinkhardt 
& Biermann. 


Auf hundertvierundfünfzig kleinen Oktavseiten 
kann man nicht alles sagen über die griechische 
Plastik, was zu sagen ist; doch viel kann man 
sagen — nicht multa, aber multum — und das 
ist Löwy meisterlich gelungen. Der Ton seines 
Buches kündet von seiner Entstehung. Mit einem 
Kreise von nicht durchaus zünftigen Hörern hat 
Löwy vor den Schöpfungen der griechischen 
Meister gestanden — eben den Denkmälern, die 
auf den Tafeln abgebildet sind — und hat deren 
Verständnis im Moment persönlicher Hingabe 
durch die Kraft des aus dem unmittelbaren Kon- 
takt zuströmenden Wortes zu erschließen unter- 
nommen. Also nicht fortlaufend erzählte Ent- 
wicklungsgeschichte, sondern Analyse einer Reihe 
von Einzelwerken, die gleichwohl der Hauptsache 
nach unter den Gesichtawinkel der geschichtlichen 
Entstehung eingestellt sind und gleichermaßen 
auf ihren immanenten wie auf ihren evolutionisti- 
schen Wert verhört werden. Dabei wird nicht 
nur die große Orientierungslinie abgeschritten, viel- 
mehr diese an bezeichnenden Punkten bewußt ver- 
lassen, um einem Einzelproblem, das sich im Be- 
obachten dem forschenden Auge ankündigt, zufolgen 
und seine künstlerische Formulierung in ihrer 
Entwicklung aufzuweisen. Die Behandlung der 
Flächen im Gesicht und im Nackten, das Motiv 


234 


des gesenkten Kopfes, die Modulation des Aus- 
drucks, wie sie dem Pathos des Skopas entspringt 
und weiterwirkt, der Vortrag des Stofflichen in 
den Gewändern und ihre Anlage in Weiterführung 
der von Praxiteles aufgerichteten Problemstellung 
— von den Gewandfiguren der Parthenongiebel 
war vorher mit einem in glücklicher Stunde ge- 
prägten Ausdruck gesagt: „im künstlerischen 
Sinne sind diese Gestalten bekleidet geboren“ — 
das sind so ein paar Einzeluntersuchungen, die 
wie aufgesetzte Lichter wirken und an geschickt 
gewählter Stelle dem Gang der Untersuchung ein- 
gefügt dieser besondere Reize und einen gesteigerten 
Pulsschlag verleihen. Am klarsten zeigt sich diese 
Behandlungsweise, wo im Anschluß an Lysipp 
das Problem der Bewegung beleuchtet und ab- 
gewandelt wird. Erst hier werden, in starker Ab- 
weichung von der historischen Richtlinie, Myron 
und Polyklet hehandelt, um im Gegensatz zu dem 
von diesen schon Erreichten die Großtat Lysipps, 
seine Eroberung des dreidimensionalen Raumes in 
helles Licht zu rücken. Der bewegten, ausgreifen- 
den Darstellungsweise, zu der Lysipps Auftreten 
und Wirken gleichsam herausfordert, steht das 
klar gerundete Kapitel über Phidias und die 
Parthenonskulpturen gegenüber, das in gehaltener 
Ruhe und warmer Hingabe den Idealstil dieser 
größten Epoche griechischer Kunstentwicklung 
feiert. Und mit dem Wort und Begriff Idealismus 
ist das Leitmotiv angeschlagen, das sich, unauffällig 
und unaufdringlich, durch Löwys Darstellung hin- 
durchzieht und ihr rhythmische Geschlossenheit 


gibt. Nur ist dabei nicht an den trivialen Sinn 
zu denken, den starke Abnutzung diesem Worte 
untergelegt hat. Löwy selbst stellt eine klare und 
feinsinnige Definition und Begriffsbestimmung auf, 
und auf diese gestützt kann er, nachdem er den 
charaktervollen Naturalismus Lysipps und die 
Steigerung dieses künstlerischen Prinzips im 
Hellenismus mit allem Nachdruck gewürdigt hat, 
sein Buch dennoch mit dem Satze schließen: 
„Die griechische Kunst ist idealistisch vom An- 
beginn und bleibt es bis zum Ende.“ 

P. Herrmann. 


PAUL GANZ, Hans Holbein der 
Jüngere. Des Meisters Gemälde in 252 
Abbildungen. (Klassiker der Kunst, Bd. 20.) 
Stuttgart 1912, Deutsche Verlags-Anstalt. 
Geb. М. 9.—. 

Der reiche Schatz Holbeinischer Gemälde, Hand- 
zeichnungen und Holzschnitte bildeten von alters- 
her einen Ruhmestitel der Öffentlichen Kunst- 
sammlung Basels. Es liegt auf der Hand, daß 
sich das Hauptinteresse der Basler Kunsthistoriker 
auf seine Person konzentriert; Basel hat eine 
ganze Reihe von Holbeinforschern hervorgebracht: 
Eduard His, Daniel Burckhardt, der frühere Kon- 
servator der öffentlichen Kunstsammlung, Heinrich 
Alfred Schmid, z. Zt. Professor an der Universität 
in Prag, Hans Koegler, der sich besonders der 
Erforschung von Holbeins Holzschnitten widmet. 

Als vor einer Reihe von Jahren die Basler 
Kunstsammlung der Obhut des Zürcher Kunst- 
gelehrten Paul Ganz übertragen wurde, hat sich 
dieser bald mit dem Holbein-Problem vertraut 
gemacht und stellte sich insbesondere die Auf- 
gabe, den weithin verstreuten Schatz Holbeinscher 
Werke im Bilde zu sammeln und so einen vor- 
läufigen Abschluß, oder doch eine neue, feste 
Grundlage der Holbeinforschung zu schaffen. 
Unermüdlich war er tätig und hat nunmehr die 
Publikation der Gemälde als erste Etappe seines 
Werkes zum Abschluß gebracht. 

Gleichzeitig gab er die erste Lieferung der 
monumentalen Ausgabe von Holbeins Handzeich- 
nungen im Verlage Julius Bard, Berlin, in treff- 
lichen Reproduktionen heraus; leider nicht in 
chronologischer Folge, was wohl nach den lang- 
jährigen Vorarbeiten nicht unmöglich gewesen 
wäre, sondern in sporadischer Auswahl, so daß 
die Lieferungen bis zum Abschluß des Werkes 
als ungeordnete und unübersichtliche Masse zur 
Unbrauchbarkeit verurteilt sind. 

Die Chronologie und die Beurteilung der Hol- 


beinischen Bilder war von jeher das Feld eifriger 
Kontroversen; Ganz stieß mit seinen Forschungs- 
resultaten oft auf Widerstand, der leider nicht 
immer sachlich blieb, sondern gelegentlich in ge- 
radezu gehässiger Weise vorgebracht wurde. Um 
so dankenswerter ist es, daß in der vorliegenden 
Gemälde-Publikation auf eine gewaltsam herbei- 
geführte Lösung der in Frage stehenden Probleme 
verzichtet worden ist, obwohl sich dazu mehr als 
einmal die Gelegenheit geboten hätte. Wir finden 
also neben den sicher datierten Gemälden eine 
Anzahl solcher, welche Ganz ohne weitere Präten- 
tion den jeweiligen Abschnitten als Anhang folgen 
läßt. Und diese Zurückhaltung findet sich auch 
in dem knappen Text. Auf diese Weise ist das 
Buch vor Enttäuschungen gesichert, höchstens 
werden die Kopien oder die fälschlich zuge- 
schriebenen Bilder da und dort sich eine Korrektur 
gefallen lassen müssen durch Zuweisung von 
Bildern, die jetzt unter den eigenhändigen figurieren. 

Von großem Interesse ist die Zusammenstellung 
der Kopien und Studien zerstörter Wandgemälde, 
vielfach zum ersten Male publiziert, die mit den 
Fragmenten der Originale zusammen einen Begriff 
von Holbeins Tätigkeit als Dekorationsmaler ver- 
mitteln. Zuletzt sei noch ein Druckfehler be- 
richtigt: 8. 238, Beschreibung des Bildes auf 
S. 72 muß verwiesen werden auf 8. 227 und 
nicht 217. 

Es wird wohl überflüssig sein, zu betonen, wie 
wichtig das Buch für den Fortgang der Holbein- 
forschung ist. Wenn Woltmanns grundlegende 
Darstellung auch neben dem Ganzschen Werke 
ihren relativen Wert behauptet, ist ihr darin doch 
eine unentbehrliche Ergänzung erwachsen. Vor 
allen Dingen gebührt dem Verfasser unser Dank, 
der hier die Frucht jahrelanger Arbeit darbietet, 
um so mehr, als er selbst sich wohl bewußt ist, 
daß er nicht durchweg sichere Resultate bieten 
kann. Rudolf Bernoulli. 


HANS JANTZEN, Das niederländische 
Architekturbild. Leipzig 1910. Verlag 
von Klinkhardt & Biermann. 


Die meisten Arbeiten iber niederlindische Malerei 
der letzten Zeit, größtenteils monographischer Natur, 
sollte man eher Künstlergeschichte als Kunstge- 
schichte nennen. Der Kunstgeschichte im besten 
Sinn kann man das Buch Jantzens zurechnen. 
Nicht, daß er es unterließ, streng methodisch vor- 
zugehen und im ersten Hauptteil des Buches das 
Material gründlich zu untersuchen. Das Oeuvre 
der Architekturmaler wird, von Meister zu Meister, 


235 


kritisch geprüft und entsprechend wird die Ent- 
wicklung eines jeden, vielfach zum ersten Male, 
dargestellt, die kunstgeschichtliche Stellung eines 
jeden fixiert. Der zweite Hauptteil des Buches 
zieht dann die großen Konsequenzen der Unter- 
suchungen des ersten Teils und bringt die bei 
der Betrachtung des Architekturbildes gewon- 
nenen Einsichten in Verbindung mit der allge- 
meinen Entwicklung der niederländischen Malerei. 
Gerühmt werden muß die imponierende Sachlich- 
keit bei den oft ganz abstrakten Erärterungen ästhe- 
tischer Natur. Dieser Sachlichkeit verdankt das Buch 
einen doppelten Vorteil, nämlich, daß die gewon- 
nenen Resultate zum größten Teil als richtig allge- 
mein anerkannt werden müssen und ferner, daß die 
ästhetischen Werturteile des Autors selbst einen 
eigenen, wissenschaftlichen Wert haben. Dabei 
kommt dem Verfasser natürlich sein glänzendes 
Analysierungsvermögen und sein prägnanter Stil 
zustatten, der ihn instand setzt, dem Leser und 
Beschauer die Augen zu öffnen, ihn Dinge sehen 
zu lassen, die das Auge ohne Führer übersehen 
würde. Als Beispiel verweise ich auf die Be- 
sprechung des Brüssler Bildes des älteren Steen- 
wyck, des Houckgeest der Sammlung Weber, der 
»Delfter Kirche“ van Vliets in der Sammlung Moltke. 
Ferner verweise ich aufdie überzeugende Charakteri- 
sierung flämischen und holländischen Raumempfin- 
dens innerhalb des ganzen Buches. 

Wenn ich nun auf Einzelheiten zu sprechen 
komme, hie und da auch dem Verfasser wider- 
sprechen muß, so ändert das nichts an dem Wert 
des Buches und an der Richtigkeit der wichtigeren 
Resultate. In der Hauptsache möchte ich auf 
Dinge aufmerksam machen, die m. E. noch zu 
diskutieren wären. — 

Nach einer kurzen Vorgeschichte beginnt Jantzen 
die Behandlung der Antwerpener Maler mit Hans 
Vredeman de Vries. M.E. sollte die Zugehörig- 
keit dieses in Friesland geborenen, vielgereisten 
Künstlers zur Antwerpener Schule nicht zu sehr 
betont werden. Eher dagegen wäre sein Aufent- 
halt in Holland hervorzuheben, der für die Zeit 
nach 1600 nachgewiesen ist. Jantzen sucht nach 
den „verknüpfenden Fäden jener Frühzeit (Mitte 
des 16. Jahrhunderts) nach dem 17. Jahrhundert“ 
und kann mit den frühen Werken des älteren Steen- 
wyck diese Lücke nur versuchsweise ausfüllen. 
Wenn man aber bedenkt, daß Hans Vredeman de 
Vries als berühmter Mann mit seinem ebenfalls be- 
rühmten Sohn Paul in Amsterdam um 1604 lebte, da 
ferner sein starker Einfluß auf die holländische Archi- 
tektur nachgewiesen ist!), so können wir annehmen, 
(х) Vergl. A. W. Weißman in „De Opmerker“, 1899, Nr. 52. 


236 


daf er auch auf die hollindische Architekturmalerei 
vorbildlieh wirkte. Und in der Tat zeigt der erste 
echt heiländische Architekturmaler, zu dem nach 
Jantzen die verknüpfenden Fäden fehlen, nämlich 
Hendr. Aerts eine starke Abhängigkeit von Hans 
Vredeman de Vries. Ich kann an dieser Stelle 
mur kurz auf die Verwandtschaft des neuerdings 
ins Ryksmuseum gelangten „Bankett in einem 
Palasthof" des Hendr. Aerts (in Heft XI der 
Monatsh. f. Kunstw. [IV. Jahrgang] ven mir abge- 
bildet und besprochen) mit dem von Jantzen ab- 
gebildeten „Schloßhof“ Vredemans in Wien 
verweisen. Fast jedes einzelne Element der Kom- 
position bei Vredeman finden wir in dem Gemälde 
des Hendr. Aerts wieder. Da nun ferner, wie ich 
an genannter Stelle nachwies, auch das bekannte 
von Londerseel gestochene Kircheninterieur des 
H, Aerts dieselben Kompositionsprinzipien aufweist, 
wie das Palastexterieur des Ryksmuseums, so 
ist der Einfluß des Vredeman de Vries auf Н. Aerts 
sicherlich von prinzipieller Bedeutung gewesen. 
Es ist aber zuzugeben, daß sich letzterer als reinerer 
Holländer zeigt, dadurch daß er die „Orthogonalen“, 
soweit es bei dem von Vredeman übernommenen 
Kompositionsschema mögtich war, vermeidet. Am 
Ende des Kapitels über Hans Vredeman de Vries be- 
spricht Jantzen kurz seinen Sohn Paul Vredeman de 
Vries. Nicht dieser „ist maßgebend für die weitere 
Entwicklung, sondern ein älterer und bedeutenderer 
Schüler Hans Vredemans in Antwerpen: Hendrick 
van Steenwyck“. Die hohe künstlerische Bedeu- 
tung dieses Meisters hat Jantzen, wohl als erster, klar 
herausgearbeitet. Besonders wäre auf die prachtvol- 
len Analysen des Frühwerks in Schleißheim und des 
Hauptwerks im Brüsseler Museum zu weisen. Nach- 
dem Verfasser den jüngeren Stoenwyck und die 
Familie Neefs als Nachfolger von geringerem Wert 
behandelt hat, bespricht er als letzte Hauptmeister 
des Antwerpener Architekturbildes Ehrenberg und 
Ghering, die — der späten Zeit ihrer Tätigkeit ent- 
sprechend — schon mit dramatischen Lichtefiekten 
arbeiten und deren Abhängigkeit von den Neefs 
Verfasser, sicherlich mit Recht, nicht anerkennt. 
An dieser Stelle möchte ich noch auf eine valibe- 
zeichnete und 1665 datierte italienische Vedute 
A. Gherings aufmerksam machen, die ich vor 
einiger Zeit erwarb. Sollte Ghesing aus Italien 
die neuen Anregungen geholt haben? — Nachdem 
Jantzen in der dem Aertgenvan Leyden nicht mit 
Sicherheit zugeschriebenen Zeichnung im Anaster- 
damer Prentenkabinett sahr fein die eigens hollän- 
dischen Elemente aufgedeckt hat, bespricht er den 
schon oben erwähnten Hendr. Aerts. Durch 
die zwei neuerdings bekannt gewordenen, 1602 


datierten Gemälde dieses Meisters'), ist die Mög- 
lichkeit, daß er identisch ist mit dem Maler Hen- 
drick Aertes., der 1575 in Amsterdam begraben 
wurde, ausgeschiessen*). Zu den von Jantzen auf- 
gezählten Repliken der verschollenen Phantasie- 
kirche des Hendr. Aerts kann ich noch eine hin- 
zufügen und zwar diejenige, die von alien dem 
Stich am nächsten kommt, die wir aber trotzdem 
für eine Kopie nach dem Originalgemilde halten 
müssen, da das Kolorit durchaus dem Kolorit der 
beiden bekannten Originalgemälde dea H. Aerts ent. 
spricht. Ich sah diese Replik im Brüsseler Kunst- 
handel. Leider genügte die Photographie, die ich 
danach anfertigen ließ, nicht zur Reproduktion. — 

Zu dem folgenden Kapitel über B. van Bassen 
möchte ich bemerken, daß mir die Erklärung der 
Antwerpener Elemente in den Werken der 20er 
Jahre nicht plausibel erscheint. M. E. aind sie 
eine Erscheinung, die wir vielfach in dieser Zeit, 
z. B. auch bei v. Doelen beobachten können, 
sind aber nicht durch die Hypothese zu er- 
klären, Bassen habe seine Ausbildung in Antwerpen 
erfahren und durch den Aufenthalt in Delft seien 
die Antwerpener Elemente eine Zeitlang unter- 
drückt worden, dann aber wieder zum Ausbruch 
gekommen. Ebenso ist es eine Folge der allge- 
meinen Entwicklung, wenn Bassen nach 1636 etwa 
malerischer und tonischer wird. Mit Recht betont 
Verfasser im Anschluß an Hofstede de Groot, daß 
es ein Versehen war, den D. van Deelen aus 
der Halsschule abzuleiten. Trotzdem scheinen Be- 
siehungen zu Haarlem vorzuliegen. Auf der 
Versteigerung bei Fred. Müller in Amsterdam am 
14. Mai 1922 wurde unter Nr. 161 dem Н. Pot ein 
Bild zugeschrieben, das genau dem mittleren Teil 
der ,,Musizierenden Gesellschaft‘ des D.vanDeelen 
im Rotterdamer Museum nachgebildet ist. Wenn das 
genannte Bild auch nicht von der Hand des H. Pot 
ist, so stammt es doch von einem typischen Haar- 
lemer Geselischaftemaler und wenn auch in diesem 
Fall D. v. Deelen der „gebende Teil“ ist, so sind 
doch Beziehungen zu Haarlem vorhanden. Über- 
haupt wäre die Staffage des v. Deelen noch ge- 
nauer zu untersuchen. So eicher es ist, daß er 
gewisse Bilder selbst staffagiert hat, so sicher ist 
es auch, daß die Figuren anderer von anderen 
Künstlern ausgeführt wurden; diese könnten uns 
als Hinweis auf die Beziehungen v. Deelens zu 
anderen Kunststätten dienen. 

Für die folgenden Teile des Buches, in denen 


(1) Das eine im Rykamuseum in Amsterdam, das andere 
im Besitz von Herrn Dr. Hofstede de Groot im Haag. 

(з) E. W. Moes läßt im „Allgemeinen Lexikon der bilden- 
den Künstler noch eine Möglichkeit zu. 


die Haarlemer und Delfter Architekturmaler be- 
handelt werden, gilt ganz besonders all das Gute, 
was wir im Anfang dieser Besprechung hervor- 
hoben. Eine geistreichere und dabei sachliche 
Würdigung eines Saenredam, eines Houck- 
geests, van Vliets und de Wittes läßtsich gar 
nicht denken. Zur Erklärung des „neuen Delfter“‘ 
Kirchentyp mit der „schrägen Ansicht“, den Houck- 
geert plötslich mit seinem 1650 datierten Bild der 
ehemaligen Sammlung Weber bringt, möchte ich 
Jantzens eigene Ausführungen aus dem zweiten 
Hauptteil seines Buches verwenden. Hier weist 
er auf die ,,Ubereckstellung“ als einen Hauptfaktor 
sur Intensivierung der Raumwirkung. Die „schräge 
Ansicht“ bei dem genannten Delfter Kirchentyp 
ist nun nichts anderes als eine Ubereckstellung 
des Kirchenraums. M. E. bedeutet es einen wei- 
teren Fortschritt, wenn dann de Witte auf dieses 
starke Mittel verzichtet und mit seinen frontalen 
Ansichten eine sogar noch gesteigerte Raum- 
wirkung erzielt. Was Jantzen über de Witte 
geschrieben hat, bedeutet alies großen Gewinn für 
die Kunstgeschichte. Wenn jeder Kenner wohl 
schon für sich die Größe de Wittes erkannt hat, 
so ist sie doch erst durch Jantsen, man kann 
sagen wissenschaftlich bewiesen worden. Das 
was Jantsen über den Schüler de Wittes, Hendr. 
van Streek, auf Grund von nur zwei ihm be- 
kannten Gemälden sagt, fand ich bestätigt bei 
zwei anderen Werken des Meisters. Das eine (an 
zwei Stellen voll bezeichnet) besitzt Dr. Bredius 
im Haag, das zweite wurde auf der Versteigerung 
bei Muller in Amsterdam am 14. Mai r912 dem 
de Witte zugeschrieben. — Ich wiederhole: seit 
A. Riegl, als dessen Anhänger sich Jantzen offen 
zu erkennen gibt, haben nur ganz wenige Kunst- 
geschichte von einem so hohen Standpunkt aus 
getrieben. So wie etwa ein Wölfflin für die Re- 
naissance und den Barock in Italien die Entwick- 
lungslinien fixiert hat, so hat Jantsen ähnliches 
zum mindeaten für das 17. Jahrhundert in Holland 
geleistet. Kein Autor, der sich in Zukunft mit ent- 
wicklungsgeschichtlichen Fragen dieses Landes 
und dieser Zeit beschäftigt, wird sich dem Einfluß 
des Jantzenschen Buches entziehen können. Wenig- 
stens sollte es keiner tun. 

Noch einige Bemerkungen über äußerlicheDinge: 
Die Ausstattung des Buches ist recht geschmack- 
voll. Die Reproduktionen sind gut und geschickt 
gewählt. Das Verzeichnis der erhaltenen Archi- 
tekturbilder hat wegen seiner selbstverständlichen 
Unvollständigkeit nur beschränkten Nutzen. 

Karl Lilienfeld. 


237 


BURKHARD MEIER, Dieromanischen 
Portale zwischen Weser und Elbe. 
Mit 63 Abbildungen. Heidelberg 1911, С. 
Winter. М. 12.—. 


Das Buch, eine erweiterte Dissertation, ist als 
6. Beiheft der Zeitschrift für Geschichte der Ar- 
chitektur erschienen und gibt eine vollständige 
Übersicht der sächsisch-romanischen Portale. Für 
eine kunstvolle Steigerung des Interesses bis zu 
dem Höhepunkt der Goldenen Pforte sorgt die Ent- 
wicklung selbst; im einzelnen hätte vielleicht man- 
ches straffer zusammengefaßt, das Detail in An- 
merkungen verwiesen werden können. Aber die 
Methodik ist so gut wie die erreichten Resultate, 
die auf sorgfältigsten Forschungen beruhen und 
fast überall genaue Datierung und Ableitung ent- 
halten. 

Nach den Vorstufen in karolingischer und früh- 
romanischer Zeit kommt der Verfasser auf die 
zwei Haupttypen des 12./13. Jahrhunderts: den 
frühen, von Petersberg (Hiersau) abgeleiteten, ab- 
getreppt und mit Rahmen; wichtiger der zweite, 
das von Paulinzella abstammende Säulenportal, das 
einige besondere Stücke enthält, wie Königslutter 
(das M., mit Recht, einem durchaus deutschen 
Meister zuschreibt, der den oberitalienischen Bal- 
dachinbau flach an der Wand auseinandergebreitet 
habe); Schloßkirche zu Wechselburg, mit orna- 
mentalen Beziehungen zu Königslutter und zum 
Chorumgang des Magdeburger Doms. Er setzt 
es in die zwanziger Jahre des 13. Jahrhunderts, 
wie die ganze Kirche. Endlich die Portale des 
Übergangstils. Hier überrascht die Ableitung des 
Halberstidter Domportals von den Arnstädter, was 
mir durchaus nicht zweifelsfrei erscheint. Maler 
übersieht die stärkeren Fäden, die Halberstadt mit 
Laon und Magdeburg verbinden; eine Beeinflussung 
des Monumentalbaues durch ein kleines Provinz- 
portal heißt die Dinge auf den Kopf stellen. Die 
Wahrheit liegt in der Umkehrung. Warum die 
Halberstidter Fassade erst nach 1240, statt 1230 
entstanden sein soll, ist nicht einzusehen. Der 
Magdeburger Bischofsgang, den sie nur gerade 
noch voraussetzt, ist um 1225 vollendet. — Dem 
folgen Marienberg bei Helmstedt, Naumburg und 
Magdeburg; hier kann ich auf Grund eigener Be- 
obachtungen Meier in allem beistimmen, nur würde 
ich das Naumburger Portal ganz erheblich vor 
1228 hinaufrücken, wohl um 1210/15, das Magde- 
burger zwischen 1220 und 1230. 

Den Glanzpunkt der Untersuchung bildet die 
Freiburger Goldene Pforte. Meier trennt Archi- 
tektur und Plastik völlig; die erste weist er einem 


238 


bairisch geschulten Meister zu, der am Georgen- 
portal in Bamberg lernte. Der Typus dieser Säu- 
lenportale kommt von altbairischen Anlagen wie 
Marsburg her. Eine ähnliche Kombination fran- 
zösisch beeinflußter Plastik und Deutsch romanischer 
Architektur findet M. mit Recht im Südportal des 
Straßburger Münsters. Er möchte das Portal tiefer 
hinabrücken als Goldschmidt und einen Spann- 
raum zwischen 1225 und 1250 dafür ansetzen. 
Als Anhang fügt er eine Zusammenstellung 
sämtlicher Tympana der Zeit und Gegenden mit 
ihren Darstellungen hinzu. P. F. Schmidt. 


JOHN BÖTTIGER, Philipp Hainhofer 
und der Kunstschrank Gustav Adolfs 
in Upsala. 4 Bde. Gr.-Fol., 154 Tafeln und 
113 Textabb. Verlag der Lithogr. Anstalt 
des Generalstabes, Stockholm. Deutsche 
Übersetzung von Dr. Ernst A. Meyer in 
Stockholm. Alle Illustrationen sind von der 
Anstalt des Verlages hergestellt. Druck 
von der Hofbuchdruckerei Idun in Stock- 
holm. 200 num. Exemplare. 

Nach dem Einzuge Gustav Adolfs von Schweden 
in Augsburg am 24. April 1632 übergaben die 
evangelischen Ratsherren dem Kénige als Geschenk 
einen Kunstschrein, den sie für 6000 Gulden von 
Philipp Hainhofer erworben hatten. Der Schrank 
wurde von zwei Augsburgern 1633 bis Wolgast, 
im Sommer nach Stockholm und von dort bald 
darauf nach dem nahen Schlosse Svartsjö und vor 
1655 nach dem Schlosse in Upsala gebracht, wo 
er 1694 durch Schenkung Karls XI. in den Be- 
sitz der Akademie überging und in deren Biblio- 


thek aufgestellt wurde. 


Vier Foliobände über ein einziges Möbel! wird 
mancher Leser mit einigem Grauen denken, aber 
er mag sich vom Studium und die Bibliotheken 
von der Erwerbung des Werkes nicht abschrecken 
lassen, denn der Schrein enthält alles, was dem 
weiten Interessengebiete eines deutschen Gelehrten 
und reichen Lebenskiinstlers der Spätrenaissance 
angehört, und die Bearbeitung des gewaltigen 
Stoffes durch Böttiger ist musterhaft. 

Die Materie ist in folgender Weise auf die vier 
Bände verteilt: Bd. I. mit ıo Gravürentafeln und 
ı2 Textabbildungen enthält alles wissenswerte über 
Philipp Hainhofer, seine Bemühungen um den 
pommerischen und den florentiner Kunstschrank, 
die Übergabe des Upsalaer Schrankes an Gustav 
Adolf und die weiteren Schicksale dieses Schreines 
in Schweden. Bd. II. mit 19 Gravürentafeln, хо 


т кь KH Lanzi ы „А be 


Rissen und тох Textabbildungen beschreibt und 
erklärt den Inhalt, zunächst die größeren Geräte, 
Toilettegegenstände und chirurgischen Instrumente. 
Bd. III. mit 4 Graviirentafeln, Notenbeilagen und 
51 Textabbildungen enthält die kleineren Gegen- 
stände, unter denen die graphischen und plastischen 
Porträts, das Ess- und Trinkgerät, Modelle, Trach- 
ten- und Schmuckstücke, Waffen, Naturalien, Spiele, 
mathematische und astronomische Instrumente be- 
sonders zu erwähnen sind, und am Schlusse ein 
Register, Band IV mit 74 Autotypietafeln gibt das 
gesamte Kleingerät bildlich wieder; am Schlusse 
ist das schwedische Inventar von 1698 abgedruckt, 
das um so wichtiger ist, als Hainhofers Inventarien 
verloren sind. 

Die Durchsicht des Böttigerschen Werkes nötigt 
zum Vergleich zwischen dem Upsalaer und dem 
pommerschen Kunstschranke in Berlin, und es 
soll hier nicht verschwiegen werden, daß der Kunst- 
wert des schwedischen Schreines und seines ge- 
samten Inhaltes beträchtlich unter dem des pom- 
merschen steht, wenn auch sein Inhalt kulturge- 
schichtlich mindestens gleiches Interesse verdient. 
Böttigers Bearbeitung aber steht in ihrer erschöp- 
fenden Gründlichkeit ebenbürtig neben dem Werke 
Lessings und Brünings über den pommerschen 
Schrein. 

Böttiger schreibt in seiner Vorrede, daß er die 
Aufgabe nicht begonnen hätte ohne die Über- 
zeugung, daß die Schweden eine Dankesschuld an 
die kunstreiche Stadt abzutragen haben, die dem 
größten Könige Schwedens als Geschenk dieses 
Kunstwerk darbrachte. Wir gedenken der Rede 
des französischen Kultusministers bei der Eröff- 
nung des Museums in Delphi 1903: er freue sich, 
daß die Franzosen, die Nachkommen jener Gallier, 
die einst Delphi verwüstet, jetzt durch ihre wissen- 
schaftliche Tätigkeit die Heiligtümer Delphis zu 
neuem Leben erweckt hätten. So wollen wir über 
Böttigers schönem und wertvollem Werke manche 
der schweren und unersetzlichen Verluste zu verges- 
sen suchen, die unserer deutschen Kunst die Schwe- 
denzeit gebracht. E. Bassermann-Jordan. 


JULIUS BAUM, Die Ulmer Plastik um 
1500. Verlag Julius Hoffmann, Stuttgart. 

Wer sich über die schwäbische und im besonderen 
über die Ulmer Plastik des 15. bis 16. Jahrhun- 
derts unterrichten will, wird fortan zu diesem Buche 
greifen müssen, in dem er den zuverlässigsten 
Führer finden wird. Baum hat bei der Inventari- 
sation der Donaukreise die beste Gelegenheit und 
die besten Hilfsmittel gehabt, sich mit dieser 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 6. 


Materie vertraut zu machen, und daß er sie sich 
zunutze gemacht und über den Rahmen der be- 
ruflichen Arbeit hinaus für die deutsche Kunst- 
geschichte des 15. Jahrhunderts fruchtbringend 
verwertet hat, davon ist diese mit 58 guten Licht- 
drucktafeln nach durchgehends gelungenen Auf- 
nahmen ausgestattete Geschichte der Ulmer Plastik 
ein ehrenvolles Zeugnis, 

Der Wert dieser Arbeit, das unverrückbare Er- 
gebnis, das sich auch bei der mit der Zeit unaus- 
bleiblichen Verschiebung in der Konstellation der 
namenlosen Werke Ulmer Plastik gleich bleiben 
wird, ist die urkundliche Durchforschung dieses 
Gebietes. Man hat hier jetzt festen Boden unter 
den Füßen und jeder, der sich mit diesem Teile 
deutscher Kunstgeschichte beschäftigt, wird dafür 
Baum Dank wissen, denn sich in diese Kleinarbeit 
vertiefen und mit dieser Akribie forschen, das ist 
eine seltene und leider eine unmoderne kunst- 
historische Tugend. 

Der Kernpunkt der Arbeit nach der kunst- 
historischen Seite hin ist die Erforschung von 
Werk und Stil des jüngeren Sürlin. Hier gingen 
Urkunden und Denkmäler Hand in Hand, so daß 
zum ersten Male eine genaue Entwicklung des 
Künstlers gegeben wird. Baum hat die in Bingen 
erhaltenen Altarfiguren als Kopieen der Heiligen 
vom Ochsenhäuser Hochaltar erkannt, für dessen 
Ursprung aus Sürlins Werkstatt er den Beweis er- 
bringt. Die aus dieser Werkstatt hervorgegan- 
genen Arbeiten sind von einer seltenen Verschie- 
denheit der Qualität; das Meiste ist mittelmäßig, 
handwerklich; vieles steht noch unter dem Durch- 
schnitt und lohnt kaum das Ansehen; andres, 
allerdings sehr weniges, wie die Binger und die 
danach kopierten Ochsenhäuser Heiligen sind von 
unbestreitbarer Meisterschaft. — Leider bleibt dem 
Leser, auch bei den unbedeutendsten Arbeiten 
Sürlins die eingehende stilistische Untersuchung 
nicht erspart, und auch an anderen Stellen, so im 
letzten Kapitel und bei den Stilanalysen, denen 
meist das Bild zur Seite steht, würde eine knap- 
pere Form die Wirkung wesentlich erhöhen. 

Der Zusammenhang der Ulmer Holzplastik des 
16. Jahrhunderts ist, wie ich bereits an anderer 
Stelle darzustellen versucht habe, so stark, daß man 
eine gemeinsame Quelle annehmen muß, einen 
Meister, der den Ton angibt. Daß es der jüngere 
Sürlin ist, der mit seinem Stil die Ulmer Plastik 
dieser Zeit durchtränkt, das beweisen tatsächlich 
Baums Forschungen. Man vergleiche z. B. den 
Thalheimer Madonnentypus mit dem Binger, oder 
Sürlins Zwiefaltener Altire mit dem Merklinger. 
In der Bewertung und Gruppierung dieser „Epi- 


18 239 


gonenleistungen“ wird man Baum im ganzen bei- 
stimmen können, die uns zufällig erhaltenen Werke 
sind arm an individuellem Leben, sie gleichen sich 
in Aussehen und Temperament wie die Glieder 
einer wohlsituierten bürgerlichen Familie. Er- 
gänzend möchte ich die von Voege zuerst ge- 
legentlich der Blaubeurer Schreinfiguren ausge- 
sprochne Beobachtung eines Zusammenbanges 
zwischen Riemenschneider und Ulmer Kunst auf 
das zarte Münchner Sippenrelief ausdehnen. Bei 
diesem außerordentlich feinen und sensitiven Werk, 
bei den besten Figuren im Stile des Tafel 48 ab- 
gebildeten Veit, bei dem Reuttischen Altar stellt 
sich immer wieder unwilikürlich das Bewußtsein 
Riemenschneiderscher Gesichtstypen ein. 

Das bedeutendste Werk Ulmer Plastik im aus- 
gehenden 15. Jahrhundert ist der 1493 und 94 da- 
tierte Blaubeurer Hochaltar. In seiner stilistischen 
Einordnung schließt sich Baum an Voege an, der 
die Madonna zuerst mit der Berlin-Kaisheimer 
Mantelschutzmadonna in Verbindung gebracht und 
damit endlich einen weiteren Ausblick und den 
Hinweis auf Gregor Erhart, dem in Augsburg an- 
sässigen Ulmer, als wahrscheinlichen Meister der 
Schreinfiguren ermöglicht hat. „Der Wert des Blau- 
beurers beruht, wie Baum gut definiert, auf einem 
mit Zagheit seltsam gemischten dekorativen Pathos 
und einer rhythmischen Linienführung, nicht im 
Körpergefühl.“ Dieses mangelhafte anatomische 
Verständnis, das eine sichere dekorative Begabung 
zu kachieren weiß, führt Baum zu der Annahme, 
daß der Meister dieser Skulpturen „in den Tra- 
ditionen der Multscherschule, fern der Sürlinwerk- 
statt heranwächst, denn nach Baum ist die über- 
legene, sichere Körperkenntnis, ist die Überwindung 
der präziösen unsicheren Körperhaltung der älteren 
Kunst das Verdienst der beiden Sürlin. 

Ich glaube nicht, daß eine nüchterne Betrachtung 
der Werke des alten Sürlin zu diesem Schlusse 
führt. Dem zaghaften Auferstandenen vom Drei- 
gestühl fehlt jedes Gefühl der Sicherheit; die 
Ritter vom Fischkasten sind in ihrer beherrschten 
und eleganten Pose, dem zierlichen Tänzeln und 
Seitlich-sich-neigen der vollkommenste Ausdruck 
spätgotischen Körpergefühls. Daß diese Geziert- 
heit von Sürlin bewußt — d. h. absichtlich und 
‘zu künstlerischen Zwecken — übertrieben worden 
sei, das wissen wir nicht, und ein bestimmter 
Grund dies anzunehmen ist nicht vorhanden. Denn 
spricht nicht deutlich in den Halbfiguren im Münster 
das Merkmal älterer Kunst, sind nicht die Ober- 
körper besonders der Frauen nach spätgotischer 
Gewohnheit von unmöglicher Zierlichkeit, die 
Schultern übertrieben schmal und abfallend im 


240 


Verhältnis zu den Röpfen? Ein wirkliches Beherr- 
schen und Durchdringen des menschlichen Кӧг- 
pers, dies Gefühl hat man auch beim jüngeren 
Sürlin nicht. Durch die Binger Madonna geht 
noch nach alter Gewohnheit ein Schwung, der sie 
bedenklich die Schulter auf der Spielbeinseite 
sinken läßt, der Zadock vom Blaubeurer Dreisitz 
hat ausgesprochen spätgotisch schmale Schultern, 
und die Haltung des sitzend eingeschlafenen Jesse 
(mit seinem riesigen rechten Bein!) ist ebenso 
unbequem wie unmöglich. Allerdings, die Binger 
Heiligen sind imponierende Leistungen zu ihrer 
Zeit und gehören gerade nach ihrem Aufbau zu 
den reifsten oberdeutschen Skulpturen des aus- 
gehenden Jahrhunderts, mögen sie auch persönlich in 
ihrem glatten und etwaskleinlichen Gesichtstyp nicht 
so sympathisch wirken wie die Köpfe des Alten. 

Stilistische Eigenheiten lassen sich bei dem Blau- 
beurer Meister nicht mit Multscher in Verbindung 
bringen, weder im Gefält, noch in den Gesichts- 
typen; diese scheinen mir vielmehr eher auf Sürlin 
zu weisen. 

Es ist eine neue, ansprechende Kombination 
von Baum, dem Verfertiger des Ulmer Altarrisses 
den Tiefenbronner Hochaltar zu geben, denn im 
Ornament ist, wie an anderer Stelle hervorgehoben 
wurde, bei allem Unterschiede der Entwicklungs- 
stufen ein gewisser Zusammenhang vorhanden, 
Allein die enge stilistische Verwandtschaft der bloß 
gezeichneten und der neu gefaßten Altarheiligen 
zu erkennen ist nicht so ganz leicht, und vor der 
sich daraus ergebenden Folgerung: Sürlin, der 
Meister des Tiefenbronner Flochaltars, scheut man 
sich noch zunächst. Hier wäre ein urkundlicher 
Beweis sehr erwünscht. — Sehr dankenswert ist die 
endliche Veröffentlichung des Leuchterweibchens, 
das die Münsterhalbfiguren in ihrer weichen Formen- 
schönheit trefflich ergänzt. — Die Weingärtner 
Büsten teilt Baum mit Fragezeichen dem Heinrich 
Yzelin zu, und als Ganzes weichen sie in ihrer 
barocken Art allerdings von dem gebundenen 
Wesen Sürlins ab, wenn sich dieser Unterschied 
auch in den drei abgebildeten Büsten bei weitem 
nicht so überzeugend äußert, wie etwa beim Lucas. 

Die Sürlins und ihre Mitarbeiter und Nachfolger; 
der Blaubeurer Altar ung Gregor Erhart; die in 
der Hauptsache nur urkundlich bekannten Meister 
Michel Erhart und Niclaus Weckmann sind zeit- 
lich das eigentliche Thema des Buches. Baum 
greift aber weiter zurück, er beginnt mit einem 
kurzen Überblick über die Ulmer Plastik von 
1361—1429, um dann mit Multscher sein eigent- 
liches Thema vorzubereiten. 

Multschers Kunst wird kurz charakterisiert, die 


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eigenhändigen von Gesellenwerken getrennt. An- 
erkannt wird der stilistische Zusammenhang des 
Schmerzensmannes von 1429 mit Multschers Früh- 
werk, dem Kargaltar. Abgelehnt als „verfrüht“ 
wird dagegen die jüngste glückliche Bereicherung 
des Multscher-Oeuvre, Leonhardts Zuteilung des 
Grabmalentwurfes für Herzog Ludwig den Bärtigen 
von Bayern-Ingolstadt (München; Jahrb. der bild. 
Kunst 1910, 8. 169), und abgelehnt als der zerstörten 
Köpfe der Kargennische wegen mit diesem Werke 
nicht vergleichbar, und als „anscheinend im 16. 
Jahrhundert stark überarbeitet, wenn nicht gar zum 
Teil durch freie Kopieen ersetzt,“ werden die Statuen 
der Ostfassade des Ulmer Rathauses, die das ver- 
bindende Glied zwischen Kargnische und jenem 
Grabmalsentwurf darstellen, und von denen Leon- 
bardt bei seiner Attribution zunächst ausgegangen 
is. — Ihrem allgemeinen Stil nach weisen nun 
die Rathausfiguren durchaus ins 15. Jahrhundert; 
im besonderen teilen sie die charakteristischen 
Merkmale des Schmerzensmannes von 1429. Zwar 
fehit den Engeln der Kargnische das Gesicht; 
allein das Gewand erlaubte einen Vergleich mit 
dem Schmerzensmann, und ebenso lassen sich 
Kaiser und ‘Wappentriger in der Gewandbe- 
handlung mit den gesichtslosen Engeln vergleichen, 
und ebenso steht es mit den Figuren jenes Grab- 
steinentwurfes (Monatsh. für Kunstw. IV [1911], 
S. 513, Leonhardt). Selten ist die künstlerische Ein- 
beitlichkeit so klar, so durchdringend und über- 
seugend wie in diesen vier Gruppen von Stein- 
bildwerken, und es hieße die Kirche ums Dorf 
tragen, sollte man erst den negativen Beweis an- 
treten müssen, daß jener Grabsteinentwurf nicht 

bayrisch sei und daher ulmisch sein dürfte. 
Dagegen stimme ich Baum vollkommen bei, daß 
jene Barbara in Augsburg dem Ulmer Meister 
nicht zuzuschreiben, nehme aber an (vgl. Schuette, 
Der schwäbische Schnitzaltar, S. 116), daß sie „in 
Multschers Nähe, in Ulm“ entstanden ist. — Diese 
Geschichte der Ulmer Plastik, die in ihrer ein- 
gehenden und gewissenhaften Bearbeitung über 
die eng gesteckten lokalen Grenzen in das weitere 
Schwaben hinüberschaut, läßt erwarten und hoffen, 
daß Baum auch die noch fehlenden Kapitel zur 
Geschichte der schwäbischen Plastik schreiben wird. 
M. Schuette. 


ULRICH THIEME, Allgemeines Lexikon 
der bildenden Künstler. 6. Bd.: Carlini- 
Cioci. Leipzig 1912, E. A. Seemann. Gr.-8°. 

Das Wichtigste, beinahe, an dem Band ist, daß 
er schon nach sechs monatlicher Frist erscheinen 
konnte. Die große Maschine, — das ist damit be- 


wiesen worden, — ist nun in ihrer Gangart ein- 
gefahren, und man kann es als sicher hinnehmen, 
daß das Lexikon in acht, spätestens in neun Jahren 
abgeschlossen vorliegen wird. Der stetige Fort- 
schritt in den ersten sechs Bänden ist unverkenn- 
bar. Mittlerweile hat die Redaktion Erfahrungen 
gesammelt und eine Reihe von bestimmten, zweck- 
mäßigen Regeln zur Beachtung an ihre Mitarbeiter 
versenden können, die, sobald sie befolgt werden, 
für die übrigen Bände nicht nur einen ganz homo- 
genen Charakter sondern auch unübertreffliche 
Ausführung sichern werden. 

Schon an diesem sechsten Bande ist kaum noch 
etwas auszusetzen. Die Raumverteilung wird im- 
mer besser. Zwar brauchte Cigoli gewiß nicht 
8 Spalten, wenn Cima mit 7 zu stande kam. 
Aber es ist doch ausgezeichnet, daß es überhaupt 
nur drei Künstler im ganzen Band gibt, Cellini 
(13), Cignani (11'/,) und Cimabue (13), die sich 
über mehr als ro Spalten erstrecken, während der 
Band doch noch so wichtige wie Caroto, Carpac- 
cio, die verschiedenen Carracci, Cesari (Cav. d’Ar- 
pino), Chardin, Chodowiecki usw. behandelt. Nur 
in dem Einordnen der Künstler ins Alphabet herrscht 
noch kein System. Womit will man es verteidigen 
daß der Cavaliere d’Arpino unter seinen richtigen 
Namen Cesari, Sulpice Chevalier (Chevallier) aber 
unter seinem Spitznamen Gavarni eingeordnet 
wurde? 

Mit dem vorliegenden Band tritt ein Novum in 
das Lexikon ein, — die Aufnahme der ostorien. 
talischen Künstler. Ich bekenne, daß ich dies als 
einen unleugbaren Fehler betrachte. Sie sind alle 
von ein und demselben Bearbeiter verfaßt, der sie 
in einer Weise behandelt, als hätten sie für unsere 
occidentale Kultur die Bedeutung etwa eines Phei- 
dias. Dabei hält er an der alten Torheit fest die 
Namen nach Englisch-phonetischer, anstatt nach 
Deutsch-phonetischer Schreibweise zu übertragen: 
und selbst hierin mangelt es an Einheitlichkeit. 
Von fünftausend Benutzern des Lexikons wird 
vielleicht einer nach diesen Künstlern suchen und 
diesem einen zu Liebe hätte man nicht solch einen 
Aufwand an Mühe und Raum zu machen brauchen. 
Zwanzig, höchstens dreißig Japaner und Chinesen, 
die auch für uns einen Klang haben, hätten in 
dem Lexikon Platz finden müssen, aber nicht ganze 
Seiten voll von Namen die auch in der Hand des 
vernarrten Spezialisten noch halbmythische, gegen- 
standslose Gestalten bleiben. Wer von den 60 
Millionen Menschen deutscher Zunge kommt ein- 
mal in die Verlegenheit sich über „Chang Chi“ 
informieren zu müssen? Und solche „Changs“ 
füllen bier gleich sechs Spalten! Ein derartig 


241 


abseitsliegendes Sondergebiet konnte selbst das 
„Allgemeine Künstlerlexikon“ getrost dem neben- 
her erscheinenden Fachbuch überlassen. 

Die wenigen Einwendungen die ich gegen diesen 
sechsten Band zu erheben hatte, konnte ich in ein 
paar Zeilen erledigen. Wollte ich im einzelnen 
alle die Vorzüge hervorheben, so reichten nicht 
ebensoviel Seiten. Das zu betonen ist mir ein 
Bedürfnis; ganz besonders eben, weil ich in eini- 
gen Punkten noch andrer Meinung sein zu müs- 
sen glaubte. Hans W. Singer. 


С. J. HOLMES, Notes on the Art of 
Rembrandt. With 45 Plates. Chatto and 
Windus, London 1911. 8°. 258 S. 


Der Verfasser hat bereits ein Buch ,,Notes on 
the Science of Picture- Making“ geschrieben: da- 
von ist der vorliegende Band gewissermafien eine 
Fortsetzung. Man kann ihn als englisches Seiten- 
stück zu unserem „Rembrandt als Erzieher“ an- 
sehen. Nur richtet er sich so gut wie ausschließlich 
an den ausübenden Maler und behandelt Fach- 
fragen, während Langbehn alle Welt anredete und 
es ihm hauptsächlich um Charakter, Kultur und 
Sozialfragen zu tun war. 

Holmes stellt einen spezifisch englischen Typ 
dar, die Verbindung von Kunstgelehrten und 
ausübenden Künstler, (nun ist bei ihm, wie bei 
Holroyd, noch der Kunstbeamte hinzugetreten) 
der in keinem anderen Lande so günstig vertreten, 
freilich auch nirgendwo anders so günstig auf- 
genommen wird als in London. Das sichere 
kunsthistorische Wissen ist bei Holmes immerhin 
so gediegen, daß es ihn vor den Fehlern, denen 
die schreibenden Künstler anderer Länder ver- 
fallen, behütet. Zudem ist er ein geistvoller Be- 
urteiler, und so ist es immer für jeden ein Genuß 
ihn zu lesen, für sein eigentliches Publikum 
darüber hinaus noch ein Gewinn. 

Da es dem Verf. ja eigentlich nur um ästhetische 
Betrachtung ankommt, so gilt ihm das Werk mehr 
ale der Meister. Er hantiert mit dem Oeuvre 
Rembrandts, wie es die Überlieferung hergibt, 
und verzichtet leichthin auf eine kritische Son- 
dierung, wie ja überbaupt dem Kunsthistoriker 
von Holmes nicht sehr viel geboten wird. Wenn 
die ästhetische Betrachtung des Verf. einen Mangel 
aufweist, so ist es eben der spezifisch englische, 
daß ihm die reinliche Scheidung zwischen dem 
Kunstschönen und dem Naturschönen nicht liegt. 
Man lese daraufhin z. B. seine Betrachtungen 
über das Nackte auf S. 35. 

Nach einer Einleitung, die das Ziel des Buches 


242 


angibt, lauten die Kapitelüberschriften: R. und 
die Moderne, R. als Aufständischer, Die Grenzen 
des Umsturzes, R. als Selbst-Lehrer (an der Hand 
der Radierungen erläutert), Die Grenzen der Selbst- 
zucht (hier werden Akademien und die allgemeinen 
Probleme der Künstler-Lehr-Laufbahn besprochen), 
R. und die Landschaft, R. und Hals, R. und Van 
Dijck, R. und Tiziano Vecelli. In einem Appen- 
dix druckt Holmes die Notizen ab, die er sich bei 
der Durchsicht von R.s Radierungen im British 
Museum gemacht hatte. Auch diese sind nicht 
mit Rücksicht auf eine kritische Sichtung ab- 
gefaßt worden. Hans W. Singer. 


EUGEN HOLLÄNDER, Plastik und 
Medizin. Mit einem Titelbild und 433 
Textabbildungen. Verlag von Ferdinand 
Enke in Stuttgart 1912. 

„Dies Buch gehört in erster Linie dem deut- 
schen Arzt, ihm, der im täglichen Schaffen seiner 
menschenfreundlichen Arbeit und wissenschaftli- 
chen Forschung nicht die Ruhe und Muse findet 
zum Studium der Geschichte seines Standes; ihn 
will es bekannt zu machen versuchen mit den 
Ergebnissen medizin-bistorischer Einzelforschun- 
gen.“ So schildert der Verfasser in seiner „Ein- 
leitung“ sein Werk selbst als eine Fortsetzung 
seiner bekannten friheren Werke: ,,Medizin in der 
klassischen Malerei‘ und „Karikatur und Satire in 
der Medizin“ im Sinn einer Sammlung und bild- 
lichen Vorführung künstlerischer Dokumente, um 
„gewissermaßen Anschauungsunterricht in der Ge- 
schichte der Medizin zu geben“. 

Es ist hier nicht der Ort, zu prüfen, wie der 
Autor diesen seinen vornehmlichsten Zweck mit 
dem vorliegenden Buch erfüllt hat, obwohl es 
einem ärztlichen Referenten schwer ist, an dieser 
Stelle mit seiner Bewunderung über die Fülle des 
Materials, die wissenschaftlich-kritischen Analyser 
desselben zurückzuhalten. 

Das Werk, das sich mit einem Grenzgebiet von 
Kunst und Medizin beschäftigt, hat aber auch kultur- 
und kunstgeschichtlich eine große Bedeutung und 
gibt mancherlei neue Anregung. 

Die darstellende Kunst an sich hat bis in die 
ältesten Zeiten des Menschengeschlechts zurück 
als Ausdrucksmittel des religiösen Kult gedient. 

Die Medizin anderseits war wohl bei allen 
Völkern ursprünglich innig mit den religiösen 
Kultuseinrichtungen derselben verbunden, und 
zwar nicht bloß ursprünglich, sondern dieser Zu- 
sammenhang hat sich bis heute im Volk in Ge- 
stalt der Votivtafeln oder Bildnissen und von 


Opferung von Körperbestandteilen da und dort 
erhalten (Franz Lenbach lebte mit 16 Jahren von 
der Anfertigung von Votivtafeln). In diesem Sinne 
zeigt u. a. Holländer eine gewisse Ähnlichkeit der 
handwerksmäßigen Kunst der Votivschnitzerei in 
heutigen katholischen Kirchen mit derjenigen der 
Etrusker vor 2000 Jahren. Aber abgesehen von 
dieser mehr handwerksmäßigen Kunst hat die 
Plastik in verschiedenen Kulturperioden bei den 
verschiedensten Völkern dem Dienst des religiösen 
oder Toten-Kult den verschiedenartigsten Ausdruck 
gegeben. Es ist aber im allgemeinen die Aus- 
beute an künstlerischer Plastik mit medizinischem 
Sujet aus vergangenen Kulturperioden selbstver- 
ständlich größer, als aus der heutigen Zeit, und 
die höchste Vollendung und Mannigfaltigkeit künst- 
lerischer Skulptur dieser Art findet sich naturge- 
mäß aus der Zeit der hellenischen Kunstblüte. 
Ganz besondere Griindlichkeit hat Holländer hier 
den Bildnissen des hellenischen Heilgottes As- 
klepios gewidmet. Von den Heilgöttern geht er 
in der Gliederung seines Stoffes zu den Exvotos, 
dann zu allgemeinen Körperdarstellungen, zu den 
Schwangerschaft- und Krankheitsdarstellungen, zu 
den antiken Wahrzeichen ärztlicher Kunst, zu 
Heilbandlung, der Hygiene, dem Bad, zu den 
Inkubationsheiligen und Patronen der Ärzte, schließ- 
lich zu den Monumenten von Ärzten und dem 
älteren und neueren Krankenhausschmuck. 

Nicht nur für den Arzt, sondern für jeden Kunst- 
freund sowohl, wie den Künstler und auch dem 
Forscher auf dem Gebiet der Kulturgeschichte wird 
das Buch eine Quelle reicher Anregung sein. 

A. Rothschild. 


GUSTAV PAULI, Max Liebermann. 
Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben. 
Bd. 19. Stuttgart und Leipzig, Deutsche 
Verlagsanstalt, 1911. Geb. М. 10.—. 

Der Herausgeber gesteht selbst, es sei ein an- 
fechtbares Unternehmen, einen Lebenden mit seinem 
gottlob noch unabgeschlossenen Werk neben die 
alten Klassiker zu setzen. Er hoffe aber Recht- 
fertigung darin zu finden, „daß die Sitte mit den 
Führern künstlerischer und kultureller Bewegungen 
eine Ausnahme macht‘. Ich bin überzeugt, daß 
man ihm die Indemnität gern erteilen wird, und 
os ist überdies gar nicht zu leugnen, daß man den 
Namen Liebermann, der noch vor 20 Jahren die 
Revolution bezeichnete, heut schon den neuen 
Robespierres als eine Art von klassischem Gorgonen- 
haupt entgegenhält. 

Die Ernte von 45 Schaffensjahren wird uns in 


diesem Bande in 304 ganz vorzüglichen Repro- 
duktionen in die Hand gelegt, von dem Studien- 
kopf aus Steffecks Atelier bis zum Porträt Dr. Burch- 
ardts, und von den Ginserupferinnen bis zu den 
Korsobildern von der Alster und vom Pincio, da- 
zu eine Anzahl Studien. Und dieses Werk wird 
begleitet und glossiert von einer schönen Studie 
Qustav Paulis, die mit eifervoller Liebe und feinem 
Humor das beste von dem sagt, was heut über 
Liebermann gesagt werden kann. Ich will ver- 
suchen eine flüchtige Umrißzeichnung dieses Porträts 
zu geben. 

Liebermann hat keinen Schüler und seine Lehrer 
könnte man nach seinen Arbeiten kaum erraten. 
Er hat seine Anreger frei gewählt, und Leibl, 
Menzel und Frans Hals haben ihm mehr gegeben 
als seine eigentlichen Lehrer Steffeck und Pauwels, 
der Courbetschüler. Er findet das, was ihm ge- 
mäß ist, was ihn vorwärtsbringen kann, nicht 
mit der nachtwandlerischen Sicherheit des Genies, 
sondern in der wachen Bewufitheit des Mannes, 
der sich selbst so scharf und fremd beobachtet, 
wie seine Welt. Und, wie Pauli sagt, „eben die 
Bewußtheit seines Strebens ließ ihn danach ver- 
langen, sich einer großen Tradition lebendig ver- 
knüpft zu fühlen“. Es war Holland, wo er seine 
geistige Heimat fand, aber er „malt Holland wie 
ein Berliner‘ und von einer Beeinflussung, einer 
Anlehnung an die Meister des Landes darf man 
hier so wenig sprechen, wie irgendwo in seinem 
Werk. Es ist ein sehr feiner Abschnitt, und der, 
den sich das Publikum am besten merken sollte, 
wo Pauli über Anregungen und über die Plagiats- 
schnüffelei spricht. Es handele sich hier überall 
nur um den Prozeß der Auseinandersetzung mit 
anderen Tendenzen, an denen er nun einmal nicht 
vorbei konnte. Auch das vielberufene Verhältnis 
zu Menzel, das Eingehen auf Menzelsche Art in 
den Münchner Jahren will Pauli so verstanden 
wissen. „Er mußte sich eine Zeitlang auch mit 
dieser Form auseinandersetzen, um sie dann über- 
winden zu können.“ 

Die Ähnlichkeit mancher Motive bei Millet und 
Liebermann gibt Gelegenheit, fein zu bemerken, 
daß er hier als der große Individualisierungskiinstler, 
als wirklicher Realist dem französischen Typisier- 
ungsmaler, dem Manne der großen Gebärde gegen- 
übersteht. Pauli hat überaus recht, wenn er ein 
anderes Mal sagt, daß Liebermanns ganze Art 
überhaupt nur von der Ehrlichkeit, von der tem- 
peramentvollen, aber absolut phrasenlosen, unsen- 
timentalen Sachlichkeit aus begriffen werden kann, 
spezifisch berlinische Eigenschaften, die mit den 
Großen der Schule auch die Mittleren teilen. 


243 


Scharf wird auch die Trennungslinie zwischen 
Liebermann und den französischen Impressionisten 
gezogen. Bei ihnen ein neuer Kolorismus, der 
eine neue Art von schönem malerischen Vortrag 
herbeiführt“, bei Liebermann eine „reine Aus- 
druckskunst‘, für die „die Farbe an sich doch nicht 
so viel bedeutet, wie der Lichtwert des farbigen 
Tons“. Auch die Tonskala entwickelt sich um- 
gekehrt wie bei den Franzosen, und der gedämpfte 
graue Ton des ersten Waisenmädchenbildes und 
der Netzflickerinnen hellt sich in der dritten 
Fassung der Waisenmidchen auf, und in den 
letzten 5 Jahren erfolgt der Übergang zu einer 
entschiedenen Farbigkeit. 

Dieser entschiedene Individualist und Ausdrucks- 
maler hat dann, als er verhältnismäßig spit, da- 
für aber bereits mit der „Erfahrung eines reichen 
Lebens“ die ersten großen Porträts schuf, gleich 
mit 2 Meisterwerken debütiert, mit dem Bürger- 
meister Petersen und dem Bilde der Eltern. Pauli 
hebt fein hervor, daß von da an die Liebermann- 
‚schen Bildnisse repräsentativ aufgefaßt sind, und 
‚den Dargestellten auf das Podium einer erhöhten 
Menschlichkeit stellen‘, gegenüber den ungenierten 
Augenblicksaufnahmen der Frühzeit: Es ist das 
die Entwicklung zur Reife, und man darf daran 
erinnern, daß es dieselbe Entwicklung ist, die von 
den Porträts des italienischen Quattrocento zu 
denen des Cinquecento führt. Mit anderen Worten: 
die Entwicklung zum Klassischen. 

Man legt das Buch dankbar aus der Hand und 
besinnt sich, daß die Klassizität überall die gleiche 
ist. Sie liegt in der formalen und geistigen Be- 
herrschung der Darstellung und ist unabhängig 
von der Art des Vorwurfs. Was das Bild der 
Eltern vor dem Porträt der Großmutter voraus 


hat, was den Konservenmacherinnen von 1879 das 
reife Ansehen gibt gegeniiber der ersten Fassung 
von 1873, ist das gleiche, was Raffael vor Perugino 
voraus hat, was Holbein zum Klassiker unter den 
nordischen Porträtisten macht. 

Die Tendenzen des Sehens wechseln, die große 
Kunst ist überall und immer dieselbe. Und Lieber- 
mann selbst hat es gesagt: die Revolutionäre von 
heute sind die Klassiker von morgen. 

H. Friedeberger. 


ONESIME RECLUS, Atlas pittoresque 
de la France. Bd. I und II. Preis Fr. 40ũ.— 
pro Band. Attinger frères, Paris. 


Die beiden ersten Bände dieses groß angelegten 
Werkes, das im Frühjahr d.J. voliständig werden 
wird, enthalten etwa 300 Karten und Pläne der 
französischen Arrondissements in alphabetischer 
Reihenfolge und gegen 8000 zinkographische Re- 
produktionen nach photographischen Aufnahmen. 
Da bei Auswahl der Photographien auf die Kunst- 
denkmäler viel Gewicht gelegt worden ist, ist 
dieser Atlas auch für Kunsthistoriker ein interes- 
santes Nachschlagewerk, für diejenigen aber, die 
sich mit der Architektur und Plastik in Frankreich 
beschäftigen, ein unentbehrliches Handbuch. Die 
Naturaufnahmen und gleich zahlreichen beschrei- 
benden Artikel geben ein erschöpfendes Bild der 
französischen Landeskunde. Uns Deutschen ver- 
mag dieser Bilderatlas viele neue Anregungen zu 
geben; denn er deckt viele verborgene Schönheiten 
des Landes auf und weist auf manche unbekannte 
kulturhistorische und archäologische Monumente 
hin, die versteckt in stillen Dörfern liegen. 

Otto Grautoff. 


DER CICERONE. 

Heft 9: 

ADOLF GOTTSCHEWSKI, Die ältesten deutschen 
Fayencen. (4 Abb.) 

ROBERT SCHMIDT, Schlesische Goldschmiede- 
arbeiten. 


KARL LOHMEYER, Die Kurfürstlich Trierische 
Porzellanfabrik zu Schönbornslust. 


Heft 10: 
HANS KARLINGER, Die Neuerwerbungen des 
Bayerisch. Nationalmuseums im Jahre 1911. (8 Abb.) 
CARL GEBHARDT, Peter Burnitz. (3 Abb.) 
—r—, Der Neubau der Antiquitätenhandlung А. 5. 
Drey in München. (2 Abb.) 


DIE KUNST. 

Heft 8: 

OTTO GRAUTOFF, Albert Bernard. (1 farb. Taf., 
24 Abb.) 

PAUL CLEMEN, Jules Dalou. (2 Taf., 16 Abb.) 


G. J. WOLF, Die Frühjahrsausstellung der Miinch- 
ner Sezession. (9 Abb.) 


DIE KUNSTWELT. 

Heft 7: 

KARL FIGDOR, Indische Architektur. (18 Abb.) 
FRIEDRICH OFFERMANN, Die Organisations- 
losigkeit der bildenden Künstler. 

F. L. Otto H. Engel. (12 Abb.) 

R. BERNOULLI, Die Ausstellung von Schmiede- 
arbeiten aus Berliner Werkstätten im Kgl. Kunst- 
gewerbemuseum, Berlin. (13 Abb.) 


GEORG VOSS, Deutsche Kunst in Südamerika. 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 8: 

RICHARD STILLER, Maler Hans Unger, Losch- 
witz. (9 Abb.) 


WILHELM MICHEL, Münchner Frühjahrssezes- 
sion. (19 Abb.) 


E. W. BREDT, Das Verlangen nach Bildern. 


KARL WITH, Bildhauer Hermann Haller, Paris. 
(7 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 

Heft 8: 

HERMANN UHDE-BERNAYS, Die Tschudispende. 
(12 Abb.) 

FRIEDRICH LÜBBECKE, Die Städtische Galerie 
in Frankfurt a.M. (15 Abb.) 

RUDOLF TÖPFER, Essai de Physiognomie. Mitge- 
teilt und eingeleitet von Ernst Schur. 


GUSTAV PAULI, Die Ausstellung des Deutschen 
Künstlerbundes in Bremen. (5 Abb.) 


ZEITSCHR. FÙR BILDENDE KUNST. 
Heft 8: 

WILHELM R.VALENTINER, GemäldedesRubens 
in Amerika. (8 Abb.) 

J. A. BERINGER, Hubert Wilm. (2 Original- 

radierungen und 5 Abb.) 

K. FRIEDRICH LEONHARDT und HELMUTH 
TH.BOSSERT, Studien zur Hausmeisterfrage. (25 
Abbildungen.) 


LES ARTS. 

April: 

FREDERIC MASSON, Donnez-leur des trombones! 
A. FRAPPART, Les grandes ventes. (14 Abb.) 
SEYMOUR DE RICCI, Le Mantegna de la Vente 
Weber. (x Abb.) 

MAURICE HAMEL, Jules Lefebore (1836—1912). 
(7 Abb.) 

GABRIEL MOUREY, La Société Anglaise des 
artistes graveurs-imprimeurs. D’estampes originales 
en couleurs. (22 Abb.) 


LA REVUE. 
Nr. 8: 
Documents inédits sur Delacroix, Heim, Huet. 


LA GRANDE REVUE. 
XVI., Nr. 7: 
LEON ВЕСНЕ, Aloysius Bertrand et David d'Angers. 


LA REVUE DE FRANCE. 

Nr. 1 und a: 

ROGER ALLARD, Le Salon des Indépendants. 
ALFRED DEHODENCQ, Le Musée de Kerjean. 
RENE FERBOS, Un Musée régionaliste a Bordeaux. 


ART ET DECORATION. 

April und Mai: 

JACQUES COPEAN, Albert Besnard aux Indes. 
GUSTAVE KAHN, Lalique verrier. 


GABRIEL MONREY, Vile Salon des artistes dé- 
corateurs. 


O. L. VANDRYER, Pierre Lalrouche. 


MAURICE DUFRENE, Un concours de tables et 
verreries. 


L'ART DECORATIF. 
Nr. 169 und 170: | 


BOREA, L’exposition de la société des Beaux-Arts 
du XVe et XVIe a Nice. 


EMANUEL DE NAUBERT, L’école Estienne. 


MARCEL PARAYRE, L'’atelier des arts du bois 
de Toulouse. 


JEHAN D’JVRAY, L’Egypte, Terre de Beauté. 


245 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VII., Nr. 85: 

CAMILLE MAUCLAIR, L’Inde vue par Albert 
Besnard. 


JEAN MERYEM, Le Bain de Marbre de Cassel. 
LÉON ROSENTHAL, La peinture allemande. 


THE STUDIO. 

Mai: 

A.STODART WALKER, The paintings of D. Y. 
Cameron, A.R.A., A.R.S.A. (то Abb.) 


A. L. BALDRY, A painter of romance: Mr. Tom 
Mortyn. (6 Abb.) 


Pictures of Old Moscow by Vasnetzoff. (7 Abb.) 


E. A. TAYLOR, The American Colony of artists 
in Paris. III. (10 Abb.) 


ROBERT MOBBS, A Swiss artist: Edmond а. 
Reuter. (13 Abb.) 


APOLLON. 
Heft 2: 


A. ROSTISLAWOW, Sergej T. Konenkow, russ. 
Bildhauer, geb. 1874. (1 Taf., 16 Abb.) 


ALEX. BENOIS, Kinderspielzeug. (5 Abb.) 


N. D. BARTRAM, Uber die Méglichkeit der Wieder- 
erweckung der Volkskunst im Spielzeug. (8 Abb.) 


THE BURLINGTON MAGAZINE, 


Mai 1912: = 

O. M. DALTON, Byzantine Enamels in Mr. 

Pierpont Morgans Collection. (1 farbige und 

a Lichtdrucktafeln mit zahlreichen Abbildungen.) 
Fortsetzung des Artikels aus dem vorigen Heft. 


ARTHUR M. HIND, Jacques Callot. (3 Tafeln 

mit 7 Abbildungen.) 
Schließt sich an P. P. Plans „Jacques Callot, 
maitre-graveur“, Brüssel-Paris 1911 an und gibt 
gleichsam als Ergänzung dieses Werkes die in 
ihm fehlende Liste der Callotblätter im Britischen 
Museum. 

T. A. JOYRE, Central African Embroidery. 

(3 Tafeln mit 5 Abbildungen.) 
Diese Negergewebe wurden aus dem Belgischen 
Kongo nach London gebracht und befinden sich 
jetzt im Britischen Museum. Solche Gewebe 
sind nicht allgemein bei Negerstämmen zu finden. 
Die Bushongo stellen die künstlerisch besten dar. 

ALYS TEOTTER, On Varnishes As Vehic- 

les Ared As Protections — L 
Historisch-technische Abhandlung über Firnisse 
und deren Anwendung. 

ROGER FRY, Exhibition of Pictures of the 

Early Venetian School at the Burlington 

Fine Arts Club. Ш. (a Tafeln mit 4 Abbildungen.) 
Dieser dritte und letzte Artikel über die Aus- 
stellung venetianischer Meister beschäftigt sich 
vor allem mit Carpaccio, sodann mit der dem 
Lord Allendale gehörigen, Giorgione zuge- 


246 


schriebenen „Geburt“, die Fry dem Cariani zu- 
weist, einem Männerporträt von Basaiti und 
einigen anderen Werken. 
A. ROMNEY GREEN, Principles and Evo- 
lution of Furniture Making. — II. (2 Tafeln 
mit 5 Abbildungen.) 
Historische Darstellung der Werkzeuge und Me- 
thoden der Kunsttischlerei. 
LIONEL CUST, J.M. Turner R.A. — An Epi- 
sode in Early Life. 
Art in France. Letters to the Editore. Re- 
views and Notices. German Periodicals. 


Recent Art Publications. 


STARYJE GODY. 


Februar: 


Е. WITBERG, Alexandre Witberg et son projet 
d’église a Moscau. (то Abb.) , 


Russischer Architekt (1787—1855), dessen gran- 
dioser Plan einer Erlöserkirche zur Erinnerung 
an das Jahr 1812 bereits in Angriff genommen, 
aber nach dem Tode Alexander I. wieder aufge- 
geben wurde. 


W. STCHAVINSKY, Leonard Bramer. (20 Abb.) 


Versuch einer Schilderung des Entwicklungs- 
gangs des Delfter Künstlers nebst Chronologie 
seiner Werke, von denen sich gerade in russi- 
schen Sammlungen — bei Fürst W. Argutrinsky- 
Dolgorenkow, P. Delarow, P. Semenow - Tian- 
schranski, B. Chanenko, N. Roehrich, Schloß 
Pawlowsk und dem Verfasser — eine große An- 
zahl befinden. Stch. polemisiert mit Bode in 
bezug auf den Einfluß Elsheimers auf Bramer, 
den er direkt negiert und verweist dagegen auf 
die starke Verwandtschaft von Bs. Schaffen mit 
den Venezianern, besonders den Bassanos. 

N. BEETS, ,,La justice“, dessin d’Albrecht Diirer. 

(1 Abb.) 
Zeichnung in der Ermitage, wahrscheinlich aus 
der Sammlung Kobentzl stammend. 

S. JAREMITCH, Les classiques les romantiques А 

l’Exposition centenale d'Art francais à St. Peters- 

bourg. (6 Abb.) 
Reproduktion von Gemälden von Tarrnay, De- 
marne, Ch. Vernet, J. B. Guérin, Gérard, Drol- 
ling aus russischen Sammlungen. 


März: 

GEORGES ET LADISLAS LONKOMSKY, Le 

chäteau de Visnowiec et son histoire. (37 Abb.) 
Das Schloß in V., wahrscheinlich von einem 
Schüler Mansarts nach 1730 erbaut, gehörte 
einst den Fürsten Wischniewiecki, später den 
Grafen Mniszech, jetzt Herrn P. A. Demidow. 
Beschreibung seiner innern Ausstattung und der 
besonders für die Geschichte Polens wichtigen 
Kunstwerke. 

Р. ETTINGER, ]. Ө. Schadow et ses souvenirs 

sur la Russic. (3 Abb.) 
Schs. Beziehungen zu Rußland auf Grund seiner 
Kunstwerke und Kunstansichten. i 


April: 

W. GERNGROSS, Le palais des Khaus à Bakh- 

tchisarai. (27 Abb.). 
Beschreibung dieses bedeutendsten Denkmals 
plastischer Kunst der Krinischen Tataren, das 
wahrscheinlich ursprünglich am Anfang des XVI. 
Jahrhunderts erbaut, 1756 bei Eroberung durch 
die Russen unter Münnich fast ganz einge- 
äschert, nachher wieder neu erbaut und seither 
zu wiederholten Malen renoviert wurde. 


E. DE LIPHART, Le legs du comte Paul Stroganoff 

à l’Ermitage Imperial. (9 Abb.) 
Gemilde von Cima da Conegliano, Filipperio 
Lippi, Domenichino, Giovanni Francesco Maineri, 
dem Genuesen G.B. Carbone, M. Hobbema. Einen 
früher Correggio zugeschriebenen „Christus am 
Kreuz“ betrachtet L. als flämische Arbeit, die 
Zuschreibung eines „holländischen Interieurs“ 
an Peter de Hoogh hält er für fraglich und die 
kolossale Faunbüste in Bronze gibt er dem 
Baccio Bandinelli. 


8. T., L’exposition Wedgwood а St. Petersbourg. 
(4 Abb.) 


ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST. 
Heft a: 
FRITZ WITTE, Alte und neue Kirchen- und Vereins- 
fahnen. I. (1 Taf.) 
LUDWIG ARNTZ, Wegekreuz und Wegebild. L 
(ax Abb.) 
JOSEPH KREITMAIER 8. J., Monumentalmalerei. 
MAX HASAE, Der Knick in der Lingsachse mittel- 
alterlicher Kirchen. 
Der Knick findet seine Erklärung in der bei jedem 
Neubau zur Tag- und Nachtgleiche erfolgenden 


Orientierung der Lingsachse nach Sonnenauf- 
gang. Da die Zeitmessung ungenau war, er- 
gaben sich gegen friihere Teile des Baues stets 
Abweichungen. 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 
Heft 7: 
FELIX MADER, Zwei Kruzifixbilder v. Loy Hering. 
a Abb.) 
Die Stiicke befinden sich in der Kapelle zur 
schmerzhaften Mutter Gottes bei St. Georg in 
Augsburg und in der Franziskanerkirche zu 
Schwaz. 
HUGO STEFFEN, Drei Baumeister der mittelalter- 
lichen Baukunst des 19. Jahrhunderts. (6 Abb.) 
Wilhelm Hase, Friedrich Schmidt und Gottlob 
Ungewitter, 
THEODOR DOMBART, Das Doppeikreuz. 
HANS SCHMIDKUNZ, Berliner Kunstbrief (Schluß). 


NEUE BÙCHER.......................... 


ALFONS DIENER-SCHÖNBERG, Die Waffen der 
Wartburg. Beschreibendes Verzeichnis der Waffen- 
sammlung Sr. königl. Hoheit des Großherzogs Wil- 
helm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach. Histo- 
rischer Verlag Baumgärtel, Berlin. 

P. G. KONODY, Die Tate-Galerie. Verlag Franz 
Hanfstaengl, München. Preis geb. M.12.—. 
M. BARRES, Gréco ou le secret de Tolède. 
Emile Paul. Preis Fr. 3.50. 

K.NONN, Christian Wilhelm Tischbein, Maler und 
Architekt (1751—1824). Verlag Heitz & Mündel, 
Straßburg. Preis M. 7.50. 


Paris, 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma Anton Schroll 6 Co., Wien, aber die Werke des Plastikers 
JOSEF THADDÄUS STAMMEL in Admont und anderen Orten ( 1765). Herausgegeben von Professor Anton 


Mayr bei, der den Lesern besonders empfohlen sel. 


V. Jahrgang, Heft VI. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lankwitz, 
WaldmannstraBe 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr.M.K. ROHE, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. | 
In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse ат. | In ENGLAND: FRANK E. WASH- 
BURN FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, 
de Riemerstraat 22. | In FRANKREICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon 11. | In der 
SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 
Montags 10—12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telephon: Amt Groß-Lichterfelde 456. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


247 


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Kunstwissenschaftliche Neuerscheinungen 


Die Renaissance und Barockvilla in Italien 


Bd. L Palast und Villa in Toscana 


Versuch einer Entwicklungsgeschichte. LBuch: Die Zeit des 
Werdens von Privatdozent Dr.Bernhard Patzak, Breslau 


VII u. 152 Seiten Großoktav. Mit 152 Abbild. im Text und 
auf 73 Tafeln in Lichtdruck. Geh. М. 40.—, geb. М. 44.— 


Literarisches Zentralblatt für Deutschland: Wenn die folgenden Bande der „Renaissance- und 
Barockvilla in Italien‘ die Qualitat dieses ersten erreichen, so dürfen wir damit das Erscheinen eines weit aus- 
gedehnten Unternehmens begrüßen, das wirklich eine Lücke in der kunstgeschichtlichen Literatur ausfüllt. 
Behandelt werden in diesem ersten "Bande Palast und Villa in Toscana, vom frühen Mittelalter bis herab zum 
14. Jahrhundert. Eine Reihe wichtiger Monumente, uber die man bisher nur in der Lokalliteratur Aufschluß 
suchen konnte, werden hier zum erstenmal in einem großen kunsthistorischen Zusammenhange vorgeführt. 
Die Behandlung geschieht mit aller Grundlichkeit, so daß nicht nur die erhaltenen Denkmaler gewürdigt werden ; 
es werden auch die gleichzeitigen mittelalterlichen Schriftsteller, dann die Gemälde als Belege gebracht. So 
ergeben sich wichtige Resultate, von denen Referent besonders den Nachweis eines weitgehenden Einflusses 
des Orients hervorheben will. Unter den Illustratidnen, zumeist Lichtdrucken, sind viele Aufnahmen des Ver- 


fassers, die meisten werden zum erstenmal publiziert. 


Früher erschien: Bd. Ш. DIE VILLA IMPERIALE IN PESARO 


Studien zur Kunstgeschichte der italienischen Renaissancevilla und ihrer Innen- 
dekoration. 492 Seiten mit 278 Abbildungen. Geheftet М. 32.—, gebunden М. 35.— 


Uber die Entwicklung der Abendmahls- 


darstellung 
von der byzantinischen Mosaikkunst bis zur niederlandischen Malerei 
des 17. Jahrhunderts von Dr. F. Adama van Scheltema 
Quart. VII und 184 Seiten mit 21 Tafeln in Lichtdruck. Geheftet Mark 14.— 
Durch die paarweise Gegenüberstellung und eingehende Besprechung der wichtigsten Darstellungen des Stoffes 


bricht diesesWerk mit der in ikonographischen Studien bestehenden Tradition der bloßen Katalogisierung und 
nahert sich der heute so sehr beliebten und geubten Methode der vergleichenden Kunstbetrachtung. Der 


- grundsatzliche Unterschied besteht aber darin, daß die jeweilig sich ergebenden Abweichungen in künstlerischer 


Eigenart in der chronologisch geordneten Reihe von Darstellungen von Stufe zu Stufe und über einen großen 
Zeitraum verfolgt wurden, womit durchgehende Linien der künstlerischen Entwickelung in den 
italienischen, deutschen und niederlandischen Kunstprovinzen festgestellt werden konnten. 


Verlag Klinkhardt & Biermann Leipzig 


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Abb.8. VINCENNES im Gebetbuch Fouquets. Chantilly 


Zu: AUGUST GRISEBACH, ARCHITEKTUREN AUF NIEDERLÄNDISCHEN UND FRANZÖSISCHEN GE- 
MALDEN DES 15. JAHRHUNDERTS 


M. f. K. v., 6 


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Abb. 10. Mehun-sur-Yèvre, Aufnahme von 1737 


Zu: AUGUST GRISEBACH, ARCHITEKTUREN AUF NIEDERLÄNDISCHEN UND FRANZÖSISCHEN GEMALDEN DES 15. JAHRHUNDERTS 


Abb. g. Mehun-sur-Yèvre, Livre d’Heures de Chantilly 


Pf, N. 


Abb. т. Der Palazzo Medici und das alte 
Familienhaus. — Aus einer Ansicht von 
Florenz in der Ptolemäus - Übersetzung 
desJacopod’AgnolodaScarperia (Cod. Vat. 
Urb. 277); s. Mitt. des Kunsthist. Instituts, 
2. Heft, 1909, S. 85. 


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Abb. 2. Virgil-Kodex der Biblioteca Riccardiana, Florenz. Aeneis І, V.551— 590: Die Begrüßung der 


flüchtigen Trojaner durch Dido. Rechts im Hintergrunde wird am Palazzo Medici gebaut 


Zu: WALTER BOMBE, DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND SEINE WIEDERHERSTELLUNG 


M. f. K. V., 6 


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Tafel 49 


Abb.3. Virgil-Kodex der Biblioteca Riccardiana, Florenz. Aeneis I, V.615: Das Wiedersehen zwischen 
Aeneas und Cloanthus 


Abb. 4. Virgil-Kodex der Biblioteca Riccardiana, Florenz. Aeneis І, У. 695—720: Cupido, in Ge- 
stalt des Knaben Ascanius, betört Dido. Im Hintergrunde der Palazzo Medici mit Blick in den 
Garten und in den Hof 


Zu: WALTER BOMBE, DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND SEINE WIEDERHERSTELLUNG 


M. f. K. v., 6 


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Abb. 5. Virgil-Kodex der Biblioteca Riccardiana, Florenz. Aeneis I, V. 723—756: Aeneas und Dido 
mit Gefolge beim Gastmahl. Hof des Palazzo Medici mit Blick in den Garten 


Abb. 6. Virgil-Kodex der Biblioteca Riccardiana, Florenz. Aeneis II, V. 436—444: Der Palast des 


Priamus (in Gestalt des Palazzo Medici) wird gestürmt 


Zu: WALTER BOMBE, DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND SEINE WIEDERHERSTELLUNG 


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Abb. 7. Virgil- Kodex der Biblioteca Riccardiana, Florenz. Aeneis II, V. 767—789: Der Schatten 
der Creusa erscheint Aeneas. Im Hintergrunde der Palazzo Medici 


Abb. 8. FRANCESCO GRAN ACcCl, Einzug König Karls VIII. in Florenz am 17. November 1494 
Mailand, Galleria Crespi 


Zu: WALTER BOMBE, DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND SEINE WIEDERHERSTELLUNG 


M. f. K. V., 6 


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Abb. 10. Die restaurierte Gartenloggia des Palastes. Innen- 
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Zu: WALTER BOMBE, DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND SEINE WIEDERHERSTELLUNG 


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Tafel 53 


Abb. 11. Ansicht des Palazzo Medici von Süden. Blick in den Garten mit der zinnen- 
gekrönten Mauer und dem Standbilde Herzog Alessandros. Vergrößerung aus dem Plan 
der Stadt von Bonsignori von 1584 Phot. Mannelli 


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Abb. 12. Palazzo Medici-Riccardi. Die Gartenmauer nach Via dei Ginori, mit Sgraffitti und Wehrgang. 
Rechts das Portal Phot. delle RR. Gallerie 


Zu: WALTER BOMBE, DER PALAZZO MEDICI-RICCARDI UND SEINE WIEDERHERSTELLUNG 


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Zu: HERMANN NASSE, EINE ZEICHNUNG J. CALLOTS IN DER KÖNIGL. GRAPHISCHEN SAMMLUNG 


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Monatshefte für Kunstwissenschaft 


=== Abonnementspreis halbjährlich 12 Mark 


Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 7 


ABHANDLUNGEN 


PAUL SCHUBRING, Die Tongruppe der Pietà 
in 8. Satiro in Mailand. Mit 8 Abbildungen 
auf 3 Tafeln 

AUGUST GRISEBACH, Architekturen auf nieder- 
ländischen und französischen Gemälden des 
15. Jahrh. Ein Beitrag zur Entwicklung der 
Formensprache der nordischen Renaissance. U. 
Mit 33 Abbild. davon elf auf 4 Tafeln 8. 254 

HERMANN UHDE-BERNAYS, Der Mantegna 
der Sammlung Weber. 
davon zwei im Text 8. 273 

FRANZ STADLER, Zum Wiederaufbau von 


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Multschers Sterzinger Altarwerk . . . . 8.279 
LITERATUR 
Friedrich Rintelen, Giotto und die Giotto- 
Apokryphen (Vitzthum)......... 8. 282 
Fred. C.Willis, Die Niederländische Marine- 
malerei (Jantzen) ............. S. 289 


M.Liefmann, Kunst und Heilige. Ein ikono- 
graphisches Handbuch zur Erklärung der 
Werke der italienischen und deutschen Kunst 
(Sobotka). ................. S. 290 


A.S.DREY 


Königl. Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximilianplatz 7 
| PARIS, 39 Rue La Boetie 


Mit 4 Abbildungen, 


kostbarer Antiquitäten + Ein- und 
Verkauf wertvoller Skulpturen, 
Gemälde, Porzellane, Möbel und 


Paul Kautzsch, Der Mainzer Bildhauer Hans 
Backoffen und seine Schule (Back) . . 8.292 
Werner Weisbach, Impressionismus, ein Prob- 
lem der Malerei in der Antike und Neuzeit IL 
Freyer FFF 8. 293 
Julius von Schlosser, Der burgundische Para- 
mentenschatz des Ordens vom Goldenen Vliese 
(Schuette) 8. 294 
Richard P. Bedford, St. James the Less. 
A Study in Christian Iconographiy (Singer) 
8. 295 

André Fontaine, Les Doctrines d'art en 

France: De Poussin a Diderot (Grautoff) 
André Fontaine, Les Collections de ?S.296 

l'académie royale de Pointure et de 
sculpture (Grautoff) 
Johannes Sievers, Bilder aus Indien 
(Biermann) 
Arstne Alexandre, Durand -Ruel, Porträt et 
Histoire d'un marchand (Grautoff). . . S. 297 


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Berichtigung (Haendcke) ........ 8.297 
Rundschau 8. 298 
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Ausstellung 


Antiquitäten jeder Art. 


JULIUS BOHLER · MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR 82 MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR 
| BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÄLDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITATEN 


DIE TONGRUPPE DER PIETÀ IN S.SATIRO 
IN MAILAND Von PAUL SCHUBRING 


Mit acht Abbildungen auf drei Tafeln Ses T E E T E E 6 6 6 % 8 0% 8689806 


Ee Biscaro hat im Archivio storico lombardo (September 1910) das Tagebuch 
eines Notars Boniforte Gira aus dem 15. Jahrhundert publiziert, aus dem un- 
zweifelhaft hervorgeht, daß die beiden vieldiskutierten plastischen Hauptstücke der 
Kirche S. Satiro in Mailand, der Fries in der Taufkapelle Bramantes, mit den schweren 
Köpfen zwischen spielenden und musizierenden Putten und die große Pietägruppe 
in der Cappella Ansberto links vom Chor von einer Hand stammen. Nicht Bra- 
mante und nicht Caradosso ist der Meister, sondern der bis dahin gänzlich unbe- 
kannte, nur in Parma noch nachweisbare Agostino dei Fonduti da Padova, der 
1488 den Fries der Sakristei vollendet und bald darauf per il compimento del se- 
pulchrum existens in decta ecclesia sancti Sattari bezahlt wird. Ип Mai 1491 wird 
der Maler Antonio Raimondi beauftragt, diese Pietà zu bemalen; Bramante soll nach 
vollendeter Arbeit Schiedsrichter sein. Damit wird endlich über ein Werk Auf- 
klärung gegeben, das die Freunde italienischer Plastik lange beschäftigt und ge- 
quält hat, das aber nie recht zur Debatte gekommen ist, weil keine gute Photo- 
graphie existierte und weil eben auch der sog. Caradossofries immer unsicher war. 
Nun wird die Aufklärung gegeben, die nach mehr als einer Seite überraschen muß. 
Zunächst die frühe Entstehung — 1491 sicher vollendet! — bei einem Werke, das 
schon den Charakter der Hochrenaissance verrät, und nicht in der fortgeschrittenen 
Toskana, sondern in der Lombardei steht. Und dann: dies Meisterwerk — als sol- 
ches wurde es von jeher angesehen — stammt ebenso wie der herrliche Fries von 
einem bisher gänzlich unbekannten Mann, der nicht zu den Handwerkern oder den 
bloß Geschickten gehörte, sondern eine persönliche Form bester Art sich errang! 
Ludwigs früher Tod hat leider die systematische Erschließung der Paduaner Künstler- 
akten verzögert. Der Name des Tonplastikers weist aber auf Padua und der Zu- 
sammenhang mit Donatellos Kunst im weiteren Sinne ist offenkundig. Leider weisen 
die Akten des Santo, die ja sehr sorgsam von Gonzati publiziert sind, den Namen 
des Agostino de’ Fonduti ebensowenig auf wie die von Gloria publizierten Doku- 
mente. Wir müssen uns also zunächst damit begnügen, diese 1491 vollendete 
Pietàgruppe (Abb. 1) stilistisch zu würdigen. 

In einer bemalten Nische, wie sie ähnlich in der Osservanza bei Siena Francesco 
di Giorgios gleichzeitige Pietagruppe*) umgibt — auch dort das leere Kreuz im 
Hintergrund —, schließt sich die aus nicht weniger als dreizehn Figuren bestehende 
Gruppe mit acht stehenden um fünf sitzende, kniende und liegende Figuren der 
Mitte. Der tote Christus liegt auf den Knien der ohnmächtig zusammenbrechenden 
und nach rechts zurückfallenden Mutter; sein Haupt wird von einer jugendlichen 
Frau gestützt; zu seinen Füßen kniet, ihm zugewandt, Magdalena, mit gelösten 
Haaren. Den Leib stützt der langbärtige Joseph von Arimathia. Alle Figuren 
sind in stärkster Bewegung, die im Zusammenbrechen der Mutter den Höhepunkt 
erreicht. Hier ist nichts von der strengen und harten Axenbetonung, wie sie die 
Florentiner Giovanni della Robbia und selbst Benedetto de Maiano vortragen; aber 
ebenso fern ist die Art eines Niccolò da Bari, der bei seiner leidenschaftlichen 


(1) Der Umbau des Osservanza beginnt 1485. 1490 ist Francesco di Giorgio in Mailand Cozzarelli 
ist der Architekt; ihm können wir unmöglich die dortige Pietà zuschreiben, die zu den stärksten Leistungen 
gehört, welche Siena hervorgebracht hat. Näheres darüber in meiner Plastik Sienas, S. 179 ff. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 7. 19 249 


Gruppe von 1463 in Bologna (Sa. Maria della Vita) den Leichnam tief und klein 
auf den Boden ausgestreckt legt, um dann die Klageweiber doppelt groß und wild 
aufrauschen zu lassen (Abb. 4). Der in Mailand auf den Knien der Mutter liegende 
Leichnam ist hochgehoben; er leuchtet in seiner vielfach gebrochenen und gedrehten 
Horizontale mit derselben wehmiitigen und ausdrucksreichen Kraft wie Michelange- 
los sechs Jahre später entstandener Christ. Besonders ergreift das sinkende Haupt 
des Herrn, das auf die Schulter des klagenden Mädchens links fällt. Dadurch 
kommen diese beiden Gesichter ganz nah zusammen, das tote uns zu-, das weib- 
liche nach oben seufzend gewandt. Eine andere starke Stelle ist das hellbeleuch- 
tete Gesicht der Mutter, das in den Händen einer sorgenden Frau ruht, deren 
Antlitz tief beschattet ist. Isoliert bleibt der Kopf Magdalenas, deren Erscheinung 
durch die Neigung des Oberkörpers, das Stieren der Augen und „der Liebe leises 
Weinen“ charakterisiert ist. Sie ist hier nicht die Trägerin leidenschaftlichen Ge- 
bahrens, wie sie es meist auf den Pietäbildern des Trecento war. Auch hier ist 
eine Verwandtschaft mit Francesco di Giorgios Osservanza-Komposition zu er- 
kennen. Auf dieser fehlt ja freilich heute die Magdalena; aber wir haben eine 
entsprechende Magdalenenfigur in So. Spirito in Siena, von der gleichen Hand und 
diese ähnelt der Mailänder Magdalena sehr stark!). Bekanntlich war Francesco 
im Jahr ‘1490 in Mailand; es ist nicht ausgeschlossen, daß er die damals entstehende 
Gruppe des Paduaners beeinflußt hat. Sicher fühlen wir in dieser ausdrucksvollen 


Figur den Einfluß eines anderen toskanischen Meisters, der damals in Mailand 
weilte — Leonardos. 


Eine Zwischenbemerkung: Leonardo und Francesco di Giorgio geraten hier wieder 
einmal in Verbindung: bei einer und derselben Figur muß man an beide Meister 
denken. Sie haben in der Tat in ihrer Kunst manches Verwandte. Das Beseelte 
und Nervöse, das sprunghaft Bewegte und die innere Durchströmung der Leiber, das 
alles findet sich dort und hier, wenn auch in verschiedenem Maß. So ist es nicht 
überraschend, daß gerade zwischen diesen Beiden jene drei Reliefs strittig sind, über 
die so lebhaft noch immer diskutiert wird: die Discordia in London (ein zweites 
Exemplar im Palazzo Saracini in Siena), die Geißelung Christi in Perugia und das 
Pietärelief in Sa. Maria del Carmine in Venedig (aus Urbino). Bode faßte zuerst 
diese Reliefs zu einer Gruppe zusammen und schrieb sie zuerst Verrocchio, dann 
Leonardo selbst zu. In meinem Buch über die Plastik Sienas suchte ich die Autor- 
schaft Francesco di Giorgios wahrscheinlich zu machen; Wickhoff, Hill, Maclagen, 
Bombe, Hartlaub u. a. haben zugestimmt. Jedenfalls gehört zu der Gruppe, wie schon 
Bode richtig erkannte, auch das Parisurteil bei Gust. Dreyfuss in Paris (Abb. 5). — 
G. F. Hill hat der Attribution an Francesco di Giorgio eine wichtige Stütze ver- 
liehen, indem er im Burlington Magazine eine Medaille Fedorigo d’Urbinos (das 
einzige Exemplar in Londoner Privatbesitz) veröffentlichte, die er ebenfalls mit 
jenen drei obengenannten Reliefs in Verbindung bringt. Durch diese Medaille wird 
aufs neue auf Urbino verwiesen und nicht auf Florenz. Wir bilden das seltene 
Stück, von dem mir Dr. Hill einen Abguß zur Verfügung stellte, ab (Abb. 7 und 8) 
in der Hoffnung, daß über kurz oder lang die Frage aufs neue debattiert wird. — 
Dagegen kann ich in dem feinen Tonmodell, das sich im Museo industriale in Rom 
befindet, keine Vorstufe zur Pietà der Sieneser Osservanza sehen; es scheint mir 
eine Arbeit des hohen Cinquecento. 


(1) Abb. Schubring, Sieneser Plastik, S. 185; von Pietro d’Achiardi in l’Arte 1904, р. 399 als späte Robbia- 
arbeit bez., Gio. Poggi tritt im Emporium Juli 1904, S. 45 für Cozzarelli ein. 


250 


Die Gruppe der acht stehenden Figuren der Mailänder Pietà beginnt links mit 
der ausdrucksreichen Klagefigur des Johannes, der Mantegnas berühmter Kupferstich 
zugrunde liegt, wo Jahannes aber seitlich gezeichnet ist. Diese Figur ist ganz von 
donatelleskem Pathos erfüllt. Im Gegensatz zu dem kahlen Haupt des Joseph von 
Arimathia ist sein junger Kopf von bellinesken Locken umhüllt — man denkt an 
Bellinis Pietà in der Brera. Dann folgen ein Orientale im Turban — vielleicht 
Simon von Kyrene, die Klageweiber im Hintergrund und ein zweiter Orientale in 
würdiger Emphase!). Den Abschluß bildet eine Figur, die das Auge des Neu- 
gierigen schon beim ersten Blick rätselhaft beschäftigt, eine Mohrin mit einem 
nackten Knäbchen vor der Brust. Es ist die achte Frau dieser dreizehnköpfigen 
Gruppe, die also nur fünf Männer enthält. Alle Altersstufen sind vertreten, vom 
Säugling zur Jungfrau, vom Jüngling zum Greis, vom Mädchen zur Matrone. Für 
jeden Beter ist also gesorgt, daß er zu einem Gleichaltrigen aufschauen kann, der 
das Stammeln seiner Lippen begreift. 

In der Tat ist diese Gruppe der Pietà schon wegen der Fülle der Figuren ohne 
Vergleich. Selbst die realistische Ausdeutung solcher Gruppen in Modena?) erreicht 
nicht die Mailänder Figurenzahl (Abb. 3). Und alle die aus Padua und Vicenza und 
Ferrara stammenden Lünettenreliefs der Pietà — ein besonders schönes Stück in der 
soeben dem französischen Staat vermachten Sammlung Madame Andrées in Paris — 
beschränken sich in der Zahl. Das nächste Vergleichstück bietet die schon oben 
genannte Pietà Niccolös da Bari in Sa. Maria della Vita in Bologna (Abb. 4), 
die 1463, also etwa 35 Jahre früher entstanden ist“). Dieses Werk, markant durch 
das ungeheure Pathos des Schwunges, höchst ausdrucksvoll in der Durchführung 
der einzelnen Figuren, hält dennoch in der Komposition den Vergleich mit der 
Mailänder Gruppe nicht aus. Es bleibt im handwerklichen Nebeneinander der 
Figuren stecken, In Mailand schließt die Nische die Gruppe zusammen, die sich 
in langsamer Steigung von der Tiefe zur Höhe füllt. Die Sohle, in Bologna mit 
dem harten Totenbrett hart belegt, wird in Mailand lediglich von den Füßen und 
Knien der Figuren besetzt; eine erste Lage bietet der Leib des Herren, eine zweite 
die Köpfe unmittelbar darüber, und die letzte Höhe wird von der höchst bewegten 
Kopfreihe der stehenden Figuren gebildet. Die Wölbung der Nische bleibt leer; 
man könnte vermuten, daß hier einst noch schwebende Engel angebracht waren. 

In Florenz sind solche freiplastische Pietägruppen, wie Bode nachgewiesen hat, 
erst eine Folge der Savonarolastimmung. Giovanni della Robbia ist der Hauptver- 
treter dieser Richtung. All diese Arbeiten liegen später als die Pietà in Mailand, 
die 1491 vollendet gewesen sein muß. 

Der Cicerone, der den Fries der Taufkapelle Bramantes іп S. Satiro (Abb. 2) dem Vin- 
cenzo Foppa gen. Caradosso (ca. 1445—1527) zuweist (richtige Datierung „um 1488“), 
will in der Pietägruppe „eine dem G. Marroni verwandte Anordnung und Auf- 
fassung“ finden, „aber mehr Geschmack und Energie“ Venturi (Storia d. a. i. VI, 
S.916) nennt die Pietà mit Recht un capolavoro, spricht sie aber Amadeo zu und 
betont ihre Verwandtschaft mit Ben. Brioscos Pietà im Monte di Pietà in Mailand. 
Dagegen hält auch er für den Fries den Namen Caradosso fest. Beides ist nach 


(1) Venturi, Storia 4. a. i. VI, 8.915, nennt diese Figur Nicodemus. 

4a) G. Mazzonis Pietà in S. Giovanni in Modena hat nur acht Figuren. 

(3) Vgl. den Artikel über Niccolò da Bari in der Zeitschr. für bild. Kunst 1904. Ferner Venturi, 
1. с. S. 753ff. L. Aldovrandi in l'Arte II, 1899. W. Bode ibid. Das bekannte Donatelleske Bronze- 
relief in Wien mit der Silbertauschierung hat freilich 18 Figuren, kann aber mit der freiplastischen 
Gruppe nicht ohne weiteres verglichen werden. 


251 


den von Ger. Biscaro veröffentlichten Dokumenten nicht mehr zu halten. Sowohl 
der Fries wie die Pietä stammen von dem gleichen Meister Agostino dei Fonduti 
aus Padua und aus der gleichen Zeit 1488—1491. Ein Vergleich zwischen dem 
einen Jünglingskopfe des Frieses (auf dem Stück, wo die Putten Tamburin und 
Trommel spielen [Abb. 2]) und dem Kopf des Johannes der Pietà zeigt die größte 
Ähnlichkeit. Sonst ist es ja schwer, Fries und Gruppe zu vergleichen, da jener 
auf den einheitlichen Bronzeton gestimmt, diese für farbige Bewegung tomponiert 
ist. Zudem bietet die Ansbertokapelle mit der Pietägruppe einen Prospekt, während 
die dunkeln Friese für den starken Kontrast gegen die hellen Bauglieder Bramantes 
berechnet sind. Beide Arbeiten sind aber gleich weit von jedem Medailleurge- 
schmack entfernt, auf den doch Caradossos Name weisen würde. 

Auch darin hat Venturi unrecht, wenn er den lombardischen Charakter der Pietà 
so stark betont („capolavoro dell’ arte lombarda“). Vielmehr ist alles an dem 
Werk paduanisch. Wie man bei dem Fries an den bronzefarbenen Altar Giovanni 
da Pisas in den Eremitani als Vorstufe denkt, so scheint mir die Pietà mit den 
paduaner Figuren in S. Canziano in Padua um 1530 (zwei zugehörige Halbfiguren 
im Museo civico in Padua) verwandt. Diese sind die letzte Arbeit Riccios, der 
1532 gestorben ist. Auch Bellanos Grabmal der Brüder de Castro in den Servi in 
Padua wäre zu erwähnen; es steht zeitlich der Pietà viel näher (1492). Diese ganze 
paduaner Art hat von Donatello ein schönes wallendes Pathos gelernt, zu dem der 
Meister (in der Veroneser Madonna z. B.) den Grundklang angegeben hat oder auch 
in der großen Bronzemadonna des Paduaner Santo, die Maud Cruttwell so unbegreif- 
lich mißverstanden hat. Dies herzliche ergreifende Pathos findet sich weder in 
Ferrara noch in der Lombardei. Ferrara hat immer eine starke Innerlichkeit, fast 
könnte man sagen: etwas Nordisches; sie wird durch herbe Eckigkeit doppelt ein- 
drucksvoll. Ein gutes Beispiel solcher Art bietet die kleine Tonmadonna, die der 
Fürst Liechtenstein vor einigen Jahren erworben hat. Sie ist zweifellos eine Arbeit 
des höchst seltenen Domenico Paris und ich mache gern von der Erlaubnis des 
Besitzers Gebrauch, sie hier. zu veröffentlichen (Abb. 6). Daß die Lombardei und 
vor allem Amadeo einen anderen Stil hat, als die Pietà in S. Satiro, zeigt ein 
Blick auf ein so charakteristisches Werk Amadeos wie das Grab der Medea Colleoni 
in Bergamo. 

Der Hinweis des Cicerone auf Guido Mazzoni ist ebensowenig stichhaltig, er ist 
ja freilich ganz allgemein gehalten. Mazzonis Pietà in Modena (Abb. 3) ist durchaus 
von Niccolös da Bari Pietä in Sa. Maria della Vita beeinflußt; nur ist hier das süd- 
italienische Temperament des Pugliesen in die kühlere Reserve der Emilia übersetzt. 
In der Malerei wäre etwa Bonasia die gleiche Temperatur. Zudem hat Mazzoni, 
was man auch sagen mag, immer etwas peinlich Bürgerliches; der Alltag und das 
Triviale kommen bei ihm zu sehr durch, und die fast niederländische Detailarbeit 
der Köpfe hat doch auch etwas Trockenes. Alles das sind Momente, die von der 
Mailänder Pietà weit abfiihren!). 

Diese ist, wie Venturi mit recht gesagt hat, ein Capolavoro. Und wir staunen, 
daß der Zufall uns den Namen eines Meisters übermittelt, der bisher gänzlich un- 
bekannt war. Man wird nun scharf acht zu geben haben, ob man ihn sonst noch 
finden kann. Bei mehr als einem Stück meldet sich die Hoffnung; um nur eins zu 


(1) Das prächtige, bemalte kleine Holzrelief der Pietà in der Berliner Sammlung Nr. 200E, ist eine 
andere gute Probe für den lombardischen Stil um 1500. Das Material dieses kleinen feinen Haus- 
altärchens verbietet aber einen unmittelbaren Vergleich. Abbildung im illustrierten Führer durch die 
Kgl. Museen, S. 61. 


252 


erwähnen: eine große braune Tonmadonna in Berlin, Nr. 156 B, die Suida einmal Bra- 
mante geben wollte, hat manche Verwandtschaft mit Agostino. Doch zunächst muB 
in Padua und Umgegend, vielleicht auch in Vicenza, Schio und in Parma Umschau 
gehalten werden und wir bitten die italienischen Fachgenossen, acht zu geben, wo 
in den Dokumenten oder Monumenten Agostino zu finden wäre. Glorias fleißige 
Dokumentenpublikationen enthalten, wie gesagt, den Namen nicht. In der Gruppe 
direkter Schüler Donatellos darf er auch nicht vermutet werden, dafür ist er zu 
jung. Er wird um 1440—1450 in Padua geboren sein, hat also Donatellos persön- 
liches Schaffen noch nicht miterlebt. Er ist ein Zeitgenosse Niccolös da Bari; von 
den Florentinern sind Andrea della Robbia, Verrochio und Benedetto da Maiano 
gleichzeitig. 


253 


ARCHITEKTUREN AUF NIEDERLÄNDI- 
SCHEN UND FRANZÖSISCHEN GEMÄLDEN 


DES 15. JAHRHUNDERTS 


EIN BEITRAG ZUR ENTWICKLUNG DER FORMENSPRACHE 
DER NORDISCHEN RENAISSANCE. П. Von AUGUST GRISEBACH 


Mit fünfunddreißig Abbildungen, davon elf auf vier Tafeln очзөооөөөееөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөзөөөөөөөөөөөөөө 
П. 


DIE GRUNDLAGEN DES NEUEN FORMGEFÜHLS 
т. ROMANISCHE RENAISSANCE 


eit dem Beginn des 15. Jahrhunderts begegnen uns auf den Bildern der nordi- 

schen Maler romanische Architekturen, Anfangs spielen sie nur im Innenraum 
neben dem Gotischen eine Rolle. Seit der Mitte des Jahrhunderts bestimmen sie 
immer mehr den Gesamtcharakter der gemalten Bauten. 

Wählte man für die biblischen Geschichten romanische Architekturen, weil man 
darin die zur Zeit Christi herrschende Bauweise sah? Hat ja doch der romanische 
Stil bis ins 19. Jahrhundert hinein als der „altchristliche“ gegolten. Diese histori- 
sche Überlegung hätte sich dann aber nur auf die Architektur erstreckt. Die heiligen 
Personen kleidete man in moderne Kostüme. Angenommen, die historische Über- 
legung hätte zur Wahl romanischer Formen geführt, so wäre es verwunderlich, daß 
ein und derselbe Maler gotische und romanische Bauten nebeneinanderstellt. Immer- 
hin, wenn man bedenkt, daß die Maler sich wiederholt bemüht haben, nach Schil- 
derungen oder Zeichnungen ein irgendwie charakteristisches Bild von Jerusalem zu 
geben, um die Szene historisch getreu zu lokalisieren, darf man vermuten, daß bei 
der Wahl romanischer Architektur ähnliche Gründe mitgesprochen haben’). 

Im wesentlichen aber bedeutet die Hinneigung zum Romanischen den Ausdruck 
eines neuerwachenden Stilgefühls, den Ausdruck des Renaissancegefühls, das in- 
mitten der Spätgotik allmählich sich zu entwickeln beginnt. Auf italienischen 
Bildern tauchen schon früh an den mittelalterlichen Architekturen antike Bauglieder 
auf, Säulen vor allem. Dieselbe Rolle wie hier die römische Antike spielt im 
Norden das Romanische. Vielleicht hat man darin eine mißverstandene Antike zu 
sehen. Wieweit diese Wendung autochthon ist, wieweit die Kunde von dem, was 
in Italien vorging, bereits damals einen Einfluß in dieser Richtnng geübt hat, ist 
schwer zu sagen. 

Daß nicht ein zufällig sich bietendes romanisches Denkmal, sondern ein inneres 
Wohlbehagen an romanischen Gebilden die Maler veranlaßte auf einen Stil zurück- 


(1) So hat man vielleicht die Bevorzugung romanischer Formen für das Stallgebäude bei der Geburt 
und Anbetung des Kindes zu erklären. Die gleichzeitige Ansicht des Gebäudes von außen und innen, 
die an die primitive Gewohnheit des Trecento erinnert, wird hier durch den Ruinenzustand plausibel 
gemacht. Die Ruine hat eine inhaltliche Bedeutung: man will damit den zerfallenen, ärmlichen Aufent- 
haltsort der Mutter Gottes in der Geburtsstunde charakterisieren. — Über die Darstellung von Ruinen 
vgl. Rosen, a. a. O., S. 126. Er macht die hübsche Bemerkung, dem gotischen Geschmack habe die 
Darstellung alles Verstümmelten, Verfallenden widerstrebt, er zeichne darum keine Ruinen, sondern 
neue, noch nicht fertige Gebäude. Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts finden sich Ruinen 
auf Bildern. Dem widerspricht die Kirchenruine auf dem Lazarusbilde im Gebetbuch von Chantilly 
(Pl. LXI), allerdings ein vereinzelter Fall; übrigens wieder in innerem Zusammenhang mit dem Thema 
des Bildes: die Ruine als Symbol der Vergänglichkeit, des Abgestorbenen. 


254 


zugreifen, der vor mehr als zwei Jahrhunderten lebendig gewesen war, dafür spricht 
daß man auch Phantasiearchitekturen im romanischen Geschmack entwarf. Jan van 
Eycks Idealbauten waren, wie wir sahen, bis auf eine Ausnahme noch gotisch empfunden. 
In seinen Innenräumen dagegen bevorzugt er den romanischen Stil. Die Kirchen- 
räume (das Dresdener Altärchen, die Paelemadonna) gehen wahrscheinlich auf be- 
. stimmte Vorbilder zurück. Daß er auch frei erfundene Räumlichkeiten, wie die 
Halle der Rolinmadonna und die Loggia der Madonna bei Gustav Rotschild in ro- 
manischen Formen aufbaut, hat, nach Jantzen’), seinen Grund in der formalen Be- 
deutung, die hier die Funktion des Rundbogens für die Bildkomposition als bindende, 
die Figuren zusammenfassende Linie besitzt. Kompositionsgedanken also, die etwas 
durchaus renaissancemäßiges haben. Wo Jan aber im Hintergrund Gebäude, ohne 
unmittelbaren Konnex mit den Figuren, zeichnet, freie Inspirationen am Bildhorizont, 
sind sie gotisch. 


ID 


O00 


Herlin, Torgebäude (Bopfingen) 


Fourment, Schloß (Uffizien) 


Fourment, Mauerturm (Berlin, 
Sammlung Kaufmann) 


Eine gleichzeitige Ansicht vom Äußeren und Inneren eines Gebäudes — ein 
Nachklang trecentistischer Darstellungsweise — gibt der mit niedriger Kuppel ge- 
deckte Rundbau auf dem Sposalizio des Meisters von Flémalle in Madrid. Eine 
frühe romanische, in der Komposition freie Erfindung. Die flachgedrückte Form der 
Bogen über den Säulen ist ein später oft wiederkehrendes Charakteristikum der 
romanischen Renaissance. Keine Beziehung zu wirklichen Bauten haben jedenfalls 
die zwischen den Bogen sitzenden Reliefs, deren spitzbogige Rahmen das horizontale 
Dachgesims überschneiden. Hier mischen sich gotische und romanische Gedanken. 

Eine Fassade, die in den unteren Teilen spätgotisch, in romanischen Formen 
turmartig hochgeführt ist, sieht man auf der dem Meister von Flèmalle nahe- 


(т) Das niederländische Architekturbild тото, 8. 5. 


255 


stehenden Verkündigung in Madrid. Auch hier handelt es sich um eine Phantasie, 
bei der Romanisches mit Gotischem konkurriert und auf eine Vereinigung hinge- 
strebt wird, wie sie ein Jahrhundert später zwischen italienischen und gotischen 
Gebäuden stattfand. 

Roger stellt dann zum erstenmal romanische Schloßbauten als markante Figuren 
in den Vordergrund seiner Straßenprospekte (Middelburger Altar, Berlin; Dreikönigs- 
altar, München). Das sind seine Idealbauten. Sie besitzen nicht jene Phantastik 
wie die des Genter Altars, stehen mehr in Beziehung zu wirklichen Architekturen. 
In der Gruppierung und Einzelgliederung hat aber Roger doch nach eigenem Ge- 
fallen variiert. Der vierkantige, breite, als Wohnbau ausgebildete Turm, der sich an 
der Schmalseite eines oblongen Hauses aufrichtet, scheint eine Lieblingskomposition 
Rogers gewesen zu sein. Maler, die unter seinen Einfluß kamen, wie Herlin!) und 
Fourment?), haben ganz ähnliche Turmbauten dargestellt (Textabb. S. 255). Roma- 
nisch ist auch das Schlößchen auf Rogers Heimsuchung in Turin (Abb. 1) Der 
rechteckige steinerne Bau stark horizontal gegliedert: Abschluß gegen das Dach und 
das kräftige, unmittelbar unter den Fenstern entlang geführte Gesims. Durch den 
kleinen, gotischen Anbau aus Ziegel- und Haustein tritt der romanisch renaissance- 
mäßige Charakter des Hauptgebäudes noch besonders hervor. Dieses Haus hat 
wiederum einen nahen Verwandten von auffallender Ähnlichkeit auf einem deut- 
schen Bilde: dem Fischwunder vom Meister der Ulrichslegende in Augsburg“) 
(Abb. 2). Auf der Wiederholung der Rogerschen Heimsuchung in Liitzschena‘) ist 
auch das Hintergrundsgebäude verändert. Der romanische Teil beschränkt sich auf 
einen quadratischen Turm, der kleine gotische Flügel ist zu einem umfänglichen 
Saalbau mit hohen Maßwerkfenstern geworden, an den sich nach rlickwärts ein 
niedriger Loggienbau anlehnt. Eine malerisch gruppierte „Villa“ im Geschmack der 
Spätgotik, die in dieser Zusammensetzung aber wohl Rogers Erfindung ist. Ver- 
glichen mit den Schlössern im Gebetbuch des Herzogs von Berry wirkt Rogers 
Komposition trocken und ärmlich. Außerdem, und das ist für das neue architek- 
tonische Empfinden das Entscheidende, hat sie trotz der gotischen Teile eine ganz 
anders organisierte Figur: Nicht mehr in die Höhe gereckt mit Türmchen, Spitzen 
in die Luft ragend, sondern breit gelagert, mit ruhiger, horizontalisierter Silhouette. 

Bouts, dessen Architekturen, ähnlich denen Rogers, einen phantasiearmen, niich- 
ternen Eindruck machen, obwohl sie im einzelnen zu Gunsten einer malerischen 
Komposition von der Wirklichkeit abweichen, zeigt sich auch darin als ein Maler 
der jüngeren Generation, daß er an Stelle lebbafter Aufwärtsbewegung breite, mit 
wagerechtem Satteldachfirst einen ruhigen Umriß präsentierende Gebäude bevor- 


(1) Auf dem Bopfinger Altar (1472), Anbetung der Könige; der steinerne Palast steht am Eingang der 
Straße an gleicher Stelle wie bei Roger. Das oberste Turmgeschoß wird ebenfalls von runden Eck- 
türmchen eingefaßt, die über den gleichartigen Wehrgang binausragen. — Ein weiteres Motiv, das sich 
gleichartig bei Herlin und Fourment findet und vielleicht ebenfalls von — uns verloren gegangenen — 
Bildern Rogers entnommen ist, sei wegen seiner architektonischen Merkwürdigkeit erwähnt: der kelch- 
artig nach außen gebogene Zinnenkranz, auf Herlins Torgebäude am Rothenburger Marktplatz (Bop- 
fingen, Textabb. 8. 255) und am Mauerturm des Georgsbildes in Nördlingen, auf Fourments Lazarus- 
bild der Sammlung Kaufmann, Berlin; Textabb. S. 255). Daß dieses Motiv ausgeführten Bauten entlehnt 
ist, glaube ich nicht. | 

(2) Christus und die Ehebrecherin 1461 (Florenz, Uffizien). 

(3) Auf die „entfernten und nicht ganz klaren Beziehungen“ des Meisters zur niederländischen Malerei 
(Heidrich, Altdeutsche Malerei, S. 262) fällt durch diese schulmäßig wirkende Kopie ein kleines Licht. 
(4) Beide Gemälde gegenübergestellt von Firmenich-Richartz in der Zeitschr. f. bildende Kunst 1898, 
8. 140/41. Firmenich-Richartz hält das Turiner Bild für das frühere und bessere. 


256 


zugt. Auch dort, wo sie in gotische Formen gekleidet sind, verrät sich das neue 
Empfinden. Ein Beispiel: die Stadt hinter Melchisedeck und Abraham in München 
(Abb. 3). Charakteristisch ist, daß Bouts für die Kathedrale die reine Breitansicht 
und für den Turm einen flachen Abschluß gewählt hat. Dasselbe gilt von dem 
Schloß auf der Hinrichtung des Grafen Otto (Brüssel), dem man wieder eine Schloß- 
darstellung der älteren Zeit gegenüberstellen mag’). 

Die Umwandlung ist nicht so zu verstehen, daß nun plötzlich auf der ganzen 
Linie die Gebäude umstilisiert erscheinen. Gotische Interpretationen gibt es auch 
noch?). Aber die Gesamthaltung beginnt sich zu ändern. 

Ein Phantasiegebäude in romanischen Formen zeichnet Bouts in der Kapelle auf 
der Gefangennahme in München. Eine Komposition, die bereits auf die romanischen 
Phantasien Memlings hinweist. 

Es wirkt als Ausnahme, wenn man auf Bildern nach 1450 gotischen Architekturen 
begegnet. Die Regel ist eine Romanisierung der Proportionen, Fenster und Türen 
in Rund- oder Flachbogen geschlossen ohne Maß- 
‚werk. „Rundbogengotik“ überall. Bei sämtlichen 
Städteansichten der Schedelschen Chronik fällt, 
wie Loga bemerkt’), das geringe Verständnis der 
Künstler für gotische Architekturformen auf: 
„Selbst dort begegnen wir romanischen Bauglie- 
dern, wo wir den Spitzbogen erwarten mußten.“ 
Die Neigung zur romanischen Formenwelt beruht 
auf einem immanenten Renaissancegefühl, das 
sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts immer stär- 
ker entwickelt. Als man sich zu Beginn des 
16. Jahrhunderts mit der italienischen Renaissance 
direkt auseinanderzusetzen bemühte, bildete das Multscher, Kirche (Stuttgart) 
Verhältnis, das man zur romanischen Architektur 
gewonnen hatte, eine der Brücken, über die man in den Sinn der neuen „antiki- 
schen Art“ eindrang. Antik und romanisch mag damals im Norden bei vielen die 
gleiche Bedeutung gehabt haben. Altdorfer, dessen gemalte Architekturen ein 
prachtvolles Bild italienisch-deutscher Phantasien geben, „ist von der romanischen 
Kunst ausgegangen. Der Gotik stand er ziemlich verständnislos gegenüber“). 


2. FOUQUET UND DIE ERSTEN ITALIENISCHEN EIN- 
DRÜCKE. 

Zu den letzten, die in der Hintergrundsarchitektur die auf der Trecentotradition 
fußende Darstellungsweise aus Italien übernahmen, gehörten die Brüder von Limburg 
auf einigen Blättern des bekannten Gebetbuchs. Seitdem hielten sich die nordi- 
schen Maler an die Architektur ihrer Heimat, mehr oder weniger der Wirklichkeit 
getreu. Zugleich mit der Abkehr von der Kästchenarchitektur verschwanden auch 
die zu Schablonen gewordenen italienischen Formen. Weder bei den Eycks noch 


(z) Vgl. auch die Hintergrundsarchitektur der Madonna mit Stiftern des niederländischen Meisters um 
1465 (Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum, 590a); Multscher, Grablegung um 1450, in Stuttgart (Textabb. 
oben). 

(2) Das Stadttor im Hintergrund der Boutsschen Kreuzigung in Berlin. Nach Friedlinder das Porträt 
eines Brüsseler Tores. 

(3) Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen IX, 8.185. 

(4) Hans Hildebrandt, Die Architektur bei Altdorfer 1908, 8.98; vgl. ebendort 8.9, 38. 


257 


bei dem Meister von Flèmalle, Roger und Bouts begegnen uns Architekturen, die 
irgendwie an Italien erinnern. Der erste, der wieder italienische Eindrücke auf 
seinen Gemälden und Miniaturen mitteilt, ist Jean Fouquet!). Fouquet nimmt eine 
absonderliche, anachronistische Stellung innerhalb der Kunst der nordischen Spät- 
gotik ein. Er ist der erste Maler des Nordens, für den die italienische Reise eine 
entscheidende künstlerische Bedeutung gehabt hat, der mit anderssehenden Augen 
aus Italien nach Paris zurückkam. Hier kann nicht von der Wirkung der kompo- 
sitionellen und malerischen Probleme, sondern lediglich von dem stofflichen Zu- 
wachs an architektonischen Eindrücken die Rede sein. Daß seine Art, Architektur 
im Bilde zu verwenden, von den italienisierenden Blättern der Limburger Meister 
weit entfernt, die mittlerweile in Frankreich und in den Niederlanden entwickelte 
realistische Tendenz verfolgt, versteht sich von selbst. Darin aber stimmt er mit 
jenen Vorgängern in der Miniaturmalerei überein, daß er bisweilen einen Kompro- 
miß zu schließen versucht zwischen den in Italien gesehenen modernen und den 
heimischen gotischen Formen. 

Auf einigen Blättern reproduziert er italienische Eindrücke ohne mittelalterliche 
Zutaten. Vor allem hat es ihm die Inkrustation der Wände angetan, wie sie da- 
mals in Italien modern war. Pilaster und horizontales Gesims stellen rechteckige 
Felder her, die mit dunkelfarbigen, von helleren Streifen gerahmten Marmorplatten 
besetzt sind. Guillaume Juvénal (Louvre)?) und Estienne Chevalier mit Stephanus 
(Berlin) stehen vor derartig verkleideten Wänden und im Gebetbuch des Estienne 
kehren sie mehrmals wieder*). Geymiiller*) und Gruyer®) glauben an einen Ein- 
fluß durch Kompositionen Brunelleschis und Michellozzos. Möglich wäre auch, daß 
ähnliche Wandverkleidungen im Hintergrund florentinischer Bilder Fouquet ange- 
regt haben (Masaccio, Erweckung des Knaben, Brancaccikapelle; Fra Angelico, 
Laurentius vor dem Richter, Vatikan; Gozzoli, Predigt des hl. Augustin, S. Gimig- 
nano). Es ist dies um so wahrscheinlicher, weil die Anordnung solcher Wände 
im Bilde als abschließende Hintergrundsschranke, ein im Norden ungewöhnliches 
Motiv, bei Fouquet und den italienischen Malern die gleiche ist. 

Eine Szene, die Begegnung der Maria und Anna, verlegt Fouquet in einen Hof 
reiner florentinischer Frührenaissance®). Von einem durch die Figuren teilweise 
verdeckten Altar oder Wandbrunnen sieht man den Überbau: eine flache Decke 
mit klassisch profiliertem Gebälk auf korinthischen Säulen. Links geht der Blick 
durch eine Tür in einen schnurgeraden Laubgang. Über die Gartenmauer ragt eine 
Reihe von Standbildern auf hohen Säulen herüber. 

Das Sposalizio findet vor einem Gebäude statt, das sich ohne weiteres als Reminis- 
zenz an einen römischen Triumphbogen darstellt (Abb.4). Man kann am ehesten an 
den Konstantinsbogen denken. Durch die Inschrift unter den Reliefs über den seit- 
lichen Toren legitimiert er sich jedoch als Templum Salomonis. Und etwas stammt 
wirklich — wenigstens der damaligen Tradition nach — aus diesem Tempel: die ge- 
wundenen Säulen, die Fouquet anstatt der korinthischen vor die Torpfeiler stellt. 


(1) Vgl. Geymüller, Baukunst der Renaissance in Frankreich I, S. goff. 

(2) Hier sind auf den rahmenden, reich ornamentierten Marmorstreifen die Wappentiere des Porträ- 
tierten: Bären, im gotischen Laubwerk verschlungen, ein Zeichen, daß Fouquet seine Vorbilder nicht 
peinlich genau kopierte. 

(3) Nach der Ausgabe von Gruyer auf Tafel I, II, IX, XX, XXI, XXV. 

(4) a. a. O., S. 91f. 

(5) a. a. O., S.18. 

(6) a. a. O., Tf. V. 


258 


Fouquet sah sie noch an den Schranken des Hochaltars in Alt-St. Peter — acht 
davon wurden später von Bernini beim Neubau an den Kuppelpfeilern angebracht —, 
und die seltsame Bildung machte auf ihn einen ebenso starken Eindruck wie 
später zuf Raphael, der sie u. a. in der Heilung des Lahmen und der Schenkung 
Konstantins verwendete, um den Schauplatz als Tempelhalle in Jerusalem zu 
charakterisieren!). Hat Fouquet, als er sie vor den Triumphbogen plazierte, an die 
beiden aus Erz gegossenen Prunksäulen, Jakin und Boas, gedacht, die frei vor der 
türlosen Öffnung der Tempelvorhalle standen?)? Noch zweimal hat er die Säulen 
an anderer Stelle in größerer Zahl gezeichnet, im Altarraum des Tempels bei der 
Plünderung durch die Soldaten des Pompejus und als Träger der Vorhalle beim 
Einzug des Herodes in Jerusalem”). Wie sie sich auf dem ersten der beiden 
Blätter (Abb. 5) gleich Elefantenrüsseln winden und biegen, als wäre in sie die 
dramatische Erregung, die Fouquets Figuren in dieser stürmischen Stunde fehlt, 
hineingefahren, das mutet wie eine Äußerung spätgotisch-barocken Temperaments 
an, das Fouquet sonst fremd ist. Man erinnere sich etwa an die gedrehten Säulen 
im Nebenschiff des Braunschweiger Doms. Willkürlich ist Fouquet ferner bei der 
Höhenabmessung der Säulen verfahren: statt der vier Abschnitte des Modells hat 
er fünf bis sechs aufeinander gesetzt, darin ebenfalls seine gotische Herkunft ver- 
ratend. Raphael hat sich — auch in der Zeichnung der Kanneluren und Reliefs — 
getreuer an das Vorbild gehalten, die Windungen eher noch gemildert‘). 

Daß Fouquet die Säulen nur um der Sonderbarkeit und der Kuriosität willen ver- 
wendet, wie Ermers meint, glaube ich nicht. Er begreift sie vom Standpunkt des 
spätgotischen Barock, wie Raphael in einem Vorgefühl römischen Barocks mit 
ihnen sympathisiert. 

Dort, wo Fouquet italienische Renaissance und französische Gotik zusammen- 
bringt, bleibt es zunächst noch bei einem Nebeneinander heterogener Formen’). 
Er kommt noch nicht dazu, etwas neues daraus zu bilden. Er setzt Maria vor eine 
muschelüberwölbte Renaissancenische, die in einem gotischen Kathedralportalen 
nachgebildeten Bau eingefügt ist®). Die Halle, in der das Pfingstwunder geschieht, 
wird von einer im Kielbogen gewölbten Holztonne überdeckt, die Wände aber sind 
durch Pilaster gegliedert und Maria sitzt wieder vor einer Muschelnische ). 


(1) Vgi. Ermers, Die Architektur Raphaels 1909, wo 8.87—96 eine eingehende Genealogie der Säulen gegeben 
wird. Ihre Abstammung aus dem spätrömischen Barock, eher Import aus dem Osten des Mittelmeergebiets. 
(2) Herzog-Hauck, Realenzykl. für protest. Theol. 3. A., XIX, 493f. 

(3) Josèphe, Antiquites et guerre des Juifs. Bibl. nat. Ed. Omont, pl. 14/15. Daß Fouquet sich nach 
Beschreibungen des Tempels gerichtet hat, bezeugen auch die zwei Cherubim im Allerheiligsten zu 
Seiten der Bundeslade und das Bassin, das sog. „Meer“, im Vorhof des Tempels. Vgl. Herzog-Hauck, 
а. a. O., S. 503, ferner Wetzer und Welte’s Kirchenlex. 2. A. XI, 1298 f. 

(4) Eine maßstäbliche Aufnahme zeichnete Jac. Sansovino (Uffizien, Phot. Philpot 1999). Vgl. ferner 
Geymüller, a. a. O. I, 43, Fig. 10, Zeichnung eines Franzosen um 1530. 

(5) Rein gotische Architekturen erscheinen nur als vereinzelte Ausnahme und stets in Anlehnung an ein 
bestimmtes Vorbild: das Innere der Sainte Chapelle in Bourges oder Paris (Livre d’Heures, Gruyes Tafel IV), 
Choransicht von Notre-Dame (Tafel XVI), Fassade der Sainte Chapelle (Tafel XIII). Romanische Archi- 
tektur nur einmal: der Kapitelsaal (nicht Krypta, wie Gruyer S. 165 meint), in dem Thomas von Aquino 
bei den Dominikanern predigt. Renaissancemäßig in den niedrigen Scheiteln der Gewölbe, den flach- 
gedrückten Gurt- und Schildbogen. 

(6) Livre d’Heures, Tafel II; nach Geymüller, a. a. O., 91 ist die Form der Nische dem Inneren des 
Tabernakels von Donatello an Or-San-Michele in Florenz entnommen. 

(7) a. a. O., Tafel XIX. Vgl. ferner Tafel XXI, das Zimmer der Verkündigung: an den Wänden 
Pilaster und Marmortäfelung, darüber eine mittelalterliche Balkendecke. 


259 


Bei einigen anderen Darstellungen hat Fouquet die fremden Eindriicke mit den 
heimischen Traditionen stärker zu einer neuen Einheit zu verbinden verstanden. 
So bei der Kirche im Hintergrund der Kreuzabnahme: ein Rundbau und lose daran- 
geschlossen ein Langhaus, von zwei Paar Türmen flankiert (Textabb. nebenst.). Die 
einheitlich schmalen Fensterstreifen an Langhaus und Chor erinnern an spätgotische 
Hallenkirchen, die durch Gesimse gleichmäßig abge- 
setzte Teilung der kantigen Türme wirkt romanisch, 
das kräftige Kranzgesims und die Kuppel über dem 
Rundbau weisen auf Italien, und von dort mag auch 
die Anregung zu den merkwürdigen, kugelförmigen Be- 
үз 7 krönungen des Rundbaus und der Türme stammen. 
Il IN] | Ein Motiv, das bei Fouquet oft wiederkehrt, ohne daß 
ШИШ man feststellen kann, was für ein Gebilde in der Wirk- 
lichkeit hier Pate gestanden hat!). Die wenig orga- 
Fouquet, кыс ek Chan- nisch wirkende Verbindung von Altar- und Langhaus 

y) beruht möglicherweise auf einer Nachricht van der Ge- 
stalt der heiligen Grabeskirche zu Jerusalem, an deren Rundbau im 12. Jahrhundert 
eine Basilika angebaut worden war?). Trotz der verschiedenen Formquellen wirkt 
‚die Fouquetsche Kirche als eine einheitliche Schöpfung. Sie gehört entwicklungs- 
geschichtlich jedenfalls zu den frühesten Versuchen, auf der Basis der nordischen 
Überlieferung im neuen Geist zu komponieren. Fouquets Idealbauten stehen am 
Anfang der französischen Renaissancearchitektur. 

In den Architekturen der Antiquites des Juifs, ein Jahrzehnt ungefähr später ent- 
standen als das Gebetbuch für Estienne Chevalier, wird der Wunsch, einen neuen 
Stil zu gestalten, noch lebhafter. Der Tempel von Jerusalem (Abb. 6—7) priisen- 
tiert sich zwar noch im Gewande mittelalterlicher 
Kathedralen, aber das Gotische ist bloß äußerliche 
Dekoration, zurechtgeschnitten für einen ganz un- 
gotischen Körper, einen viereckigen Block, der 
mit einem kräftigen Renaissancegesims schließt 
und von einem flachen Kuppeldach überwölbt 
wird. Vor der einen Front zwei Türme von glei- 
cher Figur wie bei der vorhin besprochenen Kirche, 
nach italienischer Sitte ohne organische Verbin- 
dung mit dem Gebäude). 

In dem Gebäude gegenüber dem Tempel gibt Fauquet einen Entwurf 
für ein vornehmes Wohnhaus. Das hahe Erdgeschoß noch mittelalter- 
lich wehrhaft geschlossen. Das Portal über eine Freitreppe zugänglich, Le Tavernier, 
der Altan davor mit einem flachen, von Säulen und Wandpilastern ge- Kirche (Cron. 
tragenen Dach überdeckt, dessen Gebälk in gleicher Höhe mit dem Charlem.) 
das niedrige Hauptgeschoß markierenden Gesims liegt. Der Eckerker, offen wie 
eine Außenkanzel, in Proportionen und Formen bis auf die Kuppelverdaehung gotisch. 


Fouquet, Tempel (Mün- 
chener Boccacio) 


(1) Die ganze Kirche noch einmal ith Hintergrund der Grablegung (ХҮН), wogegen bei der Bewei- 
nung (XVI) Notre-Dame an ihre Stelle tritt. Die kugligen Bekrönungen in den Antiquités des Juifs 
(Omont, pl. 12), im Münchener Boccacio (Ed. Durrieu, pl. XXI. Vergl. Textabb. oben) u.a. 

(a) Dehio-Bezold I, 36. Geymüller, a. a. O., 91 hält für möglich, daß die 1446 begonnene Tribuna der 
Annunziata in Florenz oder die von St. Franzesco zu Rimini vorbildlich gewesen sind. 

(3) Auf Abb.6 wird noch an dem Tempel gebaut, auf Abb. 7 scheint er vollendet, am oberen Bildrand 
wird ein Stück Turm sichtbar; auf einer Ansicht aus größerer Entfernung mit beiden Türmen (Omont, 


260 


Die Wandfenster ebenfalls spätgotisch gerahmt, gleich dem Erker mit Wimperg 
und Fialen das Hauptgesims überschheidend, ein Motiv, an dem die französische 
Renaissance festhält!). Die Verhältnisse des Gebäudes sind gewiß nicht sehr glück- 
lich. Daß der Sinn hierfür gering ist, daß die Akkomedierung einzelner Bauglieder 
zunächst das Interesse fast völlig in Anspruch nimmt, ist bekanntlich ein Charakte- 
ristikum der frühen Renaissancearchitektur im Norden. Von diesen Entwürfen gilt 
in erhöhtem Maße das, was Geymiiller von einigen Innenraumdekorationen im Ge- 
betbuch sagt, es sind „die ältesten wirklichen „Kompositionen“ eines Franzosen im 
Renaissancestil“ — nicht nur eines Franzosen, sondern eines nordischen Künstlers 
überhaupt. 


3. DIE VORSTELLUNG VON JERUSALEM UND IHR EIN- 
FLUSS AUF DIE ARCHITEKTONISCHE PHANTASIE 


Bei der Darstellung von Jerusalem sucht bereits das frühe Mittelalter über das für 
andere Architekturen übliche Schema hinauszugehen. Man bemüht sich, dieser Stadt 
— wenn auch zunächst mit sehr unbeholfenen Mitteln — ein individuelles Gepräge 
zu geben. Der realistischen Gesinnung des ı5. Jahrhundarts mußte vollends daran 
liegen, die Passionsgeschichten in einer die historischen Stätten irgendwie bezeich- 
nenden Weise darzustellen. Auf die Charakterisierung der morgenländischen Land- 
schaft verzichtet man. Aber von der Hauptstadt des heiligen Landes und ihren der 
Christenheit wertvollsten Bauten bildet man sich durch Beschreibungen und — 
nach unserer Auffassung gewiß recht unvollkommenen Skizzen von Reisenden — eine 
Vorstellung, auf Grund deren man ein mehr oder weniger treues Architekturbild 
Jerusalems zu geben glaubt. Das Ungefähre der Nachrichten und bildlichen Mit- 
teilungen, die aber doch die Erkenntnis brachten, daß ein großer Unterschied be- 
stehen müsse zwischen der heimischen und orientalischen Bauweise, hat ohne 
Zweifel auf die Phantasie der abendländischen Künstler in hohem Maße anregend 
gewirkt. Und gewiß hat der Wunsch, die heiligen Bauwerke Jerusalems in ihrer 
eigentümlichen, fremdartigen Gestalt im Hintergrunde der Passionsbilder darzu- 
stellen, beigetragen zu der im Lauf des 15. Jahrhunderts sich immer mehr steigern- 
den Phantastik der Bildarchitekturen. 

In der Regel begnügte man sich, das Hauptmonument, den Felsendom, der als 
der Tempel Salomonis galt, und auf den auch die Vorstellungen von dem Tempel 
des heiligen Grabes zurückgingen?), in seiner besonderen Bildung kenntlich zu 
machen. Die übrige Stadt präsentierte sich abendländisch-gotisch. 

Eine Ausnahme macht die Stadt hinter den „drei Frauen am Grabe“ (Abb. 8) 
in der Sammlung Cook, in der außer dem Tempel eine Reihe von Gebäuden durch 


pl. 12) hat das Dach eine gebrochene Form. Es ist bezeichnend für das Interesse, das Fouquet am Aus- 
druck bestimmter Bauideen hat, daß er dasselbe Gebäude in verschiedenen Ansichten wiederholt. — 
Bemerkenswert für das Kapitel Architekturbemalung im späten Mittelalter ist Fouquets Idee, die 
ganze Fassade einheitlich zu iberstreichen. Auf Abb. 6 sieht man die Maler noch bei der Arbeit, 
auf einem Gerüst am rechten Bildrand. Die oberen Partien zeigen noch den helleren Stein, auf Abb. 7 
sind auch diese gestrichen. 

(1) Die eigentümliche Bildung des Daches scheint die Form der Wölbung im Inneren markieren zu 
wollen, eine im Durchschnitt kleeblattförmige Holztonne. Da diese jedoch ein Gespärre nicht ent- 
behren kann, erscheint Fouquets Dach als der unarchitektonische Einfall eines Malers. Man begegnet 
dieser Dachform auch sonst bei Phantasiearchitekturen dieser Zeit, ein Beispiel: die Textabb. S. 260 
aus Le Taverniers Chroniques de Charlemaine (1460). : 

(2) Dehio-Bezold, Kirchl. Baukunst I, 38. 


261 


Kuppeldächer orientalisch frisiert sind und einige 
schlanke Türmchen an Minaretts erinnern!). Aber 
auch hier gibt es genug Mittelalterliches und von 
einem „ausgesprochen orientalischen Charakter“ 
kann nicht die Rede sein*). Der Tempelbau in 
der Mitte hat jedoch soviel Verwandtschaft mit 
der Omarmoschee, daß dem Maler jedenfalls eine 
Zeichnung vorgelegen haben wird. Rosen nennt 
die Darstellung auf dem Cookschen Bilde die „kor- 
rekteste Wiedergabe der Omarmoschee in der 
älteren Kunst“ ). Daß die Abweichungen von 
dem Urbild immerhin noch beträchtliche sind, 
zeigt die Gegenüberstellung des gemalten mit 
einer Photographie des wirklichen Tempels bei 
Rosen. Eine Darstellung, die im ähnlichen Maße 
auf der Benutzung einer Originalansicht zu be- 
ruhen scheint, findet sich auf einer Miniatur von 
Le Tavernier aus Audenarde in den Chroniques 
de Charlemaine (1460)‘). Die erste vor der Wirk- 
lichkeit entstandene Aufnahme des Tempels im I) att 

15. Jahrhundert gibt der Holzschnitt des Erhardt SEE 7. 
Rewich in Breydenbachs Reisen (Mainz 1486); w MS 1597 We LES fu < 
(Textabb. nebenst.). Aus diesem weitverbreiteten 

Buche wurden der Tempel und die Ansicht von Rewich, Templum — (Breyden- 
Jerusalem mehrfach für Darstellungen auf Bildern 

benutzt (der Tempel: auf Anton Woensams Kreuztragung in Buda- 
pest; Jerusalem: ziemlich genau wiederholt auf einer mittelrheini- 
schen Kreuzigung um 1500 in Frankfurt)). Unter dem Einfluß von 
Breydenbachs Publikation hat dann wahrschein- 
lich der ebenfalls in der Mainzer Gegend tätige 
Meister des Hausbuchs auf der Beweinung Christi 
(Dresden, um 1490) die Stadt Jerusalem gezeich- 
net. Zwar von mittelalterlich-abendländischen Tor- 
und Mauertürmen begrenzt, orientalisch aber im 
ZINN Inneren: helle niedrige Häuser mit flachen Dach- 
e terrassen. Der halbversteckte Tempel, ein vom 
Halbmond gekrönter Kuppelbau mit Umgang, er- 
innert nur ungefähr an dasVorbild (Textabb. neben- 
Broederlam, Tem- Meister des Hausb. stehend). Daß er aber dem orientalischen Cha- 
pel (Dijon) Pompei (Dresden) rakter relativ näher kommt, als das ebenfalls durch 
den Halbmond legitimierte Kuppelgebäude im Hintergrund der тоо Jahre älteren 
„Darstellung im Tempel“ von Broederlam (Textabb.), das beruht nicht allein auf der 


(1) Die zeichnerische und malerische Darstellung dieses Jerusalem unterscheidet sich durch ihre Unge- 
schicklichkeit erheblich von anderen Stadtbildern Van Eycks. Vgl. das ungünstige Urteil Dvoräks a. a. О. 
(2) Vgl. Schubert-Soldern, der das gleiche — mit noch geringerem Recht — von den Städten auf den Eyck- 
schen Kreuzigungen in Petersburg und Berlin sagt. (Von Jan van Eyck bis Hieron. Bosch. Ein Bei- 
trag zur Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei 1903). 

(3) a. a. O., 110, ebenso Weale, a. a. O., 192. 

(4) Ed. J. van den Gheyn 1909, pl. 16, 17. 

(5) Katalog des Städelschen Instituts 1900, S. 220. Vgl. Loga im Jahrb. der preuß. Kunstaamml. IX., 98. 


262 


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fortgeschrittenen Denkmalkenntnis. Wie Broederlams in die Höhe gereckte Archi- 
tektur von nordisch-gotischem Empfinden diktiert ist, so sind die gedrungene Figur 
und die horizontalisierende Gliederung (Rundlöcher im Tambour) am Tempel des 
Hausbuchmeisters nur möglich, weil hier ein bereits renaissancemäßig empfindendes 
Auge den Orient interpretiert. Gleiches gilt von einem vor eine Felskulisse neben 
eine mittelalterliche Ruine gestellten Tempel Patiniers (Ruhe auf der Flucht; K. F. M. i), 
Textabb. S. 264). Ohne Zweifel ebenfalls auf indirektem Wege mit dem Jerusalemer 
Bau zusammenhängend geht er in seinen breiten Proportionen und der niedrigen 
Verdachung noch über das Vorbild hinaus. — 


Die Reihe der Darstellungen, die den Eindruck machen, daß ihnen eine eigene 
Anschauung Jerusalems oder eine der Wirklichkeit entnommene Vorlage zugrunde 
liegt, läßt sich nicht wesentlich vermehren. Was sonst als jerusalemisch an Stadt- 
bildern und Tempelbauten auf den Gemälden erscheint, daran hat die Phantasie 
den Hauptanteil. Daß Jerusalem gemeint ist, ergibt sich einmal aus den Bildthemen 
(die letzten Etappen der Leidensgeschichte: Kreuzigung, Kreuzabnahme, Beweinung; 
die jüdischen Historien, Eroberung und Zerstörung der Stadt); zwingender jedoch 
als dieser Schluß aus den stofflichen Beziehungen ist die Art der Formgebung, vor 
allem die Gestalt des die übrigen Gebäude überragenden Hauptmonuments der 
Stadt. Die Darstellungen dieses Tempels, der, wie gesagt, in der Vorstellung oft 
gleichzeitig als Tempel Salomons und als heilige Grabeskirche gegolten haben 
mag, gehören zu den interessantesten Zeugen für die architektonische Phantasie 
des 15. Jahrhunderts. 


Daß es sich um einen zentralen Kuppelbau handelte, wußte man. Zentralanlagen 
waren ja auch unter den abendländischen Bauten des Mittelalters nicht völlig un- 
bekannt. In gotischer Zeit spielen sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Aus 
sich heraus hätte sie die Gotik nicht entwickelt. Wenn man diese Form wählte, 
bei Friedhofskapellen z. B., geschah es wegen ihrer Beziehungen zum heiligen 
Grabe, also aus einem nichtkünstlerischen und romantischen Grunde. In größerem 
Maßstab erscheint der Zentralbau nur in Verbindung mit einem Langhaus (Kirchen 
des Tempelordens, der die Anlage der heiligen Grabeskirche nachbildet in Frank- 
reich und England). Mehr als diese vereinzelt auftretenden Zentralkirchen und 
Kapellen haben wahrscheinlich die kirchlichen Geräte, denen man die Form von 
Zentralbauten gab, den Gedanken an den Tempel im heiligen Lande lebendig ge- 
halten und die Phantasie immer von neuem angeregt; vor allem die Weihrauchgefäße 
variieren das Thema in mannigfacher Weise. Neben diesen kunstgewerblichen Kompo- 
sitionen kommen auch noch die Baldachinarchitekturen über den Säulenfiguren in 
Betracht, auch sie stellen in vielen Fällen zentralorientierte Kirchengebäude dar. 


In den gemalten Zentralarchitekturen konnte sich die Phantasie naturgemäß noch 
freier entfalten, als in den Metallgeräten und steinernen Baldachinen. Die Formen 
entlehnt man bis auf die Kuppel der gleichzeitigen heimischen Bauweise. Die 
exotisch phantastische Wirkung liegt im Aufbau und der Gesamthaltung, die unter 
den abendländischen Bauten keine Analogien hat. Es gibt schlanke, turmartige 
Gebilde und niedrigere runde oder polygone Baukörper auf breiter Basis, die eher 
dem Begriff eines Zentralbaus entsprechen. Außerdem Kombinationen solcher Zentral- 
und Turmbauten, wobei in der Regel die vertikale Tendenz überwiegt. Besitzt 
doch die Form des Turmes für das gotische Empfinden die gleiche ideale Bedeu- 
tung wie der Kuppelbau für die Renaissanec. 


(z) Im Katalog als Kloster bezeichnet. 


263 


Einen ausgesprochenen Turmcharakter zeigt das Hauptgebäude in der Stadt hinter 
der Kreuzigung der Heures de Milan!): Über dem nur zum Teil sichtbaren Unter- 
bau ein polygoner viergeschossiger Stamm mit einem Wehrgang schließend, dessen 
Pultdach gegen einen schlankeren zweistöckigen Aufbau anläuft; eine Kuppel als 
abschließende Kappe. Verhältnismäßig orientalischer als dieser gotische Phantasie- 
tempel wirken die niedrigen Häuser, aus deren Mitte er herauswächst, mit Dach- 
terrassen oder flachgeneigten Satteldächern. Irgendweiche Kunde hat der Illustrator 
sicherlich von der morgenländischen Bauweise gehabt, um so charakteristischer er- 
scheint seine Komposition des Tempels. Dieser im Wesen verwandt ist das Ge- 
bäude, das beim Einzug in Jerusalem im Livre d’Heures de Chantilly (Textabb. S. 264) 
sich als Hauptgebäude der Stadt zu erkennen gibt: Statt einer Kuppel oder eines 
Zeltdachs steigt ein Turm in mehreren Abstufungen über dem zentralen Unterbau 


Tempel i. H. des Judus- 
Livre d’Heures de Chan- kusses (L. d’H. de Turin) 
tilly, Tempel 


БА ААА" 
f 


j U 
Livre d’Heures de Turin, Van Eyck, Tempel (Pe- David, Tempel (Berlin, 
Turmphantasie tersburg) Sammig. v. Kaufmann) 


auf. Die Wölbung des oberen Pultdachs und der Zwiebelhelm deuten auf orien- 
talische Anregung. Der Entwurf als ganzer jedoch entspringt nordisch - gotischer 
Phantasie. Unorientalisch ist hier auch die übrige Stadt. An toskanische Berg- 
städte erinnert die Menge schlanker, kantiger Türme. 

Turmartig wirkt auch der Zentralbau auf der Anbetung des Lammes in der Stadt 
links. Daß dieses Gebäude mit dem zweistöckigen hochgezogenen Laternenaufsatz 


(1) 3me Partie des Très belles heures de Notre-Dame. Bibl. Trivulziana а Milan. 1911, pl. XXIV. Das 
Stadtbild kopiert auf dem Lanzenstich im Livre d’Heures de Turin, pl. XX (hiernach die Textabb. oben). 
Die im Jahrb. der preuß. Kunsts. 1902 als „Kopie nach einem verschollenen Gemälde des Van Eyck“ 
reproduzierte Kreuzigung — offenbar eine Kopie nach der Kreuzigung im Livre d’Heures de Milan — 
hat im Stadtbild zwei große Gebäude hinzugefügt, ein Kastell im Stil der Vorlage und das Produkt 
einer unbeholfenen italienisch-gotischen Phantasie, einen riesigen viereckigen Kasten mit einem eigen- 
tümlichen Renaissanceknauf auf dem flachen Dach. 


264 


von der Omarmoschee inspiriert wäre, wie Rosen vermutet, ist wohl kaum anzu- 
nehmen. Wahrscheinlich aber ist, daß van Eyck mit diesem Bau ein Bild der heiligen 
Grabeskirche hat geben wollen, wie sie ihm in seiner Phantasie vor Augen stand. 

Die Kuppelgebäude, denen wir neben derartigen hochgetürmten Bauwerken be- 
gegnen, sind, wie gesagt, ebenfalls in die Höhe gereckt, die Stadt gleich Kathe- 
dralen überragend. Zentralbauten, wie sie schon den Proportionen nach nie und 
nirgends existiert haben. Von verhältnismäßig breiter Figur ist allein der Tempel 
auf der Eyckschen Kreuzigung in Petersburg!) (Textabb. S. 264). Ein umfangreicher 
Rundbau mit schlanken strebepfeilerartigen Türmchen und flacher Kuppel — 
eine merkwürdig schlichte, an einen modernen Gasometer erinnernde Architektur. 
Von dem Kuppelbau auf der Berliner Kreuzigung, der noch weniger den Eindruck 
eines kirchlichen Gebäudes macht, aber einen ähnlichen Sinn für Monumentalarchi- 
tektur zeigt wie der Petersburger Bau, war bereits die Rede. 

Andere Tempelphantasien knüpfen mehr an den abendländischen Kirchenbau an, 
in der Konstruktion und in der Anordnung von Mittelbau und niedrigem Umgang 
durch existierende Zentralanlagen oder gotische Chöre angeregt. Ein frühes Bei- 
spiel auf dem Judaskuß in Livre d’Heures de Turin (pl. XV, Textabb. S. 264): Aus 
dem mittelalterlich-realistischen Jerusalem ragt ein hoher polygoner Kuppelbau mit 
niedrigem Umgang und Kapellen, Strebewerk umklammert den Mittelbau. Die La- 
terne auf der Kuppel, unorientalisch wie das ganze Gebäude, wird auf italienische 
Vorbilder zurückgehen. 

Ein hoher durch Strebebögen gestützter Mittelbau mit Umgang und Kapellen- 
kranz — diese Form kehrt in der folgenden Zeit mehrfach wieder. In seiner Höhen- 
entwicklung besonders phantastisch auf der Kreuztragung eines Holländers aus der 
zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Budapest). Aus der in der Art von Roger und 
Herlin realistisch gesehenen Stadt hochaufragend, hinter dem zweigeschossigen 
Kapellenkranz der sich über ihn heraushebende Umgang, an dessen Peripherie die 
Pfeiler für die Strebebögen des hohen Zylinders emporsteigen. Eine flache, ans 
Pantheon erinnernde Kuppel bildet die Krönung: das einzige fremdländische Motiv 
an diesem nach Form und Aufbau völlig nordischem Phantasiegewächs. 

Der letzte, der den Tempel als hohen, flachgedeckten, von niedrigem Umgang 
oder Kapellen umgebenen Zylinder zeichnete, und ihn durch Strebewerk und mittel- 
alterliche Detailierung zu einer gotischen Phantasiefigur machte, ist Gerhard David?) 
(Textabb. S. 264). Bodenhausen bezeichnet sie als „Reminiszenz an die phan- 
tastischen Kuppelbauten, wie sie ältere Darstellungen zeigen“. David, als Maler 
durchaus modern, hält in der Gestaltung seiner Architekturen viel mehr an der 
Tradition fest, als seine Zeitgenossen, die sich längst von der mittelalterlich-realisti- 
schen Formengebung entfernt haben. 

Schon Memling hatte in seinen Darstellungen Jerusalems bei den sieben Freuden 
Mariens (1480, München) und der Passion Christi (Turin) die Gotik fast völlig aus- 
geschaltet und sich ein ihm allein eigentümliches exotisches Architekturbild aus 
romanischen und byzantinischen Elementen zurecht gemacht. Das Hauptelement 
bildet das Romanische, das aber viel weniger historisch-treu behandelt ist, als von 


(x) Nach Dvorák von Jan, nach Voll von einem Nachfolger um 1450. 

(2) Eine andere Fassung des Bildes mit sehr ähnlicher Stadtansicht in Paris bei Kleinberger (hiernach Abb. д). 
(3) Er gibt zahlreiche Varianten desselben Typus. Vgl. Bodenhausen, G. David, München 1905, Abb. 2 
(ausnahmsweise mit flachem Dach ohne Kuppel), 3, 20, 34; Zeitschr. für bild. Kunst, Mai 1911, Kreu- 
zigung im Metropolitan-Museum, New York: ein Kranz von Rundkapellen um einen höheren, einem 
Bündel von Rundtürmen ähnlichen Mittelbau, Abb. 8. Vgl. auch Abb. 3 ebenda. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 7. 20 26 5 


Jan und Roger, sondern bereits in einer mehr abgeleiteten renaissancistischen Über- 
gangsform erscheint. Das Exotische besteht nicht wie im Jerusalem der „drei Frauen 
am Grabe“ (Samml. Cook) oder Breydenbachs Holzschnitt in einer Benutzung von 
Moschee- und Minarettformen. Memling hat für seine Turm- und Kuppelbauten For- 
men gewählt, die sich besser mit den romanischen verbinden und doch fremdländisch 
wirken. Seine Vorbilder waren, nach einer Beobachtung Schubert-Solderns, byzanti- 
nische Kirchen). In der Tat sind Kuppelbauten, wie der, der auf dem flachen Dach des 
Tempels mit der Vertreibung der Wechsler (Turin, links oben) unorganisch aufsitzt, 
jenen Kirchen verwandt, vor allem darin, daß die Rundbogenfenster in die Kuppel- 
zone einschneiden?). Das Motiv findet sich in ähnlicher Weise bei einer Kuppel auf 
Ghirlandajos Beweinung in Ognissanti, neben die Brockhaus die Kuppel von Agios 
Theodoros in Athen stellt“). Schubert-Soldern vermutet, Memling habe im ehe- 
maligen oströmischen Reich oder wahrscheinlicher in Unteritalien diese Architek- 
turen kennen gelernt. Die Reiseeindrücke hätten dann allerdings eine starke Um- 
bildung erfahren. Denn der phantastische Eindruck überwiegt durchaus. Turm- 
bauten, wie der rechts neben der genannten Tempelkuppel in Turin oder der hohe 
bis an den oberen Bildrand reichende Rundbau in München, gab es nirgends in der 
Wirklichkeit. Sie entspringen einer Phantasie, die abendlän- 
disch-romanische Vorstellungen mit Nachrichten oder Zeich- 
nungen byzantinischer Bauten verschmilzt. Von einer italieni- 
schen Reise hätte Memling gewiß auch Eindrücke moderner 
Architektur mit nach Hause gebracht. Diese fehlen aber in 
seinen Bildern völlig. 

Wie eine von den neuen Bau- und Formideen Italiens in- 
spirierte nordische Phantasie sich des salomonischen Tempels 
bemächtigt, das zeigt der Tempel auf Wolf Hubers symboli- 
scher Darstellung aus der Apostelgeschichte in Wien (Abb. 10). 
Schält man aus dem vielgliedrigen Gebilde den Kern heraus, 
dann kommt man wieder auf einen kuppelgedeckten Rundbau, 
dessen Strebebögen in die Turmpfeiler des Umgangs hinüber- 
Kölner Meister vom An- geleitet sind. Also dasselbe gotische Gerüst wie bei David 
fang des 15. Jahrh., Aus und seinen Vorgängern. Bei der Wahl der Formen aber hat 
Sino WS rusalems „eben den dem Orient entlehnten Turm- und Laternenzwiebeln 

Italien den Ton angegeben, vor allem in den Galerien und 
Balustraden. Auch der Gesamtkomposition nach ist er ein Werk der neuen Zeit. 
Infolge der verschiedenen Vor- und Anbauten besitzt er nicht mehr den Charakter 
eines Turmgebäudes, sondern präsentiert sich als ein geräumiger Zentralbau — 
In dieselbe Gotik, Orient und Italien vereinende Richtung gehört das hier nach 
einem seltenen Holzschnitt abgebildete „Jerusalem“ des Regensburger Drechsler- 
meisters Jacob Zeller. 

Wieviel Gotik doch in diesen phantastischen Kompositionen deutscher Früh- 
renaissance steckt, lehrt ein Blick auf den Tempel von Raphaels Sposalizio, der nach 
(т) a. a. O., S. 87f. 


(2) Die gleiche Kuppel auf dem Münchener Bilde, im Hintergrund in der Mitte neben dem hohen 
Rundturm. 


(3) Forschungen über Florentiner Kunstwerke 1902, S. 86. — Vgl. auch den Tempel auf der Kölner 
Kreuzigung vom Anfang des 15. Jahrhunderts (Aldenhoven, Geschichte der Kölner Malerschule, Tf. 29. 
Vgl. unsere obenstehende Abbildung), ferner Multschers Kirche in Stuttgart (Textabb. S. 257), woraus 


hervorgeht, daß bereits vor Memling byzantinische Architekturmotive bei den nordischen Malern ver- 
schiedenster Schulen bekannt waren. 


266 


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Brockhaus Vermutung!) ebenfalls eine Nachbildung des Tempels von Jerusalem dar- 


stell. Hierbei wird denn auch deutlich, wie groß die Turmfreudigkeit der nordi- 
schen Künstler noch ist. — 


Dort, wo die Phantasie aus kuppelgedeckten Zentralkirchen am liebsten hohe 
Turmgebäude macht, und die fremdländischen Formen dazu benutzt, die auf- 


(1) a. a. O., S. 31ff. Es wird hier u. a. festgestellt, daß die Höhe der Kuppel — ı!/, ihres Durch- 
messers dieselbe ist am Felsendom und bei den gemalten Tempeln Pinturicchios und Raphaels; vgl. 
auch Ermers, a. a. O., S. 15f. 


267 


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steigende Silhouette herauszuputzen, wird man nicht überrascht sein, wenn auch 
den Türmen an und für sich phantasievolle Gedanken gewidmet werden. In der 
Tat hat sich auf den gemalten Stadtbildern des 15.Jahrhunderts neben dem Tempel- 
gebäude hauptsächlich an den Türmen die nordische Phantasie betätigt. Von 
orientalischen und italienischen Anregungen genährt, hat sie hier Gliederungen und 
Formen entwickelt, die die romantischen Vorläufer bilden für die realen Turm- 
architekturen der Renaissance in den Niederlanden und Frankreich. 

Bis in den Anfang des ı5. Jahrhunderts lassen sie sich zurück verfolgen. Es 
sind vor allem die in der Turmsilhouette als starke Wülste erscheinenden Zwischen- 
glieder, jene kissen- und ballonartigen Schwellungen, die die senkrechte Entwick- 
lung der Türme unterbrechen. Ohne Zweifel ist dieses Motiv von der Kuppel her- 
zuleiten, die zunächst nur als krönende Kappe für die Türme verwendet wurde, 
dann eine Laterne erhielt!) und indem man diese immer reicher ausbildete, von dem 


O O 
Livre d’ Heures Chroniques de Saint Livre d’ Heures 
de Chantilly, Denys, Tempelphan- Charonton, Mauerturm (Ville de Turin, Turm- 
Turm tasie (Petersburg) neuve -lés- Avignon) phantasie 


krönenden Abschluß zu einem eingeschobenen Glied innerhalb des Turmkörpers 
herabriickte. Eine derartige Umdeutung im Livre d’Heures von Chantilly (pl 54, 
Textabb. oben). Auf dem gedrückten Wulst, der hier den kantigen Stamm unter- 
bricht, sind wie auf der geschweiften Kappe Nähte markiert und diese mit Krabben 
besetzt: die morgenländischen Formen werden gotisch verziert. 

Gibt hier der Italien entlehnte, glatt aufschießende Stamm noch einen verhältnis- 
mäßig einfachen Umriß, so entwickeln sich dort, wo die orientalischen mit dem 
nordisch-spätgotischen Maßwerkgebilden zusammentrefien, Figurationen von un- 
erschöpflicher Phantastik. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts sieht man auf den 
Stadtbildern der französischen und niederländischen Maler eine Menge derartiger 
Türme in die Luft ragen. Sie verkünden das Nahen eines neuen architektonischen 
Formempfindens (vgl. Textabb. oben)). 


(x) Vgl. z. B. den Mauerturm auf der Beweinung im Livre d’Heures de Turin (pl. XXIX) und auf 
Charontons Triumph der Maria 1453 in Ville neuve-lès-Avignon: Textabb. S. 268. 

(2) Nach einer Miniatur der „Gr. Chroniques de Saint Denys“. Mitte 15. Jahrh. Bibl. Imp. St. Peters- 
burg (Gaz. d. В. A. 1903, II). 


268 


Besonders reich an derartigen Turmphantasien sind Miniaturen in einer Chronik 
von Jerusalem der Brügger-Schule um 14501). Namentlich in den detaillierten Stadt- 
ansichten bei der Belagerung von Jerusalem und der Befestigung von Jaffa 
(Abbildung 11) sind es neben einzelnen Kuppeln die Türme, die sich durch 
ihre phantastische Gliederung von der Realistik der übrigen Architektur unter- 
scheiden und den orientalischen Charakter der Städte repäsentieren sollen?). Die 
orientalischen Motive sind aber nicht — ebensowenig wie anderwärts die italieni- 
schen — formgetreu übernommen, so daß sie als Fremdkörper in den mittelalter- 
lichen Gewächsen erscheinen, sondern sind umstilisiert und mit den gotischen 
Architekturen zu einer neuen Einheit verwachsen. Ebenso wie einzelne Entwürfe 
Fouquets als frühesten Zeugen französischer Renaissancearchitektur anzusehen sind, 
haben wir in dieser Chronik von Jerusalem die frühesten Äußerungen der nieder- 
ländischen Renaissance. Außer den Turmkompositionen, an deren Entwicklung im 
16. Jahrhundert gerade die Niederlande einen hervorragenden Anteil haben sollten, 
gehört auch ein, in seiner Gesamtfigur sichtbares Gebäude hierher, das an mar- 
kanter Stelle in Jaffa eingezeichnet, wohl als Rathaus anzusprechen ist. Der an 
der Breiteseite des rechteckigen Blockes vorgezogene Portalbau, seine symmetrische 
Durchbrechung (Bogentür, Rundloch und flankierende Rechteckfenster), der hori- 
zontale Abschluß durch die Balustrade, in der Mittelachse darüber, der (in 
der Basis nicht klare) Turmaufsatz, schließlich — ein spätgotisch unsymmetrischer 
Akzent — der an die eine Ecke gestellte Rundturm, der mit seinem knaufigen 
Laternenhelm die Silhouette bereichert — das ist, ob die Formen im einzelnen 
Italien, dem Orient oder heimatlicher Tradition entnommen sind, in der Gesamt- 
wirkung ein Produkt nordischen Renaissancegeschmackes, wie wir ihm in der Wirk- 
lichkeit erst mehrere Generationen später begegnen. 


П 


DIE ARCHITEKTUR-PHANTASTIK DER RE- 
NAISSANCE 


Die Anfänge der renaissancistischen Formphantasie inmitten der spätgotischen 
Sphäre des Nordens werden im wesentlichen durch drei Faktoren bestimmt: die 
romanische Baukunst, die moderne italienische Architektur, die Vorstellungen von 
der Bauart des heiligen Landes. Indem sich diese drei fremden Formwelten mit 
der gotischen Überlieferung verbinden, entsteht allmählich jenes eigentümliche Phä- 
nomen, das wir nordische „Renaissance“-Architektur nennen. Einzelne Entwürfe 
Fouquets und seiner Schule, Kompositionen in der Wiener Chronik Jerusalems ent- 
sprechen Gebäuden, wie sie im Anfange des 16. Jahrhunderts wirklich errichtet wurden. 
In dieser Hinsicht tragen sie also noch ein realistisches Gepräge. Die Architek- 
turen auf Bildern vom Ende des 15. Jahrhunderts und der folgenden Zeit gehen über 
diese realistischen Phantasien hinaus. Die aus realen Formvorstellungen schöpfende 
Phantasie steigert sich zu einer Phantastik, die Romanisches, Italienisch-Antikes, 
Orientalisches und Gotisches miteinander verschmelzend, Gebilde erfindet, wie sie kein 
Architekt jemals verwirklicht hat. 


(1) Wien, Publikation im Jahrbuch der Kunsthistor. Samml. XX. 

(2) Ähnliche Türme sieht man auf der früher Roger zugeschriebenen Kreuzigung in Wien. Da sich 
bei Roger sonst nie morgenländische Phantasien finden, spricht auch dieser Gesichtspunkt gegen 
Rogers Autorschaft. 


269 


Die gemalten Architekturen von rund 1450— 1480 geben prophetische Stimmungen 
für den kommenden Baustil. Die Architekturen auf Bildern der folgenden Zeit 
bilden in ihrer gesteigerten Phantastik die natürliche Fortsetzung jener Entwürfe. 
Ihr Verhältnis zu dem wirklich Gebauten ist jedoch ein anderes: Lag in jenen ein 
Hinweis auf künftige Baugedanken, so sind die architektonisch-dekorativen Phan- 
tasien dieser Zeit ein Ausdruck des nunmehr zum vollen Dasein erwachten Re- 
naissancegefühls, das die Fülle seiner Ideen in der Realität nicht mehr befriedigen 
kann und in den gemalten Architekturen eine Ergänzung sucht. 

In Italien läßt sich im Laufe des Quattrocento eine ähnliche Entwicklung vom 
Realismus zur Phantastik in den gemalten Architekturen verfolgen. Man vergleiche 
daraufhin Bilder Fra Angelicos und Gozzolis mit Filippinos Erweckung der Drusiana 
(S. Maria Novella) oder den Venezianern um 1500, die unter dem Eindruck des 
Orients noch mehr als die Florentiner zu phantastischen Kompositionen neigen!). 
Im Gegensatz hierzu offenbaren die Idealbauten auf Gemälden der klassischen Kunst 
ein starkes architektonisches Empfinden, Gedanken wirklicher Architekten. Die 
wichtigsten unter diesen gemalten Architekturen, die Bauten auf den Bildern Ra- 
phaels, tragen diesen Charakter in dem Maße, daß man von ihnen auf die starke 
architektonische Begabung Raphaels zu schließen berechtigt ist, ja, die Über- 
zeugung sich immer mehr festigt, Raphael würde, wäre ihm ein längeres Leben 
vergönnt gewesen, sich völlig der Architektur zugewendet haben. Derartige Maler- 
Architekten besitzt der Norden nicht. Die gemalten Gebäude kommen hier über den 
spielerisch-romantischen Zug der Spät-Quattrocentisten nicht hinaus. Im Gegenteil, 
die nordische Phantasie steigert sich zu ungeheuerlichen Visionen. 

Die Wendung zur neuen Phantastik im Norden leiten Memlings Architekturen 
ein. Die Vorliebe für romanische Formen, die bereits Roger und Bouts besaßen, 
ist bei ihm noch gewachsen. Die Gotik bildet ebenso eine Ausnahme wie vordem 
das Romanische bei den Idealbauten van Eycks. Welche Wandlung sich mit den 
romanischen Kompositionen vollzogen hat, davon war gelegentlich der Memling- 
schen Darstellung Jerusalems bereits die Rede. Wie wirklichkeitsgetreu wirkt noch 
das romanische Gebäude auf dem Portinarialtar neben Memlings Kapellen, Tor- 
und Wohnhäusern auf dem Turiner und Münchner Bildern mit ihren willkürlichen 
Kombinationen, deren unrealistischer Aufbau — ganz abgesehen von der gleich- 
zeitigen Ansicht des Äußeren und Inneren — an trecentistiche Spielzeugarchitektur 
erinnert. (Man betrachte z. B. das Häuschen mit der Verkündigung am linken Rand 
des Münchener Bildes: In einer Rundblende eine doppelte Bogenöffnung, über deren 
Mittelstütze der halbrunde Erker aufsitzt, der das Giebelfeld füllt.) Die Formen 
stellen eine Verbindung von romanischen und spätgotischen Elementen dar, wobei 
das Spätgotische eine untergeordnete ornamentale Rolle spielt, die horizontale Lage- 
rung (Gesimse, Zwerggalerien, Reihen von Rundlöchern, stumpfe Bogen) überwiegt. 
Das latente Renaissancegefühl hat sich im Vergleich mit älteren romanischen Bild- 
architekturen noch gesteigert, ohne daß moderne italienische Formen auftauchen. 
Das an den Ansatzstellen geschweifte Dachgewölbe zweier Gebäude in Jerusalem 
(München) soll nach Schubert-Soldern an Bauten bei Neapel erinnern. Die Form 
der Holztonne im Außenbau zu kennzeichnen, könnte auch älteren niederländischen 
oder französischen Bildarchitekturen entlehnt sein?). Memling gibt auch dort kein 


(т) Vgl. Gozzolis aus enggedringten florentinischen und römischen Monumenten zusammengesetstes 
„Babylonia“ in Pisa mit dem Orient Carpaccios. 


(2) Sie findet sich u. a. im Livre d’Heures von Chantilly (pl. 54) und horizontal gebrochen, wie wir 
sahen, bei Fouquet u. а. Vgl. S. 261, Anm. т. 


270 


italienisches Milieu, wo die Szene in Rom vor sich geht, bei der Ankunft der heiligen 
Ursula: Das ist Memlingsche Antike. Im wesentlichen Charakter aber unterscheidet 
sich hier der obere Rundbau der zurückliegenden Kirche nicht sonderlich von italie- 
nisierenden Renaissancefassaden mit Pilasterordnung, wie sie als früheste Beispiele der 
niederländischen Architekturmalerei in Brevier Grimani vorkommen!). In ähnlichem 
Sinne wie Memling wirtschaftet Geertgen tot San Jans mit den romanischen Formen. 
Das Torgebäude auf dem Lazarusbilde im Louvre mit der Terrasse über dem flachen 
Torbogen ist eine frei erfundene Komposition, bei der nur das malerische Arrangement 
an den spätgotischen Geschmack erinnert. Die schlichten Backsteingebäude auf 
dem Diptychon in Braunschweig?) repräsentieren eine vielleicht auf ein spätmittel- 
alterliches Modell zurückgehendes, aber mit romanisch-renaissancistisch empfinden- 
den Augen aufgenommene Architektur. Ihr nahe verwandt sind die Hofgebäude 
auf der Weissagung der Sybille in Frankfurt, die man früher Bouts zuschrieb. Daß 
das Bild von einem Nachfolger stammt, dafür spricht auch der Charakter der Archi- 
tektur, der das unmittelbar bevorstehende Eindringen der Renaissance verrät. Unter 
den gemalten Architekturen der folgenden Zeit, auf die hier nur kurz hingewiesen 
sei, lassen sich zwei Richtungen unterscheiden: die eine steht stark unter dem Ein- 
druck moderner italienischer Bauglieder und Dekoration. Die andere knüpft konser- 
vativer an die heimische Entwicklung an, versucht die neuen Formen mit den go- 
tischen zu verschmelzen und so dem gotischen Organismus einzuverleiben. 

I. Sich völlig von der Tradition zu lösen, wie man wohl möchte, gelingt der 
italienisierenden Richtung nicht. Die romanischen und orientalischen Formen treten 
zwar in den Hintergrund. Wo man sie verwendet, werden sie ins Moderne-Italienische 
umstilisiert. Aber es entstehen Mischformen, wie sie nur aus der nordischen Ent- 
wicklung zu erklären sind. Auf die Zeitgenossen mögen sie einen antikisch-reinen 
Eindruck gemacht haben. Etwas Analoges findet in der Gesamtkomposition statt. 
Auch dort, wo man in der Fassadengliederung sich ziemlich treu italienischen Ein- 
drücken hingibt, wie Altdorfer beim Palast auf dem Susannabilde in München, 
bleibt in Aufbau und Silhouette des Gebäudes die gotisch - germanische Phantasie 
lebendig. Es ist bezeichnend für das deutsche architektonische Gefühl der Zeit, 
daß Altdorfer für den Hauptturm, wie Hildebrandt wahrscheinlich macht)), den 
Tempietto eines Holzkandelabers Fra Giovannis in Verona als Vorbild gewählt hat, 
einen Teil eines kunstgewerblichen Geräts an eine in großem Maßstab gedachte 
Architektur überträgt. In demselben Jahr, in dem Altdorfer diesen Palast malte 
(1526), wurde er Stadtbaumeister von Regensburg. 

Wie derartige von oberitalienischer Frührenaissance berauschte Romantik bald 
darauf einen klassizistischen Charakter annimmt, sieht man auf dem Kreuzeswunder 
Barthel Behams in München (1530). In diesen Palästen ist, obwohl sie reine Phan- 
tasiebauten sind, alles Nordische unterdrückt. Auch die Antike und der Orient im 
Hintergrund sind nicht mehr mit deutschen Gedanken durchsetzt. 

2. Die zweite Richtung ist als „gotischer Barock“ zu bezeichnen, wie Dehio diesen 
Begriff formuliert hat‘). Dieser aus der spätgotischen Dekoration wachsende Stil, 
der das Italienische nur zur Bereicherung seiner dekorativen Tendenzen benutzt, ohne 
die klärenden Gliederungen sich zu eigen zu machen, kommt in den gemalten archi- 


(1) Ausg. Hiersemann, BI. 615. 


(2) Im Jahrb. der Preuß. Kunstsamml. XXIV, 8. 68 von Friedländer Geertgen zugesprochen. Abbildung 
ebendort. 


(3) a. a. O., 8.83. 
(4) Jahrbuch der Preuß. Kunstsamml. 1909, S. 148f. 


271 


tektonischen und plastischen Entwürfen noch mehr zur Geltung als in ausgeführten 
Werken. Dem phantastischen Spieltrieb, der die Maler bei ihren Entwürfen leitete, 
entsprach diese Richtung mehr als die nackte Darstellung reiner italienischer Formen. 
Auch in vielen der bewußt italienisierenden Phantasien steckt gotisch-barocker Geist. 

Beide Richtungen gehen nebeneinander her. Wo Memling gotische Architekturen 
zeichnet, haben sie bereits etwas von der neuen Art. Bei Ursulas Ankunft in Basel 
steht neben romanischen Türmen ein Turm in reicher Renaissancegotik, ein Vor- 
bote des Kiliansturmes in Heilbronn. Charakteristisch ist auch die Umbildung, die 
der Kölner Domchor in derselben Bildfolge erfahren hat: Die im Rundbogen 
schließenden Fenster ragen unnatürlich weit in die Dachzone hinein, die Balustrade 
fehlt, das Dach ist zu hoch. Aus dem Werk akademisch-französischer Gotik macht 
Memling ein germanisch-barockes Gewächs. 

Ihren wesentlichen Ausdruck erhält diese Stilrichtung, als sie sich nach 1500 mit 
den italienischen Formen abzufinden sucht. Ein Gebäude wie das im Hintergrund 
der Anbetung der Könige von Giltinger (Louvre; Abb. neben- 
stehend) gehört hierher: im Kern gotisch, hat die Fassade die 
neuen Dekorationselemente sich derart assimiliert, daß sie nicht 
als Fremdkörper wirken: Selbst die geschweifte Giebelkappe 
mit der Palmettenfüllung macht an dieser für die Physiognomie 
entscheidenden Stelle einen selbstverständlichen, gewachsenen 
Eindruck. Auf derselben Linie wie das Giltingersche Rathaus 
steht das Gebäude eines Niederländers um 1520 (Enthauptung 
des Johannes, Berlin, K.-F.-M. 630G). Hat bei jenem der Maler 
‚ vielleicht an ein aus mehreren Bauperioden stammendes Ge- 
Giltinger,Rathaus(Louvre) bäude gedacht, dem er dann allerdings ein einheitliches Gesicht 

zu geben verstanden, so handelt es sich hier um eine Kom- 
position aus einem Guß. Italienisches und gotisches sind so eng miteinander ver- 
wachsen, wie es bei den Entwürfen der italienisierenden Richtung niemals der 
Fall ist. Die holländischen Maler vom Anfang des 16. Jahrhunderts sind besonders 
reich an derartigen Phantasien, in denen der national-germanische Stil Italien gegen- 
über seine Eigenart zu wahren versucht. In den gemalten Architekturen kommt 
er, wie gesagt, lebhafter zum Durchbruch als in den ausgeführten Bauwerken. 
Erst als sich am Ende des 16. Jahrhunderts die nordische Architektur wieder mehr 
ihrer innersten Natur bewußt wird, in der Epoche des niederländisch - deutschen 
Barock, entstehen Gebäude, die an jenen gotischen Barock anknüpfen. 


* u 
* 


An den gemalten Architekturen macht sich nach einer realistischen Periode inner- 
halb der spätgotischen Welt zuerst die Wendung in der Entwicklung des architek- 
tonischen Formgefühls bemerkbar. Aus diesen Anfängen, die in romanischem, 
orientalischem und italienischem Gewande erscheinen, entwickelt sich allmählich 
die Formensprache der nordischen „Renaissance“. Für die Erkenntnis dieses Phä- 
nomens sind die gemalten Architekturen neben den ausgeführten Gebäuden als Do- 
kumente darum besonders wichtig, weil es sich bei der nordischen Renaissance- 
architektur — in höherem Maße als bei anderen Baustilen — zunächst mehr um 
ornamentale als rein architektonische Gedanken handelt. 


272 


DER MANTEGNA DER SAMMLUNG WEBER 


Mit vier Abbildungen, davon zwei im Text Von HERMANN UHDE-BERNAYS 


in Bild des Andrea Mantegna, das die Madonna mit dem Kinde zwischen dem 

heiligen Joseph und der heiligen Magdalena darstellt, wird wohl bis auf wei- 
teres zur näheren Bezeichnung die Erinnerung an die Stätte mitnehmen, an der 
es zuerst allgemein bekannt und von der Forschung geprüft wurde. Unterdessen 
ist der „Mantegna der Sammlung Weber“ als höchstes Objekt auf der Versteigerung 
dieser Sammlung, die im vergangenen Winter in Berlin stattgefunden hat, von dem 
Kunsthandel erworben worden, und es ist immerhin merkwürdig zu sehen, wie 
diesem Moment eines sehr hohen pekuniären Engagements sogleich ein sachliches 
Interesse an der Echtheit und der wissenschaftlichen Bedeutung nicht minder wie 
an der Qualitätsfrage des Stückes sich anschloß. Letztere zu diskutieren wäre töricht. 
Denn sie ist bei Bildern wie dem hier in Frage stehenden sehr viel Sache des per- 
sönlichen Geschmacks, der letzten Endes zu entscheiden hat, und nicht Aufgabe der 
Kritik ist es, da einzugreifen durch Vergleichungen mit den Stücken von Weltruf, 
wie eines die berühmte Dresdener Madonna ist. Der Mantegna der Sammlung 
Weber hat durch die ständigen Hinweise auf dieses Exemplar der höchsten Kunst 
des Meisters mehr Schatten erhalten, als er verdient. Die Bevormundung durch das 
reichere und reifere Werk führte sogar dahin, daß die Zurückstellung zum Zweifel 
an der Echtheit sich ausgewachsen hat. Schon aus diesem Grunde verdient der 
Webersche Mantegna einmal für sich allein betrachtet zu werden. 

Die historischen Feststellungen sind mit wenigen Worten abgetan. Konsul Weber 
erwarb das Bild im Herbst 1903 von Dowdeswell in London. Bis dahin war es 
unbekannt. Vorher hatte es sich im Besitz der Familie Ajuti in Neapel befunden. 
In der Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war es längere Zeit in 
München im Palais der päpstlichen Gesandtschaft, wohin es der Koadjutore Mons. 
Pietro d’Ajuti mitgenommen hatte. Das Bild ist damals von Albert in München 
photographiert worden. Wie lange der Mantegna im Besitze der Ajuti war, oder 
woher er stammt, läßt sich leider nicht mehr feststellen. Die Literatur über Man- 
tegna versagt fast vollständig. Nur Crowe und Cavalcaselle (deutsche Ausgabe, 
Leipzig 1873, Bd. V, S. 440, Anm. 112) geben eine Erwähnung eines verloren ge- 
gangenen Bildes von Mantegna, die sich ohne weiteres auf den Mantegna der 
Sammlung Weber beziehen läßt. Hier wird auf Grund einer Mitteilung des Boschini, 
ricche miniere della pittura veneziana, Sest. D, Duro 21, aus dem Spedale degli in- 
curabili, Sakristei, eine Madonna mit Kind, Joseph und Magdalena, als erstes unter 
den verlorenen Werken des Meisters genannt. Wenn die Provenienz des Weber- 
schen Bildes von den Ajuti bis zum spedale degli incurabili in Venedig, wo sich 
1674 ein dem Gegenstand nach identisches Werk befunden hat, nachzuweisen wäre, 
könnten wir hier die Untersuchung schließen, obwohl die Identität doch zum min- 
desten einen Indizienbeweis für sich hat, wie er allmählich der Forschung geläufig 
geworden ist’). 

Nach der Erwerbung des Bildes durch Konsul Weber ist dasselbe gelegentlich 


(1) Da unterdessen in der Zeitschrift „Les Arts“, April 1912, ein kurzer Artikel über „Le Mantegna de 
ia vente Weber“ erschienen ist, in welchem das Zitat aus Crowe und Cavalcaselle bzw. Boschini an- 
geführt wird, muß ich bemerken, daß ich Herrn Konsul Weber, der mir im Frühjahr 1904 seine Er- 
werbung selbst zeigte, bereits damals (1904) brieflich den Hinweis auf diese Stelle zur ev. Verwendung 
in einer Neuauflage seines Kataloges übersandt habe. 


273 


einer Besprechung des Kristellerschen „Mantegna“ von Wilhelm Bode (Mantegna 
und sein neuester Biograph, Kunstchronik N. F., Jahrg. XV, Nr. 8, 18. Dez. 1903) 
erstmals in der Literatur erwähnt und der Spätzeit des Meisters zugewiesen worden. 
Hier ist das Bild auch erstmals abgebildet. Auf diese Einführung durch Bode 
nehmen der von Karl Woermann bearbeitete Katalog der Sammlung Weber, der 
das Bild zuerst mit dem Dresdener Werk in Verbindung brachte, und der von 
M. J. Friedländer eingeleitete Auktionskatalog Bezug. In seiner Ausgabe der Ab- 
bildungen nach Werken Mantegnas (Klassiker der Kunst, Bd. XVI, Stuttgart und 
Leipzig 1910) hat Fritz Knapp das Werk ebenso wie die beiden, schon früher als 
Werkstattarbeiten erklärten Madonnen im Museo civico zu Verona und in der Pina- 
kothek zu Turin Mantegna abgesprochen. Er sagt in den Anmerkungen zu Tafel 
162: „Auch hier schließen die vielen Verzeichnungen, die Starrheit der Gesichter 
trotz des liebenswiirdigen Kindes — im Typus jedoch keine Verwandtschaft mit 
denen Mantegnas zeigend — die Hand des Meisters selbst aus“. In seinem ab- 
sprechenden Urteil geht Knapp mehr radikal als vorsichtig vor. Gewiß mag in 
einer Zeit, die mit dem Taufen auf große Namen in verschwenderischer Freigebig- 
keit umgeht, des Urteils bester Teil Vorsicht sein. In diesem Falle aber, wo das 
Bild der Sammlung Weber den beiden Arbeiten in Verona und Turin weit über- 
legen ist, erscheint die Zurückhaltung als Fehler. ,,Verzeichnungen“, wie sie hier 
Knapp zu sehen glaubt, finden sich mehr als häufig als Folgen eines ganz streng 
linearen Stilbestrebens auf Mantegnas Werken, von „vielen“ Verzeichnungen, ganz 
ohne jede Beziehung auf dieses Stilbestreben, also nur akademisch betrachtet, kann 
nicht die Rede sein. Die allzu starke Drehung der rechten Schulter des Kindes 
(betont durch den aufwärts weisenden Zeigefinger) — im schulmeisterlichen Sinne 
der stärkste Zeichenfehler — treffen wir in der Kunst Mantegnas in der gleichen 
dramatischen Absichtlichkeit wieder, und nur die beiden Hände mit den knotigen 
Fingergelenken stehen den Händen auf den Werkstattbildern näher als dem „schönen 
Gebild der länglichten Hand“ in Dresden. Aber sogar zu der Strenge und Einheit- 
lichkeit des Dresdener Bildes hat Knapp kein persönliches Verhältnis gefunden, 
wenn er dessen Figuren Joseph, Elisabeth und Johannes „durchaus nüchtern und 
ausdruckslos, in den Formen schematisch gebildet“ nennt. Der höchsten Ausge- 
glichenheit des mathematischen Aufbaus der Bildkonstruktion im Raume, die male- 
risch eben durch eine an Schema grenzende Starrheit gestärkt werden soll — die 
typische Ausdrucksform der sante conversazioni Mantegnas — gegenüber hat Knapp 
kein kennzeichnendes Wort. 

Wenn gerade diese durch die kraftvolle Steigerung zeichnerischer Elemente be- 
dingte Eigenart des Meisters sich in dem Dresdener Bilde stark ausspricht, dürfen 
wir in der Tat die Madonna der Sammlung Weber, wo die Komposition weniger 
„ausgerechnet“ und aus diesem Grunde in ihrer Absicht auf Wirkung freier ange- 
ordnet erscheint, zeitlich mit der Dresdener Madonna zusammenbringen. Wir be- 
sitzen aber aus dem vorletzten Lebensjahrzehnt Mantegnas noch eine andere Arbeit, 
der sich die Webersche Madonna weit mehr nähert, aus jener Periode des künst- 
lerischen Schaffens Mantegnas, die in der Madonna della Vittoria (1495/96) und 
der Madonna mit Heiligen beim principe Trivulzio in Mailand (1497) ihren Abschluß 
und, ihre besondere künstlerische Bestimmung erhält, wo Beziehungen zu der 
Malerei des Giovanni Bellini äußerlich-dekorativ und stilistisch bestimmend auftreten, 
wo der Meister innerlich den beiden Werken entgegenreift, die seinen Altersstil 
von zwei verschiedenen Richtungen her eingrenzen, dem „Triumph des Scipio“ und 
die „Klage um den Leichnam Christi“. Am Anfange der vorletzten Periode also, 


274 


der wir die Madonna der Sammlung Weber einfügen wollen, steht der „Imperator 
mundi“, das Christkind als Weltherrscher mit dem kleinen Johannes, mit Joseph 
und Maria, ein Werk, das aus der Sammlung Dr. Ludwig Mond in die Nationalgalerie 
in London gelangt ist. | 

In seinem Katalog der Sammlung Mond hat J. P. Richter den „Imperator mundi“ 
Mantegnas nach seiner inhaltsreichen Darstellung und seiner technischen Aus- 
führung sehr eingehend behandelt und ihm am Schlusse des Kapitels im Werk 
Mantegnas chronologisch eine Stellung zugewiesen, die ihn an die oben schon ge- 
nannte Madonna im Museo civico in Verona (1, Abb. bei Knapp, Tafel 160), an die 
Madonna in der Brera zu Mailand (2, ebenda, Tafel 107) und die Dresdener Ma- 
donna (3) als ein viertes und höchstes Stück zeitlich anschließen (vgl Richter, The 
Mond collection, Vol. I, S. 255 ff.). Richter versucht diese Aufstellung nach drei 
Seiten zu begründen, durch das Aufsetzen der beiden Füße des Christuskindes, die 
Ausführung der Haare, Fall der Gewandung (ebenda, S. 265, 266). Richter sieht in 
den vier von ihm betrachteten Bildern ein immer stärker sich aussprechendes Stre- 
ben zum Natürlichen, ein immer deutlicheres Aufgeben der Konvention. Bei dieser 
Einteilung, die also das Bild in Verona für authentisch erklärt, berücksichtigt der 
Verfasser des Kataloges Mond den Einfluß Bellinis überhaupt nicht. Auch ist ihm, 
was für Knapp bei seiner sehr ansprechenden Datierung dieses Bildes auf 1493/94 
maßgebend wurde, der deutliche Zusammenhang mit der Madonna della Vittoria ent- 
gangen. Der „Imperator mundi“ dürfte also die Reihe nicht abschließen, sondern 
er muß an den Anfang gestellt werden. Ihm zunächst, ebenfalls der Madonna della 
Vittoria nahe, tritt die Madonna der Sammlung Weber. Dann folgt die Madonna 
der Brera, und die Dresdener Madonna bildet nach der Madonna Trivulzio den 
Schluß. Auch diese Reihenfolge hat Knapp bestimmt, der die Jahre 1497/98 
für die Dresdener Madonna ansetzt. Der Zustand der Madonna in Verona läßt ge- 
naueste Untersuchungen nicht zu, doch scheint hier die Mitarbeit Mantegnas wenig- 
stens für die Anlage der Komposition in Betracht zu kommen. Letztere ist straff 
und sehr einheitlich. Möglich, daß einer der Söhne das Bild ausgeführt, oder daß 
ein Veroneser, wie Bonsignori, es übermalt hat, Die ebenfalls übermalte Turiner 
Madonna mit ihrer gezwungenen und gehäuften Zusammenstellung mantegnesker 
Typen ist ein Werkstattbild. 

Für die Wahrscheinlichkeit, daß die Madonna der Sammlung Weber etwa gleich- 
zeitig mit dem Imperator mundi gemalt worden ist, sprechen diejenigen Gründe, 
die bei dem rein technischen Verhältnis zweier Bilder zueinander überhaupt nur 
in Betracht kommen. Nicht die besonders auffälligen malerischen Akzente sind die 
gleichen — hier würde durch schwächere Wiederholung die Hand des Gehilfen 
oder Nachahmers festgestellt werden können —, sondern verschiedene gerade wegen 
ihrer Unwesentlichkeit charakteristische Einzelheiten der Pinselführung, die später 
besprochen werden sollen. Dazu tritt gleichzeitig das Einhalten einer auf beiden 
Bildern ähnlichen Kompositionsanlage, die, in ihrer Einfachheit für den Problem- 
künstler des Raumes bezeichnend, erst in dem Augenblicke klar wird, sobald wir 
alle malerischen Absichten außer acht lassen wollen. Sobald wir die Erdkugel, 
die das Christuskind auf dem „Imperator mundi“ in der Linken hält, in der zeich- 
nerischen Konstruktion ebenso hoch werten wie die drei Köpfe, und nun die Ge- 
samteinteilung der oberen Hälfte des Londoner Bildes mit der Einteilung des Weber- 
schen Madonnenbildes vergleichen. Dann ergibt sich die Analogie, wenn wir den 
Kopf des Kindes unter die von den vier Augen — wie häufig bei Mantegna — 
rechts und links gebildete Horizontale etwa um ebensoviel herabsetzen, wie er in 


275 


Wirklichkeit über sie hinausragt. Unter Beachtung der Notwendigkeit natürlich, den 
Kopf auf die Mittelsenkrechte zuriickzuprojizieren. Da nun die Horizontale durch 
die Augen des Johannesknaben und die Horizontale durch die Augen des heiligen 
Joseph von der Horizontalen des Bildrandes auf beiden Bildern gleich entfernt sind, 
ergibt sich für unsere Konstruktion der Schnittpunkt S zwischen dieser Horizontalen 
und der Mittelsenkrechten, und der hier eingesetzte Zirkel ergibt die gleichen Ent- 
fernungen SC, und SM (a=a,). (Würde man also den Imperator mundi in die 
Webersche Madonna hineinmalen, wäre S die Mitte zweier gleich großer Entfernungen 
nach C, dem Auge des Christuskindes und M, dem Auge der Madonna!).) Wir haben 
nur den kleinen Kreis der Erdkugel vom rechten oberen Bildviertel auf das linke zu 
verlegen, um eine analoge Komposition zu bekommen. Die Ähnlichkeit der Anlage 
ist so, daß die gleiche Feldereinteilung für die beiden Bilder genommen werden 
kann. Dabei tut der Breitenunterschied von einem Zentimeter nichts zur Sache. 

Beide Kompositionen sind von hober mathematischer Exaktheit bestimmt. Wie 
bei der Madonna Trivulzio und der Dresdener Madonna ist das linke Auge der 
Gottesmutter Kompositionszentrum. Bei der Madonna Weber ist es sogar Schnitt- 
punkt der beiden Diagonalen der oberen Bildhälfte. Nicht unwesentlich erscheint 
ferner, daß die vom Auge des Kindes durch das Standbein gefällte Senkrechte auf 
dem Londoner Bild und der Madonna Weber völlig übereinstimmend zwischen dem 
großen und dem nächsten Zehen einfällt, was bei der Madonna in Verona nicht 
der Fall ist. 

Es mag pedantisch erscheinen, mit solchen rein konstruktiven Absichten an Meister- 
werke heranzutreten. Wir müssen uns in die Aufgabe eines Kopisten denken, der 
die beiden in Frage stehenden Bilder kopieren soll, und die leere Leinwand zu- 
nächst in der hier ausgeübten Methode einteilen muß. 

Aber wie es überhaupt für den genauen Beobachter der Probleme mathematischer 
Art wichtig ist, solchen Gesetzen der Bildeinteilung nachzugehen, wird besonders 
die Kunst des Mantegna und seiner Werkstatt, der das Schema des Meisters als 
heilig galt — darum darf es allein nicht als ausschlaggebend für die Eigenhändig- 
keit herbeigezogen werden — unter diesen Voraussetzungen einheitlicher und in- 
teressanter als die anderer Künstler. Wollen wir Mantegna als strengen Beobachter 
einer durch die Mittelsenkrechte und zwei in einem im Bilde selbst malerisch her- 
vorzuhebenden Zentrum sich treffende Diagonalen gebildeten Komposition riihmen 
— so vor allem im Urteil des hl. Jakobus —, ergibt sich am deutlichsten die Be- 
ziehung zu der Kunst der Venezianer, vor allem des Giovanni Bellini Denn die 
Werke des Piero della Francesca zeigen bei ihrer Priifung durch das Kompositions- 
schema des Mantegna, daß nicht dem Auge der Gottesmutter oder des Kindes, 
sondern der Nasenwurzel die Pflicht als Mittelpunkt der Konstruktion zu dienen, 
zugewiesen wird (vgl. etwa die Komposition der Madonna Montefeltre in der Brera). 
Aber dies nur nebenbei. Wäre es nicht denkbar, auch eine mystische Bedeutung 
des Kompositionsmittelpunktes anzunehmen? 

Zurückkehrend zu dem „Imperator mundi“ und der „Madonna Weber“ haben 
wir noch ein Wort über die Ähnlichkeiten der weiteren Ausführung zu sagen. 
Daß die Arbeit an den Orangenfrüchten und Orangenblüten bei der Dekoration 


(1) Unter Berücksichtigung der wichtigen Tatsache, daß das Londoner Bild um ½ höher ist. Ich habe 
meine Konstruktion auf zwei Kartons in halber Größe der Originale 35 : 24,75 cm (London) und 30: 24 
(Weber) ausgeführt. Die hier beigegebenen Zeichnungskonstruktionen sollen nur ein Notbehelf sein. 
Am deutlichsten wird die Ähnlichkeit, wenn man bei Knapp, wo auf die Größenverhältnisse Rücksicht 
genommen ist, den Imperator mundi auf der unteren Bildhälfte um das Siebentel deckt. 


276 


des Hintergrundes auf die nämliche Hand weist, sei als nebensächlich be- 
merkt. Auf beiden Stücken kommt einmal der Heiligenschein mit den Blättern 
zusammen. Wichtiger erscheint die Ausführung des merkwürdig schmalen von auf- 
geworfenen Lippen begrenzten Mundes, in welchem Andeutungen zweier Vorder- 
zähnchen gegeben sind, des Christuskindes, wichtig sodann die Ähnlichkeit des 
linken, allein sichtbaren Ohres mit seiner tiefen Ohrmuschel und dem stark ausge- 
bildeten oberen Ohrbogen, wichtig die Übereinstimmung des rechten Fußes mit 
der (von Richter betonten) eleganten Schwingung der Linie von der Hüfte zum 


277 


Knöchel. Auch die Händchen und Füßchen sind übereinstimmend gebildet. Der ein 
wenig auswärts gerichtete kleine Finger des Kindes auf dem Londoner Bilde erscheint 
etwas zu dick infolge der inneren Schattierung, was sich auf dem Kinde des Weber- 
bildes wiederholt. Dem allen gegenüber ist die Ähnlichkeit der weiblichen Figuren, 
der Maria des Londoner Bildes, die fast den Anschein hat als sei sie später gemalt 
und zudem, um die Wirkung der oberen Hälfte nicht zu beeinträchtigen, mit halb- 
geschlossenen Augen zu Boden sehen muß, und der Magdalena auf dem anderen 
Werk nicht von besonderer Bedeutung, wenn auch gerade da die Behandlung der 
belichteten Kinnpartien beider Figuren wie deren Modellierung übereinstimmt. Ob 
der Künstler beabsichtigte in dem Weberschen Bilde dem weniger gut ausgeführten 
Kissen in der Komposition den hohen Wert zu geben, den auf dem Londoner Bild 
der innere Brunnentrog mit seiner eigenartigen fünfeckigen Form erhalten hat, bleibt 
nicht ersichtlich. Wie denn überhaupt nicht Aufgabe der Forschung sein darf, 
mit haarspaltender Genauigkeit Bilderanatomie bis ins kleinste Detail zu treiben, 
wenn es nicht mehr nötig ist, oder zu belanglosen Resultaten führt. 

Die farbige Ausführung der beiden Bilder ist verschieden. Die silbrigen Lichter 
stimmen dafür ganz überein. Sehr ähnlich ist die Technik, ein leichter, zögernder 
Auftrag der Farben, so daß das Korn der Leinwand nur dünn gedeckt ist. Von der 
Bedeutung, der Stimmung der beiden Werke, wobei ebenfalls ein Zusammenhang 
gegeben ist, ohne aus weiten Fernen herbeigezogen werden zu müssen, am Schlusse 
einer langwierigen, aber doch nötigen technischen Untersuchung zu sprechen, 
sei als allzu aufdringlich abgelehnt. Soll es sich doch nicht um eine Lobrede han- 
deln, deren mühsam geformter Stil künstlichen Schnitzwerks und glatter Politur eines 
Meisters vom Bau bedarf. Hier galt es, die ausgesprungene Leiste richtig einzu- 
fügen, und zur Gesellenarbeit ziemen sich keine hohen Sprüche. 


278 


ZUM WIEDERAUFBAU VON MULTSCHERS 
STERZINGER ALTARWERK 


000006060000000000000600006006000000000000000000000000000 00000000000 000000000000000000000000 e Von FRANZ STADLER 


m Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst (1910, 2. Halbband) wurden zwei von 

Heinz Braune aufgefundene Engelfiguren aus dem Besitze der Frau Wegscheider 
in Sterzing veröffentlicht und besprochen. Sie halten je ein Vorhangstück in ihren 
Händen und sind mit den schon bekannten zwei Sterzinger Vorhangengeln so nahe 
verwandt, daß ihre Zugehörigkeit zum ehemaligen Hochaltar Unserer lieben Frau 
nicht bezweifelt werden kann. An ihre Veröffentlichung knüpfte K. Fr. Leonhardt 
‚Bemerkungen über die Rekonstruktion des Altarwerkes, die der Richtigstellung be- 
dürfen. Nach der Meinung jenes Autors müßte man sich den ehemaligen Sterzinger 
Altar nunmehr dem Pinzoner ähnlich (Abb. Münzenberger und Beissel, Zur Kemnt- 
nis und Würdigung der mittelalterlichen Altäre Deutschlands, II., Tafel 132, und 
Helbings Monatshefte, III., S. 261) zusammengestellt denken: die Marienfigur in der 
Mitte von den vier vorhangtragenden Englein nischenförmig umgeben; zu beiden Seiten 
die heiligen Ritter Georg und Florian. Die vier bisher in den Schrein versetzt ge- 
dachten Frauenfiguren dagegen sollten möglicherweise der Schreinbekrönung ange- 
hört haben. 

Diese Frauengestalten messen in ihrer Höhe nur einige Zentimeter weniger als 
die Marienfigur (1,58 m und 1,47 m). Es wäre ohne Beispiel und eine befremdliche 
Vorstellung, in dem Schrein nur drei, in dessen durchbrochenen, luftigen Aufsatz 
aber vier Figuren von fast gleicher Höhe sich aufgestellt zu denken. Sieht man 
sich die Figuren selbst genauer an, so muß man sich von der Unhaltbarkeit der 
neu aufgestellten Vermutungen überzeugen. Während nämlich die Rückseite der 
Ritterfiguren mit der gleichen Sorgfalt wie ihre Vorderseite ausgeführt ist, zeigen 
die Standbilder der Jungfrauen, daß sie nur für die Vorderansicht bestimmt waren. 
Sie sind hinten halbkreisförmig ausgehöhlt und mit Brettern verschalt. Wie soll 
man es sich nun vorstellen, daß die ganz ausgeführten Ritter im Schrein, die Frauen 
aber in der durchbrochenen Bekrönung standen? Wie sollten sich ferner bei der 
dem Pinzoner Altar analogen Aufstellung die auch auf den Photographien erkenn-- 
baren seitlichen Aussparungen in der Fassung der mittleren Engel erklären? 

Die richtige Einordnung der zwei neuaufgefundenen Engel in das Altarwerk 
scheint mir keine Schwierigkeiten zu bieten. Im selben Hefte von Helbings Monats- 
heften, in dem der Pinzoner Altar von Semper besprochen wurde, sind vier vor- 
hangtragende Engel abgebildet (aus Bozen, jetzt im Ferdinandeum zu Innsbruck), 
die den Sterzingern ziemlich genau entsprechen. Je zwei sind aus einem Stück 
Holz geschnitzt, sie müssen also in einer Fläche angeordnet gewesen sein und 
ihren Teppich hinter einer Mehrzahl von Heiligenfiguren gespannt gehalten haben. 
Ferner ist an den vielfach dem älteren Syrlin zugeschriebenen Altarriss zu er- 
innern (Stuttgart, Museum für vaterl. Altertümer; Abb. Schuette, Der schwäbische 
Schnitzaltar, 1907, Tafel 65; Baum, Ulmer Plastik um 1500, 1911, Tafel то): Maria, 
vier weibliche Heilige, hinter ihnen acht Engel mit einem Vorhang. Ein weiteres, 
aus Schwaben stammendes, ganz erhaltenes Altarwerk ist das von dem Ravens- 
burger Ruß für Chur in der Schweiz angefertigte (Abb. Münsterberger und Beissel, 
а. a. O., І, Tafel 74 und IL, Tafel 154; vgl. auch Schuette, a. a. O., S. 245). Hier 
derselbe Typus: Maria, vier Heilige und hinter ihnen acht Englein mit einer Dra- 
perie in einer Fläche. So war es auch in Sterzing. Die zwei bisher schon bekannten 


279 


Engel bekunden durch die Form der Aussparungen in ihrer Fassung, daß sie hinter 
der Marienfigur, also in der Mitte standen. Die zwei neuen Engel wieder haben 
die Teppichenden in ihren Händen, sind auch schmaler als die mittleren, sie waren 
in den Schreinecken aufgestellt. Zwischen den alten und neuen Engeln müssen 
noch zwei weitere, bisher nicht aufgefundene, vorausgesetzt werden. 

Die zwei neuen Engel haben heute einen sehr hohen Standplatz, so daß es meinen 
Bemühungen nicht gelang, ihre Abmessungen von Sterzing mitgeteilt zu bekommen. 
Die Maße könnten auch, solange die beiden noch vorausgesetzten zwei Engel 
fehlen, nichts unbedingt Beweisendes oder Widerlegendes für die ausgesprochenen 
Vermutungen haben. Immerhin möchten diese durch eine kleine Rechnung noch 
gestützt werden. 

Unter der Voraussetzung der gleichen Höhe der vier Vorhangengel (1,435 m) er- 
gibt sich aus den Abbildungen die Breite der Vorhangeckstücke mit etwa 42 cm. 
Die Schreinbreite betrug 3,68 m. Jeder mittlere Engel nimmt mit seinem Teppich 
(samt den zugehörigen Zwischenraum von 9 cm) 70 cm Breitenausdehnung ein’). 
Die vorausgesetzten verlorenen zwei Engel dürften ungefähr dieselbe Breite gehabt 
haben. Somit bleiben für jeden Eckengel samt Zwischenraum 44cm, was mit der 
oben berechneten Zahl vortrefflich übereinstimmt’). 

Der obenerwähnte Altar von Chur hat auch sonst zu dem von mir vorgeschlagenen 
Wiederaufbau des Sterzinger Altars analoge Motive, wie seitliche Aufstellung zweier 
heiliger Ritter, Skulpturenschmuck der Rückseite). 

Außer dem Pinzoner Altar werden von Leonhardt auch Pachers Altäre in Gries 
und St. Wolfgang zu Stützen seiner Aufstellungen herangezogen. Die Altäre Pachers 
hatten jedoch eine andere Aufgabe als Multscher in Sterzing zu lösen. In beiden 
Pacheraltären sollte die Krönung Mariä von zwei Heiligen flankiert dargestellt 
werden. Die Anordnung in drei Nischen ergab sich so von selbst. In Gries sind 
noch an die Hinterwand aller drei Nischen Vorhangengel gemalt, in St. Wolfgang 
halten vier geschnitzte Engel nur hinter der Mittelgruppe eine Draperie. 

Im Pinzoner Altar wurde zwar an Stelle der Krönung eine Marienfigur in die 
Mitte gesetzt, doch der auch sonst unselbständige, von Pacher ausgehende Künstler 
hat die mittlere Nische mit dem Engelkranz beibehalten. Auch die vier erwähn- 
ten Teppichengel des Ferdinandeums gehören in Pachers Wirkungskreis (vgl. Sem- 
per in Helbings Monatsheften, a. a. O.) ). 

An sich ist es nicht unwahrscheinlich, daß Pacher seinerseits den Sterzinger 
Altar gekannt habe. Die Verwendung der schwäbischen Vorhangengel an der 
Schreinrückwand, die seitliche Aufstellung Georgs und Florians (vgl. außer Sterzing 
die schwäbischen Altäre von Chur und Kaufbeuren) lassen sogar die Vermutung zu, 
daß Pacher den Sterzinger Typus zu seinen Altarentwürfen benutzt habe. 


(1) Zu diesen Zahlen vgl. meine Arbeit über Hans Multscher und seine Werkstatt, 1907. 

(2) Zu beachten ist vielleicht auch, daß die Marienfigur 16 cm breiter als eine Jungfrauengestalt ist. 
Die noch fehlenden zwei Engel waren also möglicherweise je 8 cm schmaler als die mittleren. Hier- 
durch entfielen auf einen Eckengel samt Zwischenraum 52 cm. Wenn wir den in der Mitte sicher 
feststellbaren Zwischenraum von 9 cm auch sonst annehmen, ergibt sich als Engelbreite 52 — 9 — 43 cm. 
(44°5+42-+9-+53+9-+ 61-+9-+61-+9-+53-+9+42-+4°5 = 366 cm.) 

(3) Er zeigt auch neben vielen anderen Beispielen (der Multscher nahestehende Scharenstetter Altar 
sei ausdrücklich erwähnt), daß durchaus nicht in allen schwäbischen Altären jede Figur in einer Art 
Gehäuse stand, wie das Otto Fischer annehmen zu müssen glaubt (Kunstgesch. Anzeigen 1907, S. 64). 
(4) Ebenso die Altäre von Klerant, Villnöss, Tisenz und Dreikirchen in Südtirol, die alle das Teppich- 
motiv in verschiedener Abwandlung zeigen. Vgl. Semper, Zeitschr. d. Ferd. 1895, S. 339 ff. und Der 
Kirchenschmuck, Blatter des christl. Kunstvereins der Diözese Seckau, 1903, Nr. 5 bis 12. 


280 


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= ee  " = 


em == =—_— — = = — 


So gibt uns vielleicht der Altar von St. Wolfgang auch einen Fingerzeig, wo der 
überzählige, heute nur noch in Photographie bekannte Johannes der Täufer in Ster- 
zing untergebracht war. (Vgl. Tafel 9 meiner Arbeit über Hans Multscher und 
seine Werkstatt.) Die Bekrönung in St. Wolfgang enthält zu Seiten einer Kreuzigungs- 
gruppe die Heiligen Michael und Johannes den Täufer. — (Die vier heiligen Frauen 
ebendort sind nur etwa halb so groß als die Schreinfiguren.) 

Im übrigen will ich gerne bekennen, daß ich den früher von mir versuchten 
Wiederaufbau des Sterzinger Altars nicht mehr in allen Punkten aufrecht zu er- 
halten vermag. Fest steht nach wie vor die dort angegebene Anordnung der 
Schrein-, Seiten- und Apostelhalbfiguren. Fest auch die Zusammengehirigkeit der 
Marienfigur, der zwei Vorhangengel und der Riickwand, wie sie sich aus den Aus- 
sparungen in der Fassung der mittleren Engel und aus den Stiftlöchern der ehe- 
maligen Befestigung zweifelsfrei feststellen läßt!) Dagegen möchte ich die An- 
nahme einer zur Predella parallelen Reihe von Halbfiguren fallen lassen. Auch 
glaube ich, daß das im Besitze des Herrn Feistenauer in Sterzing befindliche, in 
Spitzbogen durchbrochene Werkstück wohl zum Altar gehörte, jedoch nicht als 
Konsolenverkleidung verwendet wurde. Und schließlich erkenne ich die Berech- 
tigung der Einwände gegen die Anordnung der Kronen tragenden Engel über einem 
Baldachin an. Daß jedoch die Rückwand soweit heruntergerückt werden müßte, 
bis die Schwebeengel über Mariens Haupt zu liegen kommen, halte ich schon aus 
dem Grunde für ausgeschlossen, da diese Rückwand bis auf einen schmalen unteren 
Streifen hin sorgfältig in Gold gefaßt ist. Der größere Teil dieser kostbaren Ver- 
goldung wurde aber gewiß nicht von der Vorhangdrapierung verdeckt. 

Die sechs der Multscherwerkstatt angehörigen Halbfiguren müßten deshalb nicht 
ganz aus dem Altar verwiesen werden. Ich erinnere an Anordnungen wie in den 
Heilbronner, Besigheimer (Halbfiguren über den Heiligengestalten) und Blaubeurer 
(in der Bekrönung) Altären. 

Mit dem Verschwinden der sechs Halbfiguren von ihrer Stelle rückt die Gesamt- 
gruppe von Maria, Vorhangengeln und Rückwand weiter herab. Das fehlende Ge- 
mäldebruchstück der Rückseite gewinnt so an der Schreinrückwand Platz. Über- 
dies könnte die Schreinmitte auch überhöht gewesen sein. Selbst eine Überhöhung 
der Rückwand allein kommt vor (Heilbronn)?). 


(1) Jeder Interessent kann sich von der Richtigkeit der Angaben meiner angeführten Arbeit über- 
zeugen. Man sollte glauben, daß Leute die über Multscher schreiben, zu diesem Interessentenkreis ge- 
hören. Wenn Otto Fischer (a. a. O.) nicht ganz dieser Meinung ist, so mag er das mit seinem Ge- 
wissen ausmachen. Wenn er aber nachkontrollierbare Messungen ein „Spiel mit verdeckten Karten“ 
nennt, „bei dem der Verdacht nahe liege“, so muß ich das als in höchstem Maße ungehörig bezeichnen. 
(2) Die Überhöhung der Schreinmitte würde zwei verlorene Ansatzstücke der Flügel voraussetzen 
(vgl. Blaubeuren). Eigene kleine Verschlufitifelchen würde man wegen der großen Héhenabmessung 
des Schreines kaum voraussetzen können. Doch sei auf G. Tinkhausers Beschreibung der Diözese 
Brixen (Brixen 1855, I, 664) verwiesen, der von sechs Flügeln des Sterzinger Altars spricht (Predellen- 
verschluß?). Fischnaler meint zwar die Notiz beruhe auf Irrtum (Zeitschr. d. Ferd. 1884, S. 131). Doch 
druckt Tinkhauser das Wort „sechs“ gesperrt. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jabrg. 1912, Heft 7. 21 281 


FRIEDRICH RINTELEN, Giotto und 
die Giotto-Apokryphen. München- 
Leipzig 1912, bei Georg Müller. 


Ich mag nicht jedes Wort unterschreiben, das 
in diesem Buche steht; ich bin nicht blind gegen 
manche methodische Bedenklichkeiten und kann 
mich, wie man sehen wird, nicht entschließen, dem 
Verfasser gerade in einem entscheidenden Punkte 
beizupflichten. Und doch muß ichs gleich heraus- 
sagen: es ist ein prächtiges Buch! Von welcher 
Seite man es nehme, von der wissenschaftlich- 
kritischen oder der kunstbetrachtenden, ein reifes, 
aufklärendes, förderndes Werk, wie die letzten 
Jahre uns nur wenige gebracht. Endlich einmal 
dem Problem, das uns solange ängstet, das „wie 
eine dunkle Wolke über unserer Kunstwissenschaft 
liegt“ (wie F. X. Kraus von der byzantinischen 
Frage einst gesagt), ernsthaft zuleibe gegangen, 
alle Kraft darauf gewendet, es von innen heraus 
zu lösen. Keine „Monographie“ nach alter Schab- 
lone, doch auch kein trockenes stilkritisches Unter- 
nehmen, sondern ein Versuch, aus allem was uns 
überkommen ist, das herauszuarbeiten, was wir 
heute noch sicher und gewiß von Giotto und an 
Giotto besitzen. 

Die Disposition ist die „einzig richtige“ — aber 
wer hätte sie, außer im Unterricht, vor R. schon 
angewandt? Mit Padua setzt er ein, dann Santa 
Croce, und darauf erst, nachdem das Fundament 
gewonnen, die „Apokryphen“: Franzlegende, Stefa- 
neschialtar, die Fresken der Unterkirche von Assisi, 
die Tafelbilder und Kruzifixe, die unter Giottos 
Namen gehen. Und nun werden die Vorteile 
dieser Disposition voll ausgenützt, indem an den 
gesicherten Werken Giottos Stil mit einer Ein- 
dringlichkeit geschildert wird, die bisher noch 
keiner aufgewendet hat. Es ist erstaunlich — und 
geht an Bedeutung weit über die Giottofrage hin- 
aus — wie es R. vermocht hat, das Letzte und 
Tiefste, das einen kunstempfänglichen Betrachter 
im Anblick von Giottos Werken bewegt, in Worte 
zu fassen. Man möchte sagen, die Sprache, ja 
noch mehr, die Mechanik und Rhythmik des 
Denkens habe sich in diesen ersten Kapiteln dem 
Gegenstande völlig assimiliert. Die Beschreibung 
der Bilder — Stück für Stück durch die drei Zyklen 
hin — ist ganz durchtränkt von künstlerischem Er- 
leben. Dieses hat eine präzise, allgemeinverständ- 
liche und — verbindliche Formulierung gefunden. 
Doch kommt es dabei nie zu gewaltsamen Ab- 
straktionen und bei aller begrifflichen Klarheit 


282 


wird die Darstellung nirgends doktrinär. Und so 
ernsthaft auch die formale Seite, das „bildende“ 
an Giottos Kunst, in den Vordergrund gerückt ist, 
so verfällt der Verfasser doch nicht der beim Über- 
druß an Giotto-Poesien so drohenden Versuchung, 
das Inhaltliche zu vernachlässigen, sondern deckt 
gerade überall die innige und notwendige Wech- 
selbeziehung von Form und Inhalt auf. Wer die 
zwei ersten Bücher von Rs. „Giotto“ gelesen, der 
hat die Kunst der Arena, der Peruzzi- und Bardi- 
kapelle verstanden, der hat sie erlebt. Ob er daran 
den ganzen Giotto besitzt, das ist nun die Frage. 

Die Arena ist für R. der Tradition gemäß das 


gesicherte Hauptwerk Giottos, in den figürlichen 


Teilen durchaus eigenhändig im ersten Dezennium 
des 14. Jahrhunderts gemalt. Die scharfe Schei- 
dung des Stils, die Romdahl jüngst zwischen den 
Christus- und Marienbildern vorgenommen, läßt 
R. nicht gelten, doch hält auch er die letzteren für 
später, für die reifsten Erzeugnisse einer im all- 
mählichen Fortschritt der Arbeit sich klärenden 
Kunst. Die Analyse des Bildes erbringt kaum zu 
entkräftende Beweise hierfür — wenn auch dieser 
Gang der Arbeit praktisch schwer vorstellbar ist; 
und die Mariengeschichten waren doch an diesem 
Ort das Wichtigste, sollte man sie erst nachträg- 
lich geplant haben? 

Nicht unbedenklich erscheint der Schluß, den R. 
aus der Tatsache dieser Stilentwicklung auf Giottos 
Alter zieht, nämlich „daß G. damals nicht bereits 
in Jahren gewesen ist, in denen die Entwicklung 
eines starken Künstlers zwar noch keineswegs ab- 
geschlossen zu sein pflegt, aber doch regelmäßig 
in einem Stadium angelangt ist, wo auch ein um- 
fangreiches Werk in einem gleichmäßig starken 
Ton gehalten ist.“ Daß die Arenabilder „ausge- 
sprochene Jugendwerke“ seien, wird man nicht 
ohne weiteres zugeben können. Man wird darum 
doch dem Pucci als der „älteren, also in dubio 
glaubhafteren Quelle“ (so R. selbst) den Vorzug 
vor dem in Daten absolut unzuverlässigen Vasari 
geben und Giottos Geburt eher auf ca. 1266 als 
auf 1276 ansetzen. Das „adhuc satis juvenis“ des 
Benvenuto da Imola ließe sich wohl auch noch 
auf einen angehenden Vierziger beziehen, zumal 
es wesentlich bedingt erscheint durch das folgende: 
Iste G. vixit postea diu, nam mortuus est in 1336. 
Es bliebe also am Ende doch noch Zeit für eine 
größere Arbeit vor der Arena! 

R. will wenig wissen von den Einwirkungen 
der byzantinischen Kunst, die Wulff (Repert. 1904) 
— allerdings mit dem Zugeständnis, sie seien 


„nicht sogleich mit Händen zu greifen“ und mit 
weitgehenden Einschränkungen im einzelnen — 
so stark betont hat. Daß der Arenastil nicht un- 
mittelbar aus der byzantinischen Malerei, aus einer 
bestimmten Miniaturenvorlage etwa, abzuleiten sei, 
scheint auch mir gewiß. Und doch wird man die 
byzantinische Grundlage des monumentalen Stils 
in der Arena immer empfinden. In einem Punkte 
aber vermag man sie ganz klar aufzudecken: in 
dem Verhältnis der Figuren zur Architektur; und 
zwar einmal in der Abbreviatur der Architekturen, 
in dem Verfahren, „eine ganze Szene durch eine 
fast nur symbolisch wirkende pars pro toto zu 
kennzeichnen,“ dann aber vor allem in der Ver- 
schiedenheit der Größen- und Raumwerte zwischen 
den Körpern und ihrer Umgebung. Gewiß, den 
„echt malerisch gefühlten Raum“ Giottos „hat die 
byzantinische Malerei nicht gekannt“ — aber das 
letzte Geheimnis dieses Raumes, in dem „Körper 
und Plan in einem Wechselverhältnis stehen, 
welches die Kraft der Erscheinung des einen aus 
der des anderen hervorgehen zu lassen scheint“ 
— das ist ohne die Grundlage der byzantinischen 
Monumentalmalerei nicht zu erklären. Die räum- 
lichen Elemente besitzen durchweg einen kleineren 
Maßstab als die Körper. In Byzanz ist dies vom 
malerischen Standpunkt aus ein Mangel: Körper 
und Raum sind völlig isolierte Größen, die keinen 
Bezug aufeinander haben. Aber die Raumelemente: 
Stadtprospekte, Einzelbauten, Möbel, Felsgelinde 
sind an und für sich in starker Plastizität ausge- 
bildet durch Übereckstellung, Belichtungskontraste 
usw. und besitzen so einen starken Anreiz zu 
räumlicher Vorstellung. Giottos Tat in Padua ist 
es, diese isolierten Größen in Beziehung zuein- 
ander gesetzt zu haben. Indem nun die in kleinem 
Maßstab gegebenen, stark räumlich wirkenden 
Raumelemente zu den großen menschlichen Ge- 
stalten in ein bestimmtes flächenrhythmisches Ver- 
hältnis treten, scbeinen sie auf einmal in die 
Ferne zu rücken, eröffnen sie auf einmal die Vor- 
stellung räumlicher Weite, und so scheinen nun 
die ganz nahe an der Bildfläche stehenden Ge- 
stalten von einer Unendlichkeit des Raumes um- 
flossen zu sein (ich nenne besonders Joachim beim 
Opfer und bei der Verkündigung, die Hauptfiguren 
beim Tempelgang, bei Darstellung, Kindermord, 
Kreuztragung, Beweinung, Noli me Tangere, auch 
den Johannes auf Patmos und bei der Drusiana- 
Erweckung in Florenz). Diese die Gestaltenwirkung 
zu Riesengröße steigernde Kraft der in Fernsicht 
erscheinenden Raumelemente ist m. E. das einzige, 
was R. in seiner erschöpfenden, alle Werte auf- 
deckenden Analyse der Paduaner Kompositionen 


übersehen hat. Und doch handelt es sich um 
einen zentralen Zug und ein Grundgeheimnis allen 
monumentalen Stils, wie aus einem vergleichenden 
Blick auf die „Schule von Athen“ hervorgeht: wie 
dort die beiden Philosophen durch ihre Stellung 
unter dem fernen Torbogen zu wachsen scheinen 
(wenn auch diese Wirkung hier durch die „kon- 
zentrische Doppelarkade“ noch gesteigert wird). 
Aber zurück zu der Frage nach den Grundlagen 
des Arenastils: Byzanz wird abgelehnt, dafür Gio- 
vanni Pisano, den Wulff a. a. O. ausgeschieden 
hatte, wieder als Hauptfaktor in die Rechnung 
eingestellt. Der trait d’union zwischen beiden 
Meistern läge in der Empfindung für die „Schön- 
heit des Statuarischen“. Worin diese sich bei 
Giotto äußert, hat R. abermals tiefer als irgend- 
einer vor ihm erfaßt — aber daß dieses Körper- 
gefühl, das „den ersten Schritt auf dem Wege 
der Italiener zur Antike‘ bedeute, identisch sei mit 
dem des Pisaners oder gar von ihm entlehnt, da- 
für hatR. keinen Beweis erbracht, weder in Detail- 
vergleichung noch aus allgemeinen Gesichtspunkten 
heraus. Er wird auch nicht leicht zu erbringen 
sein: die ganze Formensprache, Proportionierung 
und Zuschnitt der Figuren ist doch grundver- 
schieden und das Gemeinsame liegt nur in der 
Verinnerlichung des seelischen Lebens. Daß Giotto 
zu ihr von den Werken des Bildhauers angeregt 
worden sei, erscheint mir nicht so absolut gewiß, 
wie R. Die Stellungnahme zu den Franzfresken 
wird auch für diese Frage entscheidend sein. 
Nicht ganz zu folgen vermag ich R. bei seiner 
Würdigung des Jüngsten Gerichts, dem er ein be- 
sonderes Kapitel widmet. Daß in ihm wie in 
Dantes Göttlicher Komödie „die Ideenkraft des 
mittelalterlichen Geisteslebens in vollkommener 
künstlerischer Klarheit Leben gewonnen“ habe, 
ist schwerlich zuzugeben. Vielmehr beruht die 
Eigenart von Giottos Werk wohl gerade darin, 
daß er das rein gedankliche Schema mittelalter- 
licher Gerichtsbilder zu durchbrechen sucht, aber 
auf halbem Wege stehen bleibt und nun ein un- 
verbundenes Nebeneinander höchst konkreter Ge- 
staltenreihen bietet. Die ruhenden Gestalten Christi 
und der apostolischen Beisitzer des Gerichts 
(das sind sie, und nicht Gefährten der Herrlichkeit) 
haben dabei die ganze Größe und Wucht Giotto- 
scher Figuren empfangen können, aber die not- 
wendigerweise bewegten Scharen derSeligen bleiben 
befangen und ordnen sich nicht zu bildmäßiger 
Einheit. Wenn R. sagt: „Alle Linien und Massen 
werden von Christus wie von einem großen Stück 
Magneteisen angezogen“, „alles gravitiert auf 
Christus“, „in sanfter Hebung ziehen die großen 


283 


Scharen der Auserwählten dem Weltrichter ent- 
gegen“, so kann ich ihm nicht zustimmen, kann 
auch der Madonna die vermittelnde, bindende 
Stellung im Bilde nicht zuerkennen. Hier ist ein 
Punkt, wo der Drang nach positiver Wertung und 
die uns allen im Blute steckende Neigung zur 
heroes woreship den Verfasser zu weit geführt 
und gerade das entwicklungsgeschichtlich Bedeut- 
same hat übersehen lassen: Giottos Gericht ist 
keine vollgültige Lösung, nichts Absolutes, Defini- 
tives; es ist ein Seil, gespannt zwischen Mittel- 
alter und Michelangelo. Es zeigt die Grenzen der 
mittelalterlichen Kunst und beweist in seiner Halb- 
heit strenger als irgendwelche logische Erwägung, 
daß die Umbildung der Vorstellung bei Michel- 
angelo eine Notwendigkeit war. 

Zeitlich setzt R. das Gericht mit den Christus- 
bildern und den Grisaillen zusammen vor die 
Marienbilder an, ich glaube mit Recht; was die 
Allegorien betrifft, so hat er auch hier tiefer ge- 
sehen als Romdahl, der sie auf Grund des Be- 
griffs „plastisch“ den Marienbildern zuordnet. Über 
die Beziehungen des Themas: Tugenden und 
Laster zur französischen Kathedralskulptur sagt R. 
sehr vorsichtig und allgemein: „irgendwie, darf 
man annehmen, haben die französischen Antithesen 
des Guten und Bösen auf G. Einfluß gehabt.“ 
Mehr läßt sich auch heute wohl nicht sagen. 

Unmittelbar an Padua rückt R. die Akademie- 
tafel heran, „vielleicht noch etwas vor 1310“. Und 
auch hier hat er den künstlerischen Wert dieses 
sonderbar von Strenge und Zartheit gleicher Weise 
erfüllten Werkes restlos in Worte gefaßt — be- 
sonders sei ihm gedankt, daß er die technische 
Seite der Leistung, die ,,Gediegenheit der Aus- 
führung“, den koloristischen Reiz des Bildes her- 
vorgehoben und damit bewiesen hat, wie sehr 
schon hier die „Qualität“ zum Maßstab der Bild- 
kritik gemacht werden darf. — | 

Das zweite Buch behandelt die Florentiner Ka- 
pellen. Zunächst die Datierungsfrage: Bardikapelle, 
wie bekannt, vor 1317 — und Peruzzikapelle vor 
der Bardikapelle. Ich glaube auch, dem wird nicht 
mehr widersprochen werden. Die Polemik gegen 
Wulff, der den zeitlichen Abstand zwischen beiden 
Werken sogar für beträchtlich hält, hätte wohl 
wegfallen können: R. bestätigt ihn ja selbst durch 
die Herausarbeitung der starken Gegensätze, und 
so müssen wir für den Umschlag der Stimmung 
doch eine — allerdings erstaunlich — kurze Zeit 
annehmen. Giottos Entwicklung verläuft in lauter 
großen Peripethien,: das halte sich jeder vor Augen, 
der die Franzfresken ihm nehmen will! Zu den 
Einzelanalysen ist nichts zu bemerken: sie setzen 


284 


die Bedeutung der (für uns) letzten Werke Giottos 
ins hellste Licht. Wertvoll ist die genaue Be- 
sprechung der noch nie voll gewürdigten Assunta 
über der Tosinghikapelle — doch warum wurde 
uns eine Wiedergabe der für den Verfasser ange- 
fertigten Aufnahme vorenthalten? 

Nun die „Apokryphen“. Die Besprechung der 
Franziegende beginnt К. mit der Kritik der Schrift- 
quellen. Ghibertis „quasi tutta la parte di sotto“ 
auf die Unterkirche, nicht aber auf die unteren 
Wandteile der Oberkirche zu beziehen, ist wohl 
einwandfrei. Riccobaldo da Ferraras Notiz von 
1313 aber wird m. E. zu schnell abgetan — vor- 
ausgesetzt, daß sie echt ist. Die Emendation von 
Milanesis Zitat ist sehr verdienstvoll und die Frage, 
ob wir es nicht mit einer Interpolation zu tun 
haben, muß in der Tat ernsthaft erwogen werden: 
abgesehen von der konfusen Konstruktion und 
dem „fuerit“ sieht die unvermittelte Erwähnung 
des Künstlers unter lauter Daten der politischen 
Geschichte recht wie die Randbemerkung eines 
späteren Abschreibers aus. Ist die Stelle aber echt, 
dann darf man sie nicht so beiseite schieben, wie 
R. es tut. Ein Oberitaliener nennt im Jahre 1313 
als Hauptwerke Giottos, die seinen Ruhm ver- 
künden, Malereien in Rimini und Padua — an 
erster Stelle aber opera per eum facta in ecclesia 
Minorum Assisii! Da muß man schließen, daß 
Arbeiten in S. Francesco den Meister bei seinen 
Zeitgenossen in erster Linie und zwar in ganz 
Italien bekannt gemacht haben. An Handlanger- 
arbeiten bei Cimabue ist hier auf keinen Fall zu 
denken, sondern an ein selbständiges, epoche- 
machendes Werk. Wir berauben uns eigenwillig 
der Hilfe, die die Schriftquellen uns gewähren 
können, wollen wir solchen Folgerungen aus dem 
Wege gehen. 

Andrerseits ist gewiß, daß das letzte Wort nur 
die Stilkritik zu sprechen vermag. Die Verglei- 
chung der Folge mit Giottos gesicherten Werken 
ist nun hier zum ersten Male ernstlich in Angriff 
genommen worden. Es ist auch klar, daß nur 
ein so eindringendes Studium der gesicherten 
Werke, wie es R. zuvor bewiesen, zur Kritik be- 
fähigen kann. Aber die Sache hat so, wie R. sie 
anfaßt, auch ihre Gefahr: er hat uns die Gesetze 
des künstlerischen Gestaltens in Padua und Florenz 
offenbart, nun aber legt er die höchsten Qualitäten 
der reifen Werke ale Maßstab an die (vorausge- 
setzte) Jugendarbeit an — und findet naturgemäß 
nur Gegensätze und Mängel. Detailvergleichungen 
werden nicht vorgenommen. Horror Morellianus. 
Ich meine, man kann sich mit Rintelens Aus- 
führungen Satz für Satz einverstanden erklären 


und doch zu einer anderen Schlußfolgerung als er 
gelangen. 

R. gebt aus von der Raumbehandlung, der Dar- 
stellung von Landschaft und Architekturen und 
findet da bei allen kompositionellen Mängeln einen 
Reichtum des Details, den G., nachdem er einmal 
über ihn verfügt, nicht hätte aufgeben können. 
Aber ist es nicht gerade charakteristisch für Gs. 
Entwicklung von der Arena zur Bardikapelle, daß 
er auf Überwindung des Details, auf Vereinheit- 
lichung und Vereinfachung der Szene, auf ihre 
Idealisierung drängt? Und ist nicht, wie schon 
angedeutet, die Voraussetzung für die Paduaner 
Szenen jene an einzelnen räumlichen Werten 
reiche byzantinische Darstellungsweise von Bauten 
und Gelände, jene Isolierung der Figuren den 
räumlichen Bestandteilen gegenüber, die der Schöp- 
fer der Franzfresken bis zum Unerträglichen treibt? 
Giotto hat diese isolierende, zerstiickelnde Dar- 
stellungsweise überwunden — aber dazu gehört 
fast notwendig, daß er sie erst selbst geübt hat. 
Ich muß in diesem Punkt Wulff (a. a. O., S. 310 
und Anm.78) vollkommen beipflichten: der Reich- 
tum der Franzbilder ist primitiv, die Knappheit 
in Padua ist ein Fortschritt, den der vor allem 
erzielen konnte, der das Verhängnisvolle jenes 
Reichtums an sich selbst erlebt. Und will R. es 
wirklich aufrecht erhalten, daß die Knappheit der 
Landschaftsdarstellung auf der Flucht nach Ägypten 
darauf zurückzuführen sei, daß dem G. „die tech- 
nische Durchführung der ihm vorschwebenden 
Probleme noch große Schwierigkeit bereitet hat‘? 
Ich sehe also in der Raumdaratellung weder einen 
Gegenbeweis gegen Giottos Autorschaft, noch im 
allgemeinen gegen die frühe Datierung; ich meine, 
die Franzfresken haben gut Platz zwischen byzan- 
tinischer Großflächigkeit und dem Arenastil, als 
erster mißglückter Versuch, das byzantinische 
Schema aufzulockern und dem Einzelnen darin 
größere Realität zu geben. G. ringt sich durch 
zu einer höheren malerischen Einheit zwischen 
Figur und Raum, die nun von der folgenden Ge- 
neration in einem neuen Anlauf und darum, trotz 
aller Halbheit des Trecento, befriedigender aufge- 
löst wird. Also wäre Taddeo Gaddis Stil doch 
nicht so unmittelbar, wie R. meint, an die Franz- 
legende anzuschließen. 

Wenn К. die Möglichkeit einer so energischen 
Stilwandlung bei einem Künstler bestreitet, so 
möchte ich einwenden, daß das erste Erwachen 
der Künstlerindividualität von jäherem Wechsel 
begleitet gewesen sein muß, als die Metamorphosen 
im hellen Lichte persönlichen Kunstschaffens. 
Das Persönliche findet seinen Ausdruck in oft 


entgegengesetzten Formen, weil die geistige Dis- 
position nicht zu allmählicher innerlicher Entfaltung 
eines bestimmten Kunstwollens drängt, sondern zu 
einem mehr bewußten Entschluß, von einem künst- 
lerischen Ideal zum anderen überzugehen, und da- 
mit die Anlehnung an oft weit auseinanderliegende 
Vorbildtypen zu suchen. Ein vergleichender Blick 
auf die Pisani mag das bestätigen. Man darf da- 
her die Kontinuität nicht nur in der formalen 
Gestaltung, sondern in den den Wechsel bedingen- 
den Trieben suchen; man darf annehmen, daß G. 
aus der Beschränktheit der Franzfresken heraus 
wollte und sich darum zur byzantinischen Monu- 
mentalität zurückwandte, und daß dann erst eine 
in sich logische Evolution seines Stils einsetzt. 
Und ferner: Was würden wir heute, hätten wir’s 
nicht schwarz auf weiß, vom Verhältnis des Bac- 
chus im Bargello zum Matthäus-Abbozzo urteilen, 
oder der Blendung Simsons zum Emausbilde des 
Louvre? (Dieser leise Hinweis auf Rembrandts 
Entwicklung von den joer zu den 40 er Jahren 
vermag wohl eigentümliche Parallelempfindungen 
anzuregen?) 

Es gibt unter Rs. Argumenten nur eines, das 
tatsächlich durchschlagend erscheint: „daß in 
dem ganzen Franziskuszyklus sich nicht eine von 
den Unbeholfenheiten und perspektivischen Ver- 
zeichnungen an der einzelnen Figur nachweisen 
läßt, wie sie uns in Padua auf Schritt und Tritt 
und selbst noch in Florenz gar nicht selten be- 
gegnen.“ Ja, wenn es sich darum handelte, daß 
der Arenameister technische Fertigkeiten, die der 
Maler der Franzlegende besessen, „verlernt“ hätte, 
also eine psychologische Anomalie vorläge, oder 
aber daß wir in Assisi eine Beherrschung des 
menschlichen Körpers fänden, zu der die Kunst 
in diesem Zeitraum nachweislich noch nicht ge- 
diehen war! Aber R. führt ja wenige Seiten später 
selbst aus, daß es sich bei den „Zeichenfehlern“ 
in Padua um eine notwendige Konsequenz aus 
dem Gesamtstil handelt, um „einen Tribut, den 
die fortschreitende Erkenntnis zu leisten hat.. .“, 
und daß sie „Zeichen eines mit wachsendem 
Künstlertum so oft verbundenen Ungeschicks“ sind. 
Also können sie nicht entscheidend sein, sondern 
es kommt auch hier wieder nur darauf an, ob 
sich eine solche Stilwandlung, wie sie zwischen 
Franzfresken und Arena sich vollzogen haben 
müßte, erklären läßt. Und dies ist, wie gesagt, 
m. E. wohl möglich. 

Gibt es nun aber zwingende Gründe, eine solche, 
wie ich auch gern zugebe, erstaunliche Wandlung 
anzunehmen, d. h. Giottos Hand in den Franz- 
fresken zu erkennen? R. hat es ganz vermieden, 


285 


die Sache von dieser Seite her zu betrachten. Er 
hat nur die Gegensätze herausgearbeitet, aber er 
hat nicht gefragt, worauf denn die von so vielen, 
auch kritischen Köpfen aufrecht erbaltene Zuschrei- 
bung der Franzbilder an G. sich gründet. Stellen 
wir also einmal die Gegenfrage: worin bestehen 
die Beziehungen der Franzbilder zu Giottos Werken 
und geht es an, trotz dieser Beziehungen zwei 
Künstler für sie anzunehmen? Nun, diese Be- 
ziehungen sind zweierlei Art. Ganz besondere, 
fest greifbare bestehen zwischen Assisi und Giottos 
Franzfresken in Florenz. Es ist ausgeschlossen, 
daß beide Zyklen völlig unabhängig voneinander 
entstanden sind: die Lossagung vom Vater, die 
Erscheinung in Arles, das Doppelbild der Visionen 
müssen in einem direkten Zusammenhang mit- 
einander stehen; mit der Annahme einer gemein- 
samen Quelle kommt man nicht aus. Wo nun 
haben wir die erste Redaktion dieser Bilder, wo 
sind die den beiden Redaktionen gemeinsamen 
Züge geschaffen worden und wo rezipiert — das 
ist m. E. methodisch die entscheidende Frage. 
Ich weise sogleich auf den frappantesten Punkt bin: 
die Stellung und Haltung des hl. Antonius in 
Arles. Sie ist beide Male so übereinstimmend, 
daß sie von der einen in die andere Darstellung 
übergegangen sein muß. Dann aber ist auch klar, 
daß der „Meister der Franzlegende“ sie nicht von 
Giotto entlehnt, sondern daß dieser die Fassung 
von Assisi variiert hat. Denn bei ihm steht ja 
der Prediger an einer ganz unwahrscheinlichen 
Stelle, nicbt im eigentlichen Predigtraum mitten 
unter den Hörern, sondern abseits im inneren 
Korridor, wo nur ein paar wenige Mönche sitzen, 
„als sei er vor dem Heiligen zurückgetreten‘. So 
aber kann die Figur nicht ursprünglich erfunden, 
nicht unmittelbar aus der Erzählung herausgewach- 
sen sein, die in ihr doch die reale Hauptperson 
sieht. Vielmehr ist es der Antonius von Assisi, 
der dort mitten unter seinen Zuhörern steht. Er 
hat bei der gewaltigen inneren und formalen Um- 
stilisierung der Szene, die zu einer Epiphanie 
des Franz im absoluten Sinne geworden, seinen 
Platz aufgeben müssen und ist in den Hintergrund 
gerückt, fest in räumliche und flächige Schranken 
eingefaßt; denn er darf kein Gegengewicht gegen 
den Heiligen mehr bilden. Er ist Symbol ge- 
worden; eine Parenthese sozusagen. „Der Heilige 
(wie er in Arles erschien)“, ist nun das Thema. 
Solche Fassung kann nicht die primäre sein und 
aus dem Schatten kann der Maler von Assisi nicht 
die (im Umriß ganz kongruente) leibhaftige Ge- 
stalt seines Predigers entwickelt haben. Es ist 
ein Prozeß der Vergeistigung, der sich hier voll- 


286 


zogen, und dieser ist den umgekehrten Weg ge- 
gangen. Assisi ist die Vorstufe von Florenz: und 
dann ist Assisi Giottos Werk. 

Erwägungen dieser Art mußten angestellt werden. 
Mir erscheint der Schluß zwingend. Vielleicht 
vermag R. ihn zu entkräften, aber er muß sich 
mit ihm auseinandersetzen. Und zu einem ana- 
logen Schluß führt m. E. eine Vergleichung der 
Lossagungsbilder. Hier ist die Übereinstimmung 
in den Hauptfiguren, in Stellung und Haltung des 
Heiligen und des Bischofs, des Vaters (im Ober- 
körper) und seiner nächsten Nachbarn so groß, 
daß abermals das eine Bild nur die bewußte 
Variation des andern sein kann. Nun experimen- 
tiere man doch mit diesen Bildern, lege eins über 
das andere und lasse die Augen auf und nieder 
gehen. Wo ergibt sich ein natürlicher Fluß und 
wo ein Widerhalt? Kann man die rauhe Zer- 
reißung der wunderbar weich ineinanderfließenden 
Flächenbilder von Florenz nur irgend aus dem 
allgemeinen Gang der Entwicklung (realistisches 
Bestreben) oder aus einer persönlichen Veranlagung 
des Malers von Assisi (plastischer Sinn) plausibel 
machen? Man müßte die Leistung ungemein be- 
wundern, dann aber den Rückschritt der künst- 
lerischen Gesamtvorstellung eben bei so hoher 
Befähigung als eine Anomalie der Kunstgeschichte 
empfinden, die mir persönlich viel ärger gegen 
den Strich geht, als die Annahme, G. habe sich 
von Assisi zu Padua emporentwickelt, so wie er 
sich von Padua zur Peruzzikapelle, von da — im 
Handumdrehen! — zur Bardikapelle entwickelt 
hat. Und in umgekehrter Folge scheint sich aller- 
dings vor unseren Augen eine leichte, klare, be- 
greifliche Entwicklung zu vollziehen, wie wenn 
die stürmische See sich glättet, und es erscheint 
durchaus normal, daß Giotto ca. 1315 sich vorge- 
nommen hätte, die 20 Jahre zuvor geschaffene 
Szene zu wiederholen, dabei aber in ihrer künst- 
lerischen Qualität im Sinne seines neugewonnenen 
dekorativen Monumentalstile zu steigern und zu 
läutern. Ja, ich könnte mir denken, es habe ihn 
gereizt, ihr ein völlig neues Gesicht zu geben bei 
möglichst geringer Veränderung des einzelnen. 

Neben solchen besonderen Beziehungen aber 
bestehen noch andere, allgemeiner Art und ich 
riskiere es, trotz Rintelen, von einer inneren gei- 
stigen Verwandtschaft der Franzbilder mit Giottos 
Werken zu reden. Hier geht man zwar auf weniger 
sicherem Boden, hier bleibt die Entscheidung noch 
mehr dem subjektiven Empfinden überlassen. Aber 
die eine Frage hätte doch gestellt werden müssen: 
Gibt es denn in diesem Zeitraum außer Giotto 
einen zweiten Künstler, der über eine solche Kraft 


seelischen Empfindens verfügt, der so befähigt ist 
seelisches Leben in plastische Form umzusetzen? 
Gesichtsausdruck, Gebärdensprache, Posierung der 
Figuren mußten verglichen werden und das Maß 
ihrer Verwandtschaft im Rahmen des um diese 
Zeit überhaupt Möglichen festgestellt. Dann, meine 
ich, wären die Werke einander plötzlich viel näher 
gerückt. Ich wiederhole, daß ich das, wasR. über 
die Differenzen der Komposition (im weitesten 
Sinn) zwischen Assisi und Padua gesagt, fast 
Wort für Wort unterschreibe und mir innerlich zu 
eigen gemacht habe, und trotzdem: die Kraft psy- 
chischer Konzentration in Gestalten wie dem Papst 
Innozenz, dem die Brüder weckenden Mönch in 
der Vision des Wagens, dem Teufelsbeschwörer 
von Arezzo, Franz vor dem Sultan, bei der Vogel- 
predigt, beim Tod des Edlen von Celano, die 
Wucht und Ausdruckskraft der Silhouette in den 
meisten dieser Figuren, in dem die Kirche stützen- 
den Franz, dem Antonius in Arles, die hinreißende 
Größe einiger Geberden, wie 2. В. die des Sultans, 
erscheinen mir als die unverkennbare Äußerung 
von Giottos persönlichster und in dieser Zeit ihm 
allein eigener Begabung, und hier finde ichdirekteste 
Berührungen mit Padua. 

Wer so ernsthaft wieR. die Autorschaft Giottos 
bestreitet, der hätte doch den Versuch machen 
müssen, einen anderen an die Stelle zu setzen, 
der gleichen Könnens fähig wäre. Gewiß verlangt 
man keine Namen, aber die Bezeichnung eines 
künstlerischen Milieus, in dem Ähnliches zu finden 
ist. Hier versagt der Verfasser. „Ich habe oft 
geglaubt, etwas den dumpfen Effekten des Signo- 
relli Verwandtes in den Bildern zu spüren und 
die schwere Zähheit der umbrischen Kunst‘, diese 
Schlußfloskel, das einzige, was R. hierüber sagt, 
ist in ihrer vagen Fassung und ihrem bedenk- 
lichen Anachronismus kaum ernst zu nehmen. 
Und so bleibt die Unterschrift unter den Illustrationen 
zur Franzlegende „Umbrischer (?) Meister um 1320“ 
leerer Schall. Hat sich R. in den umbrischen 
Bergen nach irgendwelchen Analogien umgesehen? 
Ich wüßte keine zu nennen. Auch das Beste, was 
sich hier findet an früher Trecentomalerei, wie 
die Werke, die unter Palmeruzzis Namen gehen, 
in Gubbio oder die bedeutenden Freskofragmente 
von 1330 aus S. Elisabetta in Perugia, sind weich 
und matt gegenüber diesen seelenstarken Werken, 
die man selbst in Assisi als fremd empfunden zu 
haben scheint: die dortige Lokalmalerei folgt wie 
die umbrische Malerei der Zeit überhaupt der leich- 
teren Grazie der sienesischen Kunst. 

Endlich die Chronologie. R. hat, wie man sieht, 
die nicht ernst zu nehmende Datierung Wickhoffs: 


etwa um 1350, wesentlich korrigiert; er betont 
auch ausdrücklich den primitiven Charakter der 
Fresken, ihren Zusammenhang mit den Dugento- 
bildern im Fenstergeschoß. Nun ist es natür- 
lich keine irgendwie zwingende, doch auch keine 
wertlose Erwägung, ob man wohl die Oberkirche, 
nachdem sie in den letzten Jahrzehnten des 13. 
Jahrhunderts annähernd in einem Zuge ausgemalt 
worden, eine beträchtliche Zeit ohne den doch un- 
bedingt von Anfang an geplanten (sonst wären 
die Wandflächen unter den Fenstern nicht leer, 
sondern zeigten eine Blendarkatur oder hätten 
eine andere Dekoration empfangen, die man 
nicht alsbald einem umbrischen Stümper geopfert 
hätte) Bilderschmuck der unteren Partien gelassen 
hätte. 

So scheint es mir aus mehr als einem Grunde 
noch der ernsthaftesten Untersuchungen zu be- 
dürfen, ehe man sich entschließen könnte, die 
Franzfresken aus Giottos Oeuvre zu streicben. 
Wie man sich aber auch entscheiden mag, die 
Charakteristik, die R. von ihnen gegeben, ist ein 
unverlierbarer Gewinn für die Kunstgeschichte. 

Williger folge ich R. in seiner Kritik der fol- 
genden Werke. Die Stellung des Stefaneschi-Altars 
ist ja schon seit längerer Zeit erschüttert. In der 
Tat, die Urkunde von 1342 mit ihren wenig ver- 
trauenerweckenden Preisangaben istkein zwingen- 
des Argument und wir sind auf die Stilkritik an- 
gewiesen. Mag man auch Rintelens Einschätzung 
des künstlerischen Wertes hie und da zu niedrig 
finden (Thron Christi, Silhouette des Petrus), die 
Widersprüche zwischen dem fortgeschrittenen, auch 
m. E. weit ins 14. Jahrhundert hineinweisenden 
Charakter der Zeichnung und des Kolorits und 
dem kompositionellen Ungeschick, andrerseits 
zwischen der raffinierten, von R. auf das Vorbild 
des Tabernakels über dem Camposanto in Pisa 
zurückgeführten Disposition des Altarwerks und 
den dekorativen Schwächen der Malerei zwingen, 
von Giotto als Autor abzusehen. 

Daß die Allegorien in der Unterkirche von Assisi, 
die Bilder im rechten Querarm und in der Mag- 
dalenenkapelle aus Giottos Oeuvre ausgeschieden 
werden, wird man mehr als Befreiung, denn als 
einen Eingriff betrachten und ich möchte mit dem 
Verfasser nicht um Einzelheiten seiner Motivierung 
rechten. 

Im letzten Kapitel geht er mit den Tafelbildern, 
die Giottos Namen tragen, ins Gericht. Die Krö- 
nung der Baroncellikapelle wird nicht als eigen- 
händig anerkannt; „man mag annehmen, daß die 
Komposition auf eine Skizze Giottos zurückgeht. 
an der Ausführung des Bildes hat G. bestimmt 


287 


gar keinen Anteil gehabt.“ Ob man das gleiche 
Urteil auch dem Bologneser Altarwerk gegenüber 
wird aufrecht erhalten können? R. selbst gibt die 
wesentlich höhere Qualität zu, und ich meine, 
daß in der Zeit der Bardikapelle aus Giottos Hand 
Einzelfiguren anderer Art kaum hervorgegangen 
sein könnten. Gewiß, „sie haben uns wenig zu 
erzählen‘ — aber ruhende, aus dem großen Strome 
eines Lebensvolizuges herausgenommene Gestalten 
vermochte wohl auch Giotto nicht zum Reden zu 
bringen. 

Voll Spannung fragt man, wieR. sich mit dem 
Pariser Franziskusbild auseinandersetzt. Es gilt 
ja als eine der wichtigsten Stützen für Giottos 
Autorschaft an den Assisifresken. Streicht man 
sie, so muß man auch die Tafel trotz ihrer In- 
schrift und ihrer erheblichen Qualität fallen lassen 
und einem Künstler geben, der sich nicht gescheut, 
die Fresken des Anonymus zu transkribieren. К. 
findet einen Ausweg: die Pisaner haben die Tafel 
bei Giotto in der Zeit seiner Meisterschaft in den 


vollen 20er Jahren bestellt; sie forderten dabei die 


Anlehnung an die berühmte (so schnell berühmt, 
diese minderwertigen Malereien? deckte die Heilig- 
keit des Ortes so sehr alle künstlerischen Mängel?) 
Freskenfolge und den bärtigen Typus, den G. in 
der Bardikapelle und, wie R. nachweist, auch 
schon in Padua, im Bilde des Franz unter den 
Seligen des Gerichts, vermieden. „G. hat den Auf- 
trag der Mönche angenommen, hat sich — viel- 
leicht durch deren Vermittlung — Zeichnungen 
nach den Bildern in Assisi verschafft, an ihnen 
dann jene Veränderungen, von denen wir sprachen, 
in den allgemeinen Grundlinien vorgenommen und 
im übrigen die für ihn minderwertige Aufgabe, 
ohne näheren Anteil daran zu nehmen, seiner 
Bottega überlassen.“ Eines an dieser Argumen- 
tation ist richtig: der archaisierende, d.h. bewußt 
auf die primitivere Fassung von Assisi zurück- 
greifende Charakter des in der Ausführung der Zeit 
der Bardikapelle nahestehenden Werkes. Wer den 
großen Wurf der Stigmatisation von S. Croce ge- 
tan, malt nicht ohne bestimmte Absicht den Franz 
des Louvrebildes. Aber sollte man Giotto wirk- 
ich zugemutet haben, die Bilder eines Fremden 
zu kopieren oder hat man ihn nicht eher um eine 
Wiedergabe seiner (in ganz Italien, vgl. Ricco- 
baldo) berühmten Werke in ecclesiaMinorum Assisii 
gebeten? Rintelens Hypothese stellt für den, der 
die Franzfresken streicht, eine Möglichkeit dar, 
aus dem Dilemma herauszukommen; viel Wahr- 
scheinlichkeit besitzt sie nicht und das Louvrebild 
bleibt doch eher eine — wenn auch nicht die ein- 
zige — Stütze der Konservativen. 


288 


Mit vollem Recht werden die drei Bilder der 
Münchener Pinakothek gestrichen (auch an anderer 
Stelle die Berliner Kreuzigung), von den Kruzi- 
fixen ebenfalls zu Recht das von S. Maria Novella; 
die Zuschreibung an Spinollo freilich, auf Grund 
der Verwandtschaft mit dem Fresko der Farmacia, 
erscheint sehr bedenklich. Doch mag ich hierüber 
ohne erneute Besichtigung des Originals ebenso- 
wenig urteilen, wie über die Ablehnung des Kru- 
zifixus von S.Felice. Hingegen ist der Verfasser 
bei der Kritik des Paduaner Werkes wohl zu weit 
gegangen in der Subtilität des Urteils; auch geht 
er wohl von einer falschen Prämisse aus. Er hält 
das Bild des Gekreuzigten für eine „Kopie‘ des 
Freskos und schließt nun aus den, seiner Meinung 
nach durchaus verschlechternden Änderungen auf 
die Unfähigkeit und Verständnislosigkeit des Ko- 
pisten. Aber darum kann es sich ja gar nicht 
handeln. Vielmehr haben wir es mit einer grund- 
verschiedenen Auffassung zu tun und die Leistung 
beruht gerade darin, wie diese bei fast völliger 
Identität der Gesamterscheinung lebendig und be- 
stimmt zum Ausdruck kommt. Im Fresko ist es 
noch ein Nachklang des triumphierenden Christus, 
oder, wenn man einen solchen ikonographischen 
Zusammenhang nicht zugeben will, ist die Gestalt 
des am Kreuze Hängenden zu der ganzen Feier- 
lichkeit und Ruhe des monumentalen Stile erhoben. 
Die Ausweichungen aus der reinen Vorderansicht 
sind minimale, die Vorstellung der Kraftlosigkeit 
ist verbannt; groß und frei ruht der Körper іп der 
weiten Fläche, und es ist gewiß ungeheuer, wie 
durch die konzentrierte Darstellung des geneigten, 
stark verkürzten, in den Schatten von Haaren und 
Bart getauchten Antlitzes trotzdem die Vorstellung 
des Todes erweckt wird. Der Gekreuzigte auf dem 
Kruzifix aber ist ursprünglich ganz anders gedacht: 
ale der im Tode zusammenbrechende, nach goti- 
scher Weise. Alle Veränderung ist zielbewußt 
auf diese Vorstellung hin angelegt — oder richtiger 
wohl mit innerer Notwendigkeit aus ihr hervorge- 
wachsen: das höhere Heraufnehmen des Körpers, 
wodurch das Verhältnis zwischen den schrägen 
Armen und horizontalen Kreuzbalken viel leben- 
diger wird, die etwas stärkere Einziehung am 
Bauch, die stärkere Markierung dieser Einziehung 
durch das Lendentuch (die „Kraft der Funktion“ 
des dreieckigen oberen Kontours ist entscheidend), 
die magere Bildung der Beine, durch die ihr Um- 
riß reich und ausdrucksvoll wird, vom ganzen 
Widerstreit der Spannungen erfüllt. Dem ent- 
spricht die lineare Belebung des Gesichtes durch- 
aus, die — perspektivisch unrichtige, mimisch un- 
gemein wirkungsvolle — Betonung des Mundes, 


der Augenbrauen. Alles ist aus einem Guf, von 
innen ber gestaltet, nicht nur „im großen ganzen 
eine Erfindung Giottos“, sondern eines der un- 
mittelbarsten Zeugnisse seiner einzigartigen Kunst, 
jede Nuance seelischen Erlebens in einfachste, doch 
bezwingende Form umzusetzen. Vitzthum. 


FRED. C. WILLIS, Die Niederländi- 
sche Marinemalerei. Mit 30 Tafeln. 
Verlag von Klinkhardt & Biermann, Leip- 
zig IQII. 

Die Geschichte einer einzelnen Bildgattung der 
niederländischen Malerei im 17. Jahrhundert zu 
verfolgen, kann nach verschiedenen Seiten ge- 
winnbringend ausfallen. Einmal wird der Bear- 
beiter eines solchen Gebietes genötigt, ein um- 
fassendes Material auszubreiten, dessen Ordnung 
für die niederländische Kunstgeschichte wertvoll 
sein kann. Dann reizt die Wahl eines solchen 
Themas vor allen Dingen deswegen, weil sich 
naturgemäß in der Geschichte der einzelnen Bild- 
gattung auch die allgemeine Entwicklung der 
niederländischen Malerei und ihrer Probleme im 
Verlaufe des 17. Jahrhunderts spiegeln muß. Das 
vorliegende Buch wählt das Marinebild zur Unter- 
suchung. Nach einer Einleitung werden zunächst 
die Seedarstellungen des 15. und 16. Jahrhunderts 
behandelt. Dann folgen die Marinemaler des 
17. Jahrhunderts in drei großen Gruppierungen, 
entsprechend den vom Verfasser angenommenen 
Entwicklungsstufen: ı. das Marine-Historienbild, 
2. der graue Ton und die Stimmungsmalerei, 3. die 
Erneuerung des Kolorismus. Effektstiick und Ve- 
dute. — Das Material zeigt sich erfreulich sorg- 
fältig und lückenlos aufgestellt, und es sind auch 
solche Künstler verzeichnet, die nur nach archi- 
valischen Notizen als Seemaler bekannt sind, deren 
Werke sich jedoch nicht erhalten haben. Das 
was schließlich allein dem fleißigen Buche fehlt, 
ist eine straffere Gliederung. Die Darstellung bleibt 
mehr aufzählend, und das ist schade. Gerade hier, 
wo es sich um ein umfassendes und in sich ge- 
schlossenes Gebiet handelt, hätte man gewünscht, 
einige Fragen, die sich auf Gliederung des Ganzen, 
Entwicklung und Charakterisierung der einzelnen 
Stilphasen beziehen, und die in der Einleitung 
nur kurz gestreift werden, in einem besonderen 
zusammenfassenden Kapitel verarbeitet zu sehen. 
Dabei hätte dann manche richtige Einzelbeobach- 
tung erst ihre volle Erklärung erhalten. 

Bei der vom Verfasser angenommenen Gruppie- 
rung werden wichtige Züge der Entwicklung ver- 
wischt. Die Teilungsstriche, die Willis in der 


Entwicklung des Seestückes zieht, ergeben sich 
nicht konsequent aus den richtigen Beobachtungen 
seiner Untersuchung. Woher dieser Mangel rührt, 
wird in der Einleitung deutlicher. Es werden da 
entwicklungsgeschichtlich drei Stufen unterschie- 
den: das Historienbild, das Stimmungsbild, das 
Effektstück. Die Bezeichnung „Stimmungsbild‘ 
bleibt bei Willis so allgemeiner Natur, daß in 
ihrem Rahmen Maler ganz verschiedener Stil- 
phasen auftreten können, Porcellis, van Goyen, 
Jakob Ruisdael, Jan van de Cappelle. Der Ver- 
fasser übersieht natürlich keineswegs, wenn er im 
Text zu diesen Meistern gelangt, daß sie ihrem 
ganzen künstlerischen Charakter nach völlig ver- 
schieden geartet sind, aber er stellt sie nicht ent- 
schieden einander gegenüber und verliert, wo es 
drauf ankommt, die Übersicht über das Ganze. 
Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der 
Gemälde nach Komposition, Farbe, Raumdarstellung 
und der Beziehung aller formalen Darstellungs- 
mittel zu Motiv und Auffassung im Marinebild 
hätte sich ohne weiteres eine strengere Scheidung 
für den zweiten Teil des Buches ergeben. Wo 
es sich um die Farbe handelt, wechselt Willis 
gleich in der Einleitung seinen Standpunkt. „In- 
nerhalb der drei genannten Phasen aber ist eine 
vierfache Wandlung des koloristischen Empfindens 
zu bemerken. Die historische Marine setzt zu Be- 
ginn des Jahrhunderts mit der vollen Herrschaft 
der Lokalfarbe ein. Während sie an der alter- 
tümlichen Buntheit noch lange festhält, macht sich 
Schritt für Schritt mit der Entwicklung des Stim- 
mungsbildes eine immer monochrom werdende 
Richtung des grauen Tones geltend, die in den 
fünfziger Jahren zur Reaktion führt. Die Lokal- 
töne entfalten wieder ein reicheres Leben, das bei 
den extremen Vertretern des Effektstückes und der 
Vedute oft unangenehme Wirkungen erzeugt, bis 
schließlich eine zweite, fadere Tonigkeit das Jahr- 
hundert beendet.“ Hier ist also den fünfziger Jahren 
ganz richtig eine entscheidende Stellung einge- 
räumt. Nun handelt es sich aber nicht nur um 
Änderungen der Farbe, sondern die gesamte Bild- 
erscheinung gewinnt gegenüber der Zeit „des 
grauen Tons“ einen andern Charakter. Die fünf- 
ziger Jahre bezeichnen den Beginn des wichtig- 
sten Abschnitts in der Geschichte der holländischen 
Malerei. Diese Linie ergibt sich auch in der Be- 
handlung der einzelnen Meister des Seestückes bei 
Willis. Sie durfte daher bei der Disposition des 
ganzen Buches nicht unbeachtet bleiben. Wenn 
dann bei solch schärferer Gliederung das Werk 
von Meistern wie Simon de Vlieger hätte zerlegt 
werden müssen, so wäre die Bedeutung dieses 


289 


Meisters für die Gesamtentwicklung des Seestücks 
nur um so klarer hervorgetreten. Schließlich 
bätten dann auch Erscheinungen wie sie die letzten 
Werke Jan van Goyens bieten, ihre Erklärung ge- 
funden. Van Goyens Haarlemer Meer im Frank- 
furter Städel zeigt eine Tendenz zu buntfarbiger 
Wirkung, im Gegensatz zur impressionistischen 
Tonmalerei der früheren Werke des Meisters. Ein 
anderes Seestück aus der Sammiung der Grafen 
Biondoff (bei Willis nicht erwähnt) zeigt gar im 
Hochformat eine klassisch streng behandelte Raum- 
komposition ganz in der Art wie sie später bei 
dem jüngeren van de Velde auftritt und ist 1655 
datiert (Trésors d’Arts en Russie 1905). Das Frank- 
furter Bild entstammt dem Todesjahre van Goyens 
1656 (nicht 1655). Beide Gemälde des alternden 
Meisters zeigen sich also beeinflußt von jener 
Entwicklungsphase des Seestücks, die zu Beginn 
der fünfziger Jahre durch die prächtigen Schöp- 
fungen Simon de Vliegers und Jan van de Cap- 
pelles eingeleitet werden, und es ist interessant zu 
sehen, wie die neue Bilderscheinung doch noch 
den ausgeprägten Stil van Goyens zur Anpassung 
und zur Aufnahme neuer Bildwerte zwingt. 

Die zahlreichen und schönen Lichtdrucke, die 
dem vorzüglich ausgestatteten Buche beigegeben 
sind, vermitteln eine ausgezeichnete Übersicht über 
alle Erscheinungen der niederländischen Marine- 
malerei von dem bekannten Seestück aus den 
Heures de Turin bis zu den Seestürmen des Lu- 
dolf Bakhuyzen. Der Verfasser hat die Bilder mit 
großem Geschick ausgewählt und erfreut durch 
manches weniger bekannte und wenig beachtete 
Stück. Besonders bemerkenswert die eigenartige 
Votivtafel der Heringsfischerinnung in der Kirche 
zu MaaBluis. Hans Jantzen. 


М. LIEFMANN, Kunst und Heilige. 
Ein ikonographisches Handbuch zur Er- 
klärung der Werke der italienischen und 
deutschen Kunst. Verlegt bei Eugen Die- 
derichs, Jena 1912. 

Franz Wickhoff hat einmal die Lehre von der 
Gleichgültigkeit des Inhalts der Kunstwerke für 
den Beschauer eine Schusterästhetik genannt und 
gefordert, daß gerade bei italienischen Kunst- 
werken nie an die „Bestimmtheit des Inhalts‘ ver- 
gessen werde. Werke, die das romantische 
19. Jahrhundert für poetische Stimmungsbilder 
hielt, die oft gerade diesem Umstand ihre Popu- 
larität verdanken, erweisen sich als Illustrationen 
bestimmter Stellen aus den literarischen Erzeug- 
nissen der verschiedensten Epochen, spätlateini- 


290 


schen Mythologien, altfranzösischen Gedichten, 
religiösen Poesien, als künstlerische Bewältigungen 
eines bestimmten geistigen Inhalts. Und selbst 
bei einem Bilde wie bei der nur allzu beliebten 
» Venezianerin“ von Salvoldo im Kaiser Friedrich- 
Museum scheint mir die Untersuchung der Frage, 
ob der Künstler auch hier eine heilige Magdalene 
darstellen wollte, nicht überflüssig. Die rein for- 
malistische Betrachtungsweise, die bei der moder- 
nen, jeder geistigen und geistlichen Bildung ent- 
ledigten Kunst berechtigt ist, wird auf die alte 
Kunst angewandt jedem historischen Verstand als 
verfehlt erscheinen. 

Die Voraussetzung zu einer gegenständlichen 
Betrachtungsweise der alten Kunst ist aber die 
Kenntnis eben jener literarischen Grundlage. Diese 
fehlt heute so gut wie vollkommen selbst bei dem 
bedeutsamsten literarischen Erzeugnis aller Zeiten 
— der Bibel. Man macht die erstaunliche Er- 
fahrung, daß die Majorität unter den Gebildeten, 
die sich schämen würde, Shakespeares Dramen 
oder Goethes Gedichte nicht zu kennen, mit den 
Geschichten des Alten oder Neuen Testaments 
keineswegs vertraut ist, geschweige mit den Einzel- 
heiten der christlichen Mythologie und Legende. 
Wenn der Autor es nun unternimmt, diesem 
Mangel abzuhelfen, so muß gleich vorausgeschickt 
werden, daß er sich in keiner Weise an den 
wissenschaftlichen Benutzer wendet, sondern, wie 
die Ankündigung des Verlags sagt, eine „Ergänzung 
zum Baedeker“ bieten will, sich also damit bloß 
dem interessierten Laien zum praktischen Gebrauch 
empflehit. Damit ist der Maßstab für seine Be- 
urteilung gegeben, da er sich so jeder wissen- 
schaftlichen Ambition für ledig bekennt. 

Der Anlage nach ist das Buch als eine bloß 
verbesserte Nachahmung einer bestimmten Gattung 
älterer ikonographischer Handbücher anzuseben, von 
denen es auch die lexikalische Form übernommen 
hat, und von denen es vielleicht nur die Ver- 
schwommenheit des wenig glücklich gewählten 
Haupttitels unterscheidet. Wohl das älteste dieser 
Gattung ist die 1834 in Berlin erschienene ,,Ikono- 
graphie der Heiligen“ von J. у. Radowitz. Diese 
besteht aus einem Verzeichnis der Heiligen und 
ihrer Attribute in alphabetischer Reihenfolge, ferner 
aus Listen der christlichen Embleme und Symbole, 
der Patrone der Künste, Gewerbe usw., Länder 
und Städte. 1843 erschien anonym in Hannover 
ein Büchlein von A. von Münchhausen, betitelt 
„Die Attribute der Heiligen alphabetisch geordnet“. 
Die erste Vereinigung dieser beiden alphabetischen 
Reihen bot die „Ikonographie Gottes und der 
Heiligen“ von Wessely, Leipzig 1874. Sie be- 


steht aus drei Teilen: I. Die Heiligen und ihre 
Attribute, alphabetisch geordnet mit Angabe be- 
rühmter Darstellungen in der Kunst. П. Die 
Attribute und ihre Heiligen. Ш. Das Patronat. 
Denselben Typus vertritt das erst 1898 in Ulm 
erschienene alphabetische Nachschlagebuch von 
Pfleiderer: „Die Attribute der Heiligen“. Die alpha- 
betische Liste der Heiligen ist hier als Register 
dem Hauptteile angegliedert. Auch die große 
„Christliche Ikonographie“ von Detzel schließt sich 
in ihrem zweiten Band: „Die bildlichen Dar- 
stellungen der Heiligen“ 1896 an dieses Schema 
an. Hier ist wieder die alphabetische Reihe der 
Attribute als Anhang der alphabetischen Liste der 
Heiligen beigegeben. Einen anderen Typus hin- 
gegen vertreten die französischen Ikonographien, 
bei denen eine sachliche Einteilung vorwaltet 
(Crosnier, Cloquet, Grimouard). An den Typus 
dieser Handbücher schließt sich das vorliegende 
aufs engste an und übertrifft sie nur durch die 
größere Ausführlichkeit in der Wiedergabe der 
zugrundeliegenden Geschichten und Legenden 
bei anerkennenswerter Klarheit und Knappheit der 
Erzählung. Als Quelle ist meist nur die Bibel ange- 
geben. Doch vermißt man auch bisweilen diese An- 
gabe wie z.B. S. 153 bei dem Artikel Hiob, von 
dem es etwas primitiv heißt: „Er war ein reicher 
Hirtenfürst usw.“. Obwohl die Forderung nach einer 
durchgängigen Aufzählung und kritischen Würdi- 
gung der Quellen vielleicht eine zuweitgehende wäre, 
wird sie sich bei dem nur einigermaßen wissen- 
schaftlich denkenden Benutzer doch in vielen 
Fällen von selbst einstellen. So schiene mir die 
Nennung der Legenda aurea des Jacobus de Vora- 
gine oder die der apokryphen Evangelien (z. B. 
bei „Joachim und Anna“), aus denen mindestens 
ebenso reich geschöpft ist wie aus den beiden 
Testamenten, sehr nützlich. Sie hätte ja einfach 
durch eine Sigle erfolgen können und wäre wichtiger 
als die überflüssige Erklärung von Namen wie 
„St. Hilarius, griechisch = der Heitere.“ 

Die Folge der kritikiosen Wiedererzählung ist, daß 
alle Geschichten, namentlich für den laienhaften Be- 
nutzer die gleiche naive Realität zu besitzen 
scheinen. Die mythische, mit der Oedipuslegende 
verwandte Jugendgeschichte des Judas Ischariot 
oder die alttestamentarische des Hiob wird nicht 
anders erzählt als die historisch gesicherten Daten 
aus dem Leben einer historischen Persönlichkeit 
wie des hl. Ignatius von Loyola. 

Hand in Hand damit ginge die Forderung nach 
einer kurzen zeitlichen und lokalen Begrenzung 
der Verehrung bestimmter Heiliger, besonders bei 
Gieichnamigkeit, umsomehr als der Ansatz dazu 


ohnedies gemacht wird. Eine Patronatsliste wäre 
eine erwünschte und gar nicht einmal neue Er- 
gänzung, da sie bei keinem der älteren Hand- 
bücher fehlt. Auch die typologischen Bemerkungen 
sind mehr zufällig als systematisch eingefügt. — 
Eine sehr naheliegende Forderung wird vom 
Autor bereits im Vorwort abgelehnt. Sie erscheint 
mir aber dennoch nicht nur berechtigt, sondern 
auch ohne wesentliche Belastung des Buches 
durchführbar: es ist die nach der Anführung der 
monumentalen Quellen d. h. der Kunstwerke selbst, 
besonders dort, wo sie auch die Hauptquellen sind. 
Eine Vollständigkeit wäre ebenso unmöglich als 
zwecklos. Aber die Zitierung besonders berühmter, 
typischer oder prototypischer Beispiele sogar noch 
knapper als in dem immer noch handlichen Band 
von Wessely schiene mir erst jene Beziehung 
zwischen dem Buch und den Kunstwerken für den 
Laien herzustellen, welche die Gewähr bietet, 
daß die Angaben des Buches richtig verstanden 
werden. Eine natürliche Illustration wäre damit 
gegeben, die jetzt eigentlich ganz fehlt. Wer z. B. 
die Darstellung der Gründung der Basilika Liberiana 
(S. Maria ad nives) nie gesehen hat, wird sie aus der 
Erzählung der Legende des Papstes Liberius wie 
sie S. 184 zu lesen ist, nie erkennen, geschweige 
sich vorstellen können. Dies nur als ein zufälliges, 
durchaus nicht als das prägnanteste Beispiel. 

Im einzelnen scheint mir die Durchführung nicht 
ganz exakt. Als Resultat einiger Stichproben sei er- 
wähnt, daß z.B. bei dem Artikel der hl. Maria 
Egyptiaca gerade die populärere Form der Legende 
von den wunderbar gewachsenen Haaren fehlt. 
Bei Gregor dem Großen wird zwar die Legende 
von der Gerechtigkeit des Trajan erzählt, bei den 
Attributen des Heiligen aber nicht erwähnt, daß 
er auch mit dem aus dem Fegefeuer herausragen- 
den Trajan dargestellt wird (Michael Pacher) usw. 
Dies sind jedoch Bagatellen, weiche den Zweck 
des typographisch nett ausgestatteten Büchleins 
kaum beeinträchtigen werden. Als neuerlicher 
Ausdruck einer Reaktion gegen die duselige Be- 
trachtungsweise der alten Kunstwerke, die sich 
mit dem Erleben farbiger oder linearer Sensationen 
für befriedigt erklärt, ist es ebenso zu begrüßen 
wie als ein Präventivmittel gegen Irrtümer wie es 
der eines Herrn aus der Provinz war, der neulich im 
KaiserFriedrich-Museum vor dem pfeildurchbohrten 
hl. Sebastian des Liberale da Verona durch eine be- 
dauerliche Verwechslung der Nummern seiner stau- 
nenden Familie aus dem Katalog vorlas: „Tizian, 
Selbstporträt des Künstlers“, und diese seltsame Dar- 
stellungsform aus den merkwürdigen Kulturzustän- 
den jener Zeit zu erklären suchte. Georg Sobotka. 


291 


PAUL KAUTZSCH, Der Mainzer Bild- 
hauer Hans Backoffen u. seine Schule. 
Mit 75 Abb. auf 20 Tafeln. Leipzig їдїт. 
Verlag von Klinkhardt & Biermann. (96 S.) 


Die Hallesche Dissertation des Verfassers vom 
Jahr 1911 liegt diesem Buch zugrunde. Ausgehend 
von einigen urkundlichen Nachrichten über den 
Meister, besonders den ihm durch Erzbischof Alb- 
recht erteilten Freiheiten, und von den Kreuzigungs- 
gruppen in Frankfurt und Mainz, die schon seit 
der Entdeckung Battenbergs als Arbeiten Back- 
offens oder seiner Werkstatt gelten konnten, ver- 
sucht K. das ganze Werk Backoffens und seiner 
Schule zusammenzustellen. 

Ein Hauptergebnis der gründlichen und scharf- 
sichtigen Untersuchung ist die Zuweisung des 
Henneberg-, des Liebenstein- und des Gemmingen- 
Denkmals im Mainzer Dom an Backoffen. Be- 
kanntlich war gleichzeitig Dehio zu demselben 
Ergebnis gelangt. Es gründet sich bei K. nicht 
allein auf stilistische Kriterien, sondern zugleich 
auf Prüfung des Steinmaterials (Eifeltuff aus der 
Gegend von Laach für die Figuren bevorzugt); 
auch die durch die erwähnten Urkunden dem Meister 
verliehenen erzbischöflichen Vergünstigungen schei- 
nen dafür zu sprechen. Ubereinstimmend haben 
K. und Dehio ferner das Luterndenkmal in Ober- 
wesel dem Meister zugesprochen und mehrere 
Werke als Arbeiten seiner Schule erkannt: außer 
der Kreuzigungsgruppe bei der Mainzer Ignaz- 
kirche das Gutensteindenkmal in Oberwesel, die 
Thomasgruppe im Mainzer Dom, die Halleschen 
Apostel. Dagegen lehnt K. einiges andere, das 
Dehio mit der Backoffen- Werkstatt in Verbindung 
zu bringen geneigt war, ab; die Verwandtschaft 
des Rothenburger Marienaltars mit den Werken 
Backoffens erklärt er aus einer gemeinsamen Ab- 
hängigkeit von Riemenschneider. Er führt dafür 
eine große Anzahl von Stein- und Holzskulpturen 
als eigenhändige oder als Werke der Schule ein: 
überzeugend für mich die Kreuzigungsgruppen von 
Hattenheim, Eltville und Oberwesel, die bereits von 
K. Simon erkannten Holzskulpturen der hl. Bar- 
bara und Margareta, vielleicht auch das Grabmal 
des Reyffenberg in Cronberg. 

Die Übereinstimmung in Einzelheiten der archi- 
tektonischen Ausstattung scheint mir weniger be- 
weiskräftig für die Identität der Hand oder der Schule. 
Ich glaube, K. unterschätzt die Leichtigkeit, mit wel- 
cher solche Motive, wenn sie an so hervorragender 
Stelle wie im Mainzer Dom einmal aufgetreten sind, 
Allgemeinbesitz, eine Art Mode werden. Aber wenn 
auch die kritische Nachprüfung manche von K. 


292 


‚Zug der mittelrheinischen Kunst. 


hier eingereihte Skulptur aus dem Werk Back- 
offens und seiner Schüler wieder streichen wird, 
behält doch die Formenanalyse, die K. im einzel- 
nen vornimmt, und seine Gruppierung des ganzen, 
zum großen Teil bisher unbeachteten Materials, 
ihren Wert. 

Kautzsch läßt den Meister aus der Werkstatt 
Riemenschneiders hervorgehen. Er sieht ihn in den 
frühesten Arbeiten, die ihm zugeschrieben werden 
können, in der Kreuzigung von Eltville und im 
Henneberg-Denkmal (+ 1504), noch sehr abhängig 
von Riemenschneider, er nimmt im Liebenstein- 
Denkmal (+ 1508) ein Sich - los - reißen vom Ein- 
fluß des Lehrers wahr, das erst im Gemmingen 
LL 1514) zu einem ganz selbständigen, persönlichen 
Stil geführt habe. Aber sind die Anklänge an den 
Würzburger Meister in dem Werk von Eitville 
und im Henneberg wirklich derart, daß sie ein 
Schulverhältnis beweisen? Sind sie nicht vielmehr 
nur eine vorübergehende Erscheinung in der Ent- 
wicklung Backoffens, die Folge eines starken Ein- 
druckes, den er von einem Werk Riemenschneiders 
empfing? Gerade die Maria in Eltville, die mehr 
als anderes an den Würzburger erinnert, scheint 
mir dafür zu sprechen. Es ist überdies nicht recht 
glaubhaft, daß ein Künstler von so eigenartiger 
Kraft, wie sich Backoffen jedenfalls im Gemmingen- 
Denkmal erweist, es solange im Gefolge eines 
anderen ausgehalten und erst im Alter seinen 
eigenen Stil gefunden haben soll. 

Eine Beziehung Backoffens zu der älteren Mainzer 
Kunst erkennt K. nur in der deutlichen Anlehnung 
der Anlage seiner Grabmäler an frühere Werke 
des Mainzer Doms, in der auch von Dehio beob- 
achteten Abhängigkeit des Christuskopfes der 
Thomasgruppe von dem Lünettenrelief über dem 
Ostportal des Domes und in Backoffens entwickeltem 
Gefühl für die schön bewegte Linie (S.24f., 51). 
Ich meine auch für das außerordentlich weiche und 
malerische Formgefühl, das besonders das Haupt- 
werk, das Gemmingen-Denkmal auszeichnet, bieten 
ältere mittelrheinische Werke wie das Daundenk- 
mal in Mainz und die Anbetung der hl. drei Könige 
an der Frankfurter Liebfrauenkirche eher eine Vor- 
stufe als andere Schulen. 

Kautzsch hat bei der Kreuzigungsgruppe des 
Frankfurter Peterskirchhofs die sehr symmetrische 
Anlage bemerkenswert gefunden. Noch mehr ver- 
dient beim Gemmingen und in der Thomasgruppe 
der ungewöhnlich tektonische Wille Beachtung, 
der die reiche Bewegung durch große Richtlinien 
straff zusammenfaßt: er ist ein hervorstechender 
K. betont die 
starke Ausprägung des Persönlichen in den Werken 


Backoffens: auch dazu war die Luft am Mittelrhein 
besonders günstig; ich erinnere nur daran, daß 
gleichzeitig mit Hans Backoffen Matthias Grüne- 
wald in Mainz arbeitet. Noch eine Einzelheit: die 
kniende Haltung der Verstorbenen, die K. als eine 
Neuerung Backoffens ansieht, ist bereits für das 
Ende des 14. Jahrhunderts durch das Siegfried- 
zum Paradeis-Denkmal in Frankfurt zu belegen. 

Kurz es fehlt nicht an Anhaltspunkten, um die 
Quellen seiner Kunst in seinem Wirkungsgebiete 
zu suchen, am Mittelrhein selbst. Für die erste 
Hälfte des 15. Jahrhunderts hat mittlerweile die 
weitblickende Forschung Pinders den Mittelrhein 
gerade im Verhältnis zu Würzburg als den gebenden 
Teil erwiesen. 

Kautzsch hat ausdrücklich nur eine „grundlegende 
Materialsammlung“ geben wollen. Diesen Dienst 
erfüllt sein Buch in vollem Maße, auch durch die 
reiche Beigabe an Abbildungen, die alles nachzu- 
prüfen ermöglichen, und durch die übersichtliche 
Zusammenstellung der Maria- und Johannesfiguren 
der Kreuzigungsgruppen. Friedrich Back. 


WERNER WEISBACH, Impressionis- 
mus, ein Problem der Malerei in der 
Antike und Neuzeit. Bd. II. Berlin 1911. 
(Grote.) 

Die Ablehnung, die ich schon gegen den ersten 
Band dieses Werkes an dieser Stelle (III. Jahrgang, 
S. 44a) ausgesprochen habe, muß ich hier noch 
stärker betonen. Daß der Verfasser auch auf diesen 
Band viel Mühe und Studium verwandt hat, sei 
von vornherein anerkannt, wie auch die Ausstat- 
tung des Werkes wieder viel Freude macht. Aber 
auch dieser Band beweist, daß es heute nicht mehr 
möglich ist, ein kunstwissenschaftliches Thema zu 
behandeln, ohne die Grundlage einer klaren ge- 
schichts- und kunstphilosophischen Anschauung. 
Sonst versagt man selbst da, wo der Verfasser 
noch am ehesten etwas zu leisten scheint, im De- 
scriptiven. 

Der Verfasser mag Recht haben, daß wir im 
Laufe der Geschichte nicht Fortschritte, sondern 
„Wandlungen, Strebungen‘ sehen. Und der Satz, 
daß „Kunstentwicklung das In - die - Erscheinung- 
Treten künstlerischer Probleme“ ist, ist so selbst- 
verständlich wie unschön. Aber was ist mit alle- 
dem gesagt? Wir vermissen hier die Erkenntnis, 
daß die geschichtlichen Erscheinungen nicht tote 
Tatsachen, sondern Ausdrucksformen des mensch- 
lichen Geistes sind und daß zu diesen Ausdrucks- 
formen auch die künstlerischen Erscheinungen 
als die wichtigsten und charakteristischsten ge- 


hören. Es ist allerdings gewagt, das Wort Im- 
pressionismus auf einen ganzen Kulturkomplex 
anzuwenden, aber sicher ist, daß die Impressioni- 
stische Kunst die Erscheinungsform eines ganz 
bestimmten, durch viele Symptome faßbaren Kultur- 
geistes ist. Auf Grund dieser Geschichtsauffassung 
würden auch wir den Begriff der Entwicklung im 
materialistischen Sinne, den der Verfasser so sehr 
fürchtet, vermeiden und kämen doch zu einer Er- 
kenntnis innerer Zusammenhänge, die dem Ver- 
fasser fehlt. Was er gibt, ist nur eine Aufzählung 
der Tatsachen, aber es fehlt das geistige Band. 
Wir vermissen jede Betonung der großen Wende- 
punkte, eintönig folgt ein impressionistischer Künst- 
ler dem anderen, oft nicht einmal in der entwick- 
lungsgeschichtlich richtigen Reihenfolge (wenn z.B. 
Cézanne vor den Neoimpressionisten erscheint), 
und an der entscheidendsten Stelle der modernen 
Kunstentwicklung, da wo bei Cézanne und van 
Gogh die Wendung zum Expressionismus eintritt, 
geht die Fahrt ruhig unter der Flagge des Im- 
pressionismus weiter. Das liegt aber eben an 
jenem Fehler, daß bei dem Verfasser über die 
wichtigsten kunstwissenschaftlichen Probleme und 
kunstpsychologischen Vorgänge Unklarheit herrscht. 
Überall in dem Buche spukt noch die Nachahmungs- 
theorie, die Idee, daß es eine besondere Art von 
Künstlern gibt, die danach streben, die Dinge 
„möglichst exakt in Einklang mit der Wirklich- 
keit darzustellen“ (S.293) oder deren Ziel „ein in 
realistischem oder (!) naturalistischem Sinn formales 
Abbild ist“, während eine andere Gruppe von 
Künstlern „den ästhetischen Schönheitswert heraus- 
zuarbeiten“ sucht. Hierzu käme dann nach 
Weisbach die dritte Gruppe, nämlich die Impres- 
sionisten, die die Dinge momentan und in ihrer 
Beziehung zur Umgebung auffassen. Was dem 
Verfasser hier vorgeschwebt hat, sind die ver- 
schiedenen Kunstanschauungen, wie sie Worringer 
mit den Begriffen Einfühlung und Abstraktion so 
klar ausgeprägt hat, und die Aufgabe eines Wer- 
kes über den Impressionismus wäre es gewesen, 
zu untersuchen, wie sich die impressionistische 
Anschauungsweise zu jenen beiden verhält, ob 
sie vielleicht mit einer von beiden teilweise zu- 
sammenfällt, oder ob sie eine neue Art für sich 
ist, schließlich welche geistige und seelische Ver- 
fassung eines Volkes oder Künstlers dieser Kunst- 
anschauung entspricht. Vor allem aber wären 
dann die verschiedenen Arten des Impressionismus 
zu den verschiedenen Zeiten herauszuarbeiten und 
diese Unterschiede zu erklären gewesen. 

Das sind Untersuchungen, wie sie der Analyse 
der einzelnen Künstler und Werke notwendig hätten 


293 


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vorausgehen müssen. So aber schwankt die Ana- 
lyse immer zwischen richtig Geahntem und falsch 
Dargestelltem hin und her. Infolgedessen ist es 
sehr schwer, aus diesem Buche von der Eigenart 
einer bestimmten Künstlerpersönlichkeit ein klares 
Bild zu gewinnen. Als ein Beispiel möge die 
Analyse van Goghs dienen. Der Verfasser ahnt 
hier van Goghs Streben nach Stil und deutet das 
Wesen seiner Kunst ganz gut an, wenn er sagt: 
„Die durch Vereinfachung auf ein Höchstmaß von 
Ausdruck und Eindringlichkeit gebrachte Form 
ganz aus der Farbe heraus erstehen zu lassen, 
das ist für ihn das große Problem“ (S. 226). Aber 
dazwischen führt er Begriffe ein, die diesem Wesen 
völlig entgegengesetzt sind. So faßt er die Ver- 
änderungen, die van Gogh mit den Formen der 
Dinge vornimmt, als „Übertreibungen“ auf und 
läßt hier wieder jene Nachahmungstheorie hervor- 
treten, die allzu sehr das dargestellte Objekt mit 
der Darstellung vergleicht. Denn jene Verände- 
rungen sind nicht Übertreibungen der Naturform, 
sondern sind Gestaltungen der seelischen Zustände 
des Künstlers. Gänzlich irreführen aber muß es, 
wenn der Unterschied seiner Kunst gegen die der 
Impressionisten mit den, Worten bezeichnet wird: 
„Er sah ornamentaler als die Impressionisten“. 
Denn dieser Kunst, die in jeder Beziehung ihr 
Gesetz in der Seele des Künstlers hatte und nicht 
außerhalb, lag nichts ferner, als das Ornamentale. 
Und wenn van Gogh selbst von einer Ausführung 
großer monumentaler Werke, gemeinsam mit ande- 
ren Künstlern, träumte, so ist auch hier wohl nicht 
an „dekorative Aufgaben“ in der Art der Renais- 
sance zu denken, sondern an eine Kunst, die trotz 
ihrer Einfügung in einen architektonischen Orga- 
nismus selbständige Ausdruckskraft bewahrt, eine 
Kunst, zu der wir in Hodler nur erst Anfänge 
besitzen. Es zeigt sich hier auch, wie leicht man 
irregeführt wird, wenn man nicht vorsichtig ge- 
nug eigene Aussprüche der Künstler über ihre 
Kunst verwertet. 

Ich habe die Analyse van Goghs etwas ausführ- 
licher kritisiert, weil sie mir für die Methode des 
Verfassers — oder für seinen Mangel an Methode — 
besonders charakteristisch erscheint und weil sich 
hier die behaupteten Mängel des Buches besonders 
deutlich zeigen. Die Schwierigkeit, dem Buche 
nahe zu kommen, wird noch dadurch vermehrt, 
daß das kunstwissenschaftlich Wesentliche überall 
durch das Historisch-Anekdotische, durch Mitteilung 
von allerlei Dingen, die mit der Kunst nichts zu 
tun haben, verdrängt wird. Und dazu kommt dann 
noch der oft geradezu unerträgliche Stil. Wenn 
Sätze vorkommen, wie der folgende: „Wo es sich 


294 


um eine sich nur einem empfundenen einfachen 
Natureindruck anpassende Veranschaulichung han- 
delt“ (S. 48) oder Journalistika wie: „Welche Aus- 
drucksfähigkeit, welchen Charme, welche Pikanterie 
besitzt diese Strichführung!“ (S. то) — (und eine 
große Anzahl ähnlicher Proben ließen sich an- 
fügen) — so muß man schließlich trotz manchem 
Guten das Buch zu jenen übrigen legen, die nicht 
der Wissenschaft dienen, sondern einem anspruchs- 
loseren Publikum. Kurt Freyer. 


JULIUS von SCHLOSSER, Der burgun- 
dische Paramentenschatz des Or- 
dens vom Goldenen Vliesse. Im Auf- 
trage des hohen Oberstkämmereramtes Sr. 
K. und K. Apost. Majestät herausgegeben. 
a Tafeln in Farbendruck, 3 Doppeltafeln 
und 26 einf. Tafeln in Lichtdruck. Wien 
1912. Verlag von Anton Schroll & Co. 


Dieses Werk stellt die erste eigentliche Publi- 
kation der bedeutenden Stickereien dar und bietet 
in seiner knappen Sachlichkeit und seinem inneren 
Reichtum ein Muster für die Form, in der „hand- 
gerechtes Material für eindringende wissenschaft- 
liche Arbeit“ dargeboten werden sollte. Der Text 
hält sich bescheiden zurück und beschränkt sich 
auf die Mitteilung des Tatsachenbestandes: den 
historischen Notizen folgt die Beschreibung der 
Tafeln, die nur die Bestimmung der dargestellten 
Personen und eine kurze, möglichst sinnliche Far- 
benangabe bringt. Die historischen Notizen be- 
trachten, vom Allgemeinen ausgehend, Technik, 
Stil und Herkunft und Geschichte der Paramente. 
Der Schatz ist eine chapelle entiere, bestehend 
aus Antependium und Rücklaken für den Altar 
und aus der Casula, den beiden Levitengewändern 
und den drei Chappes für den zelebrierenden 
Priester und die Assistenz. Sie sind ganz gestickt, 
in Plattstich (für die Fleischteile) und in der nach 
ihnen benannten burgundischen Technik. Sehr 
glücklich ist hier im Text der Flinweis auf das 
translucide Email auf Gold und Silber seit dem 
14. Jahrhundert und auf die wohl von ihnen an- 
geregten Gold gehöhten Miniaturen Fouquets. 

Die außerordentliche Bedeutung der Stickereien 
liegt in ihrem Zusammenhange mit dergroßen Kunst, 
mit der Malerei, und es erscheint wunderbar, daß 
sie bisher nur von zwei Historikern eingehender 
nach ihrem Stil untersucht worden sind. — Aus 
welcher Malerschule sind die augenscheinlich sehr 
getreu in der Technik der Stickerei wiederge- 
gebenen Kartons hervorgegangen? Waagen unter- 
scheidet in seinen Kunstdenkmälern in Wien 


(1862) vier Hände. Für die Kasel Jan van Eyck; 
in den Chappes sieht er den Stil Rogiers van der 
Weyden; in den Levitenkleidern erkennt er eine 
dritte Hand, und in Antependium und Dossale 
einen „vierten und höchst ausgezeichneten‘ Meister. 

Diese hat Dvorak in seiner Untersuchung über 
das „Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck“ als 
Arbeiten eines Stilisten des 14. Jahrhunders in der 
Richtung des André Beauneveu bestimmt, und an 
dem französischen Einflusse hält Schlosser fest, 
wenn er auch die Arbeiten später als Beauneveu 
setzt. Johannes und Marienmantel weisen nach 
Dvofak auf den Stil Huberts vanEyck, Kasel und 
Dalmatiken auf Jan, der Christusmantel dagegen auf 
eine andere lokale Schule, etwa Tournai oder Lille. 

Nicht aus der flandrischen Genter Schule der 
van Eycks, sondern aus der von Waagen und 
Dvofak für den Christusmantel erkannten und 
mit der älteren französischen Richtung zusammen- 
hängenden Schule von Tournai sind nach Schlosser 
die einer gemeinsamen Werkstatt entstammenden 
Priestergewänder hervorgegangen — mit Aus- 
nahme der Kasel. Dieses — später und vielleicht 
erst in der Zeit Philipps des Schönen überarbeitete 
— Stück verrät eine andere Art, in der möglicher- 
weise Zeit und Stil des Hugo van der Goes zu 
sehen ist. 

Die Zuweisung an das wallonische Flandern 
findet eine kräftige Stütze an der Geschichte und 
Herkunft des Paramentenschatzes. Schlosser hat 
das große Verdienst, zuerst auf die Urkunden selbst 
zurückgegriffen zu haben; in dem ältesten, nach 
dem Tode Karls des Kühnen 1477 aufgenomme- 
nen Inventar der Trésorérie des Toisonordens 
fand er den Schatz vollständig verzeichnet. 
Damit hat sich die alte, aus den Niederlanden 
stammende Tradition über seinen Ursprung, die 
leichten Herzens und ohne weitere Untersuchungen 
von der Wissenschaft über Bord geworfen wurde, 
glänzend bestätigt. Es ist sehr wahrscheinlich, 
daß die Herstellung noch in die Jahre des Grün- 
ders, Philipps des Guten, fällt, zwischen 1429 und 
1467. — Aus den Inventaren der folgenden Jahr- 
hunderte geht hervor, daß die Paramente ununter- 
brochen in ihrem Ursprungslande blieben, sie 
wurden in der Hofkapelle zu Brüssel verwahrt 
und erst 1797 vor dem Revolutionsheer nach Wien 
geflüchtet. 

Einen weiteren Zusammenhang mit Frankreich 
hat Schlosser in der großen Heiligenlitanei der 
Paramente dargelegt: sie enthält vorwiegend nord. 
französische Heilige und darunter die Stadtpatronin 
Brüssels, die heilige Gudula, und Genoveva, die 
Stadtheilige von Paris. 


Auf Nordfrankreich und das burgundische Flan- 
dern weist auch die Technik in ihrem Zusammen- 
hange mit der FHautelisse- Weberei. Denn ihre 
Zentren liegen seit dem 14. Jahrhundert in Arras 
und Tournai, und wenn auch Brüssel als Sitz 
dieser Industrie erst sehr viel später, von 1451 ab 
bezeugt wird, so ist doch gerade für den in Brüssel 
ansässigen Rogier eine Verbindung mit dieser 
Technik beglaubigt. Maler haben den Hautelisse- 
Wirkern die „patrons“ geliefert, und ebenso auch 
den Stickern. Einer der hervorragendsten Bro- 
deurs im Dienste der burgundischen Herzöge war 
Thierry du Chastel aus Paris, ihm zahlte Philipp 
der Gute Anfang der dreißiger Jahre den unge- 
heuren Preis von 3750 Livres für zwei Antepen- 
dien „und es wäre immerhin möglich, daß die an- 
scheinend älteren, durch Thierry nur vermittelten 
Stücke mit den heute in Wien bewahrten identisch 
sein könnten“. — 

Aus diesem, nur die Hauptsachen wiedergeben- 
den Referat geht die außerordentliche Bedeutung 
der Publikation für die Kenntnis von altnieder- 
ländischer Malerei und Kunstgewerbe hervor, hier 
darf man tatsächlich von einem Mangel reden, 
dem abgeholfen worden ist. 

Leider sind in den vielfigurigen Stücken die 
Lichtdrucke nicht gleichmäßig gut, die stets 
wechselnden Valeurs der vielen sehr verschieden- 
farbigen Gewandfiguren bieten der Photographie 
außerordentliche Schwierigkeiten. Einen guten 
allgemeinen Eindruck der goldschimmernden Far- 
ben geben die beiden Farbentafeln, während die 
größeren Teilaufnahmen aus den Chappes vor- 
trefflich sind. Schuette. 


RICHARD Р. BEDFORD, St. James the 
Less. A Study in Christian Iconography. 
London 1911. KL 4°. 

Das 56 Seiten starke Heft stellt in übersichtlicher 
Weise zusammen alles das wenige, was über das 
Leben dieses Heiligen und seinen Martertod be- 
kannt ist. Ein Kapitel wird seinem Abzeichen, 
der Keule, ein zweites dem Walkerbaum, ein 
drittes den übrigen viel seltener angewandten ,,cla- 
ves‘ des hl. Jacobus minor (Spielzeug-Windmühle, 
Kreuz, Speer usw.) gewidmet. Die Uneinigkeit und 
Verwirrung, die bei den alten, noch mebr bei 
neueren Kiinstlern, betreffs der Verteilung dieser 
Attribute vorherrscht, werden angedeutet. Zu jedem 
Attribut gibt der Verf. als Belege eine Anzabl von 
Bildern und Bildwerken an. Die Liste ist nie er- 
schöpfend, jedoch ausführlich genug um zu zeigen, 
in welchen Landstrichen dieses oder jenes Attribut 


295 


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sich mehr eingebürgert hat. Dabei passiert dem 
Verf., daß er das Meißner Dombild schlankweg 
Dürer zuschreibt. Die Verwandtschaft des Heiligen 
zu Jesus veranlaßt endlich noch ein Kapitel über 
die Sippschaftsbilder. Sie werden gruppiert in 
hl. Sippen mit 29 Personen, mit 27 (ohne Ysathar 
und Susanna) und mit 17 (ohne die Sippschaft 
Hismaria und Ephraim). 

Eine Studie kann man das Heft kaum nennen: 
dazu bietet es zu wenig neue Forschung. Aber 
es ist als brauchbare Zusammenstellung, mit seinen 
43 in den Text gedruckten Abbildungen, recht 
willkommen zu heißen. Hans W. Singer. 


ANDRE FONTAINE, Les Doctrines 
d’art en France: De Poussin a Dide- 
rot. Paris, Henri Laurens. Fr. 9.—. 


ANDRE FONTAINE, Les Collections 
de l’académie royale de Peinture et 
de sculpture. Paris, Henri Laurens. — 
Fr. 10.—. 

Vor bald zehn Jahren gab ein junger, französi- 
scher Gelehrter, André Fontaine, unter dem Titel 
„Essai sur le principe et les lois de la critique 
d'art“ ein umfangreiches Werk heraus, das nicht 
nur durch umfassende Belesenheit, durch Beherr- 
schung der ästhetischen Literatur, sondern vor 
allem durch strenge Methodik und fein geschliffene 
Vortragsweise in Fachkreisen Beachtung fand. 
Dieses Buch ist eine der wertvollsten ästhetischen 
Studien aus neuerer Zeit geblieben. Fontaines 
jahrelange Tätigkeit als Konservator der Bibliothek 
der Sorbonne führte ihn dazu, sich noch weiter in 
die ästhetischen Schriften besonders seines Landes 
zu vertiefen. Die Frucht dieser Studien ist jene 
Geschichte der Kunsttheorien, deren Titel oben 
angegeben worden ist. In diesem Werk ist zum 
erstenmal versucht worden, die Entstehung der 
klassizistischen Gesinnung in Frankreich, für die 
bisher immer Poussin und besonders Lebrun ver- 
antwortlich gemacht worden sind, historisch zu 
ergründen. Fontaine beweist an der Hand der 
Erstausgaben von Alberti, Armenini und Lomazo, 
daß die italienischen Kunsttheoretiker schon vor 
der Ankunft Poussins in Rom klassizistische Ideen 
verfochten, daß die ganze Doktrin der ersten fran- 
zösischen Akademiker im Keime schon in der 1637 
erschienenen Schrift von Junius 
„De pictura veterum“ enthalten ist, daß mitten im 
Zeitalter des Barock gleichzeitig in Paris, Rom, 
Holland, England, Toulouse und Montpellier in 
teilweise voneinander unabhängigen Milieus, der 


in Amsterdam 


296 


akademische Geist sich erhob, der in der Gründung 
von Akademien seinen mächtigsten Ausdruck fand. 
Fontaine hätte sein kluges und geistreiches Buch 
auch „Die Auffassung der Antike von Junius bis 
Diderot nennen können; denn die Antike steht 
im Mittelpunkt der hier abgewandelten Kunst- 
theorien und die Stellung seiner Zeit zu ihr ent- 
hüllt uns den Geist einer Epoche. Der Kampf 
zwischen Rubenisten und Poussinisten, der im 
17. Jahrhundert einsetzte, ist auch heute noch 
nicht endgültig geschlichtet worden. Wellen in 
einem fast gleichmäßigen Abstand von 50 bis 75 
Jahren heben bald die einen bald die andern auf 
die Höhe einer Zeit, wo sie einen Augenblick der 
Endgültigkeit verleben, bevor eine neue Entwick- 
lungswelle, Zweifel einer neuen Jugend an den 
Wahrheiten der Väter, sie wieder unterspült und 
zu Tal trägt. Fontaine stellt in seinem meister- 
haft geschriebenen Werk kleine historische Tat- 
sachen zusammen und baut auf ihnen meister- 
haft die Geisteswelt auf, die den dargestellten 
Epochen Charakter gab. Er ist mißtrauisch gegen 
alle formelästhetischen Versuche „Tant qu'on 
n'aura recours, pour identifier une oeuvre d'art, 
qu’à l’expérience de l'amateur ou méme qu'à 
l’analyse minutieuse des procédés particuliers de 
tel et tel artiste, on s’exposera aux plus lamentab- 
les erreurs. La critique intrenséque, chère aux 
experts et aux marchands, peut mettre sur la voie 
d'une découverte; elle ne suffit jamais à légitimer“, 
ist ein Glaubensbekenntnis, das er im Vorwort zu 
seinem zweiten Buch: ,,Les collections royale de 
peinture et de sculpture‘ ausspricht. Auch dieses 
bedeutende Werk läßt alle Vorzüge der vorsich- 
tigen, geduldigen und scharfsinnigen Methode 
dieses Gelehrten erkennen. Im Textteil behandelt 
er die Ursprünge der Akademie, die Folgen des 
Erlasses von 1663, den Lebrun durchsetzte, die 
Schenkungen und Ausstellungen unter Ludwig XIV., 
die Entwicklung der Sammlungen im 18. Jahr- 
hundert, das Zeitalter der Revolution und die Auf- 
teilung der Sammlungen im 19. Jahrhundert. Als 
Anhang ist das Inventar vom Jahre II gegeben 
mit historischen Anmerkungen zur Geschichte der 
Bilder vom Verfasser. Dieses hervorragende Werk 
füllt eine lang gefühlte Lücke in der kunsthistori- 
schen Literatur Frankreichs aus und istauch darum 
wertvoll, da es an der Hand des durchgearbeiteten 
archivalischen Materials mehrere Bilder aus fran- 
zösischem Staatsbesitz neu bestimmt, so u. a. fest- 
stellt, daß das Selbstbildnis von Philippe de Cham- 
paigne im Louvre nur eine alte Kopie ist, daß das 
Selbstporträt von Mignard im Louvre von unbe- 
kannter Hand gemalt ist usw. Otto Grautoff. 


JOHANNES SIEVERS, Bilder aus In- 
dien. 65 photograph. Originalaufnahmen 
mit einer Einführung. Verlegt bei Paul Cas- 
sirer. Berlin 1911. 

Nur drei Kapitel hat die etwas über 60 Seiten 
umfassende Einführung dieses vielseitigen Buches, 
das unter den verschiedensten Gesichtspunkten ge- 
rade den Kunstgelehrten interessieren muß: Aus 
Ceylon, Vom brahmanischen Indien, Muhammeda- 
nische Baukunst, so lauten die Überschriften. In 
jedem dieser Kapitel steckt das Sentiment eines 
mit künstlerischer Seele suchenden, aufnehmenden 
und verarbeitenden Geistes: Naturschilderung, die 
mit dem Wohlklang der Worte den Rhythmus 
der Empfindung malt, Völkeranalyse, die mit dem 
Verstande des Kulturmenschen unseres Jahrhunderts 
in die Psyche des primitiven Naturvolkes hinab- 
leuchtet, bewußtes architektonisches Formgefühl, 
das sich mit Ehrfurcht einem großen künstlerischen 
Erbe nähert. Sievers, der in erster Linie pho- 
tographische Bilder von den Eindrücken einer 
Studienreise durch Indien zusammenfassen wollte, 
ist unversehens, als er die Bilder textlich in einer 
Einleitung verarbeitete, zum Mentor der indischen 
Schönheit geworden, wie wir ihn uns besser gar 
nicht wünschen könnten. Sein „Bilderbuch“ ist 
— wenn der Ausdruck zunächst gestattet sein mag — 
ein Lesebuch für den Kunstfreund im besten Sinne 
des Wortes, das durch die mit künstlerischem 
Feingefühl ausgewählten Reproduktionen noch einen 
besonderen Reiz besitzt. Indien wird — wie jedes 
ferne und fremde Land — auf den Besucher nach 
Maßgabe der verschiedenen Temperamente und 
Sonderinteressen immer anders wirken: Der Globe- 
trotter vom allgewohnten üblichen Durchschnitts- 
niveau berauscht sich am Neuen, an der Meilen- 
entfernung schlechthin, die dies Land von der 


Heimat trennt (Bücher solcher Leute gibt es leider 
en masse), der Jäger sucht die Spuren der urwelt- 
lichen Kampfesgenossen, die nur hier im Zwei- 
kampf zu stellen sind (Bücher unter dieser Vor- 
aussetzung über Indien sind schon eine gar köst- 
liche Lektüre!), der Mensch von künstlerischer 
Begabung aber, der auch der Alltäglichkeit gegen- 
über eine gewisse Distanz hat, schreibt Bücher 
wie Sievers eines kürzlich veröffentlichte. Das hat 
seinen Wert ebenso sehr durch die vielen feinen 
ästhetischen Bemerkungen wie durch seinen Stim- 
mungsgehalt und es tut einem wohl, feststellen zu 
können, daß ein Kunstgelehrter strengster Obser- 
vanz auch einmal über die Wissenschaft hinaus- 
schreitet, um selbst Künstler zu sein. Was Sievers 
z. B. über die muhammedanische Baukunst zu sagen 
hat, bleibt bestehen, auch wenn die schönen Bild- 
beigaben durch eine bessere Technik überholt sein 
werden. G. Biermann. 


ARSENE ALEXANDRE, Durand-Ruel, 
Portrait et Histoire d’un marchand. 

Diese vortreffliche kleine Studie, die im November 
vorigen Jahres in einer Berliner Zeitschrift erschien, 
hat Durand-Ruel im französischen Originaltext als 
kleine Broschüre an seine Freunde verteilen lassen 
als Dank für die Glückwünsche, die der Veteran 
der Pariser Kunsthändier zu seinem achtzigsten 
Geburtstag empfangen hatte. In Frankreich er- 
lauben die Verhältnisse nicht, daß die Tagespresse 
Aufsätze über Kunsthändler veröffentlicht, da die- 
selben — auch wenn es sich um Jubiläumsartikel 
handelt — als Reklameartikel aufgefaßt werden, 
für die der Verlag Bezahlung fordert. Daher über- 
ging die Pariser Presse Durand-Ruels achtzigsten 
Geburtstag mit Stillschweigen. Otto Grautoff. 


BERICHTIGUNG. Zu meiner Studie im Maiheft d. J. „Dürers Selbstbildnisse und ‚konstruierte Figuren‘“‘ 
habe ich zu berichtigen, daß E. Heidrich im Rep. für Kstw. XXX, p. 373 nicht die Behauptung aufge- 
stellt hat, daß L. 185 zu Dürers Belbstporträt in München und zur Madonna mit dem Zeisig verwendet 
sei. E. H. hat nur gesagt, daB die Hand auf Dürers Selbstporträt in dem Madonnengemälde wieder- 
holt sei. Er bemerkte weiter: „Man wird nunmehr auf die bekannten Zeichnungen aus dem Jahre 1506 
als nächststehender Vergleich hinweisen müssen; in ihrer Art wird die vorauszusetzende Studie zu 
denken sein. DaB aber diese beiden Bildern zugrunde liegende Zeichnung für das Selbstporträt und 
nicht für das Madonnenbild angefertigt wurde, bedarf keines Beweises.“ Die hier ,,vorauszusetzende‘ 
Zeichnung sah Ochenkowski in seiner von mir ebenfalls angezogenen Studie in L. 185. Irrtümlicher- 
weise identifizierte ich in diesem Punkte beide Forscher. Die mir wichtigste Frage hinsichtlich des 
Heidrichschen Versuches, aus der Hand des Selbstportrits die des Madonnenbildes zu entwickeln, wird 
natürlich dadurch nicht berührt. Heidrich ist übrigens, laut brieflicher Nachricht, „geneigt“ in der 
Zeichnung ebenfalls Dürers „eigene Hand“ zu erkennen aber von ca. 1518/19. B. Haendcke, 


(этэ оласэ —::½.᷑ ;?—:ñ.:ñß?ð́—.xk:ß⸗xy⸗⸗ SIAT EE en en] 
Monatshefte für Kunstwissenschaft V. Jahrg. 1912, Heft 7. 22 297 


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DER CICERONE. 
Heft 11: 


GEORG BIERMANN, Die Gemäldesammlung des 
Baron Herzog in Budapest. (24 Abb., davon 2 auf 
Tafeln.) 


R. KIESER, Ricard und Carpeaux. 


Heft ı2: 
HERMANN VOSS, Antonio Amorosi, der „falsche 
Spanier“. (9 Abb.) 
EMIL HANNOVER, Die Majoliken Veronas. (4 Abb. 
und 2 Faksimiles.) 


WILHELM LESENBERG, Joseph M. Olbrich. Zur 
Ausstellung seines Nachlasses im Kgl. Kunstge- 
werbemuseum zu Berlin. 


G. B., Eine wiedergefundene Voltaire - Büste von 
J. Antoine Houdon. (3 Abb.) 


DIE RUSSE 
Heft 9: 
ALBERT DRESDNER, Otto Greiner. (20 Abb.) 


CURT GLASER, XXIV. Ausstellung der Berliner 
Sezession. (ı farb. Tafel und 24 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 


Heft 9: 
GEORG BIERMANN, Leo Putz, München. (1 farb. 
Tafel und 13 Abb.) 


KONRAD WEISS, Maria Caspar-Filser, Miinchen. 
(8 Abb.) 


JOSEF ADOLF BONDY, Neue Arbeiten von Franz 
Metzner. (8 Abb.) 


DIE GALERIEN EUROPAS. 

Heft 4 (Greco-Heft): Е 

Farbige Reproduktionen: 

Die heilige Familie | an 
Christus am Olberg..... | August L. Mayer. 
Die Entkleidung Christi 


Christus in den Armen Gott-Vaters, Text von A.de 
Beruete. 


Bildnis des Kardinal-Inquisitors Don Fernando 
Nino de Guevara, Text von August L. Mayer. 


Heft 5: ei 
Farbige Reproduktionen: 


Francisco Goya, Der Töpferwarenhändler, Text von 
A. de Beruete y Moret. 


Velasquez, Hofnarr Don Antonio, ,,Der Englin- 
der“, Text von A. de Beruete y Moret. 


Murillo, Geldzihlende Kinder. 


Lorenzo Lotto, Die Vermählung, Text von August 
L. Mayer. 


Murillo, Heilige Familie mit dem Vöglein, Text 
von A. de Beruete y Moret. 


298 


KUNST UND KÜNSTLER. 

Heft 9: 

HOLBEIN, Ein Bild von ihm von Herbert Eulen- 
berg. 

KARL SCHEFFLER, Berliner Sezession. (18 Abb.) 
ROBERT BREUER, Die Sammlung Eduard Fuchs. 
(20 Abb.) 


KARL VOLL, Zwei altniederländische Varianten 
des Feigenblattes. 


— 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
Heft g: 

MAX SCHMIDT, Josse Goossens. 

WILHELM BODE, Der jüngere Rembrandt, Be- 
trachtungen vor einem Bildnis von. Rembrandts 
Vater. Im Besitz v. Herrn Julius Böhler in München. 
(1 Abb.) 

VALERIAN VON LOGA, Die spanischen Bilder 
des Königs Carol von Rumänien. (12 Abb.) 
FELIX BECKER, Ein neuer Scheibenriss des Нац 
buchmeisters. (2 Abb.) 


GEORG HERMANN, Hermann Struck. (1 Original- 
radierung, 5 Abb.) 


ORIENTALISCHES ARCHIV. 

Heft 3: 

A. ALMAYRO CARDENAS, Die Alhambra im 

Lichte der Kunstgeschichte. Beziehungen zwischen 

der Architektur Granadas und der nordafrikanischen. 

(8 Abb. ) 

Knappe Charakteristik der maygrebinischen Stil- 
formen. 

Т. KRYGOWSKI, Polenteppiche. II. (7 Abb.) 
Verfasser tritt wieder für den polnischen Ursprung 
dieser Teppichgattung ein, die neuerdings all- 
gemein persischen Manufakturen zugeschrieben 
wurden. | 

T. J. ARNE, Ein persisches Gewichtssystem in 

Schweden. (17 Abb.) 

Е. ЗОРКА, Iskender-Dü’l-Qarnein und Chadhir — 

Eine Darstellung der Silberschüssel von Klimowa. 

(2 Abb.) 

Es handelt sich um die Darstellung. der Himmel- 
fahrt Alexanders d. Gr. 

H. GROTHE, Die Kalamkar, ein Erzeugnis des 

persischen Kunstgewerbes. (4 Abb.) 

Es handelt sich um Baumwollstoffe mit zeichne- 
rischen Motiven in Buntdruck. 

H. v. WINIWATER, Notes à propos de Harunobu. 

(9 Abb.) 


KUNST UND KUNSTHANDWERK. 
Heft 4: 


H. G. STRÖHL, Die Wappen der Ordensstifte in 
Tirol und Vorarlberg. (46 Abb.) 
Behandelt das Stift der Augustiner - Chorherren 
(Neustift), das der Prärconstratenser (Witten), die 


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der Benediktiner (Muri-Gries, St. Gallus, Marien- 
berg, Fiecht, Säben) und der Zisterzienser (Wet- 
tingen-Mehrerau, Stams, Mariastern, Marien- 
garten). 
TH. de KULMER, Die Ausstellung der modernen 
dekorativen Künste im Musée des arts décoratifs 
zu Paris. (15 Abb.) 
H. FISCHEL, Aus dem Wiener Kunstleben. 
Kleine Nachrichten (u. a. Zuwachs der Kais. Kunst- 
sammlungen im Jahre 1911, mit 24 Abb.). 


Heft 5: 
Н. FISCHEL, Alte Innenräume Österr. Paläste und 
Schlösser. (12 Abb.). 


М. О. HENKEL, Die Sammlung holländischer 

Fayencen im Rijksmuseum zu Amsterdam. (13 Ab- 

bildungen.) | 

E. KÜHNEL, Persische Kunstforschung. 
Besprechung des Werkes von H.R. d’Allemagne, 
„Du Khorassan an Tays des Buckhtiaris.“ 

H. UBELL, Neuerwerbungen des Museums Fran- 

cisco-Carolinum in Linz in den Jahren 1910/11. 

(21 Abb.) 


H. FISCHEL, Aus dem Wiener Kunstleben. 


RASSEGNA D'ARTE. 


fasc. 3: 

SAC. ACHILLE RATTI, Ancora della ,,Sacra Fa- 

miglia“ di B. Luini all’ Ambrosiana. (2 Abb.) 

LAURA COGGIOLA PITTONI, Per la ricostituzione 

dell’opera di Giambattista Pittoni. (15 Abb.) 
Bilder in Rovigo (Accademia de’ Concordi), Florenz 
RaccoltaCecconi), Venedig (MuseoCorrer), Verona 
Museo Civico). Zeichnungen der Biblioteca Maru- 
celliana und der Uffizien in Florenz sowie des 
Museo Correr, Venedig. 

ANGELO BELLINI, La pala del Bevilacqua in 

S. Vito a Somma Lombardo. (Abb.) 

UMBERTO GNOLI, Un dipinto di Simone de’ 

Crocifissi. (Abb.) 


Schutzmantelbild in der Villa Potenziani zu Ricti. 


Е. MALAGUZZI VALERI, Un ritratto di van Dyck. 
(Abb.) 
In der Sammlung De Minerbi in Belgisate Ancora 
di Zanetto Bugotto e de’ suoi soci (Abb.) Trip- 
tychon der Kirche von Casorate. 


fasc. 4—5: 

GINO FOGOLARI, Ricordi nella pittura veneziana 

del vecchio Campanile di S. Marco. (21 Abb.) 
Ansichten des Campanile auf Bildern von Paolo 
Veronese, Tizian, Tintoretto, Bassano, Canaletto 
u. a. 


MAX ONGARO, Come è caduto il Campanile di 
8. Marco. 


LUIGI SERRA, П Campanile risorto. (18 Abb.) 
Geschichte der Neuaufrichtung, illustriert durch 
Ansichten seines Baues. Geschichte der Loggetta. 

EMILIO GUSSALLI, La chiesa di Palo, Pignano. 

(9 Abb.) 2 | i 


EMIL SCHAEFFER, La vendita della Collezione 
Weber a Berlino. (9 Abb.) 
HERBERT COOK — GUIDO CAGNOLA, La Ma- 
donna di Miinster. (2 Abb.) 
Attribution an Bartolommeo Veneto und Ver- 
gleich mit einer Madonna und Engel bei Benson, 
London. — Zuweisung einer Madonna und des 
hl. Johannes der Sammlung Bozzotti, Mailand, 
an Bart. Veneto. 
Е. MASON PERKINS, Una „Annunciazione“ di 
Giovanni della Robbia. (2 Abb.) 
In der SS. Annunziata bei Norcia. 


MUSEUM. 

Heft 2: 

M. MARINELLO, La pintura de Felix Mestres. 

(Farbtaf., 14 Abb.) 
Behandelt einen modernen katalanischen Land- 
schafts- und Porträtmaler. 

J. GUDIOL, A propósito del „Textus Argenti‘ de 

la catedral de Vich. (7 Abb.) 
Es handelt sich um einen im Jahre 1557 von 
Antonio Vilareal geschriebenen und 1561 von 
Sebastian Sitjar mit silbernen Reliefdeckeln ver- 
zierten Text. 

B. BASSEPODA, Artes decorativas: Platerin y jo- 

yeria. (22 Abb.) 

Heft 3: 

E.ROMERO DE TORRES, La patrià de Valdés Leal. 

(8 Abb.) 
Der Verf. publiziert wichtige, von ihm gefundene 
Akten, aus denen u. a. hervorgeht, daß Valdés 
Leal in Sevilla (nicht in Cördoba) 1622 (nicht 
1630) geboren wurde. 


V. PICA, Valentin y Ramön de Zubiaurre. 
M. UTRILLO, Los Zubiaurre. (2 Farbtaf., 26 Abb.) 
Ecos artisticos. (4 Abb.) 


THE STUDIO. 

Juni: 

T. MARTIN WOOD, The paintings of Wilfried 
G. von Glehn. (8 Abb. und 2 farb. Taf.) 

The Royal Academy Exhibition 1912. (14 Ab- 
bildungen.) 

A.S.LEVETUS, The Spring Exhibition in Vienna. 
(18 Abb.) 

BARONESS ROSENKRANTZ, Some moderne Illu- 
minations. (2 Abb.) 


L'ARTE. 


fasc. 1: 

FEDERICO HERMANIN, Un probabile quadro di 

Gianlorenzo Bernini. (4 Abb.) 
Christus und die Samaritanerin in der Galerie 
Spada zu Rom, bisher dem Baciccia zugeschrieben, 
von Hermanin den Iliustrationen Berninis zu 
Predigten des Padre Oliva stilistisch in Beziehung 
gesetzt. 

AUGUST SCHMARSOW, Domenico Veneziano. 

(5 Abb.) | | 


299 


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GIACOMO DE NICOLA, Una copia di Segna di 
Tura della Maestà di Duccio. (9 Abb.) 
Im Dome von Massa Marittima. 


MARIO SALMI, Il Crocefisso di Segna di Bona- 
ventura ad Arrezo. (Abb.) 


ROBERTO PAPINI, Un rilievo ignorato di Andrea 
della Robbia. (2 Abb.) 
Gruppe des Raphael und Tobias in der Biblio- 
teca Roncioniana zu Prato. 
ALBERTO SERAFINI, Ricerche sulla miniatura 
Umbra (sec. XIV—XVI). (16 Abb.) 
JOSEPH BRECK, Una pittura di Neroccio a Ra- 
polano. (Abb.) 


GIULIO SALVADORI, Un telaio di Giotto. (Do- 
kument von 1312.) 


fasc. 2: 
AUGUST SCHMARSOW, Domenico Veneziano. 
(10 Abb.) 
Fortsetzung und Schluß; Begründung der Zu- 
weisung des Freskenschmuckes der Cappella dell’ 
Assunta (Prato, Dom) an Domenico Veneziano. 
ALBERTO SERAFINI, Ricerche sulta miniatura 
Umbra (sec. XIV—XVI). (18 Abb.) 
Fortsetzung: Umbrische Miniaturisten vor Pietro 
Perugino. 
LIONELLO VENTURI, Saggio sulle opere d'arte 
a Pietroburgo. (то Abb.) | 
Italienische Gemälde der Renaissance, meist der 
venezianischen Schule. 
PAUL SCHUBRING, La collezione Weber di Am- 
burgo. (7 Abb.) 


300 


AUGUST SCHMARSOW, Wer ist Gherardo Star- 
nina? Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Renais- 
sance. Verlag B.G. Teubner, Leipzig. Preis geh. 
M. 2.80. 


JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Das Ka- 
tharinenklosteram Sinai, Ebenda. Preis kart.M.3.20. 


RUDOLF HIRZEL, Plutarch. Das Erbe der Alten. 
Heft IV. Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Theo- 
dor Weicher, Leipzig. Preis geh. M. 4.—, geb. 
M. 5.—, in Pergament M. 8.—. 


LÜBKE — SEMRAU — HAACK, Grundriß der 
Kunstgeschichte. Bd. III, Die Kunst der Renais- 
sance. 14. Aufl. Preis M. 12.— geb. Paul Neff, 
Verlag (Max Schreiber), Eßlingen. 

MAX DERI, Versuch einer psychologischen Kunst- 
lehre. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart. Preis 
M. 5.—. 

LEOPOLD ZIEGLER, Florentinische Introduktion. 
Felix Meiner, Verlag, Leipzig. Preis M. 4.—. 
LUDWIG GEIGER, Alexander VI. und sein Hof. 
Nach dem Tagebuch seines Zeremonienmeisters 
Burcardus. 

F. BURGER, Die Schackgalerie, München. Delphin- 
Verlag, München. Preis М. 3.—. 


H. RÖTTINGER, Einzelformschnitte des 15. Jabr- 
hunderts aus der Erzherzogl. Sammlung in Wien. 
Verlag J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), Straß- 
burg. Preis M. 50.—. 


E. VISCHER, Formschnitte des 15 Jahrhunderts 
in der Großherzogl. Hof- und Landesbibliothek zu 
Karlsruhe. Ebenda. Preis М. so.—. 


E. HINTZ und K. MOSNER, Goldschmiedearbeiten 
Schlesiens: eine Auswahl von Goldschmiedearbeiten 
schlesischer Herkunft oder aus schlesischem Be- 
sitze. Breslau (Schlesischer Altertumsverein). Preis 
М. 200.—. 


H. W. SINGER, Meister der Zeichnung: I. Max 
Klinger; U. Max Liebermann; III. Franz von Stuck. 
Verlag Giass & Tuscher, Leipzig. Preis је M. 15.—. 
ADOLF PHILIPPI, Der Begriff der Renaissance. 
Verlag E. А. Seemann, Leipzig. Preis geh. М. 4.50, 
geb. M. 5.50. 

OLGA VON GERSTFELDT — ERNST STEIN- 
MANN, Pilgerfahrten in Italien. II. Auflage. Verlag 
Klinkhardt & Biermann, Leipzig. Preis geh. M. 6.—, 
geb. М. 7.50, in Leder M. 10.—. 

F. ADAMA VON SCHELTEMA, Über die Entwick- 
lung der Abendmahlsdarstellung. Verlag ebenda. 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma Anton Schroll& Co., Wien, über die Werke des Plastikers 
JOSEF THADDÄUS STAMMEL in Admont and anderen Orten (} 1765), herausgegeben von Professor Anton 
Mayr bei, der den Lesern besonders empfohlen sel. — Ferner verweisen wir auf den Prospekt der Firma 


Klinkhardt& Biermann, Leipzig, über „PILGERFAHRTEN IN ITALIEN" von Olga von Gerstfeldt 
und Е. Steinmann, welche soeben іп 2. Auflage erschienen sind. 


V, Jahrgang, Heft VII. 


Lan kee d-s ae en rtr 


— 
— — — —_ — — — 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lank- 
witz, Waldmannstraße 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. | 
In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASH- 
BURN FREUND, Gaddeshill Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. К. LILIENFELD, Haag, 
de Riemerstraat 22. | In FRANKREICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon 11. In der 
SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 
Montags 10— 1a und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telephon: Amt Groß-Lichterfelde 456. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


301 


Firmentafel der Monatshefte firKunstwissenschaft 


Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben. 
Wegen Beteiligung wende man sich an die Inseratenabteilung der „Monatshefte für Kunstwissenschaft in Berlin- Lankwitz. 


Aachen. Ant.Creutzer 
vorm. M. Lempertz. An- 
u. Verkauf, sowie Versteigerung 
erstklassiger Gemälde und Anti- 
quitäten. Kunstverlag. Wissen- 
schaftlich, Antiquariat. Spezial- 
kataloge auf Wunsch. 


Berlin. Berliner Kunstauk- 
tionshaus Gebrüder Heilbron. 
SW., Zimmerstraße Nr. 13. 
Übernahme von Auk- 
tionen, spez. von Privat- 
sammlungen. 


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mannshaus). Ausstellung von Orig.-Gemälden und Radierungen holländischer Meister. 


Tafel 56 


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Abb. 1. AGOSTINO DE’ FONDUTI, Pietà. Tongruppe in S. Satiro, Mailand 


(Eigene Aufnahme) 


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Abb. 2. AGOSTINO DE’ FONDUTI, Fries in der Taufkapelle in S. Satiro, Mailand 


Zu: PAUL SCHUBRING, DIE TONGRUPPE DER PIETA IN S. SATIRO IN MAILAND 


M. f. K. V., 7 


Tafel 57 


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Abb. 3. G. MAZZONI, Pietà. Tongruppe. Modena, S. Giovanni 


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Abb. 4. NICCOLO DA BARI, Pietà. Tongruppe. Bologna, Sa. Maria della Vita | 
Zu: PAUL SCHUBRING, DIE TONGRUPPE DER PIETA IN S. SATIRO IN MAILAND 


M. f. K. V., 7 


Tafel 58 


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Abb. 6. DOMENICO PARIS, Tonmadonna 


Abb. 5. FRANCESCO DI GIORGIO, Parisurteil 


Wien, Fürst Liechtenstein 


Paris, G. Dreyfuss 


FRANCESCO DI GIORGIO, Medaille auf Federigo d' Urbino 


Abb. 7/8. 


London, Privatbesitz 


PAUL SCHUBRING, DIE TON GRUPPE DER PIETA IN S. SATIRO IN MAILAND 


Zu: 


M. f. K. V. 7 


Tafel 59 


Abb.ı. ROGER, Heimsuchung. Turin Abb. 2. MEISTER DER ULRICHSLEGENDE, 
Wunder des hl. Ulrich. Augsburg 


Abb. 3. BOUTS, Abraham und Melchisedeck. München 


Zu: AUGUST GRISEBACH, ARCHITEKTUREN AUF NIEDERLÄNDISCHEN UND FRANZÖSISCHEN GE- 
MÄLDEN DES ı5. JAHRHUNDERTS 


M. f. K. v., 7 


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Tafel 60 


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Abb. 4. FOUQUET, Sposalizio Abb. 5. FOUQUET, Plünderung des Tempels 


Abb.6. FOUQUET, Bau des Tempels Abb. 7. FOUQUET, Zerstörung des Tempels 


Zu: AUGUST GRISEBACH, ARCHITEKTUREN AUF NIEDERLANDISCHEN UND FRANZOSISCHEN GE- 
MALDEN DES 15. JAHRHUNDERTS 


M. f. K. v., 7 


Tafel 61 


Abb. 8. Van EYCK, Die Frauen am Grabe Sammlung Cook, Richmond 


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Abb. 9. Holländischer Meister Ende 15. Jahrh., Kreuztragung Sammlung Kleinberger, Paris 


Zu: AUGUST GRISEBACH, ARCHITEKTUREN AUF NIEDERLÄNDISCHEN UND FRANZÖSISCHEN GE- 
MÄLDEN DES 15. JAHRHUNDERTS 


M. f. K. V., 7 


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D: Bedeutung der Antike für die Ausbildung der Formensprache der Renaissance, 
vornehmlich was die Bildkunst angeht, ist von gewisser Seite her, wie be- 
kannt, allen Ernstes in Frage gestellt worden. Gewisse der Kunst der Frührenais- 
sance immanente Entwicklungstendenzen sollten allmählich spontan zu der neuen 
klassischen Blütezeit geführt haben. Hier könne es sich nur um etwas der Antike 
Wesensverwandtes handeln, um „einen eigenen inneren Entwicklungsgang, nicht 
um die Folge eines absichtlichen Studiums der alten Fragmente“, meint einer der 
vornehmsten Verfechter dieses Gedankens!). Wenn so das geringe Verständnis des 
Quattrocento für die Antike recht schlagend exemplifiziert werden soll, weist man 
hin auf die schmächtigen Kolonnen und phantasiereichen Kapitäle oder Boticellis 
„frierende“ Venus, auf seine Flora, seine Nymphen u. a. 

Wenden wir uns jedoch der Plastik jenes Zeitalters zu, so nimmt sich die Sache 
ein wenig anders aus. Es gibt wirklich Quattrocentoskulpturen, die einen unmittel- 
baren Hauch vom Geiste der Antike verspüren lassen. Wie oft steht nicht gerade 
das Nackte in dieser Periode der Plastik der Antike näher als der Natur? — Die 
Lösung des Problems des Nackten hatte man nämlich nahe zur Hand in zahl-- 
reichen hellenistisch-römischen Werken, nicht zum wenigsten in Reliefs, und die 
großen Plastiker gingen wahrhaftig diesen nicht aus dem Wege, ja sie lernten auch 
den Sinn in der Sprache dieser Vorbilder verstehen. Es ist nicht unwahrschein- 
lich, daß diese ständige Wiederkehr zur Antike zu der Offenbarung der „neuen 
Schönheit“ in der Kunst des Cinquecento beitrug, sowie dazu, daß — neben dem 
direkten Studium der Antike — die einmal eingeschlagene Richtung von der Ent- 
wicklung auch beibehalten wurde. 

Donatello, die bedeutendste Künstlerpersönlichkeit der Frührenaissance, deren bis- 
weilen übertrieben weit gehende Verehrung des Individuell - Charakteristischen mit 
so leidenschaftlicher Kraft aus mehreren seiner Werke hervorleuchtet, hat — auch 
er — anbetend vor der Antike gestanden und daher nicht nur gewisse klassische 
Voraussetzungen empfangen, gewisse Motive, sondern auch — wenigstens in einigen 
seiner Arbeiten — vermocht, sich das antike Formgefühl anzueignen, vor allem 
was die Behandlung des Nackten betrifft. Sowohl Linien- wie Formwerte sind 
von der Welt der Antike in seine eigene Kunstwelt hinübergeströmt. Mit einer 
seiner Schöpfungen, bei der dieses in hohem Grade der Fall ist, wollen wir uns 
etwas eingehender beschäftigen. 

In seinem Werke „Studier i florentinsk renaissansskulptur“ hat Professor Dr. Os- 
vald Siren in dem Aufsatze „Antikens betydelse för Ghiberti och Donatello“ lebhaft 
die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit der klassischen Bildhauerkunst für die Renais- 
sanceskulptur im allgemeinen und im besonderen für Ghiberti und Donatello betont, für 


(х) Wölfflin, „Klassische Kunst“, S.227ff. Auch Julius Lange kann nicht genug den Unterschied 
betonen zwischen dem „antiken Humanismus“ und dem „modernen Humanismus“, der durch die 
Renaissancemeister vertreten wurde, für die die Reste der antiken Kunst keine Rolle in Ansehung 
der Herausbildung des neuen Figurenstiles gespielt haben sollen. Vgl. „Menneskefiguren i Kunstens 
Histore, S. 315 ff. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 8. 23 303 


den „gotischen Liniendichter“ und den rücksichtslosen Realisten und Charakteristiker!). 
Die Aufgabe war ja sehr verlockend und dem Verfasser ist es gelungen eine ganze 
Menge von Vergleichen, die Interesse heischen, einzuheimsen. Doch muß billiger- 
weise hervorgehoben werden, daß mehrere der Zusammenstellungen früher schon 
von anderen Renaissanceforschern vorgenommen worden sind. 

Eine der Anregungen des schwedischen Forschers, die die Aufmerksamkeit wei- 
terer Kreise erweckte, ist indessen sein Versuch, Donatellos berühmte Bronzefigur 
„David“ (im Bargello) mit einem antiken Hermes aus dem Kreise des Praxiteles 
zusammenzustellen, ein Versuch, der meines Erachtens allerdings nach der rich- 
tigen Richtung hinweist, nämlich nach dem umfangreichen Praxitelischen Kunst- 
kreise, aber kaum innerhalb dieses das richtige und entscheidende trifft. Ob die 
folgenden Zeilen das Problem wirklich lösen, darüber ist es nicht leicht sich posi- 
tiv zu äußern, aber eine keineswegs unwesentliche Ergänzung einer ausgesprochenen 
Hypothese, sowie ein Moment, das die Frage der Lösung um einen Schritt näher 
bringt, dürfte wohl in meinem Hinweis auf eine ganz andere Praxitelische Gestalt 
als die von dem eben erwähnten Gelehrten vorgeschlagene liegen. 

Über das Klassische in dieser Davidstatue Donatellos dürfte es unter den Kunst- 
forschern nur eine Stimme geben. „Kein Werk des Quattrocento atmet eine so 
reine hellenische Stimmung“, sagt ein Donatelloforscher, „keine Renaissancestatue 
erinnert so an die Blütezeit der griechischen Kunst“, ruft ein anderer aus. Es wäre 
da doch wahrlich eigentümlich, wenn der Ursprung des Kunstwerkes nicht im Kausal- 
zusammenhang mit der antiken Kunst stände, ja sogar mit einem bestimmten antiken 
Kunstwerke. 

Es muß ohne weiteres zugegeben werden, daß die Statue eine etwas sonderbare 
Darstellung des biblischen Hirtenknaben ist (vgl. Fig. 1). Vollkommen nackend 
steht er da, sich auf das rechte Bein stützend, das linke Knie gebeugt und etwas 
erhöht, da der Fuß auf dem abgehauenen Haupte des Riesen Goliath ruht. Er 
trägt nur einen laubverzierten Helmhut sowie Beinschienen und hält in der abwärts 
gerichteten Rechten ein kräftiges Schlachtschwert. Die linke Hand stemmt er in 
die Seite, während die entsprechende rechte Seite über dem Stützbein die Praxi- 
telische Hüftlinie zeigt, obschon nicht so harmonisch und weich ausgebildet wie an 
den antiken Vorbildern. Dächte man sich eine Stütze unter dem linken Arme, 
einen Baumstamm oder einen Pfeiler, wie bei so manchen Schöpfungen des Praxi- 
teles oder seines Nachfolgers, so würde das Ausladen der rechten Hüfte noch besser 
motiviert. Das lockenumwalite Haupt ist gesenkt und der Blick auf den Boden ge- 
richtet. Die Formengebung ist so knapp wie möglich. 

Wäre die Figur direkt nach der Natur studiert, so würde die Muskulatur sicher- 
lich mehr detailliert angedeutet worden sein, ebenso wie der ganze Charakter rea- 
listisch unmittelbarer gewirkt haben würde. Aber nun ist es im wesentlichen die 
Natur, gesehen mit den Augen der Antike, die wir vor uns haben, und das Gepräge 
der Statue ist daher in allem antiker geworden als wir eigentlich hätten erwarten 
können von Donatellos gewöhnlichem, scharf formulierten, naturalistischem Stil, ja 
das Werk ist sogar so ausgefallen, daß man von seinem „rein hellenischen Geiste“ 
hat reden können. Antike Züge und u. a. die Formgebung der Hüften und der 
Brust, die Wiedergabe des deutlich markierten unteren Brustkorbrandes, der durch- 
schnitten wird von der vom Nabel herab verlaufenden vertikalen Linie. Auch der 
Antlitztypus weist einen mehr allgemein klassischen als einen individuell charakteri- 


(1) O. Siren, Studier i florentinsk renässansskulptur. Stockholm, 1909. 


304 


stischen Grundzug auf. Auch drückt dieser David keineswegs irgendwelchen Sieges- 
jubel aus, nicht einmal ein frohes, keck auf die eigene Kraft vertrauendes Selbst- 
bewußtsein. Man muß ihn in dieser Beziehung vergleichen mit Verrochios elasti- 
schem, lebensprühendem David, der ja einen weit besseren Ausdruck der Idee an 
und für sich gibt. | 

Donatellos Hirtenknabe scheint da zu sehr versunken in wehmiitige Träume, 
seiner selbst und der heroischen Tat vergessend, unberührt von enthusiastischem 
Jubel über den gewonnenen Sieg. 

Aber der Künstler hat deutlich weniger an den gewählten Vorwurf als an die 
Darstellung einer schönen, jugendlichen, nackten Gestalt gedacht. Unerfahren in dieser 
schweren Aufgabe hat er in der Schatzkammer der klassischen Kunst eine Leitung 
gesucht und gefunden. Darin liegt sicherlich die Erklärung des Befremdenden und 
Rätselvollen in dieser Statue des Goliathsiegers. Aber wo in der Skulptur der Antike 
fand Donatello sein Vorbild? — Hierüber äußert sich Professor Siren folgender- 
maßen: „Ist es nicht der Antinous der antiken Kunst, der in dieser träumenden, 
niederwärts blickenden Gestalt erscheint? Ist nicht dieser trauergebannte Schimmer, 
der über dem harmonisch schönen Angesichte des jungen David ruht, eine Anleihe 
von einer von dessen klassischen Statuen, die mit Recht oder Unrecht benannt 
sind nach jenem Jünglinge, nach der allgemeinen Auffassung immer noch dasteht, 
»mit dem Blick starrend in die Flut der Zeit«“? 

Er weist dann auf den bekannten „Antinous di Belvedere“ im Vatikan hin und 
läßt sich durch diesen, der ja kein Antinous ist, zu der Hypothese verführen, daß 
die gesuchte für Donatello vorbildliche Statue ein Hermes aus dem Kreise des 
Praxiteles sei (vgl. Fig. 2). Für noch näher verwandt mit Donatellos David als den 
eben erwähnten „Vatikanischen Hermes“ hält er ein Exemplar im Palazzo Vecchio 
zu Florenz, das in den Augen moderner Archäologen weit besser der Vorstellung 
von dem ursprünglichen griechischen Originale entsprechen würde. Diese Figur 
hat indessen ein nicht zu ihr gehöriges Haupt, das von einem älteren Hermes- 
typ mit Flügelchen herstammt und ist fernerhin mehr beschädigt als die vatikanische 
Entsprechung. Außerdem besitzt sie eine bedeutend knappere, trockenere, aber 
auch nachlässigere, handwerksmäßigere Formengebung als jene. Beide Statuen be- 
fanden sich anfangs in Rom, die vatikanische ungefähr von den zwanziger Jahren 
des 16. Jahrhunderts an, da sie entdeckt wurde, die des Palazzo Vecchio von un- 
bestimmtem Zeitpunkte an bis zum Jahre 1787, da sie nach Florenz übergeführt 
wurde. 

Hier muß doch eingeschaltet werden, daß es auch noch andere Analogien gibt, 
so 2. B. die ganz kraftvoll durchgebildete Hermesstatue in der Sammlung Lands- 
downe zu London, sowie ein ähnlicher Hermes im British Museum. 

Nach Sirén wäre es nicht unmöglich, daß das florentinische Exemplar Donatello 
inspiriert hätte. Vorsichtig genug fügt er jedoch hinzu, daß, wenn es nicht dieses 
sei, es jedenfalls „irgendeine andere antike Statue sei, die derselben typologischen 
Gruppe wie dieser Hermes angehört habe“. 

Ganz sicher dürfen wir aber gleichwohl das Kunstwerk, dessen Anregungskraft 
wir den David verdanken, nicht in irgendeiner Hermesgruppe Praxitelischen Cha- 
rakters suchen. Erweitert man hingegen die Gruppe, so daß sie alle nackten 
männlichen Figurentypen der Praxitelischen Nachklangsphäre umfassen, so könnte 
man mit der Möglichkeit rechnen, das Richtige zu treffen. Zugegeben, daß verschie- 
dene Motive haben hineinspielen können, so liegt klar zu Tage, daß die David- 
statue in all ihrer „hellenischen Schönheit“ die Erinnerung an einen im Altertum 


305 


besonders geliebten Figurentyp wecken muß. Die erste Voraussetzung ist dann, 
daß dieser eine männliche Gestalt im selben Lebensalter wie Donatellos Hirten- 
knabe wiedergibt. Ein Praxitelischer Hermes, so wie der vorgeschlagene, ist schon 
deshalb nicht gut denkbar, weil wir in ihm einen vollerwachsenen, vollentwickelten 
Jüngling vor uns sehen. Bedeutend näher steht uns da natürlich Eros, der Liebes- 
gott, wie er unter Praxiteles Meißel Gestalt gewann und in zahlreichen Exemplaren 
und Varianten in die Freiskulptur und Reliefbildnerei der hellenisch-römischen Kunst 
hinauswanderte. 

Die berühmtesten Erosbilder des Praxiteles waren seine Eros in Thespiä und 
Eros in Parion. Wir wissen nun freilich ganz genau nicht, wie diese Statuen aus- 
gesehen haben, aber der erstere von Phryne an die böotische Stadt geschenkte 
Eros geht wahrscheinlich in einer großen Anzahl hellenistischer und römischer Nach- 
bildungen wieder unter, von denen die bekanntesten Exemplare dieses Typus im 
Vatikan und in Neapel sind. 

Der vatikanische Eros ist der sogenannte Eros von Centocelle oder „der 
Genius des Vatikans“ (vgl. Fig. 3), mit abgeschlagenen Beinen und Armen, aber 
mit dem schönen Lockenhaupte und einer Spur von Flügeln. 

Von wesentlich besserer, frischerer Arbeit ist der Eros von Neapel (vgl. Fig. 4), 
eine Statue, die Furtwängler ins erste Jahrhundert vor Christi Geburt setzt!). Auf 
dem von einer Draperie bedeckten Stamme findet sich noch ein Rest des Bogens, 
den der Eros in der Linken gehalten hat. Nach diesen Anhaltspunkten ist diese 
Partie restauriert worden. Auch der rechte Arm ist ganz und gar neu. Die Schwingen 
sind dagegen größtenteils antiken Ursprungs. Welch träumerisch-wehmütige Anmut 
umwebt nicht diese jugendliche Gestalt, die, das lockenumgebene Haupt gleichsam 
grübelnd gesenkt, dasteht! Die Formen sind bei der Neapeler Statue im allge- 
meinen elastisch, frisch wiedergegeben. Noch besser bewahrt ist indessen eine 
Kopie in Turin. Eros hält den Bogen in der linken Hand, dessen Spitze auf den 
Boden aufstützend. Dessen ungeachtet ist er teilweise an dem Baumstamme ausge- 
meißelt, an dem der Köcher hängt. Bei Furtwängler sind noch vier weitere Re- 
pliken in Körpergröße aufgenommen worden, nämlich die von Pawlosk in Rußland, 
sowie die im Thermen-Museum, im Palazzo dei Conservatori und in der Sammlung 
von Monteverde zu Rom. Hierzu muß vielleicht auch gestellt werden der sogen. 
Cupido con lira im Kapitolinischen Museum, ein Erosapollo von bedeutend kraft- 
vollerem, völligerem Körperbau. Statuetten trifft man an: im Vatikan, in Berlin, in 
Turin, in der Neuen Carlsberger Glyptothek zu Kopenhagen; an letztgenanntem 
Orte jedoch lediglich einen Torso. 

Die vatikanische Statuette hält in der Rechten eine Fackel, die er auf einen 
kleinen Altar senkt. Auch der Eros im Konservatorenpalaste hat in derselben Hand 
Reste einer Fackel. 

Diesen beiden Figuren fehlen indessen die Flügel. Sie sind von besonderem 
Werte dadurch, daß sie einen deutlichen Fingerzeig geben, wie das Motiv während 
der römischen Zeit umgebildet worden ist. Diese späteren Erosfiguren haben näm- 
lich Todesgenien vorgestellt. In dieser Bedeutung nun ist der Typ in verschiedener 
Weise aufgenommen und umgestaltet worden, wie Statuen in den Uffizien, in 
Oxford und in Ny Carlsberg (Kopenhagen) usw. an die Hand geben, Statuen also, 
die den Genius darstellen, sich auf eine nach unten gewandte Fackel stützend. 


(1) A. Furtwängler, „Meisterwerke der griechischen Plastik“. Berlin, 1893. Über den Eros des 
Praxiteles vgl. hier S. 539— 546. 


306 


Die Exemplare, die mehr rein den Typus wiedergeben, sind dagegen wirkliche 
Erosfiguren, obwohl die Möglichkeit nicht ausgeschlossen erscheint, daß sie in ge- 
wissen Fällen als Grabschmuck gedient haben können. Die Rechte war entweder 
leer, wie bei dem Turiner Exemplar, oder hat vielleicht einen Zweig gehalten. 

Praxiteles’ „Eros von Thespiä“ entstand in der Jugendzeit des Künstlers, während 
sich noch ein Nachklang Polykletischer Kunstauffassung in seinen Werken fühlbar 
macht. Seine am meisten an Polyklet erinnernde Statue ist, wie bekannt, „Der 
einschenkende Satyr“ von dem sich eine getreue Kopie in Dresden befindet. So- 
wohl in der Beinstellung wie in der Körperbildung hat der Praxitelische Eros etwas, 
was uns an gewisse dem argivischen Meister zugeschriebene Jünglingsstatuen ge- 
mahnt. So mag z. B. besonders hingewiesen sein auf eine der Polykletischen 
Knabenstatuen, die sich in Dresden befinden (vgl. Fig. 5). 

Zeitlich auf den thespischen Eros folgte der Eros von Parion am Schwarzen 
Meere. Der sogenannte Eros Borghese im Louvre, eine übel restaurierte Statue 
von weicher, fast weiblicher Körperbildung, soll eine wenn auch nur entfernte Vor- 
stellung von dem Praxitelischen Originale in Parion geben. Römische Münzen von 
dieser Statue, besonders einige Antoninische, lassen dieses freilich nicht unwahr- 
scheinlich erscheinen, aber weisen mit weit größerem Effekt auf eine im National- 
museum zu Sofia befindliche Statue hin, auf den Eros von Nicopolis ad Istrum 
(vgl. Fig. 6 und 7), die ursprünglich den Liebesgott wiedergab, wie er den linken 
Arm gegen einen Pfeiler lehnt, auf dem rechten Beine stehend. Es handelt sich 
also um eine gewöhnliche Praxitelische Stützstellung! Der Pfeiler mit der zuge- 
hörigen Basis ist fortgenommen worden. Der rechte Arm, der unvollständig ist, 
weist abwärts. Der Kopf ist nicht gefunden worden. Die Statue ist von römischer 
Extraktion. Ihre Übereinstimmung mit Münzbildern von Parion ist indessen von 
größtem Interesse. Es mag noch bemerkt werden, daß eine antike Gemme, die 
von Furtwängler in die Mitte des vierten Jahrhunderts gesetzt wird, fast genau die- 
selbe Figur aufweist*). 

Es kommt mir nun ganz und gar nicht unwahrscheinlich vor, daß Donatello auf 
eine in der Antike alltägliche Darstellung des Erosmotives gestoßen und dadurch 
zu seiner Schöpfung angeregt worden ist. Schon die Anzahl der Erosbilder dürfte 
erklecklich die der Hermesstatuen von dem Typus, den der „Vatikanische Hermes“ 
repräsentiert, überschreiten, einem Typus übrigens, den Furtwängler dem Praxiteles 
selbst nicht zulegen will, sondern dessen Söhnen, wie nahe er auch dem berühmten 
„Hermes von Olympia“ stehen mag. Wir kennen fernerhin Donatellos lebhafte 
Bewunderung für die kleinen Eroten und Putten der Antike wie für den schelmi- 
schen Gott Amor selbst — wir erinnern uns an seinen „Amor“ im Bargello, in 
Berlin usw., an die Puttenstatuetten im Baptisterium von Siena, an das Verkündi- 
gungstabernakel in St. Croce, an die Gesangslettner im Dome zu Florenz usw. — 
sollte dieses demnach nicht auch dafür sprechen können, daß seine Blicke auch auf 
den ernsten „dämonischen“ Eros gefallen sind? — Man wäre auch versucht zu fragen, 
ob nicht die auf Goliaths Helm abgebildete antike Kamee mit Amor und Psyche auf 
einem von Eroten gezogenen Wagen gleichsam ein Fingerzeig des Künstlers sei! 

Aber eine unmittelbare Vergleichung der verschiedenen Gestalten stützt meine 
Vermutung mit guten Gründen. Zuvörderst ist, wie schon angedeutet, der Eros 
vom selben Lebensalter wie Donatellos David. Zwischen der letztgenannten ziem- 


(1) B. Filow, Die Erosstatue aus Nicopolis ad Istrum. Jahrb. d. Kaiserl. d. Instituts, Bd. XXIV (1909), 
8. 60—73. 


307 


lich zarten, unentwickelten Knabengestalt und dem vollerwachsenen Hermesjüngling 
besteht unleugbar ein wesentlicher Unterschied. Sind wir uns schon darüber einig, 
daß wir zweifellos das Vorbild im Praxitelischen Kunstkreise und in dessen weit- 
aushallender Nachklangsphäre zu suchen haben, so scheint kein Typ mehr zu einer 
Zusammenstellung einzuladen, als die Nachbildungen des Eros von Thespiä und 
dessen Variante, der Eros von Parion!). 

Nun ist freilich an den genannten Statuen in Neapel, im Vatikan, in Turin usw. 
im Vergleiche mit Donatellos David rechterhand und linkerhand vertauscht und die 
Armstellung ist ebenfalls nicht dieselbe, aber es ist keine sklavische Nachahmung 
der Antike, mit der wir es bei diesem David zu tun haben, sondern eine freie 
Nachbildung. Um z. B. den „Eros von Neapel“ auch, was rechts und links 
betrifft, mit der Donatellischen Bronzefigur übereinstimmen zu lassen, braucht man 
sie sich ja nur als Spiegelbild zu denken, Die Erosstatue in Sofia legt in dieser 
Hinsicht eine größere Übereinstimmung zutage. Des Bronze -Davids Armstellung 
hat außerdem ihr Vorbild in älteren Statuen des Donatello, z. B. in seinem Marmor- 
David im Bargello, der etwa aus den Jahren 1410 — 1412 stammt. An antiken 
Figuren, die ihre Hand in die Seite stemmen, herrscht übrigens auch kein Mangel. 

Die Körperhaltung bei Hermes — besonders beim Florentinischen Exemplar — 
ist gerader und fester als bei unsrer Davidstatue, die sich dem ganzen Habitus 
nach dem Eros mehr nähert. Trotz der in die Seite gestemmten linken Hand 
liegt etwas ganz anderes als Aufrechtes, Stolzes und Selbstbewußtes in Jung-Davids 
Stellung. Sie ist mehr bequem, macht mehr den Eindruck einer sinnenden, träu- 
menden Stimmung — ganz wie es beim Eros der Fall ist. Der Linienrhythmus 
bei diesen beiden Figuren ist daher sehr verwandt. Die Beinstellung ist fast iden- 
tisch. Bei beiden ist das ruhende Bein mehr nach der Seite gesetzt und ganz un- 
bedeutend belastet. Der Winkel zwischen den Unterschenkeln ist daher etwas 
größer als bei dem Hermestypus. Bei dem David liegt das Knie des linken Beines 
höher als das Knie des anderen, da er seinen Fuß ja auf das Haupt des Philistäers 
gesetzt hat. Man hätte doch erwarten sollen, daß der Unterschied größer ausge- 
fallen wäre. Die geschwungene Hüftlinie stößt etwas schwer auf den Thorax; hier 
hätte man eine feinere, mehr harmonische Ausgleichung gewünscht. An dieser 
Stelle ist der Hüftmuskel des neapolitanischen Eros allzu kräftig ausgebildet, aber 
bei römischen Kopien ist dieses ja eine gewöhnliche Übertreibung. Im übrigen ist 
die Formenbehandlung bei den beiden Analogien, wie dem Torso im Thermen- 
museum und dem „Eros in Turin“, in naher Übereinstimmung mit dem was wir 
bei dem Praxitelischen Originale in dieser Hinsicht voraussetzen müssen, ja der 
„Eros von Centocelle“ zeigt eine Härte und Knappheit, die ungesucht unsre Ge- 
danken zu den älteren dahinterstehenden Knabenfiguren des Polyklet, die vermutlich 
Praxiteles zu seinen Jünglingsgestalten einmal inspirierten, leitet. 

Dieselbe stramme, etwas trockene Formengebung zeichnet nun ebenfalls Dona- 
tellos Aktstudie aus, ein Umstand, der uns zu der Annahme berechtigt, daß des 
Meisters Vorbild eine Statue oder eine Statuette war, die in der Behandlung des 
Nackten dem Originale nicht allzu ferne stand. An ein Marmorrelief oder eine Gemme 
oder eine Kamee könnte man auch denken — in der Tat haben wir ja auch eine 
ähnliche Erosfigur auf einer Gemme — aber diese hätten dem Künstler doch wohl 
nicht eine solch ausführliche Direktive gewähren können. In seinen Medaillons 


(1) Irgendeine Hindeutung auf dieses Verhältnis habe ich bei den Donatelloforschern nicht gefunden, 
wie antik sie auch die Statue gefunden haben. (Vgl. die einschlägigen Arbeiten von W. Bode, 
A. G. Meyer, F. Schottmüller, A. Schmarsow u. a.) 


308 


auf dem Hofe des Palazzo Riccardi, die sich nahe an antike Kameen in Cosimo 
Medicis Sammlung anschließen, gibt es Aktfiguren, aber von sehr flüchtiger Behand- 
lung. Zudem sind sie etwa 20 Jahre jünger als unser David. Sowohl von des 
großen argivischen sowie von des großen attischen Bildhauers Werke sollten wir 
also in der Bronze des Florentinischen Renaissancekünstlers einen — wenn auch 
entfernten — Widerklang finden. 

Das herabgebeugte Haupt schließlich, umrahmt von reichem Lockenschmuck, 
kehrt ebenso wieder in beiden Statuen wie der träumerische, abwesende Ausdruck 
des Antlitzes. Das Haupt ist nach der Seite des ruhenden Beines geneigt. In den 
Polykletischen Mustertypen ist der Kopf nach der Seite des Stützbeines gerichtet. 
Aber schon bei Skopas tritt, wie bekannt, hierin eine Variation ein. Im ersten Falle 
bemerken wir, daß dies Motiv zur ruhigen geschlossenen Wirkung, während wie- 
derum das nach der entgegengesetzten Seite gewendete Haupt gleichsam den Ein- 
druck seelischer Bewegung bei der dargestellten Figur verstärkt. Ist dieses aber 
der Fall, so darf es uns nicht weiter in Staunen setzen, daß wir den letzterwähnten 
Zug bei dem „dämonischen Eros“ finden. | 

Bei ihm sowohl wie bei David bedecken die Locken die Ohren und fallen, sich 
ringelnd, auf die Schultern herab. Bei Eros liegt ein Haarknoten auf der Stirn. 
Bei David wird der Scheitel bedeckt durch den laubumwundenen Helmhut. Die 
Behandlung des Haares ist indessen wesentlich verschieden. Eros hat im Geiste 
des fünften Jahrhunderts stilisierte Locken, während bei David der Charakter des 
Materiales und Donatellos Naturstudium ein ganz anderes Ergebnis liefern. 

Die Gesichtsbildung erinnert an die Formensprache der Antike, ohne daß man 
behaupten kann, daß das „griechische Profil“ sich mehr ausgeprägt merkbar mache. 
Es gibt indessen viele Antiken idealen Charakters, bei denen dieses nur in geringem 
Maße der Fall ist. Aber die Stimmung, der Geist über Jung - Davids schönem 
Lockenkopfe wirken auf uns antik, fast praxitelisch. Die träumerische Stimmung, 
die gerade für Praxiteles Gestalten so bezeichnend ist, dieses Lauschen auf ferne 
Stimmen, innere Melodien, das sich beim „Hermes von Olympia“, bei „Praxiteles’ 
Satyr“, bei seinem „Eros“ offenbart, kehrt auch wieder bei ihm, dem für eine 
scharfe naturalistische Charakteristik, für das leidenschaftlich Erregte, das Momen- 
tane, das dramatisch Verknüpfte sonst so hingegeben interessierten Donatello. Je- 
doch ist es hauptsächlich nur beim Bronze-David, daß die Praxitelische Note klarer 
und deutlicher vernehmbar anklingt, so oft auch der Künstler, wie in so vielen 
seiner Werke, bewußt oder unbewußt, auf die ehrfürchtig bewunderten antiken 
Muster zurückgegriffen hat. 

Trotz der Attribute — Goliaths Haupt, der todbringende Stein, die Beinschienen, 
der Helm, das Schwert —, die hier den jungen biblischen Helden charakterisieren 
sollen, schimmert hier doch allzuleicht unter der schützenden Verkleidung der Eros 
der Euripideischen Poesie und der Praxitelischen Bildkunst hervor, der wegen 
seiner Zaubermacht gefürchtete unwiderstehliche junge heidnische Gott der zeugen- 
den Kraft. Über seiner neuen Rolle und ihr fremd steht er wie zuvor versunken 
in weiche lyrische Träume, fernab vom blutigen Ernste des Jetzt. 

Was nun endlich die umstrittene Frage der Entstehungszeit des Eros-David be- 
trifft, so scheint mir wenig wahrscheinlich, daß diese vor Donatellos römische 
Reise (1432—1433) zu setzen ist. Wenn er freilich auch in Florenz zuvor Antiken 
gesehen und studiert hat, dürfte sich ihm jedoch erst in Rom das eigentliche 
Wesen der klassischen Kunst und ihre wirkliche Schönheit offenbart haben. Es 
wird erzählt, daß er in Gesellschaft mit seinem Freunde Brunelleschi diese Reise 


309 


unternahm und daß die Leute in Rom scheel auf die beiden Florentiner blickten 
und sie für Schatzgräber hielten, wenn sie draußen vor den Toren der ewigen 
Stadt nach antiken Skulpturen und Architekturfragmenten gruben. Vielleicht war 
es bei Gelegenheit einer dieser archäologischen Grabungen, daß der herrlichste 
Eros der antiken Kunst sich vor den staunenden Augen der entzückten Freunde 
offenbarte und den einen von ihnen zu einem klassischen Werke inspirierte, einer 
der schönsten Gestalten der Renaissance von hellenischem Adel. Aber vielleicht 
war es auch unter weniger poesievollen Umständen, in der neuerworbenen Samm- 
lung eines Bewunderers der Antike, wo dem Künstler die Eingebung kam. 


310 


TEIGDRUCK UND METALLSCHNITT :: 


Mit drei Abbildungen auf einer Tafel Von MAX GEISBERG 
s mag vielleicht überflüssig scheinen, wenn eine Untersuchung der Teigdrucke 
mit Definitionen der im folgenden verwendeten Bezeichnungen der Inkunabeltech- 

niken beginnt, aber ich kann nicht annehmen, daß alle die hier in Betracht kom- 

menden verwickelten Dinge den Nichtfachleuten geläufig sein werden. Auch dürften 
auf diese Weise wohl Mißverständnisse am sichersten vermieden werden. 

Das 15. Jahrhundert besitzt bekanntlich von den graphischen Vervielfältigungsver- 
fahren den Kupferstich und den Formschnitt. Der erstere ist eine Tiefdrucktechnik: 
mit dem Stichel oder der Kaltnadel wird eine Furche in die Abdruckfläche der 
Kupferplatte gegraben bzw. gezogen; die Druckerschwärze wird in diese Furchen 
hineingerieben und beim Abziehen von dem angefeuchteten Papier durch das scharfe 
Aufpressen auf die Platte wieder herausgeholt; die Ätzung oder Radierung, welch 
letztere Bezeichnung nicht selten auch von der Kaltnadelarbeit gebraucht wird, ist 
dem 15. Jahrhundert noch unbekannt. Alle diese Tiefdruckverfahren kommen hier 
nicht in Betracht. Im Gegensatze zu ihnen ist der Formschnitt eine Hochdruck- 
technik, bei der nicht die Linie vertieft, sondern der Raum zwischen ihnen wegge- 
nommen wird; diejenigen Linien und Flächen, die auf dem Papierabzug die Dar- 
stellung wiedergeben sollen, sind also stehengelassene Teile der ursprünglichen 
Oberfläche der (Holz- oder Metall-)Platte!). Beim Abdruck werden diese über den 
ausgehobenen Grund erhabenen Linien und Flächen mit Druckfarbe bedeckt und 
mit dem aufgelegten Papier in Berührung gebracht, so daß hier die unveränderte 
Oberfläche der Platte einen schwarzen, bei dem Kupferstich einen weißen Abdruck 
gibt. Auch die Benennung „Reliefschnitt“ wird häufig, namentlich in England, sy- 
nonym mit Formschnitt gebraucht, weil bei einem Hochdruckverfahren die Ober- 
fläche der bearbeiteten Platte eine Art Relief zeigt, insofern sich die den Linien 
auf dem Abdruck entsprechenden Stege über den vertieften Grund erheben. Immer- 
hin trifft der Vergleich nur teilweise zu, und ich ziehe die Bezeichnung Formschnitt 
vor, weil die Benennung Reliefschnitt vielleicht die irrige Vorstellung erwecken 
könnte, die Oberfläche der Platte zeige ein wirkliches Relief wie z. B. der Präg- 
stempel einer Münze. Der Formschnitt umfaßt Holzschnitt und Metallschnitt. Über 
den ersteren werden kaum Irrtümer zu befürchten sein, seitdem man von der 
früheren Neigung, auch hierunter manche Metallschnitte zu wittern, abgekommen 
ist?). Aber schon das Wort Metallschnitt läßt verschiedene Deutungen zu. Im 
engsten Sinne pflegt man damit, wie oben, jenes Verfahren zu bezeichnen, das sich 
technisch nur durch das Material, das Metall, vom Holzschnitt unterscheidet, wobei 
man etwa an die kleinen Metallschnitte Holbeins d. J. denken mag. Im weitesten 
Sinne kann man alle frühen Reproduktionstechniken darunter verstehen, bei denen 
Metallplatten statt Holzstöcke verwendet wurden, so daß z. B. auch Schrotschnitte, 
die leicht an den durch Punzenschläge in die Platte entstandenen weißen Punkten, 
Kreisen oder Zierfigürchen zu erkennen sind, in diesem Sinne als Metalischnitte zu 
bezeichnen wären. Drittens können aber unter Metalischnitten auch jene Inkunabel- 
schnitte verstanden sein, die sich auf den ersten Blick dadurch von den Schrot- 
schnitten unterscheiden, daß bei ihnen nur der Stichel, nicht aber die Punze, An- 


(1) Besonders klar entwickelt bei C. Dodgson, Catalogue of early german and flemish woodcuts... in 
the British Museum, Vol. I, p. зЁ. 
(2) Vgl. Dodgson, а. а. O., p. 29f. 


311 


wendung gefunden hat, und in diesem Sinne soll das Wort im folgenden gebraucht 
werden. Die beiden nah verwandten Techniken, Schrot- und Metallschnitt, deren 
Erzeugnisse nicht immer scharf zu trennen sind, haben gegenüber dem Holzschnitte 
das eine feinere Bearbeitung zulassende Material, Kupfer statt Langholz, und auch 
ein feineres Instrument, den Stichel statt des Schneidemessers, voraus, unterscheiden 
sich aber auch sonst prinzipiell vom Holzschnitt. Beides sind Weißlinientechniken, 
wie Koehler!) sie getauft hat. Während bei dem (alten) Holzschnitt von der ur- 
sprünglichen Oberfläche des Stockes nichts stehen bleibt wie die schmalen Stege, 
die im Abdruck die Linien der Darstellung ergeben sollen, und der Raum dazwischen 
ausgehoben wird, bleibt bei Schrot- und Metallschnitt die Oberfläche der Platte im 
wesentlichen erhalten, die Linien sind es, die ausgehoben werden?) und, entspre- 
chend der Einschwärzung der Platte als Hochdruck, auf dem Abdruck weiß wirken. 
Die stehenbleibenden Flächen können durch Kreuzlagen vermittels des Stichels und 
durch Musterung vermittels der Punzen belebt werden, und in dieser Modellierung 
der dargestellten Figuren durch Flächen statt durch Linien nehmen beide Techniken 
schon damals das im modernen Holzschnitt durchgeführte Prinzip vorweg. Bei be- 
stimmten Einzelheiten, wie z. B. bei der Innenzeichnung des Gesichtes, kommen 
auch hier dem Holzschnitt entsprechende (Schwarzlinien-)Stege vor, wodurch aber 
ihr Gesamtcharakter als Weißstich®) nicht beeinflußt wird. 

Die Literatur über die Teigdrucke, die uns hier des nähern beschäftigen sollen, 
ist noch sehr klein. Schreiber, der uns im dritten Bande des Manuel ein genaues 
Verzeichnis des erhaltenen Materials gegeben, hat sich über die allgemeinen damit 
zusammenhängenden Fragen einstweilen noch nicht ausgesprochen. Statt seiner 
hat unlängst Oberbibliothekar Dr. Leidinger, dem wir schon manch wichtigen 
Fund und einige sorgfältige Veröffentlichungen“) von Inkunabeldrucken der Mün- 
chener Hof- und Staatsbibliothek zu danken haben, die Teigdrucke zum Gegenstande 
seiner Forschungen gemacht’). Seine scharfe Beobachtungsgabe und gewissenhafte 
Arbeitsweise haben ihn zu Ergebnissen geführt, die alles überholen, was bisher 
über diese, große Ansprüche an die Augen stellenden Bildchen geschrieben war. 

Die Untersuchung der Teigdrucke®) hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. 
Man darf sie als die seltensten Vervielfältigungen bezeichnen. Nach Leidingers Zu- 
sammenstellung sind von den тоо Teigdrucken, die Schreiber aufzählt, nicht weni- 
ger wie 96 Unika; von je zweien sind je zwei Exemplare bekannt, ja, Leidinger 


(х) White-Line engraving for relief-printing in the fifteenth and sixteenth centuries. (Report of the 
National Museum in Washington 1890, p. 385ff.) 

(2) Auch bei dem Kupferstich werden in gewissem Sinne die Linien ausgehoben, aber die Platte wird 
als Tiefdruck eingeschwärzt. 

(3) Vereinzelte Weißschnitte aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts übertragen dasselbe Prinzip auf 
die Holzplatte, z. B. Schreiber Nr. 2869, 2875, 2876. 

(4) Einzelholzschnitte des 15. Jahrhunderts in der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek München, I und II; 
die Einzelmetallschnitte (Schrotblätter) in der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek München. Straßburg, 
Heitz, o. J. 

(5) Die Teigdrucke des 15. Jahrhunderts in der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek München, von H. Lei- 
dinger. München, G. Callwey o. J. (1908). 

(6) Passavant unterscheidet irrtiimlich noch zwei Abarten des Teigdruckes, den Samtdruck, dessen Tech- 
nik Leidinger im Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst, U. Halbjahrsband 1907, S. 24 ff. untersucht 
hat, und „l’empreinte à guise de broderie“, womit jene Holzschnitte gemeint sind, bei denen einzelne 
Teile der Darstellung durch eine sandige, mit Goldflittern durchsetzte, nachträglich aufgetragene Kruste 
nach der Auffassung jener Zeit verziert sind. Beide Abarten haben mit den eigentlichen Teigdrucken 
nichts zu tun. 


312 


hat sogar, eine einzig dastehende Ausnahme, einen Teigdruck in drei Exemplaren 
nachweisen können. Nur neun Öffentliche Sammlungen besitzen mehr als zwei 
Exemplare; unter ihnen kommt das Dresdener Kabinett mit acht Blättern schon an 
vierter Stelle. Außer dieser beispiellosen Seltenheit ist es noch der Erhaltungszu- 
stand der Bildchen, der die Untersuchung über das Wesen und die Technik des 
Teigdruckes so erschwert. Eine Anzahl von ihnen läßt den dargestellten Gegen- 
stand überhaupt nicht mehr erkennen, bei manchen andern schimmert nur eine 
Figur, ein Baum, ein Dach oder anderes, undeutlich hervor. Es ist ein seltener 
Gliicksfall, wenn eine Ecke noch gut erhalten ist, ganz intakt ist meines Wissens 
kein einziges auf uns gekommen und selbst die relativ nicht schlecht erhaltenen 
geben von ihrer ursprünglichen Schönheit keinen Begriff mehr. Denn etwas schönes 
und ausgezeichnetes in ihrer Art müssen die heute so unansehnlichen Blätter 
dennoch gewesen sein. Nach unseren heutigen Kenntnissen fällt ihre Blütezeit 
etwa in das letzte Drittel des 15. Jahrhunderts; sie sind demnach mit den technisch 
sehr hochstehenden Stichen des Meisters E. S., den idealen Wunderwerken Schon- 
gauers und den reizvollen Kaltnadelarbeiten des Hausbuchmeisters zusammen auf 
den Markt gekommen. Auf einem Teigdruck der Münchener Bibliothek!) steht von 
gleichzeitiger Hand geschrieben: „Ad 15. Decemb. anno (14)87 kaufft pro 10 k(reuzer) ; 
bezieht sich diese Annahme, wie ich im Gegensatze zu Leidinger für wahrschein- 
lich halte, auf den Teigdruck und nicht auf den ganzen Band, so wäre sogar der 
Preis dieser zerbrechlichen Zierbildchen ein recht beträchtlicher gewesen. Wie 
hätten nun diese kostspieligen Blättchen es wagen können, die Konkurrenz mit den 
zeitgenössischen Stichen und Holzschnitten aufzunehmen, wenn sie nicht in irgend- 
einer Richtung etwas vor jenen vorausgehabt hätten? 

Für die Frage ihrer Herstellung, die zunächst erörtert werden soll, bedeutet Lei- 
dingers Beobachtung einen großen Fortschritt, daß der Teig nicht, wie Passavant 
noch annahm, zunächst auf die Platte aufgetragen und mit dieser auf das Papier 
gedruckt wurde, sondern daß die Platte in den vorher auf das Papier aufgetragenen 
Teig gepreßt worden ist. Das reiche Vergleichsmaterial der Münchener Hofbiblio- 
thek ließ ihn ferner erkennen, daß bei einem Teil der Teigdrucke und zwar bei 
den älteren, besser erhaltenen, zunächst das Papier mit einer Leimschicht in der 
Größe der Darstellung bestrichen worden ist, die ein festeres Haftenbleiben des 
Teiges bewirken sollte und auch tatsächlich bewirkt hat. Diese Leimunterlage, die 
ohne Zweifel noch obendrein nachgedunkelt sein wird, gibt den Teigdrucken, bei 
denen sie durch das Abbröckeln des Teiges wieder zutage getreten ist, jenen 
charakteristischen, fuchsigbraunen Gesamtton. Woraus der Teig selbst besteht, 
wird uns wohl stets verborgen bleiben. Leidinger hat gewiß recht, wenn er meint, 
eine chemische Untersuchung werde diese Frage leicht lösen, aber ich zweifle, ob 
je eine öffentliche oder private Sammlung sich finden wird, die von dem wenigen 
Teig, der noch auf den wertvollen Blättern haftet, eine genügend große Probe ins 
Laboratorium liefern möchte. Pfeiffer?), der sich m. E. allerdings auf einer falschen 
Fährte befindet, hat bei seinen Versuchen „sogenannten Schwarzbrotteig“ benutzt. 
Ich habe dazu Oblaten verwendet, die wenigstens das feinere Korn mit den alten 
Teigdrucken gemein zu haben scheinen, aber ich bin weit davon entfernt zu be- 
haupten, daß im 15. Jahrhundert Oblaten tatsächlich verwendet sind. Schließlich 
kommt es ja auf diese Feststellung weniger an als auf die Frage nach der Beschaf- 
fenheit der benutzten Platten. 


(1) Leidinger 8. 25, Nr. 23. 
(2) Einzelformschnitte des 15. Jahrhunderts in der Kgl. Bibliothek zu Bamberg, Straßburg, Heitz o. J. 


313 


Auch hier wird man Leidinger beipflichten müssen, der ebenso wie Passavant!) 
und Dodgson?) annimmt, es seien Metallplatten verwendet worden, und aus seiner 
Angabe, daß auch die Platten jener Unterabteilung der Metallschnitte, welche man 
Schrotschnitte nenne, zum Teigdruck benutzt seien, geht evident hervor, daß er das 
Wort Metallschnitt in genau demselben Sinn verstanden wissen will, wie wir es 
oben bestimmt haben. Er fährt dann wörtlich fort: „Ob Kupferstichplatten zu Teig- 
drucken verwendet worden sind, ist eine offene Frage.... Je tiefer die erhaben ge- 
schnittenen Teile der Metallplatte in den Teig eindrangen, um so dünner und hell- 
farbiger wurde dort an den Druckstellen die Teigschicht. Die gar nicht von der 
Bildfläche der Metallplatte berührte Oberfläche des Teiges ist meist ganz schwarz 
geworden.“ Hier gehen nun unsere Auffassungen auseinander. Zunächst ist eine 
Verwendung von Metalischnitt- (oder Schrotschnitt-)Platten, die doch für den Hoch- 
druck bestimmt sind, und von Kupferstichplatten, die dagegen zum Tiefdruck 
dienen, zur Erzielung der gleichen Wirkung von vornherein ausgeschlossen. Was 
eine als Hochdruck eingeschwärzte Kupferstichplatte für einen Abdruck liefert, 
wissen wir durch eine hl. Dorothea?) in Brüssel (Schreiber 2870); auch Dodgson 
wendet sich bereits gegen diese Annahme. Ebenso unzutreffend sind Leidingers 
angeführte Bemerkungen über die Metallschnittplatten selbst. Obwohl schon Dodgson 
Willshires ähnlichen Irrtum bekämpft, stellt auch Leidinger sich die Teigdruck- 
platten wie Holzschnittplatten vor, bei denen die erhabenen Stege, die von der ur- 
sprünglichen Oberfläche der Platte stehen gelassen sind, den Teig beiseite quetschen 
und so hellere Linien erzeugen sollen, in denen das Papier durchscheint, während 
die übrigen Teile des Teiges mit dem genügend tief ausgehobenen Grunde gar 
nicht in Berührung kommen würden‘). Tatsächlich bleibt aber doch beim Teig- 
drucke wie beim Metall- und Schrotschnitte die Oberfläche der Platte das Über- 
wiegende, Bestimmende und für den Abdruck Charakteristische. Was Leidinger zu 
jenem Irrtum geführt, läßt sich fast an jedem Teigdruck beobachten. Er nimmt 
augenscheinlich an, daß jene helleren Furchen, in denen auf den Teigdrucken heute 
der Leimgrund zutage tritt, durch das beabsichtigte tiefe Einpressen solcher hoher 
holzschnittartiger Stege hervorgerufen seien. Demgegenüber zeigen aber zahlreiche, 
noch teilweise intakt erhaltene Stellen auf manchen Blättern, daß ein Bloßlegen 
oder Durchscheinenlassen des Grundes keineswegs in der ursprünglichen Absicht 
lag. Diese guterhaltenen Stellen zeigen vielmehr schwarze, auf den Teig aufge- 
druckte Linien; bei den schlechterhaltenen hat der unter dem Drucke der Piatten- 
oberfläche, die hie und da auch eigentliche Linienstege bildet, zusammengedrückte 
Teig seinen Zusammenhalt mit der festeren Oberfläche verloren, und war die Teig- 
masse in sich nicht klebrig genug, sondern zu trocken, so wurde sie durch diesen 
scharfen Druck zu Pulver gemahlen, das früher oder später abfallen mußte. Das 
heutige Aussehen schlechterhaltener Teigdrucke ist also der ursprünglich beabsich- 
tigten Wirkung diametral entgegengesetzt, denn wie ein Negativ vertauscht es Hell 
und Dunkel und zeigt eine lichte Furche statt einer schwarzen Linie. Pfeiffer, der 
die Angaben Leidingers „durch praktische Versuche zu bestätigen und ergänzen 


(1) Peintre-Graveur I, p. 103. 

(2) Catalogue of early german and flemish woodcuts...in the British Museum I, London 1903, р. 204. 
(3) Documents iconographiques et typographiques de la Bibliothèque Royale de Belgique, Brissel 1877, 
Pl. 14a. 

(4) Ich vermag die angeführte Stelle nur so zu deuten, denn Randstreifen, um die der auf das Papier 
aufgetragene Teig größer wäre als die auf ihm abgedruckte Platte kommen m. W. in keinem Falle 
vor und werden darum nicht gemeint sein. 


314 


hoffte“, erzielte in der gleichen irrigen Annahme, es käme darauf an, in den Linien 
der Darstellung das Papier durchtreten zu lassen, naturgemäß nach seinen eigenen 
Worten mit Holzschnittplatten die besten Abdriicke. Man erkennt aus seinen An- 
weisungen, daß die von ihm hergestellten Neudrucke den heutigen schlechterhal- 
tenen Teigdrucken sehr ähnlich sehen werden, aber von den alten, wie sie ur- 
spriinglich aussahen und aussehen sollten, sind sie weit entfernt!). Überall dort, 
wo heute keine Druckschwärze mehr zu bemerken ist, möchte ich lieber ein Ab- 
fallen der damit bedruckten Teigfurchen annehmen, als ein Drucken mit leerer, 
nicht eingeschwärzter Platte, wie es Leidinger in einzelnen Fällen für wahrschein- 
lich hält. 

Der Gegensatz zwischen seiner Auffassung und der meinigen liegt aber keines- 
wegs nur darin, daß er die Linienstege*) bis auf den Papiergrund durchgepreßt, 
ich dagegen eingeschwärzt und auf den Teig abgedruckt haben will, sondern viel- 
mehr noch in unseren Ansichten über die Herstellung der Vertiefungen in der 
Plattenoberfläche und die künstlerischen Absichten des Teigdrucks. Alle dazu ver- 
wendeten Metallplatten sind mit dem Grabstichel in sehr energischer Weise ge- 
arbeitet. Aber durch die tiefen gekreuzten oder gleichgerichteten Taillen, die in 
erster Linie nur dazu dienen sollten, die für die Einschwärzung der Platte uner- 
reichbaren Tiefen zu schaffen, entstand dabei doch noch ein anderes, das ebenso- 
gut in der Absicht der Stecher lag, nämlich ein feines, flaches Hohlrelief, das man 
nur in Wachs oder einer anderen weichen Masse, wie es auch der Teig war, abzu- 
drucken brauchte, um einen Positivabdruck davon zu erhalten?). M. E. waren die Teig- 
drucke eigentliche Reliefdrucke, wie es z. B. die Darstellungen auf Münzen sind, also 
nicht nur in dem Sinne, wie man auch den Holzschnitt als Reliefschnitt bezeichnet. An 
den Teigdrucken selbst ist diese Eigentümlichkeit nicht leicht zu erkennen, weil in 
den damit geschmückten Gebetbüchern der Druck durch Metalischliessen und die 
Reibung der gegenüber befindlichen Pergamentblätter das ursprüngliche Relief ab- 
geschliffen und verquetscht haben. Daß die Teigdrucke Reliefdrucke seien, bemerkt 
schon Passavant‘), und er läßt über seine Vorstellung davon keinen Zweifel, wenn 
er hinzufügt, daß der Teig die Höhlungen der Platte ausgefüllt und daß die Dar- 
stellung (auf der Teigmasse) in Relief und dunkler Farbe herausgekommen sei. Auch 
Dodgsons von ihm selbst entkräftete Vermutung, die Teigdrucke seien vielleicht 
Probedrucke zu den Lederpressungen der Bucheinbände, beruht auf derselben 
Auffassung. Leidinger, der Dodgson gegenüber mit Recht den Selbstzweck 
der Teigdrucke betont, bezeichnet diese zweimal als Reliefschnitte, läßt aber seine 
Vorstellung im übrigen ungewiß. Während er einerseits sagt, bei der Herstellung 
der Teigdrucke müsse „die Absicht bestanden haben, nicht bloß durch die Linien 
der Zeichnung (die nach seiner Auffassung wie wir gesehen haben den Grund 
bloBlegen sollen) sondern auch durch die leisen Schatten des durch das Eindrücken 
der Platte in den Teig entstandenen Reliefs zu wirken“, ist anderseits seine oben 
angeführte Äußerung über „die nicht von der Bildfläche der Metallplatte berührten 
Oberfläche des Teiges“ damit schlechterdings nicht in Einklang zu bringen, denn 


(1) Es liegt mir fern, damit irgendeinen Vorwurf aussprechen zu wollen, da die beiden in Bamberg 
befindlichen, nicht guterhaltenen Teigdrucke den Irrtum nur zu begreiflich erscheinen lassen. 

(2) Ich behalte diese Bezeichnung der Kürze wegen bei, obwohl sie auf die Gestaltung der Platten- 
oberfläche, wie ich sie mir vorstelle, nur zum Teil zutrifft. 

(3) Dazu wird die Anwendung einer Presse, wie ich im Gegensatze zu Leidinger annehme, erforder- 
lich gewesen sein. 

(4) Peintre-Graveur I, p. 103. 


315 


beim eigentlichen Reliefdruck kommt natürlich jede Stelle des Teiges mit der Metall- 
platte, sei es nun mit deren Bildfläche oder dem Grunde ihrer Vertiefungen, in 
engste Berührung. | 

Beim Teigdruck verfolgt somit selbst die Art und Weise, wie das Vertiefen der 
Figuren in der Abdrucksfläche zu geschehen hat, eine künstlerische Absicht, weil 
jede Sticheltaille hier zum Abdruck kommt, während es z. B. beim Holzschnitt 
nicht im mindesten darauf ankommt, wie die Fläche des ausgehobenen Grundes 
nachher aussieht. Bei den Teigdruckplatten werden dagegen die Stichelführungen, 
welche die Vertiefungen schaffen, noch dazu ausgenutzt, die dargestellten Teile zu 
beleben, Stoffe zu mustern oder ähnlichen Zwecken zu dienen. Man kann z.B. 
an der (Abb. 3) abgebildeten Kupferplatte am Gewande des hl Johannes Stichel- 
einschläge noch an den am meisten vertieften Stellen beobachten, wohin Drucker- 
schwätze und Papier nie hätten vordringen können!). 

Die so lange verkannte künstlerische Absicht der Teigdruck geht aber nicht 
nur auf die Erzielung eines Reliefdruckes aus. Damit wäre nur die Hälfte ihres 
Wesens bezeichnet. Das eigentlich Charakteristische sehe ich vielmehr inder Verbindung 
von Hochdruck und Reliefdruck. Einmal sollen die mit dem Stichel vertieften 
Bilder auf dem Teigdruck als Flachrelief herauskommen, zweitens aber unterstützt 
die als Hochdruck eingeschwärzte Metallfläche diese Absicht, indem sie einen 
schwarzen Hintergrund schafft, von dem sich die Figuren um so besser abheben, 
und indem sie auch in die auf dem Abdruck am wenigsten erhabenen Stellen 
schwarze Linien oder Schraffen hineinsetzt und dadurch die Körperlichkeit der Dar- 
stellung um so mehr betont. 

Aber noch ein drittes kommt hinzu. Der Teig bietet nicht nur die damals dem 
Papier versagte Möglichkeit, die Figuren in Relief erscheinen zu lassen, er gestattet 
auch auf Gold zu drucken und hierin liegt der dritte, ebensowichtige und bisher 
nicht genügend hervorgehobene Faktor, der die alten Teigdrucke dem farbenfrohen 
Geschmack unserer Verfahren vielleicht mehr in die Augen stechen ließ als manches, 
rein künstlerisch unendlich viel höher stehende Schwarzweißblatt. Damals, als man 
nur das Blattgold kannte, wußte man mit einer Kupferstich- oder Holzschnittplatte 
noch nicht mit Gold zu drucken; bedienen sich doch selbst die ersten auf Papier 
gedruckten Gold-Holzschnitte Cranachs von 1507 noch eines weißen Unterdruckes ). 
Dagegen war es leicht, einen Teig durch Bestreichen mit Eiweiß ganz oder nur 
teilweise mit Blattgold zu überziehen und darauf eine eingeschwärzte Hochdruck- 
platte abzudrucken. Der Erfolg muß sehr befriedigt haben. Die Figuren der Dar- 
stellung, die Blumen und Blätter der Ornamentumrahmung erschienen in blitzendem 
Metall, sich kräftig von dem schwarzen Hintergrunde, der nicht zu entbehren war, 
abhebend. Die Fleischteile, eventuell auch das rote Blut und in vielen Fällen ein 
mennigroter Einfassungsstreifen wurden nachträglich mit der Hand eingemalt und 
hinzugefügt. Ich möchte glauben, daß die Anwendung von Blattgold bei den Teig- 
drucken die Regel bildete. Der Zustand einiger Originale wird freilich eine Ent- 
scheidung nicht mehr gestatten. Auf einem Blättchen des Dresdner Kabinetts z. B. 
zeigt sich an einer Stelle noch ein winziges Flitterchen Gold; wäre zufällig auch 
dieses verloren gegangen, so würde man vermutlich überzeugt sein, einen Teigdruck 
ohne Blattgold vor sich zu haben. Aber auch bei jenen Dresdner Teigdrucken, an 


(x) Der naheliegende Zusammenhang mit den Reliefunterlagen für durchsichtigen Schmelz ist m. E. 
unwahrscheinlich, weil es sich dort um ein Hochrelief, bei der Teigdruckplatte um ein Hohlrelief handelt. 
(2) Ein solcher Probedruck vor dem Goldauftrag befindet sich im Dresdner Kabinett. Vgl. Chmelarz 
im Österreichischen Jahrbuch der Kunstsammlungen XV, S. 393. 


316 


denen äußerlich keine Goldspuren zu sehen waren, haben sich Reste davon unter 
der schwarzen Druckfarbe nachweisen lassen. Das verwendete Material ist Zwisch- 
gold, auf der Rückseite silbern. Es ist wesentlich stärker, als unser heutiges bis 
auf ſ½ 0 mm geschlagenes Blattgold, wodurch sich einerseits der beträchtliche 
Preis jenes oben erwähnten Teigdruckes erklären dürfte, anderseits auch verständlich 
wird, daß die schwarze Druckfarbe so gut darauf haftete. Übrigens würden auch 
vereinzelte nachweislich ohne Blattgold gedruckte Teigdrucke als Ausnahmen nur 
unsere Auffassung bestätigen, daß die Möglichkeit mit Gold zu drucken neben der 
Verbindung von Reliefdruck und Hochdruck das Wesen und die künstlerische Ab- 
sicht des Teigdruckes ausmachen. — 

Eine Eigentümlichkeit ist fast allen Teigdrucken gemeinsam: eine Umrahmung 
von Blumen und Ranken, die, wie Leidinger nachgewiesen hat, nicht mit gedruckt 
zu werden brauchte. Man würde also die Behauptung, alle Teigdruckplatten ohne 
jede Ausnahme seien mit solch einem Zierrahmen versehen, nicht leicht widerlegen 
können. In manchen Fällen ist der Hintergrund der Darstellung glatt, um ein 
möglichst kräftiges Absetzen der Figuren zu erzielen. Man geht wohl nicht fehl, 
als Verfertiger der Teigdrucke Kupferstecher anzunehmen, denn einmal erfordert 
der Gebrauch des Stichels einen hohen Grad von Übung und zweitens zeigt sich 
noch mehr wie bei den zum großen Teile ebenfalls den Kupferstechern zuzuwei- 
senden Schrotschnitten eine Abhängigkeit von den gleichzeitigen Kupferstichen. 
Ich greife z. B. aus den von Leidinger veröffentlichten Teigdrucken heraus Nr. 2: 
Anbetung der Könige nach demselben verlorenen Originale wie der Metallschnitt 
Schreiber 2208; Nr. 4: Geißelung nach dem Meister des Calvarienberges, Lehrs; 
Nr. 8: Entkleidung nach dem Meister E. S., Lehrs 431), Nr. 10: Grablegung nach 
dem Stecher aus der Schule des Spielkartenmeisters, Lehrs 1; Nr. 11: Pfingstfest 
nach. dem Meister der Berliner Passion,--Lehrs 23; Nr. 18 und 19: Madonna nach 
dem Meister mit dem Blumenrahmen (unbesch., Lüttich); Nr. 20: Katharina, gegen- 
seitig zum Schrotschnitt, Schreiber 2571; Nr. 21: Katharina nach dem Meister E. S., 
Lehrs 166, Nr. 23: Gregormesse nach dem Meister der Berliner Passion, Lehrs 64; 
ferner eine Dornenkrönung in der Dresdner Kgl. Bibliothek nach dem Meister E. S., 
Lehrs 41; aus dem Manuskript des Dresdner Kabinetts: Christus am Kreuze, 
Schreiber 2793, nach einem Stiche aus der Schule des Spielkartenmeisters, Lehrs 8: 
die Verkündigung, Schreiber 2770, nach einem verlorenen Stiche des Meisters der 
Berliner Passion, der uns in einer Kopie Meckenems *) erhalten ist usw. Diese Zu- 
sammenstellung ließe sich leicht erweitern. Daß die Teigdrucke vermutlich in 
Oberdeutschland zu lokalisieren sind, vermutet bereits Schreiber, und Leidinger be- 
stätigt es. Auch das Dresdner Manuskript stammt aus der Diözese Konstanz, wie 
sich mit Sicherheit aus dem Kalendarium ergibt, nach dem SS. Pelagius und Konrad 
als festa fori begangen werden sollten. 

Die obigen theoretischen Untersuchungen über die Technik der Teigdrucke 
finden durch die Nachweisung einer alten Teigdruckplatte ihre Bestätigung. 
Im Berliner Kabinett befindet sich ein Teigdruck (Schreiber 2792), eine Dar- 
stellung Christi am Kreuze mit der obligaten Blumenumrahmung, teilweise eine 
Kopie nach dem Meister E. S., Lehrs 44. Die Darstellung deckt sich mit jener 
einer gravierten Kupferplatte im Bayrischen Nationalmuseum in München. Die 
Direktion dieser Sammlung hatte nicht nur die Liebenswürdigkeit, die Platte 
selbst zwecks genauerer Untersuchung nach Dresden zu schicken, sondern sie ge- 


(1) Schreiber 2804, nicht unbeschrieben wie Lehrs meint. 
(2) P.U, 213, 8 


317 


stattete auch die Anfertigung eines galvanischen Abgusses zur Veranstaltung von 
Druckproben. Diese Neudrucke (Abb. r—3) die um jede eventuelle Täuschung 
auszuschließen mit der Jahreszahl 1911 versehen sind, ergaben nun dreierlei, näm- 
lich erstens, daß der Berliner Teigdruck, der übrigens auch gegenseitig zu den 
Neudrucken sich verhält, trotz weitgehenster Übereinstimmung nicht von der 
Münchener Platte genommen sein kann, weil einige Stichelglitscher fehlen und 
z. B. auch das Halstuch der Madonna einen anderen Faltenwurf aufweist. Diese 
Feststellung ist darum nicht unwichtig, weil noch mehrere andere Fälle bekannt 
sind, bei denen Teigdrucke und Schrotschnitte bis auf die Gegenseitigkeit genau 
übereinstimmen!). Wollte man annehmen, beide Drucke seien auf dieselbe Platte 
zurückzuführen, so müßte man wie es F. v. Bartsch getan hat, die Teigdrucke als 
Schwefelabgüsse ansehen, bei denen die Vervielfältigung der Platte entspricht. Das 
ist aber ausgeschlossen. Die Analogie des Berliner Teigdruckes zeigt vielmehr, 
daß wir es in diesen Fällen doch mit zwei verschiedenen Platten zu tun haben, 
von denen die eine nach der anderen kopiert sein muß, und vor allem ist damit 
unzweifelhaft bewiesen, daß die Kupferplatte des Nationalmuseums eine Teigdruck- 
platte ist. 

Zweitens ergaben die Neudrucke, daß der von Schreiber unter Nr. 2321 beschriebene 
und bei Soldan*) Tafel 49 abgebildete Metallschnitt in den Graphischen Sammlungen 
zu München von der Münchner Platte herrührt, daß also Teigdruckplatten auch 
als Metallschnitte auf Papier abgedruckt werden können, Daß sie schon zu alter 
Zeit auch tatsächlich so abgedruckt worden sind, kann angesichts der großen Anzahl 
von Metallschnitten, die sich jetzt ohne Mühe als mit Teigdruckplatten gedruckt 
erkennen lassen, nicht zweifelhaft sein. Ihr Merkmal ist der schwarze Hintergrund 
und die Ornamentumrahmung. Schon Schreiber stellt in der Einleitung seines 
III. Bandes eine Anzahl von ihnen zusammen, die, wie er annimmt, von einer Hand 
herrühren solite. Ich nenne z. B.: Vorbereitung zur Kreuzigung, Schreiber 2413, 
Kreuzigung, ebenda 2415, Kalvarienberg, nach dem Meister E.S., Lehrs 30, Schreiber 
2344 (Reproduktion: Soldan 94); Madonna von zwei Engeln gekrönt, Schreiber 2512; 
St. Johannes, nach E. S., Lehrs 103, Schreiber 2667; S. Florian, Schreiber 2623 (Repr.: 
Soldan 40); S. Hubert, nach E. S., Lehrs 147, Schreiber 2662 (Repr.: Soldan 30); die 
berühmte Dorothea, Schreiber 2716 (Repr.: Bouchot*) 140); S. Sebastian, Schreiber 
2727, die Anbetung, nach dem Meister mit den Blumenrahmen, Wessely *) 76, Schreiber 
2209 (Repr.: Pfeiffer 31); die Gefangennahme Christi, nach demselben Stecher (Cat. 
Huth 1718(6), Schreiber 2255 (Repr.: Schulz’) 2); S. Bartholomaeus (fehlt Schreiber, 
Repr.: Leidinger 29); S. Andreas aus derselben Folge, Schreiber 2526 (Repr.: 
Bouchot 80). Da nun die Teigdrucke eine besondere technische Behandlungsweise 
zur Differenzierung der dargestellten Stoffe gemeinsam haben, die in einer Striche- 


(x) Anbetung der Könige, Schreiber 2775 und 2208, 8. Katharina 2834 und 2571, Gregormesse (fehlt 
Schreiber, Augsburg) und 2653. Zu betonen ist dabei, daß der Zustand der Teigdrucke eine Bestim- 
mung von Abweichungen sehr erschwert. Daß manche Darstellungen auf Teigdrucken wie Metall- 
schnitten gegenseitig sind (vgl. den vorliegenden Christus am Kreuze) und gegenseitige Legenden 
aufweisen, ist einstweilen nur als Gedankenlosigkeit der Stecher zu erklären. 

(2) Die frühesten und seltensten Denkmale des Holz- und Metallschnittes... in München; Nürnberg, 
Soldan o. J. 

(3) Les deux cents incunables xylographiques du département des estampes II, Paris o. ]. 

(4) Supplemente zu den Handbüchern der Kupferstichkunde (Separatabdruck aus dem Repertorim für 
Kunstwissenschaft IV, 1881, S. 120). 

(5) Die Schrotblitter des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, Straßburg, Heitz, o. J. 


318 


lung mit parallel gerichteten, kurzen, welligen Linien besteht und die sich nie bei 
Schrotschnitten findet, und anderseits auch mehrere Teigdrucke bekannt sind, bei 
denen der Hintergrund nicht schwarz, sondern gemustert ist!), so darf man auch 
jene die gleichen Merkmale aufweisenden Metallschnitte als Vervielfältigungen von 
Platten in Anspruch nehmen, die auch einen Abdruck als Teigdruck zuließen, wenn 
sie nicht gar dafür bestimmt waren. Ich nenne z. В. mehrere Arbeiten des Meisters 
mit dem Keulenwappen?): ein Abendmahl Christi, Schreiber 2234 (Repr.: Schreiber, 
Tafel XXX), die dazu gehörige Dornenkrönung (unbeschrieben, im Katalog der Auktion 
Schreiber Nr. 56 mit Repr.) und der Tod Mariae, Schreiber 2431, ferner einen 
Christophorus, Schreiber 2599 (Repr.: Leidinger 32), eine Madonna (fehlt Schreiber, 
Leidinger 22), eine mit einer Künstlermarke bezeichnete Gregormesse, Schreiber 
2652 (Repr.: Leidinger 36), die Krönung Mariae, Schreiber 2437 (Repr.: Koehler, 
PI. XLVII) und auch vermutlich die mit der gleichen Marke bezeichneten Metall- 
schnitte, Schreiber 2180 und 2587. 

Wenn somit Teigdruckplatten als Metallschnitte abgedruckt werden konnten, so 
muß auch das Umgekehrte der Fall sein. Zwei Teigdrucke der Heidelberger Bibli- 
othek, Christus am Kreuze, Schreiber 2790 und S. Veronika, Schreiber 2850 (Repr.: 
Sillib #) 2 und 3) sind evident mit Schrotschnittplatten gedruckte Teigdrucke, über 
und über bedeckt mit Punzenarbeit. Da jedem Punzenschlag in die Platte eine kleine 
Säule auf dem Teigabdruck entsprechen mußte, scheint man Schrotschnittplatten 
sonst für den Teigdruck nicht verwendet zu haben. Es gibt übrigens auch Metall- 
schnitte, die wegen ihrer außerordentlich zarten Behandlung nicht zum Teigdruck, 
der ein ziemlich kräftiges Relief erforderte, benutzt werden konnten; so vor allem 
jene Meisterwerke des Monogrammisten d, den Bouchot zum Franzosen, zum Bürger 
von Douai machen wollte, den wir aber durch eine eingestochene mundartliche 
Legende auf der Gregormesse, Schreiber 2645, für einen Deutschen (der heutigen 
niederländischen Ostgrenze‘)) reklamieren dürfen. Unter der von Schreiber an 
zweiter Stelle verzeichneten Gruppe sind also Metallschnitte, Schrotschnitte und 
Hochdrucke von Teigdruckplatten zu unterscheiden. 


Aber noch ein drittes bewiesen die Neudrucke mit der Münchener Platte. Da man 
theoretisch jede Metallplatte entweder als Hochdruck oder als Tiefdruck einschwärzen 
und abdrucken kann, wurde auch diese Variante nicht unversucht gelassen (Abb. 2). 
Was ich erzielte, war ein Schwarzstich, der sich mit den beiden neueren Abdrücken, 
die das Dresdner Kabinett besitzt°), identisch erwies. Damit ist das Wesen dieser 
merkwürdigen Erzeugnisse, denen Schreiber eine vierte Unterabteilung zuweist, 
wohl definitiv festgestellt. Sowohl die Kreuzigung, Schreiber 2868, die Gregormesse, 
2871, S. Laurentius, 2872, Petrus Martyr, 2873°), Simon, 2874 und der Verliebte, 
2877, sind neuere, verkehrt eingeschwärzte Teigdruckplatten, dagegen die Verkün- 


(1) Z. B. Leidinger Nr.3: Gebet am Ölberg, 10: Grablegung, 20: S. Katharina. 

(2) Es findet sich auf dem S. Christoph, Schreiber 2596 (Repr. Leidinger 31). Schreiber betont bereits 
die Übereinstimmungen mit dem Tod Mariae, die Leidinger mit Unrecht wieder in Frage stellt. Er 
seinerseits weist dagegen mit Recht auf das Abendmahl, Schreiber 2234 hin. 

(3) Holz- und Metallschnitte aus der Universitätsbibliothek Heidelberg, Straßburg, Heitz, o. J. 

(4) Nicht Köln wie Molsdorf (Die Bedeutung Kölns für den Metallschnitt des 15. Jahrhunderts, Straß- 
burg 1909, S. 31 ff.) annimmt. 

(5) Der eine wurde 1902 erworben, das Erwerbungsdatum des andern ist nicht bekannt, fällt somit 
vielleicht schon in das 18. Jahrhundert. 

(6) Vgl. schon Dodgson, Cat., р. 207, Nr. B24. 


Monatshefte fir Kunstwissenschaft, V. Jabrg. 1912, Heft 8. 24 319 


digung!), Schreiber 2865 und der Kalvarienberg 2867 neuere, auf die gleiche ver- 
kehrte Weise behandelte Schrotschnittplatten. Die ganze, die Schreiber-Nummern 
2864— 2879 umfassende Abteilung „Schwarzdrucke“ ist entweder aus seinem, nur 
dem ı5. Jahrhundert gewidmeten Manuel zu streichen oder an anderer Stelle ein- 
zuordnen. Nr. 2864 ist nach Dodgsons glaubhafter Annahme?) eine moderne Fälschung, 
2869, 2875, 2876 sind Weißlinien-Holzschnitte des 16. Jahrhunderts, 2878 und 2879 
sogar Platten für Lederpressungen von 1563 (!), 2870 ein als Hochdruck einge- 
schwärzter Kupferstich und 2866 nach Schreibers eigenem Urteil eine italienische 
nicht zum Abdruck bestimmte Zierplatte. 

Zum Schlusse noch ein Wort über den Weißstich. Die bekannte Madonna auf 
der Rasenbank von Meister E.S., Lehrs 70, ist mit einer eigens darauf berechneten 
gestochenen Kupferplatte mit weißer Farbe auf schwarzes Papier gedruckt. Ich 
habe in meinen „Anfängen des Deutschen Kupferstiches“ bemerkt, daß man ein in 
der Wirkung gleiches Bild erhält, wenn man eine Hochdruckplatte als solche ein- 
schwärzt und abdruckt oder wenn man dieselbe Platte als Tiefdruckplatte einweißt 
und auf schwarzes Papier abzieht. Jetzt, nachdem es möglich war, diese theore- 
tische Annahme praktisch nachzuprüfen, zeigen sich doch, wenn man den ein- 
zigen uns bekannten Weißstich damit vergleicht (Abb. 3) einige Unterschiede. 
Während bei einem zum Teigdruck bestimmten Metallschnitt wie der Münchener 
Platte die Tiefe des Reliefs nicht unerheblich ist, zeigt der Stich des Meisters E. S. 
nur einzelne Linien, denen auf der Platte feine Furchen, aber keine Gruben, wie 
sie zur Erzielung eines Reliefs nötig sind, entsprochen haben müssen. Feiner be- 
handelte Metallschnitte, wie die Nürnberger Madonna des Monogrammisten d oder 
der Kalvarienberg, Schreiber 2867, würden gewiss eine größere Verwandtschaft 
zeigen. Aber solange nicht auch eine Metallplatte dieser Art wieder nachgewiesen 
ist, mit der praktische Versuche gemacht werden könnten, wird man einstweilen 
gut tun nicht anzunehmen, daß eine jede Metallschnittplatte auch zum Weißstich 
gedient habe oder hätte dienen können, zumal bisher auch kein Fall dieser Doppel- 
verwendung bekannt geworden ist. Aber wohl könnte man, wenn man schon ein- 
mal für die Erfindung des Weißstiches eine Eselsbrücke, wie das Niello für die 
Erfindung des Kupferstiches, annehmen will, auf den Metalischnitt hinweisen. Ein 
Kupferstecher hätte eine Metallschnittplatte nur einzuweißen und abzuziehen brauchen, 
und die Ausbildung des Weißstiches wäre eine unausbleibliche Folge der sich auf- 
drängenden Erkenntnis gewesen, daß die dazu verwendeten Metallplatten zur Er- 
zielung einer künstlerischen Wirkung, eine feinere, rein stecherische Behandlung 
erforderten. — | 

Wie die Aquatinta Grateloups und der Weißdruck Bonnets gehörte auch der Teig- 
druck bisher zu den verlorenen Techniken auf dem Gebiete der Graphik, aus deren 
Reihe er — hoffentlich! — nunmehr gestrichen werden kann. 


(1) Für dieses Blatt hat bereits Molsdorf dies durch zwei Reproduktionen, Tafel VIII und IX, nachge- 
wiesen. 
(2) Cat. I, p. 206. 


320 


VENUS ENTWAFFNET DEN CUPIDO 


EIN UNERKANNTES HAUPTBILD DES LUCA CAMBIASO 
Mit fünf Abbildungen auf drei Tafeln Von HERMANN VOSS 


urch die Correggio-Literatur schleppte sich lange Zeit eine in mehreren Varian- 

ten vorkommende, öfters gestochene Komposition: Venus mit der Rechten den 
Bogen Amors hochhaltend, den dieser vergeblich zu erlangen sucht. Beide Figuren 
in ganzer Gestalt; der Knabe in Rückenansicht interessant gegen den Akt der Göttin 
kontrastierend und ihn teilweise überschneidend; rechts lugt durch das hinten ab- 
schließende Laubwerk ein Satyr herein, der den unbewachten Köcher Amors an 
sich zu bringen trachtet. Julius Meyer erwähnt das Bild in seinem Werke über 
Correggio unter den angeblichen Gemälden des Künstlers mit der Bemerkung, diese 
dem Correggio zugeschriebene Komposition sei im Original nicht nachzuweisen und 
gehe vielleicht nicht einmal in der Zeichnung auf ihn zurück. Von den mannig- 
fachen Wiederholungen hält er das Exemplar bei Lord Folkestone in Longford 
Castle für eine im Ton schwerere und schwach modellierte Arbeit aus späterer 
Zeit; die im Anfange des 19. Jahrhunderts im Besitz des Chevalier de Fabry in Genf 
befindliche, später der Sammlung Mayer in Straßburg angehörige Replik (bei Meyer 
nacb dem Guerinschen Stiche zitiert) sei vielleicht identisch mit dem Bilde in 
Longford Castle. 

Mir sind von der Komposition zwei leicht voneinander abweichende Exemplare 
bekannt: eines im Besitze des Herrn Müller-Simonis in Straßburg (unzweifelhaft 
ein originales Bild, das allerdings mit Correggio nichts zu tun hat) und eines in 
amerikanischem Privatbesitz (viel schwächer und ohne die Gewandpartie am rechten 
Bein der Venus). Von diesen beiden Gemälden ist das erstere offenbar identisch 
mit dem früher bei Mayer in Straßburg befindlichen; darnach ist die Meyersche 
Identitätshypothese natürlich fallen zu lassen. Ob auch die jetzt in Amerika aufbe- 
wahrte Kopie jenes Bild ist, das früher Lord Folkestone war, entzieht sich meiner 
Kenntnis. 

Bei unserer Analyse dürfen wir unbedenklich von dem Straßburger Exemplar (Abb. т) 
ausgehen, Wie bereits Meyer vermutete, ist Correggio dafür nicht nur als Maler, 
sondern auch als Erfinder vollkommen beiseite zu lassen. Schon die einfache 
Gegeniiberstellung mit der Antiope des Louvre und der Erziehung des Amor in der 
National Gallery zu London zeigt bei unserer Komposition ein viel herberes lineares 
Gefühl, ein Komponieren mit durchlaufenden großen Richtungen, gewagten Über- 
schneidungen, scharfen Helldunkelkontrasten, eine völlig verschiedene Zeichnung der 
Extremitäten, der Gewandung, der Bäume usw. Nur die Anlage im ganzen ver- 
rät eine allgemeine Ähnlichkeit, die aber nicht einmal soweit geht, daß sie durch 
Annahme einer Beeinflussung unseres Bildes durch Correggio erklärt werden müßte. 

Diese verschiedenen stilistischen Eigentümlichkeiten brachten mich auf den Ge- 
danken, das Gemälde dem Genuesen Luca Cambiaso zuzuweisen, von dem Bilder 
ähnlichen Charakters und mit verwandten Darstellungen bekannt sind, u. a. Venus 
und Amor auf dem Meer und Venus mit Adonis, beide in der Galerie Borghese in Rom, 
ferner die Liebesgöttin über den toten Adonis trauernd, im Palazza Corsini, ebenda. 
Vergleicht man namentlich das Adonisbild der Villa Borghese (Abb. 2), so findet 
man auffallende Analogien im Ganzen und im Einzelnen zu dem Straßburger Ge- 
mälde, vor allem eine starke Verwandtschaft der linearen Konstruktion, dann das 
scharfe Absetzen eines am Rande energisch schattierten Armes gegen den weib- 


321 


lichen Akt, ferner Einzelheiten wie die völlig identische weisende Hand der Venus 
auf beiden Bildern, die ähnlichen Gewandfalten u. a. Für Typ und Kopfhaltung 
der Göttin ist eine heilige Familie der Accademia ligustica in Genua heranzuziehen 
(Abb. 3), in der die Madonna mit der Straßburger Venus fast identisch ist (man be- 
achte namentlich das merkwürdig langgezogene Ohr und den Ausdruck des Lächelns). 
Auch den Abschluß durch das Laubwerk des Hintergrundes mit den lichten Durch- 
blicken und dem Hereinschauen lächelnder Gesichter finden wir auf der heiligen 
Familie in Genua ganz verwandt, ebenso auf manchen anderen Gemälden Cambiasos 
(z. B. der Diana und Callisto im Palazzo Bianco). 

Wenn nach diesen Vergleichen über die Autorschaft des Bildes in Straßburg noch 
Bedenken geäußert werden können, so ist eine Zeichnung Cambiasos geeignet diese 
zu zerstreuen, nämlich das von Prestel in Faksimile reproduzierte Blatt: Venus ent- 
waffnet den Amor (Abb. 4). Das Motiv ist im wesentlichen das gleiche, nur daß die 
tiefer gehaltene Rechte der Venus einen Pfeil statt des Bogens faßt; außerdem 
fehlt die ergänzende Figur des Satyrs. Auch die Komposition hat schon die Haupt- 
züge des Straßburger Gemäldes: die halb stehende, halb lehnende Haltung der Venus 
(doch ist das rechte Bein beim Knie nach rückwärts abgebogen) und die eigentüm- 
liche Rückenansicht des Amor. Gegenüber der Zeichnung bedeutet aber das Ge- 
mälde in allen Beziehungen eine wesentliche Verbesserung; einmal ist der lineare 
Aufbau viel geschickter und fließender, ferner Haltung und Bewegung der Venus 
selber klarer und natürlicher, bei Amor ist das lächerliche Motiv des Stehens auf 
beiden Zehenspitzen durch den Versuch einer Kletterbewegung mit dem linken 
Bein glücklicher ersetzte Außerdem hat die Kontrastierung der Achsen beider 
Figuren an Entschiedenheit und Wirkung gewonnen; bei Amor ist kühn eine reine 
Rückenansicht gewählt. Wie die Bewegungen der beiden nun zueinander gestimmt 
sind und wie sich die Körper zu einer geschlossenen linearen Einheit zusammen- 
fügen, das verrät eine entwickelte kompositionelle Begabung und kühne Originalität 
der Phantasie. Noch einmal hat Cambiaso einen ähnlichen Kompositionsgedanken 
festgehalten, und zwar in einer Darstellung des den Dämon bekämpfenden heiligen 
Michaels (in mehreren Exemplaren vorkommende Federzeichnung, Abb. 5); der Erz- 
engel ist hier in halber Rückansicht gegeben und mit derselben energischen Biegung 
des Kreuzes wie in der Gestalt des Amor; auch das energische Vordrängen gegen 
die Bildtiefe hin entspricht dem Kompositionsprinzip des Venusbildes!). Vor der 
Rückenansicht ist der Künstler auch noch nicht zurückgeschreckt; so gibt es eine 
Handzeichnung der Caritas (Berlin, Kupferstichkabinett), wo sowohl die Hauptge- 
stalt wie das einzige in ganzer Figur sichtbare Kind vom Rücken gesehen sind, 
das letztere übrigens in absolut verwandter Haltung wie der Amor unseres Ge- 
mäldes. 

Soviel mag genügen, um die Komposition der den Amor entwaffnenden Venus 
gänzlich aus dem Bereiche Correggios zu entfernen und sie dem Genueser Meister 
zu geben, unter dessen mythologischen Darstellungen sie zweifellos als ein Haupt- 
werk zu betrachten ist. 


(1) Dieses Anwenden von Rückenfiguren zur räumlichen Vertiefung auch sonst bei Cambiaso, z.B. in 
der Verkündigung in S. М. di Carignano, auch in jener der Annunziata di Portoria. 


ÜBER DIE ABSTAMMUNG DES VEIT 
STOSS. 


Die Frage der Abstammung und Herkunft des 
Veit Stoss sowie die Bestimmung seines Oeuvres 
ist in der polnischen Literatur der letzten Jahre, 
dank den sehr temperamentvollen, aber wenig wis- 
senschaftlichen Schriften Herrn L. Stasiaks, 
wieder stark aktuell geworden. Um so mehr Auf- 
merksamkeit verdient ein grundlegender Aufsatz 
über das gleiche Thema, den Dr. Jan Ptagnik 
im „Rocznik Krakowski, dem neuesten Jahrbuch 
der „Gesellschaft der Freunde der Geschichte und 
Denkmäler Krakaus“ veröffentlicht hat, und dessen 
Ausführungen hier in kurzem wiederzugeben wohl 
von Interesse sein dürften. 


Dr. Jan Ptagnik befaßt sich seit Jahren mit 
Untersuchungen über die Wechselbeziehungen Kra- 
kaus mit dem westlichen Europa und hat gerade 
in den Jahrbüchern der obengenannten Gesellschaft 
viel Neues und Wertvolles über die fremdländi- 
schen, besonders italienischen Kolonien in Krakau 
während des Mittelalters und der Renaissance, so- 
wie deren kulturellen Einflüsse veröffentlicht. Seine 
Studien über die Beziehungen zwischen Krakau 
und Nürnberg, in denen Veit Stoss eine solch’ do- 
minierende Stellung einnimmt, mußten natürlicher- 
weise auch auf die Lebensdaten des großen Bild- 
hauers führen. 


Dr. Ptasnik stellt vor allem fest, daß fast sämt- 
liche Quellen bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahr- 
hunderts Veit Stoss als geborenen Krakauer oder 
Polen bezeichnen, so Murr im „Journal zur Kunst- 
geschichte und Literatur“, Füsli im „Allgemeinen 
Künstlerlexikon“, Doppelmeyer und von Schad in 
seiner Stoss-Monographie (1793). Auf diese Stimmen 
und zum Teil auf Krakauer Akten gestiitzt, betont 
auch der polnische Kunstforscher Ambrosius 
Grabowski die Krakauer Herkunft des Kiinstlers. 
Am sichersten könnte in dieser Sache natürlich 
der Nürnberger Stadtschreiber Johann Neudörfer 
informieren, der mit Stoss und dessen Familie im 
nahen Verkehr stand und 1547 seine „Nachrichten 
von Nürnberger Künstlern“ niederschrieb, wenn 
uns das Originalmanuskript dieser letzteren erhal- 
ten geblieben wire. 


Jedoch bereits der erste Herausgeber der Neu- 
dörferschen „Nachrichten“, Heller (1822), benutzte 
eine Abschrift derselben aus dem Ende des 16. 
Jahrhunderts, in welcher der Geburtsort Stossens 
nicht angegeben war. Der folgende Herausgeber, 
Dr. Friedrich Campe (1828), sagt im Vorwort 


seines Buches, daß er das Originalmanuskript be- 
sessen, zu dem „Andreas Gulden die Fortsetzung 
wie auch Sterbejahre etc. nachgetragen“ hat. Da 
er jedoch in seinem Werk den Urtext nicht von 
den Guldenschen Nachtragungen von 1660 geson- 
dert hatte, läßt sich nicht bestimmen, von wem 
der in dieser Ausgabe bei Stoss figurierende Satz 
„welcher von Cracau birdig“ eigentlich her- 
rührt. Der dritte Herausgeber, Lochner (1875), 
kannte drei Handschriften der Neudörferschen 
Nachrichten und besorgte seine Ausgabe nach einer 
Abschrift angeblich aus dem Ende des 16. oder 
Beginn des 17. Jahrhunderts, in welcher aber falsche 
Daten, ebenso wie bei Campe, vorkommen. Loch- 
ner polemisiert mit Campe, daß letzterer das Ori- 
ginalmanuskript nicht besessen, sondern nur eine 
Abschrift, allein er selbst hielt es nicht für nötig 
die Varianten aus den ihm vorliegenden drei Ab- 
schriften zu vermerken und gestattete sich ander- 
seits, verschiedene Daten, die er, ohne beweis- 
kräftige Gründe anzuführen, als falsch betrachtete, 
einfach zu streichen und nicht abzudrucken. Bei 
Lochner fehlt bereits der Zusatz „aus Cracau birdig“, 
und in der zweiten Hälfte des то. Jahrhunderts 
verschwindet in der deutschen Stoss-Literatur die 
Angabe der Krakauer Abstammung des Künstlers. 

Den Anstoß dazu gab die Auffindung einer Notiz 
aus dem Jahre 1477, welche besagte, daß Veit Stoss 
damals auf das Nürnberger Bürgerrecht verzichtete. 
Und da in dem Verzeichnis der bis zu diesem 
Zeitpunkt aufgenommenen neuen Bürger der Stadt 
der Name Stoss nicht vorkommt, mußte Veit Stoss 
ein geborener Nürnberger sein. So resumierte 
Baader in seinen „Beiträgen zur Kunstgeschichte 
Nürnbergs“ (1862) und nach ihm andere, um so 
mehr als zu jener Zeit noch einige Bürger gleichen 
Namens in Nürnberg existierten, so der Gürtler 
Michael Stoss 1415, welcher der Vater Veits sein 
konnte. Anderseits erfuhr man inzwischenin Krakau, 
daß der dortige Goldschmied Mathias Stoss, der 
ein Bruder Veits war, daselbst stets „Szwab“, also 
Deutscher, benannt wurde, und daß in der 1533 
aufgefundenen Beschreibung der Entstehungsge- 
schichte des Marienaltars aus der Feder des Stadt- 
schreibers Johannes Heydeck, der Erbauer des be- 
rühmten Altars dieser Kirche als ,,magister Vittus 
Alemanus di Norimberga‘ bezeichnet wird, was 
endgültig die deutsche Abstammung Stossens zu 
beweisen schien. 

Dr. Ptagnik erachtet jedoch die aufgeführten Be- 
weise als nicht stichhaltig. Erstens wissen wir, 
daß Veit Stoss 1496 sich auch in Krakau vom 


323 


Bürgerrecht entsagte, ohne daß sein Name im Ver- 
zeichnis der aufgenommenen Neubürger der Stadt 
aufzufinden wäre. Sodann ist festgestellt, daß der 
Künstler 1474 sich in Krakau befand und damals 
seinen Sohn Stanislaw zum Goldschmied Wojtek 
in die Lehre gab. Aus einer Notiz der Libri iuris 
civilis aus dem Jahre 1505 — „Stenczel Stosch 
snyczer, ius habet. Hic oriundus“ — ist ersicht- 
lich, daf dieser Sohn Veits in Krakau geboren 
wurde. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der 
Künstler, wenn er 1474 das Nürnberger Bürger- 
recht besessen, seinen Sohn zu einem mittelmäßigen 
Krakauer Meister in die Lehre gegeben hätte, wo 
ihm in Nürnberg soviel bedeutendere Goldschmiede 
zur Verfügung standen. Stanislaw dürfte, wenn 
wir ihm bei seinem Eintritt in die Wojteksche 
Werkstatt zehn Jahre geben, um 1464 geboren 
sein, Veit also nach 1460, wenn auch nicht be- 
ständig, bereits in Krakau wohnhaft sein. Das 
Nürnberger Bürgerrecht, von dem er sich 1477 
entsagte, müßte er alsdann zwischen diesem Jahre 
und 1474, wo er augenscheinlich vor einer längeren 
Reise die Erziehung seines ältesten Sohnes ge- 
sichert sehen wollte, erworben haben. Hier kommt 
nun Dr. Ptagnik zu einem der Hauptpunkte seiner 
Ausführungen. 

Die Nürnberger Bürgerbücher notieren, daß 1476 
ein Fritz Stoss das Bürgerrecht erworben und, 
was jedenfalls sehr seiten passierte, in den näch- 
sten Jahrzehnten kommt dieser Name kein einziges 
Mal mehr in den Nürnberger Akten vor. Dr. Ptagnik 
stellt nun die Hypothese auf, dieser Fritz Stoss 
sei mit Veit oder, wie er sich selbst unterschrieb, 
Feit Stuoss identisch. In Nürnberg war der 
Name Feit ganz unbekannt, der im Osten häufig 
vorkommt, und nirgends finden wir dort diese 
Schreibweise des populären „Veit“. Die Signatur 
Stossens auf dem Grabmal des polnischen Königs 
Kazimir Jagello in der Krakauer Kathedrale FIT 
STVOS wurde ja daher lange EIT gelesen, und 
ebenso waren die Initialen seines Meisterzeichens 


F Se 8 lange unverständlich. Es ist also gar 


nicht unwahrscheinlich, daß der Nürnberger Stadt- 
schreiber das ihm ganz ungewohnte Feit als Frit, 
Fritz gelesen und ins Bürgerbuch eingetragen 
habe, um so mehr als der Buchstabe e in der 
Schreibweise damals dem r sehr verwandt war. 
Stoss hätte demnach 1476 das Nürnberger Bürger- 
recht erworben und bereits im folgenden Jahre, 
als ihn große Aufträge wieder nach Krakau be- 
Tiefen, auf dasselbe verzichtet. 

Ebenso wie in Nürnberg, lassen sich auch in 
Krakau während des 15. Jahrhunderts eine Reihe 


324 


Bürger aufweisen, die den Namen Stoss, Stochs, 
Stossig, Stosche, Stosse tragen, ja späterhin kommen 
ähnliche Namen in der polnischen Hauptstadt so- 
gar viel häufiger als an der Pegnitz vor. Und 
ebenso wie der Gürtler Michael Stoss in Nürnberg 
kann auch der Rotgießer Hanns Stochs, der 1432 
das Krakauer Bürgerrecht erwirbt, der Vater Veits 
sein. Die Tatsache, daß dieser Hanns an der 
Poselskastraße wohnte, wo Veit Stoss später sein 
Haus erwarb und wo überhaupt einige Mitglieder 
der Familie Stoss wohnten, scheint sogar auf ge- 
wisse Beziehungen zwischen dem Rotgießer und 
Veit schließen zu lassen. Jedenfalls beweist weder 
der Verzicht auf das Nürnberger Bürgerrecht 1477, 
noch die Anwesenheit einiger anderer Stosse in 
Nürnberg die Geburt Veit Stossens daselbst, und 
die Gründe, die gerade von polnischer Seite für 
die deutsche Abstammung des Künstlers aufge- 
führt wurden, fallen hier viel schwerer ins Ge- 
wicht. 

Da ist vor allem jener Bruder Veits, Mathiss 
Stoss „von harow eyn goltsmid“, der 1482 das 
Krakauer Bürgerrecht erwirbt und in seinem Testa- 
ment schreibt: „Ich Matys Stos oder Schwab als 
man mych nent hyr“. Aber haben wir es hier 
nicht vielmehr mit einem Spitznamen, als mit einem 
ernsten Hinweis auf die Herkunft des Goldschmiedes 
zu tun? Es gab ja damals in Krakau eine große 
Anzahl echtdeutscher Handwerker und bei keinem 
von ihnen, ebensowenig wie bei den sonstigen 
Stoss, findet man die Bezeichnung „Schwab“. Es 
ist nicht unwahrscheinlich, daß letztere gerade das 
Gegenteil deutscher Abstammung beweist, d. h. die 
allzu starke Germanisierung eines Nichtdeutschen 
unterstreicht, der z. B. andrerseits in dem bereits 
erwähnten Testament seinem Töchterchen den pol- 
nischen Kosenamen „Hanuchna“ gibt. Und 
Nationalitätenhader zwischen Polen und Deutschen 
war ja damals in Krakau nichts Fremdes, ja in 
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts brannte 
bereits zwischen ihnen ein heißer Kampf um die 
Marienkirche auf dem Marktplatze, was bei Beur- 
teilung der 1533 in derselben aufgefundenen Per- 
gamenturkunde stark in Betracht gezogen werden 
muß. 

Gerade nach 1530 schlugen die Wogen dieses 
Kampfes sehr hoch. Der Adel und selbst der 
König hatten die Partei der Polen ergriffen, und 
die Lage der Deutschen, die sich damals bereits 
in starker Minderheit befanden, wurde immer halt- 
loser. 1533 sollnun hinter dem Stossschen Marien- 
altar in einer Büchse eine Pergamenthandschrift 
aufgefunden worden sein, in welcher von dem 
Stadtschreiber Johann Heydek die Geschichte der 


Entstehung dieses Altars genau beschrieben und 
sein Meister als „Vittus Almanus de Norimberga‘ 
bezeichnet war. Das ganze Schriftstück trägt einen 
ausgesprochen polonophoben Charakter und unter- 
streicht, daß das Kieinod der Marienkirche, ihr 
berühmter Altar, nur von Deutschen gestiftet und 
einem deutschen Meister geschaffen ward. Dr. 
Ptagnik bezweifelt die Echtheit dieser lateinischen 
Urkunde und betrachtet sie als ein ad hoc von 
seiten der deutschen Partei fabriziertes Kampf- 
mittel. Es ist jedenfalls stark verdächtig, daß das 
Originalmanuskript nicht erhalten geblieben, son- 
dern bloß die Nachricht, daß sein Inhalt auf ein 
neues Pergament umgeschrieben und wieder in 
die Büchse geschlossen wurde. Die Herkunft Veit 
Stoss’ mag ja damals in Krakau auch wenig be- 
kannt gewesen sein, da der Meister seit 1496 die 
Stadt verlassen und sich in Nürnberg niederge- 
lassen hatte; hier war er im gleichen Jahre, als 
die beregte Büchse in Krakau entdeckt wurde; ge- 
storben, drei Jahre nach dem Tode seines Sohnes, 
des Bildschnitzers Stanislaw Stoss. 

Während des 37jährigen Aufenthalts in Nürn- 
berg dürfte der Künstler übrigens wirklich Deut- 
scher geworden sein, aber am Beginn des 16. Jahr- 
hunderts wird er hier stets noch als Pole und 
Krakauer bezeichnet, trägt er polnische Tracht 
und erhält sich polnische Sitten. Als er 1499 für 
800 Gulden ein Haus erwirbt, nennt ihn der Kauf- 
kontrakt, trotzdem er seit drei Jahren Nürnberger 
Bürger ist, „Maister Veit Stoss vonn Kracka‘‘, was 
schon jedenfalls gegen seine Nürnberger Abstam- 
mung spricht. Noch viel überzeugender spricht 
dagegen, wie überhaupt gegen die deutsche Her- 
kunft Stossens, seine deutsche Schreibweise. Dr. 
Ptagnik zitiert in dieser Richtung die erhaltene 
eigenhändige Eingabe!) des Meisters aus dem Jahre 
1506 an den Nürnberger Stadtrat. Seinen Familien- 
namen unterschreibt Stoss hier mit „Stwosz“, so 
wie er heutzutage in Polen genannt wird, und 
seinen Vornamen „Feyt“ . Wie bereits oben er- 
wähnt, ist diese Schreibart des populären Veit in 
Nürnberg anderweits ganz unbekannt. Hauptsich- 
lich beweisen jedoch der ganze Stil und die Orto- 
graphie des Schriftstücks, daß kein Nürnberger, 
ja nicht einmal ein geborener Deutscher solches 
verfaßt haben konnte. Auch Baader, der diesen 
Brief kannte, kann nicht umbin, dessen ,,fremd- 
ländische Mundart“ zu unterstreichen. 

War nun Stoss ein geborener Krakauer? Wenn 
dies auch nicht ausgeschlossen, so fehlen doch 


(1) Das Schriftstück ist fast gleichzeitig im zweiten Heft 
der „Graphischen Künste 1912 in dem Aufsatz des Herrn 
Zoltan Takács, „Federskiszen von Veit Stoss“, reproduziert. 


bierfür dokumentale Beweise, aber jedenfalls muß 
er in Krakau seit frühen Jahren ansässig gewesen 
sein. Hätte er sonst seinem — wohl zirka 1460 
geborenen — Sohne den Namen des Krakauer 
Patrons, des hl. Stanislaw, gegeben. Ein zweiter, 
vor 1477 geborener Sohn erhält ebenfalls den Namen 
eines polnischen Patrons, des hl. Florjan, ein 
dritter heißt Andrzej. Nach Neudörfer ist Veit 
Stoss im Alter von 95 Jahren gestorben, sein Ge- 
burtsjahr wäre also um 1438 zu fixieren, und das 
auf dem Stosshaus in Nürnberg eingemeißelte Ge- 
burtsjahr 1760 ist jedenfalls irrig. In diesem Jahre 
dürfte sein Sohn Stanislaw geboren sein, den er 
1474 zum Goldschmied Wojtek in die Lehre gab. 
Stoss weilt also schon in Krakau als junger, zirka 
aojähriger Ehemann und verbleibt hier, mit einer 
längeren Abwesenheit von 1474—1477, bis 1496. 

Dr. Ptagnik kommt schließlich zu der Überzeugung, 
daß Stoss aus dem ehemals noch polnischen Schle- 
sien stammt, wo seit den ältesten Zeiten, beson- 
ders im Kreise Oppeln, sich zahlreiche Stosso, 
Stossch, Stosche, Stossowicz usw. befinden. Dr. 
Ptagnik zählt deren eine lange Reihe zwischen 
den Jahren 1241—1488 auf, die aus schlesischen 
Urkunden entnommen sind. Viele schlesische 
Ortsnamen sind ebenfalls mit den Familien der 
Stosz in Verbindung zu bringen. Aller Wahr- 
scheinlichkeit nach dürfte Veit Stoss, oder vielleicht 
noch sein Vater, aus Schlesien nach Krakau ge- 
kommen sein, und es unterliegt keinem Zweifel, 
daß er nicht germanischen, sondern slavischen 
Ursprungs war. 

Die weiteren Teile von Dr. Ptagnike Aufsatz im 
„Krakauer Jahrbuch“ befassen sich mit dem be- 
kannten Prozeß zwischen Jakob Boner und Veit 
Stoss, welcher 1503 so traurig für den Künstler 
endigte, sowie mit dem Verhältnis dieses letztern 
zu Peter Vischer. Auch hier werfen die stets 
sachlichen Ausführungen des Verfassers manch 
neues Licht auf den Lebensgang und das Schaffen 
des großen Bildhauers. P. Ettinger. 


EIN UNVERÖFFENTLICHTER ABEL 
GRIMMER. 
Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 

„Abel Grimmer 1595 ist das hier abgebildete 
Gemälde aus der Sammlung Freih. у. Bissing be- 
zeichnet. 

Von diesem wenig bekannten Antwerpner Archi- 
tekten und Maler (geboren um 1570, gestorben um 
1619) gibt es meines Wissens nur: von bezeich- 
neten Bildern eins in der Galerie zu Brüssel und 
sechs im Museum zu Antwerpen. Das nach Wurz- 


325 


bach!) und Waagen“) beim Earl of Staffort be- 
findliche kenne ich nicht. Zugeschrieben wer- 
den ihm noch einige Bilder im Museum Boymanns, 
Rotterdam und im Mauritshuis, sowie in Privat- 
besitz), alles Interieurs oder Landschaften. 

Unser Bild wird schon 1754 in einem Antwerpner 
Auktionskatalog erwähnt‘). Es enthält so viele 
interessante Einzelheiten und Einzelepisoden, die 
aus den Abbildungen leider kaum ersichtlich sind, 
daß eine Aufzählung ermüden würde. Allein vom 
kulturgeschichtlichen Standpunkte aus verlohnte 
eine genauere Betrachtung. Man muß z.B. die 
reichen orientalischen Kostüme, besonders der 
Hauptgruppe rechts beachten, wo zwei Pagen dem 
fürstlichen Bauherrn (Nimrod) den genauen Plan des 
nicht fertigen Werkes vorhalten. Da ist u.a. unten 
im Tale und in der Stadt das erregte Treiben der 
Verkäufer, denen Packesel, Kamele, Ochsen und 
Schafherden zugetrieben werden. Da sind links 
die Arbeiter, die gerade Brotzeit haben und jene, 
die eine Bastion aus Ziegeln bauen und andere, 
die in Lehmhitten den Torf trocknen und den 
Kalk löschen. Denn: „Die Söhne Noahs nahmen 
Ziegel zu Stein und Ton zu Kalk“). Man ent- 
deckt allerlei schnurrige und drollige Einfälle. 
Leben und Verkehr herrscht auf fast allen Teilen 
der Rampe, die in ihrem weiteren Verlauf teilweise 
den Turm sogar durchtunnelt. Da hantieren (ganz 
klein) die Arbeiter auf dem interessanten Leiter- 
gerüst und an den Kranen und Winden hoch oben 
an der Spitze herum. Mächtige Klammerstreben 
verbinden und stützen mehrere Stockwerke. Karya- 
tyden sind zu ähnlichen Zwecken verwandt, Sta- 
tuen stehen zwischen Strebepfeilern. Überall wird 
uns wenigstens der äußere Aufbau des Turm- 
ungetüms klar. Die höchsten drei Ringe ver- 
schwinden in den Wolken, wie es nach der Genesis 
ja der Ehrgeiz aller Völker war, „Städte bis zu 
den Wolken hinauf‘ zu bauen. 

Die Farben sind bunt, aber doch gedämpft, 
vorne stark, im Hintergrund dünn. Vom braunen 
Vordergrund heben sich die vielfarbig kolorierten 
Figuren ab. Der Turm ist dunkelgrau, der Hinter- 
(1) Künstlerlexikon. 

(2) Treasures of Art in Great Britain IV, 319. 

(3) Nach Hymans; Carl v. Mander, zwei kleine Land- 
schaften im Besitze Fétis, eine Winterlandschaft mit Schlitt- 
schuhläufern bei Lerius, Letztere auch bei v. d. Branden. — 
Verwechslungen mit Jacob Grimmer, sowie mit den Frank- 
furtern Adam und Hans Grimmer sind in der älteren 
Literatur häufig. 

(4) Kramm: de Levens en Werken etc. Dort außerdem in 
einem Katalog von 1741 eine Landschaft mit Orpheus, von 
1754 ein Dorf mit einer Kirche, von 1756 (Mecheln) eine 
Kreuzabnahme und eine Winterlandschaft. — Siret: „Diction. 
hist. des peintres“ will die Signatur und das Datum 1513 


auf einer Kreuztragung gesehen haben. 
(5) I. Mos. XI, ı ff. 


326 


grund graublau und braun. Das Wasser ist sehr 
grün. Die Farben lassen an Jan Brueghel, im 
Hintergrund an J. de Momper denken. Aber die 
Komposition selbst schließt sich eng andes alten 
P. Brueghel Babylonischen Turmbau zu Wien an! 
Wie viel unser Künstler von ihm entlehnt, ist aus 
der Abbildung ersichtlich. Aber Brueghel baut 
geistreicher. Sein Turm ist wuchtiger und innerlich 
organischer. Schlank und spitz erscheint daneben 
der Bau des Grimmer. Ganz anders ist die bei 
Brueghel weite und fast ebene Landschaft mit der 
den Turm rings umziehenden echt flämischen Stadt. 
Auch schildert Brueghel höchst sachlich nur die 
Arbeit am Bau und vermeidet die überladene Er- 
zählung, in die sich Grimmer fast verliert. Beide 
Künstler geben die eigentliche Katastrophe, die 
Sprachenverwirrung und Zerstörung des Turmes 
überhaupt nicht. Übrigens ist das Thema selbst 
(Turmbau oder Zerstörung) recht selten und scheint 
erst spät aufzutauchen. Patinir soll einen baby- 
lonischen Turm gemalt haben, in Venedig (Aka- 
demie 183) ist ein holländischer (um 1536) Turm- 
bau, den Dülberg!) dem Jan Swart van Groningen 
zuschreibt. Ph. Galle hat einen solchen (hier wird 
die Zerstörung geschildert) nach Heemskerk ge- 
stochen?). Das sind nur Beispiele. 

Von Interesse dürfte es sein, daß auch A. Grimmers 
Gemälde in Brüssel (Jesus bei Maria und Martha), 
das sechs Gemälde, darunter einen Adam und 
Eva (Orley?) und eine Ruhe auf der Flucht (Pa- 
tinir) als Wandschmuck zeigt, über dem Portal im 
Hintergrund deutlich ein Gemälde mit dem baby- 
lonischen Turm erkennen läßt. Anscheinend nach 
P. Brueghel! Ebenso gehen auch die figuren- 
reichen Nebenepisoden auf den Antwerpner Bil- 
dern Grimmers auf Kompositionen Brueghels des 
Älteren zurück. So erscheint Grimmer einerseits 
als Brueghel-Schüler, andrerseits aber haben sein 
Brüsseler Bild und die ihm auch z. B. in Rotterdam 
und Haag zugeschriebenen eine große Stilverwandt- 
schaft mit Fr. Francken dem Jüngeren. Ja, mit die- 
sem wird Abel Grimmer oft genug verwechselt. 

Nach allem dürfte die künstlerische Herkunft 
und Qualität Grimmers, dessen ganze Erscheinung 


(1) Dülberg, Frühholländer, III. 

(2) Weder im Alten Testament noch im damals viel ge- 
lesenen Flavius Josephus (jüdische Altertümer) ist von der 
Zerstörung die Rede. Nach der Sibylle erwirkten die Götter 
(sic!) einen heftigen Windsturm, stürsten den Turm und 
gaben jedem eine besondere Sprache. Nach anderen Apo- 
kryphen fallen feurige Zungen (also ein umgekehrtes 
Pfingsten) auf den unvollendeten Bau. Der Turm ist sicher 
die babylonische Tempelpyramide, die auf einer Plattform 
sich erbebt, immer kleiner wird und auf stumpfem Kegel 
das Astral-Heiligtum enthält. Freitreppen oder im Winkel 
aneinander stoßende Terrassenrampen führen hinauf. Vgl. 
Bezold: Ninive und Babylon. 


im Gegensatz zu seinem als Landschafter hoch- 
berühmten und gut bekannten Vater Jakob!), von 


(1) Zweifelhaft ist es, ob diesen oder den Sohn A. Houssaye: 
Histoire de la peinture, p. 237, meint, wenn er erzählt: 
„Cependant un bon poéte et un grand comédien, Grimmer 
peignit alors par distraction telle qu'elle voyait la nature 
hollandaise,‘ etc. 


dem Rembrandt eine Winterlandschaft besessen 
hat, nunmehr deutlich genug zu fassen sein. Aus 
den F. Francken der Jüngere und Seb. Vrancx 
(z. B. dessen Überfall in Wien?) zugeschriebenen 
Arbeiten dürfte ihm manches noch zufallen. 
Hermann Nasse. 


FRIEDRICH BACK, Mittelrheinische 
Kunst. Beitr. zur Geschichte der Malerei 
und Plastik im 14. und 15. Jahrh. Frank- 
furt a. M., Verlag von Baer & Co., 1910. 


Eine Besprechung dieser wichtigen Veröffent- 
lichung, die ich schon vor anderthalb Jahren zu- 
gesagt hatte, war mir bei der Ausgabe des Buches 
als die erwünschte Veranlassung zu einer Außerung 
über verschiedene Fragen der mittelrheinischen 
Kunst in ihren Beziehungen zu den Nachbarländern 
erschienen. Ich habe die Anzeige von Vierteljahr 
zu Vierteljahr hinausgeschoben, weil die Probleme 
auf diesem Gebiete sich ständig mehrten, und heute 
scheint weniger als je der Zeitpunkt gekommen, 
diese Fragen zusammenfassend zu erörtern. So 
möchte ich eben nur auf die vorliegende Arbeit 
selbst, wenn auch verspätet, in diesen Blättern 
hinweisen. Der Autor, der als geborener Birken- 
felder und nun als langjähriger verdienter Direktor 
und erfolgreicher Organisator der Kunstsammlungen 
des Großherzoglichen Museums in Darmstadt einer 
der besten und berufensten Kenner der Kunst des 
Mittelrheins ist, hat dem großen, mit 68 Tafeln 
ausgestatteten Werk nur den bescheidenen Titel 
„Beiträge“ gegeben. Ег hat damit selbst zum 
Ausdruck gebracht, daß es sich für ihn nicht um 
eine Geschichte der mittelrheinischen Kunst, nicht 
um eine Zusammenstellung des ganzen Materials 
gehandelt hat. Man kann von einem solchen Werk 
nicht mehr verlangen, als der Autor hat geben 
wollen. Trotzdem darf man das Bedauern nicht 
unterdrücken, daß der Verfasser nicht weitergegriffen 
hat. Der innere Wert solcher Einzeluntersuchungen 
wäre doch der, für eine bestimmte Gruppe zunächst 
das Material annähernd vollständig zusammen- 
zustellen. Wer glaubt, aus diesem Werk, das 
lange versprochen und sehnsüchtig erwartet war, 
nun einen ähnlichen Aufbau der mittelrheinischen 
Kunst erwachsen zu sehen, wie wir ihn etwa bei 
der Kölnischen und Nürnberger Kunst sehen, der 
wird etwas enttäuscht sein. Für eine solche Ge- 
schichte der mittelrheinischen Kunst scheint auch 
diesem vortrefflichen Kenner des fraglichen Gebiets 
die Zeit noch nicht gekommen. Das Positive mag 


demgegenüber um so dankbarer betont werden, 
die liebevolle und klare Schilderung der Grund- 
lagen dieser Kunst, die feine, sorgsam abgewogene 
Einzelkritik, die an manchen überraschenden Hin- 
weisen reiche Würdigung und die äußerste Ge- 
wissenhaftigkeit in der Verwertung der Quellen. 
Gegenüber so vielen, allzu rasch hinausgeschleu- 
derten und abgeworfenen literarischen Erzeugnissen 
wirkt eine so sorgfältig durchgeführte, so ausgetra- 
gene Studie um so erfreulicher. 

Beiträge zur Geschichte der Plastik und der 
Malerei des mittelrheinischen Gebietes nennt sich 
dieses Buch. Für die Plastik ist eine Entwicklungs- 
linie wohl angedeutet, aber nicht ganz verfolgt. 
Für den Anfang der Entwicklung hat die fast. 
gleichzeitig erschienene Arbeit von Stix, Die Plastik 
der frühgotischen Periode in Mainz (Kunstgeschicht- 
liches Jahrbuch der K. K. Zentralkommission 1909, 
Heft 3, S. 99), eine neue Behandiung gebracht. Hier 
finden vor allem auch die 6 Apostelstatuen vom 
First der Sakristei des Domes ihre Würdigung, 
die im südlichen Kreuzgang aufgestellt sind, von 
denen Back gar nicht spricht, und die Apostel- 
statuetten von der nach 1315 wieder aufgebauten 
Liebfrauenkirche zu Mainz mit den Darstellungen 
der Begnadeten und Verdammten, die mir besonders 
an das Herz gewachsen sind, weil ich vor andert- 
halb Jahrzehnten ihr Besitzer und ihr Hüter war. 
Wenn man die Grabsteine überhaupt heranzog, 
so hätte wohl die ganze mittelrheinische Gruppe 
zusammengestellt werden müssen. Die Oberweseler 
Skulpturengruppe, die den Übergang zur Kölner 
Plastik bildet, hätte wohl auch genannt werden 
dürfen. Der Hochaltar der Liebfrauenkirche zu 
Oberwesel, der den Vorzug hat, genau datiert zu 
sein (1331), ist doch auch als Typus einer — 
künstlerisch außerordentlich hochstehenden — 
Grenzkunst für die Einschätzung der mittelrhei- 
nischen Kunst wichtig genug. Eine eingehende 
Würdigung läßt Back den Skulpturen am Süd- 
portal im Mainzer Dom zuteil werden, das zur 
Memorie führt. Auf fünf Lichtdrucktafeln werden 
die einzelnen Figuren vorgeführt. Die Zeitansetzung 
ist vielleicht bier etwas spät, ich möchte die Ent- 
stehung der Figuren unmittelbar nach dem Jahre 


327 


1400 annehmen. Dieses Portal steht scheinbar 
in Mainz etwas isoliert, es fügt sich aber unge- 
zwungen in eine Gruppe ein, die den Einfluß der 
Mainzer Plastik weit über die Grenzen des mittel- 
rheinischen Gebiets hinausträgt. Eng verwandt 
mit den Figuren des Memorienportals sind, wie 
auch Otto Isphording in seiner eben erschienenen 
Dissertation (Die Kölner Plastik des ı5. Jahrhun- 
derts, S. 65) richtig erkannt hat, die Figuren vom 
Denkmal des Friedrich von Saarwerden im Kölner 
Dom. Der Erzbischof ist 1414 gestorben, das 
Denkmal wohl unmittelbar nach seinem Tode 
entstanden. Dieses Denkmal, auf dessen hervor- 
ragende künstlerische Qualitäten und auf dessen 
Originalität in der Stilhaltung Fried Lübbecke 
(Die Kölner gotische Plastik, S. 113) zuletzt hin- 
gewiesen hat, bringt zum ersten Male am Nieder- 
rhein jenen weichen malerischen Faltenstil, wie 
er sich in den Skulpturen des Hauptmeisters am 
Memorienportal in Mainz offenbart hat. Von den 
Vorstufen in dem Petrusportal des Kölner Domes 
soll hier nicht die Rede sein, darüber wird eine 
von dem Dombaumeister Hertel und von Fried 
Lübbecke gemeinsam vorbereitete Arbeit demnächst 
weiteres Material bringen. Auch ob, wie Isphor- 
ding S. 69 annehmen möchte, der Schöpfer des 
Saarwerden-Grabdenkmals vom Niederrhein stammt 
und dann nach dem Mittelrhein gewandert ist, 
kommt hier nicht in Betracht. C. Habicht und 
G. Dehio (in den Monatsheften für Kunstwissen- 
schaft 1912, S. 61) haben übereinstimmend die 
Beobachtung gemacht, daß zwischen den Aposteln 
in den Archivolten der Vorhalle am Ulmer Münster 
(abgebildet bei Paul Hartmann, Die gotische Monu- 
mentalplastik in Schwaben, Tafel 25) und den 
Skulpturen am Saarwerdendenkmal eine große 
Ähnlichkeit vorhanden sei, doch möchte ich nicht 
mit Dehio hier direkt die gleiche Hand annehmen. 
Immerhin zeigen diese schwäbischen Plastiken, 
wie weit damals dieser am Mittelrhein aufblühende 
Stil sich ausgedehnt hat. Dieser weiche malerische 
Stil erscheint in der Plastik des westlichen 
Deutschlands fast als der Träger der neuen natu- 
ralistischen Bewegung. Die Frage nach der Her- 
kunft dieser neuen Formbehandlung, die zu den 
knappen Körpern und zu den engen parallelen 
Falten des 14. Jahrhunderts im äußersten Wider- 
spruch steht, ist noch zu lösen. Es liegt natür- 
lich nahe, hier an Burgund zu denken, an die 
Sluterschen Skulpturen vom Portal der Karthause. 
Aber ist denn dieser Stil am Hofe zu Dijon au- 
tochthon und nicht auch erst importiert — und woher 
kommt er? Ist wirklich die nordische Heimat 
Sluters auch für diesen Stil Heimat oder nur Durch- 


328 


gangsstätte? Hat etwa Pit Recht, wenn er diese 
neue Formengebung gerade auf Mainz zurückführt? 
Diese ganze Frage, in wie weit hier für die west- 
deutsche Plastik die burgundische die gebende 
ist, oder wie weit etwa Einwirkungen aus dem 
Rheingebiet dort nachwirken, ist erst noch sorg- 
fältig zu untersuchen. 

Aus der Gruppe der Tonplastik hat Back vor 
allem die wundervolle Kreuztragung aus der Pfarr- 
kirche zu Lorch bei Dr. Figdor in Wien hervor- 
gehoben. Wer die Originale dort in jenen an 
Überraschungen so reichen Räumen des Wiener 
Sammlers gesehen hat, wird sich des erstaunlich 
individuellen Charakters erinnern, den die Ober- 
flächenbehandlung dieser Terrakotten zeigt, die 
in allem, wie etwa eine Terrakotta von Carries, 
die höchst persönliche Handschrift des Künstlers 
bewahrt hat. Die Gruppe iat unmittelbar nach 
1400 anzusetzen (der Kreuzaltar ist 1404 gestiftet). 
Es ist ein besonderes Verdienst von Back, mit 
diesem Werke die große Gruppe der Beweinung 
Christi im Dommuseum zu Limburg zusammen- 
gestellt zu haben, die gleichfalls ganz außerordent- 
liche Qualitäten aufweist (eine Abbildung der ganzen 
Gruppe, die bei Back fehlt, bei Leo Sternberg, 
Limburg als Kunststätte). 

Der Kreis der Skulpturen, die hier angezogen 
sind, ist nun ein relativ enger. Dieser mittel- 
rheinischen Tonplastik kommt um den Anfang 
des 15. Jahrhunderts scheinbar eine ganz besondere 
Bedeutung zu. Es handelt sich hier nicht, wie 
bei den Stucci duri der Italiener, um eine Repro- 
duktionskunst, sondern um Originalschöpfungen 
in einem Material von höchster künstlerischer 
Ausdrucksfähigkeit. Natürlich waren diese leicht 
verletzlichen Terrakotten vor allem rascher Zer- 
störung ausgesetzt. Wenn trotzdem noch so viel 
erhalten, möchte man auf einen außerordentlichen 
Reichtum am Anfang des 15. Jahrhunderts schließen. 
Christian Rauch hat (Hessenkunst 1910) schon 
eine Nachlese gegeben. Die bereits von Vöge 
als mittelrheinisch erkannte Belle Alsacienne, die 
unterdessen von Rauch (Hessenkunst 1911, S. 6) 
neu publiziert ist, gehört schon an den Ausgang 
dieser Gruppe. Wie der Madonnentypus am Anfang 
dieser Entwicklung sich darstellt, zeigt jene im 
Bonner Provinzialmuseum befindliche, aus der 
Sammlung Thewalt stammende Steinmadonna, die 
wiederum, wie Otto Isphording und Erwin Hensler 
unabhängig voneinander festgestellt haben, eine 
fast völlige Übereinstimmung mit einem in die 
Johanniskirche von Thorn verschlagenen Werk 
aufweist. Auf seiner vollen Höhe zeigt den Stil 
die entzückende Tongruppe der thronenden Ma- 


donna mit den heiligen drei Königen in dem 
Hochaltar der Stiftskirche zu Karden an der Mosel, 
ein Werk von außerordentlicher Qualität, das 
auch den breiten malerischen Faltenstil durchaus 
auf der Höhe zeigt. Die ganze Gruppe stammt 
mit den beiden in dem gleichen Rahmen stehenden 
Apostelfürsten (der Rahmen ist nicht der ursprüng- 
liche, die beiden Apostelfürsten standen früher in 
einem Unterbau mit anderen, jetzt verschwun- 
denen Figuren zusammen) aus der Zeit um 1425. 
Die Weiterentwicklung dieser mittelrbeinischen 
Plastik im Laufe des 15. Jahrhunderts — über 
diesen Zeitpunkt hinaus — ist dann eine außer- 
ordentlich reiche. Was bietet hier nicht allein 
die eine Stadt Mainz — die vorläufige Liste der 
Denkmäler von Neeb gibt uns hier einen unge- 
fähren Begriff, die in Aussicht stehenden Bände 
des hessischen Inventars, die der Stadt Mainz ge- 
widmet sind (von Rudolf Kautzsch sorgsam vor- 
bereitet) werden hier das ganze Material ausbreiten. 
Und am Ende des Jahrhunderts kommt dann die 
Verbindung mit Würzburg, über dessen Plastik 
uns jetzt die Arbeiten von Pinder und Knapp vor- 
liegen — endlich die eigentümlich fruchtbare 
Schule des Hans Backoffen, in dem sich der 
spätgotische Manierismus schon mit einem wilden 
Barock vermählt — aber all das fällt nicht mehr 
in den Rahmen von Backs Buch. 

In dem Abschnitt über die Malerei ist vor allem 
die Veröffentlichung der beiden Hauptwerke, des 
Friedberger Altars und des Ortenberger Altars in 
einer Anzahl von vortrefflichen Tafeln, auch mit 
einzelnen Ausschnitten, sehr dankenswert. Den 


Friedberger Altar setzt Back mit Thode in das | 


letzte Drittel des 14. Jahrhunderts. Er gibt dem 
Hauptmeister auch noch das Gemälde über dem 
Grabmal des Kuno von Falkenstein in der Castor- 
kirche zu Koblenz. Durch dessen Todesjahr 1388 
ist hier eine ungefähre Datierung gegeben. Die Aus- 
führungen über die Ableitung des Stils im Fried- 
berger Altar und seine Verwandtschaft mit den 
Nachbarschulen sind sehr wertvoll, und geben 
manche wichtige Anregung. Ich möchte hierzu 
bemerken, daß das auf S. 51 zweimal erwähnte 
Kreuzigungsbild der Sammlung Clemen sich leider 
nicht bei dem bescheidenen Verfasser dieser Be- 
sprechung, sondern in der beneidenswerten Samm- 
lung des vorigen Winter verstorbenen Amtsgerichts- 
rats Clemens in Aachen befindet (videant consules 
ne ad barbaros fugiat). Ein wichtiges Werk dieser 
Gruppe, das Back mehr beiläufig erwähnt, der 
Schottener Altar, ist seit dem Erscheinen des Bu- 
ches gereinigt, und nun erst in seiner ganzen 
Bedeutung erkennbar (vergl. die Veröffentlichung 


von Feigel in der Zeitschrift für Christliche Kunst 
XXIV, 1911, Sp.69), er gibt das interessanteste Zwi- 
schenglied zwischen diesen beiden großen, oben ge- 
nannten Altarwerken. Der späteren Ansetzung des 
Ortenberger Altars in den Anfang des dritten Jahr- 
zehnts des 15. Jahrhunderts wird man zustimmen 
können. Das Oeuvre dürfte aber auch hier sich noch 
reichlich vermehren. André Girodie verdanke ich die 
Mitteilung der Photographie eines von Mansard de 
Sagonne in der Kirche zu Lezignan (Aube) aufgefun- 
denen Gemäldes mit der Anbetung des Kindes, das 
als freie Wiederholung des von Back auf Taf. LVII ab- 
gebildeten Flügels des Onzenberger Altars erscheint, 
auch dieselben Goldlichter zeigt. Auf eine in Brüssel 
(Museum Nr. 629) befindliche mittelrheinische Kreu- 
zigung, die an den Schluß dieser Entwicklung 
gehört, hat August Schmarsow in einem interes- 
santen Aufsatz in der Zeitschrift für Christliche 
Kunst (1911, Sp. 129) hingewiesen. Mit diesen 
frühen Tafelmalereien möchte man die gleichzeitigen 
Wandmalereien vergleichen, vor allem die im Vor- 
jahr in der Mainzer Karmelitenkirche aufgedeckten 
oder die in der Deutschordenskirche zu Frankfurt- 
Sachsenhausen. Die erste Ausstellung der Pausen 
und Aquarelle von Wandmalereien im hessischen 
Denkmälerarchiv hat den Fachgenossen wichtiges 
Material beschert. Besonders wichtig ist dann die 
Zusammenstellung der beiden Werke des Meisters 
Berthold von Nördlingen, des Altars im Darmstädter 
Museum und des Bornhofener Altars im Bonner 
Provinzialmuseum, der im Jahre 1415 gefertigt ist. 
Es ist damit eine deutliche Verbindung mit dem Nörd- 
lingen-Nürnberger Kunstkreis gegeben, die früher 
schon von Henry Thode erkannt war. Der von Back 
mitgeteilte Fund im Staatsarchiv zu Wiesbaden, der 
die Inschrift von dem Bornhofener Altar gibt, den 
Meister und das Jahr nennt, beraubt allerdings diese 
mittelrheinische Kunst eines ihrer Hauptmeister, der 
nun der Nördlinger Schule einzureihen ist. 

Man möchte vielleicht bedauern, daß Back sich 
in seinem Buch nicht weiter in das 15. Jahrhun- 
dert hineingewagt hat. Die großen Probleme der 
Malerei setzen erst ein nach dem Abschluß jener 
Periode, die Back hier behandelt, die Frage nach 
Ursprung und Entwicklung des Stils des Haus- 
buchmeisters, um den jetzt ein volles Dutzend von 
Autoren sich bemüht haben, und endlich das große 
Problem Grünewald. Aber man darf dankbar das 
Material und die Anregung hinnehmen, die Back in 
seinem Werk gegeben, und nur die Hoffnung aus- 
sprechen, daß er wirklich sein am Schluß gegebenes 
Versprechen hält, die mittelrheinische Kunst im wei- 
teren Verlauf des 15. Jahrh. in einer Fortsetzung 
dieser Studie zu behandeln. Paul Clemen. 


329 


ADOLF ZELLER, Die Kunstdenkmäler 
der Provinz Hannover. II. 4. Stadt Hil- 
desheim. Kirchliche Bauten. 1911. 


Die Provinzialkommission zur Erforschung der 
Denkmäler in der Provinz Hannover hat wenig 
Glück in der Wahl ihrer Mitarbeiter. Schon der 
Band über Goslar mußte eine scharfe Kritik in 
den kunstgeschichtlichen Anzeigen 1906 sich ge- 
fallen lassen, und auch der vorliegende kann 
ebenso wenig gelobt werden. Zeller hatte sich 
offenbar durch sein reich ausgestattetes Werk über 
die romanischen Bauten Hildesheims 1907 emp- 
fohlen, aber wer jemals gezwungen war, dieses 
Buch, das den Anspruch erhob, streng wissen- 
schaftlich genommen zu werden, eingehender zu 
benutzen, mußte erstaunt sein über das große 
Maß von Flüchtigkeit und Unwissenheit und konnte 
somit auch für die vorliegende Arbeit wenig bes- 
seres erwarten. 

Da ich die Absicht habe, an anderer Stelle in 
größerem Zusammenhange über die Hildesheimer 
Architektur zu schreiben, außerdem bereits in 
meiner Arbeit über die romanischen Portale (Hei- 
delberg 1911) mehrfach gegen sein früheres Buch 
polemisiert habe, will ich mich hier darauf be- 
schränken, durch Beispiele aus der Behandlung 
der kirchlichen Ausstattungsstücke mein ungün- 
stiges Urteil zu erhärten. Ich kann aber hier 
schon sagen, daß der architektonische Teil nicht 
besser ist; Zeller ist flüchtig in der Beschreibung, 
erkennt nirgends die zahlreich zutage tretenden 
Probleme und zeigt, sowie die Grenze der reinen 
Beschreibung überschritten wird und das eigene 
Urteil hinzutritt, daß er in der Architekturgeschichte 
wenig bewandert ist: ihm fehlen einfach die Grund- 
begriffe. 

Der lobenswerten Klarheit und Einfachheit seiner 
Sprache steht gegenüber eine nicht übersichtliche 
und mehrfach durchbrochene Disposition. Der 
geschichtliche Überblick zu Beginn hätte fort- 
bleiben sollen, er bringt manches, was in den 
beschreibenden Teil gehört (z. B. den Gypsestrich 
im Dom). 

Außer den trefflichen Arbeiten des Bischofs 
Bertram und Mithoffs, denen Zeller alles Gute 
seines Buches verdankt, kennt er keine Literatur. 
Er hat es nicht für nötig gehalten, nachzuschlagen, 
was Bode in seiner Geschichte der deutschen 
Plastik über die Hildesheimer Denkmäler sagt, er 
kennt nicht die Aufsätze Adolph Goldschmidts im 
Jahrbuch, nicht das Buch von Creutz über „Die 
Anfänge des monumentalen Stiles in Norddeutsch- 
land“, obwohl er durch beide viel hätte lernen 


330 


können. Bei den Miniaturen führt er nur Beissel 
an; die Arbeit von Josten über die Evangelien- 
handschrift Nr. 18 fehlt, nicht etwa, weil ihn die 
Kritik Zimmermanns in den Wiener Anzeigen 
über den geringen Wert des Buches aufgeklärt 
hätte. 

Zeller weiß nicht, daß eine Menge Leute ein 
lebhaftes Interesse an Goldschmiedearbeiten haben 
und daß es ein dickes Buch: „Der Goldschmiede 
Merkzeichen“ gibt, das sein Material zu einem 
großen Teil aus den Denkmälerbeschreibungen 
gewonnen hat. Nur an einer einzigen Stelle er- 
wähnt er eine Marke, wonach aber eine Identi- 
fizierung kaum möglich ist. Abbildungen von 
Marken fehlen. Ist Rosenberg Nr. 1710 nicht 
mehr im Domschatz? 

Zeller vermeidet in seinen Beschreibungen, etwas 
über stilistische Merkmale und über Datierungen 
zu sagen. Man lese als typisch nach, was er 
über den Grabstein Adelogs 8. 40 schreibt. Er 
spricht nur über die Tracht, macht aber nicht auf 
den eigenartigen Baldachin aufmerksam, der einen 
Vorläufer hat in dem Stein Widukinds in Enger. 

Die Schreine Godehards und des Epiphanias 
stecken ihm „ganz in der Überlieferung der ger- 
manischen Kunst“, weil sie lange Häuser mit 
Satteldächern darstellen. Zeller denkt wahrschein- 
lich an niedersächsische Bauernhäuser (8. 51). 

S. 76: Zeller gibt an, daß die holzgeschnitzten 
Teile eines Altares in der westlichen Vorhalle des 
Domes, die weit über das sonst in dieser Gegend 
um 1500 Übliche hinausragen, von den Gebrüder 
Elfen gemacht sind. Wäre es nicht seine Pflicht 
gewesen, anzugeben, woher diese Nachricht stammt, 
ob sie inschriftlich oder dokumentarisch beglaubigt 
ist? Er hätte mir so die Mühe gespart, mit Hilfe 
des trefflichen Mithoff zu einem Artikel im Kor- 
respondenzblatt der deutschen Geschichtsvereine 
1857 vorzudringen, wo in der Beilage zu Nr. 4 
zu lesen ist, daß „nach klösterlichen Nachrichten“ 
diese Angabe entstanden ist. Zeller hätte ver- 
suchen müssen, diese vage Behauptung etwas 
sicherer zu fundieren. Dort ist auch noch ange- 
geben, daß dieser Schrein den Aufsatz des Hoch- 
altares der Michaeliskirche gebildet habe, eine 
Angabe, die Mithoff in seiner genauen Art ge- 
treulich bucht, die aber bei Zeller nicht mehr zu 
finden ist. 

S. 204: Die Grabplatte Bernwards in der Krypta 
von St. Michael ist nicht gleichzeitig mit dem 
Sarg zu Lebzeiten des Bischofs ausgeführt, sondern 
entstammt dem 12. Jahrh. und läßt sich vielleicht 
mit dem Jahre der Kanonisation 1150 zusammen- 
bringen. 


Zn — —— 


Die jüngere figurierte Platte Bernwards, die 
Zeller selbst in seinem früheren Buche (Abb. 2) 
gebracht hat, fehlt hier ganz. Sollte sie inzwischen 
verschwunden sein? 

S. 211: Zeller sagt, daß die gemalte Decke in 
St. Michael nach der Ähnlichkeit mit dem gemalten 
Missale des Domschatzes als von Retmann her- 
gestellt gilt. Ich habe diese Ansicht nie gehört, 
sie ist auch grundfalsch; Jahrzehnte und eine 
große Entwicklung liegen zwischen beiden Werken. 

Auf S. 214 führen ihn die Stuckaturen der Mi- 
chaeliskirche von dem sicheren Boden der ein- 
fachen Beschreibung hinaus auf das Glatteis eigener 
Ideen. Die Stuckateure sollen Italiener sein, weil 
sie lombardische Motive (Flechtband) benutzten. 
Die schlechten Figuren der Seligpreisungen in 
den Seitenschiffen vor 1186 sollen verwandt sein 
mit den (stilistisch ganz anderen) Chorschranken. 
Nachträglich (S. 218) gibt er selbst an, daß diese 
erst nach 1192 entstanden sein können. 

Ich erinnere mich, im Querschiff der Godehardi- 
kirche interessante, ganz oberflächlich gesagt: spät- 
gotische Figuren gesehen zu haben, die barock, 
weiß mit Gold bemalt sind. Zeller erwähnt sie nicht. 

Wie wenig sich Zeller überhaupt für die Gegen- 
stände, die er zu behandeln hatte, interessiert, will 
ich an den Erztaufen zeigen, bei denen es durch 
Vergleichen und durch Aufschlagen der Inventare 
der benachbarten Gebiete und des Lexikons von 
Mithoff besonders leicht gewesen wäre, die inhalt- 
losen Namen der Urheber durch kurze Bemer- 
kungen zu beleben. Es besteht eine scharfe 
Konkurrenz zwischen den Hildesheimer und Braun- 
schweiger Erzgießern. Eine sehr reiche Form 
erfand der Hildesheimer Hans Sivverts 1547 für 
die Taufe in St. Andreas, beim Deckel mit An- 
lehnung an die berühmte Taufe des 13. Jahrh. im 
Dom. Dieselbe Form übernehmen die Pelckincks, 
Hans bei der Taufe der Jakobekirche in Peine 1561, 
Mante 1590 bei den Taufen für die Stephanikirche 
in Helmstedt und für die Dorfkirche in Olden- 
dorf (Kr. Schaumburg), 1592 für die Kreuzkirche 
in Hildesheim. Diese Form wurde so geschätzt, 
daß sie selbst der bedeutende Braunschweiger 
Gießer Cordt Mente bei der Taufe für die Haupt- 
kirche in Wolfenbüttel 1571 nachahmte, derselbe, 
der die schöne Grabplatte des 1531 verstorbenen 
Kanonikusvon Veltbeim im Domkreuzgang (Tafel тб, 
Fig. 102) gegossen hat. Sogar die Taufe in St. Mi- 
chael, die Dietrich Mente 1618 in Hildesheim goß, 
wiederholt die obige Form, die sich somit über 
70 Jahre gehalten hat. 

Die Abbildungen des vorliegenden Werkes sind 
so zahlreich und gut, daß man unabhängig vom 


Text Beobachtungen an ihnen machen kann. Das 
schöne Gestühl im Dom (Fig. 32 und 33) scheint 
Erfurter Arbeiten nahe zu stehen. Den Ausstrah- 
lungen der Erfurter Plastik, die für die zweite 
Hälfte des 14. Jahrh. in Halberstadt, Magdeburg, 
Braunschweig nachgewiesen sind (Wolters: Hal- 
lische Dissertation 1911), wäre damit eine neue 
angereiht. 

Der Domlettner (Tafel 8), bei dem Brinkmann: 
Ornamentik der Frührenaissance, Kopien nach Al- 
degrever festgestellt hat (dieses zu wissen, wäre 
allerdings von Zeller zuviel verlangt), könnte seinen 
Meister in Johann Beldensnyder aus Münster ge- 
funden haben, die Übereinstimmungen sind zahlreich 
und deutlich. Er würde sich an den Lettner des 
Domes zu Münster, dessen Arbeit das Ende der 
dreißiger und die erste Hälfte der vierziger Jahre 
füllt, anschließen, denn er ist 1545 gestiftet worden, 
und während dort die allgemeine Erscheinung 
spätgotisch ist mit allmählich gesteigerter Aufnahme 
von Frührenaissancemotiven, ist hier der Aufbau 
schon ganz renaissancemäßig. Auf Einzelheiten 
einzugehen, muß ich mir hier versagen. 

Was hätte doch aus diesem in jeder Beziehung 
glänzenden Material durch einen fähigen Bear- 
beiter werden können! Es ist ein wahrer Jammer, 
daß hier wieder, wie schon so oft, das tägliche 
Brot derer, die über deutsche Kunst arbeiten, — denn 
das sind tatsächlich diese Denkmälerwerke — so 
ungenießbar geraten ist. Burkhard Meier. 


CURT H.WEIGELT, Duccio diBuonin- 
segna, Studien zur Geschichte der früh- 
sienesischen Malerei. Leipzig, Verlag von 
Hiersemann. 

Der Verfasser räumt in seiner Vorrede ein, daß 
sich alles, was er in seinem Buche sagen wollte, 
sehr wohl kürzer hätte sagen lassen. Aber — во 
fügt er entschuldigend hinzu — „dies Buch wurde 
nicht nur für Kenner geschrieben, es will seinen 
Weg auch zu den Liebhabern finden und möchte 
schließlich den Lernenden ein Handweiser sein, 
möchte auch ein wenig „sehen“ lehren“. Auf 
letztere Absicht hätte der Autor besser ganz ver- 
zichten sollen, da alles, was er in diesem Sinne 
einflicht, zum Teil banal ist, zum Teil allzu un- 
mittelbar dem Hausrat des heutigen akademischen 
Unterrichts in den kunstgeschichtlichen Seminarien 
entnommen scheint. Ferner möchte man wohl 
wissen, welche Art von „Liebhabern“ gerade un- 
endliche Breite und hemmungslose Redseligkeit 
zu ihrer besonderen Liebhaberei gemacht hat. 
Eben für Liebhaber ist das Weigeltsche Werk 


331 


schiechterdings unlesbar — wie schade, denn es 
wäre wohl eine schriftstellerisch reizvolle Auf- 
gabe, ein Duccio-Büchlein für Kunstfreunde zu 
schreiben! — für die Fachleute aber bedeutet es 
‘ höchstens Kraftverlust und Zeitverschwendung, 
auf rund 270 Seiten in überdies recht verworrener 
Disposition ein Material durcharbeiten zu müssen, 
das sich auf knapp 100 Seiten viel schlagender 
und übersichtlicher hätte ausbreiten lassen. Also: 
cui bono? 

Von diesem allzu aufdringlichen Anfängertum 
in der äußeren Haltung des Buches abgesehen, ist 
die Weigeltsche Arbeit keineswegs gehaltlos, wenn 
auch ihre Ergebnisse (die von uns hier nur ange- 
deutet werden können) oft nicht zu völliger Klarheit 
ausgereift und faßbar-übersichtlich formuliert sind. 
So hat es gleich im ersten Kapitel „Franz von 
Assisi und die italienische Dugento-Malerei“ leider 
mit einem richtig orientierten Anlauf sein Be- 
wenden, der dahin zielt, nicht (mit Thode) die 
neue künstlerische Bewegung des Dugento von 
der religiösen (Franz von Assisi) abhängig zu 
machen, sondern beide als Parallelerscheinungen 
zu erklären, und der so auch Duccio und die 
sienesische Malerei einzig aus dem Geiste ihrer 
Zeit und der seelischen Struktur der Sienesen er- 
klärt wissen will. Freilich hat Richard Hamann über 
den sienesischen Charakter in wenigen Zeilen seiner 
„Frührenaissance in der italienischen Malerei“ tie- 
feres gesagt, als Weigelt, der freilich mit seinem 
Versuch, schon innerhalb des Dugento eine siene- 
sische und eine florentinische Linie zu scheiden, 
eine weit schwierigere Aufgabe zu lösen hat, als 
wenn es sich um das Tre- und Quattrocento han- 
. deln würde. — Nach einer Zusammenfassung der 
durch Davidsohn, Lisini, Milanesi eruierten doku- 
mentarischen Lebensdaten Duccios, geht der 
Autor im zweiten Kapitel auf den „Stil Duccios, 
peine Herkunft und seine Entwicklung“ ein, und 
bietet hier, wie zu erwarten stand, den inhalt- 
reichsten Teil seines Werkes. Er gibt zunächst eine 
Reihe von dankenswerten Detailbeobachtungen 
über Tracht, Typik, Elemente des Bildaufbaues, 
Naturbeobachtung, Gewandbehandlung und Farben 
und sucht den Blick für die Eigenart des Duccio- 
Stiles durch stete Vergleiche mit Giotto zu 
schärfen — ohne übrigens in diesem kunstge- 
schichtlich so reizvollen Punkte zu prägnanten 
Formulierungen zu gelangen. Auf Grund solcher 
Beobachtungen findet die Ursprungsfrage der Kunst 
Duccios dann eine entschiedene Beantwortung. 
Hier liegt der Schwerpunkt der ganzen Arbeit. 
Nach Weigelt hat der Künstler nicht etwa, wie 
Berenson wollte, eine direkt byzantinische Aus- 


332 


bildung erhalten, etwa in Byzanz selbst oder 
durch unmittelbare Berührung mit original byzan- 
tinischem Kunstimport, sondern es finden sich 
die Grundlagen seiner Kunst in einer lokal- 
sienesischen ,,Maniera greca“ des Dugento ge- 
geben, der sich als ein Mischstil charakterisiert 
und in dessen Mitte Guido da Siena (1221) steht. 
Diese Maniera bizantina wird in der Behandlung 
der Landschaftslinien und der Architektur, der Kopf- 
typen und der Gebärdensprache, in Ikonographie 
und Technik einzeln nachzuweisen versucht. Was 
Duccio von ihr unterscheidet, ist seine freie, per- 
sönliche Schöpfung. So wird auch eine Beein- 
flussung durch gotisch-französische Miniaturkunst 
abgelehnt: wenn Duccio Dluminirer war, fand er 
jedenfalls nur eine byzantinisch-sienesische Minia- 
turkunst vor. Die Ablehnung des gotischen Ein- 
flusses geht (wenn auch mit Schwankungen und 
Einschränkungen) durch das ganze Buch. Gerade 
in diesem Punkte gelingt es dem Autor m. E. aber 
kaum, die Entwicklung von Guido bis Duccio 
ganz ohne Zuhilfenahme der nordischen Gotik zu 
erklären; leider wird die Rolle der Pisanis in 
diesem Punkte nur ganz flüchtig angerührt. Als 
Beleg zu diesem Kapitel findet sich jedoch im 
Anhang eine fleißige ikonographische Durchmuste- 
rung der einzelnen Maestà-Bilder, die sehr viel 
Detailarbeit gibt und als Einzelforschung sehr 
brauchbar ist, und ferner ein inhaltsreicher Exkurs 
über Guido da Siena und seine Schule, der im 
Sinne Wickhoffs gehalten ist und zum Beweis der 
älteren Datierung vor allem ein Bild von der ur- 
sprünglichen Wirkung der Guido-Madonna vor der 
Übermalung vom Ende des Dugento zu gewinnen 
sucht. 

Das folgende Kapitel mit dem vielversprechenden 
Titel „Duccio als Erzähler“ bleibt leider stark hinter 
den geistreichen Ausführungen Berensons über 
dies Thema zurück, und ist auch in der abschließen- 
den Bestimmung des Verhältnisses zwischen der 
ikonographischen Gebundenheit und der schöpfe- 
rischen Freiheit weniger aufschlußreich, als man 
erwarten durfte. Die Darstellung ist zudem in- 
folge der weitschweifigen, mit Wiederholungen und 
dispositionellem Flickwerk arbeitenden Form ziem- 
lich unlesbar. Wichtiger sind die beiden folgenden 
Abschnitte, die nunmehr — nach Erkenntnis der 
Eigenart Duccios — das gesamte Oeuvre des Künst- 
lers stilkritisch aufzubauen suchen. W. nimmt 
mit vielen anderen die Rucellai-Madonna als ein 
Frühwerk des großen Sienesen in Anspruch und 
sucht dies vor allem durch einen Vergleich mit 
der Trinità-Madonna zu erweisen, die (freilich auch 
unbewiesen!) als ein sicheres Werk Cimabues gilt. 


Beweiskräftig ist für W. ferner der bemerkens- 
werte Umstand, daß ein Schüler Duccios den Stil 
der Rucellai-Madonna bewahrt zu haben scheint. 
Er wird in der Madonna der Badia von Isola bei 
Colle Val d’ Elsa nachgewiesen, einem Gemälde, 
das Suida geradezu für ein Jugendwerk des Meisters 
selber hält. Freilich zeigt der dann folgende Ver- 
such einer Entwicklungslinie der Madonna in throno 
im Dugento, der das ganze umfangreiche Material 
aufrollt, dennoch die isolierte Stellung der Rucellai- 
Madonna in diesem Zusammenhang. Auch im 
letzten Kapitel, das zu einer Chronologie und Ent- 
wicklung der Kunst Duccios fortschreitet, ordnet sich 
das Bild nur schwer und lediglich vermöge einer be- 
sonderen historischen Konstruktion ein. W.schildert 
(unter Ablehnung der Douglasschen Periodenein- 
teilung) eine lokale italo-byzantinische Frühmanier 
Duccios, ferner eine selbständige, nur durch eige- 
nen Anschluß an die Natur charakterisierte, und 
läßt dann für die letzte Entwicklungsepoche durch 
ein Hinterpförtchen die Gotik wieder ein. Statt 
„Natur“ wäre übrigens wohl präziser von „innerer 
Natürlichkeit des Vorstellens“ die Rede, wofür der 
Sinn im Zeitalter Duccios bei den einen durch Be- 
trachtung der Antike, bei den andern durch go- 
tische Miniaturen und endlich durch original byzan- 
tinische Werke geweckt worden sein mag. 

Ein chronologisches Verzeichnis der eigenhändi- 
gen Arbeiten macht dann mit einer Aufzählung der 
W erkstattarbeiten und einer Charakteristik der 
Schüler Duccios den Beschluß. Den schwierigen 
Versuch einer Oeuvreliste dieser Maler, die im 
Anhang gegeben wird und die neben Duccio und 
seiner Werkstatt, Meo, Ugolino, Segna, Niccolo di 
Se gna, den Meister der Crevole-Madonna sowie die 
unbekannten Duccioschüler umfaßt, hätte W. lieber 
nicht wagen sollen, da er eine große Anzahl der 
in Frage kommenden Werke nicht durch Autopsie 
sondern nur durch Literaturzitate kennt, während 
viele andere, z.B. die beiden Segna-Bilder in Gros- 
seto, überhaupt nicht erwähnt werden. Durchaus 
anfechtbar ist übrigens, was Weigelt unter Niccolo 
di Segna zusammenstellt. 

Der Wert der ganzen Arbeit ruht m. E. neben 
ihren ikonographischen Untersuchungen, die be- 
trächtliche Materialkenntnis verraten, und einer 
Reihe von Einzelbeobachtungen, vor allem in dem 
G efühl für das wesentlich autochthone, sienesische 
der künstlerischen Herkunft Duccios und der rich- 
tigen Bewertung des Dugento in diesem Sinne. 
Sehr zu begrüßen sind die Abbildungen, die dem 
W erke in beträchtlicher Zahl beigegeben sind. 

Hoffen wir, daß der Autor in seinem nächsten 
B uche besser seines angesammelten Schatzes an Be- 


obachtungen und Erkenntnissen Herr wird, daß 
er ein lesbares Buch daraus macht, anstatt eines 
Agglomerates von Studienresultaten. 

G. F. Hartlaub, 


WILHELM WAETZOLDT, Einfüh- 
rung in die bildenden Kiinste. Inzwei 
Teilen (Textund Tafeln). F. Hirth & Sohn, 
Leipzig 1912. Gebd. М. 10.—. (3505. und 
194 Abb.) 

Man kann die Betrachtung von Werken der 
bildenden Kiinste (der Kiinste fiir den Augensinn) 
von zwei Standpunkten aus betreiben: vom Stand- 
punkt des Kiinstlers und von dem des Beschauers 
aus. Die Betrachtung vom Standpunkt des Kiinst- 
lers aus war in den letzten Jahren sehr beliebt. 
Sie hat auch die vielen Schriften von Künstlern 
über Kunst bewirkt. Sie ist notwendig einseitig. 
Es wäre im besonderen ein äußerst dankbares 
Unternehmen, alles, was Künstler bisher über Kunst 
geschrieben haben, zusammenzustellen, und nach- 
zuweisen, wie enge, durchaus nur für das eigene 
Schaffen richtig, alle diese Künstler - Ästhetiken 
sind. Und wie sie deshalb im Kerne durchaus 
falsch sind; so lehrreich sie für die Spezialfälle 
sein mögen. 

Die Betrachtung vom Standpunkte des Aufneh- 
menden aus zerfällt wieder in die eigentlich histo- 
rische Sichtung, die reine Kunstgeschichte; und 
in die Kunstlehre, die auf den Schaffensprozeß 
eingeht. Aber nicht auf den Schaffensprozeß im 
Besonderen, Einmaligen, sondern auf die künst- 
lerische Schöpfng im allgemeinen. 

Eine solche Einführung in die Kunstlehre der 
bildenden Künste will das vorliegende Buch sein. 
Es wird, trotz seinem Titel und entgegen der im Vor- 
wort von Waetzoldt ausgesprochenen Bestimmung, 
für Anfänger völlig unfruchtbar bleiben. Wer 
noch nicht über eine ziemlich reiche Kenntnis 
kunsthistorischer Art verfügt, wird durch dies Buch 
wohl kaum durchkommen; und könnte höchstens 
verbildet werden. Trotz der Tafeln. Diese „Ein- 
führung“ gehört in ihrem eigentlichen Teil ins 
letzte Semester. 

Denn sie hat auch einen „uneigentlichen“ Teil. 
Die Disposition zeigt fünf Hauptkapitel: Archi- 
tektur, Plastik, Malerei, Graphische Künste, An- 
gewandte Kunst. Jedes dieser Kapitel wieder zer- 
fällt in einen einleitenden Abschnitt, der die „Tech- 
nischen Grundlagen und Grundbegriffe“ bringt, 
und in einen, der die „Aufgaben und Mittel der 
Gestaltung‘ beschreibt. Nun kann man elemen- 
tare Bücher schreiben, zur Einführung, die nichts 


333 


voraussetzen. Und man kann die verwickeltsten 
und letzten Erkenntnisse behandeln, die tausend- 
faches voraussetzen. Wenn man eine Entwick- 
lungslehre schreibt, wie Darwin, so erklärt 
man nicht den Unterschied von Muskeln und 
Knochen. Und wer sich, ohne unwillig zu wer- 
den, darüber belehren läßt, daß man ,,Hausteine 
und Backsteine unterscheidet‘, daß „die verschie- 
denen Steinsorten verschieden haltbar und ver- 
schieden leicht zu bearbeiten sind“, wer mit In- 
teresse den Absatz liest: „3. Stuck. Stuck ist 
eine Mischung aus Gips und Sand, die mit der 
Hand geformt wird. Man verwendet dieses Mate- 
rial seiner Bildsamkeit wegen hauptsächlich zum 
Schmuck der Innenriume. Schon die Antike 
kannte Stuckdecken, die Renaissance in Italien 
formte aus Stuck die Decken, Ornamente, Reliefs 
usw. ihrer Säle“, der wird wohl für den Unter- 
schied von Gehraum und Verweilraum wenig 
Anschauung und daher wenig Verständnis mit- 
bringen. Und umgekehrt. So ist der Hauptfehler 
dieses Buches eine gänzlich auseinanderfallende 
Zweiteilung, eine Zwiespältigkeit der Basis, die 
zu ihrer Überwindung eines wirklich guten Willens 
bedarf. Ich empfehle deshalb denen, die nicht 
Rezensentenpflichten haben, die technischen Ka- 
pitel einfach wegzulassen. Und empfehle auch 
dem Autor und dem Verlag bei einer Neuauflage 
hier eine Radikaloperation vorzunehmen. — 
Bleibt der kunstpsychologische Teil, der, der 
Seitenzahl nach, etwa drei Viertel des Buches um- 
faßt. Er ist von reichster Fülle. Er hat die Vor- 
züge einer außerordentlichen Belesenheit, bis in 
psychologische Einzelprobleme hinein. Auch er 
ist wahrhaftig keine Einführung. Eine Krönung 
für Kunsthistoriker mit viel Wissen und Erfahrung. 
Ohne Prediger-Temperament vorgetragen, sachlich 
und ruhig, gibt er sich, als wäre die psychologische 
Betrachtungsweise heute von den Kunsthistorikern 
völlig rezipiert. Er hat nichts Werbendes, son- 
dern etwas ruhig Fertiges. Wie der Mensch 


Waetzoldt. Ein leises Lächeln des Allesverstehens 
spielt um die Zeilen. Und mit einer starken Be- 
rechtigung. 


Ich glaube ja nun, daß die Kunstpsychologie 
oder die „psychologische Kunstlehre“ noch sehr 
jener werbenden, predigenden, streitenden Art be- 
darf, die erobertes Neuland der Allgemeinheit er- 
sehnbar machen will. Man denke zurück. Mehr 
aus Instinkt, als aus psychologischer Schulung 
heraus begann Jakob Burckhardt. Mit streithaftem 
Mute setzten dann Wickhoff (Wiener Genesis) 
und Alois Riegl (Spätrömische Kunstindustrie) ein. 
Wölfflin beginnt mit den „Prolegomenen zu einer 


334 


Psychologie der Architektur‘, setzt über „Renais- 
sance und Barock“ und die „Klassische Kunst“ 
die Linie fort; führt auf dieser Linie aber, ganz 
besonders mit seinem „Dürer“, immer mehr wie- 
der ins Historische. Seine Schüler, ohne seine 
Größe und seinen Wurf, vernachlässigen die psy- 
chologische Grundschulung und geraten immer 
mehr in ein Anwenden seiner ,,Renaissance-Ge- 
sichtspunkte“ auf alle möglichen Teilprobleme. 
Kalkmann stirbt zu früh und geht durch eine 
schlechte, weil zu objektive, Flerausgabe seines 
Nachlasses alles Wirkens verlustig. Der junge 
Kunsthistoriker steht nun da, zwischen zwei feind- 
lichen Lagern, und meint, es gilt den Ruf, hie 
Welf, hie Waibling. Wie in allen jungen Wis- 
senschaften ist nun Hauptaufgabe der Jüngeren, 
die Vereinigung anzubahnen. Historische Schu- 
lung — psychologische Ergänzung. Anders kann 
die Lösung nicht kommen, soll die Kunstwissen- 
schaft eine historische Wissenschaft bleiben. Die 
philosophischen Ästhetiker mögen unter sich blei- 
ben und sich weiter darüber streiten, ob „schön 
ist, was interesselos gefällt“. Der junge Kunst- 
historiker aber muß neben seinem Hauptfach un- 
bedingt Psychologie treiben, und die Kunstwerke 
dann als seelische Akte begreifen. Dazu braucht 
er aber einer zusammenfassenden Übersicht über 
das Ausmaß des Psychologischen im Kunstbereich. 
Eigene Bücher zu nennen, ist in einer Buchan- 
zeige nicht üblich. Dennoch mag es diesmal ent- 
schuldigt sein, weil hier eben alles noch im Wer- 
den ist. Der Versuch eines so im allgemeinsten 
orientierenden Buches, das, als Einführung ge- 
dacht, allen Teilproblemen aus dem Wege geht, 
liegt vor. 

Ist diese psychologische Grundlage da, dann 
vermag das Buch Waetzoldts in seiner Dichtigkeit 
und in seinem Reichtum die ganze weite Fülle 
der Erscheinungen zu zeigen. Ich glaube kaum, 
daß man irgend ein Teilproblem finden wird, das 
hier nicht behandelt ist. Bis ins Feinste wird 
den Verwicklungen nachgespürt. Man muß seiten- 
weise mit einer Vorsicht und in einem Tempo 
lesen, die kein Wort außer acht lassen. Ein Fleiß 
und eine Aufmerksamkeit stecken in dem Buch, 
die neben der Unvoreingenommenheit den Erleb- 
nissen gegenüber und der Scharfsinnigkeit der 
Teilung der Probleme den höchsten Respekt er- 
zwingen. Kritik wäre hier Unsinn. Verdauen ist 
nötig. Dann mag man diese oder jene Sache für 
sich selbst auch anders erledigen. So reich wie 
die Welt ist die Kunst. Und ebenso reich und 
allseitig muß eine gute Kunstpsychologie sein. 
Und hier ist ein reiches Buch für reife Geister. 


Nochmals sei es betont: keine Einführung für An- 
fänger; sondern eine Orientierung für den, der das 
Land in alle Winkelchen hinein kennt, mitten 
inne steht, sich zur Ruhe setzen, sein eigen Haus 
bauen will, und nun einen Turm sucht, von dem 
aus er über die Grenzen seines Gärtleins hinweg 
das Weite überschauen will. Deri. 


ALFONS DIENER - SCHÖNBERG, Die 
Waffen der Wartburg. Beschreibendes 
Verzeichnis der Waffensammlung Sr. Kgl. 
Hoheit des Großherzogs Ernst Wilhelm 
von Sachsen-Weimar-Eisenach. Mit 231 
Waffen- und 116 Markenabbildungen auf 
78 Tafeln in orthochromatischem Licht- 
druck nach photographischen Aufnahmen 
von Hans Lukas von Cranach. Historischer 
Verlag Baumgärtel. Berlin 1912. 195 Folio- 
seiten. 


In der neueren Entwicklung der historischen 
Waffenkunde ist die Neigung zur Dezentralisation 
unverkennbar. Die Forschung auf diesem Gebiete 
ist nicht arm an Unternehmungen, welche sich be- 
mühten, das gesamte Material, wie es die Jahr- 
hunderte in bunter Fülle darbieten, erst einmal 
unter Dach zu bringen. Nachdem dies, vorzüglich 
in England und Frankreich, geschehen, setzte die 
Kleinarbeit um so lebhafter ein, und ging mit 
einer gewissen Absichtlichkeit den zeitlichen und 
lokalen Höhepunkten aus dem Wege, um die ab- 
seits wachsenden Früchte zu pflücken und hier oft 
Werte zu entdecken, die man wohl manchmal mit 
Worten gerühmt, kaum aber auf ihren inneren 
Gehalt genau geprüft hatte. 

Wenn es heute einer unternimmt, die Waffen 
der Wartburg zu schildern, so kann er sich der 
Sympathien eines größeren Publikums von vorn- 
herein für versichert halten. Wir alle, Gelehrte 
und Ungelehrte, haben wohl ein Herz für den 
Zauber, der um die alte thüringische Feste weht, 
trotz Kriegervereinsbegeisterung und Fremdenin- 
dustrie. Nach dem Erscheinen des großen Wart- 
burgwerkes Carl Alexanders konnte auch der Histo- 
riker in dem Nebel romantischer Traditionen, der 
sich seit der Restaurierung fast noch verdichtet 
batte, die Linien der Tatsachen klar erkennen. 
Den Dank, welchen die historische Waffenkunde 
dem gefeierten Hochsitz deutschen Rittertums 
schuldet, zu erstatten, hat jetzt Diener -Schönberg 
sich zur Aufgabe gesetzt. Wohlvorbereitet ist er 
an seine Arbeit gegangen. In der Abhandlung, 
die er vor vier Jahren dem fürstlichen Zeughaus 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 8. 


zu Schwarzburg gewidmet hat, konnte er sich als 
ein Forscher von gediegenem Wissen und ruhiger 
Kritik beweisen. Auch der vorliegende stattliche 
Band zeugt von gründlicher Kenntnis der histori- 
schen Entwicklung der Waffe. Die Beschreibungen 
sind außerordentlich gewissenhaft, die einleitenden 
Kapitel, welche in kurzen Zügen das Wesen und 
den Werdegang je einer bestimmten Waffengruppe 
zeichnen, geben eine sehr klare Darstellung des 
hier zum Verständnis Wichtigen. Weniger ein- 
verstanden kann man mit dem System der Ein- 
teilung sein. Dies von Koetschau, im Verfolg des 
von Max Jähns (Entwicklungsgeschichte der alten 
Trutzwaffen) aufgestellten Prinzips, konstruierte 
System geht auf die Anwendung der Waffe zu- 
rück und teilt darnach die Trutzwaffen in Schlag-, 
Hieb-, Stich- und Wurfwaffen. Zugegeben, daß 
diese Einteilung der Entwicklung der Waffe in 
ihren Urformen gerecht wird: für die Perioden 
ihres Werdegangs, wie sie durch die vorliegende 
Sammlung vertreten werden, kommt man nicht 
damit aus. Eine so wichtige Gruppe wie die der 
Stangenwaffen wird hier einfach eliminiert: die 
Helmbarde gehört zu den Stoßwaffen, der Spieß 
zu den Stichwaffen — warum dann nicht konse- 
quenterweise die Framea zu den Wurfwaffen? Das 
organische Grundelement aller dieser Waffen aber, 
die Verlängerung des Armes bei Hieb und Stich 
durch Verbindung der Schneide (Axt, Schwert, 
Messer) mit einer Stange wird bei solcher Syste- 
matik völlig übersehen. Noch bedenklichere Kon- 
sequenzen ergeben sich aus ihr bei der Geschichte 
der Blankwaffen. Im 16. und 17. Jahrhundert wird 
zwischen dem Degen, der ursprünglich eine Stoß- 
waffe ist und dem Reitschwert nirgends genau 
unterschieden. Im Ernstkampf haben natürlich 
Hieb und Stich gewechselt; je nach Art und Tempo 
des Angriffs bahnte sich das Schwert durch die 
Feinde seinen Weg. Und wenn die Entstehung 
der Feuerwaffe sich in dem Versuch, die mecha- 
nische Kraft der Sehne durch eine chemisch-physika- 
lische zu ersetzen, zehnmal an die mittelalterliche 
Artillerie anschlésse: die Einreihung der Feuer- 
waffen unter die Wurfgeschosse wird in einem 
Inventar wie dem zu Bericht stehenden stets be- 
fremden. Eine ausführliche Erörterung der waffen- 
geschichtlichen Spezialfragen kann an dieser Stelle 
wohl vermieden werden. Jedenfalls aber führt das 
von Diener-Schönberg aufgenommene System zu 
bedenklichen Unklarheiten. Das formale Element, 
um nur eines zu betonen, wird sich bei solchen 
Versuchen am allerwenigsten ausschalten lassen. 

Der Verfasser berichtet in einer geschichtlichen 
Einleitung über die Wandlungen, welche die Rüst- 


25 335 


kammer der Wartburg nach ihrem materiellen 
Bestand wie nach ihrer Aufstellung und sachlichen 
Würdigung seit den ersten Zeiten der Ernestiner 
in Thüringen durchgemacht hat, und schildert die 
militärischen Verhältnisse der seit 1741 vereinig- 
ten Herzogtümer Sachsen-Eisenach und Sachsen- 
Weimar in großen Zügen. Ein genaueres Ver- 
zeichnis der älteren Inventare wäre hier willkommen 
gewesen. Die in elf Kapitel eingeteilte Beschrei- 
bung der 766 Stück Schutz- und Trutzwaffen folgt, 
der sich eine solche der 99 Fahnen, der sonstigen 
in der Wartburg aufbewahrten Waffen und des 
sogen. Bernhardharnischs im Schlosse zu Weimar 
anschließt. Einige Bemerkungen seien, der Einfach- 
heit halber, als simple Marginalien hier notiert: 
4: Der Sarwürkername Georg Schultes sehr wert- 
voll. 8.15: In der Schilderung wird der Ausdruck 
„Hentze“ ohne weitere Erklärung eingeführt, ebenso 
der Terminus „Folgen“. 13, 14: Es wäre zu be- 
tonen, daß Harnisch und Helm nicht zusammen- 
gehören. 16: Ungewöhnlich das 117 malige Auf- 
treten der Marke! a4: Der Ausdruck „Speiersche 
Arbeit“ irreführend; es handelt sich um Peter von 
Speier d.Ä. aus Nürnberg, der später in Annaberg 
in Sachsen ansässig war. 60, 61: Über deri Meister 
würde man gern, nach Boeheim, Nürnberger Waf- 
fenschmiede, etwas Näheres hören. 70, 71: Die 
Ätzung dieser Harnische ist derjenigen der ge- 
schwärzten Garnitur mit vergoldeten Ätzstreifen 
im Dresdner Histor. Museum (C. 7,8), die Ehren- 
thal irrtümlich dem Landshuter Franz Großschedel 
zuschrieb, außerordentlich verwandt. 77: Die Ver- 
mutung des niederdeutschen Ursprungs ist nicht 
recht begründet. In der Ornamentik der Ätzstreifen 
sind Flötnermotive unverkennbar. 79, 80: Hier 
wäre auf die zahlreichen Rennzeuge des Dresdner 
Histor. Museums hinzuweisen (C. 22— 50), Arbeiten 
von Wolf und Peter von Speier d. J. und Wolf 
Peppighorn aus der zweiten Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts. 91: Die angeführten verwandten Dres- 
dener Harnische sind nicht im Saal E, sondern 
im Saal C (Turnierwaffensaal) des Hist. Museums. 
139: Das Inventar der Dresdner Rüstkammer von 
1606 sagt, Herzog Johann Wilhelm zu Sachsen 
habe den Harnisch etwa 1591 in die Rüstkammer 
gegeben. Da Johann Wilhelm, der Stammvater 
der Weimarschen Linie, aber schon 1573 gestor- 
ben ist, kommt er wohl als ursprünglicher Besitzer, 
nicht aber als Geschenkgeber in Frage. Dies kann 
nur Friedrich Wilhelm I. von Sachsen - Altenburg 
sein, der Administrator von Kursachsen während 
der Minderjährigkeit Christians II. Die Böheim- 
sche Zuschreibung dieser weitverzweigten Garnitur 
an Kunz Lochner dürfte nunmehr endgültig erle- 


336 


digt sein. Übrigens gehören zu dem Dresdner 
Harnisch nicht „zahlreiche Wechselstücke“, son- 
dern nur ein Kinnreff und eine Brechscheibe. 
8. 72: Der Ausdruck „westlicher Okzident“ ist 
wenig glücklich. Zur Entwicklungegeschichte des 
Helmes ist zu sagen, daß der Armet nicht aus der 
Schallern, sondern aus der Beckenhaube durch Ein- 
ziehen des Nackenteils und der Seitenwände ent- 
standen ist. 158: Ohne ersichtlichen Grund als ,,viel- 
leicht niederrheinische Arbeit‘ bezeichnet. 320: Der 
terminus „Weidner“ für Jagdtaschen ist neu, sonst 
nur für eine Art breite, lange Jagdmesser gebräuch- 
lich (Wendt, Kultur und Jagd II, 386). In Kur- 
sachsen unterschied man im 17. Jahrhundert Fal- 
koniertaschen und „Schwedler“, d. h. kostbar aus- 
gestattete Taschen aus Samt oder Leder, die in 
der Regel zu einer aus Jägerhorn, Pulverhorn, 
Hundehalsband und Leibgürtel gehörten. Der Aus- 
druck Schwedler kommt schon in einem Dresdner 
Inventar von 1567 vor und hält sich bis ins 19. Jabrh. 
S. ror: Die Einleitung des Kapitels Hiebwaffen 
ist mit anderthalb Seiten ein wenig knapp ausge- 
fallen, nachdem den Helmen, die nur in etwa 25 
Exemplaren vertreten sind, deren zweiundeinhalb 
gewidmet waren. 868: Die sehr interessanten Benin- 
hörner sind mit den sonstigen Beständen der Waf- 
fensammiung von Zarskoje-Selo in die Petersburger 
Eremitage übergegangen. 878: Die Gelegenheit, 
den vielbesprochenen Harnisch im Schlosse zu 
Weimar zu zeigen, hätte wohl zu einer etwas ein- 
gehenderen Behandlung der wichtigen kunstge- 
schichtlichen Fragen führen dürfen, die sich an 
dies hervorragende Werk anschließen. Boeheims 
Aufsatz (Zeitschrift f. histor. Waffenkunde, I, 42) 
hätte trotz seiner Irrtümer wohl erwähnt, Hefners 
Publikation der Mielichschen Zeichnungen in Mün- 
chen als ornamentale Quelle unbedingt genannt 
werden müssen. Von nürnbergischem Ursprung 
kann wohl keine Rede sein. 

Noch ein Wort über Abbildungen und Ausstat- 
tung. Die photographischen Aufnahmen des Herrn 
von Cranach sind von ganz ungewöhnlicher Klar- 
heit, der Lichtdruck einwandfrei, die möglichste 
Einheitlichkeit des Maßstabes der Betrachtung sehr 
förderlich. Leider sind die Tafeln in den Text 
eingebunden, aber nicht etwa so, daß die Beschrei- 
bung stets der Wiedergabe des Stückes gegen- 
überstünde, sondern in lockerer Folge. Das macht 
ein fortwährendes Blättern nötig, wobei die Deck- 
blätter aus Seidenpapier rascheln und stören. 
Wann wird unsere Drucktechnik diese greulichen 
Impedimenta jeder Bildpublikation überwunden 
haben? Bei dem Register ist die Einreihung der 
Ortsnamen ins Sachregister ungewöhnlich. Damit 


чи dere e 


aber satis superque des Glossierens. Wir können 
nur wünschen, daß bald recht viele deutsche Waf- 
fensammiungen sich so ehrenvoller und glänzender 
Auferstehung in Wort und Bild rühmen dürfen 
wie die Waffen der Wartburg. Erich Haenel. 


W.EGGERT WINDEGG, Künstlers 
Erdewallen. Briefe v. Moritz v. Schwind. 
München 1912. O. Beck. 8°. 


Die vorliegende Ausgabe Schwindscher Briefe 
strebt keine Vollständigkeit an und erhebt auch 
nicht Anspruch auf einen rein wissenschaftlichen 
Charakter. „In diesem Büchlein soll es nicht in 
erster Linie aufs Geschichtliche, nicht aufs Wissen 
ankommen, sondern aufs Menschliche, auf den 
Charakter, auf Genuß und Erlebnis“, bekennt der 
namentlich durch die Veröffentlichung von Mörikes 
Brautbriefen und Mörikes Haushaltungsbuch rühm- 
lich bekannte Herausgeber selbst. Dennoch stehen 
wir nicht an, diese Sammlung hier anzuzeigen. 
Der Fachgelehrte verliert sich leicht in Details, 
die ihm dann die Welt dünken, denn nicht jeder 
Kunsthistoriker besitzt den Blick für die großen 
führenden Linien in der künstlerischen Entwick- 
lung eines Einzelnen oder gar eines ganzen 
Volkes. Erscheinungen wie Justi, Jacob Burck- 
hardt und Wölfflin sind eben Seltenheiten. Der 
Outsider dagegen, den weniger das Wissen- und 
Erkennenwollen als die große Liebe treibt, be- 
wahrt sich da oft eine freiere, großzügigere Auf- 
fassungsweise. Und so ist’s auch hier. Wir können 
dem Herausgeber dankbar dafür sein, daß er für 
seine Auswahl die große Masse der Schwindbriefe 
gesichtet und nur die berücksichtigt hat, welche 
für Schwinds Menschen- und Künstlertum wesent- 
lich sind und die wichtigsten Wendungen und 
die Höhen seines Lebensweges markant hervor- 
treten lassen. 

Biographische Notizen, die häufig Worte aus 
hier nicht zum Abdruck gelangten Briefen des 
Meisters benutzen, verbinden die vier ,,Wander- 
jahre“, „Auf Vorposten“, „Meisterjahre“ und 
„Heimkehr“ überschriebenen Gruppen dieser von 
Geist und Laune funkelnden, manchmal zu dich- 
terischer Anschaulichkeit emporsteigenden Episteln 
zu einem Ganzen von künstlerischer Geschlossen- 
heit. Klar und in seiner kernigen, humorvollen 
Eigenart leicht faßlich wie aus dem vor dem Titel- 
blatt stehenden Lenbachschen Bildnisse Schwinds 
blickt uns nun deg Antlitz unseres Malers aus 
dem schmuck gebundenen Buche entgegen. Eine 
Anzahl von Reproduktionen nach Porträts aus 
Schwinds Freundeskreis und Familie und nach 


ма ана — o Mt. ll mm — — — — 


ornamentalen Zeichnungen des Künstlers sind in 
den Text eingestreut. Eine kurze Einleitung weist 
auf die köstlichen menschlichen Werte, die in 
den Briefen geborgen liegen, hin und orientiert 
über die Absichten, die der Herausgeber mit seiner 
Sammlung verfolgt. 

Schade nur, daß wir von den Jugendbriefen 
keinen darin finden! Auch vermissen wir ein 
Personenregister und ein Register der in den 
Briefen erwähnten Schöpfungen Schwinds. Doch 
das alles kann ja einmal in der notwendigen Ge- 
samtausgabe von Schwinds Briefen wohl am besten 
nachgeholt werden. Möchte sie der Herausgeber 
dieser Auswahl uns bald bescheren. H. Hö hn. 


W. NEUSS, Das Buch Ezechiel in 
Theologie und Kunst bis zum Ende 
des 12. Jahrh. (Beiträge zur Geschichte 
des alten Mönchtums u. des Benediktiner- 
ordens), hg. v. P. Ildefons Herwagen, Mün- 
ster, Aschendorf 1912. 333 S. 86 Abbild. 
M. 10.—, geb. M. 12.—. 

Die phantastischen, traumhaft verworrenen Ge- 
sichte Ezechiels haben nicht nur die Ausleger, 
Kirchenväter und Scholastiker beschäftigt und zu 
tiefgründigen Spekulationen verführt, sie haben 
auch die christliche Kunst mit einigen jener un- 
künstlerischen Rätselbilder belastet, zu deren Deu- 
tung immer eine schwere Gelehrsamkeit gehört. 
Es ist deshalb mit Freuden zu begrüßen, daß ein 
wohlgerüsteter Schrift- und Kunstgelehrter einmal 
der Fortwirkung ezechielscher Gedanken in der 
Theologie wie in der Kunst nachgegangen ist und 
dasErgebnis langwieriger und mühsamer Forschung 
in guter, knapper, durchsichtiger Form vorlegt. 
Die erste Hälfte des Buches ist literarischer Aus- 
beutung Ezechiels bis auf Rupert von Deutz ge- 
widmet, die zweite den Kunstvorstellungen in alt- 
christlicher, griechisch-byzantinischer und abend- 
ländisch-romanischer Kunst. Waren früher immer 
nur einzelne Gesichte, wie die Erweckung der 
Totengebeine, die Gotteserscheinung und der Tetra- 
morph lebendig geworden, so versuchten sich die 
Buchmaler des 10. und 11. Jahrhunderts an der 
Bewältigung des ganzen trüben Stoffes (Bibel von 
Rosas, von Farva, Haimokommentar) und nach 
1151 wurde selbst die Decke der Unterkirche zu 
Schwarzrheindorf mit solchen Stoffen gefüllt. 
Dieser hochgerühmte Zyklus ist seit seiner Wieder- 
findung (1846) durch C. Hohe (1854) ziemlich ganz 
neu gemalt und (oft falsch) ergänzt, ohne eigent- 
lich je recht verstanden zu sein. In der Rekon- 
struktion und Erklärung dieses Bilderkreises gipfelt 


337 


also die Untersuchung mit dem Ergebnis, daß in 
Anlehnung an Ruprecht von Deutz ein theologisch- 
mystisches Welt- und Kirchengedicht herauskommt 
ähnlich etwa dem Gottesstaat Augustins. Der 
Herausgeber der Sammlung, Р. lidefons Herwegen 
hat eine Deutung des Zyklus in der Oberkirche 
hinzugefügt, den er als Verherrlichung des Mönch- 
tums und der Jungfräulichkeit auffaßt; das scheint 
mir zu eng und verkiinstelt. Aber so ernste und 
gehaltreiche Sıudien wird man überall mit Dank 
begrüßen. Bergner. 


LEANDRE VAILLAT, La société du 
XVII. siecle et ses peintres, orne de 
12 portraitshors-texte. 270S. Perrin & Cie. 
Fr. 5.—. 

Vaillat, der uns vor Jahren eine schòne und 
kluge Arbeit über Perronneau schenkte, hat in 
diesem neuen Buche Studien über das Porträt und 
Kostüm, über die Frau, das Kind und Josephine 
à la Malmaison vereinigt, denen sich noch eine 
erneute Untersuchung über Perronneau und eine 
sehr gründliche und ausführliche Charakteristik 
Liotards angliedern. Es handelt sich bei den 
ersten vier Kapiteln weniger um eine Darstellung 
der Gesellschaft im 18. Jahrhundert als um eine 
Erklärung von Eigentümlichkeiten in der Portrit- 
kunst aus gesellschaftlichen Konventionen. Infolge- 
dessen hätte der Titel des Buches treffender „Das 
Kostüm im Porträt“ lauten müssen. Bietet das 
Buch etwas ganz anderes als es verspricht, so 
wird man doch nicht enttäuscht, da der junge Ge- 
lehrte sich mit Verständnis in die umfangreiche 
Materie vertieft hat, ohne sie allerdings ganz zu 
erschöpfen. Aber ist das möglich, solange die 
französischen Kunsthistoriker das 17. und 18. Jahr- 


338 


hundert archivalisch noch nicht gründlich durch- 
gearbeitet haben? Vaillat lockt die Aufmerksamkeit 
auf einen wenig bekannten Maler: Louis Auguste 
Brun; ferner passieren unter dem Gesichtspunkte 
des Kostüms alle großen Porträtisten der Zeit: 
Nattier, Largillieres, Tournières, Tocqué, Dauloux, 
Roslin, Lépicié usw. Revue. Viele geistreiche 
Charakteristiken und Gesichtspunkte machen die 
Lektüre des schön geschriebenen Buches wertvoll. 

Otto Grautoff. 


MAURICE BARRES, Greco et le sé- 
cret de Toléde. 24 Abbildungen. Emile 
Paul, Paris. Preis Fr. 3.50. 

Nach Chassériau waren in unserer Zeit unter 
den Malern und Sammlern Degas, Zuloaga, Henri 
Rouart und Tschukine die ersten, die Greco wieder- 
entdeckten. Unter den Literaten und Dichtern 
waren Maurice Barres und Robert de Montesquiou 
die ersten, denen vor zwölf bzw. zehn Jahren To- 
ledo zum Erlebnis wurde. Ihren Anregungen 
folgten erst später die Deutschen nach. Trotzdem 
aber Barrès einer der ersten Greco-Verehrer und 
einer der Führer des jungen literarischen Frank- 
reichs ist, entspricht sein salopp geschriebenes 
Buch, das zuerst in der Revue bleue erschien, 
nicht den Erwartungen, mit denen man dasselbe 
zur Hand nimmt. Das Buch, das schnell in zwölf 
Auflagen abgesetzt wurde, hat zahlreiche Zeit- 
schriften zu ausführlichen Elogen Anlaß gegeben; 
und doch ist es nicht mehr als eine von Enthu- 
siasmus getragene Reiseplauderei mit einer Schil- 
derung des Grecoschen Seelenzustandes; von der 
Zeichnung und der Farbe in den Bildern des 
Meisters findet sich kein Wort. Dankbar begrüßt 
man die zahlreichen Illustrationen nach Werken 
des Greco. O. Grautoff. 


DER CICERONE. 

Heft 13: 

WILHELM BODE, Neuentdeckte und wiederer- 
standene Gemälde von Rembrandt. (1 Tafel, 1 Abb.) 
AUG. L. MAYER, Eugenio Lucas d. Ä. (5 Abb.) 


ROBERT SCHMIDT, Zur Geschichte der Faentiner 
Majolika. (7 Abb.) 


Heft 14: 
CHRISTIAN SCHERER, Ein Werk des Bildhauers 
Israel von der Milla. (1 Abb.) 

ARNOLD FORTLAGE, Die internationale Aus- 
stellung des Sonderbundes. (9 Abb.) 


AUG. L. MAYER, Das Oeuvre des Antonio Amorosi. 
(2 Abb.) 


JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST- 
SAMMLUNGEN. 

33. Bd., Heft 2 und 3: 

OSKAR FISCHEL, Raffaele erstes Altarbild, die 
Krönung des Ы. Nikolaus von Tolentino. (10 Abb.) 
BENNO GEIGER, Marco Marziale (Schluß). (13 Ab- 
bildungen.) 

DETLEV FRHR. VON HADELN, Parrasio Micheli. 
(10 Abb.) 

LUDWIG BURCHARD, Eine neue Rembrandt- 
zeichnung. (1 Tafel, 1 Abb.) 

OTTO VON FALKE, Chinesische Seidenstoffe des 
14. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Sei- 
denkunst Italiens. (23 Abb.) 


E. VON LIPHART, Kritische Gänge und Reiseein- 
driicke. (11 Abb.) 


ZEITSCHR. FÙR BILDENDE KUNST. 
Heft 10: 


PAUL FERD. SCHMIDT, Die internationale Aus- 
stellung des Sonderbundes in Köln. (15 Abb.) 
GEORG GRONAU, Ein Jugendwerk Leonardo da 
Vincis. (12 Abb.) 

K. FR. LEONHARDT und HELMUTH TH. BOS- 


SERT, Studien zur Hausbuchmeisterfrage (Schluß). 
(1x Abb.) 


ZEITSCHRIFT FUR CHRISTL. KUNST. 

Heft 3: 

GEORG WEISE, Die Krönung Mariä am südlichen 

Querhause des Straßburger Münsters und das Tym- 

panon der Kirche zu Kaysersberg. (1 Taf.) 
Da das Tympanon des Straßburger Querhaus- 
portals als Vorlage für die Ausschmückung des 
Kaysersberger Portals gedient hat, die etwa 1230 
erfolgte, muß das Straßburger Tympanon kurz 
vorher und nicht, wie bisher angenommen wurde, 
um 1240— 1250 entstanden sein. 

LUDWIG ARNTZ, Wegekreuz und Wegebild. II. 

(44 Abb.) 

FRITZ WITTE, Alte und neue Kirchen- und 

Vereinsfabnen. II. (Schluß.) (ах Abb.) 


DIE GALERIEN EUROPAS. 

Heft 6: 

Murillo, Ecce homo (Madrid). Text von Beruete. 
Velasquez, Las Мепіћав (Madrid). Text von 
Beruete. 

Antonio Mor, Maria von England (Madrid). Text 
von A. L. Mayer. 

J. F. Millet, Ährenleserinnen (Paris). 


Frans Snyders, Früchteverkäuferin (Madrid). 
Text von A. L. Mayer. 


DIE KUNST. 
Heft то: 


FELIX BRAUN, Wiener Frühjahrsausstellungen. 
(1 farb. Tafel, 27 Abb.) 


WILHELM MICHEL, Die Grenzen des Subjekti- 
ven in der Kunst. 


G. HOWE, Die Frühjahrsausstellung Düsseldorfer 
Künstler. (1 farb. Tafel, 16 Abb.) 


L. BROSCH, Edgar Chaline. (1 Tafel, 7 Abb.) 


G. J. WOLF, Das Marionettentheater Münchner 
Künstler. (2 Tafeln [т farb.], 16 Abb.) 


E. HAENEL, Raumkunst und Kunstgewerbe auf 
der Dresdner Kunstausstellung 1912. (21 Abb.) 


DIE KUNSTWELT. 

Heft 9: 

F. L., Die internationale Leipziger Ausstellung 1912. 
(3 Tafeln, 17 Abb.) 


ROBERT BREUER, Der neue Leipziger Zentral- 
bahnhof. (7 Abb.) 


F. DEIBEL, Königsberger Kunstleben. (2 Tafeln, 
12 Abb.) 


FELIX GENZMER, Straßenstil. (15 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft то: 


KUNO GRAF HARDENBERG, Große Kunstausstel- 
lung Dresden. (4 Tafeln, 24 Abb.) 


W. GEORGI, Kunstwerk und Persönlichkeit. 
E. W. BREDT, Stagnation als Ideal. (4 Abb.) 


A.R—r., Das Restaurant zur großen Tabakspfeife. 
(x Tafel, 14 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 
Heft 10: 


PAUL CEZANNE, Erinnerungen an ihn von J. Ro- 
gere. (10 Abb.) 


PAUL KRISTELLER, Ein Skizzenbuch Tiepolos. 
(8 Abb.) 

JOH. SIEVERS, Neu Cladow. (5 Abb.) 

KARL VOLL, Böcklin u. Salomon Jessner. (2 Abb.) 


P.MAHLBERG, Sonderbundausstellung Köln. (5 Ab- 
bildungen.) 


339 


REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN- 
SCHAFT. 

Heft ı: 

OTTO FISCHER, Eine chinesische Kunsttheorie. 


G. JOS. KERN, Perspektive und Bildarchitektur 
bei Jan van Eyck. (27 Abb.) 


REVUE DE L’ART CHRETIEN. 
Nr. a 


A. BOINET, Les sculptures des portails de la ca- 
thédrale de Meaux. I. (7 Abb.) 


POUZET, Notes sur les chapiteux de l’abbaye de 
Cluny. П. (Schluß.) (1 Taf., 8 Abb.) 


J. CHRISTOFANI, L'iconographie des vitreaux du 
XIIle siècle de la basilique d’Assise. I. 


A. GAZIER, Jean Restout et les „Miracles“ du diacre 
Paris. (15 Abb.) 


MELANGES: 


PAUL VITRY, Le couronnement de la Vierge 
du Chateau de la Ferté-Milon et celui des Tres 
Riches Heures du duc de Berry. (2 Abb.) 


LUCIANO HUIDOBRO, L’Eglise de Saint-Tou- 
ribe è Barrios de Bureva (Burgos). (1 Abb.) 


CARL R. AF UGGLAS, Un calice inconnu de 
Nicolas d’Hereford. (1 Abb.) 


CHRONIQUE: France (6 Abb.); Belgique. 
BIBLIOGRAPHIE. 

LES ARTS. 

juni: 

MAURICE HAMEL, Société des artistes francais. 
Salon de 1912. (19 Abb.) 


MAURICE DEMAISON, La sculpture aux deux 
salons. (18 Abb.) 


L'ART ET LES ARTISTES. 
VIIL, Nr. 86 und 87: 
GABRIEL MOUREY, Gustave Ricard. 


Е. DE MIOMANDRE, Herbert Ward et l’äme de 
la Race noire. 


GUSTAVE MOSSA, Les Primitifs de Nice: L’Ex- 
position rétrospective d’Art regional Nicois des XVe 
et XVIe siècles. 


LÉANDRE VAILLAT, Caro-Delvaille, Décorateur. 


THÉODORE DURET, Un grand peintre de la 
Provence, Paul Guigou. 


JEAN-MARIE CARRÉ, Arthur Rackham. 


LÉON ROSENTHAL, La Peinture Allemande. (16. 
bis 19. Jahrh.; Schluß.) 


Le Salon de la société nationale. 


L’ART DECORATIF. 
XIV., Nr. 171, 172 und 178: 
PASCAL FORTHUNY, Le Vile salon des Artistes 
Décorateurs. 

PIERRE GODET, Un peintre suisse: 


340 


Cuno Amiet. 


CAMILLE MAUCLAIR, Les dessins de Jeanne 
Bardey. 


PAUL LAFOND, La ferronnerie espagnole. 


ROBERT LESTRANGE, L’Art décoratif au théàtre 
des Arts: Maxime Dethomas. 


ALBERT MAYBON, La Peinture Chinoise au 
Musée Cernuschi. 


PAUL DROUOT, Gustave Ricard. 


NICOLAS DE ALDISJO, Les tissus et les dentelles 
de Pérouse. 


ART ET DECORATION. 

Juni: 

GABRIEL MOUREY, Gaston le Bourgeois, sulpteur. 
М. Р. VERNEUIL, L'Art décoratif aux Salons de 
1912. 

LOUIS HOURTICQ, La Sculpture aux Salons. 


FRANCOIS MONOD, L’Exposition des oeuvres de 
Carpeaux et de Ricard. 


GAZETTE DES BEAUX-ARTS. 
Mai: 
MARIE LOGAN BERENSON, Le nouveau tableau 


de Bellini au Louvre („Le Sauveur Bénissant*) ; 
mit Abb. in Heliotypie. 


L.-H. LABANDE, Les Peintres Nicois des XVe 
et XVle siecles. (2. Artikel.) 


L.BATIFFOL, Les travaux du Louvre sous Henri IV, 
d’après des nouveaux documents. (a. Artikel.) 


Juni: 

PAUL JAMOT, La „Suite Indienne“ de М. Albert 
Besnard. 

EMILE MALE, L'architecture Romaine d'après 
un livre récent de M. P. de Lasteyrie. 
FIERENS-GEVAERT, L’Exposition de la Minia- 
ture а Bruxelles. 

AUGUST MARGUILLIER, Bibliographie der Kunst 
(erstes Semester 1912). 

LEON ROSENTHAL, Les Salons de 1912. 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 
Juni 1912: 
O. M. DALTON, Byzantine Enamels in Mr. 
Pierpont Morgans Collection. (1 farbige und 
x Lichtdrucktafel mit zusammen 7 Abb.) 
Weitere Fortsetzung des Artikels über P. Morgans 
Byzantinische Emaillen. Ein Schlußaufsatz folgt. 


SIR CLAUDE PHILLIPS, The Titian of The 

Cassel Gallery. (1 Tafel.) 
Der Verfasser akzeptiert mit C. Justi und jetzt 
auch Dr. Gronau, Direktor der Casseler Galerie, 
Tizians Autorschaft und die Bezeichnung des 
Porträts als das des pompliebenden Herzogs von 
Atri, Acquaviva, nur kann er sich nicht dazu 
verstehen, den Hintergrund des Bildes, wie er 
sich jetzt darbietet, als von Tizians Hand stam- 
mend anzusehen: dieser schwächlich gemalte 
Himmel mit den wolligen Wolken in unklaren 


Formationen, der ganze, keineswegs silbrige Ton, 
wie er sonst Tizian um diese Zeit seines Schaffens 
eigen ist, scheint mehr dem 17. als dem 16. Jahr- 
hundert anzugehören. So dürfte es sich bei dem 
Hintergrund um eine spätere Übermalung han- 
deln. 


R. L. HOBSON, On Chinese Cloisonné Ena- 

mel. — I. (1 Tafel mit a Abb.) 
Ein Spiegel mit Cloisonné-Emailledekoration im 
Shoso-in, dem Kaiserlichen Schatz, in Nara, Japan, 
kann nicht älter sein als das 8. Jahrhundert. Es 
ist offenbar chinesischer Abstammung aus der 
Tangperiode, wiewohl fünf Jahrhunderte ver- 
gehen, ehe diese Kunstübung wieder in China 
erscheint. Der Artikel behandelt dann die Ein- 
flüsse von Kleinasien, als Teil des römischen 
Reiches, auf China. Die Redaktion schickt Mr. 
Hobsons Aufsatz die Beschreibung einer späten 
Ming Cloisonné Vase nach mit farbiger Tafel, 
um so ein Beispiel für die Art der Farben dieser 
Emaillen zu geben. Die abgebildete Vase ge- 
hört Mr. Larkin. 


W.R. LETHABY, The Ruthwell Cross. 
Wendet sich gegen die Ansicht Signors Rivoira, 
der die alten Skulpturen des Ruthwell Cross um 
fast fünf Jahrhunderte später ansetzen will. Sie 
seien das Werk des 7. Jahrhunderts und zeigten 
Spuren koptischen Einflusses. 

LIONEL CUST, The British School At Rome. 
Eine Art Protest gegen den der Verwirklichung 
entgegengehenden Plan die britische archäologi- 
sche Schule in Rom in eine große Kunstaka- 
demie mit angegliederter wissenschaftlicher Ab- 
teilung zu verwandeln. 


SIMON BUSSY, La Société des Beaux Art 

de Nice. (2 Tafeln.) 
Bespricht anknüpfend an eine kürzlich abgehal- 
tene retrospektive Ausstellung der Landeskunst 
des 15. und 16. Jahrhunderts in Nizza, die 63 
Werke vorgeführt hatte, die Malerei jener Gegend, 
die, soweit jene Ausstellung ein Urteil zuläßt, 
zwar stets unter fremdem Einfluße gestanden 
habe und meist nur von mehr oder weniger 
tichtigen Handwerkern ausgeübt worden sei, 
u.a.aber doch wenigstens ein Bild von hohem 
Kunstwert aufweise, nämlich das Altarbild aus 
der Kapelle St. Etienne de Hautes - Gréolières, 
dessen Maler unbekannt ist. Es muß ein Meister 
gewesen sein, der bei allem Realismus ein starkes 
und sicheres Stilgefühl besaß. Sein Werk läßt 
sich in vielen Beziehungen mit den gotischen 
Skulpturen der bedeutendsten französischen Ka- 
thedralen vergleichen. 

AYMER VALLANCE, Early Furniture. — 1. 

(2 Tafeln mit 4 Abb. und 2 Abb. im Text.) 
Behandelt zunächst als älteste Stücke Truhen 
und ihre dekorative Ausstattung. 

ROMNEY GREEN, Principles and Evolution 

of Furniture Making. — Ш. 
Die Bedeutung des „sozialen Faktore“ auf die 
Ausbildung und das Blühen resp. den Nieder- 
gang des Kunsthandwerks wird in kurzen, klar 
entwickelten Leitsätzen dargestellt und dabei ein 
neues Licht auf den „Sieg“ der Renaissance 
geworfen. 


Notes son various works of art. (2 Tafeln 
mit 6 Abb.) 


U. a. bespricht Abraham Bredius das kürzlich 
für 475000 Francs in Paris verkaufte Bild Rem- 
brandts: „Alte Frau ein Huhn rupfend“, das 
Geheimrat Bode als einen echten Rembrandt 
erklärt hat. Bredius findet Rembrandts Hand 
nur in dem Huhn selber. Die Signatur sei 
offenbar gefälscht. 


Artin France. Letters to the Editors. Re- 
views and Notices. Recent Prints. Italian 
Periodicals. Recent Art Publications. 


Juli 1912: 
LEWIS EINSTEIN, Some Notes on Chinese 
Painting. (2 Tafeln mit 5 Abb.) 


Bespricht die immer noch vorhandene, aus vie- 
lerlei Gründen sich herschreibende Schwierigkeit 
die chinesische Malerei anders als in veralige- 
meinernden Bemerkungen zu charakterisieren, 
und gibt dann an der Hand einiger Beispiele 
aus des Verfassers eigener Sammlung einige 
Charakteristika verschiedener Stile, darunter eines 
in Europa kaum bekannten, eines realistischen 
dabei aber großzügigen Porträtstiles. 


SIR MARTIN CONWAY, The Bewcastle and 
Ruthwell Crosses. (1 Tafel mit 4 Abb.) 


Ordnet die frühen „anglischen“ Skulpturen, die 
von einigen Forschern später als das 7. Jahr- 
hundert angesetzt werden, in eine ganze unun- 
terbrochene Reihe alter Skulpturen verschiedener 
britischer Schulen von der vorchristlichen Zeit 
her ein. 


MONTGOMERY CARMICHAEL, Fra Lippo 
Lippis Portrait. (1 Tafel mit 3 Abb.) 


Der in Fra Lippo Lippis „S. Ambrogiokrönung“ 
im Vordergrund rechts kniende Kleriker ist nicht, 
wie seit Vasari immer wieder behauptet wird, 
der damals erst 35 Jahre alte Künstler selber, 
sondern offenbar der 70 jährige Stifter des Bildes 
und Altares, der Prior Francesco Maringhi. 


ROGER FRY, Sir Sidney Colvin and the 
Print Room at the British Museum. 


R. L. HOBSON, On Chinese Cloisonné Ena- 
mel, — П. (2 Tafeln mit 7 Abb.) 

Behandelt die Emaillen der Ching T’aiperiode. 
AYMER VALLANCE, Early Furniture. — U. 
(2 Tafeln mit 5 Abb. und 1 Textillustration.) 

Bespricht des weiteren Truhen verschiedener 

Herkunft. 


HERMANN VOSS, On a Lost Crucifixion by 
Albrecht Dürer. (2 Tafeln.) 


Wie eine Diirerzeichnung der Kreuzigung aus 
dem Jahre 1505, die sich noch in den Uffizi be- 
findet, als Vorlage für das ebenfalls in den Uffizi 
sich befindende Gemälde der Kreuzigung von 
Brueghel diente, so muß ganz offenbar eine 
spätere, etwa aus dem Jahre 1510 stammende, 
aber verloren gegangene Dürersche Zeichnung, 
denselben Stoff behandeind, als Vorlage für das 
viel später ausgeführte Bild des Don Pietro da 
Bagnaia in Santa Maria della Passione in Mai- 
land angenommen werden. 


341 


O. M. DALTON, Byzantine Enamels in Mr. 
Pierpont Morgans Collection. (2 Tafeln mit 
4 Abb.) 
Faßt die Charakteristika der byzantinischen 
Emaillekunst und -künstler noch einmal zusam- 
men. Diese Kunst atme in ihrer engen Umschrei- 
bung doch den ganzen Geist und die Kultur 
ihrer Zeit. 


A.ROMNEY GREEN, Principles and Evo- 
lution of Furnitur Macking. — IV. 


Fährt in der Betrachtung des „sozialen Faktors“ 
als Bedingung für das Blühen resp. Sinken der 
Kunst fort und behandelt vor allem die üblen 
Folgen des Arbeitens für den großen, ja inter- 
nationalen Markt, statt für wenige, dem Künst- 
ler resp. Handwerker mehr oder weniger be- 
kannte Auftraggeber. 


Notes on Various Works of Art (2 Tafeln). 
Art in France. Letter to the Editors. Re- 
views and Notices. French Periodicals. 


HUGO KEHRER, Die gotischen Wandmalereien 
in der Kaiser-Pfalz zu Forchheim. G. Franzscher 
Verlag (J. Roth), München. 


E. HEINRICH ZIMMERMANN, Watteau. (Klas- 
siker der Kunst, Bd. XXI.) Deutsche Verlagsan- 
stalt, Stuttgart. 

AMEDEE BOINET, Les sculptures de la cathé- 
drale de Bourges, facade occidentale. (Publication 
de la Revue de Гап chrétien.) Paris, Honoré 
Champion. 

HUGO MARCUS, Die ornamentale Schönheit der 
Landschaft. München, Verlag von R. Piper & Co. 
Preis geh. M.4.—, geb. М. 5.50. 


EDMOND PILON, Watteau et son école. (Biblio- 
theque de l’art de XVIII e siècle.) G. van Oest & Co., 
Bruxelles-Paris. 

GOELER VON RAVENSBURG, Grundriß der Kunst- 
geschichte, 3. Aufl., bearbeitet von Geh. Rat Мах 
Schmid, Aachen. Berlin, Verlag von Carl Duncker. 
Preis M.9.—. 

KONRAD LANGE, Über den Zweck der Kunst. 
Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke. Preis М. 3.—. 


JACOB BURCKHARDT, Geschichte der Renais- 
sance, 5. Aufl. von Prof. Dr. Holtzinger. Eßlingen 
a. N., Verlag von Paul Neff. 


PAUL BRUNE, Dictionnaire des artistes et ouv- 
riers d’art de la france (Franche-Comté). Biblio- 
thèque d'art et d’archéologie, Paris. 


MORTON H. BERNATH, New York und Boston. 
(Berühmte Kunststätten, Bd. 58.) Verlag von E. 
A. Seemann, Leipzig. 

OTTO von SCHLEINITZ, London. (Berühmte 
Kunststitten, Bd. 59.) Ebenda. 

J. NEUWIRTH, Prag. П. Aufl. (Berühmte Kunst- 
stätten, Bd. 8.) Ebenda. 


ADOLF PHILIPPI, Begriff d. Renaissance. Ebenda. 


JOHNNY ROOSVAL, Die Kirchen Jotlands. Bei- 
trag zur mittelalterlichen Kunstgesch. Schwedens. 
Ebenda. 

LÜBKE | SEMRAU | HAACK, Grundriß der Kunst- 
geschichte (Bd. 3: Die Kunst der Renaissance, 14. 
Auflage). Eßlingen, Verlag von Paul Neff. Preis 
M. 12.—. * 

JOSEPH GRAMM, Die ideale Landschaft, ihre Ent- 
stehung und Entwicklung. Freiburg, Herdersche 
Verlagshandlung. 2 Bde. Preis M. 36.—. 
A.MATTHAEI, Deutsche Baukunst im Mittelalter, 
3. Aufl. (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 8.) Preis 
M. 1.25. 

RUDOLF HIRZEL, Plutarch. (Das Erbe der Alten, 
Heft IV.) Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Theo- 
dor Weicher, Leipzig. 

ANTON HEKLER, Die Bildniskunst der Griechen 
und Römer. Stuttgart, Verlag von Julius Hoffmann. 
C. H. BAER, Deutsche Fest- und Wohnräume aus 
sechs Jahrhunderten. Ebenda. 


V. Jahrgang, Heft VIII. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lank- 
witz, Waldmannstraße 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in BERLIN: HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstr. 158. / In 
MÜNCHEN: Dr. М. K. КОНЕ, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. / In ÖSTERREICH: Dr. KURT 
RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill 
Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANK- 
REICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, 


Basel, Eulerstr. 65. 


SPRECHSTUNDEN DER REDAKTION: 


Montags 10—12 und Donnerstags von 3—5 Uhr. — Telephon: Amt Groß-Lichterfelde 456. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


342 


Tafel 64 


Fig. 1. Donatellos Bronze- David 
Bargello, Florenz 


Zu: AUGUST HAHR, DONATELLOS BRONZE- DAVID UND DAS PRAXITELISCHE EROSMOTIV 


M. f. K. V.,8 


Tafel 65 


Fig. 2. Hermes von Belvedere Vatikan 


Zu: AUGUST HAHR, DONATELLOS BRONZE-DAVID UND DAS PRAXITELISCHE EROSMOTIV 


M. f. K. V.. 8 


Tafel 66 


r 


Fig. 3 Eros von Centocette Vatikan 


Zu: AUGUST HAHR, DONATELLOS BRONZE- DAVID UND DAS PRAXITELISCHE EROSMOTIV 


M. f. K. v., 8 


Digitized by Google 


Tafel 67 


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Fig.4. Eros. Neapel Fig.5. Knabenstatue. Dresden 


Zu: AUGUST HAHR, DONATELLOS BRONZE-DAVID UND DAS PRAXITELISCHE EROSMOTIV 


M. f. k. V.,8 


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Tafel 69 


NEUDRUCKVERSUCHE MIT EINER TEIGDRUCK-KUPFERPLATTE DES ı5. JAHRHUNDERTS IM BAYRISCHEN 
NATIONALMUSEUM ZU MÜNCHEN :: VERKLEINERTE REPRODUKTIONEN 


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DIE 


Abb. ı. Platte als Hochdruck eingeschwärzt Abb. 2. Platte als Tiefdruck eingeschwärzt 


Abb. 3. Platte als Tiefdruck eingeweißt 


Zu: MAX GEISBERG, TEIGDRUCK UND METALLSCHNITT 
M. f. K. V.. 8 


Abb. 1. LUCA CAMBIASO, Venus entwaffnet den Cupido Straßburg, Privatbesitz 


Zu: HERMANN VOSS, VENUS ENTWAFFNET DEN CUPIDO 


M. f. K. V., 8 


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Tafel 73 


Zu: HERMANN NAS SE, EIN UNVERÖFFENTLICHTER ABEL GRIMMER 


M. f. K. V., 8 


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ONATSHEF TE 
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WISSENSCHAF 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abonnementspreis halbjährlich 12 Mark == 


Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT o 


ABHANDLUNGEN 

AUGUST L. MAYER, Der Meister 
des ,,Borro“- Bildes. Mit 2 Abbild. 
auf 2 Tafeln........... S. 343 

WALTER BOMBE, Urkundliches aus 
dem Archiv der Mercanzia in Florenz, 
Pfindungen bei Florentiner Kiinst- 
len csi жя EE E S. 346 

ERNST GALL, Studien zur Geschichte 
des Chorumganges П. Mit 17 Abbild., 
davon 12 Abbild. auf 6 Tafeln S. 358 


MISZELLEN 


Contribution & l’étude du peintre Sutter- 
mans. Avec deux reproductions wr une 
planche (Bautier). ............ 8. 377 

Ein Bild des Utrechter Malers Luemen 
van Portengen. Mit ı Abbildung auf 


1 Tafel (Rosenthal) ........... 8. 378 
LITERATUR 
Neue Barocci-Literatur: Walter Friedländer, 
Das Kasino Pius IV. (Voss) ...... 8. 381 


A. 5. РКЕҮ 


Königl. Bayer. Hoflieferant 


Rudolf Heinrich Krommes, Studien zu 
Federigo Barocci (Voss) ........ 8. 381 


Robert Schmidt, Das Glas. Handbücher der 
kgl. Museen zu Berlin (Saueriandt) . . S. 383 


L. Schnorr von Carolsfeld, Porzellan der 
europäischen Fabriken des 18. Jahrhunderts 
(Ёоегиег)................. 5. 386 

Béla Lázár, Paul Merse von Szinyel, ein Vor- 
läufer der Pleinairmalerei (Gebhardt) . 8. 387 

Georg Leidinger, Miniaturen aus Hand- 
schriften der kgl. Hof- und Staatsbibliothek 
in München (Vitsthum)......... 8. 387 

M. H. Bernath, New York und Boston a 
e,, ee 

Thomas Muchall-Viebrock, МЕ ч 
Zimmermann. Ein Beitrag zur Geschichte 
der süddeutschen Kunst im 18. Jahrhundert. 
(Ph. М. Haim 8. 389 

Henry Lemonnier, Procès verbaux de ГАса- 
demie royale d’Architecture (Grautoff) 8. 390 

G. Desdevises du Dézert et Louis Bréhier, 


Clermont-Ferrand (Grautoff) ......8. 390 
Rundschau 8. 391 
Neue Büchherrnr ә» ә ә» ә 8.393 


Ausstellung 


kostbarer Antiquitäten + Ein- und 


MÜNCHEN 


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AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITÄTEN 


DER MEISTER DES „BORRO“-BIL DES 


Mit zwei Abbildungen auf zwei Tafeln Von AUGUST L. MAYER 


ächst der „Hausbuchmeisterfrage“ gibt es wenig Themata, die sich seit den 

letzten Jahren solcher Beliebtheit bei den Kunsthistorikern erfreuen, wie 
die Frage nach dem Autor des sogenannten „Borro- Porträts“ im Berliner Kaiser- 
Friedrich-Museum. Fast jeder, der sich dieses Objekt zum Opfer auserkor, wußte 
einen anderen Namen zu nennen. Als Velazquez war dieses aus der Villa 
Passerini bei Cortona stammende, angeblich den italienischen Feldhauptmann Ales- 
sandro del Borro darstellende Gemälde 1873 in Arezzo für das Berliner Museum 
erworben worden. Carl Justi!) lehnte es in seinem Velazquez-Werk als Arbeit des 
Meisters ab, ohne einen anderen Meisternamen dafür angeben zu können. Mario 
de Baria schlug vor längerer Zeit Tiarini vor?), eine unhaltbare Hypothese. Be- 
kannt ist die lächerliche Zuweisung von Wauters an den Delfter Vermeer. Wie wir 
hören, bereitet ein schwedischer Kritiker einen Aufsatz vor, in dem er das Bild 
einem anderen Holländer (hoffentlich nicht van der Helst!) zuschreiben will. Am 
meisten beachtet wurde in der letzten Zeit die in diesen Blättern veröffentlichte 
Arbeit von Hermann Voss*), der beweisen zu können glaubte, daß niemand anders 
als Andrea Sacchi der Autor sei. Allein, wenn auch diese Hypothese aus leicht 
begreiflichen Gründen vielen italienischen Kunsthistorikern sympathisch war, so ver- 
mochte Voss mit seiner Ansicht doch nicht ganz durchzudringen. 

Der Autor des jüngsten Berliner Galeriekatalogs nimmt keine entscheidende Stel- 
lung zu der Frage ein. Schmerber hat es mit Entschiedenheit für Italien abge- 
lehnt“). Ganz kürzlich hat Ernst von Liphart das Bild wieder Velazquez zu- 
weisen wollen’). 

Wenn wir es nun wagen in diese schwierige Frage einzugreifen, eine bisher 
noch nicht herangezogene Persönlichkeit als den wirklichen Autor dieses vielum- 
strittenen Bildes zu bezeichnen, so geschieht dies nach langem Zögern. Da ich 
jedoch in meiner Vermutung durch meinen verehrten Freund, den Madrider Kunst- 
historiker D. Elias Tormo bestärkt worden bin, der — wie es sich jüngst in 
einer längeren Unterredung zeigte — selbst auf ähnlichem Weg zu dem gleichen 
Resultat gelangt ist, so sei Tormos und meine Hypothese hierdurch kurz mitgeteilt. 

Es scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen, daß das Bild auf jeden Fall von 
einem spanischen Meister herrührt. Wie jeder vorurteilsios Denkende zugibt, 
fiel es bei der vorjährigen Florentiner Porträtausstellung ganz aus dem Rahmen 
der italienischen Bilder heraus. Die Gesamthaltung, vor allem die Kostiimbehand- 
lung weisen auf einen Madrider Meister, einen Maler, der dort um die Mitte 
des 17. Jahrhunderts tätig war. Velazquez selbst kommt hier nicht in Betracht. 
Dafür will ich hier nur auf Justis knappe, klare Begründung verweisen. Aber in 
seinem Kreis ist der Autor sicherlich zu suchen. Und, wenn wir uns nicht sehr 
irren, ist es kein anderer als D. Juan Carreño de Miranda. 

Carrefio ist im allgemeinen nur durch seine etwas an van Dyck anklingenden 
Schöpfungen bekannt. Er teilt jedoch mit vielen anderen seiner Madrider Kollegen 


(х) С. Justi, Velazquez, т. Aufl. П, 352. 

(a) Rassegna d' Arte 1912, р. 4. 

(з) Monatshefte für Kunstwissenschaft III (1910), р. 18—24. 

(4) H. Schmerber, Betrachtungen über die italienische Malerei im 17. Jahrhundert, 8. 97. 
(5) Jahrbuch der Preuß. Kunstsammlungen 1912, p. aaa ff. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 9. 26 343 


jener Kunstepoche die Eigenschaft, daß er sehr wandiungsfithig ist. Ale diese 
Maler: Carrefio, Cerezo, Antolinez, Escalante usw. sind hochtalentierte, äußerst ge- 
schickte Künstler, aber keine großen Persönlichkeiten. Carreño insbesondere nahm 
sich bald van Dyck, bald Tizian, bald Velazquez als Muster. Man stelle nur ein- 
mal das ganz von Velazquez abhängige Porträt der Marquesa de Sa. Cruz bei der 
Marquesa de Isasi in Madrid mit der ungeheuren Krinoline (eine Symphonie in 
Gold und Silber), das elegante Porträt des jungen Edelmanns, der zu Pferd steigen 
will, im Prado und das an venezianische Meisterporträts gemahnende des Gesandten 
Iwanowitsch, ebenda, nebeneinander. Auf den ersten Blick glaubt keiner, daß diese 
von derselben Hand sind, und doch erkennt man natürlich bei näherem Zusehen 
genug Merkmale, die diese drei Bilder miteinander verbinden. 

Wie hier gleichzeitig erwähnt sei, geht ein höchst charakteristisches Werk 
Carrefios vom Ausgang der fünziger Jahre noch heute offiziell unter dem Namen 
Velazquez: die „Infantin Margarete“ in olivgrlinem Kostüm im Wiener Hofmuseum 
(Nr. 609). Mian braucht sich nur die Behandlung des Hintergrundes einmal ge- 
nauer anzusehen und mit dem auf dem Porträt Karis II. im Kaiser-Friedrich-Museum 
zu Berlin oder mit dem auf einem der Bifdnisse der Königinwitwe Marianne zu 
vergleichen, um sofert zu erkennen, daß bei alt der geschickten Anlehnung an des 
Velazquez Art hier ein anderer Künstler, Carrefio, am Werke war. 

Merkwürdigerweise kennen wir kein mit einer Jahreszahl signiertes Bild Carrefios 
vor 1654. Damals war der Künstler eben bereits 40 Jahre alt! Unseres Erachtens 
nun ist das Berliner Bild, wie wir schon andeuteten, etwas früher, um 1650 ent- 
standen; es wire somit die früheste uns bekannte Arbeit des Meisters. Das ein- 
zige Werk Carreüos, das vielleicht den Anspruch auf eine noch frühere Entstehung 
machen könnte, wäre das elegante Porträt des D. Felipe de Guzman in der Brit- 
gewaber Gallery zu London, früher zu Unrecht Velazquez zugeschrieben, seit einiger 
Zeit als Carreño erkannt. In der Technik steht es dem „Borro“ sehr nahe. Dann 
aber treffen wir diese ganze geschickte, leichte, breite, jedoch auch etwas ober- 
flichliche Technik des „Borro“ — natürlich noch reifer und noch meisterlicher — 
in den späten, zu Anfang der achtziger jahre entstandenen Hofnarrenstiicken des 
Künstlers wieder, vor allem in dem Porträt der Zwergin Eugenia Martinez Valleja 
Abb. 1). 
| Besonders auffällig ist die Verwandtschaft in der Malerei der Augen bei beiden 
Bildern, eine Technik, die ganz auf Velazquez zurückgeht. An Velazquez gemahnt 
auch die ganze Anlage des Kopfes, die Art, wie die starken Pentimente verwertet 
sind, um dem Kopf noch mehr Leben und Bewegung zu verleihen. Die Behand- 
lung des Schwarz ist vollkommen Madrider Erbgut, die Malerei der linken Hand 
(die rechte hat nicht unerheblich gelitten) erinnert wiederum an die Art des Ve- 
lazquez und seines Kreises, namentlich wie die Fingernägel nur als leichte Drucker 
gegeben werden. 

Der „Borro“ besitzt aber nicht nur die Technik Carrefios, sondern er atmet auch 
ganz die Eleganz wie den leisen Humor dieses aristokratischen Hofmalers, der 
einem der ältesten asturischen Adelsgeschlechter entstammte und in späteren Jahren 
die vorher von Velazquez bekleidete Stelle eines Schloßmarschalls einnahm. 

Der ,,Borro“. Man hat aus den verschiedensten Gründen bestritten, daß der Dar- 
gestellte etwas mit dem berühmten italienischen Condottiere zu tun habe, Er. 
ähnele wohl dem auch als „Borro“ bezeichneten Porträt in Arezzo, aber habe nichts 
mit dem inschriftlich als Bildnis des Generals beglaubigten Porträt in der histori- 
schen Porträtgalerie zu tun. Auch die Haltung passe nicht für ihn. Voss und 


344 


Pease meinen, cs handele sich ganz einfach um einen Hofnarsen. Dies könnte 
an und für sich denkbar sein. Allein wir geben zu bedenken, daß in der hier ge- 
wählten Unterunsicht eine auch nur leidlich korpulents Person ein wenig lächerlich 
wirken muß. Den für unseren Fall doppelt interessanten und wichtigen Beweis 
hierfür geben uns verschiedene Gemälde, die in den dreißiger und vierziger Jahren 
im Auftrag Philipps für das Retiropalais von Madrider Künstlern, unter anderen 
von dem damals in Madrid tätigen Alonso Cano ausgeführt wurden, eine umfang- 
reiche Folge von Bildnissen spanischer Herrscher. Diese Stücke sollten vor allem 
dekorativ wirken, sie bildeten eine Art Fries, der ziemlich hoch im Saal angebracht 
war. Es wirken nua auch diese dicken „Gotenkönige“ Canos, die man heute im 
Prado sieht, etwas belustigend und man hat schon — in Unkenntnis des wirklichen 
Sachverhalts — Hofnarren in ihnen zu erblicken geglaubt. Daß es sich hier aber 
wirklich nicht um Hofnarren handelt, beweisen vor allem die genau so kompo- 
nierten Porträts Karls V. und Philipp IL, die heute in das Rektoratszimmer der 
Universität Granada verschlagen worden sind. 

Auch der „Borro“ war unbedingt zum Hochhängen bestimmt, jedoch wohl nicht 
als Supraporte in einem Saal sondern — worauf uns die große Säule schließen 
läßt — in einem weiträumigen, prunkvollen Treppenhaus, 

Der auf dem Berliner Bild Porträtierte braucht aber nicht nur kein Hofnarr zu 
sein, sondern kann trotz allem und alledem vielleicht wirklich den genannten italie- 
nischen Feldherrn darstellen. Denn, wie schon Justi ausflihrte, kam Alessandro del Borro 
am 15. September 1649 nach Madrid, um ein Kommando im katalanischen Feldzug 
zu übernehmen. Der „Maestre de Campo“ wurde bei Hefe, wie wir wissen, mit 
ungewöhnlicher Höflichkeit aufgenommen. Er hatte viel Glück im Feld, überwarf 
sich jedoch mit dem Oberkommandierenden und kam 1651 nach Madrid zurlick, 
um seinen Posten niederzulegen. Es kann Carreüo also den Italiener sehr wohl 
1649 oder 1651 porträtiert haben, vielleicht oder höchstwabrscheinlich sogar in 
dessen Auftrag. Man kann sich nicht leicht über die Tatsache hinwegsetzen, daß 
der Dargestellte auf eine Fahne tritt, die die Farben und das Wahrzeichen der 
Barberini trägt, jener Familie, die del Borro 1643 durch seinen Sieg über die 
päpstlichen Truppen gedemütigt hatte. Vergleicht man den „Вогго“ in seiner 
Haltung mit den Hofnarrenstiicken des Prado, se wird man erkennen, daß dieser 
Caballero mit der überstolzen Pose doch absticht ven den melancholischeren Narren, 
die mehr Ritter von der traurigen Gestalt sind. Diese Narren nehmen sich niemals 
so ernst, Bei dem „Borro“ ist die Komik eigentlich unfreiwillig, und es paßt so auf 
ihn jenes köstliche Wort, das einmal im Deutschen Reichstag gefallen ist: „Die 
lächerliche Komik Ihrer Person liegt darin, daß Sie sich selbst ernst zu nehmen 
scheinen!“ 


345 


URKUNDLICHES AUS DEM ARCHIV DER 


MERCANZIA IN FLORENZ | PFÄNDUNGEN BEI 
FLORENTINER KÜNSTLERN Von WALTER BOMBE 


L 


m folgenden sollen Resultate von Forschungen mitgeteilt werden, die der Ver- 
fasser dieser Abhandlung in den Akten der Florentiner Mercanzia ausgeführt hat, 
und zu deren Kommentierung einige Vorbemerkungen vorausgeschickt werden müssen. 
Die Rechtspflege war im Mittelalter wie in anderen Städten Italiens, so auch in 
Florenz, verschiedenen Tribunalen übertragen, denen des Podestä, der ein rechts- 
kundiger fremder Ritter war, des Capitano del Popolo, der als das Haupt der Zünfte 
auch einen großen Einfluß auf die Regierung des Florentiner Staatswesens hatte, 
und den Tribunalen der einzelnen Zünfte selbst. Wohl das erste derartige Tribunal, von 
dem wir urkundliche Nachrichten besitzen, ist das Anfang des Trecento erwähnte 
Gericht der Tucherzunft, aber schon lange vorher hatten die von den Korporationen 
erlassenen Bestimmungen, deren Aufrechterhaltung den Tribunalen oblag, Gesetzes- 
kraft, und jede Zunft erhielt richterliche Befugnisse, sobald sie als solche aner- 
kannt war. 
Das Verfahren und die Obliegenheiten dieser Tribunale waren durch die allge- 
meinen Statuten der Florentiner Republik geregelt. Den Vorsitz bei den Verhand- 
lungen führten die Konsuln der Zunft, „nach bestem Wissen und Gewissen, nach 
Billigkeit, in Ansehung der Wahrheit“). 

Die Prozedur bestand in Verhör und Zeugenvernehmung. Bei der Verhandlung 
mußte ein Notar anwesend sein, der das Protokoll führte und den Urteilsspruch zu 
verlesen, sowie gegebenenfalls die Zwangsvollstreckung einzuleiten hatte. Die Ver- 
handlungen fanden an bestimmten Orten und an bestimmten Tagen der Woche 
statt. Die Gerichtsbarkeit dieser Tribunale erstreckte sich über die Stadt und die 
umliegenden Bezirke, soweit Zunftmitglieder sich dort niedergelassen hatten. Vor 
allem wurden Geldstreitigkeiten, mit Ausnahme aber von Spielschulden, durch diese 
Zunftgerichte geschlichtet. Prinzipiell von ihrer Gerichtsbarkeit ausgeschlossen 
Waren schwere Verbrechen, Bluttaten, Diebstähle; aber in Perugia z. B. durften auch 
Verleumdungen, Beleidigungen, blutige und unblutige Schlägereien, Betrug, falsches 
Zeugnis und Meineid vor dem Zunftgericht verhandelt werden, an das sich laut 
Statut jedes Mitglied der Korporation bei Streitigkeiten unter Zunftgenossen wenden 
mußte). Das Verfahren zeichnete sich durch Einfachheit und durch das Wegfallen 
alles umständlichen Formelkrams aus‘). 

Bei Geldangelegenheiten begannen die Verhandlungen mit der Vernehmung des 
Klägers. Darauf folgte die Vorladung des Beklagten durch den Notar der Zunft und 
den Nuntius, der die Vorladung zu überreichen hatte. Erschien der Beklagte nicht 
zu dem festgesetzten Tage, so wurde die Vorladung erneuert und bei weiterem 


(x) „Secundum veram et puram conscientiam veritatis et equi, juris et approbate consuetudinis juris 
ordine servata et non servata.“ Statut der Harnischmacher und Schwertfeger von 1320, § 5. Siehe 
Doren, „Das Florentiner Zunftwesen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert“, Stuttgart-Berlin 1908, Kap. VI. 
(2) Siehe Briganti, „Le Corporazioni delle Arti a Perugia“, Perugia 1911, Register. 

(3) „Procedant breviter et summarie et de facto sine strepitu et figura iudicii legis forma non servata.“ 
Statut der Legnajuoli von 1342. — Ähnliche Bestimmungen auch in anderen Statuten. Siehe Doren, 
op. cit., Kap. VI. 


346 


Ausbleiben desselben dem Kläger Recht gegeben, wie wenn der Beklagte ein Ge- 
ständnis abgelegt oder die Richtigkeit der Forderung des Klägers anerkannt hätte. 
Wer nicht persönlich zur Verhandlung erscheinen konnte, ließ seine Interessen 
durch einen Prokurator vertreten, der aber nicht notwendigerweise ein Zunftgenosse 
sein mußte. Nachdem der Richter die Forderung des Klägers anerkannt hatte, 
wurde die Zwangsvollstreckung gegen den säumigen Zahler eingeleitet. 


II 


DAS TRIBUNAL UND DAS HAUS DER MERCANZIA 


Mit der Zunahme des Reichtums in der Stadt stellte sich mehr und mehr auch die 
Notwendigkeit heraus, fiir die Sicherheit der nach Florenz fiihrenden Handelswege 
größere Garantien zu schaffen. Im Jahre 1309 wurde daher von den Prioren der 
Ziinfte beschlossen, ein besonderes Institut in das Leben zu rufen, das die Aufgabe 
haben sollte, den Import und Export der Waren zu überwachen, für die Sicherheit 
der Handelsstraßen von und nach Florenz zu sorgen und als eine Art Handelsge- 
richt zu fungieren. Aus den fünf Hauptzünften (der Wechsler, der Wollhändler, der 
Seidenwirker, der Tuchmacher, der Ärzte und Apotheker, zu welcher auch die 
Maler gehörten, und der Krämer) wurden Sachverständige gewählt, die dem Vor- 
stand der neuen Institution, der „Mercanzia“ angehörten!). Im Jahre 1372 vermehrte 
man die Zahl der Vorstandsmitglieder auf sieben, indem man zwei Vertreter der 
kleineren Zünfte hinzuwählte. Erst 1359 erhielten die Ufficiali der Mercanzia еіп 
Grundstück neben dem Palazzo della Condotta in Piazza della Signoria zum Bau 
eines Amtshauses. Eine Summe von 500 Fiorini wurde aufgebracht zur Herstellung des 
neuen Gebäudes, das nach dem Vorbilde des nebenstehenden Palazzo della Condotta 
errichtet werden sollte. Für den künstlerischen Schmuck des neuen Amtshauses 
scheint man in den nächsten Jahren nur bescheidene Summen ausgeworfen zu haben, 
wie die verschiedenen Zahlungen an die Maler Taddeo Gaddi, Francesco Boni, 
Ciardo di Donato und andere annehmen lassen). ‘Taddeo Gaddi hat für das Tri- 
bunal der Mercanzia eine Gerichtssitzung gemalt, bei der die Wahrheit der Lüge 
die Zunge herausreißt. Darunter standen die Verse: 


Taddeo dipinse questo bel rigestro, 
Discepol fu di Giotto il buon maestro. 


(1) Staatsarchiv Florenz, Archivio della Mercanzia Vol. 1. Die Statuten der Mercanzia wurden am 
23. August 1312 aufgestellt (ebenda, c. Iff). 

(2) Die Ausführung des Baues wurde Giovanni di Lapo Ghini übertragen, der am 17. Dezember 1359 
eine Zahlung von 350 Goldfiorini erhielt. Ghini war gleichzeitig auch am Dombau beschäftigt. Am 
14. Dezember 1360 wurden 100 Goldfiorini für den Bau ausgeworfen. Am 17. Dezember 1359 erhielt 
„Fetto Maestro, per una pietra intaglata dell’arme dell’Ufficiale“, d.h. für das in Stein gemeißelte Wappen des 
Ufficiale Messer Francesco da Orvieto 1 Goldfiorino. Ferner wurde am 5. Dezember 1363 Maestro 
Giovanni Gherardini für das Tünchen der unteren Gewölbe bezahlt und Taddeo di Gaddo dipin- 
tore empfing eine Zahlung für das Gemälde im Saal des Erdgeschosses. Im April 1365 wurde in 
diesem Saal, der als Audienzraum bei Gerichtssitzungen diente, der Steinfußboden gelegt und der 
Tischler entlobnt, der die Richterstühle: „il banco da sedere nella Saletta dela udientia de’ Cinque“ 
gefertigt hatte, 1366 Sandro di Michele Lastronajo für die „pietre conce, il sedere di fuori del palagio“, 
d. h. für die steinerne Sitzbank, die nach Florentiner Sitte rings um das Gebäude lief. Alsdann folgen 
Ausgaben für das Gefängnis, und im Dezember 1369 Zahlungen für Pfeiler, für Schränke und deren 
Bemalung, die ein gewisser „Piero dipintore““ ausführte. Am 27. Februar 1371 erfolgte eine Anwei- 
sung zugunsten eines gewissen „Francesco Boni dipintore per resto di ciò che gli ha dipinto nella 
casa de l’ufficiale e di dentro e di fuora“. Dieser Francesco Boni hatte auch schon im August 1368 


347 


Das Libro di Antonio Bilti*) erwähnt dieses Fresko. Auch Vasari scheint os nech 
gesehen zu haben. Er bemerkt, daß die Wahrheit mit einem Schleier bedeckt, die 
Lüge dagegen in Schwarz gekleidet gewesen sei. Vielleicht war die Darstellung 
Taddeos den Pereonifikationen der Tugenden und Laster ifhalich, ee 
S. Maria dell Arena in Padua gemalt hat. 

Größere Aufwendungen machten die Ufficiali der Mercanzia in der zweiten He 
des Quattrocento, als sie durch Antonio und Piero Pollajuolo und Sandro Botticelli 
die Wand über den Richterstühlen des Audienzsaales mit Allegorien der Kardinal- 
tugenden schmücken ließen, die später in die Uffizien gebracht wurden. 

An der Fassade des Hauses sind bei Gelegenheit der letzten sehr tiefgreifenden 
Restaurierungsarbeiten, die von 1903—1907 der Architekt Prof. Ezio Cerpi im Auf- 
trage des Comizio Agrario, einer gemeinnützigen Anstalt zur Hebung der Landwirt- 
schaft, leitete, die in Stein gemeißelten Wappen der 21 Ziinfte und das Stadtwappen 
von der Tünche befreit worden. Eine Halbfigur des Erlösers, in Flachrelief, von 
einem unbekannten Florentiner Quattrocentomeister, präsentiert sich mit der In- 
schrift: „Omnis Sapientia a Domino Deo est“ in recht gutem Erhaltungszustande 
an der rechten Seite der Fassade. Ein schönes, ursprünglich vergoldetes und be- 
maltes Portal war mit einer dicken Mörtel- und Farbenschicht späterer Zeiten be- 
deckt, als die Wiederherstellungsarbeiten begannen. Unter der Tünche hat man 
hier ein hübsches Flachrelief mit Kinderköpfchen und den Wappen der Stadt und 
der Mercanzia freigelegt. Dieses Portal bildet jetzt den Haupteingang. Die Vor- 
halle hat eine farbige Kassettendecke erhalten. Von den Wandmalereien des Taddeo 
Gaddi und der anderen obengenannten Trecentomeister ist leider nichts zum Vor- 
schein gekommen. Vielleicht befand sich ein Teil dieser Dekorationen auf der Via 
dei Gondi zugewandten Seite des Palastes, die man vor etwa 20 Jahren einer sehr 
überflüssigen Verbreiterung dieser verkehrsarmen Straße opferte. Im ersten Stock- 
werk hat man einen großen Saal mit Kreuzgewölben wiederhergestellt, dessen Wände 
und Decke im Stil des Trecento dekoriert wurden. Der Raum dient jetzt für Ver- 
sammlungen und Vorträge. Daran schließen sich Bibliothekszimmer und Räume 
der Vorstandsmitglieder. Bemerkenswerte Umwandlungen hat das Erdgeschoß er- 
fahren. Hier hat man einen großen Versammlungssaal für die Mitglieder des Comizio 
Agrario geschaffen. Die Kreuzgewölbe und die Wände sind „all' antica“ dekoriert, 
mit geometrischen Mustern und den Abzeichen der einzelnen Florentiner Stadtteile. 
Die übrigen Räume dienen als Bureaus und Magazine’). 


III. 
Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß archivalische 
Forschungen in den Akten der Florentiner Zünfte auch der Kunstgeschichte nütz- 


eine Zahlung empfangen. Dem Steinmetzen Niccolò di Lippo wurden für das von ihm gemeißelte 
vergoldete Wappen der Mercanzia und des derzeitigen Ufficiale im Jahre 1371 11 Lire gezahlt und 
schließlich im März 1372 an den Maler Ciardo di Donato 2 Fiorini und 10 Soldi „per orpello e dipin- 
tura e per suo maestero“. — Alle diese Zahlungen finden sich, laut Angabe Jodocos del Badia, in 
den Büchern der „Riformagioni“. Siehe Jodoco del Badia, „Comizio Agrario di Firenze. La Nuova 
Sede nei Palazzi della Condotta e della Mercanzia. Notizie Storiche“, Firenze 1907 (Privatdruck). 


(1) Herausgegeben von Karl Frey, Berlin 1892. 

(2) Wer über den Bau mehr zu erfahren wünscht als der beschränkte Raum dieser Zeitschrift zu geben 
uns gestattet, sei auf die bereits erwähnte Publikation des kürzlich verstorbenen Florentiner Lokal- 
forschers Jodoco del Badia hingewiesen, die das Comizio Agrario als Privatdruck 1907 herausgegeben hat. 
Vel. Bombe, ,,Florentiner Zunft- und Amtshäuser“, in der „Zeitschr. f. bild. Kunst“, neue Fol ge 1910, p. 95ff. 


348 


lich werden können, zumal diese Körperschaften sich in hohem Grade als Förderer 
der Kunst und als Auftraggeber betätigt heben. Aber auch zur Klarlegung des Ver- 
hältnisses zwischen Künstler und Auftraggeber können solche Forschungen dienen, 
indem sie uns Klarheit darüber verschaffen, weiche Stellung im späteren Mittelalter 
und in der Zeit der Renaissance Künstler und Auftraggeber zueinander einnahmen, 
wie das Verhältnis zwischen beiden Teilen durch kontraktliche Bestimmungen und 
durch Zunftordnungen geregelt war, und welche Bedeutung die Zunftgerichte bei 
Streitigkeiten zwischen Künstler und Besteller gehabt haben). 

Die uns noch in großer Zahl erhaltenen Akten des Tribunals der Mercanzia РЕК 
еіп sehr anschauliches Bild уоп der Vielgestaltigkeit seines Wirkens und zeigen, daß 
auch Künstler bei Streitigkeiten mit ihren Auftreggebern und aus anderen Anlässen 
sich an das Tribunal der Mercanzia wandten, um zu ihrem Rechte zu gelangen. 

Die Akten eines solchen Prozesses, bei dem Fra Filippo Lippi der Kläger war, 
veröffentlichte der Unterzeichnete kürzlich im „Repertorium für Kunstwissenschaft**). 
Heute sollen einige Exzerpte aus den „Libri dei Pegni o Gravamenti“, den Pfän- 
dungsbüchern des Tribunals der Mercanzia, mitgeteilt werden. Es wird gewiß 
nicht überraschen, daß gerade das als leichtlebig verachrieene Völkchen der Künstler 
besonders häufig in die Lage kam, vom Gerichtsvolizieher heimgesucht zu werden, 
aber man wird annebmen, daß dieses Schicksal nicht die mit Aufträgen überhäuften 
führenden Meister der Renaissance, sondern ihre vom Schicksal minder begiinstigten 
Zeitgenossen ereilte. Trotzdem werden wir sehen, daß Künstier vom Range Filip- 
pino Lippis, Antonio Pollajuolos und Cosimo Rossellis in der langen Liste der Ge- 
pfändeten erscheinen. 


IV. 


Am 5. September 1495 traf Filippino Lippi das Schicksal, wegen einer beschei- 
denen Summe, 4 Lire, 17 Soldi und 8 Denari, die er dem Tischler Francesco di 
Giovanni schuldig geblieben war, durch den Vollziehungsbeamten der Mercanzia um 
zwei Kleidungsstücke gepfändet zu werden. Aber schon am 7. September wurde 
die Pfändung aufgehoben und Filippino zahlte drei Soldi für die Unkosten der Be- 
schlagnahme. Aus dieser Pfändung irgendwelche Schlußfolgerungen auf zerrüttete 
Vermögensverhältnisse des Künstlers zu ziehen, wäre sehr gewagt*), da Filippinos 
vom 21. September 1488 datiertes Testament von gutem Wohlstand zeugt, und er 
gerade damals große Aufträge hatte. So wurde ihm im Jahre 1494 ein Altarbild 
für die Certosa zu Pavia übertragen, tiber das eine lange Korrespondenz vorliegt‘), 
1496 die Anbetung der Könige für S. Donato di Scopeto, jetzt in den Uffizien, und 
1498 ein großes Tafelbild für die „Sala nuova del Consiglio“, das jetzt ebenfalls die 
Uffizien bewahren. 


(1) Ein Musterbeispiel solcher Untersuchung bot Prof. Alfred Doren, der Historiker des Florentiner 
Zunftwesens, in seiner Abhandlung: „Das Aktenbuch für Ghibertis Matthäusstatue an Or San Michele 
in Florenz“, in „Kunsthistorische Forschungen‘, herausgegeben vom Kunsthistor. Institut in Florenz. 
1. Band, Berlin, Bruno Cassirer Verlag, 1905, р. 3—58. 

(2) Urkunden über ein verschollenes Altarbild Filippo Lippis, Repert., Bd. XXXIV, 1911, p. 115— 118. 
(3) Er hinterließ darin seiner Gattin ein Haus in Prato, und setzte als Universalerben das Hospital 
S.Maria Nuova in Florenz ein, mit der Verpflichtung, seiner alten Mutter Lucrezia Buti Korn, Wein, 
Holz, Öl und Fleisch zu liefern. Er besaß auch laut Katasterangabe von 1498 in Florenz ein Haus, 
das er für 300 Fiorini von den Mönchen von S. Maria degli Angeli are hatte. Siehe Guido Carocci 
in „Arte e Storia“, Florenz 1899, p. 135. 

(4) Diese Korrespondenz ist häufig publiziert worden, zuletzt von Luigi Fumi im „Bollettino della К. 
Deputazione di Storia Patria per Umbria“ 1910. 


349 


Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir annehmen, daß es sich um eine Forde- 
rung handelte, die Filippino für unberechtigt hielt, so daß er es auf einen Prozeß 
und sogar auf eine Pfändung ankommen ließ, ehe er sich dazu entschloß, die Zah- 
lung zu leisten. 

Dasselbe Schicksal traf am 5. Juni 1499 den Maler Cosimo Rosselli, der von 
einem gewissen Giovanni di Domenico di Nani wegen einer Schuld im Betrage 
von 30 Lire beim Tribunal der Mercanzia verklagt worden war. Der Pfändungs- 
beamte des Tribunals beschlagnahmte folgende Gegenstände in der Behausung des 
Künstlers: sieben Tafelbilder mit mehreren Figuren, den Gipsabguß einer Vergine 
Maria, ein Relief mit S. Johannes, ein Leinwandbild mit der Darstellung der Pietà. 
Die allzu summarische Art der Angaben macht es unmöglich, die gepfändeten Kunst- 
werke zu identifizieren. Auch über seine Vermögenslage in jener Zeit sind wir nicht 
orientiert, weil urkundliche Nachrichten aus den letzten Lebensjahren Cosimos 
fehlen, abgesehen von dem am 25. November 1506 aufgesetzten Testament, das von 
bescheidenem Wohlstande zeugt!). 

Ein entfernter Verwandter Cosimo Rossellis war der Architekt Piero di Jacopo 
Rosselli, der am 24. Oktober 1502 auf Veranlassung eines Wollhändlers wegen 
der bescheidenen Schuld von 15 Soldi um ein Kleidungsstück gepfändet wurde’). 

Am 28. November 1486 wurde bei , Antonio di Jachopo del Pollajuolo 
horafo“, dem großen Malerplastiker, auf Antrag eines gewissen Francesco di Fran- 
cesco Buonaparte wegen des Betrages von 7 Lire und 16 Soldi zur Pfändung ge- 
schritten. Ein Colombino (bläulicher Halbedelstein) und fünf „Cintole antichissime 
e vecchie fornite d’arcienti basse“ wurden beschlagnahmt, und zwei Wochen später, 
am 15. Dezember erklärte der Gerichtsvollzieher, daß die Schuld bezahlt sei — „disse 
essere paghate di tutto.“ — Antonio Pollajuolo lebte zweifellos in glänzenden Verhält- 
nissen: Im Jahre 1483 empfing er die letzte Zahlung für den Silberaltar des Bap- 
tisteriums und vollendete er das große Tafelbild der Krönung der Jungfrau in der 
Collegiata zu San Gimignano und bald darauf erhielt er die großen römischen Auf- 
‚träge, das eherne Grabmal des 1484 verstorbenen Papstes Sixtus IV, das er 1493 
vollendete, gegen ein Honorar von 5000 Golddukaten, und das Grab Innocenz VIII., 
für das er 4000 Dukaten empfing. Und als er 1496 sein Testament machte, hinter- 
ließ er seinen beiden Töchtern Marietta und Maddalena die stattliche Summe von 
2000 Golddukaten und seiner Gattin Lucrezia Fantoni reichen Landbesitz*). Wir 
müssen auch hier annehmen, daß der Künstler nicht zahlen wollte und erst durch 
Prozeß und die darauffolgende Pfändung zum Zahlen gezwungen wurde. 


(1) Das von dem Florentiner Notar Francesco di Bartolomeo Muzi (Protocolli 1506—1508 c. 22 t) auf- 
gesetzte Testament Cosimo Rossellis wurde schon von Gaye erwähnt (Carteggio II, p. 457, Note) und 
beginnt mit den Worten: 
„In Dei nomine Amen. Anno Domini Jesu Christi ab eius salutifera incarnatione 1506, die vero 
25 mensis Novembris, actum Florentie in populo Sancti Ambroxii. 
Quum nihil certius est morte nihilque incertius hora eius, hinc est quod providus vir Cosimus olim 
Laurentii de Rossellis, pictor et civis Florentinus, populi Sancti Ambroxii de Florentia sanus per 
Dei gratia corpore, sensu, vista et intellectu, videlicet corpore languens, volens circha omnes sub- 
stantias providere et de bonis suis disponere“. 
Er verlangt, in der SS. Annunziata begraben zu werden und hinterläßt außer mehreren Legaten ein 
Haus im Popolo S. Ambrogio neben dem Kloster S. Verdiana in Florenz. Nach dem Testament zu 
urteilen, scheint er leidlich begiitert gewesen zu sein. 
(a) Der Künstler wird von Milanesi in Bd. Ш, S. 192—193 seiner Vasari-Ausgabe in dem Stammbaum 
der Familie Rosselli erwähnt. 
(3) Siehe Gualandi, „Memorie originali italiane risguardanti le belle Arti“, Bologna 1844, Serie 5. 


350 


Diesen großen Meistern schließt sich die kleine Schar der „Dii minorum gen- 
tium“ an: 

Am 19. November 1505 erschien der Gerichtsvolizieher bei dem uns sonst unbe- 
kannten Maler Bernardo di Luigi, um auf Veranlassung der Witwe Alessandra 
del fu Agostino di Francesco wegen einer Schuld von 12 Lire die Pfändung eines 
Kleidungsstückes vorzunehmen. Am 7. Januar des nächsten Jahres mußte der Maler 
das gepfändete Stück der Gläubigerin überlassen, die ro Soldi für die Unkosten ent- 
richtete. Am 26. Januar 1506 wurde auf Antrag des Tischlers Giovanni di Tommaso 
di Bartolo bei dem Maler Luca di Frosino ein viereckiger Spiegel in grünem 
Holzrahmen gepfändet, aber schon am nächsten Tage hob das Tribunal die Pfän- 
dung auf, weil der Maler seine Schuld, im Betrage von 19 Lire, und dazu 10 Soldi 
Kosten bezahlt hatte. 


Bei dem Maler Andrea d’Alessandro wurde am 7. Januar ı512 eine rosafar- 
bene „Gamurra“ aus Perpignano mit Ärmeln von schwarzem Sammet gepfändet, und 
am 19. März 1512 erschien der Gerichtsvollzieher bei dem Maler Andrea di Salvi 
(Barili), um die Zwangsvollstreckung auszuführen. Andrea di Salvi war der Sohn 
eines Steinmetzen aus Rovezzano und erscheint noch im Jahre 1525 als Mitglied 
der Florentiner Lukasgilde'), 


Die iibrigen Pfàndungen der Jahre von 1485 bis 1517 betreffen die Maler Fran- 
cesco di Giovanni (1514), Andrea di Piero del Pietrono (1516), Giovanni di Francesco 
(1516), Donato di Noferi (1517), den Gemmenschneider Cammillo di Francesco (1517)?), 
sie betreffen ferner die Goldschmiede Carlo di Andrea (1485), Giandonato di Cristo- 
fano (1486), Niccolo di Domenico di Conte (1489), Giovanni di Leonardo del Gamba 
(1499), Filippo del Noime (1509), Francesco di Salimbene (1516) und Benedetto di 
Lorenzo (1516), die Wachsbildner Francesco und Girolamo Benintendi (1515, 1516)°), 
den Seidenweber Simone d’Antonio (1485), den Cartolaio (Papier- und Buchhändler) 
Giovanni di Niccolo (1485), bei dem eine Anzahl von Manuskripten und gedruckten 
Biichern beschlagnahmt wurde, den Cartolaio Cone di Damiano, bei dem der Voll- 


(т) Gualandi, Op. cit., Serie 6, p. 177. 

(2) Cammillo di Francesco di Lorenzo di Piero delle Corniole war ein Neffe und Schiller des noch 
berühmteren Edelsteinschneiders Giovanni delle Corniole und ein Sohn des 1451 geborenen Francesco 
dell’Opere, dessen von Perugino 1494 gemaltes Bildnis die Uffizien bewahren. Francesco heiratete 
1488 Lisa, die Tochter des Notars Ser Domenico di Buonaccorso di Domenico und starb zu Venedig 
im Jahre 1496. Giovanni delle Corniole ernannte in seinem Testament vom 6. Januar 1516 (Rog. Ser 
Filippo Cioni, not. fior. Perg. des Klosters S. Maria degli Angeli, Florenz, Archivio Centrale di Stato) 
zu Universalerben Francescos, Bruder Scipione und unseren Cammillo, der 1529 starb. 

In dem Testamente sind folgende Worte bemerkenswert: „Et acciocchè nessuno si meraviglia di tale 
istituzione; conciossiache epso testatore habbia ancora altri nipoti di pari grado; disse epso testatore, 
che quasi tucti li suoi beni che lui ha et ancora ogni industria circa il suo exercitio d’intagliare le 
corniole, è proceduto per gratia et benefitio del detto Francesco, padre de’ detti eredi; el quale lui 
sempre hebbe in loco di padre‘ (siehe Vasari-Milanesi, Bd. V, p. 368, Note). 

(3) Die Benintendi waren eine Florentiner Künstlerfamilie, die sich mit der Herstellung von Votivbildern 
aus Wachs beschäftigte und daher den Namen Fallimagini oder del Cerajuolo führte. Einer Nachricht 
Del Migliores zufolge (Riflessioni al Vasari, ms. Magliabechiano, veröffentlicht von Milanesi in Bd. III, 
р. 375, Anm. 1) hat Jacopo Benintendi und später dessen Sohn Zanobi und dessen Neffe Orsino solche 
Wachsbilder gefertigt. Vasari beschreibt die Technik des Verfahrens (Kapitel II, della Scoltura) und 
gibt in der Vita des Andrea del Verrocchio (Ed. Milanesi, Bd. Ш, p. 373—375) ausführliche Mitteilungen 
über Orsino Benintendi, der nach Unterweisungen Andreas del Verrocchio diese Votivbilder lebensgroß, 
bemalt und mit Stoffen drapiert, in hoher künstlerischer Vollendung herstellte. Siehe Archivio Storico 
dell’Arte, Ser. II, Bd.I, p. 174. 


351 


ziehungabeamte Bücher und Handwerkszeug pfändete (1489) und den Cartolaio 
Giovanni di Niccolo, der eine Anzahl Bücher, Werkzeuge und Bilder hergeben 
mußte (1506). Das nähere möge man in den Urkundemauszligen nachlesen, die wir 
bier folgen lassen. 


у. 
URKUNDLICHER ANHANG 


Staatsarchiv zu Florenz. 
MERCANZIA. — PEGNI O GRAVAMENTIL — LIBRO DI PEGNI DEPOSITATI 
PRESSO I GUARDIANI. — FILZA No. 11 585. 
(1485—1506). 

Carlo di Andrea, Goldschmied. 
с. 34r. Charllo d' Andrea horafo fu gravato questo di 31 di marzo 1489 per Nicholo 
Ciuco messo a stanza di ser Piero di Bernardo Chaiani prochuratore di Giovanni di 
Giuliano di Filippo per soldi 6 piccioli per pano соё (cioè) 

I farsetto di terzanello nero uxato, 
bacinuzi d’ottone uxati a l’anticha, 
chandelieri d’ottone uxati, 
miscirobe d’ottone uxate, 
sechione di rame : 
chatinuzo di монӣ beggen 
coppa nera foderata di pelle biancha da uomo, uxata, 
coppa nera trista da donna, 
ghabanella nera trista da uomo. 


м м м м м уу л da 


Niccolo di Domenico di Conte, Goldschmied. 
c. 35v. Nicholaio di Domenicho di Chonte horafo fu gravato questo di 8 di marzo 
per Zampino messo a stanza di ser Antonio di ser Piero del Fora prochuratore di 
madonna Ginevra donna del fu di Gherardo di Domenicho sensale per lire... soldi 6 
piccioli lire 30 per panno 

ı coppa monachina da donna usata, 

ı mantello monachino da uomo usata (giacchetta), 

ı gachetta o di saia nera usata, 

т ghamura di saia verde cho maniche di tafetta verde rotte 

usata, 
ı ghabanella tane da uomo usata. 


Giovanni di Niccolo, cartolaio. | 
c.42r. Giovanni di Nicholo chartolaio chome cesante fu gravato questo di 29 d’ottobre 
1489 per Gholpino messo di detta chorte a pititione di Bernardo da Dovardo Por- 
tinari per lire 40 negli infraschritti beni coè: 
1 libricino da donna in charta pechora et altri uffici, ischritto in penna 
et scolto, (sciolto) picholo, 
ı libricino in charta pechora iscolto ischritto di penna un po magiore 
chel primo manchagli el principio e sono quaderni 21 о 22, 
т libretto di Nostra Donna refinito ischritto in penna cioè 8 quinterni 
ischritti e 12 bianchi iscolto, 
I libretto lechato di charta pechora che nel principio chomincia la storia 
. di santa Felicita ed à fodera lino, 


352 


2 Могі di charta bambagina lechato della christiana religione di Mareilie 
Ficino choverto rosse, 

1 Hbro di detto Marsilio e opera chon un chulaccio rosso, 

ı Tulio de Uficisi (Cicero, De Officiis) in forma di charta banbagina cho- 
perto di rosso, 

т Morghante in forma charta banbagina choperto mezo di chuoio rosso, 

ı Vergilio chol chomento in forma charta banbagina e un chulaccio rosso, 

2 libri mesure e altro in forma di charta banbagina choperti di rosso, 

1 libro in forma di charta banbagina choperto di pachonazo — cento novelle, 

I libro vochabbulista grecho in banbagino choperto di rosso. 


Cone di Damiano, cartolaio. 
c. 46r. Cone di Damiano cartolaio fu gravato questo di 14 di dicembre per Nicholo 
Ciuco messo a stanza di Achopo di Bartolomeo de Girone linajolo per lire 49 
soldi 18 piccioli chome cesante 

4 paia di strettoie di legnio da chartolai uxate, 

I choltello a due mani da chartolai, 

17 libri forniti e non forniti cioè tra leghati e no leghati / leghati in osso 

e sanza 0880. 


с. sor. Marcho d'Andrea da Stagino fu gravato questo di 11 di marzo 1489 per 
Gholpino messo a stanza di Nicholo de Rede (degli Eredi) degli Albizzi per fio- 
rini 5!/, di suggello-lire 3, з. 6, den. 4. 

т cintola stretta di saia fornita d’ariento cho uno fazoletto. 


Simone di Antonio, Seidenweber. 
с. 55r. Simone di Antonio tesitore di domaschino fu gravato questo di 15 di di- 
cembre 1490 per Zompino messo a stanzia di Bartolomeo di Achopo de’ Bardi per 
lire 4: 

I paioluzzo di rame uxato, 

2 chatinuzzi di rame uxati. 


Filippino Lippi, Maler. 
с. 8rr. Filipo di frate Filipo dipintore fu gravato questo di 5 di settembre 1495 
per Giovan Francesco da Mantova messo di questa chorte a pitizione di Francesco 
di Giovanni legnaiuoli per lire 4.17.8 e per le spese in questi beni 
ı chatelano paghonazo, 
ı gabanela di saia paghonaza. 
A di 7 di settembre Francesco sopradetto licenziò detti pegni liberamente al sopra- 
detto Filipo e lasciò soldi 3 per la spesa | 
Ane auto a di 7 di settembre il detto Filipo e detti pegni portò lui di licenza, chome 
di sopra. 


Cosimo Rosselli, Maler. 
c. ıı5r. Chosimo di Roselo dipintore fu gravato questo di 5 di giugnio 1499 per 
Pistolese messo di questa chorte a stanza di Giovanni di Domenicho di Nani per 
lire 30 piccioli chome cesante in questi beni coe: 

7 quadri dipinti di più fighure in tavola. 

Una Vergine Maria di gesso. 

Uno San Giovanni di rilievo. 

Una Pietà in uno pano (panno) dipinto. 


853 


Il di 31 d’Aghosto 1499 Giovanni di Domenicho di Nani sopradetto disse esere chon- 
tento che detti pegni si diano per lui a Rinieri Bagniese a ogni suo piaci- 
mento. — Ane auto a di 31 d’Agosto predetto Chosimo a Giovanni di Do- 
menicho. sopradetto per sentenza di questa chorte sotto di... d’Aghosto 1499 
et per lui di sua chomesione a Rinieri Bagniese portò lui et per tute le so- 
pradette chose ci lasciò soldi то piccioli per la spesa. 


с. 132r. Piero di Jachopo Rosegli fu gravato questo di 24 d'ottobre 1502 per 
Pipo meso di questa chorte a stanza di Lorenzo di Francescho di Luetta lanaiuolo 
per soldi 15 piccioli et per le (spese) in questi beni coè: 
Una ghamura di pano gholonbino (colombino) maniche di raso nero stracato 
(stracciato) usatta. 


Bernardo di Luigi, Maler. 

c. 175r. Bernardo di Luigi dipintore fu gravato o vero stagito apresso a noi questo 
di 19 di novembre 1505 per Pipo meso di questa chorte a stanza di madonna 
Alesandria vedova don fu d’Aghostino di Francescho per lire 12 piccioli in questi 
beni coè: 

I coppa di pano nero. 
A di 7 di Genaio 1505 (1506)!) Bernardo sopradetto licenziò detto liberamente а la 
detta Ma. Alesandria. 
Ane auto detta madonna Alesandria la sopradetta copa di licenza come di sopra e 
` lasciò soldi 10 piccioli per la spesa. 


Luca di Fruosino, Maler. 
с. 179r. Lucha di Fruosino dipintore fu gravato questo di 26 di Genaio 1505 (1506)!) 
per Poscineta meso di questo chorte a stanza di Giovanni di Tommaso di Bartolo 
legnaiuolo per lire 19 piccioli in questi beni: 
ı spera leghata in uno quadro di legnio verde. 
A di 27 detto Govanni sopradetto licenziò detti beni al sopradetto Lucha dipintore 
perchè sono paghati. 
Ane auto a di detto i sopradetti beni al sopradetto Lucha dipintore di licenza come 
di sopra e lasciò soldi то per la spesa. 


Giovanni di Niccolo, cartolaio. 
c. 192. Giovanni di Nicholo chartolaio fu gravato addi 5 di giugno a stanza di Pa- 
golo di Lorenzo di Barnaba ne l'infrascritti beni cioe: 
45 libri legati ni asse di più ragoni (ragioni), 
2 libri da studiare legati in charta pecora, 
ı volume di libri scolti, 
то liscure di fogli, 
20 storie dipinte, 
ı mazzo di altri scolti, 
т libro falso d’asse, 
I chassa piena di scritture, 
ı Lancotto. 


Antonio Pollajuolo. 
c. ı4t. Antonio di Jachopo del Pollajuolo horafo fu gravato questo di 28 di Novembre 


(1) Nach Florentiner Stil 1505, nach heutiger Zeitrechnung 1506. 
354 


1486 a stanza di Francesco di Francesco Bonaparte in questi beni per lire 7, s. 16 
per avere 1 cholonbino messo 

5 Cintole antichisime e vechie fornite d’arcienti basse. 
A di 15 di Dicembre 1486 detto Simone disse essere paghate di tutto. 


Giandonato di Cristofano, Goldschmied. 
c. 15. Gandonato di Cristofano horafo fu gravato questo di 19 di Gennaio 
1 Mantellino da fanculli tanè foderato di zampe hovero chodrioni di vaij. 


Giovanni di Leonardo del Gamba, Goldschmied. 
c. 122. Giovanni di Lionardo del Ghamba horafo fu gravato hoggi questo di 13 di 
Febraio 1500. 


Bernardo di Luigi, Maler. 
c. 175. Bernardo di Luigi dipintore fu gravato... questo di 19 di Novembre 1505. 
ı Coppa di pano nero. 


MERCANZIA. — PEGNI O GRAVAMENTI. — LIBRO DI PEGNI DEPOSITATI 
PRESSO I GUARDIANI. — FILZA No. 11586. 


1506—1513). 
с. I. — Jhs. a. D. 1506. (15 513) 


Al поте di Dio е della groliosa (!) Vergine Maria е di t!) е finalmente di tutta 
la celeste chorte del Paradiso. 

Questo libro è de l’Università de’ Merchatanti della Città di Firenze, in sul quale 
si schriverranno tutti e pegni verranno in detta Università comincato addi primo 
di Novembre 1506 tenuto pe’ guardiani di detta merchatantia ch’erano questi schritti 
dappiè. 

Giovanni del Nero di Stefano Chambi Opportuni. 

Giannozzo di Francesco d’Alamanno degli Albizi?). 


Filippo del Noime, Goldschmied. 
c. 621. Filippo del Noime orafo fu gravato questo di 8 di Febraio 1509. 


Andrea d’Alessandro, Maler. 
c. 166t. Andrea d’Alesandro dipintore fu gravato questo di 7 di Genaio 1512 
ı Gamurra rosata di perpignano, maniche di velluto nero. 


Andrea di Salvi, Maler. 
c. 182. Andrea di Salvi dipintore fu gravato questo di 19 di Marzo 1512. 


MERCANZIA. — PEGNI O GRAVAMENTI. — LIBRO DI PEGNI DEPOSITATI 
PRESSO I GUARDIANI. — FILZA No. 11587. 
(1514—1517). 
Francesco di Giovanni, Maler“). 
c. 34. Francesco di Giovanni dipintore fu gravato questo di 15 di Magio 1514 per 


(1) Eine Ecke des Titelblattes ist beschädigt. Zu ergänzen ist das Fehlende vermutlich: „tutti Santi“. 
(2) Die Namen der beiden Guardiani. 

(3) Identisch mit dem in der S. Lukasgilde 1525 genannten Maler Andrea di Salvi Barili, dem Sohn 
eines Steinmetzen aus Rovezzano. (Gualandi, Memorie VI, р. 177.) Milanesi (Vasari-Ausgabe У, p.7, 
Note 2) verwechselt ihn mit Gian Barile, dem ersten Lehrer Andrea del Sartos. 


355 


Masciella messo di questa corte a stanza di Nichodemo di Nicholaio per L. 12. 16. 8, 
in questi beni cioè: 
Una sargia rossa, 
„ ghamurra a sacco. 


Cammillo di Francesco, Edelsteinschnitzer. 

c. 82t. Cammillo di Francesco intaglatore di chorniole fu gravato questo di 14 di 
Gennaio 1515 per Chapelletto messo di questa corte a stanza di Monna Margherita 
vedova d’Onofrio di Francesco Chavalchanti per L. 33 Soldi 20 per parte in questi 


beni ı coltrice, ı pimaccio, ı materassa, 1 panno biancho da letto, x celone, 


т gubbone di cambellotto, ı paio di lenzuola, т gubbone die raso pago- 
nazzo, т saione di panno tané, т spada. 


Andrea di Piero del Pietrono (?), Maler. 
C. 154. Andrea di Piero del Pietrono (?) dipintore fu gravato questo di 12 d’Ottobre 
per Riccio messo di questa chorte a stanza di Gasparo di ser Zanobi in loco per 
loco (L) XXII soldi X parte in questi beni cioe: 

т cotta di canbillotto biancho liscia di velluto nero, 

2 lenzuola vechia a 3 teli cho reticiella, 

I cioppa di pano bigio da donna. 


.Francesco di Salimbene, Goldschmied. 
с. 155t. Francesco di Salimbene Orafo fu gravato questo di 7 d'Ottobre 1516 per 
Masino messo di questa corte a stanza d’Antonio Darrabatta per L. 14 in questi beni 
coè: 2 Fibie d’ariento e 

ı puntale d’ariento dorati. 


Benedetto di Lorenzo, Goldschmied. 
с. 1561. Benedetto di Lorenzo orafo fu gravato questo 13 d'Ottobre (1516) per Bar- 
betta messo di questa chorte a stanza di Francesco di Giovanni per L. 34. Ir. 2. 
in questi beni cioè: 
x Mantello nero da uomo, 
Coppa vera chon bastoncini con sua maniche, 
Coppetta nera trista, 
Chatelano da fanciulli di fregio, 
Coppetta nera trista, 
Ghabanella nera foderata a chastroni, 
Ghamurra di rascia azurra. 


м м м м мы м 


Giovanni di Francesco, Maler. 


c. 188. Giovanni di Francesco dipintore fu gravato questo di ı8 di Febraro 1516 
per Romolo messo di questa chorte a stanza d’Alessandro Domenici sargiaio per 
L. ıo in questi beni coè: 


ı Mantello nero da uomo chol nastro da fibiare. 


Donato di Noferi, Maler. 


c. 208. Donato di Noferi dipintore fu gravato questo di 19 di Magio 1517 per Maxino 
messo di questa chorte a stanza di Francesco di Leonardo Battiloro per L. 16 ella 
spesa in questi beni cioè: 

| т ghamurra overo chotta di ciambellotto tanè di velluto nero. 


356 


Francesco und Giovanni Benintendi, Wachsbildner. 
c. 94. Francesco di Filippo Benintendi, ceraiuolo e Domenico di Zanobi da S.° Mar- 
tino la Palma furono gravati questo di 9 di Febraio (1515) a stanza di Pagole Tas- 
sini e compagni linajuoli per L. 66 s. 18 d. 7 e per le spese in: 

ı ghamurra di panno rosso sanza maniche orli di velluto, 

т paio di lenzuola, 

2 tovagle, 

т mantello bigello. 


c. 131. Francesco di Filippo Benintendi cierajuolo fu gravato questo di 23 di Magio 
1516 per Ciccio messo di questa chorte a stanza di Alvieri di Pagolo della Chasa 
e chompagni setajuoli per Fior. 4 larghi d'oro in questi beni cioe: 

1 ghamurra di saia tanè, maniche nere, 

т mantello nere da uomo overo ghabanella. 


C. 147. Francesco di Filippo Benintendi cerajuolo fu gravato questo di 27 d’Aghosto 
1516 per Mugnaro messo di questa chorte a stanza di Francesco di Totto Batti- 
loro per Fl. 3 d'oro in questi beni соё: 

т ghamurra di saia tanè maniche di saia nera. 
с. 188. Giovanni di Girolamo Benintendi fu gravato questo di 18 di Febraio 1516 per 
Mariello messo di questa chorte a stanza di Galeotto d Antonio e Ataviano de’ Me- 
dici e chonpagni in questi beni cioè: 

т bacino d’ottone. 


357 


STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHOR- 
UMGANGES Von ERNST GALL 


Mit siebzehn Abbildungen, davon zwölf Abbildungen auf sechs Tafeln 1) өөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө 


П. 
DIE FRÜHEN BEISPIELE 


m ersten Teile dieser Arbeit ist nachgewiesen worden, daß der Chorumgang von 
St. Martin in Tours erst aus dem Anfang des тт. Jahrhunderts stammt. Dieser 

Bau tritt damit aus seiner merkwürdigen Ausnahmestellung heraus und ordnet sich 
der Gruppe der übrigen frühen Beispiele ein, die, wie ich sagte, sämtlich erst nach 
Ablauf des ersten Jahrtausends entstanden sind. Es werden zwar in der Literatur 
Chorumgänge genannt, die dem то. oder gar dem 9. Jahrhundert angehören sollen, 
doch geschieht dies mit Unrecht, wie ich im folgenden zeigen will. Da dies mög- 
lichst exakt untersucht werden muß, ehe wir weiter fortschreiten können, so wird 
es nötig sein, hier eine kritische Betrachtung aller frühen Chorumgänge zu geben 
und eine sichere chronologische Liste für sie aufzustellen. 

Erst dann wird es möglich sein zu entscheiden, ob ein einzelnes, besonders her- 
vorragendes Monument oder eine ganze Bauschule Träger dieser fruchtbaren und 
für das Mittelalter vorzüglich charakteristischen Idee gewesen ist. Und auch nur 
von hier aus wird verfolgt werden können, wie aus einer zunächst rein sachlichen 
Anordnung, die in erster Linie den Bedürfnissen des Kultus diente, allmählich eine 
architektonische Kunstform entwickelt wurde: ein Vorgang, der wie kein zweiter 
Gelegenheit bieten würde, von gesicherten Grundlagen aus die allmähliche Bildung 
des mittelalterlichen Raumbegriffs zu erkennen. Es hat sich dabei nicht um philo- 
sophierende Spekulationen, sondern um nüchterne historische Betrachtungen zu 
handeln. 

Dehio gab seinerzeit eine Zusammenstellung, die nach meiner Kenntnis nicht 
wieder aufgenommen ist und noch immer die Grundlage für alles abgibt, was man 
seitdem darüber gesagt und geschrieben hat, wenigstens bei uns in Deutschland’). 
Ich will dieser Liste folgen, doch so, daß ich mich gleichzeitig an bestimmte land- 
schaftliche Gruppen halte. Dabei sei jedoch ausdrücklich betont, daß in dieser 
Frühzeit keine eigentlichen, festgeschlossenen Bauschulen nachgewiesen werden 
können und alle Untersuchungen, die bestimmte Gruppen verfolgen, somit nur einen 
relativen Wert haben. Größere provinziale Zusammenhänge scheinen sich erst am 
Ende des rr. Jahrhunderts herausgebildet zu haben, ausgenommen in der Normandie, 
wo wir bereits um 1050 ein allgemein befolgtes Bauideal erkennen können. 

Wir beginnen mit dem nördlichen Frankreich; hier nannte Dehio als wichtigsten 
Schöpfungsbau St. Remy in Reims. Dem lag, wie bei St. Martin in Tours, die 
Theorie zugrunde, unser Motiv müsse sich vornehmlich an den großen Wallfahrts- 
kirchen ausgebildet haben. Man ist sich heute allgemein darüber einig, wie ge- 
fährlich es ist, solche kulturhistorischen Überlegungen zum Ausgangspunkt kunst- 
geschichtlicher Betrachtungen zu machen; auch hier war es ein Mifgriff, denn 


(1) Zwei der photographischen Aufnahmen (Abb. 4 und 5) sind den Photographien der Commission des 
Monuments Historiques entnommen. 

(2) Cf. die erste Anmerkung des ersten Teils. Dehio nannte: La Couture in Le Mans, St. Remy in 
Reims, Ste. Trinité in Fécamp, Kathedrale von Vannes, ältere Kathedrale von Chartres, St. Aignan in 
Orléans, St. Etienne in Vignory, St. Philibert in Tournus, St. Savin, St. Hilaire in Poitiers, abgesehen 
von St. Martin in Tours. 


358 


St. Remy hat gar keinen Umgang gehabt. Dieser Kirche ist es in jeder Hinsicht 
merkwürdig ergangen: obwohl die Geschichte ihrer Entstehung in einer zeitge- 
nössischen Quelle von seltener Ausführlichkeit berichtet wird!), und der Bau durch 
seine frühe Zeitstellung, wie seine hervorragende Raumbehandlung das denkbar 
größte Interesse wecken müßte, hat ihm bisher niemand eine wirklich ernsthafte 
Monographie gewidmet. Viollet-le-Duc gab in der Revue generale de l’archi- 
tecture?) und dann in seinem Dictionnaire?) einige Bemerkungen, die von da ab 
verhängnisvoll wirken sollten. 

Da der Chor der Kirche nach 1162 vom Abte Pierre de Celles vollständig neu- 
erbaut ist‘), ohne daß sich Spuren von dem älteren erhalten haben, so versuchte 
es Viollet-le-Duc mit einer Restauration der untergegangenen Anlage, indem er 


E 
=” 
n 
= 
=> 
= 
== 
— 
== 
= 
= 


Abb. т. Reims, St. Remy. Grundriß des Chores nach den Plänen von Leblan und Gosset. Schwarz: noch 
erhalten (wenn auch z. T. verändert). Kreuzschraffiert: in den Ausgrabungen gefunden. Horizontal- 
schraffiert: ergänzt. 


dafür einen Chorumgang annahm. Er trug jedoch Sorge, seine Ergänzung durch be- 
sondere Schraffierung im Plane zu kennzeichnen, und bemerkte dazu, daß diese Teile 
nur noch in den Fundamenten „sichtbar seien“, Es war das diplomatisch ausgedrückt 
und will nicht verstanden werden, als habe er die Fundamente wirklich selbst ge- 
sehen. Wer mit der Arbeitsmethode Viollet-le-Ducs etwas vertraut ist, wird wissen, 
daß man hier an einem Punkte der Darstellung steht, wo der Autor selbst im un- 
gewissen war. Ebensowenig wie er sich scheute, den Bau dem то. Jahrhundert zu- 


(z) Hist. Dedic. Ecel. 8. Remigii ap. Remos, auctore Anselmo; bei Mabillon, Acta Sanctorum ord. 8. 
Benedicti, saec VI, pars I, p. 711. jetzt bequem bei Mortet, Recueil de textes relatifs è l’histoire de 
l’architecture en France, p. 39. 

(a) Band X, р. 248. 

(з) Bend IX, р. я17. 

(4) Petri Cellensis Epistola, bei Migne, P.L. 202, col. 154. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft д. 27 359 


zuschreiben, obwohl schon Mabillon die Quellen veröffentlicht hatte, aus denen her- 
vorgeht, daß die ältesten Teile frühestens nach 1005 entstanden sein können, trug er 
auch Bedenken, vermutungsweise von Fundamenten zu sprechen, die er nie gesehen 
hatte und wie wir sehen werden, auch nie gesehen haben konnte. Hatte er wirklich 
mit dem Spaten die Grundmauern einer Kirche verfolgt, so sehen seine Zeichnungen 
ganz anders aus, als die von St. Remy, und es empfiehlt sich da einen Blick auf 
seinen Plan von St. Denis zu werfen!). Leider hat Dehio der Autorität Viollet-le-Ducs 
zuviel getraut und dessen Vermutung als absolute Wahrheit hingestellt, obwohl schon 
wenige Jahre nach dem Erscheinen der Zeichnungen Viollet-le- Ducs ein Reimser 
Künstler, E. Leblan, Ausgrabungen im Chor veranstaltet und dabei die wirklichen 
Fundamente gefunden hatte. Sie zeigten, wie das Sanktuarium des 11. Jahrhunderts 
ausgesehen hat: es war ohne Umgang und bestand aus einem wenig ausgedehnten, 
rechteckigen Chore, an den sich eine halbrunde Apsis anschloß. Beiderseits lagen dem 
dreischiffigen Querhaus im Osten eine Anzahl Kapellen vor, von denen sich noch 
ein Teil erhalten hat (Abb. 1). Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Fundamente 
dem Bau des ır. Jahrhunderts zugehören, denn sie lassen sich auf das einfachste 
und selbstverständlichste mit den noch heute erhaltenen Ostteilen der Kirche ver- 
binden, zumal nach dem Bericht Anselms feststeht, daß die alte Anlage des 
Hincmar weit kleiner gewesen sein muß. Die Zeichnungen Leblans wurden 1874 
veröffentlicht?), sie verschwanden dann nicht etwa, sondern kamen später in die 
Archives de la Commission des Monuments Historiques®), wo sie, jedermann zu- 
gänglich, heute noch aufbewahrt werden. Und zu allem Überfluß wurden sie be- 
nutzt, als Gosset im Jahre 1900 seine allerdings sehr wenig empfehlenswerte 
Monographie erscheinen ließ, ebenso machte Demaison drei Jahre später ausdrück- 
lich auf den wahren Sachverhalt aufmerksam. Es hat aber alles nichts genützt, 
in der deutschen Literatur hat bis in die neueste Zeit hinein St. Remy noch immer 
einen Chorumgang gehabt‘). 

Es versteht sich von selbst, daß alle Hypothesen, die Dehio auf den behaupteten 
Zusammenhang von St. Martin und St. Remy gegründet hat, in ein Nichts zusam- 
menfallen. Er beschränkte sich dabei nicht nur auf den Vergleich der genannten 
Chöre, sondern dehnte ihn auch auf die Westteile beider Kirchen aus, indem er 
den alten Bau des Herveus in Tours aus der noch vorhandenen Anlage von 
St. Remy zu rekonstruieren gedachte. Da es sich hier um methodische Fragen 
` уоп prinzipieller Bedeutung handelt, will ich noch mit ein paar Worten darauf ein- 
gehen. Der Bau des Herveus in Tours hat, wie ich schon darlegte, keine Kapellen 
an der Ostseite seines Querschiffes gehabt, die erst dem Bau des 12. Jahrhunderts 
angehören, er hat aber auch allem Anscheine nach kein dreischiffiges Querhaus be- 
sessen, wie man daraus erkennen kann, daß die ältesten Fundamente des Chores 
sich weiter nach Westen erstrecken, als die des 12. Jahrhunderts, indem sie teil- 
weise gerade den Platz einnehmen, den später die Seitenschiffe im Osten des 
Querhauses erhielten, für die der Raum durch eine kleine Verkürzung des Chores 


(1) Dictionnaire IX, p. 228. 

(2) E. Leblan, Monuments Historiques de Reims, église St. Remy, Album ohne Text, 1874, cf. pl. 1. 
(3) Vornehmlich eine Zeichnung mit der Unterschrift „Fouilles au choeur“ vom 26. November 1873, 
Nr. 1077 der Archivsammlung zu vergleichen. 

(4) Gosset, La Basilique de St. Remy de Reims, Paris und Reims 1900. — L. Demaison in den Tra- 
vaux de l’Académie de Reims, Bd. 111, 1903, р. 273. Dagegen Woermann, Geschichte der Kunst II, 
p. 182. Borrmann - Neuwirth, Geschichte der Baukunst U, p. 152. Baum, Romanische Baukunst in 
Frankreich, p. VII und 231. 


360 


gewonnen wurde: eine Mafregel, die bei einer schon vorhandenen dreischiffigen 
Anlage nicht zu erklären wäre. Ähnlichkeiten zwischen dem Bau des Herveus 
und St. Remy bestehen auch hier nicht. Dehio wollte indes seine Hypothesen da- 
durch sicher stellen, daß er eine Identität der Hauptmaße in beiden Bauten fest- 
stellen zu können glaubte. Dies Argument scheint zwar auf den ersten Blick 
untrüglich, — ist aber gerade deshalb so gefährlich. Ich will keinen Wert darauf 
legen, daß ihm auch hier ein materieller Irrtum passiert ist, denn die zwei West- 
traveen von St. Remy gehören ihrer Grundanlage nach ebenfalls dem Bau des 
тт. Jahrhunderts an, die Kirche war also tatsächlich länger als er angibt; die Haupt- 
sache ist, daß mit solchen Mitteln der Berechnung überhaupt kein Beweis geführt 
werden kann. Denn das Mittelalter — zum mindesten seine Frühzeit — hat keine 
festausgebildete Proportionslehre gehabt, und seine Maße sind das Ergebnis allge- 
meiner Raumanschauung, die sich selten zu mathematisch abstrakter Form verdichtet 
hat!). Bei ihrer Einheitlichkeit ist es aber nur natürlich, daß einige wenige Haupt- 
maße zuweilen eine ungefähre Übereinstimmung zeigen, denn mehr als eine allge- 
meine Annäherung kann man bei genauem Zusehen nicht feststellen. Vornehmlich 
charakteristisch für die ganze Denkungsart des Mittelalters in dieser Angelegenheit 
ist der Umstand, daß bei tatsächlich nachweisbaren Entlehnungen getreuester Art 
gerade die Maße nicht mit übernommen wurden, wie der Fall von St. Sernin in 
Toulouse und St. Jago di Compostella zeigt. Dabei ist entscheidend, daß es sich 
nicht nur um eine Veränderung der absoluten Größenverhältnisse, sondern vornehm- 
lich auch der Proportionen handelt?). 

Dehio war erstaunt, daß sein St. Remy so wenig Nachfolge in der Champagne 
und deren Grenzgebieten gefunden habe. In der Tat kommt der Chorumgang hier 
erst allgemein sehr spät auf, eigentlich erst zur Zeit der Gotik. Das früheste Bei- 
spiel ist St. Etienne in Vignory, vermutlich zwischen 1050 und 1052 geweiht’). 
v. Bezold wie Dehio haben behauptet, dieser Chor sei eine Nachahmung von 
St. Philibert in Tournus ). Auch wenn die Daten dem nicht widersprechen würden, 
scheint es mir gänzlich unmöglich, eine Verwandtschaft zwischen beiden Bauten 
festzustellen. Vignory ist vielmehr als eine Kopie der älteren Kathedrale von 
Chartres anzusehen, wie Merlet und Clerval es als sehr wahrscheinlich vermutet 
haben’). | 

Ebenso spät begegnen wir dem Chorumgang in der Normandie. Alle frühen 
Bauten dieser Provinz — sie sind bekanntlich sehr zahlreich erhalten — kennen 
ihn nicht. Dehio nannte allerdings noch 1889 den Umgang von Fecamp als vor 
1010 entstanden. Würde sich nicht noch ganz kürzlich bei einer Kritik des Baum- 
schen Buches über die romanische Baukunst in Frankreich in einer so angesehenen 
Zeitschrift wie dem Repertorium Fr. Hoedler darauf berufen haben, so brauchte 
ich überhaupt nicht darauf einzugehen®). Denn schon Gally-Knight war anderer 
Meinung, vornehmlich aber hatte im Jahre 1866 Bouet über diesen Umgang ge- 
sprochen“) und an der Hand von einigen Zeichnungen dargelegt, daß er erst aus 


(z) Siehe darüber die guten Ausführungen bei Enlart, Manuel I, p. 55. 

(2) Gute Zusammenstellung der Pläne bei Brutails, Precis, p. 108. 

(3) Cf. d’Arbaumont, Cartulaire de St. Etienne de Vignory, p. 35, und zur Erläuterung im Vorwort, 
р. VII/VII. 

(4) Zentralblatt der Bauverwaltung 1886, р. 142, und Kirchliche Baukunst des Abendlandes I, р. 385. 
5) .Cf. Merlet-Clerval, Un manuscrit chartrain du XI siecle, р. 67. 

(6) Repert. für Kunstw. 1911. 

{7) Bulletin Monumental 1866, p. 5. 


361 


dem Anfang des 12. Jahrhunderts stamme, indem von den früheren Bauten sich 
nichts mehr erhalten habe. Dasselbe führte vor ein paar Jahren auch der rührige 
‚Rouennaiser Archäologe Coutan aus’). In der Tat wird man sich an der Hand 
der Abbildungen überzeugen können (Abb. 2 und 3), daß keine Rede davon sein 
kann, die wenigen erhaltenen Reste des Umganges aus romanischer Zeit dem 
frühen 11. Jahrhundert zuzuschreiben: es sind das zwei Kapellen auf der Nordseite 
mit einigen benachbarten Pfeiler- und Hochschifisteilen, die in Wahrheit einem Bau 
angehören, der am 16. Juni 1106 geweiht wurde). Bemerkenswert dabei ist der 
Wechsel von halbrunden und rechteckigen Kapellen, der hier zum ersten Male vor- 
kommt und auch später immer eine Ausnahme bleibt“). Für die Normandie ist 
dieser Chor der Ste. Trinité das erste sichere Beispiel eines Umganges, der hier 
bis dahin höchstwahrscheinlich ungebräuchlich war‘) und also erst verhältnismäßig 
sehr spät Eingang gefunden hat. Dabei muß man allerdings berücksichtigen, daß 
im großen und ganzen die spätromanische Entwicklung der normännischen Kunst 
‚sich in England vollzogen hat und hier der Chorumgang auch schon vor der Gotik 
bei größeren Bauten durchaus die Regel war. Das älteste Beispiel ist die Abtei- 
kirche von St. Augustin in Canterbury, die zwischen den Jahren 1070 und 1073 
begonnen wurde; ihre Fundamente sind im Jahre 1900 ausgegraben worden’). 
Aber auch diesseits des Kanals findet man in der Spätzeit ein ganz treffliches Bei- 
spiel in der Abteikirche St. Omer zu Lillers. Diese liegt zwar in der Picardie, 
doch ist sie in jeder Beziehung ein normännisches Gebäude, das man sich bei dem 
außerordentlich weitreichenden Einfluß dieser Schule nicht wundern darf, hier an- 
zutreffen. Der Chorgrundriß der Kirche ist besonders reich ausgebildet und muß 
als direkte Vorstufe für den gotischen Plan des Chores der Kathedrale von Rouen 
angesehen werden®). Es ist bei dem heutigen Stande der Forschung unmöglich 
zu sagen, auf welchem Wege die Normannen zu unserem Motiv gekommen sind: 
vor dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts haben sie es jedenfalls nicht gekannt. 

Noch weit später scheint die Bretagne es angewandt zu haben. Dehio nannte 
zwar auch hier ein sehr frühes Beispiel in der Kathedrale von Vannes, doch muß 
das auf einem Irrtum beruhen, denn ihr Chor ist 1770 vollständig abgerissen und 
neuerbaut worden. Wenn die alte Anlage auch zum Teil noch im heutigen Grund- 
riß sich erhalten hat, so wissen wir doch nichts über das nähere Aussehen des 
untergegangenen Gebäudes und alle Datierungsversuche müssen als wertlos be- 
zeichnet werden. Die ältesten Beispiele sind Loctudy”) und St. Gildas-de-Rhuis?), 
die keinesfalls vor dem 12. Jahrhundert entstanden sind. Diese Provinz muß voll- 
ständig aus der Betrachtung ausgeschieden werden, denn sie hat zu keiner Zeit 


(1) Annuaire Normand 1908, p. 331, dort ein Gesamtplan der Kirche nach Leroux de Lincy, Fécamp, 1840. 
(2) Ordericus Vitalis, ed. Le Prévost IV, р. 270. Orderic gibt kein Jahr, nur das Datum, es käme auch 
1099 in Betracht. 

(3) N-D. de Josaphat (Eure-et-Loir, cf. Bull. Arch. 1907, p. 167), Album de Villard de Homnecourt, 
fol. 65, St. Wandrille, Toledo. 

(4) Die Kathedrate von Evreux ist vielleicht ein früheres Beispiel, doch bieten die Ausgrabungen hier 
zu wenig Sicherheit, cf. Bourbon im Bull. Arch. 1895, p.7. Fossey, Monographie de la Cath. d’Evr., 
p. 16., cf. Enlart, Manuel І, р. 227, 

(5) Cf. Bilson im Bulletin Monumental 1905, p. 209. 

(6) Cf. Enlart, Monuments de l’architecture romane et de transition dans la région picarde, Amiens 
1895, p. 231. 

(7) Siehe den Plan in Baudot et Perrault-Dabot, Archives de la Commission des Monuments Histori- 
ques, vol. II, pl. 25. 

(8) Cf. Photographie de la Commission des M. H. Nr. 2723, 7989, 7984. 


362 


eine irgendwie originale Schule hervorgebracht: Einflüsse, die vom Süden der Loire 
kamen, trafen auf Gegenströme aus der Normandie, so daß eine ziemlich bunte 
Mischung hier entstanden ist. 

Wenden wir uns jetzt den südlichen Schulen zu, so kommt Nordfrankreich am 
nächsten liegend, zunächst die burgundische in Betracht. Innerhalb der romanischen 
Kunstentwicklung ist sie indes eine der allerjüngsten, denn wie man sie im allge- 
meinen definiert, hat sie sich erst um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts 
herausgebildet, und auch dann umfaßt sie nur einige der bedeutendsten Kathedral- 
und Klosterbauten. Die überwiegende Menge der mittleren und kleineren Kirchen?) 
steht auch später nur in losem Zusammenhange mit jenen ganz großen Schöpfungen: 
vornehmlich kommt der Unterschied in der Grundrißbildung zum Ausdruck. Die 
Sondergruppe der großen Abteien wie Cluny, Paray-le-Monial und die Charité-sur- 
Loire verwenden den Chorumgang, während er bei kleineren Bauten nur ein ein- 
ziges Mal vorkommt, in Bois-Ste.-Marie, und auch hier in der unvollständigen Form 
ohne Kapellenkranz. Diese scheinen ihrerseits eine weiter zurückreichende Tra- 
dition fortzubilden, so daß man von einer älteren Schule sprechen zu können ge- 
glaubt hat, eine Frage, die wir hier nicht näher zu besprechen brauchen. Wichtig 
ist allein, daß der Chorumgang auch hier in Burgund erst sehr spät auftritt. Denn 
der stets als Ausnahme zitierte Umgang von St. Philibert in Tournus ist keines- 
wegs ein so frühes Werk, wie im allgemeinen behauptet wird. Da die Frage von 
mir in einer Sonderabhandlung untersucht worden ist, brauche ich hier nur darauf 
zu verweisen*), indem ich als deren Resultat mitteile, daß die Grundrißbildung des 
Chores von Tournus erst in den letzten Jahren des rr. Jahrhunderts entstanden ist. 
Die Entwicklung liegt hier klar und übersichtlich vor unseren Augen, sie macht es 
von vornherein sicher, daß der Chorumgang mit ausstrahlendem Kapellenkranz 
nicht zu den bodenständigen Motiven der Schule gehört, sondern als ein Ergebnis 
fremder Einwirkung anzusehen ist. 

Sehr viel komplizierter liegen die Verhältnisse in der Auvergne. Die lokalpatrio- 
tischen Schriftsteller des Landes voran, dann aber auch weiterblickende Archäologen 
wie Anthyme Saint-Paul®) haben die auvergnatische Schule als die einflußreichste 
und vor allem älteste Schule von Frankreich proklamiert und sind nicht müde ge- 
worden zu erklären, daß alle wesentlichen technischen und künstlerischen Errungen- 
schaften, deren sich hier die aufgeblühte Kunst des 12. Jahrhunderts erfreute, im 
Keime bereits seit dem ro. Jahrhundert gewonnen waren. Als das hauptsächlichste, 
ja man kann sagen als das einzige Argument von einigem Werte, das diese These 
begründen soll, wird das ungewöhnlich frühe Vorkommen des Chorumganges in 
dieser Schule genannt. Selbst wenn dies einwandfrei nachgewiesen wäre, könnte 
doch daraus noch lange nicht gefolgert werden, daß auch alle übrigen architekto- 
nischen Prinzipien, die den besonderen Charakter der auvergnatischen Baukunst 
konstituieren, bereits in so früher Zeit und gleichzeitig damit entwickelt worden 
sein. Zum Unglück bedarf aber das genannte Argument erst selbst eines einwand- 


41) Cf. Virey, L’architecture romane dans l’ancien diocèse de Macon, Mém. de la Soc. Eduenne, XVII—XIX 
und Thiollier, L’art roman è Charlieu et en Btionnais, Paris 1892. 

4a) Cicerone, Heft 16 dieses Jahrganges. 

45) Siehe die vor kurzem erschienene neue Auflage seiner Histoire monumentale de la France, р. 118. 
Er sagt dort von der angeblich 946 geyreihten Kathedrale von Clermont-Ferrand, von der vielleicht 
ein paar Fundamente auf uns gekommen sind: ,,Cet édifice marque assez bien іе commencement de 
l'Éeole auvergnate constituée.“ Cf. die Bemerkungen im Congrès archéol. de Clermont-Ferrand 1895, 
von ähnlich gewagt hypothetischem Charakter. 


363 


freien Nachweises, denn seine fast allgemeine Anerkennung stellt nur eines von 
jenen häufigen Zugeständnissen dar, die man ständig wiederholten und leidlich be- 
gründeten Hypothesen gegenüber zu machen pflegt. Im Grunde genommen ist 
diese Frage nur ein Teil von dem, was man das „auvergnatische Problem“ nennen 
könnte, das seinerseits nur wieder eine besonders undurchdringliche Stelle jenes 
großen Schleiers darstellt, der uns den eigentlichen Bildungsprozeß der romanischen 
Schulen verhiillt. In der Auvergne liegt der Fall in aller Schärfe vor Augen: alle 
erhaltenen Bauten dieser Schule von nur einiger Bedeutung sind relativ sehr späten 
Datums, während es außerhalb des eigentlichen Schulgebietes Kirchen gibt, wie 
vornehmlich St. Etienne in Nevers, die bestimmte Prinzipien der auvergnatischen 
Konstruktion in höher entwickelter Form zeigen und trotzdem allgemein und auch 
mit guten Gründen für früher gehalten werden!). Diese Fragen sind relativ modern 
und erst akut geworden, seitdem man aufgehört hat, vom „romano-byzantinischen“ 
Stil zu sprechen und Bauten wie Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand dem frühen 
11. Jahrhundert zuzuweisen?). Man hat also aus dem, was man in anderen Gegen- 
den gefunden hat, eine auvergnatische Schule des 11. Jahrhunderts konstruiert, die 
in aller Munde ist, ohne daß im Lande selbst ein Gebäude vorhanden wäre, auf 
das man sich im Ernstfalle berufen könnte. Ohne mich in eine Diskussion darüber 
einzulassen, will ich diese Tatsache nur angedeutet haben, da etwas durchaus 
Analoges in der Frage der Chorumgänge vorliegt. Alles beruht hier auf einer 
Notiz des Mönches Helgaldus von St. Benoit-sur-Loire, der in seinem Bericht 
über den Bau des Klosters St. Aignan in Orléans durch König Robert erzählt, das 
Chorhaupt dieser Kirche sei nach dem Vorbilde der Kathedrale von Clermont-Fer- 
rand entworfen®). Die Chöre beider Kirchen sind nicht mehr erhalten, was wir 
heute an deren Stelle finden, stammt aus dem 15. und 13. Jahrhundert, aber die 
Krypta von St. Aignan, die einen Umgang mit Kapellen besitzt, könnte vielleicht 
jenem Bau zugehören, der im Jahre 1029 geweiht wurde. Wir kommen auf diesen 
Bau noch zu sprechen, doch mag schon hier gesagt werden, daß er nicht das 
Werk einer einzigen Periode ist, sondern mannigfaltige Veränderungen erfahren hat. 
Irgendwelche Schlüsse können natürlich nur dann gezogen werden, wenn genau 
festgestellt ist, welche Teile der Anlage jenem Bau des Königs Robert angehören. 
Hierüber sind die Meinungen jedoch sehr geteilt und zwar gerade im entscheidend- 
sten Punkte: so versuchte z. B. einer der erfahrensten und vorsichtigsten Archäo- 
logen der älteren Schule, Daniel Ramée, nachzuweisen‘), der Umgang mit den 
Kapellen stamme nicht aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts, sondern sei bereits 
vorher unter den Karolingern entstanden. Man wird sofort erkennen, daß in diesem 
(т) St. Etienne in Nevers wird allgemein für den Bau gehalten, von dem eine Urkunde sagt, er sei 
1097 fertig gewesen (Bruel, Chartes de Cluny V, р. 67). | 

(2) Der Mangel einer brauchbaren Darstellung über die Bauten der Auvergne macht sich sehr fühlbar; 
das Werk von Mallay (1841!) ist sehr veraltet. 

(3) Cf. Bouquet, Recueil X, р. 110. „Caput autem ipsius monasterii fecit miro opére, in similitudinem 
monasterii Sancte Marie, matris Domini, et Sanctorum Agricole et Vitalis in Claramonte constituti“, 
Dehio bezog diese Stelle auf die ältere Kirche von Notre-Dame-du-Port, es ist das ein Irrtum, da 
lediglich die Kathedrale in Betracht kommen kann, die nach dem ausdriicklichen Berichte Gregors von 
Tours (cf. Hist. Franc. II, 16 und In Gloria Martyrum, 43) den heiligen Agricola und Vitalis geweiht 
war. F. Witting hat im Rep. für Kunstwissenschaft 1905, р. 101 mit dieser Nachricht abermals N.-D. de Port 
in Verbindung gebracht, was mir nach der unten zitierten Abhandlung von Brutails von 1899 geradezu 
unverständlich ist. Das Wort „monasterium“ wird auch von Kathedralen gebraucht. 

(4) Dissertation sur quelques édifices d'Orléans presumés carlovingiens im Bulletin Monumental 1860, 
р. 37. Dort auch guter Plan, der weiter unten reproduziert ist. (Abb. 16.) 


364 


Falle mit der Notiz des Helgaldus nichts anzufangen ist, denn wenn der Chor- 
grundriß älter ist als 1029, so kann er nicht aus Clermont-Ferrand stammen. Über 
das Alter der Krypta von St. Aignan sind dann von verschiedenen Seiten die wider- 
sprechendsten Ansichten geäußert worden, und bis auf den heutigen Tag gibt es 
keine Arbeit, die als abschließend anzusehen wäre. Da mutet es denn doch einiger- 
maßen erstaunlich an, wie so schwankende Voraussetzungen zur Grundlage umfang- 
reicher kunsthistorischer Theorien genommen und diese mit voller Sicherheit vor- 
getragen werden konnten. Ich betone dies Mißverhältnis ausdrücklich, denn es ist 
immer gut, von Zeit zu Zeit den Dingen bis auf den Grund zu sehen. Wir werden 
nachher zu zeigen haben, daß höchstwahrscheinlich gerade die genannten Teile 
der Krypta den letzten erhaltenen Rest vom Bau König Roberts darstellen — aber 
damit sind noch keineswegs alle daran geknüpften Hypothesen bewiesen. Wenn 
man auch gerne einräumen wird, daß die Nachahmung gerade um des Umganges 
willen geschah, was ja an sich nicht gesagt, aber wohl anzunehmen ist, so wissen 
wir doch damit noch nichts Genaues über die Erbauungszeit der Kathedrale von 
Clermont-Ferrand. Darum aber handelt es sich gerade in erster Linie. Man nennt 
für gewöhnlich das Jahr 946 als Datum der Vollendung. Schon Brutails hat eine 
strenge Kritik daran geübt!), und in der Tat stellt diese Zahl nichts anderes dar, 
als die Vermutung eines Schriftstellers aus dem 17. Jahrhundert, der so eine Stelle 
aus dem Martyrologium der Kathedrale?) kommentierte, in der es heißt, daß an 
einem 2. Juni ein Bischof Stephanus den Neubau der Kathedrale weihte. Die Be- 
ziehung gerade auf den zweiten Bischof dieses Namens ist durchaus willkürlich, 
wenn man die Sache rein historisch betrachtet. Archäologisch ist sie zudem äußerst 
unwahrscheinlich, denn König Robert wird zu einer so vorwärtsdrängenden Zeit, 
wie dem Anfang des тт. Jahrhunderts, in einer fernabliegenden Landschaft kein 
Vorbild haben suchen wollen, das schon mehr als zwei Generationen alt war, es sei 
denn die Kathedrale von Clermont-Ferrand hätte eine Chordisposition geboten, wie 
sie sonst nicht anderswo zu finden war. Die Kirche von St. Aignan vertritt jedoch 
nur das übliche Schema, das zur Zeit ihrer Planlegung zudem auch schon in 
St. Martin in Tours vorhanden war. Es ist infolgedessen am wahrscheinlichsten, 
da sicher begründete historische Nachrichten sonst nicht auf uns gekommen sind, 
daß die Kathedrale von Clermont-Ferrand damals noch ein neuer Bau war und 
etwa am Anfang des тт. Jahrhunderts entstanden ist. 

Die Angelegenheit bekommt dadurch ein besonderes Interesse, daß die Funda- 
mente dieser Kirche vermutlich noch nachgewiesen werden können. Schon Viollet- 
le-Duc teilte mit, der Architekt Mallay habe bei den Arbeiten an der Kathedrale 
(in der Mitte des vorigen Jahrhunderts) die Substruktionen einer älteren Anlage ge- 
funden, die im Chore einen Umgang mit vier Kapellen aufwies“). Im Jahre 1909 
sind von du Ranquet neue Ausgrabungen vorgenommen worden, deren definitive 
Resultate leider noch nicht veröffentlicht sind. Ein vorläufiger Bericht‘) läßt aber 
immerhin erkennen, daß die gefundenen Fundamente wahrscheinlich nicht aus einer 
Zeit stammen, indem gerade die Kapellen möglicherweise eine spätere Hinzufügung 
darstellen. Gehören diese Mauerzüge in der Tat dem Bau an, den König Robert 
seinen Architekten zur Nachahmung empfahl, so ist diese jedenfalls keine exakte 


(1) Cf. Bulletin Archéologique 1899, p. 414. | 
(2) Dufraisse (anonym erschienen), L’origine des églises de France, Paris 1688, р. 468. Martyrologium 
Claramontense, heute in der Bibliotheque Nationale. 

(3) Dictionnaire II, p.372 und 456. | 

(4) Bulletin Monumental 1909, p. 311. Cf. Desdevises-du-Dezert und 8. Bréhier, Clermont-Ferrand, р. 22, 


365 


gewesen, denn St. Aignan in Orléans hat fünf, Ciermont-Ferrand aber einem auverg- 
natischem Brauch entsprechend nur vier Kapellen gehabt!). 


Trotzdem die Verhältnisse also ziemlich kompliziert liegen, läßt sich immerhin 
feststellen, daß die Auvergne höchstwahrscheinlich erst im rr. Jahrhundert im Be- 
sitze des Chorumganges gewesen ist und die Hypothese, es sei dies bereits friiher 
der Fall gewesen, zum mindesten unbegriindet ist. Da uns jetzt nur die friihen 
Beispiele zu beschäftigen haben, so brauche ich vorläufig auf die weitere Entwick- 
lung nicht einzugehen. Nur eins sei noch erwähnt: der Chorumgang wird hier 
später regelmäßig angewandt und zwar, worauf man im Gegensatz zu Burgund 
achten wolle, nicht nur an den großen Bauten, sondern ebenso bei einer Reihe 
von mittleren und selbst kleinsten Anlagen, von denen St. Martin d’Artonne, St.Myon, 
St. Martin de Cournon und Volvic zu nennen sind. Daraus läßt sich auf alle Fälle 
entnehmen, daß die Wurzel des Motivs hier viel tiefer hinabreichen muß, als in 
den bisher besprochenen Landschaften. 


Im eigentlichen Süden Frankreichs, in der Provence wie in der Languedoc, sind 
alle Chorumgänge frühestens Bauten des ausgehenden 11. Jahrhunderts; in der 
Frage, die uns beschäftigt, bieten sie daher zunächst keinen Aufschluß, so daß wir 
uns gleich im Westen, in den Gegenden an der unteren Loire umsehen können. 
Hier treffen wir auf ein Gebiet, in dem sich zweifelsohne sehr verschiedenartige 
Einflüsse getroffen haben und sich infolgedessen die bunteste Mannigfaltigkeit vor- 
findet, ganz im Gegensatze zu jenem abgeklärten und fest in sich selbst ruhenden 
Stile der Auvergne. Wenn es noch möglich ist, im Süden der Loire, im Poitou 
und Saintonge, einen festen Schulzusammenhang innerhalb einer größeren Gruppe 
von Bauten nachzuweisen, dem zwar nicht alle, aber doch der größere Teil aus 
der Gesamtzahl unterworfen sind, so wäre dies im Norden der Loire ein vergeb- 
liches Bemühen; weder Tours, noch Orleans, noch Le Mans haben sich einen be- 
herrschenden Einfluß sichern können. Das breite Flußbett der Loire bildete hier keine 
Grenze für das Kulturleben der anwohnenden Völkerschaften, wie etwa das des 
Main in Deutschland, von beiden Seiten strömten sie zu ihm hin, und so konnte es 
nicht fehlen, daß auch die künstlerischen Ideen hinüber und herüber ihren Weg 
fanden. Dabei ist jedoch eins als merkwürdig zu konstatieren: während der ganzen 
ersten Periode der mittelalterlichen Kunst bis gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts 
waren die Länder südlich des Stromes in weit höherem Grade der gebende als der 
nehmende Teil. Hier scheint denn auch seit alter Zeit der Chorumgang einge- 
wurzelt zu sein, denn er gehört zu dem gebräuchlichsten Schulgut des Poitou. Als 
ältestes Beispiel muß der von St. Savin angesehen werden. Diese Kirche hat lange 
Zeit unbestritten für einen Bau aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts gegolten, bis 
in jüngster Zeit mehr oder minder begründete Zweifel daran laut geworden sind. 
Zunächst hat Marignan den Chor der Kirche bis in die Zeit Philipp Augusts 
setzen wollen; E. Lefèvre-Pontalis hat daraufhin mit Recht diese Art von Wis- 
senschaft in das rechte Licht gerückt?), aber auch seinerseits geglaubt feststellen 
zu müssen, daß die bisherige allgemeine Meinung ein Irrtum sei und die Ostteile 
der Kirche frühestens um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts entstanden sein 


(т) Es ist unrichtig zu sagen, daß die Auvergne ausschließlich die Vierzahl der Kapellen gebraucht 
hat, es gibt ihrer überhaupt nur vier in der Auvergne, dagegen zeigen sieben Bauten drei Kapellen 
und eine Kirche fünf (Issoire). Die Vierzahl nur bei den Bauten, die Maria besonders geweiht sind. 
(2) СЕ. Marignan, Les méthodes du passé dans l’archéologie francaise und Lefevre-Pontalis im Bulletin 
Monumental 1911, р. 19. 


366 


können. Ich kenne noch nicht alle Gründe, die er dafür ins Feld zu führen gedenkt!), 
aber es wird mir erlaubt sein, die Frage auch meinerseits in kurzer Form zu dis- 
kutieren. Es handelt sich um einen Bau, über den keine sicheren historischen 
Nachrichten auf uns gekommen sind, dessen Alter also lediglich durch Vergleichung 
festgestellt werden kann?). Bestimmte Größen, von denen auszugehen wäre, bieten 
sich vornehmlich zwei dar, und zwar in unmittelbarer Nähe von St. Savin. Wir 
wissen, daß die Kirche St. Hilaire in Poitiers im Anfange des 12. Jahrhunderts im 
Auftrage der Königin Emma von England durch den Architekten Gauterius Coor- 
landus erbaut und in fertigem Zustande am 1. November 1049 geweiht wurde ). 
Was von diesem Bau noch auf uns gekommen ist, hat Lefèvre - Pontalis in einer 
sehr instruktiven Studie gezeigt‘): es handelt sich dabei vornehmlich um das Quer- 
haus der heutigen Anlage in seinem oberen Teile. Es genügt, die Mauern, wie sie 
sich außen zeigen, mit denen vom Chore in St. Savin, dem ältesten Teil der Kirche, 
zu vergleichen. Der Unterschied ist auf den ersten Blick erheblich: während in 
St. Hilaire die Mauern aus unregelmäßigen Bruchsteinen in roher Technik herge- 
stellt und lediglich die Wandecken und der Rand der Fenster mit größeren und 
sorgfältiger behauenen Steinen abgefaßt sind, weist St. Savin Wände auf, die in 
trefflichster Weise mit regelmäßigen Quadern bekleidet sind und so einen ganz 
unzweifelhaften Fortschritt dokumentieren. Es wäre sicher ungerechtfertigt, Bauten 
in dieser Art vergleichen zu wollen, die in verschiedenen Landschaften unter durch- 
aus ungleichartigen Bedingungen entstanden sind; das ist aber nicht unser Fall, 
denn es handelt sich um Kirchen, die in unmittelbarer Nachbarschaft gelegen, von 
den gleichen materiellen Voraussetzungen abhingen; das Argument hat also seine 
vollste Kraft, und es können beide unmöglich zu einer Zeit entstanden sein; um 
das Gegenteil nur einigermaßen wahrscheinlich zu machen, müßten in St. Savin die 
unzweifelhaftesten Charaktere des rr. Jahrhunderts nachgewiesen werden, an denen 
es aber vollständig fehlt. Denn die dekorativen Formen der Kapitelle (Abb. 4) zeigen 
hier zwar eine wenig elegante Ausführung, aber keineswegs Motive, die ein besonders 
hohes Alter wahrscheinlich machten, ja, Marignan hat sich sogar durch ihren Cha- 
rakter verleiten lassen, den Chor der Kirche dem Ende des 13. Jahrhunderts zuzu- 
weisen. Man muß außerdem mit Nachdruck darauf hinweisen, daß der Bau des 
Gauterius Coorlandus ein in allen Teilen flachgedeckter war, während in St. Savin 
der Übergang zum Gewölbebau bereits vollzogen ist. Wollte man sich beide 
Kirchen als gleichzeitig entstanden denken, so müßte auch hier eine Ausnahme von 
der Regel konstituiert werden, denn wenn auch flachgedeckte Anlagen später noch 
lange Zeit hindurch neben schon längst gewölbten entstehen, so sind dies doch 
nur solche zweiten und dritten Grades, zu denen aber St. Hilaire in Poitiers frag- 
los nicht gerechnet werden darf. Die Entstehungszeit von St. Savin muß also 
schon für die ältesten Teile um einige Dezennien später angesetzt werden, als die 
von St. Hilaire, mindestens aber in die zweite Hälfte des rr. Jahrhunderts. Wir 
müssen nun sehen, ob sich noch genauere Schlüsse aus dem zweiten Datum ziehen 
lassen, das uns überliefert ist. Es heißt, daß am 17. November 1099 die Kirche 


(z) In einer der nächsten Nummern des Bulletin Monumental wird vermutlich eine Studie darüber er- 
scheinen. 

(2) Merimée, Peintures de St. Savin, р. 23, zitierte einen Text, der aber auf den heutigen Bau unmög- 
lich Bezug haben kann. 

(3) Cf. Victor Mortet, Recueil de textes relatifs A l’histoire de l’architecture, р. 140. 

(4) Lefèvre-Pontalis, Etude sur St. Hilaire de Poitiers im Congrès archéologique de Poitiers, 1903, 
p. 361. Dort auch von beiden Bauten Abbildungen, p. 56 zu vergleichen mit p. 402, obere Hälfte. 


367 


Ste. Radegonde in Poitiers geweiht wurde!); ihr Schiff ist später durch ein anderes 
ersetzt worden, aber der Chor und der Fassadenturm in seinem unteren Geschoß 
sind uns noch erhalten. Es ist vornehmlich der Plan des Umgangs mit seinen 
Kapellen, der mit dem von St. Savin verglichen, das Verhältnis, in dem die beiden 
Bauten zueinander stehen, sehr deutlich bezeichnet. Die grofiziigigere Disposition, 
die aus der weiten Stellung der Pfeiler (Abb. 5) und der breiten Abmessung des Um- 
ganges in Ste. Radegonde ganz unverkennbar spricht, kann nur als das Resultat einer 
längeren Erfahrung im Gewölbebau angesehen werden, die dem Architekten von 
St.Savin noch nicht zur Verfügung stand. Diese Gegenüberstellung lehrt als höchst- 
wahrscheinlich die frühere Entstehung von St. Savin. Das Datum, das uns für 
Ste, Radegonde überliefert ist, bezieht sich nun vermutlich nicht auf den fertigen 
Bau, sondern erst auf einen im Entstehen begriffenen. Ich schließe dies daraus, 
daß Urban II. im Jahre 1096 in Poitiers weilte und ‘hier auch am 27. Januar das 
Kloster St. Jean de Montierneuf weihte?). Wäre die Kirche Ste. Radegonde damals 
in einem nur einigermaßen fortgeschrittenen Bauzustande gewesen, so hätte man 
höchstwahrscheinlich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, auch an ihr die 
Weihe durch den Papst vollziehen zu lassen, was ja bekanntlich, wenn nur irgend 
möglich, gern durchgesetzt wurde. Man braucht also die Erbauung von St. Savin 
nicht zu weit ins тт. Jahrhundert zurückzusetzen, und es kann im Zusammenhang 
mit dem an erster Stelle dargelegten angenommen werden, daß sie etwa in den 
siebziger und achtziger Jahren des 11. Jahrhunderts erfolgt ist, d. h. es ist mit dem 
Chorbau um diese Zeit begonnen worden, während das Schiff erst im 12. Jahrhundert 
entstanden sein dürfte, da fraglos nach Fertigstellung der Ostteile des Querhauses 
eine Planänderung eintrat*). Die übrigen Chorumgänge im Poitou sind erst Bauten 
des 12. Jahrhunderts, man hat zwar auch früher den von St. Hilaire als um die 
Mitte des vorhergehenden Jahrhunderts entstanden angegeben, doch ist gerade hier 
die spätere Hinzufügung an den Kapellen besonders deutlich sichtbar‘). 

Im Norden der Loire haben wir drei Bauten zu behandeln, die alle keiner be- 
sonderen Schule angehören, aber nichtsdestoweniger höchst wertvolle Zeugnisse 
der Baukunst des rr. Jahrhunderts darstellen: es sind das die Kirche St. Pierre et 
Paul de la Couture in Le Mans, die ältere Kathedrale von Chartres und schließlich 
St. Aignan in Orleans, von der wir schon oben sprachen. 

Die Abteikirche, die früher den Heiligen Peter und Paul in Le Mans geweiht 
war, hat einen Chorumgang, der ausnahmslos als ein Teil eines am Ende des 
то. Jahrhunderts entstandenen Baues bezeichnet wird, und zwar gibt man als Da- 
tum der Vollendung das Jahr 997 an. Auch hier macht sich der Mangel an genü- 
genden Vorarbeiten reichlich fühlbar, denn wir besitzen keine brauchbare Bauge- 
schichte dieser Kirche, noch einen Plan, der auf einige Genauigkeit Anspruch 
machen könnte’). Das genannte Datum beruht auf einer Notiz des Chronicon 
S. Juliani Turonensis®), in der es heißt, der Abt Gauzbert von St. Julien in Tours 
habe auch die Kirche des heiligen Petrus in Le Mans gegründet. Dieser Abt lebte 


(1) Marchegay, Chroniques des égl. d’Anjou, р. 397. Plan im Congres Archéol., Poitiers 1903, р. 16. 
(a) Inschrift, cf. Congres de Poitiers, р. 30. Cf. Jaffé, Nr. 5613. Marchegay, op. cit., p. 411. 

(3) Die Baugeschichte von St. Savin ist von größtem Interesse für die Datierung der berühmten Wand- 
malereien, die füglich nicht vor dem 12. Jahrhundert entstanden sein können. 

(4) Cf. Lefèvre-Pontalis, op. cit., р. 403 und die dazugehörige Abbildung. 

(5) Der Plan bei Dehio-Bezold, Taf. 119,7 nach dem Congr. Arch. von 1878 ist so gut wie vollständig 
ein Phantasiegebilde; der hier gebotene Grundriß (Abb. 6) beruht auf eigener Aufnahme. 

(6) Cf. Brevis Hist. S. Juliani-Turonensis bei Salmon, Recueil de chroniques de Touraine, p. 228. 


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Abb. 6. Le Mans, N.-D. de la Couture. Grundriß des Chores, links in Fensterhöhe des Umganges, rechts 
in Höhe des Fußbodens im Umgange resp. der Fenster in der Krypta. Schwarz: noch erhalten. Kreuz. 
schraffiert: ergänzt (heute durch spätere Bauteile aus dem 13. bis 16. Jahrhundert eingenommen). 


am Ende des то. Jahrhunderts; auf die genannte Zahl kam man nun dadurch, daß 
in den Actus Pontificum Cenomannis in urbe degentium!) als Begräbnisstätte des 
997 verstorbenen Bischofs Sigenfrid unsere Kirche bezeichnet wird, von der man 
angenommen hat, sie sei damals in einem fertigen Zustande gewesen. Aber schon 
allein die Form, in der diese Nachricht abgefaßt ist, widerspricht dem direkt, denn 
es heißt, der Bischof sei beerdigt „in ecclesia sancti Petri Culturae, quae olim est 
aedificata a Bertranno episcopo“. Wenn damals erst eben ein Neubau stattgefunden 


(1) Ed. Busson-Ledru in den Archives historiques du Maine II, 1901, р. 355. 


369 


hätte, so würde doch sicher dessen und nicht der alten Anlage des 7. Jahrhunderts 
gedacht sein. Ganz abgesehen davon widerspricht aber auch der Baubefund den 
üblichen Angaben voliständig. 

Die Kirche, die heute Notre-Dame-de-la-Couture heißt, hat eine ganz ähnliche 
Baugeschichte wie Ste. Radegonde in Poitiers. Eine ursprünglich dreischiffige An- 
lage wurde mit Beibehaltung des alten Chores um die Wende des 12. und 13. Jahr- 
hunderts in einen großen einschiffigen Saal verwandelt, dessen nächstliegendes Vor- 
bild in der Kathedrale von Angers zu suchen ist. Der Chorumgang ist der älteste 
noch nachweisbare Bauteil; man hat zwar geglaubt, die Reste einer noch älteren 
Anlage in der Krypta wie in den Seitenwänden des Schiffes aufzeigen zu können, 
doch ist das ein Irrtum, der auf einer falschen Deutung der Mauertechnik beruht!). 
Die Wände sind nämlich da, wo sie keinen besonderen Druck auszuhalten haben, 
aus kleinen unregelmäßigen Steinen von ungefährer Würfelform hergestellt, während 
sie an den Ecken und den stärker belasteten Stellen regelmäßige Quadern ziemlich 
kleinen Formates zeigen. Dies Verfahren habe ich schon einmal beschrieben, so 
daß ich nicht erst im einzelnen nachzuweisen brauche, wie unbegründet es ist, hier 
verschiedene Entstehungszeiten sehen zu wollen. Dieselbe Technik findet sich 
übrigens auch an den Außenwänden des Chorumganges, namentlich an der einzigen 
vollständig erhaltenen Kapelle aus romanischer Zeit (Abb. 13). Auf unserem Plane 
findet man alle heute noch vorhandenen ältesten Bauteile schwarz bezeichnet, da- 
gegen stellen die schraffiert angelegten eine Rekonstruktion derer dar, die später 
durch Bauten des 13., 15. und 16. Jahrhunderts ersetzt sind. Zu den Erneuerungen 
gehört auch der Lichtgaden des Chores, der ein Werk des 12. Jahrhunderts ist. 

Das Datum des Chorumganges kann nur durch Vergleichung festgestellt werden. 
Die romanischen Bauten in Le Mans sind zum Glück gut datiert und eignen sich 
vortrefflich zu diesem Zweck. Von der Kirche eines außerhalb der eigentlichen 
Stadt gelegenen Nonnenklosters, das St. Julien-du-Pré hieß, berichtet die ,,Gallia 
christiana“*) die fromme Lezeline habe um die Mitte des 11. Jahrhunderts bedeu- 
tende Stiftungen zu ihrem Neubau gemacht, der danach friihestens in der zweiten 
Hälfte dieses Jahrhunderts erfolgt sein kann. Wir haben keinen Grund an der Zu- 
verlässigkeit dieser Nachricht zu zweifeln, können vielmehr ihre Richtigkeit noch 
durch einen Hinweis auf die romanischen Teile der benachbarten Kathedrale dartun. 
Bekanntlich besitzen wir gerade für diesen vornehmsten Bau von Le Mans die vor- 
trefflichsten Überlieferungen?), auf Grund deren einwandfrei feststeht, daß die 
Außenmauern ihrer Seitenschiffe ein Werk des Bischofs Hoellus sind, der 1085 bis 
1096 sein Amt bekleidete‘), Die Behandlung dieser Bauteile stimmt sehr genau 
überein mit der, wie sie St. Julien-du-Pré zeigt, was besonders charakteristisch in 
der Technik der Außenwände, der Art der Fenstereinfassung, wie den Profilen zum 
Ausdruck kommt (Abb. 7 u. 8). Im übrigen zeigt die Kirche ein bestimmtes Detail in 
ihrer Dekoration, das unzweifelhaft auf die gleiche Zeit hindeutet: das Fenster im Um- 
gang gleich südlich neben der mittleren Kapelle hat als Schmuck seines Bogens ein 
Zickzackmuster aus gebrochenen Stäben in der als normännisch bekannten Fassung. 


(т) Man vergleiche die darauf beruhende Rekonstruktionszeichnung bei Dehio - Bezold, wo noch ein 
Vergleich mit Hersfeld angestellt wird. 

(a) Gallia christiana, t. XIV, col. sor. 

(3) Actus Pontificum Cenomannis in urbe degentium, jetzt am bequemsten zusammengestellt bei Mortet, 
Recueil de textes, p. 161 ff. | 
(4) Cf. Lefevre-Pontalis, La nef de la cathédrale du Mans, in der Revue hist. et arch. du Maine 1889, 
p.25ff. Auch die neueren Arbeiten von Ledru und Fleury sind zu vergleichen. 


370 


Dies Motiv, das sich von der Normandie aus bis in sehr entfernte Gebiete ver- 
breitet hat, ohne indes bei seinem nur sporadischen Vorkommen jedesmal einen 
direkten Einfluß zu beweisen, kommt dort nicht vor den neunziger Jahren des 
11. Jahrhunderts in Gebrauch!). Aus den genannten Gründen muß also St. Julien- 
du-Pré als ein Bau aus eben dieser Zeit angesehen werden. 

Es wird nun niemandem entgehen, eine wie große Ähnlichkeit der Chorumgang 
von Notre-Dame-de-la-Couture mit dieser Kirche zeigt, derart, daß man ihn wohl 
für älter, aber doch im wesentlichen als auf einer Stilstufe stehend anerkennen wird 
(Abb.9—11). Dies tritt vornehmlich an den großen Säulen hervor, die den Chor vom 
Umgange trennen. Sie sind hier wie dort in derselben charakteristischen Art aufge- 
mauert aus Steinen, die an Größe nicht unbeträchtlich hinter dem sonst im Mittel- 
alter üblichen Format zurückbleiben; dabei sind die Mörtelschichten dick und zu breit 
hervorragenden, scharfkantigen Stegen ausgebildet. Die Kapitelle (Abb. 10) zeigen eine 
grobe und wenig nach unten verengerte Blockform, die trotz verhältnismäßig hoher 
Deckplatte zwar ein breites, im ganzen aber doch nur niedriges Auflager für die 
Bogen schafft; ihre funktionelle Gliederung beschränkt sich auf vier kurze und 
wenig wirksame Voluten, während die länglichen Seitenflächen durch phantastisch 
verschlungene Ranken- und Tierornamente in flacher Stilisierung eingenommen 
werden. Die nahe Verwandtschaft dieser dekorativen Bildungen in beiden Kirchen 
kommt sehr stark zum Ausdruck; ich mache besonders auf ein Motiv aufmerksam: 
es ist das eine Gesichtsmaske, aus deren Munde mit dünnen Blättern verzierte 
Ranken herauswachsen, die sich dann in mannigfachen Verschlingungen über das 
ganze Kapitell verbreiten (Abb. 10). 

Mit diesem Vergleich sind indes die Argumente noch nicht erschöpft, die man 
einer Datierung unseres Baues in das Ende des 1o. Jahrhunderts entgegensetzen 
muß. Dazu gehört vornehmlich die Gliederung der Pfeiler, die auf beiden Seiten 
des Chores die Reihe der Säulen unterbrechen. Sie zeigen auf ihrer Vorderseite 
einen Pilaster mit vorgelegter Halbsäule, der die Deckplatte des Kapitells durch- 
schneidet und dann an den Längswänden aufsteigt (Abb. ır). Der Zweck dieser An- 
ordnung könnte zunächst unklar erscheinen, da das Obergeschoß des Chores erneuert 
ist und die Anlage als solche sowohl einer Wölbung wie einer flachen Decke ent- 
spräche; nach Analogie der übrigen Bauten von Le Mans, von denen sogar die 
1120 geweihte Kathedrale noch eine Holzbedachung hatte, ist indes eine solche 
auch hier nur anzunehmen. Man weiß, daß eine derartige Verwendung von auf- 
steigenden Diensten an sicheren Beispielen?) frühestens im 11. Jahrhundert nach- 
zuweisen ist und in der besonderen hier vorliegenden Form sogar erst seit Mitte 
des Jahrhunderts. Ich sprach oben von einem partiellen Einfluß der normännischen 
Kunst bei St. Julien-du-Pre, der aber in Le Mans noch weit umfassender gewesen 
ist, wie besonders die Fassade der Kathedrale beweist, und auch hier wird ein 
solcher erblickt werden müssen, da bekanntlich der Gebrauch der Dienste ein be- 
sonders in der Normandie angewandtes Verfahren darstellt, das, abgesehen von 
Oberitalien, sonst nur ganz vereinzelt vorkommt. Zum ersten Male finden wir es 
zwischen 1052 und 1066 in Jumieges?) und zwar gerade in der Form, die auch in 


(z) Das älteste mir bekannte Beispiel findet sich an der Apsis der St. Trinité in Caen, etwa 1090. 

(2) Robert de Lasteyrie hat am Schiff von St. Philibert-de-Grandlieu eine solche Anordnung als karolingisch 
ansprechen wollen; cf. Mém. de l’Académie des Inscriptions et Belles Lettres, t. XXXVIII, a. Mir scheinen 
die Gründe von de Lasteyrie wenig überzeugend und die Frage doch noch nicht definitiv entschieden. 
(3) Roger Martin-du-Gard, L’abbaye de Jumièges, р. 32. Älter noch in Bernay, doch nur vereinzelt im 
Chor, cf. Bull. Mon. 1911, р. 420. 


371 


der Couture vorliegt. Auf einen Einfluß aus dieser nördlichen Bauschule dürfen 
ebenso die an den Breitseiten der Pfeiler angebrachten Halbsäulen in ihrer auf- 
fallenden Verdoppelung zurückgeführt werden. Sie kommen so zwar auch sonst 
noch vor — ich nenne besonders die älteren Teile der Kathedrale von Le Puy — 
doch sind sie vornehmlich typisch für eine große Anzahl von normännischen Bauten 
und man wird das Richtige treffen, wenn man unseren Pfeilergrundriß in Beziehung 
setzt zu dem der Vierungspfeiler von Jumièges oder noch besser dem der letzten 
Schiffspfeiler in der Ste. Trinité zu Caen’), beides Bauten aus der Mitte des 11. Jahr- 
hunderts. 

Nach alledem wird man sich unseren Chorumgang als um diese Zeit entstanden 
denken müssen. Was zu seiner früheren Datierung Anlaß gegeben haben könnte 
— es hat niemand irgendwelche Beweise dafür erbracht — sind die Ornamente an 
den Kapitellen der äußeren Umgangswand, die zum großen Teil aus Flechtbändern 
bestehen, und der reichliche Gebrauch von Ziegeln, der in den Fensterbogen und einzel- 
nen Mauerteilen gemacht worden ist. Beides galt für Frankreich lange und zum Teil 
auch noch heute als ein unzweifelhaftes Kennzeichen eines karolingischen Baues. Der 
Gebrauch der in Deutschland meist als „lombardisch“bezeichneten Bandverschlingungen 
hat sich jedoch sehr lange erhalten; so findet man sie, um nur in Le Mans zu bleiben, 
noch an den Kapitellen der Seitenschiffe in der Kathedrale, die vom Ende des 
тт. Jahrhunderts stammen, wobei ich besonders auf ein Stück an der Südseite 
gleich links neben dem hier befindlichen Eingang aufmerksam mache. Ebenso hat 
der Glaube an die auf die Karolingerzeit beschränkte Verwendung von Ziegeln eine 
schwere Erschütterung erlitten durch die Ausgrabungen, die R. Merlet 1894 in der 
Kathedrale von Chartres vornahm, bei denen Fenster des alten Fulbertschen Baues 
aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts gefunden wurden, die auch die gleiche 
Verwendung von Ziegeln zeigen, wie die іп der Couture’). An eine wesentlich 
frühere Entstehung dieser Außenseiten kann bei der genauen Identität der Technik 
mit den Chorpfeilern nicht gedacht werden, wenn sie auch bei der natürlichen Ab- 
wicklung der Baufolge etwas früher entstanden sind und so die Ornamentik noch 
altertümlichere Motive aufweist. Es muß wie bei allen Untersuchungen auch hier 
festgehalten werden, daß man nicht von den unbestimmten, sondern nur von be- 
stimmten Größen ausgehen kann, deren Wert ich oben dargelegt zu haben glaube. 

In der Krypta der Kathedrale von Chartres hat sich einer der ältesten und groß- 
artigsten Chorumgänge der Frühzeit erhalten. Diese berühmte Anlage, über deren 
Entstehungszeit sichere Zeugnisse auf uns gekommen sind, ist so häufig beschrieben 
worden, daß ich hier nicht näher darauf einzugehen brauche und mich damit be- 
gnügen kann, an die bekannten Daten zu erinnern: der Baubeginn erfolgte kurz 
nach dem verheerenden Brande vom 7. September 1020 und dank der Mithilfe zahl- 
reicher Gönner konnte Bischof Fulbert im Herbste des Jahres 1024 daran denken, 
die Krypta bereits vor Wintersanfang fertigzustellen, wie er an Herzog Wilhelm 
von Aquitanien schreibt)). Wir brauchten uns also nicht länger bei diesem Bau 


(х) Cf. für Jumieges den genannten Grundriß in eben zitiertem Werke auf Tafel XXII, т, für die Tri- 
nite findet man eine Photographie in dieser Zeitschrift, 1911, Tafel 65 und 66. Siehe auch die Aus- 
grabungen von St.Ouen in Rouen (Revue de l’art chretien 1885, p. 338), wo der gleiche Pfeilergrund- 
riß vorhanden war im 1126 geweihten Bau. 

(2) Cf. Merlet im Bulletin Archéologique 1894, p. 66ff. Abbildung des einen Fensters in Merlet-Clerval, 
Un Manuscrit Chartrain du XIe siecle, р. 83. 

(3) Die Quellen jetzt am Besten zusammengestellt in der schon oft zitierten Sammlung von Mortet. 
Cf. Merlet in den Mém. de la Soc. arch. d’Eure-et Loir 1896, p. 161. 


372 


aufzuhalten, wenn man nicht in gewissen Bauteilen der Krypta, die unter dem 
Namen des Caveau St. Lubin bekannt sind, einen karolingischen Chorumgang prokla- 
miert hätte. Es handelt sich dabei um den innersten Raum der Krypta, der gerade 
unter dem heutigen Hochchore der Kathedrale liegt (Abb. 14). Seine Außenwand ist 
zweifelsohne älter als der Bau Fulberts und reicht höchstwahrscheinlich bis ins 9. Jahr- 
hundert zurück, denn sie zeigt Fensteröffnungen, die durch die von Fulbert aufge- 
führte Innenwand der ringsherumlaufenden Krypta vermauert sind. Neuere Aus- 
grabungen haben gezeigt, daß dieser im Halbrand geschlossene und außerordentlich 
hohe Raum durch schmale von Treppen eingenommene Gänge mit der Oberkirche 
verbunden war. In seiner Mitte etwa befinden sich zwei rechteckige Pfeiler, die 
nach Merlet die Krypta in eine eigentliche Apsis und einen „Umgang“ zerlegen!). 
Ich kann dem leider nicht beistimmen, 
denn diese Pfeiler können nur als eine 
Hilfskonstruktion angesehen werden, 
die den Zweck hatte, den Chor der 
Oberkirche zu stützen, denn der an- 
gebliche „Umgang“ ist in seiner Mitte 
so eng, daß man sich gerade hindurch- 
zwängen kann. Abgesehen davon sind 
diese Pfeiler höchstwahrscheinlich spä- 
tere Einbauten, denn sie zeigen nicht 
nur eine ganz andere Technik als die 
wirklich karolingische Außenwand, sie 
sind vor allem auch in ihrer halbkreis- 
förmig angeordneten Stellung aus einem 
ganz anderen Zentrum heraus konstru- 
iert als die Apsiswand, so daß der 
Gang nach der Mitte zu sich ganz be- 
trächtlich verengert. Dies stellt eine 
Ungeschicklichkeit so grober Art dar, 


wie sie nur aus dem Charakter einer Abb. 14. Chartres, Kathedrale. Grundriß der Ostteile 
3 e b S der Fulbertschen Krypta mit Weglassung aller späteren 
nachträglich eingebauten Verstärkungs- Umbauten. Schwarz: Bau des Fulbert. Kreuzschraffiert: 


anlage erklärt werden kann, die wohl karolingische, vertikalschraffiert: römische Mauer (an 

von Fulbert vorgenommen ist. Es ist letzterer in der Mitte eine Halbsiule, die hier ver- 
x Я Ё Е sehentlich ausgefallen ist). 

einleuchtend, daß nicht hieraus der „ad- 5 

mirable rondpoint de l’eglise gothique“ geworden ist, wie Merlet will?). 


Von St. Aignan in Orléans ist schon die Rede gewesen. Die Krypta (Abb. 16), die sich 
heute unter einem Chore des 15. Jahrhunderts befindet, ist nur in ihrer westlichen 
Hälfte zugänglich, indem der größte Teil des Umganges mit Ausnahme einer 
Kapelle auf der Nordseite vollständig vermauert ist. Über diesen Bau ist sehr ver- 
schieden geurteilt worden: zunächst hat man ihn allgemein für ein Werk des 
11. Jahrhunderts gehalten, bis О. Ramée ihn für karolingisch erklärte; L. Maitre 
war das noch nicht alt genug und er nahm sogar merowingischen Ursprung für 
ihn in Anspruch, zuletzt hat dann Lefèvre-Pontalis in seiner Arbeit über die Aus- 
grabungen in der Kathedrale von Orléans unserer Krypta ein paar Zeilen gewidmet, 


(x) Man findet ein Verzeichnis der hierhergehörigen Literatur, die als zu umfangreich hier nicht auf- 
gezählt werden kann, bei R. Merlet, La Cathédrale de Chartres, Paris 1909. 
(2) Man vergleiche in dem oben genannten Buch von Merlet, p. 15. 


373 


in denen er den Umgang wieder den Architekten König Roberts zuschreiben zu 
wollen scheint!). 

Die Arbeit von D. Ramée scheint mir in zahlreichen Punkten wirklich grund- 
legend zu sein, insofern er die einzelnen Bauteile ihrem architektonischen Charakter 
nach zu scheiden verstanden hat, obwohl die Dinge hier sehr kompliziert liegen. 
Ich habe mit seiner Schrift in der Hand den Bau wiederholt eingehend untersucht 
und gefunden, daß seine Beschreibungen genau zutreffen. Seinen Schlußfolgerungen 
wird man indes nicht zustimmen können, denn er hat eine ganz wesentliche Tat- 
sache übersehen, die bei ihrer Wichtigkeit obenangestellt werden muß. Es handelt 
sich dabei um das Verhältnis, in dem die Confessio ganz im Westen der Anlage 
zu dem eigentlichen Hauptraum der Krypta steht. Ramée stützte sich bei seiner 
Kritik einzig und allein auf die Tech- 
nik des Mauerverbandes und kam 
zu dem Resultat, beide müßten gleich- 
zeitig entstanden sein. Lefevre-Pon- 
talis, der ebenfalls nur von der Tech- 
nik spricht, betont aber ihre Verschie- 
denheit und kommt infolgedessen zu 
dem umgekehrten Schluß. Wenn 
man die Dinge allein von dieser 
Seite her betrachten wollte, müßte 
man Ramée recht geben, denn die 
Technik ist nur scheinbar in beiden 
Teilen eine andere, indem sie in 
Wahrheit den verschiedenen Zwek- 
ken entsprechend gestaltet ist. Die 
Mauern der Confessio (Abb. 15, auf 
der linken Seite) sind im ,,petit ap- 
pareil allongé“ ausgeführt, die ihr 
gegenüberliegenden Pfeiler (rechts 
auf unserer Abb.) aber im „moyen 
appareil“, weil in der ausgedehnten 
Abb. 16. Orléans, St. Aignan. Grundriß der Krypta. Schwarz: Wand der Druck sich leichter ver- 
Bau König Roberts. Kreuzschraffiert: karoling isch. Nach teilen konnte, die Pfeiler aber eine 

Ramée, mit einigen Veränderungen. konzentriertereWiderstandskraftent- 

wickeln mußten. Das ergibt sich aus 

dem Umstande, daß der „moyen appareil“ sich auch schon an den Pilastern, 
die jener Wand vorgelegt sind, findet?) und sich hier unzweifelhaft als gleich- 
zeitig mit dem „appareil allongé“ erweist, zumal dieser wiederum seinerseits 
in den Mauerzügen des Umgangs und den unteren Wänden der einzig zugäng- 
lichen Kapelle auf der Nordseite erscheint. Ramée hatte also alle Berechtigung, 


(1) Cf. Crosnier im Bulletin Monumental 1856. D. Ramée, ebendort 1860. L. Maitre in den Mém. de 
la Soc. hist. et arch. de l’Orléannais 1902. Lefevre-Pontalis, ebenda 1905 oder Bulletin Monumental 
1904. Letzterer sagt vom Umgang: „Avant la réconstruction de l’église haute consacrée en 1029, on 
entoura le chevet d'un déambulatoire et de cing chapelles rayonnantes.‘‘ Ganz klar ist das nicht, denn 
was ist „avant“? 

(2) Besonders ist dies an dem siidlichen Pilaster der Fall, wie man auf der beigegebenen Abbildung 
deutlich wird erkennen können; der genaue Verband mit der Mauer schließt eine spätere Hinzu- 
fügung aus (gleich links am Rande der Abbildung). 


374 


die Identität der Profile auf beiden Seiten als wirksame Argumente ins Feld zu 
führen. Die ganze Sachlage bekommt aber ein anderes Aussehen, wenn man den 
Grundriß aufmerksam studiert: man wird dann sofort erkennen, wie die Pfeiler- 
achsen der Krypta mehr und mehr in der Richtung von Osten nach Westen aus- 
einanderlaufen, um die Confessio an ihren Endpunkten zu erreichen. Es kann nicht 
gut zweifelhaft sein, daß hier zeitlich verschiedene Pläne miteinander verbunden 
sind und die Confessio wirklich einen älteren Bestandteil darstellt, der später die 
Krypta angefügt wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die Breitendimensionen 
der alten Grabkammer beibehalten, ihre ganze Ostwand aber wird wahrscheinlich 
neu aufgeführt oder doch zum mindesten neu verkleidet sein. 

Eine solche Feststellung ist für die Kritik der ganzen Anlage von entscheidendem 
Werte, denn da die eigentliche Krypta der jüngere Teil ist, wird man mit ihrem 
Alter nicht zu hoch hinaufriicken dürfen. Es 
ist unwahrscheinlich, daß man in ihr einen 
karolingischen Bau vor sich hat, und man wird 
um so weniger daran glauben können, wenn | 
man Helgaldus von Fleury berichten hört, mu i 
König Robert habe dem heiligen Anianus ein mo Ce Um «U 
neues Kloster von Grund auf erbaut mit der — = Aus АШУ Di d } 
Absicht es besser zu machen als das alte, — — iu: = 7 
indem er seinen Architekten ein besonderes San aa ze D 1— 7 
Vorbild für den Chorbau empfahl). Eine ganze V 1 үт 
Reihe von sehr sicheren Argumenten wäre a EI 1 ol 
nötig, um trotzdem die Entstehung der Krypta ki ШР 
im 9. Jahrhundert auch nur als möglich er- NU | EEE 
scheinen zu lassen. Die Gründe, die Ramee i = у 
dafür vorbrachte, können indes einen solchen WHY 
Wert keineswegs beanspruchen. Er nannte l 905 У 
den „appareil allonge“, der sich jedoch in 
Tournus im Beginn des rr Jahrhunderts findet, 
und dies ist gerade das beste Beispiel, das = = | 
überhaupt für ihn namhaft gemacht werden | | 
kann. Weiter ist die Verwendnng von Zie- | || 
geln, die er anführte, ebensogut nach wie vor Abb. 17. Orléans, St. Aignan. Kapitell aus der 
dem Jahre 1000 anzutreffen, wie ich schon Krypta. 11. Jahrhundert. Nach D. Ramée. 
oben erwähnte. Sein letztes Argument hielt 
er selbst für das beste, es ist jedoch noch weniger beweiskräftig als die anderen, 
denn jenes besondere Profil der Deckplatten, das entsteht, wenn aus der einfachen 
Schräge noch ein oder zwei übereinanderliegende Platten herausgearbeitet werden 
(Abb. 17, über dem Kapitell), ist überhaupt an keinem einzigen, wirklich sicheren 
Bau aus karolingischer Zeit nachzuweisen. Ramée nannte zwar als Beispiel aus dem 
eben besprochenen Caveau St. Lubin in Chartres ein Pfeilergesims, doch glaube ich 
dessen spätere Entstehung unter Fulbert dargelegt zu haben?). Dagegen hat schon 
v. Bezold auf ein spätes Beispiel in Montmajour aufmerksam gemacht?), und ich 


a 


(х) Helgaldi Floriacensis Monachi Epitoma Vitae regis Roberti, bei Bouquet X, р. 110: „Praeterea con- 
struxit a novo in urbe Aureliana Monasterium Sancti Aniani.... domnum Domini super eum in melius 
construere coepit“, 

(2) Das von Ramée genannte Gesims findet sich an dem an die römische Mauer auf der Südseite 
angebrachten Pilaster. 

(3) Im Zentralblatt der Bauverwaltung 1886, p. 155. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 9. 28 375 


kann im Anschluß daran die Profile der Krypta von Tournus nennen und ebenso 
ein Kapitell in Bernay'!). Die Dekoration der Kapitelle (Abb. 17) selbst wird niemand als 
karolingisch ansehen wollen, im Gegenteil zeigt ein Vergleich mit denen von Lorsch, 
wie weit hier bereits wieder jene Renaissance des 9. Jahrhunderts entfernt liegt. 
Ramée mußte sich in diesem Punkte täuschen und deshalb zu falschen Schlüssen 
kommen, weil er noch die Kapitelle von St. Benoit-sur-Loire, die erst Arbeiten des 
ı2. Jahrhunderts sind, und mit ihnen andere derselben Zeit, für Werke des begin- 
nenden тт. Jahrhunderts hielt. Fast alles also, was man für einen karolingischen 
Ursprung unseres Umgangs hat geltend machen wollen, weist vielmehr in eine 
jüngere Zeit und kann nur das bestätigen, was an sich schon am wahrscheinlichsten 
erschien: hier den Bau König Roberts zu erkennen. 

Die Kathedrale von Auxerre besitzt in ihrer Krypta einen Umgang, der höchst- 
wahrscheinlich aus der Zeit des Bischofs Hugo von Chälons stammt und somit 
gegen 1030 entstanden ist?). 

Damit glaube ich alle nachweisbaren frühen Beispiele genannt zu haben, die ich 
jetzt zum Schluß dieses Abschnittes in einer chronologisch geordneten Liste zur 
besseren Übersicht vereinigen will. In dieser stehen in der ersten Reihe die Daten 
des Baubeginns, in der zweiten die der Weihe oder Vollendung. Diejenigen von 
ihnen, die wirklich sicher feststehen, sind durch fetteren Druck hervorgehoben. 


997 — 1015 Tours St. Martin. 
1000 Clermont-Ferrand Kathedrale. 
roro — 1029 Orleans ....... St. Aignan. 
1020 — 1024 Chartres Kathedrale, Krypta. 
1030 Auxerre Kathedrale, Krypta. 
1050 Le Mans Notre-Dame -de-la-Couture. 
1052 Vignory ....... St. Etienne (gänzlich einflußlose Kopie der 
Kathedrale von Chartres). 
1070/73 Canterbury St. Augustin (Ausgrabungen). 
1080 St. Savin. 
1090 Le Mans ...... St. Julien-du-Pré. 
1090 Tournus....... St. Philibert, Krypta. 
1095 Cluny (allein der Chor!). 
1096 Toulouse ...... St. Sernin (der Chor noch kaum fertig). 
1096 Poitiers ....... St. Jean-de-Montierneuf. 
1097 Nevers........ St. Etienne. 
1099 Poitiers ....... Ste. Radegonde ). 


(x) Für Tournus vergleiche man meinen Artikel im Cicerone, Heft 16 laufenden Jahrgangs. Von dem 
Kapitell in Bernay ist eine Abbildung im Congrés Archéologique, Caen 1908, p. 608. 

(2) Siehe den Plan im Congrés Archéologique, Avallon 1907, p.172. Die Quellen finden sich in der 
genannten Sammlung von Mortet, p.92. Daß das Datum von 1030 auf den heutigen Bau zu beziehen 
sei, kann ich nicht beweisen, aber auch nicht das Gegenteil, obwohl ich einiges Mißtrauen habe. 

(3) Man wird sich vielleicht wundern, unter den Bauten aus der zweiten Hälfte des тт. Jahrhunderts 
nicht auch St. Martial in Limoges zu finden, ich kann jedoch die Anschauungen von Charles de 
Lasteyrie nicht teilen. Cf. Ch. de Lasteyrie, St. Martial de Limoges, p. 295. 


(Fortsetzung „Entwicklungsfragen“ folgt.) 


376 


CONTRIBUTION À L’ETUDE DU 
PEINTRE SUTTERMANS. 
Avec deux reproductions sur une planche. 

Je me permets de développer dans les lignes sui- 
vantes deux points sur lesquels n’a pu insister suf- 
fisamment la monographie (provisoire) que je viens 
de consacrer au portraitiste attitré des Médicis au 
XVIIe siecle’). J’espere amplifier bientôt cet essai, 
en l'illustrant plus complètement. Grace à la 
Mostra del Ritratto italiano organisée А 
Florence en 1911, l'heure de la réhabilitation a 
sonné pour Juste Suttermans. En méme temps 
que G. В. Gaulli (П Baciccio), Carlo Maratta, Fra 
Vittore Ghislandi, — notre Anversois émigré à la 
cour de Toscane, commémoré par des pièces de 
choix dans cette rétrospective réussie, a repris 
place au soleil de l'Art! La production de sa longue 
carriere (1597— 1681) constitue un document ico- 
nographique de tout premier ordre auquel il fau- 
drait rendre l’hommage qu’il mérite. 


Les tableaux religieux de Juste Suttermans re- 
présentent une des faces les plus intéressantes de 
son talent. Il nous a laissé, soit des images iso- 
lées de saintes (ce sont en réalité des princesses 
et grandes dames en Madeleine, en sainte 
Marguerite, en sainte Helene... assimilables 
aux Diane, Flore ou Vénus pompeuses des 
salons de Versailles et de Hampton-Court) soit des 
groupes religieux, dont je veux parler brièvement 
ici. La Sainte Famille du Palais Pitti, — la 
Vierge apprenant à lire à l'Enfant debout devant 
elle, à l'arrière-plan saint Joseph —, sous les traits 
de Victoire de la Rovère, épouse de Ferdinand II, 
son fils Cosme III enfant, et un maitre de cha- 
pelle de la duchesse, en offre le parfait exemple, 
assez analogue évidemment aux compositions reli- 
gieuses de Van Dyck: beaucoup de maniérisme et 
peu de ferveur. J'ai entendu citer d’autres oeuvres 
du peintre, également conformes à cette mode du 
déguisement pieux; mais en dehors des effigies 
allégoriques particulières auxquelles je faisais al- 
lusion, je n’en ai découvert nulle trace. Sous 
Tétiquette de notre Justus se trouve à la galerie 
Corsini, à Florence (salle IV, No. 161) une Vierge 
avec 1' Enfant et un ange en adoration, 
groupe élégant, moelleux et presque douceätre, que 
je crois utile de reproduire (P1. 82), à cause de son 
(1) Pierre Bautier, Juste Suttermans, peintre des Médicis. 


‘Collection des grands artistes des Pays - Bas (Bruxelles, 
Van Oest, 1912. 


rapport d’identité, absolu cette fois, vis-a-vis de 
Van Dyck. C’est une transposition exacte — en sens 
opposé (peut-être donc d’après la gravure) — d'une 
oeuvre donnée en deux exemplaires dans le cata- 
logue du génial Anversois!), avec l'intitulé Mari- 
age mystique de sainteCatherine, — correct, 
car l’Ange parait bien féminin quant aux traite du 
visage et à la coiffure; il porte en outre la palme 
du martyre. La Madone, si distinguée, semble 
calquée sur celle du Repos dans la fuite en 
Egypte (Pinacothèque de Munich). Ces deux 
Van Dyck authentiques sont: 

1. AChicago, dans la collection A. Sprague (autre- 
fois Sedelmeyer А Paris) Provient sans doute du 
Palais Durazzo à Génes. 

2. A Londres, chez le duc de Westminster (Gros- 
venor-house) répétition libre du précédent. De la 
main du maitre; encore que lui-mème à un moment 
donné ait prétendu le contraire, ainsi qu’en témoig- 
nent les curieuses lettres publiées par W. H. Car- 
penter?). „La petitte offrande que j’ay envoyée à 
V.E. (cadeau de nouvel an 1632 au roi Charles I) 
écrit Sir Balthasar Gerbier, ay acheptée pour ori- 
ginelle; pour telle la recognoissent touts les pain- 
tres. Le Sr Rubens quy est le maistre en ce Pais 
la cognoist pour estre de la main de Van Dyck... 
Estant la mesme que l’Infante (Isabelle) avoit fait 
mettre А la Chapelle de la Royne Меге (Marie de 
Médicis) quand elle estoit en sa Court.“ 

La comparaison de ces tableaux avec le nétre 
n'a pas besoin de commentaire. Dans le bambino 
joufflu, très italien, se constatent seulement des 
variantes légères. П convient d’admettre que 
Poeuvre aurait été exécutée par Suttermans „d’après 
Van Dyck“ (On a parfois raisonné de la sorte: à 
la National Gallery d’Edimbourg, le portrait d'Am- 
broise Spinola en demi-figure, qui porte le nom- 
de Suttermans, s'afirme un dérivé direct de Van 
Dyck; aussi dans la collection Somzée jadis à 
Bruxelles, No. 588. Béatrice de Cusance, prin- 
cesse de Cantecroix). J’estimerais cependant 
plus volontiers que Suttermans n’a rien А voir 
dans le cas qui nous occupe. Considérons la 
Vierge et l’Enfant avec un Ange en ado- 
ration comme un travail issu de l’atelier de Van 
Dyck, reflet atténué d’un éclatant panneau qui re- 
monte au séjour génois du pittore cavalieresco. 
La Madone en question demeure l’une des plus 


(1) Van Dyck, Klassiker der Kunst; p. 80 et 81 (Stuttgart, 
Leipzig 1909). 

(2) W. Hookham Carpenter, Pictorial Notices. 
Sir Anıhony Van Dyck; p. 58 (Londres 1844). . 


Memoir of 


377 


séduisantes choses parmi l’encombrement vétuste 
et poussiéreux des appartements du Lungarno 


Corsini. 2 e 


Le magnifique ouvrage de M. A. Venturi (La 
R. Galleria Estense in Modena!)) analyse en 
detail les extraits d’archives relatifs aux divers 
voyages du peintre des Médicis dans la princi- 
pauté. Son talent y était hautement prisé; l’énu- 
meration des besognes dont il fut chargé prouve 
sa faveur aupres de la famille d’Este. Je rappelle, 
entre les plus instructives mentions: 

x. L’envoi & Rome — consigné par М. Marcel 
Reymond?) — de trois portraits du duc Francoisl 
de face et de profil, „mano di Suttermanno“, des- 
tinés à la confection par le chevalier Bernin au 
buste emphatique que conserve le Musée de Mo- 
dène. Songez aux trois Richelieu de Philippe 
de Champaigne, aux trois CharlesIde Van Dyck, 
exécutés dans une intention identique. 

2. La série des „princesses nubiles“ de la Séré- 
nissime Maison d’Este, flattées délicatement par 
l’habile pinceau de notre portraitiste, — que le duc 
de Modene envoya au cardinal Mazarin dans 
l’espoir téméraire d’engager le jeune Louis XIV А 
conclure mariage de ce cété.... J'ai ajouté à cela 
un unique renseignement; le portrait d’une prin- 
cesse d’Este, par Suttermans, en riche costume, 
avec des rubans roses, a passé en vente à Londres 
chez Christie (le 23 juillet 1900, No. 23; le 19 avril 
1902, No. 124). 

Les inventaires anciens?) signalent de nombreux 
portraits émanés du fécond „Monsu Guisto“, notam- 
ment à la résidence de Sassuolo, actuellement dé- 
pouillée de son contenu. Rien ne subsiste de 
l'activité brillante déployée par notre artiste a la 
cour de Modene, — hormis quelques toiles archi- 
mediocres reléguées dans les magasins de la galerie, 
lointaines répliques dues vraisemblablement а Gio- 
vanni Van Gelder, neveu et imitateur de Sutter- 
nans. 

Lors d'une récente visite á Modene, j’avais été 
attiré par un ravissant morceau anonyme, accroché 
sans numéro: le portrait d'un jeune homme, 
jusqu’aux genoux, revétu d’une superbe armure 
barrée d'une écharpe bleue; la fraiche carnation 
ressort admirablement dans la perruque grise bien 
fournie qui couvre les épaules; son attitude est 
pleine d'aisance et de noblesse, il tient la main 
droite à la banche, la gauche au pommeau de 
l'épée. D’abord je croyais reconnaitre la facture 


(1) Modène 1882, 

(2) Le Bernin, Les Maitres de l'Art; p. 109 (Paris. s. d.). 
(3) G. Campori, Raccolta di cataloghi ed inventarii inedit 
(Modène 1870). | 


378 


de Justus, — la miroitante cuirasse et la souple 
écharpe de soie en sautoir étant caracteristiques 
de ses multiples portraits, desquels le modele reste 
le charmant petit Christian de Danemark aux 
cheveux bouclés du Palais Pitti, tant loué par les 
visiteurs de Florence. Je commandai une photo- 
graphie de ce joli tableau (PI. 82) et je suis heu- 
reux d'en animer mes reflexions en marge de 
Suttermans, mais l’attribution que je proposais ne 
saurait décidément étre maintenue. L’armure, traitée 
avec moins de minutie que notre peintre n’en 
montre habituellement, se rattache davantage А la 
technique quasi „abregde“ d'un Velasquez. (La 
Pinacothèque de Modene récéle, on le вай, un 
chef-d’oeuvre éblouissant du maitre espagnol: le 
Frangois I d’Este, exécuté à Madrid en 1638). 
Je pense que notre jeune homme se situe & un 
moment plus tardif que le dernier séjour de Sutter- 
mans А Modene (1656). Mes recherches ne m’autori- 
sent point à identifier formellement le prince dont 
il s'agit. Quant è l’auteur, je suggère timidement 
Mignard. Le fameux peintre francais portraitura, 
comme Suttermans, les membres de la famille 
d’Este. Certaines oeuvres proches de son style 
figuraient a l’Exposition fiorentine de 1911. Nous 
regrettons que l’anonyme du Musée de Modene 
n’y ait pas été placé; il eùt avoisiné honorable- 
ment Pompeo Gasparini, marchand de Luc- 
ques, avec les attributs de Été (au Dr. En- 
rico Pellegrini, Borgo a Mozzano) et d'autres 
effigies apparentées au genre de Mignard puis de 
Hyacinthe Rigaud. — Je m’avoue incapable, éli- 
minant Suttermans, d'aboutir à une solution satis- 
faisante; et je soumets le problème aux érudits 
lecteurs des „Monatshefte“. 


J’espere que ces notes modestes — double contri- 
bution, mais en somme négative! — inciteront 
quelque amateur è se tourner vers l’étude appro- 
fondie d'un grand Flamand du XVIIe siècle, in- 
justement oublié. Pierre Bautier. 


EIN BILD DES UTRECHTER MALERS 
LUEMEN VAN PORTENGEN. 
Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 

In der Liste der Maler, welche im Jahre 1638 
in Utrecht in die St. Lukas-Akademie eingetreten 
sind, befindet sich der Eintrag: „Noch ontfangen 
den 19 Mey van Sr Luemen van Portengen tot 
voldoeninge van syn volle gildt, mits hij het 
leerkindtsgeldt gekort heeft, der somma van — 
— — Ш gi X st.“ Der gleiche Name erscheint 


bereits ein Jahr früher in dem Bilderverzeichnis 
des St. Hiobs-Gasthauses. Unter Nr. a dieser Liste 
steht: 1637 Luemen Portengen „Slapende Venus“. 
Von diesem Bilde hören wir dann noch einmal 
im Jahre 1811 beim Verkauf der Gemildesammlung 
des St. Hiobs-Gasthauses.!) Das ist das urkund- 
liche Material, welches uns für Luemen van Por- 
tengen gegeben ist. Ein Bild des Künstlers scheint 
der neueren Forschung nicht bekannt geworden 
zu sein. Wurzbach verzeichnet in seinem nieder- 
ländischen Künstlerlexikon nur unter dem Pieter 
van Portengen gewidmeten Abschnitt die Tatsache, 
daß 1638 ein Luemen Portengen in Utrecht ge- 
nannt wird. Meine persönlichen Anfragen hin- 
sichtlich des Bekanntseins eines Bildes von Luemen 
Portengen wurden negativ beschieden. Im Nach- 
folgenden gebe ich nun eine kurze Notiz über ein 
signiertes Bild des Künstlers, welches ich in ita- 
lienischem Privatbesitz?) angetroffen habe. Die 
Abbildung auf Tafel 83 enthebt mich einer ein- 
gehenden Beschreibung der dargestellten musizie- 
renden Gesellschaft. Das Bild ist auf Leinwand 
gemalt und mißt 173:136 cm. Der Erhaltungs- 
zustand ist vorzüglich. In der rechten oberen 
Bildecke steht die Bezeichnung: L portengen. 
Werfen wir einen Blick auf die um den Tisch 
gruppierte singende und musizierende Gesellschaft, 
auf ihre Kostüme, ihre Federnhüte und die Be- 
handlung von Licht und Schatten, so werden wir 
in den Kreis von Holländern geführt, welcher in 
Utrecht seinen mit Caravaggio engverbundenen 
Stil pflegte. Die Darstellung dieses Konzertes 
erinnert uns an den durch Honthorst verbreiteten 
Typus der spielenden und musizierenden Gesell- 
schaft.“) Die ,,Tischgesellschaft und die „F Wahr- 
sagerin‘ in Florenz (Uffizien) mag man zum 
Vergleich heranziehen und in Bildern wie dem 
„Verlorenen Sohn“ in München (Pinakothek) oder 
dem „Galan und der Guitarrespielerin‘ der Steen- 
grachtgalerie im Haag haben wir den Prototyp 
für unser Bild zu suchen. Besonders die vom 
Ricken gesehene Figur des Cellospielers links er- 
innert an ganz entsprechende Silhouetten in den 
Bildern des Gherardo delle notti. Der Kleidaus- 
schnitt mit der Sichtbarmachung der Biiste an der 
Sängerin links ist auf dem Haager Bild ganz 


(1) Mr. 8. Muller Fz.: De Utrechtsche Archieven. Utrecht 1880, 
vergl. pag 123, 124, 134, 137. 

(2) Für die gütige Erlaubnis der photographischen Aufnahme 
und der Publikation des Bildes sage ich dem Besitzer, 
Herrn Commandatore Leo 8. Olschki (Florenz) ergebenen 
Dank. 

(3) Wie weit die im Nachfolgenden genannten Bilder, 
weiche unter Honthorsts Namen gehen, eigenhändig sind, 
lasse ich unentschieden, da es Мег ja nur auf den Typ Hont- 
horst ankommt und eine reinliche Scheidung der Honthorst- 
Bilder heute noch nicht vollzogen ist. 


auf. 


ähnlich. Der Sängerin vorne rechts ist das Ober- 
gewand geöffnet und das Unterkleid fällt über 
den Arm, daß Schulter und Nacken entblößt werden. 
Dieses Motiv, dem italienischen Kunstkreis ent- 
stammend, ist von italienisierenden Niederländern 
immer gern angewendet worden. Gewolite Dra- 
pierung ist ja durchaus im Sinne der Utrechter 
Schule. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, 
daß in Utrecht — im Gegensatz zu dem schlichten 
nationalen Element von Haarlem — kostümliche 
Drapierung, Pose, Zurechtmachung herrscht. Mo- 
reelse malt die Herzogin von Rohan mit ihrem 
Kinde als Venus und Amor und andere Frauen 
seiner Zeit wandelt er in Schäferinnen mit Hirten- 
stab in der Hand und mit Blumen im Haar. Der 
auf unserem Bilde rechts hinten auftauchende 
Violinist entstammt dem Geiste dieser idealisie- 
renden und schäferhaften Richtung. 

Es wäre sehr gewagt, auf Grund der verschie- 
denen Anklänge aus diesem einen Bilde ein be- 
stimmtesSchulverhältnis zu Honthorst oder Moreelse 
konstruieren zu wollen. Ich will vielmehr ver- 
suchen die Eigenart dieses Werkes kurz zu skiz- 
zieren ; denn wenn es auch in seinen Grundtendenzen 
fest in der Utrechter Malerei verankert ist, sc 
trägt es doch einen durchaus persönlichen Cha- 
rakter. Von Honthorst stammt gewissermaßen 
nur das Gerüste. Schon die Anordnung der Fi- 
guren ist viel nüchterner und die Raumauffassung 
ist eine wesentlich andere. Die en-face gesehene 
Frau ist gleichsam als Halbfigur auf die Tisch- 
platte gesetzt. Sie, und noch weniger ihre Hinter- 
männer, haben genug Raum sich zu bewegen. 
Der zweite Sänger preßt sich neben der rechts 
sitzenden Sängerin durch und gar der Violinist 
taucht schattenhaft-unkörperlich im Hintergrund 
Den hintereinander gestellten Figuren man- 
gelt die räumliche Kontinuität. Hiermit im Zu- 
sammenhang steht eine starke Plastik der Haupt- 
figuren, besonders der beiden Sängerinnen. Der 
Profil-Kopf, Hals und Arme der vorne sitzenden 
Frau heben sich hart vom dunklen Mantel des 
Partners ab. Ähnlich feste Silhouetten sind für 
alle Figuren gefunden und diese heben sich von 
dem graugrünlichen, keine Tiefen-Illusion schaf- 
fenden Grunde wie im Relief gearbeitet heraus. 
Es ist eine ganz ähnliche Erscheinung, wie sie 
Voß an dem Honthorst-Schüler Stomer beobach- 
tete.!) Er sagt von Stomers Kompositions-Schema, 
daß es „sich dem Relief-Stile stark nähert, insofern 
es sich nicht der gesamten Tiefe des Raumes 
bedient, sondern die Figuren in eine Ebene stellt, 


(1) Vergl. Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, S. 987 ff. 
Hermann Voß: „Charakterköpfe des Seicento". 


379 


parallel zum Bildrande . .... “ ‘Was aber Por- 
tengen noch weiter von Honthorst abrückt als 
Stomer, das ist eine gewisse Nüchternheit der 
Linie und der Modellierung und eine gewisse Kühle 
im Kolorit. Schaut man den Cellospieler links 
auf seinen Umriß hin an, so wird man einen 
Mangel an Ausdruckskraft verspüren, wenn man 
etwa an Honthorsts „Galan“ der Steengrachtgalerie 
oder an den „Verlorenen Sohn“ in München denkt. 
Die geistreiche Belebung durch Lichteinfälle weicht 
bei Portengen einem gleichförmigen Durchlaufen 
des Konturs. An den anderen Figuren läßt sich 
durchaus die gleiche Beobachtung machen; etwa 
am Brustausschnitt der en-face sitzenden Sängerin 
oder am Umriß des Unterkleides der anderen Frau. 
In der Modellierung der Falten herrscht bei Hont- 
horst wie auch bei Stomer oder dem flotten Ba- 
buren?) eine kräftige Angabe der hellen und 
dunklen Partien; Portengen kennt die malerische 
Modellierung nicht. Seine Stoffe liegen glatt, in 
wenigen Falten, oder wenn sich stärkeres Gefält 
ergibt wie am Kleid der rechten Sängerin, so sind 
die Gräte und Höhlungen der Falten mit zeich- 
nerischer Feinheit gegeben. Was die erwähnte 
Kühle der Farben betrifft, so ist sie besonders 
empfindsam in dem Inkarnat der Büste der Frau 
links und am Hals und auf der Schulter der Frau 
rechts, wo stark weißliche Töne herrschen. Das 
Unterkleid der rechten Sängerin ist wieder weiß; 
darüber fällt das Gewand in kaltem feinem Blau. 
Im Haar sitzen vielfarbige Federn. Auf dem 
Antlitz der anderen Sängerin treten wärmere gelb- 
rötliche Töne auf. Auf den Lippen sitzt Zinnober. 
Die Tischdecke ist grün. Im Cellospieler links 
und in den Köpfen der Männer finden sich gold- 
gelbe und braune Farben, die zu den kalten Tönen 
der vorderen Frauenfiguren kontrastieren. Doch ist 
auch in diesen Partien keine besondre Tiefe des Tones 
erstrebt. Der Auftrag der Farbe ist durchweg dünn. 
(1) Abbildungen in Nr. 3 dieser Zeitschrift. 


380 


Erinnern wir uns noch einmal daran, daß Por- 
tengen das Bild einer schlafenden Venus gemalt 
hat. Damit ist seine enge Beziehung zu den 
italienischen Vorbildern angedeutet. Vielleicht 
gehen wir in der Vorstellung seiner Auffassung 
nicht ganz irr, wenn wir sehen, wie sich Moreelse 
mit mythologisch-arkadischen Themen abfand. 
Wenigstens dürfte der „Liebesgarten“ in der Pe- 
tersburger Eremitage zeigen, wie ein verwandter 
italienisch geschulter Utrechter Meister Akte malte. 
Freilich ist dieses Bild wesentlich früher — es 
soli das Datum 1602 tragen — aber es ergibt sich 
ein gewisser zwangloser Anschluß an Portengen, 
wenn wir die stark ausgebildete Plastik dieser 
nackten Figuren wahrnehmen; auch ist bier die 
auffallende Kompositionsweise gegeben: daß die 
ganze figürliche Hauptszene in die vordere Bild- 
ebene gelegt ist, wogegen die große Landschaft 
dahinter nur als Grund wirkt und die darin vor- 
kommenden Figuren sich ganz schemenhaft zu 
den vorderen verhalten. Die Figuren sind alle 
auf eine ganz scharf gezeichnete Silhouette be- 
rechnet und wirken im einzelnen wieder reliefartig 
auf der für sie geschaffenen Folie. Gerade diese 
Eigenschaften haben wir an unserem Portengen- 
Bilde hervorgehoben. Ist es auch wesentlich 
später, so scheint es doch von dieser früheren 
Richtung nicht zu trennen. Das Todesjahr Mo- 
reelses ist das Jahr des Akademieeintrittes für 
Portengen. Vielleicht war er doch sein Schüler, wie 
das für den Pieter van Portengen bezeugt ist. — 
Jedenfalls ist der Anschluß an italienische Vor- 
bilder bei Luemen ein enger — was besonders 
aus der farbigen Haltung der musizierenden Ge- 
sellschaft hervorgeht. 

Vielleicht gelingt es auf Grund dieser signierten 
Arbeit weitere Werke Portengens namhaft zu 
machen und so das Bild des unbekannten Meisters 
in schärferem Lichte herauszuarbeiten. 

Erwin Rosenthal. 


NEUE BAROCCI-LITERATUR 


WALTER FRIEDLANDER, Das Ка- 
sino Pius IV. (Kunstgeschichtliche For- 
schungen, herausgegeben vom Kgl Preuf. 
Historischen Institut in Rom. Band III.) 
Leipzig 1912. Verlag von Karl W. Hier- 
semann. 


RUDOLF HEINRICH KROMMES, Stu- 
dien zu Federigo Barocci. (Beiträge 
z. Kunstgeschichte, neue Folge XXXVIII). 
Leipzig 1912. Verlag von E. A. Seemann. 


Zwei Biicher liegen vor, die das neuerwachte 
Interesse für den Landsmann Raffaels bezeugen, 
ungleich in der äußeren Erscheinung und in der 
Abgrenzung der Aufgabe, aber in vielen Dingen 
sich berührend und einander ergänzend. Die statt- 
liche, mit ausgezeichneten Lichtdrucken und Auto- 
typien im Text ausgestattete Publikation Walter 
Friedländers hat außer dem Vorteil des reichen 
Abbildungsmaterials die bessere Rundung des The- 
mas voraus; was an dem Krommesschen Buch 
interessiert, ist mehr der Versuch verschiedene 
strittige Einzelfragen der Lösung zuzuführen, neue 
Tatsachen und Anregungen zu bringen als die Dis- 
position des Ganzen, die die ungeübte Hand des 
Anfängers allzudeutlich verrät. 

Friedländers Studien gingen, wie das Vorwort 
betont, von den Frühwerken Baroccis in der Villa 
Pia aus; „die Untersuchung der Villa selbst und 
ihrer künstlerischen Ausstattung sollte gewisser- 
maßen nur den Rahmen der Arbeit abgeben“. 
Der Verfasser sah aber bald ein, daß eine aus- 
giebigere Behandlung des Rahmens auch für die 
Malereien von größter Wichtigkeit sein würde, 
abgesehen von dem Interesse, das die Villa wegen 
ihrer Stellung in der Architektur- und Dekorations- 
geschichte des Cinquecento verdient. Die Pro- 
grammerweiterung ist um so dankenswerter, als 
von der Villa Pia eine für moderne Anforderungen 
brauchbare Aufnahme nicht existiert; die bisherige 
Betrachtung stützte sich fast ausschließlich auf 
das 1831 erschienene Tafelwerk von Bouchet und 
einige Blätter bei Letarouilly. 

Dem Gegenstand entsprechend zerfällt das Buch 
in 3 Hauptteile: die Architektur, die Deckendeko- 
ration und die Fresken Baroccis. Die Besprechung 
des Architektonischen gab Veranlassung die Frage 
des Verhältnisses zur Antike zu prüfen, wobei die 
Behauptung Venutis (1766), die Villa sei nach 
einem bestimmten antiken Vorteil kopiert, ab- 


gewiesen wird, während Entlehnungen im ein- 
zelnen zugegeben werden, u. a. für das Mosaik 
der Torgebäude, das durch antike Malereien in 
SS. Giovonni e Paolo angeregt zu sein scheint. 
Außer einer gründlichen und vielfach feineres Ver- 
ständnis verratenden Analyse des Baues enthält 
der erste Teil noch einiges Wertvolle über Pirro 
Ligorio, den Architekten der Villa, dessen anti- 
quarischen Kenntnissen sie die überraschende Fülle 
des Dekorativen verdankt, das in geistreicher Um- 
setzung den verschiedensten antiken Monumenten: 
Baulichkeiten, Wandmalereien, Sarkophogen u. a. 
nachgebildet ist. 

Das zweite Kapitel gibt zunächst einen Über- 
blick über die Deckenbebandlung der Renaissance, 
im besonderen mit Rücksicht auf das Spiegel- 
gewölbe, das in der Villa vorherrscht, und ent- 
wirft von den Decken der einzelnen Zimmer ein 
genaues, durch die vorzüglichen Tafeln belebtes 
Bild. Das erste Zimmer ist das künstlerisch be- 
deutsamste; nicht nur das Mittelbild der Decke, 
sondern auch die hauptsächlichsten der in den 
Ecken angebrachten „Virtù“ und nach Friedländers 
Vermutung die Gesamtdisposition gehen auf Fede- 
rigo Barocci zurück. Im zweiten Zimmer rührt 
das Mittelbild der Decke, die Verkündigung, wieder 
von Barocci her; die Deckenkomposition im ganzen 
verrät eine vorgeschrittenere, ins Barocke hinüber- 
weisende Tendenz. Verglichen mit diesen beiden 
Haupträumen treten die übrigen Zimmer sehr zu- 
rück; am nambaftesten sind die von Santi di Tito 
und Federigo Zuccari dekorierten Gemächer. Eine 
völlig befriedigende Unterscheidung der Hände 
ist in diesen Partien mit Hilfe der Dokumente 
nicht möglich gewesen. Merkwürdig ist es, daß 
die (von Friedländer allzu sehr vernachlässigte) 
Beschreibung in Vasaris Vito des Taddeo Zuccari 
so wenig für den heutigen Zustand paßt. Be- 
sonders die ,,alcune storie‘, mit denen Federigo 
Zuccari nach Vasaris Urteil alle anderen übertraf, 
ferner die beiden Fresken von Orazio Sammacchini 
und Lorenzo Costa (den letzteren nennen auch 
die Urkunden) bleiben für uns unklar. Offen- 
bar haben spätere Restaurationen, von denen be- 
sonders um 1591—92 die Rede ist, manches ver- 
ändert. Mit Friedländer (der hierin auf Taja zu 
fußen scheint) anzunehmen, daß Vasari nicht nach 
eigener Anschauung über die Villa berichte, halte 
ich jedenfalls für durchaus unnötig; alle äußere 
und innere Wahrscheinlichkeit spricht entschieden 
dagegen. 

Der dritte Teil der Arbeit ist ganz der Frühzeit 


381 


Federigo Baroccis gewidmet. Das Thema ist seit 
der Monographie Schmarsows recht eigentlich in 
Fluß gekommen und verdient das ihm gewidmete 
Interesse. Im Gegensatz zu Bellori und zu Schmar- 
sow, die den entscheidenden Einfluß Correggios 
erst nach dem Martyrium des hl. Sebastian ein- 
setzen lassen, will ihn Friedlinder schon in diesem 
Altarbild wahrnehmen, Es ist die eigentümliche 
Rückenfigur des Bogenschützen, die er auf das 
Martyrium der Heiligen Placidus und Flavia (Parma, 
Pinakothek) zurückführt; die Ähnlichkeit ist in 
der Tat auffallend und wird auch von Krommes 
hervorgehoben. Trotzdem möchte ich. mit Schmar- 
sow daran festhalten, daß die bestimmenden Ein- 
flüsse damals noch die römischen waren. Gegen- 
über der vielleicht correggesken Abstammung des 
Bogenschützen ist z. B.schonder ihm kompositionell 
korrespondierende Richter von Battista Franco 
übernommen, dessen Anbetung der Könige in der 
Sakristei des Doms von Urbino (die Barocci zwei- 
fellos kannte) den Joseph in genau der gleichen 
Pose bringt. Da Franco als der Lehrer Baroccis 
überliefert ist, so geht es m. E. nicht an ihn so 
stark beiseite zu schieben wie der Verfasser hier 
versucht. Bei den Gestalten der V,irtü“ im Ka- 
sino Pius IV. konstatiert auch Friedländer, daß 
von Einflüssen Correggios nicht die Rede sein kann, 
aber ebensowenig vermag ich solche bei den spie- 
lenden Putti ebenda zu erkennen, durch die sich 
Fr. an die Camera di S. Paolo zu Parma gemahnt 
fühlt. Nur das Mittelbild, die hl. Familie, scheint 
wirklich eine gewisse Verwandtschaft mit Correggio 
zu besitzen, obgleich greifbare Beziehungen auch 
hier kaum vorhanden sind. Die Neigung, die 
Figuren diagonal in den Raum zu stellen, die nun 
für ihn so charakteristisch wird, findet sich ebenso 
wie bei Correggio und sogar noch ähnlicher bei 
Zuccari vorgebildet, deren Zusammenhang mit 
Barocci mir viel plausibler scheint als jener mit 
dem Parmenser Meister, von dem der junge Künst- 
Jer schwerlich ein einziges originales Werk ge- 
sehen hat. In der geringen Berücksichtigung der 
beiden Landsleute des Künstlers, zumal des Tad- 
deo, von dem Barocci ohne Zweifel wichtige An- 
regungen erhielt, besteht überhaupt ein Mangel 
der Fr.schen Arbeit, die sonst in diesen Partien 
manche scharfsichtige Bemerkung aufweist und 
das Verdienst hat auf ein von Schmarsow nicht 
beachtetes Fresko Baroccis unter den Friesdar- 
stellungen im großen Saal des Museo Etrasco auf- 
merksam zu machen. Erwünscht wäre hier übri- 
gens ein Eingehen auf die von Federigo Zuccari 
herrührenden Arbeiten des Frieses gewesen, von 
denen Abb. 34 u. a. die von Cornelis Cort gesto- 


382 


chene Szene: Moses und Aron vor Pharao wieder 
gibt. 

Die Arbeit von Krommes verdankt nach Angabe 
des Vorwortes die Anregung den Vorlesungen und 
Ratschlägen August Schmarsows, zu dessen Buch 
sie Ergänzungen und stellenweise Berichtigungen 
bringen möchte. Dem schon erwähnten etwas 
losen Aufbau des Buches mich anschließend gehe 
ich auf die wichtigsten von Krommes berührten 
oder aufgestellten Fragen ein. 

Der erste Punkt betrifft das Geburtsjahr Baroccis, 
als das K. nicht 1528, sondern mit größerer Wahr- 
scheinlichkeit 1535 ansieht. Das frühere Datum 
ist nicht sicher beglaubigt, und es hat vom Stand- 
punkte der künstlerischen Entwicklung in der Tat 
manche Vorzüge, den Künstler erst 1535 geboren 
zu denken. Vasari konnte auch in der Zeit, als 
Barocci an den Fresken des Kasino tätig war (1561), 
schwerlich einen Dreiunddreißigjährigen als „gio- 
vane di grande aspettazione“ bezeichnen. 

Unglücklicher sind einige Versuche K.s, das 
Oeuvre des jüngeren Barocci zu bereichern. Ein 
„noch schüchternes, befangenes Frühwerk“ soll 
die von Simon de Passe gestochene hi. Familie 
sein; „die ausdrückliche Angabe: Fred. Barotius 
Inv. läßt keinen Zweifel an der Urheberschaft 
Baroccis zu“. Eine unvorsichtige Behauptung, die 
schon durch die stilistische Prüfung widerlegt 
wird. Wäre diese hl. Familie wirklich von Ba- 
rocci, so würde sie eine sklavische Abhängigkeit 
des Künstlers in seiner frühesten Zeit von Correggio 
beweisen; ein Vergleich mit der Hauptgruppe der 
Dresdener Madonna di S. Sebastiano zeigt, woher 
der von K. auf Raffael zurückgeführte Madonnen- 
typ und die Hand der Madonna in Wahrheit 
stammt. Bei Correggio ist das eine Knie Mariae 
höher gestellt; der Nachahmer, dem dies Motiv 
wegen des starken Gewandschwalles entgangen 
ist, behielt trotzdem den hohen Sitz des Kindes 
bei, das nun in der Luft zu schweben scheint. 
Daß dieser Nachahmer niemals Barocci sein kann, 
beweisen auch die Nebenfiguren, die nichts von 
seiner Art haben und weitaus zu schwach für ihn 
sind. Meines Erachtens stammt die Komposition 
aus dem Kreise des Carracci; sehr verwandt ist 
ihr eine von Braun als „A. Carrache“ (397) photo- 
graphierte Zeichnung der Albertina, die aber nur 
aus dieser Richtung herrührt. 

Einige weitere Madonnen glaubt K. anschließen 
zu dürfen, u. a. das Bild Nr. 52 der Pinakothek 
zu Spoleto, das schon Friedlander früher als Ba- 
rocci aufgeführt hatte (in Thieme-Beckers Kinstler- 
Lexikon) und das von Schmarsow als Arbeit 
eines niederländischen Nachahmers angesehen 


ward. Schmarsow ist hier völlig im Recht. Hen- 
drik Goltzins gibt die Komposition in dem Stich 
B. 275 genau wieder und nennt, ebenso wie in 
den eng verwandten Madonnenkompositionen B. 274 
und 297, Bart. Spranger als Inventor. Diesmal 
bestätigt die Stilkritik die Angabe des Stechers, 
der hier, wo es sich um das Werk eines nieder- 
ländischen Zeitgenossen von ganz verwandter 
künstlerischer Richtung handelt, ohnehin mehr 
Vertrauen verdienen würde als in dem obigen 
Falle Simon de Passe. Übrigens existiert eine 
weitere schwächere Replik (jedenfalls Kopie) der 
Madonna von Spoleto im Museo Borromeo zu 
Mailand (Sala d’ Entrata Nr. 35), und zwar mit 
dem richtigen Künstlernamen; eine Rötelzeichnung 
(Kopie) als „Salviati“ in den Uffizien (Collezione 
Santarelli Nr. 1081). Nach alledem ist mir un- 
verständlich, wie über das Bild ein solches Hin 
und Her entstehen konnte (auch der Name des 
Franc. Vanni wurde noch genannt). 

An diese Madonnen und die in einem Stich 
des Cornelis Bloemaert erhaltene Sa. Conversazione 
reiht K. eine Judith mit dem Kopf des Holo- 
phernes, die heute im Magazin der Uffizien auf- 
bewahrt wird, früher aber einen Ehrenplatz in 
der Tribuna hatte. Das Bild, über das die bei- 
gegebene Abbildung wohlleidlich informiert, hatdar- 
nach wenig von Barocci; es war aber ohne Zweifel 
verdienstlich auf dies interessante, vorläufig rätsel- 
hafte Gemälde aufmerksam zu machen, das schon 
Lazzari in seiner Guida als Barocci erwähnt. 

Eine längere Beschreibung widmet K. den Decken- 
fresken des Kasinos. In den Zuschreibungen 
weicht er hier insofern von Friedländer ab, als 
er alle Tugenden des ersten Zimmers Barocci 
geben will, was schwerlich richtig ist, wenn auch 
die Skepsis Friedländers ihrerseits etwas über das 
Ziel hinausschießt. Die größte Wahrscheinlichkeit 
möchte auch heute noch die Meinung Chattards 
haben, der nur die „Immortalitas“ und „Aequitas“ 
Barocci absprach. Allerdings sind beide so rui- 
niert, daß eine gewisse Vorsicht sehr am Platze 
ist. In dem Hinweis auf Correggio als Vorbild 
trifft sich K. mit Friedländer; von den Tugenden 
meint er, sie „übersetzten in ihren komplizierten 
Ansichten und starken Körperdrehungen den Stil 
der siztinischen Decke ins Kleine, ins Zierliche, 
Liebliche“. Mir scheint, von Michelangelo sollte 
man hier überhaupt ganz absehen. 

In zwei weiteren Fragen äußert K. Ansichten, 
die von denen Schmarsows abweichen. Das als 
Nr.45 in der Pinakothek von Urbino aufbewahrte 
Gemälde der Madonna mit dem kleinen Jahannes 
hält er für das Original der von Matthias Greuter 


gestochenen Komposition (worin ich ihm bei- 
stimme) und identifiziert, Bombe folgend, das für 
Anastagi gemalte Bild (nach Bellori eine Natività) 
mit der Ruhe auf der Flucht in der vatikanischen 
Pinakothek. In der letzteren Frage ist jetzt auch 
Schmarsow, wie aus p. 33 des letzten Bändchens 
der Handzeichnungen Baroccis (Nr. Ш) zu ersehen 
ist, der gleichen Meinung. Bei den zahlreichen 
Darstellungen der hl. Familie und verwandter 
Sujets, die weiterhin zusammengestellt sind, muß 
ein Irrtum berichtigt werden, der wieder der über- 
triebenen Vertrauensseligkeit graphischen Wieder- 
gaben gegenüber schuldzugeben ist. K. führt 
unbedenklich ein Blatt der Angelika Kauffmann 
auf Barocci zurück, wegen der „ausdrücklichen 
Unterschrift‘: Baroccio piux. Wie aber, wenn ein 
weitaus besserer Stich eines Zeitgenossen Baroccis, 
des Raphael Quidi, mit genau der gleichen Dar- 
stellung und derausdrücklichen Unterschrift: Frances. 
vani inv. existiert? Und wenn der Stil und die 
Komposition dieseältere Zuschreibung unverkennbar 
bekräftigen? — Damit dürfte zur Beurteilung 
der Wertes und der Mängel des Krommesschen 
Buches das Wichtigste angedeutet sein. Manches 
von Interesse steckt noch in den Zusätzen, die in 
sehr zufälliger Disposition nacheinander behan- 
deln: die Landschaft bei Barocci, die Radierungen 
des Künstlers, Dokumente aus den urbinatischen 
Papieren des Archivio di Stato zu Florenz und 
Zeichnungen verschiedener Sammlungen. Ich bin 
nicht in der Lage auf alle diese Punkte einzu- 
gehen. Ein bibliographischer Exkurs, der sehr 
ausfürlich ist, aber gerade darum Borghinis Ri- 
poso und Bagliones Viten als die beiden ältesten 
Quellen nach Vasari mit aufführen mußte, be- 
schließt die Arbeit. Hermann Voss. 


ROBERT SCHMIDT, Das Glas. Hand- 
biicher der kgl. Museen zu Berlin. Berlin 
1912. Georg Reimer. 

Seit Jahren ist die Keramik das Lieblingskind 
der kunstgewerbegeschichtlichen Forschung. An die 
grundiegenden Untersuchungen Justus Brinckmanns 
und seine mustergiiltige Zusammenfassung alles 
bis zum Jahre 1894 Bekannten und Wissenswerten 
in dem „Führer durch das Hamburgische Museum 
für Kunst und Gewerbe“ hat eine weitverzweigte 
Einzelforschung angeknüpft, die während der letz- 
ten Jahre die Arbeitskraft vieler Jüngerer vielleicht 
etwas zu ausschließlich in Anspruch genommen hat. 

Das der Keramik an Vielseitigkeit künstlerischer 
Formmöglichkeiten am nächsten verwandte Gebiet 
der Glaskunst hat unter dieser einseitigen Bevor- 


383 


zugung vielleicht am schwersten zu leiden gehabt. 
Seit Berlings Aufsatz über die sächsischen Hof- 
kellereigläser (1900) ist keine Bearbeitung eines 
Sondergebietes der alten Hohlglaskunst von Be- 
lang erschienen. Pazaureks sich an die Gläser- 
sammlung des Nordböhmischen Gewerbemuseums 
anschließende Betrachtungen (1902) sind trotz 
zahlreicher Erweiterungen unserer Kenntnisse im 
einzelnen, doch durch den Sonderzweck seiner 
Veröffentlichung gebunden und infolgedessen nicht 
gleichmäßig ausführlich genug. Der letzte ernst 
zu nehmende Versuch einer ausführlichen Gesamt- 
darstellung, Edw. Dillon’s Glass (London 1907) tut 
große Gebiete, vor allem das deutsche emaillierte 
und geschnittene Glas mit wenigen ganz unzu- 
länglichen Bemerkungen ab. 

Rob. Schmidt war also, als er sich an das 
Unternehmen heranwagte, den überaus weitschich- 
tigen Stoff neu zu behandeln, wirklich in dem 
Falle, eine klaffende Lücke unserer kunstgewerbe- 
geschichtlichen Literatur ausfüllen zu müssen. Er 
hat, um es gleich zu sagen, die ebenso schwierige 
wie dankbare Aufgabe mit großem Geschick ausge- 
zeichnet gelöst. Auf Jahre hinaus wird sein Buch 
für jeden, der sich von berufswegen oder als 
Liebhaber mit altem Glase zu befassen hat, das 
nächste und unumgängliche Hilfsmittel sein. 

Daß die für die Sammlung der Handbücher der 
kgl. Museen in Berlin geschriebene Darstellung 
sich an die Glisersammlung des Berliner Kunst- 
gewerbemuseums anschließt, wird nirgends als be- 
engende Fessel empfunden. Einmal ist diese 
Sammlung so außerordentlich reichhaltig und viel- 
seitig, daß alle wichtigen Entwicklungsmomente 
der Geschichte des Hohlglases mit ihr illustriert 
werden können, weiter aber hat Schmidt von der 
Möglichkeit, zur Ergänzung und Bereicherung des 
Bildes den Glasbesitz der italienischen, der Lon- 
doner und Pariser Museen, sowie aller bedeutenden 
— und auch mancher kleinerer — deutschen Samm- 
lungen in Anspruch zu nehmen, den ausgiebigsten 
Gebrauch gemacht. Wo es geboten erschien konnte 
auch der Privatbesitz zur Illustration herangezogen 
werden. 

So ist das Buch wirklich ganz das geworden, 
was man sich hohenfalls von ihm versprechen 
durfte: nicht nur ein Führer durch die Berliner 
Glassammlung, sondern ein zuverlässig orientieren- 
des Handbuch über das ganze Gebiet des künst- 
lerischen Flohlglases. Daß die vorhandene Literatur 
überall benutzt ist, versteht sich von selbst, dar- 
über hinaus aber sind auch viele selbständige 
Einzelforschungen des Verfassers, die zum Teil 
in extenso bereits an anderer Stelle veröffentlicht 


384 


sind, wie die Aufsätze über ,,die venezianischen 
Emailgläser des 15. und 16. Jahrhunderts“ (Jahrb. 
der kgl. preuß. Kunstsammlungen 1911), über „die 
Hedwigsgläser und die verwandten fatimidischen 
Glas- und Kristallschnittarbeiten“ (Schlesiens Vor- 
zeit in Bild und Schrift, N. F. VI (1912), über „die 
gerissenen und punktierten holländischen Gläser 
und die verwandten deutschen Arbeiten“ (Cicerone 
1911) — zum Teil, wie eine aktenmäßige Ge- 
schichte der Brandenburgischen Glashütten, für die 
Zukunft in Aussicht gestellt werden — in konzen- 
trierter Form in der zusammenfassenden Darstel- 
lung des Handbuches enthalten. 

Daß dabei dem deutschen Glase auf allen seinen 
Entwicklungsstufen der breiteste Raum zugestanden 
ist, ist nicht nur in der absoluten Bedeutung der 
deutschen Glaskunst begründet, es erscheint auch 
wie eine Rechtfertigung gegenüber der summari- 
schen Darstellung gerade dieser Abschnitte in 
Edw. Dillon’s weitverbreitetem Buche. 

Gerade hier liegt nun eine besondere Stärke der 
Schmidtschen Arbeit. In dem Abschnitt über die 
Heimat der deutschen Emailgläser, bei 
denen man sich bisher zumeist mit der Aufzählung 
der landläufigen Typen begnügte, ist endlich ein- 
mal mit dem Versuche Ernst gemacht, die Fülle 
des Überlieferten auf Grund von Beobachtungen 
der Glasmasse und stilistischer Merkmale aller Art 
auf die einzelnen Hauptproduktionsgebiete aufzu- 
teilen. 

Ebenso ist es in dem Kapitel, das dem deutschen 
Glasschnitt gewidmetist, gelungen, dielandschaft- 
lichen Gruppen einleuchtend zu sondern und den 
persönlichen Stil einzelner bisher kaum oder über- 
haupt noch nicht beachteter Künstler bestimmt zu 
charakterisieren. 

Gewiß war hier in einem Ansatz noch nicht 
die ganze Arbeit zu leisten. Aber der wohlge- 
lungene Versuch wird nun gewiß zu weiteren 
Einzeluntersuchungen anregen, die dann ebenso 
wie wir es auf dem verwandten Gebiet der Keramik 
erlebt haben, auch hier sicher noch zu vielen 
neuen Feststellungen und zu noch eindeutigeren 
Formulierungen führen werden. 

Wie weit Schmidt mit Ausnutzung aller zu Ge- 
bote stehenden Hilfsmittel bei dem geschnittenen 
Glase bereits gekommen ist, mag man beispielsweise 
ersehen aus der Zuschreibung zweier Deckelpokale 
in Cassel und Berlin an den bisher nur urkundlich 
bekannten Frankfurter Glasschneider Joh. Benedikt 
Hess auf Grund alter Beschreibungen seiner Dekore 
sowie zweier Deckelgliser im Hohenzollernmuseum 
und der Berliner Sammlung Schöller an den Warm- 
brunner Meister Chr. Gottfr. Schneider auf Grund 


von Papierabdrücken, die dieser von einer Reihe 
fertig geschnittener Gläser genommen hat und die 
Schmidt so glücklich war, im Riesengebirgsmuseum 
in Hirschberg zu entdecken. 0 

Auf Einzelheiten näher einzugehen, würde eine 
Nachprüfung aller Angaben auf breiterer Grund- 
lage notwendig machen, als sie mir zurzeit mög- 
lich war. Wo ich nach dem Erscheinen des 
Buches — in Coburg, Nürnberg, Stuttgart, Sig- 
maringen, Frankfurt a. M., Gotha, Weimar — 
selbst habe nachprüfen können, habe ich die Zuver- 
lässigkeit der Schmidtschen Angaben durchweg 
feststellen können. 

Nur ein paar Bemerkungen mögen zum Schluß 
gestattet sein. 

I. Seit O. v. Falkes, Behandlung der „Reinhard- 
Nickel - Hirschvogel - Episode“ in Nürnberg wäh- 
rend der 1530er Jahre, hat man sich gewöhnt, die 
Bezeichnung ihres Unternehmens als der „Kunst 
der Venedischen Arbeit mit dem Schmelzen und 
Glaswerk“ auf einen ausschließlich kerami- 
schen Betrieb zu beziehen. Auch Schmidt will 
bis auf weiteres diese Episode „aus der Geschichte 
der deutschen Gläser ausschalten“. 

Nun ist freilich nachgewiesen, daß der Ausdruck 
„Glaswerk“ gelegentlich auch in der Bedeutung 
von „glasierte Tépferware in den Urkunden vor- 
kommt: trotzdem aber erscheint es doch als über- 
scharf die Doppelbezeichnung „Schmelzen 
und Glaswerk“ 1) hier, wo sie noch dazu in der 
Verbindung mit Venedig auftritt, nicht zum min- 
desten auch auf Hohlglas in venezlanischer Art 
zu beziehen. Ich bin immer noch davon über- 
zeugt, daß es sich damals in Nürnberg um die 
Verbindung eines Fayence- und eines Glasbetriebes 
gehandelt hat. 

Das von Schmidt auf S. 106 in dem Abschnitt 
Venezianisches Glas, „plastische Fadenauf lagen“, 
herangezogene Glas auf dem Porträt des Erhart 
Svetzer von Georg Pencz vom Jahre 1544 in Berlin 
ist letzthin von Walter Stengel in seinen „Studien zur 
Geschichte der deutschen Renaissancefayencen“ ) 
mit einem im Germanischen Nationalmuseum be- 
findlichen, sicher deutschen und allem Anschein 


(1) Vgl. dazu: Aus dem Inventar des Andreas Imhof, ge- 
storben 1570, „Geschmelzte Schaalen und Gläser. 
Item die Magolika, darunter etliche Porcellana, desgleichen 
sonst alle andere Venedische Schalen auch Schüsseln und 
Krueg sein zusammen geschätzt worden umb 120 Goldgulden 
Rhensch.“ Ans. f. Kunde а. Vorst. 1873, Sp. 284. 


(2) Mitteilungen des Germ. Nationalmuseums 1912, S. 94 ff. — 
auch ale Sonderdruck erschienen. — Schmidt bemerkt a. a. O. 
bereits, daß für einige der Qläser mit plastischer Faden- 
auflage „deutsche Proveniens ... nicht ausgeschlossen sel.“ 
Außer dem erwähnten Stangenglase kämen bier zunächst 
vielleicht eine kleine Vase und ein Henkelkri{iglein technisch 
gleicher Qualität aus der Nürnberger Sammlung in Frage. 


nach derselben Hütte entstammenden Stangenglas 
konfrontiert worden. Unter Berücksichtigung der 
persönlichen Beziehungen, die zwischen Pencz 
einerseits, Hirschvogel und Nickel andrerseits nach- 
weislich bestanden haben (Hampe, Ratsverlässe 
2120. 2209 cit.v. Stengel, a. a. O., 8. 85), gewinnt 
das von Pencz gemalte Glas m. E. dokumentari- 
schen Wert für die damalige Nürnberger Hütte — 
ebenso wie die auf einem anderen Penczschen Ge- 
mälde (in Dresden) erscheinende metallisch scharf 
profilierte Fayencekanne (Abb. до bei Stengel а.а. О.) 
mit kämpfenden grotesken Halbmännern sich wie 
eine Illustration zu der Neudörfferschen Notiz von 
den „welschen Öfen, Krügen und Bildern auf 
antiquitetische Art, als wären sie von Me- 
tall gossen“, ausnimmt!). 

Die Zweifel, denen auch Stengel noch bei der Be- 
handlung der Glaskontroverse unterlegen ist, schrei- 
ben sich wie es scheint davon her, daß man den Aus- 
druck „Schmelzen“ auf Emailmalerei beziehen 
zu müssen geglaubt hat, die so früh in Deutsch- 
land freilich nicht nachzuweisen ist. Auch in der 
hier in Frage kommenden Technik des Auf- 
schmelzens plastischer Fadenglasstreifen 
auf das fertige Hohlglas aber fände ja der doku- 
mentarische Ausdruck seine volle und wört- 
liche Rechtfertigung, wobei noch weiter ins Ge- 
wicht fällt, daß die Gleichheit der im Fayence- 
betrieb verarbeiteten Zinnglasur und der ebenfalls 
mit Zinnoxyd gefärbten Milchglasauflagen, das 
Nebeneinander von Fayence- und Glasfabrikation 
in einer Werkstätte erklärlich macht. 

2. Auf S. 144 erwähnt Schmidt bei der Erläute- 
rung der Gefäßformbezeichnung „Kopf“ das als 
„sannd Elsbethenkopf' bezeichnete Glas des Wit- 
tenberger Stiftsschatzes, das später Mathesius in 
Luthers Besitz gesehen hat. Dieses Glas ist in 
dem gedruckten Wittenberger Heiligtumsbuch 
von 1509 in der Tat, wie Schmidt angibt, in der 
Form eines spätgotisch gefaßten Nuppenbechers 
abgebildet. Nun muß es aber doch wundernehmen, 
ein derartiges einfaches Gebrauchsglas der Zeit in 
Verbindung mit dem Namen der Heiligen des 
13. Jahrhunderts und in so kostbarer Fassung zu 
sehen, und in der Tat hat in diesem Falle der 
Zeichner für den Holzstock die ihm fremdartig er- 
scheinenden Formen des Originals, eines geschnit- 
tenen fatimidischen Glasbechers des 11.—12. Jahrh. 
in ihm vertraute umgewandelt. Ich komme auf 


(1) Zu den hier zunächst in Betracht kommenden Stücken 
ist letzthin noch eine Schüssel vom Jahre 1536 mit Patrizier- 
brustbild gekommen (Museum für Kunst u. Kunstgewerbe, 
Halle a. S.), die sich stilistisch und zeitlich vermittelnd 
zwischen die Gefäße in Nürnberg einerseits, in Hamburg, 
Ulm, München und Sigmaringen andrerseits schiebt. 


385 


~ 


dieses Glas demnächst unter Beifügung des illustra- 
tiven Beweismaterials in der Zeitschrift für christ- 
liche Kunst ausführlicher zurück. 

3. Das auf S. 202 erwähnte Hallorenglas vom 
31.Juni 1693 in Halle, älterer Besitz des Museums 
für Kunst und Kunstgewerbe, ist — leider — eine 
neuere Fälschung. Die Malerei wird auf die des 
gleich absonderlich datierten echten Berliner Glases 
zurückgehen. — Dafür steht im Provinzialmuseum 
in Halle ein echtes Hallorenglas des vierten Typus 
vom Jahre 1714, mit einem Deckel des älteren 
dritten Typus. 

4. Im Altmärkischen Museum in Stendal befinden 
sich zwei vortrefflich emaillierte Gläser vom Jahre 
1618 aus dem Besitz der Stendaler Gewandschneider- 
und Tuchmachergilde, das eine — blasenförmig, 
auf Zinnfuß — mit dem Wappen des Rates, das 
andere mit dem Wappen der Zunft. Die beiden 
Humpen könnten wohl der von Schmidt festge- 
stellten Marienwalder Hütte entstammen. 

5. Endlich noch einHinweis auf eineSchmidt ent- 
gangene Variante der Reichsadlergläser im Herzogl. 
Museum in Gotha, die auf den Flügeln nicht die 
üblichen Quaternionenwappen, sondern Brustbilder 
von drei geistlichen und drei weltlichen (Böhmen 
fehlt!) Kurfürsten und auf der Brust des Adlers 
ein unpersönliches Kaiserbrustbild zeigt. Der mäßige 
Emaildekor stammt vom Jahre 1736. 

6. Von 1660 bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts 
ist eine wohl mit der Hessischen gleichen Namens 
zusammenhängende Glasmacherfamilie Gundelach 
in der Glashütte bei Preetz (Holstein) nachgewiesen. 
(Vgl. Th. Hach, Überblick über die ehemalige Glas- 
industrie in und um Lübeck. Lübeck 1899, S. 15.) 

Max Sauerlandt. 


L. SCHNORR VON CAROLSFELD, Por- 
zellan der europäischen Fabriken 
des ı8. Jahrhunderts. (Bibliothek für 
Kunst- und Antiquitätensammler, Bd. III) 
Richard Carl Schmidt & Co., Berlin 1912. 
290 Seiten mit 139 Abb. u. zwei Marken- 
tafeln. 


Zur Geschichte des deutschen Porzellans ist ge- 
rade in den letzten Jahren soviel Neues und Wich- 
tiges veröffentlicht worden, daß dem Sammler ein 
Handbuch willkommen sein wird, in dem die 
neuen Forschungsergebnisse zusammengefaßt sind. 
Der Schwerpunkt des vorliegenden Werkes liegt 
auf der Geschichte der Manufakturen Deutschlands. 
Nach einer technischen Einleitung schildert der 
Verfasser zunächst die ersten abendländischen Ver- 
suche zur Herstellung des echten Hartporzellans, 


386 


die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttcher 
und die Anfänge der Meißner Manufaktur als Stein- 
zeugfabrik. Daran schließt sich die Geschichte 
des Meißner Porzellans von den ersten erfolgreichen 
Herstellungsversuchen Böttchers und der Gianzzeit 
unter Herold und Kindler bis zum Ende der 
Periode Marcolini (1814). Die folgenden Kapitel 
handeln von den großen Manufakturen Wien, 
Berlin, Fürstenberg, Höchst, Frankenthal, Ludwigs- 
burg und Nymphenburg, den kleineren Ansbach- 
Bruckberg, Kelsterbach, Pfalz-Zweibrücken, Fulda 
und Kassel und den wichtigsten Thüringer Fabriken. 
Den Schluß des ersten Teiles bildet ein Kapitel 
über Hausmalereien. 

Gegen die Anordnung im allgemeinen ist nichts 
zu sagen. Nur ist nicht recht ersichtlich, warum 
die chronologische Folge der Hauptmanufakturen 
insofern nicht genau durchgeführt ist, als Höchst 
anstatt vor, erst hinter Berlin und Fürstenberg 
steht. Da gerade für diese beiden Fabriken Höch- 
ster Arbeiter von Bedeutung gewesen sind, wäre 
die zeitlich richtige Gruppierung der Klarheit der 
Darstellung zugute gekommen. Im einzelnen wäre 
zu erinnern, daß die Ausführungen über den Ge- 
brauch drei verschiedener Porzellanmassen, von 
denen gelegentlich der Marken Wegelys und 
Nymphenburgs die Rede ist, besser in der tech- 
nischen Einleitung ihren Platz gefunden hätten. 
Auch hätte es die Übersichtlichkeit des Buches 
noch erhöht, wenn die sehr gründlichen Bemer- 
kungen über das Markenwesen der verschiedenen 
Fabriken stets an das Ende der betreffenden Ab- 
schnitte gerückt worden wären. 

Die Darstellung ist sehr gut gelungen. Man 
merkt es dem Verfasser überall an, daß er die 
Materie selbst und nicht nur ihre Literatur gründ- 
lich kennt, ein eignes Urteil hat und es versteht 
das Wesentliche herauszuheben. Auch wo ihm 
nicht so umfangreiche Arbeiten anderer zur Ver- 
fügung gestanden haben, wie etwa bei Meißen 
und Wien, bewährt er sich stets als gründlicher 
und geschmackvoller Kenner. 

Einige Kleinigkeiten wären allenfalls zu bemängeln. 
Z. B. dürfte der Seite 144 besprochene plötzliche 
Umschwung vom Rokoko zum Klassizismus in 
Berlin weniger auf den Tod des Modellmeisters 
Meyer (1785) als auf den Friedrichs des Großen 
(1786) und den sehr ausgesprochenen Ge- 
schmack seines Nachfolgers Friedrich Wilhelms II. 
zurückzuführen sein. Auch wären bei dieser Fabrik 
die Blumenmalereien in zwei und drei Farben 
erwähnenswert gewesen, da sie eine besonders an- 
mutige Spezialität Berlins bilden. — Daß die kleine 
stehende Venus Höchsts (8. 170) das einzige von 


Melchior bezeichnete figürliche Modell ist, ist 
nicht richtig; auch die große sitzende Venus, von 
der das Kölner Kunstgewerbemuseum ein Exemplar 
in Biskuit besitzt, trägt die volle Signatur: „fait 
par Melchior sculpteur 1771“. Ebenso ist es ein 
Irrtum, daß das A der Ansbacher Marke deshalb 
nicht Ansbach bedeuten kann, weil der Ort im 18. 
Jahrhundert „Onolzbach“ geheißen habe. Der 
Name Ansbach ist in der zweiten Hälfte des Jahr- 
hunderts, wenn nicht schon früher, durchaus ge- 
bräuchlich. — Aber das sind, wie gesagt, alles 
nur Kleinigkeiten, die dem Werte des Buches 
keinen Abbruch tun und in einer neuen Auflage 
leicht verbessert werden können. 

Der zweite, wesentlich kürzere Teil des Werkes 
behandelt die Manufakturen Frankreichs, Englands, 
Italiens, Spaniens, Hollands, Belgiens, Dänemarks 
und Rußlands. Den Schluß machen zwei Marken- 
tafeln, Register und Literaturangabe. 

Leider fällt der Abschnitt über die außerdeutschen 
Porzellane sehr gegen den ersten Teil ab, da er 
gar zu kurz geraten ist. Der Verlag hätte besser 
getan, diesem Thema einen weiteren Band seiner 
Sammlerbibliothek zu widmen, anstatt den vor- 
liegenden mit diesem Resumé zu belasten, das — 
auf 23 Seiten zusammengedrängt — notgedrungen 
farblos und unvollständig werden mußte. Auch 
die illustrative Ausstattung befriedigt nicht. Man 
vermißt mehrfach die Abbildung von Stücken, auf 
die der Text Bezug nimmt. Außerdem sind die 
Bilder oft zu klein um deutlich zu sein und durch- 
weg schlecht gedruckt. In Anbetracht des für ein 
derartiges Handbuch keineswegs niedrig angesetzten 
Preises fällt dieser Mangel besonders unangenehm 
auf! C. F. Foerster. 


BELA LAZAR, Paul Merse von 
Szinyei, ein Vorläufer der Pleinairmalerei. 
Leipzig, Klinkhardt & Biermann. (Mit 39 
zum Teil farbigen Tafeln.) 


Es gibt Bücher, die die Welt nicht nur um Tat- 
sachen, sondern um Werte bereichern. Zu diesen 
Büchern gehört auch das Werk Béla Lazars. Als 
man zuerst die Behauptung hörte, ein Ungar habe 
ganz selbständig, unabhängig von Paris und Manet, 
eine rein impressionistische Pleinairmalerei ent- 
wickelt, war man geneigt, an die Selbsttäuschung 
eines ehrgeizigen Volkes zu glauben. Aber die 
Ungarn erbrachten bald für ihre Behauptung den 
Beweis, indem sie die Bilder des von ihnen prokla- 
mierten Meisters in Deutschland und dann in Rom 
zeigten. Und vor diesen Bildern mußte sich jeder 
Zweifel in Staunen verwandeln, denn hier trat, mit 


dem Eigenrecht einer großen Persönlichkeit, ein 
neuer Meister in den Kreis der großen europäischen 
Kunst — Paul Merse von Szinyei. Bela Lazar 
hat nun in einem reichausgestatteten Werke, das 
mit Unterstützung der ungarischen Regierung in 
einem deutschen Verlage erschienen ist, der Kunst 
seines illustren Landsmannes ein schönes Denk- 
mal gesetzt, Er durfte dafür autobiographische 
Aufzeichnungen des Meisters selbst benutzen und 
konnte so eine Darstellung seiner Entwicklung 
und seines Schicksals geben, die die Tatsachen 
nicht von außen her aneinanderreiht und deutet, 
sondern die gleichsam von innen heraus die Ein- 
heit und Bedeutsamkeit dieses Lebens im äußeren 
Geschehen zur Erscheinung bringt. Man wird 
nicht ohne Erschütterung dieses große Schicksal 
miterleben, das durch die Schuld einer verständ- 
nislosen Zeit zu einem tragischen werden mußte. 
Mit feinem Gefühl erkennt Lazar die verschiede- 
nen Tendenzen im Schaffen Szinyeis und weiß sie 
in ihrer Verknüpfung und Durchdringung aufzu- 
zeigen, ebenso wie er die mannigfaltigen An- 
regungen aufspürt, die die Entwicklung des Meisters 
bestimmt, die ihm den Mut zusich selbst gegeben 
haben. 39 Tafeln mit großen, schönen Abbil- 
dungen, darunter wundervolle farbige Wiedergaben 
des „Maifests“ und des ,,Rococo‘, sowie einiger 
späteren Werke, geben einen großen Teil des 
nicht sehr umfangreichen Oeuvres Szinyeis wieder 
und vermitteln dadurch die lebendige Anschauung 
seiner Kunst. Man darf sagen, daß Lazàr mit 
diesem monumentalen Werke, dem er als Ergän- 
zung gleichsam sein Buch „Courbet et son influence 
a l'étranger“ hat folgen lassen, der modernen Kunst- 
geschichte in Ungarn eine neue Provinz gewon- 
nen hat. Carl Gebhardt, 


GEORG LEIDINGER, Miniaturen aus 
Handschriften der kgl. Hof- und Staats- 
bibliothek in München. Heft ı: Das so- 
genannte Evangeliarium Kaiser Ottos III. 
München, Riehn & Tietze. 


Kurz aber nachdrücklich seien die Leser der 
„Monatshefte“ auf dieses groß angelegte und glän- 
zend eingeleitete Unternehmen hingewiesen. Nichts 
geringeres als eine systematische Veröffentlichung 
der (ca. 250) wichtigsten Miniaturenhandschriften 
aus dem reichen Schatze der Münchner Bibliothek 
wird uns versprochen ; nicht nur Stichproben, wie sie 
Luise v. Kobell schon gegeben oder wie sie die Lei- 
tung des British Museum zu veröffentlichen begann, 
sondern der gesamte Bilderschmuck einer Hand- 
schrift soll in besonderen Heften publiziert werden, 


387 


in zumeist (d. h. bis zum Höchstmaß von 21: 18 cm) 
den Originalen entsprechenden Maßen und in einer 
vervollkommneten Autotypie, die sich dem bisher 
gebräuchlichen Lichtdruck an Klarheit und Tiefe 
weit überlegen erweist. Es liegen der Publikation 
die in Fachkreisen ja längst rühmlich bekannten 
Aufnahmen der Firma Carl Teufel (seit ıgıı im 
Besitz von Riehn & Tietze) zugrunde. Die Aus- 
wahl der zu publizierenden Handschriften, die Über- 
wachung der Reproduktion und die Abfassung der 
einleitenden Texte hat der Vorstand der Hand- 
schriftenabteilung der Münchner Bibliothek, Dr. 
Georg Leidinger, übernommen und so sind guter 
Fortgang und beste Qualität des Unternehmens ge- 
sichert. Der Preis ist sehr niedrig angesetzt — 
das vorliegende Heft von 52 Tafeln 30 M. — und 
ermäßigt sich für Abonnenten der ganzen Serie 
um 20%. Unter diesen Bedingungen braucht man 
weiteste Verbreitung wohl nicht nur zu wünschen, 
man kann ihrer gewiß sein. 

Das erste Heft bringt die berühmte ottonische 
Handschrift Cim 58, alle Canonesseiten, Bildseiten 
und die vier Zierseiten der Evangelienanfänge; 
dazu den Deckel mit dem byzantinischen Relief 
des Marientodes. Vielleicht wäre es wünschens- 
wert gewesen, noch eine reine Textseite zu geben. 
Eine Schriftprobe würde Interessenten jeder Art 
willkommen sein. Dieser bescheidene Wunsch ist 
das einzige, was zu dem Ganzen zu bemerken 
wäre. Der Text ist musterhaft. Er verzichtet aus- 
drücklich auf jede selbständige kunstgeschichtliche 
Erörterung, gibt aber ein Referat über die bisherige 
bibliographische und kunstgeschichtliche Literatur 
von absoluter Vollständigkeit. Literaturzitate im 
Verzeichnis der Abbildungen kommen hinzu, um es 
einem jeden zu ermöglichen, sich mit leichter 
Mühe über den derzeitigen Stand der Forschung 
zu orientieren — und weiter zu bauen. Denn man 
sieht: die Kernfrage, wann die Handschrift ent- 
standen, für wen sie verfertigt sei und wen also 
das berühmte Herrscherbild darstelle, Otto III. oder 
Heinrich II., ist noch nicht definitiv gelöst. Frei- 
lich werden heute wohl die meisten sich Leidinger 
anschließen und sich für Otto III. entscheiden. 

Vitzthum. 


M.H.BERNATH, New York u. Boston. 
Band 58 der „Berühmten Kunststätten“. 
Leipzig 1912. Verlag von E. A. Seemann. 

Zunächst ist man erstaunt, New York und Bo- 
ston als „berühmte Kunststätten‘“ auftauchen zu 
sehen. Die Verwunderung wächst, wenn man 


ı6 enggedruckte Seiten über die Geschichte von 


388 


New York und Boston zu lesen bekommt, in der 
von Kunst keine Rede ist. Auch der an sich 
reizvolle sogenannte koloniale Stil, von welchem 
im Folgenden einige Proben gegeben werden, 
rechtfertigt die Bezeichnung nicht. Erst die Auf- 
zählung der Kunstschätze, die von Europa nach 
den Museen New York und Bostons herüberge- 
bracht wurden, löst das Erstaunen. (Als Vignette 
ist sinnigerweise der Treppenaufgang im Metro- 
politan Museum vorgesetzt; man steigt gleichsam 
ins obere Stockwerk der amerikanischen berühmten 
Kunststätten, wo nun die großen Böller abge- 
schlossen werden.) 

Bernath weiß Bescheid in den amerikanischen 
Museen. Dieses Gefühl hat man und vertraut 
sich gern seiner Führung an. Eine gewisse 
Fremdheit der Sprache nehmen wir in Kauf; 
wissen wir doch, daß es nicht leicht ist, in einer 
fremden Sprache für so delikate Dinge, wie die der 
bildenden Kunst, den geeigneten Ausdruck zu 
finden. 

Eine Reihe zum Teil berühmter und anerkannt 
vorzüglicher antiker Skulpturen machen den An- 
fang; dann folgen die mittelalterlichen Holz- und 
einige Steinskulpturen, unter denen manches Be- 
deutsame in den Abbildungen wiedergegeben wird. 
Verständiger Weise werden auch die hervorragend- 
sten Kunstwerke der Museen in Brooklyn und 
Cambridge an der entsprechenden Stelle mit auf- 
geführt. In dem Abschnitt der altniederländischen 
Malerei bekommen wir manches selbständige 
Urteil B.’s zu hören, das zeigt, daß er sich intensiv 
mit diesem Gebiete beschäftigt hat, auch die alten 
Italiener, von denen eine Reihe der klangvollsten 
Namen vertreten sind, sind ihm vertraut. Die 
Vlaemen und Holländer marschieren mit ihren 
vorzüglichsten Meistern auf; dann folgt ein Ab- 
schnitt über spanische Kunst, der ein besonderes 
Museum in New York gewidmet ist, eine Über- 
sicht der Kunstwerke französischen, englischen 
und deutschen Ursprungs aus den letzten 300 Jahren, 
einige Proben kunstgewerblicher Schöpfungen und 
zum Schluß 2 Abschnitte über die einheimische 
amerikanische Kunst, die wir allein um Whistler 
zu beneiden haben, 

Es ist heute so viel die Rede vom amerikanischen 
Einfluß auf dem Kunstmarkt. Das Büchlein ist 
insofern dabei von großem Wert, als es kurz 
orientiert, was alles schon über den großen Teich 
gewandert ist an europäischem Kunstbesitz. Es 
tröstet uns andrerseits aber auch, indem es uns 
gleichsam durch ein Fernrohr diese Kunstwerke 
genießen läßt und uns das Gefühl gibt, daß sie 
drüben wohl aufgehoben sind. Bernoulli. 


THOMAS MUCHALL-VIEBROCK, Do- 
minikus Zimmermann. Ein Beitrag zur 
Geschichte der siiddeutschen Kunst im 18. 
Jahrhundert. Im Archiv fiir die Geschichte 
des Hochstifts Augsburg, Bd. IV, 1. und 2. 
Lieferung. Dillingen 1912. 


Mit der vorliegenden Abhandlung hat die Ge- 
schichte des Barock und Rokoko in Süddeutsch- 
land, vor allem im bayerisch-schwäbischen Grenz- 
gebiet eine außerordentliche Förderung erfahren. 
In der Tat verdiente auch Dominikus Zimmermann 
eine eingehende Bearbeitung, denn kaum ein zweiter 
der Künstler seines Gebietes und noch weit darüber 
hinaus hat das ländliche Rokoko zu solch künst- 
lerischer Höhe und Feinheit gehoben als er. Es 
genügt nur an sein köstlichstes Werk, die Wall- 
fahrtakirche Wies bei Steingaden zu erinnern, um 
zugleich damit die Berechtigung einer Monographie 
ihres Schöpfers anzuerkennen. 

Muchall - Viebrock hat seine Aufgabe mit dem 
Aufgebot reicher archivalischer Materialien und 
gutem stilkritischen Blick durchgeführt. Aus der 
kurzen Biographie erfahren wir zunächst, daß D. 
Z., der jüngere Bruder des bekannten Münchener 
Hofmalers Johann Baptist Z., 1685 in Wessobrunn 
geboren war, 1716 sich in Landsberg a. L. das 
Bürgerrecht erwarb, zu hohen Ehren kam, unter 
anderm auch zu einem der vier Bürgermeister ge- 
wählt wurde, daß er die letzten Jahre seines Lebens 
in der Wies, wo die von ihm erbaute Kirche stand, 
verbrachte und dort am 16. November 1766 ver- 
starb. Wie sein Bruder dürfte er seine Ausbildung 
in dem alten Kunstzentrum Wessobrunn, dann wohl 
auch in Augsburg genossen haben, jedenfalls aber 
stand er schon einige Jahre vor seiner Übersiede- 
lung nach Landsberg auf eigenen Füßen, denn 
dort wurde er sogleich mit bedeutenderen Arbeiten 
in und am Rathaus betraut. 

Muchall behandelt Z. zunächst als Architekt und 
gruppiert in übersichtlicher Weise, die zugleich 
die innere Entwicklung des Künstlers und die 
äußeren Einflüsse auf seine Stilwandlungen er- 
kennen läßt, seine Werke in Lang- und Zentral- 
bauten. Die ersteren beginnen mit dem Kloster 
Maria Mödingen bei Dillingen (1720—25), das in 
seinem Kirchenbau sich noch eng an das aus dem 
17. Jahrh. überkommene Schema anschließt. Es folgen 
einige Arbeiten für Schwäbisch-Gmünd und Schus- 
senried. Muchall verdanken wir dann die archi- 
valisch beglaubigte Zuweisung der Pfarrkirche in 
Buxheim bei Memmingen (um 1726), der sich dann 
unmittelbar der Bau der Klosterkirche in Sießen 
in Württemberg anschließt, in der dem Architekten 


zum ersten Male voll eine gewisse Großräumigkeit 
glückt, die freilich im Kerne etwas nüchtern er- 
scheinen würde, wenn nicht die reiche Dekoration 
über sie hinwegtäuschte. Die Stufenleiter seiner 
Entwicklung, wie sie in den letzten Werken zu- 
tage tritt, erklärt Muchall mit guter Begründung 
aus dem Einfluß der Voralberger Bauschule mit 
ihren mächtigen Langhauspfeilern und dem kräf- 
tigen reich profilierten Gebälk, wie wir beides in 
Buxheim und Sießen treffen. 

Bedeutender erscheint Z. in seinen Zentralbauten, 
deren erster, ausgehend von Kloster Schussenried, 
die Wallfahrtskirche in Steinhausen (1728—1733) 
darstellt und deren Ausstattung mit Stuckaturen 
ihm ebenfalls im wesentlichen zukommt. Auch 
hier erkennt man vielfach seine Abhängigkeit von 
Voralberg. In der künstlerischen Entwicklung Z.s 
bedeutet dieser Zentralbau vielleicht den wichtig-. 
sten Markstein, denn in dem originellen Grund- 
plan, der Leichtigkeit des Aufbaues, der Redu- 
zierung der Mauerflächen und der intensiven Aus- 
nützung von Farbe, Licht und Dekoration für die 
Gesamterscheinung erkennt man den entschiedenen 
Umschwung zum Rokoko als Raumstil. All diese 
Errungenschaften weiß Z. noch zu gesteigerterer 
Wirkung zu führen in der Frauenkirche in Günz- 
burg а. D. (1736—1741), bei der sich auch noch 
Anregungen der Münchener Kunstsphäre, nament- 
lich ]. М. Fischers geltend machen. Mit dieser 
architektonisch wesentlich bedeutenderen Aufgabe 
wuchs vor allem bei Z. das Streben nach größerer 
Einheitlichkeit, die — wir sehen von den kleineren 
Zentralbauten in Pöring und Landsberg ab — in 
der 1745—1749 erbauten Wallfahrtskirche in der 
Wies ihren glänzenden Höhenpunkt erreichte. 
Wies ist vielleicht die ausgesprochenste Rokoko- 
kirche des bayerischen Schwabens, insofern Grund- 
riß, Aufbau und Dekoration aufs innigste mitein- 
ander verschmolzen sind und das Architektonisch- 
Struktive gerade aufs Allernotwendigste beschränkt 
ist. Man hat in der leichten jubelnden Linien- 
führung den Eindruck, als ob der ganze Bau nur 
in Licht und Farbe aufgeführt sei. Er schließt 
die künstlerische Laufbahn des nun 70jährigen 
Meisters, die eine stetig aufsteigende Linie dar- 
stellt, mit einem gewaltigen Aufschwung ab. 

Die klare analytische Methode, mit der uns 
Muchall den Architekten 2. zeichnet, gibt ein 
ebenso klares Bild auch von der allmählichen Ent- 
wicklung des Barockstuckators, wie er aus der 
Wessobrunner Schule erwachsen ist, zudem eigen- 
artigen Rokokostuckator, dessen Formen gegenüber 
den Asam oder seinem Bruder Johann Baptist 
vielleicht etwas weniger graziös und elegant er- 


389 


scheinen mögen, unzweifelhaft aber in ihrer Er- 
findung auf eine gewisse Originalität Anspruch 
erheben. 

Ein besonderes Verdienst kommt der sorgfältigen 
Arbeit Muchalls noch zu durch die allgemeine 
richtige Bewertung der Kunst Z.s im Gesamtbilde 
der bayerischen Kunst im 18. Jahrhundert. Die 
Abhandlung, die mit 40 größtenteils vortrefflichen 
Tafeln ausgestattet ist, verdankt ihre Entstehung 
noch dem um den Ausbau der süddeutschen Kunst- 
geschichte so hochverdienten, leider zu früh ver- 
storbenen Berthold Riehl und besondere Förderung 
dem für die Hebung der Kunstschätze des bayerischen 
Schwabensunermüdlich tätigen Dillinger Hochschul- 
professor Alfred Schröder. Ph. M. Halm. 


HENRY LEMONNIER, Procès ver- 
baux de l’Academie royale d’Archi- 
tecture (1691 — 1793). Tome I: 1671— 
1681. Paris, Jean Schemit. Fr. 25.—. 
Die Geschichte der französischen Architektur vom 
17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts liegt noch 
recht im Dunkel. Die Quellenforschung hat kaum 
begonnen. Die Hauptquelle für dieses Forschungs- 
gebiet, die kgl. Akademie fiir Architektur, ruhte 
bisher unerschlossen in den Akten und findet sich 
in der einschlägigen Literatur höchstens fragmen- 
tarisch erwähnt. Es darf daher als ein bedeuten- 
des Verdienst dem französischen Kunsthistoriker 
Henry Lemonnier angerechnet werden, daß er die 
Akten der Architekturakademie sichtete, ordnete 
und der Öffentlichkeit zugänglich machte. Diese 
Publikation wird unstreitig umwälzend auf die Ge- 
schichtsschreibung der französischen Architektur 
wirken und zum ersten Male der Entwicklungsge- 
schichte der Öffentlichen und privaten Baukunst 
in Frankreich eine breite, unantastbare Basis 
schaffen, indem sie der Spezialforschung das vor- 
züglichste Aktenmaterial in die Hand gibt. Die 
Akademie für Architektur wurde im Dezember 1671 
gegründet und hat bis zum Jahre 1793 wie die 
Akademie für Malerei und Skulptur regelmäßige 


390 


Sitzungen abgehalten, deren Akten für die Ge- 
schichtsschreibung die gleiche Bedeutung haben, 
wie die Akten der Schwesterakademie, die von 
1875 bis 1892 zum ersten Male veröffentlicht 
wurden. Lemonnier hat mit der ihm eigenen 
Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit dieses reiche 
Material redigiert und der Publikation eine 60 Seiten 
lange, knapp gefaßte Einleitung vorangestellt, in 
der er aus seinen reichen Kenntnissen heraus zum 
erstenmal eine kurze Geschichte der kgl. Akademie 
für Architektur auf Grund des neuen Tatsachen- 
materials zu geben versuchte. Es erübrigt sich, 
diese unentbehrliche Publikation allen Forschern 
der französischen Kunstgeschichte zu empfehlen, 
denn ihr Wert spricht für sich selbst. 

Otto Grautoff. 


G. DESDEVISES DU DEZERT et LOUIS 
BREHIER, Clermont-Ferrand, Royat 
et le Puy de Döme orné de 117 gravures. 
Paris, Henri Laurens. 


Die hübschen Städtemonographien, die H. Laurens 
seit zehn Jahren unter dem Titel ,,Les villes d’art 
célébres“ herausgibt, sind dazu berufen, das Inter- 
esse an der gesamten französischen Kunst zu 
fördern und die Reiseflut, die sich über Italien er- 
gießt, nach Frankreich abzulenken. Städte wie 
Clermont sind in kunsthistorischen Kreisen unseres 
Landes wenig bekannt, während diese Stadt, be- 
rührt von allen Wellen kunstgeschichtlicher Ent- 
wicklung, ein Sammelbecken historischer Denk- 
mäler aus allen Zeiten ist. In der Nähe des alten 
Nemossus stand einst ein Tempel des Merkur. 
Aus den ersten Jahrhunderten des Christentums 
ist vieles zerstört. Aber reich sind die Denkmäler 
aus der romanischen und gotischen Periode, Zei- 
chen einer eigenen Stadtkultur, die auch im 17. 
und 18. Jahrhundert bedeutend sich entfaltete. 
Die beiden Verfasser haben in großen Zügen ein 
lebendiges Bild von dem Werden dieses alten, 
provinziellen Kulturzentrums uns gegeben. 

Otto Grautoff. 


DER CICERONE. 
Heft ı5: 


KURT RATHE, Die Neuerwerbungen der K. K. 
Staatsgalerie in Wien. (2 Tafeln, 12 Abb.) 


HILDEGARD HEYNE,Die LeipzigerBildnismalerei 
von 1700—1850. (10 Abb.) 

Heft 16: 
O. v. FALKE, Majolikakunst in Toskana. (10 Abb.) 


ERNST GALL, Die Abteikirche Saint-Philibert in 
Tournus. Eine kritische Untersuchung zur früh- 
burgundischen Baukunst. (14 Abb.) 


KUNST UND KUNSTHANDWERK. 
Heft 6—7: 

H. FISCHEL, Die Frühjahrsausstellung österreichi- 
scher Kunstgewerbe und der K.K. Kunstgewerbe- 
schule im Österreichischen Museum (über 100 Abb.). 


H. UBELL, Moritz Dregers Führich-Monographie. 


N. N., Die Tagung des deutschen Werkbundes in 
Wien. 


H. FISCHEL, Aus dem Wiener Kunstleben. 
Kleine Nachrichten. — Mitteilungen. — Literatur. 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
Heft 11: 

EWALD BENDER, Die 24. Ausstellung der Ber- 
liner Sezession. (4 Tafeln, 30 Abb.) 

J. A. BERINGER, Prof. Artur Voikmann. (1 Tafel, 
7 Abb.) 


K. MITTENZWEY, Die bayerische Gewerbeschau 
in München. (26 Abb.) 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 4: 

PAUL SCHUBRING, Italienische Bilder des 14. 
und 15. Jahrhunderts im Museum Schniitgen in 
Köln. I. (1 Taf., a Abb.) 

LUDWIG ARNTZ, Wegekreuz und Wegebild. III. 
(35 Abb.) 

RICHARD HAUPT, Eine karolingische Kirche weit 
im Norden. (7 Abb.) 


Kirche zu Schenefeld. 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 

Heft 8: 

Vier Kirchenerweiterungen u. Anbauten. (xx Abb.) 
St. Johann a. d. Saar; St. Laurenzen bei Bruneck, 
Tirol; St. Ulrichskirche in Miinchen-Laim; Kauf- 
beuren. 


H. BENS, Studiennotizen über Kirchen und das 
Erbauen von Kirchen in Deutschlands vergangenen 
Zeiten. 


MARIE GEYS, Das Batiken und dessen Verwend- 
barkeit in der Paramentik. (2 Abb.) 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 9. 


FELIX MADER, Ein Schnitzaltar von DanielMauch. 
(6 Abb.) 

Der Altar in der Kirche zu Bieselbach. 
OSCAR GEHRIG, Die Frühjahrsausstellung der 
Münchener Sezession 1912. 


RICH. HOFFMANN, Berthold Riehl. (x Abb.) 


Heft 9: 

GUSTAV LEVERING, Das Schloß in Bruchsal. 
(x Taf., 22 Abb.) | 

Ө. GIETMANN 8. ]., Die Kunst der Katakomben 
erneuert zu Velkenburg in Holland. (3 Abb.) 


ANTON NAEGELE, Die „drei elenden Heiligen“; 
ikonographische Beiträge aus schwäbischer Kunst 
zur bayerischen Legende. 


DIE KUNSTWELT. 
Heft то: 


MAX OSBORN, Carl Langhammer. (1 Tafel, 12 Ab- 
bildungen.) 


CARL LANGHAMMER, Kunst und Nichtkiinstler. 
FELIX LORENZ, Französische Importen. 


HANNS FECHNER, Vom Perspektivischen im 
Bilde. 


Die Architekten Paulus und Lilloe. (14 Abb.) 


DIE GALERIEN EUROPAS. 
Heft 7: 
Farbige Reproduktionen: 


Francisco Goya, Die Weinlese (Madrid, Prado). 
Text von A. de Beruete y Moret. 


Hieronymus Bosch, Anbetung der 
Könige (Madrid, Prado). ..... .. 


Text 
Tiziano Vecellio, Ansprache des 
Marqués del Vasto (Madrid, Prado). [On August 
L. Mayer. 


JakobJordaens, Familienbild (Mad- 
rid, Prado) ........... s.. 
Francois Boucher, Diana nach dem Bade (Paris, 
Louvre). Text von Hans Vollmer. 


ORIENTALISCHES ARCHIV. 
Heft 4: 
R. v. LICHTENBERG, Über gegenseitige Einflüsse 
von Orient und Okzident im Becken des Mittel- 
meers. (20 Abb.) 
Grabformen, Dolmensteine, Schriftzeichen. 
O. JAEKEL, Zur Urgeschichte der orientalischen 
Teppiche. (9 Abb.) 
Aufschlüsse über Bestimmung, Technik und For- 
menwelt der ersten Teppiche. 
E. BANSE, Die Gubäbhütten Nordsyriens und Nord- 
west-Mesopotamiens. (Karte, ro Abb.) 
Es handelt sich um bienenkorbartige Kegelbauten. 
E. A. HEBER, Über Technik und Ökonomie des 
japanischen Kunstfleißes. 


29 391 


MUSEUM. 

Heft 4: 

A. MASRIERA, Una necröpolis en Reus. (9 Abb.) 

P. QUINTERO ATAURI, Los asuntos profanos 

en las esculturas de las iglesias espafiolas. (2 Taf., 

35 Abb.) 
Eine interessante, vorziiglich illustrierte Zusam- 
menstellung von figiirlichen Motiven, Tierdar- 
stellungen, Grotesken usw. an Kapitälen und 
Chorgestühlen spanischer Kirchen. 

С. de BOFARULL, Encajes a mano. (11 Abb.) 


Notizen über spanische (speziell andalusische) 
Spitzen. 


DIE RHEINLANDE. 
Heft 8: 


WILHELM SCHAFER, Ferdinand Briitt. (5 Taf., 
4 Abb.) 


REVUE DE L’ART CHRETIEN. 
Mai-Juni: 
MARQUET de VASSELOT, Le Marteau du Car- 
dinal Giovanni Borgia. 
A. BOINET, Les sculptures des portails de la ca- 
thédrale de Meaux. 
CONRAD von MANDACH, La Peinture en Savoie 
au XVe siècle. 
Anläßlich eines Abendmahlsbildes von Godefroy, 
1482, im Museum von Chambéry. 
A. SAINT PAUL, Les coupures et les formules 
dans l'archéologie médiévale. 
Periodeneinteilung der mittelalterlichen Architek- 
turgeschichte. 1050 oder тобо, nicht 1000, mar- 
kiert die Grenze zwischen priromanischer und 
romanischer Bauweise. 
PAUL CLEMEN, Fouilles et explorations dans 
l’enceinte du Palais impérial carolingien et de la 
cathédrale d’Aix-la-Chapelle. 
GEORGES MOUGEOT, Le Saint Jacques de Se- 
mur. 
Vergleicht diese burgundische Steinfigur mit 
dem Joseph von Arimathia vom heiligen Grab 
des benachbarten Tonnerre. 


GASTON BIDEAUX, Les stalles de Gassicourt. 


L'ARTE. 


fasc. 3: 

MARIO SALMI, Chiese romaniche in Carentino 

e in Valdarno Superiore. (9 Abb.) 

Badia d’Agnano, Piere di Montemignaio, di San 
Martino a Varo, Gropina u. a. 

MATTEO MARANGONI, Il Mastelletta. (3 Abb.) 
Bilder in S. Domenico in Bologna, in S. Lorenzo 
zu Nudrio und im Louvre. 

P. LIEBAERT, Miniature spagnuole. (4 Abb.) 
Beschreibung eines aus Toledo stammenden 
Codex in der Ambrosiana. 

ODOARDO H. GIGLIOLI, Un ritratto di Andrea 

Frizier dipinto da Tintoretto. (3 Abb.) 


In der Galerie des Pal. Pitti, bisher dem Schiavone 
zugeschrieben. 


392 


GIUSEPPE FIOCCO, Paolo Farinati e le sue opere 
per il Frassino. (3 Abb.) 
GIUSTINO CRISTOFANI, Una data sicura nella 
vita di Pellegrino da San Daniele. 
Madonnenfresco von 1534 in S. Maria degli 
Angeli bei Assisi. 
G. BRECK, Una scultura ascritta a Gerardo di 
Mainardo. (Abb.) 
Altar im Metropolitanmuseum, New York. 
A. AVENA, G.F. Caroto e Battista Zelotti alla corta 
di Mantova. 
LIONELLO VENTURI, Saggio sulle opere d’arte 
italiana a Pietrobargo. (7 Abb.) 
Venezianer des 16. Jahrhunderts. 


L'ART ET LES ARTISTES. 

VIII., Nr. 88: 

LÉANDRE VAILLAT, La peinture hollandaise. (L) 
FRANK RUTTER, Un artiste anglais, Auguste John. 
GABRIEL NIGOND, Fernand Maillaud (Maler aus 
Berry). 

JEAN MERYEM, Les dessins d’Henry Cros. 


VAILLAT, Le style de la Rose (anläßlich einer 
Raumkunstausstellun g). 


F. M., Le Salon des artistes Français. 


ART ET DÉCORATION. 
Juti: 


A.MARGUILLIER, Un illustrateur anglais: Arthur 
Rackham. 


JACQUES RIVIÈRE, La peinture aux deux Salons. 


FRANÇOIS MONOD, Exposition d'Art Persan et 
Indo-Persan au Musée des Arte décoratifs. 


L'ART DECORATIF. 

XIV., Nr. 175: 

R. LESTRANGE, L’art décoratif au Theatre des 
arts. — L’oeuvre décorative du Peintre Drésa. 


MAURICE TESTARD, Le XXIIe concours annuel 
de la société d’encouragement а l’art et à l’industrie. 
(Entwürfe für einen Briefkasten.) 


ALFREDO MELANI, L’art Serbe. 


REVUE DE L'ART ANCIEN ET MO- 
DERNE. 

Juli: 

HENRI LECHAT, Omphale, statue antique de 
marbre (in Pariser Privatbesitz). 

LOUIS HOURTICQ, Promenades au Louvre: Titien. 
E. BABELON, La gravure en médailles et sur 
pierres fines. — Dacier, La gravure (Salon 1912). 


H. CLOUZOT, Exposition de la miniature à Bruxel- 
les. 


M. MONTANDON, La récente a ANO des 
musées Bavarois. 


ART ET INDUSTRIE. 

Juni: 

EMILE HINZELIN, Les habitations ouvrières en 
Allemagne. 

J. F. L. MERLET, Le musée industriel et d'art 
décoratif а Nuremberg. 


LES ARTS. 

August: 

L. DIMIER, LeLouvre invisible. (23 Abb.) (Ma- 
gazinierte Bilder.) 


GASTON SCHEFER, Giovanni Battista Piranesi. 
(5 Abb.) 


GAZETTE DES BEAUX-ARTS. 

Juli: 

JEAN de FOVILLE, Carpeaux et Ricard. 
ANDRÉ MICHEL, Les accroissements du depar- 
tement des sculptures au Musée du Louvre. (II.) 


Besprochen werden u. a.: Engel mit Meßkanne, 
Marmor. — Engel der Verkiindigung, Brabanter 
Arbeit, 15. Jahrh. — Maria der Verkiindigung, 


südfranzösisch, 15. Jahrh. — St. Georg, verstüm- 
meltes Relief aus dem Nivernais, 15. Jahrh. — 
Statuette einer Cisterzienseräbtissin, Art des Claus 
de Werwe. — Zwei „Lansquenets“, Hochreliefs, 
Lothringische Arbeit des 16. Jahrh. — Madonna, 
bemalter Stein, ostfranzösisch, Mitte des 16. Jahrh. 
(Abbildung in Heliotypie). — Eine aus Saint 
Florentin stammende Madonna in der Art des 
Dominique Florentin (Domenico dei Barbieri). — 
Marmormedaillon Charles IX. oder Henri III. zu 
Pferd, Atelier des Germain Pilon. — Die mar- 
morne Grabstatue der Katharina von Medici von 
Girolamo della Robbia (а Gisante“), die aus 
einem finstern Winkel der Ecole des Beaux-Arts 
ins Louvre überführt wurde. 


L. ROSENTHAL, Les Salons de 1912. (Ш.) 
Zeichnung, Pastell, Aquarell, Skulptur, Graphik 
„art social“ (Kunstgewerbe). 

J. Н. LABANDE, Les Primitifs Niçois. (III.) 

BIBLIOGRAPHIE: 

Sarre und Martin, Meisterwerke mohammedani- 
scher Kunst auf der Ausstellung München 1910. 
(R. Petrucci.) 


EMILE VERHAEREN, Rembrandt (übertragen von 
Stefan Zweig). Leipzig, Inselverlag. 


J. BURCARDUS, Alexander VI. und sein Hof. Nach 
dem Tagebuch des Zeremonienmeisters Burcardus. 
Herausgegeben von Ludwig Geiger. (Memoiren- 
bibliothek IV, 3.) 3. Aufl. Stuttgart, Verlag von Ro- 
bert Lutz. 


CH. OULMONT, Le verger, le temple et la cellule 
Essay sur la sensualité dans les oeuvres de mistique 
religieuse. Paris, Librairie Hachette et Cie. 


WATTEAU, Des Meisters Werke in 182 Abbil- 
dungen. Herausgegeben v. E. Heinr. Zimmermann. 
(Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben, Bd. XXI.) 
Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 

EMMY VOIGTLAENDER, AnselmFeuerbach. Ver- 
such einer Stilanalyse. Verlag von E. A. Seemann, 
Leipzig. 

ERICH MENNBIER, Jahrbuch der Bilder- u. Kunst- 
blätterpreise. Bd. II, 1911. Wien, Verlag von Franz 
Malotta. 


Zur gefl. Beachtung. Ab 15. September befindet sich die Redaktion der „Monats- 
hefte für Kunstwissenschaft“ unter Leitung des Herausgebers in DARMSTADT. 


V. Jahrgang, Heft IX. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Berlin-Lank- 
witz, Waldmannstraße 171. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft: 
BerlinSW, Mittenwalderstr. 39, Fernspr.: Amt Moritzplatz Nr. 13 136 (Fritz Baum). 


Vertretung der Redaktion in BERLIN: HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstr. 158. | In 
MÜNCHEN: Dr. М.К. КОНЕ, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. In ÖSTERREICH: Dr. KURT 
RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. / In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN FREUND, Gaddeshill 
Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANK- 
REICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon 11. In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, 
Basel, Eulerstr. 65. 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


393 


FirmentafelderMonatshefte firKunstwissenschaft 


Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben. 
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u. Sportbilder u, Literatur. Kat. 340 
Kulturgeschichte, Bibliothekswerke. 
243 Geschichte, Genealogie. 244 
Philosophie. 


Abb. т. О. JUAN CARRENO DE MIRANDA, Die Zwergin Eugenia Martinez Valleja 


Zu: AUGUST L. MAYER, DER MEISTER DES ,,BORRO“-BILDES 
M. f. K. V. 


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Tafel 75 


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Abb. a. ALONSO CANO, Zwei Gotenkönige 


Zu: AUGUST L. MAYER, DER MEISTER DES „BORRO“-BILDES 


M. f. K. V, 9 


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Tafel 76 


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Unten die romanischen 


Abb. 2. Fécamp, Ste. Trinité.s Chor von NO. 
Kapellen, Oberbau frühgotisch. 


ERNST GALL, STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHORUMGANGES 


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Tafel 79 


Abb. то. Le Mans, N.-D. de la Couture. 
Kapitell aus der Abside. Vergl. Kapitell der 
ersten Säule auf nebenstehendem Bilde. 


Abb. 9. Le Mans, St. Julien du Pre. Schiff, Nordseit: 
von Osten her. 


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Abb.11. Le Mans, N.-D. de la Couture. Nordseite des Abb. 12. Le Mans, N.-D. de la Couture. Die einzige 
Chores mit Blick in den Umgang. romanische Kapelle des Umganges auf der Südseite. 


Zu: ERNST GALL, STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHORUMGANGES 


M. f. K. V, 9 


Tafel 80 


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Abb. 13. Le Mans, N.-D. de la Couture. Die einzige erhaltene roma- 


nische Kapelle des Umgangs auf der Südseite. 


STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHORUMGANGES 


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Zu: ERNST GALL 


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Tafel 81 


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Abb. 15. Orléans, St. Aignan. Krypta: Inneres vom Eingang gesehen in der Rich- 
tung Süd - Nord. Nach den Mém. de la Soc. hist. et arch. de l'Orléannais 1902. 


Zu: ERNST GALL, STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHORUMGANGES 


M. f. K V,9 


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Tafel 83 


L van PORTENGEN, Konzert Florenz, Villa Olschki 


Zu: ERWIN ROSENTHAL, EIN BILD DES UTRECHTER MALERS LUEMEN VAN PORTENGEN 


M. f. Kk. v, 9 


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MONATSHEF TE 


v. 
A 994 ‘HEFTIO—_OKTOBER1912 
KLINKHARDT& BIERMANN: LEIPZIG 


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Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjährlich 12 Mark 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 10 


ABHANDLUNGEN 
CARL GEBHARDT, Giovanni d’Ale- 
magna. Mit 9 Abb. auf 4 Tafeln S. 395 


BERTHOLD HAENDCKE, Der nieder- 
ländische Einfluß auf die Malerei 
Toskana-Umbriens im Quattrocento 
von са. 1450—1500....... S. 404 

H. H. KRITZINGER, Die Madonna di 
Foligno. Raffaels Deutung der Flecken 
auf der Mondscheibe. Mit 4 Abbild. 
auf 3 Tafeln S. 420 


MISZELLEN 


Zur Sienesischen Malerei des Quattro- 
cento. Ein Nachtrag (Sonnenthal). . 8. 427 
Ein unbekannter Brief dee Malers Parra. 
sio Michele. Mit т Abbildung auf x Tafel 
l'an S. 429 


(Ffoulk 


A.S.DREY 


Königl. Bayer. Hoflleferant 


Grügewald-Schule in Frankfurt (Gebhardt) 
S. 431 

Über die Abstammung des Veit Stoß 
((ооВлїшөг)................. 8. 432 


LITERATUR | 

Bernhard Patzak, Die Renaissance- u. Barock- 
villa Italien. Bd. I: Palast und Villa in 
Toscana. I. Buch: Die Zeit des Werdens 


(Strzygowski) ...... 2-020 c eee В. 434 
Albert Giesecke, Giov. Battista Piranesi 
(Grisebach). ........ 000.00. 8. 436 


Rudolf Pagenstecher, Unteritalische Grab- 
denkmäler (Herrmann) ......... 8. 438 


J. A. ii Illuminated Manuscripts tz- 
LEE ea era e „439 
Friedrich H. Hofmann, Frankenthaler Por- 
zellan (Zimmermann 8. 440 
L’abbé Brune, Dictionnairedes artistes et ouvriers 
d'art do la France (Grautoff)........ S. 441 
Rundschau 8. 442 
Neue Bücher 8. 445 


Ausstellung 


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GIOVANNI D’ALEMAGNA 


Mit neun Abbildungen auf vier Tafeln Von CARL GEBHARDT 


n der Chiesa dei Filippini zu Padua, einer kleinen Kirche, die einst der Nieder- 

lassung der Philippinermönche diente und die jetzt zu einem religiösen Erziehungs- 
institute gehört, befindet sich ein Madonnenbild aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, 
das bisher in der kunstwissenschaftlichen Literatur noch keine Beachtung gefunden 
hat (Abb. ı). Es zeigt die Madonna auf gotischem Throne sitzend, würdig ernst, 
Эеотбхос, nicht himmlische Jungfrau, die goldne, edelsteinbesetzte Krone auf ihrem 
Haupte, unter der das weiße Kopftuch herabfällt; ein blauer Mantel umhüllt sie, 
der ein rotes, mit goldnem Ornament durchwirktes Brokatgewand zum Vorschein 
kommen läßt; auf ihren Knien steht, mit einer Binde bekleidet, von ihr gehalten, 
das göttliche Kind, das nach ihrem Tuche greift; hinter der gelben, ins rötliche 
schimmernden Architektur des Thrones erscheint, frei und schön gewachsen, eine 
Blumenhecke, auch der Boden ist mit Grün bestanden und von Blümchen belebt; 
die Füße der Madonna ruhen auf einem Kissen, auf dem man die Worte regina 
celi lesen kann; der Sockel des Thrones hat in schönen Antiqua-Initialen die Inschrift: 
Dignare me laudare te virgo sacrata da michi; der Grund des Bildes ist von schönem, 
tiefen Blau. Uber den Meister des Werkes kann kein Zweifel bestehen. Ein Ver- 
gleich mit dem großen Altarwerk der Accademia zu Venedig (Abb. 3) beweist, daß 
es von jenen Meistern herrühren müsse, die sich dort als Johanes Alamanus und 
Antonius d. Muriano bezeichnet haben und die die Kunstgeschichte als Giovanni 
d’Alemagna und Antonio Vivarini kennt. 

Aber ist es nötig, sich mit diesem Doppelnamen zu begnügen? Ein Werk von 
so geringem Umfang erlaubt kaum die gleichzeitige Arbeit zweier Künstler; 
einer muß doch die Komposition des Ganzen bestimmt, den Typus dieser Köpfe 
gebildet haben. Wer war dies — Giovanni oder Antonio? Diese Frage zu ent- 
scheiden erlaubt ein Werk, das seiner Inschrift nach einzig den Antonio zum Ur- 
heber hat; es ist der von Lionello Venturi (Le origini della pittura veneziana, 
Venezia 1907, S. 107) in die Kunstgeschichte eingeführte Altar von 1440 im Dome 
zu Parenzo in Istrien (Abb. 2). Die Vergleichung der beiden Madonnen ergibt 
sehr wesentliche Unterschiede. Die Modellierung der Madonna von Parenzo ist 
sehr oberflächlich, die Augen liegen flach, der Kopf zeigt einen rundlichen Typus, 
die Karnation ist sehr zartfarbig, in der Schattengebung ins Bläuliche gehend; 
dagegen ist die Madonna des Padovaner Bildes viel energischer modelliert, die 
Augen liegen wirklich in ihren Höhlen, das Gesicht zeigt ein nach unten zugespitztes 
Oval, die Karnation ist kräftig mit grauen Schatten. Auch die ganze Empfindungs- 
weise ist sehr verschieden, in Parenzo eine schwächliche, etwas leblose Anmut, 
eine hohe, ernste Feierlichkeit in Padua. Die Unterschiede in Formenbildung, Farbe 
und Empfindung sind meines Erachtens so schlagend, daß nicht daran zu denken 
ist, daß die beiden Werke von der Hand eines und desselben Künstlers sein 
könnten. Da nun der Inschrift nach der Altar von Parenzo ein Werk nur des 
Antonio Vivarini ist, so muß das Bild in Padua eine Arbeit bloß des Giovanni d’Ale- 
magna sein. 

Diese beiden Werke, in denen wir den Stil jedes der beiden Meister für sich er- 
kennen können, bieten uns nun, wie ich glaube, die bisher vergeblich gesuchte Mög- 
lichkeit, ihre Hände in den gemeinsam von ihnen bezeichneten Werken zu scheiden. 
Die Madonna des 1446 für die Scuola della Carità in Venedig gearbeiteten und jetzt 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 10. 30 395 


dort in der Accademia befindlichen Altares zeigt die Charakteristika der Kunst Gio- 
vannis, das kräftige Inkarnat mit den grauen Schatten, die starke, hervortretende Wöl- 
bung der Brauenbogen, die leuchtende, tiefe Farbengebung, sie stimmt bis in jede 
Einzelheit vollkommen mit der Madonna in Padua überein und zeigt so tiefgehende 
Unterschiede gegenüber der Madonna in Parenzo, daß wir auch in ihr ein Werk des 
Giovanni erkennen müssen. Aber auch die Kirchenväter, die sich mit ihr zu dieser ersten 
santa conversazione der venezianischen Kunst vereinigen, gehen sicherlich auf Gio- 
vanni zurück. Dies zeigt deutlich ein Vergleich mit den im Typus verwandten Heiligen 
des Altares in Parenzo. Der heilige Hieronymus gleicht dem Heiligen links von 
der Madonna in Parenzo, der heilige Papst Gregor dem heiligen Nikolaus von Bari, 
der heilige Augustin dem heiligen Anachoreten. Aber welche Verschiedenheit in 
der Übereinstimmung. In йел Altar von Venedig ein gewaltiges Leben, jeder dieser 
Kirchenväter ergreifend in seiner Charakterisierung, Hieronymus der Denker mit 
dem nach innen gewandten Blicke, Gregor von göttlicher Inspiration beseelt, das 
Auge jenseitigen Welten zugewandt, Ambrosius, mit der Geißel, gewaltig dräuend, 
so wie er einst einen Kaiser von der Schwelle seines Tempels gewiesen und 
Augustin gefestigt in sich beruhend, die eigne Leidenschaft beherrschend und darum 
ein Herrscher über die Menschen, mächtig gebildete Stirnen, denen man es glaubt, 
daß hinter ihnen die tiefsten Gedanken des Christentums gedacht worden sind. 
Und in Parenzo — leere Form, die kein Inhalt erfüllt, schwächliche Modellierung, 
nichtssagende Gesten. Ohne Bedenken dürfen wir behaupten, daß der Altar der 
Accademia in allem wesentlichen ein Werk des Giovanni allein ist, und daß Anto- 
nios Anteil daran, wenn er überhaupt mitgearbeitet hat, nicht größer ist als der 
irgendeines beliebigen Gehilfen, dessen wir nicht Erwähnung tun würden, wenn 
uns sein Name nicht durch die feststehende Firmenbezeichnung überliefert wäre. 
Der Altar der Accademia ist nicht, wie Lionello Venturi (a. a. O., S. rro) ihn nennt, 
das monumentalste Werk der Zusammenarbeit des Giovanni und des Antonio, 
sondern das monumentalste Werk, das Giovanni geschaffen hat. Bemerkenswert 
ist, daß Antonio in seiner ersten Arbeit, die er vor der Firmenvereinigung mit 
Giovanni schuf, schon vollkommen unter dessen Einfluß steht. 

Der Altar Giovannis in der Accademia kann uns nun auch helfen, das Bild von 
Padua zu datieren. Er ist 1446 entstanden. Zwischen dem 20. Oktober 1447 und 
dem 4. November 1448 ist, wie wir erfahren, Giovanni mit Antonio nach Padua 
iibergesiedelt. Das Padovaner Bild steht dem Altar in Venedig außerordentlich 
nahe. Ich trage daher kein Bedenken, es in den Anfang des Aufenthalts Giovannis 
in Padua, also ins Jahr 1448 zu verlegen. 

Mit diesen beiden Madonnendarstellungen steht nun noch eine dritte in Zusammen- 
hang, die sich in der Pinacoteca von Città di Castello befindet und auf die 
Toesca (in l'Arte 1903, S. 245ff.) hingewiesen hat. Auch hier haben wir es mit 
einem Werke Giovannis, nicht Antonios zu tun, mit einem Werke, das in der An- 
ordnung viel einfacher, in der Auffassung viel altertümlicher ist als die Arbeiten 
von Venedig und Padua (das Christkind ist beispielsweise noch mit einem Röck- 
chen bekleidet). Ich glaube, daß wir in dieser Tafel das früheste Werk vor uns 
haben, das uns überhaupt von der Hand Giovannis erhalten ist. 

Ein Werk nun, auf das Antonio allein Anspruch erheben darf, ist die Verkün- 
digung zwischen dem Erzengel Michael und dem heiligen Antonius von Padua in 
San Giobbe in Venedig (Abb. 8). Die Karnation ist die typische des Antonio, 
rosig, mit bläulichen Schatten. Die Faltengebung, einfach, aber großzügig bei Gio- 
vanni, ist hier dürftig, die Gewänder kleben am Körper. Jeder Sinn für organische 


396 


Bildung fehlt; die Taube des heiligen Geistes ist wie aus Holz, die Bäume des 
Hintergrundes sind wie aus einer Spielzeugschachtel (man vergleiche damit die freie, 
natürliche Pflanzendarstellung Giovannis in Padua oder auf dem Altar der Acca- 
demia), der Felsen hinter dem Erzengel ist wie aus Pappe. Die Farbenstimmung 
des Ganzen ist eine sehr lichte, auch in den Haaren ist lichtes Goldblond bevor- 
zugt. Die Gestalten sind langgestreckt. Die Typen stammen z. T. von Giovanni, 
der Verkiindigungsengel gleicht dem Engel, der auf dem Altar der Accademia zu- 
vorderst links den Thronhimmel trägt, der Gottvater dem Gottvater auf Giovannis 
Paradies in San Pantaleone. Die Madonna ist, bei etwas zugespitzterer Bildung des 
Kinnes, übereinstimmend mit der Madonna in Parenzo. 


Ohne Schwierigkeit lassen sich nun auch die Hände an dem großen, dreiteiligen 
Altarwerk in San Zaccaria in Venedig (Abb. 4—7) scheiden, das nach den In- 
schriften Johanes et antonius de muriano 1443 und 1444 ausgeführt haben, eine 
Unterscheidung, die noch Lionello Venturi (a. a. O., S. 108) für vollkommen unmög- 
lich hält. Von den beiden Seitenteilen des Altares in der Capella San Tarasio 
zeigt der Teil mit der heiligen Sabina zwischen dem heiligen Hieronymus und 
Icerius eine vergleichsweise lichte, bunte Farbengebung, der Teil mit den vier 
männlichen Heiligen eine viel tiefere, leuchtendere, eine Verschiedenheit des Farben- 
geschmackes, die schon von vornherein an Antonio als den Schöpfer des ersteren 
und an Giovanni als den des letzteren denken läßt. Die genauere Untersuchung 
bestätigt — bei aller Vorsicht, die der Erhaltungszustand des Altares zur Pflicht 
macht — diese Teilung. Die Tafel mit der heiligen Sabina zeigt in allem die Vor- 
liebe Antonios für die lichten Farben, im rosigen Inkarnat mit seinen bläulichen 
Schatten, in dem Goldblond der Haare, in den hellen Farben der Gewänder, während 
die Tafel mit den vier männlichen Heiligen Giovannis kräftigen Fleischton mit 
seinen grauen Schatten, sein braunes Haar, seine tieferen Töne in der Farbe der 
Stoffe aufweist. Wenn man den jugendlichen Heiligen der einen Tafel mit den 
jugendlichen Gestalten der anderen vergleicht, ist der Gegensatz unverkennbar. 
Hier, bei Giovanni, kräftige Bildung, volle Wangen, rundes Kinn, dort schmale, 
hohle Wangen, kurzes, kleines Kinn, der ganze Bau des Kopfes schmächtig, dürftig. 
Die Typenbildung ist auf der Tafel der heiligen Sabina unverkennbar die des An- 
tonio: im heiligen Icerius kehrt der Erzengel Michael des Altares von San Giobbe 
wieder, Sabina und die heilige Margaretha und Katharina in der oberen Reihe 
gleichen der Madonna und den weiblichen Heiligen in Parenzo, nur der heilige 
Hieronymus zeigt in all seiner Schwäche und Leere noch den Typus Giovannis, 
so wie wir ihn auf dem Altar der Accademia vor uns haben. Die Gestalt des 
heiligen Papstes Cajus auf Giovannis Tafel ist eine bedeutsame Vorstudie zum 
Papste Gregor auf jenem Altar. Der Mangel an Sinn für organisches Leben zeigt 
sich bei Antonio deutlich genug in seiner Blumenhecke mit ihrem Blattgewirr und 
ihren wie Zwiebeln zusammenpappenden Rosen. Selbst die Heiligeninschriften 
zeigen die Gegensätzlichkeit der beiden Künstler, bei Antonio ein gleichgültiges 
Nebeneinander der Buchstaben, bei Giovanni freies, geistreiches Spiel mit den in- 
einander gestellten und miteinander verflochtenen Zeichen. Von dem mittleren 
Teile des Altars, jetzt in einer Kapelle rechts vom Chore, gehören nur der heilige 
Markus und die heilige Elisabeth zum ursprünglichen Altare; sie sind von so reichem 
inneren Leben erfüllt, wie nur Giovanni es zu wecken imstande war, namentlich 
die Gestalt des alten, leidgeprüften Heiligen ist von ergreifender Innerlichkeit. Die 
Malereien der Rückseiten des Altars (die übrigens nicht, wie Venturi sagt, mono- 


397 


chrom sind, sondern nur durch die Sonne ihrer Farbigkeit beraubt wurden) sind 
Werkstattarbeiten im Stile Giovannis, aber nicht von der Hand Antonios. 

Das Paradiso von 1444 in San Pantaleone in Venedig (Abb. bei Lionello 
Venturi, a. a. O.) ist uns durch den Vertrag über die Replik Giambonos, den Pao- 
letti und Ludwig (Neue Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei, Reper- 
torium für Kunstwissenschaft XXII, 1899, S. 483) mitgeteilt haben, trotz seiner voll- 
ständigen Firmenbezeichnung als ein Werk bloß des ser Johannis theotonicj pictoris 
bezeugt. Auch ohne diese Urkunde ließe die Formensprache und die Farbengebung 
ohne weiteres auf die Hand Giovannis schließen. Antonio mag bei diesem viel- 
figurigen Werke mitgearbeitet haben: die weiblichen Heiligen links scheinen mir 
sein lichtes, rosiges Inkarnat zu haben, bei einer von ihnen zeigen sich sogar 
deutliche bläuliche Schatten; auch von den Heiligen in den oberen Rängen könnte 
der eine und andere auf ihn zurückgehen. 

Die Anbetung im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum (Abb. bei Lionello 
Venturi, a. a. O.) ist, wie schon Morelli (Die Galerie zu Berlin 1893, S.73) vermutet 
hat, ganz ein Werk Antonios, sein freiestes und schönstes. Das Kolorit ist sein 
lichtes, buntes; der heilige Icerius des Altars von San Zaccaria kehrt in allen diesen 
Jünglingsgestalten wieder, die Madonna ist im Typus dieselbe wie in Parenzo. 

Auch der heilige Bernhardin von Siena zwischen dem heiligen Hieronymus 
und dem heiligen Ludwig von Toulouse in San Francesco della Vigna in Ve- 
nedig geht auf Antonio zurück. Adolfo Venturi (Storia dell’arte italiana VII, Pittura 
del Quattrocento I, Milano 1911, S. зто) möchte darin eine frühe Arbeit Antonios 
vor seiner Arbeitsgemeinschaft mit Giovanni sehen. Das ist unmöglich, denn der 
heilige Bernhardin von Siena ist erst 1450 kanonisiert worden. Mir scheint der 
heilige Ludwig hinzuweisen auf den heiligen Bischof unten links auf dem Altar 
von Bologna, den Antonio 1450 mit seinem jüngeren Bruder Bartolommeo zusammen 
ausgeführt hat, und in dem strengen, weltabgewandten Asketenkopf des neuen 
Heiligen scheint mir eine Empfindung lebendig, die weit über das hinausgeht, was 
sonst Antonio auszudrücken vermocht hat. Ich möchte daher schon bei diesem 
Altar die Mitarbeit des überlegenen Bartolommeo Vivarini annehmen. 


* * 
* 


Was uns bisher die archivalischen Urkunden über Giovanni d’Alemagna mit- 
geteilt haben, ist recht wenig. Ludwig und Paolotti (a. a. O., S. 432) haben fest- 
gestellt, daß Giovanni und Antonio sich in die Listen der Padovaner Malerzunft 
haben eintragen lassen, und Lazzarini (Documenti relativi alla pittura padovana del 
secolo XV con illustrazioni e note di Andrea Moschetti, Nuovo Archivio Veneto 1908, 
S. 146%.) hat als den Zeitpunkt dieser Eintragung die Zeit zwischen 20. Oktober 1447 
und dem 4. November 1448 ermittelt. Er hat aber weiter feststellen können, daß 
die beiden sich nicht etwa nur formell in die Liste der padovanischen Maler haben 
eintragen lassen, um ein Gemälde ihrer Werkstatt nach Padua liefern zu können, 
sondern daß sie tatsächlich nach Padua übergesiedelt sind und daß sie hier im An- 
fang des Jahres 1448 den Auftrag erhielten, die Capella Ovetari (von der dann Man- 
tegnas Weltruhm seinen Ausgang nahm) auszuschmücken, daß aber Giovannis vor 
dem 9. Juni 1450 erfolgter Tod sie gehindert hat, diesen Auftrag völlig auszuführen. 
(Eine Arbeit von Andrea Moschetti wird uns in Bälde darliber genauen Aufschluß 
geben, wieviel von dem Schmucke der Eremitanikapelle auf Giovanni und Antonio 
zurückgeht.) 


398 


Über diese tatsächlichen Feststellungen sind nun Lazzarini und Moschetti hin- 
ausgegangen und haben nachweisen wollen, daß Giovanni eigentlich kein Deutscher, 
sondern nur deutscher Abstammung, daß er von Geburt Padovaner sei. In dem 
Vertrage über die Ausschmückung der Capella Ovetari wird Giovanni Giovanni 
d’Alemagna q.m Giovanni genannt. Nun wohnte 1423 in Padua ein eingewanderter 
deutscher Maler Johannes (Johannes pictor q.m Nicolai de Alemania), der sich in 
diesem Jahre, 24jährig, mit einer Maddalena, der Tochter des verstorbenen Frances- 
chino von Piacenza vermählte und deren Mitgift empfing, und der 1431 das pado- 
vanische Biirgerrecht verliehen bekam. Nun vermuten Lazzarini und Moschetti, 
dieser Giovanni sei der Vater des Giovanni d’Alemagna, der also Padovaner sei 
und als solcher von seinen Landsleuten den Auftrag erhalten habe, die Eremitani- 
kapelle auszumalen, ja vielleicht habe ihm der Vater selbst diesen Auftrag ver- 
schafft. 

Diese letztere Vermutung ist, selbst wenn man alles andere gelten lassen wollte, 
nicht sehr wahrscheinlich, weil der Vater Giovannis, als dieser den Vertrag über 
die Kapelle abschloß, bereits nicht mehr am Leben war (Giovanni d’Alemagna 
quondam Giovanni, nennt ihn die Urkunde). Aber auch gewichtige chrono- 
logische Bedenken sprechen gegen die Vermutung, die in dem deutschen Maler 
Johannes in Padua den Vater des Giovanni d’Alemagna sehen möchte. Jener Jo- 
hannes quondum Nicolai de Alemania hat am 5. Mai 1423 behufs Eheschließung 
seine zivilrechtlichen Verhältnisse geordnet; sein Sohn könnte also wohl erst im 
Anfange des Jahres 1424 geboren sein. Wäre Giovanni d’Alemagna sein Sohn, so 
hätte er im Alter von 17 Jahren schon sein erstes Werk in Gemeinschaft mit 
Antonio Vivarini geschaffen (die verlorene Altartafel in S. Stefano von 1441), so 
hätte er mit 16 Jahren schon einen entscheidenden Einfluß auf Antonio ausgeübt 
(Altar von Parenzo), so hätte er mit 22 Jahren das erste Meisterwerk der vene- 
zianischen Malerei hervorgebracht (Altar der Accademia). Wenn mir alles möglich 
schiene, dieses letztere scheint mir vollkommen unmöglich: die Heiligen dieses 
Altares, diese Verkörperungen reifster Männlichkeit, nicht fremdem Vorbilde nach- 
geahmt, sondern aus eigenstem Erleben geschaffen, können nicht das Werk eines 
unreifen Jünglings sein. Überdies spricht auch die Urkunde über Zambonos Replik 
des Paradiso in S. Pantaleone dagegen, daß jenes „de Alemagna“ oder „Alamanus“ 
nur die Bedeutung eines Eigennamens oder Vaternamens bei Giovanni habe; denn 
von den manus ser Johannis theotonicj pictoris konnte sie doch nur sprechen, 
wo es sich wirklich um das Werk eines deutschen Malers handelte. Zudem hat 
sich Giovanni selbst als Zoane Alamanus unterschrieben und die padovanischen 
Urkunden bezeugen ihn als magister Johannes todescus. Wäre Giovanni Padovaner 
und nur sein Vater Deutscher gewesen, so würden wir ihn in den Urkunden gewiß 
als Giovanni q.m Giovanni d’Alemagna, aber nicht, wie es der Fall ist, als Giovanni 
d’Alemagna q.m Giovanni begegnen. Auch sind die nordischen Elemente in seiner 
Kunst sicher zu stark, als daß sie ihm nur aus zweiter Hand vermittelt sein könnten. 


ж * 
* 


Geben uns die Urkunden somit auch die Versicherung, daß wir das Heimatland 
Giovannis in deutschen Gauen zu suchen haben, so geben sie uns über die Heimat 
seiner Kunst doch keinen Aufschluß. Daß in der Kunst Giovannis nordische Ele- 


mente vorhanden seien, darüber sind sich alle einig (selbst Lazzarini und Moschetti, 
die ihn im übrigen merkwürdigerweise Schüler des Squarcione sein lassen, nehmen 


399 


an, daß die Kunst seines präsumtiven Vaters ihm Nordisches vermittelt habe). Die 
Frage ist nur, welches Gebiet der deutschen Kunst hat Giovanni hervorgebracht, 
auf welche Kunst in der nordischen Heimat weist das fremde Stilelement seiner 
Werke hin? Diese Frage hat schon früh eine Antwort gefunden: schon Miindler 
(Zahns Jahrbücher für Kunstwissenschaft II, S. 262) hat kölnische Elemente in der 
Kunst Giovannis finden wollen und Köln als seine Heimatstadt angenommen. Diese 
Anschauung ist bis vor kurzem unbestritten herrschend geblieben und noch Lionello 
Venturi (а. а. O., S. 107) hält es für sicher, daß die durch Stefan Lochner weitergebil- 
dete und zu größerer Festigkeit in Form und Farbe gebrachte altkölnische Kunst die 
Grundlage des Schaffens Giovannis gebildet habe. Nur Ludwig hatte sich mit 
dieser Annahme nicht begnügt und als er das 1457/58 errichtete Testament eines 
Johannes de Augspurgo im venezianischen Archiv auffand (Jahrbuch der kénigl. 
preußischen Kunstsammlungen XXIII, Beiheft, S. 56), diesen mit Giovanni d’Ale- 
magna identifiziert. Allein diese Identifikation, die von der Direktion der Accademia 
etwas zu schnell angenommen worden war, wurde hinfällig, als Lazzarini das Todes- 
jahr Giovannis ermittelte. Gegenüber der allgemein geltenden Auffassung, die in 
Giovanni einen Kölner sieht, habe ich versucht, ihn in die Entwicklung der Nürn- 
berger Malerei einzugliedern (vgl.: Das Triptychon der St. Johanniskirche zu Nürn- 
berg, Repertorium für Kunstwissenschaft XXX, 1907, S. 311; Italiänische Einflüsse 
in der deutschen Malerei des 15. Jahrhunderts, Jahrbuch des Freien Deutschen Hoch- 
stifts, Frankfurt a. M. 1908, S. 170; Die Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg, 
Straßburg 1908, S. 114ff., 136ff.). Diese meine These ist neuerdings von Adolfo 
Venturi (Storia dell’arte italiana VII, la pittura del Quattrocento I, Milano 1911, 
S. 313) ohne Einschränkung angenommen worden!). 

Ganz fraglos scheint mir, daß die Werke Giovannis in einem ganz nahen Zusam- 
menhang mit den Werken des Niirnbergers Hans Peurl stehen. Die Frauenge- 
stalten der beiden, die Madonnen des Venezianer Altares und des Padovaner Bildes 
Giovannis, die Heilsbronner Schutzmantel-Madonna (Abb. 9) und die heilige Kuni- 
gunde auf dem Ehenheim-Epitaph in der Lorenzkirche in Niirnberg von Peurl (Abb.: 
Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg, Taf. XVI) zeigen den gleichen Typus mit 
der kurzen geraden Nase, dem kleinen Mund, dem kurzen Kinn, den sinnenden 
Augen mit dem schweren unteren Lid, die Madonnen zeigen die gleiche Gewandung 
mit dem Kopftuch unter der Krone, den gleichen von einer Borde eingefaßten 
blauen Mantel über dem aus Gold und Rot gewirkten Untergewande. Bei dem 
Bambino des Heilsbronner Bildes ist die Übereinstimmung mit den Bambini in 
Venedig und Padua augenscheinlich. Auch die Männergestalten der beiden Meister 
zeigen die gleiche Verwandtschaft, sie haben die gleiche gehaltene, kraftvolle Ruhe, 
die das völlige In-sich- beruhen der Persönlichkeit bedeutet. Im Typus steht der 
heilige Kaiser Heinrich auf Peurls Ehenheim-Epitaph dem heiligen Hieronymus auf 
dem Paradiso Giovannis in San Pantaleone außerordentlich nahe, die Apostel auf der 
Himmelfahrt Mariae des Tucher-Altares (Abb. a. а. O., Taf. XXIV) in der Frauen- 
kirche zu Nürnberg haben ihre nächsten Verwandten unter den Heiligen jenes 
Paradiso (man vergleiche namentlich den heiligen Thomas, der bei der Auferstehung 
rechts im Vordergrunde kniet, im Typus und in der Art der Verkürzung mit dem 
Evangelisten Johannes in der untersten Reihe des Paradiso oder den Apostel rechts 
(1) Venturi schreibt, indem er auf mein Buch verweist: Giovanni d’Alemagna portò a Venezia l’arte 
bavarese, in un grado di sviluppo quale si mostra nella Madonna della Misericordia nella chiesa del 


convento di Heilsbrunn, e in Hans Peurl, autore dell’altare Tucher nella chiesa di Nostra Donna, a 
Norimberga. 


400 


hinter der aufwärts schwebenden Maria mit dem Gottvater Giovannis); vor allem 
aber ist der jugendliche heilige Veit des Tucherschen Altares sehr nah verwandt 
mit dem heiligen Nereus auf dem Teil des Altares in San Zaccaria, in dem wir mit 
Sicherheit die Hand Giovannis erkennen dürfen, verwandt nicht nur in der Empfin- 
dungsweise, der Neigung des Kopfes und dem Herausschauen, sondern nicht minder 
auch im Typus. Auch in der Farbensprache äußert sich die Verwandtschaft der 
Kunst des Nürnbergers und des Venezianers und beide ersetzen, Giovanni auf dem 
Bilde in Padua und dem Altar in San Zaccaria, Peurl auf den Außenseiten des 
Tucher-Altares, wie dies in Nürnberg bereits seit dem Imhof-Meister (Deichsler- 
Altar im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin) angängig war, den Goldgrund durch 
einen Ultramaringrund. 

Nun wäre es das Nächstliegende, anzunehmen, daß Giovanni d’Alemagna aus der 
Nürnberger Schule hervorgegangen sei und daß sich in diesen Übereinstimmungen 
mit der Kunst Peurls der ursprüngliche deutsche Charakter seiner Kunst zeige. 
Diese Konsequenz wollte, wie mir scheint, Adolfo Venturi in den oben angeführten 
Worten aus meinen Feststellungen ziehen. Aber so einfach liegt die Sache doch 
nicht. Auch hier dürfen wir die Chronologie nicht aus dem Auge verlieren. Die 
Werke Peurls gehen den Werken Giovannis nicht vorauf, sondern sind gleichzeitig 
mit ihnen: das Ehenheim-Epitaph ist nach 1438, dem Todesjahr des Plebanus 
Ehenheim, das Heilsbronner Schutzmantelbild nach der von mir gefundenen Ur- 
kunde 1442, der Tucher-Altar nach der Belagerung Nürnbergs und der großen 
Seuche von 1448/49 entstanden (vgl. Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg, S. 100, 
108f., 122—127). Nun ist es aber sicher, das Peurl selbst in Venedig war: auf 
dem kleinen Passionstriptychon der St. Johanniskirche zu Nürnberg malt er die 
Kuppeln und eine Ecke der Vorhalle der Marcuskirche, auf dem gleichen Werke 
bedient er sich in den Heiligeninschriften der italiänischen Sprache (a. a. O., S. 156 
bis 159, Abb. ebenda, Taf. XXVII). Aber auch ihn einfach zum Schüler des Gio- 
vanni zu machen, der den Werken des Lehrers seine Typen entnimmt, geht nicht 
an; denn zu der Zeit, zu der Peurl in Venedig gewesen sein muß, Ende der 30er 
oder spätestens im ersten Anfang der 40 er Jahre des 15. Jahrhunderts, waren die 
Werke Giovannis, auf die die Kunst Peurls hinweist, zum größten Teil noch gar 
nicht geschaffen. Man wird also wohl nicht umhin können, den Grund der tief- 
gehenden Gemeinsamkeit zwischen der Kunst des nach Nürnberg zurückkehrenden 
und des sich in Venedig heimisch machenden Deutschen schon in ihrer Lehrzeit 
zu suchen. Die beiden Künstler oder vielmehr, denn wir dürfen ihnen auch Antonio 
Vivarini zugesellen, die drei: Giovanni, Peurl und Antonio mögen in Venedig die 
Lehre eines Meisters empfangen haben, den wir uns etwa auf der Stilstufe Giam- 
bonos stehend denken dürfen (im Altar von Parenzo weist manches noch auf solche 
Kunstübung hin, auch bei Peurl finden sich solche giamboneske Elemente wie etwa 
in dem Christus der Himmelfahrt Mariae des Tucher-Altares) und sie entwickelten 
ihre Kunst unter dem Einflusse Gentiles und vor allem Pisanellos (Antonios An- 
betung zeigt deutlich Pisanellos Vorbild und Peurls Landschaft auf dem Triptychon 
der St. Johanniskirche in Nürnberg ist unverkennbar pisanellesk). In dieser Zeit 
aber schon mag Giovanni, die künstlerisch stärkste Natur der drei Gleichstrebenden, 
auf die beiden anderen den entscheidenden Einfluß gewonnen haben. Nur so ist 
es zu erklären, daß Antonio Vivarini schon in seinem ersten Werke, das er vor 
seiner Firmenvereinigung (doch vielleicht nicht vor der Werkstattgemeinschaft) mit 
seinem späteren Schwager Giovanni schuf, sich von dessen Typenbildung abhängig 
zeigt, nur so zu erklären, daß Hans Peurl in Nürnberg Gestalten bildete, die in 


401 


Empfindung und Formensprache so völlig denen gleichen, in denen zur selben Zeit 
in Venedig Giovanni die ersten Repräsentanten venezianischer Existenzmalerei ge- 
schaffen hat. 

Aber gleichwohl wäre die innere Wesensgleichheit der Madonnen und Heiligen 
Giovannis und Peurls undenkbar, wenn nicht ihre Kunst in der Wurzel und im 
Wesen eines gewesen wäre: die Kunst beider ist auf dem Boden der Nürnberger 
Malerei erwachsen. Hans Peurl ist Nürnberger; sein Name reiht ihn einer der be- 
kanntesten Nürnberger Künstlerfamilien ein, seine Kunst bedeutet den Abschluß der 
Bestrebungen, die die Nürnberger Malerei in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts 
beherrscht haben. Aber auch wenn wir bei Giovanni durch die italiänische Hülle 
seiner Kunst hindurchdringen, so stoßen wir nicht auf die lyrische Weichheit, den 
mystischen Träumergeist der frühen Kölner, nicht auf die epische Schilderlust, den 
lebendigen Wirklichkeitssinn der Schwaben, sondern auf den strengen, gehaltenen 
Ernst der Nürnberger, deren Malerei im Anfange des 15. Jahrhunderts mit einer 
Ausschließlichkeit, die wir nirgends anderswo treffen, Heiligenmalerei war und deren 
Streben der Beseelung und Monumentalisierung der Einzelgestalt galt. Die großen 
Meister der Frühzeit der Nürnberger Malerei, der Meister des Imhof- Altares und 
der Meister des heiligen Deocarus, haben nicht nur in Peurl, sondern auch in Gio- 
vanni d’Alemagna ihren geistesverwandten Nachfolger gefunden. 


Neuerdings hat Giulio Lorenzetti eine Urkunde aus dem Venetianer Staatsarchiv 
publiziert (Un nuovo documento su Giovanni d’Alemagna? in l'Arte, anno XIII, 
Roma 1910, S. 285f.), nach der am 28. Juli 1417 einem Maler und Kaufmann Jo- 
hannes quondam Johannis de Uphenon Alemanie nach einem Aufenthalt von 15 Jahren 
in der Stadt das venezianische Bürgerrecht verliehen wird. Lorenzetti möchte es 
zur Diskussion stellen, ob es möglich sei, diese Urkunde auf Giovanni d’Alemagna 
zu beziehen. Er identifiziert, sicher mit Recht, Uphenon mit dem Dorfe Uffenheim 
bei Steinach in Franken, das etwa 60 km von Nürnberg entfernt ist, und er ist 
geneigt, das Dokument in Verbindung zu setzen mit meinen stilkritischen Unter- 
suchungen, die Giovanni mit der Nürnberger Malerschule in Zusammenhang ge- 
bracht haben. So willkommen mir eine solche dokumentarische Bestätigung meiner 
stilkritischen Annahme wäre, so kann ich sie in dem Dokumente Lorenzettis nicht 
finden, denn ich halte es für ausgeschlossen, daß es sich auf Giovanni d’Alemagna 
bezieht. Der Maler und Kaufmann, von dem darin die Rede ist, hat sich schon 
1402 in Venedig niedergelassen. Wäre er mit Giovanni d’Alemagna identisch, so 
wäre dieser spätestens ungefähr 1382 geboren, wir hätten von seinem zwanzigsten 
bis zu seinem sechzigsten Jahre kein Zeugnis seiner Kunst oder seines Einflusses 
und erst als Sechzigjähriger wäre er in die Kunstgeschichte eingetreten. Das ist 
so gut wie ausgeschlossen, selbst wenn man mit Lorenzetti an die Möglichkeit 
dächte, daß dieser Giovanni als Jüngling das Malen erlernt, als Mann Handel ge- 
trieben und erst als Greis wieder zu malen begonnen. Dazu kommt, daß Giovanni 
d’Alemagna in die Venezianer Kunst Elemente eingeführt hat, die in der Nürn- 
bergischen erst zwischen 1415 und 1436, aber nicht bereits im 14. Jahrhundert 
ausgebildet wurden. 


Nicht nur in seiner Stiltendenz fügt sich Giovanni der Entwicklung der Nürnberger 
Malerei ein. Nürnberg steht durch seinen Handel in so engen Beziehungen zu Venedig, 
daß sich die venezianische Regierung geradezu rühmen konnte, die Nürnberger 
seien erst durch den Handel mit Venedig „gewissermaßen von nichts zu den größten 


402 


Reichtümern gelangt“. Die Nürnberger Patriziersöhne wurden nach Venedig ge- 
sandt, um dort mit dem Getriebe des Welthandels die feinere Sitte einer höheren 
Kultur zu erlernen. Selbst Gesetze haben die Nürnberger fertig von Venedig über- 
nommen. Die Kunst aber spiegelt die kulturellen Beziehungen wieder. Die Nürn- 
berger Kunst in der. ersten Hälfte des ı5. Jahrhunderts ist nicht zu erklären, ohne 
die Annahme ständigen Einflusses der Kunst Oberitaliens, der Kunst Venedigs. Der 
Meister der Morizkapelle und der Meister des Bamberger Altares haben die Fres- 
kenkunst Oberitaliens gekannt, der Meister des Imhof-Altares und Hans Peurl sind 
in Venedig gewesen. Nürnberg aber hat sich dankbar bewiesen für das, was es 
in der Kunst von Venedig empfangen: es hat Venedig den größten Meister seiner 
Frühzeit geschenkt — Giovanni d’Alemagna. 


403 


DER NIEDERLÄNDISCHE EINFLUSS AUF 
DIE MALEREI TOSKANA -UMBRIENS IM 
QUATTROCENTO VON ca. 1450-1500 


000000000000 000000000000000000000000200000000000000009000000000000000000cg200 Von BERTHOLD HAENDCKE 


bgleich von einer Reihe von Schriftstellern, deutschen wie französischen, der 

niederländische Einfluß auf die Quattrocentomalerei Italiens angedeutet ist, fehlt 
es bis jetzt an einem Versuch, diese Frage für einen einzelnen Bezirk in zusammen- 
hängenderer Weise zu erörtern. Bislang hat, soweit ich sehe, Knapp in seinem Buche 
über „Piero de Cosimo“ am bestimmtesten Folgerungen gezogen, wenn er sagt, „er 
(Cosimo) folgt da jener Strömung in der Florentiner Kunst, welche von der Gold- 
schmiedekunst und Plastik ausgehend (!), beeinflußt von den Niederländern, auf bei- 
nahe übertriebene Feinheit der Detaildurchführung wie auf glänzende Farbtöne ihr 
Augenmerk richtete“. Allerdings nimmt Knapp diese Entwicklung als intensiver erst 
von 1482 an, da er bemerkt: „Sein (Cosimos) Hauptverdienst um die Entwicklung 
der Malerei in Florenz ist es, daß er die malerischen und technischen Errungen- 
schaften der Niederländer studierte, sie sich zu eigen machte und sie der ganzen 
Schule übermittelte. Daß er dies konnte, verdankt er wesentlich dem 1483 in Florenz 
erscheinenden Triptychon des Hugo van der Goes.“ 

Meiner Ansicht nach müssen wir spätestens um etwa 1450 ein aufmerksameres 
Studium der Niederländer in Italien annehmen. 

Wenn wir wesentliche Momente zusammenstellen, die den „niederländischen Ein- 
fluß in Italien betreffen, so wissen wir daß, als Rogier van der Weyden (1449/50) 
nach Italien kam, nicht nur der Markgraf Leonello d’Este von Ferrara, sondern auch 
Cosimo Medici religiöse Bilder und Porträts bestellten. Wir haben ferner davon Kennt- 
nis, daß damals in Florenz eine ganz beträchtliche Anzahl flandrischer Malereien 
vorhanden waren. Nach Müntz „La collection des Medici“ besaß Lorenzo, der 1469 
seinem Vater folgte, allermindestens 7 bis 8 niederländische Gemälde. Die weiteren 
Fragen: Konnten umfangreiche Gemälde niederländischen Ursprungs nach Italien 
kommen, oder lebten in Italien niederländische, französische oder niederdeutsche 
Maler, können wir überall mit „ja“ beantworten? Die Florentiner hatten 1421 Livorno 
den Genuesen abgekauft, und dadurch einen guten Hafen erhalten. Es wurde in 
Florenz eine eigene Marine eingerichtet, so daß man jetzt direkt und vorteilhafter 
nach Flandern handeln konnte. Die Zahl der Agenten und damit die der Bewunderer 
wie Vermittler der flandrischen Malerei wuchs dort seitdem unausgesetzt. Wir 
haben auch mehrfach erwiesen erhalten, dass umfängliche niederländische Gemälde 
nach Florenz verfrachtet worden sind. Am bekanntesten sind die Sendungen der 
Agenten der Medici. Das „jüngste Gericht“ Memlings, jetzt in Danzig, war 1473 
von Angelo Tani!), einem Vertreter der Medici, in Brügge nach Florenz verladen 
worden und Tomaso Portinaris, etwa 1476, bei Hugo van der Goes bestellte Triptychon 
gelangte ja 1482 tatsächlich nach Florenz. Ob das auf der Höhe von Palermo 
1496 gestrandete niederländische Schiff, das auch Gemälde an Bord hatte, z. B. die 
„Madonna von Polizzi“ ursprünglich auch nach Florenz bestimmt war, wissen wir 
nicht; die Wahrscheinlichkeit spricht für Neapel, wohin seit langem französische und 
niederländische Bilder gesandt wurden. Für Gemälde geringeren Umfanges bestand 
stets ein Verkehr zu Lande, auf der alten Handelsstraße durch Frankreich, die in 


(1) Warburg im Jahrb. f. preuß. Kunstsamml. XXIII, р. 247; Crowe und Cavalcaselle, р. 177. Vgl. event. 
Wurzbach, Niederl. Künstlerlexikon; „Memling“, dessen Annahmen ich nicht beipflichten kann. 


404 


Mailand endete. Von etwa 1400 (1399) haben wir zuerst eine bestimmte Nachricht, 
daß ein Illuminist aus Brügge nach Mailand reiste, Jacob Cöne mit zwei Schülern 
und der Pariser Jean Mignot!). Bei der Stellung der niederländisch-französischen 
Miniaturmalerei darf diese Notiz auch für die weitere Zukunft der künstlerischen 
Beziehungen als wertvoll betrachtet werden. Auch die Überlieferung, daß ein nieder- 
ländisierender Franzose (Jean Fouquet?) Papst Eugen, gestorben 1447, porträtiert 
habe?), muß hier ebenso wie der für 1451 festgestellte Aufenthalt eines nieder- 
ländisierenden Malers „Justus dalla magna“ in Genua beachtet werden, der hier in 
Sta. Maria del Castello eine Verkündigung a fresco malte. Seit welcher Zeit in 
Venedig niederländische Maler lebten, ist nicht genau überliefert. Aber wir hören, 
nach Ludwig*), in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts unvergleichlich mehr 
als von deutschen Bildern von Gemälden, die in flämischem Stil gemalt sind (fia- 
mingi, а la flandrese), Da derselbe Autor nachgewiesen hat, daß nach Venedig 
fremde Gemälde nicht eingeführt werden durften, so haben wir in dieser Stadt eine 
ständig wachsende Kolonie niederländischer Maler anzunehmen, weil anfangs des 
16. Jahrhunderts eine „große Anzahl“ flämischer Gemälde in den Häusern und Palästen 
erwähnt wird. Die Tatsache, daß ein Vivarini schon 1473 hier in Öl gemalt hat 
und die Tradition, daß Antonello da Messina in Venedig die Ölmalerei erlernt habe, 
charakterisiert weiterhin die Wertschätzung jener Künstler und die besonders be- 
vorzugte Stellung Venedigs für diese Frage in Italien. 

Diese wird weiterhin noch gestützt durch Ausführungen wie zunächst die Dvo- 
racks‘). Er schreibt in bezug auf Pisanello und Gentile da Fabriano: Dieser Natura- 
lismus ist jedoch weder jener Masaccios noch jener Jan van Eycks. Den Miniaturen 
des Gebetbuches von Chantilly entspricht in den Fresken von Sta. Anastasia das 
Auftauchen der Architekturen hinter einer Berglandschaft, die Darstellung dieser 
Architekturen, die von den Städtebildern des italienischen Trecento so abweicht, die 
Behandlung des Bodens und der Sträucher, die Tierdarstellungen, die bei ihm so 
bewundert wurden, die neu in Italien war, die wir jedoch... an den Werken 
der Brüder von Limburg beobachtet haben. Auch das Kolorit Pisanellos ist weder 
italienisch noch trecentistisch, sondern erinnert an flandrische Arbeiten. Courajod 
führt zu Pisanello aus: sa participation aux doctrines ultramontaines, sa connaissance 
de lart du Nord sont absolument indiscutables’). Dvorack bemerkt dann weiter 
zu Gentile da Fabriano, in Übereinstimmung mit Müntz und Venturi, daß sich die 
neue naturalistische Auffassung in dem Blumenstrauße auf dessen Anbetung der 
heiligen drei Könige von 1423 zeige und meint, daß diese Erfassung der Motive in 
ähnlichen Formen wie bei Pisanello und den Naturalisten des Nordens das ganze 
Gemälde durchdringe. Gentile mag den neuen Stil durch Pisanello, dessen Werke 


(1) Durieu, Les très riches heures, Paris 1904 und Müntz, La Renaissance au temps de Charles VIII, 
p. 467/72, wo die weitere Literatur angegeben ist. 

(2) Durieu, Les Antiquités judaiques et le peintre J. Fouquet, Paris 1908; bzw. Filarete, Trattato ed. 
Oettingen, p. 307. 

(3) Schmarsow, Abh. d. phil.-hist. КІ. d. Kgl. Gesellsch. d. Wissensch. 1904, р. 196, nimmt hier Justus 
von Ravensburg an, der seiner Ansicht nach eine Pilgerfahrt nach Rom gemacht habe und in Genua 
zurückgeblieben sei. Er glaubt niederländischen Einfluß und Beziehungen zu St. Lochner im Engel 
und zu Gentile da Fabriano in der Madonna wahrnehmen zu dürfen. 

(4) Jahrb. f. preuß. Kunsts. XIII, Beiheft, р. 57. 

(5) Jahrb. der Kunsts. d. Allerh. Kaiserhauses XXIV, p. 295. 

(6) Der Hauptmeister der unverkennbar niederländisierenden Miniaturmaler unter Leonello d'Este (1441 
bis 1450) war Giorgio Tedesco (Zorzo de Allamagna). Jahrb. der Kunsts. des Allerh. Kaiserhauses XXI, p. 132. 


405 


mit späteren Malereien Gentiles vielfach übereinstimmen, kennen gelernt haben. 
Gentile fügte dies neue Moment der toskanisch-umbrischen Schule ein. 

Wenn wir nun weiterhin hören, daß Domenico Venezianos Technik in Florenz 
wegen ihres Zusatzes von „Öl“ besonders beachtet wurde, so dürfen wir die Hypo- 
these aufstellen, daß eben wegen jenes Verbotes und wegen der frühzeitigen Be- 
rühmtheit der niederländischen Miniatur- und Tafelmalerei in Venedig — wo Gentile 
da Fabriano im Dogenpalaste malte — das Zentrum des ersten niederländischen 
Einflusses zu suchen ist. Der für unsere Betrachtung älteste Vertreter desselben 
in Florenz scheint Domenico Veneziano gewesen zu sein. Er ist für uns in Florenz 
faßbar seit 1439, wo er in Santa Maria Novella malte und die Farben mit Öl an- 
rieb. Er war aber bereits früher in der Arno-Stadt gewesen, wie der Brief von 
1438 an Medici beweist; ob er aber schon damals die Ölmalerei kannte, wissen 
wir ebensowenig wie wir feststellen können, wann er zuerst Florenz betreten bzw. 
wann er diese Stadt vor 1438 verlassen hat. Der Meister ist 1461 verstorben. 

Wann Domenico Veneziano geboren ist, sind wir nicht in der Lage zu bestimmen. 
Denn „aus der beschränkten Anzahl“ von Kunstwerken, die uns bekannt sind, auf 
eine kurze Lebensdauer zu schließen, dürfte, da wir nicht imstande sind, die ver- 
loren gegangenen Werke einzuschätzen, denn doch recht gewagt sein. Aber stellen 
wir ein paar Zahlen zusammen: Donatello ist 1466 gestorben, Fra Angelico 1455, 
Andrea dell’ Castagno 1457, Paolo Uccello 1475, Domenico Veneziano 1461. Be- 
trachten wir die geringen Unterschiede dieser Zahlen, so können wir eher auf 
Gleichaltrigkeit dieser fünf Künstler schließen, als auf ein Alter Domenico Venezianos, 
das ihn als Schüler der „älteren Florentiner“ erscheinen lassen müßte. Der Brief 
von 1438 erweist Domenico Veneziano als eingehend unterrichtet über die floren- 
tinischen Kunstverhältnisse und die Bezeichnung des Uffizienbildes „Madonna mit 
Heiligen“ enthält in der Inschrift Kenntnis des venetianischen Dialektes. Domenico 
Veneziano muß also schon vor 1438 längere Zeit in Florenz gewohnt haben, und 
ist höchstwahrscheinlich in Venedig herangewachsen. Diese Voraussetzung wird 
auch dadurch gestützt, daß er nach der Angabe Vasaris, die Farben mit Öl nach 
der Manier der van Eyck gemischt habe. Venedig war aber, wie erwähnt, durch 
die Anwesenheit niederländischer bzw. niederländisierender Maler der geeignetste oder 
vielleicht einzige Ort, wo derartiges Wissen etwas quellenmäßiger zu erwerben war. 
Jedenfalls können wir D. Veneziano als Mitstrebenden jener vier Künstler betrachten, 
die auf Erreichung der Wirklichkeitstreue, des „Individuell-charakteristischen“ bei der 
Schilderung der Menschen und Dinge ausgingen. Das erwähnte Madonnenbild in den 
Uffizien läßt die grundsätzliche Übereinstimmung D.Venezianos mit Andrea del Castagno 
und Paolo Uccello darin zunächst wahrnehmen, daß die Dreidimensionalität und die 
Detailwahrheit der Modelle erstrebt wird, und daß das Gemälde, soweit dies noch 
festzustellen möglich, in einer „sonnigen Hellfarbigkeit“ gehalten war. Der Kopf 
der Santa Lucia ruft aber auch die Erinnerung an berühmte Profilköpfe von jungen 
Frauen wach, die den Forschern auf dem Gebiete der italienischen Kunstgeschichte 
schon viel Schmerzen bereitet haben. Ich denke hier natürlich an die Bilder in 
Mailand, London und Berlin, die bald Domenico Veneziano!), bald Piero dei Fran- 
ceschi, Verrocchio, und auch unbestimmt ferraresischen Malern zugewiesen werden. 


(1) Die koloristischen Eigenschaften des Bildes haben nicht zuletzt die Zuteilung an Domenico Vene- 
ziano gestützt. Es sei deshalb hier an einen modernen Maler, an van Gogh erinnert, der ziemlich 
genau dieselbe Aufgabe, die Domenico Veneziano sich gestellt hatte, als Kolorist behandelt hat. Er 
schreibt in seinen Briefen (zitiert nach Waetzold, „Porträt“) 8.23: „ . . nun fange ich an, willkürlich 
zu kolorieren. Ich übertreibe das Blond der Haare, ich nehme Orange, Chrome, mattes Zitronengelb. 


406 


Das Berliner Bild soll archaischer sein als das im Museum Poldo-Pezzoli. Diese 
Bildnisse sollen der Tracht halber etwa 1450—1460 gemalt sein. Bode bemerkt 
hierzu (Jahrbuch für preußische Kunstsammlungen XVIII, р. 587)... „das Bild — 
das er Domenico Veneziano zuweist — ist in Lokalfarben, die durchweg in voller 
Reinheit und Pracht zur Geltung gelangen, gemalt, und zwar durchweg in tempera, 
die aber mittels Lasuren die Wirkung der Ölmalerei erstrebt.“ Aus dieser Tech- 
nik, deren Farben nicht mit Öl angerieben waren, dürfte man meiner Ansicht nach 
keinerlei Schlüsse ziehen, die gegen Domenico Veneziano als Maler gerichtet 
wären; denn der Künstler kann bei der unstreitig ungenauen Kenntnis der nieder- 
ländischen Farbentechnik recht wohl seine Malweise, eben im Streben nach der 
Wirkung van Eyckscher Malereien, variiert haben. Es verbinden sich nach Ansicht 
Bodes Züge der florentinischen und venetianischen Kunst. Diese letzteren können 
sich nur in koloristischen Eigenschaften äußern. Aber sind die anderen Eigenschaften 
wirklich schlechthin „florentinisch“? Auf dem Berliner Gemälde sitzt in Profilhaltung 
nach links ein blondköpfiges junges Mädchen vor einer Steinbrüstung. Der Körper 
hebt sich vom klaren blauen Himmel ab oder besser, er liegt wie eine Medaille in 
ganz flachem Relief auf dem Grunde auf. Kleine, längliche, weiße Wolken beleben 
den blauen Himmel. Die Einzelarbeit geht auf scharfe Detaillierung aus. Davon 
später mehr. Auf Andrea del Castagno (gestorben 1475) soll Domenico Veneziano 
eine Zeitlang, zu Beginn der 50 er Jahre, Einfluß gehabt haben. Vasari berichtet, 
Andrea del Castagno habe im Chor von Santa Maria Nuova Fresken gemalt, und 
zwar in Öl, weil Andrea dem Domenico habe Konkurrenz machen wollen... In der 
„Kreuzigung“ sind die Körper von hellem Licht umfiutet,... die Figuren sind wie 
in atmosphärische Luft gehiillt. Dieser eigentümliche Silberton ist tatsächlich dem 
Domenico Veneziano entlehnt. Das Fresko wird also ungefähr in derselben Zeit 
entstanden sein, wie die untergegangenen Malereien von Santa Maria Nuova!). Im 
„Abendmahl“ Castagnos sind unter unserm Gesichtswinkel die sehr reiche Auszierung 
mit naturgetreu dargestellter Marmorarbeit, die „eigentümliche Tiefe und Leucht- 
kraft“ der Farben, die sorgsame Detailarbeit, zu betonen; auch eine einheitliche 
Lichtquelle ist hier gewonnen. 

Also das Streben der italienischen Maler in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 
tritt hier schon klar und bestimmt heraus. Kann man die Art und Weise, wie die 
Künstler, deren Namen hier gefallen sind, dies zu erreichen versuchen mit der 
einheimischen, wie sie in Masaccios und Donatellos Werken etwa heraustritt, direkt 
vergleichen? Schwerlich. Man konfrontiere nur einmal die Profilbildnisse auf Ma- 
saccios „Kreuzigung“ oder die sogenannte „Caecilie“, auch den „Uzzano“ Donatellos 
mit jenem Kopf Domenicos Venezianos. Das leitende Prinzip ist zweifelsohne 
dasselbe, aber die Formvorstellung ist eine wesentlich andere. Masaccio und Dona- 
tello übersetzen die Natur erheblich naiver in Formgedanken. In Domenico Vene- 
zianos Werk spürt man ein etwas verstandesmäßiges Moment, eben weil der 
Künstler mit sorgfältiger Überlegung Einzelerscheinungen seines Objektes wieder- 
zugeben gewillt ist. Ich möchte hier einem Hinweise Bodes folgen, der, wenn 


Hinter dem Kopf, statt der banalen Zimmerwand, male ich die Unendlichkeit. Ich mache einen ein- 
fachen Hintergrund aus dem reinsten Blau, so stark es die Palette hergibt. So wirkt durch diese ein- 
fache Zusammenstellung der blonde, beleuchtete Kopf auf dem blauen Hintergrunde geheimnisvoll wie 
ein Stern im dunklen Äther“. 

(х) Waldschmidt, A. del Castagno, р. 30 und 32. Ob Thodes Annahme eines Aufenthaltes A. del Castag- 
nos in Venedig wirklich berechtigt ist, wage ich nicht zu erörtern. In Hinblick auf Gentile da Fabriano 
wären diese weiteren Beziehungen von Florenz nach Venedig doppelt wertvoll. 


407 


auch, natürlich etwas bedingt, eine Probe auf dieses Exempel zu machen erlaubt. 
Der Gelehrte sagt (Jahrbuch für preußische Kunstsammlungen), daß der Meister 
von Flemalle, dessen niederländisierender Charakter unter keinen Umständen be- 
zweifelt werden kann, gleichgültig ob man ihn Campin oder anders nennt, in dem 
Berliner Bilde denseiben Nicolo Strozzi porträtiert, den Mino da Fiesole in der 
Büste des Berliner Museums dargestellt habe, und fordert auf, florentinischen und 
niederländischen Realismus ihrer Eigenart nach zu vergleichen. Wir bekommen 
hier, meiner Ansicht nach, nahezu die nämlichen Vergleichsmomente, wie bei einer 
Gegenüberstellung Domenico Venezianos und Masaccios bzw. Donatellos. 


Angesichts dieser im Grunde verschiedenen künstlerischen Bewertung der Einzel- 
züge des Modells und der daraus resultierenden Formgebung muß die traditionelle 
Lehre von der Wechselwirkung zwischen Plastik und Malerei im späteren Quattro- 
cento Toskanas insofern erheblich berichtigt werden, als über den Willen, die Um- 
welt als realistisch schaffende Künstler in Kunstform zu übersetzen, beiden Künstler- 
gruppen, jenen niederländisierenden Malern und den „reinen“ Toskanern nicht mehr 
gar zuviel gemeinsam bleibt, insoweit diese äußere Formenwiedergabe in Frage 
steht. Ich verkenne dabei keineswegs, daß auch der niederländisierende Florentiner 
trotz alledem von Hause aus einer zusammenfassenderen Formgebung geneigt ist. 


Fremd erscheint das Porträtgemälde Domenico Venezianos in Florenz auch des- 
halb, weil dort das gemalte Einzelbildnis, soweit wir urteilen können, etwa 1450/60 
mehr oder weniger ein Novum war. Wenn wir nun die Anordnung des jungen 
Frauenbildnisses vor einer Balustrade und vor einem blauen, leicht bewölkten 
Himmel betrachten; die sorgsame Einzelarbeit, die leuchtende Farbenpracht in den 
Gewändern, den verschmolzenen Farbenauftrag, der die Wirkung der Ölmalerei 
vortäuschen soll, beachten, so werden wir ohne weiteres an die Malerei der Nieder- 
länder erinnert. Erwägen wir ferner, daß um die kritische Zeit die nordischen 
Maler in Italien hoch geschätzt waren, und daß die Niederländer ohne jeden Zweifel 
in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Einzelbildnis nach Qualität und Quan- 
tität wie kein anderes Volk zu bieten befähigt waren, so wird unsere Vermutung, 
in diesem Profilbild Domenico Venezianos vornehmlich allgemeine Lehre der Nieder- 
länder erkennen zu müssen, sehr bestimmt gestärkt. Charakteristisch hinsichtlich 
der Anordnung ist zunächst die Balustrade. Wir finden dies Kompositionsmotiv 
als Balustrade in Porträts wie z. B. in dem Kopf Jan van Eycks „Leal souvenir“ 
(1432), London; in Petrus Christus „St. Eligius“ als Tisch, oder als Fensterbank in 
dem sogenannten Fouquet „L'homme au verre“, Wien, oder als Brüstung mit Um- 
rahmung in religiösen Bildern, wie etwa bei dem Madonnenbilde mit Heiligen von 
R. v. d. Weyden in Frankfurt usw. Die Balustrade (Mauer) wird ferner oft als 
rückwärtiger Abschluß gegen die Landschaft verwendet, so daß die davor stehenden 
Figuren mit dem halben Körper oder auch nur mit dem Kopfe darüber in die blaue Luft 
hinausragen, z. B. „St. Lukas“ von Dirk Bouts bei Lord Penrhyn; in dem Gemälde 
Marmions in Berlin; in dem Stiche des Meisters mit dem Webeschiffchen, Madonna 
in Halbfigur mit Kind, erhalten wir eine vollständige steinerne Einrahmung des 
Bildes und die Fensterbrüstung, auf der das Kind und das Buch, in dem die Ma- 
donna liest, liegt, sowie den Ausblick rechts in die Tiefe und den rückwärtigen 
Ausschnitt mit einem davorgehängten Teppich (etwa 1470, Berlin!). Ahnliche Anord- 


(x) J. A. v. Zwolle, Ein anonymer ital. Stecher und Jac. Bellini. Hind in Mitth, d. Ges. f. verv. Künste, 
Wien 1908, I.; Kristeller, Venezianische Kupferstiche, ebenda 1907 und Lehrs in Zeitschr. f. bild. Kunst 
1890, p. 324; Jahrb. für preuß. Kunsts. XII, р. 125 (Florentiner Kupferstiche). 


408 


nungen finden wir bei Schongauer. Justus van Gent setzt spätestens 1473 den 
Herzog von Urbino in ein Rahmenwerk und die Philosophen im „Studio“ hinter 
eine Brüstung, auf der rechts und links eine abschließende Säule steht usw. Mir 
scheint also, der Gedanke der Einfassung des Bildes durch einen Rahmen wie der 
Abschließung durch eine Balustrade bzw. Fensterbank (Mauer) nordischen Urspungs 
zu sein’), 

Die historischen Tatsachen sprechen zunächst weiterhin dafür, daß das gemalte 
Profilbildnis diesseits der Alpen gefunden ist. Denn die ältesten Miniaturen wie 
Tafelporträts, die König Johanns II. und Karls V. von Frankreich, von etwa 1359 
und 1371, sind in Profilstellung gehalten. Das erste Bild malte Girard d’Orléans, 
letzteres Jean de Bruges. „Der Grund dafür ist lediglich in dem primitiven Stande 
der damaligen Porträtmalerei zu suchen. Wie jede beginnende Kunst richtet auch 
der neue Stil der französischen Miniaturmalerei des 14. Jahrhunderts sein Augen- 
merk zunächst auf die deutliche Profilstellung; denn das Profil bietet ja die vorteil- 
hafteste Grundlage für die Wiedergabe der charakteristischsten Erscheinung eines 
Kopfes?).“ Der Versuch Westendorps an einer anderen Stelle derselben Schrift 
(S. 62), den Italienern in Avignon bzw. in Frankreich (seit etwa 1340) die Erfindung 
dieser Anordnung zuzuweisen, scheint mir nicht recht geglückt; umsoweniger als 
uns „italienische Porträttafeln des 14.Jahrhunderts weder erhalten sind, noch unseres 
Wissens uns Nachrichten von solchen aus literarischen Quellen bekannt geworden 
sind“. 

Ich möchte zunächst mit Dvorack daran festhalten — was Westendorp auch als 
an und für sich möglich erklärt —, daß „die französischen Maler diese Form ebenso 
gut selbst erfunden haben können“ (S. 70). Die künstlerische Qualität der nieder- 
ländisch-französischen Porträts um etwa 1400 (1410) charakterisiert Dvorack®): 
„Wenn wir uns gleichzeitige italienische Bilder vergegenwärtigen, so werden wir 
bald die Entdeckung machen, daß sich die nordfranzösischen Werke von ihnen nicht 
nur durch einen inhaltlich größeren Naturalismus der Darstellung unterscheiden, 
sondern auch durch eine naturalistisch weit fortgeschrittenere Formenwiedergabe. 
Wie schematisch ist das beste italienische Porträt aus dem Trecento mit den beiden 
Bildnissen des Herzogs von Berry verglichen.“ — Erst die Jan van Eycks bzw. 
die Zeitgenossen dieses haben im Wetteifer mit der einheimischen Porträtplastik 
die Dreidimensionalität des Porträtkopfes, d. h. die Dreiviertelstellung eingeführt. 
Wenn wir bei Domenico Veneziano das scharfe Profilbildnis wiederfinden, so könnte 
man, da in Frankreich und in den Niederlanden seit langem nachweisbar das selb- - 
ständige gemalte Porträtbildnis oft geschaffen worden war, in Florenz aber erst 
gegen etwa 1450 etwas häufiger wird, allein schon aus dieser Tatsache ein Ab- 
hängigkeitsverhältnis konstruieren. Ich glaube aber, da die Komposition als solche 
gerade für den Anfang einer Porträtmalerei gegeben ist, auch für Italien. eine, 
wenngleich nicht so starke Tradition, annehmen zu dürfen. Es tritt hinzu, daß die 
Freskobilder in Verona von 1364, die nach Kehrer‘) Fürstenbilder geben sollen, 
alle in das Profil gestellt sind. Das erste beglaubigte Tafelporträt ist aber erst das 


(x) Wenn Mantegna dieses Motiv in frühen Tafelmalereien, wie in seinem Berliner Madonnenbilde 
(etwa 1450) verwendet, so dürfte er nicht ein paduanisches Motiv, sondern mehr als wahrscheinlich 
in diesem mit „heller und leuchtend emailleartig aufgetragenen Farbe“ (Kristeller) gemalten Bilde den 
Niederländern gefolgt sein, die ihm seinem ganzen Wesen nach sympatisch sein mußten. 

(2) K. Westendorp, Die Anfänge der französisch-niederländischen Porträttafel, 1906, p. 14. 

(3) Jahrb. der Kunsts. des Allerh. Kaiserhauses XXIV, p. 268. 

(4) Jahrb. der Kunsts. des Allerh. Kaiserhauses XVII, p. 244f. 


409 


von dem Anonymus des Morelli erwähnte Gemälde Gentiles da Fabriano, auf dem 
der Maler auch die Seitenansicht gewählt hatte. Hier müssen wir auch nochmals 
an Pisanello (gestorben 1456) erinnern. Dvorack hat am a. O. bemerkt: „Es gibt 
noch einen Beweis für die Zusammengehörigkeit Pisanellos mit dem französisch- 
flandrischen Kunstkreise, der vielleicht noch deutlicher spricht, als alles andere. 
Nicht in Italien, wie man einst vermutete, sondern im Zusammenhange mit der 
humanistischen Kultur der nordfranzösischen Höfe, angeregt durch die hier befind- 
lichen... Antiken... sind in Frankreich noch zu Lebzeiten des Herzogs von Berry 
die ersten Medaillen seit der Antike modelliert und in Metall ausgeführt.“ Nun hat 
aber bereits Schlosser!) nachgewiesen, daß durch diese Medaillen des Herzogs von 
Berry Pisanello angeregt wurde, Medaillen zu verfertigen, die auch stilistisch sich 
ihren älteren nordischen Vorbildern anschließen. jedenfalls war die Profilstellung 
durch nordische und antike Einflüsse neu belebt worden in solchen Gegenden, die 
Domenico Veneziano mehr oder weniger vertraut sein mußten. Man kann also 
wohl zweifeln, ob der Künstler einer einheimischen alten Tradition — wie ich 
glaube — oder jener französisch - niederländisch - antiken Auffassung gefolgt ist. — 
Es frägt sich nun weiter, ist der Gedanke, die Figur vor eine Balustrade und vor 
den blauen Himmel zu setzen, Domenico Veneziano zu eigen? Hinsichtlich der 
Balustrade müssen wir bis auf weiteres den Niederländern den Vorrang lassen. 
Und wenn wir das außerordentlich hohe Ansehen erwägen, dessen sich die nieder- 
ländischen Landschaften mit ihrem hohen blauen Himmel und den kleinen weißen 
Wölkchen erfreuten, so dürfte auch hier eine Einwirkung anzunehmen sein, gleich- 
wie in der Detailbehandlung des Stofflichen. Aber Domenico Veneziano hat mit seinen 
offenbar sehr feinen malerischen Instinkten überall das Geeignete herausgenommen 
und letzten Endes mittels dieser Anregungen doch etwas Neues geboten, ein sehr 
schönes, hellbeleuchtetes Profilbildnis, vor einer Balustrade und vor einem leuch- 
tend blauen Himmel, anstatt des überlieferten neutralen Hintergrundes. Domenico 
Veneziano war eben unstreitig ein feinfühliger Maler im engeren Sinne des Wortes. 
Ich meine also, man kann sagen, das Berliner Bild, sei es nun von D. Veneziano 
oder einem anderen Maler, vereinigt (nord)-mittelitalienisches und niederländisches 
Kunstgut. 

Das Bild im Museum Poldo-Pezzoli ist nach demselben Modell wie das Berliner 
Gemälde gemalt; denn die etwas steilere Stirnlinie kann angesichts der übrigen, 
recht genauen Ubereinstimmungen kaum in Betracht kommen. Als Urheber gilt 
Piero dei Franceschi (oder Verrocchio, dafür Berenson, Frizzoni, dagegen Bode), 
d. h. ein Schüler Domenico Venezianos bzw. ein jüngerer Maler als Domenico Vene- 
ziano. Für Piero dei Franceschi mehren sich nun erheblich die niederländischen 
Einflüsse. Witting*) hat sogar versucht, für Piero dei Franceschi eine unmittelbare 
Kenntnis des heute in den Uffizien befindlichen Gemäldes Rogier van der Weydens’) 
„Die Beweinung Christi“ nachzuweisen. Ich will nicht sagen, daß die Ähnlichkeit 
zwischen dem Josef von Arimathia auf dem van der Weydenschen Bilde und dem 
heiligen Sigismund auf dem Malatestafresko in Rimini völlig abzuleugnen ist, aber 
zwingend scheinen mir die Ähnlichkeiten im Munde, Bart und Nase am Ende auch 
nicht zu sein. Andrerseits birgt dieses Fresko Piero dei Franceschis von 1451 in 
vielen Einzelheiten der Zeichnung, der Personen und des Dekors niederländische 


(x) Jahrb. der Kunsts. des Allerh. Kaiserhauses XIII, р. 75f. 
(2) Witting, Piero dei Franceschi, 1898, p. 27. 
(3) Auf die Hasse-Wurzbachsche Hypothese, betreffend Rogier Iund II gehe ich hier absichtlich nicht ein. 


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Stilelemente in sich. Namentlich wird dies Gemälde mit dem Bildnisse des Her- 
zogs Federigo von Urbino und seiner Gemahlin Sforza, jetzt in Florenz — „anche 
prima del 1466“ — von der Hand Piero dei Franceschis zu vergleichen sein. Die 
niederländisierende Art Pieros wird noch wahrscheinlicher gemacht durch das Bild- 
nis desselben Herzogs auf der heiligen Konversation (Mailand, nach Venturi von 
Fra Carnevale), das Corrado Ricci!) sogar Justus van Gent zuteilt, während er die 
„Madonna und Heiligen“ Piero dei Franceschi gibt. „Am meisten jedoch unter- 
scheiden sich“, schreibt Ricci, „von allen übrigen Teilen des Gemäldes die beiden 
Hände der Stifterfigur... Nun war zur Zeit des Piero dei Franceschi der flämi- 
sche Feinmaler Justus van Gent in Urbino tätig. Sollte vielleicht der Herzog Fe- 
derigo oder auch Piero selbst den Niederländer gebeten haben, diesem Teil die 
künstlerische Vollendung zu geben? Denn auf jeden Fall tragen inmitten dieses so 
spezifisch italienischen Gemäldes die zum Gebete zusammengelegten Hände der 
Stifterfigur einen ausgesprochen flämischen Stilcharakter zur Schau.“ Aber sollte 
der Maler Piero dei Franceschi, dessen äußerste Sorgfalt im Porträt Ricci auf jenem 
Doppelbildnisse als „minutiöse Exaktheit (bei) der Detaildurchführung“ ) auf das be- 
stimmteste betont hat, nicht auch dies Bildnis sorgfältig gemalt haben können, als 
Abmaler der Wirklichkeit niederländisierend und als Historienmaler uneingeschränkter 
nach italienischer Art Formbildner? Auf Anregungen Domenico Venezianos wie der 
Niederländer geht m. E. auch Piero dei Franceschis wundervoll fein differenzierte Licht- 
behandlung, die er als Freilichtmaler bietet, zurück. Er übertrifft die feine Hell- 
dunkelmalerei van Eycks und die scharf-helle Lichtmalerei Rogier van der Weydens, 
läßt Domenico Venezianos Versuche zu denselben Zielen weit hinter sich, und 
trotzdem gibt es, wenn wir Piero dei Franceschi in diesem Punkte nicht völlig als 
Autodidakten betrachten wollen, was wir sicher nicht dürfen, nur jene Verbindungs- 
linien; zu irgendeinem Florentiner kann man sie nicht ziehen, auch nicht zu Ma- 
saccio. Schmarsow *) sagt allgemein von Piero dei Franceschi: „Unter den Italienern 
des Quattrocento ist niemand, der den Nachahmungswundern des Jan van Eyck so 
nahe kam, und mit minder geeigneten Mitteln soviel Schimmer der Realität zu er- 
reichen wußte... Ich kenne keinen seiner Landsleute, den der modernste Verismus 
mit solchem Recht als Vorläufer verehren könnte, als Piero dei Franceschi.“ Wie 
sehr damals eine niederländische bzw. niederländisch - italienische Auffassung im 
Porträt in Florenz herrschte, muß uns weiter Piero Pollaiuolo dartun: ,F Gleiche“) 
stilistische Kennzeichen besitzt das überlebensgroße Brustbild — in Dreiviertel-Profil 
nach rechts vor einem Fensterrahmen (etwa 1466) — Auktion Eastlake“. Nach ver- 
wandten Bildern aus dieser Zeit kann es sich nur um ein Bild niederländisierenden 
Charakters handeln. Die Komposition erweist es schon. Ich komme auf den Künstler 
noch zurück und möchte, zeitlich etwas vorgreifend, hier zunächst auf Sandro Botti- 
celli hinweisen. Schmarsow°) hat ein in dieser Hinsicht sehr interessantes Bild 
der Catharina Sforza-Riario in Altenburg von 1481 (also noch vor dem van der 
Goes-Bilde gemalt) nachgewiesen, das er Sandro Botticelli zuweist. In einem drei- 
seitig geöffneten Raum, vorn, rückwärts und links seitlich, steht in scharfer Seiten- 
stellung nach links die als Heilige ausgezierte Dame. Die rechte Hand hat sie auf 
die Fensterbrüstung gelegt, der Kopf hebt sich von dem beschatteten Mauerpfeiler 


(1) Die Galerien Europas, Leipzig, Nr. 288. 

(2) Ebenda, Nr. 324. 

(3) Schmarsow, Melozzo da Forli, 1886, p. 315. 
(4) Ulmann, Jahrb. für preuß. Kunsts. XV, p. 230. 
(5) Publikation der kunsthistor. photogr. Ges. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft то. 31 4її 


ab. — Das Porträt im Innenraum gilt, wie weiter nicht zu beweisen ist, als spe- 
zifisch niederländisch, nicht minder der rückwärtige Ausschnitt mit dem Fernblick 
in die Landschaft. Wenn wir niederländische Bilder weiterhin darauf betrachten, 
wie die Einzelfigur gerne im Raum aufgestellt wird, so werden wir sehr oft die 
Doppelbeleuchtung und die Kontrastierung des hellbeleuchteten Kopfes mit einem 
dunkleren Hintergrunde finden. Ich erinnere z. B. an die „Barbara“ auf dem Dresd- 
ner Altar Jan van Eycks, an die „Madonna“ van Eycks im Louvre, auch, allerdings 
beschränkter, an Rogier van der Weydens „St. Lukas“-Bild in München, an das Bild- 
nis des Petrus-Christus bei Salting, London (etwa 1450) und aus jiingerer Zeit etwa 
an das Bildnis der „Suzanne von Bourbon“, Paris (1497) — auf die Hypothese, die 
den Maler des Bourbons als Ridolpho Ghirlandaio erweisen will, brauche ich wohl 
nicht einzugehen —, das die Tradition bestätigen mag. Jene sorgsamste Einzelbe- 
handlung der älteren Maler wie Piero dei Franceschis, Pollaiuolos usw. ist bei Botti- 
celli weicher geworden, aber die grundsätzliche Verbindung zu jenen niederländi- 
sierenden Malern durchaus klar erkennbar. Ein anderes in diesem Hinblick recht 
wertvolles Bildnis ist das dem Ansuino da Forli zugeteilte Porträt eines jungen 
Mannes in Venedig. Vor einem Fensterrahmen (wie auf dem Botticelli-Bilde), auf 
dessen Brüstung ein verziertes Buch als Rückschieber wie als Beweis der Fein- 
malerei und der perspektivischen Kenntnisse liegt, steht im Profil nach links der 
Kopf eines jungen Mannes vor einem halbzurückgezogenen Vorhang (ähnlich wie 
auf dem Stich des Meisters mit dem Webeschiffchen): also abgeblendeter Hinter- 
grund, doppelte Lichtquelle, rückwärtige Öffnung mit Blick auf Landschaft. Wenn 
das Bild von Ansuino herrührt, so werden wir stark gegen die Mitte des 15. Jahr- 
hunderts gedrängt und nach Venedig, dem Stadtmotiv zufolge, gewiesen. Das Bild 
besitzt unstreitig niederländisierenden Charakter, und ist wegen der verschiedenen 
Benennungen, die es erhalten hat, für uns von besonderem geschichtlichen Werte. 
Denn diese Namengebungen beweisen, als wie weitgreifend die niederländisierende 
Richtung angenommen wird, ohne daß dies allerdings ausgesprochen ist: Crowe 
und Cavalcaselle geben das Bild der umbrisch-ferraresischen Schule, Schmarsow der 
venetianischen und Burckhardt-Bode (9. Ausgabe) Cossa (gestorben 1477). Eine 
sehr interessante Vereinigung des sich hell vom Himmel abhebenden Profilbildnisses 
und des mit dem beschatteten Hintergrund kontrastierenden Kopfes macht ein ganz 
unbestritten niederländisierender Maler zu derselben Zeit, Piero di Cosimo in seinem 
Porträt „Simonetta Vespucci“ in Chantilly. Dies zuerst von Frizzoni Piero di Cosimo 
zugesprochene Bildnis wurde bzw. wird auch Botticelli und Pollaiuolo gegeben. 
Es mag dies wegen der „Familienähnlichkeit“ unter diesen florentinischen Künstlern 
angemerkt sein. Wir werden mit diesem Bildnisse der Simonetta wieder auf Pollaiuolo 
hingewiesen. Es ist nicht weiter zu erörtern, daß Antonio wie Piero Pollaiuolo mit 
der niederländischen Tafelmalerei zusammenhängen. Der Kopf des „jungen Tobias“ 
auf dem Turiner Bilde (1467) oder des „St. Vincentius“ (etwa 1466—1467) auf dem 
Gemälde in den Uffizien wirken, für sich betrachtet, soweit allgemeine Auffassung, 
Zeichnung, Detailbehandlung des Stofflichen, versuchte Farbenwirkung in Frage 
kommen, geradezu wie niederländische Porträtfiguren (vgl. nochmals das Bild auf 
der Auktion Eastlake). Die „Verkündigung“ in Berlin von Piero Pollaiuolo (etwa 
1466) erhärten für diesen Künstler sowohl für die Figuren wie für die Raumbe- 
handlung so eindeutig die Kenntnisse der niederländischen Malerei, daß darüber 
kein Wort weiter zu verlieren ist (vgl. Ulmann, Jahrb. XV, 232). Wenn wir jetzt auch 
einen Blick auf die florentinische Plastik des letzten Viertels des Quattrocento 
werfen, so haben wir die Einwirkung, welche die niederländisierenden Künstler zu 


412 


dieser Stunde auf die Bildhauerei gewinnen, erkannt! — Nicht unerwähnt sollen bei 
dieser Gelegenheit die sehr schlanken, hageren und kleinköpfigen Figuren des Pol- 
laiuolo bleiben. In ihnen erblicken wir, ganz allgemein gesprochen, eher einen nor- 
dischen als einen italienischen Körperbau. Jacob Burckhardt bemerkt, sei weiter 
hinzugefügt, in seinen „Beiträgen zur Kunstgeschichte“ (S. 368) zu den Frauenbildern 
Jan van Eycks im Besitze des Kardinals Octavian und eines „Frauenbades“ von 
Rogier van der Weyden in Genua: „Dies — und wer weiß wie manches Ähnliche, 
das ebenfalls untergegangen ist — war teuer bezahlter Geheimbesitz, und Flandern 
mußte ihn liefern, weil in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts von all den großen 
Italienern, welche des Nackten in soviel höherem Sinne Meister gewesen wären, 
keiner diese vollkommene Feinheit der Ausführung hätte erreichen können... 
Außerdem hatte das Werk des Jan van Eyck auch zeitlich den Vorsprung vor 
allen mythologischen Tafelbildern und Ignudi der Florentiner.“ Da gerade die 
Pollaiuolo sich als Zeichner mit der Feder (als Kupferstecher) für die Ausbildung 
des Aktstudiums, und zwar auch hinsichtlich der Behandlung der Einzelformen aus- 
zeichneten, so dürfte ein indirekter Einfluß niederländisierender Werke auch hier 
anzunehmen sein. Wenn wir in den Arbeiten der Pollaiuolo so stark niederländi- 
sierende Eigentümlichkeiten finden und hören, daß diese Gebrüder die „Kunstrich- 
tung und Technik Baldovinettis“ (Burckhardt - Bode) fortsetzen, der seinerseits auf 
Andrea del Castagno zurückweist, so muß ich sagen, daß ich die mir in seinen 
Tafelbildern als niederländisierend erscheinenden Eigenheiten als Nachahmung nor- 
discher Art anzusprechen den Mut gewinne. Der „Cicerone“ sagt zu Alesso Baldo- 
vinetti: „In allen diesen Gemälden hat im Gegensatze zu den genannten Fresken 
die neue ungewohnte Technik, die Zähigkeit der Firnißfarben auf die Zeichnung 
und Durchbildung der Typen ungünstig eingewirkt, während der Meister die Ge- 
wandung und die mit farbigen Steinen ausgeschmückte Architektur, wie die Bäume 
auf sämtlichen Bildern mit besonderer Vorliebe und Pracht wiedergegeben hat.“ 

Wenn man die Einzelgestalten der sechs thronenden Tugenden in den Uffizien 
von Antonio Pollaiuolo ins Auge faßt, so wird meiner Ansicht nach unmittelbar die 
Erinnerung an Melozzo da Forli (1438—1494) wachgerufen, der durch Piero dei Fran- 
ceschi mit Florenz zusammenhängt, und zwar schon frühe. In Viterbo befindet 
sich ein Christuskopf, den Schmarsow in Melozzos Werk eingereiht hat. Der Ge- 
lehrte bemerkt hierzu (S. 61): „Der Typus erinnert auffallend an den van Eycks... 
Die Hände sind ganz in niederländischem Sinne gezeichnet und ausgeführt mit den 
länglichen Fingern und den feinen Hautrunzeln über den Gelenken. Ebenso wett- 
eifert die Wiedergabe des Goldbrokats, der Perlen und Edelsteine des durchsich- 
tigen Globus mit den staunenswerten Leistungen der flämischen Schule... Die 
Technik gehört... der Schulung des Piero dei Franceschi... Auf Piero weist auch 
der Schnitt der Augen zurück... Dagegen zeigt das schlichte Haar... nicht die ge- 
strähnte Behandlung... die ihm eigentümlich ist, sondern fast venetianische Fein- 
heit und Glätte“. Das Bild müßte etwa 1460 gemalt sein. Dieser niederländisierende 
Einfluß hat sich auch in Melozzos Fresko „Sixtus IV. und Platina“ in Rom noch 
nicht verloren (1477). 

Es bedarf also heute keines Beweises: mehr, wieviel Melozzo da Forli den Nieder- 
ländern verdankt. Bleiben wir in Umbrien. Die frühesten Arbeiten Signorellis, die 
etwa 1480 in Loreto geschaffenen Apostelgestalten in gemalten Nischen — die also 
dem Motiv nach den Pollaiuoloschen und den Melozzoschen Nischenfiguren ent- 
sprechen — lenken unser Auge auf Melozzo hin. Signorelli hängt aber weiterhin 
durch Piero dei Franceschi mit den niederländisierenden Florentinern zusammen, 


413 


„Signorelli!) kam in die Lehre zu Piero... Für die Ausbildung seiner Technik da- 
gegen, für seine tiefgestimmte Färbung und den eigentümlich rauhen Auftrag der 
Eiweißfarben scheint namentlich der Einfluß des Melozzo und vielleicht auch un- 
mittelbar der des Justus van Gent maßgebend gewesen zu sein; mehr als der von 
Florentiner Meistern, wenn er diese auch ohne Zweifel schon jung kennen gelernt 
und studiert hat. Diese Richtung der florentinischen Kunst, d. h. des Stefanos gen. 
Pesellino, Baldovinettis, der Pollaiuoli erhält ihren Abschluß in Andrea del Verroc- 
chio (1435—1488), der, wie Antonio Pollaiuolo, in erster Linie Bronzebildner war 
und dies auch in seinen Gemälden betätigt.“ Unter „diese Richtung“ muß ich nach 
der hier gegebenen Entwicklung die erste niederländisierende Periode der toska- 
nisch-umbrischen Malerei verstehen, die mehr vom Hörensagen als durch unmittel- 
bares Studium die Kunstweise der Niederländer kennen gelernt hatte; denn Privat- 
besitz wird auch damals ein nur sehr bedingt zu verwendendes Studienmaterial ge- 
wesen sein. Verrocchio hat m. E. dieser Richtung etwas ferner gestanden. Er 
nimmt aber den Grundgedanken des Verismus an, auch einzelne Dinge, wie z. B. 
die Anordnung der Figuren vor dem Fenster bzw. vor der Fensterbank mit dem 
seitlichen Ausblick oder der Hintergrundlandschaft an und verfolgt ähnliche Ten- 
denzen in der Einzelarbeit wie im Stofflichen. Parallel mit Sandro Botticelli geht 
der bereits in einem anderen Zusammenhange erwähnte Piero di Cosimo (1439 bis 
1501). Er erhielt seine künstlerische Entwicklung von Cosimo Roselli, der von 
Andrea del Castagno seinen Ausgang nahm. Die erste niederländisierende Richtung 
findet also in Piero di Cosimo ihren Enkelschiiler und zugleich den ersten der 
zweiten niederländisierenden Kiinstierschar. Diese ging vom direkten Studium 
der niederländischen Malereien aus. 

Als Piero di Cosimo von Rom zurückkehrte, fand er das 1482 nach Florenz ge- 
langte Bild des Hugo van der |Goes vor. Von nun an folgt Piero di Cosimo in 
sorgsamster Arbeit diesem Künstler und wird ein hervorragender Verdolmetscher 
niederländischer Kunstauffassung. Aber Piero di Cosimo hatte sich als zweiten 
Lehrer bereits in seiner Jugendzeit Leonardo ausgesucht und wendet sich jetzt 
auch diesem von neuem zu. Leonardo da Vinci spricht, zitiere ich nach Knapp, 
in seinem „Trattato della Pittura“ von (solchen) Reflexlichtern, welche er auch bei 
seinen Bildern fleißig anwendet. Darin ist er, setzt Knapp hinzu, wie Piero di 
Cosimo seinerseits der Schüler der Niederländer. In P.diCosimos Werken erscheint 
zuerst ein über das damalige Florenz hinausdeutender Einfluß in der „Heiligen Mag- 
dalena am Fenster“ (Rom, etwa 1500). Knapp sagt dazu: „Was nun die äußere 
Fassung dieser Halbfigur betrifft, so steht das Bild einzig da in der Kunst von 
Florenz. Wollen wir ähnliches sehen, so müssen wir schon nach Oberitalien gehen. 
Für eine ähnlich genrehafte Behandlung kann ich jedoch nur einen Heiligen in 
Frankfurt, vielleicht von Cossa, anführen. Die weichen, jedoch nicht zu vollen, 
nichts weniger denn weichlichen Formen des Gesichts usw.... das alles weist auf 
Mailand.“ Dieser Hinweis auf Mailand bzw. auf Leonardo ist gerade wegen dieses 
Meisters Beziehungen zu der niederländischen Malweise doppelt berechtigt, wobei auch 
an das von manchen Forschern Leonardo zugewiesene feine weibliche Profilbildnis 
nach links in der „Ambrosiana“ zu Mailand zu erinnern ist, das in der Ausmalung aller 
Einzelheiten das Gedächtnis an die niederländisierenden Florentiner wachruft. Knapp 
fährt dann fort: „Auch an Leonardos „Mona Lisa“ könnte man sich erinnert fühlen.“ 
Wertvoll ist hier besonders der Hinweis auf das Kompositionsmotiv der Mona Lisa, 
das auf die Vorgänger Leonardos, die Niederländer, hindeutet. Piero di Cosimos 
(1) Cicerone, р, 589. 


414 


„Anbetung der Hirten“ in Berlin erweist weiterhin des Meisters Verbindung zu 
den Niederländern und zu Leonardo. 

Ähnliche Bahnen wie Piero di Cosimo zog Domenico Ghirlandaio (1449—1494), 
der unter Einwirkungen von Andrea del Castagno, Alesso Baldovinetti und Verrocchio 
groß geworden, niederländischen Kunstelementen gewissermaßen empfangsbereit 
gegenüberstand. Sein „Hieronymus“ in Ognisanti beweist (1480) klärlich die genaue 
Kenntnis niederländischer Bilder, obwohl das Bild des Hugo van der Goes noch 
nicht in Florenz aufgestellt war. Domenico Ghirlandaios weitere Stellung als Haupt- 
führer der zweiten niederländisierenden Periode zu kennzeichnen, erübrigt sich 
hier, denn seine Gefolgschaft der nordischen Meister ist allseitig anerkannt. Auch 
über Lorenzo di Credi kann in dieser Hinsicht kein Zweifel herrschen. Jetzt dringt 
auch erst jene von den Malern der ersten Periode nur bestimmt angedeutete Neigung 
zur Betonung der Einzelzüge im Modell ganz durch. Bei Domenico Ghirlandaio 
finden wir, sei besonders erwähnt, im Porträt auch das einrahmende Rahmenwerk, 
das Botticelli und der Amico Botticelli besonders ausgebildet hatten, wieder, z. B. 
in dem Tafelbilde mit dem Porträt der G. Tornabuoni Die scharf im Profil ge- 
nommene Halbfigur der jungen Frau vor einem Fensterrahmen, mit den Händen 
auf einer Brüstung, der in die Wand eingeschnittene Rahmen, die nach nieder- 
ländischer Art den Nahraum perspektivisch beherrschenden Kleinwerke, wie Bücher, 
Schmuckstücke, geben alles in allem eine hochinteressante Vereinigung der künst- 
lerischen Aufgaben, die sich die Nordländer und die Italiener bei einer solchen Ge- 
legenheit zu stellen hatten. 


Wann tauchen nun zuerst die Halbfigurenbildnisse in Vorderansicht vor einer 
Landschaft in Florenz bzw. in Italien auf? Wer brachte dies Motiv, die Niederländer 
oder die Italiener? Wenn wir erwägen, daß die Italiener das Profilbild vor blauem 
Himmel allem Anschein nach zuerst geboten haben, und die Porträts des Herzogs 
von Urbino und seiner Gattin vor einer Landschaft von Piero dei Franceschi 
(„anche prima del 1466“) gemalt sind, so scheint Memling zurückstehen zu mtiszen. 
Andrerseits sind diese Bildnisse von jeder künstlerischen Beziehung zur Landschaft 
losgelöst. Die Landschaft ist nicht als ein kompositionell wertvoller Hintergrund 
behandelt, sondern, trotz allen äußeren Reichtums an Motiven, nicht anders als 
irgendeine neutrale Fläche. Die Niederländer hatten aber ihrerseits längst und zu- 
erst die Raumwerte der Landschaft und die Beziehungen dieser zum Menschen in 
bestimmten Grenzen erkannt. Deshalb werden wir ihnen letzten Endes die erste 
Ausbildung dieses Kompositionsmotivs zusprechen müssen, Andrerseits vergesse 
ich nicht, daß Memling, von dem wir, so weit ich sehen kann, die ersten Bildnisse 
in Vorderansicht vor einem landschaftlichen Hintergrund besitzen, über etwas ge- 
nauere Kenntnisse italienischer Bau- und Zierformen verfügt hat. Nimmt man alles 
zusammen, so scheinen, möchte ich noch einmal sagen, die Niederländer zuerst dies 
Kompositionsmotiv ausgearbeitet und nach Italien gebracht zu haben. Der Ver- 
mittler dürfte gerade Memling (geboren etwa 1430) gewesen sein, der bereits sicher 
seit etwa 1471 (nach Warburg) für die Portinari malte und der, wie wir wissen, 
Beziehungen zu florentinischen Familien, als Schüler Rogier van der Weydens auch 
zu anderen Städten, z. B. zu Padua (1470), unterhielt“). Bilder, wie etwa das Früh- 
bild in Berlin, „Alter Mann in Vorderansicht vor einer Brüstung und Landschaft“ 
oder das Bildnis Benedetto Portinaris (1487 in Florenz) könnten in Frage kommen. 
Namentlich das erstere ist deshalb besonders interessant, da es aus einem Florentiner 


(1) Cfr. Anonymus Morelli (jetzt in München). 
415 


Palast stammt!) und event. für Florenz gemalt ist. Leonardo, Piero di Cosimo, Perugino 
arbeiteten dies von den Niederlanden gebotene Motiv entsprechend um und durch. 
Es bleibt bei alledem bestehen, daß diese späten Maler des Quattrocento in Florenz 
wie in Umbrien in der Durchmodellierung der Formen und in der Farbenbehand- 
lung von den Niederländern stark abhängig sind). 

Es bedeutet aber nicht wenig, die Florentiner noch in dieser Zeit als Portritisten 
derartig von den Niederländern beeinflußt zu sehen, wenn man an die Worte denkt, 
die Leo Battista Alberti (1404—1472) über die Bildnismalerei geschrieben hat. Er 
preist sie, weil sie, vielleicht göttlichen Wesens, es nicht nur vermöge, wie man 
von der Freundschaft sagt, abwesende Menschen gegenwärtig, sondern auch die 
Verstorbenen nach Jahrhunderten soviel als lebendig zu machen. 

Von den Beziehungen der Florentiner zu den Niederländern sind auch die Ein- 
wirkungen zu beachten, denen sie als Landschafter unterlagen. In den italienischen 
Bildern seit etwa 1450 — der früheren habe ich einstweilen nicht zu gedenken — 
begegnen wir der Hintergrundlandschaft und der freien, natürlichen Umwelt. Es 
ist bekannt, daß die Niederländer, als erste, Ausblicke in die landschaftliche Um- 
gebung, Hintergrundlandschaften, geboten haben. Es ist deshalb von vornherein 
anzunehmen, daß florentinisch - umbrische Bilder, die dies Motiv anwenden, vom 
Norden beeinflußt sind’). 

Es wird in der Malerei von Florens meines Wissens zuerst von den malenden 
Goldschmieden, wie etwa von Piero Pollaiuolo auf dem Berliner Verkündigungs- 
bilde oder von Verrocchio, etwa auf dem Madonnenbilde in Frankfurt usw. oft ver- 
wendet. Eine geradezu ständig betonte Liebhaberei für dies Motiv besaß Sandro 
Botticelli, ohne der jüngeren Maler wie Domenico Ghirlandaio, Lorenzo di Credi usf., 
die unmittelbar niederländische Bilder nachahmten, weiter zu gedenken. Bei der 
Darstellung der freien, weitausgedehnten Landschaft haben wir aber eine unstreitig 
einheimisch- italienische und eine niederländisierende Richtung zu scheiden. Die 
erstere lernen wir, von Masaccio sehe ich als zu sehr für sich stehend hier ab, 
am besten in Malereien, wie etwa Benozzo Gozzolis, Buonfiglis, oder in den Hinter- 
grundbildern zu Piero dei Franceschis Porträt des Montefeltre und seiner Gemahlin 
kennen. Diese Landschaften sind mehr oder weniger ohne sicher führende Linien 
aufgebaut oder sehen aus wie Landkarten in Vogelperspektive, wie topographische 
Aufnahmen. In den Gemälden Antonio Pollaiuolos erkennen wir die niederländi- 
sche Hintergrundslandschaft, die perspektivische Anordnung der natürlichen Umwelt 
vom erhöhten Standpunkt, leicht geschwungene, umrahmende und begrenzende Berg- 
linien, Flüsse, die in die Tiefe des Raumes sich erstrecken. Ähnliche Wege geht 
Melozzo da Forli. Sein Hauptwerk auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei ist 
uns in dem „Einzuge Christi“ erhalten, den er 1478 in Loreto malte. Melozzos 
Biograph Schmarsow bemerkt hierzu: „Die Landschaft... das ist allerdings in 
mancher Hinsicht eine Konsequenz seiner realistischen Darstellung des Raumes, 
und insofern aus seinen persönlichen Neigungen erklärbar, aber da es vereinzelt 
bleibt wie ein einmaliger Versuch doch gewiß auf flämische Anregung zurück- 


(x) Bode im Jahrb. für preuß. Kunste. XVII. 

(2) Bender, Über farbige Komposition, 1911, bemerkt allgemein: Niederländische Ölbilder gelangen in 
der Mitte dieses Jahrhunderts (etwa 1450) nach Florenz. Die Brillanz der Farbengebung, die dem 
Tempera so weit überlegene Öltechnik finden Bewunderung und man sucht der dekorativen Erschei- 
nung jener Vorbilder gleichzukommen. Freilich, das beste lernten die Florentiner von ihren nordischen 
Kollegen nicht: das Geheimnis, durch Kontrastierung der Buntwerte räumliche Illusionen zu schaffen. 
(3) Vgl. auch dazu Griesebach, Monatsh. für Kunstw. 1912. Er behauptet, „daß von den niederländi- 
schen Bildern auch das Hineinführen in eine zurückliegende Landschaft ausging“. 


416 


zuführen“. Phantastisch schroffe Abhänge und die sich kulissenartig allmählich in 
den Hintergrund schiebende Bodenwellen, die fein belaubten, schlanken, einzel- 
stehende Bäume, sowie die peinlich sorgsame Einzelbehandlung niederländischer 
Landschaften, treffen wir z. B. auf einem Frühbilde Fra Filippo Lippis (gestorben 
1469) in München, „Christus erscheint seiner Mutter“ an. Ich erinnere hier beson- 
ders und allgemein an Michelangelos Worte tiber die niederländische Landschafts- 
malerei. Er hob als dieser vornehmlich eigen hervor: „in der Regel sind es dünne 
Zweige, altes Gemäuer, Felder mit grünen Bäumen, Flüsse, Brücken und viele 
Figuren darin, eben was man Landschaft nennt.“ Trotz dieser offenbaren Anlehnung 
der Maler von Florenz-Umbrien an die niederländische Landschaftsmalerei, sowohl 
die der ersten wie der zweiten Kategorie bleiben Beobachtungen, wie sie Rosen!) 
gemacht hat, durchaus zu Recht bestehen. Ein selbständiges Einzelstudium kann 
wohl mit Anregungen prinzipieller Art von außen her Hand in Hand gehen. Die 
Florentiner verarbeiteten eben hier die niederländischen Kunstwerte, gleich denen, 
die sie aus der Antike genommen hatten. Auf jenem Bilde Filippo Lippis begeg- 
nen wir stark ausgearbeitet einem landschaftlichen Motiv, das wir überall finden, 
wohin niederländischer Einfluß gedrungen ist, den hochstrebenden, zierlich sich vom 
hellen Himmel abhebenden jungen, schwach belaubten Bäumen. Ganz besonders 
haben die Maler der klar beleuchteten Bergwelt Umbriens, Perugino (seine „Früh- 
lingsbäume“ und „Schwarzpappel“) und Pinturrichio, sich dieser und anderer land- 
schaftlicher Einzelheiten der niederländischen Malerei, die ihnen ja indirekt durch 
Piero dei Franceschi und direkt durch Justus van Gent bekannt geworden waren, 
bedient. In Giovanni Santis Malereien, bemerkt Walter Bombe, sind „allgemein 
flandrische Einflüsse namentlich in der Frühzeit auf das deutlichste wahrnehmbar“ 
(Mitteilungen des kunsthistorischen Instituts in Florenz 1911, р. 126). 


Wie bei der Beherrschung des Außenraumes, so hat die niederländische Malerei 
die florentinisch-umbrische auch bei der Anordnung des Innenraumes geführt. Es 
ist bekannt, daß die Niederländer gern mehrere Räume neben- oder hintereinander 
anordnen und den Nahraum sorgfältigst ausmalen. Von den Werken der nieder- 
ländisierenden Florentiner der ersten Zeit sei etwa an Fra Filippo Lippis „Wochen- 
stube“ von 1452 in Pitti erinnert, die namentlich im Zusammenhange mit der Land- 
schaft und deren Einzelbehandlung auf dem Münchener Frühbilde an niederländi- 
sche Vorbilder denken läßt. Ich betone deshalb diesen Zusammenhang beider 
Bilder, weil ja auch in der späteren italienischen Trecentomalerei verbundene Innen- 
räume dargestellt werden und die sehr einfache Anlage auf dem Lippischen Bilde 
eher an diese als an die gewöhnlich perspektivisch verschobene Anordnung der 
Räume erinnert. Immerhin glaube ich in Hinblick auf die Behandlung der Raum- 
ausstattung und in Erinnerung an die Verwertung der niederländischen Landschafts- 
bilder auch in diesem Falle derartige Beziehungen annehmen zu dürfen. Noch 
früher wäre nach Milanesi-Venturi Sasettas Altarbild in Assiano (Kollegiata) zu 
datieren; dann möchte ich Piero dei Franceschis „Madonna“ in Sinigaglia (angeb- 
lich vor 1475) genannt, und von neuem Piero Pollaiuolos „Verkündigung“ in Berlin 
erwähnt haben. Wenn man die Innenräume auf den Bildern des soeben wieder- 
erwähnten Malers betrachtet, und ähnliche Malereien bis zu Ghirlandaios Fresken 
überschaut, so scheint es mir ferner gerechtfertigt, zu sagen, daß die Bewältigung 
des Nahraumes, soweit die Einzeldurcharbeitung der Motive in Frage kommt, als 
mit Beihilfe der Niederländer geschehen, anzunehmen ist. — Als ein neues Moment 


(х) Rosen, Die Natur in der Kunst, 1903. 


417 


bei der Ausgestaltung der florentinisch-umbrischen Gebärdensprache gegen den 
Schluß des ı5. Jahrhunderts wird gern des zierlich abgestreckten und geknickten 
kleinen Fingers wie der Betonung der Gelenke gedacht. Es ist nicht zu leugnen, 
daß die Trecentomalerei in Italien das erste Motiv bereits kannte, aber auch nicht, 
daß es völlig wieder verschwand, bis in die Zeit der „malenden Goldschmiede“. 
Untersucht man aber die Gemälde der alten Niederländer und, sei noch hinzuge- 
fügt, etwa die Stiche Martin Schongauers daraufhin, so bemerken wir häufiger diese 
zierliche Finger- und auch die etwas präziöse Handhaltung. Ich glaube, daß die 
Florentiner und die Umbrier auch in diesem Falle Erinnerungsbildern an nordische 
Arbeiten folgten. Die stark heraustretenden Gelenke sind eine körperliche Eigen- 
tümlichkeit der im Norden, nicht der im Süden Europas geborenen Menschen. Im 
Zusammenhange mit dem hier Gesagten kann das Ursprungsland dieser für Toskana- 
Umbrien tatsächlich hervorzuhebenden Eigenheiten nicht weiter in Zweifel stehen. 

Da ich weiß, wie oft die Grenzen der Berührungen zwischen den niederländi- 
schen und italienischen Kunstländern ineinanderverlaufen, wie manches scheinbar 
entlehnte Kunstgut ohne Kenntnis des anderen erworben sein kann, so möchte ich 
nicht weiter in Einzelheiten eintreten. Die Behandlung der vorliegenden Frage 
kann nur eine in allgemeinen Erörterungen gehaltene sein. Zur Stützung meiner 
Ausführungen möchte ich aber auf Worte hinweisen, die Schmarsow bereits 1886 
zu Melozzo da Forli schrieb. Er weist hin auf Justus van Gent, auf deutsche Kunst- 
blätter, auf welche die unleugbare Verwandtschaft der umbrischen Darstellungs- 
weise zurückgeführt werden müsse, auf die Madonna von Einsiedein des Meisters 
E. S. 1466, auf den starken Einfluß Schongauers auf Peruginos Empfindung und 
Komposition, und auf dessen Gewandmotive (bis hinein in die Schulübungen Raffaels 
im Skizzenbuch zu Venedig). — 

Wenn ich mit kurzen Worten den Umfang des niederländischen Einflusses auf die 
italienischen Schulen von Neapel!) bzw. Palermo bis nach Mailand, überall liegen die 
Verhältnisse ähnlich wie in Toskana-Umbrien, kennzeichnen soll, so sage ich, daß seit 
etwa der Mitte des ı5. Jahrhunderts die Tafelmalerei unter ständig wachsendem 
niederländischem Einfluß gestanden hat. Erst allmählich vollzieht sich die Be- 
freiung von dieser Abhängigkeit. Gerade Schüler des Malers, dessen „Ruhm in 
der Vermittlung zwischen niederländischer Farbengebung und florentinischer Form- 
kraft“ besteht (Knapp), Piero di Cosimos, sind besonders starke Helfer, wie Fra 
Bartolomaeo, Mariotto Albertinelli, Andrea del Sarto, Franciabigio; aber erst Michel- 
angelo zerbricht bewußt jedes Bindeglied und führt zu den Bahnen Masaccios und 
Donatellos zurück. Er sah wieder aufs Ganze. Der erzieherische Wert dieses 
niederländischen Einflusses bestand für die florentinische Kunst in dem verdoppelten 
Zwange, die Umwelt mit peinlich sorgsam untersuchenden Augen zu betrachten 
und in der Möglichkeit, die gewonnenen Ergebnisse als Künstler technisch bewäl- 
tigen zu können. Die Wichtigkeit einer solchen Betrachtung in der Entwicklung 
der Malerschule von Toskana - Umbrien seit etwa 1450 bis 1500 erhellt aber be- 
sonders, wenn man sich klar macht, daß der Tafelmaler von dem Freskisten und dem 
Kupferstecher keineswegs unbedingt getrennt werden kann. Es verdient auch vor 
allem Beachtung, daß es sich, von ganz seltenen Fällen einer direkten Kopie ab- 
gesehen, um eine prinzipielle Angliederung an die niederländische Kunstauffassung, 
um eine Erfassung der Kunstwerte der niederländischen Malerei in ihrer Gesamt- 
heit handelt. Deshalb ist auch anderseits der künstlerischen Persönlichkeit eine 
weite Freiheit geblieben. Es ist weiterhin gestattet, einen Blick auf die Bildwerke 


(x) Cfr. Frizzoni, Arte ital. del rinascimento 1891, p. 7; G. Rohlfs Geschichte der Malerei von Neapel, 1921. 
418 


zu werfen, welche Maler dieser Richtung geschaffen haben, etwa auf das „Sixtus- 
Grabmal“ von Antonio Pollaiuolo oder auf Verrocchios „Thomasgruppe“, von der 
gesagt ist, daß der Betrachter „staunen wird über das außerordentlich treue und 
liebevolle Studium bis in die kleinste Falte, bis in die reichen Säume der Gewänder, 
die nur noch durch die Durchbildung der Figuren übertroffen wird.“ Die bewun- 
derungswürdige Naturwahrheit bei der Darstellung nackter Gestalten erhält ange- 
sichts des David ihr Lob (Burckhardt-Bode)!). 

Zum Schluß erinnere ich an Michelangelos bekanntes Wort über die niederlän- 
dische Malerei. Die vlämische Malerei, sagt er, gefällt allen Frommen besser als die 
italienische. Diese läßt sie niemals Tränen vergießen, jene sie überreichlich weinen 
und dies ist nicht etwa die Folge der Kraft und des Verdienstes der Malerei, 
sondern einfach der großen Empfindlichkeit der Frommen. Die vlämische Malerei 
gefällt den Frauen, insbesondere den älteren und den ganz jungen, ebenso den 
Mönchen, den Religiösen und allen Vornehmen, die nicht empfänglich sind für die 
wahre Harmonie. In Flandern malt man besonders, um die äußere Erscheinung 
vorzutäuschen, sei es die Gegenstände, die Euch entzücken oder die Vorwürfe, 
von denen nichts übles gesagt werden kann, die Heiligen und Propheten. In der 
Regel... aber was man Landschaft nennt und darin viele Figuren. Obwohl dies 
einen guten Eindruck auf die Augen macht, liegt darin tatsächlich weder Kunst 
noch Vernunft; es ist keine Symmetrie, kein Verhältnis darin, es waltet nicht die 
Auswahl, es herrscht keine Größe, mit einem Wort: diese Malerei ist ohne Saft 
und Kraft... sie will soviel Dinge vollendet geben, von denen eines seiner Wich- 
tigkeit halber genügen würde, um alle Kräfte anzuspannen. Einzig die Werke, die 
man in Italien lieferte, verdienen die Bezeichnung als Malereien (zit. nach Müntz). 

Mit diesen Ausführungen hat Michelangelo die wesentlichen Unterschiede bei 
der künstlerischen Erfassung der Vorwürfe klargestellt und zugleich den allgemein 
bestimmenden Grund des immer stärker andrängenden niederländischen Einflusses 
in der toskanisch-umbrischen Malerei bloßgelegt. Es muß heute ständig mehr anerkannt 
werden, daß die Schicht der Humanisten in Florenz und Umbrien nur eine recht 
dünne gewesen ist, und daß die weitaus überwiegende Masse der Bevölkerung gut 
mittelalterlich-religiòs gesonnen geblieben war. Ganz besonders in Umbrien. Die 
Revolution der Religiösen in Florenz unter Führung der Frauen und Mönche, die 
schließlich durch Savanarolas Eingreifen ausbrach, ist am Ende weiter nichts als 
eine Reaktion der christlich - religiös fühlenden Bürgerschaft gegen die politisch- 
humanistische Machtstellung der Medici. Über Umbriens ständig stark religiöse 
Tendenzen brauche ich kein Wort zu verlieren. Ebenso klar ist es, warum nur 
in Rom die letzte Entwicklung der im eigentlichen Sinne italienischen Kunst statt- 
finden konnte; denn nur hier vermochte eine wahrhafte Weltbürgerlichkeit eine 
kurze Weile alle und alles zu durchdringen. 

Ich fasse mich dahin zusammen, daß man ohne Übertreibung sagen darf, bei der 
kunsthistorischen Entwicklung der fiorentinisch-umbrischen Schule von etwa 1450 
bis 1500 muß neben der Brancaccikapelle, der Antike und den Goldschmiedewerk- 
stätten, wesentlich bestimmter als es bisher geschieht, die niederländische Malerschule 
berücksichtigt werden. Ich bereite über diese These eine umfassendere Arbeit vor. 


(х) Nur um einen etwas weiteren Ausblick zu geben, sei an die Worte des „Cicerone“, p. 424 über 
A. Rizzos aus Verona Adam- und Evastatuen (1462) an der Porta della Carta in Venedig erinnert: 
Um so beachtenswerter sind die sublimen Leistungen der venetianischen Plastik... „Eva erinnert in 
ihrem höchst achtungswerten, aber wenig ansprechenden Naturalismus auffallend an die nordische Kunst, 
namentlich an die Eva des Genter Altarbildes der Brüder van Eyck“ (cfr. die Frauenbilder van Eycks usw.). 


419 


DIE MADONNA DI FOLIGNO 
RAFFAELS DEUTUNG DER FLECKEN AUF DER MOND- 
SCHEIBE Von H. H. KRITZINGER 


Mit vier Abbildungen auf drei Tafeln MTTTTTITITITITILITITITITITITITILITITILITITITI LITT e eee 


aß die große helle Scheibe, welche sich auf Raffaels Gemälde, Madonna di 
Foligno, hinter der Gestalt der Maria mit dem Kinde befindet, den Mond dar- 
stellen soll, ist eine Auffassung, die unter Laien auf dem Gebiete der Kunstge- 
schichte weit mehr verbreitet ist als unter Fachleuten. Es handelt sich wohl um 
ein Grenzgebiet der Malerei und Astronomie, und aus diesem Grunde interessierte 
mich dies Bild seit längerer Zeit. Vielleicht hat die Vertrautheit mit der Flecken- 
verteilung auf unserem Trabanten dazu beigetragen, daß ich schließlich zu der 
Überzeugung gelangte: 
In der Madonna di Foligno hat Raffael die auf der Mondscheibe 
gegebene Verteilung heller und dunkler Flecke künstlerisch ge- 
deutet. 
In folgendem möchte ich kurz die Entstehung dieser Auffassung schildern. 

Es fiel mir eines Tages auf, daß die Scheibe, die den eigentlichen Hintergrund 
für die Madonna bildet, wenn man gänzlich von dem Sinn der darauf befindlichen 
„Flecke“ absieht, ebenso wie der Mond unten in der Mitte einen auffallend hellen 
Fleck zeigt, von dem ein großes Strahlensystem ausgeht. Auf dem Begleiter 
unserer Erde ist dieses „Strahlensystem des Kraters Tycho“ auch mit unbewafl- 
netem Auge bei Vollmond, namentlich wenn er tief steht und nicht zu sehr blen- 
det, leicht zu erkennen. Anfangs wurde diesem Parallelismus keine große Bedeu- 
tung beigelegt, als sich jedoch weitere Ähnlichkeiten zeigten, wurde ich stutzig: 
Drei bestimmte Mondmeere — wir werden sogleich sehen welche — tauchten auch 
auf dem Raffaelischen Gemälde unverkennbar auf. 

Es läßt sich an dieser Stelle eine kleine Abschweifung in das Gebiet der Seleno- 
graphie nicht umgehen, um die Mondflecke kurz und eindeutig zu bezeichnen. Auf 
unserer ersten Abbildung, die das enthält, was für das freie Auge auf der Mond- 
scheibe ohne Mühe erkennbar ist, sind den Meeren die in der Astronomie üblichen 
Namen eingeschrieben. Um die Zuverlässigkeit der Lage und Größe der Flecke 
zu gewährleisten, sind diese nicht direkt nach meinen Skizzen eingetragen, sondern 
Herr Porträtmaler Martin Faber hat auf meinen Wunsch eine Photographie 
des Mondes zugrunde gelegt, die Herr Geheimrat Miethe in sehr dankenswerter 
Weise für diese Untersuchung zur Verfügung gestellt hatte. Herr Faber hat sich 
übrigens noch besonders davon überzeugt, daß die vorliegende Zeichnung der Voll- 
mondscheibe auch tatsächlich dem Augenschein entspricht. Wichtig ist übrigens 
der Umstand, daß die Lage der Mondflecke in bezug auf die uns zugekehrte Mitte 
der Scheibe nicht stets die gleiche wie auf unserer Zeichnung ist, sondern daß 
infolge der sogenannten „Libration“ merkliche Verschiebungen auftreten, die jedoch 
höchstens 11!/,° erreichen!). 

Nach diesem kleinen Exkurs soll jetzt die Vergleichung der Flecke genauer 
durchgeführt werden. Dabei ist von vornherein zu bemerken, daß der Künstler aus 
einem Grunde, der sich später ergeben wird, die Flecke gegen ihre wahre Ge- 
stalt in seitlicher Richtung zusammengedrängt hat. Deswegen ist auf der Über- 


(1) Allgemeinverständliche Auskunft in diesen Fragen gibt 2. В. Nr. до der Teubnerschen Sammlung 
„Aus Natur und Geisteswelt“ (1906): „Der Mond“ von Professor Franz, Breslau. 


420 


sichtszeichnung, in welche die Konturen des Bildes den Mondflecken gemäß einge- 
tragen sind, alles stark in die Breite gezogen. Dieser, wie auch der dritten 
Zeichnung liegen Skizzen von mir zugrunde, nach denen Herr Faber gearbeitet hat, 

Zunächst fällt es auf, daß auf dem Bild die dunklen Flecke auf der linken 
Seite im Vergleich zur rechten überwiegen. Das gleiche ist bei den Mondflecken 
der Fall. Daß der helle Fleck auf dem linken Knie der Maria und die davon aus- 
gehenden Lichtstreifen dem Krater Tycho und seinem Strahlensystem entsprechen, 
wurde bereits erwähnt. Eine parallele Fleckenverteilung finden wir auch rechts oben 
im Bild: Der dunkle Teil des Mantels neben der linken Gesichtshälfte Marias und die 
Locken des Kindes = Mare serenitatis. Das Haar des Kindes ist dort etwas heller, 
so daß die folgende dunkle Partie des Mantels an der linken Schulter bis zur rech- 
ten Hand von der vorhergehenden einigermaßen getrennt ist — Mare tranquillitatis. 
Die helle Gegend zwischen dem Mare tranquillitatis und dem Mare foecunditatis 
ist auf dem Bilde durch die rechte Hand des Kindes markiert. Der kleine drei- 
ekige Abschnitt des Mantels unter der rechten Hand neben dem linken Unterarm 
vertritt das eben erwähnte Mare foecunditatis. Wer den Mond genauer daraufhin 
ansieht, wird die blasse Färbung dieses Meeres bei Vollmond bestätigen, wodurch 
die starke Verkleinerung desselben auf dem Gemälde gerechtfertigt erscheint. 
Das Mare nectaris wird durch die dunkle Partie am linken Arm und das Tuch ver- 
treten, welches Maria um den Leib des Kindes geschlungen hat. Dessen Beine 
machen den hellsten Teil des Bildes aus, und das gleiche gilt von dem betreffen- 
den Abschnitt der Mondscheibe. Daß neben dem linken Bein noch ein dunkler 
Streifen des Mantels entlang läuft, ist offenbar aus Symmetriegründen geschehen, 
um die künstlerische Wirkung des Gemäldes nicht zu beeinträchtigen. Man wird 
vielleicht fragen, wo das Mare crisium auf dem Bilde geblieben ist. Hier zeigt 
eine genauere Beobachtung, daß es zwar auf dem „jungen“ Monde noch gut er- 
kennbar ist, aber später infolge einer bekannten Überstrahlungserscheinung stark 
verblaßt. 

Auch auf der linken Hälfte des Bildes, also auf der rechten Seite Marias, be- 
stehen weitere Analogien, die aber weniger augenfällig sind. So entspricht z. B. 
der Schatten am Halse Mariae dem vorspringenden Teil des Mare imbrium und 
die helle Gegend über dem rechten Ellenbogengelenk dem Ringwall Copernicus 
und seiner hellen Umgebung. 

Die Auseinanderzerrung des Bildes bei der konformen Abbildung auf den Mond 
hat, wie der Augenschein lehrt, offenbar nach einem bestimmten Prinzip statt- 
gefunden. Ein paar Messungen ließen deutlich erkennen, daß Raffael nach dem 
Gebrauch der damaligen Zeit der Kreisform eine Ellipse vorgezogen hatte, 
deren Achsen den beiden Abschnitten einer nach dem Goldenen Schnitt!) ge- 
teilten Strecke entsprechen. 

Um diese Auffassung zu prüfen, sind die Mondflecke von unserer ersten Zeich- 
nung konform auf eine solche Ellipse abgebildet und dann direkt die Konturen des 
Madonnenbildes darauf kopiert. Die erreichte Koinzidenz der Flecke ist so weit- 
gehend, als man überhaupt wünschen kann. Denn man muß einerseits den Ein- 
fluß der Libration in Betracht ziehen, und andrerseits dem Künstler doch wenig- 
stens einen kleinen Spielraum gönnen. Dieser kommt in den unwesentlichen kleinen 
Abweichungen zutage, die sich zwischen den Zeichnungen drei und vier bemerkbar 


(1) Eine Strecke nach dem Goldenen Schnitt teilen, heißt einen Punkt auf ihr so bestimmen, daß die 
ganze Strecke zum größeren Abschnitt sich verhält, wie dieser zum kleineren. 


421 


machen. Überdies ist ja der Maßstab nur in seitlicher Richtung verändert worden; 
sonst ist einfach angenommen, daß die Photographie des Mondes und die des Ge- 
mäldes unmittelbar zusammen passen. 

Damit wäre in den wichtigsten Punkten geschildert, wie sich bei mir die Auf- 
fassung, daß Raffael in seiner Madonna di Foligno eine Deutung der Mondflecke 
geben wollte, allmählich entwickelt hat. Es handelt sich nun darum, diese auf 
ihre Wahrscheinlichkeit vom kunsthistorischen Standpunkt aus zu prüfen. Dabei 
muß ich mich natürlich auf das beschränken, was mir am wichtigsten zu sein 
scheint. Die genauere Untersuchung bleibt Aufgabe eines Fachmanns auf kunst- 
historischem Gebiet. 

Was die Geschichte des Bildes rein äußerlich betrifft, so ist zu bemerken, daß 
Raffael es im Auftrage von Sigismondo di Conti, dessen häßliches Gesicht sich 
rechts unten auf dem Bilde findet, um 15 10, wohl nicht nach 1512 auf Holz gemalt 
hat. Den Zugang zu weiteren Quellen erleichterte besonders Gronaus Werk’). 
Unter diesen ist M. Faloci-Pulignanis Arbeit?) über „Vita di Sigismondo de 
Comitibus scritta dall’Abbate Mengozzi“ wohl die umfangreichste. Der hier in 
Frage kommende Abschnitt XXXI bietet jedoch nichts, was direkt mein Thema 
anlangt. Das Bild war ursprünglich in der Kirche Arcaéli zu Rom aufgestellt, wurde 
dann nach Foligno gebracht und von dort durch die Franzosen entführt. 1802 über- 
trug es Hacquin von Holz auf Leinwand. 1815 wurde es zurückgegeben und be- 
findet sich gegenwärtig im Vatikan. 

Über den Sinn des Bildes ist man sich im allgemeinen einig, wenn auch nicht 
aufgeklärt ist, ob die Bombe über der Stadt Foligno im Hintergrund ein wirkliches 
Geschoß (man schließt daraus*), daß das Gemälde aus Dankbarkeit für Errettung 
aus Kriegsgefahr gestiftet sei) oder ein Meteor vorstellt Das ist jedoch hier un- 
wichtig, wenn es auch nicht übergangen werden durfte, weil man damit rechnen 
muß, daß damals Meteore für Auswürfe der Mondvulkane gehalten wurden. Eben- 
sowenig wird es von Bedeutung sein, daß der Hintergrund wahrscheinlich nicht 
von Raffael selbst herstammt. Daß zwischen der Darstellung Marias mit dem 
Christkind und den Mondflecken eine Beziehung bestehe, darüber habe ich nirgends 
die leiseste Andeutung gefunden. Deswegen achtete ich besonders auf solche Be- 
merkungen, in denen die Autoren erwähnen, was ihnen an dem Bilde besonders 
aufgefallen ist. Vom psychoanalytischen Standpunkt aus könnte man das viel- 
leicht als einen leisen Wink dafür nehmen, daß Raffael in einzelnen Punkten doch 
nicht in so glattem Guß die schwierige Aufgabe löste, die er im großen Ganzen 
mit genialer Meisterhand spielend iiberwand. 

Am liebsten hätte ich vor diesen Studien mir das Originalbild im Vatikan ange- 
sehen, doch bot sich dazu bisher leider keine Gelegenheit. Von anderer Seite 
hörte ich, daß die große Scheibe unzweifelhaft an einen aufgehenden Mond, da- 
gegen nicht an die Sonne erinnert. Die Farbe ist ein rötliches Goldgelb, das am 
Rande intensiver und in der Mitte weißlicher ist, was durchaus dem Anblick des 
Vollmondes entspricht, wenn er noch ganz nahe dem Horizont stehend durch die 
selektive Absorption seiner Lichtstrahlen in der Lufthülle unserer Erde ein rotes 
Aussehen erhält. Auf dem Bilde scheint er ganz deutlich über den Wolken zu 
schweben. Vielleicht bietet auch der Regenbogen noch einen Fingerzeig. Sein 


(1) Raffael, 4. Auflage, Stuttgart 1908. 
(2) Bolletino della Regia Deputazione di Storia Patria per Umbria, Perugia 1907, р. 151/196. 
(3) Knackfuß, Raffael, 6. Auflage 1899, p. 70/73. 


422 


Mittelpunkt liegt, wie schon damals bekannt war!), an demjenigen Punkte der 
scheinbaren Himmelskugel, wo diese von der Verbindungslinie der Sonne mit dem 
Auge des Beobachters getroffen wird, d. h. unter dem Horizont genau der Sonne 
gegenüber. Wann steht aber der Mond der Sonne gerade gegenüber? Als Voll- 
mond! Und hier steht die Mondscheibe gerade über dem Regenbogen. 

Die älteste Arbeit über die Madonna di Foligno findet sich in dem Werk von 
Vasari‘). Wenn dieser bemerkt: „der Knabe, in schöner Stellung, spielt mit dem 
Mantel der Mutter“, so gibt er damit zugleich Raffaels Kunstgriff an, mit dem dieser 
mühelos die nötige Verteilung der dunklen Flecke erzielt und zugleich das Geheim- 
nis des Bildes am besten verhiillt. Eugène Muntz?) weist ebenfalls darauf hin: 
„l' Enfant, tout en jouant avec le manteau de sa тёге“... 

Passavant“) ist schon mehr aufgefallen: „daß in der Madonna nicht sowohl der 
Charakter einer Mutter Gottes dargestellt worden ist, als vielmehr der eines an- 
mutigen Weibes; auch das Christkind ist gesucht in der Bewegung“. Wenn wir 
die Helligkeitsverteilung rechts unten auf der Mondscheibe in Betracht ziehen, 
wird es klar, warum die Bewegung „gesucht“ ausfallen mußte. Am ausführlich- 
sten äußert sich Herr Professor Wölfflin®), dem auch dieser Aufsatz vorgelegen 
hat, zu unserem Thema. Er weist zunächst auf eine ähnliche Madonna von Ghirlan- 
dajo hin, die jedoch eine wesentlich andere Fleckenverteilung zeigt und nur wegen 
der untenstehenden vier Männer bemerkenswert ist. „Die Glorie der Madonna ist 
malerisch aufgelöst, noch nicht vollkommen, die alte starre Scheibe besteht wenig- 
stens noch teilweise als Hintergrund, aber ringsherum quellen schon Wolken und 
die Putten der Begleitung, denen das Quatrocento höchstens ein kleines Wolken- 
fetzchen oder Wolkenbänkchen für einen Fuß zugestehen wollte, können sich jetzt 
tummeln in ihrem Elemente wie der Fisch im Wasser.“ 

„In dem Sitzen der Madonna trägt Raffael ein besonders schönes und reiches 
Motiv vor. Es ist schon früher gesagt worden, daß er hier nicht Erfinder ist: wie 
die Füße differenziert sind, der Oberkörper sich dreht und der Kopf sich neigt, 
geht zurück auf die Madonna Leonardos in der Anbetung der Könige. Der Christus- 
knabe ist preziös in der Wendung, aber es ist allerliebst gedacht, daß er nicht auf 
den betenden Stifter heruntersieht..., sondern auf das Bübchen“... Das erwähnte 
Bild Leonardos zeigt so starke Abweichungen in der Fleckenverteilung, daß Raf- 
fael keinesfalls von hier die Mondidee übernommen haben kann. Ich darf viel- 
leicht hier die Bemerkung einschalten, daß er sie bei der Komposition der Gran- 
duca um 1505 wohl noch nicht hatte. Danach ließe sich ihr Auftauchen ungefähr 
abschätzen. Sehr wesentlich ist der Umstand, daß Herr Professor Wölfflin die 
Wendung des Kindes als „preziös“ bezeichnet. 

Man liest zwar undeutlich, aber doch nicht ganz unverständlich hier und bei 
Passavant zwischen den Zeilen, daß es mit der Fleckenverteilung auf dem Bilde 
besonders in der Gegend, wo sich der Knabe befindet, eine eigenartige Bewandtnis 
haben muß. Ein Fachmann, der in dieser Literatur besser zu Hause ist, würde 
vielleicht noch mehr derartige Belege erbringen. 

Ist es denn gar so ungereimt anzunehmen, daß Raffael mit seiner Madonna di 


(1) Der Mönch Theodorich hatte es bereits in einer zwischen 1304 und 1311 verfaßten Schrift aus- 
gesprochen. 

(2) Deutsch von A. Gottschewski und G. Gronau. 4., Straßburg 1910, p. 222. 

(3) Raphaël, Paris 1881, р. 393. 

(4) Rafael von Urbino, II. Teil, Leipzig 1839, р. 134—136. 

(5) Die Klassische Kunst, IL, Miinchen 1901. 


423 


Foligno eine Deutung der Mondflecke hat geben wollen? In seiner „Geschichte der 
Päpste“!) schildert Pastor sehr interessant, welcher Streit über die Deutung von 
Raffaels „Schule von Athen“ geführt wird. Wohl kaum wird man sich aber dar- 
über uneinig sein, daß der große Sohn der Stadt Urbino in seine Werke viel mehr 
— um mich eines Goetheschen Wortes zu bedienen — „hineingeheimnißt“ habe, 
als wir enträtseln können. Warum sollte das nicht auch auf unser Bild Anwen- 
dung finden können? 

So abgelegen, wie man meinen möchte, war für Raffael diese Aufgabe doch 
nicht. Die Beobachtung der Mondflecke war in jenen Jahren geradezu „modern“, 
Leonardo hatte nämlich damals die Entdeckung gemacht, daß das aschfarbene Licht 
der Nachtseite des Mondes der Widerschein des Erdlichtes ist. An der Deutung der 
Mondflecke hat die Phantasie des Menschen seit Jahrtausenden gearbeitet und tut 
es noch. Hier auf Einzelheiten einzugehen, verbietet sich von selbst. Es kommt 
nur darauf an, was wir bei Raffael an derartigen Kenntnissen voraussetzen können. 
Er informierte sich in schwierigen Fragen, z. B. bei den Studien zur „Schule von 
Athen“, bei Fachleuten und dürfte wohl von Plutarchs Gedanken in der Schrift 
„Über das Gesicht im Monde“ wie über des Aristoteles eigenartige Reflexions- 
idee etwas gehört haben. Aber für unser Bild war der Gewinn davon gleich Null. 
Dagegen wäre es immerhin möglich, an einen indirekten Einfluß Dantes zu 
denken. In dem selenologischen Abschnitt der Divina Comedia?) finden sich fol- 


gende Verse: 
„Doch sprecht, woher die dunkeln Flecken kommen 


Auf dieses Körpers Scheib’, aus welchem man 
Zur Kainsfabel dort den Stoff entnommen.“ 


Welch schöner Gedanke, statt das unerquickliche Kainmotiv malerisch zu verwerten, 
aus den Mondflecken ein liebliches Madonnenbild hervorzuzaubern! Wie oft ist 
nicht Maria in Verbindung mit dem Monde, z. B. auf der Sichel thronend, darge- 
stellt worden. Insofern war die Ideenverbindung wirklich naheliegend, 

Daß Raffael auch sonst astrale Themen behandelt hat, ist nicht schwer zu belegen. 
Ich erwähne nur die „Allegorie“ mit der Darstellung der Kristallsphäre des Fixstern- 
himmels und die Anbringung der Tierkreiszeichen und Planeten im Torre Borgia 

Überblicken wir jetzt noch einmal den Gedankengang, so wird folgendes festzu- 
halten sein: Die sich zunächst in einer Einzelheit darbietende Analogie zwischen 
dem Mondbild und der Madonna di Foligno findet sich bei genauerer Prüfung all- 
gemein bestätigt und besonders bei dem Knaben auffallend, dessen Stellung ge- 
radezu „gesucht“ oder „preziös“ erscheint. 

Folgende Tabelle gibt eine vergleichende Übersicht des Gemäldes mit den Flecken 
auf der Mondscheibe. 


Nr. Gemälde Mondscheibe Farbe 


ı.| Mantel Marias am rechten Ellbogen | Oceanus procellarum . . | dunkel 
2.| Helle Fläche am rechten Ellbogen. . Copernicus und Umgebg. | hell 
3.| Dunkle Fläche am Halse Marias. ...... Vorsprung des Mare im- 


(1) Bd. III, Freiburg 1895, р. 765 sqq. 
(а) Paradies II., 49—51. Übersetzt von Streckfuß, rev. von Pfleiderer. 7 


424 


Nr. Gemälde Mondscheibe Farbe 


5.| Gesicht Мапаз.................. helle Gegend über dem 
Mare vaporum . .. . hell 
6. Dunkle Fläche rechts vom Gesicht Marias | Mare serenitatis ..... dunkel 
7.| Helle Partie im Haare des Knaben Grenze der betr. Meere. | hell 
8.| Dunkle Fläche rechts vom Gesicht d. Knaben | Mare tranquillitatis. . . . | dunkel 
9.| Rechte Hand des Knaben. ....... . . . | Grenze der betr. Meere. | hell 
10.] Kleines Manteldreieck ............. Mare foecunditatis . . . dunkel 
II.] Linker Unterarm des Knaben entsprechende helle Ge- 
gend ..........| hell 
12. Tuch um den Leib des Knaben Mare nectaris....... dunkel 
13.| Die Beine des Knaben............. große helle Fläche. . . | hell 
14.| Linkes Knie Мапаз.............. . | Tycho und Umgebung . | hell 


Damit wire der Vergleich im einzelnen genau durchgefiihrt. Im allgemeinen 
ist die Tatsache als wichtig festzuhalten, daß zur Zeit der Komposition des Bildes 
die Beschäftigung mit dem Monde für einen Maler durch die Entdeckung Leonardos 
gerade aktuell war. Ebenso wird das Zitat aus Dante für ein abschließendes Urteil 
nicht unbeachtet bleiben dürfen. 

Zwar sind noch eine Fülle sich aufdrängender Fragen unberührt geblieben, in- 
dessen glaubte ich im Interesse einer weitergehenden Diskussion zu handeln, wenn 
ich mich im wesentlichen auf die astronomische Seite des Problems beschränkte. 


425 


ZUR SIENESISCHEN MALEREI DES 
QUATTROCENTO. — Ein Nachtrag. 


Zwei bedeutsame Publikationen des Jahres 1910, 
die mir erst nach Erscheinen meines Aufsatzes 
(s. Monatsh. f. Kunstw., Maiheft 1912) bekannt 
wurden, veranlassen mich zu dem Thema hier 
nochmals das Wort zuergreifen. Erstlich um meinem 
lebhaften Bedauern darüber Ausdruck zu verleihen, 
daß mir diese Arbeiten entgangen waren, als ich 
meine Eindrücke über die Stellung der sienesischen 
Malerei des Quattrocento widerzugeben versuchte; 
denn ich gestehe offen, ich hätte manches schärfer 
umrissen darstellen, manchen Irrtum vermeiden 
können, wäre ich mit gedachten Schriften früher 
vertraut gewesen. Dann aber auch, weil es mir 
scheinen will, als stellten die von mir, unabhängig 
von den beiden Verfassern gewonnenen Ansichten, 
eine Art Kompromiß zwischen den Gesichtspunkten 
dar, von welchen aus sie das Problem zu fassen 
und zu lösen suchten. 


Ich erwähne vor allem die vortreffliche Mono- 
graphie G. F. Hartlaubs: „Matteo da Siena und 
seine Zeit.‘ (Heitz, Straßburg 1910, „Zur Kunst- 
geschichte des Auslandes“, Heft 78.) Es ist die 
„Tücke des Objekts“, daß mir gerade dieses Buch, 
das mir über den in meiner Abhandlung vornehm- 
lich behandelten Meister so bedeutenden Aufschluß 
bringen konnte, entgangen sein mußte. Da übrigens 
in vorliegender Zeitschrift schon im Jahre 1910 
(Heft No. 11) über Hartlaubs Werk von berufenster 
Feder eine würdigende Besprechung erschienen 
ist — die mir leider ebenso lange unbekannt blieb, 
wie das Originalwerk selbst — so erübrigte mir 
eigentlich nur, auf diese Kritik hinzuweisen und 
allen jenen, denen das Problem des sienesischen 
Quattrocento im allgemeinen und der kunstge- 
schichtlichen Stellung Francesco di Giorgios im be- 
sonderen nahegeht, Hartlaubs Buch angelegentlichst 
zu empfehlen. Hier möchte ich nur kurz jene wesent- 
lichsten Punkte der Ausführungen Hartlaubs berühren, 
die ich unter anderen Verhältnissen in meiner Ar- 
beit gewiß berücksichtigt hätte. 


Die Beweisführung Hartlaubs von den umbrischen 
Zusammenhängen in der Kunst Matteos (dessen 
Geburtsjahr er mit 1430 vielleicht doch noch zu 
hoch ansetzt) haben mich völlig überzeugt; was 
freilich nicht bindert, daß ich nach wie vor — und 
darin decken sich unsere Meinungen vollständig — 
in Matteo einen der sienesischsten aller Maler Sienas 
erkenne. Ob sich meine Hypothese, daß die Ma- 
donna der Contrada della Selva (in S. Sebastiano) 


426 


eher als heilige Katharina aufzufassen sei, halten 
läßt, bleibe dahingestellt. Auffallend bleibt es immer- 
bin, daß auch Hartlaub ein gewisser Wesensunter- 
schied dieses jugendlichen Mädchenkopfes gegen- 
über Matteos sonstigen Madonnen und die besondere 
„Bescheidenheit ihres Blickes“ nicht entgangen ist. 

Ein merkwürdiger Zufall will es, daß sich in 
meiner Schrift Ausdrücke finden, die Hartlaub wört- 
lich oder fast wörtlich vor mir gebraucht hat; so, 
wenn er wie ich das Goethewort „übersinnlich-sinn- 
lich“ anwendet, wenn er den Herodes der Kinder- 
morde, den ich mit dem Menschenfresser Oger 
verglich, einen ,,Kinderschrecken“ nennt und an- 
deres mehr. 

In einer bestimmten Richtung kann ich mich 
Hartlaubs Ansichten nicht anschließen: in der 
Reihenfolge wie er die Stragebilder datiert. Abge- 
sehen von der Verwirrung in der Lesart der Jahres- 
zahl und den bald für das Entstehungsjahr 1471, 
bald für 1491 sprechenden, von verschiedener Seite 
aufgetauchten Hypothesen über die Anregung zu 
der Darstellung der Kindermorde, halte ich das 
Agostinobild unbedingt für das fortgeschrittenere, 
des Servibild für das schwächere. Daß die Raum- 
wirkung im Servibilde um ein geringes besser ist, 
will ich nicht bestreiten; aber auf eine solche Wir- 
kung hat es Matteo niemals mit Absicht abgesehen 
und es erscheint wie reiner Zufali, wenn sie ihm 
besser oder weniger gut glückt. 

Wenn ich von der raumfüllenden Kraft der 
Stragebilder gesprochen habe, so war damit nicht 
etwa eine solche Wirkung im Bilde, sondern viel- 
mehr durch das Bild als dekoratives Element eines 
Raumes gemeint. 

Dagegen zeigt er sich in der Behandlung der 
architektonischen Formen, in der Komposition und 
im zauberhaften Kolorit in keinem Stragebild — 
wie ich glaube — reifer, als in demjenigen von 
S. Agostino. 

Sehr wesentlich erscheint mir Hartlaubs Ansicht, 
die das Hauptverdienst der sienesischen Malerei 
in der Bewahrung der alten Dekorationswerte im 
Gegensatz zu dem rein wissenschaftlichen Fort- 
schritte der Florentiner erblickt. Es ist dies nichts 
anderes, als die Anerkennung einer Kunstentwick- 
lung im Rahmen der heimischen Tradition — ein 
Standpunkt, den ich in meinem Aufsatze nachdriick- 
lichst betont habe. 

Das andere Werk, das mit dem Thema im nich- 
sten Zusammenhange steht, ist die Arbeit von 
Gertrud Kantorowics: „Über den Märchenstil der 
Malerei und die sienesische Kunst des Quattrocento“ 


(in einem Sammelbande: „Beiträge zur Ästhetik 
und Kunstgeschichte‘, W. Moeser Berlin 1910). 
Von einem anderen Gesichtspunkte als Hartlaub 
versucht die Verfasserin Wesen und Wirkung der 
sienesischen Malerei des Quattrocento zu erklären: 
aus einem dieser Malerei eigenen, folgerichtig aus 
den trecentistischen Anfängen geborenen Gesetze 
heraus. Eine Weiterentwicklung der ursprünglich 
ausschließlich auf das Transcendentale gerichteten 
sienesischen Kunst war in dem Augenblick, als sie 
aufhören wollte rein religiös zu sein, nur auf dem 
Boden des wirklich-unwirklichen Märchens möglich. 
Diese ihre Ansicht verteidigt die Verfasserin mit 
scharf-kritischen Waffen. — Sie bringt uns zu- 
nächst eine ausführliche und feine psychologische 
Studie über die Elemente des Märchenwesens, 
als deren wichtigste sie anführt: ein Schwebezu- 
stand zwischen empirischer und religiöser Welt, 
ein Optimismus der an den harmonischen Ausgleich 
zwischen Wunsch und Erfüllung glaubt und end- 
lich ein primitives Empfinden, durch welches dieser 
Optimismus und der Identititsgedanke zwischen 
Wunscherfüllung und wirklichem Glück erst ver- 
ständlich werden. Der unreife Chor der Helena 
sagt von den Erzählungen über die Kindheit des 
Hermes: „Liebliche Lüge, glaubhaftiger als Wahr- 
heit“. In diesen fünf Worten ist ungefähr alles 
eingeschlossen, was Gertrud Kantorowics von der 
Märchendichtung fordert. 

Die Zwitterstellung zwischen der wirklichen und 
unwirklichen Welt wird im Märchen u. a. dadurch 
erreicht, daß einerseits das Wunder und die Über- 
treibung als etwas selbstverständliches auftreten, 
andererseits aber, um zu verhindern, daß die Mär- 
chenwelt als Gegenpol der empirischen erscheine, 
Vorgänge des alltäglichsten Lebens sich in seine 
Handiung mischen. 

Die Untersuchung der Märchenwelt ergibt ganz 
bestimmte Ansprüche an das Wesen des Märchen- 
helden: er, der in jedem Augenblicke von einem 
freundlichen Schicksale geführt wird, ist indivi- 
dualität- und tatenlos; er erfreut sich — allerdings 
auf Kosten aller jener Eigenschaften, die den Voll- 
menschen ausmachen — einer vollkommenen Un- 
kompliziertheit. 

Die Verwandelbarkeit ihrer Gestalten von einer 
Form in die andere stempelt die Märchenwelt zu 
einer solchen, in der die monistische Anschauung 
waltet. Hat also der Märchenmensch einerseits 
sein „Ich“ verloren, so nimmt er andererseits 
reichlich teil am Dasein alles Lebendigen und 
Unlebendigen. Von den primitiven Kulten und 
Mythen, mit welchen das Märchen diese Auf- 
fassung teilt, unterscheidet es sich einzig durch 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 10. 


seine stets optimistische Auffassung, daß diese 
„Allverbundenheit der Welt“ an sich Harmonie 
ist. Deshalb auch verlangt das Märchen von 
seinem Helden unbedingten Glauben an diese 
Harmonie, Liebe zu allen Geschöpfen und Gegen- 
liebe von ihnen. Im Gegensatz zu seinem Helden, 
der nur an seinen Stern glaubt und optimistischer 
Fatalist ist, bringt es den Stolzen, der auf sein 
Können baut und dafür — als außerhalb des 
Alleins-Sein stehend — im Märchen mit den 
schlechtesten Eigenschaften bedacht, mit den här- 
testen Strafen verfolgt wird. So verurteilt das 
Märchen ganz im allgemeinen jedes rationelle 
Handeln. 

Die kausale und logische Zusammenhanglosig- 
keit und die Phantastik hat das Märchen gemein 
mit dem Traume, der seine Gebilde nur nicht 
fest werden läßt. Der wesentlichste Unterschied 
zwischen Traum und Märchen besteht in der 
chaotischen Zusammenhanglosigkeit auf der einen 
Seite und — als Folge der Forderung nach dem 
harmonisch widerspruchslosen Leben — der inneren 
Geformtheit auf der anderen. 

Die Frage, welchen Wert das Märchen auch für 
den erwachsenen Kulturmenschen haben kann, be- 
antwortet Gertrud Kantorowics so: Vorspiegelung 
des verlorenen Gefühls einer paradiesischen Stim- 


mung. 


In seiner Betonung der glücklichen Harmonie 
der Welt erscheint das Märchen als reines Gegen- 
bild der Tragödie. 

Dieses sind, in allgemeinsten Umrissen ge- 
zeichnet, die Elemente der Märchendichtung; von 
ihr die Grenzgebiete der Sage, der Mythe, der 
Legende und der Fabel auszuschalten, ist der Ver- 
fasserin vorzüglich gelungen. 

Da nun das Märchen selbst einem bestimmten 
Weltgefühl entspringt, kann es in jeder Kunst, 
also auch in der Malerei, einen Märchenstil geben, 
das heißt einen Stil, der die gleiche Seelenstim- 
mung hervorbringt. Wie dies erreicht wird, legt 
die Verfasserin in einer Reihe von Parallelen 
zwischen Märchendichtung und -Malerei klar. 

Der empirisch - transzendentale Zustand (oder 
was Hartlaub und ich „übersinnlich-sinnlich“ ge- 
nannt haben) wird im Bilde hervorgerufen durch 
gleichzeitige Darstellung von Wirklichem und Un- 
wirklichem. Zu einer solchen wird sich am besten 
eine Übergangszeit von religiöser zu irdischer 
Kunst eignen: daher die besondere Prädisposition 
des sienesischen Quattrocento für den Märchen- 
stil. Schon in der Raumdarstellung wird die ge- 
wünschte Wirkung durch glaubwürdige Einigung 
flichenhafter und dreidimensionaler Elemente er- 


32 427 


zielt, wobei der Goldgrund und die den Sienesen 
eigentümliche Behandlung der landschaftlichen 
Hintergründe eine Hauptrolle spielen. Und so wie 
die Räumlichkeit, in der sich die Vorgänge ab- 
spielen, ist alles im Märchenstile in einem wirk- 
lich-unwirklichen Sinne behandelt: Mensch, Ge- 
wand, Tier, Pflanze, Stein und Gerät. 

Die menschliche Gestalt erscheint als Verbin- 
dung der trecentistischen ornamentalen Form mit 
dem Modell, das ideale Gewand ist mit der Zeit- 
tracht vertauscht und gegen den Bau des mensch- 
lichen Körpers wird kaum mehr gesündigt. Da- 
gegen wirkt die schattenhafte Zartheit dieser Men- 
schen, die sozusagen nur die „Konsistenz von 
Gewölk‘“ besitzen und eine gewisse „preziöse Vor- 
nehmheit des Wesens“ wie eine Verflüchtigung 
des Materiellen. Ferner zeigt sich die Irrealität 
dieser Märchenmenschen darin, daß sie zu der 
umgebenden Landschaft in keinem rechten Ver- 
hältnisse stehen. Es erscheint fast, als wären 
Mensch und Landschaft nebeneinander gleich- 
berechtigt-verwandte Wesen. Dadurch aber, daß 
der Landschaft und ferner allen übrigen leblosen 
Objekten der gleiche Wirklichkeitsgrad verliehen 
wird wie dem Menschen, verliert dieser tatsäch- 
lich das Wichtigste seiner Realität. 

Dem Inhalte nach bleibt auch der Märchenstil 
religiös, wie es die alte Kunst des Trecento war: 
nur durchsetzt mit alltäglichsten Motiven. Wohl 
kommen solche auch bei den Trecentisten Sienas 
und den fiorentinischen Renaissancekiinstlern vor, 
aber sie verschmelzen hier nicht zu einer einheit- 
lichen Stimmung mit dem Religiösen, wirken bei 
den Trecentisten ganz zufällig und nebensächlich 
und überwuchern andererseits in Florenz voll- 
kommen das Übersinnliche. Die inhaltliche Eigen- 
art des Märchenbildes beruht ferner auf der aus- 
gleichenden Verwandtschaft von Mensch und Um- 
gebung. Der Eindruck dieses Nebeneinander, das 
ohne begreiflichen Grund zu einem Ganzen ver- 
wächst, ist: Rätsel und Wunder. 

Der körperlichen Zartheit der Menschen des 
Märchenstils gesellt sich eine seelische zu ein- 
heitlicher Wirkung: allenthalben Unausgesprochen- 
heit der Gebärden, des Sehens, kurz träumerische 
Versonnenbeit. 

In der Schilderung dieses traum- oder kind- 
haften Seelenzustandes liegt nicht Schwäche und 
Unvermögen der Künstler, sondern gewollte Ab- 
sicht, wie sich schon bei den Nebenfiguren zeigt, 
deren unbedeutendste auf den gleichen Ton ge- 
stimmt ist. 

Ein gewisser kindlicher Charakter — die Ver- 
fasserin meint, das sienesische Quattrocento hätte 


428 


für seine Zwecke den Kindertypus eingeführt — 
nimmt den religiösen Darstellungen Tiefe und 
Größe, und die mit der Kindlichkeit eng ver- 
knüpfte Spielhaftigkeit kommt im Märchenbilde 
ebenso zum Ausdruck wie in der Märchendichtung; 
beide kann man durch das Fehlen völliger Reali- 
tät nicht ganz ernst nehmen. Das Traum- und 
Kindhafte deutet schon auf Tat- und Affektlosig- 
keit. Die Menschen des Märchenbildes handeln 
eben auch nicht, sondern führen nur schicksals- 
mäßige freundliche Bestimmungen aus; ja, in ihren 
Aktionen zeigt sich oft ein direkter Widerspruch 
zwischen Ursache und Wirkung: das durch keine 
physiologische oder psychologische Quelle zu er- 
klärende Wunder, das als etwas Selbstverstind- 
liches hingenommen wird. So ergibt sich auch 
für sie die völlige Individualitätslosigkeit. 

Das pantheistische Einheitsgefühl, das hervor- 
zubringen der Märchendichtung Endzweck ist, zu 
schildern, hat die Malerei die unmittelbarste Mög- 
lichkeit, indem sie alles Lebendige und Unleben- 
dige wie aus einer gemeinschaftlichen Wurzel ge- 
boren darstellt (der pflanzenhafte Wuchs der Fi- 
guren, das Gold und der Glanz auf Bauten, Ge- 
räten und Kleidungsstücken u.a.m.). Sie schildert 
so ein harmonisches Sein, in dem wir uns alle 
Vorgänge in wünschenswertester Harmonie sich 
abspielend denken können und müssen. Der Har- 
monie des Märchens natürlich, die doch immer 
von Widersprüchen und Unvollkommenheit um- 
schwebt wird. Das Märchenbild erreicht dies auf 
die Weise, daß es nicht paradiesische Zustände 
wiedergibt, sondern daß es solche Momente, die 
in Wirklichkeit schwer und ernst erscheinen 
würden, leicht und heiter aufgefaßt in Erschei- 
nung bringt. 

Man wird der Beweisführung der Verfasserin 
mit Vergnügen folgen, wenn man auch zugeben 
muß, daß sie in ihren Parallelen manchmal zu- 
weit geht. So z. B. wenn sie behauptet, das Ge- 
fühl für die Erhaltung der Märchenstimmung 
bringe es bei den Sienesen mit sich, daß sie 
„keine Grenzen brechende Leidenschaften dar- 
stellen“. In den Stragebildern des Matteo ist 
diese Grenze stellenweise bis ins Fratzenhafte 
überschritten und die trotzdem eminent märchen- 
hafte Stimmung gerade in der Überspannung des 
Ausdrucks der Gemütsbewegungen mit gelegen — 
ein Gegenstück zur Rolle, die die Übertreibung 
in der Märchendichtung spielt. Auch erscheint 
mir zur Hervorbringung der Märchenstimmung 
ein Nebeneinander von Raumtiefe und Plastik 
einerseits und linearer Flächenhaftigkeit anderer- 
seits nicht unbedingt notwendig: die japanische 


Kunst ist dafür ein sprechendes Beispiel. Hier 
möchte ich noch einschalten, daß Hartlaub die 
Beziehung oder vielmehr die bedingte Vergleich- 
barkeit der japanischen Kunst mit derjenigen 
Matteos nicht weniger erkannt hat als ich. Er 
erklärt diese überraschende Tatsache daraus, daß 
wie die japanische Kunst vom Theater abhängig 
erscheint, so Matteo die Ideen für seine Strage- 
bilder von den geistlichen Spielen empfangen 
habe. Bei der Spielhaftigkeit des Märchens liegt 
die Sache im Grunde so, daß es gleichgültig ist, 
ob der Künstler einen Märchbentraum oder ein 
buntes primitives Schauspiel, dem er beiwohnte, 
mit dem Pinsel festgehalten hat. 

Was ich für einen besonderen Künstler aus- 
gesprochen habe: die auf das Märchenhafte ge- 
richtete Absichtlichkeit seines Werkes, nimmt 
Gertrud Kantorowics, wie man sieht, für die ganze 
Kunstepoche des sienesischen Quattrocento in An- 
spruch. Eine Auffassung, die viel Verlockendes 
für sich hat, denn sie erklärt in ungezwungener 
und überzeugender Weise die künstlerische Un- 
abhängigkeit und Berechtigung der sienesischen 
Malerei des 15. Jahrhunderts neben den Umstürz- 
lern von Florenz. — Mit dieser Auffassung steht 
allerdings die Hypothese Hartlaubs in Wider- 
spruch, der die Mischung von „Phantasie und 
Wirklichkeit“, das Märchenhafte also, bei Dome- 
nico di Bartolo und in der Folgeentwicklung auch 
bei Matteo, auf Strömungen in Florenz und — 
wie ich glaube mit besseren Gründen — im bur- 
gundisch-oberitalienischen Kunstkreis zurückführt. 
Aber dieser Widerspruch ist nur scheinbar, wenn 
man annimmt, die sienesische Kunst habe dabei 
nur ihrem innersten Wesen Verwandtes und Ge- 
nehmes assimiliert. 

Das Wurzelechte, Aufrichtige in dieser Kunst 
verleugnet sich nirgends: sei es nun, daß es sich 
im treuen, stolzen Weiterschreiten auf den Bahnen 
einer ehrwürdigen Tradition erweist, oder aber in 
der Folgerichtigkeit, mit der sich in ihr aus den 
Elementen des Trecento die Eigenart des Quattro- 
cento entwickelt. Hier eben finde ich auch den 
wesentlichen Unterschied zwischen einem Matteo 
und einem Botticelli. Der Sienese konnte und 
wolite von dem Florentiner nichts lernen ; Botti- 
celli aber hat aus der Einheit der Kunst des Matteo 
einen bestimmten Typus entlehnt, der nun bei ihm 
des organischen Zusammenhanges entbehrt und 
so — wenigstens auf mich — immer den Ein- 
druck des Verkünstelten macht. 

Daß übrigens die ganze Eigenart des Landes 
zur spezifisch sienesischen Kunst gedrängt hat 
and seine Künstler das sichere Empfinden für den 


Märchenstil sozusagen mit den Dünsten der hei- 
matlichen Scholle in sich einsogen, dieser Er- 
kenntnis wird sich kaum verschließen, wer ein- 
mal über die unendliche Hügelwelt Südtoskanas — 
das nicht Erhebung und nicht Tiefe ist — ge- 
wandelt und dem die wuchtigen Geschlechtertürme 
S. Gimignanos, aus Silberdunst emporsteigend, wie 
die Vision einer Märchenstadt erschienen sind. 
S. v. Sonnenthal. 


EIN UNBEKANNTER BRIEF DES 
MALERS PARRASIO MICHELE. 
Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 

Im letzten Doppelheft des Jahrbuchs der Kgl. 
Preußischen Kunstsammlungen berichtet Freiherr 
von Hadeln ausführlich über den Venezianischen 
Maler Parrasio Micheli (wie er ihn benennt) und 
veröffentlicht das Wesentlichste, was über diesen 
nicht sehr bedeutenden, aber doch in mancher 
Beziehung nicht uninteressanten Künstlers be- 
kannt ist, eine Zusammenstellung des gesamten 
Materials, was dem Kunstforscher und Historiker 
zu großem Nutzen gereichen wird. Mit 1573 
scheinen die Venezianischen Notizen über den 
Künstler zu verstummen; weder Werke noch Uber- 
lieferungen lassen sich nachweisen; und so sieht 
sich der Verfasser des Artikels zur Vermutung ge- 
nötigt, der Maler habe sein für San Giuseppe in 
diesem Jahre geliefertes Bild nicht beträchtlich 
überlebt. 

Wir sind aber in der Lage, einen im Archiv 
von Simancas befindlichen Brief zu veröffentlichen 
(der bis jetzt unbeachtet geblieben zu sein scheint), 
woraus zu ersehen ist, daß Parrasio im August 
5575 am Leben war und seine Kunst noch aus- 
übte. 

Es handelt sich um einen vom Maler selber 
geschriebenen und an König Philipp II. adres- 
sierten Brief, worin er von einem Bilde spricht, 
weiches er dem spanischen Herrscher, zu Ehren 
des ihm 1571 geborenen Sohnes, darbietet, und 
eine genaue Beschreibung desselben folgen läßt. 

Der Brief lautet: 

Ser.mo e Catolico Re. 

Nella cömune allegrezza di tutta la Cristianitä 
c’ha fatto segno di molta letitia nel nascimento 
del gran Principe di Spagna, ho voluto anch'io 
mostrar la mia divotione verso V.C.M.tà con 
quella virtù, ch’io ho imparata da i maggior lumi 
della pittura nell’età nostra Michelangelo e Titiano 
e havendo osservato il tempo del nascimento che 
fu il Lunedi notte, venendo il Martedj, ho voluto 
mostrare sotto a che pianeti è nata tanta altezza 


429 


appoggiata alle due Aquile segno Imperiale, che 
per una lunga successione d’Imperio s’è fermato 
in casa d’Austria. Apparisce sopra il padiglione 
una stella fuor delle nubi figurata per il gran 
principe che finalmente fuor delle nuvole della 
sterilità, apparse al mondo sotto al padiglion del 
cielo, a cui fa cappello il Zodiaco, mostrando, che 
tutti i segni celesti sono fautori di sì meraviglioso 
e desiato parto. La fama poi, che siede di sopra, 
chiama con la sua tromba tutte le provincie ad 
honorar il nato principe; onde altre portando 
scettri e corone; altre oro e geme; io figurato 
nella provincia d’Italia, vengo con somma humiltà 
di core a farle dono della presente pittura. La- 
qual molto prima havrei mandata, se la fortuna 
mia, che gran tempo m'ha travagliato, me l’ha- 
vesse permesso: ma non prima ho sospirato, che 
ho dato l’ultima mano all'opera, Laqual bramo 
che sia accetta a V.ra Cat.ca M.tà se non per la 
perfettion sua, almeno per la devotion di chi 
Vofferisce, il qual desiando d'essere annoverato 
nel numero de’ suoi devoti servitori, con somma 

riverenza Le bascio la mano. 

Di Venetia А XX d’Agosto MDLXXV. 
Di V.C.R. M.tà 

divotissimo ser. Parrhasio Michele pittore.!) 
Daß das Bild in Spanien ankam, wird durch 
das Schreiben auf der Riickseite des Briefes be- 
wiesen, welches lautet: A Su M. Del Parhasio, 
Pintor a 20 de Ag. 1575 Venecia. Con una pin- 
tura del nascim.o del pe nro sr (del nascimento 
del principe nostro Signor). Wäre es wohl mög- 
lich, diese so ausführlich beschriebene Kompo- 
sition noch in Spanien ausfindig zu machen? Wir 
glauben diese Frage bejahen zu dürfen. In den 
oberen Räumen des Prado -Museums hängt unter 
dem Namen ,,Carletto Caliari“ ein Bild (Nr. 479), 
welches mit der Beschreibung des Briefes, wenn 
nicht in jeder Einzelheit, so doch im wesentlichen 
überraschend übereinstimmt, wie dies aus der bei- 
gegebenen Abbildung zu ersehen ist. Aus der 
motivenreichen Komposition wäre noch vieles 
herauszudeuten ; hier genügt es aber, darauf auf- 
merksam zu machen, daß Luna (Diana Lucina) 
und Marte, die nach dem Briefe als eine Anspie- 
lung auf die Zeit der Geburt (, ii Lunedi notte 
venendo il Martedi‘) angebracht wurden, beide in 
der obern Hälfte des Bildes auf Wolken thronend 
und auf den kaiserlichen Adler gestützt (appog- 
giate alle due Aquile segno Imperiale) dargestellt 
sind, und daß die „Ғата“ oben auf dem Bal- 
dacchino sitzt und in ihre Trompete bläst, um alle 
zur Verehrung des Neugeborenen herbeizurufen 


(1) Archivo General de Simancas. Estado. Legajo 1336. 


430 


(„e chiama con la sua tromba tutte le provincie 
ad honorar il nato principe“). 

Im großen Katalog von D. Pedro Madrazo (1872) 
wird die Komposition genau beschrieben, aber hier 
sowie in späteren Ausgaben wird sie gedeutet als 
„Geburt eines Prinzen oder des Amors“ und zu- 
gefigt wird: „Einige glauben, daß diese Lein- 
wand die Geburt Karis V. darstellt; wir glauben 
jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit die Ge- 
burt Amors darin zu erkennen, des Liebesgottes, 
dem alle Mächte der Erde ihre Verehrung zollen.“ 

Aus dem Briefe Parrasios ist es aber einleuch- 
tend, daß dieses halb mythologische Bild sich 
zweifelsohne auf die Geburt des Don Fernando, 
erstgeborenen Sohnes der Anna von Österreich, 
bezieht, der zwei Monate nach der Schlacht von 
Lepanto das Licht der Welt erblickte. Als Venus 
will der Maler die Königin darstellen. Er legt ihr 
als Zepter einen langen Pfeil in die Hand, läßt 
ihr geflügelte Amorini mit Bogen und Pfeilen aus 
der Luft herab Blumen spenden, und bringt hinter 
der Fama eine Banderolle an mit den Worten: 
„Celebris mundi Veneris partus“ (Nada cläsicas 
por cierto, wie Madrazo bemerkt) die den Inhalt 
des Bildes bezeichnen sollen. Die bleichen Züge 
der jungen Königin und ihr aschblondes Haar 
verraten eine gewisse Ähnlichkeit mit bekannten 
Porträts der Erzherzogin Anna, so daß man an 
ein idealisiertes Bildnis der Gemahlin Philipps IL, 
Tochter seiner Schwester, der Kaiserin Maria, 
denken könnte. Was die Malerei betrifft, so ist 
das Bild, falls unsere Zuschreibung an Parrasio 
sich als stichhaltig erweist, als eines der besten 
Werke des Künstlers zu bezeichnen, köstlich und 
leuchtend in der Farbe und außerordentlich an- 
ziehend sowohl in den Typen wie in der Qualität 
und Behandlung der reichen Landschaft. 

Der Zusammenhang mit Paolo Veronese ist 
schlagend, aber leicht verständlich. Parrasio, der 
Plagiator, der bald Tizian, bald Paolo Caliari, bald 
andere Maler kopiert und nachahmt, hat sich hier 
so durch und durch in die Weise des Veroneser 
Meisters vertieft und seine Manier sich angeeignet, 
daß man fast vermuten könnte, er habe sich von 
ihm Zeichnung und Komposition für sein Bild 
geben lassen, was, wie Ridolfi berichtet, nicht 
selten der Fall war. 

Schließlich wäre noch zu bemerken, daß die 
Vermutung Freiherr von Hadelns, daß der Maler 
„Parrasio Micheli“ hieß (und nicht umgekehrt), 
auch durch unsern Brief, worin der Künstler sich 
„Parrhasio Michele‘‘ zeichnet, bestätigt wird. Auch 
wird die Tatsache, daß alle Nachrichten über ihn 
in Venedig nach 1573 verstummen, vielleicht teil- 


weise zu erklären sein durch Parrasios Hinweis 
auf die ungünstigen Zustände, die ihn in die pein- 
liche Lage setzten, ein Bild, das er jedenfalls 1572 
hatte liefern wollen, erst drei Jahre später seinem 
Gönner, dem König von Spanien, darbringen zu 
können. Constance J. Ffoulkes. 


GRUNEWALD-SCHULE IN FRANK- 


FURT. 

Die Spuren einer Wirksamkeit der Kunst Mat- 
thias Grünewalds sind so spärlich, daß es sich 
vielleicht rechtfertigt, hier auf eine Folge von 
Werken hinzuweisen, die mit ihr in einem ge- 
wissen Zusammenhang stehen, auch wenn ihre 
Bedeutung sie nicht fiber die Sphäre des rein 
Handwerksmäßigen erhebt. Es sind sechs ur- 
sprünglich zusammengehörige, auseinandergesägte 
kleine Tafeln im Städtischen historischen 
Museum zu Frankfurt am Main, die die 
Passionsgeschichte und zwar das Gebet am Öl- 
berg, die Geißelung, die Dornenkrönung, die 
Kreuztragung, und dann nochmals in Grisaille- 
malerei Dornenkrönung und Kreuztragung dar- 
stellen. Die Bilder stammen nach den alten In- 
ventaren aus der an Schätzen reichsten Frank- 
furter Glaubensstätte, aus dem Dominikaner- 
kloster. Die ältere topographische Literatur in 
Frankfurt (Hüsgen) erwähnt die Bilder nicht, da- 
gegen fand ich in Jacquins Chronicon Praedica- 
torum I, fo. 293 (Handschrift des Frankfurter Stadt- 
archivs, Dominicaner-Bücher ı6a) folgende Notiz, 
die mit ziemlicher Sicherheit auf sie zu beziehen 
ist: „Aliae quatuor Nobilis, itidem, picturae, de 
passione Domini, suspensae sunt in capella Sanctae 
Walburgis, quae olim tegebant Altare Sanctae Crucis, 
sive Christum Cruciflxum, Beatam Virginem, et 
Sanctum Joannem Apostolum Cruci assistentes, 
quae similiter manu artificiosissimi sculptoris“. 
Die Bilder haben bisher wenig Interesse erregt, 
weil ihre künstlerische Selbständigkeit gering 
ist: sie sind zum größten Teil den Holz- 
schnitten der Dürerschen großen Passion ent- 
lehnt. Das Gebet in Gethsemane überträgt ein- 
fach den Ölberg Dürers aus dem Hochformat ins 
Breitformat, die Geißelung reduziert die figuren- 
reiche Komposition Dürers auf die vier Gestalten 
Christi, des Hohepriesters und zweier Schergen, 
die Kreuztragung setzt sich zusammen aus der 
Veronika und dem Kriegsknecht aus der Kreuz- 
tragung der großen Passion und aus den zwei 
Kriegern, die auf der Gefangennehmung eben 
dieser Passion Christus fortschleppen, während der 
Christus selbst, im Gegensinn dargestellt, freier 


den Christus Dürers wiederholt. Die Dornen- 
krönung, zu der die große Passion kein Vorbild 
bot, ist selbständig, mit einigen Anklängen in 
Komposition und Typenbildung an die (gleich- 
falls für die Dominikaner geschaffene) Dornen- 
krönung auf dem Altarwerk des älteren Holbein. 
Die Grau in Grau ausgeführte Dornenkrönung be- 
nutzt in der Anordnung der Gestalten, im Kostüm 
(Zipfelkappe des verspottenden Schergen) und in 
den Typen (Christus und der Verspottende) noch 
den Kupferstich der kleinen Passion Dürers, wäh- 
rend in der Kreuztragung die Erinnerung an 
die Kreuztragung der Kupferstichpassion nur sehr 
vage noch nachklingt. Alles in allem das typische 
Bild handwerksmäßiger Arbeit, die bei gänzlich 
fehlender Schöpferkraft des fremden Vorbilds nicht 
entraten kann. Das Bemerkenswerte dieser Ar- 
beiten, das sie über ähnliche hinaushebt, ist ihre 
Lichtmalerei und ihre ausgesprochene, wenn auch 
nicht immer glücklich verwirklichte Absicht, in 
Farbkontrasten zu komponieren. Ein Kolorist, wenn 
auch von bescheidener Begabung, ist hier an der 
Arbeit. Diese koloristisch-luministischen Bestre- 
bungen sind es, die den Bildern innerhalb der 
Frankfurter Lokalkunst ihre besondere Stellung 
geben und die darauf hinweisen, daß Grünewalds 
Schaffen in der Maingegend nicht ohne Einfluß 
geblieben ist. Auch in den Typen kann man hie 
und da eine Grünewald-Reminiszenz finden, am 
ehesten in dem Johannes der farbigen Kreuz- 
tragung, vielleicht auch in der Maria und der 
Veronica. Diese in Frankfurt in ihrer Art schon 
längst bekannten Tafeln wären wohl noch länger 
in ihrer Verborgenheit geblieben, wenn sie nicht 
vor kurzem für Grünewald selbst in Beschlag ge- 
nommen worden wären (Sechs unbekannte Grüne- 
wald im Städtischen historischen Museum zu 
Frankfurt am Main? von Paul Glaser. Frankfurt, 
Verlag von M. Diesterweg, 1912). Es verlohnte 
nicht, die kleine, durchaus dilettantische Broschüre, 
die dieser Entdeckung gewidmet wurde, zu er- 
wähnen, wenn nicht eine naive Reklame der Ent- 
deckung selbst den Weg durch die Tagespresse 
geöffnet hätte. Immerhin hat die Broschüre eine 
Beobachtung, die ich hier doch aufbewahren 
möchte. Links im Hintergrunde findet sich das 
Selbstporträt Grünewalds, das Sandrart publiziert 
hat, als Vorlage für den Mann mit der Lanze be- 
nutzt. Die Übereinstimmung in den Gesichtszügen, 
in Bart und Haar, in der Kopfhaltung, schließlich 
die Umwandlung des Pinsels in die gleich gerich- 
tete, nur der andern Hand gegebene Lanze ist 
offenbar. Das gibt einen Wink, in welchem Kreise 
wir den Urheber des Bildes zu suchen haben. 


431 


Sandrart berichtet in seiner „Teutschen Academie“ 
von dem „berühmten teutschen Mahler Grimer“: 
„dieser Grimer hat bey ermeldtem Matthaeus von 
Aschaffenburg gelernet, und alles, was er von 
ihme können zusammentragen, fleißig aufgehoben, 
absonderlich hat er, nach seines Lehrmeisters 
Tod, von dessen Wittib allerhand herrliche Hand- 
risse, meistens mit schwarzer Kreid und theils 
fast Actens-Größe gezeichnet, bekommen, welche 
alle, nach dieses Grimers Ableiben, obgedachten 
Philipp Uffenbach, als ein nachsinnlicher be- 
rühmter Mann, an sich gebracht.“ Da nun dem 
Maler der Frankfurter Tafeln das gezeichnete 
Selbstportät Grünewalds zur Vorlage gedient und 
da Grimmer den Nachlaß Grünewalds erworben, 
möchte man annehmen, daß der Maler seine Be- 


ziehungen zur Kunst Grünewalds in der Werk- 
statt Grimmers gewonnen. An Grimmer selbst 
wird man kaum denken dürfen, einmal weil ihn 
Sandrart als „Mahler von Mainz“ bezeugt (in den 
Frankfurter Bürgerbüchern und Urkunden findet 
sich keine Spur von ihm), vor allem aber, weil 
doch sein Verhältnis zur Kunst Grünewalds ein 
viel engeres gewesen sein muß. Eine Bestätigung 
dieser Zuweisung zur Schule Grimmers mag man 
in einer gewissen Verwandtschaft finden, in der 
die Tafeln, vor allem die farbige Kreuztragung, in 
ihrer farbigen Haltung zu der unendlich bedeu- 
tenderen Kunst des Grimmer - Schülers Philipp 
Uffenbach stehen, wie sie uns in dessen Hauptwerk, 
den klagenden Frauen der Holzhausenschen Samm- 
lung in Frankfurt, entgegentritt. Carl Gebhardt. 


ÜBER DIE ABSTAMMUNG DES VEIT STOSS 


Im Anschlusse an eine in polnischer Sprache abgefaßte Arbeit Dr. Ptagniks in den „Krakauer Jahr- 
büchern“ 1910 bespricht im Heft 8 dieser Zeitschrift P. Ettinger die Frage der Herkunft des Veit Stoß. 
Da er den Aufsatz Ptagniks als „grundlegend“ bezeichnet, scheint es geboten, die Punkte, in denen Ptaänik 
oder Ettinger vom Wortlaut der Archivalien allzuweit abweichen, alsbald aufzuweisen. Ich zitiere da- 
her Ettingers Angaben wörtlich und stelle kurz die archivalische Notiz daneben. 


Ettinger: 

Erstens wissen wir, daß Veit Stoß 1496 sich auch 
in Krakau vom Bürgerrecht entsagte, ohne daß sein 
Name im Verzeichnis der aufgenommenen Neu- 
bürger der Stadt aufzufinden wäre. 


Sodann ist festgestellt, daß der Künstler 1474 sich 
in Krakau befand und damals seinen Sohn Stanis- 
law zum Goldschmied Wojtek in die Lehre gab. 


Stanislaw dürfte, wenn wir ihm bei seinem Ein- 
tritt in die Wojteksche Werkstatt zehn Jahre geben, 
um 1464 geboren sein, Veit also nach 1460, wenn 
auch nicht beständig, bereits in Krakau wohnhaft 
sein. 


(In Nürnberg erlangt 1476 ein gewisser Fritz Stoß 
das Bürgerrecht), und, was jedenfalls sehr 
selten passierte, in den nächsten Jahrzehnten 
kommt dieser Name kein einziges Mal mehr in 
Nürnberg vor. 


In Nürnberg war der Name „Бей“ ganz unbekannt, 
der im Osten hiufig vorkommt. 


432 


Archivalien: 


Veit Stoß erscheint überhaupt nicht in den 
Krakauer Bürgerbüchern; seinen Auszug von und 
seine Rückkehr nach Nürnberg erfahren wir nur 
aus den Nürnberger Bürger- und Meisterbüchern. 


Im Zunftbuch der Krakauer Goldschmiede steht 
unter dem Jahre 1474: „Item Stoschs hat vorsprochen 
seym hern Woitken czu dinen 6 ior angehaben von 
sinte Johanness“. Wir kennen weder den Vor- 
namen, noch den Vater dieses „Stoschs“; schon 
der von Ptasnik gegebene Hinweis auf viele andere 
Träger der Namen „Stoß, Stochs, Stossig, Stosche, 
Stosse“ mahnt zur äußersten Skepsis! Niemals 
wird Veit in Krakau mit dem Zunamen bezeichnet, 
und Stanislaus Stoß ist uns bisher nur als Schnitzer 
in Krakau von 1505 bis um 1527 beglaubigt. 


In den Krakauer Advokatialien (84, Fol. 365) wird 
erst im Jahre 1479 die Gattin „Vitianyczher“ ge- 
nannt. Seit diesem Jahre kommt „Magister Vitus 
der snitczer“, „Vitus sniczczer“, „Veyt snyczer“ 
usw. bis zum Jahre 1496 häufig vor. 


Jeder Benutzer gleichzeitiger Archivalien weiß, wie 
oft wir Künstlernamen und dergleichen nur aus 
einer einzigen Erwähnung kennen. (Vergl. z. B. 
Gümbels Malerverzeichnisse; Repert. f. Kunstwiss. 
XXIX. und XXX.) Hier wissen wir nicht einmal, 
welches Gewerbe dieser Fritz Stoß betrieb! 


Ich habe den Namen „Feit“ weder in Krakauer, 
noch in Nürnberger Archivalien gefunden; weder 
Ptasnik, noch Ettinger führen ein einziges Bei- 
spiel aus dem Osten an. In Franken ist der Name 
„Veit“ ungemein häufig; in Krakau ganz vereinzelt. 


Die Signatur... auf dem Grabmal... in der Kra- 
kauer Kathedrale „FIT STVOS“... 


Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Nürnberger 
Stadtschreiber das ihm ganz ungewohnte „Feit“ 
als Frit, Fritz gelesen... 


... um so mehr als der Buchstabe „e“ in der 
Schreibweise damals dem „r“ sehr verwandt war... 


Die Tatsache, daß dieser Hanns (recte: Hanus) an 
der Poselska- (recte: Legaten-)straße wohnte, wo 
Veit Stoß später sein Haus erwarb und wo über- 
haupt einige Mitglieder der Familie Stoß wohnten. 


(Ettinger glaubt, der Spitzname ,,Schwob“, den der 
Bruder des Veit Stoß, Mathias, führt, beweise eher 
seine polnische als deutsche Herkunft, denn) es 
gab ja damals in Krakau eine große Anzahl echt- 
deutscher Handwerker und bei keinem... findet 
man die Bezeichnung „Schwab“. 


(Ptasnik hält die nur in einer polnischen und einer 
lateinischen Abschrift des 16. und 17. Jahrhunderts 
erhaltenen Stiftungsurkunde des Marienaltars wegen 
ihres polenfeindlichen Charakters für eine deutsche 
Fälschung um 1533, als der Kampf zwischen Polen 
und Deutschen heiß tobte.) Es ist jedenfalls stark 
verdächtig, daß das Originalmanuskript nicht er- 
halten geblieben, sondern bloß die Nachricht, daß 
sein Inhalt auf ein neues Pergament umgeschrie- 
ben und wieder in die Büchse verschlossen wurde. 


Als er (in Nürnberg) 1499 für 800 Gulden ein 
Haus erwirbt, nennt ihn der Kaufkontrakt ... 
„Maister Veit Stoss von Kracka“. 


Diese Signatur muß unbedingt als „BIT“ — FEIT 
in ligierter Form gedeutet werden. 


Das ist eine ganz haltlose Kombination Dr. Pta§- 
niks. Übrigens ist es unklar, wie sich Dr. Ptagnik 
den Akt der Bürg eraufnahme vorstellt. Entweder 
wurde damals durch Bürgen der Name des Neulings 
genannt oder er wurde durch Briefe der Hei- 
matsstadt des Betreffenden beglaubigt. Wie kann 
der Krakauer Stadtschreiber, der von 1479 — 1505 
nur „Vitus snyczher“ u. A. nennt, im Jahre 1476 
die Schreibart „Feit“ beliebt haben, die wir bisher 
eben auch nur als Marotte des Veit Stoß selber in 
den Jahren 1492 und 1506 finden!? 


Diese Ähnlichkeit besteht nicht. 


Die Quelle für diese Notiz gibt Ptagnik nicht an; 
Ettinger wird in der Leyatengasse sicher keine 
Mitglieder der Familie Stoß außer den Erwähnten 
nennen können. Veit kaufte sein Haus von einer 
gewissen Sophia Leymiterin (1481). 


Diesen Spitznamen erwähnt Mathias nur in seinem 
Testament, das im Jahre 1534 abgefaßt ist, als 
nach Ettinger „die Lage der Deutschen, die sich 
damals in starker Minderheit befanden, immer 
haltloser wurde“. In dieser Zeit wüster Deutschen- 
hetze gebrauchte man ihn, wie noch heute das 
Wort „szwäb“, als verächtliche Bezeichnung des 
Deutschen. 


Ich kann über diese Urkunde hier nicht ausführ- 
lich sprechen. Daß ein teilweise polenfeindlich 
abgefaßtes Original in einer Kirche vernichtet 
worden ist, die z.B. den Zusatz „Norinbergensis“ 
auf den herrlichsten Gemälden Hans von Kulm- 
bachs vandalisch auskratzen ließ (vergl. Katharinen- 
altar; Krakau, Marienkirche; Seitenempore rechts), 
finde ich nicht weiter „verdächtig“. Die anderen 
„Verdachtsmomente“ verdankt Ettinger den Notizen 
auf den Abschriften: „Quo Anno tabula magna 
circa aram magnam in templo beatae Virginis 
Mariae in circulo Cracoviensi, fieri incepta, quo 
finita, inventum feria 5 ante dominicam Judica 1533 
ab eo, qui purgabat parietes templi in pinxide in 
charta pergaminea descriptum“ und „Anno salutis 
1585 die 12 Apprilis wiepieszalem Ja tho sobio 
oth X, Jacuba Sakristiana“. Das hat Ettinger offen- 
bar mifverstanden. 


Nicht der Kontrakt, sondern nur das städtische 

Rechnungsbiichlein 1499 (Nürnberg, Kreisarchiv, 

Rep. 81; XXIV, 88a) enthält diesen Passus. 
Max Loßnitzer. 


433 


BERNHARD PATZAK, Die Renais- 
sance-u. Barockvilla in Italien. Bd. I: 
Palast und Villa in Toscana. 1.Buch: Die 
Zeit des Werdens. Leipzig 1912, Klink- 
hardt & Biermann. 113 und 38 5. 4° mit 155 
Abbild. im Text und auf LXXIII Tafeln. 
Preis М. 40.—, geb. М. 44.—. 

Der Privatdozent der Universität Breslau, Dr. 
Patzak, hat sich eine große und schöne Lebens- 
aufgabe gestellt. Die Bearbeitung des Villenbaues, 
der zugleich tief eingreift in das städtische und 
gesamte geistige Leben der Zeit, trifft zweifellos 
neben dem Kirchenbau den zweiten Pol der kul- 
turellen und künstlerischen Entwicklung der großen 
Blüte scheinbar italienischer Eigenart. Patzak hat 
1908 mit dem dritten Bande, die Villa Imperiale in 
Pesaro behandelnd, begonnen. Damals also schon 
schwebte ihm der systematische Aufbau des Ganzen 
vor, dessen Grundstein jetzt mit dem vorliegenden 
Bande zu legen versucht wird. 

Die Einteilung dieses ersten Bandes ergab sich 
sehr einfach. Eine Einleitung orientiert über die 
Voraussetzungen der ganzen Gattung, das erste 
Kapitel behandelt die germanische Frühzeit, das 
zweite die Periode des siiditalisch-provencalischen 
Einflusses. Das ist alles. Doch gestalten eine 
Fülle von Anmerkungen (die seltsamerweise mit 
den Registern für sich paginiert sind), dazu die 
zahlreichen Abbildungen die Kürze und bündige 
Fassung zu einem stattlichen Bande aus. 

Was P. in diesem das Werden behandelnden 
Bande unternimmt, ist ein doppeltes. Fürs erste 
ist es die Sammlung des Materials selbst einer 
Kunstgattung, die für die Frühzeit und als Ganzes 
bisher wissenschaftlich sehr vernachlässigt wurde. 
Zwar ist die Zahl der Arbeiten, die der italienischen 
Villa nachgehen, erfreulich im Wachsen begriffen; 
der Verlag, dem wir die Herausgabe der P.’schen 
Studien verdanken, kommt ja grade darin den Autoren 
dankenswert entgegen. Es ist noch gar nicht so 
lange her, daß es leicht jedem römischen ragazzo 
einfallen konnte, in diese Lücke einzuspringen, 
weil sie eben völlig unbeachtet geblieben war 
(Strena Helbigiana S. 299f.). P. ist der erste, der, 
wie gesagt, den Villenbau in seiner Gesamtheit 
und insbesondere, soweit die Friihzeit in Betracht 
kommt, entwicklungsgeschichtlich ins Auge faßt. 
Die Konsequenz davon war, daß er den städtischen 
Palastbau mit hereinziehen mußte. So gestaltet 
sich sein Werk, scheint es, zu einer Geschichte 
des Profanbaues überhaupt. 


434 


Und noch ein zweites stellt sich von vornherein 
als natürliche Konsequenz der tüchtigen, weit- 
blickenden Art heraus, in der P. vorgeht. Er 
mußte die Scheuklappen von seinen Augen reißen, 
die bewußt oder naiv von den Herren getragen 
werden, die über italienische Kunst arbeiten und 
glauben, es gäbe dort nur autochthone Kunst- 
erzeugnisse und hinter der gesamten Kunstentwick- 
lung stehe immer und immer wieder die eine, ein- 
zige, ewige Roma. P. erkennt deutlich, was ich 
in dem ersten Jahrgange der Monatshefte in dem 
Artikel „Das orientalische Italien“ und in Kollegien 
ausführte: Italien ist bis zum 15. Jahrhundert 
künstlerisch abhängig von zwei Brennpunkten, 
bis zum 13. Jahrhundert vom Orient, dann von 
Frankreich. Diese klare Einsicht hat P.’s Arbeit 
ungemein schwierig gestaltet, mag ihm aber 
auch in den Resultaten die entschiedenste Genug- 
tuung, zugleich freilich in der landläufigen Kritik 
die billigsten Einwürfe eintragen. Für das orien- 
talische Gebiet hatte er keine gedruckten Vor- 
arbeiten zur Verfügung, außer etwa de Beyliés 
ahnungsvolle Monographie L'habitation byzantin. 
Ich habe vor einigen Jahren mit Rudolf Meringer 
zusammen in Graz ein Kolleg über den Bauriß 
von St. Gallen gelesen, in dem ich Wege ging, 
wie sie z. T. jetzt P. zielbewußt ausbaut.!) Im 
übrigen sind diese Fragen nie berührt worden, 
und P. mußte daher für den Orient überall an die 
zerstreuten Quellenpublikationen selbst gehen. Es 
fehlt ihm hier als Außenstehendem die nötige 
Sicherheit und Einzelkenntnis. Ich hätte gewünscht, 
er würde Zeit gefunden haben, mit dem klar er- 
kannten Ziele vor Augen an mein kunsthistorisches 
Institut nach Wien zu kommen. Man kann vor- 
liufig über die Fülle der orientalischen Denkmäler 
nicht ohne Anleitung von fachmännischer Seite 
ins klare kommen. Für die französische und ita- 
lienische Kunst mag die Orientierung aus nahe- 
liegenden Gründen leichter möglich sein. Für die 
altchristliche Kunst des Ostens, die islamische und 
byzantinische Kunst ist die Heranbildung an einem 
mit allen Behelfen ausgestatteten Institut unerläß- 
lich, 

Das Buch P.'s fängt gleich mit einem für die 
Herren Kollegen sehr beherzigenswerten Satze an: 
„Verblendet durch die vom italienischen Huma- 
nismus in Umlauf gesetzte irrige Ansicht, die 
Grundiagen der abendländischen Kultur hätten im 


(1) Eine in Druck gelegte Frucht dieses Kollegs ist die 
Arbeit „Der sigmaförmige Tisch und der älteste Typus des 
Refektoriums“. Wörter und Sachen I (1909) 8. 70 ff. 


römischen Altertum gewurzelt, war die kunst- 
wissenschaftliche Forschung lange Zeit außer- 
stande, die wahre Sachlage der genetischen Zu- 
sammenhänge und Verkettungen zu durchschauen. 
Dank neuerer, bahnbrechender Erkenntnisse wird 
es allmählich zur unumstößlichen Gewißheit, daß 
von jeher der Orient die hauptsächlichste Kultur- 
quelle für den Okzident gewesen ist“ Wenn 
heute ein Jüngerer so offen wagt, an meine Seite 
zu treten, dann muß er wohl den Mut der festen, 
durch eigene Arbeit gewonnenen Überzeugung 
baben. Wäre er für die Profanarchitektur die 
Wege der Forscher gegangen, die Bände über 
die Frage der Entstehung der Basilika geschrieben 
haben, so hätte er zwei Dutzend Bücher mit min- 
destens einem Dutzend Theorien angeregt. So sagt 
P. den Lange, Riegi u.a.: Geht hin in den Orient 
und seht. P. findet In Syrien, was er sucht und 
weist dann die italienischen Einfallstore, wie 
Ostia und Pisa, Heilige wie S. Reparata als Träger 
nach, nicht zuletzt die Basilianer als Pfleger des 
Acker-, Wein- und Gartenbaues. Byzanz mag in 
einzelnen Fällen vermitteln; so gewinnt Tekfur 
Serai, mit P.’s Augen gesehen, eine ganz neue 
Bedeutung als monumentales Saalhaus. Dieses 
architektonische Rätsel würde auch weiterhin un- 
gelöst bleiben, meint P., wenn man nicht endlich 
die bisherige Annahme aufgeben wollte, daß die 
byzantinische und die mittelalterliche Baukunst des 
Abendlandes Ableger der absterbenden römischen 
gewesen seien. Im gegebenen Fall findet P. die 
Vorstufen für diesen Bautypus in Syrien, und zwar 
einmal in dem auf syrische Art gewölbten Saal 
mit zum horizontalen Dach ausgeglichenen Gurt- 
bogen (wie in Chaqqa) oder einer mittleren Stützen- 
reihe, wie sie für das syrische Privathaus typisch 
wiederkehrt. Auch das Programm der späteren 
„romanischen“ Pfalzen sieht P. in seinen kon, 
struktiven Grundzügen gegeben in den syrischen 
Karawansereien mit mehrgeschossigen Portiken 
um die Außenseite. Die Goten u. a. wären, wie 
ich annahm, Träger solcher orientalischen Bau- 
typen nach dem Abendlande gewesen. Ich gehe 
nicht ein auf die Herleitungen, die P. vornimmt, 
besonders bezüglich des „Romanischen“, sondern 
möchte nur darauf aufmerksam machen, daß Р. 
ältere und wertvollere Beispiele für das neben 
dem saalartigen Einraumtypus wichtigste Leit- 
motiv seines Buches, den befestigten Hof, in Klein- 
asien finden kann. Die persischen Karawansereien, 
die dorthin mit den Seldschuken gekommen waren, 
sind in Kleinasien durch Bauten vertreten, die 
jedem byzantinischen und abendländischen Bau 
gleicher Zeit überlegen sind. Dabei gibt die frap- 


pierende Ähnlichkeit in der Verteilung der Bau- 
glieder, wie sie z. B. zwischen dem Sultan Han 
vom Jahre 1229 !) und der alten Pilgerherberge 
des Pammachius in Ostia vorliegt, sehr zu denken. 
Bezüglich des Wohnhofes vgl. auch Amida S. 326, 
bezüglich des Wohnturmes wird vielleicht der Auf- 
satz „Antike, Islam und Occident“ (Neue Jahr- 
bücher f. d. klass. Altertum, XXIII, 1909, S. 354) 
Fingerzeige geben. Für den „romanischen“ Turm 
mit seitlichem Wohntrakt finden sich massenhaft 
Beispiele im zentralen Syrien. Man blättere da- 
für nur die Publikationen der amerikanischen Ex- 
peditionen (Butler) durch. 

Nachdem Р. den Boden in dieser Art einleitungs- 
weise vorbereitet hat, geht er im ersten Kapitel 
ein auf den toskanischen Profanbau in der Zeit 
der germanischen Oberherren. Er zeigt, wie 
der von den Goten heriibergebrachte orientalische 
Palastbau dem germanischen Siedlungsbrauch an- 
gepaßt wird und wie daraus, nicht aus der hel- 
lenisch-römischen Villa, in der Hauptsache die 
toskanische Renaissancevilla hervorwächst. Ich 
möchte den sehr ins einzelne gehenden Unter- 
suchungen der historischen Quellen nicht folgen, 
sondern nur zu einzelnen Punkten Bemerkungen 
machen. Die toskanischen Geschlechtertürme 
hatten im Erdgeschoß keine Tür. Den Zugang 
nach dem ersten Stock vermittelten Leitern. Ich 
fand solche Türme noch in den orientalischen 
Klöstern als Schatz- und Wohntürme für den Not- 
fall in Gebrauch. Am schönsten im Antonius- 
kloster nahe der Küste des Roten Meeres. Man 
wird da wohl auch öfter, wie an den Portalen 
dieses und des benachbarten Paulusklosters oder 
in den Meteora an Seilen emporgewunden worden 
sein. — Auf 8. 45 macht mir P. den Vorwurf, ich 
hätte die Rolle Pisas als orientalischer Zwischen- 
station nicht hervorgehoben. Dazu das Zitat 
„Kleinasien“ ; aber in diesem Buche hatte ich 
doch vorwiegend die altchristliche Zeit im Auge! 
— Wenn ich mir die Gärten der französischen 
Manoirs vergegenwärtige, muß ich der Beschrei- 
bung solcher Anlagen in den griechischen Ro- 
manen und der Darstellungen auf persischen Tep- 
pichen gedenken, wie denn insbesondere die früh- 
französischen Monatsdarstellungen ganz unmittel- 
bar den Eindruck persischer Miniaturen machen. 
Dafür sollte eine eingehend vergleichende Mono- 
graphie festen Boden schaffen. Die Gruppe der 
auf sassanische Vorbilder zurückgehenden Früh- 
lingsteppiche (Martin, A history of oriental car- 
pets, p. 84) gibt die Gartenanlage ohne Zusatz, 
wozu Petrus de Crescentiis zu lesen wäre und für 
(1) Sarre, Reise in Kleinasien, 8. 77, Saladin, Manuel, S. 451. 


435 


den Villenbau selbst kommen zum Vergleich per- 
sische Burganlagen in Betracht, worüber mein 
Beitrag zur de Waal-Festschrift nachzulesen sein 
wird. 

Im zweiten Teil behandelt P. das ı3. und 
14. Jahrhundert, den Ansturm der provencalischen 
Kultur und den von Sizilien und Unteritalien her 
immer, auch unmittelbar wach bleibenden Einfluß 
des Orients. Zu Palermo hätte ergänzend die 
Alhambra herangezogen werden können (vgl. die 
Enzyklopädie des Islam unter dem Schlagwort 
„Alhambra“). Die Casa Ruffoli in Ravello wird 
als Muster des neuen Hoftypus betont, Nicola 
Pisano und sein Kreis ausfiibrlich behandelt und 
Friedrich Il., der Freund morgenländischer Lebens- 
führung, als der erste schöpferische Vertreter jener 
so ungemein komplizierten Mischkultur vorgeführt, 
die wir „Renaissance“ nennen. Franziskus, der 
würdige geistige Nachfolger des kappadokischen 
Basilius und der Gregore, Dante, Petrarca und Boc- 
caccio als Quellen für den Nachweis der Blüte der 
Villenkunst in dieser frühen Zeit, sie alle ziehen, 
gerahmt von zahlreichen schriftlichen und monu- 
mentalen Belegen, an dem gespannt folgenden 
Leser vorüber. P. hat wiederholt Reisen in die 
entlegensten Gebiete Italiens gemacht, um sein 
Material im Wege der Zeichnung und Photo- 
graphie unverdrossen zu beschaffen. Sein Buch 
ist im Felde geschrieben und in dieser Hinsicht 
wie durch die klare Erkenntnis des orientalischen 
Mutterbodens vieler abendländischer Kunstformen 
des Mittelalters ein Musterbeispiel dafür geworden, 
wie man über die frühe italienische Kunst arbeiten 
muß. P. hat ganz recht, wenn er immer wieder 
gegen die falschen Ansichten vom Werden der 
typenformenden Grundlagen des sog. Renaissance- 
stiles eifert. Den Herren Kollegen, die zum römi- 
schen Kongreß fahren, sei das flott und anregend 
geschriebene Buch als Reiselektüre empfohlen. 

Josef Strzygowski. 


ALBERT GIESECKE, Giov. Battista 
Piranesi. Mit ı Titelblatt und 63 Tafeln. 
(Meister der Graphik, Bd. VL) Verlag von 
Klinkhardt & Biermann. Leipzig 1911. 
Nach dem englischen Dilettantenbuch A. Sa- 
muels (London 1910) ist Giesecke der erste, der 
auf Grund gewissenhafter Forschung uns Piranesi 
nahe zu bringen versucht. Ein wesentliches Ver- 
dienst dieser Arbeit besteht in der Chronologie 
der Vedute di Roma. Bei etwa 45 Blättern kor- 
rigiert der Verfasser die Angaben im Katalog des 
jüngeren Piranesi von 1792. Jede Vedute auf ein 


436 


bestimmtes Jahr festzulegen, ist nicht möglich. 
Wohl aber wird der Versuch, die Blatter in vier 
Gruppen (ca. 1746—50, nach 1752, ca. 1760— 66, 
nach 1770) zu sondern, Zustimmung finden können. 
Eine Reihe von Stichen werden — z. T. durch 
Vergleiche mit der Behandlung desselben Themas 
in einer andern Periode — analysiert, wobei sich 
gute Beobachtungen finden. Nicht immer glück- 
lich scheint mir der Verfasser dort, wo er gelegent- 
lich Piranesis künstlerische Stellung charakterisiert, 
8. 39, 49 (eine zusammenfassende Würdigung 
seiner Kunst fehlt). Mit den Begriffen ,,klassisch“, 
„klassizistisch“ und vor allem mit dem Begriff 
„malerisch“ (S. 46, 47 u.a.) hätte vorsichtiger um- 
gegangen werden müssen. 

Der Verf. beschränkt sich im wesentlichen darauf, 
Piranesi als Graphiker zu behandeln. In dem „bio- 
graphischen Abriß“, für den dem Verf. eine bisher 
unbenutzte Handschrift von Legrand (1799), aller- 
dings kein Dokument ersten Ranges, zur Verfügung 
stand, wird auf die Stellung Piranesis in den archäo- 
logischen Kämpfen seiner Zeit hingewiesen, deren 
Feldgeschrei lautete: hie Rom und Etrurien, hie 
Griechenland und Orient. Wie dieser wissenschaft- 
liche Streit um die Erkenntnis vom Ursprung und 
der Entwicklung der antiken Kunst Architektur 
und Dekoration in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- 
hunderts entscheidend beeinflußt hat, verdiente eine 
besondere Untersuchung. 

Ebenso wäre auf die Herkunft der Phantasie- 
architekturen des Dreiundzwanzigjährigen näher 
einzugehen. Die Art, wie er Idealbauten auf der 
Platte komponiert, entspricht derjenigen, die für 
architektonische Veduten in der ersten Hälfte des 
18. Jahrhunderts sich in Rom herangebildet hatte, 
die letzten Endes auf die Kompositionen der Re- 
naissance — entstanden aus dem Interesse an Per- 
spektive und Idealentwürfen — zurückgehen. Man 
stellt an verschiedenen Orten noch existierende 
Denkmäler mit idealen Rekonstruktionen zu einem 
antiken Forum zusammen. Noch ist nicht die 
topographische und archäologische Treue der maß- 
gebende Gesichtspunkt, sondern das von antiqua- 
rischen Rücksichten freie Gefallen an einem male- 
rischen Arrangement. Dieses selbständige, produk- 
tive Verhalten der Antike gegenüber — unter den 
Malern gibt ihm z. B. Pannini Ausdruck — ist 
auch das des jungen Piranesi. Ohne Zweifel hängt 
diese Kompositionsweise aufs engste mit der 
Bühnenprospektmalerei zusammen. — Die Bedeu- 
tung des Theaters für die bildende Kunst ist nie- 
mals größer gewesen als in dieser Zeit, in der 
der „Wille zum Schein“ sich mehr denn je mani- 
festiert hat. Das Interesse der Künstler am Theater 


gibt u. a. dem Streben nach perspektivischen Ef- 
fekten immer neue Nahrung. Die illusionistischen 
Tendenzen Pozzos sind ohne dies nicht denkbar, 
jedenfalls sind sie das Produkt einer Zeit, deren 
Auge auf illusionistische Bühnenwirkung hin- 
drängte. Vom eigentlichen Theaterprospekt geben 
vor allem die Entwürfe der Ferdinand und Giu- 
seppe Bibiena eine Vorstellung. Nach einer Be- 
merkung von Hind (Burlingt. Mag. XIX, 82, Anm. 7) 
habe Ferdinand „im allgemeinen Stil der Zeich- 
nung“ einen starken Einfluß auf P. gehabt. Ein Blatt 
P.s, die Carcere oscura (Giesecke Taf. 29), erinnert 
allerdings nicht nur im Motiv, sondern auch in 
der vertikalen Strichführung am beschatteten Mauer- 
werk an einen Entwurf Ferdinands in den Disegni 
della Scena (o. J., Folge v. 11 Bl. in Berlin, K. O. B.). 
Jedenfalls ist hier ein Zusammenhang eher zu 
vermuten als zwischen Piranesis Radierung und 
einem Gefängnis des Daniel Marot, das Samuel 
und Giesecke als Vorbild bezeichnen. Die Dar- 
stellung von Gefängnissen war übrigens unter den 
Bühnenprospekten ein beliebtes Thema. Ist, soviel 
ich sehe, die Beziehung zu den Bibienas nach der 
Seite der stecherischen Behandiung nur lose — 
hier ist in erster Linie, wie auch Giesecke betont, 
seine venetianische Herkunft entscheidend —, so 
sind sie für die Kompositionsweise des jungen 
Piranesi neben Pozzo und Pannini gewiß von Be- 
deutung. Piranesis ideales Forum (Archit. e Pro- 
spettive Taf. то) ist in derselben Weise zusammen- 
gestellt wie in Giuseppe Bibienas Archit. e Prosp. 
von 1740 (1, б, 7, 10; II, 7; Ш, 6, о; IV, 7, то; 
У, 7; VI, т). In Zeichnungen, die mehr als Gie- 
secke es tut, herangezogen werden miifiten, hat 
Piranesi seine Vorstellung vom „Campidoglio an- 
tico“ noch mehrfach variiert (Brit. Mus.). Diese 
Verwandtschaft in der Anordnung besteht auch 
zwischen den idealen Hallen- und Hofarchitekturen. 
Man vergleiche Piranesis Sala all’ uso degli an- 
tichi Romani (Arch. e Prosp. Taf.9), Gruppo di Scale 
(Taf. 11), Regio cortile (Taf. 12) mit folgenden 
Stichen Giuseppe Bibienas: I, 8; П, 8; Ш, 4; 
IV, 5, 8. Auch die reichsten Brechungen im 
Grundriß halten fest an einer auf die Mittelachse 
bezogenen streng symmetrischen Disposition, die 
für die symmetrische Gliederung des Balletts so- 
wohl wie kleinerer Gruppen von Schauspielern als 
stilgemäßer Hintergrund gefordert wurde.!) Pira- 
nesis Stiche werden auch hier ergänzt durch eine 
Anzahl von Zeichnungen im Britischen Museum, 
die sich in der Anordnung eng an die in der- 


(х) Auf einigen Zeichnungen Giuseppe Bibienas im Briti- 
schen Museum sind Schauspieler in dieser Weise einge- 
seichnet. 


selben Sammlung befindlichen Entwiirfe Bibienas 
anschließen. — Was jedoch Piranesi von den 
Bibienas trennt, ist die Formensprache seiner 
Architekturen. Im Gegensatz zum Barock der Bi- 
bienas erscheinen sie wie Rekonstruktionen der 
klassischen Kunst augusteischer Zeit. Seine Sym- 
pathien für Palladio, die er aus der Heimat mit- 
brachte, wiesen ihn in diese Richtung. 

Durch die venezianische Art der stecherischen 
Behandlung erhalten die Architekturen etwas Un- 
römisches. Die Massen wirken leicht, die Säulen 
zierlich, die Atmosphäre flimmernd. Ein Erbteil 
venezianischen Rokokos, das auch bei den frühen 
Blättern der Vedute di Roma noch zu spüren ist. 
Das Capriccio der Opere varie (G. Taf. 31) gibt 
durch seine Rokoko-Ornamentik dieser in Rom bald 
fiberwundenen Richtung auch stofflich Ausdruck. 

Bei dem andern bedeutenden Jugendwerk, den 
Carceri, interessiert vor allem der Vergleich der 
zwei Fassungen (zu den drei dem Verf. bekannten 
Exemplaren der ersten Fassung ist inzwischen 
noch ein viertes im Britischen Museum gekommen; 
vgl. Hind im Burl. Mag. а. a. O.). Giesecke pole- 
misiert mit Recht gegen die romantischen Inter- 


‘ pretationen der Engländer, namentlich gegen Sa- 


muels Deutungsversuch. 

Eine umfassende Darstellung von Piranesis Per- 
sönlichkeit hätte neben den ‘Wandiungen des 
Kupferstechers, auf die sich die vorliegende Arbeit 
im wesentlichen beschränkt, den Wandlungen nach- 
zugehen, denen die Neigungen und Fähigkeiten 
des Architekten Piranesi unterworfen gewesen sind. 
Allein die Wahl der Themen vom Anfang und 
Ende seiner Laufbahn ist bezeichnend genug: Als 
Dreiundzwanzigjähriger entwirft er ideale architek- 
tonische Szenerien, baut sich in den „Carceri“ auf 
dem Papier Räume, in denen seine Phantasie leben 
will. Bald darauf aber wird er zum Sammler und, 
immer archäologischer gestimmt, schließt er als 
Dreiundfünfzigjähriger sein Werk mit Aufnahmen 
von Pästum und Pompeji (Zeichnungen in London 
und Berlin KGM.). Der Titel Architetto, den er 
sich auf den frühen Blättern beilegt, zeigt, daß er 
sich nicht von Anfang an als bloßer Interpret der 
Vergangenheit gefühlt hat. Hat es ihm an Auf- 
trägen gefehlt? Hat die Freude an der graphi- 
schen Tätigkeit die architektonischen Ideen zurück- 
gedrängt? Wieweit ist er in der Hingabe an die 
Historie ein Geschöpf seiner Zeit? Einer Zeit, 
die an eignen neuen Baugedanken verarmt, mehr 
und mehr die antiquarischen Interessen in den 
Vordergrund treibt. Sie entwickelt jenen Typus 
von Architekten, der uns im folgenden Jahrhundert 
häufig genug begegnet. 


437 


Die Reproduktionen sind so gut wie es Ver- 
kleinerungen der meist viel größeren Originale 
nur sein können. Um die Entwicklung des Stechers 
zu demonstrieren, hätten wenigstens von einigen 
Blättern Ausschnitte in natürlicher Größe gezeigt 
werden müssen. Eine chronologische Anordnung 
der Tafeln wäre zu empfehlen gewesen. 

A. Grisebach. 


RUDOLF PAGENSTECHER, Unter- 
italische Grabdenkmäler. (Zur Kunst- 
geschichte des Auslandes, Heft 94.) 143 
Seiten 8°, mit 3 Abb. im Text u. 18 Tafeln. 
Straßburg 1912, J. H. Ed. Heitz. 


Es ist die Zeit der griechischen Kulturentwick- 
lung Süditaliens, in der die vorliegende Schrift 
wurzelt: die Gräberwelt Pompejis ist schon vom 
Thema ausgeschlossen und wird nur vergleichend 
gestreift. Die griechischen Grabdenkmäler aber 
sind fast restlos verschollen oder, wenn noch er- 
halten, bisher nur in verschwindend wenigen Exem- 
plaren dem Erdboden entrissen worden, und nicht 
die Originale selbst, sondern ihre bildliche Wieder- 
gabe in den Zeichnungen Apulischer, Lukanischer 
und Campanischer Tongefäße führt uns in die 
Formenwelt der Grabdekoration ein: diese Vasen- 
bilder also sind es, die den Gegenstand für Pagen- 
stechers Studien bilden. Die Herstellung solcher, 
für den Totenkult bestimmter Vasen endlich ist 
auf einen bestimmten, nicht sehr ausgedehnten 
Zeitraum beschränkt — der Verfasser nimmt als 
weitesten Spielraum ein Jahrhundert: 380-280 v.Chr. 
an, doch ist er selbst, und mit Recht, noch zu 
Einschränkungen bereit — die Untersuchung be- 
wegt sich also auf einem sehr begrenzten Gebiet, 
und es wäre vielleicht angezeigt gewesen, das 
schon in der Formulierung des Themas, der Fas- 
sung des Titels zum Ausdruck zu bringen. 

Aber was dem scheinbar etwas spröden Material 
zu entnehmen ist, wurde mit geschickter Hand 
herausgeholt und zu einem eindrucksvollen Bilde 
der unteritalischen Friedhofskunst gestaltet. Den 
Ausgangspunkt bildet, wie billig, eine Übersicht 
über die erhaltenen Reste originaler Grabausstattung, 
hauptsächlich dem Boden von Tarent entstammend, 
das auf diesem Gebiete als tonangebend und führend 
für das Hinterland zu gelten hat. Zu den Vasen- 
zeichnungen übergehend werden der Relhe nach 
die einzelnen Typen des Grabdenkmals herausge- 
stellt und besprochen, von einfachen zu immer 
reicheren Formen übergehend: der schlichte Erd- 
hügel, die Stele, der Pfeiler, die Säule, die Statue 
und endlich als reichste Form der Naiskos, mit 


438 


Figuren darinnen, die wohl meist in Relief auf 
der Rückwand, kaum je als hineingesetzte Frei- 
statuen zu denken sind. Für das Figürliche dieser 
Denkmäler wird ein Einfluß von der so hoch ent- 
wickelten Gräberplastik Athens her angenommen 
und an einzeinen Beispielen schlagend nachge- 
wiesen, während die Architekturformen der um- 
rahmenden Nische, in denen eine Vorliebe für die 
jonische Säule sich ankündigt, in eine andere Ein- 
flußsphäre eingestellt werden. Eine direkte An- 
knüpfung an den bodenständigen Jonismus des 
griechischen Ostens, die man früher annahm, wird 
abgelehnt, dafür eine solche herzustellen versucht 
mit einer vorausgesetzten peloponnesischen Sonder- 
art des jonischen Stils. Den Ausgangspunkt bildet 
die Kapitellform der Naiskos - Säulen mit dem in 
einem flachen Bogen nach oben geschwungenen 
Canalis zwischen sehr kräftigen Voluten. Ange- 
nommen, daß diese Formenbildung auf den Vasen 
nicht einfach der Handgewohnheit des Zeichners 
entsprungen ist, dem die Kurve ; zwischen den 
Voluten bequemer in der Feder lag als die Hori- 
zontale, sondern daß sie wirklich einen Typus 
darstellt, so wird dieser mit Recht in Parallele ge- 
stellt mit dem bekannten Kapitell von Phigalia. 
Dieses letztere aber nach Puchsteins Vorgange als 
Vertreter einer peloponnesisch - jonischen Norm 
aufzufassen, an die der Attiker Iktinos seine 
Schöpfung bewußt angegliedert habe, und in diese 
Richtung nun auch die Grabmalssäulen der Vasen 
einzustellen, dazu reicht unser Beweismaterial nicht 
aus. Klarer und überzeugender ist der Aufweis 
einer Entwicklung nach vorwärts und auf dem 
Boden Italiens selbst, wo die besondere Bildung 
des jonischen Kapitells wenigstens der Tendenz 
nach sich noch an den älteren Monumentalbauten 
Pompejis erkennen läßt. 

In der Absicht und ihrer Durchführung, ein Stück 
griechischer Kunst- und Kulturentwicklung auf 
italischem Boden zu schildern, erblicke ich einen 
Hauptvorzug der vorliegenden Schrift. Wie blühend 
muß das Leben gewesen sein in den reichen Kolo- 
nien Großgriechenlands, und wie beklagenswert 
wenig wissen wir davon. Die „Griechischen Tempel 
in Unteritalien und Sicilien“ von Koldewey und 
Puchstein waren ein bedeutsamer, mit Zielbewußt- 
sein und auf breiter Operationsbasis unternom- 
mener Versuch, künstlerische Zustände und größere 
Zusammenhänge darin im griechischen Italien auf- 
zuweisen; als ein weiterer energischer Vorstoß in 
dieses Neuland ist Pagenstechers Buch lebhaft zu 
begrüßen. 


P. Herrmann. 


J. A. HERBERT, Illuminated Manu- 
scripts. The Connoisseurs Library, Me- 
thuen & Co., London 1911. 


Es ist die Absicht des Verf., einen geschlossenen 
Überblick über die Entwicklung der Illustration in 
Pergamenthandschriften vom Ausgang der Antike 
bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts zu geben. 
Ein kühnes Wagnis, das weiß jeder, der selbst 
versucht hat, auch nur einen kleinen Teil des un- 
geheuren Materials zu bearbeiten, oder sich an der 
Hand der Literatur mit den besonderen Problemen, 
die dieser Kunstzweig bietet, auseinanderzusetzen. 
Wenn man erklärt, das Wagnis sei nicht gelungen, 
so braucht dies darum kein Vorwurf zu sein. Im 
Gegenteil wird man bald geneigt sein, dem Ver- 
fasser alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen 
und man wird es dem Buche von Herzen gönnen, 
daß es die stolze Widmung tragen darf: ,,to Sir 
George Warner magistro discipulus.“ Der Schüler 
macht dem Meister Ehre. Er bringt die besten 
Eigenschaften mit, die ihm ein inneres Recht zu 
seinem kühnen Unternehmen geben: größte Ge- 
wissenhaftigkeit, Liebe zur Sache, weitgehende 
Vertrautheit mit dem so heiklen Material, erstaun- 
liche Kenntnis der Literatur, entschiedenen Sinn 
für Qualität und im Grunde auch historisches 
Empfinden. Aber man spürt es doch auf jeder 
Seite: der das Buch schreibt, ist kein Kunsthisto- 
riker, sondern ein Bibliotheksbeamter. Er steht 
dem Stoffe nicht mit der Freiheit des Gelehrten 
gegenüber, der sich seine Kenntnisse in eigenster 
Arbeit an den über ganz Europa verstreuten Denk- 
mälern erworben, sondern er war von vornherein 
beschränkt durch die Bedingungen, die seine 
Arbeitsstätte, das Department of manuscripts im 
British Museum, seiner Ausbildung zum Hand- 
schriftenkenner bot. Die Vorstellungen des Verf. 
sind allzusehr durch das Material an Original- 
handschriften und Publikationen bestimmt, das 
ihm hier zur Verfügung stand. Was noch unver- 
öffentlicht in den Bibliotheken ruht, ist nur selten 
erwähnt, und es klaffen Lücken, wo ein widriger 
Zufall der Londoner Bibliothek eine wertvolle aus- 
ländische Publikation, wie z. B. Swarzenskis Werk 
über die Salzburger Buchmalerei, vorenthalten zu 
haben scheint. 

Die partielle Lückenhaftigkeit und die ungleiche 
Behandlung der einzelnen Partien sind empfind- 
liche Mängel des Buches. Die Darstellung der 
Karolingischen Buchmalerei leidet erheblich an 
des Verf. Unkenntnis der neueren deutschen Zeit- 
schriftenliteratur (deren Resultate nur durch den 
Filter von Leprieurs Kapitel in Michels Histoire 


de l’art zum Verf. gedrungen sind), das Bild der 
deutschen Handschriftenmalerei des 12.—14. Jahr- 
hunderts bleibt ganz unvolistindig, weil hier noch 
wenig im Zusammenhang publiziert worden ist, 
die Darstellung der französischen Malerei des 
13.—14. Jahrhunderts ist unorganisch, weil das 
reichlich, doch unsystematisch Veröffentlichte allein 
berücksichtigt worden ist, während gerade hier 
nur ganz persönliche Auseinandersetzung mit der 
Fülle des Materials zu einer klaren Vorstellung 
der Entwicklung verhelfen kann. 

Das sekundäre Verhältnis des Verf. zu seinem 
Stoff macht sich vor allen Dingen in der Dispo- 
sition des Ganzen geltend. Diese scheint mir meist 
nicht glücklich. Dabei handelt es sich nicht um 
eine bloße Opportunitätsfrage, sondern darum, daß 
die Gliederung des Stoffes den tatsächlichen Grup- 
pierungsverhältnissen des Materials nicht entspricht. 
Was entwicklungsgeschichtlich zusammengehört, 
wird getrennt, innerlich Verschiedenartiges in einem 
Kapitel vereinigt. Das geschieht, weil die Jahr- 
hunderte und die Nationalitäten fast durchweg die 
Einteilungsgründe abgeben, weit mehr, als billig 
ist. So ist das Jahr 1200 nicht der entscheidende 
Wendepunkt in der Entwicklung der englischen 
Miniaturmalerei, sondern dieser liegt noch im 12. 
Jahrhundert, vor dem Leydener Ludwigpsalter und 
vor Royal 2 A XXII (die denn auch im nächsten 
Abschnitt über die englische Malerei des „13. Jahr- 
hunderts ganz richtig wieder herangezogen werden). 
So darf man, willman einigermaßen klar die Ent- 
wicklungsperioden abgrensen, nicht die deutsche, 
französische und niederländische Buchmalerei von 
900—1200 in einem Kapitel darstellen. So sind 
endlich die Einschnitte bei den Jahren 1300 und 
1400, und für die letzte Zeit die Trennung von 
französischer und flandrischer Buchkunst mehr als 
bedenklich: die für den Duc de Berry illustrierten 
Hss. werden damit allein auf drei Kapitel verteilt, 
zwischen die sich die Darstellungen der italieni- 
schen Miniaturmalerei erst des 14., dann des 15. 
Jahrhunderts störend einschieben. Solche Dispo- 
sitionen sind ein Symptom für die Unzulänglichkeit 
der Materialkenntnis; denn sie wachsen nicht not- 
wendig aus dem Erleben des Gegenstandes heraus. 

Diesen Bedenken gegenüber aber muß die An- 
erkennung voll zu Worte kommen für die Dar- 
stellung derjenigen Partien, in denen der Verfasser 
nicht nur kompiliert, sondern selbständige Arbeits- 
resultate vorträgt. Das gilt vor allen Dingen für 
die ersten beiden Kapitel, die die antiken und die 
frühchristlichen Hss. behandeln. Hier finden wir 
ebenso maßvoll - vorsichtige wie selbständige und 
bestimmte Urteile und Charakteristiken der einzel- 


439 


nen Denkmäler. Wie da z.B. Cottonbibel, Genesis 
und Rossanensis in ihrer Besonderheit erfaßt sind, 
das gehört zum Besten, was überhaupt jemals über 
diese Dinge gesagt worden ist. 

Gleich selbständiges Urteil, das m. E. ins Schwarze 
trifft, zeigt sich im Kapitel über die angelsächsische 
Zeichenkunst des 9.— 11. Jahrhunderts. Ihr Heraus- 
wachsen aus der Kunst des Utrechtpsalters, ihr 
Zusammenhang mit der klassischen Kunst, doch 
ihr gegensätzlicher Charakter, ihr Weiterleben in 
der englischen Malerei des 12. Jahrhunderts, ja 
bis zum Queen Marys Psalter, das alles ist mit 
starkem Sinn für historische Zusammenhänge dar- 
gestellt worden. Doch war es auch hier bedenk- 
lich, die „English illumination‘ des 10. und 11. 
Jahrhunderts von den gleichzeitigen „outline-dra- 
wings“ durch Aufstellung eines besonderen Kapitels 
zu trennen. 

Alles in allem, ein ernsthaftes, in jedem Worte 
zuverlässiges Buch, das zur ersten Orientierung 
über den Gegenstand den Studierenden und auch 
älteren Fachleuten warm empfohlen werden kann 
— nicht zuletzt wegen der vorzüglichen Biblio- 
graphie —, das nur leider von vornherein dazu 
verdammt war, ein Torso zu sein. Vitzthum. 


FRIEDRICH H. HOFMANN, Franken- 
thaler Porzellan. 2 Bände mit 208 Taf. 
Bruckmann 1911. 


Vorliegende Arbeit, von dem rührigen Direktorial- 
assistenten des Bayrischen Nationalmuseums ver- 
faßt, dem wir bereits den so sorgfältigen und reich 
ausgestatteten Katalog des Porzellanbestandes dieses 
Museums verdanken, stellt einen neuen ähnlichen 
Zuwachs dar zu der in den letzten Jahren infolge 
der so plötzlich neuerwachten Leidenschaft für die 
Porzellankunst der vergangenen Jahrhunderte so 
reichlich aufgeschossenen Literatur über dieses 
Gebiet, und wohl nicht gerade einen seiner schlech- 
testen. Sie ist, wie man weiß, angeregt worden, 
durch die im Jahre 1909 im Bayrischen National- 
museum veranstaltete, so überaus interessante 
Ausstellung von „altem bayrischem Porzellan“, die 
unser Wissen auf diesem Gebiete so bedeutend 
erweitert und vor allem zu einer so großen Kiš- 
rung auf diesem geführt hat, das wegen der 
Zerstreutheit seines Materials bis dahin noch so 
schwer zu überschauen gewesen war. Sie hat sich 
daher auch in erster Linie an das damals Zusam- 
mengebrachte gehalten, doch, um möglichste Voll- 
ständigheit zu erzielen, an Ergänzungen herbei- 
geschafft, was nur irgend zu erlangen war. Und 
so ist dies Werk wirklich zu einem solchen ge- 


440 


worden, das wohl immer die dauernde Grundlage 
des Studiums auf diesem Gebiete bleiben wird, 
doch auch zugleich ein neues bleibendes Dokument 
für die so lange nicht erkannte Höhe der deut- 
schen Porzellankunst des 18. Jahrhunderts, die 
uns erst jetzt wieder voll zum Bewußtsein ge- 
kommen ist. Denn auch die Porzellankunst 
Frankenthals war eine wirkliche Kunst. Sie ver- 
dient darum eine solche Publikation vollauf, hat 
sie auch, wie bei so vielen deutschen Porzellan- 
fabriken dieser Zeit, weit mehr auf dem Gebiet 
der Plastik gelegen, als auf dem der Gefäßbildnerei 
und mag auch auf jenem nicht gleich von Anfang 
an und auch nicht zu allen Zeiten jene bedeutende 
Höhe erreicht worden sein, die ihr heute wieder 
soviel Liebhaber zugeführt hat. Freilich darf man 
hierbei nicht gleich zu Überschätzungen gelangen. 
Die im Text ausgesprochene Ansicht, daß außer 
dem Hauptplastiker der Nymphenburger Manufak- 
tur, Bastielli, der der hier vorliegenden, Linke, 
allein von allen übrigen Porzellanplastikern dieser 
Zeit dem Material des Porzellans gerecht geworden 
wäre, berührt doch etwas seltsam gegenüber den 
Leistungen eines Kändlers, dem Verständnialosig- 
keit für dies Material bisher doch wohl noch nie- 
mand vorgeworfen hat und dem doch wohl schließ- 
lich alle übrigen erst ihren Porzellanstil abgeborgt 
haben. 

In der Hauptsache stellt vorliegendes Werk 
einen großen, möglichst vollständigen Katalog der 
Erzeugnisse von Frankenthal dar, wie dies das 
Vorwort desselben selber angibt. Der Text ist 
leider, obwohl er an sich recht verdienstvoll ist, 
etwas sehr kurz ausgefallen. Hier wird auf eine 
kommende „größere Arbeit“ hingewiesen, die hof- 
fentlich nicht ausbleiben wird, ja sogar vom wissen- 
schaftlichen Standpunkte aus dringend notwendig 
erscheint. Denn gerade was hier in wissenschaft- 
licher Beziehung Wichtigstes geboten wird, die 
überaus klare und überzeugende Gruppierung der 
plastischen Arbeiten dieser Manufaktur nach ein- 
zelnen Künstlern, bedarf hinsichtlich der Zuschrei- 
bung dieser Gruppen auf bestimmte Künstler doch 
dringend der Angabe der Dokumente, mit deren 
Hilfe diese erfolgt ist. Hier liegt eine nicht ganz 
verständliche Lücke vor. Wahrhaft mustergültig 
ist dann aber der Abbildungskatalog selber, ja 
man wird wohl ganz allgemein gestehen können, 
daß etwas Erfreulicheres, ja Entzückenderes auf 
diesem Gebiet bisher kaum geschehen ist. Nicht 
nur die Aufnahme und die Reproduktion der ein- 
zelnen Porzellanwerke ist einzig und echt por- 
zellanmäßig — man weiß ja, wie für gewöhnlich 
Porzellanreproduktionen aussehen! — auch die 


ganze Aufmachung derselben ist schlechterdings 
tadellos. Dies Porzellanalbum blittert man mit 
wirklichem Kunstgenuß um. Es ist vollendeter 
Geschmack, der sich hier in den Dienst der Kunst 
gestellt hat, und man kann dem Verlag nur wirk- 
lichen Dank sagen, daß er, ohne irgendwelche Kosten 
zu scheuen, die Herstellung eines so erfreulichen 
Werkes ermöglicht hat. Nur in das Lob, das das 
Vorwort den farbigen Abbildungen zollt, wird wohl 
nicht jeder ganz einstimmen. Geschmackvoll sehen 
auch diese aus; ob sie aber von der so eigenar- 
tigen Bemalung der Frankenthaler Figuren wirk- 
lich ein ganz richtiges Bild zu geben vermögen, 
weiß ich doch nicht... Hier scheint mir das auf 
diesem Gebiet bisher noch nirgends gelöste Problem 
gleichfalls noch nicht ganz gelöst zu sein. Sehr 
zu loben aber ist die rein wissenschaftliche Arbeit 
in der Gruppierung dieses Materials. Ungemein 
lehrreich ist z. B. die Zusammenstellung der da- 
mals so beliebten Serien der plastischen Werke. 
Was in dieser Beziehung möglich war, scheint 
völlig geschehen. Ernst Zimmermann. 


Dictionnaire des artistes et ouvriers 
d'art de la France: L’Abbe Brune, 
Franche-Comte. Paris, Bibliotheque d’art 
et d’archéologie, 1912. 340 Seiten. 


Von diesem groß angelegten Künstlerlexikon, das 
die Bibliothek Doucet unter der gewandten und 
emsigen Direktion André Girodies seit drei Jahren 
vorbereitet, ist dieser Band der erste, der von dem 
Abbé Paul Brune, dem Konservator der Altertiimer 
des Jura, bearbeitet worden ist. Diesem ersten 
Bande werden demnächst folgen: Le Poitou von 
Pierre Arnauldet, Le Comtat-Venaissin von H. Re- 
quin, La Touraine von Louis Grandmaison, Le 
Lyonnais von Marius Audin und Eugène Vial, La 
Champagne von A. Boutillier du Rétail, La Bour- 
gogne von Paul Brune, Le Béarn et le Pays bas 
que von Louis Bateau, La Flandre und L’Artois 
von André Girodie usw. 

Dieser soeben erschienene erste Band gibt einen 
guten Begriff von der Anlage und dem Charakter 
dieses Kiinstlerlexikons, das, wenn es fortgeführt 
werden wird, wie es begonnen worden ist, alle 
bisherigen Publikationen ähnlicher Art an doku- 
mentarischer Zuverlässigkeit und Vollständigkeit 


weit übertreffen dürfte. Hinzu kommt, daß das 
Buch auf vorzüglichem, holzfreien Papier muster- 
gültig gedruckt worden ist. 

Alle Kunsthistoriker wissen, welche große Lücken 
und wieviele Ungenauigkeiten die französische 
Kunstgeschichte heute noch aufweist infolge jenes 
mangelhaften Quellenstudiums, dem gerade dieses 
Künstlerlexikon abhelfen will. Dieses Werk ver- 
zichtet auf jede kritische Einschätzung der einzel- 
nen Künstler, trägt dagegen aus den Quellen das 
gesamte historische und ikonographische Material 
zusammen, stelit den Museumsbesitz zusammen 
und verzeichnet die Ergebnisse der Auktionen mit 
einer Sorgfalt und Vollständigkeit, die selbst uns 
Deutsche, die wir bisher auf diesem Gebiet uner- 
reicht waren, zur höchsten Bewunderung stimmen 
muß. Man darf den großherzigen Opfermut Jacques 
Doucets, den Gründer und Leiter dieses Werkes, 
zu dem schönen Erfolg dieses Unternehmens aufs 
herzlichste beglückwünschen; denn es ist in der 
Tat vollkommen und gibt auch uns Deutschen 
wertvolle Anregungen; vor allem durch die engen 
Beziehungen, die in allen Jahrhunderten zwischen 
Deutschland und Frankreich herschten. Indem das 
Lexikon aus den Quellen den Wanderungen der 
Künstler nachgeht, stellt es fest, daß verschiedene 
Künstler aus Süddeutschland und der Schweiz in 
Frankreich unter einem anderen Namen arbei- 
teten — meistens wurde ihr Name ins Französi- 
sche übersetzt oder er wurde durch die französische 
Aussprache verstümmelt. Wir können hier Künstler 
wie Schickhardt, Schoen, Schweighaeuser, Vispre, 
der nach England übersiedelte, Wyrsch aus der 
Schweiz u. a. verfolgen, finden Conrad Meyts 
Tätigkeit in Frankreich apostrophiert; vor allem 
aber gibt dieser Band neue und wertvolle Auf- 
schlüsse über den Basler Meister Konrad Witz 
und die Familie Witzinger, die in Frankreich unter 
dem Namen Sage und Saige gearbeitet haben. Das 
Lexikon bietet einen Stammbaum dieser Familie, der 
der Kunstforschung sehr gelegen kommen wird. 

Es sei endlich noch bemerkt, daß der Heraus- 
geber des ersten Bandes demselben eine kurzge- 
faßte Geschichte der Kunst in der Franche-Comté 
vorangestellt hat. Dieses Werk wird eines der 
unentbehrlichsten Handbücher werden, da es eine 
schon lange fühlbare Lücke ausfüllt. 

Otto Grautoff. 


441 


DER CICERONE. 

Heft 17: 

K. FREISE, Neue Bilder in holländischen Samm- 
lungen. (8 Abb.) 


K. LOHMEYER, Frankenthaler Porzellan aus Hei- 
delberger Privatbesitz. (9 Abb.) 


G. BIERMANN, Die klassische Malerei Frankreichs. 
im 19. Jahrhundert. (5 Abb.) 


Heft 18: 
HANS ROSENHAGEN, Wilhelm Leibl und sein 
Kreis. (11 Abb.) 

JULES COULIN, Der Landschaftsmaler Robert 
Zünd (1827—1909). (6 Abb.) 

ZOLTAN v. TÄKÄCS, Eine Jubiläumsausstellung 
der Kinstlerkolonie in Nagybänya. (5 Abb.) 


KUNST UND KÜNSTLER. 

Heft 12: 

KARL SCHEFFLER, Slevogts Improvisationen. 
Notizen zu Bildern aus der Sammlung Ed. Fuchs. 
(тт Abb.) 

GOTTFRIED HEINERSDORFF, Die Glasmalereien 
der Notre-Dame von Chartres. (4 Abb.) 

H. O. SCHALLER, Georg Konrad Weitbrecht (1796 
bis 1836). (10 Abb.) i 

E. A. BENKARD, Die Sammlung de Ridder. Be- 
merkungen zur Kunst der Holländer des 17. Jahr- 
hunderts. (6 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
XVI., Heft 1: 


GEORG BIERMANN, Jubiläumsausstellung Eugen 
Bracht, Darmstadt. (1 Tafel, то Abb.) 


КОМО GRAF HARDENBERG, Große Berliner Kunst- 
ausstellung. (2 Tafeln, 18 Abb.) 


WILHELM MICHEL, Ramön und Valentin de 
Zubbiaurre-Madrid. (1 Tafel, 9 Abb.) 


E. W. BREDT, Adalbert Niemeyers Haus Krawehl. 
(5 Tafeln, 45 Abb.) 


DIE KUNST FUR ALLE. 
XXVIIL, Heft 1: 


FRANZ WOLTER, Fritz Aug. v. Kaulbach. (5 Taf., 
a5 Abb.) 


G. J. W., Schwind und München. 


DEKORATIVE KUNST. 

XVI., Heft 1: 

EMANUEL VON SEIDL, Der Tierpark Hellabrunn 
in Miinchen. (5 Tafeln, 25 Abb.) 

BERNH. HOETGER, Majolikafiguren: Licht- und 
Schattenseiten des Lebens. (17 Abb.) 


OTTO BLUMEL, Graphische Arbeiten und In- 
terieurs. (20 Abb.) 


442 


ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST. 
Heft 12: 

DETLEV von HADELN, Zwei Madonnen-Kom 
sitionen des Giovanni Bellini. (1 Tafel, 5 Abb.) 
THEOD. PAULSEN, Monumentale und dekorative 
Kunst in der Großen Kunstausstellung Dresden 1912. 
(9 Abb.) 

PAUL SCHUBRING, Italienische Renaissanceplastik 
aus englischem Privatbesitz (Burlington Fine Arts 
Club, London 1912). (8 Abb) 

FEDERICO HERMANIN, Max Roeder. (1 Orig.- 
Rad., 2 Abb.) 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 5: 

PAUL SCHUBRING, Italienische Bilder des 14. und 
15. Jahrhunderts im Museum Schnütgen in Köln. 
II. (Schluß). (1 Tafel, a Abb.) 

LUDWIG ARNTZ, Wegekreuz und Wegebild 
(Schluß). (1 Abb.) 

VICTOR CURT HABICHT, Die älteren Figuren 
am Rathause zu Ulm. (6 Abb.) 

HASAK, Das Alter des Chorbaues von Groß-St. 
Martin zu Köln. (1 Abb.) 


STARYJE GODY. 

Mai: 

ALEXANDRE BENOIS, L’exposition „Lomonosoff 

et l'époque d' Elisabeth“ organisée à St. Petersbourg 

par l' Académie Impériale des Sciences. (36 Abb.) 
U. a. Reproduktionen von Porträts von Tocquė, 
Rotari, des 1756 in Rußland gewesenen Wiener 
Malers Kaspar Prenner, Büsten von Gillet, zahl- 
reicher dekorativer Entwürfe von G. Valeriani, 
einer von Friedrich II. der Kaiserin Elisabeth 
geschenkten Prachtkutsche usw. 

G. LONKOMSKY, Quelques oeuvres d’architecture 

à Koseletz. (4 Abb.) 
Eine vom Grafen B. Rastrelli erbaute Kirche in 
K., Gouvernement Tschernigow. 


Juni: 
L. VENTURI, Notes sur les tableaux italiens а 
St. Petersbourg. (12 Abb.) 
Kurze Übersicht über in russischen Sammlungen 
befindliche italienische Meister. 


S. TROINITZKY, Les porcelaines de la Manufac- 
ture Imperiale à St. Petersbourg de l’époque Wino- 
gradoff 1748—1752. (8 Abb.) 
W. NEUMANN, Le musée de la ville de Riga. 
(10 Abb.) 
Beschreibung des in der zweiten Hälfte des 
18. Jahrhunderts entstandenen Museums, das vor- 
wiegend zweit- und drittklassige Vlämen, Hol- 
länder sowie Deutsche enthält. 


E. KORSCH, La Collection A. A. de Bioncourt — 
armes de chasse. (27 Abb.) 
Die Sammlung ist jetzt seitens des Besitzers 
dem Historischen Museum zu Moskau übergeben 
worden. 


A. TROUBNIKOFF, La maison d'Alexandre I à 
Heidelberg. (3 Abb.) 
Das nicht mehr existierende Pickfordsche Haus 
am Neckar, das Alexander I. 1815 bewohnte. 


N. TCHETCHOULINE, Le vrai sujet du tableau 

de Rembrandt, connu le nom de „Danaé“. (2 Abb.) 
T. sucht, laut Analogie mit einem Bilde des F. 
Bol im Braunschweiger Museum, zu beweisen, 
daß die Rembrandtsche ,,Danae“ in der Ermitage 
„Sara, die Tochter des Raguel, Tobias erwartend“ 
darstellt. 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 
Heft то: 
RICHARD HOFFMANN, Richard Bernde. (3 Taf., 
45 Abb.) 
ANTON MAEGELE, Die „Drei elenden Heiligen“. 
Ikonographische Beiträge aus schwäbischer Kunst 
zur bayerischen Legende. II. 
H. HOLLAND, Johannes Burger, Kupferstecher. 
OSCAR GEHRIG, Deutsche Kunstausstellung In 
Baden-Baden 1912. 
Heft 11: 
HANS SCHMIDKUNZ, Hermann Schaper. (6 Abb.) 
OSCAR DOERING, Neues über ein Tiroler Altar- 
werk des 15. Jahrhunderts. (3 Abb.) 
Altarwerk aus der St. Peter-Paulskirche zu Ster- 
zing im Besitze des Grafen Enzenberg, Schloß 
Tretzberg; die Fülgelbilder im Franziskaner- 
hospiz zu Tiberias. 
ANTON MAEGELE, Die „Drei elenden Heiligen“. 
Ikonographische Beiträge aus schwäbischer Kunst 
zur bayerischen Legende. III. (Schluß.) 
HUGO STEFFEN, Die Weiterentwicklung des 
Eisenbetons im Kirchenbau und die dadurch be- 
dingten neuen Architekturerscheinungen des Aus- 
landes. 
FRANZ X. THURNHOFER, Die neue katholische 
Pfarrkirche in Pfraunfeld. (3 Abb.) 


HANS SCHMIDKUNZ, Berliner Sezession 1912. 


APOLLON. 

Heft 3—4: 

SERGE MAKOWSKY, Die französischen Künstler 

in der Sammlung J. A. Morosoff, Moskau. (50 Abb. 

und 13 zum Teil farbige Taf.) 
Die Sammlung enthält moderne Franzosen, von 
den Impressionisten bis zu den neuesten Rich- 
tungen. Besonders gut vertreten sind Cézanne, 
Gaugin, Van Gogh, Renoir, Monet, Sisley, P. 
Bonnard, M. Denis, Maillol. 


J. TUGENDHOLD, Das Problem des ,,Stillebens“. 
Heft 5: 
FÜRST A. K. SCHERWASCHIDSE, Hundert Jahre 
französischer Malerei. (61 Abb. und 1 Taf.) 
Übersicht der in St. Petersburg arrangierten 
„Centennale französischer Kunst 1812—1912“. 
Reproduktion von Werken von David, Prudhon, 
Baron Gérard, Gros, Lefevre, Boilly, Ingres, 
Géricault, Delacroix, Chassérian, Daumier, Corot, 
Millet, Courbet, Monet, Puvis de Chavannes usw. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1913, Heft 10. 


Heft 6: 


MAX WOLOSCHIN, Konstantin Bogajewski (36 
Abb. und 1 farbige Taf.) mit Katalog seines Oeuvres. 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 
August 1912: 


WILLY F. STORCK, Aspects of Death in 
English Art and Poetry. I. (a Tafeln mit 11 Ab- 
bildungen.) 


Als erster Abschnitt einer Darstellung des mittel- 
alterlichen Totentanzes in England wird die Le- 
gende der drei lebenden und drei toten Könige 
behandelt, von der Storck in den verschieden- 
sten, namentlich den südlichen Teilen Englands 
noch 26 Wandgemälde in kleinen Dorfkirchen 
nachweisen konnte. Der ältere Typ der Dar- 
stellung, in der die drei Toten einfach den drei 
Lebenden gegenübergestellt werden, sowie der 
spätere, in der die drei Lebenden sich zu Roß 
auf der Jagd befinden, sind beide vertreten. 


LIONEL CUST, Notes on the Collections 
formed by Thomas Howard, Earl of Arun- 
del and Surrey. V. 
Behandelt die Holbeins der Sammlung, von denen 
Wenzel Holler eine ganze Reihe gestochen hat. 


MARTIN CONWAY, The Treasury of 8. Mau- 

rice D’Agaune. I. (3 Tafeln mit 8 Abbildungen.) 
Besprochen werden: ı. Die Vase des bl. Martin, 
ein römischer Sardonyxkrug; 2. Der Merovin- 
gische Reliquienschrein; 3. Das von einigen als 
orientalisch (persisch), von Conway als byzan- 
tinisch angesprochene Krüglein des hl. Moritz, das 
ursprünglich offenbar zukeinemkirchlichenZweck 
bestimmt gewesen war. 


AYMER VALLANCE, Early Furniture. III. 
(x Tafel mit 3 Abbildungen.) 


CLAUDE PHILLIPS, The Venetian Tempe- 

rance of the Diploma Gallery. (x Tafel.) 
Weist die bisher wenig beachtete, als Giorgione 
bezeichnete Temperantia der Diploma Gallery der 
Londoner Royal Academy auf Grund stilistischer 
Vergleiche dem Palma Vecchio zu. 


ALYS TROTTER, On Varnishes and as Ve- 
hicles and as Protections. II. 
Fortsetzung der Abhandlung über verschiedene 
Firnisse aus dem Maiheft. 


A.M.DANIEL, Italian Sculpture at the Bur- 
lington Fine Arts Club. (2 Tafeln mit 5 Ab- 
bildungen.) 


Bespricht einige bedeutende Stücke in der Früh- 
jahrsausstellung italienischer Skulpturen im Bur- 
lington Fine Arts Club, vor allem Nr. a: Replika 
des Donatelloschen Reliefs der Kreuzigung im 
Bargello; Nr. 3: Relief in grauem Marmor ,,Ma- 
donna mit Kind und Engeln“ dem Agostino 
d’Antonio di Duccio zugeschrieben, wahrschein- 
lich ein frühes Werk des Meisters und vielleicht 
das Original zu dem Stucco in Berlin; Nr. 7: 
Antonio Rosselino, „Madonna mit Kind“; Nr. 18: 
Tondo, dem Luca della Robbia zugeschrieben, 
„Madonna mit Kind und Engeln“ aus der Samm- 
lung Pierpont Morgans; Nr. 4: Bronzekopf eines 
lächelnden Cupido, dem Donatello zugeschrieben; 


33 443 


Nr. 6: Stuccobüste einer Dame (aus Lord We- 
myss’ Sammlung), dem Desiderio da Settignano 
zugeschrieben. Eine Kalksteinreplika dieser Büste 
aber mit anders behandelten Schultern findet 
sich in Berlin. 
Notes on Various Works of Art. — Letter 
to the Editors. — Reviews and Notices. — 
Pamphlets. — German Periodicals. 


September 1912: 


ALBERT VAN DE PUT, The Prince of Oneglia 

by van Dyck. (3 Abbildungen.) 
Das als ,,A. Knight“ bezeichnete und van Dyck 
zugeschriebene Herrenporträt in der Londoner 
Dulwich Gallery wird als das Bildnis des Prinzen 
von Oneglia aus dem Hause Savoyen erkannt 
und zwar vor allem auf Grundlage seines reich- 
verzierten Panzers. 


WILLY F.STORCK, Aspects of DeathinEng- 

lish Art and Poetry. II. (т Abbildung.) 
Gibt einen Catalogue Raisonné der Fresken und 
Miniaturdarstellungen der drei toten und drei 
lebenden Könige in England. 

R. S. HOBSON, On Chinese Cloisonné Ena- 

mel. Ш. (х Tafel mit 3 Abbildungen.) 

A.ROMNEY GREEN,PrinciplesandEvolution 

of Furniture Making. V. (1 Tafel mit 2 Abb.) 
Beschließt die sehr anregenden Betrachtungen, 
die die Abhängigkeit des Kunstgewerbes wie 
jeder Kunsttätigkeit von den kulturellen und 
sozialen Verhältnissen zum Gegenstand hatten. 


444 


JOHN HUNGERFORD POLLEN, Ancient Lace 
in the Royal Museums, Brussels. (2 Tafeln 
mit 4 Abbildungen.) | 
Besprechung des Buches E. уап Overloops über 
die Spitzensammlung des Brüsseler Museums. 
E. LANCASTER BURNE, Windmills. (1 Tafel 
mit 6 Abbildungen.) 
G. G. COULTON, Artist Life in the Middle 
Ages. (1 Tafel mit 4 Abbildungen und mehreren 
Textillustrationen.) 
Handelt in der Hauptsache von der Stellung der 
mittelalterlichen Architekten. 
MARTIN CONWAY, The Treasury of S. Mau- 
rice d’Agaune. II. (2 Tafeln mit 4 Abbildungen.) 
Bespricht ein karolinisches Reliquiarium; ein 
Reliquiarium aus Silber in Form einer Büste 
des hl. Candidus aus dem ır. Jahrhundert; den 
großen Schrein des hl. Moritz aus dem 12. Jahr- 
hundert; einen weiteren Schrein aus dem 12. Jahr- 
hundert, der die Reliquien der Kinder des hl. 
Sigismund umschließt und mehrere andere Schätze. 
SELWYN BRINTON, Fra Vittore Ghislandi. 
(1 Tafel mit 4 Abbildungen.) 
Gibt eine kurze Lebensskizze des durch die Floren- 
tiner Porträtausstellung des vergangenen Jahres 
zu neuen Ehren gekommenen Bergameser 
Meisters. 
Notes on Various Works of Art. — Letter 
to the Editors. — Reviews and Notices. — 
New Editions and Repoints. — Spanish 
Periodicals. — Recent Art Publications. 


GEORG SIMMEL, Philosophische Kultur, gesam- 
melte Essais. Leipzig, Verlag Dr. Werner Klink- 
hardt. 


ERICH KOEHLER, Edmond und Jules de Gon- 
court, die Begründer des Impressionismus. Leip- 
zig, Xenien-Verlag. Preis geh. M. 4.—, in Halb- 
pergament M. 5.50. 


F. W. GAERTNER, Ferdinand Keller. Karlsruhe, 
C. F. Müllersche Hofbuchhandlung m.b.H. Preis 
geb. M. 5.—. 

HANS JANTZEN, Niederländische Malerei im 17. 
Jahrhundert. (Aus Natur und Geisteswelt.) Leip- 
zig, B. G. Teubner. Preis M. 1.25. 

ALFRED EPPLER, Die Schmucksteine und die 
Schmucksteinindustrie. (Aus Natur und Geisteswelt.) 
Leipzig, B. G. Teubner. 


Katalog der Gemäldegalerie des Allerhöch- 
sten Kaiserhauses, Alte Meister, II. Auf lage. 
Leipzig, Karl W. Hiersemann. 


J. PRESTEL, Zehn Bücher über Architektur des 
Marcus Vitruvius Pollio. (Zur Kunstgeschichte des 
Auslandes.) Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & 
Mündel). Preis M.8.—. 


HEINRICH SCHROHE, Aufsätze und Nachweise 
zur Mainzer Kunstgeschichte. (Beiträge zur Ge- 
schichte der Stadt Mainz.) Mainz, in Kommission 
bei L. Wilkena. 


G. A. BURKHART, Forschungen über Friedrich 
Herlin. Erlangen, Ph. Blaesings Universitétebuch- 
handlung. Preis М. 4.—. 


The First annual Volume of the Walpole 
Society. Oxford, Horace Hart at the University 
Press. 


PAUL GLASER, Sechs unbekannte Grünewald im 
Städtischen Historischen Museum zu Frankfurt a.M. 
Frankfurt a. M., Moritz Diesterweg. 


Wystawa Miniatur J. Sylwetek. Lemberg, 
Gubrynowicz & Sohn. 


FR. VONDER LEYEN und ADOLF SPAMER, Die 
altdeutschen Wandteppiche im Regensburger Rat- 
hause. Regensburg, J. Habbel. Preis: Ausg. A. 
М. 15.—, Ausg. В. М. 30.—. 

E. VAN OVERLOOP, Dentelles Anciennes des 
Musées Royaux des Arts Decoratifs et Industriels 
a Bruxelles. Deuxieme Série, Fascicule V. Brüssel, 
G. van Oest & Cie. 


Inderbekannten Memoirenbibliothek des Verlags von Robert Lutz 
in Stuttgart sind einige sehr bemerkenswerte neue Werke erschienen, über 


die der unserer heutigen Nummer beigefügte Prospekt das Nähere berichtet. 


V. Jahrgang, Heft X. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt, 
Roquetteweg 20. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in BERLIN: HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstr. 158. | In 
MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT 
RATHE, Wien I, Hegelgasse ar. | In ENGLAND: FRANK Е. WASHBURN FREUND, Gaddeshill 
Lodge Eversley, Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemeratraat 22. | In FRANK- 
REICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon rr. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, 


Basel, Eulerstr. 65. 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft: 
BerlinSW, Mittenwalderstr. 39, Fernspr.: Amt Moritzplatz Nr. 13 136 (Fritz Baum). 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


445 


Firmentafel der Monatshefte firKunstwissenschaft 


Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Uberblick iiber die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben. 
unstwissenschaft“ 


Wegen Beteiligung wende man sich an die Inseratenabteilung der „Monatshefte für K 


Aachen. Ant.Creutzer 
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mannshaus). Ausstellung von Orig.-Gemälden und Radierungen holländischer Meister. 


Tafel 84 


Abb. 1. GIOVANNI D’ALEMAGNA, Madonna 
Chiesa dei Filippini, Padua 


Zu: CARL GEBHARDT, GIOVANNI D’ALEMAGNA 


M. f. K. V., 10 


Tafel 85 


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Abb. 2. ANTONIO VIVARINI, Altar 


Dom zu Parenzo 


Zu: CARL GEBHARDT, GIOVANNI D’ALEMAGNA 


M. f. K. V., 10 


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Tafel 86 


Accademia, Venedig 


Abb. 3. GIOVANNI D'ALEMAGNA, Altar 


|| KA 
| Gier? 

H = — . 
БУЗОУ 


Malt 


Abb. 6/7. GIOVANNI D' ALEMAGNA, Aus 
dem Altar von San Zaccaria, Venedig 


Abb. 4/5. ANTONIO VIVARINI, Aus dem Altar von 


San Zaccaria, Venedig 


CARL GEBHARDT, GIOVANNI D’ALEMAGNA 


Zu: 


M. f. K. V., 10 


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Tafel 87 


` P 
A CC 


Abb.8. ANTONIO VIVARINI, Verkündigung Abb. 9. HANS PEURL, Schutzmantelbild 
San Giobbe, Venedig Klosterkirche, Heilsbronn 


Zu: CARL GEBHARDT, GIOVANNI D’ALEMAGNA 


M. f. K. V., 10 


M. f. K. V., 10 


Tafel 88 


Abb. 1. Anblick des Mondes mit freiem Auge 


Zu: H. Н. KRITZINGER, DIE MADONNA DI FOLIGNO 


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Tafel 89 


Abb. 2. Raffaels Madonna di Foligno 


Zu: H. H. KRITZINGER, DIE MADONNA DI FOLIGNO 


M. f. K. V., 10 


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Tafel gı 


(Prado-Museum, Madrid) 


PARRASIO MICHELE (?), Allegorische Komposition: Geburt eines Spanischen Prinzen 


Zu: CONSTANCE J. FFOULKES, EIN UNBEKANNTER BRIEF DES MALERS 


PARRASIO MICHELE 


M.f.K.V., 10 


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M-TAHRGANG-HEFT П —NOVEMBER191£ 


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WISSENSCHAFT 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjährlich 12 Mark 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 11 


ABHANDLUNGEN 

LEO BAER, Der Hausbuchmeister / 
Heinrich Mang und Hans Schnitzer 
von Armsheim. Mit 16 Abbildungen 
auf 4 Tafeln S. 447 

WALTER BOMBE, Die Kunst am 
Hofe Federigos von Urbino. Mit 
ı3 Abbildungen auf 6 Tafeln S. 456 

ERICH GRILL, Die große thronende 
Maria im Kirchenraum des Großh. 
Landesmuseums zu Darmstadt. Ein 
Beitrag zur Kenntnis der oberbaye- 
rischen Holzplastik des 15. Jahrhund. 
Mit 2 Abbildungen auf ı Tafel S. 475 


MISZELLEN 

Ein unbekanntes Blatt des Meisters der 
Nürnberger Passion. Mit ı Abbild. auf 
1 Tafel (Benziger) ............ S. 480 


Я. S. DREY 


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MÜNCHEN 
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LITERATUR 


Rudolf Oldenbourg, Thomas de Keysers 
Tätigkeit als Maler (Martin)) 8. 481 


Oscar Levertin, Jacques Callot. Eine Studie 
, 8. 483 


VittorioMala mani, Canova (Hildebrandt) 8. 486 
Hans Klaiber, Der Ulmer Münsterbaumeister 


Matthäus Böblinger (Baum) ...... S. 487 
Emil Gutmann, Das Grofherzogi. Residens- 
schloß zu Karlsruhe (Lohmeyer). . 8.487 


H.E.Zimmermann, Watteau (Bernoulli) 8. 489 


Heinrich Willers, Verzeichnis der bis zum 
a. August 1912 erschienenen Schriften Carl 


Justis (Müller 8. 490 
Alfred Gandilhon, Bourges et les Abbayes et 
Chateaux du Berry (Grautoff) ..... 8. 490 
Rundschau 8. 491 
Neue Bücher. 8.494 


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DER HAUSBUCHMEISTER / HEINRICH MANG 
UND HANS SCHNITZER VON ARMSHEIM 


Mit sechzehn Abbildungen auf vier Tafeln Von LEO BAER 


Ip Hausbuchmeister-Literatur hat in der letzten Zeit wieder reichlichen Zuwachs 
erhalten; und die Probleme, die dabei aufgerollt worden sind, sind so zahl- 
reich und mannigfaltig, daß es unmöglich ist, auf alle in einem Aufsatze einzugehen. 
In folgendem will ich nur auf einiges, was mir als wichtig erscheint, hinweisen 
und einzelne nachweisbar irrtümliche Behauptungen zu widerlegen suchen. Was 
meine in dieser Zeitschrift!) über die Datierung der Werke des Hausbuchmeisters 
gemachten Ausführungen betrifft, so möchte ich dieselben nur in einigen unwesent- 
lichen Punkten modifizieren: Außerordentlich wichtig ist m. E. der Hinweis von 
Warburg*), daß die aus der Sammlung Lanna stammende Zeichnung des Berliner 
Kupferstichkabinetts früher entstanden ist, als ich es annahm.“) Warburg vermutet, 
daß auf dem Blatte zwei Szenen aus der Brügger Gefangenschaft König Maximilians 
dargestellt worden sind; und die Gründe, die er dafür vorgebracht hat, scheinen 
mir durchaus überzeugend zu sein. Diese Feststellung ermöglicht es uns, ein Werk 
des Hausbuchmeisters auf einen Zeitpunkt festzulegen, aus dem uns bisher nur sehr 
wenige Arbeiten seiner Hand bekannt gewesen sind.“) Was aber noch wichtiger 
ist, es geht daraus hervor, daß unser Meister wahrscheinlich im Jahre 1488 in den 
Niederlanden war und sich damals zum zweiten Male in Brügge aufgehalten hat.') 
Durch einen glücklichen Zufall ist inzwischen noch eine zweite, datierte Zeichnung 
aus dieser Periode bekannt geworden. Es ist der h signierte und 1485 datierte 
„Bogenschütze“ der Erlanger Universitätsbibliothek, den Storck“) veröffentlicht hat. 
Er ist m. E. durchaus eigenhändig und steht seinem Stile nach der Berliner Zeich- 
nung aus der Sammlung Lanna nahe. Aus dem Jahre 1482 sind die Alpirsbacher 
Glasscheiben, die ebenfalls Storck”) mit dem Hausbuchmeister in Zusammenhang 
bringt, und die uns einen wichtigen Hinweis auf den Ort seiner Tätigkeit in diesem 
Jahre geben. — Eingehender haben sich Flechsig in dieser Zeitschrift?) und Leon- 
hardt und Bossert?) mit dem Hausbuchmeister beschäftigt. Während ich die sehr 
gründlichen und in der Hauptsache vorsichtig durchgeführten Untersuchungen von 
Flechsig nur in einem, nicht sehr wesentlichen Punkte berichtigen möchte, muß 
ich die Ausführungen der beiden zuletzt genannten Verfasser einer eingehenden 


Nachprüfung unterziehen.!) 


(х) Ш. Jahrg., S. 408 ff. 

(2) Jahrbuch d. k. preuß. Kunsts. 1911, Heft Ш. 

(3) Monatshefte f. Kunstw. III, S. 422, Nr. 135. 

(4) Ebendort, S.417: „Die Zahl seiner erhaltenen Werke, die dieser Periode angehören, ist besonders 
dürftig.“ 

(5) Vielleicht erklärt sich die Tatsache, daß uns aus dieser Periode so wenige Werke des Hausbuch- 
meisters erhalten sind, daraus, daß er damals in den Niederlanden war. Bei eifrigem Nachforschen 
wird vielleicht noch dort manches zutage gefördert werden. 

(6) Burlington Magazine XVIII, S. 190 u. Tafel II D. 

(7) Kunstchronik, N. F. XXIII, 540. 

(8) IV, 8. 9s ff. u. 162 ff. 

(9) Studien zur Hausbuchmeisterfrage і. d. Zeitschr. f. bild. Kuust. N. F. XXIII, S. 133 fl., 191 fl. u. 239 ff. 
(то) Bossert hat uns schon wiederholt durch Aufsehen erregende Enthüllungen über den Hausbuch- 
meister überrascht. 1909 schrieb er über die angebliche Signatur unseres Meisters im Hausbuche 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 11. 34 447 


Wenn die mit einem großen Aufwand von Gelehrsamkeit und ebenso großer Be- 
stimmtheit vorgetragenen Behauptungen von Leonhardt und Bossert nachweisbar 
richtig wären, müßten wir fast alle unsere Anschauungen über das Leben und die 
Tätigkeit des Hausbuchmeisters einer radikalen Revision unterziehen. Das wert- 
voliste an den Feststellungen der beiden Verfasser scheint mir die richtige Lesung 
der mutmaßlichen Signatur auf der Pferdedecke des E-Ritters im Hausbuche zu 
sein.!) Dagegen ist es m. E. zum mindesten zweifelhaft, ob unser Meister ein Sohn 
des Augsburger Hans Mang, genannt „Schnellaweg“, gewesen ist, zumal ein 
„Heinrich“ mit diesem Nachnamen unter den Augsburger Künstlern nicht nach- 
weisbar ist?). — Verdienstvoll ist es auch, daß die beiden Verfasser uns eine aus- 
führliche Geschichte der frühen Ulmer Bücherillustration gegeben und auf den sehr 
bedeutenden Illustrator der Offizin des Johann Zainer in Ulm hingewiesen und dar- 
getan haben, daß derselbe auch für Nürnberger, Augsburger, Eßlinger und Uracher 
Drucker tätig gewesen ist. Dieser Künstler ist jedoch nicht der Hausbuchmeister. 
Er ist zwar ein Kind seiner Zeit und infolgedessen dem Hausbuchmeister ebenso 
wesensverwandt wie z.B. Zeitblom, der ältere Holbein und Wilhelm Pleydenwurff, *) 
sein Stil zeigtjedoch bei näherer Nachprüfung so wesentliche Verschiedenheiten gegen- 
über den anerkannten Werken des Hausbuchmeisters, daß schon aus diesem Grunde 
m. E. diese Hypothese nicht haltbar ist. Um das darzutun, habe ich auf Tafel 92 
zwei Holzschnitte abbilden lassen (Abb. ı u. 2), die beide denselben Darstellungs- 
gegenstand haben, den Einzug Christi in Jerusalem, und von denen der eine (Abb. ı) 
aus dem bei Drach in Speyer ohne Jahresangabe gedruckten „Spiegel menschlicher 
Behaltnis“ (Hain 14935) stammt und m. E. ein sicheres Werk des Hausbuch- 
meisters ist, der andere (Abb. 2) in dem am 20. Dez. 1477 von Fyner in Eßlingen 


(Repertorium f. Kunstwiss. XXXII, 8. 334): „Mit einigen Umstellungen und mit Zuhilfenahme des 
Spiegels ist deutlich, ungezwungen und unwiderleglich zu lesen: HENRICH. LANG. F(ECIT?). 
Weiteres habe ich vorläufig nicht hinzuzufügen, sondern kann auf meine demnächst erfolgende Ver- 
öffentlichung der diesbezüglichen urkundlichen Belege schon jetzt verweisen.“ Dann 1912 (Zeitschrift 
f. bildende Kunst, N. F. XXIII, S. 249): „Nicht Henrich Lang, sondern Henrich Mang ist zu lesen.“ 
— Zu der viel umstrittenen Frage, ob die Zeichnungen des Hausbuches vom Hausbuchmeister her- 
rühren, konnte er 1910 (Schau-ins-Land 1910, S. 102, nach dem Bericht der Kunstchronik, N. F. ХХІ, 
350): „nachweisen, daß dasselbe (das Hausbuch) von verschiedenen Händen herrührt, die sich genau 
nach Blattlagen scheiden... Von dem eigentlichen Hausbuchmeister rühren nur her ВІ. 13a, 14a, 
17а.“ Dagegen polemisiert er 1912 (Zeitschr. L bild. Kunst, М.Е. XXIII, S. 243): „Zweifellos rühren 
alle Zeichnungen mit Ausnahme von 2a, 3a, ı6b und 35a von einer Hand, nämlich der des Haus- 
buchmeisters her.“ — Über die Zeit seiner Geburt sagt er 1911 (Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXII, 
S. 139): „Sicher hätte ich mich von Bär überzeugen lassen, wäre mir nicht unterdessen ein Bild be- 
kannt geworden, das mich bestimmt, das Geburtsjahr des Hausbuchmeisters noch etwas hinabzurücken 
und ich darf wohl sagen, endgültig auf zirka 1430—1435 festzulegen“ (auch im Original kursiv ge- 
druckt). Ein Jahr später in derselben Zeitschr. XXIII, S. 252: „So wird seine Geburt um 1450 gesetzt 
werden dürfen“ usw. 


(1) Zeitschr. f. bild. Kunst, М.Е. XXIII, S. 249. 

(2) Der Name Mang ist sehr verbreitet gewesen. Nachtragen möchte ich noch, daß aus einer Urkunde 
aus dem Jahre 1469 hervorgeht, daß damals Hans Mang in Innsbruck gewesen ist (vgl. Jahrb. d. 
kunsthist. Samml. d. allerh. Kaiserhauses. ХШ. 2. Teil, S. П, Nr. 8490). Ein Matheis Mang aus 
Weyssenhorn kommt am 16. X. 1514 zu Jörg Breu in die Lehre (Vischer, Studien zur Kunstgeschichte. 
Stuttgart 1886, 8. 551). Für die folgende Untersuchung wichtig ist der Umstand, daß Leonhardt und 
Bossert (S. 249 ч. 250) selbst zugeben, daß Künstler mit dem Namen Mang in Ulm nicht nachweisbar 
sind, dagegen in Speyerer Urkunden aus dieser Zeit zwei Mang vorkommen. 

(3) Die andere mit dem Hausbuchmeister identifizieren wollten. 


448 


herausgegebenen „Niger, Der Stern Meschiah“ (Hain 11886) abgedruckt worden ist 
und dem Ulmer Meister (Leonhardt und Bossert S. 199 Nr. XVII) angehört. Ich 
werde später nachzuweisen suchen, daß die Holzschnitte des „Spiegels“ etwa um 
‚dieselbe Zeit entstanden sind, wie diejenigen des „Niger“. Aber auch, wenn man 
mit Leonhardt und Bossert annimmt, daß die ersteren 1482/83 ausgeführt worden 
sind’), so glaube ich nicht, daß sich die Kunstweise des Hausbuchmeisters innerhalb 
5—6 Jahren derartig verändert hat, daß man ein Werk aus dieser Zeit nicht mehr 
mit einem um diese Zeitspanne älteren seiner Hand vergleichen könnte. Hält man 
die beiden Holzschnitte nebeneinander (Abb. ı u. 2), so fällt sofort die große Ver- 
schiedenheit in der künstlerischen Auffassung des Ganzen und in der zeichnerischen 
Durchbildung der Einzelheiten auf. Der Eßlinger Holzschnitt (Abb. 2) ist vor allem 
viel vollkommener; und es ist schon aus diesem Grunde undenkbar, daß derselbe 
Meister 5—6 Jahre später eine wesentlich unbeholfenere Arbeit, wie es der Holz- 
schnitt des „Spiegels“ (Abb. ı) ist, abgeliefert haben sollte. Die Wiedergabe der 
‚Darstellung in dem Eßlinger Holzschnitt ist eleganter, glatter, die Figuren sind 
besser proportioniert, länger, das Ganze ist richtiger in die landschaftliche Umgebung 
eingefügt; auch die Perspektive zeigt eine fortgeschrittenere künstlerische Durch- 
bildung. Um auf eine Einzelheit hinzuweisen, möchte ich betonen, daß die Nasen 
in dem EBlinger Holzschnitte immer mit einem spitzen Winkel, in unserer Speyerer 
Illustration dagegen vorne abgerundet gezeichnet sind. Man beachte vor allem, 
wie gänzlich verschieden der „Esel“ in den beiden Holzschnitten aufgefaßt ist! In 
-dem Speyerer Holzschnitte des Hausbuchmeisters ist das Hauptgewicht auf die 
Figuren gelegt, wogegen alles Nebensächliche, auch der landschaftliche Hintergrund, 
zurücktreten muß. Die Figuren selbst sind derber, realistischer aufgefaßt, die Pro- 
portionen gedrungen, die Köpfe groß und viel ausdrucksvoller als in dem Eßlinger 
Holzschnitt. Besonders hervorzuheben ist, im Gegensatze zu den runden Linien in 
dem Holzschnitte des „Niger“, die ungewöhnliche wellenförmige Linienbewegtheit, 
die für den Hausbuchmeister in hohem Grade charakteristisch ist. Diese stilistischen 
Unterschiede, die zugleich der Ausdruck eines grundverschiedenen Temperaments 
‚sind, können wir nicht nur bei den beiden abgebildeten Holzschnitten nachweisen, 
sie ergeben sich überall dort, wo man die anerkannten Speyerer Holzschnitte des 
Hausbuchmeisters mit den in Ulm, Nürnberg, Augsburg, Eßlingen und Urach er- 
schienenen Illustrationen vergleicht, die Leonhardt und Bossert а. a. О. S. 136 ff. und 
198 ff. unter Nr. I XXV verzeichnet haben. Man vergleiche nur noch z. B. die 
beiden „Löwen“, die bei Muther Tafel 45 und 66 abgebildet sind! Die Holzschnitte 
.der Ulmer Gruppe zeigen auch keinerlei Ähnlichkeit mit den Radierungen, Hand- 
zeichnungen und Gemälden, die dem Hausbuchmeister zugewiesen werden, während 
eine solche sich bei fast allen Holzschnitten des Speyerer „Spiegels“ feststellen läßt. 
Auch sonst ergeben sich bei der Nachprüfung der von den beiden Verfassern 
aufgestellten Hypothese einige Schwierigkeiten. Eine umfangreiche Arbeit, wie die 
73 Holzschnitte der in Nürnberg bei Sensenschmidt gedruckten deutschen Bibel 
(Hain 3132), die die beiden Verfasser (unter Nr. XIII) dem Hausbuchmeister zu- 
weisen, soll nach ihnen Ende 1476 entstanden sein. Später ist diese Bibel auch 
kaum herausgekommen, da unser Ulmer Künstler im Jahre 1477 in Augsburg, Ulm 
und Eßlingen?) ausgiebig beschäftigt worden ist. Da andererseits der Nürnberger 
Bibel offenbar die 1475 bei Günther Zainer in Augsburg gedruckte deutsche Bibel 
(Hain 3133) als Vorlage gedient hat, wird die erstere wohl wirklich im Jahre 1476 
(1) Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXIII, 8. 203. | 
(2) Vgl. Leonhardt und Bossert i. d. Zeitschr, f. bild. Kunst, М. F. ХХШ, 5. 198/99, Nr. XIV—XVIIL 


449 


entstanden sein. In diesem Jahre war aber der echte Hausbuchmeister in den 
Niederlanden. Ferner war der letztere, wie die datierte Heidelberger Zeichnung 
„Philipp der Beständige und Johann von Soest“ beweist, 1480 in Heidelberg. An- 
dererseits weisen ihm die beiden Verfasser eine große Anzahl Holzschnitte zu, die 
in diesem Jahre in Ulm und Urach entstanden sein sollen, und zwar Nr. XXI 
„Anfang 1480“ in Ulm, Nr. XXI „Mitte 1480“ in Urach, Nr. XXIII ebenso und 
Nr. XXIV ,,1480“. Darunter befinden sich umfangreiche Arbeiten, wie die zahl- 
reichen Holzschnitte des Uracher Plenars (Copinger П. 2322). Bei der Entfer- 
nung zwischen Urach und Heidelberg ist m. E. diese Behauptung schwer zu recht- 
fertigen. 

Wenn nun der Hausbuchmeister Heinrich Mang geheißen hat, und der Ulmer 
Meister nicht mit dem Hausbuchmeister identisch ist, wer war dann der, sicher 
bedeutende, Ulmer Meister? Leonhardt und Bossert haben bei ihren eingehenden 
Studien über die Ulmer Bücherillustration gerade ein Buch übersehen, dessen Holz- 
schnitte uns, wie ich glaube, die richtige Antwort auf diese Frage geben. Es ist 
die am 16. Aug. 1482 bei Lienhardt Holl in Ulm erschienene Ausgabe von Ptolemaeus, 
Cosmographia (Hain-Copinger 13539, Copinger III, 4976, Proctor 2556, Schreiber 
5031). Sie enthält zwei sehr schöne figürliche Initialen (BL 1 recto Initiale N mit 
einer Darstellung, wie der Herausgeber dieser Ausgabe, Nicolaus Donis, dem Papst 
Paul IL sein Werk überreicht, und auf der Rückseite des 2. Blattes Initiale C mit 
dem Porträt des Ptolemaeus als Brustbild), 114 ornamentale Initialen und 32 große 
geographische Karten. Wenn man unsere Initiale N (Abb. 4) mit der Initiale F 
(Abb. 3) aus der in Ulm bei Zainer um 1480 erschienenen „Biblia latina“ (Hain 3079), 
die die beiden Verfasser mit Recht unserem Meister zugewiesen habent), vergleicht 
(Tafel 93), so wird man ohne weiteres zugeben, daß beide von demselben Künstler 
gezeichnet sind. Aber auch die übrigen Initialen und die Köpfe der Winde in der 
Weltkarte (Tafel 94, Abb. 6)°), die den Kartenatlas eröffnet, verraten dieselbe Hand. 
Die letzteren stehen besonders den Zainerschen Aesop-Illustrationen (Hain 330) nahe). 
Nun ist diese Weltkarte mit dem vollen Namen des Künstlers bezeichnet, der sie 
gefertigt hat. Auf dem oberen Rande steht: Insculptum est per Johanne 
Schnitzer de Armssheim. Hans Schnitzer aus Armsheim (Rheinhessen) heißt 
also der Künstler, dem wir die Ulmer, Augsburger, Nürnberger, Eßlinger und 
Uracher Holzschnitte verdanken, die Leonhardt und Bossert dem Hausbuchmeister 
zugewiesen haben. Man wende nicht ein, daß sich das „Insculptum“ nur auf den 
Holzschneider und nicht auf den Zeichner der Weltkarte beziehen könne! Es 
würde aller Vernunft und der Art, wie die Künstler im ı5. Jahrhundert signiert 
haben, widersprechen, wenn der Zeichner einem einfachen Handwerker, dem Holz- 
schneider, die Erlaubnis erteilt hätte, seine Signatur auf einem Holzschnitte anzu- 
bringen, ohne den eigentlichen Künstler zu erwähnen. Die Holzschnittausführung 
ist zudem hier so vorzüglich, daß wir allen Grund haben, anzunehmen, daß die 
Zeichnung von dem Künstler selbst auf dem Holzstock geschnitten worden ist. 


(1) А.а. О., 8. 200, Nr. XX. 

(2) Die photographische Wiedergabe dieser Karte war mit Schwierigkeiten verbunden, da in dem 
einzigen unkolorierten Exemplare, das mir bekannt ist, demjenigen der Stuttgarter Hofbibliothek die 
Mitte der Karte durch das Einbinden stark eingeklemmt und dadurch unsichtbar geworden ist. 

(3) Man vergleiche z. B. den Kopf in der linken oberen Ecke mit dem des blasenden Jägers in Aesop ` 
(abg. Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXIII, 8. 196, Abb. 28), den Kopf ganz rechts unten mit dem des 
gefesselten Diebes (abg. Muther II, Taf. 46 unten) oder den links davon befindlichen Kopf mit dem 
“des aus dem Loche steigenden Mannes (abg. Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXIII, S. 196, Abb. зо). 


450 


Auch daran darf man sich nicht stoßen, daß ein so hervorragender Künstler sich 
mit dem Zeichnen von geographischen Karten abgegeben hat. Hat doch noch 
Holbein d. J. eine Weltkarte für den bei Hervagius in Basel 1532 erschienenen 
„Grynaeus“ gezeichnet!). Über Hans Schnitzer selbst kann ich bis jetzt nichts 
weiter mitteilen. Vielleicht wird uns die Urkundenforschung in den Ulmer Archiven 
näheren Aufschluß über seine Person bringen. jedenfalls scheint es mir festzu- 
stehen, daß er auch noch in den 8oer Jahren in Ulm tätig gewesen ist. Es ist 
hier nicht der Ort, alle seine Arbeiten aus dieser Periode einzeln anzuführen. Ich 
möchte nur auf die bedeutenden, in Ulm bei Dinkmut 1486 erschienenen Terenz- 
Illustrationen (Hain 15436) hinweisen. Nahe verwandt mit diesen sind auch die 
Holzschnitte des 1488 von Koberger in Nürnberg gedruckten „Heiligenleben“ 
(Hain 9981)?). 

Ende der 70er Jahre, als Hans Schnitzer in Ulm und den anderen Städten eine 
rege künstlerische Tätigkeit entfaltete, hat, wie ich glaube, der Hausbuchmeister 
in Speyer eine große Anzahl hervorragender Bücherholzschnitte angefertigt. Diese 
meine Annahme, die ich anderweitig schon eingehend begründet hatte), ist 
scheinbar durch die unzweifelhaft richtige Feststellung von Flechsig‘) widerlegt 
worden, daß die Holzschnitte der beiden 1483 bei Drach in Speyer erschienenen 
Kalender-Einblattdrucke (Copinger II 2219 und Fischer, Beschr. typogr. Seltenheiten 
S. 131—135°) Arbeiten des Hausbuchmeisters sind. In diesen Holzschnitten hatte 
ich sofort nach der Veröffentlichung des einen Kalenders durch Haebler und Heitz°) 
die Hand unseres Meisters erkannt und das auch öffentlich ausgesprochen.“ Ich 
habe sie jedoch noch nicht in meinem Aufsatze erwähnen wollen, da mir die Datier- 
barkeit derselben damals nicht genügend geklärt zu sein schien. Während nämlich 
die datierten Holzschnittbücher, nachdem wir durch ihre Zusammenstellung in 
„Schreibers Manuel de l’amateur de gravure sur bois Bd. V“ genau nachweisen 
können, in welcher Ausgabe ein bestimmter Illustrationstypus zuerst auftritt, ein 
vorzügliches Mittel für die Datierung von Holzschnitten sind, trifft dies für die 
Einblattkalender nicht zu. Die gedruckten Holzschnittbücher des 15. Jahrhunderts 
haben sich meist in vielen Exemplaren erhalten. Und, wenn wir einige Volks- 
bücher, die in die Hände von Kindern geraten sind, und dadurch meist zerstört 
wurden, ausnehmen, können wir behaupten, daß uns fast alle gedruckten deutschen 
Holzschnittbiicher erhalten und durch Schreiber, der alle erreichbaren Bibliotheken 
daraufhin durchgesehen hat, inventarisiert worden sind. Anders steht es mit den 
Einblattkalendern. Auch sie sind wohl in großer Auflage gedruckt worden, da sie 
von den Druckern zu Neujahr an ihre Kunden verschickt wurden“). Sie wurden 
aber, wie das heute noch mit unseren Wand- und Abreißkalendern geschieht, meist 
‘mit Jahresschluß, sobald sie ihre Gültigkeit verloren hatten, vernichtet. Daraus 
erklärt es sich, daß nur noch so wenige von diesen Kalendern vorhanden sind. 
Die große Mehrzahl ist verloren gegangen, und die wenigen, die wir besitzen, sind 


41) Koegler im Jahrb. d. K. preuß. Kunsts., Beiheft zu Bd. XXVIII, S. 112. 

{a) Röttinger hat bereits im Jahrb. d. kunsthist. Sammi. d. allerh. Kaiserhauses XXVII, S, 50, die Ver- 
wandtschaft dieser Holzschnitte mit der Ulmer Gruppe hervorgehoben. 
(3) Monatsheftea.a.O. III, S. 410. 

44) Ebendort IV, 8, 112ff. 

45) Ein Exemplar dieses Kalenders ist augenblicklich nicht aufzufinden. 

46) Hundert Kalender-Inkunabeln. Straßburg 1905. Tafel 41. 

(7) Flechsig war freilich schon viel früher zu dieser Erkenntnis gelangt. 

{8) Viele enthalten einen Neujahrswunsch des Druckers. 


451 


meist Unica geblieben. Deshalb können wir bei ihnen nicht mehr feststellen, wann 
die Holzschnitte, Initialen und Bordüren, die sie schmücken, zuerst Verwendung 
gefunden haben, wann dieser oder jener Illustrationstypus aufgekommen ist. 

Was nun die D-Initialen mit den Monatsbildern betrifft, die die oben erwähnten 
Speyerer Kalender von 1483 schmücken (siehe Tafel 95, Abb. то u. 13), so kennen 
wir zwei andere Kalender, deren Buchschmuck zu ihnen in enger Beziehung steht. 
Der älteste von diesen ist wohl der nach Haebler und Heitz um 1470 entstandene 
Holztafelkalender des Johannes Nider de Gamundia!), der ganz gleichartige, vor- 
züglich gezeichnete Monatsdarstellungen*) enthält (siehe Tafel 95, Abb. 7, 9, 12, 15). 
Ähnliche Monatsbilder finden wir auch in den D-Initialen verschiedener Drucke 
des Heinrich Knoblochtzer in Straßburg wieder (siehe Abb. 8, 11, 14, 16). Sie sind 
alle von „Schorbach u. Spirgatis, Heinrich Knoblochtzer in Straßburg. Straßburg 
1888“, Tafel 71 abgebildet worden. Die beiden letztgenannten Serien von Monats- 
bildern sind vollständig, während uns von den Speyerer D-Initialen des Hausbuch- 
meisters durch das Braunschweiger Kalenderbruchstück nur die Monate Februar 
(Abb. то), März, April und Mai (Abb. 13) erhalten geblieben sind. Die Speyerer 
Initialen verhalten sich zu den Monatsbildern des Holztafelkalenders wie die Holz- 
schnitte des Speyerer „Spiegels menschlicher Behaltnis“ (Hain 14935) zu ihrer 
Baseler Vorlage (Hain 14936)*). Der Hausbuchmeister hat die Bilder des xylo- 
graphischen Kalenders sicher gekannt, sie jedoch nicht kopiert, sondern sehr frei 
verwendet, indem er alle Gegenstände im Gegensinne zeichnete.*) Dagegen sind 
die Initialen der Knoblochtzerschen Drucke ziemlich genaue Kopien nach den Speyerer 
Holzschnitten des Hausbuchmeisters. Wie sich diese Bilder zueinander verhalten“), 
geht, wie ich glaube, hinreichend aus unserer Zusammenstellung auf Tafel 95 hervor. 
Daraus ergibt sich auch m. E. die Notwendigkeit, anzunehmen, daß die Serie des 
Hausbuchmeisters ursprünglich komplett gewesen ist und auch den „Janus“ für den 
Januar enthielt, an dessen Stelle in dem Braunschweiger Bruchstück des Kalenders 
von 1483 eine Darstellung der „Anbetung des Kindes“ getreten ist. Die Kopien 
in den Drucken Knoblochtzers sind wichtig, um den „Terminus ante“ für die Ent- 
stehung der Speyerer Originale zu bestimmen. Die vollständige Reihe der ersteren 
kommt in einem in Buchform bei Knoblochtzer in Straßburg am тї. März 1483 er- 
schienenen deutschen Kalender (Hain 9734, Schorbach u. Spirgatis S. 65 Nr. 39) 
vor. Wir finden jedoch einzelne Initialen bereits in mehreren von Schorbach und 
Spirgatis früher datierten Erzeugnissen desselben Druckers. Die älteste Spur, die 
wir von ihnen nachweisen können, ist die „Janus-Initiale (Abb. 8) in dem 1481 er- 
schienenen „Belial“ des Jacobus de Theramo (Copinger III 5812, Schorbach u. Spir- 


(1) Abg. bei Haebler und Heitz, 100 Kalender-Inkunabeln а.а. O. Tafel 1, Text 8.15. 

(2) Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Holztafelkalender eine Jugendarbeit des Hausbuch- 
meisters ist. 

(3) Im Gegensatze zu meinem früher vertretenen Standpunkte (Monatshefte a. a, О. III, 8.423) habe 
ich mich durch Flechsig (Ebendort IV, S. 107 ff.) überzeugen lassen, daß Beziehungen zwischen diesen 
beiden Ausgaben bestehen. Die Holzschnitte des Hausbuchmeisters sind aber ganz freie Bearbeitungen 
der Baseler Vorlage. 

(4) Freie Kopien der Monatsbilder des xylographischen Kalenders finden sich auch in einer Gruppe 
von Buchkalendern, deren Reihe durch den 1481 bei Blaubirer in Augsburg gedruckten (Hain 9732 = 
9733) eröffnet wird. Dazu gehören Schreiber 4416—4417, 44192 — 4423, 4426—44292. Abbildungen aus dem 
Drucke: Augsburg, Schoensperger 1487 (Schreiber 4420) finden sich bei Muther II, Tafel 31—33. 

(5) Die Verwendung und Anordnung der Monatsbilder ist in den verschiedenen Kalendern nicht immer 
dieselbe. So findet sich z. B. „der Mann, der den Baum beschneidet“, in einem Kalender beim „April“, 
in einem anderen beim „September“. 


452 


gatis S. 32 Nr. 12). Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, daß diese Initiale nicht 
allein für den „Belial“ geschnitten worden, sondern ursprünglich für einen früheren 
(jetzt verschollenen) Knoblochtzerschen Kalender bestimmt gewesen ist. Dieser 
Kalender kann nicht später als am ı. Januar 1481 erschienen, muß also noch im 
Jahre 1480 gedruckt worden sein. Da die Einblatt-Kalender als Neujahrswünsche 
immer erst am ı. Januar verteilt wurden, müssen wir notwendigerweise annehmen, 
daß die Speyerer Vorlage dieses Knoblochtzerschen Kalenders spätestens ein Jahr 
früher erschienen sein kann. Auf eine Spur, die vielleicht zur Auffindung eines 
älteren Speyerer Kalenders mit Monatsbildern des Hausbuchmeisters führen könnte, 
möchte ich noch hinweisen. Schorbach u. Spirgatis a. a. O. S. 12 schreiben an- 
läßlich ihrer Ausführungen über die Knoblochtzerschen Kalenderbilder: „Wir kennen 
einen Einblattkalender, dessen Datirung sich auf 1473 stellen ließ, mit genau den- 
selben D-Darstellungen (abgesehen vom Januar, bei dem im Einblattkalender Maria 
mit dem Christkind abgebildet ist). In dem Catalog von Weigel, Cimeliotheca I 
(1876) Nr. 216 waren Kalenderfragmente angezeigt, auf denen sich Darstellungen 
befanden, die mit unserem Alphabet identisch zu sein schienen. Durch die Güte 
des Herrn Oswald Weigel in Leipzig hatten wir Gelegenheit, jene Fragmente, 
welche inzwischen ins Ausland verkauft waren, zur Einsicht zu erhalten und fanden 
unsere Vermuthung voll bestätigt; auch konnten wir glücklicherweise das Jahr und 
die muthmaßliche Herkunft des Kalenders bestimmen. Es fand sich in ihm die 
Angabe, daß der Ostertag auf den 18. April fiele, was nur eintreten konnte in den 
Jahren 1462, 1473, 1484 und dann erst wieder 1557. Das erste und letzte Jahr 
erschien sofort ausgeschlossen, die weitere Angabe: Der Hornung hat XXVIII, 
schloß auch ein Schaltjahr und damit das Jahr 1484 aus, so daß sich zweifellos 
1473 als Herstellungsjahr des Einblatt-Kalenders ergab“ usw. Nach dieser Be- 
schreibung scheint mir dieser Kalender ein Erzeugnis der Drachschen Druckerei 
mit Monatsinitialen des Hausbuchmeisters gewesen zu sein. Die Datierung „1473“ 
müßte man freilich noch einmal an Hand des Originals nachprüfen. Jedenfalls 
dürfen wir auf Grund unserer Untersuchungen m. E. mit Sicherheit annehmen, daß 
die in Speyer hergestellten Initialen des Hausbuchmeisters ursprünglich für einen 
Kalender bestimmt gewesen sind, der spätestens am ı. Januar 1480 erschien, also 
1479 gedruckt wurde. — Das Verhältnis dieser verschiedenen Kalenderholzschnitte 
zueinander ist so verwickelt, daß ich es nicht für zwecklos halte, dasselbe noch 
einmal durch das auf S. 454 folgende Schema zu erläutern, in dem das Vorkommen 
der verschiedenen Monatsbilder unserer Gruppe bis zum Jahre 1483 verzeichnet ist. 

Hieraus ergibt sich mit Sicherheit, daß der Hausbuchmeister schon in den 70er 
Jahren in Speyer tätig gewesen ist. Es steht daher auch meiner bisher vertretenen 
Annahme!) nichts mehr im Wege, daß die Illustrationen des Speyerer „Spiegels 
menschlicher Behaltnis“ 1478—79 entstanden sind. 

Von den übrigen Speyerer Drucken, die nach Leonhardt und Bossert?) Holzschnitte 
des Hausbuchmeisters enthalten sollen, sind drei (Nr. XXX—XXXII) nach den neuesten 
Forschungen?), die die beiden Verfasser nicht mehr berücksichtigen konnten, spä- 
testens 1479 gedruckt, und zwar von Georg Reyser, der in diesem Jahre von Speyer 
nach Würzburg übersiedelte, eine Feststellung, die wiederum die Richtigkeit unserer 


(x) Monatshefte a.a. O. III, S. 410. 

(2) Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XXIII, S 203. Nr, XXIX—XXXII. 

(3) Pollard, Catalogue of Books printed in the XVth century now in the British Museum. Part II, 
р. XIf und 483f. Leonhardt und Bosserts Nr. XXX = Pollard П, p. 486, I A 8685, Nr. XXI = Pollard, 
ebendort I А 8708, Nr. XXII = Pollard П, p. 485, I A. 8675. 


453 


I. Xylographischer Kalender des Johannes de Gamuadia (etwa 1470). 
Enthält 12 Monatsdarstellungen in Medaillons. 


„ | 

AL Speyerer Kalender, späte- 

stens 1479 für das Jahr 1480 

gedruckt (verschollen). 

Enthielt ı2 Monatsdarstel- 

lungen v. Hausbuchmeister, 

freie Bearbeitungen der Bil- 

der des xylographischen Ka- 

lenders im Gegensinne. 


VI. Kalender bei H. Knoblochtzer in Straßburg, spätestens 1480 für 
das Jahr 1481 gedruckt (verschollen). 
Enthielt Kopien von II. 


Ill. Speyerer Kalender (für das 
Jahr 1473?). 
gl.Schorbach u. Spirgatis, . 
A Knoblochtzer, 5 Vl. Theramo, Belial. Strabo. 
Weigel, Cimeliotheca I, Nr. moblochtzer 1481. 
216, verschollen.) Enthielt (Сор. 5812, Schorbach und 
„Maria mit Christkind“ und Spirgatis, 1a). Janus-Initiale 
11 Monatsdarstellungen (Fe- = VI. 
bruar bis Dezember) — II. 


VIII. Melusine (Straßb., Knob- 
lochtzer). 
(Schorb. u. Spirg. 18.) 7 Mo- 


IV. Kalender für das Jahr 1483 —‘atsdarstellun gen — VI. 


gedruckt in Speyer bei Peter 
Orach, Ende 1482 (Copinger 
2219). : IX. Andreae, Baum der Sippschaft (Straß- 


Enthielt „Anbetung d. Kin- 
des“ u. Monatsdarstellungen 
Februar-Dezember — П und 
III. — Das Braunschweiger 
Fragment enth. nur die fünf 
ersten Initialen. 


У. Kalender für das Jahr 1483. 
Speyer, P. Drach, Ende 1482 
(verschollen). 

Fischer, Beschreibung typo- 
graph. Seltenheiten, 8. 131 
— 135. Monatsdarstellungen 
= IV u. ein Bandornament. 


burg, Knoblochtzer). 
(H.1050, Schorb. u. Spirg. 20.) Initiale für 
Mai — VI. 


X. Perusinus, Tractatus de memoria augenda 
(Straßburg, Knoblochtzer). 

(Schorb. u. Spirg.35, Cop.3912.) Novem- 
ber-D = VI. 


XI. Buchkalender, Straßburg, Н. Knoblochtzer, 
11. März 1483. 

(H. 9734, Schorb. u. Spirg. 39.) Monats- 
darstellungen — VI. 


ХИ. Buchkalender Augsburg, Blaubirer 1481 
(H.9732—9733). Freie Kopien d. Monats- 
darstellungen von I. Vgl. spätere Aus- 
gaben bei Schreiber V, Nr. 4416—4417, 
4419 8—4423, 4426— 44298. 


Datierung der Kalender- und der „Spiegel“-Illustrationen stützen könnte. Ob die nicht 
sehr bedeutenden Holzschnitte dieser drei Drucke wirklich Arbeiten des Hausbuch- 
meisters selbst sind, scheint mir zum mindesten zweifelhaft. Allenfalls könnte noch 


454 


m. E. die Initiale und Bordüre des „Joh. Presbyter, De ritu et moribus Indorum“ 
(Hain 9428) als solche in Betracht gezogen werden. Dagegen ist der Holzschnitt 
des vierten von Leonhardt und Bossert erwähnten Speyerer Druckes (Nr. XXIX) 
„Ordo divini officii 1483“ (Schreiber V 4875) sicher nicht von unserem Meister. 
Dieser ist ein ganz minderwertiges Machwerk eines unbedeutenden Schülers des 
Hausbuchmeisters, von dem wir noch andere Arbeiten in Speyerer Drucken finden, 
Holzschnitte, die meist nicht einmal selbständig erfunden, sondern nach Vorlagen 
kopiert sind. Ich erwähne die Illustrationen des bei Georg Reyser erschienenen 
„Defensorium inviolatae virginitatis Mariae“ (Hain 6085, Pollard II, p. 486 IA 8694, 
Abbildungen bei Essenwein, Holzschnitte im Germ. Museum 62 u. Muther Tafel 66 
unten)!), das Kopien nach den Illustrationen eines Blockbuches enthält?). Ich bilde 
einen derselben ab (Tafel 93, Abb. 5), und bitte diesen mit dem von Leonhardt und 
Bossert auf S. 203 Abb. 45 wiedergegebenen Holzschnitt aus der „Ordo divini officii“ 
von 1483 zu vergleichen. Beide sind m. E. von derselben Hand und beide von 
derselben geringen künstlerischen Qualität. Gerade dieser Tiefstand der Speyerer 
Holzschnittarbeiten der 80er Jahre scheint mir ein Beweis dafür zu sein, daß der 
Hausbuchmeister damals nicht mehr in Speyer gewesen sein kann. Die Firma des 
Peter Drach des Mittleren (dessen Existenz übrigens durchaus zweifelhaft ist’), 
der von den beiden Verfassern zu einem wahren Reformator der Bücherausstattung 
erhoben wird‘), hat, abgesehen von den erwähnten Drucken, den beiden Kalendern 
von 1483, die Holzschnitte aus den 70er Jahren enthalten, und dem „Ordo divini 
officii“ von 1483 und 1484 (letzterer enthält bereits früher verwendete Holzschnitte, 
siehe Leonhard und Bossert Nr. XXVII und XXIX), überhaupt wahrscheinlich 
während dieser Zeit kein anderes illustriertes Druckwerk herausgegeben. Und 
in der anderen Speyerer Offizin der 80er Jahre, derjenigen des Johann und Konrad 
Hist, sind damals nur Holzschnitte aus früheren Drucken und Kopienholzschnitte 
erschienen.“) 


Die ganze Frage, ob der Hausbuchmeister ein paar Jahre früher oder später in 
Speyer gewesen ist, dürfte manchem belanglos erscheinen und eine so langwierige 
Untersuchung nicht verdienen. Immerhin ist es m. E. für die Beurteilung seiner 
künstlerischen Entwicklung nicht unwichtig festzustellen, ob die Speyerer Holz- 
schnitte vor seinem Aufenthalte in Heidelberg im Jahre 1480 entstanden sind, für 
den wir durch die Heidelberger Zeichnung einen sicheren Anhaltspunkt haben. 


(1) Eine spätere Ausgabe mit denselben Holzschnitten (Hain 6084. Pollard II, p. 503, IA 8695) erschien 
bei Joh. und Conr. Hist in Speyer. 

(a) Vgl. v. Schlosser im Jahrb, d. kunsthist. Sammi. d. allerh. Kaiserhauses XXIII, Н. 5, 8 291 und 
Schreiber, Defensorium inviolatae virginitatis Mariae. Weimar, Ges. der Bibliophilen, 1910, S. 2 ff. 

(3) Siehe Pollard a. a. О. II, S. 486. 

(4) Zeitschr. f. bild. Kunst. N.F. XXIII, S. 242. 

(5) Folgende Schreiber-Nummern (nach dem Index von Schreiber, Manuel V, 8.356) sind für die Ge- 
schichte des Holzschnittes in Speyer in den 80er Jahren heranzuziehen: Nr. 3170 ist kein Speyer- 
Druck. Nr. 3173 ist der obenerwähnte Kalender von 1483, Nr.4875 und 4875a die beiden Ausgaben 
der „Ordo divini officii“, Nr. 4761 b ist apokryph., Nr. 3629 enthält Kopien nach den Mainzer Ausgaben. 
Nr. 3056 (Pollard П, р. 485, IA 8675), 4045 (Pollard, p. 486, I A 8694) und 4055 (Pollard П, р. 486, 
ІА 8719) sind spätestens 1479 von Georg Reyser gedruckt. Мг. 3057 enthält dieselben Holzschnitte wie 
3056, Nr. 4046 dieselben wie 4045. Nr. 3974, 4207, 4208 und 4210 enthalten Kopien nach älteren Holz- 
schnitten, Nr. 4925 einen Holzschnitt aus 4045. Nr. 4523 kenne ich nicht. Die Illustrationen dieses 
Druckes, der übrigens auch wahrscheinlich bereits in den 70er Jahren bei Georg Reyser erschienen 
ist, sind nach Schreiber unbedeutend. 


455 


DIE KUNST AM HOFE FEDERIGOS VON 
URBINO Von WALTER BOMBE 


Mit dreizehn Abbildungen auf sechs Tafeln!) so.....0..2.0u000.00000000000000000000000000000000000001 ыы 


m Herzen Italiens, unweit der Adria, zwischen dem reißenden Foglia und dem 

Metaurus, liegt die alte Stadt „Urbs bina“, von steilem Doppelfelsen weit in die 
Täler hinübergrüßend. In ihre grüne Campagna eingebettet, träumt sie seit fast 
einem halben Jahrtausend von ihrem alten Ruhm, eine Stadt des Schweigens. Um 
die Mitte des 15. Jahrhunderts, als hier zum ersten Male das frische, freudige Leben 
der Renaissance sich regte, war Urbino ein Fürstenhof, der in Italien wenige seines- 
gleichen hatte. Heute ist es ein unbedeutendes Landstädtchen von wenigen tau- 
send Einwohnern, und ohne Gegenwartsleben, wie die anderen ,,Cento Citta“ 
Italiens, malerisch in seinem Verfall, mit dem stolzen Schloßbau, der auf höchstem 
Felsen fürstlich thront, das niedrige Häusergewimmel weit überragend (Abb. 1). 
Nur einmal im Jahre kommt Leben in diese Stadt des Schweigens, am 28. März, 
wenn die ganze Bürgerschaft mit Prozessionen, flatternden Fahnen, Musik, Guir- 
landen und Blumenspenden den Tag feiert, an dem Raffael der Welt geschenkt 
wurde. 

Aliprandus aus Syrakus berichtet, daß Urbino von dem Umbrer Metaurus Suasso 
gegründet wurde, 103 Jahre nach der Gründung Roms. Später wurde die Stadt 
römisches Municipium, und hier, am Metaurus, erlag Hasdrubal dem Ansturm der 
römischen Legionen. In Urbino saßen seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts Grafen 
von Montefeltre. Ein Montefeltre war es, der 1213 von dem deutschen Kaiser 
Friedrich П. mit Urbino belehnt wurde. Oddantonio da Montefeltre wurde von 
Papst Eugen IV. sogar zum Herzog gemacht. Ein Jahr darauf, 1444, fiel er als 
Opfer einer Verschwörung. Ihm folgte in der Herrschaft sein Halbbruder Federigo, 
aber die Herzogswürde ging auf ihn als Bastard nicht über; erst dreißig Jahre später 
verlieh sie ihm Papst Sixtus IV. 

Federigo ist einer der bedeutendsten Repräsentanten des Fürstentums der Re- 
naissance. Schon als Knabe hatte er von seinem Lehrer Vittorino da Feltre den 
Wahlspruch gehört: „Tu quoque Caesar eris.“ Diesem Wahlspruch Ehre zu machen, 
war die Aufgabe seines Lebens. Als Söldnerführer, — und Condottiere blieb er bis 
an das Ende seiner Tage — befolgte er die Politik, seinen auswärts gewonnenen 
Sold im Lande zu verzehren und dieses so wenig wie möglich zu besteuern. Er 
unterhielt einen Hofstaat von 500 Köpfen, und dieser Hofstaat war zugleich eine 
mustergültige Erziehungsanstalt für die Söhne anderer großer Herren, deren Bildung 
dem Herzog, der selbst ein vielbelesener, geistig strebsamer Mann war, sehr am 
Herzen lag. Die jetzt verödete Stadt überstrahlte unter Federigos ruhmvoller Herr- 
schaft die benachbarten Höfe der Sforza in Pesaro und der Malatesta in Rimini und 
wetteiferte selbst mit den Hauptstädten Italiens ). 

Bücher und Bauten waren die Leidenschaft Federigos. Der von den Vätern er- 
erbte Palast schien ihm zu eng und zu unansehnlich. Er beschloß, durch einen groß- 
artigen Neubau alles zu überbieten, was die Palastarchitektur bis dahin geleistet 
hatte. Einen Baumeister, der seine Absichten verwirklichte, fand er in der Person 
des Dalmatiners Luciano de Laurana. Dieser Künstler hatte schon 1465 für Alessandro 


(x) Antrittsvorlesung, gehalten am 2. Mai 1911 an der Westfälischen Wilhelms- Universität in Münster. 
(a) Eine ansprechende Schilderung Urbinos und seines Fürstenhofes gibt Paul Schubring in seinem 
Bande „Urbino“ der von Prof. Georg Biermann herausgegebenen „Stätten der Kultur“. 


456 


Sforza, den Herrn von Pesaro und Schwager Federigos, einen großartigen Palast 
erbaut. Unmittelbar darauf begann er seine Tätigkeit am Urbinater Schloßbau, und 
1468 wurde er durch ein Patent des Herzogs als oberster Bauleiter bestätigt. 

Eine Hauptschwierigkeit für den Architekten bestand darin, daß ältere Bauteile 
benutzt werden mußten, und daß er auf dem unebenen Terrain für alle Räume des 
Palastes das gleiche Niveau herzustellen hatte. Laurana hat diese Schwierigkeiten 
mit höchstem Geschick überwunden und ein wahrhaft epochemachendes Werk ge- 
schaffen. Leider ist aber sein Plan nicht ganz zur Ausführung gekommen, und auch 
der ausgeführte Teil ist unvollendet geblieben. 

Der westliche Teil des Baues (Abb. 2) lehnt sich an das schroff abfallende Ge- 
lände. Hier waren mächtige Substruktionen erforderlich. Die beiden schlanken 
Türme rechts und links bergen Wendeltreppen und haben außerdem noch die 
Funktion, den Seitendruck aufzunehmen. Im Erdgeschoß ist von einer unregel- 
mäßigen Anlage des Terrains nichts mehr zu spüren. Alle Räume liegen, wie das 
die von Leon Battista Alberti aufgestellten Regeln der Renaissance-Architektur ver- 
langen, auf dem gleichen Niveau. Von der ganz ebenen Auffahrt zwischen Dom 
und Schloß gelangt man durch das hohe Tor (Abb. 3) in ein gewölbtes Vestibül und 
alsdann in den prächtigen Hof mit seinen schönen Säulenhallen im Erdgeschoß und 
geschlossenen Wandelgängen im ersten Stock, wo einfache, gerade Fenster mit Ver- 
dachungen und zwischengestellten Pilastern die Wandfläche beleben. Wir glauben 
uns in einen Bau der Hochrenaissance versetzt; und doch ist dieser wundervolle Hof 
schon um 1470 entstanden. Mit dem Hauptgeschoß, dem „Piano nobile“, war der Bau 
nach oben abgeschlossen. Ein Kranz von Zinnen, deren Spuren noch deutlich zu 
erkennen sind, gab dem Palast nach außen hin den ernsten, burgartigen Charakter. 
Das jetzt vorhandene oberste Stockwerk ist ein späterer Zusatz ohne künstlerische 
Bedeutung. Das Ganze ist Ziegelrohbau. An einzelnen Stellen sind Anfänge ge- 
macht, die Fassade mit Travertinquadern zu verkleiden. 

Es ist ein Verdienst Franz von Rebers, zuerst nachgewiesen zu haben, daß wir 
nicht, wie man bis dahin glaubte, in Bramante, sondern vielmehr in dem Erbauer 
des herzoglichen Palastes in Urbino den eigentlichen Begründer der Hochrenais- 
sance zu verehren haben. Die kritisch - archäologische Revision der Quattrocento- 
formen, die Beseitigung phantastischer Auswüchse, die strengere Nachbildung antiker 
Konstruktionen in den Verhältnissen und den stilistischen Elementen ist tatsächlich 
schon vor Bramante von Luciano de Laurana ausgegangen, und es unterliegt kei- 
nem Zweifel, daß Bramante, wenn er wirklich als junger Mensch an dem urbinater 
Schloßbau mitgewirkt hat, nur unter der Leitung Lauranas tätig gewesen sein kann. 
Diese Beteiligung Bramantes wäre in den Jahren zwischen 1467 und 1472 möglich, 
in welch letzterem Jahre er Urbino verließ, um in Mailand in den Dienst der Sforza 
zu treten. Wahrscheinlich ist durch Laurana das Gefühl für große Verhältnisse 
und starke Einheitlichkeit der Gestaltung in Bramante geweckt und damit der Grund 
für die Bedeutung dieses großen Meisters im Werdegang der Hochrenaissance ge- 
legt worden. Bramantes Anteil am herzoglichen Palast ist nicht mehr festzustellen, aber 
deutliche Anklänge an den frühen lombardischen Stil Bramantes zeigt die Kirche 
San Bernardino bei Urbino, namentlich in der eigentümlichen Form der Kuppel (Abb. 5). 

Francesco di Giorgio aus Siena, den der Künstlerbiograph Vasari als Archi- 
tekten des Palastes nennt, kam erst 1477 nach Urbino, als der Palast im wesent- 
lichen schon vollendet war, und Gäste und Freunde des urbinater Hofes den Ruhm 
des Schlosses und seines Erbauers allerorten verkündigten. Der Sienese hat, ge- 
meinsam mit anderen, für den Sockel des Palastes Reliefs mit Darstellungen von 


457 


Kriegsmaschinen geschaffen und ist von Federigo vor allem als Festungsarchitekt 
herangezogen worden. Von 1477—1479 folgte er dem Herzog in den Kampf gegen 
Florenz, 1480 war er kurze Zeit in seiner Heimat Siena und 148r ist er in Gubbio 
nachweisbar, wo er wiederum mit Festungrbauten beschäftigt war. 

Der Palastbau von Urbino galt zu allen Zeiten als klassisch. Federigo Gonzaga, 
der Markgraf von Mantua, wandte sich 1481 an Matteo da Volterra, einen seiner 
früheren Höflinge, der in den Dienst Federigos getreten war, mit der Bitte um 
einen Plan der Anlage, und der Architekt Baccio Pontelli mußte für Lorenzo den 
Prächtigen Zeichnungen des Palastes anfertigen. Giovanni Santi, der Vater Raf- 
faels, feiert in seiner Reimchronik den Palast und seine Erbauer, den Herzog und 
Luciano de Laurana'). Porcellio dei Pandoni preist die Schönheit des urbinater 
Schlosses in seiner 1474 geschriebenen „Feltria“ in lateinischen Hexametern, Giovan 
Antonio Campano gedenkt der Teppiche mit Darstellungen aus dem trojanischen 
Kriege, welche die Säle des Palastes schmückten, „herrlicher fiandrischer Werke 
italienischer Künstler“, und Antonio da Mercatello besingt in holprigen Versen die 
Bildhauerarbeiten im Schlosse, die kostbaren Silber- und Goldgeräte, die Gewebe 
mit den trojanischen Kriegsbildern, die marmornen Türeinfassungen und den Garten 
mit seinen vielen Statuen. 

Bernardino Baldi, der ungefähr тоо Jahre nach Lauranas Tode eine Beschreibung 
des herzoglichen Palastes verfafite, erwähnt einige mit Lauranas Namen bezeich- 
nete Architekturprospekte. Eine dieser Tafeln, die deutlich sichtbare Reste der 
Namensinschrift Lauranas trägt, aber lange Zeit als Werk des Piero della Fran- 
cesca galt, befindet sich noch jetzt in Urbino. Zwei andere zusammengehörige 
Stücke waren bis vor einigen Jahren in der Sammlung Massarenti in Rom vor- 
handen. Eine derselben wurde nach Amerika verkauft und ist seitdem verschollen, 
während die andere, stilistisch dem Urbinater Stück nah verwandte Tafel vom Ber- 
liner Museum erworben wurde, 

Baldi behauptet ferner — ob auf Grund alter Tradition oder sonstiger Nachrichten 
wissen wir nicht —, daß das Lustschlo8 Poggio Reale bei Neapel Lucianos Werk 
sei. Leider ist die ursprüngliche Anlage dieses Schlosses bis auf geringe Reste 
zerstört, aber Plan und Aufriß, wie sie Serlio angibt?), lassen soviel erkennen, daß 
es sich hier um eine dem herzoglichen Palast verwandte Konstruktion handelt’). 


* * 
* 


Wie die übrigen fürstlichen Gemächer des Palastes liegt auch das „Studio“, das 
Arbeitszimmer des Herzogs Federigo, im ersten Stockwerk des Westbaues, der 
durch zwei schlanke Rundtürme flankiert ist (Abb. 4). 


(1) Giov. Santi (Lib. XIV, Kap. 56): 
„E l'architetto, a tutti gli altri sopra 
fu Lutian Lauranna, huomo eccellente, 
che per nome vive, benchè morte il cuopra. 
Qual cum l’ingegno altissimo e possente 
guidava l’opra col parer del conte, 
che a ciò el parere havea alto e lucente 
quanto altro signor mai, e le voglie pronte.“ 
(2) Libro III, p. 146. 
(3) Ausführlich hat hierüber Th. Hofmann in seinem abschließenden Werke: „Bauten des Herzogs 
Federigo di Montefeltre als Erstwerke der Hochrenaissance“, 1905, gehandelt. 


458 


Das Studio ist ein zierlich ausgestatteter kleiner Raum, den sich der kunstsinnige 
Fürst mit Intarsien und Bildnissen berühmter Geisteshelden alter und neuer Zeit 
hat ausschmücken lassen. Der Intarsiaschmuck, der in liebenswürdigster Weise 
den Zweck des Raumes andeutet, ist noch an Ort und Stelle vorhanden’), und auch 
die 28 Bildnisse beriihmter Philosophen, Dichter, Kirchenväter und Schriftsteller, 
welche die obere Hälfte der Wände schmiickten, sind sämtlich erhalten. Der Kar- 
dinallegat Antonio Barberini, der um 1631 in Urbino residierte und während seiner 
Amtszeit einen beträchtlichen Teil der Kunstschätze des herzoglichen Palastes in 
seinen Besitz zu bringen verstand, hat die 28 Bildnisse nach Rom entführt. Vier- 
zehn derselben kamen 1812 durch Erbteilung in den Palast Sciarra-Colonna, und 
von dort in die Sammlung Campana, mit der sie in das Museum des Louvre ge- 
langten, während die vierzehn im Palazzo Barberini verbliebenen bis vor kurzem 
in den Privaträumen des Fürsten hingen und erst seit Oktober 1907 in der Galerie 
dem Publikum zugänglich gemacht worden sind. In zwei Reihen übereinander be- 
deckten sie die obere Hälfte der Wände, jedes mit den zugehörigen Lobsprüchlein 
darunter, deren Text uns Laurentius Schraderus überliefert hat?), der die Bilder 
gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch an Ort und Stelle sah und in ihrer ursprüng- 
lichen Reihenfolge kopierte. Die Maße der einzelnen Bilder, die noch erhaltenen 
Reste der gemalten Umrahmung und die ursprüngliche Zusammengehörigkeit in 
Gruppen bestätigen nicht nur die Vermutung, daß Schraderus die Inschriften in der 
richtigen Reihenfolge gibt, sondern ermöglichen auch eine Rekonstruktion des ge- 
samten Bilderschmuckes in der Weise, daß jedem Bildnis der ursprüngliche Platz 
an der Wand zugewiesen werden kann?). 

Danach nahmen an der Westwand, rechts vom Fenster, Plato und Aristoteles die 
untere, Gregor und Hieronymus die obere Reihe ein. Dann folgte die Nordwand 
mit Ptolemäus, Boethius, Cicero und Seneca in der unteren und Ambrosius, Augu- 
stinus, Moses und Salomo in der oberen Reihe. An der Ostwand fanden Homer, 
Virgil, Euklid und Vittorino da Feltre unten und Thomas von Aquino, Scotus, Papst 
Pius II. und Bessarion oben ihren Platz. Links vom Fenster, an der Südwand, 
waren unten Solon, Bartolus, Hippokrates und Pietro d’Abano, oben Albertus Mag- 
nus, Papst Sixtus IV., Dante und Petrarca zu sehen (Abb. 6). 

In dieser Weise an den Wänden verteilt, müssen die 28 Bildnisse mit ihrer gol- 
digen, leicht durchsichtigen Farbengebung und im Verein. mit den reichen Intarsien 
ein herrlicher Wandschmuck gewesen sein. Sie sind auch offenbar von den italieni- 
schen Künstlern hochgeschätzt worden, wie die zehn Nachzeichnungen des früher 
Raffael zugeschriebenen venezianischen Skizzenbuches bezeugen, 

Wir verdanken die einzige zeitgenössische Erwähnung dieses Bilderzyklus dem 
Bibliothekar des Herzogs, Vespasiano da Bisticci, der in seiner Lebensbeschreibung 
Federigos berichtet, daß ein flandrischer Maler, der eigens zu diesem Zweck nach 
Urbino berufen wurde, das Studio des Herzogs ausgemalt habe: „Da Federigo in 
Italien niemand wußte, der in Öl zu malen verstand, so schickte er schließlich nach 
Flandern, um eines großen Meisters habhaft zu werden, hieß ihn nach Urbino 


(х) Auf einer in Intarsiatechnik wiedergegebenen Orgel findet sich die Inschrift: „Juhani Castelano“. 
Dieser irrtümlich als Schöpfer der Intarsien in die Literatur eingeführte Giovanni Castellano war, wie 
Fabriczy im „Archivio storico dell'Arte“ 1880, р. 187 nachwies, ein berühmter Orgelbauer und Instru- 
mentenmacher. 

(2) „Monumentorum Italiae..., libri quatuor,“ Helmestadii 1592. 

(3) Näheres darüber in des Verfassers Aufsatz: „Justus von Gent in Urbino“, abgedruckt in den „Mit- 
teilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz“, 3. Heft, Herbst 1909, р. 111 ff. 


459 


kommen und ließ dort viele glänzende Malereien von ihm ausführen, vor allem in 
seinem Studio, wo dieser die Philosophen, Dichter und Doktoren der griechischen 
und lateinischen Kirche malen mußte, wahre Wunderwerke der Kunst. Dort malte 
er auch den Herzog (Sua Signoria) so naturwahr, daß ihm nichts fehlte, als der Atemzug“. 

Dieser vlämische Künstler ist niemand anders als Josse van Gent, von dem wir 
in Urbino ein dokumentarisch gesichertes Werk besitzen, die Kommunion, die 
heute die Galerie der Akademie daselbst bewahrt. In diesem Bilde, dem ersten, 
das in Urbino in der neuen Öltechnik gemalt wurde, ist nicht das Abendmahl dar- 
gestellt, sondern die Einsetzung des Sakramentes. Christus schreitet durch die Reihe 
der Apostel, die ihre Plätze verlassen haben und teils kniend, teils stehend der Ein- 
setzung des Sakramentes harren. Auf der rechten Seite, der Gruppe der stehen- 
den Jünger entsprechend, fesselt eine Anzahl von Porträts den Blick. Wir erkennen 
den Herzog und neben ihm einen Mann in orientalischer Kleidung, den Venezianer 
Caterino Zeno, der als Gesandter des Schah von Persien 1473 nach Urbino kam 
und während dessen Anwesenheit daselbst Josse das Bild ausfiihrte. In der Tür 
erscheint die Wärterin mit dem kleinen Guidobaldo auf dem Arm. 

Das Bild zeigt seinen Urheber noch im engen Schulzusammenhange mit Hugo van 
der Goes; die beiden Engel kehren ganz ähnlich auf dem wenige’ Jahre später ent- 
standenen Portinari-Altar des letzteren wieder, die Zeichnung der Hände, die bald 
knittrige, bald weichfließende Gewandbehandlung und selbst die Typen sind der 
Art des Hugo van der Goes verwandt. Nur ist die ganze Ausführung flüchtiger, 
die Zeichnung und die Farbengebung weniger tief und warm, und die Perspektive 
nicht auf der Höhe jenes Meisterwerkes flandrischer Kunst: Federigo und seine 
Begleiter im Hintergrunde sind in größerem Maßstabe als die vorderen Figuren dar- 
gestellt. 

Es scheint, daß außer der Predelle, von der später (s. S. 471) gehandelt werden 
soll, noch sechs der Flügelbilder dieses Altarstückes auf uns gekommen sind. In 
der Sakristei des Domes zu Urbino hängen sechs sehr nachgedunkelte Bildtafeln, 
die in gemalten Nischen je einen Apostel darstellen. Sechs zugehörige Tafeln sind 
vor Jahrzehnten durch einen Brand zugrunde gegangen. Die Maße der erhaltenen 
Tafeln stimmen mit 0,96 m Höhe und 0,40 m Breite gut zu dem 2,60 m hohen und 
3,20 m breiten Kommunionsbilde. In zwei Reihen, zu je drei übereinander ange- 
ordnet, ergeben sie den einen Flügel des Altarwerkes. In der Auffassung der For- 
men sind Einflüsse italienischer Meister, namentlich Melozzos, zu bemerken. Der 
jugendlich-blondlockige Johannes erinnert an den einen päpstlichen Nepoten auf dem 
Fresko Melozzos in der Vatikanischen Pinakothek. Ganz im Stile des Josse van 
Gent sind die bärtigen Apostel Jakobus und Andreas und die beiden lesenden, nicht 
durch Attribute gekennzeichneten Apostel). 

Was die Philosophenbildnisse aus dem Studio mit dem gesicherten Werke des 
Meisters verbindet, ist das Vorherrschen eines bernsteinfarbenen Lokaltons, ferner 
die gleiche, strichelnde Modellierung, die erstaunliche Beseelung der Hände und die 
minutiöse Behandlung des Details bei gleicher realistischer Auffassung und gleicher 


(1) Der Verfasser wurde auf diese interessanten Tafeln erst bei Gelegenheit einer Exkursion aufmerk- 
sam, die er im März 1912 im Auftrage des Kunsthistorischen Instituts leitete. Er dankt an dieser 
Stelle Herrn cand. H. Wichmann, Berlin, der zuerst auf den glücklichen Gedanken kam, die Tafeln 
mit der „Einsetzung des Sakramentes“ in Zusammenhang zu bringen, für die bei den obigen Fest- 
stellungen geleistete Hilfe. — Es wäre mit Freuden zu begrüßen, wenn sich das Urbinater Domkapitel 
dazu entschlösse, diese wertvollen Tafeln, die durch Brand und jahrhundertelange Vernachlässigung 
schwer gelitten haben, von sachkundiger Hand reinigen zu lassen. 


460 


Haar- und Gewandbehandlung. Das Eckige, Ungelenke seiner Apostel erscheint ge- 
mildert. Die italienische Grazie beginnt auf den Nordländer einzuwirken, und sein 
ursprünglich sprödes Naturell nimmt die von allen Seiten eindringenden Anregungen 
allmählich auf. 

Von Josse van Gent rührt auch jenes aus dem herzoglichen Palast stammende 
Bildnis Federigos und seines etwa vierjährigen Thronerben Guidobaldo her, das in 
seiner engen, fast philiströsen Auffassung und in der liebevollen Wiedergabe jedes 
Details, selbst der Inschrift auf dem Federigo 1474 vom König von England ver- 
liehenen Hosenbandorden, ein ganz ungemein charakteristisches Werk des Flandrers 
ist und mit Rücksicht auf das Alter des dargestellten Knaben etwa 1476 datiert 
werden kann (Abb. 7). Ferner wird ihm neuerdings ein schlechterhaltenes und stark 
restauriertes Gruppenbild in Windsor Castle zugeschrieben, das den Herzog mit 
dem etwa siebenjährigen Guidobaldo und einigen Personen des Hofstaates darstellt, 
wie sie einer Vorlesung beiwohnen. Wenn dieses Bild wirklich von ihm herrtihrt, 
wie sehr wahrscheinlich ist, weil charakteristische Eigenheiten des Flandrers, wie 
die Behandlung des Schmuckwerkes und die eigentümlich aufgefaßten Komposit- 
kapitäle sich auch bei den Uomini illustri aus dem Studio wiederfinden, so dürfen 
wir aus dem Alter Guidobaldos schließen, daß der Meister eine ganze Reihe von 
Jahren am Hofe von Urbino gelebt hat. 

* 3 * 

Einzelne Bildnisse des Studierzimmers, vor allem die des Bartolo, Euklid, Boethius, 
Scotus, Albertus Magnus, Cicero, Dante und Petrarca (Abb. 6), scheinen unter Beteiligung 
eines Gehilfen entstanden zu sein. Der einzige urbinatische Lokalkiinstler, dessen 
Mitwirkung hier in Frage kommen kann, ist Giovanni Santi, der Vater Raffaels. 
Er ist jedenfalls unter allen Malern Urbinos der am stärksten von dem Nordländer 
angeregte Meister, und flandrische Einflüsse sind namentlich in der Frühzeit Gio- 
vanni Santis auf das deutlichste wahrnehmbar. Die ergreifende Pietà in der Urbi- 
nater Galerie und der in Temperatechnik aus dem Kommunionsbilde heraus- 
kopierte Christus ebendaselbst sind in dieser Hinsicht besonders lehrreich. Die 
auffallende Tatsache, daß Giovanni Santi in seiner Reimchronik des Meisters aus 
Gent an keiner Stelle gedenkt, während er doch die Tätigkeit fast aller Künstler 
am herzoglichen Hofe schildert, findet wohl ihre zwanglose Erklärung in leichtbe- 
greiflicher Eifersucht des Urbinaten gegen den fremden vom Landesherrn bevor- 
zugten Maler. 

Die Porträts des Plato, des Aristoteles und des Ptolemäus zeigen kaum eine 
oberflächliche Ähnlichkeit mit einigen uns aus dem Altertum erhaltenen Biisten, 
und ebensowenig entsprechen die Köpfe Ciceros und des Hippokrates den antiken 
Vorbildern; für das Bildnis Vittorinos da Feltre, der 1446 gestorben ist, also fast 
30 Jahre, bevor Federigo seinem verehrten Lehrer hier ein Denkmal setzte, scheint 
Pisanellos herrliche Medaille als Modell gedient zu haben Das recht unlebendige 
Bildnis Pius II., mit dem Federigo zum letzten Male, kurz vor dem Tode des Papstes, 
1464 in Ancona zusammentraf, ist wohl gleichfalls nach einer eingesandten Vorlage 
angefertigt. In dem Porträt des Federigo befreundeten Kardinals Bessarion erkennen 
wir die vom Uffizienbildnis und von dem Porträt in Grottaferrata überlieferten Züge. 
Bessarion war kurz vorher, 1472, gestorben. Am Hofe von Urbino war er ein gern 
gesehener Gast, und Federigo hat den verstorbenen Freund in der edelsten Weise 
durch diese Aufnahme in seinen Parnaß berühmter Geisteshelden aus alter und 


461 


neuer Zeit geehrt. Das prächtige Konterfei Papst Sixtus IV., der kurz zuvor (1471) 
zum Papst gewählt worden war, und in dessen Diensten Federigo als Gonfaloniere 
der Kirche stand, gibt die Züge des Papstes mit einer solchen Lebendigkeit wieder, 
daß man annehmen möchte, er habe dem Künstler selbst Modell gesessen. Unter der 
Maske des Moses verbirgt sich der Venezianer Zeno, der kurz vorher am Hofe Fede- 
rigos als Gesandter des Schahs von Persien geweilt hatte. Abgesehen aber von diesen 
Personen, die dem Hofe von Urbino nahestanden und einigen anderen, deren Porträt- 
züge, wie die Dantes und Petrarcas oder die einiger antiker Autoren, die feststanden, 
oder aus Miniaturen, Fresken und Büsten zu ermitteln waren, entsprechen die 
übrigen Bildnisse, obgleich sie meist so frisch aufgefaßt sind, daß sie unmittelbar 
nach dem Leben geschaffen zu sein scheinen, nur wenig oder gar nicht den uns 
überlieferten Porträtzügen. So mag der Gedanke vielleicht nahe liegen, die Vor- 
bilder zu der Mehrzahl dieser antiken Autoren und Gelehrten des Mittelalters unter 
den Gelehrten, Dichtern und geistlichen Würdenträgern zu suchen, die am Hofe von 
Urbino gastliche Aufnahme und in dem geistig strebsamen Herzog und seiner fein- 
sinnigen Gemahlin tatkräftige Beschützer fanden. 


x * 
+ 


Neue Forschungen іп vlämischen Archiven haben wahrscheinlich gemacht, daß 
unser Meister mit dem Maler Joos van Wassenhove identisch ist, der im Jahre 1460 
in die Antwerpener Lucasgilde eintrat und am 6. Oktober 1464 das Meisterrecht 
in Gent erwarb!). Im Jahre 1467 empfing dieser Joos van Wassenhove zugleich 
mit Hugo van der Goes vom Genter Magistrat den Auftrag, zur Feier der Ankunft 
des päpstlichen Kardinallegaten Schilde mit dem Wappen Papst Pauls П. zu malen, 
deren Joos vierzig für die Johanneskirche (Saint Bavon) ausfiihrte. Am 5. Mai 1467 
leistete er der Zunft gegenüber Bürgschaft für Hugo van der Goes, und am 19. Januar 
1468 für Jan Sanders Berring. Schließlich liegt noch aus dem Jahre 1475 die ur- 
kundliche Nachricht vor, daß Joos von Wassenhove vor seiner Reise nach Rom 
von einer Genter Familie durch Vermittlung des Hugo van der Goes ein Darlehen 
von 20 Escarlins empfing. Demnach könnte diese Reise des Flandrers nach Rom 
zwischen den Jahren 1468 und 1475 stattgefunden haben. Vielleicht hat der päpst- 
liche Kardinallegat selbst den Künstler dazu angeregt, sich durch eine Reise nach 
Italien weiter auszubilden. Möglich ist auch, daß Federigo von Urbino in jener 
Zeit als Gonfaloniere des Papstes sich an den päpstlichen Gesandten in Flandern 
wandte, „per trovare un maestro solenne“. 

Werke nordischer Künstler waren schon damals in Italien hochgeschätzt und 
wurden in bedeutender Zahl eingeführt. Auf der Wanderschaft sind fiandrische 
Maler im fünfzehnten Jahrhundert wahrscheinlich öfter nach Italien gekommen, aber 
erst ein Jahrhundert später wurden diese Reisen gen Süden zu einer ständigen 
Gewohnheit niederländischer Künstler. Josse van Gent ist der erste vlämische 
Maler, der längere Zeit in Italien Beschäftigung fand. Es scheint, daß er zunächst 
ein Wanderleben führte. 

Auf halbem Wege zwischen Rom und Urbino liegt das umbrische Bergstidtchen 
Trevi. Im dortigen Museum hängt ein Leinwandbild, das die Anbetung der Könige 
darstellt und uns sofort das Kommunionsbild des Josse van Gent in die Erinnerung 


(1) Hulin van Loo: „Une note relative au peintre Juste de бапа“ in „Bulletin de la société d’Flistoire 
et d’Archéologie de Gand“, 1900, р. 64, Victor van der Haeghen: „Avons-nous retrouvé le véritable 
nom de Juste de Gand?“ in „Petite Revue de l'Art et de l’Archéologie en Flandre,“ Gand, 1901, р. 109 


462 


ruft.!) Hier wie dort haben wir die gleichen länglich schmalen Gesichter mit hohen, 
runden Stirnen, den sorgenvollen Gesichtsausdruck, die langen, in der Mitte ge- 
scheitelten Haare, und die knochigen Gestalten der beiden Könige vorn stecken 
in kostbaren Gewändern aus Brokatstoff von knittrigem Faltenwurf, der sich ähnlich 
in den schlichten Kleidern der Apostel auf dem Kommunionsbilde wiederfindet. Die 
Madonna und der heilige Joseph sind den gleichen Figuren auf dem Portinarialtar 
des Hugo van der Goes verwandt. Alles ist noch fehlerhaft und ungelenk, und 
die Formensprache zeigt den Künstler auf einer früheren Entwicklungsstufe, un- 
mittelbar vor derjenigen, die das Kommunionsbild repräsentiert. Eine unserem 
Meister neuerdings zugeschriebene Pietà in der Sammlung Lindenau zu Altenburg, 
aus dem römischen Kunsthandel stammend), ist so ruiniert, daß sie als für die 
Stilkritik unbrauchbar bezeichnet werden muß. 

Derselben früheren Entwicklungsstufe des Malers, die man als die rein flandrische 
bezeichnen muß, gehört der Karton zu einem im Museum zu Boston bewahrten 
Teppich an, der auf vier Bildfeldern, die durch schmale Säulchen voneinander ge- 
trennt sind, die Erschaffung der Eva, die Taufe Christi, die Anbetung der Könige 
und die Kreuzigung Christi darstellt’). In der Zeichnung dieses Teppichs, wie in 
einem Piviale des Domschatzes zu Gubbio, das in feiner Seidenstickerei das heilige 
Abendmahl, umgeben von sechs Szenen aus der Passion Christi zeigt, finden wir 
Stilmerkmale des Hugo van der Goes, vermischt mit Einzelheiten, die im Kommunions- 
bilde wiederkehren. Obgleich eine Inschrift aus dem Jahre 1829 angibt, daß Papst 
Marcellus II., der 1555 gewählt wurde, dieses kostbare Stück dem Domschatz zu 
Gubbio stiftete, möchte ich mit Venturi annehmen, daß ein solches Zeugnis aus 
dem neunzehnten Jahrhundert nicht allzu schwer wiegt, und daß es näher liegt an- 
zunehmen, Federigo von Urbino habe dem Dom seiner zweiten Residenzstadt dieses 
Erzeugnis vlämischer Kunststicker geschenkt“). Hat doch Federigo eigens aus 
Flandern auch Teppichweber nach Urbino berufen, die zum Schmuck des Festsaales 
im herzoglichen Palast Teppiche mit Darstellungen aus dem trojanischen Kriege 
fertigen mußten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Josse van Gent auch für diese 
Gebildwebereien die Entwürfe geliefert hat, aber leider sind die Teppiche, die mit 
dem Mediceerbesitz nach Florenz gekommen sein sollen, nicht mehr auffindbar. 

In diesem Zusammenhange ist auch ein Teppich zu erwähnen, den Papst Sixtus IV. 
dem Kloster S. Francesco zu Assisi schenkte, in dessen Schatz sich das kostbare, 
wohl von flandrischen Teppichwebern gefertigte Stück noch heute befindet. Die 
‘kleine Madonna im oberen Teile dieses Teppichs ist ganz im Stile des Hugo van 
der Goes gehalten, während die großen Franziskanerheiligen im unteren Teile schon 
starke Anklänge an die „Uomini illustri“ zeigen. 

Eine neue Periode in der Kunst unseres Meisters, die keine Anklänge an den 
Stil des Hugo van der Goes mehr zeigt und als die Epoche der Assimilation italieni- 
scher Einflüsse gekennzeichnet werden darf, kündet sich schon in einigen der Philo- 


bis 110. Kürzlich hat Adolf de Ceuleneer in seiner groß angelegten Monographie: „Juste de Gand“, 
Bruxelles, 1911, Sonderdruck aus „Les Arts anciens de Flandre“ das ganze Urkundenmaterial über den 
Meister, durch eigene Forschungen vermehrt, übersichtlich zusammengestellt. 

(т) Durch Morton Н. Bernath in „Notes on Justus van Ghent“ (American Journal of Archeology, 1910) 
und in einem Anhange zu Ceuleneer (Op. cit. p. 59) zuerst richtig bestimmt, 

(3) Morton H. Bernath, Op. cit. p. 58. 

(3) з. Morton H. Bernath, Op. cit. 

(4) s. Adolfo Venturi: ,,Paramenti istoriati su disegno di Justus di Gand e di Luca Signorelli“ in 
„L'Arte“, 1912, Fasc. 4, р. 299—304. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 11. 35 463 


sophenbildnisse an. Noch freier und großartiger wird sein Stil in dem Brustbilde 
des Salvators, das die Pinacoteca Comunale zu Città di Castello bewahrt. Dieses 
Bild ist bezeichnender Weise früher bald Piero della Francesca‘), bald Melozzo da 
Forli?) zugeschrieben worden. Tatsächlich offenbart sich hier auf das deutlichste 
der Einfluß dieser beiden großen Meister. Ohne seine Eigenart aufzugeben, macht 
er sich nur von der ihm bis dahin anhaftenden nordischen Formenauffassung frei. 
Keiner der nordischen Künstler, die je in Italien tätig waren — und Josse van Gent 
ist nur der erste einer langen Reihe — hat sich ganz dem Einfluß der italienischen 
Kunst zu entziehen vermocht, wie andererseits auch die Niederländer in der Tech- 
nik, in der Luftperspektive, dem Porträt und der Landschaft Anregungen boten, von 
denen ganze Generationen italienischer Künstler zehren. So hat auch Josse van 
Gent der italienischen Kunst seinen Tribut entrichtet. Daß wir es hier, trotz aller 
Einflüsse Melozzos und Pieros della Francesca, mit demselben Meister zu tun haben, 
zeigt die mit den Philosophenbildnissen übereinstimmende realistische Auffassung, 
die Haar- und Gewandbehandlung, der bernsteinfarbene Ton des Kolorits und die 
‚gleiche Wiedergabe der Hände. 

Einen weiteren Fortschritt auf diesem Wege bekunden die Allegorien der Wissen- 
schaften in der Bibliothek des Herzogs, von denen nun gehandelt werden soll. 


* EI 
ж 


Im Erdgeschoß des Palastes, unmittelbar neben dem Haupteingang, war die einst 
berühmte Bibliothek des Herzogs aufgestellt. Da sah man die kostbarsten Aus- 
gaben der Bibel, Traktate über Astronomie, Mathematik, Kriegskunst, Medizin und 
Jurisprudenz, vollständige Abschriften der alten Klassiker und von neueren Autoren 
die sämtlichen Werke Dantes, Petrarcas, Boccaccios, Brunis, Manettis, Filelfos, 
Pontanos, Vallas, außerdem die Bücher der Kirchenväter und Dedikationen be- 
rühmter Zeitgenossen in reicher Fiille*). Federigo beschäftigte für seine Sammlung, 
in die keines der billigen Erzeugnisse der Buchdruckerkunst aufgenommen werden 
durfte, ständig dreißig bis vierzig sachkundige Kopisten und gab für solche Arbeiten 
nach und nach 30000 Dukaten aus. Als man schließlich die Kataloge der anderen 
großen Bibliotheken, der Vatikana in Rom, der Marciana in Venedig, der Sammlung 
der Visconti in Pavia, und selbst den der Universität Oxford mit den Beständen 
der Urbinater Sammlung verglich, da stellte sich heraus, daß diese, was Vollstän- 
digkeit der einzelnen Autoren betraf, allen anderen überlegen war. 

Diese Biichersammlung war des Herzogs großer Stolz. Die kargen Stunden der Muße, 
die ihm seine Feldziige gönnten, genoß er am liebsten in der Stille der Bibliothek 
oder des Studierzimmers. Des Herzogs Biograph, Bernardino Baldi, hat uns eine 
genaue Beschreibung der Bibliothek hinterlassen: „Gleich links vom Hauptportal, 
neben dem gewölbten Korridor, liegt der ehemalige Büchersaal, ein Raum von etwa 
40 Fuß Länge und ı8 Fuß Breite. Die Fenster sind gegen Norden an einem Ende 
des Zimmers angebracht, hoch über dem Fußboden, so daß sie gedämpftes Licht 
geben, das die Augen nicht durch übergroße Helligkeit stört, sondern die Leser 
zu ruhiger Sammlung geneigt macht. Hier saß man im Sommer kühl und im 


(т) Berenson, „Central Italian Painters“, 1909, р. 226. 

(2) Schmarsow, „Melozzo da Forlì“, p. 61. 

(3) „Inventario della Libreria Urbinate compilato vel ser. XV da Federigo Veterano bibliotecario di 
Federigo‘‘, veröffentlicht von C. Guasti im ,,Giornale Storico degli Archivi Toscani“, T. VI und VIL 


464 


Winter warm genug. Die Büchergestelle lehnten an den Wänden, in schönster 
Ordnung verteilt. Hier glänzten vor allem anderen die große lateinische Bibel mit 
Miniaturen ausgezeichneter Künstler und die uralte hebräische mit den chaldäischen 
Kommentaren, ein hochgeschätztes Werk, für das die Juden oft viele tausend 
Scudi geboten hatten. Dieser Kodex, den Federigo aus Volterra mitgebracht, ruhte 
auf einem freistehenden Lesepult aus Messing auf den ausgebreiteten Flügeln eines 
Adlers. Oben unter dem Gesims, das rings um den Saal lief, las man auf dem 
Fries eine lange Inschrift in lateinischen Versen“!). Soweit der Biograph des Herzogs. 

Mit diesem Bibliothekszimmer hängt ein zweiter ähnlicher Raum zusammen, mit 
eigenem Ausgang in den Hof, unmittelbar neben der Haupttreppe und nur einem 
Fenster. Beide Räume sind durch eine Tür miteinander verbunden. Alte Tradition 
bezeichnet auch dieses zweite Zimmer als Bibliothek. 

Eine Folge von Allegorien der sieben freien Künste, von der uns vier Tafeln 
noch erhalten sind, zwei in der Berliner und zwei in der Londoner Galerie, kann 
in dem ersten Bibliothekzimmer, an dessen Wänden Büchergestelle lehnten, und 
dessen ein Meter breiter Fries durch Verse ausgefüllt war, nicht den nötigen Platz 
gefunden haben. Auch zu ebener Erde, etwa zwischen den Büchergestellen, kann 
man sich diese Bilder nicht denken, da sie aus perspektivischen Gründen eine Auf- 
stellung in ziemlich bedeutender Höhe, ungefähr zwei Meter über dem Fußboden, 
voraussetzen. So ist denn die Vermutung Schmarsows gerechtfertigt, daß sie den 
zweiten Raum geschmückt haben werden. Führt man Schmarsows Versuch, den 
ganzen Bilderschmuck an der Hand der auf drei Bildern noch lesbaren Inschrift 
zu rekonstruieren, mit Hilfe der seither bekannt gewordenen Inschrift, die einst im 
Studio zu lesen war, weiter fort, so ergibt sich folgende Anordnung: 


FRIDERICUS MONTEFELTRIUS DUX URBINI MONTIS FERITRI AC 


I. Grammatik (verloren). П. Rhetorik (London). 
DURANTIS COMES SER. REGIS SICILIAE on EUS GENE- 
W IV. Geometrie (verloren). 
SANCTAEQUE ROMANAE JECLESIE GONFALONERIUS 
V. Arithmetik (verloren). VI. Musik (London). 


MCCCCLXXVI (?) 
УП. Astronomie (Berlin). 


Die Reihenfolge der sieben Tafeln ist durch die Inschrift, ihre Einfügung in den 
Raum durch dessen Längen- und Breitendimensionen und durch die Beleuchtungs- 
verliältnisse der Bilder bestimmt. Die Rhetorik und die Dialektik sind von links, 
die Musik und die Astronomie von rechts her belichtet. Der Zyklus begann also 
wahrscheinlich an der Längswand rechts vom Fenster mit der Grammatik, Rhetorik 
and Dialektik, fand alsdann seine Fortsetzung an der Schmalwand über der Tür 
mit der Geometrie, und auf der Längswand links vom Fenster, wo Arithmetik, 
Musik und Astronomie eingefügt waren. Der zwischen den einzelnen Bildern ver- 
bleibende Raum könnte durch Intarsiaschmuck oder durch Teppiche ausgefüllt ge- 
wesen sein. 

Nun zu einer kurzen Betrachtung der vier noch erhaltenen Tafeln. Von den 
Allegorien des Triviums sind noch zwei vorhanden, die Rhetorik in London und 


(1) Siehe Baldi, Descrizione del Palazzo Ducale di Urbino, Roma, 1724, und Schmarsow, Melozzo da 
Forll, р. 83—84. | 


465 


die Dialektik in Berlin. Die jugendlich-anmutige Vertreterin der Rhetorik hat auf 
einem mit Bronze- und Goldschmiedearbeit reichverzierten Throne Platz genommen, 
Perlenschnüre schmücken ihren Hals und ihr blauschwarzes Seidenkleid. Ihr Kopf 
mit dem frei über die Schultern wallenden Haupthaar, das nur durch einen Lorbeer- 
kranz lose zusammengefaßt ist, die schmalen Augenbrauen, die etwas zu kurze 
Nase mit deutlicher Verdickung an der Spitze, sind zweifellos Portritziige. Auf 
dem Schoße hält sie mit der linken Hand ein aufgeschlagenes Buch; die rechte 
weist erklärend auf eine Stelle des Textes. Vor ihr kniet, auf den Thronstufen, 
die mit grünem Teppich bedeckt sind, ein bartloser junger Mensch in Scholaren- 
tracht und faßt mit beiden Händen nach dem Buche; seine Züge sind nur im ver- 
lorenen Profil sichtbar. 

Das nächste Bild des Zyklus, die Dialektik, zeigt den Herzog selbst vor der 
Göttin kniend, die er sich seiner Neigung für Disputation über gelehrte Fragen ent- 
sprechend zur Patronin erwählt hat (Abb. 8). An der Identität des Dargestellten mit 
Federigo von Montefeltre ist kein Zweifel. Freilich, den markantesten Zug seines Pro- 
fils, die zertrümmerte Nasenwurzel, hat ein wohlmeinender Restaurator zu korri- 
gieren für gut befunden; alle sonstigen Eigentümlichkeiten seines Gesichtes, selbst 
die Warzen, sind getreulich wiedergegeben, und das von einem Bronzeadler ge- 
tragene Wappen der Montefeltre in der Ecke des Gemaches bestätigt die Bestimmung, 
die schon von Julius Friedlinder 1881 ausgesprochen worden ist. 

Die beiden ersten Allegorien des Quadriviums, Geometrie (an der Schmalwand 
über der Tür) und Arithmetik (an der nächsten Längswand) sind verschollen. 
Es folgt die Allegorie der Musik, welche wir uns in der Mitte der Längswand 
vorzustellen haben (Abb.9). Das Throngestühl ist hier in gerader Vorderansicht gegeben. 
Die jugendlich-schöne, der Vertreterin der Rhetorik ähnliche Göttin hält in der er- 
hobenen Rechten ein geschlossenes Buch und deutet mit der Linken auf eine 
Orgel, welche auf der untersten Thronstufe steht. Der links kniende Jüngling in 
ritterlicher Tracht ist im Begriff, ähnlich wie der Boethius im Studio, der im Mittel- 
alter die Musik repräsentiert, an den Fingern zu zählen. 

Der zu den Füßen der Musika kniende Verehrer ist, wie Julius Friedländer über- 
zeugend nachgewiesen hat!), Costanzo Sforza, Herr von Pesaro, der junge Schwager 
Federigos. Zwei Medaillen des Giovan Francesco Enzola aus Parma zeigen 
eine geradezu schlagende Ähnlichkeit mit dem knienden Verehrer der Musika, 
so daß wohl kein Zweifel an der Identität desselben mit Costanzo Sforza möglich 
ist. Hierdurch gewinnt eine schon von Schmarsow aufgestellte Hypothese, daß die 
thronende Musika selbst die Tochter Federigos darstellt, die er heimgeführt hatte, 
ganz bedeutend an innerer Wahrscheinlichkeit. Die Familienähnlichkeit, welche 
die Vertreterin der Musika mit denen der Dialektik und der Rhetorik verbindet, läßt 
uns mit Schmarsow annehmen, daß auch die anderen Töchter des Hauses zusammen 
mit den Männern porträtiert sind, die sie heimgeführt haben, so Roberto Malatesta 
von Rimini bei Elisabetta, Giovanni della Rovere von Senigallia bei Giovanna, 
Fabrizio Colonna bei Agnesina, alle 1474 verlobt). Wenn Schmarsow über diese 
(1) Die italienischen Schaumünzen des 15. Jahrhunderts. Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen, 
Berlin 1881, р. 172—178. 

(2) х. Grammatik: Das Kind Guidobaldo mit einer Schwester als Lehrerin (verloren). — 2. КҺе- 
torik: Antonio Montefeltre, der illegitime Sohn Federigos, mit der zweiten Schwester (London). — 
3. Dialektik: Federigo selbst mit der dritten Tochter (Berlin). — 4. Geometrie und 5. Arith- 
metik: Zur Wahl zwischen Malatesta und Rovere mit ihren Bräuten Elisabetta und Giovanna (ver- 


loren). — 6. Musik: Costanzo Sforza mit der letzten der sechs Prinzessinnen (London). — 7. Astro- 
nomie: Ottaviano Ubaldini mit Pantasilea Baglioni (Berlin). 


466 


allgemeine Mutmaßung hinausgehend den ganzen Zyklus, einschließlich der beiden 
verlorenen Allegorien, aufzuteilen versucht und für jedes Bild die dargestellten Per- 
sonen namhaft macht!), so vermögen wir ihm darin allerdings nicht zu folgen, 
Zugegeben aber sei, daß alle dargestellten Personen, die knienden Verehrer wie die 
.allegorischen Frauen, ganz individuelle Bildnisse sind, also nach dem Leben gemalt 
sein müssen?). Auffällig ist der reiche Perlenschmuck auf den kostbaren Gewän- 
dern der allegorischen Frauen. Schöne Kleider und Juwelenschmuck liebte die 
‘Mutter der Prinzessinnen über alles, und Sabadino degli Arienti weiß von dieser 
Vorliebe der Battista Sforza zu erzählen: „appresso li suoi altri ornamenti fu in li 
suoi vestimenti de magnifica pompa, et similmente per suo iocundo dilecto volea 
che le sue figliuole fussero ornate de varii habiti, de illustri vestimente e di geme, 
ne le quale molto si dilectava“. 

Der Zyklus schließt in der Nähe des Fensters mit der Darstellung der Astro- 
nomie, die das Kaiser-Friedrich-Museum bewahrt. Die Komposition ist im 
Gegensinne zu derjenigen der Dialektik angeordnet. Auch hier ein Fenster іп der 
‘Seitenwand, aber links und mit dem Ausblick in eine Landschaft. Vor der ver- 
schleierten Matrone, die mit der Linken ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoße 
hält und mit der Rechten eine Himmelssphäre darreicht, kniet ein bärtiger Mann 
mit reichem, aber ungepflegtem Haupthaar, der hier, wie die neben ihm liegende 
Krone erraten läßt, als Ptolemäus fungiert. Man hat früher angenommen, daß in dem 
Verehrer der hohen Frau Astronomie Federigos Bruder Ottaviano Ubaldini darge- 
stellt sei, der als Liebhaber astrologischer Studien in Urbino bekannt und beim 
Volke, wie es scheint, als Anhänger diabolischer Künste gefürchtet war). Ein 
Porträt Ottavianos war jedoch bisher nicht bekannt. Ich war kürzlich in der Lage, 
zwei authentische Bildnisse dieser Persönlichkeit vorzulegen, von denen sich eines 
im herzoglichen Schlosse zu Urbino neben dem seines Bruders Federigo und das 
‚zweite in der Kirche seines Schlosses Mercatello bei Urbino befindet‘). 

Die Züge Ottavianos sind denen Federigos in ganz auffallender Weise ähnlich, 
was freilich nichts überraschendes hat, wenn man bedenkt, daß beide Söhne der- 
selben Mutter, einer natürlichen Tochter Guidantonios von Montefeltre waren. 
Mit dem bärtigen Mann auf dem Bilde der Astronomie aber hat Ottaviano nichts 
gemeinsam, und damit fällt Schmarsows Hypothese. Meine Nachforschungen nach 
dem Dargestellten unter der Schar der Persönlichkeiten, die dem Hofe von Urbino 
nahestanden, haben leider keine befriedigenden Resultate ergeben. 

Ich komme nun zu der Frage nach dem Autor dieses Zyklus. Schmarsow nimmt 
als Jahr der Entstehung 1474 an und will in den Allegorien der sieben freien 
Künste Werke des Melozzo da Forli erkennen, und an dieser Zuschreibung halten 
die offiziellen Kataloge der Berliner und der Londoner Galerie noch heute fest. 
Schmarsow nahm die Jahre zwischen 1474 und 1476 für die Vollendung des Bilder- 
schmuckes an, indem er die Ereignisse der Zeitgeschichte beriicksichtigte. Vor 1474 
kann der Zyklus nicht entstanden sein, da Federigo durch die Inschrift auf dem 
einen Londoner Bilde als Herzog bezeichnet wird, und ihm diese Würde erst am 
21. August 1474 verliehen wurde. Andererseits dürfen wir zeitlich über das Jahr 


(т) Schmarsow, Melozzo da Forlì, 8. до (Anm.). 

(2) Die jugendlichen Vertreterinnen der Musik und der Rhetorik zeigen eine mehr als oberflächliche 
Familienähnlichkeit mit jener entzückenden Büste einer urbinatischen Prinzessin von Desiderio da 
Settignano, die heute das Kaiser-Friedrich-Museum bewahrt. 

{3) Siehe Schmarsow im Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen 1887, Heft I. 

(4) Abgebildet in „Mitteilungen des Kunsthist. Institutes“, Herbst 1909, р. 134—135. 


467 


1477 nicht hinausgehen. Im Jahre 1477 begann der Florentinische Krieg. Schon 
im Sommer des Jahres zog Antonio Montefeltre im Auftrage Federigos gegen den 
unruhigen Carlo Fortebraccio zu Felde, wenig später folgte ihm der Herzog selbst, 
als Gonfaloniere des Papstes. 1478, als der Krieg weiter um sich griff, traten 
Federigos Schwiegersöhne Costanzo Sforza und Roberto Malatesta in den Dienst 
der Florentiner Republik und standen so dem Herzog als Feinde gegenüber. Man 
wird nicht annehmen dürfen, daß bei so verändertem Stand der Dinge politische 
Gegner sich hätten nebeneinander porträtieren lassen. Im Juni 1476 verließ Papst 
Sixtus IV. Rom, um einer verheerenden Seuche zu entfliehen. Erst im Spätherbst 
des Jahres kehrte er zurück. Unmittelbar danach muß Melozzo sein großes Fresko 
im Vatikan, Sixtus IV. mit den Seinigen, in Angriff genommen haben, das im Januar 
1477 nahezu vollendet war. Es ist also schon aus chronologischen Gründen wenig 
wahrscheinlich, daß wir in Melozzo da Forlì den Vollender dieser umfangreichen 
und höchst bedeutenden Serie von Allegorien zu verehren haben. Verschiedene 
Autoren, wie Frizzoni, Venturi, Calzini, Karl Voll, Paolo d’Ancona und A. de Ceuleneer 
haben sich für Josse van Gent ausgesprochen. Ich selbst bin nach eingehenden De- 
tailvergleichen mit den Porträts des Studio zu der Überzeugung gelangt, daß Josse 
van Gent nach Kartons, die Melozzo, als er nach Rom abberufen wurde, in Urbino 
hinterließ, den ganzen Bilderschmuck ausgeführt hat. 

Wenn wir die beiden Porträts des Herzogs auf dem Kommunionsbilde und dem 
Bilde der Galerie Barberini mit dem Bildnis auf der Allegorie der Dialektik, oder 
den Ptolemäus aus dem Studio mit dem Partner der Astronomie, oder die Formen- 
auffassung in dem Porträt des jungen Königs Salomo aus dem Studio mit den 
beiden jugendlichen Vertreterinnen der Rhetorik und der Musik vergleichen, so- 
finden wir in der Behandlung des aufgelockerten Haares, der Modellierung des Ge- 
sichtes, der Nase, des Mundes, in der überreichen Verwendung von Perlenschmuck, 
Ketten und sonstigem Geschmeide eine recht auffallende Übereinstimmung. Auch 
die übrigen Figuren zeigen in der Modellierung des Gesichtes, in den Handbewe- 
gungen und in der ausdrucksvollen Sprache der Hände charakteristische Eigentüm- 
lichkeiten des Flandrers. Ein flandrisches Element ist ferner das eigentümliche 
Helldunkel und die minutiöse Durchführung des dekorativen Beiwerkes. Selbst 
Schmarsow, der den ganzen Zyklus für Melozzo in Anspruch nimmt, spricht an 
einer Stelle seines Werkes von „niederländischer Treue in der Durchführung“!). 
Das Kompositionelle dagegen entspricht der italienischen Tradition, und die Throne 
der Göttinnen haben trotz ihres schwerfälligeren Aufbaus Ähnlichkeit mit Melozzos 
Thron des heiligen Markus in Rom, der allerdings nicht, wie die Throne des Fland- 
rers, mit blankem Metall und glänzenden Edelsteinen überladen ist. Auch der 
großartige, breite Faltenwurf zeigt Melozzos Weise und nicht zum mindesten der 
perspektivische Grundgedanke des „sotto in su“. Demnach scheint die Möglichkeit zu 
bestehen, daß Melozzo da Forlì an dem Zyklus des Flandrers beteiligt ist, und daß 
er vor der Abreise nach Rom einen Gesamtentwurf hergestellt hat, der dann für 
Josse van Gent maßgebend blieb. So wäre auch die eigentümliche Durchdringung 
von fiandrischer Technik und italienischem Stil zu erklären, die diesen merkwür- 
digen Bilderzyklus auszeichnet und vielleicht seinen stärksten Reiz bildet. 


Federigo hatte sich im November 1459 mit Battista, der damals kaum ı15jährigen 
Tochter des Alessandro Sforza, Herrn von Pesaro vermäht. Battista gebar ihm eine 
ganze Reihe von Mädchen, „le quali, per essere state molte, davano quasi certis- 


(1) Schmarsow, „Melozzo da Forli, p. 89. 


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simo indizio che la natura non volesse dar loro de’ maschi“. Erst am 24. Januar 1472 
erhielt Federigo den ersehnten Thronerben, der den Namen Guidubaldo empfing. 
Unterdessen führte der Herzog die Belagerung Volterras im Auftrage der Floren- 
tiner Republik; er überwältigte die als uneinnehmbar geltende Stadt und erhielt in 
Florenz einen großartigen Triumphzug. Mit kostbaren Geschenken überschüttet, 
darunter ein silberner Helm, den Pollajuolo gefertigt, kehrte er heim’). Sein häus- 
liches Glück aber sollte nicht lange dauern. 

Am 6. Juli 1472, sechs Monate nach der Geburt des Erben, erlag Battista in 
Gubbio einem schleichenden Fieber. Ihre letzten Augenblicke, den Abschied von 
dem aus Urbino herbeigeeilten Gatten, und die Überführung ihrer Leiche nach 
Urbino, wo das ganze Volk an der Trauer um die geliebte Fürstin und dem Schmerze 
Federigos teilnahm, hat Giovanni Santi mit riihrenden Versen geschildert. In der 
Klosterkirche S. Bernardino, zu deren Zypressen man vom Schlosse herüberschaut, 
fand sie ihre letzte Ruhestätte. 

Aus der Trauerstimmung um die verlorene Gattin hat der Herzog kurz nachher 
durch Piero della Francesca für die Kirche San Bernardino bei Urbino ein Altarbild 
malen lassen, das in der kränklich aussehenden Madonna angeblich die hohe Fürstin, 
in dem Jesusknaben den kleinen Guidobaldo, in den Mädchenengeln zu den Seiten 
der Madonna die Töchter, und den Herzog selbst in blinkender Rüstung zu den 
Füßen der Gottesmutter kniend darstellte (Abb. ro—11). In der Zeit der französi- 
schen Invasion ist das Bild nach Mailand verschleppt worden, und seit einem Jahr- 
hundert hat es in der Breragalerie Aufstellung gefunden. An diesem Gemälde ist 
eine eigenartige bernsteinfarbige Tönung wahrzunehmen, die an die Farbengebung 
des Josse van Gent erinnert. Der Niederländer hat vielleicht mit Piero della Fran- 
cesca zusammengearbeitet; die Hände des knienden Federigo, vielleicht sogar die 
ganze Rüstung, dürften von Josse van Gent herrühren (Abb. ır). 

Ein Werk des großen Meisters aus San Sepolcro, das in Urbino geschaffen wurde, 
ist ferner jenes Doppelbildnis Federigos und der Battista Sforza in den Uffizien, 
das, wie der Literarhistoriker Adolfo Cinquini unlängst nachgewiesen hat, vor 1466 
entstanden sein muß?). Die etwas verkniffenen Züge des Fürsten, die schmalen 
Lippen, das vorspringende Kinn und die zerschmetterte Nase sind mit erbarmungs- 
loser Wahrheitsliebe wiedergegeben, und mit photographischer Präzision hat uns 
der Künstler in dem Porträt der geistvollen Battista Sforza das Bild einer durch 
zahlreiche Geburten frühzeitig verblühten Frau überliefert. Miniaturartig fein, wie 
die Vorderseiten, sind auch die Rückseiten dieser beiden Tafeln ausgeführt, wo 
Federigo und Battista auf Triumphwagen durch ihr Land fahrend dargestellt sind?) 
(Abb. 13). 


(1) Giovanni Santi besingt dieses Prachtstück in seiner Reimchronik: 

Et infra gli altri richi et eminenti 

Uno elmo ornato, sopra del quale era 

Hercule invicto, che stringendo i denti 

Sotto i suoi piedi qual ribella fera 

Tenea un grifon pel collo incatenato, 

Qual di Volterra anticha arme lor era, 

E dalle mastre penne spennacchiato ` 

A piei del vincitor timido stava 

Del corpo anco in più parte vulnerato. 

(Zitiert nach Schmarsow, Giov. Santi, 8. 22.) 

(2) Arte 1906, p. 56. 
(3) Der Carro gehört seit Dantes Zeiten (Purgatorio XXXI) zum eisernen Bestande italienischer Fest- 
aufführungen, und seit Petrarcas Trionfi kehrt er in der bildenden Kunst unzählige Male auf Triumph- 


469 


Piero della Francesca hat, wahrscheinlich wiederum im Auftrage Federigos, ein 
Votivbild für dessen 1444 ermordeten Halbbruder Oddantonio, den ersten Herzog 
von Urbino, gemalt, das rechts im Vordergrunde den jugendlichen Fürsten zeigt, 
der dem üblen Rat seiner beiden Minister Manfredo de’ Carpi und Tommaso da 
Rimini lauscht, während links im Hintergrunde inmitten einer klassischen Säulenhalle 
die Geißelung Christi dargestellt ist. Die Worte „Astiterunt reges terrae, et princi- 
pes convenerunt in unum, adversus Dominium et adversus Christum ejus“, die man 
früher auf dem Rahmenwerk dieses Bildes las, finden sich im zweiten Psalm Da- 
vids und sind das Leitmotiv des ersten Notturno des der Passion Christi gewid- 
meten Karfreitagsgottesdienstes. In den Chorbüchern werden sie oft durch die 
Geißelung Christi illustriert. Hier hat die Anwesenheit des Herzogs Oddantonio 
noch einen besonderen Sinn. Oddantonio steht zwischen seinen beiden falschen 
Beratern, die seinen Untergang herbeiführten, wie Christus zwischen den beiden 
Henkersknechten, Nach Vasaris Angabe hat Piero für den Herzog „molti quadri di 
figure piccole“ gemalt; eines derselben mag dieses vom Meister selbst bezeichnete 
Votivbild sein. 

Ein anderes Bildnis des jungen Fiirster. von der Hand Meister Pieros scheint uns 
wenigstens in einer Kopie von der Hand Alessandro Alloris erhalten zu sein. Es 
gehört zu der Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol und stellt 
Oddantonio fast en face dar, unbärtig, mit lichtgrauen Augen, blondem, in feinen 
Löckchen über Stirn und Nacken fallendem Haar, mit gerader Nase und schön ge- 
schwungenen, vollen Lippen. Schon der Schnitt und der Stoff der Kleidung mit 
dem mittelalterlichen Zaddelwerk verraten eine alte Vorlage, die Oddantonio 
als noch nicht Zwanzigjährigen und jedenfalls kurz nach der Belehnung mit dem 
Herzogtum darstellt. Die übrigen Miniaturbildnisse urbinater Fürsten von der Hand 
Alloris, deren Vorlagen uns noch erhalten sind, Guidobaldo I. (von Raffael), Fran- 
cesco Maria I. (von Tizian), Guidobaldo II. (von Bronzino), Francesco Maria II. (von 
Barocci) zeigen eine solche Treue der Wiedergabe, daß wir gewiß annehmen dürfen, 
Allori habe auch hier die Vorlage, die ein verschollenes Bildnis von der Hand 
Pieros della Francesca sein dürfte, auf das genaueste kopiert'). 

Zu den Künstlern, die am Hofe Federigos wirkten, gehört auch der mysteriöse 
Fra Bartolommeo di Giovanni Corradini, genannt Fra Carnevale, der von 1451 
bis 1484 in und bei Urbino nachweisbar ist. Wir wissen von seinen Lebensum- 
ständen nur sehr wenig und vom Charakter seiner Kunst gar nichts. Vasari gibt 
an, daß der junge Bramante sich an Werken Fra Carnevales gebildet habe. Im 


bildern wieder. In diesem Zusammenhange ist es lehrreich, einer Festaufführung zu Ehren Guido- 
baldos und seiner jungen Gemahlin Elisabetta Gonzaga zu gedenken, in welcher ein Triumph Herzog 
Federigos ähnlich der Darstellung auf der Rückseite von Pieros Porträt des Herzogs vorgeführt wurde. 
Benedetto Capilupo beschreibt die Aufführung in einem Briefe an den Marchese Federigo Gonzaga 
folgendermaßen: „Dal palazo fino a la piaza fu condotto un carro triomphale sopra il quale in triangulo 
sedevano Cesare, Scipione e lo duca Federico, cum armature indosso dorate et facte al’antiqua. Un 
poco da basso d’essi sedeva una Sibilla nanti al carro. Ne la cima sopra certa balla, stava in pede 
uno angelo cum un ramo de palma in mane, el qual prima cantò versi et doppo lui li triomphanti 
et Sibilla. Dui centauri tiravano el carro; altri animali et ucelli erano sopra esso, che volendoli spe- 
cificare seria troppo longo scrivere. Recitato che ciaschuno hebe li versi suoi, se avioe el carro inanti 
et acompagnò el Sre et Ma a la corte“. Siehe Luzio und Renier, ,,Mantova e Urbino“, Torino-Roma 
1893, р. 44. ; 

(1) Gentile da Fabriano, den Fr. Kenner in seinem Aufsatz über die Portritsammlung des Erzherzogs 
Ferdinand von Tirol als den Schöpfer des Urbildes vermutet (Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses, p. 269), 
kann hier nicht in Betracht kommen, 


470 


Jahre 1451 tritt er als Vermittler auf zwischen Luca della Robbia und Tommaso 
di Bartolo, genannt Masaccio, den Schöpfern der Lunette und der Ttireinrahmung 
von San Domenico in Urbino. Im Jahre 1456 löst er einen Vertrag mit der Brüder- 
schaft del Corpo di Christo, ein Altarbild fiir ihre Kirche zu malen, das dann 1474 
Justus von Gent ausführte, und 1461 ist er Pfarrer von San Cassiano zu Cavallino, 
eine Wegstunde von Urbino. Am 31. März 1465 erscheint er als Schuldner der 
Briiderschaft des Corpus Domini und im Jahre 1467 malt er fiir die Kirche Santa 
Maria della Bella in Urbino ein Hochaltarbild mit der Darstellung der Geburt der 
Maria. Dann erscheint sein Name von 1481 bis 1484 in Urbinater Urkunden und 
am 1. Juli 1484 stirbt er in Cavallino. Sein Hochaltarbild für Santa Maria della 
Bella wurde 1631 vom Kardinallegaten Francesco Barberini gegen eine „Kopie“ 
des Veroneser Malers Claudio Ridolfi eingetauscht, und diese Kopie, die in Wirk- 
lichkeit eine freie Wiederholung des Themas im Geschmack des Seicento ist, kam 
in der Franzosenzeit nach Mailand, von wo sie spiiter in die Kirche zu Gropello 
d'Adda gelangt ist. 

Inzwischen wird allgemein angenommen, daß von zwei kleinen Bildtafeln in der 
Galleria Barberini, die auf dem Hintergrunde festlicher Renaissancearchitekturen 
in winzigen Figürchen vielleicht die Geburt der Maria und Marias Tempelgang 
darstellen, das erstere das Hochaltarbild aus Santa Maria della Bella sei. Die Pro- 
venienz dieser Bilder aus Urbino ist wahrscheinlich; aber sehr unwahrscheinlich 
ist, daß eine Tafel von so bescheidenen Dimensionen (145 cm zu 97 cm) und so 
minutiöser Ausführung als Hochaltarbild einer Kirche gedient habe; außerdem sind 
offenbar beide Tafeln als Pendants konzipiert, denn sie haben genau iibereinstim- 
mende Maße, und man wird sich gerne vorstellen, daß sie, ähnlich wie die übrigen 
aus Urbino entführten Bilder der Galleria Barberini, einst in eine Wand des her- 
zoglichen Palastes eingelassen waren. Wenn demnach die beiden Bilder, die ihrem 
Stil nach von einem Ferrareser Meister herrühren könnten, aus dem Oeuvre des 
Fra Carnevale zu streichen sind, so müssen wir uns damit bescheiden, den Meister 
als einen nur durch Urkunden, nicht durch Werke bekannten Künstler anzusehen, 
zumal die neue Stilkritik das ihm früher zugeschriebene Madonnenbild mit dem 
knienden Federigo von Urbino in der Brera jetzt wieder einstimmig für Piero della 
Francesca in Anspruch nimmt. 

Der Florentiner Paolo Uccello war 70 Jahre alt, als er sich 1468 zum letzten 
Male nach Urbino begab, um dort für die Brüderschaft des Corpus Domini ein 
Altarbild zu malen. Wir kennen nicht einmal den auf diesem Bilde dargestellten 
Gegenstand. Ebensowenig wissen wir von anderen Arbeiten, die er in Urbino 
1465 (?) und zu Anfang des Jahres 1468 ausfiihrte. Ein Teil jener ihm für die 
Brüderschaft in Auftrag gegebenen Tafel ist vielleicht die Predelle mit der ikono- 
graphisch und kulturhistorisch interessanten Schilderung der Profanation der Hostie 
durch einen Juden in Teramo, sechs Darstellungen, die bis zur Mitte des letzten 
Jahrhunderts in der Kirche Sant’ Agata mit der Kommunion des Josse von Gent 
vereinigt waren. Die Predelle Uccellos ist ein kraftloses Alterswerk. Kein auch 
nur entfernter Vergleich mit der packenden Darstellung der Sündflut im Chiostro 
Verde von S. Maria Novella! Die Zeichnung ist schwach und die selbstgefällig vor- 
geführten perspektivischen Scherze überzeugen nicht. 

Neben den bisher genannten Malern und Architekten fanden auch einige der besten 
Bildhauer jener Zeit am Hofe Federigos Arbeit und Gewinn. 

Als die Dominikanermönche in Urbino 1451 das prachtvolle Portal ihrer Kirche 
durch Maso di Bartolomeo, genannt Masaccio, errichten und durch Luca della Robbia 


471 


mit einer Lunette schmücken ließen, zog Federigo den ersteren zur Anfertigung 
kunstvoller Waffen heran. Pisanello schuf eine leider verschollene Medaille mit 
dem Bildnis Federigos, Sperandio aus Mantua goß eine andere Schaumiinze, auf 
der Federigo in ganzer Figur zu Pferde dargestellt war, und eine dritte Me- 
daille für den Herzog entwarf 1468 Clemente d’ Urbino. 

Es ist wahrscheinlich, daß auch Desiderio da Settignano in Urbino geweilt und 
dort jene entzückende Büste einer urbinatischen Prinzessin geschaffen hat, die heute 
das Kaiser-Friedrich-Museum bewahrt. Die Dargestellte muß eine natürliche Tochter 
Federigos sein, aus der Zeit seiner ersten, wenig glücklichen Ehe mit Gentile Bran- 
caleoni, der „Donna di soverchia grassezza“, die ihm keine Kinder gebar, weil von 
den acht Töchtern, die ihm seine zweite Gemahlin Battista Sforza geschenkt 
hat, die Älteste im Jahre 1464, als Desiderio starb, höchstens drei Jahre alt sein 
konnte. Die schöne Porträtbüste stammt aus der Galerie Barberini und ist wahr- 
scheinlich vom Kardinal Francesco Barberini aus dem herzogl. Palast entführt worden. 

Der Florentiner Bildhauer Domenico Rosselli ist im Jahre 1476 nach Urbino 
übergesiedelt, wo er etwa vier Jahre blieb, bis wir ihn 1479 oder 1480 in Fossombrone 
tätig finden. Dort fertigte er einen Marmoraltar für den Dom, auf dem eine Madonna 
dargestellt ist, die in den gesenkten Augenlidern der halbgeöffneten müden Augen, 
in den schmalen Lippen und im Profil eine gewisse Ähnlichkeit mit Battista Sforza 
bekundet. 

Von Francesco Laurana rührt jenes marmorne Brustbild der Battista Sforza 
her, das der Bargello bewahrt, und das wahrscheinlich nach einer Totenmaske der 
Fürstin gefertigt worden ist, die Francesco nicht mehr lebend gesehen hatte. 
Der Zug schmerzhaften Leidens, die tiefliegenden Augenhöhlen, der eisigkalt um- 
rissene Mund und die starre Haltung dieser etwas seelenlosen Bildnisbüste lassen 
uns mit Rolfs!) annehmen, daß sie nicht nach dem Leben ausgeführt ist. 

Der schon erwähnte Francesco di Giorgio aus Siena wird in Giovanni Santis 
Reimchronik nicht nur als Maler und Restaurator antiker Ruinen, sondern auch als 
Verfertiger von Bronzereliefs gepriesen, die er in „calda cera“ geformt habe. Von 
diesen Bronzereliefs haben sich noch mehrere erhalten. Vielleicht das interessan- 
teste dieser Meisterwerke feinmodellierender Kleinkunst ist eine aus Santa Croce in 
Urbino stammende Beweinung Christi mit den Bildnissen Herzog Federigos, seiner 
Gemahlin und des kleinen Guidobaldo, jetzt in der Kirche del Carmine in Venedig. 
Auch eine Medaille mit dem Bildnis des Herzogs und einem sehr vieldeutigen 
Revers hat Francesco di Giorgio geschaffen, und an sonstigen über ein Wachs- 
modell gegossenen Reliefs des großen Sieneser Meisters besitzen wir noch die Dar- 
stellung der „Discordia“ im South-Kensington-Museum und eine Geißelung Christi 
in Perugia, denen sich ein Tonrelief anschließt, die im Berliner Kaiser - Friedrich- 
Museum befindliche bacchische Darstellung °). 


* * 
* 


(1) „Franz Laurana“, Berlin 1907, p. 360. 

(2) Die Ansicht, daß wir in der Pietà aus Santa Croce in Urbino, in der Londoner Discordia und der 
Peruginer Geißelung Werke Francescos di Giorgio zu erkennen haben, ist zuerst von Schubring in 
seinem Buche „Die Plastik Sienas im Quattrocento“ (Berlin 1907) ausgesprochen und begründet 
worden. Einige wichtige Momente, die den stilkritischen Beweis Schubrings noch überzeugender ge- 
stalten, führt Hartlaub in seinem Buche „Matteo da Siena und seine Zeit“ (Straßburg 1910), S. ag fl. 
an und weist Francesco di Giorgio auf Grund stilistischer Übereinstimmung noch die bacchische Dar- 
stellung im Kaiser-Friedrich-Museum zu. Auf die Medaille mit dem Bildnis Federigos von Montefeltre 
wies Е. Hill im Burlington Magazine 1910 hin. 


472 


Auf der breiten Treppe steigen wir empor zu den Räumen des zweiten Stock- 
werks. In der kleinen Schloßkapelle, in der ein Abguß vom Schädel Raffaels pietät- 
voll aufbewahrt wird, verweilen wir einen Augenblick und betrachten dann die 
Räume, in denen einst die Gäste Guidobaldos, Giuliano und Lorenzo Medici lebten, 
die beide Michelangelos Monument unsterblich gemacht hat, — Räume, in denen 
heute eine hervorragende Gemäldesammlung aufgestellt ist. Glänzende Schöpfungen 
aus der großen Zeit Urbinos und doch nur bescheidene Reste eines unerhörten 
Reichtums an Kunstwerken, die im Auftrage Federigos, Guidobaldos und ihrer kunst- 
sinnigen Nachfolger geschaffen wurden. 

Schon bei Gelegenheit des verräterischen Überfalles von Urbino durch Cesare 
Borgia in der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1507 wurde das Schloß ausgeplündert. 
Zwar hatte Cesare seinen Soldaten strengstens verboten Beute zu machen, aber 
offenbar nur zu dem Zweck, selber ungestört pliindern zu können!). Die kriegerischen 
Ereignisse der nächsten Jahrzehnte und wiederholte Plünderungen trugen das ihrige 
dazu bei, die aufgespeicherten Kunstschätze zu zerstreuen. Trotzdem schmückten 
noch 1623 über 1000 Bilder den Palast, darunter weltberiihmte Meisterwerke, wie 
die Madonna des Hauses Orleans und die Madonna Palma und andere Bilder Raffaels, 
das Martyrium der heiligen Agatha von Sebastiano del Piombo, das Giorgione zuge- 
schriebene Bild des Uguccione della Faggiola, über zwanzig Werke von Tizian und 
Palma Vecchio, Hauptbilder von Barocci, Tintoretto und Bassano, unzählige Me- 
daillen, Miniaturen, Gemmen, Reliefs und Biisten. 

Von allen diesen Kunstschätzen ist fast nichts in Urbino verblieben. Nach dem 
Tode des letzten Herzogs ging ein Teil durch Erbschaft in den Besitz der Medici 
über, ein anderer fiel dem päpstlichen Legaten Antonio Barberini in die Hände. Im 
Jahre 1657 wurde auch die berühmte Bibliothek, die Herzog Francesco Maria II. 
der Stadt vermacht hatte, nach Rom überführt, wo sie seither zu den kostbarsten 
Schätzen der Vatikana gehört. 

Doch wenden wir uns noch einen kurzen Augenblick zur Glansperiode von Urbino! 
Im Jahre 1504 kehrte Urbinos größter Sohn, Raffael, in die Heimat zurück. Auch 
damals noch war die kleine Stadt am Ufer des Metaurus eine der bedeutendsten 
Zentren der Kultur in Italien. Um die kluge und geistvolle Elisabetta Gonzaga, die 
Gemahlin Herzog Guidobaldos und um die edle Maria Pia, die Braut eines natür- 
lichen Bruders des Herzogs, pflegte sich in den Abendstunden im Giardino pensile 
des Palastes eine Schar erlauchter kirchlicher und weltlicher Würdenträger, Ge- 
lehrter, Dichter und Musiker zu versammeln, von denen nur der Kardinal Bernardo 
Dovizi da Bibbiena und vor allem der Graf Baldessar Castiglione genannt sei, der 
diesen Abenden in seinem Buch vom Cortegiano, dem vollendeten Hofmann, ein 
Denkmal gesetzt hat, das dauernder ist als Erz. 

Wir dürfen wohl annehmen, daß auch der junge Raffael an dem eleganten und 
geistvollen Hofe verkehrte, wo man über die „Doti del perfetto cortegiano“, die 
Eigenschaften des vollkommenen Höflings und über die „perfetta donna di palazzo“ 
diskutierte und mit gleichem Scharfsinn auch ernsteren Lebens- und Kulturproblemen 
nachging. Raffael war damals schon ein Künstler von Ruf und Rang, und sein 
Vater Giovanni Santi hatte, wie seine Reimchronik und das Festspiel bei der Ver- 
mählung Herzog Guidobaldos beweisen, gute Beziehungen zum Hofe unterhalten. 
Und wenn auch der Brief als akokryph bezeichnet werden muß, in welchem Gio- 
vanna Feltria, die Schwester des Herzogs, den jungen Raffael an den Bannerherrn 


(1) Auf 150000 Dukaten wird, vielleicht übertrieben, die Beute berechnet, die Cesare Borgia nach 
Cesena entführte. 


473 


von Florenz, Pier Soderini, empfahl, so ist dagegen sicher authentisch jener in der 
vatikanischen Bibliothek bewahrte Brief Raffaels an seinen Oheim Simone Ciarla 
in Urbino, in welchem er sich als des Herzogs „anticho servitore e famigliare 
bezeichnet hat. | | 

Eine seltsam wehmiitige Stimmung überkommt den Besucher des Schlosses, der 
den hängenden Garten und die Terrasse betritt, die so viel Glanz gesehen haben 
und nun verödet und verlassen daliegen. Hier in Urbino kann man vielleicht besser 
und eindringlicher als an irgendeinem anderen Orte Italiens schauen, wie die Men- 
schen der Renaissance sich das Leben gestalteten, wie sie als echte Lebensktinstler 
durch Wechsel von Genuß und Arbeit, von Einsamkeit bei stillem Lesen alter 
‚Schriftsteller bis zu froher Geselligkeit bei klugen Gesprächen und allerlei Kurz- 
weil, bei Ballspiel und Saitenklang sich geistig und körperlich frisch erhielten. 

Und nun, nachdem wir den Palast bis zum Giardino pensile durchwandert haben, 
noch einen letzten Blick auf Urbino und seine Umgebung. Wir durchschreiten das 
Tor und gehen durch die Contrada Raffaello um die Bastion Pian dei Monte her- 
um, bis wir nach wenigen Minuten dem herzoglichen Palast gegenüberstehen. 
Auf steilem Fels ragt er empor, frei und fast zierlich, und doch feierlich geheim- 
nisvoll, wie umflort von den Schatten einer großen Vergangenheit. 

Im Süden das grüne Umbrien und der schneebedeckte Gipfel des Catria, den 
einst Dante besungen, im Westen und Norden die grauen Felsenstirnen des Nerone, 
der Pietralata und des Carpegna, im Nordwesten der Monte Titano und San Marino, 
die kleine Republik, ein Fremdkörper in dem festgegliederten Staatswesen des neuen 
Italien, im Osten Pesaro und das Meer, — das ist Urbino, die Heimat Federigos, 
Bramantes, Raffaels. | 


474 


DIE GROSSE THRONENDE MARIA IM 
KIRCHENRAUM DES GROSSH. LANDES- 


MUSEUMS ZU DARMSTADT 


EIN BEITRAG ZUR KENNTNIS DER OBERBAYERISCHEN 
HOLZPLASTIK DES 15. JAHRHUNDERTS Von ERICH GRILL 


Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel .... oe eee eee eee eee eee 


ie Darstellung der Madonna mit dem Kinde hat in Malerei und Plastik seit der 

frühchristlichen Epoche in ewigem auf und ab alle Rangstufen menschlicher 
und „göttlicher“ Gesellschaftsordnung durchlaufen. Bald ist Maria die Kaiserin, die 
in unnahbarer Majestät ob allem Volke thront, bald die antike Göttin, die zur Erde 
hinabsteigt. Entsprechend dem Wandel der religiösen Auffassung wird sie zur vor- 
nehmen Patrizierin, die sich in modische Gewänder hüllt, oder zur einfachen 
Bauernmagd, deren schlichte Kleidung Armut verrät. Immer aber bleibt sie in 
erster Linie Mutter. Mag sie den Knaben als jungen Gott oder als Kronprinzen 
eines irdischen Reiches auf ihrem Arm tragen und dem sich ihr nahenden Gläu- 
bigen huldvollst Audienz gewähren — mag sie wehmiitig, zukünftige Leiden ahnend, 
auf ihr Sorgenkind herabblicken und schützend ihre Arme um den Kleinen breiten. 
Mag sie ihm die Brust reichen, ihn herzen und küssen, oder mit ihm scherzen und 
spielen, als wollte sie trübe Gedanken verscheuchen. 

Die Lehre von der Immakulata, die zugleich Mutter ist, stellte den Künstler vor 
ein schwieriges Problem. Er mußte ein Wesen schaffen, dessen Körper durch das 
Gebären deformiert erscheint, dessen Ausdruck aber Unbertihrtheit kiindet. Je nach- 
dem die eine oder die andere Seite betont wird, gleicht die Madonna einem voll- 
erblühten kräftigen Weibe, oder einem zarten jungen Mädchen. 

Bei der Figur der großen thronenden Maria mit Christkind im Darmstädter 
Museum!) sind alle diese Extreme vermieden und die verschiedenen physischen 
und psychischen Momente gut gegeneinander abgewogen. Weder übertrieben 
schlank noch zu derb sitzt das anmutige Geschöpf bequem, aber ohne Behäbigkeit, 
auf einfach profilierter, lehnenloser Bank, über der ein dickes Polster liegt, das an 
den freien Enden nach aufwärts schwingt. Die schwere Gewandung steigert noch 
die lastende Wirkung. Aber der überaus tiefe Faltenwurf mit seinem wechsel- 
vollen Spiel von Licht und Schatten, bringt wieder Bewegung in die sonst gar zu 
beschauliche Ruhe. Unter dem Druck der edelsteinbesetzten gotischen Blätterkrone 
neigt sich das von dichtem, gewellten Haar umrahmte Haupt Marias ganz leicht 
auf die Seite. Ihre großen Augen, in denen die Iris nicht angegeben, blicken unter 
der gewölbten Stirn traumverloren wie in unbestimmte Fernen. Volle runde Backen, 
fleischige Lider, die schmale Nase, deren Rücken in leiser Biegung nach oben ver- 
läuft, und die stark zurückspringende untere Gesichtshälfte ergeben einen halbkind- 
lichen Ausdruck. In feinem Kontraste hierzu erinnert der, das ärmellose Kleid über 
der Brust anspannende, gewölbte Busen und der unterhalb des Gürtels deutlich 
sich abzeichnende Leib an die noch nicht lange überstandenen Geburtswehen der 
jungen Frau. Das mit gerippter Borte versehene Kopftuch ist bis auf die Schultern 
herabgeglitten. Der kräftige Hals bleibt vorne frei. In der Höhe des Brustbeines 


(х) Im Chor des Kirchenraumes 13. — Inv. 1906: 1. — Vgl. „Führer durch Kunst- und Historische 
Sammlungen“, S. 43. Lindenholz, braun gebeizt, Höhe 1,50 m, Breite 1,01 m. — Siehe Abb. 1. 


475 


knüpft eine ovale, broschenartige Schließe den Mantel zusammen, der glatt auf den 
Schultern ruht, sich in schöngeschwungener Linie um die Unterarme windet und 
von hier langsam herabrieselt. Auf dem rechten Knie sitzt das nackte Christkind 
und stemmt seine Füßchen gegen den linken Oberschenkel der Mutter, von ihrer 
Rechten im Rücken unterstützt. Der Knabe greift mit der wagrecht ausgestreckten 
Linken nach einem Apfel, den Maria vor sich emporhält, und faßt mit der aufwärts 
nach innen gebogenen rechten Hand ein Vögelchen, das wie spielend in seinen 
Zeigefinger beißt. Der stramme kleine Kinderkörper ist anatomisch gut durchge- 
arbeitet. Aber er verrät ebensowenig jene Schönheit Raffaelscher Typen, als der 
nach rechts!) gewendete dicke Schädel mit den gleichmäßig nebeneinandergesetzten 
Haarvoluten?), den scharfen Furchen von Nase zu Mund und dem lebhaft zurück- 
tretenden Kinn. 

Die Blickrichtungen von Mutter und Kind gehen aneinander vorbei Daß aber 
der Kleine keiner seiner eigenen Bewegungen mit den Augen folgt, liegt wohl an 
einer nicht ganz korrekten Ergänzung der die Frucht haltenden Hand Marias’). 

Die Gruppe stammt aus dem Salzkammergut. Da das Erzbistum Salzburg früher 
zum bayerischen Kreis gehörte und da sich auch eine enge stilistische Verwandt- 
schaft mit verschiedenen oberbayerischen Bildwerken nachweisen läßt, so ist die 
Einreihung der Skulptur unter die Plastik dieses Landes berechtigt. 

Der Darmstädter Madonna am nächsten steht das Sitzbild eines Apostels (Petrus?) 
im Münchener Nationalmuseum‘). Die Haarbehandlung ähnelt der des beschriebe- 
nen Christkindes: in Schnecken endigende Locken unter dem kahlen Scheitel und 
am Vollbart. Der Kopf mit dem breiten, kräftig geschnittenen Antlitz ist, wie bei 
der Maria, leicht geneigt. In gleicher Weise liegt das, den Hals freilassende, an 
der Brust mit einem Monile zusammengehaltene Pluviale über den Schultern glatt 
auf, staut sich an den Unterarmen und breitet sich über die auswärts gerichteten 
Kniee. Der um die Hüften geschnallte Riemen, das dadurch verursachte Hervor- 
quellen des Unterleibes, vor allem aber die Art der Faltengebung des schweren 
Stoffes, dessen Säume sich in Zickzacklinien hinabschlängeln und sich am Boden 
in Wellen umschlagen, und das unmotivierte Sichtbarwerden der spitzen Schuhe, 
wo man sie gar nicht mehr erwartet, sind so charakteristische Merkmale, daß wohl 
dieselbe Meisterhand als Schöpfer der Skulptur angesehen werden kann’). — Auf 
dem Schoß hat der Apostel ein offenes Buch liegen, das er, mit der linken Hand 
seitlich fassend, vor dem Hinabgleiten bewahrt. Das röhrenförmige Attribut in der 


(х) Vom Standpunkte des Beschauers. 

(2) Zum Teil mit Bohrlöchern. 

(3) Bis über die Handwurzel hinaus neu. (Der Apfel ist alt.) Ergänzt außerdem: die rechte Hand der 
Madonna, kleine ausgebrochene Stücke des Mantel- und Gewandsaumes, die Spitze des unter ihm her- 
vorsehenden Schuhes und einzelne Blätter der Krone; ferner am Kind: der ausgestreckte linke Unter- 
arm und der Nasengipfel. — Vom Kopf bis zu den Schultern der Maria ist die Gruppe vollrund ge- 
arbeitet, während ihr Rücken und die Bank ausgehöhlt sind. Seitlich in beiden Oberarmen befindet 
sich in gleicher Höhe je eine runde Öffnung, wohl zur Befestigung der Gruppe in einer Nische — 
vielleicht auch zum Durchstecken eines Querholzes, um die Skulptur bei Prozessionen herumtragen zu 
können. — Sie war vermutlich früher bemalt, doch ließen sich keine Reste der alten Fassung nach- 
weisen, die über die Art der Farbengebung Aufschluß erteilen könnten. 

(4) Siehe Abb. 2. — Lindenholz; Gewandung und Schuhe vergoldet. Höhe 0,77 m, Breite 0,41 m. 
Vgl. „Kataloge des bayerischen Nationalmuseums“, Bd. VI (1896), Nr. 526; Abb. Tafel IX, Text 8. 32. — 
Über die Herkunft der Skulptur gibt der Katalog keinen Aufschluß. 

(5) Die Bildung der weniger feingliederigen, fast etwas plumpen Hände dürfte einen Anhalt für die 
richtigere Rekonstruktion der Darmstädter Madonna ergeben. 


476 


vorgestreckten Rechten ist vermutlich in einen Schlüssel zu ergänzen und recht- 
fertigt demnach die vorgeschlagene Benennung als „St. Petrus“). 

Der Gesamteindruck der Figur erscheint geschlossener und ruhiger. Man wird da- 
her nicht fehlgehen, wenn man die Arbeit nach dem Darmstädter Bildwerk ansetzt. 

Als vor letzterem entstanden möchte ich eine sogegannte hl. Barbara (?) der 
Sammlung R. v. Kaufmann in Berlin annehmen?). Auch hier: das breite Sitzen auf 
einfacher Bank mit Polster, der weite Abstand der stark betonten Kniee, derselbe 
charakteristische Linienfluß der unter der Brust gegürteten Kleidung und der ihren 
unteren Rand durchbrechende Fuß. Die kaum merkbare Neigung des Hauptes und 
die typische Gesichtsbildung vervollständigen die Ähnlichkeit mit der Gruppe in 
Darmstadt und lassen auch in diesem Falle auf denselben Künstler schließen. Für 
die Bestimmung als Frühwerk von seiner Hand spricht die befangenere Bildung 
der Haare, die Art, wie das Kopftuch noch in konventioneller Weise den Nacken 
umhülit und das manirierte Aufstoßen der Gewandung am Boden. — Ergänzt sind, 
außer der Krone, die beiden Hände und das von der Linken gehaltene, auf dem 
Knie stehende Kirchenmodell, dem die Figur die Bezeichnung als „hl. Barbara“ 
verdankt. Selbst wenn dieses Attribut ursprünglich vorhanden gewesen wäre, so 
könnte es sich nicht um eine Darstellung der erwähnten Heiligen“), sondern höch- 
stens um die fürstliche Stifterin irgendeines Gotteshauses handeln. Dazu paßt aber 
wieder die Kleidung nicht. Setzen wir an Stelle des sicher fälschlich hier postierten 
Miniaturgebäudes ein Kind auf den Schoß der Frau, so haben wir eine Madonna 
vor uns. Diese Rekonstruktion hat um so mehr Wahrscheinlichkeit für sich, als 
damit Aufbau und Bewegung der Figur sehr schön in Einklang steht. Außerdem 
wäre in der thronenden Maria zu Darmstadt die beste Analogie vorhanden, aller- 
dings gerade im Gegensinne gearbeitet. 

Weitere Vorstufen zu dieser und zu der „Madonna der Sammlung Kaufmann“, 
wie wir die hi. Barbara also wohl mit Recht umtaufen dürfen, repräsentieren drei 
Skulpturen, die dasselbe Motiv, von einfacherer Formengebung ausgehend, bis zu 
der vorliegenden reicheren und freieren Gestaltung abwandeln: 

1. Die thronende Madonna mit Kind auf dem Hochaltar der Kirche St. Maria 

zu Halfing (Bezirksamt Rosenheim)‘). 

a. St. Aegidius in der gleichnamigen Kirche zu Lengmoos (Bezirksamt Wasser- 

burg) “). 

3. Maria mit dem Jesuskinde aus der Klosterkirche zu Seeon, jetzt im National- 

museum zu München“). 


(1) Auch bei diesem Sitzbild ist die Bank rückwärts ausgehöhlt, der Rücken der Figur dagegen voll- 
kommen modelliert. 

(a) Sitzbild; Lindenholz um 1440; Höhe 0,85 m; freiplastisch, Rückseite unbearbeitet. Vgl. „Deutsche 
und niederländische Holzbildwerke im Berliner Privatbesitz“. Herausgegeben von der Kunstgesch. Ge- 
sellschaft, Berlin 1904, Nr. 11, Abb. Tafel 6. — Als „Süddeutsch‘“ bezeichnet; Herkunft nicht ange- 
geben. 

(3) Die Attribute der hl. Barbara sind im Mittelalter: ein Turm (nicht Kirche!) oder Kelch, eine Palme 
oder Pfauenfeder (auch eine Lanze kommt vor). Später werden ihr, als Patronin der Artillerie, Kanonen- 
läufe beigegeben. Cf. Wessely: Ikonographie Gottes und der Heiligen. 

(4) Sitzbild; Holz; Anfang des 15. Jahrh. — Neugefaßt. Höhe 0,90 m. Vgl. v. Bezold und Riehl: „Die 
Kunstdenkmale des Königreiches Bayern“ I,, 8. 1597, Abb. Tafel азо. 

(5) Desgl. I,, S.2014, Abb. Tafel 248. — Bemaltes Sitzbild; Holz; Anfang des 15. Jahrh. Höhe 0,81 m. 
(6) Bemaltes Sitzbild aus Lindenholz; um 1433. — Сї. Bavaria (1860) I,, 8. 265. — Sighart: Gesch. 
der bild. Künste im Königr. Bayern (1863), II 389. — Katalog des bayer. Nat.-Mus., VI. Bd., Nr. 493, 
Abb. Tafel IX, Text S. 29. 


477 


Der Mangel an Geschlossenheit, das Vermeiden eines ruhigen Umrisses und die 
eckige Biegung der Körper verraten das in diesen Figuren sich aussprechende pri- 
mitivere Stilempfinden. Die Maria von Halfing weist noch gotische Schlankheit 
auf. Die Neigung von Mutter und Kind nach derselben Richtung ergeben eine un- 
erfreuliche Betonung der einen Seite und eine häßliche Lücke zwischen den beiden 
Köpfen. Etwas gemäßigt, aber noch nicht vermieden, erscheint dieser Fehler bei 
der Madonna aus Seeon. Hier haben die Gewandfalten auch schon den weicheren 
Schwung, den die Halfinger Skulptur teilweise vermissen läßt, der sich aber bei 
dem St. Aegidius zu Lengmoos bereits vorfindet. Mit dem weiten Auseinander- 
rücken der Kniee und der durch Ausnutzung des vielen Kleiderstoffes erreichten 
Verbreiterung der Sitzfigur ist der Weg angebahnt, auf dem der Meister der Darm- 
städter Madonna weiterschreiten konnte. Der Schulzusammenhang erscheint evi- 
dent, was örtlich auch keine Schwierigkeiten ergibt. 

Wie der Künstler selbst wieder vorbildlich wirkt, zeigt eine thronende Maria 
mit Kind in einer modernen Kapelle im Garten des Kapuzinerklosters der ober- 
bayerischen Bezirkshauptstadt Laufen!). Auffassung und Umriß sind dieselben ge- 
blieben. Nur der Stil, wie er im stofflichen Detail zum Ausdruck kommt, hat sich 
gewandelt. Statt weich und rund, sind die Falten hart und brüchig geworden. Die 
Anordnung der Gewandung stimmt in großen Zügen noch merkwürdig überein, aber 
im einzelnen findet sich an Stelle der sanften Wellenlinien ein knitteriges Gewirr, 
wie es erst nach der Mitte des ı5. Jahrhunderts aufkommt. 


* * 
* 


Dieser kurze Aus- und Rückblick gestattet eine ungefähre zeitliche Fixierung der 
thronenden Madonna in Darmstadt. Ihre Entstehung muß zwischen die der Werke 
aus Seeon und Laufen, also innerhalb der Jahre 1430—1470 fallen; stilistisch steht 
sie der Seeoner Figur näher. Man wird daher die bisherige Datierung: um 1450 
als richtig beibehalten können. 

Aus der weltfernen „Gottesmutter“, die in orientalischem Glanze und steifer Monu- 
mentalität aus altchristlichen Mosaiken, ernst und streng, von der goldflimmernden 
Apsis sich abhebt und wie eine Vision dunkle Basiliken durchleuchtet, ist ein mensch- 
liches Wesen von Fleisch und Blut geworden. Die glitzernde Krone auf dem 
lockigen Haupt und die kunstvoll gefältelte Gewandung sind als einziger Rest der 
alten Feierlichkeit geblieben. Unter Mantel und Leibrock aber scheint warmes 
Leben zu pulsieren und in der Brust ein Herz zu schlagen, das die Leiden der 
Mühseligen und Beladenen versteht und mitempfindet. Diese Verinnerlichung der 
religiösen Auffassung ist zugleich ein Ausdruck der Selbstbesinnung, die den Wert 
der einzelnen Persönlichkeit in den Vordergrund drängt und ihre Befreiung von 
langer körperlicher und geistiger Knechtschaft erstrebt. In der Renaissance hat die 
neue Weltanschauung ihre ersten Triumphe gefeiert. 

Der besondere Reiz der Darmstädter Madonna und der ihr stilistisch verwandten 
Werke liegt in dem Ringen mit solchen Problemen. Ein gesunder. Naturalismus 
kämpft hier erfolgreich mit verknöcherter Tradition. Konventionell ist noch die 
frontale Anordnung. Doch schon setzt eine Drehung in den Vertikalebenen ein. 


(1) Holz; bemalt; um 1470, wohl von dem ehemaligen Hochaltar der Stiftskirche, dessen Flügel 1467 
gemalt wurden. — Höhe ı m. — Thron und Fassung modern. Cf. v. Bezold und Riehl: I,, 8. 2765. 
Abb. Tafel 281. = 4 


478 


Der Aufbau nähert sich der Pyramidenform. — Inhaltlich besteht noch eine Lücke 
in der Komposition. Mutter und Kind hätten, entweder miteinander, oder beide zu 
dem Beschauer, in engere Beziehung gesetzt werden müssen. Aber gerade solche 
kleine Schwächen des biederen oberdeutschen Künstlers sichern seinem Werke 
eine intimere Wirkung, als die formvollendetere Lösung, wie sie ein italienischer 
Bildhauer derselben Zeit — etwa Donatello in der thronenden Maria mit dem 
Kinde!) auf dem Hochaltar der Kirche S. Antonio zu Padua — zu geben vermag. 


(1) 1445—1448. Abb. Schubring, „Klassiker der Kunst“, Bd. XI, S. 99. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 11. 36 479 


EIN UNBEKANNTES BLATT DES MEI- 
STERS DER NÜRNBERGER PASSION. 
Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 


Der Meister der Nürnberger Passion, von Max 
Lehrs nach einer im Germanischen Museum zu 
Nürnberg sich befindenden Passionsfolge so be- 
nannt, wird seinen stilistischen Eigentümlichkeiten 
nach den oberdeutschen Stechern beigezählt. Er 
gehört der Richtung des Spielkarten Meisters an 
und darf vielleicht zu dessen wenigst begabten 
Schülern gezählt werden. Seine schwächste Seite 
liegt in der Zeichnung; er führte die Nadel mit 
harter Hand und vermochte seinen meist recht 
leblosen Figuren nur selten richtige Proportionen 
zu geben. Ebensowenig gelangen ihm für ge- 
wöhnlich die perspektivischen Versuche, im all- 
gemeinen wirken die dunkeln Diagonalschraffie- 
rungen seiner Schattierungen, die die davorgesetz- 
ten hell behandelten Figuren mehr hervortreten 
lassen sollen, eher störend auf den Gesamteindruck 
des Bildes. Umgekehrt dürfen wir es aber auch 
dem Künstler als ein besonderes Verdiest anrech- 
nen, daß er in seinen Kompositionen ziemlich 
selbständig vorgegangen ist; wenn die Bilder auch 
keine besondere Originalität aufweisen, so scheint 
ihr Zeichner doch immerhin in der landläufigen 
Auffassung seine eigenen Wege gegangen zu sein. 
Was uns den Meister besonders interessant macht, 
ist sein bisher noch nicht völlig aufgeklärtes Ver- 
hältnis zum Stecher E. S. Auch der Meister der 
Bandrollen hat nach M. Lehrs die Arbeiten unseres 
Künstlers gekannt und benutzt. 

Im vorliegenden Blatte bringen wir eine für 
die Beurteilung des Meisters der Nürnberger 
Passion nicht unwichtige Arbeit, die bisher den 
Forschern entgangen war. Der Stich befindet sich 
auf dem Vorblatte eines Inkunabeldruckes der 
Berner Stadt- und Hochschulbibliothek, ein am 
4. Oktober 1483 in Ulm bei Konrad Dinckmut er- 
schienener ,,Wurzgarten der Seele“ (Inc. IV. 7 — 
Cop. 5345 — Proctor 2561). Es hat allen An- 
schein, daß beim Einbinden dieses ohnedies schon 
an Holzschnitten reichen Werkes gleichzeitig auch 
unser Kupferstich beigefügt worden ist. 1564 be- 
fand sich das Buch mit dem eingeblebten Bilde 
bereits in Berner Besitz. Das Blatt ist uns in 
einem ausgezeichneten Abdrucke erhalten geblieben, 
die Frische der schwarzen, schwach ins Silbergrau 
spielenden Druckfarbe erhöht die Wirkung des 
Druckes wesentlich, Als ein seltener Zufall findet 
sich auch der vollständige Plattenrand noch vor, 


480. 


die Maße für den Stich mit der Einfassungslinie 
betragen 14 35:18 - 35 cm, mit Plattenrand 15-6: 
19 5 cm. Das Papier trägt kein Wasserzeichen. 
Die nebenanstehende Wiedergabe des Abdruckes 
erfolgte in Originalgröße. 

Die Darstellung selbst, eine äußerst einfach 
komponierte Verkündigungsszene, lehnt sich in 
keiner Weise weder an die uns bekannten Bilder 
des Meisters E. S., noch an die des Spielkarten- 
meisters, noch an die des Meisters von 1462 an; 
sie ist offenbar eigene Komposition unseres Künst- 
lers, der auch hier seinen primitiven Standpunkt 
mit Nachdruck vertritt. Zeitlich fällt der Stich 
wohl in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, 
die stilistischen Merkmale jener Epoche finden 
sich auf unserem Blatte deutlich vertreten. 

Durch eine portalartige Öffnung, von der aller- 
dings nur eine schlanke Säule sichtbar wird, 
blicken wir in eine enge rechteckige Kammer. 
Die Rückwand wird durch zwei schmale Fenster, 
deren Vorhänge zur Seite gezogen sind, hell be- 
leuchtet. Links sitzt Maria mit lang herabwallen- 
dem Haare und rundem Scheibennimbus auf reich 
gepolstertem Schemel. Auf ihrem Schoße hält 
sie ein frommes Buch, ein zweites liegt neben ihr 
auf dem einfach gedeckten Tische. Eine mit zier- 
lichen Stäben geschmückte Ruhebank, die quer in 
den Raum gestellt wurde, soll dem Beschauer 
durch geschickte Raumverkürzung die wunderbare 
Szene offenbar intimer vorführen. Maria gegen- 
über kniet der Engel, mit Rosen bekränzt, den 
Stab in der Hand. Von rechts schwebt die Taube 
des heiligen Geistes durch Strahlen zur Jungfrau 
herab, der himmlische Glanz entspringt einem 
Wolkenembleme, aus dem der Gottvater selbst in 
die Kammer herniederschaut. Die Türe steht 
leicht geöffnet, über ihr auf einem Gestelle ruht 
der ärmliche Hausrat. Zwischen beiden Personen 
auf dem platten Boden stellte der Meister in leich- 
ter Anordnung einen Blumenkrug, einen Myrten- 
stock und ein kleines Schatzkästlein. 

Die von М. Geisberg mit Recht für unsern 
Stecher als besonders charakteristisch bezeichnete 
Schlaffheit und Knochenlosigkeit seiner Figuren 
tritt wohl auch hier ziemlich deutlich zutage. Be- 
sonders in der Faltung der Gewänder fehlt die 
sonst bei den Zeitgenossen so konsequent durch- 
geführte Schärfe der Linien, mit seinen dichten 
feinen Parallelschraffen hat der Meister eben jene 
weiche Modellierung hervorgerufen, die für seine 
Eigenheit gerade bestimmend ist. Nichts an Deut- 
lichkeit zu wünschen läßt das Gebärdenspiel des 


Sprechenden, hätten die Personen entsprechend 
der Lebendigkeit ihrer Bewegungen auch den 
nötigen Ausdruck erhalten, dann würde sicherlich 
unser Blatt bedeutend an künstlerischem Werte 
gewinnen. Statt dessen treffen wir denselben 
geistlosen Ausdruck, die nämlichen spitzovallen 
Gesichtsbildungen, die sich z. B. auch im Bilde 
der Geburt Christi vom gleichen Künstler wieder- 
finden (Lehrs Taf. 26, Nr. 73). Auch in der An- 
betung der heiligen drei Könige, die nach Geis- 
bergs Ausführungen wohl ebenfalls dem Meister 
der Nürnberger Passion zugeschrieben werden 
müssen, scheinen sich Anhaltspunkte für einen 
‚derartigen Vergleich zu finden (Geisberg Taf. 17). 


Alle Ähnlichkeiten zusammengefaßt stehen wir 
nicht an unser Blatt als eine weitere Folge einer 
Serie von neutestamentlichen Darstellungen des 
genannten Künstlers anzusehen. Zu dieser An- 
sicht berechtigen uns nicht nur stilkritische Mo- 
mente, sondern auch ein gewisser äußerlicher Zu- 
sammenhang, jedenfalls ist es auffallend, wie die 
Maße der beiden erstgenannten Blätter mitein- 
ander übereinstimmen. Ein näherer Vergleich mit 
dem auf der Stadtbibliothek zu Breslau sich be- 
findenden Weihnachtsbilde (Cod. 304) und der 
Anbetung des kgl. Kupferstichkabinets zu Dresden 
dürfen vielleicht noch weitere Gründe zu dieser 
Annahme bringen. C. Benziger, 


RUDOLF OLDENBOURG, Thomas 
de Keysers Tätigkeit als Maler. Leip- 
zig, Verlag von Klinkhardt & Biermann. 
1911. 


Das schon durch seinen geschmackvollen Ein- 
band und Druck zum Lesen einladende Buch 
füllt eine Lücke aus, indem es nicht nur die bis- 
herigen Resultate der Forschung zusammenfaßt 
und den ganzen Stoff: Biographisches, Bilderge- 
schichtliches und Stilkritisches, zu einem Ganzen 
‘verarbeitet, sondern auch dadurch, daß es in selb- 
‚ständiger Weise die Entwicklung des Malers dar- 
stellt. Kurz, diese erste umfassende Biographie 
de Keysers ist zu gleicher Zeit eine erfreuliche 
жа nennen. 

In der Einleitung weist der Verfasser darauf 
hin, daß Thoré im Jahre 1858 zuerst de Keysers 
Wert neu entdeckte. Dann hat Six von dem de 
Keyser-Konglomerat den Künstler Nicolaes Elias 
losgelöst (1886), aber weiter hatte bis jetzt, „ab- 
gesehen von einzelnen verstreuten Notizen, das 
Werk de Keysers keine kritische Sichtung mehr 
erfahren und deshalb muß die Forschung neben 
der Klarstellung seiner entwicklungsgeschichtlichen 
‚Bedeutung vor allem seine Eigenart den Zeitge- 
nossen derart begrenzen, daß den zahlreichen 
willkürlichen Zuschreibungen ein festes Bild sei- 
ner künstlerischen Persönlichkeit entgegengesetzt 
wird“. 

Dies Bestreben hat Dr. Oldenbourg in seiner 
Arbeit konsequent durchgeführt. Er hat nicht 
durch gewagte Hypothesen und welterschütternde 
Zuschreibungen zu imponieren versucht, sondern 
in Ruhe, feinsinnig kritisch, so viel als möglich ge- 


sichtet. Was ihm irgendwie zweifelhaft vorkam, 
hat er nicht mit in den Katalog aufgenommen, 
und so fehlen z. В. das Amsterdamer Familiene 
bild mit dem Wagen (Reichsmuseum Nr. 1348), 
das Berliner Gruppenbild (Kaiser Friedrich-Museum 
Nr. 750), die vielumstrittenen Triktrakspieler (siehe 
die Begründung des nicht Aufnehmens bei Olden- 
bourg S. 36), und noch andere Bilder. Vielleicht 
wäre es bei dieser Strenge auch besser gewesen, 
Bilder fortzulassen, deren Zuschreibung als unsicher 
angegeben ist (Nr. 17, тот usw.) oder sich nicht 
mehr nachprüfen läßt, weil sie verschollen sind 
(Nr. 26, 31, 60, 61 usw.). Es hätte dann nach dem 
Katalog der unzweifelhaften Bilder ein Katalog der 
möglicherweise echten folgen können und etwa 
noch ein dritter von jenen nicht wenigen, welche 
noch von Kennern (in einigen Fällen sogar von 
Spezialforschern ersten Ranges) für Arbeiten de 
Keysers gehalten, aber vom Verfasser angezweifelt 
werden. Zwar finden wir dies teilweise im Text 
des Buches ausführlich besprochen; aber wenn 
man vor einem Fall steht, in dem man schnell 
wissen will, ob Oldenbourg sich näher ausspricht 
über die Zuschreibung eines bestimmten, wenn 
auch nur sogenannten de Keysers, ist es nicht 
immer möglich, gleich Auskunft zu erhalten. So 
wäre es auch besser gewesen, im Katalog bei den 
Bildern, über die im Text gesprochen wird, die Text- 
seite zu erwähnen. Endlich wäre noch — was 
die Technik des Katalogmachens betrifft — zu be- 
merken, daß die Angabe des Abbildungsmaterials 
vollständiger hätte sein können. Es brauchen ja 
nicht bei jedem Bild alle Abbildungen genannt zu 
werden; aber wenn ein Gemälde abgebildet ist, 
soll wenigstens eine Abbildung genannt werden, zu- 


481 


mal es ja in zweifelhaften Fällen (wie z. B. bei 
Nr. 17)*) wichtig ist, zu wissen, ob und wo eine 
Reproduktion zu finden ist. Dasselbe ist der Fall 
bei den Sixschen Bildnissen (Nr. 19 u. 20), von denen 
gesagt wird, daß sie der Sammlung Beels van 
Heemstede entstammen, ohne daß jedoch von 
einer Auktion Beels van Fleemstede gesprochen 
wird. So ist es für jemanden, der diese Bilder nicht 
selbst gesehen hat, fast unmöglich, die Ausführungen 
im Text 8. 28 zu verfolgen, während das doch 
eher möglich ist für den, der weiß, daß die Bil- 
der im Auktionskatslog (Amsterdam im Juli 1903) 
reproduziert sind. Bei Bildern in entiegenen 
Sammlungen ist Angabe der Abbildungen auch 
sehr erwünscht. Verfasser führt zwar von den 
Bildern in Aix (Nr. ı und 2) die Abbildungen an, 
erwähnt dagegen bei dem Troppauschen Bild 
nicht die Reproduktion im Müllerschen Auktions- 
katalog, Amsterdam, 14. November 1905; wie ja 
auch aus seiner Notiz bej der betr. Nummer nicht 
hervorgeht, daß das Bild dort verkauft wurde. 
Aber dies sind technische Kleinigkeiten, welche 
der Bedeutung des Ganzen nicht besonders scha- 
den, da ja die Hauptbedeutung eines Katalogs 
darin liegt, daß er so volistindig als mög- 
lich alle echten Bilder eines Meisters zusammen 
bringt. Soweit ich dieses habe kontrollieren 
können (wegen der allzu knappen Herkunfts- 
angabe*) der Bilder kann man manche Namen 
von früheren Eigentümern nicht im Register fin- 
den und muß man alle Beschreibungen durch- 
lesen), fehlt nichts Wesentliches. Nur das sicher 
echte männliche Brustbild der Auktion Müller, 
Amsterdam, 22.Nov. 1910, habe ich nicht erwähnt 
gefunden. Also, Oldenbourgs Arbeit ist wohl fast 
der vollständigste Katalog von de Keysers Oeuvre, 
den man sich denken kann und somit eine Arbeit, 
für die wir dem Verfasser aufrichtigsten Dank 
schulden. Noch bis zum letzten Moment vor der 
Drucklegung war er offenbar eifrigst bemüht, 
etwaige Lücken auszufüllen, und mit Recht hat 
er bei dem Porgesschen Bild Nr. 119 nach Lilien- 
felds Angaben die Möglichkeit einer Fälschung 
erwähnt. Das Bild ist allerdings eine Fälschung, 
und zwar aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das 


(1) Versteigerung J. Monchen, Amsterdam 30. April 1907. 
Porträt eines Mannes. „Bestimmung unsicher.“ Ich halte 
das Bild, obwohl es etwas J. de Bray-artiges hat, für echt. 


(2) Um das 1903 von Dowdeswell im Haag ausgestellte 
Bildnis zurückzufinden mußte ich, weil Dowdeswell in der 
Herkunftsangabe und also auch im Register fehlt, erst im 
damaligen Ausstellungskatalog nachschlagen, fand dort die 
Datierung 163: und fand dann, mit Hilfe von Oldenbourgs 
chronologischer Tabelle, daß das Bild die Nr. 116 von Olden- 
bourg Ist und daß es ıgıo bei Kleinberger war. 


482 


Kind ist kopiert nach einem G. Flinck im Mau- 
ritshuis im Haag. 

Der Katalog scheint mir, wie aben gesagt, als- 
kritische Arbeit gut gelungen. Soweit ich die als- 
echt angeführten Bilder kenne, wifite ich keines, 
bei dem ich anderer Meinung wire als der Ver- 
fasser. 

Der Text ist sehr angenehm geschrieben und 
obendrein klar in seiner Kürze. Erst eine kurze 
Biographie, genügend für den Zweck und mög- 
lichst frei von allem Hypothetischen und Anek- 
dotischen. Dann folgt ein Kapitel über de Keysers- 
Wirksamkeit vor Rembrandts Auftreten in Amstar- 
dam. Erst werden die Regentenstiicke von 1619 
und 1627 besprochen. Knapp faßt der Verfasser 
die Resultate zusammen, zu denen Riegl in seinem 
bekannten „Gruppenporträt“ für de Keysers Ent- 
wicklung kam. Mit Recht weist er darauf hin, daß es- 
sehr wahrscheinlich ist, daß Ketel de Keysers. 
Lehrer war, und es will mir scheinen, daß auch. 
der Halssche Einfluß auf de Keysers Entwicklung, 
den Dr. Oldenbourg betont, in der vom Verfasser 
beschriebenen Weise wirklich anzunehmen ist.. 
Die Beschreibung der Einzel- und Familienbild- 
nisse, welche den zweiten Absatz dieses Kapitals 
bildet, läßt uns des Künstlers Entwicklung in jener 
Zeit deutlich verfolgen. Das auf S. ıg erwähnte 
interessante, 1619 datierte männliche Bildnis bei 
Hirsch in New York bedeutet eine schöne Bereiche- 
rung unserer Kenntnis von de Keysers Frühzeit. Es. 
kommt mir nicht unmöglich vor, daß es ein 
Selbstbildnis ist. Jedenfalls hat das Bild Äbnlich- 
keit mit dem von des Künstlers Vater (vgl. Abb. П. 
mit Abb. III). 

Das dritte Kapitel behandelt die Schützenstücks 
von 1632 und 1633; das vierte ist de Keysers 
Weiterentwicklung unter Rembrandts Einfluß ge- 
widmet: erst der Zeit bis 1640, als er sich wieder 
der Bildhauerei widmete; dann den vereinzelten 
Werken aus der Zeit seiner kaufmännischen Tätig- 
keit und seiner letzten Schaffensperiode. Auch 
hier, wie in den vorigen Kapiteln, verfolgt Ver- 
fasser gleichzeitig mit einer feinsinnigen Bespre- 
chung der einzelnen Bilder die Entwicklung des 
Malers. Dr. Oldenbourg hat den künstlerischen 
Geist dieses kräftigen, in seiner Art großen Meisters. 
klar darzustellen gewußt und ihn uns in objektivster 
Weise vorgeführt als eine jener hochkünstleri- 
schen Naturen, deren Schaffen zu überblicken 
jedem Kunstfreunde Genuß bereitet. Möge das 
Buch Anerkennung finden und möge diese den 
Verfasser zu weiteren Arbeiten in dieser Richtung 
ermutigen. Namentlich der vlämische Einfluß auf 
de Keyser könnte noch näher untersucht werden. 


Die Anklänge sind stärker als man denkt und 
die Bemerkungen, welche der Verfasser gelegent- 
lich darüber macht (S. 23, 38, 40, 55 usw.), lassen 
uns wünschen, daß er sich dieser Frage an- 
nehmen und, vom Speziellen ins Allgemeine über- 
gtelfehd versuchen möge, den vlämischen Ein- 
ffuB auf die damalige holländische Malerei in 
einer Besonderen Publikation klarzulegen. Vor 
etwa einem Jahr sah ich im Burlington Club in 
London!) einen kleinen hl. Sebastian, ganz in der 
Art van Dycks, flott und pastos gemalt und wunder- 
bar durchscheinend im Ton. Das Bild war von de 
Keyser bezeichnet und unzweifelhaft echt. Mehr 
noch als die Venus und Adonis der Sammlung 
Ekman (Oldenbourg Nr. 56) war es ein Beweis, 
daß de Keyser sich eine Zeitlang so sehr für flan- 
drischen „Schwung“ interessiert hat, daß er sich, 
wenn auch vielleicht nur nebenbei, der Nachahmung 
eines Meisters wie van Dyck ergeben konnte. 
W. Martin. 


OSCAR LEVERTIN, Jacques Callot. 
Eine Studie. Minden i W., Verlagsbuch- 
handlung von J. C. C. Bruns. 1911. 


Als der schwedische Dichter und Gelehrte Oscar 
Levertin 1906 an einem Septembertag so bitter uner- 
wartet und schnell von seiner leidenschaftlich ge- 
lebten Arbeit, die von einer wirklichen und 
tiefén Bedeutung für Schwedens geistige Kultur 
War, fortgerissen wurde, ging vieles verloren außer 
der selten warmen, guten und genialen Persönlich- 
keit, welche immer unersetzlich bleibt. 

Das groß angelegte und lange Zeit mit äußerster 
Sorge vorbereitete Werk über Linné, womit Le- 
vertin eben damals unter starker Inspiration und 
‘mit gitihendem Eifer beschäftigt war, blieb nur 
ein Totso, aber ein solcher von seltener und 
eigentiimlicher Schönheit. Ein Werk über die 
Kulturgeschichte Schwedens im 18. Jahrhundert, 
weiches zu schreiben er alle Vorbedingungen 
hatte und das er auch geplant haben soll, blieb 
bei dem Gedanken stehen. Callot, der merk- 
wärdige und geistreiche französische Künstler des 
17. Jahrhunderts, dessen graphische Blätter von 
gewöhnlich lilliputenischem Format ein scharfes 
Falkenauge und ein wohlberechnendes Kompo- 
Atenevermögen verraten, hatte er zum Gegen- 
stand. einer gatızen Monographie, welche u. a. neu- 
gefundene biographieche Notisen mitteilen solite, 
su machen gedacht. Die Monographie kam niemals 


(1) Das Bild war von einem der Mitglieder in einem der 
Lesesimmer ausgestellt. 


zustande. Drei Jahre vor seinem Tode ließ Le- 
vertin seinen merkwürdigen großen Callot-Essay in 
der schwedischen Zeitschrift Ord och Bild (Wort 
und Bild) erscheinen und damit gab er der schwe- 
dischen Kunstliteratur einen Essay von aller- 
höchstem Rang, ausgezeichnet ebensosehr durch 
eine außerordentlich vielseitige, aber niemals 
schwere Gelehrsamkeit als durch echt Levertin- 
sche Vereinigung von Schärfe und Geist in der 
Auffassung. 

Dieser Callot-Essay, welcher топ in Schweden 
als der aa. Teil von Levertins gesammelten Schriften | 
erschien, ist in demselben Jahr in einer ganz 
vortrefflichen Übersetzung des Fräulein Marie 
Franzos von einem deutschen Verlage heraus- 
gegeben worden. So wie in der schwedischen 
Auflage ist auch in der deutschen dem Essay die 
Untersuchung beigesellt, welche Levertin in der 
Zeitschrift für bildende Kunst, Jahrg. 1903—1904, 
veröffentlichte über das sogenannte Callotsche 
Skizzenbuch in der Albertina, das in der Tat, 
wie der Verfasser überzeugend darlegt, von Stefano 
della Bella herrilhrt. Dieselben Illustrationen wie 
in der schwedischen Ausgabe begleiten den Text 
der deutschen Edition, nur mit Ausnahme der 
Bilder, welche die Untersuchung über das Skizzen- 
buch illustrierten. 

Der kunsthistorische Teil von Levertins Schaf- 
fen gehört, obwohl vielleicht nicht so allgemein 
bekannt wie seine Dichtungen und literar-histo- 
rischen Arbeiten, zum hervorragendsten und ge- 
diegensten, was Schweden auf diesem Gebiete 
besitzt, Schon von Kindheit an durch seinen 
Vater, der Kunsthändler in Stockholm war, in die 
Welt der Kunst eingeführt und mit graphischen 
Blättern sowie mit Malereien, Skulpturen und 
Miniaturen vertraut, bekam er frühzeitig den feinen 
Blick des Kenners für rein künstlerische Quali- 
täten, und da hierzu sich später eine ungewöhn- 
lich gründliche literarische und kulturhistorische 
Belesenheit gesellte, ist es kein Wunder, даб die 
kunsthistorischen Arbeiten Levertins einen zanz 
eigenen und fesselnden Reichtum von Gesichts- 
punkten aufweisen. 

Das umfangreichste von diesen Werken Lever- 
tins ist die 1899 veröffentlichte Monographie 
über Niklas Lafrensen d. J., den schwedischen 
Miniaturmaler, welcher in dem Frankreich des 
ı8. Jahrhunderts naturalisiert, unter dem Namen 
Lavreince eine große Berühmtheit besonders 
als Bildnis- und IÎnterieurmaler des ancien régime 
erwarb. Es ist ein außerordentlich inhaltreiches 
Buch, gegriindet auf Untersuchungen erster Hand 
sowohl in schwedischen wie ausländischen Samm- 


483 


lungen und Archiven über die ganze schwedische 
Malerei des ı8. Jahrhunderts, die so stark von 
Frankreich beeinflußt wurde. 

Als eine Frucht dieser großen Monographie, die 
eine wahre Goldgrube von neuem Material bloß- 
legt, kann man gewissermaßen die beiden mehr 
populär gehaltenen Bücher über Alexander 
Roslin und Gustav Lundberg (1901 und 1905) 
betrachten, welche zwei andere in Frankreich an- 
sässige und berühmte schwedische Bildnismaler 
desselben Jahrhunderts behandeln, und die beide 
mit der künstlerischen Phantasie und dem daraus 
hervorgehenden bewunderungswürdig lebendigen 
und anschaulichen Stil geschrieben sind, die auch 
die gelehrten Aufsätze Oscar Levertins wahrhaft 
populär machten. 

Danach folgte 1903 in Nordisk Tidskrift die 
gründliche, an kulturhistorischen Zügen reiche 
Untersuchung über schwedische und franzö- 
sische Medaillenkunst des 17. Jahrhun- 
derts, eine Schrift, bei der die relative Trocken- 
heit und Zerstreutheit des Materials einigermaßen 
die Darstellung des Verfassers angesteckt zu ba- 
ben scheint, obwohl auch sie durch viele feine 
und geistvolle Beobachtungen erkennen läßt, wes 
Geistes Kind sie ist. 

Gleichwie aber in der schwedischen Literatur- 
geschichte Levertin seine größte Meisterschaft auf 
dem Gebiete des Essays zeigt, wo seine glin- 
zende Doppelbegabung als Dichter und Gelehrter 
sich in der harmonischsten Weise zur Geltung 
bringen konnte, so gibt er nach meiner Mei- 
nung seinen eigensten, unersetzlichsten Einschlag 
in Schwedens Kunstgeschichte auch als Essayist. 
Das geschieht vor allem durch die jetzt ins Deut- 
sche übersetzte Callot-Studie und auch durch die 
1905 in der Festschrift für Schwedens hervor- 
ragenden Literarhistoriker, seinen Freund Hen- 
rik Schück (Professor in Upsala) zu dessen fünf- 
zigjährigem Geburtstag gedruckten Aufsatz Die 
Kunstlehre des französischen Klassizis- 
mus. Diese ziemlich kurzgefaßte Schrift, hinter 
der, wie das beigefügte imponierende Literatur- 
verzeichnis beweist, doch das Studium zahl- 
reicher dickleibiger Bände liegt, hebt in einer 
meisterhaft konzentrierten Weise die leitenden 
Prinzipien hervor, welche der ganzen klassischen 
Malerei Frankreichs zugrunde liegen, von Poussin 
bis Philippe de Chsmpaigne und Lebrun, so wie 
sie in den auf Geheiß des energischen Ministers 
Colbert zustande gekommenen „Konferenzen“ oder 
Diskussionen in der Akademie, besonders in der 
Zeit 1667—82, zum Ausdruck kamen und die mit 
der ganzen Richtung der französischen Kultur so- 


484 


wohl des Staatsiebens wie der Literatur des „Grand 
Siecle‘ in intimstem Zusammenhange stehen. 
Die Beziehungen der schließlich verhängnisvollen 
Richtung der Malerei des VerstandesmiSigen, 
Abstrakten und Typischen zu der Philosophie 
Descartes’ und den Dramen Corneilles ist geist- 
reich gesehen und dargelegt. Besonders den Ein- 
flu8 Corneilles spürt Levertin bei den Künstlern 
und gibt ihm vortrefflich in diesen Worten Aus- 
druck: 

„Das Theater wurde, eigentümlich genug, die 
Welt, wo zuerst die Herrschaft des Intellektualis- 
mus und der Ordnung triumphierte. Die Künstler 
in der Maler- und Bildhauer-Akademie weisen auch 
oft auf die Einheitsgesetze hin — besonders im 
Vergleich mit den Prinzipien der Komposition. 
Wenn sie davon sprechen, daß ein Ausdruck oder 
eine Gebärde ‚une belle àme“ bezeichnen, sind es. 
die Alexandriner Corneilles, die in ihrer Erinne- 
rung nachklingen, und von seinen Schauspielen 
haben sie auch jenes bis zum Spitzfindigen ge- 
steigerte Interesse, moralpsychologische Zustände 
zu illustrieren, entliehen, das sie bei dem großen 
Geistesverwandten und Landsmann Corneilles, dem 
Meister der französischen Kunst, Poussin wieder- 
fanden.“ 

Am bedeutendsten aber scheint mir Oscar Le- 
vertin als kunstwissenschaftlicher Essayist in sei- 
nem Callot-Aufsatz. Nach einer Übersicht von 
Callots Leben und Werk, eingeleitet durch ein 
interessantes Zitat aus einem früheren Callot-Be- 
wunderer, dem bekannten genialischen Spukge- 
schichtenerzähler E. Т. A. Hoffmann, welcher seine 
1814 ausgegebenen „Phantasiestücke“ „in Callots 
Manier“ geschrieben nennt, folgt die prägnante 
Charakteristik von Callots Kunst und deren Ein- 
fügung in die ganze geistige Atmosphäre des Zeit- 
alters. Diese Charakteristik ist in fünf ziemlich 
kurze Kapitel gepreßt mit den Überschriften: Das 
Spiel der Proportionen, Callot als Schöpfer im un- 
endlich Kleinen, Callot als Schilderer der Masse, 
Callot als Schilderer des Krieges und Die Philo- 
sophie des Mikrokosmos. Begegnet einem nicht 
hier auf jeder Seite der Beweis dafür, was es be- 
deutet, auch für einen Kunstschriftsteller, eine: 
weite und solide Bildung zu besitzen und, noch 
mehr, einen Scharfblick, welcher das scheinbar 
weit geschiedene findet und zusammenfaßt, eine 
Phantasie, die das Gefundene und Zusammenge- 
faßte lebendig macht und zu einem künstlerischen. 
Ganzen zusammengießt! Um nur ein Beispiel 
anzuführen, wie fein ist es, wenn Levertin von 
einer der letzten Radierungen Callots spricht, der 
Truppenrevue, wo ein ganzes Heer in lilliputa- 


nischem Format vor einem Feldherrn auf seinem 
Rosse defiliert, eine Vordergrundfigur, die, kaum 
drei Zoll hoch, riesenhaft wirkt im Verhältnis zu 
seinen Soldaten, sagt, daß der Feldherr seinen 
kleinen Soldaten gegenüber die ausdrucksvolle 
Anrede gebrauchen könnte, die die Riesen der 
Volkssage in Callots eigener Heimat, Lothringen, 
an die Menschenpygmäen zu richten pflegten: 
„Ombres de mes moustaches et poussiere 
de mes mains“! 

Hier ist es, wie so oft in Levertins Werken 
über Kunst, der gelehrte Literaturkenner, welcher 
einen glücklichen und die Situation beleuchtenden 
Fund gemacht hat. Er übersieht dabei aber keines- 
wegs die rein künstlerischen Gesichtspunkte. 
Treffend hebt er z. B. die intime Verwandtschaft 
in Aufstellung, Architekturbehandlung und Raum- 
gestaltung zwischen den kleinen Radierungen 
Callots und den Riesengemälden der italienischen 
Spätrenaissance und des Barocks hervor mit ihren 
„immer wachsenden, im tiefsten Grunde pantheis- 
tischen und schwermütigen Gefühl für die Poesie 
des Terrains, der Landschaft, der atmosphärischen 
Verhältnisse und für die Hoheit der großen Raum- 
einfassungen, für all das Umgebende und Dau- 
ernde, gegen das das Menschenleben klein, ver- 
schwindend und vergänglich erscheint“. Feinsinnig 
macht Levertin auch darauf aufmerksam, wie bei 
Callot, den er „den ersten bewußten Porträtisten 
der Menge“ nennt, es die Menge ist, welche der 
Held der Handlung wird, die Menge, welche Le- 
vertin mit dem Stolz und der bitteren Ironie des 
Geistesaristokraten in den dies Kapitel einleiten- 
den Zeilen charakterisiert, als „den ewigen und 
namenlosen Chor der Geschichte, derselbe im 
ersten Akt wie im fünften, der alle Ideen an den 
Schandpfahl und alle Helden ins Grab bringt, in 
einer Stunde das Werk von Jahrhunderten stürzend 
und — in einer Viertelstunde von einem Regen- 
guß zerstreut“. 

Am glänzendsten kommen aber die Eigenschaf- 
ten Levertins als geistvoller Essayist zum Aus- 
druck in dem Schlußkapitel des Callotbüchleins 
„Die Philosophie des Mikrokosmos“, eingeleitet 
von einem langen und merkwürdigen Zitat von 
einem der Lieblinge des Verfassers, dem Ein- 
siedier in Port Royal, Pascal. Es ist vor allem 
in diesem Kapitel die Einsetzung von Callot und 
seiner Kunst in das ganze geistige Milieu der 
Zeit behandelt, und mit der sichersten Kennt- 
nis und Kunst zeigt der Verfasser, wie die Welt 
„im unendlich Kleinen“, welche sich in Callots 
Radierungen mit so wunderbarer Schärfe und so 
intensivem Leben offenbart, keine isolierte Er- 


scheinung ist, sondern ihre Seitenstücke und Pa- 
rallelen ringsum in der Zeit hat, in den metaphy- 
sischen Träumereien Pascals und anderer, in dem 
durch Galileis Konstruktion vom Teleskop und 
Mikroskop aufflammenden Interesse für verklei- 
nernde und vergrößernde Linsen, und außerdem 
in dem ganzen exakten und präzisen wissenschaft- 
lichen Geist, der dem großen italienischen Ge- 
lehrten eigen war und der Callot in Florenz am 
dortigen Hofe begegnete, der ihn während meh- 
rerer Jahre in seine Dienste nahm. „Callots 
kleine Radierungen“, so faßt Levertin das Resul- 
tat seiner Untersuchungen zusammen, „geben un- 
bewußt jener Weltanschauung Ausdruck, die die 
erste große Epoche der Naturwissenschaften in 
der modernen Zeit mit allen Konsequenzen der 
Kopernikanischen Wahrheiten ausbildete, als man 
die Erde zum erstenmal als einen verschwindend 
kleinen Ball im Universum dachte und ihre Men- 
schen als noch mehr verschwindende flüchtige 
Wesen . In jedem Falle teilt eine so syste- 
matische Weltverkleinerung, eine so energische 
Reduktion alles Menschlichen, wie sie Callots Ar- 
beiten charakterisiert, den Eindruck einer natur- 
wissenschaftlich -objektiven und resigniert ironi- 
schen Auffassung des Menschen und seines Da- 
seins. Es ist als lese man in diesen wunderbaren 
kleinen Bildern zum erstenmal in der Geschichte 
der Kunst jene letzte Weisheit der Weltauffassung: 
Memento parvitatis, ihr menschlichen Kämpfer und 
Komödianten! Euer Lebenskampf ist der der 
Blattläuse, eure Dramen sind die der Ameisen, 
eure Feste der Tanz der Stäubchen in dem er- 
löschenden Sonnenstrahl.“ 

Wie oft habe ich beim Durchlesen des glänzen- 
den Callot-Essay meines Landsmannes gedacht: 
der sollte in eine der großen Kultursprachen über- 
setzt werden! Jetzt ist es geschehen und mit 
einer so großen Geschicklichkeit, einem so fein- 
fühlenden Einleben in den Geist des Originals, 
daß die deutsche Übertragung trotz der gewiß be- 
deutenden sprachlichen Schwierigkeiten, die das 
Werk eines so ausgesuchten Sprachkiinstlers und 
Dichters geboten haben muß, sich ganz wie ein 
Original lesen läßt. Soll das Büchlein in seiner 
schwarzen Tracht, so einfach und vornehm, un- 
bemerkt in der großen Flut des deutschen Bücher- 
marktes versinken? Ich kann das nicht glauben. 
Es ist eben ein Buch für den großen feingebil- 
deten Teil des deutschen Publikums, und ich bin 
überzeugt, daß es nicht verfehlen wird, einen 
starken und bedeutenden Eindruck auch auf ein 
fremdes Publikum zu machen. John Kruse. 


485 


. VITTORIO MALAMANI, Canova. Mai- 
land, Hoepli, o. J. (1911). 

Der als Canovaforscher rähmlichst bekannte 
Verfasser gibt bier eine erschöpfende Biographie 
‘seines Heiden in Folio. Man müßte Italiener oder 
wenigstens Romane sein, um die Freude und den 
Eathusiaemus mitzuempfinden, die diesem späten 
Herold des Canovaschen Ruhmes die Feder ge- 
fährt haben. Denn über 350 Seiten größten For- 
mates rein-biographischer Lektüre hätte ein deut- 
seher Leser vielleicht noch vor hundert Jahren 
für Canova aufgewendet; heute kann das, den pflicht- 
bewußten Referenten natürlich ausgenommen, nie- 
mand mehr. Das kurze Schlußkapitel aber, das nach 


einigen schwachen Ansätzen zu einer künstlerischen 
Würdigung der Werke sich in einer temperament- 
vollen Attacke gegen Thorwaldsen und die bösen 
Archaeologen ergeht, die durch ihre Nörgeleien 
«den Ruhm des divino maestro verdunkelt hätten, 
würde vielleicht vom Publikum des Jahres 1811 
ernst genommen worden sein — in unsern Tagen 
mutet es uns an wie eine Stimme aus dem Grabe. 
Für uns ist und bleibt der Klassizismus der beiden 
großen Antipoden für immer ein geschlossenes 
Kapitel der Kunstgeschichte. Weder für die Er- 
kenntnis der Antike, die sie beide mißverstanden, 
noch für die schöpferische Kunst der Zukunft 
können sie — trotz Julius Langes Prophezeiung 
einer Thorwaldsen-Renaissance — je wieder leben- 
dig werden, eine so hohe Position sie auch jederzeit 
in der allgemeinen Kultur- und Geistesgeschichte 
‚Europas behaupten werden. Die (einstweilen noch 
ungelöste) Aufgabe der eigentlichen kunstgeschieht- 
lichen Forschung aber wird es sein, die psycho- 
logischen und formalen Wurzeln bioficulegen, aus 
‚denen die se heterogenen Stile der beiden Meister 
erwuchsen, eine Arbeit, deren Fundamente, soweit 
sie Therwaldsen betreffen, schon durch Julius 
Lange gelegt worden sind. Für Canova dasselbe 
‚zu leisten, wäre die Aufgabe Malamanis gewesen. 
Er ist sie uns vällig schuldig geblieben, ja hat 
nicht einmal den Versuch gemacht, den künst- 
lerischen Entwicklungsproseß innerhalb des Cano- 
vaschen Lebenswerkes selbst aufzuzeigen. Sokaan 
as denn nicht wundernehmen, wenn in dem sonst 
überreich illustrierten Werke stilgeschichtlich se 
wichtige Arbeiten wie die zweite Redaktion der 
(liegenden) Amor-Psyche-Gruppe in Petersburg 
oder ein für die Unterjochung gesunder naturali- 
stischer Triebe durch die tyrannisch typisierende 
Doktrin des Klassizismus so beredter Zeuge wie 
der erste Entwurf zur Pauline Borghese (gleich- 
falls in Petersburg) fehlen. Wie wenig über- 
haupt der Verfasser für den kunstkritischen 


486 


Teil seiner Arbeit vorbereitet war, gebt am deut- 
Mchsten aus der von ihm aufgestellten Parallele 
zwischen der Caritas des айеп Bernini in Neapel 
und der des Lorenzo Bartolini im РИН hervor, 
die er statt zu einer (bei diesem Objekt außer- 
ordentlich dankbaren] Demonstration der fundamen- 
talen Gegensätzlichkeit barocker und klaseisistischer 
Stiiprinzipien, zu der ganz verfehlten ,,Constati- 
rung eine Entlehnung des Motivs durch den jün- 
geren Künstler benutzt. Wenigstens soweit hätte 
doeh der Verfasser über die allgemeinen Kunst- 
anscheuungen jener Tage orientiert sein müssen, 
um zu wissen, daß ein Kiassizist im Beginn des 
19. Jahrhunderts sieh lieber entleibt haben würde, 
als daß er eine Arbeit des verruchten Bernini 
(oder auch пиг seines Vaters) sich zum Vorbild 
genommen hätte. 

Dennoch verschiebt sich der Wert des Mala- 
manisehen Buches sofort, sobald man es ohne die 
kunstkritische Brille und mit italienischen Augen 
anzusehen sich bemüht, Denn sowenig man је einen 
gebildeten Framzosen unserer Tage wird zwingen 
können, seinen Victor Hugo oder Gouned zu verach- 
ten und den zweiten Teil Faust oder den Tristan zu 
verstehen, ebensowenig wird man je einem Italie- 
ner, der den Ermani summend die Treppe der 
Peterskirche hesabsteigt, den schon tausendmal 
ausgekosteten Genuß an dem wennigen Genius 
des Reazonico-Grabmals vergällen können. Dem 
Romanen ist nun einmal die schmelzende Kaati- 
lene und das hallende Pathos der Rede oder des 
Gestus vollgültige Kunst, und jede, noch зо „üder- 
zeugte“ zisalpine Fachkritik muß diese untiber- 
steiglichenSchrankendes gegenseitigen Verständ- 
nisses in Betracht ziehen, wenn sie nicht „jenseits“ 
ala einseitig uad ungerecht angesehen werden soll. 
Diese Vita des noch heute populärsten italienischen 
Büdhauers der Neuzeit wird trotz ihrer wissenschaft- 
lichen Mängel ihres Helden wegen viel gelesen 
werden. Der Mensch Canova, eine der sympathisch- 
sten Erscheinungen der gesamten Kunstgeschichte 
konnte sich keinen beredteren Apostel im 20. Jahr- 
hundert wünschen. 

Auf Grund der älteren umfangreiches Litera- 
tur, nameatiich der großen Viten von Missirini 
und Quatremtre de Quimey wird der Lebenslauf 
dieses Lieblings der Götter und Menschen bis in 
die kleinsten Ereignisse des Tages hinein verfolgt. 
Das Buch liest sich, ohne unkritisch zu sein, wie 
ein Roman. Den wertvollsten Beitrag dasu hat 
allerdings Canova selbet geliefert. Das ist sein, 
hier zum ersteamal von dea cigenmichtigen Eat- 
stellungen Missiriais gesäubertes Tagebuch über 
seine Gespräche mit Napoleon. 


In dieser Vollständigkeit und Zuverlässigkeit des 
biographischen und Datenmaterials, die u. a. die 
Tatsache aufdeckt, daß die Amor -Psyche - Gruppe 
der Villa Carlotta keine Originalarbeit Canovas, 
sondern nur eine Kopie von der Hand seines Ge- 
hilfen Tadolini ist, besteht der Wert des umfang- 
reichen Buches, das somit als gut geschriebene 
und vor allem prachtvoll illustrierte Vita des Canova 
auch den nordischen Kunstbarbaren willkommen 
sein wird. Edmund Hildebrandt. 


HANS KLAIBER, Der Ulmer Münster- 
baumeister Matthäus Böblinger. Bei- 
heft 4 der Zeitschrift für Geschichte der 
Architektur. Heidelberg, Winter. 1911. 


Die Literatur zur Geschichte der wiisttember- 
gischen Baukunst verfügt, hauptsächlich dank den 
Forschungen von Haßler und Klemm, über ein so 
reiches Urkundenmaterial, wie die Kunstgeschichte 
kaum eines anderen deutschen Landes. Um so 
empfindlicher macht der Mangel an kunstwissen- 
schaftlichen, nicht von den Künstlerpersönlickeiten, 
sondern von der Betrachtung der Werke ausgehen- 
den Studien sich fühlbar. 

Die Darstellung der Gesamtentwicklung der schwä- 
bischen Baukunst des 15. Jahrhunderts, möglichst 
nach systematischen Gesichtspunkten und unter 
Zurückstellung des so gut erforschten biographi- 
schen Materials, wäre eine äußerst dankbare und 
notwendige Aufgabe. Sie ist bis heute noch nicht ge- 
löst. Aber einen wertvollen Beitrag dazu liefert, so- 
weit das der nun einmal enge Rahmen einer Biogra- 
phie gestattet, die gründliche Studie von Hans 
Klaiber über Matthäus, den wichtigsten Meister 
aus der Familie Böblinger. Das Thema war ge- 
wiß nicht sehrlockend. Einerseits sind die Schöp- 
fungen des Matthäus bekannt; Klaiber hat ihre Zahl 
nicht durch bedeutende Funde vermehren können. 
Anderseits ist die Tätigkeit des Meisters so be- 
schaffen, daß es nicht leicht fällt, im Werke die- 
ses Einzelnen die in der gesamten Architektur der 
Zeit unverkennbare Entwicklung nachzuweisen. Um 
so rühmenswerter bleibt die Sorgfalt der Klein- 
arbeit. Klaiber hat im einzelnen eino Menge neuer 
Urkunden aufgespürt, neuer Tatsachen ans Licht 
gezogen, und vor allem, er gibt zum erstenmal 
ausreichende Analysen der Werke des Matthäus. 

Der von Friedrich Schmidt aufgestellten Be- 
hanptung, Böblinger habe als Balier eines unge- 
nannten kölnischen Architekten am Dom zu Mai- 
land gearbeitet, steht Klaiber, da das Dokument, 
auf das Schmidt sich stütst, nicht nachweisbar 
ist, skeptisch gegenüber. Ausführlich wird der 


3474 entwerfene, 1517 von Michel und Bernhard 
Erhart vollendete Ulmer Ölberg gewürdigt. Die 
Annahme, daß außer den dreizehn urkundlich er- 
wähnten Figuren weitere in Auftrag gegeben sein 
müssen, scheint dem Referenten nicht notwendig; 
es ist, zumal bei der Engo des Raumes, wohl 
denkbar, daß auf die Gefangennehmung lediglich 
durch die Anbringung zweier Juden im Hinter- 
grunde des Ölberges hingewiesen wurde; aledann 
verbleiben für den letzteren fünf, für die Prophe- 
ten an den Pfeilern des sechseckigen Gehäuses 
sechs Statuen. | 

Für den „bw zuo zell“ weiß auch Klaiber noch 
keine völlig genügende Erklärung; die meiste An- 
wartschaft hat wohl die Pfarrkirche in Radolfzell; 
doch harren noch einige schwäbische Zell der Unter- 
suchung. Den Ulmer Turmrissen wird eine sehr 
ausführliche und überzeugende Analyse zuteil, Auch 
die letzten Bauten in Kßlingen und Memmingen 
erfahren eine gründliche Behandlung. 

Die Darstellung ist klar und wohltuend sachlich, 
Sehr kühl werden am Schlusse Hänels idealen 
Gedankenflügen — ist es notwendig, daß noch 
heute jede Arbeit über spätgotische deutsche Ar- 
chitektur ihnen die Ehre der Widerlegung er- 
weist? — die realen Tatsachen gegenübergestellt. 
Wurden schon einmal die Urkunden mit aufge- 
nommen, so hätte sich, um der Vollständigkeit 
willen, die wörtliche Übernahme auch der schon 
früher an anderen Stellen publizierten Dokumente 
empfohlen. Die Ausstattung des Buches mit Ab- 
bildungen ist ausreichend. Julius Baum. 


EMIL GUTMANN, Das GroSherzogl. 
Residenzschloß zu Karlsruhe, Mit 58 
Abbildungen. Heidelberg 1911. Carl Win- 
ters Universitätsbuchhandlung. Beiheft 5 
der Zeitschr. f. Geschichte der Architektur. 

in den glücklicherweise noch reichlich erhaltenen 
Bauakten des 18. Jahrhunderts, jener Zeit, als eine 
unerbörte Bauleidenschaft die Fürsten der südwest- 
deutschen Kleinstaaten ergriffen hatte, steckt ein 
gut Stäck Kulturgeschichte und se bietet jede Bau- 
monographie, die sie neben den bau- und kunst- 
geschichtlichen Notizen herauszuschälen weiß, eine 
wertvolle Bereicherung unserer immer noch mangel- 
haften Kenntnisse jenes kulturgesättigten Zeitalters. 
Das vorliegende Werk num hat es in vorzüglicher 
Weise verstanden, Kunst- und Kulturgeschichte 
zu vereinen, es gibt uns die lange erwünschte ab- 
schließende Geschichte der Karlsruher Residens, 
über die wir bisber nur durch eine kleine Abhand- 


487 


lung Josef Durms unterrichtet waren, deren Ergeb- 
nisse übrigens reiche Ergänzungen erfahren. — 
1694 hatte man mit einem umfangreichen Wieder- 
aufbau des Durlacher Schlosses begonnen, das die 
Hauptresidenz des Hauses Baden-Durlach darstellen 
solite. Planlegender Meister war der aus Bologna 
berufene Domenico Egidio Rossi, ebenso wie 
er es beim bedeutsameren Rastatter Schloßbau 
wurde, eine Tatsache, die erst eben urkundlich 
nachgewiesen ist (vgl. Lohmeyer: Beiträge zur 
Baugeschichte des Rastatter Schlosses. Zeitschrift 
für die Geschichte des Oberrheins, Band XXVIII, 
Heft 2, 1912). Gutmann nennt noch irrtimlicher- 
weise als Architerten beider Bauten einen Dome- 
nico Antonio de Rossi, der aber urkundlich über- 
haupt nicht existiert, während Gurlitt, Dehio und 
andere Forscher bei Rastatt an den berühmten 
Mattia de Rossi denken. Unstimmigkeiten mit den 
Durlacher Bürgern und der Zug nach dem Land- 
leben, der sich damals nach dem Beispiele Lud- 
wig XIV. (Marly) geltend zu machen begann, be- 
wogen den Markgrafen Karl Wilhelm, nachdem 
die Weiterführung der Durlacher Residenz durch 
die unruhigen Kriegszeiten eine Unterbrechung 
erfahren hatte, in der Nähe mitten im Hardtwald 
sich eine neue Residenz zu schaffen, für die er 
eine überaus eigenartige Anlage ins Auge gefaßt 
hatte. Der Turm des zu erbauenden Schlosses 
sollte den Mittelpunkt eines Kreises bilden, von 
welchem 32 Alleen strahlenförmig nach allen Rich- 
tungen ausgehen sollten, die so gewissermaßen 
dazu bestimmt waren, den absolutistischen Glanz 
des Landesherrschers von dem Brennpunkt der 
Residenz aus über das Land auszustrahlen. Mit 
Recht scheint hier Gutmann einen Einfluß von 
der fächerförmigen Alleenanlage des Gartens von 
Hampton Court Palace (bei London) zu vermuten. 
Ein Aufenthalt des Markgrafen in England ist 
verbürgt, der dort dann wohl diese durch Ver- 
pflanzung französischer Gedanken auf englischen 
Boden entstandene (vgl. das vonLenötre geschaffene 
in Versailles, vom Parterre der Latona ausgehende 
Alleenzentralsystem) Gartenanlage kennen gelernt 
hat. Nach eigenen Angaben seines Herrn hat 
dann der Architekt und Ingenieur Jakob Fried- 
rich von Batzendorf den Plan dazu 1715 ent- 
worfen und danach ausgeführt. 1718 wurde das 
Schloß bereits bezogen, aber unter der Eile der 
Ausführung konnte nicht genügend auf solide Bau- 
art Rücksicht genommen werden und bereits in 
den 30er Jahren waren kostspielige Reparaturen 
an der Tagesordnung, so daß eine Änderung 
dringend nötig erschien, die dann 1749 von dem 
Markgrafen Karl Friedrich von Baden in die Wege 


488 


geleitet wurde. Die Konkurrenz, die nun zwischen 
einer Reihe der bedeutendsten Meister dieser Ge- 
genden zur Errichtung einer umfangreichen Resi- 
denz einsetzte, gehört zu dem Interessantesten, was 
die Baugeschichte des baufreudigsten Jahrhunderts 
aufzuweisen hat. Die Italiener Retti und Pedetti, 
die Franzosen Massol und de la Guépière, den 
Gutmann zum ersten Male bei diesem Schloßbau 
ins richtige Licht stellt und die Deutschen Neu- 
mann und von Keßlau lieferten ihre Pläne, die 
sich glücklicherweise meistens einmal fast voll- 
ständig erhalten haben und sich uns in dem Werke 
in vorzüglichen Abbildungen präsentieren. Auch 
der bedeutende Pariser Akademiker Nicolas de 
Pigage, damals in Mannheim, über dessen Tätig- 
keit für den Schloßbau Gutmann (S. 63) im Un- 
klaren bleibt, hat vier Pläne geliefert, die ich — 
leider zu spät für die Benutzung in diesem Werke — 
in den Monatsh. für Kunstw., Jahrg. 1911, zum Teil 
veröffentlichte. Sie waren fälschlich als Mannheimer 
Schioßpläne bezeichnet, trugen auch keine Signa- 
tur Pigages, so daß sie leicht von Gutmann 
übersehen werden konnten, der eben in den Mann- 
heimer Mappen des Archivs kaum auf Ergebnisse 
für seine Forschung hoffen durfte. Alle diese 
Architekten hatten mit Ausnahme Neumanns 
und Keßlaus einen selbständigen Neubau ohne 
Verwertung des bestehenden vorgesehen. In den 
von Gutmann abgebildeten Neumannschen Rissen 
zeigt sich vor allem nur in der Grundrißlösung 
die Hand dieses genialen Meisters, die Fassaden 
selbst ziehen sich schier endios und langweilig 
ohne genügende rhythmische Betonung hin, ein 
Fehler, wie wir ihn übrigens öfters bei seinen 
Spätplanungen, vorallem auch für Churtrier finden 
können, so daß durchaus das Nichtausführen dieser 
Neumannschen Risse hier einmal nicht bedauert 
werden kann. Unter Verwertung Neumannscher 
Grundrißdispositionen und Heranziehnng de la 
Guépièrescher Ideen gelang dann dem jungen 
Architekten und Leutnant A.F. von Keßlau eine 
überaus glückliche Verschmelzung von neuen Bau- 
gedanken mit alten bestehenden Bauteilen und 
ihm gebührt vor allem der Ruhm einen ersprieß- 
lichen Ausweg gefunden zu haben, wenn es auch 
nicht verschwiegen werden darf, daß er stark unter 
dem Einfluß seines Lehrers de la Guépiére stand, 
der auch noch während der Bauzeit, von 1752 ab, 
in reger Verbindung mit dem Bauherrn und seinem 
Architekten bleiben sollte. — Bis 1771 blieb Keßlau 
in badischen Diensten, um dann als Präsident der 
fiirstlichen Kammer und wirklicher Geheimrat nach 


Hildburghausen gänzlich überzusiedeln. Gutmann 


betont hier (8. 100), daß er dies nicht in seiner 


Eigenschaft als Baukünstler, sondern nur allein als 
kenntnisreicher Verwaltungsbeamter getan habe. 
Das ist aber nicht ganz richtig, denn Keßlau hat 
auch in Hildburghausen noch dem Bauwesen nahe 
gestanden, was Gutmann völlig übersehen hat und 
auch Bauwerke geschaffen, deren Heranziehung 
wohl auch von Interesse hätte sein können. So 
wurde nach Keßlaus Plänen 1785 die Stadtkirche 
in Hildburghausen, die er als interessanten Kuppel- 
bau mit doppelten inneren Emporen ausgebildet 
hatte, errichtet. An Keßlaus Stelle trat in Karls- 
ruhe W.J. Müller, der den Übergang vom Barock 
zum Klassizismus einleitete (er ist der Erbauer des 
Zeughauses, der kleinen Kirche und des Schweden- 
palais) und so Weinbrenner die Wege ebnete. 
Ein kleiner Irrtum ist dem Verfasser bei der Be- 
sprechung der Innendekoration der Schloßkirche 
unterlaufen, bei der er eben einige spätere Abän- 
derungen Weinbrenners übersieht und die ganze 
Dekoration der ersten Bauzeit des Schlosses zuzu- 
schreiben scheint. — Neben den planlegenden 
Meistern ist auch die ganze Schar ihrer Unter- 
arbeiter wieder den Schloßbauakten entstiegen, 
von denen besonders der unter dem Einflusse 
Bouchers Gutes leistende, durchaus beachtens- und 
behandelnswerte Hofmaler Melling, der Hofbild- 
hauer Längelacher und der Stuckateur Sauer 
genannt werden müssen. 

Eine Reihe von erfreulicherweise ungekürzt ab- 
gedruckten Briefen der kunstsinnigen Markgräfin 
Karoline Luise ап de la Guépière und ebenso 
gegebener Bauakkorde und Überschläge schließen 
das sowohl in bezug auf Inhalt wie auf seine An- 
ordnung bemerkenswerte Werk. 

К. Lohmeyer. 


H. E. ZIMMERMANN, Watteau. Klas- 
siker der Kunst, Bd. 21. Deutsche Verlags- 
anstalt, Stuttgart. 

Obgleich Watteau heute nicht Mode ist, zählt 
er doch viele Verehrer unter den Kunstfreunden 
und es war eine dankenswerte Idee, ihm einen 
Band der Klassiker der Kunst zu widmen. Der 
Herausgeber führt zunächst einige Daten aus 
Watteaus Leben an, die sich leider nicht zu einem 
einheitlichen Lebensbilde zusammenschließen, und 
hebt hervor, wie erstaunlich die Lebensarbeit er- 
scheint, die Watteau seinem schwächlichen Körper 
abgerungen. „Denn wenn auch seine einzelnen 
Werke bereits einen hohen Begriff von seinem 
Können geben, so offenbart doch erst der Über- 
blick über sein gesamtes Schaffen seine wahre 
Bedeutung; zumal wenn wir bedenken, daß es 


‚ihm nur etwa anderthalb Jahrzehnte vergönnt war, 


an seinem Werke zu arbeiten.“ 

Diese Einleitung und der Titel des Buches 
„Watteau, des Meisters Werke in 182 Abbildungen“ 
lassen erwarten, daß sämtliche Schöpfungen des 
Meisters reproduziert werden. Мап ist erstaunt, 
daß nicht einmal sämtliche Ölgemälde vertreten 
sind: Von den rund 200 Bildern, die Goncourt 
anführt, sind bloß die zufällig erhaltenen abge- 
bildet, im ganzen 87 (inkl. der zweifelhaften Stücke). 
Dabei sind von sämtlichen vorzügliche Stiche vor- 
handen, die dem Original oft näher kommen, als 
die Kopien, von denen 17 abgebildet werden, 
Wie das bei der Holbein-Bearbeitung von Ganz 
so musterhaft durchgeführt worden ist, hätten auch 
hier leicht die verlorenen Bilder als Anhang mit- 
gegeben werden können, ohne daß dabei die Ein- 
heit des Ganzen gestört worden wäre, wie Z. be- 
fürchtet. Dann hätte man an Hand der Gemälde 
eine lückenlose Darstellung des Entwicklungs- 
ganges unseres Meisters erhalten. 

Man muß es in den Kauf nehmen, daß die 
koloristischen Reize, die bei Watteaus Bildern 
eine so große Rolle spielen, bei der Schwarz-Weiß- 
Reproduktion verschwinden. Kaum die Farben- 
werte werden durch das Schwarz-Weiß-Bild einiger- 
maßen korrekt wiedergegeben. Was bleibt, ist 
einzig die Zeichnung und die Pinselführung. Die 
erstere wird auch bei einer starken Verkleinerung 
noch wirksam bleiben, für die letztere genügen 
einige Proben. Es ist deshalb schwer verständ- 
lich, warum Z. eine große Anzahl von Ausschnitten 
in größerem Maßstabe reproduziert, welche zumeist 
weniger Kontraste aufweisen als das Gesamtbild 
und zum Teil wie unscharfe vergrößerte Photo- 
graphien wirken (z. B. S. бо, 61, 80, 81). Daß dabei 
mehrere Ausschnitte zur Erreichung einer eigenen 
Bildwirkung retuschiert worden sind (8. 67, 94, 95) 
beweist, wie gefährlich es ist, diesen Ausschnitten 
ästhetische Wirkungen unterschieben zu wollen. 
Watteau durch einen Retuschekünstler verbessert! 

Doch diese prinzipiellen Meinungsverschieden- 
heiten fallen leicht ins Gewicht gegen der Aner- 
kennung der Gründlichkeit und Sachkenntnis, die 
Z. in der ganzen Arbeit zeigt. Der große Vorzug, 
daß (abgesehen von einigen Kopien) nur eigen- 
händige Arbeiten des Meisters vorgeführt werden, 
entschädigt in gewissem Sinne für den fragmen- 
tarischen Charakter des Ganzen. 

Als kleine Korrektur seien zu dem Bilde „Diana 
im Bade“ (8.134) die Maßc beigefügt: Höhe 0,78, 
Breite 0,98. In bezug auf die mit diesem Bilde 
verwandte Skizze in der Albertina in Wien (reprod. 
bei Gurlitt, 55 Handzeichnungen Watteaus, Nr. 20) 


489 


möchte ich mich @urlitts Urteil anschließen, der 
darin eine Vorstudie sieht, während Z. glaubt, daß 
es sich dabei um eine Nachzeichmung handelt. 
Za dem Bilde „Der Quitarrespieier“ (В. 28) existiert 
eine sehr schöne Studie, publiziert als Tafet 8 des 
Werkes: 26 Drawings by A. Watteau, the Pro- 
perty of Miß James. R. Bernoulli. 


HEINRICH WILLERS, Verzeichnis der 
bis zum 2. August 1912 erschienenen 
Schriften Carl Justis. Carl Justi zum 
achtzigsten Geburtstag dargebracht von 
Rektor und Senat der Rheinischen Fried- 
rich-Wilhelm-Universität zu Bonn. Bonn, 
Carl Georgi 1912. 8°, IV, 32 S. M. 1.50. 

Dem Nestor der deutschen Kunsthistoriker Carl 
Justi sind zu seinem 80. Geburtstag mancherlei 
Ehrungen und Ehrengaben zuteil geworden, Die 
vorliegende Bibliographie seiner Schriften, die ihm 
ven der Universität in solider und geschmack- 
voller Ausstattung (ausgezeichneter Druck von 
Georgi auf gutem Büttenpapier) dargebracht wurde, 
wird manchen Verehrer des Altmeisters fesseln. 
Heinrich Willers hat die Liste nach Justis eigenen 
Exemplaren und mit seiner Unterstützung zu- 
sammengestelit. Das dürfte eine Garantie für ihre 
Vollständigkeit sein. Über die Entstehungsge- 
schichte der Schrift hat der Verfasser im Vorwort 
treulich berichtet. Sie war dem Referenten über- 
aus interessant und hat ihn an die Zeit erinnert, 
in der er unter ähnlichen Umständen („Als freu- 
diges Ergebnis freudloser Tage“) eine Grinewald- 
Bibliographie ausgearbeitet. Das Verzeichnis ist 
chronologisch angelegt und es zeigt, daß diese 
Anordnung stets für solche Arbeiten gut zu brau- 
chen ist. Fraglich bleibt es, ob es angängig ist, 
Senderdrecke und Doppeldrucke, sowie die ein- 
zeinen Aufsätze der Sammelwerke einzeln zu 
numerieren. Ich habe in der eben genannten 


Grünewald - Bibliographie in gleicher Weise ge- 
arbeitet, doch scheint es mir richtiger, diese Num- 
mern nicht ziffernamäßig, sondern mit a, b, с zu 
beseichnen. In der Bibliographie der Schriften 
Friedrich Schneiders von Dr. E. Hensler (Schnei- 
der-Festschrift, Freiburg 1906) ist diese Anordnung 
mit Erfolg benutzt. Vielleicht hat Willers einmal 
Gelegenheit, sie auch für seine Arbeit anzuwenden, 
Dann wird sie der jetzigen Form etwas voraus 
haben. Gottfried Müller. 


ALFRED GANDILHON, Bourges et 
les Abbayes et Chateaux du Berry. 
124 Illustrationen. Laurens, Paris. Fr.4.—. 

Die rähmlichst bekannte Sammlung: Les villes 
d’art célébres wird gerade dadurch wertvoll, daß 
sie nicht nur die aller Welt bekannten Runst- und 
Kuiturzentren in ihr Darstellangsbereich einbezieht 
sondern auch die weniger besuchten, abgelegeneren 
Ortsehaften einer zusammenfassenden Betrachtung 
würdigt. Auf diese Weise wird einerseits das 
Reiseinteresse der Touristen für die französische 
Provinz geweckt; andrerseits wird die Kunstfor- 
schung zur eingehenderen Würdigung der fran- 
zösischen Provinzstädte gelenkt. Betrachtet man 
die Laurenssche Publikation im ganzen, so ent- 
nimmt man ihr vor allem, daß Frankreich an Kunst- 
schätzen nicht ärmer ist als Italien. Nur in Italien 
sind es hauptsächlich Malerei und Skufptur, die 
unser Interesse locken, während in Prankreich vor- 
nehmfich die architektonischen Denkmäler über- 
wiegen und z. B. die Altarmalerei neben ihr fast 
ganz verschwindet. 

Gandilhon legte das Schwergewicht seiner Dar- 
stellung auf die geschichtliche und künstlerische 
Seite, die mit der gallisch-römischen Epoche an- 
hebt und bis auf de moderne Zeit fortgeführt ist. 
Das Buch ist trotz seiner räumlichen Beschränkung 
in strenger, wissenschaftlicher Methode gehalten. 

©. Grautoff. 


RUNDSCHAU 


DER CICERONE. 

Heft 19: 

KARL LILIENFELD, Die Sommerausstellung bei 
Fred. Muller in Amsterdam. (x Tafel, 4 Abb.) 

O. RIESEBIETER, Die Fayencefabrik in Osna- 
brick. (9 Abb.) 

WALTER POMBE, &tidtische Kunstdenkmaipfiege 
in Florenz. (3 Abb.) 

E, W.BRAUN, Ein weiteres Werk von Israel von 
der Milla. (1 Abb.) 
Heft 20: 

CARL GEBHARDT, Die Neuerwerbungen franzd- 
sischer Malerei im Städelschen Kunstinstitut zu 
Frankfurt а. М. (8 Abb.) 

Z. von TAKACS, Das Ernst-Museum in Budapest. 
(4 Abb,) 


KUNST UND KÜNSTLER. 

XI., Heft 1: 

ERNST BARLACH, Eine Steppenfahrt. (13 Origi- 
nallithographien.) 


GOTTFRIED SCHADOW, Über fliebende Gewän- 
der und Falten im Winde, herausgegeben von 
Hans Mackowsky. (4 Abb.) 


HANS OTTO SCHALLER, Die Neuordnung der 
Stuttgarter Gemäldegalerie. (19 Abb.) 


JUL. MEIER-GRAEFE, Handel und Händler. 


ANTONIN PROUST, Erinnerungen an Edouard 
Manet. (3 Abb.) 


KARL SCHEFFLER, Heinrich Tessenow. (14 Abb.) 


GUSTAV PAULI, Über ein Porträt von Leibl. 
(x Abb.) 


ERICH HANCKE, Die klassische Malerei Frank- 
reichs im 19. Jahrhundert (Ausstellung im Frank- 
furter Kunstverein). (6 Abb.) 


DIE KUNST FÙR ALLE. 
XXVIII., Heft 3: 


H. TIETZE, Die österreichische Staatsgalerie. 
(2 Tafeln, 28 Abb.) 


G. BIERMANN, Aufgaben der Kunstgeschichte. 


C. GEBHARDT, Die Ausstellung klassischer fran- 
zösischer Malerei des 19. Jahrhunderts im Frank- 
furter Kunstverein. 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 

Heft 12: 

P. LUCAS KNACHFUSS, O.P., Louis Feldmann. 
(21 Abb.) 

RICHARD RIEDL, Wiener Ausstellungen: Künst- 
lergenossenschaft — Sezession — Hagenbund, 
BARTMANN, Ein moderner Kirchturm. (ı Abb.) 


OSCAR GEHRIG, Die Sommerausstellung der Mün- 
chener Sezession 1912. I. 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
XXXXVIII., Heft x: 

AUGUST L. MAYER, Eugenio Lucas d. А. (1 farb. 
Tafel, 11 Abb.) 

CURT GLASER, Zu Liebermanns graphischem 
Werk. (т Originalradierung, то Abb.) 
WALTHER BIEHL, Kunstgeschichtliche Streif- 
züge durch Sardinien. (ra Abb.) 


JAHRBUCH D. KGL. PREUSS. KUNST- 
SAMMLUNGEN. i 
33. Bd., Heft 4: 


‚ WILHELM BODE, Die Marmorstatuette einer Maria 


mit dem Kinde im Kaiser-Friedrich-Museym, ein 
Jugendwerk Donatellos? (4 Abb.) 

HENRIETTE MENDELSOHN, Zur Chronologie 
der Werke Dossos. (10 Abb.) 

GEORG SOBOTKA, Bastiano Torrigiani und die 
Berliner Papstbüsten. (3 Tafeln, 9 Abb.) 

MAX LEHRS, Neue Funde zum Werk des Meisters 
E. 8. (1 Tafel.) 

CAMPBELL DODGSON, Zwei verworfene Theuer- 
dankillustrationen. (2 Abb.) 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 6: 
HANS VOGTS, Kölner Hauskapellen. I. (1 Tafel, 
2 Abb.) 
ADALBERT SCHIPPERS О. S. B., Liegt der Ab- 
teikirche zu Maria-Laach ein einheitlicher Plan zu- 
grunde? (2 Abb.) | 
Der Verfasser weist ein Einheitsquadrat als Kanon 
aller Hauptmaße nach. 
JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Drei Ikonen 
in Klöstern Jerusalems. (3 Abb.) 
Die beschriebenen und abgebildeten Stücke be- 
finden sich in den Klöstern Hagios Euthy mios 
und Hagia Katharina. 
G. MÜNZEL, Die Zeichnung Grünewalds: Der Kopf 
mit den drei Gesichtern. I. (x Abb.) 
Unter Bezugnahme auf zahlreiche Schriftstellen 
wird eine Deutung als dreiköpfiger Satan versucht. 


Heft 7: 
HANS VOGTS, Kölner Hauskapellen (Schluß). 
(1 Tafel, 5 Abb.) 

G. MÜNZEL, Die Zeichnung Grünewalds: Der 
Kopf mit den drei Gesichtern (Schluß). (5 Abb.) 
JOHANN GEORG, Hersog zu Sachsen, Einige 
Beiträge zur Kunstgeschichte Palästinas. (7 Abb.) 


REVUE DE L'ART CHRETIEN. 
4me livraison: 


LOUIS BREHIER, Les chapiteaux historiés de 
Notre-Dame du Port à Clermont, étude iconogra- 
pbique. L (ra Abb.) 


491 


Anthyme Saint Paul, Les coupures et les for- 
mules dans l'archéologie médiévale. II. 


J- CHRISTOFANI, L’iconographie des vitreaux du 
XIIle siècle dans la basilique d’Assise. II. (8 Abb.) 


MELANGES: 


A. PERRAULT-DABOT, Une statue de la Vierge 
a l'église de Saint-Valbert. (2 Abb.) 


L. HUGO STEFFEN, L’église des Augustins 
de Munich. (2 Abb.) 


JEAN H. DE ROSEN, La „Ріс“ de Botticelli а 
la Pinacotheque de Munich. (3 Abb.) 


CHRONIQUE: France (2 Abb.); Belgique (1 Abb.); 
Espagne (2 Abb.). 
BIBLIOGRAPHIE. 


.— [222 


REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN- 

SCHAFT. 

ХХХУ., 3: 

O. WULFF, Ein Gang durch die Geschichte der 

altchristlichen Kunst mit ihren neuen Pfadfindern. 
Zur Kritik und Ergänzung der Forschungen von 
J. Strzygowski und L. v. Sybels (Fortsetzung). 

EMIL MÖLLER, Leonardo da Vincis Entwurf eines 

Madonnenbildes für 8. Francesco in Brescia (1497). 

(4 Abb.) 

Nochmals die Perspektive bei den Brüdern van Eyck. 
Entgegnung von Prof. Doehlemann, Antwort 
auf die Entgegnung von G. Jos. Kern. 


L'ART ET LES ARTISTES. 

Nr. 89: 

GABRIEL MOUREY, La Xe exposition internatio- 
nale a Venise. (24 Abb. italienischer Kunstwerke.) 
HENRY D’ALLEMAGNE, Les Faiences persanes. 
L.V., La broderie au Musée Galliera. 


Nr. 90: 
A. DE BERUETE Y MORET, La peinture Espag- 
nole. I. 

J.-F.-LOUIS MERLET, Francis Auburtin. 

P. VITRY, Victor Rousseau, sculpteur. 

J. LORTEL, Les fouilles de la Cyrénaique. 
LEANDRE VAILLAT, Albert Marque, sculpteur. 


L'ART DECORATIF. 
Nr. 177: 
М. MAIGNAN, L'art et le socialisme. Ш. 


J. LIOUVILLE, Flore et Faune des Océans. Do- 
cuments décoratifs de Léon Laugier. 


M. TESTARD, Les lunettes et lorgnettes de jadis. 
Nr. 178: 


ELIE FAURE, Francisco Iturrino. 


JOSEPH GAUTHIER, Les Insectes et leur inter- 
prétation décorative. 


TH.DE KULMER, Broderies et Tapisserie anciennes 
(aus dem Schatz der Kathedrale von Halberstadt). 


492 


Nr. 179: 

JACQUES TOUGENHOLD, L'illustration russe. 
Abb. nach Ivan Bilibine, Doboujineky, Somow, 
Bakst, Soudeikine, A. Benois, Mitrochine u.a. 


F. ROCHES, Architecture indienne. 
J. CHOPIN, Un sculpteur tscheque: Joseph Maratka. 


Nr. 180: 


F. ROCHES, Dessins d’Enfants. 


EMANUEL DE THUBERT, Les Médailles de Mme. 
E.-R. Mérignac. 


L.BOUTEILLE, Les vieux décors en papiers peints. 


ART ET DECORATION. 
August: 


MEYER - RIEFSTAHL, La Décoration du livre 
oriental. (Abb.) 


L. DE LAPRADE, A propos d'une nappe de den- 
telle (entworfen von Mezzara). 


LUCIEN MAGNE, La Mosaïque d'Email. 


September: 


E. SEDEYN, Sur des bijoux nouveaux: Lalique, 
Liénard, H. Vever, P. Follot u. a. 


L. VAUXCELLES, Francis Auburtin. 


M. GUILLEMOT, Logis d’ouvriers. Gartenstadt 
„Longines“, Valentigney (Doubs). 


E. GRASSET, La décoration céramique. 


LA REVUE DE L'ART ANCIEN ET MO- 
DERNE. 

August-September: 

PAUL DURRIEU, Le Maitre des ,,Grandes Heures 
de Rohan“, et les Lescuier d’Angers. 

MARCEL REYMOND, Le Pont Saint-Ange, parle 
Bernin. 

P. LAFOND, La Tapisserie en Espagne. 
RAYMOND BOUYER, Le Graveur Paul - Adrien 
Bouroux et ses vues de Fribourg (Schweiz). 

С. COPPIER, Léonard et les Portraits de Lucrezia 
Crivelli. 

JEANNE DOIN, Un peintre de ,,Pastorales“: Ed- 
ward Calvert. 

CLÉMENT JEANIN, Peintre -Graveurs contempo- 
rains: P.-E. Colin. 

ANDRÉ DEZARROIS, Un Tableau retrouvé: la 
„Danäe“ d' Henri Goltzius. 


LEON ROSENTHAL, La Peinture monumentale 
et la monarchie de Juillet. 


GAZETTE DES BEAUX-ARTS. 
August-September: 

PAUL DURRIEU, Les Manuscrits à Peintures, 
(Le Musée Jacquemart-André.) 

PAUL VITRY, Les monuments a J.-J. Rousseau, 
de Houdon & Bartholomé. 


CH. DU BUS, L'art a l'Exposition du Cabinet des 
Cartes. 


PAUL POUZET, La „Maestà Bella“ de Foligno. 
PAUL CHAUVET, Frank-M. Armington (Peintres- 
Graveurs contemporains). 

CH. OULMONT, Amédée Vanloo, peintre du Roi 
de Prusse. 

ALPHONSE GERMAIN, Jean Dampt (Artistes 
contemporains). 

F. DE MELY, Les,,Très riches Heures“ du Duc de 
Berry et les ,,Trois Graces“ de Sienne. 

E. MOREAU-NELATON, Le Portrait du „Dauphin 
Francois“. (Sohn Franz I., Zeichnung eines fran- 
zösischen Meisters gegen 1523, Musée Condé, Chan- 
tilly; Gemälde im Museum zu Antwerpen.) 
ALPHONSE ROUX, Sergent-Marceau(1751— 184). 
CHARLES PICARD, Les Vases antiques du Musée 
National d’Athènes. 

L. ROSENTHAL, La peinture romantique et la 
monarchie de Juillet. III. 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 
Oktober 1912: 


GEORGE A. SIMONSON, Guardi a Retrospect 
and Appreciation. (2 Tafeln mit 3 Abbildungen.) 
Zu Guardis 200 jährigem Geburtstage. U. a. wird 
das kürzlich erst entdeckte „Meisterstück Guardis 
als Marinemaler“ in Wort und Bild vorgeführt, 
das jetzt dem Sir W.van Horne (Montreal) ge- 
hörige Gemälde: „Sturm auf dem Meere“. 
CLAUDE ANET, Exhibition of Persian Minia- 
tures at the Musée des Arts Décoratifs, 
Paris. I. (3 Tafeln mit 10 Abbildungen.) 
Bespricht an der Hand der ausgestellten, fast 
nur aus Pariser Besitz stammenden Minia- 


turen die Frage der Herkunft der persischen 
Kunst und der Einflüsse (chinesisch, byzantinisch), 
der sie ausgesetzt war. 


JOSE PIJOAN, A Signed Triptych by Barto- 
lomé Bermejo at Acqui. (2 Tafeln mit 5 Ab- 
bildungen.) 


Es handelt sich um das „Bartolomeus Rubeus“ 
signierte, in „L’Arte‘“ seinerzeit als vielleicht 
von dem Ferraresen Rosso stammende Gemälde 
in der Sakristei der Kathedrale zu Acqui, das 
der Verfasser als sicher von dem erst seit eini- 
gen Jahren identifizierten spanischen Meister, 
der sich Bermejo oder auch Rubeus nannte, 
herrührend nachweist. Der ganze Fall dieses 
Meisters wird ebenfalls erörtert. 


GEORGES HULINDELOO, An Authentic Pic- 
ture by Goosen van der Weyden and the 
Legend of S. Dymphna from Tongerloo. 
(2 Tafeln mit 4 Abbildungen.) 
Der Verfasser hat ein Gemälde G. v. d. Weydens, 
Enkel Rogers van der Weyden, von dem bis- 
her noch kein Werk sicher beglaubigt war, wie- 
wohl man seinen Lebensgang ziemlich genau 
kannte, zu identifizieren vermocht und kündigt 
für später eine ausführlichere Abhandlung dar- 
über im Jahrbuch der Kgl. preußischen Kunst- 
sammlungen an. 


Е. MELIAN STAWELL, Kants Theory of 
Art. 


AYMER VALLANCE, Early Furniture. IV. 
(2 Tafeln mit 5 Abbildungen.) 


Notes on Various Works of Art. — Letter 
to the Editors. — Reviews and Notices. — 
Dutch Periodicals. 


493 


NEUE BÜCHER erer 


E. SCHWEDELER-MEYER, Gesammelte Schrif- 
‘ ten zur neueren Kunst von Hugo von Tschudi. 
F. Bruckmann A.-Q, München. 


THOMAS MUCHALL - VIEBROOK, Dominikus 
Zimmermann, ein Beitrag zur Geschichte der süd- 
deutschen Kunst im 18. Jahrhundert. Mit so Ab- 
bildungen und 40 Autotypietafein. (Sonderdruck 
aus „Archiv für die Geschichte des Hechstifts 
Augsburg.) Verlag von Karl W. Hiersemann, 
Leipsig. 

JOHANN GEORG, Herzog zu Sachsen, Tagebuch- 
blätter aus Nordsyrien. Preis M.4.80. Verlag von 
B. G. Teubner, Leipzig-Berlin. 


Die Abtei Prüm in der Eifel, Festschrift aus 
Anlaß der Fertigstellung des Abtei-Um- und Erwei- 
terungabaues 1912. Verlag von Carl Geergi, Uni- 
versitäts-Buchdruckerei. 

PAUL CLEMEN, Die Kunstdenkmäler der Rhein- 
proving (9. Band). IL Die Kunstdenkmäler der 
Landkreise Aachen und Eupen, bearbeitet von 
Heribert Reiners. L. Schwann, Düsseldorf. 


HERMANN POPP, Die Architektur der Barock- 
und Rekokozeit in Deutschland und der Schweiz. 
Mit 454 Abbildungen. Julius Hoffmann, Stuttgart. 


PAUL SCHMOHL und GEORG STAEHELIN, 
Die architektonische Ausiese, Württembergische 
Firstensitze. Wilhelm Meyer - Ilschen, Stuttgart 
1912. 

G. Е. HILL, Portrait Medals of Italian Artists of 
the Renaissance. Philip Lee Warner, Publisher 
to the Medici Society, London. 

FRITZ WITTE, Die Skulpturen der Sammlung 
Schnütgen in Köln. Verlag für Kunstwissenschaft, 
G. m. b. H., Benin. 

ERNST STEINMANN, Das Grabmal Pawis HI. in 


St. Peter in Rom. Privatdruck in 300 Ezompieren. 
Rom 1912. 


LUDWIG COELLEN, Die neue Malerei. Der Im- 
pressionismus, Van Gogh und Cézanne, Die Ro- 
mantik der neuen Malerei, Hodler, Gauguin und 
Matisse, Picasso und der Kubismus, Die Expree- 
sionisten. II. Aufl. E. W. Bonsels & Co., München. 


JAKOB BURCKHARDT, Briefe an einen Archi- 
tekten 1870—1880. Verlegt bei Georg Müller und 
Eugen Rentsch, München. 

EUGENE DELACROIX, Literarische Wecke. 
Deutsch von Julius Meier - Graefe. Insel - Verlag, 
Leipzig. 


Diesem Hefte liegen Prospekte der Firmen ANTON SCHROLL & Co., Wien, HALM & GOLDMANN, 
Wien und Leipzig, des Verlages der FEHR’schen Buchhandlung, St. Gallen sowie des TEMPEL- 


VERLAGES, Leipzig, bei, die das Interesse unserer Leser besonders erwecken mögen. 


V. Jahrgang, Heft XL 


Herausgeber u. verantwortl Redakteur Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt, 
Roquetteweg 20, Fernsprecher 2150. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, 


Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in BERLIN: HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstr. 158. | In 
MÜNCHEN: Dr. M. K. ROHE, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. II. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT 
RATHE, Wien I, Hegelgasse 21. | In ENGLAND: FRANK Е. WASHBURN-FREUND, Gaddeshill 
Lodge, Eversley Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANK- 
REICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon 11. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, 


Basel, Eulerstr. 65. 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft: 
Berlin SW, Mittenwalderstr. 39, Fernspr.: Amt Moritzplatz Nr. 13 136 (Fritz Baum). 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen 
Litesatur‘‘, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. 


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Abb. 2. Einzug Christi, Holzschnitt aus „Niger, Der Stern Meschiah“. 


EBlingen, Fyner, 1477 


Zu: LEO BAER, DER HAUSBUCHMEISTER | HEINRICH MANG UND HANS SCHNITZER VON ARMSHEIM 


Abb. 1. Einzug Christi, Holzschnitt aus d. ,,Spiegel mensch- 


licher Behaltnis“. Speyer, Drach, o. J. 


f. K. V., 11 


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Abb. 4. Initiale N aus Ptolemaeus, Cosmographia, Ulm, Holl (1482) 


Abb. 3. Initiale Е aus Biblia, Ulm, J. Zainer (1480) 


Abb. 5. Holzschnitt aus Retza, Defensorium inviolatae vir- 


ginitatis Mariae (Speyer, Reyser, etwa 1479) 


| HEINRICH MANG UND HANS SCHNITZER 


VON ARMSHEIM 


Zu: LEO BAER, DER HAUSBUCHMEISTER 


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Zu: LEO BAER, DER HAUSBUCHMEISTER ; HEINRICH MANG UND HANS SCHNITZER VON ARMSHEIM 


Abb.6. Weltkarte des Johannes Schnitzer von Armsheim. Aus Ptolemaeus, Cosmographia. Ulm, Holl (1482) 


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f. K. V., 11 


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Abb. 7. „Januar“ aus dem xylographi- Abb. 8. „Januar“ aus Theramo, Belial. 
schen Kalender des Joh. de Gamundia Straßburg, Knoblochtzer (1481) und 
dem Buchkalender, Ebendort (1483) 


Abb. 9. „Februar“ aus dem xylogra- Abb. 10. „Februar“ aus dem Einblatt- Abb. 11. „Februar“ aus dem Buch- 
phischen Kalender kalender. Speyer, Drach (1483) kalender. Straßb., Knoblochtzer (1483) 


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Abb. 12. „Mai“ aus dem xylographi- Abb. 13. „Mai“ aus dem Einblatt- Abb. 14. „Mai“ aus dem Buchkalender. 
schen Kalender kalender. Speyer, Drach (1483) Straßburg, Knoblochtzer (1483) 


Abb. 15. „August“ aus dem xylogra- Abb. 16. „August“ aus d. Buchkalen- 
phischen Kalender der. Straßburg. Knoblochtzer (1483) 


Zu: LEO BAER, DER HAUSBUCHMEISTER | HEINRICH MANG UND HANS SCHNITZER VON ARMSHEIM 


M. f. K. V., 11 


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Tafel 98 


Abb.6. JOSSE van GENT, Petrarca Abb. 7. JOSSE van GENT, Herzog Federigo mit dem kleinen 
Rom, Galerie Barberini Guidobaldo Rom, Galerie Barberini 


Zu: WALTER BOMBE, DIE KUNST AM HOFE FEDERIGOS VON URBINO 


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M. f. K. V., 11 


Abb. 12. PIERO DELLA FRANCESCA, Triumph Herzog Federigos 
Florenz, Uffizien 


Abb. 13. PIERO DELLA FRANCESCA, Votivbild f. Herzog Oddantonio 
Urbino, Dom 


Zu: WALTER BOMBE, DIE KUNST AM HOFE FEDERIGOS VON URBINO 


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Verkündigung Mariä, vermutl. vom Meister der Nürnberger Passion. Original in der Stadt- 
bibliothek, Bern 


Zu: C. BENZ IGER, EIN UNBEKANNTES BLATT DES MEISTERS DER NÜRNBERGER PASSION 


MI. f. K. V., 11 


y VIAHRGANG HEFT A DECEMBERI912 
/ERLAG KLINKHARDT&BIERMANNILEIPZIG 


. 
, З. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG 
Abonnementspreis halbjährlich 12 Mark 


INHALTSVERZEICHNIS HEFT 12 


ABHANDLUNGEN 


CARL GEBHARDT, Frankfurter Maler des 15. 
und х6. Jahrhunderts. Mit 6 Abbildungen auf 


J. Gramm, Die ideale Landschaft, ihre Ent- 
stehung und Entwicklung (Feuiner) . S. 528 
Berthold Riehl, Bayerns Donautal. Tausend 


Jahre deutscher Kunst (Karlinger). . . 8.529 


4ТМеп.................. 8.495 
ERNST GALL, Studien sur Geschichte des Mario Ferrigni, Madonne Fiorentine (Schott- 
Chorumganges. Mit 5 Textabbildungen 8. 508 müller) e è è 0 э е а е ө ө е э ө ө а е э е 8. 537 


DieHandzeichnungender Uffisien 
Disegni della R. Galleria degli Uffizi), 
1. Die Zeichnungen des Jacopo Carrucci 
gen. il Pontermo (Biermann) 
Handzeichnuggend.französischen 
Meister. Eine Auswahl von Zeich- 
nungen nach den Originalen der 
Künstler wiedergegeben (Biermann) 
Pieter de Hooch, Jan Vermeer van 
Delft. Origtnalabbild. nach ihren 


K. ZOEGE VON MANTEUFFEL, Paul Casteels. 
Ein Antwerpener Schlachtenmaler des 17. Jahr- 
hunderte. Mit 2 Abbild. auf 1 Tafel. S. 520 


MISZELLEN 
Dürers Hand. Mit 5 Abbildungen auf 2 Tafeln 


| 8. 524 
Ein verschollenes Werk Hans Multschers. 
Mit ı Abbildung auf ı Tafel (Stadler) 8. 526 


8.538 


© ө € e o è ө ce ө ses э è e ө а 


RA vorzüglichsten Gemälden (Biermann) 
LITE TUR ° Karl Scheffler, Die Nationalgalerie su Berlin, 
Louis Hourticq, Geschichte der Kunst ein kritischer Führer (Schapire) . . . . S. 533 
in Frankreich (Hildebrandt) ..... Carpeauz, Kollektion „lart de notre te И 
Furcy-Raynaud, Inventaire des Sculp- 8 ә e „ | “ай 
tures exécutées au XVIII siècle pour . 587 (Kieser) .................. . 534 
la Direction des Bätiments du Roi Rundschau 8. 335 
Hudebr and) Neue BAchherrr 8. 338 


H. S. DREY 


Könlgl. Bayer. Hoflieferant 


MÜNCHEN 


Maximillanplatz 7 
PARIS, 39 Rue La Boetie 


Ausstellung 


kostbarer Antiquitäten + Ein- und 

Verkauf wertvoller Skulpturen, 

Gemälde, Porzellane, Möbel und 
Antiquitäten jeder Art. 


JULIUS BOHLER, MÜNCHEN 


HOFANTIQUAR В» MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR 
BRIENNERSTRASSE 12 


AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMALDE 
ALTER MEISTER UND KOSTBARER 
ANTIQUITÄTEN 


FRANKFURTER MALER DES 1s. UND 
16. JAHRHUNDERTS Von CARL GEBHARDT 


Mit sechs Abbildungen auf vier Tafeln әооооооеееөөвөөөөөөөөөөвөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө 


L HANS VON METZ 


F hat im Mittelalter und in der Renaissance nicht wie die anderen Zentren 
deutscher Kultur eine eigene Malerschule besessen. Was sich an Werken 
der Malerei in Frankfurt noch findet, entbehrt fast ganz des inneren Zusammenhangs 
und der Einheitlichkeit folgerichtiger Entwicklung. Darum ist aber Frankfurt doch 
nicht für die allgemeine deutsche Kunstgeschichte ohne Interesse. Gerade weil es 
bei der Spärlichkeit einheimischer Kunst auf Import von Kunstwerken und Zuzug von 
Künstlern angewiesen war, finden wir hier Zeugnisse mannigfachster Kunstiibung, 
die zuweilen in bedeutsamer Weise die Kunst der Stätte illustrieren, von der aus 
der fremde Meister oder das fremde Werk den Weg nach Frankfurt gefunden hat. 

Vor einigen Jahren habe ich auf einen solchen in Frankfurt eingewanderten Meister 
hingewiesen, dessen Werk unsere Kenntnis von einem nur in spärlichen Resten 
erhaltenen Teile der deutschen Kunst bereichert, der oberrheinischen Malerei der 
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Der Meister ist Hans von Metz (vgl. Hans von 
Metz, ein oberrheinischer Meister des 15. Jahrhunderts, in: Einzelforschungen über 
Kunst- und Altertumsgegenstände zu Frankfurt a. M., Frankfurt 1908, S. 77—85). 
Die kleine Arbeit ist, in einer Publikation von vorwiegend lokalem Interesse ver- 
steckt, ziemlich verborgen geblieben, so daß sie selbst Forschern, die auf dem Ge- 
biete der Frankfurter Kunst gearbeitet haben (wie Friedrich Back in seinen Beiträgen 
zur Mittelrheinischen Kunst, Frankfurt 1910), entgehen konnte. Ich möchte daher 
Gelegenheit nehmen, hier nochmals auf den Gegenstand hinzuweisen. 

Die Bestimmung des Werkes, der figurenreichen Kreuzigung des Städtischen histo- 
rischen Museums zu Frankfurt, erlaubt eine Urkunde des Frankfurter Stadtarchivs 
folgenden Wortlauts: 

Wir die Meinster in sant Niclas Bruderschafft hant verdinget Meister Hansen 

von Mecze dem maler vnser Capelle zu malen: Item zu dem ersten VIII Engel 

in dem gewolbe mit vnsers herren waffen. Item zum andern male mitten 
vff dem alter ein Crucifix mit vnsers herren verscheidung marien vnd 
als vil da bij gesten mag. Item vff ein sijte Sant Niclas leben also vil da 
gesten mag. Item vff die ander sijte sant Jost in dem selbigen feinster. Item vff 
die ander sijte da das glocklin hangen Sant franciscus mit dem seraph. Item 
ein erhabin feldung hinder der bildunge. Item vnden vmbe uberal von oley 
farwe Syden Ducher bijs an die erde als sich dan geburt. Item die vier schilde 
als sich die geburn. Des sollen wir ymme gebin -XXX- guldin vnd das oley 
vnd das golt vnd virnis also vil dar zu gehoret vnd die volien. Auch sol er vns 
vnser wercke nuczperlicher vnd forderlicher an alle hinderniss machen, das er 
nit zu wort neme das er ubir dinget were vnd dan vnser werke nit wolte vollen- 
bringen; was dan Schaden vnd Koste dar vff ginge das wolten wir an ymme 
erhollen. Geben vff sundag misericordia domini anno domini millesimo CCCC°XLV°. 
(11. April 1445]. 
Zur Erklärung dieser Urkunde sei bemerkt, daß die St. Nikolaus - Bruderschaft in 
Frankfurt zu den mittelalterlichen Genossenschaften gehört, die auf zünftlerischer 
Grundlage die Pflege der Geselligkeit und der gegenseitigen Hilfeleistung mit der 
Pflege religiös - kirchlicher Interessen verbanden. Diese Vereine schlossen sich an 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 12. 37 495 


eine bestimmte Kirche an, sie waren „in eine Kirche gebrudert“. Die Bruderschaft 
zu St. Nikolaus, genannt die Abenteurer, war in das Frankfurter Barfüßerkloster ge- 
brudert und in der (1786 abgebrochenen und später durch die Paulskirche ersetzten) 
Barfüßerkirche haben wir die Kapelle zu suchen, die sie durch Hans von Metz aus- 
schmücken ließen. Der Vertrag selbst kann interessieren, weil er in die Arbeits- 
weise mittelalterlicher Künstler einen gewissen Einblick gewährt. Die Erwähnung 
der Oley farwe ist nicht auffällig; es handelt sich dabei nur um das Bemalen von 
Wänden, und aus dem Vertrage des Hans Tieffental in Basel von 1418 (veröffent- 
licht im Baseler Taschenbuch auf das Jahr 1856, S. 177) wissen wir schon lange, 
daß hierzu Ölfarbe verwendet wurde. 

Indem ich (a. a. O., S. 82f.) den Nachweis erbrachte, daß der Kalvarienberg des 

Städtischen Museums aus der Barfüßerkirche stammt, glaube ich das Recht ge- 
wonnen zu haben, die Urkunde auf das fraglos um die Mitte des 15. Jahrhunderts 
entstandene Bild zu beziehen. Ein Zweifel daran wird vollends unmöglich, wenn 
man den Stil des Werkes in Betracht zieht. 
Die Komposition (Abb. ı), die dem mittelalterlichen Passionsspiel eine Menge be- 
zeichnender Züge entnimmt, ist außerordentlich reich und bei dem Fehlen jeglicher 
Perspektive, in der archaischen Übereinanderordnung der Figuren sehr unüber- 
sichtlich. Der näheren Betrachtung aber offenbart sich eine vollkommen durch- 
dachte Ordnung, eine Fülle fesselnder Motive und eine große Mannigfaltigkeit 
charaktervoller und edier Gestalten. Auch die Farbengebung, schwer und bräun- 
lich auf den ersten Blick, löst sich in Einzelfarben auf von wundervoller Tiefe und 
Leuchtkraft: Himbeerrot und Olivgrün, Brokatgold und aufblitzendes Stahlgrau be- 
stimmen den Eindruck des Bildes. Auch die Wirkung des Lichtes ist (ohne die 
Annahme einer einheitlichen Lichtquelle) im einzelnen treffend beobachtet. Der 
Charakter des Werkes ist merkwürdig fremdartig — man denkt davor an die Schule 
Pisanellos und Gentiles da Fabriano. Die überraschend gut gezeichneten und be- 
lebten Pferde (Abb. 2), die in der deutschen Kunst der Zeit ihresgleichen suchen, 
weisen auf den großen Schilderer des Pferdes in Italien hin, an den auch die orien- 
talischen Trachten erinnern können. Der Mann in Panzer, Turban und Mütze, der 
ganz im Hintergrund links zwischen den Kreuzen erscheint, ist vollkommen pisa- 
nellesk: er stimmt im Typus ganz mit dem einen Reiter auf Pisanellos Fresko vom 
hl. Georg in S. Anastasia zu Verona überein. Auch im einzelnen sind die Gestalten, 
namentlich die Gruppe der Marien und die rührende Erscheinung der Magdalena vor 
dem Kreuzesstamm (Abb. 3), völlig von italiänischem Geiste erfüllt. Sucht man im Kreise 
der deutschen Kunst nach Verwandtem, so findet man nur einen — Lukas Moser. 
Die tiefe, leuchtende Farbigkeit erinnert an ihn, der Kruzifixus gleicht völlig dem 
als altertümlich empfundenen Schmerzensmann auf der Predella des Tiefenbronner 
Altars. Die Empfindungsweise des Werkes, gleich entfernt von der lyrischen 
Weichheit der Kölner, von dem gehaltenen Ernst der Nürnberger und dem Er- 
zählerstil der Schwaben, läßt nur in der von Burgund und Frankreich her beein- 
fluBten oberrheinischen oder sagen wir besser alemannischen Kunst Raum für dieses 
Werk. 

Damit stimmt nun völlig die Lokalisierung überein, die die Urkunde uns gestattet. 
Die Heimat des Künstlers ist danach Metz, seine Geburtsstätte vielleicht, wenn 
eine (von Karl Simon herausgehobene) Eintragung im Frankfurter Bürgerbuch sich 
auf ihn bezieht, nach der ein Hans von Vordyne, meler, 1442 das Bürgerrecht er- 
worben, Verdun. Metz, in jedem Falle die Stätte seines letzten Aufenthaltes und 
sicher auch seiner künstlerischen Schulung, ist das Eingangstor Frankreichs nach 


496 


Deutschland hin. Frankreich also kann ihm die italiänischen Elemente seiner Kunst 
vermittelt haben, geradeso wie es vor ihm der kölnischen Malerei italiänische Einflüsse 
übermittelte. Gerade die Gruppe der Frauen und der Magdalena auf dem Bilde 
mit ihrem fast sienesischen Charakter dürfte wohl auf eine solche italo-französische 
Kunstübung zurückgehen, wie wir sie auch in gewissen Erscheinungen des Livre 
d’heures des Duc de Berry oder in der Kunst eines anderen oberrheinischen Meisters, 
des Meisters des Paradiesesgartens finden. Ob die Beziehung des Hans von Metz zur 
Kunst Pisanellos auf eine direkte Berührung, wie ich fast noch anzunehmen geneigt 
bin, oder ob sie auf die Benutzung gemeinsamer nordischer, französischer Quellen zu- 
rückgeht, läßt sich einstweilen schwer mit Sicherheit ausmachen. Jedenfalls ist 
die Tafel des Hans von Metz in der hohen Qualität ihres künstlerischen Charakters 
und in der Sicherheit ihrer Lokalisierung ein wichtiges Hilfsmittel zur Erkenntnis 
eines Kunstgebietes, das sich bisher der Forschung noch nicht hat erschließen wollen. 


П. FRIEDRICH VON ASCHAFFENBURG 


Im Stadtarchiv zu Frankfurt findet sich unter den Papieren des ehemaligen Domini- 
kanerklosters folgende Urkunde (Dominikanerurkunden 98a): 

Ich friederich von Aschaffenburg maler irkennen offinlichin mit diesem brieffe... 

men Johanni Bechtenhenne friederichen nachtrabe monczmeister vnd JohanniR... 

Brudermeistern der Bruderschafft sancti Sebastiani abegedinget han der se... eynen 

Sebastianum mit zweyne schuczen vnd eynem gehuse zu machen d... vnd yne 

die zun Predigern zu Franckenfurt uff der Bruderschafft alt... han vmbe hundert 

vnd achczig gulden guter franckenfurter werunge... Ingeslossene zeddele daczu- 
male desshalben gemacht / des bekennen ich fr... die obgenanten Johannes 

Friederich vnd Johannes soliche hundert vnd achczig... gulden die ich yne an 

dem hude uber der taffeln an der sulen bildener... auch abe verdienet han vnd 

darczu eynen erbern reddelichen schancke g... wole beczalt han / vnd ich sagen 
fur mich vnd myn erbin die vorgenanten... erbin vnd nachkommen solicher vor- 
genanten somme gelts des schancks auch... vnd alles des ich desselben gedings- 
halbin an sie zusprechen gefordern... gesaczt genczlichin qwijt vnd lois mit 
diesem brieffe daran zu orkunde... von birgel vnd sifridt sibolt werntliche Rich- 
tere zu Franckenfurt ire in... bede willen gehangen han des wir die vorgenanten 

Richtere Clas vnd Si... vmbe bete willen des obgenanten friederichs von Aschaf- 

fenburg also versieg... Domini millesimo quadringentesimo quinquagesimo nono 

feria secunda post 5... 

Die Urkunde ist nicht intakt erhalten; sie ist rechts ein wenig angenagt, so daß 
jeweils der Schluß der Zeilen verloren ist. Sie hat noch Reste der alten Siegel. 
Auf der Rückseite ist — wohl das Signum des Malers — eine Hand gezeichnet, 
die einen Pinsel halt’). 

Trotz ihrer Schadhaftigkeit ist die Urkunde in jeder Einzelheit verständlich und 
ihr Inhalt allein würde es rechtfertigen, sie hier bekannt zu geben, auch wenn sich 
kein erhaltenes Werk mit ihr in Verbindung setzen ließe. Diese Urkunde gehört 
wie jene andere des Hans von Metz zu den wenigen aus dem Mittelalter erhaltenen 
Werkverträgen, die uns von der Kunstübung der Zeit ein anschauliches Bild geben. 
Wieder ist es eine Bruderschaft, die 1459 bei einem Maler, Friedrich von Aschaf- 
fenburg, ein Altarwerk für ihren Altar bestellt, diesmal eine Bruderschaft, die das 


(x) Die Urkunde wurde abgedruckt von R. Jung im Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst von 
1901, doch ohne weitere Erläuterung und auf eine einfache gemalte Altartafel bezogen. 


497 


Armbrustschießen pflegte, die Sankt Sebastians-Bruderschaft, die nach Jacquins hand- 
schriftlicher Chronik des Frankfurter Dominikanerklosters (Frankfurter Stadtarchiv, 
Dominikanerbücher 16a, p. 169) 1458 gegründet und in die Dominikanerkirche 
(„zun Predigern“) gebrudert war. Was der Urkunde höheres Interesse verleiht, 
ist, daß sie sich nicht auf ein Altarbild, sondern auf einen geschnitzten und gemalten 
Altarschrein bezieht. Die (geschnitzte) Sebastiansgruppe („Sebastianum mit zweyne 
schuczen“), die Säule mit dem Heiligen („die Sule“) wird von dem (gemalten) 
Schrein (dem „Gehuse“ oder dem „erbern, reddelichen Schanck“) unterschieden und 
dazu kommt der Altaraufsatz (der „Hut uber der taffeln“). Bemerkenswert ist, daß 
der Maler der Entrepreneur ist, der den Entwurf des ganzen Altarwerkes (den 
„ingeslossenen zeddel“) liefert. Die Holzschnitzerei aber, obwohl er sie entworfen, 
führt er nicht selbst aus, übernimmt es aber, den Schnitzer, der sie ausführt, den 
Verfertiger der Sebastianssäule („der sulen bildener“) aus der festgesetzten Pauschal- 
summe zu entlohnen, ebenso wie er die Kosten des Altaraufsatzes (wohl beim 
Kunsttischler) daraus bestreitet. Dafür erhält er 180 Gulden und bekennt, keine 
weiteren Ansprüche an die Bruderschaft stellen zu wollen und zwei weltliche 
Richter bestätigen den Vertrag. Die Summe von 180 Gulden ist sehr hoch, ver- 
glichen mit der, die Hans von Metz für sein Altarbild und die Ausmalung der Ka- 
pelle erhält; aber einmal wurden diesem die Materialien dazu geliefert und dann 
mag die einen größeren Zeitaufwand erfordernde plastische Arbeit (die Preise, die 
wir von geschnitzten Altären kennen, im Vergleich zu den Preisen von Tafelbildern 
beweisen es) viel kostspieliger gewesen sein als die Arbeit des Malers. 
Glücklicherweise ist es auch hier möglich, das Werk, auf das sich die Urkunde 
bezieht, wenigstens in seinen gemalten Teilen nachzuweisen. Es handelt sich um 
eine auseinandergesägte Tafel im Städtischen historischen Museum zu Frankfurt 
(Inventar Nr. 228 und 229), die bisher noch keinerlei Beachtung gefunden hat 
(Abb. 4 und 5). Sie zeigt auf der einen Seite den hl. Sebastian, den zwei Schützen 
mit ihren Pfeilen durchbohren, auf der anderen Seite, nicht wie das Frankfurter 
Inventar meint, den hl Johannes auf Patmos, sondern den oft in der Verbindung 
mit Sebastian dargestellten anderen Seuchenpatron Veit und zwar zwei Szenen 
seiner Legende zusammengelegt, die Exorzisation des Kaisersohnes und die Marterung 
des Heiligen im Pechkessel. Die Tafel stammt (nach dem Inventar des Museums) 
aus der Dominikanerkirche, in welche die Bruderschaft des hl Sebastian den Altar 
gestiftet. Sie läßt sich auch in dieser Kirche vor ihrer Säkularisation als vorhanden 
nachweisen. Jacquin erwähnt sie in seinem (handschriftlichen) Chronicon Praedi- 
catorum (Frankfurter Stadtarchiv, Dominikanerbiicher 16a, р. 293) als „in praeme- 
morato Refectorio aestivali“ befindlich: „conspiciuntur ibidem praenobiles picturae 
aliae: .. Sancti Sebastiani“. Damals hat also bereits der Schrein nicht mehr be- 
standen, sondern die Tafel war mit anderen alten Bildern an die Wand gehängt. 
Den Grund für diese Zerlegung erfahren wir aus einer anderen handschriftlichen Chronik 
des Dominikanerklosters, die Johannes Deutsch 1742 zusammengestellt hat (Origo 
conventus et ecclesiae Francofurtanae Ordinis FF. Praedicatorum, Frankfurter Stadt- 
archiv, Dominikanerbücher 15, p. 47 und 50): 1699 wurde ein neuer Altar zu Ehren 
des hl. Sebastian und einiger anderer Heiligen geweiht und die Reliquien des hl. 
Sebastian darin geborgen und 1702/03 ein neues Altarwerk geschaffen. Zuletzt hat 
Hüsgen (Nachrichten von Frankfurter Künstlern und Kunstsachen, Frankfurt 1780, 
S. 269 und Artistisches Magazin, Frankfurt 1790, S. 562) die Sebastians - Tafel in 
der Dominikanerkirche gesehen. Dann kam sie mit den anderen Dcminikaner- 
bildern in der Zeit des Großherzogtums Frankfurt in den Besitz der Museums- 


498 


Gesellschaft (Inventar von 1867) und mit deren Schätzen in das Städtische historische 
Museum. 

Sichert so die Provenienz schon die Verbindung der Urkunde mit den Bildern, 
so bestätigen sie auch alle inhaltlichen Momente. Die auf beiden Seiten bemalte 
Tafel muß einmal zum Abschluß eines Schreines, als Teil eines „ehrbaren red- 
lichen Schrankes“ gedient haben, so zwar, daß der gemalte Sebastian die Außen- 
seite bildete und der hl Veit bei Öffnung des Schreins neben dem geschnitzten 
Sebastian erschien. Wie der Vertrag es für den Inhalt des „Gehäuses“ vorschrieb, 
so hat auch der Maler den Sebastian selbst auf dem „Gehäuse“ „mit zweyne 
schuczen“ dargestellt. Sicherlich weist der Stil das Werk ungefähr in die Zeit, auf 
die es die Urkunde festlegt. 

Die Bilder sind auf Tannenholz gemalt und messen in Höhe und Breite 1,43 zu 
0,82 m; von ein paar oberflächlich ausgebesserten Stellen abgesehen, sind sie gut 
erhalten. Sie zeigen im ganzen lichte Farben; die offenbar dem Tageslicht weniger 
ausgesetzt gewesene Seite mit dem hl. Veit ist aber kräftiger, intensiver im Kolorit 
wie die andere. Der hl Sebastian hat blondes, hellgelb gehöhtes Haar. Der Scherge, 
der die Armbrust spannt, ist in zinnoberrotes Wams und zinnoberrote Hosen geklei- 
det, zwischen denen das weiße Hemd zum Vorschein kommt. Der bogenschießende 
Scherge hat hellrosa Wams mit braunem Pelzbesatz und grünblaue Hose; sein 
Turbantuch ist weiß, sein Köcher außen von grauem Fell, innen rot. Das Haar 
des ersten Schergen ist braun, das des zweiten dunkelbraun, die Schuhe des ersten 
braunschwarz mit gelben Umschlägen, die des zweiten rot. Der Boden ist von 
einem tiefen, nach hinten zu lichter werdenden Braun mit einem Schiller ins Grüne. 
Die Baumgruppe, die zwischen Sebastian und den Schergen erscheint, ist gelb- 
grün, bläulichgrün und rötlich und darüber das Rosa und Weiß des Bliitenbaumes. 
Die Büsche auf dem Hügel sind in der Farbe des Hügels bräunlich, dunkler der 
darüber hinausragende Baum. Die Äpfel am Pfahl des Heiligen sind lebhaft gelb 
und rot. Die Landschaft des Hintergrundes beginnt mit Olivgrün und geht, sich 
auflichtend, in Bläulichweiß über. Im Martyrium des hl. Veit ist der Scherge mit 
dem Blasebalg in ein graugrünes, das weiße Hemd freilassende Wams und eine 
grüne Hose gekleidet und trägt rötlichbraune Stiefel. Der andere Scherge, der das 
Feuer schürt, hat ein zinnoberrotes geschlitztes Wams mit olivgrünen Schnüren 
und gleichfalls zinnoberrote Hosen; in der gleichen Farbe ist die von einem rosa 
Tuch umschlungene Mütze, die mit einer weißen und einer rosa Feder geziert ist. 
Der Kaisersohn trägt einen hellpurpurnen Mantel, der ein dunkelgrünes Unterge- 
wand erscheinen läßt, und ein rotes Halstuch. Der Kessel ist erdfarben. Die 
Landschaft ist in dunklen braunen Tönen gehalten und geht hinten ziemlich unver- 
mittelt ins Blau über. 

Es ist kein sehr bedeutender Meister, den man in Friedrich von Aschaffenburg 
kennen lernt. Das Gefühl für das Lebendige, das Organische in der Form geht 
ihm gänzlich ab. Die Haare, die er bildet, sind leblos, wie aus Holz ge- 
drechselt, die Muskulatur ist schwach. Die Bäume sind steif wie Spielzeug, Felsen 
und Erde sind tot, wie aus Pappe geformt. Dabei hat er doch die ganze naive 
Naturfreude, die in der deutschen Kunst um die Mitte des Jahrhunderts erwacht. 
Blumen entsprießen dem Boden, der Stamm, an den der Heilige gebunden ist, hat 
ausgeschlagen und trägt Blätter und Früchte. Der Blick in die Landschaft ist auf- 
getan, Täler und Berge erstrecken sich weit in die Tiefe, Schloß und Kapelle 
werden im Hintergrunde der Sebastianstafel sichtbar, eine große Kirche krönt den 
Hügel auf dem Bilde des Veit und durch die Luft zieht in Dreiecksformation das 


499 


Vogelheer. Nicht genug kann sich die Freude am Schildern des landschaftlichen 
Details tun. Boote befahren den Fluß im Hintergrunde der Veitstafel und ganz 
zuletzt ist auf dem Hügelzuge noch ein Rad und ein Galgen mit (in Anbetracht 
der Entfernung riesengroßen) Gestalten von Gerichteten zu sehen. Die Luftper- 
spektive ist gut beobachtet, namentlich auch beim Himmel, der am Horizont hell 
beginnend nach oben zu in ein Griinblau sich wandelt. 

Das eigentlich Bedeutsame der beiden Tafeln besteht darin, daß sie keine ab- 
strakte Heiligenmalerei darstellen, sondern die Gestalten glaubhaft in ihrer Atmo- 
sphäre geben. Die Farben sind gedämpft. Ein gewisses Streben nach Lichtmalerei 
gibt den Bildern ihre Wesensart. 

Der Charakter der Malerei mag die Bilder in den allgemeinen Zusammenhang 
der fränkischen Kunst einordnen lassen. Einer gewissen Nüchternheit und Ver- 
standesmäßigkeit kommt es vor allem darauf an, die Gestalten sicher, fest, in sich 
geschlossen zu bilden, und dann erst aus diesen Gestalten eine Aktion zusammen- 
zusetzen. Auch die Klarheit der räumlichen Gestaltung liegt im Sinne der fränki- 
schen Kunst; es ist beachtenswert, wie bei der Marter des Sebastian der Kopf des 
vorderen Schergen zum verlorenen Profil gedreht und als Repoussoir für den hin- 
teren Schergen benutzt ist. Der niederländische Einfluß macht sich deutlich in 
der Landschaft und eigentlich nur in dieser geltend. Man braucht daher keine un- 
mittelbare Berührung des Malers mit der niederländischen Kunst anzunehmen, son- 
dern wird die große Neuerung dieser Kunst zur Genüge aus der entscheidenden 
Wendung des Zeitstiles selbst erklären können. In dem Streben nach Lichtmalerei 
mag man das mittelrheinische Element dieser Kunst erkennen. 

Die Urkunden sagen uns nicht viel über den Maler Friedrich von Aschaffenburg. 
Er ist 1448 Bürger von Frankfurt geworden. Das Bürgerbuch IV, 1440—1500, 
fol. 67 führt ihn als „Friderich von Aschaffenburg meler“ auf, in einer Rubrik mit 
zahlreichen anderen, von den allen es heißt: „Diese han burgerssin vnd geschuldet 
vnd gesworn als der Rad sie hat tun darvmb besenden penthecost. anno. XLVIII°.“ 
Im Beedbuch!) von 1462 erscheint er noch als Friederich maler: „Friederich maler 
VI 8 hat bezalt упа gesworn“ (Beedbuch der Oberstadt von 1462, fol. 18, verso). 
Die sehr geringe Steuersumme läßt nicht darauf schließen, daß er sich besonderen 
Ansehens erfreute?). Im Beedbuch von 1463 erscheint das Haus, das er bewohnte, 
als leerstehend (Beedbuch der Oberstadt von 1463, fol. 16, verso: „eyn wust huss“), 
danach wird es von anderen bewohnt: er ist also 1462/63 gestorben oder von 
Frankfurt fortgezogen. 

Die Kunst Friedrichs von Aschaffenburg bereichert sicher das Bild der deutschen 
Kunst im 15. Jahrhundert um keinen neuen Zug. Wenn sie doch ein gewisses In- 
teresse beansprucht, so vor allem deshalb, weil sie uns einen Hinweis zu geben 
vermag, von welcher Art die Kunstübung um die Mitte des Jahrhunderts in der Ge- 
burtsstadt Matthias Grünewalds gewesen ist. 


П. HANS HESSE 

Durch Gwinner (Kunst und Künstler in Frankfurt am Main, Frankfurt 1862, S. 26, 
und Zusätze und Berichtigungen, Frankfurt 1867, S. 105 und 106) hat man von der 
(1) Steuerliste. 
(2) Zum Vergleich füge ich die Steuersummen der anderen Frankfurter Maler im Jahre 1462 an: Hein- 
rich maler X 8 III hl, Kathrin malerin 1 €) У р, Bechtolt maler ir eydin VII J, Sewolt [Viol] maler 


x Pfnt 3 f. Conrat sin воп by уше in X f, Clas Krug maler X р, Arnolt der Wale Maler IX § VIII heller, 
peter maler віп eydin by уте in VIII f VI Heller, Benedictus maler XIII £ UI h, Henne Wetzel maler VI £. 


500 


Existenz des Frankfurter Malers Hans Hesse erfahren und zwei Aufträge kennen 
gelernt, die ihm der Rat von Frankfurt gegeben. Ich habe es der Mühe wert ge- 
halten, alles ausfindig zu machen, was sich aus den erhaltenen Frankfurter Urkunden 
über diesen Maler feststellen läßt und teile es hier in chronologischer Folge mit. 


I. 


1471. In diesem Jahre wohnte Hans Hesse nach Gwinner (а. a. O., S. 26) nach 
dem Zinsregister des Bartholomäus-Stifts im Hause Nydeck in der Fahrgasse 
und entrichtete dem Stifte einen Zins von 9 Pf. 4 £. 


. 1475. Bürgerbuch IV, 1440—1500, fol. 120: 


Item Hanns Caldebach maler Item Jeronimus Dierbach maler han burgerssen 
vnd globet vnd gesworn sexta in octava Epiphanie domini [18. Januar] anno 
XIII" LXXV. 


. 1475. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1475, fol. 9, verso: 


An Stultzeneck wider an... Hanss Hesse der meler VI В A dedit Reysegelt!) 
XIII h dedit A VI h dess geburt sich VI h für XV fh gelts den herrn zu sant 
Johannen zu mentze von dem huse in der Kruchegassen?). 

1475/76. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1476, I, fol. 14, verso: 
An Stoltzenberg wyder an... Hanns Hesse meler VIß VIh dess geburt sich 
VI h fur XV £h gelts den herrn zu Sant Johannen zu mentze von synem huse 
in der Kruchegassen Reysegelt XIII h. 


. 1476. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1476, П, fol. ІІ: 


An Stoltzenberg wyder an... Hans Hesse meler VI Б VI h dess geburt sich 
VIh fur XV fh gelts den hern zu Sant Johannen zu mentze von synem huse 
in der Kruchegassen pagavit*). 


. 1483. Rechenmeisterbuch von 1483, fol. 44, verso: 


Item sabatho post martini episcopi [15. November] 

Item XXX #5 Hannss Hessen maler geben zu machen als hernach geschriben steet 
Item von den dryen furdersten gybeln mit der grosß blum vnd leubnen zu 
vergulden von iglich III fi. 

Item von den hindersten funff großen blumen off dem schoppe an der muren 
von iglich 1 fl. 

Item von den vier langen sparren mit dem leubnen off den syten steende von 
iglich 1 fi. 

Item von dem keisserlichen schilde vnd wapen 

Item von dem konigliche schilde vnd wapen 

Item von dem franckfurter schilde vnd wapen zusamen VI fl. 

Item von den vndersten pedalen vnd fussen dauff der schoppe steet 1fl. vnd 
sint alle materialia firness farben vnd anders des malers gewest vssgeschleiden] 
das fine golt ist dess Rats gewest 

Item VI g des malers Knechte zu dringgelde geschenkt. 


. 1484. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1484, fol. ІІ, verso: 


An Stoltzenberg wyder anne... Hans Hesse fursprech meler 1 gulden VII 8 Vh 
dess geburt sich XIX h [am Rand: 1 gulden vnd) fur XXI f h gelts den pre- 
digern. Item IIII h fur IX f h gelts den hern zu heyness‘). 


(1) Eine Kriegssteuer. 

(2) Zu Einschätzungszwecken wurden immer auch die Hypotheken- und Darlehenszinsen festgestellt. 
(3) Beedbücher von 1477—1483 sind nicht vorhanden. 

(4) Beedbücher von 1485—1487 sind nicht vorhanden, ebenso nicht von 1489—1494. 


501 


IO. 


II. 


12. 


13. 


14. 


15. 


16. 


17. 


1488. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1488, fol 12: 

An Stoltzenberg widder ann... Hans Hesse meler 1 gulden VII Vh dess ge- 
burt sich XIX h fur 1 gl XXI p h рез den predigern. Item IIIIh fur = 
gelts den herren zu heyness. 


1489. Rechenmeisterbuch von 1489, foL 66b (Eyntzelinge ussgeben inne der 
Ersten Rechenunge): 

Sabatho post pentecosten [13. Juni] 

Item III f Hansen Hessen maler die Iffeln!) zu malen dem armen den man 
vmb sin misstat im fiir richten laissen hait. 


1495. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1495, fol. 11, verso: 
An Stoltzenbergk widder an.... Hans Kaldebach vorspreche dedit 1 gulden 
ХУП В ½ h, das ist ½ h von ІХ 6 heller gelts dem heyner hern vnd IX h 
von т gulden XXI В heller gelts den hern zun predigern. 

1496. Bethe-Register?) von 1496, p. 5: 

dedit — Hans Kaldebach. 


1496. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1496, fol. ІІ: 

An Stoltzenberg widder an... Hans Kaldebach dedit ı fl. XVII f !/, h das 
ist ½ h von IX 6 heller gelts inn heyner hoff vnd IX h von 1 fl. XXI f heller 
zun predigern. 

1497. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1497, fol. ІІ: 

An Stoltzenberg widder an... Hans Kaldebach vorspreche dedit 1 gulden 
XVII 3 ½ h das sint !/, h уоп IX Б heller inn heyner hoff vnd IX h von 
т gulden ХХІ В heller gelts zum predigern?). 


1499. Beedbuch der Oberstadt und Sachsenhausens von 1499, fol. то, verso: 
An Stoltzenbergk ann... Hanns Kaldebach dedit 1 gulden ХУП $ !/, h, dis 
ist ½ h von IX £ heller gelts inn heyner hoff den selben hern vnd IX h von 
1 gulden XXI f heller gelts zun predigern‘). 


1501. Biirgermeisterbuch von 1501°), p. 20, verso: 

feria quinta post viti [20. Juni] 

Biss nehst samstag hessen den fursprechen vnd den gerichtsschriber fur 
die scheffen zu bescheiden. 


1501. Biirgermeisterbuch von 1501, p. 96, verso: 

Tertia post anthonij [20. Januar] 

Hanssen Hesßen den fürsprechen eynen halben schilling gulden fur eyne 
vererung fur dass gericht [so] Er am scheffen stube gemalet hait schencken. 


1501. Rechenmeisterbuch von 1501, Eintzelinge ussgeben inn der Ersten 
Rechnung. 

Sabatho post fabiani [22. Januar] 

Item VI gulden geschenckt Hanssen Hessen den maler fur dass gemalt duch 
dar an dass jungst gericht steet uff dem gerichts huss. 

[Am Rand:] duch uff dem gericht huss. 


(1) Infuln, Spottmützen für Verbrecher während der Strafvoliziehung. 


(2) Notizen für das Beedbuch von 1496. 


(3) Beedbuch von 1498 nicht vorhanden. 
(4) Von hier an fehlen Beedbücher wieder bis inkl. 1507. 
(5) Bürgermeisterbücher sind Protokolle der Ratsbeschlüsse in Frankfurt. 


502 


18. 1502. Bürgermeisterbuch von 1502, р. 130b: 
tertia post letare [9. März] | 
Nach Thisen moller schicken vnd boren wes der her zun Barfüssern gepre- 
diget solle haben als Hans Hesse angegeben hait. 


19. 1504. Bürgermeisterbuch von 1504, p. 113: 
Sabatho post palmarum [6. April] 
Meister hansen den fursprechen ein paar gulden itzunt fur zerung zu stuer 
geben, vnd wo Er sich inne drien wuchen allher gefuget hait dencket sich 
der Rat nach gelegenheit Ime fur sinen uffbruch obe Er sich beclagen wurde 
mit zemlicher Erstatung gonst, iglichen merken laisßen dass zu synem willen 
stehe vnd wolegefallen. 


20. 1507. Biirgermeisterbuch von 1507, p. 36, verso: 
feria quinta post assumptionem marie [20. August] 
Hansen Hessen Sone mertin zu eynem viserer uffnemen. 

Diese Urkunden geben uns das Bild von einem in seiner Zeit sehr angesehenen 
Maler. Hans Hesse stammt aus dem Dorfe Kaldenbach (auch Kaldebach oder Kal- 
bach), das nicht weit von Frankfurt auf der Strafe von Bonames nach Oberursel 
liegt und er führt auf Grund seiner Nationalität den Beinamen „Hesse“, der in 
den Urkunden mit dem Beinamen Kaldebach abwechselt. Er bewohnt seit dem 
Anfang der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts das Haus Nydeck auf der Fahr- 
gasse (das Haus Stolzenberg, nach dem die Beedbücher sich orientieren, liegt an 
der Ecke der Fahrgasse und des Garküchenplatzes, s. Batton, Örtliche Beschreibung 
der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt 1861—75, 2. Heft, S. 69, 3. Heft, 5. 336). 
Es ist ein Haus, in dem von jeher Maler gewohnt haben. Im Beedbuch von 1464 
(fol. 9, verso) erscheint an der Stelle von Hans Hesse (An Stultzeneck wider an) 
noch Conrat fiol maler und sin mutter bij ir inne, im Beedbuch von 1463 (fol. 9) 
an der gleichen Stelle Sewalt maler, Conrat sin son by yme inne, im Beedbuch 
von 1462 (fol. ro, verso) Sewalt maler, Conrat sin son by yme in!), und in den 
Beedbüchern von 1428 (fol. 13, verso) und 1429 (fol. 14) — Beedbücher der 30 er, 40 er 
und 5oer Jahre sind nicht vorhanden — nimmt die gleiche Stelle (Nota an Stultzen- 
berg an) ein Luckel maler ein. Hans Hesse ist nicht in Frankfurt geboren, sondern 
eingewandert und hat auf Grund einer Heirat mit einer Frankfurterin das Biirger- 
recht erworben. Er muß sich als Maler großen Ansehens erfreut haben, denn der 
Rat gab ihm neben geringfügigen auch recht bedeutungsvolle Aufträge; dafür spricht 
auch, daß er schon 1483 mehrere Gesellen in seiner Werkstatt beschäftigte. 
Sehr merkwürdig ist, daß er, zum mindesten seit 1484 mit dem Gewerbe eines 
Malers das Amt eines Fürsprechers, d. h. eines Advokaten, eines Vertreters von 
Parteien in Rechtsstreitigkeiten verband, und wir erfahren, daß er tatsächlich, wie 
im Jahre 1501, vor dem Schöffen als Fürsprech fungierte. Darüber hinaus scheint 
er dem Rate wichtige Dienste geleistet zu haben. Er soll — die Urkunde von 
1504 läßt sich kaum anders verstehen — im Auftrag des Rats eine Reise unter- 
nehmen, zu der er Zehrgelder erhält, und man will ihm nach seiner in drei Wochen 
zu erwartenden Rückkehr in jeder Art gefällig sein. Auch sonst scheint er, wie 


(x) Conrat Fyoll ist 1448 Bürger in Frankfurt geworden (Bürgerbuch IV, 1440—1500, fol. 65, verso) 
und von Sebald Viol berichtet das Bürgerbuch III, 1410—1440, fol. 41, verso: „Sebal viol von Nuren- 
berg meler hat ein burgerssen vnd gehuldet vnd gesworn Actum feria sexta ante walpurgis anno 
XIII c XXV o‘. Wenn man diese Urkunde im Auge behält, wird man sich hüten, einem Nürnberger 
Maler ein Bild zuzuschreiben, das ohne allen Zweifel von oberrheinischer Provenienz ist. 


503 


ein Bericht über eine inkriminierte Predigt zeigt, Vertrauensmann des Rates gewesen 
zu sein. Dabei ist er aber ständig als Maler tätig gewesen, wie er denn — gegen 
ein ziemlich ansehnliches Gegengeschenk — 1501 dem Rate für die Schöffenstube 
eine Darstellung des jüngsten Gerichts stiftet. Er muß vor 1508 gestorben sein — 
in diesem Jahre erscheint an seiner Stelle sein Sohn und seine Frau in den Beed- 
büchern. Wenn man eine Erwähnung im Bürgermeisterbuch von 1507 ohne den 
sonst zu erwartenden Zusatz „seligen“ so deuten darf, daß er zu dieser Zeit noch 
am Leben war, fiele sein Tod ins Jahr 1507. Dafür spricht auch, daß sein gleich 
noch zu erwähnender Sohn im folgenden Jahre das Bürgerrecht erworben hat, 
offenbar um an seines Vaters Stelle zu treten. 

Es würde sich nicht verlohnen, all dem so bis ins einzelne nachzugehen, wenn 
nicht die Möglichkeit bestünde, die Hand des Hans Hesse in einem erhaltenen 
Werke nachzuweisen. Wir danken diese Möglichkeit einer glücklichen Beobachtung 
von К. Simon (in der Zeitschrift Alt-Frankfurt, Frankfurt a. М. 1911, Jahrgang III, 
Heft 2, S. 62). Im Städtischen historischen Museum befindet sich eine Altartafel, 
die die vierzehn Nothelfer darstellt (Inv. 305). Die Tafel (Abb. 6) stammt aus der 
Dominikanerkirche und wird auch von Jacquin unter den Bildern dieser Kirche er- 
wähnt (Chronicon Praedicatorum, Dominikanerbücher des Frankfurter Stadtarchivs 16a, 
fol 293: „in praememorato Refectorio aestivali... conspiciuntur ibidem praenobiles 
picturae aliae: quatuordecim Auxiliatorum . .). Die Wappen, die sich auf ihr finden, 
sind das des Frankfurter Patriziers Karl von Hynsperg (gest. 1472) und seiner 
Gattin Guda von Heringen (gest. 1500). Auf dieser Tafel nun findet sich, worauf 
Simon hingewiesen hat, eine Signatur. Sie steht, etwa in der Form einer Stickerei, 
auf der linken Seite des Kragens des hl. Erasmus, des Heiligen mit der Darm- 
winde, und besteht aus den beiden durch einen Punkt getrennten Initialen I-H. 
Wer ist nun dieser Meister I. H.? Ich glaube, auf Grund einer jetzt wohl ziemlich 
lückenlosen Kenntnis des in Betracht kommenden Frankfurter Urkundenbestandes 
im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts behaupten zu dürfen, daß kein anderer als 
Hans Hesse (Johannes Hesse) der Meister I. H., der Schöpfer also des Nothelfer- 
bildes sein kann. 

Der Begriff, den wir daraus von der Kunst des Hans Hesse gewinnen, ist kein 
geringer. Es handelt sich durchweg um gut belebte, gut charakterisierte und auch 
im Seelischen nicht versagende Gestalten. Köpfe, wie etwa der des hl. Eustachius, 
zeigen eine nicht gewöhnliche Fähigkeit individueller Ausprägung. Auch die An- 
ordnung der Gestalten und ihre Zusammenschließung durch die Heiligen Georg und 
Christophorus ist beachtenswert. Der Farbklang des Werkes ist kräftig, fast feier- 
lich, auf Gold und Rot abgestimmt. Im Stil steht das Bild der Gruppe von (in 
Frankfurt entstandenen) Werken nahe, die ich zuerst (Monatshefte für Kunstwissen- 
schaft 1911, S. 417f.) zusammengestellt habe und deren bedeutendstes die Predella 
mit dem Schmerzensmann zwischen Maria und Johannes in der Deutschordenskirche 
in Frankfurt-Sachsenhausen ist. | 


IV. MARTIN HESS 

Die Persönlichkeit und die Kunst des Hans Hesse erhält eine erhöhte Bedeutung 
durch das, was ich im folgenden neues über den durch Dürer schon seit langem 
berühmten Martin Hess mitteilen kann. Aus den ersten urkundlichen Nach- 
richten, die ich über Martin Hess veröffentlichte (Repertorium für Kunstwissen- 
schaft XXXI, 1908, S. 437— 445), ergab sich, daß er 1508 Bürger in Frankfurt ge- 
worden war, daß er im November 1508 zusammen mit seiner bei ihm lebenden 


504 


Mutter als steuerzahlend aufgeführt wurde und daß er ebenso noch 1510 erscheint. 
Bei der Aufnahme in die Bürgerschaft wird er als „Martin Hess viserer eins Bur- 
gers Son“ bezeichnet. Ich hatte damals gemeint, das Wort Viserer könne unmög- 
lich Eicher, Eichmeister bedeuten, sondern es werde, von einem Maler gebraucht, 
wohl einen, der Visierungen macht, also einen Kupferstecher oder Holzschnittzeich- 
ner, bedeuten. Ich habe mich aber inzwischen überzeugen müssen, daß ich damals 
das Wort falsch auslegte — Martin Hess ist wirklich Eichmeister in Frankfurt ge- 
wesen. 


Das Dokument, das uns zunächst darüber belehrt, wurde oben schon aufgeführt. 
Es ist jenes Ratsprotokoll von 1507 (Bürgermeisterbuch von 1507, p. 36, verso): 
Hansen Hessen Sone mertin zu eynem viserer uffnemen. Wir erfahren daraus das 
weitere, daß Martin Hess der Sohn des Malers Hans Kaldebach alias Hans Hesse 
gewesen ist. Dementsprechend finden wir den „Martin Hesß Visierer“ und „Sin 
Mutter by Ime“ in den Beedebiichern von 1508 und 1510 (fol. 17, verso, bzw. 
fol. 14, verso) an der gleichen Stelle („Ann Stoltzenberg widder an“), wo wir früher 
regelmäßig dem Hans Hesse begegnet sind. 


Was sich weiter über Martin Hess feststellen läßt, bezieht sich ohne Ausnahme 
auf seine Tätigkeit als Eichmeister. Von welcher Art diese Tätigkeit gewesen ist, 
erfahren wir aus der Dienstinstruktion der Visierer, die sich im sog. Alt Aidt Buch 
des 15. und 16. Jahrhunderts (im Frankfurter Stadtarchiv, p. 214ff.) findet und von 
der ich den Anfang hierher setzen will: „Die Viserer sollen in guten truwen globen 
vnd zun heiligen sweren allermenlich keuffern vnd verkeuffern es sin burger oder 
andere recht zu begeren nach iren besten synnen vnd vernunfften die yne gote ver- 
liehen hat vnd auch einen iglichen die rechte masse was igliches fasse heldet zu 
sagen vnd daran mit krajden zu zeichen vnd zu allen zyden getruwelich off das 
viseren zuwarten vnd den luden die des viserens bederffen vnd des an sie gesynnen 
упа zu gelichen zuhelffen vnd zu viseren ane alle wyderrede...“. Im gleichen Alt 
Aidt Buch findet sich auf einem eingelegten Zettel (p. 221) der Vermerk: 

Item Martin Kalbach maler hat den viserer eidt gelobt sexta post assumptio- 
nem marie [21. August] XV VII. 

Daß Martin Hess danach ein städtisches und mit seinem Malerberuf in gar keinem 
Zusammenhang stehendes Amt bekleidet hat, braucht uns nicht zu wundern; war 
doch auch sein Vater im Nebenamt Fiirsprech. Ich werde übrigens demnächst 
eine Urkunde zu veröffentlichen haben, aus der hervorgeht, daß Conrad Faber, der 
Meister der Holzhausenbildnisse, zugleich in Frankfurt den Posten eines städtischen 
Eisenwiegers inne hatte. Es scheint demnach, daß die Stadt Frankfurt bedeutende 
Maler dadurch unterstützte, daß sie ihnen ein leicht im Nebenberuf zu versehendes 
Amt und damit eine ständige Einnahmequelle zuwies. 

Wir finden nun in den folgenden Jahren den Namen des Martin Hess regelmäßig 
im Rechenmeisterbuch neben denen der drei übrigen städtischen Eichmeister, wie 
er zu bestimmten Terminen, je nachdem sechs- bis siebenmal im Jahre, seine Gehalts- 
rate von je 1 Pfund 4 Schilling bezieht. Der erste derartige Eintrag lautet im Rechen- 
meisterbuch von 1507 (die Rechenmeisterbücher laufen jeweils von Frühjahr zu 
Frühjahr): 

Vssgeben viserern von der fare porten... 

Nota die andere Rechenunge... 

Sabatho post Elisabeth vidue [20. November] ı # ШІ f martin Kaldebach ist 
sin erster. 


505 


So erscheint er im Rechenmeisterbuch von 1507 viermal (der Name dreimal als 
martin Kaldebach, einmal als martin Kaldenbach), in dem von 1508 fünfmal (stets 
als Martin Kaldebach), 1509 sechsmal (als martin Kaldebach, einmal Kaldenbach), 
1510 sechsmal (einmal nur mertin, einmal martin Kaldenbach), 1511 sechsmal (dar- 
unter einmal als martin, als martin Kaldenbach und als marthin Hess), 1512 sechs- 
mal (dreimal als Martin Hess, zweimal als Martin, einmal als Martin Kalbach), 1513 
siebenmal (gewöhnlich als Martin, einmal als Martin Calbach, einmal als Martin 
Kalbach und einmal als Martin Kalbach viserer), 1514 sechsmal (stets als Martin), 
1515 siebenmal (gewöhnlich als Martin, einmal als Martin Hess und einmal als 
Martin Kaldenbach), 1516 sechsmal (dreimal als Martin, dreimal als Martin Kal- 
bach), 1517 siebenmal (dreimal Martin, zweimal Martin Kalbach, einmal Martin 
Caldenbach viserer und einmal Martin Hess). Der letzte Eintrag von 1517 lautet: 


vssgeben viserern von der fare porten... 
nota die vierde Rechenunge... 
sabatho post pasce [10. April] 1 & III g Martin. 
Im Rechenmeisterbuch von 1518 findet sich nur ein einziger Eintrag, der sich auf 
Martin Hess bezieht: 


Sabatho post trinitatis [5. Juni] martin Kalbach seliger 1 # III £. 


Danach ist also Martin Hess zwischen dem то. April und dem 5. Juni des Jahres 
1518 gestorben. 


Es verlohnt, auf Grund dieser neuen urkundlichen Feststellungen die Martin Hess- 
Frage von neuem zu überdenken. Es reizt ja so sehr, den Maler selbst kennen 
zu lernen, den Dürer seiner Freundschaft würdigte und dessen künstlerisches Ur- 
teil er so hoch schätzte. Ich habe seinerzeit hypothetisch die Frage nach seiner 
Persönlichkeit beantwortet: Martin Hess sei jener Dürerschüler, von dem wir: in 
Frankfurt die Darstellung im Tempel und das Holzhausen-Porträt, in München das 
Martyrium des Jakobus und (nach meiner Zuweisung) in Nürnberg die Kreuzfindung 
kennen. Meine Hypothese hat auf der einen Seite Beifall (Braune, Katalog der Ge- 
mäldesammlung des Germ. Nationalmuseums in Nürnberg, Nürnberg 1909, S. 64f., 
Frimmel, Blätter für Gemäldekunde 1911, Bd. VII, Heft 1), auf der anderen Widerspruch 
erfahren (Rieffel, Die Freiherrlich v. Holzhausensche Gemäldesammlung in der Städel- 
schen Galerie, Monatsh. für Kunstw.IV, 1911, S. 341—346). Rieffel findet es unwahr- 
scheinlich, daß sich Dürer auf das sachverständige Urteil seines eigenen jüngeren 
Schülers berufen habe; das hätte seinem Selbstgefühl widersprochen. Er möchte 
den Maler Hess anders konstruieren, nämlich aus den Formschnitten der 1492 in 
Mainz erschienenen Chronik der Sachsen, aus der Sebastians-Legende im Bischöf- 
lichen Hause zu Mainz, aus der Philelphus-Zeichnung der Sammlung Wilczek und 
den beiden mittelrheinischen (von Weizsäcker im Katalog des Städelschen Instituts, 
S. 222, mit dem Mainzer Marienleben zusammengelegten) Porträts im Städel. So glück- 
lich mir einzelne Beobachtungen von Rieffel hierbei zu sein scheinen, so wenig kann 
ich seiner ganzen Kombination zustimmen. Schon ein äußerer Umstand spricht 
dagegen. Die Mainzer Formschnitte sind h bezeichnet, das Philelphusblatt aber 
MH, d. h. M. M. — es ist das berüchtigte Memling-M, das seinerzeit dem niederlän- 
dischen Meister zu dem Namen Hemling verholfen hat, von dem aber kein ein- 
ziges Beispiel bekannt ist, in dem es die Rolle eines H übernommen hätte. Auch 
wenn Rieffels Widerspruch gegen meine Hypothese zu Recht bestiinde, so wird 
doch meines Erachtens Martin Hess niemals mit dem Meister M. M. identifiziert 
werden können. 


506 


Immerhin wissen wir jetzt etwas mehr über Martin Hess. Wir wissen, daß er 
wahrscheinlich in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts geboren und daß er im 
Frühjahr 1518 gestorben ist. Wir kennen seinen Vater und wir kennen mit fast 
völliger Sicherheit ein Werk seines Vaters. Ich glaube, daß man jetzt schon eher 
etwas über sein Verhältnis zu Dürer und über seine Kunst mutmaßen darf. Vor 
allem wieder die Frage: wo hat Dürer Martin Hess kennen gelernt, in Frankfurt 
oder in Nürnberg? Wäre es (wie Rieffel wohl annehmen müßte) im Anfang der 
goer Jahre in Frankfurt oder in Mainz gewesen, so hätte kaum die Kunst des etwa 
Zwanzigjährigen auf den schon der Apokalypse Entgegenreifenden solchen Eindruck 
gemacht, daß er sich noch nach ungefähr siebzehn Jahren auf das Urteil des Jugend- 
freundes berufen hätte, und die Wärme des Tones („vnd griest mir euern Maller 
Marthin Hessen“) wäre verwunderlich. Viel eher stimmt der Ton und der Wort- 
laut in den Briefen Dürers zu der Annahme, daß Martin Hess bei Dürer in Nürn- 
berg gewesen ist. Damit ist noch kein direktes Schülerverhältnis behauptet — 
Martin Hess dürfte ja wenig jünger als Dürer gewesen sein und er könnte sehr 
gut in Dürers Werkstatt oder in Dürers Umgebung gearbeitet haben, geradeso wie 
man dies von Grünewald für möglich gehalten hat. Daß aber der Frankfurter 
Dürer-Schüler in Nürnberg war, beweist mir seine Kreuzfindung, die aus der Um- 
gebung von Nürnberg (nach einer sehr plausiblen Vermutung von Dr. F. T. Schulz 
aus St. Helena bei Nürnberg) stammt. 

Noch ein anderes scheint mir entschieden gegen Rieffels Identifizierung und für 
die meinige zu sprechen. Da uns die Kunst Hans Hesses in dem Nothelferbild er- 
halten ist, so muß notwendig der Stil seines Sohnes Martin Hess vorgeschrittener 
sein als der Stil dieses Werkes und er muß Beziehungen zu diesem Werke zeigen. 
Alle die Arbeiten, die Rieffel aufführt, stehen auf der gleichen .Stilstufe, ja sind 
eigentlich noch etwas altertümlicher als die Tafel des städtischen Museums. Die 
Werke des Dürerschülers nun, namentlich die Darstellung im Tempel, die eine be- 
queme Vergleichsmöglichkeit bietet, stehen aber mit der Tafel des Hans Hesse ganz 
unverkennbar in den engsten Beziehungen, wie überhaupt nur Werke verschiedener 
Generationen untereinander verwandt sein können, und zwar sowohl hinsichtlich 
der Formgebung, Typenbildung, Ornamentik als vor allem auch in der farbigen Hal- 
tung. Natürlich haben sich bei dem jüngeren Maler die Eindrücke-der Dürerschen 
Kunst und vielleicht auch gewisse niederländische Elemente davor gestellt, die aber 
den ursprünglichen mittelrheinischen, man darf hier doch wohl sagen Frankfurter 
Charakter seiner Kunst nicht verwischen können, Selbst wenn man vor einer 
weitergehenden Hypothese noch zurückscheuen wollte, wird man so viel auf jeden 
Fall als sicher annehmen dürfen, daß der Frankfurter Dürerschüler aus der Werk- 
statt des Meisters des Frankfurter Nothelferbildes hervorgegangen ist. Da dieser 
Meister aber sich jetzt als Hans Hesse erwiesen hat, so dürfen wir in dem Schüler 
und Fortbildner seiner Kunst ohne Bedenken den Maler sehen, den uns die Urkunden 
jetzt als seinen Sohn erwiesen haben — Martin Heß. 


507 


STUDIEN ZUR GESCHICHTE DES CHOR- 
UMGANGES Von ERNST GALL 


Mit fünf Textabbildungen 00000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000ec0000000000068 


III. 
ENTWICKLUNGSFRA GEN 


` Tbersieht man den Kreis der Denkmäler, den wir besprochen haben, so ergibt 
sich, daß die Zahl der frühen Beispiele geringer ist, als bisher angenommen 
wurde. Kann diese Verminderung nicht auf den ersten Blick als vorteilhaft für die 
weitere Untersuchung angesehen werden, so wird man doch bald die größere Enge 
als größere Deutlichkeit empfinden müssen. Die Bauten, die früher genannt wurden, 
waren auf den Umkreis von ganz Frankreich verteilt, sie gehörten zudem dem weit- 
ausgedehnten Zeitraum vom Beginn des то. bis zur Mitte des rr. Jahrhunderts an, 
mit der Besonderheit, daß ein Monument alle anderen an Alter erheblich zu tiber- 
ragen und eine geradezu isolierte Stellung einzunehmen schien. Nachdem wir jetzt 
Kirche für Kirche so genau untersucht haben, wie es bei dem großen Mangel an 
sicheren Nachrichten noch möglich ist, hat dieses Bild sich erheblich verschoben 
und zwar in einer Weise, die mir weitere Schlüsse zu gestatten scheint. 

Zunächst kann ich bei der Entwicklung der Chorumgänge an einen alles beherr- 
schenden Einfluß von St. Martin in Tours nicht glauben. Die nächstältesten sicher 
nachweisbaren Beispiele sind St. Aignan in Orléans und die Kathedrale von Chartres. 
Von dem ersten Bau wissen wir genau, daß sein Vorbild in Clermont-Ferrand 
stand und bei dem zweiten ist eine von der Anlage in Tours so wesentlich ver- 
schiedene Bildung des Chorhauptes zur Ausführung gekommen, daß hier niemand 
auf eine besondere Verwandtschaft mit der Martinskirche in Tours schließen wird. 
Wenn uns in der Zukunft nicht noch Ausgrabungen in einer Anzahl von Bauten 
weiterhelfen, so ist es unmöglich eine wirklich überzeugende Entwicklungsreihe 
aller Chorumgänge aufzustellen. Ich betone diese Lücke in unserem Wissen mit 
Absicht, denn nur indem man auf sie hinweist, kann die Hoffnung aufrecht erhalten 
werden, daß es doch in der Zukunft gelingen könnte sie auszufüllen, während die 
so leicht zu findenden Hypothesen nur verunklären und schaden können. Dagegen 
müssen aber andere und nicht minder wichtige Erkenntnisse als sichere Ergebnisse 
aufgestellt werden. 

Alle diejenigen Bauten, die nachweisbar in früher Zeit einen Chorumgang be- 
sessen haben, liegen ausschließlich in den Gebieten an der unteren Loire, und im 
Bergland der Auvergne, wo sie nicht früher als im Anfang des 11. Jahrhunderts 
zu finden sind. Dabei muß ein Umstand als besonders bedeutungsvoll hervorge- 
hoben werden: Das nordöstliche Frankreich scheint in seiner Gesamtheit während 
der ganzen ersten Hälfte des rr. Jahrhunderts und noch einige Dezennien darüber 
hinaus den Chorumgang nicht gekannt zu haben, denn es muß als wenig wahr- 
scheinlich bezeichnet werden, daß sich im Umkreis dieses weiten Landes kein 
Beispiel dafür erhalten haben sollte, wäre jene Disposition der Choranlage den 
Architekten hier wirklich bekannt gewesen. Nichts könnte für dies Verhältnis be- 
zeichnender sein, als die Gegenüberstellung der nur bescheidenen Anlage, die dem 
heiligen Anianus in Orleans geweiht wurde, und dem großen, ganz Frankreich 
interessierenden Bau, der in Reims die Reliquien des heiligen Remigius barg. 
Dabei waren, was man besonders beachten wolle, die Bedürfnisse des Kultus hier 
wie dort im wesentlichen die gleichen, indem für die Nebenaltäre eine größere 


508 


Anzahl von Kapellen erforderlich war. Diese wurden in Reims dem Querhaus an- 
gereiht in der Form, daß man die längst bekannte Anordnung der Nebenchöre 
durch Hinzufügung weiterer Kapellen fortsetzte. Es sind gerade diese Ostteile 
der Kirche zuletzt ausgeführt und erst in den vierziger Jahren des 11. Jahrhunderts 
entstanden. An der Loire hatte man indes schon mindestens zwei Jahrzehnte vor- 
her für dieselbe Aufgabe eine architektonisch ungleich befriedigendere und entwick- 
lungsfähigere Lösung gefunden. Dieser Vorsprung des westlichen und mittleren 
Frankreichs kann nicht als ein entstelltes, durch den zufällig erhaltenen Denkmäler- 
bestand hervorgerufenes Ergebnis angesehen werden, da betont werden muß, daß es 
sich in vollkommener Übereinstimmung befindet mit dem, was die frühmittelalterliche 
Baugeschichte dieser Gegend im allgemeinen lehrt. In der eigentlichen Mitte 
dieser nördlichen Landschaften, da, wo später die Gotik sich so machtvoll erhob, 
hat es zunächst an aller vorwärtstreibenden Initiative gefehlt, als hätte man sich 
absichtlich ausruhen wollen für eine große Zukunft. Was unter Beihilfe König 
Roberts und seiner Nachfolger im 11. Jahrhundert an der Kirche der einflußreichen 
Abtei St. Germain-des-Prés in Paris gebaut wurde, sieht unendlich kümmerlich aus. 
Baukünstlerisch betrachtet war man hier, abgesehen von einigen Einflüssen, die 
vom Rheine kamen, vollständig abhängig von den großen Ideen, die an der Küste 
gedacht wurden!). Dort in der Normandie war aber von vornherein ein Baupro- 
gramm aufgestellt worden, bei dem in erster Linie nicht eine Fortentwicklung des 
Grundrisses, sondern eine durchaus eigenartige Weiterbildung des Aufrisses er- 
strebt war. Dies wurde mit zäher Hartnäckigkeit in seinen engen Grenzen so lange 
festgehalten, bis die Aufgabe im wesentlichen als gelöst angesehen werden konnte. 
Mag das bewußt oder unbewußt vor sich gegangen sein, es ist jedenfalls Tatsache, 
daß man sich Jahrzehnte hindurch an einem bestimmten Plane genügen ließ und 
dafür alle Kraft den Problemen der Wandgliederung zuwandte, während alle anderen 
Schulen von Versuch zu Versuch schwankten und deshalb erst so spät zu einem 
wirklich ausgeprägten Charakter gelangten. Wird dies zunächst auch als eine gewisse 
Einseitigkeit der Phantasie erscheinen, so lehrt die Geschichte doch, wie auf dieser 
Grundlage sich Erfolge einstellten, die schließlich die gesamte Weiterentwicklung 
der mittelalterlichen Baukunst beherrschen sollten. Ich hoffe später einmal Gelegen- 
heit zu haben, die umfassende Bedeutung dieses Vorganges darzulegen, der die un- 
mittelbare Ursache gewesen ist für die Entstehung der Gotik, sofern man nämlich 
ihre ästhetischen und damit, wie ich meine, wichtigsten Voraussetzungen erörtern 
will. Hier muß es mir genügen, darauf aufmerksam gemacht zu haben, wie Fragen 
der Grundrißentwicklung erst spät im Norden aufkommen konnten, im Grunde ge- 
nommen nur zu einer Zeit, als die übrigen Schulen so weit erstarkt waren, daß 
sich ihr Einfluß geltend zu machen begann: ein Vorgang, der nicht vor den letzten 
Jahren des 11. Jahrhunderts eintrat. 

Diese ganze Sachlage ist nun von größtem Werte, wenn es sich darum handelt, 
die Zeit der Entstehung unseres Motivs zu untersuchen. Man wird sich 
nicht damit begnügen wollen, daß die ältesten Beispiele dem Anfang des 11. Jahr- 
hunderts angehören, sondern fragen, ob es nicht wahrscheinlich sei, daß andere 
vorausgegangen sind, von denen nur kein Zeugnis auf uns gekommen ist. Dieser 
Standpunkt ist um so berechtigter, als schon seit langem versucht worden ist, den 


(1) Die hier vertretene Anschauung von dem beherrschenden Einfluß der normännischen Schule in 
Nordfrankreich ist heute durchaus allgemein anerkannt; man vergleiche E. Lefevre-Pontalis, Les in- 
fluences normandes au XIe et au XIIe siecle dans le Nord de la France, Bulletin Monumental 1906, 
P. 3. Cf. Enlart, De quelques influences germaniques, Mél. P. Fabre 1902. 


509 


Ursprung einer Anzahl von architektonischen Formen, die als typisch „romanische“ 
angesehen wurden, bis auf die Karolingerzeit zurück zu verfolgen. 

Über die Baukunst dieser frühen Periode sind unsere sicheren Kenntnisse nur 
äußerst beschränkte, der guterhaltenen Denkmäler sind so wenig auf uns gekommen, 
daß wir uns mit Unterstützung durch die Schriftquellen nur gerade ein sehr allge- 
meines Bild der Entwicklung machen können. War es möglich für die Kleinkunst 
und vornehmlich die Buchmalerei besondere, lokal abgegrenzte Schulen nachzuweisen, 
so darf auf unserem Gebiete an eine derartige Scheidung nicht gedacht werden, 
indem die Bedingungen der raschen Weiterbildung hier weit weniger günstig lagen. 
Es ist sicher, daß die Architekten der Karolingerzeit sehr wenig aus bodenständigen 
germanischen oder gallischen Traditionen lokaler Natur schöpften, sondern einem 
Bauideal folgten, das zunächst nur ein allgemeines sein konnte, da seine Voraus- 
setzungen im wesentlichen fremde waren. Die wahre Bedeutung der baukünst- 
lerischen Bestrebungen der Zeit ist in der gleichmäßigen Verbreitung bestimmter 
Kenntnisse und Formen zu erblicken, die sich erst durchsetzen mußten, um ihrer- 
seits jene Grundlage abgeben zu können, deren Einheitlichkeit gerade in der später 
daraus entstandenen Vielheit der Bildungen noch so sehr fühlbar wird. Die Be- 
wegung, die sich damals vollzog, war eine doppelte, indem sie in der einen Rich- 
tung Elemente antiker, orientalischer und barbarischer Herkunft zu einer neuen Syn- 
these zu verbinden suchte und in der anderen diese wiederum wie von einem großen 
Sammelbecken ausströmen ließ, um einen im wesentlichen nur oberflächlich kulti- 
vierten Boden bis zum Grund hin mit neuem Nährstoff zu durchtränken. Daß da- 
bei die Länder westlich des Rheinstroms aufnahmefähiger waren, ist natürlich, 
denn sie hatten ja nur brach gelegen, während es im Osten wirkliche Neuarbeit 
galt. Wenn wir unser Augenmerk auf Frankreich richten, so ist für unsere Frage 
die zweite Bewegungstendenz die allein interessante, da nur sie die verschiedenen 
Provinzen des Landes verbindet, während die erste ihre Quelle im wesentlichen 
außerhalb liegen hat. Wir kennen nun zwar nicht die Zentren dieser Bewegung, 
weder ihre Zahl, noch die Größe des Einflusses, der von ihnen ausging, aber es 
ist einleuchtend, daß bei ihrer Natur lokale Sondergruppen erst verhältnismäßig 
spät zu einer Blüte gelangen konnten und als allgemeiner Charakter sich zunächst 
eine große Einheitlichkeit der Formen ergeben mußte, zumal die Träger dieser 
ganzen Kultur aus einem auserwählten und internationalen Kreise bestanden. So 
hat denn auch noch niemand daran gezweifelt, daß der Plan des Klosters von 
St. Gallen nicht an den Gestaden des Bodensees erdacht ist und sich in allem 
wesentlichen keineswegs unferschied von dem, was Angilbert hoch im Norden des 
Reiches in St. Riquier erbaute. Ebenso haben die Diskussionen über das Ent- 
stehungsgebiet der kreuzförmigen Basilika, die seinerzeit mit einiger Heftigkeit ge- 
führt wurden, zum mindesten gezeigt, daß eine Form, die in einem bestimmten 
Gebiet entwickelt wurde, vermöge jenes Bewegungsstromes sofort vom Zentrum 
zur Peripherie getragen wurde. 

Diesem universalen Charakter der karolingischen Kunst entspricht nun keines- 
wegs das, was wir über das frühe Vorkommen des Chorumganges wissen. Wir 
fanden ihn noch am Anfang des 11. Jahrhunderts auf ganz bestimmte Gegenden 
lokalisiert und vollständig unbekannt im Nordosten Frankreichs, also gerade jenen 
Gebieten, die man von altersher für den allerwichtigsten Herd der ganzen karo- 
lingischen Kultur angesehen hat, und von denen man mit Recht glauben darf, daß 
sie eine solche Erfindung nicht ungenutzt gelassen hätten. Man wird also schon 
aus diesen allgemeinen Erwägungen heraus nicht an einen karolingischen Ursprung 


510 


der Chorumgänge glauben können, sondern annehmen müssen, daß die ersten Bei- 
spiele, die wirklich entstanden, kaum lange Zeit denen vorausgingen, die wir noch 
heute nachzuweisen vermögen. 

Da die Möglichkeit eines karolingischen Ursprungs bisher allgemein zugegeben 
worden ist, so erscheint mir dieses Resultat interessant genug, um seine Richtigkeit 
durch ein Argument besonderer Art zu erweisen. Das Bild, das wir uns von der 
karolingischen Baukunst zu machen vermögen, hat eine ganz beträchtliche Erwei- 
terung erfahren durch die Nachforschungen, die in den letzten Jahren in der Kirche 
von St. Philibert - de - Grandlieu gemacht worden sind. Die sehr abgelegene Lage 
dieses Baues ist schuld daran gewesen, daß er den älteren Archäologen so gut wie 
unbekannt geblieben ist und er zu den neueren „Entdeckungen“ unserer Wissen- 
schaft gehört. Kürzlich hat Robert de Lasteyrie vor dem Institut de France eine 
höchst lehrreiche Untersuchung darüber geboten, indem er damit die Reihe der 
Diskussionen schloß, die sich über das Alter dieser Kirche zwischen Maitre, Bru- 
tails und de la Croix entsponnen hatten. Über diesen Datierungsfragen ist jedoch 
das allgemeine Interesse, das diesem Bau im höchsten Maße zukommt, stark in 
den Hintergrund gedrängt worden. Wir wollen daher auf dieses vornehmlich ein- 
gehen und jene beiseite lassen, zumal sich eine wirkliche Schwierigkeit nur für das 
eigentliche Schiff ergibt, und die Anlage des Chores, die uns hier allein angeht, in 
ihrer Zeitstellung durch den Baubefund und die damit genau übereinstimmenden, 
ausführlichen Quellennachrichten gesichert erscheint!). 

Man findet hier (Abbildungen 1— 3) drei Pläne von St. Philibert, die die Um- 
gestaltungen zur Darstellung bringt, die diese Kirche in ihren Ostteilen im Laufe 
einer sehr kurzen Spanne Zeit erfahren hat. Der erste nachweisbare Bau erfolgte 
zwischen den Jahren 814 und 819 mit Unterstützung Ludwigs des Frommen durch 
die Mönche von Noirmoutier?), es haben sich von ihm im wesentlichen die Vierung 
und einige Teile des Querhauses erhalten, hypothetisch ist allein die genauere Form 
des Chores, doch kommt nichts darauf an, da zweifelsohne feststeht, daß die An- 
lage kreuzförmig war, worauf sowohl die Struktur .der östlichen Vierungspfeiler wie 
Quellennachrichten hinweisen?). Durch die immer gefahrdrohenderen Einfälle der 
Normannen sah sich Abt Hilbold im Jahre 836 gezwungen, Noirmoutier aufzugeben 
und den Körper des heiligen Philibert dauernd in St. Philibert - de- Grandlieu, dem 
damaligen Deas, zu bergen‘). Dazu eignete sich aber, wie Ermentarius aus- 
driicklich berichtet, die vorhandene Kirche nicht und man war gezwungen, eine 
Reihe von Bauveränderungen im Chore vorzunehmen. Diese sind nun für unsere 
Frage von höchstem Interesse. Die Ausgrabungen, die eine höchst geistvolle Inter- 
pretation durch R. de Lasteyrie erfahren haben, zeigen die Ausführung eines be- 
scheidenen Projektes, das aber schon sehr bald darauf einem weit umfangreicheren 
Platz machen mußte. Zunächst wurde der Chorraum erweitert und eine Krypta 
unter ihm angelegt, deren Niveau aber nur unwesentlich tiefer lag, als das der 
Vierung, so daß der darüberliegende Altarraum eine beträchtliche Erhöhung erfuhr. 


(х) Cf. Robert de Lasteyrie, L’église St. Philibert-de-Grandlieu, Extrait des Mémoires de l’Académie 
des Inscriptions et Belles-Lettres, t. XXXVIII, 2. 1909. Dort auch die Angaben über die ältere Literatur. 
Die Quellen sind vorzüglich vereinigt von R. Poupardin, Monuments des abbayes de St. Philibert. 

(2) Poupardin, op. cit., p. 107. 

(3) Cf. ebendort, p. 34. Besonders zu beachten ist der passus „quidquid altitudinis est crucis funditus 
everso....“. In dem Auszug bei Schlosser, Schriftquellen zur karolingischen Kunst, р. 215, ist in der 
dritten Zeile „поп“ anstatt „nova“ zu lesen. 


(4) Poupardin, op. cit., p. 24. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912. Heft 12. 38 SII 


Abb. 1. St. Philibert - de - Grandlieu, Plan des 
ersten Zustandes, 814—819. Nachde Lasteyrie. 


Abb. 2. St. Philibert - de - Grandlieu, Plan des 
zweiten Zustandes, nach 836. Nach de Lasteyrie. 


10 


+ 
u 
H 
i 


Abb. 3. St. Philibert- де - Grandlieu, Plan des dritten Zustandes, rechts und oberhalb der punktierten Linie 
im Hochchore, sonst in Höhe der Vierung und Krypta, letztere liegt nur etwa 0,70 m tiefer als die 
Vierung. Vor 858. Mit Benutzung von de Lasteyrie. 


512 


| zL 


Die Zugänge zur Krypta lagen auf beiden Seiten des Sanktuariums in langen, 
schmalen Gängen, in der genau gleichen Anordnung, wie dies schon einige Jahre 
vorher im Plane von St. Gallen angegeben war!) (Abb. 4). 

Der so geschaffene Raum genügte dem wachsenden Zustrom der Pilger indes nur 
kurze Zeit und es entstand nach Ablauf weniger Jahre bereits die ausgedehnte An- 
lage, wie sie, abgesehen von zahlreichen Verunstaltungen, noch heute zu erkennen 
ist. Diese letzte Veränderung des Chores muß schon einige Zeit vor 858 vollendet 
gewesen sein, denn in diesem Jahre verließen die Mönche, vor den Normannen 
fliehend, abermals ihr Kloster, um sich nach einigen Zwischenstationen endgültig 
in Tournus niederzulassen?). Sie bestand vornehmlich in einer sehr bedeutenden 
Erweiterung der Kryptazugänge, während der vorhandene Chor erhalten blieb. Zu 
beiden Seiten des Altarraums wurden zwei Kapellen angelegt, die im Osten die be- 
stehende Ausdehnung des Sanktuariums erheblich überschritten und hier durch einen 
Verbindungsbau, der abermals mehrere Kapellen in sich schloß, miteinander in Ver- 
bindung gesetzt waren. Damit war die Möglichkeit geboten, nach einigen Verän- 
derungen in der Krypta dieser vom Osten her einen breiteren Eingang zu schaffen, 
als man es bisher vermocht hatte. Man wird sofort erkennen, daß auf diese Weise 
bereits im Prinzipe ein wesentlicher Teil der Forderungen 
erfüllt war, die auch für die Entwicklung des Chorumgangs 
die maßgebenden wurden. Es läge die Versuchung vor, sogar 
schon hier von einem solchen zu sprechen, wenn nicht die 
architektonische Ausgestaltung die denkbar rudimentärsten 
Formen zeigte. Es handelte sich eben zunächst um nichts 
weiter als eine bloße Zusammenstellung von einzelnen Ka- 
pellen, die wohl nach Maßgabe eines bestimmten Zweckes, 
aber nicht vermöge eines organischen Gefüges in Verbindung 
standen. Wenn es auch nicht an dem sachlichen Bedürfnis 
fehlte, so war doch der formvolle Ausdruck noch nicht dafür 
gefunden und es mußte sicherlich nochgeine geraume Zeit 5 St Gallen, Flan des 

Н . í 8 ores u. des Querhauses. 
vergehen, bis dieser sich durchzuringen vermochte. Denn Man beachte die Anlage der 
auch rein äußerlich betrachtet war noch ein bedeutender Kryptazugänge, cf. Abb. 2. 
Schritt zu tun durch Übertragung der Anlage auf den eigent- 
lichen Oberbau und die vollständige Durchbrechung der Apsiswand. 

Auf Grund dieser Tatsache kann es als erwiesen angesehen werden, daß der 
Chorumgang in karolingischer Zeit noch vollständig unbekannt war, denn sonst hätte 
sich diese Anordnung in St. Philibert geradezu von selbst angeboten. Es begannen 
sich damals erst die Postulate sachlicher Natur zu regen, die zu ihm führen sollten, 
deren volle Befriedigung aber lange künstlerische Arbeit erforderte. Nur weil man 
diese unterschätzte, hat iiberhaupt angenommen werden können, der Chorumgang 
sei bereits in dieser frühen Zeit angewandt worden, in der sich noch nicht einmal 
die Form der kreuzförmigen Basilika überall durchgesetzt hatte. 

Dies ist aber nur eine Seite des Problems, und es bleibt vor allem noch übrig, 
die Art der Anregung näher zu bestimmen, die in der Karolingerzeit emporkeimend 
über Jahrhunderte hinaus das baukünstlerische Denken des Mittelalters beeinflussen 
sollte. Welches waren die wesentlichen Gründe, die zur Entstehung der Chorum- 
gänge führten? Die älteren Meinungen hierüber, bei denen an ein Zusammenwachsen 


(х) In der Umzeichnung bei Dehio-Bezold, Kirchliche Baukunst, Taf. 42, a, ist am Plane von St. Gallen 
diese Anlage der Kryptazugänge nicht genügend hervorgehoben. 
(3) Poupardin, op. cit., р. 62, 109—114. 


513 


eines Zentralbaues mit einer basilikalen Anlage gedacht war, kann ich hier beiseite 
lassen, denn sie haben durch von Bezold ihre Erledigung gefunden’). Die An- 
sichten neuerer Forscher sind insofern übereinstimmend, als jetzt allgemein als 
Ausgangspunkt die Wallfahrtskirche angenommen wird, indem der Umgang die 
Masse der Pilgerscharen am Grabe eines Heiligen vorüberführen sollte. Es hat in- 
folgedessen auch nahe gelegen, den Ursprung unseres Motivs in den Krypten zu 
suchen, denn hier befanden sich zunächst in der Regel die Mehrzahl der Gräber ). 
Wenn damit auch zweifelsohne etwas Richtiges gesagt ist, so wird es doch nötig 
sein, einmal das Gebiet der Hypothesen zu verlassen und sich so eng als möglich 


Abb. 5. Werden, Die Ludgeruskrypta, um 830. Mit 
Benutzung von Effmann. 


an eine chronologisch geordnete Reihe von Denkmilern zu halten, um zu sehen, 
wie weit hiermit zu kommen ist. 

Wir greifen wieder auf St. Philibert-de-Grandlieu zurück. Bei den letzten Bau- 
veränderungen dieser Kirche handelte es sich um zweierlei: einmal sollte ein be- 
quemer Zugang zur Krypta geschaffen werden, der es gestattete, die Pilgerscharen 
von einem Flügel des Querhauses aus in gleichmäßigem Zuge an dem Grabe vor- 
überzuleiten, und andrerseits sollte eine größere Zahl von Altären in unmittelbarer 
Nachbarschaft des Heiligen aufgestellt werden, für die Kapellen nötig wurden. 


(1) von Bezold, Zentralblatt der Bauverwaltung 1886, р. 141f. 


(2) Cf. von Bezold, op. cit., р. 154f. Dehio wollte demgegenüber die Entstehung aus der Krypta nicht 
zugeben; cf. Kirchliche Baukunst, p. 269, Anm. 2. 


514 


Zunächst kann gar nicht zweifelhaft sein, welche von diesen beiden Forderungen 
hier die jüngere ist. Denn die ältere Form der Krypta zeigte einen Typus, der 
neben dem zentralen Mittelraum sich lediglich auf den stollenartigen Zugang be- 
schränkte und als solcher eine gewisse Weiterentwicklung jener Kryptengattung 
darstellte, die man als , ringförmige“ bezeichnet hat, indem hier, um eine größere 
Breite zu gewinnen, der Gang nicht innerhalb der Chormauern, sondern neben ihnen 
und zwar in winkliger Form angelegt wurde. Abgesehen von unserem besonderen 
Falle ist es interessant zu beobachten, wie auch die ältesten Beispiele dieser Kryp- 
ten niemals weitere Anbauten zeigen und Bestrebungen, in unmittelbarer Nähe des 
Grabes Nebenräume zu gewinnen, erst später auftauchen und zwar gerade in der- 
selben Zeit wie in St. Philibert-de-Grandlieu!) (Abb. 5). Wenn aber die Kapellen 
die Neuerung ausmachten, so ist auch die Frage erlaubt, ob nicht auch sie den wesent- 
lichsten und am meisten bestimmenden Faktor für die neue Anlage darstellten. 
Unser Plan von St. Philibert gibt auch darauf eine sehr klare Antwort. Hätte es 
sich vornehmlich um eine Erweiterung des Zuganges gehandelt, so wäre es unend- 
lich viel einfacher gewesen, die Seitengänge zu vergrößern, wobei man sich nicht 
gezwungen gesehen hätte, einen umfassenden Neubau vorzunehmen. Das Charak- 
teristische dieser letzten Veränderung des Chorgrundrisses besteht aber gerade in 
der nur akzessorischen Rolle des Umganges, der nur als eine Abzweigung, eine 
Verbindung zwischen den Kapellenbauten erscheint, die offenbar den beherrschenden 
Platz einnehmen. 

War also auch wohl die erste Anregung vom Grabe des Heiligen ausgegangen, 
so war dies doch im Laufe der weiteren Entwicklung zurückgetreten, um einer 
Anordnung Platz zu machen, die den Umgang in erster Linie als Zugang zu einer 
Reihe von Kapellen angesehen wissen wollte. Es wäre indes verkehrt, hier allein 
auf St. Philibert-de-Grandlieu einzugehen, zumal dieser Bau kein ausgebildetes Bei- 
spiel darstellt, sondern höchstens als Vorstufe gelten kann. Die frühen Chorum- 
gänge, die oben eine nähere Bestimmung erfahren haben, sind leider nicht alle für 
unsere Untersuchung zugänglich, da sich nur wenige von ihnen vollständig erhalten 
haben. Doch zeigen auch diese wenigen schon genug und vornehmlich aufschluß- 
reich sind zwei Bauten: Notre-Dame-de-la-Couture in Le Mans und die Krypta der 
Kathedrale von Chartres. | 

In Le Mans ist alles auf uns gekommen, was für die Frage von Wert sein könnte: 
der eigentliche Umgang, der Unterbau des Chores wie die Krypta (cf. Abb. 6, Teil II). 
Der Umgang und seine Kapellen haben gleiche Niveauhöhe mit dem Schiff, während 
der Fußboden der Krypta, die nur den Raum unter dem eigentlichen Chor einnimmt, 
sich 1,50 m tiefer befindet. Aus dieser Lage geht hervor, daß der Umgang nicht den 
Zweck gehabt haben kann, die Pilger zu dem in der Krypta befindlichen Grab des 
Heiligen zu führen, denn wer von ihm aus in die Krypta hineinsehen wolite, müßte 
sich dazu auf die Erde legen, da ihre kleinen Fensteröffnungen sich nur sehr wenig 
über die Höhe des Fußbodens erheben und lediglich dem sonst dunklen Raum 
Licht zuführen sollen. Die Anlage des Grabes zeigt dasselbe: es befindet sich 
nämlich noch 1,32 m unter der Fußbodenhöhe der Krypta, so daß man eine Reihe 
von Stufen zu ihm hinabsteigen muß, die der bekannten alten Anordnung ent- 
sprechend halbkreisförmig den Altar umgeben, unter dem der heilige Bertrand 


(1) Für den einfachen ringförmigen Kryptatypus vergleiche man: Ravenna, S. Apollinare in Classe; 
Rom, S. Prassede und Quattro-Coronati; Chur, St. Lucius; Regensburg, Ostkrypta von St. Emmeran; 
winklig in St. Gallen; mit Erweiterung durch Nischen und Kapellen: Werden, Ludgeruskrypta, ein Bau, 
den Effmann mit Recht um 830 ansetzt. Cf. Effmann, Werden I., р. 42. 


515 


ruht!). Die Eingänge zur Krypta liegen heute in dem ersten Joche des Umganges, 
doch entspricht dies nicht der ursprünglichen Anlage, bei der der Zugang von der 
Vierung aus geschah, ähnlich etwa wie in St. Savin. Der Umgang hat also keine 
Beziehung zur Krypta gehabt. Ebensowenig auch zu dem eigentlichen Chore. 
Dieser liegt nämlich infolge der Kryptadisposition 1,65 m höher als der Umgang, 
so daß die Gläubigen sich beträchtlich hätten recken müssen, um die Vorgänge im 
Chore bequem verfolgen zu können. Ganz abgesehen davon, würde auch die An- 
ordnung der Stützen die denkbar unzweckmäßigste gewesen sein, hätte man etwas 
zeigen wollen, das sich in der Apsis befand, da sie gerade an diesem Punkte be- 
sonders eng zusammenstehen und den Blick eher verwehren als anziehen. Man 
kann infolgedessen mit absoluter Sicherheit sagen, daß der Chorumgang hier nie- 
mals in anderer Absicht erbaut ist, als zu den Kapellen hinzuführen und den Weg 
für eine feierliche Prozession zu bieten. 

Das Gleiche kann von der Krypta der Kathedrale von Chartres gezeigt werden, 
indem hier die Sachlage besonders klar vor Augen liegt. Ich erwähnte schon, daß 
eine alte Krypta den Platz unter der Chorapsis einnahm, die von Fulbert bei seinem 
Neubau beibehalten wurde. Man sollte nun denken, diese Gelegenheit sei benutzt 
worden, um gerade dem alten Heiligtum einen bequemen Zugang zu schaffen 
(cf. Abb. 14, Teil II). Jedenfalls entspräche das der üblichen Theorie. Aber das 
Gegenteil trat wirklich ein, indem bei dem Bau des Umganges die alten Fenster 
der Kryptaapsis vermauert wurden und diese nur durch eine enge Seitenpforte 
zugänglich blieb. Den hauptsächlichsten Gegenstand der christlichen Verehrung 
bildete in Chartres neben dem Schleier der Jungfrau ein beriihmtes Muttergottes- 
bild, die in Holz geschnitzte Statue der „Virginis pariturae“. Diese nahm jedoch 
keineswegs einen zentralen Platz in der Krypta ein, sondern befand sich in einer 
Grotte unmittelbar neben dem „Puits des Saints- Forts“, also ganz nahe der Ka- 
pelle, die ihr heute geweiht ist, in einem Seitengang der Krypta auf der Nordseite, 
wo sie außer Beziehung zum eigentlichen Umgang stand; dieser war also auch hier 
einzig und allein im Hinblick auf die in Chartres besonders großen Kapellen ange- 
legt worden. 

Für die spätere Zeit könnte ich die Reihe der Beispiele beliebig vermehren, sie 
würden jedoch nichts anderes dartun und stets von neuem zeigen, wie unbegründet 
die bisher allgemein vertretene Anschauung ist. Nur eins sei noch genannt, um 
das Bild zu vervollständigen, indem ich an eine besondere These von Bezolds an- 
knüpfen will). Dieser behauptete nämlich, die „ältesten“ Chorumgänge seien „nicht 
einfach Fortsetzungen der Seitenschiffe, sondern weit enger als diese“ um des 
praktischen Zweckes willen, „Richtung und Ordnung bei starkem Personenandrange 
aufrecht zu erhalten“. Als Erklärung fügt er dann weiter hinzu, jeder werde dies 
begreifen, „der etwa in der Capella del Santo zu Padua, im Gedränge der Wall- 
fahrer an dem Sarkophage des Heiligen vorbeigeschoben wurde. Einer um den 
anderen legt die Hand an den Sarg, bringt sein Anliegen vor und wird unaufhalt- 
sam weitergedrängt“. Als erstes Beispiel dafür wird St. Savin genannt, doch liegen 
die Dinge hier wesentlich anders, als man nach diesen Äußerungen vermuten 
könnte. Das Grab des heiligen Savinus befindet sich in der Krypta und nicht in 
der Oberkirche. Erstere hat überhaupt keinen Umgang und ist zudem lediglich 


(x) Man findet die Stufen auf unserem Plane eingezeichnet. Ich will mich indes nicht dafür verbürgen, 
daß das unter dem Altar befindliche Grab das des heiligen Bertrand sei, die Mitteilung stammt vom 
Sakristan der Kirche. | 

(2) уоп Bezold, op. cit., р. 155. 


516 


von der Vierung aus durch zwei Treppen zugänglich. Der Umgang der Oberkirche 
befindet sich also keineswegs in Beziehung zum Grabe und wenn er tatsächlich 
enger ist, als die Seitenschiffe, so ist dies ganz anders zu erklären, da hier eine 
Planänderung vorliegt, derzufolge die ursprünglich genau so schmal geplanten 
Seitenschiffe verbreitert wurden. Dies ergibt sich ganz unzweifelhaft daraus, daß 
in beiden Flügeln des Querhauses neben dem Chorumgang Wandpfeiler angebracht 
sind, denen selbstverständlich ursprünglich ebensolche auf der Westseite des Tran- 
septes, zur Aufnahme eines Gurtbogens, entsprechen sollten, was indes später 
wegen der Verbreiterung der Seitenschiffe unterbleiben mufite!). Liegen hier be- 
sondere Ursachen vor, so ist in den anderen Fällen, wie in St. Philibert-de-Tour- 
nus und Paray-le-Monial, der Grund für die Einengung des Chorumganges in einem 
rein baulichen Zwange zu erblicken: waren nämlich die Seitenschiffe sehr ausge- 
dehnt, so würden sich bei ihrer Herumführung um den Chor in gleicher Breite an 
der Rundung der Apsis ganz außerordentliche Schwierigkeiten für die Wölbung er- 
geben haben, denen die romanischen Architekten noch nicht gewachsen waren. 
Sie sahen sich also gezwungen, hier die Breitenausdehnung zu verringern, und 
zwar, wie man sagen kann, schweren Herzens, denn die allgemeine Entwicklungs- 
tendenz ging unzweifelhaft auf immer größere Weite aus, um aus dem engen 
Gange einen wirklichen Raum zu gestalten. 

Wenn ich also den Umgang in Beziehung zu den Kapellen setze und allen Nach- 
druck auf dies Verhältnis lege, so wird man mir erwidern, es gäbe Umgänge ohne 
Kapellen und dies sei doch ein klarer Gegenbeweis. Ganz im Gegenteill Denn 
wenn die bisher allein vertretene Theorie richtig wäre, müßte es sicherlich eine 
große und sogar bei weitem überwiegende Anzahl von solchen Fällen geben, wo 
die Kapellen fehlen, da sie ja nur eine Zutat darstellen würden. Dies ist aber 
keineswegs zutreffend: Ein so ausgezeichneter Kenner wie Enlart kann in ganz 
Frankreich für die romanische Periode glücklich vier Beispiele von Chorumgängen 
ohne Kapellen nennen’). Von diesen wieder wird man lediglich einem Bau eine 
größere Bedeutung zuerkennen, St. Saturnin, während die drei übrigen nur ganz 
kleine Anlagen darstellen, Entscheidend dabei ist, daß alle vier Kirchen erst sehr 
späten Datums sind — so gehört St. Saturnin bereits dem Ende des 12. Jahrhunderts 
an®) — und den Umgang aufgenommen haben, als dieser bereits ein architektonisches 
Prunkstück geworden war, lediglich seiner beträchtlichen ästhetischen Vorzüge 
willen (so auch später in gotischen Bauten). 

Bei dieser Sachlage ist es nun höchst interessant, wie es umgekehrt eine umfang- 
reiche Gruppe von Bauten gibt, die keinen Umgang haben, bei denen sich aber 
trotzdem eine Anzahl Kapellen in der gleichen Anordnung direkt auf den eigent- 
lichen Chor hin öffnen. Geradezu schulmäßig tritt dies bei allen den Kirchen auf, 
die zur Klasse der einschiffigen, kuppelgewölbten Saalkirchen gehören. Um nur 
einige bekannte Beispiele zu nennen, erinnere ich an die Kathedralen von Cahors 
und Angouléme, an Souillac und Solignac, während ich im übrigen wieder auf die 
treffliche Zusammenstellung bei Enlart verweise), der im ganzen mehr als vierzig 
Anlagen dieser Art aufzählt und auch bereits erörtert, wie bei ihrer Bildung ein 
doppelter Einfluß mitgewirkt hat, indem einmal die Anregung dazu aus der Antike 
und von Byzanz hergekommen ist, die besondere Form der weitausgebildeten 
(x) Cf. Bulletin Monumental 1911, р. 19. | 
(a) Enlart, Manuel І, р. 228: St. Saturnin, Champagne, Veauce, Bois-Ste.-Marie. 

(3) Cf. du Ranquet im Bulletin Monumental 1910, p. 242. 
(4) Manuel, p. 228—230. 


517 


Kapellen (im Orient nur Chornischen) aber fraglos mit der autochthonen Entwick- 
lung, die sich zunächst in der Verbindung mit dem Umgang kundtat, im nächsten 
Zusammenhang steht!). Enlart nennt hier zwei Beispiele nicht, die aber gerade für 
unsere Frage von außergewöhnlicher Wichtigkeit sind: es sind das die Kirchen von 
Chamalières - sur - Loire (Loire) und St. Paulien (Hte.-Loire) im Velay*). Äußerlich 
stehen sie mit der obengenannten Gruppe im engsten Zusammenhang, zeigen aber 
den besonderen Fall, daß sie ursprünglich einen Umgang hatten, dessen vom Chore 
trennende Pfeiler dann nachträglich, um Platz zu gewinnen, entfernt wurden. Das 
ist sehr eigenartig, zeigt aber in prägnantester Form worauf es beim „Chorumgang“ 
in erster Linie ankam. 

Die weitere Entwicklung, die unsere Grundrißdisposition in den gotischen Kathe- 
dralen gefunden hat, hätte vornehmlich die Verteidiger der älteren Anschauung 
stutzig machen müssen, denn hier wird systematisch der ganze Chor durch eine 
hohe Wand vom Umgange abgeschlossen, wie man es heute noch, wenigstens zum 
Teil erhalten, in Paris, Amiens und Chartres findet, um nur jedermann bekannte 
Beispiele herauszugreifen. 

Mit diesen Argumenten glaube ich zu dem Schlusse berechtigt zu sein, daß die 
Chorumgänge im wesentlichen entstanden sind, um einen architektonisch wirksamen 
Zugang zu einer Reihe von Kapellen zu schaffen, die in möglichster Nähe des 
Hauptaltares ihren Platz finden sollten. Anregungen dazu boten Bestrebungen der 
Karolingerzeit, die von dem Typus der alten ringförmigen Krypten ihren Ausgang 
nahmen, dessen ursprünglichen Charakter aber durch Hinzufügung der Kapellen bis 
zum fast gänzlichen Verschwinden modifizierten. Die definitive Form scheint nicht 
vor dem Ende des то. Jahrhunderts gefunden zu sein und war in den Landschaften 
des mittleren und westlichen Frankreichs. 

Dies Ergebnis ist nun von größtem Interesse, sofern man es in die Entwicklungs- 
geschichte der Chorgrundrisse überhaupt einordnet und unter einem allgemeineren 
Gesichtswinkel betrachtet. Bekanntlich wurden schon sehr früh dem eigentlichen 
Chor seitlich kleine Nebenabsiden angefügt, um der Sonderstellung einzeiner Altäre 
auch architektonisch einen Ausdruck zu schaffen®), wenn damit auch noch keines- 
wegs sofort die Sitte aufgegeben wurde, solchen Altären Plätze im Seitenschiff an- 
zuweisen‘). Es lag in der Natur des Kultus und der mehr und mehr zunehmenden 
Reliquienverehrung, daß man dazu überging, die Zahl dieser seitlichen Absiden zu 
vermehren, wodurch das Problem entstand, für diese gesteigerten Bedürfnisse einen 
formvollen Ausdruck zu finden. Nahe Stellung zum Hauptaltar, leichter Zugang, 
ausreichende Trennung gegeneinander, so lauteten etwa die Leitsätze des Pro- 
gramms, an dessen künstlerischer Erfüllung Jahrhunderte gearbeitet haben. Selbst- 
verständlich wurden mehrere Lösungen dafür gefunden; im wesentlichen errangen 


(x) Es ist der Versuch gemacht worden, den Chorumgang überhaupt aus den Chornischen der orien- 
talischen und byzantinischen Kirchen abzuleiten: J. Strsygowski, Kleinasien, ein Neuland der Kunst- 
geschichte, p. 216. Man kann sich demgegenüber nicht energisch genug wehren, da die sichere Chro- 
nologie der französischen Bauten dem vollständig widerspricht. Die Chornischenform kommt erst 
spät auf! 

(2) Cf. Congrès Archéologique du Puy 1904, p. 47 und 65. Bulletin Monumental 1906, p. 106 ff. 

(3) Als Wandnischen vorgebildet bei der Konstantinischen Petersbasilika in Rom. Ausgebildete Neben- 
absiden im Orient zweifelsohne früher als im Abendlande, z. В. Kalat-Siman, zwischen 459 und 560; 
im Abendlande erst in Santa Maria in Cosmedin nachzuweisen (772—795); cf. R. Cattaneo, L’archi- 
tecture en Italie, p. 156. 

(4) Siehe den Plan von St. Gallen. 


518 


zwei die allgemeine Anerkennung: es waren das die sogenannte Disposition der 
„Nebenchöre“ und die des „Chorumganges“. Ich betone hier den gemeinsamen 
Ausgangspunkt für beide, die oben: abgebildeten Pläne von St. Philibert-de-Grand- 
lieu zeigen ihn mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit!). Chateaumeillant auf 
der einen, St. Sernin de Toulouse auf der anderen Seite ließen sich mit gleichem 
Rechte auf diese Vorstufen zurückführen. Das ist der eine Punkt von Wichtigkeit, 
den ich hervorheben wollte. Bei dem anderen handelt es sich um den Begriff, 
den man sich von karolingischer und romanischer Architektur zu machen hat. 
Ich zeigte schon, wie in St. Philibert - de - Grandlieu wohl den materiellen Forde- 
rungen geniigt war, wie zwar Anregungen und Ideen da waren und sich doch alles 
noch im Rohzustande befand. Es ist das nicht eine einmalige, vom Zufall ab- 
hängige Erscheinung, sondern das typische Grundmerkmal für diese Periode. Um 
nur bei der Grundrißdisposition zu bleiben, so hat die karolingische Epoche dem 
alten Schema des basilikalen Planes den Westchor und das Westquerhaus hinzu- 
gefiigt. Man hat das zur Charakterisierung der romanischen Kunst benutzen 
wollen?) — das Gegenteil wäre richtiger, denn die entwickelte romanische Kunst 
empfindet diese Zutaten als völlig unorganisch und scheidet sie wieder aus, nur 
einige durchaus rückständige deutsche Landschaften blieben dabei). Auf der anderen 
Seite fällt in jene glückliche Stunde, in der es gelang, die Reihe der Kapellen in 
völlig organischer Weise dem Hauptchore anzuschließen, auch die Aufstellung des 
grundlegenden neuen Prinzipes der romanischen Architektur, das der einheitlichen 
Gliederung des Baues in allen seinen Teilen. 

Die karolingische Zeit brachte wohl neue Motive und wies den Weg zu unge- 
ahnten Möglichkeiten, ein neues alles beherrschendes architektonisches Gefühl er- 
wachte aber erst im neuen Jahrtausend. 


(1) Dehio wollte alle „Nebenchöre“ auf die Majolusbasilika in Cluny zurückführen (cf. Kirchliche Bau- 


kunst I, p. 271). Es ist das nur eine Hypothese, die aber trotzdem häufig kritiklos nachgesprochen 
wird. 


(2) Dehio, Kirchliche Baukunst I, p. 149. 


(3) Es ist nicht zu bezweifeln, daß nicht erst in der Gotik, sondern schon in der romanischen Periode 
Deutschland hinter Frankreich durchschnittlich um so Jahre zurück war. 


519 


PAUL CASTEELS 


EIN ANTWERPENER SCHLACHTENMALER DES 17. JAHR- 
. HUNDERTS Von K. ZOEGE von MANTEUFFEL 


Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel «»оооеееөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөөө 


n der Gemäldegalerie zu Schleißheim hängt unter Nr. 277 ein Bild, das einen 

Reiterkampf im Stil des fortgeschrittenen 17. Jahrhunderts darstellt (Abb. 1)!). Im 
Vordergrunde sind mehrere Reiter auf bewegten Pferden in einen Nahkampf 
verwickelt; einer ist vom Pferde gestürzt, ein anderer flieht zu Fuß. Im Mittel- 
grunde sieht man größere Reitermassen im dichten Pulverdampf kämpfen. Den 
Hintergrund bildet ein hügeliges nach rechts aufsteigendes Gelände. Während 
vorne das Rot und Gelb einzelner Kleidungsstücke neben dem Weiß und Braun 
der Pferde, der glänzenden Panzer und des Lederwerks dominiert, blitzt weiter 
zurück nur noch etwas Weiß und Gelb aus dem grauen Rauch des Pulvers auf. 
Die Landschaft ist in einem grau-griinen bis gelb-griinen Ton gehalten. Farbe und 
Licht ergänzen sich in dem Bilde. Der eine Schimmel im Vordergrunde ist z. B. 
neben grauen mit blauen und braunen Schatten modelliert, die Reflexe im Panzer 
des Schimmelreiters leuchten gelb, rot und weiß, auf einer roten Schärpe sind 
weiße Lichter und schwarze Schatten aufgetragen. Das ganze Bild ist auf einen 
ziemlich kühlen Gesamtton gestellt, aus dem nur das Rot und Gelb des Vorder- 
grundes wärmer akzentuiert hervortritt. In der Ausführung zeigt sich eine kräftige 
Art. Die Lichter und Reflexe sind fleckenhaft und pastos aufgetragen, die Schatten 
in voller Tiefe betont. Im Mittelgrunde wird der Farbenauftrag etwas weicher als 
im Vordergrunde, ohne dabei seine Sicherheit zu verlieren. Das Bild ist im Ka- 
talog unter den Werken der deutschen Maler eingeordnet und dem Alexander 
Casteel, dem Bruder eines Joseph Franz Casteel, der 1688 aus Brabant nach Berlin 
berufen wurde, zugeschrieben. Seinem ganzen malerischen Charakter nach, wird 
man das Bild aber besser der flämischen Schule der zweiten Hälfte des 17. Jahr- 
hunderts zurechnen. 

Bevor wir auf die Frage der Autorschaft eingehn, wollen wir erwähnen, daß 
sich in der Städtischen Gemälde-Sammlung zu Bamberg zwei kleine zusammen- 
gehörige Bilder ähnlichen Gegenstandes befinden (Nr. 125 und 126), die zweifellos 
dieselbe Hand verraten, welche das Schleißheimer Bild gemalt hat. Die Kompo- 
sition ist nach denselben Grundsätzen durchgeführt, Farbengebung und Malart 
weisen dieselben Eigentümlichkeiten auf, wenngleich die Ausführung bei den Bam- 
berger Bildern etwas skizzenhafter ist als bei der größeren Arbeit in Schleißheim. 

Die beiden Bamberger Bilder sind unbezeichnet, das Schleißheimer Bild trägt 
aber links unten eine deutlich erkennbare Signatur. Es ist das ein Monogramm, 

aus dem man die Buchstaben AL Р У herauslesen kann, und ein 

einzelnes C. Sie gibt also den Vornamen Paul und von dem 

С Zunamen nur den Anfangsbuchstaben С. Der im Katalog ge- 
nannte Alexander Casteel kann also nicht der Maler des Bildes 

sein. Ob nun die jetzige Bestimmung in ihrem ganzen Umfange 

auf einer alten Tradition beruht — das Bild kam im ı8. Jahrhundert aus einem 
fränkischen Kloster in bayrischen Staatsbesitz — oder ob nur der Familienname 
so beglaubigt, der Vorname später hinzugefügt ist, ist heute kaum festzustellen. 


(1) Die Photographien der beiden abgebildeten Gemälde verdanke ich der gütigen Vermittelung der 
Herren Direktor Dr. H. Braune in München und Konservator R. tom Dieck in Oldenburg. 


520 


Jedenfalls ist dieser Alexander Casteel eine mythische Persönlichkeit. Nirgends 
ist überliefert, daß der Bruder des Joseph Frans Casteels Alexander hieß. Die Ur- 
kunden über Joseph Frans sind im Jahrb. der kgl. preuß. Kunstsamml., Bd. XI u. XII, 
veröffentlicht. Sie sprechen allerdings von einem Bruder des Malers, der 1688 zu- 
gleich mit diesem als sein Gehilfe nach Berlin kam und 1694 bereits starb. Nirgends 
findet sich aber sein Vorname genannt. Aus den Liggeren der Antwerpener Lukasgilde 
kennen wir drei Maler des Namens Casteels, die mit Vornamen Alexander hießen. Der 
erste ist schon 1681/82 verstorben, der zweite lebte noch bis ins 18. Jahrhundert und 
der dritte gehört diesem Jahrhundert ganz an. Der 1694 verstorbene Bruder des Joseph 
Frans kann also mit keinem von diesen identisch sein. Der Katalog von Schleiß- 
heim hat seine Angaben offenbar aus einem Künsterlexikon geschöpft. Alle Lexika, 
die diesen Alexander Casteels nennen, gehen aber auf Füßli zurück. In dem zwei- 
ten Teil des Künstlerlexikons, der 1806 erschien, spricht nämlich Füßli die Ver- 
mutung aus, der von Nicolai in der 1786 erschienenen dritten Auflage seiner „Be- 
schreibung der kgl. Residenzstädte Berlin und Potsdam“ genannte Bruder des 
Joseph Frans Casteels möchte der Maler des Schleißheimer Bildes sein. Nicolai 
kannte ursprünglich den Vornamen dieses Casteels nicht und hat erst nachträglich 
in einer Fußnote die Vermutung ausgesprochen, er habe vielleicht Alexander ge- 
heißen. Woher er diesen Vornamen hat, konnte ich nicht feststellen. Jedenfalls 
hat dann Füßli, der wie auch andere das Monogramm des Schleißheimer Bildes 
AL. las, das Bild jenem Berliner Maler zugeschrieben. Da das Monogramm jedoch 
sicher nicht А L!), sondern wie oben mitgeteilt zu lesen ist, können wir die Hypo- 
these Füßlis ganz fallen lassen. Es bleibt zu untersuchen, ob der mit dem Bilde 
verbundene Familienname Casteels nicht zutreffend ist. Die Bezeichnung gibt 
allein keinen Anhalt dafür. Daß hinter dem C. früher noch etwas gestanden habe 
ist möglich, aber jetzt ist dort nichts mehr zu sehn. 


Nun hat Th. v. Frimmel*) 1908 zwei Bilder aus der Galerie in Lemberg publi- 
ziert, die beide Pauwels Casteels signiert sind. Sie stellen wie die Bilder in Schleiß- 
heim und Bamberg Schlachtszenen in der Manier der zweiten Hälfte des 17. Jahr- 
hunderts dar. Stilistisch stehen sie jenen Bildern so nah, daß man nicht zögern 
wird, sie demselben Künstler zuzuschreiben. Auch bier findet sich die Abstufung 
in der Komposition von gelockerten farbiger behandelten Figuren im Vordergrunde 
zu gedrängten Massen im Mittelgrunde, die aus grauen Rauchwolken auftauchen. 
Dieselben Pferde und Menschentypen, dieselben Kostüme, ähnliche Stellungen und 
Bewegungen finden sich ebenso wieder, wie die oben geschilderte Art des Farben- 
auftrags und der Modellierung. Das wird im Verein mit der Übereinstimmung der 
Vornamen in den Signaturen den Schluß erlauben, daß wir in den Bildern in 
Schleißheim und Bamberg tatsächlich Werke eines Mitglieds der Familie Casteels 
zu sehn haben, das mit Vornamen Paul hieß. 

Die Casteels waren eine Kiinstlerfamilie in Antwerpen, die im 17. und 18. Jahr- 
hundert eine lange Reihe von Mitgliedern der Lukasgilde hervorbrachte ). Zu den 
bekanntesten gehören der schon genannte Joseph Frans und ein Blumenmaler 
Peter (geb. 1684). In den Liggeren wird nun im Rechnungsjahre 1656/57 ein Pou- 


(x) Nagler, Monogrammisten I, und A. von Wurzbach bilden ein ganz frei erfundenes Monogramm 
AL. С ab. 

(2) Blätter für Gemäldekunde IV (1908), p. 98f.; eines dort abgebildet. 

(3) Vgl. Rombouts-Lerius, De Liggeren, Bd. I und II. und Thieme-Becker, Kiinstlerlexikon, Bd. VI, 
р. 137fl. 


521 


lus Casteels als Maler und als Lehrer eines Jan-Batista Marien genannt!). Wahr- 
scheinlich bezieht sich auf dieselbe Persönlichkeit eine Eintragung von 1649/50, die 
unter den neuaufgenommenen Meisterssöhnen einen Casteels aufführt, dessen Vor- 
name fehlt?). Wenigstens ist unter allen in den Liggeren vorkommenden Casteels 
Poulus der einzige, dessen Freisprechung in diesem Jahre vermutet werden kann“). 
Als Lehrjunge ist er nicht angemeldet worden, was aber nicht aufzufallen braucht, 
da er ja nach der Eintragung von 1649 Meisterssohn gewesen wäre. Wir werden 
jedenfalls nicht fehlgehen, wenn wir annehmen. daß der Maler der obengenannten 
fünf Bilder dieser Antwerpener Maler Paul Casteels ist, dessen Blütezeit in das 
dritte Viertel des 17. Jahrhunderts fällt. 

Zu den genannten Bildern glauben wir noch weitere zwei hizufügen zu können. 
Schon Frimmel vermutet, daß zwei Schlachtenbilder in Oldenburg‘), deren stark 
alterierte Signaturen P. Kasteels gelesen werden dürfen, dem Maler der Lemberger 
Bilder zuzuschreiben seien, ohne aber die Bilder verglichen zu haben. Wurzbach“) 
dagegen glaubte — ohne die Lemberger Bilder zu kennen —, daß ein anderes 
Mitglied der Familie Casteels, der 1673/74 freigesprochene Peter Casteels, in Be- 
tracht käme. Für Antwerpen sind die Bilder, die Gegenstücke sind, durch die 
Brandmarke auf der Rückseite des einen jedenfalls gesichert. Außer den genannten 
beiden Künstlern kommt von allen in den Liggeren genannten Mitgliedern der Fa- 
milie keiner in Betracht. Von Peter wissen wir durch van den Branden’), daß er 
Feldschlachten und Sittenbilder malte. Wo Branden diese Nachricht gefunden hat, 
sagt er allerdings nicht. Daß sie aber mehr als eine Vermutung ist und wahr- 
scheinlich auf urkundlichem Material beruht, dürfen wir schon daraus schließen, daß 
van den Branden selbst keine derartigen Bilder kennt. Wurzbachs Zuschreibung 
liegt also durchaus im Bereich der Möglichkeiten. Die Entscheidung muß durch 
Stilvergleichung gefunden werden, die allerdings nur von den genannten Werken 
Paulus Casteels ausgehn kann, da von Peter keine Arbeiten erhalten sind. Eine 
solche Vergleichung ergibt aber, daß alle bisher genannten Eigentümlichkeiten Paul 
Casteels auf den Oldenburger Bildern wiederkehren (Abb. 2). Ich weise besonders 
auf die Art hin, wie einzelne Reiter nebeneinander gestellt, wie im Mittelgrunde 
die Massen geordnet sind, wie ein einzelnes sich auf die Hinterbeine erhebendes 
oder diagonal in die Tiefe des Bildes galoppierendes Pferd die Vordergrundsgruppe 
beherrscht”). Auch die von Paul Casteels bevorzugte Gesamtkomposition mit einer 
am Bildrande aufragenden Silhouette von Gebäuden oder Bäumen, die sich ab- 
stufend in das Bild hineinführt, kehrt wieder. Einzelne auffallende Eigentümlich- 
keiten wie das Hineinragen der Zweige eines nicht mehr sichtbaren Baumes am 
Bildrande vor dem Himmel, das Betonen einer kleinen Erdwelle in einer der vor- 
deren Bildecken und ähnliches, mögen als Gewohnheiten des Künstlers mit heran- 
gezogen werden. Ein Einwand gegen die Zuschreibung dieser Bilder an Paul 


(x) Rombouts-Lerius, Liggeren II, p. 280. 

(a) Ebenda, II, р. 205. 

(3) Daß dieser Poulus Casteels mit Peter Pauwel Casteels (Liggeren II, p. 429, 435) identisch sein 
könnte, wie Frimmel (а.а. О.) vermutet, ist schon deshalb unmöglich, weil er ja dann 17 Jahre vor 
seiner Freisprechung (1673/74) einen Lehrling angemeldet hätte. 

(4) Im Katalog von 1881 Nr. 226 und 227; daselbst auf Tafel 3 die Signaturen abgebildet. 

(5) Niederl. Künstlerlex. Bd. I. 

(6) Geschiedenis der Antwerpsche Schilderschool, 1883, p. 1205. 

(7) Auf dem einen der Oldenburger Bilder kommt der Schimmel im Vordergrunde des Minchener 
Bildes in genau derselben Stellung im Gegensinne vor. 


522 


Casteels liegt allerdings sehr nahe: nämlich, daß Peter, als Mitglied derselben Fa- 
milie, wahrscheinlich sehr ähnliche Bilder wie jener gemalt habe. Dieser Einwand 
hätte aber selbstverständlich nur indirekte Beweiskraft und könnte nur mit direkten 
Beweisen kombiniert für die Autorschaft Peters sprechen. Dagegen könnte man 
mit mehr Recht einwenden, daß die Schreibweise des Namens auf den Oldenburger 
Bildern von denen der anderen ‘abweicht und daraus schließen, daß ein anderer 
Künstler diese Signaturen geschrieben haben müsse. Wer aber einmal beobach- 
tet, wie schwankend die Schreibweise der Namen noch im 17. Jahrhundert ist, 
wird auch hierin kein Hindernis sehn, die Oldenburger Bilder Paul Casteels zuzu- 
schreiben. 

Dieser Paul Casteels, von dem wir nunmehr sieben Bilder beisammen haben, 
dürfte etwa um 1625 geboren sein, da er 1656 schon einen Schüler hat und wahr- 
scheinlich 1649 Meister wurde. Seine Haupttätigkeit ist in das dritte Viertel des 
17. Jahrhunderts zu setzen. Er gehört also der Generation an, welche auf die des 
Snayers folgt und ist etwa gleichaltrig mit dessen Schüler Adam Frans van der 
Meulen. Seine Kunst geht aber ganz andere Wege als die des Hofmalers Lud- 
wigs XIV. Aus dem warmfarbigen Stil der Rubenszeit, die ihre Bilder in ein 
gleichmäßiges goldenes Licht zu setzen liebt, hat sich bei ihm, wie bei vielen seiner 
Zeitgenossen, eine neue Kunstart entwickelt, die eigentlich der holländischen Kunst 
näher steht als der vlämischen der früheren Zeit. Einzelne leuchtende Farben in 
einer farbig ziemlich neutralen Bildfläche an Stellen gesetzt, die zugleich das 
stärkste Licht empfangen, sind allen Bildern dieser Richtung eigen. Fyt und Boel 
haben diesen Stil im Stilleben repräsentiert, Simon de Vos hat im Porträt ähn- 
liches erstrebt. Am stärksten machten sich solche Bestrebungen in der Genre- 
malerei bemerkbar, seit Brouwer seinen neuen Stil aus Holland nach Antwerpen 
mitgebracht hatte. Man denkt vor Paul Casteels auch an die Arbeiten des etwa 
gleichalterigen Jacques Courtois, dessen Kunst ja einen nicht geringen niederländi- 
schen Einschlag zeigt. Vielleicht verbergen sich sogar unter dem Namen dieses 
Künstlers, der ein Sammelname für die ganze Menge der Schlachtenbilder aus der 
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geworden ist, noch einige Bilder unseres 
Malers. 


523 


DÜRERS HAND. 
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln. 

Die Blätter in Dürers Dresdener Skizzenbuch 
sind angefüllt mit Proportionsfiguren, bei denen 
der die Norm suchende Intellekt aus individueller 
Bildung den starren Typ herausdestillierte. Da- 
zwischen stehen ein paar andere Dinge: Marien- 
entwürfe, Gesichter, Gewandstücke und eine lebens- 
große Hand mit Eintragungen der Messung 1). 
Das ist Dürers eigene linke Hand, die er beim 
Zeichnen schräg vor sich auf den Tisch legte und 
im Handgelenk ein wenig nach der Daumenseite 
drehte. So erst kommt an der Außenseite der 
Hand jener in weichen Kurven rollende Umriß her- 
aus, indem sich der Handgelenkknochen (os carpi 
ulnare) herausdrängt®). Entsprechend schiebt sich 
an der Handwurzel unter dem Daumenansatz die 
Haut faltig zusammen, wie das über der lan- 
gen und kurzen Strecksehne des Daumens in kur- 
zen gebogenen Stricheln angegeben ist, und der 
Zwischenmuskel von Daumen und Zeigefinger höht 
sich wulstig. Durch diese schräge Lage der Hand 
vor dem Zeichner ergeben sich die Überschnei- 
dungen der Finger untereinander. Doch ist das 
gleich wieder korrigiert, so daß schmale Zwischen- 
räume zwischen den Fingern entstehen, die einer 
überaus kräftigen Knöchelbildung verdankt wer- 
den, die bei ausgestreckter Hand einen engen Zu- 
sammenschluß der Finger vereitelt. Um die Finger- 
gelenke herum staut sich faltige Haut, die durch 
Häkchen charakterisiert ist, die annähernd in kon- 
zentrischen Ellipsen zusammenschließen. 

Daß die gereckten Finger nicht in reinen 
Parallelen zueinander liegen, ist das natürliche ). 
Allein bei Dürer ist das Konvergieren der Finger- 
paare zu einer Schaufel beträchtlich. Und noch mehr 
fällt die seitliche Krümmung von Zeige- und Mittel- 
finger auf. Quer über dem Handrücken steht eine 
wichtige Maßangabe: dys lang der langen finger ist 
dyse preit. Das ist durchaus keine Normalproportion, 
sondern nur bei langfingerigen Händen der Fall. 

Ein Kreisbogen, der seinen Fokus im Schnitt- 
punkt einer vom Mittelfingerknöchel gefällten Senk- 
rechten und der Schnittlinie der Handwurzel hat, 
berührt den Ansatz von Gold- und Kleinfinger, 


03 Rob. Bruck, Dürers Dresdener Skizzenbuch, Taf. 106. 
() Jul. Kollmann, Plastische Anatomie des menschlichen 
Körpers usw. Leipzig 1901, p. 152 ff. 

3) „Es ist zu mercken das inn der hand kein Finger einen 
orm hat wie der ander. Das besuch ein yglicher bey 
den menschen / so wirdet er das also befindenn. Auch 
prüff ich so die hand ausgestreckt wirdet / das sy nit gantz 
gerad auff einander steet / sondern scheubet sich bei dem 
kleinen finger auszwertz.“ Dürer, Vier pucher mensch- 
licher proportion. 1528. 


524 


Dazu gibt es im Proportionswerk eine Erläuterung: 
In diesen runden riß setz ich die zwey hindersten 
glyd / des gold vnd kleinsten fingers | dann sy 
steen tieffer in der hand / weder die vördern zwen. 
Völlig außer der Norm aber steht der Daumen. 
Man bedenke, daß die Zeichnung nicht aus Freude 
an der Bildung der eigenen Hand ausgeführt wurde, 
sondern aus dem wissenschaftlichen Interesse, das 
die typischen Proportionen zu bestimmen suchte, 
Die vier andern Finger lagen doch annähernd in 
einer Ebene und lassen sich in dieser Lage für 
die Messung verwenden. Der Daumen aber stellt 
sich in einen Winkel dazu. So dreht ihn Dürer 
denn in der Zeichnung bis zu einer annähernd 
gleichen Stellung wie die übrigen Finger. Hier 
wird die Zeichnung abstrakt. Die genauere Haut- 
charakteristik setzt aus. Verbindlich aber bleibt das 
Längenmaß. Der Daumen endet bei gestreckter 
Hand mit seiner Spitze wenig unterhalb dem ersten 
Zeigefingergelenk und das ist wieder selbst bei einer 
schmalgliedrigen Hand noch eine ungewöhnliche 
Länge!). Der Daumenansatz lädt weit aus, wodurch 
dem Finger eine große Gelenkigkeit gewahrt ist. Das 
über dem Gelenk eingetragene Breitenmaß: — eines 
dritteils — ist dasselbe wie im Proportionswerk?) und 
ist wieder nur bei kräftiger Knöchelbildung möglich. 
Der Charakter der Hand als der eines Vierzigers 
würde allein schon die Datierung des Blattes nach 
den Lebensdaten Dürers ermöglichen. Überdies 
sind schon in der Veröffentlichung des Skizzen- 
buchs durch Bruck verschiedene Blätter mit Hand- 
studien aneinandergereiht, die auch stilistisch zu- 
sammengehen. Eins davon mit anatomischen 
Zeichnungen, darunter einem durch übergroße 
Handwurzel und unanatomisch zerhackten Finger- 
gliedern auffallenden Handskelett (Taf. 107) trägt 
das Datum 1517, das auch fir die andern Zeich- 
nungen als annähernd verbindlich erklärt werden 
kann. Die Studie nach der eigenen Hand dürfte 
der Ausgangspunkt gewesen sein. Es folgen die 
Blätter Taf. 105, 104, wo ohne genaueres Ein- 
gehen die Hand in kleinerem Maßstabe wieder- 
holt wird und außerdem der Messung eine kleinere 
Maßeinheit zugrunde liegt, die noch mehr Punkte 
festzustellen erlaubte. Die kleinere Zeichnung auf 
Taf. 104 ist verwandt in den Vier Büchern mensch- 
licher Proportion?) und von eines starken Mannes 
Hand spricht Dürer in seinen Erörterungen. 


(1) Vgl. die Messungen von W. Braune und O. Fischer, Die 
Länge der Finger und Metakarpalknochen an der mensch- 
lichen Hand. Archiv f. Anatomie u. Entwicklungsgesch. 1887. 
(2) Den daumen mach ich in seinem mitlern glid preit / eins 
dritteils von seiner eignen lenge. 

(3) Fol. E П) v. Es fehlen im Holsschnitt die Fingerbe- 


Rund zehn Jahre früher finden sich an der allein 
sichtbaren Hand des Münchner Selbstporträts alle 
diese Eigentümlichkeiten wieder: die langen Fin- 
ger mit den starken Knöcheln, die Krümmung des 
Index und des Mittelfingers, der im Ansatzgelenk 
leicht verschiebbare Daumen. Die hochaufliegen- 
den Adern steigern den Eindruck pulsierender 
Lebenskraft in der Hand. In anatomischer Hin- 
sicht wäre sonst über dieVenenbildung nichts Beson- 
deres auszusagen!). Die wenig fleischigen Finger 
überspannt eine pergamentartige feste Haut; sie 
wirken wie gedrechselt. Niemand wird dem Ein- 
druck entgehen, daß die Handhaltung gequält ist. 
Natürlicher wäre es, wenn sich der Daumen hin- 
ter den Pelzbesatz schöbe. Die Hand verliert die 
Starrheit, wenn man sie aus dem Zusammenhang 
isoliert, eine Abbildung etwa so weit herumdreht, 
daß man die Hand aus der Richtung der Ärmel- 
schlitzen betrachtet; auf einmal sieht es aus, als 
ob sie auf einer festen glatten Unterlage ruhe. 
Und eine solche Studie muß in der Tat voraus- 
gesetzt werden. Ochenkowski*) hat gemeint sie 
in der Hand L. 185 finden zu können. Die Frage, 
ob dies iiberhaupt Dirers eigene Hand sei, muf 
man bejahen. Denn die kräftige Knöchelbildung 
an langgliedrigen Fingern, die Fähigkeit den Dau- 
men herauszustellen, eignet auch dieser Hand und 
wird zum Beweis. Hinzukommt eine Aufsicht auf 
den Handriicken, die einer normalen Tischhöhe 
entspricht und eine Benutzung schrägeinfallenden, 
die Finger in Schatten hüllenden Lichts, das ge- 
wählt wurde, um der zeichnenden rechten Fand 
nicht im Wege zu sein. Allein daß diese Studie 
als Vorzeichnung für die Hand des Münchener Selbst- 
porträts habe dienen können, ist ebenso entschieden 
zu verneinen. Sachlich weicht die Fingerhaltung 
ab, und stilistisch liegt die Studie zweifellos später. 
Indessen die Datierung Heidricha auf 1518*) leuch- 
tet nicht ein, da der Charakter einer festen ner- 
vigen Hand mehr an die von innerer Spannung 
erfüllte Rechte (im Bildsinn gesprochen) des Mün- 
chener Selbstporträts anschließt, aber noch nicht 
die laschere Haut der Hand des Dresdener Skiz- 
zenbüchs aufweist, für die das ungefähre Datum 
1517 festgestellt werden konnte. 

Heidrich*) zieht zu seiner Datierung des Blattes 


seichnungen, die links neben der Zeichnung stehen, und es 
fehlen die Zahlen der kleinsten Maßeinheiten, die im Holz- 
stock ausgebrochen wären. Dagegen sind noch Adern und 
ein paar Hautfalten eingetragen, wie sie auf der größeren 
Hand unten auf demselben Skizzenblatt angegeben waren. 
(1) Vgl. W. Braune u. A. Trübiger, Die Venen der mensch- 
lichen Hand. Leipzig 1873. 

(з) Repert. f. Kunstw. 1911, S. 427. 

(3) Monatsh. f. Kunstw. 1912, Juli: Berichtigung Händckes. 
(4) E. Heidrich, Geschichte d. Dürerschen Marienbildes 1906, 
8. 205. 


L. 185 die Trachtstudie heran, die auf L. 305 
wiederholt ist. Das nun ist ein Blatt aus dem 
Kreis der Trophäenreiter von 1518, jedenfalls der 
späten Zeit nach dem prächtigen Zusammengehen 
von Roß und Reiter, also müsse auch L. 185 die- 
ser Zeit entstammen. Hier hat die Beweiskette 
den Sprung. Es liegt ein greifbarer Unterschied 
zwischen der Art, wie auf der Trachtstudie L. 185 
der Mützenrand in kurzen Strichelchen gegeben 
ist, der querschraffierte Schatten des Gewand- 
stückes nur formrundend wirkt, und der Art wie 
auf L. 305 die Schattenlagen dem Fall des Stoffes 
nachgehen und eine rasche Zitterlinie den Mützen- 
rand herstellt. Warum sollte nicht die Tracht- 
studie L. 185 viel später von Dürer wieder be- 
nutzt sein? Sein additioneller Schaffensprozeß 
liegt aus hundert Beispielen zutage. Was Heid- 
rich am meisten bestimmt haben wird, die späte 
Datierung der Hand vorzunehmen, ist die Ma- 
donnenstudie, die noch früher auf das Blatt L. 135 
kam als die Hand. Hier, wo die Feder einer auf- 
steigenden Bildidee mit flüchtigen Strichen nach- 
eilte, ist nichts, was unbedingt zwänge, sie gegen 
Ende des zweiten Jahrhunderrs zu setzen. Und 
so möchte auch von dem Verhältnis dieser Maria 
zu der auf L. 16 das gleiche gelten wie von der 
Trachtstudie zu dem Dreireiterblatt. Jedenfalls 
kann m. E. L. 185 nicht anders als um 1510 an- 
gesetzt werden. Auch zu der buchhaltenden Hand 
des hl. Antonius auf dem Dresdener Altar muß 
eine Studie aus dem Spiegel nach Dürers eigener 
Hand vorausgesetzt werden. Denn diese Fähigkeit, 
bei getrennten Fingern die vorderen Glieder des 
Index nach dem Mittelfinger hinüberzukrümmen, 
liegt nur in den Bewegungsmöglichkeiten einer 
wie im Dresdener Skizzenbuch sich streckenden 
Hand. Das Abschieben des Daumens, das fast 
wie ein Aussetzen aus dem Gelenk wirkt, gleicht 
völlig dem der Hand L. 185. 

Man sieht diesen festen harten Fingern der 
Dürerhand ап, daß ihr Druck wie ein Schraub- 
stock war. Er liebte es sie fest ineinander fassen 
zu lassen, wie das behandschuhte Händepaar auf 
dem Madrider Selbstporträt von 1498 zeigt. In 
diesen Jahren eines landsknechtsmäßigen Unge- 
stüms geschieht es denn, daß er den eigenen Kopf 
einem Reisigen aufpfropft; in dem herausblicken- 
den Antlitz des Hellebardiers mit den durchge- 
drückten Knien, der den Strick desniedergesunkenen 
Christus in der Kreuztragung der großen Passion 
(В. 10) strafft, steckt ein Selbstporträt Ойгегв!). 
Es ist das gleiche schmale Gesicht, der gleiche 
zweigeteilte Bart wie auf dem Bild des Prado. 
(1) Hierauf macht mich Prof. Wölfflin aufmerksam. 


525 


Man vermißt die Fülle der langen Haare; ein Netz 
birgt sie. Auch sitzt der Kopf unrichtig auf, so 
daß die vordere Schulter unmöglich lang wird. 
Beim festen Griff, den die Hand um die Hellebarde 
tut, kommt der Daumen ins hellste Licht, ein 
Daumen, der mit einem dicken Knubben endet 
und eine gewisse Verwandtschaft besitzt mit dem 
Daumen auf dem Selbstbildnis von 1493, der durch 
kurzes äußeres Glied und breiten Nagel charakte- 
risiert wird. Die Hand, die das Eryngium hält, 
ist von feinerer Art. Wie sehr sie von feinner- 
viger Spannung erfüllt ist, zeigt sich in der Lösung 
der Finger untereinander, dem zierlichen Spreizen 
des kleinen Fingers und einem Fassen der Blume, 
das nicht mit locker im Gelenk gebeugten, son- 
dern hohlkurvig gespannten Daumen geschieht. 

Geht man noch weiter in die Anfänge Dürers 
hinauf, so zeigtauch die Erlanger Federzeichnung 
L.429 wieder diese Hand mit den herausspitzenden 
Knöcheln, die bei gestreckten Fingern aeitlich aus- 
laden und mit dem merkwürdig herausgeschobenen 
Daumen. 

Schließlich aber muß man noch, um an die 
Wurzel zu kommen, das Silberstiftporträt des 
Knaben Dürer in der Albertina L. 448 hervor- 
holen. Das feine Hindchen mit den zarten Kno- 
chen hat noch nichts von der späteren Energie 
in der Gelenkbildung, allein schon zeigt sich die 
charakteristische Krümmung am äußersten Glied 
des deutenden Zeigefingers. Im übrigen hat der 
sorgfältig dem Augeneindruck nachgehende Stift 
alles ertastet; nur daß es an den Daumengelenken 
zu jenen Zuschärfungen der Linie kam, wie sie 
das Zeitalter Schongauers aller Form einsah. 

Kurt Gerstenberg. 


EIN VERSCHOLLENES WERK HANS 
MULTSCHERS. 
Mit einer Abbildung auf einer Tafel. 

In der ehemaligen Weigelschen Kunstsammlung 
zu Leipzig befand sich eine Zeichnung der Kreuz- 
tragung Christi, der ein Original Multschers zu- 
grunde zu liegen scheint!). (Handzeichnungen 
berühmter Meister aus der Weigelschen Kunst- 
sammlung, herausgegeben von Rudolph Weigel, 
Leipzig 1854—1861, Taf. 20; vgl. Abb. — In dem 
Auktionskatalog derselben Sammlung, Leipzig 1869, 
ist die Zeichnung nicht mehr aufgeführt.) 

Bewegungen und Kopftypen sind den Berliner 
Tafeln von 1437 und den von Bossert veröffent- 
lichten Wolfegger-Bildern (Monatsh. für Kunstw. 
(1) Auf diese Zeichnung und ihren Zusammenhang mit 


Multscher machte mich Herr Geheimrat Wölff lin gütigst 
aufmerksam. 


526 


1910) verwandt und in dieser Nachzeichnung noch 
spürt man die plumpen Gestalten Multschers durch, 
mit ihren schweren Gliedmaßen, den scharf nach 
vorn drängenden Köpfen, umfänglichen Nasen, 
bald vor-, bald zurückgeschobenen dicken Unter- 
kiefern und dem ungebändigten Gesichtsausdruck. 
Es sind Menschen von der niedern Rasse der 
Berliner Apostel und Kriegsknechte, wenn auch 
ihre Typen nicht unmittelbar von dort herüber- 
geholt sind. Von Einzelheiten werden die charak- 
teristische Schulterlinie Christi und die stumpfen 
Waffenendigungen an die Berliner Bilder erinnern. 

Doch ist die Darstellung über die der Berliner 
Kreuztragung hinaus entwickelt. Vor allem wurde 
nicht der unbelebte, schwer sich vorwärts schie- 
bende Zug nach Golgatha vorgeführt, sondern das 
dramatische Intermezzo, wo der von der Last zu 
Boden gedrückte Christus von Kriegsknechten ge- 
zerrt, gestoßen, gezüchtigt wird. Auch die Krieger- 
schar ist inlebhaftem Durcheinander, zu dem dann 
wieder die edie Gruppe der Frauen, die dem Zuge 
langsam folgt, in wirkungsvollem Gegensatze steht. 
Die Mutter selbst mit einer ergebenen Kopfneigung, 
während sie im Berliner Bilde starr vor sich hin 
blickte. Die Bewegungen ebenfalls auf höherer 
Stufe als in Berlin. Überraschend der Leiterträger 
und die Rückenfigur!). Auch der Aufbau ist ge- 
schickter als dort. In Berlin ist die Szene auf 
einer Ebene entwickelt mit dem Augenpunkt in 


‚Augenhöhe der Dargestellten, so daß der Maler 


den hinteren gewaltig die Hälse recken lassen 
muß, damit sie von vorn noch gesehen werden. 
In unserer Zeichnung dagegen ist das Stadttor 
höher gelegen, der Zug senkt sich von einem 
Hügel in die Tiefe. Die Leute haben alle reich- 
lich Platz und müssen sich nicht mehr anstrengen, 
um gesehen zu werden. 

Aber das scheint mir gleichfalls unzweifelhaft: 
das hier vorausgesetzte Werk Multschers muß 
auch jünger als die Wolfegger - Tafein gewesen 
sein, die ja ihrerseits, nach Bosserts Bestimmung, 
später als die Berliner entstanden. Angesichts 
unserer Zeichnung möchte ich den zeitlichen Ab- 
stand beider Altarwerke geringer annehmen, als 
dies Bossert tut und das Original unseres Blattes 
an das Ende der Reihe stellen. Schon die Trachten 
der Wolfegger-Tafeln scheinen mir zu einer früheren 
Datierung, als Mitte der vierziger Jahre, zu drängen. 
Aber auch die Gruppenbildung ist kaum über das 
in Berlin erreichte fortentwickelt, mit ihrem Ge- 
dränge im Mittelgrund, dem freien Raum vorn, 


(1) Auch an dieser Stelle sei auf die kraftlos zierlichen Be- 
wegungen der Stersinger Kreustragung hingewiesen, die 
manche immer noch nicht aus Multschers Werk zu strei- 
chen sich entschließen können. 


dem Strecken der Hälse usw. Die Typen sind 
ebenfalls den Berlinern noch nahe verwandt — 
besonders wird man sich den stumpfen Facekopf 
der hl. Helena nicht viel später als die Berliner 
Marien entstanden denken. Dagegen weist die 
Unruhe unserer Zeichnung schon eher auf den 
Stil hin, der in der zweiten Jahrhunderthälfte Mode 
wurde. Auch die Gewänder sind leichter, die 
Faltenbildung lebhafter — besonders bemerkt will 
das Flattern zweier Gewandschleifen sein. 
Bossert bemerkt, die Wolfegger-Tafeln stünden 
Witz näher als das Berliner Altarwerk. Dieser 
richtigen Beobachtung sei hier der Hinweis auf 
den merkwürdigen, von unserem Zeichner wohl 


nicht ganz verstandenen Schlagbaum rechts am 
Tore an die Seite gestellt. Er hatte ursprünglich ge- 
wiß denselben Sinn als jener auf Witzens Begegnung 
an der goldenen Pforte: dem Beschauer ein beson- 
deres Pröbchen plastischer Darstellung vorzuführen. 

Daß Multschers Frühwerke auch in alter Zeit 
schon Interesse erweckten, beweist außer unserer 
Zeichnung noch eine zweite, die sich heute in der 
Öffentlichen Kunstsammlung zu Basel befindet!). 
Sie gibt das Berliner Pfingstfest, mit geringen Ab- 
weichungen zwar, doch in all seinen Einzelheiten 
wieder. Franz Stadler. 


(з) Auf ihre Existenz hat mich vor Jahren Herr Professor 
Daniel Burckhardt glitigst aufmerksam gemacht. 


LOUIS HOURTICQ, Geschichte der 
Kunst in Frankreich. Stuttgart, 1912. 
Jul. Hoffmann. 


FURCY-RAYNAUD, Inventaire des Sculp- 
tures exécutées au XVIIIe siècle pour la 
Direction des Bätiments du Roi. Paris 1911. 
J. Schemit. 


Das neue (dritte) Bändchen der bekannten Samm- 
lung ,Ars una“ mag den Freunden dieser Publi- 
kation angezeigt werden, ohne daf Ref. sich selbst 
zu ihnen zählen möchte. Fast 600 Abbildungen 
in allerkleinstem Format, zu zweien oder dreien auf 
eine kleine Oktavseite zwischen den Text gedrängt — 
schon vom buchkünstlerischen Standpunkte aus 
ein wenig erfreulicher Anblick, — darunter ganze 
Kathedralen und Paläste, ja selbst Aufnahmen der 
Pariser und Versailler Riesenplätze aus der Vogel- 
perspektive, alles in etwa drei- bis höchstens vier- 
fachem Briefmarkenformat — wem soll das nützen? 
So anerkennenswert die relative Schärfe dieser 
Bildchen vom technischen Standpunkt aus ist: nicht 
der vierte Teil dieser Miniaturphotos ist imstande, 
einen auch nur annähernden Begriff von den 
Kunstwerken zu vermitteln. Für den Laien also 
ist ihr Wert höchst problematisch, und dem 
Fachmann, dem sie auch nur eine recht dürftige 
Stütze für das Gedächtnis bieten können, kann 
unmöglich etwas daran liegen, die schon hundert- 
fach abgebildeten Hauptwerke der französischen 
Kunst nun noch einmal in Liliputformat zu be- 
sitzen. Zur wirklichen Fruktifizierung als Nach- 
schlagewerk ist die Auswahl des Bildermaterials 
schließlich trotz der stattlichen Anzahl viel zu ge- 
ring und willkürlich. Außerdem wird der Nutzen 
des Werkchens als Handbuch durch das unprak- 
tische Register, das mangels Markierung der wirk- 


Monatshefte für Kunstwissenschaft, V. Jahrg. 1912, Heft 12. 


lich wichtigen Seitenzitate den Benutzer zwingt, 
erst ein halbes Dutzend ganz gleichgültiger Stellen 
aufzuschlagen, wo zufällig einmal der gesuchte 
Künstler- oder Städtename genannt wird, ebenso 
in Frage gestellt wie durch die unübersicht- 
liche äußere Gestaltung des Textes, der ohne jede 
Hilfe für das suchende Auge, wie sie Sperrungen, 
Fettdruck und andere Mittel gewähren könnten, 
ein formloses, fortwährend von den Bildchen zer- 
rissenes und zerfetztes Satzbild zeigt. 

Ein gut Teil dieser Mängel wird von dem durchweg 
temperament- und geschmackvollen Text des Verfas- 
sers wettgemacht, der sich von der ledernen Schul- 
meisterei so mancher deutscher Handbücher aufs 
erfreulichste unterscheidet, wenn auch nicht ver- 
schwiegen werden kann, daß die übliche Manier 
der äußeren historischen Aneinanderreihung von 
größeren oder kleineren, mehr oder minder ,,ge- 
troffenen“ Einzelporträte der Künstler nur selten 
überwunden wird und daß, bei allzugeringer Beach- 
tung der dekorativen Künste, die großen Linien des 
allgemeinen Entwicklungsprozesses der Stile, die 
den Kern eines solchen Handbuchs bilden müßten, 
unter der Fülle des Details verschwinden. Aber 
nochmals sei betont: das Buch ist nicht langweilig 
und wird sicherlich seinen Weg ins Publikum 
finden. 

Eine andere Frage ist, ob eine solche ,,allge- 
meine Übersicht“, auch wenn sie noch so gut ge- 
schrieben ist, wirklich noch dem Zeitbedürfnis 
entspricht. Weder Laien noch Fachleute haben 
heute ein Verlangen nach neuen „Springers“ oder 
„Lübkes“ in Taschenformat, und das Interesse 
beider Kreise zu vereinigen, wie es die Hoff- 
mannschen Bändchen versuchen, ist eine pure Un- 
möglichkeit. Was der Laie braucht, ist eine An- 
leitung zum Verständnis und zum Genuß der Kunst- 


39 527 


werke, und die wird ihm auf dem alten Wege 
der namen- und zahlenreichen Kompendien niemals 
vermittelt. Hier heißt es weniges geben und 
gründlich. Die hoffentlich nicht für immer ins 
Stocken geratene Justische Kunstgeschichte (Fischer 
und Franke) kann hier vorbildlich werden für alle 
ähnlichen Unternehmungen. Auch іп dem kleinen 
Format der Hofimannschen Bändchen wäre mit etwa 
150 blattgroßen Abbildungen der Hauptwerke der 
französischen Kunst, denen eine je 2 Seiten um- 
fassende Besprechung dieser und nur dieser im 
Bilde vorgeführten Kunstwerke beigefügt würde, 
dem kunstbeflissenen Laien ein unendlich wert- 
vollerer Dienst geleistet als mit einer noch so 
originellen Auffrischung der alten Methode. Dem 
Fachmann aber, der mit Freuden ein Handbuch 
begrüßen würde, daser auf der Reise in der Tasche 
führen könnte, ist weder mit den Abbildungen & 
la Hourticq geholfen noch mit dessen Text, den er 
sich am liebsten selber macht. Was er braucht, 
ist ein möglichst reichliches und zuverlässiges 
Namen- und Datenmaterial, ein Buch sozusagen 
ohne Text und ohne Bilder. Mit einem tragbaren 
einbindigen Kiinstlerlexikon dieses Formates, das 
ohne jedes Raisonnement nichts brächte als eine 
vollständige kritische Aufzählung der durch Daten 
beglaubigten Kunstwerke mit den wichtigsten Lite- 
raturangaben, wäre der Wissenschaft ein viel wert- 
vollerer Dienst geleistet als mit den nur schein- 
bar „modernen“ blauen Handbüchern. 

Die angenehme Pflicht uneingeschränkter Aner- 
kennung und Dankbarkeit erfüllt Referent dagegen 
mit dem Hinweis auf die oben genannte neue 
Publikation des um die Erforschung der französi- 
schen Archive für die Kunst des 17. und 38. Jahr- 
hunderts schon so außerordentlich verdienten Marc 
Furcy-Raynaud von der Bibliothek des Arsenal. 
Die neue Arbeit trägt denselben Charakter minu- 
tiösester Akribie in der wissenschaftlichen Aus- 
nutzung recht komplizierter und mühseliger archi- 
valischer Quellenstudien. Die trümmerhafte Ge- 
stalt, in der teils durch die politischen Schicksale 
Frankreichs, teils durch die wahrhaft vernichtende 
Mißachtung der klassizistisch denkenden Genera- 
tionen der Folgezeit die plastischen Arbeiten des 
Dix-huiti¢me erhalten sind, und die Unauffindbar- 
keit wichtiger, in den Privatsammlungen von halb 
Europa versteckter Originale, verschuldeten jene 
Kritiklosigkeit der landläufigen Benennungen der 
meisten, erst durch den Kunsthandel des 19. Jahr- 
hunderts getauften Skulpturen in den öffentlichen 
Sammlungen, die nur allzu oft den Forscher in 
die Irre führte. 

Das mühselige Vordringen zu den Quellen, die 


528 


einzig Klarheit und Gewißheit verschaffen können, 
den staatlichen Archiven, ist nicht jedermanns 
Sache, und daher verdienen solche in aller Stille 
durchgeführten und für den äußeren Erfolg so 
undankbaren Fundamentierungs-Arbeiten wie die 
Furcy-Raynauds den aufrichtigen Dank aller heu- 
tigen und künftigen Mitarbeiter an dem Aufbau 
einer Geschichte der französischen Plastik der 
Neuzeit. Edmund Hildebrandt. 


J. GRAMM, Die ide ale Landschaft, ihre 
Entstehung und Entwicklung. 2 Bde., 538 
Seiten und 185 Abb. Freiburg, Herdersche 
Verlagshandlung. Preis M. 36.—. 


Seit längerer Zeit kann man unter der jetzigen 
Generation von Kunstgelehrten das Bemühen um 
eine neue Kunstwissenschaft deutlich merken. Man 
sucht eine wissenschaftlichere Basis zur Beurteilung 
der Kunstwerke zu finden, die weniger vom per- 
sönlichen Geschmacke des Einzelnen abhängig 
ist, sucht Klarlegung der kunstwissenschaftlichen 
Begriffe, Ausbildung der Analyse, kurz, man sucht 
eine durchgehende Verbesserung der Methode in 
der Betrachtung von Kunstwerken. Zu dieser 
Gruppe von Werken, die von den reinen Kunst- 
historikern gewöhnlich als „ästhetisierende Werke“ 
kurz abgetan zu werden pflegen, darf man auch 
Gramms Ideale Landschaft rechnen. Es ist zwar 
in diesem Buche ein bestimmter Stoff herausge- 
griffen und in seiner geschichtlichen Entwicklung 
von den Anfängen der Kunst bis zum Ende der 
Renaissance gezeichnet; aber in Wirklichkeit geht 
das Werk über den Rahmen, der durch den Titel 
gegeben ist, hinaus. Nicht die Entwicklung der 
idealen Landschaft allein wird hier geschildert, 
von den ausführlich behandelten Bildern sind die 
wenigsten reineLandschaften, den Nachdruck hat der 
Verfasser auf die Analyse von Kunstwerken nament- 
lich des italienischen und deutschen 14.— 16. Jahr- 
hunderts gelegt, sodaß eine Entwicklungsgeschichte 
der Kunst dieser Zeit überhaupt gegeben wird. In 
der ausführlichen Analyse beruht das Neue und 
auch der Wert des Buches; die übrigen Partien 
empfindet man vielfach als Zutaten, die den Gang 
der Entwicklung nicht selten stören. 

Das ganze Buch gliedert sich in einen allge- 
meinen und einen historischen Teil. Im ersten 
Teil wird nach einer allgemeinen Voruntersuchung, 
von der der Verfasser sich viel hätte schenken 
können, der Begriff der idealen Landschaft festge- 
legt als „die mit Rücksicht auf die Figuren kom- 
ponierte Landschaft“. Prinzipielle Bedenken ließen 
sich hier geltend machen. Die einzelnen Gattungen 


der Landschaft, so wie sie hier definiert werden, 
gehen vielfach ineinander über und eine genaue 
Trennung ist nicht immer möglich. Das zeigt 
das ganze Buch. Nur im großen gelten diese 
Scheidungen, meist nur für eine ganz bestimmte 
Periode in der Kunstgeschichte. Ein weiterer Ab- 
schnitt sucht durch vergleichende Gegenüberstel- 
lung der photographischen Aufnahme eines Land- 
schaftsbildes und der Darstellung des gleichen 
Sujets auf komponierten Gemälden und Skizzen 
— Sujet ist das Tibertal bei Aqua Acetosa — den 
Umformungsprozeß klarzulegen, den jede ideale 
Landschaft erfordert; es ist dies eine der glück- 
lichsten Partien des Buches. Im zweiten Haupt- 
teil, dem historischen Teil, behandelt der Verfasser 
die Entwicklung der idealen Landschaft von der 
Kunst der Urzeit, Ägyptens, Babyloniens und As- 
syriens herab bis zur Kunst des Mittelalters, des 
Trecento, Quattrocento und Cinquecento in Italien, 
Deutschland und Frankreich. Mit dem 16. Jahr- 
hundert im Norden schließt das Buch. 

Die allzu große Ausführlichkeit des Histori- 
schen in Abschnitten, die mit dem Thema und 
Zweck des Buches wenig oder nichts zu tun haben, 
halte ich für einen Nachteil. Man spürt oft zu 
sehr die Absicht, die ganze Kunstgeschichte nicht 
zum wenigsten in ihren entlegensten Gebieten zu 
wiederholen,namentlich neuentdeckte Meister, selbst 
solche, die problematisch sind wie Apollodor, als 
Marksteine mit in die Darstellung hereinzuziehen. 
Das stört; es beeinträchtigt auch die wichtigeren 
Abschnitte. Die ganze Entwicklung bis zur helle- 
nistisch-römischen Landschaft hätte in gedrängter 
Übersicht ebenso genügt; Analysen einzelner Kunst- 
werke hätten mehr Klarheit gebracht, als die weit- 
gehenden Untersuchungen. Ähnlich ist es auf 
dem Gebiete der mittelalterlichen Malerei. 

In seinem Element ist der Verfasser von der 
Kunst des Quattrocento ab. Die Landschaft kommt 
zwar zu kurz, doch das schadet nicht viel. Dafür 
entschädigt die hohe Qualität der sich ablösenden 
Analysen und Charaktenstiken, die wirklich in 
hervorragender Weise geeignet sind in die Bedeu- 
tung der einzelnen Kunstwerke, wie die Entwick- 
lung der gesamten Kunst dieser Zeiten einzuführen. 
Schon die Lektüre dieser Partien ist ein Genuß. 
Die Stimmungswerte sind mit einer großen, nach- 
empfindenden Feinheit interpretiert. Behandelt ist, 
das liegt im Thema, vor allem die Entwicklung 
der künstlerischen Komposition. Da die gleichen 
Bestrebungen, die bei der figürlichen Komposition 
sich geltend machen, auch die Landschaften be- 
dingen, so ist dadurch das Hereinziehen der Nicht- 
landschaften motiviert. Eine Kritik des Einzelnen 


ist hier nicht am Platze, wo der hohe formale und 
inhaltliche Gehalt des Ganzen wirkt. Schade nur, daß 
der manchmal unvermittelt einsetzende, lehrhafte 
Ton die Beschreibung zerreißt. Wenn beispiels- 
weise bei der Schilderung des Hintergrundes auf 
Lionardos Mona Lisa, „in dem das geheimnisvolle 
Leben und Weben dieser seltsamen Frau seinen 
Widerhall findet“, plötzlich der gelehrte Zwischen- 
satz hereinplatzt, daß diese Gestaltungen nach 
Rosens Ansicht sich durch Steigerung gewisser 
Erosionsformen ergaben, so wird dadurch der ganze 
Stimmungswert der übrigen Worte zerstört. Auch 
mit der Einfügung der fliegenden Gestalt Gott 
Vaters auf Michelangelos Erschaffung Adams in 
ein Firmenplakat mit der Darstellung eines fliegen- 
den Geschosses kann ich mich nicht befreunden. 
Wenn dadurch etwas hätte bewiesen werden sollen, 
so hätte ein Vergleich mit Worten genügt. Die 
bildliche Wiedergabe wirkt banal. 

Die Analysen werden vielfach durch beigefügte 
Schemata, Umrißzeichnungen, auf denen die Ele- 
mente der Komposition schematisch wiedergegeben 
sind, erläutert. Diese Schemata sind instruktiv. 
Die Auflösung der Kompositionen in ihre rudi- 
mentärsten Elemente, die Zerlegung der Bildbühne 
іг Versatzstücke und Kulissen ist bei der Kunst 
des Quattrocento und Cinquecento wohl möglich. 
Aber diese Schemata versagen für die einzelnen 
Relationen im Bilde und noch mehr, wenn die 
Komposition hauptsächlich durch die Farbe be- 
dingt ist. Die späteren Venezianer kommen schon 
schiecht weg und die Malerei des 17. Jahrhunderts 
ist überhaupt nicht mehr behandelt. Im Thema 
ist das Abbrechen gerade an dem Punkte, wo die 
ideale Landschaft als selbständige Gattung zu 
existieren beginnt, sicherlich nicht begründet. 

Der Text des Buches wird durch vorzügliche 
Autotypien wirksam unterstützt. Die äußere Aus- 
stattung des Werkes darf man gediegen nennen. 

Adolf Feulner. 


BERTHOLD RIEHL, Bayerns Donau- 
tal. Tausend Jahre deutscher Kunst. 
München und Leipzig 1912, Georg Müller. 
Aus dem Nachlaß des Verfassers, heraus- 
gegeben von Ph. M. Halm. 452S., 72 Abb. 

Als Berthold Riehl im Vorjahre so unerwarte: 
aus dem Leben schied, war sein Donaubuch im 
ganzen abgeschlossen. Hie und da fehit wohl, 
um das von vornherein zu erwähnen, die letzte 
Hand des Verfassers und es ist darum zu be- 
greifen, wenn in einzelmen Abschnitten noch man- 
ches Unausgeglichene steht. Um so mehr ist die 


529 


Pietät des Herausgebers anzuerkennen, der sich 
der Riesenarbeit unterzog, aus den losen Blättern 
des Manuskripts die geschlossene Arbeit zusammen- 
zustellen. 

Die Vorarbeiten Riehls reichen über fünf Jahre 
zurück. Von dem Gesichtspunkte seines eigenen 
Schaffena betrachtet, ist das Buch, das so unge- 
ahnt sein letztes sein mußte, sein reifstes und 
schönstes Werk. Wer die Abschnitte liest, denen 
der Verfasser noch seine ganze Sorgfalt schenken 
konnte, — die Kapitel über Renaissance und Ro- 
coco — der wird gern das glückliche Talent des 
Kulturhistorikers bewundern, der mit so herzlicher 
Freude Natur und Kunst in ihren Zusammen- 
hängen aufzufassen wußte. Riehls lebendiger Sinn 
für lokale Forschung, der mit dem Boden ver- 
wachsen war wie wirkliche Heimatkunst, sein 
schlichter Erzählerton, der selbst für das kleinste 
Kunstwerk so innige und gute Worte zu finden 
wußte, das alles ist wohl in keiner seiner früheren 
Arbeiten so ausgeprägt wie in dem letzten Werk. 
In diesem Sinn ist Riehls „Kunst im bayrischen 
Donautal“ wirklich ein Volksbuch geworden, ein 
Geschenk des Frühverstorbenen an das Land, 
dessen Kunstgeschichte ihm seit Sighart die größte 
Förderung verdankt. 

Tausend Jahre deutscher Kunst, so nennt Riehl 
selbst den Inhalt seiner Arbeit. Im Ganzen ein 
Ausschnitt aus dem Gesamtbilde der deutschen 
Kunstgeschichte, im Einzelnen ein hundertfach 
_vergréBertes Bild aus derselben. Es ist die Schil- 
derung des Lebens am zweitgrößten deutschen 
Handelsstrom des Mittelalters — soweit er in die 
bayerischen Grenzen fällt — der Entwicklungsgang 
eines deutschen Kulturbildes. Wie sich Leben und 
Treiben an einer großen Handelsstraße zusammen- 
zieht, so laufen hier die Fäden zusammen zu einem 
Gewebe; Städte werden und vergehen; im Morgen- 
rot dieser tausendjährigen Überschau steht die alte 
Reichshauptstadt Regensburg, deren Glanz die 
Donaukunst überstrahlt bis ins späte Mittelalter, 
der Abend zeigt das Bild eines deutschen Terri- 
toriallandes in seiner bunten Vielfältigkeit. 

Mit Regensburgs Frühkunst beginnt die Studie. 
Auf römischem Boden ist die mittelalterliche 
Stadt gewachsen; aus dieser erklärt sich ihre 
Frühkunst. Daneben führen viele Beziehungen 
nach Oberitalien. Wichtig sind die Goldschmiede- 
und Bucharbeiten der Karolingerzeit. Für 
letztere besonders die Schreibstube des alten Be- 
nediktinerklosters St. Emmeram, Hier liegen die 
Anfänge der Regensburger Buchmalerei des тт. 
Jahrhunderts, die Riehl aus dem eigenen Boden 
erklärt wie die frühromanische Baukunst. Im 


530 


Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts entfaltet sich 
in Regensburg ein reiches höfisches Leben; dem 
entspricht der Charakter seiner Kunstwerke, be- 
sonders die unter Kaiser Heinrich II. blühende 
Buchmalerei, Wie die Kunst mit den Wechsel- 
beziehungen zwischen Stadt und König steigt und 
fällt, ist besonders am Rückgang in der a. Hälfte 
des 12. Jahrhunderts zu verfolgen. In dieser Zeit 
vollzieht sich in der Regensburger Kunst der Über- 
gang von der Vorherrschaft des höfilschen zur 
Hegemonie des klösterlichen Prinzipa. Mit der 
Hirsauer Reform, die mit dem Beginn des 12. Jahr- 
hunderts in Regensburg einzieht, und in ihrem 
Gefolge die große Kunst. Dafür zeugen die Bau- 
ten um Regensburg: Prüfening, Biburg u. a.; in 
Regensburg St. Jakob mit dem rätselhaften Portal, 
die Allerheiligenkapelle, das wundervoll abge- 
glichene Werk spätromanischer Architektur; da- 
für zeugen aber nunmehr auch alle die Denkmäler, 
die mit den Hirsauern im weiteren Donautal Fuß 
fassen. Hand in Hand geht das Emporblühen 
der Wandmalerei, für die in und um Regensburg 
reiches Material sich erhalten hat, endlich die 
Buchmalerei, die Riehl als Resultat dessen auf- 
faßt, was das 11. Jahrhundert anbahnte. Das Re- 
sumé des 12. Jahrhunderts sieht der Verfasser in 
dem Erstarken einer vom Überlieferten losgelösten, 
selbständig lebenskräftigen Kunst. 

Unter diesen Auspizien setst in Regensburg die 
Gotik ein. Mit dem St. Emmeramer Kreuzgang 
und der merkwürdigen Emporenkirche St. Ulrich, 
Dann folgen Dominikaner- und Minoritenkirche, 
die das frühgotische System durchgebildet zeigen. 
Und inmitten dieser reichen Bautätigkeit das wich- 
tigste Faktum für die Folgezeit der Regensburger 
Architektur während des 14. und 15. Jahrhunderts, 
die Grundsteinlegung des Doms (1275). Wie sich 
nunmehr das ganze künstlerische Interesse der 
Stadt um den Dombau gruppiert, wie besonders 
die Plastik durch ihn zu hoher Blüte sich ent- 
faltet, ist eingehend und in seiner Anschaulich- 
keit vortrefflich geschildert, so daß auch der diese 
Partie mit Genuß studieren wird, der mit den 
Präliminarien, besonders der Frage nach der Selb- 
ständigkeit bzw. Beeinflussung des Domplanes mit 
dem Verfasser nicht einverstanden ist. An den 
Dombau schließt Riehl die übrige Bautätigkeit der 
Stadt während des 14. Jahrhunderts, die Schilde- 
rung der Hauskapellen und des Rathauses, dann 
die frühgotische Plastik in Regensburg mit ihren 
Ausstrahlungen. Wir durchwandern dann die 
Städte im Donautal; Anfänge und Entwicklung 
des gotischen Stile in Straubing, Donauwörth, In- 
golstadt, das seit 1310 in den Vordergrund tritt, 


Altaich und in dem schon in romanischer Zeit kunst- 
geschichtlich bedeutenden Passau, und lernen den 
interessanten Klosterbau Kaishaim mit seiner präch- 
tigen gotischen Architektur und Plastik kennen, 
Die Spätgetik des 15. Jahrhunderts ist überreich 
fast in allen Donaustädten vertreten; zu betonen 
ist Ingolstadt, Straubing und Passau neben Regens- 
burg, das mit dem 15. Jahrhundert zum letzten- 
mal ein vielseitiges und auf allen Gebieten reiches 
Kunstschaffen erlebt. 

Mit dem тб. Jahrhundert wachsen neue Grün- 
dungen zu bedeutenden Zentren auf, so beson- 
ders Neuburg, die weltliche Residenz, und Dillin- 
gen, die geistliche. Der Abschnitt über die Ent- 
wicklung an diesen bedeutenden Renaissancehöfen, 
besonders die Kunsttätigkeit im Kreise Otthein- 
richs mit seiner eingehenden Schilderung des 
kulturgeschichtlichen Milieus, über allem die pracht- 
voll gezeichnete Figur des Fürsten — der typische 
Repräsentant der deutschen Renaissance — ge- 
hört zum Allerbesten, was Riehl überhaupt ge- 
schaffen hat. Die Kontrastbilder Neuburg — Dil- 
lingen sind mit einer staunenswerten Lebendig- 
keit gemalt. In Ingolstadt interessiert besonders 
die Plastik, auch hier ist wieder der ganze Geist, 
der von der Universitätsstadt ausgeht, glücklich 
hervorgehoben. Es folgt Regensburg mit Albrecht 
Altdorfer und seinen Zeitgenossen, endlich Passau 
mit bedeutenden plastischen Schöpfungen. Den 
Barockstil lernen wir in der Dillinger Residenz, 
der Hofkirche in Neuburg und besonders in dem 
Passauer Dom kennen. Wie verschiedene Stilrich- 
tungen nun nebeneinander wirken, das zeigen be- 
sonders die beiden letztgenannten Städte. Die 
Vorherrschaft der Jesuitenbauten und ihr Geist 
im Gegensatz und im Zusammenhang mit dem 
übrigen gleichzeitigen künstlerischen Leben hat 
den Verfasser hauptsächlich interessiert, 

Der Ausgangspunkt für die Rokokoperiode führt 
wieder nach Schwaben. Günzburg und Maria 
Mödingen mit Kirchenbauten, Lauingen und 
Dillingen mit stattlichen Rathäusern treten her- 
vor. Weiter Donauabwärts der „brillante Neu- 
bau‘ der Kirche und des Klosters Weltenburg. 
Kommen für diese Gegend Augsburger Einflüsse 
in Betracht, so treffen wir in Regensburg die 
Spuren Münchener Künstler. Westlich von Regens- 
burg begegnen in Straubing, Metten, Osterhofen 
und Passau glänzende Schöpfungen, die vielfach 
an das Grenzland Österreich erinnern. In all 
diesen Werken offenbart sich wie im Leben des 
18. Jahrhunderts ein großer, aufs Prunkvolle ge- 
richteter Geist. Mit einem knappen Ausblick auf 
das 19. Jahrhundert schließt das Thema. 


Das ist im kurzen der Inhalt des Buches. Die 
einheitlich überschauende Zusammenfassung der 
im einzelnen teilweise vorgearbeiteten Spezialge- 
biete, das mag billig als das Bedeutendste an dem 
Werke hervorgehoben werden, Es ist nicht nur 
eine interessant zu lesende Studie, für unsere 
bayrische Lokalforschung darf die Arbeit als ein 
notwendiges und langersehntes Nachschlagewerk 
bezeichnet werden. Dazu machen es um so mehr 
die guten Abbildungen und die reichen Literatur- 
angaben — letztere hauptsächlich ein Verdienst 
des Herausgebers. 

Die Lokalforschung wird im kleinen manches 
nachtragen, worüber Riehl noch nicht und nicht 
mehr entscheiden konnte. Doch ist das schließ- 
lich nicht Aufgabe dessen, der eine Zusammen- 
fassung geben will. Und was man auch neues 
hinzutun mag, Riehls Verdienst bleibt, in moderner 
Zeit als erster eine der Hauptrichtungslinien der 
bayrischen Kunst geschlossen dargestellt zu haben. 
Und das als Resultat einer zwanzigjährigen Arbeit, 
die ihm nicht gerade immer Dank eingebracht hat. 

H. Karlinger. 


MARIO FERRIGNI, Madonne Fioren- 
tine. Ulrico Hoepli, Milano 1912. ХХІХ 
und 308 S., 268 Abb. 


Als Ariadnefaden durch das umfängliche Ge- 
biet wählte F. die Voraussetzung, daß die Aus- 
bildung der Madonnen-Darstellung bedingt sei 
durch die psychologische Verfeinerung des schil- 
dernden Künstlers, vielmehr die Differenzierung 
seiner Generation. Je mehr man den Menschen 
— als Teil der Welt — äußerlich und innerlich 
bewußt erkennen, die Wesensunterschiede zwi- 
schen Mann und Frau und ihre Verschiedenheit 
in den sozialen Schichten begreifen lernte, je 
mehr die Menschen auch im täglichen Leben Frei- 
heit gewannen; sich zu zeigen, wie sie waren, um 
so feiner und vielseitiger konnte das Thema der 
Madonna geschildert werden. Aus der Himmels- 
königin wird die liebende, sorgende Mutter, aus 
dem Symbol ein Abbild der Gegenwart. Der Ge- 
danke ist m. W. nicht neu; doch stellte F. der 
göttlichen Mutter die andere weibliche Hauptge- 
stalt der christlichen Bilderwelt gegenüber: Maria 
Magdalena, und dazu Venus als antike Verherr- 
lichung des Begrifis Frau. — Er beginnt mit der 
altchristlichen Madonna und kommt in sehr weiter 
Begrenzung seines Themas über Tizian, Rubens, 
Murillo und Tiepolo bis zu den süßlichen Inter- 
pretationen des modernen Italiens. Das Kultur- 
geschichtliche und das Frauenportät des Quattro- 


531 


cento nehmen großen Raum in diesem Buche ein, 
das nach Grundidee und Durchführung kein wissen- 
schaftlich-kunsthistorisches im strengsten Sinn 
des Wortes ist; eher eine Apotheose auf die Frau 
und auf das Lieblingsthema der florentinischen 
| Frilhrenaissance, Dem entspricht die schöne — 
von einer echt italienischen Begeisterung ge- 
tragene — Sprache und ebenso die Auswahl der 
guten Illustrationen. — Von diesem Standpunkte 
aus wird man man kaum mit dem Autor wegen 
einer Anzahl Irrtümer rechten dürfen: So hält er 
u. a, Agostino di Duccio für Luca della Robbias 
Brüder, ein Irrtum Vasaris, den m. W. schon 
Milanesi klar gestellt hat, er gibt die Madonna 
am Grabmal des Leonardo Bruni vom älteren 
Rossellino an Verrocchio, verwechselt die Büste 
Marietta Strozzis bei Pierpont Morgan mit der in 
Berlin, und glaubt, daß am Sockelrelief des hl. 
Eligius von Nanni di Banco die Zauberin eine 
willkürlich hinzugefügte Frauengestalt sei. Neuer- 
liche Attributionen, wie die der einst anonymen 
Ankona in den Uffizien an Jacopo di Rossello 
Franchi, blieben ihm unbekannt, obwohl dem Bild 
längst diese Bezeichnung beigefügt wurde und die 
meisten Illustrationen Kunstwerke, die sich in 
Florenz befinden, wiedergeben. 

Е. Schott müller. 


Die Hand zeichnungen der Uffizien 
(Disegni della К. Galleria degli Uffizi), 1. 
Die Zeichnungen des Jacopo Carrucci 
gen. il Pontormo. 25 Tafeln. Verlag von 
Leo S. Olschki, Florenz. 


Handzeichnungen der französischen 
Meister. Eine Auswahl von Zeichnungen 
nach den Originalen der Kiinstler wieder- 
gegeben. Leipzig, Baumgärtners Buch- 
handlung. 


Pieter de Hooch, Jan Vermeer van 
Delft. Original - Abbildungen nach ihren 
vorziiglichsten Gemälden. Leipzig, Baum- 
gärtners Buchhandlung. 


In einer jener nicht genug zu begrüßenden 
Publikationen, die der kunstwissenschaftlichen For- 
schung von Grund auf vorarbeiten, soll der ganze 
unermeßliche Schatz von Handzeichnungen, den 
die Uffizien bergen, erschlossen werden und man 
kann sagen, daß die erste eben erschienene Mappe 
mit fünfundzwanzig Studien des Jacopo Pontormo 
eine ebenso gelungene wie wissenschaftlich dank- 
bare Einleitung zu dem Gesamtwerk bedeutet. Diese 
in Originalgröße, zum Teil farbig wiedergegebenen 


532 


Blätter des Florentiner Malers leiten nicht nur 
unmittelbar zur Künstlerwerkstatt hin; sie sind 
auch für sich Proben von dem starken zeichnerischen 
Wollen eines alten Meisters, das hier beinahe 
modern erscheint. Vertiefen sie daher auf der 
einen Seite ungemein vielsagend die Kenntnis der 
künstlerischen Persönlichkeit, so beweisen sie nicht 
minder auch, daß dem Maler Pontormo vielleicht 
doch auch die Erfüllung seines ganzen Könnens 
in der Praxis versagt geblieben ist. 

Carlo Gamba hat dieser ersten Lieferung einen 
kritischen Text vorangestellt, der über die einfache 
ästhetische Analyse des Einzelblattes hinausgeht 
und die Zeichnungen in enge Beziehung zu dem 
Oeuvre des Malers bringt, indem er hier und dort 
mit Recht die Vorstudien zu den ausgeführten 
Bildern erkennen durfte und im ganzen auch die 
Entwicklung des Pontormoschen Stiles klar abzu- 
runden weiß. 

Es wird Pflicht des Rezensenten sein, auf ein 
Unternehmen dieser Art, das von vornherein der 
höchsten Anerkennung gewiß sein darf, mit jeder 
neuen Lieferung erneut hinzuweisen. 

Anschließend mag an dieser Stelle gleich auf 
ein zweites ähnliches Unternehmen hingewiesen 
werden, dessen kritische Würdigung später erfolgen 
wird. Der Titel desselben lautet: „Imonumenti 
antichi di Roma nei disegni degli Uffizi 
di Firenze illustrati da Alfonso Bartoli“. Diese 
von dem Inspektor des Palatins und des Forum 
Romanum herausgegebene Sammlung soll an die 
500 Lichtdrucktafeln in großem Format vereinigen, 
denen ein erläuternder Text beigegeben wird. Als 
Verleger zeichnen Bontempelli & Invernizzi in 
Rom. 

Dankbar zu begrüßen sind auch die Publikationen, 
die der Leipziger Verlag von Baumgärtner seit 
einiger Zeit in den Handel bringt, Mappenwerke 
aus den verschiedensten Gebieten des älteren 
Kunstschaffens, allen voran eine mit feinem Ge- 
fühl für das Charakteristische der Epoche besorgte 
Auswahl von französischen Handzeichnungen mit 
Arbeiten von Watteau, Boucher, Callot, Greuze, 
Lancret u. a., deren reizvolle farbige Wiedergabe 
deutlich erkennen läßt, wie hier die Reproduktion 
Selbstzweck ist und nur die Freude am Sujet 
wecken will. Im ganzen dreißig zum Teil mehr- 
farbige Lichtdrucke nach den besten Handzeich- 
nungen der Künstler, die das Eigenwillige jeder 
Persönlichkeit klar umreißen und die man sich 
gerahmt unbedenklich in jedes Studierzimmer eines 
Kunstfreundes hineinwünschen möchte. 

Eine zweite Mappe in ähnlicher Aufmachung 
vereinigt eine Anzahl der Hauptwerke der beiden 


großen holländischen Interieurmaler Pieter de Hooch 
und Vermeer und auch hier sind die Reproduktionen, 
die das beste aus der Werkstatt der Kiinstler 
wiedergeben, besser wie so manches, was man 
nach diesen Bildern bisher gesehen hat. Im ganzen 
aber möchte ich auf diese Mappen mehr den 
Kunstfreund schlechthin als den Kunstgelehrten 
von Fach empfehlend hinweisen. 

G. Biermann, 


KARL SCHEFFLER, Die National- 
galerie zu Berlin, ein kritischer Führer. 
Mit 200 z. T. mehrfarbigen Abbildungen. 
Verlag Bruno Cassirer, Berlin, 1912. 


Hinter dem bescheidenen Titel eines kritischen 
Führers verbirgt sich eine Geschichte der deutschen 
Malerei im 19. Jahrhundert. Und es spricht nicht 
wenig für die Art wie Tschudi während seiner nur 
allzu kurzen Wirksamkeit in Berlin die National- 
galerie ausgebaut hat, daß diese Geschichte an 
Hand der Sammlung geschrieben werden konnte. 
Natürlich baut sich Schefflers Wissen um deutsche 
Malerei nicht auf dem Schatz der Nationalgalerie 
allein auf, aber er geht ausschließlich vom Bestand 
der Berliner Sammlung aus, wenn er auch seine 
Fäden gelegentlich weiter spinnt. Von den Per- 
sönlichkeiten, die der deutschen Kunst in den 
zwei ersten Dritteln des 19. Jahrhunderts ihre be- 
stimmenden Züge gegeben haben, fehlt in Berlin 
niemand mit Ausnahme des gesamten Hamburger 
Kreises, da Lichtwark diese Dinge zu einer Zeit 
in der Hamburger Kunsthalle zu sammeln begonnen 
bat, da für die eindringliche, stille Schönheit eines 
Runge und seines Kreises das Gefühl in Deutsch- 
land noch nicht erwacht war. Die zurzeit in der 
Nationalgalerie als Leihgabe ausgestellte Samm- 
lung von Bernt Grönwold, dem Entdecker Was- 
manns, füllt hier eine Lücke aus. Leider wohl 
nur vorübergehend, da wenig Aussicht vorhanden 
ist diese Sammlung, deren eigentlicher Platz Ham- 
burg wäre, in Berlin zu behalten. 

Die besten Bücher über die gesamte deutsche 
Malerei im 19. Jahrhundert sind als reich illustrierte 
Gelegenheitsschriften entstanden. So Tschudis vor- 
treffliche Einleitung zur deutschen Jahrhundert- 
ausstellung in Berlin 1906!) und Schefflers vor- 
liegendes Buch. Hatte Tschudi vor sechs Jahren 
Entwicklungslinien aufzudecken, so kann Scheffler, 
da unser Wissen um die deutsche Malerei dieser 
Epoche sich sehr vermehrt hat und über fast alle 
(1) Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775 bis 
1895 in der Kgl. Nationalgalerie Berlin 1906. Mit einleitendem 


Text von Hugo von Tschudi. München, Verlagsanstalt 
F. Bruckmann A.-G., 1906. 


bedeutenden Künstler Einzelmonographien erschie- 
nen sind, die Resultate der Forschung zusammen- 
fassen. 

Im ersten Teil gibt Scheffler eine kurze Ge- 
schichte der Sammlung. Die Nationalgalerie war 
wie die meisten modernen deutschen Museen eine 
Zufallsgründung, hervorgegangen aus dem Ver- 
mächtnis von 262 Gemälden des schwedisch-nor- 
wegischen Konsuls Wagner an König Wilhelm I. 
im Jahre 1861. 1874 erhält die Sammlung ihren 
ersten Direktor, Max Jordan, und verläßt zwei Jahre 
später die Interimsräume in der Akademie, um ihr 
eigenes Haus zu beziehen. Erst als Hugo von 
Tschudi 1895 sein Amt als erster Direktor antritt, 
darf die Sammlung ihren stolzen Namen einer 
Nationalgalerie mit Recht tragen. 

Der zweite wesentlich bedeutendere und um- 
fangreichere Teil des Buches ist der historische. 
Die Nazarener und ihre Nachfolger bilden den 
Ausgangspunkt, ihnen sind die Deutsch - Römer: 
Böcklin, Feuerbach, Hans von Marées und Klinger 
angegliedert. Dieser Gruppe der ‚„Idealmalerei“ 
stellt Scheffler die „Wirklichkeitskunst“ gegenüber. 
Der Entwicklung der „Wirklichkeitskunst“ geht 
Soheffler in Berlin, Düsseldorf, München, Wien, 
Dresden, Frankfurt und Weimar nach und behan- 
delt Leibl und die Süddeutschen (Trübner, Schuch, 
Hagemeister, Sperl usw.) und Liebermann und die 
Norddeutschen (Uhde, Kalckreuth, Leistikow) in 
gesonderten Kapiteln. 

Gewissermaßen als Anhang wirkt der Abschnitt 
über „fremde Vorbilder“ und das Kapitel über 
Skulptur im 19. Jahrhundert. 

Von Schefflers zahlreichen Wünschen für die 
Zukunft der Nationalgalerie sei der nach einem 
neuen Ausstellungsgebäude genannt. Der alte 
Stülersche Bau, der sich nur wenig für Galerie- 
zwecke eignet, könnte wieder rein repräsentativen 
Aufgaben dienen und als periodische Ausstellungs- 
halle gebraucht werden, damit nicht wie bei der 
Menzel- oder Jahrhundertausstellung die ständige 
Sammlung ausgeräumt werden muß. Vieles soll 
ergänzt, vieles abgestoßen und namentlich dem 
unwürdigen Zustand ein Ende gemacht werden, 
daß die vorhandenen Entwürfe zu den Neapler 
Fresken von Marées im Keller magaziniert bleiben. 

Höchst unglücklich erscheint mir dagegen der 
Vorschlag, der nicht vereinzelt ist und schon viel 
in Praxis umgesetzt wurde, alles was für die National- 
galerie nicht mehr gut genug ist, an die Provinzial- 
museen abzustoßen. Diese Taktik macht die Pro- 
vinzialmuseen zu wahren Folterkammern. Bilder, 
die sich infolge mangelnder künstlerischer Quali- 
täten nicht mehr zu Ausstellungszwecken eignen, 


533 


mögen magaziniert werden. Provinzialmuseen, unter 
dem Gesichtspunkt der Rumpelkammer ausgebaut, 
fälschen Geschichte und bringen sich um ihre 
beste Wirkung auf die Lebenden, indem sie sie 
der Kunst entfremden, anstatt sie zu ihr zu führen. 
Diese Gefahr ist in der Provinz viel größer als in 
der Hauptstadt. Der Bewohner der Großstadt hat 
die Möglichkeit, seine Vorstellungen durch perio- 
dische Ausstellungen zu rektifizieren, in der Provinz 
werden Dinge mumifiziert, die nie lebendig waren 
und dort als die allein geltenden bestehen. 
Dagegen ist der von Justi, dem neuen Direktor, 
getroffene Ausweg: eine nationale Porträtgalerie 
im eigenen Gebäude und Überweisung von Schlach- 


tenbildern und anderen Kompositionen von patrio- | 


tisch-stofflicher Bedeutung ans Zeughaus außer- 
ordentlich glücklich, da diese Sammlungen unter 
einem anderen Gesichtspunkt als dem künstlerischen 
angelegt sind. Rosa Schapire. 


534 


CARPEAUX, Kollektion ,,l’art de notre 
temps“. 48 Tafeln. Librairie centrale des 
Beaux-Arts, Paris. Frs. 3.50. 


Die Methode dieser hier schon mehrfach er- 
wähnten Kunstbücher besteht darin, eine Auswahl 
der Werke eines Künstlers in einzelnen kleinen 
Monographien vorzuführen, jeder Abbildung die 
Entstehungsgeschichte des Werkes beizufügen. 
Zum neuesten Band, der gerade recht als Ergän- 
zung der kürzlich stattgehabten Ausstellung Car- 
peauxscher Werke erschienen ist, haben Jean 
Laran und Georges Le Bas diese Notizen redigiert, 
hat Paul Vitry vom Louvre die knappe Einleitung 
geschrieben, darin er auf das Bernineske in Car- 
peaux Temperamentsausbrüchen hinweist. Es sei 
die durch ihre dokumentarische Sachlichkeit für 
die Kunstgeschichte wertvolle Publikation aufs beste 
empfohlen. Kieser. 


DER CICERONE. 

Heft 21: 

ARNOLD FORTLAGE, Kunst des 19. Jahrhunderts 
in Kölner Privatbesitz. (12 Abb.) 

FRIEDRICH H. HOFMANN, Fayencen von Göp- 
pingen. (3 Abb.) 

WALTER BOMBE, Restaurierungen und Neube- 
stimmungen im Palazzo Pitti. (2 Abb.) 


Heft 22: 
WILLIAM COHN, Die Ausstellung alter ostasiati- 
scher Kunst in der kgl. Akademie der Künste in 
Berlin. (x Tafel, 23 Abb.) 

Die römischen Kongresse (III. intern. Archäo- 
logenkongreß, X. intern. kunsthistor. Kongreß). 


KUNST UND KÜNSTLER. 
XL, Heft a: 


ANTONIN PROUST, Erinnerungen an Edouard 
Manet. 


KARL SCHEFFLER, Die Bremer Kunsthalle 
(Deutsche Museen moderner Kunst, Ш.). (24 Abb.) 


JULIUS MEIER-GRAEFE, Handel und Händler, II. 
E. Р. RIESENFELD, Schloß Wörlitz. (8 Abb.) 
WALTER BOMBE, Die Sammlung Crespi. (4 Abb.) 


DIE KUNST FÙR ALLE. 
XXVIII., Heft 5: 


WILHELM MICHEL, Edmund Dulac. (7 farbige 
Abbildungen.) 


Aus Briefen von Karl Stauffer-Bern. 
ARTHUR RÖSSLER, Rudolf Alt. (11 Abb.) 
FRITZ von OSTINI, Hans Pellar. (x Tafel, 7 Abb.) 


DEKORATIVE KUNST. 
XVI., Heft 2: 


K. LANGE, Das Haus Rosenfeld in Stuttgart von 
Bernh. Pankok. (6 Tafeln, 55 Abb.) 


DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION. 
XVI., Heft 2: 

KUNO MITTENZWEY, Münchner Jahresausstel- 
lung im Glaspalast. (x Tafel, 14 Abb.) 

R. BREUER, Der Kiinstler und seine Welt (Curt 
Herrmann-Berlin als Maler und Sammler). (3 Tafeln, 
17 Abb.) | 

WALTER GEORGI, Der Impressionismus und die 
Kultur der Gegenwart. 

FRITZ von OSTINI, Neue Arbeiten von Charles 
Tooby. (x farbige Tafel, 12 Abb.) 

FRANZ PLANER, Raumkunst auf der Wiener 
Frühjahrsausstellung des Österr. Museums für Kunst 
und Industrie. (2 Tafeln, ı8 Abb.) 


ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST. 
XXXVII., Heft з: 


CURT GLASER, Erna Frank. (1 Originalalgraphie, 
2 Abb.) 


WALTHER BIEHL, Kunstgeschichtliche Streifzüge 
durch Sardinien, II. (12 Abb.) 


EWALD BENDER, Leo von König. (9 Abb.) 


AUG. L. MAYER, Ein unbekanntes Spätwerk des 
Velazquez. (1 Abb.) 


М. D. HENKEL, J. J. Doeser. (9 Abb.) 


D. BERINGER, Malerei mit dem Bleistift (Emily 
Lengnik). (3 Abb.) 


KUNST UND KUNSTHANDWERK. 
Heft 8—9: 
F. HOEBER, Alte Puppen. (33 Abb.) 


н.а. STROHL, Die Wappen der Ordensstifte und 
Abteien in Steiermark, Kärnten und Krain. (24 Abb.) 
A. WALCHER von MOLTHEIN, Das niederösterr. 
Landesmuseum in Wien. (21 Abb.) 

Kleine Nachrichten. — Mitteilungen. — Literatur. 


Heft 10: 
E. LEISCHING, Theresianischer und josefinischer 
Stil. (79 Abb.) 
Eingehende Untersuchung über die Stilwandlung 
des 18. Jahrhunderts in Architektur, Dekoration 
und Kunstgewerbe in Österreich. 


Kleine Nachrichten. — Mitteilungen. — Literatur. 


ORIENTALISCHES ARCHIV. 

Heft x: 

A. K. COOMARASWANNY, Mughal Portraiture.. 

(14 Abb.) 

Zusammenstellung von Porträtminiaturen der in- 
dischen Mogulkaiser mit kurzer Übersicht über 
die Entwicklung dieses Kunstzweiges. 

R. SCHLÖSSER, Über Brunei-Bronzen. (11 Abb.) 
Behandelt eine Anzahl alter Bronzegeräte aus 
Nord- Borneo, meist im Bremer Museum für 
Völkerkunde, die interessante Zusammenhänge 
mit der frühen chinesischen Bronzekunst und 
mit dem indo-arabischen Kulturkreise aufweisen. 

A. WENING und W. HEIMANN, Das Nestorianer- 

denkmal von Sian-Fu und die Holmsche Expediton 

von 1907 und 1908. (11 Abb.) 
Steindenkmal aus dem Jahre 781 n. Chr. im 
Inneren Chinas (Provinz Schensi), mit wichtiger 
zweisprachiger Inschrift (syrisch und chinesisch). 

A. FISCHER, Fälscherwesen in Japan und China. 

H. GROTHE, Ausgrabungen und Forschungen im 

vorderen Orient, I. (4 Abb.) , 

Notizen über Rhodos, Antiochia, Samos, Perga- 
mon, Sardes, Kreta, Tripolis. 

H D’ARDENNE DE TIZAC, L'art chinois a Paris: 

Exposition de peintures chinoises au Musée Cer- 

nuschi. 


535 


ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTL. KUNST. 
Heft 8: 


TH. RASPE, Kirchlicher Kunstbesitz des Olden- 
burgischen Museums. (23 Abb.) 


DIE CHRISTLICHE KUNST. 
IX. Heft ı: 


OSCAR GEHRIG, Der Glaspalast München 1918. 
(xx Abb.) 


H. BENS, Weitere Studiennotizen über Kirchen 
und das Erbauen von Kirchen in Deutschlands ver- 
gangenen Zeiten. 


OSCAR GEHRIG, Die Sommerausstellung der 
Münchener Sezession 1912 (Schluß). (6 Abb.) 


SENGER, Sebastiansstatue von Riemenschneider. 
(1 Abb.) 


Neuerwerbung des Bayrischen Nationalmuseums 
in München aus Mithlendorf. 


JOSEPH WAIS, Passionsbilder. (1 Tafel, 5 Abb.) 
HELENE STUMMEL, Der neue Hochaltar der 
Apostelkirche in Köln. (1 Tafel, т Abb.) 

BARTH, Ferdinand Keller. 


O. DOERING, Die K. internationale Kunstausstellung 
zu Venedig, I. 


A.R. MAIER, Christliche Kunstausstellung Aachen, 


JAHRESMAPPE 1912 DES „VEREINES 
FÜR DENKMALPFLEGE U. HEIMAT- 
SCHUTZ IN NIEDERÖSTERREICH“. 
(3 Heliogravürentafeln mit erläuterndem Text.) 
Tafel IX: HANS TIETZE, Portal der Pfarrkirche 
in Tulln. 

Tafel X: KURT RATHE, Das Epitaph des Mathias 
Hauer von Türnitz (Wien, Historisches Museum 
der Stadt Wien). 


Tafel XI: HANS TIETZE, Werkstatt Ruelond 
Frueaufe: Szene aus der Gründungsiegende des 
Stiftes Klosterneuburg (Museum des Stiftes Kloster- 
neuburg). 


MUSEUM. 
Heft 5: 
R. BALSA DELA VEGA, Exposiciön nacional de 
Bellas Artes, Madrid. (20 Abb.) 
N.SENTENACH, Indumentaria antigua americana. 
(2 Tafeln, 16 Abb.) 
Behandelt die Kleidung der Azteken zur Zeit 
der spanischen Eroberung. Die Abbildungen 


geben meistens Objekte aus dem Archäologischen 
Museum in Madrid wieder. 


C. DE BOFARULL, Encajes a mano. (12 Abb.) 
Aufsatz über katalanische Spitzen. 


ECOS ARTISTICOS. (Mit Abbildung eines span.- 
maur. Mörsers im Museo Balaguer.) 
Heft 6: 


P. LAFOND, El hombre del mapamundi de Ve- 
läzquez. (тт Abb.) 


536 


Behandelt den „Mann mit dem Globus“ im 
Museum von Rouen, versucht ihn in das Oeuvre 
Velazquez’ einzureihen und gibt eine — unvoli- 
ständige — Zusammenstellung der außerhalb 
Spaniens befindlichen Werke des Meisters. 

J. MARTI Y MONSO, Gregorio Fernandez. (13 Abb.) 
Wertvolle Untersuchungen über das Leben und 
die Werke dieses spanischen Bildhauers (1576 
bis 1636), der vornehmlich in Valladolid tätig 
war. 


ECOS ARTISTICOS. (4 Abb.) 


Heft 7: 


D. MARIN, Exposicion de Arte histörico, Granada. 

(42 Abb.) 
Sonderheft über die Ausstellung granadiner Kunst, 
die im Sommer 1912 im Carmen de los Märtires 
bei der Alhambra stattfand. Sie beschränkte 
sich im allgemeinen auf Erzeugnisse der nach- 
maurischen Zeit, unter denen neben vielen kunst- 
gewerblichen Gegenständen altniederländische 
Gemälde, ferner Bilder von Murillo, Cano, Greco 
u. a. und Plastiken der granadiner Schule her- 
vortraten. 


ECOS ARTISTICOS. 


L'ARTE. 
fasc. 5: 
MICHELE BIANCALE, Evaristo Baschenis dipin- 
tore degli antichi liuti italiani. (16 Abb.) 
Ausführliche Monographie des bergamasker Mei- 
sters, illustriert durch zahlreiche typische Stücke, 
meist aus dem Besitz des Prof. Bernardi. 
ROBERTO PAPINI, La costruzione del Duomo 
di Pisa. (16 Abb.) 
Kritik der Quellen und des Baues. 
ROBERTO SCHIFF, Rinvenimento di due opere 
di Duccio di Buoninsegna. (3 Abb.) 
Madonna aus Lucca, jetzt im Palazzo Mediceo 


in Pisa und ähnliche Madonna in der Accademia 
von Siena. 


MARGARET T.JACKSON, Affreschi inediti a 
Tagliacozzo. (15 Abb.) 

PIETRO PICCIRILLI, Gli affreschi della Cappella 
Caldora in 8. Spirito di Sulmona. (8 Abb.) 


RASSEGNA D'ARTE. 

fasc. 8—0: 

GUSTAVO FRIZZONI, Una nuova perla nel Gabi- 

netto dei Veneti del Museo Poldi-Pezsoli. (ro Abb.) 
Madonna mit Kind von Cavazzola. 

LAUDEDEO TESTI, Particolari inediti del Duomo 

di Parma. (12 Abb.) 

EDMONDO SOLMI, Il David di Leonardo e il 

David di Michelangelo. (2 Abb.) 
Entstehungsgeschichte der Statue und Vergleich 
mit einer Skizze Leonardos, die Mintz als Kopie 
nach M.A., Solmi ala eigenen Entwurf Leonar- 
dos ansieht. 


A. RATTI, Frate Antonio da Monza incisore? (31 
Abbildungen.) 


ARTURO PETTORELLI, Il Palazzo Reale di Ge- 
nova. (6 Abb.) 


ALDO FORATTE La palazzina della Viola in 
Bologna. (a Abb.) 
Innendekoration vonInnoncenza da Imola (mythé- 
logische Szenen) und Prospero Fontana. 


BERNARDO SANVISENTI, Un monumento se- 
polcrale del Thorwaldsen. (4 Abb.) 


THE BURLINGTON MAGAZINE. 


November 1912: 


JOSE PIJOAN, Iberian Sculpture. (3 Tafeln, da- 
von 1 koloriert.) 


Behandelt alte Tierstatuen, die sich in Spanien. 


finden, und deren Zusammenhinge mit den 
chaldiischen Stieren, der cretischen Kunstperiode 
usw., sowie Frauenstatuen und deren Zusammen- 
hinge mit griechisch-archaischer Kunst, vor 
allem den berühmten, jetzt im Louvre befind- 
lichen Kopf von Eiche. 


A. J. WAUTERS, Roger van der Weyden. 1. 
(a Tafeln mit 4 Abbildungen.) 


Rogers Verbindungen mit Louvain werden unter- 
sucht, und es wird dargetan, daß offenbar sein 
sogenannter Altar des Papstes Martin V., von 
dem zwei Stücke sich in Granada, ein drittes 
bei Messrs. Duveen befinden, während das Kaiser. 
Friedrich - Museum eine alte Kopie des ganzen 
Altarwerkes besitzt, eine Gabe der Stadt Louvain 
an den Papst war, um ihn für das Projekt einer 

Universität in Louvain günstig zu stimmen. 
Diese Verbindung Rogers mit Louvain füllt eine 
noch unbekannt gewesene Lücke seines Lebens- 
und Schaffenganges vor 1430 aus. 


RAPHAEL PETRUCCI, Corean Pottery. (a Ta- 

feln mit 9 Abbildungen.) 
Es werden Unterschiede zwischen chinesischen 
und koreanischen Steingutvasen, wie sie seit 
einiger Zeit zahlreich aus koreanischen Gräbern 
‚ausgegraben werden, aufgestellt, und die Be- 
zeichnung all dieser Waren als „Koreanisch“ 
seitens der Japaner wird als falsch dargetan. 

LIONEL CUST, Notes on Pictures in the 

Royal Collections. XXIV. (2 Tafeln mit 5 Ab- 

bildungen.) 
Behandelt Porträts des Cornelis Ketel, vor allem 
sein Selbstbildnis im Hampton Court Palace. 
Ketel müssen, meint Cust, viele Porträts zuge- 
wiesen werden, die jetzt den Namen Zuccaro 
tragen. 

MARY PHILLIPS PERRY, On the Psycho- 

stasisinChristian Art. I. (2 Tafeln und mehrere 

Textillustrationen.) 

CLAUDE ANET, Exhibition of Persian Minia- 

tures at the Musée des Arts Décoratifs, 

Paris. II. (3 Tafeln mit 13 Abbildungen.) 
Behandelt ausgewählte Miniaturen aus dem letzten 
Drittel des 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts, die meist unter dem überlieferten Namen 
des großen Künstlers Behzad gehen. Durch eine 
eingehende Stilkritik wird die Hand verschiedener 
großer Meister in diesen Stücken nachgewiesen. 
Das Ende des Aufsatzes behandelt kurz die Indo- 
persische Schule. 

AYMER VALLANCE, Early Furniture. V. 

(1 Tafel mit a Abbildungen.) 
Möbel mit Metallverzierungen. 

Art in France. — Letters to the Editors. — 

Reviewsand Notices. — Italian Periodicals. 

— Recent Art Publications. 


537 


NEUE BÜCHER н 


H. v. D. LINDEN, Tresor de L'art Belge au ХУПе 
siècle. G. van Oest, Brüssel. 

HANS VOLLMER, Materialien zur Bibelgeschichte 
und religiösen Volkskunde des Mittelalters. Weide- 
mannsche Buchhandlung. 

HANS v.D. GABELENTZ, Die Biblia Pauperum 
und Apokalypse der Groäherzoglichen Bibliothek 
zu Weimar. 

FRANZ LANDSBERGER, Der St. Galler Felehart- 
Paalter. 

S. FLURY, Die Ornamente der Hackim- und Ashar- 
Moschee. C. Winter, Heidelberg. 

FRANZ BO CR, Die Neuordnung der Kasseler 
Galerie. Marburg, Adolf Ebel. 

KARL BIRCH - HIRSCHFELD, Die Lehre von 
der Malerei im Cinquecento. Rom, Frank & Co. 
A. CORSINI, Il Costume del Medico nelle pitture 
fiorentine dal Rinascimento. Verlag Institute Micro- 
grafico Italiano, Florenz. 

LOUIS HAUTECOEUR, L’Architecture classique 
à St. Petersbourg, а la fin du ХУШ е siècle. Librairie 
ancienne Honoré Champion, Editeur, Paris. 
MAX DVORAK, Jahrbuch des kunsthistorischen 
Institutes der k. k. Zentralkommission für Denk- 
malpflege. 

М. ScHRö TER, Michelangelo. 

ALOIS RIEGL, Giov. Lorenzo Bernini. Verlag 
Schroll & Co., Wien. 

ALLAN MARQUAND, Della Robbias in Amerika. 
Verlag Henri Frowde, London. 

ALBIN EGGER-LIENZ, Monumentale Kunst. Ver- 
lag Herm. Walther, Berlin W. 


J.J. TIKKANEN, Die Beinstellungen in der Kunst- 
geschichte. Druckerei der Finnischen Literaturge- 
sellschaft. 


B. HAENDCKE, Entwicklungsgeschichte der Stil- 
arten. Ein Handbuch, Velhagen & Klasing, Biele- 
feld und Leipzig. 

RUDOLF ERGAS, Niccolò da Liberatore, genannt 
Alunno. Verlag F. Bruckmann, A.-G., München. 


FREDERIK POULSEN, Der Orient und die früh- 
griechische Kunst. Verlag B. G. Teubner, Leipzig. 


ALFRED GOLD, Johann C. Wilk. Ein Maler des 
deutschen Empire. Verlag Paul Cassirer, Berlin. 


ROBERT SCHMIDT, Möbel. Ein Handbuch für 
Sammler u. Liebhaber. Richard Carl Schmidt & Co., 
Berlin W. 6a, 

CASIMIR V. CHLEDOWSKY, Rom. Bd.I: Die 
Menschen der Renaissance, Bd. П: Die Menschen 
des Barock. Autorisierte Übersetzung aus dem Pol- 
nischen von Rosa Schapire. Verlag Georg Müller, 
München. 

GRÄFIN LOUISE ROSS, Die Colonna. Bilder aus 
Roms Vergangenheit. Verlag Klinkhardt & Bier- 
mann, Leipzig. 

BIANCA ZEHDER, Segantini. Giovanni Segantinis 
Schriften und Briefe. Volksausgabe. Verlag Klink- 
hardt & Biermann, Leipzig. 

PHILIPP LOSCH, Schönfeld. Bilder aus der Ge- 
schichte eines hessischen Schlößchens und seiner 
Besitzer. Verlag Klinkhardt & Biermann, Leipzig. 


MORITZ STÜBEL, Christian Ludwig von Hage- 
dorn. Ein Diplomat und Sammler des 18. Jahr- 
hunderts. Verlag Klinkhardt & Biermann, Leipzig. 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma G. Freytag, G. m. b. H., Leipzig, bei, den wir der get, Beachtung empfehlen. 


V. Jahrgang, Heft XII. 


Herausgeber u. verantwortl. Redakteur Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt, 
Roquetteweg 20, Fernsprecher 2150. — Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, 


Leipzig. 


Vertretung der Redaktion in BERLIN: HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 15, Uhlandstr. 158. | In 
MÜNCHEN: Dr. М. K. РОНЕ, München, Clemensstr. 80, Gartengeb. U. / In ÖSTERREICH: Dr. KURT 
RATHE, Wien I, Hegelgasse aı. | In ENGLAND: FRANK E. WASHBURN-FREUND, Gaddeshill 
Lodge, Eversley Hants. / In HOLLAND: Dr. K. LILIENFELD, Haag, de Riemerstraat 22. / In FRANK- 
REICH: i. V.: Dr. KIESER, Paris, Quai Bourbon rr. | In der SCHWEIZ: Dr. JULES COULIN, 


Basel, Eulerstr. 65. 


Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft: 
BerlinSW, Mittenwalderstr. 39, Fernspr.: Amt Moritzplatz Nr. 13 136 (Fritz Baum). 


Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der dee 
Literatur‘, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten. - 


538 


Tafel 104 


Frankfurt a. M., Städtisches historisches Museum 


HANS von METZ, Kalvarienberg 


Abb. ı. 


Zu: CARL GEBHARDT, FRANKFURTER MALER DES 15. UND 16. JAHRHUNDERTS 


M. f. K. V., 12 


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Tafel 106 


Abb. 5. FRIEDRICH von ASCHAFFENBURG, Martyrium 


des hl. Veit 


Abb. 4. FRIEDRICH von ASCHAFFENBURG, Martyrium 


des hl. Sebastian 


Frankfurt a. M., Städtisches histor. Museum 


Frankfurt a. M., Städtisches histor. Museum 


Zu: CARL GEBHARDT, FRANKFURTER MALER DES 15. UND 16. JAHRHUNDERTS 


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Tafel 107 


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Abb. 6. HANS HESSE, Die vierzehn Nothelfer | Frankfurt a. M., Städtisches historisches Museum 


Zu: CARL GEBHARDT, FRANKFURTER MALER DES 15. UND 16. JAHRHUNDERTS 


M. f. K. V., 12 


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Tafel 108 


Abb. 2. PAUL CASTEELS, Reiterschlacht 


Oldenburg, Großherzogl. Galerie 


Zu: K. ZOEGE von MANTEUFFEL, PAUL CASTEELS 


M. f. K. V., 12 


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Tafel 109 


Abb.2. L.429 


Abb.3. Dresdener Altar, Hand des hl. Antonius 


Zu: KURT GERSTENBERG, DÜRERS HAND 


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Tafel 110 


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Abb. 4. L. 185 (Ausschnitt) 


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АЪЬ. 5. Dresdener Skizzenbuch, ed. Bruck, Taf. 106 


Zu: KURT GERSTENBERG, DÜRERS HAND 


M f. K. V., 12 


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Tafel 111 


HANS MULTSCHER, Kreuztragung 


Zu: FRANZ STADLER, EIN VERSCHOLLENES WERK HANS MULTSCHERS 


M. f. K. V., 12 Digitized by Google 


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Geſchenkwerke aus dem Verlag von 
Klinkhardt & Biermann in Leipzig 


Stätten der Kultur, Band XXIX. 
b Von Profeſſor Dr. Otto Lauffer. 
am urg Buchſchmuck von Elfe Horft. 


са. 175 Seiten mit 32 Tafeln. — Felt broſchiert 
M. 3.—, in Leinen M. 4.—, in Leder M. 7.— 


Ш!“ Gedanke, alte und berühmte Stätten der Kultur, Mittelpunkte 
der Kunſt, Städte von ſtark ausgeprägter lokaler Charaktereigen⸗ 
tümlichkeit, von architektoniſcher und landſchaftlicher Schönheit, von den 
zauberiſchen Reizen traulicher Altertümlichkeit, von reichem geiſtigen, po⸗ 
litiſchen und wirtſchaftlichen Leben in einer reich illuſtrierten Monographien⸗ 
ſammlung zu 5 hat ſo viel Anklang gefunden, daß es ſich für 
uns erübrigt, dieſem neuen Bande noch empfehlende Worte mit auf den 
Weg zu geben. 


Pilgerfahrten in Italien 


Von Prof. Ernſt Steinmann u. Olga v. Gerſtfeldt 
2. Auflage. Mit 17 Tafeln. Geh. M. 6.—, geb. M. 7.50 


as die erſte ſtarke Auflage dieſes Buches nach Jahresfriſt vergriffen 
war, ſpricht mehr als alle Empfehlungen für feine Qualität, Wir 
möchten ihm deshalb nur die für ſeinen Geiſt charakteriſtiſchen Worte 
ermann Heſſes aus dem „März“ mitgeben: „Nachdenkliche Reiſende 
finden hier eine ſchöne, hundertfach anregende Lektüre. Und jene Schnell⸗ 
reiſenden, die mit dem Baedeker ſchon fertig ſind, können hier erfahren, 
wieviel in Italien zu holen iſt, wovon kein Handbuch weiß.“ 


Das Bücherbuch 


ur von unferen Verlagswerken einen befleren Begriff geben zu können, 
haben wir eine große Reihe von Auszügen und Abbildungen zu einem 
ſtattlichen Bänd⸗ in jeder Buch⸗ 


chen zuſammenge⸗ | andlung ju ha: 
ftellt, das unter SO Pfennig ( ж it. — Vom 
obigem Titel für Verlag direkt 
gegen Einſendung von 50 Pfennige in Briefmarken. 


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EC Weesen 


Geschenkwerke aus dem Verlag Klinlchardt & Biermann, Leipzig 


DIE COLONNA ком VER. 


ГА ROMS VER. 
GANGENHEIT :: VON GRÄFIN LUISE ROB 


2 Bande. 523 Seiten mit 32 Tafeln. Geh. М. 11.—, geb. М. 12.— 


Wie das Klirren von Hamischen, wie Kampfgetose und Schwerterklang 
schallt's uns aus diesem Buche entgegen. Es ist ein Kulturgemalde von 
ewaltiger Größe, das da vor unseren Aura enthüllt wird. Die Geschichte 
la Hauses Colonna schildern heißt Roms Geschichte schreiben. Und das 
ist hier von einer Meisterin der Darstellungskunst geschehen. Wie das alles 
lebt, wie wir diese Kraftmenschen und Heldengestalten, diese schonen 
Frauen, diese Dichter und Denker der Renaissance vor uns sehen, wie 
wir in das Spiel der Ranke und Intrigen eingeführt werden, wie uns anderer- 
seits die sinnbetorende Pracht der Feste, wie die wechselvollen Kampfe 
geschildert werden, das ist von überwaältigender Schönheit und fesselt 
mehr, wie ein packender Roman. Das ist eines jener Bucher, die man 
nicht aus der Hand legen kann. Es war wohl die Größe des Stoffes, 
die es vermocht hat, daß eine feinempfindende schonheiterfillte Frauen- 
seele aus diesem Ergebnis langjähriger ernster familiengeschichtlicher 
Forschungsarbeit ein so wundervolle Werk gestalten konnte. 


GIOVANNI SEGANTINIS 
BRIEFE UND SCHRIFTEN 


VOLKSAUSGABE 


Herausgegeben v. BIANCA ZEHDER-SEGANTINI 
Mit 8 Tafeln. — Geheftet Mark 3.—, gebunden Mark 3.60 


Der Wert dieses Buches ist am besten durch eine Kritik des „Türmers“ 
umschrieben: „Ein Buch von hoher Schönheit sind Giovanni Segantinis 
Schriften und Briefe, die die Tochter des großen Künstlers herausgegeben 
hat. Des großen Emsamen aus der gewaltigen Alpenwelt Selbstbiographie, 
Schriften und Gedanken über Kunst, bekenntnisse und Briefe sind 
hier zusammengeschlossen zu einem Denkmal reinsten Künstlergeistes und 
edler starker Männlichkeit. Der Künstler Segantini ist in seinem Besten zu 
verstehen, wenn man auf diese Weise dem prachtigen Menschen nahe- 
gekommen ist.“ Die Volksausgabe hat durch Ausscheiden von Nebensäch- 
lichem u. Alkäglichem bedeutend an künstlerischer Einheit u. Wert gewonnen. 


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== aus dem Verlag Klinkhardt & Biermann, Leipzig 


Goethe 


Von Profeſſor Dr. Georg Simmel 
264 Seiten. Geh. M. 4.—, geb. M. 4.80, in Leder M. 8.— 


Inhalt: 1. Leben und Schaffen. 2. Wahrheit. 3. Einheit der Weltelemente. 4. Getrenntheit der 
Weltelemente. 5. Individualismus. 6. Rechenſchaft u. Überwindung. 7. Liebe. 8. Entwicklung 
Es handelt ſich in dieſem Buch um den geiſtigen Sinn der Goetheſchen 
Exiſtenz, d. h. um die Formen, Tendenzen, Entwicklungen im innerſten 
feiner Perſoͤnlichkeit, durch die feine Dichtung wie fein Handeln, feine 
wiſſenſchaftliche Weltanſchauung wie fein Gefuͤhlsleben beſtimmt werden. 
Dieſe zentral entſcheidenden Richtungen ſeines Weſens werden hier an 
den großen Kategorien des Welt- und Lebensverſtaͤndniſſes gemeſſen 
und ihre Bedeutung fuͤr die Weltgeſchichte des Geiſtes zu zeichnen ver⸗ 
ſucht. Was Goethe an Schiller uͤber deſſen beruͤhmten Brief vom 
Auguſt 94 ſchrieb: „er habe die Summe ſeiner (Goethes) Exiſtenz ge⸗ 
zogen“ — wird hier wiederum unternommen, nur vom Standpunkt 
des modernen Menſchen und in der Perſpektive der inzwiſchen aufge⸗ 
wachſenen geiſtesgeſchichtlichen Begriffe. 
Das Buch ſtellt etwas abſolut Neues in der Goetheliteratur dar. 


Die Frauen um Goethe 


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Weimarer Interieurs von Dr. Paul Kühn 8 
2 Bände mit SO Tafeln. Geheftet je M. 7. —, in Pappb. a 
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je M. 6.—, in Leinen је M. 6.50, in Leder je M.10.— 
Jeder Band iſt in ſich abgeſchloſſen und einzeln käuflich 


Hamburgiſcher Correſpondent: Dieſem Frauenbuche von den 
Frauen um Goethe gebuͤhrt ein Ehrenplatz im Hauſe jedes Deutſchen, 
der ſeinen Goethe wert haͤlt: auch iſt es nicht nur, ſondern auch ein 
Frauenbuch im beſten Sinne des Wortes, jedenfalls ein Buch, das 
Gemeingut des deutſchen Volkes werden ſollte. 


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Geſchenkwerke aus dem Verlag Klinkhardt & Biermann, Leipzig 


Altholländiſche Malerei 


Gemälde von holländiſchen u. vlämiſchen Meiſtern 


in Rathäuſern, kleinen Muſeen, Kirchen, Stiften, Walſenhäuſern, Genats- 
zimmern uſw. und in Privatbefig. Ausgewählt und beſchrieben von 


Prof. Dr. W. Martin und E. W. Moes Т 


Direktor der Kgl. Gemäldegalerie im Haag Direktor des Kupferſtichkablnetts in Amſterdam 
72 Tafeln in Quartformat mit beſchreibendem Text. In Leinenmappe 33 M. 


Die Publikation hat es fich zur Aufgabe gemacht. die reichen Schätze 
holländiſcher Kunſt, die ſich an ſchwer zugänglichen Stellen allüber⸗ 
all in den Niederlanden befinden. zu erſchließen. Dieſe erſtklaſſigen 
Reproduktionen von bisher faſt verſchloſſenem Material von 
Meiſterwerken alter Kunſt bieten dem Kunſtgelehrten Vor— 
lagen von ſeltener Schönheit. Muſeen und Bibliotheken Studien- 
objekte, dem Kunſthändler und Sammler reiche Vergleichsmög— 
lichkeiten. dem Kunſtfreund ſind ſie eine Quelle edelſten Genuſſes. 


Chriſtian Ludwig von Hagedorn 
Ein Diplomat u. Sammler des 18. Jahrhunderts 


Von Moritz Stübel (Landgerichtsrat in Dresden). Mu. 252 S., geb. M. 6.— 


Ein überaus intereſſantes Lebensbild wird uns hier von dem Bruder 
des Dichters Friedrich von Hagedorn entworfen. Den zuerſt als 
Diplomat, ſpäter als Generaldirektor der Sammlungen und Künſte 
in ſächſiſchen Dienſten Stehenden hat feine Tätigkeit weit herum⸗ 
geführt und mit vielen Künſtlern. Sammlern und Händlern der 
Epoche in Beziehung gebracht. Schon während ſeiner diplomatiſchen 
Tätigkeit in Wien, Mainz. Mannheim, Bonn, Düffeldorf, 
Aachen und Frankfurt a. M. hat er unermüdlich Gemälde, Hand- 
zeichnungen und Kupferſtiche geſammelt. In zahlreichen Briefen an 
feinen Bruder berichtet er über feine Erwerbungen und feine Er- 
fahrungen und teilt ihm feine äſthetiſchen Anſichten mit. Auf der 
anderen Seite finden wir in dem Buche ſehr intereſſante Berichte 
über das Leben an den glänzenden fürſtlichen und geiſtlichen rbei- 
niſchen Höfen, die für den Hiſtoriker, Kulturbiftorifer, Lokalhiſtoriker 
und Familienforſcher von größtem Werte ſind. Ein äußerſt genaues 
lexikaliſch ausgeſtattetes und mit reichen Quellenangaben verſehenes 
Regiſter gibt dem Buch den Wert eines hervorragenden Quellenwerkes. 


PME: 
— ———— — — . ——— —. 


Ein neues Reproduktionswerk 
graphischer Kunstwerke 


Zeg November wird bei Anderson in Rom die Publikation 
einer Serie von Portfolios mit Lichtdrucken nach Zeich- 
nungen und Stichen aus italienischen Sammlungen beginnen. 


Die Serie wird von Prof. Dr. FEDERICO HERMANIN, 
Direktor des Kgl. Kupferstichkabinett im Palazzo Corsini in Rom 
SE und schreibt Prof. Hermanin den Text zu den einzelnen 


ortfolios. 


Die Serie hat den Namen INCISIONI E DISEGNI. Das erste 

Portfolio: LA CAMPAGNA ROMANA NELLE ACQUE- 

Bestellungen sind an FORTI DEI JLAMMINGHI E DEGLI OLANDESI DEL 
D. ANDERSON SECOLO XVII. enthält 21 Tafeln mit Wiedergaben von nieder- 
ROMA ländischen Radierungen mit Bildern aus der römischen Cam- 


VIA SALARIA 7 pagna. 


| | zu richten. Der Preis von diesem Portfolio beträgt Lire it. 25.—. 


er illustrierte Werke, 
Zeitschriften, Kataloge 
oder Prospekte berausgibt 


oder verlegt, versäume 

nicht sich bei Auswahl des 

Papiers von seinem Drucker 
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auch unsere Fabrikate be- 
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züglichste Druckwirkung gewährleisten 


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Firmentafel der Monatshefte firKunstwissenschaft 


Diese nach Rubriken geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariatshandels geben. 


Wegen Beteiligung wende man sich an die Inseratenabteilung der „Monatshefte für Kunstwissenschaft in Berlin SW. 29, 


Aachen. Ant.Creutzer 
vorm. M. Lempertz. An- 
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malde, Stiche usw. usw. 


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242 Geschichte, Genealogie. 244 
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Kupferstiche d Handzeichnungen 
alter Meister. Übernahme von Samm- 
lungen u, Einzelbeitrigon z. Auktion. 


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zeichnung., Miniaturen, Kupfer- 
stiche, Kunstauktionen. 


Mederne Kunst 


Dresden. Galerie Ernst 
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Permanente Ausstellung in 
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turen, Radier. neuer Meister. 

— Emil Richter, Hofkunst- 
händler H. HOLST, 


moderne Radierungen. 


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ALLGEMEINES 

KUNSTLER- LEXIKON 


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DER BERÜHMTESTEN BILDENDEN 


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Frankfurter Kunstverein. 
Gemälde erster moderner Meister 
und der Frankfurter Schule. 
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Köln. v. Elsner & Spleckermann. 
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Leipzig. P. H. Beyer & Sohn. 
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Handzeichnungen. Speziell neue 
Graphik (Max Klinger, O. Grei- 
ner, Menzel, Boehle, Zorn etc.) 


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handlung. Ausstellung von Wer- 
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München. Moderne Galerie 
Theatinerstraße 7 (Arco-Palais) 
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moderner Meister. 


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33 In diesem uberaus wertvollen Werke werden Zeichnungen von nicht weniger als 
33 60 Meistern in Originalgröße und nach Aufnahme in Museen und Privatsamm- 
3} lungen vorgeführt, hierunter zahlreiche noch unveröffentlichte — ein zur richtigen 
Н Würdigung der Eigenart der Meister unschätzbares Material und zu einem im 

Verhältnis zu der Fülle des Gebotenen wohlfeilen Preis. Alle klangvollen Namen 
Н findet‘ man in dieser selten reichhaltigen Sammlung vertreten, aber auch eine 
Н größere Anzahl Künstler, denen man sonst weniger häufig zu begegnen pflegt. 


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KLASSIKER DERKUNST 


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Soeben wurde der | XXII. Band ausgegeben: 


BARTOLOME ESTEBAN MURILLO 


Des Meisters Gemalde in 287 Abbildungen 
Herausgegeben von Dr. August L. Mayer 
Vornehm gebunden M. 12.— 
Früh 2 + Raffael 8 M.— Rembrandts Gemälde 14 М. — Tizian 8 М. — Dürer 10 М. — 
Frühere Bände: Rubens 12 M. — Velazquez 7 M. — Michelangelo 6 M. — Rembrandts 
Radierungen 8 M. — Schwind 15 M. — Correggio 7 M. — Donatello 8 M. — Uhde 10 M. — 


van Dyck 15 M. — Memling 7 M. — Thoma 15 M. — Mantegna 8 M. — Rethel 9 M. — Fra 
Angelico 9 М. — Liebermann 10 М. — Holbein 9 М. — Watteau 8 М. 


„Die Klassiker der Kunst gehören zu den wenigen unter zahllosen ähnlichen 
Veranstaltungen, welche einem wirklichen Bedürfnis entsprechen.“ 


(Prof. Dr. Ernst Steinmann in der Deutschen Literaturzeitung.) 


Schwäbische Glasmalerei 


Enthaltend eine kunstwissenschaftliche Abhandlung über die Glasmalerei Schwabens und 
die auf diesem Gebiete bekannt gewordenen Künstler, ein Verzeichnis aller Orte in 
Schwaben, an denen sich alte Glasmalereien erhalten haben, mit ausgiebigen Literatur- 
angaben und ein beschreibendes Verzeichnis der Sammlung schwabischer Glasmalereien 
in der Staatssammlung vaterlandischer Altertumer zu Stuttgart. Im Auftrag des Königl. 
Württembergischen Landeskonservatoriums herausgegeben. 


Von Leo Balet 
Mit 126 großen Textillustrationen und 8 farbigen Tafeln. Gebunden М. 36.— 


Das Werk wurde nur in 500 Exemplaren 
hergestellt und wird nicht neu gedruckt 


„Eine ziemlich umfassende, vielleicht sogar erschöpfende Würdigung Schwabischen Clasmalereien 
Im Übrigen wird jeder, der sich gründlich mit dem reichen Inhalte des Katalogs befaßt, mit mir darin überein- 
stimmen, daß das Werk Balets einen überaus zuverlassigen Wegweiser für die Bereisung und Besichtigung der 
schwäbischen Glasmalereien bietet!“ (Heinrich Oidtmann in „Diamant“, Glas-Ind.-Zeitung, Leipzig) 


Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart 


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ANTON HEKLER 


Die Bildniskunst der Griechen und Romer 


Mit 537 Abbildungen nach Plaſtiken der Antike 


er ſich als Künftler, Literat. Hiſtoriker oder Liebhaber ein Bild von der vielſeitigen 

Entwicklung der plaſtiſchen Bildniskunſt im Altertum verſchaffen wollte. dem ftand 
bisher kein handliches Sammelwerk zu Gebot. Der Zweck des vorliegenden, vom Verlag aufs 
forgfältigfte ausgeftatteten Buches iſt es, dieſem Mangel abzuhelfen. Auf 311 Tafeln 
mit mehr als 500 Abbildungen gibt es die wichtigſten Denkmäler der grlechiſchen und 
cömifchen Portritfunft in hiſtoriſcher Reihenfolge geordnet. Da die Schöpfungen der Malerei. 
abgeſehen von jenen auf äͤägyptiſchem Boden gefundenen Mumlenporträts der Spätzeit, für 
immer ſpurlos verſchwunden find, mußte ſich die Darſtellung auf die Wiedergabe von 
Werken der Plaſtik und Steinſchneidekunſt beſchränken; dank der llterariſchen und finftle- 
riſchen Bildung der Römer ſind uns ja auch die Originale griechiſcher Meiſter in zahlreichen 
fpäteren Kopien erhalten geblieben. Bei der Auswahl des Materials war der Autor beftrebt, 
mit beſonderer Berückſichtigung der küͤnſtleriſch oder entwicklungsgeſchichtlich bedeutenden Bild- 
niſſe auch die hauptſächlichſten ikonographiſchen Dokumente aufzunehmen. Die Porträts be- 
rühmter Dichter. Redner. Philoſophen und Staatsmänner, kleinaſiatiſcher Könige, römifcher 
Kaifer, Feldherren und Kalſerinnen wechſeln ab mit unbekannten, namenloſen Köpfen, denen 
aber als unfhägbaren Zeugniſſen eines glanzvollen Kunftvermögens unfere volle Bewunderung 
in gleicher Weiſe gebührt. Das vorliegende Werk wird ohne Zweifel bei denen weit- 
gehendſtes Intereſſe finden, die ſich beruflich mit Kunſt und Kultur des klaſſiſchen Alter- 
tums befaſſen. Dem Forſcher kann das umfangreiche, aufs befte wiedergegebene Bilder- 
material bei vergleichenden Forſchungen als nützlicher Handapparat gute Dienfte leiſten. 
für unſere Gymnaſlalbibliotheken dürfte das umfaſſende Werk eine herrliche Bereicherung 
bilden. Aber auch jedem anderen, der das Buch zur Hand nimmt. dem Künſtler ebenſo 
wie dem verftändigen Kunſtliebhaber, wird es Genuß und Belehrung bringen. Denn in 
einzigartiger. logiſch ſicherer Entwicklung hat die antike Portraͤtkunſt mit allen möglichen und 
denkbaren Mitteln eine Vollkommenheit in der bildlichen Darſtellung des äußeren und inneren 
Menſchen angeftrebt und errungen, die dem Hiſtoriker Beweiſe liefert. den Pfychologen unend- 
lich feffelt, den Künſtler vielfeitig anregt und in ihrer harmoniſchen jeder Sentimentalität 
entbehrenden Sinnlichkeit allen Kunſtbedürftigen felten wieder erreichte Vorbilder darbietet. 
So ift der Wert des vorliegenden Werkes. entſprechend der Vielſeitigkeit und Bedeutung 

ſeines Inhalts, in jeder Hinſicht groß und zukunftsreich. 


Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart 
Quarfformat . Preis des dauerhaft in Leinen gebundenen Buches 32 Mark 


Neue hervorragende Kunstpublikationen 


Der französische Farbenstich 
des XVIII. Jahrhunderts 


Herausgegeben von Julius Model und Jaro Springer 


Ein Band in Folioformat in kostbarer Liebhaberausstattung, enthaltend einen 

interessant und geistreidh geschriebenen Text aus der Feder von Prof. Dr. 

Jaro Springer und 50 Tafeln mit farbigen Nachbildungen der schönsten 

Blätter nach Originalen der berühmten Sammlung des Herrn Jul. Model in Berlin. 
In Halbpergament gebunden ................... M. 75.— 


Der französische Farbenstic des XVIII. Jahrhunderts ist nicht nur für Sammler, 
sondern audi als erstes Werk über dieses Kunstgebiet für Kunsthistoriker unent- 
behrlich, zuglei aber auch ein modernes Praditwerk vornehmster Art für jeden 
S gebildeten Kunstfreund. i 


Die Lästerschule 
Von Richard Brinsley Sheridan 


Mit 25 farbigen Vollbildern und 19 Textillustrationen von Hugh Thomson. 
Quartformat. Vornehm in Leinen gebunden М. 18.— 


Nur in tausend numerierten Exemplaren gedruckt. 
Ein Nachdruck wird nicht erfolgen 
Die Lästerschule ist eines der glänzendsten Stücke der Weltliteratur, das man 
getrost den besten französischen Sittenkomödien der Vergangenheit an die Seite 
stellen kann. Unsere von Gisela und Theodor Etzel meisterhaft besorgte Über- 


setzung mit ihrer künstlerisch vornehmen, gediegenen Ausstattung und den geist- 
reichen Illustrationen Hugh Thomsons sei allen Bücherfreunden bestens empfohlen. 


Guter und schlechter Geschmack 
im Kunstgewerbe 


Von Gustav E. Pazaurek 
Mit zahlreichen Abbildungen. In grauen Rips gebunden .. M. 12.— 


„Es ist seit langen Jahren kein Buch herausgegeben worden, dem man für das 
ошен Kunstgewerbe und für jeden Kunstliebhaber eine soldi wichtige 
edeutung zusprechen könnte, wie diesem Werke... Pazaurek hat sich durch 
sein neues Buch um die Gesundung des neuzeitigen Kunstgewerbes wieder sehr 
verdient gemacht.“ (Die Goldscimiedekunst, Leipzig) 


DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT in Stuttgart 


ist kein Putzmittel, das heißt also, utzt die Metall 
Galvano-Silber nicht blank. Se SE i : 


dient nur dazu, Gegenstände zu versilbern. Metalle, welche 

Galvano-Silber fi enem Farbstom, Bronze usw. überzogen sind, lasser 
sich nicht versilbern, es sei denn, daB man die Farbstoffe 
vorher entfernt. 


Galvano-Silber Wege einzigste Versilberung, welche auf kaltem 


ist giftfrei und überzieht die Metalle mit echtem Fein- 
Galvano-Silber $ fir 


Galvano-Silber dent пш zum Versilbern von Silber, Alpaka, Alfenide, | 
| 


Messing- und Kupfergegenständen. 

ist absolut haltbar und nicht zu vergleichen mit 
Galvano-Silber den in den Handel gebrachten wertlosen Quecksilber- 

versilberungen, bei deren Anwendung der Silberglanz 

in einigen Stunden wieder schwindet und das Metall an- 


gegriffen wird, wohingegen Galvano-Silber ein klares 
echtes Silberbad darstellt und dementsprechend wirkt. 


Achten Sie auf den Namen Galvano-Silber. Vor Nachahmungen wird gewarnt! 
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Tel. Amt Stpl. 9025 Niebuhrstraße Nr. 57 


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gern mit Mustern und Offerten. Die in dieser Zeitschrift zur Verwendung kom- 
menden Reproduktionen sind zum Teil durch uns gefertigt. 


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1. Jahrgang 1909 komplett in Heften M. 16.— 1. Jahrgang 1908 kompl. in Heften M. 16.—, geb.M.20.— 
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in Leinen gebunden M. 23 — mit Cicerone in Heften М. 36.—, geb. M. 42.— 


Alles Erschienene von beiden Zeitschriften zusammen .... ... in Heften М. 114.—, gebunden М. 135.— 


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Kung und Gelehrsamkeit, das immer aufs neue Anregung und Belehrung gewährt, Freunden von schönen Büchern ве ei | 
diese Ausgabe zur Abschaffung bosonders empfohlen. Einzelne Bände werden in dieser Austattung nicht ı A di 


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Graphisches Institut Julius Klinkhardt, Leipzig 


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