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Princeton University.
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MONATSHEFTE
FUR
KUNSTWISSENSCHAFT
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DR. G. BIERMANN
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: XI. JAHRGANG 1918
/
Heft 1: Seite
Möller, Emil, Zwei bisher unbekannte Bildnisse der Mona Lisa I —ı4
Rosenberg, Marc, Eine seltene Granulationsarbeit . . . . . 2 . . . . . - , 15—16
Stierling, Hubert, Kleine Beitráge zu Peter Vischer. Nr.3. Zwei unbekannte Vischer-
Werke im Dom zu MeiBen ETE: 17—20
Heft 2/3:
Hoeber, Fritz, Die attischen reif schwarzfigurigen Vasen von rotfigurigem Stil. . 33—51
Singer, Hans Wolfgang, Der Vierfarbendruck in der Gefolgschaft Jacob Christoffel
le Blons . — cl — ——
Heft 4: |
Gerland, Otto, Zwei Altarflügel nach Albrecht Dürers Marienleben i 81— 86
W est, Robert, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassenkampfes innerhalb
der abendlándischen Kulturwelt . W^ adic ieee Қ. үй 87— 100
Strzygowski, Josef, Der Zustand unserer fachmünnischen Sende n . 101—105
Heft 5:
Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. 4. Das Rätsel des Sebaldus-
grabes © Жов . 113—125
W est, Robert, Die Übergangsstile als ee Aba ldeen- und Steg iner
halb der abendländischen Kulturwelt (Fortsetzung) . ; . 136—134
Grotte, Alfred, Ostjüdische Sakralkunst und ihre Ausstrahlungen auf deutsches Gebiet 135—138
Heft 6:
Steinmann, Ernst, Die Zerstörung der Grabdenkmäler der Päpste von Avignon. . 145—171
Stierling, Hubert, Kleine Beitrüge zu Peter Vischer. Nr. 4. Das Rätsel des Sebaldus-
grabes. Nachtrag. . 172
Der Zustand unserer fachmünnischen Baurtelläng. 8 S ikea). . 173— 174
Erwiderung (Strzygowski.) . . . . . . . . . . à bu cu . 174—175,
Heft 7: |
Ehrenberg, Hermann, Anton Möller, der Maler von Danzig. . . . 181—190
von Loga, Valerian, Spanische Maler des 15. Jahrhunderts in Neapel . . 191—193.
West, Robert, Die Übergangsstile als Exponenten des Ideen- und Rassenkampfes we
halb der abendländischen Kulturwelt (Schluß). . . . . 194—201
Heft 8:
Hirschmann, Otto, Karel van Manders Haarlemer Akademie . 213—231
Habicht, V. Curt, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst. . 233— 238-
Heft 9/10:
Stierling, Hubert, Kleine Beiträge zu Peter Vischer. Nr. s. Vorbilder, am
Weiterbildungen . . . . 445—268
Feulner, Adolf, Die —— дег ы. Katharina von P. P. ‘Rubus in ‘Lille. . 269—275
Dresdner, Albert, Noch einmal Karel van Manders Haarlemer Akademie. . . . 276—277
Habicht, V. Curt, Findlinge zum Thema: Goethe und die bildende Kunst (Schiu8). . 278—290
Heft 11/12:
Grolman, W. v., Zur Würdigung des Veit Stoß . . 297—309.
Schmidt, Dr. Paul F., Karl Philipp Fohr. Sein Leben ай eine Kunst . 310—380
W est, Robert, Der tomanuibche Kreuzgang an der Stiftskirche in Berchtesgaden . 321—340
Stierling Hubert, Kleine en zu Peter Vischer. Nr. 6. Das Urbild des Sebaldus-
grabes . Р : . 341—344
III.
(RECAP)
Heft 4:
Mayer, August L., Cipper, genannt Todeschini, als Pseudo-Spanier . . . . . . .
Heft 7:
Sommerfeldt, Gustav, Das Krodelbild Nr. 1958 der Königl. Gemäldegalerie zu Dresden
Seite
106
Bernard, Emile, Erinnerungen an Paul Cézanne.
(Kabns), S. 176.
Bruck, Robert, Ernst su Schaumburg, ein kunst-
fördernder Fürst des 17. Jahrhunderts (von
der Gabelentz), S. 26.
Cohen, Hermann, Asthetik des reinen Gefühls
(Bieber), S. 205.
Düubler, Theodor, Der neue Standpunkt (Scha-
pire), S. 139.
Daun, Berthold, Veit Stoß und seine Schule
(Kaemmerer), S. 176.
Erbacher, Konrad, Griechisches Schuhwerk
(T. O. Achelis), S. 29.
Flemming, W., Die Begründung der modernen
Ästhetik und Kunstwissenschaft durch Leon
Battista Alberti (K. Freyer), S. 239.
Floerke, Hanns, Die Moden der italienischen
Renaissance von 1300—1550 (R. Schapire),
S. 350.
Glauning, Otto, Neven und der Raub Nürn-
berger Kunst- und Bücherschätze im Jahre
1801 (Ernst Steinmann), S. 208.
Glick, Heinrich, Türkische Kunst (Strzygowski),
S. 240. |
Gradmann, Gertrud, Die Monumentalwerke
der Bildbauerfamilie Kern (Schmidt), 8. 139.
Haack, Friedrich, Funde und Vermutungen zu
Dürer und zur Plastik seiner Zeit (S. Schwa-
bacher), 8. 241.
Habicht, У. Curt, Die mittelalterliche Plastik
Hildesheims (K. Gerstenberg), S. 25.
Hadelin, Frhr. О. v., Das Museum au pauvre
diable zu Maubeuge (Gerstenberg), 8. 77.
Hähnle, Karl, Arretinische Reliefkeramik (Ache-
lis), S. 109. |
Heidrich, Ernst, Beiträge zur Geschichte und
Methode der Kunstwissenschaft (Kahns),
8. 107.
Heise, Carl Georg,
(E. Rómer), S. 291.
Norddeutsche Malerei
Heymann, Walther, Max Pechstein (R. Scha-
pire), 8; 108.
Hildebrand, Adolf, Gesammelte Aufsütze (Rob.
West), S. 294.
Hind, Arthur M., Catalogue of drawings by
dutcb and flemish artists in the British Mu-
seum (O. Hirschmann), S. ar.
Hirschmann, O., Hendrick Goltzius als Maler
(M. J. Friedländer), S. 21.
Hirschvogel, Augustin, Ein deutscher Meister
der Renaissance. Von Karl Schwarz (G. J.
Kern), S. 141.
Kramer, Johannes, Metaline Grabplatten in
Sachsen vom Ende des 14. bis in den An-
fang des 16. Jahrb. (Hubert Stierling), S. 345.
Lorenzen, Wilhelm, Gammel Dansk Bygnings-
kultur (Rich. Haupt), S. 239.
Medicus, Fritz, Grundfragen der Ásthetik (Rosa
Schapire), 8. 28.
Motzger, Rudolf, Die dynamische Empfindung
in der angewandten Kunst (R. Schapire), S. 77.
Pap,Julius, Kunst und Illusion (Lüthgen), S. 292.
Rembrandt, Handzeicbnungen, herausgegeb. von
Carl Neumann (Schapire), S. 178.
Singer, Hans W., Handbuch für Kupferstich-
sammlungen (H. Wolff), S. 209.
Strzygowski, Josef, Altai-Iran und Völker-
wanderung (Supka-Budapest), 8. 74.
Thomsen, Wilhelm, Une inscription de la trou-
vailled'ordeNagy-Szent-Miklós(Supka),S.203.
Vogel, I., Otto Greiners graphische Arbeiten inLitho-
graphie, Stich und Radierung (Singer), 8.224.
Volbach, W. Fr., Der heilige Georg (Escherich),
S. 140.
Waetzold, Wilhelm, Deutsche Malerei seit 1870
(G. Biermann), S. 209.
Walzel, Oskar, Wechselseitige Erhellung der
Künste (E. Römer), S. 348.
Weoixigartner, Arpad, August Pettenkofer
(Uhde-Bernays), S. 207.
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JANUAR 1919
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LAHROANG:-HEF Т 1
Monatshefte fur Kunstwissenschaft
Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Darmstadt
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN in LEIPZIG
Abonnementspreis halbjährlich Mark 18.—
INHALTSVERZEICHNIS HEFT 1
ABHANDLUNGEN
EMIL MOLLER, Zwei bisher unerkannte
Bildnisse der Mona Lisa. Mit 6 Ab-
bildungen auf 3 Tafeln S. 1
MARC ROSENBERG, Eine seltene
Granulationsarbeit. Mit ı Abbildung
5.15
HUBERT STIERLING, Kleine Beitriige
zu Peter Vischer. 3. ,Zwei unbe-
kannte Vischer-Werke im Dom zu
MeiBen". Eine Entgegnung. Mit 3 Ab-
bildungen auf ı Tafel....... S. 17
REZENSIONEN
O. Hirschmann, Hendrick Goltzius als Maler,
(Friedländer) ............ e S. ar
Arthur M. Hind, Catalogue of drawings by
dutch and flemish artists... . in the British
Museum. — Vol. I. Drawings by 1
and his school (Hirschmann) 8. 2
V. Curt Habicht, Die mittelalterliche Plastik
Hildesheims (Gerstenberg)........ 8. a5
Rob. Bruck, Ernst zu Schaumburg, ein kunst-
fórdernder Fürst des 17. Jahrhunderts 5 d.
Gabelent ). 26
Schap
Konrad Erbacher, Griechisches ae
Eine antiquarische Untersuchung (Achelis)
8. 29
RUNDSCHAU S. 30
NEUE BÜCHER ............ S. 32
JULIUS BÓHLER : MÜNCHEN
HOFANTIQUAR Sa MAJ. DES KAISERS UND KONIGS — KGL. BAYR. HOFANTIQUAR
BRIENNERSTRASSE 12
AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÁLDE
ALTER MEISTER UND KOSTBARER
ANTIQUITATEN
A.S.DREY
Ausstellung
Kóniglid Bayer. Hoflieferant kostbarer Antiquitäten + Ein- und
MÜNCHEN
Maximilianplatz Nr.7
Paris, 55 avenue des Champs Elysées.
Verkauf wertvoller Skulpturen,
Gemälde, Porzellane, Möbel und
Antiquitäten jeder Art.
ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE
DER MONA LISA
Mit sechs Abbildungen auf vier Tafeln Von EMIL MOLLER
€09009000000000000090000000060000000000090000000000000000000000000000000008000000000000000000000000000800090000009009000000000000
er kein Werk des groBen Meisters ist schon so viel geschrieben, keines ist
der Bevölkerung aller fünf Erdteile so vertraut geworden, als dies eine Ge-
mälde, das in unseren Tagen noch durch sein geheimnisvolles Verschwinden und
unerwartetes Wiederauftauchen die Welt zwei Jahre lang in Spannung gehalten
hat: gerade als ob ein findiger Unternehmer das Interesse für jenes Wunderwerk
der Malerei noch hatte steigern wollen. |
Wie es gewóhnlich geht, so hat auch hier die allgemeine Teilnahme für ein Kunst-
werk noch nicht in die Tiefe geführt. Trotz des Uberflusses an guten und
schlechten Beschreibungen, Stimmungsergüssen und phantasievollen, leider öfters
lüstern gefärbten Dichtungen ist unser Wissen über das Malwerk und besonders
über die Person der Dargestellten doch sehr lückenhaft und mit Irrtümern durch-
setzt. Die folgende Abhandlung wird Gelegenheit bieten, im Lichte neu untersuchten
Materials oder auf Grund eigener Beobachtungen einiges Neue über dies Meister-
werk Leonardos zu sagen, wenn ich mir hier auch nicht die hohe Aufgabe gestellt
habe, es allseitig zu behandeln?).
Es ist aber gewiB von groBer Bedeutung, weitere Bildnisse von einer so aus-
gezeichneten und von so viel Geheimnissen umkleideten Persönlichkeit kennen zu
lernen, denn wir erlangen dadurch nicht nur eine deutlichere Vorstellung von ihrer
körperlichen Erscheinung, sondern wir werden vor allem auch instand gesetzt,
manche bis heute bestehende Zweifel über Leonardos Arbeit zu lösen. Ich bin іп
der angenehmen Lage, gleich zwei nach der Natur gezeichnete Bildnisse
der Gioconda beizubringen. Das eine wurde von einem Leonardoschüler — hóchst
wahrscheinlich dem Salai — in der Werkstatt des Meisters geschaffen, während
die Dame dem Maler saß. Das andere Werk ist — eine unbezweifelt echte, große
Zeichnung in ganzer Figur von der Hand Leonardos selbst! Die Überraschung
sollte eigentlich noch größer werden, nicht jedoch in eine Enttäuschung umschlagen,
(1) Über die Person der Gioconda gab uns Prof. Gio. Poggi, der geschützte Direktor der Uffizien-
galerie in der Zeitschrift II Marzocco vom ar, Dezember 1913 eine wertvolle Mitteilung. Die bisher
allgemein glüubig hingenommene Nachricht des Vasari und des Lomazzo, da8 die Dame aus einem
neapolitanischen Geschlechte der Gherardini stamme, war falsch. Schon Mintz (L. d. V. 416)
hatte vergeblich im Archiv von Neapel Nachforschungen nach einer solchen Familie anstellen lassen.
Nun hat Poggi in einer Florentiner Grundsteuerrolle von 1480 gefunden, daß der Florentiner Antonio
Maria di Noldo Gherardini, wohnhaft im Stadtviertel 8. Spirito, in der Via Maggio die Eintragung
machte: Lisa mia figliola d'età d'anni uno senza principio di доға igniuno. Ein Lächeln
überkommt uns, wenn wir hören, daß der Vater sich bei dem einjährigen Mägdlein schon Sorgen
macht, daß es nicht einmal einen „Schimmer von einer Mitgift" besitze, nicht ahnend, daß ihm da
ein ganz einziges Juwel der Frauenwelt in der Wiege liegt. ‚Lisa war also 1479 in Leonardos
Vaterstadt geboren und zählte, als der Meister sie malte, 24—26 Jahre, was genau mit der
Schätzung des klugen Cassiano del Pozzo übereinstimmt. — Was man sonst noch oft über die M. Lisa
und ihr Verhältnis zu L. lesen muB, trägt vielfach den Stempel müßig-lüsterner Erfindung an der
Stirn, wie das angebliche Liebesverhültnis zu Leonardo — eine Erfindung des als L.-Schreiber be-
rüchtigten Arsene Houssaye — oder es offenbart einen sehr mangelhaften Einblick in Leonardos Lebens-
verbültnisse, wie die Angabe Malaguzzi-Valeris (La Corte di Lod. il Moro II 575), daß Leonardo das
Bild mit nach Mailand genommen und es an Franz I. für 4000 Dukaten verkauft habe.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft s 1 I
м.
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wenn ich hinzufüge, daß es sich um zwei jedem zugängliche, oft abgebildete
Arbeiten handelt. |
I. Die Zeichnung des Leonardoschülers gegen 1505.
Das Blatt 426 der Uffiziensammlung (Abb. 3) wurde schon 1870 von C. Brun
(Leonardobiographie in Dohmes Kunst und Kiinstler, S, 33) und gleichzeitig von
W. Lübke (Gesch. d. ital. Malerei, S. 81) unter hohen Lobsprüchen als Arbeit
Leonardos im Holzschnitt abgebildet; nach Photographie brachte es zuerst Miiller-
Walde’s Leonardobuch, Abb. 70, weiter Rosenberg, Abb. 103 u. a. Keiner hat
m. W. bisher geahnt, wer die dargestellte Dame sei, wogegen ich seit vielen
Jahren bereits für mich die Zeichnung als ,,Naturstudie eines Leonardoschülers
nach der M. Lisa“ benenne.
Die Zeichnung miBt 235><155 mm und ist auf leicht grünlich getóntem Papier mit
dem Silberstift sorgfültig, aber hart ausgeführt. Die Modellierung ist stark betont
und wie metallisch spiegelnd, die Formenkenntnis gering, die Zeichnung schwach,
besonders das linke Auge. Die übertreibende Manier der Modellierung, die wie
entzündet erscheinenden Augenlider und die Zeichnung der Haare stehen den künst-
lerisch besseren Zeichnungen des noch viel umstrittenen Ambr. Preda nahe, dem
Morelli (Studien I434) und v. Seidlitz (A. Preda-Studie 29) das Blatt zugesprochen
haben.
In einer dem Profil sich nähernden Ansicht, genau derselben, die Leonardo für
den älteren Jakobus beim Abendmahl benutzte, wendet sich der Kopf nach der
rechten Schulter, wührend die Büste noch ein Geringes aus der Vorderansicht
nach der entgegengesetzten Seite gedreht ist. Der Blick geht in der Hóhe des
Kopfes nach der Richtung, der das volle Gesicht zugewendet ist. Ein dünner, un-
durchsichtiger Schleier, der auf beide Schultern herabhängt, bedeckt den Kopf bis
über die Haargrenze, läßt aber seitlich die leicht gewellten, dünnen Strühnen auf
die Büste herabflieBen. Auch über der Stirn sind die Haare leicht gewellt. Sehr
bemerkenswert sind manche Einzelheiten: der Schleierrand ist in der Höhe des linken
Auges umgeschlagen, wie wir es auf dem Urbild noch mit Miihe erkennen. An
der rechten Schlüfe steht der Schleier vor, was auch auf dem Original trotz der
Vorderansicht noch bemerkbar ist. Das flüchtig behandelte Kleid hat einen tiefen,
anscheinend runden Halsausschnitt; an der Einfassung sind einige gekräuselte
Fültchen angedeutet. Das linke, stark verzeichnete Auge hat schmale Offnung,
mit schwerem, müden Oberlid; die geschwollenen Ränder wirken wie entzündet
und sind ohne Wimpern. Die Augenbrauen fehlen! Ebenso auffällig stimmt mit
dem Gemälde der starke Fettwulst überein, der das linke Auge von der Schläfe
trennt. Die Nase mit breiter Wurzel und etwas vorspringendem Knopf stimmt trotz
unfeiner Auffassung in der Form mit dem Bild und der unten zu besprechenden
Zeichnung Leonardos überein. Der Mund ist klein und zierlich gebildet; das stark
gerundete Kinn tritt kräftig hervor, was mehr einer Neigung des Zeichners als dem
Modell entsprochen haben wird. Unter dem Kinn deutet ein Fettwulst Anlage zu
üppigen Formen an. Die Wangen sind breit, das Jochbein tritt durch Schattierung
stark hervor. Die Beleuchtung ist genau dieselbe, die Leonardo bei der Mona Lisa
benutzte, denn das Licht fällt von halblinks, schräg von oben. Die schlanke Linie
des Nackens ist von den Haaren freigelassen; bemerkenswert sind die ebenso wie auf
Leonardos Zeichnungen vor 1500 scharf betonten Hautfalten auf der abgewandten
Seite-des Halses. Die Zeichnung wirkt in ihrer kleinlich-sorgsamen, fast mädchen-
haften, wenig verstandenen, trockenen Mache wie ein Puppenkópfchen.
2
Es kann nicht der geringste Zweifel obwalten, daB hier die Mona Lisa dar-
gestellt ist. Wenn wir berücksichtigen, daB der Zeichner ein geringer, nüchterner
Künstler war, so müssen wir sagen: die Zeichnung stimmt in Haltung, Beleuch-
tung, Tracht, Haaren und Formen fast Zug um Zug mit dem Gemälde überein!
Wer aber war der Zeichner des Blattes?
Auf Grund eindringlichen Studiums aller erreichbaren Handzeichnungen und Ge-
mälde Leonardos und seiner Umgebung muß ich sagen: Es ist zunächst unmög-
lich, dies Blatt als Kopie einer Zeichnung Leonardos aufzufassen; in solchem
Falle námlich würde die Zeichnung, besonders das linke Auge, nicht nur richtiger
und feiner dastehen, sondern auch die Strichführung, wie aus anderen Schüler-
kopien jener Zeit sich nachweisen läßt, eine wesentlich andere sein. Auch die
Stellung des Profils nach links wählt der Linkshänder Leonardo selten.
Wegen der noch ganz frühmailündischen Technik der Zeichnung ist es
zweifellos, daß der Zeichner zu den mailändischen Schülern Leonardos aus den
neunziger Jahren gehört! Die stark betonte Plastik der Modellierung, die Schärfe
der Zeichnung, die nicht ungeschickte Behandlungsweise der Haare und die ge-
schwollenen Augenlider weisen auf Beeinflussung durch den damals in Leonardos
Werkstatt in Mailand am stürksten hervortretenden Ambrogio Preda hin. Die
noch ziemlich zahlreich erhaltenen Gemälde und Zeichnungen dieses Malers sind
größtenteils von so vortrefflicher Beschaffenheit, daß sie verbieten, ihm — zumal
um 1505 — eine Zeichnung von so geringem Formenverständnis zuzuweisen 1),
Wer war nun jener unbedeutende Schüler, der seine Lehrzeit in den neunziger
Jahren in Leonardos Werksatt durchmachte und noch in Florenz bei ihm weilte?
Aus einem Briefe, den der Karmeliter Pietro da Nuvolaria im April 1501 an
Isabella d’Este schrieb, wissen wir, daß damals in Leonardos Werkstatt zwei
Schüler an Bildnissen arbeiteten. Der eine von ihnen ist bisher ganz unbekannt
geblieben; er wird aber kein Mailänder Schüler gewesen sein, da aus Leonardos
Aufzeichnungen nur ein einziger bekannt ist, der mit ihm über Mantua und Venedig
nach Florenz reiste. Dieser war der vielgenannte Salai, der in Leonardos Auf-
zeichnungen zuerst am 29. Januar 1494 (MS. H? 16) erscheint?) und bei ihm ver-
bleibt, bis Leonardo Italien verläßt. Er wird von Nuvolaria, aber auch vom Meister,
als discepolo bezeichnet und hat als Bote und Factotum Leonardos allerlei Auf-
träge auszuführen. Wohl hat Leonardo bei der Ausführung der Schlacht von
Anghiari noch manche andere Gehilfen zur Hand. Einen Schüler aus Mailand habe
ich nirgends feststellen kónnen?). — Zu dem, was wir über Salai wissen oder ver-
muten dürfen, würde unsere Zeichnung vortrefflich passen. Daß ein unbedeuten-
der Gehilfe des Meisters, während letzterer eine vornehme Dame malt, sich in
(1) Über Preda vergleiche man meinen Aufsatz über das Bildnis der Gallerani in den Monatsheften
für Kunstwiss. 1016, September, 8. 316 f,
(a) Seidlitz 1158 schreibt irrig 14. März.
(3) Eine Zeitlang habe ich geglaubt, daß Ferrando Spagnuolo, d. i. Ferrando Yafiez de Almedina,
der andere Leonardoschüler und der Zeichner unserer Studie sei. Dann müßte dieser Maler schon іп
Mailand bei Leonardo gewesen sein. Nun begegnet uns tatsüchlich in Leonardos Aufzeichnungen des
Jahres 1494 der Name ,ferando“ (M.S, H? 46). Gegen diese Ansicht spricht aber, daß in den Bildern
des Yañez neben zahlreichen Entlehnungen aus florentinischen Arbeiten, besonders Leonardos, keine
einzige aus der mailändischen Zeit nachweisbar ist. Schwerer wiegt aber, daß der 1507 an dem
großen Hochaltar in Valencia schaffende Ferrando Yañez trotz seines offenbaren Anlehnungsbedürf-
nisses und seiner Weichheit gegen 1505 schon weiter fortgeschritten gewesen sein muß, als der
Zeichner der Naturstudie.
einer Naturstudie derselben versuchen darf, weist auf ein vertrautes Verhültnis des
Schülers zum Meister hin. Das trifft bei keinem der damaligen Schüler Leonardos
in so hohem MaBe zu, wie bei dem als Künstler zweifellos unbedeutendem, auch
als Mensch durchaus nicht tadelfreiem Lieblingsschüler des Meisters, dem lockigen
Salai. Die von Gustav Pauli einmal geäußerte, sonst sehr ansprechende Ver-
mutung, daB Salai vielleicht der Maler der groBen Bildergruppe sei, die wir nach
МогеШв Vorgang dem Giampietrino zuschreiben, halte ich nicht für zutreffend,
weil der Charakter dieser Malwerke und der zugehörigen Zeichnungen erst der
zweiten mailindischen Periode Leonardos nach 1506 entspricht, derselben Zeit
übrigens, in der Leonardo auch einen gianpetro unter seinen Gehilfen aufzeichnet.
(C. A. 264’). Dem Zeichner der Mona Lisa, wahrscheinlich also dem Salai,
dürften u. a. noch folgende Blätter angehören: Die kleine Zeichnung eines Mädchen-
kopfes auf blauem Papier, Profil n. l. in Windsor М. 15512, Müller-W., Abb. 52,
Rosenberg, Abb. 98. Die Büste ist von Leonardo hinzugefügt. Ferner der Frauen-
kopf mit aufgelóstem Haar, groBen, starren Augen und doppelter Halskette in der
Ambrosiana, Braun 33, Rosenberg М. 94. Beide Blätter hat v. Seidlitz dem Preda
zugeeignet. Ferner in Windsor, Rouveyre, Physionomies F. 6 und im Cod. Atl.
verschiedenes, auf das ich spüter einmal eingehen móchte.
Ist uns die unvollkommene Zeichnung auch schon wertvoll als Beispiel der
Fähigkeiten und des Stiles jenes mailändischen Schülers, der Leonardo nach Florenz
begleitete, d. i. wahrscheinlich des Salai, so besitzt sie doch eine unvergleichlich
hóhere Bedeutung, weil sie uns in den Stand setzt, die Persónlichkeit der Mona
Lisa besser zu erkennen und Leonardos Schópfung zutreffender zu beurteilen.
Überraschend klar treten uns bei einigem Nachdenken die Umstünde entgegen,
unter denen Leonardo die M. Lisa malte! Während die junge Gemahlin des
Giocondo zwanglos im Armstuhle saB, Gesicht und Blick auf den Meister gerichtet,
hat der seitlich rechts von ihm sitzende Schüler die Gelegenheit benutzt, eine
Naturstudie nach der Dame zu machen. Ja, es läßt sich nachweisen, daß Leonardo
damals am Kopfe malte (was bei Leonardos Arbeitsweise darauf schließen läßt,
daß das Gemälde sich der Vollendung náüherte!) Denn während der Kopf auf der
Zeichnung einschlieBlich des Schleiers und der Haartracht mit dem Bilde überraschend
übereinstimmt, ist seine Stellung zum Rumpfe stark veründert: anstatt der leichten
Wendung zur linken Schulter auf dem Gemälde erblicken wir auf der Zeichnung
eine starke Drehung zur rechten Schulter in der Richtung auf Leonardo zu, wo-
gegen der Körper dem Schüler zugewendet war. Die so sicher zu erratende Szenerie
könnte fürwahr einen Historienmaler reizen, uns ein anziehendes, getreues Bild
aus Leonardos Studio vorzuführen! |
Wir erkennen weiterhin, daB Leonardo nur im Beiwerk seinen Erfindungsgeist
und Schönheitssinn hat spielen lassen. Von der wunderbaren Gebirgslandschaft
des Gemäldes ist ja bekannt, daß sie nur im Geiste des Meisters vorhanden war,
der aus den seltsamen Erdpyramiden Toskanas (Beobachtung von Felix Rosen),
aber auch aus den von ihm Ende 1499 besuchten Dolomiten die Grundformen ent-
nommen hat.
Ahnlich verhült es sich mit der Kleidung. Ein wenig Überlegung bei Be-
trachtung des Originalgemäldes sagt uns schon, daß die reizvoll verschlungenen
Schnüre unterhalb des Halssaumes des Kleides auf dem in engen Kräuselfalten
liegenden, weichen Seidenstoff gar nicht aufgenäht sein können, wenn auch der
obere Fries Halt genug in sich selbst hat (Abb. 2). Die Zeichnung des Schülers
zeigt uns das Kleid sehr schlicht mit wenigen Fältchen unter schmuckloser Ein-
4
`
fassung. Auch auf dem Karton Leonardos (Abb. 5 u. 6) begegnet uns dasselbe
schlichte Kleid. Wenn man einwenden wollte, daß die Dame ein reicheres Ge-
wand getragen haben wird, als der Künstler an diesem Teile des Bildes malte, so
könnte ich aus ähnlichen Teilen іп Leonardos Werken nachweisen, daß das wunder-
voll gestaltete Gewand im einzelnen weit mehr eine Phantasieschüpfung des Künst-
lers ist, als ein Naturstudium. Sehr viele der unzähligen Fältchen, die da stehen —
die meisten sind unter Firnis und Nachdunkelung versteckt und nur auf der Kopie
im Prado (Abb. 4) zu erkennen — lassen sich im Stoff gar nicht so legen; sie
sind von der Natur nur angeregte, freie Schüpfungen in Leonardos eigentümlichem
Schünheitsempfinden; so arbeiten heißt in des Meisters Sprechweise „fare di fan-
tasia appresso li effetti di natura“ (Trattato 39).
Dagegen hat Leonardo in der Darstellung des Kürperlichen in seinem
Gemálde ein bewundernswert getreues Abbild der Mona Lisa gegeben,
wie es seinen Grundsdtzen über die Bildnismalerei entspricht. Es hat nicht an
Kunstschriftstellern gefehlt, die behaupteten, die Mona Lisa sei eher ein aus Leo-
nardos grübelndem, konstruierendem Geiste geborenes Symbol des Weibes, als das
Abbild einer ehemals lebenden Person. Selbst W. v. Seidlitz schrieb in seinem
Leonardobuch (II49): Leonardo wollte (in der Gioconda) nicht den unmittelbaren
Hauch des Lebens wiedergeben, sondern ein inneres Bild, das ihm vorschwebte,
wobei das zufällig (!) vor ihm sitzende Modell dabei nur insofern in Betracht kam,
als es der Verdeutlichung des Bildes diente...Darin hat der Englünder Pater in
seiner eindringenden (I!) Kritik (!) des Bildes durchaus recht, daß es viel mehr ein
Symbol als Wirklichkeit darstelle. — Die schon 1860 erschienenen kritiklosen Phan-
tastereien des Schöngeistes Walter Pater sind selbstverständlich für die Auffassung
des Bildes ohne Belang. Diese ganze, Leonardos Werk und Kunstziele schwer
mißdeutende Auffassung erledigt sich schon durch die Anforderung, die der Meister
in seinem Buche über die Malerei (Ausg. v. Ludwig-Herzfeld 193) an ein Bildnis
stellt. ,Die Malerei ist am lobenswertesten, die am meisten Übereinstimmung mit
dem dargestellten Gegenstande hat.“ Dasselbe ergibt sich auch aus der oft an-
geführten Erklärung, die Leonardo von einem Gemälde gibt: „una cosa naturale
veduta in uno grande specchio.“ 2
Wer Leonardos Persönlichkeit und seine Kunstweise erfaßt hat, welche den
starken, ins Kleinste eindringenden Realismus des Naturforschers und die tiefste, see-
lische Erfassung des Denkers, sowie die wissenschaftliche Konstruktion des Mathe-
matikers und das Aufbauen des Architekten mit den anmutig spielenden Formen des
Schünheitsschwürmers zu einem unauflóslichen Ganzen verbindet, der weiß aller-
dings, daB er von diesem einzigen Künstler kein plattes, naturalistisches Spiegel-
bild der Natur zu erwarten hat, sondern ein im Geiste des Künstlers vertieftes
und in eine hóhere Welt emporgehobenes Abbild! Zu diesem Zwecke bedient
sich Leonardo aber nicht einer Abänderung der körperlichen Erscheinung, was ег
ja als Unwahrhaftigkeit verurteilen miiBte, sondern der künstlerischen Anordnung
der Beleuchtung, der von Schünheit durchtrünkten Gestaltung des Beiwerkes,
namentlich der Kleidung und bei unserem Bilde vor allem einer unvergleichlichen,
wie ein großartiges, mürchenhaftes Traumbild gestalteten Landschaft, die durch
ihre ungeheure Stimmungsgewalt eine wunderbare Steigerung des Persönlichen
ins Allgemeine, Zeitlose zustande bringt’).
(х) Noch i. J. 1914 hat, wie ich aus einer freundlichen Sendung von Marie Herzfeld ersehe, André-
Charles Coppier in Les Arts N. 145 in einem Artikel „La Gioconde est-elle le portrait de
j
In der nüchternen Zeichnung des Schülers, der ganz gewiß nur gegeben hat,
was er vor sich sah, kehren aHe Formenelemente von Leonardos Gemälde wieder:
die dünnen, geringelten Haare, dieselben Falten des gleich angeordneten Schleiers,
die breiten Wangen (alquanto larghetta nennt Pozzo treffend das Antlitz der Gio-
conda) mit dem sich deutlich abzeichnenden Jochbein, die schmalen Augen mit
den etwas geschwollenen unteren Lidern und den auffallenden Fettpolstern über
den oberen Lidern nach den Schlüfen zu; endlich fehlen ebenso wie auf dem Ge-
mälde die Augenbrauen, die der Schüler ganz gewiß gezeichnet hätte, wenn sie in
der Natur vorhanden gewesen würen. Auf diesen letzten Punkt müssen wir
noch tiefer eingehen, um den von namhaften Leonardoforschern verbreiteten Irrtum
zu zerstören, daß we dem Gemälde Leonardos ursprünglich Augenbrauen gemalt ge-
wesen seien.
Die Quelle des Irrtums ist die wortreiche Beschreibung des Bildes durch Vasari,
wo es heißt: Le ciglia per avervi fatto il modo dei nascere i peli nella carne,
dove pitr folti e dove ріп radi, e girare secondo i pori della carne, non potevano
essere рій naturali ).
W. v. Seidlitz (II 52) übersetzt: „Die Brauen, bei denen er dargestellt hatte,
wie die einzelnen Haare aus der Haut herauswachsen, bald dichter, bald dünner,
und stets so, daB sie in ihrer Richtung durch die Poren bestimmt waren, konnten
nicht natürlicher gedacht werden.“ Nun heiBt aber ciglio lat. — cilium, fr
cil „Augenwimper“, während die Augenbraue sopracciglio, lat. = supercilium, franz.
== sourcil genannt wird. . Veranlassung zu diesem Ubersetzungsfehler bot дег
groBe Wortmacher Vasari, denn nur bei Augenbrauen kann man von bald dichter,
bald dünner stehenden Haaren sprechen. So ist sogar Eugéne Müntz (L. d.V. 420),
nachdem er zuerst genau „les cils“ übersetzt, im Verlaufe seiner freien Über-
setzung auf „les sourcils“ gekommen. Auch Rosenberg (102) und Emmi Hirsch-
berg (in ihrer von greulichen Fehlern strotzenden Übersetzung des Leonardobuches
von Solmi 193), schließlich aber auch noch О. Sirén (L. d. V. 71 „ögonbrynen“)
sind diesem Irrtum verfallen. Auch Malaguzzi-Valeri, der noch 1915 über Leonardo
weitláufig geschrieben hat, gebraucht, obgleich Italiener, le ciglia bei Vasari und soprac-
ciglia unterschiedslos, indem er sich auf die famose Darstellung von Coppier in Les
la Mona Lisa?“ diese Frage verneint und dem Zuge der gegenwürtig herrschenden Anschauungen
folgend hat er das Gemälde für eine ideale Schöpfung Leonardos ausgegeben. Ja, er glaubt in der
Dargestellten die nach Ant. de Beatis für Giuliano Medici gemalte „Donna fiorentina“ — die aber
doch ,facta di naturale" heißt — zu finden und schließt daraus, daß das Bild im Louvre erst 1512
gemalt sein könne. Malaguzzi-Valeri, La Corte 11576, nennt das höflich eine ,ingegnosa ipotesi!"
Coppier meint auch, daß Leonardo іп der Landschaft den See von Misurina mit der Foppa und dem
Sorapiß (andere, wie Malaguzzi-Valeri, suchen die Naturvorbilder dieser echten Phantasieschöp-
fung an der Adda) dargestellt habe — leider als Spiegelbild, aber Leonardo schrieb ja ,Spiegel-
schrift“! Es ist zum Lachen! Man tut solchem feuilletonistischen Geschreibsel, das mit einigen aus
der Leonardoliteratur erborgten Notizen verbrümt ist, Ehre genug an, wenn man Unkundige vor ihm
warnt; denn dem Kundigen enthülit der Verfasser auf Schritt und Tritt, wie fremd ihm Leonardos
Schaffen geblieben ist.
(1) Angesichts der großen Bedeutung, die dieser Beschreibung leider immer noch beigelegt wird (so
schreibt z. B. sogar v. Seidlitz П 5а: „Die Augenbrauen müssen aber vorhanden gewesen sein, weil
Vasari sie schildert!“), obschon Vasari das Bild nie gesehen hat, ist es vielleicht gut, zu sagen, daß
all die Lobsprüche über anscheinend genau beobachtete Einzelheiten auf jedes fein durchgeführte
Bildnis einer schönen, lächelnden Frau passen. Von der wunderbaren Landschaft weiß er gar nichts.
Vasaris Schilderung beweist nur den Ruhm des Bildes, sonst nichts!
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— — — е а
Arts N. 145 stiitzt; auch behauptet er, daB Cassiano del Pozzo auf dem Bilde die
„sopracciglia“ vermißt habe. (La Corte di Lod. il Moro 11575f.) Sogar bei W. von
Seidlitz (II 52) heißt es, daß Pozzo noch Teile der Augenbrauen auf dem Gemälde
gesehen habe. Es ist ein verwirrendes Durcheinander von Ungenauigkeiten, als
wenn Brauen und Wimpern dasselbe würen!!) Was sagt nun Pozzo eigentlich?
Cassiano del Pozzo, der das Gemiülde 1625 in Fontainebleau sah und über-
raschend genau beschrieben hat, ist als gebildeter und kunstbegeisterter Mann —
er war mit Rubens befreundet — der bei weitem wichtigste Zeuge, den wir
für das Aussehen des Bildes in älterer Zeit haben. Er hat offenbar nach den von
Vasari so überaus genau beschriebenen ,ciglia^ gesucht. ,Notamo che à quella
Donna paltro bella mancava qualche poco nel ciglio che il Pittore non gl'ié l'hà
fatto molto apparire come che essa nó doueua hauerlo"!), |
Also: „Wir bemerken noch, daß es jener im übrigen so schönen Dame ein wenig
an den Wimpern mangelte, die der Maler bei ihr nicht zahlreich hat erscheinen
lassen, wie sie solche auch nicht gehabt haben muß.“ Somit stellt Pozzo im
Gegensatz zu der Beschreibung, die Vasari von den Augenwimpern der M. Lisa
gibt, die Behauptung auf, daß sie auf dem Gemälde nur spärlich zu sehen seien,
und erklärt diese auffällige Erscheinung mit einer Eigentümlichkeit des Modells.
Wir künnen also feststellen, daB weder Vasari noch Pozzo von Augenbrauen
auf dem Gemälde der M. Lisa gesprochen haben, was ganz im Einklang steht mit
der etwa 1505 gezeichneten Naturstudie des Leonardoschülers und auch der Mode-
richtung der Zeit entsprach, denn Baldassare Castiglione berichtet in dem 1516 er-
schienenen Cortigiano, daß die Damen sich damals die Augenbrauen auszurupfen
pflegten?).
Nunmehr erhebt sich noch die Frage, ob wir Pozzo vertrauen dürfen, der 1625
noch vereinzelte Wimperhaare auf dem Gemälde gesehen hat! Ich bin über-
zeugt, daß seine Beobachtung zuverlässig ist, wie er denn überhaupt das Bild sehr
liebevoll betrachtet und mit vorzüglichem Urteil beschrieben hat.
Einen überraschenden Beweis für die Wahrheit von Pozzos Behauptung besitzen
wir noch in der alten flámischen Kopie derGioconda im Prado, die allen mir be-
kannten an Genauigkeit überlegen ist (Abb. 5). Dr. G. Frizzoni (Ztschr. f. b. K. 1894,74)
bezeichnet sie mit Recht als niederländisch-flämisch, irrte aber gewaltig, als er dem-
selben Maler auch die Auferstehung Christi im Berliner Museum zuschrieb. Ich
kann nur nach der vortrefflichen Photographie von Anderson (N. 16109) urteilen
und halte das Gemälde für bald nach 1550 entstanden, zumal da es eine ungeheure
Menge von Einzelheiten enthált, die Pozzo am Urbild wegen eines schweren Fir-
nisses offenbar nicht mehr hat erkennen können. Auf der Photographie sieht ein
scharfes Auge am rechten Oberlid im äußersten Winkel drei oder — wenn es
sich um keinen Schatten handelt — vier Wimperhaare, am linken Oberlid aber
über dem äußeren Rande der Iris zwei Haare! Nun hat zwar der Kopist auch
eine sehr dünne, anscheinend von einem späteren verstärkte Linie als Andeutung
der Brauen oder besser als Begrenzung der Augenhóhle und ebenso Falten an den
(х) Über die Auslegung von „ciglia“ wolle man die berichtigende Schlußbemerkung S. 14 beachten!
(2) Text nach meinen Aufzeichnungen aus dem Originalcodex Ms. Bibl. Ap. Barb. Lat. 5688 f. 1947,
die der damalige Prüfekt der Vaticana, P. Ehrle, S. J., trotz der vor sich gehenden Umordnung der
Bibliothek freundlichst ermöglichte.
(3) Angeführt bei H. Wölfflin, Die klassische Kunst, Note S. 33. Castiglione spricht allerdings von
„pelarsi le ciglia e la fronte", aber an das Ausreißen der Wimpern kann man doch schlecht glauben.
Auch Wölfflin nennt in seinem Text nur das Ausreißen der Brauen.
Fingergelenken hinzugefiigt, jedoch die vereinzelten fiinf oder sechs Wimper-
haare sind so auffällig, daß sie sich nur durch die Annahme erklären lassen, daß
das Originalbild sie damals noch aufwies!
Es ist mir leider in den letzten Jahren nicht vergönnt gewesen, das Urbild im
Louvre zu sehen und die größten Photographien gestatten hier kein Urteil wegen
der vielen Farbenrisse mit ihren Reflexen. Aber M. Durand - Grèville hat Eugene
Müntz (L. d. V. 418) mitgeteilt, daß zwei oder drei Wimperhaare (cils, die
W. von Seidlitz wieder als Brauen deutet!) mit der Lupe noch wahrzunehmen seien,
ebenso wie der Schlagschatten der Hauptlinie der Wimpern, der sich in
der duBersten Ecke des (welches?) unteren Lides befinde!).
M. Durand-Gréville ist anscheinend nicht durch die Kopie in Madrid beeinfluBt
gewesen und hat nur erklärt, was seine Augen sahen. Es würde eine glänzende
Rechtfertigung meiner Behauptungen sein, wenn 'sich diese Spuren der Wimper-
haare vielleicht an jenen Stellen befánden, wo sie auf der Kopie stehen.
Der Erklärungsversuch Pozzos für die Mangelhaftigkeit der Augenwimpern auf
dem Bilde ist sicher verfehlt. Die Malerei hatte vielmehr vor 1625 schon erheb-
lich gelitten — il vestito é stato da certa vernice datali cosi malconcio..con tutte le
disgratie che questo quadro habbi patito . . schreibt Pozzo. Daß wir darunter
auch Abwaschungen verstehen dürfen, ist sicher. Auch in spüteren Jahrhunderten
ist Abwaschen und Firnissen das Allheilmittel der Gemäldepfleger in den Samm-
lungen der französischen Könige. „N’a besoin que d'étre lavé et verni“ ist ein
stehender Ausdruck in den Verzeichnissen, die Ferd. Engerrand (Bailly, Inventaire
des Tableaux du Roy, Paris 1899) herausgegeben hat, und gerade bei der M. Lisa
hei&t es noch 1788 ,laver et vernir", Die Folgen sieht man deutlich genug an
Nebendingen: Die Sáule zur Rechten ist: nahezu verschwunden!
Wenn auch in Leonardos Gemälden und Zeichnungen Augenwimpern nur selten
und nur in frühen Arbeiten zu finden sind, so möchte ich doch glauben, daß Leo-
nardo auf diesem Bildnis wirklich Augenwimpern gemalt und daß Pozzo noch Teile
davon gesehen habe, ja, ich glaube, daß heute noch die von Durand-Gréville ge-
meldeten Spuren nachweisbar sind. Freilich hat der Schüler in seiner geringen
Zeichnung die Wimperhaare ausgelassen, was aber nicht viel bedeutet, da sie in
einigem Abstande nicht mehr gesehen werden. Wie leicht konnten die als letzte
Feinheiten hinzugefügten Wimperhaare, Dinge, die Leonardo mit dem feinsten
Pinsel in unvergleichlicher Sicherheit leicht wie einen Hauch hinsetzte, einer der
hüufigen Abwaschungen zum Opfer fallen!?)
(х) D'après M. Durand-Gréville deux ou trois cils seulement sont encore visibles à la loupe, ainsi que
l'ombre portée de la ligne générale des cils, qui se trouve sur le coin extréme de la
paupiére inférieure.
(2) Bei dieser Gelegenheit will ich, einer spáteren Untersuchung vorgreifend, die mir bisher auf-
gefallenen wesentlichsten Beschädigungen des Gemäldes kurz anführen. z. Starke
Abwaschungen in der Landschaft, an den Säulen und an Gesicht und Büste; von den Händen
haben die Fingerspitzen gelitten. 2. Am Schleier, besonders an der rechten Gesichtsseite und
über der Stirn sind die Begrenzungslinien ziemlich plump erneuert. 3. Durch einen trüben Firnis
sind große Teile der Kleidung, des Schleiers, der Haare (namentlich seitlich von der linken Wange),
des Armstuhles und die feine Rusticaverzierung der Brüstungswand, die bisher anscheinend un-
bemerkt geblieben ist, fast unerkennbar geworden. Von einem Firnis Leonardos kann seit Jahrhunderten
natürlich keine Rede mehr sein.
An Restaurierungen läßt sich folgendes feststellen. Nach dem Zeugnis der Kopie im Prado
muß das Urbild bereits um 1550 durch Abwaschungen (vgl. die Augenwimpern) geschädigt gewesen,
8
П. Der Karton der St. Anna in der Kgl. Akademie zu London. (Abb. 5 u. 6).
Trug schon die Zeichnung des Schülers wesentlich dazu bei, die Persünlichkeit
der Mona Lisa und den Wirklichkeitscharakter der Schópfung Leonardos erkennen
zu lassen, so muß es noch bedeutungsvoller erscheinen, daf der Meister selbst auf
einem seiner berühmtesten Werke, dem Karton der S. Anna in London, die M. Lisa
in voller Gestalt verwendet hat.
In jenem stillen Saal der Diploma Gallery, in den sich nur selten ein Besucher
der Royal Academy verirrt, habe ich in verschiedenen Jahren manche Stunden vor
jenem trotz aller Schäden so kostbaren Originalkarton Leonardos zugebracht. Die
hl Jungfrau, die auf dem rechten Knie der Mutter Anna sitzt, zeichnet sich vor
den schlanken, mehr jungfräulichen Madonnen der mailändischen Zeit Leonardos
aus durch eine fraulich-reife Gestalt von starken Schultern, deutlich hervortretenden
Brüsten und kräftigen, gerundeten Knieen. Der Kopf ist der am sorgfältigsten
durchgeführte Teil der Zeichnung. Die Haare sind ziemlich dünn, in der Mitte
gescheitelt und mit einem diademartig geschlungenen Schleiertuch bedeckt. Die
niedergeschlagenen Augen sind nicht gerade groB; Brauen sind nicht festzustellen;
die feine, schmale Nase wólbt sich an der Spitze zu einem fleischigen Knopf; um den
Mund spielt ein sinnendes, miitterliches Lächeln. Ein zartes, sonniges Spiel von
Lichtern und Schatten huscht über das etwas breite, rundliche Gesicht und hebt
das Wangenbein kráftig hervor. Man kann sagen: soweit es bei der Verschiedenheit
der Technik und der Schnelligkeit der Ausführung möglich war, ist hier ein Gegen-
stück zu dem lebendigen Lichterspiel auf dem Gemälde der Gioconda zu schauen.
Bei dem auf ideale Bildungen gerichteten Leonardo sind wir, selbst bei einem
Karton zu einem Altarbilde, nicht darauf gefaßt, ein „Modell“ in solcher Klarheit
auftauchen zu sehen,wie es hier offensichtlich der Fall ist.
Man darf ja sagen: mit Ausnahme der frei flieBenden Haare kehren fast alle kórper-
lichen Züge, die wir aus dem Gemälde Leonardos und der geringen Zeichnung des
Schülers als bezeichnend für die M. Lisa gesammelt haben, in dem Londoner Karton
wieder! Im einzelnen erkennen wir besonders noch die zierliche Form der Nase,
die auch auf dem Gemälde einen schmalen Rücken und einen erbreiterten Knopf
hat, der auf der Schülerzeichnung gewöhnlich und unschön gestaltet ist, ebenso
genau wieder, wie den lieblichen Mund mit der ganz leise hervortretenden Unter-
lippe. Ja, selbst das Kleid mit dem weiten, runden Ausschnitt, unterhalb dessen
der Stoff in Fáltchen eng zusammengezogen ist, stimmt mit den beiden bereits
erkannten Abbildern überein. Dazu kommt noch die nach dem gleichen malerischen
Ziele strebende weiche Beleuchtung und lebendige Modellierung des Kopfes!).
in den Gewandteilen aber noch sehr klar gewesen sein. Als Pozzo 1625 das Bild sah, lag schon ein
so schwerer Firnis darüber, daB er nicht erkennen konnte, ob das Kleid ,schwarz oder dunkelbraun“
(negro o lionato scuro) sei. In Wirklichkeit ist es bläulich-grün. Nach der Abwaschung von 1788
ist wahrscheinlich noch eine weitere Instandsetzung erfolgt, als die Bilder für das Musée Napoléon
hergerichtet wurden.
Ich glaube nicht, daß die Kenntnis von Leonardos Gemälde durch die Zusammenstellung sämtlicher
Kopien noch merklich gefördert werden könnte, was Dr. Frizzoni annimmt. Wahrscheinlich aber würden
große Photographien bei geeigneter Behandlung und scharfer Beleuchtung des Bildes noch manches
herausholen kónnen. |
(1) Wie war es möglich, daß man diese Übereinstimmung bisher überseben hat! Nur Georg Gronau,
L. d. V., Lond. 19023, 138 schrieb, da& beide Kópfe der hl. Frauen mit ihrem feinen, kaum wahr-
nehmbaren Lächeln direkt an die M. Lisa erinnern. Außerdem sagt Sirén, L. 4, V. 262, daß das
Brustbild der Madonna durch sein malerisches Sfumato mit der M. Lisa wetteifere. Doch unser
einziger Müller- Walde wußte das seit 30 Jahren und sprach zu einzelnen Fachgenossen davon!
Aber da wendet vielleicht ein Kenner der Leonardoliteratur ein, daB die all-
gemein angenommene Datierung des Londoner Kartons es uns unmóglich mache,
ihn mit der M. Lisa zu verhinden! Allerdings haben sämtliche Leonardoforscher
und -Schriftsteller mit Marks und Herb. Cooks schöner Studie beginnend bis zu
Sirén — eine Ausnahme bilden nur der mit irreführendem Beweisgrunde arbeitende
Anton Springer (Ztschr. f. b. К. 1889, 141 ff.) und der vortreffliche Hans Klaiber
(Leonardo-Studien 48), dessen Beweisführung mir unklar geblieben ist und auch
Unzutreffendes enthält — die Ansicht vertreten, daß der Londoner Karton bereits
in Mailand entstanden sei und dem 1501 іп Leonardos Werkstatt befindlichen,
der dem Bilde im Louvre zugrunde liegt, voraufgehe. Aber bisher hat kein For-
scher auch nur einen einzigen annehmbaren Beweisgrund für diese Ansicht vor-
gebracht, und der unanimis consensus ist, wie so oft in der Leonardoforschung,
auch hier nur ein communis error zu nennen.
Ich kann mich nunmehr nicht mehr der Aufgabe entziehen, meine abweichende
Datierung des Londoner Kartons, die eigentlich in der seit vielen Jahren vorberei-
teten Darstellung von „Leonardos Madonnenkompositionen“ Platz finden sollte,
bereits an dieser Stelle zu begründen.
Der Karton der Royal Academy fällt in das Jahr 1503, was mein hochverehrter
Freund Dr. Paul Müller-Walde i. J. 1912 mir gegenüber offen als. zweifellose
Tatsache bezeichnete, während ich damals über die Datierung der verschiedenen
Entwürfe und Studien noch nicht mit mir ins reine gekommen war. Meine For-
schungen in dem Lichte dieses wertvollen Fingerzeiges wieder aufnehmend, kam
ich dann zu der folgenden Begründung:
1. Die Weise der Zeichnung, ihre Breite und Weichheit und die Ausarbeitung
feiner Beleuchtungswirkungen, vor allem aber die Schraffierung passen nicht
mehr zu der Zeit vor 1500; letztere nähert sich der um 1503 bei dem Künstler
zuerst namentlich in anatomischen Zeichnungen auftretenden Manier, der Rundung
der Formen zu folgen. Man beachte die linke Hand der S. Anna! |
2. Noch viel stärker offenbart sich in diesem Werke in den einfachen, großen
Formen der Komposition, vor allem in der „klassischen“ Gestaltung der Ge-
wandung eine starke Beeinflussung des Künstlers durch die Antike, die, wie ich
aus vielen Tatsachen nachweisen kann, von 1502 an stattgefunden hat. G. Gronau
hat daher richtig empfunden, daß Ше Gewandung der „Tauschwestern“ im Par-
thenonfries das Einzige sei, was sich mit Leonardos Karton vergleichen lasse —
woran ich noch gewisse sitzende Figuren des jungen Michelangelo reihe, wie das
Madonnentondo im Bargello, die Madonna in Brügge, den Moses und verschiedene
Sibyllen und Propheten der Sixtina-Fresken.
3. Das von Leonardo in Mailand gehegte Madonnenideal — leider gibt es aus
den neunziger Jahren keine einzige Madonnenstudie mehr — ist, wie oben gezeigt,
verlassen und eine reife, frauenhafte Bildung an die Stelle getreten.
4. Der schlagendste Beweisgrund für die Entstehung des Kartons in der
florentinischen Periode ist jedoch die nicht zu leugnende Übereinstimmung der
hl Jungfrau mit der Mona Lisa, die Leonardo 1503 zu malen begann. Aus
hier nicht näher ausführbaren Ursachen hat Leonardo in diesem Jahre eine neue
Komposition des Altarbildes für SS. Annunziata begonnen, aber gleich darauf auf
den Auftrag verzichtet, der noch im selben Jahre dem Filippino Lippi zuteil wurde.
* *
10
Die Tatsache, daß Leonardo hier eine uns bekannte Person als Natur-
vorbild für eine Altartafel verwendet hat — der einzige bei ihm nachweisbare
Fall dieser Art — ist bedeutungsvoll tenug, um dabei noch etwas zu verweilen.
Aus dem Umstande, daß die edle Florentinerin dem Künstler für eine Darstel-
lung der hl. Jungfrau „gesessen“ hat, müssen wir schließen, daß Mona Lisa einen
starken, inneren Anteil an Leonardos Kunst genommen habe. Wer den bezaubern-
den Eindruck dieses einzigartigen Frauenbildes in seiner Seele empfunden hat,
wird solches gern glauben. Die Gioconda war ein in jeder Hinsicht würdiges
Naturvorbild für einen so erhabenen Zweck, wobei von einer peinlichen, vulgären
Nebenbedeutung des Wortes „Modell“, dessen ein Künstler ja nicht entraten kann,
unbedingt abgesehen werden muß. Für Menschen aber, die aus dem hier auf-
gedeckten Umstande vielleicht wieder einer Verstärkung häßlicher Vorstellungen
entnehmen mögen, die nur der Argheit des eigenen Herzens entspringen, sei noch
ein Wort gesagt. П
Wie Leonardo niemals so türicht gewesen ist, bei der Herstellung eines Bild-
nisses eine Studie nach dem unbekleideten Körper zu machen (was ihm wahrhaftig
Kunsthistoriker haben zuschieben wollen!) so bedurfte der unvergleichliche Kenner
der Anatomie auch nicht einmal eines Aktstudiums, wenn er eine bekleidete Ge-
stalt in ein Historienbild einschieben wollte. Man lasse sich nicht tüuschen durch
die unbekleideten Gestalten in manchen Entwürfen und die Bewegungsstudien zum
Dreikinigsbilde: alle diese Zeichnungen sind nicht vor der Natur gemacht! Die
Mona Lisa hat selbstverstindlich nur in ihrem faltenreichen Gewand dem Maler
für die Darstellung der hl. Jungfrau gesessen, anscheinend in demselben, das sie
auf ihrem Gemälde trägt. Aus dieser Verwendung dürfen wir schließen, daß die
Dame Leonardos hohen Anschauungen von kórperlichem und geistigem Adel der
Frau in hohem Maße entsprochen hat, wie das beim Betrachten ihrer zwei Bilder
von des Meisters Hand ja auch einleuchtend erscheint.
Bei dieser Gelegenheit soll eine leider sogar von ernsthaften Kunstgelehrten, dar-
unter selbst Leonardobiographen, genährte Vorstellung mit größter Entschiedenheit
abgewiesen werden: daß die unbekleidete Dirne auf dem Carton des Condé-
Museums in Chantilly, die dort unter dem Titel „La Gioconda“ als Arbeit Leo-
nardos ausgestellt ist, einen anderen Zusammenhang mit der Mona Lisa und mit
Leonardo habe, als den einer pietätlosen Nachahmung durch einen Schüler. Der
Karton (abgebildet bei Seidlitz, П5о und Müntz, L. d. V. Tfl. 19) ist nach meiner
Überzeugung eine den bekannten Kartons in der Ambrosiana nahestehende Arbeit
des Beltraffio, mindestens aber seiner Werkstatt, wo auf Verlangen eines „Mäzens“
eine feiste, mailändische Kurtisane in der ungefähren Haltung der Gioconda ge-
zeichnet und auch gemalt wurde. Das Gemälde befand sich in der 1916 an-
scheinend nach Amerika verkauften Sammlung Chabriéres-Arlés und ist in seinem
reichgeschnitzten Rahmen in der Zeitschrift Les Arts 1905, Nr. 39 abgebildet.
Nachbildungen dieses Schaustückes, das natürlich allezeit seine besonderen Lieb-
haber gefunden hat, gibt es viele; die bekannteste, mit einer Dolomitenlandschaft
hüngt in der Eremitage (Abb. bei Rosenberg, N. 9o) und ist, wie P. Müller-Walde
glaubt, wohl eine Arbeit des Salai. Möge die Direktion des köstlichen Musée Condé
den sicherlich von keinem einzigen Kunsthistoriker gebilligten bisherigen Titel des
Kartons recht bald abändern, etwa in: Zugeschrieben der Werkstatt des G. Beltraffio,
Mailindische Kurtisane in der Haltung der Gioconda!).
(1) Damit würde krankhaft veranlagten, öfters gar auf niedrige Instinkte spekulierenden Schriftstellern
ein wirksames Element ihrer Phantasien genommen. Es handelt sich bei M. Lisa um eine geschicht-
II
Schon im 17. Jahrhundert spukt augenscheinlich die sinnlose, hüBliche Ver-
mengung der dargestellten Dirne mit der Mona Lisa. Zwar wuBte der verstündige
Pozzo 1625 trotz seiner Gründlichkeit ooch nichts davon zu sagen, oder vielleicht
verschmähte er es, auf ein pikantes Gerede dieser Art einzugehen. Aber bereits
1642 sah sich Pére Dan (Trésor des Merveilles de Fontainebleau 136) genótigt,
gegen ein derartiges „on dit“ aufzutreten. „Le cinquiéme en nombre et le premier
en estime est le portrait d'une vertueuse dame italienne nommée Mona Lissa“
schreibt er und erklärt, „daß sie keine Courtisane sei, comme quelques-uns croyent
(man war am Hofe Louis XIV.!) mais la vertueuse épouse de Francois Jocondo,
gentilhomme ferrarois* (sic!).
Hiermit ist meines Wissens das ikonographische Material zur Mona Lisa er-
schöpft. Es gibt allerdings noch zwei andere Zeichnungen, die in der Leo-
nardoliteratur mit der Gioconda in Verbindung gebracht sind und denen wir hier
auf den Grund gehen wollen. Da war zunüchst in der Sammlung Gius. Vallardi
ein angeblicher Karton Leonardos zu seinem Bilde, den Vallardi (Disegni di Leo-
nardo d. V. posseduti da G. V. Milano 1855, S. 65) als ersten seiner Kartons auf-
führt. „Eine lebensgroBe Zeichnung der M. Lisa mit schwarzer Kreide auf weißem
Papier gemacht und mit etwas Bleiweiß gehóht, der Hintergrund mit Strichen
schattiert Zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand sieht man ein
Rohr mit einer Andeutung von Blättern, also vielleicht eine Palme.“ Nach einer
von Müntz, L. d. V. 511 aufgenommenen Notiz aus Gaz. B.-A. 1861 befand sich
unterhalb der Hánde auch ein Rad, wodurch die Dargestellte als S. Katharina ge-
kennzeichnet ist. Vallardi hatte die Zeichnung von den Erben der Marchesi Cal-
derara-Pino in Mailand erworben, ebenso wie jene kostbare Naturstudie Leonardos
nach der Isabella d'Este, die seit 1861 dem Louvre gehört. Er behauptet sogar,
der Karton habe ehemals dem Pompeo Leoni gehört. — C. Brun schrieb 1870 in
seiner Leonardostudie (a. O. 39), der Karton habe sich damals bei dem mailündi-
schen Advokaten Rosmini befunden und sei von P. Pozzi photographiert; Malaguzzi
Valeri (a. O. II 584, Anmerk.) sagte 1915, er sei heute nicht mehr auffindbar. —
Brun hielt den Kopf für eine eigenhändige Arbeit Leonardos, wogegen die übrigen
Teile von anderer Hand seien, die den Karton auch für eine hl. Katharina benutzt
habe, wie solche ja mehrfach zu finden sind. Wenn Bruns Ansicht zutrüfe, müßte
die untere Hälfte des großen Blattes entweder ebenfalls von Leonardo entworfen
oder erst später angeklebt sein. Leider habe ich weder den Karton, noch dessen
Photographie zu Gesicht bekommen. Der von Vallardi seinem Katalog beigegebene
Stich ist nicht nur sehr klein, sondern auch zugunsten der behaupteten Über-
einstimmung mit dem Gemälde gefälscht! Er weist nicht einmal die Palme auf,
geschweige denn das von Vallardi übergangene Rad. — Bei der Unmöglichkeit,
während des Weltkrieges andere Erkundigungen einzuziehen, wandte ich mich
an meinen hochverehrten Freund Dr. Paul Müller. Dieser teilte mir freundlichst
mit, daß er schon 1890 in Casa Vallardi in Mailand den Karton, der in Kreide und
Kohle gemacht sei, gesehen habe und daß es sich nur um eine Fälschung des
19. Jahrhunderts handle, die für eine Ausstellung in Mailand angefertigt sei. Durch
dies Urteil dieses eminentesten aller Leonardoforscher dürfen wir wohl den ge-
heimnisvollen Karton für erledigt halten.
Viel kürzer können wir eine Zeichnung in der Königl. Kupferstichsammlung in
München erledigen, von der ebenfalls C. Brun unter Berufung auf Försters Vasari-
liche Persönlichkeit, um eine vornehme Dame von hohem Geistesadel, die schon des großen Leonardo
wegen Anspruch auf respektvolle Behandlung hat.
12
D — NT — — —
—
ausgabe III 32 erzühlt und worin eine Profilzeichnung der Gioconda mit hangenden
Haaren dargestellt sein soll Auf meine Anfrage bei der Direktion der Königlich
Bayrischen Graphischen Sammlung gab Herr Dr. Bredt freundlichst Auskunft
durch Übermittlung der Beschreibung des Katalogs. Die Rötelzeichnung auf weißem
Papier im Profil nach rechts (Inv. Мг. A. 207. IV. 2155) ist eine Kopie nach dem
Uffizienblatt zur Isabella d'Este, wie schon Müntz 525 richtig bemerkt hatte.
Nach dieser Abschweifung schlieBe ich mit der tiefempfundenen Schilderung des
Bildes der Mona Lisa durch unsere Gsterreichische Landsmünnin Marie Herzfeld,
meine hochgeschitzte Freundin:
»Diese in aller Zerstórung durch die Zeit dennoch unsterbliche Malerei, in der
Leonardo alles zusammengetragen hat, was ihm auf Erden kóstlich und teuer war,
die romantische Landschaft mit dem so geliebten Wasser, das sich wellt wie
Frauenhaar, mit den so viel studierten Felsen, uralten W'undergebilden der Erde,
mit jener weichen, lichtdurchtrünkten, aber nicht sonnigen Luft, die den Zügen der
Frauen, wie er sagt, so viel holde Anmut leiht, und dann die Gioconda selbst mit
den wie von ihm erfundenen Zügen — so voll Ruh und Güte, so hoch über aller
Banalität, daß die Sprache für ihren Adel keine Bezeichnung hat, mit diesen schönen,
so geduldigen Hünden, die vom Leben zu wissen scheinen und teilzunehmen an
jenem vielsagenden Licheln, dessen Geheimnis hundert Leben nicht ganz ent-
schleiern künnten, weil nur hundert Leben, das Leben von Geschlechtern, die
hundert Möglichkeiten dieser Frau zu entwickeln vermöchten, — ist das nicht
Leonardo selbst? Der Eine, Vielfache, der rütselvolle Rätseldurchschauer ... .).
* *
*
Der besseren Übersichtlichkeit wegen. seien zum Schluß die wichtigsten Er-
gebnisse der vorstehenden Untersuchung zusammengefaßt.
Die anziehende Persönlichkeit der edien Mona Lisa trat uns in zwei bisher un-
erkannten Werken entgegen: in der Naturstudie eines Leonardoschülers, höchst
wahrscheinlich des Salai, gezeichnet um 1505 in Leonardos Werkstatt und in der
hl Jungfrau auf dem Londoner Annakarton, der infolgedessen endlich eine sichere,
von den bisherigen Ansichten stark abweichende Datierung empfängt. Aus diesem
Karton ergab sich erstmalig die bei Leonardos Kunstweise für viele überraschende
Tatsache, daß der Meister ausgewählte Modelle in heilige Darstellungen herüber-
nahm und die Wahrnehmung, daß er durch die M. Lisa zu einem neuen, frau-
licheren Madonnenideal gekommen ist. Die Großzügigkeit und Einfachheit der
Komposition und die plastische Auffassung offenbaren, daß Leonardo 1503 starke
Eindrücke von antiken Bildwerken empfangen hatte.
Wir gewannen eine willkommene Bereicherung über das Aussehen und den
Charakter jener edien Florentinerin, vor allem durch das Bild der ganzen, herr-
lichen Frauengestalt von Leonardos Meisterhand, während die mangelhafte Schüler-
(:1) Marie Herzfeld, Leonardo der Denker, Forscher und Poet. 3. Aufl. 1911, 8. 93. Verlag Eugen
Diederichs in Jena. Das Buch irrt zwar ebenso gut wie die besten anderen in manchen wichtigen
Fragen über Leonardos Schaffen, weil die Verfasserin die vermeintlich sicheren Ergebnisse der bis-
herigen Leonardoliteratur mit zu großem Vertrauen hingenommen hat; aber es bleibt für denkende
und fühlende Menschen, tür die Leonardofreunde vor allem, das wahrste, innerlichste und wertvollste
aller Leonardobücher, weil es nicht nur reiche, unverfälschte Auszüge aus des Meisters Schriften
bietet, sondern Leonardos Wesen mit glühendem Sehnen gleichsam divinatorisch nahe kommt und
sein Leben und Schaffen, Denken und Fühlen in edier, oft hinreißend schöner Sprache schildert.
13
zeichnung namentlich deshalb unschätzbar ist, weil sie erkennen läßt, daB das
Gemälde im Louvre — weit entfernt, ein Idealbildnis zu sein, wie die meisten
Leonardoschriftsteller annehmen — ein getreues, lebensvolles, wenn auch durch
die Umgebung dem АШар entrücktes Abbild der Wirklichkeit ist. Im einzelnen
wird die alte Streitfrage, ob die M. Lisa Augenbrauen besessen habe, schon durch
die nüchterne Naturstudie des Schülers verneint!).
Wenn der offenbar in den, neunziger Jahren in Mailand ausgebildete Zeichner
der Naturstudie der in Leonardos Florentiner Werkstatt arbeitende vielgenannte
Salai ist, wofür gewichtige Gründe sprechen, so haben wir endlich eine Arbeit von
ihm, an die sich andere Werke angliedern lassen.
Nebenbei konnte das Verhültnis der bisher ganz im Dunkel gebliebenen Donna
nuda zu dem Bildnis der Gioconda festgestellt werden. Es handelt sich nur um
eine dreiste Anlehnung bei der Darstellung einer Dirne, um eine Arbeit der Werk-
statt des Beltraffio.
DaB diese reiche Ausbeute nicht auf wenigen Seiten dargestellt und wissenschaft-
lich begründet werden konnte, versteht sich wohl leicht. Der Verfasser wollte,
bevor er eine Kritik der neueren Leonardoliteratur veróffentlicht, hier noch an
einem neuen Beispiel zeigen, wie nach seiner Ansicht die Leonardoforschung, die
vielfach noch in den wichtigsten und meistbehandelten Fragen in die Irre geht,
sogar aus dem alten, hundertfach durchgesehenen Material wertvollste Ergebnisse
gewinnen kann, wenn sie sich auf gründliche, natürlich vieljähriges Studium
vorayssetzende Einzeluntersuchungen verlegen will Anders arbeiten bringt
auf diesem unsicheren Gebiet nur neue Verwirrung und unausbleiblichen MiBerfolg.
(1) Nach geschehener Korrektur dieses Beitrags bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß ver-
schiedene Ausführungen über die „ciglia“ (S.6—8) nicht gehalten werden können. — Mit meinen
bescheidenen Hilfsmitteln glaubte ich feststellen zu dürfen, daß ciglio und cil ähnlich wie cilium nicht
die Bedeutung Braue haben kónnten, Nun verwenden aber, wie ich eingesehen habe (abgesehen von
dem auch bei anderen Völkern vermengenden Sprachgebrauch des Alltags), Vasari und Castiglione
„ciglio“ als Braue. Wegen der bedauerlichen Doppeldeutigkeit von ciglio kann ich daher den Vorwurf
der falschen Übersetzung nicht aufrecht erhalten! Allerdings wäre es sehr wünschenswert gewesen,
auf den Doppelsinn von ciglio hinzuweisen. Was Poszo mit ciglio gemeint hat, geht aus seinen
Worten nicht hervor. Aber Durand-Gréville hat cils zweifellos als Wimperhaare verstanden,
denn nur von diesen, nicht von den Brauen, kann „die Hauptlinie einen Schatten auf die äußerste
Ecke des unteren Augenlides werfen" (s. oben S. 8). Hier mindestens ist also unrichtig übersetzt
worden. Т |
Zur Sache möchte ich noch folgendes sagen: Vasaris wortreiche, іп дег Leonardoliteratur bisher `
mit vollem Unrecht hochgeschätzte Beschreibung des Bildes, die den Streit um die Augenbrauen ап-
gestiftet hat, muß künftig als inhaltlich wertlos beiseite bleiben. Ob Pozzo noch Reste von Brauen
oder von Wimpern gesehen hat, wird man erst nach genauer Untersuchung des Urbildes entscheiden
wollen. Aber die Aussage von M. Durand. Gréville und die Kopie in Madrid mit ihren höchst auf-
füligen, vereinzelten Wimperhaaren, die auf unserer Abbildung allerdings unsichtbar sind, sprechen
für meine Deutung. — Das Ergebnis der noch anzustellenden, schwierigen Untersuchung des Urbildes
bat glücklicherweise keipe alleinige Bedeutung für die Frage, ob die M. Lisa Augenbrauen getragen
und ob Leonardo solche gemalt hat. Zwar ist Bald. Castigliones Bericht über die Unsitte der Depi-
lation ebensowenig entscheidend, wie zahlreiche zeitgenössische Bildnisse, weil hierdurch nur die
Moderichtung, nicht aber der einzelne Fall bezeugt wird. Dagegen erscheinen mif von vollkommen
ausreichender Beweiskraft die beiden oben behandelten Bildnisse der M. Lisa, die peinliche Naturstudie
des Schülers und Leonardos Karton zur St. Anna, denn auch dort habe ich nichts gefunden, was
man als Augenbraue bezeichnen kónnte. |
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14
EINE SELTENE GRANULATIONSARBEIT
000000000000000000000000000000000000000000000« Mit sieben Abbildungen 9009000000009090090000000000000000000000000000€
as Wort „Filigran“ — oder sagen wir „Körnerdraht“ — deckt drei verschie-
dene Techniken: die Drahtarbeit, das Spiel mit Goldkörnern, und das Werk,
das Draht mit Kürnern verbindet. Die an zweiter Stelle genannte Technik, die
Kleinarbeit mit Goldkörnern, ist bisher am wenigsten beachtet worden, denn sie
hat keine Verbindung mit der Neuzeit. Im orientalischen Altertum geboren, ist sie
fast schon im klassischen Altertum gestorben, und nur mühsam schleppt sie sich
bis an die Schwelle des frühen Mittelalters, Im hohen Altertum, in jener Zeit, da
sich Orient und Griechentum mischten, hat sie ihre Triumphe gefeiert. Keine
lauten, rauschenden auf dem Markt, aber stille und bescheidene im Kreise der
Kenner, unter den Feinschmeckern auf dem Gebiete einer subtilen, mit sicherer
Hand und feinen Gerüten durchzuführenden Goldarbeit. In der Hauptsache besteht
das Verfahren darin, winzige Goldkügelchen, möglichst von gleicher Abmessung,
dicht nebeneinander auf eine Goldplatte zu lóten. Die erzielte Wirkung ist nicht
die eines aufgesetzten Ornaments, sondern einer Aufrauhung, einer Mattierung,
die den Rezipienten ganz oder teilweise wie mit einem zarten Flaum überzieht.
Das ist die Idealtechnik und zugleich die verbreitetste. Aber es gibt noch viele
andere. Die eine, wahrscheinlich die älteste, bestand darin, daß man іп den Re-
zipienten kleine Lager eintiefte und die Körner einzeln darin verlótete. Aus Zeit
und Ort eines so gearbeiteten Fundes darf man schlieBen, daB dieses Verfahren
»primo huius artis fore“ angewendet worden sei. Auch eine praktische Erfahrung
führt mich zu dieser Annahme. Mit Versuchen, die alte Technik wiederzufinden,
bescháftigt, lieB ich einen geschickten Goldarbeiter verschiedene Granulationsarbeiten
ausführen, Er traute dem einfachen Anlóten nicht, ebenso wenig, wie man im
Beginn des Eisenbahnbaus der glatten Schiene traute, und machte für jedes
Korn eine Vertiefung im Metall, gerade so wie ев die alten Kreter mit einem
goldenen Nadelkopf gemacht haben, der sich jetzt im Museum von Kandia befindet.
Während wir im Verlaufe der Entwicklung an den meisten Stätten die früher
geschilderte Normalarbeit antreffen, finden wir an anderen eine merkwürdige Ab-
art, die darin besteht, einzelne Kügelchen in regelmäßigen Abständen an einen
runden Draht festzulöten, und dann einen zweiten an die entgegengesetzte Seite
der Kügelchen in derselben Weise zu befestigen. So könnte der technische Vor-
gang gewesen sein, aber für das Auge ergeben sich zwei parallele Drähte, zwischen
die, so wie die Triglyphen Architrav und Geison voneinander trennen, einzelne
Kügelchen in Intervallen eingesetzt sind. Das ergibt eine granulierte a-jour Arbeit,
für die wir die ersten schüchternen Beispiele aus der zweiten Schicht von Troja
besitzen, kühnere unter den Funden von Dahschur kennen. Wir stehen damit in
der Zeit kurz nach 2000. Seitdem ist diese Spezialtechnik für unser Auge ver-
schwunden, und wir hatten guten Grund, anzunehmen, daß sie tatsächlich unter-
gegangen sei, denn eine andere war an ihre Stelle gerückt. Es zeigt sich nämlich
im Orient eine Granulierung auf dicht nebeneinander geführten Drähten, eine „Gra-
nulation auf Doppeldraht“, wie jenes eine Granulation zwischen weiter auseinander
liegenden Drähten war. Der Schluß, daß hier eine Stabilisierung der früheren Technik
vorliegt, ist gerechtfertigt, nicht aber die Folgerung, die wir ziehen wollten, daß das
vorausgehende Verfahren untergegangen sei.
15
Im Berliner Kunsthandel befand sich vor kurzem ein indischer Nasenring, der
uns darüber belehrt. Wir bilden ihn auf den Tafeln 5—7 in natürlicher GróBe sowie
auch stark vergrößert ab. Eine Datierung zu geben, bin ich außerstande. Orna-
mentale Anhaltspunkte mügen auf das 11. nachchristliche Jahrhundert hinweisen,
die Arbeit kann aber auch älter oder wesentlich jünger sein. Die Abbildungen 3
und 4 auf Tafel 5 zeigen Scheiben von verschiedener Größe, die mit ihren metal-
lenen Zwischenperlen gleichsam das Gehänge nach unten bilden. Man sieht, wie
konzentrisch gelagerte Drähte durch Intervallkügelchen, zu dreien gruppiert, mit-
einander verbunden werden. Im Grunde ist es ganz dasselbe, wie in Troja und
Dahschur, nur reicher; ein spátes, endlich wieder gefundenes Beispiel einer Technik,
die wir seit 4000 Jahren verloren glaubten.
Marc Rosenberg.
Abb, 7. Granulationsarbeiten aus Dahschur im Museum Kairo.
Vergl. Ausführlicheres über Granulation bei Marc Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst auf
technischer Grundlage. Abteilung Granulation. Frankfurt a/M. 1918.
gg
KLEINE BEITRÄGE ZU PETER VISCHER).
3. ,ZWEI UNBEKANNTE VISCHER-WERKE IM DOM ZU
MEISSEN“ EINE ENTGEGNUNG
Mit drei Abbildungen auf einer Tafel Von HUBERT STIERLING
Tu Cramer hat in seiner Dissertation, Metallne Grabplatten in Sachsen (1912),
Seite 40, die Tafel des Domherrn Heinrich Stürcker von Mellerstadt der
Vischerschen Hütte zugewiesen. Kurz darauf traf Hans Joél im Dezemberheft
dieser Zeitschrift 1914 dieselbe Bestimmung und gab eine Abbildung. Karl Simon
wies dann in diesen Blättern 1016, 184 darauf hin, daß Cramer die Priorität ge-
bühre. Ich glaube trotzdem nicht, daB diese dreifache Zuweisung das Richtige trifft;
jedenfalls handelt es sich ganz und gar nicht um eine hervorragende Arbeit, wie
]оё1 mit vielen, teilweise romanhaften Worten glauben machen will; denn wie die
Abbildung 3 zeigt, steht der Domherr unendlich hart in seinem Rahmen und blickt
starr und schwerfüllig. Besonders unglücklich ist der rechte Arm, der den Kelch
hilt, und dabei in lauter schweren, unklaren Falten stecken bleibt Ich glaube,
daß bei dieser Zuschreibung einer der vielen Fälle vorliegt, die eigentlich nur in
dem Anfangsstadium einer wissenschaftlichen Beschäftigung erlaubt sind, nämlich.
daB alles, was einigermaBen ühnliche Züge trügt, an den einen groBen Namen, in
diesem Falle Vischer, gekettet wird. Ез ist hier aber doch betrüchtlich vieles
anders als in den anerkannten Werken des Nürnberger Meisters. Zuerst die Schrift,
die schief und krumm um das Bild herumläuft und nicht entfernt Ше wohltuende
Regelmäßigkeit und Klarheit der echten Werke erreicht. Schon die ältesten In-
schriften, etwa in Bamberg, sind hier unendlich überlegen und zeigen einen Meister,
der sich ihres dekorativen Wertes voll bewußt ist. Außerdem gehört es bei Vischer
zu den verschwindenden Seltenheiten, auf dem einen Rande zwei Schriftreihen
anzubringen, wenn er sich sonst mit einer begnügt; zudem betrachte man auch ein-
mal die unsymmetrische Einfassung dieser zweiten, schief beginnenden Schriftreihe!
Ungewohnt ist ferner das Format der Tafel. Im gesamten Vischerwerke gibt
es vielleicht zwei oder drei Platten, die diese halbe Größe haben. Schon deshalb
wird man also zu einer gewissen Zurückhaltung geneigt sein.
Dieses Gefühl verstärkt sich gegenüber den Evangelisten-Symbolen, die Cramer
und Joel zwar beide loben, jedoch sich der Erkenntnis nicht verschließen können,
hier einen seltenen Typus vor Augen zu haben, Sie verweisen darauf, daß sich
ähnliche Tiere auf der Grabplatte des Callimachus (gest. 1496, Daun Abb. 16)
finden, jedoch wird man hieraus eher einen Schluß gegen, als für Vischer herleiten
dürfen, denn die Callimachusplatte ist in jeder Beziehung so völlig unvischerisch,
daß schon Daun sich bewogen fühlte, das Modell von Veit Stoß herrühren zu lassen.
Außerdem finden sich solche Tiere auch noch auf der Platte eines unbekannten
Cardinals in Krakau (Daun Abb. 17); wohl gemerkt, also stark im Osten, zweimal
in Krakau und einmal in Meißen! Schon hierin liegt wieder eine Aufforderung
zur Vorsicht, denn der ganze erzreiche Osten ist in Hinsicht auf die Gießkunst
(х) Da die Beiträge fortgesetzt werden sollen, erscheint es zweckmäßig, sie unter diesem Obertitel
zusammenzufassen. Danach gilt „Dürer іп der Vischerschen Werkstatt“ VIII, 366 ff. als Nr. 1; „Die
Grabplatte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297 ff. als Nr.a; der obige Artikel als Nr. 3. Studien
zum selben Thema sind ferner die ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an P. Vischers
Sebaldusgrab IX, 341 ff. und Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330 ff.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft т 2 17
noch ein terra incognita, in der um 1500 zahlreiche Meister gearbeitet haben, die
kunstwissenschaftlich noch vüllig ungreifbar sind, weil sie sich nicht, wie man
ruhig behaupten darf, zur Höhe der Vischer haben aufschwingen können, Jeden-
falls soviel wird wohl jeder zugeben mögen, daß die vier Symbole auf der Platte
des Heinrich Stircker nicht im entferntesten nürnbergisch anmuten; im Gegenteil
tritt in ihnen ein schwer zu definierender östlicher Einschlag zutage.
Nun ist es gewiß nicht zu leugnen, daß einige Vischersche Motive hier vor-
handen sind. Aber waren denn solche Äußerlichkeiten nicht unendlich leicht zu
übernehmen, zumal die Zeit vor Vischer bereits von ihnen einen bescheidenen
Gebrauch gemacht hatte? Etwa das gotische Kircheninnere, das durch einen
Brokatteppich abgeschlossen wurde? Ich halte es durchaus für anfechtbar, wenn
Cramer sagt, daß das Muster des Vorhangs „allein Beweis genug für die Zugehürig-
keit zur Werkstatt in Nürnberg“ gewesen sei.
Nun noch ein Wort über den Gesichtsausdruck. Vergleicht man diesen etwa
mit dem des im gleichen Jahre gestorbenen Herzog Ernst, dann wird doch ein
großer Unterschied offenbar. Im Antlitz des Domherrn liegt etwas unangenehm
Gespanntes, vielleicht hervorgerufen durch das technische Unvermögen. Herzog
Ernst dagegen blickt ruhig und milde, wie es fast der gesamten Vischerschen
Arbeit durch alle Jahrzehnte eigen blieb. Der Ausdruck mag manchmal ein wenig
leer erscheinen, jedenfalls aber hält er sich fast immer von dem Gequälten und
Gespannten fern, das die Spätgotik so gerne anwandte. Auch hierin ist die Platte
des Callimachus und einige andere, auf die ich unten zurückkomme, völlig un-
vischerisch. Nebenbei bemerkt ist auch die Haarbehandlung von derselben
harten Art!
Endlich kommt noch folgendes hinzu: Etwa 60 km von Meißen entfernt liegt
Altenburg. Wer hier die stimmungsvolle Schloßkirche betritt und das Bildnis des
Domherrn Heinrich Stärcker von Mellerstadt im Gedächtnis trägt, der sieht sich
plötzlich einer großen Schar nahe verwandter Erzplatten gegenüber. Ganz über-
wiegend sind es Rundbilder derselben Größe, nur daß die Meißner Platte außer-
dem noch durch einen rechteckigen Schriftrahmen eingefaßt wird. Jedesmal sind
es wieder Hüftbilder und zwar der gleichen Haltung und Stellung, wie in Meißen.
Aus der Zahl der Altenburger Rundbilder stelle ich nur zwei!) neben das Meißner,
von denen das ältere sogar aus fast dem gleichen Jahre stammt. Die Gegenüber-
stellung überhebt aller weiteren Schilderung; besonders zeigt sie auch, daß der .
Meißner Heinrich Stärcker durchaus nicht etwa das Glanzstück dieser Reihe ist,
denn das Altenburger Bildnis des Friedrich Busch von 1501 ist ihm in der Wieder-
gabe der menschlichen Persönlichkeit entschieden überlegen. (Abb. 1.)
* ж
ж
(1) Die Altenburger Aufnahmen verdanke ich der gütigen Unterstützung Sr. Hoheit des Herzogs Ernst.
Durch den Photographen A, Kersten Sohn Nacht, Inh. J. Bernath, Altenburg, S.-A., Albrechtstraße 9,
sind folgende Platten erstmalig hergestellt: x. Petrvs Hofemann, t 1486; a. Gregorius Schortzvf, + 1488;
3. Friedrich Busch, + 1501; 4. Nicolaus Sifridus, 1 1503; 5. Michael Bach, 4 1505; 6. Gregorius Bosch-
witz, T 1506; 7. Nicolaus Czengker, o.].; 8. Denkmal des Anarck Herrn zu Wildenfels-Schónkirchen
und Ronneburg, im Schloß, inschriftlich bez. Peter Mülich. Diese Tafel ist nahe verwandt den gleich-
falls bezeichneten Werken Müliche in der Weimarer Stadtkirche; 9. Grabplatte der Herzogin Marga-
rethe, 1 1486. Von diesem wichtigen Jugendwerke Peter Vischers gab es bisher nur die Cramersche
Teilaufnahme, welche in dieser Zeitschr., IX. Jahrg. 1916, Heft 5, abgebildet ist.
Nachträglich habe ich gesehen, daß auch Meißen selber mehrere verwandte Platten bietet, die aus
derselben sächsischen Hütte stammen wie der Stürcker. Die Aufnahmen verdanke ich der großen
Liebenswürdigkeit von Geheimrat Gurlitt, Dresden. (Photograph: R. Schröder, Meißen, Porzellanfabrik).
18
In dem gleichen Aufsatze hat Joël es dann unternommen, Ше Meißner Platte des
Bischofs von Weißenbach (gest. 1486) der Vischerhütte zuzuweisen. Simon
hat aber wiederum darauf hingewiesen, daß bereits Cramer in seiner Dissertation
es abgelehnt habe, diese Platte sowie diejenige Dietrichs IV. von Schünberg
und Andreas’ von Könritz (beide im Naumburger Dom) mit Vischer in Ver-
bindung zu bringen. Ich halte seine Ablehnung für vollkommen berechtigt und
möchte meinerseits nur mit wenigen Worten auf diese Gruppe eingehen, um zu
verhindern, daß mühsam gewonnene Begriffe Vischerischer Formbehandlung durch
Zuweisung fremder Art wieder verwirrt werden. Auf der Tafel des Bischofs von
WeiBenbach ist alles anders als in den beglaubigten W'erken. Wo kümen der-
artige, kurz gesagt — Riemenschneider-artige — Falten vor? Die Tafel des Calli-
machus in Krakau, an die Joél denkt, darf durchaus nicht herangezogen werden,
denn für ihren Vischerschen Ursprung fehlt jeder Beweis! Ebenso wenig be-
rechtigt ist es, wenn Joél auf die Tumba Thilos von Trotha verweist, denn hier
gehürt nur die Deckplatte der Nürnberger Hütte. Die drei Seitenplatten sind zu
anderer Zeit gegossen worden (die vierte ist nie ausgeführt worden, so daB die
Tumba an die Wand gerückt werden mußte) und zeigen nach Joéls eigenen Worten
„Engelgestalten in absolut anderem Stile“; und zwar ist der hier auftretende Stil
wiederum so villig anders, daB wir sie mit keinem der zweifellosen Vischerwerke
vergleichen können, sondern nur mit der bereits genannten Gruppe des Weißen-
bach (Meißen), Könritz und Schönberg (Naumburg) und des Callimachus (Krakau).
Ebenso unvischerisch ist alles übrige. Der Nürnberger Meister hat niemals ein
solches Stabwerk gebildet. Es ist geradezu grotesk, ihm etwas derartiges zu-
zuschreiben, wo der Vergleich mit früheren und späteren Tafeln nicht im entfern-
testen etwas Ähnliches ergibt. Die älteren Platten zeigen bei Vischer ein schönes,
klares Maßwerk, die jüngeren ein geistvoll und im höchsten Grade ornamental ge-
bildetes Laubwerk; beide Arten lassen überhaupt keinen Vergleich mit der Platte
des Weißenbach zu. Vielleicht ist sogar das Laubwerk auf der Altenburger Tafel
der Kurfürstin Margarete (gest. 1486) vor der Meißner Platte des Weißenbach
gebildet. Cramer weist mit vollem Recht darauf hin, daß man Vischer das Meißner
Laubwerk nicht mehr zutrauen dürfe, wenn das Altenburger vorher entstanden sei.
Ähnlich verhält es sich mit allem übrigen. Nirgendswo schwebt bei Vischer der
Dargestellte derartig in der Luft. Vischer verwendet entweder standfeste Kon-
solen oder läßt den Dargestellten auf dem Fußboden stehen. Ebenso haben die
Wappentiere nicht ibresgleichen. Dagegen ist es sehr charakteristisch, daß sich
die gleiche Art der zu strickartigen Strähnen geordneten Mähnenhaare an den seit-
lichen Engeln der Merseburger Tumba Thilos von Trotha wiederfinden, die auch
sonst aus dem Vischerschen Werke völlig herausfallen.
Von der Umrahmung der Platte ist wenig erhalten. Die Evangelisten-Symbole
zeigen vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit, jedoch ordnet Vischer sie um diese Zeit
ganz regelmäßig іп Vierpässen an, während hier Dreipässe verwendet sind. Außer-
dem beschränkt er sich stets auf die vier Ecksymbole, während hier, soweit man
nach dem kleinen erhaltenen Stück urteilen kann, noch weitere Wappenschilder
eingestreut waren.
Auf die Platten von Dietrich IV. von Schönberg und Andreas von Könritz, beide
im Naumburger Dom, gehe ich nicht näher ein; Joël erwähnt nur die erste, die er
für vischerisch hält, ganz kurz. Cramer hat sie der Nürnberger Hütte bereits mit
Recht abgesprochen. Für Dietrich von Schönberg gilt sinngemäß, was oben über Schrift,
19
Laubwerk, Falten, Löwenmähne usw. gesagt ist. Andreas von Könritz (gest. 1496)
kommt den Vischerschen Vorbildern am nächsten, etwa der Platte des Conrad v. Stein!)
(gest. 1499) in Erfurt. Jedoch die typischen Backenknochen, die verwandte Arm-
haltung, die harten Falten usw. lassen es richtig erscheinen, wenn Cramer ihn mit
den beiden vorbesprochenen zu einer „Gruppe nichtvischerischer Reliefplatten um
1400“ zusammenstellt.
(1) Vergl. Buchner, Zeitschr. f. christl. Kunst XII, 174 m. Abb.
20
O. HIRSCHMANN, Hendrick Goltzius
als Maler. — Quellenschriften d. Kunst-
geschichte, IX. Haag, M. Nijhoff, 1916.
Der Verfasser hat sein Thema, das Leben und
die Kunst des Hendrick Goltzius, energisch und
von alien Seiten in Angriff genommen. Die wich-
tigsten Ergebnisse seiner Arbeit bietet er nicht in
dem vorliegenden Bande, sondern sie sind im
9. Heft der ,Meister der Graphik" (bei Klinkhardt
& Biermann in Leipzig) zu erwarten, welches Heft
zwar abgeschlossen, aber, soviel ich weiß, noch
nicht ausgegeben worden ist. Dort wird der Kupfer-
stecher Goltzius gewürdigt. Hier dagegen werden
seine bisher wenig beachteten Malereien besprochen.
Die gründliche Einleitung mit der Lebensgeschichte
des Meisters ist mit einigen Ergänzungen aus dem
Bande der „Meister der Graphik“ übernommen.
Das Biographische ruht sicher auf den aus-
führlichen Angaben van Manders, der in diesem
Falle vollkommenes Vertrauen verdient, da er in
Haarlem als Zeitgenosse des Goltzius lebte und
mit ihm eng befreundet war. Indem van Mander
die Grundsátze und Ideale des Kupferstechers teilt,
klingt seine Biographie wie eine Huldigung, und
etwas von dieser unkritisch bejahenden Auffassung
färbt das Urteil der neueren Kunstforscher, die
sich an van Mander halten.
Goltzius bat spát zum Pinsel gegriffen. Der
1558 geborene Meister war schon hochberühmt
durch stupende Grabstichelarbeiten, als er zu An-
fang des 17. Jahrhunderts zu malen begann.
Seine Bilder sind anmaßliche Verirrungen. Die
Zeichnung ist maniriert geworden bel der viel-
jährigen Übung der Stichelführung. Viele Eigen-
schaften seiner Bilder erklären sich daraus, daß
der Autor ein Kupferstecher war, In der Be-
urteilung dieser kalten, übermäßig plastischen und
erkliigelten Leistungen berücksichtigt der Ver-
fasser zu wenig die Ahnen dieses Stils, Jan Gos-
saert und Martin Heemskerk, beachtet auch nicht
genug, wie die niederländische Manier auf der
Stufe von 1600 sich ähnlich wie im Schaffen der
Goltzius in der Produktion anderer Meister, z. B.
der B. Sprangers äußert. Der Zusammenhang mit
der venezianischen Malerei berührt dagegen nicht
das Wesentliche, und mir scheint, darauf legt der
Verfasser zu viel Wert.
Höchst verdienstlich und gründlich ermittelt ist
die Liste der Bilder, in der auch verschollene
Schöpfungen notiert sind, Wichtig ist die nega-
tive Feststellung, daß die vielen kleinen auf Kupfer
gemalten Bilder, die zumeist auf Kupferstiche des
Goltzius zurückgehen, nicht von seiner Hand her-
rühren. Leider wird kein Bildnis, das als seine
Arbeit gesichert wäre, bekannt, Der Fahnen-
träger in der Münchener Pinakothek wird mit
Recht abgelehnt,
Die 13 Abbildungen genügen zu einer deut-
lichen Anschauung,
Der Verfasser erfreute sich wáhrend eines linge-
ren Aufenthaltes in Holland der Unterstützung
vonseiten so erfahrener Kunstkenner wie Bredius
und Hofstede de Groot, Er hat vermutlich auch,
zum Vorteil seiner Arbeit über den Kupferstecher
Goltzius, sich der hinterlassenen Papiere des un-
gemein gewissenhaften, leider vor einigen Jahren
gestorbenen Moes bedienen dürfen,
Der vorliegende Band wird sich mit dem hoffent-
lich bald erscheinenden Band in der Folge der
Meister der Graphik zu einer umfassenden Mono-
graphie zusammenschließen.
M. J. Friedlander,
ARTHUR M. HIND, Catalogue of
drawings by dutch and flemish ar-
tists ....in the British Museum. —
Vol. I. Drawings by Rembrandt and
his school. — London 1915. 111 SS.
und 64 Tafeln.
Versuche, um Zeichnungensammlungen zu Қаба
logisieren, sind erst in jüngerer Zeit und nur ganz
vereinzelt gemacht worden. Eine Arbeit, die allen
wissenschaftlichen Anforderungen, die man stellen
kann, genügt, liegt erst mit diesem Katalog des
British Museums vor, Dieser ist als erster Band
einer größeren Serie gedacht, in der die Direktion
des Print Rooms alle ihre Schätze an Zeichnungen
alter Meister zu beschreiben gedenkt. Ein zweiter
Teil soll Rubens, van Dyck und die Zeichner ihrer
Schule, ein dritter die übrigen holländischen und
flämischen Meister des 17. Jahrh. behandeln, usf.
Dieses schöne Programm läßt uns die Lücke emp-
findlich fühlen, die durch das Fehlen ähnlicher
Ausgaben in der kunstwissenschaftlichen Literatur
noch besteht; zugleich betont es die Dankbarkeit
der Aufgabe, die durch fast alle größeren Kabi-
nette in dieser Richtung noch zu leisten ist.
Einteilung, System und Ausstattung des vor-
liegenden ersten Teiles scheinen mir bis in die
Einzelheiten hinein gleich glücklich, Auf eine
kurze biographische Einleitung folgt der eigent-
liche Katalog der Zeichnungen Rembrandts, zu-
2I
nächst die durch Hind angenommenen Blätter
іп möglichst chronologischer Reihenfolge; daran
schließen sich die zugeschriebenen, aber zweifel-
haften Blátter, Kopien und — ein besonders inter-
essantes Kapitel — die Zeichnungen anonymer
Rembrandtschüler. Die mit Namen bekannten
Schüler folgen in alphabetischer Reihe. Man ver-
mißt unter ihnen Jacob Backer und Roeland Rogh-
man, Die Gründe, mit denen der Verfasser ihre
Weglassung zu rechtfertigen sucht, vermögen
nicht recht zu befriedigen. Verschiedene Register
und Zusammenstellungen vermehren nicht uner-
heblich die praktische Brauchbarkeit des Bandes. —
Die Einzelbeschreibungen geben auf alle Fragen,
die man bei einer Zeichnung stellen kann, Ant-
wort: Beschreibung, Maße, Material, Herkunft
und Datum der Erwerbung, Inventarnummer, Ver-
meldung bestehender Reproduktionen, Literatur-
nachweise; daran schließen sich jeweilen persön-
liche Bemerkungen des Verfassers, in die eine
Menge von feinen Beobachtungen und Hinweise
auf Beziehungen verarbeitet sind. — Ungeteiltes
Lob verdient meines Erachtens auch die Weise,
wie die Frage der Illustrierung gelöst ist, die mit
so äußerlichen, aber darum nicht weniger lästigen
Faktoren wie Format und Verkaufspreis zu rechnen
hat, Von den etwa 300 katalogisierten Nummern
sind mehr als die Hälfte abgebildet; diese Repro-
duktionen, Netzdrucke, sind klein aber scharf, je
zwei bis drei auf einer Seite vereinigt. Dem un-
mittelbaren Studium können und wollen sie nicht
dienen. Aber sie vermógen bei dem, der mit der
Ausdrucksweise der betreffenden Meister einiger-
maBen vertraut ist — und diese Vertrautheit darf
man doch bei der Mehrzahl derer, die das Buch
zur Hand nehmen, voraussetzen — eine durchaus
anschauliche Vorstellung des Originals zu er-
wecken, und durch ihre Reichhaltigkeit bilden sie
ein hochwillkommenes Vergleichsmaterial. Zu be-
grüßen ist auch die Art der Auswahl: Von Rem-
brandt sind vorzugsweise die noch nicht reprodu-
zierten, von den Schülern die besonders charak-
teristischen Blätter wiedergegeben. Die zweifel-
haften oder sonst problemreichen Zeichnungen
sind fast alle reproduziert und so in den Bereich
der Diskussionen gerückt.
Es sei mir nun gestattet, zu einzelnen Blättern
ein paar Bemerkungen anzubringen, die sich mir
bei der anregenden Beschäftigung mit dem Katalog
aufgedrängt haben.
Zu den Rembrandtzeichnungen. Hinsichtlich
der Echtheitsfragen nimmt Hind einen Standpunkt
zwischen den beiden extremsten Kritikern, Hof-
stede de Groot und v. Seydlitz, ein, der sich aber
22
immerbin dem des erstgenannten wesentlich nihert.
Trotzdem ist eine betrüchtliche Ansahl der durch
Hofstede de Groot noch als Rembrandt beschrie-
benen, zum Teil allerdings von ihm selbst schon
als zweifelhaft bezeichneten Blätter An den Ab-
schnitt ,Attributed...., but doubtful" verwiesen.
Diese Gruppe möchte man eigentlich lieber mit
„Verworfene Blätter“ oder ähnlich überschrieben
sehen, Des Verfassers Urteil würde, wie aus
vielen seiner eigenen Bemerkungen hervorgeht,
dieser entschiedeneren Rubrifizierung kaum wider-
sprechen, Den Bedenken, die v. Seydlitz gegen-
über manchen Blüttern der Sammiung erhoben
hat, verhält sich Hind in den meisten Fällen ab-
lehnend. Diese Skepsis erscheint mir verstándlich
etwa bei den schénen Landschaften Nr. 112 u. 114.
Hinsichtlich der ersten ist es doch noch nicht
ausgemacht, ob die Dresdener Wiederholung ihr
vorzuziehen ist; festzustehen scheint mir nur, daß
die beiden Blatter nicht von derselben Hand sein
kónnen. Bei Nr. 114, deren Motiv Lugt mit der
St. Anthoniespoort in Amsterdam identifiziert hat,
kann ich mich — mit Hind — angesichts der
kraftvolien und wirkungssichern Ausführung nicht
in den Gedanken finden, daß irgendein bekannter
oder unbekannter Schüler ihr Urheber sein soll.
Andrerseits aber hat Hind in seiner Zurückhaltung
ein paar Blätter unter die „echten“ eingereiht, in
denen auch ich unmöglich Rembrandts Hand
wiedererkennen kann, wie z. B, Nr. 15, Predigen-
der Apostel (?) vor einer Volksmenge, oder Nr. 34,
VerstoBung der Hagar. Bei diesem letzten Blatt
bemerkt Hird, daß die drei Hauptfiguren „sehr
ähnlich behandelt" seien, wie auf der Zeichnung
desselben Gegenstandes in der Sammlung Hof.
stede de Groot (HdQ. 1247). Ich kann Überein-
stimmungen nicht in der Bebandlungsweise, son-
dern nur in den Motiven sehen. Hier ist sie aber
so groß, daß man von einer Kopie sprechen muß;
die Hagar ist in ihren Bewegungen und bis in
die Einzelheiten ihrer Ausrüstung buchstäblich
herüber genommen; ihr linker Fuß mit seinen
vier Zehen ist Zug um Zug genau nachgeschrieben.
Dazu kommt die ganz allgemein schlechte Hal-
tung des Blattes; man vergleiche nur etwa den
Ausblick links mit der stümperhaften Nachbildung
des Rembrandtschen Baumschlages! Es sind der
Anhaltspunkte genug, um in dieser Zeichnung
eine bloße Nachahmung, wenn nicht eine bewußte
Fälschung zu sehen. Auch in den Nrn. 62, Heil.
Familie, und 82, Gabriel erscheint dem Zacharias —
um bei den belangreichen Blättern zu bleiben —
finde ich weder Rembrandts Geist noch Handschrift.
Bei Nr. 74 erwähnt Hind die zwei Zeichnungen
-
nach indischen Miniaturen mit Rembrandts eigen-
bándigen Aufschriften; als deren letzten Verbleib
gibt er mit einem Zitat aus Vosmaer die Ver-
steigerung van der Willigen 1874 ап, Hofstede
de Groot hat die beiden Blatter inzwischen als
in der Sammlung des groBherzogl. Schlosses in
Weimar befindlich beschrieben (HdG. 541, 542).
Die Landschaftszeichnung Nr. 127 (unter den
„Zweifelhaften“) könnte von Leupenius sein. Zu
vergleichen würe besonders das bezeichnete Blatt
in Dresden (Abb. Wörmann, IX, Taf. 5).
Von den verschiedenen Meisternamen, die für
die drei Knabenstudien Nrn. 145—147 vorgeschla-
gen werden, bleibt der van Eeckhouts doch am
meisten nachklingen. Es sei hingewiesen auf
das sehr verwandte, bezeichnete Blatt mit dem
eingeschlafenen Knaben auf einem Stuhl im Am-
sterdamer Kabinett. Eine ähnliche Studie, mit
einem seifenblasenden Knaben, wurde auch jüngst
mit der Sammlung Goldschmidt in Frankfurt a/M,
(Nr. 187) als van Eeckhout versteigert.
Nr, 157. Eine im Motiv ganz analoge Zeich-
nung von der Hand des Furnerius ist im Teyler-
museum in Haarlem (abgebildet bei Lugt, Wan-
delingen met Rembrandt, Abb. 40).
. Nr. 161. Von derselben Hand ist die durch
Hofstede de Groot als Rembrandt beschriebene,
aber seither wohl auch fallen gelassene Zeichnung
in der Bibliothek in Aschaffenburg, HdG. 14 (Lugt,
Abb. 42).
Nr. 162. Hier möchte man gerne den Satz ge-
tilgt sehen, daß diese Zeichnung der Manier von
Lievens ' gleiche. |
Nr. 163. Hind schwankt zwischen Ph. de Koning
und Furnerius Ein auf der Rückseite original
„P- Kooning“ bezeichnetes Blatt in genau der-
selben Ausführung und mit sehr ähnlichem Motiv,
das sich im Teylermuseum befindet, entscheidet
die Frage für diesen Meister.
F. Bol. Nr. 1, Heilige Familie, ist als un-
zweifelhafte Vorzeichnung für die entsprechende
Radierung eine absolut gesicherte Zeichnung Bols
und als Ausgangspunkt für andere Zuschreibungen
von außerordentlicher Wichtigkeit. In Verband
damit befriedigt die Katalogisierung der beiden
Darstellungen von Jacobs Traum (Nrn. 2 und 3) als
Bol keineswegs; unzutreffend ist hierbei auch der
Hinweis auf eine angeblich in der Behandlung
ähnliche Zeichnung des Teylermuseums.
A. van Borssom. Nrn. 2 u. 3. Ausgezeichnet
ist die Beobachtung, daß diese zwei Zeichnungen
von derselben Hand seien, wie das vermeintliche
Rembrandtblatt HdG. 1485 in Wien, sicher un-
richtig dagegen die Vermutung, daß die gleiche
Örtlichkeit dargestellt sei. — Nr. 6, Blick auf
Ransdorp, kommt mit ganz geringen Abweichun-
gen in der Staffage und kleinen Erweiterungen
links und rechts genau noch einmal vor im Teyler-
museum in Haarlem, Die Übereinstimmung ist
derart, daß man beinahe annehmen muß, das eine
der beiden Blätter sei eine Kopie. Die Haarlemer
Zeichnung ist unzweifelhaft original, zudem auf
der Vorderseite echt und voll bezeichnet; auf der
Rückseite trägt sie von späterer Hand dieselbe
verhunzte Ortsbezeichnung (het dorp Raarop In
Waterlant), wie das Londoner Blatt, aber keinen
Künstlernamen, wie dieses. Die Umstände sprechen
gegen die Zeichnung des Brit, Mus. Doch wage
ich an Hand der kleinen Reproduktion nicht zu
entscheiden, ob es sich bei diesem wirklich um |
eine fremde Kopie oder aber um eine eigenhän-
dige Wiederholung handelt.
L. Doomer. Nr. 7, Windmühle bei Nantes.
Eine nur in der Staffage leicht veränderte, sicher
eigenhändige Wiederholung besteht im Museum
Boymans in Rotterdam.
J. Koninck. Hind läßt diesen Meister, wie in
den meisten Biographien geschieht, Hofmaler in
Kopenhagen und als solchen beinahe тоо Jahre
alt werden, Es ist von anderer Seite schon auf
den Widerspruch aufmerksam gemacht worden,
der zwischen den feinen Landschaftsbildern aus
Konincks früher oder mittlerer Zeit und den trocke-
nen Leistungen des dänischen Flofmalers gegen
1700 besteht. Nun teilt Dr. Bredius mit, daß in
Amsterdam im Februar 1668 ein Jacob Koninck
begraben wurde (vgl. Künstler-Inventare IV, 8.1366).
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß dies der
Maler, der ültere seines Namens, war. Von ihm
würen dann die stimmungsvollen Landschaften, die
bezeichnete Radierung und u. a. die beiden schünen
Zeichnungen des Brit. Mus. Die schwerfälligen
spütern Bilder hingegen würen auf den gleich-
namigen Sohn, der sich in Kopenhagen nieder-
gelassen hatte, zu beziehen.
J. Lievens. Der auf Nr. 1 Dargestellte soll der,
wie Hind selbst hinzufügt, 1631 verstorbene Kupfer-
stecher Jacob Matham sein, Dap diese Bildnis-
zeichnung aber nicht spütestens um 1630 ent-
standen sein kann, geht, wie mir scheint, schon
aus der künstlerischen Auffassung, sowie aus der
Kleidertracht des Porträtierten mehr als deutlich
hervor. Zudem kennen wir ein durch Beischriften
bezeugtes, durch verschiedene Stichreproduktionen
überliefertes Altersporträt Mathams von P. Sout-
man (z. B. in de Bies Gulden Cabinet, p. 475,
Ant. varı der Does sculp.), dessen Züge mit dieser
Zeichnung auch nicht die geringste Übereinkunft
23
zeigen. Die Identifizierung Hinds beruht offenbar
auf einer Überlieferung; vielleicht steht diese doch
nicht ganz in der Luft. Der Dargestellte kónnte
dann der Sohn Jacobs, Adriaen Matham, sein, der
ebenfalls Kupferstecher war. — Nr, 8 ist fälsch-
lich als Porträt des Jan de Witt katalogisiert.
Dieses Blatt ist nichts als eine ganz grobe Teil-
kopie nach Lievens prachtvoller Zeichnung des
Dichters Jan Vos im Stüdelschen Institut in Frank-
furt a/M., von der es noch eine zweite vollstän-
digere und erheblich bessere Kopie im Prenten-
kabinett in Amsterdam gibt. — Nr. 9, Portrát von
Petrus Scriverius, weicht in seiner Strichbehand-
lung von der uns geläufigen Manier von Lievens
sehr stark ab. Hind weist selbst hin auf die Be-
ziehungen, die zu einem durch Cornelis Visscher
nach.Soutman gestochenen Blatt bestehen. (P.
Soutman pingebat, et excudebat Harlemi 1649. —
Corn. Visscher sculpsit P. Soutmanno Dirigente).
Diese sind so eng und offenkundig, dap Stich
und Zeichnung in einem unmittelbaren Verhültnis
zueinander stehen müssen. Das auf der Zeichnung
stehende Lievens-Monogramm ist m. E. falsch; in
dieser Vermutung bestärkt mich die Jahreszahl 1637
(od. 1631), die so ganz und gar nicht zu der
äußerlichen Aufmachung dieses sicher erheblich
später entstandenen Porträts paßt. Auch die Le-
sung 1651 soll zur Not möglich sein. In diesem
Jahre hätte die Zeichnung aber kaum anders als
im Anschluß an den damals vorhandenen Stich
entstehen können. Dann müßte sie aber nicht
gegenseitig zu diesem sein, was jedoch der
Fall ist. Daß es sich um eine Kopie nach dem
Gemälde Soutmans handelt, ist bei dem äußerst
trischen Eindruck, den die Zeichnung macht, noch
weniger wahrscheinlich. Ich sehe darum in diesem
Blatt eine Studie von Soutman für sein nachher
durch Cornelis Visscher gestochenes Porträt des
Scriverius. :
Jan Andrea Lievens ist nicht nur wahr-
scheinlich, sondern ganz sicher der Sohn von Jan
Lievens gewesen. Diese Wissenschaft ist keines-
wegs neu und ich weiß nicht, warum Hind ап
ihr zweifelt. In der jüngsten Literatur sei auf
die Künstler-Inventare von Dr. Bredius (L) ver-
wiesen, die zahlreiche Belege für dieses Sobnes-
verháltnis enthalten.
N. Maes. Nr.3. Anbetung der Hirten im Stall,
gehörte in den Abschnitt „After Rembrandt pic-
tures“; es ist eine genaue Kopie nach dem ent-
sprechenden Bild Rembrandts in der älteren Pina-
kothek in München; ob von Maes, ist mehr als
fraglich.
C. van Renesse. Daß Nr. ı, Joseph wird
24
von seinen Brüdern verkauft, eine Studie zu Re-
nesses Radierung des gleichen Themas sein soll,
wie Hind gerne möchte und worauf er die Zu-
schreibung stützt, scheint mir nicht so sicher.
Die Übereinstimmungen sind zu allgemeiner Natur,
als daß sie den Schluß gestatteten. Auch scheint
mir der Strich frischer und flotter, als er mir von
Renesses etwas mühsamen Zeichnungen geläufig ist.
J. Ruisscher. Äußerst glücklich ist die Be-
ziehung dreier Landschafts - Blätter auf diesen
interessanten Zeichner, wobei immerhin die Zu-
weisung von Nr. ı weniger überzeugt als die der
beiden folgenden Zeichnungen.
J. J. van Vliet. Bei diesem Blatt, der Steini-
gung des Stephanus, zitiert Hind die Meinung
Hofstede de Groots, der hier mehr Anklänge an
Moyaert zu sehen glaubt. In der Tat besitzt Hof-
stede de Groot selbst eine durch eine alte Auf-
schrift gesicherte Zeichnung dieses Künstlers, die
durch ibre analoge Behandlung und Typik ge-
stattet, auch diese Steinigung des an für
Moyaert in Anspruch zu nehmen.
P. de With ist einer der noch wenig bekann-
ten Künstler, von dem wahrscheinlich noch
manches Werk aus den heute als „unbekannte
Rembrandtschüler“ katalogisierten Landschafts-
zeichnungen herauszulesen ist. Dabei wird das
bezeichnete und das andere damit unmittelbar
zusammengehende Blatt des Brit. Mus. von großer
Wichtigkeit sein. Hind irrt aber, wenn er meint,
seine Nr. ı sei die einzige bekannte mit dem
Namen signierte Zeichnung Pieter de Withs. In
Holland existieren noch zwei voll mit eben diesem
Namen bezeichnete Landschaften, die eine im
Prentenkabinett in Amsterdam, die andere in dem
Album amicorum des Jacobus Heyblocq, jetzt in
der königl. Bibliothek im Haag, in dem sich u. a.
auch zwei Eintragungen von Rembrandt befinden.
Diese — im ganzen also drei — bezeichneten
Blätter scheinen auf den ersten Blick jedoch jedes
von einer anderen Hand zu sein. Die Amster-
damer Zeichnung ist eine charakteristische Dilet-
tantenarbeit ohne alle künstlerischen Qualitäten;
sie macht durchaus den Eindruck, nach einer
Radierung aus dem Kreise Rembrandts kopiert
zu sein. Wenn nicht überhaupt von anderer
Hand, ist sie im besten Fall eine unbeholfene
Leistung des noch gänzlich ungeschulten — und
wenig Geist verratenden — Anfängers. Bei der
Haager und der Londoner Zeichnung können
bei näherem Zusehen hingegen wohl die ver-
.wandten Züge einer und derselben Hand fest-
gestellt werden, besonders in der Behandlung der
Staffape. So haben wir denn wenigstens zwei
sichere Ausgangspunkte, von denen aus man es
unternehmen kann, das Werk dieses liebenswür-
digen Rembrandtepigonen wieder zusammen-
zutragen. Hind hat durch die Herbeiziehung
seiner Nr. 3, einem Blatt, das als Jan Lievens
aus der Sammlung Salting gekommen ist, einen
guten Anfang gemacht. Wie ich glaube, befindet
sich auch unter den zweifelhaften Rembrandt-
blättern im Amsterdamer Kabinett noch eine
Zeichnung von Pieter de With (Inv. Nr. 2413,
Sammlung de Vos 405). Sie ist am besten dem
nicht bezeichneten Londoner Blatt anzuschließen.
Ich meine, de Withs Manier hier wiederzuerkennen,
besonders im Baumschlag mit seinen geschlosse-
nen Konturen und in der Art der Häuserzeich-
nung mit den Parallelschraffuren. Auch das Motiv
und die Weise des Ausschnitts würen charakte-
ristisch. —
Meine Bemerkungen wollten nicht an der Ge-
diegenheit dieses vorbildlichen Kataloges rütteln.
Vielleicht sind es zum Teil Beobachtungen, die
dessen Verfasser selbst gemacht hätte, wenn sein
Vornehmen, vor dem Abschluß seiner Arbeit die
hollündischen Sammlungen noch einmal zu be-
suchen, durch die alle Verbindungen unterbrechende
Weltlage nicht unmöglich geworden wäre.
O. Hirschmann,
V. CURT HABICHT, Die mittelalter-
liche Plastik Hildesheims, Studien
z. deutschen Kunstgeschichte. 195. Heft.
Straßburg 1917.
Der Verfasser will mehr geben als eine Ge-
schichte der Bildwerke aus der Epoche des heil
Beonward, wie man zuerst vermuten kónnte. Es
gilt ibm das Vorurteil zu zerstreuen, daß die stets
gewürdigten Denkmáler ausreichen, eine Vorstel-
lung von den Leistungen Hildesheims zu ver-
mitteln und daß die übrigen Arbeiten kaum eine
eingehendere Beschüftigung lohnen. Daneben will
Habicht das enge Verknüpítsein der Denkmäler
untereinander erweisen, das ihn dazu führt, von
einer Hildesheimer Schule, ja von einem Hildes-
heimer Stil zu sprechen. So gliedert sich das
Buch in zwei Teile, wovon der längere in aller-
dings etwas ungleichen Einzeluntersuchungen die
Entwicklung der Hildesheimer Plastik von 1100
bis 1500 verfolgt, der kürzere aber die Eigenart
und Stileigentümlichkeiten der Hildesheimer Kunst
festlegen will. Die beonwardinische Kunst berührt
Habicht nur summarisch. Domtür und Säule
möchte er wieder einer Hand zuweisen, die Unter-
schiede aus technischen und inhaltlichen Gründen
erklären. Den Wirkungskreis der nachbeonwardi-
nischen Kunst zieht Habicht sehr weit: ganz Nieder-
sachsen und vielfach auch Westfalen soll von
Hildesheim aus mit Erzbildwerken versorgt wor-
den sein. So läßt er bei dem Godehardsarkophag
(nach 1132) Zusammenhänge mit Werken des
Rogerus von Paderborn nicht mehr gelten und
will auch das Kopfreliquiar Friedrichs I. in Kappen-
berg zu den Hildesheimer Bronzegußarbeiten zählen.
In St, Godehard und St. Michaelis dokumentiert
sich dann der neue ‚Stil unter oberitalienischem
Einfluß. Die Berechnungen der sog. Seligprei-
sungen in den Äbtissinnengräbern in Quedlinburg
um1129 sind durch Goldschmidt aufgehellt. Habicht
aber möchte eher an eine Einwirkung von Hildes-
heim aus glauben machen und dreht dem leidigen
„Fortschritt“ zuliebe das zeitliche Verhältnis um,
obwohl es doch eine häufige Erscheinung der
Plastiken aus dem Ausgang des 12. Jahrhunderts
ist, daß sie roher und unbeholfener wirken als die
früheren. Dem Meister des Tympanons der St. Go-
dehardikirche weist Habicht auch die Grabsteine .
des Bischofs Adelog und des Presbyters Bruno
zu. Mit Unrecht, wie mir scheint. Diese Grab-
steine zeigen eine so ausgesprochene Eigenart
und Kraft unter Wahrung eines strengeren Stils,
der den Gesichtern noch ein fratzenhaftes Lächeln
in dem Drang nach Lebendigkeit mitteilt. Da-
gegen sehe ich dann im Tympanon den Unter-
schied einer neu aufkommenden Generation, die
‚ihre Anschauungen an französischen Vorbildern
im Sinne der Klassik gereinigt hat. Bei der im
wesentlichen von sächsischen Vorbildern abhän-
gigen Holzplastik des 13. Jahrhunderts erübrigt
es sich, mit dem Verfasser über einzeine Datie-
rungen zu rechten, die Auferstehung aus Wien-
hausen ist aber mit 1280 entschieden zu früh an-
gesetzt. Auch irrt der Verfasser in der Annahme,
der Hauptaltar der Stadtkirche zu Northeim sei
älter als der ehemalige Hochaltar des Mindener
Doms in Berlin. Die Überschätzung der Hildes-
heimer Kunst hat ihm den Blick dafür getrübt,
daß gerade jene ungleichen Elemente der archi-
tektonischen Dekeration im Schrein, nämlich ein-
mal grobe Medaillons mit Vierpässen und dann
wieder Kielbögen, die nicht einfach mit Maßwerk
ausgesetzt sind, sondern durch wiederholtes Ein-
setzen von Nasen zu spitzenartigen Mustern, einem
sehr späten Motiv, werden, allein schon beweisen,
daß hier ein unsicher nachtappender Vertreter der
Provinzkunst vor uns steht. Damit fallen auch
die Folgerungen: weder der Mindener noch der
Northeimer Altar haben etwas mit indigener Hil-
desheimer Kunst zu tun. Bei dem Versuch, die
25
Altäre um 1400 bestimmten Werkstätten zuzu,
weisen, ist nur die Gruppierung der Altüre in der
Minoritenkirche zu Hannover und in der Gode-
hardikirche in Hildesheim völlig zweifelsfrei,
Unter den Altären um 1450 sitzt der Altar aus
Bockel als ein Fremdkörper. Habicht hätte besse
getan, statt mittelrheinischen Einfluß zuzugeben,
das Werk aus der so ruhig gleichmäßigen Reihe
zu streichen, die künstlerische Qualität nicht um
die Mitte des Jahrhunderts gegenüber den Altären
um 1400, in denen Einflüsse köinischer Kunst
und des Grabower Altars vom Meister Bertram
sich mischten. Seit dem Chorgestühl der Gode-
hardikirche 1466 strömen die Anregungen aus den
Niederlanden. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts
dann noch ein letzter Aufschwung dieser mittel-
alterlichen Plastik, wieder unter westlichem Ein-
fluß, diesmal von der Calcarer Schnitzerschule,
Es ist ein beachtenswerter Gedanke Habichts, daß
bei dem Meister des Beichtkapellenaltars in der
Michaeliskirche eine der Wurzeln der Kunst Hans
Bruggemanns zu suchen sei, gleichzeitig dann der
hochstehende Meister des Benediktaltars in St. Go-
dehardi, an dem eine Geschichte der deutschen
Plastik nicht mehr wird vorübergehen können.
Hier eröffnet sich eine interessante Perspektive.
Die unleugbare Verwandtschaft mit Riemen-
schneider führt Habicht dazu, dieser Verbindung
nachzugehen und er weist nach, daß das Chor-
gestühl in St. Godehardi eine Quelle der Kunst
Riemenschneiders darstellt und daß vermutlich
sogar verwandtschaftliche Beziehungen mit einer
in Hildesheim nachweisbaren Familie Remen-
snyder vorliegen.
Der zweite Teil, der die Eigenart der Plastik
Hildesheims herausarbeiten will, hätte ein Grund-
pfeiler für die Anschauungen Habichts werden
müssen, da er in seinen Beiträgen sur nieder-
sächsischen Kunstgeschichte, in denen dies Buch
den zweiten Band bildet, ja überhaupt erst den
Nachweis eines niedersächsischen Formsystems
erbringen muß. Denn innerhalb der Zone ge-
meinsamer optischer Auffassung Niederdeutsch-
lands liegt begrifflich fassbar doch allein der nie-
derrheinische und westfälische Stil fest. Kein
Zweifel, dieser Beweis wird sich führen lassen,
aber der Weg hierzu muß vom allgemeinen zum
besonderen führen und nicht umgekehrt. Erst
innerhalb der niedersächsischen Stileigentümlich-
keiten könnte wieder ein Hildesheimer Stil, wenn
man überhaupt davon sprechen darf, ausgeschie-
den werden. Habicht nennt als ikonographische
Eigentümlichkeiten Hildesheims den Hang zur
Abstraktion und den Drang nach symbolischen
26
Verdeutlichungen. Damit ist nicht viel gewonnen.
Als formale Grundstimmung hat Habicht nur die
feierliche Ruhe aufzuweisen. Auch hierin ver-
mag ich nichts spezifisch Hildesheimisches zu
sehen. „Nur die Gesichtstypen bilden eine Hand-
habe, die Herkunft einer Plastik aus der Hildes-
heimer Diözese festzustellen.“ So liegt das eigent-
liche Verdienst der Arbeit in den geschichtlichen
Untersuchungen. Die Einwendungen richten sich
darin gegen einzelnes, sollen aber den Wert des
Ganzen nicht schmälern. Vielmehr muß das wich-
tige Ergebnis des Verfassers unterstrichen werden,
daß er dort, wo nur Inseln zu sein schienen, zu-
sammenhängendes Land nachgewiesen hat, und
daß damit ein wichtiger Abschnitt der nieder-
sächsischen Kunstgeschichte seine grundlegende
Darstellung erfahren hat. Ein reiches Abbildungs-
material auf 40 Lichtdrucktafeln unterstützt die
Ausführungen. Ein sorgfältiges Register und eine
chronologische Tabelle erhöhen die Brauchbarkeit
als Nachschlagewerk.
Im Felde.
ROB. BRUCK, Ernst zu Schaumburg,
ein kunstfördernder Fürst des 17.
jahrhunderts. Berlin, Verlag von Ernst
Wasmuth 1917.
Einen wertvollen Beitrag sur Geschichte der
kunstgeschichtlich interessanten Übergangszeit von
deutscher Renaissance zum Barock bietet Robert
Bruck in seinem Buch: Ernst zu Schaumburg,
ein kunstfórdernder Fürst des 17.]ahrhunderts.
In dem Fürsten Ernst lernt man eine anziehende
Persónlichkeit kennen, einen Mann, der mit Tat-
kraft und Umsicht regiert, den Wohlstand seines
Volkes zu heben versteht und die gesteigerten
Einkünfte seines Landes in kunstsinniger, edler
Weise verwendet.
Als einer der ersten deutschen Fürsten unter-
nimmt Ernst von Schaumburg die „Kavaliertour“
nach Italien. Kaum zwanzigjährig, bezieht дег
junge Fürst 1589 die Universitit Bologna und
besucht Mailand, Florenz, Rom. 1593/94 reist er
zum zweitenmal nach Italien. Die Frucht jener
Studien und Reisen waren enge Beziehungen zu
Kunst und Künstlern in Italien, die für die kultu-
rellen Bestrebungen des Fürsten maßgebend wurden.
Im Schloß Sachsenhagen, dem Wohnsitz des
Fürsten vor seiner Ubersiedlung nach Stadthagen
und später nach der Residenz Bückeburg, erinnern
zwei Portale am alten Schloß, dem sog. Amts-
haus, an architektonische Vorbilder der italieni-
schen Spätrenaissance. Die kannelierten Rustika-
säulen toskanischer Ordnung scheinen mir auf
Kurt Gerstenberg.
Үр
Anregungen des Bologneser Architekten Sebastiano
Serlio zurückzuführen sein, dessen viel benutztes
Architekturwerk sicher auch dem deutschen Bau-
enthuslasten bekannt war.
Seit 1601 residierte Fürst Ernst in Stadthagen.
Hier ließ er sein prachtvolles Mausoleum errichten,
das, 1609 begonnen, erst fünf Jahre nach dem
1622 erfolgten Tode des Fürsten vollendet wurde.
Der Baumeister des Mausoleums war Giov.
Maria Nosseni aus Lugano, ein vielbescháftigter
Künstler, der als Hofbildhauer und Maler am kur-
Süchsischen Hof tütig war, von dort nach Stadt-
hagen berufen wurde. Unstimmigkeiten zwischen
ihm und dem Bauherrn führten zum Rücktritt
Nossenis von der Bauleitung und zur Berufung
eines Deutschen, Albrecht Dutthorns, der an Nos-
senis Stelle den Bau vollendete.
In der höchst eigenartigen Grundrißbildung des
Mausoleums, einem Siebeneck, sieht Bruck eine
Nachbildung des hl. Grabes von Jerusalem. Móg-
lich, daß die Erinnerung an die hl. Grabeskirche
bei der Anlage mitgesplelt hat; jedenfalls war der
Zentralbau (mit rundem oder polygonalem Grundriß)
eine Lieblingsbauform deritalienischen Renaissance-
künstler. Unter anderem beschäftigte sich auch
der oben genannte Bolognese Serlio mit der schwie-
rigen Lisung eines Zentralbaues von polygonaler
Grundform mit ungleicher Seitenzahl. Für die
Grundrißbildung einer Kirche ist, wie Serlio be-
merkt, ein Polygon von ungleicher Seitenzah] un-
geeignet, da Haupteingang und Altar schwer in
Einklang zu bringen sind (den Seiten liegen Winkel
gegenüber!) Bei einem Mausoleum war jedoch
diese Form wohl anzuwenden, wenn man das
Grabmal in die Mitte des Polygons setzte, wie
im Mausoleum zu Stadthagen,
Das Äußere des Baues ist ganz im Geist der
italienischen Spätrenaissance erdacht, mit korin-
thischen Pilastern, von Rundbogen überwölbten,
vertieften Wandfeldern, einer auf den Bauherrn
bezüglichen Inschrift am Hauptgesims, der auf
dem Hauptgesims aufsitzenden Attika, der äußer-
lich durch ein Zeitdach verkleideten, von einer
sierlichen Laterne bekrönten Kuppel. Nur wenig
Bauten auf deutschem Boden können sich so
reiner Formen und Verhältnisse rühmen wie dieser
Grabbau.
Den Hauptschmuck des Innern bildet das pracht-
volle Grabmal des Fürsten Ernst, ein Prunkstück
barocker Grabmalkunst, das Adrian de Vries, der
Schüler Giovanni da Bolognas, in den Jahren 1618
bis 1620 ausführte. Das Monument gipfelt in der
hochaufgerichteten, edel aufgefaßten Gestalt des
Auferstandenen. Vier lebhaft bewegte Wächter
sitzen zu Füßen des Sarkophags, der mit dem
Reliefbildnis des Verstorbenen geschmückt ist.
Die Wichter erinnern an die ,Sklaven", die ein
anderer Schüler Giovanni da Bolognas, Pietro
Tacca, in ähnlicher Weise ап dem Standbild des
GroBherzogs Ferdinand des Ersten von Toskana
in Livorno anbrachte, und lassen wie diese die
Wirkung michelangelesker Formensprache er-
kennen. Bezeichnend für den Zeitgeschmack sind
die an Beziehungen reichen figürlichen Sockelreliefs.
Für den übrigen plastischen und malerischen
Schmuck am Mausoleum werden u. a. Sebastian
Walther, Zacharias Hegewald, Hans Wolff (Wand-
epitaphien), Anton Boten (Kuppelmalereien mit
musizierenden Engeln) genannt, alles deutsche
Künstler, die mehr oder weniger im Geiste der
italienischen Spätrenaissance arbeiteten, deren
Werke aber immerhin verdienten, der völligen
Vergessenheit entrissen zu werden. Ganz im ita-
lienischen Geschmack ist der Fußbodenbelag, für
den Michele Sanmicheli das Vorbild gegeben haben
könnte in seiner Capella Pellegrini bel S. Bernar-
dino su Verona.
In Herzog Ernsts Regierungszeit fällt der Bau
der protestantischen Stadtkirche von Biickeburg
(beg. 1611) mit ihrer überreichen Schauseite, deren
Architektur mehr an ein Prunkmöbel erinnert als
an einen Kirchenbau. Für den üppigen Versie-
rungsstil bot die Anregung Wendel Dietterleins
Architekturwerk, dem auch die Vorlagen für die
Kapitäle im Innern entnommen sind. Der Grund-
riß der Kirche entspricht einer spätgotischen Hallen-
anlage. Eine Neuerung bildet die Einführung von
Emporen, die im protestantischen Kirchenbau
spüterhin allgemein beibehalten wurde.
Das Taufbecken von 1615, zeitlich dem Grab-
mal von Stadthagen vorausgehend, ist gleichfalls
ein Werk Adrian de Vries', wie jenes reich an
allegorischen Beziehungen. Die Hauptgruppe der
Taufe Christi erscheint wie eine barocke Weiter-
bildung von Sansovinos Taufgruppe am Baptiste-
rium zu Florenz.
Weitere glünzende Beispiele deutscher Spit-
renaissance-Architektur bieten die Torbauten des
Bückeburger Residenzschlosses, an denen neben
hollindischen Einflüssen wiederum Anregungen
von Wendel Dietterleins Architekturwerk wahr-
zunehmen sind.
Im Innern des Bückeburger Schlosses stammen
die SchloBkapelle und einige Sále aus der Regie-
rungszeit Herzog Ernsts. Die reich vergoldeten
Holzschnitzereien der Schloßkapelle wurden von
Eckbert Wolff d. J., die Malereien von Hans Wolff,
Christoph Gertner, Joseph Heintz ausgeführt. Von
27
Eckbert Wolff stammt auch die Prachttiir im gol-
denen Saal, reich mit mythologisehen Figuren ver-
ziert, unter denen eine Nachbildung des berühm-
ten Merkur Giovanni da Bolognas am meisten in
die Augen fällt. Noch andere Künstlernamen sind
in den Urkunden erhalten, ohne daß bestimmte
Werke mit ibnen in Verbindung gebracht werden
könnten. |
Bezeichnend fir die Kunstrichtung am Hofe
Herzog Ernsts ist die Vermischung itallenischer,
niederländischer und deutscher Kunsteinfiüsse, die
sich zu einem reichen, anziehenden Bild vereinigen.
Gemilde von Paolo Veronese, Federigo Baroccio,
Dionigio Calvaert und Hendrik van Balen werden
heben solchen von Hans Rottenhammer, Barthol.
Spranger, Joseph Heintz genannt.
Außer am Grabmal іп Stadtbagen und dem
Merkur іт Bückeburger Schloß lebt die Erinne-
rung fort an Italien, insbesondere an Giovanni
da Bologna, in verschiedenen Bildhauerarbeiten
des Adrian de Vries, von denen zwei Bronze-
gruppen auf der Schloßbrücke genannt seien:
Venus und Adonis (1620) und Raub der Proser-
pina (1621). Für Adrian de Vries, wie übrigens
auch für seinen berühmten Zeitgenossen Bernini
boten Giovanni da Bolognas Bravourstücke, wie
beispielsweise der Raub der Sabinerin in der
Loggia dei Lanzi zu Florenz das bewunderte Vor-
bild.
Den Einfluß von Wendel Dietterleins phanta-
stischer Architektur verrät auch die reich belebte
Gartenarchitektur des kleinen Lustschlosses Baum
bei Bückeburg, dem der letzte Abschnitt des Buches
gewidmet ist.
Das Buch von Bruck gibt uns ein reizvolles
Bild wieder eines kunstbegeisterten Fürsten und
einer kleinen deutschen Residenzstadt in den fried-
voll-glücklichen Zeiten, die den Stürmen des
Dreißigjährigen Krieges unmittelbar vorausgingen.
Die im Anhang mitgeteilten Urkunden und die
vorzüglichen Abbildungen erhöhen noch den Wert
dieser Veröffentlichung. v. d. Gabelentz.
FRITZ MEDICUS, Grundfragen der
Asthetik. Verlegt bei Eugen Diederichs,
Jena 1917.
Aus Abhandlungen und Vortrügen entstanden,
die bis in das Jabr 1912 zurückgehen, bildet dieses
Buch doch eine Einheit. Es gibt so viele Bücher,
denen man das Zufällige ihres Entstehens an-
merkt, die nichts anderes sind als Feuilletons in
Buchform, ohne inneren Zwang geschrieben. Diese
Vorträge mußten gehalten, diese Aufsätze geschrie-
ben werden, denn sie offenbaren nicht weniger
28
als ,ein Stück Selbsterkenntnis eines an künst-
lerischen Inhalten genübrten Lebens.“ Hinter
jeder Zeile spürt man, daß es dem Verfasser um
seine Fragestellung und seine Probleme Ernst ist,
daß ihm Ästhetik, nicht minder wichtig als Logik
oder Ethik, nur als Teil der unauflöslichen philo-
sophischen Einheit erscheint. Ein Versuch ihrer
Verselbstindigung rächt sich dadurch, „daß die
Probleme nicht mehr aus der substantiellen Wirk-
lichkeit entspringen und darum oberflächlich wer-
den, mögen sie auch an den Scharfsinn die äußer-
sten Anforderungen stellen.“ |
Das Buch ist von einem starken Glauben an
die Kunst der Gegenwart getragen. Der jahre-
lange Aufenthalt des Verfassers in der Schweiz
gibt ihm ein gewisses Lokalkolorit, doch ist es
ein Bekenntnis und kein Parteibuch. Unser Ver-
bültnis zur Welt ist kein festes, unabünderliches.
Jede Epoche, ja jede Generation hat ihre eigenen
Aufgaben zu lösen, in sittlicher so gut wie in
künstlerischer Hinsicht. Im Kunstwerke offen-
baren sich Geist und Wesen einer Zeit am un-
mittelbarsten. Es gibt keine nur formale Kunst;
der Schaffende kann der Kulturgemeinschaft, in
die er gestellt ist, nicht entfliehen. Er findet auch
keine fertige Wirklichkeit vor, er schafft eine neue
Welt und eine neue Wahrheit. „Und wie es
keine rein formale Kunst geben kann, eo ist auch
das Idealzeitalter der Kunst ein Phantasiegebilde.
Das perikleische Zeitalter und die italienische Re-
naissance in allen Ehren: — aber die Wirklich-
keit ist lebendig. Der Ausdruck, den das Leben
vergangener Jahrhunderte und fremder Kultur-
gemeinschaften gefunden hat, ersetzt uns nicht
die Anschauung des Lebens, in dem wir stehen.
Und jedes Kunstwerk ist vollkommen, das im
höchsten Sinne wahr ist, d. h. jedes Kunstwerk,
das in dem engen Umfang seiner Erscheinung
das grenzenlose Leben der Kulturgemeinschaft
offenbart, von der es geboren ist“ (S. 59). Auch
kann es nicht im Sinn eines Kandinsky darauf
ankommen, das Geistige von der Materie los-
zulösen und sich in den Bereich der absoluten,
vom Gegenständlichen befreiten Malerei zu flüchten.
„Der Geist muß in der Wirklichkeit selbst gesucht
werden: in ibr und nur in ibr ist er wirklich ...
Er führt kein von der sichtbaren Materie ge-
trenntes Leben — — — die ganze Wirklichkeit
ist Leben, ist lebendiger Geist.“ (S. 32.)
Es kann nicht die Rede davon sein, den Reich-
tum des Buches in einer Anzeige auszuschöpfen.
Vorträge über: Philosophie und Dichtung (1912),
Bildende Kunst und Wirklichkeit (1912), Schön-
heit und Wahrheit (1913), die künstlerische Wahr-
heit (1915), die künstlerische Überwindung des
Gegenstandes (1916) und Abhandlungen ,über den
Begriff der Ásthetik, die überzeitlichen MaBstübe
der künstlerischen Beurteilung und die Unend-
lichkeit des Kunstwerkes (sämtlich 1916 geschrieben)
bilden seinen Inhalt. Gedruckt lagen bisher nur
zwei der Vortrüge vor, im Band IV des ,Logos"
und im ersten Jahrgang der „Geisteswissenschaften“,
Rosa Schapire.
KONRAD ERBACHER, Griechisches
Schuhwerk. Eine antiquarische Unter-
suchung. (Würzburger Inaugural-Disser-
tation 1914.) Würzburg, Buchdruckerei
Franz Staudenraus 1914. — IV, 78 S.
8° x Tafel.
Nach einer Besprechung der griechischen Be-
zeichnungen der verschiedenen Schuhsorten gibt
Erbacher an der Hand der Darstellungen die Ge-
schichte der Fußbekleidung bel den Griechen in
ihren drei Hauptgattungen: Sandale, Schub, Stiefel,
von denen nur die Sandale eine nationale griechi-
sche Fußbekleidung seit ältester Zeit gewesen ist,
Schuh und Stiefel wurden seit dem 6, Jahrhundert
übernommen, während die Mode des Schnabel-
schuhs sich nicht eingebürgert hat. — Die Arbeit
ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der an-
tiken Tracht; freilich hätte sich das Thema für
eine akademische Festrede nicht geeignet, wie
Lobeck in seiner witzigen Rede: de Momo eiusque
fratre Moro bemerkt. (Neues Schweizerisches Mu-
seum I [1861], 8. 70.) T. O. Achelie.
29
RUNDSCHAU ... ————.——.—.—
DER CICERONE.
IX, 21/22,
WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard
von Schnitzler in Cóln. (26 Abb.)
H. FRIEDEBERGER: Die Sammlung Richard
von Kaufmann-Berlin. (13 Abb.)
IX, 23/24.
WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard
von Schnitzler in Сбіп. (Fortsetzung.)
OTTO GRAUTOFF: Die Münchner Kunstgewerbe-
ausstellung in Paris im Jahre 1910 und die fran-
zösischen Künstler während des Krieges.
OUDE KUNST.
III, x.
HANS SCHNEIDER: Nederlandsche schildereijen
in het Museum Czartoryski te Krakau. (т Tafel,
5 Abb.)
8. KALFF: Een Haarlemsche Gildebeker. (1 Abb.)
IMA BLOK: Teekeningen van Es. v. d. Velde,
J. v. Goijen en P. de Molijn. (3 Abb.)
H. G. van HUFFEL: Handkleur. (4 Abb.)
II, 2,
H. MARTINI: De 17e eeuwsche friesche schilder
Nicolaas Wieringa. (9 Abb.)
D. Е, SLOTHOUWER en CORN. J. GIMPEL:
Oude Architektenteekeningen. (6 Abb.)
M. W. de VISSER: De Weefster en de Herder.
(x Abb.)
N. G. van HUFFEL: Een merkwaardig Oranje-
portret. (r Abb.)
III, 3.
C. HOFSTEDE DE GROOT: De Apostel Paulus
van Rembrandt. (1 Taf)
Een Landschap van MEINDERT HOBBEMA.
(x Taf.)
D. v. ADRICHEM: St, Nicolaas in het Westen,
(10 Abb.)
А, О. v. KERKWIJK: Dure en slechte tijden op
penningen herdacht. (13 Abb.)
J. O. KRONIG: Een portret dor Hendrik Gerritsz.
Pot. (1 Abb.)
OUD HOLLAND.
XXXV, 3. |
О. J. HOOGEWERFF: Rembrandt en een italia-
ansche Maecenas.
F. A. HOEFER: De Overijsselsche schilder Jan
Grasdorp.
H. J. A. RUYS; De schilder-dichter Bernart Vollen-
hove.
E. van BIEMA: Het dagboek van een pommersch
officier in Staatschen dienst. (II.)
J. PRINSEN J. LZN.: Eeen paar seltsame trou-
gevallen.
30
A. BREDIUS: Een hollandsch beeldhouwer-atelier
omstreeks 1570 te Cordova.
Korte Mededeelingen.
DIE KUNST.
XIX, 1. |
G. J. WOLF: Wilhelm v, Diez und seine Schule.
(2 farb., 1 schw. Taf., 21 Abb.)
W. WARTMANN: Hermann Haller,
I2 Abb.)
W. RÜMANN: Menzels Radierungen. (8 Abb.)
F. KUMMER: Vom Umbau alter Häuser.
Arch. LOSSOW u. KÜHNE-Dresden: Haus Ross-
kothen und Haus Wiede. (2 Taf, 21 Abb.)
Eine BRUNO PAUL -MONOGRAPHIE. (х farb,
Taf; 5 Abb.) |
F. THIECKE: Treibarbeiten von Georg Mendels-
sohn, (3 Abb.)
G. J. WOLF: Münchner Plakatkunst,
22 Abb.)
LAURA EBERHARDT: Atzen der Batikarbeiten
an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule. (ro Abb.)
RICHARD GRAUL: Mehr Kunstgewerbe auf der
Leipziger Messe. (5 Abb.)
XIX, 2.
J. BETH: Die freie Sezession 1017 in Berlin,
(x farb. Taf., 20 Abb.)
W. v. SEIDLITZ: Ergebnis der Umfrage, betreffend
die Vorbildung unserer Künatler.
KARL VOLL: Über Kunstauktionen im Kriege.
AUG. L. MAYER: Zum 70. Geburtstage Ad. von
Hildebrands, (8 Abb.)
(x Tafel,
E. W. BREDT: Toni von Stadler +.
MAX EISLER: Karl Sterrer, (1 Taf, 7 Abb.)
W. F. STORCK: Kriegergedenktafeln und -Ge-
denkblatter. (т Taf, 19 Abb.)
Н. BEHRMANN: Kunst und Geschäft auf der
Leipziger Messe.
P. THIECKE: Zu den Arbeiten von Karl Joh,
Mossner. (5 Abb.)
H. STRAUBE: Eisenguß іп der angewandten
Kunst. (2 Taf., 17 Abb.)
XIX, 3.
PAUL KRAEMER: Axel Gallén, Finnlands groBer
Maler. (4 Taf, 7 Abb.)
MAX GEITEL: Vor hundert Jahren.
0. J. WOLF: Norbert Grund. ı Taf, 10 Abb.)
HANS MACKOWSKY: Menzels Impressionen aus
Alt-Berlin. (2 Abb.)
KARL SCHWARZ: Philipp Franck, (1 Taf., 8 Abb.)
MOELLER van den BRUCK: Die Ausstellung
des deutschen Werkbundes 1917 in Bern. (a Taf.,
48 Abb.)
DIE RHEINLANDE.
ХҮП, 10/11.
LISBETH SCHÄFER: Große Berliner Kunstaus-
stellung 1917 im Kunstpalast zu Düsseldorf. (6 Abb.)
J. F. HAUSELMANN: Kunstwissenschaftliche Be-
trachtungen über bäuerliche Bauformen. (21 Abb.)
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION,
XXI, 1. |
KARL SCHWARZ: Lovis Corinth. (2 farbige,
5 schwarze Tafeln, 18 Abb.)
ADOLF BOHNE: Vom einheitlichen Ziel der Kunst.
THEODOR VOLLBEHR: „Ältestes bewahrt mit
Treue, freundlich aufgefaßt das Neue“.
OSKAR STRUAD: Einiges Theoretische zur Raum-
gestaltung. (15 Taf, 12 Abb.)
A. E. BRINCKMANN: Das Grabmal. (7 Taf., 9 Abb.)
RICH. KLAPHEK: E. Fahrenkamps Grabdenk-
máler und Kriegergedenksteine. (3 Abb.)
KUNO MITTENZW EY : Ausstellung der Münchner
Sezession 1917.
R. ST.: Herbstausstellung der Dresdner Künstler-
vereinigung.
KUNO MITTENZWEY: Ausstellung der „Neuen
Sezession“ München 1917.
XXI, 2.
KURT GERSTENBERG: Der Künstler und diese
Zeit.
KARL HECKEL: Harmonie und Stil.
ULRICH CHRISTOFFEL: Kunstgeschichtliche
Bildung und künstlerische Erziehung.
GUSTAV E. PAZAUREK: Von Glasperlen und
Perlenarbeiten.
ERNST ZIMMERMANN: Dekorative Keramik
(9 Abb.)
M. ZÜNDORFF: Künstlerischer Christbaum-
schmuck. (s Abb.)
KUNST UND KUNSTLER,
XVI, x.
EMIL WALDMANN: Organisation im Museums-
Wesen.
HEINRICH WOLFFLIN: Adolf von Hildebrand.
(17 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Max Pechstein. (11 Abb.)
HANS TROG: Deutsche Malerei in der Schweiz.
EMIL WALDMANN: Die Hodier - Ausstellung in
Zürich.
XVI, 2.
MAX LIEBERMANN: Anschauung und Idee,
KURT GLASER: Gustav Doré. (ar Abb.)
FERDINAND BULLE: Hermann Haller. (7 Abb.)
FELIX SZKOLNY: Die Gewinnbeteiligung der
Künstler. |
XVI, 3.
MAX J. FRIEDLAENDER: Dürers Denken und
Gestalten. (1 Abb.)
ALFRED LICHTWARK: Der junge Künstler und
die Wirklichkeit. (ro Abb.)
VICTOR HUGO: Das Buch und der Stein, (13 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Gelegentlich der 31. Aus-
stellung der Berliner Sezession.
K. SCH.: Winckelmann.
KUNST unp KUNSTHANDWERK.
ХХ, 9/10.
MORIZ DREGER: Die Linzer Wollenzeug- und
Teppichfabrik. (38 Abb.)
L. PLANISCIG: Annibale Fontana, der Meister der
Bronzeleuchter im Dome zu Preßburg. (9 Abb.)
HARTWIG FISCHEL: Aus dem Wiener Kunst-
leben.
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
Neue Folge, XXIX, 1.
JULIUS BAUM: Schwäbische Bildwerke im Zeit-
alter der Mystik, (12 Abb.)
JOS. AUG. BERINGER: Emil Lugo.
XXIX, 3.
HERMANN UHDE-BERNAYS: Zur Feier Johann
Joachim Winckelmanns.
JOSEF ENGELHART: Dem Andenken Eugen
Jettels. (5 Abb.)
G. F. HARTLAUB: Qustav Doré und seine Illu-
strationen, (30 Abb.)
JULIUS VOGEL: Luther als Junker Jörg. (6 Abb.)
AUG. L. MAYER: Das Selbstbildnis des Velazquez
im Provinzialmuseum in Hannover. (1 Abb.)
AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.
XXXIX, 2.
BODE: Erweiterungen innerhalb der Abteilung
der deutschen Plastik. (а Abb.)
HUBERT SCHMIDT: Frühgeschichtlicher Gold-
schmuck. (3 Abb.)
XXXIX, 3.
OSKAR FISCHEL: Wanderungen eines antiken
Motivs. (4 Abb.)
FRITZ GOLDSCHMIDT: Die Götterfiguren des
Alessandro Vittoria. (5 Abb.)
(17 Abb.)
FERDINAND AVENARIUS: Klinger als Poet.
Mit einem Briefe von Klinger und einem Beitrag
von Hans W. Singer. Herausg. vom Kunstwart.
Im Kunstwartverlag von Georg D. W. Callwey zu
Miinchen.
FRIEDRICH JODL: Asthetik der bildenden Künste.
Herausgegeben von Wilh. Börner. J. G. Cottasche
Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart u. Berlin 1917.
Hessenkunst 1918. Herausg. von Dr. Christ.
Rank; Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Verlag
von N. G. Elwert, Marburg.
MAX v. BOEHN: Vom Kaiserreich zur Republik,
Eine franzósische Kulturgeschichte des 19. Jahr-
KARL SCHWARZ: Augustin Hirschvogel, ein
deutscher Meister der Renaissance. Mit 77 Ab-
bildungen. Julius Bard, Berlin 1917. М. 20 (25).
LUDWIG RICHTER-ZEICHNUNGEN. Mit einer
Einleitung herausgegeben von Willibald Franke.
Comenius-Bücher, Bd. I. Verlag Grethlein & Co.
Leipzig-Ber!in| (Preis M. 3.60.)
ZUR GESCHICHTE DER BARMHERZIGKEIT
IM ABENDLANDE. Rede, gehalten zur Feier
des Antritts des Rektorats am 18. Oktober 1917
in der Аша der Rheinischen Friedrich Wilhelms-
Universität zu Bonn von Friedrich Marx, Bonn.
Verlag von Peter Hanstein.
hunderte. Hyperion-Verlag, Berlin.
XI. Jahrgang, Heft 1.
Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER,
Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK-
HARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Elisabethstr. sl. |
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, 2. Н. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.
Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte fiir Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13 467.
Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be-
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, Uhland-
straße 158 zu richten.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwis senschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
23
DIE ATTISCHEN
REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON
ROTFIGURIGEM STIL Von FRITZ HOEBER
Herrn Prof. Dr. Frans Winter in dankbarer Verehrung!
Mit siebenundzwanzig Abbildungen auf sieben Tafeln «eccccec00000000000000000000000000000000000000000000000000900
L
ei der Stilanalyse der attischen älteren rotfigurigen Vasenmalerei, des epikte-
tischen Kreises und der streng rotfigurigen Meistervasen besonders, wurden
regelmäßig von der Forschung künstlerische Darstellungsmittel festgestellt, die nicht
im Sinn des eigentlichen rotfigurigen Vasenstils, des Stils der neuen Körperlichkeit
und der neuen Bewegungsmöglichkeiten, lagen, sondern sich stilistisch noch ganz
in der flachen Silhouettenmanier jener strengen und eckigen Linien hielten, die
das Charakteristische der älteren schwarzfigurigen Vasenmalerei ausmachen. Und
umgekehrt wiederum ließen sich auch attische jüngere schwarzfigurige Gefäße
finden, die, obwohl in der alten gewohnten Technik ausgeführt, doch bereits den
geschmeidigen Linienfluß, z. B. der Gewandfalten, die reichere Bewegung, die Kopf-
typen oder die Gesamtkomposition der streng rotfigurigen Malerei aufwiesen. — Was
lag also näher, als der Hypothese einer zeitweiligen Parallelität der beiden Stil-
arten in der attischen Vasenmalerei Raum zu geben, einer Annahme, die ja um so
natürlicher war, als sie der allgemeinen kunsthistorischen Erfahrung entspricht, daß
wichtige technische und künstlerische Neuerungen sich niemals sofort und voll-
ständig durchsetzen, sondern neben der alten Weise eine Zeitlang einhergehen, bis
sie diese vollkommen besiegt haben. Dieses können wir ja auch an vielen attischen
Vasen des ausgehenden sechsten Jahrhunderts, den Amphoren des Andokides und
seiner Schule und den Schalen des epiktetischen Kreises beobachten, die die beiden
Techniken auf einem Stück vereinigen, oder bei manchen reif schwarzfigurigen Vasen-
fabrikanten, wie vor allem bei Nikosthenes, der trotz seiner Befangenheit in der
alten Tradition, sich doch in dem einen oder andern Gefäß bereits in der moder-
neren Malweise versucht hat. Derjenige, der diese Parallelität der attischen
schwarzfigurigen und rotfigurigen Vasenstile am energischsten in Theorie und
Museumspraxis wissenschaftlich vertreten hat, ist Edmond Pottier. In seinem
Catalogue des Vases antiques de terre cuite?) schreibt er auf S. 6478. in
einem Kapitel: Prolongation de la peinture à figures noires: ,,Si utile que soit une
réforme, elle n'est jamais acceptée tout entiére par tout le monde, surtout dans le
domaine industriel; la tradition et la routine sont des puissances avec lesquelles il
faut compter. On s'imagine trop aisément qu'une fois la figure rouge inventée, la
figure noire ne tarda pas à mourir et laissa la place sans conteste à son heureuse
rivale. On voit les meilleurs archéologues conclure qu'un motif est nécessairement
antérieur à l'époque des figures rouges, parce qu'il se trouve sur des vases à figures
noires de style tardif. Les classements ordinaires des musées et des catalogues
entretiennent cette idée. Nos étudiants se figurent trop souvent que l'époque de
la figure rouge se superpose exactement à celle de la figure noire, comme les en-
fants croient que les Romains remplacent les Grecs. Ces cadres rigides empéchent
(1) Études sur l'Histoire de la Peinture et du Dessin dans l'Antiquité. Troisitme Partie: l'École Attique
(Paris, Librairies-Imprimeries réunies. Éditeur des Musées Nationaux. Motteroy, Directeur, 7 Rue Saint-
Benoit, 1906).
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XL Jahrg. 1918, Heft s/3 3 33
!
de voir des synchronismes qui sont l'essence méme et la vie de l'histoire.“ — Und
dann hat Pottier in der Salle F der Collection Campana, der groBen Vasensamm-
lung des Louvre, unter den dort befindlichen reif schwarzfigurigen attischen GefüBen
eine spezifische Gruppe ausgesondert, für die er bereits „des influences de la figure
rouge“ konstatiert. In dem dem Katalog zugehürigen Photographienalbum ,,Vases an-
tiques du Louvre par E. Pottier. 2. Serie: Salles E- G. Le style archaique à figures
noires et à figures rouges. Ecoles Jonienne et Attique“ stellt er in Abbildungen auf
PL 75—77 und 84—87 die nach seiner Meinung hier in Betracht kommenden Gefäße
zusammen 1).
Trotz dieser somit allgemein durchgedrungenen Ansicht über die zeitweilige
Parallelität des schwarzfigurigen und des rotfigurigen Stils wird es doch noch von
Interesse sein, eine Reihe von reif schwarzfigurigen GefaBen aus verschiedenen Samm-
lungen genau stilkritisch zu analysieren, um das, was Pottier im allgemeinen und
noch etwas unbestimmt annimmt, durch konkrete, augenscheinliche Tatsachen,
durch die Analogie der Formen selbst, kunsthistorisch festzulegen.
II.
1. BERLINER HYDRIA, Nr. 1897. (Abb. 1.)
Eines der merkwürdigsten Beispiele für den reif schwarzfigurigen attischen
Vasenstil jener letzten Phase, die bereits unter dem deutlichen Einfluß der neu ent-
deckten rotfigurigen Malweise steht, stellt sich uns in der prachtvollen Hydria
Nr. 1897 der kgl. Vasensammlung in Berlin dar, von der Furtwüngler?) bemerkt:
„Höchste Korrektheit und Sauberkeit in Allem. Die Augenzeichnung nicht mehr
ganz kreisrund, sondern etwas oval Der Stil ist viel mehr der streng rot-
figurige als der schwarzfigurige. Er läßt Hischylos als Meister vermuten.“
In der Tat erscheint der Stil der Malerei auf dieser Berliner Hydria so fortge-
schritten, daß, wenn man sie nur in Umrißzeichnung wiedergegeben sähe, man sie
sicher als streng rotfigurig bestimmen würde, so sehr stimmen ihre sümtlichen
Linien mit den Errungenschaften der streng rotfigurigen Darstellungsweise überein“).
Man versteht, wie Furtwängler darauf kam, diese Hydria dem schwarzrot-
figurigen Töpfer Hischylos zuzuschreiben, wenn man den kleinen schwarzfigurigen
(x) Auf deutscher Seite hat sich vor allem Friedrich Hauser mit großem wissenschaftlichen Erfolg
für die entwicklungsgeschichtliche Parallelität des schwarz- und rotfigurigen Vasenstils eingesetzt (im
Text zur Amphora des Amasis im Vatikan. Furtwüngler-Reichbold A 125). Seine These faßt sich
in der Behauptung zusammen, daß bereits die entwickelten Vasenbilder des reifschwarzfigurigen
Meisters Exekias stilgeschichtlich und chronologisch jünger sind als die rotfigurigen
Bilder des in beiden Manieren arbeitenden Andokides. — Hausers feinsinniger Schüler, Ernst
Buschor, hat in seiner vorzüglichen Gesamtdarstellung der „Griechischen Vasenmalerei‘ (x. Aufl.,
München 1912. 2. Aufl., ebd. 1914 auf S. 143 u. ff.) das Problem in Kürze so formuliert: Der neue —
rotfigurige — Stil hat den alten — schwarzfigurigen — durchaus nicht jäh verdrängt, es sind uns
aus der Zeit seiner Herrschaft vielleicht mehr schwarzfigurige Vasen erhalten als- aus der voran-
gebenden. In den führenden Ateliers wurden auch eine Zeitlang, oft von denselben Malern, beide
Techniken nebeneinander geübt. Die Wagschale neigte sich rasch zugunsten des aussparenden Stils,
und nach den Übergangszeiten des Andokides und Pamphaios versuchen sich nur wenig starke Indi-
vidualitäten mehr im alten Silhouettdnstil. Aber, obwohl aus der führenden Stellung verdrängt, hat
dieser alte Stil, mindestens bis in den Anfang des 5. Jahrhunderts, sich noch stark an der Pr duktion beteiligt.
(2) Kgl. Museen zu Berlin. Beschreibung der Vasensammlung im Antiquarium von Adolf Furtwängler.
I. Band, Berlin 1885, S. 383—386.
(3) Dieselbe Ansicht vertritt auch Buschor, a. a. O., S. 144, der die Berliner Hydria in die Zeit des
Euphronios, also an das Ende des 6. Jahrhunderts, rückt.
34
Teller Nr. 2100, ebenfalls der Berliner Vasensammlung, betrachtet, den ein FuB in
Art der Schalenfüße trägt, und dessen Inschrift mit großer Sicherheit [I] eyv[2]os
ёлоб [бет] ergänzt wurde!) (Abb. 2): In der kreisrunden Fläche steht ein Mann, einen
Napf vorsichtig in der linken Hand haltend. Die Zeichnung ist überaus zierlich, be-
sonders die sehr fein plissierte Haube, wie sie sich sowohl im Kreis des Epiktet,
wie in dem des Euphronios vorfindet. — Aber trotz allgemeiner Ahnlichkeit ist die
Hydria doch entwickelter in ihrem individuellen Stil: ihre Formen sind grüBer,
runder, weniger grazil und feinteilig.
Die 43,7 cm hohe Hydria von entwickeltster Gefäßform und allererster ktinstle-
rischer Qualität?) stellt in ihrem Hauptbild das Anschirren eines Viergespanns dar,
während sie in ihrem friesartigen Schulterbild drei weit gestellte Kämpferpaare gibt,
in ihrem Sockelstreif zwei Panther, einen Widder, einen Löwen und einen Stier,
diese ornamentalen Streifenbilder durchaus stereotyp im Sinn der reif schwarz-
figurigen Handwerksüberlieferung gehalten. Nur das Hauptbild kann ein Beispiel
sein für eine Malerei rotfigurigen Stils in schwarzfiguriger Technik: Was im
ganzen sogleich auffällt, ist die monumentale Größe der Gruppe, dieser
stolzen, nur wenig, aber zierlich bewegten Pferde, der in großzügiger Vertikale
dazu gestellten Männer, die Freiheit, mit der das Bild belebt, der Raum ausgefüllt
ist. Und Größe und Freiheit sind auch für die Detailierung dieser Zeichnung
charakteristisch: Das lehrt ein Blick auf die schöne Faltengebung der Gewandung
des Jünglings links, der, die Zügel in der Hand haltend, darauf wartet, den Wagen
zu besteigen. Ein runder Faltenwurf des Chiton zieht sich bei ihm quer unter der
rechten Achsel nach der linken Schulter empor; der linke Oberarm ist der Aus-
gangspunkt klar gezeichneter, großer Fächerfalten, die nach der Rückensilhouette
zu in schwungvollem Rund verlaufen. Der untere Faltensaum bewegt sich nur in
großen Motiven. Eine charakteristische Einzelheit sind die kleinen quastenähnlichen
Punkte, in denen die drei Zipfel des Chiton endigen, und die so auch bei den streng
rotfigurigen Meistern, z. B. bei Duris, vorkommen. — Interessant für die Faltengebung
erscheint auch das in großen Enden herabhängende Hüfttuch des Pferdeknechts rechts:
es ist in lauter runden Linien durchgeführt; in den Durchsteckungen und Uber-
schlägen offenbart sich ein gewisses plastisches Gefühl, das dem mit scharfeckigen
Brechungen arbeitenden, archaisch schwarzfigurigen Faltenstil, der alles ins Flächen-
mäßige reduziert, völlig fern liegt.
Diese Plastik finden wir auch in der Bildung der Körper auf unserer Amphora
wieder: man sehe sich daraufhin die Beine und den Torax des sich vorbeugenden
Pferdeknechts an. Das Detail der Muskelzeichnung ist das fortgeschrittene der
streng rotfigurigen Meisterperiode, z. B. die stereotype Andeutung der Schlüssel-
beine durch häckchenförmige Linien, wie sie Euphronios und Duris lieben. — Die
Kopftypen unserer Hydria bilden zwar eine Individualität für sich. Gerade für das
Gesicht hatte der rotfigurige Stil eine ganz andere Zeichnung, das Profil weniger
scharf ausgeschnitten, die Formen größer, besonders die Augen bedeutender, ent-
wickelt, so daß ein Vergleich zwischen schwarz- und rotfigurigen Köpfen immer
nur im allgemeinen bleiben kann und man dieselben Formen übersetzen muß,
sich erinnernd, daß derselbe Künstler für ein und dieselbe Form im schwarzfigurigen
Stil diesen technischen Ausdruck, im rotfigurigen jenen gewählt hätte. Trotzdem
(1) Beschreibung der Vasensammlung I. S. 460—461.
(2) Abgebildet u. a. bei Eduard Gerhard, Auserlesene Vasenbilder, Band IV. Tafel 249, 250; danach
Abb. 101 auf S. 141 bei Buschor, a. a. O.
35
läßt sich ohne Zwang auch bei diesen frühattischen Gesichtsprofilen, teils an
Duris, wegen ihrer runden Formen, teils an Euphronios, wegen der an der Spitze
etwas aufgebogenen, weit vorspringenden Nasen, denken. Fiir letzteren seien ver-
gleichsweise die Köpfe der beiden rechtssitzenden Jünglinge aus dem „Vortrag des
Flötenspielers“, dem Reversbild des Pariser Antaioskraters, herangezogen!), bei
denen vor allem auch die Haartracht merkwürdig mit dem hinter dem weiß-
bekleideten Wagenlenker stehenden, nach rechts sich wendenden Epheben unserer
Berliner Hydria übereinstimmt.
Es ist der entwickelte Archaismus der attischen Kunst kurz vor der Zeit der
Perserkriege, der sich in diesen kraftvollen Kopfprofilen mit der spitzen Nase, dem
vollrund ausladenden Kinn und der individuellen Haartracht der abgeteilten Kalotte
des Hinterkopfes, dem das Gesicht umrahmenden Lóckchenkranz und dem ab-
stehenden Nackenschopf gut charakterisiert. Als Parallelen aus der Plastik lassen
sich die etwas ültere Bronzefigur des sogenannten Apollon Piombino im Louvre
und die in etwas freierer Weise entwickelte Marmorfigur des sogenannten Apollon
Strangford im British Museum anführen?) In der Vasenmalerei stellt sich dieser
Gegensatz in den beiden mindestens teilweise zeitgenössischen Meistern, dem älteren
Euphronios und dem jüngeren Duris dar, und die Berliner schwarzfigurige Hydria
steht in allen ihren zeichnerischen Einzelheiten zwischen beiden rotfigurigen Meistern:
So haben die Hände des Jünglings links 2. B. die kleine, gedrungene Form des
spüteren Duris, die FüBe dagegen sind durchweg so flach und so lang gestreckt, wie
das noch Euphronios aus der schwarzfigurigen Tradition übernommen hatte.
Auch die Pferde, besonders ihre wundervoll fein detailierten Köpfe, gehen über
das übliche Schwarzfigurige weit hinaus. Schon die Proportion des kleinen kurzen
Pferdekopfes zu dem breiten starken Hals, die Art der gehüuften Halsfalten unter
dem Unterkiefer erinnert an Jüngeres (Innenbild der Geryoneusschale des Euphro-
nios in München, Wiener Vorlegeblätter, Serie V, Tafel III). Und gar die neue Art
der auf dem Kamm дез Pferdehalses aufgerichteten Mähnen hat im schwarz-
figurigen Stil gar keine Analogie, der es vielmehr liebt, vom Hals seiner Pferde ein
Segment abzuschneiden, das dann von senkrechten zitterigen Linien, den Маһпеп-
haaren, gefüllt wird (vergl die Pferde der Francoisvase: Wiener Vorlegeblitter 1888,
Tafel II, dritter Streifen und, von fortgeschrittenerem Stil, die Pferde des Nearchos:
ebd., Taf. IV, Fig. 3d).
SchlieBlich unterstützt auch noch das Ornament unsere spüte Ansetzung der
Berliner Hydria: der untere Tierstreifen unter dem Hauptbild und das Netzornament
über ihm, das völlig dem gleicht, welches wir 2. B. іп den Seiten der rotfigurigen
Bilder der Andokides-Amphoren antreffen, sind zwar althergebrachte Requisiten der
schwarzfigurigen Manier, aber das fortlaufende Palmettenornament der Seiten-
bänder, dessen Ursprung im Ionischen zu suchen ist, schließt sich ganz den großen
Henkelpalmettenkompositionen an, wie sie die streng rotfigurigen Schalenmaler, Duris
insbesondere, bevorzugten ?).
(х) Abb. u. a. bei A. Furtwängler und K. Reichhold. Griechische Vasenmalerei. Eine Auswahl her-
vorragender Vasenbilder. Tafel 92 ff.
(2) Abb. u. a, bei Emanuel Löwy. Griechische Plastik. Leipzig 191r. Tafelband 8, 23 u. 22.
(3) Die große Bedeutung der Palmettenkompositionen für die Entwicklung der streng rotfigurigen
Schalendekoration hat mit Recht Franz Winter gelegentlich hervorgehoben. — Auch Buschor
weist a. a. O., 8. 143 auf den für den Stilumschwung so charakteristischen Wechsel von der schwarz-
figurigen Kette aus Lotosblumen mit dazwischengefügten Palmetten zu der rankenumschriebenen
Palmettenreihe des rotfigurigen Stils, als dem neuen Rahmenornament, hin.
36
2. MÜNCHENER AMPHORA, Nr. 1416). (Abb. з)
Diese stattliche schwarzfigurige Amphora der Vasensammlung in München läßt
sich in ihrem von der rotfigurigen Weise augenscheinlich stark beeinflußten Stil
einigermaBen der soeben besprochenen Berliner Hydria anschlieBen, wenn auch frei-
lich ihre mehr dekorative Ausführung sie in der Qualität weit unter die künst-
lerisch so ausgezeichnete Berliner Vase stellt. Die Gefäßform ist die entwickelt
schwarzfigurige, wie sie schon die Amphoren des Andokides zeigen. Das schöne
fortlaufende Palmettenornament der seitlichen Bildrahmenstreifen der Berliner Hydria
treffen wir hier als Dekor des Mündungsrandes der Amphora. Ihre Bilder zeigen
auf der einen Seite bekrünzte, musizierende Sänger und Tänzer mit beigeschriebenen
Namen, auf der andern Herakles’ Apotheose: Herakles mit seinem Begleiter Jolaos
auf dem Viergespann im Beisein der Athena und des Hermes. — Diese Szene mit
dem Viergespann bleibt ganz in der archaischen Tradition befangen. Dagegen zeigt
das Bild mit den Tänzern und Musikanten eine so ungemein lebendige Bewegung
fortgeschrittenster Art, daß es uns nicht wundern darf, wenn wir eines der Sche-
mata, das des tanzenden Mannes rechts mit den Krotalen, auf dem Reversbild der
berühmten Münchener Amphora des Euthymides, 6 Hodfov (Adolf Furtwängler und
Karl Reichhold, Griechische Vasenmalerei, München, Tafel 14; danach unser Aus-
schnitt Abb.4) wiederfinden, wenn hier natürlich auch fortgeschrittener in der Mus-
kelzeichnung und einheitlicher zusammengenommen im Körperumriß. Auch die
lang herabwallenden Hüfttücher geben analog der Berliner Hydria manches Neue,
Plastische in ihren runden Überschlägen und Durchsteckungen und in ihren fließenden
Faltenlinien. ,
3. ZWEI GRÖSSERE AMPHOREN IM LOUVRE. — F. 234 und F. 258°).
a) Amphora in der Salle F. Vitrine G. Nr. 234.
Es handelt sich um ein Gefäß typisch reif schwarzfiguriger Form von nur mittel-
mäßiger Ausführung, die sich besonders auch in dem schnell hingesetzten, ganz
konservativen Ornament zeigt: am Fuß die aufrecht strebenden Strahlen, dann die
übliche Knospenkette, durch elliptische Stengel verbunden, und am Hals die Lotos-
knospen-Palmettenkette. Der ringsherum laufende Bildstreifen, dessen beiderseitige
dreifigurige Darstellungen von durchaus typischer Komposition sind, wird unter den
Henkeln durch große symmetrische Palmettenranken in Vorder- und Rückseite ge-
teilt, wie sie bei dieser Amphorenklasse regelmäßig vorkommen.
Auf der einen Bildseite tritt uns Nereus zwischen seinen beiden Töchtern ent-
gegen, während auf der andern Bildseite der in der schwarzfigurigen attischen
Vasenmalerei so häufig dargestellte Ringkampf zwischen Herakles und dem Meer-
gott Triton mit einer nach links fliehenden Nereide zu sehen ist.
Für den Einfluß des rotfigurigen Stils auf die Zeichnung dieser schwarzfigurigen
Amphora erscheint besonders die Faltengebung, namentlich die der weiblichen Ge-
wänder, charakteristisch: Viele parallele Vertikalen sind schnell eingekratzt. Ihre
(x) Führer durch die kgl. Vasensammlung in der Alten Pinakothek zu München; München 1908, 8. 78.
Otto Jahn, Beschreibung der Vasensamml. König Ludwigs in der Pinakothek zu München; München 1854,
S. 124, Nr. 379.
(2) Cat. d. Vases Ant. III, p. 789, 790. Von den Pariser Vasen, des Louvre und der Bibliothéque
Nationale, sollten, unserer ursprünglichen Absicht nach, auch Abbildungen gebracht werden: Der
Krieg hat das leider unmöglich gemacht! Deshalb muß sich der Leser mit den Beschreibungen
der übrigens den anderen Stücken der Berliner und Münchener Sammlungen durchaus entsprechen-
den Vasen und dem Hinweis auf die Abbildungen des Cat. d. Vases Ant. begnügen.
37
unteren, treppenförmig absteigenden Zickzacksäume sind durch abgesetzte rote Pinsel-
striche bordiert (Nereus und seine beiden Töchter, die Nereide der Tritonseite).
Die laufende Bewegung der Beine ist nach unten durch eine mehr oval geschwungene
Gewandfältelung ausgedrückt.
Auch die Gesamtbewegung der drei Mádchen, der chiastisch kontrastierte Rhyth-
mus von Armen und Beinen, der sich vielleicht am besten bei der Frau links be-
obachten läßt, hat seine Analogien im frühen streng rotfigurigen Stil: man denke an
die fliehenden Frauengestalten auf dem Antaioskrater des Euphronios oder auf der
Poseidonschale des Duris!) Endlich erinnert auch noch die Kopfbildung des alten
Nereus mit dem stark über der Nasenwurzel herausspringenden Stirnbein, der vor-
dern kahlen Stirn, um welche die hinter dem Haarschopf befestigte Stephane sich
herumlegt, und mit der charakteristischen Barttracht ganz an Euphronios, an den
Kopf des schükernden Alten auf dem Innenbild der Eurystheusschale und an den
gleichen Figurentyp, der noch einmal auf demselben Gefäß ganz rechts auf der
Außenseite erscheint, іп der Szene, wo Herakles mit dem Eber auf den in's Faß
sich verkriechenden Eurystheus einstürmt?) Und ebenso läßt sich auch noch die
Frisurenbildung der Madchen, die in Chignons aufgebundenen Haare an Stelle jener
auf die Schultern herabfallenden, langen Locken des schwarzfigurigen Archaismus,
als im Stil früh rotfigurig ansprechen.
b) Hmphora in der Salle F. Vitrine H. Nr. 258.
Gefäßform und ornamentale Dekoration erscheinen ganz analog wie bei der Am-
рһога Е 234,.somit typisch spät schwarzfigurig. Auch bei diesem Stück ist die
Ausführung nur miftelgut. Beide Bildseiten zeigen Szenen, wie sie hundertmal in
der jüngern schwarzfigurigen attischen Amphoren- und Hydrienmalerei vorkommen.
„Dionysos zwischen zwei Mänaden“ und ,,Waffenriistung eines jugendlichen Helden
zwischen einer männlichen Gottheit und Athena“ bilden die beiderseitigen Dar-
stellungen. Besonders die letztere Seite erscheint in ihrer Komposition typisch
für den streng rotfigurigen Amphorenstil; man denkt etwa an Euthymides. Und
weiterhin ist mit dessen individueller Art der so geschmeidig bewegte, sich seine
linke Beinschiene anlegende Jüngling zu vergleichen, unter dessen gehobenem Fuß
ein großer korinthischer Helm auf dem Boden liegt, wie er ebenfalls erst zur
Zeit der streng rotfigurigen Malerei allgemeiner wird. Der Kopf des Jünglings mit
dem kleinen und zierlichen, ganz rundlichen Profil und seine Frisur mit den in die
Stirn gehenden, einzeln gestrichelten Haarsträhnen entspricht völlig dem entwickel-
ten Gesichtstyp des späteren Duris. Athena, daneben stehend, vom Rundschild ge-
deckt und auf ihren aufgerichteten Speer gelehnt, in stolzer, monumentaler Vertikale,
geht hierin fast schon über das hinaus, was die ältere streng rotfigurige Vasenmalerei
anstrebt und gemahnt bereits im Ausdruck der ganzen Gestalt an ähnliche statua-
rische Figuren der sogenannten „polygnotischen Vasen“, wenn auch die Füße dieser
Athena noch in sehr archaischer Weise in’s gegensätzliche Profil, also nach rechts,
zu der Kopfdrehung nach links, gewendet erscheinen.
In dem Bild der andern Seite zeigen eigentlich nur die Mänaden einen fort-
geschrittenern Stil inder hübschen freien Armbewegung und den verschiedentlich indi-
viduell geneigten Köpfchen. Dionysos selbst bleibt hingegen noch ganz archaisch statuen-
haft in der stereotypen Pose dieser ja in allem Wesentlichen überlieferten Szene.
(х) Vasensammlung des Louvre. Abb. u. a. bei Edmond Pottier, Douris et les peintres des vases
Grecs. (Les grands Artistes. Paris, Henri Laurens, Editeur). Fig. 13 auf S. 65.
(а) Vasensammlung des British Museum. Abb. u. a. Wien. Vorlegebl. V.Serie, Taf. VII, Fig. a
38
Auf eigentlich neue Motive in der Gewandfältelung hat sich der Vasenmaler der
Amphora F 258 nicht eingelassen. Bei den beiden bekleideten Münnergestalten, dem
Dionysos hier und der Figur rechts von dem sich rüstenden Epheben dort, finden
sich die über die Arme herabhángenden typischen Umhängetücher, Chlamiden, die
u. a. auch bei den bekannten Männern und Frauen des Andokides in charakteristischer
Weise vorkommen.
Beide analysierte Amphoren künnen uns Beispiel sein für eine durchaus übliche
Vasensorte der bereits streng rotfigurigen Periode, fabriziert von Handwerkern, die
im bequemen Schlendrian ihre billige Tonware, so wie sie es die handwerkliche
Überlieferung von Väterzeiten her lehrte, immer wieder verfertigten und nach
altem Schema dekorierten, ohne daß sie sich den modernen Einflüssen der neuen
rotfigurigen Weise und der modernen Nachfrage, die etwas anderes als steife Sil-
houettenschemen verlangte, ganz verschlieBen konnten.
Von dieser Gattung der jüngsten reif schwarzfigurigen Keramik, die allenthalben
den deutlichen Einfluß des rotfigurigen Stils verrät, bietet die Vasensammlung des
Louvre überhaupt eine Fülle von Beispielen, vor allem in Vitrine H der Salle F
(Collection Campana) vereinigt, wie z. B. Nr. 265 derselben Vitrine: ,,Ringergruppe
und Faustkümpfer mit Zuschauern"!) Wir haben nur die A Bei-
spiele hervorgehoben.
4. STAMNOS Nr. 251 IM CABINET DES MEDAILLES (BIBLIOTHEQUE
NATIONALE) IN PARIS.
Unsere stilkritischen Beobachtungen beschränkten sich bis jetzt in der Hauptsache
auf Bewegung, Typus und Gewandstil von Figuren. — Ein charakteristisches
Beispiel für ein ausgesprochen streng rotfiguriges großes Palmettenrankenornament
bietet uns ein kurzhalsiger Stamnos der Vitrine III in der Salle de Luynes der
Pariser Bibliothéque Nationale, der die laufende Nummer 2 51 trägt und bei A. de
Ridder, Catalogue des Vases peints de la Bibliothéque Nationale (Paris 1902, Ernest
Leroux) auf p. 158 angeführt ist*). Dieser Stamnos ist von einer bereits ziemlich
entwickelten Gefäßform, wie sie sich chronologisch etwa in die zweite Hälfte des
streng rotfigurigen Stils einreihen läßt. Die beiderseitigen figürlichen Darstellungen
des rings um die Vase herumlaufenden tongrundigen Frieses halten sich noch ganz
in der archaisch schwarzfigurigen Tradition. Als fortgeschrittener läßt sich höchstens
der bis in den Nacken hoch hinaufgezogene Mantel der Frau rechts auf dem Bild
des Dreifußraubes ansehen, ein häufiges Requisit auch im Kreis von Euphronios,
Euthymides und Hieron, und die Gewandfältelung des Dionysos, die sich durchaus
in konvergierenden Motiven bewegt. Dagegen erscheinen noch allenthalben auf den
Gewändern die großen archaischen Tupfen in Weinrot.
Wenn sich somit die ganze bildliche Zeichnung unsers Stamnos als sehr hand-
werklich erweist, und wenn sie als durchaus unselbständig noch von der allge-
meinen schwarzfigurigen Tradition beherrscht wird, so wird wohl um so mehr das
üppige Rankenpalmettenornament unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen
dürfen, das sich an beiden Gefäßseiten, wo die kurzen horizontalen Henkel an-
setzen, groß aufgemalt findet. Das ganz souverän in schwarzer Pinselzeichnung
ausgeführte Ornament gruppiert sich symmetrisch um eine senkrechte Achse, die in
der Mitte zwischen den beiden Ansätzen des Henkels durchläuft. In runden Kurven
(3) Cat. des Vases Ant. III, p. 788.
(3) Abbildung der beiden Bilddarstellungen ohne die Gefäßform: Duc de Luynes, Description de quel-
ques vases peints etc. Paris 1840 PL, IV, V. a) Dreifußraub, b) Dionysos und Gefolge.
39
schwingen sich die Ranken zu großen Fücherpalmetten von kreisférmigem Umriß
hin, deren Blätter, schon in fortgeschrittener Weise, deutlich voneinander getrennt
sind. An mehrern Stellen bilden die Ranken kleine Verschlingungen; ferner finden
sich in solchen Verschlingungen manchmal Ringelchen eingestreut, alles Symptome
für die verhältnismäßige Reife dieses Ornaments’). Ebenso flüchtig sind die
Knospen der Rankenpflanze aus wenigen Strichen und Tupfen zusammengesetzt.
Die selben Knospen sind auch mit den häßlichen pleonastischen Motiven gemeint,
die groß und plump ausgeführt, die senkrechte Mittelachse der ornamentalen Kom-
position betonen: sie, jedes Detail, wie vor allem auch der Gesamtcharakter dieser
Palmettenranken weisen den Stamnos in die letzte Hälfte der streng rotfigurigen
Epoche, d. h. in das den Perserkriegen vorausgehende Jahrzehnt. — Trotzdem sind
auch im Ornament unserer Vase noch ältere Bestandteile vorhanden, das typische
Stabornament der archaischen Periode auf der Schulter des Stamnos und die ebenso
typischen schwarzen Strahlen auf tongrundigem Fries, von der Fußplatte nach
oben aufstrebend; eine höchst charakteristische Mischung von Altem und Neuem,
die wieder zur Evidenz das vor Augen führt, was Edmond Pottier als die „per-
sistance de la figure noire pendant la période de la figure rouge“ bezeichnet.
5. KANNEN UND KRUGE DER BERLINER VASENSAMMLUNG.
(Abb. 5—11.)
In dieser und in der folgenden Nummer unsrer Materialaufzählung seien gewisse
Gruppen von kleineren schwarzfigurigen GefüBen aus verschiedenen Samm-
lungen zusammengestellt, deren Darstellungen und Ornamente den rotfigurigen Ein-
flußstil beweisen:
a) T Kanne aus jüngerer sdiwarzfignriger Zeit mit zylindrischer Mündung.
Abb. 5.
Saal XII. Nr. 1915. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 400): Fischbereitung.
Für den rotfigurigen Einfluß sind besonders die großen Palmetten am Hals des
Gefäßes charakteristisch.
b) Attischer Krug. (Abb. 6.)
Eine Art zylindrischer Kanne ohne Henkel, in derselben Vitrine daneben stehend,
als spätere Erwerbung noch nicht in den Katalog (1885) aufgenommen.
Das stark fragmentierte Stück zeigt in seinem rings herumführenden Fries einen
Opferzug: Mädchen, die Tabouretstühle über den Köpfen tragen, im Motiv nicht un-
ähnlich den berühmten Stuhlträgerinnen des Parthenonfrieses, wechseln mit Knaben
ab, die Stöcke über die Schultern gelegt haben, von deren Enden erlegte Tiere, ab-
wechselnd Hasen und Füchse, ihnen im Rücken herabhängen. Der regelmäßige Wechsel
zwischen den großen und den kleinen Gestalten, den Mädchen mit den Stühlen
und den Knaben, erinnert in seiner Komposition entschieden an figürliche Friese
auf rotfigurigen Schalen, wie sie sich etwa in den beiden Päderastenschalen des
Duris und in ähnlich angeordneten Szenen darstellen (vgl. Wiener Vorlegeblätter,
herausgegeben von Alexander Conze, VI. 8a,b. VI. 5). Und in die selbe Richtung
weisen auch die Einzelformen der Figuren, ihre durchaus das Kérperliche beto-
nende, іп großzügigen Falten angeordnete Gewandung, der kleine Kopftypus mit
dem von uns bereits an der Berliner Hydria 1897 beschriebenen runden, zierlichen
(1) Vergleiche mit diesen chronologischen Kriterien die Abbildungen und die Ausführungen von Franz
Winter im Jahrbuch des archäologischen Instituts, Bd. VU, 1892, S. 105—117: Die Henkelpalmette
auf attischen Scbalen.
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Profil und der kalottenartig anliegenden Haartracht der Jünglinge der entwickelten
streng rotfigurigen Meister.
с) Attische Kanne mit Kleeblattmündung. (Abb. 7.)
; іп derselben Vitrine daneben stehend, als spätere Erwerbung noch nicht in
den Katalog aufgenommen: Gymnasionsszene.
Der sich auf seinen Stab stützende bärtige Mann, der in seiner zum Kopf empor-
geschwungenen Rechten eine Hantel halt, erscheint in der Ausführung wie auch
als Motiv den streng rotfigurigen analogen Darstellungen verwandt.
d) Attische Kanne mit zylindrischer Mündung. (Abb. 8.)
Nr. 4000 derselben Vitrine. (Beschreibung der Vasensammlung II, S. 1015.)
Die beiderseitige Palmettenborde erscheint allein von fortgeschrittenem Stil. Die
stereotype Figurengruppe des Ringkampfs von Peleus und Thetis ist hingegen noch
in der zierlichen Manier des schwarzfigurigen Stils reichster Entwicklung ausgé-
führt.
e) Attische Kanne mit zylindrischer Mündung. (Abb. 9.)
Nr. 1914 derselben Vitrine: Drei bärtige Männer im Tanz.
Über die Gewandung üuBert sich Furtwüngler in der Beschreibung der Vasen-
sammlung I, S. 400: ,,Bekleidung je blos durch ein kurzes Schultermüntelchen mit
freien Falten“.
f) Attische Kanne mit Kleeblattmündnng. (Abb. 10.)
Nr. 1936 derselben Vitrine. (Beschreibung der Vasensammlung I, S. 408): Miinner-
gesprách.
Die teilweise stark abgesprungene Firnismalerei auf ziemlich hellem Tongrund er-
innert, besonders wenn man das Stabornament der Gefäßschulter und die doppelte
Punktreihe zwischen Parallelen am Hals in Betracht zieht, stark an die weißgrun-
digen Bilder der gleichzeitigen attischen schwarzfigurigen Lekythen. — Auf einern
Klappstuhl sitzt ein bärtiger Mann, zu dessen beiden Seiten sich je ein Mann im
Mantel bequem auf einen langen Stock gestützt, vorlehnt. Die Stellung kehrt
stereotyp wieder bei den bürtigen Liebhabern usw. auf Gymnasionsbildern der
streng rotfigurigen Schalen?) Auch das Gewandmotiv des die Brust freilassenden
Mantels bei dem einen Mann gehört dieser spätern Vasenperiode an. Und hiermit
stimmen endlich auch das Detail der Faltengebung und die rotfigurigen Kopftypen
überein.
9) Attische Kanne mit Kleeblattmündung. (Abb. 11.)
In derselben Vitrine daneben stehend, als spätere Erwerbung noch nicht in
den Katalog aufgenommen: Opferspende.
Rechts befindet sich ein Altar mit Flamme vor ithyphallischer Herme. Ein Kitharode
spendet. Vor ihm, mehr nach links, steht ein Aulet. — Die Bewegungen der
beiden Jünglinge, die spendende Hand des Kitharoden z. B., verraten deutlich die
Einwirkungen des rotfigurigen Stils, ebenso das schrüg über die Brust gelegte, über
die linke Schulter in langem Zipfel herabhüngende Gewand und dessen Faltengebung
bei dem Auleten.
(1) Weiterhin sind solche Mantelfiguren, die sich auf einen Knotenstock lehnen, besonders bei Duris
und bel Hieron beliebt.
41
6. EINE SPEZIFISCHE GATTUNG KLEINER AMPHOREN
vertreten in Beispielen aus dem Louvre, der Bibliotheque Nationale und der
Berliner Vasensammlung. (Abb. 12—19.)
Eine in sich bestimmte Gattung kleiner Amphoren scheint offenbar noch den
schwarzfigurigen Stil während der ältern rotfigurigen Periode fortgesetzt zu haben.
Fünf Exemplare weist die Sammlung des Louvre auf, Saal F, nur in der Vitrine J K,
Nr. 385 —389. Die ziemlich handwerklich bemalten Gefäße haben alle eine Höhe von
18--22 cm bei einer größten Breite — in der Höhe der Henkel gemessen — von
11,5—13 cm. Die Gefäßform und die Dekoration ist durchaus gleichmäßig: Auf
einer schlichten Fußscheibe erhebt sich der stark sich einziehende, eiförmige
Amphorenleib. Der schlanke Hals ist trichterförmig; die Mündung setzt sich von
ihm nur wenig ab. Die aufrecht stehenden Henkel sind als Doppelröhren gebildet.
Das Ornament ist sehr sparsam, vor allem zeigt diese Gruppe kleiner Amphoren
weder Fußstrahlen noch irgendwelche Palmettenbildungen unter den Henkeln. Der
Hals weist vorne und hinten je ein Arrangement aus drei Palmetten auf, die mitt-
lere nach oben, die beiden andern, seitlichen, nach unten gekehrt. Auf beiden Seiten
ist je ein nahezu quadratisches Bildfeld im Tongrund auf dem sonst schwarz gefir-
nisten Leib ausgespart, das mit dem Hals durch ein aus einfachen Strichen be-
stehendes Stabornament beiderseits auf der Gefäßschulter verbunden ist. — Soweit
sich noch der Fundort ermitteln läßt, stammen diese Amphoren meistens aus Nola
in Campanien.
Von den Exemplaren des Louvre bildet E. Pottier in seinem Tafelband: Vases
antiques du Louvre, 2. Serie, auf PL 87 F 387 und F 388 ab, die er dann auch im
Text, Catalogue des vases antiques III, p. 811, 812 behandelt.
a) Louvre. F 385.
a) Herakles, Alos лойс, und Kyknos.
Die Komposition ist noch ziemlich archaisch, obwohl die Bewegung, besonders des
Herakles, schon recht frei erscheint. Zu der schwarzfigurigen Tradition in der Kom-
position vergleiche man die Darstellung eines Kriegers und einer Amazone auf
einer Amphora des Amasis im British Museum (Wiener Vorlegeblátter, herausge-
geben von Otto Benndorf, 1889. Taf. III, Fig. 34).
B) Amazone und Krieger.
Trotz aller Lebendigkeit in der Bewegung, bleibt das Detail rioch in der alten
handwerklichen Überliererung befangen. So sind die Gewandfalten an der Chlamys
des Kyknos sehr primitiv in vielen parallelen Vertikalen eingeritzt, und an den in
derselben geringen Technik gegebenen Zickzacksäumen erscheinen die typischen ab-
gesetzten Borden in flüchtigen roten Tupfen gehóht. — Vgl. E. Pottier, Catalogue
, des Vases antiques III, p. 810: La technique sacrifiée se refugie sur des vases de
moindre importance jouant un róle plus effacé et plus secondaire. Ebenso Ernst
Buschor, a. а. O., S. 144: Von den panathenäischen Amphoren und anderen Gefäßen
abgesehen, die aus rituellen Gründen konservativ bleiben, pflegt nur mehr ge-
ringe kleine Ware den alten Stil weiter.
b) Lonvre. F 386.
a) Herakles und die Hydra.
B) Der sagenhafte Taschenkrebs, der der Hydra zu Hilfe kommt, wird von
Athena besiegt. Jolaos mit dem Bogen stürmt nach links.
Die künstlerische Ausführung zeigt die charakteristischen Anzeichen eines Alters-
stils, des völligen Verfalls der schwarzfigurigen Vasendekoration. Die Figuren er-
42
scheinen ausgesprochen überlang. In den weit ausschreitenden und ausholenden Be-
wegungen herrscht eine grofe Flottheit, bei ziemlich geringwertiger, nicht viel über
die Gestaltungsmittel der schwarzfigurigen Technik herausgehenden Mache. — Der
Gewandstil entspricht ganz dem bei F 385 analysierten.
c) Lonvre. F 387.
a) Herakles und die stymphalischen Vögel.
B) Jolaos und die stymphalischen Vögel.
Charakteristisch für den Einfluß des rotfigurigen Stils ist die Faltengebung des
Mantels, den Jolaos zur schirmenden Abwehr über seinen linken Arm gehängt hat:
Außer den üblichen, hier etwas natürlicher nach oben konvergierenden Vertikal-
falten, die den unten im Zickzack geschlossenen, zusammengerafften Stoffpartien
entsprechen, findet sich ein zentrales Motiv der Falten vor, welche in der zusam-
mengeballten Faust des Helden zusammenlaufen. Man vergleiche zu dieser Spirale
besonders die Faltenbildungen bei Hieron (etwa Wiener Vorlegeblätter, heraus-
gegeben. von Otto Benndorf, Serie C. Taf. IV), die einen entsprechenden Niedergang
des Gewandstils darstellen. Auch hier erscheinen die Körperlängen, wie bei F 386,
grotesk übertrieben).
d) Lonvre. F 388.
a) Hypnos und Thanatos heben die Leiche eines Kriegers auf.
E. Pottier bringt diese eigentümliche Darstellung mit vollem Recht mit Lekythen
in Beziehung, die ja auch noch lange bis in's 5. Jahrhundert hinein den schwarz-
figurigen Stil bewahren.
Auf p. 812 des Catalogue des Vases antiques III schreibt E. Pottier über dieses
Amphorenbild: „On fera la comparaison avec le méme sujet traité en figures rouges
(G 163 Cat. III, р. і011--1014 et la coupe. de Pamphaios: Klein, Meistersignaturen,
р. 94 (abgebildet in den Wiener Vorlegebláttern; Serie D, Taf. III), dont la peinture
a été attribuée à Euphronios], et lon se convaincra que ces petits tableaux des
amphores noires subissent directement l'influence des progrés réalisés par la tech-
nique nouvelle (ci— d. III, p. 648): jusque dans la facture des pieds crispés du ca-
davre on saisit l'imitation“ — wobei freilich zu bedenken ist, daß der Vergleich
zwischen jenen rotfigurigen Vasen von hoher künstlerischer Qualität und unserer hand-
werklichen, kleinen schwarzfigurigen Amphora nur im allgemeinsten gelten kann.
В) Griechischer Hoplit und asiatischer Bogenschütze.
Der Stil der beiden Darstellungen ist recht entwickelt: Die emporgestellten Flügel
von Hypnos und Thanatos zeigen eine sehr leicht und beweglich eingravierte Zeich-
nung mit reichlicher Höhung in Rot. Dem entspricht auch der „barocke“ Faltenstil
der kurzen Chitone mit ihren sich wellig kräuselnden Säumen, die flüchtige senk-
rechte Faltengebung der Chlamiden bei dem griechischen Hopliten und dem asia-
tischen Bogenschützen. — Die Bewegung ist in beiden Bildern lebhaft und entspricht
ebenso wie die lockere Komposition ganz der zweiten Hälfte des streng rotfigurigen
Stils. Die Gesichtsprofile sind klein und rund und zeigen z. B. auch schon das volle
Kinn dieser spätern Stilperiode.
е) Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel. (Abb. 12 u. 13.)
E. Pottier hat im Anschluß an die Darstellung: a) „Hypnos und Thanatos heben
die Leiche eines Kriegers auf* der Amphora F 388 des Louvre, mit Recht auf ein
(1) Jolaos und die stymphalschen Vögel: abgeb. im Catalogue des Vases antiques du Louvre Pl. 87, F 387.
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sehr dhnliches Vasenbild aufmerksam gemacht, das sich auf einer Amphora der
Sammlung Bourguignon in Neapel befindet und von P. J. Meier in den Annali
dell’ Instituto di Corrispondenza Archeologica, Vol. 55, 1883, p. 208, Tav. d’agg. Q:
Sopra un’ Anfora della Collezione Bourguignon in Napoli, publiziert wurde. Dieses
Gefäß gehört ganz und gar nach seiner Größe, seiner Form, seiner Dekoration und
seinem Bilderschmuck unserer Amphorengruppe an.
a) Zwei Krieger heben die Leiche eines Gefallenen auf, dessen Seele in Form
eines gewappneten Eidolon, ganz wie bei der Darstellung auf der Louvre-
vase F 388, entflieht.
B) Die geflügelte Eos fliegt mit der Leiche ihres Sohnes Memnon, über dem
der Totenvogel schwebt. Links von ihr läuft ein Hoplit, der im Spiegelbild
fast genau dem Kyknos der Seite a der oben betrachteten kleinen Amphora
F 385 im Louvre gleicht.
Im Stil und in der Qualitát der Ausführung erscheint dieses Stück durchaus der
Amphora im Louvre F 388 ähnlich: dieselbe Schlaffheit in den Körperhaltungen,
z. B. der beiden die Leiche aufhebenden Krieger, analoge Bildungen des Details,
wie der Flügel der Göttin oder der lockern Faltengebung. Das Gesicht der Göttin
Eos mit dem in einer Haube eingebundenen Haarknoten entspricht dem Typus des
jüngern epiktetischen Kreises. — Von der Höhung in Kirschrot ist auch hier noch
reichlich Gebrauch gemacht.
f) Lonvre. F 389.
Diese Amphora ist eines der tiberzeugendsten Beispiele aus unserer Gruppe für die
rotfigurige Stilbildung schwarzfiguriger Vasenzeichnungen.
a) Ein Lyraspieler auf einem Bema steht einem sich aufstützenden, bürtigen
Mann im Mantel, der einen Gabelstock trágt, gegenüber.
B) Ein Aulet auf einem Bema steht einem Jüngling gegenüber, der, indem er
sich mit der eingewickelten Rechten auf einen Stock stützt und in der
Linken ebenfalls eine Gabel horizontal hält, zuhört.
Betrachten wir die Merkmale des rotfigurigen Stils in diesen beiden schwarzfigu-
rigen Darstellungen: bei a ist die weit ausholende Bewegung des Lyraspielers
durchaus im Sinne des hócbst entwickelten rotfigurigen Stils empfunden. Bei dem
Mann gegenüber ist das schöne Standmotiv mit dem zurückgesetzten linken Fuß
zu beachten und der groB gezeichnete Mantel mit dem weit über die Schulter
herabhángenden Gewandzipfel. Hier ziehe man zum Vergleich die „Mantelfiguren“
des Duris, der Gruppe, die sich an die Wiener Schale mit dem Ostrakismos der
Helden (Wiener Vorlegeblütter VI, 1) anschließt, heran, denen der Mann unserer
kleinen Amphora im Louvre F 389 auch im Kopftypus und in Haar- und Barttracht
sehr nahe steht.
Auf der Amphorenseite 8 erscheint der Aulet, wie der Kitharode, in weißer feier-
licher Tracht. Besonders auffallend für eine im Silhouettenstil gemalte Gestalt ist
die kühne Kórperwendung mit übereinander geschlagenen Beinen des dem Flöten-
spieler gegenüberstehenden Epheben rechts. Zu seinem schräg über die linke
Schulter geworfenen Chiton mit langen, über dem Rücken und dem linken gehobenen
Arm herabhängenden Enden vergleiche man wieder jene „Mantelfiguren“ des Duris,
Die Faltengebung geht prinzipiell vom nackten Kürper aus: GroBe, runde Schrág-
falten ziehen sich über die Brust, während fächerförmig nach unten sich ausbrei-
44
tende Vertikalfalten vom linken Armgelenk herabhüngen. Unten kehrt der typische
rot gehóhte Saum der schwarzfigurigen Überlieferung wieder.
g) Cabinet des Médailles, (Bibliothèque Nationale).
Salle de Luynes. Vitrine IV, Nr. 219.
Diese Amphora schließt sich in Größe, Höhe 20,5 cm, Breite 13 cm, Form und De-
koration vollkommen den bisher betrachteten kleinen Amphoren des Louvre und
der Sammlung Bourguignon, die unsere spezifische Klasse bilden, an.
a) Zeus mit dem Kind Dionysos und Hera.
B) Athena mit Stier und Herakles.
Besonders charakteristisch für den rotfigurigen Stil ist Ше Gewandung des Zeus:
weiBes Untergewand mit über die linke Schulter schrüg gelegten, in groBen Falten-
enden herabfallendem Mantel, und der Hera: diese mit aufgehobenem Zipfel des
Untergewands!) (De Ridder, Catalogue des Vases peints de la Bibliothèque
nationale, p. 136.)
h) Nr. 1837 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 14 und 15.)
Es ist das größte Stück der Gruppe, 24 cm hoch und 14 cm größte Breite, aber
in Dekoration und Form mit den anderen Exemplaren durchaus übereinstimmend.
(Beschreibung der Vasensammlung I, S. 333 und 334: ,,Fliichtige freie Zeichnung.“)
a) Athena Geburt.
B) Peleus und Atalante im Ringkampf.
Bezeichnend für den rotfigurigen Einfluß sind vor allem auf Bild a die Gewand-
falten der weiten Chitonürmel und des Mantels des Zeus und der Chlamys des
Hermes, ferner die Frisur und Gesichtsbildung der vor Hermes stehenden Frau;
auf Bild В der Kopftyp und die Frisur der Atalante.
i) Nr. 3995 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 16 und 17.)
Das Stück ist für unsere stilgeschichtliche Annabme typisch. (Beschreibung der
Vasensammlung II, S. 1013.)
a) Amazone zu Pferd und Amazone zu Fuß.
B) Amazone als Lenkerin eines Viergespanns.
Besonders für den rotfigurigen Stil charakteristisch ist die von ihrem Schild ge-
deckt daherschleichende Amazone auf Bild a und die lebendig bewegten Pferde auf
Bild 8. |
k) Nr. 1839 der Berliner Vasensammlung. (Abb. 18 und rg.)
(Beschreibung der Vasensammlung I, S. 334.)
a) Reitende Amazone mit Handpferd und einem in weiB gemaltem Hund zieht
nach rechts.
B) Dieselbe Gruppe nach links gewendet.
Besonders auf Bild В erscheinen im Stil entwickelter die stark im Nacken zurück-
gebogenen, gedrungenen Pferdeküpfe. —
(1) Dagegen gehört nicht zu dieser Gruppe die in den Größenmaßen ähnliche kleine Amphora Nr. 224
der Kollektion Oppermann, ebenfalls im Cabinet des Médailles, die wesentlich andere Formen, mehr
horizontal abgesetzte Schultern, und eine genz andere Dekoration, keine ausgesparten Bildfelder, son-
dern einen ringsum laufenden, tongrundigen Figurenfries und Fußstrahlen, Schachbrettfries und typisch
reifschwarzfigurige Henkelpalmetten zeigt. Dem Gewandstil zufolge ist diese Vase wohl kurz nach
der Zeit des feinschwarzfigurigen Meisters Amasis anzusetzen.
45
Die ganze Gattung dieser spit schwarzfigurigen kleinen Amphoren, deren Bei-
spiele sich noch aus andern Vasensammlungen, wie etwa der des Musée royal
des Antiquités (Palais du Cinquantenaire) in Briissel, leicht vermehren lieBen, re-
präsentiert eine nur handwerkliche Stilübung, die sich unter dem steten, übermüch-
tigen EinfluB der streng rotfigurigen guten Vasenkunst als veraltete billige Ware
etliche Jabrzehnte noch nach dem eigentlichen künstlerischen Ende des schwarz-
hgurigen Stils gehalten hat. Etwa um das Jahr 490 wird sie erloschen sein.
ш.
Aus Heft II, Taf. 47—78, der Veröffentlichung уоп Botho Graef: „Die antiken
Vasen von der Akropolis zu Athen“, Berlin 1911, seien ebenfalls einige Stücke bei-
gebracht, die den typischen Charakter der schwarzfigurigen attischen Vasenmalerei
von rotfigurigem Stil gut repräsentieren.
Taf. 62, Nr. 1050, 1051. Taf. 63, Nr. 1053.
Der Text auf S. 123 bringt diese Scherben, die Fragmente von Jünglingen, Köpfe,
Torsi, vier nackte Läufer enthalten, mit der von Furtwängler dem Hischylos nahe
gerückten Berliner Hydria in Zusammenhang, die wir auch oben ausführlich be-
sprochen haben. Dafür spricht der kleine rundliche Kopftypus von 1051 und gewiß
auch die Muskulatur von 1050 und 1053, dann, in wesentlichem Maß, das geballte
Händchen des einen Mannes von 1050.
Taf. 67, Nr. 1174.
Der Text sagt auf S. 130: ,,Halsstiick einer großen Lutrophoros. Sehr fein und
sorgfältig, jüngerer Stil. Das Weiß sehr dick aufgetragen, sehr feine Richtung, aber
nicht an den Umrissen.“ Für unser Problem erscheinen ausgiebig die weichen und
fließenden eingravierten Linien der schon recht entwickelten Muskulatur (vgl. Furt-
wängler-Reichhold, Taf. 88b).
Taf. 61, Nr. 1062.
Text S. 122: „Fund: 11. Dezember 1888 im Perserschutt, verbrannt, flott, jüngerer
Stil, ohne Farben, sehr reichliche Vorreißungen. Ringer, links der Rest einer Figur
im Mantel, des Aufsehers.“ Der Kopftyp erscheint noch schwarzfigurig, die Körper-
bildung aber und die Bewegung sind schon fortgeschrittener.
Taf. 64, Nr. 1110, 1111, III2, 1125, 1126 (Abb. 20). Taf. 65, Nr. r113a uno b,
1124 a und b.
Diese Scherben stammen alle von panathenüischen Preisamphoren der jüng-
sten Periode, letztes Drittel des vierten Jahrhunderts, und demonstrieren in vielen
Einzelheiten das konservative Festhalten an der schwarzfigurigen Technik bei einem
malerisch viel weiter entwickelten Stil (eine Vasengattung, auf die sogleich im fol-
genden in genereller Weise einzugehen sein wird) Besonders bezeichnend dafür
erscheinen der Kopftypus 1125 und 1126 (Abb. 20), fast portrütartig skizziert, und
die reiche wellige Muskulatur der Wettläufer von 1113b, die dieselbe große anato-
mische Kenntnis verrüt wie die gleichzeitige Plastik des Lysippos, all dieses von
Rückseiten panathenüischer Amphoren, während der „Ares“ von Nr. 1113 a, wie
man ihn gedeutet hat, eine typische Gewandfigur des späten vierten Jahrhunderts,
auf einer Säule stehend, von der Vorderseite einer solchen Amphora stammt.
Taf. 54, Nr. 859a (Abb. 21).
Text S. 104: „Fragment ganz singulürer Art. Zeichnung von größter Feinheit und
Sorgfalt, besonders umfahrener UmriB. Der ganze Tongrund ist na ch der Zeich-
46
nung mit rotem Firnis tibermalt, jüngster Stil“. Das Fragment (Abb. 21) stellt einen
Fuß dar, der sich aus einem reich ornamentierten Gewandstück, offenbar im Lauf
herausstreckt; er wird, da nicht mit Weiß gedeckt, einem Mann angehören. Dieser
Fuß, der aus dem Gewande herauskommt, ist in seiner guten, kurzen und kleinen
Bildung — man beachte die Zehen, die Wölbung der Sohle, den hohen Reien des
Fußes — stark mit Fußbildungen, wie sie bei Brygos vorkommen, verwandt. Die
Zerlegung der Falten in gequetschte Röhrenfalten mit längern, rundlichen Schwingungen
dazwischen, ist für eine Gattung von großfigurigen Vasen des sogenannten „schönen“
Stils typisch, der um 460 bliihte. Diese Gruppe kennt auch die Ornamentik mit
breiten Borten, mit Fransen und einer schartenförmigen Linie, wie sie auch auf
den Lekythen der Zeit vorkommt. Dem entspricht auch der kleine Palmetten-
knospenfries in seinem ganz lockern Charakter und die großen Henkelspiralen, so daß
man mit einer Ansetzung um die Mitte des fünften Jahrhunderts wohl das richtige
Datum für dieses Stück trifft. — |
Die schwarzfigurigen Vasen von rotfigurigem Stil finden natürlicherweise ihre er-
gänzende Parallele in den rotfigurigen Gefäßen von schwarzfiguriger Stil-
tradition. Es wäre gewiß eine lohnende Aufgabe, einmal die schwarzfigurigen
künstlerischen Elemente prägnant herauszulösen, die noch bei den frühen streng
rotfigurigen Meistern, wie etwa Chelis und Phintias, Oltos und Euxitheos vor-
herrschen. Ja selbst für Euphronios behauptet die typenbildende, schwarzfigurige
Überlieferung noch einen weit größeren Raum, als man in der Regel bei diesem
genialen, ganz individuellen Künstler anzunehmen geneigt ist: man vergleiche so
z. B. die berühmte mittlere Ringergruppe auf seinem Antaioskrater des Louvre mit
den kanonischen schwarzfigurigen Amphorenbildern „Herakles würgt den nemeischen
Löwen.“
IV. .
So stellt sich uns denn an diesen wenigen, keineswegs vollstindig zusammenge-
tragenen Beispielen ein entwicklungsgeschichtliches Phünomen von groBer Merk-
würdigkeit dar: zwei Stile, zwei künstlerische Auffassungen ringen miteinander, die
alt eingesessene, gerade jetzt auf ihrem künstlerischen Hóhepunkt angelangte Sil-
houettenmalerei hier und der ausIonien kurz nach der Mitte des 6. Jahrhunderts nach
Attika importierte Stil der hellen, plastisch differenzierbaren Figuren auf dunkel abge-
decktem Grunde dort. Nehmen wir den Anfang der rotfigurigen Malerei mit Ando-
kides kurz vor 540 an, und erinnern wir uns dann, daß wir eine Reihe unserer
spát schwarzfigurigen Vasenbilder stilistisch in die Zeit des entwickelten Duris,
also kurz nach 490 zu setzen gezwungen waren, so erhalten wir für diese interessante
Parallelitit in der Geschichte der attischen Malerei den langen Zeitraum von gut
einem halben Jahrhundert. Künstlerisch charakterisiert er sich als eine Zeit des
Übergangs, als eine Zeit wechselweiser Beeinflussungen: der schwarzhgurigen
Tradition auf die rotfigurigen Neubildungen, aber auch der neuen rotfigurigen künst-
lerischen Errungenschaften auf die noch konservativ beharrende Malerei der dunkeln
Silhouetten.
Natürlich läßt sich von Parallelität, von einem Kampf der beiden Stile nur reden,
solange sich die Produktion auf beiden Seiten noch auf gleicher Höhe hielt. Von
unsern angeführten Beispielen war das eigentlich nur bei der Berliner Hydria mit
dem Anschirren des Rennwagens der Fall. Bei der in ihrer Geschlossenheit
freilich als Gruppe überzeugenden Gattung kleiner Amphoren z. B. mußten
wir mehr als einmal die blos handwerkliche, künstlerisch aber entschieden minder-
wertige Ausführung monieren. — Auf solchen handwerklichen Vasen ist nun denn
47
ee
auch Ше schwarzfigurige Malerei immer weiter geübt worden, und sie fand erst
ihr Ende mit der Vasendekoration in Malerei überhaupt, die dann von einer De-
koration in kunstgewerblichem Flachrelief abgelóst wurde. Kleine schwarzfigurige
GefáBe, Kindergeschirr, Lekythia, Aryballoi aller Art hat es immer gegeben, da ja
ein Zeichnen mit dem vollen Firnispinsel in flotter Silhouettenmanier viel bequemer
war, als das sorgfáltige Umziehen und Aussparen der hellen Gestalten auf dunk-
lem Grund, dessen mühevolle Arbeit sich nur bei den gróBern, wertvollern Vasen
rentierte. —
Außer dieser geringen Töpferware sind es vor allem drei wichtigere Vasen-
gattungen, die noch lünger den schwarzfigurigen Stil auf hellem Grunde bewahren:
die attischen Lekythen, die attischen Preisamphoren und die bóotischen
„Kabirionvasen‘“, endlich noch die frühhellenistischen, in Alexandrien her-
gestellten „Hadravasen“ und verwandte Erscheinungen der Spätzeit in verschie-
denen Gegenden’).
Die Lekythen sind ihrem ganzen sachlichen Wesen nach den soeben genannten
spielerischen Gefäßchen verwandt. Wohl nicht viel später, als der rotfigurige Stil
aufkam, überzog man den Leib der Lekythos mit dem charakteristischen weißen
Pfeifenton, und nun dauerte es natürlich lange, etwa bis zur Mitte des fünften
Jahrhunderts, bis man eine Zeichenweise fand, die gerade für diese hellgrundigen
Lekythen die archaische Silhouettenmanier in geeigneter Weise abzulösen imstand
war. Das konnten natürlich nicht die hellen Figuren auf dunklem Grund der rot-
figurigen Schalen, Amphoren, Hydrien und Krater sein; das war vielmehr die
frei hingesetzte Zeichnung in linearen Umrissen, Etliche, herausgegriffene Bei-
spiele aus den Sammlungen des Louvre und der Bibliothéque Nationale mógen
dieses Nachleben der schwarzfigurigen Dekoration von rotfigurigem Stil auf atti-
schen Lekythen illustrieren?).
a) Lekythos im Louvre. Salle F, Nr. 438 in Vitrine H. Catalogue des Vases an-
tiques III, p. 815.
Diese schwarzfigurige tongrundige Lekythos von etwas bauchiger Form zeigt drei
im Tanz dahinschreitende Mädchen. Die Bewegung der zurückgewandten gesenkten
Kópfe und der in graziósen Gegensützen sich ausstreckenden Arme erscheint ganz
fortgeschritten im Sinn des rotfigurigen Stils, ebenso die Coiffure der drei Frauen
und die völlig nach dem Kürperrhythmus gegliederten Gewanddraperien, bei denen
alle Falten in den wesentlichen Punkten des Bewegungsmotivs konvergieren?).
b) Lekythos im Louvre. Salle F, Nr. 368 der Mittelvitrine.
Das weißgrundige Stück stellt in seinen schwarzen, in Gravierung gezeichneten Ge-
stalten einen Hahnenkampf im Gymnasium dar, wie er in der attischen Vasenmalerei
kurz nach боо des öftern vorkommt. Diesem Inhalt entspricht auch der Stil der
drei Gestalten, welcher der entwickelten rotfigurigen W'eise, etwa des Hieron,
gleichkommt: man vergleiche die Art, sich auf einen Stock aufzustützen, und die
charakteristische Faltengebung, besonders die spiraligen Einrollungen an Stellen, wo
(x) Buschor, a. a. O., S. 144: ,Wirklich fortschrittlich waren diese jüngsten schwarzfigurigen
Gefäße höchstens in der Ausbildung einer lockeren, frei schwingenden vegetabilen Ornamentik; aber
diese Fortschritte beruhten auf der reinen Pinseltechnik, nicht auf dem alten Ritzstil.“ ;
(2) Vgl. E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 808: Lécythes à fond blanc. Dans cette
période où la figure noire lutte si péniblement contre la figure rouge triomphante, une seule catégorie
se maintient avec quelque avantage pendant tout le cours du Ve siècle: celle des vases & fond blanc.
(3) Vgl. E. Pottier, Catalogue des Vases antiques III, p. 808: Parfois le vêtement laisse voir les
mouvements du corps et les accompagne, comme dans les oeuvres à figures rouges.
48
die Falten, von einer zugreifenden Faust geschürzt, zusammenlaufen (vgl den oben
analysierten Gewandstil auf Bild 8 der kleinen Amphora im Louvre, F 387, 6c
unserer Aufzählung).
c) Weißgrundige Lekythos im Cabinet des Medailles (Bibliothéque Nationale).
Salle de Luynes, Vitrine IV. Nr. 303. Zwei Jünglinge im Gespräch; Eros und
Frau. Alle Figuren sind in mittels Gravierung gezeichneten Silhouetten gegeben.
(Abgebildet bei Duc de Luynes, Description de quelques vases peints etc.,
Paris 1840, Pl. XV. und bei Salomon Reinach, Répertoire des vases peints
grecs et étrusques. Paris 1900, Ernest Leroux. Tome II, p. 255, 4.)
Der Stil und der Gegenstand der beiden sich unterhaltenden Paare erinnert sehr
an die Päderastenschalen der reifen streng rotfigurigen Meister. Der in der Mitte
fliegende Eros mit einem groBen Kranz in der Rechten ist ungemein lebendig und
leicht in seiner schwebenden Bewegung wiedergegeben. Alles Detail der Gewand-
falten, der Kopftypen usw. steht auf derselben reifen rotfigurigen Kunststufe.
d) WeiBgrundige Lekythos im Cabinet des Médailles (Bibliothéque Nationale).
Salle de Luynes. Vitrine IV, Nr. 299. Speerschleudernder nackter Krieger von
Pfeilen getroffen. (Abgebildet bei Duc de Luynes, Pl. XVI und bei Salomon
Reinach, Répertoire des vases peints grecs et étrusques. Tome II, p. 255, 6.)
Die Figur ist ganz als schwarze Silhouette ausgeführt, mit Ausnahme des Helms,
der hell wie der weiße Grund geblieben und genau so wie der Schild in linearem
Umriß gegeben ist. Die sehr entwickelte Innenzeichnung des Körpers, die bereits
alle anatomischen Errungenschaften des entwickelten rotfigurigen Stils aufweist,
ist in feinen Linien eingeritzt.
Im Jahrbuch des kaiserl. deutschen Archäologischen Instituts, Bd. VII, 1892, auf
S. 185—188 hat J. Six mit Hilfe eines Klischees nach Luynes' Kupferstich, das gar
nicht die Innenlinien des Körpers des Kriegers wiedergibt, zu zeigen versucht, daß
wir in dieser Lekythenzeichnung eine Nachbildung einer berühmten Statue des
Kresilas vor uns haben, einer Statue, die den- Großvater des Hermolykos darstellte,
der 472 in der Schlacht bei Mykale verwundet wurde. — Auf diese Weise kämen
wir chronologisch mit dieser Lekythos gar bis in die perikleische Zeit hinab,
eine Ansetzung, die mir doch etwas zu weitgehend und im Widerspruch mit dem
Stil der Lekythenzeichnung selbst zu sein scheint. Mit Heinrich Brunn, Probleme
in der Geschichte der Vasenmalerei, S. 53, meine ich vielmehr, „daß hier das aus
einigen rotfigurigen Vasen strengern Stils bekannte künstlerische Motiv eines
Hektor ziemlich unverändert für eine schwarze Figur mit eingezeichneten Konturen
verwendet ist‘). y |
Für die panathendischen Preisamphoren, die, wie schon angedeutet, in kon-
servativer Religiosität immer an dem archaischen schwarzfigurigen Zeichenstil fest-
hielten, mógen, auBer den schon angeführten, als weitere Beispiele unter vielen noch
zwei Exemplare der Berliner Vasensammlung genannt und abgebildet werden, —
für das ganze, sehr reiche Material sei auf die neuerliche, ausführliche Publikation
von G. vonBrauchitsch verwiesen — die deutlich genug für unsere These zeugen:
Die beiden Berliner Preisamphoren sind große Gefäße von barocker, ziemlich
schlanker Form. Die trichterförmigen Mündungen, von den aufrecht stehenden,
breiten aber wenig dicken Henkeln gestützt, zeigen in der Mitte des Halses
(х) Zuletzt hat Adolf Furtwängler die Darstellungen auf Vasenbildern, die dieses Motiv des „ Zurück-
sinkenden“ zeigen, in seinem Werk „Aegina, das Heiligtum der Aphaia", München 1906, Textband,
auf 8. 343—347 und in Abb. 272 — 277 zusammengestellt und behandelt.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 2/3 4 49
einen plastischen Absatz, eine flache Einstufung. Unter dieser Züsur befindet sich
beidesmal ein Stabornament, darüber hier eine sehr deformierte Lotospalmetten-
kette, dort ein großblätteriger ringsum laufender Zweig, wie er als Schmuck sowohl
auf attischen wie auf unteritalischen Gefäßen des vierten Jahrhunderts häufig genug
anzutreffen ist. — Auf den Reversbildern der beiden Amphoren, deren eines metopen-
fürmig, das andere friesfórmig herumlaufend gestaltet erscheint, sehen wir gym-
nastische Wettspiele dargestellt, die übliche Ergänzung zu den großen Figuren der
Göttin Athena auf dem Vorderbild. Die drei wettlaufenden Jünglinge (Abb. 22), im
Thema von sehr alter Tradition, tun in ihrer schlenkernden „barocken“ Bewegung,
in den Dreiviertelansichten des Rumpfs, in der locker gravierten Muskelzeichnung
mit Deutlichkeit die spate Zeit ihrer künstlerischen Entstehung dar. |
Noch auffallender treten uns diese barocken Stilkriterien bei der zweiten panathe-
näischen Preisamphora entgegen, die uns ein Wettrennen vorführt (Abb. 23): In wildem
Galopp báumen sich die stattlichen Rosse. Ihre Kérper sind in vollen Rundungen ge-
zeichnet, Mähne und Schweif in welligen Linien. Die Reiter selbst, von fast weibisch
weichlicher Charakterisierung, sitzen mit erhobenem Arm zu Pferd. Elegante atti-
sche Bügelhelme mit lang dahinwehenden Büschen bedecken die Köpfe. Die kurzen,
gegürteten und bauschig gerafften Chitone der beiden Reiter zeigen den ausge-
sprochenen Faltenstil der Mitte des vierten Jahrhunderts: wenig zusammenhüngende,
vollgeschwungene Kurven, die in ganz malerischer Weise den Eindruck des pla-
stisch reich bewegten Stoffes wiedergeben sollen. Unten werden diese Gewänder
von ebenso wellig bewegten Sdumen begrenzt. — Als das seltsamste für griechische
Vasenmalerei erscheint aber in dem Bild dieser Berliner panathenüischen Preis-
amphora die zwischen den beiden Reitern stehende Pappel, ein hoher Stamm mit
lanzettfórmiger Krone, die durch Gravierung und durch Punkte etwas zu charakteri-
'sieren versucht wo:den ist; ein die Órtlichkeit angebendes Detail, das allein schon
eine sehr spüte Ansetzung der Vase befürwortet. —
In die gleiche Reihe wie diese Preisamphoren, in die Reihe einer verspüteten
schwarzfigurigen Technik von durchaus gegensützlichem rotfigurigem
Stil gehört auch noch eine große, plumpe, krateráhnliche Amphora mit hohem Mün-
dungsrand derselben Sammlung, die als spátere Erwerbung noch nicht in Furtwünglers
Katalog verzeichnet ist (Abb. 24 und 75): Auf der einen Seite dieses sehr handwerk-
lichen Gefäßes schreitet ein junger Fischer mit weißer Kappe dahin; auf der Schulter
balanziert er eine Tragstange, an deren Enden zwei runde Körbe hängen. Links
von ihm steht ein Hund, rechts kauert am Boden ein Fischerknabe, auch mit einer
weißen Kappe bekleidet und liest eine Anzahl Fischchen vom Boden auf. Auf der
andern Seite schreitet entsprechend ebenfalls ein Fischer daher, an dessen Trag-
stange zwei mächtige Thunfische (äëpro) baumeln. — Die Amphora stellt den
offenbaren Verfallstil dar: Die Figuren sind in einer rohen und handwerklichen
Art hingeschmiert, die zum mindesten in der Qualität bereits an die Vasenmalereien
der Gefäße aus dem Kabirion, unserer dritten verspätet schwarzfigurigen Vasen-
gattung, gemahnen, wenn auch manches Detail, z. B. die Faltengebung bei dem
hockenden Knaben, die etwa an Hieron erinnert, noch auf streng rotfiguriger Stufe
steht. VL
Die böotischen Kabirion-Vasen wurden 1888 bei den Ausgrabungen des
Kabirionheiligtums bei Theben gefunden. Die ausführliche Beschreibung der inhaltlich
durch ihre burlesken Mythenparodieen gewiß sehr bedeutenden Gattung hat damals
Hermann Winnefeld in den Mitteilungen des Kaiserl deutschen archäologischen
50
Instituts, Athenische Abteilung, XIII. Band, 1888, auf S. 412—428 und Tafel IX—XI
unternommen. ‘Winnefeld hat auch die Datierung: dieser Vasen auf die erste Hälfte
des 4. Jahrhunderts festgestellt. Seither haben die größern Vasensammlungen, der
Louvre und das Berliner Antiquarium vor allem, typische Stücke dieser Vasen-
gattung erworben. —
Unsere Untersuchung kann nur der Stil dieser verspätet schwarzfigurigen Ka-
birionkeramik interessieren: ihn wollen wir ап den durch Winnefeld veröffentlichten
Abbildungen in Kürze beschreiben. — Die stereotypen Tassenformen mit breiten
ringförmigen Henkeln (Winnefeld, Abb. 1 auf S. 415) dieser Gefäße zeigen zwischen
mehrfachen Horizontallinien oder auch Pflanzenranken Figurenfriese mit mytholo-
gischen und sakralen, auf den Kult des Gottes Kabiros bezügliche Darstellungen.
Die oft sehr bewegten Figuren sind mit breitem Firnispinsel schnell und flüchtig
hingemalt, die Innenzeichnung ist eingraviert. Vereinzelt ist ein aufgesetztes WeiB
zur Hilfe genommen, ferner auch ein schönes Purpurrot zum Schmuck dieser Sil-
houetten. Die Ausführung erscheint häufig sehr gering und nimmt bisweilen einen
karikaturhaften Zug an. — Da zusammen mit den Kabirionvasen auch eine betrücht-
liche Anzahl attischer Gefäße in dem Heiligtum bei Theben gefunden wurde (Winne-
felds Aufzählung S.412—414) ist ein Einfluß der attischen Vasenmalerei von vorn-
herein anzunehmen: Auf einer großen Scherbe des Berliner Museums (Winnefeld,
Abb. 17 auf S. 425) sind, sehr fragmentiert, ein sitzender Gott Kabiros, ein Tisch
mit einem Gaukler und ein diesem zuschauender Mann zu sehen. Dieser ist in
einen faltigen Mantel gehüllt, den rechten Arm hat er in die Hüfte gestützt, sich
mit der Achsel auf einen langen Knotenstock lehnend. Gerade bei letzterem Motiv
muB man, wie das auch Winnefeld getan hat, an Duris oder an Hieron denken.
Und auf der Vasenscherbe, die Tafel X abbildet, mit dem flótenden Silen und den
beiden Mänaden, erinnert die Gewandung dieser beiden Frauen mit dem glocken-
fórmig sich ausweitenden Bausch an den Gewandstil, der von Hierons Thiasos-Dar-
stellungen seinen Ausgang nimmt!), wenn auch die eigentliche Handschrift, der Linien-
stil der eingeritzten Falten und der wildbewegten Haare, barocker, fortgeschrittener
im Sinn des vierten Jahrhunderts erscheint (Abb. 26). Endlich läßt sich die dritte
Scherbe (Tafel IX) im Motiv wie in Komposition gut mit bekannten streng rotfigurigen
Schalenbildern vergleichen: Der Gott Kabiros ist beim Symposion hingelagert; vor ihm
steht ein bedienender Pais, wie wir das oft bei Dionysos-Darstellungen des gleichen
Themas aus jener Periode sehen. Die Formensprache, wie sie sich in der Physiognomie
und der Muskulatur, der Haar- und Gewandbehandlung üuBert, ist aber auch hier
wieder jünger, etwa dem Anfang des vierten Jahrhunderts entsprechend (Abb. 27). —
Somit finden wir auch in den biotischen Kabirion-Vasen eine handwerkliche,
künstlerisch zurückgebliebene, schwarzfigurige Keramik, auf die der weiter ent-
wickelte attische Stil der rotfigurigen Vasen seinen deutlichen Einfluß ausgeübt
hat, eine hóchst beachtenswerte interprovinzielle Parallele zu dem kunstge-
schichtlichen Phänomen, das wir für Attika zu verfolgen ausführlich Gelegenheit
nahmen. Daß sich aber das südliche Böotien in dieser Weise von Attika künst-
lerisch ins Schlepptau nehmen lie8, wissen wir nicht zuerst und nicht allein von
den Kabirionvasen. Das ist in weit hóherm MaB bekannt von den berühmten Terra-
kotten Tanagras, die ja einen keramisch-industriellen Ableger der groBen Kunst
des Praxiteles darstellen.
(1) Dionysischer Gottesdienst. Außenbild einer Schale des Hieron aus Vulci in Berlin: abgeb. u. a. in
Wien. Vorlegebl. Serie A, Taf. IV die andere Hälfte derselben Schale, ein Minadenreigen, bei
Buschor, а. a. O., В. 177, Abb. 127.
Lt:
DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLG-
SCHAFT JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS
MIT OEUVRE-VERZEICHNISSEN DER FAMILIE GAUTIER-
DAGOTY, J. ROBERTS, J. LADMIRALS UND C. LASINIOS
Mit sechs Abbildungen auf fünf Tafeln (Schlus.) Von HANS WOLFGANG SINGER
JEAN ROBERT
Jean Robert ist, wie es scheint, nur durch Gautiers „Briefe“, und die Bezeich-
nungen auf seinen Arbeiten bekannt. Bellier-Auvray und die Nouvelle Biographie
erwähnen ihn nicht. |
Eigentlich könnten zwei Blätter die ich bei Leblon beschrieben habe ebensogut
unter J. Robert stehen: doch darf man annehmen, daB seine Beteiligung eine rein
mechanische war. Aus Jacques Gautiers Brief (Observations 1755, 17™¢ partie S. 125)
erfahren wir daß J. Robert „Louis XV“ sehr groß in drei Farben geschaffen habe
für Leblon (Nr. 40 meines Leblonverzeichnisses), sowie nach dessen Tod als letzter
Schüler Leblons, die ,,Eingeweideplatte* (Nr. 49 meines Verzeichnisses) vollendete.
Leblanc (Manuel III. S. 340) erwühnt von einem J. Robert, die radierten Platten
zu einem „Memorial de Paris“ Paris, 8°, 1749, zwei Bände, die ich nicht kenne.
Ob es sich um unseren Künstler handelt läßt sich nicht, bei der Gewöhnlichkeit
des Namens, bestimmt behaupten.
1-3 P. Tarin Adversaria / Anatomica, / De omnibus Corporis humani par-
tium, tum descriptionibus, / cum picturis, / Adversaria Anatomica Prima, / De
omnibus cerebri, nervorum & organorum functionibus animalibus / inserventium,
descriptionibus & iconismis. / Autore Petro Tarin, Medico /--/--/--/--/ Ж /
Parisiis, / Ex Typis Johannis Francisci Moreau patris, vid vulgo Galande, / sub
Signo Velleris aurei. / = / M.DCC.L.
Paris; 4: 1750 8 unnumerierte 88, und 88. (1)—(48)
Der Band enthält zunächst „Tab, I"—, XV" in schwarzer Stricharbeit, Taf. V, VII, IX, X und
XII sind „М. Reboul", Taf, XII, XIV und XV ,Elis. Haussard" bezeichnet, die anderen unbezeichnet,
Auf Taf, IV—XV steht oben „Iconographia cavitatum cerebri et cerebelli.^; auf Tab. I—III fehlt das.
und sie sind nicht durchgearbeitet, gleichsam nur Umrißstiche, und so sind ihnen drei Zweifarben-
druck Wiederholungen derselben Vorwürfe, auch in Linienarbeit, von J. Robert gearbeitet, beigebunden,
Auf jeder dieser drei Farbentafeln, in rot und schwarz gedruckt, sieht man anatomische Gehirn-
schnitte, usw. auf weißem Hintergrund.
т „Tab. I.“ (oben 1.) mit der Schrift „Pag. 8“ ,Iconographia cavitatum cerebri et cerebelli“ und
"Imprimé par Richomme l'ainé",
Bez, „J. Robert del. ad nat, & sculp,“
Rad, und gest. in zwei Platten in Rot und Schwarz: PL 208 : 398
2 „Tab. II^ (oben 1) mit der Schrift wie auf Nr, 1
Bez, wie Nr. I
Wie Nr. x: P1, 242: 187
3 „Tab. III“ (oben 1.) mit der Schrift wie auf Nr. 1
Bez, wie Nr, x
Wie Nr, 1: Pl 220: 201
Choulant, S, 111
München, Kgl, Hof- und Nat, Bibl.
4 (Dezallier d'Argenville, fils, А.М.) Voyage Pittoresque / de Paris; / ou
Indication / de tout ce qu'il y a de plus beau / dans cette grande Ville / en Pein-
sa
ture, Sculpture, et Architecture. / Par M. D. ** / Nouvelle Edition. | (Vignette) /
Gravé en couleur par J. Robert. / A Paris, / Chez de Bure, l'ainé, Libraire, / Quai
des Augustins à l'Image St. Раш. / Avec Approbation et privilège du Roy.
Paris: 12m0: 1752 Fructispiz, SS. (1) —(12) und 1—375, dann 59 unnumerirte SS., Register und
„Additions“ und (1) ХУІ) == Straßenregister
4 Die Vignette des Titelblatts zeigt einen auf Wolken ruhenden Putto, der nach 1, herüber blickt
und ein offenes Buch r., in seiner R. außerdem ein Lorbeerreis bült, Auf dem Buch steht „Curiosi |
Tés | De Paris. |-- | 1751. Sonstige gestochene Schrift, wie oben
Bes, in Typendruck, siehe oben.
Radiert und gestochen von zwei Platten іп Rot auf Schwarz: РІ, 137: 76
Kat. Halle 34 (Nr. 419 um 5o Mk, ausgeboten, dann in der Verst. Halle, München, 15 Juni 1909
Nr, 384 um 181 Mk)
Dresden
5-31 M Le Boursier du Coudray Abrégé / de l'Art / des Accouche-
ments, /--/--/--/--|--/--/--./ Nouvelle Édition. / Volume in-8°. avec Figures
gravés en taille-douce & imprimées / en couleurs. / Par Madame Le Boursier Du
Coudray, / Maitresse Sage-femme de Paris, — / — /— / —/ Les Prix et de sept
livres quatre sols, relié. /—/%/ A Paris, / Chez Debure, Pere, Libraire, Quai des
Augustins, / ап coin de la rue Git-le-Coeur, Maison du Notaire. / = / M.DCC.LXXVII. /
Avec Approbation & Privilege du Roi. Ä
Paris: 8°; XVI und 208 SS, ein Frontispiz-Bildnis und 26 Tafeln.
(Die erste Auflage, deren Privileg am 2, Juli 1757 erteilt wurde, hatte keine Abbildungen.)
Sämtliche Tafeln sind in Linien gestochene Mehrplattendrucke.
Die Platten messen rd. 197: 130, die doppelten E.-L. rd. 180: 115 die Darstellungen aber blos so
bis 70:60 bis go. Letztere stehen auf weißem Feld, auf dessen unterer weißer Hälfte die ein-
gestochene erklirende Schrift steht,
Oberhalb der E..L. stebt immer 1, die Seiten-, r. die Tafel Nummer: gerade über der unteren E.-L.
steht immer L „Peint par P. Chaparre* und т. ,Gravé en Couleurs par J. Robert“ Die erste Tafel
ist in zwei Farben, Gelo und Schwarz, die zweite in vier Gelb, Schwarz, Rot und Blau (möglicher-
weise ist das Blau nur gemalt?), alle übrigen sind in drei Farben, Gelb, Schwarz und Rot, gedruckt,
5 Frontispiz Brustbild einer Frau in Haube und reicher Kleidung, etwas nach r.: das Gesicht ist
in Punkten alles übrige in gestochener Linienarbeit gehalten, und das Ganze im Rahmen ge-
halten, Darüber ein Wappen (Hund, vier Sterne und „Ad Operam"), darunter eine Tafel mit
,Angélique Marguerite Ducoudray. | Pensionnée et envoyée par le Roy, pour | enseigner 4 pra-
daer l'art des Accouche-/ments dans tout le Royaume." Mit doppelten E.-L. auf liniiertem Grund,
Bez, unten I, ,Gravé par J. Robert“
6 „Р, 15.“ „Pl. I.“ „Cette premiere figure ... les trous Ciatiques" — in 6 Zeilen: ferner die
Buchstaben ABCDDEEFFGGHH
7 „P. 17“ „Pl. IL“ „Cette seconde figure .... à son extremité^ == іп 8 Zeilen: ferner die
Buchstaben ABBCCDDEEFFGGHIKL
8 ,P. sr" ,РІ. ПІ.“ „Cette figure représente . . leur situation naturelle“ == in 10 Zeilen:
ferner die Buchstaben ABCDEEFFGGHHIIKL
9 „Р. 55. „Pi. IV.“ „Cette figure réprésente . . . . à son Orifice == in 3 Zeilen
то „Р, 55.“ ,РІ. V.“ „Cette figure réprésente . . . . contient le bain.“ =, 3 „
11 „P. 57.“ „Pl. VL“ „Troisième dégréde ..... commence à рагойте,“ == „ 3 „
19 „P. 69.“ „Pi VIL" „Cette figure represente....causer le décollement.^ == „ 5 ,
13 „Р. 69.“ „PL УШ“ „ „ „ TÉéprésente . . . . , tirer en bas.“ =, 3
14 „Р. 95.“ „Pl. DE e „ falt. trouver son passage." = 6 „
15 „P. 95. „Pl. x," . l'enfant de sortir,“ = „5 „: ferner
die Buchstaben ABCC
16 „P. 95.“ „Pi XI.“ „Autre vice de... . une femme barrée,“ = „5 „: ferner
. die Buchstaben AABB
17 „P. 101.“ „PL XII.“ „Quatrième dégré de... . col de l'Enfant.“ =,3 »
18 „P. 109.“ „PI XIII.“ „Cette figure réprésente . . . . droit du bassin,“ = „3 „
19 „P. 109.“ „Pl. XIV.“ „Dans cette figure. . . . gauche du bassin.“ < ,
20 „P. 109.“ „PI XV.“ „Cette figure réprésente ..... des os Pubis." == 2 ,
53
21 „P. 111.“ „Pl. XVI.“ „Cette figure étant de l'os Sacrum.“ == in 6 Zellen
32 „P. 113.“ „PL XVII.“ „ „ẽ Planche fait. . . se présente seul.“ == „4 n
33 ,Р.115.4 „Pl. XVIII.“ „ „ , re présente. . face en arrière“ «= , 8 „
24 „P. 113.“ „PL XIX.“ „ „ figure réprésente..... sort avec facilité“ == „ 7 „
35 „P. 121.“ „Pl. X.“ „ „On réprésente раг . . . . le faire sortir." = „ 4 „
26 „P. 123.“ „Pl. XXI.“ „Cette figure fait... . qui se présente,“ =, 4 „
27 „P. 125.“ „Pl. XXII.“ „ „ e УГ dans les Campagnes.“ = „7 „
38 „P. 129.“ „Pl. XXIII.“ Оп réprésente dans . .. sortie des enfants.“ —.47 „
29 „P. 137.“ „Pl. XXIV.“ „ „ e раг .... à sa sortie,“ ==, 4
зо „P. 139.“ „Pl. XXV.“ „Cette Planche réprésente .... cette méme main.“ = „ 7 „
31 ,Р.151. „Pl. XX VI“ „ „ Ж n de la Matrice.“ =, 3 e
Kat. Halle 32 (Nr. 240 schönes Exemplar іп Lederband mit dem Wappen Louis XIV. um 60 Mk.;
dann im Kat. Halle-Miinchen 34, Nr. 42 und bei Halle am 19. März 1903); Hiersemann (Lei, zig,
den 5. Feb. 1906 ein Exemplar für Mk. 160 ausgeboten)
32 Christus am Kreuz nach dem Gemälde von Nic. Delobel jetzt іп?
An einem großen Kreuz hängt Christus etwas nach r., das Haupt nach 1. hinübergeneigt, mit
großem, weißem Lendentuch bekleidet, die Füße nebeneinander auf einem dreieckigen Keilpflock ge-
nagelt. Man sieht Felsenabhänge 1. und die Stadt mit weißen Mauern und Gebäuden rückwärts r.
Am Kreuz oben flattert ein Papier mit der Schrift „Jesvs | Nazarénvs, | Rex | Judaedösum.“ Unten
l. auf dem Felsen steht: Gravé en Couleurs
par J. Robert d'apres Avec
le Tableau Original Privilege
peint par N. Delobel, Peintre| du Roi.
ordinaire du Roy.
Bez. wie angegeben
Von vier geschabten Farbenplatten, mit wenig Linienarbeit (in der Maserung, den Dornen und
den Blutstreifen): B. 454: 361
J. Gautier (Observations 1755, 17e partie p. 125 und in Toussaints Observ. period. Oct. 1756) er-
wühnt das Blatt als Neuarbeit, das er zwar für die Leblongemeinde geschaffen habe, aber ев wire
ein Vierfarbendruck, und was gut daran wäre ginge auf seire, Gautiers, Anweisungen zurück. Der
mir bekannte Druck ist fahl grau-grün und farblos wie die schlechtesten Leblons.
Berlin (um 365 Mk. auf der Verst. Halle München, 29 Nov. 1904 Nr. 1005 erworben; aufgezogen)
33 Die hl Jungfrau nach dem Gemülde von ?
Man sieht Kopf und Schultern fast von vorn. Sie blickt herab und neigt sich leicht nach 1. Ihr
1. Ohr ist sichtbar. Sie trägt ein rotes Gewand, das am Hals einen weißen Hemdstreifen hervortreten
läßt, blauen Mantel, grünes Kopftuch und ein weißes Band im Haar. Hinter dem Haupt ist ein Licht-
schein in dem sonst dunkelbläulichen Hintergrund zu sehen.
Bez. am Unterrand gegen r. „I. ROBERT FECIT 1747“ e
Von den vier geschabten Farbenplatten: Pl. u. B. 313: 241
Die Zeichnung (wohl auch des Originals) ist recht müBig, die Fürbung aber ziemlich lebhaft.
Verst. Halle (München, Juni 1909 Nr. 383 um 420 Mk.)
Boston, Smlg. Marrs: Braunschweig (aus der Smlg. Vasel, Nr. 4932 in deren Katalog und
seinerzeit von Claus in Dresden erworben)
34 Sechs spielende Putten nach einem Gemilde von F. Lemoine
Sie befinden sich am Rand eines Waldes. Zwei arbeiten 1. als Steinbrecher, Derjenige ganz r.
sitzt und unter ihm liest man ,Gravé en Couleurs Par J. | Robert d'aprés l'Esquisse Original | de
méme grandeur, Peint par F:le | Moine premier Peintre du Roy." | Ä
Bez. wie angegeben
Von drei (Schwarz, Blau, Gelb) geschabten Platten; Pl. und B. 159: 225
Delaborde, S. 381 .
35 Sechs spielende Putten nach einem Gemälde von Е. Lemoine
Sechs kleine Putten mit dem Löwenfell und der Herakleskeule spielend.
Bez. unten ,Gravé en couleur par J. Robert, d'aprés l'esquisse originale de méme grandeur. —
Peint par F, Le Moine, premier peintre du roi.
Farbendruck: Pl. und B. (?) 157: 223
Die Angaben fiir diese Nr. gehen auf Delaborde, S. 381 zurück, und wenn er sie genau gemacht
hat, handelt es sich um ein Gegenstück zu Nr. 34
54
JAN LADMIRAL
Jan Ladmiral wurde, laut Immerzeel, 1698 in der Normandie geboren, und er-
lernte zu London, unter Leblons Aufsicht, das Verfertigen von Farbendrucken. In
Amsterdam sich niederlassend, war er als Miniaturmaler und Kupferstecher tätig.
Dort ist er am 2: Juni 1773 (Wurzbach; nach Delaborde Juli) gestorben.
Sein jüngerer Bruder, Jakob, hat unter and. eine naturwissenschaftliche Folge
von Schmetterlingen usw. radiert, die zum Kolorieren bestimmt waren. Kramm
meint in diesem Werk, — das gelegentlich für eine Arbeit Jans gehalten worden
ist, — zwei verschiedene Hände zu erkennen, und schreibt einen Teil davon, einem
gleichnamigen Sohn Jacobs zu. Es ist aber möglich daB sich Jacob, als jüngerer
Bruder, gelegentlich ,,Ladmiral jun.“ nannte.
Die Bildnisse zu Van Mander beziehe ich in meine Nummerfolge mit ein, da
damit das Werk des Ladmiral „nach dem heutigen Stand der Wissenschaft“, voll-
stindig wird. Da sie aber schwach sind und den Farbendrucksammler natürlich
gar nicht interessieren, führe ich sie nur ganz kurz an, ohne auf Einzelheiten
näher einzugehen. Während Immerzeel sie meines Erachtens mit Recht, sehr
gering einschätzt, meint Kramm ег besäße Probedrucke, vor späteren Zutaten, die
recht gut wiren. Diese Zustandsdrucke sind mir nicht zu Gesicht gekommen.
Delaborde (S. 379 und 380) behauptet, wohl ohne Grund, die beiden Ladmiral
hätten Leblons „Louis XV“ geschabt, während er nach besseren Quellen von
Blakey begonnen und Robert vollendet wurde.
1 Bernardi Siegfried Albini / Anatomes & Chirurgicus in Academia Batava, /
quae Leidae est, Professoris / Dissertatio / de / Arteriis et Venis / Intestinorum
Hominis / Adjecta Icon Coloribus Distincta. / ж / Leidae Batavorum. / Apud Theo-
dorum Haak Bibliop. / Et prostat quoque Amstelaedami, / Apud Jacobum Graal,
& Henricum De Leth. / MDCCXXXVL
Leiden: 4?:1736 Zwei weiße Seiten, 88. (1)—10 und zwei weiße Seiten dahinter, nebst einer
-Farbentafel. Der Titel in Rot und Schwars stebt auf 8. (1): der Text ist lateinisch
I Tafel: Vorgetäuscht ist ein Blatt Papier, das die Darstellung, — ein Stück Eingeweidehaut, —
trägt und auf grünem Grund liegt.
Schabkunst u, Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 128:170 (auf ungefähr
dieses Maß sind die Blätter zugeschnitten, mit einem feinen Goldrand bemalt und dann leicht auf-
geklebt,
Bez. unten L „I: LADMIRAL. Fecit", ferner oben fünfmal „A“, unten sechsmal „B“
2 Bernardi Siegfried Albini / Anatomes & Chirurgicae in Academia Batava, /
quae Leidae est, Professoris / Dissertatio Secunda. / De / Sede et Caussa / Co-
loris Aethioporum / Et / Caeterorum Hominum. / Accedunt Icones Coloribus Di-
stinctae. / ж / Leidae Batavorum, / Apud Theodorum Haak, Bibliop. / Prostat
etiam, Amstelaedami, / Apud Jacobum Graal, & Henricum de Leth. / MDCCXXXVIL
Leiden: 49: 1737 Zwei weiße SS., SS. (1)—(18), nebst einer Farbentafel. Der Titel in Rot und
Schwarz steht auf S. (1): der Text ist lateinisch.
3 Tafel: Drei Hautproben auf grünem Grund
Schabkunst u. Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 216: 160 (vergl. Nr. т oben)
Bez. unten r.; „J. LADMIRAL,. Fecit“; ferner „I“, „II“, „Ш“, viermal „A“, viermal „В“, viermal
„С“, zweimal „D“ und ein „E“ іп der Darstellung
3 Icon / Durae Matris / In concavá Superficie visae, / Ex capite foetus humani
octó cisciter à conceptione / mensium, desumtae; ad objectum artificiosissimé /
praeparatum à / Clarissimo Viro / Fred. Ruyschio, / Med: Doct. Anatomes & Bota-
nices Professore &c. / Delineata, & coloribus distincta typis impressa / à / Joanne
55
Ladmiral / (Vignette) / Prostat Amstelodami, / Apud Jacobum Graal & Henricum
De Leth, / Lugduni Batavorum. / Apud Theodorum Haak. / MDCCXXXVIII.
Leiden: 40: 1738 vier unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette auf der ersten)
und eine Tafel.
Der Text ist lateinisch und französisch.
Tafel: ein Gebirn von unten
Schabkunst und Rad. in Blau, Rot und Schwarz (für die Schrift): B. 125: 170 (vergl. Nr. 1 oben)
Bez. unten 1. „IL. LADMIRAL, Fecit.*, ferner з „A“, 4 „В“, „С“, „D“, „Е“, з „F“, 5 kleine Kreise
und 4 Sternchen in der Darstellung .
4 Icon / Durae Matris / In convexá superficie visae, / (weiterhin genau wie der
Titel bei Nr. 3). |
Leiden: 4?:1738 vier unnumerierte 88. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette, auf der ersten)
und eine Tafel И
Der Text ist lateinisch und franzósisch.
Tafel: ein Gehirn von oben ;
Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (dieses, in der Schrift, ist móglicherweise
dick aufgetragenes Blau: manche Plattenstelle scheint mit Lokaltónen eingefärbt zu sein); B. 126: 170
(vergl. Nr. 1 oben)
Bez. unten 1. „I: LADMIRAL. FECIT“, und vier „A“, vier „В“, „C“, zwei „D“, vier „E“, zwei
„Е“, „G“, zwei „H“, vier „I“ und fünf kleine Kreise in der Darstellung.
5 Icon / Membranae Vasculosae / Ad Infima / Acetabuli Ossium Innomina-
torum / Positae, ex puero desumtae;. ad objectum artificiosissimé / (weiterhin genau
wie der Titel bei Nr. 3).
Leiden: 40: 1738 vier unnumerlerte SS. (der Titel wie bei Nr. 3) und eine Tafel
Der Text ist lateinisch und franzósisch
Tafel: Knochen, usw.
Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 128: x70 (vergl. Nr. 1 oben)
Bez. unten l. „I: LADMIRAL Fecit," und 3 „А“, „В“, „C“, „р“, „Е“, „Е“, „G“, „H“, „I“ und
Sternchen
6 Effigies / Penis Humani, / Injectá Cerá Praeparati / Exhibens Inventa Ana-
omica / Aliquot Nova; / Et / Proprio Colore Typis Impressa / A Joanne Ladmiral. /
(Vignette) / Leidae Batavorum, / Apud Cornelium Haak, Bibliop. / Prostat quoque
Amstelodaemi, / Apud Jacobum Graal, Et Henricum De Leth. / MDCCXLL
Leiden: 40: 1741 acht unnumerierte SS. (der Titel mit unsrer Nr. 61 als Vignette auf der dritten)
und eine Tafel
Der Text ist lateinisch, franzósisch und hollündisch
Tafel: Penis nach oben r. gerichtet
Schabkunst und Rad. in Blau, Gelb, Rot und Schwarz (für die Schrift); B. 305: 250 (vergl. Nr. 1 oben)
Bez. unten r. „I LADMIRAL. Fecit." und zwei „A“, vier „B“, drei „C“, drei „D“, vier „E“,
vier „F“, zwei „G“, „H“, zwei „I“, zwei „K“, vier „L“, zwei „M“ und „N“. |
Delaborde, S. 380 Choulant, S. 106 Lebl. 1 und а
Farbendruck Ausst, Leipzig 1902 (Nr. 154—9: Wiener und Hiersemannsche Drucke)
Verst. Bause (Leipzig, bei Weigel, 24. Sep. 1860 Nr. 1 und 2, nur unsre Nrn, 1 und а); Kat.
Halle 32 (München, 1903, Nr. 242, volistindig und gebunden, um Mk. 225 ausgeboten, dann in
Verst. Halle, München, Juni 1900 Nr. 382)
Boston, Smig. Marrs (nur Nrn. 1 und 2: W des Textes — Schild mit drei Querbalken und Fleur-
delys); Braunschweig (nur Nr. 1 und 2 aus der Smlg.Vasel, Nr. 3278 in dessen Katalog, der sie
von Franz Meyer, Dresden erworben batte); Dresden (sechs Einzethefte, in Mappe, um Mk. 152,
1903 von K. Hiersemann erworben); Dresden (Nr. 5 allein, um 42 Mk. auf der Verst, Halle,
München, 13. Nov. 1900 erworben); Leipzig, Buchgewerbemuseum (alle sechs Hefte): Wien (nur
fünf Hefte); Wien, k. k. österr. Mus.
7 Ein Herz
Im Spätherbst 1916 erging an die Sammler und Kabinette eine Subskriptionsaufforderung von
Herrn Dr. М. О, van Huffel zu Utrecht, zum Bezug einer Veröffentlichung, in der ein Neudruck von
Leblons nichtssagendem Coloritto, Erörterungen über den Dreifarbendruck, und eine Ladmiral-Platte, —
56
ein Неге darstellend, — mit Registerdrucken erscheinen sollten. Noch vor Jahresschlu8, wie an-
gektindigt, ist das Buch nicht erschienen, oder wenigstens nicht nach Deutschland gelangt. Ich
nebme vorläufig an, daß es sich um ein siebentes Heft, in der Art der vorbeschriebenen sechs, handelt,
das im 18. Jahrhundert nicht zur Ausgabe gelangte. |
8—58 Het / Leven / Der / Doorluchtige Nederlandsche en eenige Hoogduitsche/
Schilders, / Voormaals / Byeen-vergaderd en beschreven / Door / Karel Van Mander /
Kunst-Schilder, / En nu, — /— /—/— / — / Door Wylen / Jacobus De Jongh, / En
na deszelfs overlyden door eene bekwaame hand. / — /— /— | — | x / Te Amster-
dam, / By Steven Van Esveldt, / Boekverkoper in de Kalverstraat, het derde huis /
van de Roomsche Kerk, de Papegaay. 1704.
Amsterdam, 8°., 1764 Zwei Bünde I = 36 unnumerlerte SS., SS. 1-354 und хо unnumerierte 88.
Frontispiz (von S. Fokke), Bildnis van Manders (anonym) und 32 Bildnis Tafeln. II = 8 unnume-
rierte SS., SS, 1—(273) und 64 unnumerierte SS. mit dem Register (Bladwyzer) und 19 Bildnistafeln
Am Ende jeden Bandes stehen genaue Register über die Bildnistafeln und Anweisungen für den
Binder, wo sie einzustellen sind. К
Die Tafeln messen rd. 160: 101 und sind bezeichnet (manchmal sehr versteckt) mit Jan Ladmiral
Fecit 1759", ,Jan Ladmiral F.", ,L. Fecit^ und andere Abweichungen. Ferner tragen sie alle unten
einen gestochenen Buchstaben und zwar in Bd. I, „A“— „2“ (dabei ein zweites B, das U genau wie
V gestochen) und ,AA— FF", im Bd. Il, „GG*— „ZZ“. Es sind durchschnittlich drei, aber auch zwei,
vier und ein Bildnis, jedes in besonderem Rahmen, oder auf besonderem Blatt in eine Komposition
eingefügt, auf jeder Tafel.
Nagler (Lex. 7 8. 231) kennt das Werk, erwähnt aber nur zwei der 51 Bildnisse Lebl. 3
Berlin, Kgl. Bibi. U
59 Selbstbildnis nach einem eigenen Gemälde
Brustbild ohne Hände im Oval nach 1., mit Blick von vorn. Er trägt Lockenperücke, bat hohe
Stirn, ist bartlos, und ist іп schlichtem Rock mit umgelegtem Mantel gekleidet. Oben 1. sieht man
einen Vorhang, г. eine Palette, unten 1. Miniaturen auf einem Stein vor einem Medaillon, und r.
Kupferplatten mit Bildnissen und Atzwasserflasche. Auf einem Stein davor steht ,Effigies Ioann |
Ladmiral | se ipse Pins | et Incis“ (schwer leserlich). Unten r. sieht man wieder einen Vorhang, mit
offenem Buch darauf, wo zu lesen ist 1. „Icon | Duramatris | А | Joanne Ladmiral“ und r. ein durch-
schnittenes Gebirn.
Bez. wie angegoben
Rad., einfarbig Schwarz: Pl. und B, 156: 102
Hamburg
60 Lourens de Coster nach eigener Zeichnung (2)
Brustbild, dreiviertel nach f., in ovaler Einfassung.
Ich kenne das Blatt nur aus dem Duplessis etc. Katalog der Bildnisse des Pariser Kabinetts.
(Bd. ш. S. 52 Nr. 10853 — 17)
Breslau, Smig. Toebe
61 Vignette fiir Biichertitel nach eigener Zeichnung
Eine Sonne bestrahlt fünf Flaschen mit naturwissenschaftlichen Präparaten, die auf einem Tisch т.
stehen. Ebenda ein Putto, der mit seiner L. auf die Flaschen weist, während 1. ein Skelett in der
Haltung eines Erschreckten sitzt. .
Bes. unten L „Jan Ladmiral in. et fecit."
Radierung, einfarbig Schwarz: Pl. 54:112 E.-L. 49:107
Die Vignette ist benutzt auf den Titelblättern zu unsren Nrn. 3—6. Siehe diese,
62 Antike Landschaft
Hinten r. steht ein turmartiger Bau mit Kuppel. Im Mittelgrund sieht man einen Treiber mit zwei
Esein auf einer Holzbrücke. Vorn |, sitzt ein Mann und steht eine Frau mit einem Speer.
Bez. unten r. „J Ladmiral f.“
Radierung, einfarbig Schwarz: Pl. und B. 80: 116
Lebl. 4
Hamburg
57
CAVALIERE CARLO LASINIO
Es ist bezeichnend daB Ticozzi, der sich bemtihte so viele falsche Angaben liber
lüngst verstorbene Künstler zusammenzubringen, es nicht für lohnend hielt genaue
Angaben über seine Zeitgenossen zu überliefern. Lasinio war durch seine klassi-
schen Folgen gewiß berühmt genug, um Ticozzis und Goris Aufmerksamkeit aul
sich zu lenken. Er soll im Jahr 1757 zu Treviso geboren sein. Am 10. Okt. 1839
wurde eine Grabschrift auf sein Denkmal gebracht, wie uns das Titelblatt eines
„Omaggio“ (Pisa, 8°, 1839) belehrt. Wenn er sich Venezianer (auf der Venusplatte)
nennt so gilt das für die Provinz. Auf dem Titelblatt der 1789 erschienenen
„Ornati“ nennt er sich „Trevignianio“ (aus Treviso in Venetien); auf dem der
Campo Santo Fresken „Cav. Carlo Lasinio, Conservatore del Medesimo“, nämlich
der Pisaner Fresken.
Durch seine historischen Mappenwerke hat er der Kunstgeschichtsforschung seiner
Zeit Dienste geleistet. Wenngleich diese SchwarzweiBblütter künstlerisch gering-
wertig sind, mag man nicht vergessen, daB die Pisaner Folge immerhin Hebamme
einer so gewichtigen Bewegung wie des englischen Praeraphaelitismus geworden ist.
Diese Blätter!) haben für uns, namentlich für den Sammler von Farbstichen,
nicht das geringste Interesse: ich nehme sie auch nicht in mein Verzeichnis mit
auf, was nur Sinn gehabt hätte, wenn es sich nur um einige wenige Arbeiten
handelte — wie etwa bei Ladmiral —, deren Aufnahme das Verzeichnis, nach
derzeitigem Vermögen, vollständig gemacht hätte. Außer den richtigen Farben-
drucken nahm ich nur solche Platten mit auf, von denen es, irgendeiner Nachricht
zufolge, wenigstens farbig eingeriebene Einplattendrucke gibt. |
Als Farbendrucker ist Lasinio der letzte Ausläufer des Leblonschen Systems
und unmittelbarer Schüler Edouard Gautiers, Die meisten seiner Arbeiten sind
geringwertig und haben sein Atelier nicht ohne die ausgiebigste Handbemalung
verlassen. Seine Autoritrattifolge ist gewiß ein ungewöhnlich großes Unternehmen.
Welch wesentliche Rolle der Drucker Labrelis spielt, geht schon daraus hervor,
daß sein Name fast immer auf der Platte mit eingestochen ist.
Wie Ed. Gautier wollte Lasinio wohl seine großen Arbeiten als numerierte Folge
herausgeben. Ich kenne Nr.4 Bildnis Gautiers; Nr.7 Die Dichtkunst (1783); Nr.9
Der Jäger (17842); Nr. xo Musentanz (1784); Nr. 11 Venus mit dem Hündchen (1784);
Nr. 12 S. Johannes (1784); Nr. 13 Die Familie Mieris (1784). Auf diesen Nrn. g, 10,
11 und 13 kommt ein Monogramm FM (CM?) vor, das ich nicht zu erklären weiß.
1—10 Die Folge von Wiedergaben nach den Fresken in Sa. Annunziata
zu Florenz |
ı Der hl. Philippus bekleidet einen Aussätzigen nach dem Gemälde des Andrea
d’Angeli |
Im Hintergrund 1. nahen die drei Minche, in der Mitte treffen sie den Aussitzigen, und r. gibt
ihm der Hl. Philippus seinen Mantel: vorn eilt er von 1. herbei um dem Heiligen, der mit zwei
(1) Ritratti degli Archivescovi e Vescovi di Toscana — Firenze, 1787
Ornati presi da Graffiti e Pitture antichi, essistenti in Firenze — Firenze 1789 (40 Tafeln)
Pitture a fresco del Campo Santo di Pisa — Firenze, 1810 (dann 1812; 1828) (41 Tafeln)
Raccolta degli imperatori Romani
Affreschi celebri di XIV—XV secolo, incise dal Cav. Carlo Lasinio ва i disegni dal Cav. Paolo
Lasinio, suo Figlio — Firenze 1825— 1841 (24 Tafeln)
Auch für Pagni und Bardis (Firenze, 1791) ,Etruria Pittrice" schuf Lasinio Tafeln, und an manch
anderen der zahlreichen Werke seines Sohnes G. Paolo wird er mitgearbeitet haben.
58
Mönchen f. steht zu danken. Unten steht „Dedicata al Cittadino Gtuio (Car ) (Gne Estense
Tassoni"
Bez. ?
Von den vier gescbabten Farbenplatten (?): P1. etwa 630: 470
Ich habe keinen Druck geseben: daher meine unbestimmten Angaben. Es ist das erste Blatt der
Annunziata Folge.
Breslau, Smig. Geh. Baurat Toebe
Florenz (Nr. 14208 im Kupf. Kab. der Uffici)
2 Die den Hl. Philippus verhóhnenden Spieler werden vom Blitz erschlagen
nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli
Ich kenne keinen Druck des Blattes: nebme aber an daB Lasinio die ganze Folge ausfübrte, da
kein Grund vorlag ein Blatt von zehn, aus der Mitte der Folge fortzulassen. Sind mir ja sechs von
diesen zehn vorderhand nur in je einem Druck bekannt geworden.
Es ist das zweite Blatt der Annunziata Folge
3 S. Philippus heilt eine Besessene nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli
Sie fállt in Ohnmacbt in den Armen ihrer Eltern vor einem Torbogen. Ibrem Mund ist ein Teufel
entfahren, den der |. neben zwei weiteren grauen Mönchen stehende Hi. Philippus ausgetrieben bat.
L. steben noch ein rot gekleideter Jüngling und zwei Frauen, г. sechs Männer als Zuschauer, bei den
Eltern zwei Männer, Im Fenster oben l. eine Frau, mittlings drei Personen, r. nur ein weißes und
ein rotes Tuch. Im Unterrand stebt gestocben:
Andrea del Sarto іпу:, e dip: a fresco esiste nell’ ingresso della Chiesa della 88а Annunzlata di
Firenze Giuseppe Miller diseg:
Dedicata a Sua Exzellenza
il Sig:re Marchese Luigi Trionfi, Patrizio Anconitano ec. ec,
Approvata dal Cellb:e Sig:e Tommaso Ghe- Maestro della Reale Accademia di Firenze,
rardini | Wappen |
Lasinio incise | Labrelis impresse
Labrelis in segno d'ossequio. D.D.D.
Bez. wie angegeben
Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: Pl. 633: 473 B. (oben abgerundet) 570: 473
Es ist das dritte Blatt der Annunziata Folge
Libreria Mascelli (Florenz, 18, Febr. 1909, schlechtes, bemaltes, eingerissenes und mattes axem
plar um 20 lire angeboten)
4 Die Leiche des Hl. Philippus erweckt einen Toten nach dem Gemiilde des
Andrea d'Angeli
Die Leiche liegt vor einer Kspellen-Nische: ein Mönch küßt ibr die Hand, vier Mönche und ein
Greis steben ihr zu Häupten 1, vier Jünglinge und Frauen ihr zu Füßen r. Davor am Boden sitzt
ein sum Leben erweckter Knabe und liegt ein toter. Vorn |. ein Greis in lila Rock mit roter Schärpe
und ein Mann mit langem, grünem Mantel: т. ein Mann fast vom Rücken gesehen, und ganz r. ein
andrer der sich der Kapelle nähert. Auf besonderer (angeschweiBter?, 58: 463) Platte steht unten
gestochen:
Andrea del Sarto inv: e dipinse a fresco Giuseppe Miller disegnd. Carlo Lasinio
nell’ ingresso della Chiesa della Sua An- » шеше. Labrelis impresse a Colori
nunziata di Firenze appen Mse dei Riccardi di Patrizio Fiorentino ec.
All: Il]:mo Rev: mo Sig: re Cañco Subdecano ec. ec.
Gabbriello Labrelis in segno d'ossequio D. D D.
Approvato dal Sig: Tommaso Gherardini
(Auf dem einzigen bislang mir bekannten Druck ist die letzte Zeile nur geschrieben)
Bez. wie angegeben
Von verschiedenen, mehrfarbig . Schab- und Kreidemanier Platten: Pl. und B. (oben
abgerundet) 559: 463
Es ist das vierte Blatt der Annunziata Folge
Wien (stark übermalt)
39
5 Das Gewand des hl. Philippus heilt einen Knaben nach dem Gemälde ‚des
Andrea d’Angeli
Vor einem Altar in einer Kapellennische reicht ein Servitenmönch einem Knaben, den seine Mutter von 1.
berbeiführt, das Gewand des Hl. Philippus. Rechts eine knieende Frau in grün, ein knieender Mönch
und drei Männer, von denen der vorderste, barhäuptige, einen roten Mantel trägt. Auf den Stufen
ganz r. ein Greis. Links Mönche, Frauen, Kinder usw. Auf der Stufe mittlings steht „A'D.MDX“,
in der Scheibe oben L „Virtus / Delllo/R.“ in jener г. „E Sana | Ов“; sodann unten auf besonderer,
angeschweißter Platte (62: 474)
N
Andrea del Sarto inv: e dipinse a fresco 4 E G. Miller disegnó. Lasinio incise acolori.
nell’ Ingresso della Chiesa della S.83 An- Labrelis impresse.
nunziata di Firenze (
Marchese Nicolao Santini,
Dedicata a 8. E. il Sig:re Wappen
Inviato Straordinario della Sereniss;ma Repubb:ca di Lucca alla R. Corte di Tos-
d e cana ec: ec:
Labrelis in segno d'ossequio D.D.D.
Approvata in tutte le sue partie dal Celeb:e Sig:e J. Gherardini Maestro di questa
RA Accad:a di Pittura.
Bez. wie angegeben
Von mindestens drei mehrfarbig eingeriebenen Platten in Kreide-, Punktier- und Schabmanier:
Pl. und: B. (oben abgerundet) 562 : 475
Es ist das fünfte Blatt der Annunziata Folge
Wien (stark bemalt)
6 Der Zug der Hl. Drei Könige nach dem Gemälde des Andrea d’Angeli
Der reiche Zug bewegt sich nach 1, wo rückwärts zwischen Tempelsäulen Maria mit dem Kind
herbeieilt (?) In der Tür 1. eine Gestalt in rotem Mantel: usw. usw, Auf dem Stein vorn in der
Mitte steht „X“, und unten auf besonderer, angescbweiBter Platte (62 : 468)
Inventé et Peint par André del Sarto. Existe dans le Vestibule del' Eglise de l'Annonciation a Florence —
Dessiné par Mr Joseph Miller Gravé par Mr Lasinio Imprimé en couleur par Labrelis
Dédié à Monseigneur le Comte Francois . Bielinski Grand Notaire de Pologne
Chevalier des ordres de Sg, Majesté ec. ec. ec.
Wappen
par Votre trés humble et
tres obeissant Seruiteur Labrelis
Approuvé par Monsieur Tomas Gherardini Maitre de Peinture de l'Academie de Florence
Bez. wie angegeben
Von mehreren, mehrfarbig eingeriebenen Punktier-, Kreide- und Schabplatten: Pl. und B. (oben
abgerundet) 559: 470
Es ist Blatt sechs der Annunziata Folge
Braunschweig (aus der Smlg. Vasel, Nr. 3315 in dessen Katalog, der es auf der Versteig.
Pommer Esche in Berlin, bei Amsler & Ruthardt, 37. Nov. 1899 Nr. 1593 erworben hatte; ohne Unter-
rand): Wien (stark bemalt)
7 Die Geburt Mariae nach dem Gemälde des Andrea d'Angeli
. Anna sitzt г. aufrecht im Bett; eine Magd bringt ihr Erfrischung. Vorn 1. sitzen zwei Frauen
mit Maris beim Kamin; in der Mitte stehen zwei weitere: usw.
Bes. ?
Von mehreren Farbenpletten: Pl. und B. (oben abgerundet) ungeführ 560: 470
Da ich keinen Druck selbst gesehen babe, vermag ich genauere Angaben vorläufig nachts su machen.
Es ist das siebente Blatt der Annunziata Fo'ge
Verst. Amsler 4 Ruthardt (Berlin, 19 Juni 1900, Nr, боо um 50 Mk. an Kennedy)
8 Die Vermählung Mariae nach dem Gemälde des Franc. Bigio
Der Priester hält mit seiner L. Marias L., auf die Joseph den Ring zu stecken im Begriff steht.
Der Jiingling der ReiBig über seinen FuB bricht sitzt unten r.: usw. Unter der E..L. ist gestochen
,Francabigio dip: Giuseppe Miller del: esiste nell’ ingresso della Chiesa | Wappen | della вай‹а An-
nunciata di Firenze Lasinio incis: Labrelis imp:“
Bez. wie angegeben
Von mehreren (?) farbig eingeriebenen Platten gedruckt (ich sah nur den Artariadruck, und das
war ein farbig eingeriebener Einplattendruck: B. (oben abgerundet) 568 : 469
Es ist das achte Blatt der Annunziata Folge
Verst. Amsler & Rutbardt (Berlin, 19. Juni 1900 Nr. бот, schlechter, bemalter Druck, um 45 Mk.
an Artaria; dann von Artaria, Wien, 24. Jan. 1903 um Mk. 150 ausgeboten)
9 Die Heimsuchung nach dem Gemälde von Jac. Carrucci da Pontormo
Vor einer Nischenarchitektur kniet Elisabeth r. auf Stufen vor der sich zu ihr neigenden Maria.
L. von Maria andere Frauen von denen eine ein Kind trügt, die vorderste auf den Stufen sitst, R. von
Elisabeth fünf Gestalten, darunter ein nackter Knabe, der vorn auf den Stufen sitzt; usw.
Bes. ?
Von den vier geschabten Farbenplatten (2): РІ, etwa 630:470 В. oben abgerundet
Ich habe keinen Druck gesehen: daher meine unbestimmten Angaben: Es ist das neunte Blatt der
Annunziata Folge
Florenz (Nr. 14211 im Kupf. Kab. der Uffizi)
-
10 Die Himmelfahrt Mariae nach dem Gemälde von G. B. Rossi (Fiorentino)
Unten die zwölf Apostel in großen Münteln, die Augen auf Maria gerichtet, die in einer Engel-
wolke nach oben steigt.
Bes. ?
Von mehreren geschabten Farbenplatten (?): РІ, etwa 630: 470
Ich habe keinen Druck gesehen: daher meine unbestimmten Angaben: Es ist das zehnte Blatt der
Annunziata Folge
Florenz (Nr. 14210 im Kupf. Kab. der Uffizi)
11—14 Die vier Weltalter nach den Fresken des P. Berrettini in der Sala
della Stufa des Pal. Pitti zu Florenz.
rr Das goldene Zeitalter —
Auf dem Baum oben 1. pflückt ein Jüngling Früchte; darunter ein Schäfer und eine Schiferin.
R. ein Löwe unter Putten und Frauen.
Bez. unter der E.-L. ,Pietro da Cortona dip: L'Età Dell' Oro C. L. inci:
Mehrfarbig sinzerébenet Einplattendruck, Radierung mit Kreide-Punktier-Ton; Pl. 553:44a B.-L.
518 : 420
I — Statt des Titels in der Inschrift steht ,presso Labrelis in Firenze"
П — Wie beschrieben
I2 Das silberne Zeitalter —
Vorn 1. Bacchus und Ceres; dabinter Herakles. R. drei Musen mit einem fidtenden Knaben,
Löwen usw. Rückwärts eine Schafschur.
Bez. wie Nr. x1 nur mit ,L'Età Dell' Argento*
Wie Nr. 11 ; Pl. 556:436 E.-L. 317: 410
I wie Nr. 11
И wie Nr. ІІ
I3 Das eherne Zeitalter —
Rechts verteilt ein Herrscher Verdienstkronen: 1. steht ein Gesetzgeber mit kleinen Tafeln; vorn am
Boden drei Gefangene, usw.
Bez. wie Nr. 11 nur mit ,L'Età Del Rame"
Wie Nr. 11 ; Pl. 557:446; „E.-L. 523: 418
I wie Nr. 11 | s
U wie Nr. ІІ
I4 Das eiserne Zeitalter —
Vorn r. wird eine Frau, in der Mitte ein Greis, und 1. in einem Tempel ein Priester ermordet; usw.
Bez. wie Nr, 11 nur mit ,L'Età Del Ferro“
Wie Nr. 11 ; Pl. 552:444 E.-L. 522 : 423
I wie Nr. rr
П wie Nr, 11
Lebl. ros
61
Jacob Levi (Wiesbaden, б. Mal 1904 ein farbig-bäßlich in Blau, Rot, Braun und Grün gedruckter,
stark bemalter Satz von Il, um 160 Mk. ausgeboten); Verst. Gutekunst (Stuttgart, Mai 1905 Мг. 824,
nur das silberne Zeitalter als ,Herbst“ im guten Druck von I, W. == Gori Livini E Compagni um 52 Mk,
an Kempner); Verst. Haile (Munchen, 15 Juni 1907 Nr. 407 um 76 Mk.)
Berlin (Satz von I; W. == „Gori Livini E Compagni" und „Colle in Toscana“, grünlich-bläuliches
Kolorit) |
15—26 Die Folge der Florentiner Straßentypen
Es sind alles Einzelgestalten in ganzer Figur, zerlumpte Typen, mit ganz wenig Andeutung der
Landecbaft und ohne Angabe des Himmels. Die zwólf, Mehrplatten-Farbendrucke sind nicht numeriert.
Ich folge der Reihe von Darstellungen, wie sie auf dem Titel im Umriß steben. Das dritte Blatt ist
„Carlo Lasinio" die übrigen ohne Vornamen „Lasinio“ usw. bezeichnet, Bei Blatt Nr. 16 nur gebe
ich die volle Bezeichnung; sie weicht nur in unbedeutenden Einzelheiten auf den anderen Blättern ab.
15 Pollaiolo als Titelblatt. Ein Bänkelsänger von vorn, mit der Guitarre am Band um
den Hals ап der L., die R. erboben, den schwarzen Dreimaster auf dem Kopf, stebt да in rotem Rock,
grüner Weste, blauer Kniebose, weißen Strümpfen und schwarzen Schuben. Am Stämmchen neben
ihm büngt ein großes Blatt, mit Umrissen der 12 Darstellungen. Darunter steht gestochen: „Serie
de та Ritratti | di persone facete, che servono | a divertire il Pubblico Fiorentino. | disegnate e incise
da Carlo Lasinio. | POLLAIOLO", und im Unterrand ,Gaet: Calamandrei impres. a colori — In
Firenze presso la Società Calcografica."
Bez. wie angegeben
Radiert, Kreidemanier usw. von mehreren Platten: Pl. 391: 25g
16 Claudi Er steht vorn und spielt die Laute, in schwarzem Hut mit riesiger steifer Krempe,
blauem, langem Rock, geblümter, grauer Weste, schwarzer Kniehose usw. Auf einem Stein unten 1,
steht „CLAVDI“
Bez. unten „Lasinio disegno, e incise dal vero In Firenze presso la Società Calcografica
Gaet:0 Calamandrei impresse a Colori"
Wie Nr. 15 ; Pl. 390: 259
[]
17 Antonio Niccolai Er steht nach 1. mit Kopf und Blick nach vorn, neben seinem
blauen Guckkasten, auf dessen Aufschrift „ANTONIO NICCOLAI“ er mit seiner L, weist und den er
mittels Fadens mit der R. aufzieht. Er ist barhäuptig, mit Puderperücke, schwarzem langen Rock,
brauner, offener Weste, schwarzbrauner Kniehose, usw. bekleidet.
Wie Nr. 15
Wie Nr. 15 : Pl. 391: 260
I8 Cicerone Er steht nach 1, blickt uns lächelnd an und bait ein Buch mit dem Wort
„CICERONE“ in seiner R. Die herabgelassene L. bält den Dreimaster. Bis auf die zerrissenen
braunen Strümpfe ist er ganz schwarz angezogen.
Wie Nr. 15
Wie Nr, 15 : Pi. 392: 257
I9 Carlo Er steht, scheinbar blind, im Profil nach 1, und hält mit beiden Händen den Stock
an dem ein Becher mit „CARLO“ gebunden ist, worin г. auch eine Münze liegt. Er trägt Haube,
langen braunen Rock, blaue Weste und Hose, usw. und sein großer schwarzer Schlapphut liegt am
Boden 1.
Wie Nr. 15
Wie Nr. 15 : Pl. 390: 260
20 Bambino Giorgio Er steht von vorn gesehen, geradeaus schauend, mit einem Sack
über der 1. Schulter, auf dem man ,Babo Giorgio“ liest. Am L Arm hängt ihm ein Korb, die R
. halt er an die Wange; sein Dreimaster mit Kokarde ist schwarz, sein langer Rock und die Weste
blau, die Hose rot, die Schürze schwarz, usw.
Wie Nr. 15
Wie Nr. 15 ; Pl. 302:262
2I Niccole Er steht von vorn, die L. herabgelassen, die R. zum Mund geführt, in mách-
tigem schwarzem Dreimaster, grünem Rock, blauer Weste, schwarzer Kniehose, brauner Lederschürse,
blauen Strümpfen, usw. Unten r. auf einem Stein steht , NICCOLE",
Wie Nr. 15
Wie Nr. 15 ; PL 388: 255
62
22 Basana Eine fette Pilgerin sitzt nach r., den Blick auf uns gerichtet, mit Stab und
Chisntiflasche binter sich, den Rosenkranz in den Händen, ein schwarzes Tuch mit blauer Scbleife
auf dem Kopf, Blumen an der Brust, braunem Kleid, weiBer Schürze, strumpflos und mit schwarzen.
lóchriyen Schuhen. Das Gesicht sieht wie das eines Mannes aus. Auf einem Stein 1. steht „BASANA“
Wie Nr. 15
‚Wie Nr. 15 ; Pl. 394: 260
| 23 Calabria Der nach r. stehende Mann hält in seiner L. ein Flugblatt mit einem Pelikan
und der Schrift „CALABRIA“, an seinem г. Arm einen Korb mit Rosenkrünzen, Flugblütiern, usw.
Er trägt schwarzen Dreimaster und Rock, blaue offene Weste, rote Kniehose, usw.
Wie Nr. 15 4
Wie Nr. 15 ; 394: 260
94 Pierannizzi Der nach r. stehende, uns anblickende Mann, hilt in seiner L. eine Hans-
wurst-Puppe, während vor ihm ein Hund mit Haube Männchen macht. Einen zweiten Hund trägt
er in seiner gelben Schürze auf der „PIERANNIZZI“ steht. Hut und Rock sind zerlumpt und schwarz,
die Hose blau: er ist strumpflos. |
Wie Nr. 15
Wie Nr. 15 ; Pl. 397: 261
25 Domenico Bartolini Ein nach r. stehender, uns unter seinem Dreimaster anlücheln-
der Mann, ruht seine Tastenzither auf ein Gestell, das die Schrift ,DOMENICO BARTOLINI“ trägt
Er spielt mit beiden Händen und trägt blauen Rock und Kniehose, weiße Weste, usw. Hier, etwas
mehr Landschaft im Hintergrund,
Wie Nr. 15
Wie Nr. 15 ; Pl. 394: 260
26 La Signora Maddalena Sie steht etwas nach 1. die Hände über den Leib gekreust,
in wei3er Haube mit Blimen und bantsn Bindern, schwirzem Brusttu:h. blausm K eid. weißer, zer-
rissenen Schürze. Auf einem Stein vorn 1. steht: „LA SIG:ra MADDALENA“. Hier, wieder etwas
mebr Landschaft im Hintergrund.
Wie Nr. 15
Wie Nr. I5 РІ, 397: 260
Die Originalaquarelle, angeblich, befanden sich im Besitz des Herrn Tenente Corrado Nobili zu
Florenz, der sie am 2. Mai 1903 zum Kauf anbot. :
Farbendruck Ausst. Leipzig 1902 (Nr. 173-4 unsre Nrn. 20 und 24, Dresdener Drucke)
Verst. Amsier & Ruthardt (Berlin, 1g Juni 1900 um 54 Mk. an Herrn Tilge in Berlin); Verst,
Qutekunst (Stuttgart, 16 Маі 1904, Nr. 827, vollsäniige Reihe um 390 Mk. zurückgekauft); Verst.
Pettenegg (Wien 1906, Nr. 1366 Basana und Maddalena um 15 Kr., Nr. 1367, Giorgio, Bartolin.
und Niccolo um aa Kr.); Libreria Mascelli (Florenz, 18. Il. 1909, Giorgio, schöner Druck, im Papier
ausgebessert, um то lire)
Dresden (Cicerone, Basana, Pierannizzi, Bartolini, Calabria und Giorgio, schöne Drucke um 7s Mk.
auf der Verst, Gutekunst, 20. Mai rgor Stuttgart) Dresden, Smig. Prof. H. Brockbaus (Maddalena
und Niccolai); Florenz; Florenz, Әтір. C. Nobili (mit hdschr. Titel und Bezeichnungen „XII ritratti
di persone eccentriche del volgo fiorentino. Veduti in disegni originali, coloriti del Lasinio, 1 Claudi
a П Cicerone 3 Il fioraro dal mondo novo 4 Erilo calzolaro dalla porta Romana 5 La Bazana 6 П
Creco dal Saltero 7 Papa Giorgio Cenciainolo 8 Vende ostriche ossia Bastone 9 Carlo 10 Siga.
Maddalena dalla porta Romana 11 Pierannuzzi do il Bucatinaro 12 Vende Santi el Storie)
27—37 Die Toskanischen Volkstrachten. |
Der Titel zeigt eine Umrahmung von Wein und Getreide um die Schrift ,I Contadini | Della
Toscana | Espressi Al Naturale | Secondo Le Diverse | Loro Vestiture | In Sessanta Stampe | а
Colori | Firenze l'An: 1796 | presso Gius: Bardi іп via Maggio Firenze. | Con privilegio di S. A. R."
Darunter tanzen sieben Personen, ;
Bez. unten 1. ,Lasinio Trevisano F.“ und г. „Giarre scris.“
Rad. und gestochen, einfarbig: Pl. rd. 340:240
Von den sechzig Tafeln sind die ersten elf von Lasinio. Sie sind Einplattendrucke, meist nur
wenig farbig eingerleben und gewöhnlich stark ausgemalt. Sie sind punktiert mit Stricharbeit und
rd. 340:240 die Darstellungen rd. 245:185 groß. Alle sind bezeichnet „Ant. Bicci del. Gius. Vardi
impresse С. Lasinio inc.“ (nur Blatt x trägt „Gaet.“ statt „Ant.“), darunter jeweils der Titel, und
darunter ,presso Gius. Bardi in via Maggio Firenze | Con Real Privilegio." sowie unten r. die Nummer.
27 1 „Abito Delle Contade: Del Piano Di Ripoli | Nei contorni di Firenze". Zwei Frauen,
jene т. mit Strohhut und Blumenkórbchen in ihrer 1. Hand. ;
28 2 ,Abito De Contadini Sposi | Nei Contorni di Firenze“. Die Braut L; der Bráutigam in
der Mitte reicht seine L. einem kleinen Mädchen г. | "
29 3 „Abito: De Contadal: Giovani Del Piano Di Ripoll: Nei contorni di Firenze“ Ein kleiner
Knabe 1., hinter einem Mädchen i, d. M., das Blumen nimmt а. d. Korb den ihr ein Mann r. anbietet.
30 4 ,Abito Degli Ortolani Di Legnaja | Nei contorni di Firenze" Eine Marktfrau sitzt r. und
hält einen E 2 desgl. tut stehender Mann, der ferner etwas aus dem Korb eines Knaben r. nimmt,
31 5 „Abito Delle Donne Tessitore | .... | de contorni di Firenze“ Ein Knabe L seine Mutter
r, und zwischen beiden hinten eine Dienstmagd: beide halten einen Wollstrang.
32 6 „Abito Delle Contadine del Galluzco: | nei contorni di Firenze" Ein Knabe hält seine
Schürze mit "der L. und wird von seiner Mutter nach 1. geführt.
33 7 ,Abito Delle Contadine Ragazze | nei contorni di Firenze" Ein Knabe wird von einer
Frau nach т. geführt: sie hält ihre К. unter die Schürze,
34 8 ,Abito Dei Contadini Del Poggio A Cajano | nei contorni di Firenze" Eine Frau mit
Geflügel 1,; т. sitzt ein Mann auf einem Stein und hat die Chiantiflasche neben sich. |
35 9 „Abito Del Pecorajo Della Montagna | di Pistoja“ Ein Hirt schreitet nach I.; vor ihm
ein kleiner Hund; r. ein Schaf
36 10 ,Abito Dei Contadini Di Casale | Nel Pistojese^ Eine Frau 1. mit einer Betschwester
an der R.: г. "ein Mann vom Rücken gesehen, der nach einem Gebäude r. weist.
37 тї „Abito Dei Giovani Sposi | Nel Contado Pisano“ Eine sitzende Frau I.; ein Mann steht
am Tisch r. und hält einen Stab in seiner L.: 1. ein Fenster.
Die anderen Tafeln sind von G. Canacci, Cavini, О, B. Cecchi, Mugnon, Gius. Pera, Ant. Scoffo,
Gaet. und Pietro Zancon gestochen.
Helbing (München, in seinem Anzeiger Nr. 14, S. 7 Nr. 48 bot ein Ex. mit nur 56 Blatt um
Soo Mk. aus); Hiersemann (Leipzig, ein Exemplar mit nur 49 Blatt am 7. Dez. 1000 um 150 МЕ.
ausgeboten)
38—423 Die Folge der Selbstbildnisse
Ein Exemplar mit gedrucktem Titelblatt oder mit Text ist mir nicht unter die Hand gekommen.
Mir sind die nachstebend alpbabetisch aufgezüblten Bildnisse bekannt. Das sind lange nicht alle die
z. B. der franzós. Katalog der Uffizi von 1869 anführt; dagegen fehlen in diesem Katalog sehr viele,
namentlich neuere Italiener, die bei Lasinio vorkommen.
Nicht alle Platten sind beschriftet und noch weniger bezeichnet. Die Bezeichnung, oft auf beson-
derer (angelegter oder angeschweißter) Schriftplatte, wenn vorhanden, sieht ungefähr so aus:
Lasinio Veneziano del: e inc. Labrelis impres:
FRANCEO SOLIMENA
No. an: 1657 Mo. an: 1747
Es gibt aber auch kürzere Bezeichnungen, 2. B. nur mit dem Mgrm, „CL“ im Unterrand.
Von den Bildnissen die in meiner Liste mit einem * versehen sind kenne ich Drucke mit der Be-
zelchnung. In der folgenden alphabetischen Liste sind alle Bildnisse aufgefübrt, die mir unter die
Hand gekommen sind. Da es sich vielfach um nur handschriftlich betitelte Exemplare handelt, mag
ев vorkommen, daß einige der Namen die ich angebe nicht stimmen, denn ich hatte nie die vielen
fraglichen Exemplare zusammen bei der Hand zum Vergleich.
Diese, nach meinen Ermittelungen, 388 Bildnisse stellen an sich schon eine merkwürdige und be-
achtliche Leistung dar.
Einselblütter der „Ritratti“ kommen häufig vor. Auf der Verst. Qutekunst vom 23. Apr. 1894 gingen
sieben Stück um zwel Mark (!) an Lauser: ich selbst kaufte 1903 44 Stück um 26,35 Mk. in Florenz.
Andrerseits kam der Fil. d'Angelis auf der Verst. Gutekunst in Stuttgart vom 15 Mai 1896 Nr. 356
auf 30 Mk. Іп der Smig. Dr. Cornelius Loewe in Berlin befinden sich 36 Stück schöne Drucke; іп
der Smig. Marre zu Boston 28, in Dresden 56, in Hamburg 2, in Braunschweig (sus ш Маве1
Smig) 5; usw. Interessant sind aber eigentlich erst die großen Folgen.
Drei gróBere Exemplare sind mir bekannt.
Dasjenige in London ist in drei Bänden gebunden und birgt 246 (108, 69 und 69) ausgezeichnete,
fast gänzlich gedruckte Bildnisse. Es wurde 1879 erworben und hat einen hds. Titel: „Rittratti De’
Pittori | Esistenti / Nella Reale Galleria Di Firenze | Disposti per Scuole, e Cronologicamente per Eta, |
Divisi in Tre Tomi. / I. Fiorentina, o Toscana. | II. Veneziana. | Romana, e Napoletana. | Lombarda,
e Bolognese. | ІП. Genovese, e Turinese. | Francese, e Spagnuola. | Inglese, е Ginevrina. | Tedesca,
Olandese, e Fiamminga. | = | Ogni Pictore espresse se stesso col/proprio Pennello. | = | Venezia |
M DCCLXXXIX.
64 .
Am 4. Mai 1905 bot Hiersemann-Leipzig ein Ехетріаг um 22$ Mk. aus, das 172 Bildnisse umfaßtfe
Es waren sämtlich Drucke von der Zeichnungsplatte in einer (meist bräunlichen) Farbe und bis au.
eine Ausnahme mit nur geschriebenen, nicht gestochenen Titeln. In manchen Fällen mag die Platte
zweifarbig eingerleben gewesen sein, und alle Bilder waren ausgemalt. Das W. war Schild mit Gori
Livini E Compagni. Die Bildnisse waren hds. numeriert und betitelt: sonst kein Text.
Auf der Verst. Theobald (Stuttgart, Gutekunst 12 Mai 1910 um 1950 Mk. an Halle verkauft, der
es kurz vor Ausbruch des Kriegs nach Paris weiter verkaufte) erschien ein ganz hervorragendes Exem-
plar in drei Bänden mit 350 (120, 133 und 97) Blatt, (Nr. 4 des ersten Bandes fehlte, Baszi als Razzi-
Sodoma erscheint zweimal im aten Bd.); bei Nr. 26 „F. Benedetto de Greus stand „l'originale e fatto
a penna"). Der geschriebene Titel lautete: „Raccolta | Di 350 Ritratti Di / Pittori | Incisi da Carlo
Lasinio Veneziano, | Divisi in tre Volumi, | De’ quali i due primi contengono i / Pittori Italiani, /
П terzo gli Stranieri. | Volume 19, | Ritratti No. 120" (2 == No. 133: 32- No. 97). Aus dem „Aver-
timento“ geht hervor daB die hdschr. Titel aus, Orlandi, Zani und Lansi gezogen sind. , Questa serie
di Ritratti rappresenta | la preziosa raccolta dei Ritratti di Pittori, che | si sono da se stessi dipinti,
e che ai conser-/vano nella Duchale Galleria di Firenze",
| d
33 Agar, Jacques d 85 *Bimbi, Bartolommeo 133 *Chiavistelli, Jac.
39 Aikman, William 86 *Biszelli, Giovanni 134 *Chimenti, J. da Empoli
40 Albano, Francesco 87 Bloemaert, Abraham 135 Ciabelli, G.
41 "Alberti, Cherubino 88 Воссассіпі, Camillo 136 *Cignani, Carlo
42 *Alberti, Giovanni (Bucacci) 137 Cinque, Giovanni
43 Aldovrandini, Tom. 89 Bocciardi, Clemente 138 Ciocchi, Q. M.
44 *Allori, Alessandro 90 Bol, Ferdinand 139 Colonna, Michelangelo
4$ * „ Cristofano 91 Bombelli, Sebast. 140 Commodi, Andrea
46 *Aloisi, B. Galanino 92 *Borgianni, Orazio 141 *Conca, Sebast.
47 Amerighi,M.A.Caravaggio 93 *Boscoli, Andrea I42 Contarini, Giovanni
48 Amerling, Friedr. 94 *Bottani, Giuseppe 143 Conti, Francesco
49 Angeli, A. del Sarto 95 *Botti, F. { 144 Coppi, Giacomo
so *Angelis, Filippo de 96 Botti-Scifone, Ida 146 Corvi, Domenico
51 Anguisclola, Sofonisba 97 Bouchardon, Edmond 146 Courtois, J. Borgognone
sa Antonie, Kurf. von Bayern 98 Brun, Charles Le 147 Coypel, Antoine
(Bavièra) 99 *Buonaccorsi, Perino del 148 Crespi, Daniele
53 Aretusi, Cesare Vaga 149 „ Giuseppe М.
54 Arlaud, Jacques А. 100 *Buonarotti, Michelangelo 150 *Cresti, Domenico Passi
55 Baccherelli, V. хо Buoncore, G. B. gnano
56 *Bagnoli, Giov. B. 102 *Buontalenti, Bernard 151 *Curradi, Francesco
57 Bakker, Frans de 103 Burino, Antonio 153 *Dagoty, E. Gautier
58 *Balassi, Mario 104 Caccianemici, Franc. 153 *Dandini, P.
50 Baldacci, Maria M. 105 Caccianiga, Е. 154 Danzig, Salomon von
60 Baldrighi, Giuseppe 106 Caccioli, Giuseppe 135 Dolci, Carlo
бі Balestra, Antonio 107 Cairo, Francesco 156 *Dossi, Dosso
62 Bambini, Pompeo 108 Calcar, Johann von 157 Dou, Gerard
63 *Bandinelli, Baccio 100 Caliari, Paolo Veronese 168 Douwen, Jan Frans
64 Barbarelli, Giorgione IIO Callot, Jacques 159 Duchamp, Jean Campo
65 *Barbatelli, Bern. Poccetti тїї Cambiaso, Luca (Campino)
66 Barbieri, G. F. Guercino 112 Campagna, G. D. 160 Duerer, Albrecht
67 Baroccio, Ambrogio 113 Campana, J. J. (F.) 161 Duflos, Philothée (De Flos)
68 » Federigo 114 Campiglia, Giov. D. 162 Dijck, Anthonis van
69 Batoni, Pompeo 115 Campi, Galeazso 163 Elsheimer, Adam
70 *Bazsi, С. A. Sodoma II6 Carracci, Agostino 164 Facini, Pietro
31 *Beccafumi, Dom. Meche- 117 „ Annibale 165 Faes, Pieter v. d. Lely
rino 118 а Antonio 166 Fanti, Vincenzio
73 *Beccalini, а. 119 * , Francesco 167 Favray, Antoine
73 Bel, Jean Le 122% „ Lodovico 168 ®Feltre, Morto da
74 Bellini, Giovanni tat * Cardi, Lod. Cigoli 169 Ferrabosco, Gir. Fora-
75 Bellotti, Pietro 122 Carriera, Rosalba boschi
76 Bellucci, Antonio 123 Casini, Giovanni 170 Ferrari, Luca
77 Bemmel,Julius 124 Cassana, Giov. Agost. 171 Ferretti, Giov. Dom.
78 *Benefiali, Marco 125 Р „ Franc. 172 *Ferri, Ciro
79 Benwell, Maria 126 S Niccolo 173 * , Gesualdo
80 Berkheijden, Job Brecken- 127 Casserotti, Violante 174 Fontana, Lavinia
berg 128 Castiglione, Benedet. 175 *Franceschini, B. Volter-
81 *Bernini, Giov. Loren. 129 Cavedone, Jacopo rano
82 *Berrettini,PietrodaCortona 130 Cerratti, Viol, Siries 176 Franceschini, Marcantonio
83 Bertini, Ant. Seb. 131 *Cesari, G. d'Arpino 172 *Franchi, Antonio
84 *Bettini, 8. 132 *Chiari, Giuseppe 178 Franck, Frans F.
Monatshefte für Kunstwisnenschaft, Jahrg. XI, 1913, Heft 2/3 5 | 65
179 Fratellini; Giovanni Mar-
mocchini Cortesi
180 *Furini, Francesco
181 Gabbiani, Ant. Dom.
182 * ^ О. А.
183 Gallantini, F. Ippolito
184 *Galeotti, 8.
185 Galletti, Fil. Maria
186 Gambacciani, Francesco
187 Gaulii, G. B. Baciccio
188 Gennari, Benedetto
188a " Cesare
189 *Gherardini, Alessandro
189a j Tommaso
190 *Ghezzi, Pier Leone
191 Gianuzzi, Giulio Romano
хоз *Giordano, Luca
193 Glain, Pasquale de
194 Grati, G. В.
195 Greys, F. Benedetto de
196 Grisoni, G.
197 Guidi, Tom. Masaccio
198 Guttenbrunn, L.
199 Hastner, Hieronymus
200 Hesse, Ferdinand
201 Hickela, Joseph
Hoare, Prince
Hodan, G.
Holbein, Hans
Honthorst, Gerard
Jacobsz, Luc, v. Leiden
Jordaens, Jacob
Kauffmann, Angelika
Klockner, David
Kneller, Godfrey
Koningh, Philips
Kranacb, Lukas
Laer, P. de Bamboccio
Lairesse, Gerard
Lanfranco, Giovanni
216 *Lapi Niccolo |
Largilliére, Nicholas
Legnani, Stefano M.
Ligozzi, Jacopo
Liotard, J. Etienne
*Lippi, Lorenzo
Longhi, Pietro
Lopez, Christobs!
Loth, Karl
Luti, Benedetto
*Macpherson, Joseph
Maganza, Giov, B.
*Manetti, Rutilio
*Manuszi, Giov. Da San
Giovanni
Manzuoli, Tom. Da San
Friano
Maratti, Carlo
Mari, Giuseppe
*Marinari, Onorio
Maron, Anton
237 Marteau, Franc,
238 Martinoti, Jacopo
239 *Marucelli, Giov. St.
240 *Mazzanti, Giov.
232
233
234
235
236
Leisman, Joh. Anton Cousin
220 *Licinio, G. A.daPordenone
241 *Maszanti, Lodovico
242 *Mazzucchelli, Pier F. Mo-
razzone
Mazzuoli, Franc. Parme-
giano
*Medici, Pietro
Medina, Giov. Batt.
Mengs, Ant. Raphael
(Meusnier)
Messini, Ferd.
Metsu, Gabriel
Metsijs, Quentin
Meucci, Vincenzo
Meus, Livius
Meijtens, Maerten A.
Miel, Jan
4 Mieris, Frans van
Milani, Aurelio
Mola, P. Francesco
Molijn, P. Mulieribus
(Tempesta)
Monari, Cristofano
259 *Monetti, N.
260 Montano, Giuseppe
261 Monti, Francesco
262 Moor, Antoon
263 Karel de
264 *Morandi, Giov. Maria
265 More, James
266 Moro, Lorenzo del.
267 *Moroni, Giov. Batt.
268 Murray, Thomas
269 Musscher, Michiel
270 Nanteuil, Robert
271 *Nasini, D. Antonio
272 „ QN.
273 Natoire, Charles
*Nebbia, Cesare
*Niasini, C. Q.
Northcote, James
*Nuzzi, Mario
278 *Pagani, Gregorio
*Paggi, Giov. Batt.
*Pagholo, Fra Bartolom-
meo
Paglia, Francesco
*Paladini, Arcangela
*Palma, Jacopo d. J.
Panfi, Romolo
*Paolini, Pietro
Pareya, Giovanni da
Parodi, Domenico
*Passeri, Giuseppe
Passerotti, Bartolommeo
290 a Tiburzio
» Ventura
Pazzi, Antonio
Pellegrini, Antonio
Pencz, Georg
Pendelli, Q.
*Pertichi, P.
*Petrazzi, Astolfo
Petrucci, F.
Piattoli, Anna
^ Gaetano
301 Piella, F.
302 *Pignoni, Simone
243
244
245
246
247
248
249
303
304
305
306
307
308 *
309
310
311
312
313
314
315
316
317
318
319
320
321
322
323
324
325
326
327
328
329
330
331
332
333
334
335
336
337
338
339
340
341
343
343
344
345
346
347
348
349
350
351
354
353
354
355
356
357
358
359
36о
361
36a
363
364
365
366
Pinacci, G.
Pittoni, Giov. Batt. |
Plattenberghe, Mat., Platte-
Montagne
Poerson, Charles de
Ponte, F. da Bassano
n J. ” n
Pourbus, Frans
Pozzi, P. Andrea
Preissler, Joh. J.
*Preti, Mattia
Preziado, Francesco
*Primaticcio, Franc.
Quadal, Marin F.
Quilliard, P.
Ramenghi, Bart.
Bagnacavallo
*Redi, Tommaso
Rendelii, Q.
Reni, Quido
*Resani, Arcangelo
Reynolds, Joshua
Ribera, Giuseppe
Spagnoletto
Ricci, Sebastiano
Riccio, D. Brusasorci
*Ricciolini, Michelangelo
* ow Niccolo
Ridolfi, Claudio
Rigaud, Hyacinthe
*Riminaldi, Orazio
Riviera, Francesco
*Robusti, Domenico
Marietta
*Roncagli, Cristofano
*Rosa, Salvatore
Roslin, Alexander
Rosselli, Matteo
Rossi, Alessandro
, Antonio
т! F. Salviati
Rotari, Pietro
*Rubens, Pieter P.
Rijn, Rembrandt H. van
Sagrestani, Giov. C.
Salimbeni, Ventura
Salvi, О. Sassoferrata
Sandraert, Joachim
*Santi, Raffaello
Scacciati, Andrea
Schalcken, Gotfried
*Schiavone, Andrea
Schoonjans, Antoon
Schwartz, Christoph
Scorza, Sinibaldo
Segala, Giovanni
Seghers, Gerard
Sevin, Claude A.
Seybolt, Christian
Simonini, Francesco
Sirani, Giov. B. Andrea
Soderini, F.
Sole, Giuseppe del
*Solimena, Francesco
Sorbi, Giovanni
*Sorri, Pietro
367 Spada, Leonello 387 *Trevisani, Francesce 406 *Vignali, Jacopo Casentino
368 Sparvier, Pierre 388 Troy, F. de 407 *Vinci, Leonardo da
369 "Speransa, Giovanni B. 38g „ Jean F. de 408 Visa, Sebastiano da
370 Spinelli, Chiara : 390 *Vanderbrach, Niklaer 109 Visentini, P. А.
371 Spranger, Bartholomaeus 391 Vanderhelst, Barthol. 410 Vivien, Joseph
37a *Stefaneschi, F. Giov. B. 392 Vanderneer, Aernout 41x *Vlivelli (sic), Cosimo
373 Storer, Christoph 393 Vanderwerff, Adriaen 413 Voet, Ferdinand
374 Sustermans, Justus 394 Vanerton, Franc. 413 Vos, Maerten do
375 Taruff, Emilio 395 Vanni, Franc. 414 Vouet, Simon
326 Tavarone, Lazzaro 396 *Vannini, Ottavio 415 Vump (sic), Jan
377 Terburg, Christoph (sic) 397 Vannucci, P. Perugino 416 Webrlein, Wenzel
378 *Terzi, C. 398 Varotari, Chiara 417 Werthmüller, G. B.
379 Testa, Pietro 399 Vasari, Giorgio 418 Wulky, Michael
380 Tiarini, Alessandro 400 *Vassilacchi, Antonio 419 Zampieri, Domen. Domeni-
381 Tibaldi, Pelleg. Pellegrini 401 Vecelli, Tiziano chino
382 *Titi, Tiberio 402 Velazquez, Diego 420 Zanchi, Antonio
383 *Tito, Santo di 403 Veneziano, Antonio 421 Zoflany, john
384 Torelli, Felice 404 Veracini, Agostino 422 *Zuccaro, Federigo
385 : Lucia 405 er Benedetto 443% „ Taddeo
386 Trevisani, Angelo
II Die Einzelblátter
424 Die Beweinung Christi nach dem Gemilde von Andrea d'Angeli, jetzt in
der Pitti Galerie Nr. 58 ,
Es ist die bekannte Darstellung in der Christus, nach r. sitzend, gestütst wird. Auf dem Hügel
vorn 1. sieht man zwei Bäume, auf jenem hinten r. vor einer Bergkuppe ein Kastell, Johannis Rock
ist blau, sein Mantel rot, Mariae Kleid rot, Überwurf und Haube weiß: Magdalena ist grünlich weiß
und rosa weiß, Petrus gelb, Paulus weiß mit rotem Mantel gekleidet. Unten in der Mitte steht ein
Hostiengefäß,
Bez. (wohl auf besonderer Platte?)
Von den vier geschabten Farbenplatten: B. 490: 493
Auch gestochen von Forster, G. Marri und Pauquet. :
Verst. Рег! (Berlin, a1 Febr. тото Nr. 1616 sehr bemalt, leidlich erhalten, W. == Gori Livini &
Compagni, im Unterrand steht іп Tinte „Andres del Sarto pinxit, esiste dans La royalle Gallerie de
florence Desente du Croix Lasinio incise Labrelis imp“)
Dresdon (1904 um 33 Mk. von Breslauer und Meyer in Berlin erworben: stark übermalt und flau)
425 Johannes der Täufer nach dem Gemälde von Ann. Carracci im Pal. Corsini
zu Florenz |
Der Heilige steht von vorn gesehen, nackt bis auf Laub und Schafpelz um die Lenden, und stützt
sich mit der erhobenen L. auf seinen Stab. Die R. weist auf den Jordan, der nach der Ecke vorn r.
fließt: ebenda ruht am Boden das Lamm. Auf einem Felsen 1. liegt die Schöpfkelle. Auf besonderer
Platte (53:373) unten steht: |
Annibale Caraci fece: esiste nel Palazo Corsini di Firenze . C:de Lasinio del: e incize l'an:
| | 1784. Labrelis impresce.
S8. GIOVANNI.
Dedicato A == S == Ес = П Principe Don Lorenzo Corsini Gran Prior di Pisa, Magior Domo
d di S — А == R = la Gran Duchesa di Toscana: ec == ec == ӨС зек
Lasinio D: D:D...
Bez. wie angegeben. Br =
Von den vier Farben-Schab (und Roulette) Platten: ohne Linien: Pl. und B. 498: 397
Vorst. Ohramosta (Wawra, Wien, 18. Apr. 1904 Nr. 440, aufgezogen und gerahmt)
Braunschweig (bemalt: aus der Smig. Vasel, Kat. Nr. 3313 der es von Prihl (?) in Berlin er-
warb); Wien (bemalt) | |
426 Der hl Markus nach dem Gemilde von Bartolomeo Pagholo, jetzt in der
PittiSmig. zu Florenz, Nr. 125
Der Heilige sitzt in einer steinernen Nische, mit der Concha oben, nach 1. den Kopf aber nach r.
zurückgewandt und hält ein Buch aufrecht auf seinem r. Knie mit beiden Händen, während in der R.
sich noch ein Gánsekiel befindet. Er trigt ein blaues Gewand und roten Mantel: um seinen Kopf ein
Reif als Heiligenschein. Oben 1. steht: ,Lasinio del. e incise“ r. „Labrelis imprese“ und auf der
; mE | | 67
Steinstufe unter dem Heiligen, ,S== MARCUS EVT“, endlich auf dem Steinsims ganz unten, F: Bar-
tolome della Porta dipe — esiste nel Regio Palazo Pitti di Firenze =“
Bez. wie angegeben
Von (mindestens) vier Farbenschabplatten; wenig Linienarbeit: B. 508: 393
In Lafenestre & Richtenbergers „Florence“ wird das Blatt irrtümlich dem J. P. Lasinio zugeschrieben.
Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22. Mai 1911 Nr. 1204 um 85 Mk. an Soelke, in meinem Lanna
Kat. Nr. 8480 des II. Bdes.; schöner, ganz leicht bemalter Druck: W = große Kartusche mit Gori
Livini |Е/ Compagni)
Dresden (um 23,10 Mk, von Breslauer & Meyer in Berlin 1904) |
London (gutes, etwas bemaltes Exemplar, erworben auf der 51. Gutekunst Verst. Stuttgart,
I. Mai 1899 Nr. 504 durch Colnaghis um 15 Guineen. W = wie das Lanna Ex.); Wien (um 140 Kr.
auf der Verst. Falkenhain erworben; W — dasselbe)
427 Die Sibylla Samia nach dem Gemälde von G. F. Barbieri in den Uffizi
zu Florenz Nr. 1114
Sie steht dreiviertel nach r. gerichtet, mit dem Kopf nach 1. zurückgewandt und schaut sum Himmel
hinauf, Beide Hände ruhen auf einem offenen Buch, das auf einem Piedestal r. liegt. Auf dessen
1, Seite liest man „SALVA CASTA / SYON PERMVL | TAQVE PASSA | PVELLA- | SYBILA
SAMIA“; auf der r. Seite „Guercino da Cento | inv = e. dip== | esiste hellaR z— | Galleria di
Firenze | хл | Lasinio fec— Labrelis imp—". Sie ist als Hüftfigur dargestellt, trägt einen grünen
Turban, Perlen im braunen Haar, ein rotes Kleid mit blauem Futter und einen gelben Mantel. Auf
einem Tisch 1, liegen ein Buch, Tintenfaß und Gänsekiel,
Bez. wie angegeben
Von den vier (?) Farben-Schabplatten (alle mir bekannten Drucke sind besonders stark bemalt):
В. 496: 405
I Vor der Schrift
U mit der Schrift |
Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22 Mai 1911 Nr.1203, um 140 Mk. an die Lanna Erben; in meinem
Lanna Kat Bd. П Nr. 8481; stark bemalt W. Wappen mit GL / C (= Gori, Livini e Compagni);
Verst. Hollstein-Puppel (Berlin, 16 Apr. 1913 Nr. 851); Verst. Gutekunst (Prestel, Frkft. a/ M.
5 Juni 1916 Nr. 431 um зоо Mk., zuvor in der Verst. Theobald, bei Gutekunst in Stuttgart, 12. Mai
1910 Nr. 397, W. = Gori Livini e Compagni, die Schrift mit Tinte сс „SALVE CASTA | SYON
PERMVL | TOQVE PASSA | PVELLA | SVBYLA SAMIA" und г. ,Guercino da / Cento in:e |
діріп : esiste / nella R. Gal:/leria di Firenze | Lasinio incise“, und auf dem Buch l. unter dem Tinten-
glas „Labrelis imp.“: reichlich, aber gut bemalt, um 190 Mk. an Muller-Amsterdam)
Berlin (vor der Schrift; bemalt; УУ. — „Colle in Toscana", um 333 Mk. auf der Verst. Dietze,
bei Amsler & Ruthardt, Berlin, 30 Jan. 1892, Nr. 872 erworben)
428 Die Madonna del Sacco nach dem Gemälde von Andrea d’Angeli in der
Annunziata zu Florenz
Die Farben des Originals sind im allgemeinen wiedergegeben, aber es ist ein Rundbild aus der
Darstellung (auf viereckiger Platte) gemacht worden, indem oben г. und 1. von den Pfeilern etwas
abgenommen, und unten zugesetzt wurde. Der Bogen oben ist hinaufgerückt worden und verschwindet
т. und 1. ohne Schluß. Unten 1. auf dem Sockel steht: „Andrea del Sarto fece.esiste nel Chiostro
della SS. Nunciata di Firenze“ und r. ,Lasinio del:e incise a colori . . Labrelis impresse“
Bez. wie angegeben
Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: Pl. 503:496 В. Durcbmesser 493
Verst. Amsler & Ruthardt Berlin, аб Apr. 1910 Мг. 837 um sro Mk.); Verst. O. v. z. Mühlen
(Berlin, Amsler & Ruthardt, 35. Mai 1914 Nr 1595 um 100 Mk., mäßiger, rund ausgeschnittener, ziem-
lich bemalter Druck, auf grobes Papier aufgezogen auf dem unten in vergilbter Tinte steht „La Ma-
donna del Sacco | А.еа del Sarto: in e dip: a Fresco nel chiostro della 88. Nonziata di Firenze Carlo
Lasinio incise a Colori in Firenze. Labrelis impresse.")
Braunschweig (aus der Smig. Vasel, Nr. 3314 in dessen Katalog, der es von Prihl (?) in Berlin
erworben hatte); Dresden (guter, rund ausgeschnittener Druck, wenig bemalt und früher auf Lein-
wand gezogen, W. Wappen mit Gori, Livini E Compagni, erworben um 270 Mk. auf der Ver-
steigerung Amsler & Ruthardt, Berlin, Juni 1902 Nr. 639c)
429 Madonna mit dem Kind in der Nische nach einem dem Leonardo da Vinci
zugeschriebenen Gemälde, jetzt in ?
Maria sitst in ganser Figur, von vorn gesehen, auf einer Steinbank in einer Nische die einen
doppelten Bogen aufweist: г. verbindet ein Mauerteil die zwei Bögen. Maria trägt ein blaues Kleid
und einen ebensolchen, violett gefütterten Mantel, den sie über den Kopf geschlagen hat. Ibr Unter-
68
kleid ist rot, das Hemd weiß. Sie hält das ganz nackte Cbristuskind auf ihrem 1. Arm: es greift mit
beiden Händen nach der Mutter 1. Brust, die durch einen Schlitz des Kleides, der oben genestelt ist,
durchdringt. Beide blicken den Beschauer an und haben Heiligenscheine.
Bez. (auf besonderer Platte unten ?)
Von den vier geschabten Farbenplatten: Pl. rd. 495 : 385
Verst. Halle (München, 15 Juni 1909 Nr. 408, um 120 Mk.; dann Verst. Halle, München, 25 Apr.
1911 Nr. 439 um. 80 Mk., gutes, stark bemaltes Exemplar ohne Rd. und Schriftplatte, voll aufgezogen,
an den Rändern leicht beschädigt; unten steht mit Tinte „Leonardo da Vinci inv: e dip: esiste nella
R. Galleria di Firenze Lasinjo incise. Labrelis impresse.“ was wohl ziemlich genau dem Wortlaut
auf der etwaigen Schriftplatte entsprechen wird) i
430 Tanz der Musen mit Apoll nach dem Gemälde des Giulio P. dei Gianuzzi,
jetzt in der Pitti Smig. zu Florenz Nr. 167
Fünf Musen hüpfen L, vier r., Apollo ist etwas r. von der Mitte, von vorn gesehen, hat Köcher
mit Pfeil und Bogen und trägt Lorbeer auf dem Haupt. Der Hintergrund ist eintönig, der Boden un-
gegliedert. Auf letsterem erstreckt sich vorn ein Band worauf in griechischen Buchstaben: „Kalliope,
Klio, Erato, Melpomene, Terpsichore, Polyhymnia, Euterpe, Thalia, Urania“ steht. L. von der Band-
rolle am Boden ein Zeichen „CM“. Unten ist r. u. I. bis zu 20 mm Höhe etwas von der Platte ab-
geságt, so daB es einen Schriftrand bildet, mit 1. ,Giulio Romano in. e dipinse. Esiste nel Regio
Palazo Pitti"; i. d. M. „IL BALLO DELE NOVE MVSE v^"; r. „Carlo de Lasinio dei. e inciso in
Firenze an. 1784. Labrelis impresse ö und in der r. unteren "Еске „Nr. X“.
Calliope, Melpomene, Apollo und Polyhymnia haben bläuliche, die anderen rótliche Gewünder an:
Erato und Thalia tragen rote Mützen. Clio, Erato, Apollo, Euterpe und каша haben Schuhwerk an,
die übrigen nicht.
Bes. wie oben angegeben
Von (mindestens) vier Farben Schabplatten: ohne Linien: B. 479:597, darunter noch der Schrift-
streifen 20: 586
Verst. Theobald (Gutekunst, Stuttgart, 12 Mai 1910 Nr. 398; ausgiebig, aber geschmackvoll be-
malt: gut erhalten: W. == großes Wappen mit Gori Livini | E | Compagni: um Mk. 70 an Strófer)
Berlin (schöner Druck, ziemlich bemalt, W. == Colle in Toscana); Berlin (mäßiger Abdruck, stark
bemalt und oben verschnitten; W. dasselbe)
431 Die Venus mit dem Hündchen nach dem Gemälde von T. Vecelli in den
Uffizi zu Florenz, Nr. 1117
Sie liegt mit dem Kopf 1. nackt auf weißem Laken und Kissen über rotem Lager, mit Rosen in
der R. Im Hintergrund sieht man 1. einen grünen Vorhang, r. eine offene Halle mit zwei Frauen,
von denen eine in einer Truhe kramt. Das Hündchen schläft am Fuß des Bettes т. Unten r. steht „.
Auf besonderer (angeschweißter) Platte (57:491) unten steht:
Tiziano inv =, e (іріп == esiste nell = Real Gaftia di Firenze Ж an == 17 :: 84 Carlo Lasinio Veneziano
del, e incize... Te Labrelis impres:
VEN= zERE
Consecrata à Sua Altezza Reale PIETRO | Mediceer | LEOPOLDO Arciduca d’Austria Principe
d'Vngharia e di Boemla Wappen Reale | Granduca di Toscana.
ec. ec. ec.
d Lasinio D, D. D.
Bez. wie angegeben No. XI:
Von den vier (?) Farben-Schab (und Roulettierten) Platten; wenig Linienarbeit: Pl. und B. 40a: 518
F. Ver Cruys hat das Bild, gegenseitig zu Lasinio gestochen.
Wien (guter Druck, nicht schematisth gedruckt und ziemlich viel bemalt)
432 Das Urteil des Paris nach einer Kopie des Gemäldes von P. P. Rubens
jetzt in der Nat. Gal. zu London
Paris sitst r. unter einem Baum hinter dem Merkur steht. In der Mitte sieht man Juno, dann
Venus, gans r. Pallas, und vor dieser am Boden einen Putto: usw.
Nicht bezeichnet |
Von mindestens vier, geschabten und roulettierten Farbenplatten gedruckt: B. 484 : 597
In Berlin wird das Blatt irrtümlich Ed. Gautier-Dagoty sugeteilt, vielleicht weil man annahm es sei
nach dem Londoner Original geschaffen, das aus der Smig. Orléans stammt. Die Vorlage für den
Farbstich war aber 1. und r. breiter als das Londoner Bild, der 1. Fuß der Pallas ist in London nicht
verdeckt, Pallas’ Lanze wird in London nicht vom Schild verdeckt, usw. Die Technik und die Zeich-
nung sprechen entschieden für manne was die W. und die Art der г Übermalung aller bekannten
Ezemplare bekräftigen. |
69
Berlin (stark übermalt, 1851 erworben, W. = Colle in Toscana); Boston, Smig. Marra (W. ке
desgl.; It. Aussage des verstorbenen S. R. Koehler, wäre dieses Exemplar ein Braun, Grün und
Fleischfarben eingeriebener Einplattendruck, der im übrigen übermalt ist); Dresden (gutes, stark be-
maltes Exemplar, mit W = Gori Livini E Compagni, um 340 Mk. erworben auf der Verst. Gute-
kunst, Stuttgart, Mai 1905 Nr. 554)
433 Die Dichtkunst nach dem Gemälde von C. Dolci im Pal. Corsini zu Florenz
Halbfigur nach r. mit grünem Lorbeer im roten Haar, gekleidet in ein weißes Hemd mit schmalem
goldgelbem Kragenband, rotem Unterkleid und blauem, mit edelweißförmigen Sternen besticktem
Mantel. Sichtbar sind ferner eine hellblaue Rosette mit Agraffe und ein Buch. Entlang des oberen
Randes steht in Kursivsschrift: ,Lasinio incise Carlo Dolci dipinse nel Palazzo Corsini di Firenze
Labrelis impresse"
Bez. wie angegeben
Von den vier (?) Farben Schabplatten: anscheinend sind mehrere Platten mit mehr als einer Farbe
eingerieben, denn es gibt zweierlei Gelb, usw.: РІ. und B. 508 : 441
Das Bild haben auch R. Strange und R. Morghen (gleichseitig mit Lasinio) gestochen.
Verst. Liphart (Boerner, Leipzig, 5 Dec. 1876 Nr. 1063 um 302 Mk. an Günther für Colnaghi);
Verst. Dietze (Berlin, Amsler & Rutbardt, 30 Jan. 1893 Nr. 344)
Berlin (etwas bemalt); Manchester, Smig. F. Gerald Falkner (hier soll die Schrift lauten: „La
Poesia Carlino Dolci іп, e dipinse. esiste nel Palazzo Corsini di Firenze: Lasinio del. e incise l'an
1783. Labrelis impresse. Nr. 7.)
434 Der Tod der Dido (?) nach dem Gemälde von L. Giordano jetzt in ?
Die erstochene Dido (?) stirbt 1. auf Kissen zuriickfallend und von zwei verzweifelten Frauen um-
geben. Eine dritte Frau dabinter hilt einen Vorhang empor. Aeneas (?) kniet т. den Dolch in der
Hand und wird von zwei Kriegern, von denen der l. in voller Panzerrüstung steht, angesprochen.
Unten 1. steht „Peint par Giordan. de la Collection de M: le Chev: Bailli Martelli‘ und r. „a Florence
Gravée par Lasinio . . imp: par Labrelis." S
Bez. wie angegeben
Von den vier (oder mehr?) geschabten Farbenplatten: Pl. und B. 493 : 495
Vielleicht die beste Arbeit Lasinios und eine Art Gegenstück zu Edouard Gautier-Dagoty’s Catilina.
Farbendruck Ausst. Leipzig (1902, Buchgewerbemuseum Nr. 170; ich mutmaBe, daß der „Tod
einer Fürstin", dieses Blatt war)
Verst. Halle (München, 11 Nov. 1901 Nr.370, sehr guter Druck aber schlecht erhalten; W.
Colle in Toscana); Libreria Mascelli (Florenz, 18 Feb. 1909, ähnliches Exemplar um 200 lire
ausgeboten)
Dresden (sehr schón erhalten, nur wenig bemalt, um 282 Mk. auf der Verst. Schubart (bei
Boerner, Leipzig, 1900 Nr. 250) |
435 Apotheose auf die Familie Louis XVI nach W. Hamilton
Unten steht ,London, publ. 1799 by W. Dickinson"
Punktiert: Einplattendruck (?) groß Folio
Bartolozzi hat die Darstellung auch gestochen (Tuer 1040)
Verst. Artaria (Wien, 16 Mai 1892 Nr. 195); Verst. Dorotheum (Wien, 19 Nov. 1912 Nr. 120)
Breslau, Smig. Toebe
436 Le départ pour Vienne de la Princesse Marie Therése Charlotte fille du
Roi Louis XVI. К. i |
Das Blatt habe ich mit obigem Titel und der Bezeichnung „A. Deif del. C. Silanio sc. 1795" qu. fol.
angefübrt gesehen. Die Namen sind Anagramme für A. Fedi und Carlo Lasinio, Ob es sich um
einen farbig eingeriebenen (Einplatten-)Druck handelt, weiß ich nicht bestimmt.
437 Das sogenannte Konzert nach dem Gemälde von G. Barbarelli (T. Vecelli?)
jetzt in der Gal. Pitti zu Florenz, Nr. 185
. Die bekannte Darstellung mit den drei Mánner-Halbfiguren, L der Jüngling mit Federbarett, mitt-
lings der musizierende, r. der kahlköpfige Mönch. Die Färbung des Originals ist so ziemlich bei-
behalten. Unten ist ein Rand der Schrift vorbehalten: darauf i. d. M. ,LVTERO w CALVINO“
Nicht bez. |
Von den vier Farben Schabplatten; fast ohne Linien: Pl. 500: 456 B. 482: 454
Libreria Mascelli (Florens, 18. II. og ein ausnebmend schlechter Druck, anscheinend ohne die
blaugrüne Platte = 20 lire)
Dresden (gut, auf Leinwand gezogen, etwas bemalt, W. = „Gori Livini e Compagni": um 115 Mk.
auf der Verst. Amsier & Ruthardt, ro. Juni 1903 Nr. 639 erworben; mit Tinte steht im Unterrand
geschrieben ,Giorgione da Castel franco in: e fec. esiste nel R. Palazo Pitti^ und r. ,Lasinio fece")
70
— —
438 Die Dame und der Jäger nach dem Gemälde des G. Metsu in den Uffizi
zu Florenz, Nr.972
In einem Gemach steht r. eine Dame, von vorn gesehen, an einem Tisch auf dem sich Schmuck-
kästchen und Spiegel befinden. Sie trägt weißen Atlas Rock, lila Taille und weißen Shaw! darüber,
nebst weißem Kopftuch. Ein 1. hereingetretener Jäger, mit Rebhuhn іп der L. und Federhut іп der R.
grüßt sie. Sein Haar ist lang und er trägt weiß und rote Krawatte, gelben Wams mit roten Bändern,
graue Kniehose, eigentümliche, weiße Stulpen und schwarze Halbschuhe mit Rosetten. Man sieht
neben ibm seinen Hund, hinten einen Kamin, einen Stuhl und die offene Tür. Unten т. steht „.
Auf einem weißen Streifen entlang des Unterrandes steht gestochen:
Mist fece: esiste nella Real Gall: di Firenze IL CACIATOR FIAMINGO Lasinio del: e incize
l'an 1774 . . Labrelis impresse . .
Bez. wie angegeben
Von den vier Farben-Schab(usw.) Platten; fast ohne Linienarbeit: Pl. 514:397 B. 495: 397
I (angeblich) vor dem Unterrand und vor „Il Caciator Flamingo“ (siehe unten, Verst. Boerner)
П Wie beschrieben
Libreria Mascelli (Florenz, 18 Feb. 1909, schlechtes Exemplar, um 200 lire ausgeboten); Verst.
Halle (München, Juni 1909 Nr. 410, zusammen mit Nr. 440 zurückgekauft um 1610 Mk.); Verst. Theo-
bald (Gutekunst, Stuttgart, 12 Mai тото Nr. 399 um 310 Mk. an Muller, Amsterdam; W. == Colle in
Toscana, viel, aber geschmackvoll bemalt, guter Druck mit der Schrift und gut erhalten); Verst. Halle
(München, 25 Арг. 1921 Nr. 441 um 550 Mk., wohl zweifellos das vorige Hallesche Exemplar); Verst.
Van Gogh (Amsterdam, 8 Apr. 1913 Nr. 1118); Verst. Boerner (Leipzig, Marz 1913 Nr. 238 um
320 Mk.)
Wien (sehr bemalt).
439 Die Familie des Malers nach dem Gemälde von Е. Mieris, d. ae. in den
Uffizi zu Florenz, Nr. 981
In der Mitte des Zimmers sitzt des Malers Frau in Lilakleid und roter, pelzverbrämter Jacke nach
I., und trinkt ein Glas Wein, das ihr ihr Sohn eben dargereicht hat. Dessen langes Haar füllt auf
seinen grünen Rock herab. Vorn |. steht die ältere Tochter in Rückenansicht, gekleidet in weißen
Atlas, mit blauer Schärpe, usw. Sie blickt nach т. wo ein Affe sich über Früchte auf einem Tisch
hermacht. Auf dieses Tier weist der Maler selbst, der mittlings, schwarzgekleidet, die Gruppe rück-
wärts abschließt, Er und die Tochter halten je eine Guitarre Zwei weitere Personen sieht man im
Torbogen hinten г. Ein geschnitzter Engel hängt. oben herab und 1. befindet sich ein plastisch ver-
sierter Kamin, nebst rotem Vorhang. Unten r. steht: „A“. Auf besonderer Platte (55: 377) unten,
stebt:
Miris fece. l'originale esiste nella Reale C..Lasinio del: e incize a colori 1”
Galleria di Firenze ER АРЧЕР MIRIS 1784.. Labrelis impresce
Dedicata A Sua Ecc= il Sig= Conte Antonio di Thurn, e Wallesassina, Caualre dell’ Insegne Ordine
del Toson d'oro, Ciamberlano Consig-liere Intimo attuale di Statto di 8-- М--1е Reale Apostolica,
Tenente Maresciallo e Colonello Proprietario d'un Regimento d'Infanteria nelle sue Armate, e Maggior-
domo Maggiore della Real Corte di Toscana
XIII. C... Lasinio D. D. D.
Bez, wie angegeben
Von (mindestens) vier Farben-Schabplatten: Pl. und B. 506 : 395
I Vor der Schrift
" П mit der Schrift
FarbendruckAusst. Leipzig 1902 (Nr. 171, Der Dresdener Druck)
Libreria Mascelli (Florenz, 18. Feb. 1909, mäßiges, bemaltes Exemplar vom I. Zust. um 200 lire
ausgeboten); Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22 Mai 1911 Nr. 1202 um 140 Mk. an Soelke, in meinem
LannaKat. Bd. II Nr. 8479. stark bemalt W. = Schild mit G / C): Verst. Boerner (Leipzig, März
1933 Nr. 239 „ale Musizierende Gesellschaft nach Metsu“ um 250 Mk.)
Boston, Smig. Marrs (W.==wie Smig. Lanna); Dresden (Smig. Friedr. Aug. II); Wien.
440 Die trinkende Dame nach dem Gemälde von G. Terborgh in der Uffizi
Galerie, Nr. 958
Sie sitzt 1. und trinkt aus einem Kelchglas, während sie mit der R. einen offenen Krug auf ihrem
Schoß hält. Hinter dem Tisch schläft r. mit aufgelegten Armen ein junger Mann. Auf diesem Tisch
sieht man zwei weiße Tonpfeifen und ein Glas, hinten т. ein Himmelbett.
Nicht bezeichnet |
Von den vier (?) geschabten Farbenplatten: B. 498 : 396
Das Original hat Chevillet (gegenseitig zu Lasinio) gestochen, ferner L. Duval und Prudhomme.
Farbendruck Ausst. Leipzig 1902 (Nr. 172, Der Dresdener Druck)
71!
Verst. Halle (München, Juni 1909 Nr. 409 — um 1620 Mk. zusammen mit dem „Cacciator Fiam-
mingo“; dann in der Verst. Halle, München, April 1911 Nr. 440 um 500 Mk.; angeblich auf be-
sonderer Platte stand „Lo Repos Flamand“ gestochen und hdschr. „peint par Gerard terburgh, della
Gallerie de Florence. Gravés par Lasinio imprimes en couleur par La Prelis.")
Dresden (schóner, wenig bemalter Druck, um 684 Mk. auf der Verst. Schubart bei Boerner,
Leipzig 1900, Nr. 230)
441 Dante Allighieri nach einer alten Maske
In fast halber Figur etwas nach 1, bat er eine rote Haube und einen Lorbeerkranz auf dem Kopf,
der nach г. gerichtet ist. Mit beiden Händen hält er 1. ein offenes Buch. Sein Gewand ist grün
und darüber trügt er eine ürmellose Schaube. Das Bildnis steht in einer Steinumrahmung , wie der
Boccaccio, mit einer neunzeiligen Schrift: „Dante Allighieri | Nacqué in Firenze — | — | — | — | — —
La Divina Commedia. | copiata da una Maschera originale posseduta dal nobile Sigor Bali del Borgo./
Angelo Volpini dis. Lasinio incise | In Firenze presso la Società Calcografica con Real Privilegio."
Bez. wie angegeben
Rad. und punktierter Einplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 331:205, B. 292: 186
Seitenstück zu den Boccaccio und Petrarca Bildnissen
A. Weigel (Leipzig, 1908 um 50 Mk. ausgeboten)
442 Giovanni Boccaccio nach einem Gemälde von A. Allori jetzt in ?
| Brustbild ohne Hände von vorn, der Kopf nach 1. gerichtet. Das Gesicht ist glatt und rund; er
hat ein weißes Tuch um Kopf und Schultern und einen Lorbeerkranz darauf, sein Mantel ist rot. Rin
Steinrahmen schließt das Bildnis ein; auf dessen Sockel steht, in Majuskeln gestochen: „Giovanni
Boccaccio | Nacque nel 1313. E' incerto il Luogo dei suoi natali, Tra-/lascid la Mercatura а cui il
Padre destinavolo P dedicarsi | agli studj. Fu benemerito ristauratore, & propagatore delle | Belle
Lettere, e grande amico del Petrarca, La Repub: Fior: Lo impie-/gd in varie Ambascerie. Mori
nel 1375 in Certaldo d'onde trae-/va l'origina la sua famiglia. Lasció opere scritie іп | prosa, ed іп
versi. Tra tütte П Decamerone tiene il Pri-/mo Luogo", und cursiv „Copiata da un Quadro di Ales-
sandro Allori. | Ang. Volpini dis. Lasinio inc: | In Firenze presso la Società Calcografia“
Bez. wie angegeben
Radiert und punktiert, Einplattendruck in Grün, Rot und Braun: Pl. 308:204 В. (ohne Stein-
umrahmung) 201 : 149
Seitenstück zu den Bildniesen von Petrarca und Allighieri
Breslauer 4 Meyer (Berlin, 4. Aug. 1904, mäßiger, bemalter Druck um 20 Mk. ausgeboten)
443 Franz, Erzherzog von Toskana nach dem Gemälde von ? jetzt in ?
Brustbild ohne Hände nach 1. eines etwa zebnjührigen Knaben. Er sieht uns an und sein 1. Auge
steht etwas tiefer als das andere. Er trägt gepuderte Perücke, schwarze Schleife im Nacken, gelblich-
weißen Rock mit rotem Kragen, schwarzes Halsband, Spitzenjabot und den Goldenen Vließ Orden.
Unten steht auf besonderer 60:279 Platte ,Lasinio inc: Labrelis imp: | Francois A | Grand Prince
de Toscane, & & & | |
Bez. wie angegeben
Von den vier geschabten Farbenplatten: РІ. 385: 282
Verst. Halle (München, 15 Juni 1909 Nr. 411 um 620 Mk: hübsches, stark aber geschmackvoll
bemaltes Exemplar, W. = Schild mit Gori Livini E Compagni: im Katalog abgebildet)
444 Bildnis des Ed. Gautier-Dagoty nach dem Gemälde von Heinsius in der
Smlg. Otto Bethmann zu Paris
. Brustbild eines Mgnnes nach r., in weichem Filshut, rötlich-braunem Rock, und weißem weichen
Hemdkragen mit Falbel. Er trágt eine Mappe unter seinem r. Arm unter deren blaues Band er den
Daumen seiner L. steckt. In seiner R. hält er einige Pinsel. Unten ein grüner Schriftrand mit:
„Portrait d'Edouard Dagoty inventeur de la gravure en cóleurs | nee a Paris ГАп. 1745. mort a Florece
1’ 8. Maj. 1783. | Pent par Kanchsius Grave, et desinee раг de Lasinio нарише par Labrelis. Nr. 4“
Bez. wie angegeben .
Von den vier Farben Schabplatten; ohne Linienarbeit: РІ. 503 : 433
Im Katalog der Pariser Farbendruck Ausst. wird der Name des Malers und der Standort des Origi-
nals wie oben angegeben. Auf einem der Drucke die ich gesehen stand geschrieben: „Odoardo Dagoty/
Inventore d’incidere a Colori / pintosto migliatori, poiché l'invenzione / è dovuta a Giaco Le Blond |
In Parigi nato 1745 Morto 1784 in Milano“. Das Blatt ist, außer in Katalogen, im Augustheft 1906
p.57 von L'Art decoratif" abgebildet.
Lebl. 149;
Farbendruck Ausst. Leipzig 1902 (Nr. 169, das Wiener Exemplar)
FarbendruckAusst. Paris 1906 (Nr. 578, das Exemplar des Pariser Cab.)
72
+
Verst. Defer-Dumesnil (Paris, 17. Mai 1901 Nr. 254 um 1350 fcs. an Rapilly); Verst. Gute-
kunst (Stuttgart, so. Mai 1901 Мг. 649: ziemlich farblos aber sonst gut: W. Kartusche mit „Colle
in Toscana"; um 1090 Mk. an R. Gutekunst in London); Verst. Halle (München, 12. Nov. 1901 Nr.371
um Mk. 1650); J. Rosenthal (München, bot 1902 ein Exemplar für sooo Mk. aus); Verst. Amsler
& Ruthardt (Berlin, 10. Juni 1902 Nr. 455a, sehr schlechtes, aufgezogenes Exemplar um 815 Mk. ап
Bihn in Paris); Verst. Theobald (Stuttgart, 13. Mai 1910 Nr. 401, ziemlich farblos, W. Calle in
Toscana; wahrscheinlich das Exemplar Verst. Gutekunst 1901: um Mk. 390 an Muller, Amsterdam);
Verst. Halle (München, 25 April 1911 Nr. 438 um 7150 Mk.); Verst. Lanna (Lepke, Berlin, 22. Mai
1911 Nr. 1201 um 2900 Mk. an Soelke; Nr. 8478 im 2. Bd. meines LannaKatalogs); Verst. F. R.
Halsey III (Anderson, N.Yk., 11. Dec. 1916 Nr. 236, aufgezogen und ganz übermalt, vielleicht das Ex.
der Verst. Amaler & Ruthardt 1903) .
Boston, Smig. Marrs (nur 472:397; W.= Gori Livini е Compagni); London (sehr stark und
schlecht bemalt; mit der Nummer, um .£ 47. s. — durch Colnaghi auf der Verst. Gutekunst, Stutt-
gart, 14. Mal 1899 Nr. 503 erworben); Paris; Wien (sehr schóner Druck, unbemalt; wie die meisten
Exemplare ohne die Nummer)
445 Justus Lipsius und seine Schüler nach dem Gemälde des P. P. Rubens іп
der Pitti Gal. Nr. 85
An einem mit Büchern belegten Tisch sitzen Philipp Rubens, Lipsius und Grotius: 1. steht Pieter
P. Rubens. Im Hintergrund 1. ein Vorhang, mittlings Blick auf eine Landschaft, r. in einer Nische
eine Seneca Büste: usw. Die Einzelheiten des Originals sind beachtet, jedoch sind die Typen durch
mangelhafte Zeichnung verschlechtert, usw.
. Bes. (wahrscheinlich im Unterrand: siehe unten)
Von den vier (geschabten) Farbenplatten: Pl. und B. 500: 448
Verst. Halle (München, 13 Nov. 1900 Nr.499 um 55 Mk., stark bemalt, ohne Rand und auf-
gezogen: auf der Unterlage stand mit Tinte ,P. P. Rubens inv: e dip: esiste nel Real P. de Pitti di
Firenze FILOSOFI AM Lasinjo inci: a colori. Labrelis impre“); Verst. Amsler & Ruthardt
(Berlin, Juni 1902 Nr. 6394 um 340 Mk. an Gasch: stark, besonders mit Rot aber geschmackvoll
bemalt und auf Leinwand aufgezogen: auf dem Papierrand stand in alter Tinte, ,Pietro Paolo Rvbens
in: e dip: esiste nel Regio Palazzo Piti di Firenze Lasinio del. e inci. Labrelis | P. P, RvbensA Filippo
suo fratello Givsto Lipsio A Vgo Grozio“: dann, aber von der Leinwand abgenommen, so daß das W.
== Schild mit Gori Livini E Compagni sichtbar wurde, auf der Verst. Theobald bei Qutekunst in
Stuttgart, 12. Mai 1914 Nr. 400 um 290 Mk. an Muller in Amsterdam); Verst. Gilhofer u. Ransch-
burg (Wien, as. Apr. 1904 Nr. 322, auf Leinwand gezogen, bemalt, um 300 Kr. zurückgekauft); Verat.
Helbing (München, 12. März 1906 Nr. 1140, ohne Rand und aufgezogen); Libreria Mascelli
(Florenz, 18. Feb. 1909 ein miserables, bemaltes Exemplar um 20 lire ausgeboten)
. Berlin; Berlin, Smig. Dr. Cornelius Loewe (n. Angabe des Besitzers hdschr. bezeichnet „Р. B.
Rubens — Filippo suo fratello — Giustio Lipsio — Ugo Grosio | Rubens f. esiste nel Regio Palazo
Pitti | di Firenze | Lasinio del: e incize": vor 1896 erworben)
446 Francesco Petrarca nach einem Gemilde des Simone Memmi in Florenz.
Brustbild nach т. Er zeigt ein hageres glattes Gesicht, mit weißem Kopftuch und Lorbeerkranz
darauf. Sein roter Kapuzenmantel ist grün gefüttert. In seiner L. hält er eine Papierrolle auf der
oben ,AVRA" su lesen ist. Eine Steinumrahmung umgibt das Bildnis, mit einer neunseiligen
Schrift: „Francesco Petrarca / Nacque in Arezzo. — — | — | — | — | — modello della Lirica
Italiana Poesia. / Copiata da un ritratto di Simone Memmi esistente nel Cappellone di S. M. Novella |
Angelo Volpini dis; Lasinio incise / In Firenze presso la Società Calcografia con Real Privilegio"
- Bez. wie angegeben ` | |
Radiert und punktierter Einplattendrück in Grün, Rot und Braun: РІ, 311:803 В (ohne Um-
rahmung) 202 : 148 |
` Seitenstück su den Boccaccio und Allighieri Bildnissen.
` Breslauer und Meyer (Berlin, 4. Aug. 1904, ein guter Druck um 20 Mk. ausgeboten); Verst.
О. v. x Mühlen (Berlin, Amsler & Rutbardt, 25. Mai 1914 Nr. 1596 um 30 Mk.) |
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73
REZENSIONEN 4...
STRZYGOWSKI, JOSEF, Altai-Iran
und Völkerwanderung. Ziergeschicht-
liche Untersuchungen über den Eintritt
der Wander- und Nordvilker in die Treib-
háuser geistigen Lebens. Anknüpfend an
einen Schatzfund in Albanien. Mit 229 Abb.
und rio Lichtdrucktaf. Leipzig, Hinrichs,
1017. |
Die Kunstgeschichte im landláufigen Sinne, wie
sie uns in Handbüchern und Vorlesungskatalogen
vor Augen tritt, ist im groBen und ganzen auf
jene künstlerischen Hervorbringungen eingestellt,
die im Gebiete zwischen dem 20. und dem 40.? n. Br.
ihreEntstehung dem menschlichen Geiste verdanken
und deren Ausstrahlung sich noch etwa dem 50.
Breitegrade nähert, doch durchwegs im Banne
dieser südlicheren Kulturen steht, Es ist das Ge-
biet des Wendekreises des Krebses, dessen rei-
fende Wärme den handelnden Menschen, das
Drama zeitigte und sis seelisches oder sachliches
Gescheben in den Mittelpunkt der bildenden Künste
rückte. Der Begriff des Ästhetisch-Schönen ist
hier mit dem Geschehen aufs engste verwoben;
die nimmer ruhende Göttin Maja erscheint da als
Lebensideal und selbst das seligmachende Kef
dient nur als äußere Beruhigung, um dem Geiste
umso größere Freiheit der Phantasia gönnen zu
können. Die Verkörperung dieses Lebensideals
erkennen wir ebenso in den wild wogenden Skulp-
turen indischer Tempelgrotten, wie іп den dra -
matischen Mysterien Ägyptens oder den Kory-
bentenaufsügen der klassisch-antiken Welt, oder
aber auch in den fratzenhaften Göttererscheinungen
des Balkans von Amerika: Mexiko. Tritt auch
nun in diesem Weltenatriche eine Differenzierung
nach Längegraden ein: das Gefühl für das Tiefen-
sehen der Plastik bleibt unverändert und es ent-
steht ein, das Dramatische auch im Formalen
ausbildendes Schönheitsideal, das sich auf Ver-
einigung, auf die Einheit zuspitat. `
In dem Striche zwischen dem so. und 6o. Breite-
grade, natürlich bier und da auch gegen den
40. Grad zu ausstrahlend, erkennen wir dem gegen-
über in historischer Nähe andere Kulturen, die
andere Lebensideale zu Voraussetzungen haben.
Anstatt der dramatreibenden Kraft eines vereini-
genden Prinzips finden wir hier eine zersetzende
Tendenz im Vorherrschen, deren soziale Aus-
prägung unter dem Namen des Totem bekannt
ist. Es ist die einzige soziale Form der noma-
74
disierenden Völker, ob wir sie in Europa, Asien
oder Amerika unter dem besagten Himmelstriche
suchen. Der Eber und die Ente der keltischen
Nomaden, der Hirsch, der Adler und der Bir bei
den Wandervölkern Zentralasiens, und der ganze
totemistische Wappenlexikon der Indianer sind
die Zeugen dieser sozialen Einrichtung. Das
Totem ist zugleich der epische Kern sümtlicher
geistiger Erzeugnisse dieser Gebiete, während die
Darstellungsform am Zweidimensionalen, am grü-
belnden Zerlegen und Zergliedern der gegebenen
Rahmen- oder Naturéinheiten in das Prinzip der
Flächenbildung haftet. Wie ihr Leben selbst, so
zerklüftet, grenzenlos und sonder Beengung er-
scheint auch die Kunst dieser Völker: es ist das
klassísche Gebiet des Nomadenteppichs mit dem
endlosen Muster, des Tiergeringels der germani-
schen wie der nordchinesischen Kunst, und der
Textilornamentik der Indianerdecken,
Andere Ideale verlangen. andere Beurteilung.
Unser, seit zweitausend Jahren auf das südliche
Kunstideal eingestellte Auge, verlernte die Schön-
heiten der ebenso lebensberechtigten nordischen
Wesenheiten zu erkennen, ja, es verhinderte so-
gar das einfache objektive Erkennen jener künst-
lerischen Vorstöße, die die südlichere (in Europa)
Mediterrankunst seitens der Nordkulturen zu er-
leiden hatte. Im Sichtkreise unserer geschicht-
lichen Kenntnisse war der bedeutendste dieser
VorstóBe derjenige, der sich in der Zeit um Christi
Geburt am europäischen Kontinente abspielte. Die
Kunstforscher erkannten schon verbältnismäßig
früh das Hereinbrechen einer, dem klassisch-
antiken Formprinzip fremden, mit dem heran-
reifenden Mittelalter Schritt haltenden Natur-
anschauung, und es fehlten auch die verschiedenen
Erklirungsversuche nicht. Der eine sychte diese
Anderung durch das Verringern der plastischen
Kraft der antiken Kunst zu erklären; der zweite:
in dem ganzen Dahinsiechen der klassischen Kultur;
der nächate wieder durch den Einfluß der ost-
mediterranen Gebiete in spätantiker Zeit, usf. Die
einfache geschichtliche Tatsache, daß schon zu
römisch-republikanischer Zeit das im Sinne der
Nomadenkunst zersetzende Element des Kelten-
tums in das antike Gebiet eindrang und von Nord-
westfrankreich ausgehend in einer Diagonale bis
nach Kleinasien 'seßhaft wurde; und die andere,
daß seit der römischen Kaiserzeit, ja, seit der
Skythenzeit, immer mehr zunehmend, ein starker
Strom aus dem Herzen Asiens, aus türkischen
Gebieten sich.über Europa, über dessen südliche
Ausläufer — die Ursitze der mediterrenen Kultur —
ergoß, diese beiden primitiven Tatsachen schienen
Sich bisher der Kenntnis unserer Kunstforscher
entzogen zu haben. Und doch liegt darin der
Größtteil jeder möglichen Erklärung jenes Wan-
dels, den wir — im Gegensatz zur Antike — ge-
meinhin als Mittelalter bezeichnen!). Bewahr-
heitet sich das bekannte Wort von der Kunst:
ein Stück Natur durch ein Temperament gesehen,
so bedeutet eben Temperament in diesem Sinne
nichts anderes als die Bedingtheit des Menschen-
geschlechts durch denjenigen Weltenstrich, unter
dem es wohnt, und der gewisse Prädispositionen
der Naturanschauung heranbildet; verändert ein
Teil der Menschen seine Sitze, so bringt er seine
frühere, einem anderenW eltenstriche entsprechende
Naturanschauung mit; es findet ein Temperament-
wechsel statt (im gegebenen Falle ist dafür der
landläufige, wenn auch nur teilweise richtige Aus-
druck: Annehmen der römisch-christlichen Zivili-
sation) und nach mannigfachem Hin- und Her-
wogen ist eine Überhandnahme des einen oder
anderen Temperamentes nachzuweisen. Es ent-
steht eine synkretistische Kunst, in der aber unter
den neu angenommenen Formen die früheren
Prádispositionen noch Jahrhunderte hindurch zu
erkennen sind. Das Linkische in der Plastik des
frühen Mittelalters erklärt sich durch die Über-
wucherung der zweidimensionslen Anschauung
des Nomadenauges durch das plastische Wesen
eines südlicheren Weitenstriches: die Veranlagung
ist aber — wenn auch immer mehr abgeschwächt
— auch nach Jahrhunderten noch in der graphi-
schen Art der germanischen Völker, und der or-
namentalen Art der europäischen Aniranier (Ma-
gyaren, Bulgaren, Türken) zu erkennen. Die
Durchdringung ist aber beiderseitig, und wenn
das keltische Nomadentum schon zur Latenezeit
in der italischen Halbinsel, am Balkan und in
Kleinasien (abgesehen natürlich von den galli-
schen Gebieten) eine zweidimensionale Verzierungs-
kunst in die Höhe brachte, so bedeutet die Völker-
wanderung für die südlicheren Gebiete einfach
ein Uberrennen durch wesensfremde Kunstart,
für die ein schlagender Beweis in der lombardi-
schen Kunst und deren spiteren venezianischen
Nachblüte vorliegt.
Dieses Ringen zwischen den Temperamenten
(іп diesem geobiologischen Sinne) verschiedener
Naturanschauung bildet den (unausgesprochenen)
(1) Der Unterseichnete verwies hierauf in einem Aufsatse
im 41. Jahrgang der „Österreichischen Monatsscbrift für
den Orient" (1915, 8. 77, 88)
Untergrund von Str.s neuestem Buche, das schon
in der Ausstattung und Aufmachung mit der Prä-
tension der übrigen Fahnenwerke dieses Forschers
(Orient oder Rom, Kleinasien, Amida) auftritt.
„Der einst mit »Orient oder Rom« und »Hellas
in des Orients Umarmung« begonnene Kampf geht
also, auf gróBere Raum- und Zeitgebiete aus-
gedehnt, weiter,^ sagt Str. selbst, und bekennt
sich auch damit zu seinem Leitideale zurück, wo-
nach nur das durch Irrungen durchdrungene Wahr-
heitsuchen den Namen der Forschung verdient.
Dieses Suchen, das ihn bei der Erforschung der
Grundiagen unserer mittelalterlichen und neueren
Kunst einst in das bysantinische und koptische
Gebiet, dann nach Syrien und dem Irak führte,
in weiterem rastlosen Erkenntnisdrange aber nach
Iran, Indien und selbst bis China leitete und bei
dem allen eine Menge neuer und gührung-bilden-
der Ergebnisse für das Studium der Kunstgeschichte
erbrachte, inzwischen auch den Ausbau einer
Systematik ermöglichte, dieses durch Einzel-
forschungen geläuterte Suchen führte nun den
verdienten Wiener Forscher dahin zurück, wo er
intuitiv schon vor Jahren stand, als er — in den
Preußischen Jahrbüchern — für die Wichtigkeit
des Studiums der Völkerwanderungskunst eintrat.
‚Оеп tatsächlichen Ausgangspunkt bildet für ihn
diesmal ein einheitlicher Fund, der in Albanien
zutage kam, dann aber leider im Marktwege zer-
streut, später hinwieder zum größten Teil durch
den verblichenen Morgan sen. für seine eigene
Sammlung angekauft wurde. Mit einer brillanten
Stilkritik werden die einzelnen Schichten dieses
im ganzen 4ı Stücke zählenden Schatzfundes, der
sich somit zu Recht mit den großen Schatzfunden
der Völkerwanderung vergleichen läßt, voneinander.
geschieden. Es sind das vor allem vier Gold-
pokale, zwei Goldschalen, eine Goldschale mit
ornamentiertem Griff (die aber stilistisch eigent-
lich zu den später anzuführenden Schmuckstücken
gehört), zwei einfache, tektonische Goldscheiben ;
. dann ein Silberkessel (ähnlich dem Taufkessel im
Ung. Nationalmuseum), eine Silberschale mit Griff,
ein Silberkrug mit mittelgriechischen Inschriften
und Monogrammen; endlich eine Reihe von gol-
denen Schmucksachen, von denen vierzehn einer
besonderen Ornamentik entbehren, fünfzehn aber
eine charakteristische Rankenornamentik, und ein
Stück einen Greifen in Durchbrucharbeit aufzu-
weisen hat. Daß wir es hier mit einem Werk-
stattfunde zu tun haben, beweist der Umstand,
daß mehrere der Schmucksachen noch im Roh-
gusse (ohne Ziselicrung), mit den daran haften-
den Gußkuchen, vorhanden sind und daß sich in
75:
dem Funde auch ein roher Goldbarren, mehrere
Golddrahtstücke und goldene Nigel befanden.
Für Str.'s neues Werk ist nun diese letztere
Gruppe mit der Greifen- und Rankenornamentik
ausschlaggebend. Ihrer Verzierung nach gehört
die Gruppe streng mit jenen Stücken aus unga-
rischer (und seltener Österreichischer) Erde zu-
sammen, die unter dem Namen der Kessthely-
kultur in der Fachliteratur bekannt war; wenn
aber die letstere ausnahmalos aus Bronzeobjekten
bestand, so ist es umso auffälliger, daß die alba-
nischen Stücke durchwegs aus Gold verfertigt
sind. Str. unternimmt es nun, diese Art von
Rankenornamentik, für die er den sehr bezeich-
nenden Namen der „Kreislappenranke“ verwendet,
nach Innerasien zurückzuleiten und sie in dieser
Folge nicht als ein vegetabiles, sondern als ein
geometrisches Verzierungselement anzusprechen.
Es muß erwähnt werden, daß diese sehr bezeich-
nende Art von Ornamentik nur in einem streng
umschlossenen territorialen Gebiete und Zeitab-
schnitte vorkommt. Der letztere wird durch Müns-
funde auf die Zeit zwischen 430 und 550 datiert;
das Fundgebiet wird aber durch sechs größere
Fundgruppen in Transdanubien umschrieben, außer
dem nur hie und da einige zerstreute Funde an
der Theißlinie und in Österreich nachzuweisen sind.
Außer diesem Gebiete (und nun dem albanischen
Schatze) ist die Gruppe sonst weder in Europa,
noch in Asien nachsuweisen; nur die Greifenorna-
mentik scheint an der Kaukasuslinie bekannt ge-
wesen zu sein. Dieses Zeit- und Fundgebiet ent-
spricht aber vollständig der Gepidenherrschaft, der
dann das awarische Reich an den Fersen folgte.
Es scheint mir sonach, daß der albanische Schatz
aus der Werkstatt eines awarischen (für die ja
das protsige Verwenden des Goldes bezeichnend
ist) Goldarbeiters hesstammt, wodurch auch die
andere Schicht des albanischen Fundes — als Raub-
und — erklärt werden dürfte. Die Awaren drangen,
bekanntermaßen, bis nach Albanien vor, wo man
in den heutigen Morlaken Awarennachkommen ver-
mutet. In diesem Gepidengebiete tritt nun in der
Rankenornamentik auch eine andere Schicht her-
vor, die in der Rankenführung und in der Ausbil-
dung der Rankenblüten eine ausgesprochene florale
Tendenz aufzuweisen bat. Es wäre daher anzu-
nehmen, daß Str.’s Annahme einer geometrischen
Ranke insofern eine Änderung erleiden könnte,
daß man eine neutrale Urform der Ranke annimmt,
die sich im zentralasiatischen Gebiete einesteils in
eine geometrische, anderesteils in eine florale Orna-
mentik spaltete. Auf jeden Fall gesichert bleibt
aber das Ergebnis jener glänzenden Herableitung
16
Str.’s, die ihre Belege auch in den historischen
Tatsachen findet, daß die islamische Arabeske eine
ihrer Vorstufen in der türkischen Rankenornamen-
tik Zentralasiens hat. Die Weinranke, der Str.
einst die Mschatta-Arbeit widmete, erhält in dieser
Folge ihre ornamentgeschichtliche Ergänzung. An-
dererseits versteht es aber Str. meisterhaft, daß
bisher aus Sibirien und Zentralasien bekannte, recht
spärliche archacologische Material zu einem leben-
digen Bilde der Kunstübungen dieser nördlicheren
Striche zu vereinigen: ein recht willkommenes Unter-
nehmen für diejenigen Forscher, denen das rus-
sische, finnische und schwedische Material nicht
recht zugänglich ist. Auch verdient die vorläufige
Veröffentlichung der Ergebnisse jener Chorasan-
expedition Erwähnung, die das kunsthistorische
Institut an der Wiener Lehrkanzel Str.’s unternahm,
und der die Wissenschaft — außer den mannigfal-
tigen, für die Genesis islamischen Kunst wichtigen
Entdeckungen — auch die Bekanntmachung der
prächtigen Inschriftenfriese von Chargird und Säng-
bist verdankt. Grundlegend ist weiters die Stellung-
nahme Str.’s zur bekannten Keilschnitt- Theorie
Riegis —, der diese Technik bekanntlich für die
römische Antike in Anspruch nahm; mit scharfer
'Diakrise erkennt Str. den Vorläufer dieser swei-
seitig arbeitenden Technik in der einseitig arbei-
tenden, auf Glanzwirkung hinzielenden „Schräg-
schnitt“ Technik Zentralasiens, und bringt hiefür
schlagende Beweise (vgl. das Tier aus Kelermes)
aus dem ostskythischen Gebiete. Ebenso erfahren
die bisherigen Annahmen in Bezug auf die beiden
anderen Grundelemente des Völkerwanderungs-
stiles: der Zellenverglasung und des Bandgeflechtes
durch das neue Werk eine Neuorientierung. Über
Dalton hinweggreifend, der die ,,inlaid jewellery
bis an die Oxuslinie verfolgte, geht nun Str, weiter
und bringt Tatsachen für die natürliche Annahme
des indischen Ursprunges dieser Technik bei; das
Bandgeflecht hinwieder, samt der Durchbrucharbeit
des frühen Mittelalters und der polygonalornamen-
tik der Moslim wird auf ein Gebiet surückgeführt,
das — bei Vorführung des interessanten Koökar-
Schatzes in der Eremitage — etwa durch das Gou-
vernement Semirjegtensk zwischen Pamir und Altai,
an den Hängen des Tien-éan, die durch Str. so-
genannte „sakische‘ Ecke (Kreuzungsstellezwischen
eranischen und aniranischem Wesen) umschrieben
wird, „Die Hauptsache ist, sagt Str. —, daß die
Kunsthistoriker in jener Gegend zum Spaten greifen-
Ich möchte auch hier wieder betonen, daß wir
zu wenig mit der neben den Treibhauspflanzen am
Nil, am Euphrat- und Tigrisgebiete und in Hellas
d. h. neben der Kunst des „Altertums“ bestehen-
den Art der Nomaden- und Nordvölker rechnen —,
die trotz der hohen Kultur des Südens weiter lebt,
ibren Brennpunkt in Mittelasien hat und nach der
vorübergehenden Blüte der darstellenden Kunst um
das Mittelmeer herum bei den Germanen und im
Islam zum Vorschein kommt.
Wenn wir auch nicht in Allem den etbnisch-
philosophischen Ausführungen Str.'s, die an diesem
Punkte einsetzen, zu folgen vermögen; wenn wir
insbesondere die Gleichung der Saken-Jranier be-
streiten müssen (da Saka die Einzahl von Skyth
ist, von welch letzteren aber Str., ja selbst annimmt,
daß sie Turkvölker, also Aniranier, Turanen sind),
und folglich im Grundprinzipe der ethnischen Zu-
teilung und der damit eng zusammenhängenden
Kulturbewertung entgegengesetzter Meinung sind —,
so müssen wir trotzdem mit Bewunderung jenen
idealistischen, hohen Schwung anerkennen, womit
Str. seiner Weltenschaunng Ausdruck verleiht. Wie
aus Erz gehümmert, fest und herb erklingt seine
Erklirung: „Für die Bewegung, die hoffentlich
jetzt mit dem Kriege einsetst, werden nicht die
örtlich und zeitlich eingeschachtelten historisch-phi-
lologischen Spezialisten in Betracht kommen, son-
dern Fachleute, die den Erdkreis im Auge haben
und über Religion ohne konfessionelle, über Staat
und Recht ohne politische, über Kunst, Wirtschaft,
Technik usf, ohne die europáische Schranke arbei-
ten, Fachmänner, die neben der üblichen, ,,gelahr-
ten“ Arbeitsweise der Universitäten und Akademien,
soweit die geisteswissenchaftliche Richtung in
Betracht kommt, zunächst einmal über das Wesen
ihres Fachs nachgedacht und auf dem Wege der
vergleichenden Methode gelernt haben, die Ergeb-
nisse der historisch-philologischen und philosophi-
schen Arbeit fachgemäß, d. h. ihrem Wesen nach,
zu ordnen, entwicklungsgeschichtlich aufzubauen
und für das Leben nutzbar bereitzustellen. Sie
werden ebenso wie die Naturwissenschaften, For-
schungsinstitute brauchen. in denen induktiv ver-
arbeitet wird, was als Fach-Tatsache kritisch fest-
gestellt worden ist. Ihr Ziel wird die planmäßig
geordnete Vorführung von Möglichkeiten des We-
sens und der Entwicklung sein, die sie dann im
Sinne der angewandten Forschung in den Dienst
der Gegenwart stellen. Damit im Zusammenhang
wird in Zukunft ale Maßstab für die Auswahl der
geisteswissenschaftiichen Probleme deren Lebens-
wert, vor allem in der Richtung deutsch-arischer
Eigenart und sittlicher Freiheit, mitzusprechen
haben.“
2 „
Der Verlag brachte das Buch — trotz der schwie-
rigen Kriegszeiten — in einer, der Bedeutung des
Werkes vollauf Rechnung tragenden Ausstattung
heraus; ein Umstand, der in den heutigen Tagen
einer besonderen Erwähnung bedarf.
Supka-Budapest.
O. Frhr. v. HADELN, Das Museum
au pauvre diable zu Maubeuge. Stutt-
gart, J. Hofmann, 1917. |
Maubeuge, die nette, kleine Festung aus dem
18, Jahrhundert, mit ihren friedlichen, baumbestan-
denen Willen, ist durch den Krieg zu einem reiz-
vollen Museum gekommen. Es ist erstaunlich,
was hier ein geschickter Architekt aus der Un-
gunst winkeliger, niedriger Räume in einem alten
Warenhaus gemacht hat. Durch Einziehung eini-
ger Winde sind wohnliche Kabinette geschaffen,
von deren lichten Bespannungen die Bilder fest-
lich heiter herabblicken. Im Auftrag eines Armee-
Oberkommandos hat Hadeln einen Katalog ge-
schrieben, der in rund 50 Abbildungen eine Aus-
wah! der Pastelle La Tours und der übrigen Kunst-
werke bringt. In kritischer Würdigung führt Hadeln
durch den ausgestellten Kunstbesits, Die weiß-
gestrichene Holzfigur einer Badenden aus Schloß
Coulaincourt spricht Hadeln als Vorstufe zu der
Statue Falconets im Louvre an. Dann müßte Fal-
conet sein Proportionsgefühl von Grund auf ge-
ändert haben, Ein anderer Geist dokumentiert
sich in dieser Figur mit ihrer kühlen Gemessen-
heit, Kein Zweifel: es ist ein Werk des Empire,
Einige Pastelle, wie das Bild der Tänzerin Puvigné
(Nr. до) sind von kräuseinden W asserstrichen durch-
laufen, untilgbare Reste aus der Zeit, wo die fran-
zösische Verwaltung іп St. Quentin die Bilder im
Keller vor den Deutschen verbarg, auf andern Bil-
dern aber (Nr.35,37,91 u.a.) aber sind die meist
auch nur am Rand auftretenden Schimmelflecke
bis auf gans schmale Wasserlinien zurückgegangen, `
so daß ich glauben möchte, hier habe schon vor
1914 einmal Feuchtigkeit eingewirkt.
Im Felde. Kurt Gerstenberg.
RUDOLF METZGER, Die dynamische
Empfindung in der angewandten Kunst.
Ein Beitrag zur künstlerischen Gestal-
tung der Technik. Mit 56 Abbildungen
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1917.
Als Leitsatz stellt Metzger seiner Broschüre
einen Brief von Klinger voran, der davon ausgeht,
daB jede Zeit, die ihren eigenen Stil hat, „auch
ihre elgene, ganz absolut eigene Vorstellung und
Darstellung der menschlichen Figur hatte.“ Auf
77
dieser Grundlage baut sich alles übrige auf, „ob
das nun Haus sei oder Kaffeetasse, ist völlig gleich."
Sie haben ihren eigenen Charakter, vorausgesetzt
daß die betreffende Generation ihre eigene Körper-
vorstellung hat.
Im ersten, dem theoretisch-philosophischen Teil
analysiert der Verfasser Wesen und Ursprung der
Empfindungen, im zweiten, der „praktischen An-
wendung“, wird die gewonnene Erkenntnis, daß
der Mensch das Maß aller Dinge sei, an Dingen
aller Art, an Wagen, Säulen, Stützen, Brücken-
bogen, Ausiegern von Kranen, Dachkonstruktionen
usw. erhártet. Die Abbildungen haben keiheh
Eigenwert; trotz ihres winzigen Maßstabes unter-
stützen sie Metzgers klare präzise Ausführungen
auf das Glücklichste. Aus der anregenden Schrift
spricht der Glaube an die treibenden Kräfte un-
serer Zeit. Metzger glaubt, der Augenblick für
die Technik sei gekommen, wo „jeder so ver-
traut ist mit dem Kräftespiel der neuen Konstruk-
tionen und Materialien“, daß er „die Maschine
sich sozial untertan machen kann“ und nach „Mög-
lichkeiten suchen wird, Persönliches auszudrücken.“
Rosa Schapire.
DER CICERONE.
X, 1/2.
F. ROH: Ein neuer P. Bruegel. (a Abb.)
HANS HILDEBRANDT: Die Sammlung Kirchhoff
in Wiesbaden. (7 Abb.)
HERMANN UHDE-BERNAYS: Karl Voll.
X, 3/4.
WALTER BOMBE: Die Sammlung Dr. Richard
von Schnitzler in Cdln (Schluß). (14 Abb.)
H. FRIEDEBERGER: Werke deutscher Künstler
des 19. Jahrhunderts. Ausstellung bei Frits Gurlitt.
(1 farb. Taf., 10 Abb.)
nen
DIE RHEINLANDE.
XVII, 12.
DOROTHEA STERN: Mittelalterliche Wand-
gemälde aus dem Großherzogtum Hessen, (17 Abb.)
DIE KUNST.
XIX, 4.
IGNAZ BETH: Die Herbstausstellung der Ber-
liner Sezession, (13 Abb.)
L. F. FUCHS: Granitne Denkmäler.
H. A. SCHMID: Bócklin und die alten Meister:
L Der junge Bócklin. (11 Abb.)
AUGUST RODIN +.
PAUL EHRENBERG: Der Radierer Fritz Pauli.
(хо Abb.)
HERMANN MUTHESIUS: Zwei Bauten: 1) Herren-
haus Wendgräben bei Loburg. 2) Haus Wild,
Nikolassee. (2 Taf, 17 Abb.)
JOSEPH POPP: W. Nida-Rümelin. (33 Abb.)
XIX, 5. |
I. BETH: Werke deutscher Künstler im Kunst-
salon Gurlitt-Berlin. (x farb. Taf, 12 Abb.)
К. SCH.: Wilhelm Trübner f. (x Abb.)
MAX OSBORN: Franz Metzner. (r Taf., 14 Abb.)
L BETH: Die große Berliner Kunstausstellung 1917.
IL Teil. (6 Abb.)
R. BRAUNGART: Karl L. Voss. (6 Abb.)
G.J. WOLF: Gobelin-Entwürfe von Th. Th. Heine.
(x farb. Taf., 7 Abb.)
MAX EISLER: Oskar Strnad. (r Taf, 9 Abb.)
G. J. WOLF: Das Bamberger Klerikal- Seminar.
(7 Abb.)
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 4.
ZWEI DEUTSCHE MÄRCHEN mit Illustrationen
von Max Slevogt und Leopold von Kalkreuth.
(9 Abb.)
MAX v. BOEHN: Das Bihnenkostiim in Mittel-
alter und Neuzeit. (x farb. Taf., 16 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Walter Bondy. (8 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Ernst Barlach. (t Abb.))
Majano. (s Abb.) .
DEUTSCHLANDS KUNST.
Zeitschrift des Bundes der Freunde deutscher Kunat.
1917, 1.
HANS THOMA: Deutschlands Kunst.
ROBERT VOLZ: Deutsche Kunst im- -Zeitalter
der Reformation. (26 Abb.)
ARTHUR DOBSKY: Der Monumentalbrunnen in
Buenos Aires. (9 Abb.)
O. v. FRITZ: Die aiten Bauten in Lemgo. (8 Abb.)
F. A. GEISSLER: Zur Verwilderung der deutschen
Kunst.
ARTHUR DOBSKY:; 101 Exlibris von Prof. Bruno
Heroux. (a Abb.)
— M
REPERTORIUM FÜR KUNSTWISSEN-
SCHAFT.
XL, 5/6.
KARL LOHMEYER: Domenico Egidio Rossi und
seine SchloBbauten in Deutschland. (15 Abb.)
F. ROH: Venus und Adonis bei Rubens. (3 Abb.)
ERICH RÓMER: Materialien zur Dürerforschung.
(2 Abb.)
HANS MACKOWSKY : Karl Frey 1.
JOSEF KREITMAIER 8. J.: Zur Datierung und
Geschichte des grofen jüngsten Gerichts von
Rubens.
LUDWIG v. BALDASS: Der angebliche Anteil
des Veit Stoß ап den Erzfiguren des Innsbrucker
Grabmals. Eine Berichtigung.
ERNST EHLERS: Ephrussis ,Etude de fleurs"
von Dürer. (r Abb.)
WINFRIED LÜDECKE: Mengs-Bibliographie.
AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.
XXXIX, 4.
M. J. FRIEDLAENDER: Über Antwerpener Glas.
( Abb) der ersten Flälfte des 16. Jahrhunderts.
F. SCHOTTMULLER: Arbeiten von Giuliano da
— ад
OUDE KUNST.
III, 4. i
M. W. de VISSER: De Genji Monogatari. (4 Abb.)
J. O. KRONIG: Een portretgroep door Barent
Fabritius. (x Taf.)
HERMAN F. E. VISSER: Een zestiende-eeuwsch
portret van een onbekend Meester. (2 Taf.)
W. ZUIDEMA: Nog eens chineesche Schimmen.
IMA BLOCK: Tentoonstelling van perzisch-indische
Miniaturen in's Rijks-Prentenkgbinett te Amsater-
dam. (2 Abb.)
79
mp. ҰМ” eree rw nity
EUGENE DELACROIX, Briefe I, 1813—1846. Prof. ALBIN MULLER (Mitglied der Künstler-
Deutsch von Wilhelm Stein. Benno Schwabe kolonie Darmstadt): Werke der Darmstädter Aus-
& Co. Verlag, Basel 1918. stellung 1914 und andere Arbeiten. Mit Vorwort
TRÜBNER, Des Meisters Gemilde in 450 Ab. Von Prof. Dr. G. Biermann. Verlegt bei Kari
bildungen. Herausgegeben von Jos. Aug. Beringer. Peters, Magdeburg. go Tafeln in groß 49. Geb.
Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1917. M. 31.50.
XI. Jahrgang, Heft 2/3.
Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER,
Berlin W. 15, Uhlandstraße 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK-
HARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengatr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. KURT RATHE, Wien I, Elisabethstr. 51. |
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. Н. Lecuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.
Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13467.
Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be-
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland-
straße 158 £u richten.
Semer
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
80
Wem
ZWEI ALTARFLÜGEL NACH ALBRECHT
DURERS MARIENLEBEN
Mit vier Abbildungen auf zwei Tafeln Von OTTO GERLAND
Vorzugsweise benutzte Schriften.
Bertram, Geschichte des Bildbaues Hildesheims. 2 Bände. 1899 und 1916.
Engelhard, Beiträge zur Kunstgeschichte Niedersachsens. Göttingen 1891.
Derselbe, Hans Raphon. Ein niedersächsischer Maler um 1500. Leipzig 1895.
Gerland, Hildesheim und Goslar. (Nr. 38 von Seemanns berühmten Kunststätten). Leipzig 1904.
Назен Die mittelalterliche Plastik Hildesheims (Heft 19 der Studien zur dtech, EE
` Straßburg 1917.
Knackfuß, Albrecht Dürer (Band V von KnackfuS’ Künstlermonographien). 2. Auflage. Bielefeld
und Leipzig 1895.
Ruttenauer, Unserer Lieben Frauen Leben in 20 Holzschnitten von Albrecht Dürer. Düsseldorf,
ohne Jahreszahl.
Springer. Albrecht Dürer. Berlin 1801.
Thansing, Dürer, Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Leipsig 1875.
Wölffiin, Die Kunst Albrecht Dürers. München 1908.
Zucker, Dürer. Halle a/S.
*
u Anfang des то. Jahrhunderts bestanden in Hildesheim acht lutherische
Kirchen, und es waren die Einkünfte der daran angestellten Geistlichen so
gering, daB aus diesen Kreisen selbst, nachdem Hildesheim durch den Reichs-
deputations-Hauptschlu8 von 1802 preuBisch geworden war, bei der Kriegs- und
Dománenkammer zu Halberstadt der Antrag gestellt wurde, durch Aufhebung der
Hülfte dieser Kirchen mit deren Einkünften die Lage der an den übrig bleibenden
Kirchen angestellten Geistlichen zu verbessern. Dem Antrag wurde stattgegeben
bei den damaligen Wirren kam die Angelegenheit aber erst 1809, nachdem Hildes-
heim zum Königreich Westfalen geschlagen war, zur Erledigung. Es wurden die
Kirchen zu St. Annen, St. Georg, St. Michaelis und St. Pauli aufgehoben. Die Ge-
bäude dieser Kirchen wurden auf Abbruch verkauft oder anderweit verwertet, das
Inventar wurde auf dem Wege der öffentlichen Versteigerung in alle Winde zer-
streut, wie ich dies an einer anderen Stelle ausführlicher dargestellt habe. Das
Gebäude der aufgehobenen Dominikanerkirche zu St. Pauli ist erhalten und
in späteren Jahren zu einem Vergniigungslokal — der jetzigen Stadthalle — um-
gebaut, zum Inventar dieser Kirche gehörte ein Altar, der uns hier näher be-
schüftigen soll’).
Dieser Altar bestand nach dem für die Versteigerung angefertigten Inventar
aus einem „Tisch“ und einem „Schrank“, der auch als „Schnitzaltar“ bezeichnet
wurde. Wir haben uns den Altar daher als einen Flügelaltar mit einem steinernen
Untersatz und einem darauf gesetzten Schreine zu denken, der gemalte Flügel
: und im Inneren geschnitzte Darstellungen besaß. Der „Altarschrank“ — Schrein-
(1) Die ebenfalls aufgehobene Michaeliskirche wurde 1855 für die damals noch bestehende Martini-
gemeinde neu hergestellt, deren Kirchengebäude dann zur Aufnahme des vom Senator Hermann
Rosmer gegründeten und nach diesem benannten Museums verwandt wurde.
Monatshefte für Kunsatwissensohaft, XI. Jahrg., 1938, Heft 4 6 81
r "ұрғашы, en Y " en dn. LES ee ai
(Ww Е
altar — wurde für fünf Taler verkauft, der steinerne Untersatz — „Tisch“ —
brachte einen etwas höheren Erlös. Man sieht daraus, wie gering damals und
insbesondere auch in Hildesheim derartige Gegenstünde geschützt wurden, es war
zu der Zeit, wo durch die zahlreichen Aufhebungen von Klöstern und Stiften eine
Menge solcher Sachen, die der damalige Geschmack überhaupt nicht hoch wertete,
auf den Markt geworfen wurde. Neben dem hier besprochenen Altar wurde in
Hildesheim noch ein zweiter — aus der Georgenkirche — versteigert, über den
uns gar keine Nachricht erhalten ist.
Welche Bilder in dem Schnitzwerk unseres Altars enthalten waren, kann nicht
gesagt werden, da man nicht weiß, wohin sie gelangt, zerstreut oder verschleppt
sind. Da Ше Altarflügel, die uns hier besonders beschäftigen werden, vom
Schrein getrennt worden sind, so behält die allgemeine Annahme, der Altar sei
zerstört, gegenüber der Annahme, er sei nur verschleppt worden, recht, denn
jedenfalls sind die Flügel vom Schrein abgetrennt, was man nur als eine Zer-
störung des Altars bezeichnen kann. Mit Rücksicht darauf, daß auf den Flügeln,
wie wir nachher sehen werden, Darstellungen aus dem Leben Marias, mit
dieser als Mittelpunkt der Darstellung, enthalten sind, wird man annehmen dürfen,
daß die Mutter Gottes, die Heilige des Stifts Hildesheim, und daß auch wohl der
Apostel Paulus, der Heilige des Stifts, angebracht waren, aber weiterer Ver-
mutungen müssen wir uns enthalten.
Was für die Rheinlande die Gebrüder Boisserée waren, ersetzte für Hildesheim
und Umgegend der Oberbaurat Hausmann zu Hannover, der zur Zeit des König-
reichs Westfalen zahlreiche Bilder, z.B. aus der in alle Winde zerstreuten Galerie des
dann ohne jeden Grund niedergerissenen Schlosses Salzdahlum, aus dem Nachlasse
des Reichspropstes Grafen von Beroldingen zu Hildesheim usw. aufkaufte. In
Hausmanns Sammlung gelangten auch die Tafeln des Altars von St. Pauli, ob
durch unmittelbaren Kauf von Hausmann oder einen Geschäftsführer, oder vielleicht
auch durch die Sammlung des Grafen v. Beroldingen, kann nicht gesagt werden.
Die Hausmannsche Sammlung wurde später von König Georg V. von Hannover
gekauft und befindet sich jetzt mit anderen Stücken des von diesem am 18. Juni
186r gestifteten Welfenmuseums іп der FideikommiBgalerie des Gesamthauses
Braunschweig-Lüneburg (Katalognummer 724 a und b). Sie sind jetzt als Eigentum
Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs v. Cumberland, Herzogs von Braun-
schweig und Lüneburg, im Provinzialmuseum zu Hannover aufgestellt. Für die
von Seiner Königlichen Hoheit gnädigst mir erteilte Erlaubnis, die Bilder der Altar-
flügel in photographischen Nachbildungen veröffentlichen zu dürfen, ermangele ich
nicht, hier meinen tiefgefühltesten Dank abzustatten. Es ist die erste Veröffent-
lichung dieser wertvollen Bilder.
Die beiden hervorragend gut erhaltenen Altarflügel haben je eine Breite von
1,12 m und eine Höhe von 1,84 m. Auf jedem Flügel oder jeder Tafel sind zwei
Bilder dargestellt, die durch ein reizendes Rankenwerk, in dem Putten sitzen, ge-
trennt oder vielmehr verbunden werden.
Unsere Bilder zerfallen in zwei Gruppen, die in einem gewissen Parallelismus
zueinander stehen, die beiden oberen die Tafeln (Abb. x und 3, und die beiden
unteren (Abb. a u. 4). Die beiden ersten zeigen unbedingte Anlehnung an niemanden
geringeres als Albrecht Dürer und dessen Marienleben. Die beiden anderen
Bilder zeigen eine ausgesprochen undürerische Art. In ihnen] hat man wohl die
unbeeinflußte Manier des Künstlers zu sehen, der sich übrigens auch in den beiden
an Dürer anklingenden Darstellungen seinen Blättern nur äußerlich angeschlossen
hat. Seine Anlehnungen beschrünken sich auf die Wiederholung der Architektur-
kulissen, auf Übernahme einzelner Figuren und Gruppen, die er würtlich wieder-
holt, ohne sie doch auch sinngemäß zu verwenden. Das ganz aufs tektonische
abgestellte Gefüge der Dürerschen Kulissen unterbricht er durch flatternde und
sitzende Engelchen, die gerade die statisch wichtigen Linien und Formen unter-
brechen, die moderne Architekturkulisse verbindet er auf Abb. 3 mit einem durch-
aus nach ülterer Manier gezeichnetem Raumbilde, und die Vermischung der Dürer-
schen Engelgruppen mit solchen eigener Empfindung zeigt, wie auch die ganze
Raumfüllung der Bilder, daß er das wichtigste Neue an Dürer, die neue Klarheit
des Aufbaues und der Erzühlung, die neue Einheit des Tones und die Kühnheit
der Komposition nicht begriffen hat. |
Die Blatter aus dem Marienleben erregten so ртоВев Aufsehen, daB sie vielfach
nachgestochen wurden, was nach einer nicht widerlegten Überlieferung Dürer
I505 zu seiner zweiten Reise nach Venedig veranlaBte, um dort sein Recht vor
der Signoria zu suchen. Besonders beliebt war das Blatt: Die Ruhe in Agypten,
von der insbesondere auch die Architekturvordrucke öfter im Bilde und sogar im
Basrelief nachgebildet wurden. So hat denn auch der Maler der hier besprochenen
Bilder das Blatt vor Augen gehabt, als er die Bilder in Abbildung ı und 3 schuf,
wenn er es auch nicht ohne zum Teil wesentliche Abünderungen benutzt hat.
Aus dem erwühnten Parallelismus der Bilder kinnte man vielleicht schlieBen, daf
unserem Künstler eine allzugroße Erfindungsgabe nicht beschieden gewesen sei.
Der Betrachtung der Bilder an ihrem ursprünglichen Aufenthaltsorte dürfte es aber
keinen Eintrag getan haben, denn da jeder Flügel 1,12 m miBt, so hatte das Innere
des Altarschreins eine Breite von etwa 2,50 m, daB man bei Betrachtung des
Altarwerkes in der Nähe die beiden Flügel nicht gleichzeitig überschauen konnte,
während bei einer Betrachtung des gesamten Altarwerkes aus einiger Entfernung
ein nicht unangenehm empfundener Rhythmus dem Beschauer entgegentrat.
Gehen wir zur Betrachtung der Bilder im einzelnen über. Die erste Tafel zeigt
im oberen Bilde die heilige Familie kurz nach der Geburt des Heilandes
noch im Stalle zu Bethlehem (Abb. 1), darunter die AusgieBung des hei-
ligen Geistes (Abb. 2). Auf der zweiten Tafel erblicken wir im oberen Bilde
die Ruhe in Ágypten (Abb. 3) und darunter den Tod der Maria (Abb. 4).
Es empfiehlt sich, die Parallelbilder zusammen zu besprechen. Abweichend von
Dürer, der in seiner Ruhe in Agypten Maria auf die Seite geschoben hat, setzt
unser Künstler sie auf beiden Bildern als Hauptperson in die Mitte, was, da es
sich wohl um einen Marienaltar handelt, wie wir oben annehmen durften, begründet
ist, und hat Joseph in den Hintergrund geschoben. Maria sitzt in Abbildung 1
vor einem stallartigen Gebäude, sie hat den Spinnrocken beiseite gestellt, das Kind
aus der Wiege genommen und reicht ihm die mütterliche Brust, während hinten
ihr Josef Zimmermannsarbeit verrichtet. Kleine Engel tragen die dabei abfallenden
Spüne weg und helfen Maria in der Hauswirtschaft, holen Wasser aus einem nach
vorn geschobenen Ziehbrunnen und füttern seitwärts Ochs und Esel Über den
Hof hinweg sieht man in eine Landschaft. Von oben schaut Gott Vater segnend
herab. In Abbildung 3 (die Rast in Agypten), sitzt Maria vor einem ruinenhaften
Gebäude und spinnt am Rocken, während Joseph im Hintergrund zimmert; das
überaus schnell herangereifte Christkind sitzt zu FüBen seiner Mutter und spielt
die Orgel, kleine Engel sind um alle drei beschiftigt, an einem ruinenhaften Ge-
bäude vorbei schweift der Blick in die Landschaft, und auch hier erblicken wir
83
Gott Vater, aus den Wolken die Gruppe segnend. Diese beiden Bilder zeigen
Starke Anlehnungen an Diirer, enthalten aber auch selbstündige Erfindungen unseres
Künstlers, namentlich hat er Dürers Rast in Agypten stark benutzt, dagegen in
Abbildung т auch Dürers Anbetung der Könige herangezogen, indem er diesem
Blatt die Architekturkulisse entlehnt hat. In Abbildung 1 ist die Maria ganz Dürer
nachgebildet, in Abbildung 3 sehen wir — abgesehen von der räumlichen Ver-
schiebung — Joseph genau in derselben Stellung, wie in Dürers Rast, der auch die
(wie wir schon sahen) so besonders beliebte Architektur und zum Teil der Hinter-
grund mit der Burg entlehnt ist. Alles übrige ist freie Erfindung unseres Künst-
lers, der namentlich in der Maria in Abbildung 3 etwas durchaus Liebliches ge-
schaffen hat. Die Verschiebung Josephs nach hinten in Abbildung 3 hat den
Nachteil im Gefolge, daB er bei Dürer beglückt auf die Gruppe von Mutter und
Kind schaut, auf unserem Blatt 3 aber aus der Handlung hinausgeschoben ist. Im
allgemeinen aber muß man sagen, daß unser Künstler sich als tüchtiger Maler er-
wiesen hat.
. Gehen wir zu den beiden anderen Paralleldarstellungen, der Ausgießung des
heiligen Geistes (Abb. 2) und dem Tode Marias (Abb. 4) über. Maria thront in
der Mitte der Jünger, der heilige Geist senkt sich in Gestalt einer Taube von
Gott Vater auf sie herab, während Engel über ihr Weihrauchgefäße schwingen.
Zwei Ausblicke öffnen sich rechts und links von der Gruppe. Zur Rechten sieht
man in eine StraBe mit stüdtischem Verkehr, zur Linken erscheint der auferstan-
dene Heiland mit der Siegesfahne einer reizenden Frauengestalt, der Maria Magda-
lena, durch die aufgehobene Hand andeutend: Noli me tangere. Dies Bild ist eine
von Dürer unabhängige, vollständig freie Komposition, es gestattet aber namentlich
durch die beiden Ausblicke interessante Schlüsse auf die Person des Meisters.
Das Straßenbild zeigt vlümisch-burgundische Elemente, die sich am Rhein und
in dem gesamten niederdeutschen Kunstgebiet noch sehr lange erhalten hatten.
Da nun auch die Christusfigur in der ausgesprochen gothischen Zierlichkeit ihrer
Bewegung rückwürts zu weisen scheint, die Flügel aber, bei ihren Beziehungen
zum Dürerschen Marienleben nicht über den Jahrhundertanfang hinaus rückwärts
gerückt werden künnen, so hat man den Künstler unserer Bilder wohl in einer
stilleren Gegend Deutschlands, abseits der ргоВеп KunststraBen, zu suchen, wo
sich die frühere Art lünger erhalten hatte als in Nürnberg oder Augsburg, und
dürfen wir besonders annehmen, daB wir es mit einem mitteldeutschen Meister zu
tun haben. Das letzte Bild (Abb. 4) zeigt uns Maria auf dem Sterbebette, um-
geben von den Jüngern, die teils beten, teils ihr die Sterbesakramente reichen.
Eine Entlehnung von Dürer wird man hier ausschlieBen müssen, die Ahnlichkeit
liegt eben im Gegenstand der Darstellung. Auch unterscheidet sich die selbst im
Sterben noch liebliche Maria wesentlich von der herberen Darstellung Dürers.
Damit kommen wir auf die Zeit der Entstehung unserer Bilder zu sprechen.
Künnte man vielleicht an eine frühere Zeit denken, so zwingt uns doch die An-
lehnung an Dürers Marienleben, uns an die Zeit der Entstehung dieser Bilder-
folge anzuschließen. Die ersten Blätter sind im Anfang des 16. Jahrhunderts er-
schienen, das Marienleben als Ganzes wurde 1511 ausgegeben. Wir werden des-
halb annehmen müssen, daß die Tafeln nicht vor dem Anfang des Jahrhunderts
entstanden sind. Da aber das Dominikanerkloster 1542 aufgehoben worden ist,
so kinnen sie nicht nach diesem Jahre entstanden sein. Es ist auch nicht an-
zunehmen, daB die Mónche gerade in der letzten Zeit des Bestandes ihres Klosters
ein so kostspieliges Altarwerk aufgestellt haben und dies um. so weniger, weil
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gerade die Mönche dieses Klosters sich schon vor dessen vollständiger Aufhebung
zerstreut haben. Wir künnen also die Zeit von 1512 bis vielleicht 1525 als die
Entstehungszeit unserer Bilder ansetzen.
Die letzte Frage, die noch zu beantworten bleibt, ist die nach dem Künstler,
dem wir diese Bilder verdanken. Daß er ein mitteldeutscher und insbeson-
dere wohl ein niedersüchsischer Meister gewesen ist, kann nach dem oben Ge-
sagten nicht wohl einem Zweifel unterworfen werden, um so weniger aber, als
solche Altarwerke meist in der Nachbarschaft der Bestimmungsorte angefertigt
wurden, wenn es sich nicht um Werke weit bekannter Künstler handelte, ein
Fall der hier ausgeschlossen ist Wir dürfen aber auch annehmen, daß unser
Meister ein nicht ungeschickter Maler war, dem das damals hochgeschiitzte
Dürersche Marienleben in seinen einzelnen Blüttern oder als Ganzes zu Gesicht
gekommen ist und der sich dann mit Liebe in seine Arbeit versenkt hat. Die
„Ruhe in Ägypten“ muß ihn besonders angezogen haben, sonst würde er sie nicht
zweimal, wenn auch teilweise mit nicht unerheblichen Abänderungen, sich zur
Anregung haben dienen lassen.
Nun lebte um die Wende des Jahrhunderts in der Umgegend von Hildesheim
Hans Raphon, von dem wir sicher nur wissen, daß er aus Northeim ап der
Leine stammt und für die Gegend zwischen Göttingen, Einbeck, Halberstadt und
Walkenried Werke geliefert hat. Auch die innerhalb dieses Gebietes liegende
Stadt Hildesheim besitzt zwei Altarwerke von ihm oder doch aus seiner Schule.
Das eine befindet sich jetzt in der Beichtkapelle der Michaeliskirche, in die es
(vergleiche oben Anmerkung 1) aus der Martinikirche, der früheren Franziskaner-
kirche, mit den beiden inneren Flügeln geschafft wurde, während die schon früher
abgetrennten äußeren Flügel in dem in der Martinikirche errichteten Roemer-
Museum verblieben und dort noch vorhanden sind. Dieser Altar ist also für die
Franziskaner in der Martinikirche angefertigt worden. Das andere Werk ist ein
Flügelaltar, der bis vor etwa 20 Jahren in der Kapelle des Arnekenhospitals auf-
gestellt war, von da aber auf meine Anregung in das Roemer-Museum übertragen
wurde, nachdem eine kunstsinnige und wohltütige Dame in Hildesheim eine Kopie
des Altars für die Hospitalskapelle gemalt und gestiftet hatte. Auf welchem Wege
das Kunstwerk in das Arnekenhospital gelangt ist, kann nicht festgestellt werden,
es kann aber nicht für das Hospital angefertigt sein, weil dies erst im letzten
Drittel des 16. Jahrhunderts gegründet ist, als Hans Raphon schon längst tot
war. Das Werk ist aber so gut erhalten, daß man annehmen muß, es habe nicht
viele Wandlungen erlebt, Vielleicht ist es kurz vor der Reformation für eine
Hildesheimer Klosterkirche gemalt und von da nach deren infolge der Reformation
eingetretenem Schluß oder aus einer anderen evangelisch gewordenen Kirche bei
Beseitigung der Bilder in das Hospital übertragen worden. Da wir also wissen,
daß aus Raphons Werkstatt Bilder nach Hildesheim und insbesondere in die
Franziskanerkirche gelangt sind, so ist wenigstens die Vermutung nicht aus-
geschlossen, daß auch die hier besprochenen Bilder von Hans Raphon selbst
oder doch in dessen Werkstatt angefertigt sind. Es lassen sich aber bei einer
genauen Vergleichung unserer Bilder mit den Flügeln des Altars in der Michaelis-
kirche sowie den dazu gehörigen im Roemer -Museum eine Reihe auffallender
Übereinstimmungen finden.
Das Haupt Marias ist nicht von einem Heiligenschein umgeben, sondern es
gehen von ihm lichte Strahlen aus. In beiden Werken ist dem Gesicht Marias
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eine besondere Lieblichkeit beigelegt. Der archaisierende Auferstandene im Noli
me tangere zeigt sehr viele Ähnlichkeit mit dem auf dem einen Flügel im Roemer-
Museum in der Taufe durch Johannes dargestellten Heiland. Die phantastischen
Hintergründe der Abbildungen 1 und 3 finden Ahnlichkeiten sowohl in der Be-
gegnung von Maria und Elisabeth in der Michaeliskirche, als bei der Taufe Christi,
einzelne Figuren in beiden Bilderzyklen scheinen auf dasselbe Modell zurück-
zugehen. Und endlich zeigt auch die feine Malweise erhebliche Anklünge. Wir
dürfen also die Vermutung, daB unsere Bilder Hans Raphon oder doch seiner
Werkstatt zuzuschreiben seien, als eine keineswegs unbegründete aufstellen.
DIE UBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES
IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND.
LANDISCHEN KULTURWELT Von ROBERT WEST
ie Kunstgeschichte teilt die gesamte kiinstlerische Produktion in einzelne groBe
Stilgruppen auf. Jede Stilgruppe entspricht einer bestimmten Kulturphase,
kann bis zu einem gewissen Grade als Exponent des Zeitcharakters angesehen
werden. Außer einer zeitlichen Stilbildung haben wir auch noch die völkische zu
berücksichtigen. Diese ist jedoch niemals so prägnant wie der Zeitstil. Eine go-
tische Kathedrale in Spanien und eine Domkirche der Backsteingotik im deutschen
Norden sind unter sich absolut verschieden. Vergleicht man sie miteinander inner-
halb des zusammenfassenden Begriffes: Gotik, so treten die Unterscheidungsmerk-
male mit solcher Stärke hervor, daß die gemeinsame Stilzugehürigkeit ganz in деп
Hintergrund gedrüngt wird und die Frage liegt nahe, ob ein Zusammenfassen so
grundverschiedener Dinge unter einen einzigen Gattungsbegriff nicht ein willkür-
liches Schematisieren bedeutet, Das Bild ändert sich aber mit einem Schlag, wenn
wir die beiden gotischen Kirchen mit einem Barockbau vergleichen. Diesem gegen-
über verschwinden die Verschiedenheiten und die gemeinsamen Züge treten mit
bestimmter Deutlichkeit hervor. Wir sehen den Beweis, daß die Ubereinstimmnng
der künstlerischen Produktion innerhalb eines Zeitraumes immer größer ist als die
Übereinstimmung innerhalb einer Volksgruppe, Der völkische Sonderstil ist ledig-
lich eine Modifikation des Zeitstils. Es ist ein kunstgeschichtliches Problem, wie
weit von den einzelnen Nationen das besondere Wesen jedes Zeitstils zum Aus-
druck gebracht wird. Im Falle der Gotik z. B. steht Italien in zaghafter Schüch-
ternheit der eigentlichen Stilforderung gegentiber. Die klassische Renaissance bleibt
in ihrem Wesenskern, der Neubelebung der Antike, von Deutschland gänzlich un-
verstanden.
Die Gründe für das Übergewicht des Zeitstils vor dem Nationalstil sind zu
suchen in der ungefähren Gleichartigkeit der Kulturentwicklung. Religiöses Emp-
finden, wissenschaftliche Forschung, wirtschaftliche Bedingungen und technische
Errungenschaften bleiben nie auf ein Volk beschränkt, sondern teilen sich in größe-
rem oder geringerem Grade allen Nationen mit, gleichen sich wechselseitig aus.
Der Niederschlag dieses Vorgangs zeigt sich in der bildenden Kunst, denn es ist
das materielle Bedürfnis und das technische Können, welche zusammen mit der
Ethik und dem Schönheitswollen den Stil einer Zeit bilden. Die charakteristischsten
Beispiele jedes Stils werden sich an den jeweiligen Kulturzentren finden.
Die Grenzgebiete, an denen sich ein Stil vom anderen löst, in welchen also die
vorherrschenden Merkmale zweier Stile gleichwertig nebeneinander bestehen,
nennen wir Übergangsstile. Aus ihnen offenbart es sich, daß es innerhalb einer
einheitlichen Kulturwelt keinen Stil gibt, der nicht auf der Grundlage des ihm
zeitlich vorangehenden erwachsen wäre. Eine solche Kultureinheit bildet die
abendländisch-christliche Welt. Innerhalb dieser Kultureinheit läßt sich der Zu-
sammenhang der Teile und ihre Charaktereinheit dartun. Die Kunstgeschichte einer
solchen Kultureinheit ist die Biographie einer Kunstseele. Wir finden in ihr Stil-
einheit und Stilwandlung zugleich, das heißt, wir sehen in den einzelnen Stil-
gruppen scheinbar fertig in sich abgeschlossene Sonderexistenzen und wir be-
merken in jedem Übergangsstil den unmittelbaren Zusammenhang des Werdenden
% 87
mit dem Vergehenden. Nirgends findet sich eine Zäsur. Die Bedeutung dieser
Stilwandlung bei einer gleichbleibenden Stilgrundlage läßt sich nur in den Über-
gangsstilen erkennen, denn nur hier offenbart sich der Kampf der Krüfte, nur hier
finden wir das neue Motiv, den Ausgleich mit der traditionellen Konvention suchend.
Alle fruchtbaren Lebensmomente, alle hemmenden und zersetzenden wie alle neu-
schaffenden Krüfte, welche in einer fast zweitausendjührigen Epoche die abend-
lindisch-christliche Welt gebaut haben, finden ihren Kampfplatz in der bildenden
Kunst so gut wie im Staatsleben. So wird die Geschichte der Übergangsstile zu
einer Geschichte des Kampfes widerstreitender Elemente um die Herrschaft.
Das ewige Auf- und Abwogen geistiger Strömungen kristallisiert sich hier zu geo-
metrischen Formen. Wie jede Stilphase Exponent einer Kulturphase ist, so illu-
striert jeder Stilübergang einen Kulturkampf. Die Art des Kampfes und das Wesen
des Sieges werfen ein helles Licht auf den festgefügten Bau jener Kultur, die wir
in den allbekannten und als notwendige Erscheinungsformen des christlichen Abend-
landes angesehenen Kunststilen verkürpert sehen.
Die Beispiele für meine Ausführungen entnehme ich vorzugsweise der Archi-
tektur und Bauornamentik, weil sich hier der Zeitstil immer reiner zeigt wie in
Malerei und Plastik, Die künstlerische Individualität tritt fast ganz zurück hinter
den Gedanken der Korporation. Die Betrachtung der einzelnen Kunstwerke lehrt,
daß die Anfänge jedes neuen Stils sich auf die atektonischen Bestandteile beziehen,
wührend das Ende jedes Stils tektonisch ist. Stilwandlungen, welche die Struktur
des Baues berühren, vollziehen sich naturgemäß langsamer wie ornamentale Neu-
bildungen. Die Änderungen, welche das Zeitempfinden hinsichtlich des Gerlistes
fordert, finden wir vollendet immer nur auf der Höhe jeder Stilphase. Die Struktur
bleibt dann als festes Gefüge als sichere Grundlage stehen, wenn eine neue Stil-
bildung einsetzt. Die Neubildung erwücH*&t auf der Struktur des älteren Stils. Hier
also, im Augenblick des Übergangs, fassen wir die Tektonik des Fertigen, Gewor-
denen, zugleich mit der atektonischen Entwicklung des Werdenden. Was vom
älteren Stil übrig bleibt, ist das Tektonische. Hier finden wir es befreit vom Zu-
fälligen und Wuchernden, das Schönheits- und Stilwollen der Periode in großen
Linien festgebannt. . Halten wir dieses Endwort einer Entwicklung zusammen mit
ihren Anfängen, so erkennen wir in diesem das Schönheitswollen, aus dem der
Stil wurde in seiner noch nicht materialisierten Idealität und im Zusammenhang
mit seiner Vergangenheit. Die grundlegende Struktur ist demnach im Übergangs-
stil noch die der Vergangenheit, das Ornament gehört dem neuen Stilwollen an.
Das tritt am schärfsten in der Architektur hervor, wo jeder neue Stil sich zunächst
in der Bauornamentik und den Ziergliedern dartut. Die ersten Werke eines neuen
Stils sind immer solche, welche halb der Architektur, halb der Plastik angehören,
wie Grabdenkmäler, Kanzeln, Chorstühle, Portale. Die Kunst ist hier beweglich,
die Phantasie des Künstlers hat größere Bewegungsfreiheit, dem neuen Stilwollen
kann demnach hier früher Rechnung getragen werden als in der strengen Archi-
tektur, deren Zweck es ist, die Zeit zu überdauern und dem sich wandelnden Ge-
schmack durch unwandelbare Gesetze Halt und Richtung zu verleihen. Das über-
mäßig starke Hervortreten der Einzelheiten, welches die Anfänge jedes neuen Stils
charakterisiert, das Betonen der für sich bestehenden Glieder auf Kosten der Har-
monie des Ganzen hat zur Folge, daß dem Laien ein Stil immer nur durch seine
Ornamentik bekannt ist, das heißt, er kennt das erste Wort des Stils und seine
Oberfläche. Er sieht demnach vor allem die unterscheidenden Merkmale, nicht
das Bleibende, die Stileinheit, welche sich nicht in der Teilform, sondern in der
Anlage offenbart. In jedem primitiven oder Ubergangsstil erscheint die Teilform
zerstreut und ihr Verhältnis zum Ganzen ungeklärt. Um so leichter läßt sie sich
isolieren und für sich begreifen. Sie wurde auch zunächst nur für sich begriffen.
Im .allmählichen Reifeprozeß fügt sich die Teilform dem Ganzen als organisch zu-
gehöriges Glied ein, wird sie eingebunden in das Ganze, Die Stileinheit der künst-
lerischen Produktion im christlichen Abendland ist aber so groß, daß sie sich bis
in die Einzelformen hinein geltend macht, wodurch manchmal die Datierung der
Kunstdenkmäler in überraschender Weise erschwert wird. Eine auffallende Uber-
einstimmung zeitlich weit auseinander liegender Phasen bieten die nordische Spät-
gotik und das Barock, Hier zeigt sich klar der Sieg einer bestimmten Richtungs-
linie.
Die Eigentümlichkeit unserer Kite E verglichen mit der klassischen
Antike oder Agypten, liegt in dem Moment des Problematischen. Diese Proble-
matik ist zurückzuführen auf einen, jetzt fast zwei Jahrtausende in ihren Formen
auf- und abwogenden Rassenkampf und Ideenkampf. Jede neue Stilphase bedeutet
das Überwiegen der einen oder der anderen Rasse, der einen oder der anderen Idee.
Diesen Rassen- und Ideenkampf fassen wir in den Übergangsstilen. Der voll-
endete Stil bedeutet den Ausgleich der widerstreitenden Kräfte, die Lösung des
abendländischen Kulturproblems bald im Sinne der einen, bald im Sinne der an-
deren Weltanschauung.
Der erste Übergangsstil, durch welchen sich die Biegung von der antik-klassi-
schen Welt zur abendländisch-christlichen vollzieht, nennen wir die frühchristliche
Epoche. Die frühchristliche Antike erscheint aber ihrerseits noch so fest ver-
ankert in der unmittelbar vorangehenden alten Kunst des Abendlandes und des
Orients, daß auch diese Zäsur als eine willkürliche erscheinen könnte, wenn wir
nicht immer das Prinzip der Stilwandlung: neues Schönheitswollen als Folge-
erscheinung einer neuen Ethik, im Auge behielten. Die alten Formen werden im
Sinne eines neuen Geschmacks umgebildet. Der Geschmack erwächst immer auf
dem Boden der Sittlichkeit. Dieser Ethik des Schönen begegnen wir in der Kunst
überall als Stil. Der Übergangsstil predigt die neue Schönheitsform darum mit
dem Eifer der ersten Bekenner. Ganz besonders deutlich zeigt sich das in der
frühchristlichen Antike, wo es sich tatsächlich um einen neuen Glauben handelte,
wo es galt, Proselyten zu machen. Die Tempel der antiken Welt wurden ver-
lassen, sie waren das letzte Wort der alten Kultur, die neue konnte auf dieser
so wenig aufbauen, wie sie ihre Religion aus der schon entwerteten Götterlehre
Roms entwickeln konnte. Die christlichen Gemeinden der abendländischen Welt
standen einen Augenblick lang außerhalb aller Kunstform. Sie waren ganz auf
sich gestellt und mußten, wie in jeder primitiven Epoche, aus dem Wohnhaus,
also auf der Basis des einfachsten Bedürfnisses, der nackten Notwendigkeit heraus
arbeiten. Das antike Wohnhaus wurde zum Ausgangspunkt der christlichen Kirche
aus dem einfachen Grunde, daß die Christen ihre ersten Gebetszusammenkünfte
in ihren Wohnhäusern hatten.
- Die Bezeichnung dieser ersten gottesdienstlichen Stätten, die zunächst ja gar
keine Kirchen sein sollten, ist schwankend; bald heißen sie Ecclesia, bald Domi-
nicum, bald Conventiculum. Konstantin befiehlt die Bethäuser zu erhöhen, sie
länger und breiter zu bauen. Das ist nur eine Änderung des Maßstabes, die Ba-
silika steht zu seiner Zeit schon fertig da — ihren Namen aber erhält sie erst
nach der Vergrößerung, die sie in Konstantinischer Zeit erfahren. Er ist demnach
ungefähr gleichalterig mit der. Einführung des Christentums als Staatsreligion. Die
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eigentliche Entwicklung zum Frühchristlichen vollzieht sich um diese Zeit, Anfang
des 4. Jahrhunderts. Diese Datierung stimmt natürlich wie jede kunsthistorische
Datierung nur ungeführ, aber Tatsache ist, daB wir zu Konstantins Zeit, im Moment
der staatlichen Anerkennung des Christentums, die entscheidende Wendung vom
Antiken zum Frühchristlichen in der Kunst finden, d. h. die Tektonik des alten
Stils, der Antike, ist noch vorhanden, aber überwuchert von den Zierformen des
neuen Stils. Ich wühle das Datum unmittelbar vor der Verlegung der kaiserlichen
Residenz nach Byzanz (330 n. Chr), weil sich durch diese schon die Wege des
christlichen Kunstschaffens teilen. Der Übergangsstil von der klassischen Antike
zur frühchristlichen Antike liegt in der Epoche gemeinsamer Entwicklung, ehe
durch das Aufkommen von Byzanz dem westrümischen Reiche ein ostrümisches,
also den Orient wieder im Gegensatz zum Abendland betonendes Kulturzentrum
entgegengestellt wurde. |
Wir haben in der Basilika das Gerüst des antiken Wohnhauses, das letzte Wort
also der antiken klassischen Kultur des Abendlandes. In dieses abendländische
Wohnhaus zieht die neue orientalische Lehre ein, Achselzuckend sieht der vor-
nehme, klassisch gebildete Rémer auf das ihm unbegreifliche semitisch-orientalische
Wesen: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Langsam und sicher verdrängen
die Formen Palästinas und Syriens Ше wundervollen alten Werke einer reifen
Kultur. Mit der hebrüischen Lehre, mit den Gesetzestafeln Mosis und den Hirten-
legenden von der Geburt des güttlichen Knaben in einem Stall stimmen die Zier-
formen der Tempel und Palüste Roms nicht mehr zusammen. Zeichen und Sym-
bole, geometrische Mystik der Form, Pflanzenwuchs vom Wegrand entsprechen
besser den Gedanken, die auf Überirdisches und zugleich Naturnahes gerichtet
sind. Überall bildet sich für die Phantasie des Gläubigen ein Kreuz, jedes Ding er-
hält für ihn neue Bedeutung, eine andere Wesenheit. Er sucht und sieht in der
umgebenden Wirklichkeit andere Dinge wie die Römer, und weil er anderes sieht,
ist auch seine Darstellung eine andere.
Man hat das Wesentliche in der Bauform der christlichen Basilika gegenüber
der Anlage des heidnischen Tempels darin gesehen, daß dieser ganz als Außen-
architektur gedacht ist, sich allenthalben nach außen öffnet, während jene als reine
Innenarchitektur ohne allen Bezug auf das Äußere entsteht, Das ist richtig und
hierin liegt ein wichtiges Moment des christlichen Baugedankens, sofern wir ihn
mít dem antik Klassischen vergleichen, welcher in spüteren Jahrhunderten dann
doch auch wieder in der christlichen Kunstentwicklung Geltung erlangt. Es han-
delt sich nun aber an dieser Stelle vor allem darum, die Momente der Stileinheit
innerhalb der christlich-abendlündischen Kunst aufzuweisen und da finde ich als
das bedeutsamste Moment in der gesamten künstlerischen Produktion nicht die
Innerlichkeit, sondern den Tiefenzug, das Interesse für den Raum. Dieser Tiefen-
zug tritt überall in der Stilentwicklung zutage, trotz aller gelegentlichen Reaktion
zum Flächenhaften und zur Entwicklung in die Breite. Er wird begleitet von der
Höhenrichtung, welche in der Gotik ihren Kulminationspunkt erlebt, Das erste
Einsetzen der Hóhenentwicklung sehe ich in dem Befehl Konstantins, die Bet-
häuser zu erhöhen. Ein praktisches Bedürfnis lag nicht vor, die Anordnung trug
also lediglich dem veründerten Geschmack der Zeit Rechnung. Ich gebrauche
dieses trivial scheinende Wort mit Willen, denn es faBt den Begriff eines alle
Kreise bezwingenden Stilwollens am ehesten. Im Geschmack einer Epoche offen-
bart sich mit unvermeidlicher Sicherheit ihre innerste Sinnesrichtung. Der kaiser-
liche Befehl, die Bethüuser zu erweitern und zu verlängern, war dagegen zunächst
90
nur auf die Notwendigkeit zurückzuführen, der größeren Menge der Glkubigen
Raum zu schaffen. Hier aber im Grundriß der Basilika fällt augenblicklich das
starke Übergewicht der Längenausdehnung gegen die Breite auf, und nicht nur
dies — der antike Tempel war ja auch länger als er breit war — die Längsachse
wird in ihrer Tiefenrichtung energisch betont, durch das Portal am Westende
oder die Eingangshalle, die ihm vorgelagert ist und die Apsis im Osten. Die nach
innen verlegten Süulenreihen ziehen sich vom Eingang hinauf zum Altar der Apsis,
die ganze Anlage der Kirche zwingt Auge und Fuß des Eintretenden nach der
Tiefe zu. Das längliche Rechteck des Grundrisses mit seiner zwingenden Richtung
in die Tiefe bleibt trotz aller Modifikationen, welche der Grundriß des christlichen
Kirchenbaus innerhalb der Jahrhunderte seiner Entwicklung durchmacht, unverkenn-
bar erhalten, im Kölner Dom so gut wie in der Jesuitenkirche Vignolas in Rom.
Mit noch überzeugenderer Deutlichkeit wie in der Architektur, wo sich der
Tiefenzug immer zugleich auch als praktisches Bedürfnis geltend macht, tritt er
aber in der Malerei und Plastik hervor. Hier, wo er die Flüche erst überwinden
muB, deren Beschaffenheit an sich die Tiefe verneint, wird das Stilwollen beson-
ders deutlich. Die Entwicklung der Malerei und Plastik des christlichen Abend-
landes ist auf die Eroberung der Tiefe gerichtet. In der italienischen Renaissance
trat diesem Tiefenzug ein retardierendes Moment entgegen in der Wiederaufnahme
des antiken Reliefschemas, aber diese Reaktion wurde zum Ausgangspunkt eines
mit leidenschaftlicher Energie im Barock durchbrechenden Tiefendranges. Bis
heute läßt es sich beobachten, daß fast alle wirklich populär gewordenen Bilder —
sofern ihre Popularität nicht auf außerkünstlerischen Motiven beruht — auf die
Tiefenwirkung angelegt sind, die Tiefe des Raumes betonen, so etwa Pieter de
Hoochs Interieurstücke, Hobbemas Allee von Middelharnis, Hackaerts Eschenallee,
Schwinds ruhender Wanderer, Thomas Landschaften, in welch letzteren durch die
Größe der Vordergrundfigur und die Kleinheit der Landschaft ein äußerst kräftiger
Tiefeneindruck erzielt wird.
Was die abendländisch-christliche Kunst von den anderen uns bekannten großen
Kunstkulturen unterscheidet, sind Perspektive und Chiaroscuro. Ohne Berücksich-
tigung dieser beiden Faktoren wäre eine Geschichte der abendländischen Kunst
seit annähernd zweitausend Jahren nicht denkbar. Die ganze mittelalterliche Malerei
ringt um die lineare Perspektive, Als sie gefunden, ist der Jubel so groß, daß die
Bilder im italienischen Quattrocento mehr der architektonischen Perspektive wegen
gemalt sind als wegen des darzustellenden Gegenstandes. Gleichzeitig geht das
Bemühen um die Luftperspektive. Die hier gemachten Beobachtungen an Licht-
und Schattenwirkungen sind der Ursprung des Chiaroscuro, dessen höchste Voll-
kommenheit, vereint mit einer in der linearen Perspektive unerhörten Tiefen-
wirkung, sich bei Tintoretto und Rembrandt findet. Als ein letzter Ausläufer des
Chiaroscuro erscheint dann der Impressionismus, der durch die Auflösung alles
festen Formengefüges die licht- und luftdurchflossene Endlosigkeit und Grenzen-
losigkeit der Tiefe zu geben versucht.
Der Tiefenzug, wie er überall in der bildenden Kunst anzutreffen ist, datiert aus
den ersten christlichen Basiliken; und in dem goldschimmernden Dunkel der Gottes-
häuser liegen die ersten Chiaroscurowirkungen der christlichen Kunst. Diese Wir-
kungen waren den frühmittelalterlichen Menschen so wohl bewußt wie uns, sie
bilden einen wesentlichen Bestandteil der neuen Geschmacksrichtung wie der neuen
Weltanschauung, was deutlich daraus hervorgeht, daß der Romane sich dem Chia-
roscuro in seinen Kirchenbauten niemals mit der Bedingungslosigkeit hingab wie
der Nordlinder in seiner Gotik und seinem Barock.
Die Basilika mit ihrer Tiefenrichtung ist die typische Form des ersten und für
das Abendland dauernd wichtigsten Bausystems, dessen Ableitung aus dem antiken
Wohnhaus erwiesen scheint, In ihm offenbart sich der Tiefenzug des abend-
lindisch-christlichen Kunststils am deutlichsten. Scheinbar im Widerspruch zu
dicser Richtung steht das zweite der abendlündischen Bausysteme, der kuppel-
gekrónte Zentralbau. Der Ursprung dieser Bauform aus деп kreuzförmigen Grab-
kirchen des Orients ist nach den Forschungen der letzten zwanzig Jahre gesichert.
Daß er vom Abendland mit so lebhaftem Interesse ergriffen wurde, daß das Problem
der Kuppelwülbung des Zentralbaus und die Vereinigung von Zentralbau und Basi-
lika die abendlündischen Baumeister immer wieder zu leidenschaftlichen Anstren-
gungen spornte, beweist, daß dieser kuppelüberwölbte Zentralbau dem abendländi-
schen Kunstwollen in hohem МаВе entsprach, Ein Blick auf die berühmtesten
Werke dieses Systems, die Hagia Sophia in Konstantinopel, die Markuskirche in
Venedig, die Palastkapelle Karls des Grofen in Aachen, San Vitale in Ravenna
lehrt, daB es sich hier im Gegensatz zum griechischen Tempel ausschlieBlich um
die Gestaltung des Raumes handelt, nicht um die Gliederung der Massen. Hier
ist der Punkt, wo sich die Identität des Stilwollens in der Anlage der Basilika wie
der Kuppelkirche findet, es handelt sich bei beiden um die Bewältigung des Raumes,
die Eroberung der dritten Dimension. Tiefenzug, Perspektive, Chiaroscuro sind
alle Erscheinungsformen dieses einen Triebes in der bildenden Kunst: der Gestal-
tung des Raumes. In-der Gotik wurde ein Hóhepunkt dieser Raumgestaltung er-
reicht, Das Einsetzen der Renaissance bedeutet hier ein retardierendes Element.
Die Betrachtung wurde von der Raumgestaltung wieder auf die klare Gliederung
der Massen gelenkt. aber auf der dadurch gewonnenen neuen Grundlage setzt
wieder die Reaktion des Barock ein, die zum zweitenmal im abendlündischen
Kunstkreis für die Begrenzung und Gestaltung des Raumes eine eigenartige Lösung
findet. MaBgebender als die Gestaltung des Raumes an sich bleibt aber für die
abendländische Architektur die Gewinnung der Tiefe. Der Prozentsatz der Zentral-
bauten ist ein geringer im Verhältnis zu denen des basilikalen Systems. Die
typischste Form des Kirchenbaus für das Abendland ist die Basilika mit der
Vierungskuppel Hier findet sich gleichzeitig der Tiefenzug und die ideale Raum-
form.
christlichen Kirche durch Fortlassen seitlich ausladender Gliederungen auf das
Schema der friihchristlichen Basilika zu reduzieren. Wie immer die Anlage der
Kirche sei, die Entwicklung des Baus führt vom Eingang in die Tiefe. Die we-
sentlichen Züge in der Anlage der Basilika sind die Apsis und der Vorhof, welche
beide sich sowohl außen wie innen geltend machen. Dazu kommt, was das Innere
anbelangt, Ше Säule und über dieser der Bogen an Stelle des Architravs. Als
bewegliche Bauglieder, die zum Teil mehr der Plastik angehören, kommen hinzu
Altüre, Kanzeln, Ambonen, Chorsttihle, Bischofsitze, Brunnen, Taufbecken, Weih-
wasserbeháülter. Von dem ersten Jahrhundert christlichen Kunstschaffens bis heute
haben sich diese Züge um nichts wesentliches vermehrt. Die Ausgestaltung der
Kirche, ín baulicher wie ornamentaler Hinsicht, wird bestimmt durch den Kultus.
Die Bedeutung des Abendmahls tritt hier stark in den Vordergrund. Dadurch ge-
wann der Altar an mystischer Bedeutung und die Trennung der Kleriker von den
Laien wurde stärker betont. Der Kulminationspunkt der gottesdienstlichen Hand-
92
Es ist mit Ausnahme der Zentralbauten immer möglich, den Grundriß einer
2 —
lung wurde in die Apsis an den Hauptaltar verlegt, so daß diese fensterlose
Tiefe hier mehr und mehr mit einer buntsteinigen leuchtenden Dämmerung erfüllt
wurde.
So weit ist die Entwicklung rein durch die Idee, welche ihr zugrunde liegt, be-
dingt: die Form des neuen Glaubens ist gefunden. Bezeichnenderweise ist diese
Entwicklung in allen vom Christentum erfaßten Ländern eine gleichartige. Orient
und Abendland bauen dasselbe Gotteshaus. Diese Entwicklung gehört rein der
Zeit und der Idee. Aber diese Idee ist nicht abendländisch, sondern semitisch.
Die christliche Kunst beginnt nicht jetzt, als das Christentum staatlich sanktioniert
worden, sie begann schon im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung.
Hier liegt ein Problem vor uns, dessen Lösung unabweisbar zu der Annahme
drängt, daB einzelne Judengemeinden schon unmittelbar vor den Anfängen der
ersten christlichen Gemeinden sich in einer Weise künstlerisch betätigten, welche
dem mosaischen Verbot des Bildermachens zuwider lief. Mag sein, daB, wie
Wulff!) meint, diese nur die „halb hellenisierten GroBstadtjuden der Diaspora“
waren, immerhin entnahmen dann die ersten sich absondernden christlichen Sek-
tierer aus der Mutterkirche eine Anzahl von Formen und bildlichen Vorstellungen,
mit denen sie für ihre gottesdienstlichen Zwecke nicht anders schalten und
walten mochten wie die Lutheraner mit dem Kunstgut der katholischen Kirche.
Der Zwiespalt zwischen Juden und Christen ging nicht einmal so weit. Es han-
delt sich ja nur um die Negierung oder Anerkennung der Person Christi als der
des verheiBenen Messias. Die ganze jüdische Religion blieb Besitz der ersten
Christen. Daher auch die Erklirung, daB die ersten christlichen Malereien vor-
zugsweise Sujets aus dem Alten Testament darstellen.
Der ganze Entwicklungsgang, welchen die christlich-abendlindische Kunst seit
ihrer Entstehung bis ins fünfte Jahrhundert hinauf durchmacht, läßt sich als eine
Orientalisierung bezeichnen. Alexandria und Antiochia sind die Mutterstädte jener
Kunst, die, nach Rom verpflanzt, sich dort der Antike vermählt. In Rom wird
der Ausgleich zwischen dem Orient und dem Abendland, dem semitischen und
dem klassischen Geist durch die Vermittlung hellenischer Form gefunden. Das
Judentum Alexandrias war hellenisiert, die ersten Christengemeinden fanden dort
eine Kunstrichtung vor, welche in überraschender Weise mit der alttestamentlichen
Poesie übereinstimmte. Das Ende einer überreifen Kultur traf hier mit den pri-
mitiven Vorstellungen eines Nomadenvolkes zusammen. Die alttestamentlichen
Hirtengeschichten konnten sich leicht durch die aus Kulturmiidigkeit geborenen
Hirtenidyllen der Ptolemüerzeit interpretieren lassen. Aber das semitische Element
war stürker als das hellenische, so daB die wührend des ganzen zweiten und dritten
Jahrhunderts andauernde Verbreitung der alexandrinischen Kunst im Abendland
vorwiegend das Eindringen semitischer Ideen in hellenistischem oder hellenisiertem
Gewand bedeutet. Mehr noch als Alexandria leistet Syrien und vor allem An-
tiochia für die Entwicklung der christlichen Bilder- und Formvorstellungen und
endlich traten noch Palüstina und Jerusalem selbst in so nahe Beziehungen zum
römischen Reich, daß die jungen Christengemeinden hier unmittelbar an der Quelle
ihres Glaubens zu schópfen vermochten, Die ersten Typen der Heilsgeschichte
werden auf dem Boden Ägyptens, Syriens und Palästinas durch jüdischen Geist
gezeugt. Mit ihnen entstehen neue Ornamentformen oder werden einheimische
(1) Wulff: Altchristliche und bysantinische Kunst. Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin- Neu-
babelsberg, Akademische Verlagsgeselischaft M. Koch.
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modifiziert. Diese Typen und Zierglieder gibt der Orient an Rom weiter, welches
damals die groBe Vermittlerin zwischen dem Orient und dem Abendland ist. Ehe
die Forschung jene weiten Gebiete des ersten christlichen Kunstschaffens erschloß,
mochte daher Rom als Pflanzstätte aller christlichen Kunstformen angesehen
werden!) Tatsache bleibt auch noch, daß sich hier die Modifikation der antik-
klassischen Formelemente durch orientalisch - semitische Sinnesrichtung vollzog.
Hier war der Boden, wo der erste Kulturkampf des Christentums ausgefochten
wurde, die erste Lösung des Problems als „frühchristliche Antike“ gefunden wurde
und wo der erste Sieg des Orients und des Judentums über Abendland und Klassik
errungen wurde. |
Die wechselseitige Befruchtung der Kunstkreise seit Alexander dem Großen ist
eine so komplizierte, daß sie nur im Licht der historischen Forschung verständlich
erscheint, Alexander hatte die Hellenisierung des Orients in politischer Hinsicht
begonnen. Unter den Diadochen hatte sich diese Hellenisierung in kultureller Hin-
sicht fortgesetzt, gleichzeitig hatten die Beziehungen der Kolonien zu dem Mutter-
land eine Orientalisierung des Hellenentums erzeugt. Rom übernahm seit der
Unterwerfung Griechenlands diese orientalisch - hellenistischen Elemente. Schon
vor dem Eindringen des Christentums war die römische Kunst also hellenisiert
und orientalisiert. Die jüdische Lehre fand dort schon einen Boden vor, auf dem
sie auch typologisch und ikonographisch verständlich werden konnte. Der Orient
war dagegen zur Zeit der ersten Christengemeinden schon so hellenisiert, daß den
jungen juden-christlichen Gemeinden der Formenschatz des klassischen Griechen-
tums vertraut war. Wir haben also zur Zeit der staatlichen Anerkennung des
Christentums eine allgemeine, lokal modifizierte, orientalisch -hellenistische Kunst-
übung, welche überal da, wo Judenchristen zu bauen und zu formen beginnen,
durch jüdische Vorstellungen und jüdischen Geschmack entscheidend beeinflußt
wird. Daraus folgt naturgemäß, daß die Zierformen den hellenistischen Charakter
behalten (siehe das Kranzgesims am Bau Konstantins des Großen über dem heiligen
Grabe zu Jerusalem*), während die Typen дег Heilsgeschichte, formal von den
Griechen entlehnt, doch schneller den spezifischen Charakter des „Christlichen“
annehmen, d. h. der auf jüdischem Boden erwachsenen neuen Ethik entsprechend
umgebildet werden.
Das bekannteste Beispiel ist die Statuette des guten Hirten im Lateran. Diese
Gestalt unterscheidet sich formal noch in nichts von späthellenistischen Arbeiten,
nur die Idee, der sie Ausdruck gibt, ist jüdisch - christlich. Aus dieser Idee aber
entwickelt sich langsam der Wandel in der Darstellung, der schließlich in der goti-
schen Figuralplastik gipfelt. Es ist bekannt, daß die frühesten Christusdarstellungen
wie das Relief des Berliner Museums aus Sulu Monastir, das Strzygowski dem
vierten Jahrhundert und „einer von Rom unabhängigen kleinasiatischen Kunst-
gruppe“ zuweist, auf die Philosophen- und Dichterstatuen der griechischen Kunst
zurückgehen. Gerade hier ist die Orientalisierung im jüdisch-christlichen Sinn, die
bis zu den verzerrten, blutüberstrómten Gekreuzigten des 14. und 15. Jahrhunderts
geht, besonders auffallend. Die Darstellung der spinnenden Maria, die sich wie
ein deutsches Märchen der Verkündigung ausnimmt, können wir zurlickverfolgen
bis in die Grabanlage von Palmyra, wo die Verstorbenen mit vom Haupte herab-
fallendem Schleier und der Spindel in der Hand abgebildet sind. Auf der Schmal-
(1) Wickhoff, Kraus, Riegl, L. v. Sybel.
(s) Suzygowski: Orient oder Rom. | E
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seite des Sarkophags der Pignatta in Ravenna finden wir bei der Verktindigung
Maria sitzend mit der Spindel in der Hand und einem Korb Wolle zu ihren FüBen.
Auch diesen geflochtenen Korb kennen wir schon als Attribut der palmyrenischen
Frau. Der Engel der Verkiindigung, der vor ihr steht, ist ein Nachkomme der
altgriechischen Nike’). Der Palmenwedel in der Hand Gabriels, jenes stehende
Attribut der Verkündigungsszene, erinnert, daß sie sich in Palästina abspielt. Wir
sehen also bei der Typenbildung während des vierten und fünften Jahrhunderts
den jüdisch-christlichen Geist am Werk, hellenistische Formen umzubilden. In
dieser Zeit erhält das Abendland vom Orient seine biblischen Gestalten.
Spricht bei der Typenbildung das semitische Element deutlicher mit wie bei den
Bau- und Ornamentformen, so finden wir in diesen wiederum leicht das Ein-
dringen des allgemein orientalischen Geschmacks in Europa. Die stürkere Be-
gabung der jüdischen Rasse für das Ornamentale wie für die reproduzierende Kunst
muB bei einer Betrachtung der frühchristlichen Ornamententwicklung bis zu einem
gewissen Grade berücksichtigt werden, denn die ersten Christengemeinden waren
überall entweder Juden oder doch stark von jüdischen Elementen durchsetzt. Die
Orientalisierung der hellenistischen Kunstweise, welche in der Diadochenzeit be-
gonnen, wird also in den ersten christlichen Jahrhunderten durch eine weitere
Semitisierung vervollstándigt. In Syrien fand das Judentum auBerdem schon eine
hochentwickelte und charakteristische Ornamentik vor. Zwei Typen des Orna-
ments herrschen in Syrien wie in Palüstina, das geometrische — welches dem
ganzen Orient geläufig ist — und das Pflanzenornament, Als christliche Symbole
dringen die alten geheiligten Zeichen der Syrer in Rom ein, die Rosette, das kreuz-
fórmige Sonnenrad, der sechsstrahlige Stern, die geflügelte Sonnenscheibe finden
sich leicht verändert oder durch Kreuz und Monogramm Christi zu christlichen
Symbolen umgedeutet, überall wieder, wo der Meißel christlicher Bildhauer
zuerst die Altüre und Sarkophage, die Chorschranken, Ambonen, Katheder und
Kanzeln der abendländischen Kirchen zu schmücken begann. Die syrische Ranke
schlingt sich an christlichen Bauwerken um Kapitell und Relief, Efeu und Feigen-
bliiter, Weinlaub und Trauben wachsen, wo nur der Akanthus Heimatrecht zu
haben schien. Aber der Akanthus behauptet sich ebenso wie die antike Palmette*).
Die syrische Ranke wird Akanthus, der Akanthus nimmt die Form syrischer Pflanzen
an. Allmählich findet sich der Ausgleich in der Stilisierung des Pflanzenornaments,
dem bald der antike Akanthus, bald das syrische W'einlaub zur Grundlage dienen.
Die symbolischen Lämmer und Palmen, welche jetzt häufig an Stelle der antik
gewandeten Figuren auf den Seiten der Sarkophage erscheinen, sind syrischen
Ursprungs, und aus Syrien kommen die girlandentragenden Pfauen, aus Syrien
die Vögel und Figurengruppen, die zwischen dem Laubwerk des Pflanzenornaments
hervorlugen. Von jüdischen Sarkophagen entnimmt der christliche Steinmetz das
sogenannte Strickmotiv, das in seinem Ursprung den Ölblattstab bedeutet. Ein
syrischer Künstler schnitzt die Felsengrotte von Golgatha auf seine Elfenbein-
pyxis*) und dieses Motiv wird von abendlündischen Bildnern tibernommen, viel.
leicht ohne Verständnis seiner lokalen Bedeutung, ein syrischer Goldschmied stellt
auf einer getriebenen silbernen Schüssel das Kreuz zwischen Engeln dar*) und
(1) Studnicska: Die Siegesgóttin. — Stuhlfauth: Der Engel in der altchristlichen Kunst.
(3) Über die Entwicklungsgeschichte des Akanthus und der Palmette in vorchristlicher Zeit siehe
Alois Riegl: Stilfragen, Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik.
(3) Elfenbeinbichse im Berliner Museum, Syrien, fünftes pu
(4) Patene, Sammiung Stroganoff, Rom.
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auch dieses palästinensische Motiv nimmt das Abendland auf. Aus Alexandrien
stammt das hellenistische Motiv der Lokalpersonifikation, das noch lange im abend-
ländischen Mittelalter nachklingt, orientalisch ist die Anbringung kleiner Städte-
bilder auf Mosaiken und Reliefdarstellungen. Der Zug der Geschenke bringenden
Weisen aus dem Morgenland hat sein Vorbild in Assyrien und Persien, wo die
Tributüberbringung ein beliebtes Thema der Reliefkunst war. Auch hier ver-
mittelt Antiochia die Gedanken des alten Orients.
Ich greife diese Beispiele hier ynd da beliebig aus dem Ganzen des frühchrist-
lichen Kunstschaffens heraus, Sie gehüren durchschnittlich einer Periode an, die
schon jenseits des Konstantinischen Zeitalters liegt, aber sie zwingen zu einem
Rückschluß auf die Entwicklungstendenz der ihnen unmittelbar voraufgehenden
Vergangenheit. Mehr als illustrierende Bedeutung messe ich den Einzelbeispielen
nicht zu. Indizienbeweise dieser Art sind immer trügerisch, denn aus der Fülle
der konkreten Erscheinungen lassen sich wohl auch eine Reihe von Beispielen
aufführen, welche geeignet würen, das gerade Gegenteil meiner Hypothesen zu be-
weisen. So lange wir uns an Einzelbeispiele halten, wird das Problem: Orient
oder Rom, sich bald in diesem, bald in jenem Sinne lösen ). Maßgebend erscheint
mir hier der allerdings viel schwerer zu demonstrierende, vielleicht immer nur
gefühlsmäßig zu erfassende Hinweis auf das Ganze der Kulturerscheinung. Der
Sarkophag der Pignatta in Ravenna wird auch dem ungeübtesten Auge sofort als
Denkmal einer neuen Stilrichtung erscheinen. Der jüdisch-orientalische Geist, un-
faBbar im einzelnen, macht sich mit zwingender Gewalt fühlbar. Dieser Sarkophag
mit seinen Dattelpalmen, seinen weit im Raum verteilten malerischen Figuren,
seinem jugendlichen. Christus, den schweren, unbeholfenen Gewändern, der derben
Behandlung aller Formen, den kanellierten Pilastern, dem runden, mit müchtigen
Kreuzen gezierten Deckel, ist der jüdischen Geschmacksrichtung entsprossen. Der
Geist, der ihn schuf, war heimisch am Jordan und in Zion.
Die friihchristliche Antike entfernt sich zugleich von dem Naturalismus der Syrer,
wie von der strengen Bildung der Antike, Der Eierstab, die lesbische Welle, der
Zahnschnitt, diese drei typischen Ornamentmotive der Klassik werden dem neuen,
von Syrien stammenden Formensinn entsprechend verändert. Eine völlig neu-
artige Relieftechnik entsteht. Das Ornament wird flacher, das Relief erinnert an
Elfenbeinschnitzerei, so flach, scharf und fein ist es gehalten. Das Blattwerk er-
scheint durch Unterschneidung und Ausstechen des Umrisses wie auf den Grund
aufgelegt. Trotz der scheinbaren Richtung auf das Flächige gewinnt doch auch
hier schon wieder der Tiefenzug in der Stilentwicklung die Oberhand, denn der
Grund, von welchem sich das Ornament abhebt, wird ganz als dunkle Tiefe auf-
gefaßt, durch Bemalung der Zierformen wird eine reiche koloristische Helldunkel-
wirkung erzielt, die ebenfalls mit zum orientalischen Gepräge der neuen Bauten
beiträgt. Ein Vergleich mit der figuralen Reliefplastik zeigt deutlich die Stilrichtung
an, welche die ornamentale Reliefplastik beabsichtigt. Durch das syrisch-helleni-
stische Mittel des hohen Horizontes mit seiner Folgeerscheinung der Figuren-
staffelung zur Andeutung der Raumtiefe wird dem Tiefenzug der abendländischen
Kunst ein bedeutsamer Ausweg gewiesen. Die sämtlichen figuralen Reliefs der
frühchristlichen Antike drängen auf Raum und Tiefendarstellung. Der Bildner hält
(1) Vergleiche die Arbeiten Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft; L. v. Sybel: Die
christliche Antike; Strzygowaki: Orient oder Rom; Wulff: Altchristliche Kunst und die ülteren
Arbeiten von Wickhoff und D. H. Kraus.
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immer den Gedanken an den seine Gestalten umflieBenden Raum und die hinter
ihnen sich ausdehnende Tiefe fest!) Es ist selbstverstündlich, daB diese orienta-
lischen Züge nicht allein an christlichen Bildwerken zu beobachten sind. Die
heidnische Reliefplastik der rémischen Kaiserzeit weist genau dieselben Wirkungs-
momente auf, durch welche sie sich von der klassischen Antike unterscheidet,
der rein praktische Grund hierfür ist zu suchen in der Zuwanderung syrischer
Künstler, der stärkeren Berührung mit dem Orient, dem Bekanntwerden mit orien-
talischen Werken, das eigentlich entscheidende Motiv aber ist auch für die heid-
nische Kunstübung doch die neue Geschmacksrichtung. Der Orient drang mit Wort
und Form (überall siegreich vor. Das Christentum war nur die eine aber wich-
tigste Phase seines Einflusses. Durch die Religion brachte er mit seinen Formen
auch seine Ideen zur Herrschaft. Das Wort Julians: „Du hast gesiegt, Galiläer,“
bedeutet den Abschluß eines Jahrhunderte dauernden Kulturkampfes. Palästina
und Jerusalem überwanden Rom.
Nirgends macht sich der Kulturkampf so deutlich geltend wie an jenen typischen
Baugliedern der Antike: Kapitell und Fries. Der betonte Kontrast von tragenden
und getragenen Gliedern war der neuen Geschmacksrichtung schon damals un-
sympathisch. Er gelangte erst wieder in der italienischen Renaissance zur Geltung.
Der Bogen bietet an sich schon einen Ausgleich, er trägt und ruht. In der Basi-
lika verdrängt er den Architrav. Die Säule verbindet sich mit dem Bogen. Das
ist die wichtigste konstruktive Neuerung der frühchristlichen Antike, auch sie stammt
aus Antiochia. Der Ansatz des Bogens bedarf eines stürkeren Auflagers, die christ-
lichen Baumeister schieben den Kümpferaufsatz zwischen ihn und das Kapitell.
An anderen Stellen wird der Kümpfer nótig, weil antike Sdulen verwendet werden,
die von verschiedener Größe sind. Das Säulenkapitell ist entweder noch eine antike
Bildung, rein korinthischer Akanthus mit Palmette oder der christliche Steinmetz
arbeitet es nach antikem Vorbild. Aber seine Augen sind geblendet durch syrische
Ornamentik, seine Hand ist unsicher geworden durch jüdischen Geschmack. Immer-
hin erhalten wir hier über der Sdule zunächst noch das antike Akanthus-Kapitell.
Für den Kämpfer liegt keine Tradition vor, die orientalische Phantasie überspinnt
ihn mit neuen, poetisch-malerischen Formen, welche die alten in den Schatten
stellen. Dann greifen diese Formen auch auf das Säulen-Kapitell über. An den
Kapitellen läßt sich der Sieg des Orients am deutlichsten erkennen. Von dem
noch immer klassischen Adel des korinthischen Akanthuskapitells der Studiosbasilika
in Byzanz gelangen wir am Ende der Entwicklung zu den Korbkapitellen von San
Marco und San Vitale. Was dazwischen liegt, ist die Orientalisierung des Abendlandes.
So gänzlich war hier das orientalisch-semitische Element Sieger, daß es des Ап-
sturmes einer stärkeren, dem Orient wie der klassischen Antike völlig verständnis-
los gegenüberstehenden Rasse bedurfte, um eine neue Machtverschiebung zugunsten
des Abendlandes herbeizuführen. Die Antike vermochte zundchst nichts mehr.
Die romanische Rasse war selbst schon zu dekadent, zu sehr von orientalischen
Elementen zersetzt, als daß sie sich dem Orientalismus gegenüber hätte behaupten
kinnen. Die Vilkerwanderung führte die germanischen Stümme in die Kultur-
entwicklung des Abendlandes ein und alsbald begann der zweite Kulturkampf des
frühen Mittelalters, dessen Endergebnis in der Kunst als romanischer Stil dasteht.
Die Anfünge dieses Stils móchte ich, obgleich auch diese Datierung wieder eine
willkürliche ist, von dem Moment annehmen, in welchem die ganze mittelalterliche
(1) Wulff: Altchristliche Kunst; derselbe: Die umgekehrte Perspektive.
Monatshefte für Kunstwissenschaft XI. Jahrg. 1918, Heft 4 7 97
Kunst in drei Gruppen zerfällt: die byzantinische Kunst, die Kunst des Islam und
die abendlündische. Auf den ersten Blick wird es kenntlich, daß die orientalischen
Elemente nach Byzanz und den islamitischen Gebieten zurückgedrüngt werden.
Die nordischen Völker bringen eine eigene primitive Kunstfertigkeit mit, antike
und orientalische Gebilde erscheinen ihnen gleichwertig, fremd, unverständlich,
aber begehrenswert. Wie Kinder greifen sie nach dem Bunten, Glünzenden, Leuch-
tenden des Orients, nach dem Formschinen, Klaren, Festen der Antike. Die Welt
des untergehenden Rómertums überliefert ihnen eine Kultur, zu der sie noch nicht
reif sind, und einen Glauben, den sie noch nicht aufnehmen künnen. Ihre Bildüng,
soweit sie dieselbe annehmen, bleibt eine äußerliche, ihr Christentum ein Kinder-
glaube. Den Tempel der christlichen Kultur lassen sie stehen, wie ihre Lehr-
meister ihn errichtet haben. In der Basilika dienen die jungen nordischen Vülker
dem Nazarener, wie einst das hochgebildete Rómervolk im W'ohnhaus seiner Vüter
dem Hebräergott die ersten Opfer brachte.
Es ist nicht, als ob diese nordgermanischen Völker noch keine eigene Baukunst
besessen hütten. Ihre Kénigshallen legen Zeugnis ab von einem schon entwickel-
ten, baukiinstlerischen Vermögen). In dieser germanischen Baukunst aus der Zeit
vor ihrer Berührung mit den älteren Kulturvilkern drückt sich ein ganz anders
geartetes Stilwollen aus als das in den christlichen Gebieten des Abend- und
Morgenlandes zu entscheidendem Ausdruck gelangte. Die Betonung der Querachse
im Grundriß der Halle ist wohl das bedeutsamste Unterscheidungsmerkmal zwischen
der germanischen und der Basilikenkunst des römischen Reichs. Der Germanen-
kunst fehlt vor der Völkerwanderungsepoche vollständig jener Tiefenzug, der eine
neue Geschmacksrichtung in der Kunst der alten Welt inaugurierte. Die Germanen
waren aber in weit hóherem МаВе wie die lateinische Rasse prüdisponiert, diesen
Tiefenzug zur folgerichtigen Entwicklung gelangen zu lassen. Sie griffen ihn in
ihrer Baukunst mit der Selbstverstündlichkeit einer Naturnotwendigkeit auf, zuerst
in bloBer Nachbildung, später in bewuBtem Umformen und Ausgestalten. Typische
Beispiele für diese Wandlung des friihgermanischen Baustils unter dem Einfluß
des Orients und der Antike erscheinen mir die karolingischen Kaiserpfalzen zu
Aachen und zu Ingelheim. In Aachen fand Karl der GroBe offenbar einen mero-
wingischen Königssaal vor, welchen er durch den Anbau einer halbrunden Apsis
an der einen Schmalseite zur Basilika umgestaltete. Er gab damit der Hauptachse
des Gebäudes anstatt der Querlage die Tiefenrichtung. Genau dasselbe geschah
unter Ludwig dem Frommen an der Pfalz zu Ingelheim. Auch hier zeigt der
Grundriß wieder die Form der durch Anfügung einer Apsis ап der Schmalseite
zur Basilika erhobenen Künigshalle mit entsprechend veründerter Achsenrichtung.
Die deutschen Kirchen, die uns aus dem Ende des achten Jahrhunderts bekannt
sind — (der Zeit also, welche die entscheidende W'endung zum eigentlichen roma-
nischen Stil herbeiführte) — zeigen einen Grundriß, der sich durchaus von dem der
typischen karolingischen Basilika unterscheidet, durch das Fehlen eines Querhauses,
den geraden ChorschluB und die Dreiteilung des Chors durch trennende Zwischen-
mauern). Wir finden diesen Grundriß auch in Obperitalien?) und Spanien‘), vor
(1) A. Haupt: Die spanisch-westgotische Halle zu Naranco und die nordischen Königshallen. Monats-
hefte für Kunstwissenschaít, Jahrgang IX, Heft 7.
(2) G. Weise: Zur Architektur und Plastik des früheren Mittelalters. Teubner, Berlin 1916.
(3) Agliate und Sta. Maria in Valle in Cividale.
(4) Haupt: Die älteste Kunst insbesondere die Baukunst der Germanen.
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allem aber begegnen wir ihm seit dem sechsten Jahrhundert in Syrien!) Die
Frage nach der Entstehung dieses Grundri&typus ist noch ungeklürt. Ich weise
darauf hin, weil das Vorkommen dieses syrischen Baugedankens im Deutschland
des achten Jahrhunderts mir wichtig erscheint hinsichtlich der Befruchtung des
germanischen Geistes durch den Orient.
Die bauliche Gesamterscheinung des frühgermanischen Mittelalters, zu welcher
wir allerdings nur durch ein rekonstruierendes Verfahren gelangen können, bietet
uns also geradezu das Schulbeispiel eines neuen Stils, der in seinem Anfang das
tektonische Endergebnis der älteren Epoche ist, während sich das neue Kunst,
wollen zunächst nur im Ornamentalen hervorwagt, hier halb unbewußt wirkend.
Das Gerüst nahm der Germane, wie er es vorfand, von der klassischen Antike,
denn trotz der auffallenden Erscheinung, daß der basilikale Grundriß im Orient
schon in den frühesten Zeiten allgemeine Geltung erlangt hat, halte ich doch bis
auf weiteres an der Annahme fest, daß die ersten christlichen Gemeinden Roms
und der römischen Provinzen die Basilika dem antiken Wohnhaus entlehnten. Die
Übereinstimmung ist zu auffallend, um ohne zwingenden Grund auBer acht gelassen
zu werden. Das Ornament wie überhaupt die bildende Kunst hatte sich inzwischen
unter dem Einfluß Alexandrias, Syriens und Palästinas völlig veründert. Neben
dieser orientalisierten Kunst aber hatten die klassisch-antiken Formen noch immer
ihre Geltung behalten, schon durch die Fülle der aus vorchristlicher Zeit erhal-
tenen Baudenkmiler, die zum Teil wie das Pantheon Agrippas und der Tempel
der Mater Matuta eine andere Bestimmung erhalten hatten, zum Teil in Trümmern
und Bruchstücken bei christlichen Neubauten Verwendung fanden. Die einbrechen-
den nordischen Volksstimme fanden also zwei Formengruppen vor, die antik-
klassische und die orientalische. Hier stoßen wir auf einen in rassegeschichtlicher
Hinsicht überraschenden Zug. Die nordgermanischen Völker gingen in ihrer Kunst-
übung sofort die engste Verbindung mit der semitisch-orientalischen Formenwelt
ein, wührend sie achtlos an der Antike vorübergingen. Der nordische Geist ver-
einigte sich mit dem aus Syrien und Palästina eingedrungenen zu einer neuen Um-
bildung der römischen Antike. Dies geschieht іп dem Augenblick, in welchem der
lebendige und unmittelbare Einfluß des Orients durch die geschichtliche Entwick-
lung unterbunden wird. Südeuropa mit Griechenland, Asien und Ägypten haben
von da ab ihre eigene Religion, ihre eigene Kultur und ihre eigene Kunst. Das
Abendland bleibt sich selbst überlassen. Es ist bezeichnend, daB unsere hervor-
ragendsten Kunstforscher noch nicht zur Klarheit gelangt sind über die Frage
nach der Beteiligung des Orients, der Antike und der germanischen Rasse selbst
ап der sogenannten „Völkerwanderungskunst“. Die Beteiligung der nordisch-
germanischen Völker ist sogar schon verneint worden und die Entstehung jener
wunderbaren phantasievollen aber unleugbar barbarischen — das heißt fremd-
artigen — Kunst, die wir als frühromanisch bezeichnen, wird bald auf orienta-
lische, bald auf antik-römische Einflüsse zurückgeführt. Einen charakteristischen
Fell bietet der Fund von Nagy-Szentmyklos, der von einigen Gelehrten als rein-
germanisches W'erk, von anderen als günzlich abhüngig von der Antike angesprochen
wurde, bis ibn ein neuer Forscher mit Bestimmtheit als Produkt der ,,einst blühen-
den innerasiatischen, synkretistischen türkischen Kunst bezeichnet).
(1) Butler: Publications of an American archaeological expedition to Syria in 1899.
(а) 0. Supka-Budapest, Das Ritsel des Goldfundes von EE im Januarheft 1916 der
Monatshefte far Kunstwissenschaft, IX. Jahrg., Heft 1.
99
^ c — RR wg rg оч
Es liegt bier in dem frühromanischen Kunstschaffen wieder der Fall vor, in
welchem sich aus Einzelformen die verschiedensten SchluBfolgerungen ziehen
lassen, wührend nur die vorurteilslose Betrachtung der Gesamterscheinung das
Wesen und den Grundzug gewahren lassen. Eine Bezeichnung wie die der
„Völkerwanderungskunst“ hätte sich nie eingestellt, wenn nicht Ше frühmittelalter-
lichen Werke des Abendlandes jenen wilden nordischen Charakter trügen, den wir
aus der Geschichte der Goten und Langobarden, der Hunnen und Vandalen kennen.
(Schluß folgt.)
DER ZUSTAND unserer FACHMANNISCHEN
BEURTEILUNG Von JOSEF STRZYGOWSKI
f dem Kongresse zu Darmstadt habe ich 1906 den Versuch gemacht, dem Fach
eine feste Durchbildung (Organisation) zu geben. Wir waren dort alle ver-
einigt, auf die es damals im Rahmen der deutschen Gruppe ankam. Der Gegen-
stoß der Begründung des „Deutschen Vereines für Kunstwissenschaft“ hat diese Ab-
sicht nicht zur Durchftihrung gelangen lassen. Die gedruckten Verhandlungen und
persónlichen Folgen geben über diesen denkwiirdigen Augenblick in der Geschichte
des Faches zur Gentige Auskunft. Am schlimmsten sind die Auswiichse inzwischen
in der fachmünnischen Beurteilung gewachsen. Musterbeispiele liefert dafür die
Wickhoff-Schule.
Rintelen hat in den Monatsheften (X, 1917, S.97f.) einen ausgiebigen Beleg bei-
gebracht. Eine Zuschrift, die den Aufdruck trügt: ,,Direktion der Sammlungen von
Waffen und kunstindustriellen Gegenstünden des Allerhüchsten Kaiserhauses“ ver-
anlaBt mich, hier Dinge zur Sprache zu bringen, die ich seit dem Tage des Lehr-
antrittes an der Wiener Universität auf Schritt und Tritt wirksam beobachte, ohne
den stillen Urheber fassen zu künnen. Freilich kenne ich ihn seit dem Nekrolog,
der im J.1906/7 im Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses, XXVI, S. 255f. erschien
und worin die Mühe, die ich mit Wolfgang Kallab jahrelang in Graz hatte, verschwiegen
ist. Ich merkte dann seinen Einfluß in der Akademie der Wissenschaften. Er muß
darauf hinausgelaufen sein, mich zum Dilettanten zu stempeln. Es läßt sich daher
erwarten, daß dafür auch öffentlich nach Belegen gefahndet wurde. Der Anlaß
bot sich einmal in der Akademie selbst, wo v. Karabacek mich lächerlich zu machen
suchte!) Ich habe darauf mit meinem Werke „Altai-Iran und Völkerwanderung“
geantwortet, das sich u. a. gegen die Lehren Riegls richtet, des einen als Schutzgott
mißbrauchten Namens der sog. Wiener Schule. Auf die zweite Gelegenheit be-
zieht sich der Brief mit dem Aufdruck „Direktion der Waffensammlung“ usf. Ihn
schrieb ein Beamter dieser Direktion, der ebenfalls Julius v. Schlosser vorsteht.
Im Jahre 1916 erschien ein kleines Buch „Die bildende Kunst des Ostens“, in
dem ich unter Ankündigung zweier größerer Arbeiten auf die Probleme hinzuweisen
suchte, wie sie sich mir im Osten aufdrängen. Das eine dieser Werke, eben
‚Altai-Iran“, ist, wie gesagt, inzwischen erschienen. Eine Wiener Fachzeitschrift
„Die graphischen Künste“, nimmt nun in ihren „Mitteilungen der Gesellschaft für
vervielfältigende Kunst“, 1917, S. 36, Anlaß, das Büchlein zusammen mit diesem
Bande zu besprechen. Da es sich in beiden Veröffentlichungen um Zier- und
Baukunst handelt, ist man freilich etwas erstaunt, diesen Angriff in den „Graphi-
schen Künsten“ zu finden; noch mehr überrascht der Ton, in dem sich diese von
Wiener Fachgenossen geleitete Zeitschrift gefällt. Ich gebe als Probe die rein
persönlich gerichtete Einleitung:
„Feuilletonistische Schriften, wie die vorliegende, müssen energisch bekämpft
werden. Sie sind gefährlich, nicht nur darum, weil sie leichtsinnige und wissen-
schaftlich nicht genügend gestützte Hypothesen aufstellen, sondern auch, weil sie,
für die Menge unschwer zugänglich, in journalistischen Kreisen allzuleicht Boden
gewinnen und von dort aus falsche Ansichten verbreiten können.
(1) У. Ton und Inhalt seiner Schrift „Problem oder Phantom? Eine Frage der islamischen Kunst-
forschung“. Sitsungsberichte phil.-hist, Klasse, 178. Bd., s. Abh. Vgl. „Altai-Iran“, bes. S. 174, 184 u. 219.
Das Biichlein bietet natürlich nicht das, was sein Titel verspricht. Dem Leser
werden darin nicht in gedrüngter Form Aufklärungen über die Hauptprobleme der
Kunst des Ostens gegeben, sondern in polemischem Ton einige Lieblings-, man
michte fast sagen: fixe Ideen des Verfassers vorgetragen, die im hüchsten Grade
unmotiviert sind. |
Strz. kämpft nämlich gegen Windmühlen, wenn er behauptet, daß er mit „dem
zühen Widerstande der herrschenden geisteswissenschaftlichen Gruppe* abzurechnen
habe. Man kann es mit gutem Gewissen in Abrede stellen, daß die heutige Kunst-
wissenschaft unter dem Banne gewisser vorgefaBter Meinungen stehe. Strzs An-
sichten wurden nach und nach von besonnenen Kritikern nicht aus parteiischer
Voreingenommenheit zurückgewiesen, sondern lediglich darum, weil sie unbegründet
waren.
Der Vorwurf des aggressiven Verhaltens ist in Wirklichkeit gerade nur Strz.
gegenüber berechtigt. Er ist es eben, der seine Anhänger parteipolitisch organisiert
und mit Hilfe einer systematischen „Expansion“ überall unterzubringen versucht
und somit „Macht und Besitz“ anstrebt. Mit welchem Rechte dieses Mal?“
Der so spricht ist kein Wiener; die Wickhoff-Schule läßt ihn nur in der in Wien
weit verbreiteten Zeitschrift „Die graphischen Künste“ los, vielleicht weil ihr daran
liegt, die Kaltstellung des Ordinarius der Universität in allen Fachangelegenheiten
Österreichs zu begründen.. Ich habe mich um diese „Kritik“ nicht bekiimmert, bin
ich ja derartige Auslassungen gewohnt, seit Max Dworak die in meinem „Orient
oder Rom“ behandelten Fragen als Schulheftprobleme bezeichnete!) War die Sache
mir also gleichgültig, so doch nicht den Herren, die hier in Wien aufopfernd und
selbstlos mit mir arbeiten. Einer von ihnen, Dr. Artur Wachsberger, der Leiter der
ostasiatischen Abteilung des kunsthistorischen Institutes meiner Lehrkanzel, sandte,
vorübergehend aus dem Felde in Wien, der Schriftleitung eine sachliche Erwide-
rung, die dadurch in meine Hände kam, daß Leutnant Wachsberger abkommandiert
wurde und die unter dem Aufdruck „Direktion der Sammlungen von Waffen“ usw.
eingelangte Ablehnung samt seiner Abwehr in meine Hände legte. Die Ablehnung
lautet (29.1. 1918): „Sehr geehrter Herr Doktor! Wie Sie selbst im Anfang Ihrer
Entgegnung ganz richtig andeuten, fällt die Besprechung von Dr. Takäcs eigent-
lich aus dem Rahmen der „Mitteilungen der Ges. f. vervielfältigende Kunst“. Wir
haben sie aus Gefälligkeit gegen unseren langjährigen Mitarbeiter und in der Hoff-
nung aufgenommen, daß wenigstens von Zeichnungen darin mehr die Rede sein
werde, als es leider tatsächlich der Fall ist. Sie werden es daher begreiflich finden,
wenn wir eine Replik, der wieder eine Duplik folgen müßte, lieber gerne ver-
mieden. Würde Herr Hofrat Strzygowski selbst entgegnen, so stünden ihm selbst-
verständlich die Spalten unserer Zeitschrift offen, die wir Ihnen, sehr geehrter Herr
Doktor, als einem Dritten aus den dargetanen Gründen und zu unserem größten
Bedauern verschließen müssen. Ihr Manuskript folgt mit dem höflichsten Danke
zurück. In ausgezeichneter Hochachtung Dr. Arpad Weixlgirtner.“
Ich richtete hierauf am 5. II. eine Zuschrift an die Redaktion der Graphischen
Künste, die zunächst den eben mitgeteilten Brief anführt und dann fortfährt: „Die
aus Gefälligkeit in der Hoffnung, daB darin von Zeichnungen die Rede sein würde,
abgedruckte „Besprechung“ werden die Herren, die hinter diesem unter dem Auf-
druck „Direktion der Sammlungen von Waffen und kunstindustriellen Gegenständen
des Allerhöchsten Kaiserhauses“ geschriebenen und von Dr. Arpad Weixlgirtner
(1) Vgl. darüber mein „Altai-Iran“, S. ago und 304 f.
102
unterzeichneten Briefe stehen, inzwischen ja wohl gelesen haben. Vielleicht haben
Sie sich auch die Mühe genommen, die beiden Bücher doch einmal anzusehen und
ihren Inhalt mit dem zu vergleichen, was in jener „Besprechung“ steht. Sie wer-
den dann vielleicht begreifen, daß ich mich іп der Lage eines Mieters befinde, dem
jemand Schmutz vor die Wohnungstüre gelegt hat und den der Hausmeister auf-
fordert, diesen Schmutz selbst wegzurüumen, statt auf den Vorwurf zu hüren, die
Leute und Sachen, die im Hause ein- und ausgehen, genauer ins Auge zu fassen.
Wir, die graphischen Künste und ich, der Professor der Kunstgeschichte an der
Wiener Universität, wohnen beide in Wien. Ich meine, wir sollten diese Stätte
gemeinsamen Wirkens rein halten und nur aus diesem Grunde beantworte ich die
Einladung der Schriftleitung mit einer Gegenbitte: móchten die Herren nicht um
des Anstandes willen und weil sie die Sache nun einmal angeschnitten haben, eine
Besprechung bringen, deren Beantwortung mich nicht herabwiirdigt? Ich werde,
wenn diese auch nur entfernt auf den Umfang der Probleme und der ihnen zu-
grunde liegenden Tatsachen, die meine beiden Bücher besprechen, eingeht, gern
antworten und mich freuen, daß man anfängt, sich in Wien überhaupt mit meinen
Arbeiten sachlich zu beschäftigen.“ |
Auf mein Drángen um eine Antwort erhielt ich dann folgenden Brief: ,Sehr ge-
ehrter Herr Hofrat! Nein, wir haben keinen Moment daran gedacht, Ihre Zuschrift
abzudrucken, ebensowenig, als wir daran dachten, sie zu beantworten. Auf Ihre
Karte vom 7. d. hin wiederhole ich nur, was ich bereits Herrn Dr. Wachsberger
geschrieben habe: eine sachliche Entgegnung von Ihnen auf die Besprechung von
Dr. Takács hütten wir selbstverstündlich gebracht, — aber Sie weigern sich ja, auf
dieses Anerbieten einzugehen. Damit ist die Angelegenheit für uns erledigt. Hoch-
achtungsvollst A. Weixlgirtner.“ Ich wandte mich darauf an den Obmann des
Verwaltungsrates der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, der aber, nachdem
er vorher aus eigenem Antriebe seine Unbeteiligtheit an dem Vorgehen der Re-
daktion versichert und zugleich seine Verantwortung in der Sache freiwillig ein-
gestanden hatte, sich schlieBlich doch auf die Seite der Redaktion stellte.
Es handelt sich hier vom Standpunkte des Faches um Folgendes. Man mag
. über meine Arbeiten denken wie man will; in keinem Falle geht es an, einen Streit
vom Zaune zu brechen und dann mutwillig zu verhindern, daß die Würde des An-
gegriffenen gewahrt bleibe. Man lese die ,,Besprechung“ von Takacs und wird
zugeben, daß ich darauf nicht antworten konnte. Wachsberger, der sich durch eine
als Bd.III der Arbeiten meines Institutes erschienene Schrift!) als mein Mitarbeiter
fachmünnisch eingeführt hatte?), würe von jeder sachlich vorgehenden Schrift-
leitung, auch ohne daß dabei Gründe des Anstandes am Orte des Angriffes vor-
gelegen hitten, als zur Beantwortung berechtigt anerkannt worden. Es ist die
Art der Wickhoff-Schule, mit Waffen zu kümpfen, wie sie Rintelen und ich dar-
gelegt haben. Zum Schlusse die zurückgewiesene Besprechung des Dr. Wachs-
berger:
„Zur Besprechung von Strzygowskis „Die Kunst des Ostens“ und „Altai-
Iran“ von Zoltan v. Takacs in Heft 2/3, Jhrg. XL (1917) der „Graphischen Künste.“
Es wird manchem Leser verwunderlich erschienen sein, wie Bücher, die sich
mit der Kunst Hoch- und Ostasiens beschiftigen, in dieser Wiener Zeitschrift zur
(1) ,Stilkritische Studien zur Wandmalerei Chinesisch- Turkestans“. Zweite Sonderveróffentlichung
der Ostasiatischen Zeitschrift 1916.
(3) Vgl. mein Vorwort zu dieser Schrift.
103
Besprechung gelangen konnten. Wir erblicken in dieser Tatsache eine erfreuliche
Ausdehnung des Gesichtskreises auf ferne Gebiete, doch zwingt uns Art und Cha-
rakter des zitierten Aufsatzes zu einer Erwiderung.
Der Verfasser hat in den einleitenden Worten sich bewogen gefiihlt, vor Strzy-
gowski und seinem Schülerkreis zu warnen, weil er „seine Anhänger parteipolitisch
organisiert und mit Hilfe einer „systematischen Expansion“ überall unterzubringen
versucht und somit „Macht und Besitz“ anstrebt.“ Gegenüber dem ehrlichen
Ringen und der völlig unabhängigen, intensiven Arbeit dieses kleinen Kreises be-
deutet diese Feststellung eine Entstellung schlimmster Art, deren treibenden per-
sönlichen Beweggründen hier nicht nachgegangen werden soll Verschiedene Be-
merkungen des Aufsatzes verlangen jedoch vor objektivem, wissenschaftlichem
Gewissen eine Richtigstellung und Entgegnung. So heißt es:
„Es steht aber von dieser provinziellen Kunst (Chinesisch Turkestans) fest, daß
sie ein Export der chinesischen Tangkultur ist .
Das steht schon darum nicht fest, weil es niemals festgestellt worden ist. Das
ist nur eine Behauptung Takács, die um so merkwürdiger klingt, als Takács die
Behauptungen anderer Leute als ,,willkiirlich und leichtfertig* verurteilt. Uber die
Kunst Chinesisch Turkestans liegen nur die Publikationen Grünwedels und Le Coqs
vor, die Probleme des Zusammenhanges selten berühren und wenn sie es tun, dann
in einem der Behauptung Takács ganz entgegengesetzten Sinn, ferner die Arbeiten
Steins, die auch stürker nach dem Westen tendieren als nach dem Osten und
schlieBlich von den schwer erreichbaren russischen und den unbedeutenden japa-
nischen Veröffentlichungen sowie von gelegentlichen Aufsätzen abgesehen, die Arbeit
des Verfassers, die die ungeheure Vielgestaltigkeit des Problems der chinesisch-
turkestanischen Kunst darlegt.
Weiter hei&t es bei Takács: ,Wir müssen aber sowohl die in Rede stehende
Ranke als auch das Lambrequinmotiv auf chinesische Vorbilder zurückführen, da
beide „die grundlegenden Elemente“ der dekorativen Kunst sind, die uns in den
Ornamenten der urchinesischen Bronzen erhalten geblieben ist."
Wir müssen durchaus nicht, wir dürfen sogar nicht. Denn niemand hat ühn-
liches je festgestellt, und eine derartige Behauptung könnte so gestrengen Kritikern
von der Art Takács ,genügen, seine (statt im Original Strzygowskis) willkürliche
und jeder wissenschaftlichen Disziplin entbehrende . . . Theorie... umzuwerfen.“
So einfach ist das Problem der chinesischen Ornamentik und ihrer grundlegenden
Elemente keineswegs, als daß es in einer polemischen Kritik apodiktisch gelöst
werden könnte. Dazu wird es ernster wissenschaftlicher Arbeit, umfassender
Quellenstudien und auch vorzunehmender Ausgrabungen bedürfen. Dürftige Finger-
zeige dazu gab der unterzeichnete Verfasser in einer Besprechüng von Strzygowskis
„Altai-Iran“ in der Ostasiatischen Zeitschrift, IV. (1915/6), S. 153f. Bemerkt sei hier,
daB unserem heutigen Wissen nach das Prinzip der ursprünglichen chinesischen Orna- .
mentik sich eher als isolierendes, denn als verbindendes erweist, daß Ornament-
formen, denen in der ganzen Weltkunst, vornehmlich in der griechischen, der innere
Drang nach rhythmisch kontinuierlichem Fortlauf geradezu motorisch innewohnt,
wie dem Máander und dem Rankenglied, daß diese Formen mit Vorliebe starr in
sich zurückkehren und ungebunden gereiht werden, wie Wickhoff das schon für
den chinesischen Mäander beobachtet hat. Ohne damit die selbständige Entstehung
der fortlaufenden Wellenranke in China in Abrede stellen zu wollen (der Stand der
Forschung gestattet eben kein abschließendes Urteil), muß die Behauptung Takacs,
die Ranke wäre ein grundlegendes Element der urchinesischen dekorativen Kunst, als
104
unbegründet und nicht erwiesen, wahrscheinlich aber falsch zurückgewiesen werden.
Die Feststellung, daB die früheste dekorative Kunst der hochasiatischen Nomaden
mit chinesischen Zierformen zusammengehe, ist ganz unoriginell. Strzygowski hat
dieser Tatsache nie widersprochen. Wozu also die Erregung? Dagegen bedarf
die folgende Behauptung Takacs, daß die skythischen Tierornamente chinesische
Einflüsse erkennen lassen, eines weit eingehenderen Studiums der offenbaren
Wechselbeziehung chinesischer und skythischer Ornamentformen, als der ,,Meinung“
Takács im Archaeologiai Ertesitö. Daß der Schrägschnitt ferner nicht irgendeine
„technische Eigentümlichkeit“, sondern der Ausdruck eines starken Formempfindens
und Formwillens ist, möge derjenige bei Riegl, Spätrömische Kunstindustrie іп
Osterreich-Ungarn, Seite 154 ff. nachlesen, dem Strzygowski „zu luftige Hypothesen
aufbaut.“ |
Strzygowski tritt selbst in groß angelegten Arbeiten nie mit derartigem Anspruch
auf absolute Gültigkeit seiner Betrachtungen und Theorien auf, wie Takács dies in
seiner mehr persönlichen als sachlichen Kritik tut. Und wenn der Ursprung und
die Entwicklung des mehrstreifigen Bandornamentes einerseits und der Polygonal-
ornamentik der islamischen Kunst andererseits auch nach Strzygowskis Ausführungen
für Takács offene Fragen bleiben, so wird die Wissenschaft darum nicht trauern
und Strzygowski dennoch dafür Dank wissen, daß er zum erstenmal nach Riegls
„Stilfragen“ in seinem Altai-Iran das Problem der islamischen Ornamentik in um-
fassender W'eise von einer neuen Seite beleuchtete und zu lósen versuchte. |
Unverantwortlich erscheint die Behauptung Takacs, Strzygowski hiitte das Problem
der chinesischen Landschaftsmalerei mit seinen tastenden, mehr fragenden als be-
hauptenden Bemerkungen in der „Kunst des Ostens“ abtun wollen. Einzig die
Stimmungslandschaft hat Strzygowski zu Fragen inhaltlichen Zusammenhanges an-
geregt, wobei er sich von jedweder Feststellung formaler oder entwicklungsgeschicht-
licher Fakten fernhielt. Es geht wohl nicht an, daB man einem Leserkreise, dem
die Kunst Hoch- und Ostasiens ziemlich ferne liegt, mit einer polemischen Kritik
von der Art „Zwei Fliegen auf einen Schlag“ kommt, dabei die Tatsachen entstellt
und, was das Seltsamste ist, dieselbe Kritik von einigen Spalten dazu benützt,
eigene Entdeckungen humoristisch-umstürzlerischer Art vorzubringen. Das ist des
Guten zu viel und fordert ehrlich. denkende Menschen zur Anwendung des ge-
schmackvollen Schlufsatzes Takács auf ihn selbst auf: „Liest man dergleichen, so
. muB man fürchten, daB einem noch weitere sensationelle Offenbarungen dieser Art
bevorstehen.^ Ich meine damit die neue Theorie Takács, daB in den Ideogrammen
der chinesischen Schrift der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen ist.
Das wird auch dem, der nur gelegentlich etwas von dieser hohen Kunst gehört
hat, wie ein Faschingsscherz klingen, ist aber mit dem ganzen Hilfsapparat wissen-
schaftlichen Ernstes und Erkennens vorgebracht.
Es darf nicht unbemerkt bleiben, daß Takács weder den Grund, noch die be-
deutenderen Gedanken und Erkenntnisse der beiden kritisierten Werke auch nur
mit einem Wort erwühnt. Das Urteil tiber Wert und Charakter einer solchen Be-
sprechung müge der Leser fallen. Dr. Artur Wachsberger.
105
. X әт "u "he -- ee О TT et, ыы ME pP a EEN DEET s id TERRENT cu
CIPPER, cenannt TODESCHINI, ALS PSEUDO-
SPANIER
Von AUGUST L. MAYER
Mit sechs Abbildungen auf drei Tafeln ее6ееееевев0%60000000000000900000000000000000000000000600006000600000060000ө
er inhaltereiche Aufsatz Benno Geigers im
Augustheft dieser Zeitschrift gibt höchst er-
wünschten Aufschluß über den bisher rätsel-
haften Autor einer ganzen Reihe interessanter
Genrestücke, die, ähnlich wie die meisten von
Geiger angeführten, bisher für spanisch gehalten
wurden. Ich muß gestehen, daß auch ich ver-
schiedene der nachfolgenden Gemälde für spanisch
angesprochen habe und die bald Murillo, bald
Castillo oder gar Velasquez zugewiesenen Arbeiten
wegen ihrer breiten Vortragsweise und der all-
gemeinen Verwandtschaft mit den Werken des
älteren Herrera mit diesem Künstler in Verbin-
dung zu bringen gesucht habe, Als erstes Bild
nenne ich das früher als Selbstporträt Magnascos
geltende Bildnis des Malers vor der Staffelei im
Besitz des Herrn Kommerzienrats A. Leifmann in
Düsseldorf (Abb. 1), das, wie man sieht, ganz mit
dem von Geiger als Abb. 2 wiedergegebenen Stück
zusammengeht. Weiter möchte ich auf das große
Genrebild der Sammlung E. Boross in Larchmond
bei New York hinweisen (Abb. 3), das man als eines
der gelungensten Stücke des Künstlers betrachten
darf, ferner auf den bisher als Murillo ausgegebenen
,Knaben mit Taube“ bei Baron Schrenk-Notsing in
München (Abb.3) sowie auf das wirkungsvolle, mit
dem Gemälde aus der Sammlung Somséeeng zusam-
menhängende lebensgroße Genrestück (Abb. s), das
1914, gleichfalls als Murillo, sich im Mailänder Kunst-
handel befand. Bei diesem Bild ist man sich nicht
im Zweifel, daß es schon dem 18. Jahrhundert an-
gehört, während man bei den anderen Stücken,
namentlich den Interieurs, kaum an eine solche
spite Zeit denkt. Die meisten Todeschinis wirken
viel mehr als Arbeiten des 17., denn des 18. Jahr-
hunderts und durch ihren Naturalismus sowohl
wie durch das tiefe Kolorit, die Vorliebe für ein
warmes Braun und die überaus kriftige Vortrags-
weise, die derbe hóchst flotte Pinselführung und für
den fetten Auftrag ist es nur zu verständlich, дав
man diese Bilder mit dem älteren Herrera іп
Verbindung bringt. Da8 aber der Unterschied
doch bald erkennbar wird, zeigt vielleicht am
besten ein Vergleich des Porträts Todeschinis an
der Staffelei mit dem Selbstporträt Herreras іп
der Sammlung Lazaro zu Madrid (Abb. 4).
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf
einen anderen Pseudospanier verweisen; es ist
der Autor des lebensgroBen Hirten, der mir in den
Ehrich Galleries in New York vor einigen Jahren
als Murillo gezeigt wurde (Abb. 6). Man wird kaum
fehlgehen, wenn man auch hier den Künstler
unter den Oberitalienern des 18. Jahrhunderts sucht.
Es scheint mir wenig zweifelhaft zu sein, daß.
dieses recht dekorative Bild mit der leicht senti-
mentalen Note dem Mailünder Francesco Londonio
(1723—1782) zuzuschreiben ist, der gerade Spe-
zialist für derartige bukolische Stücke war, wie
seine Bilder in der Brera und in mancher ober-
italienischen Villa beweisen.
ERNST HEIDRICH, Beitrüge zur Ge-
schichte und Methode der Kunst-
wissenschaft. Verlag Benno Schwabe
& Co, Basel 1917. i
Dio beiden hier suerst abgedruckten Vorträge
stellen das Fragment einer leider nicht mehr zu-
stande gekommenen Arbeit dar, die Entwicklungs-
geschichte der neueren Kunstgeschichtsschreibung
behandelnd. Nach den vorliegenden Proben waren
höchst reizvolle Aufschlüsse methodischer sowie
geschichtsphilosophischer Art zu erwarten ge-
wesen; doch vermögen schon diese knappen, fein
durchdachten Ausführungen uns wenigstens die
Hauptlinien der Heidrichschen Gedanken dar-
zulegen und zu zeigen, wie sich auch in der
Kunstgeschichte über das rein Gegenständliche
hinaus die Färbung des geistigen Lebens in den
einzelnen Epochen ausdrückt.
Vasari und Winckelmann sind die beiden Gegen-
pole der Begründungsperiode. Der Italiener geht
von den Bedürfnissen der Kinstlerschaft aus.
Neben der Absicht, die künstlerische Produktion
durch das Bewußtsein des Zusammenhangs mit
der Vergangenheit zu steigern, unterstreicht er
die soziale Stellung eines neuen Standes und geht
auf die Erziehung des jungen Künstlers aus, wo-
bei dann oft jene zum flachen Raisonnement aus-
artende moralisierende Tendenz durchbricht. Die
Charakterisierung der nationalen Eigenart wird
durch das Ausspielen der besonderen Vorzüge
der jeweiligen künstlerischen Leistungen angebahnt.
Mit der starken Betonung der Kunsttheorie will
er an Stelle der fehlenden historischen Legitimi-
tät eine axiomische Begründung des neuen Stand-
punktes geben. Der bei den Nachfolgern V.s sich
zur größten Schwerfälligkeit entwickeinde antiqua-
rische Apparat ist gleichfalls auf die Bedürfnisse
der Praxis zugeschnitten. Eine nur scheinbar ein-
heitliche Geschichtskonstruktion, bei der die Frage
nach der Leistung in Relation auf einen willkür-
lich fixierten Punkt der Entwicklungsgeschichte
das erste ist, schließt das historische Verständnis
jeder Epoche von vornherein aus, ebenso wie die
direkte Verbindung der Renaissance mit der An-
tike unter günzlicher Ausschaltung des Mittelalters
eine antihistorische Fiktion ist. Künstlerisches
Schaffen wird nach dem Können beurteilt, die
Ambition kritisch fundierter, auf objektive Er-
kenntnis ausgehender Forschung liegt V. fern.
Eine ideengeschichtliche Wendung des Themas
macht schon der ausgeprägte Individualismus der
Zeit unmöglich. Mit den Nachfolgern wird die
lebendige Überzeugung, die das intensive Anteil-
nehmen an künstlerischen Fragen bei V. immer-
hin zeitigte, zur klassizistischen Doktrin; die Hi-
storiker beginnen sich negativ ablehnend gegen
die interessantesten Zeiterscheinungen zu verhalten,
Mit Winckelmann hört die Kunstgeschichte auf,
eine interne Standesangelegenheit zu sein. An
Stelle des geschmacklichen Qualitätsurteils mit
dem Maßstab der Gegenwart tritt jetzt eine plan-
mäßige Stilanalyse. Wirkliche Probleme der
historischen Erkenntnis werden angeschnitten: die
Erklärung der Ursachen, aus denen das Phänomen
der Kunst herzuleiten ist und die dadurch bedingte
Gesetzlichkeit des Stils. Die Kunst tritt ins engste
Verhältnis zur historischen Wissenschaft, Nun ent-
wirft W. von der griechischen Kunst in letzter
Linie ein Idealgemülde und will damit auf die
Gegenwart einwirken, einer bereits vorbandenen
klassizistischen Bewegung die historische Begrün-
dung verleiben. Aber in dieser Tendenz sprechen
jetst Weltanschauungsfragen mit. Begriffe wie
Echtheit und Ursprünglichkeit des Empfindens
werden in die Wertrechnung eingestellt. Die
Sehnsucht der Zeit nach Einfachheit, Stille, Frei-
heit und Natur klingt in W.s Betrachtungen wieder.
Ein neues Ideal wird in der Verbindung von Kunst
und Leben aufgestellt. Die Gegenwartskunst ist |
krank, die Idealität der griechischen Kunst unver-
einbar mit dem Geist des ancien régime. Das
künstlerische Denken ist wie das politische eine
oppositionelle Bewegung des dritten Standes. —
Wenn W. die Zusammenhänge auch mehr noch
geahnt als erlebt hat, so hat eine spätere Zeit die
von ihm gezogenen Umrisse nur schärfer und
richtiger bestimmt. Seine Gesichtspunkte blieben
anerkannt, wenn auch mit Einschränkungen und
Modifikationen. Zwar zeigen sich schon bei W.
die Gefahren einer abstrakten Geschichtsschreibung,
aber seine Bedeutung bleibt doch besteben in der
Durchgeistigung des Stoffs. Über die griechische
Kunst tangiert die Kunstgeschichte zur allgemeinen
Geisteswissenschaft. Die Gewalt des sprachlichen
Ausdrucke, eine Folge des enthusiastischen Schauens
und die Forderung nach Autopsie der Denkmäler
aind Vorzüge, die noch heute anerkannt werden
müssen.
Die ungeheure Erweiterung des Horisonts im
19. Jahrhundert stellte der zunächst hinter der
Archäologie zurückgebliebenen neueren Kunst-
geschichte Anforderungen, denen die alte, durch
107
ыды a e %˙ͤꝛ ͤ—UAv1ů ср с ы ge er sae dee ꝗ⅛˙§7 mU RH ̃ ͤ "P Tn TE
Vasari inspirierte Methode nicht mehr gewachsen
war. Die Eigenbedeutung der Nationen sowie
das geschmähte Mittelalter kamen unter dem Ein-
fluß der Romantik zur vollsten Geltung. Das
Können blieb nicht der Wertmesser der Beurtei-
lung. Die neu einsetzende Schätzung der Primi-
tiven ist ein Anzeichen für diese Verschiebung
der Stellungnahme. Neben der nationalen Note
spricht nun das religióse Moment mit, das bei
Winckelmann kaum eine Rolle spielt. Mit Schnaase
tritt die neuere Kunstgeschichte in die strenge
Systematik ein und wird unter Hegels Einfluß sum
groß angelegten Geschichtsbild. Anschauungen
werden su Begriffen stabilisiert. Doch die ge-
dankenliche Konstruktion überwiegt die sinnliche
Anschauung, das Gefühl, vor einem interessanten
Problem zu stehen, läßt nicht die volle Stärke des
künstlerischen Eindrucks aufkommen. In der lite
rarischen Darstellung zeigt sich der Konflikt in
siner áuGerlichen Verbindung des eigentlichen
ideengeschichtlichen Textes mit historischen No-
tizen. Die „Niederländischen Briefe“ werden durch
eine merkwürdig weite Distanz von dem Kunst-
werk gekennzeichnet.
Erst Burckhardts Cicerone ist zum ersten Male
eine Geschichte der Kunst, die vor den Denk-
mälern selbst entstand, die bewußt auf kunst-
philosophische -Exkurse verzichtet. Sein Genie
beruht auf dem Vermögen, Eindrücke von per-
sönlichster Färbung mitzuteilen, die künstlerischen
Ereignisse möglichst ohne das Daswiscbentreten
von Reflexionen zu intensivieren. Empirismus von
hóchster Klarheit ist sein Programm. Das Kunat-
werk bat bei ibm wieder seine Daseinsberechtigung
gefunden als Quelle für einen naiven und un-
reflektierten Genuß, Es ist nicht mehr ausschließ-
liches Stildokument. Die freie Sinnlichkeit des
Lebensgefühls und das Selbstbewußtsein der Per-
sönlichkeit sind die Faktoren, die B.s Neigung
sur italienischen Renaissance erklären. Die letzten
Kategorien seiner Beurteilung der Richtungen und
Persönlichkeiten sind etbische, nicht ästhetische.
Reinheit und Ausgeglichenheit der Gesinnung
geben den letzten Ausschlag. So entstehen Misch-
urteile, die dem natürlichen Verhalten entsprechen
und den höchsten Reichtum künstlerischer Er-
kenntnis gestatten. B.s Geschichtsbild ist eine
subjektive künstlerische Schöpfung höchsten Reizes,
nichts mehr, aber die zu weitgehende Objektivität
der ideengeschichtlichen Spekulation bedeutet auch
eine Vergewaltigung der Wirklichkeit.
Eine den Vorträgen beigegebene Besprechung
von „Jantzens „Niederländischem Architekturbild“
führt in sachlichster Polemik gegen Alois Riegl
108
diesen letzten Gedanken an einem Beispiel durch
und seigt die Einseitigkeiten und Gefahren, die
das Abhóren des Entwicklungsganges auf von
vornherein festgelegte Begriffe mit sich bringt.
Eine Schematisierung bedeutet es nach Heidrich
immer, wenn man es unternimmt, die Kunst-
geschichte zur Problemgeschichte umzubilden, Eine
begriffliche Ableitung aus scheinbaren Prämissen
ist ihm nichts anderes als moderne Scholastik
und krankt wie diese an einer starren Termino-
logie und willkürlicher Verzeichnung des Tatsäch-
lichen, Hans Kahne.
WALTHER HEYMANN: Max Pech-
stein. Mit 4 Farbendrucken, 44 Netz-
ützungen nach Gemälden und 58 Strich-
ützungen im Text. München, R. Piper
& Co., 1916.
Es ist kein Zufall, daß Pechstein als erster aus
der Generation der einstigen „Brücke“ eine Mono-
graphie erhalten bat. Gerade, daß er mehr auf
der Oberflüche bleibt ais Nolde, Schmidt-Rottluff,
Heckel oder Kirchner und mit gróberen, äußer-
licheren Mitteln arbeitet, hat ihm Erfolg bei jenen
gesichert, die wohl die äußere Geste, aber nicht
die innere Notwendigkeit des neuen Kunstwollens
erfassen.
Heymann versucht nicht einmal eine Synthese
von Pechsteins Kunst und der Art seines Werde-
ganges zu geben. Bilder aus der Zeit von 1908
bis 1913 werden mit Worten umschrieben, Pech-
steins Südseereise bildet den äußeren Abschluß
des Buches. Der Verfasser ist von restloser Liebe
und Bewunderung für den Maler erfüllt. „Ich
wünsche ausdrücklich zu bekennen, daß meine
Augen nichts Größeres erreicht haben, als diese
befehlende und zarte Sicherheit, die eine Rich-
tungswende in der Kunstgeschichte heraufswang“
(8.77). Gewiß ist es die Liebe, die das Feuer
brennend erhält, aber Heymann ist seiner Aufgabe
trotzdem nicht gewachsen. Er weiß nicht su
scheiden, da ihm Pechstein als ein losgelöstes
Einzelwesen erscheint, was dessen geistig-schöp-
ferisches Eigentum ist und welche Elemente die
Zeit ihm zugetragen hat. So erscheint ihm Pech-
stein, „der Giotto unserer Zeit“, der „Genius, der
die Einheit mit sich selber unverlierbar errungen
hat“ als Schöpfer eines neuen Stils, während die
„Richtungswende“ von anderen geschaffen wurde
und Pechstein nicht Führender, sondern Geführter
ist. Wenig glücklich ist die Ausstattung des
Buches trotz zahlreicher, guter Reproduktionen und
eines schönen Farbholsschnittes. Die Strich-
ätzungen — darunter einige sehr reizvolle Zeich-
nungen — über den Seitenrand oben und unten
hinausgehend, zerreißen das Satzbild in peinlich-
ster Weise. Der bildende Kinstler ist an dieser
Anordnung hoffentlich unschuldig.
| Rosa Schapire.
KARL HÄHNLE, Arretinische Relief-
keramik. Ein Beitrag zur Geschichte
des antiken Kunstgewerbes. Diss. phil
Tübingen 1914. Stuttgart 1015. 78 S,
ı Taf. 8°. !
Vorliegende Dissertation ist nur ein Teil der
großen Arbeit des Verfassers über die Relief-
keramik von Arezzo, die nach dem Kriege mit
dem reichen Bildermaterial bisher unveröffentlich-
ter Stücke erscheinen soll.
In Arezzo entwickelte sich um. die Mitte des
ersten Jahrhunderts vor Chr. eine reiche Ton-
industrie, die gegen Ende des ersten nachchrist-
lichen Jahrhunderts aufhérte. Die Lage der Stadt
begünstigte den Export. Hähnle untersucht die
Erzeugnisse der Relieftépfereien und gibt auf
Grund der reichen Funde in Arezzo, der Bestinde
des archäologischen Museums in Florenz und des
Thermenmuseums in Rom, der Sammlungen des
Bostoner Museuma, der Funde in Germanien usw.,
„ein genaues Bild der arretiniachen Relieftöpfer
im einzelnen und ibres Zusammenhanges“ (S.11).—
Auf die volistindige Ausgabe wird nach Erscheinen
ausführlicher zurückzukommen sein.
T. O. Achelia.
D
P 3
Lom E RSS Ааай
DEES
109
RUNDSCHAU E
DER CICERONE. `
X, 5/6.
H. H. HOUBEN: Bilderzensur im Vormirz. Frag-
mente aus einer Geschichte der Zensur.
ECK. v. SYDOW: Karl Schmidt-Rottluff. (5 Abb.)
WALTER BOMBE: Die Neuordnung der Düssel-
dorfer Kunstgewerbeschule.
DIE KUNST.
XIX, 6.
JULIUS VOGEL: Die Erwerbungen des Museums
der bildenden Künste in Leipzig in den Jahren
1912—1917. (2 farb. Taf., 23 Abb.)
KARL VOLL +. Zwei satirische Anleitungen zur
Kunstkennerschatt.
ALEXANDER v. GLEICHEN-RUSSWURM: Georg
Broel (ra Abb.)
KARL VOLL +: Die Gemäldesammlung Baron
Albert Oppenheim Köln.
GEORG JACOB WOLF: Emanuel v. Seidls Mur-
nauer Bauten. (2 Taf, 20 Abb.)
MAX RAPHAEL: Das Buch mit Abbildungen.
DEUTSCHE MODE: (8 Abb.)
Dun ——
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
XXIX, 4/5. |
MAX J. FRIEDLAENDER: Jan Wellens de Cock.
(6 Abb.)
ALBERT KOSTER: Johann Joachim Winckel-
mann. II Taf.)
HANS TIETZE: Oskar Kokoschka. (17 Abb.)
KARL LILIENFELD: Philipp Wirth, ein ver-
gessener deutscher Meisterporträtist. (4 Abb.)
BERLINER MUNZBLATTER.
XXXIX, 194.
E. BOHLEN: Collectio Seideliana, Eine Richtig-
stellung nach 225 Jahren.
GEORG GALSTER: Der Bünstorffer Brakteaten-
fund (Schluß).
OUDE KUNST.
Ш, 5.
W. VOGELSANG: Twee schilderijen uit de ver-
zameling Onnes van Nyenrode. (2 Taf.)
FRITZ LUGT: Naar aanleiding der veiling von
Kaufmann.
J. W. ENSCHEDE: De Galerie Musicale van Hess-
Kippelin-Engelmann.
JUST HAVELAAR: Ommegang door onze Musea.
(a Abb.) ` a |
IIO
J. W. ENSCHEDE: Oude Boekdruckkunat en nied-
versierte Nederlandsche folio-titels tusschen 1700
en 1825. (6 Abb.)
—
BERICHTE AUS DEM KNOPFM USEUM
HEINRICH WALDES.
IL, 2/4.
R.FORRER: Kleiderverschlüsse mit Wedgewood-
Einlagen. (1 Taf., 6 Abb.)
ALFONS TOMANEK u. BRETISLAV SETLIK:
Beitrige zur Geschichte der Perlmutter - Industrie
in Osterreich. (3 Abb.)
HERMANN STARCKE: Kleiderverschlüsse in den
Kgl. Sammlungen zu Dresden. Das kgl. Grüne
Gewölbe II. (r Taf, 4 Abb.)
HEINRICH WALDES: Der Kleiderverechlu8 Arm-
Amputierter und Arm-Beschädigter. (8 Abb.)
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 5.
KARL SCHMIDT - HELLERAU: Der deutsche
Lehrling.
ERICH HANKE: Lodewijk Schelfhout. (7 Abb.)
MAX von BOEHN: Das Bühnenkostüm in Mittel-
alter und Neuzeit П. (13 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Wilhelm Trübner +.
EMIL WALDMANN: Rodin 7.
XVI, 6.
EMIL WALDMANN: Janusköpfe der Genialität.
GEORG GRONAU: Piero della Francesca, (17 Abb.)
RUDOLF EBERSTADT: Eine Dorfsiedelung des
18. Jahrhunderts. (a Abb.)
JULIUS ELIAS: Ulrich Hübner. (4 Abb.)
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION
XXI, 4/5.
FRANZ SERVAES: Ausstellung der Berliner Se-
zession. (6 Taf., 12 Abb.)
EMIL UTITZ: Kunstgewerbliche Graphik.
WILLY GEIGER: Epistel aus dem Felde. (r Taf.,
6 Abb.)
F. KULLBERG: Maler Arthur Illies - Hamburg.
(а Taf., 4 Abb.)
EDUARD KAPRALIK: Zu den Gemälden von
Rudolf Glotz-Wien. (1 Taf, 4 Abb.)
Zu den Bildern von R. OTTO-Dresden -Loschwitz.
(x Taf., 3 Abb.)
BERNHARD MULLER: Neuere Werke von Hein-
rich Jobst. (а Taf., 22 Abb.)
a |
GUSTAV E. PAZAUREK: Der Sieg der Qualitit.
K. PRELLWITZ: Sehen lernen.
K. WIDMER: Wilhelm Trübner 4.
AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL,
KUNSTSAMMLUNGEN.
XXXIX, 5. | |
W..v. BODE: Die Venus mit dem Orgelspieler
von Tisian im Kaiser Friedrich-Museum. (4 Abb.)
BORCHARDT : Sphinxzeichnung eines ägyptischen
Bildhauers, (2 Abb.)
XXXIX, 6.
R. OLDENBOURG: Neues über Jan Lys. (s Abb.)
WOLFGANG FRITZ VOLBACH: Ein palisti-
nensiaches Amulett. (2 Abb.)
CH. HULSEN: Zum Berliner Cameo des Dios-
kurides. (2 Abb.)
III
KUBIN, Ein Totentans. Verlag Bruno Cassirer,
Berlin. Preis M. 7.— geb.
Zur Kunstgeschichte des Auslandes: Verlag J. M.
Ed. Heitz, Straßburg.
Heft 113: WITTING, Michelangelo da Caravaggio.
Preis M. 5.—.
Heft 114: Gescbicbte des Treppenbaus der Baby-
lonier und Assyrier, Agypter, Perser und Griechen,
Preis M, 8.—.
Heft 115: DEXEL, Untersuchungen über die fran-
zösischen illuminierten Handschriften der Jenaer
Universitätsbibliotbek. Preis M. 4.—.
Heft 116: SEDLMAIER, Grundlagen der Rokoko-
Ornamentik in Frankreich. Preis M. 10.—.
Heft 117: HAHR, Bewegungsgestalten in der
griechischen Skulptur. Preia M. 3.—.
SÓRGEL, Architektur- Ästhetik. Verlag Piloty &
Lóehle, München. Preis br. M. 8.—.
Bibl. für Kunst- und Antiquit&tensammler.
Band 111: BERCHEM, Siegel.
Band 112: SCHOTTMÜLLER, Bronzestatuetten
und Geräte. Verlag Rich. Carl Schmidt & Co.,
Berlin. Preia je M. 8.—.
WULFF, Grundlinien und kritische Erdrterungen
zur Prinzipienlebre der bildenden Kunst. Verlag
Ferd. Enke, Stuttgart, Preis M. 7.—.
BEHRENS, Über die Beziebungen der künstle-
rischen und tecbnischen Probleme. Verlag E. 8.
Mittler & Sohn, Berlin. Preis o.60.
Mitteil. des ung. wiss, Instituts in Konstantinopel.
Heft і: GLÜCK, Türkische Kunst.
Heft а: Götteridealeu. Porträts іп der griech. Kunst.
Die Baltischen Provinzen, Teil III: Bauten und
Bilder. Verlag Feliz Lehmann, Berlin. Preis M. 4. —.
ROTHES, Krieg und bildende Kunst. Verlag
Parcus & Co., München.
HARTMANN, Die Wiedergeburt der deutschen
Volkskunst. Verlag R. Oldenbourg, München,
Preis M. 3.—.
Studien zur deutschen Kunstgeschichte. "Verlag
J. M. Ed. Heitz, StraBburg.
Heft 199: VOLBACH, Der hl. Georg. Preis M. 8.—,
Heft 300: LÜTHGEN, Die niederrbeinische Plastik.
Preis М. 40.—.
Heft 301: STEIN, Die Erneuerung der heroischen
Landschaft nach 1800. Preis M. 8.—.
Heft 202: STRAUSS, Zur Entwicklung des zeich-
nerischen Stils in der Köln. Goldachmiedekunst
des 12. Jahrhunderts. Preis M. 8.—.
LAZAR, Studien zur Kunstgeschichte. Verlag
Anton Schroll & Co., Wien. Preis M. 6.—.
FRIMMEL, Studien und Skiszen zur Gemälde-
kunde. Verlag Gerold & Co., Wien.
XI. Jahrgang, Heft 4.
Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, z.Zt. im
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Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be-
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Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur“, die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
112
KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER.
4. DAS RATSEL DES SEBALDUSGRABES
Mit zehn Abbildungen auf sieben Tafeln Von HUBERT STIERLING
er deutsche ErzguB des 15. und 16. Jahrhunderts ist relativ wenig erforscht.
Die Zeit vor Vischer und nach Vischer bietet noch immer eine Fülle von
Problemen, die der Lósung bedürfen. So steht in MeiBen die groBe Tumba Fried-
richs des Streitbaren (4 1428), über die wir weder stilistisch noch zeitlich irgend
etwas Sicheres wissen; auch ihre seitlichen Gravierungen haben sich nicht auf
ihre Vorlagen zurückführen lassen, so deutlich man auch spürt, daB hier Kupfer-
stiche zugrunde liegen. Ja, selbst die Vischer, die ihrer überragenden Bedeutung
nach sich wie eine Dynastie über die Geschlechter der mitlebenden GieBer er-
heben, bieten noch viele und groBe Rätsel, obwohl die Forschung seit 80 Jahren
hart um sie ringt. Ihr Ahnherr.Hermann wird von einem fast mystischen Dunkel
umgeben, denn wir kennen nur ein einziges sicheres Werk seiner Hand, das
Wittenberger Taufbecken, und dieses ist so besonderer Art, daß es nicht möglich
ist, ihm weiteres glaubhaft zuzuschreiben. Nur einmal ist, wie Lifer in seiner
Geschichte der Metallkunst I (1904), S. 348, mitteilt, vor etlichen Jahren ein diesem
áhnliches Becken im Handel aufgetaucht, über das ich aber auf Anfrage beim
Verfasser nichts näheres erfahren konnte!).
Hermanns größerer Sohn Peter tritt uns mit Hilfe seiner bezeichneten Werke
und дег Neudörferschen Nachrichten schon viel greifbarer entgegen; und doch,
wie viele, wie grundlegende Rätsel bleiben auch bei ihm! Gerade um das Werk,
welches seinen Ruhm durch die Jahrhunderte getragen hat, das Sebaldusgrab,
wogen die Wellen des Meinungsstreits unaufhörlich seit vielen Jahrzehnten. Viel-
leicht, ja hoffentlich ist es den folgenden Ausführungen beschieden, diesen Kampf
zu schlichten, oder wenigstens seiner Lösung nahe zu bringen. Es läßt sich dabei
nicht umgehen, die Meinungen der Hauptforscher wenigstens der letzten 40 Jahre
kurz zu registrieren.
In dem Dohmeschen Sammelwerk Kunst und Künstler erschien 1878 eine Lebéns-
beschreibung aus der Feder R. Bergaus, der sich vorher in einer Fülle von Auf-
sätzen mit Peter Vischer beschäftigt hatte. Es war ihm dabei zur Gewißheit ge-
worden, daB ein groBer Teil der künstlerischen Arbeitsleistung am Sebaldusgrab
dem jüngeren Peter gut zu schreiben sei Aber er setzt das Geburtsjahr dieses
Sohnes mit 1494 um sieben Jahre zu spät an (S. 5). Trotzdem teilt er ihm die
kleinen Figuren und das Ornamentale des Sockels zu, indem er auf die von Neu-
dürffer bezeugte Lust dieses Sohnes an Historien und Poeten Bezug nimmt und
auf die sogenannte Réssnersche Chronik, welche angeblich berichtet, daB der jüngere
Peter das meiste am Sebaldusgrabe gemacht habe. (Ich komme auf Rössner noch
ausführlich zurück.) Bergau zeigt sich hier von richtigem Stilgefühl geleitet, aber
seine Annahme zugunsten des jüngeren Peter vermag er nur durch einen zweiten
Irrtum zu stützen, indem er nämlich S. 24 annimmt, daß 1516 nach der Rückkehr
Hermann Vischers aus Italien ein künstlerischer Umsturz in Richtung auf die Früh-
renaissance stattgefunden habe, und daB alle Teile des Sebaldusgrabes, welche
(1) Nahe verwandt ist auch das Ochsenfurter Taufbecken, das aber wohl von einem der Sóhne Peter
Vischers d. A. herrübrt.
Monatshefte für Kunstwiesenschaft XI. Jahrg. 1938, Heft 5 8 113
diesen neuen Geist atmen, erst damals ausgeführt seien. So hat er sich aus dem
Dilemma des späten Geburtsdatums Peter Vischers d. J. herausgezogen und läßt
ihn 1516 im Alter von etwa 22 Jahren die grundlegende Bereicherung des goti-
schen Kernes vornehmen. Diese Ansicht möchte plausibel erscheinen, nur läßt
sie sich nicht mit dem technischen Tatbestand in Einklang bringen, denn gerade
diejenigen Teile, welche den quellenden Reichtum der Frührenaissance zeigen, sind
untrennbar mit dem datierten Sockel von 1508/9 verbunden und gleichzeitig mit
ihm gegossen! Damit ist Bergaus These erledigt, wenngleich ihr ein richtiges
Gefühl zugrunde liegt.
Auch Bode nimmt in seiner Geschichte der deutschen Plastik 1885, S. 146, für
Peter Vischer d. J. das falsche Geburtsdatum 1494 an. Trotzdem kann auch er
sich S. 148 dem Gedanken nicht verschließen, daß „die Tritonen und Sirenen, die
Harpyien und Satyren, wie die spielenden Kinder, ihrer Mehrzahl nach der Er-
findung und Hand des jüngeren Peter zuzuweisen seien, dessen Lust an Historien
und Poeten Neudörffer ausdrücklich hervorhebt, und dessen bezeichnete Arbeiten
in Formgebung und Erfindung den ähnlichen Charakter tragen.“ Dieser Hinweis
auf die späteren Werke des jüngeren Peter, die den genannten Teilen des Sebaldus-
grabes verwandt sind, ist ganz gewiß sehr richtig. Wenn aber Bode hinzufügt,
daß diese gesamte Genreplastik des Sebaldusgrabes ‚als letzter Schmuck des Mo-
numentes gearbeitet“ sei, so begeht er denselben Irrtum wie Bergau, denn wir
können nun einmal nicht um die Tatsache herum, daß der Sockel mit allem Bei-
werk in zwei Teilen 1508/9 gegossen ist; damals hätte der jüngere Peter aber,
wenn das Bergau-Bodesche Geburtsdatum richtig wäre, erst 14 Jahre gezählt.
Erst Georg Seeger bringt 1897 in seiner Dissertation über Peter Vischer den
Jüngeren Klarheit in diese Wirrnisse, indem er auf die Medaille desselben auf-
merksam macht, welche die Aufschrift trägt: EGO PETRUS VISCHER MEVS
ALTER 22 ANO 1500. Damit endlich wissen wir, daß der Künstler 1487 ge-
boren ist und in den für das Sebaldusgrab entscheidenden Jahren 1508/9 22 Jahre
zählte, also zufällig ebenso viel wie Bergau und Bode annahmen, welche sein
Geburtsjahr auf 1494 setzten und die Renaissanceteile des Sockels auf 1516. Wie
diese seine Vorgänger schreibt auch Seeger dem jüngeren Meister alle jenen Teile
des Grabes zu, welche der lebendige Anhauch des neuen Geistes getroffen hatte.
Aber während jene sich noch allgemein und zurückhaltend äußern, greift er mit
der Sicherheit, die der jahrelange Verkehr mit demselben Künstler erzeugt, viel
energischer in das Sebaldusproblem hinein. Er schreibt dem jüngeren Meister
S. 120 den größten Teil der Sockelreliefs, die vier Helden, die vier Kardinal-
tugenden, einzelne Kindergruppen, zwei der vier Reliefs aus der Sebalduslegende,
die beiden nackten Jünglinge, welche die Reliefs stützen, nebst den Köpfen in den
Bogenzwickeln zu; ebenso habe er bei den Apostel-Statuetten und bei den oberen
із Gestalten schöpferisch mitgewirkt und den Petrus und einige verwandte Ge-
stalten, sowie den David geschaffen. Auch ich glaube auf Grund jahrelanger
Kenntnis der Vischerwerke, daß Seeger im wesentlichen auf dem richtigen Wege
war. Seine weitausgreifenden Überlegungen haben viel Überzeugendes an sich,
doch fehlt immer noch die letzte, wirklich durchschlagende Erklärung, wie es
kommen konnte, daß die beiden großen Sockelhälften von 1508 und 1509 zwei so
grundverschiedene Stile beherbergen, und ob es denn nicht möglich sei, diese
beiden Kunstweisen auf einem noch einwandfreieren Wege, als ihn die Stilkritik
bietet, zu trennen. Gerade hierauf hoffe ich die Antwort bringen zu können, muß
aber vorläufig noch auf dem registrierenden Wege verharren.
114
Das Seegersche Buch hat nicht die Anerkennung gefunden, die ihm gebtihrt.
Vor allem schrieb im Jahre 1900 Weizsäcker im Repertorium 23 eine m. E. viel
zu harte Kritik. Vielleicht haben wir es ihr zu verdanken, daB Seeger, dessen
Sachkenntnis und warme Begeisterung noch manches erhoffen lieBen, sich niemals
wieder zu seinem Thema geäußert hat!) Weizsäcker sagt S. 304, aus guten
Gründen künne er nicht weiter gehen, als dem jüngeren Meister nur zwei allego-
rische Frauengestalten am Sockel und die vier Leuchterweibchen zuzuschreiben.
Er bleibt also damit nicht nur hinter Seeger, sondern auch hinter Bergau und
Bode zurück. Gleich darauf bekennt er aber, daß auch er sich im Hinblick auf
die vier groBen Sebalduslegendenreliefs immer versucht gefühlt habe, an einen der
jüngeren Mitwirkenden zu denken, von dem dann aber alle vier Reliefs und nicht
bloB zwei herrühren miiBten, denn in Form und Technik bestehe zwischen ihnen
kein ernstlicher Unterschied (5. 305). Darin pflichte ich Weizsäcker bei und bin
in der Lage, die Frage mit neuem Vergleichsmaterial aufzuklüren, welches zeigt,
wie sehr diese Reliefs den Geist des jüngeren Peter atmen.
Diese Weizsäckersche Besprechung, die im übrigen viel Kluges und Frucht-
bringendes enthält, hat im wesentlichen das Ausmaß dessen bestimmt, was man
künftig dem begabten Sohne zuzuweisen geneigt war. Im Jahre 1905 ließ Daun
seine bekannte Künstler-Monographie über Vischer erscheinen, deren Existenz
wegen ihres Bilderreichtums zwar ein Segen ist, von der man aber dringend
wünschen muß, daß sie in der zweiten Auflage wesentlich vertieft wird (vergl. auch
die Besprechung von Hampe in diesen Heften, 1905, 81 ff). Daun erklärt S. 20 im ver-
steckten Hinblick auf Seeger, daß die Persönlichkeit des jungen Peter nicht greif-
bar geworden sei, und daß sich deshalb für uns vorläufig der Kunstcharakter des
Vaters im allgemeinen mit dem seines Sohnes decke! Eine Trennung der Arbeits-
anteile werde immer strittig bleiben. Der Vater sei zeitlebens das geistige Haupt
der Werkstatt geblieben, und die von seinem gleichnamigen Sohne 1508 aus Italien
mitgebrachten Skizzen hätten genügt, auch dem Vater ein tieferes Verständnis für
die Renaissancewelt beizubringen. Eine reichlich naive Vorstellung, daß Skizzen-
blätter hinreichen könnten, aus einem alten, gotisch erzogenen Manne einen Renais-
sancekünstler von übersprudelndem Temperament zu machen, einem Temperament,
das man in seiner Lebensfülle und Unerschöpflichkeit nicht anders als genial be-
zeichnen kann. So bildet denn Dauns Monographie einen Rückschritt über alles
vorangegangene. Er schreibt dem jüngeren Peter am Sebaldusgrab nichts als
selbständige Leistung zugute, ja, er übergeht mit Worten und Abbildungen sogar
die vier Leuchterweibchen, die in der deutschen Kleinplastik nicht ihresgleichen
haben. Dagegen verwendet er drei Klischees auf die Nürnberger Madonna, sa-
pienti sat!
Auch Dehio erklärt 1908 im Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler III, 345
die Ausführung des Grabes für so einheitlich, daß eine Ausscheidung des Anteils
der Sóhne nicht miglich "sei und daB diese nur als ausführende Gehilfen des
Vaters erschienen.
Endlich sei noch die Genreplastik am Sebaldusgrabe von Alexander Mayer“)
(1911) erwühnt; der Verfasser stellt sich im wesentlichen auf den Standpunkt
Weizsäckers, nur daß er auch die vier großen Reliefs der Sebalduslegende dem
(1) Ich sehe nachtriglich, даб er die zweite Auflage von Q. Autenrieth, Das Sebaldusgrab P. V.'e,
historisch und künstlerisch betrachtet (Nürnberg 1899), besorgt hat.
(2) Vergi. meine Besprechung in diesen Heften IX, 341 ff.
118
Vater zuschreibt, so daB für den Sohn nur die vier Leuchterweibchen und zwei
Frauengestalten am Sockel als selbstündige Arbeiten übrig bleiben. Merkwiirdig,
wie viel tiefer doch Bergau und Bode bereits gesehen hatten, obwohl ihnen nicht
entfernt das gute Vergleichsmaterial des heutigen Tages zu Gebote stand.
Ich persónlich bin wie Seeger immer der Meinung gewesen, daB die Früh-
renaissance am Denkmal im wesentlichen als Frucht der Reise des jüngeren Peter
zu werten sei, der, wie Seeger wahrscheinlich gemacht hat, gerade um 1508, im
kritischen Jahre des Arbeitsbeginns, aus Italien zurückkehrte. Die Parallelen zu
den Sockelpartien, den groBen Reliefs, den Leuchterweibchen usw. lassen sich in
den spüteren beglaubigten Werken des Sohnes so überzeugend nachweisen, daB
тап sich nur einem natürlichen Gefühle hinzugeben braucht, um bereits in деп
frühen Teilen des Sebaldusgrabes die gleiche Hand zu spüren. Das alles jedoch
bleibt Gefühl, so lange es nicht gelingt, greifbare Beweise aufzubringen. Dazu
aber darf man sich nicht damit begnügen, die Dinge nur mit den Augen zu be-
trachten, sondern man muB sie auch abtasten. Tut man dies an den kritischen
Teilen des Sebaldusgrabes, so spürt man etwas Unerwartetes. Man merkt näm-
lich genau an der Stelle, wo die gotische in die Renaissance-Sockel-Platte über-
geht, einen deutlichen Ansatz, und vor allem, dieser Ansatz wiederholt sich nicht
nur auf der Gegenseite, sondern an jedem Sockel auf jeder Seite. Sogar die Ab-
bildungen lassen es erkennen. Auf Abb. r sieht man ganz dicht am linken Rande,
oberhalb des Reliefkopfes, deutlich eine Ansatzstelle in der Sockelplatte. Wer sie
hier erkannt hat, findet sie wahrscheinlich auch auf Abb. 2, ebenfalls dicht am
linken Rande in gleicher Hóhe wieder. Hier auf dieser Abbildung ist es ferner von
Wichtigkeit zu sehen, daB unmittelbar darüber die Renaissance-Sockel-Platte durch-
aus nicht in einen entsprechenden gotischen Teil übergeht, wie etwa auf Abb. 1,
sondern daß sie ganz sorglos zwischen zwei gotischen Profilen mündet. Noch
besser sieht man das auf Abb. 3 und 5, wo man besonders deutlich erkennt,
daß der jüngere Meister gar nicht mal das Bestreben hatte, die Fuge zwischen
alter und neuer Arbeit zu verwischen. Damit ist also gesagt, daß der Renaissance-
Sockel nicht zur selben Zeit geformt ist, wie der gotische, sondern daß er später
hinzugekommen ist. Da nun aber die beiden Grundsockel auf die Jahre 1508/9
durch Inschrift festgelegt sind, so bleibt nur die Möglichkeit, daß die Veränderung
bereits im Wachsmodell geschehen sei. |
Sind die Gedanken einmal in diese Richtung gelenkt, dann finden sie noch weiter
reiche Nahrung. Etwas tiefer herab ist nämlich das Grabmal ringsum von einer
etwa 8 cm breiten, nach innen 11), cm aufgewölbten gotischen Wellenkante (auf
die der Löwe auf Abb. 2 und 3 seine Vorderpranke legt) umgeben, welche von
den Grundkanten der Renaissance-Sockel in merkwürdiger Weise direkt über-
schnitten wird (Abb. 3'). Unwillkürlich wird man dadurch in dem Verdachte be-
stärkt, der sich oben etwa 20 cm höher schon ergab, daß nämlich diese Renais-
sance-Sockel nicht zum ersten Entwurfe gehören, sondern später heran kom-
poniert sind.
Soll diese Beobachtung aber richtig sein, dann muß sie in irgendeiner Form
auch auf die weiter nach innen zurück liegenden Zwischensäulen (Abb. 3, die
Säule hinter dem eben erwähnten Löwen), welche den Sarg des Heiligen tragen,
(1) Besonders lehrreich ist die groß: Abbildung bei Mayer, Genreplastik, S. 7, da sie erkennen läßt,
wie die Renaissance-Sockel um das ganze Denkmal herum fast bis an die äußerste Kante heran-
gerückt sind |
116
zutreffen, und auch das ist der Fall! Wie die Abb. 1 zeigt, befinden sich nümlich
an dieser Stelle drei merkwiirdige Stiimpfe, die sich um das ganze Denkmal wieder-
holen. Ganz überwiegend hat man es mit solchen Stümpfen zu tun, zweimal aber
auch mit abgerundeten, nach innen gebogenen, kurzen Stäben (Abb. 2). Was ist
das nun? Soviel ist in Abb. ı auf den ersten Blick klar, daß hier mit dem Messer
ein glatter Schnitt durch ein weiches Material geschehen ist. Mit anderen Worten,
hier müssen einmal Säulen aufgestrebt haben. Dem widerspricht durchaus nicht
Abb. 2, denn auch hier sind diese Säulen abgeschnitten, nur etwas höher und die
Stümpfe sind, als ob sie ein Ornament wären, nach innen an den Sockel heran ge-
bogen. In Wirklichkeit sind sie durchaus kein Ornament, sondern man hat versucht,
aus der Not eine Tugend zu machen, oder anders ausgedrückt: an Stelle des einen
heutigen, schün und breit ausladenden Renaissance-Ballusters haben ursprünglich
diese drei Säulen gestanden. Sie haben annähernd die Stärke derjenigen gehabt,
welche gegenwärtig die Leuchterweibchen tragen, und sie haben ferner den mäch-
‚tigen gotischen Pfeilern, vor welchen die Apostel stehen, entsprochen, so daß ein
Wechsel zwischen einem starken Pfeiler und drei dünnen Säulen regelmäßig be-
stand. Das muß ein böses Gestänge gewesen sein, umso schlimmer, wenn man
sich auch noch die parallel laufenden Stangen des Gitters hinzudenkt. Es war ein
Bild frei von aller Anmut, das nicht viele befriedigt haben mag, umso weniger,
als sich in jenen Jahren der neue Geist mit ganz anderen Formbedürfnissen meldete.
Nun muß man sich erinnern, daß gerade damals (nach Seeger) der junge Peter
aus dem Lande dieser neuen Kunst zurückkehrte. Liegt da die Vermutung so
fern, daß er es gewesen ist, der jene Stangensäulen abgeschnitten habe, und daß
ег es gewesen sei, der jene neuen Renaissance-Sockel vor die Hauptpfeiler gesetzt
habe? Es ist das eine Frage, die auf dem Papier und vor Abbildungen schwer
entschieden werden kann. Wer vor dem Sebaldusgrab gestanden hat und jene
regelmäßigen Absätze an den Sockelplatten gefühlt hat, wer ferner persönlich
empfunden hat, wie unorganisch die Renaissance-Sockel mit ihrer Unterkante die
gotisch aufgewellte Randleiste überschneiden, der wird hoffentlich mit seiner Zu-
stimmung nicht zurückhalten. Nur an Ort und Stelle vermag man auch zu emp-
finden, wie völlig anders der Stil der vorgelegten Renaissanceteile ist! Die Photo-
graphie verwandelt alles in ein freundliches Beieinander. In Wirklichkeit aber
sind die gotischen Teile von einer ganz auffallenden Harte, ja Geistlosigkeit. Es
sind aus dem Formenschatz der Gotik wirklich nur die längst verbrauchten Motive
genommen; von dem Malerischen der Spütgotik findet man nicht eine Spur. Man
kann das gar nicht scharf genug betonen im Gegensatz zu den unendlich weichen,
erfindungsreichen Renaissanceteilen, die, wie aus einem gnädigen Füllhorn ge-
schüttet, dauernd Neues bringen; ihr Schöpfer mußte einen Formenvorrat im Herzen
tragen, wie ihn keines der älteren Vischerwerke auch nur andeutungsweise be-
sitzt, und wie er ihn nur im Ursprungslande dieser neuen Kunst in sich auf-
genommen haben konnte.
Wer mag es ferner verkennen, daB sich in diesem märchenhaften Reichtum und
in dieser unverkennbaren Liebe zum nackten Körper ein junges Gemüt offenbart?
Der ältere Meister aber stand damals bereits im sechsten Jahrzehnt. Streicht man
einmal diese Renaissancewelt fort und denkt sich an ihrer Stelle die Sockelplatte
lediglich durch einige kleine Tierfiguren belebt, wie sie der ältere Vischer in
Magdeburg verwendet oder auf seinem Entwurf von 1488 angedeutet hat, so bleibt
ein ziemlich kahles Gerüst über, das gewiß nicht den Ruhm des alten Meisters
erhóht hütte. Das mag er (oder mügen andere, die ein Wort mitzureden hatten)
А 117
gefiihlt und daher dem begabten Sohne freie Hand gelassen haben. Wir wissen
ja außerdem durch Neudörffer, daB die Sachen, welche der älteste Sohn des Meisters
aus Italien heimbrachte, bei seinem Vater Wohlgefallen erregt haben!). Man darf
sich ferner daran erinnern, daB das Magdeburger Denkmal, so herrlich und un-
übertrefflich es ist, nach dieser malerischen Seite nicht die geringsten Ansitze
zeigt; im Gegenteil, wir haben den geschlossenen Erzstil wie in einem Muster-
beispiel vor uns.
Die Langseiten des Denkmals zeigen somit bis auf den heutigen Tag deutlich
die damals geschehenen Eingriffe; sie bestehen in der Vorblendung der Renaissance-
Sockel und in der Ersetzung der gotischen Stangensüulen durch italienische Ba-
luster. Veründerungen haben aber auch die beiden Schmalseiten getroffen, denn
die beiden starken profilierten Bodenrippen, die auf Abb. 4 neben der Gerechtig-
keit (vgl. auch Mayer, Genreplastik, Tafel 18!) erscheinen, sind mit einem glatten
Schnitt unvermutet beendigt worden. Die Ursache ist nicht ohne weiteres klar;
nur soviel vermag jeder, der vor dem Grabe steht, leicht zu konstatieren, daf diese
mächtigen Rippen, wenn sie fortgesetzt wären, die Seitenflichen der Renaissance-
Sockel derart beeinträchtigt hätten, daß die Anbringung von Ornamenten hier voll-
kommen ausgeschlossen gewesen wire. Vielleicht sind sie aus diesem Grunde
dem jüngeren Peter unbequem gewesen und er hat sich ihrer mit einem raschen
Schnitt entledigt. An die Schnittfliche lehnen sich heute kleine Putten, ebenso
wie auf einer der abgeschnittenen Stangensdulen an der Nordwestecke des Grabes
einmal ein Frosch sitzt! Die Liebe zu solchen Genrefigürchen scheint den Vischern
im Blute gesteckt zu haben; wir sehen sie am Wittenberger Taufbecken des Groß-
vaters, sie kehren wieder auf dem ältesten Entwurf des Vaters zum Sebaldusgrab
und wir finden sie endlich an den W'erken des gleichnamigen Sohnes. Allein der
sich kratzende Hund, einerlei wer ihn modelliert hat, ist uns wohl ein halbes
Dutzend Mal erhalten.
Wann sind nun diese tief eingreifenden Veründerungen geschehen? Schon in
den Jahren 1508/9? Wahrscheinlich! Jedenfalls vor 1512, denn in der damals
erschienenen Ausgabe der Kosmograpbie des Pomponius Mela heißt es bereits:
Quis vero solertior Petro Fischer in celandis fundendisque metallis? Vidi ego
totum sacellum ab eo in es fusum imaginibusque celatum, in quo multi
Sane mortales stare missamque audire poterunt. De sarcophagis candelabrisque
eius mirantur quicunque conspexerint, tanta est subtilitas concinnaque proportio
fusarum іп es grande imaginum.“
Dieselbe Hand nun, die im letzten Augenblick mit der unendlichen Bereicherung
des Sockels eingriff, hat noch weitere Spuren ihrer Tütigkeit hinterlassen. Es ist
ziemlich allgemein die Vorstellung verbreitet, daB die vier Leuchterweibchen
an den Ecken des Grabes von Peter Vischer d. J. seien. Eine Beweisfiihrung
würde offene Türen einrennen, und es genügt vollauf, wenn man ein Leuchter-
weibchen mit der Allegorie der Vergünglichkeit zusammenstellt (Abb. 5 und 6).
Es ist derselbe gedrungene und dabei zierliche Akt, dessen weiche Formbehand-
lung sich überall am Sockel und in den beglaubigten Werken des jungen Künstlers
später wiederholt. Darüber hinaus sind beiden Figuren selbst solche Äußerlich-
keiten wie die Armhaltungen gemeinsam. Überhaupt muB man sagen, wer Peter
Vischer d. J. diese vier Sirenen zuschreibt, der legt ihm künstlerische Fühigkeiten
(1) Übrigens unterscheidet Neudürffer zwischen Kunstsachen, die Hermann aufgerissen und die ec
gemacht hat; er scheint also auch ausgeführte Kleinigkeiten mitgebracht zu haben.
118
bei, die lange ausreichten, die Kleinplastik des Sockels zu schaffen! Ja, man darf
ruhig behaupten, daB die deutsche Kleinplastik des 16. Jahrhunderts nichts hervor-
gebracht hat, was geistvoller in der Form und reicher im Gehalt würe. — Diese
vier Sirenen sind in der GuBbehandlung feiner ausgeführt als die Sockelfiguren,
Man muB aber in Betracht ziehen, daB sie unmittelbar vor das Auge des Be-
schauers gerückt sind und an den Ecken des Denkmals, also an ausgezeichneten
Plätzen stehen; da sie ferner als kleine Einzelstücke gegossen sind, so sind sie
selbstverstündlich auch technisch besser gelungen, so daB ein nachtrügliches Ver- -
schneiden kaum erforderlich war. Wenn die Sockelhälften gar zu unverschnitten
und alla prima geblieben sind, so darf man wiederum daran erinnern, daB das
durchaus nicht die Art des alten Meisters gewesen ist. Seine Werke zeigen überall
den sorgfältig ausbereiteten Guß. Das Sebaldusgrab weist allein schon durch seine
Technik darauf hin, daB hier eine andere Hand mit am Werk gewesen ist. Auch
Peter Vischer d. J. ist in späteren Jahren mehr dazu übergegangen, seinen Guß
einer nachtrüglichen Überarbeitung zu unterziehen; wenn es am Sebaldusgrab
unterblieben ist, so hat das auf mich immer den Eindruck eines jugendlichen Un-
gestiims gemacht, das seine Freude daran findet, sich mit dem Uberlieferten in
Gegensatz zu bringen. Außerdem sind ja alle diese Teile einer scharfen Betrach-
tung des stehenden Beschauers fast entzogen. Jedenfalls wird man wohl zugeben,
daß es durchaus nicht die Art eines älteren Mannes wäre, plötzlich mit den Guß-
überlieferungen der ganzen Vergangenheit so zu brechen. Ja, nicht einmal die be-
rauschende Fülle junger Menschenleiber paßt zu dem älteren Peter, den wir weder
vorher noch nachher in irgendwie vergleichbaren Bahnen wandeln sehen.
Die weichen, bewegungsreichen Meerfrauen haben ihren Platz auf merkwiirdig
harten Säulen gefunden. Ich möchte glauben, daß hier ein Kompromiß stattgefunden
habe; denn daß es für den jüngeren Künstler, der das Denkmal mit Hunderten
wechselnder Figürchen geschmückt hat, und der über den Formenschatz der neuen
Kunst in souveräner Weise verfügte, keine Mühe gewesen wäre, auch hier lebens-
volle Baluster zu entwerfen, das sollte gerade im Hinblick auf den quellenden
Reichtum des Sockels keine Frage sein. Wenn trotzdem unter den Sirenen und
den Aposteln die harten gotischen Stangen verwandt sind, so beruht das vielleicht
darauf, daß hier fertiges Material Verwendung finden sollte.
Es ist lange erkannt, daß diesem gewaltigen Formenaufgebot des Sebaldusgrabes
ein geistiger Inhalt zugrunde liegt. Seeger und besonders auch Weizsäcker haben
hier fördernde Erklärungen gebracht. Wenn jedoch der letztere im Repertorium 23,
309 sagt, daß die Figur der harfenspielenden Muse dem Titelholzschnitt der Qua-
` tuor libri amorum des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) entnommen sei, so ist sein
Hinweis nicht ganz überzeugend, da sich nur das Allgemeine wiederholt. Da-
gegen bin auch ich des festen Glaubens, daß der Schöpfer der Sockelpartien
die Werke des Conrad Celtes, der 1487 in Nürnberg (also im Geburtsjahr und in
der Geburtsstadt. Peter Vischers d. J.) als erster deutscher Dichter gekrönt war
und dessen Name damals in aller Munde lag, gekannt habe. Vielleicht kehrt sein
Bildnis in einem lorbeerumkränzten Medaillonkopfe am Zwickel eines der großen
Sebalduslegendenreliefs wieder; jedenfalls besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit
dem Holzschnittbildnis, welches Hans Burgkmaier im Jahre 1507 von ihm ge-
schaffen hat!) Sicherlich hat er auch die Quatuor libri amorum gekannt, denn die
(1) Abb. =. B. bei Könnecke, Bilderatlae zur deutschen Literaturgeschichte 1912, 118. Der Medaillon-
kopf abgebildet von Mayer im Münchner Jahrbuch 1913, 282.
119
Situation der Musizierenden, die dort auf dem Titelholzschnitt gegeben ist, kehrt
doch recht ähnlich wieder auf einer aquarellierten Federzeichnung des Berliner
Kupferstichkabinetts, die ihm Braun jiingst in diesen Heften 8, 2 richtig zugeschrieben
hat. Ja, sogar der große Brunnen im Hintergrund entspricht ‚ganz merkwürdig
dem letzten Holzschnitt des genannten Buches. Ich glaube nicht, daß solche Ent-
lehnungen für Peter Vischer d. J. viel zu bedeuten haben, denn selten ist jemand
die Erfindung und schlagende Gestaltung leichter geworden als gerade ihm. An-
dererseits darf man sicher annehmen, daß eine Erscheinung wie Celtes nicht spur-
los an ihm, dessen Lust an Poetereien durch Neudörffer, durch Schwenter, durch
die Pariser Handzeichnungen und die Sockel des Sebaldusgrabes nachdrücklich be-
zeugt ist, vorübergegangen sei. Hier liegt noch ein Kapitel der Vischerforschung,
das seinem Bearbeiter Erfolg verspricht.
Nun die vier großen Reliefs aus der Sebalduslegende. Ich kann mich auch
hier kurz fassen, denn bereits der sehr zurückhaltende Weizsäcker hat nicht umhin
gekonnt, in ihnen die Hand des jüngeren Meisters zu erkennen. Ja, er ging sogar
über Seeger hinaus, der ihm lediglich zwei von vieren zuerkennen wollte. Meiner-
seits nur wenige Worte: In der Bestrafung des Ungläubigen (Daun 24) finden sich
keine wesentlichen Analogien zu Peter Vischer d. J.; in den brennenden Eiszapfen
(Daun 25) dagegen. erinnert die knieende Frau bereits auf das Lebhafteste an die
Lautenspielerin, die sich an einem der 1508/9 gegossenen Sockel findet (Mayer,
Genreplastik, Tafel 9) Beide zeigen die typische venezianisierende Gewand-
behandlung, die der jüngere Peter lebenslang geübt hat. Wie die Falten über
den Unterleib geordnet sind, das kann wohl nur von einer und derselben Hand
geschehen sein’).
Enger und greifbarer sind die Zusammenhänge mit dem jüngeren Meister іп den
beiden anderen Reliefs. Die Gegenüberstellung in den Abb. 7. und 8, von denen
die letztere längst als Werk des Sohnes erkannt ist, überhebt einer eingehenden
Beschreibung. Die beiden Frauengestalten zeigen wieder den leicht gerundeten,
zierlichen Körper, als seien sie Geschwister; sie erheben den einen Arm mit der
gleichen Geste gegen das geneigte Haupt, usw. Die Verwandtschaft ist so nahe,
daB man glauben mag, beide Reliefs seien so ziemlich zu gleicher Zeit entworfen.
Auch die Figur vom Tintenfaß in Stanmore (Daun, Abb.46) gehört hierher.
Ferner läßt sich auch das Relief der Füllung des Weinkruges, seit Braun die
Berliner Handzeichnungen zum Schwenter Codex wieder gefunden hat, sicher als
eine Arbeit des jüngeren Peter in Anspruch nehmen (Abb. 9 u. 10). Denkt man
sich aus der Zeichnung den ruhenden Herkules fort, dann ist der Aufbau der Gruppe
aufs engste verwandt: die beiden inneren Figuren stehen jedesmal auf erhóhtem
Boden, und von den äußeren sind der Somnus und der HL Sebald sich mehr als
ähnlich: sie nehmen die gleiche Beinstellung ein, sie biegen den Arm im gleichen
Winkel und vor allen Dingen beugen sie sich mit der gleichen leichten Rundung
vornüber und schlieBen so die Gruppe weich ab.
Wann diese vier groBen Reliefs entstanden sind, ist schwer zu sagen. Da aber
die Berliner Handzeichnung zum Schwenter Codex auf 1515 festgelegt ist, und die
Plaketten und Tintenfásser allgemein in diese oder in eine wenig spätere Zeit ge-
setzt werden, so ist es wohl angezeigt, auch die vier groBen Legendenbilder für
(1) Übrigens wiederholte sich dieses Konzert mit zwei Personen übereinstimmend auf einem anderen
großen Werke Vischers, dem Fuggergitter. Die Nachzeichnung im Kupferstichkabinett des German.
Museums. Auch dieses Werk geht für mich fraglos auf den jüngeren Peter surück.
I20
späte Arbeiten am Sebaldusgrab zu halten. Technisch steht dem, glaube ich, nichts
im Wege, da alle vier einzeln gegossen und alsdann auf den Kern aufgelegt sind.
Über die Apostel vermag ich hinsichtlich ihres Schöpfers nichts Entscheidendes
zu sagen. Eine sehr alte Überlieferung, die ich am Schluß dieses Aufsatzes zitiere,
weist den Apostel Bartholomäus dem Hermann Vischer zu. Ob aus seiner Hand
noch weitere Gestalten hervorgegangen sind, wird sich wohl nie entscheiden lassen,
da uns die Vergleichspunkte vóllig fehlen. .An seinen jüngeren Bruder Peter mag
ich hinsichtlich der Apostel nicht so recht denken, denn wenn man an Ort und
Stelle den Blick über die ganzen Reihen der Gestalten hingleiten läßt, dann ist
doch eine gewisse flachbriistige Gleichmäßigkeit nicht zu verkennen, Jedenfalls
besteht ein unendlicher Unterschied zwischen ihnen und den Sockelpartien: dort
geniales Schópfen aus einem Vorrate, der kein Ende zu finden scheint, dort ferner
die improvisierende Technik, die den Blick nur auf das Ganze gerichtet hat und
deshalb von der Ausbereitung des Gusses wie selbstverstündlich absieht; hier da-
gegen eine merkwürdig gleichmäßige Technik und Handhabung der Formen, die
nirgendswo Überraschungen zumutet. Intensiveres Leben zeigt sich erst in den
Köpfen, von denen Mayer im Münchner Jahrbuch 1913, S. 278 einige schöne Auf-
nahmen bietet. Se
Es sei mir gestattet, hier einen Augenblick vom eigentlichen Thema abzuschweifen.
Alexander Mayer hat a. a. O. den dankenswerten Nachweis geführt, daß die Figur
des. Hl, Sebald an der Schmalseite des Sebaldusgrabes, welche dem Selbstbild
Peter Vischers auf der anderen Seite entspricht, die Züge Sebald Schreyers trage.
Es war ja dem Mittelalter nichts Ungewöhnliches, heiligen Personen die Züge
Sterblicher, etwa der Stifter, zu verleihen; und die Künstler haben besonders gern
die Gelegenheit benutzt, ihre eigenen Züge auf die Gestalten ihrer Bildwerke zu
übertragen, einerlei, ob es himmlische oder irdische Personen waren. Ganz be-
sonders nahe lag die Veranlassung hierzu, falls etwa ein Heiliger den Namen des
Künstlers trug und dadurch in eine Art vertrauensvoller Patronatsstellung gerückt
war. Unter solchen Umständen dürfte es nicht überraschen, wenn Peter Vischer
etwa dem НІ. Petrus seine eigenen Züge gegeben hätte, genau wie der Hi. Sebald
an korrespondierender Stelle die Züge Sebald Schreyers trügt.
Nun kehrt іп den Werken der Vischerschen Gießhütte viermal der gleiche Petrus-
kopf wieder, námlich am Petrus des Magdeburger Ernst-Grabes, am Petrus des
Sebaldusgrabes, am Petrus des Tucher-Reliefs in Regensburg und am Petrus der Grab-
tafel von Peter Kmita in Krakau!) Immer haben wir den starkknochigen, vier-
eckigen Schádel mit dem kurzen, lockigen Vollbart und der krüftigen Nase vor uns.
Das Haupt ist kahl bis auf die typische Petruslocke. Über den Schlifen dagegen hat
das Haar dem beginnenden Alter noch kráftigen Widerstand geleistet. Dieser viermal
wiederholte Kopf macht es nun von vornherein wahrscheinlich, daB wir es mit einem
Menschen zu tun haben, der den Vischern häufig vor Augen stand, und wenn man
ihn nun mit dem bekannten Kopfe Peter Vischers vom Sebaldusgrab zusammenstellt,
dann möchte man wohl sagen, daB es der Meister selber gewesen ist, dessen Züge
sich in den Petrusgestalten widerspiegeln. Vergleicht man das Selbstbild (Daun, S. 30)
mit dem Nürnberger Apostel, dann darf man auch noch darauf aufmerksam machen,
daB die kräftigen Backenknochen mit den etwas einfallenden Wangen und auch
vielleicht die vollen Lippen wiederkehren.
(1) A. Mayer bildet die Kópfe der beiden ersten im Münchner Jb. 1913, 278, der beiden letsten im
Rep. 37, 101 ab,
121
Es liegt in der Reihenfolge der Vischerschen Werke begriindet, daB dieser Kopf
am jüngsten auf dem Magdeburger Ernst-Grab erscheint. Gereifter tritt er uns im
Haupte des Nürnberger Petrus entgegen, doch wird der Vergleich hinsichtlich des
Lebensalters sehr erschwert, da man sich der Annahme kaum entziehen kann,
daß die Köpfe von verschiedenen Händen modelliert seien. Es folgen die Köpfe in
Krakau und Regensburg, die jedoch sicher nicht von derselben Hand stammen, die
den Nürnberger Petruskopf geschaffen hat. Das Tucher-Relief in Regensburg ist
frühestens 1521 entstanden. Die Ansetzung der Krakauer Tafel schwankt. Daun
datiert in seiner Monographie S. 19 offenbar nach dem Todesjahr 1505. Mayer im
Repertorium. 37,103 denkt an die Zeit um 1520, denn ihm gelingt in den Abbil-
dungen ro—12 der Nachweis, daß Ше Regensburger Platte in ihren zwei Aposteln
die Kopien der beiden Krakauer Apostel liefert. Eine Entscheidung hinsichtlich
der Priorität eines der beiden Werke ist schwer zu treffen; jedenfalls aber dürfte
es ins Gewicht fallen, daß auf der Krakauer Platte neben der Frührenaissance noch
gotische Baldachine in typischer Ausbildung verwandt sind.
Endlich kehren die Gesichtszüge Peter Vischer d. A. noch ein sechstes Mal wieder,
und zwar in der Statue des Hl. Wenzel an dem bekannten Leuchter des Prager
Doms, welcher 1532 von Prager Zünften gestiftet wurde. (Das Holzmodell befindet
sich im Germanischen Museum.) Diese Figur stammt nun sicher nicht mehr aus
den Händen des Altmeisters, denn dieser war vor drei Jahren gestorben, und auch
sein gleichnamiger Sohn war bereits verschieden. Wir haben es hier also wohl
mit einem Werke des Hans Vischer zu tun, der aus dem Gedüchtnis heraus dem
Ritter die Züge des leicht idealisierten Vaters verlieh, wie er in seinen besten
Mannesjahren die Nürnberger Hütte zu Ansehen gebracht hatte. In Übereinstim-
mung mit dem Selbstbilde am Sebaldusgrabe sehen wir auch hier wiederum, daß
Peter Vischer d. A. von ziemlich untersetztem, aber krüftigem W'uchs war.
* ғ
' 9
Nun zurück zu den 12 Aposteln. Ich habe in Heft 8/9 (1917), 331 darauf hin-
gewiesen, daB es nicht ganz unwahrscheinlich sei, in diesen Gestalten die groBen Für-
derer desSebaldusgrabes zu vermuten. Obwohl ich in Niirnberg bei einer raschen Durch-
sicht der Patrizier-Portrátsammlung nicht das Erwartete gefunden habe, so móchte
ich doch noch immer an dem Gedanken festhalten. Es kommt vor allen Dingen
darauf an, annähernd gleichzeitige Stiche oder Bilder heranzuziehen. Bisher habe
ich nur eine entfernte Ähnlichkeit in den Zügen des Hl, Andreas mit einem Bilde
Anton Tuchers d. A., gestochen von J. F. Leonhart 1672, bemerken können.
Dagegen möchte ich eine mündliche Äußerung Theodor Hampes nicht unter-
drücken, wenn sie auch nur eine Kleinigkeit betrifft. Nach seinen Worten standen
in vorvischerischer Zeit um den Sarkophag des Hl. Sebald zwölf Leuchter, welche
den Namen „Die zwölf Apostel“ führten. Es liegt gewiß nicht fern, zu glauben,
daß Vischer in seinen Apostelgestalten diese alte Überlieferung wieder aufgenommen
habe. Ja, man kann vielleicht sogar glauben, daß die vier leuchtertragenden Sirenen
eine bewußte Erinnerung an das alte Bild der zwölf Kerzen seien.
Die zwölf heiligen Gestalten stehen heute vor konkaven Pfeilern, deren Rundung
den natürlichen Hintergrund für sie bildet. So ansprechend uns diese Gestaltung
der Pfeiler erscheint, so dürfte auch sie nicht in der ältesten Absicht gelegen
haben, denn am Sockel sind die entsprechenden Teile konvex, und es ist nicht
versucht, einen Ausgleich zu finden!
Wie ein Stück Mittelalter mutet es an, daß hoch oben am Sebaldusgrabe und
doch gleichsam auf den Schultern der Apostel — also in umgekehrter Reihenfolge —
122
ғ
Ше Propheten erscheinen. Sie waren іп mehr als 4 m Höhe jahrhundertelang
dem Auge entrückt und haben für die Forschung nie eine Rolle gespielt. Alexander
Mayer hat sie in seinem oft genannten Aufsatze des Münchner Jahrbuchs erst-
malig abgebildet. Ich muß gestehen, daß ich mich hier wiederum lebhaft ver-
sucht fühle, die Hand eines jüngeren Mitwirkenden zu spüren. Freilich, ob es
immer die Hand des jüngeren Peter gewesen sein muß, bleibt zweifelhaft. Jeden-
falls haben wir hier wieder die geistvollen Improvisationen und den sorglosen
Guß, so sorglos, wie er nur einem Gemüte der jungen Generation gefallen konnte.
Eine Überarbeitung der Figuren war hier wie am Sockel umso entbehrlicher, als
das Auge wegen der Entfernung sich begnügen muß, die Konturen zu fassen.
Manche von diesen Gestalten mag ein wenig körperlos geblieben sein, und man
fühlt sich gelegentlich in der auffallenden Betonung des Kopfes (z. B. bei Abb. 31)
und der Vernachlässigung des Körpers an ältere Gepflogenheiten der Kunst erinnert.
In anderen dagegen glaubt man mit unbedingter Sicherheit die Hand des jungen
Peter zu erkennen. So vor allen Dingen im David (Mayer Abb. 21). Dies merk-
würdige Jünglingshaupt mit den verhaltenen Zügen, deren Gesinnung so schwer
zu deuten ist, hat mich immer an die Art des jüngeren Meisters erinnert. Gerade
er liebte es, auf solche rätselvollen Seelenstimmungen einzugehen, und man braucht
nicht nur auf die unbezeichneten Sirenen und manche Sockelfigur hinzuweisen,
sondern auch auf Werke, die ihm allgemein zugeschrieben werden, wie die Tinten-
fässer und Plaketten. Auch die Modellierung mit dem scharf betonten und be-
grenzten Unterleib erinnert ganz an seine Hand. Wer einmal ein unverbrauchtes
Titelbild für Peter Vischer d. J. sucht, der darf sich dieses David erinnern.
* Р *
Es ist im vorstehenden immer und immer wieder die Rede von dem genialen
Sohne gewesen, dem nur ein kurzes Leben beschieden war und der ohne Zweifel
eine Fülle groBer, unvollendeter Gedanken mit ins Grab genommen hat. Dasselbe
Jahr 1528 hat der deutschen Kunst zwei schwere Wunden geschlagen, indem es
gleichzeitig Albrecht Dürer und Peter Vischer d. J. mit sich nahm. Sein gewal-
tiger Arbeitsanteil am Sebaldusgrab ist aus stilistischen Gründen hoffentlich wahr-
scheinlich geworden. Wir sind jedoch in der glücklichen Lage, auch alte Urkunden
zu besitzen, die uns mit nüchternen Worten sagen, was wir mit liebevollem Nach-
fühlen herauszufinden suchten, und zwar gehen diese Urkunden auf vortreffliche
Gewährsmänner zurück, nämlich auf einen Freund Peter Vischers d. J. und auf
den Lieferanten des Rohmetalls. Beide Urkunden haben jahrzehntelang als ver-
schollen gegolten. Maximilian Moritz Mayer druckte sie in seinem Nürnberger
Geschicht Freund 1842, S. 269 ab. Jedoch in einem Falle nicht nach
dem Original. Es ist das große und für die Vischerforschung unschätzbare Ver-
dienst des Nürnbergers Alfred Bauch, in den Mitteil. des Vereins f. d. Geschichte der
Stadt Nürnberg 1899 in einer anerkennenden Besprechung des Seegerschen Buches
darauf hingewiesen zu haben, daß beide Urkunden, die seit dem Tode Mayers aus
dem Gesichtskreis der Forschung entschwunden waren, noch vorhanden sind, und
zwar befindet sich die einerim Germanischen Museum als Codex 4425,20, und die
andere in Bamberg in der Kgl. Bibliothek als J. H. Msc. hist. 21a. Ich habe beide
Urkunden an Ort und Stelle verglichen und gebe im folgenden ihren genauen Wort-
laut. In Bamberg befindet sich die Chronik des Kunz Rössner, welcher für das
Sebaldusgrab das Metall geliefert hat. Aus seinen Worten geht nichts über den
Anteil des jüngeren Peter hervor, trotzdem ist es nötig, seine Worte voranzustellen.
123
Sie lauten auf S. 193: ,Аппо 1510 Jar am 10 tag Junyo ist Sanndt Sebaltz grab
In sant Sebalts Kirchen auff gesetzt worden, vnd hat gewegen an Messing 157
Centner 29 Pfund, vnd Cost der Centner daran 20 fi, thut In Suma 3145 f. vnd
hat In Maister Peter vischer Ratschmid an sant Katherina graben (gegossen) vnd
ich hab Im den messing dartzu geprennt vnd zu kaufen geben." |
Diese wichtige Stelle hat Pankratz Schwenter, über den Braun hier in VIII, 2
berichtet hat, ausgeschrieben oder vielmehr für sich ausschreiben lassen. Diese
Hs. aus dem Besitz Schwenters kam spáüter in die Hünde des genannten M. M.
Mayer und darauf ins Germanische Museum. Die Stelle lautet S. 173a ebenso, nur
heißt es hier in der ersten Zeile deutlich Julius, während man in Bamberg wohl
Junio zu lesen hat. Ferner heißt es gegen den Schluß statt „vnd ich habe Im деп
messing dartzu geprennt“ „Ich Konntz Rosner. Schwenter oder sein Ab-
schreiber mußte den Namen Rößner einfügen, während es im Bamberger Original,
das Rössner selbst geschrieben hatte, natürlich unnötig war. Außerdem steht am
Rande neben Zeile 2 ,,stet zwei mol her Innen es ist an der Jarzall verstossen."
Diese Bemerkung bezieht sich darauf, daß auf S. 141 derselben Chronik sich fol-
gende Eintragung findet: „Anno domini 1506 Jar wurde Sant Sebalds sarch Im Chor
S. Sebalds Kirchenn gesétz In Nurmberg, den hat gemacht Peter Vischer ein
Messinggisser vnnd grosser Werckmaister sambt seynen sönenn, petrum der In
Kunsten den Vatter ubertroffenn, herman, hansen, paulsen. Aber Jacob hot
wenig dazu geholfenn.“
Diese wichtigen Worte über Peter Vischer d. J. finden ihre Bestätigung in einem
Manuskript der Nürnberger Stadtbibliothek, dessen Auffindung das große Verdienst
Seegers ist. Ich habe auch diese Worte an Ort und Stelle verglichen. Sie lauten
(unter richtiger Benennung der Hs.: Will Ш, 933b, 8°) folgendermaßen: „.. . hat
am Messing 157 centner, ist der Centner verdingt und Bezalt worden um fl. 20.
Peter Vischer der Jünger hat.den Mehrern theil gethan, dann Er mit
‘der Kunst Seinen Vatter und Bruder übertroffen, Hermann hat allein den
apostel Bartholomáum und etliche Tabernakel gemacht.“ Diese Hs. stellt einen
kurzen Neudérffer-Auszug dar. Ihr Verhältnis zum Original ist noch nicht geklärt;
sie betitelt sich „Aus Albrecht Dürers Und anderer Berühmten Künstler Leben.“
Nach einer raschen Schätzung Mummenhofis stammt sie aus der Zeit um 1630.
In diesen beiden zuletzt genannten Hss. hören wir also zweimal, was ich vorher
aus stilistischen Gründen und im Hinblick auf sichtbare Gußfugen wahrscheinlich
zu machen suchte, nämlich daß Peter Vischer d. J. den größeren Teil der Arbeit
am Sebaldusgrab geleistet habe. Ja, wir dürfen sagen, hätte er nicht das Gewebe
feinster Kräfte über das Denkmal gebreitet, dann hätte es nie und nimmer seine
unvergleichliche Bedeutung erlangt.
Wer nun alles dieses im Kopfe hat und weiß, wie die Renaissanceteile mit deut-
licher Fuge ansetzen, und wer ferner bedenkt, daß zwei alte Urkunden die Haupt-
tätigkeit des Sohnes kräftig betonen, für den wird endlich auch die dritte Urkunde,
die weniger deutlich von diesem Sohne spricht und sich am Grabe selber befindet,
eine neue Bedeutung erlangen. In den äußeren Sockelrand sind nach Vollendung
des Denkmals die bekannten Worte eingraviert: „Peter Vischer pürger zu Nüren-
berg machet das werk mit seinen Sunnen und ward folbracht im jar 1510 und
ist allein got dem almechtigen zu lob und sanct Sebolt dem himelfürsten zu eren
mit hilff frummer leut von dem allmossen bezalt.“
Ich glaube, daB es durchaus kein Zufall ist, daB das Sebaldusgrab auBer den
beiden ältesten Inschriften von 1508/9 noch diese von 1519 trägt. Denn wir
124
künnen es Peter Vischer d. J. nachfühlen, daf er seine eigene Arbeit, welche das
Denkmal geradezu grundlegend bereichert hatte, auch urkundlich festgelegt sehen
wollte. Von seinem Standpunkt aus ist der Wortlaut dieser Inschrift so bescheiden
als möglich, denn er stellt noch immer den Vater voran und vermerkt seine eigene
Arbeit nur gleichzeitig mit der seiner Brüder.
* *
*
Wer die Geschichte des Humanismus in Nürnberg kennt und weiB, wie zügernd
der neue Geist dort empfangen wurde, — Max Herrmann hat das 1898 in seiner
Rezeption des Humanismus in Nürnberg aus umfassender Literaturkenntnis dar-
gestellt, — der wird sich ungefähr vorstellen können, mit welchen Gefühlen man .
dort dies erste große Werk des neuen Geistes entstehen sah. Die Zahl der Freunde
des Altertums war um 1500 in Nürnberg noch verschwindend klein. Ihr geistiger
Führer war Sebald Schreyer, den wir an allen derartigen Unternehmungen be-
teiligt sehen. Seeger hat es wahrscheinlich zu machen gesucht, daß er es gewesen
sei, welcher den jungen Vischer nach Oberitalien sandte, um für ein anderes
Schreyersches Unternehmen, die Schedelsche Weltchronik, tätig zu sein. Schreyer
lebte in einem tief freundschaftlichen Verkehr mit dem Haupte des damaligen deut-
schen Humanismus, Conrad Celtes, dessen Bild sich mutmaBlich am Sebaldusgrabe
findet. Schreyers eigenes Porträt ist in der Gestalt des Hi. Sebald dort erhalten.
Schreyer wird es wohl auch gewesen sein, welcher dem jungen Vischer mit seinen
literarischen Kenntnissen zur Seite stand, als er die Fülle antiker Bildungen für
das Grabmal schuf. Ich will versuchen, auf diesen spróden Stoff in anderem Zu-
sammenhang noch einmal zurückzukommen!).
(1) Da die genauen Мабе des Sebaldusgrabes nirgendswo gegeben werden, во seien sie hier mit-
geteilt: Einfassungsgitter einschließlich Leuchterspitze 1,34 m hoch. Sebaldusgrab: Länge 2,72, Breite
1,53, Höhe 4,71 m. Die beiden Grundsockel messen im Grundriß 1,36 >< 1,53 m; ihre Höhe wechselt,
und zwar beträgt sie bis zum Ansatz der konkaven Pfeiler 45 cm (ohne Schnecken), am Balluster
48 cm, an der Vereinigung beider GuBsticke jedoch nur 35 cm; Schnecken 19 em hoch. Grundsockel
(mit Schriftrand) 25 cm hoch; die abgeschnittenen gotischen Sáulen 2,0 cm stark; gotische Boden-
welle 8 cm breit, 11), cm stark. Neue Sockelhóhe 21 cm; Sockelplatte ab Kapitälfuß 15 cm. 4 Eck-
helden 27 cm hoch; durchschnittene Bodenrippe der Schmalseite 8 cm stark; Peter Vischer-Statuette
35 cm hoch; große Sebalduslegenden-Reliefs 58 cm hoch; Sirenen 24 cm., mit Leuchter und Kugel
40 cm hoch; Apostel 54 cm hoch. | е
Ф `
125
DIE UBERGANGSSTILE ALS EXPONENTEN DES
IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND-
LÄNDISCHEN KULTURWELT (Fortsetzung) Von ROBERT WEST
*000690090090000900000000000009000000000000900000000000000000000000000000000900000400000000000000000900900000000000000009000090000000
E ist notwendig, den Ubergangsstil immer da zu suchen, wo der Kulturkampf
einsetzt, sei es als Rassen- oder als Ideenstreit. Nicht immer findet die end-
gültige Lösung des Stilproblems dort statt, wo es zuerst gestellt wurde, daher die
häufigen Meinungsverschiedenheiten über die Herkunft eines Stils. Der Ubergang
zum Romanischen wird in Oberitalien vollzogen — die Vollendung des romanischen
Stils, die vollgültige Ausprägung aller in dieser Stilrichtung erhaltenen ktinstle-
rischen Möglichkeiten gehört Deutschland. Ich entnehme meine Daten für die
zeitliche Abgrenzung der Stile absichtlich der politischen Geschichte, schon darin
liegt das Bekenntnis, daß sie nur approximativ zu verstehen sind. Rein kunst-
geschichtliche Abgrenzungsdaten gibt es überhaupt nicht. Der Wahrheit am
nächsten kommen wir daher, wenn wir die Kunstübung bestimmter Epochen im
Rahmen zeitgeschichtlicher Ereignisse betrachten, mit denen sich die Anfünge
und Endpunkte eines Stiles ungeführ decken. Die frühchristliche Antike in ihrer
Loslósung von der klassischen Antike datiere ich mithin von der staatlichen An-
erkennung des Christentums im Anfang des vierten Jahrhunderts. Ihr Hóhepunkt
liegt in Ravenna. Ihr Ende verlege ich ап den Schluß des fünften Jahrhunderts
in das Todesjahr Odoakers und den Beginn der Gotenherrschaft in Italien. Die
Vülkerwanderung macht der frühchristlichen Antike ein Ende. Es folgen Jahre
des Verheerens mit nur geringfügig erscheinenden Ansützen zu formalen Neubil-
dungen!) Seit dem sechsten Jahrhundert haben wir in Oberitalien die Lango-
bardenkunst, welche nichts anderes ist als die entscheidende Germanisierung des
klassischen und orientalischen Elementes, soweit dieses durch das Medium des
Frühchristlichen in den Bereich der langobardischen Werkstatt geriet?) Es war
für die Entscheidung des Rassenkampfes in der Vólkerwanderungsepoche ver-
hängnisvoll, daß die Langobarden im Gebiet der Keszthelykultur, in Pannonien, in
nahen Beziehungen zu den Syrern gestanden. Der syrische EinfluB, der schon in
der Kunstübung des kaiserlichen Rom eine so groBe Rolle spielt, überflutete nun
im Strom der Völkerwanderungskunst wiederum mit germanischen Elementen ge-
mischt den klassischen Boden Italiens. Die Germanisierung der frühchristlichen
Antike geschieht deshalb im Anfang durch ein Anknüpfen an die schon vorhan-
denen syrischen Elemente. Überall im Italien des frühen Mittelalters treffen wir
auf syrische Künstler, syrische Heilige, syrische Püpste*), syrische Tracht und Sitte.
Es ist üblich, den romanischen Stil vom ro. bis 12. Jahrhundert zu datieren
(etwa 919—1138). Als Übergangszeit liegen demnach fünf Jahrhunderte, die ganze
zweite Hülfte des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung vor uns. Innerhalb
dieser Zeit müssen natürlich längere Epochen der künstlerischen Sterilität und der
Vernichtung angenommen werden, trotzdem wire diese Zeitdauer einer Stilschwan-
(1) Über die Leistungen der Ostgoten in Italien, der Westgoten in Spanien usw. vgl. Haupt: Die
älteste Kunst, insbesondere die Baukunst der Germanen.
(a) Stückelberg: Die langobardische Plastik. Zürich 1896. Zimmermann: Oberitalienische Plastik.
Leipzig 1897.
(3) Kaspar Schneele: Die Päpste. Rothenburg a. N. Verlag von Wilhelm Busch 1905.
126
kung nicht zu erklären, wenn ein Blick auf die historischen Zustände uns nicht
tatsächlich einen annähernd fünfhundertjdhrigen Kulturkampf zeigte, dessen Ein-
setzen die Langobarden in Italien eröffnen. Die Völkerwanderung und zugleich mit
ihr die Christianisierung der nordgermanischen Völker führt ein bisher unbekanntes
Rasseelement in den Kulturkreis der alten Welt. Byzanz, in seinem kulturellen
Sein das Produkt von Syrien, Agypten und Griechenland, behauptet sich als
Hüterin der frühchristlichen Tradition, durch Byzanz wird die Einwirkung des
Orients auf Europa erhalten. Der erste Zusammenstoß der nordischen Rassen mit
dem Orient ist ein so gewaltiger, daß er zunächst die Zersetzung der halbklassi-
Schen, halborientalischen Bildungen zur Folge hat. In Italien geht vom sechsten
bis zum elften Jahrhundert eine stetige Germanisierung aller Stilelemente vor sich,
untermischt mit byzantinischen und islamitischen Einflüssen. Diese Germanisie-
rung geschieht in zwiefacher Weise: Einerseits zwingen die eingedrungenen Völker
der einheimischen Rasse ihre Ornamentformen auf, andrerseits modeln sie die vor-
gefundenen Zierglieder und Ornamente nach ihrem Geschmack um, daraus entsteht
dann jene frühmittelalterliche Ornamentik, welche von einigen Gelehrten als rein
germanischen Ursprungs, von anderen als Verwilderung des klassischen Typus
angesehen wird. Eines der frühesten Beispiele hierfür bietet das Zangenornament
am Grabmal des Theoderich in Verona, das von vielen als entartetes lesbisches
Kyma bezeichnet wird. Der Streit um die Entstehung der frühromanischen Orna-
mentkunst wird heute mit einer gewissen Erbitterung geführt. Es ist hier eine
ausgesprochene „Los von Rom-Bewegung* im Gange, während die neue Richtungs-
linie der Kunstforschung von einer Seite direkt nach Altai-Iran!), von der anderen?)
nach Norden gewiesen wird?) Schwerlich wird es sich in den meisten Füllen
entscheiden lassen, wo der erste Gedanke einer neuen Ornamentform entsprungen
ist. Bei der größten Anzahl als typisch frühmittelalterlich geltender Ornamente,
wie das Zangenornament, das Flechtwerk, das Tierornament, bei technischen Mo-
menten, wie Kerbschnitt und Konturierung in der Plastik, Zellenverglasung in der
Goldschmiedekunst, sebe ich ein Ineinandergehen zweier von verschiedenen Seiten
kommender Strömungen. Bestimmend wirkt aber in allen Fällen abendländischer
Produktion seit der Völkerwanderung der germanische Geschmack. Er trifft im
Vorhandenen die Auswahl und verarbeitet diese nach seinem Sinn. Die Zellen-
verglasung mag wohl vom Orient stammen“), aber die Neigung zu dieser Art
Technik liegt in der von den Germanen beeinflußten romanischen Kunstweise über- .
haupt vor. Die Inkrustierung der kleinen Architekturglieder, Ambonen, Säulchen,
Altäre usw. mit bunten Steinen, die sogenannte Kosmatenkunst, gehört hierher;
ebenso das opus sectile, pavimentum sectile und opus tesselatum, und auch die
Flächenverzierung der Außenmauern mit bunten Ziegeln wie an dem Baptisterium
bei S. Stefano in Bologna. Ähnliches findet sich an den fränkisch-merovingischen
Bauten und auch an der von karolingischem Klassizismus zeugenden Torhalle des
Klosters Lorsch. Späte aber glänzende Beispiele dieses Inkrustationsstiles sind
(1) Strzygowski: Die bildende Kunst des Ostens. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt. Leipzig 1916.
(2) Haupt: Die älteste Kunst, insbesondere die Baukunst der Germanen. Ludwig Degener, Leipzig 1909.
(3) Es liegen bereits eine Fülle interessanter Einzelbearbeitungen dieser Themen vor. Wertvoll waren
vor allem die im Aprilheft (1917) der Monatshefte für Kunstwissenschaft erschienenen Ausführungen
von G. Supka-Budapest, Strzygowski, Wulff, | |
(4) Labarte: Histoire des Arts industriels. Paris 1866. Riegl: Die spätrömische Kunstinduatrie, 1901.
J. v. Falke: Das frühe Mittelalter von der Vólkerwanderung bis zu den Karolingern, im ersten Band
der Illustrierten Geschichte des Kunstgewerbes. Verlag von Martin Oldenbourg, Berlin,
127
der Dom zu Pisa und die Markuskirche in Venedig, und es ist im Zusammenhang
dieser Ausführungen von Interesse festzustellen, daB sich eben diese allenthalben
in der Bauweise der germanischen Stimme zu eigenartiger Entwicklung gelangende
Technik des Inkrustierens nach Mesopotamien zurückverfolgen läßt ).
Diese teppichartige Flüchenbehandlung hüngt wieder eng zusammen mit einem
anderen W'esenszug des germanischen Stils, der Gewohnheit, Struktur und Orna-
ment voneinander zu trennen. Ein frühmittelalterliches Bauwerk lieBe sich im
Gegensatz zur Antike stets von aller Ornamentik entkleiden, ohne daß die funktio-
nellen Glieder irgend berührt würden. Das Ornament ist demnach nicht mit der
Struktur gewachsen, sondern ist nachtrüglich hinzugefügt. Diese Gepflogenheit
kann ihren praktischen Grund in der Herkunft der germanischen Plastik aus der
Holztechnik haben, wo die Balken erst nachtrüglich mit Schnitzereien versehen
wurden, Ein weiterer Zug дег frühmittelalterlichen Kunst, der sowohl germa-
nischer wie orientalischer Sinnesrichtung zu entsprechen scheint, ist die gefühls-
mäßige Behandlung der Massen auf die malerische Wirkung hin, im Gegensatz zu
den streng berechneten symmetrischen Gliederungen der Antike. Die Triforien-
galerien, Fenster und Emporenóffnungen eines frühmittelalterlichen Baues wirken
in den dicken Mauern wie Felsenhühlen, jedes einzelne solcher Bauglieder ist nur
im Zusammenhang des Ganzen verständlich, während in der Antike jedes Glied
für sich durchdacht und durchgebildet ist. Das Gleiche wiederholt sich dann in
Renaissance und Barock. Das Ornament überspinnt in regelloser Anhäufung die
ihm zu Gebote stehenden Flächen, es nimmt keinen Bezug auf die Struktur; die
Phantasie des Schnitzers nimmt ihren freien Lauf in grotesken Linien, wurmartig
verschlungenen Tieren, bizarren drachenhäuptigen Bändern. Diese Phantasie ist
nordisch und orientalisch zugleich. Welche Ähnlichkeit zwischen der germanischen
und orientalischen Geschmacksrichtung jener Zeit besteht, beweist ein Blick auf
Arbeiten von zweifellos orientalischer Herkunft, wie die koptische Holztruhe im
Dom zu Terracina, und die persisch-hellenistische Stuckornamentik von Sta. Maria
in Valle zu Cividale, die sich doch in nichts von den übrigen im Völkerwanderungs-
gebiet erzeugten Arbeiten unterscheiden.
Für das Flecht- oder Rankenwerk, welches als ureigenstes Kunstgut der Lango-
barden und Germanen erscheint, lassen sich zweifellos analoge Formen im Orient
finden, jedoch soweit meine Kenntnisse reichen, keine, die so ausgesprochen den
Charakter der geflochtenen Riemen trugen. Den Kerbschnitt hat Alois Riegl schon
in der spätrömischen Kunstindustrie nachgewiesen, aber die römischen Bronze-.
arbeiten, Gürtelschnallen und dergleichen, an welchen nicht nur der Keilschnitt,
sondern auch sonst verwandte germanische Motive auftreten (Bandgeflecht, Wellen,
Ranken), unterscheiden sich doch in der Disposition des Ornamentes ganz wesent-
lich von den germanischen Spangen und Fibeln. Unberührt lasse ich hier die
Frage, inwieweit das römische Ornament schon vor der Völkerwanderungsepoche
von der germanischen Stammeskunst berührt gewesen sein mag. Die gelegentliche
Verwendung von Tierformen in einer Kunst, welche wie die West- und Ost-Roms
kaum eine künstlerische Möglichkeit in der Welt der plastischen Formen übersah,
ist selbstverstündlich. Die Besonderheit des frühmittelalterlichen, als germanisch
bezeichneten Tierornaments liegt aber in der ganz anderen Art, wie dieses erfaßt
und aufgefaßt wurde.
(1) Mothes: Baukunst des Mittelalters in Italien. Eine interessante und erschöpfende Darstellung des
Inkrustationsstils in Toskana gibt Adolf Behne in seiner Inaugural-Dissertation vom 24. Sept. 1912.
Emil Ebering, Berlin NW.
An kirchlichen Bauwerken jener Friihzeit ist natiirlich nichts so intakt erhalten,
daß sich Konstruktion und Ornament zugleich daran demonstrieren ließe. Der
Grundriß ist durch Anbauten verändert oder der ursprüngliche Bau selbst ver-
schwindet unter späterem Bauwerk. Dann wieder sind architektonische Zierglieder
aus dem organischen Zusammenhang herausgerissen worden, in welchem sie allein
ganz verständlich waren. Wo immer sich noch ein frühromanischer Kirchen-
grundriß auffinden läßt, erhalten wir den unveränderten Typus der altchristlichen
Basilika, wührend alle Zierglieder und Ornamente, die uns erhalten sind, eine
gänzlich neue Geschmacksrichtung aufweisen. Diese Geschmacksrichtung ist zu-
gleich semitisch-orientalisch und nord-germanisch. Die antiken Elemente werden,
wo sie zur Nachahmung gelangen, in diesem Sinne modifiziert. Die germanische
Rasse ist aber insofern die stürkere, als sie es ist, welche sich die orientalischen
Formen assimiliert und mit' diesen frei schaltend ein eigenartig neues Stilgebilde
hervorbringt. Der zweite Kulturkampf des Mittelalters wird zugunsten der ger-
manischen Rasse entschieden. Dabei darf nicht vergessen werden, daB innerhalb
jeder Stilperiode einzelne künstlerische Individuen sind, welche, dem herrschenden
Geschmack entgegen arbeitend, in eigenwilligem Gebaren ihr eigenes Kunstwerk
schaffen. Karl der Große muß in seiner Umgebung solche Künstlerpersünlich-
keiten gehabt haben, welche, entgegen dem Regellosen, Malerischen, Unklaren der
Germanen und Orientalen, mit Sicherheit auf das Gesetzmäßige, Maßvolle, Klare
der klassischen Antike hinwiesen. So konnte es mitten im Strom des germanisch-
orientalischen Stils zu einer karolingischen Renaissance kommen. Freilich ver-
griffen sich auch die karolingischen Baumeister häufig in den Vorbildern. Sie
kannten die Antike durch das Medium von Byzanz und manches byzantinische
Motiv erschien ihnen als klassisch antik. So behauptete sich denn trotz dieser
Wiederaufnahme der antiken Formelemente doch die allgemeine Stilrichtung und
wir erhalten am Schluß der Epoche in der romanischen Kunst die Synthese des
. Kulturkampfes zwischen den wandernden Germanenstämmen, dem alten Orient
und der Antike.
Die germanischen Länder geraten völlig in den Bann der Mittelmeerkultur, die
altnordische Heimat wird vergessen, die klassische Antike zerfällt in Trümmer,
wird begraben unter dem Schutthügel der zusammenstürzenden germanischen
Reiche. Der Beginn der romanischen Epoche deckt sich ungefähr mit der Grün-
dung des deutschen Reiches durch Heinrich L Ich wähle dieses Datum aus fol-
genden Gründen: 010 trat Heinrich L, der Gründer des deutschen Reiches, seine
Regierung an. Er war es, der den Quedlinburger Dom erbaute. Die politische
Sphäre des Stils wird demnach bestimmt durch die Ottonen, das salische Kaiser-
haus, durch Heinrich IV. und Hildebrand-Gregor, was Deutschland und Italien be-,
trifft. In England haben wir die Zeit Alfreds des Großen, die Dänenherrschaft
und die Schlacht bei Hastings, in Frankreich den Ausgang der Karelinger, die
Festsetzung der Normannen an der Seine und Hugo Capet. Der Beginn der Kreuz-
zugsperiode ist der glänzende Kulminationspunkt dieser Epoche. Das Ende der
romanischen Epoche und der beginnende Übergang zu neuen, als gotisch bezeich-
neten Stilformen verknüpft sich mit der wachsenden Stellung Frankreichs im
europäischen Staatensystem und der beginnenden Verschiebung aller sozialen Ver-
hältnisse. 1137 beginnt in Frankreich der Bau der Grabkirche von St. Denis. Wir
haben dort also schon den Anfang der Gotik, während diese in Deutschland erst
etwa ein Jahrhundert später einsetzt. Ä
Bis dahin haben wir als baukünstlerische Erscheinungsform des Abendlandes
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 5 9 129
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das gebundene romanische System. Was zu ihm führte, war die Fesselung des
freien nordischen Geistes durch semitische Mystik und römische Kultur. Die Ent-
scheidung des Kulturkampfes war zugunsten des germanischen Elementes aus-
gefallen, aber die germanischen Völker nahmen, indem sie sich die orientalischen
und römischen Formen assimilierten, so viel von den fremdrassigen Elementen іп
sich auf, daß ihre nordische Eigenart völlig mit Orient und Rom verschmolz. Semi-
tischer und antiker Formwille bestimmen die stürksten deutschen Schópfungen des
romanischen Stils. Gerade hier in Deutschland aber schuf diese Stilrichtung so
Wunderbares, war die Entwicklung eine so durchaus gesunde und fruchtbare, daß
eine Reaktion des Germanischen gegen das fremde Kulturelement nicht erfolgen
konnte. Diese setzte in Frankreich ein, wo die Voraussetzungen der Versóhnung
des romanischen und germanischen Elements völlig andere waren. Das Franken-
reich setzte sich zusammen aus den Nachkommen der salischen Franken, der West-
goten und Burgunder, zu ihnen gesellten sich in der romanischen Epoche noch die
Normannen. Aber das rómische Element war durch den Sieg Chlodowechs über
Syagrius keineswegs unterdrückt. Im Gegenteil, es erweist sich hier als zäher
denn die germanische Volkskraft, so daß sich im Lauf der Jahrhunderte ein dem
deutschen und englischen Volkstum völlig heterogener Volkstypus herausbildet.
Seit der Reichsteilung von Verdun datiert das allmähliche Heranwachsen neuer
Nationalititentypen. An die Stelle des Begriffs: Rómer und Germanen treten jetzt
die neuen abendlindischen Staatengruppen: Deutschland, England, Frankreich, Italien.
Das rómische Element wiegt in den letzteren entschieden vor, wührend die beiden
ersten das Germanische am reinsten bewahrt haben. Innerhalb der einzelnen
Länder machen sich natürlich starke Stammesunterschiede geltend, vor allem іп
Frankreich, wo wie sonst nirgends lateinische und nordische Rassen aufeinander
stoßen. Allenthalben gleichen sich diese aber innerhalb jedes einzelnen Landes
zu einem bestimmten Nationalcharakter aus, der sich klar von dem der übrigen
Vülker abhebt und dessen Modifikationen sich nur innerhalb der Landesgrenzen
bemerkbar machen. Die Entstehung der Landessprachen bietet hierzu den besten
Beleg, wie die zweierlei Sprachen Frankreichs, Langued'oc und Langued’oil denn
auch eine Trennung sowohl des Volkswesens wie des Baustils bezeichnet.
Der Ausgleich zwischen der germanischen und der Mittelmeerkultur ließ sich
dort also nicht auf dem gleichen Wege wie in Deutschland durch Assimilierung
und selbstindige Umformung des Fremdrassigen finden. Das Germanische konnte
sich andererseits nicht mit der Unbedingtheit wie in England behaupten. Inwie-
weit die Verschiedenheit der Stämme auf die baukünstlerische Erscheinung der
einzelnen Länder gewirkt hat, läßt sich heute schwer entscheiden. Als Tatsache
erkennbar ist nur, daß in Sachsen, im alemannischen Schwaben, am Rhein, in
Norddeutschland, in Bayern einerseits, in England andererseits eine Stilentwicklung
vor sich geht, welcher die Burgunder und Franken ablehnend gegenüber stehen.
Die romanische Architektur der Provence und Burgund ist noch ganz durchtränkt
von antik-römischem Geist. Die Bauten Aquitaniens weisen auf Venedig und auf
den Orient!) Die interessante Mannigfaltigkeit der romanischen Baukunst in Frank-
reich stammt eben daher, daß dort die einzelnen Stämme den Versuch machten,
das Kulturproblem in der jedem gemäßen Weise für sich zu lösen. Es kam da-
durch, daß wir eine Fülle einzelner Formen von hohem Reiz und eine Anzahl von
(1) Clemen: Antwort auf Emile Males Studien über die deutsche Kunst. Monatshefte für Kunat-
wissenschaft, Jahrg. X, Heft 4 (1917).
130
Schulen finden, aber keine romanische Baukunst im deutschen Sinn, d. h. keine
Synthese des Vorhandenen, keinen Ausgleich des Kulturkampfes. Die ersten An-
finge der Gotik sind daher der erste Schritt Frankreichs, einen ihm gemäßen,
also anders gearteten Ausgleich des Rassenkampfes herbeizuführen.
Der Kulturkampf der vorromanischen Zeit wogte zwischen der antik-römischen
Kultur und der nordisch-germanischen. Deutschland brachte diesen zur Entschei-
dung und lóste das Problem im mittelalterlichen Sinn, d. h. eben insoweit es sich
nur um Rómertum hier, Germanentum dort handelte. Diese Frage war entschieden.
Inzwischen wuchsen aber neue Probleme auf, setzte ein neuer Kulturkampf ein,
in welchem die Elemente des jüngst Vergangenen nur noch hineinspielten. Diese
neuen Kulturkampfmomente lassen sich in Kürze andeuten durch die historischen
Daten: Kreuzzüge, Papst- und Kaiserkümpfe (Investiturstreit), Guelfen und Ghi-
bellinen, Aufkommen der Stüdtemacht, Scholastik und Ketzerwesen, Rittertum und
Mónchtum. Eine Unzahl neuer Ideen, neuer Begriffe lösten sich aus diesen Insti-
tutionen und Ereignissen, überall gürt es, neue Formen des Daseins zeugen neue
formale Äußerungen des Volksbewußtseins und des Volkswillens. Die Psyche der
einzelnen Nationen wird wach. Es gibt fortan keine Franken mehr, sondern
Deutsche und Franzosen. In Südfrankreich hatte von jeher die Antike fast ebenso
stark nachgewirkt wie in Italien, stürker zweifellos wie in dem langobardischen
Oberitalien. Schon zu Ende des elften Jahrhunderts wird in der Provence aus der
instinktiven, gewohnheitsmäßigen Nachahmung der Antike ein bewuBtes, programm-
mäßiges und von da strahlt die Kraft der Antike wieder nach den übrigen Landes-
teilen aus. In Burgund bildet die Antike trotz allem individuellen germanischen
Umgestalten doch die maßgebende Grundlage aller Formen. Ganz anders gebärdet
sich der Norden Frankreichs. Die Normandie vor allem zeigt in ihrer Kunstweise
germanischen Charakter. In eigenartiger Weise drängen diese beiden ganz hetero-
genen Stilgruppen zu derselben Lósung des Rasseproblems vor. Der Süden wie
der Norden beschüftigen sich wührend der ganzen romanischen Periode eifrig mit
dem Gewölbebau, welchem die germanischen Völker seit ihrer Berührung mit der
südlichen Baukunst immer zaghaft gegenüber gestanden hatten. Hier in Frankreich
entstehen jene von rémischen Vorbildern abgeleiteten Hallenkirchen, welche die
Baumeister vor neue konstruktive Probleme stellten, deren Lósung den Strebe-
bogen wie den Strebepfeiler forderten. Das auvergnatische Wölbungssystem mit
dem zweigeschossigen Aufbau der Seitenschiffe und den durch Halbtonnen ge-
wölbten Emporen arbeitet der Gotik schon wirksam vor, während gleichzeitig in
der Normandie das Kreuzgewölbe zur Ausbildung gelangte. Beide Typen der bau-
lichen Erscheinung trafen in der Isle de France aufeinander und züchteten hier
den ersten Keim des zweiten germanischen Baustils: der Gotik. Es ist kein Zufall
spüttischer Nomenklatur, die diesen Namen veranlaBte. Vasaris üsthetisches F'ein-
gefühl empfand mit unbeirrbarem Instinkt das Nordisch-Germanische, das die antike
Klassik verneinende Moment im Stil der französischen, englischen und deutschen
Kathedralen des. Mittelalters. Diese von Frankreich gefundene Lósung des mittel-
alterlichen Kulturproblems war eine Tat der germanischen Rasse. Die germa-
nischen Lünder, England und Deutschland, assimilierten sich die neuen Formen
augenblicklich, wührend Italien sie niemals zum Ausdruck seiner nationalen Eigen-
art brauchen konnte. Während in Frankreich, wo die Zisterzienser stark vor-
gearbeitet hatten), die Entfaltung der gotischen Baukunst schnell vor sich ging, be-
(1) Hane Rose: Die Baukunst der Zisterzienser. Bruckmann, München 1916.
131
hauptete sich in Deutschland noch ein Jahrhundert lang der romanische Stil. Ein
genaueres Zusehen zeigt uns aber in dieser Zeit schon iiberall die Vorbereitung
auf die Anfang des 13. Jahrhunderts einsetzende Stilwandlung. Die Formen
drüngen auch hier ganz selbstindig auf eine Weiterentwicklung im Sinne der Auf-
lósung des Massenbaues in einen Gliederbau und auf malerische Raumwirkung.
Wie die Verwendung des von Säule zu Säule gespannten Rundbogens an Stelle
des Architravs die Konstruktion der frühchristlichen Basilika im Gegensatz zur
antiken Bauweise bestimmte, so darf der Spitzbogen als die geometrische Formel
der Gotik, im Gegensatz zum Rundbogen des romanischen Stils angesehen werden.
Von der konstruktiven Verwendung des Spitzbogens hängt die ganze gotische
Struktur ab. Dieser Spitzbogen wurde aber zuerst um seines dekorativen Wertes
willen in die Architektur aufgenommen und erst dann ergab sich seine konstruk-
tive Brauchbarkeit. Es ist bezeichnend für den gotischen Stil, daB das Vorkommen
dés Spitzbogens auch an kunstgewerblichen Gegenstünden ihre Zugehirigkeit zur
Gotik vindiziert. Die Gotik ist der einzige Stil, bei welchem ein tektonisches Motiv
in der Weise dekorativ verwendet wird, daB es als Kriterium des Stils geniigt.
Der Übergang von der romanischen Konstruktion- zur gotischen vollzieht sich
schneller wie bei den übrigen Stilwandlungen. Das liegt in der praktischen An-
wendbarkeit des Spitzbogens begründet, welche sich den Baumeistern sofort auf-
drängen mußte. Dieses dekorative Moment war der Schlüssel zur Lösung des
Wölbungsproblems, das sie die ganze romanische Epoche hindurch beschäftigt
hatte. Es ließ sich jetzt in ganz neuer Weise bewältigen. Bei der Gotik ist es
meist schwer, zu sagen, welche Formen ursprünglich nur dekorativ gedacht und
dann in ihrer tektonischen Brauchbarkeit erkannt wurden, welche Formen aus
rein konstruktiven Erwägungen entstanden, dann als dekorativ wertvolle Momente
erkannt wurden. Geschmack und Auge der spätromanischen Baukünstler waren
dermaßen geschult, daß sie den malerischen Reiz jeder Form sofort für den Ge-
samteindruck. ihres Werkes zu sichern wußten. Charakteristisch ist der Schaft-
ring, welcher an den Säulen des Übergangsstils erscheint. Dieser Zungenstein wird
unter den Händen der mittelalterlichen Steinmetzen zu einem wirksamen Ornament.
Das ganze System der Strebepfeiler mit ihren Diensten, der Strebebögen, das Zer-
legen der Gewölbefelder in Unterabteilungen, die polygone Gestaltung des Chors,
das Verdrängen der römischen Lisene am Außenbau durch Strebepfeiler, alle diese
für die malerische Erscheinung der gotischen Kathedralen so wesentlichen Momente
sind rein tektonisch erfunden. Sie bilden das Gerüst, dessen hoher dekorativer
Wert, sobald er erkannt wurde, zu immer weitergehender Auflösung der Mauer-
massen und Beschränkung der raumabschließenden Teile zugunsten der struktiven
führte. Wie sehr aber die bauliche Anlage des romanischen Stils für die Gotik
bestimmend war, zeigt sich in der Tatsache, daß der Strebebogen erfunden werden
mußte, um die neue Gewölbekonstruktion mit dem basilikalen Schema zu ver-
einigen. Die abendländisch-christliche Stileinheit ist hierin klar erwiesen. Die
Gotik ist vielleicht der einzige Stil, welcher für den Laien nicht aus seinen Zier-
gliedern, sondern aus der Gesamtanlage des Baues erkennbar ist. Nichtsdesto-
weniger zeigen die Bauten des Übergangsstils doch noch deutlich in Grundriß und
Aufbau das romanische Schema, in welches sich neues gotisches Formempfinden
drängt. Das läßt sich am besten an einer Reihe von Beispielen erweisen: Die
Gesimselemente des gotischen Stils sind die gleichen wie die des romanischen
Stils: Rund- und Viertelstäbe, Hohlkehlen, Platten und Plättchen. Auch der gotische
Wasserschlag findet sich schon an romanischen Bauten. Das Eindringen einer
132
neuen Geschmacksrichtung macht sich hier bemerkbar durch die Vertiefung und
Erweiterung der Hohlkehlen und entsprechende Verkleinerung der Rundstibe, die
stärker unterschnitten werden. Daraus entwickelt sich dann in der Hochgotik der
Birnstab. In der romanischen Periode wurden sowohl die Stübe wie die Kehlen
mit Ornamentik übersponnen. Die Gotik mit ihrer ausgesprochen antirömischen
Tendenz beschränkt ihre Ornamentik durchaus auf die Hohlkehlen und läßt alle
Stäbe glatt. Das charakteristischste Schmuckelement an der Außenseite des roma-
nischen Gebäudes ist der Rundbogenfries, dieser nimmt lange vor der Einführung
des Spitzbogens schon die Form des Kleeblattfrieses an, welcher spüter in geringer
Modifikation zu dem typischen Ornamentmotiv der Gotik wird, wo er noch lange
rundbogig bleibt Die romanische Zwergbogengalerie wird weiter ausgestaltet und
erscheint als „Königsgalerie“ in wirkungsvollem Zusammenhang mit der neuen
Monumentalplastik?).
Das Säulenkapitell bietet auch hier wieder den sichersten Gradmesser für
die Stilentwicklung. Das romanische Wiirfelkapitell wird mehr und mehr aus-
geschaltet, das römische Kelchkapitell hingegen beibehalten und zu neuer,
lebensvoller Entwicklung gebracht. Das romanische Kelchkapitell war eine Ab-
straktion des korinthischen. Noch еһе sich irgend eine gotische Konstruktion
bemerkbar macht, beginnt der germanische Geist die harten Knollen des roma-
nischen Kapitells zum Knospen und Keimen zu bringen. Rundlappige Blütterbüschel
wachsen vom Boden des Kapitells auf und rollen sich unter der Deckplatte wieder
ein. Die Freude an der vegetabilischen Naturform, welche den realistischen Stil
der gotischen Bildhauerei mit bestimmt, macht sich hier entgegen der Starrheit
romanischen Zwanges geltend. Ebenso beginnt der veränderte Formensinn an der
Basis der Sdulen zu rühren, deren attisches Profil durch Flechtwerk und Eckblatt
germanisiert worden war. Der untere Pfühl quillt so weit über die Plinthe vor,
da8 er das Eckblatt verdrüngt, die Profilierung wird einfacher. Die reich gegliederte
Pfeilerbildung der Gotik ist im Grundriß des spätromanischen Kreuzpfeilers schon
angedeutet. Die abgestuften, mit Süulen besetzten Gewünde der Portale und
Fenster leiten zu der malerischen Fenster- und Portalbildung der Gotik hinüber“).
In den durch Rundbogen oder Spitzbogen geschlossenen romanischen Fenster-
gruppen und der Durchbrechung der oberen Mauerflüche durch RE
war der Ausgangspunkt des gotischen MaBwerkes gegeben.
Bei all diesen ornamentalen Neubildungen und Umbildungen fragt es sich nun,
welches das treibende Element in dem Kampf der Formen war. Welches Kultur-
ideal welche Rassenbesonderheit zwang die mittelalterlichen Völker, sich von dem
zu glanzvoller Entwicklung gelangten Stil ab-, der neuen Gotik zuzuwenden??) Die
alte Romantiker-Legende vom ,,deutschen Stil“ hat wieder einmal eine ernste histo-
rische Wahrheit durch spielerische Verwirrung der Begriffe ausgedrückt‘). Die
Gotik ist nicht „deutsch“, aber sie ist germanisch. Französisch ist sie nur im Sinn
(1) Genewein: Vom Romanischen bis zum Empire. I. Band. Hirt & Sohn, Leipzig 1911. Hauser:
Stillehre der architektonischen Formen des Mittelalters. Jakobstal: Grammatik der Ornamente. Un-
gewitter: Lehrbuch der gotischen Konstruktion.
(2) Redslob: Das Kirchenportal. Deutsche Plastik. Costenoble, Jena.
(3) Hinsichtlich des Streites über den Ursprung der Gotik vergleiche Dehio und v. Besold: Die
kirchliche Baukunst des Abendlandes. Stuttgart rgor.
(4) Friedrich Schlegel: Grundzüge der gotischen Baukunst. Simtliche Werke. Bd. VI. Wien 1846.
Reider: Die Bemübungen der Deutschen in Erforschung der Denkmäler altdeutscher Baukunst. Bam-
berg 1841.
133
von fränkisch. Es war der fränkische Geist, der sie schuf, da wo er am stärksten
war іп der Isle de France, dem Zentrum des französischen Königtums und дег
Ritterschaft, dem Zentrum der Wissenschaft und der Stüdtemacht. Der Zister-
zienser-Orden brachte den Stil in Burgund zur Anwendung. Der Übergang zur
Gotik im übrigen Abendland bedeutete dann den AbschluB der ersten Periode des
Mittelalters und den Beginn einer neuen, durch Wissenschaft und Bürgerwohlstand
demokratisierten Zeit.
In Frankreich entstanden die Kirchen Notre Dame in Paris, die Sainte-Chapelle,
die Kathedralen von Chartres, von Amiens, von Beauvais, von Reims. In Deutsch-
land erhoben sich die Liebfrauenkirche in Trier, die Elisabethkirche in Marburg,
die Münster von Freiburg, von Straßburg und Köln, von Regensburg, Ulm und Wien.
In England reifte der neue Stil an den Kathedralen von Canterbury, Salisbury,
Lincoln, Lichfield, Exeter, York, Gloucester und Winchester. In Italien trieb er
nur spürliche Blüten. Die italienische Gotik war von Anfang an ungotisch, das
beweisen Sta. Croce und die Dome von Florenz, Siena, Orvieto. Es sind Werke
eines hochentwickelten bautechnischen Könnens, eines kultivierten Geschmacks,
denen man doch immer anmerkt, daß der Erbauer in einer fremden Formensprache.
zu reden gezwungen war. Während noch überall sonst im Abendland die Gotik
zu immer reicherer, hochstrebender Entfaltung gebracht wurde, Schrieb in Italien
Filarete: ,Verflucht, wer diese Pfuscherei erfand; ich glaube, nur Barbarenvolk
konnte sie nach Italien bringen.“ Das war richtig. Italien hätte niemals eine
Gotik erfinden künnen. Deutsche hatten sie über die Alpen gebracht und die latei-
nische Rasse wehrte sich mit aller Gewalt gegen das fremde Element. Das Ger-
manentum und der germanisierte Semitismus, wie ihn die abendlündische Kunst
seit der Völkerwanderung darstellte, war den Nachkommen des klassischen Roms
gleich unsympathisch. Hatte ihm bisher die Kraft gefehlt, sich zu behaupten, so
erwuchs jetzt in dem kraftvollen Bürgertum der Städte ein Geschlecht, das fähig
war, seine eigene Persönlichkeit entgegen allem herrschenden politischen oder kul-
turellen Einfluß durchzusetzen. Hand in Hand mit dieser Erstarkung der latei-
nischen Rasse geht aber der Zug des Zeitgeistes auf Befreiung des Individuums,
Betonung der nationalen Sonderart, antikirchliche Gesinnung, humanistische Be-
strebungen. Der auf Klarheit und Genauigkeit, auf rationalistische Erkenntnis ge-
richtete lateinische Charakter, welcher in den ersten christlichen Jahrhunderten
durch die phantastische unklare Sinnesweise sowohl der Orientalen wie der Ger-
manen völlig unterdrückt schien, kann sich jetzt Luft machen, weil er vom Zeit-
geist getragen erscheint. Instinktiv wendet er sich an die beiden Lehrmeister, die
allein befähigt sind, ihm zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit die Wege zu
weisen: Natur und Antike. Durch Naturstudium und antiquarische Interessen wird
die lateinische Rasse in den Stand gesetzt, eigene künstlerische Formen den rasse-
fremden germanischen entgegenzusetzen !). (Schluß folgt.)
(1) J. Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien, bearbeitet von Prof. Dr. Heinrich Holtzinger.
Eßlingen a. N. Paul Neff Verlag 1912. Swarzenski: Das Kunstgewerbe der Renaissance in Italien.
Geschichte des Kunstgewerbes. Band I. Verlag Martin Oldenbourg, Berlin.
134
OSTJUDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE
AUSSTRAHLUNGEN aur DEUTSCHES СЕ.
BIE Mit elf Abbildungen auf fünf Tafeln Von ALFRED GROTTE
u den kunsthistorisch beachtenswerten Entdeckungen, die das AufschlieBen der
besetzten dstlichen Kriegsgebiete gezeitigt hat, gehüren die Kultbauten Polens
und seiner angrenzenden Gebiete. Es handelt sich hierbei in erster Linie um
Holzbauten, zu denen das waldreiche Land den wohlfeilen Baustoff lieferte. Stein-
bauten sind seltener und wenn auch in ihrer Gestaltung eigenartig, so doch nicht
annähernd so urwiichsig wie die aus Holz erstellten, deren Wesensart als durchaus
originell bezeichnet werden muß!).
Unter diesen Sakralbauten befindet sich eine nicht unwesentliche Zahl hölzerner
Synagogen. Wenn deren lückenlose Aufnahme und topographische Feststellung
bis heute nicht erfolgte, so wird dies in Anbetracht der bisherigen Verhiültnisse
des Landes nicht wunder nehmen. Aber auch ein zweiter Umstand trug dazu bei.
Galt es doch als feststehende Tatsache, daß den Juden eine besondere Kunst-
betütigung ritueller Richtung — eine irrtümliche Auslegung des biblischen Gebotes
— verboten sei; ja, einem so vielseitigen Forscher, wie Gurlitt, ist der Ausspruch
(Handb. d. Arch. IV.8) zuzuschreiben, da8, wer im mosaischen Sinne fromm sei,
„die Kunst zu hassen“ habe. Nun zeigt sich aber das Merkwürdige, daß gerade
in Polen, der Hochburg orthodoxen Judentums, genau das Gegenteil zutrifft. Hier
entwickelte sich die Baukunst und Malerei zu einer immerhin beachtlichen Hóhe
und Eigenart. Für uns Deutsche ist diese stille, von auBen nur wenig beeinfluBte .
Kunstbetätigung aber von besonderem Interesse. Es ist im Grundkern deutsche
Kunst, wenn auch solche mit einem gewissen „Jargon“-Einschlag, wie ja auch
Sprache und Kleidung sich von den mittelalterlichen Zeiten der Auswanderung
frinkischer Juden bis heute durch Uberlieferung fortgepflanzt haben. Die Ein-.
drücke, die die im r$. Jahrhundert vertriebenen und in Polen gastfreundlich auf-
genommenen Juden von Deutschland mit hinübernahmen, mußten überaus tief sein
und wurden kaum beeinfluBt von den sprachlichen und künstlerischen Einwirkungen
der aus anderen Ländern vertriebenen Glaubensgenossen, Dies gilt ganz beson-
ders von der Malerei; weniger von der Baukunst, die, wie auch bei den west-
lichen Juden, meistens nichtjüdischen Meistern oblag. Der Synagogenbau ist
demnach — soweit es sich um hülzerne Bauwerke handelt — in auffallender Kon-
gruenz zum Kirchenbau feststellbar und von diesem eigentlich nur durch das Fehlen
der Glockentürme abweichend. Ein neu hinzutretendes, recht seltsam anmutendes
Motiv ist jedoch das Dach. In seiner Urform auf das gotische deutsche Steildach
zurückgreifend, treibt dessen Formengebung im Wandel zweier Jahrhunderte die ab-
sonderlichsten Blüten und zeigt bisweilen Gestaltungen, die an die noch óstlicheren
Pagodendächer erinnern. Man wird vergeblich nach formalistischen Zusammen-
hüngen suchen, vielmehr hierin ein hilfloses Verschmelzen von Kunst, Konstruktion
und Ritus annehmen müssen. Die talmudische Vorschrift, es müsse das Dach des
Gotteshauses alle übrigen Gebäude des Ortes überragen, hat zu diesen, in vielfachen
Absätzen steil aufsteigenden Dächern geführt; aber auch zu der ungewöhnlichen
(1) Vergi. auch im Novemberheit 1915 d. Ztschr. den Aufsatz S. H. des Prinzen Johann Georg von
Sachsen.
135
Hóhe (nachweisbar bis 30,00 m) des Innenraumes. Dieses Hochbauen hat dann
auch MiBfallen bei der Obrigkeit erregt, und ich glaube in der Vermutung nicht
fehlzugehen, wenn alsdann, und wo große Höhe nicht gestattet wurde, die Dach-
absütze als typische Form des ,һоһеп“ Daches beibehalten wurden, gleichsam
als Gegengewicht der vis major. So bildete sich für diese Art Sakralbau ein ganz
bestimmter Typ aus, ohne klar zu verfolgende Entwicklungslinie zwar, aber mit
seinen deutlichen Ansätzen einer Fortschreitungstendenz nicht uninteressant für
den Forscher. Wir sehen beispielsweise in Narow!) an der Westseite — ganz
nach dem Muster deutscher romanischer Kirchen — zwei turmartige Ansätze als
Rudimente deutlich feststellbar. Dasselbe gilt auch von den Synagogen in Nasielsk
und Wolpia (Abb. 1) 5), allerdings in abgeschwüchter Form. Als weitere einheit-
liche Baumotive können ferner gelten die fast immer nachträglich angebauten
Frauenschiffe, deren geringere Höhenentwicklung und Pultdächer dem Bauwerk
basilikalen Charakter verleihen. Umlaufende Galerien, Arkaden, Rundbogenfriese
sind sonstige, fast überall feststellbare Schmuckformen der im übrigen aus schlich-
tem Bohlenwerk erstellten Bauwerke.
Vom deutschen Standpunkte sind in erster Linie die Ausstrahlungen dieses
in einer für die Kunstbetätigung der Ostjuden überaus günstigen politischen Epoche
(16. und 17. Jahrhundert) entstandenen Sakralstiles auf deutsches Gebiet von Wich-
tigkeit. Sie zeigt sich in zweifacher Art: im zeitlichen Zusammenhang mit der
Baugeschichte selbst (Ostdeutschland) und als mit dieser örtlich unzusammen-
hängende Verpflanzung nach Süddeutschland (Bayern).
Als westlichstes, noch erhaltenes Beispiel ist die 1767 erbaute Synagoge in
Kurnik (nächst Posen) feststellbar (Abb. 2—5). Sie zeigt in Bauart und Dachform
eine architektonisch überaus klare und reife Gestaltung. Auch in der kühnen Kon-
struktion des Dachbinders äußert sich gutes handwerkliches Können und eine starke
Beeinflussung deutscher Zimmerkunst. Hier ist auch der Baumeister nachweis -
bar, wenngleich indirekt. Hillel Benjamin aus der Lodzer Gegend baute die Syna-
Бове in Lutomiersk (Abb.6u.7)?) undZloczow; bei dieser fand er durch Absturz
vom Gerüst den Tod. Die auffallende Ähnlichkeit zwischen den Bauwerken von
Lutomiersk und Kurnik läßt auf den gleichen (hier jüdischen) Architekten schließen,
von dem nachgewiesen ist, daß er die „Zimmerkunst in Deutschland lernte“.
Zweifellos ist Kurnik gegen Lutomiersk der jüngere Bau; seine Formen sind ein-
facher, ruhiger, die Konstruktion sicherer und kühner. Die Frauempore ist hier
gleich beim Bau berücksichtigt. Von größerem kunstgeschichtlichen Werte ist
jedoch nur der Schrein (Abb. 4), dessen reiche durchbrochene Schnitzereien und
lebhafte Farbengebung auf mehr östliche Beispiele und Malereien dieser Art zurück-
greifen. |
Völlig als im Banne der polnischen Sakralkunst stehend, ist die aufgelassene,
vom Ortspfarrer erworbene und pietätvoll erhaltene Synagoge in Czieszowa
(Kr. Lublinitz, O.-S.) anzusehen (Abb. 8). Dort sind Kirche und Synagoge dem gleichen
Baumeister zuzuschreiben. Ein weiter westliches Vordringen des jüdischen Sakral-
baues zeigt merkwhürdigerweise das Verschmelzen mit dem Kirchenbau protestan-
(x) Vergl. des Verfassers: „Deutsche, böhmische und polnische Synagogentypen des 11. bis rg. Jahr-
hunderts.“ Berlin 1915 (hieraus Abb. 2--5).
(a) Abb. 1, 8 und 9 aus einem Aufsatz des Verfassers über polnische Synagogen in Ostd. Bauzeitung
1916/53, 53.
(3) =. d. Verf. Aufsatz im Zentralblatt d. Bauverw. 1916/50: „Die alte Synagoge in Kurnik“.
t 36
tischer Richtung. Diese Bauwerke mit ihrem enggesteliten Standerriegelbau (s. Abb. 9)
entstanden im Anfange des xg. Jahrhunderts. Sie zeigen auffallende Ahnlichkeit
mit den Kirchen protestantischer Diaspora-Gemeinden. Aber nur im Äußeren;
innen sind diese Bauwerke, wenn auch stark dekadent, so immerhin von der ost-
jüdischen Sakralkunst beeinflußt.
Weit wichtiger in kunstgeschichtlicher Hinsicht als die Baukunst ist indessen
die Malerei. Hier stehen wir überrascht vor einem ebenso seltsamen als inter-
essanten und reifen Kunstzweige. Seine Erforschung ist schon vor Jahren durch
die Veröffentlichungen der Krakauer Е. k. Kommission der Kunstdenkmäler (Spra-
wozdania komisyi do badania historyi sztuki w Polsce) durch Wierzbicki be-
gonnen worden. Mehr als diese, größtenteils auf polnische Fachleute beschränkt
gebliebene Arbeit, haben die in sauberer Technik erstellten Genrebilder Isidor
Kauffmann's-Wien diese dekorative Malerei ргбВегеп Kreisen bekannt gemacht.
Galizien selbst ist reich an solchen Beispielen, deren bestes (Chodorow) der Ver-
fasser in seinem in Fußnote 1, S. 2 angeführten Werke eingehend gewürdigt hat.
In einer nur noch durch maurische Kunst übertroffenen Fülle an Ornamentik und
glühender Farbenpracht sind sämtliche Wände und die Decke reich geschmückt.
Offenbar entstand diese Kunst aus dem Bedürfnisse, die kahlen, aus wagrechten
Bohlen gezimmerten Wände zu beleben (Abb. 10). Hierbei hat die Verschmelzung von
Schrift und Ornament so auffallende Beziehungen zu der Malerei der islamitischen
Kunst, daß die Behauptung, die Beeinflussung sei durch Handelsgegenstände durch-
reisender asiatischer Kaufleute erfolgt, nicht von der Hand zu weisen ist. Nur so
erklärt sich auch die symbolische Verwendung von Tiergestalten, deren Beziehung
zu Polen sonst kaum zu ergründen ist. Denn neben den typischen, auch in der
westlichen Kunst der Juden immer wieder angewandten Lówen und Adlern finden
wir hier Dromedare, Pelikane, Büren, Zebra, Tiger usw. vielfach zur Belebung der
Ornamentik herangezogen. In eine triforienartige Teilung der Wände sind Sprüche
aus Bibel und Talmud verzeichnet, innige Worte des Glaubens und der Weisheit.
So lesen wir da im Urtext:
„Eine Gabe im Geheimen bedeckt den Zorn Gottes" (Talmud).
„Denn ihr pflüget Böses und erntet Übeltat und esset Lügenfrüchte“ (Hosea 10/13).
„Der Mensch sorgt nur um den Verlust seines Geldes, aber nicht um den
Verlust seiner Tage. Das Geld nutzt ihm nichts, aber seine Tage kehren
nicht zurück . . .“ (Talmud).
Endlich sei noch als Prunksttick der Ausmalung das stets wiederkehrende Stadt-
bild Jerusalems erwühnt, ein medaillonartiges Bild einer mittelalterlichen Stadt mit
zahlreichen Türmen und Giebeln. Als Motive der Ornamentik finden die stilisierten
Ranken und Blätter romanischen Ursprunges fast ausschließlich Verwendung; sie
sind durch Inzucht von der Zeit, da die Juden in.Deutschland Schmuckmotive für
Kultzierate heranzogen, vererbt und, wie schon eingangs erwähnt, als „Jargon“
der romanischen Urmotive anzusehen.
Auch diese Kunstbetätigung der Malerei ist in ihrer Ausstrahlung auf deutsches
Gebiet feststellbar, hier aber nicht wie vorhin entwicklungsgeschichtlich verfolgbar,
vielmehr als eine Art Episode aufzufassen. Als im 18. Jahrhundert die bis dahin
glänzenden Verhältnisse der Ostjuden einer Beschränkung ihrer Freiheit und Rechte
Platz machten, wanderten einzelne Gemeinden aus und wandten sich bezeichnen-
derweise nach Franken, der Heimat so vieler ihrer Vorfahren. (Vergl. die Namen
„Frank“, „Frankel“, „Fränkel“) Mit diesen Rückwanderern aber ging deren Kunst
auch nach der früheren Heimat. In kleinen Städtchen und Dörfern. des oberen
137
Maintales (Horb, Redtwitz), nahe der Stadt Würzburg (Allersheim, Kirchheim usw.),
ferner nächst Ansbach (Bechhoven) erbauten die aus Polen Vertriebenen schmuck-
lose, nüchterne Betstuben, außen scheunenartig, aber innen nach dem Vorbilde der
erwähnten Gotteshäuser reich bemalt. Wir verdanken die Kenntnis und Aufnahme
dieser farbenprächtigen Innenräume dem Direktor des Düsseldorfer Kunstgewerbe-
museums, Frauberger, der diese Arbeiten im Auftrage der „Gesellsch. zur Er-
forschung jüd. Kunstdenkm.“ (Frankf. a. M.) in eingehender Weise durchgeführt hat.
Bechhoven (Abb. 11), das vollkommenste Beispiel, ist im Gegensatze zu den übrigen
noch als Gotteshaus benutzt, während die anderen Bauwerke dem Untergange ge-
weiht sind. In Würdigung des kunsthistorischen Wertes dieser Innenräume wurde
jedoch Kirchheim vom bayrischen Staate erworben und 1012 dem Luitpoldmuseum
zu Würzburg eingereiht. Von Bechhoven und Horb ist uns auch der Name des
Baumeisters und Malers (?) erhalten; es war Elieser, der Sohn des Salomo Suß-
mann’), der sich, in der Gesellschaft der Rückwanderer befindend, hier, auf frünki-
schem Boden, die Bauwerke streng nach dem Muster polnischer Vorbilder er-
richtete. Bezeichnenderweise sind aber beim Außenbau bereits starke Anklänge
an die deutsche Umgebung wiederum feststellbar.
Für die Beurteilung der Frage über Kunstbetätigung der Ostjuden gewinnen alle
diese neuen Forschungen Beachtung. Es ist leider anzunehmen, daß der Krieg
hier viele Werte vernichtet hat. Wünschenswert wäre es, wenn die überaus
gründliche Art, mit welcher deutscher Forschungsgeist in den besetzten Gebieten
arbeitet, sich auch auf dieses Kunstgebiet ausdehnen wollte. Man hat diese eigen-
artigen Werke einer ebenso innigen wie in sich abgeschlossenen Kunst bisher
kaum gewürdigt. Was sich hierüber in polnischem Fachbücherwesen verstreut
findet, ist, abgesehen von den schon genannten „Sprawozdania“ kaum als Unter-
lage zu wissenschaftlicher Forschung geeignet (Bersohn, Moklowski, Gloger) Die
galizischen Beispiele hat der Verfasser in seiner schon erwühnten Arbeit berück-
sichtigt. |
Ergünzend sei noch auf die Steinsynagogen des Ostens verwiesen, deren hoch-
monumentale Bauart des Äußern und Innern bemerkenswert ist. Eine Ausstrah-
lung auf deutsches Gebiet ist nur in einem einzigen. Beispiel nachweisbar, der
1815 errichteten Synagoge in Kempen (Posen) Ein besonderer Zweig dieser
Sakralbauten, die „Synagogenburgen“, soll von mir an anderer Stelle besprochen
werden.
(1) Der Name findet sich noch. heute in Westbóhmen.
138
REZENSIONEN .
THEODOR DAUBLER: Der neue
Standpunkt. Hellerauer Verlag, Dresden.
Hellerau 1916.
Wie es Dichter waren, die über Runge und
Kaspar David Friedrich die schönsten Seiten ge-
schrieben haben, so hat auch die vom Naturalis-
mus losgelóste bildende Kunst unserer Zeit Dichter
gereist, zu ihren Problemen Stellung zu nehmen.
Kasimir Edschmid schreibt über Hoetger, Hey-
mann über Pechstein, Bahr, der nie alternde, über
„Expressionismus“, Däubler über den „neuen Stand-
punkt“.
Niemand hat vor Däubler Sinn und Willen der
jüngsten Kunstrichtung in so schöner und ein-
dringlicher Weise ergründet. Er ist ein Wort-
künstler, der den Eindruck eines Bildes, ohne ins
Literarische zu verfallen, mit Worten umschreibt
und nachdichtet. Er findet neue Wortverbindungen,
um Farbeneindrücke zu vermitteln und den me-
tallisch-kühlen, erregend-heißen, blumenhaft-zarten
Farbcharakter zu veranschaulichen. Dem grund-
legenden Kapitel „Simultanität“ folgen rück-
schauende Betrachtungen über „unser Erbteil",
dann die stolze Reihe expressionistischer Bildnisse:
Munc, Barlach, Matisse, Rousseau, Chagall, Marc,
Picasso. Betrachtungen über Futuristen und Ex-
pressionismus bilden den Schluß. Kein biogra-
phisch-anekdotisches Detail stört die Struktur des
Buches, nur das Wesen des Künstlers, soweit es
sich in seinem Werk offenbart, wird klargelegt.
Die Tonart wechselt. Werden Munch und Chagall
„das kosmische Kind“, „der Märchenprinz mit ab-
soluter Farbe“ aus der Welt ihrer Vorstellungen
ergründet, so stehen bei Matisse, dessen Farbfiecke
Sätze sind, „die aus trefflichsten Hauptwürtern
bestehen. Jeder, Satz für sich. Punkt“, formale
Probleme im Vordergrund. Picassos „Farb-
echnitzelportrüts^ werden aus der „Hysterie un-
serer Zeit", die allein ein so abstraktes Programm
für bildende Kunst aufstellen konnte, gedeutet.
Der Spanier und jene, bei denen er Schule ge-
macht hat, sind „Darsteller einer psychologischen
Geometrie, keine Gestalter mehr im alten Sinn“.
Däubler gibt einen Querschnitt, Vollständigkeit
liegt ihm fern, auf den Expressionismus, der seine
Formung in Norddeutschland gefunden hat, auf
Nolde und Schmidt-Rottluff geht er nicht ein, und
doch wirkt sich gerade bel Schmidt-Rottluff das
Wollen unserer Zeit am Stürksten und Unbeding-
testen aus. — Eine Überraschung für den Kunst-
historiker ist das sorgfältige und ausführliche Re-
gister. Da für Däubler künstlerische Werte allein
gelten, ist ihm alte Kunst ebenso vertraut wie die
der allerjiingsten Gegenwart. Rosa Schapire.
GERTRUD GRADMANN, Die Monu-
mentalwerke der Bildhauerfamilie
Kern. (Studien zur deutschen Kunst-
geschichte, Heft 198.) Mit 7 Lichtdruck-
tafeln. StraBburg, J. H. E. Zeitz, 1917.
Die Kunst des 17, Jahrhunderts in Deutschland
ist wenig bearbeitet worden; zumal in der Plastik
schreckt das Handwerkliche und der Massenbetrieb `
einer unselbständigen Zeit, Gleichwohl sind die
Werke zahlreich und treten mit stolzem Bewußt-
sein vor den Beschauer, Man erinnert sich, daß
in die erste Hälfte des Jahrhunderts einer der
grogen Höhepunkte europäischer Kunst fällt, daß
in Italien, Spanien, den Niederlanden das Barock
in höchstem Glanze steht, und fragt sich, wie
Deutschland dazu sich stellen möge. Das Bild
ist, abgesehen von der Baukunst, die sich auf
wahre Monumentalität besinnt, nicht erhebend.
Von Malern kann man neben Elsheimer kaum
noch Flegel nennen, beide sind im Grunde Klein-
meister; und die Vertreter des wirklichen Barock
wie Willmanns machen nicht den Anspruch auf
unbedingte Selbständigkeit. Die Plastik erhebt
sich nirgends über dekorative Bedeutung. Als
Schmuck von Grabmälern, Portalen, Kanzeln und
Brunnen bildet sie den Gegenstand einer hand-
werksmäßigen Übung und nimmt eine Zwitter-
stellung zwischen Renaissance und Barock ein,
zu einer Zeit noch, da Bernini längst gestorben
ist. Die Abhängigkeit dieser braven Zunftmeister
von begabteren Ausländern ist überall nachzu-
weisen. Nach 1620 verschwinden diese Muster
und die einheimische Bildnerei breitet sich trotz
des großen Krieges ausgiebig in Deutschland aus,
mit einer erstaunlichen Gleichartigkeit aller Formen.
Es handelt sich dabei weniger um Kunst als um
Kunstgewerbe, und nicht sowohl um Stil ala um
eine, freilich sehr lang andauernde Mode.
Eine Anzahl der bedeutenderen Meister ist schon
durch Monographien ans Licht gezogen; so die
westfälischen Gröninger von F. Koch, die Dresdner
Walther in Haendtkes Buch über sächsische Plastik,
Erth und vor allem Dehne in Magdeburg von
Deneke; auf die Familie der Junker am Unter-
main hat Schulze-Kolbitz, wenn auch flüchtig,
hingewiesen (in seinem Buch über das Aschaffen-
burger SchloB) Ihnen reiht sich das vorliegende
139
Werk von Gertrud Gradmann an, welches die
weitliufige Familie Kern in Unterfranken mit dan-
kenswerter Ausführlichkeit behandelt.
Dae Buch besitzt alle Vorzüge, die eine Arbeit
über einen so wenig dankbaren Stoff haben kann;
einen Stoff, den zu meistern die Geduld und
der Mut einer Erstlingsarbeit gehürt. Der Stoff
ist übersichtlich gegliedert und so knapp wie
möglich behandelt; die Schreibweise rein und von
erfreulicher Deutlichkeit; die Zuschreibungen und
Ablehnungen ohne weiteres anzunehmen — soweit
ich die Dinge aus eigener Anschauung kenne,
welches der größere Teil ist; Stilkritik und Werk-
beschreibung besonnen und klar! Man stellt mit
. Vergnügen die Entschiedenheit der kunsthistori-
schen wie schriftstellerischen Eignung der Ver-
fasserin fest und hofft, das náchste Werk einem
dankbareren Gegenstand gewidmet zu sehen,
Als wesentlichste Resultate seien hervorgehoben:
die Geschichte der Familie Kern in Forchtenberg
am Kocher, die sich vom Handwerk zum (rela-
tiven) Künstlertum emporarbeitet. Das Werk des
Hauptmeisters Michael III, (1580 —1649), dae zwi-
schen Main und Neckar zahlreiche plastische De-
korationen birgt: die Würzburger Domkanzel, das
Portal in Dettelbach (O. A. Kitzingen), umfang-
reiche Epitaphien und Tumben in Wertheim,
Langenburg, Michelstadt, Ohringen, Würzburg
u. a. O.; Altüre, namentlich in der prunkvollen
Klosterkirche zu Schönthal und in der erzbischöf-
lichen Hauskapelle, Würzburg. Stilkritik und Ver-
gleich mit den Werken der Zeit führen zu den
schon angemerkten Resultaten. Die nächste Уег-
wandtschaft mit Kern haben die drei Junker (von
Hans die Aschaffenburger Schloßkapelle, von
Michael der Blutaltar in Walldürn). Sein Schwan-
ken zwischen strengerer Renaissance und barocken
Neigungen (die sich jedoch wesentlich nur im
Ornament zeigen, wo er als einer der Frühesten,
Schon um 1614, Knorpelwerk verwendet), ist ebenso
typisch wie der spielerische Aufbau der Archi.
tektur, die Vorliebe für Alabaster und der damit zu-
sammenhängende krause Reichtum des Plastischen
sowie die Verwertung zeitgenóssischer Stiche für
die bedeutenderen Relief kompositionen.
Den zweiten Bildhauer von Rang in der Familie
stellt Michaels Bruder Leonhard dar (1588— 1662).
Seine Haupttütigkeit vollzog sich auf dem Boden
der Elfenbeinschnitzerei, und darin ist er einer
der frühesten und bahnbrechenden, freilich nicht
bedeutendsten Meister. Aber dies; fällt außerhalb
der Gradmannschen Untersuchung (und ist von
Christian Scherer im Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunat-
sammlungen, Bd. 37 — 1916 — Heft IV begprochen
140
worden); sie behandelt nur seine Steinbildwerke,
unter denen die vier Monumentalfiguren an den
Nürnberger Rathausportalen von 1617 den ersten
Platz einnehmen. Als Künstler steht Leonhard
Kern tiber seinem Bruder; seine italienische Schu-
lung, seine eingehenden Aktkenntnisse sicherten
ihm einen Vorrang vor den übrigen Bildhauern,
auf welche diese Umstünde nicht zutrafen: jedoch
ist er von Natur weit schwerfülliger und sein Kreis
ausschließlich auf Aktdarstellungen beschränkt,
so daß er am Ende mehr einen Einzelfall in dem
plastischen Betrieb Deutschlands bildet als eine
wirkliche Erscheinung von Eigenwert. Seine
Elfenbeinwerke machen dies vollends klar.
Von den übrigen Mitgliedern der Familie kommt
nur noch Achilles Kern, der Sohn Michaels, in
Betracht, von dem einige große Grabdenkmäler
und vermutlich der Michaelsaltar іп Schönthal
herrühren. Er starb 1691 und führte die Kunst
des dekorativen Halbbarock bis weit in die zweite
Hälfte des 17. Jahrhunderts.
` Eine sorgfältige, 66 Nummern umfassende Samm-
lung archivalischer Belege endigt den stattlichen
Band. Paul F. Schmidt,
W.FR. VOLBACH, Der heilige Georg.
Bildliche Darstellung in Süddeutschland
mit Berücksichtigung der norddeutschen
Typen bis zur Renaissance. Mit 35 Ab-
bildungen auf acht Tafeln. Studien zur
deutschen Kunstgeschichte, Heft 199.
J. H. Ed. Heitz, Straßburg 1917.
Die christliche Ikonographie, das so unendlich
wichtige Hilfsgebiet der Kunstgeschichte, weist
noch zahlreiche Lücken auf, Eine davon zu
füllen, ist die Aufgabe des vorliegenden Buches.
Der Verfasser hat sich den deutschen Lieblings-
heiligen Georg gewählt, um an ihm den Reich-
tum der Auffassungen, mit dem die deutsche
Kunst den Heiligen behandelt, abzuwandeln. Die
Untersuchung entstand „sowohl aus rein ikono-
graphischem Interesse, als auch, um durch die
gewonnenen Resultate noch nicht lokalisierte Werke
einer bestimmten Landschaft und Schule zuweisen
zu können.“ Für diesen Doppelzweck ist der bl.
Ritter Georg um seiner weit verbreiteten Kultur
willen die geeignetste Persönlichkeit. Die Auf-
teilung erfolgte streng schematisch in die ver-
schiedenen Typen: Georg zu Fuß, zu Pferd, mit
Drache, ohne Drache, mit Schild, mit Fahne;
Lanzenkampf, Schwertkampf; sonstige Darstellun-
gen aus der Legende. Der Kult des Heiligen,
seit dem 6, Jahrhundert im Norden nachweisbar,
beginnt in ausgebreiteter Weise erst im 12. Jahr-
hundert. Darstellungen des Drachenkampfes er-
scheinen nicht vor ca. 1230. Die frühesten Dar-
stellungen zeigen den Heiligen zu Fuß, ohne
Drachen. Seit dem 14. Jahrhundert entwickelt
sich der Drachenkampf als das herrschende Motiv.
Der Drache ist, als Fabeltier der Phantasie weiten
Spielraum gebend, vielgestaltig, doch immer inner-
halb der Grenze des Tierhaften; als wirklicher
Teufel — wie häufig bel St. Michael — tritt er
nicht auf. Volbach kennt nur ein Beispiel, eine
Miniatur von 1436, wo der Drache teufelartig ge-
bildet ist. Dieses Blatt enthält auch das seltene
Motiv desKampfes wider den fliegendenDrachen,
das sich, wohl auch gans vereinzelt, auf dem
schönen Stich des Meisters von Zwolle (Кагів-
ruher Kupferstichkabinett Nr, 2968) wiederfindet.
Eine dankenswerte Feststellung ist die Lokalisie-
rung des hundsartigen Drachen für Frankreich.
Hierdurch konnte der Holzschnitt des Germ. Nat.-
Museums, Schreiber 1447, den Bouchot in Parallele
mit dem Drachenkampf eines französischen Leder-
küstchens im Sigmaringer Museum als franzósisch
bezeichnet, der deutschen Kunst zurückgegeben,
konnte für die oberrheinische Malerei (Meister
von 1445) ein neuer Beleg für burgundische Be-
einflussung erbracht werden. Dagegen scheint
mir bei dem Meister von 1445 in der Beigabe
der verwesenden Leiche vor der Drachenhühle
ein italienischer Einfluß nicht bedingt, da dieses
Motiv auch der Kóiner Meister der Georgslegende
verwendet. Wünschenswert wäre eine Erklärung
über das Auftreten des zweiten Drachen (8. 54,
70, 78/79) gewesen. Ist dieser wirklich das Drachen-
junge, wie V. angibt, und wenn, existiert im Georgs-
mythus ein Anhaltspunkt dafür? Oder handelt es
sich, wie ich, wenigstens bei der Sierenzer Tafel
annehme, um einen Fall von Juxtaposition? Für
eine Gruppe kleiner Alabasteraltärchen in Weißen-
burg, im Germ. Museum und im Nationalmuseum
zu München erbrachten die ikonographischen
Merkzeichen die nähere Lokalisierung auf Franken,
wodurch meine Vermutung (Zeitschr. f. chr. K.,
1916, S. 61), daß Dürer das Alabasterrelief des
Germ. Museums — dessen Qeorg sich als Vor-
bild zu Dürers ,Christlichem Ritter^ trotz spott-
reich gewappneter Anrempelung (Kchr. 1016,
Sp. 409—123) nicht aus dem Sattel werfen läßt —
kannte, eine Stütze erhält.
Ein wichtiges Ergebnis ist die einwandfreie Zu-
weisung des Teigdrucks aus der Weigeliana (Weigel
und Zestermann 401, Schreiber 2844) an den Mittel-
rhein vermóge ikonographischer Übereinstimmung
mit einer Tonform aus Nierstein (S. 67); ebenso
der Hinweis, daß die Schrotblätter, Schreiber 2633,
2635, 3636 in Burgund bzw. unter burgundischem
Einfluß entstanden sind. Nicht als Georg hat
sich der bisber als solcher angesprochene Ritter
vom Memorienportai des Mainzer Doms erwiesen.
Dies nur einige Beispiele aus der Fülle des Ge-
botenen. Volbach hat das über den Heiligen reich-
lich vorhandene Material fleißig genutzt, gründ-
lich gesiebt und seine Schlüsse daraus mit sach-
licher Vorsicht und Gewissenhaftigkeit gezogen.
So ist diese ikonographische Georgsmonographie
ein sehr brauchbares Buch geworden, das beson-
ders bei der Lokalisierung von Kunstwerken treff-
liche Dienste leisten wird. Mela Escherich.
AUGUSTIN HIRSCHVOGEL, Ein deut-
scher Meister der Renaissance. Von
Karl Schwarz. Verlag Julius Bard, Ber-
lin 1917.
Bisher ist man ап Hirschvogel ziemlich achtlos
voriibergegangen. Man kannte wohl seine Land-
schaften und sollte ihnen anerkennende Worte,
brachte auch seinen Namen mit verschiedenen
kunstgewerblichen Erzeugnissen in Verbindung,
begnügte sich aber im allgemeinen mit kurzen
Notizen. Nicht einmal die biographischen Daten
waren unzweideutig festgelegt, so daß man den
widersprechendsten Angaben über sein Geburts-
jahr und Leben begegnete. Auf Grund eingehen-
der Forschung wird bier zum ersten Male ein Bild
von 'dem Leben und Schaffen dieses in seiner
Eigenart noch nie gebührend gewürdigten Künst-
jere, dessen Gesamterecheinung die eines der viel-
seitigsten und charakteristischen Renaissance-
meister darstelit, entworfen und in den Rahmen
seiner Zeit eingefügt.
Eine Reihe neuer Entdeckungen, so vor allem
die Auffindung eines großen Zyklusses von Feder-
zeichnungen und Scheibenrissen — die umfang-
reichste Serie, die aus dem 16. Jahrhundert be-
kannt ist — die Ergänzung des gıaphischen
Werkes um eine Reihe bisher unbekannter, be-
deutender Radierungen, die Festlegung vieler
Lebensdaten ergänzen die allgemeine Anschauung
über den Künstler und gestatten dem Verfasser,
in einem stattlichen, dazu gut ausgestatteten Bande
die Monographie Hirschvogels den übrigen Biogra-
phien altdeutscher Kunst einzureihen.
In allen Kapiteln dieses trotz seiner strengen
Wissenschaftlichkeit angenehm lesbaren, trotz
seiner Prägnanz nicht trocken wirkenden Buches
finden sich interessante Neuerungen gegenüber dem
bisher über Hirschvogel, oft an schwer zugäng-
lichen Stelien veróffentlichtem Material.
141
` Kapitel I enthält eine genaue Festlegung des
Stammbaumes, Richtigstellung seines Verhültnisses
zum Kuggtgewerbe, besonders zu der durch Neu-
dörffer entstandenen Konfusion betreffend das Kom-
pagniegeschäft mit der Hafnerwerkstatt Nickel-
Reinhardt.
Kapitel II behandelt Hirschvogels geometrische
Studien und Pläne. Besonders wertvoll erscheinen
seine Arbeiten für den Freiherrn von Herberstain,
die er als Illustrator seiner Werke fertigte, unter
Anlehnung an die Burgkmairsche Genealogie. Der
dritte Abschnitt stellt auf Grund wertvoller, in
Ungarn gemachter historischer Funde das Ver-
hältnis Hirschvogels zu dem ungarischen Magna-
ten Peter Perényi zum ersten Male fest und bildet
nicht nur eine Erweiterung unserer Kenntnis des
Künstlers, sondern bietet auch ganz neue Auf-
schlüsse zur Geschichte der Reformation in Ungarn.
Im vierten Abschnitt wird das große, bisher völlig
übergangene Verdienst Hirschvogels als eines
Forschers auf dem Gebiet der praktischen Geo-
metrie gewürdigt. Er verdient als der Erfinder
der Triangulierung in der deutschen Wissenschaft
einen Namen, was ап der Hand seiner Befesti-
gungspläne und Basteibauten nachgewiesen wird.
Kapitel III behandelt das graphische Werk in
Einzeluntersuchungen der verschiedenen Blätter
und unternimmt eine Einfügung der bisher un-
bekannten Radierungen in das vorhandene Material.
Kapitel IV enthält die wichtige kunsthistorische
Feststellung, daß nicht alle bisher unter dem
Namen Hirschvogel segelnden Zeichnungen von
seiner Hand stammen, daß dagegen der in Buda-
pest befindliche Zyklus von Federzeichnungen un-
bedingt vom Künstler herrührt, wodurch das
Schaffensbild des Meisters erst seine volle Ab-
rundung erhält und die in
Kapitel V unternommene Gesamtcharakteristik
seines künstlerischen Wirkens und Einordnung in
die geschichtliche Entwicklung rechtfertigt.
Es folgen wissenschaftliche Anhänge wie Re-
gesten, Beilagen aus den schriftlichen Aufzeich-
nungen Hirschvogels, ein ausführliches Literatur-
verzeichnis und ein wohl mit der größten Genauig-
keit durchgeführter Katalog seiner Werke.
G. J. Kern.
— — —UEäĩ—— — —
RUNDSCHAU .
DER CICERONE.
X, 7/8.
A. L. MAYER: Münchener Malerei von 1870 bis
1890. (7 Abb.)
D. HEUBACH: Ein Werk des Bildhauers Lan-
dolin Ohmacht. (1 Abb.)
H. FRIEDEBERGER: Die Corinthausstellung der
Berliner Sezession.
DIE KUNST.
XIX, 7.
AUGUST L. MAYER: Toni von Stadler.
12 Abb.)
(x Taf.,
Н. A. SCHMID: Böcklin und die alten Meister II:
die reifen Jahre. (r4 Abb.)
ADOLF SCHINNERER : Wilhelm Gerstel, (13 Abb.)
K. SCHW.: Der Samariterbrunnen in Homburg.
(x Taf.)
,UM x800". Innenausstattungen und Móbel aus
der Zeit um 1800, (1 Taf., a1 Abb.)
WILHELM MICHEL : Frankreich und das deutsche
Kunstgewerbe.
W.: Zu Ferdinand Spiegels dekorativen Bildern.
(s Abb.)
RICH. MEYER: Spielzeug aus der Hamburger
Kunstgewerbeschule. (8 Abb.)
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION.
XXI, 6.
ARTHUR ROESSLER: Der Bildnismaler Victor
Hammer. (1 Taf, 4 Abb.)
JOS. AUG. BERINGER ; Edmund Steppes-Miinchen.
(2 Taf., 5 Abb.)
OSCAR GRAF - BERG: Adolf Büger - München.
(x Taf., 2 Abb.)
OTTO SCHULZE-ELBERFELD: Scherenschnitte
Walter Kampmanns. (і Taf, xo Abb.)
FRANZ SERVAES: Neue deutsche Tapeten. (a farb.
Taf., 9 Abb.)
EMIL UTITZ: Kunstgewerbliche Graphik: Fest-
und -Eintrittskarten von Cipriani und Bartolozzi.
(9 Abb.)
GEORG HABICH: Neue Münchener Medaillen.
(ax Abb.)
Ex libris von ADOLF M. SCHWINDT. (12 Abb.)
JOS. AUG. LUX: Gustav Klimt +.
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 7.
KARL SCHEFFLER: Erich Heckel. (8 Abb.)
WERNER. WEISBACH: Matthias Grünewald.
(11 Abb.)
Junghanns.
EDUARD PLIETZSCH: Neuerwerbungen des Ber-
liner Museums. (1 Taf, 5 Abb.)
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
Neue Folge, XXIX, 6.
FRANZ DULBERG: Über den Bildhauer Frederik
Engel Jeltsema. (10:Abb.)
AUGUST L. MAYER: Die spanischen Handzeich-
nungen in der Kunsthalle zu Hamburg. (10 Abb.)
HANS F. SECKER: Ein Frühwerk van Dycks
im Danziger Stadtmuseum. (3 Abb.)
HANS WOLFF: Graphische Arbeiten von R. R.
(6 Abb.)
Neue Folge, XXIX, 7,
HEINRICH WOLFFLIN: Jacob Burckhardt. ( Taf.)
HANS F. SECKER: Beitrige zur Dürerforschung.
L Dürer und Mantegnas Fresken in Padua. (13 Abb.)
JULIUS VOGEL: Das Freskobild des Erzengels
Michael im Museum der bildenden Künste zu
Leipzig. (a Abb.)
BERLINER MÜNZBLATTER.
XXXIX, 195/196.
EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als kurbranden-
burgische Münzstätte.
KARL W. SCHERER: Ein Beitrag zur pfälzi-
schen Münzkunde (Nachtrag) (і Taf, 3 Abb.)
E. BOHLEN: Zur Vierhundertjahrfeler der Re-
formation.
L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1016-1018.
M. v. B.: Zum Goldschatz von Brescello.
DEUTSCHLANDS KUNST.
1918, 1. |
(Zeitschriftdes Bundes der Freunde deutscher Kunst.)
HANS WOLFGANG BEHM: Unser Weg. Ein
Frontwort zum Wesen deutscher Kunst, (x Abb.)
RICHARD BRAUNGART: Leo Samberger. (1 farb.
Taf., 14 Abb.)
ARTHUR DOBSKY : DerBilderschmuck des Hauses
einst und jetzt. (12 Abb.) |
HANS WOLFF: Meister der Zeichnung. (10 Abb.)
WILLY DOENGES: Johann Joachim Winckel-
mann.
ERNST COLLIN: Deutsche e
im Kriege.
143
OUDE KUNST.
J. F. M. STERCK: Twee allegorieén op Rubens’
huwelijken. (2 Abb.) |
M. F. HENNUS: Jets over Benjamin Bolomey
en sijn gegraveerde portretten. (8 Abb.)
FRITZ HAVELAAR: Ommegang door onze Musea.
(4 Abb.)
N. G. v. HUFFEL: Een Familiengroep van Jo-
AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.,
XXXIX, 7.
FRITZ ` GOLDSCHMIDT: Ein Plakettenmeister
der Riccio-Werkstatt. (7 Abb.)
W.SCHUBART: Aus der Papyrussammiung: Ein
Privatbrief aus Alexandreia.
hannes Buns. (1 farb. Tafel, x Abb.)
XI. Jahrgang, Heft 5.
Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN, 2.26 im
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER,
Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK-
HARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. |
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Euleratr. 65.
Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13 467.
— ——— ͤ —6ä——]— —U 1
Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be-
stimmten Mitteilungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15. Uhland-
straße 158 zu richten.
Die Monatshefte für Kunst wissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
144
|
|
|
DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER
DER PAPSTE VON AVIGNON
Mit vierzehn Abbildungen auf sieben Tafeln Von ERNST STEINMANN
eßt endlich die Herrschaft der reinen Philosophie ihren Anfang nehmen!
15 Franzosen! Zerstört die Grabdenkmäler! Ihr dürft nicht zögern! Laßt die
Könige von Saint-Denis verfaulen an der Seite jener Unglücklichen, die ihre Uppig-
keit gezwungen hat, in Armut zu sterben. Zerstört die Grabdenkmäler der Könige,
und in Eueren Verwaltungsbezirken wird man die Denkmäler der Herzöge zer-
stören — und bald werden überall diese stolzen Überreste der Tyrannei der’ einen
.und der Knechtschaft der anderen vernichtet sein, die Zeugnis ablegten von Fana-
tismus und Unwissenheit und von dem allgemeinen Unglück verflossener Geschlechter.“
So schrieb Lequinio, der Bürgermeister von Rennes, das Mitglied des National-
konvents, der „Bürger des Weltalls“ in einem Buch, das er im Jahre 1792 unter
dem Titel; Les préjugés détruits herausgab!) Seine Stimme verhallte nicht un-
gehört. In jenem Dekret vom 1. August 1793, das mit einer feierlichen Beschwörung
der „feigen, niederträchtigen und grausamen“ Politik der britischen Regierung
beginnt, heißt es im Artikel XI: Die Grabdenkmäler und Mausoleen der früheren
Könige, die in der Kirche von Saint-Denis, in den Tempeln und anderen Ortes er-
richtet worden sind, werden im Bereich der Republik am то. August zerstört werden)).
Wenige Wochen spüter, am 7. September, erhob Lequinio im Nationalkonvent
öffentliche Anklage, daß die Zerstörung der Königsdenkmäler noch immer nicht be-
endigt sei, dann begab er sich sofort als Abgesandter des Konvents іп die Vendée ).
Er vergaß nicht, seine „zerstörten Vorurteile“ mitzunehmen, und wir hören, daß er
es sich angelegen sein ließ, vor versammeltem Volk seine Grundsätze darzulegen
und Abschnitte seines Buches vorzulesen‘).
Wer in Saint-Denis die wiederhergestellten Königsgräber betrachtet, „dies ent-
setzliche Durcheinander von Trümmerstücken jeder Art und jeder Zeit“), wer in
Aix nach den Denkmälern der Grafen von Provence, in Troyes nach den Grab-
mälern der Grafen der Champagne fragt, — die vom Erdboden verschwunden
sind — wer in Bourges das wenige aufsucht, was von den Denkmälern des
prachtliebenden Jean de Berry übrig blieb, oder wer in Souvigny vor den schauer-
lich verstiimmelten Grabsteinen Karls I. von Bourbon und seiner Gemahlin Agnes
von Burgund gestanden hat — der erkennt mit Schaudern die schreckliche Ernte
einer fürchterlichen Saat. „Allmächtiger Gott,“ hatte einmal Jean Jacques Rousseau
ausgerufen, „befreie uns von der Kultur und den todbringenden Künsten unserer
Väter, gib uns die Unwissenheit, die Unschuld und die Armut zurück!
Das Los, das den Palästen beschieden war, konnte den Kirchen nicht erspart
bleiben. Was die Könige und Herzöge Frankreichs über sich ergehen lassen mußten,
(1) Les préjugés détruits par J. M. Lequinio, membre de la Convention nationale et citoyen du globe.
Paris 1792, S. 299 und зоо. Vgl. Quérard, La France littéraire V, 201. Das Buch erlebte bereits im
folgenden Jahre eine neue Auflage.
(а) Vgl. J. Guillaume, La destruction des tombeaux des rois in La Révolution francaise 52 (1907),
8. 332. Quillaume unternimmt es hier, die Zerstórung der t zu rechtfertigen.
(s) Guillaume, a. a, O., 8. 333.
(4) La Révolution francaise 28 (1895), S. 124 (Ch. L. Chassin, La mission de Lequinio et de е
& Rochefort et еп Vendée.
(5) Montalembert, Oeuvres. Paris 1861. VI, 293.
Monatshefte {fir Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 6 18 145
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das war von den Püpsten uhd Kirchenfürsten nicht mehr abzuwenden. Denn mit
dem Kónigtum wurde auch das Christentum in Acht und Bann getan. Die herr-
lichsten Kathedralen Frankreichs wurden in nlichterne Tempel der Vernunft ver-
wandelt!, in denen man systematisch zu zerstóren suchte, was an den alten
Glauben erinnerte, und Robespierre selbst führte den Kultus des ,,Hóchsten Wesens“
ein, als dessen Hoherpriester er verehrt zu werden wünschte).
Man sah im alten Frankreich häufig die Päpste derselben Ehren teilhaftig werden
wie die Кӛпіре selbst. Über einem der Stadttore in Lille thronte der Apostel-
fürst selbst in vollem päpstlichen Ornat*) An den Portalen der Kathedralen von
Chartres und Reims sieht man noch heute zwischen den Statuen der Könige auch
Püpste stehen mit Stola und Dalmatica und der einfachen spitzen Tiara, noch
ohne die dreifache Krone*) Vor allem aber begegnete man vor der Revolution
Bildnissen und Statuen von Püpsten in der bilderreichen Hauptstadt Frankreichs.
Aber wo sollen wir heute die Statue Papst Cólestins, des Vorgängers Bonifaz VIIL,
suchen, die einst die Mitte des Hauptportals seiner vom Erdboden verschwundenen
Kirche zjerte, die mit Saint-Denis und Notre-Dame zu den ehrwürdigsten Denk-
mälern Frankreichs zählte“)? Wo sind die Papstbildnisse geblieben, die noch
Thiéry in der Sorbonne betrachten konnte“), oder die Wachsstatuen Gregors IX.
und seines Nepoten (2), die Lemée beschrieben hat’), oder das Bildnis Gregors VII.
mit der GeiBel in der Hand als ,Flagellum Principum" in Saint-Germain dar-
gestellt, von dem Sauval zu berichten weiß?!) An jenem Tage, als man in Paris
im Garten des Palais Royal den Papst in effigie verbrannte, wurde auch seinen
Bildnissen in Frankreich das Todesurteil gesprochen?).
Daujon, der berüchtigte ,,Kiinstler“, den die Regierung beauftragt hatte, alle
Zeichen der Tyrannei von Kirchen und Palüsten zu entfernen, begann sein zer-
(1) Grégoire berichtet in seiner Geschichte der Sekten (Bd. I, S. 87), daß im Laufe von ao Tagen
nicht weniger als 2346 Kirchen in Tempel der Vernunft umgewandelt wurden. Das bedeutete die
Zerstörung aller Heiligenbilder, die Vernichtung aller Abzeichen des christlichen Kultus, der kirch-
lichen Geräte, Paramente usw. Fast immer beschloß ein solches Fest ein Tanz um den Scheiter-
haufen, auf dem alles verbrannt wurde, was früheren Jahrhunderten verehrungswürdig erschienen war.
(2) Aulard, Le culte de la Raison, S. 364. Als der schwerverwundete Robespierre in der Nacht vom
9. auf den 10. Termidor Tinte und Feder verlangte, hóhnte der Gefängniswärter: As-tu dessin d'écrire
А ton Etre suprème?
(3) Rohault de Fleury, La messe. Paris 1889, VIII, 142. i
(4) A. de Baudot, La sculpture française. Paris 1878, P1. XVII und Vitry et Brière, Documents de
sculpture française du Moyenáge, Paris 1904, Pl. XLIII, 3 und Pl. LXVI, 4.
(5) Abgebildet bei Millin, Monuments français (Antiquités nationales), Paris 1802, I, a, 8. 11. Vgl. über
die Zerstórung der Kirche: Revue universelle des arts VI, 1857, 8. 411 und Lebeuf, Histoire de Paris.
Paris 1883— 1890, I, 330 und VII, 340.
(6) Thiéry, guide des amateurs . . à Paris. Paris 1787, II, 338: Dans la grande salle des actes se
volent les portraits des papes depuis Benoit XIV, Be: faits & la Sorbonne, par chacun des Pon-
tifes regnans.
(7) Traité des statues. Paris 1688, S. 58: in Notre-Dame. Ebendort sah man nach Éméric David
(Histoire de la sculpture francaise. Paris 1853, S. 103) eine Statue von Benedict XL Bonfons (Anti-
quitez de Paris, Paris 1608, S. 198) endlich spricht von Gregor Il. Er sah noch die Säulen, auf
denen diese und eine andere Wachsstatue nn hatten. Welcher Papst wirklich dargestellt war,
wird schwer zu entscheiden sein. ! |
(8) Histoire et recherches des antiquités de la Ville de Paris, 1724, II (Anhang), S. 35. Von gans
besonderem Interesse müssen die Glasgemälde mit der Darstellung von Päpsten, Kaisern, Königen
und Kirchenfürsten als Winzer gewesen sein, von denen Sauval S. 33 spricht,
(9) Gautherot, Le Vandalisme jacobin. Paris 1914, S. 24.
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stirendes Werk im Januar 1793 in Saint-Pierre-de-Caillot. Drinnen und draußen
vernichtete er die püpstlichen Insignien von Schlüssel und Tiara und ersetzte sie
auch wohl durch eine rote Jacobinermütze. Man bewilligte ihm für die Arbeit,
die er so „sauber“ ausgeführt hatte, einen Lohn von 431 livres und то sous!!)
Mit bewuBter Absicht ließ man damals in Frankreich vielleicht nur eine einzige
Papststatue unangetastet, jene Marmorstatue Clemens V., die man noch heute am
Nordportal der Kathedrale von Bordeaux betrachten kann. Der schnóde Witz eines
Jakobiners rettete sie: ,, Man lasse Clemens V., wo er ist, als Portier des Tempels des
Höchsten Wesens“, schlug er vor). Und dieser Vorschlag wurde angenommen.
Schon im Jahre 1110 wurde ein römischer Papst in Frankreich begraben und
durch ein marmornes Grabdenkmal geehrt. In diesem Jahre starb Papst Gelasius II.
(1118—1119) in der Abtei von Cluny und wurde ,,zwischen Kreuz und Altar“ im
hohen Chor der Kirche beigesetzt?). Jedermann kennt das furchtbare Schicksal der
herrlichen Abtei und ihrer Denkmäler in der französischen Revolution. „Ihr habt
Eure groBe und schüne Kirche verkaufen und zerstóren lassen,* antwortete Napo-
leon I. den Abgeordneten von Cluny in Macon, als sie ihn baten, ihre Stadt zu be-
suchen. „Geht! Ihr seid Vandalen; ich werde Cluny nicht besuchen!“) Am
29. November 1793 wurden Kirche und Kloster von Cluny der Plünderung preis-
gegeben") Die Gräber wurden zerstört und geschändet, die gemalten Fenster-
scheiben zerbrochen, die Denkmäler in Stücke geschlagen. Am nächsten Tage
aber wurde ein mächtiger Scheiterhaufen angezündet, auf dem man alles Kirchen-
gestühl, die Holzstatuen, die Manuskripte, die Bücher, die kirchlichen Gewänder in
Flammen aufgehn sah. Die Kirche wurde verkauft und bis auf das Querschiff
abgetragen. Damals ist auch das Grabmal ‚Gelasius IL, wenn es nicht schon früher
zugrunde ging, vom Erdboden verschwunden.
Das war während der Herrschaft des Schreckens das Schicksal von vielen hun-
derten von Kirchen in Frankreich. Als Joachim H. Campe im Jahre 1802 von
London nach Paris reiste, kam er nach Montreuil, wo man einmal fünf oder sechs
Kirchen sah). „Es stand davon nicht eine mehr,“ schreibt er, „alle lagen in
Schutt. Wir hatten ein ganzes Heer zerlumpter, junger Barfüßler hinter uns, die
uns anbettelten. Einer der Mitreisenden ergriff, als wir gerade bei einer nieder-
(1) Gautherot, Le Vandalisme jacobin. Paris 1914, S. 144.
(2) E. Mintz, La tiare pontificale du VIII. au XVI. siècle in Mémoires de l'institut national de France
XXXVI (1898), 8. 376, Anm. 2. Die Statue Clemens V. ist hier abgebildet. Der Kopf des Papstes
und seins rechte Hand sind moderne Ergänzungen. Vgl. Courajod, Musée de sculpture comparée
(Trocadéro). Paris 1893, 8. 8, Nr. 611. i
(s) Ciacconius, Vitae et res gestae Pontificum. Romae 1677, 1, g31: Visitur monumentum ejus inter
crucem et aram, quae est post chorum magnae basilicae, marmoreum quidem illud sed ex lapide can-
dido, opere Tusco constructum. Ob Gregor VI. (1044—1046) in Cluny oder in Sankt Peter in Rom
beigesetst war, läßt schon Ciacconi unentschieden. Vgl. E. Müntz, Les tombeaux des papes en
France in Gazette des Beaux Arts, Bd. 36 (1887), 8. 276.
(4) Vgl. Sommerard, Les arts au moyen age (1838), III, 192 und C. Pelargus, Vorrede zu Lorain,
Geschichte der Abtei Cluny, Tübingen 1858, 8. III und 8. 68,
(s) Bruel, Fr. L., Cluni, Album historique et archéologique (1910), S. 6 und 7.
(6) Reise durch England und Frankreich in Briefen an einen jungen Freund in Deutschland. Braun-
schweig 1803, II, 131. Campe gehörte damals zu den uneingeschränkten Bewunderern der franzö-
sischen Nation. Es handelt sich also um ein ganz objektives Zeugnis auch bei den furchtbaren Ver-
wüstungen, die er sonst noch auf dieser Reise, z. B. in Amiens und Chantily vorfand. Trotzdem
konnte er schreiben (a. a. O., S. 173): ,Wahrlich, die Franzosen sind keine Barbaren, wofür sie
damals durch gans Europa ausgeschrien wurden!"
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gerissenen Kirche vorbeigingen, einen von diesen scherzend beim Schopfe und
sagte: ,Schlingel, hast du diese Kirche eingerissen?‘ ‚Nein,‘ antwortete der Junge
in festem Tone, ,das hat das franzósische Volk getan, — non! c'est la nation qui
l'a fait.“
Nicht weniger bezeichnend für die Zerstürungswut, die während des Schreckens
und vorher und nachher ganz Frankreich erfaft hatte, ist ein anderes Reiseerlebnis,
das Pujoulx in seinem Buche über Paris erzühlt!) Er fuhr im Jahre 1794 in der
Post mit zwei Reisenden zusammen, die ihm erzählten, sie führen nach Paris,
um dort die Mittel für die Errichtung eines Getreidespeichers beim Nationalkonvent
durchzusetzen. Erstaunt fragte ich sie, ob sie denn gar kein öffentliches Gebäude
besäßen. — „Nicht ein einziges,“ lautete die Antwort. „Zwar hatten wir eine
große und schöne Kirche, aber wir haben sie zerstört.“ — „Warum denn?“ fragte
ich naiv und unbesonnen. — „Wir haben es doch gesagt,“ antworteten beide zu-
gleich, mit einem Ausdruck, den ich nicht wiederzugeben vermag — „ез war eine
Kirche!“
Die uneingeschränkten Bewunderer der französischen Revolution und alle die,
welche von vornherein entschlossen sind, jeden Akt des Vandalismus zu beschönigen,
berufen sich auf eine Anzahl von Dekreten des Nationalkonvents und anderer In-
stanzen, in denen die Denkmäler in Schutz genommen werden, in denen sogar
solchen schwere Strafen angedroht werden, die sich an ihnen vergreifen würden.
Sicherlich fehlte es nicht an erhaltenden Tendenzen, die in der rastlos rettenden
Tätigkeit von Alexander Lenoir und in Grégoires berühmten Berichten den stärk-
sten Ausdruck finden. Es wurden ausführliche Instruktionen abgefaßt, wie Kunst-
schätze zu unterhalten seien, es wurden Inventare angelegt, es wurden feierliche
Gesetze gegeben. „Man sieht,“ schreibt Courajod?), „wie der Konvent, die Kom-
mission der Monumente, die zeitweilige Kommission der Künste von einem wirk-
lich guten Willen beseelt sind. Aber sie sind meistens völlig machtlos gegen eine
geheime, oft unbewußte Kraft, die die Seele der Revolution war und sie drängte,
die Vergangenheit in allen ihren Erscheinungen zu verfolgen, vor allem aber im
Stein, im Marmor und im Erz. Allen diesen Instanzen gehorchte man, wenn sie
(1) J. B. Pujoulx, Paris à la fin du XVIII. siècle (1801), S. aor. Vgl. hierzu einen Bericht aus Paris
vom I6. September 1796 im Teutschen Merkur 1796, III, S. 282 Anm.: ,Eine kleine, arme, in einem
entlegenen Winkel der Vogesen gelegene Dorfgemeinde versammelte sich im Herbste 1780 an einem
schönen Abend; gewaffnet mit Beilen, Hämmern, Hacken, Schaufeln u. dergl. zogen sie frohlockend
aus und rissen unter lauten Ausrufungen einen noch stehenden Bogen einer alten zerfallenen, eine
Viertelstunde vom Dórfchen gelegenen Halle nieder. Ein Vorbeigehender fragte sie, warum sie das
täten. „Ei ja," antworteten sie, „wir hätten den Schimpf nicht auf uns gelassen, daß wir nicht auch
gerevolutzt und das alte Wesen bei uns zerstört hätten.“ Mich dünkt, dieser Zug ist ebenso charak-
teristisch für die Jahre 1789 und 1790, als es wahr und charakteristisch ist, daß man in den Jahren
1793 und 1794 viele Landgemeinden überreden wollte, daß sie keine guten Patrioten wären, wenn sie
nicht einen oder etliche ihrer reichsten Mitbürger als Volksverräter zum Blutgerüste schicken wollten.“
(a) Courajod, Alexandre Lenoir (Paris 1878), I, 32. Auch Gautherot (a. a. O., S. XI) schreibt bei der
Besprechung des Buches von Rücker (Les origines de la conservation des monuments historiques en
France. 1790—1830, Paris 1913) die beachtenswerten Worte: M. Rücker — et les auteurs de son
école — ne voient pas surtout, ou font suffisamment voir à quel point sont fallicieux les textes
législatifs de la „grande époque". C'est une forêt vierge, qui réserve aux pionniers de la vérité de
fait, les pires surprises. Als einer der ersten hat sich Hennin in den Monuments de l'histoire de
France eingehender mit dem Thema beschäftigt und, obwohl im einzelnen überholt, wird man seine
Ausführungen — Destinée des Monuments historiques — auch heute noch mit Nutzen und Interesse
lesen. I (Paris 1856), S. 155 ff.
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befahlen zu zerstören, aber man gehorchte ihnen nicht mehr, wenn sie befahlen
zu erhalten. Denn die Revolution bedeutete fiir die Massen die Vernichtung und
den völligen Untergang der Vergangenheit.“
Aber es fehlte nicht nur die Macht, sondern auch ein zielbewuBtes Streben, eine
wirklich durchgreifende Energie, die sich entschlossen zeigte, konsequent zu han-
deln und dem Gesetze die wirksame Kraft zu verleihen. Im Gegenteil! Die Ab-
gesandten des Nationalkonvents unterstützten mit ihrer uneingeschrünkten Autorität
das furchtbare Werk der Zerstörung. Man lese die Erlasse, die Zerstörung aller
Wappen, aller Bronzen, aller Glocken, der kirchlichen Geräte, der Grabdenkmäler
und der Königsstatuen betreffend, man lese den Erlaß des Prokonsuls Aristide
Couthon vom 8. Frimaire an II (28. November 1792), als er in der Auvergne das
Evangelium der Revolution verkündigte!): „Der Magistrat von Riom wird noch
heute aus seinem SchoBe eine Kommission ernennen, der vier Abgeordnete der
Volksgenossenschaft und vier Abgeordnete des Sicherheitsdienstes beizuordnen sind.
Diese Kommission wird hierdurch bevollmüchtigt, sich in die Kirchen und an an-
dere Orte zu begeben, wo Bilder und Statuen von Heiligen oder andere Embleme
des katholischen Kultus zu finden sind. Sie werden alles zusammentragen lassen, und
man wird der Vernunft und der Philosophie öffentlich einen Scheiterhaufen errichten.“
Und was tat Garnier in der Kathedrale von Mons, als er von der Kanzel aus
dem Volke das neue Evangelium der Vernunft verkündigte? Als die Gemüter
schon aufs äußerste erregt waren, schrie er plötzlich: „Fallt zu Boden, ihr ge-
meinen Abzeichen des Aberglaubens,“ und gleichzeitig feuerte er eine Pistole in die
Luft. Und plötzlich stürzten krachend und klirrend nach vorher getroffener Verein-
barung alle Kreuze, alle Gemälde, alle Heiligenstatuen zu Boden?).
Scheiterhaufen wurden seit dem 10. August 1792 überall in den Städten Frank-
reichs errichtet, und zahlreiche Berichte bezeugen uns noch heute, daß nicht nur
die bewegliche Habe der Kirchen, sondern auch ganze Bibliotheken und Archive
bei solchen Festgelegenheiten ein Raub der Flammen wurden’).
Avignon, der Stadt der Päpste, der Stadt der tausend Glockentürme, der tünen-
den Stadt, wie sie Rabelais genannt hat, ist es bei dieser Gelegenheit nicht besser —
nein, noch schlechter ergangen als den meisten Städten der neuen Republik.
Leider ist das Manuskript Calvets: Über die Verwüstung der Stadt Avignon im
Jahre 1794 — noch immer nicht verüffentlicht worden. Wir kennen nur Auszüge,
und diese beschrünken sich auf allgemeine Bemerkungen*) Aber wenn wir sie
lesen, so sehen wir, wie recht der Betteljunge in Montreuil hatte, als er die Nation
anklagte, die Kirchen Frankreichs zerstört zu haben. „Wir sehen die Tore der
(1) Francisque Mege, Le Puy-de-Dome en 1793 et le proconsulat de Couthon. Paris 1877, 8. 326.
(а) Aulard, Le culte de 1а raison et le culte de l'étre supréme (1793—1794). Paris 1892, 8. 187,
Anm. 2.
(3) Vgl. Aulard, a. а. O., 8. тот u. 137. Baleydier, Histoire de Lyon I, 86. Bordier, Los archives
de la France, spricht von 64 Verbrennungen von Departements-Archiven vom 10. August 1793 bis
` März 1794. „Die Verbrennungen,“ schreibt Boutaric, „haben aber bereits im Juni 1792 begonnen."
Revue des questions historiques XII (1872), 8. 329. Gautherot, a. а. O., 8. 339 ff. macht auf zwei
Publikationen aufmerksam, die das Autodafé der Archive in Abbéville und in Angers behandeln.
Leider sind derartige Lokalforschungen in den Bibliotheken Deutschlands nur in Ausnahmefällen zu
finden, und man darf mit Recht wünschen, daß es unter Deutschlands großen Bibliotheken wenigstens
eine gäbe, die sich die Anschaffung solcher Forschungen angelegen sein ließe.
(4) André Hallays, Avignon (Les viles d'art celébres), Paris 1011, S. 99, wieder abgedruckt von
Gautherot, Le Vandalisme jacobin, S. 18.
149
Stadt geschleift," schreibt Calvet, „die Zinnen ihrer Mauern abgebrochen, den
Palast der Päpste geplündert, die Kirchen zerstört, die Glocken zertrümmert, Klöster
von Münnern und Frauen, die einen dem Erdboden gleich gemacht, die anderen
verwüstet, die Gräber geöffnet, die Leichen der ehrwürdigsten Männer, der Päpste,
der Kardinäle, der Bischöfe entweiht. Die Bäume selbst auf unseren Spazierwegen
sind nicht verschont worden. Und diese Verwüstungen dürfen etwa nicht dem
Augenblick der Leidenschaft eines entfesselten Póbels zugeschrieben werden —
nein! Mit kalter Überlegung hat man sich an unseren Denkmälern der Architektur
und Plastik vergriffen. Die Maurermeister wurden Tag für Tag bezahlt, um die
Werke der Kunst zu vernichten.“
Ein Bericht, der der Redaktion des Magazin Encyclopédique bereits im Frühjahr
1795 über den Zustand Avignons nach den Verwüstungen der Revolution zuging,
ergünzt das wenige, was wir heute aus den Aufzeichnungen Calvets wissen, in
einigen bemerkenswerten Einzelheiten!) Hier werden die Denkmiler aufgezihlt,
die am meisten gelitten haben, und es lohnt sich der Mühe, diese Aufzeichnung
ungekürzt wiederzugeben. Es heißt hier:
„Die Kunstdenkmäler, die am meisten gelitten haben, sind folgende:
„Mehrere Grabdenkmäler der Metropolitan-Kirche, unter anderen das Denkmal
Johanns XXIL, das sehr bemerkenswert war.
„Der schöne Altar der Dominikaner mit seinem Baldachin, der von Säulen ge-
tragen wurde.
„Das prächtige Grabmal des Abts von Simiane Lacoste, das in der Kirche der
Benediktiner aufgestellt war. Diese Werke des berühmten Matthieu Pereu sind
fast alle zerstört?).
„Ein Grabmal des Geschlechts der Issards in der früheren Kapitelkirche von
Sankt Peter ist stark beschädigt. Es stellt Christus dar, der im Grabe liegt, mit
mehreren großen Statuen aus weißem Marmor. Dies Denkmal aus dem Jahr-
hundert Franz I. war eine sehr schöne Arbeit.
„Alle anderen Denkmäler der Plastik in den Kirchen Avignons sind zerbrochen
und zerstört.
„Die Gräber der Päpste in der Kathedrale, die goldenen Kelche und der ganze
Kirchenschatz sind zerbrochen oder gestohlen, wie die Monstranzen der anderen
Kirchen, von denen mehrere mit Diamanten besetzt sind.
„Ein anderes Grabmal, eine vornehme Frau, vor ihrem Betpult knieend, ist in der
Kirche der Celestiner zerstört worden?).
„Das kostbare goldene Kreuz, das denselben Brüdern gehörte, ein Geschenk des
Königs René, von gutem Geschmack und vollendeter Arbeit, trotz der Barbarei
(1) Extrait d'une lettre adressée aux rédacteurs du Magazin Encyclopédique sur l'état des monuments,
des objets de sciences et arts à Avignon in Magazin Encyclopédique I (1795) 2, S. 45.
(а) Michel Peru ist sowohl der Schöpfer des Hochaltars der Dominikanerkirche, wie des Denkmals
des Abtes Simiane Lacoste, das sich heute im Musée Calvet befindet. Vgl. Lami, Dictionnaire des
sculptures de l'école francaise sous le герпе de Louis XIV, Paris 1906, S. 403. Vgl. über beide
Kirchen und die furchtbaren Verwüstungen, denen sie anheimfielen, J. B. Joudou, Essai sur l'histoire
de la ville d'Avignon (Avignon 1853), 8. 407 u. 410—12: „Il n'y a plus rien de cette grande et belle
basilique,“ sagt Joudou von der Dominikaner-Kirche. „Tous les ouvrages d'art, tous ces souvenirs
de rois d'Aragon, de Louis de Tarente, de Jeanne de Naples, toute cette poésie du XIV. siécle, sont
enfouis dans les ruines,“ schreibt Joudou von der Benediktiner-Kirche.
(3) Vgl. über den Vandalismus in dieser Kirche, einer Schöpfung des Gegenpapstes Clemens VII,
Joudou, a. а. O., S. 413— 416.
150
des Jahrhunderts, in dem es entstand, wurde am Ende des Jahres 1792 zerbrochen. Man
trug ein Stück zur Münze nach Marseille, um etwas über die Reinheit des Goldes zu
erfahren, und es wurde festgestellt, daß es nur eine ganz geringe Legierung enthielt.
„In der Dorfkirche von Gadagne wurde ein Denkmal aus weißem Marmor voll-
stindig zerstürt. Es stellte zwei Mitglieder des Hauses von Gadagne dar, und war
besonders künstlerisch ausgeführt.“
Man kann es den Franzosen nicht verdenken, wenn sie solche Blätter in ihrer
wechselvollen und blutigen Geschichte nicht gerne aufschlagen. Man begreift, wenn
der gelehrte Millin, dem wir ein köstliches Buch über die Kunstschätze Süd-Frank-
reichs verdanken, die er gleich nach der Revolution zu beschreiben unternahm,
meist mit trauerndem Stillschweigen die furchtbaren Zerstörungen zudeckt, die sich
seinen Blicken offenbarten. Aber während er in Aix den Untergang der Grab-
denkmäler der Grafen von Provence nur als Tatsache aufführt und mit einer Elegie
über die Grabdenkmäler von Königen und Helden im Dämmern gotischer Kirchen
einleitet, gelingt es ihm in Avignon nicht, seiner Bewegung Herr zu werden > Er
muB dort furchtbare Dinge gesehen haben!
„In keiner Stadt,“ so schreibt er, „hat die Revolution so blutige und so furcht-
bare Spuren hinterlassen wie in Avignon. Die Verwüstungen sind hier bis zum
äußersten durchgeführt worden. Klöster, Kapellen, Kirchen sind zerstört, wie alle
Monumente, die sie bargen. Man würde hier vergeblich nach den Denkmälern der
Päpste suchen. Die Erinnerung an den zärtlichen Petrarca hat Lauras Denkmal
nicht zu retten vermocht. Das Skelett, von dem man sagte, Kónig René habe es
gemalt, ist zerrissen. Der tapfere Crillon vermochte sein Grabmal nicht mehr zu
verteidigen. Alle diese Monumente, die der Frömmigkeit, der Schönheit und der
Tapferkeit errichtet waren, sind heute zerstórt, und die Bilder, die ше Кїгсһеп
schmückten, sind in alle Winde zerstreut“?).
Wie seltsam nimmt sich angesichts solcher Tatsachen die ТРЕТИ Aulards
aus, als ihm im Palaste der Päpste zu Avignon der Führer das verstümmelte
Portal der Palastkapelle zeigte und die Revolution anklagte, diesen Vandalismus
begangen zu haben?) Aber wenn am 5. Dezember 1883 in der Deputiertenkammer
Frankreichs ein Abgeordneter urbi et orbi mit lauter Stimme verkiindigte, es sei
eine falsche und gehássige Legende, wenn behauptet würde, die Kirchen Frank-
reichs seien in der franzüsischen Revolution von den Republikanern zerstórt wor-
den — dann ist es Pflicht, gegen eine so ungeheuerliche Fälschung historischer
Tatsachen die Stimme zu erheben‘). Und das haben sogar die Franzosen selbst
getan, soweit sie sich von nationalen Vorurteilen frei zu machen wußten.
Schon bei Fisch, dem Schweizer, lesen wir in seinen Reisen durch die süd-
lichen Provinzen Frankreichs eine sehr treffende Bemerkung darüber, wie wenig
die furchtbare Geschichte Frankreichs in Übereinstimmung zu bringen ist mit dem
Anspruch der Franzosen, als das erste Kulturvolk Europas zu gelten") Er schreibt:
(1) Aubin-Louis Millin, Voyage dans les départements du midi de la France. Paris 1807. II, 284/85.
(2) а. а. O., S. 166. Das Gemälde, das dem König René zugeschrieben wurde, befand sich іп der
Cólestiner-Kirche. Joudou erzählt (a. а. O., S. 415), daß die Jakobiner von Marseille das Bild erat
durch die Straßen Avignons schleiften und dann verbrannten. Die Reste des Grabmals Pron werden
heute im Musée Calvet bewahrt.
(3) A. Aulard, Boniments contre-révolutionnaires in La Révolution française LXIII (1912), S. 541.
(4) Vgl. Trévédy, Catalogue des objets échappés au vandalisme dressé l'an III par Cambry, président
du district de Quimperle. Rennes 1:889, S. VIII.
(s) Jobann Georg Fischs Reise durch die südlichen Provinzen von Frankreich vor' dem Ausbruch der e
Revolution. Zürich 1795, S. 65/66.
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»Es ist doch eine seltsame Erscheinung, daB gerade die Nation, welche sich die
aufgeklirteste von der ganzen Welt nennt, die schrecklichsten Untaten auf ihrer
Rechnung hat; daß nur bei ihr Albigenserkriege, Micheladen, Mördereien von Alet
und Merindoes, Bartholomüusnüchte und Palmsonntagsfeiern von Nimes entstehen
muBten. Nenne mir eine Stadt in Deutschland oder in der Schweiz, wo der eine
Teil der Einwohner die andere Hälfte in einer schönen Nacht verräterisch im Bette
mordet, wie zu Alet im oberen Languedoc! Nenne mir eine einzige Gegen-
geschichte zu der tigermäßigen Grausamkeit des Marschalls von Montreval!!) Und
doch sind die Deutschen und wir Schweizer nichts anderes als ein paar Horden
halb kultivierter Barbaren, wie die Franzosen — ein paar hellere und mit ihren
Nachbarn besser bekannte Köpfe ausgenommen — uns gewöhnlich zu benennen
belieben. Priesterwut und Fanatismus und Jesuiterpolitik haben auch auf deutschem
Boden schwere Verbrechen erzeugt, aber wahrscheinlich keines, das nur die ge-
ringste von den Mord- und Brandgeschichten der liebenswürdigen, sanften, höfischen,
freundlich lächelnden Franzosen in ihrer aufgeklärtesten Epoche halb aufwiegen
könnte.“
Und diese Worte wurden in Nimes am 20. Dezember 1786 einige Jahre vor dem
Ausbruch der Revolution geschrieben, die alles in den Schatten stellen sollte, was
in Frankreich noch jemals an Vergewaltigung von Menschen und Vernichtung von
Denkmälern begangen worden war! |
Es wird nicht leicht sein, jemals ein vollstindiges Bild von den Verlusten zu
geben, die Frankreichs Kultur und Kunst während der französischen Revolution
erlitten hat. Man kann nur sagen, es übersteigt jede Vorstellung, und es spottet
jeder Beschreibung, was damals teils im Sturm der Leidenschaft, teils in kalt-
blütig-haßerfüllter Überlegung an Denkmälern der Kunst in Paris und Frankreich
"zugrunde gerichtet wurde. Ein Mann, der mit klarem Blick und ungetrübtem Urteil
durch die Ruinen dahinschritt, „mit denen ganz Frankreich bedeckt war“, ein
Franzose, der sich die Mühe gab, festzustellen, was in den Grenzen eines Depar-
tements an Kunstwerken noch übrig geblieben war, brach angesichts der Trümmer
eines Grabdenkmals des 11. Jahrhunderts — jener beginnenden Blüteperiode fran-
zösischer Plastik — in eine erschütternde Klage und Anklage aus: „Dies Kleinod
vergangener Zeiten ist nicht mehr! Betrauern wir es wie hunderttausend andere,
die die Barbarei eines Augenblicks vernichtet hat. Entschließen wir uns auf
immer, unwissend zu bleiben, nachdem unser blutdürstiger Instinkt und unsere
eigene Roheit uns verführt haben, wie bösartige Kinder die Seiten unserer eigenen
Geschichtsbücher zu zerreißen!“?)
Trotz solcher Gestündnisse der Mitlebenden, trotz all der Blutzeugen, die sich
in den Trümmern zerstörter Denkmäler selbst erhalten haben, trotz der vorurteils-
freien Forschungen von Courajod*), de Laborde‘), Boutaric") und neuerdings von
(x) Die Greueltaten des Marschalls von Montreval in Nimes hatte Fisch in den vorangehenden Seiten
ausführlich erzählt.
(2) Cambry, ed. Trévédy, a. a. O., S. 239.
(3) Alexandre Lenoir, son journal et le musée des monuments francais par Louis Courajod. Tome I.
Paris 1878.
(4) De Laborde, Les archives de la France. Paris 1867.
(5) Edgard Boutaric, Le vandalisme r&volutionnaire. Les archives pendant la revolution francaise
in Revue des questions historiques XII (1872), S. 335—396. Guillaume geht mit einem seiner Lande-
leute, Georges Cain, scbarf ins Gericht, weil er das Dekret vom Oktober 1793, das die Zerstórung der
Kónigsdenkmiler anordnete, „stupide“ genannt hatte. (La destruction des tombeaux des rois in La -
152
.
Gautherot — um nur die bedeutendsten zu nennen — gibt es noch heute in Frank-
reich Historiker, die dem nationalen Ehrgefiihl die historische Wahrheit skrupellos
zum Opfer bringen. Wie peinlich dem französischen Volk die Erinnerung an die
Vernichtung seiner glorreichsten Denkmäler ist, beweist der Umstand, daß man
sich nach Kräften bemüht hat, die Spuren des Vandalismus auszulöschen. Aber
was konnte man erreichen? Man hat durch moderne Wiederherstellungen und
stillose Ergänzungen nur den Charakter der Denkmäler als Ausdruck ihrer eigenen
Zeit gefälscht. |
Den Vandalismus der Französischen Revolution in einem umfassenden Bilde dar-
zulegen und unwiderleglich als Tatsache historisch festzustellen, würde heute
immerhin schon möglich sein. Was Gautherot für Paris getan hat, indem er den
„legalen“ Vandalismus aktenmäßig belegte, das hat auch die überaus rege Lokal-
forschung in Frankreich schon überall versucht. Aber das kostbare Material ist
in den verschiedensten, oft nur schwer zu erreichenden kleinen Publikationen und
Zeitschriften der Städte und Departements verstreut.
Nur über die näheren Umstände der Zerstörung der prächtigen Papstdenkmäler
in Avignon sind wir auch heute noch ungenügend unterrichtet, obwohl die Schreckens-
tage dort so oft beschrieben worden sind. Vielleicht werden einmal die Aufzeich-
nungen Calvets Licht in das Dunkel bringen. Sie liegen noch heute ungedruckt
im Archiv seiner Vaterstadt, der er eins der merkwürdigsten Museen hinterlassen
hat, das Frankreich besitzt: ein Museum des Vandalismus.
Das Grabmal Clemens V. (1305—1314) in Sainte-Marie d’Uzeste
in der Gironde.
Unermeßlich ist die Anzahl von Denkmälern geistlicher Würdenträger, die —
einst in den Abteien, den Klöstern, den Kathedralen Frankreichs verstreut — heute
spurlos vom Erdboden verschwunden. sind. Äußerst gering sind aber auch die
Reste, die sich von den prächtigen Papstmausoleen in Uzeste, in Avignon, in Chaise-
Dieu, in Villeneuve und in Marseille erhalten haben. Besäßen wir nicht in den
Lebensbeschreibungen der Päpste alte Zeichnungen, es würde uns überhaupt nicht
mehr möglich sein, von der Marmorpracht eine Vorstellung zu gewinnen, die einst
über den Ruhestátten der Tiaraträger in Frankreich erglänzte. Jedes dieser
Gräber wurde geschändet, jedes dieser Grabdenkmäler wurde mit barbarischem
Mutwillen zerstört. Nur klägliche Trümmerstücke sind es gewesen, die man später
zusammensuchte und in Museen oder Kirchen vor völligem Untergange gerettet
hat. Und nicht einmal diese Disjecta membra sind echt! Um das zerstörte An-
denken dieser Päpste wieder herzustellen, trug man mehr als einmal Fragmente
zusammen, die niemals zu einem Papstgrab gehört hatten, oder suchte durch Er-
gänzungen wieder herzustellen, was doch unwiederbringlich verloren war. Zu
solchen apokryphen Papstmonumenten gehört das Denkmal Clemens V. in Notre-
Dame in Uzeste.
Clemens V., Bertrand de Got, einst Erzbischof von Bordeaux, in der Weltgeschichte
bekannt durch seine Abhängigkeit von Philipp dem Schönen und die Vernichtung
des Templerordens, ist der erste unter den rómischen Püpsten gewesen, der seinen
Révolution francaise LII (1907), S. 331). Havard (Histoire de l'orfevrerie francaise, Paris 1896) bat es
sogar unternommen, die Französische Revolution da weiß zu waschen, wo sie geradezu vernichtend
gewirkt hat, nämlich in der Goldschmiedekunst. Er ist von E. Roulin ad absurdum geführt worden.
Vai. Revue de l'art chrétien XL (1897), S. 142 ff.
153
Sitz in Avignon aufschlug, das damals noch Karl II. von Neapel gehörte. In Rom
beschiftigte ihn die Wiederherstellung des Laterans nach dem furchtbaren Brande
von 1308!) In Paris, im Museum von Cluny, wird eine goldene Rose Clemens V.
aufbewahrt, die er dem Bischof von Basel verehrte?) Die Statue des Papstes am
nördlichen Seitenportal in Bordeaux würde das einzige einigermaßen erhaltene
Porträtdenkmal eines avignonesischen Papstes in Frankreich sein, wenn nicht ge-
rade der Kopf ergänzt worden wire’).
Clemens V. hatte bestimmt, in Notre-Dame in Uzeste berraben zu werden. Sein
Denkmal wurde ihm von seinem Neffen errichtet‘). Es war erst im Jahre 1359
vollendet. Ciacconi weiß zu berichten, es sei mit acht Jaspissäulen geschmückt
gewesen?) aber dieser Schmuck scheint schon im Jahre 1577 zugrunde gegangen
zu sein, als das Denkmal von den Calvinisten geschündet wurde. Man raubte aus
dem Grab die Kleinodien und verbrannte den Leichnam des Papstes. In den Acta
Sanctorum ist wenigstens noch der Sarkophag des Papstes abgebildet, wie man
ihn in Uzeste vor 1685 sah*). (Tafel 38, Abb. т.) Der Tote ruht, іп priesterliche
Gewünder gehüllt, auf dem Haupte eine Art von Mitra, die Hände tibereinander
gelegt, auf einem völlig schmucklosen, altarähnlichen Sarkophag. „Nichts,“ schreibt
ein Forscher, der das Grabmal sorgfältig untersucht hat), „nichts berechtigt uns,
in dieser Arbeit von mittelmäßiger Ausführung ein Bild Clemens V. zu erkennen.
Der Stil des Ganzen, die Ornamentik und vor allem der Greif zu den Füßen des
Toten deuten auf das 16. Jahrhundert, während der Charakter der Inschrift auf
das 14. Jahrhundert hinweist. Das Gesicht ist gänzlich zertrümmert. Es läßt sich
nichts mehr daran erkennen.“ |
Das Grab erhob sich einmal mitten im Chor, den der Papst selbst erbaut hatte.
Heute muß man den ausgeleerten Sarkophag mit der erneuerten Statue zwischen
Schiff und Chor in einem Winkel der Kirche suchen.
Die Grabmäler Johanns XXII. Gasen und Benedikts XII. PO
in Notre-Dame-des-Doms in Avignon?)
Wie wundertätige Reliquien in goldschimmerndem Schrein, so ruhten einst die
Gebeine Johanns XXII. mitten in der Kapelle des hl. Joseph in der Kathedrale
(1) Ph. Lauer, Le palais de Lateran. Paris 1011, 8. 242.
(а) J. de Lauriére et E. Müntz, Le tombeau du pape Clement V à Uzeste in Mémoires de la société
nationale des antiquaires de France XLVIII (1888). In dieser sorgfältig gearbeiteten Studie sind auch
alle älteren Schriftquellen zusammengestellt, die sich auf das Grabmal Clemens V. beziehen.
(3) Courajod und Marcou, Musée de sculpture comparée. Palais de Trocadero. Paris 1893, S. 7,
Nr. 611. Die Statue Clemens V. ist auch besonders behandelt in einer Arbeit, die mir nicht zugäng-
lich war: Commission des monuments historiques de la Gironde IX (1847/48), S. ao.
(4) Stephanus Baluzius, Vitae Paparum Avenionensium. Parisiis 1693, I, 734.
(5) Vitae et res gestae pontificum Romanorum. Romae 1677, II, 360. Hier finden sich auch Einzel-
heiten über die Schändung des Grabes im Jahre 1577. |
(6) Acta Sanctorum Maii, Tom. V (Antverpiae 1685), S. 74. Eine Abbildung des Grabmals, wie man
es heute als traurige Ruine іп Uzeste sieht, bringt Schillmann in der dritten illustrierten Auflage der
Grabdenkmäler der Päpste von Gregorovius, Leipzig 1911, S. 37.
(7) E. Müntz, Les tombeaux des papes en France in Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), 8. 278.
(8) Über diese beiden Grabdenkmäler besitzen wir aus dem Jahre 1738 folgende Beschreibung, die
für den Zustand der Denkmäler und für die Geschichte der Tiara von Wichtigkeit ist. Monsignor
de la Beaume schrieb an Vettori, den Verfasser des Fiorino d'oro antico illustrato (Firenze 1738),
8. 35 über diese Denkmáler wie folgt: Il Deposito di Giovanni XXII che sarà ben presto rovinato,
154
Pe
Notre-Dame-des-Doms in Avignon. (Tafel 39, Abb. 2 und 3.) In der beriihmten
Abtei von Longpont konnte man noch vor der Revolution zwei Grabmäler bewun-
dern, die vielleicht als Urtypus für die Denkmäler Johanns XXII. und Innocenz VI.
ausgesprochen werden dürfen. Hier sah man gleichfalls in einem gotischen Gehäuse
EnguerrandIV. von Coucy (+1312) und seine Mutter Marie de Montmirail (T 1271)
unter prächtigen Marmorbaldachinen ruhn!). Aber ein Freigrab von solcher Pracht
wie das Denkmal Johanns XXII. war wohl noch niemals einem geistlichen oder
weltlichen Fürsten errichtet worden. Keines der mosaikgeschmückten gotischen
Wandgriber von Püpsten in Rom, in Perugia, in Viterbo, in Arezzo lieB sich mit
diesem kunstreichen Abbild eines gotischen Domes vergleichen, in dessen Nischen
man mehr als sechzig Marmorstatuen sah.
Das schien in der Tat das würdige Denkmal eines Nachfolgers petri zu sein,
der Philipp V. von Frankreich ermahnen durfte, beim Anhören der Messe seine
Aufmerksamkeit ganz auf göttliche Dinge zu richten und nicht nach rechts und
links mit seinen Begleitern von weltlichen Geschüften zu reden?), der vom Künig
von England mit Erfolg die Rückstünde eines Tributes eintrieb, den Johann ohne
Land Innozenz III. vor roo Jahren versprochen hatte, der gegen Ludwig den Bayern
den Bannstrahl schleuderte und seinen Gegenpapst Pietro di Corbara als zer-
knirschten Sünder zu seinen FüBen sah?).
Johann XXII. fühlte sich zuerst ganz heimisch in Avignon‘), wo er den Bau der
Papstfeste begann, um der Welt zu zeigen, daB ein Papst seine geistigen Waffen
in Frankreich ebenso erfolgreich führen kënne wie in Rom. Neunzigjührig die
Welt verlassend, lieB er der Kirche einen ungeheuren Schatz zurück. Aber von
seinen Bauten in und um Avignon hat sich heute nichts mehr erhalten, als jener
müchtige Turm Trouillas des Papstpalastes, der ihm dort zu Recht oder zu Un-
recht zugeschrieben wird).
Das Grabmal Johanns XXII. wurde im Jahre 1759 aus der Mitte der Josephs-
Kapelle in eine Ecke versetzt. „Am 8. März 1759," so berichtet der Chronist*),
si vede nella Cappella di S. Giuseppe, che conduce alla Sagrestia: à fatto con maniera Gottica. Il
Pontifice nella sua statua di marmo bianco, 6 vestito pontificalmente col a che finisce in punta,
come una piramide, e con due corone solamente.
П Deposito di Benedetto XII, successore del sopradetto Giovanni XXII, si vede nella Cappella
della Purificazione, detta communemente de’ Sartori. Questo Deposito е affatto rovinato, non vi é
rimasta pid che la gran statua di marmo del Pontefice, alzata sopra una mole, fabbricata nuovamente
dal Capitolo per conservare detta statua, la quale rappresenta il Papa vestito pontiflcalmente col Tri-
regno, simile a quello, che portano oggi i Papa cioè con le tre corone: è tondo tanto nella cima,
come nel cinto della testa.
(1) VgL Marcel Aubert, Les tombeaux de L'Abbaye de Longpont in Congrés archéologique de France
78,2 (тәп), S. 305ff. Die Denkmäler verschwanden in der Revolution — ein unersetzlicher Verlust!
Aber sehr merkwürdige Zeichnungen haben sich in der Sammlung Gaigniéres erhalten, die Aubert
reproduziert hat. Es würde sich der Mühe lohnen, diesen — soweit ich sehe — noch niemals fest-
gestellten Zusammenhängen zwischen Longpont und Avignon weiter nachzugehen.
(2) Jules de Saint-Felix, Le palais des papes à Avignon in Revue de Paris XXIX (1841), S. 115.
(3) Gregorovius, Lateinische Sommer, Leipzig 1864, 8. 334. |
(4) Maurice Faucon, Les arts à la cour d'Avignon in Mélanges d'archéologie et d'histoire II (1882),
8. 43 ff.
(5) Über die Herkunft des Namens Trouillas, der uns auch sonst in franzdsiechen Scblóssern begegnet,
sind sich die Gelehrten nicht einig. VgL Visite des monuments historiques d'Avignon le mercredi
5 Septembre 1855 іп Congrés archéologique en France, 1855, 8. 446.
(6) Müntz, Les tombeaux des papes en France, a. a. O., 8. 282.
155
»wurde das prichtige Mausoleum des Papstes, das ganz aus Stein von Vellerons
errichtet war, abgetragen. Es war weiß wie Alabaster und mit einer Anzahl von
Statuen aus weißem Marmor von kóstlicher Arbeit geschmückt.“ Ebenso sorgfältig
wie das Denkmal behandelte man die Reliquien des Papstes, den man in perlen-
geschmückten priesterlichen Gewündern, die Mitra auf dem Haupt, unberührt in
seinem Sarg aus Zypressenholz fand. Er wurde mit aller Feierlichkeit in die neue
Ruhestätte gebettet, und das Protokoll der Überführung wurde nach Rom gesandt.
Man kann also annehmen, daß das Grabmal Johanns XXII. bei dieser Gelegen-
heit keine schweren Beschádigungen erlitten hat. Wenn es trotz der Restaurationen
in den Jahren 1825 und 1840 heute nur eine Ruine ist‘), so trifft die Schuld
auch hier die Bilderstürmer der Revolution. Damals wurden die schlanken Türmchen,
die zierlich gearbeiteten Tabernakel zerbrochen, damals wurden die Statuetten
herabgestürzt und verschleudert, damals wurde auch das steinerne Bild des toten
Papstes zerstürt Und getreu dem Grundsatz, die Wirklichkeit zu verschleiern,
und auf Kosten der Wahrheit den Beschauer zufrieden zu stellen, hat man die
Statue irgendeines Bischofs in den Totenschrein des Papstes gelegt?) Aber der
Wissende sieht in dem Grabmal Johanns XXII., wie es heute gezeigt wird, nur
den Rumpf eines völlig zerstörten Organismus. Ihm ist diese Ruine mit ihren Fäl-
Schungen und Wiederherstellungen ebensowenig ein historisches Dokument wie
das Grabmal Clemens V.
Noch skrupelloser ist das System der Täuschungen bei dem Grabmal Bene-
dikts XII. durchgeführt, der wie sein Vorgünger in Notre-Dame-des-Doms die letzte
Ruhe fand. |
Benedikt XIL, der strenge Papst, der keine Verwandten haben wollte®), der
mehr theologische Gelehrsamkeit als politischen Scharfblick besaB, dem Petrarca
Mangel an jeglicher Kultur vorgeworfen hat, ist doch der Erbauer jener Papstfeste
gewesen, die Froissart ,la plus belle et la plus forte maison du monde“ genannt
hat, und deren trotzige Mauern noch heute wie ein unbezwingliches Denkmal der
Vergangenheit über die Häuser Avignons emporragen*) Benedikt versagte sich
(x) Hallays, Avignon et le comtat-Venaissin. Paris 1900, S. 18. Eine Zeichnung nach dem wieder-
hergestellten Denkmal findet sich bei J. F. A. Perrot, Lettres sur Nismes et le midi. Nismes 1840,
U, S. 224. Andere Abbildungen des gegenwärtigen Zustandes geben Mintz und Hallays. Eine ziem-
lich klare Vorstellung von der ursprünglichen 'Pracht des Denkmals gewinnen wir aus dem Stich bei
den Bollandisten, wenn hier auch der ganze Statuenschmuck weggelassen worden ist. Acta sanctorum
Maii, Tome V, 79.
(2) Müntz, a. a. O., S. 283. Verlaque, Jean XXII, sa vie et ses œuvres. Paris 1883, S. 217, Anm. 1,
Jakob Burkhardt (Beitrige zur Kunstgeschichte in Italien. Basel 1898, S. 156) nimmt an, Giotto habe
die Züge Johanns XXII auf jener Altartafel für den Dom von Lucca festgehalten, wo die vier Stadt-.
patrone dem Erlöser einen Papst und einen Kaiser empfehlen. Ein authentisches Porträt Johanns XXII
ist uns in einer Miniatur in der Nationalbibliothek in Paris erhalten, die Maurice Faucon ais Titel-
blatt seiner Geschichte der Bibliothek der Päpste von Avignon abgebildet hat. (La librairie des
papes d'Avignon. Paris 1886). Die Miniatur ist auch bei Rohault de Fleury, La messe VIII, Pl. DCLXVI
reprodusiert. Auf ein besonders fein ausgeführtes Bildnis desselben Papstes weist Otto Hartig hin in
seiner ergebnisreichen Schrift: Des Onophrius Panvinius Sammlung von Papstbildnissen in der Biblio-
thek Johann Jakob Fuggers (Codd. lat. monac. 155—160) im Historiscben Jabrbuch 38 (1917), 8. 301.
(3) Hic nihil dare voluit alicui de suo genere vel consanguinitate. Baluze, a. a. O., S. 236.
(4) Fr. Ehrle, Historia bibliothecae Romanorum Pontificum tum Bonifatianae tum Avenionensis,
Romae 1890, 1,35. E. Müntz, L'histoire des papes dans la ville d'Avignon pendant le XIV. siècle.
Paris 1888, 8. 17, wo die Schriftquellen über den Bau zusammengestellt sind. ,Quelle honte,“ áuBerte
sich Petrarca, ,de voir construire des palais magnifiques ой l'or brille partout, des tours euperbes,
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den Bitten der Rómer, die ihn beschworen, nach Rom zurückzukehren. Aber er
НеВ das baufüllige Dach der Petersbasilika mit groBem Aufwand wieder herstellen.
Und dieser Fürsorge ist es zu danken, daB wir noch heute in den Grotten von
Sankt Peter das wohlerhaltene Bildnis dieses Papstes finden: eine Halbfigur in
Marmor, den segnenden Papst mit zweifacher Krone darstellend, von der wenig
kunstgeübten Hand des Paolo von Siena ausgeführt 1).
In der Hauptkirche Avignons, mitten іп der Kapelle, die der Jungfrau Maria und
dem heiligen Georg geweiht war, erhob sich einmal das stolze Monument Bene-
dikts XII.*). Vier Kirchenfürsten, Bertrand d'Albi, Elie de Saint-Yzier, Faydit
d’Aigrefeuille und Jean de Cros hatten sich einer nach dem andern mit ihren ein-
facheren Grabsteinen um das Papstdenkmal geschart. Wir kennen den Bildhauer,
der gleich nach dem Tode Benedikts XII. sein Denkmal in Angriff nahm: Jean
Lavenier, auch Jean de Paris genannt?) Er hat nicht für die Ewigkeit gearbeitet!
Die Abbildung bei den Bollandisten vermittelt uns heute noch allein eine Vor-
stellung von diesem Denkmal*), das man einem Prunkbett mit reichem Baldachin
vergleichen möchte, auf dem der Papst, die Tiara auf dem Haupt, in seinen hohen-
priesterlichen Gewündern ruhte. (Taf. 38, Abb. 4.)
Bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts blieb der Friede der Toten ungestürt,
blieben ihre Grabdenkmäler unberührt. Da entfernte man im Jahre 1680 den
brüchig gewordenen Baldachin vom Grabmal Benedikts XII. Im Jahre 1738 konnte
de la Beaume schreiben, das Denkmal sei eine Ruine. Im Jahre 1765 wurde auf
Antrag der Schneiderinnung von Avignon, die ihre Kapelle neu herrichten wollte,
das Papstdenkmal aus der Mitte der Kapelle an eine Seitenwand gerückt. Das
Freigrab wurde in ein Wandgrab verwandelt, und bei dieser Gelegenheit auch
der Sarg des Papstes geöffnet, den man im Zustand völliger Verwesung vorfand.
Dann hat die Revolution die Zerstörung vollendet. Die Kapelle der Schneider
wurde geplündert, wie alle übrigen Kapellen auch. Die Gebeine des Papstes und
der Kirchenfürsten wurden zerstreut, die Grabstatuen zerbrochen, und Schmuck
und Wappen wurden herabgeschlagen. Was noch vom Grabmal Benedikts XII.
übrig war, ist damals fast spurlos zugrunde gegangen.
Aber im Jahr 1828 beschloB man, der Kathedralkirche von Avignon die Glorie
dieses Papstgrabes wieder zu schenken und ein Denkmal wieder herzustellen, von
dem nichts mehr vorhanden war. Die Triimmer des Grabmals des Kardinals
de Cros wurden zusammengelesen und wieder aufgebaut. Bildhauer Casimir Poi-
tevin erhielt den Auftrag), das Grabgehäuse mit der ruhenden Statue eines Papstes
qui menacent le ciel dans cette nouvelle Babylone, pendant que la capitale du monde est en ruine.“
Vgl, Frary, Monuments d'Avignon, du comtat Venaissin etc. Paris 1838, 8. 65. Ebendort ist auch
das falsche Grabmal Benedikts XII. abgebildet.
(1) Vgl. Georges Daumet, Le monument de Benoit XII dans la basilique de Saint-Pierre in Mélanges
d'archéologie et d'bistoire XVI (1896), S. 393— 97.
(3) Die folgende Schilderung beruht auf der ausgezeichneten Studie von L. Duhamel, Le tombeau de
Benoit XII à la metropole d'Avignon in Bulletin monumental LIV (1888), S. 381—412. Vorher hatte
schon Fuzet die Unechtheit des Denkmals Benedikts XII, E. Müntz gegenüber (Société des antiquaires
de France, Bull 1882, p. 262) nachgewiesen. (Revue de l'art chrétien. Nouvelle série II, 1884, 8. 175.)
(3) Vgl. Barbier, Benoit XII et son tombeau à Avignon in Revue de l'art chrétien XL (1897), S. 149,
und M. Faucon in Mélanges IV. (1884), S. тоо.
(4) Acta Sanctorum Maii V, S. 85.
(5) So liest шап іп den Rechnungen. Woher Fuzet den Namen Cournot bat, den sich auch Mintz
(Gazette des В, А, 1887, S. 373) zu eigen gemacht bat, vermag ich nicht anzugeben. (Revue de l'art
chrétien 1884, 8. 175.)
157
zu schmiicken. So wurde das Denkmal wieder als Wandgrab in Notre-Dame-des-
Doms aufgerichtet, so wird es dem Leser in Frarys Denkmälern von Avignon vor
Augen gestellt!) „Aber vom ursprünglichen Denkmal,“ schreibt Duhamel’), ist
nichts mehr vorhanden, weder der Sockel, noch die Statue, noch die Wappen,
noch das Grab selbst, noch die Tabernakel. Der Kardinal Jean de Cros hat dem
Papst Benedikt XIL seine Wappen geliehen.“ (Taf. 40, Abb. 5.)
Mehr als ein ernsthafter Historiker ist durch diese Fälschung getäuscht worden?),
und es ist anzunehmen, daß sie weiter die meisten Reisenden täuschen wird, die
in Avignon die fast erloschenen Spuren seiner Päpste aufzusuchen sich bemühen.
Das Grabmal Clemens VI. (1342—1352) in La Chaise-Dieu.
Glünzend, wie noch kein anderer Papst, hat Clemens VI. zehn Jahre lang in
Avignon Hof gehalten. In einem Denkmal, wie es so prüchtig noch niemals einem
Papst errichtet worden war, wollte er auch begraben sein. Und als erfahrener
Welt- und Menschenkenner glaubte dieser Papst aus dem vornehmen Geschlecht
der Grafen von Beaufort gut daran zu tun, die Sorge für ein solches Unternehmen
nicht der Zukunft zu überlassen*). Bereits im Jahre 1349 finden wir Meister Pierre
Roy und seine Gehilfen beschäftigt, in Villeneuve-les-Avignon den reichen Statuen-
schmuck des Grabmals auszuführen") Im Frühling 1351 war das Wunderwerk
vollendet, das in jener Benediktinerkirche von La Chaise-Dieu seinen Platz finden
sollte, als deren Mönch und Priester einst der Papst seine glorreiche Laufbahn
begonnen hatte?) 3500 Goldgulden — eine ungeheure Summe — wurden Pierre
Roy als Lohn zuerkannt. Ja, um seiner besonderen Zufriedenheit Ausdruck zu ver-
leihen, ordnete der Papst an, die Arbeit an seiner Grabstatue dem Klinstler noch
besonders mit 120 Talern in Gold zu vergüten. Wie glünzend dieser Lohn war,
ermißt man am besten aus dem Umstande, daß Jean de Paris vor wenig mehr
als ro Jahren für das Prunkgrab Johanns XXII. überhaupt nur 650 Gulden erhalten
hatte ?).
Welche wunderbaren Bilder höchsten irdischen Glanzes müssen sich unter diesem
prachtliebenden Papste іп der finsteren Feste von Avignon entfaltet haben!“) Wie
(1) a. а. O. Paris 1838, 3. Aufl., S. 64.
(3) Bulletin monumental LIV (1888), S. 407. Diese Wappen sieht man an der Wand des Grab-
gehäuses aufgehängt. Drei Fragmente von Arkadenbogen vom Grabmal Benedikts XII. werden heute
nach Mintz (a. a. O., 8. 375) im Musée Calvet aufbewahrt. Die Originalaufnahme dieser merk-
würdigen Fälschung verdanke ich Herrn Professor Hamann in Marburg. Man sieht hier deutlich das
Wappenemblem des Kardinals de Cros auch auf die Tiara Benedikts XII. übertragen!
(3) 80 spricht auch Gregorovius in seinen Grabdenkmälern der Päpste (2. Aufl., 1881, S. 76) von
den schönen gotischen Monumenten Johanns XXII. und seines Nachfolgers Benedikts XII. im Dom
zu Avignon, Auch Schillmanns Angaben über das Grabmal Benedikts XII, (a. a. O., 8. 107, Anm. 39)
sind danach richtigzustellen, E s
(4) Baluze, Vitae paparum Avenionensium, Parisiis 1693, I, 300: In sepulcro novissimo, quod ipse in
Villanova Avionensis diocesis fleri sibi fecerat fabricari, quodque politissimi et pretiosissimi operis
est, illuc delato et in capella, quam . . ad hoc a fundamentis ibi construi fecerat . . sepultus est,
(s) Die folgenden Ausführungen beruhen im wesentlichen auf der durch eine Reihe von Dokumenten
belegten, sehr sorgfältigen Studie von Maurice Faucon über die Kirche von La Chaise-Dieu und ihre
Denkmäler im Bulletin archéologique du Comité des Travaux historiques et scientifiques 1884, S. 416 fl.
(6) Chaise-Dieu liegt im Département Haute-Loire. Vgl. Joanne, Dictionnaire géographique de la
France. Paris 1869, S. 462. |
(7) Faucon, a. а. О., S. 423/24.
(8) Christophe, J. B., Histoire de іа papauté pendant le XIVe siècle. Paris 1853, li, 87.
158
viele Namen von historischem Klang begegnen uns am Hofe dieses Clementissimus
Clemens, wie ihn ein Historiker genannt hat: Giovanni Colonna, dessen Haus eine
Akademie der Wissenschaften war; Elie de Talleyrand-Perigord, von dem man
sagte, er ziehe es vor, die Tiara zu vergeben als sie sich selbst aufs Haupt zu
setzen; Petrarca, der an diesem Papst einen huldvollen Beschützer fand, wenn er
ihn auch vergeblich zu bewegen suchte, die Königin unter den Städten der Erde
aus dem Staube zu erheben und nach Rom zurückzukehren; Petrarcas Freund,
Simone Martini, der groBe Maler von Siena, der in Avignon seine letzten Fresken
malte und hier bereits im Juli 1344 starb!).
Hier erschien einige Jahre später auch Cola Rienzi mit Stefano Colonna in gleicher
Mission wie Petrarca?) Er erschütterte das Gemüt des Papstes durch seine feu-
rigen Schilderungen von dem trostlosen Zustand Roms, aber es gelang ihm nicht,
Clemens VI. der Pracht seines tippigen Hofes zu entreiBen. Und vor demselben
Papst hielt Johanna von Neapel, die Enkelin des groBen Kónigs Robert, ihre be-
rühmte Rede, um sich vom Verdacht des Gattenmordes zu reinigen. Von Papst
und Kardinalskollegium freigesprochen, verkaufte sie, um schnellstens mit könig-
licher Pracht und sicherer militürischer Begleitung nach Neapel zurückkehren zu
kónnen, die Stadt Avignon, ihr Erbgut, für 800000 Goldgulden an Clemens VI.
Nun erst waren die Püpste keine Fremdlinge mehr in ihrer Residenz, sondern
Herren in Avignon, wie Herren in Rom. Und diese erste Freude am Besitz hat
auch in der umfassenden Bautätigkeit und den fruchtbaren künstlerischen Bestre-
bungen des Pierre Rogier de Beaufort beredten Ausdruck gefunden?)
Unerschüttert von dem Untergang, der alles, was geworden ist, bedroht, unbeirrt
von dem Gesetz der Vergünglichkeit, das er tüglich sich erfüllen sieht, kann doch
der Mensch den Glauben an die Dauer seiner Schópfungen nicht verlieren.
Clemens VI. sah Rom, die alte Stadt der Pápste, dem unaufhaltsamen Verfall ent-
gegengehen, aber er glaubte an die Zukunft Avignons. Und wie in diesem Papste
der Sinn für sein eigenes und seiner Familie Wohlergehen den Allgemeinsinn über-
wog, so richteten sich auch seine Bau- und Kunstbestrebungen vor allem auf das
Persönliche: auf den Palast, den er lebend bewohnte, und auf das Denkmal, das
im Tode seine Asche bergen sollte. Clemens VI. tat für деп Papstpalast in
Avignon, was Sixtus IV. später für den Vatikan in Rom tun sollte; er baute die
prächtige Palstkapelle*): und um diese Kapelle und andere neuerbaute Säle würdig
zu schmücken, ließ er die Maler aus Italien kommen. Aber Zeit und Menschen-
hände haben fast alle diese Wahrzeichen eines glänzenden Papstregimentes aus-
gelöscht’). Menschenhände haben auch längst den marmornen Totenschrein zer-
(x) E. Mintz, Les peintures de Simone Martini à Avignon in Mémoires de la société des antiquaires
de France 45 (1884), S. 74 und Agnes Gosche, Simone Martini. Leipzig 1899, 8. 96 ff,
(2) Revue de Paris Ш, ser. 32 (1841), 8.106. Gregorovius, Lateinische Sommer, 8. 336ff.
(3) Über die Bautätigkeit Clemens VI. in Avignon vergl. E. Müntz, L’histoire des arts dans la ville
d'Avignon pendant le XIV. siècle. Paris 1888, S. ag ff.
(4) Clemens VL erbaute auch den Saal des Konsistoriums und den Turm Saint-Jean des Papstpalastes.
In Rom vollendete er die-Fassade von San Paolo fuori le mura. Das Wappen Clemens VI. mit den
sechs Rosen in zweigeteiltem Felde hat sich noch im Klosterhof des Laterans erhalten. Vgl. E. Mintz,
Fresques inédites du palais des papes a Avignon etc. in Gazette archéologique X (1885), S. 392.
(5) Wie diese Fresken noch im XIX. Jahrhundert von den Offizieren der Militärverwaltung behandelt
wurden, die über ihre Erhaltung wachen sollten, darüber äußert sich Müntz (Mémoires de la société
des antiquaires de France 1884, S. 81): L'un en 1817 encourage des mutilations par l'achat à ses
soldats des tètes et des mains, qu'ils parviennent à détacher des murailles. L'autre en 1836 achève
159
stört, den sich Clemens VI. mit nie gesehenem Aufwand über seiner Gruft im
hohen Chor von La Chaise-Dieu hatte errichten lassen.
Uber das Schicksal dieses Mausoleums und der Gebeine des Papstes finden sich
schon bei Ciacconi ausführliche Angaben!): „Man sah,“ so schreibt er, „vor jenen
pestbringenden Kriegen zwischen Katholiken und Calvinisten seine Marmorstatue
über seinem Grabe. Aber im Jahre 1562 wurde das Kloster von den Soldaten der
Calvinisten belagert, der Tempel gepliindert, die Marmorstatue zerbrochen, das
Grab geschindet und beraubt. Man sah hier Clemens wie einen Bewafineten ruhn,
denn sein ganzer Kürper war mit Blei bedeckt. Als man es entfernte, fanden sich
nur Knochen und Asche. Sie wurden den Flammen übergeben und die Statue
Clemens VI. in Stücke geschlagen.“
Später hat man die Trümmer gesammelt Auf den allein intakt gebliebenen
Sarkophag von schwarzem Marmor wurde der Rumpf der Papststatue gebettet.
Der Kopf, Ше Hände und die Füße wurden ergänzt. So finden wir das Grabmal
Clemens VI. in den Acta Sanctorum abgebildet?), so ist es noch heute im Chor
von La Chaise-Dieu zu sehen. (Taf. 41, Abb. 6 u. 7). Denn an diesen kläglichen
Resten eines der glinzendsten Grabdenkmüler des Mittelalters scheint sich die
Revolution nicht mehr vergriffen zu haben. Wohl die Abgelegenheit des Ortes
hat dies Papstgrab vor einer zweiten Schändung bewahrt. Aber da alles ver-
schwunden oder ergünzt ist, was einst an diesem Denkmal historisch merkwiirdig
und künstlerisch bedeutend war, so ist es heute ein ebenso gleichgültiges Monu-
ment, wie die anderen sogenannten Papstdenkmäler Frankreichs auch’).
In mehr als einem Sinne zeichnete sich einst das Denkmal Clemens VL vor allen
Papstdenkmälern diesseits und jenseits der Alpen aus. Wo sah man sonst noch
an einem Grabmonument einen so reichen und sinnreichen Schmuck? Man spürt
es deutlich, daB es der Papst selbst gewesen ist, der alle Angaben für die Bild-
de détruire la grande composition, qui couvrait le fond de la salle du consistoire en la coupant par
des voutes etc. Über den beklagenswerten Zustand, in dem sich der Papstpalast noch i. J. 1892 be-
fand, hat sich Mints an anderer Stelle geäußert. Vgl. Le vandalisme à Avignon et Salon in L'ami
des monuments VI (1893), S. 289 ff. Vgl. ferner Montalembert, Oeuvres VI, S. 21 und 46.
(1) Vitae et res gestae pontificum Romanorum. Romae 1677, S. 483. Daß die Gebeine Clemens УІ,
verbrannt wurden, ist spiter bestritten worden, Bei einer Óffnung der Gruft im Jabre 1709 fand man
Ше angeblichen Gebeine des Papstes unversehrt. Auch der Schädel war vorhanden und strafte die
Legende Lügen, im Jahre 1562 habe man aus dem Schädel des Papstes einen Trinkbecher gemacht.
Vgl. Note relative à la violation de la tombe de Clement VI im Bulletin du Comité des travaux histo-
riques etc, 1884, 8. 442. Die Angaben bei Ciacconi sind aber so genau, daß mit der Möglichkeit zu
rechnen ist, die Gebeine Clemens VI. seien durch fremde Gebeine ersetzt worden.
(2) а. a. O., Maii, Tom. V, S. 89. Andere Abbildungen bei Faucon, а. a. O., 8. 416, РІ. XI, bei
Vitry und Briére, a. а. O., Pl. C, bei Gregorovius, Die Grabdenkmäler der Päpste, ed. Schillmann,
3. Aufl. (1911) S. 39. Eine Lithographie des Denkmals in Folio soll sich auch bei Taylor, Voyages
pittoresques et romantiques dans l'ancienne France (Auvergne), Nr. 151 bis befinden.
(3) Auch Rohault de Fleury (La messe VIII, 142) hat ohne weiteres zugegeben, daß der Kopf
Clemens VI. ergänzt worden ist. Es befand sich außerdem in La Chaise-Dieu ein Porträt des Papstes
in Wachs ausgeführt (Faucon, a. а. O., 8. 413). In der Sorbonne in Paris sah man ein Glasgemilde |
Clemens VI. ,ubi flexu genu et manus ad caelum tendens, supplicique habitu virginem sacram vene-
ratur (Ciacconi II, 483). Aber aus den Acta sanctorum, a. а. O., 8.88, Nr. 16, erfahren wir, daß dies
Gemälde bereits im Jahre 1685 längst zerstört war. Verschwunden ist auch das dem Orcagna zu-
geschriebene Portrüt Clemens VIL, das man einmal in Santa Croce in Florenz sah (Vasari, ed. Mila-
nesi I, 601). `
їбо
werke seines Denkmals gemacht hat, und daß er selbst und seine Angehörigen die
Ausführung ihrer Absichten sorgfältig überwacht haben!).
Nicht weniger als 44 Marmorstatuen sah man einst rings die Wände dieses
Grabmals schmücken. Der ganze Leichenzug, der einmal die sterbliche Hülle des
Papstes zu Grabe geleiten sollte, war hier bereits im Stein verewigt worden.
Man sah die drei Offizianten, die noch heute die Absolution des Toten zu voll-
ziehen haben, den Zug eröffnen: den Priester mit dem Weihwasser, den Diakon
mit dem Evangelienbuché und den Akolythen. Dann folgten vier Kardinile, ein
Bruder und drei Neffen des Papstes, ferner fünf Erzbischöfe und neun Bischöfe,
fast alle wiederum Nepoten Sr. Heiligkeit. Den Schluß dieses Totengeprünges
aber bildeten seine weltlichen Verwandten, an ihrer Spitze das Haupt der Familie,
der Graf von Beaufort mit Frauen, Kindern und Enkeln, und endlich die Schwestern
des Papstes mit ihren Gatten und Kindern?).
Der Gedanke, am Sarkophag des Toten sein Leichenbegüngnis darzustellen, be-
gegnet uns früher und später noch hüufig in der französischen Grabskulptur. Man
sah schon im Grabmal des Bischofs Pierre de Poitiers in Fontevrault, das im
13. Jahrhundert entstand, das ganze Leichengefolge um den Toten versammelt“).
In den berühmtesten Fürstengrabmülern Frankreichs, des Herzogs von Berry in
Bourges und der Herzöge von Burgund in Dijon, sah man die Statuetten der „pleu--
reurs", der Leidtragenden, in Nischen, rings um die prüchtigen Sarkophage auf-
gestellt^. Im Grabmal des Philippe Pot aber — einst in Citeaux, heute im Louvre —
hat diese Übung ihren monumentalsten und, man darf wohl sagen, ihren vollendeten
Ausdruck gefunden. Hier tragen acht heroische Gestalten gesenkten Hauptes, in
schleppende Trauergewünder gehüllt, die offene Bahre auf ihren Schultern, auf der
der tote Seneschall von Burgund in voller Rüstung ausgestreckt ruht).
So háufig der Gedanke wiederkehrt, am Grabe des Toten sein Begrübnis dar-
zustellen, so einzigartig muB an diesem Grabdenkmal die Verherrlichung des Nepo-
tismus gewesen sein. Zwar besitzen wir im Grabmal des Artus Gouffier in Orion
noch ein anderes Beispiel der Trauer der vornehmen Verwandtschaft um das
Familienoberhaupt, und Familienangehürige betrauerten auch in einem heute zer-
stórten Monument den Hingang der Patriarchen von Antiochia in der Kathedrale
von Saintes?), aber in den Papstdenkmälern hatten noch immer die Madonna, die
Heiligen, Allegorien von Tugenden und Künsten den Glauben und die Lebens-
grundsütze des toten Pontifex symbolisch dargestellt. Niemals, weder früher noch
(1) Daher mußte auch Pierre Roy seine Werkstatt in Villeneuve-les-Avignon aufschlagen, wie Baluze
ausdrücklich bemerkt (I, 378): quod ipsemet vigens et vivens in Villanova Avinionensis Diocesis sibi
fecerat fabricari.
(4) Faucon fand das merkwürdige Dokument, in dem diese Statuen beschrieben werden, im Vatika-
nischen Archiv, und es gelang ihm, jede einzelne der genannten Personen festzustellen. Vgl. Bulletin
du Comité etc. 1884, S. 419 und 441. |
(3) Abgebildet bei Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture IX, S. 37. Vgl. über eine
ähnliche Darstellung am Sarkophag zweier Kinder in Le Val des choux: Voyage littéraire de deux
religieux Bénédictins, Paris 1717, I, 113.
(4) Vgl. Courajod, Jacques Morel in Gazette archéologique X (1885), S. 238.
(s) Ein schóneres Ritterdenkmal konnte der menschliche Geist nicht erfinden. Ein Stich bei Alexandre
de Laborde (Les monuments de la France. Paris 1836, II, Pl. 215) zeigt uns das vor dem Vandalis-
mus der Revolution in den Garten des M. de Vesvrotte in Dijon gerettete Denkmal. Es befindet sich
heute im Louvre. |
(6) Vgl. Palustre Léon, La renaissance en France, Paris 1885, III, 332, wo auch das prüchtige Denk-
mal Gouffiers — furchtbar verstümmelt von den Vandalen von 1568 — wiedergegeben ist.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, ХІ. Jahrg. 1918, Heft 6 и 161
später, haben es die Nepoten und Kreaturen Sr. Heiligkeit gewagt, sich an das Grab
ihres Beschiitzers zu drüngen. In Rom wire ein solches Denkmal der Verwandten-
liebe unmóglich gewesen. Aber ach, es war auch in La Chaise-Dieu dem Unter-
gange geweiht! Wie hoch muB die Kunst eines Bildhauers entwickelt gewesen
sein, wenn er es unternehmen konnte, in vierundvierzig Portrütgestalten dem toten
Papst alle die zu Begleitern zuzugesellen, die ibm im Leben teuer gewesen waren!
Wie würde uns heute eine solche Galerie historischer Porträts aus dem Mittelalter
entzücken!)! Wie mächtig würde in der langen Reihe der Papstdenkmüler den Histo-
riker gerade dieses Denkmal anziehen, dieses Denkmal, in dem der Glaube an die
weltbeherrschende Mission des Papsttums völlig untergegangen war in dem stolzen
Gefühl eines Edelmannes, die Seinigen reich und michtig und groB gemacht zu haben!
In diesem Sinne steht das Grabmal Clemens VI. einzig da unter den Grabmälern
der Püpste — aber nicht nur in diesem Sinne allein ist sein Untergang so be-
klagenswert.
Das Grabmal Innocenz VL (1352—1362) in Villeneuve-les-Avignon.
Die ungeheure Lebenskraft des Papsttums wird nicht zuletzt durch das beständig
sich erneuernde Blut bedingt, das in ewig wechselnden Geschlechtern durch die
Adern der Tiaraträger rinnt. Die Päpste leben ja nicht lange, bemerkte schon
Clemens VIL, der Medici-Papst. So wurde es dem Kardinalskollegium niemals
schwer gemacht, bei einer Neuwahl sich selbst zu korrigieren. Es konnte einen
Mann, dem persönliche Interessen höher standen als das Wohl der Kirche, durch
einen Papst ohne Familienanhang ersetzen. Es konnte der Verweltlichung des
Papsttums sofort durch die Wahl eines Asketen Einhalt gebieten. Es konnte
wiederum ein allzu enges und strenges Regiment klug durch die Wahl eines groß-
zügigen Mannes ersetzen. So wählte man im Jahre 1352 als насмоце: дез
prachtliebenden Clemens VI. den strengen Innocenz VI.
Daß mit dem neuen Papst ein neuer Geist in Avignon erwachen würde, mußten
die Hóflinge sofort erkennen, als Innocenz, trotzdem die Vorbereitungen bereits ge-
troffen waren, sich weigerte, nach seiner Wahl wie üblich in feierlichem Aufzug
durch die Straßen seiner Residenz sich dem Volke zu zeigen).
Aber wenn auch der neue Papst der Verschwendung Einhalt gebot, die Bischöfe,
die am Hofe seines Vorgängers ein üppiges Leben geführt hatten, in ihre Diözesen
zurücksandte, das Mönchtum erneuerte und das Papsttum zu reformieren ver-
suchte?) — Avignon blieb nach wie vor der Mittelpunkt eines kräftig pulsierenden
Lebens, an dem die ganze Umwelt Anteil nahm. Die Wirren in Rom unter Rienzi,
die Belagerung Avignons durch Armand, den „Erzpriester“, die Pest im Jahre 1360
bedeuteten wohl Hemmungen, vermochten aber nicht, Ansehen und Macht des
Papsttums dauernd zu schwüchen, das damals in dem spanischen Kardinal Alvarez-
Albornez einen Staatsmann und Feldherrn größten Stils besaß.
Als Bauherr hat sich Innocenz VI. mehr auf dem rechten Ufer der Rhone be-
tätigt als auf dem linken. Villeneuve verdankt ihm mehr als Avignon, wo er nur
(1) In dem Bericht über die Zerstörung des Grabmals Clemens VL, den Faucon (a. a. O., S. 445) aus
den Annalen der Benediktiner publiziert hat, heißt es: Ile briserent aussi les maine et les pieds de la
figure de marbre blanc et tous les ornements qui étoient autour du tombeau, qui étoient magnifiques
et dont il en reste quelques-uns à la bibliothéque. Ob von diesen Fragmenten noch heute in La Gbaise-
Dieu etwas erhalten ist, habe ich nicht festzustellen vermocht.
(2) Ciacconi. a. a. O., II. Sag ff.
(3) Christophe, Histoire de la papauté pendant le XIV siecle Il, 224.
16a
die Stadtbefestigungen verstürkte und die Papstfeste durch zwei neue Türme zu
sichern versuchte!) Aber in Villeneuve gründete Innocenz VI. die berühmte Kart-
hause, die während der Revolution in Lose aufgeteilt wurde und seitdem verfallen
ist; hier baute er der Dreieinigkeit eine Kapelle, die er mit einem glänzenden
Freskenzyklus schmücken ließ), und hier bestimmte er sich selbst sein Grab‘).
(Taf.42, Abb. ro.)
Im Jahre 1576 gelangten die Hugenotten unter Führung des Kapitins Parabére
bis an die Höhen von Villeneuve und zerstörten dort das steinerne Kreuz von
Montaux, eine prachtvolle, figurenreiche Stiftung Innocenz VL*). Aber das empörte
Volk vertrieb die Eindringlinge, und die Karthause wurde damals vor der Plün-
derung gerettet). Um so schlimmer haben hier die Sansculotten gehaust. Zer-
rissene Reste der einst so glänzenden Architektur, halberloschene Fresken in der
Dreieinigkeitskapelle, ein mühsam aus tausend Fragmenten wieder zusammen-
gesetztes Papstgrabmal in der Kirche des Hospitals — das ist alles, was von der
glänzenden Schöpfung Innocenz VI. übriggeblieben ist‘).
Betrachtet man das wieder zusammengesetzte Gehüuse dieses Papstdenkmals in
Villeneuve, so erkennt man sofort, daB der Gedanke, der das Grabmal Johanns XXII.
schuf, hier wieder aufgenommen worden ist. (Tafel 41, Abb. 9). Nur mute
natürlich das neue Denkmal das alte an Pracht und Figurenreichtum übertreffen.
Auch Innocenz’ VI. Totenschrein ist nichts anderes als ein herrliches Reliquien-
gefäß ins Monumentale übertragen, oder als das sorgfältig ausgeführte Modell einer
reichen gotischen Architektur. Auch hier sieht man den Papst in einem Freigrabe
auf hohem Prunkbett unter einem Baldachin mit zahllosen Türmen und Tabernakeln
ausgestreckt, und alle Heiligen des Paradieses haben einst dies Heiligtum bewacht.
So sah es noch kurz vor der Revolution der Schweizer Fisch und las hier die Jahres-
zahl 1362. „Die gotische Kunst,* so schreibt dieser sonst sehr nüchterne Be-
obachter"), ,scheint alle Schünheiten, deren sie fühig ist, an diesem Grabmal ver-
schwendet zu haben. Das Bildnis des Papstes liegt auf einem gevierten Sarkophag,
und über demselben erhebt sich ein Wald von Verzierungen nach gotischer Zeich-
nung, alles so rein, so schlank, so kühn auf-geschlungen und ineinander ver-
flochten, daß man dem Künstler, der alles das aus einem Block herausarbeitete,
seinen Beifall und seine Bewunderung nicht versagen kann.“
(т) Revue de l'art chrétien X (1892), S. 186.
(а) E. Mints, Fresques inédites du XIV siecle à la chartreuse de Villeneuve in Gazette archéologique
XII (1887), S. 298 ff. Hier gibt Müntz, Anm. 2, auch die Spesialliteratur über Villeneuve, die mir
größtenteils nicht zugänglich war. |
(3) Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), S. 378, Anm. a.
(4) Joudou, Essai sur l'histoire de la ville d'Avignon. Avignon 1853, S. 466. А
(s) Aus Furcht vor den Hugenotten waren damals die Gebeine des Papstes aus seinem Grabe ent-
fernt und іп der Kapelle der Dreieinigkeit in die Mauer eingelassen worden. Man ließ sie dort auch,
als die Gefahr vorüber war, und bedeckte den Platz mit einem Stein, auf dem man die ruhende Ge-
stalt Innocenz VI. sah. Hier erscheint der Papst — wie auch in der Fugger-Sammlung in München —
obne Bart. Dieser Stein ist, wie es scheint, spurlos verschwunden, aber die Bollandisten haben uns
eine Nachbildung erhalten. Acta Sanctorum Maii V, 8. go. (Taf. 38, Abb. 8.)
(6) Über den Zustand der Abtei von Villeneuve im Jahre 1849 vgl. die Beschreibung von Pinard іп
der Revue archéologique VI, 1 (1849), S. 331. Ebendort, Pl. 120, gibt Pinard auch eine Abbildung
des Denkmals nach der Restauration von 1836. Vgl. auch Hallays, Avignon, S. 119.
(7) J. G. Fisch, Reise durch die südlichen Provinzen von Frankreich kurz vor dem Ausbruch der
Revolution. 3, Aufl. Zürich 1795, S. $80.
163
Siebenundvierzig Jahre später besuchte der Franzose Mérimée die Stadt. „Ich
begab mich heute nach Villeneuve,“ schreibt er am 11. September 1834!), „um das
gotische Grabmal Innocenz VI. zu sehen. Die Karthause, die es einst geborgen
hat, ist zur Zeit der Revolution stückweise verkauft worden, und das Denkmal, das
zu einem der Verkaufslose gehürte, muB man heute in der veríallenen Hütte eines
armen Weingürtners suchen. Fässer, Olivengestrüpp und riesige Leitern sind in
dem engen Winkel aufgespeichert, wo sich das Mausoleum befindet. Es ist mir
unbegreiflich, daß bei solchem beständigen Holen und Bringen von Gegenständen
von diesen feinen Türmchen, von diesem eleganten Maßwerk, von diesen schlanken
Pfeilern noch irgendetwas erhalten geblieben ist. Nichts Leichteres, nichts An-
mutigeres, nichts Reicheres kann man sich vorstellen als dieses Steingebilde. Ur-
sprünglich schmückten eine Fülle von Alabasterstatuetten den Sockel des Denk-
mals. Man hat sie stiickweise verkauft. Im Innern des Sockels aber hat sich der
Besitzer des Anwesens einen Schrank eingerichtet. Die Marmorstatue des Papstes
ist arg verstiimmelt. Kurz, es gibt keine Schmach, die man diesem herrlichen
Denkmal nicht zugefügt hätte. Und doch ist es trotz aller Verstümmelungen eins
der schönsten Exempel gotischer Schmuckarchitektur im 14. Jahrhundert.“
Weniger glücklich als Mérimée hatte Perrot kurz vorher das Denkmal gänzlich
von Werkzeugsutensilien und Reisigbündeln bedeckt gefunden. Er beschloB, es
‚käuflich zu erwerben, und gab so endlich dem Magistrat der Stadt den letzten An-
stoß, das Denkmal aus seiner unwürdigen Lage zu befreien und in der Hospital-
kirche von Villeneuve unterzubringen. Bei dieser Gelegenheit ist es auch schlecht
und recht wiederhergestellt worden. Vor allem wurde das Gesicht des Papstes
erneuert, der, wie man auch bei den Bollandisten erkennen kann, einen Bart ge-
tragen haben muß). |
Von all den Statuen, die dieses Mausoleum einst geschmückt haben, sieht man
heute noch drei hoch oben unter prächtigen Tabernakeln erhalten. Einige andere
Fragmente werden im Musee Calvet bewahrt. |
Das ist die Geschichte des Prunkgrabes Innocenz VI! Man sieht, mit wie un-
erbittlicher Konsequenz sich das Verhängnis an den Denkmälern der Päpste von
Avignon vollzogen hat. Was nicht schon den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts
zum Opfer fiel, das wurde mit untrüglicher Sicherheit von den Bilderstürmern der
Revolution aufgespürt und mit Beil und Hacke erbarmungslos auseinander ge-
schlagen. Nur zuweilen geschah es, daß die Zerstörungswut nicht alles auf einmal
bezwingen konnte oder daß die Mittel nicht ausreichten, die methodische Ver-
nichtung alles dessen, was vergangene Jahrhunderte geschaffen hatten, fortzusetzen.
Es gehörten viele Arme dazu, ein Monument wie die Karthause von Villeneuve
mit allen Denkmälern und Kunstschätzen so vom Erdboden verschwinden zu machen,
wie die Abtei von Cluny oder die Kathedralen von Arras und Cambray. Dann und
wann ließ man wohl den Rumpf eines Denkmals stehn. Und an diesem konnten
dann später die Restauratoren ihre Künste versuchen. Solch ein bescheidenes Glück
(1) Prosper Mérimée, Notes d'un voyage dans le midi de la France. Bruxelles 1835, 8. 151.
(2) Perrot, Lettres sur Nismes et le midi. Nismes 1840, I, S.337: La statue en marbre du pape est
couchée dans toute sa longueur et il a un lion à ses pieds. (Heute durch einen Gipslöwen ergänzt).
Cette figure était bien mutilée et cependant elle conservait un beau caractére; aujourd'hui elle est par-
faitement restaurée, Perrot hat auch die Zeichnung gemacht, die hier reproduziert worden ist. (Taf. 41,
Abb. 9.) Ein Idealporträt des Papstes, dessen Barttracht erst Julius II. wieder aufgenommen hat, findet.
sich in der Grablegung von Simon de Chalons v. J. 1552, ebenfalls im Hospital von Villeneuve, Vgl.
Mintz, Gazette des Beaux Arts XXXVI (1887), S. 381, Anm. a.
164
ist auch dem Grabmal Innocenz VI. widerfahren. An der Fülle seiner ornamen-
talen Pracht ist der Arm der Bilderstürmer erlahmt. Der hochgettirmte Baldachin
"war mit dem Hammer nicht ohne weiteres zu erreichen. So finden wir in diesem
erst zerstörten, dann wieder hergestellten Gehäuse noch heute die Spuren einstiger
Pracht, wenn auch das W'esentliche fehlt: ein authentisches Bildnis des Toten und
die Fülle der Statuen, die einst überall die Architektur belebten. Das Rahmenwerk
ist geblieben, aber die Bilder wurden zerstört.
Die Grabdenkmäler Urbans V. (1362—1370) in St.-Victor in Marseille
und in Saint-Martial in Avignon.
Mit Urban V. richteten sich die Blicke der römischen Päpste wieder auf Rom.
Die schwere Belagerung, die Urban in Avignon durch Söldnerbanden auszuhalten
hatte, mochte ihm zu denken geben. Aber einem Papste von so groBer Ge-
sinnung wie Urban V. muBte sich auch sonst ohne weiteres der Gedanke auf-
drängen, daß der weltbeherrschenden Stellung des Papsttums auf die Dauer durch
eine Residenz wie Avignon Abbruch getan werden muBte. Dazu kamen die Be-
schwtrungen Petrarcas und die Bitten der Rómer, die im Jahre 1364 wieder in
Avignon erschienen?!) So machte sich Urban nach langen Vorbereitungen am
30. April 1367 nach Italien auf. Wir kennen sein Itinerar in allen Einzelheiten ).
Aber es hielt ihn nicht in Rom, wo er mit groBem Glanz residierte und Kaiser
und Künige an seinem Hofe empfing. Auch die hl. Brigitta, die ihm einen baldigen
Tod in Frankreich weissagte, vermochte nicht, den Heimwärtsstrebenden zurtick-
zuhalten. Am 16. Oktober 1367 war Urban V. unter dem Jubel der Bevölkerung in Rom
eingezogen, am 5. September 1370 verlieB er Italien wieder, nicht ohne am Tiber
dauernde Zeugen einer umfassenden Bautitigkeit zurückgelassen zu haben. Vor
allem ließ der Papst in Vatikan und Lateran große Wiederherstellungsarbeiten vor-
nehmen). Noch heute sieht man in der lateranischen Basilika das Marmor-
tabernakel, das er zu Ehren der Apostelfürsten über dem Hochaltar errichten ließ“);
es ist mit dem Wappen Urbans V. geschmückt — eins der wenigen Wappen eines
Papstes von Avignon, die heute noch an den Baudenkmälern Roms zu finden sind.
Am 24. September war Urban V. wieder in Avignon, und wenige Monate spüter
schon ging die Weissagung der hl. Brigitta in Erfüllung. Im Dezember Kik er-
eilte den Papst der Tod.
Schon zu seinen Lebzeiten, lesen wir bei .Ciacconi, wurde Urban V. wie ein
Heiliger verehrt’). Überall in den Kirchen Frankreichs und Italiens sah man seine
Bildnisse. Sie gingen bis auf einige unbedeutende Machwerke zugrunde. Ein Tafel-
bildchen in Bologna, auf Goldgrund gemalt, gibt heute allein noch eine schwache
Vorstellung vom Aussehen des letzten N Papstes, der seinen Sitz in
Avignon gehabt hat б),
(1) Gregorovius, a, а, O., 8. 347.
(2) Vgl. J. P. Kirsch, Die Rückkehr der Päpste Urban V. und Gregor ХІ. von Avignon nach Rom
in Quellen und Forschungen der Görresgesellschaft. Paderborn 1898.
(5) E.-Müntz, Lavori d'arte fatti eseguire a Roma dai Papi d'Avignone (1365— 1378) in Arch. stor.
dell’ arte IV (1891), S. 1266.
(4) Lauer, Le palais de Lateran, 8. 264 fl.
(s) П, 560: Jam ipsis suis temporibus ut sanctus coli et talis in ecclesiis pingi. In diversis et рімгі-
mis ecclesiis, etiam Patriarchalibus, etiam Romae imago eius tamquam sancti pingitur et honoratur.
Bin besonders gutes Bildnis Urbans V. befand sich im Augustinerkloster in Toulouse.
(6) Abb. bei Goyau, Peraté, Fabre, Le Vatican, Paris 1895, S. 46a. Über andere Porträtdarstellungen
165
Nicht weniger als drei Grabdenkmäler sind Urban V., eins nach dem andern, er-
richtet worden. Kaum ein anderer Papst kann sich eines solchen Andenkens bei
der Nachwelt rühmen, die verstorbene Päpste schnell zu begraben und zu ver-
gessen pflegt. Gregor XL setzte seinem Vorgünger ein monumentales Denkmal in
St.-Victor in Marseille, und ebendort, wo Urban V. einmal seine Laufbahn begonnen
hatte, fanden auch seine sterblichen Reste ihr Grab’). In Avignon selbst aber er-
richteten ihm die dankbaren Benediktiner, deren Ordenskleid der Papst getragen
hatte, ein glänzendes Kenotaph?) Und einen ähnlichen Gedenkstein sah man kurz
vor der Revolution auch noch im Chor von St.-Victor in Marseille. ,Er wurde
wahrscheinlich errichtet,“ schreibt der Biograph dieser Kirche), „um das Denkmal
selbst zu ersetzen, als es vom Chorgestühl verdeckt wurde. Es sollte hier auch
eine Inschrift angebracht werden, die aber niemals gesetzt worden ist Die mar-
morne Maske des Papstes, die auf das steinerne Antlitz des Papstes gelegt ist,
gibt einen hohen Begriff von den Talenten des Künstlers, der sie ausgeführt hat.
Sie ist so scharf nach der Natur beobachtet, daB sie nur ein Portrit dieses Papstes
sein kann.“
In der Französischen Revolution ist dieses Kenotaph in St.-Victor ebenso zugrunde
gegangen, wie das Monumentalgrab ebendaselbst. Aber einStich in den Acta sancto-
rum vermittelt uns noch heute eine Vorstellung von der Pracht des Denkmals,
das einmal die Gebeine Urbans V. umschloß )).
Von allen Denkmilern der Püpste in Frankreich ist dieses allein ein Wandgrab ge-
wesen. (Taf. 43, Abb. 11.) Unten sah man Urban V. ausgestreckt in einer Nische ruhen,
.die oben und unten durch gotische Lisenen verziert war. Darüber erhob sich ein
auffallend schwerer, glánzender Aufbau. Unten im Tympanon schwebte die Seele
des Papstes empor und über ihr waren Maria und Christus dargestellt. Darüber
erhob sich ein schwer lastendes Tabernakel mit spätgotischem Maßwerk, іп dem
man Gottvater іп der Mitte thronend sah. Ganz in der Höhe endlich gab ein
Triforium dem Denkmal einen horizontalen Abschluß. Engel und Heilige waren
überall an den Seitenpfeilern, in den Triforiumnischen und hoch oben über dem
ganzen Aufbau angebracht, der als Ganzes am besten einem reichen gotischen
Kirchenportal von mißglückten Proportionen zu vergleichen ist.
Bereits im Jahre 1381, so erzählt Ruffi in seiner Geschichte von Marseille’),
mußte das Denkmal, das schlecht gebaut war, restauriert werden. Man öffnete bei
Urbans V. vgl. E. Müntz, La statue du pape Urban V au Musée d'Avignon in Gasette archéologique
IX (1884), S. 102 und 103. Weitere Literatur gibt Courajod im Katalog des Musée de Sculpture com-
parée (Trocadéro) Paris 1892, S. 44/45, Nr. 656.
(1) Ciacconi, а. a. O., II, S. 558. Acta sanctorum Maii, Tom. u, 93, wo die Abbildung gegeben ist:
sicut illud post multam instantiam nec sine sumptu delineatum tandem accepi; simulque —
totum opus unius generis saxo, eoque non valde pretioso constare.
(а) Von Müntz in der oben genannten Studie in der Gazette archéolog. (1884) ausführlich behandelt
(з) (Grosson) Notice des monuments conservés dans l'église . . . de l'Abaye de St.-Victor de Mar-
зеШе , . . Marseille s. a. (1786), 8. 9.
(4) Die Originalzeichnung für diesen Stich bat sich in der Bibliothek von St.-Victor in Marseille er-
halten. Sie ist von Schillmann (Gregorovius, Grabdenkmäler, 8. до) wiedergegeben worden. Schill-
mann konnte auch die Nische aufnehmen, in der man einmal das Papstdenkmal sah, dessen kümmer-
liche Reste heute von einem modernen Bildnis Urbans V. fast ganz verdeckt werden.
(5) De Ruf Antoine, Histoire de la ville de Marseille. s. ed. Marseille 1696, Il, 158, In den Aen
sanctorum, a. a. O., 8.93, heißt es von dem Denkmal (1685): hodie extat, licet a parte inferiori pes-
sime habitum maleque custoditum. M
166
dieser Gelegenheit auch den Sarg des Papstes. Damit aber in Zukunft das Denk-
mal keinen Schaden mehr nehme, ernannte man einen der Briider von St.-Victor
zu seinem besonderen Hüter. Im Jahre 1397 wird Johannes de Comitis ausdrück-
lich als „custos sepulcri sanctae memoriae Urbani У“ aufgeführt!) Eine solche
Ehre ist in der neueren Geschichte vielleicht nur noch einem einzigen Denkmal
von Weltruf zuteil geworden: dem Jüngsten Gericht Michelangelos in der Sixtini-
schen Kapelle in Rom, an dem Michelangelos Diener und Freund, Urbino, dieses
Ehrenamtes waltete.
Noch eine andere Eigenart zeichnete das Grabmal Urbans V. vor allen übrigen
Papstdenkmälern aus: der Kopf des Papstes war in Silber ausgeführt?) Er wurde
bereits während дег Religionskriege im 16. Jahrhundert entwendet. Aber im
übrigen scheint sich dies prüchtige Denkmal ziemlich unversehrt bis zum Ende des
18. Jahrhunderts, erhalten zu haben. Es wurde nur durch das Chorgestühl ver-
deckt, als man dieses hinter den Hochaltar zurückschob. So ist das Denkmal auch
Fisch entgangen, der die Abtei von St.-Victor im Herbst 1787 besuchte und hier
im reichen Schatz des Stiftes auch die Reliquienkästen Urbans V. erwähnt“). Aber
die Sansculotten von Marseille, die in der ganzen Provence Schrecken verbreiteten,
haben es zu finden gewußt, und ihre verbrecherische Hand scheint auch dieses
prüchtige Papstdenkmal bis auf geringe Fragmente vernichtet zu haben. Als man
gelegentlich der Seligsprechung Urbans V. im Jahre 1870 Nachforschungen an-
stellte, fand man wohl noch Nische und Postament. Alles übrige war zerstört.
Und ebenso spurlos verschwand damals auch das Kenotaph im Chor, von dem sich
in der Bibliothek von Aix noch eine Zeichnung erhalten haben soll‘).
Und nicht viel besser erging ез damals dem anderen Kenotaph Urbans V. in der
Benediktinerkirche Saint-Martial in Avignon, wo mit ibm alle Erinnerungen an die
Künige von Aragon, an Johanna von Neapel, an den Kardinal Lagrange in Schutt
und Trümmer begraben wurden?). |
Der Rumpf der Statue Urbans mit dem verstümmelten Kopf wurde später wieder
aufgefunden und ins Musée Calvet gerettet?). (Taf. 44, Abb. 12.) Man sieht den
Papst hier mit der dreifachen Tiara geschmiickt”), und man erkennt in dem aus-
drucksvollen Kopf künstlerisches Vermögen und das erfolgreiche Bestreben nach
(г) Ruff, a. a. O., 8. 159.
(2) Ruff, a. a. O., 8. 158.
(s) Fisch, а, a. O., 8. 460/461.
(4) Gazette archéologique ІХ (2884), S. 103, Anm. 2. |
(5) Joudou, а. a. O., S. 411/12. Das Monument des Kardinals Lagrange war das prüchtigste Prälaten-
grab in Avignon und, wie wir aus der von Müntz wieder aufgefundenen Zeichnung ersehn kÜnnen,
vielleicht das stolseste Denkmal, das jemals ein Kirchenfürst sich selbst errichtet hat. Vgl. L'ami
des monuments et des arts IV (1890), 8. 85 ff.
(6) Die Abbildung ist nach der Aufnahme von E. Müntz in der Gazette archéol. 1884, Tafel 15, her-
gestellt.
(7) Braun, J., Die liturgische Gewandung im Okzident und Orient. Freiburg 1907, 8. 505, hat den
Kopf Urbans V. als Benedikt XII. reproduziert und an ihn Schlüsse geknüpft, die nicht ganz zu-
treffen. Der Zeitpunkt, wann die Рёрае die dreifache Krone annahmen, ist noch nicht einwandfrei
bestimmt, und die Frage bedarf noch auf Grund dessen, daß fast alle authentischen Porträts der Päpste
von Avignon zerstört sind, erneuter Nachprüfung. Von ausschlaggebender Bedeutung für diese Frage
dürfte die Sammlung des Panvinius in der Hof- und Staatsbibliothek in München sein, die O. Hartig
der Forschung erschlossen hat. Hier erscheint Benedikt XII. zuerst mit der zweifachen Krone, des-
gleichen sein Nachfolger Clemens VI., während Innocenz VL — hier ohne Bart dargestellt — zuerst
das Triregnum trägt. Vgl. Hartig, a. a. O., 8. 305. |
| 167
portrüthafter Darstellung. Welch ein Fortschritt gibt sich kund, vergleicht man
diesen Kopf mit den Bildnissen Bonifaz VIII. und Benedikts XII. in den Vatika-
nischen Grotten! Aber den langen Weg, der zwischen diesen Schöpfungen liegt,
. können wir nicht mehr verfolgen. Alles, alles hat die Revolution zerstört!
Das Grabdenkmal des Gegenpapstes Clemens VII. (1378—1394). in der
Kirche der Cölestiner in Avignon.
Am 13. September 1376 verließ Gregor XL, der Nachfolger Urbans V., der Neffe
Clemens VI., Avignon und verlegte damit trotz des Protestes des Königs und der
Geistlichkeit von Frankreich den Sitz der Päpste auf immer nach Rom zurück. Wie
stark aber die Interessen waren, die Frankreich daran hatte, die Päpste auch ferner
in Avignon zu fesseln, sollte gleich nach dem Tode Gregors XI. das große Schisma
offenbaren. Zwei Gegenpüpste haben noch in Avignon residiert: Clemens VII., der
Franzose, und Benedikt XIII., der Spanier. Benedikt fand ein unberühmtes Grab in
seiner Heimat in Peniscola, nachdem er seine Ansprüche bis zuletzt mit größter Hart-
nickigkeit behauptet hatte. Clemens VII. regierte fünfzehn Jahre lang die Kirchen
von Frankreich und Spanien von Avignon aus, wo er mit nicht geringerer Pracht
residierte, wie einst die rechtmäßigen Püpste!) Hier entfaltete Clemens VII., der an
Macht und Einfluß dem rauhen Urban VI., seinem Widersacher in Rom, nichts nach-
gab, eine ziemlich rege Bautätigkeit. Er sorgte für die Erhaltung der siebenttirmigen
Papstfeste, er baute in Kirchen und Klöstern, und er gründete endlich die Kirche
der Cölestiner, wo er selbst begraben wurde). Dort ließ ihm gleich nach seinem
Tode der Erzbischof von Narbonne ein prächtiges Grabdenkmal errichten, zwar ein
Denkmal ohne jenen reichen, gotischen Aufbau, der sich sonst wie ein Kapellenbau
über den ruhenden Päpsten wölbte, sondern nur ein mächtiges Freigrab, auf dem
man die Statue Clemens VII. erblickte. In den Acta sanctorum ist auch dieses
Grabmal abgebildet und beschrieben worden?) (Taf. 44, Abb. тз.) Es war ganz
aus weißem, teilweise in dunkle Schattierungen übergehendem Marmor hergestellt.
Man sah den Papst in vollem Ornat wie auf einem Paradebett ruhn, das tiara-
geschmückte Haupt unter einem Baldachin, die Füße auf einem Kissen, das mit
seinem Wappen geschmückt war. Ringsherum an den Wänden aber standen in
gotischen Tabernakeln zwanzig Heilige und hielten die Totenwacht. |
Im Jahre 1658 wurde das Grabdenkmal vom Platz vor dem Hochaltar in die Mitte
des Chors versetzt, und hier stand es noch völlig unversehrt bis zur Französischen
Revolution ‘). |
Damals: teilten die Cölestiner das Schicksal aller übrigen Kirchen in Avignon.
„Das schöne Gebäude,“ schreibt ein Chronist dieser Stadt, „wurde schwer be-
schädigt, die Revolutionäre zerstörten den größten Teil allen Schmuckes und aller
Skulpturen der Kirche. Alles Silber und alles Gold, alle kostbaren Kirchengewänder
verschwanden spurlos. Die Kapelle des hl. Michael wurde verkauft und in ein
Cafe umgewandelt. Die Kirche selbst wurde als Waschhaus hergerichtet).
(1) E. Müntz, L’antipape Clement VII, essai sur l'histoire des arts à Avignon vers la fin du XIV. siècle
in Revue archéologique III. ser., Tome XI (1888), S. 8ff. Danach ist das Zitat bei Courajod, Musée
de sculpture comparée, 8. 59, zu berichtigen.
(2) Duhamel, Les oeuvres d'art du couvent des Célestins à Avignon in Bulletin monumental LIV
(1888), 8, 109 und 217.
(3) а. a. O., 8. 103.
(4) Duhamel, a. a. O., 8. 114.
(5) Revue archéol., 1888, S. 171.
168
" Damals ereilte auch das Grabmal Clemens VII. das Schicksal aller übrigen Papst-
denkmäler in Avignon. Es wurde gänzlich zerstört. Nichts ist erhalten geblieben
als einige Triimmerstiicke im Musée Calvet, wo man vor allem noch den bis zur
Unkenntlichkeit entstellten Kopf des Papstes sieht. Es ist unmöglich, aus diesen
Resten ein Urteil zu gewinnen über den künstlerischen Wert dieses letzten unter
den Papstgrabmälern in Frankreich 1). (Taf. 44, Abb. 14)
Welch einen unvergleichlichen Schatz hat Frankreich noch bis vor wenig Menschen-
altern in diesen Mausoleen seiner Päpste besessen! Es konnte sich rühmen, einer
der merkwürdigsten Epochen seiner Geschichte in vielen Denkmälern gleichsam
ein einziges Denkmal gesetzt zu haben, ein Denkmal von ganz geschlossenem
Charakter, von ganz eigentümlicher Bedeutung. In Italien ist später der Typus
des Papstgrabes der Renaissance und des Barock entstanden, aber in Frankreich
ist das Papstdenkmal des späten Mittelalters geschaffen worden. Der französischen
Kunst ist es auch zuerst gelungen, in diesen Papstdenkmälern das Idealporträt zu
beseitigen und den toten Päpsten individuelle Züge. zu verleihen.
Diesen Ruhm haben die Franzosen selbst zerstört. Es gibt heute in Frankreich
keine Papstdenkmäler mehr. Wie die Gebeine sämtlicher Päpste in Frankreich in
alle Winde zerstreut wurden, so wurden die küstlichen Schreine, die sie bargen,
erbarmungslos in Stücke geschlagen.
Und leider blieb solch ein niegesehener Vandalismus, der ohne jede Nötigung die
ehrwürdigen Zeugen vergangener Jahrhunderte zu Boden warf, nicht allein auf
Frankreich beschränkt. Dieselben Männer, die in ihrer eigenen Heimat zu ver-
nichten trachteten, was an ein göttliches und weltliches Regiment auf Erden
mahnte, kämpften wenige Jahre später als siegreiche Soldaten in Italien. Kann es
wundernehmen, daß sie nicht zögerten, auch dort Hand anzulegen an Zeugen der
Vergangenheit, die ihnen nicht gefielen?
In Bologna und Ravenna gelang es mühsam, die Bronzestatuen Gregors XIII.
und Alexanders VIL zu retten?). Man setzte Gregor XIII. statt einer Tiara eine
Mitra aufs Haupt und nannte ihn den heiligen Petronius, den Schutzherrn Bolognas.
Aber in Rom wurden damals die Bronzestatuen Sixtus V. und Clemens ХП. ein-
geschmolzen, und die Marmorstatuen Pauls IV. und Innocenz XII. wurden in Stücke
geschlagen*) In Ascoli Piceno, wo die Brüder Lodovico und Girolamo Lombardi
das Andenken Gregors XIII. durch eine der herrlichsten Bronzestatuen Italiens ver-
ewigt zu haben glaubten, beschworen die Einwohner den Führer der französischen
Eroberer, den Stolz und das Wahrzeichen der Stadt nicht zu zerstören‘). Уег-
gebens! Französische Hinde schlugen dies Papstdenkmal in Stücke, wie sie einst
in Frankreich die Statuen der Künige zu Boden gestürzt hatten, ja, man zwang
(1) Das Urteil von Müntz über dieses Denkmal lautet sehr ungünstig (Gazette des Beaux Arts 1887,
S. 386/87). Es ist aber mit Vorsicht aufzunehmen, da Müntz die Tendenz hat, die Verbrechen der
Revolution zu verschleiern und den Verlust an Kunstwerken als móglichst gering darzustellen. Da-
gegen spricht Gonse (Les Chefs-d’oeuvre des musées de France, Paris 1904, S. 81) von dem vor-
nebmsten Trümmerstück des Clemens-Monumentes mit den Ausdrücken hóchster Bewunderung.
(3) Cavasza, Francesco, Della statua di Gregorio XIII sopra 1а porta del Palazzo Publico in Bologna.
Bologna 1888.
(3) E. Steinmann, Die Plünderung Roms durch Bonaparte, іп der Internationalen Monatsschrift XI (1917).
(4) Cantalamessa Carboni, Notizie storiche su di una statua in bronzo eretta dalla città di Ascoli nel
secolo XVI-ak-sommo pontifice Gregorio XIII, in Giornale arcadico 1845, S. 331 ff. d S
169
-
einige unglückliche Priester, die Trümmer dieser Erzstatue an Stricken durch die
StraBen zu schleifen! |
Es ist heute besonders lehrreich, im großen Buch der Weltgeschichte diese
dunklen Blätter wieder aufzuschlagen. Bild und Andenken ausgezeichneter Menschen
der Nachwelt zu tibermitteln — das ist von jeher die erhabene Aufgabe der Bild-
hauerkunst gewesen. Mit wenigen anderen Völkern der Geschichte teilten die Fran-
zosen den Ruhm, diese Kunst in jahrhundertelanger Fortentwicklung auf eine
wunderbare Höhe geführt zu haben. Aber es gibt wohl kein zweites Beispiel in
der Geschichte, daß die Söhne die Bilder ihrer Väter in den Staub getreten haben,
daß die Nachkommen frevelhaft in einem Augenblick zerstörten, was der Genius
der Vorfahren in unermüdlichem Bestreben langsam verwirklicht hatte. Ein drei-
faches Sakrileg hat sich hier vollendet bei einem Volke, das sich rühmte, das erste
unter den Kulturvülkern der Erde zu sein: gegen das Andenken der Toten, deren
Grüber geschündet wurden; gegen den Ruhm der Künstler, deren Werke zerstürt
wurden; gegen die zeitgeweihten Güter von Volk und Vaterland, deren Denkmüler
vom heimischen Boden vertilgt wurden. Seltsame Ironie des Schicksals! Hatten
nicht gerade die Franzosen von jeher den Ruhm als das hóchste aller Güter und
die Vaterlandsliebe als größte aller Tugenden gepriesen?
Wer sich vorzustellen vermag, wie in jenen schicksalsvollen Tagen die Kinder
eines Volkes sich erhoben, sich gegenseitig umzubringen, wie sie in unheilvoller
Verblendung ihr eigenes Vaterland zerstürten und tausende von historischen Denk-
п егп vernichteten, um die sie alle Völker der Erde beneiden mußten, der trauert
mit dem Genius der Menschheit, wie man trauert, wenn ein hoher, himmel.
anstürmender Geist unrettbar in die Nacht des Wahnsinns versinkt.
Die lange, leidvolle Geschichte der Menschheit hat auf ihren Tafeln nicht viele
Episoden von so furchtbarem Ernst, von so erschiitternder Tragik zu verzeichnen.
Die alten Griechen wuBten wohl, warum sie vor dem Zorn der Götter zitterten,
.die von jeher mit unerbittlicher Strenge die Selbstüberhebung sterblicher Menschen
gestraft hatten. |
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VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN’).
з. Grabmal des Papstes Clemens V. (1305—1314) in Uzeste. Aus Acta Sanctorum Май, Tom, V, 74.
2, Grabmal des Papstes Johanns XXII. (1316—1334) in Notre-Dame-des-Doms in Avon: Acta
Sanctorum Maii, Tom. V, 79.
3. Überreste des Grabmals Johanns XXII. in Notre-Dame-des-Doms. Aus André Hallays, Avignon e et
le comtat Venaissin, S, 17.
4. Grabmal Papst Benedikts XIL in Notre-Dame-des-Doms in Avignon. Acta Sanctorum Mail,
Tom. V, 85.
5. Das wiederhergestellte Grabmal Benedikts XII. (Grabgehäuse des Kardinals Jean de Cros mit der
modernen Grabstatue des Papstes). Nach einer mir gütigst zur Verfügung gestellten Original-
aufnahme von Herrn Professor Hamann in Marburg.
6. Grabmal Clemens VL in La Chaise-Dieu. Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 89.
7. Grabmal Clemens VI. (1342—1352) in La Chaise-Dieu (heutiger Zustand). Aus Vitry und Briéré,
Documents de sculpture francaise du moyen Age. Paris 1904, Pl. C, 1.
8. Grabstein Innocenz VI, in Villeneuve-les-Avignon. Acta Sanctorum Maii, Tom. V, go.
9. Grabmal Innocens VI. (heutiger Zustand). Nach einer Zeichnung von Perrot in Lettres sur Nismes
et le midi, Nismes 1840, I. 332.
10. Grabmal Innocenz УІ. іп Villeneuve-les-Avignon. Acta Sanctorum Май, Tom. V, 90.
11. Grabmal Urbans V. (1362— 1370) in St.-Victor in Marseille. Acta Sanctorum Maii, Tom. V, 93.
12. Kenotaph Urbans V., einst in Saint- Martial in Avignon. Uberreste im Musée Calvet, nach einer
Wiedergabe in der Gazette archéologique ІХ (1884), Pl. 15.
13. Grabmal Clemens ҮП. in der Kirche der Cölestiner in Avignon. Іп Acta Sanctorum Май, Tom. V, тоз.
sq. Trümmerstück vom Grabmal Clemens VIL im Musée Calvet in Avignon. Aus Hallays, EE
et le comtat Venaissin, S. 183.
(х) Die Abbildungen mußten sum Teil nach ungenügenden Vorlagen ausgeführt werden, da mir mein
reiches, in Rom befindliches Material für diesen Aufsatz nicbt zur Verfügung stand.
171
KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER.
NACHTRAG ZU NR. 4: „DAS RÄTSEL DES SEBALDUSGRABES«
0000000000000080000000000000000000000500000000000000000000000000900000202090594 VON HUBERT STIERLING
u meinem Aufsatze im Maiheft des laufenden Jahrgangs, welcher die Genesis
des Sebaldusgrabes behandelt, habe ich noch eine Kleinigkeit nachzutragen,
Ich habe dort ausgeführt, daß Peter Vischer d. J., als das gotische W'achsmodell
seines Vaters bereits fertig war, dieses im letzten Augenblick durch renaissance-
mäßige Kleinarbeiten bereichert und in grundlegender Weise verändert hat. Man
wird verstehen, daß dieser Plan, der wohl in ziemlicher Eile ersonnen und aus-
geführt worden ist, nicht gleich fertig und absolut dem Hirn des jungen Künstlers
entsprungen ist. Gewisse Schwankungen dürfen wir ohne weiteres voraussetzen,
und eine derselben hat ihre sichtbaren Spuren bis auf den heutigen Tag hinterlassen.
In der Mitte der Abb.2 (vgl. auch Abb. 3 in der Mitte links) sieht man nämlich
ein merkwürdiges Fragment, dessen Bedeutung mir bisher unklar war. Da es nun
dasselbe Profil aufweist wie die beiden flach gewölbten Rundbogen rechts und
links, auf denen die Putten sitzen, so ist es wohl klar, daß es sich um den Ansatz
eines dritten Rundbogens handelt, der sich einst entsprechend nach vorwärts wölbte.
Unklar ist es nur, wie weit er hier ging und ob er die Vorderkante des Grabes
erreichte, indem er hier vielleicht von einem kurzen Säulenschafte aufgenommen
wurde. jedenfalls schließt dieser Bogen die gleichzeitige Existenz des heutigen
Löwen aus, da er auf der aufgewölbten Vorderkante mit diesem kollidiert haben
würde. Peter Vischer d. L welcher allein in Frage kommt, muß den Bogen doch
schließlich als unbequem empfunden haben. Er entschloß sich darum, ihn kurzer-
hand an der Wurzel zu kappen, wie er es ähnlich mit den darunter liegenden
gotischen Säulen seines Vaters gemacht hatte. Charakteristisch bleibt dabei wieder
die Sorglosigkeit, die sich nicht an diesem doch recht beträchtlichen Blocke stieß,
der mit leichter Mühe im Wachsmodell ausgetilgt werden konnte.
. Betrachtet man die große Aufnahme des Sebaldusgrabes in Mayers Genreplastik,
dann hat es den Anschein, als ob mit Hilfe dieses projektierten Bogenschlages
auch die Zwischenballuster eine Verbindung zur äußersten Vorderkante des Grabes
haben sollten, entsprechend den Renaissancevorlagen der Hauptpfeiler. Die heutige
Lösung aber, welche die Balluster zurücktreten läßt, entspricht ohne Frage dem
Bilde bewegter Gliederung besser.
Wie ich schon angedeutet habe, sind die Löwen, welche sich vor den Ballustern
lagern und die gotische Bodenwelle überschneiden, erst möglich geworden, nach-
dem die Idee des Bogenschlages gefallen war. Man ist darum von vornherein
geneigt, auch sie als Werke des jungen Vischer anzusehen, und dem entspricht
ihre völlig unverschnittene Technik durchaus,
Ich vermag aus dem Gedächtnis nicht zu sagen, wie oft sich dieses Bogen-
fragment wiederholt; für zwei- bis dreimal möchte ich aber einstehen. Das deutet
also darauf hin, daß der junge Vischer seinen eigenen Gedanken schon während
der Arbeit wieder hat fallen lassen, denn sonst würde das Fragment sich regel-
mäßig an allen Ballustern wiederholen, soweit der Platz vor ihnen nicht durch
die vier Figuren der Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigkeit und Klugheit (Mayer,
Genreplastik, Tafel 18—21) in Anspruch genommen ist.
,DER ZUSTAND UNSERER
FACHMANNISCHEN BEURTEILUNG«
His Professor Strzygowski erhob gegen mich unter dem obigen Titel (Monats-
hefte für Kunstwissenschaft 1918, Aprilheft, Seite і01--105) eine Art Anklage
wegen der Kritik, die ich über sein Buch: „Die Bildende Kunst des Ostens“ in
den Mitteilungen der Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst, Beilage der „Graphi-
schen Künste“ (Jahrgang 1917, Seite 36—37) veröffentlicht habe. — Er richtet
zugleich seine Beschuldigungen gegen Hofrat Professor Julius v. Schlosser, Hofrat
Josef R. v. Karabacek, Dr. Árpád Weixlgirtner und überhaupt gegen die Wiener
Wickhoff-Schule.
. Über den Wert und die Berechtigung eines derart ausgebreiteten Angriffes mag
wohl ein jeder denken was er will Was mich betrifft, habe ich nie zu der mit
Recht hochangesehenen Wickhoff-Schule gehürt und auch jetzt — wie immer —
auf eigene Faust gehandelt.
Es hat fiir mich keine Eile, auf die gegen meine Art und Weise .und wohl auch
gegen meine Person gerichteten Auslassungen Strzygowskis einzugehen, denn er
läßt sich auf eine wissenschaftliche Polemik nicht ein. Dieser Aufgabe hat sich
aber sein Schiiler, Artur Wachsberger, unterzogen. Seine Erwiderung wird von
Strzygowski gleichfalls mitgeteilt. Gegen den Inhalt dieser Replik kann ich nicht
umhin, folgendes anzufiihren:
I. Es wurde bisher deshalb nicht ausdrücklich festgestellt, daB die mittelalter-
liche Kunst Chinesisch-Turkestans ein Export der chinesischen T’angkultur war,
weil das eine Selbstverstindlichkeit ist. Le Coq und Grünwedel behaupten durch-
aus nicht das Gegenteil, sondern nur — mit vollem Recht — daB sowohl die
figuralen als auch die dekorativen Motive dieser Kunst letzten Endes zum groBen
Teil von der Antike herstammen. |
2. Sehr richtig bemerkt Wachsberger, daB ,unserem heutigen Wissen nach das
Prinzip der ursprünglichen chinesischen Ornamentik sich eher als isolierendes,
denn als verbindendes erweist, daB Ornamentformen, denen in der ganzen Welt-
kunst, vornehmlich in der griechischen, der innere Drang nach rhythmisch- konti-
nuierlichem Fortlauf geradezu motorisch innewohnt, wie dem Mäander und dem
Rankenglied, daB diese Formen mit Vorliebe starr in sich zurückkehren und un-
gebunden gereiht werden, wie Wickhoff das schon für den chinesischen Müander
beobachtet hat.“ Auch ich behauptete nicht, daß die Ranke ein grundlegendes
Element der urchinesischen dekorativen Kunst sei. Ich sagte nur, daß wir „so-
wohl die in Rede stehende Ranke als auch das Lambrequinmotiv auf chine-
sische Vorbilder zurückführen müssen, da beide ,die grundlegenden Elemente'
der dekorativen Kunst sind, die uns in den Ornamenten der urchinesischen Bronzen
erhalten geblieben ist.“ Die Urform der chinesischen Ranke ist meiner Meinung
nach z.B. in den Kranzmotiven zu erkennen, welche die auf den Chüeh genannten
Bronzegefäßen angebrachten Knöpfe zieren. Man wolle nur im Po-ku-t'u-lu, Bd. 14
oder 15 nachsehen! — Das Zattelmotiv kommt auf Bronzegefüfen verschiedener
Form unzáhligemal vor. Man sehe nur die von Chavannes (Mission archéologique
dans la Chine septentrionale, Pl. CCCXXII, Nr. 524) publizierte Vase und die Ana-
logien bzw. verschiedenen Variationen ihres Schmuckes im Po-ku-t'u-lu, Hsi-tsing-
ku-kien usw.
173
3. Ich habe selbstverstündlich nicht behauptet, daß „in den Ideogrammen der
chinesischen Schrift der Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen ist.“
Die betreffende Stelle lautet bei mir: ,Und er (Strzygowski) ist geneigt, diesen
arischen Geist auch in der chinesischen Landschaftsmalerei zu entdecken ... So
einfach läßt sich aber auch dieses Problem ... nicht abtun. Es wird in der
ältesten hieroglyphischen Schrift der Chinesen eine ganze Reihe von Begriffen all-
gemeinen Inhalts symbolisch durch Pflanzenformen bzw. landschaftliche Andeu-
tungen ausgedrückt, Begriffen, bei denen Ahnliches anzuwenden uns kaum ein-
fallen würde. Man sehe daraufhin die Ideogramme bei Chalfant — Early Chinese
Writing — für die Begriffe — schwer (difficult — chun, 102), Ruhm (hua, 106),
herauskommen (to issue — cho, 107), Ursprung (source of == chih, 108), her-
vorbringen, gebüren (shéng, 109), stehen bleiben (chih, rro), gerade, genau
(chéng, 111), luxuriös (féng, 112), roh (mang 115), Ost (tung, 121), hängend
(ch'ui, 372), zerstörter Wuchs (wi, 379), nicht (pu, 380), zurückweisen, nein
(fou, 381), noch nicht (wei, 387), ohne (mo, 388), keiner (wu, 389). In dieser
Ideologie bzw. in den urzeitlichen Beobachtungen, die dazu geführt haben, ist der
Quell der chinesischen Landschaftsmalerei zu suchen und nicht in irgendwelchem
westlichen Import. Ich fühle mich freilich nach wie vor nicht veranlaßt, mich
dieser meiner „Entdeckungen humoristisch-umsttirzlerischer Art“ zu schämen. Im
Gegenteil: ich habe auch weitere Beobachtungen gemacht, die meine in den obigen
Zeilen angedeutete Ansicht rechtfertigen. Hoffentlich werde ich bald in der Lage
sein, sie zu ergünzen und zusammenfassend darzulegen.
Im übrigen verweise ich einstweilen auf meine Besprechung des Strzygowski-
schen Werkes „Altai-Iran“ in der Zeitschrift „Türän“, 1918, Heft 1/2, Seite 97— 107.
Z. v. Takács.
ERWIDERUNG
u dem vorstehenden Versuch einer Rechtfertigung ist zu bemerken: Es war die
Absicht, das zu erwartende Hin- und Herreden nutzbringend für das Fach und
nicht auf Rechthaberei hinauslaufen zu lassen, als der allgemein gehaltene Titel:
„Der Zustand unserer fachmännischen Beurteilung“, gewählt wurde. S. тот f. hat
sich nur mit dem Vorgehen der Wiener Kollegen beschäftigt, jetzt, da Dr. Wachs-
berger unerreichbar im Orient weilt, muß ich wohl für ihn auf die vorstehend ab-
gedruckten Ausflüchte antworten, so zwecklos mir das auch, soweit der Gegner in
Betracht kommt, erscheint Um wenigstens den Fachgenossen einen Gewinn zu
sichern, sei gesagt, daB der in den Jahren vor dem Kriege zwischen West- und
Ostasien in Chinesisch-Turkestan gefundene, unerhürt reiche Schatz bildender Kunst
gestattet, die bisher in zwei Welten auseinanderfallende Kunst Eurasiens in ört-
lichem Zusammenhange zu sehen. Damit konnte der für die Entwicklung unseres
Faches entscheidende Schritt zur vergleichenden Kunstforschung mit dem Ziel einer
Entwicklungsgeschichte unternommen werden, wie ich das in meinen beiden Werken:
„Die bildende Kunst des Ostens“ und „Altai-Iran und Völkerwanderung“ versucht
habe. Wenn nun oben in Punkt 1 neuerdings behauptet wird, die mittelalterliche
Kunst Chinesisch-Turkestans sei ein Export der chinesischen Tangkultur, aller-
dings mit der drolligen Rückversicherung, „die selbst letzten Endes zum großen
Teil von der Antike herstammt" (wobei auch noch Le Coq und Grünwedel als
kunsthistorische Sachverständige, überdies fälchlich, zitiert werden‘), so wird der
(1) Vgl. Grünwedel, Zeitschrift für Ethnologie 4: (1909), S. 89: f.
374
klare Tatbestand ohne jeden Einblick in die Denkmäler und ihre Wesensart auf
den Kopf gestellt. Die Kunst Chinesisch-Turkestans hängt ebenso mit Indien und
dem Westen unmittelbar wie mit China zusammen. Іп der Tangzeit (618—906)
hat sie qualitativ ihren Hühepunkt überschritten.
In áhnlicher Weise stellt Punkt 2 China als den allein gebenden Teil der bei den
nordasiatischen Nomaden verbreiteten Motive.von geometrischer Ranke und Zattel-
motiv hin. Was nebenbei als „Meinung“ geäußert wird, steht schon in meinem
„Altai-Iran“, nur werden die Motive dort nicht als chinesisch hingestelt, sondern
auf die Bronze- und Zeltarbeit der Wanderhirten zurückgeführt. Der einfache
Schlüssel „Alles ist chinesisch“ bedeutet nur eine neue Spielart des alten „Alle
Wege führen nach Rom“.
Die unbedenklich auf Einfälle gestellte Arbeitsart des Gegners kommt vielleicht
am deutlichsten heraus in Punkt 3. Er fand bei Chalfant eine Ableitung der chine-
sischen Schrift, die auf eine scharfe Naturbeobachtung schlieBen 1886; sofort sah
er darin den Quell der hochentwickelten chinesischen Landschaftsmalerei In der
Tat bietet die chinesische Schrift (vgl. zuletzt Schindler, Ostasiatische Zeitschrift III
1914/15, S. 451f) wertvolle Belege für die Erforschung der ültesten chinesischen
Kunst, so vielleicht auch für die Begabung zu landschaftlicher Beobachtung. Aber
eine solche ist auch in den Hieroglyphen da, ohne daB die geistige Entwicklung
der Ágypter ein so unbefangenes Anschauen, wie es bei den Chinesen in der
Blütezeit ihrer Kunst zu finden ist, zugelassen hitte. Es kommt auf die geschicht-
liche Gestaltung der Verhiltnisse und nicht auf die Begabung der Chinesen an,
insbesondere inwieweit die Macht der Kunst Freiheit der Entfaltung ließ. Ob
Wachsberger daher die Schrift selbst oder ihre Voraussetzung nannte, läuft auf
das gleiche hinaus.
Was die »Besprechung* meines „Altai-Irän« in der Zeitschrift „Turan“ anbelangt,
so ist sie von genau der gleichen Art, die Wachsberger oben, S. 103 f., zur Gentige
gekennzeichnet hat. Ä
Ä | 1. Strzygowski.
2. 1
D
D
175
e . Eae:
BERTHOLD DAUN, Veit Stoß und
seine Schule. Zweite, villig umgestal-
tete und erweiterte Auflage. Leipzig 1016.
K. W. Hiersemann. 89, 248 5. т. 108 Abb.
Dauns Stoßstudien, die zum erstenmal 1903 er-
schienen und durch ihr Eingehen auf die Arbei-
ten des Meisters und seiner Werkstattgenossen
außerhalb Nürnbergs und Krakaus, die Benutzung
der polnischen Literatur und neue Abbildungen
vorteilhaft aufflelen, liegen jetzt — nach 13 Jahren —
in zweiter, wesentlich erweiterter und umgearbei-
teter Auflage vor. Inzwischen hatte Ptasnik im Kra-
.kauer Jahrbuch die auf Stoß’ dortigen Aufenthalt
bezüglichen Urkunden, Franz Kopera die Krakauer
Arbeiten des Meisters in vortrefflichen Lichtdrucken
publiziert, vor allem aber war 1912 in Leipzig bei
Zeitler ein umfassendes Werk über Veit Stoß, die
Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben
erschienen, das auf lange Zeit die Stoßforschung
abzuschließen schien und das gesamte Quellen-
material zu ungekürstem Abdruck brachte. Max
Lossnitzer, der sich mit dieser reifen und me-
thodisch mustergültigen Monographie in vorteil-
haftester Weise in die Wissenschaft einführte,
Bel als eines der ersten Opfer des Weltkrieges im
jugendlichen Alter von 26 Jahren am 9. Septem-
ber 1914 bei Chálons, aufrichtig betrauert von allen
Fachgenossen, die ihn und seine zu so schönen
Hoffnungen berechtigende Erstlingsarbeit kennen
gelernt. Es berührt wenig sympathisch, wenn
Daun im einleitenden Kapitel seines Buches
für diese Arbeit, an der er schlechterdings
nicht vorübergehen kann, nur Worte lauer An-
erkennung findet und mit nicht mißzuverstebender
Absicht in unmittelbarem Anschluß daran es als
Hauptaufgabe seiner Neubearbeitung bezeichnet,
das „Stoßmaterial von haltlosen Hypothesen zu
seinigen“. Jeder unbefangene Vergleich lehrt viel-
mehr, daß die Umgestaltung und Erweiterung von
Dauns Buch in erster Linie auf Lossnitzers Arbeit
im guten, auf Dauns eigene im weniger guten
Sinne zurückzuführen ist. Lossnitzer war es, der
zuerst eine Ableitung von Stoß’ Stil aus der frän-
kischen und Passauer Skulptur — auch aus den
Werken des Hans Brandt, Nicolaus Gerhart van
Leyen und Simon Laimberger — mit Glück ver-
suchte, der seine Sonderart mit scharfem Blick
und Ausdruck kennzeichnete, der mit erstaun-
licher Gründlichkeit allen Spuren nachging, die
in Urkunden oder Denkmälern weitesten Um-
176
kreises sich boten, kurz, ein selbständiges, abge-
rundetes und lebensvolles Bild des Meisters hin-
stellte, wo Daun mit unsicheren Strichen an einer
Charakteristik herumgebosselt und sich allzusehr
an die ältere, zum Teil völlig unkritische Literatur
geklammert hatte, um sie dann hämisch zu glos-
sieren. Die neue Auflage von Dauns Buch, dessen
Inhalt inzwischen in einer Knackfußmonographie
1906 noch einmal dem größeren Publikum in ge-
drängter Form vorgesetzt wurde, zeigt leider die
Schwächen seiner früheren Arbeitsweise, den
Mangel an Festigkeit des Urteils und des Aus-
druckes in wenig empfehlender Wiederkehr.
Begreiflicherweise sind die 248 Seiten des vom
Verleger vornehm ausgestatteten Bandes vor-
wiegend mit Auseinandersetzungen gefüllt, die
Lossnitzers und anderer jüngerer Stoßforscher An-
sichten und Zuschreibungen teils anfechten, teils
ihnen mit sauersüßer Miene Gerechtigkeit wieder-
fahren lassen.
In einem solchen Streit der Meinungen von Fall
zu Fall Stellung nehmen, hieße, ein weiteres dickes
Buch über Stoß schreiben wollen, wozu ich weder
Neigung noch Beruf fühle, und hier nicht der Platz
ist. Es wird meines Erachtens stets ein mehr oder
weniger vergebliches Bemühen bleiben, aus der
großen Zahl von Arbeiten, die unter dem Namen
des früh kapitalkräftigen, skrupellosen Großunter-
nehmers Veit Stoß seine Werkstatt verließen,
die eigenhindigen von Gesellenwerken mit voller
Gewißheit zu scheiden. Dazu bedürfte es wenig-
stens eines einzigen Stückes, bei dem die aus-
schlieBliche Ausführung durch den Meister über
jeden Zweifel erhaben ist. Die Meistermarke
an sich bietet dazu keine genügende Handhabe,
so wenig wie eine Urkunde, die Auftrag oder Be-
zahlung an den Unternehmer ricbtet. Es wird sich
vielmehr immer nur darum handeln können, aus
der groBen Masse, die den allgemeinen Stilbegriff
„Stoßischer Kunst“ verkörpert, die wertvollsten und
von persönlichem Kunstwillen am stärksten er-
füllten Stücke heraussuheben und als Werke des
Meisters hinzustellen oder, wie Liebermann ein-
mal es witzig ausdrückte: es ist Aufgabe der
Kunstgeschichte, den Künstlern, wenn sie einmal
tot sind, ihre schlechten Werke abzusprechen.
Dazu gehört ein Blick für Qualitäten, den ich
in Lossnitzers Darlegungen eher zu erkennen ver-
mag, als in denen Dauns. jedenfalls versteht
jener die objektiven Beweismittel für seine An-
sicht klarer und überzeugender zu verdeutlichen,
und Daun kann Lossnitzers angeblich „baltlose
Hypothesen“, z. B. über die Mitwirkung von
Gesellenhänden an dem großen Krakauer Marien-
altar nicht einfach durch Fragezeichen und un-
begründete gegenteilige Geschmacksurteile (S. 28)
aus der Welt schaffen, zumal bei einem Werk
von dem Umfang und der Zeitdauer des Krakauer
Altars ganz selbstverständlich weitgehende Ge-
sellenarbeit anzunehmen ist und die Namen von
Gehilfen direkt in den Urkunden genannt werden.
Hier hat Lossnitzer mit Recht eingesetzt, um
Meisterwerk und Geseljonarbeit su trennen. Ebenso
möchte ich mit L. an die Mitwirkung von Jerg
Huber an den Steingrabplatten in Gnesen und
Wioclawek glauben, wobei nicht zu übersehen
ist, daß das schwer zu behandelnde Material —
Salzburger oder ungarischer Rotmarmor — eine da-
fir besonders geschulte Hand voraussetzte!).
Der Umstand, daß. Stoß auch als Stecher tätig
war, spricht ohnehin für die Wahrscheinlichkeit,
daß er wie andere Meister der Zeit zeichnerische
Visierungen, wie sie sich in Krakau und Budapest
erhalten haben, seinen Werkstattgesellen zur Aus-
führung überließ. Damit wird die stilkritiscbe
Sichtung in vielen Füllen noch schwieriger, ja
nahezu aussichtslos. Wer freilich, wie Daun
das heute verschollene Marientodrelief der Samm-
lung Streit in Kissingen (S. 44) ale eigenbändiges
Frihwerk Stoß’s ansieht, dürfte meines Erachtens
auch die bekannte Rosenkranztafel im Germani-
schen Museum nicht in den Orkus der Schul-
arbeiten (S. 127 ff.) verbannen. Lossnitzers Aufstel-
lung eines eigenen Meisters für die letztere, an Dürer-
sche und schwübische Vorbildererinnernde Schnitze-
rei vermógen die gewundenen Gegenargumente
Dauns nicht zu erschüttern. Und so wird wohl
Daun bei vielen Arbeiten, die er — wie z. B. die
Glogauer Steinfiguren — für Stoß retten möchte
schwerlich auf Zustimmung rechnen dürfen. Daß
die Manier des Meisters durch seipe zahlreichen
Söhne, Gehilfen und Schüler sich schnell und weithin
— besonders im Osten — verbreitete, zeigen z.B.
in der Provinz Posen auf Schritt und Tritt Beispiele,
die derselben Beachtung wert sind, wie sie Daun
einigen willkürlich herausgegriffenen angedeihen
(1) Hier sei eingeschaltet, daß der kujawische Bischof, den
Daun hartnäckig Pietro Bnina nennt, Piotr Mossynski hieß
und nur aus Bnin, einem Städtchen der heutigen Provinz
Posen, stammte (geb. ca. 1430, 1481- 83 Custos der Kathe-
drale zu Gnesen, später Bischof von Ртветуві und ge-
storben 1493 als Bischof von WIoclawek). Das Schloß
»Vinow'', auf dem Sbignew Olesniecki den widerspenstigen
Schnitzer Hans 1486 gefangen setzte (8. x9), dürfte Uniejow
(a. d. Wartbe, im Gouvernement Kalisch gelegen), ein
Lieblingssits der Gnesener Ersbischdfe im 15. Jahrhundert,
sein. |
Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jahrg. XI, 1938, Heft 6
läßt. Dazu sei bemerkt, daß über den Altar дег
katholischen Pfarrkirche zu Koschmin Dr. Horn im
Repertorium 1915, über die schlesischen Schnitz-
werke der Stoßschule Prof. Patzak in der Zeitschrift
für christliche Kunst 1916 Studien veröffentlicht
baben, die Daun, der sonst die Literatur sehr ge-
wissenhaft verfolgt, entgangen sind. —
Dankbar zu begrüßen ist es, daß es dem Ver-
fasser gelang, in „Meister Paul“ und dem ältesten
Sohn des Veit Stoß, Stanislaus, zwei Individuali-
täten der Stoßschule schärfer zu umreißen, als es
bisher geschehen. Hier stimme ich ihm auch
hinsichtlich des Torrigiani-Engels in der Jakobs-
kirche zu Nürnberg zu, den er mit Dehio für
Stanislaus Stoß reklamiert, während ihn Loss-
nitzer als Arbeit des Vaters bezeichnete. Das
weitentwickelte, breite Schönheitsideal, die gelöste
Bewegung und auch die Einzelformen passen
besser zu der Vorstellung, die wir uns von der
Kunst des talentvollsten unter Veits Söhnen bilden,
der aber unmöglich zugleich für die ganz anders
geartete Münnerstädter Kreuzigungsgruppe (S. 96)
verantwortlich gemacht werden kann.
Auch für die Ausführungen über die Schnitz-
arbeiten der Wolgemutwerkstatt (S. 214 ff.) dürfen
wir Daun danken, wenngleich eine straffere Ökono-
mie seiner Arbeit deren Weglassen gefordert hätte.
Daß er die Frage der Vischerschen Grabplatten mit:
in seine Auseinandersetzungen hineinzieht (S. 52 fl.),
belastet diese nach meinem Dafürhalten unnötig
und trägt nur zur Verunklärung des ohnehin so
schwer zu gewinnenden Bildes von Stoßischer
Eigenart bei. Hier sind vielleicht neue Aufschlüsse
von Dr. Dettloff, der sich mit einer gründlichen
Dissertation über den Entwurf Peter Vischers zum
Sebaldusgrab von 1488 (Posen 1915) vorteilhaft
еш ен hat, demnächst zu erwarten.
All diese Exkurse, die die Aufmerksamkeit des
Lesers von dem wesentlichen Inhalt des Buches
ablenken und die Geschlossenheit der Darstellung
stören, sind nicht nur Schönheitsfehler, sie lassen
vielmebr erkennen, daB es dem Verfasser noch
nicht gelungen ist, den gewiß schwer zu bän-
digenden Stoff so zu durchdringen und zu formen,
wie es für eine abschließende Arbeit unerläßlich
wire. Bei aller Anerkennung des bewiesenen
Sammeleifers muß das Fehlen scharf sichtender
Kritik bedauert werden. Sie allein kann aus Zwei-
fein zur Wahrheit führen und läßt sich wohl mit
Vorsicht verbinden. Nur daß Vorsicht allein es
nicht tut, zumal diese Mutter der Weisheit oft keinen
Grund hat, auf ihre eigenen Ahnen stolz zu sein.
Kaemmerer,
1a 177
EMILE BERNARD, Erinnerungen an
Paul Cézanne. Benno Schwabe & Co.
Basel 1917. |
Die Erinnerungen entstanden 1904, gelegentlich
eines Besuchs Bernards bei dem alternden Cézanne,
der sich in fast krankhafter Menschenscheu die
letzten siebenundzwanzig Jahre seines Lebens von
den Menschen fern hielt. Weiler in jungen Jahren
einmal für den Meister literarisch eingetreten war,
gelang es B., das Vertrauen und die Zuneigung
des einsamen Sonderlings zu gewinnen. So sind
denn seine Aufzeichnungen zusammen mit dem
Briefwechsel, der sich an diesen und einen zweiten
Besuch anschloß, interessante Dokumente für das
Leben des für die moderne Kunst so wichtig ge-
wordenen Mannes. Wir erfahren manches über
seine eingezogene Lebensweise und den Kampf,
den der Alternde mit dem Körperlichen zu be-
stehen hatte, über die Zusammensetzung seiner
Palette und seine Arbeitsweise, die mit den Schatten-
partien anfing, zuerst leichte, fast neutrale Töne
anschlug, um dann in beständiger Steigerung der
Skala mit stärkerem Konzentrieren der Halbtöne
fortzufahren. Das eigenartig kleinstädtische Be-
denken, das Cézanne gegen die Verwendung des
weiblichen Modells hegte, mag befremden, aber
gelegentliche Schwerfälligkeiten seiner Formgebung
weiblicher Akte werden dadurch erklärt. Cézannes
Beziehungen zu Zola werden leicht gestreift, wir
hören von den Malern und Dichtern, die er liebte
von seiner Bewunderung der Venetianer und der
ablehnenderen Haltung gegen die Primitiven. Ве-
sonders auffallend ist Cézannes ungünstiges Ur-
teil über Gauguin, „der nur chinesische Bildchen
gemacht“. Die besonderen Züge seiner Perspektive
und Optik erklärte Cézanne mit der Mangelhaftigkeit
seiner Augen. Gerne hätte man von Bernard noch
etwas Ausführlicheres über Cézannes Stellung zum
Räumlichen gehört, als die wenigen, eingestreuten
Bemerkungen, die. kein klares Bild hierüber er-
geben. Ein bisher unpub 8 Porträt Cézannes
von Bernards Hand ist 5 Graber be-
sorgten Übertragung beigegeben, deren Wert noch
dadurch gesteigert ist, daß die französische Auf-
lage, eine teure und in der Anzahl beschränktà Biblio-
philenausgabe, heute vergriffen ist. Hans Kehns.
\
\
178
REMBRANDT, Handzeichnungen,
herausgegeben von Carl Neumann, mit
vierundneunzig Abbildungen. R. Piper
& Co. Verlag. München 1918.
Rembrandt als Zeichner dem kunstliebenden
Laien näherzubringen und dem : Wissenschaftler,
der nicht in der Lege ist, sich die Ausgabe von
Lippmann und Hofstede de Groot für seine Privat-
bibliothek anzuschaffen, die Móglichkeit zu bieten,
Abbildungen stets bei der Hand zu haben; ist
gewiß ein großes Verdienst. Die Auswahl unter
der überreichen Fülle ist besonders glücklich.
Gegenüberstellungen wie die beiden Fassungen
des Abendmahls in Dresden und Berlin, der An-
kunft des barmherzigen Samariters in London und
Amsterdam oder der in Behandlung des Hinter-
grundes verwandten Beschneidung Christi in
München und der Szene aus dem batavischen
Unabhängigkeitskampf (ebenda) sind sehr auf-
schlußreich.
Der Vergleich mit den vor zwölf Jahren von
Graul (Fünfzig Zeichnungen von Rembrandt, aus-
gewählt und eingeleitet von Richard Graul, Leipzig
1906) herausgegebenen Rembrandtzeichnungen
drängt sich auf. In kaum zehn Fällen sind die
gleichen Blätter reprodusiert, die von Neumann
getroffene Auswahl ist sehr viel charakteristischer
und die Abbildungen besser.
Neumann gliedert Rembrandts Zeichnungen in
drei Stilperioden und umschreibt seine im Laufe
der Jahre wechselnde Art zu zeichnen in fein-
sinniger Weise. Nicht immer gehen Maler und
Zeichner die gleichen Wege, der junge Rembrandt
ist gelegentlich als Zeichner dem Maler überlegen.
Bei den Abbildungen unterscheidet Neumann zwi-
schen Einzelstudien, die meist nach der Natur ge-
zeichnet sind, und Kompositionen. Innerhalb dieser
Reihen, die in Unterabteilungen zerfallen, beob-
achtet er die Zeitliche Abfolge. Eine dritte, „Zur
Kritik“ benannte Abteilung umfaßt das Original
des unartigen Kindes in Berlin, die Kopie des
gleichen Blattes in Budapest und vier Zeichnungen
mit späteren Korrekturen,
Rosa Schapire.
RUNDSCHAU аннан.
DER CICERONE.
X, 9/10.
HEDWIG KUSEL: Antikes EEN im .
Hamburger Museum für Kunst u. Gewerbe. (18Abb.)
HANS WÄHLIN: Ein neuentdecktes sus
(1 Abb.)
CONRAD STRAUSS: Die Kari Heinrichsche
Fayencefabrik zu Frankfurt. nk fart aO;
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 8.
MAX J. FRIEDLAENDER: Kennerschaft, Kunst-
historie und Ästhetik,
KARL SCHEFFLER; Elternbildnisse. (8 Abb.)
GRETE RING: Das Kunstwerk im Museum und
an seinem geschichtlichen Standort.
WERNER WEISBACH: Mathias Grünewald II.
(9 Abb.)
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
XXIX, 8.
MAX LEHRS: Alfred Lichtwarks Briefe. (1 Abb.)
KARL SIMON: Aus Peter von Cornelius’ Frank-
furter Tagen. (8 Abb.)
P. SCHUMANN: Arbeit — Wohlstand — Schön-
beit. Ein neues W Max Klingers,
(1 Tafel, т Abb.)
ZEITSCHR. FUR CHRISTLICHE KUNST.
XXX, 11/12.
ADOLF DYROFF: Uber die Bedeutung des Stup-
pacher Marienbildes von M. Grünewald. (1 Taf.)
HEINRICH OIDTMANN: Alte Glasmalereien eines
spätgotischen Portaloberlichtes in der ehemaligen
Klosterkirche zu Niederwerth bei Coblenz a/Rh.
(1 Abb.)
J. A. ENDRES: Die Darstellung der Gregorius.
messe im Mittelalter. (2 Abb.)
DIE KUNST.
XIX, 8
FRIEDRICH BACK: Carl Bantzer. (1 farb. Taf.,
13 Abb) `
KURT REINHARDT: Die néue religiöse Malerei.
9. J. WOLF: Altmünchner Bilder. (ro Abb.)
J BETH: Max Slevogts Fries für ein Musik.
zimmer. (3 Abb.)
J. BETH: Renée Sintenis. (9 Abb.) N
J. BETH: Auktionssilhouetten. |
HERMANN SCHMITZ: Das Haus Hirsch in
Messingwerk bei Eberswalde von Architekt Paul
Mebes-Berlin. (9 Taf., 16 Abb.)
FRITZ HOEBER: Die Aufgabe der Baukunst in
der Kultur unserer Zeit.
BERLINER MÜNZBLÄTTER,
"XXXIX, 197.
Dr. A. KRENKEL: Kriegsgeld von Deutsch-Ost-
afrika. (3 Abb.)
EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als Kurbranden-
burgische Münzstätte, (3 Abb.)
Dr. PHIL, LEDERER: Selge.
L. v. L.: Das deutsche Notgeld 1916— 1918.
MITTEILUNGEN DES VERBANDES
DES DEUTSCHEN KUNST- UND ANTI- `
QUITATENHANDELS.
I, 2.
Zur Frage eines Ausfubrverbotes von Kunstwerken.
. M. Original, Replik und Kopie.
GÜNTHER KOCH: Echtheitszweifel.
OUDE KUNST.
Ш, 7. m
HIDDE NIJLAND: Hindeloopen. (xx Abb.)
N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (21 Abb.)
J. W. ENSCHEDE: Al is ons Prinsje nog zo klein.
S. KALFF: De Schilder Frans Post. (2 Abb) -
Kunstwerken in deNalatenschap van Hans Bouwers.
XI. Jahrgang, Heft 6.
Herausgeber u. verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN,
z. Zt. im
Felde. — Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER,
Berlin W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINK-
HARDT & BIERMANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung; In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 33. |
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Geschäftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.
Da unser Herausgeber sich z. Zt. im Felde befindet, wird gebeten, alle für die Schriftleitung be-
stimmten Mittellungen und Sendungen nur an Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhland-
straße 158 zu richten.
2j) Lc e LL ³ 66m hen Bee LLL E
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
179
San A
Kurt Badt, Andrea Solario, sein Leben und seine Werke. Ein Beitrag zur $
Kunstgesdiichte der Lombardei. Mit 21 Tafeln іп Lichtdrudt M. 20.—. ЕЕ
1, Teil: Bericht über die Literatur. II. Teil: Die Persönlichkeit. Ш Teil: Das Werk.
IV. Teil: Die Kunst des Andrea Solario. | Mo m |
|
Fritz Burger, Die Villen des Andrea Palladio. Ein Beitrag zur
Gen. an angsgeschichte ЕР Renaissänce-Architektur. Mit einem Titelbild u. 48 Tafeln.
. Burgers Werk hat eines der sdiwerwiegendsten Probleme der Architekturgeschichte endgültig der
Lösun nahe gebracht, und damit wird das Buch für eden Kunsthistoriker, Architekten, selbst fiir
Firdhdclogen die die Beziehungen der Antike zur Ren Ssance auf dem Gebiete der Baukunst inter-
= essieren, unentbehrlich“. Südd. Bauzeitung,
Konrad Esdier, Barock und Klassizismus. Studien zur Geschichte
der Architektur Roms. Mit 21 Tafeln. Geh. M. 12.—, geb. M. 14.—.
e
$ » e gung
2 der Monumente des römischen Barocks vermitteln, indem er auf den von Heinrich Wölfflin in seiner |
ип
e
‚Klassischen Kunst‘ gewiesenen Wegen weitergeht. Er gibt für die von ihm behandelte Zeit die leiten-
e den безісізршікге und Analysen der wichtigsten Monumente und legt dabei das Hauptgewicht auf den
3 Unterschied der drei Perioden: der frühen, der reifen und der ausgehenden klassizistischen eitdes Barock“,
e
2 Fritz Goldsdimidt, Pontormo, Rosso and Bronzino. E.
3. Versuch zur Geschichte der Raumdarstellung. Mit 11 Tafeln. Geh. M. 7.—.
Hans Timot
. Doticelli. Mit 12 Tafeln. Geh. M. 5.—, geb. М. 6.—.
:
m Kee
; Aug. L. Mayer, Die Sevillaner Malerschule. Beiträge zu ihrer
E Geschichte. Mit 60 Tafeln. Geh. М. 20... geb. M. 22.50. 4 $
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mancher verwickelten Fragen, als ; Bregung zu eingehender Beschäftigung deutscher Kunst-
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historiker mit der spanischen Kunst ist Mayers Bu e überaus wertvolle Erscheinun А
„Wo größere Arbeiten über einzelne Meister schon vorliegen, hat Mayer sich ziemlich kurz gefaßt, etwas
breiter sind soldie Künstler behandelt, die bisher namentlich in deutscher Sprache, noch
aad zung erfahren haben. Nur so war es m lich, in zwei Banden wirklich eine Geschichte der
alerei, an Stelle einer Sammlung von elabhandlungen fiber St ragenden Gipfel Zurbaran,
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ein rubiges, abgeklärtes Urteil auf. Es kommt ihr stets auf die Sache und nicht auf geistreiche Ein-
fälle an". Köln. Zeitung.
W. Н. von der Mülbe, Die Darstellung des Jüngsten
Geridhts an den romanischen und gotischen Kirchenportalen Frankreichs,
Mit 15 Tafeln. Geh. M. 4.80, geb. M. 6.—.
Die av eltgerichtsbilder an franzósisdien Kirchen sind nach zwei Seiten hin Interessant: Einmal durch
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H die Art wie sie die Darstellung anderer Länder beeinflußt haben, dann aber audi an sich durch die 2
e logisdie Entwicklung des Themas, die zu einer feststehenden Darstellungsweise führte, zu einem un- e
5 zertrennlichen Glied der französischen Gotik überhaupt. Erst auf Grund dieser Dokumente französischer 9
9 Kunstgeschichte wird auch das Wel erichtsbild außerhalb Frankreichs verständlich. | $
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2 Julius Vogel, Bramante und Raffael. кш Beitrag zur Geschichte der $
2 Renaissance in Rom. Mit 6 Tafeln. Geh. M. e geb. M. 6.50. „ 8
$ Der Verf d M -
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schen Ruinenwelt, die bisher meist Raffael zugeschrieben wurde, nach dem Verfasser aber von keinem
anderen als dem großen Bramante . dem Baumeister von Sankt Peter, stammt. Der Verfasser sucht
weisen, daB |
punkt der ganzen and nein ff die dle Münchner Handschrift so bedeutungsvoll diarakterisiert, steht
uftraggeber. der große Papst Julius Il. $
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VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG Н
2.
ANE А BIERMANN IN LEIPZIG
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ANTON MOLLER, DER MALER von DANZIG.
EIN BEITRAG ZUR KENNTNIS DES EINFLUSSES DER ITA-
LIENISCHEN UND DER NIEDERLANDISCHEN KUNST AUF
DIE DEUTSCHE MALEREI DER SPATRENAISSANCE
Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von HERMANN EHRENBERG
T Tm die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert lebte in der damals reich auf-
blühenden Hansastadt Danzig ein Maler, namens Anton Möller, der durch die
Gediegenheit nnd Vielseitigkeit seiner Tütigkeit weit über zahlreiche Künstler in
Deutschland hervorragte und schon längst eine eingehende Würdigung verdient
hätte. Ich selbst habe mich jahrelang mit einem solchen Plane getragen, habe
viel Stoff hierfür gesammelt und bin nur durch das Zusammentreffen verschiedener
ungünstiger Umstánde an der vülligen Ausführung meiner Absicht behindert worden.
Jetzt hat nun ein jüngerer Kunsthistoriker, Walter Gyssling, sich dieser Arbeit
unterzogen (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 197, Straßburg i. Elsaß,
Heitz und Miindel, 1917) und hat dies mit so viel Liebe und mit so eindringendem
Verständnis getan, daB ich mich meiner selbstgestellten Aufgabe überhoben ег-
achten würde!), wenn nicht eine nach meiner Meinung irrige Auffassung durch die
ganze Arbeit hindurchginge, die für die Kenntnis und Beurteilung der allgemeinen
künstlerischen Entwicklung Deutschlands in jener Zeit von einer nicht unerheb-
lichen Bedeutung ist, und wenn ich nicht zugleich ein weiteres wichtiges Werk
Möllers bekanntgeben könnte’).
Gyssling hat sich durch die Literatur des 18. und x19. Jahrhunderts verleiten
lassen, eine größere italienische Reise unseres Malers anzunehmén und in ihr den
. Kern und Angelpunkt für seine Würdigung zu erkennen. Ausdrücklich erblickt er
in seinen Ausführungen über die „italienisch-renaissancistische Befruchtung“ der
(1) Sein Verdienst ist um so anerkennenswerter, als er die Arbeit während des Heeresdienstes fertig
gestellt hat. Man wird deshalb eher, als es sonst der Fall sein dürfte, geneigt sein, die zahlreichen,
zum Teil geradezu entsetzlichen Fremdwörter mit Nachsicht aufzunehmen. Auch lassen sich sach-
liche Versehen -und Druckfehler auf diese Weise am besten entschuldigen. Z. B. soll Georg Penz іп
Königsberg gestorben sein (Seite r6), während dieser Künstler bereits auf der Reise dorthin endete
(vgl. Ehrenberg, Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen). Und Paolo Veronese war 1601
nicht mehr am Leben (er starb 1588), als Möller sein Bild vom Zinsgroschen malte (S. 100). Ledige
lich eine Wiederholung früherer Irrtümer ist es, wenn er (S. 6) meint, daß die oberdeutsche Kunst
relativ spit in Danzig eingedrungen sei. Ich beabsichtige, dies demnichst an anderer Stelle zu wider-
legen, das Gegenteil ist richtig. ' | |
(2) Leider ist es mir nicht geglückt, ein auch von Gyssling (8. 139f.) erwihntes Gemälde Möllers,
welches im amtlichen Auftrag die Stadt Danzig schilderte und 1600 als Geschenk dem venezianischen
Staatssekretär Marco Ottobuono übergeben wurde, in Italien zu ermitteln, Meine eingehenden Nach-
forschungen nach dem Bilde sind erfolglos geblieben; die Hoffnung, daß es sich doch noch an irgend
einer versteckten Stelle finden werde, ist indessen nicbt aufzugeben. — Das ausgezeichnete Bild der
Stadt Danzig vom Anfang des 17. Jahrhunderts (?), das sich im Danziger Stadtmuseum befindet, bat nicht
das mindeste mit Möller zu tun. — Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem dringenden Wunsche
Ausdruck geben, daB die beiden im Kassenzimmer des Rathauses vorhandenen, ganz verschmutzten
und verdunkelten Gemälde Möllers endlich einmal sachgemäß gereinigt würden. Die Kosten hierfür
sind gering, und eine Stadt, die mit Recht so stolz auf ihre Vergangenheit ist und stets bedeutende
Summen für die Erhaltung ihrer eigenartigen Schönheit ausgegeben hat, wird gewiß gern auch diese
wichtigen Denkmale ihrer Vergangenheit wieder an das Licht des Tages ziehen wollen.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jahrg. XI, 1918, Heft 7 13 181
niederdeutschen Malerei einen Hauptzweck seines Buches. Anton Miller soll die
nordostdeutsche Parallelerscheinung für süddeutsche Künstler, wie Joseph Heintz
und Rottenhammer sein. Man sieht, es handelt sich um einen Lehrsatz, der zwar
nicht von welterschütternder Bedeutung, aber immerhin wichtig genug ist, um
gründlich erörtert zu werden. Gyssling hat viel Beweise herbeigebracht und sie
geschickt gruppiert, der Fernstehende kann von ihnen geblendet werden, es wird
deshalb nótig sein, sie eingehend zu widerlegen. Ich schicke den Lebenslauf des
Malers mit kurzen Worten voraus.
Anton Moller wurde etwa 1563 in Künigsberg als Sohn des herzoglich preuBi-
schen Hofbarbiers und Hofwundarztes geboren. Über seine erste Jugend ist nichts
nüheres bekannt. Doch wuchs er am herzoglichen Hofe in guter kiinstlerischer
Umgebung auf und wird durch die damals noch nachklingende Tätigkeit des kunst-
begeisterten Herzogs Albrecht mächtig angeregt worden sein. Später siedelte er
nach Danzig über, wo er nach Ge Meinung etwa 1586/7 weilte, um 1588 auf
2—3 Jahre nach Italien zu reisen. Vor diese angebliche Fahrt fällt das große
Altarbild, das er für die Steindammer Kirche in Königsberg schuf, sowie eine
Kirmesschilderung, die er laut Inschrift 1587 in Marienberg in Westpreußen zeich-
nete, Im Jahre 1590, also nach der angeblichen Reise, malte er eine Folge von
Aposteln größten Formats. Es folgten kleinere Arbeiten, ferner vier Gemälde für
das Kassenzimmer des Danziger Rathauses (1601), eine Holzschnittfolge mit Dan-
ziger Frauentrachten (1601), sein berühmtestes Werk, das Jüngste Gericht im
Artushof (1602/3), eine große Tafel mit den Werken der Barmherzigkeit in der
Danziger Marienkirche (1607), eine Altarmalerei für die Danziger Katharinenkirche
(1609) und das Epitaph für den Oberburggrafen Wolf von Wernsdorf und Gemahlin
im Königsberger Dom. Im Januar 1611 ist Möller gestorben.
Für die italienische Reise führt Gyssling zwei Zeugnisse an, die er urkundlich
(dokumentarisch) nennt, die aber urkundlichen Charakter nicht besitzen. Das eine
ist eine Nachricht aus dem Jahre 1741. Ein Danziger Sammler, Andreas Schott,
hat damals in seinen Kollektaneen erwähnt, daß Möller von Danzig aus eine Reise
nach Venedig unternommen habe. Woher Schott diese Nachricht hatte, wird nicht
gesagt. Sie ist überhaupt nicht nachzuprüfen, da die Kollektaneen heute nicht
mehr auffindbar sind. Und da sie volle 1½ Jahrhunderte nach dem fraglichen
Ereignis niedergeschrieben ist, und da es damals gleichsam in der Luft lag, eine
Reise nach derjenigen. Stadt, die als ein Hauptsitz der Malerei und als schönstes
Ziel fast jedes jungen Künstlers galt, für einen beachtenswerten Maler ohne weiteres
anzunehmen, so kann der Schottschen Nachricht bis auf weiteres irgendeine Be-
weiskraft nicht beigemessen werden.
Die zweite Nachricht ist wertvoller, sie ist unter allen Umständen eine will-
kommene Ermittlung Gysslings, wenn sie auch anders zu deuten ist, als er es tut.
Lancellotti, der Prior des bei Siena belegenen, berühmten Klosters Mont’ Oliveto
Maggiore sagt in einem 1636 in vierter Auflage in Venedig erschienenen Werke’):
„Anton Moler erzählte vor noch nicht 50 Jahren, in der Stadt Danzig in Preußen
mit eigenen Augen ein höchst sinnreiches Kunstwerk gesehen zu haben, vermöge
dessen man .... Webstühle .... treiben konnte.“ Gyssling meint, daß an der
Identität dieses Anton Moler mit unserm Anton Möller kaum ein Zweifel erlaubt
sei und folgert hieraus, daß unser Künstler Mont’ Oliveto Maggiore, und sonach
(1) Die von Gysaling angeführte italienische Literatur nachzuprüfen, dürfte nur in Italien selbst mög-
lich sein, ist somit während des Krieges ausgeschlossen.
182
Mittel-Italien, besucht habe, 1586 (5o Jahre vor 1636) aber noch in Danzig gewesen
sei; die italienische Reise müsse demnach recht langdauernd gewesen sein.
Eine bedenklichere SchluBfolgerung kann man kaum vornehmen. Erstens wider-
spricht ihr das von Gyssling erwühnte in Kupfer gestochene Bildnis Lancellottis
von 1629, wonach dieser damals 47 Jahre alt war. 1636, zur Zeit des Erscheinens
seines Werkes, war er 54 Jahre alt. Er kann sich also nicht auf Erzählungen be-
ziehen, die 50 Jahre zurücklagen und die in eine Zeit fielen, wo er ein kleines
Kind war. Zweitens kann eine solche Zeitbestimmung für eine gelegentliche münd-
liche Erzählung nicht, wie G. dies tut, wörtlich aufgefaßt werden. Das ist schon
in Deutschland nicht angängig, vollends aber nicht in Italien, wo man es noch
heute, wie jeder Kenner des Landes weiß, mit Zahlen im Gespräch nicht allzu
genau nimmt; Angaben, wie z. B. zwei Minuten oder roo Jahre entbehren jeden
greifbaren Inhalts. Drittens kann dieser Anton Moler ein ganz anderer, und zwar
der jüngere Anton Möller sein, der gleichfalls ein Maler war und dessen Ent-
deckung durch Gyssling wirklich sehr dankenswert ist. Es ist gar nicht abzusehen,
warum der Ältere nach Mont’ Oliveto und Siena gegangen sein sollte. Diese Orte
waren für den damaligen Italienfahrer durchaus nicht in Mode, ihr Ruhm und ihre
Bedeutung lag hundert Jahre zurück, auch bilden sie bekanntlich keine Durchgangs-
punkte auf der maßgeblichen Reiselinie Florenz — Rom. Der Jüngere ist aber, wie
G. nachgewiesen hat, tatsächlich in Mont’ Oliveto Maggiore gewesen, er war katho-
lisch und ist augenscheinlich ganz verwälscht. Daß er der Sohn des Älteren ge-
wesen sei, ist durch nichts erwiesen. Er bezeichnet sich vielmehr ausdrücklich
als „geringer Herkunft“, der Ältere aber war der Sohn des herzoglichen Hofwund-
arztes und hielt sehr große Stücke auf sich und auf den Wert seiner Persönlich-
keit, das lehrt uns allein schon sein Jüngstes Gericht im Artushof. Auch gab es,
wie G. (S. 28f.) selbst hervorhebt, sehr viele des Namens in Danzig, die durchaus
nicht miteinander verwandt waren. Wenn nun der Jüngere jahrelang, und zwar
gerade zur Zeit der Niederschrift des oben erwähnten Buches, in Mont’ Oliveto
gelebt und gemalt hat (seine Wandmalereien in der Vorhalle der Libreria des
Klosters stammen aus dem Jahr 1631), so ist es ganz klar, daß Lancellotti an ihn
und nicht an den älteren gedacht hat. Es ist nur nötig, in dem oben wörtlich
wiedergegebenen Satze das satzteilende Komma nicht, wie G. es tut, hinter „5o Jahre“,
sondern sprachgemäß hinter „erzählte“ zu setzen. Und sofort ist ein richtiger Sinn
des Satzes gewonnen: der Jüngere hat dem Abt von seinen heimatlichen Jugend-
erinnerungen erzählt.
Ich meine also, daß die „urkundlichen“ Beweise б.з in nichts zerfallen. Aber
auch innere Gründe lassen sich für einen längeren italienischen Aufenthalt Möllers
nicht erbringen. G. sagt Seite 25, daß Möller höchstens drei Jahre in Italien ge-
wesen sei; er scheint an 2—3 Jahre zu denken. Das ist eine sehr bedeutende
Zeitspanne, die unmöglich spurlos an einem Menschen, vollends an einem Künstler
vorübergehen kann. Nirgends aber finden wir eine solche Spur. Niemals wendet
Möller die italienische Sprache an, wie das gerade Künstler gern tun und wie dies
gleichzeitig auch in Danzig ein aus Italien zurückgekehrter deutscher Baumeister
Walter Clemens tat, der sich öfters Gualterio Clemente nannte. Niemals hören
wir etwas von italienischen Angewohnheiten. Niemals aber, und das ist die
Hauptsache, finden wir eine unmittelbare Einwirkung venezianischer oder allgemein
italienischer Kunst auf die Werke unseres Malers. Das muß G. selber zugeben,
und nur der Umstand, daß G. sich so unbedingt in den Glauben an die große ita-
lienische Reise versenkt hat, läßt ihn den Widerspruch übersehen, der aus seinen
183
eigenen Darlegungen zu uns spricht. An den verschiedensten Stellen seines Buches
hebt er bei der Einzelbesprechung der Werke Millers (Seite 4, 24, 33, 56, 67, 91,
110, 135 usw.) den niederländischen Charakter seiner Kunst hervor; von der ersten,
nach der angeblichen Italienfahrt entstandenen Malerei, der groBen Apostelfolge
von 1590 sagt er sogar (5. 88), daß sie „eine unveründerte Einströmung der roma-
nistisch gerichteten niederländischen Kunstwollens“ zeige, die italienische Kunst
habe keinen ersichtlichen Wandel in seiner Kunst mit sich gebracht, während er
umgekehrt bereits bei dem vor der angeblichen Reise entstandenen Steindammer
Altar italienische Elemente erkennt (S. 87).
Endlich aber ergeben sich auch zeitliche Schwierigkeiten gegen die Annahme
eines zwei- bis dreijährigen italienischen Aufenthaltes. Er soll von 1588/90 gewährt
haben. Die oben erwühnte Apostelfolge aber füllt in das Jahr 1590 und bedeutet
mit ihren etwa lebensgroßen Gestalten eine so bedeutende Arbeit, daß sie nicht bloß
in die allerletzten Wochen des Jahres gesetzt werden kann, sondern den grüBeren
Teil desselben ausgefüllt haben muB. Für das Jahr 1588 aber kann ich eine
Bilderfolge Móllers nachweisen, die Gyssling entgangen ist und die ebensoviel
oder vielleicht noch mehr Zeit in Anspruch genommen hat, so daß der Zwischen-
raum zwischen den beiden Zeitpunkten recht knapp wird und die Annahme einer
zwei- bis dreijährigen Reise ohne weiteres begraben wird.
Da diese von Gyssling übersehene Arbeit bisher noch nirgends gebührend be-
sprochen ist (Simson, Der Artushof zu Danzig, Danzig 1900, S. 187 f.), so mag sie
hier mit einigen Worten beschrieben werden.
Die Gemälde befinden sich im Artushof zu Danzig, unmittelbar unter Möllers
Jüngstem Gericht. Es sind fünf Querbilder, jedes 401), cm hoch, 76 cm breit!).
Am mittelsten befindet sich auf einer Säule die Jahreszahl 1588, auf einer andern
das wohlbekannte Monogramm Anton Möllers, zwar stark nachgedunkelt, aber bei
hellem W'etter und scharfer Beobachtung klar erkennbar; an seiner Urheberschaft
ist nicht zu zweifeln. Inhaltlich handelt es sich um sog. Gerechtigkeitsbilder. Von
den Schüffen 1588 bestellt, soliten sie an dieser Stelle, wo das Recht gepflegt wurde,
die Richter daran mahnen, stets in unparteiischer Strenge ihres Amtes zu walten.
Von rechts nach links (von Süden nach Norden) stellen sie dar: 1. die Gesetz-
gebung Mosis (Simson sagt a. a. O.: die Sintflut); a. die Huldigung der Tugenden
vor der Gerechtigkeit; 3. die Darstellung des gerechten, 4. die des ungerechten
Richters und 5. das Jüngste Gericht. |
I. Das jüdische Volk ist auf die Erde niedergefallen in entsetzensvollen Gebärden
vor den im Feuer erscheinenden Gesetzestafeln, die auf dem Berge sichtbar werden.
Links im Hintergrund ein Zeltlager. |
2. In freier Landschaft scharen sich sechs, zum Teil nackte oder halbbekleidete
Figuren (u. a. die Unschuld, Mäßigkeit, Wahrheit, Klugheit, Tapferkeit), um die in
der Mitte erhöht sitzende Gerechtigkeit Zum Zeichen ihrer engen Zusammen-
gehörigkeit sind sie durch eine Kette miteinander verbunden (ein Motiv, das Möller
in seinem Jüngsten Gericht wieder aufgenommen hat). Im Hintergrunde rechts ist
die Stadt Danzig sichtbar (nicht bloß die Türme, wie Simson sagt). (Abb. 1.)
3. In einer Halle, die mit prächtigen Säulen ausgestattet und von einem ge-
wölbten Umgang umgeben ist, sitzt der vollbärtige, ehrwürdige judex terrarum; zu
seiner Seite zwei Frauen, von denen die eine als Themis deutlich gekennzeichnet
(1) Zwischen ihnen sind zur Erinnerung an die Stifter Wappen (etwa im Stil des Jost Ammann oder
des Virgil Solis) angebracht, jedes 331; cm hoch und 35 cm breit,
184
ist. Rechts und links je sechs bejahrte Manner in langen, abwechselnd roten oder
weißen Kleidern mit weißem Kragen; sie haben keine Hände zum Zeichen ihrer
Unbestechlichkeit. AuBerdem vier Münner mit Büchern, zum Teil mit spanischer
Krause.
4. In tonnengewölbter, düsterer Halle thront links der ungerechte Richter, inner-
lich erregt, mit hoben, langen Eselsohren. Unwissenheit und Argwohn suchen ihn
zu beeinflussen. Wut, Verleumdung, Neid und Lüge schleppen stürmisch die Un-
schuld heran. Rechts unten kauert verzweifelt die Reue. Über ihr fliegt die Zeit
(mit Sandubr und Flügeln) heran, in den Armen die nackte Figur der Wahrheit
haltend. Es handelt sich, wie man sieht, um die bekannte Darstellung der Ver-
leumdung des Apelles (vgl. Förster im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen,
Bd. 8). Und zwar wird unserem Künstler der Kupferstich von Giorgio Ghisi (1560)
nach Luca Penni als (unmittelbares oder mittelbares) Vorbild vorgelegen haben,
das er freilich in mehrfacher Beziehung ünderte. (Abb. 2).
5. Das Jüngste Gericht ist leider nur zur oberen Hälfte noch vorhanden, da es
1807 bei der Belagerung durch eine Bombe beschädigt wurde.
Die Malereien sind nicht einwandfrei. Seelische Durchwärmung der Figuren
ist dem Künstler nicht geglückt. Die Frauen auf dem: zweiten Bilde sehen sogar
recht langweilig und gelangweilt aus. Im Streben nach weiterer Abrundung ver-
greift sich Möller öfters recht gröblich in den Formen, Kniee und Waden zeigen
mehrfach erhebliche anatomische Fehler. Freilich ist auch die Erhaltung der Male-
reien, selbst wenn wir von 5. absehen, nicht tadellos. Sie haben durch die Sonne
stark gelitten, die hier am hellen Tage ungehemmt hereinbricht!) Die Farben
sind dadurch recht ausgeblaßt, grünliches Fleisch und überhaupt grünliche, violette
und gelbe Töne walten vor. Die Pinselführung ist breit, kräftig, flott trotz des
kleinen Maßstabes, die Übergänge sind weich, aber nicht verwaschen und ver-
schwommen. Der Gedanke an eine schlechte Ausbesserung ist nicht auszuschließen,
wie überhaupt Müllers Gemälde durch Übermalungen recht beeinträchtigt zu sein
scheinen). 1
Bedauerlich ist, daß gerade die kleine Darstellung des Jüngsten Gerichts den
schwersten Schaden gelitten hat. Möller hat offenbar Freude an der Schilderung dieses
gewaltigen Stoffes gehabt.
Zum großen Bilde im Artushofe haben wir eine Vorstudie von 1595 im Stadt-
museum, ferner findet sich das Jüngste Gericht auch auf dem Altar der Steindammer
Kirche in Königsberg und auf der soeben erwähnten Tafel der sieben Tugenden,
auf dem Altar der Danziger Katharinenkirche und auf einem verloren gegangenen
Bilde im Königsberger Stadtgericht, so daß wir bereits insgesamt sechs Bilder des
Jüngsten Gerichts von ihm nachweisen können. Es würde sich lohnen, des näheren
zu verfolgen, wie er diesen seinen Lieblingsstoff in seinen verschiedenen Lebens-
altern aufgefaßt und verarbeitet hat. Um wenigstens eine Anschauung von der
Art seiner Auffassung zu geben, will ich mich hier darauf beschränken, den Inhalt
(1) Infolgedessen haben die photographischen Aufnahmen nicht ganz klar werden können, was ich bei
den hier wiedergegebenen Abbildungen zu beachten bitte.
(2) Als ungebetener Gast bin ich vor Jahren selbst zufällig Zeuge gewesen, wie das große Jüngste
Gericht an vielen Stellen neu bemalt wurde, obne daß ich es hindern konnte. Aber auch die sehr
bemerkenswerte Tafel der sieben Tugenden (in der Danziger Marienkirche), die, weil an dunkler Stelle
zu hoch angebracht, kaum besichtigt werden kann und auch von Gyssling nicht näher untersucht
worden ist, macht einen so unharmonischen Eindruck, daß der Gedanke an eine üble Wiederherstellung
recht nahe liegt.
185
der grüBten Darstellung des Stoffes (auf dem Wandbild im Danziger Artushof) zu
schildern.
Der Aufbau und die ganze Anordnung des umfangreichen Bildes (es miBt in der
Breite etwa 6.30 m, in der Hóhe etwa 8 m) schlieBt sich der spitzbogigen Um-
rahmung in dem spätgotischen Hallenraum eng an!) Hoch oben thront Christus
mit der Weltkugel, von den göttlichen Sonnenstrahlen beschienen, zwischen Maria
und Johannes auf dem Regenbogen. Ihn umgeben die Gestalten christlicher Tugen-
den, Engel und frommer, erlöster Personen. Von links schweben aus der Tiefe
herauf іп schmalem Zuge, durch Posaunentöne gelockt und begrüßt, weitere Selige.
Ganz unten die Hoffnung und zwei mit besonderer Sorgfalt gemalte Gerettete, die
von einem Engel liebevoll hergufgeleitet werden. Friede, selige Zuversicht, ruhige
Beschaulichkeit herrschen in diesem Teil des Bildes. — Viel größer aber ist der
Raum, den die Schar der Verdammten einnimmt. IhreSchilderung hat den Künstler
offenbar mehr angezogen. Erzengel Michael, der in eleganter Haltung als Voll-
strecker des Willens Christi von diesem herabschwebt und mit dem Schwert die
Bösen und die Laster vertreibt, nimmt in viel höherem Maße als Christus die ge-
bietende Mittelstellung im Bilde ein. In buntem Gewirr fliehen und stürzen die
Verdammten hernieder. Rechts neben Michael vier modisch gekleidete Personen
(mit spanischer Halskrause): die Hoffahrt, Putzsucht, Trügheit und Wollust. Unter
ihm mehrere Kriegsknechte, als Sinnbilder der Rohheit und des Jühzorns, mit dem
sie angeblich gegen den alten, ihnen ihr Todesurteil vorlesenden Mann vorgehen.
Rechts daneben Vertreter der Schlemmerei und Völlerei: der eine hat angeblich
Heringe in der Tasche, der andere sucht dngstlich sein Glas in Sicherheit zu
bringen, ein dritter gibt das Genossene wieder von sich, Karten und Brettsteine
fallen hernieder. — Weiter unten die Hauptpersonen, in erheblich größerem Maß-
stab gemalt. In der Mitte die Frau Welt, nach mittelalterlicher Auffassung die
Verkérperung der weltlichen Lüste, eine auf das Prüchtigste gekleidete Frau, in
halb liegender Stellung, auf ihren linken Unterarm sich aufstützend, das Haupt von
einer durchsichtigen Glaskugel umgeben. Rechts von ihr der Unglaube, eine derbe,
rohe Figur, die mit sichtlichem Behagen ein Kruzifix zerbricht. Unter ihr die Erb-
sünde mit Schlange und Totenknochen. Links von der Frau Welt von oben nach
unten Neid und Verleumdung, auf einem Hirsch (mit frei heraustretendem ge-
schnitztem Kopf und natürlichem Geweih): die üppige, ganz nackte Weibsgestalt
des bösen Gewissens, und endlich die Verzweiflung, mit dem Kopf nach unten, im
Begriff sich zu erdrosseln. Die letztgenannten Figuren sind durch Ketten unter-
einander verbunden, ein Motiv, das Möller bereits 1588 in seiner Allegorie der
Tugenden verwendet hat. Ganz unten links wird das Bild abgeschlossen durch
eine felsige Landschaft, in deren Hintergrund sich die turmreiche Stadt Danzig
zeigt. Rechts, unten zieht eine groBe Schar von Menschen dahin, die sich, wie
Simson behauptet, der Weltlust anschlieBen und einen von Freudenfeuern ge-
krünten Triumphbogen durchschreiten will Ein Boot führt der Unterwelt zu. An-
geblich ist es mit dem Malerwappen geschmückt, und unter den Insassen befindet
sich der Maler selbst mit der Palette; durch einen Engel wird er noch mit einem
Haken von der Fahrt ins Verderben zurückgehalten.
An das inhaltreiche Bild, aus dem nur die wichtigsten Figuren hier aufgezühlt
sind, haben sich zahlreiche Anekdoten geknüpft, von denen die bekannteste die ist,
daB die Figuren der Weltlust und der Hoffart Bildnisse der Töchter des damals
(x) Die Abbildung in Simson, Der Artushof, Danzig 1900, ist viel besser als die bei Gyssling.
186
regierenden Biirgermeisters seien, die auf einem Ball dem Maler aus Hochmut den
Tanz versagt und dadurch die Rache des Künstlers hervorgerufen hátten. Diese
Erzühlungen sind in der Regel innerlich unwahrscheinlich, so alt sie auch sein
mögen und so hartnäckig sie bis auf den heutigen Tag immer wieder berichtet
werden. Aber sie beweisen uns nicht bloß die große Volkstümlichkeit des Bildes,
sondern auch seine vereinzelte Stellung im Gebiet der nordostdeutschen Kunst. Wir
besitzen dort, wie ich demnüchst ausführlicher zu zeigen hoffe, genug Werke der
Malerei und Plastik aus den verschiedensten Jahrhunderten. Aber nirgends wieder
findet sich die Neigung zu lehrhaft allegorischer Behandlung des Stoffes, als allein
bei Anton Möller, der sie bei den oben beschriebenen Gemälden von 1588 und
auch sonst öfters noch anwendet. Recht bezeichnend dürften hierfür auch seine
Tuschzeichnungen: das Venusfest von 1606 (Berlin), die Macht des Geldes (Königs-
berg, Prussia-Museum) und die Verehrung des Esels (Königsberg, Stadtbibliothek)
sein, die Gyssling eingehend beschrieben hat. Wir dürfen daraus auf eine beson-
dere persönliche Veranlagung unseres Künstlers schließen, werden uns aber nicht
der Wahrnehmung verschließen können, daß er die Anregung dazu durch irgend
welche niederländischen Einflüsse empfangen haben muß. In Flandern und Holland
blühte die Freude an sinnbildlicher Behandlung eines Stoffes, Und wenn einst
Hagen und jetzt mit eifrigem Nachdruck Gyssling darauf hinweist, daß bei der Aus-
schmiickung des venezianischen Dogenpalastes am Ende des 16. Jahrhunderts die
Allegorie eine große Rolle gespielt habe, so läßt sich doch bei näherem Zu-
sehen ein Vergleich zwischen der venezianischen und der Möllerschen Kunst kaum
ziehen. In den Niederlanden und bei Möller handelt es sich um etwas anderes,
um ausgeklügelten trockenen Gelehrtenkram, der im vollen Gegensatz zu der ur-
sprünglichen Frische Venedigs steht. Das gegenseitige Verhältnis der Allegorien
im einzelnen näher zu ergründen, mag berufenen Literaturhistorikern vorbehalten
bleiben. |
Wichtiger für uns ist die Frage nach den sonstigen Quellen und Voraussetzungen
der künstlerischen Eigenart Möllers. Es handelt sich für uns darum, ob wir aus
seinen Werken eine unmittelbare Beeinflussung durch italienische Kunst heraus-
lesen können oder nicht. Gewiß gab es, namentlich in den letzten Jahren des 16.
und im Anfang des 17. Jahrhunderts so viel persönliche Beziehungen zwischen
Danzig und Italien, auch reisten so viel junge Danziger damals nach Venedig und
Rom!) daß die Möglichkeit einer italienischen Reise Müllers von vornherein nicht
bestritten werden kann. Und ganz unzweifelhaft weist Möllers Malerei einige ita-
lienische Elemente auf. Mit Recht ist von Hagen und Gyssling an die venezia-
nische Schule, besonders an Veronese und Tintoretto erinnert, sowohl der groß-
zügige Aufbau wie das hellfarbige, leuchtende Kolorit besitzt verwandte Züge.
Auch muß an Michelangelos allmächtigen Einfluß erinnert werden; einige Gestalten
auf dem Zinsgroschen und auf dem großen Jüngsten Gericht weisen durchaus Michel-
angelos Muskulatur und Gliederbau auf.
Aber diese unleugbaren Beziehungen dürfen uns nicht zu Trugschlüssen ver-
leiten. Von Michelangelos W'erken war ungeführ die gesamte Künstlerwelt am
Ende des 16.Jahrhunderts mehr oder weniger beeinflußt. Seiner gewaltigen Formen-
sprache’ hatten sich nur einzelne entziehen können. Namentlich war es die nieder-
ländische Kunst, die von ihm in geistige Fesseln geschlagen worden war. Und
(1) Näheres bei A. Bertling, Der Maler von Danzig und seine Zeit. Dansiger Zeitung vom 29. No-
vember 1885.
187
sie ist es, die, wie schon seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, ganz besonders im
letzten Viertel des 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts die wesentliche Quelle
der Danziger Kunstübung bildet und die auch unsern Müller auf das Tiefste und
Nachhaltigste befruchtet hat. Niederländisch ist seine Malweise, aber nicht italie-
nisch. Freilich niederlindisch nicht im Sinne eines Rogier van der Weyden oder
eines Rubens, aber wohl im Geiste der niederländischen Romanisten, die im Ver-
lauf des r6. Jahrhunderts allzuwillig sich italienischer Kunst gebeugt hatten.
Von der oberdeutschen Kunst war Möller ausgegangen; ег hat nachweislich in
seiner Jugend Dürersche Stiche nachgezeichnet, auch scheint er Hans Sebald
Behams Werke gekannt zu haben. Die Überlieferungen der Künigsberger Hofkunst
mögen dabei mitgewirkt haben. Dann aber, oder vielleicht auch gleichzeitig von
vornherein hat, wie Gyssling richtig erkannt hat, die Kunst des Pieter Breughel
und namentlich des Hendrik Goltzius ibn mächtig gepackt. Ich mache in dieser
Hinsicht auf Breughels Zeichnung einer Dorfkirmes (London, Brit. Museum) auf-
merksam, die mehr noch als Breughels Gemülde sich als eine Art Ahnherr der
hübschen Kirmes-Zeichnung offenbart, die Möller 1587 in Marienburg in West-
preuBen angefertigt hat (Berlin, Kupferstichkabinett, abgeb. Jaro Springer, 20 Feder-
zeichnungen aus dem Besitz des kgl. Kupferstichkabinetts Berlin, Tafel 18; auch bei
Henne am Rhyn und bei Gyssling).
Als unmittelbaren Vorlüufer Müllers, als Zwischenstufe zwischen ihm und Breughel
glaube ich bis auf weiteres Pieter Balten ansehen zu sollen, der 1569 Dekan der
Lukas-Gilde in Antwerpen war. Von ihm haben wir ein gemaltes S. Martinsfest
und eine in Kupfer gestochene Dorfhochzeit. Man sieht deutlich, daß Pieter
Balten älter als Möller ist. Aber der enge Zusammenhang seiner volkstiim-
lichen Kunst mit den ersten Arbeiten Müllers ist unverkennbar. |
Auch auf die Stiche des Pieter van der Borcht und des Johann Sadeler (geb.
etwa 1550, T in Venedig 1600) mache ich aufmerksam. Auf des letzteren großer
Darstellung des Jüngsten Gerichts erinnern die leicht heraufschwebenden nackten,
seligen Frauen und Engel links uns an dieselben Gestalten bei Möller an der-
selben Stelle. Auch die alte Anordnung, daß Christus oben auf der Weltkugel sitzt,
dürfte aus diesen Quellen herzuleiten sein. Namentlich aber ist es der ausgezeich-
nete Maler und Kupferstecher Hendrik Goltzius, an dessen Formensprache und Auf-
fassung wir bei Möllers Arbeiten immer wieder erinnert werden. Ich nenne z.B.
die Erweckung der Seligen und den Sturz der Verdammten, die Goltzius nach Jan
van der Straet gestochen hat, einem niederländischen Künstler, der längere Zeit in
Florenz gelebt hat.
In rein malerischer Hinsicht scheint mir die Kunst des Franz Floris (etwa 1516
bis 1570), der damals hohen Ruhm genoß, als der „flämische Raffael“ galt und
mehr als 120 Schüler gehabt haben soll, den stärksten Einfluß auf den jungen
Preußen ausgeübt zu haben. Will man etwas kühn sein, so wird man sagen
können, daß der Name Floris ihm von Kindheit her vertraut in die Ohren ge-
klungen hat. 1570 wurde im Königsberger Dom dem 1568 verstorbenen hoch-
betagten und hochverdienten Herzog des Landes ein überaus kostbares und großes
Denkmal errichtet, eine Schüpfung des Antwerpener Meisters Cornelis Floris. Es
ist sicher, daB die Ankunft der vielen prüchtigen Marmor- und Alabasterarbeiten
und ihre Aufstellung in Königsberg ein gewaltiges Aufsehen hervorgerufen hat und
naturgemäß die empfüngliche und leicht bewegliche Seele des Sohnes des herzog-
lichen Wundarztes und Barbiers stark angeregt haben und ihm unvergessen ge-
blieben sein wird. Jedenfalls sind bei Franz Floris und Müller Aufbau, Kolorit und
188
—
Gesamtauffassung durchaus verwandt. Man vergleiche z. B. das Jiingste Gericht
des Franz Floris (Wien, Kunsthistor. Hofmuseum, Nr. 774) mit dem Möllerschen
Bilde, und man wird manche Ähnlichkeit in den vielen kleineren und größeren
Gruppen finden. Und sein Sturz der Verdammten und seine Auferstehung der
Seligen (Sammlung Pitt Rivers) zeigen trotz grundverschiedener Komposition eine
ähnliche Behandlung des weiblichen Körpers und eine gewisse Gemeinschaftlich-
keit der malerischen Auffassung. Zu beachten ist ferner Peter de Wittes (c. 1548
bis 1628) Erzengel Michael mit dem Sturz der Verdammten (Wien, kunsthist. Hof-
museum, Nr. 806), wo die Farbentóne und das Herabschweben des Michael aus
den vom himmlischen Licht durchglänzten Wolken sehr an Möller erinnern. End-
lich nenne ich noch Martin de Vos, einen Schüler des Franz Floris und des Tin-
toretto (etwa 1531 — 1603). Auf seinem großen Jüngsten Gericht in Spanien er-
kennen wir trotz aller Verschiedenheit der Komposition eine wesentliche Ver-
wandtschaft mit Möller in der Muskulatur und in den Körperstellungen. Ähnliches
gilt von seiner Gesetzgebung Mosis (kgl. Museum im Haag, gemalt 1575, angeblich
mit dem Bildnis Tintorettos).
Bei Möller bewegen wir uns also durchaus im niederländischen Kreise. So wich-
tige Dinge, wie die Proportionierung der Gestalten, der Schnitt der Gesichter, das
Kostüm, sind bei ihm in der Regel niederlündisch (Antwerpenerisch). In dieser
Beziehung dürfte die Wiedergabe einer der besten Tuschzeichnungen Millers (einer
fröhlichen Tanzszene in einem Dorfwirtshaus zu Osterwiek іп Westpreußen von
1597) für unsere Leser von überzeugender Beweiskraft sein (Abb. 3). Dazu tritt
das, was Gyssling an verschiedenen Stellen betont hat. Warum sollen wir nun
unter solchen Verhiltnissen durchaus an einen lángeren italienischen Aufenthalt
Millers glauben? Es ist ja Ше Möglichkeit nicht auszuschließen, daß der Künstler
irgendwann einmal in Italien gewesen ist. Aber beweisen läßt sich das nicht,
und nötig ist eine solche Annahme auch nicht. Nichts spricht für sie. Wir wer-
den gut tun, sie bis auf weiteres in der Versenkung verschwinden zu lassen.
Daraus ergibt sich die für die allgemeine Kunstgeschichte nicht unwichtige Tat-
sache, daB der Romanismus und Venezianismus, wie er in der zweiten Hülfte des
16. Jahrhunderts für Oberdeutschland (Heinz, Rottenhammer u. a.) und für die
Niederlande gilt, den Nordosten Deutschlands, in welchem Anton Möller damals
der bedeutendste Vertreter der einheimischen Kunst war, nicht unmittelbar be-
rührt hat, sondern nur mittelbar. Опа dap diese Erscheinung nicht vereinzelt,
‚sondern tief verankert in den allgemeinen künstlerischen, wirtschaftlichen und poli-
tischen Zustünden Danzigs zu jener Zeit war, sei zum Schlusse dieses Aufsatzes
noch in wenigen Worten angedeutet.
Familien- und Handelsbeziehungen haben bereits im 15. Jahrhundert einen engen
künstlerischen Zusammenhang zwischen Danzig und den Niederlanden herbeigeführt,
worüber ich demnächst umfangreiches Material beizubringen hoffe. Am Anfang
des 16. Jahrhunderts werden von Antwerpen reiche Schnitzaltäre nach Danzig
und den umliegenden Ortschaften, wie Praust und Zuckau geliefert, von denen der
wichtigste, der Reinholds-Altar in der Danziger Marienkirche durch keinen gerin-
geren, als den niederrheinischen Meister vom Tode Mariü mit schónen Malereien
ausgestattet war (vgl die wertvollen Ausführungen Kümmerers im Jahrbuch der
kgl. PreuBischen Kunstsammlungen 11), die ich, wenigstens teilweise, bald zu ver-
öffentlichen gedenke. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wird eine überaus kost-
bare und prüchtige Taufe aus den Niederlanden nach der Danziger Marienkirche
geliefert, die, wie ich nachweisen kann, sehr wahrscheinlich von Cornelis Floris in
189
Antwerpen entworfen ist, demselben Meister, der auch die großartigen. marmornen
Herzogsdenkmäler іп Königsberg gearbeitet hat (vgl Ehrenberg, Die Kunst am
Hofe der Herzöge von Preußen). Dann folgt die Familie von dem Blocke, deren
Mitglieder zahlreiche Bauten und Monumente in Ost- und Westpreußen ausführten..
Der tüchtigste unter ihnen war wohl Wilhelm von dem Blocke aus Mecheln, der
1586/8 das Hohe Tor in Danzig!) nach dem Vorbild des vor einigen Jahrzehnten
leider abgerissenen, nach Sanmichelis Vorbild?) erbauten Georgs-Tores in Antwerpen
errichtete. Als Baumeister entfaltete seit 1593 Anthony van Obbergen aus Mecheln
eine glanzvolle Tütigkeit, die der Innenstadt Danzig bis auf heute ihren besonderen
Reiz aufgeprügt hat. Ihm gesellten sich zu der Steinbildhauer Wilm Bart aus Gent
(seit 1585 in Danzig) und vielleicht auch der Holzbildhauer Simon Herle (Hóerl) von
deren Wirksamkeit gleichfalls noch genug Spuren auf uns gekommen sind. Als
Ratsbaumeister war zeitweilig (1592—1596) Jan Vredeman de Vriese aus Leeu-
warden tütig, der im Artushof eine seiner groBen phantastischen Architekturmale-
reien, mit einer Verherrlichung des Orpheus, sowie ein höchst reizvolles, bisher
unbeachtet gebliebenes, mit seinem Monogramm versehenes Holzgestühl geschaffen
hat. Und wenn wir schließlich erwägen, daB sich kurz zuvor zahlreiche an-
gesehene und kunstgebildete niederlindische Familien, die ihre Heimat wegen
der Glaubensunruhen hatten verlassen müssen, in Danzig niedergelassen hatten
(ich nenne 1558 den Kaufmann Hilger Spemann aus Orsoy, dessen Sohn große
Pracht und Kunstliebe in Danzig entfaltete, 1559 den Orgelmacher Bert Kock aus
Utrecht, 1560 den Buchbinder Wentzel Rüdiger aus Brüssel und den Maler Anton
Lion aus Valenciennes, 1561 den Steinmetz Cornelius Brun aus Brüssel und 1562
den Steinmetz Hieronymus von Linden aus Antwerpen), so kommen wir zu dem
unabweisbaren Schluß, daß diese nordostdeutsche Hansastadt damals geradezu als ein
wichtiger Außenposten niederländischer Kunst und Kultur anzusehen und daß hier
ale Bedingungen gegeben waren, um einen jungen, heranwachsenden Künstler
in ihren Bann zu ziehen und in ihm zu erhalten. Wie stark aber in der Stadt-.
verwaltung die Neigung für die niederlindische Kunst vorwaltete, ersehen wir dar-
aus, daB, als 1594 ein neuer Münzstempel durch den Münzmeister Jonas Silber her-
gestellt werden sollte, hierfür in amtlichem Auftrage ein niederlündischer Dukaten
abgezeichnet wurde und daß 1602, „umb allerley in der Architektur zu erkundigen",
ein besonderer Abgesandter, namens Johann Losius, sich‘ „mit Rekommandation-
Briefen an hohe Personen in die Niederlandt begeben“ mußte und die betrücht-
liche Summe von 616 Mark Reisegeld ihm hierzu bewilligt wurde. Innere und
äußere Gründe reichen sich somit in besonderer Fülle die Hand, um unsere Меі-
nung zu erhdrten, daß Anton Möller kein unmittelbarer Schüler der Italiener ge-
wesen, sondern als eine Zweigerscheinung der niederländischen Kunst vom Ende
des 16. Jahrhunderts anzusehen und zu bewerten ist.
(x) Abgeb. Fritsch, Denkmiler deutscher Renaissance. Vgl. über ibn auch Ehrenberg, a. a. O.
(3) Vgl. Dianouz, les monuments de San Micheli,
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—— — —-—¼
SPANISCHE MALER pes 15. JAHRHUNDERTS
IN NEAPEL
Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln Von VALERIAN von LOGA
A 23. November 1442 schrieb Don Alfonso von Aragonien, dem, wie den bur-
gundischen Fürsten selbst im Feldlager die Kunst Bedürfnis war, zu sehr
Spanier, um nicht Werken heimatlicher Produktion den Vorzug zu geben, aus
Neapel nach Hause, man sollte ihm „lo fil del mestre Jacme Jacomart pintor“
schicken!) Am r4. Mai ernennt ihn Alfonso zu seinem pintor por todas las tierra
y senorias del monarca. Als dem Künig nach langer Belagerung endlich die Stadt
durch den Beistand der Jungfrau in die Hände gefallen war, gab er für die auf
dem Campo vecchio, wo während der Belagerung sein Zelt gestanden, errichtete
Votivkirche das Altarbild, eine Virgen de la Pace ihm in Auftrag. Zwei Jahre
später ist der Altar aufgestellt worden. Ende 1446 weilte der Künstler in der
Heimat. Am 24. Juli 1447 hatte der Кӛпір in Tivoli Standarten bei Jacomart be-
stellt. Vielleicht hat der Maler damals Rom betreten, sogar Roger van der Weyden
kennen gelernt, der zum Jubeljahr in der ewigen Stadt weilte.
Vier Jahre spüter sehen wir Bazo in Valencia für die Kathedrale verschiedene
dekorative Arbeiten ausführen. Am 16. Juli 1461 ist er dort gestorben und in
S. Domingo begraben. Sein reicher NachlaB fiel der Gattin Magdalena zu.
Ausgehend von dem in einer Urkunde vom 23. Januar 1460 als Arbeit Jacomarts
erwähnten Altar der Pfarrkirche zu Cati?) läßt sich heute ein ziemlich umfang-
reiches Werk des Meisters nachweisen. Der Epiphaniasaltar bei den Augustine-
rinnen in Rubielos de Moras, ein thronender Petrus in S. Juan zu Morella*), sowie
der mit der Jahreszahl 1447 bezeichnete S. Martinsaltar des Clarissinnenklosters
zu Segorbe‘). Eine besondere Pracht zeichnet das Mittelbild aus, während bei
den kleinen Tafeln mit der Legende des Heiligen ein Ungeschick im Komponieren
auffällt. Nur noch bei den Altsienesen findet man echtes Gold für die Ornamente
und Brokatstoffe oder guijochiert als Hintergrund in ähnlicher Vollendung auf-
getragen. In dieser ,Serena majestad“ erstrahlt auch der Retablo des Kardinals
Alfonso Borgia"), des spüteren Papstes Calixt ІП. in der Colegiata von Jativa, der
zwischen 1444 und 1455 entstanden sein muB, denn Borgia hatte den roten Hut
im Jahre 1444, die Tiara elf Jahre später erhalten. In der Zeit hat er Valencia
nicht betreten, und Jacomart muB in Italien, in Rom und Tivoli oder in Neapel am
Hofe Alfonsos den Auftrag für dieses Meisterwerk empfangen haben. Die drei
groBen Tafeln mit der heiligen Anna, die fast gleich auf dem Altar in Rubielos
gebildet ist, S. Ildefonso und S. Augustin sind heute in einem prächtigen Renaissance-
(1) Jaume Bazo alias mestre Jacomart nennt er sich in seinem Testament. Tramoyeres im Almanague
de las Provincias para 1906, p. 155 u. ff. Tormo y Monso, jacomart y el arte hispano flamenco
quatrocentista. Madrid 1914. Remon Casellas in Veu de Catalanya 38; Aug. 1906. Emile Bertaux,
Les primitives espanols. Revue de l'art ancien et moderne XXII, p. 339 u. ff.
(2) Abgebildet in Revue de l'art ancien et moderne XXII, p. 341 und bei Tormo, a. a. O.
(3) Abgebüdet bei Bertaux, a. a. O., p. 355 und im Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunst-
sammlungen XXX, 1909, p. 181
(4) Abgebildet Revue de l'art XXX, p. 343. Michel, Histoire de l'art III, p. 777 und Mayer, G. d. sp.
Mal. I, p. 71.
(5) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 357. Michel, Histoire de l'art III, p. 776.
IgI
rahmen vereint. Zwei Predellenstiicke mit der Kasel-Ubergabe an S. Ildefonso’)
und der Taufe S. Augustins?) wurden in einem anderen Retablo der Kathedrale
eingelassen. Das Musée des arts decorativs zu Paris besitzt in der Einkleidung
des heiligen Vincenz Ferrer?) vielleicht ein Fragment des Altares der Kathedrale
von Valencia; hierher mag auch die Tafel mit dem heiligen Dominikaner im Kapitel-
saale stammen, wo auch ein heiliger Benedikt und ein segnender S. Ildefonso seine
Hand zeigen. Auch die verstümmelten Flügel mit der heiligen Helena‘) und dem
stutzerhaft gekleideten langhaarigen S. Sebastian in S. Francisco zu Jativa und der
heilige Bernardin von Siena im Besitz von D. Luis Tortosa in Ontenientes") sind
wohl sein Werk, wührend die Tafel mit den Heiligen Santiago und Gil im Museum
zu Valencia für ihn doch zu schwach erscheint. Ganz in die Nähe des thronen- `
den Petrus in Morella muß man den Tragaltar im Berliner Kunstgewerbemuseum‘)
und die Halbfigur S. Peters bei Herrn Cuno Kocherthaler in Madrid setzen. Dem
S. Martin in Segorbe und den Borgia-Flügeln steht ein thronender S. Blasius im
Berliner Privatbesitz sehr nabe (siehe Abbildung), der wohl wie der heilige Bischof
von Tours das Mittelstück eines verstümmelten Retablo gebildet hat. Hier be-
gegnen wir neben den nach katalanischem Geschmack in Stuck aufgesetzten Sáumen
und Schmuckstücken auf den über den Goldgrund mit Lasurfarbe gemalten Stuhl-
wangen üppigster Gotik.
Neapel besitzt heute noch zwei Werke, die die Stilkritik Jacomart zugeschrieben
hat. S. Franciscus, der die Regel seinen Anhängern erteilt in S. Lorenzo maggiore)
und einen thronenden heiligen Severin, der das Mittelstück eines neu zusammen-
gestellten Altars in der Kirche dieses Heiligen bildet“). Die schlecht erhaltenen
Fresken der zerstörten Johanneskapelle unterhalb Nazareths bei Camaldoli, auf
denen ihr Entdecker Camillo Guerra die heute erloschene Inschrift Macomarte ge-
lesen, lassen kein Urteil zu, ob die Bezeichnung nicht Jacomarte gelautet haben
mochte.. Man ist geneigt, die Entstehung dieser mittelmäßigen Malerei noch in
eine Zeit zu setzen, als Jacomart in der Heimat weilte. Ungeübtheit in der Fresko-
technik kann nicht allein die Mängel der Zeichnung entschuldigen.
Eine so starke künstlerische Persónlichkeit wie Jacomart muBte in dem politisch
von Aragonien abhängenden Neapel seine Spuren zurücklassen. Der dem heiligen
Vincente Ferrer geweihte Altar in S. Pietro Martire zeigt deutlich eine solche Ab-
hängigkeit. Der Maler dieses in neuerer Zeit auch Simon Marmion’) zugeschrie-
benen Kunstwerkes scheint kein anderer als jener mythische Maestro Colantonio,
den Sumonte im Jahre 1524 einen Schüler König Renés nennt. Pietätvoll hatte
der Meister den dilettierenden Anjou vorn unter die Andüchtigen angebracht, die
der Predigt des Dominikaners lauschen 10. Ein heiliger Hieronymus „in atto di
studiare", den d'Eugenio Caracciola im Jahre 1623 auf demselben Altar wie das
(1) Abgebildet bei Tormo las Tablas de la iglesias de Jativa, Madrid 1912, p. ao.
(2) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 359.
(3) Abgebildet Revue de l'art XXII, p. 345.
(4) Abgebildet bei Tormo Nr. 20 und 21.
(5) Abgebildet bei Tormo Nr. 25.
(6) Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen ХХХ, 1909, p. 180.
(7) Abgebildet bei Wilhelm Rolfs, Geschichte der Malerei Neapels, Leipsig 1910, Tafel ді und bei
Bertaux, a. a. O., p. 349, von dem diese Zuweisung stammt, die Tormo ablehnt; a. a. O., p. 160.
(8) Photographie Alinari, Abbildung bei Rolfs, Bertaux und Mayer, Geschichte der spanischen Malerei.
(9) Bolletino d'arte 1907, I. Fasc. 6.
(10) Abbildungen in Bolletino und bei Rolfs.
192
Franciscusbild іп S. Lorenzo gesehen, war ziemlich kritiklos nach Domenicis Bei-
spiel mit der gleichfalls aus dieser Kirche stammenden Tafel des Neapolitaner
Museums') verwechselt worden. Hier ist der Heilige in seinem Studierzimmer
beschäftigt, den Dorn aus der Pranke des Löwen zu ziehen?) Allein dieses Ge-
mälde, das seine Berühmtheit hauptsächlich Waagens Zuweisung an Hubert van
Eyck verdankt, zweifellos ein Werk aus der zweiten Hälfte des ı5. Jahrhunderts,
hat mit jenem heiligen Franciscus nicht die geringste Verwandtschaft; Colantonio
aber scheint der Maler auch dieser Tafel zu sein, dem sie ja schon Sumonte zu-
schrieb. Dem S. Vicente-Altar steht sie stilistisch sehr nahe, das reizvolle Biblio-
theks-Stilleben, das dort seinen Vorläufer?) hat, lebt bei Colantonios Schüler Anto-
nello da Messina fort. Für die Entstehungszeit des Altars in S. Pietro Martyre
gibt außer der Kanonisation des valencianischen Dominikaners 1458 das Alter der
Stifterin Isabella de Chiaramonte den Anhalt. Von dem Retablo selbst existiert in
der Iglesia del sangre zu Segorbe eine alte Kopie; bezeichnend genug für die leb-
haften Wechselbeziehungen beider Länder.
Die großen Flügel mit den königlichen Magiern im Museo nationale zu Neapel
wird man auf einen an den Werken dieses spanischen Neapolitaners geschulten
Künstler zurückführen müssen. Auch der Maler des viel umstrittenen „Triumphes
des Todes“ im Palazzo Scalafani zu Palermo war zweifellos ein Spanier‘).
Der cordovesische Maler Pablo de Cespedes spricht in seinem durch Cean Ber-
mudez°) mitgeteilten Traktat von Sargas mit der Geschichte des Amadis de Саша
„Hechas en España de algun buen official antes que se inventava la pintura al оно“,
die er, hoch in Ehren gehalten, in der Guardaropa eines Edelmannes zu Neapel
gesehen. Er erzählt ferner, und diese Notiz scheint von der niederländischen Kunst-
forschung bisher nicht beachtet zu sein, daß ein Spanier jene meist Justus von Gent
zugeschriebenen Porträts berühmter Männer im Camerin des Palazzo ducale zu
Urbino (vergl. die Abbildung) gemalt habe") So erklärt sich manches Unerklär-
liche bei diesen Tafeln.
Von mehreren anderen in Neapel und im Auftrag der Päpste tätigen Spaniern
berichten Urkunden. Ein gewisser Diego Serrano arbeitete im Jahre 1457 in Piedi-
grotta, Juan da Valencia fand im Jahre 1451 durch Papst Nicolaus V. Verdienst,
Salvador di Valencia erhielt von Calixt III. den Auftrag, für den vom Papste ge-
planten Kreuzgang Standarten zu malen.
(x) Unter Colantonio in Rinaldis Catalogo de la Pinacoteca nel Museo nationale di Napoli, p. 363.
Abbildung bei Rolfs und Bertaux, a. a. O., p. 351.
(2) Sobotka in Thieme-Beckers Allgemeinem Künstlerlexikon VII, p. 186.
(3) Abgebildet im Bolletino.
(4) Leandro Ozzola, El Triomfo della Morte nel Palazzo Scalafani di Palermo. Monatshefte fiir Kunst-
wissenschaft II, 1909, p. 199. ы
(5) Diccionario V, р. 305: „у otro pintor espanol, que en el palacio de Urbino, еп un camarino del
duque pinto, unas cabezas à manera de retratos de hombres famosos, buenas à maravilla".
193
DIE UBERGANGSSTILE ats EXPONENTEN DES
IDEEN- UND RASSENKAMPFES INNERHALB DER ABEND-
LANDISCHEN KULTUR WELT (Schu8))) Von ROBERT WEST
leichzeitig geht aber in Deutschland, das ich als Zentrum des germanischen
Geistes auffasse, eine analoge Bewegung vor sich. Lange vor der Einführung
antiker Formelemente ist hier ein Stilwandel am Werk, welcher dem Geist der
Neuzeit auf deutsche Weise Rechnung trügt?) Die deutsche Spitgotik geht zeit-
lich mit der italienischen Frührenaissance Hand in Hand, In ihr wird das treibende
Stilmoment der französischen Gotik verneint. Das Nervöse, Bewegliche und doch
scharf Berechnete der franzüsischen Hochgotik wird in Deutschland abgelóst durch
eine langsamere Rhythmik der Architekturform, durch ein von germanisch unklarer
Phantasie erzeugtes Raumgefühl“). Im Ornament wird die spätgotische Ranke,
welche seinerzeit das Akanthusmotiv endgültig verdrängt hatte, von einer Ranken-
bildung abgelóst, die in ganz auffallender Weise wieder an das frühromanische, aus
der Völkerwanderungskunst übernommene Bandornament erinnert. Die spätgotische
Ranke hat dies mit dem Bandornament des frühen Mittelalters gemeinsam, daB
sie über jede Fläche hinüber gesponnen werden kann in endloser Wucherung und
daB sie, was gerade im Zeitalter des naturalistischen Pflanzenornaments auffallend
ist, bis zur völligen Verwischung des grundlegenden Motivs stilisiert erscheint.
Die Ähnlichkeit der spätgotischen Ranke mit dem romanischen Bandornament ist
keine zufällige. Es liegt in der späten Gotik und der frühen Renaissance Deutsch-
lands ein ganz entschiedenes Wiederanknüpfen an jenen romanischen Stil, den die
aus Frankreich eindringende Gotik verdrängt hatte, indem sie eine schon in der
romanischen Architektur Deutschlands vorhandene Stilneigung weiterführte. In der
Gotik haben wir den Hóhepunkt des germanischen Rassen- und Kultursieges ge-
sehen. Frankreich und Deutschland bilden im zwölften Jahrhundert zwei Zentren
germanischer Rassenherrschaft. Das Übergewicht des germanischen Elementes
in Deutschland bringt es mit sich, daß dieses hier ein anderes Volkstum gebiert
wie in dem von lateinischen Rasseelementen stark durchsduerten Frankreich der
Merowinger. Das germanische Element wandelt sich am Rhein und an der Donau,
an Elbe und Oder in ein deutsches, das frinkische an Rhóne und Seine in ein
französisches. So modifiziert sich der germanische Stil der Gotik in logischer
Entwicklung dort zu einem französischen, hier zu einem deutschen. Diese
„deutsche“ Modifikation ist nichts anderes als die Entwicklung des gotischen Stils
in der vom Romanischen angebahnten Richtung. Die erste Epoche der Gotik er-
scheint in Deutschland zum Teil als eine Weiterentwicklung des Vorhandenen,
zum Teil als ein von auBen eingedrungener Stil, der erst dem deutschen Wesen
assimiliert werden muß. Sobald diese Assimilierung vollzogen ist, füllt das für
Deutschland unbrauchbare, das typisch Französische in dem germanischen Stil der
Gotik ab und die Weiterentwicklung erscheint als notwendige Konsequenz des
Romanischen. Die deutsche Renaissance, in welche die deutsche Sondergotik aus-
lüuft, ist darum ganz sichtbar die zeitliche Neubildung des romanischen Stils. Die
antikisierenden Elemente, welche in die deutsche Renaissance erst spiit eindringen,
(1) Siehe Monatsh. f. Kunstw. ІХ, 8. 87ff. u. 126ff.
(3) Gerstenberg: Deutsche Sondergotik. Delphin-Verlag München.
(3) Hanfstaenge!: Hans Stethaimer. Leipzig 19и.
194
sind entweder belanglos, oder sie fügen sich dem Ganzen in der Weise ein, wie
sie es schon in der romanischen Stilperiode taten. Sie werden mit den deutschen
Motiven zu einer Synthese verarbeitet. Die Bewertung der deutschen Spät- oder
richtiger Sondergotik hat in den letzten Jahrzehnten einen bedeutenden Umschwung
erfahren. Allgemein sind die Sachverständigen sich jetzt darüber einig, daß es
sich dabei keineswegs um einen Verfall des Stils handelt, wie wir denn überhaupt
mit den Begriffen: Blüte — Verfall vorsichtiger operieren als früher!) Die An-
wendung der philosophischen Methode auf die kunstwissenschaftliche Forschung
hat uns gelehrt, die innere Berechtigung eines jeden Zeit- oder Nationalstils aus
der Besonderheit der Ziele und Anlagen zu entnehmen. Wir sehen heute in der
deutschen Sondergotik eine in sich reifende Kunst, die zugleich das Ende einer
Epoche und der Anfang einer neuen war. Notwendig folgt aus dieser Erkenntnis
die weitere, daß auch die deutsche Renaissance in ihren Anfängen kein von Italien
abgeleiteter Stil war, sondern organisch im Inland aus der Sondergotik hervorwuchs?).
Das Rómertum, wie es sich in Italien als grundlegendes und immer entscheiden-
des Rasseelement erhalten hatte, war dort ebenfalls in der romanischen Epoche
zuletzt zur Geltung gekommen. Darum spricht die Kunstgeschichte schon lange
bei Bauten wie S. Miniato in Florenz von einer ,,Protorenaissance“*). Mir scheint
es einfacher, die frühe Renaissance des Quattrocento als eine naturgemäße Weiter-
bildung des selben Stilwollens anzusehen, das im rr. Jahrhundert San Miniato
schuf. Die Gotik Italiens war eine Verarbeitung germanischer Formen ohne zwin-
genden inneren Grund. Italien muBte durch diese Phase hindurchgehen, weil der
Zeitgeist, der diesmal die germanische Rasse emportrug, immer Herrscher blieb.
Einem „Stil“ kann sich ein Volk des gleichen Kulturkreises so wenig wie dem
Jahrhundert seines W'erdens selbst entziehen. Italien hatte sein Mittelalter durch-
gemacht, eine neue Zeit kam herauf, die der lateinischen Rasse günstiger war,
und sofort streift Italien als erstes Volk in Europa alles Mittelalterliche und damit
Germanische von sich ab. Es schuf instinktiv in der Weise, in welcher seine
Künstler geschaffen hatten, bevor die Gotik die W'eiterentwicklung seiner Baukunst
im toskanischen Sinn unterbunden hatte. In Italien wird der Kulturkampf des
lateinischen Elementes gegen das deutsche und französische wie gegen den Orien-
talismus begonnen, in Italien wird das Kulturproblem der neuen Zeit gelöst, іп
Italien der erste definitive Sieg des antik-klassischen Elementes über das Germa-
nisch-Orientalische errungen. Daher kommt. es, daß sowohl Deutschland wie Frank-
reich schließlich gezwungen werden, ihre Sonderart, d. h. ihre Lösung der Zeit-
frage, den in Italien gefundenen Formen anzupassen. Der Renaissancestil ist in
seinem Wesenskern italienisch. Darum sind die deutsche Renaissance wie die
französische Renaissance auf ihrem Höhepunkt nur völkisch bedingte Modifikationen `
des transalpinen Stils. In der frühen Renaissance Deutschlands und in seiner
Sondergotik haben wir den Ansatz des Stils, den Deutschland ohne den Einfluß
Italiens entwickelt hätte. Die Reaktion des Germanischen im Barock beweist, wie
erzwungen das klassizistische Gebahren der Deutschen zur Renaissancezeit war.
Der Übergang zur Renaissance, der zeitliche Kulturkampf also zwischen Mittel-
alter und Neuzeit und der räumliche Rassenkampf zwischen Germanentum und
Lateinertum setzt in Italien ein. Die Entscheidung fällt aus zugunsten der Neuzeit
und der lateinischen Rasse. Das ganze 15. Jahrhundert hindurch war die christ-
(1) Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Bruckmann, München 1915.
(2) Haenel: Spätgotik und Renaissance. Stuttgart 1894.
(3) Burckhardt: Geschichte der Renaissance in Italien.
195
liche Welt durch die beginnenden Reformbestrebungen innerhalb der Kirche
seelisch erschüttert. Die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Entdeckung
Amerikas trugen das ihrige dazu bei, den Gesichtskreis zu erweitern, das Denken
in rascheren Schwung zu versetzen. Es ist kein Zufall, daB die deutsche Renais-
sance erst mit der lutherischen Reformation einsetzt. Das Mündigwerden der
Völker in geistiger Hinsicht, ihre Befreiung von der kirchlichen Autorität äußert
sich in der baulichen Erscheinung der Epoche in einem entsprechenden Zurtick-
treten der Kirchenarchitektur gegen den Profanbau. Trotzdem halte ich zur Er-
läuterung meiner Thesen von der abendländischen Stileinheit und dem in den
Übergangsstilen zur Erscheinung kommenden Rassen- und Kulturkampf am Kirchen-
bau fest; denn die Kirche ist in weit höherem Maße als der Profanbau Exponent
des Zeitstils. Die nationale Sonderart Italiens, Deutschlands, Frankreichs prügt
sich aus in den Palastbauten der Strozzi, Pitti und Piccolomini, in den Schlössern
von Heidelberg und Stuttgart, den Rathäusern von Rothenburg und Bremen, деп
Bürgerhüusern Nürnbergs und Augsburgs, von Danzig und von Lübeck, in den
Cháteaus von Blois und Fontainebleau. Die Kirche ist international Die latei-
nische, überall gültige Sprache des Gottesdienstes ist typisch für die Stellung der
Kirche über dem Völkerleben. Aber die Kirche ist auch die Trägerin des semi-
tisch-orientalischen Elementes im Abendland. Dieses semitisch-religióse Element
ist das Bindeglied zwischen den rassefremden abendländischen Völkern. Es ist be-
zeichnend, daß kaum ein Jahrhundert, nachdem Luther sein kerniges Burg-Lied
gesungen hatte, der zionistische Sehnsuchtsgesang ertönt, „Jerusalem, du hoch-
gebaute Stadt“. Das allgemein gültige, allen gemeinsame Entwicklungsmoment
wird der Stil also immer in der Kirchenarchitektur aufweisen.
Anders wie in den früheren Jahrhunderten haben wir gerade in Italien eine An-
zahl von Bauten des Übergangsstils, die so weit unverändert erhalten sind, daß
wir den ursprünglichen Baugedanken klar an ihnen ablesen können. Zunächst
unterscheiden sich die Kirchen des Quattrocento baulich in nichts von den Kirchen
der Gotik oder des romanischen Stils. Nur dem Ornament kommt die Bezeichnung
frühe Renaissance" zu’). Unsere Vorstellung der italienischen Frührenaissance
beruht daher auch fast ganz auf Einzelheiten und vor allem auf architektonischen
Detailstücken wie Kanzeln und Grabdenkmilern. Das Marmortabernakel der Ver-
kündigung Donatellos in Sta. Croce ist ein Wunderwerk der Synthese von Archi-
tektur und Plastik, von romanisch-mittelalterlicher Tektonik und frühem Renaissance-
ornament. Ich vermeide das Wort klassizistisch trotz der Entlehnungen aus dem
Formenschatz der Antike, weil die Verwendung des Eierstabes durchaus individuell
und in dieser Zusammenstellung neu ist. Ähnliches gilt von Desiderio da Settignanos
Grabmal des Marsuppini, das besonders charakteristisch ist für einen Wesenszug
der Frührenaissance, die gleichwertige Behandlung architektonischer Formen mit
figuraler und ornamentaler Plastik, als lose zusammengruppierte Teile. Bei einer
solchen Schöpfung der Frührenaissance ist kein Teil mit dem anderen verwachsen.
Sie sind wie bei einem Stilleben aufgebaut und jedes Glied ließe sich abnehmen
oder herausstellen. Diese lockere Komposition läßt sich auch bei größeren archi-
tektonischen Werken wie der Badia von Fiesole beobachten. Ich führe sie zurück
auf das Bewußtsein der Bildhauer-Architekten des Quattrocento, ihre ornamentalen
(1) „Der Stil der Frührenaissance in Venedig verdient sogar kaum noch den Namen eines Baustils.“
Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien § 43, bearbeitet von Holtzinger. Eßlingen a. N.
Paul Neff Verlag 1912.
196
Lo =
Formen auf ein fertiges und feststehendes Gerüst zu übertragen. Die hängende
Zier, welche zwar wohl aus der Antike entnommen, doch wieder aus dem
frischen Naturstudium der Zeit herkommt, ist symbolisch für diesen C erzug
der Epoche.
Diese architektonische Plastik wird mit besonderer Liebe durchgebildet, ebenso
wie auch dem Bau verwachsene Einzelheiten, Fenster, Türen, Pilaster so gebildet
sind, daß sie als selbständige Kunstwerke unabhängig von der Gesamtanlage be-
trachtet werden können, ja erst in dieser Isolierung zu voller Wirkung gelangen.
Ein Sdulenkapitell der Frührenaissance ist ein juwel der Plastik, der Reiz seiner
Formen würde sich auch dann geltend machen, wenn es vom Säulenschaft ab-
getrennt nur um seines eigenen Wertes willen zur Aufstellung gelangte. Die
frühesten Renaissancekirchen Italiens haben darum einen hohen intimen Reiz, wir
empfinden ihre Grazie als etwas Vertrautes, menschlich Nahes. Je einfacher die
Anlage ist, desto wärmer wirkt diese Ruhe und Klarheit?) Die möglicherweise
auf Brunellesco zurückzuführende Kirche der Badia von Fiesole*) ist beinahe kahl
zu nennen. Der Künstler hat hier den Grundriß der spätmittelalterlichen Kirche
beibehalten, aber alle schmückende Zutat entfernt, um statt dessen neue, aber
spärlich verwendete Formgedanken zu versinnlichen. Typisch für die Frührenais-
sance sind ferner die venezianischen Kirchen S. Zaccaria und die kleine Sta. Maria
de Miracoli. Deutlicher wie die toskanischen Kirchen der Zeit weisen sie das
Wiederanknüpfen der frühen Renaissance nicht nur an klassisch-antike, sondern an
byzantinische Vorbilder auf. Der jetzt so gern in seiner Bedeutung verkannte John
Ruskin hat für diese Bauten den Begriff: „byzantinische Renaissance“ geprägt“),
welcher sich zwar nicht ohne Vorbehalt auf die toskanische Architektur über-
tragen läßt, aber doch den Kern der Sache trifft hinsichtlich des Zusammenhangs
dieser Frührenaissancebauten mit den unter byzantinischem Einfluß entstandenen
romanischen Bauten Italiens. Die Fassade Sta. Maria Novellas, eine der feinsten
Schöpfungen Leon Battista Albertis, ist in der Komposition wie in den Einzelformen
von S. Miniato abhängig. Bezeichnend ist hier die Verwendung der Inkrustation,
die als mittelalterliche Technik in Florenz bald wieder aufgegeben wird. Wie
zwanglos die Renaissance mit der Gotik verschmolz, zeigt sich am besten bei dem
durchaus harmonischen Bau des Florentiner Doms. Entstanden zu einer Zeit, in
welcher noch kein Architekt anders als in gotischem Stil bauen konnte, ist er in
Grundriß und Aufriß ein charakteristisches. Werk der italienischen Gotik, aber seit
dem Ende des 14. Jahrhunderts finden sich an diesem gotischen Bau Schmuck-
formen, die unmittelbar nach antik-römischen Vorbildern gearbeitet sind, Akanthus-
ranke, Palmette und Eierstab drücken dem mittelalterlichen Ganzen den Stempel
der neuen Zeit auf. Durch diese ornamentalen Einzelformen wird das stolze Bau-
werk von Florenz der Renaissance gewonnen, die endlich neben den gotischen
Turm die krönende Kuppel Brunellescos setzt, den Auftakt zur konstruktiven Neu-
bildung des Architekturstils. Der Kuppelbau der Renaissance ist der Ausdruck des
einigenden religionsgeschichtlichen Momentes im Abendland. Vom Orient stammend
symbolisiert die Kuppel den latinisierten Semitismus im Kulturleben Europas.
. Es gibt in Deutschland nichts, was sich an Wert neben die Kirchen der italie-
(1) Vergleiche hierzu: Swarzenski, Das Kunstgewerbe in der Renaissance.
(2) Willich: Die Baukunst der Renaissance in Italien. Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin-
Neubabelsberg. Akademische Verlagegesellschaft Athenaion.
(3) John Ruskin: Stones of Venice.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 7 14 197
nischen Frübrenaissance stellen lieBe. Der Übergang vollzog sich hier unter stür-
kerer Gegenwehr des germanisch-gotischen Stils. In Italien ist kaum ein Kámpfen
der Formen zu beobachten. Der Sieg der lateinischen Rasse vollzieht sich fast
geräuschlos. In Deutschland tritt der Kulturkampf in einem mächtigen Aufrauschen
und sich Bäumen der widerstrebenden Glieder zutage. Die Kirchen des Jesuiten-
ordens im Rheinland, obzwar erst dem 17. Jahrhundert entstammend, sind vielleicht
die charakteristischsten Beispiele. Die Jesuitenkirche in Köln gehört in tektonischer
Hinsicht ganz der späten Gotik an, aber ihre äußere Erscheinung ist durchtrünkt
mit Renaissancemotiven und Renaissanceformen. Die italienische Hochrenaissance
sandte ihre Künstler nach Deutschland. Deutsche Architekten zogen über die
Alpen und lernten von den Bauten Bramantes, Michelangelos, Raffaels und Palladios.
Was die italienische Renaissance in formaler Hinsicht brachte, war die klare Glie-
derung der Teile, den straffen Aufbau, die durchdachte Symmetrie, die plastische
Bestimmtheit aller Form, die Betonung der linear begrenzten Fläche, der Silhouette.
Es war kein Raum mehr für phantastische Willkür und ‚malerische Tiefenwirkung.
Der Stil der italienischen Renaissance ist ein streng tektonischer. Die übersicht-
liche Einteilung der Flächen ist dem Renaissancebaumeister wichtiger wie die
bildmäßige Erscheinung des Ganzen. Der Tiefenzug der abendländischen Kunst
wird aufgegeben zugunsten eines linearen Flüchenstils. Die Absicht des Renais-
sancestils geht auf Einheitlichkeit mit strengster Wahrung des Eigenwertes jeder
Form!) Diese Einheit konnte in den Frühwerken noch nicht erreicht werden,
weil Gerüst und Ornament noch nicht verschmolzen war. Sie wird erreicht im
Cinquecento und teilt sich von da aus an Deutschland mit, soweit der deutsche
Nationalcharakter lateinischer Formenklarheit und überlegter Konstruktion zugäng-
lich ist. Der Heidelberger Otto-Heinrichsbau kommt dem italienischen oder Re-
naissance-Stilwollen am nächsten. Aber diese klassische Ruhe der Formen, die
maßvolle Gliederung des Ganzen, die funktionelle Bestimmtheit aller Teile blieb
dem germanischen Geiste fremd wie der Sinn der Gotik den Italienern fremd ge-
blieben war. |
In Italien selbst war das Element der germanischen Rasse immerhin so stark,
daß es eine weitere Ausbildung der Kunst in der Richtung des Klaren, Geordneten,
Übersichtlichen nicht zuließ. Hier wie nördlich der Alpen setzt eine Reaktion nach
der Seite des Malerischen, Unübersichtlichen ein. Diese rassegeschichtlich be-
gründete Reaktion wurde unterstützt durch ein das ganze Abendland ergreifendes,
machtvolles Aufwallen des semitischen Geistes. Barock und Jesuitismus oder
Gegenreformation sind synonym. Dieser Stil ging von der Kirche aus. Die orien-
talische durchgeistigte Sinnlichkeit, die in ihr lebt, die von Generation zu Generation
fortgepflanzt wurde, konnte sich mit der nüchternen Klarheit der Lateiner jetzt so
wenig zufrieden geben wie in jenen ersten Tagen als die römische Kirche ihre
Vorbilder aus Syrien und Palästina holte. Das Barock ist die glänzendste Inszenie-
rung kirchlicher Frömmigkeit, die rauschendste Interpretation einer Geschichte, die,
in Mesopotamien beginnend, in Jerusalem endet, Jeder Name in der Bibel ist
semitisch. Durch die Bibel wurden Namen und Ideen Palästinas im Abendland
eingebürgert. Als die Völker sich von der Kirche zu entfernen begannen und ihre
Blicke wieder auf die heidnische Antike, das vorchristliche Rom lenkten, wurde
das semitische Element stark in den Hintergrund gedrängt. Sobald die Kirche
wieder Macht gewinnt, bricht sich auch die Tradition des Ghetto Bahn. Es ist
(т) Wöifflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Bruckmann, München 1015.
198
einer jener, die Geschichte illustrierenden Zufälle, daß Rembrandt, die stärkste
Persónlichkeit im nordischen Barock, seine Typen aus dem Ghetto, seine Themen
aus dem Alten Testament wühlte. Rembrandt ist der Maler des Judentums ge-
worden mit seiner Mystik und seinem Prunk. Keiner ist so tief wie dieser Hol-
linder in die Seele der Propheten des alten Bundes eingedrungen. Es liegt im
Barock etwas, das man Messias-Hoffnung nennen künnte. Kostbarkeit des Mate-
rials, Üppigkeit der Form, malerisch verwirrende Anordnung, mystisches Licht,
glühendes Dunkel, unheimliche Pracht, schimmernder Glanz, farbendurchflutete
Räume, Steigerung jeder Bewegung ins Kolossale, das sind die Elemente des
Barockstils. Es sind zugleich die Elemente der orientalischen Kunst, es sind die
Elemente, aus denen das Judentum seine poetische Inspiration zog. Wieder wie
zur Völkerwanderungszeit geht der germanische Geist in seiner deutschen Phase
sofort die Verbindung mit dem semitisch-orientalischen ein, während der Lateiner
immer noch seine Sonderart behauptet. Die römischen Barockkirchen Borrominis
sind kalt neben den Werken unserer deutschen Baumeister, man vergleiche nur
San Carlo alle Quattro Fontane (1667) mit der Münchner Johannes-Nepomukkirche
(1735). Der Unterschied liegt nicht in der Zeit begründet, sondern im Volks-
charakter. Der barocke Stil ist international, weil er von der Kirche ausgeht, aber
er trifft sich mit den gleichgerichteten Rassetendenzen Deutschlands, wo er wie
eine Fortsetzung der Sondergotik erscheint. |
Der Tiefenzug, welchen ich als wesentliches Stilmoment der abendländischen
Kunstentwicklung auffasse, erreichte zum erstenmal einen Höhepunkt in der Gotik
als ein Tiefenzug ins Dunkle. Er erreicht zum zweitenmal einen Höhepunkt im
Barock als Tiefenzug ins Lichte. Die Barockkünstler‘ arbeiten zuerst mit Licht
und Luft, im Sinne von Helligkeit, als Faktoren der künstlerischen Wirkung. Ohne
eine Berlicksichtigung der Luft, des Untastbaren, ist es unmöglich, die Barock-
kunst in ihrem Werte zu verstehen. Bei der Plastik ist das vielleicht noch offen-
barer wie bei der Architektur. Das Zusammenwirken aller Künste im Barock ist
aber so groß, daß Plastik und Malerei als wesentliche Bestandteile der Architektur
erscheinen. Rieselndes Licht und flutende Luft sind das Kriterium des Barock.
Licht und Luft sind es, welche die Formen auflösen, die Konturen verwischen, das
Ruhende in Bewegung bringen.
In der letzten Epoche der Gotik hatte die ihr innewohnende Tendenz zur Ver-
schleifung') den Unterschied zwischen den statisch tätigen und den getragenen
Gliedern fast ganz aufgehoben. Gerstenberg faßt diese Aufhebung des Unter-
schiedes zwischen stützenden und gestützten Gliedern, zwischen vertikalen und
horizontalen Gliedern als Reduktion des Funktionellen auf. Ich sehe darin die
letzte Konsequenz des Vertikalismus, welcher jede horizontale Linie ausschaltet,
jede Auflagerung verschleiert. Der Wegfall des Kapitells ist bezeichnend. Dem
gegenüber betont die Renaissance gerade die Gelenke. Vertikale und horizontale
Glieder werden klar zum Ausdruck gebracht. Der Drang nach absoluter tekto-
nischer Anschaulichkeit führt in Italien zu der sogenannten Reliefordnung, zur Be-
handlung der Wandfläche als Gerüst, hinter welchem die raumabschließenden
Mauern liegen. Die wichtigsten architektonischen Glieder dieser Reliefordnung sind
natürlich die Wandsäulen oder Pilaster und die auf ihnen ruhenden Gesimse.
Abgesehen von diesem extremen Fall geschieht die Gliederung der Wandflächen,
der Fassaden vor allem, immer durch Pilaster oder Säulen und Gesimse. Fenster
| (т) Gerstenberg: Sondergotik, Kapitel IT.
199
und Türen werden hervorgehoben durch eine Umrahmung von Säulen (Pilastern)
. und Gesimsen. Aus einem Renaissencebau läßt sich mithin jeder einzelne Teil
herauslösen als ein in sich funktionell bestimmtes Glied, das sich dienend dem
Ganzen einfügt. Aus dieser in sich ruhenden Bestimmtheit der Teile ergibt sich
die Ruhe des Renaissancestils, in welchen zuerst Michelangelos a Y сеп
Odem einer neuen Bewegung blies.
Deutschland, das inzwischen den italienischen Raumstil ins Malerische und Be-
wegte umgedeutet hatte, ergriff sofort die in Italien nur angedeutete Richtung in
die Tiefe. Pulsierendes Leben, strómende Bewegung erfüllt die Massen, es schwillt
und gührt in allen Formen. Die Giebel brechen auseinander, die geraden Linien
bäumen und krümmen sich, die Säulen drehen und winden sich wie vom Sturm-
wind zerzauste Stämme. Noch bleibt der Renaissancebau stehen, aber jede Form
an ihm wird lebendig. Vom Grundriß bis in das kleinste Ornament gerät Leben
und Bewegung hinein. Im Gegensatz zur Gotik, die ein tektonischer Stil war, ist
das Barock ein atektonischer Stil, der Triumph des Atektonischen. Aber ehe die
Tektonik des älteren Stiles überwunden war, mußte er überwuchert sein von den
malerischen Gewüchsen des Barock. Tremignans S. Moisé in Venedig ist charak-
teristisch für diese W'ucherung plastischer Zierglieder auf dem noch ruhig stehen-
den Renaissancebau. Der Salzburger Dom wird noch in der ruhigen Strenge der
italienischen Hochrenaissance errichtet und nur in der ornamentalen Ausgestaltung
feiert die neue Geschmacksrichtung ihre Orgien.
Das Salzburger Barock ist flir die rassegeschichtliche Entwicklung des Stils von
Bedeutung, weil sich hier italienische und nordische Einflüsse trafen. Der Dom
selbst ist noch von einem Italiener, Santino Solari erbaut, die vornehme Kühle des
lateinischen Geistes beherrscht noch die Regung ins Ausschweifende und Phanta-
stische. Wohin der nordische Geist wollte, zeigt sich dann leise in Fischer von
Erlachs Kollegiumskirche, in welcher das Oval Berninis schon mit deutscher Orna-
mentbehandlung verbunden erscheint.
Es dient vielleicht am besten zum Verstündnis des barocken Geschmacks, sich
zu erinnern, daB er, von Michelangelo ausgehend, in Rubens seinen glünzendsten
Vertreter fand. Diese nordische Steigerung ins MaBlose, alle Gesetze Durch-
brechende konnte im Süden nicht Platz greifen. Die letzte Ausgestaltung des
Barock, das Rokoko, gelangte dort überhaupt kaum zur Entfaltung. Die Reaktion
des lateinischen Geistes gegen diese Barockkultur setzte bezeichnenderweise in
Frankreich, dem Land der modernen revolutionüren Bestrebungen ein. Die üppige
Blüte des germanischen Geistes verwelkte dort, der Quell der germanischen Kiinstler-
Phantasie versiegte, die Kunst verarmte. Der sogenannte ,stile Louis XVI.“ ist
nichts anderes als der Übergang von Barock und Rokoko zum Empire. In Louis XVI.
sehe ich das Einsetzen des blutig endenden Kulturkampfes im 18. Jahrhundert. Man.
kann diesen Ubergangsstil als Läuterungsprozeß auffassen; im Sinne des lateini-
schen Kulturideals ist es ein solcher. DaB er in Deutschland im Biedermeier aus-
lief, beweist seine Rassefremdheit. Der deutsch - völkische Sinn flüchtete vor der
hófischen Strenge ins Bürgerlich-Behübige, vor der klassizistischen Külte in roman-
tisches Märchenland. In die vom Klassizismus und Verstandeskühle hervorgerufene
Leere drang die deutsche Romantik ein. Im Ornament setzt das Louis XVI, der
„Zopfstil“, sich zuerst durch, indem es dieses Ornament, wo immer möglich, ab-
streift und die darunter liegende Struktur nackt zutage treten läßt. Die krummen
Linien werden wieder gerade. Überschneidungen werden vermieden, Verkröp-
fungen und Ausbuchtungen treten in die Flüche zurück. Symmetrie, Klarheit, Ord-
200
nung lösen das Regellose, Malerische, Wirre des Barock ab. Die gerade Linie
bestimmt die Gestaltung des Grundrisses, wie sie jede Bauform bestimmt.
Dieser letzte Stil hat keine tektonische Zeugungskraft besessen. Wir haben
darum nach Empire und Biedermeier keine weiteren Übergünge zu neuen Stilen,
sondern lediglich ein unsicheres Tasten und Suchen nach älteren Richtungen.
Rokoko und Empire sind reine Dekorationsstile, sie gehören daher streng genommen
nicht mehr in den Bereich der vorliegenden Untersuchung. Die Architektur-
geschichte des Abendlandes findet einen ersten Abschluß mit der letzten Barock-
kirche. Die bauliche Entwicklung ist von da ab nicht mehr an die Kirche geknüpft,
sondern an den Profanbau. Hier aber zeigt sie sich immer vólkisch, ja lokal be-
dingt. Es fehlt das einigende Moment eines internationalen Gestaltungsprinzips,
wie es die Kirche bot. Seit der Gegenreformation ist die Kirche nicht mehr wie
in früheren Jahrhunderten Zentrum oder Führer des geistigen Lebens gewesen, das
drückt sich deutlich in der Architektur aus. Es entspricht genau dem Wesen
unserer Epoche, daB die Industrie die wichtigsten baulichen Aufgaben stellt. Wir
stehen hier am Anfang einer neuen Entwicklung. Unsere letzten stilbildenden
Versuche gehen bezeichnenderweise auf die Betonung des Tektonischen aus. Die
reine W'erkform herrscht sogar im Kunstgewerbe. Nach dem Weltbrand, welcher
die letzten Fetzen einer fadenscheinig gewordenen Kulturtradition vernichtet, wird
vielleicht die Götterdämmerung der zweiten abendländischen Kunstepoche folgen.
i
DAS KRODELBILD Ne 1958 DER KONIGL.
GEMALDEGALERIE ZU DRESDEN
0009000€90090000000000480000900000000000000000090000000000000000000000900009
n seiner 1851 bis 1871 in drei Teilen erschie-
nenen Cranachbiographie hat Schuchardt es
für wünschenswert erklárt, über den Verfertiger
dieses auf Holz gemalten Ölporträts, dessen Maße
er angibt, und das „ein schönes Bild“ sei, Mat-
thías Krodel (+ 1605), Näheres zu erfahren i). Wen
es darstelit, vermochte weder Schuchardt fest.
zustellen, noch die Direktion der Dresdner Ge-
mäldegalerie, die es im „Führer“ kurzweg als
„Gemälde eines alten Herrn", jedoch mit Namens-
nennung Krodels, und des oben rechts auf dem
Gemälde befindlichen Malerzeichens M. К. ein-
gereiht hat.
Einerseits die bei der, Halbfigur“ des alten Herrn an-
gebrachte Altersbezeichnung „1591, aetatis suae79",
die auch bei Schuchardt, a. à. O., wiedergegeben
ist?), sodann aber das Familienwappen, das teils
rechts oben auf dem Bild sich befindet, teils auch
der Siegelring zeigt, den der alte Herr am Zeige-
finger der linken Hand trigt, machen es sweifel-
los, daß es sich um einen Angehörigen der Fa.
milie Brehm aus Schneeberg, der Heimatstadt
Matthias Krodels im Erzgebirge, handelt. Es iet,
wie die in den Chronikwerken Schneebergs mit-
geteilte Genealogie der Familie Brehm ergibt,
der dortige Ratsherr (seit 1579) und Stadtrichter
Franz Brehm, auch wohlhabender Hammerherr
zu Unter-Plauentbal, gestorben 1589. Über das
Wappen siehe Chr. Meltzer, Chronik der Stadt
Schneeberg, Ausgabe von 1716, Seite 1088. Im
(1) Chr. Schuchardt, Lucas Cranach des Alteren Leben
und Werke, nach urkundlichen Quellen bearbeitet. Teil III.
Leipzig 1871, Seite 128, vgl. auch I, Seite 245, 39r.
(2) 1591 ist das Jahr der Anfertigung durch Krodel.
Von GUSTAV SOMMERFELDT
wesentlichen war Krodel ein Schüler seines Vaters
Martin Krodel zu Schneeberg, dessen Malerzeichen
der Berliner Galeriedirektor Waagen!) seinerzeit
bekanntgegeben hat, und das von demjenigen des
Matthias Krodel, obgleich es die gleichen Buch-
staben aufweist, nicht unerheblich verschieden ist,
. Was Schuchardt, der in Weimar wirkte, und mit
den Dresdner Angelegenheiten im ganzen nur
wenig vertraut war, ferner a. a. O., Seite 128
(nach Winckelmanns?) Malerlexikon, Seite 274,
und nach eigenen Wahrnehmungen), über einen
angeblichen Wilhelm Krodel sagt, beruht auf Kom-
bination und Mißverständnis. Es handelt sich,
soviel ich ermitteln konnte, in allen Füllen, in
denen auf in Betracht kommenden Bildnissen das
Malerzeichen W. K. angebracht ist, um Wolfgang
(Wolf) Krodel den Alteren, um 1528, der ein
Schüler des ülteren Lucas Cranach oder doch Ver-
treter von dessen Richtung war. Siehe H.Janit-
schek, Geschichte der deutschen Malerei, Bd. III,
Berlin 18090, Seite 506; im allgemeinen ferner über
die verwandtachaftlichen Beziehungen der Familie
Krodel: H. A. Müller und H. W. Singer, All-
gemeines Künstlerlexikon, Band II, Frankfurt a/M.
1896, Seite 396. Malereien des Flügelaltars su
Mügeln bei Oschatz führte Matthias Krodel 1582
bei einem Kostenaufwand von 70 Gulden aus,
worüber das Nähere bei J. G. Sins, Geschichte
der Stadt Mügeln, Teil I, Mügeln 1846, Seite 149
bis 150 gesagt ist.
(1) G. F. Waagen, Kunstwerke und Künstler in Deutsch-
land. Teil I: Im Erzgebirge und in Franken. Leipzig 1843,
Seite 59.
(4) Ludwig von Winckelmann, Neues Mahlerlexikon.
Augsburg 1796.
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REZENSIONEN 1. 112222222.
THOMSEN, WILHELM, Une inscrip-
tion de la trouvaille d’or de Nagy-
Szent-Miklós (= Det Kgl. Danske Vi-
denskabernes Selskab, Historisk-filologiske
Meddelelser: I, 1) Kobenhavn, 1917, 28 5.
In dieser Monatsschrift (IX. Jahrg., S. 13—24)
brachte ich einen Versuch zur Lösung der In-
schriften des Schatzes von Nagyszentmiklós in
Vorschlag, wobei ich zum Endergebnis kam, daB
— sollten sich auch in der Lesung einige Ab-
‘weichungen weiterhin ergeben — der Grundsatz,
daß diese Inschriften mit alttürkischen Lettern
und in alttürkischer Sprache verfertigt wurden,
kaum mehr geändert werden dürfte. Als ich
diesen meinen Aufsatz, der in dieser Form mehr
den Kunsthistorikern gewidmet war, niederschrieb,
hatte ich den größten Teil meines historischen
und philologischen Materials natürlich schon fertig,
und nur die Kriegsverhältnisse brachten es mit
sich (es war kein Kupfervitriol aufzutreiben, dessen
man zur Herstellung der alttürkischen Lettern ge-
braucht hätte), daß diese meine eingehendere Studie
bislang noch nicht erschien. Diesem Umstande
habe ich es zu verdanken, wenn ich nun mancher-
seits recht wertvolle Besprechungen, Winke und
Ratschläge erhalte, die ja alle zur sachlichen Lö-
sung dieser — wie das Interesse hierfür zeigt —
recht wichtigen Frage der Völkerwanderungskunst
beitragen. In diese Reihe von — für die Wissen-
schaft ungemein lehrreichen — Beiträgen kann
nun neuestens auch die oben zitierte Schrift des
Altmeisters der alttürkischen Philologie, Thomsens,
herangezogen werden, der ich, trotz dem etwas
ungewohnt forschen Tone, mit der Seiner un-
bezweifelten Autorität gebührenden Ehrerbietung
entgegenkomme.
Diese Ehrerbietung darf mich natürlich keines-
wegs daran hindern, auch jetzt schon zu dieser
Schrift Stellung zu nehmen; und zwar muß ich
im allgemeinen, da dieselbe wahrlich wenig Sach-
liches gegenüber meiner Aufstellung zu bringen
weiß, in Sachen meiner Nachweise auf die hoffent-
lich nunmehr bald erscheinende Grundiegung
meiner Lesungen hinweisen; sonst ‘aber möchte
ich doch einige Fehlschlüsse und Irrtümer des
dänischen Gelehrten auch hier schon festnageln.
* ж
ké
Von 28 Seiten ‘seiner Schrift behandeln etwa
drei und eine balbe meine unansehnliche Arbeit,
und zwar in einem Stile, worüber Thomsen selbst
bemerken muß, er habe sich „sévèrement“ aus-
gesprochen; was ebenso euphemistisch klingt, als
das ,longuement.“ Sehr bezeichnend ist aber,
wenn er selbst behauptet, er verfahre deshalb so
erbarmungslos mit meiner Arbeit, weil es ihm
mißfällt, daß der „berühmte und gründliche Orien-
talist“, Prof. Karabatek, meiner Arbeit, „sans ré-
serve“ (was gar nicht den Tatsachen entspricht),
beistimmte. Also eine Art von treuherzig be-
kannter Gelehrteneifersucht, die ihren Unterstrich
durch den wehmütig vorgebrachten Seufzer erhält:
„moi-même j'ai à plusieurs reprises, au cours des
années, perdu pas mal de temps en m'occupant,
mais j'ai fini par arriver à ce résultat qu'il est
impossible d'en trouver le déchiffrement......"
Hätte sich Thomsen Zeit seines Lebens ebenso
nach den Nörglern gerichtet, wie er es offensicht-
lich jetzt von anderen wünscht, und nicht viel.
mehr ans frische Schaffen gedacht, wahrlich, seine
epochalen Erkenntnisse würen nicht zustande ge-
kommen. |
Der altehrwürdige Gelehrte schien übrigens bei
Niederschrift seiner, meine Arbeit näher behan-
deinden 3'|, Seiten diese meine Arbeit eigentlich
gar nicht recht gelesen zu haben, Er spricht an-
fangs seiner Zeilen über einen ungarischen Ge-
lehrten, den er nicht das Recht habe, zu nennen,
da dessen Arbeit — Thomsens Ansicht nach —
bislang noch nicht erschien. Dieser Gelehrte war
weil. Géza Nagy, über dessen bez. Arbeit ich in
meinem Aufsatze aber ganz klar sagte, daß sie
schon erschienen sei. Später, auf S. 17, nachdem
er meine Arbeit gehörig abgerissen hat, sagt nun
Thomsen, daß er aus meiner Arbeit doch ersáhe,
daß G. Nagy’s Beitrag erschienen sei, was soviel
besagt, daß Thomsen zuerst seine Kritik nieder-
schrieb, und dann erst eigentlich meinen Aufsatz
durchlas. Solche Gedächtnisfehler sind übrigens
in Thomsens Besprechung noch nachzuweisen.
Er eprach z. B. vor etlichen Jahren (in den Mé-
moires de la société Finno-Ougrienne, 1894) den
-Grundsatz aus, daß die alttürkische Schrift nichts
mit Runen zu tun babe: nun aber spricbt er in
dieser Kritik unentwegt von alttürkischer Runen-
schrift (z.B. S. 7 u. то). Dann macht mir Thom-
sen den Vorwurf, ich gebrauchte zum Nachweise
meiner Lesung türkische Dialekte von Sibirien
bis zur Türkei (was nebenbei den Tatsachen gar
nicht entspricht; ich berufe mich ja direkt darauf,
daß „der alttürkische Dialekt, worin unsere In-
schriften verfaßt sind, heute durchgehends in den
203
südöstlichen Gebieten des zentralasiatischen Türken-
tums: im Uigurischen, Teleutischen und Ostturke-
stanischen, folglich durchwegs an den Abhängen
des Altai zu finden ist“). Hingegen passiert es
dem verdienten Forscher, daß er im zweiten Teile
seiner Arbeit, bei dem Versuche der Lesung einer
griechisch geschriebenen, türkischen Inschrift nun
wirklich Belege aus aller Flerren Länder, von den
Uiguren bis zu den Osmanlis heranzieht, was ihm
ja gar nicht übel angerechnet werden soll, da ja
die Völkerverschiebungen im frühen Mittelalter
wirklich solche Kulturübertragungen zur Folge
hatten, über die schon so manche Philologen
stolperten. Dann hält sich Herr Thomsen auch
darüber auf, daß ich die Inschriften bald von
rechts nach links, bald umgekehrt lese. Ich ver-
wies in diesem Bezuge auf Radlofis Alttürk. In-
schr. I, S. 383 f., was Herrn Thomsens Aufmerk-
samkeit offenbar entging, und kann nun auch
weiterhin auf eine ganze Folge von Tatsachen
dieser Art hinweisen, die in meiner schon er-
wähnten Grundlegung demnächst erscheinen
dürften. Herrn Thomsen dürfte es aber auch
sonst bekannt sein, wie recht „unphilologisch“
die alten Türken im 7.—8, Jahrhundert n. Chr,
schrieben; und auch in dieser Hinsicht werde ich
mir erlauben, so manches anzuführen, was da-
durch seine Erklärung finden dürfte, daß die Alt-
türken eine fertige Grammatik, diejenige der
Brähmi-Schrift, für ihre Zwecke und für ihre
phonetisch ganz fremde Sprache adaptierten,
Auch kann ich den Umstand nicht mit Schwei-
gen übergehen, daß Herrn Thomsens Kenntnisse
über den bez. Schatzfund bei dem Jahre 1885
stehen geblieben sind. Er scheint zum mindesten
darüber keine Kenntnis zu besitzen, daß Hampel
seine im besagten Jahre erschienene Arbeit seither
gründlichst umarbeitete und nunmehr auf ganz
andere Ergebnisse kam. Diesem etwas veralteten
Standpunkte entspricht es auch, wenn Herr Thomsen
stets über einen „evidenten christlich - byzantini-
schen Einfluß“ spricht (S. 11, 25, 26, 27), den der
Schatzfund angeblich aufweisen soll. Nun, dar-
über sind wir ja längst hinaus; wovon sich Herr
Thomsen ja hätte überzeugen können, wenn er
Strzygoweskis Altai-Iran zur Hand genommen
hätte — zu Herrn Thomsens Leidwesen auch
übrigens ein Werk, das meiner Annahme der
alttürkischen Herkunft des Schatzes vollauf ge-
recht wird.
Dem zweiten Teile des Thomsenschen Werkchens
mag ich nun gar nicht näher treten. Aber be-
zeichnend bleibt es doch, wenn der Altphilologe
anstatt der Deutung G, Nagy’s für das in der
204
Inschrift zweimal vorkommende tacon die Inschrift
zu *tepsisi „korrigiert“, und hierdurch eigent-
lich erweisen will, daß er besser weiß, was der
Alttürke schreiben wollte, als der Alttürke selbst.
Das ewige ,on pourrait peut-étre admettre", ,me
cause encore certaines hésitations", ,il faut re-
courir à une hypothése“, mögen ihre volle Be-
rechtigung haben, nur dazu bieten sie keine Be-
rechtigung: eine ehrlich geleistete Arbeit unter
ihrem Deckmantel einfach ohne Kritik in solcher
Art abzutun, wie es Herrn Thomsen beliebte.
Dies muBte ich ja auch gegenüber der gerne
anerkannten Autoritit Wilhelm Thomsens fest.
gtellen. Dr. G. Supka-Budapest,
VOGEL, J., Otto Greiners graphische
Arbeiten inLithographie, Stich und
Radierung. Wissenschaftliches Ver-
zeichnis von Julius Vogel mit 40 Tafeln
in Lichtdruck. Dresden, E. Arnold. 4°.
1917.
Das vorliegende Verzeichnis ist unter den glück-
lichsten Vorbedingungen entstanden. Der verhält-
nismäßig frühe Tod des Künstlers, an sich be-
trüblich, stellt den endgültigen Abschnitt dar, der
dem Verzeichnis, gegenüber so vielen anderen,
die uns in den letzten Jahren beschieden wurden,
seine unangreifbare Erscheinungsberechtigung ver-
bürgt. Dagegen ist es wenigstens in der Haupt-
sache zu Lebzeiten des Künstlers, mit dessen
weitgehender Beihilfe, von einem seiner nahen
Freunde abgefaßt, der sich der Unterstützung an-
derer, noch intimerer Freunde Greiners erfreute.
Am meisten verdankt die Arbeit aber dem gün-
etigen Umstand, daB ein wirklich Berufener, ein
richtiger Fachmann, sie unternommen hat. So
kommt es, daß man endlich wieder einmal einen
„Oeuvrekatalog“ in die Hand bekommt, an dem
man fast nichts auszusetzen hat, in dem die An-
ordnung, die Art der Aufnahme, die Bearbeitung
der einzelnen Titel, die Gewissenhaftigkeit, mit
der die Aufgabe durchgeführt wird, sümtlich in
gleichem Maße erfreuen,
Vogel hat sich bereits öfters über Greiner ver-
breitet und aus seiner Museumstitigkeit kennt
man seine Stellungsnahme dem Künstler gegen-
über, Wer vielleicht leise den Argwohn gehegt
hat, die Einleitung zu vorliegendem Verzeichnis
méchte, — besonders da aie so kurz nach Greiners
Tod beinahe als Nekrolog wirken muß, — ein
wenig zu dithyrambisch ausfallen, wird auch in
diesem Punkt auf das Angenehmste berührt sein,
Der Verfasser schligt warme Téne der Verehrung
— ` Er ëm, ж. m
an, aber er ist auch nicht blind gegen die Mängel
Greinerscher Künstlerschaft, — man liest darüber
noch mehr zwischen den Zeilen als in den Zeilen —
und er spricht kaum ein Lob aus, das man nicht
unterschreiben könnte. Auch ihm ist es nicht
zweifelhaft, daß von der Frische der Jugendarbeiten
aus den 1889—18g1er Jahren bald viel verloren
geht, daß sich dann aber Greiners Kunst wieder
zu einer wirklichen Größe in den Bildnissen der
Jahre 1900—1907 (Frau Wagner, R. Pichler, J. Guth-
mann usw.) steigert, und даВ diese Steindrucke
die eigentlichen GroBtaten des Künstlers auf gra-
phischem Gebiet bleiben werden. Hier konnte
sich Greiners ,Sinn für die Wirklichkeit", den
auch Vogel als die Hauptkraft des Künstlers an-
spricht, auf das Glänzendste, kaum je zu Über-
treffende, entfalten, Hier konnte ihm sein Passi-
vum, die Mangelhaftigkeit seiner Phantasie viel-
mehr als der Mangel an Phantasie selbst, nicht
hemmen. Abstammung und Bildung haben еһегп
. ibre Faust auf ihn gelegt. Wir wissen, und Vogel
erzählt es uns wieder, daß Greiner in seinen
Mannesjahren sich in bewundernswerter Weise
eine Bildung angeeignet hat. Aber es gibt Dinge,
die sich nicht abstreifen lassen und Dinge, die
sich nicht einholen lassen, wenn man mit dem
Versuch in etwa erst dem zwanzigsten Lebensjabr
zu beginnen vermag. Jugend und Jugenderziehung
sind schuld an der Unkultur, die in solchen Blät-
tern steckt, wie дег, Hexenschule“ und dem Mörser“,
an dem selbst Vogel die „gegenständlich unnötig
drastische Form“ rügt. Hat sich einmal Greiners
inneres Auge zu einem kühneren, freieren Schwung
der Phantasie erhoben, wie in der Gáa, so folgt
ibm das äußere nicht und der Zwiespalt bleibt
bestehen. Doch, was er Großes geboten hat in
den genannten Bildnissen (man kann den Klinger,
die Kunstkenner, den Meurer, die Deutschen in
Rom, übrigens auch das Schie&diplom noch zu-
gesellen) ist genug für einen Mann. Das andere
starke Aktivum in Greiners künstlerischer Per-
sónlichkeit, sein Sinn und Geschmack für eine
feine Farbigkeit, wie sie uns zahlreiche Zeichnun-
gen und einige Ölgemälde verraten, — hat er
leider nicht in seiner Graphik verwertet.
Vogel verzeichnet (richtig gerechnet) 117 Blätter,
von denen die ersten 15 unbedeutende Kopien,
nur Lehrlingsarbeiten sind. Unter den übrigen
rund 100 befinden sich vier Radierungen (die
Klinger-Greiner-Schneiderplatte mit eingerechnet)
und 14 Stiche, Alle sind genau und ausführlich
in chronologischer Folge beschrieben, mit den
nötigen gegenständlichen Erläuterungen und mit
Hinweis auf Studienzeichnungen.
Als einzigen Fehler empfinde ich bloß die Nu-
merierung. Die beiden Hilfsplatten zur Gäa, der
verworfene Stein zum Löfftzblatt sind doch ge-
trenpte, selbstándige Arbeiten und muBten selbst-
verstindlich eigene Nummern haben. Das Gleiche
gilt von der Rückseite des Kantateblattes (V. 48b)
und gegebenenfalls von der des Festprogramms
(У. 215). Dagegen durften die Rosenstudien (V.102)
überhaupt nicht aufgenommen werden, da sie
nicht einmal bis zur Átzung, geschweige denn
bis zum Druck gediehen sind. Wenn, wie es
scheint, die Bildnisse von Cosima und Siegfried
Wagner (V. 7s u. 76) auf ein und demselben Stein
stehen, so hitten sie auch nur eine Nummer haben
dürfen. Drucke der Einzelbildniáse, — wenn aie
nicht lediglich zerschnittene Papierdrucke sind, —
würen als II. Zustand anzuführen gewesen.
Wie leicht einem etwas bei solch mühseliger
Aufgabe entschlüpfen kann, zeigt der Umstand,
daß Vogel, obwohl er die Dresdener Sammlungen
mehrmals durchnahm, nicht bemerkte, daß es vom
Ex-Libris Rex (V.79) II Zustände gibt: I — die
Fessel geht durch Löcher im Schild oben; II =
der Schild ist nicht durchlöchert und die Schild-
fessel verläuft heraldisch richtig hinter dem Schild.
Hans W. Singer-Dresden-Wachwitz.
COHEN, HERMANN, Asthetik des
reinen Gefühls. 2 Bände. Berlin, Bruno
Cassirer, 1912.
Ein Buch Hermann Cobens kann es ertragen,
auch um Jahre verspätet besprochen zu werden,
was im vorliegenden Fall durch die Einberufung
des Referenten verschuldet ist; aber eine wissen-
schaftliche Zeitschrift kann nicht darauf verzichten,
ihre Leser zur Auseinandersetzung mit einem so
inhaltsreichen und bedeutsamen Werk — sei es
auch durch Einwünde vnd Verwahrungen — auf-
zumuntern. Uber die Stellung Hermann Cohens
innerhalb der Philosophie unserer Zeit kann hier
nicht gesprochen werden, braucht es auch nicht,
da seine Wirkung sich auf das ganze Reich der
Geisteswissenschaften erstreckt. Man mag diese
Wirkung günstig oder ungünstig beurteilen, das
eine wird jeder zugestehen, der hinter den Büchern
den Menschen zu fassen versteht, und der ab-
zuschätzen weiß, was persönlicher Einsatz für
Denken und Gesinnung der Zeit zu bedeuten hat,
daß wir wenige so machtvolle und geschlossene
Denkerpersönlichkeiten unter uns haben, und daß
diesen wenigen „frei durch Vernunft, stark durch
Gesetze“ der Menschheit Würde in die Hand ge-
geben ist.
205
Von den meisten, fast kónnen wir sagen: von
allen modernen Versuchen, einen eigenen Stand-
punkt in der Ásthetlk zu gewinnen oder zu um-
schreiben, unterscheidet sich Cohens W'erk da-
durch, daß es keine „isolierte“ Ästhetik enthält,
sondern daß diese das dritte Glied eines Systems
bildet, und zwar unter ständiger Vergegenwärti-
gung dieser Anlage.
Das wird vielen, auch vielen Lesern dieser
Monatshefte als ein recht zweifelhafter Vorzug
erscheinen. Aber die systematische Koordination
muß nicht notwendig die Eigentümlichkeit der
Erscheinungen vergewaltigen, sie kann ihnen auch
erst recht Spielraum und Sicherung gewähren.
Ich babe sehr viel gegen die Polemik einzuwen-
den, die Cohen gegen die romantischen Philo-
sophen richtet; aber daß ein Denker, der sich
nicht dazu verstehen will, das Ganze der Philo-
sophie in Ästhetik aufzulösen, schon dadurch die
Mannigfaltigkeit der Tatsachen in unzulässiger
Weise schematisiert, ist ein Vorwurf, dessen Be-
rechtigung allein durch die Scheu vor dem Wort
System gedeckt ist. Freilich muß man unter
System etwas anderes verstehen als die Anord-
nung wildgewachsener Ansichten nach Kategorien,
die aus der fachwissenschaftlichen Überlieferung
entnommen werden. Hiervon ist das Bemühen
Cohens, den Begriff einer üsthetischen Gesetzlich-
keit gemäß dem allgemein bedingenden systema-
tischen Begriff der Gesetslichkeit zur Entdeckung
und zur Bestimmung zu bringen, grundverschieden.
Wie man sich auch zu der bald umstündlich aus-
greifenden, bald derb zupackenden, bis zur Angst-
lichkeit vorsichtigen und wieder bis zu souverüner
Nichtachtung tatsüchlicher Verhalte eigenwilligen
Art der Grundlegung mit allen ihren geistes-
' geschichtlichen und erkenntnistheoretischen Hilfs-
konstruktionen stellt, im ersten Bande ist eine
Denkleistung enthalten, die ihren Lohn nicht nur
in sich selbst trägt.
Eine andere Frage freilich ist, welchen un-
mittelbaren Gewinn die Kunstbetrachtung, das
bistorische Studium und das lebendige Verháltnis
von dieser Asthetik davontragen wird, und da
scheint es mir, als ob der Anreiz zu kráftigstem
Widerspruch der Wirkung bestes Teil sein wird.
Cohens gereizte Auseinandersetzungen mit Konrad
Fiedler, der uns als der Verführer Adolf Hilde-
brands vorgestellt wird, lassen die Brüchigkeit der
Grundlagen am klarsten erkennen. Die Akko-
modation, die Cohen zwischen seinen eigenen
Anschauungen und denen Hildebrands vornimmt,
. dürfte nicht allen textkritischen Bedenken stand-
halten.
206
Um das Recht der Philosophie an der Asthetik
‚ zu bebaupten, sah Cohen sich veranlaßt, seinen
persönlichen Anteil an ästhetischen Erlebnissen
zu bezeugen und von seinen Lebenserfahrungen
an den großen Kunstwerken zu berichten. Er
meint, ohne solche Kundgebungen würden seine
methodischen Ausführungen nicht nur der Ver-
anschaulichung, sondern auch der Beglaubigung
ermangelt haben, Hiervon verspricht sich der
verdiente Verfasser entschieden zu viel. Seine
Bekenntnisse kónnen seine Theoreme nicht be-
glaubigen, sondern allenfalls ihre Bedingtheit klar-
stellen, vorausgesetzt, daB ein enger und wider-
spruchsfreier Zusammenhang zwischen Kunst.
anschauung und Theorie vorliegt. In seinen kon-
kreten Urteilen über Kunstfragen und künstlerische
Persónlichkeiten und Werke zeigt sich Cohen als
ein strenger Klassizist, der auf den weltbürgerlich-
humanitären Inhalt des klassischen Ideals das
Hauptgewicht legt und sich der anderen großen
Erscheinungen der Kunstgeschichte, so weit er
sie nicht ablehnt, durch Herauslesen des gleichen
Inhalts zu bemächtigen sucht. Wie weit, wie
schwierig und verzwickt der Weg von Cohens
Position zu den Tatsachen der Kunst ist, und was
alles von seiner Methodik unerledigt bleibt, zum
Beweise dessen braucht man gar nicht so krasse
Fälle wie seine Behandlung der Gotik anzuführen,
es genügt, auf Partien hinzuweisen, wo ег sich
mit ihm durchaus sympathischen nn
wie etwa Rembrandt, beschäftigt.
Im Vorwort spricht der Verfasser den Gedanken
aus, der Wert seines Buches könne durch An-
fechtung des Fundamentes seiner Begriffe zwar
gemindert, aber keineswegs vernichtet werden,
denn dieser liege in der systematischen Methodik,
die hier die Ästhetik erfahren hat. Dieser An-
schauung kann ich zustimmen, und jeder Ver-
such, das Eigenrecht der Philosophie zu wahren,
bedeutet einen Gewinn für die Ästhetik.
Hugo Bieber.
ARPAD WEIXLGÄRTNER, August
Pettenkofen. Herausgegeben vom k. k.
Ministerium für Kultus und Unterricht.
Zwei Teile. Wien 1918. Gerlach und
Wiedling.
Auch diese neueste Publikation des österreichi-
schen Kultusministeriums steht in der muster-
gültigen Art der Ausstattung, besonders bemer-
kenswert durch die vollendete Wiedergabe des
Abbildungsmaterials in teilweise farbigen Licht-
drucken, den vielgerübmten früher erschienenen
Monographien in keiner Weise nach. Wiederum
mischt sich dieser anerkennenden Zustimmung
ein leises Bedauern bei, daß dem reichsdeutschen
Kunstschriftsteller in seinem Vaterlande derartige
erfreuliche Möglichkeiten, seinen Arbeiten durch
behördliche Unterstützung die entsprechende und
zu weiterem Schaffen gfinstig aufmunternde Form
zu gewinnen, völlig fehlen und, von anderen Hin-
derungsgründen materieller Art abgesehen, fehlen
werden, solange bei den maßgebenden Stellen Ar-
beiten über Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts
als feuilletonistisch verdächtig gelten. Es ist die
ausgezeichnete Eitelbergersche Tradition, welche
am Minoritenplatz seßhaft bleibend sich vorbild-
lich bewährt, und so steht zu hoffen, daß uns
durch eine großzügige Munifizenz die Reihe der
im staatlichen Auftrage herausgegebenen Werke
über die hervorragenden österreichischen Künstler
des 19. Jahrhunderts noch in weiteren Fortsetzun-
gen zu begrüßen beschieden sein möge,
Auf Segantini, Führich und Alt ist nunmehr
Pettenkofen gefolgt. Man fragt sich angesichts
der Bedeutung, die in steigendem Maße dem Werk
dieses gerade von seinem Österreichischen Tem-
perament in seinem künstlerischen Schaffen ge-
hobenen Meisters zuerkannt wird, und die im
Sinne der ausgesprochenen Schätzung seiner ma-
lerischen Kultur seinen Gemälden hier neben
Makart und dort vor Munkacsy den gesicherten
Platz zuweist, warum Pettenkofen nicht schon
als erster oder mindestens als zweiter Ssterreichi-
scher Maler für die monographische Behandlung
berufen ward. Die auBerordentlichen Schwierig-
keiten, welche die Bearbeitung des biographischen
Materiales darbietet, mógen daran Schuld getragen
haben. Denn ohne irgendwelche kritische Zweifel
zu bedingen, liegt der Entwicklungsgang Petten-
kofens deutlich erkennbar vor Augen, nur durch
wenige wichtige Beziehungen zu der heimi-
schen und su der französischen Malerei, erst
seiner zweiten Lehrmeisterin, im Fortschreiten
bestimmt. An dieser Tatsache ändert die Un-
bequemlichkeit nichts, einen großen Teil der Bil-
der Pettenkofens aus dem Privatbesitz hervor-
suchen zu müssen, zumal seine schon frühzeitig
erreichte, durch Jahrzehnte bewährte Meisterschaft
keine anderen als die ganz äußerlichen, lokalen,
durch den Wechsel des Aufenthaltsortes gegebe-
nen Unterscheidungen zu machen gestattet. Ein
wesentlicher Vorwurf, der sich nicht gegen
Pettenkofen allein, sondern gegen mehrere ihm
wesensverwandte Maler, Stevens, Fortuny, Albert
von Keller, richtet, ihre Kunst sei „international“,
wird also, obwohl er unberechtigt ist und leicht
zurückgewiesen werden könnte, infolge der Not-
wendigkeit einer solchen Einteilung wiederum er-
hoben werden. Weit eher würde der Mangel
einer bei allen bedeutenden Meistern des 19. Jahr-
hunderts (mit der genialen Ausnahme іп den
Schépfungen Wilhelm Triibners) hervortretenden
stilistischen Weiterbildung und Vervollkommnung
den Einwand des Virtuosentums begriinden, wie
er Meissoniers Berühmtheit den Glanz genommen
hat. Stand Pettenkofen auch mitunter dieser Ge-
fahr sehr nahe, so hat ihn doch seine Veranke-
rung in der Solidität der Wiener Kunst davor be-
wahrt, von ihr erfaßt zu werden. Hier wäre eine
zweifellos anregende Möglichkeit zu finden ge-
wesen, die Kunst Pettenkofens im ganzen zu be-
trachten und von diesem Gesichtspunkte nicht
biographischer Art die verschiedenen Einflüsse
auf ihre Wichtigkeit su untersuchen, welchen sie
unterlag.
Der Verfasser der sehr umfangreichen beiden
Bände, Arpad Weizigirtner, hat nicht zum Vor-
teil seines Buches derartigen wichtigen Über-
legungen nur einen äußerst bescheidenen Raum
gewährt und ist dafür mit bewunderungswürdigem
Fieiße im Rabmen der Dreiteilung Wien-Szolnok-
Paris ausschließlich biographischen Gesichts-
punkten gefolgt: Damit hat er sich selbst zu-
nächst die Arbeit erschwert, Außerdem kommt
durch die gleichzeitig eingehaltene Bevorzugung
einer für den Leser sehr ermüdenden genauen
Aufzählung der sämtlichen Werke Pettenkofens
bei gegebenen Anlässen unter Beifügung aller
kritischen Notizen ein die literarische Behandlung
des Stoffes geradezu unmöglich machender Zwie-
spalt hinzu, welcher leider eine organisch ge-
sicherte Form der Darstellung nicht zulle&. Die
Unbeholfenheit einer solchen Disposition mag in-
sofern als wissenschaftlich gelten, als sich das
ganze Materia] Datum auf Datum und Bild für
Bild aneinanderreihen und einarbeiten läßt. Es
ist aber doch wohl einmal ein Unterschied, ob
man den alleinseligmachenden Seminargehorsam
auch auf die moderne Kunst ausdehnen soll, und
weiter ist es die Frage, ob damit der gewünsch-
ten Verbreitung einer zum Ruhme eines Künst-
lers geschaffenen Monographie genützt wird.
Selbstverstindlich wird durch diesen Übelstand
auch der Text stark in Mitleidenschaft gezogen.
Es erscheint fast unbegreiflich, warum Weizl-
gärtner, statt im Gegensatz zu der neuerdings üb-
lichen Gepflogenheit, einige rasch geschriebene
Feuilletons vor einen mit größtmöglicher Papier-
verschwendung gedruckten Katalog zu heften und
beides durch zahlreiche Abbildungen zu einem
207
äußerlich mit guter Täuschung nach ungeheuer-
licher Arbeit aussehenden Walzer zu stempeln,
diese langgedehnten öden Berichte seines Buches
anzufertigen nicht ebenfalls rasch entschlossen
Leben, Kunst und Bedeutung seines Meisters in
wenigen übersichtlichen Kapiteln behandelt und
alles Überflüssige dem Nachtragsbande aufbewahrt
hat. War ihm daran gelegen, ganz besondere
wissenschaftliche Vorzüge mit seiner Arbeit zu
vereinigen, konnte er sie nach Wunsch und so
ausführlich wie möglich seinem zweiten Bande
vorbehalten, der ohnehin ein Muster an Genauig-
keit geworden ist. Dafür dehnt er seine Erzäh-
lung aus, so weit es nur möglich ist, und zählt
auBerdem zur scheinbaren Belebung des kultur-
bistorischen Hintergrundes verschiedentlich alle
Ereignisse auf, die zu einem bestimmten Datum
sich ereignet haben (wobei S. 112 ein grober
Fehler im Todesdatum Manets, der am 30. April
1883 starb, unterlief), und der Leser wird bei
seiner mühevollen Aufgabe schon von Anfang an
zu der Meinung veranlaßt, daB ein vorgeschrie-
benes Ausmaß solche Länge verschuldete. Die
Folge ergibt als Resultat nur den Besitz eines
schönen Abbildungswerkes, dessen Text nicht zu
genießen ist. .
Das ist für die Riesenmühe schade, die sich
Weixigärtner gegeben hat. Ob es ihm bei der
offiziellen Art der Publikation gestattet werden
wird, was sehr wünschenswert wäre, nach rück-
sichtsloser Streichung von mindestens zwei Dritteln
seiner Ausführungen eine kleine Volksausgabe,
welche gewiß dem Ruhme Pettenkofers und seiner
Verbreitung fórderlicher sein wird, zu veranstalten,
bleibt abzuwarten. Jedenfalls muß eine solche
Arbeit dringlich gefordert, und zwar von einem
begabten Kunstschriftsteller gefordert werden, der
für Pettenkofens Kunst die Fähigkeit der Emp-
findung und des Geschicks besitzt, diese Emp-
findung zum Ausdruck zu bringen. Der Verfasser
einer neuen Monographie wird in historischer Be-
ziehung völlig auf Weixigärtners Forschungen
fußen müssen. Liegt sie vor, dann erst wird An-
laß gegeben sein, festzustellen, ob die künstle-
rische Seite der Persónlichkeit Pettenkofens richtig
aufgefaßt worden ist oder nicht. Es wird gleich-
zeitig Gelegenheit genommen werden müssen,
den Dank für die historischen Ermittlungen allein
für W'eixlgürtner zurückzubehalten. Wenn histo-
rische Gründlichkeit und Неібірев Zusammentragen
alles erreichbaren, selbst des belanglosesten Einzel-
materiales ein dokumentarisch gesichertes und
historisch einwandfreies wissenschaftliches Buch
geschaffen haben, ist das immer der Anerkennung
208
würdig und wertvoll Daß aber zu der lebens-
vollen Schilderung eines Künstlers in seiner Zeit
auch andere und wichtigere Eigenschaften der
Darstellung erforderlich sind, sollten die Kunst-
historiker wenn nicht schon von Carl Justi, so
doch von der erfreulichen Methode der neuesten
historisch-biographischen Forschung gelernt haben.
Hermann Uhde-Bernays.
OTTO GLAUNING: Neveu und der
Raub Nürnberger Kunst- u. Bücher-
schätze im Jahre 1801 іп den Mit-
teilungen des Vereins für Geschichte der
Stadt Nürnberg. XXII (1918), S. 174-243.
Über den Kunst-, Bücher- und Handschriften-
raub der Franzosen in deutschen Landen während
der französischen Revolution und unter Napoleon I.
sind schnell hintereinander eine Reihe von wert-
vollen Arbeiten veröffentlicht worden. Degering
und Gronau haben das Thema in der Internatio-
nalen Monatsschrift behandelt, der Baumeister
Kempf hat in den Freiburger Münsterblättern die
Heimsuchungen des Freiburger Doms im Laufe
der Jahrhunderte geschildert, und neuerdings hat
Otto Glauning in den Mitteilungen des Vereins
` für Geschichte der Stadt Nürnberg eine Studie
über den franzósischen Kunstkommissar Neveu
und seine Räubereien in Nürnberg veröffentlicht.
Diese ausgezeichnete, auf Grund sorgfältiger Quellen-
forschungen verfaßte Studie dürfte — an entlegener
Stelle gedruckt — nicht die Beachtung finden, die
sie verdient. Sie sei deshalb hier in aller Kürze
wiedergegeben. Francois-Marie Neveu, instituteur
à l’école polytechnique et commissaire du gou-
vernement francais en Allemagne pour les sciences
et les arts, erschien Anfang des Jahres ı801 іп
Nürnberg und forderte im Auftrage seiner Regie-
rung von der freien Reichsstadt 17 Gemälde und
50 Wiegendrucke als „Geschenk“ für die franzó-
sische Republik, Der Festigkeit des Rates und
dem Geschick seiner Vertreter gelang es nach
langwierigen Auseinandersetzungen, Neveu zu be-
stimmen, sich mit 5 Gemälden und 12 Wiegen-
drucken zu begnügen. Die fünf Gemälde waren:
Albrecht Dürers Selbstbildnis und Adam und Eva;
Georg Penz, Portrát Jamnitzers; Kupetzki, Bildnis
eines Violinspielers; Heemskerck, St. Lucas, Maria
mit dem Jesuskinde malend. Es ist Glauning ge-
lungen, die Irrfahrten der beiden Dürer im einzelnen
verfolgen zu können; vor allem erbrachte er den
Nachweis, daß Neveu keine Originale, sondern alte
Kopien geraubt hatte. Uber den Verbleib der
Gemälde von Penz, Kupetzki und Heemskerck
muBte er uns den Nachweis schuldig bleiben.
— =
Dem -Dürerforscher dürfte Glaunings Arbeit
mancherlei wichtige Aufschlüsse bringen, da er
mit großer Sorgfalt alle ihm irgend erreichbaren
Nachrichten über die Dürerischen Urbilder sowie
deren Kopien gesammelt hat. Es ist ihm ge-
lungen, die Schicksale dieser Gemälde von ihrem
Ursprung an bis zu ihrer heutigen Aufbewahrungs-
stätte fast lückenlos zu verfolgen, indem er die
wenig bekannte Reiseliteratur vom 16.—18, Jahr-
hundert mit Erfolg zu Rate zog.
Endlich beschäftigt sich Glaunings ergebnis-
reiche Arbeit eingehend mit der Persönlichkeit
Neveus und stellt zugleich einen dankenswerten
Beitrag zur Geschichte der reichsstädtischen Diplo- .
matie dar. Es ist erfreulich, zu sehen, wie tapfer
sich die Nürnberger gewehrt, und wie erfolgreich
sie die Forderungen französischer Anmaßung zu be-
kämpfen verstanden haben. Ernst Steinmann.
HANS W. SINGER, Handbuch für
Kupferstichsammlungen, Vorschläge
zu deren Anlage und Führung. Hierse-
manns Handbücher, Bd. IX, Leipzig 1916.
Reiche wissenschaftliche und praktische Erfah-
rungen liegen diesem Buche zugrunde. Der Ver-
fasser ist seit 25 Jahren am Dresdener Kupfer-
stichkabinett tätig und hat dort die Entwicklung
einer graphischen Sammlung in ihrem Wachstum
und in der Ordnung der sich stets mehrenden
Bedürfnisse helfend und schaffend miterlebt. Und
da in praktischen Dingen praktische Erfahrung
der beste Berater ist, so wird man das, was der
Verfasser über die stille Arbeit am Zettelkatalog
und an den Kastenschränken zu sagen hat, ‚wohl
mit Dank und Zustimmung aufnehmen können;
und vor allem, wenn ein verhältnismäßig so sprö-
der Stoff so lebendig beschrieben und mit so
treffenden Erlebnissen und Beobachtungen ge-
würzt ist.
Der Verfasser geht gründlich zu Werke. Er
beginnt mit dem Bau und der Ausstattung der
Räumlichkeiten, deren Größenverbältnisse bis ins
einzelne bezeichnet werden und deren Anschau-
lichkeit durch gute Abbildungen gefördert wird.
Dann folgen die wichtigsten Kapitel des Buches,
die über die „Einteilung und Anordnung der Samm-
lungen“ und über die „Katalogisierung“ handeln.
Hier werden durch zahlreiche Musterbeispiele die
Führung der Zettel- und Buchkataloge erörtert
und die ungeheure Mannigfaltigkeit des Stoffes
systematisch gegliedert. Den einzelnen Katalog-
typen ist die gróBte Sorgfalt gewidmet, damit sie
innerhalb des Gesamtapparates auch tadellos funk-
tionieren. Es muß sich mit ihnen wie mit mathe-
matischen Tabellen arbeiten lassen, denn auch
wir haben oft Aufgaben zu lösen, die wie Gleichun-
gen mit mehreren Unbekannten aussehen. Die
Schlußkapitel sind dem „Personal“ und den ,Ar-
beiten der Beamten“ gewidmet, Trotzdem sich
gerade diese Verhältnisse mehr der Größe und
den Mitteln des betreffenden Kabinetts werden an-
passen müssen als schließlich die größere Unab-
hängigkeit sachlicher Dinge, so wird man doch
aus den Ausführungen des Verfassers vieles All-
gemeingültige entnehmen kénnen.
Die Benutzungsmöglichkeit dieses auf ein sehr
enges Gebiet eingestellten Buches hat aber durch
die Beigabe einer Oeuvre- Katalog - Bibliographie
eine solche Erweiterung erfahren, daB es aus
seiner Stellung als gelegentlicher Ratgeber heraus-
wächst und’ als ein wichtiges Nachschlagewerk
in der Handbibliothek seinen Platz erhalten wird.
In dieser Bibliographie sind ungefähr 3000 Künst-
lernamen mit den genauen Nachweisen, wo das
graphische Werk eines Künstlers einzeln be-
schrieben ist, verzeichnet. So wird das Buch wohl
seinen Weg in die weitesten Kreise der Freunde
graphischer Kunst finden, es wird benutzt werden
und Nutzen schaffen, Hans Wolff.
WILHELM WAETZOLD, Deutsche
Malerei seit 1870. Mit 55 Abbildungen.
Verlag von Quelle &Meyer. Leipzig 1918.
Das dem Andenken Alfred Lichtwarks gewid-
mete Bändchen aus der Sammlung „Wissenschaft
und Bildung“, das wohl einer Vorlesung des Hal-
lenser Ordinarius seine Entstehung dankt, ist im
besten Sinne des Wortes ein kunstgeschichtliches
Lesebuch. Klar in der Form, flüssig im Stil, be-
wältigt es auf knappem Raum ein großes Kapitel
deutscher Kunst. Die wesentlichen Momente der
Entwickiungslinien treten überall deutlich in Er-
scheinung und manche feinsinnige, vergleichende
Analyse zwingt den Leser immer aufs neue zur
Einstellung auf die Hauptfragen derKunstgeschichte,
soweit sie in diesem Zeitabschnitt zur Erörterung
stehen. :
Auch der Versuch einer Betrachtungsweise nach
Bildmotiven, die gleichbedeutend ist mit der Frage
nach den Wandlungen, die das erzáhlende Bild,
das Bildnis, die Landschaft, Stilleben und Wand-
bild durchgemacht haben, ist glücklich gelöst,
‘wenn auch bei solcher Behandlung im einzelnen
Wiederholungen nicht zu vermeiden waren. Im
Rahmen der knapp bedingten Umrißzeichnung,
die Waetzold entwerfen wollte, konnte vielleicht
diese Art Fragestellung überhaupt nur zum Ziele
führen. Letzten Endes aber kommt es bei diesem
209
*
Buche wie bei jeder kunstgeschichtlichen Arbeit
doch nur darauf an, ob es dem Schreiber gelingt,
seine Leser zu fesseln. und zu überzeugen. Und
das ist hier durchaus der Fall. Der Klarheit des
Denkens gesellt sich ein ästhetisch begründetes
Urteil, der fließenden Schreibweise eine Prägnanz
des Ausdrucks, die jede Phrase meidet. Und wenn
es bei aller Anerkennung dennoch eine Einschrän-
kung des Urteils gibt, so berührt die mehr das
Thema selbst als die Art seiner Behandlung.
Waetzold gibt in seinem Buche in der Haupt-
sache die Entwicklung der deutschen impressio-
nistischen Kunstepoche. Die neueste Kunst ist
trotz so feiner Analysen, wie er sie gelegentlich
für den Expressionismus, dem er innerlich offen-
bar sehr nahe steht, bereithält, mehr als stiefmütter-
lich behandelt. Insofern verlangt das Werk ge-
radezu nach einer Fortsetzung, und ich móchte
hoffen, daß uns die der Verfasser nicht vorenthält.
Er scheint, nach dieser Probe zu urtellen, einer
der wenigen klaren Köpfe zu sein, von dem wir
eines Tages das Buch auch über die jüngste Kunst-
bewegung, die doch unsere Zukunft ist, erwarten
dürfen. Georg Biermann. .
RUNDSCHAU .. nein
DER CICERONE.
X, 11/12.
HENRIK HAUSER: Ein dänischer Sammler.
(9 Abb )
WALTER BOMBE: Ein vergessener Diissel-
dorfer Landschafter (Carl Irmer). (4 Abb.)
OUDE KUNST.
III, 8.
Dr. N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten (1 Taf.,
12 Abb.)
Dr. N, WIERSUM: Berichten over engelsch Aarde-
werk en Porselein 1765— 1818.
C. W. WAGENAAR; De Regentenzaal van het
nederduitsch hervormde Diaconie Weeshuis te
Utrecht. (6 Abb.)
AMTLICHE BERICHTE Aus DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.
XXXIX, 9.
F. GOLDSCHMIDT: Darsteliungen des Gekreu-
zigten zwischen Maria und Johannes aus dem
Bereiche Hans Leinbergers. (11 Abb.)
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 9. е
KARL SCHEFFLER: Kunstgesetze.
GUSTAV PAULI: Lovis Corinth. (15 Abb.)
P. F. SCHMIDT: Karl Fohr. (7 Abb.)
ZEITSCHR. FÜR BILDENDE KUNST.
Neue Folge XXIX, 9.
GEORG GRONAU: Über ein dem Ghirlandajo
zugeschriebenes Frauenbildnis. (3 Abb.)
KARL W. JÁHNIG: Die Beweinung Christi vor
dem Grabe von Rogier van der Weyden. (a Abb.)
HANS F. SECKER: Beitrüge zur Dürerforschung 2:
Zwei neue Dürerzeichnungen. (5 Abb.)
KARL SIMON: Aus Peter v. Cornelius' Frankfurter
Tagen D (4 Abb.)
DIE KUNST.
XIX, 9.
MAX EISLER: Aus der österreichischen Staats ·
galerie. (14 Abb.)
AUGUSTE RODIN: An die jungen Künstler.
ERNST GOSEBRUCH: Adolf Thomann. (8 Abb.)
108. AUG. BERINGER: Der Radierer Emil Anner.
(9 Abb.)
HANS HILDEBRAND: Josef Eberz. (6 Abb.)
H. SÓRGEL: Die sichtbare Welt in der bilden-
den Kunst. ы
WOLF: Deutsche Ausstellungen im Ausland.
Neue Arbeiten von P. L. TROOST - München.
(x Taf., 10 Abb.)
MODERNE TIERPLASTIK : Ziervögel der Nym-
phenburger Porzellanmanufaktur. (14 Abb.)
K. GROSS: Das Kunstgewerbe und die Leipziger
Messe.
WILHELM MICHEL:
Packungen. (16 Abb.)
E. J. Margolds Keks-
XI. Jahrgang, Heft 7.
Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. —
Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i; V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin
W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT
& BIERMANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Fransensring 22. |
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ;
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 6s. -
Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.
Es wird gebeten, alle für die Schriftleitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an
Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, Uhlandstraße 158 zu richten.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFÉ und Dr. CURT SACHS begründeten.
211
|
:
АА
ALLGEMEINE KUNSTGESCHICHTE
Uber die Entwicklung der Abendmahlsdar-
der byzantinischen Mosaikkunst bis iederländischen
stellung Malerei des 17. Jahrhunderts. Von F. Adama van Scheltema.
ИХ Ober die Abendmahls-Darkellungen eine ikonographische Studie zu ethalten, war ebenso
H Mit 26 Abbildungen auf 3 rung geschickt verschiedenen Klippen aus dem Wege gegangen allem geht
8 21 Tefeln in Lichtdruck. = er der aus dem Wege, in kleinli Pragmatismus die Wandlungen des
= in = Bildes aus religiösen, politischen j Сыйакы a eee vi
Geheftet M. 14. 3 er durchweg nur von der rein kindlerischen Entwicklung Die 26 Darstellungen
: e e e М. 2 іп Lichtdruck bilden eine * Beigabe zu E de feißigen und unterrichtenden
$00592360002000000050000050506025060005050000 0:0 Arbeit. Frankfurter Zettung.
Die norwegische Malerei im 19. Jahrhund. Von Andreas Aubert.
r0900000000001 0009800200000 005 аза Es if nicht wenig, was gerade Norw as m dem Gebiete der Malsi = hat.
те kündlerisc!
vr
3 gen : und Gode gehören faa unmiteiber zur Düsseldorfer Schule, Alb aber um, die сага Jahre |
= QGeheftet .. M. 6.— 2 suchhier oben im Norden die Revolution einsetzt, da findet sich das spezifisch norwegische in
2 = derKun& zu neuen Formen zusammen. Männer wie Thanlow, Geen und Krogh waren
2 Gebunden . M. 7.50 = die großen Entdecker dieser Jahre, li Ihnen sind die Jungen "gefolgt, unter SE sich dog
Teoaconoscecocccancccccnccescencncenccnccccenses wie Edward Munch auch im übrigen
Der Garten. Eine Geschichte seiner künstlerischen Gestaltung.
Von August Grisebach.
Rn ̃ũ виле
E . . . M.10.— = Die Geschichte des architektonischen Gartens findet hier die егде russmmenfessendo Dar-
= Gebunden. . M. 12.— 2 s#ellung von deutscher Seite. Als Abbildungen sind zeitgenössische Stiche bei
Fecccencsosscossenscencescessocesenncsessssasess mit deum Gefühl ausgewählt. Monatshefle für Kunstwissenschaft.
Christian Ludwig von Hagedorn. Ein Diplomat und
Sammler des 18. Jahrhunderts. Von Moritz Stibel.
миы „Бәш i& ein ein sorgfältig durchgearbeitetes, für die Geschichte der Diplomatie, des Sammler-
3 Geheftet . . . M. 6. 2 und Kunfhandels áufer& VVV
2 — 8 reteaem Boden. Еа теш, das Buch, noch —— Cell
FF für ein Gebiet zu nennen, das in jüngster Zeit сота M *
onatsh e r E
VERLAG VON —— & BIERMANN, LEIPZIG
VN те Ут
Fur neu hinzutretende Abonnenten!
Bezug der früheren Jahrgänge des Cicerone | der Monatshefte für Kunstwissenschaft
1. Jahrgang 1909 . . . komplett in Heften. . M. 16.— | 1.Jahrgang 1908 kompl. in Heften M. 16.—, geb. M. 20.—
in Leinen gebunden. M. 19.— VV 20.—, geb. M. 22.—
2. Jahrgang 1910 3 .
3. Jahrgang 1911 .. | 4. Jahrgeng 191 B
4. Jahrgang 1912 .. )
5. Jahrgang 1913 .. _ | 6-Jahrgang 1913...
6. Jahrgang 1914 . . komplett in Heften je M. 20.
7. Jahrgang 1915 . . | 8. Jahrgang 1915 . .
8. Jahrgang 1916 .. 9. Jahrgang 1916 . . | _
9. Jahigang 1917 . . 10. Jahrgang 1917 | | караа ebe
7. Jahrgang 1914 .. | komplett in Heften je M. 30.—
KAREL VAN MANDERS HAARLEMER
AKADEMIE
Mit vier Abbildungen auf vier Tafeln Von OTTO HIRSCHMANN
Феееееееееееееевгееееееевееееевеегеееегееееееееееееееееееееееевеееееевееееееееееееееееееееееееееееееееееееезеееееееееееееееее
.
D: durch Karel van Mander gemeinschaftlich mit Hendrick Goltzius und Cor-
i nelis Cornelisz um 1583 in Haarlem begründete „Akademie“ spielt in Hand-
büchern, Monographien und vielen Einzelaufsätzen eine meist etwas undeutliche
Rolle. Durchgehends ist von ihr die Rede als von einer so gut wie unbekannten
Größe, mit der aber dessenungeachtet wohl zu rechnen sei Die Zeit, in die das
Bestehen der Akademie füllt, ist für die Entwicklung der hollindischen Kunst von
so einschneidender Bedeutung gewesen, und die ihr zugedachten Funktionen sind
von solcher Wichtigkeit, daB eine etwas genauere Untersuchung ihres Wesens
wohl lohnen muß. Man wundert sich, daß in dieser Richtung noch so wenig unter-
nommen worden ist, Beinahe müchte man darüber stutzig werden, wenn die Ur-
sache der Lücke nicht so leicht zu durchschauen wire. Die Mangelhaftigkeit der
Überlieferung und die Vagheit der Anhaltspunkte machen es sehr schwierig, sich von
der Institution dieser Akademie eine einigermaßen bestimmte Vorstellung zu bilden.
Dadurch läßt man sich vielleicht zu schnell abschrecken, einen Rekonstruktions-
versuch zu wagen. Wohl ist ein solcher, wie man sich gleich gestehen muß, von
vornherein dazu verurteilt, ein gebrechliches und vielleicht dazu noch anfechtbares
Fragment zu bleiben. Eine Zusammenfassung und Prüfung der wenigen über-
lieferten Tatsachen in Verbindung mit vorsichtigen Kombinationen kann darum
der Erkenntnis doch fórderlich sein.
L
Schon die sorgfültige Interpretation der literarischen Überlieferung bringt uns,
wie ich glaube, einen ganzen Schritt vorwirts. Diese Überlieferung besteht be-
kanntlich in einem kurzen Passus in der Lebensgeschichte Karel van Manders, die
ein anonymer Biograph an den Schluß der zweiten, posthumen Ausgabe des Schil-
derboecks (1617) gesetzt hat. Ich spreche von einem anonymen Biographen, weil
über seine Person — wie mir scheint — nur mehr oder weniger wohlbegründete
Vermutungen ausgesprochen worden sind. Gerade zur Beurteilung unserer Text-
stelle würe es wichtig, etwas von der Persünlichkeit des Verfassers und seines
miglichen Verhiltnisses zu Karel van Mander zu wissen. Von den drei ernst-
haften Vorschlügen, die gemacht worden sind, verdient der Hinweis auf Brederode
entschieden den Vorzug, darf aber trotzdem nur als Hypothese gewertet werden.
Indem wir diese ganz aus dem Spiele lassen, verzichten wir zwar auf eine unter
Umstünden wertvolle Handhabe, setzen uns aber auch weniger der Gefahr aus,
die ganze Untersuchung von einem zweifelhaften Ausgangspunkte aus unternommen
zu haben.
Nehmen wir zunichst den originalen Text in seiner würtlichen Bedeutung.
Nach seiner Niederlassung in Haarlem, berichtet der Biograph, habe van Mander
1583 ein paar Bilder gemalt „en quam korts daer nae aen kennisse van Goltsius,
,en Mr. Kornelis, hielden en maeckten onder haer dryen een Academie om nae 't
»leven te studeeren. Karel wees haer de Italiaensche maniere, ghelijck 't aen den
»Ovidius van Goltzius wel te sien en te mercken із.“ (— und machte kurz darauf
die Bekanntschaft von Goltzius und Meister Cornelis; sie richteten unter sich
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918. Heft 8 15 213
Dreien eine Akademie ein, um nach dem Leben [das will sagen: nach dem leben-
den menschlichen Modell] zu studieren. Karel zeigte ihnen die italienische Manier,
wie man es an dem Ovidius von Goltzius wohl sehen kann).
Hier steht — und darauf ist, scheint mir, Gewicht zu legen — daB die gegrün-
dete „Akademie“ unter Karel van Mander, Hendrick Goltzius und Cornelis Cornelisz,
diesen dreien allein, bestand. Diese Tatsache ist so positiv hingestellt, daB wir
sie als solche hinnehmen miissen, solange nicht andere, gleichwügende Zeugnisse
ihre Festigkeit erschüttern. Sie enthält zugleich, zusammen mit der erläuternden
Fortsetzung der Textstelle über das Modellstudium usf., die für uns unschätzbare De-
finition des Begriffes , Akademie“, so wie er von dem Anonymus in diesem beson-
deren Falle verstanden wurde. Man hat sich vielleicht überall da, wo tiber diese Haar-
lemer Akademie geschrieben wurde, von der italienischen oder modernen Interpretation
des Begriffes ,, Akademie“ im Sinne eines Schülerateliers, in dem nach festen Grund-
sätzen unterrichtet wird, leiten lassen. Diese Definition hat natürlich in ihrer All-
gemeinheit auch dem Biographen vorgeschwebt; das ist deutlich. Zum mindesten
war es sicher seine Absicht, durch den Gebrauch des damals noch viel gesuchter
und gewichtiger klingenden Ausdrucks die Bedeutsamkeit des van Manderschen
Unternehmens zu betonen. Umso wertvoller sind die durch ihn, den Biographen,
selbst hinzugefügten zwar knappen, aber eindeutigen Prüzisierungen. Diese laufen
darauf hinaus, daB die Haarlemer Akademie eine Ateliergemeinschaft der drei
Künstler unter der Aegide van Manders war. Diese Darstellung entspricht auch
durchaus — wie wir noch sehen werden — der historischen Wahrscheinlichkeit.
Soviel läßt sich über diese Sache dem Bericht des Biographen entnehmen. Muß
man aber nicht erwarten, daß, wo es so belangreiche Dinge gilt, van Mander an
den gegebenen Stellen seines Geschichtswerkes, d. i. in den Lebensbeschreibungen
seiner beiden „Mitakademiker“, sich selbst darüber ausgesprochen hat? Im Leben
des Cornelis Cornelisz sucht man vergeblich auch nur eine Andeutung; van Mander
sagt, wo er von seiner Niederlassung in Haarlem spricht, nur, daB er erstaunt ge-
wesen sei, dort einen so ausgezeichneten Maler wie Cornelisz zu finden. Hingegen
steht im Leben von Goltzius wohl eine deutliche Anspielung auf das, was der
Anonymus unter seiner Akademie versteht: „Doen ick (van Mander) Anno 1583 te
»Haarlem quam woonen, maeckt ick met hem (Goltzius) kennis, hem toonende
„eenighe teyckeninghen van Sprangher, daer hy grooten sin toe hadde.“ — Das
ist aber auch alles. Im ganzen tibrigen Schilderboeck ist kaum eine Anspielung
zu finden, die mit einiger Sicherheit auf die Akademie zu beziehen wire. Warum
spricht van Mander nicht selbst von seiner Akademie? Abgesehen davon, daß es
nicht im Geiste der damaligen Schriftstellerei lag, das eigene Licht unter den
Scheffel zu stellen, hütte van Mander bei seinem offenkundigen Streben, ein nach
Vermögen vollständiges Geschichtsbild zu geben, es gewiß nicht unterlassen können,
die Haarlemer Akademie wenigstens kurz zu erwühnen.
Es sind zwei Deutungen des scheinbaren Widerspruches miglich. Entweder:
Diese Akademie war zwar mit genügend Pomp und Aufheben in Szene gesetzt
worden, daB 35 Jahre spüter ein Geschichtsschreiber sich des Ereignisses noch er-
innerte; sie war aber nur von kurzer Lebensdauer gewesen und für van Mander
vielleicht mit unangenehmen Erinnerungen verknüpft, so daB dieser selbst gerne
mit Stillschweigen über die ganze Episode hinwegging. Oder: — und diese Er-
klärung hat doch alle Wahrscheinlichkeit für sich — die Darstellung des Anony-
mus von dem Wesen der Akademie kommt in allen Einzelheiten dem wirklichen
Sachverhalt so nahe, daß van Mander in seinen eigenen Berichten eben gar nicht
314
m amm -= abr mE -
daran dachte, die Ateliergemeinschaft mit Goltzius und Cornelisz als eine Akademie
zu bezeichnen), daß dieser Ausdruck also lediglich dem panegyrischen Streben
des Biographen entflossen ist.
IL
Ihrer äußern Form nach wird die Haarlemer Akademie also auf einen losen
Künstlerverband reduziert werden müssen. Es wäre aber verfriiht, mit der Negie-
rung ihres formellen Bestehens die Untersuchung abzubrechen, da es uns hier
nicht in erster Linie darauf ankommt, einen Beitrag zur Geschichte der Akademien
zu liefern. Ein dankbareres Unternehmen wird es sein, den Funktionen nach-
zugehen, die Karel van Mander und die um ihn gruppierten Künstler innerhalb des
niederländischen Kunstlebens erfüllten. Ob man nun von einer Akademie im land-
läufigen oder nur noch in dem von uns modifizierten Sinne sprechen will, die Auf-
gaben und Ziele, die jene Künstler sich stellten, blieben dieselben. Wir mtissen
versuchen ein Bild zu gewinnen von den Faktoren, durch die zunächst jene drei,
weiterhin aber eine ganze, sich ihnen anschließende Künstlergruppe trotz eines
nur losen Verbandes als geschlossene Einheit erscheinen und dadurch die sie
charakterisierende Bezeichnung als „Akademie“ in beschränktem Sinne immer noch
rechtfertigen.
Wie man sich das Zusammenarbeiten van Manders mit Goltzius und Cornelis
Cornelisz zu denken hat, darüber läßt sich manches vermuten, manches sogar mit
einiger Bestimmtheit aussagen. Daß, wie der Anonymus es darstellt, van Mander
die führende Rolle in dem kleinen Kreise spielte, ist durchaus glaubhaft, schon an-
gesichts des Altersverhältnisses und der Vergangenheit der drei. Goltzius war da-
mals 25 Jahre alt, trotz dieser Jugend zwar bereits ein gesuchter Stecher, aber als
Künstler noch mitten in seiner Entwicklung begriffen. In noch höherem Grade
muß dies von dem erst a1jährigen Cornelis Cornelisz vorausgesetzt werden, wenn-
schon dieser gerade damals mit einer Meisterleistung, seinem auch durch van
Mander gepriesenen ersten Schützenstück von 1583, den Grund zu seiner späteren
Berühmtheit zu legen begann. Cornelisz hatte einen Studienaufenthalt in Nord-
Frankreich und in Antwerpen hinter sich, war aber so wenig wie Goltzius in Rom
gewesen. — Ihnen gegenüber war van Mander der weitgereiste und vielseitig ge-
bildete Mann, der bereits auf eine gewisse künstlerische Vergangenheit, sowohl
als Maler wie auch als Poet, vor allem aber auf einen vierjährigen Aufenthalt in
Italien zurückblicken konnte. Überdies war er sprachenkundig und ein guter
Kenner des Altertums. Diese Universalität muß ihm, abgesehen von dem nicht
unerheblichen Altersunterschied — er war zehn Jahre älter als Goltzius, fünfzehn
Jahre älter als Cornelisz, — eine absolute Überlegenheit über seine beiden Ge-
nossen gesichert haben. Vorläufig wenigstens, denn als in wenigen Jahren die
stärkere künstlerische Begabung der beiden jüngeren sich offenbarte, mag sich das
Verhältnis etwas ausgeglichen haben, nicht zu sprechen von der Zeit, da Goltzius
selbst eine an Triumphen und Erfahrungen reiche Romreise hinter sich hatte und
Cornelisz das unumstrittene Haupt der Haarlemer Maler war. Zunächst aber,
d. h. in den uns hier beschäftigenden Jahren, mögen die beiden sich der tiber-
(1) Daß ihm, van Mander, der Terminus „Akademie“ übrigens in seinem herkömmlichen Sinne ge-
läufg war, beweist dessen Verwendung im Grondt der Edel угу Schilder-const V 82, leider der ein-
zigen Stelle, die zu belegen ist. Vgl. R. Höcker, Das Lehrgedicht des Karel van Mander (Quellen-
studien zur holländischen Kunstgeschichte УШ), Haag 1916, Wortregister.
ars
legenen Bildung ihres ülteren Freundes respektvoll untergeordnet haben. Das lüft
sich aus den Umstünden mit ziemlicher Sicherheit ableiten. Diese Feststellung
ist nicht unwichtig, weil sie als Erklärung dienen kann für die merkwürdige Tat-
sache, daB eine so schwache, auf jeden Fall aller Originalität bare Künstlerpersón-
lichkeit, die van Mander war, so leicht Schule zu bilden vermochte und, mehr als
dies, einer ganzen Generation ihren Stempel aufdrücken konnte.
„Karel unterwies die beiden in der italienischen Manier.“ Diesen Satz hat der
Biograph vermutlich nicht auf die Autorität eines Gewährsmannes hin nieder-
geschrieben; aber er war so selbstverstündlich, daB der Schreiber ihn auf seine
eigene Verantwortung nehmen konnte.
Die „italienische Manier“ war der beneidete Besitz derer, die іп Rom gewesen
waren. Wie und in welchem Grade die dort empfangenen Eindrücke verarbeitet
wurden, das wurde von der zu Hause gebliebenen Kiinstlerschaft kaum einer
strengen Kritik unterzogen. "Vorderhand selbst nicht in der Lage, die — wie von
Goltzius belegt ist — schon in diesen Jahren sehnsüchtig geplante Reise aus-
zuführen, müssen die beiden jungen Haarlemer Künstler die Weisheit van Manders
umso williger aufgenommen haben. Dem vielseitigen und interessanten Fremd-
ling, der sich bei aller Überlegenheit als Gleichgestellter und als Freund zu ihnen
fügte, konnten sie sich unbeschadet ihres Künstlerstolzes unbefangen öffnen und
dasjenige von ihm annehmen, was sie bei allem Selbstbewußtsein für ihre letzte
Ausbildung sicher selbst unerläßlich achten mußten: die Kenntnis Roms. Diese
galt — so klingt es aus den Berichten van Manders heraus — als eine Art
materieller Besitz, der sich übertragen und aneignen ließ. „Rom“ war für diese
Leute, auch wenn sie ihn nur vom Hörensagen kannten, ein in viel höherem
Grade lebendiger Begriff, als er uns in den Zusammenhängen einer trockenen
Untersuchung erscheinen kann. Lebendig vor allem durch die Verbindung mit
allerlei Einzelvorstellungen, die durch die persönlichen Erlebnisse zurückgekehrter
Rompilger und zahllose Anekdoten genährt wurden. Für frühere Generationen
waren Rom und Italien ein Begriff gewesen, und dieser war beinahe zusammen-
geflossen mit dem Begriff der antiken Kunst. Allmählich aber, besonders mit der
jetzt den Nordländern aufdämmernden Erkenntnis von der selbständigen Bedeutung
Venedigs, wird er komplizierter und bekommt je länger je mehr eine nach der
Persönlichkeit seines Überbringers individuelle Färbung. Man kann diese Steige-
rung miterleben, wenn man sich ganz allgemein zu vergegenwärtigen sucht, was
Rom und Italien für den Kreis des Hieronymus Cock, für Karel van Mander und
seine Genossen und endlich für Rubens gewesen sind. Der „Import“ vollzieht
sich zuerst werkstattweise, dann im Stile eines heilverkündenden Aposteltums —
die Stufe van Manders —, endlich aber im Sinne intensiver persönlicher Ver-
arbeitung; es ist wohl keinem eingefallen, von Rubens die „italienische Manier“
lernen zu wollen, so wenig wie Rubens je die Absicht gehegt haben mag, diese
zu verbreiten und damit nützliches Werk zu tun. Es ist nicht ganz leicht, van
Mander in diesem Entwicklungsschema einen festen Platz anzuweisen. Es frappiert
da vor allem seine schon ganz klare Einsicht in die Rolle Venedigs für die Malerei.
Entscheidend ist aber sein Standpunkt, von dem aus er die Verbreitung eines
Stiles durch Propaganda für möglich hält. Gegebener Weise ist sein eigener Stil
nur ein Ausfluß dieses Standpunktes.
Was van Mander seinen vlämischen Lehrmeistern verdankte, dürfte kaum mehr
als die handwerkliche Grundlage seines Gewerbes gewesen sein. Von Lukas de
Heere kann er immerhin schon die Anregungen empfangen haben, die sein Künstler-
216
tum später in so ausgesprochen literarische Bahnen leiteten. Seine endgültige
Formung erhielt van Mander erst auf dem Boden Italiens, den er als Fünfund-
zwanzigjühriger betrat und auf dem er sich vier volle Jahre, wovon drei in Rom,
aufhielt. Hier bildete er sich — vermeintlich wohl an der Antike, in Tat und
Wahrheit aber mehr unter dem Einfluß persönlicher Berührungen mit zeitgenóssi-
schen Künstlern. Unter diesen ist für ihn wiederum nicht etwa ein Italiener, son-
dern der Vlame Bartholomeus Spranger die entscheidende Persönlichkeit ge-
worden, als dessen kiinstlerischer Ahne wiederum ein Moderner, Parmeggianino,
zu bezeichnen ist!) So weit hatte die nordische Künstlerschaft sich im Grunde
schon von der vor einem kleinen halben Jahrhundert selbst auferlegten Vormund-
schaft der Antikenverehrung freigemacht! aber sicher, ohne sich dessen bewuBt
zu sein. Nirgends wird dies deutlicher als in der Figur van Manders, der Antike
dozierte, sich berufen fühlte, die italienische — das wollte damals noch sagen:
antikische — Manier zu propagieren, seine eigenen künstlerischen Äußerungen je-
doch in den Geist eines Spranger kleidete. Irgend welches Gefühl oder eindrin-
gendes Verständnis für antike Formenwelt sucht man in van Manders Kunst ver-
geblich. Die Absicht dokumentiert sich nur äußerlich, etwa gelegentlich in Ruinen-
hintergründen u. dergl.
Trotzdem war der Geist der Antike in van Mander rege. Aber er hiillte sich
ein in das Gewand der Theorie, die sich damit zufrieden gab, die Axiome der
Alten in neuen Lehrsitzen der Zeit mundgerecht zu machen. Dies geschieht mit
solch heiligem Eifer, daB keine Zweifel an der Echtheit des Feuers aufkommen
können. Hierin, in dieser beinahe kritiklosen Überzeugung von der Überlegenheit
aller Geisteshervorbringungen der Alten, ist van Mander reiner Romanist, wie das
vieldeutige und deshalb bisher absichtlich vermiedene Schlagwort lautet. Als aus-
übender Künstler kann van Mander aber nicht schlechtweg ein Romanist genannt
werden, zum mindesten nicht ein Romanist par excellence. Denn da muB doch
, der ganz eigentümliche Gegensatz auffallen, der zwischen seinem geschriebenen
Wort — das mit seinem Kunstwollen gleichgesetzt werden darf — und seinen
handwerklichen Äußerungen besteht.
Eine wirkliche Einheit zwischen Streben und Leistung ist wohl von keinem der
nordischen Schönheitssucher je erreicht worden. Die Hand gehorcht nicht so
leicht dem Geiste des einzelnen; sie ist den höheren Entwicklungsgesetzen unter-
tan. Dieser Dualismus besteht auch bei van Mander; für uns ist er umso leichter
erkennbar, weil van Mander uns die ihn leitenden Grundsätze später in ausführ-
lichen Formulierungen hinterlassen hat. Während es aber sonst — denken wir
etwa an Dürer — die mühsam schaffende Hand ist, die dem vorauseilenden Geistes-
flug nicht zu folgen vermag, scheint merkwürdigerweise diese hier den Fortschritt
zu verkörpern, indem sie bereits die Richtung einschlägt, in der die Entwicklung
weitergehen wird, während das Künstlerbewußtsein noch in den alten Formeln ge-
fangen bleibt. Es wird hier deutlich, daß der niederländische Romanismus das
Schicksal aller in erster Linie vom Intellekt geleiteten Stilbildungen teilt: Der
(1) Van Mander berichtet — nicht ohne daß man zwischen den Zeilen sein Erstaunen darüber lesen
könnte, — daß Spranger es versäumt habe, bei seinem mehrjährigen Aufenthalt in Italien die klassi-
schen Monumente der Angke und der jüngsten Vergangenheit zu studieren, Bei jedem andern wäre
dieses ketzerische Verhalten Grund genug gewesen, daß van Mander den Stab über ihm gebrochen
hätte; der für ihn überragenden Persönlichkeit Sprangers gegenüber ließ er es bei einem verständnis-
losen Kopfschüttein bewenden.
217
Strom der Entwicklung leidet keine gewaltsamen Unterbrechungen und flieBt über
ibn hinweg. Und es war eben doch eine Gewalttat gewesen, auf den alten
Baum der Spätgotik antikische Reiser zu okulieren, wenn auch diese Gewalttat
von einer materialistischen Geschichtsauffassung als historische Notwendigkeit inter-
pretiert werden kann. Die Verjüngung muBte aus dem eigenen Holze kommen.
Immerhin, der Romanismus ist wohl nie in der ganzen Ausgedebntheit seines Pro-
gramms, so, wie es etwa im Bewußtsein eines van Mander vorhanden war, ver-
wirklicht worden. Hemmnisse verschiedener Art, die vor allem in dem von Natur
aus besonderen Form- und Stoffgefühl der nordischen Künstlerschaft begründet
waren, blieben stets weiterleben, sei es auch zeitweise unter der Oberflüche der
allgemeinen Kunstübung. Van Mander ist uns hierfür ein treffender Beweis.
ш.
Van Mander hebt an der einzigen Stelle, wo er von einem lehrhaften Eingriff
seinerseits іп das Schaffen von Goltzius spricht, hervor, daß es sich dabei um eine
Vermittlung der Sprangerschen Kunst handelte. Auf diesen bereits gestreiften,
für die Deutung von van Manders Rolle besonders wichtigen Passus, müssen wir
hier noch einmal etwas ausführlicher zurückkommen. „Als ich mich im Jahre
1583 in Haarlem niederlieB,“ sagt van Mander, „machte ich die Bekanntschaft von
Goltzius; ich zeigte ihm einige Zeichnungen von Spranger, — daer hy grooten sin
toe hadde.“ — „die ihn sehr interessierten,“ übersetzt Floerke; dem Sinne nach
genauer wire: — „für die er große Lust bezeugte.^ Hierzu muß offenbar ergänzt
werden: — „sie zu stechen.“ Dies ergibt sich nicht allein aus der Fortsetzung
des Textes, in der van Mander die große Fähigkeit von Goltzius hervorhebt, die
Art anderer Meister wiederzugeben, sondern vor allem aus dem uns sicher so gut
wie vollständig überlieferten Stichwerk von Goltzius, in dem tatsächlich die Arbei-
ten nach Spranger kurz nach 1583 einsetzen.
Van Mander scheint die Aktivität seines Eingreifens selbst möglichst klein dar-
stellen zu wollen, indem er nur von einem unverbindlichen Zeigen von Spranger-
schen Zeichnungen seinerseits spricht, das Begehren, sie zu stechen, aber aus-
schließlich dem Interesse von Goltzius entspringen läßt. Doch haben wir Gründe,
anzunehmen, daß dieses Interesse nicht einem ganz unbefangenen Urteil entfloß,
Bei der überlegenen Stellung, die van Mander seinen Genossen gegenüber einnahm,
bekam alles, was er selbst mit seiner Bewunderung auszeichnete, für die beiden
jüngeren Freunde gewissermaßen autoritativen Charakter. So muß auch Goltzius
den Sprangerschen Blättern gegentiber, für die van Mander sicher seine unverhohlene
Wertschätzung bezeugte, bis zu einem gewissen Grade in zugreifendem Sinne
voreingenommen gewesen sein.
Seit der Niederlassung van Manders in Haarlem findet auch die Kunst Sprangers
hier ihren Eingang, und ihr Import geschieht in solchem Umfange und scheinbar
mit solcher Planmäßigkeit, daß man nicht wohl anders kann als anzunehmen, van
Mander habe die direkte Veranlassung dazu gegeben und er habe als Agent
Sprangers gehandelt. Dies konnte er aus freiwilliger Überzeugungstreue tun. Wahr-
scheinlicher aber ist es, daß Spranger sich selbst etwas daran gelegen sein ließ,
seine Kompositionen vervielfältigt zu sehen, und daß er sich hierfür an seinen
Freund und begeisterten Verehrer van Mander als den gegebenen Anwalt in den
Niederlanden wandte, da es damals weder in Prag noch irgendwo in Deutschland
eine renommierte Stecherschule gab. Immerhin scheint van Manders Behauptung,
daß Goltzius für die Schöpfungen Sprangers Interesse bezeugte, keineswegs aus
218
der Luft gegriffen; Goltzius hat um die Mitte und in der zweiten Hälfte der acht-
ziger Jahre fast ausschließlich nach Spranger gestochen und sich dabei dermaßen
in dessen Formenwelt hineingearbeitet, daB er sich auch in seinen Hervorbringungen
eigener Invention zunächst ganz der Ausdrucksweise seines Vorbildes bediente.
Datierte Stiche von Goltzius nach Spranger gibt es zwar erst von 1585 ab.. Es
ist aber besonders lehrreich, ein in diesem Jahre entstandenes Blatt mit Adam und
Eva (B.271; Abb. 1) neben eine Darstellung des Sündenfalles zu legen, die Goltzius’.
Lehrer Coornhert 1548 nach Heemskerck gestochen hat (Kerrich, S. 8, Nr. 1; Abb. 2).
Hier noch das absichtliche Herausarbeiten des plumpen Körpergewichts nach einem
Formideal, das sich auf das Vorbild Michelangelos berief. An dessen Stelle bei
Spranger eine gesuchte Zierlichkeit der Bewegungen verbunden mit einer ge-
schmeidig glatten Kürperbehandlung, Eigenschaften, die Goltzius in seiner Stich-
reproduktion besonders treu wiedergibt, weil sie auf ihn Eindruck gemacht haben.
Dieser frappante Geschmackswechsel ist nun natürlich nicht ausschlieBlich bei
Spranger festzustellen. Die Abkehr vom Formideal Michelangelos zugunsten eines
Hinneigens zu der gefülligeren Kunst Correggios war ein Hauptmotiv in der Ent-
wicklung der abendlündischen Kunst im spütern 16. Jahrhundert. Sprangers Ge-
samtwerk ist selbst nur ein Symptom hiervon. Sein sprunghaftes Auftreten in
Haarlem ist aber ohne die Vermittlung van Manders kaum denkbar.
Nicht ganz so mühelos und einwandfrei ist die Einwirkung von Sprangers Kunst
auf Cornelis Cornelisz festzustellen. Vorerst fehlt es an einer darauf hinweisenden
AuBerung van Manders. Sodann ist Cornelisz ein freischaffender Maler und es
gibt von ihm nicht eine ühnliche, sorgfültig bezeichnete und datierte Reihe von
Werken aus den achtziger Jahren, wie die Stiche von Goltzius es sind. Figuren-
bilder sind aus dieser Epoche, soviel ich weiB, überhaupt keine erhalten geblieben.
Einige Stiche nach seinen Kompositionen bieten dafür keinen vollen Ersatz. Doch
läßt sich an ihnen, sowie dann an den reichlich vorhandenen Gemälden aus den
neunziger Jahren leicht feststellen, daß auch Cornelisz ganz in den Bann der
Sprangerschen Турік geraten ist. Und wir haben Ursache anzunehmen, daß auch
hier van Mander dazwischensteht.
Goltzius und Cornelisz haben dann spüter als einfluBreiche Schulhüupter die
Sprangersche Typik ihrerseits verbreitet. Sie ist eines der allgemeinsten Kenn-
zeichen der sogenannten Haarlemer Schule bis weit über die Jahrhundertwende
hinaus geworden. Aber auch der führende Meister in Utrecht, Abraham Bloemaert,
ist in ihren Bann geraten, und ein anderer Utrechter Maler, Joachim Uyttewael, hat
sich enger als irgendeiner ап Spranger angeschlossen. Zu dieser großen Verbreitung
in Holland — und darüber hinaus!) — haben vermutlich vor allem die Stiche von
Goltzius beigetragen. Letzten Endes aber darf die ganze krüftige W'elle auf den
Anstoß van Manders zurückgeführt werden, und in dem gemeinsamen Propagieren
einer von außen inspirierten Kunst dokumentiert sich sein Zusammenwirken mit
Goltzius und Cornelis Cornelisz. Diese mögen in ihrer raschen Entwicklung der
Vormundschaft des älteren Freundes dann schnell entwachsen sein; bei Goltzius
ist im Anschluß an seine italienische Reise sogar eine ausgesprochene Reaktion auf
den ihm durch van Mander vermittelten Romanismus festzustellen“). Ein Kern
(1) Spranger ist in der Tat im letzten Fünftel des Jahrhunderts für die offizielle Kunst die tonangebende
Persónlichkeit gewesen, nicht nur in Holland, sondern für fast alle germanischen Lander.
(2) Diese außerordentlich interessante Tatsache kann ich hier, um nicht abzuschweifen, nur streifen.
Ausführlicher bin ich auf sie eingegangen in meiner Studie über Hendrick Goltzius (Leipzig, Klink-
hardt & Biermann, Meister der Graphik, Bd. IX), deren Textteil seit dem Sommer 1914 fertig gedruckt
vorliegt, die aber bessere Zeiten abwarten muß, um auf dem Markt erscheinen zu können,
219
der in den entscheidenden Entwicklungsjahren aufgenommenen Eindrücke blieb
doch nachleben.
IV.
Auch die Hauptstelle, in der der anonyme Biograph van Manders von der Er-
richtung der „Akademie“ erzählt, müssen wir hier noch einmal etwas genauer er-
örtern nach den positiven Hinweisen, die sie enthält. Der Anonymus berichtet,
daB die drei Ktinstler sich zusammentaten, um nach dem lebenden Modell zu
studieren, und Karel habe die beiden anderen in der italienischen Manier unter-
wiesen, wie es z. B. aus dem Ovidius von Goltzius leicht zu ersehen sei Was
für eine Bewandtnis es mit dieser ,italienischen Manier* hat, haben wir an Hand
der durch van Mander selbst gegebenen Auskunft bereits feststellen kinnen. Als
eigentliches Ziel der gemeinsamen Arbeit gibt der Biograph aber das Studium nach
dem lebenden Modell an. Diese Mitteilung sieht leicht allzu selbstverstindlich und
nichtssagend aus, um in ihrer wirklichen Bedeutung gewiirdigt zu werden. Der
Anonymus wuBte aber, daB er für Maler schrieb’); wire das Modellstudium etwas
Alltägliches gewesen, hätte ег es diesem Publikum nicht als etwas Besonderes
vorsetzen können. Zudem war einer der drei „Akademiker“, Cornelis Cornelisz,
auf den jene Aussage sich mitbezog, noch am Leben (1617) und der Schreiber hätte
also mit dessen Widerspruch rechnen müssen,
Es darf als selbstverständlich angenommen werden, daß der Biograph mit dem
lebenden Modell vor allem das Aktmodell meinte. Seit Jan van Eyck den mensch-
lichen Кӛгрег іп Adam und Eva für seinen Genter Altar so andichtig studiert hat,
ist das Problem wohl nie mehr ganz liegen gelassen worden, wenn es auch erst
im 16. Jahrhundert in den Vordergrund zu treten begann. Die praktischen Schwie-
rigkeiten, die der Pflege des Aktstudiums vermutlich im Wege standen, ließen es
zunächst nicht zu einer allgemeinen Übung werden?) Als dann mit dem Einzug
der italianisierenden Kunstrichtung das Bedürfnis nach gründlicherer Kenntnis des
nackten . Menschen dringender wurde, suchte man wohl nur in den wenigsten
Füllen die nötige Belehrung am lebenden Modell Der antike Statuenschatz einer-
seits, Michelangelo als der Anatomiker par excellence andererseits, waren die Haupt-
quellen, aus denen nicht blos die Lernenden schüpften, an denen sich auch die
reifen Künstler mit sehr weitem Gewissen für ihre eigenen Kompositionen inspi-
rierten. Für Statuenbticher hatten sie darum mehr als bloß antiquarisches Inter-
esse, und die Stiche Marcantons wurden nicht nur um ihrer Qualitäten willen be-
wundert. Es ist ein beliebtes und dankbares Thema, in den niederlindischen
Bildern der Zeit Entlehnungen von Figuren oder Bewegungsmotiven nach antiken
oder italienischen Mustern aufzuspüren. Nur ist es falsch, den Anlaß zu diesen
(x) Das Schilderboek, in dessen zweiter Auflage die Biographie van Manders als Anhang sbgedruckt
ist, richtet sich selbst ausdrücklich an die jungen Maler. Daß es guten Absatz fand, beweist die Not-
wendigkeit einer neuen Auflage dreizehn Jahre nach dem ersten Druck, und daß es zumal unter der
Künstlerschaft Verbreitung fand, dafür liefern die Künstlerinventare von Dr. Bredius (Haag 1915 fl.)
zablreiche Belege; іп den meisten Inventaren, in denen Bücher aufgezählt werden, figuriert auch das
Schilderboeck Karel van Manders.
(a) Selbst im 17. Jahrhundert scheint das Aktstudium noch nicht allgemein gepflegt worden zu sein.
Es würe sonst nicht einzusehen, warum z. B. Rembrandts Atelierbetrieb deswegen solches Aufsehen
erregte. Und besonders das Studium weiblicher Modelle scheint nicht etwas Alltügliches gewesen zu
sein; wo es vorkam, da gab es leicht zu kleinen Skandalgeschichten Anlaß. Einige amüsante Bei-
spiele dafür wiederum bei Bredius, Künstlerinventare.
220
Entlehnungen stets aus einer idealen Bewunderung fiir das Vorbild abzuleiten.
Mehr, als man gewohnt ist anzunehmen, dürften praktische Beweggründe, Bequem-
lichkeit oder Verlegenheit die Ursache zu der fremden Anleihe gewesen sein. In
keiner andern Kunst oder Epoche begegnet man so vielen undeutlichen Gesten
und forcierten Bewegungen. Die Erklürung dafür liegt auf der Hand: es sind aus
andern Zusammenhingen herausgeschnittene Motive, mit denen der Entlehner in
freier Verwendung, oft mit Unterschiebung eines ganz andern Sinnes, wuchert.
In dieses Gebaren hinein kam nun van Mander mit seiner Forderung des Stu-
diums nach dem lebenden Modell. Er braucht sie nicht überhaupt als erster ge-
stellt zu haben. Vermutlich war er in Italien mit ihr vertraut geworden, wo das
Modellstudium vielleicht nicht allgemeiner Brauch, aber doch auch nichts so Un-
bekanntes war. In Haarlem kann seine Anregung darum doch eine bahnbreche-
rische Tat gewesen sein. Als solche scheint sein Biograph sie auch wirklich be-
stempeln zu wollen, und wir haben keine Veranlassung, diese Absicht zu ignorieren
oder ihre Begründung in Zweifel zu ziehen. Dies umso weniger, als die künstle-
rischen ÁuBerungen der drei Akademiegenossen eine besonders genaue Kenntnis
der menschlichen Körperformen und -Funktionen und damit wahrscheinlich die
Wirkung des Modellstudiums verraten. Das angeeignete Kónnen wird bei ihnen
schnell zu einer Fertigkeit, die sich kaum darin Сепіре tun kann, sich selbst ge-
stellte Aufgaben zu komplizieren. Am weitesten geht in dieser Richtung Cornelis
Cornelisz; die jeder Stütze beraubten, durch die Luft auf die Erde niedersausenden
Kürper seiner vier Himmelstürmer (gestochen durch Goltzius, B. 358—261; Abb. 3)
stellen das Höchstmaß möglicher Bewegung dar. Das Studium des Modells ist
hier nur noch Voraussetzung, eigentlich aber schon tiberwundener Standpunkt.
In ihrer Geschraubtheit und in ihrer absichtlichen Schaustellung erworbenen
Kónnens, sind Leistungen dieser Art ein interessantes Stück Akrobatentum. Bei
Goltzius kommt das Resultat des Modellstudiums in der miihelosen Korrektheit
seiner Aktzeichnung etwas weniger aufdringlich zum Ausdruck. Van Mander be-
ginnt hier mit in viel hóherem Grade konventionellen Schópfungen schon deutlich.
hinter seinen beiden jüngeren Freunden zurückzubleiben.
Auch ein quantitativer Niederschlag des Modellstudiums kann vielleicht festgestellt
werden, der die Betonung, mit der van Manders Biograph den Hauptzweck der
Akademiegründung hervorhebt, aufs neue rechtfertigt. Goltzius und Cornelisz —
von van Mander haben wir weniger sichere Zeugnisse — widmen sich während
den in Frage kommenden Jahren fast ausschlieBlich der figürlichen Kunst. Zumal
bei Goltzius, der so erfolgreich als Portrützeichner und -stecher debütiert hatte,
ist es auffällig, daß er in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre das Porträtfach
fast ganz liegen läßt. Auch von Cornelisz, der 1583 seinen Ruhm mit ‚einem
Gruppenportrüt!) begründet hatte, kennen wir erst aus den neunziger Jahren wieder
Leistungen in der Bildnismalerei*). Von van Mander selbst sind, abgesehen von
einem oder zwei nachweisbaren Porträts“), ausschließlich Figurenkompositionen
bekannt. Wie er über diese dachte, hat er später in seinem Schilderboek ver-
(1) Jetzt im Museum von Haarlem.
(3) Wiederum ein Schützenstück (1599), ebenfalls im Museum von Haarlem. Die Bildnisse von Coorn-
bert, die Wedekind (Corn. Cornelisz, Diss. Leipzig 1911, S. 14) wegen dessen 1590 erfolgten Todes
vor dieses Jahr glaubt datieren zu müssen, sind charakteristische Idealportráts und als solche sicher
erst nach dem Tode Coornherts, also ebenfalls nach 1590, entstanden.
(3) Das eine, voll bezeichnet und 1592 datiert, im Hofmuseum in Wien. Ein anderes, durch Frimmel
dem van Mander zugeschrieben, ebenda in der Galerie Liechtenstein.
22I
schiedentlich geäußert; für ihn ist nur die Figurenmalerei eigentlich hohe Kunst.
Auf die Porträtmalerei schaut er mit einer Art Geringschätzung herab als auf einen
Seitenweg der Kunst, wie er es nennt. Uber die Landschaftsmalerei als selbstän-
dige Kunstgattung hatte er noch keine Gelegenheit, sich auszusprechen.
Das Modellstudium kam aber nicht bloß dem reinen Können derer, die es be-
trieben, zugute; es hatte noch einen andern, entwicklungsgeschichtlich wichtigeren
Effekt. — Von den Italienern der nachklassischen Zeit war den Niederlindern be-
sonders die Kunst des Parmeggianino bedeutsam erschienen. Im Anschluß an ihn
und seine Schule hatten sie sich jene merkwiirdige Proportionierung der über-
trieben in die Lünge gezogenen Menschenfigur angeeignet, die als eigentliche Manier
die Hervorbringungen einer ganzen Generation beherrschte, auf ühnliche Weise
etwa, wie in der Gefolgschaft van Dycks die gemalten Pferde einer ganzen Epoche
jene verkümmerten kleinen Köpfe mitbekamen. Diese aller Natur hohnsprechende
Vergewaltigung der Figuren ist eines der Merkmale, die die übliche Klassifizierung
jener Künstler als Manieristen rechtfertigt. Aus diesen Formel gewordenen Über-
treibungen mag die Einsicht in die Notwendigkeit des Modellstudiums bei der
Haarlemer Künstlergemeinschaft vor allem entsprungen sein. Ihre Leistungen
wirken denn auch wie eine absichtliche Korrektur; deutlich läßt sich in ihnen das
Streben nach einer gedrungeneren Proportionierung der Menschenfigur verfolgen,
ungeachtet des Umstandes, daB van Mander spüter in seinem Lehrgedicht noch
die vitruvianischen МаВе empfiehlt, deren Verwirklichung den Manieristen recht-
geben würde. Die Absichtlichkeit des Protestes läßt sich vielleicht am deutlichsten
aus den Übertreibungen herauslesen, in die Goltzius und Cornelisz mit manchen
von ihren Schöpfungen nach der entgegengesetzten Richtung verfielen. Goltzius’
großes, bekanntes Blatt des Herkules mit der geschulterten Кеше (B. 142) gibt
einen Mann von beinahe lächerlicher Gedrungenheit wieder, und auch Cornelisz’
Himmelstürmer sind stark in die Breite geraten. Auch die übermäßige Heraus-
arbeitung der wie geschwollenen Kirperformen kann psychologisch erklirt werden
aus der Genugtuung, die Struktur der Muskeln entdeckt und begriffen zu haben
und der daraus abzuleitenden Versuchung, dieses Wissen besonders deutlich zu
betonen. — Auf jeden Fall bleibt die Tatsache bestehen, daB die jener Über-
proportionierung entgegengerichtete Bewegung von Haarlem ausgegangen ist, und
es liegt nahe, in dem ihr beschiedenen Sieg eine Frucht des durch van Mander
eingeführten Modellstudiums zu sehen.
V.
Nicht allein in formaler Hinsicht, auch für das Gegenstindliche ihrer Kunst
muBte die ausgiebige Berührung der beiden jüngeren Haarlemer Meister mit der
Persönlichkeit van Manders von Bedeutung werden.
Van Mander figuriert in den Literaturgeschichten vor allem als Übersetzer von
Werken der lateinischen Klassiker; auch einen Teil der Ilias hat er, allerdings
nach einem französischen Vorbild, ins Niederländische übertragen. Einen wirk-
lichen Erfolg errang er mit seiner Prosabearbeitung der Metamorphosen Ovids, die,
nachdem sie 1604 zum erstenmal erschienen war, bis 1662 nicht weniger als fünf
Neuausgaben erlebte und noch 1679 durch Sandrart ins Deutsche übersetzt wurde.
Diese Beliebtheit verdankte die Schrift ungezweifelt der Weise, in der van Mander
es verstanden hatte, den Stoff zu einem Kompendium der antiken Mythologie zu
verarbeiten. Hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Literatur ist festgestellt worden,
daß sie besonders viel beigetragen hat zur Verbreitung und Popularisierung der
222
* klassischen Mythologie in den nórdlichen Niederlanden, und daB sie wahrscheinlich
die Ursache ist des im 17. Jahrhundert stets zunehmenden Gebrauches und Miß-
brauches von griechischen und lateinischen Gótternamen, besonders durch Dichter
untergeordneten Ranges!) Wenn dies für die Literatur zutrifft, so muB es in noch
hóherem Grade für die bildenden Künste gelten. Van Mander hatte das Werk in
den Rahmen des Schilderboecks eingefügt und damit deutlicher als mit einer Vor-
rede die Absicht kundgetan, die er damit verfolgte. Er glaubte, mit dieser Schrift
der gesamten Künstlerschaft ein zur Darstellung besonders geeignetes Stoffgebiet
zugänglich zu machen, mit dem er nicht allein eine ganze neue Welt erschloß,
sondern überdies die Möglichkeit bot, die beliebte und besonders hoch angesehene
Kunst der Symbolik und Allegorie, die sich bis dahin fast ausschlieBlich aus dem
christlichen Stoffkreis nährte, mit einem Reichtum von neuen Beziehungen zu füllen.
Van Mander sah diesen seinen Plan Wirklichkeit werden; die Gestalten der Mytho-
logie hielten triumphreichen Einzug in die Kunst seiner Zeitgenossen. Die Schriften
van Manders waren hierzu wohl nicht der ausschlieBliche Anla8, aber sie bedeu-
teten auf jeden Fall die krüftigste Förderung und waren in vielen Fällen die
direkte Quelle für die stoffsuchenden Artisten. Diesen SchluB erlaubt der Umstand,
daB eine allgemeine Verbreitung des mythologischen Stoffgebietes erst nach dem
Erscheinen des Schilderboecks (1604) zu beobachten ist. Nur für die Haarlemer
Künstler und die mit ihnen in naher Verbindung stehenden Kreise [(Amsterdam,
Utrecht) war der Olymp schon vor 1600 das bevorzugte Tummelgebiet geworden.
Es versteht sich von selbst, daß ein Werk von der Zusammensetzung des
Schilderboecks nicht aus einem Guß entstanden ist. Wohl hat man Anhaltspunkte
dafür, daß der Text — wenigstens des Lehrgedichts und der Malerleben — in
verhültnismüBig kurzer Zeit vor der Drucklegung niedergeschrieben worden ist.
Für die beiden angegliederten Teile der „Wtlegghing op den Metamorphosis Pub.
Ovidij Nasonis“ und der ,,Uitbeeldinge der Figueren“ gibt es solche Merkmale nicht;
sie würden ja auch nur ausschlieBlich auf die redaktionelle Fassung -des Stoffes
Beziehung haben. Andrerseits ist darauf hingewiesen worden, daß viele Informa-
tionen van Manders für die Künstlerleben, worunter mit von den wertvollsten, auf
seinen Aufenthalt in Rom, also in die siebziger Jahre des abgelaufenen Jahrhun-
derts, zurückgeführt werden müssen. Damit ist, in Verbindung mit andern Daten,
die Möglichkeit erwiesen, daß van Manders Plan für sein Schilderboeck so weit
zurückreicht. Nun brauchte zwar die ihrem Zusammenhange nach nur lose dem
biographischen Teile angeschlossene ,Wtlegghingb* nicht von Anfang an im Ge-
dankenplan des Schilderboecks gelegen zu haben. Wo aber für die datenmäßige
Dokumentierung der Malerleben, die sehr. wohl als in kürzerer Zeitspanne ausführ-
bar zu denken wäre, so tief in die Jahre hinabreichende Wurzeln festgestellt werden
können, da muß erst recht für jene allgemeinen Kapitel ein der schriftlichen For-
mulierung vorausgehendes, nur allmähliches Sich-Verdichten angenommen werden,
gleichgültig, ob in oder ohne Verband mit dem Gedanken des Schilderboecks; han-
delt es sich doch bei diesen Abschnitten — trotz dem äußeren Anschein — nicht
so sehr um Kompilationen und nicht allein um die bloße Reproduktion einer andern
Welt; sie sind doch vielmehr und in erster Linie der Ausdruck eines gewissen
geistigen Eingestelltseins, als solcher ein Produkt von van Manders einheitlicher
Entwicklung und vielleicht noch weniger als das Schilderboeck in seiner Gesamt-
heit das zufällige Ergebnis einer glücklichen Literatorenlaune. Es ist kaum anders
zu denken, als daß die Beschäftigung mit dem Stoff um Jahre zurtickreicht.
(x) Vergl. Jan ten Brink, Geschiedenis der Nederlandsche Letterkunde, Amsterdam 1897, S. 278.
223
Hier stoBen wir nun auf die Parallele der in Haarlem ungeführ seit dem Er-
scheinen van Manders in dieser Stadt getibten Bevorzugung der antiken Götter-
und Heroenwelt für die Bildvorwürfe zu einer Zeit, da in andern niederlündischen
Kunstzentren die Pflege des christlichen Stoffgebietes noch durchaus überherrschte.
Es liegt überaus nahe, hier ein Verhältnis von Ursache und Wirkung anzunehmen,
mit andern Worten, die Erklärung in der Wirksamkeit van Manders zu suchen.
Das später eintretende Bedürfnis, den Stoff literarisch zu fixieren und in lehrhafter
Absicht vorzutragen, wäre dann nur ein Ausfluß einer durch lange vorausgegangene
Jahre hindurch gepflegten Übung gewesen. |
Wir hätten damit einen neuen Anhaltspunkt gefunden zur Beurteilung der Art
von van Manders Tütigkeit und der Richtung, in der sich sein EinfluB auf die
Haarlemer Künstler kenntlich machte. Seine Propaganda für die antike Mytho-
logie als Darstellungsgebiet bedeutete ihrem Wesen nach zwar nichts Neues.
Einzelne Vorwürfe aus der Mythologie und дег griechisch-römischen Heroen-
geschichte, wie etwa das Parisurteil, Danae, der Selbstmord der Lukretia, hatten
sich, seit sie in der Gefolgschaft des Humanismus Eingang in den Darstellungs-
bereich gefunden hatten, traditionsmüBig fortgepflanzt, waren aber doch auf ver-
hültnismüBig wenige Themata beschrünkt geblieben. Van Manders Wirksamkeit
äußert sich, sowohl einerseits in einer rein prozentualen Zunahme von Darstel-
lungen aus der Mythologie, als auch andrerseits, vielleicht noch deutlicher, in dem
Auftauchen von ganz neuen und zum Teil gesuchten Motiven, wie Mars und Venus,
von Hephästus überrascht, Pygmalion und Galathea, die Gefährten des Kadmus,
Vertumnus und Pomona, Jupiter und Antiope, Jo und Argus, Argus und Merkur,
die Entdeckung der Kallisto, die Himmelstürmer Tantalus, Ikarus, Phaeton und
Ixion, das Thema ,Sine Baccho et Cerere friget Venus“, dann die besonders be-
liebten Götterhochzeiten von Amor und Psyche, Peleus und Thetis und Darstel-
lungen des goldenen Zeitalters. Das sind einige der Vorwürfe, die in Haarlem
behandelt wurden, bevor sie in den Niederlanden allgemeinen Eingang fanden.
Zum groBen Teil sind sie den Metamorphosen Ovids entnommen, und Goltzius
hat noch in den achtziger Jahren zwei Folgen von je zwanzig Kompositionen aus
den Metamorphosen für den Stich gezeichnet und in seiner Werkstatt vervielfäl-
tigen lassen, die wie Illustrationen anmuten zu der allerdings erst fünfzehn Jahre
spüter erschienenen literarischen Bearbeitung des Buches durch van Mander. Es
ist denn auch mehr wie wahrscheinlich, daß jene Stichfolgen, die auch in Buch-
form erschienen und denen später eine Serie von noch zwölf Blättern angegliedert
wurde, auf die direkte Anregung van Manders entstanden sind, und daß dieser
als ausgezeichneter Kenner des Stoffes bei dessen bildlicher Gestaltung eine zum
mindesten beratende Rolle gespielt hat. Erst so wird es dann auch deutlich, wie
van Manders Biograph die Begründung seines schon herangeholten Ausspruches
verstand: van Mander habe die beiden andern in der italienischen Manier unter-
wiesen, wie aus dem Ovidius des Goltzius klar hervorgehe. Er bezog in seinen
Begriff der „italienischen Manier“ das Gegenstündliche mit ein, wobei ihm die
hauptsüchlich in Ovid verkürperte mythologische Überlieferung des antiken Italiens
mit italienischer Kunst überhaupt zu einem W'esensbegriff zusammenschmolz. Wohl
simtliche Darstellungen aus dem Stoffkreis der Metamorphosen, die spüter von
der niederländischen Künstlerschaft in so zahlreichen Abwandlungen gestaltet
wurden, sind in der Folge von Goltzius enthalten. Es liegt denn auch nahe, an-
zunehmen, daß diese Illustrationsfolge ebenso wie van Manders geschriebenes Wort
befruchtend gewirkt hat und, wie dieses, nicht allein auf die bildenden Künstler,
224
sondern, — bei den damals bestehenden tiberaus engen Beziehungen zwischen Maler
und Dichter — auch auf die Literatur. |
Die Leichtigkeit, mit der die Götter und Heroen Eingang fanden, hängt vielleicht
auch zusammen mit den thematischen Bedürfnissen des Modellstudiums und der
Figurenmalerei. Zwar waren, seit Raffael, bei der Darstellung des bethléhémitischen
Kindermordes die rómischen Soldaten, die das Henkerswerk verrichten, gerne nackt
wiedergegeben worden, und és gab übrigens auch andere biblische Vorwürfe genug,
bei denen die EntblóBung der Figuren im Thema gegeben war und somit keiner
besonderen Rechtfertigung bedurfte. Darin kann die Erklärung für die Tatsache
liegen, daB durch das ganze 16. Jahrhundert hindurch die Darstellungen des Sün-
denfalls, der Taufe Christi, des Schmerzensmannes usw, sich besonderer Beliebt-
heit erfreuten. Die Welt des Olymp bot aber der Künstlerphantasie in ganz an-
derer Weise Gelegenheit, Figuren frei zu bilden, zu gruppiéren und zu neuartigen
Kompositionen zusammenzuschließen. Diesen Wunsch, Neues zu geben, liest man
heraus aus den oft allzu gesuchten Bildungen, gewagten Bewegungen und absicht-
lich wirkenden Gruppiérungen, wie sie ja die Kunst dieser Haarlemer Akademiker
geradezu kennzeichnen. Bei all diesem offenkundigen Streben nach Mannigfaltig-
keit und Reichtum haftet ihr aber doch die ausgesprochen unpersönliche Note an,
die ein Ausfluß jenes Suchens nach absoluter formaler Korrektheit ist, wie sie ge-
legentlich auch eine von Akademie und Modell abhängige Kunst unserer Tage noch
charakterisiert. Es ist darum, von dieser Seite aus betrachtet, gar nicht un-
angebracht, daB man die Kunst des van Manderschen Kreises als eine akademische
bezeichnet und von jenen Meistern als von Akademikern spricht.
VL
Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Gótter- und Heroenwelt дег
Antike war vorerst ein Vorrecht des sprachenkundigen Gelehrtenstandes gewesen.
Diesem entsprossen zum groBen Teil auch die Schópfer schüngeistiger Literatur;
Dichter und Gelehrte waren zumeist in einer Person verbunden. Aus diéser Ver-
bindung nahm die Popularisiérung der Antike ihren Ursprung, die dann durch die
Persönlichkeit eines van Mander, der den Dichter und den Maler in sich vereinigte,
auch auf die darstellenden Künste tibergriff. Daher die ausgesprochen literarische
Richtung der Haarlemer Akademikerkunst. Sie offenbart sich sowohl in der oft
sehr zweifélhaften Darstellungsmüglichkeit der aus der Literatur geholten Vor-
wiirfe, als auch in den fortdauernden Wechselbeziehungen zwischen den Malern
einerseits, der Dichter- und Gelehrtenwelt andrerseits. Diese reichen ziemlich weit
zurück. So wissen wir, daB schon Coornhert tiefsinnige Allegorien — damals noch
christlichen Inhalts — ausdachte oder ,,erfand“, wie man es nannte, die Heems-
kerck dann nach den ihm durch den ,Erfinder* gegebenen Anhaltspunkten ge-
staltete. Wir glaubten sodann Gründe für die Annahme zu haben, daß u. a. auch
Goltzius’ Metamorphosenfolge auf ühnliche Weise, hier unter der Anleitung van
Manders, entstanden ist. Auf van Manders fördernden Beistand sind, wie wir
Schon in anderem Zusammenhange Gelegenheit hattén zu bemerken, wohl die
meisten erstmaligen Fassungen literarischer Themata durch die jungen Haarlemer
Künstler zurückzuführen. Zumal wenn wir verfolgen künnen, wie Goltzius etwa
in seinen Darstellungen von Merkur und Minerva!) Zug um Zug getreu den An-
gaben van Manders — hier schon nach dem Schilderboeck — folgt, wird die Ab-
(1) Bis vor kurzem im Mauritshuis im Haag, jetzt im Haarlemer Museum,
225
hüngigkeit des gestaltenden Künstlers von einem literarischen Vorbild deutlich.
Ein paar interessante Belege für das Zusammenwirken verschiedener Instanzen
an dem Zustandekommen von Kompositionen überliefert uns der Kupferstich. So
,erfand* der Medikus Anton Schenkels im Jahre 1589 ein ungeheuer kompliziertes
Bild der heiligen Dreieinigkeit in sieben Wolkenetagen. Zur Fixierung dieser
seiner inneren Vision zog er Karel van Mander heran, und dessen Vorlage wrurde
zur Vervielfältigung der kostbaren Geistesfrucht durch Jacques de Gheyn auf Kupfer
gestochen (P. 146). Diese drei Etappen der Entstehung kommen auf dem Stich
dann in folgenden bündigen Vermerken zum Ausdruck: Antonius Schenkels .....
Medicus inventor, sibi et amicis fieri curavit. — K. v. Mander fig(uravit). — JdGheyn
sculpsit. Ein zweites Beispiel, in dern diese eigentümliche Scheidung des geistigen
Urhebers von dem handwerklichen Gestalter, oder anders ausgedrückt, eine innige
Beziehung zwischen darstellender und Dichtkunst zutage tritt, ist die Hóhle Platos,
die der Dichter Hendrick Laurensz Spieghel nach seinen Anweisungen in engster
Anlehnung an das bekannte Bild in Platos Staat durch Cornelis Cornelisz in einer
Zeichnung formulieren und durch Jan Saenredam stechen ließ (В. 39, Abb. 4), wäh-
rend er dasselbe Bild gleichzeitig auch literarisch in seinem Hauptwerk, dem Hart-
spiegel, verwendete !).
Eine besondere Seite dieser nach der Literatur orientierten Kunst ist ihr aus-
gesprochener Hang, der Darstellung einen über die im Vorwurf gegebene Bedeu-
tung hinausreichenden Sinn zu geben. Diese Richtung ist im 16. Jahrhundert spe-
zifisch niederländisch. Sie war besonders durch die Antwerpener Kupferstich-
verleger und unter diesen in erster Linie durch das Atelier Philip Galles gefürdert
worden. Den Stoff lieferten fast ausschlieBlich die biblischen Bücher, zumal das
Alte Testament. Die Darstellung war nur Mittel zum Zweck und wurde betrachtet
als Sonderfall und Illustrierung einer allgemeinen These oder Moral, die gewöhn-
lich in Versform als Erläuterung in den unteren Rand gesetzt wurde. Unter der
Anführung Coornherts wurden diese vorerst recht platten und wenig Kombinations-
gabe verlangenden symbolischen Darstellungen immer tiefsinniger und schlieBlich
zum eigentlichen Rebus. Dieser Tendenz öffnete die Popularisierung der Antike
ein neues weites Feld, und es war wieder van Mander, der eine ganze Welt von
zum Teil sehr gesuchten, hauptsüchlich aus lateinischen Skriptoren geholten sym-
bolischen Deutungen literarisch fixierte in seiner „Uitbeeldinge der Figueren“. Was
von den Metamorphosen galt, darf auch für diese Schrift vorausgesetzt werden,
nämlich daß sie nicht ein zufälliges Augenblicksprodukt, sondern der Niederschlag
einer bestimmten künstlerischen Gesinnung ist. Diese kommt deutlicher als in
van Manders darstellerischen Schüpfungen in seinem Lehrgedicht zum Ausdruck,
das ein fórmliches Sammelsurium von weither geholten Anspielungen, gelehrten
Symbolismen und künstlichen Vergleichen ist. Ein anderer Beleg ist die hohe
Wertschitzung, die van Mander für die tiberladenen Allegorien von Cornelis
Ketel empfand, dem er denn auch seine „Uitbeeldinge der Figueren“ gewidmet
hat. Diese tiefsinnigen Schöpfungen Ketels bedeuten wohl den Höhepunkt der
Richtung; ohne die sie begleitenden, ausführlich erläuternden Beischriften waren
sie nicht verständlich, und auch so noch konnten sie nur durch einen ganz be-
schränkten Kreis Gebildeter „genossen“ werden. Also in gewissem Sinne art pour
Yart. Es ist sehr bezeichnend für van Mander, daß eine solche Kunst in ihm
einen Förderer fand. Überschaut man sein Wirken, so wie es sich uns auf Grund
(x) Hierüber Ausführlicheres in meinem Aufsatz „Beiträge zu einem Kommentar von Karel van Manders
Grondt der Edel vry Schilderconst“ in Oud Holland XXXIII, rors, S. 81 ff.
226
unserer Untersuchung darstellt, so erkennt man darin als Grundzug das Streben,
die Kunst formal und geistig zu einer ihm vorschwebenden idealen Höhe hinauf-
zuführen!), formal im Anschluß an die ihm als Vorbild vor Augen stehende Per-
sönlichkeit Bartholomeus Sprangers, geistig durch die Durchdringung mit der Ge-
dankenwelt der Antike und die in ihm selbst verkürperte Verbindung von umfassen-
der Bildung und Darstellungsgabe. Mag diese letzte, von uns aus gesehen, auch
beschränkt gewesen sein, auf die Zeitgenossen muß die Universalität van Manders
doch Eindruck gemacht haben, und sie muB ihnen nachstrebenswert erschienen
sein. So wissen wir denn auch von Goltzius, Matham, de Gheyn, Ketel u. a, daß
sie rührige Mitglieder der damals noch an der Spitze der Literaturwelt stehenden
Rederijerkamers waren. Goltzius pflegte Gedankenaustausch mit Gelehrten ver-
schiedenster Profession und genoB unter diesen hohes Ansehen. Er und auch die
andern Künstler seines Kreises nahmen, allgemein ausgedrückt, in ihrer Umgebung
eine hohe soziale Stellung ein, wie sie für die typischen Vertreter der nachfolgenden
Generationen gar nicht mehr, Bedürfnis war, Damit ist zugleich schon ein Wesens-
unterschied gekennzeichnet, der die Kunst dieser zwei Epochen trennt. VanMan-
der und seine Strebensgenossen konnten und wollten nicht Verfechter einer volks-
tümlichen Kunst sein. Mit ihren hochgespannten Produktionen rechneten sie aus-
schlieBlich auf den Beifall eines beschrinkten Kreises der geistigen Aristokratie, aus
‘dem ihnen umgekehrt auch alle Anregung zufloB. Sie verwehrten damit selbst
den Zutritt frischen Blutes in ihren Kreis und blieben — Akademiker. Dabei ge-
rieten sie mit all ihren hohen Intentionen unmerklich auf ein totes Geleise, und
der Strom der Entwicklung, aus dem sie selber aufgetaucht waren, überholte sie
und lief an ihnen vorbei. Die Stellung, die etwa Cornelis Cornelisz in den zwan-
ziger und dreiBiger Jahren des 17. Jahrhunderts unter seinen Kunstgenossen ein-
nimmt, ist durchaus vergleichbar mit der des alten Rembrandt. Sie blieben beide
gefangen in der Ausdrucksweise und Gedankenwelt, in der sie selbst einst Trüger
der allgemeinen Entwicklung gewesen waren, und waren zu steifnackig, um den
Kopf nach dem Wind zu drehen.
VII.
Die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung der Haarlemer Akademiekunst michte
ich nicht so, wie gemeinhin geschieht, darin sehen, daB sie für die nationale Kunst-
blüte des 17. Jahrhunderts den Boden bildet, in dem alle Keime vorbereitet liegen
und nur auf ihre Entfaltung warten. Die Verhültnisse scheinen mir doch anders
zu liegen. Die neue Kunst зргоВ nicht aus den hochgreifenden Zweigen der in
ihren guten Jahren führenden Kunst der Akademiker, so wenig, wie etwa — ver-
gleichsweise — das spätere 17. Jahrhundert an Rembrandt anschloB. Die jungen
Triebe schlugen unten aus dem Stamm.
Damit kommen wir zurück auf die schon anfangs berührte Frage nach dem
Wert oder Unwert дег romanistisch - akademischen Kunst für die allgemeine Ent-
wicklung. Sie mit dem Hinweis auf den Kausalzusammenhang als notwendige
(1) Die beinahe utopistisch ideale Gesinnung van Manders geht auch daraus hervor, daß er der Mei-
nung war, es sei der Kunst unwürdig, sich direkt in den Dienst des Erwerbs zu stellen. Seinen ab-
soluten Beifall findet nur die Kunst, die „zum Vergnügen“, das will sagen, nicht gegen materielle
Entschädigung schafft. Mit dieser Auffassung stehen zweifellos die zahlreichen Dedikationen von
Kunstwerken an 'hochgestellte Persónlichkeiten, Magistrate und Kürperschaften in Verbindung, für die
den Stiftern in der Regel eine lukrative „vereering“ in klingender Münze zuteil wurde. Auf diese
Weise wurde die Ehre gerettet, und os blieb der Kunst die Erniedrigung erspart, nach Brot zu schreien.
- 227
Entwicklungserscheinung zu bestempeln und darin ihre Berechtigung und Bedeutung
zu sehen, ist ein duBerst banaler Rettungsversuch. DaB b nicht sein kann, wenn
es kein а gegeben hätte, ist eine von jenen Selbstverstindlichkeiten, für die die
Logik keine Beweisführung nötig hat. Es kommt darauf an, die Fäden bloßzulegen,
die jene beiden Epochen verbinden, und die Spitzen zu erkennen, liber die sie
laufen. Dabei werden wir gewahr werden, wo und wie oft sie sich in der unserer
Kritik unterliegenden Zeitspanne verknüpfen. Von dem MaBe dieser Verschlingungen
müssen wir unser Urteil über die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung abhängig
machen. Hierbei ist es zweckmäßig, wenn wir den Weg von oben nach unten
verfolgen und aus der vollentwickelten Kunst des 17. Jahrhunderts heraus rück-
würts nach den Anknüpfungspunkten suchen. |
Das erste, was bei einem Gesamtüberblick über die Kunst des 17. Jahrhunderts
ins Auge füllt, ist, daB sie eine volkstümliche Kunst ist, so, wie im 16. Jahrhundert
keine bestand. Sie ist es also geworden; auf welchem Wege, das kann uns hier
nicht beschäftigen. Uns genügt es, noch einmal kurz hinzuweisen auf den aus-
gesprochen aristokratischen Charakter der Haarlemer Akademiekunst. Da können
keine Verbindungslinien gezogen werden!) Eine andere Besonderheit ist das Auf-
blühen spezifisch nationaler Kunstgattungen, des Genrebildes, der Landschaft und
des Stillebens vor allem. Diesen gegenüber steht der, wenn auch nicht gerade
antinationale, so doch sicher ausgeprügt internationale Grundzug in der Kunst der.
Akademiker mit seiner beinahe ausschlieBlichen Pflege der Figurenkunst. Wie
van Mander vom Portrütfach dachte, hatten wir bereits Gelegenheit zu berühren.
Goltzius allerdings nimmt als Portrütist eine hervorragende Stellung ein, die ihn
als unmittelbaren Vorläufer sowohl von Frans Hals als auch der Amsterdamer
Bildnismaler erscheinen läßt; Frans Hals hat sich in seinen frühesten uns be-
kannten Schöpfungen deutlich dem Vorbild des durch Goltzius im Stich geschaf-
fenen Medaillonbildnisses angeschlossen, und Werner van den Valckert, einer der
achtenswertesten Vertreter der jungen Amsterdamer Portrütistengeneration, ist
Goltzius’ direkter und der von diesem am stärksten beeinflußte Schüler gewesen.
Trotzdem spielt іп Goltzius’ Gesamtwerk, zumal unter seinen Olmalereien, auf die
es hier in erster Linie ankommt, das Porträt gegenüber den Figurenkompositionen
eine zu offensichtlich untergeordnete Rolle, als daß es für die allgemeine Entwick-
lung von nachhaltiger Bedeutung hätte werden können.
Was die jungen Generationen den Akademikern hingegen wohl zu danken hatten
das war eine den ältern Meistern des 16. Jahrhunderts noch unbekannt gründliche
Fundierung des handwerklichen Teiles ihrer Kunst — die Frucht des Modell-
studiums — und eine klare Einsicht in die Bedeutung Venedigs für den Kolorismus,
Diese letzte kommt in den Werken der Haarlemer Künstler zwar nicht voll, da
und dort aber doch mit offenliegender Absichtlichkeit zum Ausdruck, und zum
Überfluß zeugt van Mander in eindringlichen Passagen seines Schilderboecks davon.
Das Wichtigste liegt hierbei nicht so sehr in einer Einladung, die venezianische
Farbengebung direkt nachzuahmen, als vielmehr in der allgemeinen Betonung einer
der Farbe innerhalb des Kunstschaffens zugedachten selbständigen Rolle. Diese
ist dann zum Prinzip erhoben und als solches eine der ausgezeichneten Eigen-
(x) Der Umstand, daß van Mander selbst einige Bauernbilder gemalt hat, ändert nichts an der Vor-
stellung, die wir uns von seinen hohen, ganz anders gerichteten Intentionen machen müssen. Auf
jeden Fall erscheint es mir stets als eine große Willkür, die Entwicklungslinien — wie doch meist
geschieht — über solche Oasen von Gelegenheitsschöpfungen oder, in andern en über die Bruch-
teile eines uns zufällig erhaltenen Denkmälerbesitzes zu leiten.
228
schaften geworden, deretwegen die hollindische Kunst heute noch in so hohem
Ansehen steht. Auch für die Beleuchtungsprobleme, mit denen sich die Holländer
des 17. Jahrhunderts so einläßlich beschäftigt haben, könnte man vielleicht bei
den Akademikern einzelne Anknüpfungspunkte finden. Doch hat es sich hierbei
wohl mehr nur um gelegentlich erwachtes Interesse als um wirkliche Auseinander-
setzungen gehandelt, so daß diese Versuche nicht als Marksteine der Entwicklung
angesehen werden dürfen,
Von einem Anteil der Akademiker an der malerischen Erforschung der Atmo-
sphire kann schon darum keine Rede sein, weil die Landschaftskunst in ihrem
Kreise gar nicht oder doch höchstens nur an der Peripherie ihres Interesses be-
stand, wo sie auf ein lebloses Schema reduziert blieb.
Das Verhüitnis, in dem die Kunst der Haarlemer Akademie — der für den
Sprachgebrauch bequeme und zugleich doch auch zutreffende Ausdruck kann jetzt
nicht mehr miBverstanden werden — zu der folgenden Epoche steht, stellt sich
uns also als ein recht lockeres dar. Sie erscheint uns nicht so sehr als die Grund-
lage einer zukünftigen Entwicklung, sondern vielmehr als die exklusivistische Voll-
endung einer von ihren Anfängen an einseitig orientierten Kunst.
Jede starke geistige Bewegung trägt die Keime einer Gegenbewegung schon іп
sich, indem sie durch die Einseitigkeit ihrer Tendenz eine Reaktion herausfordert.
Diese selbst kann als aus ganz unabhängigen Faktoren aufgebaut erscheinen und
dabei doch ihre ganze Lebenskraft dem Antagonismus verdanken, der in einer be-
wußt oder unbewußt gegensätzlichen Stellungnahme begründet ist. So stellt sich
mir das Verhültnis der Kunst des vorgerückteren 17. Jahrhunderts zu derjenigen
der Haarlemer Akademie dar, und in diesem Verhältnis erkenne ich deren ent-
wicklungsgeschichtliche Funktion. In zielbewuBter Vollendung, starker Einheitlich-
keit und vornehmer Selbstisolierung bildet sie die Zusammenfassung und den vor-
läufigen Abschluß — soweit in dem Flusse der Entwicklung von einem solchen
die Rede sein kann — einer ausgesprochen intellektuellen Bewegung. Als eine
in sich selbst gegebenen Gesetzen befangene Alterserscheinung steht sie vor einer
neuen, aus den freien Tiefen des BewuBtseins ihren Ursprung nehmenden Be-
wegung, die ihre Lebensfrische zu einem großen Teil aus dieser Gegensätzlichkeit
schipfte. Die Umwälzung gleicht einer Revolution; es sind die tiefsten ktinstle-
rischen Grundanschauungen, die umgeworfen werden. Diese Umwertung aber
wurde herausgefordert, auf jeden Fall beschleunigt, durch die scharfe Weise, mit
der die unterliegende Partei ihre Ideale formuliert hatte.
Der Intellektualismus der Akademiker macht einer sinnlicheren Anschauungsweise
Platz, die ein Kunstwerk nicht mehr in erster Linie nach der Bedeutung seiner
inhaltlichen Beziehungen und äußerlich formalen Korrektheit bewertet, sondern die
gesund-naiven Qualitäten von Lebenswahrheit und Naturnähe zu verwirklichen
sucht. Damit fällt van Manders doktrinäre Rangordnung der verschiedenen Kunst-
gattungen; Genrebild und Landschaft treten mit dem Porträt als gleichwertig
neben das Historienbild. Der Begriff des Malerischen gewinnt seine moderne Be-
deutung!) und verschafft dem mit einem Minimum gegenständlicher Wirkung rech-
nenden Stilleben?) Geltung.
i) Den Ausdruck malerisch (schilderachtig) führen auch die Akademiker schon im Munde, aber mehr
in dem Sinne von „malermäßig“ (van Mander; vergi. Hicker, а. a. O., Wortregister) oder ,zum
Malen geeignet", ,darstellungsfühig". (Goltzius, in einer Briefstelle an den Amsterdamer Goldschmied
Hans van Weely, den er bittet, für ihn „oude testementische historien" auszusuchen, die ,schilder-
achtig“ sind).
(2) Das Stilleben tritt allerdings auch mit absichtlicher inhaltlicher Bedeutung auf, als Vanitas oder
Monatahefte für Kunstwissenschaft, XI. Jabrg., 1918, Heft 8 16 229
An Stelle der Uberzeugung und Geschlossenheit, mit der von etwa 1585 bis 1615
die Haarlemer Künstler und: weitere Kreise sich um die Grundsütze der Akade-
miker geschart hatten, tritt eine sich immer deutlicher ausprügende separatistische
Tendenz, die die Spezialisierung im Gefolge führt. Dort das Dogma von der
Superioritit der Figurenkunst, das jede anders gerichtete Originalität so gut wie
ausschloß; die jüngere Generation anerkennt es nicht und macht damit die Bahn
frei für die Entfaltung persónlicher Begabungen. So erstand dann das schillernde
Bild der neuen Kunst mit ihren ausgeprügten Individualititen. Es bildet den
schirfsten Kontrast zu der einheitlich gesinnten und autoritütsbedürftigen voraus-
gegangenen Epoche.
VIII.
Auch der anspruchsloseste Versuch von Geschichtsschreibung ist Konstruktion;
je bewuBter wir uns dessen bleiben, desto weniger willkürlich wird sie sein. Unser
Streben, aus der unendlichen Verwicklung von nur zum Teil geahnten Zusammen-
hüngen eine Entwicklung herauszulesen, das Bedürfnis, die unfaBliche Mannigfaltig-
keit der Geschehnisse und ihrer Verknüpfungen auf uns geläufige Begriffe zu re-
duzieren, nótigt uns zu solchen Konstruktionen. Die Darstellung, in der uns die
Kunst der Haarlemer Akademiker als die Vollendung einer ganzen Geistesrichtung
erscheint, der wir eine neue Bewegung entgegensetzen, ist ein Bild, dessen wir
uns bedienen, um die Zusammenhänge zu gruppieren und sie auf diese Weise in
ihren groBen Zügen zu überblicken. Doch kann ich mir wohl denken, daB man,
von andern Gesichtspunkten ausgehend, den Abschnitt, wenn auch nicht geradezu
anderswo ansetzen, so doch hier weniger stark betonen könnte. Denn in der Wirk-
lichkeit ist die akademische Bewegung mit dem Auftreten von Frans Hals, Rem-
brandt und allen ihren Trabanten keineswegs aus der Welt geschafft; ihr Faden
zieht sich weiter, und in den Theoretikern vom Ende des 17. Jahrhunderts er-
stehen dem Erbe van Manders neue Verweser.
Aber auch in einen ganz anderen Zusammenhang würde sich die Kunst der
Haarlemer Schule noch einstellen lassen. Schien sie uns innerhalb des hollündi-
schen Kunstkreises für ihre Richtung eine gewisse Vollendung zu bedeuten, in dem
größeren Verbande der gesamtniederländischen Kunst nimmt sie eine viel weniger
abschließende Stellung ein. Zu der vlämischen Kunst in Beziehung gebracht, fällt
sie zurück in die allgemeine Entwicklungslinie, die zu der Persónlichkeit eines
Rubens hinaufführt, und die Kunst des Rubens erst mutet an wie die Erfüllung
der akademischen Bestrebungen. Denn es sind in der Tat die akademischen Grund-
sütze, an die der junge Rubens anschloB. Auch für ihn bildet das Figurenbild
den Mittelpunkt aller Kunstübung. In äußeren Umständen liegt es begründet, daß
für ihn dabei stets das Kirchenbild christlichen Inhalts im Vordergrund steht; wo
er aber dieses verläßt und mythologische Vorwürfe angreift, sind es zum großen
Teil dieselben Gegenstände, die ihn und die Haarlemer beschäftigen. Zumal wenn
er etwa die im Kreise van Manders so beliebte Sentenz „Sine Cerere et Baccho
friget Venus“ illustriert (Cassel), möchte man da gerne an einen direkten Zusammen-
hang glauben. Auf jeden Fall bevorzugt er, wie die Haarlemer, Darstellungen, die
dergleichen. In dieser Form ist natürlich nicht ein rein „malerischer“ Bildgedanke verwirklicht. Ganz
rein kommt ein solcher hingegen zum Ausdruck in den Darstellungen geschlachteter Ochsen oder
Schweine, aufgeschnittener Fische und ähnlicher, den naiven Betrachter geradezu abstoßender Vorwürfe.
Die Wahl solcher Gegenstände ist kennzeichnenderweise von spütern, wieder in die akademischen
Traditionen einlenkenden Generationen als unschicklich gebrandmarkt worden.
230
nur für ein wohlbelesenes Publikum berechnet waren. Nicht nur hierin, sondern
auch in seinen kirchlichen Bildern ist Rubens, an der hollündischen Kunst des
vorgeschrittenen 17. Jahrhunderts mit ihrem bürgerlichen Charakter gemessen, ein
Künstler von dutch und durch aristokratischer Grundgesinnung und berührt sich
damit wieder mit einer der ausgesprochensten Eigenschaften der Akademiker. Wie
diese, pflegt auch er, besonders in seinen jungen Jahren, nur gelegentlich das
Portrütfach, obwohl ihm dieses in seiner höfischen Umgebung doch besonders nahe
gelegen haben muß, so wie denn auch andere Künstler in ähnlicher Position, van
Dyck etwa oder Velasquez, ganz in ihm aufgegangen sind. Auch die Landschaft
spielt bei ihm zunächst eine ähnliche, ganz untergeordnete Rolle; sie scheint nur
als Folie für das Historienbild Berechtigung zu haben. Dies geht so weit, daB
Rubens auch später noch, da er häufiger Landschaftsbilder malte, diese stets gerne
episodisch staffierte oder sie durch die Schilderung von Naturereignissen mit in-
haltlichen Beziehungen zu füllen suchte.
Dieses sind ebensoviele verwandte Züge, die die Haarlemer Akademiekunst mit
Rubens verbinden, als Gegensütze, die sie von der hollündischen Kunst des 17. Jahr-
hunderts trennen. Es müßte also mit wenig Darstellungskunst möglich sein, die
Akademiker als direkte Vorläufer von Rubens erscheinen zu lassen. Hiermit möchte
ich aber nicht einstimmen. Die Gemeinsamkeiten lassen sich meines Erachtens
ableiten aus einer Parallelität der Entwicklung auf sehr verwandten Grundlagen;
die Gegensätze können erklärt werden durch das Einschlagen von persönlichen,
stark divergierenden Begabungen in Holland, unter deren Einfluß die Kunst hier
eine ausgesprochene Demokratisierung erfuhr, während sie in Belgien unter der
machtvoll überherrschenden Persönlichkeit von Rubens eine straffere Zentralisie-
rung als je erlebte. |
231
!
FINDLINGE ZUM THEMA: ,GOETHE UND DIE BILDENDE
KUNST“ Von V. CURT HABICHT
€060609000009000000000000090000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000
A
s liegt ein tieferes Symptom in der jetzt bemerkbaren Bevorzugung von
Themen, die die Wechselbeziehungen von bildender Kunst und Dichtkunst zum
Gegenstande haben!) Die kunsthistorische Forschung hat erkannt, daß weder
einseitige, rationalistische Materialsammlungen, so nótig die auf weiten Strecken,
namentlich der deutschen Kunst, auch noch sind, noch auch stilpsychologische
Untersuchungen zu einer vollen Ausschópfung ihres erhabenen Gegenstandes
führen kónnen. Die Literaturgeschichte dagegen will in der jüngeren Schwester-
disziplin nicht mehr eine nur gewissermaßen illustrative Hilfe leistende erblicken,
sondern bemüht sich, die dort erschlossenen Ergebnisse als bedeutsame Stützen
der eigenen Forschung anzusehen, und versteht immer mehr, den oft ausschlag-
gebenden heuristischen Wert derselben anzuerkennen. Die hóhere Aufgabe einer
begrifflich faBbaren und allseitig reinen Darstellung der geistigen Grundstim-
mungen und 'Taten, als deren gleichwertige Manifestationen eben bildende Kunst
und Dichtung anzusehen sind, hat die Einsicht einer engeren Verbindung gezeitigt.
Als vornehmsten Gewinn dieser Stellungnahme läßt sich schon jetzt die Ab-
lehnung einseitiger „Standpunkte“ bezeichnen. Die Geisteswissenschaften ver-
tragen eben alles eher als „vorgefaßte Meinungen", und das Prokrustesbett eines
Systems ist kaum irgendwo weniger angebracht als hier.
Die eine Gestalt Goethes, die allerdings eine groBe, reiche Welt für sich be-
deutet, spottet eines jeden Regelzwanges. Man hat sich gewöhnt, einen weit-
herzigen, für alle Kunstzweige begeisterten Goethe vor der italienischen Reise
und einen orthodoxen, klassizistischen nach derselben voneinander zu trennen.
Ein Blick auf den Faust allein, in dem sich friedlich Anregungen aus der Antike,
der Renaissancekunst, dem Barock, dem italienischen und deutschen Mittelalter
mit ebenso weit auseinanderliegenden Antrieben aus den Literaturen dieser
Epochen vereinen, sollte genügen, vor solchen parteiischen Urteilen zu bewahren.
Trotz — oder vielleicht gerade aus — aller selbstverstündlichen Ehrfurcht vor
dem Genius Goethe wird man sein Bedingtsein durch die geistigen Strómungen
seiner Zeit voll anerkennen müssen. Nicht zum wenigsten kann die Beachtung
seines Verhältnisses zur bildenden Kunst und vor allem seiner Verarbeitung der
Anregungen von dieser Seite her zur Klärung dieser Fragen beitragen. Volbehr,
der uns ein feinsinniges Buch über Goethe und die bildende Kunst?) geschenkt
hat, wäre zu seiner oft einseitigen Beurteilung bei einer näheren Prüfung der von
Goethe verarbeiteten Stoffe der bildenden Kunst gewiß nicht gekommen.
Einer vollen Einschátzung dieser Tatsachen steht vorerst allerdings noch der
Mangel an Einzeluntersuchungen entgegen. Abgesehen vom Faust’), der, wie
(1) Ich verweise unter den neueren Arbeiten nur auf die ausgezeichneten von W.W aet-
zoldt: Wechselwirkungen zwischen deutscher Malerei und Dichtung im 19. Jahrhundert
(Jahrbuch des freien deutschen Hochstiftes, Frankfurt 1913, S. 13ff.), idem: Deutsche
Wortkunst und deutsche Bildkunst (Deutsche Abende. Zweiter Vortrag). Berlin 1916, und
Fr. v. d. Ley en: Deutsche Dichtung und bildende Kunst im Mittelalter (Abhandlungen
zur deutschen Literaturgeschichte, Franz Muncker... dargebracht, München 1016, S. 1 ff.)
(2 Vgl. Theodor Volbehr: Goethe und die bildende Kunst. Leipzig 1895.
(3 Vgl. M. Morris: Gemälde und Bildwerke im Faust (Goethe-Studien I. 114 ff. 2. Aufl.
Berlin 1902) und darauf fußend Willy F. Storck: Goethes Faust und die bildende
Kunst. Leipzig 1912.
232
diese Untersuchungen zeigen sollen, aber auch noch nieht voll nach dieser Seite
hin ausgeschépft ist, ist man den Spuren der bildenden Kunst in den Werken
Goethes noch wenig nachgegangen. Ja, hier eróffnet sich eine Aufgabe, die von
einem einzelnen kaum bewältigt werden kann. Die Schwierigkeiten beruhen darin,
daß sie eine Vertrautheit größten Stiles auf dem Gebiete der Kunst- wie Literatur-
geschichte voraussetzen und eine restlose Hingabe an die Sache erfordern. Dafür
liegt das Gebiet für den Kunsthistoriker, der für eine Bearbeitung fast allein in
Frage kommen kann, doch zu weit ab. Da die Aufgabe aber doch einmal gelóst
werden muB, gilt es wenigstens Bausteine herbeizutragen, und als solche wollen
die nachfolgenden Untersuchungen auch nur angesehen sein!).
I. Der neue Paris.
«Раз Auge war vor allen anderen das Organ, mit dem ich die Welt
faBte. Ich hatte von Kindheit auf zwischen Malern gelebt und mich
S gewóhnt, die Gegenstánde in bezug auf die Kunst anzusehen. Wo
ich hinsah, erblickte ich ein Bild, und was mir auffiel, wollte ich
festhalten
Das entzückende Knabenmärchen hat der Geschlossenheit seiner Erzählung und
des Reichtums seiner Bilder, besonders der antiken, wegen immer wieder Be-
wunderung erregt. Ja, diese Bewunderung hat Anlaß gegeben, die Erzählung aus
der frühen Knabenzeit Goethes zu streichen und in die Altersperiode zu ver-
legen, in eine Zeit, der Geschehnisse und Gestalten wie das Parisurteil, der Kampf
Achills mit Penthesileia usw. vertrauter sein konnten als den Knabenjahren.
E. Maaß) hat mit schöner Begeisterung und tiefem Verständnis für die Schaffens-
weise des Genius den Nachweis erbracht, daß die Dinge so liegen, wie sie Goethe
in Dichtung und Wahrheit erzählt, daß also Goethe als Knabe das Märchen wenig-
stens dem wesentlichen Inhalte nach so erzählt hat, wie wir es aufgezeichnet
finden. Maaß hat vor allem das Verdienst, die Vertrautheit des Knaben Wolfgang
mit bestimmten antiken Motiven aufgewiesen zu haben. Daß Goethe die grie-
chischen Stoffe durch Loen und Pomey bekannt geworden waren, darf man nach
Maaß’ Ausführungen als sicher annehmen. Dennoch bleibt, die Lektüre dieser
Schriftsteller allein vorausgesetzt, manches ungeklärt. Der tatsächlich vorhandene
Abstand zwischen dem reizvollen und reichen Märchen und den unbedeutenden
Liedern der Leipziger Zeit wird damit nicht überbrückt. Eine Allegorie, ein Sinn-
bild auf Goethes eigenes Leben, ist dasMärchen allerdings nicht. Darin hat Maaß
vollkommen recht. Es ist ein Märchen des Zehnjährigen; dann allerdings eine
erstaunliche Schöpfung, die den Nachweis der Herkunft aller Elemente ihrer Zu-
sammensetzung fordert. Maaß hat selbst einige Erscheinungen hervorgehoben, die
durch die Lektüre Loens und Pomeys unerschlossen bleiben. So gleich die un-
vermittelte Vermischung heimischer und antiker Motive. Maaß kennzeichnet
diese Erscheinung sehr fein mit folgenden Sätzen: „Dann hat der ‚Neue Paris‘
das bei Goethe Auffällige, von allem Abweichende, daß er in den Rahmen des
Frankfurter Lebens die Personen und die Welt eines altgriechischen Märchens
hineinversetzt: wie die Insel im Meere schwimmt. Dabei wird nichts irgendwie
vermittelt, nichts organisch verbunden.“ Schärfer kann es nicht ausgedrückt
(1) Einen Hinweis, den ich hier erwähnen möchte, gibt F. Boll: Die Lebensalter. Leipzig
1913, S. 4. e
(2) Vgl. Е. Маай: Goethe und die Antike. Berlin 1012, S. 1 ff.
233
werden, daB hier etwas der Aufhellung bedarf, die durch den Hinweis auf die Un-
reife — wie Maaß will — nicht befriedigend geboten wird. Auch „das ganz
Unvermittelte des Abbrechens* der Erzählung scheint mir durch „den Kindes-
zustand des noch unfertigen Verfassers“ nur unzulänglich begründet zu sein.
Das Fehlen der Helenagestalt, diese sehr auffällige Tatsache, bietet Maaß gleich-
falls eine Schwierigkeit, die er nicht zu erklären weiß. Der Orientale katho-
lischen Glaubens findet durch den Hinweis auf den Magier bei Tasso keine
hinreichende Begründung. Die Gestalt des. Narziß, die der Alerte, der Kampf der
Penthesileia mit Achill und die wunderbare Brücke sind fernerhin noch ungeklarte
Elemente des Märchens. Alle diese Fragen und schließlich auch eine genauere
Datierung wollen erledigt sein, und sie dürfen es bei der hohen, künstlerischen
Bedeutung des Märchens einerseits, wie bei der umstrittenen Entstehungszeit
sehr wohl.
Das Märchen beginnt mit einer Traumerzählung und bietet uns durch diesen
Eingang gleich einen Schlüssel zur Erhellung mancher Frage. Geschaute Bild-
eindrücke verwandeln sich dem Knaben im Traume zu lebenden Gestalten, die
in sein Leben eingreifen und ihn in eine Handlung verstricken. Goethe erzählt
das weitere Geschehen zwar als Tatsache, die Fortsetzung des Traumes ist
aber dennoch deutlich, und wenn es sich auch nicht nachweisen läßt, daß auch
dieser Teil nur geträumt und als wirkliches Geschehen erzählt ist, so stammt er
doch gewiß aus den gleichen Quellen wie die Traumerzählung selbst. Zu Ende
der Erzählung gibt Goethe allerdings selbst einen Hinweis, indem er sagt: ,,...so
daß ich beinahe glauben muß, das zweite Abenteuer sei so gut als das erste ein
Traum geweser....“ Um es vorweg zu sagen, was im einzelnen noch nach-
zuweisen sein wird, es sind Eindrücke von Werken der bildenden Kunst aus der
nüchsten Umgebung des Knaben, die sich im Traume vermischen und die eigen-
tümliche Erzáhlung oder das merkwürdige Geschehen auslósen. Deshalb das
seltsame Durcheinander der Motive, deshalb die Vermischung heimischer und
antiker Vorstellungen und deshalb schlieBlich auch das unvermittelte, plótzliche
Abbrechen des Märchens. Wenn Maaß meint, in Feengürten habe sich der Knabe
hineingetráumt, so erklärt das weder die Eigenart der keineswegs aus Feen-
gürten allein stammenden Umgebung im Märchen, noch auch die Gestalten und
ihr Handeln.
Die überhitzte Phantasie des Märchens, die Vielheit der Gestalten, die Fülle
der antiken Motive und die Lebendigkeit der Eindrücke lassen unwillkürlich
fragen, zu welcher Zeit traten dem Knaben plötzlich so vielseitige, so bunte und
eindrucksfähige Bilder entgegen? Auf diese Frage läßt sich leicht durch den Hin-
weis auf die seit 1759 für den Kónigsleutnant Theas comte de Thoranc einsetzende
künstlerische Tütigkeit in Goethes Stube im Hause am Hirschgraben antworten.
Wir wissen es aus Goethes Munde selbst, welche Fülle der Eindrücke sich ihm
hier bot, wir erfahren es, mit welchem Übereifer er an der Tütigkeit der Maler
teilnimmt, daf er selbst Vorschlüge für Kompositionen, den Josephszyklus,
macht, und daf er mit allen Sinnen lebt und webt in den Stoffen, die unter
seinen Augen entstanden!) Was Wunder, daß sich der Reichtum der Ge-
sichte, die Phantastik mancher Stoffe und die Lebendigkeit der Darstellung in
der Phantasie des Knaben lebhaft einprügten und zu einem bunten Traume
EE
(т) Vgl., O. Heuer: Goethe und die Kónigsleutnantbilder. (Jahrbuch des freien deutschen
Hochstiftes, Frankfurt a. M. 1907 S. 235 ff.)
234
Doch das sind zunächst nur Behauptungen, die nach Belegen verlangen. Bei
einer Betrachtung der Darstellungen der für den Königsleutnant angefertigten
Tapeten fallen das Vielerlei der Gegenstände und die unvermittelte Verbindung
verschiedenartigster Szenen zunüchst besonders auf. Der jüngste Biograph!) von
Seekatz sagt geradezu: ,,Das Durcheinander der einzelnen Stoffgebiete auf diesen
Medaillonbildern geht nun so weit, daß nicht einmal die Szenen aus einer und
derselben Geschichte in ihrer richtigen Reihenfolge gegeben, sondern ohne jeden
Zusammenhang auf verschiedene Panneaux verteilt sind.“ Kinderszenen, antike
und biblische Stoffe und Genrebilder bilden den bunten Inhalt dieser „Bahnen“.
Die Gemeinsamkeit mit der Stoffwelt des neuen Paris bleibt dabei aber nicht
stehen. Die auffüllige Betonung der orientalischen Kostüme stammt gleichfalls
deutlich aus den Tapeten her. Die Chinoiserien des 18. Jahrhunderts und die starke
Anlehnung an die orientalischen Phantasiegestalten Rembrandts und seiner Nach-
folger lassen die reichliche Verwendung dieser orientalischen Züge in den
‚Werken der Frankfurter Maler, nicht nur іп den ä leicht
erklärlich erscheinen.
Gleich der Eingang des Märchens gibt unzweideutige Winke, eher dem Knaben
die Anregungen geflossen sind. Bei der Erscheinung des „jungen, schönen
Mannes“ antwortet Wolfgang auf seine Frage: „Kennst du mich denn?“ höchst
bezeichnender Weise: „Warum nicht? Ihr seid Merkur, und ich habe Euch oft
genug abgebildet gesehen.“ Das „oft genug‘ schließt es aus, daß nur der
mäßige Kupferstich in Pomey als Anregung gedient haben kann. Ein näherer
Vergleich mit der Darstellung des Parisurteils von Joh. Conr. Seekatz überzeugt,
daß Goethe gerade diese Wiedergabe vorgeschwebt hat — sei es im 5906
sei es beim späteren Erzählen.
Die Gestalt des orientalischen Katholiken erinnert so auffallend an die von
den Frankfurter Malern „їп rembrandtischer Manier“ oft genug geschilderten
Propheten, Juden, Greise usw., daß ein Ideenzusammenhang ganz zweifellos vor-
handen ist. Namentlich Joh. Georg Trautmann hat solche Prophetenköpfe gemalt,
und ein Werk seiner Hand dieser Art, das nach Bangel?) in den fünfziger Jahren
entstanden ist, befindet sich im Goethehaus zu Frankfurt a. M.). Die „wunder-
liche“, „lange, weite und sonderbare Kleidung“ tragen auch Trautmanns Gestalten
in dem Josephzyklus*), den er für den Kónigsleutnant gemalt hat, und an dessen
Entstehung der junge Goethe ja bekanntlich besonderen Anteil genommen hat.
Aus diesen Bildquellen?) erklären sich auch zwanglos die orientalischen Kostüme, die
sonst noch erscheinen, und in eins von denen sich der jugendliche Erzühler
ja nachher selber kleiden muß, das ihm ausnehmend gut gefällt.
Einen nicht mißzuverstehenden Wink gibt der Erzähler bei der Schilderung
der Türe in der ,schlimmen Mauer'. ,Die breiten, sowohl erhaben als ver»
(1) Vgl. Lud wig Bamberger: Joh. Conrad Seekatz (Heidelberger kunstgeschichtliche Ab-
handlungen Bd. 2). Heidelberg 1016, S. тоо.
(2) Vgl. Rudolf Bangel: Joh. Georg Trautmann und seine Zeitgenossen. (Stud. zur
deutschen EES H 173.) StraBburg 1914, S. 111.
(3) id. Tafel 2.
(4) id. Tafeln 6--10.
(5) Hüsgen charakterisiert Trautmanns Kunst: „In Rembrandts Manier siehet man viele
lebensgroBe und auch kleine Kópfe von ihm, die er meistens mit groBen Bürten
іп orientalischer Tracht darstellte.“ (Vgl. Joh. Seb. Hüsgen: R von
Frankfurter Künstlern und Kunstsachen, Frankfurt 1780.)
235
tieft gearbeiteten Bänder von Erz beschlagen, deren Laubwerk, worin die natür-
lichsten Vögel saßen“, er besonders bewundert, stellen die typischen mittel-
alterlichen Eisenbeschläge einer Türe dar. Wo Goethe solche Arbeiten gesehen
hatte, folgt einige Zeilen weiter. Da heißt es: „Ich bewundere, versetzte ich, die
Arbeit dieser Pforte, denn ich habe dergleichen noch niemals gesehen, es müßte
denn sein auf kleinen Stücken in den Kunstsammlungen der Lieb-
haber.“ Die Stelle ist höchst lehrreich. Denn sie beweist nicht nur, daß Goethe
die Anregung zu der Schilderung von seiten der bildenden Kunst empfangen
hat, sie wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die frühe Kennerschaft des Knaben.
Belehrt sie doch gewissermaßen den Traumeindruck darüber, daß derartig reiche
Beschläge eigentlich nur an kleineren kunstgewerblichen Gegenständen, wie
Schmuckkästchen, Truhen usw., aber nicht an großen Türen in Gebäuden vor-
kommen. Daß. Goethe derartige Stücke in den „Sammlungen der Liebhaber‘ oder
auch bei Auktionen, an denen er ja auch schon frühzeitig teilgenommen hat,
gesehen hat, ist nach seinen eigenen Worten nicht zu bezweifeln. Welche be-
stimmte Arbeit ihm vorschwebte, das wird sich BEER wohl schwerlich noch
einmal ausfindig machen lassen.
Gleichfalls von Bedeutung fiir die Frage nach der Herkunft der Bildvorstellungen
sind die weiteren Beschreibungen des Mürchengartens. Gleich beim Betreten
fallen dem Erzähler „Nischen, mit Muscheln, Korallen und Metallstufen künst-
lich ausgeziert“ auf, die aus Tritonenmäulern reichliches Wasser in marmorne
Becken spenden. So deutlich hier die Anregungen von seiten der bildenden Kunst
sind, so schwer ist es auch hier, das bestimmte, die Vorstellung auslösende
Vorbild zu nennen. Die mit Muscheln, Korallen und Metallstufen gezierten
Nischen sind beliebte Bereicherungen der Architektur, die letzten Endes auf
italienische Vorbilder zurückgehen und besonders im 17. Jahrhundert einen breiten
Raum in den deutschen architekturtheoretischen Schriften!) einnehmen. Schon
jos. Furttenbach d. A. beschäftigt sich eingehend mit diesen „Grotten“ ), und der
Frankfurter G. Bóckler widmet diesen Architekturteilen sogar eine mit vielen
Kupfern geschmückte Schrift’). Die uns heute nicht mehr ganz verstündliche
Vorliebe für diese іп überladener Weise mit Muscheln, Korallen usw. gezierten
Nischen, Grotten und Brunnen nimmt jedenfalls in den architekturtheoretischen
Schriften einen sehr breiten Raum ein und hat zweifellos auch in der Praxis ge-
wirkt. Ob bei Goethes Schilderung solche Kupferstiche oder Originale anregend
gewirkt haben, bleibt gleichgültig hinsichtlich der Tatsache, daß hier gleichfalls
Elemente der bildenden Kunst anregend gewirkt haben.
Gleich anschließend: an diese Beschreibung der Brunnen erzählt der Knabe, daß
einer der Stare der zwischen den Brunnen angebrachten Vogeihäuser: Paris, Paris,
ein anderer: Narziß, Narziß! gerufen habe. Der Übergang von einer Vorstellung
oder Bezeichnung zur anderen ist eigentümlich. Wie kommt der Knabe dazu,
sich in einem Augenblick als Paris, im nächsten als Narziß zu empfinden, oder
vielmehr woher drängt sich ihm die Erinnerung an Narziß in seiner Rolle als
Paris plötzlich auf? Man fühlt deutlich, eine Bildvorstellung löst jäh eine andere
ab, wie es eben im Traume geschieht. Kennen wir den Grund der Parisvorstellung,
(1) Vgl. V.C. Habicht: Die deutschen Architekturtheoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts
(Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen, 1928 ff.).
(2) id. S. 19, 28
(3) id. S. 273.
236
so fragt es sich nun, woher die andere stammt. Sollte der Urheber der einen,
nümlich Seekatz, zugleich auch der der anderen sein? Nun, wir wissen, daB
Seekatz einen „Narziß am Brunnen“ i) gemalt hat, Bamberger setzt das Bild aller-
dings ohne rechte Begründung in spätere Zeit, in die Jahre 1765—68. Ев be-
stehen aber nicht die geringsten Schwierigkeiten, das Bild schon in die Zeit um
1759 zu verlegen. Jedenfalls sind der Umstand, daB der Bildeindruck bei Goethe
gerade nach der Brunnenbeschreibung auftaucht, und die Tatsache, daß Seekatz
einen Narziß am Brunnen gemalt hat, so auffällige Erscheinungen, daß an einen
Zufall wohl kaum gedacht werden kann.
Weniger scharf umrissen, aber immerhin doth auch deutlich von Werken der
bildenden Kunst beeinflußt, erscheinen die Beschreibungen des Gartens und des
Gartengebäudes. Der sehr auffällige Hinweis auf den Grundriß des Gartenparterres,
wie. auch die Eigenart der Beschreibung der Einzelheiten desselben, der Beete,
der Einfassungen und der Bepflanzung, lassen für den Kenner der Gartengrundriß-
stiche des 17. und 18. Jahrhunderts keinen Zweifel, daß Goethe hier Eindrücke
von diesen Kupfern mit solchen aus wirklichen Gartenanlagen verschmolzen hat.
Der eigentümliche, südländische Charakter des Gartenhauses selbst legt wieder
die Vermutung, daß Risse aus architekturtheoretischen Schriften anregend gewirkt
haben, sehr nahe.
Die anmutigen Szenen, die sich nun im Mittelsaale des Gartenhauses abspielen,
wo zunüchst das musikalische Spiel der rot, gelb und grün gekleideten Mädchen
und dann das reizvolle Ballett, das Wolfgang und Alerte tanzen, stattfinden, er-
innern zu deutlich an die gleichen Kinderszenen, die Seekatz namentlich in den
Monatsbildern der Thoranc-Bahnen gemalt hat, als daB die Übereinstimmungen
zufällige sein könnten. Die Worte, die Bamberger?) zur Kennzeichnung der Ar-
beiten von Seekatz gebraucht, zeichnen genau die Stimmung der Episode unseres
Märchens. „Es ist ein ganzes ,Kinderleben', was sich da vor unseren Augen
abspielt, mit allen seinen alltäglichen Freuden, ein Leben unter freiem Himmel
in frischer Luft. Es ist ein Heraus aus den engen Stadtmauern — ein Leben
ohne Parfüm und Puder, das mit der Grazie eines Haydnschen Scherzes (sic!) jenes
Thema vorzubereiten scheint, das nicht viel вр ет von der Donnerstimme des
groBen Franzosen in die Welt geschmettert wurde, das ,Zurück zu der Natur!'
Besonders hervorzuheben ist, daf unter den als Türken, Chinesen usw. ver-
kleideten Kindern ein Kinderpaar im modischen Zeitkostüm erscheint, das Heuer
als Porträts von Wolfgang und Cornelia Goethe gedeutet hat. Das mag noch
ein Anlaß mehr gewesen sein, daß sich der Knabe in seinem Aufgehen in
dieser Welt des ,Kinderarkadiens‘ in die Schar dieser musizierenden, tanzenden,
spielenden und die Tütigkeiten der Erwachsenen nachahmenden Kinder hinein-
. tráumte und ihre Welt im Traume — und dann in seiner Erzáhlung — wiederfand.
Das hóchst merkwürdige Kampfspiel auf der Brücke verarbeitet ganz deutlich
Szenen der „Bahnen“. Hier erscheinen nicht nur Krieger, Kampfszenen, ein Kampf
an einer Brücke, sondern auch Kampfspiele, bei den in Uniformen gekleidete
Kinder die Handelnden bilden. Seekatz, der diese „Panneaux“ gemalt hat, stand
dem Knaben Goethe ja besonders nahe, nicht zum wenigsten auch wegen der
Wahl und der Art der Behandlung seiner Stoffe. In der Erinnerung an diese
Zeit hebt Goethe in Dichtung und Wahrheit das Verdienst von Seekatz folgender-
(1) Vgl. L. Bamberger: a. a. O., S. 159 und Abb. S. 153 in G. Biermann: Deutsches
Barock und Rokoko. Leipzig 1914.
(2) Vgl. Bamberger: a.a. O., S. 114.
237
maBen hervor: ,,Seekatz übernahm landliche Szenen, worin die Greise und Kinder,
unmittelbar nach der Natur gemalt, ganz herrlich glückten...“ Man kann es
sich denken, daB den Knaben gerade diese Verkleidungen der Kinder ganz be-
sonders anzogen, und daB sich seine lebhafte Phantasie leicht unter sie und mit
ihnen handelnd versetzen, konnte. Da gerade aber auch ein Kampf an einer
Brücke unter diesen Darstellungen erscheint, ist die Herkunft der Erzählung in
diesem Falle ja wohl ganz gewiß.
Ез müßte sich bei dem Märchen nicht um eine Traumerzühlung handeln, wenn
alle Elemente erklürt werden kónnten. Die Phantastik und der Reichtum der Tráume
aus nichtigeren Anregungen als den reichen Bildvorstellungen, die der junge Goethe
angesichts der Thorancbilder in sich aufnehmen konnte, sind bekannt. Ja, man
muß sich fast wundern, wie klar und streng; diese Bildvorstellungen in der Traum-
phantasie des Knaben haften geblieben sind. Die Ausführungen werden aber
gezeigt haben, daß Ше Auslösung der Traumbilder zweifellos durch Werke der
bildenden Kunst stattgefunden hat. In die Zeit um 175g muß demnach auch die
Erzählung des Märchens fallen, da in erster Linie die Bilder der Thoranctapeten
anregend gewesen sind. Wie aufnahmefähig der damals zehnjührige Knabe schon
gewesen ist, das bezeugen die übrigen Verwertungen aus dem Gebiete der Archi-
tektur, des Kunstgewerbes und der Bildhauerkunst. Aus diesem Grunde darf man
nun auch die Schilderung des frühreifen, ja fast fürwitzigen Knaben in Dichtung
und Wahrheit wenigstens in Dingen der bildenden Kunst mit ganz anderen Augen
ansehen. Ein Kind, das die Fülle der Eindrücke in einer Erzáhlung schon
so selbstündig verarbeiten konnte, wie der Dichter des jungen Paris, hat immerhin
schon ein Recht, sein Urteil als voll angesehen wissen zu wollen. Der Nachweis
der Quelle der Traumvorstellungen und die Erkenntnis, daß die Erzählung im
wesentlichen überhaupt einen Traumbericht darstellt, beseitigen die gróbsten
Schwierigkeiten auf dem Wege zur Erklärung des Mürchens. Im Traume nur
konnten sich die verschiedenartigen Eindrücke von seiten der bildenden Kunst
mit den natürlichen Erinnerungsbildern aus der nächsten Umgebung so innig
und eigenartig vermischen und zu einem so phantastischen Ganzen, das wie
Traumbilder meist keinen rechten Schluß findet, runden, wie es die Erzählung
darstellt. (Schluß folgt.)
238
REZENSIONEN seenen
LORENZEN, WILHELM, Gammel
Dansk Bygningskultur 2, 2; Kopen-
hagen 1916: 1) Landgaarde og Lyst-
steder i Barock, Rococco og Empire
66 S., 56 Abb, 2) Meddelelser... (Mit-
teilungen über den Verein zur Erhaltung
alter Bauwerke, 1912—15.) 32 S., 18 Abb.
Der systematische Teil gibt einen sehr dankens-
werten Überblick über die vornehmen Landhaus-
bauten Dánemarks mit Einschluß der Gartenanlagen,
und es wird die geschichtliche Entwicklung dieses
Zweiges der Baukunst an einigen fürstlichen und
herrschaftlichen Landsitzen, wie Friedrichsberg,
Freudenlund, Charlottenlund und anderen Orten іп
einer Weise vorgeführt, die an sich anziehend
genug und zur Anstellung der notwendigen Ver-
gleichungen mit den gleichgehenden Leistungen
anderer Länder erwünscht und unentbehrlich ist.
Allerdings haben wir es hier noch mit einer Aus.
wahl, nicht mit einer vollständigen systematischen
Behandlung des ganzen Gebietes zu tun. — Der
zweite Tell macht den Leser mit dem Bestehen
und der Tätigkeit der dänischen Vereinignng zur
Erhaltung der Baudenkmäler bekannt. Diese wirkt,
in einem Netze über das ganze Land verbreitet
und auf den Grundsátsen des Heimatschutzesruhend,
in kräftiger und sinniger Weise. Sie ist 1907
entstanden, wesentlich unter den aufregenden und
niederschlagenden Eindrücken, welche die Zer-
störung der kaum zum Vorschein gekommenen
‚sehr bedeutsamen Reste des Budolphiklosters zu
Wiborg machen mußte. Die Leitung der Gesell-
schaft versteht es, mit nicht großen Mitteln eine
ersprießliche Tätigkeit über das ganze Land hin
zu entfalten, Die Bauten, die ihr in der oder
jener Weise Erhaltung, Pflege oder Herstellung,
zum Teile unter Überführung in öffentliches Eigen-
tum, verdanken, sind im ganzen wenig bedeutend.
Denn für alle bedeutenden sorgt die geordnete
Denkmalpflege in vorbildlicher Weise. Offenbar
wird mit Sorgfalt darüber gewacht, daß die Kreise
-der Denkmalpflege, der man sich nützlich und
förderlich zu machen anspruchslos bestrebt ist,
‚nicht gestört werden, ein sehr verständiges Ver-
halten, das man überall befolgt sehen möchte. —
Der Deutsche freut sich, unter den abgebildeten
Bauten, wegen deren man der Gesellschaft zu
danken hat, einem der Giebelbäuser zu Kolding
zu begegnen, aus der Zeit vom Ende des 16. Jahr-
hunderts, da dort der deutsche Einfluß sich aufs
lebhafteste bezeugte. Ferner treffen wir die zwar
nicht weltbekannte, aber bei jedem geschmack-
vollen Besucher der ruhmvolleh alten Bischofs-
stadt an der Westsee іп bester, achtungsvoller
Erinnerung blühende Weißische Bierstube zu
Ripen, einer der angenehmsten altertümlichen
Trinkwinkel, der irgendwe zu finden ist. Endlich
erfahren wir Neues von der Burg zu Spötterup,
einem Landsitz vom Anfang des 16. Jahrhunderts,
der einzigen dänischen Burg, die sich durch lange
Zeiten hindurch auf die Gegenwart hin erhalten
hat und die allerdings infolgedessen die allerdeut-
lichsten Spuren der dauernden Benutzung und Ver-
brauchung an sich trägt. Bei uns würde sie nur
sehr verständigen Betrachtern als beachtenswert
auffallen, für Dänemark ist sie als einzige alte
Ritterburg fast unschätzbar. Sie findet jetzt end-
lich die ihr lange zugedachte liebe- und verständ-
nisvolle Beachtung und soll allmählich instand-
gesetzt werden. (Vergleiche über Spötterup das
Heft: Burgen im Herzogtum Schleswig, Grune-
wald, Burgverlag 1916, Seite 10f.). Da es auch in
Dänemark an Leuten nicht fehlt, denen die Haut
schaudert, wenn vom Herstellen eines Baudenk-
mals die Rede sein muß, wird es natürlich nicht
ohne Kampf und allerhand Bösartigkeiten ablaufen,
indes ist die Sache in gutem Zuge und verspricht,
mit Behutsamkeit und Verstand betrieben, ein
schönes Ergebnis, das alle Burgenfreunde erfreuen
wird. Rich. Haupt.
W.FLEMMING, Die Begründung der
modernen Ästhetik und Kunstwis-
senschaft durch Leon Battista Al-
berti. Teubner, Leipzig-Berlin 1916.
Mit einigem Vorbehalt erstattet der Referent
diesen Bericht, da ihm im Felde nicht die Hilfe-
mittel zu Gebote standen, um die Feststellungen
des Verfassers im einzelnen nachzuprüfen. Er
muß sich daher mehr an den allgemeinen Inhalt
und die Methodik des Buches halten.
Der Verfasser hat sich die ebenso reizvolle wie
schwierige Aufgabe gestellt, aus den in Albertis
- Schriften verstreuten Bemerkungen ästhetischer und
kunstwissenschaftlicher Art ein Gesamtbild von
Albertis Anschauung auf diesem Gebiet su re-
konstruieren. Er kommt dabei zu dem Ergebnis,
daß Alberti als erster die wesentlichen Prinzipien
erkannt habe, auf denen die moderne Kunsttheorie
beruht. Alberti hat im Gegensatz zu seinen Zeit-
genossen die kunstfremden Prinzipien der bloßen
239
Naturnachahmung, des Nutzens, des Schmuckes
u. dgl. abgelehnt und statt. dessen zum ersten
Male die Eigengesetzlichkeit der Kunst festgestellt.
So sehr nun der Verfasser recht hatte, sich nicht
mit einer bloBen Zusammenstellung von Albertis
Äußerungen zu begnügen, so scheint er uns doch
in dem Bestreben, bei Alberti ein geschlossenes
System herauszuarbeiten, zu weit gegangen zu
sein. Er stell Fragen an Alberti, die erst im
Sinne der modernen: Ästhetik gestellt werden
kónnen und für Jene Zeit noch wenig Sinn haben,
so z. B. (S. 54): ,Welchen eigentümlichen Bei-
trag zum Inhalt des ästhetischen Bewußtseins
leistet (die Malerei) und mit welchen Mitteln?“
Und ebenso deutet er Albertis Anschauungen zu
sehr in diesem modernen Sinne aus, Bei Alberti
ist alles viel primitiver, viei unphilosophischer
gemeint, als der Verfasser annimmt, so wenn
Alberti schreibt (S. 69): „Ich meinerseits stellte
allerdings das Talent des Malers stets höher, da
es sich in schwierigeren Dingen versucht,“ — und
der Verfasser daraus schließt: „Die Skulptur ist
ihm also zu naturnah, der Schein als klarster
Ausdruck autonomer Kunst steht ihm höher als
das Sein der Plastik.“ Man hat oft den Eindruck,
daß der Verfasser die Ästhetik eines modernen
Philosophen, etwa der Cohens, zu dem er enge
Beziehung zu haben scheint, analysiert und nicht
die Äußerungen eines Künstlers der Frührenais.
sance. Es handelt sich bei Alberti eben doch
nicht um eine reine Theorie, — dazu war er ge-
wiß viel zu sebr Künstler, — sondern um eine
„Künstler-Ästhetik“ etwa im Sinne der Äußerungen
Hans v. Marées. Das zeigt sich schon darin, daß
Albertis Äußerungen zum größten Teil viel zu
allgemein sind, so wenn er (S. 20) als Grund-
prinzip der Schönheit die Harmonie aufstellt,
noch mehr, wenn er dies Prinzip in einzelnen
Kategorien, — numerus, finitio, collocatio — durch-
führt. Solche Prinzipien finden eben erst ihre
Ausfüllung nicht durch weitere theoretische Ana-
lyse, sondern durch die künstlerische Gestaltungs-
weise des betreffenden Künstlers.
Mit diesen Einwänden soll aber der Wert des
vorliegenden Buches durchaus nicht verneint sein.
Auch als bloße Selbstbesinnung eines sehr klar
denkenden Künstlers betrachtet, sind die Äuße-
rungen Albertis genügend theoretisch wertvoll und
historisch interessant, Und besonders mit der
Analyse der Beziehungen zwischen Alberti und
seinen Vorgängern, Vitruv, Plato, Plotin, hat der
Verfasser sich um die Kunstwissenschaft entschie-
. dene Verdienste erworben.
Kurt Freyer.
240
HEINRICH GLÜCK, Türkische Kunst,
Vortrag, gehalten in der Sitzung des unga-
rischen wissenschaftlichen Instituts in
Konstantinopel am 5. Mai 1917. Mit-
teilungen des Ung. wiss. Inst. in Kon-
stantinopel 1917, Heft r.
Mit diesem Vortrage des Assistenten am Kunst-
historischen Institute der Wiener Universität (Lehr-
kanzel Strzygowski) trat eine Einrichtung des
ungarischen Staates vor die Öffentlichkeit, die
grundsätzlich von hoher Bedeutung für die Ent-
wicklung unseres Faches ist. Schon dieser Er-
‚öffnungsvortrag beweist, daß der jetzige Leiter,
Professor Hekler, ein klassischer Archäologe, die
vernünftige Einsicht hat, nicht wieder die Antike
in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich ent-
halten die Leitsätze des dem Kultus- und Unter-
richtsministerium unterstehenden Institutes als
§ ı (Zweck) die Verpflichtung zur Erforschung
des byzantinischen, ungarischen und türkischen
Verkehrs, der klassischen Archäologie, der byzan-
tinischen und islamischen Kunst, endlich der
orientalischen, besonders der türkisch-ungarischen
vergleichenden Sprachwissenschaft. An der Spitze
steht ein Direktor mit einem Sekretär als Ver-
treter, zwischen ihnen und dem Minister ein
Direktionsrat in Budapest. Das Institut in Kon-
stantinopel umfaßt eine Bibliothek und die Woh-
nungen für den Direktor, den Sekretär und die
ordentlichen Mitglieder. Letztere erhalten ein
Jahresstipendium von 3000 K. und haben sich
durch das Doktordiplom auszuweisen, Sie haben
über ihre wissenschaftlichen Arbeiten Rechenschaft
abzulegen. Die Mitteilungen erscheinen in unga-
rischer und deutscher Sprache. Es sei bemerkt,
daß dem ersten Hefte von Glück ein zweites vom
Direktor Hekler, „Götterideale und Porträts іп
der griechischen Kunst“ gefolgt ist. Es faßt kurz
und eindrucksvoll die Ergebnisse eines Tafel-
werkes „Die Bildniskunst der Griechen und Römer“,
Stuttgart 1912, zusammen. — Indem wir dem In-
stitute das beste Gedeihen wünschen, muß aus-
gesprochen werden, wie seltsam es berührt, daß
Österreich amtlich völlig versagt. Der Unter-
zeichnete drängt seit Jahren auf die Schaffung
einer wissenschaftlichen Stelle in Konstantinopel.
Er glaubt, daß die oben 8. 101 f. angedeutete
Gegenströmung jede gedeihlicheEntwicklung unter-
bindet. Bezeichnend dafür ist auch, daß die Auf.
nahme der Denkmäler in den besetzten Gebieten des
Balkans ohne Heranziehung des Institutes der Lehr-
kanzel des Unterzeichneten erfolgte.
Glück gibt in dem den Monatsheften zur Be-
sprecbung übersandten Hefte eine kurze Zusammen-
etellung der Forschungsergebnisse, die die Reise
des Wiener Instituts nach Churasan (1912—1914)
gezeitigt hat und die man niedergelegt finden
wird in meinen Werken ,Altai-Iran und Völker-
wanderung", wie ,Der altchristliche Kuppelbau der
Armenier? und in Diez’ Bearbeitung dieser Reise
„Churasanische Baudenkmäler“. Glück selbst hat
seine Kenntnisse auf Orientreisen begriindet und
wührend eines einjübrigen Aufenthaltes in Kon-
stantinopel 1916/7 durch eigene Beobachtungen
an den Bauten Stambuls ergünzt. Er führt den
Hórer an der Hand guter Lichtbilder an die Quellen
der türkischen Kunst in der Metalibearbeitung und
Zeltausstattung und zeigt, wie sich davon Spuren noch
in ihren frühesten Baudenkmiülern beobachten lassen.
Der Drang zur Monumentalität zeichnet ihre Grab-
bauten ebenso aus, wie die späteren seldschuki.
schen und osmanischen Moscheen. Durch eine
eigene Arbeit, „Die beiden ,sasanidischen' Drachen-
reliefs (Publikationen der Kais. osmanischen Mu-
seen IV, 1917)", suchte er in die Grundlagen der `
seldschukischen Skulptur einzudringen. und bietet
auch in dem vorliegenden Vortrag eine beachtens-
werte Feststellung bezüglich des Zusammenhanges
der umstrittenen Genienreliefs in Konia mit den
Wandgemilden von Chinesisch-Turkestan, Mit
Recht betont er, wie die in der türkischen Kunst
aus ganz Asien zusammenlaufenden Züge von
eigentürkischem Geiste zu einer Einheit ver-
schmolzen werden, die weit abliegt von unserer
europäischen, in Realismus und Naturalismus be-
fangenen Art des künstlerischen Sehens. — Manche
Febler im Drucke müssen den erschwerenden Um-
ständen zugute gehalten werden, unter denen Glücks
Arbeiten in Konstantinopel entstanden bzw. in
Druck gelegt wurden. Strzygowski.
FRIEDRICH HAACK, Funde und Ver-
mutungen zu Dürer und zur Plastik
seinerZeit. Th. Blaesings Universitäts-
buchhandlung, Erlangen, Paul Winkler.
Das Buch enthält eine Reihe kunsthistorischer
Analysen von Werken des fränkischen Kunst-
kreises, aus dem speziellen Forschungsgebiet des
Verfassers.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Haack mit
einem weder vorher bei Dehio, noch sonst in der
kunstwissenschaftlichen Literatur erwähnten Altär-
chen mit Alabasterfiguren in der Weißenburger
Andreaskirche, welches er wie den Georg aus
Alabaster in dem Münchner Nationalmuseum (Nr. 40)
dem Verfertiger eines Hochreliefs aus Alabaster
А
im Germanischen Museum (Nr. 47) zuschreibt.
Haack setzt die Verschiedenartigkeiten der Arbeiten
(die Münchner Arbeit ist gegenüber dem früh-
gotisch gebundenen Weißenburger Werkchen von
groBer Freibeit der Behandlung und sicherer Natur-
beobachtung) auf die zeitlich verschiedene Ent-
stebung der Werke und vermutet, daß eine Be-
kanntschaft des Künstlers mit dem Dürerschen Holz-
schnitt des heiligen Georg B. 111 diese augenfällige,
größere Freiheit der Auffassung ausgelöst habe,
Für unser Gefühl ist diese Hypothese nicht zwin-
gend; es liegen zu viele Stufen der künstlerischen
Gestaltung zwischen allen drei Werken. Die
flüchtige Ähnlichkeit auf den ersten Blick beruht
wohl darauf, daß diese kleinen, kunsthandwerk-
lichen Arbeiten in derselben Schule nach einem
typischen Schema geschaffen worden sind,
Ein kleiner Gnadenstuhl aus Alabaster im Ger-
manischen Museum, der ebenfalls gleichen Auf-
baus, gleicher Komposition und gleichen Maß-
stabes ist wie der kleine Gnadenstuhl, den das
Weißenburger Altürchen enthält, zeigt dieselbe
streng konventionelle Darstellung der Legende
wie dieser, trotsdem die viel primitivere Arbeit
eine weit frühere Entstehung verbürgt.
Ein anderes Kapitel behandelt den Meister des
heiligen Laurentius im Germanischen Museum zu
Nürnberg (Nr. 396). In Vöges „Deutsche Bild-
werke“ und im gegenwärtigen Katalog des German.
Museums wird die Haacksche Zuweisung des heil,
Martin im K, F. M. in Berlin (Nr. 362) an den
Schöpfer des Laurentius sowie die Zuerkennung
eines Hochreliefs Dehios und Bezolds (German.
Museum) und eines Petrus Stegmanns (German.
Mus, Nr. 397) übernommen. Haack erkennt eben-
falis diese Zusammenfassung der vier Werke an,
polemisiert aber gegen die Hypothesen Schmidts
in bezug auf die zwei Diakone des Darmstädter
Museums, Er bringt dafür drei Standiguren vom
Friedhof in Effeltrich in Beziehung zu dem Meister
des heiligen Laurentius, von denen die erste
Figur typische Übereinstimmung in Gewand-
behandlung, Stehmotiv und Haltung mit dem
Münchner Laurentius zeigt Gegen die Klassi-
fizierung Haacks läßt sich freilich einwenden, daß
die drei Standfiguren in Effeltrich sich unter-
einander in der fast übereinstimmenden Gesichts-
form (schmale Nase, gewölbter Mund) und in der
flächigen Behandlung gleichen, während der hei-
lige Laurentius schärfere Modellierung und aus-
gesprochenere, breitere Formen aufweist. Es ist
immerhin seiten, daß ein Plastiker der damaligen
Zeit so grundverschiedene Typen voneinander
geschieden haben soll. Eine weitere Zuweisung
241
der Abte Nikolaus und Wolfgang aus der Frauen-
kirche in Dormitz ist noch weniger stichhaltig.
Dagegen sprechen alle Anzeichen der Wahrschein-
lichkeit für Haacks Hypothese der Herkunft des
Laurentiusmeisters aus Franken und für eine Ent-
stehung der Figuren um den Anfang des 16. Jahr-
hunderte.
In dem Kapitel „Zu Dürer, Splitter und Späne“
scheinen uns die Schlüsse über die Kopie des
Frauenbildnisses mit dem Eryngium in Paris und
die Aberkennung des frühen Dürer-Holzschnittes
des „Heiligen Georg“ und der Dürerschen Zeich
nung der zwei Heiligen im Walde zu bypothe-
tisch, um bei der Dürerforschung ins Gewicht zu:
fallen. |
Eine recht interessante Abhandlung über die.
Darstellung des Pferdes bei Dürer schlieBt die
gesammelten Aufsätze, die der Verfasser, wie er
mitteilt, beim Ersatztruppenteil in Erlangen ,ge-
wissermaßen zwischen zwei Feldzügen, nach West:
und Ost" verfaßte.
Sascha Schwabacher..
— — m
DER CICERONE.
X, 13/14.
E. LUTHGEN: Die Sammlung Leo Kirch in Köln.
I. (24 Abb.)
H, FRIEDEBERGER: Die Ausstellungen der Ber-
liner Sezessionen. (6 Abb.)
BIERMANN: Der neue Salon von Gurlitt und die
Pechsteinausstellung.
AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.
XXXIX, 10.
MOLLER: Bemalte Tongefäße in der ägyptischen
Abteilung. (8 Abb.)
C. SCHUCHHARDT:; Eine weibliche Bronze-
statuette in der vorgeschichtlichen Sammlung.
(4 Abb.)
-
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 10.
FRIEDRICH AHLERS - HESTERMANN: Der
deutsche Künstlerkreis des Café du Déme in Paris:
(34 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Ferdinand Hodler +.
DIE KUNST.
XIX, 10.
W. HAUSENSTEIN: Wilhelm von Lindenschmit.
(т farb. Taf., 10 Abb.)
RICHARD KLAPHEK: Hubert Netzer. (1 Taf,
13 Abb.)
KARL SCHWARZ: Corinth als Graphiker. (13Abb.)
K. GROSS: Kunstgewerbe?
Arch. LOSSOW und KÜHNE - Dresden: Haus
Cohen-Neubabelsberg. (ri Taf, 3 Abb.)
MAX HEIDRICH-Paderborn: Inneneinrichtungen
und Möbel. (10 Abb.)
OLZIEN-Königsberg: Landbüuser von Prof. Ed-
mund May. (1 Taf, 10 Abb.)
O. SEYFFERT: Der Wirtschaftsbund sichsischer
Kunsthandwerker auf der Leipziger Mustermesse.
(17 Abb.)
BERLINER MÜNZBLATTER.
XXXIX, 198/199.
R. v. HÓFKEN: Graphische Wiedergabe von.
Prügeszenen. (1 Abb.)
EMIL BAHRFELDT: Halberstadt als kurbranden-
burgische Münzstätte (Schluß).
A. GERHARDT: Der Münzenfund von Merseburg.
L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1016--1018,
PH. LEDERER: Dr. Friedrich Imhoof-Blumer.
OUDE KUNST.
III, 9.
NANNE OTTEMA: Het aardewerk in de Norde-
like Nederlanden in gebruik in het laatste Kwart
van de zestiende eeuw. (a Taf., 1 Abb.)
N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten. (9 Abb.).
IMA BLOK: Tentoonstelling van gouddruk-, blok-
druk-, marmer- en stijfelspapieren in's Rijks--
Prentenkabinett te Amsterdam.
XI. Jahrgang, Heft 8.
Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. —
Proxy ead und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin
W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT
& BIERMANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengstr. 43 IV. | In OSTERREICH: Dr. HEINRICH GLÜCK, Wien I, Franzensring 22. |
In HOLLAND: Dr. ОТТО HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. Н. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.
Geschüftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.
Es wird gebeten, alle für die Schriftieitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an.
Herrn Hans Friedeberger, Berlin W.15, UhlandstraBe 158 zu richten.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
243-
Verlag von Klinkhardt & Biermann in Leipzig
Römiſche Forſchungen
der Bibliotheca Nerbiana
Die
Poetedtdarftellungern
des Michelangelo
Herausgegeben von Ernſt Steinmann
Gin Band in Polio mit XVI und 116 Seiten Text und
102 Tafeln in Lichtdeuck von Domenico Andeefon in
Rom, zum größten Teil nach Oeiginalaufnahmen aus=
gefühet= Druck von Poeſchel & Trepte, Leipzig.
Kiniſtleriſche Ausſtattung von Marcus Beb mee, Berlin.
Auflage 300 Бала бе іс) numeeieete Exemplare
In Buckeam gebunden M.135.—
le vorliegende Publikation esbebt nicht den Anfpruch, alle Probleme endgültig
su löfen, die (ich mit deg Ikonographie Michelangelos verknüpfen. Es iff aber
sum esftenmal verfucht worden, das Material vollftandig zu ſammeln und damit
{Чә Kritik und Porfhung überhaupt erſt die Grundlage зи ба еп.
Das Werk gliedert (ісі) іп zwei Teile. Im esten Teil (ind die authentifthen Porträts
des Meifters zufammengeftellt, die in Bronse und Marmor, mit Stift odes Pinſel ausgeführt,
den Anfpruch erheben können, noch Zeit (eines Lebens ent(landen su fein. Des zweite
Teil behandelt die Derhervlichung Michelangelos nach dem Tode, ſoweit Kunftwerke in
Betracht kommen, die nach irgendeiner Richtung hin unfere Dorftellung von feinem Wefen
und Wirken bereichern können. Die wenigen Reliquien, die fich auf das Leichenbegängnis
in San Loreneo und auf das Grabmal in Santa Croce besiehen, wurden gefammelt ;
des merkwürdige Gemäldezuklus der Casa Buonarroti, dee das vuhmeiche Leben Michels
angelos fo treffend Rhildest, wie die Zeit es vermochte, wisdaumerfienmal herausgegeben.
Als Band IV dee Forſchungen der Bibliotheca
Hertziana iff in Ausficht genommen:
J. A. P. Orbaan, Der Abbruch von Alt⸗St. Peter
Dokumente aus der Rev™4 Pabbrica di San Pietro
von 1605-1615
KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER.
5. VORBILDER, ANREGUNGEN, WEITERBILDUNGEN. EINE
KURZE ZUSAMMENSTELLUNG. ` Von HUBERT STIERLING
Mit zweiundzwanzig Abbildungen auf neun Tafelnecocccccoccocecceccccccccecceccoscececcceoceccossccec0000000000000
IB Urteil über Peter Vischers künstlerische Bedeutung, oder sagen wir lieber,
über seine künstlerische Selbständigkeit ist bis zum heutigen Tage schwankend.
Heideloff sah in ihm den bloBen GieBer. Dóbner wandte sich mit Leidenschaft
dagegen. Die neuere Zeit ist im allgemeinen auf Döbners Seite getreten und hat
sich in ihrem Urteil selbst dann nicht beirren lassen, als Visierungen und ähn-
lich verwandte Werke Katzheimers, Dürers, des Meister E. S. und anderer be-
kannt wurden. Mir scheint, daf dieses Urteil manchmal doch ein wenig vor-
eingenommen war, so z. B. im Falle des Hechingen- Rómhilder Denkmals, wo
uns eine übereinstimmende Zeichnung Dürers erhalten ist. Man muß sich doch
immer der Grundwahrheit bewußt bleiben, daß Vischer kein freischaffender
Künstler, wie etwa der Maler war, sondern daß er fast nur auf Bestellung arbeitete.
Sein Gußmaterial war viel zu kostbar, das kleinste Denkmal erforderte viel zu
lange Wochen, als daß er den Versuch zu freien Schöpfungen hätte öfter wagen
dürfen. Was aus den Händen Peter Vischers d. A. hervorgegangen ist, sind
auftragsmäßig verdungene Werke; und wo es sich gar um Bildnisse handelt,
da ist es ja von vornherein klar, daß ein Künstler, der weit von dem Dar-
zustellenden wohnte, auf eine Zwischenzeichnung angewiesen war, denn der
bloßen Idealdarstellung war das ı5. Jahrhundert wenig hold. Es liegt nun weiter
auf der Hand, daß mit solchen Porträtskizzen auch einige Einzelheiten mehr oder
minder festgelegt oder nach Maßgabe anderer Vorbilder verabredet wurden. Denn
wer тоо fl. oder mehr für sein Denkmal hergab und es gar zu Lebzeiten noch
bewundern wollte, der wird dem Meister seine Wünsche klar vorgeschrieben
haben. Andererseits wird ein solcher Gießer klug genug gewesen sein, nicht
eine große Summe Arbeit und Geldes in ein Werk zu stecken, dessen Abnahme
irgendwie zweifelhaft erscheinen konnte. Er war auch weit davon entfernt, in
solchen Vorschriften etwas Drückendes zu sehen, denn das übertriebene Selbst-
gefühl des heutigen Künstlers war dem Mittelalter bis ins 18. und 19. Jahrhundert
völlig fremd. Daher kommt es denn auch, daß uns bei Vischer nirgends Abnahme-
schwierigkeiten bekannt geworden sind. Eine'Ausnahme bildet nur die Geschichte
des Fuggergitters, das aber nicht auf Rechnung des Vaters zu setzen ist und bei
dem es auch unklar bleibt, ob die Schuld auf seiten der Besteller oder der Aus-
führenden liegt. Die Fugger hatten bestimmte Anweisungen gegeben und be-
riefen sich später darauf, daß das Werk nicht dementsprechend gearbeitet sei.
Das ist gewiß kennzeichnend im Sinne der obigen Worte.
Mit den folgenden Ausführungen soll nun nicht der Versuch gemacht werden,
den Vischern die erfindende Kraft abzusprechen. Schon durch Neudörffer wissen
wir ja, daß der ältere Peter sich bis in seine alten Tage mit Lindenast und Krafft
im Entwerfen geübt habe, und aus seiner Jugend ist uns ja auch der Entwurf
zum Sebaldusgrab von 1488 erhalten geblieben; von seinem gleichnamigen Sohne
besitzen wir sogar eine beträchtliche Anzahl meist unveröffentlichter Zeichnungen
in Paris, Berlin und Weimar. Aber es wird doch immerhin zur Vorsicht mahnen,
wenn ich im folgenden 36 Beispiele zusammenstelle, die zeigen, daß man sich in
der Vischerschen Hütte mehr oder minder an fremde Vorbilder angeschlossen
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 9/10 17 | 245
hat. Das ist eine Tatsache, um die wir nicht herum kónnen und die man im
Auge behalten muD, wenn man von der künstlerischen Selbstindigkeit der Vischer
spricht. Andererseits soll ganz gewiß nicht verkannt werden, daß bei der Über-
setzung dieser Anregungen in die Sprache des Erzes eine neue, hóchst persón-
liche und gleichmäßige Kunst entstanden ist, so daß es nur einer eindringenden
Beschäftigung gelingt, diese fremden Bestandteile zu erkennen. Überhaupt ist es
nicht meine Absicht, kleinliche Nachrechnungen aufzustellen, denn dafür ist die
Vischersche Kunst viel zu bedeutend: sie erhebt sich himmelhoch fast über alles,
was gleichzeitige Gießer des 15. und 16. Jahrhunderts, denen doch ähnliche An-
regungen zu Gebote standen, geschaffen haben. Für unsere Erkenntnis aber,
die nur mit sehr kleinen Schritten vorwärts geht, dürfen solche Zusammenhänge
nicht außer acht gelassen werden. Übrigens würde man sich in der Vischerschen
Hütte jederzeit über die Benutzung einer Vorlage, besonders einer italienischen,
mit völliger Offenheit ausgesprochen haben. Denn die alten Meister, vor allen
Dingen die mehr handwerksmäßig arbeitenden, denken auch in diesem Punkte
grundverschieden von ihren heutigen Berufsgenossen und von ihrem heutigen
Publikum. |
In einem früheren Aufsatze habe ich bereits auf einige ahnliche Beziehungen
zu Diirer und anderen hingewiesen. Karl Simon hat auf weitere Zusammenhange
aufmerksam gemacht. Es liegt nun im Interesse der Ubersichtlichkeit, diese frii-
heren Beispiele hier noch einmal kurz mit aufzuführen, zumal ich zu den
Simonschen Beobachtungen einiges hinzuzufügen habe.
I. Касе е шет
1. Der EEN Maler Wolfgang Katzheimer erhielt für die Visierung der
Bamberger Grabplatte Georgs II. 1504 drei Pfund. Worin seine Zeichnung be-
stand, ist nicht zu sagen, vielleicht nur in der Festlegung der Gesichtszüge des
Bischofs. Jedenfalls steht diese Platte innerhalb einer Gruppe von sieben so nah
verwandten Güssen, daß man sie entweder alle von Katzheimer abhängig machen
müßte, was jedoch nicht angüngig ist, oder Katzheimers Visierung nur eine unter-
geordnete Bedeutung zumessen darf!). (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, 366.)
II. Die Grabmäler im Berliner und Schweriner Dom.
2. Auch hier ist von Visierungen die Rede. Im Berliner Falle ist leider nicht
zu ersehen, ob es sich um Zeichnungen Vischers oder eines anderen handelt.
(Vgl. Bergau in Kunst und Künstler 1878, S. 74.)
3. Dagegen ist es bei der Schweriner Platte für die Herzogin Helene (eine
Tochter des Kurfürsten Philipp von der Pfalz, vgl hier S. 247) ganz klar, daB
die Visierung aus Schwerin. übersandt worden ist. Durch glückliche Umstánde
haben sich alte Nachrichten erhalten, aus denen sogar hervorgeht, daB Vischer
noch eine zweite Visierung erhielt, da an der ersten ,,etwas geirrt" worden war.
(1) Die Urkunden über Katzheimer, nach denen wohl schon mancher vergeblich gesucht
hat, stehen in Joseph Heller, Beschreibung der bischöflichen Grabdenkmäler in der Dom-
kirche zu Bamberg, S. 32, Nürnberg 1827. — Über den sonst unbekannten Katzheimer
handelt derselbe Heller im 2. Heft des I. Bandes des Archivs für Geschichte und Alter-
tumskunde des Obermainkreises, Bayreuth 1832, S. 94—99. — Verschiedene Grabplatten
dieser Gruppe finden sich in Dauns Künstler-Monographie abgebildet. Jedoch ist es irre-
führend, wenn er die Platte Georgs I., die die größte ist (2,94 X 1,47) und die kraftvollste
im Relief, als die kleinste wiedergibt.
246
— Bergau, der dies in seinem Beitrag zum Dohmeschen Sammelwerk Kunst und
Künstler II (1878), S.43 berichtet, vergreift sich übrigens in seinem Urteil über
den künstlerischen Wert der Platte derartig, daß man glauben muß, er habe sie
nicht gesehen. Denn weit davon entfernt, eine unbedeutende, im Preise gedrückte
Leistung darzustellen, ist sie im Gegenteil ein Muster des reinen Erzstils, metall-
starrend und doch so weich in der Modellierung, daß man das bildsame Wachs,
welches einst der glühende Erzstrom zerschmolz, bis auf den heutigen Tag zu
spüren glaubt. Die schöne, große Abbildung des Mecklenburger Inventars läßt
dies an den sehnigen und geschmeidigen Wappentieren klar erkennen.
ПІ. Simon Lamberger oder Lainberger!).
4. Im Jahre 1494 war Peter Vischer mit dem Bildschnitzer Simon Lamberger
beim Kurfürsten Philipp von der Pfalz in Heidelberg, um ihm mit Rat und Hand-
werk zu dienen. Leider ist es vóllig dunkel, welches Werk dort geplant wurde.
Zustande gekommen ist offenbar nichts, jedenfalls ist nichts bekannt geworden.
Interessant ist an dieser urkundlichen Nachricht nur das eine, daß man es für
nótig hielt, neben dem GieDer einen Bildschnitzer zu berufen, welcher offenbar
das Holzmodell für den Guß, wie uns solche aus späterer Zeit für die Nürn-
berger Madonna, die Wenzel-Statue, das Gänsemännchen usw. erhalten sind,
anfertigen sollte. Interessant ist die Nachricht schlieBlich auch insofern, als wir
sehen, daß eine merkwürdig große Fülle von Männern, die zu den führenden |
ihrer Zeit gehörten, an Vischer mit Aufträgen herantraten: Philipp ist uns bekannt
als einer der Förderer des Humanismus, der an seinem Hofe Joh. von Dallberg,
Agricola und zeitweise auch Celtes versammelte. Die Tochter Philipps, die das
Schicksal nach Mecklenburg verschlug, griff später auf die Nürnberger Hütte
zurück, (Vgl. hier S. 246.)
IV. Meister E. S.
5. Die bekannte Grabplatte des Bischofs Johann IV. im Breslauer
Dom weist in ihren seitlichen Figuren?) die engsten Beziehungen zum Meister E. S.
auf. Alexander Mayer hat im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 1913, S. 272
diese Zusammenhänge besprochen und die beiden Hauptbelege in Abbildungen
vorgeführt.
Wenn Mayer jedoch weiterhin von einem Einfluß des Meisters E.S. auf die
Platte des Felix Paniewskiin der Franziskanerkir che zu Posen spricht,
so liegt hier eine Verwirrung vor. Denn erstens befindet sich diese Platte in der
Dominikanerkirche und zweitens weist sie überhaupt keinen Johannes den Täufer
auf. Gemeint ist hier vielleicht eine von den Gorka-Platten im Posener Dom.
Zur Feststellung der kleinen Nischenfiguren reichen jedoch die üblichen Photo-
graphien nicht aus,
V. Adam Krafft.
6. In der älteren Vischer-Literatur ist häufig von Adam Krafft die Rede. Bergau
sagt 2. В. daß die Figur Ottos IV. іп Hechingen wohl von ihm entworfen sei,
ebenso e er an der groBen Tumba Hermanns VIII. und der Elisabeth eben-
(1) Über diesen Pfälzer und die betreffende Vischerurkunde vgl. besonders Loßnitzer, Veit
Stoß S.35f.
(2) Ganz vortrefflich biographisch ausgedeutet von Jungnitz in Schlesiens Vorzeit in Bild
und Schrift. N. F. IV, 83. (Jb. d. Schles. Museums.)
247
daselbst beteiligt; ferner stamme der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab von .
ihm. Es ist nicht ganz leicht zu sagen, worauf ein solcher Glaube beruht: vielleicht
auf der Notiz Neudórffers, daß Krafft und Vischer viel in ihrem Leben miteinander
gezeichnet hätten, vielleicht auch darauf, daß Krafft wohl der ältere war. Aber wie ge-
sagt, greifbare Beziehungen bestehen nicht; es ist auch von vornherein wenig wahr-
scheinlich, daß der Steinmetz den ErzgieBer künstlerisch viel habe lehren können. Der
einzige Zusammenhang, den schon Bergau andeutet, besteht meines Erachtens
zwischen einer Trägerfigur unter dem Krafftschen Sakramentshaus in der Nürn-
berger St. Lorenzkirche und einer entsprechenden Figur im Münchner National-
museum. Hier ist es allerdings auffällig, wie beide Figuren alle wesentlichen
Funktionen miteinander teilen: sie stützen sich gleichmäßig auf das linke Knie,
sie nehmen dieselbe Armstellung ein und halten in gleicher Weise einen natu-
ralistischen Stock in den Hánden, mit welchem sie sich unter ihrer schweren
Last stützen. Bei Vischer ist dieser Stock im Guß nicht ganz gelungen, wenigstens
fehlt das allerletzte Stückchen, mit welchem er den Boden berühren soll. In-
folgedessen gibt der Katalog des Bayerischen National-Museums ап, daß die
Figur den Stock zerbrechen wolle, was bei dieser Haltung an sich schon unwahr-
scheinlich und vor allen Dingen im Hinblick auf die EES alt sicherlich
falsch 151). |
Іп dem Falle dieser Trügerfigur ist nun aber Krafft nicht das Vorbild, sondern
. das Nachbild, denn die Vischersche. Gestalt ist durch die aufgesetzte Jahres-
zahl 1490 datiert, während das Krafftsche Sakramentshaus die Inschrift 1496 trägt.
Bergau kehrt das Verhältnis um, da er offenbar die Jahreszahlen übersehen hat.
VI. Riemenschneider und Stoß.
7. Neben Krafft werden häufig Riemenschneider und Stoß als Vorbilder Vischers
genannt. Bode z.B. sagt in seiner Plastik S.143, daß die Tafel des Bischofs
Lorenz von Bibra (F 1519) in Würzburg in der Gewandbehandlung und іп der
Zeichnung so viel Verwandtschaft mit den Arbeiten Riemenschneiders habe, daß
wir den Entwurf diesem Künstler zuschreiben dürften. Von den Würzburger
Vischerplatten gibt es leider keine Aufnahmen (nur Peter von Aufseß ist von
Stoedtner photographiert), so daß ich zurzeit nicht in der Lage bin, den Zu-
sammenhang mit Riemenschneider näher ins Auge zu fassen; so viel aber geht
(1) In dem genannten Kataloge (Ausgabe 1908) finden sich noch weitere Ungenauigkeiten.
S. 111 heißt es, daß das Gegenstück zu dem schreitenden Jüngling des Museums der
Bogenschütze im Germanischen Museum von 1532 sei; statt Germanisches Museum muß
es heißen: kleiner Rathaushof. Ferner ist es sehr zweifelhaft, ob die Jahreszahl 1532 auf
dem Sockel sich überhaupt auf die Figur bezieht. Jedenfalls gehören der Sockel und die
Figur nicht unbedingt zusammen. Übrigens wird die Figur von Neudörffer ausdrücklich
als eigene Arbeit des Vaters in Anspruch genommen, der aber damals, ebenso wie sein
gleichnamiger Sohn, bereits mehrere Jahre verstorben war. — Von dem Epitaph der
M. Tucher heißt es weiter, daß es eine Arbeit Peter Vischers d. Älteren sei. Künstler-
zeichen wie Stil weisen jedoch auf den gleichnamigen Sohn, was auch von Bergau und
Seeger auf Grund umfassender Kenntnis angenommen wird; selbst Daun schreibt nur
„Vischer“ und vermeidet es, Stellung zur Autorfrage zu nehmen. — Das feste Geburts-
datum Peter Vischers, das im Münchner Katalog mit 1455 angegeben ist, ist nicht über-
liefert und trifft nur schätzungsweise zu. — — Die Figuren Vischers und Kraffts nebenein-
ander abgebildet bei Dorothea Stern, Adam Krafft, Tafel XIII. Die Angaben der Verfasserin
S.64f. über Zusammenhänge beider Künstler beruhen auf Irrtum, veranlaßt durch Herde:
loffs Ornamentik.
248
— —
aus Bodes Worten schon hervor, daß er nicht eine bestimmte Vorlage Riemen-
schneiders meint, sondern nur dessen allgemeinen Stilcharakter.
8. Veit Stoß wird regelmäßig zitiert, wenn von der Grabtafel des Kallimachus in
Krakau die Rede ist. Auch hierüber kann ich hinweggehn, da meines Erachtens
die Autorschaft Vischers im höchsten Maße zweifelhaft ist. (Vgl. hier S. 250.)
VII Dürer.
9. Die Grabtafel des Kmita im Krakauer Dom hängt aufs engste zusammen
mit dem Baumgärtnerschen Altar in München. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 367,
dazu Tafel 81.)
Io. Die Hechinger und Rómhilder Denkmäler sind von einer Dürerschen
Handzeichnung abhängig, die sich in mehreren Exemplaren (eins derselben ist
auf 1513 datiert) erhalten hat. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 367!))
ir. Das Regensburger Epitaph der Margarethe Tucher (f 1521) über-
nimmt die Figur des Heilands aus dem Abschied Christi von seiner SES im
Marienleben. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 368 und Taf. 82.)
I2. Die Plaketten von Orpheus und Eurydice sind abhangig vom Dürer-
schen Kupferstich von Adam und Eva 1504. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, S. 368 und
Taf.83; vgl. ferner S. 252 des laufenden Heftes, woselbst zwei Pariser Handzeich-
nungen Peter Vischers d. J. als die Vorstufen zu diesen Plaketten ша
werden.)
13. Diese Zusammenhänge zwischen Vischer und Dürer hat Karl Simon zu ver-
mehren gesucht. Einleitend vergleicht er zwei Vischersche Werke miteinander,
nämlich die Pariser Eva (Daun Abb. 48) mit der wundervoll weich modellierten
Grabtafel des Peter Salomon in Krakau, die ihresgleichen nicht hat.
(Daun Abb. 14.) Ich vermag ihm hier nicht zu folgen, denn nennenswerte Zu-
sammenhänge ergeben sich meines Erachtens nicht. Dagegen nehme ich im
Gegensatz zu Justi und Daun, welche die Salomonplatte spätestens 1506 datieren,
Simons spätere Ansetzung an. Er wiederholt hier seinen früheren Nachweis, daß
Peter Salomon wenigstens noch 1513 am Leben ‘war und also einer Spaterdatierung
(1) Von, dem älteren dieser beiden Denkmäler, dem Hechinger, ist bereits 1511 die Rede,
wie aus einer Notiz in Hampes Ratsverlássen Nr. go2 zu ersehen ist. Dort heiDt es unter
dem 30. XII. 1511: „N. Grussten, g. e. von Zolern anwalt, dy antwort Peter Vischerß,
rotschmids, in beysein Wilhelmen Hallers sagen und ine damit gütlich abweysen.“ Der Sinn
dieser Worte entzieht sich’vorläufig einer Deutung. Nur soviel scheint klar, daß Graf Eitel
von Hohenzollern, der 1512 seiner lange verstorbenen Gemahlin folgte, das Grabmal noch
zu Lebzeiten bestellt hat. Wann dann die Ausführung erfolgt ist, wissen wir nicht.
Nach meiner Ansicht ist sie erst durch die Dürersche Zeichnung in Fluß gekommen,
deren eine auf 1513 datiert ist. Das Vorhandensein dreier fast gleicher Dürerzeichnungen
. wird sich vielleicht dadurch am ungezwungensten erklären, daß seine Entwürfe dem
Gießer und den Erben des Bestellers in die Hand gegeben wurden. Nun hat aber Bode
darauf hingewiesen, daß in die Hechinger Platte nur die Zahl MCCCCC eingegossen sei
und hat aus dem Fehlen: der X geschlossen, daß der Guß bereits vor 1510 erfolgt sein
müsse. Das ist: zwar logisch, aber dennoch anzufechten, weil, wie ich a. a. O. gezeigt
habe, die Zahl MCCCCC erst 1784 bei Gelegenheit einer großen Restauration neu auf-
gesetzt worden ist. Ferner kommt hinzu, daß sich in Lübeck auf der Grabtafel des
Wiggerinck ein Parallelfall wiederholt. In diese finden sich die Daten 1497, 1510, 1511
und 1518 eingegossen. Trotzdem ist die Inschrift im Wappen der überlebenden Ehefrau
nur mit MD gegeben, obwohl es auch hier durchaus das Rationelle gewesen wäre, MDX
zu gießen. |
249
nichts im Wege steht. Simon hat vollkommen recht, daß der Stilcharakter tief in
das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts verweist, im besonderen scheinen die
Zwickelfiguren von derselben energischen Hand modelliert zu sein, die die pracht-
volle Kampfszene auf der Tafel des Gotthard Wiggerinck in der Lübecker Marien-
kirche (Daun Abb. 42) geschaffen hat. Wiggerinck ist aber erst 1518 gestorben, wie
auch die ganze Tafel den Stil dieser Zeit trágt. Auch die Pariser Plakette, an die
Simon sich erinnert fühlte, gehört ja erst dieser späten Zeit an. "
14. Die Figur des hl. Mauritius am Grabmal des Erzbischofs Ernst
im Magdeburger Dom (Daun Abb.7) scheint von dem Kupferstich des Dürer-
schen Fahnenschwingers (Wölfflin Abb. S. 103) beeinflußt zu sein. Der vorsich-
tigen Formulierung, in der Simon den Zusammenhang bespricht, kann man ruhig
zustimmen. (Vgl. Simon, M. f. K. IX, 182)
I5. Die Vorderseite des Grabmals Friedrich Kasimirs in Krakau (Daun,
Abb. 12), die eine Inschrift aus dem Jahre 1510 trügt, zeigt verschiedene Zusammen-
hänge mit Dürer. Simon sagt, daß die Figur des vor Maria knienden Kardinals
in Stellung und Haltung, sowie besonders in'dem machtvoll ausgebreiteten Mantel
die Kenntnis des knienden Maximilian auf dem Dürerschen Rosenkranzbilde vor-
auszusetzen scheine (Wölfflin, Abb. S. 129). Das dürfte richtig sein, nur ist es
vielleicht besser, den auf der anderen Seite knienden Papst zum Vergleich heran-
zuziehen. Ja, man darf vielleicht noch einen wesentlichen Schritt über Simon
hinausgehen, denn die Situation der sitzenden Maria mit den rückwärtigen Engeln
und dem schmalen Vorhang begegnet doch recht ähnlich auf demselben Dürer-
schen Bilde wieder. Auch der feine schmale Gesichtsschnitt ist beiden Madonnen
eigen. Das Dürersche Bild war etwa 1506 in Italien entstanden und auch dort
verblieben. Es ist nicht unmóglich, daB Peter Vischer d. J., der wahrscheinlich
1507 in Italien war, es dort gesehen habe; nótig ist diese Annahme jedoch nicht,
da Zeichnungen und Kopien des Dürerschen Bildes erhalten geblieben sind.
Simon glaubt noch einen weiteren Zusammenhang mit einem Dürerschen Blatte
nachweisen zu können, indem er darauf hindeutet, daß die Art, wie der hl. Sta-
nislaus den auferweckten Pietrowin heranführt, in ähnlicher Weise auf einer
Dürerschen Zeichnung der Anbetung der Kónige in der Albertina wiederkehrt.
Diese Zeichnung ist aber von 1524; wenn der Simonsche Hinweis richtig wäre,
so hätten wir hier das erste Beispiel einer Beeinflussung Dürers durch Vischer.
Wer der geistige Urheber der Erzplatte sei, ist schwer zu sagen. Ich habe
bereits oben den jüngeren Peter genannt, der in Italien Gelegenheit gehabt haben
konnte, das Dürersche Original zu sehen. Ich muB auch sagen, daB die leichte,
gefällige Art der Komposition, die scheinbar etwas Müheloses an sich trägt, sich
deutlich abhebt von der viel massiveren Art des Vaters, wie wir sie am Ernst-
grab und anderen beglaubigten Werken seiner Hand kennen lernen. Die Krakauer
Tafel erinnert an die groDen Reliefs aus der Sebalduslegende, die auch diese
selbstverstándliche, ungekünstelte Art des Komponierens zeigen und die ziem-
lich allgemein als Werke des Sohnes angesehen werden. In ihnen kehrt auch
die venezianisierende Art der wie feucht anliegenden Gewänder wieder. Der
Vergleich ließe sich noch weiter führen. — Peter Vischer d. J. zählte 1510
23 bis 24 Jahre. (Vgl. auch Simon, M. f. K. IX, S. 182.)
16. Ein sehr apokryphes Werk ist die Tafel des Callimachus in Krakau
(Daun Abb. 16), die in ihrer unruhigen Art bei Vischer nicht entfernt ihresgleichen
hat. Ich führe sie nur an, da sie nach Simons Beobachtung in den beiden
Vógeln auf dem Lorbeergehünge einen gewissen Zusammenhang mit den Kra-
250
nichen auf dem Dürerschen Holzschnitt der Ehrenpforte von 1515 hat!) Ist
diese Beobachtung richtig, dann bietet sie eine neue Móglichkeit der Datierung.
Daun sagt ,nach 15064; wir müssen dann aber noch zehn Jahre zulegen. (Vgl.
Simon, S. 182. Loßnitzer, Veit Stoß 5.80 möchte noch über 1506 zurückgehen,
was gewiB falsch ist.)
17. Ein die Rohrflóte spielender Faun, der sich am Sockel des Sebaldus-
grabes findet (Mayer, Genreplastik, Taf. 9), begegnet in recht ühnlicher Weise
auf einer Dürerschen Randzeichnung zum Gebetbuch Maximilians wieder (Abb.
Mayer, Genreplastik, S. 16). Hier kann Vischer nicht von Dürer abhängig sein,
da der betreffende Teil des Sebaldusgrabes 1508 oder 1509 entstand und die
Dürersche Zeichnung etwa 1515. Sollte hier Dürer der Empfangende sein? Oder
gibt es eine gemeinsame Vorlage für beide? (Vgl. auch Simon, M.f.K.IX, S. 183.)
18. Ahnlich liegt der Fall noch einmal an diesem Sockelteil des Sebaldusgrabes.
Ein gebändigter Flügelstier zeigt eine nicht zu leugnende Verwandtschaft mit
einer Holzschnittinitiale Hans Holbeins d. J. (Abb. Mayer, Genreplastik, S. 9.) Ent-
weder liegt hier wieder eine gemeinsame Quelle zugrunde oder Holbein muß der
Angeregte sein, da seine Initiale — nach einer freundlichen Mitteilung von
Dr. Riggenbach in Basel — erst in die Jahre 1521—1522 fällt.
19. In der Künstlermonographie über Peter Vischer bespricht Daun auch die
Gedächtnistafel Henning Godens in Wittenberg und Erfurt (Abb. 1). Er hebt
mit Recht hervor, daß es sich nur um eins der mittelguten Werke handle. Um
so weniger wird man daher erstaunt sein, daß sich auch in diesem Werke ziem-
lich enge Beziehungen zu Dürer ergeben,
Das Thema der Krönung Mariä war in Nürnberg in den letzten Jahren von
den führenden Künstlern der Zeit mehrfach behandelt worden. Es liegt in der
Natur dieses uralten Gedankens, дабі sich keine großen Differenzen ergeben. Kraffts
Rebecksche Gedächtnistafel in der Nürnberger Frauenkirche (Daun, S. 126) oder
StoB’ Krónung der Maria im Germanischen Museum, beide aus der Zeit um 1500,
haben die Gruppe ähnlich angeordnet wie Vischer, und doch darf man höchstens
von einem mittelbaren Zusammenhange reden. Unmittelbar dagegen scheint mir
der Zusammenhang mit Dürers Krónung aus dem Marienleben von 1510 (Abb. 2).
Sieht man die beiden Bilder nebeneinander, so ist die Übereinstimmung auch
ohne viele Worte klar. Beide Male ist der himmlische Vorgang von einem
Wolkensaum umgeben; Maria nimmt die gleich bewegte Haltung ein mit dem
lieblichen, nach rechts geneigten Haupte; Christus ist entsprechend gebildet und
gekleidet und über Maria erscheinen Krone und Heiliger Geist in ganz ver-
wandter Ausbildung. Bei sochen Vergleichen sind die Ähnlichkeiten in den
Nebensachen oft am meisten überzeugend, und so verweise ich hier auf die
eigenartige Bildung der Heiligenscheine über den göttlichen Personen. Sie haben
hier eine Ausbildung gefunden, die nicht die gewöhnliche ist und die Vischer
doch wohl von Dürer übernommen hat.
Noch ein Wort über Gottvater. Der Zusammenhang mit dem Dürerschen
Blatte ist hier merkwürdigerweise nicht recht überzeugend, denn die auffallenden,
zusammengeschobenen Falten am rechten Arm, mit denen sich Vischer ohne
Frage den Guß etwas erschwerte, sind bei Dürer nicht vorhanden. Man hat diesem
Motiv. gegenüber gleich das Gefühl, daß hier ein Stück Spätgotik in die Re-
naissancedarstellung übernommen sei, und wird daher geneigt sein, die Anregung
(1) Abb. Wölfflin S. 234, auch Klassiker der Kunst IV, 284.
251
hierzu — falls sie von Dürer gekommen ‘sein sollte — in einem spätgotischen
Blatte zu suchen, und zwar darf man hier wohl das apokalyptische Blatt der
Vision der sieben Leuchter (Wölfflin, Abb. S. 46) in Betracht ziehen. Hier sind,
allerdings grandios, wie es einem apokalyptischen Blatte des jungen Dürer geziemt,
jene Falten vorgezeichnet, und von diesem Gottvater ist dann auch die Bildung
des Gewandes, wie es sich vom rechten Knie zum linken Fuß herunterzieht,
übernommen (Abb. 3).
Ich glaube kaum, daß man mit solchem kleinlichen Nachrechnen der Kunst
Peter Vischers zu nahe tritt, denn einmal wissen wir durchaus nicht, wie weit
etwa der Wunsch Henning Godens für den GieDer maBgebend war; anderer-
seits hat sich unser heutiges Urteil über Entlehnungen sehr gewandelt. Für die
alte Zeit sind Holzschnitt und Kupferstich die Ornamentstiche, die zu jedermanns
Benutzung offen liegen. Außerdem soll man sich auch immer daran erinnern,
daB die Vischer nur selten frei schaffende Künstler sein durften. Und endlich:
Ahnen wir den überhaupt, wie der Auftrag Henning Godens
lautete?
20. Von den kostbaren, im Louvre bewahrten Handzeichnungen Peter
Vischers d. J. sagt Weizsäcker (s. u.), daß sich unter ihnen Proportionsstudien
befánden, für deren Kórperhaltung einzelne Motive dem Dürerschen Lehrbuch
von 1528 und dem Bacchanal des Mantegna (s. u) entlehnt seien. Durch die
Liebenswürdigkeit des Verfassers habe ich die Blatter, soweit er davon Pausen
gemacht hatte, kennen gelernt. Aus einer von ihm auf der Rückseite eines Blattes
vermerkten Notiz ist zu entnehmen, daB er hiermit einen nackten jungen Mann
meinte, der sich in der Tat in verwandter Weise auf einem der letzten Blatter
des Dürerschen Proportionsbuches befindet. Mir scheint aber, daß Weizsäcker
hier eine äußere Schwierigkeit übersehen hat, denn Peter Vischer d. J., um den
es sich hier handelt, ist im Jahre 1528 gestorben und hat infolgedessen sein an-
gebliches Vorbild gar nicht kennen gelernt. Trotzdem besteht ohne Frage ein
Zusammenhang mit Dürer, er liegt nur wesentlich früher, denn dieser nackte
junge Mann Vischers ist eine unverkennbare Nachzeichnung (im Gegensinn) des
Adam aus dem Dürerschen Kupferstich Adam und Eva von 1504, die ja ihrerseits
auch konstruierte Figuren sind (Abb. 4 und 5) Die Beinstellung, die Haltung
des ausgestreckten linken Armes usw. wiederholen sich wörtlich; auch der rechte
Arm des Adam, der den Ast umklammert, ist von Vischer genau so gezeichnet wie
im Kupferstich, während auf der von Weizsäcker herangezogenen Proportions-
studie von 1528 dieser Arm eine recht verschiedene Funktion ausübt.
Das Gegenstück zu dem nackten Jüngling des Louvre bietet eine ebendaselbst
befindiche nackte Frau, welche Weizsäcker іп dem unten genannten Aufsatz
S. 51, in fast halber Größe des Originals abgebildet hat (Abb. 6). Sie ist der Eva
desselben Dürerschen Kupferstichs in ganz entsprechender Weise nachgebildet,
nur daß sie hinter sich ein Tuch ausspannt: der rückwärts gebogene Arm, der
bei Dürer den Apfel faBt, halt bei Vischer mit genau der gleichen Biegung des
Handgelenks das Gewandstück; der Vergleich braucht nicht weiter ausgeführt
zu werden.
Die beiden Handzeichnungen des Louvre, von denen die weibliche Figur mit
dem Signum Peter Vischers d. J. und der Jahreszahl 1519 versehen ist, und
von denen Ше männliche Figur ein A (was aber gewiß nicht als Adam zu
lesen ist) іп Fußhöhe zeigt, gehören also sichtlich zusammen! Sie haben ziemlich
die gleiche Hóhe (der Mann: 22!/, cm, die Frau: 25!/, cm), entsprechen dem-
252
o — HÀ Ba en u mm — — — À M MaÜ A —— A ———]" —
= — —— —
nach auch hierin so ziemlich den Maßen des Dürerschen Kupferstichs. Die Frau
ist weiterhin die unmittelbare Vorlage und Zwischenstufe für die Eurydice auf
der bekannten Pariser Plakette, wie schon Weizsäcker richtig betont hat und ich
in dem unten genannten Aufsatze weiter ausgeführt habe. Ihre Datierung auf 1519
bietet uns den terminus post quem für die Plakette. Der männliche Akt des Louvre
dagegen muß mehr als eine NacHzeichnung des Dürerschen Adam als als eine
Vorstufe für den Orpheus gelten, da sich Vischer in der Ausführung eine gróDere
Freiheit — dem Orpheusmotiv entsprechend — nehmen muBte. (Vgl. hierzu Weiz-
sicker, Zwei Entwürfe zum Nürnberger Sebaldusgrab, Jahrbuch der Kgl. Pr.
Kunstsammlungen 1891, S. 50 ff., und Stierling, M. f. K. VIII, S. 370, „Dürer in der
Vischerschen Werkstatt,“ woselbst der gleiche Dürersche Stich von Adam und
Eva [1504] als die unmittelbare Vorlage für die Pariser und Berliner Plaketten
von Orpheus und Eurydice behandelt wird. Mit Abbildungen der drei Werke.)
21. Grabmal Kardinal Albrechts von Aschaffenburg. Der unmittel-
bare Vorgünger des Kardinals war der Erzbischof Ernst (ein Sohn des Kur-
fürsten Ernst von Sachsen), welcher im jugendlichen Alter von 3o Jahren bei
dem álteren Vischer die herrliche Tumba des Magdehurger Domes bestellte, die
für alle Zeiten ein Musterbeispiel des geschlossenen, metallschweren Erzstiles
bleiben wird. Dieses oft geschaute Vorbild hat offenbar Kardinal Albrecht ver-:
anlaßt, auch seinerseits in jugendlichem Alter bei Peter Vischer — diesmal aller-
dings bei dem gleichnamigen Sohne — ein Grabmal zu bestellen, das, dem Geiste
der neuen Zeit folgend, etwas ebenso Imposantes werden sollte wie das Magde-
burger Grab. Zur Ausführung ist leider nur ein Bruchteil gekommen, und dieser
Torso, bestehend aus der Grabplatte, dem Epitaph für Margaretha Riedinger, und
dem Baldachin, steht heute im Aschaffenburger Dom.
Von der Grabplatte des Kardinals sagt Daun in seiner Vischermonographie,
S. 50, „das Antlitz des Fürsten sei zwar lebensvoll modelliert, doch entspreche es
nicht der Vorstellung, die wir nach Dürers Zeichnung von dem letzten Kardinal
des Hauses Hohenzollern bekommen haben“. Das ist so gut wie unrichtig, denn
sowohl das Antlitz. wie verschiedene Einzelheiten der schönen Platte sind
unmittelbar nach Dürer gearbeitet.
Dürer hat den Kardinal zweimal gestochen; der sogenannte kleine Kardinal
stammt aus dem Jahre 1519, der groBe aus dem Jahre 1523. Für uns kommt nur
das erstgenannte Bildnis in Frage. Hier ergeben sich nun eine ganze Zahl von
Berührungen zwischen dem Dürerschen Bilde von 1519 und dem Erzguf) Peter
Vischers d. J. von 1525, begonnen 1522. Beide Werke (Abb. 7 und 8) tragen
zu oberst das Wappen des Kardinals. Man kann leicht beobachten, wie Vischer das
Fransenwerk in ganz ähnlicher Weise übernimmt, nicht nur etwa die vier untersten
Quasten, sondern auch die beiden liegenden Achten des oberen Schnürwerks, den
Kreis unter dem Kardinalshute usw.!) Aus technischen Gründen hat er es jedoch
(1) Dieselbe Dürersche Vorlage ist noch zweimal für denselben Kardinal verwandt worden.
Einmal im Livius des Ulrich von Hutten, der damals dem Kardinal noch sehr nahe stand,
Mainz 1518 (Butsch, Bücher-Ornamentik 1878, Taf.80); vorausgesetzt, daß Butschs Angabe
richtig ist, liegt hier eine gewisse Schwierigkeit vor, da der Kupferstich 1519 datiert ist;
sie löst sich wohl dadurch, daß Dürer den Kardinal bereits 1518 auf dem Augsburger
Reichstage portrütiert hatte, vgl. den Dürerband in den Klassikern der Kunst, S. 376. Die
zweite Benutzung geschah durch Ludwig Krug (?), der 1526 eine silberne Medaille für
den Kardinal fertigte (Abb. in Sauerlandts Bericht über die Neuerwerbungen des НаПе-.
schen Museums im Jahre 1908, S. 17).
253
unterlassen miissen, den neunfach geteilten Schild an dieser Stelle nachzubilden;
aber es geht ohne Zweifel auf dieses Vorbild zuriick, wenn die Vischersche Platte
ringsherum von neun Wappen umgeben ist. Diese Wappen sind allerdings teil-
weise abgedndert, doch kann man sich leicht tiberzeugen, daB vieles tibernommen
ist; im besonderen ist z.B. das Diirersche Mittelfeld ziemlich genau auf drei Eck-
wappen verteilt. Wenn im übrigen in diesen heraldischen Dingen kleine Ab-
weichungen. vorkommen, so gehen sie natürlich nicht auf den Künstler, sondern
auf den Besteller zurück.
Ebenso verhält es sich mit der Inschrift. Der Dürersche Text ist mit geringen
Abweichungen übernommen, jedoch stark vermehrt worden. Der Kardinal wird,
als er drei Jahre nach dem Kupferstich die Vischersche Grabplatte bestellte, den
Wunsch gehabt haben, seine Titel und Würden in erweiterter und endgültiger
Form hier festgehalten zu sehen. Von dieser Schrifttafel sagt nun Dehio im
Inventar, sie sei eine spätere entstellende Zutat des 18. Jahrhunderts. So unwahr-
scheinlich das an sich schon ist, so wird es deutlich dadurch widerlegt, daß
in der letzten und vorletzten Schriftreihe verschiedene Jahreszahlen erst nach-
träglich eingraviert worden sind; für das Todesdatum 1541 mußte beispielsweise
eine blockierte Stelle ausgegraben werden, was man sogar bei einer scharfen Be-
trachtung der Daunschen Abbildung noch feststellen kann.
Zum Vergleich mit dem auf der Abbildung leicht lesbaren Dürerschen Texte
ist es nótig, den Vischerschen hier anzuführen: Albertus misericordia di-
vina sacrosanctae Romanae ecclesiae tituli sancti Petri ad vincula
presbyter cardinalis legatus natus, sacrarum sedium Moguntinensis et
Magdeburgensis archiepiscopus, primas et sacri Romani imperii per
Germaniam archicancellarius princeps elector, administrator Halber-
statensis, marchio Brandenburgensis, Stettinensis, Pomeraniae, Cassu-
borum Sclavorumque dux burggrafius Nurimbergensis Rugiae princeps Col-
legij huius Amator etc. Vir omni virtutum genere absolutissimus dei cultor
Vtriusq Imperij gubernacula conferens humana in diuina incredibili studio com-
mutauit, sedit annos 31, obijt anno dui 1541, suae vero aetatis nano 551).
Wer diese Übereinstimmung zwischen Stich und Grabplatte gesehen hat, wird
von vornherein geneigt sein, auch einen Zusammenhang für das Antlitz des
Dargestellten anzunehmen. Ich glaube іп der Tat, daß Vischer, der allerdings 1522
bei der Anwesenheit des Kardinals auf dem Nürnberger Reichstag Gelegen-
heit gehabt hatte, die Züge des Kirchenfürsten zu studieren?), im wesentlichen
nach dem Dürerschen Stich gearbeitet hat. Das volle, etwas derbe Antlitz mit der
kräftigen Nase, dem kleinen Munde und dem Doppelkinn kehrt hier deutlich
wieder, ebenso die die Ohren verdeckenden Haare, nur daf Vischer ihnen nicht
den wallenden Schwung geben konnte, den das Vorbild mit seinen zeichne-
rischen Mitteln leichter erreicht hatte.
22. Der Grabtafel des Kardinals in der Aschaffenburger Kirche hängt die
Gedenktafel für Margarethe Riedinger, die vertraute, früh verstorbene
Freundin des Kardinals, gegenüber (Abb. 9). Die Tafel ist bezeichnet Johannes
Vischer. Noric. faciebat 1530. Sie stammt also nicht mehr von Peter Vischer d. J.,
der sein kurzes Leben zwei Jahre früher beschlossen hatte; auch der Vater
war ja eben vorher gestorben. Trotzdem atmet das Werk noch ganz den Geist
“(1) Die übereinstimmenden Worte sind gesperrt.
(2) Vgl. Bergau, Peter Vischer und seine Sóhne (Kunst u. Künstler, Leipzig 1878, S. 41).
254
des großen Sohnes, ja ich möchte nach der Erinnerung fast sagen, daß ihr Relief
noch schóner herausgearbeitet sei als auf der Tafel des Kardinals. Es liegt nun
nahe, nachdem wir dort Ше Zusammenhüpge mit Dürer gesehen haben, auch
hier die Dürerschen Madonnen ins Auge zu fassen. Dürer hat das Thema viermal
im Kupferstich bearbeitet, vor 1405, 1508, 1514 und 1516!). Und іп der Tat sind
gewisse Zusammenhänge mit dem Stich von 1508 (Abb. 10) wohl mehr als zu-
fälliger Natur, zumal wenn man bedenkt, daß das Dürersche Vorbild von den
Vischern oder ihren Auftraggebern nicht gerade selten zu Rate gezogen ist.
Stich und Erzgu8 haben die Himmelskónigin recht ühnlich aufgefaBt. Sie steht
beide Male auf der Mondsichel; der Saum des Gewandes tritt leicht darüber und
legt sich auch auf das Mondantlitz; die Faltenzüge auf der Linken lassen den
Arm frei, so daf sich darunter ein kriftiger Bausch bilden kann, der jedoch vom
Erzgießer fester ап den Körper angeschlossen werden mußte; das Haar flattert in
gleicher Weise usw. Auch gewisse Abweichungen sind da, vor allem ist das eine
Bein von Vischer deutlich als Spielbein gekennzeichnet und zeigt dadurch eine
gewisse Verwandtschaft mit der ersten Dürerschen Madonna dieser Reihe.
An Dürer fühlt man sich auch bei dem Schweißtuche mit dem Antlitz Christi
erinnert?).
Die kleinen Engelputten sind dagegen legitime Vischerkinder, wie sie jahr:
zehntelang aus der Hütte SERGE sind; musizierend begegnen sie z. B.
am Sebaldusgrab 5).
23. Conrad Celtes. Der Berliner Germanist Max Herrmann hat im Jahre 1898
eine kleine inhaltreiche Studie über die Rezeption des Humanismus in Nürn-
berg erscheinen lassen. Klar und geistvoll geschrieben, führt sie nicht nur vor-
trefflich in ihr schwieriges Problem ein, sondern sie ist auch durch die Wider-
legung alt überlieferter Irrtümer wertvoll. Durch alle Bücher, die den Nürnberger
Humanismus behandeln oder streifen, zieht sich der Gedanke hindurch, daß das
Erwachen dieses neuen Geisteslebens in Nürnberg frühzeitig stattgefunden habe‘).
Herrmann weist das Gegenteil nach: denn ,,weit entfernt, in der Begünstigung
des Humanismus anderen deutschen Stüdten voranzugehen, hat sich die Stadt
viel mehr der neuen Bildung gegenüber ungewóhnlich lange Zeit geradezu ab-
lehnend verhalten“ (5.2). Hermann sieht den Grund hierzu in Nürnbergs sozial-
politischen Verhältnissen; denn während anderwürts die Zünfte nach schwerem
Kampfe die Oberhand gewonnen hatten, war in Nürnberg der Versuch, die
Aristokratie in eine Demokratie zu verwandeln, völlig mißglückt; die Geschlechter
hielten das Heft in Handen, und so war der Grundzug der Nürnberger Kultur-
entwicklung: stockkonservative Politik und üngstliches Ablehnen alles Neuen, das
vielleicht demokratisierend hätte wirken können. So kommt es, daß in Nürnberg
(1) Abb. in Klassiker der Kunst IV; die älteste Madonna auch z. B. bei Kristeller,
Kupferstich und Holzschnitt 1911, S. 202.
(2 Abb. in Klassiker der Kunst IV, S. 12g unten.
(3) Vgl. Mayer, Genreplastik, Taf. 29.
(4) So noch z. B. Friedrich Paulsen in seiner temperamentvollen Geschichte des gelehrten
Unterrichts 1896, S.146: „Unter allen deutschen Städten nahm Nürnberg, was Bildungs-
bestrebungen anlangt, wohl die erste Stelle ein.“ — Eine vermittelnde Stellung nimmt,
wie ich nachtrüglich sehe, Frhr. von KreB in seiner Besprechung des Herrmannschen
Buches ein, vgl. Mitt. des Vereins für Gesch. d. Stadt Nürnberg 1899, 286ff. Er dámpft die
Tonart des Verfassers wesentlich und scheint in manchen Punkten nicht unrecht zu haben.
255
erst um die Mitte der achtziger Jahre der Humanismus ganz allmählich an. Boden
gewinnt. = EM |
Das Gegenbild bietet Augsburg. (Herrmann, S. 108.) Unter der demokratischen
Herrschaft der Zünfte nehmen sofort die obersten Beamten an der neuen Bildung
teil. Bereits in den fünfziger Jahren treffen wir Manner in leitender Stellung, welche
den engsten Anschluß an die neue Bildung suchen; ja der Bürgermeister selbst
ist die Seele dieses ganzen Kreises. Auch der bischófliche Hof ist früh von huma-
nistischen Bestrebungen erfüllt. Dementsprechend findet auch die Kunst des
Buchdrucks (Erhard Ratdolt) und der Malerei (die beiden Holbein) viel eher den
Weg zur Renaissance. Ja bereits im Jahre 1459 sandte der Sohn des Augsburger
Bürgermeisters an seinen Vater aus Padua echte italienische Renaissancekunst-
werke, die geradezu zur Mitteilung an Augsburger Künstler bestimmt waren:
„Mitto tibi nunc cum per mercatores ymagines naturales et іп plumbo elabo-
ratas, principio Guarini Veronensis, Francisci Philelfi, Johannis Petri preceptorum
meorum, deinde Julii Cesaris, ut fertur, preterea ducis Venetorum superiori tem-
pore miseram, eciam ymagines omnium ferme principum Ytalie ad te, ut cum
pictore Mang eciam eas communicares.“ |
In Nürnberg bildet sich erst in der Mitte der achtziger Jahre ein Kréis, der
humanistischen Studien günstig gesonnen ist. Vor allem sind Dr. Hartmann
Schedel, Dr. Dietrich Ulsen, Sebald Schreyer und der Privatmann Peter Dann-
hauser zu nennen. Aber es ist ungemein charakteristisch, daB der letztere sich
noch 1496 allen Ernstes in einer besonderen Apologie gegen den Vorwurf ver-
teidigen muß, daß. er heidnische Bücher und Poeten lese. Das Haupt dieses
Kreises ist ohne Frage Sebald Schreyer, den auch die Kunstgeschichte aus mannig-
fachen Anregungen auf ihrem engeren Gebiete kennt: er war z. B. 21 Jahre hin-
durch bis 1503 Kirchenpfleger von St. Sebald, seinen Namen trägt die Krafftsche
Grablegung am Chor dieser Kirche, er veranlaBte die Drucklegung derSchedelschen
Weltchronik, er gehórte zu den Fórderern des Sebaldusgrabes usw. Sein Verdienst
ist es direkt und indirekt auch, daß der Humanismus nun endgültig Boden ge-
wann, denn er lebte in engster Freundschaft mit dem Manne, den David Friedrich
Strauß als den deutschen Erzhumanisten bezeichnet hat: mit dem fränkischen
Wanderpoeten Conrad Celtis. Wir sind in der glücklichen Lage, diese Freund-
schaft durch handgreifliche Zeugnisse belegen zu kónnen. Bernhard Hartmann
hat in seinem inhaltreichen Aufsatze in den Mitteilungen des Vereins für die Ge-
schichte der Stadt Nürnberg 1889 mancherlei Zeugnisse dieser Art zusammen-
gestellt. So war z. B. Schreyers Wohnung, in der Burgstraße 7 mit Bildwerken
von Amphion, Orpheus, Apollo usw. geschmückt, unter welchen Epigramme von
Celtis standen. In einer Nische fand sich gleichfalls ein Portrát von Celtis,
wiederum mit Versen von ihm. Celtis und Schreyer errichteten gemeinsam einer
sonst unbekannten Sängerin ein Denkmal. Celtis und Schreyers Wappen finden
sich gemeinsam unter dem hl. Sebald der Celtischen Ode. Von Schreyer wird
Celtis gedrangt zur Herausgabe seiner Werke.
Was Celtis für seine Zeit bedeutete, hat ein für allemal F. von Bezold in der
Historischen Zeitschrift 1883 auseinander gesetzt. Wundervoll kommt dort die
Gesamtbedeutung des Mannes zur Geltung. Wer nur in ihm den Dichter sehen
und gar nach heutigem Mafe beurteilen wollte, der würde diesen Humanisten
vóllig verkennen, und er würde fassungslos vor dem Ruhme des Lebenden wie
des Toten stehen. Denn Celtis war nicht nur Dichter, sondern zugleich Philo-
soph, Historiker, Naturwissenschaftler, Geograph, Astrologe, Pfaffenfeind, Na-
256
tionalókonom, leidenschaftlicher Patriot und — als rechter Humanist — ein Freund
aller irdischen Genüsse. Das alles muß man wissen, um die ganz eigenartig
verehrte Stellung dieses Mannes zu verstehen. Aus ganz Deutschland kamen die
Lobeserhebungen und später die aufrichtig gemeinten Totenklagen. So drängt
ihn z. B. der Lübecker Syndikus Heinrich von Seelen, er móge doch endlich
seine Werke herausgeben: „Italien besitzt die berühmtesten Männer, Deutsch-
land nur dich, auf den es mit Stolz blickt und den es liebt und ehrt!).*
Unter solchen Verhältnissen wäre es gewiß nicht verwunderlich, wenn wir
das Bildnis dieses Mannes, der durch ganz Deutschland eine Verehrung genoß
wie wenig andere Zeitgenossen und der in seiner Geschichte Nürnbergs der Stadt
ein unvergleichliches Denkmal gesetzt hatte (welches freilich der Rat infolge seiner
humanistischen Unbildung sich erst übersetzen lassen mußte !), auch am Sebaldus-
grabe finden sollten. Ich erinnere daran, daß auch das Sebaldusgrab nicht zum
wenigsten der werktätigen Hilfe des Sebald Schreyer seine Entstehung verdankt,
Sebald Schreyers, der der vertraute Freund und Wohltäter des Dichters war.
Ferner muß man sich auch daran erinnern, daß Celtis einige Jahre vorher eine
Ode gerade auf den hl. Sebald gedichtet hatte. Wenn wir ferner bedenken,
daß Schreyers eigenes Porträt am Sebaldusgrab erhalten ist?), dann wäre es an
sich gewiß nicht verwunderlich, wenn Schreyer dafür gesorgt hätte, daß auch das
Bild seines überall geehrten, kürzlich erst verstorbenen Freundes hier einen Platz
gefunden hätte. In den Zwickeln der Sebalduslegende befinden sich nun ver-
schiedene Porträtköpfe, die ersichtlich dem zeitgenössischen Leben entnommen
sind. Mayer’) hat in verschiedenen von ihnen die Köpfe Vischerscher Familien-
mitglieder vermutet. Ein mit Lorbeer bekränztes Haupt widersteht jedoch einer
solchen Deutung. Hier erhebt sich nun die Frage, die leider nicht zur GewiB-
heit entschieden werden kann, ob wir es mit einem Porträt des Celtes zu tun
haben. Wir kennen die Züge des Dichters aus dem Holzschnitt der Roswitha
von 1501, der früher Dürer zugeschrieben wurde‘), und aus dem Burgkmaier-
schen Porträt von 1507. Wenn man beide Bilder nebeneinander legt, — sie finden
sich in Ludwig Geigers Renaissance und Humanismus 1882, S. 455 und 459 —
dann muß man leider bekennen, daß die Ähnlichkeit dieser beiden beglaubigten
Porträts durchaus keine schlagende ist. Gemeinsam ist ihnen im Grunde nur die
derbe, fast vierkantige Form des fränkischen Bauernschüdels. Dem widerspricht
nicht gerade das Medaillon vom Sebaldusgrab, welches Mayer im Münchner
Jahrbuch 1913, S.282 abbildet. Aber die Frage der Identifizierung kompliziert sich
noch weiter dadurch, daß am Sebaldusgrab der Kopf mit dem schmalen Lorbeer-
reis — Celtes hatte ja 1487 als erster Deutscher das Kränzlein der Poeterei gerade
auf der Nürnberger Burg von Kaiser Friedrich III. erhalten und läßt sich dem-
entsprechend auf beiden beglaubigten Holzschnitten mit diesem Lorbeerreifen ab-
bilden — ins Profil gestellt ist. Man kann nur sagen, daß es durchaus möglich
ist, und darf darauf hinweisen, daß schon die beiden vorgenannten Holzschnitt-
porträts, die laut Unterschrift bestimmt den Dichter darstellen, eine recht geringe
Übereinstimmung zeigen. Wer je in der Lage gewesen ist, Porträts geschicht-
licher Persönlichkeiten miteinander vergleichen zu müssen, der weiß, daß die
(1) Hartmann, a. a. O., 50.
(2) Vgl. A. Mayer, Münchner Jahrbuch 1915, 280.
(3) Mayer, a. a. O., 282.
(4) Von diesem Bilde ist ersichtlich das Porträt des C. vor den Quattuor libri von 1502
abhängig, wie ich nachträglich sehe.
257
Identifizierung bis ins 18. und 1g. Jahrhundert hinein eine Aufgabe von ungeahnter
Schwierigkeit ist; in diesem Falle um so mehr, als Peter Vischer d. J. — denn
nur er kommt in Betracht — den 1508 in Wien gestorbenen Celtes vielleicht nie
gesehen hat und lediglich auf Zwischenglieder, wie etwa das vorhin erwähnte
Portrát des Dichters in einer Nische des Schreyerschen Hauses, angewiesen war,
als er mehrere Jahre nach dem Tode des Dichters sein Medaillon entwarf: die
großen Reliefs aus der Sebalduslegende mitsamt den Zwickeln gehören ja erst
zu den späteren Teilen des Denkmals.
Wie man sich auch in dieser sekundáren Frage entscheiden will, soviel ist von
vornherein sicher, daß ein Mann von dem beweglichen und humanistisch inter-
essierten Geiste des jungen Vischer den Auftrag freudig aufgegriffen hátte, ein
Medaillon des Erzpoeten, der sich so eng mit Nürnberg und überhaupt allen
Bildungsinteressen der neuen Zeit verbunden hatte, nachgekommen wáre; denn
die humanistische Gesinnung Peter Vischers d. J. ist ja nicht nur durch die
Sockelpartien des Sebaldusgrabes, sondern auch durch seinen Umgang mit Pankra-
tius Schwenter bewiesen!) Ja, wir kónnen vielleicht noch einen Schritt weiter
gehen und die Frage aufwerfen, ob der junge Vischer nicht gar die Werke des
Conrad Celtes gekannt habe. Weizsäcker hat nämlich in seinem Aufsatze „Peter
Vischer, Vater und Sohn“ im Repertorium 23, 309, darauf hingewiesen, daB die
harfenspielende Muse vom Sockel des Sebaldusgrabes (Mayer, Genreplastik, Taf. 3)
dem Titelholzschnitt der Quattuor libri amorum des Conrad Celtes (Nürnberg
1502) entnommen sei. Es ist richtig, daB hier von einer Anregung die Rede
sein darf, ja ich móchte sogar durch eine weitere Beobachtung den Zusammen-
hang zwischen diesem Celtesblatt und Peter Vischer d. J. noch enger knüpfen:
Braun hat kürzlich in diesen Heften VIII, 2 (Taf. 27, 2) eine aquarellierte Feder-.
zeichnung Peter Vischers d. J. aus dem Jahre 1515, die sich im Berliner Kupfer-
stichkabinett befindet, veróffentlicht, aus welcher sich neue Zusammenhánge mit
dem genannten Holzschnitt ergeben. War am Sockel des Sebaldusgrabes nur
die linke Muse des Celtesblattes leicht nachgebildet, so kehrt auf der Berliner
Zeichnung die Situation beider Musen, wie sie zu FüDen eines Springbrunnens
sitzen, wieder, nur daf) sie ihr Geschlecht gewechselt haben: Die jedesmaligen
linken Gestalten greifen in die Saiten (was die Muse am Sebaldusgrab nicht tut),
während die jedesmaligen rechten die Gitarre ganz gleichmäßig spielen (Abb. 11).
Ferner wiederholt sich auch der Fons musarum des Holzschnittes; ja, er kehrt
sogar noch in viel ähnlicherer Gestalt wieder — man muß nur etwas weiter
bláttern, um auf dem letzten Holzschnitt des Celtesbuches fast dem gleichen
Brunnen zu begegnen, wie ihn Vischer in seiner Zeichnung verwandt hat’).
Vielleicht lassen sich diese Beziehungen noch einen Schritt weiter verfolgen,
wenn man die Voluptas Vischers mit der Cytharea des Holzschnittes vergleicht;
die Stellung mit Stand- und Spielbein, die Haltung des linken Armes usw., deuten
wohl auch ihrerseits darauf hin, daß der junge Vischer den Holzschnitt gekannt ,
habe. Einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick, kann man sich sogar
(1) Vgl. Braun, Die Handzeichnungen des jüngeren P. V. zu Schwenters Gedicht über die
Herkulestaten. M. f. K. VIII, 2. — Über Schwenter vgl. A. Bauch in den Mitteilungen des
Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1899, 276.
(2) Vergleiche die beiden Fische, wie sie vom Brunnenrohr überhóht werden, die gebuckelte
Schale, die Voluten des FuBes darunter, usw. — Auch die Gestalt des Apollo neben dem
Brunnen auf diesem letzten Celtesblatt erinnert in ihrer freien plastischen Durchbildung
258
- — —— ы —
versucht fühlen, den Ph&bus des Holzschnittes mit der Vischerschen Virtus in
Zusammenhang zu bringen.
Es braucht kaum betont zu werden, daß das Abhängigkeitsverhältnis Vischers
ein vollkommen äußerliches ist. Er erst hat aus den heterogenen Bestandteilen
des Holzschnittes eine Komposition gemacht; sie ist innerlich und äußerlich
etwas Neues und vollkommen Vischerisches geworden, so daß Braun überhaupt
nicht der Gedanke einer Anregung gekommen ist. Ich habe diesen Zusammen-
hang nur deswegen so ausführlich besprochen, um zu erweisen, daß auch Peter
Vischer ein greifbares Interesse an Conrad Celtes genommen habe.
VIII. Jakob Elsner.
24. In der Nürnberger St. Lorenzkirche hängt die Gedächtnistafel für den 1513
gestorbenen Probst Anton Kreß (Abb. 12). Sie wird von Bergau und Weizsäcker!)
hoch gelobt und von beiden unmittelbar mit den vier großen Reliefs am Unterbau
des Sebaldusgrabes verglichen. (Diese aber sind, wie ich früher zu zeigen gesucht
habe, von dem jüngeren Peter.) Aus einer handschriftlichen Lebensbeschreibung
des Verstorbenen, die Bergau zitiert, geht deutlich hervor, daß diese Gedächtnis-
tafel erst nach dem Tode des Propstes bestellt und aufgerichtet wurde.
Im Todesjahr des Propstes war nun aber ein wundervolles Missale des Ver-
storbenen, welches Jakob Elsner illuminiert hatte und welches sich heute als
Depositum im Germanischen Museum befindet, vollendet worden. Auf einem
der ersten Blätter ist der Propst vor einem Altare kniend, im geöffneten Buche
lesend, dargestellt, wie es Abbildung 13 zeigt. Vergleicht man hiermit das von
Vischer erst nach dem Tode des geistlichen Herrn geschaffene Grabmal, dann
ist ein Zusammenhang wohl kaum zu übersehen, um so weniger, als es sich hier
um einen ganz neuen Typus handelt und als die ganze Sachlage es ja von selber
nahelegt, daß die Testamentsvollstrecker des Anton Kreß dem Erzgießer dieses
letzte, kaum vollendete Bildnis des Verstorbenen als Vorlage anempfahlen. Die
Gegenüberstellung beider Bilder überhebt mich weiterer Worte. Sie zeigt aber
auch, mit welch unbedingt sicherem, plastischem Gefühl der junge Vischer zu
vereinfachen und monumental zu gestalten wußte. |
Diese Schópfung Vischers wurde in den vierziger Jahren die unmittelbare
Vorlage für das Grabmal des Hektor Poemer für dieselbe St. Lorenzkirche.
Daun spricht von einem grenzenlosen Abstand beider Werke; das ist übertrieben,
denn in der plastischen Durchbildung ist manches nicht nur eelbstündig, sondern
auch vortrefflich gelungen, so der obere Rundbogen und die kassettierte Decke.
Dagegen stehen die seitlichen Pfeiler allerdings erheblich gegen diejenigen auf
dem Kreßdenkmal zurück. Sie sind nicht nur іп der Erfindung sehr viel dürftiger,
sondern sind auch im GuB ungleich weniger gelungen. Hans Vischer hat sich
mit einzelnen, lang ausgezogenen Rankenbildungen schnell davon gemacht, wäh-
rend sein älterer Bruder mit sichtbarer Liebe іп den Ornamentenschatz der neusten
oberitalienischen Stecher, wie etwa Nicoletto da Modena, hineingegriffen hat.
Merkwiirdigerweise steht nun aber die Durchbildung dieser Ornamente nicht im
Verhältnis zu ihrer reichen Erfindung. Ganz abgesehen davon, ob hier italienische
Vorbilder greifbar benutzt sind, oder der junge Vischer selbstschöpferisch — wie
an einzelne Sitzfiguren vom Sockel des Sebaldusgrabes, etwa den Simson (Mayer, Genre-
plastik, Taf. 14), ohne daß aber ein wirklich greifbarer Zusammenhang bestände.
(1) Bergau, Peter Vischer und seine Sóhne (Kunst und Künstler, Leipzig 1878, S. 30); Weiz-
sücker, Peter Vischer, Vater und Sohn. Repertor. 23, 305.
259
ich nicht ohne Grund glauben móchte — vorgegangen ist, beruht das vielleicht
darauf, daß diese Pilasterstreifen ursprünglich für Vergoldung berechnet waren.
Bergau sagt nämlich, daß er noch deutliche Spuren einer derartigen Verzierungs-
weise gesehen habe!). |
IX. Jacopo de Barbari.
25. J. de Barbari erhielt für die Visierung der Grabplatte der Hersogin
Sophie in Torgau 1504 zehn Gulden. Der Fall liegt ganz ähnlich wie bei Katz-
heimer. (Vgl. Stierling, M. f. K. VIII, 366.)
26. Ein festerer Zusammenhang ergibt sich für den Apoll des Barbarischen
Kupferstichs mit der Brunnenfigur des Apoll im neuen Rathaushof zu
Nürnberg. Die Abbildungen beider finden sich bei Daun, S. 70 und 71. So
zweifellos hier die Abhängigkeit eines Vischer von J.de Barbari ist, so schwierig
ist es zu entscheiden, welcher von den Vischern in Betracht kommt. Neudörffer
nennt den Apoll unter den wenigen von ihm namhaft angeführten Werken des
älteren Peter. Da nun jedoch der Sockel die Datierung 1532 trägt, so nahm man
bisher an, daß sich diese Datierung eben nur auf den Sockel beziehe und die
Figur ein Werk des 1529 verstorbenen Vaters sei. Dabei bleibt jedoch die
Schwierigkeit bestehen, daß diese extrem moderne und etwas flaue Jünglings-
figur gar nicht in das Werk des Vaters passen will. Nun hat aber Bode im Jahr-
buch 1908, S. 12 (einem Hinweise Koetschaus folgend) eine Weimaraner Vor-
zeichnung bekannt gemacht und abgebildet, welche Figur u n d Sockel fast genau
in der gleichen Weise zeigt wie der ausgeführte Guß; der Sockel trägt hier die
Datierung 1531. Die Handzeichnung steht deutlich zwischen dem Stich Barbaris
und dem ausgeführten Werk. — Danach wird man wohl annehmen müssen, daB
die Angabe Neudórffers, der den Apoll für den Vater in Anspruch nimmt, ent-
weder auf Irrtum beruht oder sich auf einen anderen ähnlichen Сиб bezieht‘).
X. Mantegna.
27. Albert Brinckmann sagt in seinem Buche über die praktische Bedeutung
der Ornamentstiche für die Frührenaissance S. 13, daß figürliche Reliefs am
Fuggergitter unzweifelhaft auf Mantegnasche Stiche weisen. Das ist gewiB
richtig und mag schon mancher gefühlt haben, obwohl es unmóglich ist, einen
wirklich greifbaren Zusammenhang aufzudecken. Auch Brinckmann wird wahr-
scheinlich Kupferstiche wie den Kampf der Tritonen oder den. Kampf der See-
kentauren (Kristeller, Mantegna Ab. 144 und 145) im Sinne gehabt haben, deren
letzterer ja auch den jungen Dürer zur Nachzeichnung gereizt hatte. Vorläufig
aber bleibt für uns das Verhältnis Mantegna-Vischer Problem, und die pracht-
vollen Bogenfüllungen des Fuggergitters, deren unvergleichlichen Schwung wir
noch in den liebevollen Abbruchszeichnungen spüren, bestehen wohl als selb-
stándige Schópfungen Peter Vischers des Jüngeren.
(1) Über die Stellung (,,Es ist bekannt, daB die zwei Própste zu Nürnberg fast bischófliche
Ehren genossen“) und Bedeutung des Dr. Anton Kreß vgl. den Aufsatz seines geschichts-
kundigen Nachfahren Dr. G. Freiherrn von KreB in den Mitteilungen des V. f. G. d. Stadt
Nürnberg 1892, S. 213ff.
(2 Der Barbarische Kupferstich zeigt übrigens eine merkwürdige Verwandtschaft mit einer
Kleinplastik Riccios, dem Wasserträger. Abb. im Führer durch das Kaiser-Friedrich-
Museum 1011, S. 184. Als Vorlage für Vischer kommt jedoch lediglich der Kupferstich іп
Betracht.
260
— — — -
Durch einen Nachweis Weizsäckerst) wissen wir aber, daB Vischer andere
Mantegnasche Stiche gekannt habe. Denn eine Jiinglingszeichnung der Louvre-
sammlung (Abb. 14) berührt sich in nicht zu leugnender Weise mit einer Gestalt
des Mantegnaschen Bacchanals bei der Kufe (B. 19, Kristeller Abb. 143 [Abb. 15]).
Vischer muß diese Gestalt angezogen haben, denn er hat sie zweimal in jenem
Pariser Skizzenbuch festgehalten, das eine Mal mit aufwärts weisender Hand und
ausgestrecktem Zeigefinger, das’ andere Mal einen Apfel іп der bedeutend
weniger erhobenen Hand haltend. — Das ist vorläufig alles, denn ein Zusammen-
hang zwischen Mantegnas Tuschzeichnung von Mars, Venus und Diana im
Britischen Museum (Kristeller, Abb. 130) und dem Vischerschen Aquarell im
Weimarer Goethehaus, an das man einen Augenblick denken меене kommt
nicht einmal als Anregung in Frage.
e
XI. Zoan Andrea.
28. Dem Mantegnaschen Kreise gehört der Stecher Zoan Andrea an. Brinck-
mann behandelt ihn a. a. O. und sagt, es sei ihm unmóglich gewesen, eine
sichere Beziehung dieses Italieners zu einem ausgeführten Werke deutscher
Kunst nachzuweisen. Ihm ist dabei eine Beziehung zum Fuggergitter entgangen,
auf die hier kurz hingewiesen sei. Auf einer Pilasterfüllung desselben erscheint
ein musizierender Faun (Abb. 16), der aus einem Stiche Zoan Andreas entnommen
ist (B. 30), also demselben Stiche, der für eine steinerne Chorschranke in der
Kathedrale zu Chartres Verwendung gefunden hat, wie Brinckmann nachweist;
auch in Chartres hat er übrigens seine Geige nicht auf den Boden pestellt, wie
Zoan Andrea es vorgezeichnet hatte (Abb. 17). Verwunderlich darf dieser Zu-
sammenhang nach den Ausführungen Brinckmanns nicht erscheinen, denn nach
seinen Worten war die Wirkung der zwólf groBen Stiche (abgebildet in L'Arte VI,
1903, Anhang S. 14, 15, 16, 18) eine gewaltige, aber ihr Einfluß beginnt nicht erst
mit den zwanziger Jahren des 16, Jahrhunderts, sondern etwa zehn Jahre früher,
wie diese Benutzung durch Vischer zeigt Fernere Zusammenhünge zwischen
Zoan Andrea und der Nürnberger Gießhütte sind auch mir nicht bewußt ge-
worden, aber es mag wohl sein, daB der am Fuggergitter mehrfach verwandte
Harnisch im Laubwerk, die gekreuzten Füllhórner, die Blattmaske, der belaubte
Delphin, die Vasen usw. hier ihren Ursprung haben; anderes wie Schädel, Füll-
hörner usw. können natürlich auch von oberitalienischen Bauten und Denkmälern
angeregt sein.
Übrigens darf uns eine Einwirkung des oberitalienischen Kupferstiches auf das
Fuggergitter nicht wundernehmen, denn nicht nur Augsburg, sondern gerade
auch die Fugger hatten die neue Kunst mit offenen Armen aufgenommen; ja
für dieselbe Fuggerkapelle, für die ursprünglich das Nürnberger Rathausgitter be-
stimmt war, hat Brinckmann eine zwiefache Benutzung von Ornamentstichen des
Nicoletto da Modena nachgewiesen, welcher demselben mantegnesken
Kunstkreise angehört. (Brinckmann, a.a. О, Taf. 2 und 3) Es liegt nun gewiß
nahe, die Spuren des Nicoletto auch am Fugger- oder Rathausgitter zu suchen.
Ich glaube aber, daß man sich vergeblich nach greifbaren Zusammenhängen um-
sehen wird. Ohne Frage werden auch hier Anregungen bestehen, aber auch nicht
(1) Flüchtig erwähnt in „Zwei Entwürfe zum Nürnberger Sebaldusgrab“, Jahrbuch d. K. P.
Kunstsammlungen 1891, 51. Nur durch das von W. beigefügte B. 19, welches sich auf
seiner Pause eines Pariser Skizzenblattes wiederholt, ist zu ersehen, welche Figur er meint.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1918, Heft 9/10 18 261
mehr. So mag es sich z. B. um die beiden Seekentauren verhalten, welche ge-
meinsam. den Schild mit dem Gorgonenhaupte fassen (abgebildet in Gazette des
beaux Arts 1869, 151). Ein ähnliches Motiv verwendet Vischer mehrfach am
Fuggergitter, so z. B. auf der drittletzten Tafel der Lübckeschen Publikation, wo
zwei kümpfende Reiter einen Schild halten, wührend sie in prachtvollem Schwunge
dahinstürmen. |
Auch die einzig erhaltenen steinernen Seitenpfeiler des Gitters weisen in ihren
Ornamenten deutlich auf italienische Stiche. Ihr fremdartiger, gedrangter Reich-
tum zeigt, daß er keiner deutschen Phantasie entsprossen ist. Trotzdem läßt sich
nichts Schlagendes nachweisen; aber vielleicht ist es kein Zufall, daB die beiden
auf einem Säulenpostament sitzenden Figuren (Lübcke, fünftletzte Tafel) in ver-
wandter Ausbildung mehrfach bei Nicoletto (Brinckmann, Taf.2 a und b — Wessely,
Das Ornament und die Kunstindustrie, Berlin 1877, Taf. 32 und 31; vgl. ferner
Taf. 33b — Bartsch 57) wiederkehren. In diesem Zusammenhang ist es von Wichtig-
keit, daß die Fugger bestimmt diese Stiche des Nicoletto kannten, denn wie Brinck-
mann nachweist, sind gerade sie an dem Marmorepitaph des Jakob Fugger in
Augsburg benutzt worden, | n |
Auch дег oberitalienische Buchdruck, auf den bereits Seeger (vgl. Nr. XII
dieses Aufsatzes) hingewiesen hatte, wird zweifellos anregend gewirkt haben. Aber
die ganze Frage ist heutigen Tages noch nicht spruchreif, denn so lange wir
keine zusammenfassende Arbeit besitzen, wie sie Muther in seiner Buchillustration
der Gotik und Frihrenaissance ftir Deutschland geliefert hat, so lange sind
wir auf Zufallsfunde angewiesen. Einige Abbildungen, die sich in der Biicher-
ornamentik der Renaissance von A. F. Butsch (Leipzig 1878) finden, lassen mit
aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen, daß von solchen Buchzeichnungen
eine große Wirkung auf Vischer ausgegangen sein muß. (Deutsche Vermittler
kommen für diese ganz frühen Jahre des 16. Jahrhunderts kaum in Betracht;
auch der deutsche Ornamentstich entfaltete sich erst am Ende des dritten Jahr-
zehnts, als Peter Vischer, Vater und Sohn, bereits die Augen geschlossen hatten.)
Wenn sich nun auch keine wirklichen Zusammenhänge mit dem oberitalienischen
Buchschmuck ergeben, so móchte ich trotzdem auf die ersten 17 Tafeln bei
Butsch hingewiesen haben, da wir uns hier ersichtlich in jenem Kreise bewegen,
der einerseits auf Zoan Andrea und Nicoletto zurückweist und andererseits alle
jene Motive enthdlt, die einem Manne wie Peter Vischer d. J. als ein neues
Evangelium am Herzen gelegen haben müssen. Hier begegnen auf Tafel 1o
z. B. wiederum jene beiden Meeresbewohner, die gemeinsam einen Schild halten
(Venezianer Holzschnitt 1509; in OriginalgróBe von Butsch auch als Titelblatt
verwendet) Ich móchte es nicht unterlassen, auch auf einen anderen veneziani-
schen Druck von 1499 (Butsch, Taf. 7) hinzuweisen. Hier bewegt sich ein phan-
tastischer Zug von Meeres- und Erdenbewohnern durch das Wasser. Die beiden
vordersten Gestalten schreiten bis an die hohen Oberschenkel in der Flut, zwei
andere hinter ihnen blasen auf Hörnern. Ich habe mich hier immer an einen
Fries des Fuggergitters erinnert gefühlt, auf dem gleichfalls ein phantastischer
Menschenzug durchs Wasser dahin zieht; auch hier schreiten die beiden Führer
ganz entsprechend im Strom und blasen dabei auf den gleichen Hörnern. Es
ist nur eine Anregung, aber ich glaube, bei dem Stande unseres heutigen Wissens
haben wir keinen genügenden Grund, an ihr vorüber zu gehen (Butsch, Taf. 7,
desgl in Gazette des beaux Arts 1870, 369; Lübcke in der Mitte seines unnume-
rierten Tafelwerks). |
262
XII. Tarrochi.
29. Heinrich Weizsäcker hat in seinem Aufsatze über.Peter Vischer, Vater
und Sohn, in kurzen, aber grundlegenden Ausführungen über die Herkunft des
Vischerschen Renaissancestils am Sebaldusgrab gesprochen. Er weist auf Venedig
mit dem Bau von S. Maria de’ Miracoli und auf die Bildhauergruppe der Lom-
bardi. In diesem Zusammenhang streift er natürlich auch den Einflu8 der Buch-
illustration und glaubt, daB die Figur der harfespielenden Muse (Mayer, Genre-
plastik, Taf. 3) auf die Muse in dem Titelholzschnitt der Quattuor libri
des Conrad Celtes (Nürnberg 1502) zurückgehe. Ich habe den Zusammen-
hang bereits S. 258 erwähnt.
Hier muß auch dieMarsyasfigureiner venezianischen Ovidausgabe
von 1497 genannt werden, von welcher Seeger S.94 annahm, daß sie für den auf der
Panpfeife blasenden Satyr vorbildlich gewesen sei. Gertrud Küster, die diesen
Zusammenhang nachgeprüft hat, mißt ihm geringe Bedeutung bei!). Entschädigt
werden wir aber durch einen neuen Zusammenhang, der in dem gleichen Auf-
satze, S. 318, zwischen einem Blatte der italienischen Tarrocchi (Abb. 18) und
einem Relief des jungen Vischer am Sebaldusgrab festgestellt wird (Abb. 19): ein
Bild des Apollo kehrt in beiden Darstellungen so verwandt wieder, daß man die
Frage einer Beeinflussung ruhig bejahen darf, da ja die ganze Konstellation
einen solchen Zusammenhang von vornherein glaubhaft erscheinen 18863).
XIII. Pomedello.
30. In seiner sehr lesenswerten Besprechung der Daunschen Monographie)
macht Theodor Hampe auf den Zusammenhang der TintenfaBfigur in Stan-
more mit einer Medaille des Pomedello für Isabella Sessa Michiel auf-
merksam. Mayer erkannte unabhüngig davon die Beziehung auch seinerseits und
gab zwei Abbildungen dazu*) Der Zusammenhang ist vollkommen klar und
eindeutig.
XIV. Friedrich der Streitbare, Friedrich der Sanftmütige und
Herzog Ernst, sämtlich in Meißen.
31. Das Gesamtbild, das sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ent-
behrt noch eines wesentlichen Zuges. Es ist bisher lediglich von Vorbildern und
Anregungen die Rede gewesen, die sich auf dem Gebiete der Malerei und des
Kupferstichs fanden. Die schwierigere Frage, wieweit andere Erz werke als Vor-
(1) Monatshefte für Kunstwissenschaft 1917, 317. Ich will übrigens bei dieser Gelegenheit
nicht unerwähnt lassen, daß die Verfasserin S. 322 auf einen nicht zur Gießerfamilie ge-
hörigen Peter Vischer aus Nürnberg hinweist, der 1487 das Nürnberger Heiligtumsbüch-
lein herausgibt. Sie wirft die beachtenswerte Frage auf, ob das Dokument, welches über
den Vertrieb der Schedelschen Chronik in Italien spricht und seit Seeger gern auf Peter
Vischer den Jüngeren bezogen wurde, sich nicht auf diesen, in buchhändlerischen Ge-
schäften wohl erfahrenen Mann beziehe. Dieser Peter Vischer wird in Muthers Buch-
illustration (1884) I, 61 erwähnt.
(2) Kristeller, Tarrocchi, Taf. 20. Graphische Gesellschaft 1910.
(3) Monatshefte der kunstwissenschaftl. Literatur 1905, 4
(4) Münchner Jahrbuch 1913, S. 286. Eine nahe verwandte Stellung nimmt eine weib-
liche Figur auf der Allegor. Darstellung des Marcanton Raimondi (B. 377) ein; siehe die
Abb. bei Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt S. 257. Welches von den beiden italieni-
schen Werken das frühere ist — die Darstellung Reimondis liegt um 1505 — vermag ich
nicht zu sagen; für Vischer kommt nur die Medaille in Betracht.
263
bilder in Beti acht kommen, blieb unerdrtert und soll auch im folgenden diesmal
nur soweit gestreift werden, als sich unmittelbare Beziehungen ergeben.
Als Hermann Vischer im Jahre 1453 in Nürnberg einwandert, wird uns leider
nicht gesagt, woher. Immerhin aber gibt es zu denken, daß sein einziges be-
glaubigtes Werk in Wittenberg, also in Sachsen, steht. Man muß sich über-
haupt dessen bewußt bleiben, daß Sachsen seit Jahrhunderten das eigentliche
GieBerland ist, in welchem vor und nach den Vischern eine bodenstündige
Erzkunst blüht, während Süddeutschland ganz im Schatten steht. Auch Hermanns
berühmteren Sohn sehen wir lebenslang zu den sächsischen Fürsten іп Be-
ziehungen, die vielleicht einen tieferen, heimatlichen Untergrund haben. So steht
beispielsweise das strahlende Werk seiner Jugend im Magdeburger Dom.
Meißen birgt die frühen Grabplatten Herzog Sigismunds, Kurfürst Ernsts,
Bischof Dietrichs von Schónburg und aus Vischers mittlerer Zeit die Platten
Herzog Albrechts des Beherzten und verschiedener Fürstinnen. Merseburg
beherbergt wiederum ein Frühwerk derselben Gruppe, die Platte Thilos von
Trotha. Das schon genannte Wittenberg bietet die Spütwerke für Friedrich
den Weisen und Johann den Bestündigen, Altenburg die ganz frühe Platte der
Kurfürstin Margarethe. Im benachbarten Schlesien finden wir in Breslau die
Grabplatte des Bischofs Johann Roth von 1496; und endlich noch weiter gen
Osten führen uns die Gorkaplatten im Posener Dom, auf die ich noch zurück-
komme.
Die eben genannte Meißner Grabplatte des Kurfürsten Ernst (ў 1486, [Abb. 20])
ist nun ohne die ebendaselbst bewahrte des Kurfürsten Friedrich des Sanft-
mütigen nicht denkbar (Abb. 21). Hier besteht ohne Frage ein greifbares Ab-
hüngigkeitsverhültnis. Schon äußerlich sind die ungewöhnlich großen Maße
(Friedrich 1, 44: 2,53; Ernst 1,44: 2,57) fast die gleichen. Die Stellungen mit dem
rechts geschulterten Schwert, das Raffen des Gewandes auf der Gegenseite, die
Beschränkung der Nasenzeichnung auf die Spitze und vieles andere mehr steht
in unmittelbarem Zusammenhang. So vischerisch nun die Grabplatte des Kur-
fürsten Ernst ist (ich komme noch darauf zurück), so unvischerisch ist die ältere
Friedrichs des Sanftmütigen, obwohl sie dem Nürnberger Meister zum Vorbild
gedient hat. Die Form der Vierpässe, die (holländischen) Wellenranken, die
Buchstabenformen usw. stellen diese letztere vielmehr in einen Zusammenhang
mit Kaspar von Schönberg in Meißen, + 1463, Dietrich von Buckensdorff in
Naumburg, + 1466, Hunold von Plettenberg in Erfurt, f 1457, und dem Rahmen
vom Grabmal des Heinrich von Gerbstädt in Erfurt, angefertigt nach 1472. Wir
haben hier deutlich eine sächsisch-thüringische Gruppe!) vor uns, mit welcher
sich Peter Vischer nur berührt.
Doch zurück zur Grabplatte des Kurfürsten Ernst. Bereits die archivalischen
Forschungen von Cornelius Gurlitt?) haben es nahegelegt, daß sie aus Nürnberg
stammt. Wir kónnen das aber auch auf stilistischem Wege wahrscheinlich machen,
(1) Diese Gruppe ist von Joh. Kramer in seiner Dissertation: Metallene Grabplatten in
Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts, Halle 1012, S. 48ff.,
richtig zusammengestellt. Der Verfasser gibt S. 57 an, was diese thüringisch - sächsische
Gruppe von Vischer unterscheidet, unterliegt aber trotzdem der Versuchung, sie mit der
Nürnberger Hütte in festen Zusammenhang zu bringen.
(2) C. Gurlitt, Die Kunst unter Friedrich dem Weisen. Ken Forschungen II, age
S. 63; R. Bruck, Friedrich der Weise als Fórderer der Kunst, 1903, 87.
264
rE рон рр eee
und ich erinnere zu diesem Zweck kurz an die Platte der im selben Jahre 1486
verstorbenen Kurfürstin Margarethe in der Altenburger SchloBkirche, welche von
Cramer а. а. O. S. 42 Vischer zugewiesen und in Vergleich mit Herzog Ernst
gestellt ist. (Kramer gibt keine Abbildung, Simon brachte dann nach dem Tode
des fürs Vaterland gefallenen Verfassers eine Teilaufnahme!), die aber für einen
Vergleich beider W'erke noch nicht genügt; erst die Aufnahme, die auf meine
Bitte der Herzog von Altenburg veranlaßte [Photograph A. Kersten Sohn Nachf.,
Altenburg -Sa., AlbrechtstraBe о], bietet die Möglichkeit einer eingehenden und
überzeugenden Vergleichung.)
Die Vischersche Platte des Kurfürsten Ernst geht nun aber nicht nur auf
das Vorbild Friedrichs des Sanftmiitigen zurück, sondern dieses seinerseits steht
in sichtbarem Zusammenhang mit der Deckplatte der Tumba Friedrichs des
Streitbaren (Abb. 22), die sich in derselben Kapelle befindet wie die beiden eben
genannten Platten. Man bemerkt den Zusammenhang nur deswegen erst allmäh-
lich, weil die Technik beider Werke eine gegensätzliche ist: Die Tumbendeck-
platte ist als hohes Relief, die andere als gravierte Zeichnung gegossen. Legt man
sich die Abbildungen aller drei Werke nebeneinander, so hat man drei frontale
Standfiguren vor sich, welche jedesmal in der Rechten den michtigen Beiden-
hander führen (nur daß er bei den beiden jüngeren Werken eine schräge Rich-
tung innehält), während die Linke jedesmal einen Bausch des Gewandes in Hüft-
hóhe festhált. Alle drei stehen ferner vor einem Brokatteppich, ein Motiv, das
noch einige Worte erfordert.
Die Platte des Kurfürsten Ernst ist die älteste ) der Vischerschen Hütte, auf
welcher zuerst hinter dem Verstorbenen der an einer Stange mit Schnüren be-
festigte Teppich erscheint. Gerade in diesem für Vischer wesentlichem Motive
trennt sie sich von ihren Vorlagen, den Grabplatten der beiden Friedriche, auf
welchen zwar gleichfalls ein Teppich erscheint, aber nicht an einem Schnürwerk
in Scheitelhóhe, sondern als ein gleichmäßiges, den ganzen Hintergrund bis an den
Schriftrand füllendes Motiv. Auf der Vischerschen Platte dagegen gleitet der
Blick über die Teppichstange hinüber in ein gotisches Kircheninnere, das durch
Rippen und MaBwerk in der bekannten Weise angedeutet ist.
Der Vergleich mit den echten Vischerwerken braucht hier nicht weiter aus-
geführt zu werden, zumal Kramer a.a. O. bereits die wesentlichen Züge zusammen-
gestellt hat. Es sei nur noch auf etwas hingewiesen, was er nicht beachtet hat,
daß nämlich zu den Seiten des Dargestellten die Wappen des Verstorbenen
aufgereiht sind. Denn gerade dieses Motiv, das sich in den Vorlagen auf den
Platten der beiden Friedriche nicht findet, ist ein echtes Vischermotiv, das sich
jahrzehntelang іп der Nürnberger Hütte erhält. Es kehrt beispielsweise wieder
bei Otto IV. in Rómhild und bei Herzog Albrecht dem Beherzten іп Meißen
(f 1500), bei dem die Wappen in ganz entsprechender Weise angeordnet sind und
der Blick über den Teppich in einen Innenraum gleitet; vor allen Dingen aber
beobachten wir es auf dem Meisterwerk Peter Vischers d. J., auf der Grabtafel
Friedrichs des Weisen in Wittenberg, der ein Sohn eben jenes Kurfürsten Ernst
war! Durch dieses Kindesverhültnis wird es sich auch erklären, daß Friedrich der
Weise ganz die gleiche Stellung?) wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater
(1) M. f, К. IX, Heft e
(2) Sie lag bereits 1489, wie ich einem Korrekturbogen Gurlitts über die noch nicht er-
schienene Fürstenkapelle des Meißner Doms entnehme.
(3) Und zum Teil auch Tracht, vgl. Mütze, Schulterkragen und Ärmellöcher.
265
(die beiden Friedriche) einnimmt, mit dem rechts geschulterten Beidenhänder,
dem Wappen zu Hüupten usw. Die Kunst Peter Vischers d. J. erscheint aber
um so bewundernswerter, wenn man sieht, welche monumentale Kraft er in
dieses alte Motiv zu legen wuBte. Wer übrigens die Gewalt dieses Denkmals
genieBen will, dem wird sie sich vielleicht in dem GipsabguB des Germanischen
Museums in Nürnberg noch mehr offenbaren als in dem Original der Witten-
berger SchloBkirche. Dort gehen die Abmessungen in dem hohen gotischen
Kircheninnern ein wenig verloren, wührend in dem niedrigen Kreuzgang des
«Museums die Kraft des Denkmals unendlich gesammelter erscheint Mit dem
Sebaldusgrab in Original und Abguß mag ев manchem schon ebenso ergangen
sein. — Das Denkmal Friedrichs des Weisen wurde dann seinerseits die unmittel-
bare Vorlage für das seines Bruders Georg des Beständigen, das in derselben
Schloßkirche steht. * 2 *
Nachtraglich bin ich noch auf folgendes aufmerksam geworden. Die Platte
Friedrichs des Streitbaren zeigt in allen vier Ecken Wappenschilder, diejenige
Friedrichs des Sanftmütigen Evangelistensymbole, und zwar in Vierpüssen der
thüringisch-sächsischen Art. Die Grabplatte Kurfürst Ernsts dagegen trägt in den
vier Ecken Blumen, was sonst bei Vischer nicht vorkommt! Es ist schwer zu
sagen, welche Blumen hier nachgebildet sind. Links unten vielleicht Aglei oder
Rittersporn, links oben vielleicht eine Erdbeerblüte, rechts oben entzieht sich
noch mehr der Deutung, dagegen ist rechts unten mit aller Sicherheit eine Rose
zu erkennen. Vielleicht steht diese Rose nicht zufüllig an ihrem Platze, denn Kur-
fürst Ernst war im Jahre 1480 — sechs Jahre vor seinem Tode — in Rom ge-
wesen, und hatte vom Papste Sixtus IV. die Goldene Rose erhalten, welche er
später dem Dom zu Meißen, also seiner Begräbniskirche, gab. Diese Goldene Rose
ist ein päpstliches Gnadengeschenk, welches, mit Balsam und ‘Weihrauch be-
sprengt, vom Haupte der Christenheit in Gegenwart des Kardinalkollegiums unter
besonderen Zeremonien am sogenannten Rosensonntag geweiht wurde. Die Sitte
geht bis ins 12. Jahrhundert zurück und hat sich bis auf den neuen Tag
ae 1),
XV. Die MeiBner und die Magdeburger Tumba.
(Friedrich der Streitbare und Erzbischof Ernst)
32. Nach dem engen Zusammenhange zu urteilen, welcher zwischen den
Denkmülern der beiden Friedriche und dem des Kurfürsten Ernst besteht, darf
man wohl annehmen, daß Peter Vischer in jungen Jahren Gelegenheit gehabt
hat, Meißen zu sehen. Der Dom in seiner herrlichen Lage, mit dem Blick über
das weite Land, mußte ihn aus einem besonderen Grunde anziehen. Denn in
seiner Vorhalle war erst kürzlich ein Werk aufgestellt worden, das nach Umfang
und Art zu den bedeutendsten seiner Zeit gehórte. Ich meine wiederum die
mächtige Tumba Friedrichs des Streitbaren, die dort in der Mitte der Begrübnis-
kapelle steht. Friedrich war der Stifter derselben, seine Tumba stand daher
in der Mitte und sollte offenbar der Sammelpunkt für die Grabplatten EES
sáchsischer Fürsten werden ?),
Auch von Vischer besitzen wir eine mächtige Tumba, und zwar im Ernst-
grab des Magdeburger Doms. Die Seitenteile beider Werke lassen sich kaum
(1) Ob die übrigen, schwer bestimmbaren Eckblumen als Balsamkräuter zur Besprengung
der Goldenen Rose gedacht sind, vermag ich nicht zu sagen.
(3) Die Datierung dieses Denkmals schwankt. Dehio nennt in der 2. Auflage seines Hand-
buches die Jahre 1430—40 (in der 1. Auflage war eine Datierung unterblieben). Ich glaube
266
miteinander in Parallele setzen: die modischen Klagemänner und die graziösen
Wappenfiguren in Meißen lassen keinen Vergleich mit den ernsten, mannhaften
Apostelgestalten in der ruhigen, schweren und zeitlosen Kleidung in Magdeburg
zustande kommen. Höchstens daß man die trocknen MaBwerkbogen ein wenig
miteinander in Beziehung setzen kónnte. Anders aber steht es um die machtvollen
Liegefiguren der beiden Fürsten. Stellt man beide Bilder einmal nebeneinander,
dann erkennt man sofort, daB in der Auffassung doch auffallend viel Gemein-
sames besteht. Während der Körper bei beiden als ruhige, fast unbewegte Masse
behandelt ist, sind die Arme beide Male in ähnlicher Weise beschäftigt. Beide
sind im Ellbogengelenk an den Kórper herangeholt, und es verschlügt nicht viel,
ob der eine mit der Rechten sein Schwert schultert und der andere dafür den
Kreuzstab faBt. Die Linke des Erzbischofs Ernst halt ganz parallel den Bischofs-
stab, wührend die Linke bei Friedrich dem Streitbaren ziemlich ungeschickt in
der Hüftgegend liegt. Erst nach längerer Beobachtung erkennt man, daß der
Unterarm dazu dient, einen Bausch des Gewandes in Hóhe des Ellbogengelenks
festzuhalten, worüber ich im vorigen Abschnitt gesprochen habe.
Uber die Gesichtsbehandlung bei der Meißner und der Magdeburger Tumba .
läßt sich nur sagen, daB sie beide Male in ähnlicher Realistik geschehen ist, siehe
die Falten, den krüftigen Mund usw., doch ist das чевер Grabmal auch
hierin entschieden groDartiger und fortgeschrittener.
XVI. Die „holländischen“ Platten.
33. Die beiden Gorkaplatten im Posener Dom sind Glieder einer weit zurück-
führenden Kette. Die Forschungen von Joh. Kramer in seiner Dissertation
bestimmt, daB das zu früh ist, zumal im Hinblick auf die sehr realistische Liegefigur des
Herzogs. MaBgebend waren für Dehio vielleicht die gravierten Seitenfiguren, die aller-
dings, besonders in der Tracht, auf etwa 1440 weisen könnten. Nun haben aber zwei von
ihnen eine gewisse Verwandtschaft mit Stichen des Meisters der Spielkarten. Die kleine
reizende Gestalt des Stutzers zwischen den Wappenfiguren von „gleichen“ und „eißen-
berg“ zeigt eine auffällige Ähnlichkeit mit der Spielkarte Nr. 18 (bei Lehrs Taf. 8 in seiner
Geschichte... des deutschen... Kupferstichs im 15. Jahrhundert, Wien 1908): beide in
Profilstellung, beide mit dem Federhut, beide mit dem Pelzbesatz usw. Ebenso berührt
sich die Figur eines modisch gekleideten Jünglings zwischen einem namenlosen Wappen-
halter und dem Wappen von „preu“ mit Nr. 19 (bei Lehrs Taf. 8): beide stehend mit vor-
gestrecktem rechten Fuß, beide rechte Hand am Gürtel, beide kleinen Pelzbesatz am Saum
des Gewandes, beide kleines Schwert am Gürtel usw. Dieser Meister der Spielkarten wird
aber von Lehrs „gegen das Ende der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts“ angesetzt.
Noch etwas später fällt die Datierung, die Geißberg nach brieflicher Mitteilung mir vor-
schlägt. Er schreibt, „die Figuren haben in ihren Bewegungen auffallende Verwandtschaft
mit den Stichen der mittleren Zeit des Meisters E. $. in dem sprungartigen Schreiten,
dem Faltenwurf, Akt usw." Er verweist alsdann auf Stiche der mittleren Zeit des Meisters
bis etwa 1460 spätestens. „Ich könnte mir denken, daß ein Graveur, der viel nach E. S.
gezeichnet hat, so arbeiten würde, auch ohne unmittelbare Vorlagen.“
Endlich ist die Baugeschichte der Kapelle selber von großer Bedeutung für die Da-
tierung der Tumba Friedrichs des Streitbaren. Dehio gibt im Handbuch (2. Auflage) an,
sie sei etwa іп den Jahren 1420—30 erbaut. Gurlitt dagegen schreibt im amtlichen In-
ventar, daß sie nicht vor 1445 zum Abschluß gebracht worden sei. Ich entnehme diese
Angabe dem gütigst übersandten Korrekturbogen des noch nicht erschienenen Bandes
über den Meißner Dom. Danach ist es also wahrscheinlich, daß die Tumba erst nach
1445 in Auftrag gegeben sei; wir werden demnach auch von seiten der Baugeschichte auf
die Mitte des 15. Jahrhunderts geführt.
267
„Metallne Grabplatten in Sachsen .., Halle 1912, und von Felix Dettloff „Der
Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab'*, Posen 1915, haben dargetan, daB; die beiden
Posener Platten auf das bekannte hollündische Muster zurückgehen, welches in
Deutschland z. B. durch die Bülow-Doppelplatte des Schweriner Doms vertreten.
ist. Man gewinnt etwa folgende Entwicklungsreihe: Bülow-Schwerin (der eine
I314, der andere 1375 gestorben), Wicbold-Altenberg bei Köln (f 1398), Andreas-
Posen (f 1479), Lukas von Gorka-Posen (f 1475), Uriel von Gorka-Posen (f 1498),
Friedrich Kasimir-Krakau (f 1503) Dieser Entwicklungsreihe nühern sich zwei
weitere Platten, die ihrerseits Glieder eines anderen Zusammenhangs sind, nümlich
Joh. Roth-Breslau (% 1496) und ganz von ferne endlich auch die Grabtafel Kmitas
in Krakau von etwa 1515. Die drei letzten sind abgebildet bei Daun (S. 16, rı
und 20; vgl. zur ganzen Frage auch meine Besprechung, des Dettloffschen Buches,
M. f. К. 1917, S. 332) 1). | |
XVII Otto IV. in Rómhild.
34. Die Statue dieses Ritters bildet innerhalb der Vischerschen Kunst einen
Typus für sich, insofern als sie als Freifigur gearbeitet und trotzdem eng an die
Wand gerückt ist, wo sie von einem Rahmen der üblichen Art umschlossen wird.
Bergau gibt richtig an, daß Sie nach dem Vorbild älterer Ritterfiguren desselben
Geschlechts in derselben Kirche gearbeitet ist. Diese sind jedoch aus Stein! Man
erkennt also deutlich, daß Vischer hier ein Vorbild zugewiesen war.— Eine Eigen-
tümlichkeit Vischers ist dagegen die Anbringung, der Wappen neben dem Schrift-
rand, wie ег es bereits bei der Liegefigur des Kurfürsten Ernst in Meißen geübt
hatte, und wie es später sein gleichnamiger Sohn auf dem Epitaph Friedrichs des
Weisen in Wittenberg wiederholt, vgl hier S. 265 unten.
XVII. Das Urbild des Sebaldusgrabes.
35. Im Juniheft dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann die Zerstörung der päpst-
lichen Grabdenkmiler in Avignon ausführlich und lehrreich behandelt. Dabei ist
auch ein neues Licht auf die Geschichte des Sebaldusgrabes gefallen, denn man
erkennt einwandfrei, daß in mehreren der dortigen Gräber, vor allem in dem des
Papstes Innocenz VI, der Typus des Nürnberger Sebaldusgrabes, das bisher völlig
isoliert dastand, vorgebildet sei. Ich komme demnächst unter Vorführung von Ab-
кунин darauf zurtick. |
XIX. Eine weitere Diirerbenutzung.
36. Zu dem umfangreichen Kapitel der Diirerbenutzungen ist noh folgendes
rasch nachzutragen: Auf der Grabplatte für Kerkering in der Lübecker Marien-
kirche stehen oben auf den Kapitälen zwei trompetenblasende Knaben, welche als
Genien des Ruhmes anzusprechen sind, „fama tuba dante sonum“, Diese Putten
sind stark durch den Dürerschen Kupferstich ,Drei Genien mit Helm und Schild“
(B. 66) um 1507 beeinflußt. (Abb. z.B. in Klassiker der Kunst IV, 120.) Die Über-
einstimmung geht am weitesten auf dem rechten Knaben der Erzplatte und dem
linken des Kupferstichs. Für den anderen Knaben konnte das Dürersche Vorbild
weniger in Betracht kommen, weil der kleine Genius dort in Rückansicht gegeben ist.
(1) Die seitlichen Nischenfiguren der Breslauer Roth-Platte sind durch bestimmte Tat-
sachen im Leben des Bischofs veranlaßt, vgl. Joseph Jungnitz, in Schlesiens Vorzeit
(Jahrbuch des Schles. Museums) 1907, 83 ff., ferner Alex. Mayer im Münchner Jahrbuch
1913, 271 ff., der den Einfluß des Meisters E. S. auf diese Figuren schlagend nachweist. —
Über Kramer vgl. meine Besprechung im laufenden Jahrgang dieser Zeitschrift.
268
DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA
VON P. P. RUBENS IN LILLE
Mit drei Abbildungen auf drei Tafeln Von ADOLF FEULNER
ax Rooses hat in seinem Monumentalwerk L'oeuvre de Rubens!) das Altar-
blatt beschrieben, wobei er sich hauptsdchlich an den schlechten Stich von
Willem de Leeuw als Vorlage gehalten hat. Den künstlerischen Wert des Bildes
zu beurteilen, erklärte er für unmöglich, da die Aufstellung im nördlichen Seiten-
schiff der Liller Katharinenkirche, über der Türe zu einer Seitenkapelle, das Ori-
ginal fast unsichtbar machte. Darüber gleitet er mit dem kurzen, apodiktischen
Urteil hinweg, das auch zu sehr von der Qualität des Stiches diktiert zu sein scheint:
La composition est un peu embrouillée et n'a rien de saisissant. Seitdem ist das
Gemälde für die Wissenschaft so gut wie verschollen gewesen. E. Michel?) hat
es wenigstens noch kurz erwühnt; sonst hat man es vergessen. In dem von Rosen-
berg bearbeiteten Band der Klassiker der Kunst, auch in der französischen Uber-
setzung, sucht man es vergebens. In dem kritischen Katalog bei Wurzbach’) ist
es nicht einmal mit dem stereotypen Vermerk ,nicht von Rubens“, mit dem auch
gute Werkstattbilder ausgezeichnet werden, zitiert. Nur die populüre Rubens-
biographie von Verhaeren bringt eine Abbildung, die schöne Zeichnung zur Haupt-
figur in der Albertina, allerdings mit einer zu allgemeinen Unterschrift. Daß es
eine Studie zu dem Liller Bild ist, war Verhaeren nicht bekannt. Früher war
das Urteil anders. Im 18. Jahrhundert war das Altarblatt eine berühmte Zierde
der Stadt Lille. Im Guide des étrangers à Lille von 1772*) wird es mit Auszeich-
nung genannt, und Deschamps 5) in seiner malerischen Reise durch Flandern widmet
ihm folgende lobende Beschreibung: Le plus beau Tableau est placé au maitre-
Autel; il est représenté le Martyre de Sainte Cathérine, au moment que le Bourreau
ya laie trancher la Téte: il est peint par Rubens. C'est une composition riche.
La sainte est d'une grande beauté; d'autres Tétes sont aussi jolies; le Grand-Prétre
au devant est d'un grand caractère et bien drapé: en bas est un Agneau et un
petit Chien. Le Bourreau est sans action et ses jambes sont d'un dessein maniéré:
mais tout est bien peint, bien colorié et d'un grand effet. Ce Tableau est don fait
à cette Eglise par Messire Jean de Seur et sa femme Marie Patye: on le lit sur
leur Epitaphe placé à la droite, contre le pilier qui conduit à la Sacristie.
Bei den Bergungsarbeiten vor der Apriloffensive dieses Jahres wurde auch das
groBe Altarblatt gesichert und dann in einer gut belichteten Seitenkapelle der Kirche
ausgestellt. Jetzt erst kam es zur vollen Wirkung, mit seinen Vorzügen und
mit Seinen Schwächen: ein ausgezeichnetes Werk der Rubenswerkstätte, von
Rubens entworfen und nach der Untermalung durch Schülerhand übergangen; von
besonderem Interesse auch deswegen, weil die Korrekturen und Ergänzungen des
Meisters an manchen Stellen deutlich sichtbar geblieben sind. Die Abbildung, die
(1) M. Rooses, l'oeuvre de Rubens II. Anvers 1888, S. 235. Ebenda abgebildet der Stich von Leeuw,
bez. P. P. Rub inv. und WDL f.
(2) Em. Michel. Rubens, sa vie, son oeuvre et son temps, Paris 1900.
(3) А. Wurzbach, Niederländisches Künstlerlexikon. Wien 1910.
(4) Guide des etrangers à Lille. Lille 1772, 8.86.
(5) J. B. Deschamps, Voyage pittoresque de la Flandre et du Brabant. Amsterdam 1772, S. 7.
269
wir hier bringen, die erste brauchbare Photographie, die vom Bilde gemacht wurde,
gibt für die folgende Beschreibung die Unterlagen.
Dargestellt ist das Martyrium der hl Katharina. Es sind drei Figuren, die auf
dem Bilde mit Gebärden sprechen. Der heidnische Priester, eine schwere, massige,
prunkvolle Gestalt, in heller, gelblicher Tunika mit blauen Schatten, goldgesticktem
Rock mit roter Zeichnung, scharlachrotem Überwurf und graugestreiftem, weißem
Kopftuch. Mühsam mit der rechten Hand sich auf das Knie stützend, steigt er
die Stufen hinauf und deutet mit eindringlicher Gebürde noch einmal auffordernd
zum Standbild des schönen Götterjünglings Apoll, das im Hintergrund vor einem
Rundtempel steht. Weiter oben die Heilige, die auf einem Kissen kniet, in reicher
Tracht, im weinroten Gewand mit hellen Lichtern, dunkelkarminroten Schatten;
über die sattgrünen Armel ist ein helles, gestreiftes Schultertuch gelegt. Gebeugt,
fast gebrochen kniet sie da, das marmorbleiche, vergeistigte, hoheitsvolle Gesicht
mit dem leisen Zug der Kälte, der Verachtung auf den blutleeren, bläulichen Lippen
vom Götzen weg auf den Beschauer gerichtet, mit entblößtem Hals, gefesselten
Händen. Und oben auf den Stufen, vom Rücken gesehen, der Henker, ein Kerl
wie ein Stier, mit zottiger, rotbrauner Mühne, struppigem Bart, kurzem Hals, Bergen
von Muskeln. Der dunkle, gelbliche Körper ist in ein stahlblaues Tuch gehüllt,
das über die Lenden und die linke Schulter geschlungen ist. Mit gespreizten
Füßen steht er roh da, zu theatralisch, manieriert, greift schon ungeduldig nach
dem entblößten Nacken der Heiligen und drängt die Geführtinnen und Dienerinnen
zurück, die jammernd die Herrin umgeben. Die eine, ein junges Müdchen mit rót-
lichblondem Haar, vollem Gesicht, dessen obere Hälfte im Halbschatten ungemein
weich hingesetzt ist, zieht das Brusttuch vom Hals zurück, Die andere mit regel-
mäßigen Zügen von südlichem Schlag hebt die Last der Haare zur Seite. Die
dritte, die vor der Herrin kniet, die blonde Flamin, die auf so vielen Gemälden
Rubens erscheint, mit dunkelblauen Ármeln, dunklem, olivgrünem Rock, ist damit
beschüftigt, um die Augen der Mürtyrerin eine Binde zu legen. Die Nebenfiguren
sind an der Handlung wenig beteiligt. Eine alte Dienerin, die Züge zu einer
trauernden Grimasse verzogen, blickt von rückwürts herein. Links, neben dem
Priester, stehen zwei Kriegsknechte, und rechts, im Hintergrunde, sind einige
Zuschauer sichtbar. Vorne auf den hellen, grauen Stufen neben dem Opferbecken
ein Widder, das Beil im Nacken, und das Beil eines Liktors. Ein Bologneser
Hündchen springt tänzelnd zur Herrin empor. Inhaltlich bedeutsam sind wieder
die Engel, die auf hellgrauen Wolken vor dem azurblauen Himmel schweben. Mit
echt barocker Dramatik ist der Hóhepunkt der Handlung gegeben. Zum letzten
Male fordert der Priester die Heilige auf, Apollo zu opfern, vergeblich reden die
Gespielen, mit Tränen in den Augen, ihr zu, sie wendet ihr Angesicht vom Götzen
ab, und zum Zeichen, daß der Kampf in ihrem Innern entschieden ist, erscheinen
die Engel mit dem Zeichen des siegreichen Martyriums. Der eine mit dem Kranz
von weißen und roten Rosen und der Siegespalme, der andere streut Rosen herab,
wobei ihn ein Putto unterstützt.
Der Dramatik des Inhaltes entspricht die dramatische Zuspitzung der Form.
Das Bild lebt in Kontrasten. Die strenge Anmut der Heiligen wird gesteigert
durch die massigen Gestalten von Priester und Henker; die lebensvollen, bewegten
Gesichter der Gespielen sind um die Herrin wie zu einem Kranz zusammengeballt,
der die marmorkalte Erhabenheit ihres Ausdrucks hervorhebt. Das kleine Bolo-
gneser Hündchen, das bettelnd lustig zur Herrin emporspringt, wird auf den pompösen,
höfischen Szenen des Medicizyklus oder auf dem sinnlich - schwülen Münchener
270
Susannabild als sachgemäßes Beiwerk empfunden; in diese Märtyrerszene bringt es
einen Zug von weltlicher Stimmung, der im bewuBten Gegensatz steht zum Ernst
des Inhaltes. In Kontrasten lebt auch die Farbe. Das dunkle, beunruhigende
Weinrot mit den warmen, kaminroten Reflexen und den dunklen Schatten im
seidenglänzenden Kleid der Heiligen wird durch die Komplementürfarbe, das kalte,
durch leichte Orangelichter angeglichene Grün im Armel, zu ungemeiner Leucht-
kraft getrieben. Diese Leuchtkraft wird noch gesteigert durch das grünliche Stahl-
blau im Lendentuch des Henkers, das wieder mit dem dunklen Gelb des Inkarnats
sich zu einem vollen Akkord zusammenschlieBt, und durch das warme, dunkle
Blau im Armel der Dienerin, das neben dem rétlichen Blond der Haare und des
‘Inkarnates steht. Die Mittelgruppe ist so farbig zur intensivsten Wirkung gebracht.
Was sie an sich an Unruhe noch haben mochte, das wird durch eine weitere,
kontrastvolle Harmonie im Vordergrunde ausgeglichen, die das Auge zunüchst auf
sich zieht. Der scharlachrote Überwurf des Priesters hebt sich vom Weiß des
Kopftuches und dem weiBlichen Gelb des Obergewandes leuchtend ab; das Gelb
und Rot im Brokat der Tunika treten dazu. Diese flammende Note im Vorder-
grund bringt Ruhe in das Bild. Mit hellen, kontrastvollen Akkorden in warmen
Farben, wie mit Fanfarentünen, hebt so die farbige Harmonie im Vordergrunde
an; sie steigt aufwärts, findet den Ausgleich in der ruhigeren Hauptgruppe
und klingt aus auf der obersten Stufe in den kalten Farben des Henkers, der
aber durch die Form, die übertriebene Modellierung des Aktes, am stärksten hervor-
tritt Der figurale und der farbige Aufbau ergünzen sich. Die Komposition zeugt
von tiefer Überlegung, von starker Berechnung. Ein Faktor bedingt den andern.
Man spürt die Überlegenheit des Meisters, wenn auch die Ausführung zum größten
Teil Schülerhünden überlassen blieb.
Die weitgehende Mitarbeit von Schülerhand wird durch zwei Beobachtungen
deutlich. Durch eine Reihe von schwüchlichen Stellen, verwaschenen Partien von
mehr üngstlicher Pinselführung, die mit Rubens Meisterhand nichts zu tun haben
können. Dann durch die Korrekturen, die von überlegener Hand nachträglich
ausgeführt wurden, und zwar so, daB die alte Fassung für den Beschauer, der
das Bild aus unmittelbarer Náhe untersuchen kann, noch sichtbar geblieben ist.
Gerade diese Reuezüge, oder richtiger gesagt Korrekturen, kónnen als Beweis da-
für gelten, dap Rubens nicht nur den Entwurf geliefert hat, sondern daB er
auch an der Ausführung Anteil genommen hat. Bei den Puttenkópfchen in der
Engelgruppe mit der verblasenen, bläulichen Modellierung, bei der langweiligen
Gruppe der Zuschauer im Hintergrund mit der schwächlichen Farben- und Formen-
gebung hat er sicher keinen Pinselstrich gemalt. Die alte Dienerin zwischen den
beiden Madchen mit dem karikierten, gepreBten, kummervollen Ausdruck erscheint
wie eine nachträgliche Einfügung von Schülerhand, die der Komposition größere
Geschlossenheit verleihen muBte. Für die ganze Hauptgruppe hat ursprünglich
wohl ein farbiger Entwurf von Rubens vorgelegen. Eine Detailzeichnung für die
Hauptfigur, die beweist, daß diese Gestalt Rubens intensiv beschäftigt hat, ist іп
der Albertina in Wien!) Die Haltung des Kürpers mit den gebundenen Hinden,
die Wendung des Kopfes, das verkürzte Antlitz der Heiligen entspricht genau der
Wiedergabe auf dem ausgeführten Altarblatt. Aber ein Unterschied besteht. Die
(1) Veröffentlicht in Schónbrunner-Meder: Handzeichnungen alter Meister aus der Albertina und
anderen Sammlungen. Wien 1896, I, 19 und darnach bei Verhaeren Abb. 87, als Studie einer Ge-
fesselten, ohne nähere Bestimmung.
271
Ziige sind viel ausdrucksvoller, geistvoller, lebendiger. Die Augen sind nach oben
gerichtet, zur Engelgruppe, während sie auf dem Gemälde den Beschauer an-
blicken, wodurch die inhaltliche Geschlossenheit gestört wird. Der Mund ist ge-
schlossen, die Verkürzung der Wangen kommt viel besser zum Ausdruck. Die
Zeichnung wurde also von Schülerhand in das Große übertragen und untermalt,
und dabei ist in der Qualitit manches verloren gegangen. In der Ausführung scheint
die Hauptfigur zum Teil eigenhändig, wenigstens in der Epidermis der Farbe.
Der Auftrag des weiBlichgelben Inkarnats mit den blüulichen Schatten in der linken
Wange und am Hals, den blüulichen Lippen, den kühnen, pastosen Zinnober-
геНехеп am Ohr und an der Nase ist sorgfältig und doch großzügig. Das Gesicht
war ursprünglich ein wenig breiter, die linke Kontur wurde nachträglich zurück-
gesetzt. Das Schultertuch ist ganz pastos mit wenigen Strichen aufgetragen; sehr
weich gemalt ist die Hand der Geführtin, die auf der Schulter ruht.
. Ganz deutlich sind die Korrekturen von Rubens eigener Hand in der Figur des
Henkers. Die linke Schulter war früher tiefer. Die alten Konturen sind noch gut
sichtbar. Der Schulteransatz ist mit einigen Strichen pastoser Lasur, unter denen
das Blau des Himmels noch durchscheint, vergróBert, der Bausch des Tuches ist
verstärkt. Der Oberarm war länger. Am Beginn des Ellenbogens ist ein ganzes
Stück eingeschoben; früher ragte die obere Kontur der Muskeln wenig über die
Schulter des stehenden Mädchens empor. Jetzt erscheint der Arm mehr verkürzt;
früher griff er weiter herab, die Funktionen waren weniger deutlich; die Hand ist
erst nachträglich sichtbar geworden.
Weitere Korrekturen sind am rechten Arm des Priesters gut erkennbar. Das
pastose Weiß des Lichtes ist mit dem schwärzlichen Grau des Schattens nach-
träglich aufgetragen, und zwar so, daß unter den schummerigen Strichen des Pinsels
am Rande das Blau am Ärmel des knienden Mädchens sichtbar geblieben ist. Es
sind schnelle Züge einer routinierten Hand, die sich der Wirkung jedes Striches
bewußt ist. Noch deutlicher ist eine dritte Korrektur. Der Kopf des Bologneser-
Hündchens war früher mehr nach links gedreht. Das Hündchen blickte zur Herrin
empor. Die alten Umrisse sind durch das helle Grau der Stufen nur oberflächlich
verdeckt. Vielleicht war die Verkürzung zu unschön, nachträglich wurde das
Köpfchen nach rechts verschoben. Jetzt bellt das Hündchen zum Henker hinauf.
Wieder erscheint die gleiche schnelle, pastose Modellierung in Weiß und Schwarz
mit etwas Gelb; die Farben sind ineinander mit ungemein sicherer Hand ver-
arbeitet, mehr fertig gezeichnet. Weitere, weniger auffallende Beobachtungen
lassen sich bei genauer Betrachtung des Bildes in unmittelbarer Nähe noch mehr
machen. Aus alledem geht mit Sicherheit hervor, daß Rubens selbst die Haupt-
figuren, den Priester und die Heilige, in einzelnen Teilen übergangen hat. Auch
am Kopf der knieenden Flämin und des stehenden Mädchens rechts neben der
Heiligen, bei dem die dunkle Kontur des Gesichtes nachträglich verstärkt zu sein
scheint, am Kopf und an der Schulter des Henkers, am vorderen Engel sowie an
Teilen des Nebenwerkes, wie am Hündchen sind die Verbesserungen sichtbar.
Dagegen scheinen der dunkle Kopf der links stehenden Gefährtin, mit der etwas
schematischen Zeichnung des Gesichtes, den geraden bläulichen Schatten um die
Nase, sowie die Figur des Henkers mit der etwas unfreien, übertriebenen Model-
lierung, an der nachträglich die Verzeichnungen durch Rubens geändert werden
mußten, in der Ausführung von Schülerhand fast ganz stehen geblieben zu sein.
An den Figuren des Hintergrundes, der Architektur, den Putten sind nicht einmal
Änderungen angebracht. Eines scheint demnach sicher: das Altarblatt darf nicht unter
272
die Werkstattarbeiten schlechthin gerechnet werden, es ist ein wertvolles und zum
Teil eigenhündiges Bild, ein gutes Beispiel aus der Blütezeit, der zweiten Periode,
die die schönsten Altarblätter gebracht hat.
Die Datierung des Bildes ergibt sich aus direkten Quellen, wie aus dem Stil
der Komposition. Die einzige Nachricht bietet der schon bei Deschamps erwühnte
Grabstein in der Kirche St. Cathérine. Der Stein ist wahrscheinlich unter der
neueren Vertüfelung im Chor erhalten; eine Abschrift der Inschrift ist an einem
Pfeiler links vor dem Chor angebracht. Sie lautet: Cy devant reposent noble
homme Jean de Seur conseiller de Leurs Altézes Sérénissimes Albert Archiduc
d'Austriche etc. et Isabella Infante. des Espaignes et commis ordinaire de leurs
finances et dame Marie de Patyn sa femme, lesquels ont fondez l'office de l'Ange
gardien qui se célébre en cette eglise le premier mercredy d'Octobre et ont donné
aussy la table d'autel et peinture de St. Cathérine au choeur de cette église. Ledit
Sr. décéda le 2 juiri 162 1 et laditte dame le 25 de janvier 1668. Die Rechnungs-
kammer in Lille war eine wichtige Finanzbehórde im habsburgischen Flandern,
und ein Rechnungsrat bei Erzherzog Albert und Isabella war eine bedeutende
Persünlichkeit. Es ist klar, daB so ein einfluBreicher Hofbeamter bei einer der-
artigen Stiftung sich an den berühmtesten unter den Malern seines Landes wandte.
Aus der Grabschrift geht nur hervor, daß der 1621 verstorbene Hofrat mit seiner
Frau das Hochaltarblatt der Kirche geschenkt hat. Ob die Stiftung erst im Testa-
ment enthalten war, oder ob das Bild schon vorher entstanden ist, wird nicht an-
gegeben. Aber das Datum 1621 ist doch wichtig. Es bezeichnet den ungefähren
Zeitpunkt der Entstehung; denn in die gleiche Zeit weisen auch die stilistischen
Eigentümlichkeiten. |
Die. ganze Bildfläche ist angefüllt mit wenigen, mächtigen Gestalten, die auf
einem kleinen Raum zusammengedringt sind. Die Gruppen sind aufgebaut in
einem Zuge, der von links vorne in diagonaler Richtung nach rechts bildeinwürts
läuft; aber der räumliche Aufbau ist von mehr nebensächlicher Bedeutung. Die
räumliche Tiefenwirkung ist nicht so ausschlaggebend wie die Gruppierung der
pathetischen Figuren, die in kontrastvollen Gegenbewegungen einander gegenüber-
gestellt sind. Die rhetorische Bewegung des Priesters, die drastische Pose des
Henkers und die Wendung des Körpers der Heiligen ergänzen sich. Der Stufen-
aufbau, der die Gestalten in räumliche Zonen trennt, ist für die Gruppierung mit
großem Geschick ausgenützt, spricht aber für die räumliche Wirkung nicht mit
der Kraft mit, wie auf Gemälden der späten zwanziger Jahre. Auf solchen, wie
der Anbetung Mariens durch Heilige von 1628 in der Augustinerkirche zu Ant-
werpen kommt viel mehr der einheitliche Zug zur Wirkung, der Vordergrund und
Mittelgrund verbindet; die Komposition ist lockerer, weniger kontrastvoll, aber viel
lebendiger. Auf der Enthauptung der hl. Katharina ist das räumliche Gerüst nicht
recht klar entwickelt, das Podium, auf dem sich die Szene abspielt, ist nicht recht
zu übersehen, der Standort der Figuren ist nicht deutlich zu überblicken; die Halb-
figuren und die Köpfe der Zuschauer im Hintergrund dienen mehr zur Füllung der
Fläche. Diese verkleinerten Zuschauer sind unvermittelt eingesetzt, wie die Köpfe
im Hintergrund des coup de lance in Antwerpen von 1620. Es sind die stilisti-
schen Eigentümlichkeiten der sogenannten zweiten Periode in Rubens Schaffen,
die hier sichtbar werden, der Periode, die im Altarblatt die Anregungen römischer
Barockmalerei zu einer neuen Blüte im flämischen Geiste bringt. Der kompositio-
nelle Zusammenhang mit Hauptwerken dieser Zeit, mit dem wunderbaren Fisch-
fang in Mecheln (1619), der Kommunion des hl Franziskus in Antwerpen (1619)
273
dem coup de lance ist ohne weiteres zu erkennen. Mit dem Triptychon in Mecheln
hat die Enthauptung der hl. Katharina noch einige Eigentümlichkeiten gemeinsam.
Der Kontrastfigur des Fischers im Vordergrunde, die mit den stark hervortretenden
roten Farben die Unruhe der übrigen Komposition meistert, kann man vergleichen
mit der Figur des Priesters. Der zerzauste, struppige Kopf des Henkers ist fast
eine Wiederholung des Apostels mit der Fischermütze, der Randfigur auf dem
linken Flügel des Altarblattes. Wie die Hauptfigur von den Nebenfiguren eingefaBt
wird, der Stufenaufbau, sogar die Haltung der Heiligen läßt sich vergleichen mit
der Kommunion des hl. Franziskus. Noch ähnlicher ist ein bedeutendes Werk
der Rubenswerkstätte, der ehemalige Altar im nahen St. Amand, das Martyrium des
hl. Stephan in Valenciennes, das in die Zeit um 1623 zu setzen ist ). (Tafel 64.) Der
diagonale Zug der Gruppe, der Stufenaufbau hier mit Terrainschichten, die Haltung
des hl. Stephan mit dem verkürzten Antlitz, selbst Nebensächlichkeiten wie die
Kópfe der Zuschauer im Hintergrunde, der Rundtempel, die Ehgelgruppe, sind auf
dem Mittelbild des Dreiflügelaltars ühnlich, alle Elemente der Komposition sind
vorhanden. Nur zeigt die Ausführung noch mehr die Schülerhand als das Liller
Bild, das nur in der warmen, auf Kontrasten aufgebauten Farbengebung, durch den
lockeren Farbenauftrag etwas fortgeschrittener erscheint, das aber durch die pla-
stische Formung sich noch ebenso stark entfernt von der flüssigeren Modellierung
der späten zwanziger Jahre. Wir dürfen also das Jahr 1621 als das ungefähre
Datum der Entstehung annehmen.
Über die Geschichte des Gemüldes ist wenig anzufügen. Es wurde als Hoch-
altarblatt für die Katharinenkirche in Lille gemalt, in der es sich jetzt noch be-
findet. Zur Zeit der Franzósischen Revolution wurde es vorübergehend aus der
Kirche entfernt und mit dem ganzen Vorrat von Bildern aus den Kirchen und den
Häusern der Emigranten, dem Grundstock des künftigen Liller Museums, im Kloster
der Recollets in Lille aufgestellt. In dem Verzeichnis, das der Liller Maler Louis
Watteau 1795 auf Befehl der Administration von dem ganzen Magazin zusammen-
stellen muBte, hat es die Nummer 328%): Le martyr de Sainte Cathérine, des
femmes cherchent à la conserver et un grand prétre l'invite à sacrifier à Apollon,
le boureau se dispose à lui couper la téte, le fond est une gloire; par P. P. Rubens.
Ce tableau a été rentoilé et agrandi au bas d'environ six pouces, il a été repeint
à la figure d'Appollon, au reste le tableau est intact et en bon état. Haut de
II pieds 3 pouces, large de 7 pieds 6 pouces. (= 3,64:2,43 m). Die Angaben sind
wichtig. Demnach hat schon vor der Revolution eine Rentoilierung und Restau-
rierung stattgefunden. Die МаВе stimmen mit den heutigen überein. Früher war
das Bild breiter. An der rechten Seite fehlt ein Stück, das auf dem Stich von
Leeuw noch zu sehen ist. Neben der Figur der Frau im Hintergrund erscheint
noch der Kopf eines weiteren Zuschauers und die Halbfigur eines bürtigen Mannes;
auch das Ende des Podestes und ein Stück des Terrains, hinter dem die Zuschauer
stehen, ist sichtbar. Das Stück wurde also schon vor der Revolution abgenommen.
Im Kloster der Récollets blieb das Bild nicht lange. Man verstand es Napoleon
auf einer Durchreise durch Lille für die Sache zu interessieren, der bestimmte,
daß das Bild auf dem Hochaltar wieder aufgestellt werden könne. 1804 wurde es
(1) Rooses II, S. 348. — Кай. des Bergungsmuseums Valenciennes N. 311. Bestellt von Abt Dubois
(1621—73), dem Erbauer der Klosterkirche. 1623 war Rubens als Gast des Abtes in St. Amand, Die
Jahreszahl darf mit der Entstehungszeit des Altares in Zusammenhang gebracht werden.
(a) Jules Houdoy, Études artistiques. Paris 1877, S. 85.
274
der Kirche anvertraut (confié), nicht zurückgegeben; das offizielle Eigentumsrecht
des Museums wollte man also bestehen lassen. Im Chor der gotischen Kirche, die
man 1727 barock stilisiert hatte, waren die Fenster des Chorschlusses zugesetzt.
Das Licht konnte von den Seitenfenstern im Chorschlusse herein. Als nun 1893
die Kirche ihre neugotische Ausstattung erhielt, wurden auch die zugesetzten
Fenster frei gemacht, Der Hochaltar kam dadurch direkt vor die Lichtquelle zu
stehen und das Altarblatt wurde unsichtbar. Man mufte ihm einen neuen Platz
geben; aber auch an seinem jetzigen Aufstellungsort leidet es sehr unter der
schlechten Beleuchtung. 1893 wurde das Gemälde auch ausgebessert und mit
einer neuen Leinwand unterspannt; eine Rentoilierung, eine Übertragung der Farbe
fand nicht statt.
Im allgemeinen ist das Bild nicht sehr gut erhalten. Von neueren Über-
malungen ist es zwar ziemlich verschont geblieben; nur am Apollo, an den Putten
der Engelgruppe, an den Zuschauern und am Beiwerk sind deutliche Spuren
spüterer Restaurierung. Aber ein Umstand ist ungünstig. Die alte Leinwand ist
aus Stücken zusammengesetzt, die auseinanderspringen. Solche Nähte laufen durch
an der Schulter des Apollo, längs herab bis zur Stufe, auf der der Widder liegt,
dann rechts vom Henker über den Kopf der Zuschauerin hinweg. Quer durch
an der ersten Stufe über die Nase des Widders und an der zweiten Stufe über
den Augen des Widders. Auf unserer Abbildung sind sie gut zu erkennen. An
diesen Nähten klafft die Leinwand auseinander, die Farbe fällt in kleinen Stücken
ab. Eine gründliche, sorgfültige Restaurierung ist dringende Notwendigkeit ge-
worden.
275
NOCH EINMAL: KAREL VAN MANDERS
HAARLEMER AKADEMIE von ALBERT DRESDNER
e0090990000009000009000900009090000090000090090000090000000000009000009200900000009000000000990000000000049500000000009000000000090000000000
‚
it Studien über die Entstehungsgeschichte der Kunstakademien beschäftigt,
habe ich Otto Hirschmanns Aufsatz über Karel van Manders Haarlemer
Akademie im 8. Hefte dieser Zeitschrift mit besonderem Interesse gelesen.
Die folgenden Hinweise dürften geeignet sein, zum Verständnisse der von Hirsch-
mann besprochenen Stelle in van Manders Biographie und damit auch zur rich-
tigen Beurteilung des Charakters dieser „Akademie“ beizutragen.
Das Wort „Akademie“ wird in der italienischen Kunstliteratur in einem drei-
fachen Sinne gebraucht.
1. Bedeutet es eine moderne Hochschule der Kunst, wie sie die seit der Renais-
sance entstandene neue Künstlergesinnung forderte, um den Kunstunterricht dem
handwerklichen Betriebe zu entziehen und zugleich dem Künstlerstande eine seinem
erhöhten Selbstgefühle angepaßte neue soziale Vertretung zu geben.
Nur in diesem Sinne hat sich das Wort bis heute erhalten, da es an den seit
dem 16. Jahrhundert entstandenen Kunstakademien haften und unzertrennlich mit
ihnen verknüpft blieb.
2. In Italien hat man aber noch lange, nachdem schon Kunstakademien in unserm
Sinne ins Leben getreten waren, unter „accademia“ auch jede Vereinigung von
Künstlern und jede Veranstaltung verstanden, die dem gemeinsamen Modellstudium
galten. So erzählt Baldinucci (Ausg. der Class. ital. 12, 279) in der Vita des
Guercino: aperse un’ accademia a posta per diseguare l'ignudo. In einem Briefe
des Benedetto Luti vom 20. Dez. 1692 (bei Bottari-Ticozzi 2, 77) heißt es: noi qua
facciamo 1 accademia nel palazzo e certo mi creda che ne aviamo onore per aver
buon modello — man bemerke, daß das Renommee einer „accademia“ als von
ihrem Modelle abhängig dargestellt wird. In diesem Sinne sind denn auch die
„accademie che per tutta la citta (Rom) continuamente in pubblico e in privato
si fanno“ zu verstehen, die Baglione 242 erwähnt: es sind Vereinigungen zum
Modellstudium teils in geschlossenen Kreisen (in privato), teils Aktkurse gegen
Honorar unter Leitung eines angesehenen Meisters und vermutlich mit dessen
Korrektur (in pubblico). Von amtlicher Seite ist in Rom erst unter Benedikt XIII.
(1740—1758) eine Tageschule für Aktstudium eingerichtet worden (Missirini, Me-
morie 240); daher war das Bedürfnis nach solchen accademie dort groß. Es be-
schränkte sich aber nicht auf Rom; von Aniello Falcone berichtet de Dominicis
(Ausg. Neapel 1844, III, 422): studiava continuamente il naturale, tenendo in casa
sua l'accademia del nudo — und diese Ausgabe des gewiegten Fälschers darf man
wohl getrost verwerten, da sie eine übliche Einrichtung des künstlerischen Lehr-
ganges im Auge hat!). Die hier angeführten Stellen habe ich meinen Notizen ent-
nommen; ihre Zahl ließe sich leicht vermehren. Ich verweise noch auf gleich-
sinnige Äußerungen bei Passeri, Deutsche Ausgabe, S. 188, Baglione 241 und Baldi-
nucci I2, 107. Wenn Pascoli 3, 531 von Giambattista Soria berichtet: tenne sempre
aperta publica scuola con ispesse accademie, so hat „accademia“ hier geradezu
die Bedeutung von ,,Modellsitzungen“.
(1) Für Genua s. Soprani, Vite I, 67. 3451 und Staglieno, Mem, e Docum. sull' Ассай. Ligustica 11 f.;
für Florenz: Baldinucci 8, 344; Bologna: Zanotti, Storia dell’ Ассай. Clement. di Bologna I, G ff.;
Venedig: Battagia, Delle Accademie di Venezia 87.
276
3. Endlich wird das Wort „accademia“ auch für die Aktstudie selbst gebraucht,
wenigstens wendet es de Dominicis hiufig in diesem Sinne an. So nennt er 4, 296
die accademie fatte da lui (Giacomo del Pd) sul naturale bellissime. Ebenso 4, 342;
452;,453 et passim.
Es erhellt hieraus, daB der Verfasser der von Hirschmann besprochenen Notiz
das Wort „accademia“, das er ja aus Italien übernahm, in einem dort ganz ge-
bräuchlichen Sinne angewandt hat, und es liegt kein Grund zu der Annahme vor,
daB er durch den Gebrauch dieses Wortes die Vereinigung der drei niederländi-
schen Künstler als etwas besonders Bedeutsames habe kennzeichnen wollen. Der
damaligen Künstlerwelt klang die Bezeichnung ,,accademia nicht ,noch viel ge-
suchter und gewichtiger“ (Hirschmann, p. 214), sondern es wußten jedenfalls die
Maler, die іп Rom gewesen waren, was es heißen wollte, daß drei Maler „Akademie
machten". Es hieß eben nur, daß sie sich zu gemeinsamem Aktstudium zusammen-
taten, wie das in Rom und anderwärts vielfach geschah. Das Mißverständnis der
Stelle geht darauf zurück, daB diese Bedeutung des Wortes ,accademia" seither
abgestorben ist; indem man die „Akademie“ des Karel van Mander im modernen
Sinne verstand, wurde ihr eine Bedeutung beigelegt, die sie nicht hatte. Hirsch-
manns Auffassung findet also von dieser Seite ihre volle Bestätigung.
x *
ж
Anhangweise möchte ich daran erinnern, daß van Mander auch Ше „beinahe
utopistisch-ideale“ Auffassung, wonach es der Kunst unwürdig sei, sich direkt in
den Dienst des Erwerbs zu stellen, gleichfalls aus Italien mitgebracht hat. Sie ist
dort auf dem Boden der neuen Künstlergesinnung erwachsen, klingt schon bei
Cennini (deutsche Ausg. von Ilg, Kap. 2, p. 5) und Ghiberti (Comm. II, c. 18;
v. Schlosser I, 45) an, und ist dann über Alberti (de pict, ed. Janitschek p.98, 146)
zu Lionardo zu verfolgen (Buch von d. Malerei, deutsch von Ludwig, p. 19, 20).
Auch die Stelle in Lomazzos Traktat I, p. 16, 17 ist hierbei zu beachten. In welcher
Weise zu van Manders Zeit Guido Reni den groBen Herrn in Geldsachen spielte,
ist bekannt; man vgl. etwa Baldinucci ro, 326. Ich darf auch auf meine ,,Ent-
stehung der Kunstkritik", z. B. p. 68 und 83, hinweisen. | dE
ayia "ET Zeie. —ͤ—ü— 2 ⁵ðↄ Lu ð⅛ðx2½ ͤ“½uꝝTm Ee EE a —T——¼ —— —n ee — —[—[¾ — — —
Monatshefte für Kunstwiesenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft оло 19 277
FINDLINGE ZUM THEMA: „GOETHE UND DIE BILDENDE
KUNST“ (Schluß.) Von V. CURT HABICHT
**9909000000099000800000097092900090099 09000000000000000000000000000000000000020000090900004900000900400000050000009000000000000
2. Goethe und Palladio.
„. . . біп Nahme der mich so offt, der ich von jeher ein Todtfeind
von Wortschällen gewesen bin, so oft geängstigt hat."
oethes leidenschaftliche Bewunderung Palladios ist bekannt. Zu den zwei
Menschen, denen er das Beiwort groß unbedingt geben will, gehört Palladio.
Soll wirklich nur die Anlehnung Palladios an die Antike der Grund für diese
außerordentliche Einschätzung sein? Lassen sich aus Goethes eigenen Worten
keine weiteren und tieferen Ursachen feststellen? Sollte die überquellende Dank-
barkeit gegen den Künstler nicht doch noch mehr bedeuten als die Freude
der Bestütigung der eigenen klassizistischen Ideen? Zur Lósung dieser und
anderer Fragen verlohnt es sich wohl, zunächst einmal an Goethes eigenen
Worten festzustellen, was er eigentlich an Palladio bewundert hat, und die Gründe
aufzusuchen, warum ihm gerade Palladio so viel gewesen ist. Schließlich wäre
das Fazit zu ziehen und auszumachen, welche Bedeutung Palladio in Goethes
künstlerischen Anschauungen, aber auch in seinen dichterischen Schópfungen
zuerkannt werden darf. |
Schon ein flüchtiger Blick auf die Äußerungen Goethes kann nicht darüber
täuschen, daß es keineswegs die ausgeführten Bauten Palladios allein gewesen
sind, die Goethe zu so auffallender und fast einseitiger Bewunderung gezwungen
haben. Gewiß werden die Werke Palladios gerühmt, Goethe „schwelgt“ in ihnen;
er nennt die Basilika „ein herrliches Werk“, die vier Säulen des ,,Palasts des
Capitan sind unendlich schön“, die Carita in Venedig ist „seines himmlischen
Genius wert“ usw. Zugleich wird man aber auch erkennen, daf er gerade den
ausgeführten Bauten gegenüber mit Kritik nicht zurückhält, er hat bei der Be-
trachtung der Rotonda ,,einige untertánige Skrupel", und sagt es selbst klar und
deutlich: ,Ich habe an seinen ausgeführten Werken, besonders den Kirchen,
manches tadelnswürdige gesehen...* Solche Worte fallen vor den Werken
Raffaels, den er doch allein neben Palladio stellt, nirgends. Ist es Palladios
Verhältnis zur Antike, das den Hauptanziehungspunkt gegeben hat? Goethes
Worte lassen auch hier keinen Zweifel aufkommen. Mit ruhiger Sachlichkeit wird
die Tatsache: „Palladio war durchaus von der Existenz der Alten durchdrungen.
vermerkt, und obwohl Goethe „die edlen Begriffe‘ rühmt, erkennt er in der Gefolg-
schaft der Antike allein noch kein Verdienst, ja er hält mit einem gewissen
Tadel angesichts der Verschmelzung klassischer und zeitbedingter Ideen nicht
zurück: „Er suchte deshalb seine heiligen Gebäude der alten Tempelform zu:
nähern; daher entstanden gewisse Unschicklichkeiten ..." Und wenn er später
vermerkt: „Denn von seiner Mühe, die er sich um die Werke der Alten ge-
geben, hat man gar keinen Begriff,“ so erkennt Goethe doch auch klar, wieviel
Palladio selbst dadurch gewonnen hat. Überschwänglich kann auch das Lob,
das er Palladio für seine archäologischen Mühen in einem Briefe an C. v. Knebel
(Rom, 17. November 1786) spendet, keineswegs genannt werden: „Ich habe den
Palladio, der zu seiner Zeit noch vieles ganzer sah, maß und mit seinem großen
Verstand in Zeichnungen herstellte.“
Die Lösung des Rätsels bietet die Aufzeichnung im Tagebuch vom Oktober
1786: „Ich fühle nur auch jetzt, wie weit ich in diesen Kenntnissen zurück bin,
278
doch es wird rücken, wenigstens weiß ich den Weg. Palladius hat mir
ihn auch dazu und zu aller Kunstund Leben geöffnet.“ Goethe fühlt
es selbst, daß diese Worte erstaunlich klingen und er fügt launig bei: „Es klingt
das vielleicht ein wenig wunderlich, aber doch nicht so paradox, als wenn Jakob
Bóhme bey Erblickung einer zinnernen Schüssel über das Universum erleuchtet
wurde.“ Eine Erklárung der Tatsache bietet er damit nicht, und er verspricht sie
erst für die Zeit nach seiner Rückkehr. „Komm ich zurück und du bist mir hold,
so sollst du auch meine Geheimnisse wissen.“ Es fragt sich für uns, ob wir
den Schleier von diesem Geheimnis lüften und ob wir ausfindig machen kónnen,
wodurch Palladio Goethe so unendlich gefördert hat, daß er bekennen konnte,
dieser habe ihm zu aller Kunst und Leben den Weg geóffnet. Die Ergründung
dieser Ursachen dürfte sich bei dem erstaunlichen Bekenntnis wohl Iohnen. Es
muB sich aufweisen lassen, daß Goethe durch Palladio eine Erleuchtung und
Klürung seiner Ansichten erfahren hat, wie sonst kaum je im Leben. Dieser
Nachweis kann sehr wohl erbracht werden. Was Goethe Palladio vor allem zu
danken gehabt, welche Erkenntnisse dieser ihm erschlossen, und welchen Weg
er gewiesen hat, das läßt sich deutlich aus dem Eintrage des Tagebuches vom
September 1786 feststellen. Er lautet: „Außer einigem Fleiß an der Iphigenie, hab
ich meine meiste Zeit auf den Palladio gewendet, und kann nicht davon kommen.
Ein guter Geist trieb mich mit so viel Eifer, das Buch zu suchen das ich schon
vor vier Jahren von Jagemann wollte verschrieben haben, der aber dafür die
neueren herausgegebenen Werke kommen ließ. Und doch auch! Was hätten
sie mich geholfen, wenn ich seine Gebäude nicht gesehen hätte? Ich sah in
- Verona und in Vicenz was ich mit meinen Augen ersehen konnte, in Padua
fand ich erst das Buch, jetzt studier ich’s und es fallen mir wie
Schuppen von den Augen, der Nebel geht auseinanderundicher-
kenne die Gegenstände.“ Mit größerer Deutlichkeit kann es kaum gesagt
werden, daß Goethe vor allem durch die Schriften Palladios zur Klarheit und zur
Einsicht in Dinge gelangt ist, die er lange vorher und vergeblich gesucht hat.
Er, den es beunruhigte, nicht auf den Grund zu sehen; den Wortschälle, die
weiter nichts sind, geradezu ängstigten; der die jedem Genius eigentümliche, fast
physische Qual vor Unklarheiten besaß, „er fühlte eine innere Art von Ver-
klärung sein selbst, ein Gefühl von freierem Leben, höherer Existenz, Leichtigkeit
‘und Grazie.“ Diese eine Stelle würde schon genügen, wenigstens den Grund der
Bewunderung und des tiefen Schuld- und Dankgefühls Palladio gegenüber zu
erklären. Weitere Äußerungen klären die Frage aber noch wesentlich. Goethe
berichtet nicht nur eifrig von seinem Studium der Schriften Palladios, er ver-
gißt auch fast nie, die Wirkung dieser Lektüre zu kennzeichnen. So Oktober
1786 (Tagebuch): „Nach Tische studirt ich wieder im Palladio, der mich sehr glück-
lich macht...“ Eine Lektüre trockenster, wissenschaftlichster Art, die „sehr glück-
lich macht“, muß doch schon besondere, gesuchte Kenntnisse vermittelt haben. An
einer anderen Stelle nennt er Palladio nicht ausdrücklich; es kann sich dabei aber
nur um dessen Schriften handeln. Tagebuch, S. 267: „Mit der Baukunst geht es
täglich besser. Wenn man ins Wasser kommt lernt man schwimmen. Ich habe
‘mir nun auch die Ordnungen der Säulen rational gemacht und kann das Warum
‚meist schon angeben. Nun behalt ich auch die Maße und Verhältnisse die mir
als bloß Gedüchtniswerk immer unbegreiflich und unbehaltbar blieben.“ Ich
werde auf diese Stelle noch zurückkommen. Wie wohl er sich fühlt, klarer
zu sehen und im wirklichen Begreifen — natürlich durch Palladios Schriften —
279
vorwirtszukommen, lassen die Worte deutlich erkennen. Selbst Palladios Werke
werden ihm durch die Lektüre der palladianischen Schriften erst recht verstánd-
lich. Tagebuch, S.269: ,,Dieses (nümlich wie er gedacht und wie er gearbeitet) wird
mir immer klärer, je mehr ich seine Werke lese, oder vielmehr sehe wie er
die Alten behandelt. Denn er macht wenig Worte sie sind aber alle gewichtig .. .“
Daß es Goethe ernst ist mit diesem Studium, und daß er sich bescheiden als
Lernender fühlt, drückt der Satz weiter unten an der gleichen Stelle aus: „Ich
will das alles noch besser fassen, wenn ich nur erst die untern Klassen durch-
laufen habe.^ In Vincenza besucht er sogar den Baumeister und Architektur-
theoretiker Scamozzi, der des Palladio Gebäude herausgegeben hat, und am
liebsten hätte er sich von ihm gründlich unterrichten lassen (Tagebuch S. 221).
Da die Zeit dazu nicht reicht, versenkt er sich ganz in Palladios Schriften. ,Ich
habe heut nach seinen Wercken gezeichnet und will mir ihn recht herzlich eigen
machen“ (Tagebuch S. 255). Daß es ihm dabei auch um ein tieferes Ver-
stindnis der Alten zu tun war, versteht sich von selbst, und wieviel — fast
alles — er dabei Palladio zu danken gehabt hat, verschweigt er nicht.
Es sind also die Lehren Palladios, die dieser in seinen Schriften!) niedergelegt
hat und die Goethe so ungeheuer gefórdert und zu offen bekanntem Danke ver-
pflichtet haben. Goethe muß danach aber ein ausgesprochenes Bedürfnis nach
architektonischen Kenntnissen besessen haben und es vorher nicht haben be-
friedigen kónnen. Es wird sich aus diesen Gründen verlohnen, Goethes Be-
schäftigung mit Architekturlehren bis zur italienischen Reise nachzugehen und
zu untersuchen, was Palladio Goethe bieten konnte.
In allerfrühester Jugend, námlich bei dem Umbau des Vaterhauses am Hirsch-
graben, zu dem der sechsjührige Knabe, als Maurergeselle verkleidet, den Grund-
stein gelegt hatte, lernt Goethe das Bauhandwerk kennen. Und wenn Goethe
in Dichtung und Wahrheit auch mehr Nachdruck auf die Schilderung der „über-
raschenden und sonderbaren Epoche“ und der kindlichen Spiele und des Treibens
legt, zu denen die neuen Verhältnisse Anlaß gaben, so darf man doch annehmen,
daß der geweckte, frühreife Knabe auch damals schon, wenn auch mehr un-
bewußt, allerlei Erfahrungen, hauptsächlich auf technisch-praktischem Gebiete,
gesammelt hat. Früh äußert sich dann auch schon ein gewisser architektonischer
Gestaltungstrieb, der für den Genius höchst bezeichnenderweise vom Geometrie-
unterricht seinen Ausgang nimmt. Wir werden später sehen, welch bedeutende
‚Rolle gerade die mathematischen Kenntnisse in den architekturtheoretischen
Schriften spielen, und daß sie dort geradezu als die Mutter der Architektur be-
zeichnet werden. Goethe berichtet: „Ich hatte früh gelernt, mit Zirkel und Lineal
umzugehen, indem. ich den ganzen Unterricht, den man uns in der Geometrie
erteilte, sogleich in das Tätige verwandte, und Pappenarbeiten konnten mich
höchlich beschäftigen. Doch blieb ich nicht bei geometrischen Körpern, bei
Kästchen und solchen Dingen stehen, sondern ersann mir artige Lusthäuser,
welche mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dächern ausgeschmückt wurden,
wovon jedoch wenig zustande kam.“ Schon hier machen sich Einflüsse von
architekturtheoretischen Schriften geltend. Denn nur in solchen, d. h. an den
fast nie fehlenden Kupfern mit Grund und Aufrissen, konnte der Knabe eine
Vorstellung von mit Pilastern, Freitreppen und flachen Dächern geschmückten
Landhäusern gewinnen. Wenn er vielleicht auch Gelegenheit gehabt hat, in
а) Vgl. die ausgezeichnete Veróffentlichung von С. Gurlitt: Bibliothek alter Meister der
Baukunst. Bd.I: A. Palladio. Berlin 1914.
280
Frankfurt und Umgegend Landhäuser mit Pilastern und Freitreppen zu sehen, so
weist die Beschreibung der Bedachung doch deutlich auf siidliche Bauten hin.
Wir gehen also kaum fehl, wenn wir uns den Knaben seine Anregungen aus den
italienischen Architekturwerken des Vaters holen denken. Handelt es sich hierbei
aber immerhin nocli um ein mehr spielerisches Schalten der Phantasie, so be-
zeugt uns Goethe doch auch wieder selbst, daB er sich auch ernstlich mit architek-
tonischem Zeichnen abgegeben hat. Die Stelle in Dichtung und Wahrheit lautet:
»Der Legationsrat (Moritz) teilte seine Kenntnisse gern mit, war ein Freund der
Mathematik, und weil diese in seinem gegenwärtigen Lebensgange gar nicht vor-
kam, so machte er sich ein Vergnügen daraus, mir in diesen Kenntnissen weiter
zu helfen. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt, meine architektonischen
Risse genauer als bisher auszuarbeiten und den Unterricht eines Zeichen-
meisters, der uns jetzt auch tüglich eine Stunde bescháftigte, besser zu nutzen."
Die Stelle ist außerordentlich aufschlußreich, zeigt sie doch einmal, daß sich
der junge Goethe schon früh mit architektonischen Rissen, d. h. mit architekto-
nischen Entwürfen, abgegeben haben muß, und ferner wieder die hohe Bedeutung
der Mathematik für das künstlerische Empfinden. Denn wenn man die Hilfe
dieser Wissenschaft bei der Beschäftigung mit der Architektur noch verständ-
lich findet, so mutet sie uns heute als Förderin der Zeichenkunst seltsam an.
Und doch spiegelt sich hierin nur eine Anschauung wieder, die Goethe in allen
architekturtheoretischen Schriften entgegentrat. Es wird nun Zeit, daß wir uns
kurz über das Wesen und die Bedeutung der mehrfach erwähnten architektur-
theoretischen Schriften selbst Klarheit verschaffen. Der Gedanke, „Handbücher
der Architektur“ zu verfassen, stammt aus der Antike. Von den uns erhaltenen
Werken ist das bekannteste das des Vitruv, das seit der Renaissance auch das
aundo der architekturtheoretischen Schriften geblieben ist. Die Italiener!) haben
diese Ideen seit Ghiberti wieder aufgegriffen. Übersetzungen des Vitruv und
solche der italienischen Theoretiker bilden die ersten deutschen und franzö-
sischen architekturtheoretischen Schriften. Eigentlich erst vom 17. Jahrhundert ab
entstehen eigene Arbeiten auch in Deutschland. Das Ende des Jahrhunderts sieht
bereits eine sehr umfangreiche Literatur dieser Art, und im 18. Jahrhundert ent-
. stehen ‘dann zahllose architekturtheoretische ‘Werke, die immer selbständiger
eigene Gedanken mit Rücksicht auf die heimischen Verhältnisse und Bedürf-
nisse entwickeln. Es kommt dazu, daß es geradezu zur allgemeinen Bildung
gehörte, in architektonischen Fragen Bescheid zu wissen; ein Drang der Zeit,
dem die architekturtheoretischen Schriften selbst wieder in weitgehendem Maße
gerecht zu werden versuchen. Wir werden sehen, daß Goethe sich mit Werken
wie denen Laugiers, Blondels, die er ausdrücklich nennt, abgegeben hat, andere
sind ihm sicher auch zu Gesicht gekommen. Bei aller, oft nicht unerheblichen
Verschiedenheit dieser architekturtheoretischen Schriften eint sie im wesentlichen
doch das Streben, über das Wesen und den Ursprung der Künste Klarheit zu
verschaffen, Regeln für die Architektur aufzustellen, die nach dem Dreigestirn:
Stärke, Schönheit und Bequemlichkeit befolgt werden sollen und den jungen
Architekten Anweisung zur Entwerfung von Grund- und Aufrissen, hinsichtlich
des Bauhandwerks, der Kostenanschläge, kurz der eigentlichen Bauführung zu
geben. Aus der ungeheuren Fülle der architekturtheoretischen Schriften ist
Goethe eine verhältnismäßig kleine Zahl, und zwar nicht einmal eine sehr ge-
(1) Vgl. Otto Stein: Die Architekturtheoretiker der italienischen Renaissance (Karlsruher
Dissert.). Karlsruhe 1914.
281
wühlter Art, bekannt geworden. Nach dem Bibliothekskatalog') des Herrn Rat
befanden sich in dessen Besitz die Schriften des Abbé Laugier, und zwar 1. Ob-
servations sur l'architecture, Haag 1765, und 2. Neue Anmerkungen über die
Baukunst, Leipzig 1768. Ferner kommen noch „diverse Zeichnungen von Künstlern
und Bauprofessionisten“ (Nr.g des Kataloges) und „Sammlung verschiedener Pro-
spekte von Stüdten, in groBen Platten (Nr. 13)“ in Betracht. Goethe selbst hat
auBer spüter erschienenen architekturtheoretischen Schriften das Werk von
Francois Blondel: Cours d'architecture, Paris 1675, besessen). Es sind also
die Schriften Laugiers und Blondels, die ihm im wesentlichen zur Orientierung
gedient haben. Die Bescháftigung gerade mit diesen Theoretikern erklart allerlei.
Als das wichtigste sei vorweggenommen: die Betonung der Antike und der Hin-
weis auf Palladio. Die Schriften Laugiers, auf die Goethe ja bekanntlich schon
in seinem Dithyrambus auf Erwin v. Steinbach eingeht, muß Goethe schon früh
kennen gelernt haben Laugiers?) Standpunkt ist der eines krassen Klassizisten,
der, den Spuren M. de Cordemoys folgend, dem Rokoko den Todesstoß zu
versetzen sucht. Seine Lehren selbst bieten im übrigen die gewóhnlichen An-
weisungen für Grund- und Aufri&entwürfe, die Säulenordnungen usw. Der Haupt-
nachteil besteht im Fehlen von Kupfern, die die Lehren überhaupt erst verstándlich
machen. Der Schrift „Observations...“ sind überhaupt keine Tafeln beigegeben
und den „Neuen Anmerkungen . . sechs unzulängliche, von denen fünf den
Theaterbau und eine in kleinen Grundrissen den Kirchenbau behandeln. Mógen
Goethe auch bei der Abfassung seiner Schrift über das Straßburger Münster
vor allem Eindrücke von Herders ,viertem Wäldchen“ vorgeschwebt haben‘), so
beweist die scharfe Stellungnahme gegen Laugier, wie stark sich Goethe mit
dessen Anschauungen abgegeben haben muß. Im Grunde genommen gehen die
Ansichten über gotische Bauwerke nur hinsichtlich der „Zierraten“, die Laugier
verwirft, auseinander. Ja, eine Beschreibung wie die Laugiers von Notre-Dame
in Paris erinnert stellenweise auffällig an Goethes Worte. Z. B. „inzwischen sind
bey dem ersten Anblick, durch den Umfang, durch die Hóhe, durch die geheimen
Aus- und Eingänge von diesem weitläuftigen Schiffe, meine Blicke angehalten,
meine Einbildung gerühret worden. Ich bin genöthiget einige Augenblicke der
Bestürzung Raum zu lassen, Woche alles das Majestätische zugleich in mir
erreget )).
Ehe ‘wir zu einer Kennzeichnung von Blondels Werk, das Goethe auch benutzt
hat, übergehen, seien Goethes weitere ÁuBerungen über seine Beschüftigung mit
der Architektur zunáchst mitgeteilt.
In Leipzig bescháftigt er sich nach einer Briefstelle gleichfalls mit Architektur-
zeichnen. Ja, es scheint ihn immer wieder dazu zu drüngen, anstatt des freien
Zeichnens sich auf diesem Gebiete zu betätigen. So teilt er Oeser mit: „Es will
gar nicht mit mir fort, Herr Professor, und ich weiß vor der Hand nichts anderes,
als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit dieser Stütze
1) Für den Auszug aus dem Katalog statte ich Herrn Prof. Dr. Heuer, Frankfurt, meinen
ergebensten Dank ab.
(2) Nach gütiger Mitteilung der Verwaltung des Goethe-Nationalmuseums Weimar, fiir
die ich hiermit ergebenst danke.
(s) Vgl. K. Cassirer: Die ästhetischen Hauptbegriffe der französischen Architekturtheore-
tiker von 1650—1780 (Berliner Diss.). Berlin rgog, S. 26ff.
(4) Worauf Volbehr: a. a. O., S. 112 ff., hinweist.
(s) Laugièr: Versuch in der Baukunst... Leipzig 1758, S. 147 ff.
282
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in der Baukunst und in aer Perspektive kommen kann.“ Seıbst wenn man die
Beschäftigung mit der Architektur als eine Modelaune der Zeit ansieht, berührt
dieser Bericht Goethes an seinen Lehrer Oeser doch seltsam. Man hat das Ge«
fühl, daß es sich um eine erstrebenswerte Seite der Ausbildung handelt — wozu
sonst der Bericht? — und daß sich Goethe ernstlich um die Erreichung eines
Zieles bemüht hat. *
Als er von Leipzig nach Frankfurt zurückgekehrt ist, sucht er seine Kenntnisse
durch Verbesserungs vorschläge, mit denen er bei dem alten Rate aber wenig
Glück hatte, an den Mann zu bringen. Dichtung und Wahrheit, II /g S. 228: „So hatte
ich von der Baukunst, der Einrichtung und Verzierung der Häuser eine allgemeine
Vorstellung gewonnen...‘ Diese Worte dürfen uns gewichtiger erscheinen als
die Sache selbst — es handelte sich um Anderungen der Treppenanlage —, da sie
gewissermaDen eine Bestätigung des an Oeser gerichteten Berichtes bilden und
zugleich auch das Erreichen einer gewissen Stufe erkennen lassen. Sie muten
beinahe wie ein Selbstzeugnis von fachmännischen Kenntnissen an. Und daß
sich Goethe um solche bemüht hat und sie zu besitzen glaubte, diese Tatsache
genügt für den Gang unserer Untersuchung vollkommen. |
Die Rezension von J. G. Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste,
Leipzig 1771 ff., in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen (Nr. 12 11./II. 1772, S. 89
bis 94) stammt zwar von Merck; das Buch war Goethe aber auch bekannt.
AuBer grauen Theorien war auch da hinsichtlich der Architektur nichts zu holen
und eine tiefergehende Belehrung schon des Fehlens von brauchbaren Kupfern
wegen unmöglich. |
Auch in Weimar verlaBt Goethe die Liebe тиг Baukunst nicht — ,,viele Liebe
zur Baukunst" vermerkt das Tagebuch — und zur Sammlung, ,um noch ab-
gezogener zu werden“, nimmt er sich eines der bekanntesten, franzósischen archi-
tekturtheoretischen Werke, nämlich Blondel: Cours d'architecture, Paris 1675, vor.
Blondels Werk konnte gewiß nicht dazu dienen, Goethes Streben, in architekto-
nischen Fragen Klarheit zu erhalten, zu befriedigen. Das Buch *ist unklar und
unverständlich geschrieben, Schumann!) nennt es geradezu „ein wüstes Sammel-
surium zusammengestellter und verglichener Ansichten“ und erklärt, „sein Stu-
dium ist eine wahre Qual“. Mit größter Breite werden die Anschauungen Vitruvs,
Vignolas, Scamozzis und Palladios hinsichtlich der Säulenordnung und Einzel-
heiten, wie Säulenabstände, Fenster, Bögen usw., vorgetragen. Ein Eingehen auf
die Hauptsache, auf die Konstruktion von Grund- und Aufrissen kirchlicher und
weltlicher Bauten ist nirgends zu finden. Die Kupfertafeln verdeutlichen zwar die
behandelten Gegenstände, wie Säulenordnungen, Gebälk, Türen usw.,gut,lassen aber,
der Anlage des Textes entsprechend, klar durchgezeichnete Gesamtkonstruktionen
von Gebäuden in Grund- und Aufrissen, Perspektiven, Durchschnitten usw. sehr
vermissen. Jedenfalls reichen die Ausführungen in keiner Weise aus, einen nach
.Beiehrung Suchenden ausreichend zu unterrichten. Nicht einmal einen dilettan-
tischen Liebhaber, viel weniger einen um brauchbare Kenntnisse bemühten Fach-
mann — und als solcher suchte Goethe durchaus zur Klarheit zu kommen —
konnten die Ausführungen Blondels zum Ziele führen. An Goethes Streben von
Jugend auf, sich gediegene Kenntnisse zu erwerben, hat es gewiß — wie wir
gesehen haben — nicht gefehlt. Ja, von diesem fachmännischen Standpunkt aus,
der ohne seine Schuld und durch eine merkwürdige Fügung unzulänglich be-
(1) Vgl. Paul Schumann: Barock und Rokoko. Leipzig 1885, S. 6.
283
lehrt und vertieft worden war, und erst in zweiter Linie vom historischen sah
er dann endlich in Italien die Werke der Baukunst, vertiefte er sich in die
Schópfungen Palladios und gab er sich lernend und bewundernd vor allem
schlieBlich den Architekturideen Palladios hin.
Wir haben die Griinde kennengelernt, die ihn veranlaBten, gerade, und zwar
vergeblich, nach den Schriften Palladios zu forschen und kónnen uns vorstellen,
mit welcher Freude und mit welchem Eifer er sich nun den Gedankengängen
Palladios anvertraut, als es ihm endlich gelungen ist, dessen Werke zu erhalten.
Bei der fast einzigartigen Bedeutung dieser Schriften für Goethes Denken dürfte
es angebracht sein, kurz auf den Inhalt derselben einzugehen?!) Ein gründliches
Studium der Antike in Rom und eine klare Auffassungsgabe des Wesentlichen
bestimmen den Charakter der Ausführungen Palladios. Als Feind vieler Worte
ҒаВе er sich kurz und stellt seine Gedanken klar hin. Der Kern seiner asthetischen
Grundanschauung geht zwar auf L. B. Alberti zurück und spricht eigentlich Selbst-
verstündliches, aber mit eindringlicher Schlichtheit aus. Er will die architekto-
nische Schópfung als ein lebendiges Ganze angesehen wissen, bei dem alle Teile
als notwendig und darum als schón erscheinen sollen. Die Hauptwirkung sucht
er im Gegensatz zu seinen Vorgängern in praktischen Bedürfnissen entsprechenden
klar und sauber durchdachten und gezeichneten Grund- und Aufrissen, wie er
überhaupt mehr durch Anschauung wirken will, und das gründliche, verstandnis-
volle Studium guter Schópfungen — ausgeführter und gezeichneter — als den
Hauptweg ‘zu einem vollen Verstündnis der Architektur empfiehlt. Hierdurch
kam er aber gerade dem Suchen Goethes entgegen, den die theoretischen, un-
anschaulichen Ideen Laugiers und die dunklen, unverständlichen Ausführungen
Blondels naturgemäß nicht hatten befriedigen können. Nun, da er die schlicht
und klar vorgetragenen Ideen Palladios zugleich in aufschlußreichen Zeichnungen
studieren konnte, mußte es ihm allerdings „wie Schuppen von den Augen fallen“.
Jetzt verstehen wir auch all die oben angeführten AuBerungen Goethes. Endlich
— und man meint, es sei ihm absichtlich verwehrt gewesen, früher zur Klarheit
zu kommen — kam er dem Kern der Dinge näher. Palladios Zeichnungen
mußten wie Offenbarungen wirken, denn hier ließ sich in einfacher Weise die
ganze Theorie, all „die Wortschälle, die ihn geängstigt hatten“, mit einem Blicke
egen", Goethe hätte das lang Gesuchte allerdings viel einfacher und in zeitge-
müBerem Gewande bei deutschen Architekturtheoretikern, etwa bei L. Chr. Sturm?)
finden können; allein darüber haben wir nicht zu rechten. Die Folgen daraus,
daß ihm „der Weg zu aller Kunst tnd Leben“ gerade durch Palladio geöffnet
wurde, mußten sich allerdings in höchstem Maße geltend machen. Nur von hier
aus ist Goethes klassizistischer Standpunkt, den er ein Leben lang gewahrt hat,
verständlich und — bedenkt man die ungelohnte Mühe des früheren Suchens
und die Erleichterung und Erleuchtung durch das Studium der palladianischen
1) Vgl. O. Stein: a. a. O., S. 5a ff. und S. 116 ff. und C. Gurlitt: Bibliothek alter Meister
der Baukunst, a. a. O.
(2) Wie beglückt er über die ihm endlich gewordene Erleuchtung ist und wie hoch er
sie einschätzt, geht auch aus dem Briefe vom 3. November 1786 aus Rom an den Herzog
Karl August hervor, dem er u.a. schreibt, daB man die Werke Palladios ,,alle haben mu B“
(Briefe Bd.8 S. 41). f
(3) Uber Sturm vgl. V.C.Habicht: Die deutschen Axchitektarthieorstikar des 17. und 18.
Jahrhunderts. III. Kapitel: L. Chr. Sturm und N. Goldmann. Zeitschr. für Architektur und
Ingenieurwesen. Jahrgang 1917. Heft 5.
284
Schriften — auch berechtigt. Das schwer errungene und einmal erreichte Gut
konnte und durfte nicht mehr leichthin preisgegeben werden. Dazu war die
Erkenntnis zu spät gekommen und von zu tiefer Wirkung. Der Einfluß aber
gerade der schlichten und verstandesklaren, antikischen Denkungsweise Palladios
hat der Iphigenie, dem Tasso, den venezianischen Epigrammen, Hermann und
Dorothea, um nur das Wichtigste zu nennen, die tempelreine Form verliehen,
die sie in der Tat besitzen. Das ist ebenso gewiß als es unvernünftig ist, dies
Gewand, das mehr als ein solches bedeutet, zu bedauern — oder gar zu tadeln.
3. Der Faust und die bildende Kunst.
„Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.“
Den Eindrücken der bildenden Kunst auf das dichterische Schaffen Goethes
ist man am frühsten und gründlichsten an seinem Meister- und Lebenswerk
nachgegangen. Die einzigartige Stellung der Schöpfung und Goethes eigenes
Bekenntnis, daß ihm die bildende Kunst gerade beim Faust von großem Nutzen
gewesen sei, mögen die Hauptgründe dafür gewesen sein. Storck!) hat die Er-
gebnisse der Forschung in einem dankenswerten Büchlein zusammengefaßt. Eine
Vorlesung über das Thema hat mich erkennen lassen, daß aber manches noch
übersehen worden ist, und daß der Anteil der bildenden Kunst ein noch größerer.
ist, als Storck geglaubt hat. Auf einen Punkt möchte ich vor der Mitteilung dieser
Beobachtungen aber noch besonders hinweisen, das ist die gleichfalls seither -
noch nicht recht gewürdigte Art der Verwertung der Eindrücke von seiten der
bildenden Kunst gerade im Faust. Die wirksamste Hilfe mußte die bildende Kunst
naturgemäß bei der Konzeption der Umgebung, in die die Personen handelnd
hineingestellt werden sollten, bieten. Wir bewundern die tiefgehende Ein-
fühlungsgabe, mit der Goethe die der betreffenden Szene, ja der Stimmung und
dem Handeln der Personen genau entsprechende Umwelt zu schildern verstanden
hat. Es gab zwei Möglichkeiten, die dabei auftauchenden Vorstellungen aus dem
Reiche der bildenden Kunst zu verwerten, nämlich entweder in breit angelegten
Bühnenanweisungen oder in Wortmalereien, die den handelnden Personen in den
Mund gelegt werden. Goethe hat den letzteren Weg gewählt, ja, die Bühnen-
anweisungen so lakonisch wie möglich gehalten. Damit war viel gewonnen.
Zunächst die Möglichkeit, mit Worten schwelgerisch zu zeichnen und einem
. Drange Genüge zu tun, der in der bildenden Kunst Goethe trotz aller Versuche
verwehrt gewesen war und der in den Bühnenanweisungen schwülstig und ver-
hallend geklungen hätte. Zugleich war damit aber auch die Selbständigkeit
den Bildeindrücken gegenüber gewahrt. Denn so gewiß für das Studierzimmer
Fausts Rembrandts Faustradierung und Niederländer wie Thomas Wyck Pate
gestanden haben, so persönlich und selbstschöpferisch bleiben doch die plasti-
schen, stimmungsreichen Schilderungen dieser Gelehrtenstube, die Goethe Faust
selbst in den Mund gelegt hat. Wieviel die Unabhängigkeit der Dichtung von
allen Bühnenverhältnissen damit gewonnen hat, braucht nicht erst betont zu
werden. Daß das Werk nicht zum wenigsten auch hierdurch zum Gemeingut
der Deutschen geworden ist, darf man wohl aber mit Recht aussprechen.
Ich habe im folgenden auch einige Stellen des Gedichtes gebracht, die An-
regungen von seiten der bildenden Kunst deutlich erkennen lassen, ohne daß
(1) Vgl. W. F. Storck: a. a. O.
285
es der Art der Abfassung der Verse wegen möglich ist, das bestimmte Vorbild
der bildenden Kunst zu nennen — und habe es getan, weil es ja wohl nicht in
erster Linie darauf ankommt, in philiströser Weise Goethe die Herkunft einer
Vorstellung nachzuweisen, als vielmehr den weitgehenden und reichen Einfluß
der bildenden Kunst überhaupt aufzuzeigen. Gerade der schöpferischen und selb-
ständigen Verarbeitung der Bildeindrücke wegen würde man zahlreiche, auf-
schlußreiche Beziehungen außer acht lassen, wenn man nur die gelten lassen
wollte, die sich mathematisch genau decken.
Wie alles sich zum Ganzen webt!
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen
Und sich die goldnen Eimer reichen.
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all’ das All durchklingen!
Es gehört kein besonders tiefes Eindringen in die mittelalterliche Kunst dazu,
um in diesen Versen das Nachklingen kirchlicher Bildvorstellungen zu fühlen 1).
Die auf- und niedersteigenden Himmelskräfte lassen einen sofort an die zahl-
losen schwebenden Engelscharen der Werke der Malerei und Plastik denken.
Dieser Eindruck wird noch bestärkt durch die Kennzeichnung, die die „Schwin-
gen“ hervorrufen und durch den nochmaligen Hinweis auf Gestalten, die zwischen
Himmel und Erde schweben. Eine eigentümliche Bestätigung für dieses Emp-
finden bieten die Worte Schubrings?), der die Gestalten der Engel und Heiligen,
die sich in den Aufbauten — „Gestänge“ sagt Schubring wenig glücklich —
der Schnitzaltüre spätgotischer Zeit befinden, geradezu mit den obigen Goethe-
schen Norten — ohne sie ausdrücklich als solche zu kennzeichnen — schildert.
Ich kann mich nun nicht erinnern, diese Heiligen oder Engel, die ihre Attribute
tragen bzw. musizieren, anbeten usw., in Schnitzaltären mit Gegenständen aus-
gestattet gesehen zu haben, die an „goldne Eimer“ erinnern. Wegen der „Schwin-
gen" kommen überhaupt nur Engelsgestalten in Betracht — und diese erscheinen,
allerdings in einer anderen Szene und an einem anderen Orte mit Gegenstünden,
die an die Goetheschen Worte stark anklingen. Ich meine die das Blut Christi
auffangenden Engel, die in — den meist gemalten — Kreuzigungsdarstellungen
um den Heiland schweben und mit goldenen Kelchen ausgestattet sind. Die
Auslösung der Verse durch diese Bilddarstellungen ist gewiß. Wir vermissen in
ihnen allerdings die so merkwürdige Beigabe der Eimer. Man versteht aber leicht,
warum Goethe die wirklichen Attribute: Kelche oder Schalen in seinen Versen
nicht verwenden konnte. Durch die Beibehaltung der Kelche oder Schalen würe
eine Vorstellung erweckt worden, die an Trinkgelage erinnert, und das mußte
natürlich vermieden werden.- Kreuzigungsdarstellungen mit auf- und nieder-
schwebenden Engeln finden sich in der christlichen Kunst zu häufig, als daß
es bei der allgemeinen Fassung der Verse möglich wäre, das Vorbild zu nennen.
Die Anregungen, die Goethe durch die Darstellungen der mittelalterlichen
Kunst der Hölle empfangen und in der Schlußszene des zweiten Teiles des
Faust verwertet hat, sind bekannt. Zweifellos haben ihm ähnliche Vor-
stellungen auch an einer früheren Stelle vorgeschwebt. Ich meine die Worte,
die Faust in dem Monologe vor dem Selbstmordversuche spricht:
(х) Über die literarischen Einflüsse vgl. G. Witkowski: Goethes Faust. II. Leipzig 1012, S. 205.
Vgl. P.Schubring: Der gotische Schnitzaltar. Die Kunst, Juniheft 1917, S. 333.
286
Vor jener dunklen Hóble nicht zu beben,
In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen Mund die ganze Hölle flammt.
Namentlich die letzte Zeile verwertet das Motiv des „Höllenrachens“, wie
ihn die bildende Kunst dargestellt hat, ganz offensichtlich. Die Anregung ist um
so deutlicher, als Goethe selbst eine Kritik dieser Auffassung, die sich völlig mit
der seinigen über Mártyrer- usw. Darstellungen deckt, vorausschickt. Dehio!), der
zum ersten Male die Einflüsse der Fresken des Campo santo zu Pisa zusammen-
fassend klargestellt hat, meint, daß Goethe eben nur diese Höllenrachendarstellung
bekanntgéworden sei. Mag auch die Anregung, für die Schlußszene im zweiten
Teil des Faust gewiß auf das Fresko in Pisa zurückgehen, so zeigt die oben
angeführte Stelle des ersten Teiles, йай Goethe auch andere mittelalterliche Höllen-
darstellungen vertraut gewesen sein müssen. Welches bestimmte Werk Goethe
hier vorgeschwebt hat, ist bei dem Wortlaut der Verse und dem Fehlen weiterer
Kennzeichnungen allerdings nicht auszumachen.
Unbeachtet ist seither auch die wundervolle Beschreibung der Schale geblieben,
die Faust, mit dem Gifte gefüllt, an den Mund führt. Und doch zeigt sie gerade
die feine Beobachtungsgabe Goethes auch kunstgewerblicher Gegenstände, ja,
verrüt einen Sammlersinn, wie er sich ja deutlich genug in den jetet so eindrucks-
voll aufgestellten Schützen seines Hauses zu erkennen gibt.
Nun komm herab, kristallne reine Schale! .
Hervor aus deinem alten Futterale |
Der vielen Bilder kiinstlich reiche Pracht,
Erinnert mich an manche Jugendnacht.
Wir haben eine deutliche Beschreibung eines der reichen, geschliffenen Prunk-
gläser vor uns, wie sie das 18. Jahrhundert so sehr liebte und dank der regen
Nachfrage zu erlesenen Schópfungen des Kunstgewerbes zu gestalten wußte.
Über die persónlichen Gedanken Goethes zur freien Kunst wird sein intimes
und verständnisvolles Verhältnis zur angewandten Kunst nur zu oft und zu leicht
vergessen. Gerade diese feinen, kleinen Züge bereichern unsere Vorstellung von
Goethes Stellung zur bildenden Kunst — und eignen sich vor allem dazu, das
Schiefe Bild des in den Idealen der Antike allein wurzelnden Olympiers zu be-
richtigen. Gleich die zunächst zu besprechenden Verse sind in ganz ähnlichem
Geiste gehalten und zeugen wie die obigen für Goethes keineswegs „kühle“
Beobachtungsgabe aller Zweige der Kunst 'und ihrer Nachbargebiete.
Zweimal gebraucht Goethe Bilder, die der Tütigkeit des Webers entlehnt sind.
Fallen diese Anregungen auch nicht eigentlich : in das Gebiet der bildenden Kunst,
so dürfen sie in diesem Zusammenhange bei dem immer wieder zutage tretenden
Streben Goethes, vor allem auch das Handwerkliche der Künste kennen zu
lernen, namhaft gemacht werden?
(1) Vgl. G. Dehio: Altitalienische Gemälde als Quelle zum Faust (Goethe-Jahrbuch, Bd. 7),
wieder abgedruckt in: Kunsthistorische Aufsätze, München 1014, S. 221ff.
(2) Es ist seltsam, daB einer unserer begabtesten Kriegsdichter, der mit Recht rasch an-
erkannte Arbeiterdichter H. Lersch, ganz ühnliche Bilder gebraucht. Sollten sie Nach-
287
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
und: | |
Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Webermeisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt, |
Die Schifflein herüber, hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt.
Mag in den offiziellen Äußerungen Goethes über die freien Künste, namentlich
in denen aus späterer Zeit, auch wenig von diesem innigen Verhältnis selbst zu
den schlichtesten Künsten zu spüren sein, den Dichtungen sind diese Beobach-
tungen, die von des Knaben Interesse für Dinge wie Nothnagels Tapetenfabri-
kationen über die technischen Studien in den römischen Künstlerkreisen ein ganzes
langes Leben anhalten, zugute gekommen. Und auf diese lebendige Verarbeitung
kommt es ja schließlich weit mehr an als auf eine starr klassizistische Stand-
punktsbehauptung der alten Exzellenz.
Chor der Jünger.
Hat der Begrabene
, Schon sich nach oben
Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdelust
Schaffender Freude nah:
Ach! an der Erde Brust
Sind wir zum Leide da.
LieB er die Seinen
Schmachtend uns hier zurück;
Ach! wir beweinen,
Meister, dein Glück!
DaB diese Verse durch die Himmelfahrt Christi des Raffael!) beeinfluBt worden
sind, bedarf kaum des Beweises. Man könnte sich höchstens darüber erstaunen,
daß die wundervolle Tonmalerei, die Umsetzung der Schöpfung Raffaels in
Worte noch nicht bemerkt worden ist Jedenfalls ist der Zusammenhang hier
noch enger als der mit der einherschwebenden Mater Gloriosa und Tizians
Assunta. Der wundervoll herausgearbeitete Gegensatz zwischen dem „lebend
Erhabenen“ und den ,zum Leide da“ Bleibenden stimmt vóllig mit der ja auch
in Raffaels Schópfung stets bewunderten Zweiteilung seiner Komposition über-
klánge der ja viel genannten Schützengrabenlektüre des Faust sein? Die betreffenden
Verse lauten: .
| Lang ist es her, das Schicksal webt
Das Lebenstuch dem Volk, das strebt.
Der Webstuhl ist der harte Krieg,
Und was er webt, das ist der Sieg.
Die Kette ist der Manner Zahl,
Der Schuß, das ist des Todes Qual.
Die Bindung ist der rasche Tod,
Der färbt die weißen Fäden rot.
(1) Vgl. Georg Gronau: Raffael. (Klassiker der Kunst, Bd. I.) Stuttgart 190g.
488
ein. Weitere Kennzeichnungen, wie die Verklárung Christi und die Stimmungen
der zuriickbleibenden Jiinger, malen ganz deutlich in Worten aus, was Raffael
in gleichem Sinne in seiner Darstellung hatte geben wollen.
Welchen Anteil Mantegnas »lriumpbzug Cäsars“ am Werden des Mummen-
schanzes genommen hat, hat Storck einwandfrei nachgewiesen. DaB die Gürtne-
rinnen aber nicht von dorther, sondern von anderer Seite beeinfluBt sein müssen,
das sagen ihre Worte selbst:
Euren Beifall zu gewinnen,
Schmückten wir uns diese Nacht,
Junge Florentinerinnen,
Folgten deutschen Hofes Pracht.
Tragen wir in braunen Locken
Mancher heitern Blume Zier;
Seidenfüden, Seidenflocken
Spielen ihre Rolle hier.
Auch wenn sie es nicht selbst betonten, daß sie „Junge Florentinerinnen“ sind,
so würden die übrigen Kennzeichnungen schon genügen an die Frühlings- und
Blumengestalten Boticellis zu denken, und zwar vor allem an die seines bekannten
Bildes: Der Frühling in der Akademie zu Florenz А)
Sofort schwebt uns auch bei дег Thronbesteigung Helenas ein Werk der
bildenden Kunst vor. Die Ereignisse werden auch hier wieder in künstlerisch
höchst verstündiger Weise durch die Beschreibung des Chores in Wortmalereien
von klarster Ausdruckskraft erzählt: | |
Aber die schónsten,
Sie kommen daher;
Was tragen sie nur?
Stufen zum Thron,
Teppich und Sitz,
Umhang und zelt-
Artigen Schmuck;
Über tiberwallt er,
Wolkenkrinze bildend,
Unsrer Kónigin Haupt;
Denn schon bestieg sie,
Eingeladen, herrlichen Pfühl.
Tretet heran,
Stufe für Stufe,
Reihet euch ernst!
Würdig, o würdig, dreifach würdig,
Sei gesegnet ein echter Empfang!
Die Eigenart des Thrones, die zu ihm führenden Stufen, der Teppich, vor allem
der Umhang und zeltartige Schmuck und schließlich der Übergang in den Himmel
— all dies sind Beschreibungen, die wie Schilderungen eines Thrones der Maria
einer Marienkrönungsdarstellung anmuten. Die Verbindung des Thrones mit
‚einem Zelte, und der dort natürliche Übergang in den Himmel, das Überüber-
‘walltsein von Wolkenkrünzen, hatte die christliche Kunst schon ziemlich früh
zu einem Typus ausgebildet, der immer wieder in gleicher Form erscheint. Auch
(1) Vgl Lübke-Semrau: Die Kunst der Renaissance. (Grundriß der Kunstgeschichte,
Bd. ПІ.) EBlingen 1912. Tafel S. 180. Ä |
289
die Reihung der Gestalten an den Stufen und nicht zum wenigsten das „würdig,
würdig, dreifach würdig‘ rufen ja unmittelbar die Erinnerung an die feierlichen,
zu den Stufen des Thrones herantretenden Gestalten bei den genannten Dar-
stellungen der bildenden Kunst wach. Den baldachinartigen, mit Teppichen ge-
schmückten Thron hatte Goethe in der Malerei der venezianischen Schule kennen-
gelernt; dort finden sich auch besonders häufig die zu dem Throne führenden
Stufen und „würdige“ Gestalten zu beiden Seiten. Darstellungen, die die Ein-
rahmung des Thrones nach oben zu durch Wolken und Engelsköpfe zeigen,
finden sich überaus häufig. Ein Beispiel, das Goethe schon während seines
Dresdener Aufenthaltes kennengelernt haben kann, sei angeführt: Die Madonna
des hl. Franz von Correggio in der Dresdener Galerie. Bei der ganzen Schilde-
rung Goethes haben offenbar Erinnerungen an mehrere Werke der bildenden
Kunst mitgewirkt und der anschaulichen Klarheit Stärke verliehen.
Zum Schluß will ich noch auf eine Parallele der zeitgenössischen Kunst auf-
merksam machen. Goethe legt Mephistopheles folgende Beschreibung in den
Mund: | | |
Dann baut’ ich, grandios, mir selbst bewußt,
Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.
Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld,
Zum Garten prächtig umbestellt.
Vor grünen Wänden Sammetmatten,
Schnurwege, kunstgerechte Schatten,
Kaskadensturz, auch Fels zu Fels gepaart,
Und Wasserstrahlen aller Art;
Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten,
Da zischt’s und pischt’s in tausend Kleinigkeiten.
Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen
Vertraut-bequeme Häuslein bauen
Die prachtvollen Gartenanlagen der Barockzeit, die — wie Goethe gelegentlich
des Besuches in Saarbrücken wohl weiß — „in die Epoche fielen, da man bei
Gartenanlagen den Architekten zu Rate zog“, waren ihm aus eigner Anschauung
und aus Kupferstichen wohlbekannt. Von den Gartennalagen in Zabern gibt
Goethe in Dichtung und Wahrheit eine Kennzeichnung, die seinen offenen
Blick für diese grandiösen Schöpfungen offenbart und im Grunde, nur nüch-
terner, das gleiche sagt, wie die obigen Verse: „Der Blick in den Garten ist
herrlich, und ein Kanal, drei Viertelstunden lang, schnurgerade auf die Mitte des
Schlosses gerichtet, gibt einen hohen Begriff von dem Sinn und den Kräften
des vorigen Besitzers.“ Gerade hier zeigt sich also noch einmal deutlich die
befruchtende Anregung durch das Schauen von Werken der bildenden Kunst
für das Schaffen des Genius, dem nichts verborgen blieb und der alles in den
‘Kosmos seiner Riesenschópfung aufzunehmen bereit und fähig war’).
(1) Die obige Arbeit ist die Nebenfrucht meiner Vorbereitungen zu einer Vorlesung über:
„Goethes Faust und die bildende Kunst," die ich im Sommersemester 1017 an der Kgl.
Technischen Hochschule Hannover gehalten habe. Daß sie mir dabei in den Schoß fiel,
ist weniger mein Verdienst als die Folge der Unzulänglichkeit der Literatur, die eigene
Forschungen notwendig machte.
— ---------- ааа
290
REZENSIONEN N Шаа
CARL GEORG HEISE, Norddeutsche
Malerei. Studien zu ihrer Entwicklungs-
geschichte im 15. Jahrhundert von Kéln
bis Hamburg. Leipzig, Kurt Wolff Ver-
lag 1918.
Diese „Prof. Dr. A. Warburg dankbar zugeeig-
nete“ Erstlingsarbeit umschließt vier Kapitel von
ungleichem Gewicht. Die beiden ersten, über
Kölner und westfälische Malerei, versuchen „nicht
mehr ais die Herausarbeitung einer klaren Ent-
wicklungslinie und eine vorsichtige Verschiebung
der Akzente bei der Wertung der einzelnen Künst-
lerpersónlichkeiten". Der dritte Abschnitt, über
Niedersachsen, worunter der ursprüngliche ,nieder-
sächsische Kreis“ begriffen wird, muß bei der
schlechten bisherigen Vorarbeit sich mehr auf
eigene Gruppierung des Materials gründen und
ist darin etwas stecken geblieben. Das vierte Ka-
pitel, das Haupt- und Kernstück des Ganzen und
der Ausgangspunkt des Verfassers, kann die Altar-
bilder Hamburger Herkunft ordnen und in mehr
oder weniger wahrscheinlichen HApothesen mit
urkundlich überlieferten Meisternamen verknüpfen.
Lübeck fehlt, da Goldschmidts Band der Nach-
arbeit kaum mehr etwas übrig ließ.
Gleichzeitig wurden die Lieferungen von Burger-
Brinckmanns „Handbuch der Kunstwissenschaft“
ausgegeben, in denen Hermann Schmitz ungefähr
denselben Umfang von Bildern behandelt, unter
dem Titel der „niederdeutschen Malerei“. Der
‘Name stimmt ebenso bedenklich wie Heises „Nord-
deutsch“. Der Begriff des „Norddeutschen“, das
sich dem Oberdeutschen entgegensetzen ließe,
verschwimmt zu sehr, wenn er dermaßen gestreckt
wird, die Kölner Veronika und den schönen Grau-
denzer Marientod zu umfassen. Die „malerische
Empfindungsweise" und Neigung zur „ruhigen,
aktiopslosen Darstellung“ sind für Schmitz die
Charakterzüge der niederdeutschen Malerei Doch
sind weite Strecken Niederdeutschlands über einen
malerischen ,Provinzialismus“ selten hinaus-
gekommen. Und die Aktionen der Menschen
„Meister Franckes" empfinde ich als — in den
Grenzen des Zeitstils — recht lebhaft akzentuiert.
Man tite besser, wenn denn schon zusammen.
gefsßt und eine allzu leicht vorschnell generali-
sierende Psychologie landschaftlicher Eigentüm-
lichkeiten getrieben werden soll, das Westdeutsche
und seine Ausstrahlungen mit einem Griff zu ver-
einigen Die Anwohner des Rheins leben immer
in bestimmten Gemeinsamkeiten.
Wer im einzelnen die voneinander unabhingigen
Bilderbestimmungen der beiden Forscher durch-
mustert, bemerkt bald einen Vorsprung Heises.
Zwar darin behält Schmitz recht: das Jüngste Ge-
richt steht nicht am Anfang (Heise p. 11), son-
dern am Ende von Lochners Entwicklung (Schmitz,
P. 387), wenn es überhaupt vom Meister selbst
stammt — ich entsinne mich, daß Heidrich das
bezweifelte. Aber Heise fiigt seinen Untersuchun-
gen einige bisher unbeachtete Malereien ein, die
wichtige Scbrittsteine geben: den Altar der Jacobi-
kirche in Góttingen, inschriftlich 1402 datiert (ganz
befangen in der Kompositionstypik des 14. Jahr-
hunderts, aber darum keineswegs von fremden
Vorbildern so ,unbedenklich und gewaltsam" ab-
geschrieben, wie Heise p. 64 meint), den ehe-
maligen Altar des Klosters Heiligental in Lüne-
burg (in dem man bei gutem Willen mit Heise
die Hinde zweier Hamburger Maler, Conrad von
Vechta und Hans Bornemann unterscheiden kann
— der erste vor, der zweite nach 1448) und schließ-
lich die Flügelbilder vom Hochaltar der Johannis-
kirche in Lüneburg (für die Heise schon im Thieme-
Becker nach den Urkundenforschungen Dr. H.
Reinckes den Namen des Hamburger Meisters
Hinrik Funhof — aus Urkunden von 1475 — 84 —
mit immerhin großer Wahrscheinlichkeit genannt
hatte).
Daß mit solchen Bereicherungen das Bilder-
material Norddeutschlands noch immer nicht in
genügender Vollständigkeit vorliegt, weiß Heise
selbst. Besonders von der Inventarisation der
Provinz Hannover darf man sich allerlei ver-
sprechen. Victor C. Habicht, der in den letzten
Jahren viel über die „Probleme der niedersächsi-
schen Kunstgeschichte“ versprach, wird von Heise
recht scharf beurteilt. Daß der Kritiker damit
recht zu haben scheint, hat schon Max J. Fried-
länder anerkannt (Kunstchronik 1917/18, Sp. 360).
Habichts Umtaufe des „Meister Francke“ auf den
Steinmetz Kristiain von Bunna wird von Heise
auf absurdum geführt, statt dessen der Name
„Henselinus von Straßburg“ für den Schöpfer des
Thomasaltars wahrscheinlich gemacht. Immer
sicherer wird jedenfalls das eine: der Name
„Meister Francke“, der nur in einer Handschrift
des 16. Jahrhunderts vorkommt und aus zeitgenös-
sischen Urkunden nicht zu gewinnen ist, muß
fallen gelassen werden. Heise möchte den Meister
als fertigen Künstler aus dem westlichen Süd-
deutschland in Hamburg einwandern lassen.
ag!
Weniger legt sich Heise bei Meister Bertram fest,
den er mindestens in einen Maler und einen Bild-
schnitzer scheidet: er will hier den Untersuchun-
gen von Fleubach, Alfred Rohde und Grete Dezel-
Braukmann den Vortritt lassen — die erstgenannte
іш inzwischen im Jahrbuch der k. k. Zentral-
kommission erschienen und zieht die Verbindung
zwischen Bertram und dem Prager Kreis ganz ge-
мів zu eng.
In solchen Ableitungen zeigt Heise besseren,
ja einen ungewöhnlichen historischen Takt. Er
gibt dem „Zeitstil“ sein Recht, der ja um 1400
eine groBe Rolle spielt, gibt es aber auch dem
einzelnen schaffenden Individuum. Zur Bezeich-
nung persónlicher Züge fallt manches gute Wort,
das die Forschung festhalten wird. Formale Ana-
lyse wird nicht exerziert. Die gefällige Ausdrucks-
weise gerät häufig etwas unscharf — man ver-
тібі bisweilen schmerzlich eine unmißverständ-
liche Diktion, die nicht für den Gemäldekenner,
sondern für den Historiker besimmt ist.
Es sind 123 Seiten anstündig gedruckten Textes,
40 inbaltsvolle Seiten mit Anmerkungen, über-
sichtliche Register und endlich 119 woblgeratene
Autotypien auf 100 Tafeln. Leider fehlen alle
Größenangaben, die für die hier zum ersten Male
besprochenen Bilder besonders wünschenswert
würen, fehlen auch oft die Angaben über Erhal-
tung und Übermalung. Aber für Westfalen, Nio-
dersachsen und Hamburg ist hier die Grundlage
für eine abschlie&ende geschichtliche Darstellung
so sicher gelegt wie bisher nirgends.
Erich Römer.
JULIUS PAP, Kunst und Illusion.
Veit & Co., Leipzig 1914. Preis geh.
6,80 M., geb. 7,80 M. |
In ästhetischen Untersuchungen erweist sich der
Ausgangspunkt der Untersuchung auffalliger noch
als in den. Arbeiten anderer Wissensgebiete als
Sache des Glaubens. Je nach der Auffassung ver-
mag das Wesen der Kunst einmal als bewußte
Selbsttáuschung, wie bei Konrad Lange, ein ander
Mal als ein Ausfluß des Spieltriebes und der
Freude am Erleben, wie bei Karl Groos, oder als
Einfüblung, wie bei Theodor Lipps, dem Er-
kennen näher gerückt zu werden. Allen diesen
,Deutungaversuchen ist der Begriff der Illusion un-
entbehrlich. Konrad Lange bezeichnet sein Haupt-
werk: „Das Wesen der Kunst“ geradezu als einen
Versuch einer illusionistischen Ästhetik.
Trotzdem ist die Untersuchung von Julius Pap:
„Kunst und Illusion" als Ganzes ein Neues. Denn
Pap stellt sich im strengen Sinne des Wortes nur
292
auf den Begriff der Illusion ein. Darauf beruht,
soweit es möglich ist, die Uberseugungskraft
seiner Ausführungen. Daraus wird zugleich auch
das Unzulängliche der Deutung der Kunst als
Illusion. um so fühlbarer.
Um die reichen Wirkungsmöglichkeiten der Kunst
einheitlich fassen zu können, formuliert Pap die
Illusion im Sinne des kunstpsychologischen Sprach-
gebrauchs als den eigentümlichen seelischen Er-
fölg der sogenannten nachahmenden oder dar-
stellenden Künste. „Als ihr einfachster Haupttypus
erscheint derjenige, den die abbildliche Darstellung
einer wirklichen oder denkbaren Sinnenwelt be-
gründet: die Anschauungs-Illusion.^ Neben der
normalen Illusion fällt der ekstatischen Kunst-
lilusion, die der normalen durchaus gegensätzlich
ist, eine wesentliche Rolle zu. Die normale Wir-
kung eines guten Gemäldes beruht nach Pap auf
der normalen Anschauungs-Illusion. Dabei ist die
normale Anschauungs - Illuslon als ein Mittleres
zwischen Wahrnehmung und Vorstellung zu fassen.
Der Illusion kommt in dieser Mittelstellung inner-
halb der drei Kategorien eine besondere Erlebnis-
frische zu.
Das Wesen der ekstatischen Anscbauungs-Illusion
wird erklärt aus den gemeinsamen Eigentümlich-
keiten des Anschauungslebens in der Ekstase. Die
ekstatische Anschauung ist weder Wahrnehmung,
noch Vorstellung, noch ein Mittleres, wie die nor-
male Anschauungs-Illusion, sondern sie ist formal -
abstrakte Anschauung, Anschauung schlechthin,
Vision. Denn das Schauen in der Ekstase ist funk-
tioneli undifferenziertes Schauen, Schauen schlecht-
hin. „Die Anschauung faßt nur die großen Züge, die
großen Typen, die großen Komplexe. Für den
Entrückten ist der bewegte Mensch nichts: als
ein lebendig Bewegtes, der glänzende Gegenstand
ein Glänzendes, Hervorstechendes; oder alle
Einzelheiten gehen zerrinnend unter in der aus-
gedehnten Gruppe und Lokalität, in der schwär-
-merisch durchmessenen Unendlichkeit des Natur-
ausschnittes." Durch die Subjektivität der Ekstase
wird der Gemütseindruck von dem Wirklichen
umgewandelt. „Der Erregte sieht nur Erregendes,
der Träumer nur Traumhaftes, der Erleuchtete nur
Lichtvoll-Klares. Dieser Subjektivismus kann un-
mittelbar bis zur Zersetzung der Dingwelt führen.
Dann teilt sich die frei waltende Subjektivität in
den Urstoff der Anschauung: das Apriorisch-For-
male und -Phänomenale bewältigt das Empirisch-
Sachliche." "
Man braucht nur an die Kunst Rembrandts zu
denken, um su verstehen, daf der normalen An-
schauungs-lllusion ein Gegengewicht entgegen-
VW RW E = д
e E e SE &
Ды
‚gestellt werden mußte, um wenigstens einige der
wesentlichsten Äußerungen der bildenden Kunst
unter einen Begriff fassen zu können. Denn daß
ein Gemälde nicht etwa nur ein Abbild eines
Naturausschnittes sei, muß jedem, der einen
Gesamtüberblick über das künstlerische Schaffen
aller Zeiten hat, unmittelbar einleuchten.
Diese Gegenüberstellung von normaler und ek-
statischer Anschauungs-Illusion zeigt die Unzulüng-
lichkeit, mit dem Begriff der Illusion die möglichen
ästhetischen Erlebnisweisen zu deuten. Das Eigen-
tümliche der Wirkung eines Kunstwerkes besteht
nicht darin, daß wir das Bild mit unserer Phan-
tasie in die Wirklichkeit übersetzen. Die Illusion,
die eine malerische Darstellung, etwa ein Reiter-
portrát des Velasquez, hervorbringt, besteht nicht,
wie Konrad Lange glaubt, darin, daß wir uns
in dem Bilde, obwohl es nur ein Bild ist, doch
einen lebenden Reiter, etwa Philipp IV., vorstellen!
Diese ungefähre Gleichsetzung des Inhaltes eines
Gemäldes und des entsprechenden Wirklichkeits-
vorbildes ist so unkünstlerisch wie möglich.
Das mag Pap gefühlt haben, als er von der
normalen Anschauungs-Illusion sagt, daß es eben
der vollendete oder sich vorbereitende illusionire
Effekt sei, was an die Sinnenwirklichkeit mahne
und mit ihr verglichen werde. ,,Die reine, ein-
fache Wirkung darstellender Kunst enthält keinen
Hinweis auf ein Außerhalb, kein Wissen um Ur-
hebung, kein Ausdeuten und Gleichsetzen. Wir
erfassen nicht Natur und Werk getrennt und
wieder verbunden, sondern die Natur ersteht uns
unmittelbar aus dem Werk, aus dem physisch
vom Auge empfangenen Werkeindruck; wir leiten
nicht das Urbild aus dem Ebenbild ab, um es
wieder damit zu identifizieren, sondern das Ur-
bild ist uns immer mit dem Ebenbild gegeben.“
Damit rückt Pap weit ab von der Anschauung,
daB Illusion bewußte Selbsttäuschung sei. Aber
er steht immer noch nicht vorurteilslos vor dem
eigentlichen Problem, die Wirkungsweisen der
Kunst aus sich selbst, möglichst ohne Bezug-
nahme auf den dargestellten Naturausschnitt der
Wirklichkeit zu erklären. Ob eine Landschaft
auf einem Gemälde dargestellt ist, und welche
Landschaft, ob ein Pferd, ein Bildnis, und welches
Bildnis, ob naturähnlich oder völlig wirklichkeits-
fremd, mag dem künstlerisch geschulten Auge völlig
belanglos erscheinen. Der eigentümliche künstle-
rische Erregungszustand wird nicht durch die
mehr oder mindere Naturnälfe bewirkt, sondern
einzig und allein durch die besondere Ausdrucks-
kraft der Farbe und Form. Nicht daß auf der
zweidimensionalen Fläche vermöge der eigen-
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg., 1938, Heft 9/10
timlichen Darstellungsmittel der bildenden Kunst
ein Räumliches meinem Gesichtseindruck ,,illusio-
nür* vorgezaubert wird, ist das zu lösende Pro-
blem, sondern wie durch die der Kunst eigen-
tümlichen Formen gerade die der Kunst eigen-
tümlichen Erlebnisweisen gewirkt werden. Durch
den Begriff der Illusion wird der Nachdruck der
Untersuchung stets auf den Inhalt des dargestellten
Werkes, auf die Landschaft, auf das Bildnis, ge-
legt, wübrend doch gerade dieser aus der Wirk-
lichkeit entlehnte Inhalt für die künstlerische Wir-
kung von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist.
Daher kommt es auch, daß die Werke der go-
genannten primitiven Kunstrichtungen gleichsam
nur als Vorstufen auf dem Wege zu den eigentlichen
Höhepunkten der Kunst angesehen werden; daß,
man kann es genauer umschreiben, ais künstle-
risch bedeutsam nur die Zeit der italienischen
Renaissance und die Malerei der groBen Meister
des 17. Jahrhunderts gilt. Aber ist eine karo-
lingische Miniatur, ein Bronzechristus, ein Aqua-
manile des 12. Jahrhunderts von geringerer künst-
lerischer Bedeutung? Der Begriff der Illusion
versagt dort ebenso wie bei einer Fülle rein kunst-
gewerblicher und architektonischer Schöpfungen.
Diesen Einwänden suchte Pap dadurch zu be-
gegnen, daß er Abwandlungen der normalen wie
auch der ekstatischen Illusion feststellte und außer-
dem noch auf die Augenblicks-Illusion, die Rand-
Illusion und ihre Verwicklungsmóglichkeiten hin-
weist.
Da die Anschauunges-Illusion nur fallweise ästhe-
tischen Wert haben kann, da sie nicht an sich
ästhetisch ist, gelangt Pap folgerichtig zu einer
Untersuchung der nichtästhetischen Illusion. Neben
den biologischen Grundlagen des ästhetischen
Iliusionswertes werden die natürlichen Analoga
der künstlerisch erzeugten Anschauungs-Illusion
festgelegt. Den größten Teil der Forschung nimmt
die Inbezugsetzung des illusionären Erlebnisses
zum Kunstwerk und zu den einzeinen Künsten ein.
. Von dem reichen Inhalt kann die Aufzählung
der einzelnen Probleme kein anschauliches Bild
übermitteln. Wenn Pap glaubt, daß die Mittel
malerisch-bildnerischer Vorführung so unendlich
zahlreicher Modifikationen fähig sind, daß beinahe
jedes wahrhaft originale Werk seine eigene illugio-
nistische Methode hat, und daß es selbst bei
lebenslangem Umgang mit der Kunst niemals
dahin kommen wird, daß die Illusion ihren Vari-
ationswert günzlich, dauernd und unwiederbring-
lich einbüßt, ist damit deutlich die Fülle der zu
lösenden Fragen vorgezeichnet.
Eine sehr wertvolle Ergänzung des eigentlichen
20 293
Haupttelles, in dem diese Lehre der Anschauungs-
Illusion entwickelt wird, bringt der polemische
Teil, in dem Pap seine Stellung zu den bedeu-
tendsten Vertretern der Illusions-Ästhetik festlegt;
zu Konrad Lange, Karl Groos, J. Volkelt, Theo-
dor Lipps, Oswald Külpe, Paul Souriau, A.
v. Meinong und Stefan Witasek.
Auf die eigentlich psychologischen Fragen ein-
zugehen, ist hier nicht der Raum. Es sollte nur
auf den Wert des Buches für den ernsten Kunst-
betrachter hingewiesen werden. In allen Fällen,
selbst dann, wenn durch den Begriff der Illusion
notwendigerweise das eigentliche Wesen des künst-
lerischen Erlebnisses infolge auBerkünstlerischer
Beziehung zur Wirklichkeit verschleiert wird, ent-
halten die Ausführungen Paps so viel Anregungen,
daß das Buch Kunsthistorikern aufs wärmste emp-
fohlen werden muB. Lüthgen.
ADOLF HILDEBRAND, Gesammelte
Aufsütze. Zweite vermehrte Feldaus-
gabe. StraBburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz
und Mündel) 1916. ı Mark.
Die Feldausgabe dieser zu verschiedenen Zeiten
und an verschiedenen Orten erschienenen ästhe-
tischen Betrachtungen des großen deutschen Bild-
hauers wurde nötig, well „im Felde ein so großes
Bedürfnis nach anregenden Büchern besteht, welche
die Menschen auf andere Gedanken bringen als
die jetzige Weltsituation.“ Mit diesen Worten
führt der Verlag das kleine Werk ein. Das Be-
dirfnis nach Büchern, nach Vorstellungen und
Zielen, welche nichts mit dem Krieg — denn die
„jetzige Weltsituation“ ist nichts anderes als ein.
unaufhörliches Töten und Zerstóren — sondern
mit dem Frieden und der Arbeit des Friedens zu
tun haben, ist aber nicht nur im Felde, sondern
auch daheim sehr stark vorhanden und wird nur
durch die Heuchelei unterdrückt, welche der ge-
dankenlosen Vorstellung entspringt, Patriotismus
und Kriegsbegeisterung sei ein und dasselbe. Je
ernster und bestimmter sich die Interessen aller
auf die Kulturarbeit richten, desto besser wird es
für Deutschland sein. Was an geistigen und
wirtschaftlichen Kráften noch nicht vernichtet ist,
wisd nach dem Friedensschluß notwendig ge-
braucht, um die unterbrochene Kulturentwicklung
weiterzuführen.
Die hier zusammengefaßten Aufsätze Adolf Hil-
debrandts sind in den Jahren 1800—1916 ent-
standen. Sie entbalten kurze, leicht geschriebene
Betrachtungen über künstlerische Zeitfragen oder
handein von Dingen, die den Künstler unabhüngig
294
von Zeit- und Tagesinteressen gerade beschäftigten.
Es ist natürlich, daß diese für den Augenblick
und ohne Bezug auf tiefere kunstwissenschaftliche
Probleme entstandenen Schriften nicht mit Hilde-
brandts epochemachendem Werk über das Problem
der Form verglichen werden dürfen, Von dauern-
dem Wert bleiben diese kleinen Schriften vor
allem durch die Persönlichkeit des Autors. Was
ein Adolf Hildebrand an kunsttheoretischen Er-
kenntnissen mitzuteilen hat, wie die Welt der for-
malen Erscheinung sich ihm darstellt, ist immer
wichtig für die Beurtellung des Kunstwollens un-
serer Zeit; denn wie der Künstler seine Ideen im
Schaffen gewinnt, so schafft er auch wieder aus
seiner von der Erkenntnis geborenen Absicht her-
aus. In dieser Hinsicht sind auch noch diejenigen
Aufeitze Hildebrands interessant, die lingst nicht
mehr aktuell sind, wie etwa seine Schrift über die
Villa Borghese und das Denkmal Kónig Um-
bertos. Die meisten der Aufsátze haben aber,
trotzdem sie von Tagesinteressen ausgehen, doch
immer eine allgemeinere Bedeutung. Charakte-
ristisch hierfür ist der Artikel über das Münchener
Künstlertheater, in welchem der Verfasser einige
für die Ausgestaltung des Bühnenbildes sehr wert-
volle Hinweise gibt. In dem Artikel über die
Bedeutung von Größenverhältnissen in der Archi-
tektur macht Hildebrand auf die Tatsache auf.
merksam, daß in einigen Kunststilen die kon-
struktiven Glieder der Architektur als ornamentale
Formen auf das Mobiliar und die kunstgewerb-
lichen Gegenstände übertragen werden, während
in anderen kunstgewerbliche, im kleinen erfundene
Formen ins GroBe übersetzt und als Bauglieder
verwendet werden. Daraus entwickelt er den fol-
genden Gedanken: , Wenn wir diese beiden Pro-
zesse sich gegenüberstellen, so móchte es er-
scheinen, als wire die romantische Verkleinerung
aus der Phantasie des Baumeisters entstanden,
weil das Festhalten der architektonischen Form
dabei bezeichnend ist, während die Vergrößerung
vom Dekorativen ins Architektonische mehr vom
Bildbauer ausgegangen zu sein scheint, dem es
überhaupt näher liegt, die Masse als eine nicht
konstruktive, sondern gegebene anzusehen, die
man erst nachher formt, wodurch das konstruk-
tive Element überhaupt In den Hintergrund ge-
drängt wird." Es liegt hier sicher ein Moment,
das bei der ästhetischen Beurteilung einzelner
Kunstphasen zu berücksichtigen ist.
Da Adolf Hildebrand nicht nur schaffender Künst-
ler, sondern, wie seine schriftstellerische Tätigkeit
beweist, auch Denker und Beobachter ist, so
sprengen seine Gedanken hier und da den Rahmen
des reinenJKunstinteresses, Es sei daher auch
dem Rezensenten erlaubt, einen zwar streng ge-
nommen nicht hierher gehürenden, aber gerade
jetzt sehr fruchtbaren Gedanken des Meisters aus
dem Artikel über Arbeiter und Arbeit zu ver-
zeichnen. Als Ausspruch Adolf Hildebrands mag
er zu einem Platz іп den Monatsheften für Kunst-
wissenschaft berechtigt sein: ,Der Spielraum der
individuellen Begabung und Kraftentfaltung ist
(bei uns in Deutschland) überall so eingeengt, daß
die Tátigkeit an sich ein Minimum der natürlichen
Freude am eigenen Urteilen und Können bedeutet,
-— я wir gehen in Deutschland mit der
Begabung so gleichgültig um, daß eine
Masse von wertvoller Kraft verschwendet wird.“
Gerade heute, wo der Krieg die wertvollen Kräfte
des Reiches auf die Hälfte reduziert, wäre es an
der Zeit, daß den noch übrig Gebliebenen freie
Bahn und bessere Entwicklungsmöglichkeiten ge-
schaffen würden. Hildebrand spricht an einer
anderen Stelle von dem „zuschauenden Bildungs-
niveau“ und ich kann es mir nicht versagen,
diesen Ausspruch hier hervorzuheben, weil er mir
die treffendste Bezeichnung scheint, welche bis-
ber für den immer überhandnehmenden ästheti-
schen Dilettantismus der gebildeten und halb-
gebildeten Kreise gefunden worden ist. Es liegt
in der Natur der Sache, daß dieses gebildete Zu-
schauen fast ausschließlich auf die Kunst gerichtet
ist und durch Feuilleton-Aesthetik gefüttert wird.
Es schadet der Kunst und der Kunstwissenschaft
in gleicher Weise. Eine Kunst und Kunstwissen-
schaft fördernde Gesinnung wird nach dem Krieg
nur auf der Basis des von Adolf Hildebrand hier
kurz zusammengefaßten Gedankens möglich sein:
„Das zuschauende Bildungsniveau zu heben, liegt
weder im Interesse der Kultur, noch des einzeinen.
Schaffen, produzieren, entstehen lassen, darum
handelt es sich, da liegt die einzige gesunde Ent-
wicklung.“ Robert West.
RUNDSCHAU te
DER CICERONE. '
X, 15/16.
E. LUTHGEN: Die Sammlung Leo Kirch in Köln
(ScbluB). (a4 Abb.)
GEORG BIERMANN: Die deutsche Kunst in der
Zukunft.
X, 17/18.
GEORG BIERMANN: Max Pechstein. (16 Abb.)
WILLY P. FUCHS: Tizians deutsche Landschafts-
architekturen.
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION.
XXL Jahrgang, Heft 7/8.
FRITZ von OSTINI: Friedrich Stahl - Feldafing-
München. (7 Abb.)
F. CHRISTOPHE: Paul Scheurich als Graphiker.
(2 Taf., із Abb.)
F. CHRISTOPHE: Richtige Einstellbarkeit für die
Kunstbetrachtung.
CAMILL HOFFMANN: Bildnisaufnahmen von
Hugo Erfurth. (a Taf, 5 Abb.)
THEODOR HEUSS: Bildhauer Carl Stock-Frank-
furt a/M. (т Taf, то Abb.)
W. KURTH: Tizians Venus mit dem Orgelspieler.
(1 Taf.)
HANS HILDEBRANDT: Europa und die ost.
asiatische Kunst. (4 Taf., 13 Abb.)
ROBERT CORWEGH: Kunstgewerbe
Leipziger Messe.
auf der
ERNST ZIMMERMANN: Neue Arbeiten der kgl.
Porzellan-Manufaktur in MeiBen mit Unterglasur-
kobaltblauér Malerei. (3 Abb.)
Arch. E. FAHRENKAMP: Ein Backsteinhaus.
(6 Abb.)
HANS HILDEBRANDT: Die —— I Inszenie-
rung von Glucks lphigenie auf Tauris. (a Abb.)
Heft 9:
W.KURTH: Werke deutscher Künstler des 19. Jahr-
hunderts. Ausstellung bei Fritz Gurlitt - Berlin.
(a Taf., 6 Abb.)
FRITZ MAX CAHÉN: Bildnisse von Oskar H.
Hagemann. (т Taf, 3 Abb.)
Е. W. BREDT: Holzschnitte von Joseph Weiß.
(x Taf., 7 Abb.)
RICHARD BRAUNGART: Neue Arbeiten von
Ferdinand Staeger. (2 Taf., 12 Abb.)
THEOD. VOLBEHR: Photographische Bildnisso
von Angelika Bick-Ohlhoff. (3 Abb.)
HELMUTH DUVE: Neues Kopenhagener Por-
zellan. (r Taf., 4 Abb.)
A. SCHWEISGUT: Bemaltes Porzellan von Emmy
Seyfried- München.
ERNST COLLIN: Der große Wettbewerb für
Kriegsanleiheplakate. (r Taf., 18 Abb.)
Heft то.
EDUARD von BENDEMANN: Deutsche Kunst
Darmstadt 1918. (a Taf., 26 Abb.)
WALTER BOMBE: Was ist Expressionismus?
WILHELM HAUSENSTEIN: Ferdinand Hodler f.
395
HANS THOMA: An den Vorstand der
Sezession, Berlin.
Freien
DIE KUNST.
XIX, r1.
G. J. WOLF: Edmund Steppes. (1 Taf., 12 Abb.)
PAUL F. SCHMIDT: Das Wesen des deutschen
und französischen Klassizismus.
R. OLDENBOURG: Maria Caspar-Filser. (9 Abb.)
„G. KEYSSNER: Amandus Faure, (т farb. Taf.,
6 Abb.)
HERMANN MUTHESIUS: Die Verpflichtung zur
Form.
G. J. WOLF: Bruno Goldschmitt. (20 Abb.)
Amerikanische Landhäuser und Gartenanlagen.
(x Taf., 11 Abb.)
OUDE KUNST.
III, 10. |
NANNE OTTEMA: Het aardewerk in de Noor-
delijke Nederlanden en gebruik in het laatste
kwart van de zestiende eeuw, (5 Taf.)
H. MARTIN: Twee schilderijen van den 17° eeuw-
schen schilder François Carré. (3 Abb.)
M. J. WILDEMAN: Twee silhouetten en een mi-
niatuur. (3 Abb.)
BERLINER MÜNZBLÄTTER.
Neue Folge, Nr, 200.
ORTWIN MEIER: Ein braunschweig - degen,
scher Hohipfennig aus dem 2. Drittel des r4. Jahr-
hunderts. (3 Abb.)
L. v. L.: Das deutsche Notgeld von 1916— 1918.
(Fortsetzung.) |
—
OUD HOLLAND.
Sondernummer: Inhaltsübersicbt des 26.— 35. Jahr-
ganges.
XXXVI, ı und 2 (Doppelnummer).
H, E. van GELDER: De zestiende- eeuwsche glas-
schilderingen in de Haagsche Sint - Jacobskerk.
(24 Abb.)
S. LEURS en C. F. X, SMITS: Oud-Nederlandsche
bouwkunst (Kempische torens). (7 Abb.)
R. LIGTENBERG: Materialen voor een studie
over de beeldhouwers de Nole en hun werken.
Korte mededeelingen. ·
AMTLICHE BERICHTE Aus DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.
XXXIX, 10
J. SIX: Die Landschaft in dem Johannes des
Hieronymus Bosch. (о Abb.)
XI. Jahrgang, Heft 9/:c.
Herausgeber und verantwortl Schriftleiter Prof. Dr. GEORG BIERMANN. —
Herausgeber und verantwortl. Schriftleiter i. V. HANS FRIEDEBERGER, Berlin
W. 15, UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT
& BIERMANN, Leipzig.
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In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
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Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte ftir Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, LiebigstraBe 2. Telefon 13467.
—ä— —— а ааа a ——
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Es wird gebeten, alle für die Schriftleitung bestimmten Mitteilungen und Sendungen nur an
Herrn Hans Friedeberger, Berlin W. 15, Uhlandstraße 158 zu richten.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den ,Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
296
ZUR WURDIGUNG DES VEIT STOSS
Mit achtundzwanzig Abbildungen auf dreizehn Tafeln Von W. von GROLMAN
009000000000090000090600009000000000000000000000000000900000000000000000090900000909000500000000000000900000009000000009000000900000000000
р Kunst des Veit Stoß hat seit fast anderthalb Jahrzehnten die Forschung in
zunehmendem MaBe beschiftigt. 1903 erschien die erste verdienstvolle Zu-
sammenstellung der Werke des Meisters von Daun?), und einige Jahre später die
mehr für Laienkreise berechnete Monographie desselben Autors in der Knackfuß-
Serie?), während 1912 die umfangreiche, überaus sorgfältige und wertvolle Arbeit
des inzwischen auf dem Felde der Ehre gefallenen jungen LoBnitzer*) brachte.
Endlich hat Daunt) im J. 1916 eine, auf den dreifachen Umfang erweiterte und
ganz umgearbeitete neue Auflage seiner Monographie von 1903 heraus gebracht,
die freilich Neues von irgendwelcher Bedeutung nicht beibringt und die zahlreichen
Ergebnisse anderer Forschungen der letzten Jahre entweder nicht nennt oder nicht
anerkennt. Daneben bereicherten manche Einzeluntersuchungen unsere Kenntnis
des Meisters um eine Reihe zum Teil wertvoller Werke. Es sei hier nur erinnert
an die Auffindung der Rochusstatue und eines Kruzifixus durch Hermann Voß?) іп
Florenz, die Entdeckung der Anna Selbdritt in Wien durch Rathe®) und die einer
freilich stark mitgenommenen Verkündigung durch Fr. Tr. Schulz”) in Langenzenn.
Dennoch wagt Verfasser die Behauptung, daß der Meister bis auf den heutigen
Tag unter starker Verkennung zu leiden hat, und daß es an der Zeit ist, unser
Urteil über die wahrhaft große Kunst des Veit Stoß einer weitgehenden Revision
zu unterziehen.
Der richtigen Einschätzung des Künstlers standen von jeher ungewöhnliche
Schwierigkeiten entgegen. Zunächst gibt es wohl, von Cranach abgesehen, kaum
einen anderen großen Meister, der so ungleichmäßig produzierte, und namentlich in
späteren Jahren so oft hinter seinen Werken der früheren Zeit zurückblieb. Dann
aber entzogen sich die Originale der nicht nur nach Qualität, sondern auch nach
Umfang weitaus wichtigsten Schöpfungen des Künstlers im fernen Krakau sogar
der Kenntnis der meisten Kunstforscher. Und selbst den prüfenden Blicken der
wenigen, die bis dorthin vordrangen, blieben gerade diejenigen Werke, in denen
der Künstler sein Bestes gab, die eigenhändigen Stücke der Riesenserie von
18 Reliefs mit weit über roo ½ —0/ lebensgroßen Figuren durch die Höhe ihrer
Aufstellung fast unzugänglich; beginnen doch die untersten Reliefs erst 4 m über
dem Fußboden, um bis 6,50 m emporzureichen, während gar die oberste Reihe in
der schwindeinden Höhe von 9—11½ m angebracht із. Dazu kommt eine
äußerst entstellende, krasse moderne Bemalung. Photographische Reproduktionen
fehlten aber so gut wie vollständig. Dem Marienaltar gesellen sich dann noch
das mächtige Königsgrab auf dem Wawel, der treffliche kleine Olberg und
die beiden unvergleichlichen Kruzifixe, von denen das im Triumphbogen der
(х) B. Daun, Beiträge zur Stoßforschung ; Veit Stoß und seine Schule etc. Hiersemann, Leipzig 1903.
(a) B. Daun, Veit Stoß, Knackfuß-Sammlung von Velbagen & Klasing, Leipzig und Bielefeld 1906.
(3) M. Loßnitzer, Veit Stoß, die Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben. Leipzig,
J. Zeitler 1012. |
(4) B. Daun, Veit Stoß, Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Leipzig, Hiersemann 1916.
(5) Herm. Voß, Entstehung des Donaustils. Leipzig, Hiersemann 1907.
(6) Kurt Rathe, Ein unbekanntes Werk von Veit Stoß in Wien. Jahrb. der k. k. Zentralkomm. 1909.
(7) Ет. Tr. Schulz, Mitteilungen aus d Germ. Mus. 1908, S. ga ff.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XL Jahrg. 1918, Heft 11/12 21 297
Marienkirche in einer Hóhe schwebt, die jede ernstere Betrachtung ausschlieBt.
Daneben muß der Eindruck verblassen, den die in Deutschland befindlichen Werke
zu machen vermögen. Von diesen ist, wie Bode bemerkt, „das bekannteste und
beriihmteste“ der englische GruB in der Lorenzkirche, der, wie der gleiche
Forscher hinzufügt, ,unter den beglaubigten Werken wohl obenan genannt
zu werden verdient.“ Aber alle, die sich mit dieser als Dekoration gewiß
genialen und groBartigen Schópfung befaBten — welch’ prachtvollen Kirchen-
schmuck der englische Gruß darstellt, 188% z. B. vorzüglich die Aufnahme der
MeBbildanstalt vom Chor der Lorenzkirche erkennen. — tadeln mit Recht an ihm
„den Mangel tieferer Empfindung“ (Bode); Daun fügt hinzu, daß die gezwungene
Stellung und unfreie Haltung der Hände die künstlerische Wirkung beeinträch-
tigt; und LoBnitzer sagt: ,,Die riesenhaften Figuren haben kein richtiges Leben.“
Heben wir noch hervor das blóde Licheln des mifgestalteten Marienkopfes —
eine Eigenschaft, die dieser mit fast allen Frauenkópfen der Spätwerke teilt —
und es wird begreiflich, warum die Begeisterung vor diesem Hauptwerk des
Meisters auch das große kunstliebende Publikum bisher nicht recht zu erfassen
vermochte. Auch der rohe Naturalismus der Volckamerschen Reliefs in St. Sebald
konnte, seitdem die Urheberschaft des Veit StoB festgestellt ist, die Liebe zu dessen
Kunst nicht steigern; und das gilt u. E. erst recht von dem umfangreichsten und
bedeutendsten W'erk des Künstlers auf deutschem Boden, dem spüten Bamberger
Altar. Mag sich hier, vom rein artistischen Standpunkt aus gesehen, ein noch so
großes Können offenbaren, mögen selbst einzelne ansprechende Züge nicht fehlen,
der Gesamteindruck muß als ein direkt widerlicher bezeichnet werden. Gewiß,
der Priester auf der Darstellung im Tempel mit seinem mächtigen Patriarchen-
haupt ist eine bedeutende Gestalt, zwei der Könige auf der Anbetung sind wlirdige
Erscheinungen und die im verlorenen Profil gesehene Frau mit der Taube stellt
eine brillante Gewandfigur dar; sie alle zeichnet eine gewisse Großzügigkeit aus.
Aber die drei Mariendarstellungen?! Die Körperhaltung ist bei allen äußerst ge-
ziert, die Hände sind noch knochiger und ungelenker geworden — zwischen Finger
und Mittelhand scheint eine Gelenkversteifung eingetreten zu sein -- während die
Stirn in unnatürlicher Weise verbreitert ist; das blöde Lächeln aber der Maria des.
englischen Grusses hat sich inzwischen zu einem ganz fatalen Grinsen gesteigert:
Und das wiederholt sich auch bei dem Mohren auf der Anbetung und den Engeln
des Schreins; hier könnte man beinahe glauben, eine aus dem Irrenhaus ent-
sprungene Gesellschaft vor sich zu haben. Man sehe sich daraufhin einmal die
Abbildung 73 in der Daunschen Knackfuß-Monographie an! Schon die Maria des
Stoßhauses, deren delikate Erscheinung dadurch noch kaum beeinträchtigt wird
und nur einen leichten Stich ins Preziöse erhält, weist bereits die Anfänge jener
absonderlichen Verbildung des Mundes auf, später aber nimmt diese ganz groteske
Formen an (die kleine Maria aus der Anna selbdritt in Wien mit der tapir-
artigen Schnauze) — die Deformation der Stirn wächst ins ungeheure (abschrecken-
des Beispiel die von Voß entdeckte Statuette im South-Kensington - Museum) —
und die Augen werden kugelförmig vorgetrieben (Maria der Verkündigung aus
Heilsbronn, die Loßnitzer merkwürdigerweise dem Meister abspricht).
Leicht zugängig ist dann noch die Sebalder Kreuzigungsgruppe: aber hier hat
ein eigenes Mißgeschick dazu beigetragen, den bedeutenden Wert der beiden ur-
sprünglich nicht zum Kruzifix gehörigen Figuren zu verdecken. Bis zur Restau-
rierung der Kirche waren sie, wie man noch bei Daun — Knackfuß-Monographie
Seite 9a — sehen kann, mit dem Blick nach dem Beschauer statt nach dem
298
Kreuze aufgestellt. Noch Loßnitzer bildet, ohne etwas darüber zu sagen, die beiden
in dieser ganz falschen Stellung ab. Die Gegenüberstellung einer neuen richtigen
Aufnahme der Maria und des Johannes (Abb. ı u. 4), die Verfasser anfertigen ließ,
mit der allein im Handel befindlichen Photographie läßt sofort erkennen, wie sehr
‚dadurch der Eindruck des Werkes geschädigt wurde. In der falschen Aufnahme hat
man direkt den Eindruck, daB Johannes und Maria sich gleichsam angewidert, man
möchte sagen, degoutiert vom Kreuze wegwenden, aber das Merkwürdigste ist, daB
zu diesem Eindruck nicht nur die verkehrte Kórperhaltung und die falsche Stellung
der Hánde beitragen. Auch das Antlitz scheint von dem gleichen Ausdruck ge-
zierten Widerwillens erfüllt, wührend bei richtiger Ansicht der eines hóchsten
Schmerzes und tiefster Ergriffenheit zum Vorschein kommt; die Verbindung mit
den sinnwidrigen Gesten dndert offenbar auch den Ausdruckswert. der Gesichts-
züge. Freilich spielen hier noch andere Momente mit, Verfasser gedenkt in einem
besonderen Aufsatz noch mebrere Beispiele dafür beizubringen, wie die gleichen
Gesichtszüge bei nur wenig verändertem Standpunkt der Aufnahmen und Beleuch-
tung ganz verschiedenen Ausdruck zeigen künnen. — Aber damit nicht genug: die
wundervoll geschlossene Form der Gewandfigur erscheint von vorn gesehen aus-
druckslos und völlig zerrissen.
Das vielleicht bedeutendste W'erk auf deutschem Boden birgt die Lorenzkirche
im Kruzifixus über dem Altar. Leider erschwert auch hier das Gegenlicht, auBer-
dem die Vergoldung, die Betrachtung, und eine brauchbare Photographie scheint
nicht zu existieren. Dank dem Entgegenkommen Loßnitzers und seines Verlegers
konnte Verfasser von dessen Platte eine Vergrößerung anfertigen lassen, die wenig-
stens einigermaBen dem Werk gerecht wird, Schon Bode riihmt an ihm und dem
neuerdings leider viel zu bunt bemalten Kruzifix aus der Spitalkirche im Germa-
nischen Museum, die er mit Recht zu dem allerbesten zählt, das die deutsche
Plastik hervorgebracht hat, „eine Vornehmheit der Haltung, eine Größe der Auf-
fassung, namentlich in dem Antlitz von herber Schünheit, die sonst die meisten
Bildwerke des Veit Stoß vermissen lassen“. Merkwiirdigerweise glaubt er aber
diese Arbeiten, die er für Spätwerke hielt, während sie Loßnitzer wohl mit Recht
der frühen Nürnberger Zeit zuschrieb, „gegenüber seinen verschiedenen überschätzten
(sic!) Jugendwerken“ hervorheben zu sollen. Wir werden später sehen, daB diese
Gekreuzigten bereits in Krakau mehrere gleichwertige Vorgänger von ganz ähn-
licher oder fast der gleichen Prägung besitzen. Der Kruzifixus ist überhaupt der
einzige Vorwurf, den Stoß zu allen Zeiten seines langen Lebens in gleich er-
greifender Auffassung und Vollendung zu gestalten wußte. Ein weiteres Beispiel
hierfür, das bisher selbst der Forschung entging, ist der von Loßnitzer in die
‘Literatur eingeführte Kruzifixus in der Margaretenkapelle der Burg, dessen herr-
liches Haupt er in seinem Werke abbildet. Loßnitzer glaubt allerdings dieses
Werk nur dem Atelier des Meisters zuschreiben zu sollen; der Kopf macht dem
Verfasser aber den Eindruck der Eigenhündigkeit Das ganze Werk zu Gesicht
zu bekommen, ist ihm trotz mehrmaligem Besuche der Burg nicht gelungen. —
Nach alledem darf man sich nicht wundern über das ungünstige Gesamturteil,
das der Kunst des Meisters bisher fast durchgängig zuteil wurde und wovon hier.
einige Proben wiedergegeben seien. So spricht Daun!) von Stoß als einem „tüch-
tigen Bildschnitzer“, den er den Meistern zweiten Ranges zuzurechnen scheint.
Er bewundert mit anderen hauptsächlich den brillanten Techniker der Holz-
(x) B. Daun, Veit Stoß. Leipzig, Hiersemann 1903, p. 49.
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schnitzerei und den Naturalisten, der aber bei der Schilderung geistiger Vorgünge
im Gegensatz zu Adam Kraft versage und in weitem Abstand hinter diesem zurück-
bleibe. Diesem Urteil schlieBt sich Dauns gestrenger Kritiker Th. Hampe!) an,
„seine (Stoßens) ganze Art legt mehr Gewicht auf effektvolle Wiedergabe aller
AuBerlichkeiten als auf seelische Vertiefung“. Und ebenso bemerkt Eigenberger‘)
in seiner vortrefflichen Studie über Adam Kraft, die Kunst des Veit Stoß sei „mehr
eindrucksvoll als ausdrucksvoll“. Auch Baum?) stimmt in diesen Chorus ein
und findet Stoß im Vergleich zu Kraft „selbst in seinen besten Schöpfungen
lärmend und dennoch zugleich nichtssagend“ (sic!) Fast noch schlimmer
geht Hermann VoB*) mit dem Künstler um. Er findet gerade in den Früh-.
werken (|) des Stoß „einen dumpfen, inferioren Geist, der über die Gestalten des
Künstlers ausgebreitet ist. Plump und häßlich sind die Züge, nichtssagend das
‚regelmäßige Eirund ihrer Kopfformen.* Zwar, fügt er einschränkend hinzu, sei der
große Wille nicht zu verkennen, aber es fehle seiner Äußerung an Leichtigkeit und
Freiheit, „so entsteht der erschreckende Eindruck des Gewaltsamen. Man wun-
dert sich nicht mehr, wenn man von der tragischen Laufbahn des Künstlers selbst
hört, der früh zu Ehren gekommen, durch eine unzweifelhafte, aber höchst be-
greifliche Verschuldung alles wieder einbüßte!“ —
Zweck dieser Zeilen ist es, an Hand eines ausreichenden photographischen
Materials, wie es zum ersten Male hier und in weit reicherem Maße auf einer
in Wiesbaden bevorstehenden Ausstellung geboten wird"), nachzuweisen, daß die
ganze bisherige Beurteilung des Veit Stoß mangels genügender Kenntnis seines
Hauptwerkes, eben des Krakauer Altars, auf falscher Basis aufgebaut ist: Ja, Ver-
fasser steht nicht an zu behaupten, daß nur völlige Unkenntnis der großartigen
ı8 Relieftafeln, die neben manchen durchaus gleichgültigen die edelsten Früchte
Stoßischer Kunst umschließen, die unbegreifliche Tatsache zu erklären vermag, daß
(1) Th. Hampe, Veit Stoß von B. Daun. Mitteilungen des Vereins f. 4, Erforschung der Geschichte
der Stadt Nürnberg, Jahrg. 1904.
(а) R. Eigenberger, Einige Beitrage zur Kenntnis der in Nürnberg erhaltenen Werke des Adam Kraft,
Münchener Jahrb. d. b. K. 1914—15.
(3) J. Baum, Ulmer Plastik, Seite 131.
(4) Hermann Voß, Entstehung des Donaustils, Seite 92.
(s) Diese vom Verfasser als dem Leiter der , Wiesbadener Gesellschaft für bildende Kunst“ seit Jahren
vorbereitete Ausstellung von Photographien ganz großen Formates nach sämtlichen Hauptwerken
unserer altdeutschen Plastik aus der Zeit der Spätgotik und Frührenaissance soll, wenn nicht durch
die Kriegsverbáltnisse unüberwindliche Hindernisse bereitet werden, während des Jahres 1918 im
neuerbauten stüdtiechen Museum stattfinden. Zunüchst kommt jedoch nur die etwa 350 Nummern
umfassende Sammlung von Aufnahmen der fränkischen, fränkisch-schwäbischen, mittel- und ober-
rheinischen Schulen zur Vorführung. Die Komplettierung der zweiten Abteilung ist während des
Krieges nicht möglich. Was die etwa 36 Reproduktionen aller wichtigen Teile des Krakauer Marien-
altars anlangt, so stellen diese Vergrößerungen nach den ausgezeichneten Platten dar, die der Photograph
Pawlikowski für den Krakauer Altertumsverein und das Werk Prof. Koperas vor Jahren gemacht hat
und für deren gütige Überlassung Verfasser sowohl dem Vorstand des genannten Vereins, wie Herrn
Prof. Kopera zu allergrößtem Dank verpflichtet ist. Erst durch die sehr bedeutende Vergrößerung der
Originalplatten war es möglich, von den figurenreichen Reliefs eine für die kunsthistorische und
ästhetische Würdigung ausreichende Anschauung zu gewinnen. Die Vergrößerungen sind beilüufig
von solcher Schärfe, daß sie mit wenigen Ausnahmen den Eindruck von Originalaufnabmen machen,
dabei zeichnen sie sich durch wundervolle braungoldne Tönung aus, so daß sie auch dem nur ästhe-
tisch Interessierten vollkommenste Befriedigung zu gewähren vermögen. — Zusatz während der Kor-
rektur: Die Ausstellung der Photographien während des Krieges bat sich inzwischen als unmöglich
herausgestellt, da die Kartons nicht geliefert werden dürfen,
300
sich selbst unsere besten Kenner bis in die jüngste Zeit über die angebliche Frage
der Eigenhündigkeit eines so klüglichen Machwerkes wie des Schwabacher Hoch-
Altars nicht zu einigen vermochten. Von Bergau, Robert Vischer und Bode
bis zu Rée und Fr. Tr. Schulz wird der Schwabacher Altar, wie Loßnitzer her-
vorhebt, unter den Hauptwerken der Nürnberger Periode des Meisters angeführt,
wenn auch einige an dem Schrein, einige an den Reliefs teilweise Mithilfe von
Schülern erkennen wollen. Auch Dehio!) glaubt wenigstens den Schrein für
eigenhändig erklären zu sollen. Daun aber findet, das die Hauptfiguren des
Schreins mit denen in Krakau und Bamberg wetteifern können, und daß ,in dem
Relief des Marientodes die gespreizte Dramatik (nämlich des Krakauer Werkes)
durch edle Mäßigung verdrängt, die Empfindung stiller Teilnahme, wehmiitiger
Erhebung und Herzenstrauer mit Feinheit ausgedrückt sei“. „So läßt sich,“ schließt
er in nicht eben schönem Deutsch, „gerade am Schwabacher Altar die Eigen-
händigkeit des Veit Stoß feststellen.“ Es zählt nun freilich zu den wertvollsten
Leistungen Loßnitzers, die Unhaltbarkeit dieser Anschauungen schlagend dargetan
zu haben, nur hätte er durch die Gegenüberstellung guter Abbildungen von Einzel-
heiten beider Altäre, wie sie die Wiesbadener Ausstellung bringt, den Leser von
der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugen müssen. Verfasser möchte glauben, daß
selbst ein so hartnäckig an seiner einmal aufgestellten Ansicht festhaltender Autor
wie Daun, der noch in der neuesten Auflage seines Werkes die oben zitierten
Urteile wiederholte, durch eine solche Konfrontierung des Schwabacher und Kra-
kauer Werkes einer Bekehrung fähig sein dürfte (Abb. 2).
Neben dem Mangel an seelischem Gehalt wird jedoch der Kunst des Veit Stoß
noch anderes vorgeworfen. So ist erstaunlich, mit welchem Ubelwollen von vielen
die Gewandbehandlung wie auch die Komposition des Meisters beurteilt wird
Das geringste ist, daß man sie zu entschuldigen sucht. Vor allem wirft man ihm
Unruhe und Überfüllung vor. So sagt z. B. Daun (p. 17 der Knackfuß-Monographie)
von dem Krakauer Altar: „Die Flügelreliefs wiederholen die Unruhe in Bewegung.
und Komposition und lassen die Absicht merken, durch gedrehte Falten, die hart
und steif in die Luft stehen (?), die leeren Stellen zu füllen.* Dieses lieblose
Urteil bekundet u. E. einen völligen Mangel von Empfindung für die eigenartigen
Reize des Stoßschen Dekorationsstils. Auch werden wir uns später überzeugen,
daß gerade die eigenhändigen Flügelreliefs sich durch meisterhafte Komposition
auszeichnen, und daß nur in ganz vereinzelten Fällen von einer Unruhe und Über-
füllung die Rede sein kann. Aber davon abgesehen bleibt bei diesem Vorwurf
unbeachtet, daß man den Künstler hier persönlich für Dinge haftbar macht, die
der ganzen damaligen Kunst eigentümlich sind. Loßnitzer bemerkt daher ganz
richtig, daB gerade das, „was man als das Persönlichste seines Stils, die leiden-
schaftlichen Bewegungsmotive, die häufige Überfüllung des Raumes und die auf-
geregten, flatternden Gewänder betrachtet,“ viel weniger dem Künstler als dem
Zeitstil zur Last fällt. Er weist dabei auf die ganz analoge Behandlung des
Christophorusgewandes auf dem Baldachinrelief des Kaiser Friedrich-Grabmals von
Nikolaus v. Leyden hin; an anderer Stelle (p. 79) äußert er, daB Stoß die Vor-
liebe für Unruhe und Bewegung im Faltenstil von der Passauer und Wiener Kunst
überkommen habe; sie findet sich übrigens schon genau so bei dem Christus in
St. Sebald, den LoBnitzer seinem Simon Lainberger zuschreibt und der in der
Überfülle seines rauschenden Faltenwurfes aufs frappanteste mit dem Christus des
(1) Debio, Handbuch d. deutschen Kunstdenkm., Bd. III, S. 467/68.
301
Auferstehungsreliefs in Krakau übereinstimmt!). Es darf vielleicht noch daran er-
innert werden, daB sich auch jenseits der Alpen im Quattrocento z. B. bei den Engel-
gestalten Botticellis ganz ähnliches findet. Die Gerechtigkeit erfordert hier anzu-
erkennen, dab Hermann УоВ trotz seines oben zitierten absprechenden Urteils dieser
Seite der Stoßschen Kunst besseres Verständnis entgegenbringt. Er erblickt darin
mit Recht die Zeichen einer Sturm- und Drangzeit der gesamten damaligen Kunst,
als deren älterer Vertreter Veit Stoß, als deren jüngerer der Dürer der Apokalypse
erscheine. „Im wesentlichen sind es die gleichen Züge, die bei Dürer den Sturm
und Drang charakterisieren wie bei Stoß: zunächst die Überfülle des Gewandes,
die stürmischen Bewegungen und die nicht selten überfüllte Komposition. Man
könnte hinzufügen: es sind die Charakteristika aller Sturm- und Drangkunst, in der
Literatur nicht minder wie in den bildenden Künsten. Es genügt, hierbei an
Goethes und Schillers Anfänge zu erinnern. Bei Dürer hat das die Kritik nicht
verhindert, die Kraft und Fülle seiner Phantasie zu bewundern, die sich in der
Apokalypse offenbart, aber bei Stoß scheint es üblich, nur die Schwächen seiner
Vorzüge zu sehen. Gerade als ob nicht jeder Kunst bei der immanenten Ein-
seitigkeit alles künstlerischen Gestaltens solche notgedrungenerweise anhaften
müßten. Scheut man nicht die geringe Mühe, sich in die Gedankenwelt des
Meisters einzuleben, anstatt ihn immer nur von einem anderen, ihm heterogenen
Standpunkt aus zu bekritteln, so wird man sehr bald von der Großartigkeit dieses
Faltenwurfes und der geistreichen Führung seiner einzelnen Motive, die sich auf
das allervorteilhafteste von dem kleinlichen Durcheinander der knittrigen Falten-
brüche eines Riemenschneider unterscheiden, gepackt und gefesselt. Der maje-
stätische Eindruck des prächtigen Andreas in St.Sebald beruht nicht zum letzten
auf der großartigen Kaskade, in der die Falten des aufgehobenen Mantelstückes
zur Erde niederstiirzen*). Gibt es ferner etwas Genialeres als den Faltenwurf des
Mantels bei dem kleinen Engel der Nürnberger Jakobskirche??) Zunächst
rein formal genommen ist es eine Augenweide, diesem Schwung der Linien zu
folgen; aber darüber hinaus ist hier eine äußerst komplizierte Bewegung mit einer
nur dem ganz großen Künstler möglichen Intensität der Beobachtung in dem starren
Material veranschaulicht worden. Man begreift sofort, wie diese krausen Ver-
schlingungen zustande kamen, dadurch, daß der Arm, jäh erhoben, plötzlich stille
hielt: das durch den Schwung nach oben noch nachträglich emporgeschleuderte
Gewand ist im Augenblick der Umkehr der Bewegung dargestellt‘). Man sieht
es förmlich wippen und schweben. Aber das weitaus interessanteste Beobachtungs-
material für den unerschöpflichen Reichtum dekorativer Gewandmotive bilden doch
die Reliefs des Krakauer Altares neben einzelnen Figuren des Schreins. Dabei
ergibt das genaue Studium, daß neben dem freilich noch entscheidenderen geistigen
Gehalt der Köpfe die Gewandbehandlung bei den verschiedenen Teilen des Altars
ein äußerst wertvolles Kriterium für die Eigenhändigkeit darstellt. Was allen
Werkstattarbeiten fehlt, ist mit zuerst der Mangel beherrschender Motive in der
Gewandbehandlung.
(x) Abb. bei Loßnitzer, Tafel 20.
(2) Abb. ebenda Tafel 37.
(3) Ebenda Tafel 46.
(4) Diese Auffassung steht allerdings in einigem Widerspruch mit Loßnitzer, der in der Figur einen
hl. Raphael sieht, der ursprünglich mit einem Palmzweig in der Hand ausgestattet war. Aber wie
sollte die flach ausgebreitete, mit der Innenseite nach oben gekehrte Hand einen Palmzweig gehalten
haben?
302
Es ist ein großes Verdienst des Loßnitzerschen Werkes, zuerst eine freilich noch
lange nicht genügend ins einzelne gehende und darum nur teilweise zum Ziel ge-
langende Untersuchung der Krakauer Relieftafeln gebracht zu haben. Mit Recht
sagt der Autor (p. 48): ,,Nur aus den eigenhündigen Teilen des Marienaltars kann
man eine Vorstellung von dem Wesen dieser eigenwilligen Kunst gewinnen,“ denn
der Altar enthált namentlich in seinen Reliefs neben Meisterwerken
allerersten Ranges von ergreifendem seelischem Gehalt absolut wert-
lose, ja direkt abstoBende Nichtigkeiten, und zwar beides bunt durch-
einander gemengt. L. untersucht nun zunächst die Reliefs auf ihre Entstehungs-
zeit und áuBert die ansprechende Vermutung, vielleicht die früheste Tafel sei der
Tempelgang Mariae — das unterste der drei Reliefs am linken Blendflügel — ,,das
beide (getrennt gearbeitete) Reliefhülften in einem architektonischen Rahmen ein-
gefaßt zeigt". Es scheint einleuchtend, daß hier der erste Versuch vorliegt, die
gewaltige Fläche (2,50 m Breite und 2,00 m Höhe) zu bewältigen. Auch bei
sämtlichen Reliefs des rechten Blendflügels und dann auf der einen Seite des linken
beweglichen Flügels hat der Künstler die Tafeln aus zwei Hälften zusammengesetzt,
wenn schon hier die architektonische Teilung aufgegeben ist. Dagegen kehrt diese
wieder auf der Darstellung Christi im Tempel, dem unmittelbaren Nachbar des
Tempelgangs Mariae. Vielleicht ist auch hier die Zweiteilung der Tafel nur durch
die das Werk genau in der Mitte teilende Säule verdeckt. Wie dem auch sei, die
Verwandtschaft dieses Werkes mit dem Tempelgang ist in jeder Hinsicht außer-
ordentlich auffällig: die Gewölbebildung ist auf beiden fast identisch, die Figur des
Mannes zu äußerst links mit dem großen Bart und der hohen malerischen Juden-
mütze ist eine direkte Weiterbildung der gleichen Gestalt auf dem Tempelgang,
so daß man u. E. auch eine unmittelbar zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Ent-
stehung annehmen darf. Danach wäre die „Darstellung im Tempel“ das zweit-
älteste Relief des Altars (s. Abb. 3 u. 5).
Zur Frage der Eigenhändigkeit übergehend spricht L. dem Künstler sämtliche
drei Reliefs des linken Blendflügels (Goldene Pforte, Geburt Mariä und Tempel-
gang) völlig ab. Die drei Tafeln des rechten Blendflügels — Christus als Gärtner,
die Frauen am Grabe, Christi Höllenfahrt — scheinen ihm „von Stoß selbst oder
unter seiner Leitung gefertigt zu sein“. Damit steht freilich nicht ganz im Ein-
klang Seite 83 seines Werkes, wo es heißt, „wir haben bereits die sechs Reliefs
der feststehenden Flügel samt dem Lusiner Altar als typische Werkstattarbeiten
erkannt, die nur nach Entwürfen des Meisters gefertigt sein können“. Im Gegen-
satz hierzu erklärt unser Autor sämtliche sechs Reliefs auf der Außenseite der
beweglichen Flügel — die also bei geschlossenem Altar die Mitte zwischen den
Reliefs der Blendfliigel bilden — für eigenhändig. „Von diesen gehören wahr-
scheinlich die Gefangennahme Christi und die Beweinung zu den letzten, spätesten
Arbeiten,“ sagt er und fährt fort: „Vielleicht sind diese spätesten und besten Reliefs
erst nach seiner Rückkehr von der Nürnberger Reise im Jahre 1488 entstanden.“
Für eigenhändig scheint L. auch die sechs in viel höherem Relief gearbeiteten
Tafeln auf der Innenseite der beweglichen Flügel zu halten, als da sind: Verkün-
digung, Geburt, Anbetung der Könige, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingstfest.
Demgegenüber ist Verfasser der Ansicht, daß L. mit seinem Urteil
stark in die Irre geht, und daß eigenhändige und Werkstattarbeiten sich
unter den Außen- wie unter den Innenreliefs befinden. Zunächst sind
jedenfalls die großen Meisterwerke, wie die ganz wertlosen Stücke unter
beiden zu finden. Und zwar sind, wie später im einzelnen gezeigt werden soll,
303
zu den ersteren zu zühlen: von den Innenreliefs nur die Himmelfahrt und die
Anbetung der Кӛпіре, letztere wenigstens іп der getrennt gearbeiteten rechten
Hälfte; von den AuBenreliefs vor allem die Beweinung, die Darbringung im
Tempel und die von L. als Werkstattarbeit angesprochene Höllenfahrt, dann
die Geburt Mariä, der Tempelgang Mariä, linke Hälfte, die Begegnung an
der Goldenen Pforte, alle drei letztgenannten auf dem linken Blendflügel, den
L. dem ganz talentlosen Schnitzer der Figuren im Gespreng als selbstündige Arbeit
zuschreibt und „sie in seiner harten und trockenen Manier gearbeitet“ sein läßt.
Unbedingt nicht von der Hand des Meisters sind dagegen: zu allererst das
vielgerühmte Pfingstfest von der Innenseite, aber auch die von L. besonders
gelobte Gefangennahme, der ı2jährige Jesus im Tempel, der größte Teil
der Kreuzigung und wohl auch die Grablegung, sümtlich von L. für eigen-
hündig erklärt, ferner die Frauen am Grabe und Christus als Gärtner, die
auch L. wenigstens an einer Stelle seines Buches als Werkstattarbeiten aufführt.
Die Himmelfahrt Christi (Abb. 6) und die Beweinung (Abb. 19 u. 21) sind wohl die
geistig bedeutendsten Stücke der ganzen Folge. Erstere dem nahe verwandten, aber
durchaus von fremder Hand stammenden Pfingstwunder weit überlegen, legt sowohl
in der gesamten Komposition wie in jeder Einzelheit Zeugnis davon ab, daß nur ein
GroBer im Reiche der Kunst ihr Schópfer sein kann, obwohl sie nicht frei ist von
den typischen Schwüchen der Frühwerke aus einer Zeit, die noch um die Be-
wültigung der Darstellungsmittel ringt. Statt der sonst üblichen Art, den Unter-
kórper des zum Himmel fahrenden Christus dem Beschauer und den Jüngern als
einzigen Teil seiner Gestalt zu zeigen, der sich Dürer noch in seiner kleinen Pas-
sion schuldig machte, ist hier nur ein Fels dargestellt, auf dessen oberster Kuppe
man die Fußspuren des Erlösers wahrnimmt, die auf das Wunder deuten, das sich
hier vollzieht! ).
Nach diesem geistigen Mittelpunkt konvergieren alle Linien der gesamten Kom-
position, wie von magnetischer Kraft dorthin gezogen. In nahezu symmetrischer
Anordnung sind die Anbetenden je zur Hälfte rechts und links des Felsens ver-
teilt, so daß sich beide Seiten fast wie Spiegelbilder gleichen; doch wirkt dies
keineswegs ängstlich, sondern wird erst bei näherer Aufmerksamkeit überhaupt
bemerkt. Unter dem Felsen sind einander entsprechend Maria und Petrus an-
geordnet, die Silhouetten ihrer Gewänder, die sich fast in der Mittellinie berühren,
weichen nach außen und unten immer mehr auseinander, so daß beide Gestalten
zusammen mit dem Felsen eine spitze Pyramide bilden, deren Linien jedoch sehr
wohltätig für das Auge, durch das Uberragen der Köpfe über die Felswände unter-
brochen sind. Hinter ihnen ordnen sich die übrigen Jünger wieder in zwei ge-
schlossenen, einander genau das Gleichgewicht haltenden Gruppen. Alle durch-
pulst die gleiche Erregung und zieht sie nach oben und der Mitte. Dieses Sich-
Stauen und Drüngen der Menge ist von groBer suggestiver Kraft, Nur in einem
Punkte zahlt der Künstler den Tribut seiner Zeit, indem er von den Hintergrund-
(1) Eine frühere Verwendung dieses Motivs ist dem Verfasser nicht bekannt geworden. Ев ist also
wohl geistiges Eigentum des Stoß. Zweifelhaft erscheint dagegen, ob das nicht unwirksame Strahlen-
bündel, das aus aufgesetzten Holzleisten besteht und in ähnlicher Form vielfach an dem Altar wieder-
kehrt, nicht ein späterer Zusatz ist. Hans Mackowski, dem Verfasser die Photographie zeigte, sprach
zuerst ihm gegenüber diesen Verdacht aus. Er scheint seine Bestütigung darin zu finden, daB der
Kruzifixus in der Marienkirche eine ähnliche Strahlenbekrönung tatsächlich erst im 17, Jahrhundert
erhielt. Auch ist kaum anzunehmen, daß der Meister die Strahlen, wie man beobachten kann, sogar
gelegentlich auf die Stirnen der Jünger angenagelt hätte.
304
A
figuren manchmal nur einen Teil des behaarten Kopfes zeigt, oder sie wie die
beiden links über Johannes in einer ungeschickten Profilansicht auf die Fliche
preBt, doch zeigen diese beiden offensichtlich nur als Fiillfiguren behandelten Ge-
stalten gegenüber der vollendeten Darstellung ihrer beiden Vordermünner auch
sonst noch so viele Schwüchen — z. B. den unglücklichen Rückenansatz des hinteren,
die geistlosere Behandlung des Kopf- und Barthaares, dazu den mangelnden Ge-
sichtsausdruck — daB man sich fragen muB, ob der Künstler nicht diese Teile
Gesellenhänden überließ. Bei Beurteilung dieser Figuren ist auch zu beachten, daß
sie im Original ganz anders zurücktreten wie auf der überscharfen Photographie.
Im übrigen findet gerade in den Küpfen und den sprechenden Gesten der Hinde
die allgemeine Ergriffenheit ihren beredtesten und bewegtesten Ausdruck. Es sei
gestattet, die Gestalt des Johannes (Abb. 8), die zum vollendetsten gehóren dürfte,
was religiöse Kunst geschaffen hat, hier etwas näher zu analysieren: eilenden
Schrittes naht er der Stätte des Wunders, aber schon reißt es ihn in die Kniee,
im nächsten Augenblick wird er gleich den beiden vor ihm anbetend nieder-
gesunken sein; bereits hat er Фе Hände in größter Erregung gefaltet — man sieht
wie die Finger sich krampfhaft ineinanderschlieBen — und fölgt mit dem Aus-
druck höchster Spannung, um nicht zu sagen Erschütterung in dem -jugendlich
schönen Antlitz dem Vorgang in den Lüften; die ganze auch durch ihr bedeuten-
des Menschentum fesselnde, herrliche Jünglingsgestalt erscheint wie durchglüht
von heiligem Glaubenseifer, von Andacht und Bewunderung. Aber auch dem
leichten und sicheren Fluß des bei allem Reichtum im Detail durchaus großzügig
behandelten Gewandes folgt der Blick bei jeder neuen Betrachtung mit Genuß und
Freude; wundervoll ist endlich die Bildung der Hände und die Modellierung des
reichen Lockemhaares! Von direkt aristokratischer Form erscheint dann die Hand,
die sich dem Johannes auf die Schulter legt und den Blick des Beschauers zu
dem langbärtigen Jünger hinter ihm lenkt, in dessen markigen Gesichtszügen mit
der vornehmen Stirn- und Nasenbildung noch mehr das Staunen wie die Andacht
geschildert ist (Abb. ro). Auch hier begegnen wir wieder der gleich genialen
Behandlung von Kopf- und Barthaar, in der sich, wie wir weiter unten sehen
werden, stets die ungefälschte Meisterhand zu erkennen gibt'). Als dritte Haupt-
gestalt dieser Seite schließt sich nach vorn Maria an.
Eine eigenartige Erregung, bei der der Ausdruck des miitterlichen Stolzes nicht
übersehen werden darf, spiegelt sich in dem schmalen, durch eine scharfgeschnit-
tene aber feingliedrige Adlernase charakterisierten Antlitz der Gottesmutter. Leider
ist die durch das Relief bedingte Verkürzung des Mundes nicht völlig geglückt,
wodurch ein leicht befremdender Zug sich beimischt. Auch auf der rechten Seite
findet sich eine reiche Auswahl verschiedenster Vertreter des kraftvollen Menschen-
schlages, der uns in den beiden bereits geschilderten Jüngern entgegentrat. Dabei
ist die seelische Anteilnahme an dem Wunder hier in nicht minder mannigfaltiger
Art geschildert: zuvorderst Petrus kniend, ganz gläubige Hingabe und Ehrfurcht,
während der bartlose Jüngling hinter ihm mit dem prachtvollen, merkwürdig modern
anmutenden und fast an Meuniersche Typen gemahnenden Kopf (Abb. 11), ganz
und gar erfüllt scheint von dem Drange, sich von der Wahrheit des Unerhürten,
das er sieht, zu überzeugen. Auch der Kopf zwischen ihm und Petrus steht an
(x) An einzelnen Stellen wird die Klarheit des Eindrucks durch kleine abgestoßene Lockenteile be-
eintráchtigt; auch bei dem Johannes wie bei vielen anderen Figuren des Altars wiederholt sich diese
Beschädigung.
305
Qualitit nicht zurück. Der Gesamteindruck aber ist der leidenschaftlichen Er-
lebens von seiten starker, kraftvoller, zum Teil direkt edelrassiger Menschen. Wir
werden später sehen, daß uns fast auf allen eigenhändigen Tafeln zahlreiche Ver-
treter derselben Menschenspezies begegnen, die nichts wei& von der kleinbürger-
lichen Enge, wie sie uns fast unzertrennlich scheint von der Kunst des hinter
seinen Mauern zusammengedrüngten zünftigen Bürgertums vom Ausgang des
I5. Jahrhunderts. Das aristokratische Wesen vieler Reliefgestalten des Marien-
altars ist übrigens schon Loßnitzer aufgefallen; sagt er doch p. 166 sehr richtig:
„Ein letzter Schimmer höfischer Pracht des Mittelalters war über die Relieftafeln
ausgebreitet: Alle Gottes- und Heiligenbilder erhielten die zarten Gelenke, die zier-
lichen Gewünder des Fürsten. Derbknochige Bauern zu bilden blieb einer späteren
Zeit vorbehalten.“ Hierzu ist jedoch zu bemerken, daß gerade bei der Himmel- `
fahrt von diesem mittelalterlich hófischen Wesen eigentlich nichts mehr zu sehen
ist. Dagegen kommt dieses Prädikat, was wir hier vorwegnehmen, im höchsten
Grade z. B. den Gestalten der küstlichen Geburt Mariü, des Tempelgangs Mariá
und der Darstellung im Tempel, auch noch denen der Anbetung 'der Kónige auf
der Innenseite des linken Flügels zu; aber bei der Himmelfahrt ist die mittelalter-
liche Zierlichkeit und mit ihr auch die Unsicherheit im Stehen, die Unklarheit der
Körperbildung verschwunden. Diese Menschen sind im Irdischen viel sicherer
fundiert als ihre Vorgänger bei den genannten, offenbar früher entstandenen Tafeln,
doch verleugnen sie darum nicht ihre vornehme Abstammung. Wohl haben sie
jetzt feste Knochen und klar gebildete Gelenke, aber sie gehören, wie schon oben
gesagt wurde, immer noch einer veredelten Menschenrasse an. Mit anderen
Worten: Veit hat es verstanden, indem er die bei allem Realismus noch mehr
allgemein gehaltenen Gestalten mittelalterlich höfischen Gepräges der älteren Tafein
immer mehr mit individuellem Leben sättigte, ohne doch dabei irgendwie in
Naturalismus zu verfallen, 20 Jahre vor der Jahrhundertwende einen modernen,
frei und kühn anmutenden Menschentyp aufzustellen, wie wir ihn sonst erst im
Cinquecento zu treffen gewohnt sind. Dieser Entwicklungsgang tritt besonders
klar vor Augen, wenn wir etwa die Gestalten des jiingeren Königs auf der An-
betung (Abb. 3), oder die der schönen Beterin auf dem Tempelgang (Abb. 5) mit
denen des Johannes und seines Hintermannes oder gar des bartlosen Jünglings auf
der rechten Seite der Himmelfahrt vergleichen. In dieser großartigen Typen-
bildung aber scheint uns eines der unsterblichsten Verdienste des Meisters um-
schlossen zu sein. Hat doch vielleicht einzig und allein vor der Berührung mit
Italien und der Antike der ältere Syrlin in den besten seiner Prophetengestalten
am Ulmer Chorgestühl sich zu einer ähnlichen freien und großzügigen Menschen-
bildung emporgeschwungen.
Nur in einem der großen Reliefs und zwar gerade in dem meistgenannten, näm-
lich der Ausgießung des heiligen Geistes (Abb. 7), tritt uns die kleinbürger-
liche Welt des altdeutschen Schnitzelaltars, wenn auch in gemilderter und genieß-
barer Form entgegen. Loßnitzer sagt von diesem, wobei er es, wie es scheint, in
einem gewissen Gegensatz zu der darüber befindlichen Himmelfahrt bringen will,
offenbar nur, weil er von letzterer sich nicht die genügende Anschauung verschaffen
konnte: „Das untere der beiden Reliefs ist auch im plastischen Detail mit größter
Liebe durchgebildet und zeigt eine Fülle markanter Apostelköpfe.“ Wir werden
sehen, wie sehr auch, von allem anderen abgesehen, selbst diese Durchbildung
hinter der der Himmelfahrt zurücksteht.
Die ganze Komposition des Pfingstfestes zeigt wie auch die meisten Einzelheiten
306
grüBte Verwandtschaft mit der der Himmelfahrt, ja das ganze stellt sich fast als
eine freie, minderwertige Kopie der Himmelfahrt dar. Im Mittelpunkt die Gestalt
der Maria, eine Art Gegenstück zur Madonna der Himmelfahrt, und von allen Figuren
allein auch stilistisch ihrem Vorbild sehr verwandt. Links dahinter wiederum Jo-
hannes und vor ihr zur Rechten abermals Petrus, beide fast würtliche Wieder-
holungen der gleichen Gestalten auf der Himmelfahrt, und doch durch eine Welt
von diesen getrennt! An Stelle des sehnigen, kraftvollen Jünglings ist hier in dem
Johannes eine weichliche, ausgesprochen muskelschwache Gestalt mit abgehärmten
Zügen und eingefallenen Wangen getreten (Abb. g), Petrus aber, auf der Himmelfahrt
eine vornehme, edle Erscheinung, prüsentiert sich als bescheidener Handwerker
mit ordinürer Stülpnase und miirrischem Gesichtsausdruck in den kleinlichen Zügen.
Seinem derben Schusterkopf ist der eines schwächlichen Schneiders mit Bocksbart
gesellt, der wieder dieselbe Schädelbildung aufweist wie Johannes. Es ist erforder-
lich, auf diesen Punkt noch etwas näher einzugehen. Wer wie Verfasser von der
Medizin zur Kunstwissenschaft gekommen ist, wird sich des Eindrucks nicht er-
wehren können, daß diese Leute von einer Art Knochenschwund befallen sind:
unter den schlaffen Wangen fehlt die stützende Unterlage und die Augen mit den
sehr bezeichnenden iibergroBen, rundlichen oberen Lidern liegen zu tief in den
Hóhlen. Nirgends ist die Form unter den Weichteilen sicher zu erkennen und
diese mangelhafte Skelettbildung ist das charakteristische Stigma für nahezu die
Gesamtheit der Köpfe, der magern wie der fleischigen. Besonders unangenehm
wirken bei diesen die schwammigen Wangen und die rundlichen Stirnen, die ohne
rechte Grenze ganz allmählich in die ebenso formlosen Schláfen übergehn. Dazu
fehlen alle belebenden Details — wie etwa die Krähenfüße іп den Augenwinkeln
älterer Personen, die Andeutung der Schlagader auf der Schläfe und ähnliches, die
іп so reichem МаВе an den Kópfen der Himmelfahrt (Petrus und Paulus z. B.) ver-
treten sind. Auch die Bildung des Augenbrauenbogens ist ein geradezu untrüg-
liches Unterscheidungsmerkmal für die Gestalten der Himmelfahrt und des Pfingst-
festes: Hier ein erstaunlicher Reichtum feiner Einzelbeobachtungen und stetes
Durchscheinen der an dieser Stelle sehr formreichen und komplizierten Knochen-
unterlage — so ganz besonders bei Petrus, Paulus und dem jungen Bartlosen, so-
wie dem Langbärtigen zu äußerst links (Abb. ro u. 17) — auf dem Pfingstfest da-
gegen ist eine fast scharfkantige, einfórmige, halbrunde Trennungslinie zwischen
Schädel und Augenhöhle — am auffallendsten bei dem langbärtigen, sitzenden, іп der
Bibel lesenden. Apostel links, dessen auch geistig völlig leerer Kopf schon mehr auf
handwerksmäßiger Stufe steht. Sehr bezeichnend ist endlich die Art der Haar-
behandlung! Man vergleiche etwa unsern Mann mit der Bibel mit dem gleichfalls im
Profil gesehenen und ebenfalls langbärtigen Apostel zu äußerst links auf der Himmel-
fahrt! Wie unklar und unsicher ist der Bart, wie langweilig das strähnige Haar
gegeben! Und das gleiche gilt von Haar und Bart seines Hintermannes, oder dem
Haupthaar des Jünglings vor ihm. Selbst der Johannes, der offenbar mit beson-
derer Liebe und Sorgfalt gearbeitet ist, hat statt des natürlichen Lockenhaares
seines Bruders auf der Himmelfahrt eine Theaterperiicke auf. Ganz schematisch
sind wiederum die langen Bärte und Haare der beiden von vorn gesehenen ganz
leeren Gestalten mit der Stirnlocke gearbeitet. Nur ein einziger Kopf unter den
Aposteln, der zu äußerst rechts, erinnert in der Formbildung noch etwas an die
Gestalten der Himmelfahrt, jedoch mit dem Unterschied, daß auch diese vorzüg-
liche Figur einen entschieden zarteren Knochenbau besitzt. Daneben fällt durch
seine Qualität der bartlose, von vorn gesehene ältere Kopf in der linken Hälfte des
307
Pfingstfestes auf, der im iibrigen alle charakteristischen Formeigentiimlichkeiten,
die wir oben einzeln hervorgehoben, aufweist, aber offenbar Portrütdarstellung ist.
Unsere Stilanalyse hat mit absoluter Sicherheit ergeben, daß zwei ganz ver-
schiedene Hände das Relief der Himmelfahrt und das der AusgieBung des heiligen
Geistes gearbeitet haben, und selbst wenn man von jedem Qualitátsurteil absehen
wollte, wäre an dieser Tatsache festzuhalten, denn es sind zwei ganz entgegen-
gesetzte Temperamente, die sich in beiden Tafeln aussprechen, dort in der Himmel-
fahrt äußert sich ein jugendlich-feuriges, bei der Ausgießung dagegen ein weiches
und sanftes Gemüt. Fanden wir bei der Himmelfahrt eine Versammlung von
Petrusnaturen, die bereit sind, jederzeit das Schwert für ihren Meister zu ziehen,
so hier eine Schar gänzlich unkriegerischer, aber christlich demütiger Naturen, die
höchstens für ihren Meister zu leiden und zu sterben vermögen. Es läßt sich
nicht leugnen, daß trotz der weit geringeren technischen Qualität manche dieser
Gestalten etwas Rührendes in ihrer Unbeholfenheit haben, und daß ihr ganzer
Charakter entschieden mehr unseren Vorstellungen von den ersten Christen ent-
spricht als der der Himmelfahrtjünger. Auch an die Anhänger des Emanuel Quint
in Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Roman könnte man sich erinnert fühlen.
Wenn nun oben gesagt wurde, daß die Gestalten der eigenhändigen oder unter
persönlicher Leitung des Meisters entstandenen Tafeln ausnahmslos von einem
ritterlich vornehmen Geist getragen und von dementsprechender Körperbildung
seien, so muß hier einschränkend hinzugefügt werden, daß auch diese Regel nicht
ganz ohne Ausnahme ist; denn auf der zweifellos eigenhändigen, hochbedeutenden
Höllenfahrt Christi, dem obersten Relief des rechten Blendflügels herrscht dieser
Geist nicht, vielmehr nähern sich die Typen hier schon dem, was wir auch sonst
in der zeitgenössischen Kunst zu finden gewohnt sind, so sehr sie sich anderer-
seits in der scharfen und klaren Modellierung, in der Betonung des Kopfskeletts
von den weichlichen Gestalten des Pfingstfestes unterscheiden. .Die eingehendere
Würdigung des ausgezeichneten Werkes muß noch zurückgestellt werden, denn
hier ist zunächst der weiteren auffallenden Tatsache zu gedenken, daß uns auch
in den Figuren des Schreines, die gleichfalls später noch im einzelnen zu be-
sprechen sind, ein viel stärkerer Naturalismus entgegentritt als auf der übergroßen
Mehrzahl der Relieftafeln, wodurch einzelne — nicht alle —' der Apostel bereits
einen ausgesprochen kleinbürgerlichen Typ erhalten haben. Es genügt hier, an
die Mittelfigur zu erinnern. Dabei ist jedoch auch die Modellierung und Skelett-
bildung dieser Köpfe wieder ganz die gleich scharfe und eindringliche wie auf der
Höllenfahrt und, fügen wir hinzu, auf allen eigenhändigen Tafeln. Nur die Auf-
fassung hat gewechselt. Auffallend ist das gerade an dem Schrein, von dem man
doch annehmen sollte, daß er zuerst entstand. Jedenfalls aber ist zuzugeben, daß
an dem Altar sich eine Tendenz wahrnehmen läßt, die sich in der Richtung des
zunehmenden Naturalismus bewegt, wie sie gerade der Kunst des letzten Viertels
unseres Jahrhunderts eigentümlich ist. Selbst auf dem Relief der Himmelfahrt
können wir Gestalten von stärkerem Naturalismus und solche von mehr idealisti-
scher Form — um den etwas veralteten Ausdruck hier zu gebrauchen — unter-
scheiden, so in dem bartlosen Jüngling auf der rechten Seite (Abb. 11) und in dem Lang-
bärtigen zu äußerst links (Abb. то). Und wir brauchen nur einen Blick auf das erste
datierte Werk der Nürnberger Zeit, die Volckamer-Reliefs zu werfen, um uns zu über-
zeugen, daß hier der Künstler bereits ganz in dem kleinbürgerlichen Naturalismus
der zeitgenössischen Kunst untergetaucht ist. Es muß daher nochmals die Frage
geprüft werden, ob sich das Relief der Ausgießung des heiligen Geistes nicht doch
308
einfach aus der Entwicklung des Künstlers selbst erklären läßt. Man könnte etwa
zu der Hypothese greifen, daß es nach der Rückkehr des Stoß von seiner Niirn-
berger Reise im Jahre 1486 entstanden sei und daB Stoß während seiner fast zwei-
jührigen Abwesenheit in Nürnberg von der dort herrschenden, einen kleinbürger-
lichen Naturalismus pflegenden Richtung der Wohlgemut und Genossen angesteckt
worden sei. Aber dann bleibt noch immer sowohl die weit geringere technische
Qualität wie vor allem die völlig verschiedene Auffassung, der ,,Temperaments-
unterschied“ der Gestalten auf der Himmelfahrt und dem Pfingstfest unerklärt.
Die Sebalder Reliefs zeigen keine Spur irgendeiner Sentimentalität, sondern höch-
stens eine gewisse derbe und ziemlich rohe Kraft. Es bleibt daher nur die An-
nahme, daß das Pfingstfest als ziemlich selbständige Arbeit eines Werkstattgenossen
aufgefaßt werden muß. (Schluß folgt.)
309
KARL PHILIPP FOHR. SEIN LEBEN UND SEINE KUNST
Mit vierzehn Abbildungen auf acht Tafeln Von Dr. PAUL F. SCHMIDT
nter den Romantikern, welche die Berliner Jahrhundertausstellung von 1906
U ans Licht zog, erschien Karl Fohr als eines der merkwiirdigsten und eigen-
willigsten Talente. Die beiden Gemälde, die man von ihm sah — und es sind
überhaupt nicht mehr zutage gekommen — erregten den Wunsch, mehr von
ihm zu sehen. Die Kupferstichkabinette von Darmstadt, Frankfurt a. M. und
Heidelberg bergen einen alten Bestand an Handzeichnungen und Aquarellen von
ihm; die Berliner Nationalgalerie und vor allem das Dresdner Kabinett, das sich
seit 1908 im Besitz der unvergleichlichen Sammlung Cichorius befindet, er-
günzten jene aufs glücklichste. Aber sehr vieles liegt noch verborgen in privatem
Besitz; und wahrhaft beklagenswert ist der Verlust von fünf oder sechs Öl-
geinälden aus der Münchener und ersten römischen Zeit, von denen Dieffen-
bach berichtet, und die allem Anscheine nach vóllig verschollen sind. Sie würden
uns AufschluB geben kónnen über den Entwicklungsgang, den Fohrs male-
risches Können eingeschlagen hat; was wir jetzt von ihm haben: „Tivoli“ im
Städelschen Institut und „Ideale Landschaft“ im Besitz des Großherzogs von
Hessen, sind die letzten Zeugnisse einer Entwicklung, die mit seinem Tode
allzufrüh abbrach !).
Fohr war zum Landschaftsmaler und zum Romantiker von der Natur be-
stimmt. Am 26. November 1795 in Heidelberg, als Sohn eines einfachen Lehrers,
geboren, verbrachte er seine ganze Jugend, ja den größten Teil seines kurzen
Lebens in jenen landschaftlich so reich gesegneten Gegenden, die nicht erst durch
die Brüder Boisserée und durch Scheffel den Glanz des Romantischen empfingen.
Ein unaufmerksamer und unlustiger Schüler, wie viele Künstler, brachte er die
Stunden im Heidelberger Gymnasium am liebsten. mit Zeichnen zu, und der
angeborene Drang war so kräftig in ihm, daß ihn sein Vater noch als Knaben
zu dem alten Rottmann brachte, der ihm ebenso wie seinem eigenen Sohn Karl
und Ernst Fries den ersten Unterricht erteilte ?).
Alle drei sind sie Maler der romantischen Landschaft geworden, aber Rott-
mann, der allein von ihnen das Jünglingsalter überschritt, gelangte zu wohl-
(1) Eine umfassende Ausstellung Fohrscher Arbeiten unter Heranziehung des Privatbesitzes,
zum Gedächtnis seines hundertsten Todestages, bereitet der Leiter der Stádelschen Graphi-
schen Sammlung, Herr Rudolf Schrey, vor, der gleichzeitig eine Neuauflage der schwer
zugänglichen Biographie von Philipp Dieffenbach von 1823 veranstaltet. („Das Leben des
Malers Karl Fohr.^ Darmstadt 1823.) Die übrige Literatur ist äußerst dürftig. Nagler, Rac-
zynski, Weech (Badische Biographien), Beringer (Die badische Malerei im 19. Jahrhundert,
1913) geben kurze Auszüge aus Dieffenbach. Ebensowenig ist aus Lichtenberg und Jaffe,
Hundert Jahre deutsch-römischer Landschaftsmalerei, aus Passavants Ansichten über die
bildenden Künste (1820) und aus Gurlitt, Die Kunst im 1g. Jahrhundert (S. 171) zu entnehmen.
Noack, Deutsches Leben in Rom (S. 163, 377 f.), Ludwig Richters Lebenserinnerungen (S. 145ff.,
II, S. 45, 53) und Riegel, Geschichte des Wiederauflebens (S.312f., 334ff.) kommen am ehesten
in Betracht.
(2 Friedrich Rottmann war im wesentlichen Aquarellist und Radierer; er gab u. a.
„Abenteuer eines reisenden Malers“ und „Ansichten von Heidelberg und Umgebung“ in
radierten Folgen heraus. Zum schöpferischen Künstler fehlte ihm schon grundsätzliches
Studium. Anfang des 10. Jahrhunderts wurde ег Zeichenlehrer an der Heidelberger Uni-
versität. Er starb 1817.
3:0
begriindetem Ruhm, indessen Fries wie Fohr ihr Leben nicht auswirken
durften !).
Die Spuren der Rottmannschen Schulung sind in den Jugendarbeiten Fohrs
deutlich wahrzunehmen. Die Sammelbände des Darmstädter Museums enthalten
eine Fülle von Aquarellen und Studien, die sorgfältig und sauber durchgeführt,
von der Routine des 18. Jahrhunderts zeugen, die ihrer Technik und Anschauung
zugrunde liegt. Die kulissenartige Behandlung des Vordergrundes mit ein-
rahmenden Bäumen, Burgruinen usw., die braungelben Töne und der Hackertsche
Schematismus des Baumschlags, der summierend allgemeine Hintergrund sind
Produkte der Landschafterei aus den Zeiten Zinggs und Dietrichs, die so vóllig
auf Tradition und verwásserter Nachahmung der Hollander — namentlich der
geringeren, wie Waterloo, Saftleven, der Bambocciaden — und so wenig auf
eigener Beobachtung beruhen. Doch spürt man auBerhalb des Zwanges zu pein-
licher Ausführung, der die bildmäßig zugestutzten Aquarelle beherrscht, nament-
lich in Federzeichnungen, und selbst in dem Mittelgrunde jener üngstlichen Dar-
stellungen, eine freiere Auffassung, die nur auf eigener Beobachtung beruhen
kann. Wir wissen denn auch durch Dieffenbach, daB er sich von Anfang an vor
die Natur setzt und frisch darauf los studiert. Der Darmstádter МасМаВ enthalt
unzählige Blätter und Blättchen, die alles aufzeichnen, was ihm vor Augen
kommt. Er ist unendlich fleißig und das wahre Musterbeispiel eines Auto-
didakten. Nicht Rottmann, nicht Issel oder die Münchner Akademie, auch nicht
Koch waren seine maBgebenden Lehrer. Die große Natur selber nahm ihn in
ihre Lehre und unterwies ihn, alles Geschaffene zu erkennen und zu allem
Dargestellten die richtigen Mittel anzuwenden. Da er sich so frühzeitig an ihr
bildete, so streifte er bald die Fesseln jener óden, lebensunfrohen Tradition ab
und lernte alle Dinge mit unbefangener Frische anschauen. In sich selbst aber
fand.er dazu jene Kraft des Idealismus, die ihm das sichere Stilgefühl verlieh;
so daf er zu keiner Zeit der üngstlichen Naturtreue des Autodidakten unter-
worfen war und mit einer bewundernswerten Schürfe des Blickes den Sinn
für GroBziigigkeit und das Pathos des Raumes verband.
Einst fand ihn am Neckar zeichnend Georg Wilhelm Issel; wurde aufmerksam
auf sein Talent und brachte ihn nach Darmstadt, um ihm bessere Gelegenheit
zum Studium unter seiner Leitung zu geben. Von 1810—1815 lebte und bildete
er sich dergestalt abwechselnd in Darmstadt und Heidelberg; auf seinen Wander-
(1) Karl Rottmann, 1798 geboren, genoß in Heidelberg neben dem Unterricht seines
Vaters auch den des Porträtmalers Gseller; man darf vielleicht annehmen, daß auch Fohr
sein Figurenstudium bei diesem ergänzte. Er machte (wann?) mit Fohr eine gemeinsame
Reise den Rhein und die Mosel entlang, wobei sie in einem Gasthaus ein Fremdenzimmer
mit vier Landschaften ausmalten („, Dioskuren“ 1859, S. 14; leider gibt der Anonymus keinen
Ort an). Auch er studierte die Sammlung Boisserée und erwarb sich sogar durch Ko-
pieren dort seine Fertigkeit im Olmalen. Seine Entwicklung hat manche Verwandtschaft
` mit der Fohrs, nur daß sie langsamer vor sich ging; ihm war das Ausreifen seiner Kunst
beschieden, und wahrscheinlich ist er als das kleinere Talent von beiden. zu betrachten.
Erst 1822 kommt er nach München, wo ihn ganz wie Fohr nur die Kochschen Gemälde
anziehen und die Münchner Realisten nichts zu sagen haben; 1826—1828 ist er in Italien,
worauf dann mit den Fresken der Münchner Hofarkaden sein Aufstieg beginnt.
Ernst Fries (1801—1839) ist von 1823—1829 in Rom und empfängt sowohl von Fohr
wie von Rottmann Einflüsse. Seine Zeichnung treibt die Feinheit und Schärfe oft bis
zum Unpersönlichen; wo ег Fohr am nächsten kommt, erscheint seine Landschaft am
meisten empfunden. Er stirbt, da er sich im Fieberwahn die Pulsadern aufschneidet.
311
ungen heimwärts zeichnete er die Burgen und Städtchen an der Bergstraße, und
im Rittersaal des Erbacher Schlosses im Odenwald studierte er die alten Ritter-
riistungen, zu denen ihn eine leidenschaftliche Neigung zog. Seitdem ihn Dieffen-
bach i812 kennengelernt und seiner mangelhaften Schulbildung namentlich im
Deutschen durch Unterricht etwas nachgeholfen hatte, las er mit groBer Begierde
Sagen in Ritterbüchern; hórte Vorlesungen des Prof. Wilken über mittelalter-
liche Geschichte und erhielt von dem Architekten Moller Unterricht in Per-
spektive; kurz, er lebte hier ganz in den Ideenkreisen der Romantik und der
Schwärmerei fürs Mittelalter, die durch, Bekanntschaften, ja feurigen Freund-
schaftsbund mit Studenten und durch die Kenntnis altdeutscher Malerei, die ihm
die Boisseréesche Sammlung vermittelte, immer neue Nahrung erhielt. Die groBe
Zeit des nationalen Aufschwungs zog ihn auf ihre Weise in den Bann. Zwar
wurde er nicht ausgehoben und lernte die Freiheitskriege nicht kennen; aber
die Begeisterung der Zeit für Deutschtum und Romantik teilte sich auch ihm
mit und spiegelte sich in seinen Zeichnungem wieder. Die Nibelungen — in
. der Prosaübersetzung von Zeuner — machten einen tiefen Eindruck auf ihn, der
sein ganzes Leben hindurch anhielt. Noch die letzte unvollendete Zeichnung
in Rom stellt Hagen und die Donaunixen dar. Aus jenen Jahren, namentlich 1815,
stammen die wenigen Landschaften von „romantischer“ Prägung im eigent-
lichen Sinn — die nicht erfreulich wirken — und die Federzeichnungen ritter-
licher Darstellungen, von denen einige später lithographiert wurden: Ritter mit
ihren Damen in schóner freier Landschaft, die ohne historischen Zweck er-
scheinen und ihr adliges Dasein spazieren führen; Wackenroderische Gestalten,
schön frisiert und von lohengrinhaftem Edelsinn, verzückte Tenöre, Lieblinge der
Damen; aber merkwürdig reif gezeichnet und in der Komposition sehr glücklich.
Das Figürliche ist bis zu diesem Zeitpunkt das am wenigsten Geglückte bei
Fohr; aber auch hier bringt er es durch fleißiges Studium, anscheinend immer
ohne nähere Anleitung, bis zu der Vollendung, die ihm schon auf seiner Alpen-
wanderung ein souveránes Einfügen der bewegten Gestalten in die Landschaft
gestattet. Selbst in der Perspektive konnte ihm Moller nur die nachträgliche
Begründung und Theorie des Instinktes geben, mit der er bis dahin die Raum-
konstruktion bewältigt hatte, spielend und mit einer fast nachtwandlerischen
Sicherheit: alles Technische und Handwerkliche der Kunst schien diesem glück-
lichen „Zögling der Natur“ von selber anzufliegen.
Issel wird er wenig verdankt haben. Die Naturen und die Kunstweisen der
beiden waren allzu verschieden; und Fohr hatte, bei aller Empfänglichkeit für
äußere Eindrücke, einen viel zu harten Kopf und einen zu gefestigten künstle-
rischen Instinkt, als daß er sich von anders gearteten Einflüssen irgendwie hätte
aus der Bahn bringen lassen !).
Doch förderte ihn Issel aufs tätigste, empfahl ihn dem Direktor des Darmstädter
Museums, der ihm — der fast noch Knabe war — Zeichnungen für das Museum
in Auftrag gab, und vermittelte ihm den Auftrag, die Landschaften für das
(1) Georg Wilh. Issel (1785—1870) war ein feines stilles Talent, das seine malerische
Begabung und Neigung zum Idyllischen auf Reisen in Paris 1813 und 1814 schulte. Er
erscheint fast mehr als Gelehrter und Diplomat denn als Maler. Seine Skizzen und Ge-
mälde in Darmstadt stellen ihn an die Seite von Schilbach und Hans Beckmann. Daß
er einen so unvergleichlich Stürkeren wie Fohr weniger leiten als lediglich fórdern konnte,
ist klar, und vielleicht ist diese feinfühlige Hilfe gegenüber dem jungen Maler sein schónstes
Verdienst.
312
„Rheinische Taschenbuch“ zu liefern; es erschienen 1812—1817 von ihm alljähr-
lich bis zu vier Beilagen, die Haldenwang in Kupfer stach.
Dieffenbach wiederum empfahl ihn der GroB- und Erbherzogin Wilhelmine
von Baden-Durlach, die ihm sehr bald ein lebhaftes Wohlwollen entgegenbrachte
und entscheidend in sein Leben eingriff. Er verehrte ihr ein Heft mit figür-
lichen und landschaftlichen Zeichnungen, wofür ihn die Fürstin im Juni 1814
nach Baden-Baden einlud. Die Frucht seines dortigen Aufenthalts und der
Wanderungen in- Murgtal und bis nach Bühl und dem Mummelsee war ein
Skizzenbuch mit Feder- und Sepiazeichnungen, das er wieder seiner Gónnerin
überreichte: Landschaften von einer Delikatesse und Zierlichkeit der Linien,
von einem Gefühl für den Reiz der Einsamkeit, die wahre Romantik atmen. Hier
hat er sich in einem Rausch landschaftlichen Entzückens in einer unvergleichlich
wohltuenden und reichen Berg- und Waldgegend selber gefunden; hier spricht
die reifgewordene Empfindung für die Landschaft, ein neuer und ganz selb-
stándiger Wille zum Stil. Die Ansátze, welche in diesen blütenfeinen Feder-
zeichnungen in die Erscheinung treten, konnten vervollkommnet, auf einer
größeren Grundlage entwickelt werden: übertreffen konnte er selbst diese
Blatter kaum. | |
Im Sommer 1815 ging er nach München auf die Akademie. Wer die Veranlassung
dazu gab, ist nicht klar; jedenfalls aber hatte er keine sehr glückliche Wahl
getroffen. Er hatte gute Empfehlungen mitbekommen, vor allem an den Maler
und Galeriedirektor Joh. Christian von Mannlich'). Vielleicht war ihm auch
einige Kenntnis von der aufblühenden Münchner Landschaftsmalerei zugeflogen.
Wilh. von Kobell, Dillis, Dorner d. J., Wagenbauer, Quaglio lebten dort zu jener
Zeit und hatten schon den ersten Grund zu dem qualitätvollen Realismus
gelegt, der für unsere heutige Anschauung den besonderen Ruhm der Münchner
Malerei ausmacht. Aber das war eine sehr wenig offizielle Kunstübung und galt
für nichts an der Akademie, wo man auf das Naturstudium mit dem hochmütigen
Mißtrauen des Pseudoklassizismus hinabsah; und es geschah erst in einer sehr
viel späteren Zeit, daß Olivier, der Fohr so merkwürdig nahe steht, als Lehrer
für Landschaftsmalerei dorthin berufen wurde’). Fohr scheint mit der Münchner
Landschaftsmalerei in keine Berührung gekommen zu sein, und auch Mannlich
konnte ihm nur seinen Schutz angedeihen lassen, als er mit dem Akademie-
(1) Die Bedeutung dieses vielseitig begabten Malers und Architekten (1740—1822), der
sich in Paris bei van Loo und Boucher bildete, mit Mengs in Freundschaft lebte und den
ungeheuren Schloßbau von Karlsberg für KarlII. August von Pfalz-Zweibrücken leitete,
liegt mehr auf dem Gebiet der Kunstpflege als‘der schöpferischen Tätigkeit. Er rettete die
Zweibrückener Galerie vor den Franzosen und ist der erste Generaldirektor und Organisator
der großartigen bayrischen Sammlungen; auch um die Einbürgerung der Lithographie in
München und die Förderung junger Talente hat er sich wesentliche Verdienste erworben.
Wie weit seine Fürsorge sich auch auf Fohr erstreckte, ist nicht zu ermitteln.
(2) Ferdinand Olivier, der 1785 in Dessau geboren, durch die kraftvollen Radierungen
K.W.Kolbes zu künstlerischem Schaffen angeregt wurde, dann in Dresden unter Mechau
studierte und i810 nach Wien in den Kreis der Romantiker um Koch und Wächter kam,
bildete seine innige und persönliche Naturauffassung dort aus und wohl erst in dem gleichen
Zeitraum wie Fohr: ein Beweis für die innere Gesetzmäßigkeit der romantischen Ent-
wicklung, die .an verschiedenen Orten gleichzeitig erstand. Als er 1830 in die Münchner
Akademie berufen wurde, wandelte sich sein Stil zu einem entschieden musikalisch-male-
rischen Wesen um, das mit seiner klaren zeichnerischen Festigkeit von 1817 nichts mehr
gemein hat.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12 232 313
direktor Langer aneinandergeriet. Die Kunstverhältnisse an der Isar waren damals
wenig erquicklich. Die Geister gerieten allenthalben hart aneinander; gegen
den Unfehlbarkeitsdünkel und die künstlerische Tyrannei der Pseudoklassizisten,
welche die deutschen Akademien beherrschten, erhob sich die Jugend der Ro-
mantiker, und ihnen standen verstándnisvollere Vertreter des 18. Jahrhunderts zur
Seite, wie etwa in Wien Wächter und Koch, in Dresden Hartmann, in München
der gebildete Mannlich. Fohr verlangte es nicht nach Streit, aber Langer konnte
selbständige Schüler nicht leiden und hätte ihn am liebsten von der Akademie
gewiesen!) Was der junge Heidelberger dort eigentlich gelernt hat, ist schwer
festzustellen. Vielleicht profitierte er im Figurenzeichnen; vielleicht zog ihn das
Studium der Kochschen Gemälde an, die als Vorbilder dienten, und die ihm ein
nahverwandtes Streben verkörpern mußten. Im übrigen war der Lehrgang der
Landschaftsklasse von einer Art, die auch die handfestesten Gemüter nicht
erbauen konnte. Luise Seidler erzählt davon in ihren Lebenserinnerungen :):
„im Winter wurde abends nach Modellen gezeichnet, im Sommer dagegen
frühmorgens gemalt. Um 8 Uhr war Porträtstudium nach der Natur; hierauf
folgte klassenweise der übrige Unterricht. Die Komponierenden hatten ein
eigenes Atelier; den Landschaftern diente ein großes Gemälde von Koch zum
schónen Vorbilde, daneben waren wirkliche Baumstámme aufgestellt, nach denen
Naturstudien gemacht werden konnten. Blieben diese auch dürftig, so war das
Gebotene doch immerhin mehr als nichts und namentlich zur Winterszeit will-
kommen, wo ja Studien im Freien nicht möglich sind.“
Nicht einmal die Umgebung Münchens gefiel dem durch Odenwald und Berg-
straße Verwöhnten; und so hätten ihm wohl auch die Schilderer dieser schlichten
und herben Landschaft, Wagenbauer und seine Zeitgenossen, wenig geben kónnen:
ihr Realismus ist in der Tat durch eine unüberbrückbare Kluft von Fohrs Ro-
mantik geschieden. Was er von München heimbrachte, verdankt er der Freund-
(1) Peter von Langer, 1756—1824, ein „starrer Klassizist, dessen Werke glücklicher-
weise so gut wie verschollen sind“ (Woltmann-Wörmann III, 1018), war in Düsseldorf
Schüler von Lambert Krahe, wurde 1790 in Düsseldorf, 1806 in München Akademiedirektor.
Er sprach Cornelius alles Talent ab und riet ihm, lieber ein Handwerk zu ergreifen; Heinrich
Heß wies er von der Akademie. Sein größtes Verdienst ist, daß ег mit Koch befreundet
war und für Ankauf von dessen Bildern etwas sorgte. Luise Seidlers rühmendes Urteil
seiner Akademie (Erinnerungen, S.165f., 176ff.) beruht auf ihrer himmlischen Ahnungs-
losigkeit. Weniger verzeihlich erschiene Goethes Schwäche für ihn — Propyläen III, 2 —,
wenn Goethe nicht überhaupt auf dem Gebiet der bildenden Kunst ganz unverantwortliche
Dinge auf dem Gewissen hátte. Wieviel tlefer blickten nicht Mannlich und Dillis, die wohl
wußten, warum sie solche ,,Kunstbestien“ auf Leben und Tod bekämpften. — Noch strenger,
dazu mjt der Gloriole extremer Bigotterie, erscheint sein Sohn Robert, der aber glück-
licherweise nicht mehr so viel schaden konnte. Seine Zeit war vorbei. |
(2) Hermann Uhde, Erinnerungen und Leben der Malerin Luise Seidler. Berlin 1874.
Eine ,anmutige Dilettantin* und Freundin Goethes, der von ihrer Kunst nur in lobenden
Tónen redet und ihr 1817 ein Stipendium an die Münchner Akademie besorgt. Ihr zartes
und heiteres Gemüt sah die Welt eigentlich nur rosig, und so hat sie uns in voller Arg-
losigkeit recht interessante Dinge erhalten. Der ausführliche Bericht von der Münchner
Akademie mit seiner unbewußten Ironie weist auf das Jahr 1817/18, also kurz nach-
dem Fohr München verlassen hatte. Sie suchte in rührender Weise für arme Künstler
zu sorgen; Kersting, dem sie Goethes Gunst zuwandte, hat in der bekannten Stickerin
am Fenster in der Weimarer Galerie ihr Bildnis gegeben: Karl August kaufte eben dieses
Bild auf ihre Bitten, um Kersting in seiner Bedrüngnis zu helfen (1813).
314
schaft mit Ludwig Ruhl und einer Alpenwanderung. Ruhl, mit dem ihn eine
jener innigen, die ganze Persönlichkeit ergreifenden Freundschaften der Roman-
tikerzeit verband, dessen Einfluß sich wohltatig bis auf seine Kleidung und ge-
falligeres Betragen in Gesellschaft erstreckte, und der ihn lebhaft in seiner Vor-
liebe für alles Altdeutsche bestárkte, Ruhl weihte ihn auch in die Technik der
Ólmalerei ein, die Fohr bisher nicht geübt zu haben scheint. Leider sind die
drei Bilder, die er damals malte, anscheinend gänzlich verschollen. Für diesen
Ausfall jedoch entschädigen überreich die Zeichnungen und Aquarelle, von denen
er an 7oBlatt von seiner Herbstwanderung mitbrachte. Mit geringen Mitteln unter-
nommen, dauerte diese Reise vom 1. September bis 11. Oktober 1815 und führte
über den Brenner und Verona, wo er sich drei, nach Venedig; wo er sich zehn
Tage aufhielt und mit Trauer schied, um über Salzburg heimzukehren. Die
künstlerische Ausbeute, meist große, sorgfältig durchgezeichnete, aber selten in
der Eile des Wanderns zu Ende gebrachte Blátter, befindet sich wohl noch zum
größten Teil in Privatbesitz. Aber aus den köstlichen Zeichnungen, welche vor
allem die graphischen Kabinette in Frankfurt, Dresden und Berlin bergen, kann
man zur Genüge die Reife seines Talentes erkennen. Es spricht eine Selbständig-
keit der Beobachtung aus ihnen, wie nur aus den besten Alpenstudien von
Koch‘); selbst Ludwig Heß, dessen Alpenlandschaften auf Runge so starken
Eindruck machten, und Aberli erscheinen altbacken neben ihm?) Alle läßt er
weit hinter sich durch die großartige Auffassung des Räumlichen und den musi-
kalischen Rhythmus der Komposition, die fast allein schon in der Wahl des
Standortes und Ausschnittes liegt; und unbegreiflich erscheint dabei die Ver-
bindung mit einer liebevollen Versenkung in das Kleinwesen des Vorder- und
Mittelgrundes, wie sie z. B. in dem Salzburger Friedhof der Dresdner, im Trient
der Berliner Sammlung mit der Feder durchgeführt ist. Die Klarheit der räum-
lichen Anschauung drückt sich ‘hier schon durch eine Art von Aufteilung in
Flächen aus, mit denen er Terrain und Laubmassen rhythmisiert; unterstützt
von einer reinen und bezaubernden Farbe, mit der er namentlich den Berg-
(1) Es gibt von Koch im Dresdner Kupferstichkabinett einige Federzeichnungen aus dem
Berner Oberland, die mit einem wahrhaft modernen Blick für das Wesentliche und die
Proportionen die große Bergwelt wiedergeben; mit einer Porträttreue, die sich ganz und
gar nicht vorher und später nicht wieder bis zu Fohr findet. Vermutlich stammen sie
von 1794, da sie unbedingt vor der Natur entstanden sein müssen. Sie gehen den Wagen-
bauerschen Aquarellen aus dem Garmischer Hochgebirge zeitlich bedeutend voraus. Merk-
würdig ist es, wie stark, ja bizarr dann Koch diese Studien in seinen Gemälden umstilisiert
hat; es ist eine sehr absichtliche Umbildung, und man sollte sich hüten, von kindlicher
Naivität und dergleichen zu reden, wo es sich um Stil und bewußtes Unterscheiden
zwischen Naturstudie und Bild handelt. Fohr ist freilich viel naiver und moderner in
allen Dingen; Naturstudie und Stil decken sich bei ihm ganz.
(2) Vgl. Runges hinterlassene Schriften I, 377f.
Ludwig Heß, 1760—1800, von seinem Vater zum Fleischer bestimmt, zeichnete und
studierte auf seinen Vieheinkaufsreisen, erlernte dann bei Wüest die Ölmalerei und
gewann die fördernde Freundschaft von Salomon Geßner. Unter seinen frei und idyllisch
empfundenen Schweizer Landschaften sind auch Gemälde zu nennen, die eine Vorahnung
der Romantik in sehr anheimelnder Weise geben. Auch Fernow stellte ihn sehr hoch.
Joh. Ludwig Aberli (1723—1786) gehört einer älteren Generation an, die aus dem
Handwerk zur Kunst emporsteigt. Seine kleinen Schweizer Ansichten (wie der „Thuner
See“ der Oldenburger Galerie) gehören zu den frühesten Offenbarungen der realistischen
Luftmalerei, die wohl von Impressionisten als Vorläufer reklamiert werden könnten.
315
lehnen und Fernen, der Luft und den Wolken ein romantisches Leben zu ver-
leihen weiß. Auch trägt die lebendige Staffage viel zur Bildmäßigkeit und Be-
wegtheit dieser Blätter bei. Er beherrscht hier bereits die menschliche Gestalt
so, daß er sie in ihren Beziehungen zueinander, in ihren Beschäftigungen, ihrem
Schreiten durch das anmutsvoll bewegte Gelände mit der Naivität der Natur
selber zu geben vermag: und so deuten sie sich uns, mannigfach und fröhlich ge-
kleidet, als die letzte Offenbarung dieser großen und herrlich erfaßten Landschaft.
Im Mai des folgenden Jahres kehrte er nach Heidelberg zurück, wo er mit
verschiedenen Jünglingen einen feurigen Freundschaftsbund schloß: das aus-
gezeichnete, an Guys erinnerde Aquarell von Studenten in Darmstadt und die
Porträtzeichnungen in Bleistift und Feder dort sowie im Städelschen Institut
gehen wohl auf diesen Sommer zurück. Es sind diese Köpfe edler, wohl etwas
idealisierter Jünglinge an plastischer Schärfe und Genauigkeit des Umrisses
Gegenstücke zu der berühmten Porträtsammlung Schnorrs in Wien und den
vielleicht noch hervorragenderen Köpfen von Ramboux !): Die Liebe zur äußersten
Eindringlichkeit der Form, die aus ihnen spricht, ist nichts weniger als eine
Nachahmung Holbeins oder der Niederländer des 15. Jahrhunderts. Sie entspringt
aus einem unabweisbaren Bedürfnis der Romantik nach Selbstzucht und Ver-
tiefung in die letzten Geheimnisse der Natur; sie kehrt mit derselben Erstaunlich-
keit in den Porträts von Oldach, Wasmann, Waldmüller, ja, bei den ganz sicher
nicht romantisch veranlagten Wilhelm Kobell und Krüger wieder und stellt sich
als ein Ausfluß der neuen Gesinnung dar, die sich auf das Wesen deutscher
Form besinnt und es in der Vollkommenheit der Linie findet. — Fohrs Bildnisse
verraten noch etwas von der seelischen Unsicherheit des Autodidakten, in
ihrer Befangenheit reichen sie an Ramboux’ Kraft der Charakterisierung nicht
heran. Aber er zeigt klar in ihnen, wie eng er auf allen Gebieten zu der mäch-
tigen Bewegung deutscher Kunst gehört, um so eindrucksvoller, als er im Grunde
immer noch der isolierte Autodidakt geblieben ist.
Das Einmünden in den großen Strom der Entwicklung aber erfolgte noch
in demselben Jahre; die Großherzogin Wilhelmine schickte ihn mit einem Sti-
pendium nach Rom und erfüllte damit seinen heißesten Wunsch. Der Gedanke
beschäftigte ihn so, daß er sich selbst konterfeite, wie er in Begleitung seines
Bernhardiners „Grimsel“ nach Italien wandert. Kurz darauf lag eines Abends das
Geld von der Fürstin, die ihm eine so liebenswerte Mäzenatin war, auf seinem
Teller, und „seine Eltern und Geschwister fühlten sich glücklich in dem Glücke
des einen“. So reiste er im Herbst 1816 über Schaffhausen, den Gotthard, Mai-
land, Florenz, fast ohne Aufenthalt nach Rom, wo er seinen Freund Ruhl wieder
fand und bei ihm Wohnung nahm. Sogleich machte er sich an das Studium:
Rom und die Campagna zogen ihn mächtig an, und sehr rasch fand er den Weg
(1) Joh. Anton Ramboux, 1790—1866, war 1807—1812 in Paris Schüler Davids und ging
1817 nach Rom. Seine Bildnisse (meist in der Darmstädter Sammlung) entstammen dieser
Zeit, da er sich Cornelius und Overbeck anschließt; sie können also wohl von Fohr und
Schnorr beeinflußt sein. Ein eigentlicher produktiver Geist war er nicht; sein berühm-
testes Werk sind die 248 Aquarellkopien nach italienischen Meistern in Düsseldorf. Er
war 1843—1866 Konservator des Kölner Wallraf-Museums und ein gewissenhafter Restau-
rator. — Über das römische Porträtbuch Schnorrs in der Bibliothek der Wiener Aka-
demie vgl. Al. Trost: Die graphischen Künste 1914, H. 3, S. 7gff.
316
zu dem natiirlichen Lehrer aller jungen deutschen Landschafter, zu J. A. Koch, der
ihn wie ein Vater mit seiner ganzen Zärtlichkeit und Treue umgab !).
Es steht außer Zweifel, daß Fohr im geeigneten Zeitpunkt nach Rom kam. Er
hatte genug gelernt und war in sich so gefestigt, daß Italien ihm seinen deutschen
Charakter nicht mehr rauben, ihn nur fortbilden und ihm die nótige Reife geben
konnte. Was er bisher still für sich entdeckt hatte, sollte er nun im Wetteifer mit
den Besten seiner Generation entwickeln. Er fand ja nicht nur den alten Koch
vor, dessen heroische, von klassischen Gestalten belebte Landschaft eine Art Vor-
stufe dessen darstellte, was in Fohr nach Gestaltung rang: eine Erdlebenkunst
höchsten romantischen Stils. Er fand in Rom auch Cornelius, Overbeck, Veit, Wil-
helm Schadow vor, welche gerade ihre Fresken in der Casa Bartholdy begonnen
hatten; fast gleichzeitig mit ihm traf Horny in Rumohrs Begleitung ein, ein Jahr
spáter Schnorr: die beiden, mit denen ihn verwandtes Kunststreben am engsten
verband?). Dazu brachte er den ausgeprägten Charakter seiner Kunst, die neben
den Nazarenern und parallel mit Koch der Landschaft in neuer Gestalt einen un-
abhängigen Rang erobern wollte. Für ihn bestand nicht die Gefahr des Klassi-
zistischen, die in Rom den Nazarenern zum Verderben wurde; denn diese Gefahr
erstreckte sich nicht auf die Landschaft: selbst in der unerfreulichen Zeit haben
die Nazarener von Cornelius bis Schnorr und Führich in ihren landschaftlichen
Hintergründen Gutes geschaffen, und niemals kann man die arkadische Land-
schaft eines GeBner, Franz Kobell oder Reinhart, wie die heroische eines Faisten-
berger oder Koch in eine Reihe stellen mit dem Pseudoklassizismus?). Zwar ent-
fernt sich das 18. Jahrhundert in allen Dingen so sehr von der Natur, daß auch
die Landschaftsmalerei etwas Gekünsteltes bekommt und in Deutschland ins-
besondere lediglich wie eine Ableitung aus der holländischen oder poussinesken
(1) Kochs Einfluß erstreckte sich nicht nur auf die jüngeren Landschafter wie Fohr, Horny, |
Nerly, Reinhold, Ludwig Richter, ja Rottmann und Preller — er lebte ja bis 1839 in Rom —,
sondern auch auf die Nazarener von Cornelius bis Schnorr, sogar auf Genelli. Der herz-
lichen Verehrung, die er unter allen Deutschen in Rom genoB, leiht Overbeck Worte,
wenn er 1839 an einen Künstler schreibt: ,Sagen Sie es seinen und Ihren edlen Lands-
leuten, sagen Sie es laut auch meinerseits, wie viel wir alle, wie viel die neuerwachte
deutsche Kunst Meister Koch verdankt. Denn wer von uns ware nach Rom gekommen
und hátte nicht aus seinem geistreichen Umgange wesentliche Belehrung geschópft, wem
wäre er nicht sogar durch seine ganz neidlose Anerkennung förderlich, durch seine kind-
liche und lebendige Teilnahme nützlich gewesen?* (A.Kestner, Rómische Studien, S. 109)
(2) Franz Horny, 1797—1819, war der erste der Künstlerzóglinge Rumohrs, der von ihm
mit seinem trockenen Humor in den „Drey Reisen nach Italien“ Originelles erzählt.
Er entwickelte sich in Rom, wohin er ebeníalls 1816 mit Rumohr kam, rasch zu einem
Landschaftsmaler von der Eigenart Fohrs; sein Kolorismus geht mitunter noch weiter
als bei diesem. Doch reicht er wohl in ganzen nicht an ihn heran. Auch er starb sehr jung.
Die Bedeutung Julius Schnorrs von Carolsfeld (1794—1872) liegt, ganz wie
bei Cornelius, in seinen Jugendwerken. Er kam 1817 als ein schon Reifer nach Rom
und hat dort auch seinen Landschaftsstil in einer romantischen, wohl von Olivier beein-
fluBten Weise, etwas nüchterner als Horny und Fohr weitergebildet. Bald nach 1822
erfolgte auch bei ihm der Abfall in die leere Allgemeinheit der Form. Doch gab er
sein Bestes noch an Ludwig Richter weiter.
(3) Über Wesen und Geschichte des Pseudoklassizismus vgl. meinen Aufsatz in den Monats-
heften für Kunstwissenschaft 1915. Ich verstehe darunter die auf falschen ästhetischen Vor-
aussetzungen aufbauende Historienmalerei von Mengs bis Füger, im Gegensatze zu dem
echten Klassizismus von Carstens. Ein Aufsatz über die Grundprobleme des Klassizisti-
Schen an sich wird demnächst in der Zeitschrift für Ásthetik erscheinen.
317
des 17. Jahrhunderts erscheint. Aber dieselben Meister, deren Ölgemälde oft an
einer gáhnenden Langeweile leiden, betraten in Handzeichnungen und Radie-
rungen ganz neue und selbstándige Pfade der Naturbeobachtung, die weit über
den Verismus der Hollander hinausgehen. Man erkennt daran deutlich, daB es
im wesentlichen der Zwang der allmächtigen Tradition ist, welcher den Gemälden
ihre dekorative Richtung vorschreibt. Die Landschafter, sofern sie nicht nach
Italien gingen, und dort dem EinfluB Dughets, Lorrains und Salvator Rosas
unterlagen, erhielten ihre Lehrzeit regelmäßig in den Niederlanden; und dort
lernten sie so malen, wie die angesehensten Meister gemalt hatten, denn die
Tradition der großen Zeit setzte sich im 18. Jahrhundert fort. Sobald sie aber
einmal unbefangen vor die Natur traten, und ohne Absicht, gleich ein Bild
zu malen — was ja ohnehin nur im Atelier geschah —, dann gelang ihnen bis-
weilen und nebenher ein Stück frisch gesehener Naturschilderung.
Im Grunde ist die deutsche Uberlieferung treuer Naturbeobachtung niemals
ganz abhanden gekommen. Vom 16. ins 17. Jahrhundert retteten sie mit Els-
heimer Wenzel Hollar und der Stillebenmaler Flegel, den die Darmstädter Jahr-
hundertausstellung 1014 seiner unverdienten Vergessenheit entriß. Ruthart, der
stárkste deutsche Maler des 17. Jahrhunderts, setzte sie fort; Bathasar Denner
knüpfte unbewuBt an sie in seinen Jugendarbeiten an, bevor er dem Manierismus
verfiel. Und selbst die Zeit, die bei uns im Tafelbild den größten Tiefstand
bedeutete, die Mitte des 18. Jahrhunderts, ging nicht unfruchtbar für den Realismus
vorüber. Die Entstehungszeit des Pseudoklassizismus sah auch die ersten ver-
borgenen Keime selbständiger Landschaftsauffassung: Salomon Geßner, Hackert,
Friedrich Müller erlebten in den sechziger Jahren eine realistische Frühlings-
zeit, und die Anfänge der schweizerischen Landschaft unter Aberli und Wüest
fallen in den nämlichen Zeitraum. Allerdings beginnt die fortlaufende Entwick-
lung zu dem zeichnerischen Stile, der seinen Höhepunkt im zweiten Jahrzehnt
des 1g. Jahrhunderts hatte, erst ein Lustrum später; dann aber führen Klengel,
Ferdinand und Franz Kobell, Reinhart, Nathe und der Schweizer Ludwig Heß
die realistische Landschaft bis zu dem Punkt, wo sie dann die Münchner, Menken,
G. W. Kolbe usw. in den großen Strom einmünden lassen, der seitdem ununter-
brochen von großen Talenten gespeist worden ist!). Die Linie führt dergestalt
am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem malerischen Erbe des Rokoko zur
plastisch scharfen Form der Nazarener mit unbeirrbarer Folgerichtigkeit; und in
ihr bedeutet Fohr neben Olivier, Schnorr, Horny, Erhard und Heinrich den
Höhepunkt und die Wende zum romantischen Idealismus.
Denn neben der Entwicklungsreihe des plastisch-malerischen Realismus führt
eine zweite zu ihm hin, die für sein eigentliches Wesen noch wichtiger ist, und
sie findet ihn am stärksten an Italien und Rom geknüpft. Ihr Ahnherr ist der
große Deutsch-Römer Elsheimer; sie beginnt etwa bei Ermels in der Mitte des
17. Jahrhunderts, in Anlehnung an Jan Both, führt über das phantasievolle Barock
von J. H. Roos und J. F. Beich zu Anton Faistenberger, dem Vorahner Kochs
um 1700, und Chr. Ludwig Agricola, der den Geist Elsheimers in einer groß-
artigeren Fassung neu beschwört. Im 18. Jahrhundert findet dann besonders
Thiele das persönliche Empfindungsmoment im barock-großzügigen Sinne; in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entsprechen ihm Joh. Chr. Brand, Heinrich
(1) Eine auch nur kurze Darstellung der Landschaftsentwicklung vom 17. bis Anfang des
19. Jahrhunderts muß auf einen anderen Ort verspart werden. Sie wird ein von der
herrschenden Ansicht vollkommen abweichendes Bild ergeben.
318
Wüest und vor allem Franz Kobell. Reinhart und die Wiener Schule (Molitor,
Schónberger, Schellhaas usw.) führen realistische und besonders klassizistische
Elemente ein; bei Joh. Georg Wagner, einem ganz jung gestorbenen hochbegabten
Dresdner, und Ludwig HeB meldet sich schon ein lebhaftes Vorgefühl von Roman-
tischem: alle diese zerstreuten Neigungen zum Heroischen, Klassizistischen und
Romantischen vereinigt dann in groBziigiger Weise Joseph Anton Koch.
Man wird kaum einer Auffassung vor der anderen den Vorrang einráumen
können; beide sind stark entwickelt und finden in dem Wesen des deutschen
Geistes ihren Grund: die barock-phantastische, auf Raumweite und Bewegung
abzielende, und die plastisch-treue, die Dinge aus der Nähe sehende. Waren sie
flüchtiger schon in Koch verbunden, so offenbart die Landschaft Fohrs ihre
innige Durchdringung. Sie ist keineswegs als realistisch anzusprechen; ihre Linie
ist voll von selbstándigem Ausdruckswert, wie die der Gotik, und von einer Schón-
heit des Rhythmus, wie wir ihn bei Agricola, Faistenberger und Franz Kobell
finden. Aber auf der anderen Seite ist bei Fohr jede Erinnerung sowohl an die
holländische wie an die eigentlich barocke Konvention so vollständig ver-
schwunden, daB uns ihre Naturtreue wie die Form gewordene Romantik selbst
entgegenblüht. Eine neue Gestalt hat die deutsche Gottessehnsucht hier ge-
funden: im geringsten Gráschen wie in der Bergweite der Alpen oder der
Sabinerberge spricht uns der Geist der Romantik an, der das tiefste Geheimnis
der Welt- und Menscheneinheit mit Entzücken ahnt. Runges Sehnsucht nach
einer neuen Landschaftskunst hat sich hier wohl in der sonnigsten Weise er-
füllt; wie C. D. Friedrichs Romantik voll Schwermut, so ist Fohrs Idealismus
voll von Lebensbejahung und Jugendkraft; ein Erbteil seiner süddeutschen
Abkunft. |
Dem lernte er nun auch in größerem Maßstabe Ausdruck verleihen. Der Fort-
schritt seiner kurzen römischen Jahre liegt in der Vervollkommnung des Figür-
lichen, wobei ihn neben Koch auch Cornelius unterstützte, und in der Ölmalerei
unter der persönlichen Leitung Kochs. Die Landschaft von Tivoli, die Passa-
vant bestellte und die jetzt im Städelschen Institute hängt, als einziges Bild von
ihm im öffentlichen Besitz, durfte er in Kochs Atelier malen. Man spürt den
Einfluß des Meisters in der Auffassung mit den (etwas überflüssigen) Kulissen,
wie in der Mache, da ein reichefer toniger Auftrag — wie er sich etwa in Kochs
„Lauterbrunnental“ (1811) der Leipziger und der „Landschaft mit dem hl. Martin“
(1813) in der Dresdner Galerie findet — in malerisch behandelten Einzelheiten
bei Fohr wiederkehrt: in der mittleren Partie des Tals mit den Häuserhaufen der
Stadt. Aber im Grunde wurde seine Art davon wenig berührt; und in seinem
letzten Gemälde, der „Idealen Landschaft“ bei dem Großherzog von Hessen, hat
er sich auch von Koch ganz unabhängig gemacht. Hier ist der freiere Rhythmus
und Bau der Landschaft, der Reichtum der ineinander übergreifenden Gründe,
die Kraft der Belebung im Vegetabilischen und die unbefangene, jugendfrisch
drängende Verwendung des Figürlichen im Raume persönlich und selbst erobert;
ein Hauptbeispiel und Jugendmeisterstück der malerischen Romantik.
Sein Leben in Rom blieb nicht frei von Sorge und Krankheit, aber im rechten
Moment erschienen immer die gütigen Hände, die ihn vor Schlimmem bewahrten.
Zur Zeit der ärgsten Teuerung, da seine Geldmittel zu Ende gingen, kam Passa-
vant und bestellte „Tivoli“ für 40 Louisdor; die Großherzogin gewährte ihm zu
seinem Stipendium einen Zuschuß von 200 Scudi. In seiner Krankheit pflegten
ihn seine Hausleute, die auch von anderen deutschen Künstlern her rühmlichst
319
"Ur nn nn ſf—
A
bekannte Witwe Buti mit ihren Töchtern (deren eine er auf seiner „Idealen Land-
schaft“ verewigt hat). Karoline von Humboldt bestellte bei ihm ein großes Bild,
das ihm die Mittel zu einer Reise nach Unteritalien gewähren sollte. Zu der
Abschiedsfeier, welche die deutschen Künstler am 2g. April 1818 in der Villa
Schultheiß dem Kronprinzen Ludwig von Bayern gaben, malte er mit Cornelius,
Veit und Overbeck das große Transparent, das in Form eines Triptychons Lud-
wigs Kunstliebe verherrlichte!) Der Kronprinz zeichnete ihn besonders aus;
beim Abschied drückte er ihm als Letztem die Hand mit den Worten: „Wir
sehen uns wieder; wir gehören uns näher an.“ Man denkt unwillkürlich voraus
und fragt sich: was wäre aus der Münchner Landschaftskunst geworden, wenn er
Fohrs überragende Persönlichkeit dorthin gezogen hätte! Und, noch eins:
wenn Runge die gewaltige Lehrerstellung von Cornelius hätte einnehmen dürfen!
Aber es stand im Buch des Schicksals geschrieben, daß der Blütezeit deutscher
Romantik keine Frucht, kein Sommer beschieden war. Ihre Feinsten und Besten
starben rasch in früher Jugend dahin. Wenige Wochen nach jenem beglückenden
Abschied, am Abend des 29. Juni 1818, ging Fohr mit Amsler, Barth und Ram-
boux zum Tiber baden. Er wagte sich zu weit und wurde in die Tiefe gezogen;
vergebens versuchte Barth ihn zu retten. Seine Leiche wurde am 3. Juli auf-
gefunden und an der Cestiuspyramide unter allgemeiner Teilnahme, zum tiefsten
Schmerz der deutschen Künstler begraben. Niebuhr und Bunsen hielten ihm
die Grabreden. |
(1) Das Landschaftliche, vor allem die „große Eiche“, stammte von ihm. Übrigens ar-
beiteten auch noch Schnorr, W.Schadow, Wach, Eberhardt u.a. daran mit. Es war
eine sehr bewegte und rührende Feier im Stile der Zeit. Vgl. besonders Noack, Deutsches
Leben in Rom. S. 174f.
320
DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER
STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN
Mit neun Abbildungen auf vier Tafeln | Von ROBERT WEST
n dem Gebdudekomplex, der sich ursprünglich als Augustinerchorherrnstift über
dem Priesterstein in Berchtesgaden erhob, sind wertvolle architektonische und
plastische Überreste aus fünf wichtigen Epochen der deutschen Kunst erhalten.
In der romanischen Zeit, in der frühgotischen und spátgotischen Epoche, in Renais-
sance und Barock ist hier Stein an Stein gefügt worden, bis zuletzt auch das
19. Jahrhundert Hand anlegte und in den Jahren 1864— 1866 die Türme der West-
fassade neu erbaute, wobei offenbar wertvolle romanische Skulpturen und Mauer-
reste zugrunde gingen. Daf die Kunstforschung bisher ziemlich teilnahmslos an
einer solchen Bauanlage vorüberging!) ist um so verwunderlicher, als schon die
Gründung an sich eine kulturgeschichtliche Tat bedeutet. Daß im r2. Jahrhundert,
zur Zeit als Berchtesgaden noch eine von Urwald bewachsene Bergwildnis war,
gebaut und gemeifelt wurde, gibt den ausgedehnten romanischen Überresten jener
Frühzeit eine Bedeutung, die sie über gleichzeitig an dlteren Kulturstátten ent-
stehende Arbeiten emporhebt. Diese Betrachtung hat wohl nur für den Kultur-
historiker Geltung, aber das zeitliche und räumliche Entstehungsmilieu eines Werkes
gibt auch dem Kunstforscher wertvolle Anhaltspunkte für die Beurteilung der
Technik wie des Stils.
Die romanischen Mauern der Kirche und des Klosters sind jetzt meist in die
spüteren Teile verbaut, nur der Kreuzgang zeugt noch von den Gründungstagen
des Stiftes. Die Angaben des Denkmäler-Inventars über diesen Kreuzgang sind
dürftig und verweisen ihn etwas summarisch in die erste Hälfte des r3. Jahr-
hunderts. Ich selbst bin bei einer genauen Prüfung des Baus zu wesentlich an-
deren Resultaten gelangt. Die dlteste Urkunde über das Kloster, der libellus vetu-
stissimus, schildert die Gegend seiner Erbauung als eine ,,vasta solitudo, quae
saltus ferarum et cubile draconum est“ — eine von reißenden Tieren bewohnte
Wildnis. In dieser Einóde gelobten erst Irimgart, die Gattin des Hallgrafen Engel-
berts II. von der Lintburg, dann deren mit Berengar Grafen von Kastell und Sulz-
bach vermählte Tochter Adelheid dem heiligen Martin eine Kirche?) Der An-
siedlung von Mönchen in diesem unwirtlichen Lande setzten sich schier unüber-
windliche Schwierigkeiten in den Weg. Das rauhe Klima, der strenge Winter,
die wilden Tiere und Erdbeben vertrieben zu wiederholten Malen die wenigen
frommen Männer, welche sich im ersten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts um die
Errichtung des Chorstiftes bemühten. Der Tatkraft eines einzelnen Mannes gelang
es endlich, den Grundstein des neuen Klosters zu legen. Das Schenkungsbuch
von Berchtesgaden enthält eine zwischen 1125 und 1139 gemachte Aufzeichnung,
da8 Eberwein, der erste Propst des Augustinerchorherrnstiftes, Steinmetzen an-
(1) Kurze Erwähnungen nur bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern (1862), bei
Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in Bayern (1888) und Steinhauser, „Über Kirchenbau
in Salzburg“ in den Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 1883 und 1884, ferner
bei Schnaase, Otte, Dehio und v. Bezold, Zimmermann, Lübke.
(2) Vgl. hierzu die ganz vorzügliche Geschichte des Fürstentums Berchtesgaden von Ritter Josef Ernst
von Koch-Sternfeld. Salzburg 1815.
321
genommen und den Bau des Miinsters begonnen habe ,,conductis lapidum artifici-
bus monasterii fundamenta locavit“. Es handelt sich hier also nicht mehr um einen
Holzbau, sondern um einen soliden Steinbau. Eine ältere Anlage in Holz muß
jedoch schon vorhanden gewesen sein, da Papst Calixt IL bereits am 9. Mai 1121
dem Propste Eberwein und seinen Brüdern das Kloster zu Berchtesgaden be-
stitigte. In einer noch älteren Urkunde, welche Koch-Sternfeld in das Jahr 1111
versetzt, bestitigt Papst Paschalis II. das Vorhaben der Grafen Berengar und Cuno
von Sulzbach, unter der Leitung Eberweins ein Kloster in Berchtesgaden zu er-
richten. Nach Koch-Sternfeld befand sich Eberwein damals mit den beiden Grafen
selbst in Rom. Ich lege auf diese Reise des Propstes nach Italien insofern einigen
Wert, als sie die Vermutung nahelegt, er habe schon damals italienische Stein-
metzen mit sich nach Hause geführt, zunüchst wohl allerdings nicht zur Arbeit in
Berchtesgaden, sondern in Baumburg, dessen Propst er vor seiner endgültigen
Übersiedlung in die Bergwildnis war. Wie weit im Jahre rat der Bau von
Kirche und Kloster schon gediehen war, läßt sich nicht sagen. Mit Sicherheit
geht aus den vorhandenen Notizen nur hervor, daB wir eine erste Bauperiode des
Berchtesgadener Stiftes für die Regierungszeit Eberweins, also ungefähr zwischen
IIII und 1139, annehmen müssen.
Der Bearbeiter des Denkmäler-Inventars nimmt an, daß diese erste Stiftskirche
ein Notbau war, und bemerkt, daB sich keine Reste von ihm nachweisen lassen.
Die zweifellos noch in das 12. Jahrhundert gehörenden Baureste sollen nun erst in
der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden sein. Von einer solchen Bau-
titigkeit in der zweiten Hülfte des 1i2. Jahrhunderts haben wir zwar keinerlei
Nachricht, dem Stift wurden aber damals von allen Seiten Schenkungen gemacht,
so daB der sich immer mehrende Wohlstand die Annahme einer weiteren Aus-
gestaltung des Münsters allerdings nahelegt.
Die nächste Baunachricht über das Berchtesgadener Stift, die wir erhalten,
stammt erst aus dem Ende des r3. Jahrhunderts, in dem Propst Johannes Sachs
zu Sachsenau (1283—1303) einen neuen Chor an der Kirche errichtete. Dieser іп
frühgotischen Formen errichtete Chor steht heute noch unverändert da.
Wir haben also für die Zeit von der Gründung des Stiftes bis zur Gotik drei
verschiedene Bauperioden anzunehmen: Die erste unter Eberwein (ca. 1111— 1139),
die zweite gegen Ende des 12. Jahrhunderts, die dritte erst gegen Ende des 13. Jabr-
hunderts (ca. 1283— 1303). Von diesen drei Bauepochen haben sich meines Er-
achtens im Kreuzgang der Stiftskirche Reste erhalten, welche sich bei scharfer
Prüfung mit einiger Klarheit voneinander sondern lassen. Die Notiz im Inventar:
„Auf den Bau der Stiftskirche folgte in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die
Errichtung des Kreuzgangs,“ berücksichtigt demnach allein jene Teile, die aus der
zweiten Bauperiode, nach Eberweins Tod, stammen.
Der östliche, südliche und westliche Flügel sind ziemlich intakt erhalten, während
der Nordtrakt bei einem Umbau späterer Zeit (vermutlich Anfang des 17. Jahr-
hunderts) ganz verändert wurde. Reste eines romanischen Portals, die sich un-
mittelbar neben dem spätromanischen Portal erhalten haben, das heute aus dem
Chor in den Osttrakt führt, beweisen, daß sich hier schon im Anfang des 13.Jahr-
hunderts ein Eingang aus der Kirche in den Kreuzgang befunden hat. Die Mauern
des romanischen, vom Chorbau Johannes Sachs’ verdrängten Langhauses blieben
also bei den Bauarbeiten des endenden 13. Jahrhunderts unberührt und bilden heute
noch die Nordwand des Kreuzgangs. Die Südmauer des neuen Chors wurde da-
durch an dieser, sich an den Kreuzgang anlehnenden Seite doppelt so stark wie an
322
der nördlichen Langhausseite. Infolgedessen wurde ein neues Portalgewände hinter
dem alten romanischen notwendig, das man zunächst jedoch offenbar stehen ließ.
An der Ostwand des östlichen Kreuzgangtraktes schließt sich im Erdgeschoß der
Kapitelsaal an, über welchem im 14. Jahrhundert das Dormitorium erbaut wurde.
Die Mauern dieses Kapitelsaales sowie aller übrigen um den Kreuzgang gruppierten
Konventbauten entstammen der romanischen Periode. Die Hypothese ist statthaft,
daß schon in der frühesten Bauperiode mit dem Kirche und Konvent verbindenden
Osttrakt begonnen wurde, wenn nicht der ganze Kreuzgang schon zu Eberweins
Zeit vollendet worden ist und in der späteren Zeit lediglich Umänderungen er-
fahren hat. Da urkundliche Nachrichten hierüber nicht vorhanden sind, müssen
wir die Antwort von den Architekturgliedern selbst erfragen.
Der Kreuzgang hat zwischen rundbogigen Gurten grätige Kreuzgewölbe mit
Stich’). Die Gurte werden an der Hofseite von Pfeilern, an der Innenwand der
Außenmauer von Konsolen getragen. Die Kämpfer der Pfeiler bestehen aus Platte
und hohem Wulst, während die Konsolen aus Platte und Hohlkehle gebildet sind.
Die Breite der Gurtbogen beträgt im Ost- und Südtrakt 0,50 m. Im Westtrakt da-
gegen, beginnend mit dem letzten Gurtbogen des Südtraktes, 0,63 m. Der Osttrakt .
hat vier Joche, welche sich in vier Fensterarkaden nach dem Hofe öffnen. An der
Südseite sind es fünf Joche, an der Westseite wieder vier. An der Nordseite, die
urspriingiich auch auf fünf Joche berechnet war, sind heute nur vier, da dieser
. Gang zur Zeit seiner Überbauung (Anfang 17. Jahrhundert) neu eingewölbt wurde.
Dabei beseitigte man die Fensterarkaden. Mit den vier Eckjochen hat der Kreuz-
gang heute einundzwanzig Joche.
Eine genaue Schilderung der einzelnen Säulen mit ihren Kapitellen und Basen
wird der sicherste Weg sein, zu einer annähernd richtigen Zeitbestimmung ihrer
Entstehung. Eine derartige genaue Beschreibung erscheint mir auch heute, wo
der Kreuzgang einerseits schwer zugänglich, andererseits dem langsamen Verfall
preisgegeben ist, von Wichtigkeit als ein bescheidener Beitrag zur Geschichte der
deutsch romanischen Kunst.
OSTTRAKT.
I. Nördlichstes (1.) Joch.
Am nördlichsten Pfeiler des Osttraktes ist als Kämpfer, auf welchem der nörd-
lichste Bogen der Fensterarkade ruht, die Gestalt eines liegenden Tieres eingefügt,
Der Kopf ist gut erhalten, die Augen groß, die Nase verstümmelt, die obere Reihe
der Zähne wird über der herabhängenden Zunge sichtbar, Füße waren entweder
nie vorhanden oder sie sind abgenutzt. Der Schweif liegt über dem Körper des
Tieres. Die Technik ist der im früheren Mittelalter übliche Keilschnitt der ger-
manischen Völker. Am Kämpfer des gegenüberliegenden, südlichen Mauerpfeilers,
welcher den südlichen Bogen dieser Fensterarkade auffängt, sind zwei Tiere ge-
bildet (Abb. 1), deren Hinterkörper sich fast berühren, während die Köpfe von
außen nach innen gedreht sind, so daß sie sich über die Schulter anglotzen. Auch
hier sind wieder keine Füße oder Spuren von solchen vorhanden. Es ist möglich,
daß dem Bildhauer bei seinem Werke der Gedanke an Löwen vorschwebte. Am
(1) Bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern (1862), findet sich die Notiz: „In
Berchtesgaden ist ein Fragment des romanischen Kreuzganges (mit Flachdecke) erhalten.“ Auf
diese irrtümliche Angabe ist wohl die Stelle bei Riehl, Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in
Bayern (1888), zurückzuführen: „Der bedeutendste Baurest romanischer Zeit in Berchtesgaden ist der
flachgedeckte Kreuzgang.“ Der Kreuzgang war von vornherein eingewölbt.
id
323
besten erhalten hat sich das Tier, welches der Gangseite am náchsten liegt. Ein
dicker, strickartiger Schwanz ist unter dem Körper durchgezogen und liegt oben
am Pfeiler an, die beiden runden oder scheibenférmigen Quastenenden der Schweife
berühren sich in der Mitte des Kämpfers. Das Tier zunächst der Gangseite hat
einen weit geöffneten Rachen, іп dem die obere Zahnreihe sichtbar wird, die
Mähne ist durch Riefelung dargestellt. Ап dem Tier der Hofseite sind Kopf und
Vorderkürper abgeschlagen.
Zwischen diesen Pfeilern stehen auf niedrigem Mauersockel (L. 2,30 m) zwei
Säulen, welche drei kleine Rundbogen tragen. Die Säulen, beide glatt, nach oben
verjüngt, stehen auf attischer Basis. Der untere Wulst von ca. 0,64 m H. ist oben
stark abgeplattet. Die Hohlkehle durch ein abgeschrägtes Plättchen vom oberen
Wulst getrennt. Viereckige Plinthe und Eckpflicke. Auffallend erscheint mir die
steile Bildung des oberen Wulstes und des oberen Teiles der Hohlkehle. Die
Säulenhöhe beträgt im ganzen mit Kämpfer 1,50 m, der Schaft hat 1 m H. und
o, 16½ Durchmesser. Basis H. o, 16 m, Br. an der Hof- und Gangseite 0,32!/, m, an
den Innenseiten 0,28!/, Kapitell H. o, 19 m, oberer Durchmesser 0,21 m, Kämpfer
Н. 0,16 m, L. 0,55, Br. 0,251/,. Die lichte Weite von Säule zu Säule beträgt
etwas über o,60 m. Diese MaBe sind mit geringen Variationen im ganzen Kreuz-
gang die gleichen.
Die nördlichste Säule trägt ein Wiirfelkapitell, das mit rundlappigem Laub-
werk in Keilschnittechnik überarbeitet ist. Die Stiele sind zweistreifig, die Blatter
an jeder Seite anders disponiert. Der Kämpfer korrespondiert mit den Pfeiler-
kámpfern.
An der südlichen Langseite ist der Stein in Form eines nackten, liegenden
Menschen mit erhobenen Armen behauen. Er hält in der linken Hand einen Stein.
Das Haar ist geriefelt, der Kopf groB, die Züge stark markiert, plump und starr.
Der Oberkörper ist kurz und dick, die Beine sind kurz und beide nach der gleichen
Seite gebogen. Die FiiBe kommen auf einen die Südostecke des Kümpfers bilden-
den weiblichen Kopf zu stehen. Der Steinmetz hat den Versuch gemacht, plastisch
zu modellieren. Auch ein gewisser Hang zu realistischer Wiedergabe äußert sich
z. B. in der Bildung des Nabels. Neben dem weiblichen Kopf auf der Südostecke
tritt wieder ein männlicher Kopf hervor, dessen zugehöriger Körper an der nörd-
lichen Langseite des Kämpfers liegt. Der rechte Arm ist erhoben. In der Hand
hält er einen runden: Gegenstand, der vielleicht ein Gesicht darstellen sollte. Der
Oberkörper ist nackt, eng anliegende, bis an die Füße reichende Hosen bedecken
den unteren Teil der Figur. Der linke Arm faßt an die linke Hüfte. Die Füße
sind wieder nach derselben Seite schreitend wiedergegeben. Die kleinere Hälfte
der nórdlichen Langseite nach dem Hofe zu ist durch VorderfüBe, Brust und Kopf
eines Löwen eingenommen. Die Füße des Mannes und die Klauen des Löwen
treffen in der Mitte zusammen. An der nach dem Hofe zu gerichteten Schmal-
seite erscheint der Körper des Löwen und sein starker, klotziger Kopf. Die Mähne
wird durch geriefelte Haarsträhnen angedeutet, der Schwanz ist wie bei den an-
deren Tieren von unten her durchgeschlungen und zeigt dieselbe quastenartige
Endung.
Die südliche Säule (Kelchkapitell). Unmittelbar aus dem Halsring steigt eine
doppelte Reihe sehr dicker Blätter auf, darüber liegt eine viereckige Platte. Am
Kämpfer erscheint auf der Südseite in der Mitte ein großer Kopf, eiförmig, oben
etwas abgeplattet, runde Augen, Nase keilférmig, Lippen wulstig, Mund оНеп-
stehend. Die Augensterne sind, wie an allen diesen Köpfen, ausgehöhlt. Ursprüng-
324
орла CET " Жу, Et See Ve К Tc ow ANE “та GN TATE ‘ae OUO wx ЖАБ Жатық Тера IG Ae u o
lich waren sie also wohl mit andersfarbigen Steinen besetzt. Die Arme sind ver-
kümmert, beide hakenartig erhoben, die Hünde fassen an die FüBe zweier Tiere.
Nach der Gangseite zu Klauen und Brust eines Lówen, nach der Hofseite die
Kruppe eines Löwen; man sieht, wie der dicke, runde Schwanz zwischen die
Hinterbeine und vorn über den Rücken gezogen ist. An der östlichen Schmalseite .”
(Gangseite) ein großer Löwenkopf mit heraushängender Zunge, Mähne und Schwanz.
Die Hinterbeine stehen auf der nördlichen Langseite. Die Mitte dieser Seite wird
von einem Seetier mit geschupptem und geringeltem Leib gebildet, das Ende des
Fischschweifs liegt über der Kruppe des Lówen. Der grofe Kopf des Seetieres
mit länglichen, schmalen Ohren, beißt in das rechte Vorderbein des Löwen der
Hofseite. Nahe dem Hals an den Schultern eine flügelartig gebildete Flosse. Die
Schuppen sind nur eing -ritzt, nicht erhaben behandelt. Die NW-Ecke wird durch
den Kopf des Löwen gebildet, dessen Rücken an der Hofseite des Kämpfers liegt.
Am zweiten Mauerpfeiler erscheint neben dem Kümpfer ein SES grotesker
Tierkopf.
Das zweite Joch. | M
Die Fensterarkade (Abb. 1) hat vier kleine a ee die in der Mitte auf einer
dicken Säule ruhen. (Durchmesser des Schaftes ca. 0,36 m, annähernd quadratische
Plinthe ca. 0,55!/, m). An den Seiten je ein Säulenpaar. Die Kämpfer der Pfeiler
sind im Gegensatz zu деп Kämpfern des ersten Joches nur schwach profiliert, aus
hoher Platte und Wulst. Der Schaft der Mittelsäule ist glatt, die Schäfte der vier
kleinen Sáulen achtkantig. Die Breite der attischen Basen (Hof- und Gangseiten)
ist ungefähr die gleiche wie bei den Säulen des ersten Joches (o, 33“ und 0,34).
Die Tiefe der zusammengestellten Basen ist 0,58!/,. Die Bildung der vorigen ähn-
lich, nur ist beim nördlichen Sdulenpaar der untere Wulst flacher und niedriger
(H. 0,4!9), das obere Stück plumper.
Nördliches Sáulenpaar.
т. Kapitell der Gangsdule. Ап den beiden Ecken nach dem Gang zu zwei
Köpfe als stark hervortretende Eckknollen gebildet, kleine verkümmerte Armchen.
In der Mitte halten beide zusammen eine Art Hirtenstab gerade aufrecht, so daß
die schrág erhobenen Arme mit der geraden Mittellinie und dem oben geringelten
Abschluß ein Ornament formen. Der linke Arm des nördlichen Kopfes ist aus-
gestreckt und hält eine kleine vierblätterige Blüte, daneben als NW-Ecke wieder
einen Kopf. Der Kopf der SW-Ecke ist abgeschlagen. Das mittlere Ornament
der südlichen Langseite wird hier gebildet durch ein vom rechten Arm des süd-
lichen Kopfes gehaltenes Blatt mit runder Mittelrippe und am Stiel ansetzenden
runden Blättchen (vier auf jeder Seite).
2. Kapitell der Hofsäule. An drei Seiten mit dreifach PEN Flechtwerk
bedeckt, an den Ecken ganz kleine Köpfchen. Das verschlungene Flechtwerk
endet in dreiteiligen gelappten, spitzen Blättern. Unter dem einen Kopf hängt eine
kleine Perlenreihe. Die Nordseite des Kapitells hat kein Flechtwerk, sondern zeigt
die bekannte Form des Würfelkapitells, dessen Schildbogen von einem Wulst wie
von einem Strick umsäumt ist. An den oberen Enden scheint dieser Strick an
zwei dicke runde Knöpfe aufgehängt zu sein.
Kämpfer des nördlichen Säulenpaars. An der östlichen Schmalseite zwei
Köpfe. Der nördliche ist auf den linken Arm gestützt, während die rechte Hand
ausgreift und den südlichen Kopf von sich stößt. Diese beiden Figuren ringen
sich mit dem Oberkörper aus der Masse des Steins hervor. Die nördliche Lang-
seite zeigt ein auf dem Rücken liegendes Tier mit geringeltem, dickem Schwanz.
$
325
Der weit aufgerissene Rachen, dessen Zähne sichtbar sind, beißt in den Kopf der
NO-Ecke, den er gerade am Halse abzubeißen scheint. Das Fell des Tieres ist
aufgerauht. Zwei Vorderfüße, aber keine Hinterfüße sichtbar. Der Menschenkopf
bildet zugleich einen Teil der Schmalseite des Kämpfers nach dem Hofe zu. Der
linke, zum Kopf gehörige Arm ist erhoben, die Hand, zur Faust gebalit, nimmt
die Mitte der westlichen Schmalseite ein. Daneben an der SW-Ecke wieder ein
Menschenkopf. Der zu diesem Kopf gehörige rechte Arm greift nach dem Tier
hinüber, seine Hand packt dessen Unterkiefer. Kopf und Arm gehören zu einem
vollständigen Menschenkörper, der die südliche Langseite des Kämpfers einnimmt.
Dieser Körper steckt in einem enganliegenden Kettenhemd mit bis auf die Hand-
gelenke reichenden Ärmeln. Das Kettenhemd geht zu beiden Seiten über die
Hüften hinab, ist aber vorn offen, so daß eine Art Schurz sichtbar wird. Ein
Kettenpanzer bedeckt auch Füße und Beine. Über die linke Hüfte zieht sich ein
Lederriemen. Die Füße stehen auf einem schmalen Steg, der diese Figur von
dem nackten Oberkörper des sich vorn losringenden Mannes trennt. Alle Köpfe
sind äußerst roh uhd starr, die Augen und sonstigen Gesichtsteile scharf um-
schnitten.
Die Mittelsäule. Basis attisch wie alle übrigen. Die Eckpflöcke sind an drei
Seiten als Menschenköpfe geformt. Hier sind die oberen Kanten der Plinthe ab-
geschrägt, um den Köpfen Platz zu machen, während der vierte Eckknollen wie
üblich auf der Plinthe aufliegt. Der Kopf an der SO-Ecke von ungewöhnlicher
Größe und roher als die anderen, stark abgenutzt. Ebenso auch der Kopf der
SW-Ecke, vom dritten kaum noch eine Spur übrig. Der Kämpfer besteht aus
Hohlkehle, Plättchen, Wulst und Platte. Die vier unteren Ecken sind im Dreieck
abgeschrägt und doppelt umrändert. Die Unterseite des Kämpfers ist als Hohl-
kehle gebildet, von der diese Dreiecke ausgeschnitten sind.
Südliches Säulenpaar. Attische Basis, achtkantig gebildet wie die Säulen,
so daß die Kanten der Basen denen des Schaftes entsprechen. Auf achtkantiger
Plinthe ruht der kantig gebildete Pfühl, über den von den acht Ecken der oberen
Platte her acht Streifen laufen, welche, vorn am Pfühl in runden Eckknollen endend,
den Pfühl einziehen und mit Gewichten zu beschweren scheinen.
Gangsäule. Korinthisierendes Blätterkapitell. Wenigstens liegen Erinnerungen
an korinthische Kapitelle zugrunde, aber die Blätter sind spitz und länglich ge-
worden wie Sumpfgras, die Arbeit ist unbeholfen, dabei sehr lebendig und frisch.
Hofsäule. Würfelkapitell. Die Schildbogen sind mit zwei flachkantigen Streifen
umrändert. Die Streifen glatt gemeißelt, während der Würfel sonst rauh bleibt.
Kämpfer. An der Gangseite der Oberkörper eines Tieres (Katze?) mit mon-
strösem, ovalem Kopf und kurzem, in die Höhe gebogenem Schwanz. Große
Augen, lange Nase, scharf umrissen, und zwei aufrecht stehende kleine Ohren.
Die Schmalseiten sind hier ohne Zusammenhang mit den Langseiten behauen, wo-
durch die Grundform des Kämpfers (Sattelholz) mehr betont wird, indem sich die
Skulpturen an der Schmalseite der Schräge anschmiegen und die geraden Teile
des Balkens unbeeinträchtigt lassen. Dies wird besonders deutlich an der nörd-
lichen Langseite, wo der gerade Balken mit abgeschrägten Seiten sichtbar ist und
von einem schmalen Streifen umsäumt wird. Darin in der Mitte zwei mit den
Stielen gekreuzte Blätter. Die Stiele sind dreifach gerippt, die fünf Blätter
rundlich, oben spitz, die zwei zur Seite stehenden im Profil gesehen, das oberste
flach mit vertiefter Mittelrippe. Die Keilschnittechnik hier sehr markiert. An der
Hofseite heraldisches Fabeltier mit großem Kopf. Die Augensterne sind als runde
326
und erhabene Scheiben gebildet, von doppelten Ringen umgeben, kleine Ohren,
heraushängende Zunge. Der Oberkörper ist in großen runden Plättchen geschuppt.
Schwanz. An der südlichen Langseite Blátterranke mit in der südwestlichen Ecke
fleur de Lys-artiger Endung. Sonst ist die Lilienendung zweiteilig. Die Stiele
dreifach gerippt. Vor dem Ansatz der Blumen ein Ring.
Drittes Joch.
Von der vierbogigen Fensterarkade (Abb. 2) ist der äußerste nördliche Bogen
halb in die Mauer verbaut, da an dieser Stelle eine Verstärkung des den Gurtbogen
stützenden Pfeilers notwendig geworden. (Über dem ganzen Osttrakt zieht sich
das ehemalige Dormitorium entlang, das vermutlich Anfang des 14. Jahrhunderts
erbaut wurde.) In der Mitte ein Pfeiler, der Mittelsäule des zweiten Joches ent-
sprechend, an den Seiten je ein Säulenpaar. Der Kämpfer des südlichen Mauer-
pfeilers (H.0,26 m) besteht hier aus Wulst, Schmiege, Hohlkehle, Schmiege, großem
Wulst und Platte.
Nördliches Säulenpaar. Die attischen Basen (Br.0,32 m, Tiefe 0,56 m) TT
von gefälliger Bildung, oben weniger steil und plump. Die Abplattung des unteren
Wulstes (Н. 0,5 m) ist als aufliegendes Plättchen akzentuiert.
Gangsäule achtkantig. Das Kelchkapitell ist von völlig anderer Bildung wie
das unverstanden korinthisierende der zweiten Arkade. Acht Blumenblatter sind
so um den Kern des Kapitells angeordnet, daB an jeder Seite drei sichtbar werden.
Die überfallenden Enden sind stark unterschnitten. Eine viereckige Platte krönt
das Ganze.
Hofsäule. - Glatter Schaft. Würfelkapitell mit einfach umsáumtem Schildbogen.
Kämpfer fein profiliert.
Der Mittelpfeiler. Schaft (H. 1,28 m) im Grundriß ein längliches Viereck.
Die attische Basis ist viereckig (Br. 0,48 m, T. 0,58 m) und besteht aus Wulst,
schräg abfallenden Plättchen, Hohlkehle, Plättchen, Wulst. Die obere Kante der
Plinthe ist abgeschrägt. Die Ecken des Pfeilers sind ausgekehlt, an den Schmal-
seiten (Hof- und Gangseite) ist je eine Halbsäule vorgelagert, während die Lang-
seiten ganz glatt abgemeißelt sind. Diese Halbsäulen werden mit vom oberen
Wulst der Basis umfaßt und vom oberen Plättchen umsäumt, haben aber ihren
eigenen runden, senkrecht stehenden Fuß, dem die zweite Platte der Basis rund-
herum ausweicht. Der Säulenfuß steht also in der Hohlkehle. Die bei der Aus-
kehlung der Ecken stehenbleibenden Pfeilerstücke haben unten eine gewölbte, in
der Mitte eingekerbte Form, oben laufen sie als Spiralen zusammen. Der Kämpfer
zeigt die umgekehrte Form der Basis ohne deren obersten (beim Kämpfer demnach
untersten) Wulst. Der Kämpfer ist stark seitlich verschoben.
Südliches Säulenpaar. Die Basis wieder mit größerem und stärkerem Wulst,
auch die Eckknollen sind stärker, der Oberteil steiler. Der Wulst ist oben ganz
flach und höher wie die anderen (H. 0,6* m). Die Plinthe ist um 0,2 m tiefer wie
die Plinthe des nördlichen Paares,
Gangsäule. Der Schaft ist glatt. Beim Übergang zum Kapitell kein Halsring.
Vier Vögel, an jeder Ecke einer, so daß Leib und Kopf der ausladenden Form des
Würfels folgen, während die ausgebreiteten Flügel die Mitte verdecken. Die Platte
des Kapitells ruht auf den gerade vorgehaltenen Köpfen der Vögel. Die Hälse sind
lang ausgereckt, die Körper stark und eiförmig, der Schwanz dreiteilig, die Beine
lang, die Flügel rund, mit je drei langen Flugfedern. Darüber schuppenartig ge-
arbeitete Federn wie am Körper. |
327
Hofsáule. Achtkantiger Schaft. Kelchkapitell. Vier große Blätter umhüllen
den Kern. An den Ecken stark unterschnitten, lassen sie die gewölbten Spitzen
weit überhängen, so daß auf jede Ecke eine Spitze kommt. Das Blatt bildet hier
gewissermaßen eine überdachte Nische. Uber die Fläche der breiten Blätter, in
der Nische also, sind kreuzweise je zwei schmale, oben runde Blätter lose gelegt.
Darüber Platte.
Der Kämpfer ist weniger reich profiliert wie der des nördlichen Sdulenpaares.
Viertes Joch. (Abb. 3.)
Vierbogige Fensterarkade, auf einem Mittelpfeiler ruhend, nördlich ein Säulen-
paar, südlich ein Pfeiler. Die Kämpfer der Mauerpfeiler bestehen aus Hohlkehle,
Schmiege, Wulst, hoher Platte. (H. o, ao m und o, 27 m.) Ein Stück davon noch
auf der Gangseite sichtbar. |
Nórdliches Sdulenpaar. Basis Br. 0,34 m, T. 0,58 m. Die Säulenschäfte
sind beide glatt und haben Wiirfelkapitelle. |
Gangsüule. Die Umrandung des Schildbogens am Wiirfelkapitell ist als runder
Wulst gebildet, dariiber Platte.
Hofsáule. Die Umrandung des Schildbogens am 1 ist breit und
flach abgekantet. Darüber hohe Platte.
Kämpfer reich profiliert.
Mittelpfeiler. Quadratischer Grundriß (0,56 m). Die Basis wie am Mittel-
pfeiler der dritten Fensterarkade. Die Pfeilerecken in gleicher Weise ausgekehlt
wie dort. Die Seiten glatt. Sehr reich profilierter Kämpfer. An der Hof- und
Gangseite stark unterschnitten.
Südlicher Pfeiler, welcher mit dem Süulenpaar korrespondiert. Basis ein vier-
eckiger Block, Br. o, 34½ m, T. 0,40 m, Н. o, 28 m. Oben schräg abfallende Seiten.
Die Ecken des Pfeilers sind abgeschrägt, aber nicht ausgekehlt. Die Abschrägung
verläuft oben wie unten im spitzen Winkel. Der Kämpfer besteht aus Wulst,
Plättchen und Platte.
DER SUD TRAR T.
I. Joch (das östlichste).
Vier kleine Rundbogen, getragen von einem Mittelpfeiler, im Osten von einer
Säule, im Westen von einem Säulenpaar. Der Mauersockel, auf welchem die Stützen
stehen, ist von W. nach O. zu abgetreppt und nach der Hofseite stark abgeschrägt.
Die Pfeilerkämpfer bestehen von hier ab aus Platte und sehr hohem Wulst. Die
Kämpfer der Gurtbögen, welche im Osttrakt nur o, 16m H. hatten, sind hier 0,25 m
hoch. |
östliches Sdulenpaar. Achtkantig. An der attischen Basis (0,31? m zu 0,315)
bemerken wir zum erstenmal die rinnenfórmige Bildung der Hohlkehle. Zugleich
erscheint zum erstenmal das für die spätromanische Epoche des Salzburger Gebiets
im 13. Jahrhundert charakteristische Kapitell (sogen. Salzburger Kapitell). Es ist
eine Verbindung des Kelch- und Wiirfelkapitells. Mit acht Kanten geht der untere
Teil des Kapitells in den runden Säulenhals über, während die Seiten als vier lot-
rechte Schildflächen іп Dreieckform stehenbleiben. Das Kapitell erhält dadurch
vier, die geometrische Grundform eines nach oben in spitzer Dreieckform aus-
gehenden breiten Blattes zeigende Abschrügungen. Die Spitze endigt unter dem
oberen Rand des Kapitells, eine ca. o,2 m hohe viereckige Platte stehenlassend.
An den vier Seiten bleiben also zwischen diesen Blüttern vier ganz flache, lotrechte
Dreiecke mit nach unten gekehrter Spitze stehen.
328
Kämpfer roh behauen.
Mittelpfeiler. Quadratische ge m) Plinthe. Basis und Pfeiler ganz ähnlich
dem Mittelpfeiler der südlichsten Fensterarkade im Ostflügel.
Der Kämpfer, eine viereckige Platte, geht in großer, an den Ecken scharfkantig
behauener Hohlkehle in den Pfeiler über.
Westliches Säulenpaar. Die E und die Basen beider HAUS scheinen
mir neu zu sein.
Hofsáule. Runder Schaft, Würfelkapitell ead flachkantiger Umsäumung des
Schildbogens.
Kümpfer. Schmale Platte, an den Enden (Schmalseiten) aufgerollt. Darüber
Platte. i
2. Joch.
Vier kleine Rundbogen, auf einem Mittelpfeiler und je einem Säulenpaar ruhend.
Óstliches Säulenpaar. Attische Basis o, 315 zu 594. Rinnenförmige Hohlkehle,
niedriger Wulst.
Gangsäule. Würfelkapitell, von dreistreifigem Flechtwerk übersponnen.
Hofsäule. Würfelkapitell, flachkantig umsäumter Schildbogen.
Kümpfer. An den Schmalseiten aufgerollte schmale Platte, darüber Platte.
Mittelpfeiler. Annähernd quadratische Plinthe. (Br. 0,57 m, Т. 0.54 m).
Attische Basis. Der Schaft ist achtkantig. Die vier quer über die Ecken der Basis
gestellten Fláchen als Auskehlungen behandelt durch hier oben und unten stehen-
gelassenen und zu Voluten aufgerollten Stein. Von dem Pfeilerviereck bleibt sowohl
unten wie oben eine ca. 0,4 m hohe Platte stehen.
Kapitell. Vier nach innen abgeschrägte Seiten mit germanisierten Palmetten,
von denen einzelne rund umgebogen und unterschnitten sind, so daß sie oben wie
von einem Wulst umgeben scheinen. An der Ostseite haben die Palmetten im
mittelsten Blatt ein umgekehrtes fleur de Lys. Hier und an der Südseite erscheinen
unten zwischen den Blattstielen kleine spitze Dreiblätter, die besonders an der
Südseite lebendig gearbeitet sind. An der Südseite ist die wulstartige Form des
oberen Randes der Palmette sehr aufíallend. An der Ostseite hat keine Unter-
schneidung stattgefunden. Hier sind die Palmetten fünfblätterig, an der Südseite
sechsblatterig. Die Stiele haben einen Ring. An der Westseite sind die kleinen
Zwischenblatter an den Stielen fortgelassen und die Palmetten wieder sechsteilig
gebildet. Die Westseite hat vier Palmetten, auf den übrigen drei Seiten erscheinen
nur je drei Palmetten. Auf die Ecken kommen schmale, zusammengepreBte und
nach unten hängende Palmetten in zweistreifiger Umrandung. Diese Eckpalmetten
sind fein geschnitten auf der SO-Ecke, ganz grob und unverstanden auf der SW-Ecke,
gut gebildet auf der NO-Ecke, auf der NW-Ecke abgeschlagen.
Westliches Sáulenpaar.
Basis: Plinthe Br. 0,30 m, T. 0,567 m. Die Bildung der attischen Basis ist viel
gedrungener wie die vorhergehenden. Die Hohlkehle ist nicht rinnenfórmig, auf
dem ca. 0,7 m hohen Wulst liegt ein scharf markiertes Plättchen. Die Eckpflöcke
sehr dick, der obere Teil der Basis nicht sehr steil Runde, glatte Schäfte. Würfel-
kapitelle. |
Gangsäule. Der Schildbogen am Kapitell ist zweimal schmal und scharfkantig
umsäumt, durch einen weiteren Einschnitt erscheint die Umsäumung dreifach
zu sein. :
Hofsáule. Einfache flachkantige Umsäumung des Schildbogens.
Monatshefte für Kunstwissenschaft, XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12. 23 | 329
Der Kümpfer hat an der Westseite zwei Tiere, die mit den Küpfen gegen-
einander gestellt sind. Nur Köpfe und Rücken sind gegeben. Vielleicht sollen
Lämmer dargestellt sein. Darüber schmale Platten, ап den Enden nach außen
in federnde Spiralen eingerollt. Der Wulst kommt wie gewöhnlich auf die Schmal-
seite.
3. Joch (Abb. 4).
Vier kleine Rundbogen, Mittelsiule und je ein Sáulenpaar an den Seiten. Da
der Siidtrakt fünfJoche hat, kommt die dritte Fensterarkade also genau auf die Mitte.
Óstliches Süulenpaar.
Basis: Br. o,30* m, Т. 0,594 m. Stark rinnenfórmige Hohlkehle. Das Ganze
niedrig gehalten. Die Basis der Gangsäule hat einen etwas dickeren Pfühl wie die
der Hofsáule. Beide achtkantig.
Gangsäule. Wiirfelkapitell Ап der Ostseite glatt, bis auf die übliche, ganz
flache und einfache Umsäumung des Schildbogens. An der Südseite dreistreifiges
Bandgeflecht als Dreieck und Kreis durcheinandergesteckt. Der Kreis gedrückt
und verbogen. Westseite, dreistreifiges Bandgeflecht, an den Ecken verschlungenes
Viereck. Nordseite dasselbe Ornament wie die Siidseite.
Hofsäule. Wiirfelkapitell mit ganz glatter, einfacher Umsäumung des Schild-
bogens.
Kämpfer. Lange, schmale Platte, an den Enden aufgerollt, aber so, daß sich
die Spirale wieder nach außen dreht, statt nach innen.
Mittelsüule (Abb. 5). Attische Basis über viereckiger Plinthe, ein im GrundriB
runder, aber kantig gebildeter Pfühl und kantige Eckpflócke. Am runden Schaft
(H. 0,98 m) sind nach der Gangseite zwei rundbogige flache Nischen (H. 0,13 m)
ausgearbeitet. Zwischen beiden ein 0,5!/, m breiter Steg. Іп der östlichen Nische
sitzt unten ein jugendlicher Mann mit straffem, nicht ganz bis auf die Schultern
herabfallendem Haar und phrygischer Mütze. Über Brust und Schultern scheint
er eine Art von ürmellosem Kragen zu tragen. Er spielt die Harfe. Nur die vier
Finger der linken Hand, die in die Harfe greift, sind sichtbar!) Über ihm ein
Tier. Der abgebrochene Schwanz hat gerade den Winkel über der Harfe aus-
gefüllt, das rechte Hinterbein kommt gerade auf den Kopf des Harfenspielers, die
rechte Pfote ist nach unten gesenkt, die linke erhoben. Es ist vielleicht ein Hund
gedacht. Den Kopf ziert ein aufrecht stehender Haarbüschel — Die westliche
Nische ist durch eine nach rechts schreitende münnliche Figur ganz ausgefüllt.
Der im Profil gesehene Kopf ist unfórmig groB im Verhültnis zur Gestalt. Das
mandelförmige, plastisch rund gebildete Auge nimmt den ganzen Kopf von der
Nasenwurzel bis über die Schlüfe zum Haar ein. Unter der runden, anliegenden
Kappe füllt das Haar frei und leicht wellig bis auf den Rücken herab. Nur der
rechte Arm, der über die Brust gelegt ist, wird sichtbar. Die Hand hält einen
runden Gegenstand an die linke Schulter gedrückt. Die Hand hat fünf Finger und
einen Daumen! Der Mann trügt ein eng anliegendes, am Halse offenes Wams.
Am Handgelenk zwei Reihen kleiner runder Plättchen, je drei in einer Reihe. Ein
langes, gerade herabfallendes Untergewand, das noch die Knie bedeckt, wird über
den Hüften von einem starken, in der Mitte zweimal verschlungenen Gurt zu.
sammengehalten, der mit großen runden Platten (Buckeln) besetzt ist. Das eine
(1) Der Bearbeiter des Denkmäler-Inventars hat an dieser Gestalt Tierfüße gesehen. Diese sind heute
nicht mehr vorbanden; ich konnte auch keine auf das einstige Vorhandensein solcher Füße deutende
Spuren entdecken.
330
herabhängende Ende zeigt noch vier Striemen (Fransen), in welche der Gurt aus-
läuft. Die Beine sind entweder nackt oder von eng anliegenden Strümpfen be-
kleidet gedacht. Bei den oben faltigen Stiefeln (vier Querrillen) ist der ganze Fuß
mit runden Plättchen bedeckt. Beide Füße in Profilstellung nach rechts schreitend.
Der Кӛгрег von vorn gesehen.
Das Kapitell sitzt direkt ohne Halsring auf dem Säulenschaft auf. Die Grund-
form ist die eines nach oben abgeschrágten Wiirfels. Darüber quadratische hohe
Platte. Der Würfel ist ganz in origineller und phantastischer Weise mit Blättern
bedeckt. Die überfallenden, stark unterschnittenen Ecken sinds mit Blättern über-
legt. Aus den Blattspitzen wachsen umgestülpte Lilienkelche hervor, welche sich
henkelartig wieder am Fuß des Kapitells mit dem Stein vereinigen. An der Hof-
seite abgebrochen. Jede Seite des Kapitells ist verschieden gebildet. In der Mitte
wächst aus der Basis des Kapitells je ein blattartig gebildeter Knollen hervor. Die
Blattform tritt deutlich nur an der Südseite hervor, an der Ostseite ist der Knollen
wie eine Konsole gebildet, über deren oberer Wölbung Blätter liegen und in deren
Unterseite eine Blüte eingemeiBelt ist. An der Westseite ist dieser Buckel als
runde, umgestülpte Blume gedacht. "Vielleicht ist als Grundform der Lilienkelch
beabsichtigt, aber dann wieder vergessen worden oder durch das Ungeschick des
Steinmetzen mißbildet, denn das eine Viertel ist mit kleinen Blättern überarbeitet.
Eine vertiefte, kreuzfórmige Rille teilt den Buckel in vier Teile. Neben diesen
Buckeln liegen zu beiden Seiten lange Palmenwedel, über den Buckeln undefinier-
bare Blatter. Das Laubwerk liegt durchaus unorganisch über dem Kapitell. An
der aufliegenden Platte ist ganz deutlich die antike Wellenranke in mittelalterlicher
Verrohung.
Westliches Sáulenpaar. |
Basis: o, 315, T. 0,53» m. Die Hohlkehle ist rinnenfórmig gebildet. Es sind keine
Eckknollen vorhanden. Die Schäfte sind achtkantig.
Gangsáule. Würfelkapitell. Schildbogen von flachkantigem Rand umzogen,
dann noch an der Unterseite von schmalem, kantigem Streifen.
Hofsäule. Würfelkapitell. Der etwas größere Schildbogen ist einfach umsäumt.
Der Schildbogen reicht beinahe bis auf den Halsring hinab.
Kämpfer. Platte nach innen eingerollt, darüber Platte.
4. Joch.
Vier kleine Rundbogen. Mittelpfeiler und je ein Sáulenpaar an den Seiten.
Óstliches Sáulenpaar. Basis: Br. 0,33? m, T. 0,59° m. Die Plinthe sehr
niedrig. Die Hohlkehle ist stark rinnenförmig gebildet und so steil, daß sie wie
eine Fortsetzung des runden Sdulenschaftes erscheint. Beide Sdulen haben einfache
Wiirfelkapitelle mit flachkantig umsáumten Schildbögen. An der Gangsäule ist der
Halsring kantig.
Kämpfer. Sehr schmale, nach innen eingerollte Platte. Hier ist es die obere
Platte, welche sich volutenfórmig einrollt und über die untere Platte legt.
Mittelpfeiler. Basis: ein längliches Viereck. Br. 0,52, T. 0,58 m. Der obere
Wulst mit Plättchen und Ansatz der Hohlkehle bilden den geradlinigen, viereckigen
FuB des Pfeilers, dann leitet die geschweifte, wenig ausgehóhlte Linie der Hohl-
kehle zum Pláttchen des hohen Pfühls und der viereckigen Plinthe über. Der
Schaft des Pfeilers: Untere Br. 0,28 m, T. 0,36 m. Obere Br. o,18 m, T. 0,29 m.
Breite der slupierten Fläche nach der Gangseite unten 0,23 m, oben 0,14 m.
Meerwesenseite unten 0,34 m, oben 0,25 m. Nach oben verjüngt sich der Schaft.
Die Ecken sind glatt gelassen, aber nach oben abgeschnitten. Wo die Verjüngung
33I
aufhört, biegt sich die Ecke, als oben spitzes, rundes Blatt endigend, nach außen,
um in einer schönen Schweifung zu dem an den Pfeiler angearbeiteten Kapitell
überzugehen.
Südseite. Zu beiden Seiten der ornamentierten Flüche ist ein breiter Rand
stehengeblieben. Das dadurch entstehende schmale F'eld ist oben rundbogig ab-
geschlossen. Das Stück oberhalb des rundbogigen Ornamentfeldes ist wieder nach
oben mit umgekehrter Schweifung abgerundet, so daB es als ein zwischen den
beiden Seitenlisenen eingefügtes Schild erscheint. Das innere Feld zeigt gut in
den Raum komponierte, mit naturalistischer Treue gearbeitete W'einranken. Dicker
Stamm mit knorriger Rinde, Traube, oben Blatter, abwechselnd nach oben und
unten wachsend; das oberste Rund füllt das letzte Blatt aus. Die Ranke wächst
in Windungen von unten nach oben.
Ostseite. Ranke mit großen Blättern, die wohl Kastanienlaub vorstellen sollen.
Westseite. Unten der nackte Oberkörper einer weiblichen, im Profil dar-
gestellten Figur. Das Haar ist in einer Spirale im Nacken aufgerollt, das Ohr von
gänzlich unverstandener Bildung. Überhängende Stirn, darunter große Augen und
große Nase. Statt Händen scheinen Tierklauen gedacht zu sein, es kommt unten
rechts auch noch eine dritte Tierklaue hervor, die wohl zum Fuß des Fabelwesens
gehört hat. Dieses trägt auf dem Rücken ein Fell. Es ist also wohl ein faun-
artiges Wesen gedacht. Darüber ein Fischweibchen, nach der Antike kopiert.
Kopf lebendig gebildet. Mit beiden Händen umfaßt sie zu jeder Seite einen Teil
ihres doppelten, in der Mitte des Körpers sich spaltenden Fischschwanzes. Das
Gewand ist sehr geschickt wie Fischflossen behandelt, das Körperchen lang und
dünn. Darüber als Füllung des oberen Rundes sehr große, offene Blume (Mohn?).
Nordseite leer, hier jedoch der Teil über dem Rundbogen des Feldes mit Blät-
tern besetzt.
Das Kapitell (H. 0,13 m) hat weitmaschiges Bandgeflecht, das sich wie in
einer großen Kette um den viereckigen Stein zieht.
Kämpfer. Viereckiger, nach unten abgeschrägter Steinbalken. An den Seiten
wieder dreistreifiges Bandgefiecht. An der SO-Ecke ein Knoten von Bandgeflecht.
An der SW-Ecke, kaum mehr kenntlich, ein Vogel, an der NW-Ecke Eule, leider
sehr beschädigt. Die NO-Ecke ist ganz abgeschlagen. :
Westliches Sdulenpaar. Runde Plinthe. Durchmesser ca. 0,32 m. An der
Basis der Gangsäule ist der obere Wulst als Strick gedreht. Beide Säulen glatt
und rund.
Gangsdule. Wiirfelkapitell, fachkantig umsäumt.
Hofsüule. Würfelkapitell, wulstartig umsäumt.
Kämpfer roh behauen.
5. Joch (Abb. 6).
Vier kleine Rundbogen. Mittelsäule und je eine Säule an den Seiten. Der öst-
lichste Rundbogen ist halb in die Mauer verbaut. |
Óstlichste Säule. Basis: Br. 0,40 m, T. 0,41. Plinthe nur eine dünne Platte,
der Wulst achtkantig, das daraufliegende Plättchen hat leicht eingeschweifte Seiten.
Eckpflócke. Der Süulenschaft ist aus runden und scharfkantigen Gliedern tauartig
gewunden. Das Kapitell ist ganz überzogen mit kindlich ungeschickt gemeißelten
kleinen Ranken, Blüttchen und Trüubchen, ohne irgendeinen Zusammenhang, hin-
gemeißelt wie es eben kam. Kämpfer, roh gelassen, Platte und Schmiege.
Mittelsäule. Schafthöhe 0,91 m. Basis wieder auf runder Plinthe. Riesiges
Kapitell von oben rechteckiger Bildung mit rund ausladenden Ecken und rund aus-
332
ladenden Konsolen in der Mitte der Seiten. Oben 0,62 m im Quadrat. Alle acht
Ausbuchtungen werden getragen von großen Köpfen oder Laubknoten. An der
Südseite in der Mitte bärtiger Mánnerkopf, in Arabesken endend, vielstreifige Stengel-
bündel an Stelle von Hals und Armen, in Laubwerk übergehend. An der SO-Ecke
weiblicher Kopf, ein Tuch von der linken Schulter nach rechts hinübergezogen.
Der linke Arm kommt aus diesem Tuch so hervor, daß sich die linke Hand auf
die rechte Schulter legt, der Arm wie mit Tüchern umwunden. Die Finger wie
Lappen geformt. Ostseite, Mitte Blattwerk, ebenso an der NO-Ecke. Nordseite in
der Mitte ganz verwitterter Lówenkopf, darunter unbearbeiteter Knollen, Blattwerk
und Stengelbündel. NW-Ecke halb in die Mauer des hier vorgelegten Eckturmes
verbaut. Lówenkopf mit groBen Pranken. Westseite, Mitte, jugendlicher Kopf
(Kinderporträt ?) Die Augensterne als Löcher gebildet. Die Knabenherme trägt
eine Art Rüstung aus Lederplatten, oben am Hals runde Plättchen (Edelsteine ?).
SW-Ecke heraldischer Löwe, seine beiden Pranken nach oben erhoben, als sollten
sie die Platte tragen, zähnefletschend, geflügelt, sehr roh.
Westliche Säule. Basis: 0,40 m, — 0,40 m, wie die vorige behandelt, nur ist
hier der obere Wulst und das obere Plättchen auch schon achtkantig. Der Säulen-
schaft ist gedreht, tiefe Kannelüren mit scharfkantigen Stegen. Knospenkapitell,
entweder modern oder in neuerer Zeit ganz überarbeitet. In der SO- und SW-Ecke
sitzen innerhalb der sich übereinanderlegenden Blätter je ein Kopf, in der NW-
und NO-Ecke nur runde Kugeln.
WESTTRAKT.
Das erste Joch ist ganz verbaut. Vom Eckpfeiler sind beide, die Gurtbogen
tragenden Kämpfer erhalten. Daneben ein Stück der alten Mauer und ein kurzes
Stück reich profilierten Kämpfers. Nördlich ein Ausgangsbogen mit zwei neuen
Kämpfern. Daneben vor dem nördlichen Pfeiler, der den zweiten Gurtbogen trägt,
ein Stück der Konsole aus Hohlkehle und Platte, dient ebenso wie die gegenüber-
liegende Konsole als Auflager des Kreuzgewölbes. Hier ruhen beide das Joch um-
spannende Gurtbogen auch an der Außenmauer auf Pfeilern, und an der Innenseite
dieser Pfeiler ist auf 0,49 m respektive 0,64 m hohem Postament und attischer
Basis je ein kleines Säulchen eingestellt von 0,90 und 0,96 m Schafthöhe. Die
Kapitelle dieser Säulchen zeigen wieder genau die typisch spätromanische Form
des Kapitells der östlichsten Säulen in der Fensterarkade des östlichsten Joches
im Südtrakt. Nach der Art, wie hier und an der Hofseite die Wandpfeiler die aus
Hohlkehle und Platte gebildeten Konsolen überschneiden, muß in ihnen ein späterer
Einbau gesehen werden. Dieser wird um so wahrscheinlicher, als dieses ganze
Joch als Vorraum einer heute nicht mehr vorhandenen Brunnenkapelle gedient hat.
Drei Stufen führen aus dem ersten Joch in dieses zweite Joch des Westtraktes.
Nach der Hofseite, also nach Osten zu, öffnet es sich in zwei von einer 1,05 m
hohen Mittelsäule getragene Bogen. Im Jahre 1899 wurden an dieser Stelle vor
dem zweiten Joch die Fundamente eines quadratischen Baues (äußere Seitenlänge
5 m) ausgegraben, die heute wieder zugeschüttet sind. Die Mauerdicke betrug
1,10 m. Da wir aus einer Berchtesgadener Oblayrechnung vom Jahre 1561 (Pfarr-
archiv) einen „Prunn im Creutzgang“ erwähnt finden, dürfen wir annehmen, daß
die Brunnenkapelle an dieser Stelle lag und der säulengetragene, doppelbogige
Ausgang ehemals den Eingang zu ihr bildete. Im Kreuzgang des Stiftes St. Peter
in Salzburg befindet sich eine ähnliche, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
am Westflügel errichtete Brunnenkapelle mit ebenfalls doppelbogigem Ausgang
und einer Teilungssdule. Auch die Ecksäulen neben den Pfeilern des Kreuzgang-
333
joches sind dort vorhanden und ihre Kapitelle sind die gleichen wie hier!) Eine
weitere wahrscheinliche Analogie findet sich im Kreuzgang von St. Zeno bei
Reichenhall wo sie jedoch dem westlichsten Joch des Siidtraktes vorgelegen wire.
Der doppelbogige Ausgang mit Teilungssäule läßt an dieser Stelle eine solche An-
lage vermuten. Hier im Salzburgischen erklärt sich das in Deutschland ungewöhn-
liche Vorkommen einer Brunnenkapelle im Kreuzgang durch franzüsische oder wahr-
scheinlich italienische Einflüsse?) Schaft und Basis der Teilungssäule sind acht-
kantig gebildet. Die Eckknollen der Basis sind rund, vorne zugespitzt, oben mit
einer Rippe versehen. Die Plinthe ist viereckig. Das Kapitell (H. 41,5 m) korin-
thisierend. Akanthusähnliches kleinzackiges Laub wächst in zwei Reihen über-
einander aus dem kantigen Halsring auf. Die Enden hängen sehr weit über. Die
Voluten der oberen Ranken sind nicht ausgearbeitet. Der Kämpfer scheint modern
zu Sein.
Drittes Joch (Abb. 7).
Drei Bogen, an den Enden im Mauerpfeiler verschwindend, von je zwei Säulen-
paaren getragen.
Südliches Sáulenpaar. Basis: Br. 0,33? m, T. 0,60 m. Der Pfühl ist oben
abgeplattet, die Hohlkehle nicht rinnenförmig gebildet. Der obere Teil ziemlich
steil. Eckpflöcke. Säulenschäfte glatt und rund. |
Gangsäule. Das Kapitell hat dreistreifiges Flechtwerk an allen vier Seiten
(Kreis mit durchgestecktem, an den vier Ecken Schleifen bildenden Viereck).
Hofsáule: entweder neu oder überarbeitet. Würfelkapitell mit flachkantiger
Umsáumung des Schildbogens.
Kümpfer fein profiliert.
Nördliches Sdulenpaar. Basis: o, 30“ zu 0,50%. Schäfte glatt und rund.
Gangsáule. Kantiger Halsring. Kapitell der gleichen spätromanischen Bildung
wie das der östlichsten Säulen der östlichsten Fensterarkade im Südtrakt und der
beiden kleinen Ecksäulen im zweiten Joch des Westtraktes, nur ist dieses Kapitell
kleiner wie das im Südtrakt und der Fuß verhältnismäßig nicht so dünn.
Hofsáule. Würfelkapitell, Schildbogen mit äußerer Umsäumung durch einen
Wulst, innen von flachkantigem, schmalem Streifen umründert.
Kämpfer profiliert, Wulst, Plättchen, Platte.
Viertes Joch.
Drei Bogen. Der südliche steckt halb im Pfeiler. Zwei Säulenpaare. Die Basen
aller vier Säulen sind gleichmäßig achtkantig gebildet mit über den Pfühl laufenden
Streifen, die in Knollen ausgehen, wie bei dem südlichen Säulenpaar der zweiten
Fensterarkade im Osttrakt.
Siidliches Sáulenpaar. Durchmesser der Basis ca. 0,36 zu 0,59!/, m.
Gangsáule. Schaft achtkantig. Wiirfelkapitell, flachkantig, breit umsäumter
Schildbogen.
Hofsäule. Schaft glatt und rund. Würfelkapitell, fachkantig umsäumter Schild-
bogen mit schmalem Innensáumchen. — Profilierter. Kimpfer.
Nórdliches Sáulenpaar. Basis: Durchmesser 0,34 zu 0,55, der obere Wulst
kantig geformt.
Gangsäule іп zwei dicken Stricken tauartig gewunden (Abb. 7). Kapitell mit
dreistreifigem. durcheinandergestecktem Flechtwerk.
(1) V. Berger, Das Brunnenhaus im Kreuzgang des Stiftes St. Peter in Salzburg, Mitteilun gen der
k. u. k, Zentralkommission XVII, 189r.
(2) Lenoir, Architecture monastique.
334
Hofsáule. Schaft rund und glatt. Kapitell nur roh behauen, an den Ecken vier
kleine Köpfe ausgearbeitet. Augensterne als Löcher gebohrt. Kämpfer roh behauen.
DER NORDTRAKT ist zu Anfang des 17. Jahrhunderts, vielleicht auch etwas
früher vollkommen umgebaut worden. Von den romanischen Fensterarkaden ist
nicht eine einzige stehengeblieben. Bei Gelegenheit dieses Umbaues muß ein
kleines romanisches Portal zerstórt worden sein, von dem sich zwei ehemals
Sdulen tragende Lówen erhalten haben, die jetzt im Nordtrakt an der Wand auf-
gestellt sind. Sie sind verhältnismäßig klein. Bei dem einen ist die Mähne stark
aufgeringelt, unter den Pfoten hält er einen Wildschweinkopf. Sein Schwanz ist
unter dem Körper durchgezogen, die Quaste hängt über dem linken Hinterfuß. Die
Rippen an den Seiten gut ausgearbeitet. Der andere Löwe ist mehr verwittert,
die Vorderpfoten sind ganz abgeschlagen. Im ganzen ist die Bildung gedrungener.
Sein Schwanz liegt auf der Kruppe.
In der Waldkapelle von St. Bartholomae befindet sich als FuB eines Weihwasser-
beckens eine romanische Sdulenbasis, welche genau die Form der achtkantigen
attischen Basen mit über dem Pfühl nach den Eckknollen laufenden Streifen in
den Fensterarkaden des Ost- und des Westtraktes hat. Es stammt also wohl aus
dem abgebrochenen Nordtrakt. Da das Weihwasserbecken und der Schaft augen-
scheinlich aus der Entstehungszeit der Kapelle, 1617, stammen, so ist anzunehmen,
daß der Abbruch der Fensterarkaden im Nordtrakt damals schon vollendet war.
An der NO-Ecke des Kreuzganges haben sich von dem gleichzeitig mit dem
frühgotischen Chor errichteten Portal Reste des älteren, vorgelagerten Portals er-
halten. Das westliche Gewände, der westliche Wandpfeiler mit seinem aus Hohl-
kehle, Wulst und Platte bestehenden Kámpfer und ein Stück des Bogens sind stehen-
geblieben, während die östliche Hälfte abgebrochen wurde, um einen Eingang in
den Dormentgang zu ermöglichen.
Das Portal vom Ende des r3. Jahrhunderts (Abb. 8) ist der jüngste Teil der hier
in Frage kommenden Kreuzgangsarchitektur. Als ein typisches Werk des Über-
gangsstils vom Romanischen zur Gotik hat es ein hohes Interesse. Noch ist die
Anlage rein romanisch, und nur in der Behandlung der Einzelformen zeigt sich die
veründerte und sich verfeinernde Geschmacksrichtung. Das aus rotem Unters-
berger Marmor errichtete Portal ist rundbogig und nur einmal abgestuft, die Ecken
sind mit je einer Sáule ausgesetzt, deren Basen die attische Form mit Eckknollen
beibehalten. Die Säulen haben Knospenkapitelle, die Kapitelle der Portalgewände be-
stehen aus vier ungleich hohen Blütenknollen. Der Architrav ruht auf zwei Vor-
kragsteinen, das Tympanon ist leer und wird von einem dicken Wulst umrahmt,
der auf den Säulen des Portalgewändes ruht. Das westliche Säulenkapitell hat in
der mittleren Knospe einen Frauenkopf, der aus den zusammengerollten Blättern
hervorzusehen scheint. Die Behandlung dieses Kopfes zeigt einen gewaltigen Fort-
schritt gegen die Kópfe, welche an den romanischen Kapitellen des Kreuzganges
vorkommen. Hier war schon ein flott und sicher arbeitender Bildhauer am Werk,
dessen künstlerische Reife gerade hier, wo er in den alten Formen arbeitete, be-
sonders auffällt. Über der Stirn des Frauenkopfes ist ein Weinblatt senkrecht nach
oben gestellt wie ein Diadem. Іп den beiden seitlichen Blätterknollen erscheinen
die zum Kopf gehörigen Hände, nach Trauben greifend, die hier unter den Blättern
hervorquellen. Diese Hände sind gut und lebendig gearbeitet. Die ganze Kom-
position ist geistreich. In der Ecke ein Lówenkopf mit faltig gezogener Stirnhaut
und kugeligen Augen. Am Kapitell rechts verrüt wieder die schüne, breite Be-
handlung der Blátter eine geübte Hand.
335
Der groBe romanische Portallówe, welcher dem Portal vorgelagert ist, war viel-
leicht ein Bestandteil des älteren, hier abgebrochenen Portals. Entstanden sein
dürfte es Ende des 12. Jahrhunderts, wie der ihm sehr ähnliche Portallówe von
der Laufener Stiftskirche (Abb.9). Analogien zu diesem Löwen bieten ferner noch
die Portallówen von Skt. Zeno bei Reichenhall, der Lówe im Langen Hof in Salz-
burg und der Lówe unter der Kanzel in der Franziskanerkirche in Salzburg. Er
ist bewegter wie die zwei kleineren Löwen im Kreuzgang. — Ein Blick von diesem
Portallówen und diesem in frühgotischer Zeit entstandenen romanischen Portal auf
die sich hier anschließende Fensterarkade des östlichen Traktes muß den vorurteils-
losen Beschauer überzeugen, daß diese Arbeiten unmöglich im selben Jahrhundert
entstanden sein können. Es ist nicht nur das Mehr oder Minder des technischen
Vermögens, sondern vor allem die von einem ganz anderen Kulturniveau zeugende
Auffassung, welche hier entscheidend ist. Wir haben offenbar in den Kapitellen
und Kämpfern der nördlichen Fensterarkade des Osttraktes den ältesten Teil des
Kreuzganges vor uns, wie wir in dem Portal den jüngsten haben. Es ist ganz
ausgeschlossen, daß die lombardisch anmutenden grotesken Tier- und Menschen-
gestalten, die nur an dieser Stelle vorkommen, gleichzeitig mit den Kapitellen und
Basen des Südtraktes entstanden sein sollten oder mit dem Kelchkapitell und
Vögelkapitell der dritten Fensterarkade des Osttraktes. Auch die Reliefs der Mittel-
säule im dritten Joch des Südtraktes scheinen mir jünger zu sein. Die Skulpturen
der zwei ersten Fensterarkaden haben noch jenen Zug unheimlichen Grausens,
der, aus der Völkerwanderung stammend, sich in den Arbeiten der lombardischen
Steinmetzen erhielt. Es ist das Entsetzen vor der Wirklichkeit und die kynische
Bejahung dieser Furcht, welche den Werken dieser Art ihre erschreckende Un-
mittelbarkeit und ihr höchst persönliches Gepräge gibt. Alles, was nachher kommt,
ist konventioneller, ist dargestelltes, darum stilisiertes Sein. Diese ältesten Skulp-
turen sind im Fiebertraum gesehene Produkte der Angst und zugleich der voll-
blütigen animalischen Kraft. Das ist es, was mich, abgesehen von der Roheit der
Technik, veranlaßt, sie noch in den Beginn des 12. Jahrhunderts, in die Epoche
Eberweins zu versetzen. War Eberwein in Italien, um sich dort die päpstliche
Sanktion zur Errichtung seines Klosters in Berchtesgaden zu holen, so ist es zum
mindesten nicht unwahrscheinlich, daß er sich von jenseits der Alpen Steinmetzen
mitnahm, deutet doch der starke antike Einschlag an den meisten frühen Werken
des Salzburger Landes überhaupt auf die sich auch in späteren Jahrhunderten be-
hauptende Gewohnheit, Künstler aus Italien zu beziehen. Ich kann die Notiz über
Eberwein „conductis lapidum artificibus“ nicht so auffassen, als habe er diese nur
zur Errichtung eines hölzernen Notbaues verwendet. Ein so tatkräftiger Mann,
wie es dieser erste Propst gewesen sein muß, hat sicher nicht geruht, bevor er
die Mauern seines Münsters aus der Erde emporsteigen sah. Manches mag frei-
lich fliichtige Arbeit gewesen sein, die schon bald wieder einstürzte oder abgetragen
werden mußte, aber gewiß ist, daß sich vor ır39, dem Todesjahr Eberweins,
auf dem Priesterstein eine in Stein gefügte klösterliche Anlage erhob. Von diesem
ältesten Bau dürfte der einzig frei zutage liegende Rest die nördlichste Fenster-
arkade des Osttraktes und ein Teil der zweiten Fensterarkade dieses Flügels sein.
Es darf auch nicht vergessen werden, daß diese Datierung die Skulpturen keines-
wegs in frühromanische Zeiten hinaufriickt. Der romanische Stil war im Anfang
des ı2. Jahrhunderts vollkommen ausgebildet und die jedem Steinmetzen geläufige
Ausdrucksform. Zur Zeit, als Eberwein seine ersten Bauarbeiter nach Berchtes-
gaden berief, hatte die Hiersauer Bauschule schon seit einem Jahrhundert den
336
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Kirchen- und Klosterbau Deutschlands maßgebend beeinflußt. In Bayern erhoben
sich eine bedeutende Zahl stattlicher kirchlicher Anlagen, denn seit dem ro. Jahr-
hundert war die Bautätigkeit hier eine äußerst rege!). Der Einfluß der langobar-
dischen Kunst Oberitaliens reichte bis tief in das Salzburger Gebiet hinein, so daß
hier schon damals jene Vermischung deutscher und italienischer Elemente statt-
fand, welche die Eigenart der bildenden Kunst dieser Gebiete ausmacht, An Vor-
bildern fehlte es zu Eberweins Zeit weder diesseits noch jenseits der Alpen. Stil-
kritische Bedenken können uns also nicht hindern, die nördliche Fensterarkade des
Osttraktes in das erste Viertel des 12. Jahrhunderts zu verlegen. Daß die Säulen-
basen weniger altertümlich anmuten, d. h. eine größere Ausdehnung haben wie die
des Kreuzgangs von St. Zeno bei Reichenhall, welcher meist in das Ende des
12. Jahrhunderts verlegt wird, beweist noch nichts, denn in St. Zeno waren offen-
bar deutsche, ausschließlich in Deutschland geschulte Steinmetzen am Werk,
während in Berchtesgaden alles auf italienische Einflüsse und italienische Stein-
metzen deutet. Der Unterschied in der Behandlung der Kapitelle und Basen läßt
sich also viel eher auf Rechnung des verschiedenen nationalen Geschmacks und
der technischen Ausbildung setzen, als durch den Zeitunterschied erklären. Immer-
hin wäre es aber möglich, daß die Säulenbasen dieser zwei ältesten Fensterarkaden
in der zweiten Bauperiode des Kreuzganges, also Ende des 12. Jahrhunderts, durch
neue ersetzt worden wären. Dadurch würde sich dann auch die Übereinstimmung
sämtlicher Basen des Osttraktes mit den acht noch vorhandenen des Westtraktes
erklären. Auffallend erscheint es mir, daß die beiden nördlichen Joche des West-
traktes sich ebenso wie das nördlichste Joch des Osttraktes nur in drei Bogen statt
in vieren nach dem Hof zu öffnen. Sollte bei dem Bau mit der heute zerstörten
Nordseite angefangen worden und bei der ersten Anlage nur dreibogige Fenster-
öffnungen vorgesehen worden sein? Am Nordjoch des Osttraktes ist es ferner
beachtenswert, daß sich hier keine Doppelsäulen finden. Ich halte es für möglich,
daß auch hier ein älterer Entwurf zugrunde lag, der später zugunsten der Doppel-
säulenstellung aufgegeben wurde. Wie weit der Bau des Kreuzganges zu Eber-
weins Zeit schon gediehen war, läßt sich natürlich nicht einmal vermuten. Denkbar
wäre es, daß nur der Nordtrakt und die ersten Joche des Ost- und Westtraktes fertig
geworden wären. Von dem Bau Eberweins stammen außer dem nördlichsten Joch
des Osttraktes meines Erachtens noch die Kapitelle und Kämpfer der beiden kleinen
Säulenpaare an der zweiten Fensterarkade. An den fünf Fensterarkaden des Ost- und
Westflügels ist die Profilierung der Kämpfer an den Pfeilern ganz übereinstimmend,
nur bei der nördlichsten Fensterarkade des Ostflügels sind die Kämpfer an den
Innenseiten des Mauerpfeilers durch Tiergrotesken gebildet.
In der zweiten Bauperiode, die ich gegen Ende des ı2. Jahrhunderts ansetzen
möchte, wären dann die drei südlichen Fensterarkaden des Ostflügels entstanden,
wobei man vier ältere, von der ersten Anlage stammende Säulen mit Kämpfern
und Kapitellen zu den Säulenpaaren in der zweiten Fensterarkade des Osttraktes
verwendet hätte. In den beiden nördlichen Jochen des Westtraktes wären unter
Beibehaltung der dreibogigen Anlage die Säulen mit Basen, Kapitellen und Kämp-
fern erneuert worden. Einer noch späteren Bearbeitung, vom Anfang des 13. Jahr-
hunderts, entstammte dann das Kapitell der Gangsäule des nördlichsten Säulenpaares
im dritten Joch. — An den Kapitellen dieser fünf Arkaden (drei im Osttrakt, zwei
im Westtrakt), sehe ich schon deutlich den Einfluß der Kapitellskulpturen in der
(x) Vgl. Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern. I. Band. München 1862.
337
Freisinger Krypta. Diese Krypta wird iibereinstimmend von allen Kunsthistorikern
dem Bau nach dem grofen Brande von 1159 zugewiesen; mir selbst scheint es
fraglich, ob hier nicht ältere Teile aus dem 11. Jahrhundert vorhanden sind. Auf
jeden Fall muß die Krypta um 1161 fertig gewesen sein, da das Portal der Kirche
dieses Datum trügt. Die Freisinger Krypta zeigt starke oberitalienische Einflüsse,
die sie dann nach Berchtesgaden übermittelte. Stand die Krypta, wie ich annehme,
spätestens im Jahr 1161 vollendet da, so kann man ohne weiteres eine Abhängig-
keit des Berchtesgadener Kreuzganges seit dem Ende des 12. Jahrhunderts von
ihr annehmen. Bezeichnend für diese stilistische Abhängigkeit scheint mir das
Vogelkapitell im Osttrakt. Es ist eine verkleinerte Nachbildung des Adlerkapitells
der groBen Luitprechtsdule in Freising. Kelch- und Wiirfelkapitelle, Flechtwerk
und vegetabilisches Ornament wechseln hier miteinander ab, wie es der romani-
schen Epoche geläufig war.
Der Einfluß der Freisinger Krypta erhielt sich noch im Anfang des 13. Jahr-
hunderts, um welche Zeit ich die Hauptteile des Südtraktes datieren móchte. Zum
ersten Male kommt hier die rinnenfórmige Bildung der Hohlkehle an der attischen
Basis vor, und zwar gleich an der dstlichsten Säule des Südtraktes. An dieser
Seite haben wir auch zum ersten Male den Kümpfer mit volutenartig aufgerollten
Enden und das Kapitell mit den abgeschrügten Ecken und dreieckigen Schildbogen.
Die antiken Dekorationsmotive finden sich ebenfalls fast alle in diesem Trakt.
Vermutungsweise dürften wir annehmen, daB hier Anfang des r3. Jahrhunderts
ein italienischer oder in Italien geschulter Vorarbeiter tätig war, nach dessen An-
gaben ungeschickte Berchtesgadener Steinmetzen Palmetten, Ranken, Voluten,
Sirenen ohne jedes Verstindnis nachahmten. Deutlich zeigt sich das an dem
Kümpfer des Mittelpfeilers in der Fensterarkade des zweiten Jochs (von Osten).
An der Ostseite des Kümpfers hat eine kundige Hand den Palmettenfries begonnen
und auch noch an der SO-Ecke die umgekehrte und zusammengefaltete Palmette
geschnitten. Nach diesem Vorbild sollte der bäuerliche Arbeiter den Kämpfer
fertig machen. In vólliger Verstündnislosigkeit faBte er die einzelnen Palmetten
oben mit einem wulstartigen Rand zusammen und unterschnitt diesen so, daB
die Palmette das Aussehen einer Muschel bekam. Übrigens findet sich die muschel-
artige Bildung der Palmette auch in der Freisinger Krypta. Auch das häufige
Vorkommen fleur de Lys-artiger Motive läßt sich auf Freisinger Vorbilder zurück-
führen; bei dem Kapitell mit umgestülpten Lilienkelchen über der Mittelsäule der
dritten Arkade (Abb. 4 u. 5) kónnen aber auch direkte italienische, vielleicht vene-
zianische Einflüsse in Frage kommen. Die Sirene wie das faunartige Fabelwesen
der Arkade des vierten Joches sind typische Beispiele für die germanische Wieder-
gabe antiker Motive. Die ihren zweiteiligen Fischschweif haltende Sirene kommt
z.B., nur in etwas rundlicherer Bildung, auch am Portal von Biburg vor.
Das Relief ап der mittleren Säule mit den Lilienkelchen ist sehr viel roher wie
das Barbarossarelief von St. Zeno bei Reichenhall, welches wohl noch aus der
Zeit unmittelbar nach 1170 zu datieren ist, mit dem es in Tracht und Gewand-
behandlung übereinstimmt. Diese Roheit muß also wohl dem Ungeschick des
Steinmetzen zugeschrieben werden. Im Denkmiler-Inventar wird die Gestalt des
sitzenden Harfenspielers wegen seiner phrygischen Mütze und seiner (heute nicht
vorhandenen) ,,TierfiiBe auf Orpheus gedeutet, als „Symbol der Macht des Bösen“;
wührend der stehende Mann links nicht weiter erklürt wird. Die Deutung auf
Orpheus scheint mir ganz unhaltbar, schon weil mir keine Darstellung bekannt ist,
in welcher Orpheus die Macht des Bösen symbolisiert hätte. Die Parallele Orpheus-
338
E" ға ^ „ e в
.
Christus, die іп friihchristlicher Zeit so häufig gezogen wurde, dürfte eine der-
artige Umstellung wohl ausschließen. Die TierfüBe, auf welche im Inventar Bezug
genommen wird, sind nicht mehr vorhanden, und da ich keine Spuren von solchen
entdecken kann, muß ich annehmen, daß hier ein Irrtum vorliegt. Eine Deutung
romanischer Bildwerke auf bestimmte Personen oder Begebenheiten hat insofern
immer etwas Bedenkliches, als die romanischen Bildhauer offenbar ganz frei mit
ihrem Stoff walteten, sobald es sich um die ornamentale Ausgestaltung eines Bau-
gliedes handelte, aber in diesem Fall halte ich es für möglich, daß David dar-
gestellt sein soll, einmal als Harfenspieler und einmal mit der Schleuder. So würe
der rundliche Gegenstand erklärt, den der stehende Jüngling in der rechten Hand
hält. Der über dem Harfenspieler angebrachte Hund (?) wäre dann wieder auf
Rechnung des Wunsches zu setzen, jede Fläche durch Skulptur zu beleben, ohne
Rücksicht auf den Sinn des Dargestellten. Ein Beispiel dieser Gepflogenheit haben
wir in unmittelbarer Nähe im Kreuzgang von St. Zeno bei Reichenhall, wo die
Fabel von Wolf, Fuchs und Kranich dargestellt ist; die beiden oben leer bleiben-
den Ecken sind mit Flechtwerk ausgefüllt. Es kann natürlich auch sein, daB in
dem über David erscheinenden, also vor ihm stehend gedachten Tiere die Unrein-
heit, das Bóse zu sehen ist, welches Davids Harfenspiel vertreibt.
In der Art der Behandlung, vor allem des Rankenwerkes, ist das große Kapitell
der Mittelsäule in der westlichsten Arkade (Abb. 6) dem Lilienkapitell der mittelsten
Arkade ganz ähnlich. Trotzdem halte ich es für denkbar, daß wir hier ein im An-
fang des 13. Jahrhunderts überarbeitetes, aber aus dem 12. Jahrhundert, und zwar
wohl aus der zweiten Bauperiode stammendes Kapitell vor uns haben. Die Kopf-
bildung der Menschen und Löwenhäupter ist noch ganz die der älteren Zeit, je-
doch kann man hieraus keine SchluBfolgerungen ziehen, da gerade in dem ent-
legenen Berchtesgaden altertümliche Bildungen sich sehr einfach erklüren lassen.
Was mir zu denken gibt, ist die Deutung der drei Kópfe. Es sind ein Männerkopf,
ein Frauenkopf und ein Knabenkopf dargestellt. Es liegt also nahe anzunehmen,
daß es sich hier um Porträts handelt, und dann natürlich um solche von Wohl-
tätern des Stiftes!). Nun hat niemand so viel für das Stift getan, hat niemand ein
so gutes Recht auf ein Denkmal in demselben als die ersten Gründer des Klosters,
Graf Berengar von Sulzbach und seine Gemahlin Adelheid. Im Jahre 1125 stellte
Graf Berengar dem Berchtesgadener Chorherrnstift eine Urkunde aus, in welcher
den Brüdern des Gotteshauses zum heiligen Johannes dem Täufer und Apostel
Petrus alle Schenkungen bestätigt werden, welche ihnen bis dahin vom Grafen
Berengar, seiner Gemahlin Adelheid und seinem Sohne Gebhard gemacht worden
waren. Berengar starb noch im selben Jahre am 3. Dezember. Die Aufzeichnung,
welche sich auf die Bautätigkeit Eberweins bezieht, ist nach Berengars Tode ver-
faßt. Vielleicht, daß eine rege bauliche Tätigkeit erst zwischen 1125 und 1139
entfaltet wurde. Es wäre dann nicht verwunderlich, wenn Eberwein aus Dank-
barkeit gegen seinen verstorbenen Gönner dessen Bildnis mit dem seiner Gattin und
seines Sohnes an einer Säule des Kreuzganges verewigt hätte. Dieses große und
sorgfältig gearbeitete Kapitell wäre dann beim Umbau Anfang des 13. Jahrhunderts
(1) Es wird heute dem Studierenden möglichst erschwert, den Kreuzgang zu besuchen, es ist aber
der Aufmerksamkeit der Schloßverwaltung entgangen, daß der weibliche Kopf dieses wertvollen Ka-
pitells durch einen in Bleistift aufgemalten Schnurrbart verunziert ist. Es wäre vielleicht wünschens-
wert, daß die Sorgfalt der Schloßverwaltung sich außer auf die Ausschließung des Kunstforschers
auch auf die Verhinderung solcher Beschädigungen richtete.
339
überarbeitet worden, so daß es etwas vom Charakter der Frühperiode eingebüßt
hätte. — Ich stelle diese Hypothese in voller Erkenntnis ihrer Widerlegbarkeit auf!).
Einige Schwierigkeit verursacht mir die Datierung des östlichen Kapitells dieser
Arkade (Abb. 6). Säule und Basis können nur dem 13. Jahrhundert angehören, aber
das Kapitell erscheint so altertümlich, da8 ich nur ungern die ungeschickten kleinen
Ranken und Blüten, mit denen es übersponnen ist, durch das Ungeschick des
Berchtesgadener Steinmetzen erklire. Auffallend ist auch, daB der darüberliegende
Kämpfer roh gelassen ist. Handelt es sich hier ап der SW-Ecke vielleicht nur
um eine Auswechslung der Sáulen und Basen?
Das Knospenkapitell der westlichen Süule ist genau den Kapitellen des früh-
gotischen Chors nachgebildet und scheint mir der Zeit um 1866 zu entstammen,
als man ein ühnliches frühgotisches Kapitell am romanischen (!) Westportal an-
brachte. Sollte es tatsächlich einer Erneuerung vom Ende des 13. Jahrhunderts
angehören, so ist es bis zu völliger Modernität überarbeitet worden.
Die Datierung der Teilungssäule, welche im ehemaligen Eingang zur Brunnen-
kapelle steht, wäre nur möglich, wenn sich das Datum dieser Brunnenkapelle finden
ließe. Die Brunnenkapelle von St. Peter in Salzburg, welche ich nicht gesehen
habe, wird in das Ende des 13. Jahrhunderts verlegt. Möglich ist also, daß es sich
auch hier um eine mit der Errichtung des Chors, des Portals am Ende des Ost-
traktes und vielleicht anderen Ausbesserungsarbeiten im Kreuzgang Hand in Hand
gehende Anlage der Frühgotik handelt. Genaueren Aufschluß darüber könnte nur
eine Untersuchung des Mauerwerks geben.
(1) Mit zu ihrer Begründung beitragen dürfte aber vielleicht der Hinweis, daß noch bei dem in der
Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgten Bau des Langhauses das Wappen der Familie Kastel-Sulzbach
auf einem Schlußstein des Mittelschiffgewölbes angebracht ‘wurde.
340
r . Oe CAT atin C ee Ж
E IR B . e.
KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER.
6. DAS URBILD DES SEBALDUSGRABES )
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel | ; Von HUBERT STIERLING
9909090000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000009000000000900000000090000000000009000000000000000000000000000
m Juniheft dieser Zeitschrift hat Ernst Steinmann die Zerstórung der püpstlichen
Grabdenkmäler in Avignon ausführlich behandelt. Gar manchem sind hier wohl
zum erstenmal die traurigen Überreste einer eigenartigen Kunst entgegengetreten,
denn Abbildungen gab es bisher nicht, hóchstens ein paar gestochene des 18. Jahr-
hunderts, die aber kaum einer kannte. Wir wußten eigentlich nur, daB die Fran-
zosen der Revolution auch diese Denkmäler in furchtbarer Verblendung zugrunde
gerichtet hatten. Erst Steinmann hat dem deutschen Leser vor Augen geführt,
was damals mehr oder minder verschont geblieben ist, und er hat gleichzeitig
die glanzvolle Entstehungsgeschichte und die ebenso düstere Tragódie des Unter-
gangs dieser Denkmäler aufgezeichnet und mit eindrucksvollen Aufnahmen vor
Augen geführt.
Aus diesem Mangel an Abbildungen wird es sich vielleicht in der Hauptsache
erklären, daß die deutsche Forschung nicht längst festgestellt hat, in einem dieser
Papstdenkmäler, demjenigen Innocenz VI. in Villeneuve les Avignon, das Urbild
des Sebaldusgrabes vor sich zu haben. Legt man einmal Abbildungen beider
Werke nebeneinander und zwar möglichst in der Breitansicht, so erkennt man
sofort, daB in dem Nürnberger Denkmal der Typus des südfranzósischen Papst-
grabes wieder aufgenommen ist. Beide Male hat man den rechteckigen Kapellen-
bau vor sich, — der Ausdruck Kapelle, den schon im Jahre 1512 der Nürnberger
Schulmeister Cochláus brauchte, trifft besser als der Steinmannsche Vergleich mit
dem „ins Monumentale übertragenen Reliquiengefäß“ — der in gleicher Weise von
zwölf gotischen Pfeilern getragen wird und oben seinen Abschluß in einer drei-
geteilten reichen Architektur findet. Die mittlere Spitze ist auf beiden Denk-
málern durch die Figur Christi ausgezeichnet. Wenn dieselbe auf der zeichne-
rischen Abbildung des 19. Jahrhunderts auch fehlt, so findet sie sich mit aller
Deutlichkeit auf der gestochenen des 18. (Steinmann, Abb. то). Beide Male auch
stehen vor den Pfeilern zwölf Heilige und zwar unter Baldachinen und in ganz
entsprechender Hóhe. (Abb. 1 und 2.)
Besonders lehrreich ist es nun jedoch, die Abweichungen beider Denkmäler ins
Auge zu fassen. Man sieht, daß dem französischen Urbilde der ganze Reichtum
der kleinen Sockelfigürchen fehlt, Aber dieser Schwarm der Renaissancegestalten
gehört ja, wie ich in einem früheren Aufsatze gezeigt habe, nicht zum ursprünglichen
Bestand des Nürnberger Denkmals! Hier hatte erst der Sohn eingegriffen. Dem-
entsprechend sehen wir den Sockel des französischen Denkmals völlig leer. Es
(1) Die früheren Vischeraufsátze: 1) „Dürer in der Vischerschen Werkstatt“ VIII, 366. — 2) „Die Grab-
platte der Herzogin Sophie in Wismar“ X, 297. 3) „Zwei unbekannte Vischerwerke im Dom zu
Meißen. Eine Entgegnüng" XI, 17. 4) „Das Rätsel des Sebaldusgrabes“ XI, 113 und 172. 5) „Vor-
bilder, Anregungen, Weiterbildungen. Eine kurze Zusammenstellung“ XI, 245. — Studien zum selben
Thema sind ferner die drei ausführlichen Anzeigen von Mayer, Die Genreplastik an P. Vischers Sebaldus-
grab IX, 341ff. Dettloff, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldusgrab X, 330ff. und Kramer, Metallene
Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (etwa 1390 bis
etwa 1510) XI, 345. Е
341
gibt hier keine Figtirchen, keine Pfeilervorlagen und auch keine Zwischenpfeiler,
welche etwa den Zwischenballustern des Sebaldusgrabes entspriichen. Das ist
ungemein wichtig und von ganz anderer, unvermuteter Seite eine Bestätigung der
Entstehungsgeschichte des Sebaldusgrabes, wie sie in dem früheren Aufsatze vor-
getragen ist. (Vgl Kleine Beitrüge 4.)
Da die Zwischenballuster fehlen, ist der Blick auf den eigentlichen Kern des
Denkmals in Frankreich wesentlich freier. Hat man in Nürnberg Mühe, die vier
groBen Reliefs aus der Sebalduslegende, welche den Sockel umgeben, zu genieBen
oder gar zu photographieren, so sieht man, daB in Avignon dieser Sockel durch
keinen Pfeiler überschnitten wird.
Die Nischen des Avignoner Grabes, die auf unserer Abbildung leer erscheinen,
sind in Wirklichkeit mit kleinen Einzelfiguren ausgefüllt gewesen, wie es der schon
erwühnte Kupferstich des 18. Jahrhunderts überliefert. (Steinmann Abb. 10.)
Ob in Nürnberg einmal etwas Ahnliches bestanden hat, wissen wir nicht. Der
Gedanke liegt zwar nahe, aber im Hinblick auf den Wiener Entwurf von 1488
ist er doch wohl falsch. Denn schon dieser zeigt drei Reliefs mit Szenen aus der
Sebalduslegende. Sie sind dort auf ganz natürliche Weise zwischen die vier
Pfeiler eingeordnet, und ihr Anblick wird durch keinerlei Pfeilervorlagen behindert.
Daß das ausgeführte Nürnberger Denkmal einst auch solche Dreiteilung seiner Lang-
seiten aufzuweisen hatte, ist nicht wahrscheinlich, denn die gotische Rahmen-
architektur der Legendenbilder geht doch wohl ohne Frage auf den Vater zurück.
Es hat also bei dem ausgeführten Denkmal von vornherein (und im Gegensatz
zum Wiener Entwurf) der Ubelstand vorgelegen, daB die groBen Reliefs der Sebal
duslegende von den Kapellenpfeilern überschnitten wurden. Peter Vischer d. J.
hat dann diesen Übelstand noch vergróBert, indem er die Zahl der Pfeiler durch
die Zwischenballuster vermehrte.
An Stelle des ruhenden Papstes weist das Nürnberger Denkmal sinngemäß den
Sebaldusschrein auf. Dieser ist umgeben von himmlischen Wächtern, die wir
in Nürnberg und in Avignon in der gleichen Zwölfzahl sehen. (Entschiedener als
früher móchte ich übrigens betonen, daB ich in den Nürnberger Aposteln Werke
des Vaters sehe. Ihrer Form und ihrer Technik nach sind sie viel zu zahm für
den Sohn. Auch scheinen sie mir in der Entwicklungslinie der unteren Apostel
vom Wittenberger Taufbecken zu liegen. Die dortigen unteren Apostel sind ein
erster Vorklang der Sebalder, nicht nur weil sie in gleicher W'eise auf daumen-
starken Stangensäulen den Hauptpfeilern vorgelagert stehen, sondern sie sind іп
ihrer etwas nüchternen Körperlichkeit überhaupt ähnlich aufgefaBt. Der Vergleich
des Paulus in Wittenberg!) und des Johannes in Nürnberg spricht hier am deut-
lichsten. Die Nürnberger Apostel sind freier, entbundener, aber man fühlt, daß
Peter Vischer d. Ä. die Traditionen seines Vaters aufgenommen hat.)
Die Zwischenballuster des Erdgeschosses setzen sich in Nürnberg auch im
oberen Geschosse des Denkmals fort. In Avignon gibt es nichts dergleichen,
(Aber da schon der Wiener Entwurf ähnliche Stangensäulen mit kleinen Genre-
figiirchen am Sockel aufweist, so wird man hierin wohl ebenso wie in den Aposteln
die Hand des Vaters erblicken dürfen.) |
In Avignon (und im Wiener Entwurf) fehlen die vier Leuchterweibchen oder
etwas ihnen Entsprechendes. Auch das kann im Hinblick auf meine friiheren
Ausführungen nicht überraschen, da wir gerade in ihnen ohne Frage den Geist
(1) Alex. Mayer, Die Entwicklung Peter Visehers 4. А. Münchner Jahrb. 1013, 8. 265 mit Abb.
342
und die Hand des Sohnes zu erkennen haben, also Zutaten zum Kernwerke des
Vaters.
Die Avignoner und die Nürnberger ,,Kapelle* werden in verwandter Weise durch
ein gotisches Gewölbe abgeschlossen. Die seitlichen Bogenóffnungen sind beide
Male mit leichtem Zackenornament versehen. |
Die Dachbauten beider Gräber sind hinsichtlich ihrer Dreiteilung und der be-
krönenden Christusfigur einander verwandt. Die Ausbildung im einzelnen geht
allerdings sehr verschiedene Wege. Das liegt aber nicht zum wenigsten in der
zeitlichen Stellung beider Werke. | | |
Die Prophetengestalten hoch oben am Sebaldusgrab finden keine Entsprechung
in Avignon, und auch das kann nicht wundernehmen, da wir in ihnen ohne Frage
späte Zutaten Peter Vischers d. J. zu sehen haben.
Aus den schönen Ausführungen Steinmanns geht mit aller Deutlichkeit hervor,
daB wir im Grabe Innocenz VI. durchaus keinen isolierten Typus vor uns haben.
Er war durch das Denkmal Johanns XXII. ebendaselbst vorbereitet. (Steinmann
Taf. 39.) Nur hat Innocenz das Grabmal seines Vorgüngers an Pracht und Figuren-
reichtum zu übertreffen gesucht. Dementsprechend hat wohl auch das letztere
Denkmal in noch hóherem Ansehen gestanden und ist Vischer auf irgendeine Weise
als Muster empfohlen worden. DaB er es selber gesehen habe, ist so gut wie
ausgeschlossen. Dagegen ist es sehr wohl móglich, daB ihm ein Landsmann eine
Zeichnung überbracht habe. Denn daB das damalige Nürnberg lebhafte Beziehungen
zur Provence unterhielt, ist uns mehrfach bezeugt In Lyon waren Nürnberger
Kaufleute keine seltenen Gäste. Hier wurden die jungen Leute häufig in die Lehre
getan, in ähnlicher Weise wie heutigentages der Hamburger Kaufmann seinen
Sohn nach England oder Amerika sendet. 1506 war beispielsweise der junge
Friedrich Behaim auf Wunsch seines Vaters dort anwesend. Hans Kleberg lebte
háufig hier, und von Hieronymus Tucher wissen wir, daB er 1517 dort in der
Lehre war. Lyon war für die Nürnberger auch der unumgängliche Etappenpunkt
auf der Reise nach Lissabon. Ja, man hielt in Nürnberg einen regelmäßigen Boten,
welcher die Post nach Lyon zu besorgen hatte. Die Beispiele lieBen sich leicht
vermehren, aber sie genügen wohl, um zu zeigen, daB durchaus nichts Gezwun-
genes darin liegt, das Urbild des Sebaldusgrabes in dem weit entfernten Avignon
zu suchen. Bleiben wir auch dessen eingedenk, daB Avignon unter der siebzig-
jührigen Herrschaft der Pápste die Bedeutung einer Weltstadt gewonnen hatte!
Mochten am Anfang des 16. Jahrhunderts die Päpste auch längst nach Rom zurück-
gekehrt sein, der Glanz ihrer Denkmäler war damals noch unverdunkelt!).
Der Typus des Sebaldusgrabes ist in der deutschen Kunst vóllig vereinzelt! Es
fehlt so sehr an Vergleichsobjekten, daß bisher kaum je der Versuch gemacht
worden ist, den Typus als solchen zu erklären. Ganz vereinzelt weist Dehio im
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler auf niederländische Vorbilder hin, jedoch
so allgemein, daß die wenigsten sich darunter werden etwas vorstellen können.
Ferner hat Felix Dettloff in seinem Buche, Der Entwurf von 1488 zum Sebaldus-
grab (Posen 1915) S. 34ff. darauf aufmerksam gemacht, daß in Krakau ein ver-
wandter Typus vorkomme. Er berührt sich zwar nicht mit dem Entwurf von 1488,
wohl aber mit dem ausgeführten Denkmal von 1508 (worauf D. nicht eingeht).
Der Verfasser scheint der Ansicht zu sein, daß dieser Typus etwas für Krakau
Eigentümliches darstelle. Ja, er lehnt es sogar ausdrücklich ab, ihn mit Avignon
(1) Übrigens war Avignon zu Vischers Zeiten Universität!
343
in Verbindung zu bringen. Das kommt aber sicher nur daher, daß auch ihm der
Typus des südfranzösischen Papstgrabes unbekannt war. Er meint, die freistehen-
den Baldachingrüber seien in Frankreich, Burgund und Flandern spütestens seit
dem Anfang des 13. Jahrhunderts verschwunden gewesen! Steinmanns Veröffent-
lichung hat diese Anschauung völlig widerlegt. Wir sehen nun klar, daß die ähn-
lichen Baldachingräber in Krakau, im Kloster Melk!) und endlich auch im Nürn-
berger Sebaldusgrab auf südfranzösische Vorbilder zurückgehen.
(x) Abb. bei Dettloff a. a. O., Tafelı3—ı6. Ich ergänze mit diesen Bemerkungen meine Besprechung
jenes Buches in M. f. K. X. Jahrg. 1917, S. 330 ff.
344
JOHANNES KRAMER, Metallne Grab-
platten in Sachsen vom Ende des
I4. bis in den Anfang des r6. Jahrh.
(ca. 1390 bis ca. 1510). Haller Disser-
tation. 1912. 79 Seiten.
Wer in diesem furchtbaren Kriege sein junges,
der Forschung gewidmetes Leben fiirs Vaterland
geopfert, hat es verdient, daß wenigstens der
engere Kreis der Fachgenossen sein Gedáchtnis
in Ehren erhált. Johannes Kramer war ein Schüler
von Adolph Goldschmidt und hat im Jahre 1912
eine Doktorarbeit erscheinen lassen, die in ruhiger,
sachlicher Art den Bestand metallner Grabplatten
Sachsens mustert. Sie ist durchaus nicht frei von
Irrtümern, geht insbesondere in ihren Zuschrei.
bungen an die Vischersche Hütte viel zu weit,
hat aber andererseits ihre fraglosen Verdienste.
Auf beides, gut und böse, ist es um so notwendiger
kurz hinzuweisen, als die Arbeit selbst im Kreise
der Vischerforscher nicht genügend bekannt ge-
worden ist, wie ich kürzlich bei Besprechung des
Dettloffsthen Buches über den Entwurf zum Se-
baldusgrab (Monatshefte X, 332) feststellen konnte,
Kramers Arbeit gliedert sich in zwei Teile, deren
erster die „flandrischen“ und deren zweiter die
Vischerschen Grabplatten behandelt. Der zweite
Teil ist weitaus der wichtigere ; der erste bietet
reine Spezialforschung, Kramer umschreibt den
Begriff der flandrischen Grabplatten sehr gut und
klar und weist alsdann nach, daß sich gewisse
Ausláufer dieser Gruppe in Nordhausen und Erfurt
erhalten haben. In Nordhausen sind es die Urbach-
Wertherschen Gedenktafeln und die Grabplatte.
der Gebriider Segemund aus der Zeit von etwa
1395—1430. In Erfurt gesellt sich ihnen die Platte
des 1427 verstorbenen Kanonikus Schindeleyb zu.
Das flandrische Schema ist in all diesen Tafeln
bereits so stark verblaßt, daß Kramer mit Recht
nur an einheimische Entstehung denkt. Keine
dieser Platten erhebt sich zu künstlerischer Be-
deutung, und lediglich den Spezialforscher wird es
interessieren, daß sich der flandrische Einfluß so
tief nach Süden erstreckt; ja, vielleicht sind Erfurt
und Nordhausen überhaupt die südlichsten Punkte,
in denen aber — wie gesagt — das holländische
Schema bereits einer starken Umwandlung unter-
worfen ist, Das ist ja auch kein Wunder, da wir
wissen, daß gerade Erfurt eine blühende Metall-
kunst besaß,
Viel wichtiger ist das zweite Kapitel, welches
Monatshefte für Kunstwissenschaft XI. Jahrg. 1918, Heft 11/12
sich mit der Vischerschen Hütte auseinandersetzt,
allerdings in-einer solchen Weise, daß für’ andere
Hütten kaum etwas übrigbleibt, Das wird den
kundigen Leser von vornherein mißtrauisch stim-
men, denn es ist immer nur ein Anfangsstadium
wissenschaftlicher Forschung, wenn allzuviel des
erhaltenen Materials an einen großen Namen
geknüpft wird. Hier hätte Kramer sich vielleicht
selber noch einmal korrigiert, wenn ihm ein län-
geres Leben beschieden gewesen wäre. Es war
sein Schade, daß er die Methode des ersten Teils
verließ. Denn während er dort in sehr schöner
Weise erst einmal ein allgemeines Bild der flan-
drischen Platten entworfen hatte, um den Grund
zu gewinnen, gegen den einheimische Erzeug-
nisse abgezeichnet werden konnten, läßt er hier
im zweiten Teil eine allgemeine Charakteristik
der Vischerschen Frühkunst beiseite. Infolge-
dessen schwebt sein Kapitel „Eine Gruppe von
Grabplatten um 1470 und ihre Beziehung zu den
Werken der Vischerschen Hütte“ ganz und gar
in der Luft. Ich komme gleich darauf zurück,
Kramer beginnt mit den Reliefplatten. Er nimmt
hier die Vischersche Hütte als Ganzes und ver-
meidet es, zwischen Vater und Sohn eine Tren-
nung zu machen. Georg I. in Bamberg, Sigis-
mund in Meißen (dessen wichtiges Todesdatum
er dankenswerterweise klarstellt), Dietrich von
Schönberg ebenda, Thilo von Trotha in Merse-
burg und die Gedenktafel der Ellwanger Bischöfe,
die er mit Döbner auf 1496 ansetzt, während Dehio
im Handbuch mit 1464 wohl reichlich früh datiert,
sind ihm im wesentlichen die Repräsentanten
dieser Gruppe. Merkwürdigerweise aber begnügt
er sich in diesem Zusammenhang mit der bloßen
Erwähnung des Kanonikus Conrad von Stein in
Erfurt. Hier hätte er durchaus charakterisieren
müssen, denn Erfurt liegt ja in seinem Kreise.
Ich zweifle zwar nicht, daß er die Platte als echte
Vischerarbeit angesehen hat, wofür ja auch sehr
vieles spricht. Auffallend jedoch ist es, wie der
Kanonikus in der Luft schwebt, denn es ist sonst
durchaus die Vischersche Gewohnheit, durch
irgendwelche Zwischenglieder, wie z. B. die
Löwen, den Dargestellten fest auf den unteren
Schriftrand zu stellen. Man kann für das Fehlen
des Sockels auch nicht auf etwa vorbildliche Er-
furter Gewohnheiten verweisen, denn wie die
Platten des Gerbstädt und Plettenberg zeigen, war
auch hier eine derartige Verbindung üblich. Wir
haben es bei Conrad von Stein wohl mit einem
24 345
der billigeren Werke zu tun, an dem aller Auf-
wand vermieden wurde. Daher steht auch die Figur
selber in so merkwürdiger Monotonie da; die
Falten fallen einfach senkrecht, jede Ausladung
und Bewegung ist vermieden, usw. Vielleicht
haben wir auch nur eine Werkstattarbeit vor uns ·
Denn was die Hütte damals zu leisten imstande
war, wenn ihr vonseiten des Bestellers größere
Mittel zur Verfügung gestellt wurden, das zeigt
schlagend der Vergleich mit der Posener Grab-
platte des Bernhard Lubranski, der gleichfalls
Domberr und im selben Jahre 1499 gestorben war.
Die Ecksymbole sind genau dieselben, auch die
Anordnung des Wappens zu den Füßen ist die
gleiche, sonst aber ist alles unendlich viel kost-
barer und geistvoller,
Kramer beschließt dieses Kapitel mit der Attri-
bution der kleinen Meißener- Tafel des Domherrn
Stürcker, gest. 1486. Hier begeht er m. E. einen
absoluten Fehlgriff; ich beziehe mich auf meinen
Aufsatz in diesen Heften XI, 17 ff.
Das zweite Kapitel behandelt die gravierten
Platten. Der Verfasser beginnt mit Joh. ү, Lim-
burg in der Sepultur des Bamberger Domes. Ob
wir es hier mit einem Vischerschen Werk zu tun
haben, ist zweifelhaft. Es kommt höchstens der
alte Hermann in Betracht, der eben manches
anders macht als sein Sohn. Fraglos ist es je-
doch, daß spätere Werke der Nürnberger Hütte,
wie etwa der Eberhard von Rabenstein (gest. 1505)
in Bamberg, Balthasar von Neuenstádt (gest. 1516)
in Halberstadt, ja auch sogar Joh. von Heringen
(gest. 1505) in Erfurt hier ihren Ausgang nehmen
Dann aber müssen wir noch einen kleinen Schritt
welter gehen, was Kramer auffülligerweise nicht
getan hat. Denn die erwähnte Platte des Joh.
von Limburg hängt stilistisch auf das allerengste
mit derjenigen des Georg v. Löwenstein (gest. 1464)
zusammen. Beide Platten stehen in derselben
Bamberger Sepultur, die Todesdaten liegen nur
Ir Jahre auseinander, der stilistische Aufbau ist
völlig der gleiche. Ein Unterschied besteht eigent-
lich nur in der Schrift, die bei dem Löwensteiner
allerdings so unvischerisch ist wie möglich. Beide
Platten sind abgebildet in dem großen Werk von
Creeny S. 33 und 35, woselbst auch die anderen
vorher erwähnten fast alle zu finden sind. — Im
weiteren Verlauf dieses Kapitels bespricht der
Verfasser alsdann die beiden Grabmäler des Kur-
fürsten Ernst in Meißen und der Kurfürstin Mar-
garethe, seiner Mutter, in Altenburg, beide 1486
gestorben, Ernst hatte schon Gurlitt der Nürn-
berger Hütte zugewiesen (übrigens weist G. in
dem noch nicht erschienenen Bande des Meißner
346
Inventars nach, daß die Platte des Kurfürsten sich
bereits 1489 an Ort und Stelle befand). Die Kur-
fürstin Margarethe war bisher als Vischerwerk
noch nicht herangezogen, und es ist das Verdienst
Kramers, die Nürnberger Hütte um dieses ganz
frühe Werk bereichert zu haben, In vortrefllicher,
klarer Charakteristik vergleicht er beide Werke
miteinander.
Es folgt ein kurzes Kapitel über Vischerplatten
in flandrischer Art, die der Verfasser nur im Vor-
übergehen berührt, weil keines der einschlägigen
Werke sich in Sachsen befindet. Die eigentlichen
Repräsentanten, wieLukas und Uriel Gorka, bewahrt
vielmehr der Posener Dom und zwar in einer Er-
haltung, die von keinem anderen Vischerwerk über-
troffen wird. Hier kommt es Kramer zugute, daß
er im ersten Teil seiner Arbeit die flandrischen
Platten so vortrefflich charakterisiert hat. Ich
brauche auf dieses Kapitel nicht näher einzugehen,
da ich auf meine Besprechung des Dettlofischen
Buches, das in aufschlußreicher Weise dieselben
Probleme berührt und teilweise weiterführt, ver-
weisen kann. (M. f. K. X., 330 f.)
Nun aber kommt das Schmerzenskind dieser
Dissertation, das vierte Vischerkapitel, „Eine Gruppe
von Grabplatten um 1470 und ihre Beziehung zu
den Werken der Vischerschen Hütte.“ Wenn je-
mand es unternimmt, der Nürnberger Hütte neue
Werke zuzuschreiben, dann darf man billig er-
warten, daß er die festbeglaubigten Werke scharf
im Auge behält. Diese so natürliche Voraus-
setzung trifft hier nicht zu. So sorgfältig das Buch
sonst gearbeitet ist und so vielen Gewinn es durch
eingehende Beobachtungen abwirft, so verfehit ist es
in seinen Zuschreibungen der ganz frühen Werke.
Wer sich vergegenwärtigt, daß wir von Her-
mann Vischer nur das Wittenberger Taufbecken
kennen, der befindet sich in einer sehr schwie-
rigen Lage, wenn er sich gleichwohl gedrungen
fühlt, dem Begründer- der Hütte Werke so völlig
anderer Stilistik und Technik zuzuschreiben, wie
die frühen Erfurter und Meißner Platten, Trotz-
dem ist dieser Versuch seit Jahrzehnten immer
wieder gemacht worden, und er ist auch verständ-
lich, ja vielleicht berechtigt, da es eine ganze
Reihe von Werken gibt, die für Peter Vischer zu
früh sind, aber mit seinen späteren beglaubigten
Werken auf das engste zusammenhängen. Es
liegt in der Tat nabe, an die Hütte des Vaters
zu denken, aus der sich der Sohn herausentwickelt
habe. Aber das müssen dann Werke wie etwa
die Platte GeorgsI. in Bamberg sein. Wie völlig
anders jedoch sieht das aus, was Kramer ihm
zuweist, nämlich die Platte des Bischofs Caspar
von Schönberg, gest. 1463, die Platte des Kur-
fürsten Friedrich, gest. 1464, beide im Meißner
Dom, die Platte des Bischofs Dietrich von Buckens-
dorf, gest. 1466, im Naumburger Dom, die Platte
des Kanonikus Hunold von Plettenberg, gest. 1475,
im Erfurter Dom und endlich den Rahmen der
Platte des Heinrich von Gerbstädt, gest. 1451,
in der Clemenskapelle im Kreuzgang desselben
Doms. Das sind fünf Werke sehr heterogener
Art, deren Schulzusammenhang Kramer aller-
dings richtig erkannt hat. Aber er geht viel zu
weit, wenn er sie sämtlich der Vischerhütte zu-
weist, und zwar die ersten drei dem Vater , den
Rest dem Sohne. Kramer selbst sind Bedenken
aufgestiegen, denn er sagt S.55, es sei auffallend,
daß dieser Gruppe ähnliche Werke nur in Sachsen,
nicht in anderen Gegenden vorkommen. „Das
kónnte für die Entstebung in einer einheimischen
Werkstatt sprechen.“ Aber ег läßt seinen eigenen
Einwand wieder fallen und klammert sich an
‚einige Äußerlichkeiten, die jedoch nichts als den
gemeinsamen Schulboden beweisen, Solche Äußer-
lichkeit ist vor allen Dingen die ganz besondere
Art der Vierpásse mit Zwickeln, in denen dreimal
ganz dieselben Evangelistensymbole verwandt
worden sind, nämlich bei Kurfürst Friedrich, bei
Dietrich von Buckensdorf und bei Hunold von
Plettenberg. Bei Caspar von Schönberg und Fried-
rich dem Sanftmütigen sind auch die äußeren
Kanten mit dem Eichenlaub nahe verwandt. Aber
das sind nichts als Werkstattgewohnbeiten, die
nicht einmal thüringisch-sáchsisch sind, sondern
sich schon auf den viel älteren und ohne Frage
vorbildlichen Platten Flanderns finden, — Kramer
gibt sich viele Mühe, auch sonst noch kleine
Ähnlichkeiten aufzuweisen, aber man fühlt deut-
lich, daß er sich den sonst so ruhigen Blick durch
die vorgefaßte Meinung, hier ältestes Vischergut
vor sich zu haben, hat trüben lassen. Schlimm
ist es vor allem, wenn er in Plettenberg ein ganz
frühes Jugendwerk Peter Vischers erkennen will,
Denn dieses stünde nicht nur vóllig isoliert im
Kreise seiner ersten Arbeiten, sondern ist wohl
überhaupt nicht als Jugendarbeit eines Mannes
anzusprechen, denn es ist viel zu routiniert in
seiner Technik. Sämtliche fünf Werke gehören
dem thüringisch-sächsischen Kreise ап; ja, bei
Erfurt darf man sich im besonderen daran er-
innern, daß es seit alters eine berühmte СіеВег-
kunst besaß, die früher ganz Thüringen mit
Glocken versorgt hatte. Es liegt gewiß nicht fern
zu glauben, daß in diesem Lande sich auch der
GuB von Grabplatten selbständig entwickeln konnte,
Festen Boden betreten wir erst wieder in dem
letzten Vischerkapitel des Buches. Hier gelingt
dem Verfasser durch einen glücklichen Fund eine
Zuschreibung, von der es höchstens zweifelhaft
sein kann, ob wir in ihr ein eigenbändiges Werk
Peter Vischers oder eine Werkstattarbeit erkennen
wollen. Kramer entscheidet sich ohne Schwanken
für das erste: In der Stadtkirche zu Stolberg a. H.
hat er die Grabplatte der Gräfin Elisabeth von
Stolberg, gest. 1505, kennen gelernt. Sie gehört
in den großen Kreis der betenden weiblichen,
Standfiguren, aber sie weist doch einiges auf
was sie von jener Gruppe trennt. Zunächst ist
es völlig vereinzelt, daß zwischen der Bildplatte
und dem Schriftrande ein schmaler Abstand von
wenigen Zentimetern gelassen worden ist. Kramer
ist das nicht entgangen und er vermag nur auf
die von ihm fälschlich der Nürnberger Hütte zu-
geschriebene Platte des Buckensdorf in Naumburg
(gest. 1466, s. o.) zu verweisen, Es handelt sich
auch durchaus nicht um ein Werk von besonderer
Qualitát; die Meióner Fürstinnen sind unendlich
überlegen, In Stolberg wirkt es in hohem Mafe
befremdend, wie unklar das Teppichmotiv zur An-
wendung gelangt ist, Die Teppichstange ist kaum
sichtbar, weil unmittelbar darüber ein spátgotisches
Rankenwerk ansetzt, das gleichfalls weit entfernt
ist von der wundervollen Realitát, in der Vischer
ев 2. B. auf der Meißner Platte der Herzogin
Amalie von Bayern (gest. 1502) gebildet hatte,
Ebenso ist der Eindruck der Ráumlichkeit nicht
sehr überzeugend. Es liebe sich noch manches
andere anführen. Ich kann deswegen dem Ver-
fasser nur soweit folgen, als ich in der Stolberger
Platte eine Werkstattarbeit der Nürnberger Hütte
anerkenne, Es sind ohne Frage eine Fülle echter
Vischermotive zur Anwendung gelangt, allein es
fehlt das geistig Band.
Anbhangsweise erwähnt der Verfasser noch die
Gedächtnistafel für Ulrich Rispach, gest. 1488, іп
derselben Kirche. Es ist charakteristisch, daf sich
auch dieses Werk ohne Frage mit der Vischer-
Schen Hütte berührt (aber auch nicht mehr),
und zwar káme zum Vergleich besonders die Pieta-
tafel in der Stiftskirche zu Ellwangen vom Anfang
des 16, Jahrhunderts in Betracht, die ihr jedoch
in der großzügigen Gestaltung weit überlegen ist.
Kramer übt hier nun die richtige Zurückhaltung
und spricht nur von einem Zusammenhang der
Stolberger Platte mit dem „Vischerschen Kreise“.
— Beide Güsse der Stolberger Kirche dürfen also
nicht in den Bestand der echten Werke aufgenom-
men werden.
Den Beschluß des Buches bildet ein rascher
Überblick über die Nicht-Vischerschen Grabplatten
347
in Meißen, Naumburg, Leipzig, Weimar, Hildes-
heim, Halberstadt und Erfurt. Mit klarem, rubi-
gem Blicke bildet der Verfasser Gruppen. Kunst.
geschichtlich wesentliche Ergebnisse kommen da-
bei nicht mehr zur Sprache.
Die Wirkung des Buches wird leider durch den
völllgen Mangel an Abbildungen erheblich beein-
tráchtigt, so daf der Fernerstehende kaum merkt,
wieviel sorgsame, eindringende Forschung vor ihm
ausgebreitet wird. Hubert Stierling.
OSKAR WALZEL, Wechselseitige
Erhellung der Künste. Berlin, Reuther
u. Reichard, 1917.
Dies von ungelósten Problemen schwergewich-
tige Heft, die Erweiterung eines Vortrags aus der
Berliner Abteilung der Kant-Gesellschaft, sollte
jeder als Trostbiichlein lesen, der sich in kunst-
geschichtlicher Arbeit auf Schritt und Tritt von
der Unschárfe unserer leitenden Ordnungsbegriffe
der Zwiespältigkeit unserer aus unterschiedlichen
Zeiten der Wissenschaftsgeschichte stammenden
Terminologie gehemmt fühlt. Dem hier Ver.
zweifelnden mag es wohl eingehen, wenn Walze
den Vertretern der Kunstgeschichte hohe Achtung
ausspricht ,wegen ihrer ausgezeichneten Mitteb
Züge eines Kunstwerke sprachlich zu bezeichnen
die dem Laien nur gefühlsmäßig aufgehen“. Und
im Bestreben, die Literaturgeschichte nach der
formalistischen Seite über den Zustand der Mate-
rialpräparierung, stofflichen Quellenforschung und
grammatisch-lexikographischen Bestimmung der
Sprachformen der Dichtwerke hinauszuführen
sucht nun Walzel Anlehnung bei der Kunst-
geschichte. ,Ist es zweckdienlich, bei der Ergrtin-
dung der künstlerischen Gestaltung von Werken
einer Kunst durchgehende (typische) Merkmale zu
beriicksichtigen, die sich bei der Feststellung der
künstlerischen Gestaltungsmóglichkeiten einer an-
deren Kunst ergeben?“ Zur Lösung dieser Frage
schiebt Walzel Meumanns Bedenken gegen das
einschmeichelnde Wirtschaften mit raschen Ana-
logien (nach der Art von Schellings „Baukunst
als erstarrter Musik“) zurück. Sondern billigt,
gestützt auf ein Wort Herbarts von der sukzes-
siven Auffassung aller Formen im Raume, die
Bemühungen der Schmarsow-Schule, besonders
Pinders, um die Klärung des Begriffs vom Rhyth-
mus, dem er aber richtiger als dieLeipziger seine
Geltung nicht nur für die dritte Dimension zu-
erkennt. Ja, lobt auch Schmarsows Deutung der
alkäischen Strophe (in dessen „Kompositions-
gosetzen in der Kunst des Mittelalters“). Wenn
er auch Schmarsows Vergleich der Rhythmik des
348
ostrémischen Kirchenbaus mit dem strenggeschlos-
senen Strophenbau, des romanisch-gotischen Lang-
hausbaus mit der immer erneut durchgeführten
regelmäßigen Reihe aus einer feineren Unter-
scheidung der antiken Strophe und der deutschen
Volksliedstrophe her ablehnen muß. Doch selbst
Schmarsows abstruser Versuch zeichnerischer
Wiedergabe der alkäischen Strophe schreckt den
gelehrten Kenner der Psyche literarischer Formen
nicht ab, zeichnerische Darstellungen von Dich-
ungsganzen anzukündigen, die ihm im Erinnerungs-
bilde etwas von der Zeichnung des Aufrisses oder
Grundrisses eines Baues gewinnen. Das mag als
schon mehr spielerische Umkleidung eines Begriffs-
gerüstes hingehen, für das sich Walzel an die
baumeisterliche Arbeit Wölfflins hält.
Bedenklicher stimmt sein Beifall für Worringers
allzu wahllos die Analogien zusammenraffende
Versuche, die antike und die germanisch-gotische
Ausdruckswelt zu einer Zweipoligkeit alles Kunst-
empfindens überhaupt zu schematisieren, Am
heftigsten aber stutzt ein kunstgeschichtlicher
Arbeiter, wenn er Walzel vor einer syntheti-
schen Verwertung der nach Kant-Wölfflins Aus-
druck ja nur errafften Kategorien seiner ,kunst-
geschichtlichen Grundbegriffe“ warnen liest. Walzel
nimmt, nicht ohne sie wortgeschichtlich auf ihre
Herkunft beklopft zu haben, insbesondere die
Unterscheidungen von linear und malerisch, tek-
tonisch und atektonisch auf, reiht Schillers Gegen-
überstellung musikalischen und plastischen Dich-
tens an. Diese Begriffe nutzt er mit kluger Be-
weglichkeit zur erkennenden Beschreibung von
Dichtwerken. Es ist eine innere Angelegenheit
der Nachbarwissenschaft, ob sie sich gefördert
glaubt, wenn der Stil der deutschen Volksbücher
im Zusammenhang der Renaissanceprosa als linear,
der unserer mittelalterlichen Epik als malerisch
charakterisiert wird. Walzel findet in Shakespeares
Aufzugs- und Auftrittsbau Wölfflins , Atektonisches"
wieder, das er keineswegs im Stofflichen, sondern
nur in den Verháltnissen der Anordnung eines
Dramas aufzeigen möchte. Wie mörderisch aber
für die Anschauung der (üuBeren und inneren)
lebendigen Kunstform gerade das Prokrustesbett
dieser Kategorienpaare bei weniger vorsichtigen
Benutzern wirken kann, das zeige schnell ein Bei-
spiel: Müller-Freienfels (über „die Stilprinzipien
des germanischen Dramas“ in der Zeitschrift für
den deutschen Unterricht, 1917, 31, p. 593) spricht
von der geschlossenen Form der Tragödie der
Attiker und Racines, der offenen Form des ger-
manischen Dramas deswegen, weil an den Ab-
schliissen Hamlets Fortinbras, der Hebbelachen
Nibelungen Dietrich von Bern tiber das Dramen-
ganze hinaus in die Zukunft weisen — was mit Form-
prinzipien soviel zu schaffen hat wie etwa ein
Hinweis, der „Heliodor“ besäße keine geschlossene
Form, da die Erzáhlung im Fresko nicht allseitig
abgerundet vorliege.
Trotz solcher Irrlàufer mag die von Walzel be-
gonnene Überprüfung der Wölfflinschen Lehre
dem inneren Wissenschaftsbetriebe Anregung
geben, wenn sie sich von einer Einschránkung
befreit. Die Kategorien Wölfflins sind keineswegs
im Bereich der Kunstgeschichte, aus der und für
die sie entstanden, vorzüglich ,Mittel, die künst-
lerischen Gestaltungsmóglichkeiten einzelner Künst-
ler und einzelner Kunstwerke zu erfassen". Es
wáre eine ungeheuerliche Verarmung der Kunst-
betrachtung, wenn der Mißbrauch einrisse, alles
und jedes Kunstwerk auf diese Kategorien wie auf
ein festes Koordinatensystem zu beziehen. Die
schöpferische Leistung erkennt nur derjenige, der
an jenem geometrischen Orte der kategorischen
Bestimmung die persönliche Gestalt des Künstlers
als überragendes Gebilde innerer Hochspannung,
wie einen aufhorchenden und ausstrahlenden Ap-
parat leitungslosen Aufnehmens und Sendens er-
blickt. Wenn Walzel einmal zweifelt, ob mit
einer Übertragung der fertigen Kategorien Lyri-
kern vom Range Goethes etwas abzugewinnen sei,
so ist das auch eine Antwort für seine Verwun-
derung, warum Michelangelos Name im Rahmen
von Wölfflins Renaissance-Charakteristik merk-
würdig selten genannt werde. Eben. weil der
Vater des Barock und der vom Werther bis zu
Meisters Wanderjahren sich Vollendende in sich
größere geschichtliche Umfänge umgriffen, als eine
systematisierende Geschichtsbetrachtung beispiel-
haft erledigen kann.
Denn hier ist der entscheidende Punkt. Walzel
möchte das Allgemeine, das in Kategorien Wölff-
linscher Richtung liegt, zur Verdeutlichung des
Einzelnen verwerten, ehe es zum Allgemeinen
groBer Gruppenbildungen und des Nachweises
langer Entwicklungsreihen benutzt wird. Doch
wird die Kunstgeschichte bestrebt sein müssen,
zu erweisen, daß Walzel recht hat, wenn er nicht
zweifelt, daß Wölfflin selbst oder ein anderer mit
der Zeit auf ihrem Gebiet die Schwierigkeiten der
synthetischen Verwertung von Wölfflins Katego-
tien der Anschauung tiberwinde. Wölfflin hat
selbst mit Burckhardt sich klar für eine Periodizität
der Entwicklung ausgesprochen und seine Kate-
gorien auch für andere Zeitalter als Ordnungs-
begriffe zur Erkenntnis von Entwicklungsabläufen
der darstellerischen Formen empfohlen. Aber
kein starres System, sondern Abwandlungen der
eignen und Zufuhr neuer Formeln für die neuen
Zwecke wünschte er gewiß, wenn ihm eben auch
für die Scheidung von Renaissance und Barock
andere Kategorien nicht erkennbar wurden. Wenn
Walzel vermerkt, wir erführen von Wölfflin nicht,
durch welche Umbildungen die Kunst von der
zweiten Stufe wieder zur ersten zurückkehre,
warum aus dem Malerisch-Atektonischen wieder
ein Linear-Tektonisches werde, so führt die Ant-
wort allerdings aus dem selbstbeschränkten Reich
der Formalanalyse heraus. Dazu gehört ein Blick
auf die „seelischen Voraussetzungen“ jener Wende-
zeiten, nicht des „Stillstands“ (wie Walzel irrig
aus Wölfflin herausliest), sondern der kulturellen
Revolutionen, in denen das Rad der darstelleri-
schen Entwicklung im Einströmen neuer Lebens-
inhalte umgeworfen wird. Umbildungen, Um-
kehren, wie sie die Kunst am deutlichsten erfuhr,
als die Erlebnis- und Bildungswelten des Christen-
tums, der Wiedererweckung der Antike, des
18. Jahrhunderts mit ihren neuen Forderungen,
eine abgelaufene Kunstentwicklung überströmten.
Diese inneren Voraussetzungen der Kunstformen
aus der Zeit um 1800 haben ja gerade Walzels
altere Untersuchungen uns besser begreifen gelehrt.
Die Kunstgeschichte sollte die Prüfung ihrer
neuen Wege durch den philologisch strengen
Meister eines anderen Fachs, bei der sie uner-
wartet gut besteht (aber Walzel meidet ja unsere
Niederungen), trotzdem nicht leicht nehmen. Denn
wo wir uns an der Hand der haltbar befundenen,
leitenden Begriffe weitertasten wollen, da ist nir-
gends ein offener Weg. Und wer gar aus dem,
dank insbesondere Wölfflin, leidlich sicher um-
zirkten Gebiet formaler Betrachtung sich verirrt
und auf die umfassenderen Aufgaben einer Kunst-
geschichtschreibung zu besinnen wagt (in jenem
Sinne etwa, wie Wölfflin im Vorwort seines „Dürer“
gestand, ein großer historischer Dürer sei noch
nicht geschrieben), der ist so gut wie ganz auf
sich gestellt. Denn es bleiben doch allemal Hilfs-
konstruktionen des Formalismus, wenn man sich,
wie Walzel, endlich damit bescheidet, das Äußere
so genau festzustellen wie nur möglich, anstatt
das Innere der künstlerischen Leistung erraten zu
wollen. Wenn schließlich auch den Entsagenden
das „heilig öffentliche Geheimnis“ trösten mag,
daß nichts drinnen, nichts draußen ist, was innen,
das außen ist; daß auch die Natur der Kunst weder
Kern noch Schale hat, alles mit einem Male ist,
E. Römer.
349
HANNS FLOERKE, Die Moden der
italienischen Renaissance von 1300
bis 1550. HundertzweiunddreiBig Tafeln
mit Text u. Erláuterungen. Georg Müller,
München 1017.
Von einer auf vier Bánde vorgesehenen Publi-
kation über den Menschen der Renaissance und
seine Kleidung liegt der erste Band vor. Leider
erfahren wir nichts über den Gesamtplan der Arbeit,
nur in Anmerkungen (S. 56, 65,73) wird auf Ab-
bildungen in den spüteren Banden verwiesen und
auf S. 64 verraten, daß der dritte Band „die Typen
der Renaissance“ behandelt. Eine wenn auch
knappe orientierende Einleitung wäre erwünscht.
Im ersten Band gibt Floerke weniger eine Ge-
schichte des italienischen Kostüms als eine Vor-
stellung vom Luxus, der in der Kleidung im Laufe
dreier Jahrhunderte getrieben wurde. Gemälde und
literarische Dokumente werden
Floerke zitiert
herangezogen;
gelegentlich Rodoconachi „La
femme italienne à l'époque de la Renaissance", doch
enthält sein fesselndes Buch eine Fülle selbstän-
diger Beobachtungen und zeugt von einer gründ-
lichen Kenntnis der einschlägigen Literatur. Auch
umgeht er die Klippe, im Detail stecken zu bleiben,
die Einzelbeobachtung, so interessant sie an sich
ist, dient nur zur Verlebendigung des Gesamt-
bildes; in die Erläuterungen zu den vorzüglich
gewählten Abbildungen werden alle notwendigen
Einzelheiten verbannt.
Auf dem Konzil zu Lyon erläßt Papst Gregor X,
1274 das erste Gesetz gegen den Luxus in der
Frauentracht, von dem wir Kenntnis haben. Gegen
Ende des 13. Jahrhunderts tauchen kommunale
Luxusverbote auf. Der Kampf beginnt auf der
ganzen Linie: in Ferrara 1279, in Bologna 1294,
in Venedig 1303, in Messina 1309, in Savona 1325,
in Modena 1327, in Perugia überstürzen sich die
Verordnungen zwischen 1318 und 1342. Er währt
Jahrbunderte, ein Dekret folgt dem andern, Geld.
strafen werden verhängt, die strengsten Maßregeln
angewandt mit dem Erfolg, daß die Moden immer
rascher wechseln und der Luxus steigt. Die weisen
Stadtväter vermochten nicht einzusehen, daß alle
drakonischen Maßregeln vergebens sind; steigen
Wohlstand und Reichtum, 50 erzeugen sie auto-
matisch eine Erhéhung der Lebensführung. Die
unteren Klassen wollen den oberen besonders in
der äußeren Erscheinung nicht nachstehen, Zu
der Weisheit des Zaleukos, der die Üppigkeit der
Lokrer eindämmt, indem er nur gegen den Luxus
der Kurtisanen nicht einschreitet, vermochte sich
Brescia allein durchzuringen. Dort durften die
350
Kurtisanen allen verbotenen Putz anlegen, ,im
Vertrauen darauf, daß die ehrbaren Frauen, auf
ihren Ruhm eifersüchtig, besser den Verordnungen
gegen den Aufwand gehorchen würden, um nicht
mit den anderen verwechselt zu werden.“
Aber auch solche wohldurchdach te Verordnungen
die auf eine lange Erfahrung schließen lassen,
waren auf die Dauer nicht wirksam. In amüsanter
Weise schildert Pietro Fortini (um 1550) den Kampf
zwischen ehrbaren Frauen und Kurtisanen um das
Tragen des „batticulo“ in Rom, und in Sacchettis.
137. Novelle kann man nachlesen, wie die Floren-
tinerinnen es verstanden haben, alle Gesetze gegen
den Luxus zu umgehen.
In Italien war, wie Montaigne beobachtet hat,
der Kleiderluxus gróBer als in anderen Landern,
und nach Villanis Zeugnis war die Bereitschaft
erstaunlich, „die ausländischen Trachten nach-
zumachen“. Auch Bruder Gualvaneus de la Flamma
klagt 1340 beweglich in seiner Chronik über den
Verfall der Sitten in Mailand: „Zu dieser Zeit
wichen die Jünglinge von Mailand vom Wege
ihrer Väter ab und verwandelten ibr Äußeres nach
fremdem Muster. Sie begannen nämlich enge,
kurz abgeschnittene Gewänder nach spanischer
Mode zu tragen, sich den Kopf nach französischer
Art zu scheren, den Bart nach barbarischer Sitte
wachsen zu lassen, mit großmächtigen Sporen
nach deutschem Muster zu reiten und in verschie-
denen Sprachen zu reden nach tatarischer Weise.“
Nach 1450 setzen fremde, namentlich spanische,
französische, aber auch deutsche Moden wieder
stärker ein. Sie führen zur Überwindung goti-
scher Elemente in der Gewandung und werden
dem italienischen Geschmack so völlig assimiliert,
daß man von einer Entlehnung kaum noch sprechen
kann.
Neben der Kleidung galt die Behandlung von
Haar und Gesicht als wichtigster Bestandteil de
Toilette. Die Vorliebe der Italiener für künstlich
erzeugtes blondes Haar ist bekannt; die Mode
des Schminkens hat sich nicht auf Frauen allein
beschränkt, auch männliche Stutzer griffen ge-
legentlich gern zu diesem Schönbeitsmittel, Der
Gebrauch falscher Haare, der für Frankreich im
12. Jahrhundert bezeugt ist, dürfte in Italien kaum
später einsetzen. Wardem individuellen Geschmack
in Kleidung und Kopfputz der weiteste Spielraum
gewährt, so unterlag die Behandlung des Gesichtes
einer bestimmten Konvention. Angestrebt wurde
eine glatte, schablonenmäßige, jugendliche Schön-
heit, sexueller Reiz sprach dabei stärker mit als
Eitelkeitsgründe. Das Schminken, das bei der
Verwendung von Quecksilber nicht ungefährlich
war, setzt bei Madchen im heiratsfáhigen Alter ein,
während man nach Fortinis Aussagen das Schmin-
ken einer Frau in reiferen Jahren als unpassend,
weil ihrem Alter nicht mehr angemessen, empfand,
Rosa Schapire.
DER CICERONE.
X, 19/20.
ALBERT BRINCKMANN : Bildnisminiaturen aus
niederländischem Privatbesitz. Hannover 1918.
(2 Taf., 13 Abb.)
OTTO GRAUTOFF: Die letzten französischen
Maßnahmen zum Schutz der Kunstdenkmäler.
(9 Abb.)
Heft 21/22.
. HERMANN UHDE-BERNAYS: Die Entwicklung
der impressionistischen Kunst in Deutschland.
(14 Abb.) ?
ADOLF FEULNER: Das Bergungsmuseum іп Va-
lenciennes. (32 Abb.)
---------
KUNST UND KUNSTLER.
XVI, 11.
KARL SCHEFFLER; Qualitát und Gesinnung.
DERSELBE; Die Ausstellung der Freien Sezession.
(2 Taf., 15 Abb.)
G. E, LESSING: Über Kritik.
ERNST HOHENEMSER: Aphorismen über Kunst,
Н. BEENKEN: Das graphische Werk des Hercules
Segers. (8 Abb.)
XVI, 12.
CURT GLASER: Hans Purrmann, (g Abb)
FERDINAND BULLE: Ferdinand Hodler. (7 Abb.)
KARL SCHEFFLER: Wie ein Bildmotiv sich
wandelt, (14 Abb.)
ZEITSCHR. FUR BILDENDE KUNST.
XXIX, 10/11. i
WILHELM v. BODE: David Teniers. (1 Taf.,
12 Abb.)
WALTER COHEN: Randbemerkungen zur Ge-
schichte der Düsseldorfer Malerschule: Th. Mintrop.
(13 Abb.)
FRIEDRICH ANTAL: Die neuerworbenen ungari-
schen Bilder im Museum für bildende Kunst in
Budapest. (1 Taf., 6 Abb.)
OSKAR HAGEN: Das Dürerische in der italieni-
schen Malerei., (1 farb. Taf., 2 Abb.)
BERLINER MÜNZBLÄTTER.
XXXIX, Nr, 201/202.
LEON RUZICKA; Unveröffentlichte Münzen aus
Hadrianopolis (Thracia). (x Taf.)
EMIL BAHRFELDT: Der Halberstädter Taler
von 1691.
L v. L.: Das deutsche Notgeld 1916—18.
DEUTSCHE KUNST U. DEKORATION.
XXI, 11.
WILHELM HAUSENSTEIN: Max Pechstein.
(3 farb., 5 schwarze Taf., 20 Abb.)
FRANZ SERVAES: Rob. F. K. Scholtz. Seine
Schwarzweiß-Kunst. (2 Taf., 11 Abb.)
OSKAR MARIA GRAF: Künstlerische Buchgewan-
dung. (1 Taf., 8 Abb.)
LEONHARD KRAFT; Kameen von Karl Berthold-
Darmstadt. (3 Abb.)
XXI, 12.
ALFRED GÜNTHER: Ausstellung der Künstler-
Vereinigung Dresden. (2 Taf., 15 Abb.)
AUGUST L. MAYER: Sommerausstellung der
Münchner Neuen Sezession. (1 Taf, 23 Abb.)
K. PRELLWITZ: Der Mensch und die Blume.
THEODOR DAUBLER: Kissen von Bob Bell,
(x Taf, 5 Abb.)
GEORG HERMANN: Erich Büttners Gelegenheits-
graphik. (1 Taf., 16 Abb.)
AMTLICHE BERICHTE AUS DEN KGL.
KUNSTSAMMLUNGEN.
XL, i.
CHR.HULSEN: Zum Girlandensarkophag Caffarelli.
VOLBACH: Zwei neuerworbene schwábische Pla-
stiken des 14. Jahrhunderts.
XL, 2.
H. EICKHOFF: Ausstellung von Handzeichnungen
flàmischer Meister des 15, und 17. Jahrhunderts im
Kupferstichkabinett.
O. Wulff: Ein Nachtrag aus der byzantinischen
Skulpturensammlung.
ANZEIGER FUR SCHWEIZERISCHE
ALTERTUMSKUNDE.
Neue Folge, XX, 2.
Dr. O. TSCHUMI: Der Bronzedepotfund von Wabern
(Amtsbez. Köniz). (3 Taf.)
E. MAJOR: Die prähistorische (gallische) Ansied-
lung bei der Gasfabrik in Basel (Fortsetzung). (2 Taf.)
W.SCHNY DER: Der Bildnisschnitzler der spatgoti-
schen Saaldecke im Supersaxhause in Sitten.
H. MORGENTHALER: Neues über Meister Hein-
rich den Maler in Bern.
F. VETTER: Benediktuskreuz und Thomaskreuz.
E. A. S.: Denkmalpflege.
351
KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT.
Neue Folge, XXX, 1.
F. SCHMIDT-DEGENER: Rembrandts Pfauenbild.
WILHELM WAETZOLDT: Jakob Burckhardts
Vortrüge.
AUGUST L. MAYER: Münchener Brief.
HANS TIETZES neues Buch über Wien.
Heft a.
EDUARD PLIETZSCH: Petersburger Brief.
Zur Frage der Vereinigung der Berliner Künstler-
gruppen.
BENGT THORDEMAN: Gedanken über zwei Aus-
stellungen in Schweden.
W. v. SEIDLITZ: Edgar von Ubisch.
W. KURTH: Deutsche Malerei im 19. Jahrhundert.
FRANZ DÜLBERG: A. E. Brinckmanns „Michel-
angelo".
— ———_—_—_———
OUDE KUNST.
III, 12.
Dr. N. G. van HUFFEL: Engelsche Prenten.
Dr. A. WILLEMSE: Oud-Limburgsch Aardewerk.
M.G. WILDEMAN: : Oude Gevelsteen met Wappens -
Mr. W. H. KOHLER: Een oud-hollandsch Tafelglas.
IMA BLOK: Tentoonstelling van etsen door Reinier
Nooms gen. Zeeman in’s Rijks Prentenkabinet te
Amsterdam.
DIE KUNST.
XX, 1.
CARL GEBHARDT: Fritz Boehle. (1 farb., 3 schw,
Taf., 43 Abb.) ;
FR. STERN: Fritz Boeble als Graphiker.
HERM. KONSBRÜCK: Kunst und Mathematik.
GUSTAV PAULI; Die Kunst der Gegenwart und
das Publikum.
HERMANN MUTHESIUS: Die Häuser Rümelin
in Heilbronn und Cramer in Dahlem. (1Taf., 19 Abb.)
G. J. WOLF: Joseph Wackerle. (1 Taf., 13 Abb.)
Schmuckgegenstände von K. J. Bauer, Adolf von
Mayrhofer und Karl Rothmüller.
i
NEUE BUCHER...
PAUL MADSACK: Vae Victis. Meine Erlebnisse in
Spanien und Frankreich während des Weltkrieges.
Mit 14 Zeichnungen und 4 Abbildungen. Verlag
von Klinkhardt & Biermann in Leipzig. 1918. Geb.
M. 6.—.
MAX EISLER: Rembrandt als Landschafter. Mit
140 Abbildungen. Verlag von F. Bruckmann, A.-G.
München. Geb. M. 8.—.
ALEXANDER v. GLEICHEN-RUSSWURM: Der
Ritterspiegel. Geschichte der vornehmen Welt im
romanischen Mittelalter. Verlag Julius Hoffmann,
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MAX von BOEHN: Bekleidungskunst und Mode.
Mit 135 Abbild. Delphin-Verlag, München 1918.
DIE SAMMLUNG DES FREIHERRN AUGUST
von der HEYDT - Elberfeld. Ausgewählte Werke
der Kunst der Gegenwart. Herausg. u. eingeleitet
von Carl Georg Heise. Kurt Wolff Verlag, Leipzig.
DANIEL CHODO WIECKIS BRIEF W ECHSEL mit
seinen Zeitgenossen. Bd. I, 1736— 1786. Heraus-
gegeben von Dr, Charlotte Steinbrucker. Verlag
von Carl Duncker, Berlin.
CARL NEUMANN : Aus der Werkstatt Rembrandts.
Carl Winters Universitätsbuchhandlung, Heidelberg.
BURCKHARDT : Erinnerungen ausRubens. 3. Aufl.
Verlag Benno Schwabe & Co., Basel. М. 10.50-
GRABER: Jüngere Schweizer Künstler. Verlag»
Benno Schwabe & Co., Basel. M. 9.—.
STEIN: Eugéne Delacroix. Briefe. Band I M. 8.40.
Band II M. 13.—. Verlag Benno Schwabe & Co.,
Basel.
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und Antiquitätensammler, Band 13.) Verlag Rich.
Carl Schmidt & Co., Berlin. M. 12.—.
MACKENSEN: Wahrheit und Gesundheit in der
Kunst. Zentralstelle zur Verbreitung guter deut-
scher Literatur, Nassau. M. 0.50.
SYBEL: Mosaiken rómischer Apsiden. Zeitschr.
für Kirchengeschichte, Band XXXVII, Heft 3/4.
Verlag Friedr. Andr. Perthes, Gotha, M. 10.—.
STUHLFAUTH: Die „ältesten Porträts“ Christi
und der Apostel, Hutten-Verlag, Berlin. M. 1.50.
THIERSCH: Winckelmann und seine Bildnisse-
C. Н. Becksche Verlagsbuchhandlung, München
M. 3.50.
XI. Jahrgang, Heft 11/12.
Herausgeber Prof. Dr. GEORG BIERMANN, Hannover, Große Aegidienstraße 4,
Telefon Nord 429. — Verantw. Schriftleiter HANS FRIEDEBERGER, Berlin W. 13,
UhlandstraBe 158. Telefon: Amt Uhland 1897. — Verlag von KLINKHARDT &BIER-
MANN, Leipzig.
Vertretungen der Schriftleitung: In MÜNCHEN: Dr. A. FEULNER, i. V. WALTER FOITZICK,
München, Tengstr. 43 IV. | In ÖSTERREICH: Dr. HEINRICH GLUCK, Wien I, Franzenaring 22.
In HOLLAND: Dr. OTTO HIRSCHMANN, Rijswijk, Z. H. Leeuwendaal-laan 61 | In der SCHWEIZ:
Dr. JULES COULIN, Basel, Eulerstr. 65.
Geschiftsstelle und Propaganda-Abteilung der Monatshefte für Kunstwissenschaft
Klinkhardt & Biermann, Leipzig, Liebigstraße 2. Telefon 13467.
Die Monatshefte für Kunstwissenschaft sind hervorgegangen aus den „Monatsheften der kunstwissenschaftlichen
Literatur", die Dr. ERNST JAFFE und Dr. CURT SACHS begründeten.
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Goldbesdilag und zwei Riemen-
enden aus dem Sdiatzfund in
Albanien |
ALTAI-IRAN UND Ž
VOLKERWANDERUNG
. Ziergeschichtliche Untersuchungen über den Eintritt der Wander-
und Nordvólker іп die Treibhäuser geistigen Lebens
von JOSEF STRZYGOWSKI
Anknüpfend an einen Schatzfund in Albanien
XII und 319 Seiten 4° mit 229 Abbildungen und 10 Liditdrucktafeln
In Leinen kartoniert M. 36.— (Teueruugszusdilag des Verlages 15°/,)
Die Darstellung gliedert sich in folgende Hauptabschnitte:
1. Ein albanischer Schatzfund. — 2. Die Schatzfunde der Vólkerwanderungszeit aus dem
Osten. — 3. Die geometrische Ranke der Schmucksachen des albanischen Schatzes. —
4. Die Kunst der Nómaden und Nordvólker. — 5. Der NomadenvorstoB und die Neu-
ordnung Eurasiens. — 6. Wesen und Wert von Renaissancen. — 7. Eine neue Gesinnung
eine Notwendigkeit.
Strzygowskis wissensdiaftlidie Leistungen bedeuten eine Entwicklungsstufe auf
dem Gebiete der Erforschung der Völkerwanderungskunst. Insbesondere wird diese neue,
reifste Arbeit den Ausgangspunkt bilden zu einer neuen Auffassung und allgemeinen
Wendung in den Anschauungen über die Vólkerwanderungszeit; sie wird dazu bei-
tragen, das einst so verschwommene und unsichere Bild unserer alten germanischen
Kunst zu klären und zum Greifbaren und Gewissen zu verdeutlichen, damit aber dem
Zusammenwirken der Ost- und Nordforscher zu gemeinsamem Endziel den Weg bereiten.
Die glánzende Ausstattung des Buches (holzfreies Papier, tadelloser Druck, Einband
edit Leinen) empfiehlt es auch als Geschenk für den Kunstgelehrten, den Kunstgewerbler
und Kunstfreund.
Verlag der J. C. HINRICHS'sdien Buchhandlung in LEIPZIG
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aa" 4 atn e
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BERNHARD PATZAK
Müden men aro lin |
BAND I: Palast und Villain Toscana
Versuch einer Entwicklungsgeschichte
Geheftet 40 Mark . ў
Gebunden 44 Mark 1. Buch: Die Zeit des Werdens
BAND II: Palast und Villa in Toscana
сены до wan Versuch einer Entwicklungsgeschidite
Gebunden 44 Mark 2. Buch: Die Zeit des Suchens und des Findens
BAND III: DieVillalmperialein Pesaro
РОТЕ Studien zur Kunstgeschichte der italienischen
Gebunden 35 Mark Renaissancevilla und ihrer Innendekoration
*9909090990009009000000000009000000000009000000000000000000000000000000000000000000000000009000000000000000000000000000
aum gibt es ein Gebiet, das dem Mensdien unserer Zeit wertvollere Anregungen zu
geben vermag als das Villenleben der Renaissance, in dem sich schönheitsuchende
Menschen ländliche Einsamkeit durch Kunst und Geist zu vertiefen versuchten. Handelt
es sich doch um ein Problem, das heute wiederum die feinsten Geister beschäftigt und für
uns noch immer der Lösung harrt. Umso erstaunlicher ist es, daß sich bisher niemand der
Bearbeitung des Renaissance-Villenbaues, der zugleich tief eingreift in das städtische und
gesamte geistige Leben dieser vielbeschriebenen Epoche, gewidmet hat. Schon Jacob Burck-
hardt hat diese Lücke schmerzlich empfunden und in seiner Geschichte der Renaissance erklärt,
daß sich das ästhetische Gesetz der Villenbaukunst der goldenen Zeit erst dann vollkommen
erkennen lassen wird, „wenn die betreffenden Reste in ganz Italien aufgesucht und im (ent-
wicklungsgeschichtlichen) Zusammenhang studiert sein werden“. Das hat sich nun Patzak
zur schónen Lebensaufgabe gemacht in seinem Werke „Die Renaissance- und Barockvilla in
Italien, dessen drei ersten Bände jetzt abgeschlossen vorliegen.
1 OSEF STRZYGOWSKI fiber Band I in den „Monatsheften
Urteile der Presse: 195 Kunstwissenscaft*: "Sein Buch ist im Felde geschrieben
———Ó—M——7 und in dieser Hinsicht wie durch die klare Erkenutnis des orien-
talischen Mutterbodens vieler abendländischer Kunstformen des Mittelalters ein Musterbeispiel dafür
geworden, wie man über die frühe italienische Kunst arbeiten muß.“
„SCHWEIZERISCHE BAUZEITUNG“ über Band Ill: „Das vorliegende Werk verdient trotz seiner aus-
gesprochen kunsthistorishen Tendenzen dodi audi in den Kreisen der ausübenden Architekten beachtet
und studiert zu werden, da es eine Geschichte der italienischen Villa, jener anregungsreichen Bauten einer
kunst- und lebensfreudigen Zeit, nicht gaz. Diese ganz kurze Übersicht wird dodi genügen darzutun,
g
wie етене die Arbeit Patzaks für die Gesdiidite und Entwicklung des Vilienbaues,
sowie der Dekorationsapbeit ist.“
PAUL SCHUBRING über Band Ill in der „Frankfurter KAN TE Idi will hier möglichst wenig Einzel-
heiten anführen; die findet man in dem genannten Buch, das der erlag reich mit Abbildungen ausgestaltet
hat und das geradezu vorbildlid soldi eine Anlage untersucht, beschreibt und würdigt.“
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VERLAG , KLINKHARDT & BIERMANN * LEIPZIG
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Paul Madſack
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Meine Erlebniſſe in Spanien und
Frankreich während des Weltkrieges
Mit 14 Zeichnungen im Tert und
4 Tafeln nach Werken des Künſtlers.
Geheftet M. 5.—, gebunden M.6.— ord.
Ein deutſcher Maler, den der Weltkrieg in einem kleinen
Orte an der bretoniſchen Küſte überraſchte, berichtet von
| — 1 Erlebniſſen: Abenteuerliche Flucht aus Frankreich
ber bie ipanijche Grenze, Aufenthalt in San Sebaſtian und
Sevilla, Arbeit in Alcala de Guadaira. — Dann Derjud,
von Barcelona aus nach Italien zu entkommen. Flucht
auf dem Unochenſchiff über das Meer, Gefangennahme
durch fran zöſiſche PIA Als eng ar poe
während anderthalb Jahren in Frankreich: Die Stationen
unerhörter Vergewaltigung: Toulon, Marſeille, der Kerker
іп Uzés, Ile Сопаце und Coon, — Es ijt kein Buch des
Haſſes, obwohl es von Anfang bis zu Ende den Lefer
in atemberaubender Spannung hält. Feine künſtleriſche
Beobachtungen geben dem Ganzen ſeinen geiſtigen Stempel.
Auch der Humor würzt die Darſtellung. Alles in allem:
Ein eigenes, perſönliches Den as mehr ijt als Kriegs»
literatur.
Ein Künftierbud im beſten Sinne des Wortes.
linkhardt & Bierma
Bud). und Runitverlag / Leipzig
— Seesen eee eee eee әеге-ее
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| ‚Wilhelm Kuhnert
Im Lande meiner Modelle
Mit 24 Steinzeichnungen, 8 farbigen Tafeln
nach Gemälden des Derfajfers und zahlreichen
Sederzeichnungen im Text. Gebunden M. 50.—
furusausgabe 100 numerierter Exemplare mit
einer vom Derfafjer ſignierten Orig.-Radierung.
Gebunden M. 100.—
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Ein afrikaniſches Jagd- und Wanderbuch, in dem der bekannte $
Maler über ſeine Erlebniſſe, Studien und Jagden plaudert.
Als Künſtler ijt Kuhnert nach Afrika hinausgegangen mit
Büchſe, Pinſel und Palette, und ſeinem Malerauge hat ſich
das geheimnisvolle £eben in den afrikaniſchen Steppen, hat
fid) der ſchwarze Erdteil als ein noch unentdecktes Paradies
enthüllt, бейеп Schönheit und Eigenart нда heiße Liebe
gilt, Wie er das Leben der Natur in der Wildnis belau
wie er die Tiere beſchleicht und beobachtet, wie er auf ge
fährliche Jagdabenteuer nom und die Wunder des gewal⸗
tigen Kilimandjaro entdeckt, das ift mit der Sprache des Dich⸗
ters geſchildert und tief empfunden als Erlebnis, wie es nur
ber Seele eines Künſtlers begegnen kann. Erſt in dieſem Buche
kommt uns der Zauber der aftikaniſchen Urwelt ganz nahe.
Was Kuhnerts Malerauge auf feinen weitausgedehnten
Reijen im Innerſten Afrikas oder im Sudan (aud) ein Kapitel
über Cu Jagdgefilde ijt angegliedert) erſchaute, das
haben Stift und Dinfel unmittelbar vor den Modellen feſtge⸗
altem, und dieſe Zeichnungen, £ithographien und farbigen
edergaben nach Gemälden umranken die farbenjattem
Schilderungen bes Künftlers wie lebendige IMujtrationen.
VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG
Geschichte
der spanischen Malerei
Von Privatdozent Dr. AUGUST L. MAYER, München.
4e. Geh. M. 40.—, geb. M. 46.
. I. Band: VIII u. 274 Seiten mit
144 Abbildungen. II. Band: VIII u. 292 Seiten mit 141 Abbildungen.
Mayers Gesdiidite der spanischen Malerei ist ein bedeutsames Werk, daB sich
neben großer Gründlichkeit der Einzelforschung besonders durch den sicheren, fein ab-
wägenden Geschmack auszeichnet, mit dem er die künstlerischen Charakterbilder der
großen spanischen Maler entwirft.
Er betrachtet die spanische Malerei als eine Quelle
der modernen Kunst und findet den Grund dafür „in dem Ernst und der Aufrichtigkeit,
in der Einfachheit und, fast könnte man sagen, in der Naivität ihres Wesens“. Die Dar-
stellung hat durch ihre wortgewandte Abstimmung und ihre vielseitige Ausdrucksmöglich-
keit für die leisesten Abstufungen der künstlerischen Werturteile hervorragende Vorzüge.
Einseitiges und übertrieben zugespitztes Absprechen, wie es nach Meyer-Graefes Vorgang
in neuester Zeit z. B. bei Murillo Mode war, vermeidet Mayer sorgfältig, gerade seine
Studie über Murillo ist eine musterhafte Leistung dieser Art.
Ebensowenig teilt er ge-
wisse modische Überschätzungen, weshalb 2. B. seine Behandlung 4:5 in den letzten
| Jahren so aufdringlich gerühmten El Greco sehr ansprediend wirkt.
(Kölnische Volkszeitung.)
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Klinkhardt & Biermann :: Leipzig
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Soeben erschien die dritte Auflage von
Bilder gesellschaftlicher Kultur aus fünf Jahrhunderten. Von Valerian Tornius.
salons. Zwei Bände mit 48 Tafeln geb. М. 15.—.
Noch nie hat es jemand unternommen, die Welt des Salons in ihrer Entwicklung zu schildern. Nun endlich liegt das Werk
vor, das diese Aufgabe lost, wie sie allein moglich war, wenn der romantische Zauber, der über aller wahren Geselligkeit
schwebt, nicht verlorengehen sollte. (Dresdner Anzeiger.)
Vom gleichen Verfasser erschien
Charaktere und Bilder aus der galanten Welt. 2. Auflage. Mit 10 Original-
Kavalier e. lithographien von Erich Gruner. Geb. M. 12.—.
Eine Folge vollfarbig ausgemalter Porträts, Bilder weltmännischer Grazie, gerahmt in die Historie ihrer Zeit, ziehen an uns
vorüber. Ritterlichkeit der Sitten wie des Geistes, frohlich tandelnde Weltlaune, Spiel der Anmut und des Scherzes, tollende
Ausgelassenheit, Erotik, Abenteuer, alles das wird in diesen Kulturbildern lebendig. Der schwarmende Ritter des Minne-
sanges und seine Entartungen, das vollendete Kavaliertum der Renaissance, wie es in Graf Castigliones ,Cortegiano" zum
Idealtyp geformt ist, werden in ebenso gründlichen wie liebenswürdigen Schilderungen gewertet. Anekdotenhafte Züge sind
mit Geschmack herangetragen, veranschaulichen und wirken. Gerade hierin ist Tornius Meister, daß er immer wieder durch
amüsante Geschichtchen, ‘eingeflochten wie in gefalliger Plauderei, die Darstellung belebt... Der Anmut des Stoffes ge-
sellte Tornius Anmut der Darstellung. Eindringende wissenschaftliche Arbeit setzt dies Werk voraus; aber man fühlt sie
nicht, dank der beweglichen und geschliffenen Form der True Mit künstlerischen Sinnen werden die Menschen und
br Milieu erlebt und nachgestaltet. (Zeitschrift für Bücherfreunde.)
Die griechische Plastik. /7 P Löwy. Zweite Аш. Zwei
Band 2: 297 Abbildungen auf Tafeln. Zusammen M. 8.10.
. Dem reichen inhalt des Lowyschen Werkes, das von Anfarg bis Ende ши gründlicher Beberrschung des Stoffes, liebe-
voller Hingabe an den Gegenstand und feinsinnigem Urteile geschrieben ist, entsprechen aufs würdigste die in einem beson-
deren Bandchen beigegebenen 550 Abbildungen. Nach künstlerischen Gesichtspunkten geordnet, in sauberster Technik nach
den zuverlassigsten Quellen ausgeführt, bilden sie nicht nur die begleitende Melodie, sondern tragen an ihrem Teile wesent-
lich dazu bei, das richtige Verstandnis der Kunstwerke zu fordern und den Blick far den einzigartigen Zauber antiker Schon-
heit zu offnen. (Zeitschr ft f. d. Gymnasialweson.)
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Pilgerfahrten in Italien. Ze, Она топ Ssrfeldt und Prot Dr.
schmuck von Marcus Behmer. Ми 2 Gravuren und 24 Tafeln. Geh. M. 7.50, geb. M. 9.40.
In Summa: eins der schönsten Bücher, das je von Italiens Zauber und unverganglicher Bedeutung zu uns gesprochen hat.
Deutsche Literaturzeitung.
Die Renaissance in Briefen т» Teen, Kim Sun
L. Schmidt. 2 Bande. Geb. je M. 7.50.
Wenn wir uns mit dem Geiste einer bestimmten Epoche der Vergangenheit vertraut machen wollen, so werden wir die
richtigsten und unmittelbarsten Eindrücke dadurch gewinnen, daß wir die erhaltenen Dokumente selbst zu uns reden lassen.
Des gilt ganz besonders von den Briefen aus der Zeit der Renaissance, denn damals wurde das Briefschreiben noch als
Kunst gepflegt.
—— PL --—— BEL Oe eee —
Von P. Kühn. Weimarer Interieurs. 2 Bande.
D ie Fr auen um Goethe. Mit 50 Tafeln. Zusammen in Pappbd. M. 20.60.
. Man kann den Menschen Goethe nicht inniger begreifen als im Verkehr mit dem Weibe, das ihm Muse, Freundin, Geliebte
und Gattin gewesen ist. Erst durch seine machtvolle Persönlichkeit ist die stille Welt des Weimarer Musenhofes wundervoll
verklärt. In buntem Wechselspiel ziehen sie alle an uns vorüber, denen der Dichter die Verehrung zu Füßen gelegt. Sein
Geist durchtrankt ihr Leben mit köstlichem Gehalt, füllt ihre Seele mit jugendlicher Le bens arme. |
Goethe in Venedig. Von Jul. Vogel. 2. саа. Geh. M. 6.—, geb.
Sorgsam zeichnet mit e Fülle von auferordentlich interessanten Einzelheiten J. V. in einem anmutigen Buch das Venedig
der Goethezeit. — — — Die Darstellung ist so anmutig und lebensvoll, daß sie den besten ibrer Art zur Seite gestelft
werden darf. (Literarisches Echo.)
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Naturstudie des Salai (?), nach der Mona Lisa.
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Abb. 3.
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Leonardo da Vinci, Die hl. Jungfrau aus dem Anna-Karton — Mona Lisa
Abb. 6.
EMIL MOLLER, ZWEI BISHER UNERKANNTE BILDNISSE DER MONA LISA
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Abb. 3. Abb, 4.
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I. Friedrich Busch, $ 1501. Altenburg, ScbloBkirche 2. Petrus Hofemann, + 1486. Altenburg, SchloBkirche
Aus einer süchsischen Hütte.
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3. Heinrich Stärcker von Mellerstadt, T 1483. Meißen, Dom
Aus einer sächsischen Hütte.
Zu: HUBERT STIERLING, „ZWEI UNBEKANNTE VISCHERWERKE“
M. f. K., XI., 1
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ы Tafel 9
Entwickelt schwarzfigurige Hydria Nr. 1897 der Berliner Vasensammlung:
Anschirren eines Rennwagens
Abb. 1.
Abb. 2. Teller des Hischylos.
Berliner Vasensammlung Nr. 2100
Abb. 3. Reif schwarzfigurige Amphora.
Mürchener Vasensammlung Nr. 1416:
Tánzer und Musikanten
Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN-VON, ROTFIGURIGEM STIL
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Abb, 4. Streng rotfigurige Amphora des EvSuuidns
6 IIoAiov der Münchener Vasensammlung. Aus-
schnitt aus dem Reversbild: Tanzender Mann
Abb. s. Attische Kanne aus jüngerer
schwarzfiguriger Zeit mit zylindrischer Abb. 7. Attische Kanne mit Kleeblatts- Abb. 8. Attische Kanne mit zylindrischer
Miindung: Fischbereitung mündung der Berliner Sammlung: — Mündung:RingkamptvonPeleusu. Thetis
Berliner Vasensamml. Saal XII. Nr. 1915 Gymnasiumsszene BerlinerVasensammi. Saal XII. Nr. 4000.
Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL
M. f. K., XL, 2/3
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Tafel 12
Abb, 12 und 13. Amphora der Sammlung Bourguignon in Neapel:
Krieger mit Gefallenen. Eos mit der Leiche des Memnon.
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Abb. 14. Spät schwarzfigurige kleine Am- Abb. 15. Spät schwarzfigurige kleine Am- Abb. 16. Spat schwarzfigurige kleine Am-
phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1837: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1837: phora der Berliner Vasensamml, Nr. 3995:
Athena-Geburt Peleus und Atalante im Ringkampf Amazone zu Pferd und Amazone zu Ful}
Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZ FIGURIGEN VASEN VON ROT FIGURIGEM STIL
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Tafel 13
Abb. 17. Spat schwarzfigurige kleine Am- Abb. 18. Spát schwarzfigurige kleine Am- Abb. 19. Spüt schwarzfigurige kleine Am-
phora der Berliner Vasensamml. Nr. 3995: phora der Berliner Vasensamml, Nr. 1839: phora der Berliner Vasensamml. Nr. 1839:
Amazone alsLenkerin eines Viergespanns Reitende Amazone mit Handpferd und Reitende Amazone mit Handpferd und
Hund zieht nach rechts Hund zieht nach links
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Abb. 23. Panathenäische Preisamphora der
Berliner Vasensammlung.
Reversbild: Wettrennen
Abb. 22. Panathenäische Preisamphora der
Berliner Vasensammlung.
Reversbild: Wettlaufer
Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL
M. f. K., XI., 2/3
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Tafel 14
Abb. 20. Kopftypus von der Scherbe einer
panathenaischen Preisamphora.
Akropolis-Museum Athen
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Abb. 21. Fuß mit Gewandstück auf einer Scherbe
(nach Botho Graef, Die antiken Vasen von des Akropolis-Museums Athen
der Akropolis zu Athen. Berlin 1911, Heft II. (nach Botho Graef, Die antiken Vasen von der Akropolis
Taf. 64, Nr. 1126) zu Athen, Berlin 1911, Heft II, Taf. 54, Nr. 859a)
Abb. 26a und 26b. Vasenscherbe aus dem Kabirion im Nationalmuseum zu Athen:
Mänaden und flötenspielender Silen.
Abb. 27. Vasenscherbe aus dem Kabirion im Nationalmuseum in Athen: Symposion
Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON ROTFIGURIGEM STIL
M. f. K., XI., 2 3
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Tafel 15
Abb. 24. Spätschwarzfigurige, krateráhnliche Amphora der Berliner Sammlung:
Fischer und Fischerknabe
Abb. 2s. Spátschwarzfigurige, krateráhnliche Amphora der Berliner Sammlung:
Fischer mit Thunfischen
Zu: FRITZ HOEBER, DIE ATTISCHEN REIF SCHWARZFIGURIGEN VASEN VON-ROTFIGURIGEM STIL
M. f. K., XL, 2/3
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Tafel 16
Abb, 1. Jean Robert: Christus am Kreuz nach dem Gemälde von Delobel (Мг. 32)
Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS
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Abb. 2. Jean Robert: Die heilige Jungfrau (Nr. 33)
Zu; HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS
Tafel 17
Tafel 18
Abb. 3. Lasinio: Madonna mit dem Kind nach einem Lionardo zugeschriebenen Gemälde (Мг. 429)
Zu: HANS WOLFGANG SINGER, DER VIERFARBENDRUCK IN DER GEFOLGSCHAFT
JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS
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Tafel 19
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Abb. 4. Lasinio: Die Venus mit dem Hündchen nach dem Gemälde Tizians in den Uffizien (Nr. 431)
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JACOB CHRISTOFFEL LE BLONS
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Tafel 22
Der Tod der Maria
Abb. 4.
Die Ruhe in Agypten
Abb. 3.
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Abb. 8. Orpheus und Eurydice. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum
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Tafel 32
Abb, 10. Peter Vischer d, J., Aquarellierte Federzeichnung im Berliner Kupferstichkabinett
Zu: HUBERT STIERLING, DAS RÁTSEL DES SEBALDUSGRABES © `
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Tafel 33
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Abb. т. Polnische Holzsynagogen (nach Bersohn, Moklowski und Gloger).
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Abb. 2. Kurnik in Posen
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Abb. 3. Kurnik (Querschnitt)
Zu: ALFRED GROTTE: OSTJÜDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF
M. f. K.. XL. 5 DEUTSCHES GEBIET
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Abb. 6.
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Deutsch-Krone (Westpreußen)
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Abb. 8.
ALFRED GROTTE: OSTJUDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF DEUTSCHES GEBIET
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Abb. то. Jablonow, Galizien (nach „Sprawozdania“ IV) a. d. J. 1674
Bechhoven in Bayern
Abb. 11.
OSTJUDISCHE SAKRALKUNST UND IHRE AUSSTRAHLUNGEN AUF
Zu: ALFRED GROTTE
DEUTSCHES GEBIET
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Tafel 38
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Grabmal Clemens V. in Uzeste
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Grabmal Benedicts XII. in Avignon
Abb. 4.
Grabstein Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon
Abb. 8.
(Ursprünglicher Zustand)
ERNST STEINMANN, DIE ZERSTÓRUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON
Zu:
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Grabmal Johanns XXII. in Avignon
Abb, 2 und 3.
Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON
M. f. K., XI., 6
Zu:
Tafel 40
Abb. 5. Sogenanntes Grabmal Benedikts XII, in Avignon
Nach einer Originalaufnahme von Professor Hamann-Marburg
ERNST STEINMANN, DIE ZERSTÓRUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON
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Grabmal Clemens VI. in La Chaise-Dieu
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Grabmal Clemens VI. іп La Chaise-Dieu (Restauration)
Abb. 7.
Zu: ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER
DER PAPSTE VON AVIGNON
Abb. 9. Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon (Restauration)
M. f K., XI., 6
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Abb. 10.
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Abb. 11. Grabmal Urbans V. in St.-Victor in Marseille
ERNST STEINMANN, DIE ZERSTORUNG DER GRABDENKMALER DER PAPSTE VON AVIGNON
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Abb, 1. Anton Möller, Die Huldigung der Tugenden vor der Gerechtigkeit. Danzig, Artushof
Abb. 2. Anton Möller, Die Verleumdung des Apelles. Danzig, Artushof
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M. f. K., XI 7
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Tafel 46
Abb. 3. Anton Möller, Nachtszene aus Osterwiek. Tuschzeichnung. Königsberg i/Pr., Prussia-Museum
Zu: HERMANN EHRENBERG, ANTON MÓLLER, DER MALER VON DANZIG
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Abb. 2. Jacomart Bazo: S. Vicente Ferrer
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Abb. r. Adam und Eva -- Stich von Goltzius nach Spranger (1585)
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M. f, K., XI, 8
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OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE
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M. f. K., XI, 8
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Abb. 3. Der Sturz des Tantalus (Ausschnitt) — Stich von Goltzius
nach Cornelis Cornelisz (1588)
OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE
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Abb. 4. Die Höble Platos. — Stich von Jan Saenredam nach Cornelis Cornelisz (1604)
Zu: OTTO HIRSCHMANN, KAREL VAN MANDERS HAARLEMER AKADEMIE
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Abb. 1. Viecher, Gedächtnistafel für Henning Goden, + 1521. Abb, 3. Diirer, Gottvater aus der apokalyptischen
Wittenberg und Erfurt Vision der sieben Leuchter
Abb. 2. Dürer, Krönung Mariä aus dem Marienleben. 1510 (Ausschnitt)
Zu: HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER V
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Abb. тї. Aus Celtes, Quattuor libri amorum. Nürnberg 1502.
Oben darauf gelegt eine aquarellierte Federzeichnung Peter Vischers d. J., heute im Berliner
Kupferstich-Kabinett, ursprünglich in einem Nürnberger Codex des Pankraz Schwenter über
die Herkulestaten, von 1515
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Abb. 13. Jakob Elsner, Miniatur aus dem Missale für Anton Kreß, 1513.
Peter Vischer d. J., Gedáchtnistafel für Anton Kreß, + 1513.
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Als Depositum im Germanischen Museum in Nürnber
Nürnberg, Lorenzkirche
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Abb. 17. Zoan Andrea, Ausschnitt aus dem
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Peter Vischer d. J.
Bleistiftzeichnung im German. Museum
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Abb.
Ornamentstich B. 30
(Nach A, Brinckmann, Die prakti
Ornamentstichs. Mit gütiger Bewilligung des Verlegers
Herrn E. Heitz, Straßburg.)
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Abb. 21. Gravierte Grabplatte des Herzogs Friedrich
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Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE
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Tafel 63
Abb. 2. P. P. Rubens, Entwurf zur hl. Katharina. Wien, Albertina
Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE
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Tafel 64
Abb. 3. P. P. Rubens, Martyrium des hl.Stephan. Valenciennes
Zu: ADOLF FEULNER, DIE ENTHAUPTUNG DER HL. KATHARINA VON P. P. RUBENS IN LILLE
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„Das Pfingstfest“. Relief vom
Schwabacher Altar
Nachahmer des Veit Stoß:
Abb, 2.
Die Kreuzigungsgruppe zu St. Sebald in Nürnberg,
mit falscher Aufstellung der Assistenzfiguren
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Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS
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„Tempelgang Mariä“, linke Hälfte.
Abb. 5. Veit Stoß:
Abb. 4. Veit Stoß: Johannes aus der Kreuzigungs-
gruppe in St. Sebald zu Nürnberg, erste richtige
„Anbetung der Könige“, rechte Hälfte.
Veit Stoß:
Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig
Abb. 3.
Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhändig
Aufnahme
Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES VEIT STOSS
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Tafel 67
Abb. 6. Veit Stob: ,Himmelfahrt Christi^. Relief vom Krakauer Marienaltar, eigenhandig
Abb. 7. Selbstándiger Werkstattgenosse des Veit Stoß, Pfingsten, Relief vom Krakauer Marienaltar
Zu: W. v. GROLMAN, ZUR WÜRDIGUNG DES, VEIT STOSS
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Abb. т. Deutscher Wald (Heidelberg, Frühzeit).
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Abb, 2. Szene aus Tasso.
PAUL F, SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
M. f. K., XL, 11/12
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Tafel 71
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Abb. 3. Baumstudie
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
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Tafel 72
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Abb. 4. Ponte Salaro
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Abb. 5. Bei Subiaco
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
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M. f. K., XL, 11/12
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Tafel 73
Abb. 6. Gebüschstudie
Abb, 7. Ritterzug
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
M. f. K., XI., 11/12 Digitized by Google
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Abb. 8. Alpensee
М.Е K., XL, 11/12
Abb. 9. Burgruine am Neckar
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
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Tafel 75
Abb. ro. Mühle im Tal
Abb. 11. Das Heidelberger Schloß
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
M. f. K., XI., 11/12
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Abb. 12. Lagernde Soldaten
Abb. 13. Heidelberger Studenten
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
M. f. K, XL, 11/12
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Tafel 77
Abb. 14. Wasserfall in den Salzburger Alpen
Zu: PAUL F. SCHMIDT, KARL PHILIPP FOHR
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Tafel 78
Abb. 1. Nördlichste Fensterarkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges
Abb. а. Dritte Fensterarkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges
Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN
M. f. K., XI., 11/12
Tafel 79
Siidlichste Arkade im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges
Abb. 3.
Mittelste Arkade im Siidtrakt des Berchtesgadener Kreuzganges
Abb. 4.
DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN
Zu: ROBERT WEST
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Tafel 80
Abb, 5. Detail zu Abb. 4. Die Davidsäule Abb.6. Westlichste Arkade im Südtrakt des
mit dem Lilien-Kapitell Berchtesgadener Kreuzganges
Abb. 7. Die zwei nórdlichsten Fensterarkaden im Westtrakt des Berchtesgadener Kreuzganges
Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN
M. f. K., XL, 11/12
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Tafel 8r
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Abb. 8. Portal im Osttrakt des Berchtesgadener Kreuzganges
Abb. 9. Portal-Lówe in Laufen
Zu: ROBERT WEST, DER ROMANISCHE KREUZGANG AN DER STIFTSKIRCHE IN BERCHTESGADEN
M. f. K.. XL, 11/12
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Tafel 82
Das Sebaldusgrab in Niirnberg
Abb. 2.
HUBERT STIERLING, KLEINE BEITRAGE ZU PETER VISCHER (V1)
Grabmal Innocenz VI. in Villeneuve-les-Avignon (Restauration)
Abb. 1.
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