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Full text of "Monatshefte für Kunstwissenschaft Band 2.1909"

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MONATSHEFTE 


KUNST WISSENSCAAFT 


HERAUSGEBER DR. GEORG BIERMANN 


IL JAHRGANG 1909 


VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN IN LEIPZIG 


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I. Abhandlungen. 


Otto Weigmanr, Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. ae Sammlung in München, an 
mit 10 Abb. . . . . 1 
Wilhelm V&ge, Der Meister des Blaubeurer ‘Hodhaltars und seine , Madonna, mit 11 Abb. 11 
Kurt Freise, Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag, mit 13 Abb.. . 22 
Frida Sottmüller, Zur Donatello-Forschung, mit 4 Abb.. . . . . 38 
Leo Beer, Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik der italienischen Früh- 
renaissance. . ....86 
Karl Borinski, La Chastelaine de Vergy in | der Kunst des Mittelalters, mit 5 Abb. . . . 58 
Otto Hettner, Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo. Mit einem Anhange über 
Signorelli und Correggio, mit 9 Abb.. . . . er: TA 
Hens Jantzen, Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts, mit 6 Abb. 5 # A +. 188 
Friedrich Sarre, Rusafa-Sergiopolis, mit 13 Abb. . . . . 95 
Hermann VoB, Charakterköpfe des Seicento: Der Meister des sterbenden Cato, mit 5 Abb. 108 
E. A. Stiickelberg, Germanische Frühkunst, mit 32 Abb. . . . 117 
Otto Hettner, Zeidhnerishe Gepflogenheiten bei Michelangelo. Mit einem n Anhange über 
Signorelli und Correggio, (Fortsetzung) mit 8 Abb.. . . . ee‘... 194 
E. Mauceri, Piccolo Arte Siciliana. Le Figurine di Caltagirone, mit 7 Abb. . + + + . + 149 
James von Schmidt, Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz. Die Ausstellung 
der „Staryje Gody“ in St. Petersburg, mit 22 Abb.. . . . . 161 
Leandro Ozzola, Ji Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo, mit 5 Abb. 198 
August Feigel, San Pietro in Civate, mit 11 Abb.. . . . 206 
Gustav Keyssner, Hans von Marees. Ein Epilog zu den Ausstellungen i in München u. Berlin 221 
Otto v. Falke, Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz, mit 5 Abb. . . . . . . . 234 
Paul Lafond, Alonso Cano, mit 11 Abb. . . . . 242 
Paul Gustav Hübner, Studien über die Benutzung. der Antike in der Renaissance, mit 
| 9 Abb. .... 267 
William Cohn, Fujiwara no o Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit, mit 18 Abb. 281 
Kurt Freise, Bathsebabilder von Rembrandt und Lastmann, mit 5 Abb.. . . . 302 


Martin Wackernagel, Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen, mit 3 Abb. 319 
Bruno Schulz, Über den Ursprung der Stalaktiten und einiger anderer mittelalterliher Bau- 

motive, mit 15 Abb. . . . 329 
Paul Ferd. Schmidt, Der Meister des Berliner Martin und Hans. von n Heilbronn, mit 11 Abb. 338 
L. M. Richter, French sixteenth century portraiture with special reference to the new Francois 


Clouet in the Louvre, mit 13 Abb.. . . . a a> st + 1350 
Eduard Firmenic-Richartz, Ist die Kölner Wicken- Madonna eine Fälschung? ods ct oe 369 
Enrico Mauceri, Pietro Novelli (I! Monrealese) mit 9 Abb. Gil 379 
Wilhelm Vöge, Ein Steinrelief des Hans Schwarz im Germanischen Museum zu | Nürnberg, 

mit 3 Abb.. . . . . 393 
George A. Simonson, A Connecting-Link between Tiepolo and ‘the Guardi Family, mit 

1 Abb. . . . Ara al 4 e 2 1050 
Emil Schaeffer, Die Bildnisse des Piero Carnesecchi, mit 2 Abb. RE 405 
Konrad Escher, Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk eines französischen 

Künstlers, mit 3 Abb.. . . . 413 
=duard Firmenich-Richartz, Ist die Kölner Wicken- Madonna | eine Fälschung? (Fort- 

setzung und Schluß) mit 5 Abb.. . . . . . 420 
G. J. Kern, Karl Blechen in Berlin: Die Zeit vor der italienischen Reise, hit 10 Abb. . . . 432 
Friedrich Wolff, Zwei mittelalterlihe Plastiken des Märkischen Museums, mit 3 Abb.. . 447 


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IV Inhalt 


G. J. Kern, Karl Blechen in Berlin: Die Zeit vor der italienischen Reise (Fortsetzung und 
Schluß), mit 14 Abb. a 

Wilhelm Suida, Studien zur lombardisdien Malerei des XV. Jahrhundens, mit 19 Abb. 

August Schmarsow, Melozzo Entdeckungen in Rom. 

Moriz von Rauch, Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Helbroin, mit 9 Abb. 

Ernst Kühnel, Palastanlagen im islamischen Abendlande, mit 4 Abb. a 

Philipp Maria Halm, Ein unbekanntes Gemälde Wolf Hubers, mit 1 Abb. 

Hans Vollmer, Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen, mit 8 Abb. . 

Leandro Ozzola, Opere di Salvator Rosa a Vienna, mit 9 Abb. 


II Studien und Forschungen. 


Wilhelm Suida, Zur Dugentomalerei, mit 4 Abb. . . . . 

Burkhard Meier, Uber den Basler Altar des Konrad Witz, mit 1 Abb. 

Hermann VoB, Nochmals der wiederaufgefundene van Dyck im Museum zu Palermo 

Anton Reichel, Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landesbildergalerie in Graz, mit 2 Abb. . 

Emil Schaeffer, Noch einmal das Bildnis des Vincenzo Cappello, mit 1 Abb. 

Detlev. v. Hadeln, Zu Lottos Natività der venezianischen Akademie . 

Robert Corwegh, Die St. Barbarasäule zu Breslau, mit 1 Abb. 

Willy F. Stords, Die Zeichnungen des Hausbuchmeisters 

Curt Glaser, Eine Zeichnung Hans Holbeins des Älteren nach einer italienischen Plakette 
mit 3 Abb.. 

H. Pupp, Zu Francesco Furini. . . 

Adolf Gottschewski, Der Modellkopf \ von der Hand Michelangelos im Besitz des Pietro 
Aretino . Sy en ot be 

Hermann VoB, Nochmals der Meister ‘des sterbenden ‘Cato. mit 2 Abb. 

Elfried Bock, Zeichnungen von Hans von Kulmbadı für ein Kaiserfenster, mit 1 Abb. 

Adolf Gottschewski, Das Pisa-Relief des Museo Pio-Clementino = RI & 

Hermann VoB, Ein Frühbild des Hausbuchmeisters? mit 1 Abb. 

E. Waldmann, Die Handzeichnungssammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen, mit 5 Abb. 

Julius Vogel, Lukas Cranach in Wien 

G. Eugen Lüthgen, Ein Kopf des Meisters der Matmorfiguren: V. Kölner Domaltar; mit M Abb. 

E. Firmenich-Richartz, Die Bedeutung Kölns für den Metallschnitt des XV. Jahrhunderts 

Helmuth Th. Bossert, Dürers Aufenthalt in Straßburg. : S Sx. Ge e en. ET 

Th. Asher, Der Meister der Lyversberger Passion . A 

Heinz Braune, Der Name des Meister der Holzhausenbildnisse 


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Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN 
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Heft 1 


Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphischen 


Sammlung in München 
Von Otto Weigmann 


Die kleine Ausstellung, die im letzten Halbjahr in der Kgl. Graphischen Samm- 
lung die Bestände an italienischen Zeichnungen des XV. und XVI. Jahrhunderts zum 
ersten Male in übersichtlicher Anordnung vereinigte, hatte sich in den Kreisen der 
Fachgenossen einer lebhaften Anerkennung zu erfreuen. Es erscheint deshalb an- 
gezeigt, mit einigen Worten auf die wissenschaftlichen Ergebnisse hinzuweisen, die im 
Zusammenhang mit dieser Veranstaltung stehen. 

Wenn diese systematischen Ausstellungen, die in chronologischer Folge die 
Mappenschätze der Sammlung zur öffentlichen Kenntnis bringen sollen, auch in erster 
Linie für das große Publikum bestimmt sind, so verfolgen sie doch auch den Zweck, 
die Fachkreise zu erneuter Mitarbeit anzuregen, die vielen noch schwebenden Fragen 
allmählich in bestimmterer Form zu beantworten. Eine sorgfältige Vorbereitung, ver- 
bunden mit einer gewissenhaften Revision der seitherigen wissenschaftlihen Be- 
urteilung, muß allerdings die unerläßliche Grundlage bilden. 

Man ist heutzutage den traditionellen Inventarbenennungen gegenüber skepti- 
scher geworden; und wenn auch die Zweifelsucht vielfach gar zu üppige Blüten treibt, 
eine erneute kritische Sichtung wird dank dem sich stetig mehrenden und verbessern- 
den Vergleichsmaterial im allgemeinen doch mehr Abschreibungen als Mehrungen an 
dem vorhandenen Stammkapital wohlklingender Meisternamen zu verzeichnen haben. 
Es darf ja auch nicht verhehlt werden, daß die systematische Arbeit auf dem Gebiete 
der Zeichnungen verhältnismäßig jungen Datums ist und sich erst allmählich festere 
Anhaltspunkte für eine präzise Beurteilung gewinnen lassen. Daß demnach der 
Mangel an objektiven Kriterien in diesem überaus schwierigen Sondergebiete oft durch 
ein mehr oder minder ausgeprägtes subjektives Empfinden ersetzt werden muß, ist 
leider nicht zu leugnen, zumal in Sammlungen, bei denen das Fehlen genauerer 
Inventare die Prüfung der Provenienz der einzelnen Blätter unmöglich macht. 

Der weitaus größte Bestandteil der älteren Münchener Zeichnungen entstammt, 
wie aus einer jüngst erschienenen Geschichte!) der Sammlung des näheren zu ersehen 


1) H. Pallmann. Die Kgl. Graphische Sammlung zu München 1758—1908. München. Bruckmann. 
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2 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 2. FRA BARTOLOMMEO 


Abb. 1. FRA BARTOLOMMEO. Studie zu einem männ- CRE 
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lichen Heiligen 279><204 mm O Uffizien, Florenz 


ist, dem ehemaligen Mannheimer Kabinett. Die meisten Blatter, über deren Er- 
werbungszeit und Ort keinerlei Angaben erhalten sind, gehòren Meistern des XVII. 
und XVIII. Jahrhunderts an, deren systematische Bearbeitung noch immer aus Mangel 
an brauchbarem Abbildungsmaterial kaum durchzuführen ist. Immerhin nennt die 


graphische Sammlung auch aus den kunstgeschichtlich bevorzugten Epochen eine an- 
sehnliche Zahl von bedeutenden Blättern ihr Eigen. 


Seit der letzten umfassenden Publikation Münchener Zeichnungen durch Wilhelm 
Schmidt, deren letzte (9.) Lieferung im Jahre 1900 erschienen ist, hat die Forschung 
mancherlei Resultate zu verzeichnen, die im folgenden in kurzer Zusammenfassung 
dem Urteil der Fachgenossefi unterbreitet werden sollen, zunächst nur in dem be- 
schränkten Umfange der erwähnten Ausstellung. Nach genauer Prüfung werden sich 
folgende Zuschreibungen der Schmidtschen Publikation kaum aufrecht erhalten lassen: 


Andrea del Sarto, Bl. 137, „Jüngling ein Schwert ziehend“, Bl. 138: „Frau 
mit Garnspule“. Beide Blätter sind für den Meister selbst zu unbedeutend und 
manieriert und können nur einem schwachen Nachahmer zugeteilt werden. 


Weigmann. Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphisch. Smig. in München 3 


Michelangelo. BI. 90a, Christus, das Kreuz haltend. Die Zeichnung ist zu 
gering, — vergl. die völlig unorganische Bildung der linken Schulter — um als Studie 
zu dem Christus in Se Maria sopra Minerva gelten zu können; auch ist das Be- 
wegungsmotiv — Schrittstellung anstatt des festen Stehens — gänzlich verschieden. In 
der Armstudie Bl. 176b (oben) will Schmidt eine Studie zu dem linken Arm Gott- 
vaters in „Erschaffung Adams“ (Sixt. Capelle) erkennen. Diese Beobachtung läßt sich 
aus Qualitätsgründen ebensowenig rechtfertigen, wie etwa ein Versuch, die schulmäßige 
Handstudie (Bl. 176a) mit dem 
David, oder den Torso (Bl. 90 b 
links) mit der plastischen 
Gruppe „Der Sieg“ im Museo 
nazionale in Florenz in Ver- 
bindung zu bringen. Noch 
weniger kann das schwache 
Blatt „Berglandschaft“ (Bl. 54) 
Anspruch erheben, als Ori- 
ginal zu gelten. 

Die auf BI. 174 wieder- 
gegebene Zeichnung nach der 
antiken Gruppe der 3 Grazien 
in Siena ist willkürlich auf 
den Namen Antonio Polla- 
juolos getauft. Die Strich- 
führung ist für ein Original 

dieses temperamentvollen, 
hastig arbeitenden Meisters ÿ co res À 
zu lahm und unsicher; audi pn), 3 FRA BARTOLOMMEO. Skizze zu „Verlobung der 
weist dieRückseite desBlattes, hl. Katharina“ en 
die von derselben Hand 

gezeichnet eine Episode vom Trajansbogen wiedergibt, in ihrer freieren Auffassung auf 
eine viel spätere Zeit hin, etwa auf den Kreis des Caravaggio, in dessen Schule Auf- 
nahmen nach antiken Denkmälern sehr in Übung waren. 

Audi der angeblihe „Masaccio“ (Bl. 133a), „Vier Männer im Gespräch“, 
kann als Rôtelzeichnung keinesfalls dem frühen Quattrocento angehören. Das Blatt 
scheint sich vielmehr der eleganteren Formensprache des del Sartoschen Kreises zu 
nähern. Die altertümlichen Kostüme legen allerdings in Verbindung mit der von alter 
Hand geschriebenen Benennung die Vermutung nahe, daß wir eine Kopie nach einer 
wahrscheinlich verlorenen Komposition Masaccios vor uns haben. 

Desgleichen ist das wirkungsvolle Blatt (Bl. 76) von Guglielmo della Porta 
„Studie für das Denkmal des Papstes Paul III.“ in der Peterskirche in seiner ganzen 
zeidhnerischen Anlage — es sind nur Teile des Monumentes mit Skizzierung der an- 
grenzenden Architekturstücke gegeben — nur als eine Studie von fremder Hand nach 
dem berühmten Werke anzusehen. 


+ « 


4 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Die als „alte italienische Schule“ (Bl. 155a) publizierte „Steinigung des 
Stephanus“ stellt sich als eine überzeichnete Kopie des späten XV. Jahrhunderts nach 
Fra Angelicos Fresko in der Nikolauskapelle des Vatikan dar. 

Bl. 113, „6 Apostel“ von Schmidt Perugino selbst zugeschrieben, ist wohl 
nur eine schwächere Schulkopie eines der Predellenbilder der Madonna in Sta Maria 
Nuova in Fano; sie wiederholt die rechte Hälite der „Gürtelspende“, deren ganze 

sisi — Komposition auch noch in einer 
ass, mn um Federzeichnung der Albertina in 
ens | > Wien (vergl. Knapp, Perugino, S. 51) 
vorliegt. Die in BI. 14 als ,un- 
bekannter Italiener“ wiederge- 
gebene ,Szene vor einem Richter“ 
| wird neuerdings mit größerer Ent- 
schiedenheit von einigen Fachge- 
nossen als Frühwerk Peruginos 
bezeichnet; wenn Schmidt eine freie 
Anlehnung an Pollajuolo in ihr er- 
kennen wollte, so sei zur Bestärkung 
dieser Ansicht auf eine ganz ähn- 
liche Komposition dieses Meisters 
im British Museum (s. Berenson, 
The Drawings of Florentine Pain- 
ters Pl. XVIII) hingewiesen. 

Bl. 134, „Matyrium eines Hei- 
ligen“, angeblih von der Hand 
Benozzo Gozzolis, hat Schmidt 

| selbst noch als Kopie nach einem 
| Werke des Friauler Künstlerkreises, 
| vermutlich des Giovanni Antonio 
da Pordenone, bezeichnet. 
| BI. 13, Andrea Mantegnas 
k 1 „Tanzende Muse“ wurde, ebenso 
= M wie das ängstliche Blatt „Der auf- 
erstandene Christus zwischen Andreas 
und Longinus“ (Inv.-Nr. 3060 von 
Kristeller (A. Mantegna 1902, S. 464) 
leider mit Recht aus der Reihe der eigenhändigen Arbeiten gestrihen. Die Argu- 
mente, die zugunsten der Originalität des erstgenannten Blattes vorgebracht werden, 
wie: Verschiedenheit des Gesichtsausdruckes, Ausführung auf tekturartig zusammen- 
gestücktem Papier, werden entkräftet durch die Beobachtung, daß die Zeichnung, die 
eine ganz einheitliche Linienführung zeigt, die Mittelfigur des Parnaßbildes im Louvre 
in so peinlich genauer Kopie wiedergibt, daß selbst die nur im Original verständliche 
Überschneidung der rechten Hand getreulich übernommen ist. Die Härte der Aus- 


Abb. 4. FRA BARTOLOMMEO. Studie zur hl. Katharina 
O 269-177 mm 


Weigmann. Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphisch. Smlg. in Miinchen 5 


Abb. 5. FRA BARTOLOMMEO. Studie zu einem lautenspielenden Knaben 
Riickseite von Abb. 4 D 177x269 mm 


fiihrung, die eine technisch sehr geschickte Hand verrat, läßt auf die Arbeit eines 
Stecherkopisten schließen. 

Nicht aufrecht zu erhalten ist ferner die Zuteilung der „Berglandschaft“ (Bl. 54) 
an Tizian. Nach Morelli (Die Galerien zu München usw. Leipzig 1891, S. 151) 
liegt hier eine typische Zeichnung von Domenico Campagnola vor. 

Der Zusammenhang der Kreidezeichnung „Männliches Porträt, Kniestück“ (Inv.- 
Nr. 2948) mit dem Tizianschen Gemälde (Nr. 172)') in der Dresdener Galerie, auf 
welchen handschriftlichen Notizen zufolge G. Pauli zuerst hingewiesen hat, ist wohl 
in dem Sinne zu interpretieren, daß eine späte, ziemlich ungeschickte Hand das Bild 
unter Vornahme einiger Abänderungen (Weglassung der Palme) kopiert hat. Die auch 
im Bilde auffallend großen Hände des Dargestellten sind in der Zeichnung noch stark 
vergröbert, die technische Ausführung (vergl. die unverstandene Bildung des linken 
Auges, die verstümmelte rechte Hand) ist eine so geringe, daß man den Namen des 
großen Meisters kaum auszusprechen wagt. Auf noch niedrigerer Stufe steht das 
weibliche Pendant zu dieser Zeichnung. 

Aus dem reichen Bestande von Blättern Fra Bartommeos müssen als zweifel- 
haft ausgeschaltet werden: Bl. 36, Profilkopf einer Nonne. Durch ungeschickte Über- 
zeichnung — Verdoppelung der Konturen, schlechte Modellierung der Wangen- und 
Nasenpartien, verküinmerte Mundbildung — ist das ehedem vielleicht eigenhändige 
Blatt derartig in seiner Wirkung zerstört, daß man höchstens noch die nur angedeuteten 
Gewandteile für original ansehen kann. Gleichfalls seiner Schule muß der weibliche 
en RER mit leichter Wendung des Körpers nach rechts (Berenson a. a. O. 454. 


1) Veral, Klassiker der Kunst, Bd. III, S. 142. 


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6 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Inv.-Nr. 34576) zugewiesen werden, der einen dem Meister gänzlich fremden Typus 
und verdrieBlichen Gesichtsausdruck zeigt. Die „Kreuznahme“ (Inv.-Nr. 2164, Berenson 
458) will sich in ihrer steifen Linienführung und harten Modellierung keiner der Stil- 
epochen Fra Bartolommeos einreihen lassen; manche Züge gemahnen an die Art 
Albertinellis. Auch die heilige Familie, Inv.-Nr. 3144, mit Anklängen an das Motiv 
der Madonna del Sacco, mutet in seinem Werke fremdartig an; man ist geneigt, eher 
an einen schwachen Gefolgsmann Andrea 
del Sartos zu denken. 

Neben diesen negativen Resultaten sind 
erfreulicherweise auch einige positive, kaum 
zu bezweifelnde Ergebnisse zu verzeichnen. 
Erst in jüngster Zeit hat Dr. Frizzoni in einem, 
früher Fra Bartolommeo zugeschriebenen, von 
dem Unterzeichneten der Schule von Parma 
zugeteilten Blatte „Musizierende Engel“ (Inv.- 
Nr. 2660) einen Entwurf Gaudenzio Fer- 
raris zu dem Engelkonzert in der Kuppel 
der Madonnenkirche zu Saronno (1534) er- 
kannt (vergl. Rassegna d’Arte 1908. Nr. 11). 

Das vielumstrittene Blatt: „Diana ver- 
treibt Satyrfamilien in den Wald“ (Schmidt, 
Nr. 177), das früher Maturino genannt, von 
Morelli (a. a. O., S. 153) dem Giovanni 
Antonio Bazzi, von Robert Cust (G. A. Bazzi, 
London 1906, S. 393) vermutungsweise dem 
Girolamo Genga zugeschrieben worden war, 
wurde neuerdings mit überzeugenden Gründen 
als Werk eines erst wieder entdeckten man- 
tuanischen Meisters Lorenzo Leombruno 
(1489 bis nach 1537) bezeichnet (vgl. Carlo 
Gamba. L. Leombruno. Rassegna d'Arte 
1906, S. 65—70, 91—96). Der Gegenstand 
Abb. 6. FRA BARTOLOMMEO. Studie zu der Darstellung wird wohl als Allegorie aus- 

einem hl. Petrus 373x216 mm zulegen sein, etwa in dem Sinne: „Die 
Keuschheit siegt über die Laster“. 

Zu dem Bilde „Der hl. Franziskus“ von Francesco Bassano d. J. im kunsthisto- 
rischen Hofmuseum in Wien (Nr. 288): besitzt die Sammlung in einer malerisch breiten 
Tuschzeichnung (Inv.-Nr. 2972) einen freien, signierten Entwurf (vergl. Zottmann, Zur 
Kunst der Bassani, 1908, S. 52, Taf. X). Die beiden leider stark retouchierten, leicht 
getönten Kreidezeichnungen von der Hand des Jacopo Bassano „Moses am Felsen- 
quell“ (Inv.-Nr. 2964) und „Heimkehr Jakobs“ (Inv.-Nr. 2965) sind nach Zottmann 
(a. a. O., S. 43, Taf. XI u. XIII) Entwürfe für die gleichstofflihen Bilder in der 
Dresdener Galerie (Nr. 256) und im Dogenpalast. 


Weigmann. Altitalienische Zeichnungen in der Kgl. Graphisch. Smig. in Miinchen 


Die im vorigen Jahre von der 
graphischen Sammlung geschenkweise 
erworbene große Zeichnung (Inv.-Nr. 198, 
1907) „Vermählung der hl. Katharina“, 
wurde von dem Verfasser als Karton 
zu dem bis vor kurzem in Volterra 
(Palazzo Ricciarelli) befindlichen Gemälde 
Sodomaserkannt. Eine genauere Unter- 
suchung mit Nebeneinanderstellung bei- 
der Werke wird erst nach Beschaffung 


Abb. 8. ANDREA DEL SARTO. Aus- 
schnitt aus „Madonna in Glorie 
mit 4 Heiligen“. Pitti, Florenz. 
Nach einer Aufnahme von 
Anderson in Rom O 


Abb. 7. ANDREA DEL SARTO. Studie zu einem 
hl. Bernhard 320><154 mm 


einer brauchbaren Photographie des Gemäldes erfolgen 
können. 

Bei den Originalen Fra Bartolommeos konnten 
nach eingehendem Studium folgende Zusammenhänge 
mit bekannten Gemälden des Meisters festgestellt werden: 
daß die hier abgebildete Figur eines stehenden Heiligen 
(Abb. 1, Inv. Nr. 2177) nicht, wie Knapp will, zur 
„Erscheinung Mariae vor St. Bernhard“ (1506) gehört, 
sondern eine Studie zu der großen Komposition: „Anna 
selbdritt“ in den Uffizien ist, lehrt ein Vergleich mit dem 
Bildausschnitt (Abb. 2). Die kleinen Abweichungen in 
der dortigen Auffassung (vergl. die veränderte Haltung 
der rechten Hand) beweisen nur um so mehr, daß wir 
es bei diesem bedeutenden Blatte mit einer Original- 
studie, nicht mit einer Kopie nach dem Bilde zu tun 
haben. 

Die Skizze zu einer größeren Komposition „Maria 


8 | Monatshefte für Kunstwissenschaft 


sitzend, rechts drei weibliche, links drei männliche Heilige“ (Knapp), Inv. Nr. 2163, 
Abb. 3, ist wohl ein erster Entwurf zur „Verlobung der h. Katharina“ im Palazzo 
Pitti. Eine Aktstudie auf der Rückseite dieses Blattes kann gleichfalls als eine erste 
unverwendete Studie zu diesem Bilde -- das Schreitmotiv kehrt dort in der Figur 
des h. Georg wieder — angesehen und als Gegenstück zu der in der Albertina befind- 
lichen Aktstudie zum h. Bartolomäus des gleichen Bildes aufgefaßt werden. Ferner 
gehören zweifellos zu derselben Komposition der hier abgebildete Profilkopf einer 
Nonne (h. Katharina) sowie die auf der Rückseite befindlihen Studien zu einem die 
Laute spielenden Engel (Abb. 4 u. 5). 

Die bei Knapp (Fra Bartolommeo della Porta, Halle 1903) nicht erwähnte vor- 
zügliche Studie zu einem h. Petrus (Inv. Nr. 2170, Abb. 6) entspricht in der Gesamt- 
haltung und gebieterishen Handbewegung am meisten der linken Figur auf der „Ver- 
lobung der h. Katharina“ im Louvre. Doch kehren ähnliche Motive bei Fra Barto- 
lommeo zu oft wieder (vergl. das Verlobungsbild im Pitti, Salvator mundi ebenda), als 
daß man hier eine bestimmte Beziehung annehmen könnte. Die von Morelli (Die 
Werke italienischer Meister in den Galerien von München usw., Leipzig 1880, S. 116, 
Nr. 12)') als Fälschung erklärte Studie (Inv. Nr. 2162, „Kniende Magdalena“) wurde im 
Hinblick auf ihre nicht geringe Qualität wieder in ihre Rechte eingesetzt und mit dem 
Bilde „Madonna mit 6 Heiligen“ in San Marco“ resp. zu den hh. Katharina und 
Magdalena im Museum in Lucca in wahrscheinliche Beziehung gebracht. Ebenfalls nur 
in losem Zusammenhang mit gemalten Werken stehen die bei Schmidt, Tafel 35, 
publizierten Puttenstudien. Knapps Bemerkung (a. a. O., S. 299), daß die Zeichnung 
(Inv. Nr. 2174) „zwei Engel zu Salvator mundi“ darstelle, muß dahin korrigiert werden, 
daß nur der obere Knabe auf Inv. Nr. 2169 eine ähnliche Stellung wie der enblem- 
haltende Putto auf dem Salvator mundi-Bild einnimmt; eher könnte man bei Bl. 2174 
(Putti mit einer Rückenfigur) an eine erste Studie für die „Mater misericordiae“ im 
Museum in Lucca denken. 

Aus den noch unbestimmten Blättern wurde dem Werke des Andrea del Sarto 
eingereiht die hier abgebildete Rédtelzeicinung (Abb. 7), eine Studie zu „Madonna in 
Glorie mit 4 Heiligen“ im Palazzo Pitti. Die Unmittelbarkeit der Niederschrift, die Klar- 
heit in der Faltengebung, deren Struktur in der Zeichnung deutlicher zutage tritt als 
im Bilde (vergl. den Ausschnitt, Abb. 8), lassen in dem Blatte ein unzweifelhaft eigen- 
händiges, vorzügliches Werk des Meisters erkennen. Es stellt sich der erst vor kurzem 
publizierten Studie zum Tanz der Salome im Scalzo (Dessins du Musée du Louvre 
IV. Serie, Alinari, Tafel 176) als zeichnerisches Gegenstück zur Seite. 

Ein aus den Mappen der „Unbekannten Meister“ hervorgeholtes Blatt: ein 
sitzender Magister in nachdenklicher Haltung (vergl. Abb. 9), wurde der toskanischen 
Schule des XV. Jahrhunderts einverleibt und zu den früher Maso Finiguera zu- 
geschriebenen Zeichnungen in den Uffizien (vergl. Sidney Colvin, A Florentine picture 
Chronicle, London 1898, Fig. 22—25, 40, 49, 50, 64 und 67) in Beziehung gesetzt, 


1) Viele der dort gegebenen Anregungen sind nidıt mehr nachzuprüfen, da jede nähere 
Beschreibung fehlt und die Identifizierung infolge der Auseinandernahme der Klebebände nicht 
mehr möglich ist. 


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10 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


wobei die Frage, ob die inzwischen erfolgte Zuteilung jener Zeicinungen an die Schule 
Antonio Pollajuolos nicht mehr Berechtigung hat, vorläufig offen gelassen wurde. 

Ob das hier abgebildete Blatt von Correggio (Abb. 10), dessen Zusammen- 
hang mit dem Zwickelfresko „Die hh. Matthäus und Hieronymus“ in San Giovanni 
zu Parma (vergl. Thode, Correggio, Abb. 39) in die Augen fällt, als eigenhändiges 
Werk anzusehen ist, mag vorerst unentschieden bleiben. Wenn auch der jugendliche 
Matthäus stark an den Christustypus der Krönung Mariae (Bibliothek in Parma) erinnert, 
so sind in der Linienführung doch Unebenheiten und Flüchtigkeiten (vergl. die unruhig 
gebrochene UmriBlinie des linken Armes des Evangelisten, die unverstandene starke 
Drehung des Oberkörpers) zu bemerken, die bei einem Meister wie Correggio be- 
fremden müssen. 

Daß in dem wirkungsvollen getuschten Blatte von Federigo Barocci (Inv. 
Nr. 2575): Johannes, zum Kreuz emporblickend, eine Studie zu einer gemalten Kreuzigungs- 
gruppe vorliegt, deren Komposition in einem Stiche von Gisbert van Veen erhalten ist, 
daß die beiden anmutigen Engelgruppen (Inv. Nr. 2799 und 2807) mit den Fresken 
Lodovico Caraccis in der Kathedrale von Piacenza nahe verwandt sind, mag hier 
nur nebenbei Erwähnung finden. 

Die vielen noch ungelösten Fragen hier näher zu erörtern, ist nicht der Zweck 
dieser Zeilen, die lediglich die neueren Forschungsresultate registrieren wollen. Es sei 
nur noch darauf hingewiesen, daß eine weitere Klärung von einem in Aussicht gestellten 
Aufsatz des erfahrenen Kenners Ad. v. Beckerath in Berlin zu erwarten ist. 


— hem — —- 


Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine 


Madonnen 
Von Wilhelm Vöge 


Das Kaiser-Friedrih-Museum (Berlin) bewahrt eine überlebensgroße Madonna 
aus Lindenholz'), die angeblich aus Kaisheim ist und in Augsburg erworben wurde. 
Sie hing früher in der Höhe zwischen 
den Fenstern; im Neubau verhüllt sie 
der Dämmer zwischen den Türen; so 
wurde sie wenig beachtet, obschon 
zwei edle Namen an ihr haften. Gregor 
Erhardt, der Augsburger, soll sie ge- 
schnitzt, der ältere Holbein sie bemalt 
haben. Allerdings, das sind wahr- 
scheinlih Fechtnamen, ihr in den 
Kunsthandel mitgegeben. 

Sie gehörte offenbar, als Mittel- 
stük, zu einem großartigen Altar, 
zum Hochaltar einer Karmeliterkirche. 
Sedis Mönche in weißen Kutten, zum 
Teil mit schwarzen Kapuzen, bergen 
sich knieend unter ihrem Mantel. Doch 
während die zarte Madonna von Ra- 
vensburg °), mit rührendem Augenauf- 
schlag, mit einem Blick, der alles be- 
greift und alles entschuldigt, den 
Mantel über ihre Schutzbefohlenen 
breitet, ist die Augsburger Madonna 
in Gedanken ganz bei ihrem Kinde, 
das sie auf den Händen trägt; sie 
sinnt in die Gemeinde, über die Mönche 
hinweg. Und auch das Kind blickt, 
mit ausruhendem Blick, auf die An- 


Abb. 1. Detail: Schutzmantel-Madonna D 
dachtigen: wie als erspähte es rechts O Berlin, Kaiser Friedrich- Museum 


1) Höhe 2,16m; aus einem Stamm; im Antlitz der Madonna wie am Leibe des Kindes 
sind einzelne Holzstreifen, zur Ausfüllung von Rissen, eingesetzt; sie sind mit Stoff überlegt; der 
Leinenüberzug scheint hier, wie meiner Beobachtung nach, sehr häufig, nur an solchen Stellen 
verwendet zu sein, wo das Holz Schäden zeigte. 

2) Im Kaiser-Friedrih-Museum; die Vermutung, daB dieses von J. Veth gepriesene Werk 
eine Arbeit Friedridi Schramms von Ravensburg sei, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, 
vgl. K. A. Busl in Kepplers Archiv f. christl. Kunst, VII, Stuttgart 1889, S. 62. 


12 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 2. Squtzmantel-Madonna op 


Berlin, Kaiser Friedrich- Museum 


in der Ferne einen Schwarm eben Hinzu- 
tretender, spreizt es die drallen Finger, den 


Segen zu geben (vgl. Abb. 1, 2 und 7). 


Also hier ist ein Doppeltes, die Gottes- 
mutter auf der Mondsichel und das Schutz- 
mantelmotiv; etwas Zwiespältiges; die zwer- 
gigen Gestalten unten lenken ab, beschweren 
das großzügige Altarbild mit ihren Winzig- 
keiten. Andererseits wurde eben durch sie 
die Schlichtheit in das Faltenwerk, die Ruhe 
in die Silhouette gebracht. Denn, indem der 
Mantel zu den Seiten gerade niederfiel, er- 
hielt in der Mitte das Kleid mit seinen ein- 
fachen Langfalten das Wort. Selbst die Mond- 
sichel, unten zwischen den Gruppen, mußte, 
auf der Spitze schwebend, der Senkrechten 
sich anbequemen. Kam so in die unteren 
Teile von selbst eine gewisse Geradlinigkeit, 
so war es die feinfühlige Hand des Meisters, 
die sie auch in den oberen —- trotz einer ge- 
wissen schönen Bewegtheit des Motives — 
klingen ließ, im wagrecht Hingegossenen des 
Knabenkörpers, im Lauf des langen Schleier- 
tuchs. 

Obwohl die Berliner Statue aus Augsburg 
kommt, ist nicht bemerkt worden, daß in 
Augsburg selbst, im Maximiliansmuseum, ein 
Madonnenbild von gleihem Wuchs und aus- 
gesprochener Ähnlichkeit bewahrt wird (Abb. 4 
und 5).') Die letztere fiele noch mehr ins 
Auge, hätte die Augsburger Madonna nicht 
gelitten”), und u. a. ihr Kopftuch eingebüßt. 
Es zog sich, wie bei der Berliner Figur, von 
der linken Schulter zur rechten, wie eine Wolke 
am Kopfe hängend. 

Zudem: die Augsburger Statue ist störend 


1) Aus dem St. Ulrichskloster; ich bin der 
Museumsverwaltung zu Dank verpflichtet für die 
Erlaubnis zu den Aufnahmen. 

?) An der rechten Mantelseite ist der lang 
herabfallende Saum in der ganzen Breite der Bor- 
düre, von etwas oberhalb der Hand bis unten, wo 
er sich umbiegt, abgeschnitten. 


W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 13 


übermalt.') Statt mit leichter Hand der Form zu folgen, ließ der Restaurator die Brauen 
geradlinig und hart über der Nasenwurzel absetzen. Was übler ist, er füllte den oberen 
Saum des Mundes nicht, so daß der dachartig abfallende Zug der Oberlippe nicht 
herauskommt, obschon er, unter der dicken Tünche sogar, sich abzeichnet! 

Die beiden Madonnengesichter sind breitstirnig, eigen flach, kantig und haben 
doch einen Anflug von Lieblichkeit; eine leichte Schiefheit haben beide. Es ist wie 
ein Ausgleiten der Form, mit dem Neigen des Hauptes zusammenhängend: die kleinen, 
ungemein säuberlich erbohrten Nasen- 
löcher stehen schräg, bei der Ber- 
linerin auch der Mund ein wenig. 
Von dem üppigen Haar hat sich 
ein dünne Locke abgezweigt; sie 
schmiegt sich an die Schläfen, um 
hinter den Ohren herabzugleiten 
(Abb. 1, so auch in Augsburg); diese, 
halb von den Haaren verdeckt, 
machen sich doch durch ihr Ab- 
stehen bemerkbar. °) 

Die vollen, weichen Hände, mit 
fleischigen, vorn spitz zulaufenden 
Fingern, sind nicht sehr durchgebil- 
det, doch voll Verständnis für or- 
ganische Formen, für die Weichheit 
des Lebens. 

Sollte der Meister dieser beiden 
Madonnen nicht ein Augsburger 
Kind gewesen sein? Man muß vor- 
sichtig bei solchen Schlüssen sein. 
Sein Hauptwerk hat uns der Meister 
nicht in Augsburg, sondern in un- 
mittelbarer Nähe von Ulm hinter- 
lassen: den Hochaltar von Blau- 
beuren.*) Dieser ist immer als eine 
der großartigsten Schöpfungen der 
Ulmer Schule angesehen worden. Und davon braucht man —- um jener Madonnen 
willen — nicht abzugehen. Denn Ulm ist der älteste, einflußreichste Sitz der shwäbischen 


Abb. 3. Detail aus der Anbetung der Könige 
O Blaubeurer Hochaltar 


!) Unter dem Anstrich des Mantels liegt noch die alte Vergoldung. Die dicke Farbschicht 
der Tünche ist an manchen Stellen, z.B. am rechten Arm des Kindes, geborsten und abgeblattert. 
Die Figur scheint nicht wie die Berliner aus einem einzigen Stück zu sein, wahrscheinlich ist an 
der linken Seite ein schmales Stück angesetzt. 

*) Auch hier ist eine gewisse Schiefheit bei der Augsburgerin, das recite Ohr steht etwas 
mehr ab als das linke. 

3) Karl Baur, Der Hochaltar und das Gestühl im Chor der Klosterkirche zu Blaubeuren, 
m. einl. Text von M. Bach. Blaubeuren o. D. 


14 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Altarplastik großen Stiles gewesen.’) Seine Bildschnitzer haben schon früh auch nach 

Augsburg geliefert.) Ja, wir wissen, daß eben zu der Zeit, in der jene beiden 
Kolossalmadonnen entstanden, in den Jahren, 
als der Blaubeurer Altar errichtet wurde, 
zwei Ulmer Bildhauer nach Augsburg ver- 
zogen: 1491 Adolf Dawher, etwas später, 
1494, sein Schwager, jener selbe Gregor 
Erhardt, dessen Name an der Berliner 

° Statue hängt. | 

Einen Augenblick lockt es uns wohl, 
alles mit einander, alles mit Erhardt zu 
verknüpfen, in ihm den Meister jener beiden 
Madonnen, wie des Blaubeurer Altares zu 
vermuten. Doch paßt nicht dazu, was man 
sonst von Erhardt weiß oder ahnen kann. 
Herberger und nach ihm Mader haben in 
dem Mörlingrabmal?) mit einiger Wahr- 
scheinlichkeit ein Erhardtsches Hauptwerk 
vermutet.) Das Mörlingrabmal aber geht 
mit jenen Madonnen und dem Blaubeurer 
Altare nicht zusammen. 

Sicher scheint mir nur, daß der Meister 
des Hochaltares jene beiden groBen Statuen 
schuf, Mittelstücke ähnlich großartiger Ma- 
rienschreine wahrscheinlich alle beide! So 
wird uns in diesen Werken der Zusammen- 
hang der beiden großen Zentren — von 
Ulm und von Augsburg — lebendig.°) 

Vielleicht überzeugt am raschesten ein 
Vergleih der Madonnenköpfe auf den 
Flügeln des Altars (Abb. 3 vom rechten). 
Es ist das Gesicht, das wir schon kennen; 
mit flachliegenden Augen, wie geplättet, in 
einem kleinen Faltenringe hängend (wie in 


= = 1) M. Schuette, Der schwäbische Schnitz- 
Abb. 4. Madonna = altar, Straßburg 1907. S. 110. 

Augsburg, Maximiliansmuseum °) M. Schuette a. a. O., S. 117, Anm. 2. 

3) Ebenfalls im Augsbrg. Maximiliansmuseum. 

4) Vgl. Felix Mader, Studien über den Meister des Mörlindenkmals (Gregor Erhardt?), 
Die christliche Kunst, HI. Jahrg. München 1906, S. 18ff. Mader schreibt zwar dem Meister des 
Mörlingrabmals ganz heterogene Dinge zu. 

») Meines Wissens wurde bisher nur der Altar in S. Maria zu Wippingen v. J. 1505 mit 
dem Blaubeurer Hochaltar als stilverwandt zusammengebracht (von M. Schuette, a. a. O. S. 156), 
von der Sürlinfrage abgesehen. 


W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 15 


Berlin selbst die des Kindes); ein plattes Griibchen, gerade groß genug, daß eines Kindes 
kleiner Finger darauf ruhen kann, bezeichnet das Kinn; Grübchen die volle, weiche 
Hand der Frau. Mit des Messers Schärfe ist der innere Rand der Ohrmuschel heraus- 
gehoben; wozu etwa die Seitenansicht des Berliner Kindes (Abb. 7) zu vergleichen 
wäre, das von vorn gesehen, im Ausdruck, dem leidıt Verträumten, dem kindlichen 
Zug um den aufgesperrten Mund, 
an den zierliheren Knaben auf der 
Anbetung der Könige so auffallend 
erinnert. 

Die Flügelreliefs des Altars, diese 
Anbetung, gegenüber auf dem linken 
Flügel die Anbetung des Kindes — 
mit possierlicien singenden Engeln — 
sind sichtlih von dem Meister'), der 
die großen, goldstrahlenden Statuen 
des Schreines schuf), herausleuchtend 
aus ihrer Mitte in Gold und mildem 
Weiß’), die Madonna von Blaubeuren; 
überflattert von der reizendsten Engel- 
gruppe — ein rauschendes Bild (Abb. 6 
und 11). 

Die Engel und einige der Heiligen 
rihten den Blick nach unten, mit 
jenem sinnenden Zug, der diesem | 
Meister eigen ist, übrigens Abschat- 
tungen hat, mehr Feuer (bei dem 
Täufer) oder mehr Phlegma (bei dem 
Evangelisten). Die Madonna aber legt 
das Haupt zurück, so daß der Blick 
ins Weite geht, mit leicht auseinander- 
strahlenden Augensternen. Und so 
das Kind; es denkt an Segnen nicht, 
hält, leicht träumerisch, wie die Mutter, 
die Frucht in der Hand. Die Erfindung ist hier minder altargerecht, als bei der 
Berliner Statue; ein freierer Zug ist in der Blaubeurer Gruppe, ein schwungvollerer; sie 
nimmt uns empor, irdisch und hoheitsvoll in einem. 

In leicht gerundeten langen Linienzügen streben die Falten des Mantels den 


Abb. 5. Madonna. Detail O 


Augsburg, Maximiliansmuseum 


1) Gehilfenhände zugestanden. 

2) Links der Madonna stehen Johannes d. T. u. der hl. Benedikt, rechts Johannes d. E. 
u. Scholastica. 

3) Die zutage liegende weiße Grundierung der Vergoldung; bei der von Hofrat Baur 
geleiteten, kürzlich beendigten Reinigung der Altar Skulpturen ist verständiger Weise von einer 
Neuvergoldung Abstand genommen worden. 


16 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Körper hinauf, um ungehemmt durch wagrechte Schichtungen, in jenen des Schleiers, 
den Langfalten des fliegenden Engelkleides, fortzuschwingen, während unten die Kurve 
der Sichel die Bewegung aufnimmt, sie teilend, 
weiterleitet. 

Es scheint, daß jede Madonna des Meisters 
ihren eigenen Klang hatte, so sehr er sich selbst 
in jeder verriet. Auch die Blaubeurin hat das 
Sinnende; die Lider sind aufgeschlagen und 
drücken dennoch auf die Augensterne. Wer 
weiter vergleicht, wird die Figur in einigem der 
Berliner, in anderem der Augsburger Statue be- 
sonders nahe finden, während manches allen 
Dreien gemeinsam ist, z. B. das offene Mündchen 
des Kindes, das die Zähne sehen läßt, die feinen 
Rillen am Halse der Madonna.') Im übrigen ist 
das Blaubeurer Kind dem in Berlin am engsten 
verwandt, im Kopf, dem kräftigen Gelock, dem 
kräftigen Körper, an dessen Leib, in Nabelhöhe, 
eine, in Augsburg nicht vorhandene, Abplattung 
auffällt, der Beule eines Kessels gleich. *) 


Das Antlitz der Blaubeurer Madonna anderer- 
seits steht dem der Augsburgerin am nächsten; 
nur diese zwei haben die eigen aufgestülpte 
Oberlippe, so daß zwischen Nase und Mund 
eine dreieckige Grube sich bildet. Und selbst- 
verständlich bietet die in ihren Mantel gehüllte 
Augsburger Figur die besten Vergleichspunkte 
für die Falten. Die wulstigen, an den Enden 
sich spaltenden, gekehlten Rücken sind charakte- 
ristisch?), am Halse der geschweifte Umschlag 
des Mantels. Der letztere war vergoldet, mit- 
samt seinen breiten Bordüren, wie der in Blau- 
beuren. 

Am Schreine des Hochaltars fehlen die 
kleinen Statuetten, die zwischen den großen 
Figuren an den Pfeilern und der Rückwand 
standen. Doch sind die Hauptfiguren von wunder- 
barer Erhaltung, die Bemalung unberührt, von 


Abb. 6. Madonna O ; 
Biaubourer Hodialiat leichter Politur; erst mit der Lupe gewahrt man 


1) Die Partie am Halse ist bei der Augsburgerin übergangen. 

2) Das edle, in die Mondsichel gebettete weibliche Antlitz ist am Blaubeurer Altar wie in 
Berlin von einem Stirntuch mit feingetollten Säumen vielfah umwunden. 

») Auf dem rechten Oberschenkel. 


W. Voge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 17 


die Altersrisse in den nackten Teilen, der Vergoldung. Man kann, wenn irgendwo, 
an diesem Altar die Gepflogenheiten der spätgotishen Bemaler studieren. Bei den 
großen, mit der Fernwirkung rechnenden Statuen des Schreines blieb dem Pinsel 
manches überlassen; das Geäder auf den Händen z. B., das bei den Apostelbüsten der 
Predella dagegen der Schnitzer selbst gab. Die Nasen sind rot überhaucht, von unten 
her, — zeitblomisch. 

DaB die fliegenden Engel (Abb. 11) von der Hand sind, welche die Statuen 
schuf, ist besonders den beiden unteren vom Gesicht zu lesen. Das gleiche scheint 
von den Haupffiguren des bekrönenden 
Aufsatzes zu gelten, den Statuen Johannis 
und der mater dolorosa. Ihnen zu Füßen 
sind in den Blätterknollen des Geästs 
wie in Blumenkelchen oder Körben die 
Halbfiguren der vier Kirchenvater an- 
gebracht. An diesen fallen größer auf- 
getane, schöner ausgerundete Augen auf, 
die unten an den Büsten der Schild- 
halter, auf den Schmalseiten des Schrei- 
nes, ähnlih wieder begegnen. Zwar 
tut die Statue des hl. Benedikt im Schreine 
dar, daß auch für diese Typen — wie 
für die der Apostel auf der Staffel — 
das Kopfideal des Madonnenmeisters die 
Unterlage bot, daß, wenn schon mehrere 
Hände sich beteiligt haben, von einem 
Scheiden verschiedener Geister, einem 
Herausschälen verschiedenartiger Indivi- 
dualitäten hier nicht wohl gesprochen 
werden kann. 

Am Fußgestell der Madonnenstatue Abb. 7. Schutzmantel-Madonna. Detail 
ist, wie man weiß, das Wappen des O Berlin, Kaiser Friedrichh- Museum 
Stifters, des Abtes Heinrich Ill. Fabri (oder Schmid) angebracht. Er selbst erscheint 
in halber Figur, halb Porträt, halb die Lieblingszüge unseres Meisters tragend, ober- 
halb der Anbetung der Könige; ihm gegenüber sein Schutzherr, Graf Eberhard im 
Bart.!) Fabri saß bis 1495; der Altar fällt in seine letzten Jahre; es scheint, daß er die 
Bildwerke noch fertig sah. Denn bei der Reinigung derselben ist kürzlich auf der 
Rückseite des rechten Flügelreliefs mit der Anbetung der Könige die Jahreszahl 1493 
neben einer flüchtigen Pinselskizze zutage gekommen.) Inzwischen soll ein zweites 
Datum, 1494, auf der Rückseite des Altares entdeckt sein. Zwar, wenn es richtig ist, 
daß an einem Schlußstein des Chorgewölbes, mit Fabris Wappen, die Jahreszahl 1497 


1) Vgl. dazu Klemm, Württemb. Baumeister u. Bildhauer, Stuttgart, 1882. 
2) Gütige Mitteilung des Herrn Hofrat Baur der mich, wie Herr Werkmeister Mögle beim 


Studium des Altares in jeder Hinsicht förderte. 9 


18 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


steht, möchte man annehmen, daß der Hochaltar erst um diese Zeit oder etwas später 
aufgerichtet sei: | 
Immerhin, für die Schnitzereien gibt jenes Signum von 1493 einen festen An- 
halt. Auch arbeitet am Portal der Blaubeurer Klosterkirhe von 1499 bereits ein 
geringerer Nachahmer unseres Meisters, dessen Scholastika für seine mater dolorosa 
zum Vorbild nehmend! 
Also die Skulpturen des Hochaltars sind nicht „um 1500“, sondern gleichzeitig 
mit J. Sürlins d. J. Blaubeurer Gestühl, das, laut der Inschrift, 1493 gearbeitet wurde 
| r (ganz oder zu einem Teil). „In den Krö- 
nungen mit ihren gewundenen Fialen, ihren 
Ästen und Zweigen, in den Blattformen 
der Baldachine und des Maßwerks“ fand 
Weizsäcker „unverkennbar verwandte Ziige“ 
am Gestühl und Altar.!) Er und M. Schuette?) 
schlossen, daB auch der Schrein, mit der 
flimmernden Zone seiner Baldachine, aus 
Sürlins d. J. Werkstatt sei. Ja, er ver- 
mutet es auch für die Statuen, des alten 
Ergezingers These aufnehmend. Doch be- 
tont er, wie unsicher hier das Gelände ist. 
Denn das (Euvre des jüngeren Sürlin ist 
ununtersucht; was seine fast zerstörten 
Büsten?) am Blaubeurer Gestühl an An- 
klängen bieten, ist nicht schlagend; un- 
berührt geblieben ist anscheinend die Sta- 
tuette eines Propheten, die oben an seinem 
Blaubeurer Levitenstuhl von 1496 steht. 
Der Kopf zeigt Ähnlichkeiten mit denen des 
u | Hochaltars, im Munde besonders, und über- 
Abb. 8. TILMANN RIEMENSCHNEIDER zeugt doh nicht. Von den Holzfiguren, 
Madonna von Creglinger Marienaltar die jetzt an der Ulmer Münsterkanzel 
O Phot. DR. STOEDTNER stehen und angeblich von Sürlins d. J. 
Vespertolium stammen, erinnert die eine im Arrangement des Mantels an die Augs- 
burger Madonna.‘) 
Im ganzen hat gerade durch den Nachweis der groBen Madonnen in Augsburg 
und Berlin die Sürlinhypothese an Wahrscheinlichkeit eingebiiBt. Denn nach allem, 
was wir sonst über ihn erfahren, sind Gestühle, Kanzeln und ähnliches seine Sphäre 


1) Repertor. f. Kunstw. XVIII, S. 61. 

*) A. a. O. S. 120. 

3) Vgl. W. Bode, Gesch. d. deutschen Plastik S. 182; die Büsten sind vor der Erneuerung 
im vorigen Jahrhundert abgegossen, einige waren wie abgeraspelt. 

4) Rudolf Pfleiderer, Das Münster zu Ulm, und seine Kunstdenkmale, Stuttgart 1905, 
Taf. 18, 7. 


W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 19 


gewesen. Ist anzunehmen, daß er ein berühmter 
Madonnenmeister war, der nach Augsburger Klöstern 
exportierte? 

Jene Ähnlichkeiten wird man auch aus der 
Gemeinsamkeit der Schule oder des Lehrers begreifen. 
M. Schuette nimmt an, daß Sürlin d. A. der Lehrer 
auch des Blaubeurers war, wie er ja sicher der des 
Sohnes gewesen ist. Zu untersuchen wäre zwar, ob 
hier nicht eher ein anderer Ulmer in Frage kommt, 
der edle Tiefenbronner (von 1469)! 

Die hohe Bedeutung der Blaubeurer Skulpturen SARI u 
für die Forschung liegt, denke ich, in der Fülle von 
Perspektiven, die sie eröffnen, nicht nur nach Augsburg, auch nach Ravensburg, ja 
nach Franken hin, auf den jungen Riemenschneider. Einzelne Köpfe des Altares 
kommen denen der Ravensburger Mantelmadonna (Berlin, K.-Friedrih-Mus.) ganz 
nahe.!) Andere streifen so auffallend an die des jugendlichen Riemenschneider, daß 
ich an persönliche Beziehungen glauben möchte, sei es, daß Riemenschneider bei dem 
Blaubeurer oder etwa mit ihm bei einem Dritten gearbeitet hat. 

Unser Wissen in diesen Dingen ist noch auf einer kindlichen Stufe. Wir lassen 
die großen Meister auftreten wie das Muysterienspiel seine Propheten, unvermittelt. 
Woher die Kunst des alten Sürlin war, woher Stoß, oder Adam Kraft, wir fragen 
kaum danach. | 

Riemenschneider entnahm dgelegentlid die Idee zu seinen Kompositionen 
Schongauerschen Stichen,?) auch sonst mag Schongauer ihm etwas gewesen sein.?) 
Doch scheint mir sein Kopfideal mit dem Schongauerschen nicht viel zu tun zu haben. 
Was wäre verschiedener als Schongauers gereimte Lippen und Riemenschneiders ver- 
sagender Mund. Man sehe dagegen, wie sehr die Creglinger Maria (Abb. 8) und 
die Blaubeurer sich ähneln. Schongauers Köpfe haben solch hochliegende Brauen gar 
nicht, vielmehr gern schlank gezeichnete, niedrig laufende, wie sie fest umgrenzten 
Naturen eignen. 

Übrigens sind zwischen den zahlreichen, aber auf wenige Typen gehenden 
IE Madonnen Riemenschneiders und den paar uns be- 
kannten — aber immer anders erfundenen -— des 


1) Zu vgl. z. B. der des Evangelisten Johannes auf der 
Predella mit dem jugendlichen Lockenkopf links auf der 
Madonnengruppe. 

2) Amüsant ist der Fall des Verkündigungsaltars in Bibra, 
den zwar Tönnies nur als eine Schularbeit gelten lassen 
will: die Madonna (mit der feinfühligen Hand) geht auf 
Schongauers berühmtes Blatt B. 3, der Engel dagegen auf 
den großen Verkündigungsengel B. 1 Zug um Zug zurück. 


7 A ~ 


Abb. 10. Tilmann Riemenschneider 3) Vgl. dazu Tönnies, Leben und Werke des Würz- 
M von Minnerstadter burger Bildschnitzers Tilmann Riemenschneider, Straßburg, 


D x 
O Phot. DR. STOEDTNER Heitz, 1900, S. 47. 


20 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


a —_ e 


Abb. 11. Engelgruppe Blaubeurer Hochaltar 


Blaubeurers auch Ähnlichkeiten der Anordnung. Riemenschneider läßt das Kind auf 
der linken Hand der Mutter gern mehr aufrecht und mehr im Profil sitzen — etwa, 
wie die Augsburger Statue des Blaubeurers es zeigt, -— auf ihrer Rechten dagegen 
mehr nach dem Beschauer zu und mehr nach hinten über, wie bei der Madonna des 
Blaubeurer Altars; ja er gibt das Kind auch ganz ähnlich lebendig, querüber auf beiden 
Händen, wie bei der Berliner Statue des Blaubeurers und verwendet den herab- 
gleitenden Kopfschleier ähnlich als Unterlage für den Kinderkörper (Madonna des 
Würzburger Doms). 

Und dazu kommt die Verwandtschaft gewisser männlicher Typen, etwa des 
Johanneskopfs von Tilmanns Münnerstadter Altar (Abb. 10) — oder des Nicolaus in 
Ochsenfurt — und etwa des Benedikt vom Blaubeurer (Abb. 9). 

Dieses Einbetten, dieses Überdachen des Auges — durch eine Schrägfalte, resp. 
den schräg herabsteigenden Knochen —, dieses Fallen des Lippensaumes usw. ist zu 
ähnlich, um nicht verwandt zu sein. 

Nach Tönnies wäre für Riemenschneider gerade die Selbständigkeit seiner 
Formensprache — von allem Anfang an — charakteristisch. Doch sollte der aus 
Osterode Zugewanderte in unserem Falle der Gebende gewesen sein? es ist kaum 
anzunehmen, obwohl die Daten das gestatten würden. Der Blaubeurer vertritt in der 
Durchbildung des Nackten ja auch die ältere Stufe. Auch muß, falls die Ravensburger 
Mantelmadonna um 1480 entstand, in Ulm schon in den siebziger Jahren ungefähr 


W. Voge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 21 


wie am Blaubeurer Altar gearbeitet sein. — Trotz der Ähnlichkeiten ist aber auch 
der Gegensatz der beiden Naturen fühlbar. Der Blaubeurer ist die derbere Besaitung. 
Von der Madonna seines Hochaltars möchte man glauben, daß sie auch wohl einmal 
herzhaft lachen könne; der Junge, mit der angebissenen Frucht in der Hand, ist gewiß 
ein Tausendsassa. Riemenschneiders Kinder dagegen leiden an angeborener Wohl- 
erzogenheit. Die Männer des Blaubeurers sind selbstbewußter; Riemenschneider ent- 
deckte den Charme des Altruistishen. Man kann sagen, daß er in seinen Köpfen der 
Spätgotik das ehrlichste Gesicht gegeben habe; sie war aktionslos, hatte keine 
dramatische Kraft. Riemenschneiders Männerköpfe sagen das offen; Riemenschneiders 
— des Gegendonatello. 


KS 


Gemalde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Grant 


im Haag 
Von Kurt Freise (Haag) 


Der Initiative des Direktors des Museum Boymans in Rotterdam, des Herrn 
F. Schmidt-Degener ist es zu danken, daß während der Monate September und 
Oktober die Gemälde-Sammlung von Herrn Dr. Hofstede de Groot (Haag) im Museum 
Boymans leihweise ausgestellt war. So konnten sich auch weitere Kreise von Kunst- 
freunden an der schönen Sammlung erfreuen. Der Kunsthistoriker, dem die meisten Bilder 
Dr. Hofstede de Groots noch besonderes Interesse bieten, hatte Gelegenheit, an dieser 
Stelle mit Muße die Sammlung zu studieren. Damals neigte sich aber die Reisezeit 
bereits sehr ihrem Ende zu. Die Zahl der ausländischen Besucher wird somit wohl 
doch nicht besonders groß gewesen sein, sodaß ich glaube, durch die photographische 
Wiedergabe der einzelnen Gemälde manchen Wünschen nachzukommen. Für die mir 
hierzu freundlichst erteilte Erlaubnis spreche ich Herrn Dr. Hofstede de Groot auch 
an dieser Stelle meinen Dank aus. 

In der Sammlung Dr. Hofstede de Groots erwartet man wohl zunächst Bilder 
von den drei ganz Großen: Rembrandt, Fabritius und Vermeer, mit denen der Name 
Hofstede de Groot eng verknüpft ist Wenn nun auch nicht alle drei Meister in 


seinem Hause mit Originalen anzutreffen sind, so sind doch Rembrandt — durch ungefähr 


achtzig Handzeichnungen und ein kleines Gemälde der Saskia — sowie Carel Fabritius 
vertreten. Dieser äußerst seltene Maler dazu mit einer ganz hervorragenden Porträt- 
studie eines alten bärtigen Mannes (Abb. 1), die fraglos das wertvollste Stück der 
Sammlung ist. Mit diesem Bild will ich deshalb auch meine Anmerkungen zu den 
Reproduktionen beginnen. Erst vor nicht allzulanger Zeit tauchte dies Gemälde im 
Londoner Kunsthandel auf, um eine unerwartete, wertvolle Bereicherung des nur zu 
kleinen noch erhaltenen CEuvre von Carel Fabritius zu bilden. Die erste Nachricht von 
dem „neuen Fabritius“ traf hier im Haag Anfang 1907 ein und kam von den Kunst- 
händlern Dowdeswell & Dowdeswells. Wie gewöhnlich stand man auch in diesem 
Falle dem nackten Berichte eines plötzlich wieder aufgefundenen Gemäldes von einem 
Meister wie Fabritius etwas skeptisch gegenüber, verhielt sih zum mindestens erst 
abwartend. Die bald danach eingetroffene Photographie rief jedoch rasch eine 
Anderung hervor. Denn schon aus ihr konnte man erkennen, daß hier eine wirkliche 
Künstlerhand am Werke gewesen war. Außerst flott und dabei mit sicheren Strichen 
waren die Züge des alten Herrn auf dem Malbrett festgehalten. Die Modellierung des 
Kopfes war ausgezeichnet; klar und deutlich. Die Stoffbehandlung trotz des geringen 
Aufwandes an technischen Mitteln vorzüglich. Eigentümlich berührte die Art des Bild- 
ausschnittes: daß die Hutkrämpe rechts und links vom Bildrahmen überschnitten war, 
und daß der Hut oben bis hart an den Rand des Bildes hinanreicht. Der Kopf füllt 
so ganz die Fläche, strebt gewissermaßen über die Begrenzungslinien hinaus und wirkt 
dadurch größer. Der ziemlich gleichmäßig helle Hintergrund war für Fabritius ebenso 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 23 


charakteristisch wie die angedeuteten technischen Eigentümlichkeiten. Alles in allem: 
schon auf Grund der Photographie hielt man die Zuschreibung an Fabritius für wahr- 
scheinlich richtig. Dann kam das Bild selbst nach dem Haag — zur Ansicht. Es sollte 
aber den Weg nach London nicht wieder zurückmachen. Die auf Grund der Photo- 
graphie gehegten Er- 
wartungen wurden vom 
Original noch weit über- 
troffen. Im hellen Zim- 
mer bekommt das auf 
schwarze, dunkelbraune 
und gelbliche Töne ge- 
stimmte Bild warm 
leuchtendes Eigenlicht. 
Aber ganz anders ist 
dieWirkung diesesLich- 
tes als diejenige von 
Rembrandtschem Licht. 

Nichts halbdunkles, 
nichts schummrig-poeti- 
sches, nichts so seelisch 
erregendes oder dra- 
matisch packendes hat 
dieses Licht, dafür aber 
Wärme, ruhige helle 
Wärme, von der Wohl- 
behagen ausgeht. Hin- 
zu kommt ein kleiner 
Stich ins Grünliche, der 
dem mehr zum hellen 
Ocker neigenden Gelb 
noch eine für Fabritius 
besonders charakteristi- 
sche Note gibt, die wir 
auf dem Rotterdamer 
Porträt am ausgepräg- 
testen wiederfinden, die 
aber auch das Porträt des A. de Notte in Amsterdam hat, sowie der gegen- 
wärtig im Mauritshuis im Haag ausgestellte Krieger aus der Petersburger Samm- 
lung P. Delaroff. Diesem Bilde, das ohne Frage zum höchsten gehört, was die 
holländische Kunst geschaffen hat, steht der Fabritius Dr. Hofstede de Groots am 
nächsten. Mit diesem Krieger hat er vornehmlich auch die Wärme des am Rock 
vorkommenden Braun gemeinsam. Bedenken über die Richtigkeit der Zuschreibung 
waren angesichts aller für Fabritius charakteristischen Eigentümlichkeiten ausgeschlossen. 


Abb. 1. CAREL FABRITIUS: Porträtstudie eines älteren Herrn 
O Holz 27<22 cm 


24 - Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Aus einem auf der Rückseite des Bildes befindlichen Zettel geht hervor, daß sich das 
Gemälde früher in der Sammlung Matthew Anderson in Jesmond Cottage bei Newcastle 
befunden hat; Waagen, der diese Sammlung beschrieben hat’), muB es bei seinem 
Besuche übersehen oder aus irgend einem andern Grunde nicht erwähnt haben. Von 
der Existenz des Bildes im XVIII. Jahrhundert legt ein anderes Dokument Zeugnis ab. 
Als Herr E. W. Moes den Kopf zum ersten Mal sah, war er ihm — schon bekannt, 
aber (als freilich nicht unangefochtenes) Bildnis des Amsterdamer Dichter-Kaufmannes 
Roemer Visscher, das von J. Stolker angeblich nach einem Gemälde von Frans Hals 
gezeichnet war. Diese Zeichnung kam vor auf der 
Versteigerung J. Stolker in Rotterdam am 27. März 
1786 und diente als Vorlage für den hier abge- 
bildeten Stich von P. H. L. v. d. Meulen in dem 
Buche von Jacobus Scheltema „Anna en Maria 
Tesselshade, de Dochters van Roemer Visscher, 
Amsterdam 1808“ (Abb. 2). Nach der Unterschrift ist 
das Originalgemälde von Frans Hals und nach der 
Bezeichnung rechts oben unter R. Visschers Wappen 
und Altersangabe im Jahre 1618 vollendet worden. 
Ware nun J. Stolker nicht als „Porträtfälscher“ be- 
kannt, ja sogar berüchtigt, so könnte diese Zeichnung, 
bezw. der nach ihr angefertigte Stich, Anlaß zu Be- 
denken geben. So wurde aber schon vor Kenntnis 
des Originales jener Stolkerschen Nachzeichnung so- 
wohl von E. W. Moes °) wie von J. F.van Someren?) 
die Authentizität als Porträt Roemer Visschers so gut 
wie abgesprochen. Keinem Zweifel unterliegt es 
aber, daß die Stolkersche Zeichnung nur auf unser 
Gemälde von Fabritius zurückgehen kann, und da- 
Abb. 2. Angebl. Porträt R. VISSCHERS mit ist Frans Hals als Maler ausgeschlossen. Daß 
Stich von P. H. L. v. d. MEULEN ; a 

nach einer Zeichn. v.J.STOLKER der Dargestellte alte Herr Roemer Visscher sei, ist 
deshalb unmöglih, weil dieser 1620 gestorben 

ist, und Fabritius erst um 1624/1625 geboren wurde. Nun bleibt aber doch noch 
ein Punkt zu beachten: das Gemälde zeigt nur den Kopf und ein Stück der 
Brust, während Stolkers Zeichnung fast die ganze Figur gibt. Wir fragen uns 
also, ob das Original ursprünglich größer war, oder ob das noch vorliegende Bild 
von dem Zeichner willkürlih ergänzt wurde. Vielleicht ist letzteres der Fall. 
Denn da der Dargestellte nicht R. Visscher sein kann, so hätte z. B. das Blatt mit 
der Unterschrift von einem von R. Visschers sogenannten „Sinnepoppen“: „Elck 
wat wils“ gar keinen Sinn (von der Armlichkeit des als Tisch dienenden Stein- 
postaments ganz zu schweigen. Das Wappenschildchen oben rechts ist aus dem 


ı) Galleries and Cabinets of Art in Great Britain... London 1857, S. 480 ff. 
?) Iconogr. Batava. Nr. 8546, 2. 
5) Gegraveerde Portretten van Nederlanders. Amsterdam 1890. 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 25 


Abb. 3. HERCULES SEGERS: Hochtal Holz 29,5x53,5 cm 


nämlichen Grund als sicher absichtliche Zutat zu dem gezeichneten „Porträt R. Visschers“ 
anzusehen. Dagegen sprächen die Haltung der Arme und Hände nicht gegen Fabritius. 
(Vergl. das „Porträt des A. de Notte in Amsterdam). Nicht unbeachtenswert für eine doch 
etwa mögliche Beschneidung des ursprünglich größer gewesenen Originales scheint mir 
aber die Andeutung des Mauerwerkes links auf dem Hintergrund zu sein. Denn die 
Vorliebe des Fabritius für eine Mauer als Hintergrund äußert sich auf fast allen anderen 
Gemälden von ihm. Kontrollierbare, aber unwesentlihe Abweichungen von dem 
Original können am Rock festgestellt werden und im Gesicht; von der Warze auf 
der linken Wange der Zeichnung ist auf dem Ölgemälde nichts zu entdecken. Vielleicht 
fügte sie Stolker in der Absicht hinzu, seinem Phantasieporträt R. Visschers — der 
nach irgend einer Überlieferung etwa dort eine Warze gehabt haben soll — mehr 
„Wahrheit“ zu verleihen. Die viel zu lang geratene Nase ist natürlich auf die Schwädhe 
des Nachzeichners zurückzuführen. Solche Nebenumstände machen ein Gemälde gewiß 
nur historisch interessanter. Der Genuß an seiner Schönheit bleibt davon unberührt. 
So, wie das Bild im Museum Boymans aufgehängt war, in unmittelbarer Nähe von 
dem bekannten großen männlichen Brustbild, dessen außerordentliche Herbheit in der 
Auffassung uns so seltsam und gewaltig packt, trug es zur Erkenntnis der künstlerischen 
Persönlichkeit des unglücklichen Delfter Meisters wesentlich bei. Durch Einzelvergleichung 
fallen Besonderheiten immer leichter ins Auge. Die Strenge und Wucht, die dem 
Hauptwerk des Museum Boymans eignet, ergreift uns neben der Ruhe, die sich in 
dem „Porträt des R. Visscher“ ausspricht noch gewaltiger. Wir empfinden angesichts 
der Gegenüberstellung der beiden Gemälde unmittelbarer, daß Carel Fabritius' Stärke 
doch nicht allein darin lag, Stimmungen mehr idyllischer Art bildlim zum Ausdruck zu 


26 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 4. JACOB VAN RUISDAEL: Waldweg | Holz 29,7><37 cm 


bringen, wie man aus den Genredarstellungen und aus den anderen Porträts an- 
zunehmen geneigt ist. 

Hohen künstlerischen Wert und großes kunsthistorisches Interesse vereinigt auch 
das wohl mit Recht an zweiter Stelle zu besprechende Gemälde in sich, das „Hochtal“ 
von Hercules Segers (Abb. 3), des frühholländischen Landschaftsmalers, der wie 
Fabritius zu den Malern aus dem Kreise Rembrandts gehört, die trotzdem aber 
wirklich selbständige künstlerische Persönlichkeiten im vollsten Sinne des Wortes waren. 
Des einen Porträts nannte man früher fälschli Rembrandt, einzelne von Segers Land- 
schaften führten bis in die jüngste Zeit hinein nicht mit Unehre diesen größten hollän- 
dishen Namen, dessen Träger selbst von dem ihm befreundeten Segers sogar noch 
lernen konnte und auch gelernt hat. Und doch sind Segers’ Landschaften so charakte- 
ristisch, daß sie von demjenigen, der sich einmal aufmerksam in sie vertieft hat, nicht 
verkannt und nicht mit solchhen von Rembrandt verwechselt werden können. 

Ih kann in diesem Zusammenhang nicht ausführlich über Segers’ Stellung in 
der holländischen Kunstgeschichte sprechen, sondern muß mich auf die Charakteri- 
sierung des hier abgebildeten „Hochtales“ beschränken. Dies Gemälde ist zunächst 
deshalb wichtig, weil es als einziges Bild in der Gruppe der Darstellungen von Ge- 
birgslandschaften voll bezeichnet ist und zwar in derselben Weise wie das eine Bild in 
Berlin, so, wie uns auch des Malers Handschrift aus den Urkunden bekannt ist. 
Segers’ Alpenlandschaften gehören wegen der noch altertümlichen kompositionellen 
Hülfsmittel mit silhouettenartigen Versatzstücken im Vordergrund, mit den Kulissen im 


._@. | 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 27 


Abb. 5. JAN VAN GOYEN: Vor dem Gewitter | Holz 40,7><61,7 cm 


Mittelgrund, bisweilen auch durch die kräftige Betonung der Lokalfarben der älteren, 
dur einen Mann wie Gilles van Coninxloo in Amsterdam gepflegten Richtung an. 
Es ist deshalb nicht gar zu verwunderlich, wenn unser Gemälde von seinem früheren 
Eigentümer für einen Jodocus de Momper gehalten wurde. Trotzdem müssen diese 
Gemälde von Segers — wenn auch weniger als seine Flachlandschaften — damals in 
gewissem Sinne modern gewirkt haben. Das heißt, es findet in ihnen, im Gegensatz 
zu den Werken der ganz in dem romantisch-italienisierenden Stil schaffenden und stark 
mit vlämischen Elementen durchsetzten Künstlergeneration des ausgehenden XVI. und 
beginnenden XVII. Jahrhunderts, doch schon das Naturell desHolländers seinen Ausdruck, 
des holländischen Malers, dessen Auge nicht im Anschauen großer Gebirgskompo- 
sitionen künstlerisch sehend geworden ist, sondern unter dem Eindruck der besonders 
gearteten Atmosphäre des wasserreichen Flachlandes, in der alle Farben erhöhte 
Leuchtkraft und Durchsichtigkeit besitzen. 

Aber auch mit unseren modernen Augen betrachtet finden wir in Segers' Ge- 
mälden moderne Züge, auf technischem Gebiete, das heutzutage in bestimmten Maler- 
kreisen ja auch eine hervorragende Rolle spielt. „Wo Segers Laubbäume anbringt, 
charakterisiert er sie meist durch derbe kleine Tupfen, die an die Pointille-Manier 
moderner Impressionisten erinnern.“ So Bode zu den berühmten Radierungen von 
Hercules Segers. Nicht nur auf die Bäume auf Radierungen paßt diese Kennzeichnung. 
Auf dem Hochtal der Sammlung Hofstede de Groot können wir genau das gleiche Ver- 
fahren beobachten, nur mehr strichelnd als tupfend und zwar bisweilen unter Anwendung 
von ungebrochen nebeneinandergesetztem Rosa, Gelb und Grün; besonders deutlich ist 
das in dem Turm links von der Mitte und auf dem Wege zu sehen. Überhaupt ist das 


28 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Kolorit auf diesem Bilde von einem Reichtum, der eher an Rubens als an Rembrandt 
denken läßt. Dieser verwandte ja auch geradezu Fleischfarbentöne in seinen späten 
Landschaftsbildern; Rosa und Gelb spielen da auch eine Rolle und geben seinen Ge- 
mälden einen besonderen Farbencharakter. Rembrandtschen Landschaften gegenüber- 
gestellt, entbehrt dieses Hochtal von Segers des einheitlihen Gesamttones, dem sich 
alle Lokalfarben völlig unterordnen. Wir haben hier braunen Vordergrund, grüne, 
gelblihe und rosa Töne verschie- 
denster Abstufungen im Mittelgrund, 
die weiter nach hinten zu ins Blau 
auslaufen: ganz nach der Regel der 
älteren Richtung. Aber nicht so hart 
fühlbar, auch trotz der sehr starken 
— im Original aber doch weniger 
als auf der Reproduktion — Vor- 
dergrundskulisse links vorn. Die 
drei Gründe sind doch innerlicher 
miteinander verbunden; wie dis- 
kret raumbildend wirkt vor allem 
auch der ebenfalls zu den Requi- 
siten der „Alten“ gehörende Fluß, 
der sich in leichten Zickzacklinien 
nach vorn schlängelt. Überaus zart 
ist der Übergang des fernsten in 
duftigem Blau schimmernden Gebirgs- 
zuges zum Himmel. Das Bild, dessen 
Abmessungen nur gering sind, ge- 
winnt den Betrachter nicht auf den 
ersten Blick für sidi — genau so 
wie die holländische Landschaft und 
holländisches Wesen überhaupt. — 
Aber es gehört zu den Kunst- 
Abb. 6. PIETER DE HOOCH: Junge Frau mit Kavalieren Werken, die langsam und stetig, 
beim Wein Holz 50,2<37,5 cm Mehr und mehr den Beschauer 
fesseln, die ihn dann immer wieder 
zu sich ziehen, ihm immer neue leise Schönheiten offenbaren: daß er im Bilde von 
Menschenhand die Natur so schaue, wie sie ein Künstler sah. 

Bevor ich zu der Landschaft übergehe, die wohl von der Mehrzahl der Be- 
trachter als die „schönste“ sofort herausgefunden und bewundert wird, will ich bei einem 
kleinen Bilde von Jacob van Ruisdael kurz verweilen (Abb. 4). Es zeigt einen nach 
vorn führenden breiten Landweg, der rechts und links mit hohen Bäumen bestanden ist. 
Diese bilden eine dunkle Silhouette vor dem Abendhimmel, den die eben unter- 
gegangene Sonne in zarten rosa-gelblihen Tönen erscheinen läßt. Für Ruisdael ist 
der Ton ziemlich warm, in den Schatten durch Nachdunkeln leider ein wenig schwer 


—_ — Lu © ee. 


— ge 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 29 


geworden. Aber man muß an das Bild einen andern Maßstab anlegen als sonst bei 
Ruisdael. Denn es ist ein sehr frühes Werk des Meisters, womöglich das früheste 
bezeichnete des damals 17 bis 18jährigen Künstlers, wenn die letzte, undeutliche Ziffer 
der Jahreszahl 164.. als 5 richtig gelesen wird und nicht vielmehr eine 8 ist. 

Volle künstlerische Reife zeigt das einige Jahre früher, 1639 entstandene, aber 
von einem 43 Jahre alten Künstler herrührende Gemälde von Jan varı Goyen mit 
der Schilderung eines Naturvorganges, dessen Stimmungsgehalt ganz unmittelbar auf 
den Beschauer wirkt (Abb. 5). Über einer 
weiten stillen Wasserfläche, der Mündung 
eines Flusses, auf dem links im Vorder- 
grund ein paar Fischer im Kahn ihre 
Netze ziehen, kommen vom Hintergrund 
dunkle Gewitterwolken herangezogen. 
Sie verdüstern die schon ziemlich tief 
stehende Sonne, deren Licht ganz fahl- 
gelb für wenige Augenblicke noch nach 
unten hin einen Ausweg findet. Rechts 
liegt in der Nähe des Ufers eine Fischer- 
flotte still vor Anker, ebenfalls in den 
etwas stumpfen fahlen Schein getaucht. Die 
Segel hängen unbeweglic an den Masten 
und spiegeln sich darunter in der wie 
bleiern erscheinenden Wasserfläche. Nicht 
lange wird es mehr dauern, dann durch- 
zuckt jene Wolken da ein jäher Blitz 
und zerreißt ihre gewaltigen Massen: mit 
krachendem Donner geht dann der Tanz 
los, kommt Leben in diese unheimliche 
Ruhe vor dem Sturm. Die bildliche Ver- 
mittlung durch van Goyen geschah auf 
die einfachste Weise. Ohne an technisches 
Experimentieren zu denken, malte er mit 
einer in unermüdlicher Arbeit gewonnenen Routine — die bei ihm allerdings nie geistlos 
wurde! — dieses Wasser, die Boote und den prachtvollen Wolkenhimmel dariiber. Der 
Erhaltungszustand des Bildes ist tadellos; kein Riß, keine nachgedunkelten oder ver- 
dorbenen Stellen stören: es kann wie ein modernes Bild ohne jeglichen historischen 
oder technischen Apparat von jedem voll genossen werden, dem das Anschauen eines 
solchen Naturschauspieles seelisch etwas bedeutet. (Das Bild ist auf Holz gemalt mit 
dem Monogramm und der Jahreszahl 1639 bezeichnet. Auf der von Fred. Muller & Co. 
im Jahre 1903 inszenierten van Goyen-Ausstellung war es Nr. 21.) 

Ein wieder kunsthistorisch sehr bemerkenswertes Gemälde ist das Interieur mit 
einer jungen Frau und Kavalieren beim Wein von Pieter de Hooch (Abb. 6). Eine 
vollständige Bilderpublikation der Werke Pieter de Hoochs fehlt leider noch immer und 


Abb. 7. JACOBUS VREL: Interieur 
D Holz 63><47,5 cm 


30 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


ebenso eine erschöpfende Würdigung seines künstlerischen Entwicklungsganges, der 
uns in seinen wesentlichen Zügen freilich geläufig ist, nachdem auch die frühesten 
Bilder von seiner Hand als sole erkannt worden sind. Dieser Gruppe von Früh- 
werken (in Rom, Petersburg, Mainz [bei St. Michel] und Dublin)'), deren einzig bezeichnetes 
Stück die National-Gallery in Dublin besitzt, gehört Dr. Hofstede de Groots Pieter de 
Hooch an. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie stark Pieter de Hooch — wie so 
viele holländische Maler 
— schon von frühester 
Zeit an das Problem 
des Lichtes interessiert 
hat. Wie bei anderen 
so wurden auch bei ihm 
diese Lichtstudien in 
den ersten Jahren seiner 
Malerlaufbahn häufig 
mit künstlichen Beleuch- 
tungseffekten betrieben. 
Im verdunkelten Innen- 
raum werden die Wir- 
kungen einer brennen- 
den Lampe oder Kerze 
auf den davon ge- 
troffenen Figuren und 
Gegenständen studiert 
und festgehalten, wozu 
sorgfältiges Beobachten 
erforderlich ist — noch 
dazu, wenn die Auf- 
gabe, wie hier vonPieter 
de Hooch, etwas kom- 
pliziert gestellt wird, 
| indem er es nicht bei 
oF Gelehrter in seinem Studierzimmer en pony eve belabi, 
Holz 44,5><39,3 cm Sondern gleichzeitig drei 

einführt. Davon sind 

zwei selber nicht sichtbar, sondern nur in ihrer Wirkung zu erkennen. Die dritte, sichtbare, 
die Kerze rechts oben am Kamin dient mehr der spielerischen Erzeugung von Reflexen 
auf den von ihrem Licht getroffenen Tellern auf dem Kamingesims. Die zweite, am 
wenigsten starke, ist das nicht sichtbare Kaminfeuer, das das Gesicht und den pur- 
purnen Rock des im Vordergrund sitzenden Kavaliers etwas aufhellt. Andernfalls wäre 


= 
— 


Abb. 8. GERRIT DOU: Jung 
O 


1) Jiingst hat Herr Dr. Hofstede de Groot in Philadelphia in der Sammlung J. G. Johnson 
noch ein derartiges, den Soldaten im Wirtshaus in der Villa Borghese in Rom nahestehendes 
Frühwerk entdeckt, das bisher als G. Camphuysen ging. 


= oe — Ah DIESER 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofsteed de Groot im Haag 31 


er ganz zur Silhouette vor dem dritten, dem eigentlichen Hauptlicht, auf dem Tisch 
geworden. Die Wirkung dieser, von eben jenem Kavalier für unser Auge verdeckten 
Lichtquelle selbst, die von der Wein einschenkenden jungen Frau im Mittelpunkte des 
Bildes aufgefangen wird, ist umso stärker. Dies doch nur reflektierte Licht hat eine 
so intensive eigene Leuchtkraft, daß es auf die photographische Platte wie ein helles 
Fenster bei einer Stubenaufnahme wirkte. Man sieht es deutlich auf der Photographie. 
Mit dem Studium solcher verschiedenartigen Beleuchtungseffekte legte P. de Hooch den 
Grund zu seinen späteren erstaunlich feinen Beobachtungen des Sonnenlichtes und 
seiner Schattenwirkungen im Zim- 
mer, die uns seine Interieurszenen 
aus seiner Blütezeit so unschätzbar 
machen. Das will schnell erhascht 
sein und kann nicht mit solcher 
Muße wie das gleichmäßig bren- 
nende und an seinem Platze fest- 
stehende künstliche Licht studiert 
werden. Später macht de Hooch 
es sidi dann leider um so be- 
quemer, wenn er wieder ein dunkles 
Zimmer darstellt, aber in ihm selber 
kein Licht mehr sein läßt, sondern 
dies nach draußen verlegt, indem 
er einen Ausblick auf eine grell 
von der Sonne beschienene Häuser- 
fassade gibt. Hier stehen sich 
ohne Übergang stärkstes Hell und 
Dunkel unvermittelt — und unab- 
hängig von einander — gegen- 
über. (Vgl. z. B. das Bild in Amster- 
dam Nr. 1249.) Diese Art der Be- 
leuchtung erforderte natürlich viel 
weniger Studium; die je nach der 
Stellung des Lichtes und der Fi- Abb. 9. JAN STEEN: Wirtshausszene Holz 35><27,5 cm 
guren verschiedenartigen Licht- und 
Schattenwirkungen kamen in diesem Falle nicht in Betracht, es konnte ganz schematisch 
„aus dem Kopf gemalt“ werden. Deshalb stehen die Anfangswerke, wo man den 
aufstrebenden jungen Künstler der Lösung dieser Probleme nachgehen sieht — ohne 
daß seine Bemühungen gleich von einem vollen Erfolge gekrönt wären —, wo man 
ihn nach und nach aber zur Meisterschaft gelangen sieht, auf einer viel höheren 
Stufe als die seiner späten, nur zu sehr zu bedauernden Verfallszeit. 

Jacobus Vrel steht zu den großen Delfter Meistern insofern in Beziehung, als 
seine Straßenbilder lange unter die Werke Vermeers gerechnet wurden. Dieser Um- 
stand, sowie die völlige Unkenntnis seiner Lebensverhältnisse, die Rätsel, die er in 


32 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 10. N. DE GISELAER: Vier musizierende Kavaliere Holz 38,7><64,5 cm 


Verbindung mit Koedijck zu lösen aufgab,') haben ihm in der kunstwissenschaftlichen 
Welt zu einer gewissen Bekanntheit verholfen, ohne daß über ihn die Forschung ab- 
geschlossen wäre. Daß seine Bilder auch von den Sammlern begehrt und bisweilen 
sogar sehr teuer bezahlt werden,”) beweist, wie das kunsthistorische Interesse für Vrel 
auch bereits auf die Sammler übergegangen ist; es ist aber nicht zu leugnen, daß ihm 
auch als Künstler Beachtung geschenkt werden darf. Seine Straßenbilder entbehren 
nicht eines eigenartigen Reizes durch die in ihnen wehende kleinbürgerliche Luft. In 
einer süddeutschen Stadt wäre daraus vielleicht Kleinstadtromantik geworden — hier 
im Norden gibt es das jedoch nicht. Es bleibt ihnen hier nur der rein spießbürgerliche 
Zug eigen, in dem ja aber auch eine gewisse Poesie liegt. Fast noch höher als seine 
Gassenbilder stehen vielleicht die Interieurs, z. B. so ein Bild wie das der lesenden alten 
Frau am Kamin, das sich früher in der Sammlung Adolphe Schloß in Paris befand. Hier 
könnte man beim Suchen nach einem ihm verwandten modernen Künstler etwa auf den 
Namen Hammershöi kommen — an dessen Kunst Vrels Werke freilich nicht heran- 
reichen, vor allem weil in ihnen das Sonnenlicht unberücksichtigt geblieben ist. Aber 
sie nähern sich doch in gewissen Punkten ihres Empfindens, dessen stille Beschaulichkeit 
uns moderne Menschen als Gegensatz zu unserem hastigen Leben angenehm berührt. 
Aud den Grundzug des Bildes von Vrel in der Sammlung Hofstede de Groot (Abb. 7) 
bildet die Beschaulichkeit des stillen Ruhestündchens am warmen Herd, das sich der alte 
Mann dahinten im Zimmer gönnt. Es ist das auch ein wesentlicher Zug in der Kunst 
des Leidener Kleinbürgermalers Quiringh van Brekelenkam, dem früher das hier abge- 
bildete Stück auch zugeschrieben wurde. Nicht etwa, weil es für Brekelenkam zu 


1) Hofstede de Groot, „Die Koedijk-Rätsel und ihre Lösung“, Jahrbuch der kgl. 
preuB. Kunstsammlungen. 1903. Heft I. 


2) Das StraBenbild der Versteigerung Hoogendijk 1907 erzielte einen Preis von 2700 Gulden. 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 33 


Abb. 11. P. P. RUBENS. Skizze zweier Gefangenen 
O Holz 35,7>50,7 cm 


gering wäre, mußte es diesem abgesprochen werden, sondern weil es die stilistischen 
Eigentümlichkeiten Vrels aufweist. Am meisten in die Augen fallend ist die starke 
perspektivische Verkürzung des Raumes (deren Vorliebe in Vrels Straßenbildern am 
deutlicisten zum Ausdruck kommt), das kühle, auf Braun gestimmte Kolorit, der von 
vorn gesehene Kamin mit dem weißen Gesims und den weißen Kacheln, das Beiwerk 
von Hausgerätschaften, die auf diesem Bild durch ihre große Mannigfaltigkeit und 
verschiedentlichste Anbringung in dem Zimmer beinahe etwas Unruhe in das Bild 
bringen. Das Sujet selbst, eine einzelne am Kamin sitzende männliche oder weibliche 
Figur, hat Vrel des öfteren gemalt. Weisen die Straßenbilder von ihm auf einen 
Aufenthalt in Amsterdam hin, so deutet dieses Brekelenkam entschieden nahestehende 
Bild mehr nach Leiden (woher auch Koedijck stammt), ohne daß sich aber sicheres 
dazu sagen ließe. Hier können nur Urkunden Klärung schaffen. 

Die Leidener Malerschule des XVII. Jahrhunderts selbst ist in der Sammlung 
Hofstede de Groot durch ihre drei berühmtesten Meister, Rembrandt, Jan Steen und 
G. Dou vertreten. Das Bild von Gerrit Dou ist ein von Dr. Hofstede de Groot vor 
nicht langer Zeit wieder ans Licht gezogenes Werk (Abb. 8). Wenn man die Abbildung 
sieht, sollte man nicht meinen, daß es auf einer Londoner Auktion als unbekannte hollän- 
dishe Schule verzeichnet wurde, noch dazu, da es voll bezeichnet ist. Die Nachfrage 
der Sammler nach Dou dürfte in jüngster Zeit aber doch etwas abflauen, trotzdem 
seine berühmten Feinmalereien in den Öffentlichen Galerien immer noch das Entzücken 
aller Damen bilden, und trotzdem man gerade vor seinen Bildern immer wieder Ge- 
legenheit hat zu sehen, wie tief in dem Museen besuchenden Publikum der verkehrte 
Glaube herrscht, Kunstwerke müßten aus nächster Nähe durch die Lupe betrachtet 
werden. Man müßte eigentlich gerade unter die feingemalten Bilder das oft und 

3 


34 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 12. JAN FYT: Jagdstilleben Leinwand 84x105 cm 


doch nutzlos zitierte Wort Rembrandts setzen: „Der Geruch der Farbe könnte Euch 
lästig werden“. (Mir kommt dabei der Gedanke, daß die Anbringung von derartigen, 
zum Betrachten von Kunstwerken anleitenden Sprüchen vielleicht nützlicher wäre als 
die jetzt in vielen Galerien nur dekorativen Zwecken dienenden Künstlernamen.) 
Ein guter Dou wirkt auch ohne Lupe; man kann sich an der guten Stoffbehand- 
lung, an der sorgfältigen Modellierung, an der Akkuratesse der Zeichnung auch so 
erfreuen, ohne über die Schwierigkeiten und die dazu erforderlich gewesene Arbeits- 
ausdauer nachzudenken. Dieser junge Gelehrte in seinem Studierzimmer ist ein ganz 
charakteristisches Bild für Dou und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Es hat den 
kühlen Ton Douscher Bilder, der durch ein zinnoberrotes Siegel, das rechts von dem 
Bücherbort herunterhängt, angenehm belebt wird. 

Der andere große Leidener nächst Rembrandt, Jan Steen, wird in Holland selbst, 
besonders auch von einem Kreise von Malern, darunter Jozef Israels, viel höher geschätzt, 
als bei uns in Deutschland, wo sich gerade die nicht zum „Publikum“ gehörenden Kunst- 
liebhaber in ihrem Urteil über Jan Steen etwas zu sehr durch die freilich nicht weg- 
zuleugnende Ungleichheit in der Qualität seiner Gemälde beeinflussen lassen. Das von 
Dr. Bredius vorbereitete große Prachtwerk über den Meister, das eine Fülle von un- 
veröffentlichten Meisterwerken Steens in englischen Privatsammlungen bringen wird, und 
die von Prof. Dr. Martin geplante ausführlihe Monographie werden wohl sicher Ge- 
legenheit geben, das Urteil über diesen größten „Genremaler“ neu und fest zu formu- 
lieren. Vor allem wird dies erweitert werden müssen, d. h. die dem Publikum so 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 35 


„amüsanten“ Bilder müssen einmal alle mehr nach der anderen, rein künstlerischen 
und auch artistischen Seite hin untersucht werden. Das Hauptgewicht muß einmal im 
Einzelnen mehr auf sein großes Beobachtungsvermögen, auf seine Charakterisjerungs- 
kunst, auf seine Phantasie und Erfindungsgabe gelegt werden, worin ihm außer Rem- 
brandt kein anderer Holländer gleichkommt; auf sein Kompositionstalent; ferner darauf, 
daß er — wenn auch seltener — als Porträtist wie als Landschafter treffliches zu 
leisten vermag. Man muß ihn einmal weniger unter dem Gesichtswinkel des Humo- 
risten und Anekdotenerzählers, des scheinbaren Karikaturisten betrachten, sondern an 
die rein künstlerische Analyse seiner zahlreichen Bilder gehen. Sein Oeuvre, das von 
den schlechtesten bis zu den besten, nur bei genauester Vergleichung mit dem Original 
zu erkennenden Kopien und Fälschungen getrübt ist, muß erst einmal in einer gründ- 
lich gereinigten Ausgabe bildlich vorgeführt worden sein. Als Kolorist und als Zeichner 
muß Jan Steen Bild für Bild durchstudiert werden. Das kleine Gemälde der Sammlung 
Hofstede de Groot (Abb. 9) erhebt nicht den Anspruch, in dieser Weise für seinen Schöpfer 
nach allen Seiten hin einzustehen. Es gibt mehr einen Einzelzug des Künstlers wieder 
und kann eher als Studie aufgefaßt werden. So eine Figur wie der im Trunke ein- 
geschlafene junge Mensch zeigt den scharfen Beobachter, der das Gesehene mit wenigen 
charakteristischen Strichen und Farben lebenswahr festzuhalten weiß. 

Es bleibt Rembrandts bekanntes Porträt der Saskia’) noch zu nennen, über 
das sich eine eingehende Besprechung aber wohl erübrigt, zumal es mir hier mehr 
darauf ankommt, weniger bekannte Gemälde im Bilde vorzuführen. Man glaubte zu- 
erst in der dargestellten jungen Frau Rembrandts Schwester erkennen zu sollen, bis 
man sich darüber einig wurde, daß sie doch größere Ähnlichkeit mit der jungen Saskia 
hat. Ob das Bildchen aber als Studie zu einer der badenden Nymphen auf dem 
kleinfigurigen Gemälde „Diana und Aktäon“ beim Fürsten zu Salm-Salm in Anhalt 
benutzt wurde, wie Bode andeutet, wage ich nicht zu entscheiden. 

Auch wieder sehr interessant, als besonders gutes und von den übrigen Bildern 
abweichendes Werk eines ebenfalls in Leiden geborenen und sehr selten vorkommen- 
den Meisters, sind die vier musizierenden Kavaliere von N. de Giselaer (Abb. 10). Für 
gewöhnlich malte er nur Ärchitekturen, entpuppt sich hier aber als ein gar nicht unbe- 
gabter Gesellschaftsmaler in der Richtung des Duyster etwa. Nur ist das Bild nicht so 
glatt, wie dessen Arbeiten, auch natürlicher und angenehmer, sowie viel farbiger. Der 
links vorn sitzende Sänger trägt stark rote Hosen, einen weißseidenen mit goldenen 
Litzen besetzten Rock, weiße Strümpfe mit roten Strumpfbändern. Sein Gegenüber 
rechts ein warm grünes Kostüm; die Oberfläche der Laute ist ockerfarben. Dagegen 
treten die beiden anderen Figuren etwas zurück, was recht gut ist. Denn anderenfalls 
hätte de Giselaer die Klippe der Buntfarbigkeit vielleicht doch nicht ganz überwunden. 
Auf dem unteren Verbindungsbrett der beiden Vorderbeine des Stuhles, auf dem der 
Lautenschläger sitzt, ist das Bild in großen Antiqualettern voll bezeichnet. Das Bild 
wurde auf der Versteigerung Jos. Monchen u. a. in Amsterdam bei Fred. Muller am 
50. April 1907 erworben und war Nr. 81 des Versteigerungskataloges. 


1) Abgebildet in Bodes Rembrandtwerk, Bd. III, 67 u. bei Rosenberg, Klassiker d. Kunst, Rem- 
brandt. 2. Aufl., S. 97; auf S. 124 in der eben erschienenen, v. W. R. Valentiner bearbeiteten 3. Aufl. 


36 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Von der Besprechung der beiden nicht hollandischen Bilder, einer Skizze von 
Rubens (Abb. 11) und eines schönen farbenreichen Jagdstillebens von Jan Fyt (Abb. 12) 
sehe ich ab. (Das letztere Bild wurde auch auf der Versteigerung J. Monchen er- 
worben; Nr. 80 des Kataloges.) Die Reproduktionen mögen hier genügen. 


Dagegen bitte ih zum Schluß noch um Gehör für ein Gemälde von Michiel 
Sweerts, dem holländischen Le Nain, wie ihn Martin in seiner grundlegenden Ab- 
handlung über Sweerts') genannt hat. 
Sweerts Werke, die bis vor kurzer 
Zeit noch fast alle falsche Namen trugen 
oder unbeachtet in den Galerien hingen, 
sind von Martin zum ersten Mal ge- 
sammelt und zur Grundlage einer über 
die künstlerische Persönlichkeit dieses 
Malers AufschluB gebenden Studie ge- 
macht worden. Sweerts, der lange 
in Rom war und sich dort vielen frem- 
den Einflüssen zugänglich zeigte, schloß 
sich auch später, nach seiner Rückkehr 
in die Heimat an bestimmte Künstler 
an. Am glücklichsten war er wohl in 
den Gemälden, die unter der Einwir- 
kung Terborchs entstanden sind. Zu 
dieser Gruppe ‘gehòrt der hier abge- 
bildete Jünglingskopf (Abb. 13). Er 
ist im ganzen in kühlen sepiabraunen 
Tönen gehalten, sorgsam weich und 
vertrieben gemalt und von fast etwas 

sentimentalem Ausdruck. Gerade dieser 

7 Gesichtsausdruck, dann die technische 

Behandlung des langen weich fließen- 

Abb. 13. MICHIEL SWEERTS, Kopf eines Jünglings den Haares, ganz besonders aber der 

g Leinwand 24,5x18 cm rosige Ton der Fleischfarbe sind für 

| Sweerts als Maler stark ins Gewicht 

fallende Momente. Das Bild trug früher nämlich nicht den Namen Sweerts, sondern 

wurde als solches erst von Dr. Hofstede de Groot bestimmt, als er das Bild auf einer 

Pariser Auktion im Jahre 1907 sah und gleich erwarb. Die Art und Weise des Bild- 

ausschnittes (unten rechts) machen es wahrscheinlich, daß das Gemälde in seiner jetzigen 
Gestalt nur ein Fragment einer größeren Komposition darstellt. — 

Die eben betrachtete Sammlung ist die eines Kunstgelehrten. Man erwartet 
daher vielleicht mehr als sonst, daß sich in ihr die persönliche Eigenart des Besitzers 


ı) „Michiel Sweerts als schilder. Proeve van een Biografie en een Catalogus van zijn schil- 
derijen.“ Oud-Holland 1907, Heft 3. 


K. Freise. Gemälde aus der Sammlung Dr. Hofstede de Groot im Haag 57 


widerspiegele. Ein Kunsthistoriker geht bei der Auswahl fiir seine eigene Sammlung 
von ganz anderen Gesichtspunkten aus, wie der nicht faciwissenschaftlich gebildete 
Sammler. Und es wird ihm meistens wohl weniger darauf ankommen, ein möglichst 
vollständiges Bild der gesamten Kunstgeschichte in charakteristischen Werken zusammen- 
zustellen — wie es die großen öffentlichen Sammlungen tun —, sondern er wird in 
erster Linie solche Stücke bevorzugen, die ihn auch als Mann der Wissenschaft inter- 
essieren, von Künstlern und aus Zeiten, über die er eingehender arbeitet und ge- 
arbeitet hat, Kunst, in die ihn seine speziellen wissenschaftlihen Studien tiefer als 
andere haben einsehen lassen, und die selbst wieder durch seine Studien anderen ver- 
mittelt und näher gebracht wurde. Das trifft für die eben betrachtete Sammlung Dr. 
Hofstede de Groots gewiß zu. Denn die meisten Bilder gehören Künstlern an, zu 
deren Kenntnis die Forschungen Hofstede de Groots wesentlich beigetragen haben. 
Daß in einer solhen Sammlung „kunsthistorischen Charakters“ mit „interessanten“ 
Bildern das rein Asthetische dabei aber sehr wohl auch auf seine Rechnung kommen 
kann, das dürften schon die hier wiedergegebenen Reproduktionen dartun. 


F 


Zur Donatello-Forschung 


Von Frida Sdottmüller 
I. 


Niccolo da Uzzano: Supino hat im Katalog des Museo Nazionale als 
Gewährsmänner für die Zuweisung der Büste an Donatello und die Bestimmung auf 
Uzzano als den Dargestellten nur Semper und von Tschudi angeführt. Semper spricht 
schon in seiner ersten Monographie’) ausführlii von dem großen Staatsmann und 
seinem Bildnis. Es befand sich damals noch im Palazzo Capponi, jenem Rusticabau 
in der Via de’ Bardi, der durch Erbschaft von den Uzzani auf die Capponi gekommen 
war. Sempers Zeugnis stützt sih auf einen Brief des Grafen Luigi Passerini, dem 
jedoch der „Wert eines Dokuments“ n. m. D. nicht zukommt. Er gibt Niccolos Todes- 
datum 1429/30 statt 1432 an und erwähnt noch eine andere Büste — Niccolos Bruder 
Bernardo -- auch von Donatello, die „kürzlich veräußert worden“ sei.*) 

Allein schon Bettini nennt in seiner Guida*) nur die berühmte Büste Niccolos, 
und gleiches gilt von Carlieris „Ristretto delle cose più notabili della citta di Firenze 
von 1745“. Er berichtet: Palazzo del Senator Conte Ferrante Capponi, fatto edificare 
dal famoso Nicolö da Uzzano, col disegno di Lorenzo di Bicci, entro del quale si vede 
il busto di esso Niccolo opera insigne di Donatello con inscrizione adequata a si 
potente Cittadino; siccome appie della Scala un Leone di porfido che è creduto opera 
singolare degli antichi Etruschi.‘) - - 

Vasari hat keine Terrakottabüste Donatellos erwähnt, nicht einmal die von 
S. Lorenzo, wo er doch alle Reliefs und Statuen der Kirche nennt; deshalb kann sein 
Verschweigen der Uzzanobiiste nicht die Zweifel stützen, die gegen Autor und Dar- 
gestellten lautgeworden sind.”) — Freili auch Bocchi und Cinelli haben sie in den 
Belezze di Firenze nicht erwähnt. Sie schien ganz ohne Tradition zu sein, ein merk- 
würdiger Fall bei einem Kunstwerk von dieser Ausdruckskraft. Durch Carlieris Notiz 
von 1745 ist dieser Einwand zunichte geworden. 


IL. 


Die Taufe Christi in Arezzo. Im Dom von Arezzo, in der ersten, ziemlich 
dunklen Kapelle des linken Seitenschiffs, steht der sechseckige Taufbrunnen aus rotem 
Kalkstein. Dem Konsolfries aus weißem Marmor am oberen Rand entspricht unten ein 


1) Wiener Quellenschriften 1875, p. 150 1 u. 263. 

*) Semper verschweigt leider das Datum des Passerini-Briefes. 

») 4. Aufl. 1862, p. 65: „Vi si vede il busto di Niccolo di mano di Donatello.“ 

4) Das Zitat ist aus der 5. Auflage, die Marco di Beauvau gewidmet ist; ältere sind mir 
leider z. Z. nicht zugänglich; nur die 7. von 1767 — Giuseppe Riccardi zugeeignet —, die von ein 
paar Stiländerungen abgesehen, die Stelle wörtlich wiederholt und überhaupt wenig ,Beridi- 
tigungen“ bringt. Wahrsceinlich ist ja die Notiz aus den ersten Aufgaben übernommen und die 
Tradition durch sie noch weiter zurückzuverfolgen. 

5) cf. Schubring: Donatello p. 196. 


F. Schottmiiller. Zur Donatello-Forschung 39 


Abb. 1. DONATELLO. Taufe Christi 


E) Arezzo Dom 


schmales Profil aus gleichem Material. In den vorderen Feldern je ein Marmorrelief 
mit mehreren Figuren, hinten drei Wappen. Der Stil verrät die erste Hälfte des 
Quattrocento. Der Taufstein ist ursprünglich reicher im Architektonischen gewesen: 
Von seinen sechs Säuldien werden fünf 1568 neu hergestellt; sie standen wahrscheinlich 


40 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


an den Ecken, zwischen dem damals verkröpften Sockel und Gebälk; so daß das 
Ganze ähnlich aussah wie der Hauptteil von Benedetto da Maianos Kanzel in S. Croce. 
Gelegentlich anderer Aufstellung (1613 und 1620) wird er seine heutige, einfache Form 
erhalten haben. 

Von künstlerishem Wert sind heute nur die Reliefs, und unter ihnen steht das 
mittelste, die Taufe Christi, unbedingt? am höchsten. Schon Vasari erwähnt es, 
und ihm folgend, weisen es die Ciceroni') von Arezzo dem angeblichen Bruder 
Donatellos, Simone, zu. Nur v. Fabriczy*) hat kürzlich auf das „entschieden Dona- 
telleske“, „den engen Anschluß an den Meister“ hingewiesen. Man darf n. m. D. 
noch weitergehen und in dem Relief eine zum größten Teil eigenhändige Arbeit des 
Florentiners sehen. Schon v. Fabriczy betont ja die ,einfach würdige Komposition“ 
und das charakteristische Stacciato. Die Qualität entspricht der Madonna in Wolken 
bei Quincy-Shaw in Boston und der Grablegung Christi am kleinen Tabernakel in 
S. Peter. Das Aretiner Relief ist aber wahrscheinlich etwas früher entstanden — schon 
in dem Ausgang der zwanziger Jahre. Es steht in der Mitte zwischen dem Georgs- 
relief von Or San Michele und der Schlüsselweihe im South Kensington Museum, in 
Landschaftsdarstellung, wie im Figürlihen. Und da die dunkle, kleine Kapelle eine 
gute Aufnahme unmöglich macht, muß hier auf die charakteristischen Einzelheiten noch 
im Besonderen hingewiesen werden: Die Verästelung der großen Stämme im Vorder- 
grund, wie die zarte Angabe der baumbewachsenen Hügel weiter hinten, erinnern 
sehr an das Londoner Relief. Auch die Wolkenzeichnung, die phantastische Löwen- 
kopf-Sonne, der naturalistische Schilfkolben am hinteren Ufer (zwischen Johannes und 
Christus), die z. T. nur eingeritzten, so charakteristischen Profile der assistierenden 
Engel und die feine Andeutung der Füße Christi, die doh vom Wasser überspült 
sind, das alles spricht für Donatello selbst. Donatellesk im engsten Sinne ist auch die 
Illusion des Räumlichen und die Auffassung der Szene; sie ist polar verschieden von der 
nur wenig älteren Ghibertis. Sehr viel menschlicher, sehr viel intimer hat Donatello 
hier erzählt. Statt der gleichsam offiziellen Engel, die sich in Siena und an der Tür 
des Baptisteriums zum schwingenden Kranz wie zu einem großen Nimbus zusammen- 
schmiegen, lugen in Arezzo kräftige, gefliigelte Knaben gespannt zwischen den Bäumen 
hervor; und nicht der mittelalterliche Gottessohn wird vom Propheten hier getauft, hier 
steht der Mensch dem Menschen gegenüber, doch beide unter dem Eindruck eines 
heiligen Vorganges. In den derben Proportionen, in der Zeichnung der Füße u. a. 
erinnert das Relief an die wenig ältere Geißlung Christi, wo ja audı die Erzählungs- 


1) Memorie istoridıe per servire di guida al Forestiere in Arezzo Firenze 1819, p. 85: Il 
fonte battesimale che ha de Bassirilievi esprimenti alcuni fatti della vita di nostro Signore, e 
pregiato lavoro di Simone, Fratello di Donatello che lo esegui nel 1339. 

Nuova Guida per la Citta di Arezzo . . . . v. Oreste Brizi. Arezzo 1838, p. 53; I Bassiri- 
lievi del Fonte Battesimale che rappresentano in parte la vita di Jesu scolpiti nel 1339 da Simone, 
fratello di Donatello. 

Ubaldo Pasqui: La Cattedrale Aretina e suoi monumenti. Arezzo 1880, p. 81: Langerer 
Bericht, dessen Inhalt im Text angegeben; bei ihm fehlt die Datierung 1339. — Das Buch soll alle 
in Frage kommenden Urkunden beriicksiditigt haben. 

2) Jahrbuch der pr. Ksts. 1908, Beiheft p. 2 und Cicerone 9. Aufl., p. 190. 


F. Schottmiiller. Zur Donatello-Forschung 41 


weise etwas ganz Neues ist, doch steht jene in der Durchbildung der Form auf 
höherer Stufe. Das Relief von Arezzo ist nicht nur flüchtiger in der Arbeit, was ja 
nicht gegen Donatello spräche, ein paar schwache Einzelheiten deuten auf die Mitarbeit 
eines Gehilfen hin. 

Die figurenreichen Reliefs zur Seite: Die Taufe des Donatus durch den Mönch 
Hilarion und Bischof Donatus tauft einen Ungläubigen — sind von ganz anderer Art. 
Die Schilderung ist ziemlich temperamentlos, ja beinahe nüchtern, aber alle Formen 
sind sehr zierkch behandelt, und viele Typen klingen an die Antike an; einige Profil- 
köpfe, zumeist aber die entschiedene Faceansicht. Statt der breiten, flachen Falten 
der Taufe Christi ziehen sich die Gewänder 
in schmalen, zierlihen Parallelen zum Boden 
hin. Die Architektur entspricht der Zeit um 
1430, den Anfängen der Renaissance, und 
gleiches gilt ja fiir die Taufe Christi. 

Ihre Superiorität ist schon Vasari auf- 
gefallen. Einzig sie hat er erwähnt: „Per lo 
battesimo similmente del vescovado d'Arezzo 
lavorà (Simone) in alcune storie di bassorilievo 
un Cristo battezzato da S. Giovanni.“!) Aber 
die Guiden von Arezzo haben seine Angabe 
auf alle drei Reliefs bezogen, nur von Fabriczy 
nicht; er erkannte hier zwei verschiedene Stile, 
und will Simones Hand zumeist in den Donatus- 
Reliefs sehen. 

Vasaris Kapitel ,Filarete e Simone“ ist 
an Verwechslungen und Irrtümern besonders 
reih. Schon Milanesi erkannte in dem angeb- 
lidhen Bruder Donatellos zwei Künstler, die 
wahrscheinlich beide unter ihm gearbeitet haben, 
ohne doch mit ihm verwandt zu sein: Simone 
Ghini, der Goldschmied, half ihm bei der Grab- 
platte für Martins V.?), der andere: Simone di Nanni Ferrucci, ein Steinmetz aus Fiesole, 
ist vielleicht identisch mit Simone, dem Bruneleschi-Schüler.?) Ihm pflegt man alle Stein- 
arbeiten zuzuschreiben, die Vasari unter dem Kollektivnamen Simone nennt. Die urkund- 
lien Notizen über ihn hat v. Fabriczy an der schon mehrfach zitierten Stelle kürzlich 
zusammengestellt, aber nur ein Werk Simones ist sicher bezeugt: der große Marmor- 


Abb. 2. MICHELOZZO (?) S. Donatus’ Taufe 
O 


Arezzo Dom 


1) Milanesi II, 460. 

2) E. Mintz unterscheidet sogar zwei florentinische BronzegieBer in Rom: Simone di 
Giovanni di Simone Ghini (1404 bis nach 1480, der nach 12—15 Jahren nach Florenz zurückkehrte) 
und Simone di Giovanni di Giovanni (1410 bis nach 1470), der wahrscheinlich zeit seines Lebens 
in der ewigen Stadt verblieb (Mélanges d'Archéologie et d'histoire 1884, p. 290--302); s. auch 
Munoz-Lazzarini: Filarete p. 122. 

3) Milanesi II, 385. 


42 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


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Abb. 3. SIMONE DI NANNI FERRUCCI UND JACOPO Di BARTOLOMEO: 
Marmorrahmen (obere Hälfte) Florenz, S. Marco 


rahmen von 1433 im großen Refektorium von S. Marco. Die Renaissancearchitektur 
erscheint hier noch im Stadium tastender Versuche; mit der antiken Ornamentik sind 
die antiken Proportionen noch nicht wieder gefunden. Auf schmalen Pilastern mit 
einem Rankenfries und geringer Profilierung ruht als dünnes leicht verkröpftes Gebälk- 
stück ein ebensolches Ornament und eine steile Zahnschnittleiste; ihr liegt ein gotisch- 
spitzer Giebel auf. Der figürliche Schmuck beschränkt sich auf den segnenden Gott- 
vater im Giebelfeld und vier Cherubim. 

Vasari schreibt dem „Donatello - Bruder“ Simone neben den Taufreliefs noch 
Arbeiten in Florenz und Rimini, dem „Bruneleschi-Schüler“ Simone solche in Florenz 
und Vicovaro zu. Sind diese Plastiken — soweit sie noch erhalten und nicht bereits 
als falsche Zuschreibung erkannt sind!) — von gleichem Stil und wie stehen sie zu 
dem urkundlich gesicherten Tabernakelrahmen? Die Frage erhält eine merkwürdige 


') Z.B. die Madonna in Or San Michele von Simone di Franc. Talenti. 


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E ES E ONE] 


F. Schottmüller. Zur Donatello-Forschung 43 


Abb. 4. Nach DONATELLO: Pieta i Florenz, Privat-Besitz 


Antwort: Fast keine von diesen angeblichen Arbeiten Simones hat mit dem Stil der 
anderen etwas zu tun; und wo sich eine Verwandschaft erkennen läßt, wie zwischen 
dem Marmorrahmen von S. Marco und den Eckfiguren am Tempietto zu Vicovaro, da 
vermag sie mit Sicherheit nur die gleiche Stufe des künstlerischen Könnens — aus der 
Übergangszeit zur Renaissance — zu erweisen, nicht aber die Hand desselben Meisters °). 
Und schlieBlich ist der Tabernakelrahmen selbst ein sehr schwacher Zeuge fiir das 
Können Simone Ferruccis. Er hat ihn weder allein noch nach eigenem Entwurf ge- 
fertigt, vielmehr zusammen mit Jacopo di Bartolomeo da Settignano nach einer Zeich- 
nung ihres gemeinsamen Lehrers Ghibertis. Doch so viel läßt sich mit Sicherheit er- 


*) Auch die Simone zugewiesenen Reliefs in Rimini, werden eher Ciuffagni zu nennen sein. 


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44 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


kennen, der figürlihe Schmuck am Rahmen ist derber und primitiver; die Donatus-Reliefs 
zierliher und doch renaissancemäßiger in Einzelform und Proportion. Simone Ferrucci, 
der Meister des Tabernakels, kann die Reliefs in Arezzo nicht geschaffen haben. 

Für diese Annahme spricht auch ein weiteres: Simone war in Ghibertis Werk- 
statt, als der Taufbrunnen entstand. Stilkritische Überlegungen wiesen ja für ihn auf 
etwa 1430 hin, und die oben erwähnte Angabe aus zwei alten Führern auf 1339 
scheint eher für solche Datierung als gegen sie zu sprechen: Am Aretiner Taufstein 
wird — wie an dem von Empoli (1443) — das Datum 1429 angebracht gewesen sein, 
und die vierte C ist irrtümlich für eine X gelesen worden. Wer Guiden-Literatur kennt, 
weiß auch, wie gedankenlos solche oft voneinander abgeschrieben, so daß der einmal 
gemachte Fehler immer wiederkehrt. 

Mit Bernardo Rossellino, dem Meister des Misericordia-Reliefs von 1433, und 
mit dem Schöpfer des Royzelli-Grabmals in S. Francesco zu Arezzo haben die Donatus- 
Reliefs nichts gemein. Ihr Stil weist auf einen Donatello-Schüler hin, und das Wahr- 
scheinlichste ist, daß Donatello in den zwanziger Jahren den Auftrag für den Aretiner 
Taufstein erhalten und — wie am Brancaccigrabmal in Neapel — den Entwurf und 
das Relief für die Schauseite geschaffen hat, alles übrige aber seiner Werkstatt über- 
ließ. Er teilte sie damals mit Michelozzo; von ihren Gehilfen ist Pagno di Lapo zu- 
meist bekannt, jedoch von ihm keine eigene Arbeit aus jenen Jahren nachzuweisen. 
Wahrscheinlicher klingt deshalb die Zuweisung des Aretiner Brunnens und der Donatus- 
Reliefs an Michelozzo. Denn auch sein Stil strebt in einer fast klassizistischen Weise 
harmonische Schönheit an. Ahnliche Typen wie in Arezzo finden sich an den Tugend- 
gestalten der Gräber Coscia und Brancacci. Aber in den Reliefs vom Aragazzidenkmal 
sind alle Formen sehr viel wuchtiger und bewegter, und so lange sie für eigenhändige 
Arbeiten des Michelozzo gelten; muß man für die Donatus-Reliefs auf die Fixierung 
ihres Schöpfers verzichten, darf aber den Taufstein — wie er früher gewesen — als 
Arbeit aus Donatellos Werkstatt von 1429 bezeichnen. 


II. 


Ein verschollenes Relief der Pieta. Ein monumentaler Zug ist in dem 
kleinen Tonrelief der Pieta, und seine geschlossene Komposition, wie Ausdruckskraft 
und Typen verraten ohne weiteres die Herkunft aus Donatellos Kreis. Es befindet 
sich heute in florentinischem Privatbesitz. Ich erfuhr seinen Schlupfwinkel — ohne 
nähere Angaben --- von Herrn Professor Schmarsow und danke ihm an dieser Stelle 
noch einmal für seine Liebenswürdigkeit. 

Die obere recite Ecke ist abgebrochen und wieder angesetzt, andere Bruch- 
stellen sind nur in den Narben erhalten. Manche Einzelheiten, so die Muster auf 
Marias Ärmeln und Johannis’ Schultern sind durch den Abdruck aus einer abge- 
brauchten Form sehr flau geworden; ja, die Andeutung von Marias linker Schulter 
nicht mehr erkennbar. Farbspuren fehlen, doch künstliche Schmutzfärbung beweist, 
daß hier ein altes Stück vorgetäuscht werden sollte. Es ist aber nur der moderne 
Abdruck einer alten Komposition. Merkwürdig primitiv wirkt die doppelte Parallelität 
der Arme, auch die Länge der verdeckten ist unverständlich; sehr interessant und edit 


F. Schottmüller. Zur Donatello-Forschung 45 


donatellesk hingegen erscheint die Geste von Johannis’ linker Hand, obwohl sie 
m. W. sonst nicht bei Donatello vorkommt. Man mag zweifeln, ob die Komposition 
eine Zusammenfügung donatellesker Motive sei, oder ob sie aus der Werkstatt des 
Meisters stammt. Ich meine, man darf sich für letzteres entscheiden, denn — trotz 
der entschiedenen Mängel --- hält unser Relief dem Vergleich mit gesicherten Werken 
stand. Besonders nahe steht ihm die Grablegung am Tabernakel in S. Peter, dort 
finden wir einen verwandten Christus-Typus: Maria und Johannes hingegen erscheinen 
noch energischer im Ausdruck und großzügiger in den Formen als in Rom. Deshalb 
darf als Entstehungszeit die Mitte — oder das Ende — der dreißiger Jahre gelten. 

Die Maße sprechen ebenso sehr für einstige Verwendung an einem Sarkophag 
wie in einem kleineren Altar. Der Grund über den Köpfen ist beim Original durch 
gemalte oder eingeritzte Zeichnung belebt gewesen. Vielleicht war dieses ein Marmor- 
relief; die Flächenbehandlung klingt ja an das Stacciato an. Doch kann es auch nur 
Terracotto, und die Werkstattsvergr6Berung nach einer Plakette von Donatello gewesen 
sein. Wir wissen ein gleiches ja vom Silberrelief der Sammlung Schnütgen in Köln,’) 
das — klein in Bronze, groß in gebranntem Ton — im Berliner Museum vorkommt, 
und von der Madonnenplakette mit ausgeschnittenen Konturen im Louvre,*) deren 
Komposition, vergrößert und vergröbert, das Tabernakel der Via di Pietra Piana 
schmiickt. Auch das Tonrelief der Madonna mit zwei Engeln in der Prateser Galerie 
stimmt mit einer schönen Plakette der Sammlung Dreyfus) überein, doch ist die Zu- 
weisung der kleinen, vergoldeten Bronze an Donatello zweifelhaft. 


1) Bode: Florentiner Bildhauer, p. 102. 
2) Schottmüller: Donatello, p. 106,1; v. Fabriczy L'Arte IX, fasc. VI. 
3) Abb. in Les Arts, Aug. 1908, p. 15. 


ST” PANS EN 
Baden 


Bernhard, Maler von Augsburg, und 
die Bücherornamentik der italienischen 
Frührenaissance 


Von Leo Baer 


reg M Jahre 1476 gründeten drei Deutsche gemeinsam 
| in Venedig eine Druckerei, Bernhard, Maler von 
Augsburg, Erhard Ratdolt, ebenfalls aus Augsburg, 
À und Peter Loeslein von Langenzenn in Baiern. 
Aus dieser Offizin gingen eine Anzahl Bücher her- 
LT Ia vor, die wegen der Vorziiglichkeit ihres Drucks, 
der vollkommenen Schönheit des Buchschmucks und der muster- 
gültigen Sorgfalt in der kritischen Abfassung ihrer Texte zu den 
hervorragendsten Erzeugnissen der Buchdruckerkunst gezählt werden. 
Das so erfolgreiche Zusammenarbeiten dieser drei Männer war 
leider nicht von langer Dauer. Bereits 1478 schied Peter Loeslein 
aus der Firma aus, und noch im selben Jahre folgte ihm Bernhard, 
der Maler, um eine Druckerei auf eigene Rechnung zu gründen. 
Ratdolt führte nun allein die Druckerei weiter, erst bis zum Jahre 
1486 in Venedig und dann bis zu seinem 1527 erfolgten Tode in 
seiner Vaterstadt Augsburg. Zahlreich sind die Werke, die während 
Ratdolts langjähriger Druckerzeit bei ihm erschienen; aber nie 
wieder haben sie an künstlerischer Vollkommenheit jene wenigen 
Drucke erreicht, die während der Zusammenarbeit mit seinen beiden 
Landesgenossen aus seiner Offizin hervorgegangen sind. Diese 
Beobachtung muß uns veranlassen, die Rolle, die Peter Loeslein 


Abbildung 1 


L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 47 


und Bernhard in der Druckerei gespielt haben, nicht zu unterschätzen. In welcher Weise 
sich die drei Männer die gemeinsame Arbeit eingeteilt haben, geht aus dem Kolophone 
einer im Jahre 1477 in ihrer Druckerei erschienenen Ausgabe von Appianus, Opera') her- 
vor. Ratdolt war der Drucker (wahrscheinlich auch der Gießer der Typen), Loeslein der 
Korrektor, und Bernhard wird einfach als „Pictor“ bezeichnet. Nun hat schon Passa- 
vant?) die Vermutung ausgesprochen, daß Bernhard die herrlichen Initialen und Bor- 
düren gezeichnet habe, die die Hauptzierde dieser Drucke bilden; auch Lippmann hat 
sich gelegentlich?) in diesem Sinne geäußert. Beide nahmen jedoch irrtümlicher Weise 
an, daß Bernhard ein Italiener gewesen sei, was sie hauptsächlid aus dem ausge- 
sprochenen Renaissancestil der Bordüren und Initialen schließen zu dürfen glaubten. 
Es ist ihnen dabei offenbar entgangen, daß sich Bernhard z. B. in Müllers Kalen- 
darium von 1476 ausdrücklih als „Bernadus pictor de Augusta“ bezeichnet hat. Im 
Gegensatze zu Passavant und Lippmann spricht Butsch‘) diesem Meister jeden Anteil 
an dem Buchschmuck der Ratdolschen Drucke ab, was er damit zu begründen sucht, 
daß Bernhards Ausscheiden im Jahre 1478 keinerlei Einfluß „weder in qualitativer 
noch in quantitativer Beziehung auf die ferneren Erzeugnisse des großen Meisters 
(Ratdolts)“ gehabt hätte. Diese Ansicht teilt auch G. R. Redgrave in seiner vorzüg- 
lichen Monographie über Ratdolts venezianische Druckertätigkeit.”) Er bezweifelt sogar, 
daß das ,Pictor“ oder „Maler“, das Bernhard immer seinem Vornamen beisetzt, eine 
Berufsbezeichnung sei; „Maler“ komme häufig in Deutschland als Nachname vor. Wir 
können dieser Behauptung Redgraves nicht beistimmen. Im Gegenteil — die Berufs- 
bezeichnung tritt in den deutschen Urkunden des XV. Jahrhunderts bei Künstlern und 
Handwerkern öfters direkt hinter den Vornamen, ohne den Nachnamen überhaupt zu 
erwähnen; man legte offenbar dem letzteren damals nur geringen Wert bei und nannte 
die Künstler und Handwerker einfach nach ihrem Berufe. Was den vorliegenden Fall 
betrifft, so wird Bernhard in der einzigen bekannten Urkunde, in der sein Name vor- 
kommt, einem venezianishen Testamente aus dem Jahre 1483°), ausdrücklich als 
„Bernardus de Augusta pictor“ bezeichnet, eine Wortstellung, die keine andere Deu- 
tung zuläßt, als die, hier „Pictor“ als Berufsbezeichnung aufzufassen. Aber auch 
Butschs Einwurf läßt sich leicht wiederlegen. Wenn man die Ratdoltschen Drucke 
sorgfältig auf ihren Buchschmuck hin durchgeht‘), so werden einem bald wesentliche 


1) Hain 1307. 

*) Peintre-graveur I, 134—135. 

») Bucher, Geschichte der technischen Künste, Stuttgart 1875, I, 422f. — Lippmann hat an 
anderer Stelle (Jahrbuch d. K. Preuß. Kunsts. V, 11f.) den Maler Jacobo de’ Barbari mit dem Rat- 
doltsen Buchschmuck in Beziehung zu bringen versucht. Redgrave hat jedoch (Erhard Ratdolt, 
London 1899, S. 11) diese Vermutung als unhaltbar erwiesen. 

‘) Bücherornamentik der Renaissance, München 1878, I, S. 4—5. 

5) Redgrave, Erhard Ratdolt and his work at Venise. (lllus‘rated Monographes issued by 
the Bibliographical Society, No. I.) London 1899, S. 10f. 

6) 1482 (1483). 3 Januarii. — T.s Ego Joannes Romung de Auqusta partibus Alemanie. 
... volo esse meos fideicommissarios . .. Bernardum de Augusta pictorem . . . (Sez. Not. Bel- 
loto Francesco, B.a 377 Test.o 113). Publiziert von Ludwig im Jahrb. d. K. Preuß. Kunsts. XXIII 
(1902). Beiheft, S. 57, Anm. 2. 

*) Vgl. die Zusammenstellung bei Redgrave a. a. O., S. 26 u. 27. 


48 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Unterschiede in der Ausstattung der Bücher vor und nach Bernhards Austritt in die 
Augen fallen. In den Jahren 1476—78 finden wir fast bei jedem Drucke neue Bor- 
düren und Initialen, immer eine prächtiger als die andere. Noch im Anfange des 
Jahres 1478 erschien eine herrliche Bordiire') und ein neues Initialenalphabet.*) In 
dieser Hinsicht tritt aber nach Bernhards Ausscheiden aus der Firma eine bedeutsame 
Anderung ein. Damit soll nicht etwa behauptet werden, daß nach 1478 überhaupt 
Ratdolts Tätigkeit erlahmt sei. Er bringt noch immer eine große Anzahl neuer Typen- 
alphabete heraus, verwendet auch eifrig die alten Bordüren und Initialen, deren Holz- 
stöke er, um Abwechslung zu schaffen, in verschiedenen Farben (besonders rot und 
gold) wiederholt abdruckte. Dagegen ist sein neuer Buchschmuck recht ärmlich im 
Vergleich mit dem der vorhergehenden Jahre. Noch einmal verwendet er im Jahre 
1482 eine neue Bordüre.”) Diese steht jedoch künstlerisch lange nicht so hoch als die 
älteren Zierleisten und zeigt die stilistishen Merkmale eines ganz anderen Meisters. 
Sie enthält ziemlich verschrobene, maureske Knotenornamente, die plump und mit 
wenig Stilgefühl über den Raum verteilt sind. Ich glaube in ihr die Hand eines 
Künstlers zu erkennen, der später die Bordüre für die 1494 in Venedig erschienene 
Ausgabe der „Arithmetica“ des Luca Pacioli‘) gezeichnet hat. Außerdem kommen 
während Ratdolts venezianischer Druckertätigkeit überhaupt keine neuen Bordüren zur 
Verwendung. Ähnlich verhält es sich mit den Initialen. Im „Fasciculus temporum“ vom 
Jahre 1480°) bringt er eine neue Initiale ,G“.*) Diese ist jedoch nur einem Zierbuch- 
staben nachgezeichnet, der sich in einer ein Jahr früher in Venedig bei dem Buch- 
drucker Georg Walch erschienenen Ausgabe’) desselben Werkes findet, wie überhaupt 
der Ratdoltsche „Fasciculus“, sowohl textlich, als in seiner Ausstattung nur eine ziem- 
lich getreue Kopie dieser früheren Ausgabe ist. Noch weniger künstlerishen Wert 
hat eine ganz kleine Initiale „S“,°) die in „Euclides, Elementa“ vom Jahre 1482°) 
auftritt und ganz roh nach dem Muster früherer Initialen entworfen ist, — wie die 
stilistische Unbeholfenheit beweist, das Werk eines ganz unbedeutenden Formschneiders. 
Das ist alles, was Ratdolt in den späteren Jahren seiner venezianischen Tätigkeit von 
neuem Buchschmuck herausgebracht hat. Wie hilflos er nach dem Austritte Bernhards 
war, zeigt sich darin, daß er dort, wo sein alter Initialenvorrat nicht ausreichte, und 
er durch den Text gezwungen war, mehrmals denselben Buchstaben auf einer Seite 
zu drucken, einfache Lombarden (schmucklose große Metallbuchstaben)!°) verwendete, 


1) Abg. bei Redgrave a. a. O., Tafel VI. 
2) Vgl. Redgrave a. a. O., Tafel VIII. 
*) In Müller, Calendarium. Hain 13777. Redgrave a.a.O., S. 26, Borders 7 bezeichnet 
sie als „poor work“. Abg. Prince d’Essling, Livres à figures vénitiens, T. 1, Florence et Paris 
1909. S. 242. 

') Hain 4105. 

5) Hain 6926. 

‘) Abg. Redgrave a.a.O., Tafel IV. 

‘) Hain 6924, 

*) Vgl. Redgrave a. a. O., S. 27, Nr. 6. 

") Hain 6693. 

10) Siehe Redgrave a.a.O., S. 27, Nr. 7—10. 


L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 49 


was den Gesamteindruck des, teilweise mit Initialen geschmückten, Blattes sehr nach- 
teilig beeinfluBte. Auch die eigentlichen Illustrationen der späteren Ratdoltschen Drucke 
tragen keinen künstlerischen Charakter zur Schau und dürfen nicht mit dem durchaus 
originellen und monumentalen Buchscimuck der 70er Jahre in eine Linie gesetzt 
werden.’) Meist sind es nur einfache, lineare Diagramme (zur Illustration mathemati- 
scher und astronomischer Werke). Dort, wo wirkliche Bildholzschnitte vorkommen, sind 
diese durchgängig nach Illustrationen früherer, bei anderen Druckern erschienenen 
Ausgaben derselben Werke kopiert.°) Derartige Arbeiten konnte jeder auch nur 
handwerklich geschulte Formschneider ausführen. Und,‘ daß von diesen in den 80er 
Jahren des XV. Jahrhunderts eine große Anzahl in Venedig ansässig waren, darüber 
sind wir hinlänglich unterrichtet. 


Wenn wir durch unsere bisherigen Ausführungen erfahren haben, daß Bernhard 
von Beruf aus Maler gewesen ist, und daß ferner die künstlerisch schöpferische Tätig- 
keit in der Ratdoltschen Offizin nur so lange Bestand hatte, als er selbst an der Firma 
beteiligt war, so dürfen wir wohl nicht länger mit der Ansicht zurückhalten, daß nur 
_er der Schöpfer jenes künstlerischen Buchıschmuckes gewesen sein kann. Wir sehen uns 
also der eigentümlichen Tatsache gegenübergestellt, daß ein deutscher Künstler als erster 
den typograpischen Renaissancebuchschmuck geschaffen und verwendet hat. Wohl finden 
wir schon in einigen früheren venezianischen Drucken, die bei Wendelin von Speier 
und Jenson erschienen, vereinzelt Holzschnittbordüren und Initialen, die man als Vor- 
läufer ansehen könnte. Diese scheinen uns aber erst nachträglich auf die gedruckten 
Seiten eingepreßt worden zu sein,?) um dem Miniator als Vorzeichnung für die farbige 
Ausmalung zu dienen, so daß es nicht möglich ist, diesen Buchschmuck genau zu 
datieren. Jedenfalls wurde in den Ratdoltschen Drucken erst in zielbewußter Weise 
der Holzschnitt zur Verzierung von Büchern verwendet. Hier tritt das typographische 
Ornament zum ersten Male als selbständiger und in sich abgeschlossener Buchschmuck 
auf und macht die Tätigkeit des Miniators, dem bisher immer die Ausschmückung der 
Bücher übertragen worden war, vollkommen überflüssig. Daß der deutsche Maler 
Bernhard diesen Schritt getan hat, erscheint nicht mehr so merkwürdig, wenn wir 
diese Ornamente nacheinander, wie sie chronologisch entstanden sind, betrachten. — 


1) Butschs (Bücherornamentik I, 5) öfters wiederholte Behauptung, daß Ratdolt Clichés be- 
nützt habe, hat schon Redgrave a.a.O., S. 15 widerlegt. In Ratdoltschen Drucken kommen nie 
zwei gleichartig gezeichnete Initialen auf einer Seite vor. Wohl finden sich gleichartige Initialen 
auf der Vorder- und Rückseite desselben Blattes. Wir wissen jedoch, daß im XV. Jahrhundert 
nicht, wie in unseren heutigen Druckereien, beide Seiten zu gleicher Zeit zum Abdruck kamen, 
sondern daß sie nacheinander gesetzt und gedruckt wurden. Daß Ratdolt gezwungen war, Lom- 
barden zu verwenden, ist ein weiterer Beweis dafür, daß ihm der Gebrauch von Clihés unbekannt 
gewesen ist. Auch zeigt sein Buchschmuck durchgängig den Charakter von Holz- und nidıt von 
Metallschnitten. 

2) Siehe S. 6, Anm. 8. 

3) Daß diese Bordiiren nicht zu gleicher Zeit mit dem Text gedruckt sind, geht daraus 
hervor, daß sich in mehreren Exemplaren desselben Druckes verschiedenartige Bordüren finden; 
bei manchen Exemplaren sind sie überhaupt weggeblieben. Ahnlich verhält er sich mit den Ini- 


tialen. (Vgl. S. 4, Anm. 5.) å 


50 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Zuerst zeichnete Bernhard im Jahre 1476 für die beiden Ausgaben von Müllers Kalen- 
darium') ein Alphabet in einfachem Linienschnitt.*) Längliche, mehrlappige Blätter mit 
ausgezackten Spitzen, die sich meist an den Enden einrollen, schmiegen sih um den 
Buchstabenkörper, der aus Baumästen gebildet zu sein scheint; teilweise hängen kleine, 
ebenfalls ausgezackte Blüten von den Ästen herab und füllen den leeren Raum in der 
Mitte der Buchstaben aus. Das ganze macht noch einen durchaus gotischen Eindruck 
und erinnert lebhaft an einige in frühen deutschen Drucken vorkommende Initialen, 
besonders an solche, die in der Offizin des Ulmer Buchdruckers Johann Zainer ver- 
wandt worden sind. Nur sind Bernhardts Buchstaben viel freier und sicherer ge- 
zeichnet. Ein eigenartiges Raum- und Stilgefühl beherrscht diese Formen und verrät 
sofort die Hand eines echten Künstlers. Der deutsche Charakter der Initialen, der 
schon Pollard*) aufgefallen ist, darf uns jedoch nicht dazu verleiten, dieselben dem 
Meister abzusprechen, der die in den Ratdoltschen Drucken vorkommenden Renaissance- 
Ornamente geschaffen hat. Daran hindert uns der Vergleich mit der für dasselbe Buch 
entworfenen Bordüre®), die in jeder Beziehung, sowohl technisch als auch stilistisch, 
mit den Initialen übereinstimmt. Wir finden hier wieder dieselben in Linienmanier 
gezeichneten, gotish anmutenden Blatt- und Blütenformen. Aber das Ganze durch ` 
weht bereits ein Hauch vom Geiste der Renaissancekunst. Die Seitenleisten sind kan- 
dellaberartig aufgebaut: Pflanzenranken scheinen aus zierlihen Vasen herauszuwachsen, 
ähnlich wie wir es bereits in der Antike und besonders in der Pilasterornamentik der 
Renaissancearchitektur finden. Diese offenbare Anlehnung an die Formen der ange- 
wandten Plastik, die hier zum ersten Male zu beobachten ist, ist für die Entwickelung 
des venezianischen Holzschnitts von der größten Bedeutung gewesen. Denn gerade 
die Vorliebe für Verwendung plastischer Motive gibt diesem eine ganz eigenartige 
Stellung in der Geschichte der graphischen Künste und bringt ihn in eine gegensätz- 
liche Richtung zu allen anderen Schulen.®) Mit Recht hat Redgrave*) auf die Ahnlich- 
keit unserer Bordüre mit der Ornamentik der Illustrationen des Poliphilo hingewiesen; 
sie erscheint tatsächli als eine Vorahnung jener so oft gepriesenen Musterleistung 
venezianischer Buchkunst. Die beiden kleinen Vignetten, die den unteren Ab- 
schluB der Bordüre bilden, leiten mit ihren eigentümlichen Schlingmotiven schon zu 
den späteren Arbeiten Bernhards über. Freilich technisch unterscheiden sich jene 
wesentlih von seinen Erstlingswerken. Er arbeitete von nun an in der sogenannten 
Sgraffito-Manier, die er wahrscheinlich als erster‘) in die typographische Bücherorna- 


1) Hain 13776 u. 13789. 

*) Redgrave a. a. O., S. 27, Nr. 1, abg. Tafel III. 

3) Italian Book Illustrations, London 1894, S. 10. 

1) Abg. Redgrave a.a.O., Tafel II und Essling a. a. O., I, 241. 

*) Vgl. Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, S. 126. 

‘) Erhard Ratdolt a. a. O., S. 7. 

‘) Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Vorrang, diese Art der Ornamentik eingeführt zu 
haben, römischen Druckern gebührt. Eine in diesem Stil gehaltene Titeleinfassung findet sich in 
einem Exemplar des 1465 von Sweynheim und Pannartz in Subiaco gedruckten Lactantius (Hain 
9806), das Lippmann (Jahrbuch d. K. Preuß. Kunsts. III, 7) gesehen hat. Einige Initialen, die 
Bernhards Arbeiten sehr ähnlich sind, zeigt auch ein Exemplar des bei denselben Druckern 1470 


L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Bücherornamentik 51 


mentik einführte. Durch sie gab er erst dem Buchscimuck der Frührenaissance sein 
charakteristisches Gepräge. Diese Bordüren und Initialen bestehen aus einem schwarzen 
(bei Rotdruck natürlich rotem) viereckigen Block, aus dem sich die Zeichnung in weißer 
Farbe abhebt. Durch den dunkeln Grund erhalten jene Schmuckstücke einen graden 
äußeren AbschluB, und es wird ihnen außerdem dank ihrer vorherrschend schwarzen 
Farbe ein besonderer Nachdruck verliehen. Besonders für die Initialen eignet sich 
diese Art der Ornamentik in hervorragendem Maße. Durch den gradlinigen Abschluß 
passen sie sich den ruhigen Formen der Antiqua besser an, als die offene gotische 
Initiale, die mit ihren unregelmäßigen Konturen immer die Harmonie des Druckbildes 
zerreiBt. Die besondere Betonung durch die schwarze Farbe, wodurch die Zierbuch- 
staben sofort ins Auge fallen, ist deshalb zweckmäßig, weil dadurch die Initialen ihre 
Aufgabe, die Kapitel- und Abschnittanfinge zu bezeichnen, in ausreichendem Maße 
erfüllen können, ohne daß diese Textabschnitte durch das, den typographischen Ein- 
druck störende, „Einrücken“ der ersten Textzeile noch besonders markiert zu werden 
brauchen.!) Damit nun der schwarze Hintergrund nicht allzu aufdringlich wirkt, hat 
Bernhard die Fläche durdı Ornamente belebt, die den weiß ausgesparten, sehr kräftigen 
Buchstabenkôrper umgeben und die Fläche ziemlich gleichmäßig überspinnen. Zunächst 
hat er hierbei regelmäßige, meist spiralenförmig ineinandergeschlungene Pflanzenstengel 
verwendet, die in der Mitte in ebenfalls stark stilisierten Blüten endigen. Die Blüten- 
stengel treten sehr stark hervor und beherrschen durch ihre ruhigen Linien das Ganze.’) 
Gerade in dieser durch die Stilisierung erreichten Hervorhebung der Hauptlinien, die sich 
regelmäßig über den ganzen Raum verteilen und dem Ornament eine außerordentliche 
Ruhe verleinen, haben wir ein besonderes Charakteristikum der Renaissanceornamentik 
zu erblicken. Übrigens ist das hier verwendete Hauptmotiv nichts weiter als eine Ab- 
leitung von der sogenannten Schlingornamentik, die in der Miniaturmalerei schon seit 
den Zeiten der merovingischen Kunst?) sehr verbreitet gewesen ist und auch bei der 
malerischen Ausschmückung früher italienischer Inkunabeln mit Vorliebe Verwendung 
gefunden hat. Vornehmlich die venezianischen Erstdrucke haben fast durchgängig der- 
artige mit Schlingornamenten verzierte, gemalte Bordüren und Initialen, wobei die 
Zierformen meist aus einem blauen Untergrunde weiß ausgespart sind. Wenn Bern- 
hard sie von diesen Vorbildern übernahm, so liegt die Vermutung nahe, daß er viel- 
leicht selbst vor seinem Eintritte in die Druckfirma als Miniaturmaler mit der Aus- 
schmückung von Inkunabeln beschäftigt gewesen sei. Nimmt man das an, so würde 


erschienenen Sueton (Hain 15115) in der Rylands-Library in Manchester. Da jedoch dieser Buch- 
schmuck in der Mehrzahl der erhaltenen Exemplare nicht vorkommt, muß man annehmen, daß er 
in die oben angeführten Bücher erst nachträglich mit der Hand eingefügt worden ist. Und es ist 
nicht ganz unwahrscheinlich, daß dies erst Ende der 70er Jahre auf die von den Ratdoltschen 
Drucken ausgehende Anregung hin geschehen ist. 

1) In neuster Zeit hat man auch die störende ästhetische Wirkung des „Einrückens“ er- 
kannt und ist in den Erzeugnissen modernster Typographie wieder darauf zurückgekommen, die 
Kapitelanfänge nur durch viereckig abgeschlossene Initialen zu bezeichnen. 

2) Diese Initialen sind besonders wirkungsvoll, wenn, wie das in der Regel gesdiehen ist, 
der Buchstabenkern mit der Hand rot ausgemalt wurde. 

3) Die sie von der Antike übernahm. 


52 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


auch die erstaunliche Sicherheit, mit der er, ein deutscher Künstler, die italienische 
Renaissanceornamentik handhabte, eine einfachere Erklärung finden. — Dieser Gruppe 
von Buchornamenten gehören drei Initialensätze und ebensoviele Bordüren an, die in 
der 1477 gedruckten Ausgabe von Appianus Opera’) (siehe Abbildung 1 und Initiale I, 
S. 46), in Dionysius, De situ orbis desselben Jahres?) und in Melas Cosmographia 
von 1478?) (siehe Initiale V, S. 53), zuerst Verwendung gefunden haben. Aber schon 
im selben Jahre macht Bernhard wieder neue Versuche. Bereits einige Initialen in 
Appianus, Opera‘) (Siehe Initiale D, S. 56) veraten einen ganz andersartigen und 
durchaus selbständigen Stil. Eine Bordüre und Initialen desselben Charakters finden 
sih auch in Cepio, Gesta P. Monici vom Jahre 1478.°) (siehe Abbildung 2). Das 
eigentümliche dieser Ornamentik besteht darin, daß bei ihr die Pflanzenstengel dünner 
werden und nicht mehr so sehr in die Augen fallen. Dagegen treten in den Zier- 
stücken jener Gruppe kleine, stilisierte Blättchen und Blüten stärker hervor, die als 
weiße Punkte erscheinend in gleichmäßiger Verteilung tupfenartig die ganze Fläche 
bedecken und nur wenig schwarzen Zwischenraum freilassen. Hier hat Bernhard 
vielleicht den schönsten, und jedenfalls den harmonischsten Buchschmuck geschaffen, 
der jemals zur Verzierung gedruckter Werke benutzt worden ist. Ihm ist es zuzu- 
schreiben, wenn man so oft die Zierformen der Ratdoltschen Drucke als vorbildlich 
gerühmt hat. Und auf ihn hat auch William Morris zurückgegriffen, als er daran 
ging, den Grundstein zu unserer modernen Buchkunst zu legen. — Die letzte Zier- 
leiste, die Bernhard für die Ratdoltsche Offizin zeichnete, — sie findet sich in der 
„Ars moriendi“ von 1478°) (siehe Abbildung 3) — mutet uns wieder mehr „deutsch“ 
an. Eichenblätter und Eicheln bilden das ornamentale Beiwerk. Der Künstler scheint 
hier bestrebt gewesen zu sein, die verschlungenen Stengel, die Blätter und die 
Früchte in gleichem Maße zur Geltung zu bringen und durch strenge, fast über- 
triebene Stilisierung die Raumfüllung noch konsequenter durchzuführen. Den Kranz 
in der Mitte der unteren Leiste, der zur Aufnahme eines Wappens bestimmt ist, 
aber lange nicht so elegant wirkt, als die gekreuzten Wappenschilder des „Cepio“, 
hat er aus der Miniaturmalerei übernommen. Im ganzen erscheint diese Bordüre etwas 
schwerfällig und steht nicht auf der gleichen künstlerischen Stufe, wie die älteren 
Erzeugnisse von Bernhards Bücherornamentik. 


1) Hain 1307. Vgl. Redgrave a. a. O., S. 26, Borders Nr.2u.3, S. 27, Nr.2. Abg. Redgrave 
T.I u. IX und Essling a. a. O., I, 217 u. 218. 

2) Hain 6226. Vgl. Redgrave S. 26, Borders Nr. 5. Abg. Essling a. a. O. I, 244. 

3) Hain 11016. Redgrave S. 27, Nr. 5. Abg. T. VIII. 

4) Vgl. Redgrave a. a. O., S. 27, Nr. 3. Abg. Tafel V u. VI. 

*) Hain 4849. Vgl. Redgrave a. a.0., S. 26 u. 27, Nr. 3. Abg. Redgrave T. V u. Essling 
a.a.O., I, 243. 

6) Hain 4392. Vgl. Redgrave S. 26, Borders Nr.6. Abg. Redgrave T.VI u. Essling a. a. O., 
I, 251. Von der großen Initialenserie (Redgrave S. 27, Nr. 2), deren übrige Buchstaben der vorigen 
Gruppe angehören, ist das I bereits in dieser Art gezeichnet. 


BER Bernhards Lebensschicksale vor 

und nach seiner Tätigkeit in der 

Ratdoltschen Druckerei besitzen wir 

nur spärliche Nachrichten. Daß er 

j in Augsburg geboren ist, scheint 
festzustehen. Er muß aber schon ziemlich früh 
ausgewandert sein. Denn in dem um 1460 von 
Thoman Burgmair angelegten Augsburger Hand- 
werkerbuche') kommt sein Name nicht mehr vor. 
Wahrscheinlich ist er, wie wir es schon oben 
vermutungsweise ausgesprochen haben, vor seiner 
Tätigkeit als Drucker und Formschnittzeichner in 
Venedig als Miniaturmaler beschäftigt gewesen. 
Nach seiner Trennung von Ratdolt im Jahre 1478 
gründete er sofort auf eigene Rechnung eine neue 
Druckerei, aus der aber nur ein Buch, Basilius, 
Liber ad juvenes”) hervorgegangen ist. Ob dieses 
Buch Ornamentschmuck enthält, konnte ich leider 
nicht ausfindig machen, da mir ein Exemplar des- 
selben nicht erreichbar war.*) Es ist dies auch an 


(Cth DIN 


Coni 
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#9) 


') Vgl. Vischer, Studien zur Kunstgeschichte, Stuttgart 
1886, S. 479. 

2) Hain 2694. 

) Proctor (An index to the early printed books 
in the British Museum, I, London 1898, S. 295) stellt 
überhaupt die Existenz dieses Druckes in Zweifel und 
vermutet eine irrtümliche Angabe von Hains Quelle. 
Hain selbst hat das Buch auch nicht gesehen. Redgraves 


vas 
verse 


a 
A + 
9 P: Be? 


seus t a: see DENT, 
o 3; 00 (MALO 7 LPS TI" ee 


- 


Abbildung 2 


54 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


und für sich ziemlich belanglos, da wir in diesem Drucke offenbar nur einen mit unzu- 
reichenden Mitteln unternommenen Versuch zu erblicken haben, der nicht den gewünschten 
Erfolg hatte und deshalb auch gleich wieder aufgegeben wurde. Womit sich Bernhard dann 
beschäftigt hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls war er noch 1483 in Venedig ansässig, 
was die oben erwähnte Urkunde!) beweist. Nicht wahrscheinlich ist es, daß er weiter 
für Ratdolt gearbeitet hat. Denn, da er eine Konkurrenzdruckerei errichtet hatte, so 
kann man daraus schließen, daß er sich nicht freundschaftlih von seinem früheren 
Kompagnon getrennt habe. Auch hat, wie wir oben nachgewiesen haben, in diesen 
Jahren die Ratdoltsche Offizin nichts hervorgebracht, was auf der künstlerischen Höhe 
von Bernhards beglaubigten Arbeiten steht. Aus diesem Grunde möchten wir ihm 
auch nicht, wie Passavant*) vermutet, die Holzschnitte des 1482 bei Ratdolt erschienenen 
Hygius’) zuweisen. Die in dieses Buch eingedruckten Darstellungen von Sternbildern 
sind nur rohe Kopien nach älteren Planetenbüchern‘), mit denen wir Bernhards 
Werk nicht belasten dürfen. Ebensowenig können wir Nagler beipflichten, der?) in 
Bernhard den mysteriösen Meister b der Mallermi-Bibel und des Poliphilo vermutet. 
Davon hält uns schon die Überzeugung ab, daß der Meister b bloß ein Formschneider 
war, der nadh den Entwürfen verschiedener Künstler gearbeitet hat. Dagegen müssen 
wir Bernhard in erster Linie als Zeichner ansehen. Ob er seine Entwürfe auch selbst 
auf den Holzstock übertragen hat, ist zum mindesten zweifelhaft, übrigens für die Be- 
urteilung seiner künstlerischen Fähigkeiten nicht von Belang. Noch unbegründeter er- 
scheint uns Naglers®) Vermutung, daß unser Meister der bekannte venezianische Buch- 
drucker Bernardinus de Vianis von Vercelli gewesen sei, der erst von 1495 an in 
Venedig nachweisbar ist. Die Hypothesen, ihn mit einem Bernardinus Pictoricus aus 
Perugia zu identifizieren‘) oder ihm einen „b“ bezeichneten Augsburger Holzschnitt 
mit der „Dornenkrönung“ zu geben“), weist Nagler selbst als unhaltbar zurück. Wichtiger 
und interessanter ist folgende Notiz Naglers”): „Wir haben von einem sehr schönen 
Holzschnitte mit der Madonna und dem Kinde Kunde, auf dem der Name des Meisters 
stehen soll. In der Auffassung und Zeichnung erinnert das Blatt an die paduanisch- 
venezianische Schule, und nach der Sicherheit der technischen Ausführung zu urteilen, 
kann dieß nicht das einzige Blatt des Künstlers sein.“ Ein voll bezeichneter, figür- 
licher Holzschnitt unseres Meisters wäre freilich für die Kenntnis seiner Kunst von der 


a. a. O., S. 10) Behauptung über Butschs Charakteristik der Druckausstattung dieses Buches beruht 
auf einem Mißverständisse des deutschen Textes. 

1) Vgl. S. 2, Anm. 1. 

*) Peintre-graveur I, 135. 

3) Hain 9062. 

1) Zum Teil sind sie offenbar von einer in Kupfer gestochenen Planetenfolge kopiert 
worden, die Lippmann in den Veröffentlichungen der „Internationalen Chalkographischen Gesell- 
schaft“ 1893, Tafel Biff. herausgegeben hat. 

*) Nagler, Monogrammisten I, 714. 

9) Nagler, Monogrammisten I, 714. 

7) Monogrammisten I, Nr. 1804. 

5) Monogrammisten I, 719, Nr. 1614. 

P) Monogrammisten, I, 714. 


Abbildung 3 


größten Wichtigkeit und würde uns vielleicht 
auch in die Lage versetzen, ihm andere vene- 
zianische Holzschnitte zuzuweisen. Die An- 
gaben Naglers, der selbst das Blatt nicht ge- 
sehen hat, sind jedoch so unbestimmt, daß 
wir gezwungen sind, uns jedes Urteils zu 
enthalten, bis wir den Holzschnitt selbst wieder 
aufgefunden haben. — Übrigens ist es uns 
nicht unwahrscheinlich, daß Bernhard in der 
späteren Periode seiner Tätigkeit, das heißt 
nach seinem Austritte aus der Druckerei, über- 
haupt das Entwerfen von Buchzierrat auf- 
gegeben und sich seinem eigentlichen Berufe, 
dem des Malers, wieder zugewandt habe. Wir 
kennen eine Anzahl Bilder aus dem Ende des 
XV. und dem Anfange des XVI. Jahrhunderts, 
die einen merkwiirdigen Mischstil deutscher 
und italienischer Kunstweise zur Schau tragen, 
so daß es uns schwer fällt zu entscheiden, ob 
wir sie einem in Italien arbeitenden deutschen 
Künstler oder einem von deutscher Kunst beein- 
flußten Italiener zuweisen sollen. Ein kürzlich 
von dem Berliner Kaiser Friedrich - Museum 
aus der Sammlung Kann erworbenes Porträt’) 


') Vgl. Amtliche Berichte aus der Königlichen 
Kunstsammlung, Berlin 1908, S. 123. 


56 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


ist ein charakteristisches Beispiel dafür. Vielleicht gehören Bernhards Bilder zu dieser 
Gruppe. Aber das ist nur eine Vermutung, die sich vorerst nicht durch sichere Gründe 
belegen läßt und nur ganz allgemein die Richtung andeuten soll, wie wir uns Bernhards 
Tätigkeit als Maler vorzustellen haben. Weiter können wir in dieser Frage erst 
kommen, wenn sich noch urkundliche Notizen über diesen Meister finden sollten, und 
wenn vor allem einmal Sein eigentlicher Familienname bekannt werden würde. 


{{IE Spuren von Bernhard, des Malers, Persönlichkeit, ja beinahe alle 
Daten seines Lebens, sind fast ganz in Vergessenheit geraten. Aber 
die Erzeugnisse seiner künstlerischen Wirksamkeit haben anregend und 
befruchtend gewirkt auf die Entwicklung der Bücherornamentik aller 
Kulturvölker bis in die neuste Zeit. Für die künstlerische Ausstattung 
der italienischen Drucke blieb sie in den beiden letzten Jahrzehnten des 
XV. Jahrhunderts vorbildlit, sogar fast allein maßgebend. Und als Erhard Rat- 
dolt im Jahre 1486 wieder nach Deutschland zurückkehrte, um in seiner Vaterstadt 
Augsburg eine Druckerei zu entrichten, da brachte er die alten Stöcke der von Bern- 
hard entworfenen Initialen und Bordüren dorthin mit. Von nun an verwendete er sie 
öfters in seinen zahlreichen, meist lithurgischen Drucken, die in der neuen Offizin 
herauskamen.!) Diese Erscheinung ist von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung 
gewesen. Wir finden in den Ratdoltschen Drucken zum ersten Male italienische Re- 
naissanceornamente auf deutschem Boden; es ist dies überhaupt der erste Schritt zur 
Verpflanzung der Renaissancekunst nach Deutschland, ein Vorgang, der eine so ein- 
schneidende Wandlung in der Entwicklung der deutschen Kunst herbeiführen sollte. 
Man mag über den Wert der Renaissancekunst verschiedener Meinung sein und ohne 
weiteres zugeben, daß sie, als sie von den Epigonen des XVI. Jahrhunders mißbraucht 
wurde, für die deutsche Kunst verhängnisvoll geworden ist. Aber das läßt sich jeden- 
falls nicht bestreiten, daß damals, bei ihrem ersten Auftreten, die Renaissanceorna- 
mentik von den deutschen Künstlern — und auc von den allergrößten — mit Be- 
geisterung aufgenommen wurde. Und das ist auch leicht begreiflich. Die Gotik hatte 
sih überlebt. Man war müde geworden, immer wieder dieselben Formen zu sehen, 
die zwei und ein halbes Jahrhundert fast unbeschränkt die deutsche Kunst beherrscht 
hatten. Selbst die gezwungen unruhige, in ihrer wilden Unregelmäßigkeit fast sensa- 
tionshaschende, spätgotische Fischblasenornamentik konnte keine neuen Lösungen mehr 
bringen. Unter diesen Verhältnissen tauchte die Renaissanceornamentik mit ihrer „gött- 
lien Ruhe“ auf, jene abgewogenen Formen, die durch überlegene Sicherheit in der 
Beherrschung von Linie und Raum mit jedem Zug den ästhetischen Bedürfnissen eines 
stilsuchenden Zeitalters entgegenzukommen schienen. Vornehmlic in der Ausstattung 
des gedruckten Buches, wo es galt, auch die durch die Erzeugnisse der mit reicheren 
Mitteln arbeitenden Handschriftenmalerei verwöhnten Augen zu befriedigen, und wo 
man daher von jeher auf eine möglichst stilvolle Gestaltung des Druckbildes den 
größten Wert gelegt hatte, fand die Renaissanceornamentik einen günstigen Boden. 


1) Bereits in der Druckankiindigung von 1486 (abg. in Burger, Monumenta Germaniae et 
Italiae typographica, Tafel 5) findet sich eine solche Initiale. 


L. Baer. Bernhard, Maler von Augsburg, und die Biicherornamentik 57 


Die Ratdoltschen Initialen und Bordüren mit ihren einfachen Pflanzen- und Bandmustern, 
die sich weiß ausgespart aus dem schwarzen Grunde hervorheben, blieben 30 Jahre 
lang für die Renaissanceornamentik der deutschen Buchkunst vorbildlich, bis sie im 
zweiten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts durch reicher mit figürlidien Motiven belebte 
Zierstücke, die man dem venezianischen Hochrenaissancebuchschmucke nachbildete, er- 
setzt wurden. Aber auch in den anderen Ländern, in den Niederlanden, in Frank- 
reich und Spanien finden wir analoge Entwicklungen. Selbst die berühmten Initialen, 
die Geoffroy Tory um das Jahr 1536 für den Pariser Verleger Estienne entwarf, sind 
eigentlich nichts weiter als Variationen der von Bernhard erfundenen Motive. In der 
Folgezeit ist man immer wieder auf dieselben zurückgekommen, wo man bestrebt war, 
ein harmonisches Zusammenstimmen von Druck- und Buchschmuck durchzuführen. Als 
William Morris im Jahre 1891 die Kelmscott-Press gründete, um in zielbewußter Weise 
eine allen ästhetischen Ansprüchen gerecht werdende Buchkunst zu schaffen, da nahm 
er sich vor allem jene Bordüre Bernhards mit dem maiglöckchenartig auf den schwarzen 
Grund gestreuten Blumen- und Blattornamenten zum Vorbild, die wir in unserer 
dritten Gruppe beschrieben haben. Die moderne Buchausstattung wandelt in Morris’ 
Bahnen. Noch heute greift jeder Drucker von Zeit zu Zeit zu ähnlichen Bordüren und 
Initialen. Er wei wohl, daß keine andere Ornamentik sich so gut den ruhig abge- 
wogenen Linien der Antiqua anschmiegt. Keiner ahnte jedoch wohl, daß diese Formen 
zuerst ein deutscher Meister in Italien ersonnen hat. 


La Chastelaine de Vergy in der Kunst des 
Mittelalters 


Von Karl Borinski 


Unsere in Heft 10 des ersten Jahrgangs der Monatshefte vorgetragene Deutung 
des ,Giorgione“ zugeschriebenen Halbfigurenbildes im Buckingham Palace und der 
Casa Buonarroti auf die Novelle von der Kastellanin von Vergy erfahrt eine innere 
Stiitze durch die Beliebtheit des gleichen Vorwurfs bereits in der Kunst des Mittel- 
alters. Das von uns erwähnte altfranzösische Fabliau, zuerst von Méon 1808, jetzt 
(1892) sehr sorgfältig mit einer historischen Schlüsseleinleitung von G. Raynaud in 
der Romania (XXI, 145—193) herausgegeben, erfreute sich solcher Beliebtheit, daß acht 
Handschriften aus dem XII. und XIV. Jahrhundert, sieben aus dem XV. und XVI. für 
den Text benutzt werden konnten. La chastelaine de Vergy und ihr todestreuer 
chevalier steht unmittelbar neben Tristan und Isolde, dem Kastellan von Coucy (bei 
uns durch Uhlands Ballade bekannt), der Dame von Fayel in der formelhaften 
Anführung berühmter Liebespaare (um nur Hervorstechendes zu erwähnen z. B. bei 
Froissard im Paradis d’amour und Prison amoureuse, Poésies publ. par A. Scheler 
I, 30, 217). Auch in Italien nennt Boccaccio (Decamerone III, 10) unmittelbar neben 
Guglielmo Guardastagno, dem italienischen Castellan von Coucy, „la dama del Vergiü“, 
von der Dioneo und Fiammetta sangen. Sogar in den letzten Jahrhunderten kann 
Raynaud den Stoff noch lebendig nachweisen. Die Anspielungen auf ihn sind sogar 
auf dem heutigen französischen Vaudeville-Theater noch nicht erloschen. 

Ein in der Gesellschaft und zumal der hohen Gesellschaft eines reichen und 
kunstblühenden Landes wie Burgund so beliebter Erzählungsstoff, der noch dazu 
vermutlich (vgl. Raynaud a. a. O. III, p. 151—55) auf einen dortigen Hofskandal 
zuriickgeht, kann nicht ohne sofortige Spuren in der bildenden Kunst geblieben sein. 
Indem wir die Blicke der bez. Spezialisten namentlich auf Teppichen, Schiisseln (Arrazzi, 
Fajencen) u. ä., die ja nicht selten ikonographische Rätsel aufgeben, dafür interessieren 
möchten, exemplifizieren wir hier zur Probe auf eine Reihe von Elfenbeindarstellungen, 
die eine soeben in reicher Ausstattung vorliegende englische Veröffentlichung ') dar- 
bietet. Wir bezeichnen sie nach ihrer Reihenfolge mit A B c d E, wobei die großen 
Buchstaben die größeren, aus mehreren Feldern bestehenden Darstellungen treffen, die 
kleinen die nur aus einem Felde bestehenden. Es handelt sich nach der Einleitung 
des Herrn Dr. L. Brandin (p. 14f)) um ein Elfenbeinkästchen des XIV. Jahrhunderts, 
gegenwärtig in Case F im Mediaeval Room des British Museum. Nur wenig soll sich 
von ihm unterscheiden ein Elfenbeinkästchen aus gleicher Zeit im Louvre, das M. Emile 


1) The chatelaine of Vergy: a romance of the XIIIth century: translated by Alice Kemp- 
Welch: the french text from the edition Raynaud: introduction by L. Brandin Ph. D. — Chatto and 
Windus: publishers. London 1907. Herr Dr. Max Maas in Miinchen, dem wir den Hinweis ver» 
danken, hat uns die Abbildungen bereitwilligst zur Verfügung gestellt. 


K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 59 


Molinier in seinem Catalogue du Musée du Louvre beschreibt. Auf ihm soll jedoch 
eine abschlieBende Darstellung zugefiigt sein, die Szene wie der Herzog ins Kloster 
geht, vorgeführt durch seinen Kniefall vor einem Geistlichen, der ihn segnet und mit 
einem Kreuze beschenkt. Verschiedene Fragmente aus Szenenfolgen des gleichen 
Stoffes verzeichnet der Catalogue de l'Exposition retrospective de l'art francais au 
Trocadero in 1889 p. 18, No. 122 und 123. 

Da der genannte englische Herausgeber es unterläßt, die detaillierte Szenenfolge 
seines Elfenbeinkästchens nadı dem Texte des Fabliau (bis auf zwei von selber klare 
Szenen!) zu erklären, sich eher durch Allgemeinheiten in der Unterschrift darum herum- 
drückt, wollen wir vor einem Publikum, das die fast wörtlich mit dem Fabliau über- 
einstimmende Novelle eben genossen hat, dies nachzuholen versuchen: 

A. Das Eröffnungsbild der englischen Publikation, offenbar der Deckel des 
Kästchens: acht Szenen in gotischem MaBwerkornament, je zu zwei nebeneinander- 
gereiht und durch parallele Stäbe von einander geschieden. Man muß alsbald scheiden 
zwischen den vier Szenen links und den vier rechts. Denn die ersteren (1, 2, 5, 6) 
führen das Liebespaar vor, kenntlich durch die regelmäßige Assistenz des für seine 
Rendezvous so wichtigen Hündchens. Dieses fehlt auf den vier letzteren (3, 4, 7, 8) 
durchaus, die der Herzogin und dem Herzog gewidmet sind. 

1) Der Ritter der Dame — mit dem Hündchen auf dem Schoß — kniend seine 
Liebe gestehend (rechte Hand auf dem Herzen, die linke, ebenso wie sie, aus- 
breitend). 

2) Die Huldigung des nun neben ihr Sitzenden ist angenommen, der Bund 
wird durch die rechten Hände besiegelt. Die erhobene ausgebreitete Linke der Dame 
scheint zu fordern (die Verschwiegenheit), bezw. abzuwehren (den Verrat des Liebes- 
geheimnisses). Das bereits dramatisch engagierte Hündchen springt fröhlih an 
ihr hinauf. 


60 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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5) Gartenszenerie, durch einen Baum geteilt. Links kost sie das Hiindchen,. 
offenbar in Erwartung seiner, rechts entlaBt sie es zu seiner bedeutungsvollen Aufgabe. 

6) Die Liebenden auf dem Lager in inniger Umarmung. 

3) Die Herzogin, durch ihre Krone genau kenntlim gemacht, sucht den Ritter 
zu verführen. Der Künstler wird hier drastischer, als sein poetisches Original, wo sie 
ihn nur beschwatzen will, durch das hinter ihnen bereite Lager, welches die Szene 
ganz zu der biblischen zwischen Joseph und der Frau Potiphar stempelt. 

4) Die Herzogin (gekrönt) dem Herzoge, dessen damals modische Tracht schon 
etwas Geistliches ankündigt, ihre Lüge insinuierend und mit der rechten Hand auf der 
Brust beteuernd, welche er mit beiden Händen ablehnt. 

7) Hier hilft sich der Künstler sehr merkenswert. Statt der künstlerisch nicht 
darstellbaren Auseinandersetzung zwischen dem Herzog und dem Ritter läßt er jenen ihn 
einfach mit dem Schwerte bedrohen und diesen durc einen Fußfall in die Forderung 
des Herzogs willigen. 

8) Der Herzog vom weisenden Ritter an der Hand (im Dunkel!) an den Ort 
des Rendevouz geführt. 


E. Die letzte Abbildung der englischen Publikation, eine Breitseite (Rückseite) 
des Kästchens, vier Felder, durch die gleichen Stäbe geteilt. Daß sie der Editor nicht 
verstanden hat, entnimmt man schon aus der Anordnung. Denn die Szenenfolge 
(1, 2, 3, 4) bringt die unmittelbare Fortsetzung zu der des Deckels und gehört an die 
zweite Stelle nicht. an den Schluß. 

1) Szene im Garten der Chatelaine. Ein Baum trennt den (dahinter versteckten) 
Herzog vom Ritter, der auf das an ihm heraufspringende Hiindhen deutend, 
diesem folgt. 

2) Die Liebenden treffen sich in zärtliher Umarmung im Garten (von zwei 
Bäumen eingeschlossen). Das Hiindchen hat offensichtlich zu ihr hingeleitet. Auch hier 
scheidet sich die linke von der rechten Hälfte. Denn 


K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 61 


3) führt wieder in das herzogliche Ehegemach. Der Herzog, dessen legere 
Beinhaltung seine Kapitulation vor seiner (gekrönten) Frau anzeigt, beschwört sie mit 
Handschlag und aufgehobenem Zeigefinger nichts zu verraten, was sie mit der Hand 
auf dem Herzen bekräftigt. 


4) kann kaum erklärt werden, wenn man nicht auf den altfranzösischen Text 
zurückgeht. Und auch in diesem wird einem erst nach einigem Besinnen die Stelle 
deutlich, die dem Künstler bei der Szene vorgeschwebt hat. Sie ist keineswegs sehr 
dramatish. Es handelt sich in ihr nur um die Botschaft, die der Herzog an die 
Damen seines Hofes und in erster Linie an seine Nichte erläßt, sie zu sich einzuladen. 
Ed. Raynaud v. 684 sq.: 


. + . Que li dus tint cort mout pleniere, 
Si qu'il enovia par tout querre 

Toutes les dames de la terre 

Et sa niece tout premeraine 

Qui de Vergi est chastelaine. 


Der Künstler hat als echter mittelalterlidier Epiker diese Szene zur Motivierung 
des Erscheinens der Chatelaine am Hofe nicht missen mögen. Ein gegürteter Bote, 
der Tracht (besonders des Haares!) und der Ähnlichkeit nach ihr Ritter, übergibt ihr 
kniend einen groß gesiegelten Brief, den sie, nachdenklich die Augen abwendend, 
zögernd (kaum zufassend) annimmt. 

Nun mußte die Hauptszene zwischen den beiden Rivalinnen — die Peripetie 
der kleinen Tragödie kommen. Jedoch sie fehlt. Der Künstler hat sich offenbar die 
Charakterisierung der beiden Feindinnen, von denen die eine die andere durch ein 
hingeworfenes Wortchen zu Tode kränkt, nicht 
zugetraut — zumal in seinem spröden Material. 
Er hilft sich damit, sn 

c) bloB die groBe Damencour durd einen 
Reigentanz von Frauen zwischen festlichen Musi- 
kanten darzustellen. (Eine der Schmalseiten des 
Kästchens.) In den beiden mittleren Frauen darf 
man nach Ähnlichkeit und Haarputz (Diadem 
der einen, Krone der andern) wohl die beiden 
Rivalinnen erkennen. 

Nun folgt erst 


B, die bei dem englischen Herausgeber 
gleih auf den Deckel folgende vordere Breit- 
seite des Kastchens. Daß es die vordere ist, 
und vom Künstler gleich als sole geplant war, erkennt man an dem quadratischen 
Plättchen für das Schlüsselloch, nach dem sich die angrenzenden Kompositionen richten. 
Die Einteilung der Felder erfolgt im Übrigen wie bei E durch die parallelen Stäbe: 


1) zeigt die Chatelaine bereits vom Feste entfernt in ihrem Gemache hin- 


62 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


gesunken, die Zofe und ein ungeheures, an seine verhangnisvolle Bestimmung mahnendes 
Schwert neben ihrem Lager. 

2) Der Ritter findet sie bereits todt und zieht das Schwert, um sich vor den 
Augen der die Hände entsetzt ausbreitenden Zofe zu erstechen. 


3) Der Herzog aus einem Burgtor in die Szene tretend — recht virtuos hinter 
dem die Felder scheidenden Stabe! —- zieht links das Schwert aus der Brust des 
hinsinkenden Freundes und schreitet rechts auf 

4), das Schwert geschultert, zum Rachewerk an seiner Frau. Dies erfolgt auf 


d), der anderen Schmalseite des Kästchens: indem er ihr, den Tanz unter- 
brechend — die Damen lösen ihre Hände vom Reigen, die Musikanten senken ihre 
Hörner — den Kopf mit dem Schwerte grade- 
u zu absägt: 

ee cis “i Quar el chief li a embatue 
IS SONOMA MOA L'espee qu'il aportoit nue, 
ap ETES TT VUE Sans parler, tant estoit iriez . . . (v. 917 ff.) 
M | Der Künstler hat das damit ausdrücken 
wollen, daB er ihn, statt aller Anrede, die 
Schuldige mit der Linken gleich an den Haaren 
packen läßt. Die umstehenden Damen, auch 
sogar der linke Musikant machen mit den Händen 
Gebärden des Entsetzens und blicken teils scheu 
zu Boden, teils wenden sie das Antlitz ab. 
Unser zierlicher Figurenkünstler zeigt über- 
haupt viel Sinn für Bewegung und Ausdruck. 
Seine Erfindungsgabe in der Ausnützung und resoluten Supplierung der Situationen 
des Poems durd die Mittel seiner Kunst haben wir namentlid auf dem Deckel 
bewundern können. Allein es fehlt ihm, dem mittelalterlimen Erzähler, epischen 


rity 
4 2 


K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 63 


Motivierer und Zustandsschilderer, jede dramatische Ader. Sonst hätte er sich nicht 
gerade die beiden Höhepunkte der dramatischen Aktion, Peripetie und Katastrophe, 
völlig entgehen lassen. Wie sticht, von aller Beziehung auf Technisches abgesehen, 
allein hierin der Renaissancekünstler von ihm ab, der allen Pulsschlag der romantischen 
Geschichte in ihrer Katastrophe zu sammeln verstand! In den drei Hauptpersonen, 
wie sie sich nach geschehenem Verrat zusammenfinden, spricht auf dem Renaissance- 
bilde der Sinn der Erzählung wie eine ewige Idee zu uns: die beiden „wahrhaft 
Liebenden“, noch im Tode aufrecht einander angehörend, und der unglückliche Mittler 
ihres Unglücks; drei Opfer unsichtbarer Bosheit, die es alle drei mit einander gut, nur 
allzu gut gemeint haben. | 


STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


ZUR DUGENTOMALEREI ‘) 


von Wilhelm Suida 


Einer Anzeige von Auberts äußerst fleiBiger 
und exakter Arbeit hatte ich gerne eine erneute 
Überprüfung seiner Ausführungen in Assisi vor 
den Originalen vorangehen lassen. Sein System 
der parallelen Linien einer gleihmäßigen Berück- 
sichtigung der ornamental dekorativen Teile wie 
der figürlihen Szenen der Wandgemälde von 
S. Francesco führt Aubert dazu, das Wesent- 
lihe der Entwicklung, wie es aus keinem zweiten 
Denkmal der Dugentomalerei mit solcher Klar- 
heit erkannt werden kann, noch genauer zu 
präzisieren, als dies bisher gelungen war. Von 
den ältesten Fresken im Langhause der Unter- 
kirche leiten Teile der Dekoration des rechten 
Querschiffes der Oberkirche, deren speziellen 
gotisierenden Charakter Aubert zuerst genau 
präzisiert, zu der schon von Thode als einheit- 
lich erkannten Cimabuegruppe. Für die Datierung 
ins letzte Drittel des Dugento und für die Be- 
ziehung auf den Florentiner Cimabue, fügt 
Aubert den von Thode und Strzygowski an- 
gegebenen Gründen nach äußerst sorgfältiger 
Untersuhung des gesamten Materials noch 
weitere hinzu. Damit wendet sich Aubert gegen 
Wickhoff, der das Datum um 1253 vorgeschlagen 
und Cimabue ausgeschaltethatte. Dieser Cimabue- 
abschnitt mit feinsinniger Würdigung des Meisters 
ist der Kern von Auberts Buch. 

Nach Untersuchung des Verhältnisses Cima- 
bues zur römischen Kunst widerspricht Aubert 
der von Hermanin und Wickhoff geäußerten 
Ansicht, die Malereien des Langhauses der Ober- 
kirche seien ròmisch. Er findet, daß die alte 
Beziehung auf „Nachfolger Cimabues“ richtiger 
sei. Daß der Bruch zwischen Altem und Neuem 
dann mit den Bildern der Eingangswand (Pfingst- 
fest und Himmelfahrt) den Isaakszenen, dem 
Doktorengewölbe sich vollzieht, sieht Aubert 
ebenso wie Thode. Aubert zweifelt aber, ob 
diese Werke sowie auch die Franzlegende dem 
jungen Giotto zugeschrieben werden dürfen. 
Namentlich zu dem nach Auberts Annahme „ersten 
beglaubigten* Werke Giottos, dem Altar von 
S. Peter, findet Aubert keine Beziehungen, eher, 
wie er selbst sagt, zu späteren Arbeiten (offen- 
bar meint er hier die paduanischen Fresken). 
Das römische Altarwerk ist aber weit davon 
entfernt, für 1298 beglaubigt zu sein, die älteste 
Quelle (Grimaldi), die eine Entstehungszeit nennt, 


*) Rezension von Andreas Aubert: Die malerische De- 
koration der San Francescokirdie in Assisi, ein Beitrag 
zur Lösung der Cimabuefrage; Kunstgeschichtlicie Mono- 
graphien VI. Leipzig, Hiersemann 1907, 


sagt „um 1320“. Ein stilistisch mit den Assisi- 
fresken noch eng zusammenhängendes, zugleich 
doch auf spätere Arbeiten vorbereitendes Ge- 
mälde, das Thode zuerst für Giotto in Anspruch 
nahm, den fünfteiligen Altar des Museo del 
l'Opera di S. Croce zu Florenz erwähnt Aubert 
nicht. Die Ahnlichkeit der beiden Madonnen 
dieses Altars und der Eingangswand der Ober- 
kirhe von S.Francesco ist doch sehr auffallend. 
Ih füge hier eine kleine Abbildung dieses 
wichtigen Altarbildes bei nach eigener, leider 
unvollkommener Aufnahme, da dasselbe bisher 
nirgends reproduziert wurde; nur das Mittel- 
stück ist in Sirens Giottomonographie abgebildet 
(Abbildung 1). 

Da Aubert in der Frage der Zusammenstellung 
und chronologischen Anordnung von Cimabues 
ceuvre und Gelegenheit nimmt, sich mit den 
von mir früher!) geäußerten Ansichten aus- 
einanderzusetzen, so sei es mir gestattet, bei 
diesem Punkte etwas zu verweilen. Wir 
stimmen völlig überein, daß die Madonna 
Ruccellai nicht von Cimabue stammt. Mein 
Streben ging nun in erster Linie dahin, die 
Werke nachzuweisen, welche die schlagend- 
sten Analogien mit der Madonna Ruccellai 
haben: das Kruzifix in Paterno (das nach der 
ganz verretouchierten, entstellenden Abbildung in 


meinem Aufsatze nicht zu beurteilen ist), das 
‘Kruzifix in der Carmine und die Madonna in | 


Crevole. Später konnte ih noch ein kleines 
Triptycion der Gallerie von Budapest hinzu- 
fügen.?) All diese Zuschreibungen, die sich auf 
engste formale und technische Übereinstimmungen 
in den genannten Bildern gründen, sind leider 
von den Forschern, die sich mit dem Gegenstande 
seither beschäftigten, wie mir scheint, nicht über- 
prüft worden. Die Frage der Zuschreibung an 
Duccio, die auch Aubert wie so viele andere 
befürwortet, müßte meines Erachtens doch nom 
sehr genau untersucht werden, wobei man die 
von mir zusammengestellten Bilder nicht mehr 
beiseite schieben dürfte. 

Nun aber ein Wort zur Entwicklung des 
Madonnentypus im Speziellen. Im Verlaufe der 
letzten Jahrzelinte des Dugento läßt sich eine 
Wandlung außer in der Behandlung der Detail- 
formen namentlich in der Anordnung und Ge- 
staltung der Engel sowie in Form und räum- 
lier Wirkung des Thronsessels Mariae kon- 
statieren. Ist nun auch eine allmählidie Ver- 


1) Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen 1905, 
Heft I. „Einige florentinische Maler aus der Zeit des 
Uberganges vom Ducento ins Trecento“. I. 

2) Alcuni quadri Italiani primitivi nella Galleria na- 
zionale di Budapest L'Arte 1907. 


W. Suida. 


Zur Dugentomalerei 65 


Abb. 1. 


GIOTTO, Altarwerk 
Museo dell’ Opera di S. Croce, Florenz 


vollkommnung der Komposition zu erkennen, so 
wäre es doch gewagt, ein Bild, das eine primi- 
tivere Kompositionsform aufweist, deshalb auch 
unbedingt früher zu datieren, als ein zweites, 
das im Kompositionellen entwickelter ist. Na- 
mentlih, wenn es sich um Erzeugnisse ver- 
schiedener Schulen handelt, ist die Fixierung 
ihres chronologischen Verhältnisses zu einander 
sdrwer möglich. Ich habe in meinem früheren 
Aufsatze versucht, einige Typen nebeneinander 
zu stellen, daraus aber den SchluB auf chrono- 
logische Folge gezogen, was unvorsichtig war. 
Ich glaubte, die Madonna Ruccellai vor Cimabues 
Madonnen in Assisi und Florenz setzen zu 
müssen, weil die Komposition eine primitivere 
ist. Aubert kehrt trotzdem das chronologische 
Verhältnis um, und ich glaube, er hat darin 
Recht. Auch darin stimme ich ihm bei, daß er 
den Kompositionstypus der Madonna Ruccellai 
für persönliche, aus der fortlaufenden Reihe 
heraustretende Leistung eines Künstlers be- 
trachtet. 

Im allgemeinen scheint es mir möglich, drei 
Typen zu konstatieren: für den ältesten ist die 
Beifügung der kleinen Engelfigürchen in einer 
mehr äußerlich dekorativenWeise charakteristisch: 
anfangs sind sie ganz vom Throne getrennt 
(bei Guido da Siena, auf dem Petrusaltar in der 
Akademie von Siena, bei Coppos Bild von 1261), 
dann werden sie allmählid mit diesem ver- 
bunden. Sehr deutlich ist die Erinnerung an 
die ältere Form der lose vor den Goldgrund 
gestellten Figürchen noch in einem Madonnen- 
bilde bei H. O. Miethke in Wien (Abbildung 2), 
das nun trotzdem aber gewiß nicht sehr früh 
zu datieren ist, sondern etwa um 1300, und 


nicht in Toskana, sondern etwa in den Marken 
oder in Bologna entstanden sein dürfte. Wich- 
tiger für die Erkenntnis der Entwicklung des 
Typus in Toskana ist ein wohlerhaltenes und 
bedeutendes Madonnenbild in S. Michele zu 
Rovezzano bei Florenz (Abbildung 3), das uns 
zeigt, wie die seelisch am Vorgange teilnehmenden 
Engelchen die Thronlehne anfassen und auf 
Mutter und segnendes Kind weisen. Die Ma- 
donna in Rovezzano, auf welche ich schon früher 
hinwies, die gleidiwohl aber von Aubert unbe- 
rücksichtigt blieb, ist als nächste Stufe nach 
Coppos Madonna von 1261 sehr wichtig. Ich 
glaube, hier dürfen wir unbedenklic als En- 
stehungszeit etwa 1265 annehmen. Diesen Typus 
übernimmt Cimabue in seiner Madonna in der 
Kirche der Servi zu Bologna, die ich mit Thode 
und Aubert für authentisch halte. Von da bis 
zur grandiosen Komposition von S. Trinita mit 
der Engelwacht ist nun allerdings ein großer 
Schritt. Und es ist gewiß berechtigt, zwischen 
der Servimadonna, die auch kaum viel vor 1270 
entstanden zu denken ist, und der Trinitamadonna 
einen größeren zeitlichen Unterschied anzunehmen, 
da beide Bilder verschiedene Entwicklungsstufen 
eines Künstlers repräsentieren. Daher glaube 
ih nicht, daB Aubert mit der Annahme, die 
Trinitamadonna sei früh, vor den Assisifresken, 
entstanden, Recht behalten wird. Vor 1280 un- 
gefähr kann ich mir sie nicht entstanden denken. 

Der primitive Typus mit den kleinen über 
die Thronlehne gebeugten Engelchen lebt in 
Pisa fort, wo z.B. das groBe von zwölf 
Legendenszenen umgebene Madonnenbild im 
Museum (Fot. Alinari 9880) in verhältnismäßig 
später Zeit ihn noch aufweist. Weiter ent- 

5 


66 Monatshefte für Kunstwissenscaft 


Abrede stellen. Jedenfalls hat er sich dann aber 
der florentinischen Neuerung gegenüber merk- 
würdig ablehnend verhalten und hat sich auf 
einen isolierten Standpunkt begeben, auf welchen 
ihm niemand nachfolgte. Denn die späteren 
Sienesen erkannten die Größe von Cimabues 
Komposition. Die Altartafel in der Stadtgallerie 
von Citta di Castello (Klass. Bilderschatz Nr. 1615) 
sowie die von demselben Sienesen (ich glaube 
Meo da Siena) stammende Madonna der Na- 
tional Gallery (unter Cimabues Namen) zeigen 
aufs getreueste Cimabues Typus; auch die Maesta 
Simones erweist sich kompositionell als Weiter- 
bildung dieses Schemas. Ich weiß, was man 
mir hier einschalten wird: meine ganze Deduk- 


Abb. 2. Obe.italienische Maler gegen 1300 
Madonna m 
O H. O. Miethke, Wien 


wickelt wird dieser Typus auf eine eigentiimliche 
Weise in Siena: Duccios kleine Madonna mit 
den drei Franziskanern und die Madonna in 
Crevole zeigen über den Vorhang oder über 
Wolkenbänke gelehnte kleine Himmelsboten, 
weldie dem Motiv nach als genreartig natu- 
ralistisch umgestaltete Fortbildungen der Ge- 
stalten auf der Madonna von Rovezzano bei- 
spielsweise leiht zu erkennen sind. Diese 
genreartig dekorative Anordnung der Engel 
schwebt dem Meister der Madonna Ruccella, 
vor, als er in dem großen monumentalen Bilde 
je drei kniende Engel übereinander zu Seiten 
des Thrones der Himmelskönigin aufreiht. Früher | | TEE t vi 
war ich geneigt, daraus den Schluß zu ziehen, pe A ir o 
er könne Cimabues große Neuerung (die großen | 


stehenden Engel) noch nicht gekannt haben; Abb. 3. Toskanische Meister um 1265. Madonna 
jetzt will ich diese Möglichkeit doch nicht in O S. Michele, Rovezzano 


Burkhard Meier. Uber den Basler Altar des Konrad Witz 67 


Iriesier di "née Bundes 


Altar bei geschlossenen Flügeln 


tion sei eine neue Bekräftigung der Autorschaft 
Duccios an der Madonna Ruccellai! Möge man 
die von mir mit dieser zusammengestellten 
Bilder genau überprüfen. Ich will nicht sagen, 
daß es unmöglich sei, daß damit die Jugend- 
werke Duccios gefunden seien. 

Noch ein Wort über die Form des Thron- 
sessels! Die beiden Typen sind: en face und 
von der Seite gesehen. Der gerade von vorne 
gesehene Thron wird allmählich in perspekti- 
vischer Verjüngung gezeichnet, bei dem seitlich 
dargestellten fällt die Absicht auf perspektivische 
Verkürzung fort. Alles deutet nun darauf hin, 
. daß die seitliche Darstellung, wie sie die Ma- 
donnen in Bologna, in Assisi, im Louvre (wohl 
aus der Werkstatt Cimabues) und in S. Maria 
Novella aufweisen, eine vorübergehende Phase 
der Entwicklung bezeichnet, daß man nachher 
aber, wie dies Meos Madonnen ebenso wie 
Giottos Ognissantibild beweisen, wieder an den 
älteren Typus der Frontalansicht anknüpfte, um 
bei stetig wachsender Kenntnis der Perspektive 
diesem ganz ungeahnte Möglichkeiten abzuge- 
winnen. 

Bleiben auch noch so manche Fragen offen, 
ist auch von erneuten ergänzenden Unter- 
suchungen noch manche Aufklärung zu erwarten, 
so wird Auberts äußerst fleißig und liebevoll 
durchgeführte Untersuchung doch immer ihren 


Miaria der Verkänd 


Wert behalten. Wir können nur wünschen, daß 
gerade für das Dugento und Trecento durch so 
gründlihe Arbeiten der Boden allmählich ge- 
festigt werde. 

Die Ausstattung von Auberts Buch, größten- 
teils mit guten Lichtdrucktafeln nach Carlofortis 
Aufnahmen aus Assisi verdient volles Lob. 


2 


UBER DEN BASLER ALTAR DES 
KONRAD WITZ. 


Von Burkhard Meier-Braunschweig. 


Die erhaltenen 11 Tafeln des Altars haben 
mehrfach verschiedene MaBe. Daniel Burckhardt 
schreibt dies dem Zufall zu und stellt ein mitt- 
leres Maß fest. Das ist unrichtig. 

Denn wenn man die Maße nimmt, wie sie 
sind, so gelangt man zu einer sicheren Rekon- 
struktion des Altars, die teilweise die bisherige 
Vermutung bestätigt, in einigen Punkten aber 
richtig stellt. Es gibt 4 verschiedene Bildgrößen: 
100><80, 100>< 68, 86><80, 86><68 cm. Abwei- 
chungen von 1—2 cm kommen vor. Der be- 
quemen Ubersicht halber stelle ich die Tafeln 
mitden genauen MaBen imFolgenden zusammen: 


68 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


David und Abisay 100><80 cm 
Sabochay und Banaias 100><80 , 
Christoforus 9x8 „ 
Priester des alten Bundes 100x68 „ 
Ecclesia 85><80 „ 
Synagoge 84x79 „ 
Salamon und Königin von Saba 86><80 „ 
Esther und Assuerus 84><78 „ 
Verkündigungsengel 85x68 „ 
Melchisedek und Abraham 84x68 „ 
Caesar und Antipater 84x68 , 


Die Tafeln mit einer Höhe von 100 cm bil- 
den die untere Reihe, die von 86 cm Höhe die 
obere, die Tafeln mit einer Breite von 80 cm 
sitzen zunächst den Angeln, die von 68 cm 
Breite an der äußeren Seite. Ich nehme dabei 
mit Burkhard an, daß sämtliche Tafeln von den 
Flügeln des Altars stammen, ebenso, daß die 
Bilder mit Architektur an die Außenseite, die 
Bilder mit Teppichgrund an die Innenseite ge- 
hören. Die Tafel mit dem hl. Christoforus will 
schlecht als einzige Landschaft zu den übrigen 
Tafeln passen, die Maße weisen ihr aber einen 
bestimmten Platz der Außenseite zu; man muß 
sich darein fügen, will man nicht ein zweites 
Flügelpaar annehmen. Wir werden am Schluß 
sehen, daß es mit dieser Darstellung vielleicht 
seine besondere Bewandtnis hat. 

Es ergibt sich also eine Anordnung wie sie 
die beigegebenen Abbildungen zeigen. 

Eine Erörterung macht das Kreuzensteiner 
Bild „Salomon und die Königin von Saba“ not- 
wendig. Es wurde von Stiaßny (Preuß. Jahr- 
buch 1906) wegen seines Teppichgrundes, der 
keine Stange wie die anderen Tafeln der oberen 
Reihe aufweist, in die untere Reihe verwiesen. 
Nach Maßen und Komposition kann diese Tafel 
nur an die ihr von mir zugewiesene Stelle ge- 
hören, sie ist das Gegenstück zu „Esther und 
Assuerus“ und fügt sich mit den anderen 3 Tafeln 
zu einem wundervollen Rhythmus zusammen. 
Der Hintergrund ist in Zeichnung und Technik 
von denen aller anderen Tafeln völlig verschie- 
den, ihm fehlen merkwürdigerweise auch die 
Beischriften. So echt auch sein Aussehen auf 
dem Lichtdruck ist, muB er von einer, wahr- 
scheinlich modernen, Erneuerung herrühren, die 
auch sonst den Charakter des Bildes verändert 
haben mag; namentlich erscheinen die Figuren 
weniger körperlidi und mit dem Hintergrund 
enger verbunden als auf den Basler Tafeln. 
Eine endgültige Entscheidung kann man natür- 
lich nur vor dem Original treffen.') 


') Nach gütigem Schreiben aus dem Kabinet Sr. Exz. 
des Grafen Wilczek ist freilidi von einer Erneuerung des 
Hintergrundes dort nichts bekennt und auch nidits be- 


Die Richtigkeit der Rekonstruktion wird z. B. 
unterstützt durch die Beobachtung, daß die über- 
einander angeordneten Tafeln: „Esther und As- 
suerus“ und „Sabochay und Banaias“ einen Hinter- 
grund mit völlig gleihem Muster haben, was 
bei die auderen Stücken gewiß auch der Fall 
gewesen ist. 

Die perspektivischen Linien der Gehäuse, in 
denen die Figuren der Außenseite stehen, gehen 
nach der Mittelachse des Altars zu, wenn auch 
mit größter Willkürlichkeit. Dies ist für die 
Unterbringung des Mannes mit Messer und 
Buch von Wichtigkeit, seinen Maßen nach 
könnte er auch auf die andere Seite gehören, 
dem Bau seines Gehäuses nach gehört er zu 
dem Flügel, auf dem die Synagoge steht. Er 
scheint also in innerlicher Beziehung zu ihr zu 
stehen und wird nicht den Apostel Bartolomäus 
darstellen, obwohl der kurze gekräuselte schwarze 
Bart und der weiBe Mantel sonst typisch für 
den Apostel sind. Er ist der Priester des alten 
Bundes, aber sein Messer ist das Symbol der 
Beschneidung, nicht das Opfermesser wie Burck- 
hardt meint. In den Passions- und Propheten- 
spielen !) wird es in diesem Sinne gebraucht. 
Burckhardt hat darauf hingewiesen, daB sich 
Witz inhaltlich an das Speculum humanae sal- 
vationis angelehnt hat. In dem Speculum des 
XIV. Jahrhunderts, welches Lutz und Perdrizet 
publiziert haben (Mühlhausen 1907) und das 
ursprünglich aus Schlettstadt stammt, jetzt in 
München ist, sind, wie in allen anderen Exem- 
plaren des Speculum, je 3 Szenen des A. T. 
oder der antiken Sage einem Ereignis des N. T. 
gegenübergestellt. Diese Regel hat auch Witz 
befolgt, allerdings mit Abweichungen. 

„Abisay, Sabochay und Banaias bringen 
David Wasser“ und „die Königin von Saba 
huldigt Salomo“, zusammen 3 Tafeln versinn- 
bildliihen die Anbetung der Könige. Das Spe- 
culum ist um die dritte Parallelform verlegen, 
sie wird ersetzt durch ein Ereignis des N. T. 
„die Könige erblicken den neuen Stern“. Witz, 
der nicht unter dem Zwange des Schemas steht, 
läßt diese Szenen fort. 

„Abraham vor Melchisedek“ weist auf die 
Einsetzung des Abendmahles hin. Im Speculum 
gehören noch dazu „Manna“ und ,Passahlamm*. 
Auch Bouts in seinem Löwener Abendmahls- 
altar hat diese 3 Szenen gemalt. Die beiden 
leeren Felder der Innenseite können also sinn- 


merkt worden. Das Bild wurde 1896 aus dem Wiener 
Kunsthandel erworben und läßt sich nicht weiter zurück- 
verfolgen. 

') Weber ,,Geistl. Schauspiel und kirchl. Kunst“ S. 92, 
hier audı eine Bemerkung über die Judenhüte auf dem 
Fihnchen der Synagoge S. 130 und 139. 


Burkhard Meier. 


Uber den Basler Altar des Konrad Witz 69 


Linker Flügel, Innenseite 


gemäß durch ,Manna“ und „Passahlamm“ ein- 
genommen sein. 

„Esther und Assuerus“ und „Caesar und Anti- 
pater“ versinnbildlichen, wie Christus Gottvater 
seine Würden zeigt. Bei Esther hinkt der Ver- 
gleich, sie ist die Vertreterin des leidenden Israel. 

Im Speculum fehlt wieder die dritte Parallel- 
stelle aus dem A. T., sie ist ersetzt durch „Maria 
zeigt Christus ihre Brüste“. Witz übernimmt 
wiederum nur die beiden legitimen Parallel- 
szenen. Es wird hierdurch noch wahrschein- 
licher, daß das leere Feld des rechten Flügels 
durch ein Gegenstück zum Abendmahl besetzt 
war, für das eben 3 (bei Bouts sogar 4) Parallel- 
szenen vorhanden waren. 

Nur die Verkündigung ist nicht ersetzt, viel- 
leicht, weil der Raum für die im Speculum vor- 
handenen 3 Bilder nicht ausreichte, vielleicht auch 
weil diese Darstellung auf der Außenseite von 
Flügelaltären so oft wiederkehrt. Es sind dem- 
nach folgende Ereignisse in das N. T. über- 
tragen, dargestellt. 

Die Verkündigung der Geburt in 2 Feldern 
Die Anbetung der Könige sud ig 
Die Einsetzung des Abendmahls „ 2 „ 

Es bleibt schließlih noch ein Feld zu be- 
setzen, das Gegenstück zum Christoforus. Denn 
die Gegenstücke zum Engel und Priester des 


Rechter Flügel, Außenseite 


alten Bundes, sind ja ohne weiteres gegeben. 
Was soll der Christoforus hier? Das Speculum 
kennt ihn nicht. Christoforus ist der Heilige 
gegen die Pest.) Im Jahre 1439 herrschte die 
Pest verheerend in Basel. ?) 

Es ist verlockend, sie mit Christoforus in Be- 
ziehung zu setzen und so erstens eine Erklärung 
für seine Darstellung, zweitens das Jahr 1439 
für die Entstehung des Altars zu gewinnen. 
Nach Wackernagel ist die Darstellung der Toten- 
tänze an den Wänden der Kirdhhöfe zu Pre- 
digen und in Klingenthal ebenfall unmittelbar 
auf die Einwirkung der Pest zurückzuführen. 

Warum sollen nicht auch Konrad Witz oder 
seine Auftraggeber unter dem Eindruck der 
Seuche gehandelt haben? 

Interessant ist, daß der Altar inhaltlich in 
keiner Beziehung zu der Biblia pauperum Wei- 
gel-Felix steht,*) vielleicht ein Beweis mehr, 
daB Witz nicht der Autor dieser Zeichnungen 
ist, wenn man dem auch entgegenhalten mag, 
daß der Künstler bei beiden Werken nach ge- 
nauer Vorschrift gearbeitet haben kann. 


1) Siehe Detzel ,christl. lkonographie" mit Belegen. 
Otte nennt den Christoforus nur als Beschützer vor 


schnel'em Tod. 
„Gesch. der Stadt Basel Bd. I. 


2) an Wackernagel 
1907 S. 

3) ne wieder abgedruckt durdı Schnütgen 
in der Ztsch. f. christl. Kunst 195 S. 625. 


70 ” 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


NOCHMALS DER 
WIEDERAUFGEFUNDENE VAN DYCK 
IM MUSEUM ZU PALERMO 


Die ,Pietà“ des Palermitaner Museums, die 
Herr Landsinger in Heft 11 des vorigen Jahr- 
ganges veröffentlicht hat, wird als eigenhändige 
Arbeit Van Dycks bei vielen Kennern des Meisters 
Zweifel erregt haben. Herr Landsinger wußte 
oder erwähnte nicht, daß zwei andere Exem- 
plare des gleichen Bildes existieren, das eine bei 
Mr. Francis Bartlett in Boston, das andere, eine 
in mehreren Punkten abweichende Variante, zu 
Antwerpen in der St. Antonius-Kirche. Cust 
hält das Antwerpener Gemälde für ein Original, 
worin ihm jedoch Scheffer in seinem neu er- 
schienenen Buche (in den „Klassikern der Kunst“) 
wohl mit Recht widerspricht. Von den beiden 
Gemälden in Boston und Palermo kenne ich das 
erstere nicht durch Autopsie; das andere ist mir 
zwar bekannt, doch habe ich mich von seiner 
Authentizität nicht überzeugen können. Nach der 
Abbildung scheint das Bild in Boston ebenso 


eine — ziemlich mäßige und harte — Kopie zu 
sein. 

Ob den drei Bildern überhaupt ein Original 
des Meisters als unmittelbares Vorbild zugrunde 
lag oder ob ein Schüler lediglih das Münchner 
Gemälde variierte, möchte ich nicht entscheiden. 
Jedenfalls steht von den drei Exemplaren das 
Antwerpener dem Meister am nächsten. Die 
charakteristischen Unterschiede der beiden an- 
dern Gemälde bestehen in einer größeren Breiten- 
ausdehnung und Hinzufügung des (in München 
angedeuteten) weinenden nackten Engels. Das 
scheint dafür zu sprechen, daß ein Schüler sich 
die Komposition so zurecht legte. Denn gerade 
das neue Format ist dem Gesamteindruck wenig 
günstig; und der hinzugetane Engelputto ist eine 
schwache Gestalt. 

Ich glaube somit, daß an Van Dyck selber 
nicht gedacht werden darf. Allein Herr Land- 
singer sah ganz richtig, als er den Geist des 
Meisters in der Komposition des Bildes erkannte 
und auf die Verwandtschaft mit dem Gemälde 


in München hinwies. Hermann Voss 


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37 


Heft 2 


Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 


Mit einem Anhange über Signorelli und Correggio 
Von Otto Hettner 


Die folgenden Untersuchungen sind in der Art entstanden, daß ich mich für 
meine eigenen malerischen Arbeiten mit der Frage zu beschäftigen hatte, wie es 
möglich sei, in befriedigender Weise Studien fliegender, stürzender und ähnlicher 
Figuren auszuführen. Als ich die Methode kennen gelernt und sie sich mir gut be- 
währt hatte, war ih dann zwar persönlich sofort überzeugt, daß sie von Michelangelo, 
Signorelli u. a. angewandt worden sei, in der Folge aber, um nicht nur die Wahr- 
scheinlichkeit der Anwendung auf deren fertigen Werken zu zeigen, vielmehr einen 
positiven Beweis meiner Überzeugung zu finden, wurden einige in diesen Kreis ge- 
hörige Studienblätter einer Prüfung unterzogen. Dabei kam ich unvorgesehen zu 
kritischen Anmerkungen, die sich auf die Frage der Echtheit einiger Zeichnungen er- 
strecken, und schließlich zu Seitensprüngen, die sih ganz unerwartet aber natürlich 
ergaben. Ich veröffentlidie meine Beobachtungen in der losen Folge ihrer Entstehung. 


DIE METHODE 


Die Methode wurde mir von einem Pariser Modelle gezeigt, das sie aus dem 
Atelier Léon Bonnats kannte. Unter den zeitgenössischen Malern ist sie nicht ganz 
allgemein geübt, auch zuweilen nicht in Fällen, in denen das Resultat wesentlidı ge- 
fördert worden wäre. 

Durch die Beschreibung meiner persönlichen Erfahrung wird die einfachste 
Erklärung und durch die Tatsache der Anwendung zunächst der Beweis der Mög- 
lichkeit geboten. 

Das Bild sollte zwei in der Luft schwebende Figuren darstellen: die eine sich 
aus der Höhe niedersenkend (Abb. 1), die andere aufwärts sdiwebend (Abb. 2). 

Zu 1. Die Gesamterscheinung dieser Figur wurde so gezeichnet: das Modell 
lag im Kreuz quer über einem Schemel. Die Füße berührten den Fußboden. Kopf 
und Arme hingen frei nach unten. Ich stand auf einer Leiter, die ca. 1!/, m seitlich vom 
Schemel entfernt war, meine Augenhöhe ca. 4 m hoch.') Aus dieser schrägen Ober- 


1) Dem Freskomaler gibt sein Gerüst zu derartigen Installationen bequeme Gelegenheit. 


72 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


sicht zeichnete ich meine Studie nach dem liegenden Modelle, also auf den unteren 
Teil meines Blattes die den Fußboden berührenden Füße, auf den oberen die nach 
oben gewendete Brust- und Bauchpartie, auf den linken den Kopf, auf den rechten 
die Beine. 

Ih befand mich oben, das Modell sich unten. Die für das Bild gewünschte 
Ansicht war: der Beschauer unten, die Figur oben. Ich hatte also mein Blatt herum- 
zudrehen, um sie zu erhalten. 

Zu 2. Die Studie der Gesamterscheinung wurde so gezeidinet: das Modell lag 
rücklings auf einem Tische, ihn von der Mitte der Oberarme und den Kniekehlen ab 
überragend. Ich zeichnete, auf dem Fußboden stehend, so, daß ich das Modell aus 
geringer Obersicht und von den Waden 
zum Kopfe verkürzt sah. Da ich dieses 
Mal, um meine Figur in den Sinn 
der Bewegung des Fliegenden zu 
bringen, nicht, wie im ersten Falle, 
die Ebene oben mit der Ebene unten, 
sondern die Ebene oben mit der ver- 
tikalen Richtung zu vertauschen hatte, 
drehte ich mein Blatt so, daß seine 
untere Seite zur rechten, die linke zur 
unteren wurde.) 

Ich besaß so Studien, in deren 
jeder der Zusammenhang der Erschei- 
nung, die Verhältnisse der Teile zu 
Abb. 1. OTTO HETTNER: Studie einander nebst den Verkürzungen ge- 

löst, meine Arbeiten aber damit, wie 
ich sofort erkannte, noch nidıt am Ende waren. Denn erstens fehlte den Figuren der 
Charakter des Schwebens, da ich nach liegenden Modellen gezeichnet hatte, zweitens 
hatte ich die Richtungen verwechselt, in Fall 1: unten mit oben, in Fall 2: unten mit 
rechts, wodurch die Einheitlichkeit der Beleuchtung zerstört war. 

Die weitere Arbeit setzte darin ein, die durch die Anwendung der Methode 
entstandenen Schwächen_oder Fehler festzustellen und die Mittel zu deren Verbesserung 
zu finden. 

Ich kann mit dem Berichte, wie sich mein Arbeitsgang in diesem Sinne gestaltete, 
zurücktreten, da dies mustergültig bei Michelangelo verfolgt werden kann. 


ANWENDUNG DER METHODE BEI MICHELANGELO 


„Ein besonderer Unstern hat über den Zeichnungen Michelangelos gewaltet. Als 
Herzog Cosimo nach des Meisters Tode einem Bevollmächtigten in Rom auftrug, ihm 
einige Zeichnungen Michelangelos zu verschaffen, lautete die Antwort, es sei nur mög- 


1) Die Augenlinie war auf die Waden gerichtet. Bei der Drehung wurde sie zum Hori- 
zonte. Der unterste Teil der Figur sollte diesen überschneiden. 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 73 


lih gewesen, zwei kleine Kartons zu erhalten, denn seinen ganzen Besitz an Zeich- 
nungen habe Buonarroti noch selbst in zwei Malen hintereinander kurz vor seinem 
Tode verbrannt. Als Motiv fir diese Vernichtung unbezahlbarer Schatze hat schon 
Vasari die Scheu Buonarrotis angegeben, die Zeugen der 
unsäglichen Mühsal seines Werdeprozesses den Augen der 
Nachwelt preiszugeben. Vasari VII, 270: „Abruciö gran 
numero di disegni, schizzi e cartoni fatti di man sua, accio 
nessuno vedessi le fatiche durate da lui e i modi di 
tentare l’ingenio suo per non apparire se non perfetto.“ 
Michelangelo in den Gesprächen von S. Silvestro: „Die 
wahre Regel bleibt es, viel Miihe zu verwenden und 
dennoch mühelos Aussehendes zu schaffen.“ (Stein- 
mann, Die sixtinishe Kapelle. Anhang I. Die Hand- 
zeichnungen Michelangelos. Seite 589.) 

Auf einigen Blattern Michelangelos kann jedoch 
der „modo“, den ich beschrieb, vollständig übersehbar 
nachgewiesen werden. 

Es darf nicht erwartet werden, derartige Zeich- 
nungen zu finden, auf denen Kisten, Tische oder Stühle 
dargestellt sind. Wenn diese Angabe der Situation bei 
einer wirklich stehenden, sitzendenoder liegenden Figur 
den Sinn hat, entweder durch deren senkrechte oder wage- 
rechte Linien als Hilfe für die Aufzeichnung zu dienen, 
oder nötig ist, um Felsen, Wolkenmassen oder dergl. zu 
markieren, so wird sie bei Studien des hier beschriebenen 
Gebietes als unnütz, bei Beginn die Illusion, beim Durch 
führen die weitere Arbeit störend, vermieden werden. 


Studien zum gekreuzigten Haman 


Viele Maler schlagen ihr Modell wirklich ans 
Kreuz. Gerade für dieses Problem bietet aber die 
Methode unerwartete Möglichkeiten. 

Zum Haman existieren folgende Zeichnungen: 

I. und II.!) Studie für zwei Gekreuzigte. Feder- 
zeichnung im British Museum. B. Berenson II, 84 n. Abb. 2. OTTO HETTNER: Studie 
1487. Ph. Braun 23. Steinmann, Abb. 27. (Abb. 3.) 

Ill. Flichtige Studie zum Haman. Federzeichnung im Louvre. Ph. Giraudon 
1389. B. Berenson II, 103 n. 1590. Steinmann, Abb. 29. (Abb. 4.) 


1) Die Beschreibungen der Zeichnungen sind aus Steinmann, Seite 596, aber in anderer 
Anordnung, übernommen. Ich sage Herrn Prof. Steinmann für die liebenswürdige Überlassung 
seines für diese Arbeit in Betracht kommenden Abbildungsmateriales (Abbildungen 3, 4, 6, 8, 11 
und 12) auch hier meinen verbindlichsten Dank. 


74 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


IV. Studie für den Torso Hamans, das linke Bein und den rechten Fuß. Samm- 
lung Malcolm im British Museum..... B. Berenson (II, 116 n. 1690) gibt dies Blatt 
einem Schüler ....!) Ph. Braun. Beaux Arts 68. Auch Morelli (Kunstchr. 1892, 
p. 422) hielt die Zeichnung für unecht,?) die aber jedenfalls auf ein Original Michel- 
angelos zurückgeht. Steinmann, Abb. 31. (Abb. 6.) 

V. Verso der vorigen Zeichnung: Leichte Skizzen fiir den Oberkòrper Ha- 
mans.) (Abb. 7.) 

VI. Aktstudie für Kopf und Oberkörper Hamans im Teyler-Museum von 
Haarlem. Auf demselben Bjatte - Detailstudien für die linke Hand und den rechten 
Arm Hamans und fir die rechte Hand Gott Vaters in der Erschaffung Adams. Die 
beiden letzteren sind aufgeklebte Ausschnitte. Verso: Kreide und Rotel (flüchtige 
Skizzen.) $ Marcuard, p. 11; p.-13 und Tav. IX) qualifiziert dies Blatt als eine der 
herrlichsten Zeichnungen Michelangelos, während es B. Berenson (II, 114 n. 1670) in 
die Schule Michelangelos versetzt.’) Vielleicht ist Daniello da Volterra der Urheber 
der Zeichnung, der die Kopie eines Auferstehenden aus dem Jüngsten Gericht in den 
Ufficien (n. 238) in ganz ähnlicher Technik ausgeführt hat. Steinmann, Abb. 30. (Abb. 8.) 

VIII. Kopie (von IV) in Windsor (Ph. Braun, 120). (Abb. 9.)‘) 


DIE ENTWÜRFE UND DAS PROBLEM 


Steinmann nennt die Zeichnungen: „Studie“, „flüchtige Studie“, „leichte, flüch- 
tige Skizzen“. 


1) Bernhard Berenson: The drawings of the Florentine painters II. S. 116, Nr. 1690: „Ich 
bin der Ansicht, daB es eine Kopie von einem intimen Nachfolger Michelangelos nach dem Fresko 
und nicht nach einer Zeichnung ist. Eine Skizze von dem Meister würde schwerlich diese müh- 
samen Wiederholungen des Beines enthalten haben.“ 

*) Unter den bei Besichtigung Braunscher Photographien von Morelli ausgesprochenen 
kurzen Bemerkungen: „Michelangelo, Studie für den Torso Hamans. Braun, Beaux-Arts 68 ‚nein‘.“ 

») Durch die freundliche Vermittelung von Herrn Dr. G. Biermann verschaffte mir Herr 
Cambell Dodgson, dem ich meinen besten Dank ausspreche, die Originalphotographie Donald 
Macbeth dieses Verso. Herr Dodgson schrieb dazu, daß die dem Museumsstempel am nächsten 
stehende Zeichnung schwarze Kreide sei, die anderen Rötel. -- Die erstere ist sehr verwischt, 
Ich habe sie nicht sicher enträtseln können. Auf jeden Fall gehört sie nicht zu dem Haman. Die 
anderen sind Studien, die einen für dessen Oberkörper, speziell für den linken Arm und diese 
Seite des Thorax, die andere für eine Variante des linken Armes. Sie sind auf die Breitseite des 
Blattes gezeichnet. Abb. 7 zeigt sie im Ausschnitt. 

*) Davon war mir keine Photographie zugänglich. 

5) „Studie für den oberen Teil des Haman in der Eckkappe, für beide Hände, sein Ohr 
und die rechte Hand des Ahasver“ (diese ist auf dem Fresko gebeugter im Armgelenk, die Finger- 
stellung anders. Die Bestimmung Marcuards und Steinmanns, daß sie zu dem Gott Vater der 
Erschaffung Adams gehöre, ist zutreffend) „Michelangelo zugeschrieben, aber nicht von seiner 
Qualität. Es sind getreue Kopien nach dem vollendeten Gemälde, von irgend einem geschickten 
und sorgsamen Schüler gemacht, der durchaus mit seines Meisters Arbeitsweise vertraut war. 
Die getrennte Skizze für das Ohr erzählt seine eigene Geschichte. Der Kopist löst sich, in seinem 
Eifer, es richtig herauszubringen, von Michelangelos Form los und macht den Lappen zu fleischig.“ 

°) Ich habe meine Untersuchungen leider nur an Photographien madhen können. An den 
Originalen hätten sie vielleicht in einigen Details zu genaueren Resultaten geführt. 


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MICHELANGELO: Entwiirfe zum Haman 


Abb. 3. 


76 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Es besteht im allgemeinen Unklarheit in der Anwendung dieser Benennungen. 
Zwar wird stets „Studie“ als Begriff von „Bild“ getrennt, als „Studie“ die Vorarbeit, 
als „Bild“ deren Resultat, das fertige Werk, bezeichnet, jene aber zerfällt in zwei 
scharf zu scheidende Teile, deren zweiter erst die „Studien“ sind. Der Künstler ent- 
wirft die Komposition: die der gesamten Erscheinung, der Gruppen, der einzelnen 
Figuren. Er legt darin den Willen zum Werke zuerst fest, wie er dann im Bilde 
vollendet wird. Dabei durchlebt er den glücklichsten Moment seines Schaffens, den 
der Inspiration. Darnach erst beginnt er die Studien, d. h. er will das erfassen lernen, 
was er nodi nicht beherrscht und besitzen muß, um den Entwurf zur Realisation, zum 
Bilde ausgestalten zu können. 


I und II (Abb. 3) sind Entwürfe zum Haman.!) Der erste, linke wurde etwas 
zögernd begonnen, die Wendung des Kopfes auf der Achse der Schultern, namentlich 
die Stellung zum Schlüsselbein, nicht ganz unbefangen gezeichnet. Auch der rechte 
Oberschenkel ist zaudernd, noch unfrei, bedacht konstruktiv. Aber schon beim Torso 
und dann beim linken Bein war die Feder im Fluß. Und dann, nachdem so die In- 
spiration erwacht war, frei von jedem Calcul, der wundervolle, in rasender Hast hin- 
gesetzte Entwurf daneben. Ein Minute begeisterter Konzentration, und fertig die 
Figur, die ganze Pracht des nach vorne übergesunkenen Oberkörpers, der eingezogene 
Leib, das willenlos hängende linke, das krampfhaft gebeugte rechte Bein. 


III (Abb. 4) ist dann in der Tat eine flüchtige Studie. Die Inspiration ist ver- 
flogen. Das Modell tritt in Funktion. Die Stellung ist verändert. Mit dem Modelle 
beginnt die Beeinflussung des Ingeniums von außen. Es nimmt nach ungefährer An- 
gabe des Künstlers eine Stellung ein. Der Künstler läßt sich verleiten. Die Stellung 
gefällt ihm, obgleich eine dem Entwurfe fremde Bewegung und Form in der vor ihm 
befindlihen Erscheinung ist. 

Im Gegensatze zu den freien Entwürfen sehen wir nun die Sorge des Studiums 
einsetzen. Während die Formenerscheinung der ersten Zeichnungen aus Überlegungen 
über die Konstruktion entstanden war, bestand sie diesmal vor dem Künstler, und er 
hatte in ihr die Konstruktion verstehen zu lernen. Kein Muskel ist anatomisch über- 
legt, um dadurch die Silhouette oder Lage der Glieder zu finden, die Silhouette ist 
nach der Natur abgezeichnet und dann die feststehende Form durch die Schraffierungen, 
die stets im Sinne der Modellierung gehalten sind, belebt worden: statt konstruktiv 
zu entwickeln, Konstruktion hineingebracht. 

Diese flüchtige Studie ist in der Methode gezeichnet, die ich erklärt habe. Ich unter- 
lasse hier den Beleg, da die große Studie der Malcolm-Sammlung (IV., Abb. 6) dazu reicheres 
Material gibt, und deren Beschreibung zugleich auf die erste zurückwirken wird. 

Diese große, ausführlihe Studie zeigt wiederum eine andere Stellung und 
zwar, kombiniert mit dem Blatte des Teyler-Museums (VI, Abb. 8), die definitive des 
Fresko (Abb. 5). Die augenfälligste Veränderung ist, daß sich die Bewegung nicht 
mehr nach der linken Seite wendet, sondern nach rechts. 


1) Schon die Tatsache, daß die linke Figur an einen Baum gebunden ist, beweist ilıre 
Zugehörigkeit. 


: Studie zum Haman 


MICHELANGELO 


Abb. 4. 


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78 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Das Problem hatte sich geformt. Die Figur war in ihrer allmählichen Ent- 
wickelung in den Rahmen der Komposition getreten, die Komposition in den der ganzen 
Decke. Das Motiv des Haman im Bilde: er dreht sich „dispettoso e fiero“!) nach 
dem Gemache des Ahasver. Der Henker kauert in der Türe. Und es ergab sich aus 
der Anlage der Decke erstens, daß das Gemach nicht nach der Längswand der Kapelle, 
sondern nach dem Inneren zu d. h. hier rechts 
liegen mußte, denn so entsprach es als Linie 
und Fläche dem des Holofernes in der diagonal 
entgegengesetzten Eckkappe und der Ahasver 
auf dem Lager dein Holofernes, zweitens, daß 
die Grundlinie des Haman von links unten nach 
rechts oben gehen mußte, um den Gleichklang 
der Linie zum David der anderen (schon früher 
ausgemalten) Eckkappe der Eingangswand zu 
schaffen. (In der vierten Eckkappe verkriecht 
sich die Masse in die dunkele rechte Ecke, die 
Gruppe der Innenseite schließt nach der Mitte 
zu durch eine Senkrechte ab, die als Form den 
Mauern auf dem Haman- und dem Holofernes- 
Bilde entspricht. Das Licht um die Schlange 
hält den Gleichklang zu der hellen Masse des 
Haman.) Die Gründe zur Veränderung wurden 
also bestimmend durch ihre gegenseitige Be- 
stätigung. 

Die schönste Zeichnung (II) fügte sich 
schon nicht in die Komposition des Einzelbildes, 
noch weniger in dieses neue Problem ein. 
Dieser Haman, ganz in sich zusammen ge- 
sunken, hätte teilnahmlos, nicht „fiero“, nicht 
revoltierend, in der Gruppe gestanden. Dieser 
Entwurf stammt vom Bildhauer Michelangelo, 
der das Ereignis in eine Figur konzentrierte. 
Abb. 5 MICHELANGELO: Haman. Detail Der Oberkörper war also in seiner In-sich- 

aus Ener E AANE ree SIEH, zusammen-Gesunkenheit gar nicht für den 

scien Kapelle O | , 
Maler zu verwerten. Das Motiv der Beine 
konnte er beibehalten, er hatte ihm nur, wie der ganzen Figur, den Sinn der Be- 
wegung nach der anderen Seite zu geben, d. h. das linke statt des rechten zu beugen. 
Dies war (stets noch umgekehrt) ähnlich, aber weniger frei, im ersten Entwurfe (Abb. 3) 
vorhanden, es wurde nach einer zufälligen Modellstellung, in der sich das tatsächliche 
Liegen des Modelles zu empfindlich aufdrängte, in Zeichnung III (Abb. 4) skizziert. 
Und schon hier finden wir prinzipiell die Lösung. Daß der rechte Arm (der dem 


1) Justi, Michelangelo, zitiert in Bezug auf den Haman (Seite 58), Dante, Purg. XVII. 25 ff. 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 79 


linken der veränderten Figur entspricht) anders, noch nicht nach hinten, verkürzt ist, 
hat seinen Grund im Liegen des Modelles. (Das wird im weiteren erklärt) Der 
hauptsächliche Unterschied im Probleme des Oberkörpers von I, II und III einerseits, 
und der definitiven Lösung IV und VI (Abb. 6 u. 8) anderseits, ist der: auf I, Il 
{und III) sind die Oberarme am Baume festgebunden (bei I der rechte lose oder frei), 
auf dem Fresko und im Stadium der Studie auf der Kombination von IV (V) und VI 
ist der Haman durch die Hände festgenagelt. Damit verschwindet das kleinlich Müh- 
same der Bewegung. Und deren Inhalt wird jetzt der: „Wie ein Titan“ (Justi) wirft 
er sih nach dem Gemache, aus dem heraus er Ahasvers Gebot vernimmt, herum 
mit der letzten Kraft des Sterbenden und dem Hasse des Gemarterten, ,die schauer- 
liche Affung eines heiligen Todes“ (Justi). 


DIE DEFINITIVEN STUDIEN 
Der Gang der Arbeit 


Die Stellung des Haman kann ein Modell im Stehen nicht geben, da es bei 
der starken Drehung das Gleichgewicht verlieren würde. Michelangelo wendete die 
beschriebene Methode an. 

Das Modell lag rücklings auf einer Bank, die Beine überragten sie von den 
Kniekehlen ab, das rechte war gestreckt, der Fuß auf einer niederen Kiste oder dergl. 
auflehnend, das linke gebeugt, so, daß der Fuß auf dem Boden aufstand. — Dem 
Sinne der Bewegung nach links entsprechend lag das Modell auf der linken Seite 
stark auf. Das rechte Bein, dessen Fuß als festgenagelt gedacht war, konnte dieser 
Tendenz nicht folgen, lag also ebenfalls, so weit es nicht von der Drehung mitgerissen 
werden konnte, auf. — Das Modell hob den linken Arm nach oben und mußte, um so 
längere Zeit beharren zu können, sich an einem herunterhängenden Stricke fest- 
halten, den rechten beugte es nach hinten, so weit es die Bank zuließ. — Der Kopf 
war nach links gerichtet. — So wurde es vom Gerüste herab aus etwas rechtsseit- 
licher Obersicht, den Augenpunkt auf die Mitte des Körpers eingestellt, gezeichnet. 
{Studie 1. Hauptzeichnung auf IV. Vorderseite des Blattes der Malcom-Sammlung im 
British Museum. Abb. 6.) 

Die Ansicht bot fast vollkommen die Gesamterscheinung. Die Verschiebung 
zwischen Thorax und Becken stellte sich ganz sinngemäß dar. Aber die festaufliegenden 
Teile: die Rückenmuskeln, das Gesäß, die rechte Kniekehlung, der linke Oberschenkel, 
waren durch das Aufliegen breitgequetscht. Der Kopf konnte zwar nach links gedreht 
werden, aber die Bank verhinderte die notwendige Freiheit der Neigung; sie hemmte 
ebenfalls das energische Zurückbeugen des rechten Armes, da die Funktion des Schulter- 
blattes durch das Aufliegen eingeschränkt war. Die Hand und der Unterarm des 
linken Armes waren durch das Hängen am Stricke gar nicht zu benutzen. 


Zu diesen in Folge der Methode sich ungenügend oder unrichtig darstellenden 
Partien, also dem Ober- und Unterkörper, mußten Ergänzungsstudien unternommen, 
in ihnen dem Motive der Bewegung bis in seine letzten Konsequenzen nachgegangen 
werden. Bei jedem Teile wurden nun einzeln alle Möglichkeiten durchdacht und er- 


80 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


probt. Je mehr der Sinn das sich nach links Hinüberbäumen, das ReiBen an den 
durchnagelten Gliedern trotz des ungeheueren physischen Schmerzes, das sich fast 
Loszerren-wollen wurde, desto intensiver wurde die konzentrierteste Anstrengung aller 
Muskeln. Vielleicht hat selten so sehr ein Problem den Geist des Meisters beschäftigt. 

Das rechte Bein war gewissermaßen der Hemmschuh der Bewegung; nadı dem 
stehenden Modelle konnte es nicht studiert werden; um die Spannung doch beobachten 
zu können, wurde dem liegenden der Fuß an einen von außen kommenden Strick 
angebunden, an dem es zog (eingezeichnet in Studie 1); dann wurde der Fuß einzeln 
nach dem sitzenden, das die Ferse hob, gezeichnet. So war die für das Motiv 
notwendige Spreizung der Zehen ausgedrückt. (Studie 2 auf demselben Blatte. 
Abb. 6, unten.) 

Komplizierter war die Erfassung der richtigen Bewegung des linken Beines. Die 
gebeugte Lage war schon bei dem ersten Entwurfe (entsprechend der anderen Rich- 
tung der Komposition noch auf der anderen Seite) entschieden worden, nicht deren 
Sinn. Soll dargestellt werden, daß der linke Fuß an einem erhöhten Punkte fest- 
genagelt ist, wird das Bein durch die Wendung des Oberkörpers sehr wenig in Mit- 
leidenschaft gezogen. In ihm liegt dann der ruhige Punkt, denn die Beugung hat vor 
der momentanen Kraftanstrengung stattgefunden. Soll aber auch hier volle, momen- 
tanste Aktion dargestellt werden, muß es frei sein. So ist es auf dem Fresko: der 
Fuß ist nicht durchnagelt; das Querholz, an dem der andere befestigt ist, bietet auf 
dieser Seite den leeren Platz. Und die Bewegung wird nun die: das freie Bein ist 
dem energischen Elan der Geste folgend wuchtig nach oben gezogen und unterstützt 
diese, indem es sich mit dem Fuße von dem seitlichen Aste des Baumes abstößt. 

Das Bein wurde zuerst im Zustande der Ruhe (das Motiv des angenagelten 
Fußes) nach dem liegenden Modelle auf der Hauptstudie angelegt, am Rande rechts 
unten nach dem Stehenden, das den Fuß an die Wand lehnt, ausgeführt (Studie 3, 
Abb. 6), dann am selben Rande oben bewegt (das Motiv des freien Fußes), indem der 
Stehende sich von der Wand abstemmte, gezeichnet. (Studie 4, Abb. 6.) 

Eine andere Serie von Studien mußte an den Oberkörper gewandt werden. 
Auch hier wird die Kraft allmählich gesteigert. Das liegende Modell hatte die Bauch- 
partie klar, die höheren Partien aber ganz ungenügend für die Bewegung zum Aus- 
drucke gebracht, das stehende konnte sie geben, aber ebenfalls nicht ganz einheitlich. 
Es wurde so installiert, daB es an zwei seitlich befestigten Stricken zog. So waren nicht 
die Hände selbst, aber die Arme, die gespannte Brust, der frei gewendete Kopf zu 
verwerten. 

Alles zerrt nach links und an der festen rechten Hand. Würde der linke Arm, 
der Tradition der Crucifissi folgend, die Richtung des rechten fortsetzen, so wäre die 
Wendung des Kopfes und des Körpers nach der anderen Seite fast frei, und die 
Figur hätte ausschließlich jene Tendenz. Aber der Contraposto war in ungeheuerer 
Kühnheit in einem weiteren Hemmnisse eben durch die Richtuug des linken Armes, 
der nach vorn geht, erfunden. Er schiebt sich als Schranke vor. Zur Motivierung 
wurde sie dem Äste gegeben. — Das Problem reifte allmählih. Auf der Studie nach 
dem liegenden Modelle und auf der ersten Anlage der ausführlichen Studie zum Ober- 


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Studien zum Haman 


MICHELANGELO 


Abb. 6. 


82 | Monatshefte für Kunstwissenschaft 


körper (Studie 5, VI. Teyler-Museum, Abb. 8) steht der Arm noch etwas seitlicher als 
auf der definitiven Lösung (auf der selben Studie, dem entsprechend der Kopf noch 
weniger tiberschnitten). Als deren Idee entstanden war, wurde sie sofort geprüft 
(Studie 6, V. Malcolm-Sammlung. Verso. Hauptzeichnung.) Als neue Frage ent- 
wickelte sich, ob bei veränderter seitlicher auch die steile Richtung aufzugeben sei. 
(Studie 7. Unter der eben genannten Zeichnung.) Diese horizontale Lage war dem 
Ursprunge des Problems zuwider. Das Hemmnis wäre von neuem geschwächt worden. 

Der rechte Arm war zuerst steiler projektiert (Studien 5 und 6, VI. Teyler- 
Museum, V. Malcolm-Sammlung. Verso.) Die Bewegung kann sich erst voll entfalten, 
wenn er im rechten Winkel zum Rückgrat steht. In diesem Sinne wurde er ver- 
ändert, so das Motiv des Contraposto ganz rein. (Studie 5.) An diesem Punkte an- 
gelangt, zog Michelangelo die letzte Konsequenz. Bei der äußersten Kraftanstrengung 
wird schließlih der linke Arm fast bis zum Brechen durchgedrückt, wobei sich die 
Innenseite etwas nach oben dreht und sich die Schulter hebt (Studie 8), auf der rechten 
Seite wird die Bewegungsmöglichkeit aufs äußerste gesteigert, wenn die Schulter er- 
hoben nach vorn geschoben wird. (Studie 8, VI. Teyler-Museum, oben rechts auf- 
geklebter Ausschnitt.) 

Um die Hände in der Stellung des Gekreuzigten studieren zu können, mußte 
das Modell die freien Arme strecken. Diese mögen auf einer Stütze aufgelegen haben. 
(Studien 8 und 9, auf dem eben genannten Blatte.) 


Die Zeichnungen. 


IV. Malcolm-Sammlung. Vorderseite, Abb. 6. In die erste Studie (der Gesamt- 


erscheinung) sind die Resultate der späteren Studien teilweise eingetrager worden. 
Der Kopf, den das liegende Modell nur unfrei geben konnte, ist in zwei Linien, 
dem Kontur des Schädels und dem der Kinnlade, flüchtig angelegt, ebenso der Hals 
und der linke Arm, die rechte Schulter und der Arm bis zum Biceps, die letzteren 
dann nach der sechsten Studie (V. Verso. Malcolm-Sammlung, Abb. 7) frei korrigiert, 
der Unterarm zugefügt, und zwar zu dünn im Verhältnis zu der Figur. Am Biceps 
ist oben ein senkrechter Strih. Er merkt entweder die Ungültigkeit der äußeren Linie 
an, oder, daß hier genaueres Studium nötig sei. Der Rückenmuskel (unter der Achsel) 
war durch das Liegen hervorgedrückt, der Thorax gepreßt. Die sechste Studie gab 
die Erscheinung des aufrechten Menschen. Darum auf der ersten Studie, um den ur- 
sprünglichen Kontur als falsch zu markieren, eine dicke Eintragung des richtig ge- 
fundenen. — Der linke Arm bot eine ganz ungenügende Bewegung. Sein Ansatz 
(die Brust- und Rückenmuskeln) wurde ausführlih gezeichnet. Er ist nachträglich 
mehrfach übergangen worden. Durch die ruckweise Entwicklung dieses Armmotives 
wurde diese Partie sehr verquält, es sind mehrere sich widersprechende, spätere Ein- 
tragungen darin zu erkennen. Die feste Form des Biceps ist der sechsten Studie ent- 
nommen, die Schulter durch einen neuen Kontur stärker gewölbt, der durch die später 
in das Motiv gekommene Innendrehung des Armes stärker vorwärtsstrebende Rücken- 
muskel dementsprechend geändert worden, indem er verbreitet und dann durch 
Schraffierung der Masse angeschlossen wurde. — Das Gesäß zeigt dünne äußere und 


| ——— — 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 83 


dicke innere Konturen: die ersten sind die nach dem liegenden Modelle richtig an- 
gelegten, die zweiten die aus den Ergänzungsstudien gewonnenen. Zuerst die rechte 
Seite, auch nach dem liegenden, in der früher beschriebenen Situation der Anspannung 
des Beines. Die ursprüngliche Angabe der ungeschwellten Muskeln des Oberschenkels 
und der auf der Bank breitgequetschten Kniekehlung (die äußeren dünnen Konturen) 
ist deutlich zu erkennen. 

Die Detailzeichnung unten neben der Mitte (Studie 2) zeigt einzeln den Fuß. 
Die Zehen spreizen sich gegen einen festen Körper. Unterhalb des äußeren Knöchels 
geht eine Linie steil nach innen. Sie 
stellt die Beugung dar, die beim Stehen 
oder Sitzen stattfindet. Diese Situation 
wird ferner durch die senkrechte Richtung 
der Zeichnung bewiesen. 

Daß die beiden Randzeichnungen 
für das linke Bein (Studie 3 und 4) nach 
dem aufrechten Modelle studiert sind, ist 
am augenfälligsten durdı die Richtung 
der Geschlechtsteile erkenntlich. Man ver- 
gleihe es als Gegensatz mit der Studie 
der Gesamterscheinung daneben (und mit 
der früher besprochenen III. Louvre. Abb. 4, 
deren Entstehung auch dadurch angegeben 
ist. Der Zweck der oberen Randzeich- 
nung war, die angespannte Muskulatur 
des Beines zu beobachten. Es war also 
nicht nötig, das Augenmerk auf die Ver- 
teilung von Licht und Schatten zu richten, 
und wir finden diese nur da angegeben, 
wo sie die Deutlichkeit unterstützen. Zu- 
fällige Umstände mögen dazu geführt 
nanen y Cab: MAS ONE BIER. Vori: der Abb. 7. MICHELANGELO: Studie zum Hama 
anderen Seite her, wie zu der Gesamt- “Detail l i 
ansicht und auch zu der vorigen Studie 
(3) beleuchtet war. Als in erstere aber die neue Erkenntnis übertragen wurde, wurden 
in sie fälschlih auch die Schatten der anderen in die belichtete Seite des Schenkels 
übernommen. Daher wirkt er so platt. Das Fresko hat denselben Fehler. — Der 
dike innere Kontur der Hauptstudie wurde nach dieser ergänzt. — Mit der dritten 
Studie mußte auch dessen Fuß verworfen werden. Es scheint keine Detailstudie für 
ihn zu existieren.) Sie wird nach einer ähnlichen Situation wie die vierte Studie 
gemacht worden sein. Er ist auf der Hauptzeichnung ohne genaues Abkopieren nach 
dem Modelle (denn die rasche Linie ist in mehrfachem Ansatze des Stiftes gesucht), 


ı) Allerdings weiß ich leider nicht, was die „flüchtigen Skizzen“ auf dem Verso des Blattes 
aus dem Teyler- Museum darstellen. 


84 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


aber typisch fiir das Motiv der freien Bewegung und des AbstoBens zugefiigt. Der 
Unterschenkel hat eine dem entsprechende freie Korrektur erhalten. 

Die Hauptzeichnung des Oberkörpers (VI. Teyler-Museum, Abb. 8, Studie 5) 
zeigt neben den späteren Formen noch die ursprüngliche Anlage des steileren rechten 
und des mehr nach außen stehenden linken Armes. Daß dieses ältere Motiv zuerst 
für endgültig gegolten hatte, beweist die sorgsame Behandlung der linken Gesichts- 
hälfte, die von der Hand des nach innen gewendeten Armes ganz verdeckt werden 
müßte. Sie war also zeitiger wie dieser entstanden. Die Hand ist ohne Modell, in 
nicht definitiver Fingerstellung, zu klein, in dünnen Strichen, ungefähr an ihren Platz 
gesetzt worden. Ihre Ausführung war im Zusammenhange nicht möglicı, da sie das 
Modell, das einen Strick hielt, falsch bot, ihre spätere Eintragung nicht, da auf ihrer 
Stelle schon das Gesicht gezeichnet war (Rötel wird beim Radieren schmierig). Eine 
Linie quer durch die Nasenspitze gibt vielleicht den Überschneidungspunkt an. — Das 
rechte Ohr sitzt falsh an. Dadurch ist die Backe etwas zu schmal. Die Verkürzung 
war zuerst nicht sicher erfaßt. Es ist mehrfach daran herumkorrigiert worden. Ansatz 
und Verkürzung sind auf der kleinen Detailstudie über dem Kopfe gefunden.!) 

Das Verso des Blattes der Malcolm-Sammlung (V. Abb. 7, Studie 6) zeigt den 
rechten Arm noch steil, den linken schon nach innen gedreht, aber noch nicht in der 
vollen Anstrengung. Die ganze Partie des Rumpfes war verändert. Darum ist hier 
nur sie eingehend behandelt. Die doppelten Konturen an der Schulter, innen, bezeugen 
den Moment der Entwicklung: die erste die tiefere, die zweite die heraufgezogene Lage. 

Auf der Hauptstudie (5) des Teyler-Museums (VI.) ist der rechte Arm im zweiten 
Stadium dargestellt, also die Schulter noch tief. Deren Abstand vom Ohre ist größer 
als auf dem Fresko. Ergänzen wir sie nach der erhobenen, vorgedrehten Schulter der 
achten Studie, oben rechts auf dem Blatte, so erhalten wir die definitive Erscheinung. — 
Am Rande unten links ist eine kleine konstruktive Zeichnung der rechten Hand (ohne 
Modell. Die Fingerstellung noch anders als auf der definitiven Lösung). Nach dieser 
ist sie auf der Hauptstudie rasch angelegt. Wir sehen aber darunter den Kontur einer 
anderen Daumenstellung: den der den Strick haltenden Hand. — Zu den Studien oben 
(8 und 9), der wie gekreuzigten Hände ist zu bemerken, daß die der linken Hand nur 
den Armansatz aufweist: der Arm war auf der Hauptstudie gelöst worden; der rechte 
war auf dieser falsch, wurde also nun gleichzeitig mit der Hand endgültig studiert. 


Die Echtheit der Blätter der Malcolm-Sammlung und des Teyler-Museums. 


Wenn auf zwei inhaltlich ganz zusammengehörigen Studienblättern so ein- 
dringlih der Gang der Arbeit verfolgt werden kann, kommt es mir fast wie ein 
Scherz vor, deren Echtheit noch besonders beweisen zu müssen, oder wie ein Scherz, 
sie anzuzweifeln. 

Nur einer sehr oberflächlichen Beobachtung kann entgehen, daß sie teilweise 
ganz andere Details enthalten wie der Haman der Sistina. Ich verweise als augen- 


1) Das Ohrläppchen erscheint nur infolge der Untersicht besonders fleischig. Auf dem 
Fresko ist es identisch. Vergl. Anm. 5, Seite 74. 


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Studien zum Haman 


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Abb. 8. 


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86 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


falligste Beispiele auf dem Blatte der Malcolm-Sammlung, auf der Vorderseite: auf die 
andere Lage des rechten Armes, die Randzeichnung des Beines im Zustande der Ruhe, 
den in senkrechter Richtung stehen- 
den Fuß, auf dem Verso: auf den 
steileren rechten Arm und die kleine 
Studie des linken ohne Untersicht, 
auf dem Blatte des Teyler-Museums: 
abgesehen von den den vorigen 
ähnlichen Unterschieden, namentlich 
auf das Vorhandensein der linken 
Gesichtshalfte. 

Die spezielle Methode verlangte 
die Teilung in zwei Studiengruppen. 
Die Vorderseite des Malcolm-Blattes 
zeigt die eine, das des Teyler- 
Museums die andere, das Verso 
des ersten deren Ergänzung, so 
daB wir schon darin eine Logik 
finden, die schwerlich die zufällige 
Nebeneinanderstellung von Kopieen 
nach dem Fresko bieten wiirde. 

Diese Ansicht fallt also ganz 
zusammen. 

Das Blatt in Windsor (Abb. 9) 
zeigt (in schlechter Qualität) ohne 
einige spezielle Merkmale der Stu- 
dienmethode dieselbe Erscheinung 
wie die Vorderseite des Malcolm- 
Blattes. Schon diese Tatsache hatte 
genügen müssen, letzteres nicht als 
Zeichnung nach dem Fresko anzu- 
sehen, denn da sie als solche ganz 
unvollkommen und „mühsam“ wäre, 
würde sie nicht als Vorlage für eine 
Wiederholung gedient haben. 
Abb. 9. Kopie nach der Michelangeloschen Studie Es bleibt also die Frage offen, 

(Abb. 6) O ° ob beide Blätter, das in Windsor 

und das der Malcolm-Sammlung auf 

eine Originalstudie Michelangelos zurückgehen. Deren Vergleich ergibt bedeutsame 
Resultate. Ich spreche nicht über die Qualität, derentwegen das erste allgemein 
verworfen wird. Darauf basierendes Urteil ist individuell und momentan. Das 
Blatt in Windsor enthält ausschließlih die später durch die Ergänzungen er- 
haltenen inneren Konturen, die für die Entstehung notwendigen äußeren, nach dem 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 87 


liegenden Modelle gezeichneten, fehlen. Das Vorhandensein der Randzeichnungen 
ist, ohne deren Ursache zu verstehen, als Tatsache aufgenommen. Und da der 
Kopist ein ordentlicher Mann war, hat ihn die auf seinem Originale sich aus 
der Methode erklärende ,Flüchtigkeit“ der Füße geärgert. Er hat sie verbessern 
wollen. Darum übertrug er widersinniger Weise aus der ersten Ergänzungsstudie 
die für die Beugung des Fußes charakteristishe Linie in die Gesamtansicht und 
präzisierte an deren linkem Fuße die suchenden Linien, indem er die feste Form des 
ruhenden der unteren Randzeichnung in spinnemageren Strichen einfügte. —- In welcher 
Auffassung ein Schüler eine Studie seines Meisters wiederholt, zeigt diese Kopie. In 
der Tat hat er keinen Grund, die Korrekturen und Mühseligkeiten, die er auf dem 
Vorbilde findet, abzuzeicinen. Es kommt ihm auf die definitive Form an. — Das 
andere Blatt trägt dagegen die Merkmale der Entstehung. Es wäre also, wenn ihm 
durchaus die Echtheit abgesprochen werden soll, nur möglich, es als bewußte Fälschung, 
in die die spezielle Methode der Entstehung mit hineingeheimnist worden wäre oder 
als eine „Chinoiserie“ aufzufassen. Daran hat aber kein Kritiker des Blattes gedacht. 

Es ist ausschließlich wegen der Qualität angezweifelt worden. Daß diese nicht 
die Klarheit und Einheit anderer Studien des Meisters aufweist, erklärt sich aus den 
besonderen Umständen des Werdeganges: ein bequem liegendes Modell für einen 
revoltierten Titanen, der Zeichner auf einem Gerüste, gezwungen, es nach unten über 
seine rechte Schulter hinüber zu beobachten, wodurch eine mechanische Behemmung 
der zeichnenden Bewegung entsteht, die zu kleinen, unfreien Strichen zwingt; ein Ab- 
setzen der Arbeit, um nach anderen Modellkombinationen Ergänzungsstudien vorzu- 
nehmen, deren zwei spätere gar nodi das Verso aufweist, und so die Beziehung zu 
dem Blatte des Teyler-Museums deutlich macht, und dann ein überlegendes Eintragen 
der neuen Erfahrungen in die Gesamtansicht. So verbürgen gerade die Gründe die 
Echtheit, derentwegen sie bisher abgesprochen werden konnte. Nicht von Michelangelos 
Hand wäre eine einheitliche Studie zum Haman. 

Dieselbe Tatsache, daß wir die intimsten Momente des Werdeganges verfolgen 
können, macht seine Autorschaft der Zeichnungen auf dem Blatte des Teyler-Museums 
zweifellos. (Schluß folgt.) 


BONNIE 


Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts 


Von Hans Jantzen 


Was uns gewöhnlich als Gesamtbild von der Blütezeit holländischer Malerei 
des XVII. Jahrhunderts gegeben wird, enthält stets irgendwie den Hinweis auf die 
Verschiedenart der Darstellungsinhalte, deren Reichtum und Besonderheit der Aus- 
bildung keine andere Malerei in gleihem Maße vorher und gleichzeitig gekannt hatte. 
Dabei ist die Anteilnahme, die man der holländischen Malerei schenkt, den einzelnen 
Bildgattungen — in gewissen Grenzen — ziemlich gleichmäßig zugewandt. Bis auf 
eine Ausnahme. Man findet wohl das Historienbild, Allegorische Darstellung, Porträt, 
Schützenstück, Gesellschaftsstück, Genre, das Marinebild, die Landschaft und das Still- 
leben genannt, aber selten das Architekturbild. Wenn es auch keineswegs ganz an 
Literatur fehlt — Woltmann und Wörmann haben in ihrer Geschichte der Malerei die 
hauptsächlichsten Architekturmaler aufgenommen, ferner gibt es ein paar kleinere 
Aufsätze von Bode!) und Hofstede de Groot’), und kürzlich ist Gustav Glück in 
seiner Publikation der Sammlung Alexander Tritsch näher auf das holländische Architektur- 
bild eingegangen — allein diese wenigen Äußerungen sind mehr gelegentlich der 
Behandlung bestimmter Bilder oder Bildergruppen entstanden. Im Ganzen haben 
weder die einzelnen Künstler noch das Architekturbild als Bildgattung einen Platz in 
der holländischen Kunstgeschichte erhalten. Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, 
daß etwa in einem Buche wie Bodes „Rembrandt und seine Zeitgenossen“ die ver- 
schiedensten Arten holländischer Bilder aufgeführt werden, aber kein Architekturbild. 
Und geradezu auffallend ist, wenn bei einem Thema, wie es Professor Martin 
gelegentlich seiner (auch in diesen Heften veröffentlichten) Antrittsvorlesung aufgestellt 
hat: „Über den Gesdimack des holländischen Publikums im XVII. Jahrhundert mit 
Bezug auf die damalige Malerei“ das Architekturbild völlig außer Acht gelassen wird, 
obwohl sonst wiederum alle übrigen Bildgattungen angeführt sind.?) Gerade für dies 
Thema, meine ich, bedeutet es eine empfindliche Lücke, wenn das Architekturstück 
nicht herangezogen wird. Hier wäre es unbedingt wichtig, zu wissen, daß die 
Holländer neben ihren Landschaften, neben ihren Gruppenporträts audı jene Dar- 
stellungen von Kirchen besaßen, wie kein anderes Land sie aufzuweisen hatte. 

Der Grund weshalb das Architekturbild für eine Charakteristik der Erscheinungen 
holländischer Barockmalerei bisher so vernachlässigt wurde, liegt keineswegs darin, 
daß die Künstler jener Darstellungen etwa schlechter gemalt haben als die Landschafter 
oder die Maler der Seestücke, der Stilleben oder der Genreszenen. Es sind Namen 
unter ihnen wie Gerard Houckgeest und Emanuel de Witte, den man getrost neben 


1) Bode, Studien zur Geschichte der holländischen Malerei 1884, S. 214 ff, wo das Werk 
des Dirk van Delen zusammengestellt ist. Vgl. auch Graphische Künste XIII, 1890, S. 89 über die 
Architekturbilder der Sciweriner Galerie. 

?) Einleitung zu Utrechtsche Kerken, Teekeningen en Schilderyen van Pieter Saenredam 
met Tekst van Dr. C. Hofstede de Groot. 1899. 

3) Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, Heft 9. 


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H. Jantzen. Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts 89 


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Abb. 1. JAN VAN VUCHT, Kircheninneres 
O Schwerin, GroBherz. Galerie 


einem Pieter- de Hooch nennen kann. Nur sind die guten Arbeiten der Architektur- 
maler seltener, wenigstens so weit sie bekannt sind. Aber man weiß, alle Bilder, und 
selbst die besten, verschwinden, solange eine Zeit an ihnen nichts zu sehen hat. Schon 
daraus erklärt sich, daß z. B. in den Öffentlichen Galerien selten ein holländisches 
Architekturstück von unmittelbarer Wirkung anzutreffen ist. 

Holland allein hat dieser Bildgattung entscheidendes Gepräge gegeben. Weder 
Frankreich, noch Italien oder Deutschland besaßen Darstellungen, die sich vergleichen 
ließen. Deutschland nur besaß vielleicht Anfänge, die zu höchsten Schöpfungen einer 
Architekturdarstellung hätten führen können. Es genügt, an Altdorfers Geburt Mariä 
in der Augsburger Galerie zu erinnern, ein Bild, das von allem, was sonst auf- 
zuweisen wäre, den 150 Jahre später in Delft und Amsterdam gemalten Kirchenstücken 
am nächsten steht. Die Eindringlichkeit der Raumerfassung — Altdorfer gebraucht 
noch jenes ungeheure Schwungrad, den dichten Engelkranz, der in die Tiefe hinunter 
und wieder zur Höhe empor wirbelt — die erstaunlich optisch-subjektive Orientierung, 
das in schmalen Streifen fließende Licht und selbst Zufälliges, wie bestimmte Farben, 
alles dies läßt unmittelbar an Emanuel de Witte denken. 

Was dagegen in Italien an Architekturdarstellungen erscheint (die Intarsien 
eingerechnet) gehört einem viel weiteren Kreise an, und vor allem die Prospektmalerei 
des italienischen Barock ordnet sich einem anderen Probleme unter, das mit dem 
engeren Begriff des Architekturbildes nichts zu tun hat. Es entsteht damit die Frage, 


90 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 2. PIETER SAENREDAM, Neue Kirche in Haarlem 


O Zeichnung im Amsterdamer Rijsprentenkabinett 


was denn die Holländer in der Blütezeit ihrer Malerei unter Architekturbild ver- 
standen? 

Houbraken, dessen Ausdrücke die des XVII. Jahrhunderts sind — seine „Groote 
Schouburgh“ stellte er um die Wende zum XVIII. Jahrhundert zusammen — sagt, 
wenn er von Architekturmalern spricht, daß sie „Ansichten von Tempeln und Kirchen“ 
malen. Um zum Beispiel de Witte als Architekturmaler zu bezeichnen, wird gesagt: 
„er stellte das Innere von Kirchen dar.“ Und derselbe Ausdruck wiederholt sich bei 
den übrigen Künstlern dieser Reihe.') In der Tat haben die Maler auf der höchsten 
Entwicklungsstufe der genannten Bildgattung fast ausschließlich Kirchenräume gemalt. 
Und auch auf früheren Stufen der Entwicklung ist das holländische Architekturbild im 
Wesentlichen: Kirchenstück. Andererseits hat schon das XVII. Jahrhundert weder 
Maler wie die Brüder Berckheyde oder Jan van der Heyde noch Pieter de Hood 
und andere zu den Architekturmalern gerechnet. (Abgesehen davon, daß die Berckheyde 
vereinzelt auch Kirchenstücke gemalt haben). Houbraken charakterisiert die Kunst des 
Gerrit Berckheyde einmal als „die Darstellung angenehmer Landschaften mit Häusern, 
großen Gebäuden und Kirchen, sowie auch perspektivischer Ansichten der beiderseits 
mit Bäumen bepflanzten Heerengracht und Kaysersgracht, die er mit zahlreichen kleinen 
Figuren staffierte“.) Also das Landschaftlihe wird durchaus in den Vordergrund 
gestellt. Man muß dies betonen, da auch aus dieser Charakterisierung des noch oft 


1) Houbraken-Wurzbach (Wiener Quellenschriften) S. 54, 62, 123, 396. 
°?) Ebenda S. 362. 


H. Jantzen. Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts 91 


als Architekturmaler genannten Berckheyde hervorgeht, daß das XVII. Jahrhundert 
seinen Bildern eine gesonderte Stellung zuwies.') 

Für das Architekturbild ergibt sidi demnach auf der höchsten Entwicklungsstufe, 
die zeitlih etwa das dritte Viertel des XVII. Jahrhunderts umfaßt, als wesentlicher 
Inhalt die Darstellung des Kirchenraumes. 
Zu Beginn des Jahrhunderts war das Problem 
weiter gefaßt, wie es schon ein erster Blick 
auf das Gegenständliche lehrt und wie es 
auch in der sprachlihen Benennung zum 
Ausdruck kommt. Das Architekturbild wird 
sprachlich als „perspectyff stuck“ oder ein- 
fach als „perspectyff“ begriffen, also ganz 
allgemein als ein Bild von starker per- 
spektivischer Wirkung. Es spielt noch ein 
wenig die Auffassung der Perspektivmalerei 
des XVI. Jahrhunderts hinein, deren auf 
stärkste Panoptikumillusion berechnete Kunst- 
stücke in ihrer Wirkung auf das Publikum 
van Mander gelegentlich der Biographie des 
Hans Vredeman so amüsant zu schildern 
weiß. Man malte zu Beginn des neuen 
Jahrhunderts zwar schon vorwiegend Kirchen- 
räume, aber doch nicht wirklich gesehene 
Kirchen, sondern beliebig erdachte Räume, 
deren perspektivishe Tiefenwirkung die 
Hauptsache war und denen gegenüber das 
Publikum sich verhielt, wie heute noc 
jene Galeriebesucher, die eine Perspektive 
durch die hohle Hand betrachten. Ferner 
malten diese Architekturmaler Gebäude- 
gruppen, Höfe, Säulenhallen von derselben 
bestimmten perspektivischen Wirkung wie Abb. 3. PIETER SAENREDAM, St. Bavokerk 
ihre Innenräume. Auch die Bewertung dieser A SEE Rini SOR S 
Arbeiten entsprach der angedeuteten Auf- 
fassung zu dieser Zeit auf merkwürdige Weise. Man suchte gleichsam die per- 
spektivishe Wirkung quantitativ zu fassen, indem man die Anzahl der dargestellten 
Pfeiler und Säulen berechnete. So verpflichtet sih der Architekturmaler Jan van Vucht 


1) Die Berckheyde werden erst in einer Geschichte des StraBenbildes ihren richtigen 
Platz einnehmen. Wer sich einmal mit hollandischer Malerei des XVIII. Jahrhunderts beschäftigen 
wird, hat das Straßenbild notwendig als selbständige Bildgattung zu behandeln, dessen lange 
und interessante Entwicklung vom XV. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit sich verfolgen läßt 
und das für die Kenntnis hollandischer Malerei des XVIII. Jahrhunderts geradezu in erste Linie 
zu rücken ist. 


92 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


bei der Regelung einer Schuldabzahlung im Jahre 1635 unter anderem „een perspectyff 
stucken varı twaelf pilaertgens“ zu liefern, und ferner zu einer bestimmten Zeit „een 
stuck van acht ende veerstich pilaertgens“.') 

Mit dem vierten Jahrzehnt setzt eine streng sachliche Auffassung des Kirchen- 
raumes ein. Der Haarlemer Pieter Saenredam, der vor allem hierher gehört, ist der 
sachlichste aller holländischen Architekturmaler. Er zuerst macht genaueste Aufnahmen 
bestimmter Kirchen, und von ihm sind daher auch eine Menge Zeichnungen erhalten, 
die alle mit größter Sorgfalt gearbeitet sind. Schon die Art, wie er genaueste Kontrolle 
über seine Arbeiten führt, charakterisiert 
die Persönlichkeit Saenredams, denn nicht 
nur die Jahreszahl, die Angabe des Gegen- 
standes findet sich stets bei ihm, sondern 
selbst das volle Tagesdatum. Auf seinen 
Zeichnungen vergißt er selten, den Ab- 
stand des Augenpunktes vom Boden an- 
zugeben. Oft kommen noch Notizen hin- 
zu, die sich auf die Geschichte der Zeich- 
nung beziehen, ob er ein Bild darnach 
gemalt habe, wann dies geschehen sei usw. 
Saenredam verdanken wir daher auch 
eine Fülle von  architekturgeschichtlich 
wichtigen Darstellungen. So kennen wir, 
um nur ein Beispiel zu nennen, die zer- 
störte Utrechter Marienkirche, eine der 
bedeutendsten und schönsten omanischen 
Kirchen Hollands, vorwiegend aus Zeich- 
3 nungen und Gemälden Saenredams. 
er ona | Aber nicht Saenredam gibt die höchste 
CR Entwicklungsstufe, sondern eine Gruppe 
von Malern, die um die Jahrhundertmitte 
in Delft arbeiten: Gerard Houckgeest, 
Hendrik varı Vliet und Emanuel de Witte. Jetzt ist nicht mehr sachliche Genauigkeit 
das Entscheidende, sondern die stärkste unmittelbare Raumwirkung. Während bei 
Saenredam der sachlich gegebene architektonische Charakter des Raumes noch unbedingt 
zur Geltung kommt, ist dergleichen bei den Delftern nicht zu suchen. Man fragt nicht 
mehr, in welcher Kirche bin ih? Es bleibt nur die Stimmung des Raumes unter der 
bestimmten Bedingung der Stunde und der Beleuchtung. Der Kirchenraum wird in 
allen seinen zufälligen Erscheinungen gegeben, die Lichteffekte fast bis zur völligen 
Zerstörung der Architektur ausgenutzt. Schon im XVII. Jahrhundert waren diese 
packenden Kirchenstücke de Wittes berühmt und der Künstler wird auch bei Houbraken 
als der bedeutendste Architekturmaler genannt. 


Abb. 4. HENDRICK VAN VLIET, Deliter Kirche 


Amsterdam, Rijksmuseum 


1) Vgl. Oud Holland 1891, S. 40 ff. 


Abb. 5. GERARD HOUCKGEEST, Neue Kirche in Delft 
z Brüssel, Galerie 


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Abb. 6. EMANUEL DE WITTE, Inneres der Amsterdamer Oude Kerk 
O Amsterdam, Oude Kerk 


94 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Es ist selbstverständlich, daß die Verschiebungen des gegenständlichen Interesses 
im Laufe des Jahrhunderts sich entsprechend der Problementwicklung des Architektur- 
bild& gestalteten, worauf hier nicht eingegangen werden soll. Festzustellen war nur, 
daß das Kirchenstük im Kernpunkt jener Entwicklung steht. Aber noch bleiben 
zwei Fragen: warum ist das Architekturbild im wesentlichen Kirchenstück und wie 
erklärt sich diese Bildgattung als Erscheinung gerade der holländischen Malerei? 

Da ist zunächst die Tatsache, daß im Jahrhundert des Barock keine Malerei 
wie die holländische in gleihem Maße eine prinzipielle und intensive Auseinander- 
setzung mit dem Raume bedeutet. (Denn der Barockstil hat die allgemeine Tendenz, 
die bildenden Künste zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Raume zu zwingen, 
wobei in verschiedenen Ländern eine Kunst die Führung nimmt: in Italien die Archi- 
tektur, in Holland die Malerei.) Fragt man, wo innerhalb dieser Tatsachen dem Maler 
der Raum am wirksamsten sich aufdrängen mußte, so wird die Antwort lauten: 
zuerst in der freien Landschaft (als ungeformter Raum), die den unmittelbaren Eindruck 
unendlicher Raumkontinuität weckte. Und andererseits in der Architektur (als geformter 
Raum), und deren durchgebildester Erscheinung: der Kirche, die wiederum den Raum 
als etwas unmittelbar Gegebenes zu Sinnen führte. 

Das holländishe Architekturbild als Kirchenstück erklärt sich so als Problem 
einer Raumdarstellung, die ein faßbares, bestimmt durchgebildetes und den Beschauer 
allseitig umschließendes Raumvolumen zu bewältigen sucht. Ganz anders in Italien, 
wo die Architekturmalerei nicht wie im Norden das die Form erfüllende Raumvolumen 
darstellen will, sondern die Form selbst als plastische Begrenzung des Raumes. Diese 
Malerei hat daher ein vom Norden prinzipiell unterschiedenes Verhältnis zum Innen- 
raum überhaupt. Sie ist Darstellung einzelner Bauglieder oder AuBenarchitektur. 

Nach dem Gesagten war es also weder nötig, daß Holland besonders schöne 
Kirchen noch daß es eine besonders entwickelte Architektur besaß, um doch die Heimat 
des Architekturbildes zu werden. Landschaft und Kirchenstück sind polare Gegensätze 
innerhalb der Gesamtentwicklung der holländischen Malerei, soweit sie auf Darstellung 
des Raumes ausgeht, und dies wird bestätigt, wenn der Nachweis geführt wird, daß 
die Entwicklungsabschnitte für das Kirchenstiick im großen und ganzen dieselbe Geltung 
haben sowohl für die Landschaft wie für das Seestück, den Wohnraum und jede 
andere Bildgattung. 


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Abb. 1. RUSAFA-SERGIOPOLIS. GrundriB der Stadtanlage 


O Aufgenommen von E. Herzfeld 


Rusafa-Sergiopolis 
Von Friedrich Sarre 


Zu den bemerkenswertesten wissenschaftlicien Ergebnissen meiner, in Begleitung 
von Dr. Ernst Herzfeld während der Wintermonate 1907/8 unternommenen Studien- 
reise nach Syrien und Mesopotamien gehòrt die Untersuchung der Ruinen von Rusafa- 
Sergiopolis.') 

Der Ort liegt eine Tagereise vom mittleren Euphrattal entfernt an der von 
Sura (in der Nähe des heutigen el Hammam) in direkt nord-südlicher Richtung nach 
Cholle, dem heutigen Suchne, und dann SW. nach Palmyra-Tudmur führenden Kara- 
wanenstraBe, die von Diocletian chaussiert sein soll. Der Weg ist seit Jahrhunderten 


1) Eine eingehende Behandlung des gewonnenen Materials wird eine in Vorbereitung 
befindliche Publikation der gesamten wissenschaftlihen Resultate der Reise bringen. An dieser 
Stelle sollen vorläufig nur die hauptsächlichsten Ergebnisse der Untersuchung von Rusafa mit- 
geteilt werden, in teilweiser Übereinstimmung mit einem auf dem Internationalen Historiker- 
Kongreß in Berlin (August 1908) gehaltenen, nicht veröffentlichten Vortrage. 


96 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 2. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Nordtor, mittlerer Teil der Säulenfassade O 


verlassen und vom Verkehr ausgeschaltet. Rusafa liegt heute im Gebiet der Aneze- 
Beduinen, die hier zeitweilig im Friihjahr, wenn die Steppe Futter bietet, mit ihren 
Herden lagern. Sie sehen Fremde in Rusafa, mit dessen Ruinen sie abergläubische 
Vorstellungen von Dämonen verknüpfen, nicht gern, und es ist nicht ausgeschlossen, 
daß sie einen Besuch gelegentlich mit Gewalt zu verhindern suchen würden. Dieser 
Umstand und weil im größten Teil des Jahres kein Wasser vorhanden ist, erklärt es, 
daß Rusafa trotz seiner verhältnismäßig kurzen Entfernung vom Euphrattal wenig 
bekannt ist, und daß die meisten Forschungsreisenden ganz von einem Besuche abstehen 
mußten. Auch die drei Reisenden, denen wir bisher einige wertvolle, sich teilweis 
ergänzende, Beobachtungen über Rusafa verdanken, Bernhard Moritz,’) der Dane 
J. Östrup °) und der Franzose Victor Chapot,*) die in den Jahren 1884, 1893 und 1901 
in Rusafa waren, hielten sich nur stundenweise dort auf. Chapot ist der einzige 
gewesen, der ein paar photographische Aufnahmen der Ruinen angefertigt hat. So 
dürften die von Dr. Herzfeld und mir vorgenommenen Untersuchungen einen wesent- 
lichen Fortschritt in der Kenntnis der Ruinen von Rusafa bedeuten. 

Das hohe Alter des an einer bedeutenden Heer- und Karawanenstraße gelegenen 


1) Verhandl. der Ges. für Erdkunde zu Berlin. XIII (1886). S. 174 ff. | 

*) Historisk-topografiske Bidrag til Kendskabet til den syriske Ørken. Akademiebericht. 
Kopenhagen 1895. 

3) a) Bulletin de Correspondance hellénique. Paris 1904 (XXVII). p. 280ff. b) La 
Frontière de l'Euphrate. Paris 1907. S. 328 ff. 


F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 97 


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Abb. 3. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Nordtor, östlicher Teil der Säulenfassade O 


Ortes erhellt aus seiner Erwähnung in assyrischen Urkunden, im zweiten Buche der 
Könige (19, 12) und bei Jesaja (37, 12); aber zu höherer Bedeutung, als in altorien- 
talischer und klassischer Zeit, gelangte Rusafa erst dadurch, daß hier im Beginn des 
IV. Jahrhunderts unter dem Kaiser Galerius Maximinianus der heilige Sergius den 
Märtyrertod erlitt.) Nach der Legende”) waren Sergius und sein Bruder Bacchus 
Vorsteher der Leibwache des Kaisers, der gerade in Syrien im Felde lag; sie wurden 
als Christen denunziert, weigerten sich, dem Jupiter zu opfern, und während Bacchus 
in Barbalissus, dem heutigen Meskene getötet wurde, schleppte man Sergius nach Sura, 
dann nach Rusafa und enthauptete ihn hier. Der Schauplatz des Martyriums wird in 
christliher Zeit ein besuchter Wallfahrtsort und empfängt den Namen Sergiopolis. 
Daneben erlischt der alte Name nicht, wird neben dem griechischen von den syrischen 
Christen beibehalten und später von den Arabern unter wenig veränderter Form 
wieder aufgenommen. Der Ort wird nach der Synode von Ephesus im Jahre 431 
Sitz eines Bischofs und gehört als solcher zur Provincia Euphratensis, deren Hauptstadt 
Hierapolis, die Residenz eines Erzbischofs ist; schon zu dieser Zeit hören wir von 
einer angeblich von Constantin gegründeten Basilika des heiligen Märtyrers und von 
hohen Mauern, die sie umgaben. Sergiopolis-Rusafa spielt politisch in den Kämpfen 
zwischen den Ghassaniden und den Königen von Hira, zwischen Ostrom und Persien 
eine gewisse Rolle, die teils mit der geographischen Lage des Ortes an einer wichtigen 
Handelsstraße, teils mit den reichen Schätzen des Sergius-Klosters zusammenhängen 
mag. Der Kaiser Anastasius scheint dem Wallfahrtsorte Wohltaten erwiesen zu haben, 


1) Nach Wetzer und Welte's Kirchenlexikon nicht vor dem Jahre 305. 
*) Analecta Bollandiana. Tom. XIV. p. 373 ff. Passio antiquior S S. Sergii et Bacchi. 


98 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 4. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Nordtor O 
Detail vom westlichen Teil der Säulenfassade 


ebenso Justinian, der nach dem nicht ganz einwandfreien Zeugnis des Procop 
(De aedificiis II) die bescheidenen Lehmmauern durch feste Steinmauern ersetzte, 
eine ständige Garnison hier stationierte, Kirchen und allerhand andere Gebäude 
errichtete. 

Auch die persischen Sasanidenkönige schenkten dem Heiligtume ihre Gunst. 
Als Chosro I. Anushirwan, der Zeitgenosse Justinians, während seines ersten Römer- 
feldzugs das benachbarte Sura eroberte, gab er auf Bitten des Bischofs Candidus von 
Sergiopolis 12000 Gefangenen die Freiheit zurück; zwei Jahre später sandte er freilich, 
als das vom Bischof versprochene Lösegeld nicht gezahlt wurde, eine Exekutionstruppe 
nach Sergiopolis, die nach dem Bericht des Procop wegen Wassermangels wieder 
abziehen mußte. Im Gegensatz hierzu spricht der Kirchenhistoriker Evagrius') von einem 
Wunder des Heiligen. Als der König nach Auslieferung aller Kirchenschätze auch noch 
den silbernen Sarg mit den Gebeinen des Märtyrers verlangt hätte, da hätten sich 
plôtzlich die Mauern der Stadt mit himmlischen Heerscharen belebt und eine eilige 
Flucht des feindlichen Heeres veranlaßt. 

Der zweite Chosro, Chosro Parviz, der bekanntlim dem christlichen Glauben 
zuneigte, erwählt sich den heiligen Sergius gleichsam zu seinem Schutzpatron. Er 
sendet das mit Edelsteinen besetzte goldene Kreuz, eine Weihgabe Justinians und der 
Theodora, das sein Großvater entwendet hatte, wieder zurück und begleitet seine 


') Historia ecclesiae lib. 4. c. 28; lib. 6. c.21. 


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F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 99 


Abb. 5. RUSAFA-SERGIOPOLIS, AuBenansicht der Sergius-Basilika D 


wiederholten Gaben mit Briefen, in denen er den Schutz des Heiligen sowohl in 
politischen wie in rein persönlichen Angelegenheiten erbittet.!) 

Auch zu islamischer Zeit bleibt Sergiopolis-Rusafa ungestört als Wallfahrtsort 
bestehen; und trotzdem die Stadt unter dem Omajjaden-Chalifen Hisham (724— 743 n. Chr.) 
und unter seinen Nachfolgern Walid II. und Jezid Ill. zeitweilig ihrer gesunden Lage 
wegen Residenz ist, erhält sich der christliche Glaube des größten Teils der Be- 
völkerung. 

Diese Omajjaden errichten hier, vor allem Hisham, den die Nachricht seiner 
Wahl zum Chalifen in Rusafa erreicht, eine Reihe von Bauten und legen Zisternen 
an. Hisham stirbt in Rusafa und soll ebenso wie andere Omajjaden hier begraben 
sein. Nach dem Sturz der Omajjadenfamilie werden hier sowohl wie in Damaskus 
im Jahre 750 die Gräber der verhaßten Rivalen von den triumphierenden Abbasiden 
zerstört und die Leichname geschändet. Auch unter den Abbasiden ist Rusafa, dessen 
gesunde Lage bei Epidemien besonders geschätzt wird, zeitweilig Chalifenresidenz. 
Emin, ein Sohn Harun al Rashids wurde hier geboren. Noch in der Mitte des 
XI. Jahrhunderts residiert ein Bischof in Rusafa, bei dem der gelehrte christlidie Bag- 
dader Arzt Ibn Batlan auf seiner Reise nach Agypten zu Gast ist; die Bewohner leben 
hauptsächlich, wie er erzählt, von dem Schutz und dem Geleit, die sie den vorüber- 
ziehenden Karawanen gewähren; °) erst der verheerende Mongoleneinfall Hulagus vom 
Jahre 1247, die sich daraus ergebende Vernichtung des Handels und die allgemeine Ver- 
armung Syriens veranlassen die Bewohner, die Stadt zu verlassen und in westlich 
gelegenen syrischen Städten Zuflucht zu suchen. Seit dieser Zeit ist Rusafa-Sergiopolis 
unbewohnt, und dadurch sind seine Denkmäler bewahrt worden vor friedlicher 
Zerstörung. 

Die Gebäude von Rusafa, die in einer Höhe von ungefähr 1—1'/, m verschüttet 
sind, sind aus jenem schiefrigen Gips errichtet, der die Formation des mittleren 
Euphrattales bildet. Er ist wie Marienglas durchscheinend, weiß mit gelben und 
rôtlidien Schichtlinien, läßt sich leicht mit dem Messer bearbeiten und nimmt in der 


*) Jakut. II. 784, 13 ff. Herausg. von F. Wistenfeld. 


100 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


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Abb. 6. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Grundriß der Sergius-Basilika 


C Aufgenommen von E. Herzfeld 


Verwitterung einen metallishen Gold- und Silberton an, der die Ruinen, besonders 
im Sonnen- und Mondlicht, mit einem eigenartigen Glanz und Schimmer umgibt. Die 
durch Wall und Graben beschiitzte Mauer umgibt ein unregelmäßiges 
Viereck von ungefähr 350 und 250 m Seitenlänge (Abb. 1); nur die bedeutendsten 
Gebäude, darunter zwei größere Kirchen und mehrere Zisternen, liegen innerhalb der 
Mauer, hinter der die Bevölkerung während einer Belagerung Schutz fand, während 
im Umkreise auBerhalb gelegene Steinruinen und Schutthügel die weitere Ausdehnung 
der Stadt bezeichnen. Möglicherweise ist eine zweite äußere Befestigung, wie wir 
sie von Hatra und Haragla kennen, vorhanden gewesen. Der Anlage des römischen 
Lagers entsprechend, enthält jede Seite des Mauervierecks ein Portal; das aber in der 
Nord- und Süd-Mauer nicht in der Mitte, sondern den beiden Hauptkirchen gegenüber 
angelegt ist. Nach außen springen aus der ca. 4 m hohen Mauer kleinere und größere 
rechteckige oder auch im Grundriß dreieckig geformte Türme in ungleichen Abständen 
vor und sind nur an den vier Ecken durch Rundtürme ersetzt. Im Innern sind der 
1 m starken, zweigeschossigen Mauer Arkadenbögen vorgelegt, die durch Öffnungen 
mit einander verbunden, einen fortlaufenden Wehrgang bilden, von dem aus sich 
Schießscharten nach außen hin öffnen; eine Befestigungsart, die uns von der Aurelianischen 
Mauer in Rom bekannt ist. Die Frage, ob diese Arkadenmauer orientalischen Ursprungs 
ist, kann hier nicht erörtert werden. Aurelian sowohl wie Hadrian, der Cilurnum 


Abb. 7. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Sergius-Basilika 
ti Innenansicht mit Apsis 


Abb. 8. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Sergius-Basilika 
g Südwand des Mittelschiffs 


102 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


in der Bretagne in dieser, sonst im Occident ungewöhnlichen Weise befestigt hat,') 
haben sich lange im Orient aufgehalten. 

Von ganz besonderem Interesse ist das schon erwähnte Nordtor (Abb. 2—4), 
dem ein rechteckiger, durch Turmbauten flankierter Vorhof vorgelagert ist, eine Pracht- 
anlage von ungewohnlich reicher Wirkung. Vor der dreitorigen Fassade tragen 6 
Säulen über architravartigen Kämpferstücken 5 Bogen von verschiedener Spannweite. 
Ein auf Tierkonsolen ruhendes Sima-Gebälk darüber bildet den oberen Abschluß dieser 
stark östlih empfundenen Architektur, deren Einzelformen, die reichen korinthischen 
Kapitelle, das Profil des Kämpfers, die Bogen mit Weinlaubranke, Mäanderzahnschnitt 
und Palmettenmotiven aus den Abbildungen ersichtlich sind. Wir werden später darauf 
zurückkommen. 

Von größter Bedeutung ist die Hauptkirche von Rusafa, die im S.O. gelegene 
Basilika des Heiligen Sergius. Der äußere Anblick (Abb. 5) der Ruine wird durch 
rohe, später hinzugefügte massive 
Anbauten gestört; man erkennt aber 
auch hier schon die drei großen, auf 
Kreuzpfeilern ruhenden und aus zwei 
Steinreihen bestehenden Bogen des 


rundbogige Fensterreihe, an der 
außen und innen auf Konsolen 
ruhende Säuldien vorgekragt sind. 
In seiner ersten Anlage ist das Ge- 
bäude eine dreischiffige Pfeiler- 
basilika mit Narthex, hufeisenför- 
Abb. 9. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Stuckfries in der  Miger Apsis und zwei seitlichen 
= Apsis der Sergius-Basilika quadratischen Räumen (Abb.6). Be- 
Fu merkenswert sind die Fenster der 
Apsis (Abb. 7) und die zahlreichen Türöffnungen des nördlichen Seitenschiffs. Die 
Formen der Pfeilerkapitelle und dann vor allem die Zugänge von den Seitenschiffen 
zum Diakonikon und zur Prothesis, drei von Säulen getragene, reich profilierte Bogen- 
stellungen zeigen große Übereinstimmung mit der Fassade des Nordtores und erinnern 
an ähnliche Anlagen, wie z. B. die Porta aurea in Spalato. Die kleinen Seitenräume 
neben der Apsis sind dreigeschossig, und zeigen im obersten Geschoß merkwürdige, 
von Säulen getragene Ecknischen, wie sie in ähnlicher Weise bei dem von Strzygowski 
untersuchten Roten Kloster von Sohag in Oberägypten vorkommen.*) Daß aber hier, 
wie es dort der Fall ist, eine Kuppel die Bedachung gebildet hat, scheint technisch 
ausgeschlossen zu sein. 
Ein späterer Umbau der Sergius-Basilika füllte die sechs großen seitlichen Bogen 
des Mittelschiffs und den Eingangsbogen vom Narthex durch je zwei kleinere, auf 
Säulen ruhende Bogen aus (Abb. 8). Hierbei verwandte man ältere Werkstücke aus 


1) L. Homo: Essai sur le règne de l'empereur Aurélien. Paris 1904. p. 289. 
*) Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte. Leipzig 1903. Abb. 81, 82. 


Mittelschiffs und darüber eine obere | 


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F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis. 105 


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Abb. 10. RUSAFA-SERGIOPOLIS, GrundriB der Zentralkirche 
G Aufgenommen von E. Herzfeld 


Stein und auch gebrannte Ziegel; die neuen Kapitelle in der Form von sogen. Bossen- 
kapitellen fertigte man aus einem rosigen Kalkstein; sie zeigen mit ihren zwei Blatt- 
kränzen die geschlossenere Formgebung einer späteren Zeit und sind deshalb besonders 
interessant, weil auf ihnen, teilweis von rechts nach links geschrieben, Inschriften an- 
gebracht sind. Die eine, mehrere Male vorkommende Kapitellinschrift lautet: „émi 
Zepyiov Érrioxbrtov tod ovvyevods Mapwwriov rod Xwpenıoxönov“. 

Es wird also als Bauherr ein Bischof Sergios, der Zeitgenosse eines Erz- 
bischofs (von Hierapolis) Maronios genannt. Eine zweite, nur einmal, links neben 
der Apsis vorkommende Kapitellinschrift tragt auf den drei sichtbaren Seiten die Worte: 
äyıos Zéeyios — näcı. In der Wölbung der Apsis, deren fächerförmige, in den 
Stein gegrabene Verzierungen beweisen, daß an einen Mosaikschmuck nicht gedacht 
werden kann, sind Spuren einer späteren, in Stuck ausgeführten Verzierung vorhanden. 
Es handelt sih um einen sehr reizvollen ornamentalen Fries mit palmettenartigen 
Gebilden (Abb. 9), dessen Verwandtschaft mit den Stuckdekorationen des Klosters 
Deir es-Suriani in der sketischen Wüste auffallend ist!) Auf den mesopotamischen 
Ursprung der hier in Ägypten vorkommenden und aus dem Jahre 913/14 stammenden 


') J. Strzygowski: Mschatta. Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunstsammlungen. 1904. Abb. 109. 
8 


104 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 11. Rusafa-Sergiopolis, äußere Apsiswand der Zentralkirche 


Formen hat Strzygowski (a. a. O. S. 341 ff.) hingewiesen, und die Richtigkeit seiner 
Hypothese wird durch den Fries von Rusafa erhartet. Wir möchten diese Stuck- 
dekoration in die Mitte des XI. Jahrhunderts setzen. Zur selben Zeit, im Jahre 1048, 
spriht der schon erwähnte Bagdader Arzt von den vergoldeten Stuckdekorationen 
einer Kirche, die Constantin, der Sohn der Helena, gebaut hatte. Ohne Zweifel ist 
mit dieser Kirche die Sergius-Basilika gemeint, und der erwähnte Stuckfries in der 
Apsis ist ein Rest der von Ibn Batlan gesehenen Stuckdekoration. Als Erbauungszeit 
kann natürlich für die Sergius-Basilika die Zeit Constantins nicht in Frage kommen; 
ihr Stil, wie er in den ornamentalen Formen der ersten Bauperiode zum Ausdruck 
kommt, ist derselbe wie der des Nordtores. 

Es sei darauf hingewiesen, daß Strzygowski, welcher auf Grund der von Chapot 
hergestellten Aufnahme der Sergius-Basilika, die er wiedergibt, an eine einheitliche 
Entstehung des Gebäudes zu denken scheint, „den massiven orientalischen Bau mit 
dem bezeichnenden Stiitzenwechsel“ als orientalischen Typus der römischen Säulen- 
basilika gegenüberstellt, und seine Verwandischaft mit dem mittelalterlichen Kirchenbau 
geltend macht.') 

In der Sergius-Basilika von Rusafa mit ihren vielen seitlichen Eingängen möchte 
ici die Gemeindekirche des Wallfahrtsortes erbliken, während die zweite, größere 
Kirchenanlage von sehr ungewöhnlichem, zentralem GrundriB im NW. des Mauer- 
vierecks vielleicht als Martyrium, als die Grabeskirche des Heiligen, zu betrachten 
ist. Die Erhaltung ist bis auf die Apsidenwand eine ziemlich schlechte, trotzdem ist es 
Dr. Herzfeld gelungen, auch ohne Grabung aus dem hier und da noch anstehenden 
Mauerwerk den GrundriB mit Sicherheit zu erkennen (Abb. 10). Wir werden an 
ähnliche merkwürdige Zentralbauten Nord-Syriens, an das ovale Oktogon von Con- 
stantina, dem heutigen Wiransheher, an Kalat Sem’an, das Heiligtum des Simon 
Stylites, und an die justianische Kirche in Kasr ibn Wardan erinnert. Der dreischiffige 
basilikale Typus ist auch hier noch unverkennbar; die wiederum im GrundriB und 
AufriB hufeisenförmig gestaltete Apsis in syrischer Weise mit drei Achteckseiten aus- 


1) Die Schicksale des Hellenismus in der bildenden Kunst. Neue Jahrbücher des klassisch. 
Altertums. 1905. S. 19 ff. | 


F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 105 


Abb. 12. RUSAFA-SERGIOPOLIS, innere Apsiswand der zer 


gebaut und von den üblichen rechteckigen, mehrstöckigen Seitenräumen flankiert; auch 
diese haben wiederum kleine hufeisenförmige Apsiden und bilden so selbständige 
Martyrien, die nach außen rechteckig aus der Apsidenwand vorspringen (Abb. 11). 
Das Mittelschiff ist kleeblattförmig gestaltet und wird umgeben von den beiden Seiten- 
schiffen und dem Narthex, die gleichsam einen Umgang bilden und der Kleeblattform 
entsprechend mit je drei Achteckseiten vorspringen. Die geringe Stärke der Mauern 
läßt die Vermutung nicht zu, daß das Mittelschiff mit einer Kuppel überwölbt war, 
auch die Kleeblatt-Vorbauten können nicht wie die Apsis mit steinernen Halbkuppeln 
überwölbt gewesen sein. Am besten ist, wie gesagt, die Apsiswand erhalten, an der 
sih im Süden ein umfangreicher Anbau angliederte. Außerordentlich reich sind die 
Schmuckformen des Inneren (Abb. 12). Ein Gesims umzieht den Bogen des Apsis und 
umgibt sie unterhalb der Wölbung; auch die Pfeilerkapitelle mit Guirlanden zwischen 
den Akanthusblättern sind besonders prächtig. Diese Formen stimmen genau mit den 
uns schon vom Nordportal und von der ersten Periode der Sergius-Basilika bekannten 
überein. 

Diese Übereinstimmung kommt am besten in der Umrahmung der kleinen 
Seitenapsiden zum Ausdruck (Abb. 13). Hier wiederholen sich die aus einer Vase 
emporsteigenden Weinlaubranken, der Zahnschnitt in Mäanderform, dieselben paarweis 
angeordneten und durch gesprengte Palmetten getrennten Pfeifen; die Mitte bildet auch 
hier das von einem Blattkranz umgebene Kreuz. Diese Ornamentation ist ein präg- 
nantes Beispiel für den hellenistisch-orientalischen Stil, wie er sich seit dem Il. und 
III. Jahrhundert in dem östlichen Mittelmeergebiet entwickelt, und bei dem an die 
Stelle der plastischen Durchbildung rein dekorative, auf dem Kontrast von Hell und 


106 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 13. RUSAFA-SERGIOPOLIS, Zentralkirche, Apsisdekoration im Diakonikon © 


Dunkel berechnete Wirkungen treten; die in der Antike übliche Modellierung der 
Ornamente ist einer flächenhaften Behandlung gewichen, bei der sich die Zeichnung 
hell von dem dunkelen, ausgestochenen Grunde abhebt. 


Wir übergehen die unbedeutenden Gebäuderuinen und Zisternen, die 
sich sonst innerhalb des Mauervierecks befinden, und erwähnen nur noch kurz eine 
außerhalb, im Norden gelegene kleine Kirche; eine Zentralanlage mit Vorhalle und 
hufeisenförmiger Apsis (Abb. 14). Die Kreuzarme sind mit massiven Tonnengewölben, 
die quadratischen Eckräume mit Kuppeln gedeckt, während über dem quadratischen 
Mittelraum, wie der schuttfreie Boden und der Mangel jedes Ansatzes von Eckzwickeln 
zeigen, keine Steinkuppel-Wölbung vorhanden gewesen sein kann. Eine geradlinige 
Verdachung oder eine Holzkuppel sind hier 
anzunehmen. Eine Holzkuppel scheint mir 
sehr möglich zu sein; wissen wir doch, daß 
in Antiochia die Steinkuppel des Oktogons 
Constantins, als sie im Jahre 526 durch ein 
Erdbeben einstiirzte, durch eine hdlzerne 
Kuppel ersetzt wurde. Die bei unserem 
Zentralbau vorkommenden Pfeilerkapitelle 
mit ihren bossenartigen Dreiblattkränzen 
| stimmen mit den Kapitellen vom Umbau 
ls mes der Sergius-Basilika auffallend überein, so 
OF" UL Mh i ge k , À 

daB eine gleiche Erbauungszeit angenommen 
werden kann. 


Abb. 14, RUSAFA-SERGIOPOLIS, Zentralkirche Welcher Zeit gehören diese Denk- 


vor der Nordmauer o n + : i 
5 Aufgenommen von E. Herzfeld Mäler von Rusafa, die beiden Hauptkirchen 


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F. Sarre. Rusafa-Sergiopolis 107 


und die Befestigung an? Wer ist der Bauherr dieser einen gemeinsamen Charakter 
tragenden, imposanten Ausgestaltung des Sergius-Heiligtums, dessen erste Griindung 
vielleicht noch auf Constantin zurückgeht? Wir kennen den Zeitpunkt der Gründung 
der ersten Sergiuskirche am Märtyrerorte selbst nicht, wohl aber den einer Kirche des 
Heiligen in Eitha, der in das Jahr 354 fällt. Vielleicht trägt eine Stelle bei Georg 
von Cypern (883) zur Klärung dieser Frage bei; sie lautet: „Zepywoünolıs tou 
Araoramovmolıs, i oruegov ‘Parragé, Evia Euaprignoev 6 yros Xégyios.“ 

Wenn hiernac der Ort den Namen Avaoramovno)ıs führte, d. h. wegen 
besonderer, vom Kaiser Anastasius empfangener Gunstbezeigungen nach ihm genannt 
worden ist, so liegt die Vermutung nahe, daß es der Kaiser Anastasius (491 —518) 
gewesen ist, der vor Beginn der Perserkriege, also in dem Jahrzehnt von 491 bis 501, 
nach einheitlihem Plan die beiden Hauptkirchen und die Befestigung des Wallfahrts- 
ortes herstellen ließ, die Procop dem Justinjan zuschreibt. Dieser letztere Kaiser mag 
dann bei der systematisch vorgenommenen Verstärkung der östlichen Reichsgrenze 
auch die fortifikatorischen Anlagen von Rusafa ausgebessert haben; die ursprüngliche 
Maueranlage mit dem nördlichen Prachttor geht auf eine frühere, mit der Errichtung 
der Kirchen zusammenfallende Zeit zurück und zeigt einen von den justinianischen 
Befestigungen ') vollständig abweichenden Charakter. Der Umbau der Sergius-Basilika 
dürfte 100 bis 200 Jahre später sein, aus dem VI. bis VII. Jahrhundert stammen. 
Dafür spricht die Formgebung der Kapitelle, dafür die beiden auf ihnen befindlichen 
griechischen Inschriften. Vielleicht gelingt es, den hier genannten Bischof Sergios von 
Sergiopolis und den gleichzeitigen Erzbischof Maronios von Hierapolis zu identifizieren 
und damit den Umbau der Basilika sicher zu bestimmen. Der gleichen Zeit gehört 
im Norden außerhalb des Mauervierecks die kleine Zentralkirche an. 

Einen Teil der Reste der Chalifenbauten werden wir nicht innerhalb des Mauer- 
vierecks — es blieb mit seinen Heiligtümern auch zu islamischer Zeit wohl hauptsächlich der 
christlichen Bevölkerung reserviert — sondern außerhalb, unter den vielen, hier liegen- 
den Schutthügeln zu suchen haben. Eine systematische Untersuchung und Ausgrabung 
der Ruinen von Rusapha-Sergiopolis dürfte nicht nur für die christliche, sondern auch 
für die islamische Kunstgeschichte von nicht geringer Bedeutung sein. Auch die 
Schwierigkeiten der Wasserversorgung könnten durch regelmäßig zwischen dem 
Euphrat und Rusafa hin und hergehende Kameltransporte gehoben werden. 


1) Sicher aus Justinians Zeit stammen die mächtigen Befestigungen des östlidı von Rusafa 
am Euphrat gelegenen Ortes Halebije-Zenobia, dessen Ruinen von Dr. Herzfeld und mir gleidı- 
falls aufgenommen und untersucht worden sind. 


F 


Abb. 1. Der Tod des Cato Ci 


Catania, Museo dei Benedettini 


Charakterköpfe des Seicento 


Von Hermann Voss 
III 
Der Meister des sterbenden Cato. 


Als Ausgangspunkt zur Aufstellung dieses Kiinstlers wahle ich ein Bild des 
Museums zu Catania, das den Tod Catos darstellt. Jeder, der dies Gemälde mit der 
Turiner „Gefangennahme Simsons“ vergleicht, wird erkennen, daB hier die unmittel- 
barste Beziehung zu Matthäus Stomer vorhanden ist: nicht nur, daß die gesamte Bild- 
wirkung infolge des verwandten Herandränges der Leute von der Seite auf einen nackt 
hingelegten Mann — bei ähnlichen Relationen der Figuren zur Bildfläche, ähnlichem 
Arrangement des Vorhangs, des Lagers usw. — in auffallender Weise mit dem Simson 
zusammengeht, man fasse auch die Einzelheiten in der Zeichnung, Kostümierung, Ge- 
bärdensprache der Personen ins Auge und man wird nach den bloßen Abbildungen 
leicht urteilen, beide Darstellungen müßten von einer Hand herrühren. 

Allein die Autopsie der beiden Gemälde korrigiert diese zuweitgehende Meinung 
schnell und gründlih. Es ist das Kolorit und die Technik, wo die außerordentlichen 
Unterschiede liegen. Im Gegensatz zu Stomer gibt sich das Gesamtkolorit des Cata- 


H. Voss. Charakterköpfe des Seicento III 109 


Abb. 2. MATTHAUS STOMER, Gefangennahme Simsons 


Turin, Pinacoteca Reale O 


neser Bildes eher kühl, die Technik ist weitaus trockener und entfernt sidi ganz von 
niederländischen Vorbildern. Die am meisten hervortretenden Töne wären -etwa ein 
Weinrot (im Vorhang), ein Graublau, weiter Orange, Hellblau und (bei Cato) ein röt- 
lihes Karnat. Leider ist der Zustand des Bildes wie bei vielen Gemälden der Insel 
sehr schlecht; die Farbe ist noch blasser denn ehemals; breite Sprünge durchziehen die 
Oberfläche der Malerei. 

Ein näheres Eingehen auf die Zeichnungsweise weist ebenfalls auf bedeutende 
Abweichungen von der Art des Stomer hin; an die Stelle der niederländischen Sorg- 
falt tritt eine breitere, weniger ängstliche Behandlung, zumal der Gewandungen und 
Draperien, aber auch des Anatomischen. Sehr eigenartig ist die gleichsam in breiten 
Tupfen oder Flecken arbeitende Technik, in der etwa die Füße des Knaben, sowie die 
Gesichter und Hände der Übrigen gegeben sind; an ihr kann man den Meister mit 
am sichersten wiedererkennen. 

Ganz deutlich von der gleichen Hand wie der sterbende Cato rührt her eine halb- 
figurige Darstellung mit Tobias, der den blinden Vater heilt, ein farbig und technisch 
absolut übereinstimmendes Bild des gleihen Museums. Entfernt sich schon jenes erste 
Gemälde nmierklich vom Stile des Stomer, so erscheint in diesem die Verbindung mit 
ihm noch um ein Beträchtliches lockerer. Der Künstler hatte bereits in jenem Gemälde 
gewagt die bei Stomer unentbehrlihe Kerzenbeleuchtung wegzulassen; er führt nun- 
mehr ein scharfes, von der linken Seite kommendes natürliches Licht ein, das durch 
dunkle Wolken hervorbricht. Eigentümlich wirkt, wie auf der Wange des Engels 


110 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


{und ebenso auf der des Tobias) sich die Helligkeit scharf gegen den Schatten abzeichnet, 
wie beim Engel Schlagschatten hinter den Locken und dem Ohr (in Dreiecksform) 
hervortreten, und das Profil sidi im Dunkel verliert. Wie auch bei Stomer gelegent- 
lich, neigen sich die Köpfe voll Spannung vor; doch ist die Bewegung von größerer 
Heftigkeit als bei dem niederländischen Meister. Die Köpfe der Gestalten selber, ob- 
gleich ursprünglich an Stomersche Typen angelehnt, verraten doch eine starke persön- 
lie Note; zumal ein Gesicht wie das des Tobias liegt von dem niederländischen Vor- 
bild weit ab. Ebenso ist die Behandlung des Raumes eine andere, freiere, von der 
etwas monotonen Art Stomers angenehm abstechend. Letzte Residuen jenes nun über- 
wundenen Einflusses erkennt man nod in Einzelheiten wie etwa der Art, in der die 
Haare und das runzelige Fleisch der Alten gebracht sind (cfr. den Kopf des Vaters 
des Tobias mit dem des Nikodemus in Darmstadt). Ebenso verraten die Drapierungen 
der Gewänder in ihren großen, etwas laschen, dabei ausgezeichnet charakterisierten 
Falten noch den Stil des Vorbildes; allerdings möchte ein so prachtvoll studierter Ge- 
wandwurf wie der des Vater Tobiae bei Stomer nirgends zu finden sein. 


Mit großer Bestimmtheit erkenne ich die künstlerischen Charakteristika der beiden 
Cataneser Bilder wieder in einem umfangreichen und sehr auffälligen „Christus unter 
den Schriftgelehrten“ der Münchener Pinakothek, der früher für einen Honthorst galt, 
neuerdings aber als „holländische Schule von 1620“ 1) angesprochen wird. Die (entfernte) 
Beziehung zu Honthorst war also längst beachtet worden; und der Katalog verfolgte 
die richtige Spur, als er (in einer kurzen Bemerkung) auf die oben besprochene 
Unterredung Christi mit Nikodemus (Darmstädter Museum) hinwies. Denn die Fäden, 
die sich von Stomer zum Meister des Sterbenden Cato hin- und herüberspinnen, haben 
in der Tat auch dieses Bild mit jener Darmstädter Darstellung verwoben. Freilich er- 
laubt uns die jetzt so erweiterte Materialkenntnis nicht mehr dem Verfasser des Kata- 
logs zuzustimmen, wenn er das Darmstädter Bild dem gleichen Meister geben will: 
jene nächtliche Unterredung mit ihrem typischen Kerzenschein, mit all den charakteris- 
tischen Köpfen und Akzessorien Stomers und ihrem engen Verhältnis zu der Neapler 
Serie ist nunmehr keinen Augenblick mehr aus dem Werke des Niederländers wegzu- 
nehmen. Auch wird man die Ähnlichkeiten in diesem speziellen Falle nicht mehr ganz 
so schlagend finden, und gerade die Gegenüberstellung wird noch stärker auf die 
beträchtlichen Unterschiede beider Meister hinführen. Denn tatsächlich tobt in diesen so 
lebhaft agierenden Händen, diesen erregten, gelegentlich verzerrten Gesichtern, eine 
Leidenschaft, ein inneres Feuer, das sih nur mühsam mit den fast phlegmatischen 
Requisiten des nordischen Lehrers begnügt. 

Was vor allem gänzlich von Stomer abweicht, ist auch hier Technik und Kolorit. 
Die etwas runzelige Beschaffenheit der Oberfläche erinnert lebhaft an die Cataneser 
Bilder, ebenso die gemischten, kühlen Töne, die dem gelbrötlichen Gesamtton, dem 
intensiveren Helldunkel des Niederländers entgegengesetzt sind. Auch im Gewandstil 


1) Versuchsweise, nach Vorschlag von Dr. Buchheit, im neuesten Katalog ,Baburen“ ge- 
nannt. Indessen scheint mir die Ahnlichkeit mit dem Stiche dieses Caravaggioschülers mehr eine 
allgemeine zu sein. 


H. Voss. Charakterköpfe des Seicento III 111 


Abb. 3. Meister des sterbenden Cato, Tobias heilt seinen blinden Vater 
D Catania, Museo dei Benedetti 


bemerkt man sehr deutlich die charakteristischen Unterschiede der beiden Künstler; 
der Meister des Cato verzichtet auf die exakt durchmodellierten, wulstigen, sehr stark 
stofflih empfundenen Gewänder des Vorbildes: seine Draperien sind linearer, mehr 
auf den Gesamteindruck und die Monumentalität der Wirkung gearbeitet, wie man es 
an dem Gewande des jugendlichen Jesus beobachten kann. 

Ich glaube aus all diesen Unterschieden, die nicht bloß individuell, sondern 
typisch sind, folgern zu dürfen, daß dieser zweite Meister nicht Niederländer, sondern 
Sizilianer war. Die Technik ist es, die ein Künstler, der lange im Auslande arbeitet, 
am wenigsten ablegt; er kann in den Gegenständen, den Typen, den Kompositionen, 
ja im Temperamente sich aufs engste an seine neue Umgebung anscließen (wie das 
bei Stomer tatsächlich der Fall ist): im Technischen verleugnet er den Ausländer niemals 
gänzlih. Eben diese Technik aber ist es, die in den wenigen Bildern des Catomeisters 
durchaus italienisch ist; nicht so sehr in Komposition oder Typen liegen die beim ersten 
Anblick maßgebenden Verschiedenheiten, sondern in dem technisch-koloristischen Ge- 
samteindruck. Es kommt eines hinzu, das mich in dieser Ansicht bestärkt. Denn 
außer den durch Stomer vermittelten Honthorstschen Zügen offenbaren die 3 Bilder 
einen andern, sehr vernehmlich sich meldenden Einfluß, den des Caravaggio. Der 
Künstler muß die Werke, die der große lombardische Meister während seiner „Ver- 
bannung“ in Sizilien geschaffen hatte, gekannt und studiert haben. Ich möchte das 
Münchner Bild in Beziehung setzen, seinen kompositionellen Eigentümlichkeiten nach, 


112 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


zu der im Museum zu Messina befindlichen „Geburt Christi“ Caravaggios,!) einem 
durch gleichzeitige Quellen wohl beglaubigten Werk des Lombarden. Das Herein- 
dringen der Hirten, die Anordnung ihrer Köpfe in verschiedenen Höhen und Neigungen, 
das Vorstrecken der Hälse entspricht in außerordentlihem Maße dem, was das 
Münchner Bild in den Schriftgelehrten gibt; auch das Herankommen der Gestalten aus 
dem Dunkel stimmt beiderseitig zueinander. Dabei handelt es sich um Züge, die so 
in den Werken Stomers nicht vorkommen; dieser gibt eine größere Gleichmäßigkeit in 
den Kompositionen und vermeidet so kühne diagonale Bewegungen und Verkürzungen, 
wie sie uns schon in dem Tobiasbilde, mehr aber noch in dem Münchner Gemälde auf- 
fallen. Auch für seine Typen hat der Künstler von Caravaggio mancherlei gelernt; 
seine Modelle sind interessanter und noch bedeutend rassenechter als jene des Nieder- 
länders; die Auffassung ist breiter, monumentaler, ohne die beim Nordländer unerläß- 
lichen Stillebeninteressen. Einige Köpfe, — wie der des Schriftgelehrten links von 
dem Mann mit dem Turban — scheinen direkt aus dem Siracuser Gemälde Caravaggios 
(Begräbnis von S. Lucia, in S. Lucia f. l. m.) genommen zu sein: der starr dastehende 
Jesus ist in seiner echt südlichen Monumentalität angelehnt an den in ähnlicher Pose 
gebrachten Christus auf Caravaggios Auferweckung Lazari im Museum zu Messina. 


Die Frage, ob vielleicht ein persönliches Verhältnis zwischen dem Catomeister 
und dem Lombarden bestand, muß mit Wahrscheinlichkeit verneint werden, denn Cara- 
vaggio weilte sehr früh, um 1608, in Sizilien, während unser Künstler, der offensicht- 
lich zunächst an Stomer angeknüpft hat, seine Schulung erst mehrere Dezennien später 
genossen haben kann. Dazu kommt, daß sich der lombardische Meister in Sizilien 
überhaupt nur kurze Zeit und an verschiedenen Punkten aufgehalten hat, mithin in 
dieser wilden Periode seines Lebens wenig dazu angetan war, Schüler auszubilden 
Nur der ihm längst vertraute Lionello Spada, sein Gehilfe und „Compagno di vizi“, 
sowie (nach Hackert) Mario Menniti (den er gleichfalls seit Rom kannte) begleiteten ihn 
und blieben nachher noch auf der Insel zurück. 

Ob aber unser Künstler vielleicht mit Lionello Spada bekannt geworden ist? 
Ich möchte diese Frage, ohne sie doch mit Wahrscheinlichkeit bejahen zu können, 
wenigstens aufgeworfen haben. Nur einen Hinweis auf eine solche Beziehung wage 
ich mit Vorsicht zu geben; eine dem Spada attribuierte „Judith“ des Museums zu 
Bologna (Nr. 671) besitzt, wie ich schon früher bemerkt hatte, starke Beziehungen zum 
Meister des Cato. Ob das Bild gar in das „Werk“ unseres Künstlers aufzunehmen 
ist? Sicher hat der Stil für Spada manches Befremdliche, umsomehr als eine stilistisch 
viel einwandfreiere Judith in Parma (Galerie) recht abweichend ist — allein die Ge- 
fahr einer Täuschung ist bei dem bisherigen mangelhaften Material zu groß, um hier 
ein bestimmtes Urteil zu erlauben. Immerhin möchte ich auf das leider in dem dunklen 
Korridore der bologneser Galerie aufgehängte Bild aufmerksam gemacht haben, da es 
für künftige Untersuchungen über die Person des Meisters wertvolle Anhaltspunkte 
bieten könnte. Ein anderes Gemälde weise ich dem Meister mit Sicherheit zu, näm- 


!) Leider ist über das Schicksal dieses herrlichen, eindrucksvollen Gemäldes ebensowenig 
etwas bekannt geworden, wie über das andere Bild Caravaggios ebenda, die Auferweckung desLazarus. 


113 


Charakterköpfe des Seicento III 


H. Voss. 


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114 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


lih die „Anbetung der Könige“ in Rouen, dort Farinato genannnt. In Farben und 
Typen sind hier die Beziehungen zu dem Münchner Bild besonders eng. Leider bin 
ich vorläufig nicht in der Lage eine Abbildung dieses interessanten Werkes zu bringen. 


Einstweilen besteht wenig Aussicht den auf stilkritishem Wege gefundenen 
Meister mit einem der überlieferten Namen in Einklang setzen zu können. Die 
sizilische Kunstgeschichte bietet sowohl in ihrer Gesamtheit wie ganz vornehmlich in 
dem uns hier interessierenden Teile noch schwierige Probleme; und die Menge der 
eingewanderten oder verzogenen Meister, über die nur ungenügendes Material vorliegt, 
hindert noch besonders die Erkenntnis der Zusammenhänge. 

Es kommt als weitere Schwierigkeit hinzu, daß die hier besonders in Frage 
kommenden Archive von Messina sich in keinem besonders erfreulihen Zustande 
befinden, und daß die Erhaltung der Gemälde eine durchgehends mangelhafte ist — 
abgesehen davon, daß vieles, was wichtig wäre, nicht mehr aufzufinden ist, da es 
— unbekannt, wann und wie — den Weg ins Ausland genommen hat. Nur ein syste- 
matisches Vorgehen der lokalen Forschung verspricht uns unter diesen Umständen eine 
größere Klärung, deren das gesamte hier behandelte Gebiet noch dringend bedarf.') 


Mit einem Blicke auf besondere Eigentümlichkeiten der sizilianischen Kunstge- 
schichte, die durch unsere Untersuchung neue Beleuchtung erhielten, möge geschlossen 
werden. Keine italienische Landschaft bietet so wenig wie diese das Bild einer inko- 
härenten, von äußeren Einwirkungen abhängigen Entwicklung. Wie es bei Werken 
des Trecento und Quattrocento hier oft schwierig fällt Einheimisches und Fremdes zu 
sondern, so erhält die sizilishe Malerei auch bis ins Seicento keinen völlig einheit- 
lichen, abgeschlossenen Charakter. Daß nordische Künstler, so schnell sie sich der 
sizilischen Umgebung assimilierten, doch eben so leicht gelehrige Schüler fanden, lehrte 
schon das Beispiel Novellis; noch lehrreicher ist vielleicht das Beispiel des Catomeisters, 
da das Vorbild sich hier keineswegs an Bedeutung mit einem Manne wie van Dyck 
vergleicht, dessen Kunst wohl auch an anderen Orten und auf noch größere Künstler 
Eindruck gemacht hätte. 

Interessant ist übrigens, daß nicht nur ein direkter nordischer Einschlag in 
Sizilien zu verzeichnen ist, sondern, daß einheimische Künstler in fast unerklärlicher 
Weise Stoffgebiete kultivierten, die uns immer wie Domänen der nordischen Kunst 
erscheinen, und zu denen die südliche Augensinnlichkeit sonst nicht besonders dispo- 
niert ist. Ich spreche hier vor allem von der Stillebenmalerei, die z. B. von Scilla 
eifrig gepflegt ward und von dem auffallend bevorzugten Helldunkelstile. 

Es wäre jedoch irrtümlich diese gewisse Internationalität auf Konto des XVII. Jahr- 


1) Es bedarf bei diesen vor Monaten geschriebenen Zeilen kaum eines Hinweises darauf, 
daß nadı der Erdbebenkatastrophe die Aussiciten auf eine soldıe Klärung geringe geworden 
sind. Der Professor an der Accademia Peloritana Virgilio Sacca, der sidı im besonderen mit 
den Meistern des Seicento in Messina beschäftigt hat, gehört zu der Zahl der seit dem Unglück 
Vermißten. Audı der verdienstvolle Messineser Lokalhistoriker Baron Arenapiena scheint der 
Katastrophe zum Opfer gefallen zu sein. Ein Brief Enrico Mauceris in Siracusa übermittelt mir 
diese sdimerzlidien Nachrichten, die für die sizilische Wissenschaft und für die Erforschung der 
sizilisdien Kunstgesdhidite sciwere, auf lange unersetzlihe Schläge bedeuten. 


H. Voss. Charakterköpfe des Seicento III 115 


hunderts zu setzen. Wo sie sich nicht direkt durch die insulare Lage und die Handels- 
beziehungen Siziliens erklärt, ist sie eine charakteristische Äußerung der aus Kontrasten 
der Rassen und der nationalen Traditionen gemischten Kultur der Insel: man bedenke, 
es ist das Land, in dem normannischer Burgen- und Tempelbau neben dem orna- 
mentalen und figürlihen Stil der byzantinischen Mosaiken, d. h. also Nördliches neben 
Östlihem gepflegt ward (von arabischen Einklängen zu schweigen). Es ist ganz im 
Geiste dieser eigentümlichen Tradition, wenn in späteren Jahrhunderten nordische 
Technik und südliche Formenwelt (sehr grob gesagt) durch einen Sizilianer, Antonello 
da Messina, verschmolzen wird. Man darf nicht vergessen, daß kaum eine Land- 
schaft auf Grund ihrer Rassenmischung und Tradition so geeignet war, in einem ent- 
scheidungsvollen Moment wie diesem als Trait-d’union zwischen Norden und Süden 
zu dienen wie Sizilien. — . | ha 

= Eine andere Betrachtung legt das Beispiel Siziliens nahe: die allgemeine Ein- 
teilung der Kunst der europàischen Lander in Perioden, so notwendig sie ist, bedarf 
für die einzelnen Nationen und deren Atome, die Landschaften, eines Korrektivs — 
es genügt nicht ganz obenhin von einem Aufsteigen der Entwicklung bis zur Hoch- 
renaissance und einem darauffolgenden Abflauen zu sprechen. Die Neapolitaner und 
Sizilianer haben ein starkes Empfinden dafür, daß nicht das „goldene Zeitalter“, 
sondern die darauffolgenden beiden Jahrhunderte die Zeit ihrer höchsten lokalen Kunst- 
blüte waren — genau wie umgekehrt die lokale Dekadenz in Toscana sehr stark 
empfunden wird, so interessante Erscheinungen auch hier die Kunst des Seicento 
gezeitigt hat. 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlic für die Redaktion: Dr. HERMANN 
UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2. 
Zweigredaktionen: 
Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 44. 


Für Münden: Dr. W. WORRINGER, München, Georgenstraße 99. 

Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16. 

Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill 
b«i London, Lyon Road. 

Für Paris: Dr. R. MEYER-RIEFSTAHL, Paris 45 rue d'Ulm. 


Denkmäler deutscher Kunst 


in neuen Original-Lichtbildern und Photographien 


Kritiken: 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 
(Prof. Dr. Schubring) „Dr. Stoedtner führt 
uns hier die deutsche Kunst in einer 
Reichhaltigkeit und Vollständigkeit vor, 
für die es keinen Vergleich gibt. Er hat 
seit Jahren unverdrossen Deutschland mit 
dem Automobil abgefahren, von keinem 
Eisenbahnstrang oder Bädekerstern ge- 
fesselt, Bekanntes und Unbekanntes ein- 
gesammelt und zu einem Thesaurus nie 
peannler Größe aufgetiirmt. Am ver- 

lüffendsten ist die Masse der Holzplastik, 
die über alle Erwartung reich und edel 
sich bietet... Ich stehe nicht an, diesen 
Katalog als Nachschlagebuch neben Dehios 
Reisebuch zu stellen; diese beiden Hand- 
bücher werden dem neuen Studium der 
deutschen Kunstgeschichte zugute kommen. 


Prof. Dr. Clemen - Bonn: „Voll auf- 
richtiger Bewunderung habe ich Ihren 
eben pun eer Katalog über deutsche 
Kunst durchgesehen. Es steckt ein er- 
staunliches Stück Arbeit in dieser Zu- 
samen lung: .. Sie haben sich um 
die deutsche Kunstgeschichte durch diese 
Sammlung ein ganz erhebliches Verdienst 
erworben. .. Die Diapositive zeichnen sich 
angenehm durch den warmen Ton und 
die bräunliche Färbung aus, die Bilder 
sind kontrastreich und doch in den 
Schatten gut und weich durchgezeichnet. 
Ich darf sagen, daß Ihre Aufnahmen alle 
amerikanischen Diapositive, die ich hier 
und an anderen Universitäten angetroffen 
habe, ohne Ausnahme übertreffen. Es 
gibt überhaupt schwerlich eine Anstalt, 
die ein so reiches Material wohlgeordnet 
zur Verfügung stellen kann wie die Ihrige.* 


Dr. Quilling: „.. den ich für eine 
kunstwissenschaftliche Leistung ersten 
Ranges halte“. 


Kritiken: 


Kunst für Alle: „Die Dr. Stoedtnerschen 
Aufnahmen genießen den Ruf, daß sie 
außer ihrem Hauptzweck, der wissenschaft- 
lichen Brauchbarkeit, auch den höchsten 
künstlerischen Anforderungen in bezug 
auf richtigen Aufnahmestandpunkt, Ab- 
wdvung der Lichtverhältnisse usw. ent- 
sprechen”. 


Dr. E. W. Bredt: „Ein ganz ausgezeich- 
netes Werk, das ich oft benutzen werde". 
Berliner Tageblatt (Fritz Stahl): Dr.St. 
berichtet in seinem Katalog über die von 
ihm aus eigenen Mitteln unternommene 
Aufnahme aller deutschen Werke, dieschon 
sehr weitgediehen ist. Die Lichtbilder sei- 
ner Anstalt sind über den Kreis der deut- 
schen Abnehmer hinaus rühmlich bekannt. 
Abbildungen im Katalog, die z.T. noch nie 
richtig publizierte und schwer zugängliche 
Monumente prächtie wiedergeben, bezeu- 
gen die photographische Meisterschaft des 
unsthistorisch gebildeten Herausgebers. 
Der Katalog inseinem textlichen Teil dürfte 
die vollständigste Aufzählung der Kunst- 
schätze Deutschlands sein, die bisher 
existiert. Gerade an dieser Arbeit ersieht 
man, daß der Gedanke, der zu der Begrün- 
dung des „Vereins für Kunstwissenschaft* 
geführt hat, schon lange in der Luft lag*. 
Prof. Dr. Weese: „Der glückliche Um- 
stand, daß er nach historischen Gesichts- 
punkten geordnet ist, macht ihn gerade 
für die Universitätsvorlesung wertvoll. 
Sie erleichtern und beleben durch dieses 
Buch die Disziplin in mustergültiger pä- 
dagogischer Form“. 
TäglicheRundschau(Dr.WillyPastor): 
„Besonders anzuerkennen ist, daß ein 
moderner Lichtb'idkünstler die Auf- 
nahmen machte, dem es auch auf eine 
gute Bildwirkung ankommt. 


III 
m2 aage: Altchristliche, byzantinische 
und italienische Kunst in Lichtbildern 


°° ** bearbeitet von Professor Dr. LIETZMANN und Professor Dr. SCHUBRING ©. e ee 


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Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN 
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


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Heft 3 


Germanische Frühkunst 
Von E. A. Stücelberg 


Bis in die letzten Jahre hinein wurden unzählige Denkmäler des Frühmittel- 
alters als romanische angesprochen; es durfte bereits als Fortschritt begrüßt werden, 
als man begann, einzelnes als vorromanisch auszusondern. Aber über viele Denk- 
mäler blieben die Meinungen geteilt und die Datierung schwankt noch außerordentlidh.') 
Es erscheint daher dem Verfasser die Veröffentlichung charakteristischer und reich- 
haltiger Funde ein Schritt zum Ziele zu sein. Die Erreichung des Zieles wäre: das 
VL, VIE, VII., IX. Jahrhundert in der Kunstgeschichte mit Denkmälern aller Kunst- 
gattungen zu bevölkern. 

In den nachfolgenden Zeilen sind hauptsächlich die Monumente, die auf dem 
Gebiet der heutigen Schweiz erhalten sind, im besonderen die Funde des Verfassers 
in Disentis zugrunde gelegt. Gänzlich abgesehen ist von den Grab- und Kleinfunden 
alemannischer, burgundischer, frinkischer und langobardischer Nekropolen. 

Die monumentale Kunst des germanischen Frühmittelalters beschränkt sih, wie 
es bis jetzt scheint, auf Bauwerke kirchlichen Charakters. In der Kirche, im Kloster 
und in deren Dependenzen haben wir die Monumente zu suchen. Die Militärarchitektur 
hat selten künstlerischen oder bleibenden Charakter und ähnliches gilt vom Zivilbau. 
Die Hütte aus Holz und Lehm, das kunstlose Haus aus rohem Brudhstein, unter- 
mischt mit antiken Spolien, sind nicht erhalten geblieben; mitsamt ihren primitiven Zier- 
raten sind sie überall der Zeit zum Opfer gefallen. Geblieben sind nur da und dort 
Reminiszenzen an uralte Baugewohnheiten. 

Bei der kirchlichen Architektur sehen wir als Grundlage die spätantike oder 
altchristliche Tradition; der griechische oder lateinische Priester, Missionar, Mönch bringt 
mit den Büchern, Lehren, Zeremonien auch die dem christlichen Tempelbau eigenen, 
wohldurchdachten und vielfach ausprobierten Bauformen mit. Je nach dem Klima, dem 


1) Wir denken an die auffallenden Diskrepanzen in der Datierung bekannter Denkmäler 
zu Pavia (Fassaden von S. Michele und Ciel d’Oro), von Mailand (S. Ambrogio, Altar, Ciborium), 
von Monza (Schatz), von Cividale. Bald wird das VII. oder VIII. Jahrhundert, bald die Karolinger- 
oder Ottonenzeit, bald das XII. oder XIII. Jahrhundert als Datum angegeben. Während des 
Druckes dieser Zeilen ist Haupt’s ausgezeichnetes Buch über die Baukunst der Germanen (Leipzig 
1909) erschienen. A 


118 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 1. Vier kleine Langhausfenster | | Moutier-Granval : 


verfügbaren Baumaterial und lokalen Bedürfnissen entstehen Varianten derselben 
Grundgedanken. Auf dem Gebiet der Schweiz, das politisch und kirchlich hauptsach- 
lim von Westen, von den Franken beherrscht wird, wo aber von Norden der 
Alemanne, von Süden der Langobarde, von Osten der Bajuware Eingang gefunden 
hat, kreuzen sich die verschiedensten Einflüsse. Und durch das Frankenreich gelangt 
den Rhein entlang das iro-schottishe Mônchstum von Luxeuil bis S. Gallen, von hier 
über Disentis bis Bobbio. 

Schon im Frühmittelalter besaß die Schweiz hunderte von Gotteshäusern; allein 
die Diözese Chur nannte zwischen 820 und 830 rund 230 Kirchen und 5 Klöster in ihren 
Grenzen ihr eigen. Darunter befanden sich auch Taufhäuser.‘) Der Typus dieser Gebäude 
war die polygone Zentralanlage, wie sie in Oberitalien noch häufig erhalten ist. In 
der Schweiz steht noch ein Bau dieser Art, das Baptisterium von Riva San Vitale, 
innen ausgebaut als Oktogon mit vier Nischen oder Conchen und einer Apsis. Es ist 
kein Zweifel, daß rationelle Ausgrabungen am richtigen Orte uns diesen GrundriB noch 
an mehreren Orten der Schweiz, wo Johanneskirchen oder -Kapellen nachgewiesen 
sind, bringen würden. 

Die übrigen Gotteshäuser des Frühmittelalters waren einschiffige Langhaus- 
bauten; sie bestehen aus einem von West nach Ost gestreckten Rechteck, einem Schiff, 
an dessen Ostende sich die Apsis in der Ein- oder Mehrzahl anschließt. Der Haupt- 
eingang ist an der Westseite in der Mitte der Giebelmauer zu suchen. An den Nord- 


1) Vgl. des Verf. Gesch. der Reliquien I, Regest 33. 


& = ET ti — nn e gie —-— “n =—==N N _—_ _———— 


n iii e n 


E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 119 


und Südmauern befinden sich spärliche 
Öffnungen in beträchtlicher Höhe. Es 
sind Fenster von hochrechteckiger Form, 
oben im Halbkreisbogen geschlossen. 
Den Typus dieser Fenster zeigt noch 
ein Bild (Abb. 1) der abgebrochenen 
Abteikirhe von Moutier Granval im 
Jura (Bistum Basel); denselben Typ 
(Abb. 2) sehen wir noch an einer mittel- 
alterlichen Kirche bei Disentis (S. Gada).') 
Zu dem bescheidenen Maßstab solcher 
Fenster passen die Stuccodekorationen 
(Abb. 3—5), die wir als Rahmen oder 
Bekrönungen solcher Öffnungen im 
Kircheninnern ansehen; auch die kleine 
Zahl der ausgegrabenen Rahmen stimmt 
zur nachweisbaren Spärlichkeit dieser 


Abb. 3—5. Fensterdekorationen aus Stucco 
LI Ehem. Marlinskirche zu Disentis 


Abb. 2. Drei kleine Langhausfenster 


O S. Gada bei Disentis 


frühmittelalterlichen Fenster. Den Verschluß 
dieser Öffnungen haben wir uns so zu 
denken, wie er sich in der Krypta von 
Lenno -— um das der Schweiz zunächst 
gelegene Denkmal zu zitieren — erhalten 
hat: ziemlich unregelmäßig durchbrochene 
Steinplatten. Die Apsiden scheinen im 
Frühmittelalter keine Öffnungen gehabt zu 
haben *); wie klein sie noch in der romani- 
schen Zeit an altertümlihen Bauwerken 
sind, zeigt das Beispiel von Prugiasco?°), 
einem Kirchlein nah an der Heerstraße von 
Disentis nach Biasca-Bellinzona (Abb. 6). 
Das Baumaterial der Mauern bestand in 


1) Wir haben auf der Photographie die leider 
zugemauerten, ursprünglichen Fenster einge- 
zeichnet; das Langhaus der Klosterkirche Münster 
besaß nur 4 Fenster. 

?) Vgl. die erhaltenen Apsiden der Mutter- 
gottes-Kirche zu Disentis. 

3) Ein Relief mit einem Pfau von früh- 
mittelalterlihem Schema ist außen neben diesem 
Fensterchen eingemauert; wir wagen keine Da- 
tierung dieser Arbeit, glauben aber, daB es sich 
um eine Spolie von einem Bau handelt, der 
älter als der heutige romanische ist. 


120 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 6. Fensterdien zu Prugiasco 


der Westschweiz'), d. h. da wo ròmi- 
sche Steine oder Vorbilder vorlagen, 
aus sauber zubehauenen kleinen Qua- 
dern, anderwärts und meistens aber 
aus rohen Brudhsteinen.?) 

Der Grundriß der Apsis zeigt 
die Tendenz der Raumvermehrung, 
welche sich schon in der Multiplikation 
der Conchen oft geäußert hatte: man 
beschränkt sich nicht auf den Halbkreis, 
sondern nähert sich dem Dreiviertels- 
kreis, man stelzt den Bogen oder bildet 
Hufeisen.) Diese Form wird sowohl 
bei tragenden wie bei zierenden Bögen 
im AufriB der Bauten beliebt; die früh- 
mittelalterlidien Buchmalereien zeigen 
uns haufig den Hufeisenbogen der zeit- 
genössischen Baukunst. Den gestelzten 
Bogen finden wir zu Wimmis usw., 
den Hufeisenbogen in der Grabzelle 
des hi. Placidus und Sigisbert, in der 


Marien- und in der Martinskirche zu Disentis (6 mal), in der Klosterkirche zu Münster 


(4 mal), zu Müstail (3 mal). 


Das Außere der frühmittelalterlihen Kirchen auf Schweizerboden scheint durch- 


Abb. 7. Blendbogen auf Halbsäulen 


aus einfach gehalten ge- 
wesen zu sein‘); schwach 


1) Moutier-Granval, Pay- 
erne. 

2) Disentis, Krypta, Mar- 
tins- und Marienkirche. 

3) Das Hufeisen als Grund- 
riBform ist im frühmittel- 
alterlichen Orient Regel; vgl. 
Revue Archéologique 1908, 
Taf. XII, Fig. 1 und 4, auf 
spanische Beispiele (S. Mi- 
gnel de Escalada und S. 
Jago de Pennalba) weist 
mich Prof. Dr. Haupt-Han- 
nover hin. Die Hufeisen in 
GrundriB und Aufbau von 
Germigny sind bekannt; 
vgl. Michel Histoire de l'Art 
I. p. 525, Haupt p. 187 ff. 


Taufhaus von Lenno 4) Vereinzelte in Malerei 


E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 121 


Abb. 8. Vertiefte Felder als AuBendekoration O 
Ehem. Muttergotteskirche in Disentis. (F. Columban O. S. B. fec.) 


vertiefte Felder, oben durch Böglein geschlossen, zieren die Flächen. Eigentlich archi- 
tektonische Gliederung fällt weg, schematisierende flache Einteilung tritt an die Stelle 
der antiken Dekoration. Analoges können wir an frühmittelalterlichen Reliefs auf 
Sarkophagen, Transennen usw. beobachten; die spätantike Gliederung in säulengetragene 
Bogen (Abb. 7) oder Giebelstellungen verschwindet mehr und mehr aus dem Formen- 
schatz, um Lisenen und flachen Böglein Platz zu machen. Unsere Blenden oder ver- 
tieften Felder (Abb. 8—10) findet 
man z. B. an der Marienkirche 
von Disentis (VIII. Jahrhundert), 
der Klosterkirche von Münster 
(VII. Jahrhundert), zu Wimmis, 
Schönenwerd, am Georgsturm 
des Basler Münsters (vor 1019) 
und an unzähligen Türmen des 
karolingischen Typs und der 
romanischen Stilepoche. Eine 
Datierung dieser Türme, die in 
prächtigen Beispielen in den 
Bistümern Chur, Como, Mailand, 
Sitten, Lausanne sich erhalten 
haben, steht noch aus. Das Erd- 
geschoß pflegt völlig schmucklos 


ausgeführte ornamentale Dekora- 


tionen bei Zemp. Das Kloster S. Abb. 9. Vertiefte Felder als Außendekoration 
Johann zu Münster p. 23 und 24. O Münster in Grb. 


122 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


zu sein, die Öffnungen sind in den unteren Stockwerken spärlich und bestehen nur 
aus Schlitzen, wie in der Militärarchitektur. Erst vom dritten Boden an finden wir 
Fenster, gekuppelt und umrahmt von den 
vertieften, oben mit Böglein abschließenden 
Feldern. Eine genauere Erforschung der- 
jenigen Türme dieses Typs, die in Gegenden 
stehen, die nicht durch Erdbeben heimgesucht 
worden sind, wird zweifellos manchen dieser 
Bauten das Prädikat vorromanisch eintragen; 
wir denken hierbei z. B. an Mals in Vinschgau 
und S. Satiro in Mailand. 

Weitere Außendekorationen des Früh- 
mittelalters bestanden in Inkrustationen; Italien, 
Frankreich und Deutschland besitzen noch alte 
Proben dieser Technik, die stellenweise bis tief 
in die romanische Epoche, ja in noch späteren 
Zeiten erhalten blieb. Wenn man in Disentis 
die quadratischen, dreieckigen, runden und 
anders geformten dunkeln und hellen Guß- 
platten besieht, denkt man unwillkürlich an die karolingische Außendekoration von 
Lorsch, an die auvergnatisch-romanischen Kirchen von Le Puy (Kathedrale, S. Michel 
und die Polygonkapelle des sog. temple de Diane), in Issoire, Clermont und Firminy. 
Eine chemische Untersuchung ergab, daß 
die frühmittelalterlichen Platten von Disentis 
auf keinen Fall als Bodenbelag gedient 
haben, wie schon behauptet worden ist. 

Die Innendekoration frühmittelalter- 
licher Gotteshäuser bestand aus Mosaik, 
Malerei und Stuccozierden. 

Bedeutende Reste eines Mosaik- 
bodens der Martinskirche von Disentis sind 
erhalten; er bestand aus einem Feld von 
grünlichen Steinwürfeln (Talgserpentin), in 
| welches Figuren und Inschriften mit weißen 
marmorartigen Steinwürfeln (zuckerför- 
migem Dolomit) eingesetzt waren. (Abb. 11.) 
Außerdem waren noch kreisförmige Stein- 
scheiben, konzentrisch umlagert von zwei 
Reihen verschieden-großer Keilsteine und 
umrahmt von weißen Würfeln in das Pa- Abb. 11. Vom Mosaik der Martinskirche Disentis 
viment eingelassen. Drei Exemplare sind 
beinahe komplett vom Verfasser wieder zusammengestellt worden. Über die Malerei 
in den frühmittelalterlichen Kirchen .kann nur das wiederholt werden, was Zemp über 


Abb. 10. Vertiefte Felder als Außendeko- 
ration Münster i. Grb. 


sn ne © — - 


E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 123 


Münster beibringt'); diese Kirche des endenden VIII. Jahrhunderts enthält noch einen 
ganzen Zyklus vielfiguriger Szenen in rechteckigen Feldern. Der Stil steht der Spät- 
antike näher als der Romanik. Auch eine originelle Ornamentik bieten die Funde von 
Münster. Ein beliebtes Motiv war der Mäander‘), dessen farbige Bandflächen in 
mannigfaltigen Brechungen und Verschiebungen sich durch die karolingische Zeit bis in 
die romanische hinein erhalten. 

Eine bedeutende Rolle spielte im Frühmittelalter die Dekoration mit Stukko- 
reliefs; in dieser Beziehung bedeuten die Funde von Disentis eine Art Offenbarung. 
Sie sind, um Clemen*) das Wort zu geben „von höchster Wichtigkeit als Verbindungs- 
glied von Norditalien nach Gallien herüber; sie berühren sich außer mit den lango- 
bardischen auch mit einer Menge von merovingischen und karolingishen Denkmälern.“ 
Die von Griechen und Römern verwendete Stukkotechnik reicht also von der Spät- 
antike (S. Vitale, Ravenna) hinein ins germanische Mittelalter. Stukkosarkophage in 
Paris und Wanddekorationen zu Germigny sind Zeugnisse für die Kunstübung der 
Merovinger und Karolinger in dieser Technik. Und in Italien besitzen wir die wohl- 
erhaltenen Stukkoreliefs von Cividale und S. Ambrogio in Mailand, 
erstere meines Erachtens sicher Werke des VIII. Jahrhunderts. Die 
Stukkotechnik ist für das X. Jahrhundert in S. Gallen literarisch, für 
eine frühe Epoche in Basel durch zwei Fundstücke (von 1907) be- 
legt.) Für das XII. Jahrhundert wurden die schönen Beispiele von | 
Münster neuestens der Wissenschaft erschlossen?); von Hildesheim Abb. 12. Rosette, 
kennen wir das Rezept für Stukkobereitung. farbig. Stucco von 

Was die Disentiser Fundstücke®) — tausende von Fragmenten Disentis = 
— auszeichnet, ist der glückliche Umstand, daß sie weder bestoßen, noch verschliffen oder 
abgescheuert, noch rauchgeschwärzt, noch übermalt oder restauriert sind. Sie sind in 
ihrer Epidermis tadellos erhalten, allerdings in kleine Stücke zerbrochen. Nur wenige 
Sockelstücke ?) sind einmal weiß iibertiincht worden. In jedem Fall gehören die Frag- 
mente zu Kirchen, die nur kurz gedient haben. Es waren Martinskirchen, deren erste 
670, deren zweite zwischen 823 und 831°) zerstört worden zu sein scheint. Sowohl 
die erste wie die zweite besaß Stukkaturen figürlicher und ornamentaler Art. 

Die im oft durchwühlten Bauschutt der Kirchenruinen im östlichen Klosterhof zu 
Disentis zerstreuten Fragmente auszugraben, zu verlesen, zu ordnen, zusammenzusetzen 


1) Das Kloster S. Johann zu Münster. Genf 1906, p. 25. 

2) Vgl. Schweiz. Archiv f. Volkskunde 1907, p. 118—119 

3) Zuschrift vom 29. Okt. 1908. 

4) In der ältesten Fundschicht der hinteren Krypta vom Verf. ausgegraben und dem 
Histor. Museum Basel überwiesen. 

5) Zemp a. a. O. Genf, 1908; über die Hildesheimer Stukkaturen vgl. Blume, Althildes- 
heimer Baudenkm. (1908), p. 14. 

6) Des Verfassers vorläufige Berichte in der Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums- 
kunde 1906, 1907 und 1909. 

7) Vgl. Schweiz. Archiv für Volkskunde 1907, p. 107—108, Fig. 5—6. 

8) Disentis gehörte offenbar zu den damals zerstörten Kirchen, über deren Verlust der 
Bischof klagt; vgl. oben Anm. 1. 


124 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 13-15. Reliefköpfe mit gemalten Haarbüscheln, Augen, Mund, Wangen 


war der Zweck von vier arbeitsreichen Reisen in das alte Bergkloster. Aber bevor 
der Verfasser die Frucht seiner Mühen durch eingehende Veröffentlihung ernten 
konnte, publizierte ein anderer, der in Disentis nicht gesät hatte, die Funde.!) 

Wo die Stukkaturen im Inneren der Kirche einst ihre Stelle hatten, kann nicht 
mehr ausgemacht werden. Sie sind so zahlreich, daß sie sich offenbar auf den 
ganzen Innenraum, nicht nur auf die östlichen Teile erstreckten. Die weiche Masse 
war bald auf die Steinmauer, bald auf einen hölzernen Rost appliziert; in nassem 
Zustand wurde er dann teilweise bemalt, al fresco wie die Wände der Katakomben.’) 
Die Polychromierung erstreckt sich hauptsächlich auf die figürlichen Darstellungen, auch 
auf ein großes Kreuz, auf Rosetten (Abb. 12) und Trauben. Weitaus die Mehrzahl der 
Ornamente aber war von jeher und ist unbemalt, d. h. weiß. Der Schreiber hat sofort 
nach der Ausgrabung, d.h. als die Fundstücke noch feucht waren und intakte Poly- 
chromie besaßen, farbige Aufnahmen erstellt; dies erwies sich als nötig, denn nadh 
wenig Wochen waren die Farben schon arg verblaßt.) Die Farbenskala war eine 
beschränkte: fleischrot, lachsfarben (saumon), zinnober, dunkelrot, dunkelbraun, blau- 
grau, blau, ockergelb, dunkelgrau bis schwarz, rußschwarz (leicht verwischbar) und 
leuchtendes grasgrün (nur auf einem Fragment), Die Malerei ersetzte viele Einzel- 


1) Der Verfasser hatte eine endgültige Publikation auf den Abschluß der Arbeit d. h. 
auf 1908 verschoben, da er Farbentafeln der hohen Kosten wegen nicht vor Beendigung der 
Sortierung und Zusammenstellung ausführen lassen wollte. Die Funde sind durch den Verfasser 
in Vitrinen ausgestellt worden; eine genaue Registrierung derselben wird 1909 stattfinden. Wir 
konnten uns diese Bemerkungen nidıt versagen, da die Tendenz des Organs des Landesmuseums 
(1908 p. 55) dahin geht, uns unsern Anteil an der Arbeit zu Disentis abzuerkennen. 

3) J. Wilpert. Die Malereien der Katakomben. Freiburg 1903, p. 4 ff. 

3) Die 1907 aufgenommenen Kopien, welche der 1908 erschienenen Farbentafel Rahns 
zugrunde liegen, können nur den letzten Zustand wiedergeben. Die Tafel selbst ist in den 
Farbentönen durchaus nicht getreu. 


E. A. Stiickelberg. Germanische Frihkunst 125 


heiten, die von der Plastik nicht angedeutet waren: z. B. die Haare, die Augen, die 
Nasenfliigel, Nasenlöcher waren großenteils nur durch Pinselstriche angedeutet, Mund 
und Ohren nur durch Farbe angegeben. 
Die Röte der Wangen pflegt durch ein spär- 
liches Dreieck (Abb. 15) von roter Farbe dar- 
gestellt zu werden, deren Konturen durchaus 
nicht abgeschwädt waren. Bei den Ge- 
wändern ist oft nur die Tiefe der Falten 
mit rot oder schwarz ausgemalt, der Stoff 
im übrigen weiß gelassen. Dasselbe gilt 
von den Schriftzonen, bei denen rote oder 
schwarze Farbe in die Furchen der vertieften 
Buchstaben gebracht ist, während das Feld 
weiß blieb. Einzelne Inschriften sind bloß 
aufgemalt gewesen, wie denn das Relief sich 
da und dort in Malerei verlor. Die Figuren 
hoben sich von gemaltem Hintergrunde ab; 
dasselbe gilt von den weißen Halbsäulen. 
Ein Ornament, bestehend aus Kassetten, Rinnen und Schalen, war nur in den Ver- 
tiefungen farbig: die Rinnen gelb, die Schalen graublau ausgemalt. Ein Gitterornament 
war farblos und nur am oberen Rand mit einer roten Borte eingerahmt. An den 
Kapitellen war nur diskretes Rot oder blaugrau stellenweise aufgetragen; an den 
glatten Halbsäulen bald rote, bald schwarze Tupfen.') 

Auf den Gewändern waren häufig Ornamente aufgemalt: allerlei Kreuze, schwarz 
| oder rot, in den verschiedensten Formen, 
die von der Kunst des Frühmittelalters 
gezeitigt werden, treten auf (Abb. 17). 
Bald sieht man ankerartige Kreuzenden, 
bald Tupfen, von denen die Schenkel 
umwinkelt sind, Einzelheiten, wie sie 
sich genau auf merovingischen Münzen 
wiederholen. Auf einen Gewandteil, 
der als Stab bzw. als Stola, und einem 
Fragment, das als Manipel angesehen 
wird, sieht man kleine aufgemalte 
Kreuze. Auch Rosetten aus rohen 
Strichen kommen vor, daneben Gruppen 
Abb. 17. Gemalte Kreuze S. Martin Disentis von drei runden Tupfen, wie sie in 

Buchmalereien so häufig auftreten. 
Die plastischen Stuccozierden von Disentis bestanden aus menschlichen Figuren 
von verschiedenem Maßstab; die größten Köpfe entsprechen ungefähr den Verhältnissen 


Abb. 16. Köpfe mit gemalten Augen 


ey Getupfte Säulen (Nachklang des Porphyrs) sind in vielen Miniaturen (Einsiedeln, 
S. Gallen, Basel, Genf) zu finden. 


r 


126 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 18—21. Der Haarschopf auf irischen Miniaturen Basel 


der Natur, andere sind etwa zwei Drittel oder Hälfte der Lebensgröße. Die Gesichter 
traten im Profil, in Vorderansicht oder in Dreiviertelsdarstellung aus der Wand hervor; 
sie springen kräftig aus, relativ stärker als die übrigen Körperteile, die sich oft nur 
wie ausgesägte Bretterteile von der Wand abheben. Die Nasen sind meist wie Klötzchen 
in das Gesicht aufgesetzt; das Kinn stets sehr stark ausgebildet. Alle Köpfe sind bartlos. 
Das Haar!) ist als brauner Schopf, der gescheitelt ist (Abb. 13—14), zusammengefaßt und 
umrahmt, bis tief an den Hals herabreichend, nach frühmittelalterlicher Art (vgl. die irischen 
Miniaturen Abb. 18—21 und das Beinkästchen mit Runeninschrift in London) das Gesicht. 
Die Augen sind groß, rot oder schwarz gezeichnet, mit mehr oder minder kräftig ge- 
gebenen Augenbrauen. Zwei Köpfe haben geschlossene Augen, stellen also Schlafende 
oder Tote dar. Einer der mittelgroßen Köpfe ist mit einer zweiten Schicht Stucco 
bedeckt worden, damit er stärker heraustrete; diese Auflage oder Maske mit dem 
Negativabdruck des unteren Gesichtes hat sich erhalten. Die kleinsten Köpfe haben 
Haare, die durch Furchen (nicht nur durch Pinselstriche) in Büschel geteilt sind (Abb. 22); 
sie ähneln durchaus merovingischen Münzbildern.*) Die Köpfe sind sämtlich roh und 
verraten barbarische, freilich ungleiche Mache (Abb. 23); dasselbe gilt von den Händen 
und Füßen (Abb. 24). Erstere, ebenfalls in verschiedenen Proportionen vorhanden, 
zeigen weißen oder fleischfarbenen Ton und rote Konturen. Die Fingernägel sind 
sehr ungleich, ebenso die Fingerspitzen; erstere sind bald lang, bald beschnitten, bald 
stumpf, letztere in einzelnen Fällen spitz, meist aber plebejisch stumpf, d. h. sich gegen 
die Enden zu erweiternd. Ein Händchen hält eine Kugel, eines einen gelben gekrümmten 
Stab (Pedum?), eine Hand ist an die 
rechte Wange gedrückt und gehört offenbar 
einer trauernden oder klagenden Figur an. 
Mehrere große Hände halten dicke, rund- 
liche Stämme oder Schriftrollen, einige 
zeigen die Gebärde der Rede, Anrede 
oder des lateinischen Segens, während 
andere flache, von innen gesehene Hand- 


!) Paulus Diaconus IV, 21. 
2) Vgl. z. B. M. Prou in Revue Numis- 
matisque 1906—07, Taf. VIII, n. 124 und 119. 


E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 127 


Abb. 23. Stuccoköpfe aus S. Martin Disentis 


flächen von betenden Gestalten (Oranten) stammen dürften. Ein paar Finger berühren 
den Oberrand eines Evangelien (oder Regel?-)Buches (Abb. 25). 

Alle Füße sind nackt, viele mit einer roten Kreislinie, welche den Knöchel an- 
deutet, versehen, und mit einigen roten Schnüren, welche auf Sandalen weisen, nach 


Art der irischen Buchmalereien ausgestattet; die meisten 
Füße sind im Profil, wenige en face dargestellt. Die 
Zehen sind äußerst roh und ungeschickt gebildet. 
Über die Proportionen der Figuren kann nichts 
gesagt werden, da keine zusammenhängenden Frag- 


mente vorliegen und keine Möglichkeit vorhanden 1906. 
ist, nur eine vollständige Gestalt zu rekonstituieren. 
Fest steht bloß, daß verschiedene Meister an der Abb. 24. Hand und Fuß. Disentis 
Stukkatur der beiden Martinskirchen beteiligt waren 
und daB sowohl das VII. und VIII. Jahrhundert als Ent- 
stehungszeit in Betracht kommt. Das künstlerische Niveau 
von Disentis steht in bezug auf die Köpfe, den Faltenwurf 
und die Feinheit der Ornamente unter demjenigen von 
Cividale. 

Damit sind wir an den Schmuckformen angelangt. 
Eine Zusammenstellung der diesbezüglichen Fragmente von 
Disentis ergäbe eine eigentliche Grammatik des frühmittel- 
alterlichen Ornaments. Um dieselbe richtig zu verstehen, 
müssen wir die ethnographische Zusammensetzung eines 
Mônchsklosters jener Zeit kennen lernen. Die Gründungs- 
geschichte nennt uns irisch-fränkische Mönche und Gründer 
sowie einen einheimischen rätischen Wohltäter. Die Listen 
der Gebetsverbrüderungen') zeigen uns, daß auch in der 
folgenden Zeit Rätier mit lateinischen Namen und Germanen 


“tp U6. 


1) Gedruckt in Mon. Germ. L. C. p. 173. Abb. 25. Finger. Disentis 


128 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


verschiedener Stämme (wohl Longobarden, Alemannen und Franken) nebeneinander 
den Disentiser Mönchskonvent ausmachten. Wüßten wir es nicht schon aus anderen Quellen, 
so würden uns diese Listen über die Freizügigkeit der damaligen Klosterbewohner auf- 
klären. Solange die irische Regel in Disentis herrschte, dürfte irischer Einfluß, auch 
in bezug auf Bücher und Kunst, später mit der Benediktinerregel italienischer Einfluß 
sich eingestellt haben.') 

Als Traditionen der Antike, die aus Italien*), wohl auf dem Weg des Lucus 
magnus (Lukmanier)*) aus Como, Mailand, Pavia‘) und anderen Zentren kamen, sind 
die Techniken des Mosaiks, des Wandbelags (Inkrustation) und des Stuccos zu be- 
trachten; hierher gehört 
auch die Beimengung von 
Ziegelmehl bei einem Stück 
gestampften Kryptabodens. 
AntikeTraditionen sind die 
Halbsäulen mit ihren Basa- 
menten und Kapitellen. 
Diese Halbsäulen sind ent- 
weder glatt, in diesem Fall 
gelegentlich mit Tupfen 
bemalt, oder spiralig ge- 
kehit (Abb. 26). Eine kleine 
Säule ist rund, spiralig 
gekehlt und enthält einen 
Holzkern; sie ist vielleicht 
als Osterleuchter anzu- 
sprechen.Die Kapitelle sind 
vereinfachte Komposita- 
typen; primitive Voluten 
kehren überall wieder, 
Abb. 26. Haibsäulen, Basamente und Kapitelle aus Stucco. Disentis Selten gezähnte Blätter 

(Akanthus). Bei den Basa- 
menten fehlt die Kehle zwischen dem unteren und oberen Wulst; an seiner Stelle 
findet sich ein dritter, größerer Wulst. Der Antike gehört ferner an das Alphabet der 


1) Der Zeitpunkt des Übergangs fällt in die erste Hälfte des VII. Jahrhunderts (nach 
Greith und A. Malnory, Quid Luxovienses Monachi etc., Paris 1894), und nicht, wie Rahn meint, 
in die Zeit der Klosterrestauration im VIII. Jahrhundert; die irishe Zuwanderung auf dem 
Kontinent hielt noch lange an. 

°) „Die Langobarden rezipieren und konservieren in Oberitalien römische Traditionen.“, 
Stephani, Der ältere deutsche Wohnbau I, p. 247. 

3) Neben dem Septimer war der Lukmanier im Mittelalter der meist begangene Bündner 
PaB. F. Güterbock in Quellen und Forschungen aus ital. Archiven XI, p. 2; vgl. dazu Motta in 
Boll. storico della Suizzera ital. 1906, p. 1. 

*) Die Kirche Ciel d'oro in Pavia, sowie das Erzb. Mailand besaßen Grundeigentum im 
Bleniotal d. h. nahe bei Disentis, an der Lukmanierstraße. 


E. A. Stückelberg. Germanische Frühkunst 129 


CONTI 


Abb. 27. Gemalte Buchstaben Disentis 


t 


Inschriften, die Form der Leitern mitsamt ihren spärlichen Ligaturen; alle — in Größe 
und Technik sehr verschiedenen — Inschriften zeigen mehr oder weniger antike Formen 
(Abb. 27), niemals barbarische Korruptionen. Das O ist stets rund, niemals eckig; das 
C dagegen findet sich in Rätien in eckiger Gestalt seit dem VI. Jahrhundert. Die 
Hastae der Lettern laufen in Füßchen aus. Am Schluß einer monumentalen Kapital- 
inschrift von vertieften, 9 cm hohen Buchstaben fand sich ein nur aufgemalter Zierrat 
von irischem Charakter (Abb. 28). Dem antiken Ideenkreise gehört noch die Gewohn- 
heit an, Bogen mit zierlichen Rahmen zu schmücken. Solche Archivolten findet man 
auf den altchristlichen Sarkophagen, Elfenbeintafeln, am Grabmal Theoderichs (jetzt 
im Museum von Ravenna’), in Disentis, in Cividale, 
in Mailand (Ciborium von S. Ambrogio). 
Barbarischen, d. h. germanischen Charakter aber 
haben sozusagen alle einzelnen Ornamente; sie be- 
ruhen groBenteils auf dem Kerbschnitt?), der für die 
Bearbeitung des weichen Holzes. des nassen Stuccos?) 
wie weichen Steines sich besonders eignete (Abb. 3—5, 
29). Ein frühmittelalterliches Holzmöbel mit derartigem 
Dekor hat sich im Schatz von Sancta Sanctorum ge- 
funden, romanische und gotische Holzmöbel mit Kerb- 
schnitt sind in Sitten, spätere überall‘) anzutreffen. 
Schmuckformen in Kerbschnittmanier sind in Disentis 
zum Teil rein — z. B. bei dreierlei Streifen und zweierlei 1908 
Feldern mit Gitterornament — zum Teil vermischt mit Abb. 28. Irischer Zierrat. Disentis 
Zierformen andern Ursprungs zu finden. In letzterem 
Fall bilden Böglein, die aneinandergereiht sind, oder wie bei der Hecke sich über- 
schneiden, oder Kreise, die aneinandergeschoben sind, die Umrahmung für Sterne, 
Rosetten, Lilien oder Feuerräder, die aus Kerben bestehen. Eine Beschreibung all 
dieser Ornamente hat keinen Zweck; wertvoller wäre eine genaue Aufnahme und 
Rekonstitutionen aller Muster. 


1) A. Haupt in Zeitschrift für Geschichte der Architektur I (1907). Abb. 5—7 und 12. 

2) Dieselben Formen wie in Disentis an neuzeitlihen Holzwerken, vgl. Zeitschr. des 
Vereins f. Völkerkunde 1908, Fig. 4, 5, 7—9, W. Oldenburg, Träsniderimönster. 

3) Tischler waren Gypser (Stephani das älteste deutsche Wohnhaus I, p. 240), daher die- 
selben Formen in Holz und Stucco. 

‘) Beispiele im Museum zu Chur, zu S. Moritz und im Volkskundemuseum Basel. 


130 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 29. Stucco mit Kerbschnittmotiven Disentis 


Im folgenden sei nur eine knappe Ubersicht iiber die Disentiser Ornamente 
geboten. 

Von den sechs Fensterbogen bzw. deren inneren Umrahmung bietet einer nur 
gemalte Keilsteine, einer eine mäanderartige Reihung von Hacken, wie sie gleich 
im Inselreih, ähnlih nur in frühmittelalterlihen Handschriften vorkommt. Vier 
Bogen zeigen Kerbschnittdekoration, bei einem davon legt sich an der Schrage 
ein Seil, bei einem Riemenwerk an. Ein Bogen, der reichste, ist auBen mit ausgeschnitte- 
nem Zierat versehen, mit kleinen Nischen, wie sie analog bei mehreren Streifen oder 
Zonenornamenten zu Disentis vorkommen (Abb. 30). 

Die Zierden in Streifen- oder Zonenform bestehen aus Inschriftbändern, die in 
Stucco über den Figurenbildern vortraten. Die Inschriften sind 1—3 zeilig; die Lettern 
vertieft, meist schwarz, selten rot ausgemalt und von verschiedener Größe. Bei einer 
Inschrift ist der Buchstaben mit einer schwarzen Masse ausgefiillt. Die Schriftzonen 
sind nach unten glatt abgegrenzt, nach oben in einem Fall mit einer dichten Krabben- 
reihe bekrönt. 

Weitere Zonenornamente: Zwei verschiedene Kerbschnittbänder'), eines von einem 
Rahmen stammend, der senkrecht, d. h. im rechten Winkel emporstieg. Es finden sich 
ferner: drei (oder mehr) verschiedene Reihungen von Bogen, darüber kleine Nischen, 
rechteckige Kerben oder Perlen samt Nischenbekrönung. 

Sehr häufig sind Perlschniire oder genauer gesagt Reihungen von Halbkugeln (Abb.30); 


1) Abg. Schweiz. Archiv f. Volksk. 1907, p. 106 —107, Fig. 2—4. 


E. A. Stiickelberg. Germanische Frühkunst 131 
z 
sie kommen auch in der Westschweiz, z. B. an einem frihmittelalterlicien Steintympanon 
zu St. Ursanne im Jura vor. (Abb. 31.) Reihungen von Kreisen, in denen sich das 
sog. Feuerrad findet, sind ebenfalls in Fragmenten vorhanden. Erwähnt seien ferner 
die Zonen von zwei übereinanderliegenden Blattranken, welche, wie ein Ansatz an 
einem Kapitell lehrt, von Kapitell zu Kapitell in stattlicher Breite liefen; bekrönt war 
dieser Streifen mit kleinen Nischen, unten gesäumt von einer Perlreihe. Ein Zonen- 
ornament, aus gekehlten Hacken, die grau ausgemalt waren, ähnelt einem Mäander; 
wir bezeichnen es der Kürze halber als falschen Mäander. Eine andere, breitere Zone, 
in sehr vielen Bruchstücken vorhanden, bestand aus Riemenwerk; die Riemen oder 
Bänder sind glatt und nicht doppelt gefalzt, 
wie bei den Langobarden. Einige wenige 
Riemenfragmente von einem zweiten Orna- 
ment zeigen einfache Falzung. Genannt 
seien endlich Reihen von großen, grau 
ausgemalten Nischen, die irgendwo die Be- 
krönung bildeten, genannt die ebenfalls 
wirksame Hecke. Bereits berührt wurden 
die Krabben, die in kletternder Funktion 
bei den Langobarden besonders häufig, in 
horizontaler Linie seltener angebracht wur- — 
den; in Disentis finden wir sie einmal über > x 
einer Schriftzone, einmal über einer Perl- 3 907 
reihe, in Münster an einer Schräge aus 
Marmor. 

Ornamente, welche ganze Felder, 
wahrscheinlich den Sockel, vielleicht auch 
Transennenwände bedeckten, liegen in 
enormer Zahl vor; es sind gitterartige 
Motive, mit quadratishen oder rauten- 
förmigen, in Kerbschnitt ausgeführten Ver- 
tiefungen!). Ein anderes feldbedeckendes 
Motiv besteht aus kreuzförmig angeordneten nae \ 3 
Rinnen, in deren Zentrum jeweilen Schalen x SE ur 
angebracht sind; Feldornament war auch Abb. 31. Perlreihe. Lünette in S. Ursanne 
ein Geschrénke *). 

Unbestimmten Charakter, d. h. nicht näher zu bezeichnen in Hinsicht auf ihre 
einstige Bestimmung sind folgende Fragmente: Stucco mit grau ausgemalter Kanellierung 
(von einem Pilaster?), ein Drechslermotiv, der sog. bäton rompu, gelb konturiert, Zick- 
zackmuster, Haken, paarweise angeordnet (wie an merovingischen Kapitellen), rot be- 
malte Lilie (Ende eines Kreuzendes?), weiße Palmetten, Palmetten mit gelben und 
1) abg. a. a. O. p. 107—108, Fig. 5—6. 

2) abg. a. a. O. p. 108, Fig. 7. 


Abb. 30. Ausgeschnittener Oberrand. Stucco 
Disentis O 


132 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 32. Riemenwerk und nordisdes Gewürm Münster 


sole mit weißen Kleeblattern, Trauben’), teilweise flach und schematisch (als Drei- 
ecke), teilweise naturalistisch (mit reliefierten Beeren), rot bemalt, große Rosetten, acht- 
blätterig, grau oder gelb ausgemalt, Kreise mit eingeschriebenem Viereck, bunt bemalt. 
Ein Fragment stammt von einem großen roten Reliefkreuz?) und zeigt an den Enden 
runde Ansätze, den Schmuck vieler langobardischen Altar- und Vortragkreuze, die in 
Stein nachgebildet sind. 

Fassen wir unsere Beobachtungen über die Dekorationen des Kircheninnern von 
Disentis zusammen, so ergiebt sich zunächst antike Tradition, die in einem Kloster, so 
nahe bei Italien und an einer großen HeerstraBe nicht verwundern kann. Es ergeben 
sich irische Spuren, bei den Figuren in Köpfen, Haartracht, Wangen, Kostüm (Falten- 
wurf, Drei-Tupfen-Motiv, Sandalenschnüre), im Ornament (Hacken, Zierat am Inschriften- 
band), im allgemeinen Reichtum an Formen. Unter den germanischen Kunstformen 
lassen sich viele mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmten Stämmen zuweisen. Die 
ungefalzten Riemenknäuel und die gepaarten Hacken möchten wir als frankisch, die 
Kerbschnittzierden, die Krabben, Rosetten, Feuerräder, Hecken, Seile als langobardisch 
in Anspruch nehmen. 

Es bleibt noch übrig, von der Einteilung und Ausstattung des Kircheninnern mit 
Einbauten zu reden. Von den Altären hat sich nichts erhalten, wenn wir absehen 
vom Deckel eines kleinen Steinkästchens, das als Inhalt eines Altarsepulcrums an- 
gesehen werden kann. Als Altarfronten oder Antependien sind schon frühmittelalter- 
liche Marmortafeln zu Münster und Chur betrachtet worden. Sie scheinen uns aber 
sämtlich Reste der Cancelli, d. h. der Altar- und Chorusschranken zu sein; da sie schon 
öfters veröffentlicht sind*), verzichten wir auf nähere Schilderung. In Disentis sind nur 


1) Einzelne Trauben, als Füllung eines Netzornamentes auf einer Marmortransenna zu 
Münster. abg. a. a. O. Taf. I, Fig. 6; andere Trauben in einem Rankennetz analog zu Chur, 
abg. a. a. O. Taf. III, Fig. 2. 

?) Eine Rekonstitution in der Zeitschr. f. schweiz. Kirchengeschichte Il, 1908, p. 223. 

5) Von Jak. Burckhardt, Molinier, Kuhn, Zemp, dem Verf. u. a. 


E. A. Stiickelberg. Germanische Frühkunst 133 


faustgroße Knollen marmorähnlichen Steines, der zu Cancelli mag gedient haben, aus- 
gegraben worden; der Dolomit ist wie Zucker im Erdreich zergangen. Vielleicht haben 
auch einzelne Schranken aus Holzgerüsten mit Stuccoverkleidung bestanden; das würde 
sowohl die Vielheit der Feld- und Rahmenornamente, wie überhaupt die Menge 
der nach so viel Jahrhunderten noch vorhandenen Bruchstücke erklären. Ein glattes 
Stuccosäulchen, das gefunden wurde, mag auf den Transennen der Disentiser Martins- 
kirche gestanden haben. Die ganze Einrichtung des Chorus mit seinen Brüstungen zu 
Moutier, Chur, Münster und Disentis mag ungefähr so ausgesehen haben wie die- 
jenige von S. Maria in Cosmedin!) oder Leprignano?). Die Schranken von Münster 
enthalten neben langobardishen Ornamenten charakteristische nordische Figuren, wie 
das Gewürm (Abb. 32). 

In den Chorschranken staken rechts und links die Brüstungen der Ambone; 
diese sprangen konvex gegen das Chorusinnere vor, während im konkaven Teil der 
Leser oder Prediger stand. Nur in der Westschweiz haben sich frühmittelalterliche 
Ambone gefunden; zwei wohlerhaltene Exemplare mit typisch fränkischer Ornamentik, 
die der langobardischen sehr nahe steht, wurden in S. Maurice im Wallis und in 
Romainmötier ausgegraben. Ein drittes Stück stammt aus Balma. Die spätgotische 
Nachahmung eines frühmittelalterlihen Ambons von der Gestalt derjenigen, die an 
den Taufbecken eingebaut sind, steht, als uralte Kanzel angesehen, in der Columbans- 
kirche von Andermatt. Die Tradition schreibt den Monolith den Stiftern von Disentis zu. 

Nod seien die frühmittelalterlihen Baufragmente genannt, die sich zerstreut, 
und nicht immer in ihrer Bedeutung sichergestellt, in der Schweiz finden. Erwähnt seien 
die Platte mit dem Scheibenkreuz zu S. Ursanne*), die kleinen Kapitelle im Museum 
von Locarno‘), kleine Baufragmente zu S. Maurice, zwei karolingische Kapitelle zu 
Basel?) und die Platte von Herznach®); das letztgenannte Monument fällt bereits in die 
Jahre um 960, wir erwähnen es bloß, weil noch typisch fränkisches Riemenwerk daran 
zu sehen ist. Spätlangobardische Ornamente finden sich in großer Zahl an den Frag- 
menten im Pfarrgarten von S. Vittore zu Muralto und im Museum von Locarno; ebenda 
ist auch eine Zeichnung erhalten, welche das einstige Hauptportal der genannten 
S. Viktorskirche wiedergibt. Auch diese Stücke dürften noch ins erste Jahrtausend 
unserer Zeitrechnung zurückgehen ‘). 


1) Restitution Mazzantis in Revue de l'Art Chrétien IX, PI. XII. 

2) Vgl. H. Grisar a. a. O., Fig. 4 des Sep. Abdrucks. 

3) Vgl. des Verf. Aus der christi. Altertumskunde. Zürich 1904. 

4) Schweiz. Archiv f. Volkskunde 1907, p. 81, p. 120, Fig. 29a. 

5) Abg. in Basler Zeitschr. f. Gesch. u. Altertumsk. V, 1906. Taf. III u. IV. 

6) Abg. in des Verf. Denkm. z. Basler Gesch. 1907, Taf. VI. 

7) Die Krypten des Frühmittelalters (S. Maurice, Chur, Disentis, Zürich) übergehen wir, 
weil durch keinerlei Kunstformen ausgezeichnet; nur in der Westgruft von St. Gallen sind 
jonisirende Kapitelle zu erwähnen. Die sehr zahlreichen frühmitt. Steinsärge (S. Maurice, 
Lausanne, Moutier, S. Ursanne, Basel, Augusta Raurica) sind ohne Schmuck. 


10 


Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 


Mit einem Anhange über Signorelli und Correggio 
Von Otto Hettner 


Zeichnungen zum jüngsten Gerichte, Engelgruppe oben rechts 


I.!) Studie für einen der Engel oben rechts mitten über der Säule. Rechter 
Arm oben rechts in der Ecke noch einmal wiederholt. 

(Drei weitere Studien werden hier nicht besprochen.) Verso mit zwei Studien 
für denselben Engel (eine von Steinmann nicht erwähnte Studie für die Beine dieses 
Engels, unten) 

II und zwei anderen für den Engel mit dem Essigshwamm. „Berenson sieht 
hier mit Unrecht eine Kopie.“*) Kreidezeichnung im British Museum. Vorderseite: 
Ph. Braun 18. Berenson II. 115, n. 1684. Steinmann 63 A, Abb. 62 (Abb. 11). Verso: 
Originalphotographien von Donald Macbeth. Steinmann 63B, Abb. 63 (Abb. 12). 


I. DER ENGEL OBER DER SAULE. 


Auf den mir bekannten Entwürfen zum Jüngsten Gerichte kommt der „Engel 
über der Säule“ noch nicht vor. Die Beziehung mit der Zeichnung auf dem Blatte 
des British Museum, Steinmann, Nr.75A, Abb. 75, B. Berenson, II. 92 n. 1536: PI. 144. 
Originalaufnahme D. Macbeth („ganz oben wohl Studie für einen der Engel mit den 
Marterwerkzeugen,“ Steinmann) ist sehr entfernt. Die Dokumente für seine Entstehung 
beschränken sich also ausschließlich auf das, was wir auf dem zuerst genannten, 
doppelt bezeichneten Blatte des British Museum finden. Die fünf hierauf bezüglichen 
Zeichnungen gehören schon alle in den Kreis des Studiums. Keine stimmt ganz mit 
der Figur des Fresko überein. Auch ihre Kombination ergibt sie nicht vollständig. 

Die Bewegung der Figur auf dem Fresko (Abb. 10) ist diese: Der Engel schwebt 
von hinten rechts nach vorn der Mitte zu. Der Kopf wendet sich seitlid nach unten. 
Der linke Arm und die Hand haben eine sprechende Geste nach der Richtung, nach 
der der Engel schaut. Mit dem rechten Arme und der Hand schiebt er den über ihn 
weg fliegen wollenden Engel zur Seite. Das linke Bein ist nach hinten gestreckt, der 
Unterschenkel nach oben gebeugt, das rechte nach unten und der Unterschenkel so 


1) Steinmann, Seite 605 (in anderer Anordnung). 

?) „Eine fliegende Figur mit ausgestrecktem Arme, eine andere..... Keine von ihnen 
bin ich imstande im „Jüngsten Gerichte“ zu identifizieren. Sie mögen daher entweder Kopieen 
von nicht verwerteten Originalskizzen oder Vergrößerungen leichter Andeutungen des Meisters 
sein. Dieser letzteren Annahme wird durch die Tatsache einiges Gewicht gegeben, daß, während 
ich, wie gesagt, nichts diesen Skizzen Gleiches im Fresko finden kann, ein oder zwei schwebenden 
nicht ungleiche Figuren sich in der Malcolm-Skizze für dieses Werk unterscheiden lassen. Derselbe 
Kopist hat übrigens mindestens noch eine erhaltene Zeichnung gemacht. Sie befindet sich in 
Oxford und ist nach der Figur in der untersten linken Ecke des „Jüngsten Gerichtes“, die im 
Begriffe aufzustehen, zurücblickt, gezeichnet.“ 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 135 


Abb. 10. MICHELANGELO. Detail aus dem Jüngsten Gericht 
Engelgruppe oben rechts O 


gebeugt, daB er zu dem Oberschenkel des anderen parallel ist. Es ist von einem 
vorderen Engel überschnitten, nur das Knie ist sichtbar (mit einem Gewande übermalt) 


Der Gang der Arbeit. 
(Abb. 11 u. 12.) 


Die Arbeit begann mit der großen Studie der Gesamterscheinung nach dem 
liegenden Modelle. Der Leib war auf dem Tische breitgedrückt: er wurde so ge- 
zeichnet, später korrigiert und dem entsprechend auch der obere Kontur geändert. Um 
diese Modifizierungen erfassen zu können, war eine zweite Studie, diesmal am freien 
Torso, nötig. Es ist die obere auf dem Verso nach dem Knieenden aus Obersicht. 
Das Blatt war auf die linke Breitseite gedreht. — Kopf und Arme konnten in dieser 
Stellung nicht studiert werden und sind ohne Modell, das Blatt aber in der gewöhn- 
lichen Richtung liegend, später frei ergänzt worden. — Auf der darunter befindlichen 
Zeichnung ist der Ring um die linke Hand auffällig. Links daneben ist eine zweite 
Skizze des Armes mit diesem Ringe. Der Kopf und die rechte Schulterpartie sind 
rasch, ohne Sorge, daß sie in einer anderen als der projektierten Stellung waren, 
hingesetzt worden. Dagegen ist das Augenmerk ganz ersichtlich auf die Muskeln der 


136 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


linken Schulter konzentriert gewesen. Für die erste Studie hatte das Modell bequem 
mit der Brust ganz fest aufgelegen. Dadurch war der Arm bewegungslos. Auch 
diese Skizzen des Verso sind nach dem liegenden Modelle gezeichnet, dieses war aber 
weiter nach vorn gerückt, so, daß die Brust frei war, und hielt sich, um überhaupt 
wenigstens auf einige Minuten eine Beobachtung zu ermöglichen, mit der Hand an 
einem herunterhängenden Ringe fest. Das ist noch verhältnismäßig leicht, wenn die 
Kraft in die Schuiter gelegt wird. Auf der ersten Skizze sind ihre Muskeln ge- 
schwellt, der Biceps wenig. Die momentane, richtige Bewegung des wie freien Vor- 
streckens legt in ihn die Kraft. Auf der zweiten ist nur schnell in ein paar Strichen 
nichts anderes als seine stärkere Wölbung markiert worden. — Das rechte Bein konnte 
nach dem Liegenden in der gewünschten Stellung gar nicht gezeichnet werden. Es 
lag, statt sich nach unten zu neigen, platt auf dem Tische auf. Eine Aufsicht auf 
einen halb Knieenden, d. h. das linke Bein knieend, das rechte gebeugt und auf dem 
Fuße aufstehend, konnte dazu die Möglichkeit geben. Es ist jedoch dazu kein 
Dokument erhalten. Einen Versuch nach dem ganz Knieenden zeigt der Verso unten 
Dafür wurde das Blatt vorher so gedreht, daß die Richtung der Schenkel derjenigen 
der anderen Zeichnungen entsprach (also auf die rechte Breitseite). Er ist für das 
linke Bein zwar flüchtig verwendet worden, war aber für das rechte und für eine Er- 
fassung des Zusammenhanges untauglih. — Dann wurde die erste Studie wieder 
vorgenommen. Nun drehte der Zeichner zeitweise sein Blatt, zunächst die linke Seite 
nach unten, in die Ansicht der Obersicht, und trug, wahrscheinlich direkt nach dem 
Modelle, die Linien ein, die den Torso runden. Dann drehte er die obere Seite des 
Blattes nach unten und korrigierte nach dem auf dem Rücken Liegenden, und zwar 
aus zu starker Profilansicht, das linke Bein. Daher erklärt sich der unorganische 
Ansatz in der Kniekehle. Eine Ansicht auf die beiden Sehnenbänder und in die 
Kehlung müßte vorhanden sein. Der Fehler ist auch auf dem Fresko nicht voll- 
kommen verbessert worden. — Zu dem rechten Arme und der Schulter, die in dieser 
Lage wegen des Tisches nur ganz ausdruckslos gegeben werden konnten, oben eine 
Spezialstudie nach dem sitzenden, nach vorn sich überbeugenden Modelle. 


* * 
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Ich hatte Mühe, diesen Gang der Arbeit klar erkennen zu können und mußte 
mich besonders davor hüten, die Art in den Studien sehen zu wollen, die ich in einem 
solchen Falle angewandt hätte, und mir deren Spuren vorzusuggerieren. In der Tat 
war meine Vorstellung vom Arbeitsgange in einigen Punkten zuerst anders, als ich ihn 
erklärt habe. Zu dem endgültigen Verständnisse bin ich durch eine genaue Beobachtung 
der Strichführung gekommen. 

Ich habe das Folgende in der Praxis und theoretisch genauestens geprüft und 
gebe hier die Resultate. Die begründende Darlegung gehört nicht in meine Arbeit. 

Je nach der Art des zu ziehenden Striches wird die Hand in eine andere Lage 
gebracht, unter Umständen die strichziehende Bewegung durch Zuhilfenahme des Armes 
unterstützt. Die einfachst zu ziehende, freieste Linie, da sie mit der natürlichsten 
Handstellung ausgeführt wird, ist die von unten-innen nach oben-außen, resp. als 


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Abb. 11. MICHELANGELO. Studien zum Jüngsten Gericht 


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138 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Rückstrid von oben-außen nach unten-innen gehende, während die komplizierteste die 
dieser entgegengesetzte Diagonale ist, da dazu die Hand über das Gelenk nach innen 
gedreht werden muß. Daraus geht hervor, daß die freiesten Linien des linkshändigen 
Zeichners die unfreiesten des rechtshändigen sind und umgekehrt. Da die Bewegung 
zur Strichführung eine Zirkeldrehung der Hand ist, so haben wirklich freie Linien, 
d. h. solche, deren Form nicht durch das zu zeichnende Objekt bedingt sind, eine 
kleine Tendenz zur Rundung. (Wir finden sie am ausgeprägtesten bei Schraffierungen, 
oft auch in der Art, in der ein Kontur in mehrere Linien aufgelöst ist.) Daher ergibt 
sich, daß die freieste Diagonale Tendenz zur Wölbung, die ihr entgegengesetzte zur 
Höhlung, die vertikale zur Ausbiegung, die horizontale, je nach der Handstellung, in der 
sie gezogen ist, zur Höhlung oder Wölbung hat; die gewölbte ist besonders bei langen 
die gebräuchlichere. Aus diesem Grunde kann bei einer Linie trotz gleicher Richtung 
entschieden werden, mit welcher Hand sie gezogen ist. 

Es wird sich, je ausgesprochener der Charakter eines Künstlers ist, desto 
sicherer eine individuelle Handhabung des Stiftes zeigen. So wird sich z. B. eine 
Vorliebe für Strichführung von innen nach außen oder von außen nach innen oder 
auch Maniriertheiten, wie übertriebene Anwendung unfreier Diagonalen (wie zu Kreuz- 
strich), feststellen lassen. Deren scharfe Beobachtung kann zur Bestimmung von Zeich- 
nungen ausgenutzt werden. Einen Anhalt dazu bietet ein Vergleich mit der Hand- 
schrift. Der Schreiber der Steilschrift wird eine stärkere Tendenz zu vertikaler und - 
horizontaler Lage haben als der schräger Schrift. 


Die Zeichnungen 


Wenn wir das Verso dieses Blattes auf die Strichführung hin prüfen, finden 
wir, daß in seiner gewöhnlichen Ansicht nur die untere Studie zum „Engel über der 
Säule“, deren Ergänzung am Rande und die Kopf- und Armpartie der oberen Studie 
derselben Figur rechtshändig gezeichnet erscheinen. Die andere Partie der letzteren 
zeigt so die vollkommene jinkshändige Tendenz: die freien Striche von links nach 
rechts und gewölbt.) Von der oberen Schmalseite, die im übrigen linkshändige 
Richtung zeigt, und von der rechten Breitseite her angesehen, sind die freien Diago- 
nalen gehöhlt. Von der linken Breitseite her zeigt sie aber die typischen Tendenzen 


1) Ich war nicht wenig erstaunt, als ich im Zusammenhange mit meinen Beobachtungen 
auf die Stelle bei Julian Kiaczko in den ,Florentiner Plaudereien“ aufmerksam gemacht wurde: 
„Ein anderer nicht minder seltsamer Zug: dieser unermüdlicher Arbeiter (Michelangelo) . ... war 
linkshändig.“ Herr Professor Steinmann war so gütig, mich diesbezüglich auf die Stelle der 
„Autobiografia di Raffaello di Montelupo“, Vasari (Editione Sanzoni IV, pag. 553) aufmerksam zu 
machen: „Qui si puo metere ancora come io disegno con la mano manca, e una volta sendo a 
Roma a disegnare l'arco di Trasi da Coloseo, passò Michelagnolo e fra Bastiano del Piombo, si 
fermorono a vedere, e perché l'uno e l’altro era mancino naturale, inperò non facevano niente con 
la mancina, salvo le cose di forza.“ In der Anmerkung: „Queste parole spiegano come riguardo 
Michelagnolo si debba intendere questa particolarità (Gaye).“ Michelangelo hat also rechtshändig 
gezeichnet und gemalt. Wie verhält es sich aber bei solchen Marmorarbeiten, die Kraft ver- 
langen, wie das Zuschlagen eines Blockes? Sollte er da nicht den Hammer in der linken, den 
Meißel in der rechten Hand gehalten haben? Ich glaube davon am „Matthäus“ der Akademie in 
der Richtung der Riefungen Anzeichen zu finden. 


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Abb. 12. MICHELANGELO, Studien zum Jüngsten Gericht 


140 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


des Rechtshandigen. So also wurde sie gezeichnet. Sie zeigt die Ansicht des Modelles 
aus Obersicht. — Zu der Beinstudie unten lag das Blatt auf der rechten Breitseite. 
Darauf weist uns sogleich die sichtlich knieende Stellung; wird sie mit der eben be- 
sprochenen verglichen, ergeben sich entgegengesetzte Tendenzen. 

Auf der Hauptzeichnung der Vorderseite können wir drei verschiedene Strich- 
richtungen feststellen. Diese beweisen, daß die Gesamterscheinung zuerst in der ge- 
wöhnlichen Ansicht des Blattes aufgezeichnet, zuzweit von der linken Breitseite her, 
also nach der Obersicht auf das Modell, resp. nach der entsprechenden Studie des 
Rückens und der Oberschenkel, zudritt von der oberen Schmalseite her, also nach 
auf dem Rücken liegendem Modelle, die Kniepartie und das linke Bein korrigiert 
worden sind. 


II DER ENGEL MIT DEM ESSIGSCHWAMME 
Der Gang der Arbeit. Die Zeichnungen 


Die Identifizierung der beiden Zeichnungen mit dieser Figur des Fresko halte 
ich für nicht sicher. Die Stellungen sind wesentlich verschieden. Auf jeden Fall aber 
sind es Studien für eine aus Untersicht gesehene, herabschwebende Figur, deren Ansicht 
so beredhnet ist, daß die flüchtigere Skizze richtig in der gewöhnlichen Lage des 
Blattes, die ausführlichere von der rechten Breitseite her anzusehen ist. 

Die untere wurde nach dem liegenden Modelle aus erhöhtem Standpunkte von 
hinten her gezeichnet. Die Strichrichtung ist der des unteren „Engels über der Säule“ 
genau entgegengesetzt. Wenn wir das Blatt auf die obere Schmalseite herumdrehen, 
beobachten wir die normale Linienführung. Besonders die runden Linien sind zu 
prüfen. Sie wären anders herum, also gehöhlt, nicht so sicher ausgefallen. Da aber, 
wo sie in der wirklihen Ansicht des Studiums, durch die Form des Objektes bedingt, 
gehöhlt gezeichnet sind, sind sie unsicher oder in zwei Striche aufgelöst: der den 
Armmuskelansatz an die linke Schulter bedeutende, die der beiden Angaben des Schädels. 

Die andere Studie ist in der uns geläufigen Ansicht, d. h. diesmal das Blatt 
trotzdem auf die rechte Breitseite gedreht, gezeichnet worden: aus Obersicht nach 
sitzendem Modelle. Die gerundete Linie unter dem rechten Arme (die äußerst rechte 
des Körpers) ist der Kontur des nach vorn kommenden Beckens. Die Strichführung 
hat dieselbe Tendenz wie die der Beinstudie des „Engels über der Säule“ und zu 
dessen Obersichtsstudie entgegengesetzte. 


Die Echtheit des Blattes. 
Sie ist durch die Logik der Zeichnungen bewiesen. 


ANDERE FIGUREN DER SIXTINISCHEN KAPELLE 


An den sehr spärlichen Resten der Zeichnungen wurde gezeigt, daß Michel- 
angelo die beschriebene Methode angewendet hat. Die Gesamterscheinung sehr vieler 
Figuren der Kapelle ist durch sie erhalten worden. 

Die Möglichkeiten für die Spezialstudien sind so mannigfaltig und bei Michel-. 
angelo so individuell genial, daß die nachträgliche Reflexion sie höchstens vermuten 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 141 


kann. Wir haben an einigen Beispielen verfolgen können, wie er sich mühte, welche 
beschwerlihen Wege er ging, wie er seine Vorstellung beherrschte, so sehr, daß er 
Studien zu unternehmen wagen konnte, die ihr im Sinne direkt zuwider waren, um 
der Idee der Bewegung die letzten Konsequenzen abzugewinnen. 

Ich beschränke mich also auf die Beschreibung, wie die Gesamterscheinung zu 
einigen Figuren studiert worden ist. 


FIGUREN DER DECKE 

Die Trennung des Lichtes von der Finsternis: rücklings liegendes 
Modell. Obersicht. 

Die Erschaffung der Sonne und des Mondes: Gott Vater fortfliegend, von 
hinten gesehen: das Modell kauert auf der Erde. — Gott Vater von Engeln umgeben: 
auf der Erde sitzendes Modell, im Momente des sich Aufrichtens. Obersicht.‘ 

Gott scheidet Wasser und Erde: gleicher Studiengang wie der der beiden 
mit dem „Engel mit dem Essigschwamme“ in Zusammenhang gebrachten Zeichnungen, 
die mit diesem Gott Vater viel eher übereinstimmen. Gegen diese Beziehung spricht 
jedoch, daß ein Zeitraum von dreißig Jahren zwischen dem Deckenfresko und dem 
Jüngsten Gerichte liegt, zu dem die andere Engelsstudie desselben Blattes gehört. — 
Die Studie wurde umgedreht. Wenn man die Figur vom Eingange der Kapelle aus 
ansieht, hat man den Eindruck des Liegenden, so, wie ihn Michelangelo von seinem 
Modelle hatte. 

Die Erschaffung Adams: Gott Vater: liegendes Modell. Obersicht. Durch 
diese Lage wurden die Arme ausdruckslos. Es sind Spezialstudien dazu auf einem 
Blatte des Teyler-Museums (Steinmann 30, Abb. 12. Marcuard, Tav. VI. B. Berenson, 
Il, 81 n. 1466) erhalten, zu der rechten Hand auf dem Haman-Blatte desselben Museums 
(Abb. 8). Diese am aufgerichteten Modelle studiert. — Zu dem Engel über der linken 
Schulter Gott Vaters auf dem ersten der beiden Blätter eine Studie, zu der das Modell 
bäuchlings gelegen hat. — Der Engel unter Gott Vater: das Modell lag. Obersicht. 

Die Erschaffung Evas: die Bewegung der Eva wird am stehenden Modelle 
in einer raschen Skizze in ihrem Zusammenhange erfaßt worden sein. Das Modell 
kann die Stellung nur ganz momentan geben, wird dann besonders sofort den Rücken 
wölben müssen. Das widerspräche aber dem Transcendentalen der Geste. Eine aus- 
führliche Studie konnte nach dem sitzenden Modelle erhalten werden. Dann wurde das 
Blatt auf die rechte Ecke unten gedreht. Wir erhalten diese Ansicht, wenn wir die 
Photographie auf die linke untere stellen. 

Die Vertreibung aus dem Paradiese: der Engel: liegendes Modell, dann 
Studie gedreht. 

FIGUREN DES JÜNGSTEN GERICHTES 


Ih führe nicht alle Figuren des Jüngsten Gerichtes, die mit Anwendung der 
Methode entstanden sind, einzeln an und wähle nur die charakteristischsten und die, 
bei denen neue Varianten vorkommen, heraus. 

Engelgruppe oben links: der Engel auf dem Kreuz ist aus Obersicht nach 
liegendem Modelle studiert, sein rechtes Bein lag auf einem Balken auf. Zu dem 


142 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


links daneben auf der anderen Seite des Kreuzbalkens schwebenden, saß es auf der 
Erde und wurde wieder aus Obersicht gezeichnet, der oben, der die Hände über die 
Kreuzung schlingt und das Kreuz auf seinem Rücken fort trägt, nach knieendem 
Modelle, das mit der Brust auf einem Schemel auflag, aus halber Obersicht. 

Engelgruppe oben rechts (Abb. 10): der Engel, der unter der Säule diese 
erfaßt, aus Obersicht nach dem mit vorgebeugtem Oberkörper sitzenden Modelle. 

Sehr erstaunliche Kombinationen sind zu den aus der Charonsbarke, rechts, 
herausstürzenden Verdammten angewandt worden (Abb. 13). A. sitzt auf dem FuB- 
boden. B. liegt seitlich davor platt 
auf dem Bauche und biegt den linken 
Unterschenkel nach oben, das rechte 
(nicht sichtbare) Bein wahrscheinlich 
seitlich. C. sitzt auf der anderen Seite 
auf der Erde. Die Gruppe wurde 
fast aus Obersicht von der linken 
Seite her gezeichnet. Es gibt davon 
eine Zeichnung (Mailand, Bibliotheka 
Ambrosiana. Ph. Braun 10 [Abb. 14)), 
auf der wir deutlich den beschriebenen 
Zusammenhang erkennen. Die unkon- 
struktive Behandlung macht zweifel- 
los, daß sie kein Original ist. Es 
ist aber keine Kopie nach dem Fresko, 
sondern nach einer Studie Michel- 
angelos. Wir sehen darauf sogar 
die Schlagschatten der Figuren auf 
dem Fußboden. — Ein anderes Blatt 
Abb. 13. MICHELANGELO. Detail aus dem Jüngsten (im Typus der Weimarer Kopien nach 

Gericht. Charonsbarke o dem Fresko. Der Aufbewahrungsort 

ist mir unbekannt) zeigt B. in Ver- 

bindung mit D. Eine besondere Studie dieses Zusammenhanges wurde sicher unter- 

nommen. Dazu lag B. auf seiner linken Seite auf einem Tische auf, D. stand dahinter 

und griff, wie wenn er ihn aufheben wolle, dem anderen unter den Leib und den 

linken Oberschenkel. So konnte auch die Beckenpartie von B., die am Liegenden 

unfrei war, studiert werden. Wir erhalten die Ansicht dieser Zeichnung, wenn wir 

die Photographie auf die rechte Seite drehen. Daß das erwähnte Blatt eine Kopie, und 

zwar nach dem Fresko ist, wird dadurch bestätigt, daß die Originalstudie, in die 
Richtung der vollendeten Gruppe gedreht, linkshändig erscheinen würde. 


So bleiben auf dem „Jüngsten Gerichte“ und auf der Decke schlieBli keine 
Figuren übrig, die nicht ein ganz ausführliches Modellstudium zur Basis haben. Eine 
große Zahl ist in der allgemein üblichen Art studiert worden. Es ist an den Stellungen 
deutlich erkennbar, wie stets ein Niveau des Fußbodens vorhanden war, wie es durch 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 143 


Stühle, Kisten u. dgl. variiert wurde, wie sich das Modell über den Rand eines Tisches 
nach unten bog, platt lag und so oft in vollkommener Verkiirzung gezeichnet und 
endlich, wie bei sehr 
vielen die beschriebene 
spezielle Methode an- 
gewandt wurde. 
Durch wie unsäg- 
lih mühevolle Arbeit 
Michelangelos Erkennt- 
nis und deren Erfolg 
erhalten wurden, wie 
er „seine Schöpfungen 
seinem Genius abge- 
rungen hat“,!) ist hier 
von neuem beleuchtet. 
Die Idee der Methode 
fand er vor, er hat sie 
bis auf das AuBerste 
entwickelt.Festzustellen, 
wann und von wem sie 
zuerst benutzt wurde, 
ist die Aufgabe des 
Historikers. Reliefs sind 
hierfür ebenfalls in Be- 
tracht zu ziehen, da ihr 
Wesen, wie das des 
Bildes, die Illusion der 
Tiefe durch Verkürzung 
in den Raum ist. 
Auch bei Rund- 
plastiken finden wir, 
daß Figuren nach lie- 
gendem Modelle ge- 
arbeitet und dann an- 
ders gerichtet wurden. Abb. 14. Kopie einer Studie Michelangelos zum Jüngsten Gericht 
So der „sterbende 
Sklave“ des Julius-Grabmales in Louvre.?) Die anatomische Richtigkeit der Crucifissi 
ist sicher auch in der Skulptur oft dadurch gelöst worden, daß die Arme des liegenden 
Modelles durch seitliche Stricke gespannt waren. 


1) Adolf Gottschewski übersetzt so sehr glücklich das vasarische „tentare l'ingenio suo*. 
(„Zu Michelagniolos Schaffensprozess“, I. Jahrgang dieser Monatshefte, Seite 855.) 

2) Justi, Michelangelo, Seite 227. „Nun aber wäre in allen diesen Zuständen die aufrechte 
Stellung unmöglih. .... Wenn also die Lösung nicht ganz natürlich und überzeugend ausge- 


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144 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 15. SIGNORELLI. Detail aus: i condannati alle pene infernale 


ANWENDUNG DER METHODE BEI 
SIGNORELLI UND BEI CORREGGIO 


Signorelli 


Die Methode ist zu dem Fresko in Orvieto ,i condannati alle pene infernale“ 
(Abb. 15) angewandt worden. Ich hatte keine Gelegenheit, Zeichnungen zu den be- 
treffenden Figuren zu prüfen, weiß übrigens nicht, ob solche erhalten sind. 


A. Das Modell lag. Aus Obersicht gezeichnet. Blatt umgedreht. 
B. Das Modell kauerte auf der Erde. !/, gedreht. 

C. Das Modell lag auf der Seite. Der Zeichner stand. 

D. Das Modell saß. Obersicht. Umgedreht. 

E. Zwei Modelle saßen hintereinander. Schräge Obersicht. 


Im Getümmel unten ganz rechts stürzende Figur: das Modell lag bäuchlings. 
Obersicht. Umgedreht. 

Während Michelangelo die Lichtführung, trotz der oft durch das Herumdrehen 
der Blätter verschobenen oder durch die Kombination mehrerer Modellstellungen ver- 
schiedenen Beleuchtungen dann klar zur Einheit gestaltete (nur Kleinigkeiten wie die 
beim Haman nachgewiesene mögen sich auch sonst eingeschlichen haben), finden wir 
bei Signorelli diese Konsequenz nicht gezogen. Die umgekehrt gezeichneten Figuren 


fallen ist, so mag dies damit zusammenhängen, daB er (Michelangelo) zum Teil nach einem 
Modell gearbeitet hat, dem er eine horizontale Lage, ruhend auf der linken Körperseite, gegeben 
hatte. Versetzt man die Figur in diese Lage, so gibt die obere Hälfte das harmlose Bild eines 
Schläfers.“ l 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo 145 


haben die Beleuchtung der Studie auf dem Fresko beibehalten und fügen sich in 
dessen Licht- und Schattenverteilung nicht vollkommen ein. 

Auch der Idee der Bewegeng ist er nicht so ernst nachgegangen. Ich bin sehr 
sicher, daß ihm stets die Studie der Gesamterscheinung vollkommen genügt hat. 
Ebenso wird ersichtlich, daß diesen Figuren kein Entwurf vorausgegangen ist, in dem 
deren Idee des Stürzens erfaßt worden wäre. Es genügte ihm, eine bizarre Ver- 
kürzung am liegenden oder sitzenden Modelle zu erhaschen und diese in die Luft zu 
plazieren. Besonders C. ist im Sinne ganz verfehlt. 


Correggio 


Die Methode izt ausgiebig für die Kuppel in Parma angewandt worden. Der 
Christus z. B., der aus der Höhe herunterschwebt, liegt sehr bequem auf einer Bank. 


Die Engelsgestalt in einem Zwickel des Domes zu Parma — mit dem heiligen 
Bernhard (Abb. 16) — und der „Ganymed“ im Hofmuseum in Wien (Abb. 17) 


Zu dem „Ganymed“ sagt G. Gronau’): „Einen Zweifel an der Echtheit hat 
meines Wissens zuerst H. v. Tschudi geäußert (Correggios mythologische Darstellungen 
in ‚Die graphischen Künste‘, Wien 1880, S. 8—9). Er wies darauf hin, daß der 
Ganymed fast getreulich mit einer der Engelsgestalten in einem der Zwickel des Domes 
von Parma — mit dem heiligen Bernhard — übereinstimmt. Daher hält er ihn für 
das Werk eines Nachahmers, etwa eines der Caracci. Auch Ricci (S. 339) bezweifelt 
die Eigenhändigkeit: es sei unmöglicı, daß ein Maler wie Correggio sich selbst so 
sklavisch wiederholt habe. — Ich halte trotz so gewichtiger Stimmen mit Meyer und 
Venturi (Rivista d'Italia III, 5, S. 93) unbedingt an der Echtheit fest, schon wegen der 
trotz nicht günstiger Erhaltung erkennbaren Qualität der Malerei. Auch ist die Über- 
einstimmung in Einzelheiten nicht so sklavisch, z. B. die Kopfhaltung nicht unwesentlich 
verschoben, der Gesichtsausdruck bemerkenswert verschieden. Den Umstand, den Ricci 
hervorhebt, daß das Gewand, wie bei dem herabschwebenden Engel dort, auch hier 
aufwärts flattert, statt nach unten, wie es richtig wäre, mag sich aus einem künst- 
lerischen Moment (damit das Beinmotiv nicht unklar würde) erklären lassen. Endlidı 
möchte ich nicht so sicher behaupten, daß der ‚Ganymed‘ unbedingt die spätere der 
beiden Figuren sei. Ist unsere Vermutung richtig, daß Correggio noch nach 1530 an 
der Domkuppel gemalt hat, zu deren allerspätesten Teilen die Zwickel gehören, so 
würde sich das Verhältnis leicht verschieben. Für die Entstehung des ,Ganymed‘ ist 
die Übereinstimmung seines Kopfes mit dem Christus der ‚Madonna della Scodella‘ 
bestimmend. Zuletzt spricht für den ‚Ganymed‘, daß er das Gegenstück zur ‚lo‘ ist, 
was durch das genaue gleiche Höhenmaß der Bilder bewiesen wird.“ 

In der Tat stimmen die Stellungen der beiden Figuren nicht ganz überein. Eine 
sehr wesentliche Verschiebung der Kopfhaltung kann ich nicht bemerken. Bei dem 
Engel ist die Verkürzung vielleicht etwas stärker als bei dem „Ganymed“. Die etwas 
schrägere Position ist nur scheinbar im Vergleich zu dem linken Arme. Denn dieser 


1) Correggio. Deutsche Verlagsanstalt. 1907. Anmerkung Seite 165. 


146 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


ist verschieden. Auf dem Fresko ist das Innere der Hand nach unten gewendet, auf 
dem „Ganymed“ greift sie nach innen zu (in das Gefieder des Adlers). Die Füße sind 
auf dem Fresko gestreckt, auf dem „Ganymed“ gebeugt, der linke Unterschenkel auf 
dem Fresko etwas mehr nach unten geneigt, der rechte Oberschenkel hier sichtbar, auf 
dem „Ganymed“ fehlt er ganz. 

Beide Figuren gehen auf dieselbe Studie zurück. Das Modell lag bauchlings 
auf einer Bank. Es drehte den Kopf seitlich. Der linke Arm hing herunter, wobei 
die natürlihe Bewegung die Wendung der Hand und des Armes nach innen ist; 
die rückwärts, d. h. nach unten auf der auf- 
gerichteten Figur, ist für den Liegenden 
unfrei, fast unausführbar, weil die Kante 
der Bank in der Adhselhöhle und an dem 
Oberarme die Drehung verhindert. Die Unter- 
schenkel waren beide nadı oben gebeugt 
und konnten nur dann längere Zeit in der 
Stellung verbleiben, wenn sie auf ihrem 
Schwerpunkte ruhten, also annähernd im 
rechten Winkel zu den Oberschenkeln. 
Ebenso war die Streckuny der Füße eine 
auf die Dauer unmégliche Anstrengung für 
das Modell. 

Correggio zeichnete diese Ansicht mit 
etwas Untersiht und Verkürzung nach 
hinten. Dadurch konnte er von dem rechten 
Beine des Modells nur den unteren Teil 
des Unterschenkels von der Wade ab sehen. 
Den Oberschenkel sah er gar nicht.') Diese 
Studie wurde dann auf die rechte Schmal- 
seite des Blattes gedreht, um die bezweckte 
Abb. 16. CORREGGIO. Detail aus dem Dome Ansicht zu bieten. Es waren Ergänzungs- 

zu Parma o Studien nötig, um die gewünschte Bewegung 

von Hand und Arm, die für das Schweben 

der Figur ausdrucksvollere, tiefere Neigung des linken Unterschenkels, das Strecken 

der Füße und endlich eine Ansicht des links von dem linken Oberschenkel notwendig 
sichtbar sein müssenden rechten Oberschenkels zu erhalten. 

Diese Studien sind sicher unternommen, denn wir finden deren Resultat auf 
der Figur des Engels in Parma. Auf dem „Ganymed“ aber nicht. Der „Ganymed“ 
zeigt vielmehr genau die Stellung, die das Modell zu der ersten Studie der Gesamt- 
erscheinung inne haben mußte, ganz, ohne nur ein Zeichen der weiteren Entwicklung 
zu tragen. 

Können es künstlerische Gründe sein, die dies rechtfertigen? Als Bewegung 


1) Der Fall ist dem des Michelangeloschen „Engel über der Säule“ sehr ähnlich, 


O. Hettner. Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelangelo - 147 


des Schwebens ist der Engel fraglos richtiger. Nur die Beibehaltung des linken 
Armes der Studie der Gesamterscheinung ist für den „Ganymed“ glücklich. Die Hand 
greift so wirklich in das Gefieder des Adlers. Bewogen also den Maler kompositionelle 
Gründe, bewußt die richtigere Bewegung aufzugeben, um eine schönere Form- oder 
Flächenverteilung zu erhalten?!) Wenn wir den „Ganymed“ nach dem Engel ergänzen, 
wird die kleinliche helle Spitze zwischen den Schwanzfedern des Adlers und dem 
linken Schenkel durch den anderen Schenkel günstig ausgefüllt, ferner dessen äußerer 
Kontur eine erfreuliche dritte Parallele zwischen den äußeren Konturen des Schwanzes 
und des linken Oberschenkels einfügen, 
die schrägere Lage der Beine die etwas ge- 
waltsame Ecke des Knies mildern und glück- 
liher mit der Richtung des linken Armes 
harmonieren, endlich die gestreckteren Füße 
die peinliche Parallelität des äußeren Konturs 
der linken Sohle zum Rahmen aufheben. 
Die Enwicklung, die der Engel nach Ab- 
sdiluB der Gesamtstudie durchgemacht hat, 
wäre also auch für den „Ganymed“ von 
guten Folgen gewesen. Der Maler des 
Engels kann ihn also sicher nicht später wie 
diesen gemalt haben. 

Aber vorher? Dann wäre also die 
Erkenntnis und die ausführlichere Arbeit erst 
verspätet bei der zweiten Figur gekommen? 
Das ist an sich von einem so erfahrenen 
Praktiker und einem Künstler wie Correggio 
nicht anzunehmen und am wenigsten in 
diesem Falle. Der „Ganymed“ ist ein Tafel- 
bild und die schwebende Bewegung das 
Hauptmotiv der einzigen Figur. Und hätte Abb. 17. CORREGGIO (?) Detail. „Ganymed“ 
er sie selbst dafür so ungenügend akzep- 
tiert, so wäre sie gewiß für den Engel, der als unbedeutende Nebenfigur in dem 
Gewimmel der Gruppierung, dazu in der Höhe des Zwickels, fast verschwindet, 
genügend gewesen. 

Es scheint also wenig wahrscheinlich, daß der „Ganymed“ von Correggio sei 
Er kann ebenso wenig, wie H. v. Tschudi und Ricci annehmen, dem Fresko entnommen 
sein. Er ist vielmehr von einem Nachahmer mit strenger Benutzung der correggioschen 
Studie zur Gesamterscheinung des Engels gemalt worden, und das ohne Einsicht von 
deren bedingten Unzulänglichkeiten, wenigstens ohne den Trieb sie aufzuheben. 

Auf dieser Studie war der Kopf gewiß der eines gleichgültigen Modelles, der 


1) Ich muß eingestehen, daß meine Kritik und diese Untersuchung ausschließlich an Photo- 
graphien gemacht sind. Ich kenne weder Parma noch Wien, und Gronau sagt sehr Gutes über 
die malerischen Qualitäten des „Ganymed“. 


148 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


konstruktiv, ohne einen Ausdruck oder Typus zu suchen, angelegt war. Für das 
Tafelbild konnte er so nicht genügen. Und so kann die Übereinstimmung mit dem 
Christus auf der „Madonna della Scodella“ in dem anderen Sinne gedeutet werden, 
daß ihn der Nachahmer verwertet hat. — Daß der „Ganymed“ im Höhenmaße mit der 
„lo“ übereinstimmt, beweist nicht, daß Correggio das Gegenstück gemalt habe. — Das 
Gewand ist in der Gruppierung mit dem Fresko identisch, nicht in den Details. Da 
ist die Faltung durch die Klaue des Adlers richtig dazu erfunden. Es war auf der 
Correggioschen Studie auf keinen Fall im Zusammenhange mit der Figur aufgezeichnet, 
da es am liegenden Modelle nicht die Bewegung nach oben (resp. seitlich) haben 
konnte. Die Übereinstimmung läßt vermuten, daß es vielleicht von Correggio nadh- 
träglih in die Zeichnung eingetragen wurde und es der Nachahmer also vorfand 
Denn hätte er es dem Fresko entnommen, so wäre bei dieser Gelegenheit wohl auch 
anderes zum Vorteil seines Bildes daraus entlehnt worden. 


PICCOLA ARTE SICILIANA 


LE FIGURINE DI CALTAGIRONE 
Di E. Mauceri 


Caltagirone, detta anticamente Calatagirone e chiamata un tempo col nome 
augusto di ,regina delle montagne“ è una delle poche citta siciliane d’ordine secon- 
dario particolarmente caratteristiche. —- Essa non solo, per vari secoli, dal’ 600 in qua, 
ha prodotto una fabbrica fiorente di majoliche, la piü ricca che mai sia esistita in 
Sicilia, ma è pur famosa per aver dato i natali ad una famiglia di artisti, artisti ge- 
niali e prodigiosamente fecondi che da natura trassero le più felici attitudini a rap- 
presentare costumi locali, quei costumi che oggi al soffio potente dei nuovi tempi sono 
quasi interamente scomparsi. 

Vo dire dei Bongiovanni e Vaccaro, nomi celebri di popolani le cui terrecotte 
han varcato oramai le soglie di varie collezioni artistiche del mondo, lasciando in 
ogni città di Sicilia il posto delle vecchie case 
patrizie e borghesi, dov’eran destinate ad allie- 
tare i signorili salotti. 

Se il trapanese Giovanni Matera ebbe il 
vanto di saper dare, in piccolissime proporzioni, 
figurine di legno sapientemente vestite ed atteg- 
giate con grazia di espressione e vivacità di 
movimento, a Salvatore Bongiovanni, nato da 
poveri sarti l'anno 1769, spetta il merito di aver 
creato a Caltagirone un vero afelier di figurine 
di terracotta, nelle quali vivono, ora contadini 


x : l | CALTAGIRONE. Villa Flora O 
nei diversi aspetti della loro vita agreste, Ora ingresso con i vasi di Giacomo Bongiovanni 


venditori di ogni genere, principalmente di frutta, 

e di erbe, ora briganti nel loro leggendario costume, ora donnicciuole intente a bistic- 
ciarsi o ad accapigliarsi, ed ora artigiani, occupati nelle loro modeste e spesso umili 
faccende. 


Il Bongiovanni, nei suoi lavori non si valeva mai di alcuna forma, ma ogni 
volta bensi modellava di getto dal vero il gruppo caretteristico che voleva ritrarre, 
dando vita alla rozza creta e completando con la coloritura i particolari delle vesti 
dei suoi umili personaggi. 

Si dice ch'egli, a tale scopo, si fermasse quà e là nel paese e nei dintorni 
osservando diligentemente i tipi e le macchiette più caratteristiche che gli si presenta- 
vano allo sguardo e che poi, con grande fedeltà, riproduceva nella informe materia 
Ma stanco finalmente di tal vita ed anelando alla grande arte, alla quale si sentiva 
irresistibilmente chiamato, nello scorcio del 1786, Salvatore si recò a Roma dove si 
diede a studiare bene il disegno; avvenne però che stretto, poco dopo, da dure ne- 

11 


150 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


in capo a due anni, a tornare alla 
KORY Ra Te ONT, sua diletta Firenze, dove fu professore 
SER > en di scultura all'Accademia, e dove mori 
il 20 gennaio 1842 per un sinistro 
accidente capitatogli ad opera di ignoti 
malviventi e forse di suoi nemici!). 
L'arte di figurinaio intanto non 
si spense con l'assenza di Salvatore 
da Caltagirone, ma fu continuata con 
grande alacrità dal fratello Giacomo, 
nato nel 1772, e proseguita poi dal 
nipote Giuseppe Vaccaro, figlio di 
una sorella dei Bongiovanni che fir- 
mava sempre „Bongiovanni e Vaccaro“; 
ed è stata tenuta in onore sino ai 


1) Su Salvatore Bongiovanni scrisse 
una pregevole memoria il valente archi- 
tetto caltagironese G. B. Nicastro ,Sulla 
vita e sulle opere di Salvatore Bon- 
. giovanni“ Firenze 1864. 


Caltagirone-Villa Flora O 
Un vaso di Giacomo Bongiovanni 


cessità, dovette tornare in patria e 
riprendere le piccole opere figuline 
ch'egli scherzando chiamava „la fab- 
brica dei costumi“. 

Nel 1791 usci di nuovo dalla sua 
Isola, e si recò a Firenze invitatovi 
da un giovane amico, tal Giuseppe 
Spedolo da Treviso, che in quel tempo 
studiava presso i fratelli scultori Pietro 
e Giovanni Pisani. Pur essendo allora 
lagrimevole lo stato dell’arte di Do- 
natello e di Michelangelo nell'Atene 
d'Italia, dove tenevano il primato un 
Foggini, un Ticciati e un Piemontini, 
il nostro Salvatore ebbe tuttavia modo 
di segnalarsi, di vincer premi ed as- 
sumere commissioni importanti; ma 
contrariato poscia da gelosie ed ini- 
micizie, dovette allogarsi a Volterra Caltagirone -Villa Flora O 
in lavori di alabastro, riuscendo solo Un vaso di Giacomo Borgiovanni 


E. Mauceri. Piccola arte siciliana 151 


nostri tempi, oltre che da 
Giacomo Azzolina, altro 
fine temperamento di ar- 
tista, dai figli di Giuseppe 
Vaccaro, cioè dal defunto 
Salvatore e dal vivente 
Giacomo. 


* = * 
Caltagirone possiede 
un’elegante villa pubblica, 
dove in uno dei viali e 
disposta in bell’ordine, una 
lunga serie di vasi da fiori 
di terracotta decorati di 
scene mitologiche e po- 
polaresche a rilievo, opera 
del vecchio Giacomo Bon- Caltagirone-„Casino“ Giuseppe Bongiovanni e Vaccaro 
giovanni; ma disgrazia- © BEIDEN 
tamente, a lungo andare, la città ha perduto il meglio della produzione artistica 
dei Bongiovanni e Vaccaro esulata in ogni angolo del mondo. 

Gli amatori ne han fatto una grande incetta, ed è raro oggi vedere nel paese 
buoni e scelti pezzi. In occasione dell'Esposizione Agricola di Palermo, avvenuta nel 
1902, si formò una discreta collezione di figurine raccolte nelle case signorili e bor- 
ghesi di quella città, e 
che fu esposta nel padigli- 
one della mostra retrospet- 
tiva, ma poi nessun altro 
tentativo di tal genere si 
è fatto, e la bella regina 
delle montagne non può 
vantare, chè ne avrebbe 
il diritto, un piccolo Museo 
di majoliche e di terre- 
cotte che in quell’ambiente 
eserciterebbe certo una 
grande forza suggestiva e 
parlerebbe la vita dei secoli 
trascorsi e della migliore 
attività dei suoi figli. 

Nel ,casino di com- 
pagnia“ si ammirano due 


Caltagirone-,Casino“ Giuseppe Bongiovanni e Vaccaro ous nai 
g Gruppe in terracotta gruppi caratteristici e pieni 


152 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Benedetto Papale-Presepe 


di molta verita, rappresen- 
tanti ciabattini, opera di 
Giuseppe Vaccaro, firmati 
»Giuseppe Bongiovanni e 
Vaccaro di Calatagirone“; 
anche nel palazzo Munici- 
pale si conservano altre 
figurine dello stesso artefice; 
ma quante sone le scom- 
parse o smarrite; quante 
sono andate a rallegrare 
altri lidi ed altra gente 
lontana? 


* A 
* 


In tale ambiente ar- 
tistico era ben naturale che 
la vecchia, gloriosa tradi- 
zione non si perdesse e 


che altro simpatico e valoroso artista sorgesse, questa volta sotto l’umile saio di 
S. Francesco di Paola: Padre Benedetto Papale. Amico del defunto pittore Francesco 
Vaccaro, che nelle chiese caltagironesi profuse a piene mani ogni fior di gentilezza 
e di buon gusto, e di Salvatore Marino, altro cuore di artista, egli fin dai primi 


teneri anni si volse ai puri regni dell'arte, e senza 
alcun maestro, con la sola madre natura aperta ai 
suoi occhi ,nuotanti nel sogno“ quella natura che 
nel paesaggio caltagironese diviene altamente maestosa 
e sublime; col solo suo gran cuore nel quale si 
ripercuotono i più dolci sensi, i più soavi palpiti e 
fremiti di gentile poeta, divenne artista, e l'arte che 
nelle sue nobili mani acquista tutto il profumo e 
l'ingenuo candore di un Primitivo, l’arte che per lui 
è amore, sospiro dell'anima e vita, dedicò con sin- 
cero sentimento di cristiano di altri tempi a noi 
lontani, al divino figlio di Nazareth, rappresentandolo 
nel momento solenne della Natività in grembo alla 
vergine natura. 

Fra i tanti presepî da lui creati, famoso è quello 
di Modica, nel quale ogni particolare, dalla mon- 
tagna rocciosa al prato erboso, dalla soave figura 
di Maria a quella dei poveri pastori, tutto è movi- 
mento, verità e gentilezza. 

Egli è perciò che il Majelli, il poeta forte e 


Giacomo Vaccara o 
Cont a dino dall’asinello 


E. Mauceri. Piccola arte siciliana 153 


geniale che al nobile vecchio ha dedicato pagine stupende e versi armoniosi, parlando 
di lui esclama: 

„Egli adora la natura per istinto, e solo da essa ripete l’arte sua, ch'è 
quella dei paesaggi a rilievo. Nei quali egli infonde tutta l'anima con 
lunga cura amorosa, con ingenuità che sorprende, con verità che commuove.“ 
Ed Achille Guberti, gran cuore di Romagnolo ed elegante scrittore, innamorato 

della Sicilia, discorrendo di P. Benedetto, così si esprime: 

nBenedetto Papale lavora con la passione di chi è convinto di far < cosa 
bella, buona ed anche utile; lavora con l'eccitamento efficacissimo di quel 
Sursum corda ch'è il fine, cui dovrebbe mirare ogni artista vero.“ 

Molto ha lavorato, durante il corso della sua vita, il venerando vegliardo, e 
le sue opere sono sparse in varie città di Sicilia e fuori. Ed anche oggi ,questo 
nobil vecchietto, questo figlio di un falegname, cosi fiero nella sua schietta umiltà, 
così instancabile nella quiete operosa del suo lavoro ,sebbene giunto al suo settanta- 
duesimo anno, si vede intento nella sagrestia della sua chiesa tutta linda ed odorosa, 
al compimento di un presepe che forma l'ammirazione di chi l’osserva.') 

Così Caltagirone con P. Benedetto Papale si riafferma nobilmente nella piccola, 
simpatica arte, espressione sana e sincera del sentimento popolare. Ma chi in avvenire, 
coi nuovi tempi, ne seguirà le orme? 


1) Leggasi su P. Benedetto la recente pubblicazione dal titolo „P.Benedetto Papale ed 
i suoi critici‘ Caltagirone 1907. 


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STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


ZWEI ALTTIROLER TAFELBILDER 
DER LANDES-BILDERGALERIE IN 
GRAZ. 

Von Anton Reichel. 


In der Gemäldegalerie des steiermärkischen 
Landesmuseums „Joanneum“ in Graz befinden 
sih zwei Tafelbilder (Katal. Nr. 12 u. 13), die 
bisher trotz der Beachtung, die ihnen seitens 
der lokalen Kunstforscher geschenkt wurde, noch 
keine Bearbeitung erfahren haben. Ihre Be- 
deutung rechtfertigt zur Genüge den Versuch, 
ihre kunstgeschichtliche Stellung zu fixieren. 

AufSeite8 des Grazer Galerie-Kataloges (1903) 
lesen wir: 

„12. Michael Pacher, geb. zu Bruneck 
zwischen 1430 und 1440, gest. 1498. St. Stanis- 
laus auf der Bahre. Holz, 44—44. (Geschenk 
Ign. Graf Attems 1861.)“ (vd. Abb. 1.) 
und 

nid. Michael Pacher. Martyrium des heil. 
Stanislaus von Polen. Holz 44—44. (Geschenk 
Ign. Graf Attems 1861.)“ (vd. Abb. 3.) 

Dazu ist zu bemerken, daB die beiden Bilder 
keine Signatur tragen und daß beide auf der 
Rückseite Bemalung aufweisen, und zwar ge- 
wahren wir auf der Rückseite von Nr. 12 das 
Symbol des Evangelisten Lukas (Stier mit auf- 
geschlagenem Buch) und auf der von Nr. 13 
das Symbol des Evangelisten Markus (Löwe 
mit Buch); beidemale auf gepresstem Goldgrunde. 

Zur Geschichte der beiden Bilder sei weiter 
erwähnt, daß sie aus dem Besitze der Grafen 
Attems stammen. Wie mir Herr Dr. Ignaz Graf 
Attems die Liebentwirdigkeit hatte mitzuteilen, 
brachte dessen Großvater, der Herr Ignaz Graf 
Attems (+ 1861) und sein UrgroBvater, Ferdinand 
Graf Attems (+ 1821), die Sammlung zusammen, 
aus der die beiden Tafeln von 1819—1861 unter 
Wahrung des Eigentums, seit 1861 als Geschenk 
an die Grazer Gemäldesammlung kamen. Auf- 
zeichnungen über die Bilder, welche Aufschlüsse 
über ihre Herkunft geben könnten existieren 
nicht. 

Die Darstellungen der beiden Tafeln werden 
heute als der Stanislauslegende angehörig ge- 
deutet; diese Bestimmung erfolgte vermutlich 
vom Galeriedirektor Professor Schwac, da sie 
im ersten gedruckten Führer (Sciwach, 1898) als 
solche genannt werden. Diese Benennung wurde 
auch von Dr. E. Dietz, der anläßlich der Neu- 


aufstellung der Galerie einen nur zu wenig be- 
rücksichtigten Katalog verfaßte, beibehalten. 
Von 1819—1898 erscheinen dagegen Nr. 12 als 
„hlg. Evangelist Lucas auf der Bahre“ und 
Nr. 15 als „Tod des Evangelisten Markus“, 
während als Künstler Grünwald genannt wird.’) 

Zur Beurteilung der Frage, inwieweit diese 
Angaben den Tatsachen entsprechen, stehen uns 
keine anderen Kriteren zur Verfügung als die, 
die uns die Bilder selbst an die Hand geben. 
Auf diese wollen wir daher zuvörderst unser 
Augenmeik lenken. 

Tafel Nr. 12. In einer gotischen Halle ge- 
wahren wir eine Tragbahre mit einem Todten, 
um die sich knieende und stehende Gestalten 
gruppieren, während von oben herab drei Engel 
schweben. — Der in grauen Tönen gehaltene 
Raum ist schräg gegen den Beschauer gestellt 
und läßt vor- und zurücktretende Partien er- 
kennen, die im Hintergrunde mit Spitzgewölben 
geschlossene Nischen zeigen. Die Quaderstruktur 
ist mit hellen Strichen auf dem dunklen Grunde 
verdeutlicht. Das Licht fällt rechts durch ziem- 
lih hoch angebrachte Fenster in den Raum. 
Ungefähr in der Mitte des Hintergrundes ge- 
währt eine weite, bogengekrönte, geöffnete Tür 
freie Aussicht auf eine mit einem Torturm ab- 
geschlossene StraBe, deren Giebelhäuser rote 
und grüne Dächer erkennen lassen, und die von 
kleinen roten und weißen Figiirchen belebt wird. 
In einer Nische des Hintergrundes befindet sich 
ein Altar. Der Fußboden des Raumes ist mit 
abwechselnd bräunlichroten, grünen und weißen 
Steinfließfen in regelmäßiger Musterung belegt 
und weist kräftige Schlagschatten der darauf- 
stehenden Figuren und Gegenstände auf. 

In der Mitte der Bildfläche steht, der schrägen 
Richtung der Halle folgend, eine braune, ziem- 
lim roh gezimmerte Bahre, auf der ein mit 
bischöflichen Insignien bekleideter Todter ruht; 
sein Kopf liegt auf einem weißen Polster, der 
Körper ist mit einem schwarzen, mit einem 
goldenen Kreuze versehenen Bahrtuche bedeckt. 
Überaus kühn erscheint die vollendete Wieder- 
gabe der sich perspektivisch verjüngenden Bahre 
und das von rückwärts ebenfalls in scharfer 
Verkürzung gesehene Gesicht des Todten. Rechts 
von der Bahre stehen fünf in weiße, faltenreiche 
Gewänder gekleidete Männer; der äußerste 
rechts mit roter Mütze und ebensolcher Ver- 


1) Vgl. das Inventar der Grazer Galerie. 


A. Reichel. Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landes-Bildergalerie in Graz 155 


brämung vor einem Stehpulte während 
ein dunkel gekleideter sechster mit ge- 
falteten Händen zu Häupten des Todten 
kniet. Links gewahren wir drei Ge- 
stalten in ähnlicher Kleidung wie die 
rechts, u. z. der erste in voller Seiten- 
ansicht dargestellt, die beiden anderen 
in perspektivischer Verkürzung, vom 
ersten überschnitten. Den Vordergrund 
der Darstellung nimmt ein am Boden 
kauernder Krüppel ein. Ein grellrot 
gekleideter Mann steht mit dem Aus- 
druck des Schreckens und Entsetzens 
zu Füßen der Bahre und stellt das 
Bindeglied mit einer zweiten Gruppe 
von Figuren, drei von oben herab- 
schwebenden Engeln (violett, grün und 
rot) dar. Die unvermutet auftauchende 
Erscheinung übt auf die untenstehen- 
den Personen ihre Wirkung aus, die 
sih in den Mienen jedes einzelnen 
wiederspiegelt. Das charakteristische 
Spiel der Hände und die Mienen, die 
ein volles Aufgehen im Geschehnis des 
Augenbliks zum Ausdruck bringen, 
scheinen mit souveräner Sicherheit Abb. 1. MICHAEL PACHER g 
wiedergegeben. St. Stanislaus auf der Bahre 

Stilistish mit dieser Tafel stimmt 
völlig überein Tafel Nr. 13. 


Auch hier bringt der Künstler eine 
Halle zur Darstellung, in deren Vorder- 
grunde ein Priester kniet, gegen den 
ein Bewaffneter einen Schwertstreich 
führt. — Die Halle, deren Quader- 
struktur mit dunklen Strichen auf 
hellerem Grunde veranschaulicht ist, 
scheint durch eine Rundbogenstellung 
abgeschlossen, die den Blick in einen 
kreuzgewölbten Vorraum eröffnet. Eine 
Türe vermittelt auch hier die Aussicht 
ins Freie; kleine Gestalten in ge- 
spreizten Stellungen bevölkern den 
Hintergrund. Rechts gewährt eben- 
falls eine Bogenstellung, durch die 
das Licht in den Raum fällt, einen 
Ausblick auf eine Mauer. Der Boden 
ist mit schachbrettartig rot und grün 
alternierenden SteinflieBen belegt. Ganz 
im Vordergrunde rechts gewahren wir 
in starker perspektivischer Verkürzung 
den Altartisch mit einem Aufsatz und 
Heiligenfiguren darauf in der Rück- 
ansicht. Auf den Stufen des Altars 
kniet ein mit rotem Mantel und weißer 
Tunika bekleideter Bischof, dessen 
Abb. 2. MICHAEL PACHER O Mithra vor ihm auf der Altarstufe steht: 

Martyrium des heil. Stanislaus von Polen fiber seinem Haupte erblicken wir einen 


156 Monatshefte für Kunstwissenschaft 
so nn i — 


perspektivish verjüngten, kreisrunden, brett- 
artigen Nimbus. Links vom Priester steht eine ro- 
buste Männergestalt mit rot und weißer, turban- 
artiger, hornartig gekriimmter Kopfbedeckung, 
engem, dunkelviolettem Wams und Beinkleidern, 
gelben Lederstiefeln, der mit beiden Händen ein 
breites Schwert auf das Haupt des Knieenden nie- 
derfallen läßt. Hinter ihm links erkennen wir einen 
groBen, bärtigen Mann, mit grünem, rot- 
verbrämtem Gewande und charakteristisch ge- 
formtem Spitzhut. Eine dritte Gestalt in einer 
eisernen Rüstung wird durdı die beiden eben 
beschriebenen stark verdeckt. Rechts hinter 
dem Knieenden gewahren wir eine Gruppe von 
fünf Mönchen, die leicht als dieselben, wie die 
auf der erst beschriebenen Tafel erkannt werden 
können; sie starren mit dem Ausdruck des Ent- 
setzens auf den Vorgang im Vordergrunde, 
während der bärtige Mann links mit neugierigen 
Blicken über die Achsel des Henkerknechtes das 
Ereignis verfolgt. 

Betrachten wir die Darstellungen der beiden 
Tafeln als Bestandteile eines zusammengehörigen 
Ganzen, so können wir ungefähr folgenden Vor- 
gang herauslesen. Ein heiliger Bischof, der 
eben mit seiner Assistenz in der Kirche die 
heilige Messe liest, wird überfallen und vom 
Henker auf den Stufen des Altars niedergemacht; 
eine zweite Szene zeigt uns den Todten auf 
der Bahre, umgeben von betenden Mönchen; 
da plötzlih schweben drei Engel von oben 
herab als Verkünder der dem Todten zuteil 
gewordenen göttlichen Gnade. Die Reihenfolge 
der Grazer Aufstellung ist also falsch; sinn- 
gemäß geht Nr. 13 vor Nr. 12. 

Die Szenen beziehen sidı zweifelsohne auf 
die Legende des heiligen Stanislaus Szepanow 
von Krakau; dieser machte sich durch wieder- 
holte Ermahnungen dem ehebrecherischen König 
Boleslav derart verhaßt — so berichtet die 
Legende —, daß er endlich flüchten mußte. Die 
Häscher des Königs überfielen ihn aber in 
der Kirche des heiligen Michael bei Krakau und 
ermordeten ihn während er die Messe celebrierte 
(im Jahre 1079). Boleslav verlor später sein 
Reich und mußte flüchten; in Ossiach in Kärnten 
trat er ins Kloster und starb auch daselbst.!) 

Die Darstellung des Stanislauslegende ist in 
der mittelalterlihen Kunst ziemlic selten. 
H. Detzel?) berichtet zwar von einer Darstellung 
des Lebens und des Martertodes des Heiligen 
auf einem Flügelaltar in der protestantischen 
Kirche von Mühlbach in Siebenbürgen; die An- 


) Vincent Kadłubek. Ein historisch-kritischer Beitrag 
zur slavischen Literatur, aus dem Polnischen des Grafen 
I. M. Ossolinski von Sam. Gottl. Linde. (Warschau, 1822). 

*) H. Detzel. Christliche Ikonographie. 


gabe scheint aber nach der von mir eingezoge- 
nen Erkundigung als falsh. Dagegen ver- 
merkt die Kunsttopographie des Herzogtums 
Kärnten (1889) S. 255 in Ossiach ein Gemälde, 
in dessen Mitte der goldgerüstete König Boleslav 
steht und in dessen Seitenfeldern Szenen aus 
dem Leben des Königs und die Ermordung des 
heiligen Stanislaus dargestellt sind. Die Tafel 
trägt dielnschrift: „rex boleslavs anno MLXXXIX®. 
Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der 
Frage nach dem Künstler der beiden Bilder. 
Die ursprüngliche Zuweisung der Tafeln an 
Grünewald — wie es wohl richtig statt Grün- 
wald heißen sollte — fällt heute, da das Schaffen 
Grünewalds soweit bekannt vollständig vorliegt ’) 
als gegenstandslos weg. Wir stehen also vor 
der Alternative, ist die Nennung Pacers rich- 
tig oder nicht? Der Name Pacers und seiner 
Werkstatte wurde im Laufe der Zeit zum Schlag- 
wort?) zum Deck- und Sammelnamen fiir das 
stilistisch und geographisch ziemlich eindeutig 
umschreibbare Kunstschaffen einer ganzen 
Künstlergeneration, deren Tätigkeit zwischen 
Bruneck und Bozen im weiten Umkreise zu 
verfolgen ist. Müssen wir also zur Vervoll- 
ständigung des Bildes jener genannten Kunst- 
etappe eine ganze Reihe von Künstlernamen 
aufführen®), so kann es doch keinem Beobachter 
entgehen, daß die ganze Künstlergruppe vom 
Brunecker Meister Michael Pacher überragt 
wird; er erscheint durch die großzügige Auf- 
fassung seiner Sujets, der perspektivischen Kühn- 
heit seiner Konzeption uud durch den Glanz 
des Kolorits als deren natürliches Haupt. 

Ein abgeschlossenes Urteil über sein Werk 
wird wohl noch lange nicht gefällt werden 
können; doch sehen wir heute namentlich durch 
die Ausscheidung seiner beiden Namensgenossen 
Friedrich und Ernst, bedeutend klarer und kön- 
nen das typische des Stils mit einiger Sicherheit 
erfassen.') 

Suchen wir für die Grazer Tafeln nach stilis- 
tisch analogen Werken, so fallen uns die vier 
Tafeln der Wolfgang-Legende vom sogen. 
Kirchenväteraltar in Augsburg vor allem auf.) 


1) H. A. Schmid. Die Gemälde und Zeichnungen von 
Matthias Grünewald. . . 

2) Bau Repertorium für 
Bd. XXIII. S. 38. 

*) H. Semper. „Die Brixner Malerschule des XV. und 
XVI. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zu Michael Pacher. 
Zeitschrift d. Ferdinandäums (Innsbruck). III. F. 3. Heft. 

„Die Sammlung alttiroler Tafelbilder im erzbischöf- 
lichen Klerikalseminar zu Freising.“ Oberbayr. Archiv f. 
vaterländische Geschichte. Bd. 49. S. 452 ff. 

‘) Semper a. a. O. , 

Karl Atz. Kuastqeschichte von Tirol und Vorarlberg. 
(2. Aufl. 1909). ms oe RUE 

Stiassny. Repert. . 8.38. | 

5) C. Srömpen. Repert. (1895). S. 114f. „Der Kircien- 
väteraltar Michael Pachers in der k. Gemäldegalerie in 
Augsburg und der k. Pinakothek in München.“ 


Kunstwissenschaft. 


A. Reichel. Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landes-Bildergalerie in Graz 137 


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Groß, plastisch und als bedeutsam hervorgehoben 
stehen die Hauptfiguren soweit als möglidh in 
den Vordergrund gerückt und nehmen fast die 
ganze Höhe der nahezu quadratischen Bilder 
ein, während die Nebenfiguren, perspektivisch 
verkürzt und kleiner, in den Hintergrund ge- 
drängt erscheinen. Ausblike auf spezivisch 
deutsch-südtirolische StraBenansichten geben den 
dargestellten Vorgängen einen interessanten 
Hintergrund, der das dargestellte Geschehnis nicht 
als eine losgelöste Szene erscheinen läßt, sondern 
eine zeitlich und Ortlich bestimmte Folie bietet.!) 

Die stilistische Verwandtschaft der Grazer 
Tafeln mit den Augsburger Bildern läßt sich im 
Großen wie auch in allen Details nachweisen. 
Die für Michael Pacher charakteristischen 
mantegnesk gespreizten Figfircien*) beleben 
hier wie dort den Hintergrund. Mit fast 
robuster Rücksichtslosigkeit erscheinen die den 
Vorgang verdeutlihenden Geräte und Gegen- 
stände in das Bild gestellt; der Altar, von 
schräg rückwärts gesehen, die Bahre in kühner 
Verkürzung bedeuten kompositionelle Probleme, 
die auf den starken norditalienischen Einfluß 
hinweisen. Mit diesen Requisitien gliedert der 
Künstler den Raum, teilt die Massen und über- 
zeugt uns von der räumlichen Anordnung der 
Szene. Die Analogien dafür geben uns die 
Vorstellung des vor dem Altar liegenden Heiligen 
der St. Wolfgang-Legende. Augsburg, Inv. 
Nr. 2599b; die Disputation des heiligen Wolf- 
gang. Inv. Nr. 2600c. 

Wenden wir uns Einzelheiten zu. Da fallen 
uns vor allem die fast alt-flandrisch anmutenden 
glattrasierten, mit vielen Runzeln bedeckten 
Köpfe der Männer auf. Bei all diesen scheint 
die dreiviertel Profilansicht bevorzugt; besonders 
charakteristish erscheinen die Augen: über 
engen Augenschlitzen wölben sich mondsichel- 
förmig geschweifte Lider, während radiale Fält- 
chen vom Augenwinkel ausstrahlen. Der mehr 
schmale Mund läßt leicht nach abwärts gezogene 
Mundwinkel erkennen, die Lippen sind häufig 
leicht geöffnet, die Nase etwas hängend. Alles 
das sind Charakteristika, die Semper für die 
Malweise Michael Pachers eigentümlich erklärt; 
man werfe nur einen vergleichenden Blick auf die 
genannten Wolfgangbilder in Augsburg, auf die 
Darstellungen der Kirchenvàter?), auf die Bilder 
des St. Wolfganger Altarwerkes und auf andere. 

Das deutsche Element in der Kunst Pachers 


offenbart sich augenfällig in der Behandlung 


: ALL Hermann Voss, Ursprung des Donaustiles. 
9 Semper a. a. O. 
3 Vgl. auch die Kirchenväter Tafeln im Ferdinandäum 
in Innsbruck. Semper a. a. O. Til. 7. 


des Faltenwurfes; er flieBt aber trotz den 
Anklängen an die knittrigen Formen doch recht 
frei, in groBen Formen und wird den darunter 
liegenden Körperformen gerecht. Im Gegensatz 
dazu muB man sich an die romanische Freude 
am lebhaften Ausdruck erinnert fühlen, beim 
Studium der mannigfach variierten Gesten und 
Gebärden der Hände. Die Finger — häufig 
etwas lang — reden eine ausdrucksvolle Sprache 
und lassen dem Forscher recht deutlich er- 
scheinen, wie sehr diese Kunst nordischen und 
südlichen Einflüssen zugänglid, beiden die 
Wage hält und wie groB die Individualität des 
Meisters war, der beide Strömungen zur Ein- 
heit zu zwingen wußte, 

Es erübrigt noch zu erörtern der hohe Licht- 
einfall, wie ihn Semper (a.a. O. S.42) auf der 
Tafel der Geburt Chuisti beschreibt; er weist 
auf die Vorliebe für Lichtprobleme, die auch 
den Grazer Tafeln nicht fehlen. 

Den Rahmen der Vorgänge bildet eine groB- 
zügige gotische Architektur, deren Anologie mit 
Werken der Hand M. Pachers allenthalben er- 
kennbar ist, deren Übereinstimmung so weit 
geht, daB wir selbst die Art und Weise, wie 
die Quaderlagen zur Wiedergabe gelangen z. B. 
auf der Tafel des predigenden hl. Wolfgang in 
St. Wolfgang wiederfinden. 

Michael Pachers Geist schuf jedenfalls den 
Augsburger Kirchenväteraltar. Während aber 
nun C. Strompen die vier Kirchenväter als 
Originalwerke M. Pachers gelten läßt, glaubt 
er in den vier Wolfgangbildern, die sich stilistisch 
mit den großen Bildern decken, die Hand eines 
M. Pacher auBerordentlich nahe stehenden Shü- 
lers oder Gehilfen erkennen zu müssen. Friedrich 
Pacher, dessen Stil wir aus einer Taufe Christi 
kennen‘) und der beglaubigt am St. Wolfganger 
Altarwerke beteiligt war, kann es nicht sein. 
Übrigens sind die Übereinstimmungen der Wolf- 
gang Bilder in Augsburg mit den Augsburger 
Kirchenvätern und den Tafeln des St. Wolf- 
ganger Altars so evidente, daB es mir nicht 
berechtigt erscheint, bei den Augsburger Tafeln 
an der Hand Michael Pachers zu zweifeln — 
einem Zweifel, aus dem uns auch kein Gewinn 
erwüchse. Wohl dürfte aber der Umstand, daß 
wir auf den großen Tafeln, den für das plastische 
Empfinden Michael Pachers eigentümlichen brett- 
artigen Nimbus wiederfanden, den wir auf den 
Kirchenvätertafeln kennen gelernt haben, ein 
Moment sein, das eher für die Autorschaft 
Michael Pachers spricht, als wider sie. 

Auch auf Parallelerscheinungen im Gebraudi 
des Kostümes scheint mir ein Hinweis am Platze. 


1) Semper. Oberbayr. Arch. 49. S. 506. 


158 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


C. Strompen erwähnt nämlidi, daB auf der 
Darstellung der Disputation des hl. Wolfgang 
der Ketzer mit seinem Genossen in der ge- 
briuchlihen mittelalterlicien Weise als solcher 
gekennzeichnet sei. Dazu muB bemerkt werden, 
daß es eine eigene Ketzertracht wohl nicht ge- 
geben hat. Wohl wurden aber noch im XVI. Jahr- 
hundert öffentliche Mädchen und Juden ziemlich 
gleichmäßiger Verachtung ausgesetzt und ver- 
schiedene Kleiderverordnungen sorgten dafür, 
daB sie als soldhe kenntli waren. So be- 
stimmte eine Kirchenversammlung im Jahre 1314 
ausdrücklich, daß die Juden einen hornartig 
gebogenen Hut von gelber oder gelbroter Fär- 
bung tragen mußten.) Der hornartige Hut ist 
uns bereits bekannt; wir fanden ihn sowohl 
auf dem von Strompen angeführten Bilde als 
auch auf der großen Tafel. (Kat. No. 13.) Der 
Maler scheint jedenfalls das Bedürfnis empfunden 
zu haben, den Widersacher der Religion — hier 
den mit dem hl. Wolfgang disputierenden Ketzer, 
da den Henkersknecht und seine Genossen — 
auch äußerlich zu kennzeichnen, wobei sich ihm 
die Judentracht, der naturgemäß das Attribut 
der Verächtlickeit zukam, ungezwungen als 
nächstliegend aufdrängen mußte; in diesem Sinne 
wird wohl auch Strompens Bemerkung auf- 
zufassen Sein. 

Die auf die Rückseiten der Grazer Tafeln 
gemalten Symbole der Evangelisten Markus und 
Lukas machen es nahezu gewiß, daß die beiden 
Tafeln einer Serie von vier zusammengehörigen 
Bildern angehörten in denen wohl Reste eines 
Altarwerkes zu erkennen sein werden. Trugen 
die beiden fehlenden Tafeln die Symbole der 
Evangelisten Matthäus und Johannes (Engel- 
Adler) auf ihren Rückseiten und halten wir an 
der üblichen Reihenfolge der Evangelisten fest, 
so ergeben sich zwei Aufstellungsmöglichkeiten 
für die vier Tafeln, aus denen man die Lage 
unserer beiden Tafeln bestimmen kann. Ordnen 
wir nämlich die 4 Evangelisten in umstehender 
Reihenfolge 


Matthäus 


Johannes 


') Herm. Weiss. Kostiimkunde, Geschichte d. Traditen 
und der Geräte vom XIV. Jahrhundert bis auf die Gegen- 
wart (1872). Bd. IH. 1. Abt. S. 147. 


oder aber so: 


Matthäus 


Johannes 


In beiden Fällen müssen wir eine Szene vor 
der Enthauptung und eine nadı dem Wunder 
an der Bahre des Heiligen erwarten. 

Vielleicht gestattet ein glücklicher Fund, das 
hochbedeutende Altarwerk in seiner ursprüng- 
lichen Gestalt wiederherzustellen. | 

Ein Versuch die Grazer Tafeln zu datieren 
muß zwar von vorneherein gewagt erscheinen; 
soll er aber doch unternommen werden, so 
könnten wohl die Jahre von 1489—1490, in 
denen Michael Pacher am Kirchenväteraltar 
der Allerheiligen Kapelle des Domes in Brixen 
gearbeitet hatte ') wegen der vielfadien stilisti- 
schen Verwandtschaft des Werke, als die mut- 
maBlicie Entstehungszeit der Bilder bezeichnet 
werden. 


g 


NOCH EINMAL DAS BILDNIS DES 
VINCENZO CAPPELLO. 


Vor ein paar Wochen durfte ich die Leser 
dieser Zeitschrift auf ein Bildnis des venetia- 
nischen Patricier Vincenzo Cappello hinweisen?) 
das, eine Copie Cristofanos dell’ Altissimo nach 
einem datirbaren®) und von Ridolfi!) be- 
schriebenen Portrait Tizians ist. Das Orginal 
glaubte ich verloren und schloB darum meine 
wenigen Zeilen über die Kopie in den Uffizien 
mit dem zwar aufrichtigen, aber von keiner 
Hoffnung getragenen Wunsche, es möchte 
irgendwann und irgendwo noc einmal zum 
Vorschein kommen. Hätte ich mich fleiBiger 
umgetan, so wäre meine kleine Studie nicht 
in ein Gebet an den Gott des Zufalls, sondern 
in ein vergnügtes „Heureka“ ausgeklungen und 
die Notiz im Handumdrehen ein „Artikel“ ge- 
worden. „Mea culpa, mea maxima culpa“... 


1) C. Strompen a. a. O. 

“) s. Monatshefte für Kunstwissenschaft. 1908. 1. Jahr- 
gang. Heft 12, p. 1117f. 

3) Nadi einem Briefe Aretinos wurde es 1540 gemalt, 
s. lettere di Pietro Aretino. In Parigi MDCIX. Il. Bd., 
p. 189 (tergo). 

‘) Ridolfi: „Le maraviglie dell’arte.“ 


In Venetia 
MDCXLVIII. vol.l. p. 181. 


E. Schaeffer. 


Denn Tizians Portrait des Vincenzo Cap- 
pello braucht die Kunstgeschichte nicht ins 
Verlustkonto zu buchen; es existiert ,incog- 
nito“, wie ich vorausahnte, und Jean Guif- 
frey hat es bereits vor drei Jahren mit 
anderen Gemälden aus der Sammlung des 
Barons Schlichting zu Paris in der Zeitschrift 
„Les Arts“) als Bildnis des Andrea Doria von 
Tizian abgebildet. „Le Portrait du 
Titien“ — meint Guiffrey — „est sans 
doute, ä en juger par le visage plus 
fatigué du modele posterieur a celui 
de Sebastian del Piombo; toutefois, 
ce dernier, ayant été peint en 1557 
(sic!) et Andrea Doria était mort en 
1560, c'est entre ces deux dates qu'on 
en doit placer l’éxecution...“ Von 
all’ dem bleibt allein das Todesjahr 
des Andrea Doria als zu Rechte be- 
stehen. Denn Sebastiano starb bereits 
anno 1547 und malte, laut Vasari,”) 
das Portrait des gewaltigen Genuesen 
unmittelbar nach einem Bildnis des 
Pietro Aretino, das dieser bereits im 
Jahre 1526?) seiner Vaterstadt schenkte 
. . . In Tizians Portrait, das „absichtlich 
auf einen etwas sciweren grauen Ton 
gestimmt scheint“, ist, immer nad 
Guiffrey, Dorias Antlitz durch den näm- 
lichen „Ausdruck von Trauer und Ent- 
. täuschung“ verdüstert, der auch an 
seinem von Piombo gemalten Bildnis 
so ergreifend wirkt. DaB die beiden 
Manner sonst audi nicht einen Zug 
in ihrem Angesichte miteinander ge- 
mein haben, einander nicht im min- 
desten ähneln, fiel Guiffrey, nach dessen 
Chronologie zwischen den Entstehungs- 
daten beider Gemälde nur ein Zeit- 
raum von höchstens drei Jahren liegt, 
seltsamer Weise nicht auf. 

Vergleiht man dagegen das Portrait der 
Sammlung Schlichting, auf das überdies Ridolfis 
Beschreibung vortrefflich paßt, mit Altissimos 
Kopie, so erkennen wir in Tizians Modell ohne 
groBe Mühe den venetianischen Prokurator 
Vincenzo Cappello. Vielleicht nicht auf den 
ersten Blick. Denn Altissimo kopierte — und 
das könnte den etwas veränderten Gesichts- 
ausdruck „seines“ Cappello erklären — nicht 
das Original, sondern die Kopie des „museum 


rl IE rn oe, 


1) „Les Arts.“ Février 1906, Nr. 50, p. 1, Abb., u. 
p. 2 (Text) 


‘) Vasari: Le vite etc. ed. Milanesi vol. V. (Sebastian 
p aziano) p. 5/6. „Dopo ritrasse Sebastiano Andrea 
are 


3) Ubaldo Pasqui. Nuova Guida di Arezzo. Arezzo 
1882, p. 102. 


Nodi einmal das Bildnis des Vincenzo Cappello 


159 


Jovianum“, über deren Art und künstlerische 
Qualitäten wir ja nichts mehr wissen. Zudem 
hatte er, gleich vielen Kopisten, die Angewohn- 
heit, Einzelheiten der Tracht nach seinem Gut- 
dünken zu verändern und die unvenetianisch 
herbe Zeichnung der Nase ist ebenso charak- 
teristisch für seine Manier wie die Behandlung 
der Wangenpartien, die straff gespannt sein 


TIZIAN, Vincenzo Cappello 
(Paris, Sammlung Baron Schlichting) 


sollen und trotzdem schlaff und verfallen wirken.?) 
Aber Haltung und Richtung der beiden Häupter 
stimmen vollkommen mit einander überein, die 
Schädelform, der Mund, die Frisur der spär- 
lichen weißen Haare, die Art, wie die linke 
Gesichtshälfte sidi gegen den Hintergrund ab- 
setzt und endlich die Falten des Feldherrn- 
mantels, all’ dies hat Altissimos Portrait mit 
Tizians Bildnis gemein?) und der Schluß, daB 


') In einer Monographie über die Portraitsammlung 
Cosimos I., werde ich Gelegenheit haben, diese allgemein 
gehaltenen Behauptungen über die Kopien Altissimos im 
Einzelnen zu beweisen. 

*) Ih kann den Vergleich auf die Farben leider nicht 
ausdehnen, da ich das Pariser Bild nur aus der Repro- 


duktion kenne und Guiffreys Angaben dafür zu allgemein 
gehalten sind. 


160 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


hier wie dort das nämliche Modell dargestellt 
sei, ergibt sich danach leicht. 

Tizian malte das Portrait Vincenzo Cappellos, 
wie wir aus Aretinos Brief an Niccolö Molin 
erfahren, im Jahre 1540 und dieses Datum er- 
wirkt dem Gemälde zu seiner künstlerischen 
noch eine beträchtliche historische Bedeutung. 
Denn von den Admiralsbildnissen, die während 
der Hochrenaissance und im seicento zu Ve- 
nedig gemalt wurden, ist es wohl das älteste. 
Von diesen „Vorbild“ im wörtlicısten Sinne 
gingen Tintoretto und seine Nachfahren aus. 
Ihre Meergebieter aber geben sich ungleich 
pathetischer, die Blike sprühen Funken, die 
Geberden dräuen. Und doch — neben der 
schweigenden Wucht, neben der inneren GroB- 
heit des Cappello dünkt ihre Rhetorik ärm- 
lich, Theaterfeldherren scheinen sie neben diesem 
Schlachtenlenker. Denn der Menschenschilderer, 
der hier — vielleicht zum ersten Male — den 
Typus gestaltete, hat ihn ausgeschöpft in all’ 
seinen Tiefen. Wie beinahe stets war Tizian 
auch in diesem besonderen Falle, für die Künstler 
nach ihm ein Ausgangspunkt — und zugleich 
ein unerreichbares Endziel. Emil Schaeffer. 


g 


ZU LOTTOS NATIVITA DER 
VENEZIANISCHEN AKADEMIE 


Es ist daran gezweifelt worden, daB die 
kürzlih für die venezianishe Akademie er- 
worbene Nativita ein Werk Lottos sei. Ich 
teile diesen Zweifel nicht, schlieBe mich viel- 
mehr dem Urteil Frizzonis, Fogolaris und Sini- 
gaglias an, die diese Nativita für ein späteres 
Werk Lorenzo Lottos halten. 

Tatsächlih hat das Bild jedoch etwas der 
venezianischen Malerei der ersten Hälfte des 
Cinquecento fremdes, vor allem die starken 
Kontraste von Hell uud Dunkel. Nächtliche 
Finsternis herrscht in dem Raum; nur von dem 
Kinde in der Krippe geht blendendes Licht aus, 
das grelle Strahlen auf Maria, Josef, den knienden 
Stifter und die vom Himmel herabsteigende 
Engelschaar wirft. Nun deutet dieses Fremd- 
artige aber nicht auf eine spätere Entstehungs- 
zeit, auf das siebzehnte Jahrhundert, wie man 
glaubte, sondern auf eine Beeinflussung Lottos 


durch das Werk eines Fremden, eines Nieder- 
länders. 

„Alla maniera ponentina“ nannte ein venezia- 
nischer Zeitgenosse Lottos !) ein Altarbild Coti- 
gnolas in Cremona, ebenfalls eine Geburt Christi 
und ebenfalls „cun el puttino che illumina le 
figure circumstante“. Es kann kaum zweifel- 
haft sein, daB es vor allem dieser Lichteffekt 
war, der Cotignolas Bild die Bezeicinung nach 
niederländischer Art (alla maniera ponentina) ein- 
trug, die nun gleichfalls auf Lottos Nativita paßt. 

Es gibt eine Reihe niederländischer Dar- 
stellungen der Geburt Christi, die nach Boden- 
hausens *) Annahme auf ein verschollenes Ori- 
ginal Gerard Davids zurückgehn. Entweder das 
Original oder eine der Wiederholungen, deren 
beste nach Bodenhausen diejenige des Wiener 
Hofmuseums ist, muB Lotto zu Gesicht gekommen 
sein. Man kann allerdings nicht von Kopie 
reden, dazu sind der Abweichungen zu viele. 
Rechts und Links sind vertauscht und Nordisches 
ist in venezianische Formensprache übersetzt. 
Aber Übereinstimmungen, wie vor allem der 
Effekt des vom Kinde ausgehenden Lichtes, die 
unitalienische Haltung der knienden Maria, die 
paarweise schräg von oben in der Bilddiagonale 
hereinschwebenden Engel, die Wahl der Farben, 
besonders des dominierenden, im Lichte auf- 
leuchtenden Scharlachs zeigen, daß Lotto hier 
durch Gerard David angeregt wurde. 

Wir wissen, daB Lotto nicht nur dies eine 
Mal eine derartige „nativitä finta di notte“ ge- 
malt hat. Das Bild der venezianischen Akademie 
hat Sinigaglia *) wohl richtig mit dem von Vasari‘) 
bei Tommaso da Empoli erwähnten identifiziert. 
Außerdem nennt Marcanton Michiel im Hause 
des Domenego dal Cornello zu Bergamo eine 
ähnliche Geburt Christi,’) zwei weitere, 1544 
entstandene, Lottos Recinungsbuch.°) Offenbar 
fanden diese Transkriptionen ins Venezianische 
den gleichen Beifall in Italien, den, nach den 
zahlreichen Kopien zu schließen, Gerard Davids 
Original im Norden gefunden hat. Hadeln. 


1) Marcanton Michiel, Notizia d’opere del disegno. 
Ed. Frimmel. . 44. 

E. von Bodenhausen, orrara David, S. 124 f. 
Bollettino d'Arte Il, p. 298 ff. 


i beige a Mil. V. p. 200 È. 


0. 
6) Il Libro a Conti di Lorenzo Lotto in Le Galerie 
Nazionali Italiane I. p. 162 und 171. 


Diesem Hefte liegen Prospekte der Firmen JOSEPH BAER & Co., Frankfurt ajM. und 
J. H. ED. HEITZ (Heitz & Mündel), Straßburg ijE. bei, auf die wir hiermit besonders 
aufmerksam machen, 


Verantwortlich fiir die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, Leipzig, LiebiqstraBe 2. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


WARE ne 


D j EVERKUNSTWISSENSCHAFT [J 


Y 


Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 


Die Ausstellung der „Staryje Gody“ in St. Petersburg 
Von James v. Schmidt 


Die Elite der Gemälde alter Meister, die sich im Petersburger Privatbesitz befinden, 
sollte die Leihausstellung vereinigen. die in den Monaten November und Dezember 
vorigen Jahres von der Kunstzeitschrift „Staryje Gody“ (Alte Zeiten) veranstaltet wurde. 
Der Plan erwies sich als nicht vollständig durchführbar, weil einzelne der bedeutendsten 
und bekanntesten Sammlungen Petersburgs aus triftigen Gründen der Ausstellung fern 
bleiben mußten. Es gelang aber vollgültigen Ersatz aus der Diaspora, besonders aus 
dem Bilderbestande der kaiserlichen Palais, zu schaffen, so daß dem Unternehmen der 
Name einer Eliteausstellung durch die Qualität und Manigfaltigkeit ihres Materials 
gesichert blieb!). Der Reichtum der Ausstellung erschwert die Berichterstattung, auch 
wenn diese nur die Hauptstücke erwähnt, umso mehr, als für die bisherige Bearbeitung 
des Stoffes nur ein kleiner Kreis von Kräften zur Verfügung stand. Die erste Redaktion 
der Ergebnisse, die recht hastig erledigt werden mußte, liegt in der Doppellieferung 
der Staryje Gody pro November-Dezember 1908 vor. In ihr bespricht Alexander 
Benois die gesamte Malerei des Barock und Rokoko, Ernst von Liphart die 
Italiener vom XIV. bis zum XVI. Jahrhundert (mit einem Exkurs über Tiepolo) und 
die Spanier des XVII. Jahrhunderts, Sergei Makowski die russischen Gemälde, 
Alexander Trubnikow die niederländischen Landschaften, Baron Nik. Wrangell 
die niederländischen Porträts und Sittenbilder; die Besprechung der nordischen Renaissance 
einschließlich der altspanischen und altfranzösischen Bilder war faute de mieux dem 
Schreiber dieser Zeilen übertragen worden. 

Im Folgenden knüpfe ich öfters an die genannten Artikel der Staryje Gody 
(mit dem abgekürzten Hinweise „St. G. S. x.“) an. Zur leichteren Agnostizierung 
der einzelnen Bilder führe ich neben den Namen der Besitzer auch jeweils die Nummer 
des Ausstellungskataloges an; ein „Abb.“ neben der Nummer verweist auf die Repro- 


1) Die Bilder, die nicht aus Petersburg und seiner nächsten Umgebung kamen, waren so 
gering an Zahl, daß die Ausstellung trotz einiger Ausnahmen eigentlich nur Petersburger Privat- 
besitz brachte. 
12 


162 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


duktion in dem genannten Hefte der Staryje Gody. Übrigens ist der gesamte Bestand 
der Ausstellung (466 Nummern) photographiert worden. 

| | Die Benennungen des Kataloges waren 
unabhängig vom Galerienamen und Be- 
sitzertaufen aufgestellt worden; natürlich 
erwiesen auch sie sich öfters als korrektur- 
bedürftig. Unberiicksichtigt müssen im 
Folgenden die interessanten Handzeich- 
nungen der Ausstellung bleiben, die nach 
anderen Gesichtspunkten besprochen sein 
wollen. | 

x à * 

Unter den italienischen Trecentisten 
herrschten durch Zahl und Bedeutung die 
Sienesen; die einzige Ausnahme bildete 
eine Madonna (Nr. 38, Abb., Bes. P. P. 
Weiner), die Ad. Venturi Tommaso da 
Modena getauft hat'). Von den siene- 
sischen Bildern hat E. v. Liphart (St. G. 
S. 703) eine ausdrucksvolle nur im Tone 
etwas schwere Kreuzigung unter beson- 
derem Hinweis auf die charakteristische 
Bildung der Nase mit der hangenden 
Spitze und andere Analogien mit der 
Maesta von Siena Duccio zugewiesen 
(Nr. 44, Abb., Bes. Fürst A. G. Gagarin); 
diese Zuweisung wird wohl ebenso auf An- 
klang rechnen dürfen, wie die Bestimmung 
einer in der’ unteren Hälfte stark ver- 
stoBenen Madonna (Nr. 40, Bes. W. D. 
Durdin) auf Lippo Memmi (St. G. S. 704), 
fiir den sie alle charakteristischen Merk- 
male aufzuweisen scheint. Bei der Ver- 
schiedenheit der Typen fällt es schwer 
mit v. Liphart (a. a. O.) die gleiche Hand 


rai rata = in einer entzückenden kleinen thronenden 
Abb. 1. LIPPO MEMMI zugeschrieben Madonna (Nr. 13, unsere Abb. 1, Be- 
Madonna in Trono s sitzer Fürst A. G. Gagarin) zu erkennen. 


Dieses wunderbar erhaltene Bildchen er- 
hebt durch seine Feinheit und farbige Schönheit Anspruch auf einen bevorzugten Platz. 
Großzügiger, trotz der fast gleichen Größe möchte ich sagen monumentaler, wirkte eine 


') Vgl. v. Liphart St. G. S. 715. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 163 


Krönung Mariae (Nr. 15, Abb., Bes. Baron P. Meyendorff), für die v. Lipharts 
Benennung Simone Martini (St. G. S. 704), der Richtung nach entsprechend 
sein dürfte. 

Das äußerlich stattlichste Stück aus dem Quattrocento war eine Madonna della 
cintola (Nr. 4, Bes. S. K. H. 
Herzog Georg M. von Leuchten- 
berg), die unzweifelhaft aus der 
Werkstatt des Domenico 
Ghirlandaio stammte. In der 
Ausführung war sie recht un- 
gleichmäßig, infolge der ver- 
schiedenen beteiligten Hände. 
Wieviel deren es gewesen sind 
bleibt wohl strittig; die im 
wesentlich einheitlihe obere 
Hälfte war bedeutend erfreu- 
lier als die Apostelgruppe in 
der unteren, bei der v. Liphart 
(St. G. S. 704), wie ich glaube 
ohne genügenden Grund, an 
Mainardi zu denken geneigt ist. 
Aus überflüssiger Vorsicht war 
der hl. Augustin mit dem wasser- 
schöpfenden Knaben (Nr. 14, Bes. 
J. K. H. Prinzessin Eugenie von 
Oldenburg) bloB als Schulbild 
registriert worden, die Land- 
schaft, die Raumverteilung, die 
Gewandbehandlung und beson- 
ders die frische Naivetät des 
Knabenkopfes erwiesen dieses 
Bild als echte Arbeit des Fra 
Filippo Lippi. Im Vorüber- 
gehen erwähne ich zwei Tondi 
aus der Werkstatt des Lo- 
renzo di Credi (Nr. 12, Abb., Abb. 2. RAFFAELLINO DEL GARBO (oder Filippino Lippi?) 
19, Bes. Fürst Kotschubei), die Verkündigung Mariae an O 
durch ihre verschiedenen Ten- 
denzen und die verschiedenen in ihnen abgespiegelten Einflüsse interessant waren, 
ferner eine von G. Poggi auf Giusto di Andrea’) bestimmte Madonna (Nr. 32, Abb., 
Bes. P. P. Weiner). Als Raffaellino del Garbo war eine in den Farben leuchtende 


a) Vgl. v. Liphart, St. G. S. 705. Der Name Andrea di Giusto in der Unterschrift der 
Tafel und im lllustrationsverzeidhnis beruht natürlich nur auf Druckfehlern! 


164 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Verkündigung Mariae (Nr. 25, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. v. Leuchtenberg, unsere Abb. 2) 
katalogisiert; später sprach von Liphart (St. G. S. 706) den sehr beachtenswerten Gedanken 
aus, ob es sich nicht um ein Frühwerk Filippino Lippis handele. Meine Vermutung, 
eine anbetende Madonna von außerordentlich feiner Modellierung des Kopfes (Nr. 39, 
Bes. Graf A. A. Golenischtschhew-Kutusow) könnte eine Arbeit des Carrandmeisters, alias 
Giuliano Pesello, sein, fand durch v. Lipharts Beobachtungen Bestätigung 
(St. G. S. 712); ob sie für die Rechtfertigung der Zuschreibung genügt, bleibt abzu- 
| warten. Für eine Pietà von großer 
Schönheit der Farbe (Nr. 41, unsere 
Abb. 3, Bes. S. K. H. Großfürst Kon- 
stantin) lehnt v. Liphart (St. G. S. 706) 
gewiß mit vollem Recht den bisherigen 
Namen Mantegna ab; ob aber der ober- 
italienische Ursprung des Bildes über- 
haupt zu leugnen ist, bleibt für mich 
fraglich. Weder die technischen Beobach- 
tungen über die Untermalung noch die 
Vergleihung der Typen sind für mich 
ganz überzeugend. Ich vermag in dem 
Bilde auch nicht den starken Einfluß 
Botticellis zu erkennen, noch genügende 
Ahnlichkeit zwischen dem Christus und 
Sellaios Gekreuzigtem in S. Frediano’), 
auf die v. Liphart trotz der zugestan- 
denen geringeren Qualität des letzt- 
. genannten Bildes Gewicht legt, um an 
florentinischen Ursprung zu glauben. Das 
arg verriebene, dennoch aber sehr stim- 
mungsvolle Bild eines Schmerzensmannes 
zwischen zwei weiblichen Heiligen (Nr. 8, 
Abb., Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) 
hat den Anspruch auf den bisherigen 
Namen Ambrogio Borgognone be- 
Abb. 3. Oberitalienisch (?) XV. Jahrhdt. hauptet. Von den späten Quattrocen- 
Pietà o tisten imponierte Perugino durch das 
außerordentlich fein modellierte und in 

der Farbe sehr warme Brustbild des hl. Sebastian (Nr. 292, unsere Abb. 4, Bes. Marchesa 
Camponari), das an Tiefe und Wahrheit des Ausdruckes alle anderen analogen Dar- 
stellungen übertreffen dürfte. Die in verschiedenen Wiederholungen vorkommende 
Magdalena (ebenfalls Brustbild; Nr. 250, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. v. Leuchten- 
berg) war ein jedenfalls eigenhändiges Stück von gutem Ausdruck. Von Pinturicchio 


1) Abb. bei H. Mackowsky. J.-B. K. Pr. K.-S. 1899. S. 192. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 165 


gab es eine kleine, zarte, nur etwas restaurationsbedürftige Madonna in wunderschön 
geschnitztem echtem Rahmen (Nr. 31, Bes. M. P. Botkin) !). 

Für Piero di Cosimo nimmt v. Liphart (St. G. S. 707) ein Madonnentondo 
(Nr. 55, Abb., Bes. Fürst Kotschubei) entschieden in Anspruch, besonders wegen 
der Durchführung des 
Interieurs und der in- 
timen Lichtbehand- 
lung. Die Typen schei- 
nen mir nun nicht sehr 
dieser Attribution zu 
entsprechen, was aber 
nihts zu beweisen 
braucht. Hinweisen 
möchte ich noch auf 
die niederländischen 
Einflüsse, die in der 
Lichtbehandlung und 
derLandschaftdraußen 
im Hintergrunde zu 
erkennen sind. Ein 
authentisches Werk 
Pieros nennt v. Lip- 
hart (St. G. S. 707) 
auch das Frauenpor- 
trät (Nr. 278, unsere 
Abb. 5, Bes. Fürst 
Kotschubei), das im 
Katalog allerdings un- 
ter Hinzufügung eines 
energischen Frage- 
zeichens den Namen 
Raffael trug, auf den 
die Ahnlichkeit in Hal- 
tung und Anlage mit 
dem Frauenbild der 
Uffizientribuna, der 
„falschen Madd. Doni“, Abb. 4. PERUGINO. St. Sebastian 
führte. Die Qualitäten 
des Bildes, das manche Härten besitzt, lassen die Äblehnung des großen Namens natürlich 
erscheinen, es ist aber m. E. in solchen Fällen methodisch unzureichend die Ablehnung 
nur durch ein reines Qualitätsurteil zu begründen. Ebenso halte ich v. Lipharts positive 


1) Abb. Les Tresors d’art en Russie 1902. T. 15, mit dem Rahmen. 


166 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Argumente fiir seine Bestimmung, die Hinweise auf die Modellierung in lichten Schatten 
im Lokaltone „sans trace de rouge“ nicht für ausreichend um die Autorschaft Pieros 
zu begründen. Ungleich überzeugender wirken v. Lipharts Ausführungen (St. G. S. 710) 
zugunsten der Urheberschaft Leonardos für eine nicht ganz vollendete Madonna 
(Nr. 283, unsere Abb. 6, Bes. Frau M. Benois), von der der Pal. Colonna zu Rom eine 
ungleich schwächere Replik 
besitzt, die allgemein für 
einen Lorenzo di Credi gilt. 
Das Kolorit der Madonna 
Benois gewinnt durch die 
überall durchschimmernde 
schwärzlihe Untermalung 
ein „notturno“, wie v. Lip- 
hart sehr zutreffend sagt, 
das Leonardos älteren far- 
benfreudigerenZeitgenossen 
fremd wäre. Die Gewand- 
behandlung weist viel Ver- 
wandtschaft mit der Ver- 
kündigung der Uffizien auf. 
Hinsichtlich ihrer Qualitäten 
muß man v. Liphart Recht 
geben bei dem Satze, daß 
sie die größten Anspriiche 
auf den Namen Leonardo 
erheben darf, solange die 
unendlich schwächere Mün- 
chener Madonna diesen er- 
lauchten Namen trägt '). 
Also unbegründet er- 
wiesen sich alle Zweifel an 
der Echtheit der, wie sich 
herausstellte, signierten Ma- 
Abb. 5. PIERO DI COSIMO (?) donna von Cima (Nr. 215, 
Frauenporträt F; Abb., Bes. Fürst Kotschubei, 
Faks. des Restes der Signatur 
St. G. S. 715), von der die Sammlung Schlichting eine archaischer anmutende Vari- 
ante besitzt?); ein drittes Exemplar, wieder mit veränderten Hintergrund besitzt 
die National-Gallery [Nr. 300°). Als störend erwiesen sich an ihr nur die scharf 


1) Müller-Walde hat sich, wie Al. Benois berichtet, für die Echtheit ausgesprochen; vgl. 
v. Liphart St. G. S. 711. 

2) Abb. Les Arts Nr. 18. Juni 1903. p. 1. Danach erscheint der Kopf des Kindes ubermarney sein. 
») Abb. in Sir Edward Poynters Katalog von 1899. Vol. I, p. 109, 


J. v. Schmidt. 


Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 167 


geputzten Fleischtöne, während die gut erhaltene satte Färbung der Gewandung die 
Echtheit bezeugte. Die etwas manierierte Haltung des Kindes muß auf den Einfluß der 
jüngeren mit dramatischeren Mitteln arbeitenden Generation zurückgeführt werden, 


gegen deren Tendenzen 
sich der alternde Cima 
sonst so ablehnend ver- 
hielt. Über das Porträt 
eines bärtigen Mannes 
(Nr. 298, Abb.), das Ti- 
zian zugeschrieben wird, 
äußert sich v. Liphart 
(St. G. S. 711) als Be- 
sitzer mit begreiflicher 
Zurückhaltung, die aber 
doch wohl grundlos sein 
dürfte. Sehr interessant 
sind die Mitteilungen über 
die schwarze nur leicht 
mit Weiß gemischte Un- 
termalung des Bildes, die 
bei einer kürzlih er- 
folgten Rentoilierung zu- 
tage getreten war. In 
Venedigs klassische Zeit 
gehörte auch das rätsel- 
hafte Bild einer weißge- 
kleideten sitzenden Frau, 
die eine silberne Schale 
in der Hand hält, halb 
Porträt, halb Allegorie 
(Nr. 231, Bes. Fürst Jus- 
supow). Die Landschaft 
ist total übermalt und 
dieFigur argdurch Putzen 
undRetuschenmißhandelt 
worden. Den Namen 
Lotto vermag ich gleich 
v. Liphart (St. G. S. 715) 


Abb. 6. LEONARDO DA VINCI zugeschrieben 
Madonna D 


nicht anzuerkennen, denn es fehlt dem Bilde jede Nervosität; ebensowenig kann ich es . 
allerdings mit v. Liphart für eine späte Kopie nach Palma oder Giorgione halten. Am 
ehesten dürfte darin eine total ruinierte Arbeit des Sebastiano del Piombo zu 
sehen sein, die dann wohl eher bald nach seiner Übersiedelung nach Rom, als nom 
in Venedig entstanden sein könnte, worauf etliche klassisch-kühle Züge der Modellierung 


168 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


deuten. Ein Männerporträt von Tintoretto (Nr. 275, Abb., Bes. Baron N. E. Wrangell) 
entsprach diesem Namen in jeder Beziehung; weniger genießbar war die Himmelfahrt 
der Jungfrau von Paolo Veronese (Nr. 277, aus dem Großen Palais zu Zarskoje 
Selo); trotz mancher Schönheiten im Einzelnen muß ihre Färbung doch schwer und 
schroff genannt werden, auch wies die Haltung einzelner Figuren Gewaltsamkeiten auf. 


Unter den lombardischen Gemälden aus dem Cinquecento interessierte eine schön 
erhaltene Madonna (Nr. 234, Bes. Marchesa Campanari), am meisten. Für Gaudenzio 
Ferrari nimmt sie v. Liphart (St. G. S. 714) mit Bestimmtheit in Anspruch. Man 
könnte aber doch wohl eher an eine geringere, von Leonardo, nach dem die Madonna 
direkt kopiert ist, in stärkerem Grade abhängige Kraft denken !). Der Name Bernar- 
dino de’ Conti entsprach dem Grundcharakter eines Jünglingsporträts (Nr. 252, Abb., 
Bes. P. W. Ochotschinski); sein heutiges Aussehen dürfte es aber zumeist einer mehr 
als gründlichen Restauration verdanken. Über die ursprünglichen Qualitäten des Bildchens 
mit dem bekränzten Jüngling, das als Boltraffio aufgeführt war (Nr. 216, Bes. S. H 
Prinz Peter v. Oldenburg) täuschte vielleicht nur der schlechte Zustand der Farbe; man 
hätte es für eine schwache Nachahmung halten können, 

Nicht ans Ende des XV. Jahrhunders, wie der Katalog meinte, sondern 
ins XVI. hinein gehörte ein kleines Tondo mit einer stehenden Madonna zwischen 
Heiligen (Nr. 220, Bes. S. K. H. Herzog Georg M. v. Leuchtenberg), das vielleicht 
Ridolfo del Ghirlandaio zugeteilt werden könnte, wenn man heute schon schärfer 
zwischen ihm und Granacci zu unterscheiden wüßte.. Pontormo gehört nach v. Liphart 
(St. G. S. 709) eine tief empfundene weibliche Halbfigur der trauernden Magdalena 
(Nr. 254, Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin); Franciabigio werden von ihm 
(St. G. S. 708) zwei Predellenstücke (Nr. 33, 34, Bes. Baron Bagge af Boo) ver- 
mutungsweise zugeteilt, die aber m. E. für ihn zuviel umbrische Elemente aufweisen. 


Von den drei Bildern aus der Bronzinigruppe war das in den gewohnten 
kühlen Tönen gehaltene aristokratisch diskrete Frauenporträt von Angelo Bronzino 
(Nr. 261, Bes. P. P. Durnowo) sicher authentisch. Weniger bestimmt konnte man sich 
über eine merkwürdige Madonna mit ausgesprochen individuellen Zügen (Nr. 229, aus 
dem großen Palais zu Zarskoje Selo) äußern, von der eine Replik in Florenz unter 
dem Namen Allessandro Allori vorhanden sein soll. Bei Manchen ließen ihr hartes 
Kolorit, die stillebenhafte Durchführung des Beiwerks, auch einige Züge in der Land- 
schaft den allerdings unbegründeten Verdacht auf niederländischen Ursprung aufsteigen. 
Die Bezeichnung Cristofano Allori für einen jugendlichen David (Nr. 272, Bes. Jos. 
Lehmann) konnte trotz unleugbarer koloristischer Anklänge kaum befriedigen. Nach 
Haltung und Mache dürfte er später anzusetzen sein. 

Unter den nicht gerade zahlreichen Bildern aus dem Seicento befand sich dodh 
manch treffliches Stück, so z. B. die Domenico Feti zugeschriebene Schindung des 
` Marsyas (Nr. 204, Abb. Bes. J. S. Ostrouchow), die durch große Wärme des Inkarnates 


') Die Figur der Madonna kehrt wieder auf zwei Bildern der Mailänderausstellung des 
Burlington F. A. C. 1898. Nr. 59, 60. Album pl. XVII; nach der Beschreibung auch in einem 
Bilde in Apsley House, cf. Ev. Wellingtons Katalog von 1900. Bd. I, Nr. 73 (schwarz). 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 169 


und delikate graue Modellierung ausgezeichnet war, und der schwungvolle Raub der 
Oreithyia von Fr. Solimena (Nr. 207, Abb., Bes. Dr. K. RauchfuB). Gegen die bereits 
von Waagen’) vorgeschlagene Attribution einer lebensgroßen Landsknechtsszene (Nr. 248, 
Bes. Gräfin Sollohub, an 
PietrodellaVecdia, 
die E. v. Liphart unab- 
hängig von Waagen 
erneuerte, erhoben sich 
kostümgeschichtliche 
Einwendungen, ohne 
daß ein neuer Vorschlag 
gemacht wurde. Ob sie 
genügend begründet 
sind? Bemerkenswert 
waren im Typus des 
würdigen Chiromanten 
die deutlichen Reminis- 
zenzen an Köpfe auf 
dem Barberinibilde 
Dürers. Das Bild mag 
übrigens durch die Aus- 
fihrlichkeit des Bei- 
werks für die Geschichte 
der okkulten Wissen- 
schaften nicht uninter- 
essant sein. Nicht so 
sehr künstlerisches, als 
historisches Interesse er- 
regte das Selbstporträt 
einer Malerin vor der 
Staffelei, unverkennbar 
florentinish, um 1630 
der Tracht nach, schwer 
braun im Gesamttonund 
von fahlem Inkarnat. 
Wen mag es darstellen? (Nr. 235, Bes. I. K. H. Prinzessin Eugenie von Oldenburg). 
Gegeniiber dieser geringen Anzahl wirklich interessanter Sticke aus dem Seicento 
erschien die Vertretung des Settecento umso glanzvoller. Zunächst seien zwei Porträts 
genannt; das eine von rötlich-braunem Kolorit stellt einen Gelehrten dar (Nr. 274, Bes. 
S. J. Schidlowski) und wurde von verschiedenen als Ghislandi angesprochen; das 
zweite, viel anmutigere, ein junger Abbate (Nr. 235, Abb., Bes. I. K. H. Prinzessin 


Abb. 7. G. B. TIEPOLO. Alter Mann 


1) Gemäldesammlung der K. Ermitage usw. S. 433. 


170 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Eugenie von Oldenburg) nennt Benois (St. G. S. 731) gleich von Liphart (mündliche 
Mitteilung) als Arbeit Ant. Dom. Gabbianis. Den Ton gab in dieser Sphäre der 
Ausstellung Giovan Battista Tiepolo an. Von seinen kleineren Bildern müssen 
in erster Linie die prächtige farbenglühende Madonna (Nr. 201, Bes. Fürst Jussupow) 
und der feine S. Rochus (Nr. 212, Bes. E. v. Liphart) genannt werden. Den lebensgroßen 
alten Mann im Turban, der offenbar von Rembrandt beeinflußt ist, (Nr. 259, unsere Abb. 7, 
Bes. J. P. Balaschew) hat zuerst E. v. Liphart für einen Tiepola erklärt auf Grund einer 
Radierung in den ,Acque forti del Tiepolo‘ und analoger Bilder in Madrid (St. G. S. 716).’) 
Al. Benois hält es für ein viel späteres Pasticcio nach jener Radierung (St. G. 1909, 
Januar, S. 56). Ich bekenne Benois’ Argumentation nicht folgen zu können. Die An- 
sichten der beiden Autoren gingen auch über eine sehr interessante Verkündigung 
Mariä (Nr. 210, Bes. W. D. Durdin) auseinander. Nach v. Liphart (St. G. S. 716) 
wäre es eine von G. B. Tiepolo vollendete Arbeit Lazzarinis, Benois sieht sie 
(St. G. S. 725) für einen Domenico Tiepolo an. Der Tod der Sophonisbe (Nr. 258, 
Bes. E. C. Cavos) von ausgesprochen dekorativem Charakter kommt für G. B. Tiepolo 
selbst nicht mehr in Betracht. Benois (St. G. S. 725) will sie seinem Kreise belassen und 
etwa einem seiner fast ganz vergessenen Nachfahren wie Disiani oder Pittoni zu- 
weisen. v. Liphart dagegen (St. G. S. 717) schließt im Hinblick auf das schwärzlich- 
grau angehauchte Kolorit die Tiepolosphäre vollständig aus, geht aber, glaube ich zu 
weit, indem er sie nur einem ganz indifferenten Malermeister zuschreibt. Die glanz- 
vollsten Arbeiten des großen Tiepolo auf der Ausstellung waren die drei großen 
dekorativen Panneaux (Nr. 246, 260, Abb., Bes. E. C. Cavos, 267, Bes. M. N. Benois), 
die aus dem Palazzo Mocenigo in Padua stammen. Diese Panneaux kamen, im Haupt- 
saal der Ausstellung ihrer Bestimmung gemäß in die Wanddekoration eingeordnet, zu 
vorzüglichster Geltung. Ihre farbigen Hauptfaktoren, die Figuren, sind von Tiepolos 
Hand, die auch die Skulpturen an den reichen architektonischen Kulissen ausgeführt hat, 
die übrige Architektur läßt den Pinsel Ant. Canales erkennen. Die zahlreichen römischen 
Reminiszenzen darin, machen die Entstehung der Bilder bald nach Canalettos Rückkehr 
aus Rom 1721 °) wahrscheinlich, wie auch die Tradition berichtet (Benois, St. G. S. 725). 
Aus dem Umkreis Tiepolos aus früherer und späterer Zeit sind noch der sonnige 
Hirtenknabe von Piazzetta (Nr. 87, Abb., Bes. weil. Großfürst Wladimir) und die 
Plafondskizze mit dem Triumphe des hl. Dominicus (Nr. 195, Abb., Bes. K. v. Wolff) 
zu nennen; diese ist nach Benois (St. G. S. 725) vielleicht dem Dom. Tiepolo zuzu- 
schreiben, v. Liphart (St. G. S. 717) hält sie für ein Werk Piazzettas. Von Antonio 
Canales sonstige Arbeiten sind noch die mit viel Brio vorgetragenen beiden Ansichten 
von Venedig (Nr. 203, 209, Abb., Bes. E. G. Schwartz) zu nennen. Glänzender als 
Canaletto trat Fr. Guardi auf in der kühlen, silbrigen Rialtoansicht (Nr. 297, Bes. 
Fürst Jussupow) und einem farbig blühenden Durchblick auf einen Hof, der mit dem 
des Dogenpalastes eine entfernte Ähnlichkeit besaß (Nr. 211, Abb., Bes. J. P. Balaschew). 


1) Wie ich von anderer Seite höre, befindet sich ein analoges Stück bei Dr. Gust. 
Frizzoni. Anscheinend ähnliche Stücke bei F. H. Meißner, Tiepolo, KnakfuB' Monographien XXII, 
S. 12, Abb. 8 und in der Galerie R. Kann, cf. Bodes Edition. 

*) Cf, O. Uzanne, Les deux Canaletto, p. 62. 


Bunbiznary aiq "syopunyayef [AX SƏP Jajsiayw Jaıpsıueds ‘8 ‘qqy 


172 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Die nähere Bestimmung der drei als altspanisch katalogisierten Gemälde konnte 
aus Mangel an Vergleichsmaterial und speziellen Sachkennern nicht gefördert werden. 
Als unzweifelhaft spanischen Ursprungs blieb nur der schmale Einzug Christi in 
Jerusalem (Nr. 10, Bes. Fürst G. G. Gagarin) bestehen, eine ziemlich handwerksmäßig 
gemalte, aber durchaus nicht uninteressante Darstellung. Die spanische Herkunft eines 
Altarflügels mit den Heil. Magdalena und Johannes Ev. (Nr. 5, Abb., Bes. Gräfin 
E. W. Schuwalow) beruht auf einer unsicheren Tradition und beiläufigen Meinungs- 
äußerungen einiger Autoritäten, die das Bild nur unter sehr ungünstigen Verhältnissen 
gesehen hatten; es wird von anderen für süddeutsch gehalten, wogegen das schwere 
Kolorit und gewisse Einzelheiten der Modellierung zu sprechen scheinen. Für das 
außerordentlich flüssig gemalte Kreuzigungstriptychon (Nr. 240, unsere Abb. 8, Bes. 
Gräfin E. W. Schuwalow) !) wird sich die spanische Herkunft erhärten lassen, unbe- 
schadet der Anerkennung starker niederländischer Einflüsse; diese treten doch nicht 
genügend stark hervor um das Werk einem in Spanien tätigen Niederländer zuzu- 
weisen. Am wenigsten käme ein Künstler aus der Richtung Pieter Aertsens dafür in 
Betracht, woran der verstorbene Neustrojew dachte, dessen Autorität ich s. Zt. folgte °). 
Über den Christus von Juan de Juanes (Nr. 50, Bes. Fürst Kotschubei), die beiden 
Morales (Nr. 49, 56, Bes. I. K. H. Prinzessin Eugenie v. Oldenburg) und die beiden 
Ribera (Nr. 48, Bes. E. G. Schwartz, Nr. 53, Bes. Gräfin Mussin-Puschkin), von denen 
der zuletzt genannte farbig sehr anziehend war, ist nichts besonderes zu berichten. 
Von ungewohnter Seite zeigte sich Ant. Pereda mit der signierten und 1660 datierten 
ausdrucksvollen büßenden Magdalena (Nr. 52, Bes. Gräfin E. W. Schuwalow, Faks, 
d. Sign. St. G. S. 718); das Beiwerk nahm auch hier natürlid den entsprechenden 
Raum ein. Das interessanteste spanische Stück aus der klassischen Zeit waren die 
durch edle Farbengebung bedeutenden Apostel des Greco von 1618, von denen im 
Madrider Privatbesitz eine etwas schmalere Replik vorhanden ist?) (Nr. 54, Abb., Bes. 
P. P. Durnowo). Durch seine schwer melancholische Färbung wirkte ein lebensgroßer 
Kruzifixus wahrhaft imposant (Nr. 16, Abb., Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin); bisher 
Alonso Cano zugeteilt, wird er durch v. Liphart mit guten Gründen Zurbaran zu- 
geschrieben (St. G. S. 718). Eine schöne Velasqueztradition verriet das in seinen Tönen 
bald fahle bald schillernde Porträt Karls II. von Spanien (Nr. 51, Bes. B. J. Chanenko), 
bei dem es dahingestellt bleibe, ob es den Namen Claudio Coello mit Recht trägt. 


* * 
* 


Keines der altniederländishen Gemälde *) der Ausstellung war vor dem Ende 
des XV. Jahrhunderts entstanden. Auch eine Mater dolorosa, das Fragment einer 


1) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1902. Tafel 125; sehr vershwommen. 

?) Les Trésors d'art en Russie 1902. Text russ. S. 278, 295, franz. S. XXIII. Der Seh- 
fehler beruhte, wie ich jetzt glaube, auf einer falschen Interpretation der Frau mitten im Vordergrunde 
des rechten Flügels. Der Galeriename des Bildes ist übriges Pedro Campania. Nach der gen. 
Reproduktion meinte A. de Beruete (ein Gespräch) einen Spanier als Autor annehmen zu müssen. 

3) Cossio, El Greco I, p. 368, 572. II, Taf. 87. Ein weiteres Exemplar abgeb. in Les 
Arts Nr. 58, Oct. 1906, p. 18. 

4) Bei diesem Thema, wie bei den altdeutschen Bildern, habe ich für diesen Bericht eine 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister im Petersburger Privatbesitz 173 


Kreuzigung (Nr. 29, Abb., Bes. J. S. Ostrouchow), die bei näherem Zusehen besonders 
in der Landschaft stark von Memling beeinflußt erschien, muß trotz etlicher Archaismen 
in diese Zeit versetzt werden. Ebenso erwies sich ein anfangs älter anmutender 
Hieronymus im Gehäus (Nr. 7, Bes. B. J. Chanenko), der etwas barbarisch in der 
Zeichnung, aber sehr reizvoll in der Farbe war, als Werk eines späten van Eyck- 
Nachahmers. Sehr schön war in Farbe und Zeichnung das Diptychon mit der Anbetung 
der Könige (Nr. 9, unsere Abb. 9, Bes. B. J. Chanenko), das ich voreilig Gerard David 
zugeschrieben habe (St. G. S. 667), während es nach Friedländers Urteil auf Grund 
der Reproduktion einem anonymen Brügger Meister um 1490, der von Hugo v. d. Goes 
beeinflußt war, gehört; Friedländer verweist mich auf ein nahe verwandtes Bild in 
der Sammlung Chaix-d’Est-Ange'). In einem trotz mangelhafter Erhaltung sehr 
interessanten zwölfjährigen Christus im Tempel (Nr. 301, Bes. Graf A. A. Golenisch- 
tschew-Kutusow) wird man mit Friedländer einen echten Hieronymus Bosch vermuten 
dürfen. Für wahrscheinlich hollandisch halte ich zwei Altarflügel mit Märtyrerszenen 
(Nr. 42, Bes. B. J. Chanenko). Für eine schöne, in der Farbe harmonische Madonna 
(ohne Nr., Bes. W. N. Issakow) könnte vielleiht Isenbrant als Autor in Frage 
kommen. Zwei Altarflügel mit Szenen aus der Geschichte Joachims und Annas (Nr. 26, 
27, Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow) sollen den früher G. v. d. Meire 
benannten Berliner Bildern *) nahestehen, die mir nicht erinnerlich sind. 


Das hervorragendste niederländishe Bild aus dem XVI. Jahrhundert war 
die fein beseelte Enthauptung der hl. Katharina (Nr. 416, Bes. Graf A. A. Golenisch- 
tschew-Kutusow) 3), die lange unter dem Sammelnamen Barend van Orley ging; nach 
dem iibereinstimmenden Urteile von Friedlander und Hulin de Loo (miindliche Mit- 
teilung) gehört dieses Kapitalbild einem Brüsseler Anonymus um 1520, den man, wie 
ich in Staryje Gody vorschlug, nach ihm vielleicht einstweilen den Brüsseler Meister 
der hl. Katharina benennen könnte. Die Richtung des Meisters des Todes 
Mariä war durch drei Madonnen vertreten. Von diesen ist eine (mit dem hl. Joseph 
(Nr. 24, Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) ‘) den Bildern im Wiener Hofmuseum (Kat. 1896, 
Nr. 685) und in der Ermitage (Kat. Nr. 469) verwandt, steht aber auch dem letzteren 
in der Qualität nach. Die zweite (Nr. 419, Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow) °) 
wiederholt einen Typus, von dem, wie mir Friedländer schreibt, ein viel besseres 
Exemplar aus der Sammlung Alb. Langen ins Germanische Museum zu Nürnberg 
übergegangen ist. Die dritte (Nr. 11, Bes. P. P. Weiner) ist nach Friedlander von einem 
Prototyp des Meisters des Todes abgeleitet, das in verschiedenartigen Variationen 
wiederholt ist, deren beste sich bei Herrn M. Kappel in Berlin befindet. Unserem 


ganze Reihe, im folgenden jeweils notierter, liebenswürdiger briefliher Mitteilungen Herrn 
Direktor J. Friedländers benutzen dürfen, für die ich hier nochmals meinen wärmsten Dank 
ausspreche. 

1) Abb. Les Arts, Nr. 67. juillet 1907, p. 14. 

3) Nr. 527 und 542 im Katalog des Kaiser Friedrich-Museums. 

3) Recht gute Abb. mit Detail, Les Trésors d'art en Russie 1903. Tafel 136, 137. 

1) Flaue Abb. Les Trésors d'art en Russie 1902. Tafel 126. 

5) Abb., Les Trésors d’art en Russie 1903. S. 369. 


174 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 9. Brügger Meister um 1490. Anbetung der Könige 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 175 


Abb. 9. Brügger Meister um 1490. Anbetung der Könige 


176 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Bilde steht das Exemplar auf der Auktion bei Fr. Miller vom April 1907 (Nr. 9 des 
Kataloges, Mabuse) ganz nahe, abweichend ist das Exemplar der Auktion Guidi 
(Faenza 1902, Kat. Nr. 140, ebenfalls Mabuse), auf das mich Friedlander aufmerk- 
sam macht. 

Unter den niederländischen Porträts aus dem XVI. Jahrhundert zogen ein bisher 
für deutsch geltendes Greisenbildnis (Nr. 281, Bes. Fürstin Kuguschew), das durch einzelne 
Züge an Lucas v. Leyden gemahnte, und ein sehr feines Frauenporträt (Nr. 284, Abb., 
Bes. B. J. Chanenko), nach Friedländer holländisch um 1560, die Aufmerksamkeit am meisten 
auf sich. Durch ein wahrscheinlich nicht zugehôriges Memento mori mit falschem 
Dürermonogramm wurde ein anderes kleines Frauenporträt (Nr. 18, Bes. I. K. H. Prin- 
zessin Eugenie von Oldenburg) zu einem Diptychon ergänzt; das Porträt selbst erinnert 
in manchen Zügen an B. Bruyn d. J. Von späteren Bildnissen war das Brust- 
bild einer Dame (Nr. 313, Bes. Baron P. Meyendorff) und die Kniefigur eines älteren 
Mannes (Nr. 393, Bes. J. A. Wsewoloshskoi) vom Katalog dem älteren Franz Pourbus 
zugeteilt worden, doch wohl ohne Berechtigung. Beide interessanten und flott vor- 
getragenen Stücke wären der näheren Bestimmung wohl wert. Unter dem Namen 
Herri met de Bles waren sehr verschiedene Dinge zu sehen. Als ziemlich sicher 
echt bezeichnet Friedlander die schöne Landschaft mit der Opferung Isaaks (Nr. 399, 
Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow)'). Viel weniger sicher erscheint die bles- 
artige phantastische Landschaft mit Odysseus und Kalypso (Nr. 401, Abb., Bes. W. A. 
Schtschawinski), deren Figuren an Floris erinnern. Nichts gemeinsames mit diesen 
beiden hatte die dritte Bles genannte Landschaft mit Rittern und Reisigen (Nr. 405, 
Bes. P. W. Ochotschinski), die im allgemeinen den Eindruck macht bedeutend später 
entstanden zu sein. Roelant Savery war mit zwei untereinander recht verschiedenen 
bezeichneten Landschaften vertreten, von denen die kleine von 1614 (Nr. 410, Abb., 
Bes. Baron N. Wolff, Faks. d. Sign., St. G. S. 694) von entzückendem Farbenglanz 
war. Als R. Savery galt früher auch das ihm entschieden nahestehende Paradies, das 
„P. D. M.FE.... 1649“ bezeichnet ist (Nr. 435, Bes. Graf A. A. Golenischtchew-Kutusow) *) 
Gegen die Zuteilung einer farbig sehr wirkungsvollen Landschaft an Josse de Momper 
(Nr. 407, Bes. E. Garcia-Mancilla) waren keine Einwendungen zu erheben. Es erübrigt 
noch eine bisher unbekannte Kneipenszene von Pieter Aertsen (Abb. 444, Abb., 
Bes. W. K. Nikolajewski) zu nennen, die zwar nichts neues bietet, aber durch die 
volle Bezeichnung mit Monogramm, Marke und Datum: 14. April 1556 (Abb. St. G. 
S. 671) eine authentische Bereicherung für Aertsens CEuvre bedeutet. Eine virtuos 
gemalte signierte (Faks. St. G. S. 677) Jagdszene von Otto van Veen (Nr. 409, Bes. 
Alexander Benois) leitete nun zu Rubens über. 


* ie x 
Bei Rubens erlebte man nach den gehegten Erwartungen eine Enttäuschung. 


Die beiden von weil. Al. Neustrojew entdeckten Skizzen (Nr. 354, 355, aus dem Palais 


1) Abb., Les Trésors d'art en Russie 1903. S. 370. 
2) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1903. Tafel 138. Daß Prahow das Monogramm , 
dort und Text S. 432 falsh und unvollständig liest wird niemand wundern. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 177 


Abb. 10. JORDAENS. Flucht nach Ägypten 


zu Gatschina) erwiesen sich als Gehilfenarbeit. Historisch sind sie durchaus wert- 
voll, denn sie repräsentieren Varianten von zwei Entwürfen fiir Whitehall: der glück- 
lihen Regierung Jakobs I. (Wien, Akademie Nr. 628) und der Erhebung Karls I. zum 
Könige von Schottland (Ermitage Nr. 572)'), sie werden nicht nur für die Erforschung 
der Entstehungsgeschichte der Malereien von Whitehall Bedeutung haben, sondern 
wohl auch für die Frage der Arbeitsorganisation in Rubens’ Atelier, da ihre indi- 
viduelle Mache und Färbung näheren AufschluB über ihren Autor erhoffen lassen. 
Mit geringerer Sicherheit konnte die Echtheit der Skizze zu einer Beweinung Christi 
(Nr. 376, Abb., Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin) ?) bestritten werden, doch scheint 
Baron N. Wrangell (St. G. S. 688) zu voreilig für die Echtheit einzutreten und über 
die unleugbaren Ungeschlachtheiten der Komposition und Härten der Zeichnung zu 
rasch hinwegzugleiten. Von der Wiener Beweinung (Kat. 1896, Nr. 839) sowohl wie 
von der Antwerpener (Kat. Nr. 319) scheint mir die Skizze kompositionell viel zu stark 
abzuweichen, um sie mit Baron Wrangell als Entwurf zu einer von ihnen betrachten 
zu können. Wahrscheinlich ist sie eine Schülerskizze nach einem dieser beiden Bilder, 
denn gerade in den Änderungen und Zutaten erscheint sie unverhältnismäßig schwach. 
Ein repräsentatives Stück der Rubenswerkstatt war die große Kalydonische Jagd 


') Abb. Staryje Gody, Februar 1909. bei S. 88. 
2) Größere aber schlechte Abb. Les Trésors d'art en Russie 1905. Tafel 83. 
13 


178 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


(Nr. 432, aus dem Englischen Palais zu Peterhof), angeblich eine Vorlage für einen 
Gobelin. Die Ausführung war natürlich sehr ungleichmäßig. Eber und Hunde ver- 
rieten Snyders’ Hand; recht gut war die Atalante, doch nicht gut genug um Baron 
Wrangells Verdacht (St. G. S. 689) auf eigenhändige Ausführung durch Rubens zu 
bestätigen; der herkulisch-riipelhafte Meleager war bedeutend geringer, die Landschaft 
mit Reitern usw. war von ganz handwerksmäßiger Gesellenarbeit. 

Jordaens’ schöne Flucht nach Agypten (Nr. 300, unsere Abb. 10, Bes. Gräfin 
E. W. Schuwalow) nannte Waagen mit Recht ungewöhnlich edel in der Auffassung 
und gediegen in der Ausführung; es ist die gelungenere Variante eines Bildes in der 
Galerie Matsvanszky und scheint, nach Rooses’ Beschreibung einem weiteren Exemplar 
dieser Komposition bei Me Bosschaert du Bois in Antwerpen, das bezeichnet und 
1641 datiert ist, kompositionell näher zu stehen.') Ein Männerporträt aus der Zeit 
stellte weder Snyders vor, noch stammte es von Jordaens (Nr. 370, Bes. E. G. Schwartz), 
welche Bezeichnungen Bar. Wrangell (St. G. S. 689) beibehalt. Ganz richtig spricht 
Wrangell dem Pastorale (Nr. 312, Bes. P. P. Weiner) mindestens die Ausführung durdı 
Jordaens ab. 

Der Teniers d. J. zugeschriebene Hirtenknabe (Nr. 343, Bes. Fürst Jussupow) 
war wahrscheinlich echt trotz der gefälschten Signatur unter der aber Reste der echten 
durchzuschimmern schienen; dagegen mußte der Name Teniers bei einem Knaben in 
Pilgertracht (Nr. 305, Bes. Frau M. Ratkow-Roshnow) abgelehnt werden; auch die Zu- 
schreibung der Landschaft dieses Bildes (Wrangell, St. G. S. 687) an Lucas v. Uden 
stand nur auf sehr schwachen Füßen. Für den Jäger mit falschem Teniersmonogramm 
(Nr. 307, Bes. L. N. Benois), schlug P. V. Delarow (cf. Wrangell St. G. S. 687) den 
Namen Wildens vor, der allgemein mit Befriedigung aufgenommen wurde. 

Unter den Erben van Dycks trat C. Janssens van Ceulen mit einem außer- 
ordentlich distinguierten Männerporträt, das voll bezeichnet und 1653 datiert ist (Faks. 
St. G. S. 677; ohne Nr., Abb., Bes. P. N. Issakow) besonders hervor. Diskreter in der 
Wirkung war ein anderes Männerbildnis aus dieser Richtung, in dem ich nad Ana- 
logien mit dem Frankfurter Bilde (Nr. 143) in der Geschmeidigkeit der Pinselführung, 
der Farbengebung und einem sinnend-lyrischen Element der Auffassung die Hand 
Pieter Franchoys erkennen zu dürfen glaube (Nr. 309, unsere Abb. 11, Bes. J. P. 
Balaschew). Ich hatte die Genugtuung, P. P. Semenow-Tianschanski und P. V. Delarow 
dieser Attribution im allgemeinen zustimmen zu hören. In den Zusammenhang dieser 
Gruppe gehört allem Anschein nach ein weiteres Männerporträt von vlämischem Charakter, 
(Nr. 397, Abb., Bes. Baron Paul Korff) das „Stom fe. 1649“ (Faksimile St. G. S. 684) 
signiert war. Meine Nachforschungen in der mir zugänglichen recht begrenzten Literatur 
haben mich nur bis zur Frage geführt, ob es sich nicht vielleicht um jenen rätselhaften 
vlämischen Matth. Stoom handeln könnte, den Woermann in Anlaß der Dresdener 
Bilder seines holländischen Namensvetters nennt.”) Die richtige Agnostizierung der 


1) Abb., Les Trésors d'art en Russie 1902. Tafel 122. Waagen, Gemäldesammlung 
d. K. Ermitage usw. S. 424. Th. v. Frimmel, Bl. f. Gemäldekunde Ill, S. 39 mit Abb. des 
Bildes der Sig. Matsvanszky. M. Rooses Jordaens, sa vie et son œuvre p. 110. 

-) Katalog der Dresdener Galerie 1908. S. 596. Nr. 1850. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 179 


Abb. 11. PIETER FRANCHOYS zugeschrieben 
Männliches Bildnis O 


drei Bilder von Justus Sustermans geht auf E. v. Liphart zurück. Die Porträts 
eines Ehepaares, wie ich höre sicher Federigo Ubaldo della Rovere und Claudia de’ 
Medici (Nr. 394, 396, Abb., Bes. Graf Reutern-Nolcken) waren durch das schwere 
Kolorit weniger anziehend, als das mit wirklich vornehmer Repräsentation durch- 
geführte Urteil Salomonis (Nr. 253, Bes. E. N. Wolkow). Ein imposantes Stück 
der vlämischen Barockmalerei war die bezeichnete Allegorie (eines Ehebundes?) von 
Gérard de Lairesse (Nr. 273, Abb., Bes. J. J. Muirhead), von schöner, klarer Farben- 
gebung. Die vlämische Landschaftsmalerei war hauptsächlidı durch Marinen vertreten; 
unter ihnen übertrafen Andries van Eertveldts mit dem Monogramm bezeichnete 


180 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Abb. 12. ANDRIES VON EERTVELDT: Schiffe 


Schiffe (Nr. 361, unsere Abb. 12, Faks. St. G. S. 700, Bes. J. P. Balaschew) durch 
ihr Kolorit und die duftige Feinheit der Atmosphäre weitaus alle übrigen, z. B. 
das monogrammierte und 1620 datierte Seestü von Adam Willaerts (Nr. 345, 
Faks. d. Sign. St. G. S. 699, Bes. S. J. Schidlowski) und den ebenfalls bezeichneten 
Sturm von Bonaventura Peeters (Nr. 371, Bes. P. G. Mjakinin). Ejn Meierhof von 
Jan Siberechts (Nr. 340, Abb., Bes. N. D. Jermakow) zeichnet sich durch die Fülle 
von Licht und die Feinheit des stillebenmäßig intim durchgeführten Vordergrundes aus. 


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* 


Die Holländer waren auf der Ausstellung nicht so überwältigend zahlreich ver- 
treten, als der.traditionelle Ruf Petersburgs als Holländerstadt par excellence erwarten 
ließ. Es erklärte sih das zum Teil daraus, daß die Galerie Semenow-Tianschanski und 
die zurzeit zu einem Gastspiel in Holland weilende Sammlung Delarow ihr fern bleiben 
mußten. Immerhin war doch so viel vorhanden, daß die Beschränkung des Berichtes auf 
das Wertvollste und Interessanteste hier noch dringender erscheint, als bei den anderen 
Schulen. Über die als Abraham Bloemaert katalogisierten Bilder wurde viel debattiert. 
Als sicher konnte nur die arg verrestaurierte bezeichnete Hirtenszene von 1654 gelten 
(Nr. 321, Bes. Fürst Argutinski-Dolgorukow. Faks. d. Signatur St. G. S. 688; Stich von 
Matham cf. Wrangell St. G. S. 687). Bei dem Sündenfall (Nr. 373. Bes. N. D. Nikiforow) 


Abb. 13. REMBRANDT: Studie 


182 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


einigte man sich darauf, ihn fiir eine Kopie von unbekannter Hand nach J. Saenredams 
Stich einer Komposition Bloemaerts zu erklären (cf. Wrangell a. a. O.) Die beiden Monats- 
bilder oder Allegorien der Jahreszeiten (Nr. 428, Abb., 439, Bes. Graf A. A. Golenischtschew- 
Kutusow) habe ich (St. G. S. 671) in Ubereinstimmung mit der Majoritat der Petersburger 
Kenner für Bloemaert in Anspruch genommen, seiner Sphäre teilt sie auch Friedlander 
nach der Reproduktion urteilend zu, allein es gibt Zweifler, denen sich Bar. Wrangell 
(St. G. S. 675) anschließt, die in diesen Bildern Bloemaert heterogene Erzeugnisse sehen. 
Bloemaerts Schüler Gerard v. Honthorst waren zwei Bilder zugeteilt, von denen der 
psalmierende David (Nr. 171, Bes, Pater Amaudru) in der Farbe ausgesprochen vlämi- 
sches Gepräge zur Schau trug. Das Bild mit den drei allegorischen Figuren in genre- 
hafter Auffassung, die aus unerfindlihen Gründen Glaube, Hoffnung und Stärke benannt 
wurden (Nr. 430, Bes. Frau W. J. Mjatlew) hätte als Honthorst gelten bleiben können, 
wenn sich die Reste einer versteckten Signatur, neben denen das Jahr 1638 deutlich zu 
lesen war, irgend auf diesen Namen hätten deuten lassen. Sollte für dieses Stück 
vielleicht Dirk van Baburen in Betracht kommen können? Die Reproduktion eines 
von Th. v. Frimmel publizierten Bildes') scheint das nicht auszuschließen. Leider bin 
ich auf dieses Bild zu spät aufmerksam geworden, um die Signaturreste mit einer 
authentischen Bezeichnung Baburens vergleichen zu können. Ein anderer Bloemaert- 
schüler Poelemburg, war durch eine Landschaft mit Nymphen von gewohnter 
Qualität (N. 346, Bes. W. B. Skarjatin) vertreten. 

Von den ausgestellten Werken Rembrandts war ein Teil der Fachwelt (nicht 
aber der Petersburger Gesellschaft) schon bekannt. Die tiefsinnigen späten Portraits eines 
Ehepaares (Nr. 289, 291, Bes. Fürst Jussupow) waren 1898 in Amsterdam zu sehen’). 
Weniger, nur durch die Reproduktion, dürfte die kleine bezeichnete Halbfigur Christi 
(Nr. 290, Bes. S. K. H. Großfürst Konstantin)?) bekannt sein. Sie ist dem analogen 
Bilde im Kaiser Friedrich Museum aus der Galerie R. Kann entschieden verwandt, erscheint 
aber im Ausdruck pathetischer und weniger farbig. Ein Novum im Oeuvre Rembrandts 
war die delikate Studie nach dem als vornehmer Orientale aufgeputzten alten Harmen 
(Nr. 299, unsere Abb. 13, Bes. B.J. Chanenko)‘). Die Breite der Pinselführung ließ hyper- 
kritische Geister an der Echtheit des Bildes zweifeln, wozu sonst gar kein Grund vor- 
handen war. Wenn auch Vortrag und tonige Haltung um 1630, wo das Bild dem Augen- 
schein nach anzusetzen ist, ungewohnt erscheinen, braucht man bei Rembrandt doch nicht 
vor unerwartet friihem sporadischem Auftreten einzelner technischer Handgriffe, die erst 
in späteren Zeiten charakteristisch werden, zurückzuschrecken. Zwei angebliche Selbst- 
porträts bestanden die Probe nicht. Das anscheinend ganz frühe von den beiden 
(Nr. 265, aus dem Palais zu Gatschina) erwies sich als Kopie nach dem Typus beim 
Fürsten Lubomirski in Lemberg, von dem ein anderes Exemplar auf der Jubiläums- 


1) Helbings Monatsberichte I. S. 136 ff. 

2) Abb. Hofstede de Groot, Rembrandtausstellung, T. 34. 35. Bode, Rembrandtwerk, 
Bd. 7, S. 41. 45. Rosenberg, Klassiker der Kunst. Bd. 2, S. 231. 232. 

3) Abb. Bode, Rembrandtwerk. Bd. 8, Nr. 591. Les Trésors d'art en Russie 1906. 
Tafel 27; schlecht! 

') Abb. Les Trésors d'art en Russie. 1906. Tafel 27. Schlecht! 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 183 


ausstellung bei Fr. Müller 1906 vorhanden war'); weshalb Baron Wrangell (St.G.S.681) 
es Paudiss zuweisen will, ist mir nicht recht verständlich. Das zweite, das ganz spät 


hätte sein müssen, glaub- 
te P. P. Semenow-Tian- 
schanski mit ziemlicher 
Wahrscheinlichkeit als eine 
Arbeit des Aert de Gel- 
der zu erkennen (miind- 
liche Mitteilung), eine Be- 
stimmung, die bei näherem 
Studium des Bildes immer 
mehr gewann. 

Von den Rembrandt- 
schülern war Nicolaes 
Maes am besten und 
reichsten vertreten, aller- 
dings mit Ausschluß der 
charakteristischen Genre- 
szenen seiner zweiten Pe- 
riode. In die erste Zeit 
seiner Tätigkeit in Rem- 
brandts Werkstatt, etwa 
in das Jahr 1650, muß 
das Porträt des kleinen 
Titus von Ryn (Nr. 398, 
Abb., Bes. Gräfin Sollohub) 
versetzt werden, da der 
Knabe im Alter hödıstens 
von adit Jahren dargestellt 
ist. Im Inkarnat und im 
Blick sind gewisse Härten 
spürbar; als entscheidende 
Note des Kolorits wirkt 
das leuchtende Rot des 
Mantels. Wenn die groß- 
artige Verspottung Christi 
(Nr. 239, unsere Abb. 14, 
Bes. Gräfin Mussin-Pusch- 
kin) wirklich Maes gehört, 
so müßte sie ungefähr 


Abb. 14. N. MAES (?) Verspottung Christi 


gleichzeitig mit dem Titusbildnis entstanden sein, da sie noch ganz rembrandtisch ge- 


1) Das Lubomirskishe Exemplar abgeb. Bode, Rembrandtwerk. Bd. 8, Nr. 346. Das 
zweite Exemplar Nr. 106 des Kataloges der Ausstellung 1906, Abb. im Album. 


184 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


halten ist. Allein fast scheint es, als wenn dem trockenen Ingenium Maes’ mit dieser 
Zuteilung allzu große Ehre geschieht. Die Auffassung ist wahrhaft groß, das Helldunkel 
meisterhaft, der Vortrag außerordentlich flüssig, die Farbengebung selten harmonisch und 
kraftvoll, besonders im leuchtenden Inkarnat. Auf Maes deutet in der Farbenskala des 
Bildes nur wieder das überall, aber nirgends aufdringlich durchbrechende Rot. Inzwischen 
ist es aber auch nicht gelungen, einen anderen Namen mit größerer Wahrscheinlichkeit 
vorzuschlagen. Ein imposantes Beispiel von virtuoser Ausführung aus Maes’ Barockzeit 
bildete der Knabe als Ganymed von 1678 (Nr. 326, Abb., Bes. S. K. H. Herzog Georg 
M. von Leuchtenburg). Ein wahrscheinlich etwas früher anzusetzendes Männerporträt 
(Nr. 356, Bes. A. N. Markowitsch) trat dagegen in der Wirkung zurück. Die Benennung 
F. Bol ließ sich für einen Joseph mit der Potiphar (Nr. 459, Bes. B. J. Chanenko) nicht 
aufrecht erhalten. Ein gutes, voll bezeichnetes Bild von 1656 (Faks. St. G. S. 682) von 
G. v. d. Eeckhout waren die Engel bei Abraham (Nr. 349, Bes. S. J. Schidlowski). 
Widerspruch erregte die Zuteilung einer fast ganz grau in grau gemalten Auf- 
erweckung des Lazarus von recht unerquiclicher Haltung an Benjamin Cuyp 
(Nr. 353, Bes. Baron N. E. Wrangell), bei der gelegentlich an eine viel spätere Nach- 
ahmung gedacht worden ist. Eine recht imposante flott gemalte, etwas von treffender 
Charakteristik an Jan Victors erinnernde') Portraitgruppe (Nr. 243, Abb., aus dem 
Großen Palais zu Zarskoje Selo) brachte nach langem Rätseln eine große Überraschung: 
sie erwies sich als voll bezeichnete und 1654 datierte Arbeit des seltenen Danzigers 
Daniel Schultz oder Schültz, wie er sich auf dem Bilde schreibt. Die auf dem nadh- 
gedunkelten Grunde außerordentlich schwer lesbare Signatur wurde erst spät entdeckt 
und nur bruchstückweise entziffert; erst später hat mein Kollege an der Ermitage 
Baron Harald Koskull als erster den Namen richtig gelesen. Über dieses Bild wird 
bei anderer Gelegenheit ausführlicher zu reden sein. 

Unter den holländischen Portraits trat ein voll bezeichnetes und 1644 datiertes 
Frauenbildnis von Jan Verspronck besonders hervor, das bei der schönen Erhaltung 
wegen der sympathischen lebendigen Auffassung, der frishen Mache und seinem 
großen koloristishen Reiz den besten Schöpfungen des Meisters angereiht werden 
muß (Nr. 247, Abb., Faks. d. Sig. St. G. S. 676; aus dem Palais in Gatschina). Ein 
Hauptstück der Ausstellung, das mit großer Meisterschaft gemalte Portrait eines Knaben 
(Nr. 364, unsere Abb. 15, Bes. B. J. Chanenko), von selten flüssigem Vortrage, schönster 
Farbe, herrlicher Lichtbehandlung und tiefer Beseelung mußte einstweilen unbenannt bleiben. 
Wenn man bei ihm auch nicht gleich, wie enthusiastische Dilettanten taten, an den 
Delfter Vermeer denkt, so verlocken seine außerordentlichen Qualitäten doch dazu, 
beim Suchen nach dem Meister sehr hoch zu greifen. Ein anspruchsloses Frauen- 
porträt von Jan Langnouwer war voll bezeichnet und 1640 datiert (Nr. 392, Faks. 
St. G. S. 684. Bes. S. J. Schidlowski). Das angenehme Brustbild eines rothaarigen 
Mannes war als Hendrik v. d. Vliet katalogisiert, gehört aber eher, wie auch C. Hof- 
stede de Groot (mündliche Mitteilung) meint, Willem v. d. Vliet (Nr. 269, Bes. Gräfin 


1) Waagen. Gemäldesammlung der K. Ermitage usw., S. 364. Auch Baron N. N. Wrangell 
war unabhängig davon diese Ähnlichkeit aufgefallen, St. G. S. 685. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 185 


E. W. Schuwalow)'). In stilistischer und kostümgeschichtliher Beziehung war eine 
Familiengruppe (Nr. 390, Bes. Jos. Braz) recht interessant, die, von wem ist mir un- 
bekannt, auf Bart. Meyburg getauft worden war. Die Blüte des holländischen 
repräsentativen Porträts vertraten ein schwarzgekleideter älterer Herr von Abraham 
v.d. Tempel (Nr.447, Abb., Bes. Fürstin Kuguschew), mit einer nicht schlecht gefälschten 
van Dycksignatur, und ein im Vortrage sehr erfreulicher junger Mann von Jan 
van Neck, voll bezeicinet und datiert 
1644 (Nr. 303, Abb., Bes. Jos. Braz) 
Als Kaspar Netscher passierten zunächst 
zwei Frauenporträts, die sich erst später 
als signierte Arbeiten Adriaen v. d. 
Werffs von 1682 herausstellten (Nr. 313, 
329. Bes. P. P. Durnowo). Ohne die 
Signatur hätte man vielleicht auf die von 
Netscher abweichende Handform und 
den ihm fremden Fleischton gar nicht 
geachtet. Zwei respektable Männer- 
bildnisse von Konstantin Netscher 
(Nr. 315, 320. Bes. P. P. Weiner) waren 
voll bezeichnet. Eine Dame in Rot (Nr. 318. 
Bes. Baron N. E. Wrangell) erschien für 
Eglon v. d. Neer fast zu lebhaft in 
Farbe und Haltung. 

Die beiden häuslichen Szenen von 
Pieter de Hood (Nr. 276, sig., Faks. 
St. G. S. 691; 375. Bes. Fürst Jussupow) 
repräsentierten seine zweite Periode sehr 
gut, besonders das an erster Stelle ge- 
nannte. Der alte Inventarname Ter- 
bord für einen sehr flotten Lauten- 
spieler (Nr. 241, aus dem Palais zu Abb. 15. Holländische Schule: Knabenbildnis 
Gatschina) mußte von Anfang an fallen, 
ohne daß Ersatz für ihn gefunden wurde. Außerst anziehend in Licht und Farbe 
war das Bild eines jungen Offiziers (Nr. 350, Abb., Bes. J. P. Balaschew). Eine in den 
Gesichtszügen geringfügig veränderte Replik dieses Bildes besitzt das Mauritshuis unter 
dem Namen Duyster, die früher A. Palamedes hieß und von Bode für Jakob A. Duck 
in Anspruch genommen wurde’). Als Duck war auch das Bild der Ausstellung kata- 
logisiert, später aber, wenn ich nicht irre auf P. V. Delarows Vorschlag, auf Pieter 
Codde getauft und als soldier auch von Baron Wrangell (St, G. S. 691) besprochen 


1) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1902. S. 287. Text. russ. S. 284. 302. franz. S. XXIV. 

2) Abb. in Hanfstaengls Malerklassikern, Bd. V, der Haag und Haarlem S. 20. Cf. La- 
fenestre et Richtenberger, La Hollande, p. 74 (Nr. 408). Bode, Studien z. Gesch. d. Holl. 
Mal. S. 139. 


186 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


worden. Daß von allen diesen Namen der Liste der Duysters vorzuziehen ist, 
beweist der Vergleich mit den bezeichneten Trictracspielern der Ermitage (Kat. Nr. 1254). 
Die drei signierten Bilder von Adriaen v. Ostade (Nr. 327. 363, Abb. 369. Bes. J, 
P. Balaschew) wurden erst während der Ausstellung als solche erkannt; sie waren 
als Pieter Quast, bzw. Cornelis Bega hergeliehen worden. Die beiden zuletzt ge- 
nannten zeichneten sich durch die große Feinheit des silbrigen Kolorits aus. Die Frau 
mit dem Papagei von Gerard Dou (Nr. 319, Abb., bez., Bes. Fürst N. N. Gagarin) ließ 
trotz angenehmer Farbigkeit infolge der übermäßig glatten Mache kühl. Dous Nachfolger 
L. de Moni war durch einen erfreulichen bezeichneten Fischhändler vertreten (Nr. 324, 
Faks. St. G. S. 691. Bes. Frau A. W. Besrodny). Die Bezeichnung Pieter van Slinge- 
landt für eine köstliche Gelehrtenszene (Nr. 327. Bes. Fürst S. N. Troubezkoi) fand 
allseitig Beifall. Als Kuriosum erwähne ich die ganz dilettantisch, halb a la Terborch 
halb a la Steen gemalte Genreszene mit der Bezeichnung ,JK.... yckenborg fecit“ 
(Nr. 383. Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow, Faks. d. Sign. St. G. S. 687), 
ehe ich als Spätlinge der holländischen Genremalerei die drei feinen, echt rokoko- 
mäßigen Bilder von Cornelis Troost nenne (Nr. 448. Bes. Fürst Jussupow. 449, Abb., 
Faks. d. Sign. St. G. S. 692. Bes. J. S. Ostrouchow. 450. Bes. Barond’ Hogguére). 


Unter den holländischen Landschaften war manche schmerzliche Lücke zu ver- 
zeichnen, nicht nur wegen des gänzlichen Fehlens mancher Namen, sondern auch infolge 
geringer Qualität des Vorhandenen. So war Jakob v. Ruisdael beispielsweise nur 
durch zwei Landschaften aus ganz später Zeit (Nr.302. Bes. N. A.Loviton. 304. Bes. J. 
P. Balaschew) vertreten. Eine schöne Uferlandschaft führte den Namen SalomonRuisdael 
(Nr. 335. Bes. J. P. Balaschew), der aber bestritten wurde. Über die meisten Land- 
schaften unter Jan van Goyens Namen läßt sich wenig berichten. Bald Goyen selbst, 
bald einem seiner Schüler in der Art des J. P. Schoeff (Trubnikow St. G. S.696) wurde 
ein großes Landstraßenbild mit Bäumen (Nr. 344, Abb., aus dem Palais in Gatschina) 
zugeteilt; die Reste der halb weggeputzten Signatur (Faks. St. G. S. 696) lassen sich, 
wie P. P. Semenow-Tianschanki zuerst sah, am ehesten zu P. Molyn ergänzen, einem 
Namen, der auch der stilkritischen Betrachtung nicht fern liegen dürfte. Die Land- 
schaft mit dem Turm von Albert Cuyp (Nr. 341, Abb., Bes. P. W. Ochotschinski) 
zwar unzweifelhaft echt, aber nicht hervorragend; ähnliches muß von der Straßenland- 
schaft Corn. Deckers (Nr. 348. Bes. Fürst A. G. Gagarin) gelten. Unter den Land- 
schaftern ist hier auch Isaak v. Ostade zu nennen, von dem ein sehr feiner und 
stimmungsvoller Fernblick auf eine flache Landschaft ohne Staffage (Nr. 365. Bes. 
Fürst N. N. Lwow) zu sehen war. Recht zalılreich waren die Winterlandschaften 
vorhanden. An der Spitze stand als ein wirkliches Glanzstück die selten gut erhaltene, 
in Licht und Farbe wunderbar schöne Eisbahn von Aert v. d. Neer (Nr. 425, 
unsere Abb. 16, Bes. Frau M. P. Danzas), die neben dem gewohnten Monogramm 
die auffallend späte Datierung 1669 trug'). Eine zweite Winterlandschaft von ihm war 
gut, aber geringer (Nr. 316. Bes. Graf A. A. Golenischtschew-Kutusow). Von sonstigen 


1) Das späteste Datum, das ich bei Bode, Rembrandt und seine Zeitgenossen, 2. Aufl. 
S. 155 und v. Wurzbadi, Niederländ. Künstlerlexikon, Bd. Il, S. 222 erwähnt finde, ist 1649. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 187 


| 


Abb. 16. AERT V. D. NEER: Eislandschaft mit Schlittschuhläufern 


Bildern dieser Art sind neben einem guten Avercamp (Nr. 423. Bes. S. J. Schid- 
lowski) i und ; einem monogrammierten Rundbildchen von Maerten Hulst (Nr. 358. 
Faks. St. G. S. 697. Bes. J. N. Gerard), drei aus verschiedenen Sammlungen zusammen- 
gekommene Arbeiten eines höchst interessanten älteren Anonymus zu nennen, deren 
Stil besonders durch die sozusagen gefiederte Wiedergabe der bereiften Aste charak- 
terisiert wird (Nr. 413, 420, Abb. Bes. Maslow. 417. Bes. W. A. Schtschawinski). Die 
beste von den italianisierenden Landschaften gehörte Adam Pynaker (Nr. 358. Bes. 
Jos. Braz). Um die Zuteilung eines in schweren braunen Tönen gehaltenen Bildes mit 
mit Waldlandschaft und Figuren (Nr. 347. Bes. Fürst W. N. Argutinski-Dolgorukow) 
an Carel du Jardin wurde viel gestritten; die Verteidiger dieser Attribution schoben 
alles Befremdlihe im Aussehen des Bildes auf mangelhafte Erhaltung. Von den 
Marinen waren neben zwei Stücken von Pieter Mulier d. A. (Nr. 314, 427. Bes. N. 
D. Nikiforow) eine Strandansicht von Jan Vermeer v. Haarlem d. A. (Nr. 380. Bes. 
P. W. Ochotschinski), die nicht unbestritten blieb, und ein guter Jan v. d. Capelle 
(Nr. 442 aus gleichem Besitz) bemerkenswert. Die Tiermalerei war nur durch einen 
Hühnerhof von Melchior d’Hondecoeter (Nr. 436. Bes. M. u. E. von Thörner) ver- 
treten. Das Stillleben fehlte ganz, wenn man nicht das stilllebenmäßig ausgeführte, 
vollbezeichnete und 1655 datierte, ziemlich große Küchenenterieur des seltenen Philips 
Angel als Ersatz gelten lassen will (Nr. 443, Faks. St. G. S. 689. Bes. Hildebrandt). 


* x 


188 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 17. CH. ANT. COYPEL: Achill und die Flußgötter 


Vermutlich altfranzösisch, etwa vom Anfang des XVI. Jahrhunderts war eine Be- 
gegnung Joachims und Annas (Nr. 6, Abb. Bes. P. P. Weiner). Ganz entzückend fein 
war das kleine Bildnis einer jungen Dame von Corneille de Lyon (Nr. 293. Bes. 
Gräfin E. W. Schuwalow)'). 

Eine Glanzseite der Ausstellung bildeten die Franzosen des XVII. und XVIII. Jahr- 
hunderts. Die heroische Historie war durch den farbig leuchtenden Achill im 
Kampfe mit den Flußgöttern von Charles Antoine Coypel vom Jahre 1737 prächtig 
vertreten (Nr. 262, unsere Abb. 17, Bes. P. P. Durnowo). Die heroische Landschaft blieb 
mit Nicolas Poussins Raub der Prosepina (Nr. 208, Abb. Bes. Alexander Benois) in der 
Wirkung dagegen nicht zurück. Weniger angenehm waren die drei Landschaften von 
Claude Lorrain (Nr. 200, Abb., Bes. A. G. Tschitschagow. 274, 294°), Bes. Fürst 
Jussupow). Gute Porträts jener Zeit waren der Tambourinschläger (Nr. 257, Abb., Bes. 
P. P. Weiner), für den Benois (St. G. S. 728) als Autor Rob. Tournieres oder Pierre 
Gobert vorschlägt, der aber von anderen für Nic. de Largillieres in Anspruch ge- 
nommen wurde, und ferner die Wiederholung des Herzogs Philipp von Anjou aus 
Pierre Mignards Gruppenbild der Familie des Großdauphins (Nr. 249. Bes. wie oben). 

Nicht weniger als drei vorzügliche Werke Watteaus haben auf der Ausstellung 


1) Flaue Abb. Les Trésors d'art en Russie, 1902. Tafel 124. 
2) Abb. Les Trésors d’art en Russie, 1901. Tafel 58. 


Bayejen pun uoremubfiq ‘HAHDNO4 ‘81 "day 


190 ' Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


das Licht der Welt aufs Neue erblickt, was ihr Entdecker, Alexander Neustrojew, nicht 
mehr hat miterleben diirfen. Am interessantesten von ihnen war die Ruhe auf der Flucht 
nach Agypten (Nr. 296, Abb., aus dem Palais zu Gatschina) von ganz vandyckischer 
Palette und ungeheur dekorativem Schwung der Pinselführung. Dieses in jeder 
Beziehung wichtige Bild stammt aus der Galerie des Grafen Brühl und ist von Marie 
Jeanne Renard du Bos gestochen. Repliken sollen sich in den Museen von Angers 
und Quimpere befinden'). Als höchst pikanter Kontrast wirkten daneben die feinen, 
äußerst zart gemalten Gestalten der italienischen Komödie (Nr. 286, Abb., aus dem 
Palais in Gatschina), deren Andenken durch einen Stich im Gegensinne von A. V. Tho- 
massin fils bewahrt worden war’). Das dritte Bild von Watteau war eine weibliche 
Kostümfigur mit dem drolligen Titel: La femme moscovite (Nr. 78, aus dem großen 
Palais zu Zarskoje Selo). Von anziehender Farbigkeit war der famose Brauttausch von 
Lancret (Nr. 289, Abb. Aus dem Palais von Gatschina), ebenfalls eine Entdeckung 
Neustrojews; die Komposition ist durch einen Stich Larmessins bekannt*]. Der zweite 
Lancret der Ausstellung, , Amusements champêtres“ (Nr. 288, Abb. Bes. Fürst Jussupow) 
galt eine Weile unberechtigter Weise fiir einen Pater. Im Zusammenhang mit den 
Bildern Lancrets bespricht Benois (St. G. S. 729, Anm. 3) zwei in ihrer Skizzenhaftig- 
keit sehr pikant wirkende Bilder (Nr. 168, Abb.; 170. Bes. J. J. Poplawski), die ihn 
venezianische Einflüsse erkennen lassen, und wirft die Frage auf, ob sie nicht von 
Ch. J. Flipart herrühren könnten. 

Einen weiteren Haupttreffer bedeutete für die Ausstellung Boucher. Seine 
Galatea (Nr. 287, unsere Abb. 18, aus der Kais. Akademie d. Künste), ein Geschenk 
Falconets vom Jahre 1767, war bisher als Plafondbild in einem halbdunkelen Saal des 
Akademiegebäudes verwendet worden (Nr. 287, Abb.). Jetzt trat das dekorative Raffine- 
ment des breit gemalten Bildes ans Licht. Geradezu faszinierend wirkt der Gegensatz 
der kräftigen Töne des Vordergrundes mit der sehr leibhaftigen Halbfigur des Pygmalion 
zu dem perversen Hautgoüt der grünlichen Töne in Wolken und Frauenleibern, die in 
der visionären Sphäre Galateens und Aphroditens die Hauptfläche der großen Lein- 
wand füllen. Fast unbegreiflich schien es, daß derselbe Pinsel die realistisch hand- 
greifliche Erotik des Bildes Herkules und Omphale (Nr. 285. Bes. Fürst Jussupow) ge- 
schaffen habe; bereits 1777 empfand man, daß dies Bild mehr an Lemoyne als an 
Bouchers gewohnte Art erinnere‘). Zwei Schäferszenen aus dem Todesjahre Bouchers 1770 
(Nr. 72, Abb.; 77. Bes. J. N. Danzas) wirkten recht flau. Hubert Robert ist bekanntlich 
eine Petersburger Spezialität und es fiel daher nicht schwer, eine exquisitive Serie seiner 
Ruinenphantasien zusammenzubringen (Nr. 1, 2 aus dem Großen Palais zu Zarskoje 
Selo; 3, Abb.; 461—463. Bes. P. P. Durnovow), die daneben auch die Dekoration der 
Ausstellungsräume in vornehmster Weise vervollstandigte. Ganz überraschend wirkte 


') Benois, St. G. S. 728, Anm. 1. Vgl. auch Josz, Watteau, p. 183, 184. Abb. des 
Stihes Mantz Watteau (1892), p. 157. 

*) Benois, St. G. S. 729. Mantz, Watteau, p. 182. Abb. des Stiches, p. 181. 

5) Vgl. Benois, St. G. S. S. 729. Anm. 4. 

1) Cf. Benois, St. G. S. 731. mit Anm. 2. A. Michel, Boucher, Catalogue, p. 12, 167. 
Sehr schlechte Abb. Les Trésors d'art en Russie 1906, Tafel 96. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 191 


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Abb. 19. TAUNAY: Konzert im Palais Royal 


neben diesen das meisterhafte Interieur der Grande Galerie du Louvre von 1796 
(Nr. 75, aus dem Großen Palais zu Zarskoje Selo), das trotz seines augenschein- 
lichen Realismus, wie Benois (St. G. S. 733) nachweist, ein reines Phatasieprodukt ist. 
Das in der gewöhnlichen Manier gehaltene Gegenstück, die Ruinen des Louvre 
(Nr. 78) fiel dagegen ab. Licht und liebenswürdig war die Parkterrasse (Nr. 80. Bes. 
Fürst Jussupow), in der Motive aus dem früheren Parke von Marly verwendet waren. 
Greuzes Erste Furche (Nr. 97, Abb., Bes. Gräfin E. W. Schuwalow) trug zwar in allen 
Figuren die unausstehlichste Rührseligkeit zur Schau, überraschte aber durch die un- 
gewöhnliche Bedeutung der flüssig gemachten Landschaft in der Komposition. Unter 
den französischen Rokokoportraits verdient der Mann mit dem Weinglase von Anton 
Pesne (Nr. 453. Bes. Jos. Braz) erwähnt zu werden. Mme. Vigee-Lebrun, die 
in Petersburg 1792--1801 sehr viel porträtiert hat, war durch drei angenehme Bild- 
nisse: der Fürstin Dolgoruki (Nr. 64. Bes. Fürst Dolgorukow), der Gräfin Skawronski 
(Nr. 71. Bes. S. K. H. Großfürst Nikolaus Michailowitsch) und des Fürsten Gagarin 
(Nr. 266. Bes. Fürst N. N. Gagarin) gut vertreten. Das bezeichnete Konzert im Palais 
Royal von Taunay (Nr. 91, unsere Abb. 19, Bes. W. A. Wereschtschagin, Faks. d. 
Sign. St. G. S. 732) wirkte ganz überraschend durch die ausgezeichnete Behandlung 
von Licht und Farbe, die das Fortieben einer alten guten Tradition merken ließ. 


192 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Im Gegensatz zu Benois (St. G. S. 732) glaube ich das Nachwirken dieser Tradi- 
tion auch in den Bildern Leopold Boillys bemerken zu können; am stärksten im 
eleganten Billardspiel von 1808 (Nr. 94. Bes. Fürst Jussupow'), selbst noch in den 
Politikern in den Tuilerien von 1832 (Nr. 68. Bes. Dr. K. RauchfuB) am wenigsten 
freilich in den gezierten Mädchen vor der Staffelei von 1800 (Nr. 65. Bes. Fürst Jussu- 

pow’). Ein Napoleon von David und 


Rae FRY BE: be m4 7 ein Talleyrand von Prudhon (Nr. 104, 78. 
x ie. È VE SD NÈ Bes. S. K. H. Nikolaus Michailowitsch) 
a Cee Re ließen kühl, wenn auch das zweite ganz 

Re CA i s N x 6 9 interessant in der Farbe war. Sehr schén 


waren die vornehmen Bildnisse des Kanz- 
lers Fiirsten Kotschubei und seiner Ge- 
mahlin von Gérard (Nr. 84, 86. Bes. P. 
P. Durnowo). 


AA 


* * * 

Das älteste deutsche Bild der Aus- 
stellung war eine Begegnung Joachims 
und Annas (Nr. 28, unsere Äbb. 20, Bes. 
Graf A. A. Golenischtshews Kutusow), 
das Friedländer nach Süddeutschland um 
1450 versetzt; es trägt ein sehr geschickt 
gefälschtes Schäufelinmonogramm (Faks. 
unter der Abb. St. G. bei S. 664). Eben- 
falls ins XV. Jahrhundert gehörte anschei- 
nend eine vermutlich oberdeutsche Kreu- 
zigung (Nr. 21. Bes. Baron N. E. Wrangell), 
in deren oberer Hälfte sich der Gekreu- 
zigte von einem erst neuerdings (nach 
Entfernung einer in recht alter Zeit drauf- 
gemalten Landschaft) zutage getretenen 
Goldgrund abhebt, während in der unteren 
Abb. 20. Süddeutscher Meister um 1450 die vom unteren Bildrande abgeschnittenen 

Begegnung Joachims und Anna Halbfiguren der Maria und des Johannes 

vor einer ausführlich geschilderten Land- 

schaft stehen. Eine Lukrezia (Nr. 424. Bes. M. P. Fabricius) war eine brave Arbeit 
der Kranachwerkstatt. In die Nachfolge Holbeins gehört wohl ein ver- 
sehentlich als niederländisch katalogisiertes Frauenporträt (Nr. 432. Bes. Frau S. E. 
Jewdokimow). Erst nach der Eröffnung erhielt die Ausstellung in einem meisterhaften 


1) Abb. Les Trésors d'art en Russie 1906, Tafel 130. 
2) Abgeb. Les Trésors d'art en Russie 1901 (unter Benois’ Redaktion) Tafel 48 recht gut 
und nochmals, aber schlecht 1906 (unter Praciows Redaktion), Tafel 134. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 193 


Greisenportrait, das offenbar aus der Umgebung Diirers stammt (ohne Nr., Abb. 
Bes. P. J. Issakow), eines ihrer besten Stücke. 

Das Zwischenalter der deutschen Malerei war durch einen nicht ganz zweifel- 
losen, jedenfalls unbedeutenden Elsheimer (Nr.321. Bes. S.K.H. Großfürst Konstantin), 
dessen Sujet (eine Nymphe 
bekränzt einen Jüngling), 
ich nicht zu deuten weiß, 
und eine ebenfalls nicht 
hervorragende Allegorie 
des Winters von Rotten- 
hammer (Nr. 344. Bes. 
Graf A.A.Golenischtschew- 
Kutusow) vertreten. 

Aus, dem XVIII. Jahr- 
hundert kam neben zwei 
Bildnissen von Joseph 
Kreutzinger (Nr. 171, 
176. Bes. Fürst J. S. Ga- 
garin) besonders das in 
Haltung und Farbe .vor- 
treffliche Porträt der Frau 
Loder von Fr. Aug. Tisch- 
bein(Nr.88, unsereAbb.21, 
Bes. J. O. Peters) in Be- 
tracht. Die ältere Gene- 
ration dieser Malerdynastie 
vertrat Johann Heinrich! 
durch eine signierte mytho- 
logische Szene von 1757 
(Nr. 67. Bes. A. N. Mar- 
kowitsch). Auf Vertretung 
der deutschen Romantik Abb. 21. FR. AUG. TISCHBEIN: Frau Loder 
und des Biedermeiertums 
mußte verzichtet werden, weil das Beste von dem in Petersburg aus jener Zeit Vor- 
handenen bereits auf der Deutschen Jahrhundert-Ausstellung zu sehen gewesen war. 


x * 
* 


Unter den wenigen englischen Bildern war die Kreidestudie zum Porträt der 
Fürstin Dorothea Lieven von Lawrence (Nr. 69. Bes. S. K. H. Großfürst Nikolaus 
Michailowitsch) weitaus das bedeutendste Stück. Der Name Lawrence war für das kleine 
sympathische Bildnis der Lady Newborough (Nr. 61. Bes. Baron P. Korff) vom Katalog 
richtigerweise nicht mehr genannt worden. Ein Männerporträt von Raeburn (Nr. 93. 


Bes. M. P. Romanow) war von durchschnittlicher Qualität. Gegen den englischen Ur- 
14 


194 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


sprung eines Schauspielerporträts (Nr. 270. Bes. H. E. Gambs) wurden wohl nicht 
genügend begründete Zweifel erhoben; eine genauere Diagnose dieses nicht uninteres- 
santen Bildes von schwerer brauner Färbung und breitem Vortrage wäre sehr zu 
wünschen. Für eine Landschaft (Nr. 58. Bes. P. A. Saburow) wurde der Name Gains- 
borough ziemlich einhellig abgelehnt. In der Farbe sehr kräftig und in der Haltung 
angenehm wirkte eine Genreszene von Wheatley (Nr. 60, Abb. Bes. P. P. Weiner). 


* * * 

Als ein bedeutsames kunsthistorishes Novum muß die Tatsache verzeichnet 
werden, daß auf der Ausstellung der Staryje Gody die russische Malerei zum ersten 
Male in den allgemeinen Zusammenhang der europäischen Kunstgeschichte eingegliedert 
erschien. Die aus dieser Eingliederung resultierenden allgemeinen und prinzipiellen 
Gesichtspunkte an dieser Stelle zu formulieren würde zu weit führen, weil die ganze 
russische Schule des XVIII. und vom Anfang des XIX. Jahrhunderts für die europäische 
Kunstwissenschaft leider noch immer eine terra incognita ist’); auch wäre das Material 
der Ausstellung dazu nicht ausreichend, da ihr Programm alle Bilder, die auf einer 
der jüngsten russischen retrospektiven Ausstellungen, besonders der großen Historischen 
Porträtausstellung von 1904, zu sehen waren, ausschloß. 

Das Anfangsstadium eines konsequenten Realismus vertrat Iwan Argunow im 
Porträt der Frau Tolstoi von 1768 (Nr. 106, Abb. Bes. Graf A. N. Ignatjew, Faks. 
der seltsamen Signatur St. G. S. 736). Die gleich darauffolgende Höhe war durch die 
beiden Dioskuren Lewizki und Borowikowski glanzvoll vertreten. Lewizki, der 
Epiker unter ihnen, weiß bei aller Objektivität dem Modell gegenüber sein Bild doch 
in eine unabhängige Farbenpracht zu kleiden, wie das Porträt eines Unbekannten 
(Nr. 280, Abb. Bes. Fürst I. N. Soltykow), in dem der vorzüglich gemalte blaue Mantel 
koloristisch dominierte. Dieser seiner besten Zeit, bevor er noch dem Einfluß des älteren 
Lampi unterlag, gehörte auch das Bildnis einer jungen Gräfin Woronzow (Nr. 107, Abb. 
Bes. A.K. Boldyrew) an. Lyrik der Auffassung und der Farbe ist die Domäne Borowi- 
kowskis, der daher auch als Frauenmaler exzelliert, wie in dem subtilen in Weiß, 
Lichtgelb, Lichtrosa, gebrochenem Violett und zartem Blau komponierten Porträt der 
Frau Skobejew und dem ihm in der farbigen Stimmung verwandten Porträt der Frau 
Nowossilzew (Nr. 295, unsere Abb. 22; 115. Bes. P.P. Weiner‘). Robustere Töne schlägt 
Borowikowski in dem markigen Johannes d. Theologen (Nr. 108, Abb. Bes. P. M. Romanow) 
an, der von seinen gewohnten religiösen Bildern auf das erfreulichste absticht. Der be- 
deutendste Meister in der um Lewizki und Borowikowski gescharten Plejade ist Fedor 


1) Von der verschwindend geringen einschlägigen Literatur in ausländischen Sprachen 
nenne ich Kap. 43 im Bd.3 von Muthers Geschichte der Malerei des XIX. Jahrhunderts (S. 324 ff.), 
an der Alexander Benois wesentlichen Anteil hat und die Aufsätze von Denis Rome über 
Borowikowski und Fedotow in der Gazette des Beaux-Arts 1907 u. 1908. 

*) Abb. beider Staryje Gody 1907 bei S. 312 u. 324. Näheres über beide bei Sergei 
Makowski ebenda S. 314. Das Porträt der Frau Skobejew war ausgestellt auf der Russischen 
Ausstellung des Salon d'Automne 1905 (Nr. 98, Abb. Kat. S. 23) und auf der Russischen Kunst- 
Ausstellung, Berlin 1906 (Nr. 78). 


Abb. 22. WLADIMIR BOROWIKOWSKI: Frau Skobejew 


196 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Rokotow, dessen Lebenslauf und Werdegang noch wenig geklart sind. Seine kraf- 
tigen, silbrig-grauen Porträts der Fürstin Orlow (Nr. 127. Bes. Fürstin Obolenski), 
obwohl quasi eine Kopie nach Lewizki!), doch von großer Selbständigkeit, und der 
Fürstin Gagarin (Nr. 117, Abb. Bes. J. S. Gagarin) bewiesen aufs neue seine große 
Bedeutung. — Wenezianow erschien im Porträt des jungen Bibikow (Nr. 152. Bes. 
N. W. Bibikow) noch ganz als Schüler Borowikowskis, die Heuernte (Nr. 164. Bes. W. 
B. Chwoschtschinski) dagegen bekundet schon den Bahnbrecher des russischen Genres. 
Einen bisher unbekannten Schüler Wenezianows lernte man durch die bezeichneten, 
schlicht und lebendig gemalten Soldaten in der Regimentsschneiderei von Denissow 
kennen (Nr. 147. Bes. B. N. Ryshow, Faks. d. Sig. St.G S. 742). Von der Wandlungs- 
fähigkeit der Sprache Orest Kiprenskis konnte man sich durch zwei Porträts über- 
zeugen lassen, ohne daß man das Proteische seiner Natur so weit zu steigern brauchte, 
sie beide für Selbstporträts zu halten, wie der Katalog tat und wogegen Sergei Ma- 
kowski (St. G. S. 741) sehr berechtigte Zweifel erhebt, (Nr. 136. Bes. S. S. Botkin; 
160. Bes. N. A. Loviton, Abb. St. G. 1908 bei S. 400). Der ungleichmäßige Tropinin 
war durch einen malenden Knaben (Nr. 133. Bes. E. G. Schwartz) sehr vorteilhaft ver- 
treten. Sehr kräftig, temperamentvoll und farbig frisch erschien ein berittener Baschkir 
von Orlowski, den man von dieser Seite nicht zu kennen pflegt (Nr. 129. Bes. W. 
S. Chudekow). In Sylvester Schtschedrins Bildern dokumentierte sich die russische 
romantische Landschaftskunst; es waren weniger die in Ton und Licht warmen An- 
sichten der Engelsburg und der Petersburger Börse (Nr. 163. Bes. S. K. Makowski. 
156. Bes. A. E. Meißner), als die anspruchslose italienische Fischerbarke (Nr. 161. Bes. 
Fürst W. N. Argutinski-Dolgorukow), die den Geist des paysage intime atmend, die 
Aufmerksamkeit auf sich zog. Karl Brüllow war unbedeutend und unzureichend ver- 
treten, dagegen erwies sich Pawel Fedotow, der der sozialsatirischen Zuspitzung seiner 
Bilderthemen seinen Ruhm hauptsächlich verdankt, wieder als wirklicher Maler in zwei 
intim aufgefaßten Frauenporträts (Nr. 153, 154. Bes. N. P. Werner). Daß das un- 
gewöhnliche malerische Ingenium Alexander Iwanows an dem unfruchtbaren pro- 
grammatischen Grübeln über sein Lebenswerk, die „Erscheinung Christi‘, zu Grunde ging, 
wurde auch durch die Ausstellung in schmerzlicher Weise belegt. Nicht nur übertraf 
der eine von den zahllosen Entwürfen jene öde Maschine im Rumjanzowmuseum in 
Moskau um ein bedeutendes (Nr. 141. Bes. M. P. Botkin)?), sondern dieses war erst 
recht bei den Einzelstudien der Fall, deren Endzweck doch immer jenes unglückselige 
Monumentalstück blieb. Sie offenbarten die Größe von Iwanows malerischem Können, 
sei es als Landschafter in der Campagnastudie (Nr. 143. Bes. Alexander Benois) oder 
als Aktmaler, wie in den badenden Knaben (Nr. 144, Abb. Bes. M. P. Botkin) und 
in dem fast pleinairistisch anmutenden Rückenakt eines etwa elfjährigen Mädchens’) 
von farbiger Raffiniertheit, bei größter Einfachheit der Haltung (Nr. 144, Abb., Bes. 
W. B. Chwoschtschinski). 


1) Vgl. Baron N. Wrangell, Staryje Gody, 1909, Jan. S. 31. 

2 Abb. Les Trésors d'art en Russie. 1902. Tafel 17. 

5) Woher der Katalog und S. Makowski (St. G. S. 742) es trotz der Haartracht für einen 
Knaben halten, bleibt mir unklar. 


J. v. Schmidt. Gemälde alter Meister in Petersburger Privatbesitz 197 


Die Mannigfaltigkeit des Materials bedingte für diesen provisorischen Bericht 
eine Ungleichmäßigkeit und Lückenhaftigkeit der Bearbeitung. Eine Würdigung der 
ganzen Ausstellung nach den Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Kritik wird sich 
erst im Laufe der Zeit durch das Zusammenwirken der verschiedensten Faktoren er- 
möglichen lassen. Einstweilen läßt sich nur die Tatsache feststellen, daß die Staryje 
Gody mit ihrer Ausstellung ein großes und reiches Material der kunstgeschichtlichen 
Forschung zur Verfügung haben stellen können. 


+ 


Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di 
Palermo 


di Leandro Ozzola 


Uno dei problemi più importanti che offre la pittura della rinascita in Sicilia 
è senza dubbio la ricerca dell'autore del maestoso dipinto rappresentante il Trionfo 
della Morte, che si vede nel Palazzo Sclafani in Palermo (Fig. I, ll) L'attribuzione 
comune della critica odierna è ancora quella accennata da uno scrittore locale della 
fine del seicento !) e accettata dal Rosini nella sua Storia della pittura °), che sia cioè 
opera d'uno sconosciuto fiammingo °). 

Sarebbe inutile ripetere qui gli argomenti con cui il Di Marzo ha definitivamente 
confutato le vecchie attribuzioni ad artisti come Vicenzo di Pavia, lo Zingaro, Antonio 
Crescenzio *). Accettanto le conclusioni dello Janitschek *) egli ammette che il dipinto 
sia opera di due mani, una fiamminga del maestro principale e una secondaria d'un 
aiuto locale, e aggiunge di suo l'ipotesi che l'aiuto si possa identificare in Riccardo 
Quartararo, pittore palermitano °). 

Lasciando da parte la quistione molto secondaria del cooperatore, resta sempre 
da vedere chi sia il misterioso artista, che ha concepito e diretto l'opera. La ragione, 
secondo me, per cui dal Rosini in poi gli storici dell’arte si sono dovuti accontentare 
dell'attribuzione vaga d'un ignoto fiammingo senza poter mai fare un nome solo dei 
numerosi artisti a noi noti, sta nel fatto che il dipinto presenta realmente qualche 
carattere dell'arte fiamminga, senza però appartenere al campo vero e proprio di 
quell'arte, ma piuttosto a una regione da essa influenzata, e da poco tempo scienti- 
ficamente esplorata, intendo dire l’arte spagnuola. 

Confrontando il dipinto palermitano con la tavola di San Giorgio del Louvre, 


') Di Marzo Gioacchino — La pittura in Palermo nel rinascimento. Palermo 1899. p. 161. 
2) Storia della pittura in Italia. Pisa 1841. III. 32 e 50. 

*) Crowe e Cavalcaselle non accettano questa attribuzione e seguono la tradizione locale 
che l'attribuiva ad Antonio Crescenzio (Hist. of painting in North Italy II. 110); la sua opera 
firmata pero, la copia dello Spasimo di Raffaello, basta a togliere ogni importanza all’attri- 
buzione. Il Cavalcaselle nota che la leggenda delle relazioni fra l'ignoto fiammingo autore del 
Trionfo all'ospedale di Palermo è imitata da quella simile di Memling a proposito dell'ospedale 
di Bruges. Più recentemente Franz Diilberg lo ascrisse a un ignoto olandese verso l’ano 1450 
(Giubileo). Cf. Frühholländer in Italien. Egli lo confronta con una Apocalisse di un miniatore 
olandese con cui però non ha relazioni caratteristiche. 

4) Cf. Di Marzo op. cit. p. 162 e segg. 

5) Janitschek. Zur Charakteristik der palermitanischen Malerei der Renaissance Zeit. 
Repertorium etc. Band 4. Heft. S. 363. Stuttgart 1876. Le conclusioni sono riportate dal Di 
Marzo op. cit. p. 169 e segg. 

9) Di Marzo op. cit. p. 175 — L'opinione dello Janitshek fu evidentemente originata 
dalla presenza nel dipinto dei due rittratti del pittore coll’appoggiamano e pennello, e del dis- 
cepolo che gli regge il vasetto del colore. 


L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 199 


(Fig. II, IV) attribuita al catalano Jaime Huget dal Sanpere y Miquel’) e dal Bertaux 
più giustamente a un artista anteriore a cui l'Huguet s'ispirò, risultano evidenti molte 
affinità e derivazioni. Il pannello in cui è rappresentato lo sterminio degli uccisori del 
Santo, che fra il turbinio delle folgori cadono al suolo esterrefatti o rovinano a terra 
dai loro cavalli, presenta nella concezione di movimento e di agitazione delle figure 
qualche cosa di più che una fortuita somiglianza di scena col Trionfo della Morte. 
Naturalmente le figure del Trionfo, più tarde, hanno forme meno povere. In tutti e 
due i dipinti poi, le folle sono collocate sopra piani inclinati, salenti verso il fondo 
del quadro, uso costantemente osservato dall'Huguet nei suoi quadri. 

Il disegno nel Trionfo presenta la durezza che si vede in tutte le opere 
dell'Huguet e della sua scuola, e molte delle figure del dipinto di Palermo sono mal 
piantate sul terreno e hanno quella forma agitata e contorta che si riscontra nelle 
opere sue’). | 

I colpiti dalle folgori nel pannello dell’esterminio del quadro di Sarı Giorgio 
esprimono il loro languore di morte con strane contorsioni del corpo e con carat- 
teristici scorci dei visi, dagli occhi spenti, dalle labbra socchiuse, che lasciano scorgere 
i denti, nelliidentico modo dei colpiti dalle frecce della Morte nel dipinto di 
Palermo). 

Il carattere più individuale dell'Huguet è la sua concezione della figura: una 
vera e propria espressione anatomica. Nel Trionfo della Morte, oltre lo scheletro 
umano, che cavalca *), e quello meno logico del cavallo, si nota una magrezza 


1) Sanpere y Miquel. Los Quatrocentistas Catalanes (Barcellona, 1906) II p. 275 e segg., 
e la biografia dell'Huguet p. 16 e segg. Il dipinto di S. Giorgio era già in casa Roccabruna a 
Barcellona. La tavola di S. Giorgio secondo E. Bertaux rimonta all'incirca al 1430, mentre la 
prima tavola dell’Huguet (SS. Abdon e Senen. Tarrassa Fig. V) è del 1460. Cf. E. Bertaux. 
Le Maitre de S. George (La Revue de l'Art anc. et mod. 1908 p. 346). Egli trova anche i punti 
di passaggio fra la prima e la seconda tavola in altre da lui pubblicate. (Cf. art. cit. ivi). L'in- 
fluenza che l'autore del S. Giorgio ebbe nell'arte catalana è pure quivi dimostrata; perciò, sebbene 
egli creda che il maestro di S. Giorgio possa essere un franco-fiammingo o franco-olandese, è 
più logico ritenerlo un catalano. A proposito infatti del quadro di S. Giorgio del Louvre e di 
quello di Tarrassa (SS. Abdon e Senen) dell'Huguet, documentato e dadato (1460) il Bertaux cosi 
si esprime: ,È certo che la tavola di Tarrassa contiene dei particolari che sono dei veri impresti 
tolti al maestro di S. Giorgio“. 

°) Anche la tecnica coloristica con cui è eseguito il Trionfo della Morte, tanto sugosa 
da lasciare scorgere ancora i rilievi filamentosi delle pennellate concorda con la tecnica della 
tavola di S. Abdon e Senen dell'Huguet, della quale il Miquel dice che per rendere i colori più 
caldi e sugosi usò per stemperarli un mezzo ora impossibile a spiegare (Op. cit. II p. 25). Sulla 
tecnica del Trionfo della Morte cfr. il Di Marzo (op. cit. p. 173), dove sono riferite le varie 
opinioni di chi crede il dipinto ad affresco e di chi, col Janitschek, lo ritiene a olio. 

3) Ciò risulterà anche più evidente dal confronto specifico del viso del cavaliere caduto 
all'estremità inferiore a destra del Trionfo della Morte con quello del cavaliere che porta lo 
scudo sulla testa, a sinistra, in alto nella scena della decollazione di S. Giorgio. Nulla toglie al 
confronto la differenza d'espressione: di strazio nel guerriero che muore di morte violenta, e di 
languore nel giovane che muore fra i piaceri. 

4) Iconograficgmente la Morte in forma di scheletro umano che lancia dardi nell'arte 
spagnuola trova un precedente, per es., nella figura dipinta ad affresco nella chiesa di Celon 


200 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Fig. I. Il Trionfo della Morte (particolare) 
Palazzo Sclafani Palermo D 


scheletrica anche in tutte le figure dei morti. La stessa concezione anatomica si 
riscontra anche nei visi delle altre figure. Per fare un confronto tipologico specifico 
si possono mettere a riscontro i due visi del giurista Bartolo e del Re col turbante 
che gli sta accanto nel Trionfo di Palermo (sotto le gambe anteriori del cavallo) e il 


(Asturias). V. riproduzione in Museo Espafiol de Antigiiedades. VI. 59. — A proposito della 
figura della Morte forse non è fortuita la somiglianza fra il suo vestito aderente e stracciato con 
quello pure aderente e stracciato di uno dei vecchi che flagellano S. Giorgio, nel quadro più 
volte citato. 


L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 201 


Fig. II. Il Trionfo della Morte (particolare) 
Palazzo Sclafani. Palermo DI 


sivo d'uno dei cavalieri nella scena della decollazione di San Giorgio, quello cioè 
che sta in alto del quadro, a destra del solo veduto di profilo con la mano al viso. 
In tutte e tre queste magre e ossute teste si nota il contorno e il disegno tagliente, 
le occhiaie sviluppate in larghezza, il bulbo dell'occhio segnato così fortemente che 
pare quasi staccato dall’occhiaia, gli zigomi enormemente pronunciati, du erughe laterali 
alla bocca e profondamente incise, e più caratteristische ancora le labbra dagli orli 
rilevati, con l'inferiore sporgente, e socchiuse in modo da lasciar scorgere i denti. 
Non meno caratteristica nel viso del giurista Bartolo (e in altri) è la forma dell'o- 
recchio, voltato di prospetto, e la sua attaccatura all'osso zigomatico, ripetuta nelle 
figure della tavola di S. Giorgio, Cf., per es., quella che sporge sopra il vecchio che 


202 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


tiene in mano il turbante, a destra, nel pannello del principe in trono.') Identico è 
nei due quadri che stiamo esaminando (e nella tavola di SS. Abdon e Senen dell’Huguet) 
il modo di trattare le barbe e i capelli, queste fluenti, a filamenti, quelli a bioccoletti 
serpentini.) Anche le mani flosce, dalle dita cilindriche, spesso aggranchiate a uncino, 
del dipinto di Palermo si ritrovano nella tavola del Louvre.?) 

Tipologicamente considerate le figure del Trionfo della Morte hanno riscontro 
con altre figure dell'Huguet. Oltre i vecchi, comuni a tutti i quadri dell'artista cata- 
lano +), il tipo virile all'estremità sinistra sotto il ritratto del pittore è d'una corri- 
spondenza assoluta col tipo dei Santi Abdon e Senen della sua tavola di Tarrassa 
viso scarno allungato con i caratteristici baffetti spioventi e mancanti nel mezzo, e la 
barbetta rada e bipizzuta attaccata alla punta del mento. 

Un altro dei caratteri dell'arte dell'Huguet, già notato dal Miquel, è la sua 
qualità di animalista.®) Nel Trionfo della Morte si riscontra appunto lo sfoggio di 
tale gusto: oltre lo scheletro del cavallo della Morte, appaiono logicamente poco 
necessarii i due cani del giovane signore nel fondo del quadro a sinistra, e addirittura 
superflui gli altri due cagnolini.‘) Una somiglianza specifica è fra le forme del cavallo 
che trascina San Giorgio e la parte posteriore del cavallo della Morte. In tutte e due 
è eguale l’impostatura leggermente di scorcio, ed eguale il profilo esterno delle coscie 
magre e arcuate con identica attaccatura della coda a insenatura e identico ed esage- 
rato rilievo della colonna vertebrale. Ora se si pensa che uno dei cavalli è scorti- 
cato e l'altro no, la somiglianza non può apparire fortuita o superficiale. Un'altra 
concordanza fra le opere dell'Huguet e il Trionfo di Palermo è nella concezione del 
fondo. Qui nulla delle minute e complesse vedute dei quattrocentisti fiamminghi: 


1) Un confronto di eguale valore si potrebbe ripetere per i motivi grafici degli scorci. 
dall’Huguet così spesso usati contrariamente all'abitudine della sua scuola e di quella fiamminga. Un 
primo viso in scorcio all'in su si vede nella decollazione di San Cosma e Damiano, della tavola 
di S. Abdon e Senen, l'unica documentata (Chiesa di S. Michele di Tarrassa). 

2) Non dovrà fare difficoltà contro la nostra attribuzione il trovare nel Trionfo dei gio- 
vani cavalieri coi capelli lunghi, poichè la moda dei capelli corti cominciata col 1461 in Bor- 
gogna non distrusse completamente quella dei capelli lunghi, nè sappiamo se fu seguita in 
Sicilia. Cf. Sanpere y Miquel op. cit. II p. 25 e nota 1. 

3) I piedi della Morte, soli scoperti nel dipinto di Palermo, hanno le dita a forchetta 
come quelli, per non citarne altri, di San Giorgio flagellato. 

4) I vecchi che si vedono,in questa pittura si trovano pure nel quadro di S. Giorgio. 
I due monaci a sinistra con le enormi barbe bianche, fluenti, filiformi, su cui piovono i lunghi 
baffi trovano un perfetto riscontro nel vecchio che spinge il cavallo nel Martirio di S. Giorgio, 
nel tiranno, e in due manigoldi nella scena della flagellazione. 

* A questo proposito noteremo ch'egli ama introdurre animali nei suoi quadri tavolta 
anche senza nessuna necessità logica. Oltre i leoni, orsi, lupi del Martirio di Sant’Abdon 
e Senen, si noti il mulo carico dei barili in altro pannello dello stesso quadro, il cavallo che 
trascina S. Giorgio e il cavallo del centurione nella stessa scena, e i cavalli della scena dell’ester- 
minio degli uccisori di S. Giorgio, tutti nello stesso quadro, dove pure si vede in un altro pan- 
nello un cagnolino bianco ai piedi del principe. 

©) In questi cagnolini, oltre la stessa durezza di disegno, si nota quella specie d'inse- 
natura all'attaccatura dell'orecchio, che si ritrova nel cagnolino ai piedi del principe nel quadro 
di San Giorgio. | 


L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 203 


— 


op 


Bf 


Fig. III. Ignoto catalano. Tavola di S. Giorgio Fig. IV. Ignoto catalano. Tavola di S. Giorgio 
(particolare). Parigi. Louvre = . (particolare). Parigi. Louvre D) 


‘l'orizzonte altissimo riduce il fondo a una bassa e folta siepe di vegetazione mono- 
tona, formata da masse tondeggianti e uniformi di foglie lanceolate, che si ripetono 
costantemente. Tutto ciò dimostra nell'autore un paesista molto rudimentale.!) Anche 
l'architettura gotica della fontana che si vede nel dipinto del Trionfo della Morte ha un 
riscontro nelle forme gotiche del trono del tiranno, nel quadro di San Giorgio del Louvre. 


1) L'Huguet fu dei primi nella scuola catalana a sopprimere i fondi dorati e a sosti- 
tuirvi quelli di paesaggio. Cf. Sanpere y Miquel op. cit. II. 277 e 19—20. La rudimentalità del 
paesista, nel Trionfo della Morte è documentata dalle sua rappresentazione schematica delle 
nuvole a nastri araldici serpentini, che si ritrovano anche in altri quadri spagnuoli del quattrocento. 


204 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


l costumi stessi delle figure, che 
forse piü d’ogni altro elemento hanno 
servito all’attribuzione tradizionale del- 
l'ignoto fiammingo, trovano dei riscontri 
nelle opere dell'Huguet. Oltre i vestiti 
dei giovani cavalieri, simili a quelli della 
pittura italiana di quel tempo’), l'ele- 
mento più caratteristico del vestiario 
maschile, che si trovi nel dipinto del 
Trionfo della Morte è quello strano tur- 
bante sormontato da un cono e cinto 
da una corona da conte. Ora tale tur- 
bante per l'appunto si ritrova nella tavola 
dei Santi Abdon e Senen (l'imperatore 
nella scena della decolazione) e nella 
tavola di San Giorgio del Louvre, nelle 
due scene della flagellazione e della 
condanna a morte. 

L'unica indicazione scritta che 
si trovi nel dipinto del Trionfo della 
Morte è data dalle parole ,Bartolus de 
Xaxxuferratu lux juris civilis“ °) tracciate su un libro aperto, che giace sopra una 
figura. Questo è il celebre giurista del secolo XIV (1313—1359 ?) di Sassoferrato nelle 


ini. 


Fig. V. Jaime Huguet. Tavola dei SS. Abdon e 
Senen (particolare). S. Michele di Tarrassa 


1) Ad ogni modo noteremo che le maniche strette fino al gomito e a sbuffo dal gomito 
alla spalla, che si vedono in questi giovani, si riscontrano più specialmente nell’arte catalana. 
Cf. Sanpere y Miquel: riproduzioni da Luigi Borassà e Benedetto Martorelli; op. cit. I, 151, 
188 e 189. Più difficile è un riscontro per i costumi delle donne, che popolano la parte destra del 
grande dipinto palermitano, non trovandosi nei quadri dell’Huguet elementi di confronto. 
Ci limiteremo perciò a paragonarle con le figure femminili di altri pittori spagnuoli e catalani. 
Per il costume della donna mediana delle tre più in alto, la sua scollatura angolare, e in parte 
la sua acconciatura, cf. la donna nella Pittura murale d’una casa particolare di Toledo del secondo 
terzo del secolo XV (Museo Esp. des Ant. tom.IV p. 192). Per le altre, cf. la Salome nel festino 
di Erode di Luigi Borassà (Tavola di S. Giovanni Batta. Museo d'arte decorativa di Parigi). 

Il berretto bicuspidale, che si nota in capo alle donne del Trionfo, fu usato, secondo il 
Miquel, dalle donne spagnuole dal 1460 al 1480 (op. cit. Il. p. 152 e 153). Si trova rappresentato 
p. es: (più acuto però), nella tavola di Sant'Antonio abate, della chiesa omonima di Barcellona, 
che il Miquel attribuisce al Vergòs (op. cit. II p. 50. 52). 

Il ventre sporgente delle donne del Trionfo di Palermo era una caratteristica di bellezza 
comune nel Nord e in Catalogna. Nella pittura di questa regione appare da Luigi Borassà in poi. 

*) I! Di Marzo lesse col Janitschek: „de Haixferratu“; ma io ho potuto constatare che 
la prima lettera è una x come la terza e la quarta, a cui segue un u. La scrittura essendo 
minuscola l'h sarebbe evidente, dovendo lasta sorpassare le linee. L'ultima della parola, dan- 
neggiata, può essere tanto un u quanto un o; ma dato che la finale di Xaxxu è u si può sup- 
porre eguale la lettera finale. La desinenza in u siciliana non dice nulla sulla patria del pittore 
perchè questi scriveva come sentiva pronunziare. — Più concludente invece per la storia del 
dipinto è la forma delle lettere che ha tutti i caratteri della gotica spagnuola, grossa angolosa e 


L. Ozzola. Il Trionfo della Morte nel Palazzo Sclafani di Palermo 205 


Marche, che professò legge in Perugia. Egli era comunemente chiamato „lucerna 
juris“ ancora alla fine del seccolo XV, e in Spagna si era decretato che la sua 
opinione fosse legge dove questa mancasse.!) Forse per l'autorità che godeva in 
quello stato l’autore del Trionfo lo ha messo qui come il rappresentante della scienza. 

Riguardo alla cronologia del dipinto, in mancanza di notizie storiche siamo 
costretti a ricorrere all'ipotesi comunemente accettata ch'esso appartenga alla seconda 
metà del secolo XV, confermata specialmente dalle testimonianza che possono offrire 
i costumi in esso rappresentati. Purtroppo però non sappiamo se in quel tempo o 
mai l’Huguet venisse in Sicilia.*) Allo stato presente delle cognizioni occorre dunque 
limitarsi a concludere che il Trionfo della Morte deriva dalla stessa fonte a cui ha 
attinto l'Huguet (la tavola di S. Giorgio), e presenta affinità cosi specifiche con l’opera 
sua e quelle a lui ascritte, da poterlo togliere all'attribuzione tradizionale dell'ignoto 
fiammingo per classificarlo tra i lavori di quel pittore, o almeno tra quelli della scuola 
catalana più prossimi ai suoi.) 
ricamata; molte lettere infatti hanno delle appendici svolazzanti. Cfr. per es: quelle che si 
vedono dipinte o incise nei quadri di Paolo Vergòs riprodotti dal Sanpere (II. p. 153, 160, 171 e 173). 

1) Cfr. p. es. Mazzuchelli — Gli scrittori d'Italia. | 

2) Nei documenti della sua patria è rammentato la prima volta il 1448 e l’ultima nel 
1483. — Dal ritratto inserito nel Trionfo della Morte l'autore del dipinto dimostra un'età intorno 
ai cinquanta anni. Ammettendo che nel 1448 l'Huguet potesse avere una venticinquina d'anni, 
il dipinto di Palermo, se fosse suo, cadrebbe intorno al 1473. Ora appunto dal 1467 al 1475 nei 
documenti di Barcellona che lo riguardano è una lacuna di otto anni. Che il pittore catalano 
abbia potuto fare una dimora a Palermo non è ipotesi molto arrischiata, purtroppo però è sempre 
un'ipotesi. 

3) Determinare chi sia lo scolaro che regge il piattello del colore è anche più difficile, 
sebbene si possa riscontrare la sua mano nella esecuzione materiale delle quattro figure di 
giovani che stanno attorno alla fontana, più deboli di disegno e d'un tocco più grossolano delle 
altre. L'ipotesi del Di Marzo che lo identifica col Quartararo per un confronto col quadro dei 
Santi Pietro e Paolo è un po’arrischiata: basta osservare nei due dipinti l'enorme distanza che 
corre fra le due concezioni del piano su cui posano le figure e dei paesaggi. Il Quartararo in 
questo deriva da una scuola immensamente più progredita. — Per altre derivazioni della pittura 
Siciliana dall'arte spagnuola cf. il mio articolo: L'arte spagnuola nella pittura siciliana del 
secolo XV. (Rassegna Nazionale. Firenze. 10 gennaio 1909.) 


F 


San Pietro in Civate 
Von August Feigel 


San Pietro in Civate wird gewiB den meisten Kunstfreunden und gar manchem 
aus dem engeren Kreise der Fachgenossen unbekannt sein. Obwohl schon Sdhrift- 
steller aus dem XVIII. Jahrhundert auf die Schénheit der Kunstwerke, die in dem ein- 
fachen Bau verborgen sind, und auf ihre Bedeutung für die Kenntnis anderer berühmter 
Denkmäler hinwiesen, und in neuerer Zeit Lokalforscher sich lebhaft mit ihnen be- 
schäftigten, nahm man in kunsthistorischen Kreisen wenig Notiz von diesen literarischen 
Hinweisen und von den Kunstwerken selbst.) Diese unverdiente Zurücksetzung mag 
wohl hauptsächlih durch lokale Verhältnisse bedingt sein: Civate liegt fern ab von 
den großen Verkehrswegen, die nach Italien führen und das Kirchlein, das einsam, 
hoch oben im Gebirge liegt, ist nur mit Mühe zu erreichen. Wenn ich nun den Lesern 
die Reproduktionen meiner Aufnahmen darbiete, so muß ich zugleich ihretwegen um 
Nachsicht bitten. Es sind Photographien, die ich unter schwierigen Verhältnissen und 
nur mit den bescheidenen Hilfsmitteln, wie sie einem Touristen zur Verfügung stehen, 
hergestellt habe.?) 

Civate liegt in der Alta Brianza an der Bahnstrecke zwischen Como und Lecco. 
S. Pietro thront hoch über dem kleinen Orte. Ehemals war es die Kirche eines 
Benediktinerklosters, dessen Gründung in hohe Zeit, vielleicht in Karolingerzeit, hinauf- 
reicht.) Heute sind die Klostergebäude fast ganz verschwunden. Außer einer kleinen, 
interessanten Kapelle San Benedetto, die wohl als Taufkapelle diente, ist nur nom 
S. Pietro, die ehemalige Klosterkirche, erhalten. Es ist ein einschiffiger, saalartiger 
Bau mit Ost- und Westapside. Daß diese doppelchérige Anlage nicht ursprünglich 


!) Literatur über Civate: G. Longoni: Memorie storiche della chiesa ed abbazia di San 
Pietro al Monte. Milano 1850. F.de Dartein: Etude sur l'architecture lombarde etc. Paris 
1865—82. S.35ff; S.515. Barelli: San Pietro ai monti di Civate. In: Rivista archeologica della 
provincia di Como. Heft 20. Dez. 1881. Magistretti: Archivio storico lombardo. 1896. S. 323f. 
und 1898, Heft XVII, S. 80f. Als Anhang ist ein Brief des P. Giuseppe Allegranza vom 
2. Juli 1760 abgedruckt, der als Erster Beziehungen Civates zu S. Ambrogio in Mailand feststellt. 
Vergleicie ferner Venturi: Storia dell’ arte italiana. Bd. Il. S. 382f. Abbildungen: Das AuBere 
der Kirche in: Monti: Storia ed arte nella provincia ed antica diocesi di Como. Como 1902. 
S. 455. Rivoira: Le origini della architettura lombarda. Roma 1901. Bd. 1. S. 283. Fig. 369. 
Ferner über interessante Stuckkästchen gefunden in S. Pietro: Giov. Basenga: Antiche Capselle 
Liturgighe in Brianza. In Rivista archdologica della provincia die Como. Heft 48/49. 1904. S. 107 f 
und T.1. Vor allem aber ist heranzuziehen: Dartein a. a. O. Tafel 19 u. 20, wo Grundrisse und 
Einzelheiten der Ornamentik gut wiedergegeben sind. 

2) Da in diesem Aufsatze nicht alle meine Aufnahmen von S. Pietro in Civate veröffentlicht 
werden können und auch die Klischés nidıt in der wünschenswerten Schärfe ausgefallen sind, so 
bin ich gerne bereit, auf Verlangen Originalabzüge der Platten anfertigen zu lassen. Eventuelle 
Anfragen an meinen Namen, Darmstadt, GroBherzogi. Museum, werde ich an meinen Photo- 
graphen weitergeben. 

*) Rivoira a. a. O. S. 283 glaubt daß die Kirche 860 gebaut ist. 


A. Feigel. San Pietro in Civate 207 


"Abb. 1. S. PIETRO IN CIVATE 
Eingangswand O 


geplant, sondern die Folge späterer Veränderung ist, dafür hat der Bau selbst un- 
trügliche Zeichen. Schon Dartein’) erkannte, daß die heutige Westapsis jüngeren Datums 
ist. Aus dem schlechten Mauerverband und dem Fehlen der Pilasterdekoration, die 
sih auf den übrigen Bau samt der Ostapsis erstreckt, ist mit Sicherheit dieser Schluß zu 
ziehen. Die Ostapsis wurde bei dieser Veränderung durch eine Türe durchbrochen und 
der so geschaffene Haupteingang durch Mauerzüge und eine breite Treppe mit dem 
tiefer liegenden Gelände verbunden. Hand in Hand mit dieser baulichen Veränderung, 
und zwar bedingt durch dieselbe, geht die Innenausstattung der Kirche. In der seit- 
herigen Apsis erstand eine Eingangshalle, während man in der neuen Apsis den Altar 
und ein prächtiges Ciborium errichtete. Den ehemaligen Triumphbogen schloß man 
mit einer Mauer, die sich nach unten durch Säulenstellungen in 3 Arkaden öffnet. 
(Siehe Abb. 1). Zu Seiten der Türe wurden Mauern eingezogen, sodaß man 2 kleine 
Seitenkapellen erhielt, deren Apsiden jedoch nach außen hin nicht sichtbar sind. Diese 
beiden eingezogenen Mauern setzen sich nicht bis zur Triumphbogenwand fort, sondern 
2 Säulen treten an ihre Stelle. Durch 2 ungefähr 1 m hohe Platten werden die 
beiden Säulen mit denen der Triumphbogenwand verbunden (Abb. 2 und 3).°) All 
diese struktiven Glieder werden nun die Träger einer überaus schönen und bis heute 
einzig dastehenden Dekoration. Säulen, Kapitelle, Basen und Platten bestehen aus 


1) a. a. O. S. 37. Bei einem Nachtrage zwar schließt sich Dartein dem Ergebnis der 
„Untersuchungen“ Barellis an, der die beiden Apsiden für gleichzeitig hält. Vergl. jedoch dazu die 
Kritik Magistrettis in seinem Aufsatze im Arch. stor. lomb. 1896. 

2) Für die Überlassung der Aufnahme No. 2 bin ich Herrn Prof. Goldschmidt zu Dank 
verpflichtet. 


208 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


hartem, schwer zu bearbeitenden Granit, wie 
er dort oben bei der Kirche gefunden wird. 
Auch der geschickteste MeiBel könnte diesem 
Material nur wenige einfache Ornamente ab- 
gewinnen. Die Künstler halfen sich, indem 
sie den Kern nur im Rohen zurichteten und 
ihn mit einer Stuckschicht überzogen, aus 
welcher mit Messer und Schabeisen die or- 
namentalen Gebilde herausgearbeitet wurden. 
Alle ornamentalen Teile: die Basen, die 
Riefelungen der Schäfte, die Kapitelle, die 
. Arkadenbogen,dieVerzierungen des Triumph- 
bogens, das horizontale Band mit dem Lamm 
in der Scheibe, die beiden Platten mit den 
prächtig stilisierten Fabeltieren, Greif und 
Chimäre: alles das ist aus ‚Stuck geformt. 
Aus demselben Material ist das Ciborium, 
dessen 4 Seiten mit reich figurierten Szenen 
nämlich Kreuzigung, Frauen am Grabe, 
Christus zwischen Petrus und Paulus und 
Christus thronend in der Mandorla, getragen 
von 2 Engeln, geschmückt sind. (Siehe 
Abb. 4-8). Und steigen wir hinab zur 
Krypta, so bemerken wir, daß die drei 
großen Platten, die den Treppeneingang umgeben, ebenfalls ganz mit Stuckornamenten 
überzogen sind (Abb. 9). In der Krypta selbst finden wir außer den reich ornamen- 
tierten Pilastern und Kapitellexn, welche denen der Oberkirche entsprechen, und einem 
horizontalen Gesimsband noch 3 Szenen in Stucco, die die großen Flächen der Schild- 
bogen ausfüllen, nämlich die Darbringung im Tempel, den Tod Mariä und darunter eine, 
leider sehr zerstörte Kreuzigung, mit Maria, Johannes, Longinus und Stephaton VEDA 10). 

Zu diesem reichen plastischen Schmuck 
gesellt sich eine ebenso umfangreiche wie 
bedeutende, malerische Dekoration, die größ- 
tenteils den Vorzug guter Erhaltung hat. 
Das größte und wirkungsvollste Fresko 
schmückt die Mauerwand, die den ehe- 
maligen Triumphbogen schließt. Der Vor- 
wurf ist aus dem 12. Kapitel der „Geheimen 
Offenbarung genommen.“ Ein großer ge- 
flügelter Drache, dessen mächtiger Körper 
schlangenartig endet, und aus dessen Halse 
7 kleinere Köpfe hervorwachsen, bedroht app 3. S. PIETRO IN CIVATE o 
das Kind. Die Mutter liegt nach Art byzan- Chimäre, Platte am Eingang 


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v~ Abb. 2. S. PIETRO IN CIVATE 
Blik durch die Vorhalle 


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A, Feigel. 


San Pietro in Civate 


tinischer Geburtsdarstellungen auf einem 
mit dunklen Streifen verziertem Lager. Die 
Strahlen der Sonne umkleiden sie. Der 
Mond ist zu ihren Füßen. Dasselbe Kind, 
das unten der Drache bedroht, wird oben 
dem thronenden Gotte dargebracht. Und 
rings um den Thron sind die Scharen der 
Engel. An ihrer Spitze bekämpft der ge- 
wappnete Michael mit langem Speere den 
Drachen. Dieser reißt mit seinem Schwanze 
ein „Dritteil der Sterne“ vom Firmament. 
Jedoch seine Untergebenen, kleine Teufel- 
chen, sind schon besiegt. Sie stürzen in 
die Tiefe. 

Audi die anderen Fresken sind der 
Apocalypse entnommen. In die Zwickel 
der Kreuzgewölbe der Eingangshalle sind 
in prachtvoller Ausnutzung des Raumes 4 
Tubablasende Engel (Abb. 11), die 4 Para- 
diesesflüsse und die 4 Evangelistensymbole 
hineinkomponiert. Die merkwürdigste und 
ikonographisch interessanteste Szene jedoch 
ist in der 1. Travee des Eingangs. Dar- 
gestellt ist das himmlische Jerusalem nach 
Kap. 21 und 22 der geheimen Offenbarung. 
Dieses Thema ist wohl mit Rücksicht auf 


Abb. 5. S. PIETRO IN CIVATE 
Ciborium, Vorderseite 


bb. 4, S. PIETRO IN CIVATE 
Ciborium O 
O Phot. Montabone, Milano 


die Gewohnheit, die Eingangshalle 
als Paradies zu bezeichnen, ge- 
wählt. Christus mit dem Lamm 
zu seinen Füßen, von dem der 
Lebensstrom ausgeht, thront in der 
himmlischen Stadt. In der einen 
Hand trägt er einen langen Stab 
(wohl das goldene Rohr nach 
Kap. 21, 16), in der andern Hand 
hält er ein Buch, auf dem die 
Worte geschrieben sind: Qui sitit, 
veniat (Kap. 22, 17). Rechts und 
links wachsen 2 Bäume hervor 
(Kap. 22, 2). Das Ganze wird 
umschlossen von 12torigen 


210 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Mauer, die mit Türmen bewehrt 
ist. In dem Dunkel der Tore stehen 
die Namen der Edelsteine, aus denen 
die Stadt gebaut ist. Unter diesen 
Namen erscheint je ein Kopf, unter 
denen man wohl die 12 Stämme 
Israels oder die Wache haltenden 
Engel verstehen kann. 

Audi sonst an anderen Stellen 
der Kirche finden sich, außer Ar- 
beiten der Renaissance, noch 
mannigfache Reste früherer Zeit, 
von denen ich leider keine Auf- 
nahmen zur Verfügung habe. So 
“Abb. 6. S. PIETRO IN CIVATE © sind an den beiden Längswänden 

Ciborium, rechte Seite (Detail) des Eingangs 2 interessante litur- 
gische Szenen, die für eine ein- 
gehende Behandlung von S. Pietro in Civate wichtig sind. In den kleinen Apsiden 
der beiden Seitenkapellen kann man noch flügelüberdeckte Cherubime feststellen. Von 
der malerischen Dekoration der Krypta ist nur noch eine der klugen Jungfrauen vor- 
handen. Sie tragt eine groBe, gekriimmte Fackel, an welcher die Olflasche hangt, die 
genau die Form der bekannten Ampullen von Monza hat. Auch in der kleinen Kirche 
S. Benedetto sind noch einige Reste der Malerei erhalten, so an dem“ Altar der Kopf 
des hl. Benedikt. Aus dieser nackten Aufzählung kann der Leser ermessen, welche 
Fülle von Stoff noch vorhanden 
ist und daß es sich verlohnen 
würde, genaue Untersuchungen 
anzustellen. 

Welcher Zeit und welcher 
Richtung gehören nun all diese 
Kunstwerke an? Ich gestehe, daß 
ich auf diese Fragen noch keine 
vollständig befriedigende Antwort 
geben kann. Klar ist es, daß bei 
dem Werden dieser Kunst in weitem 
Maße die Kräfte eines starken 
byzantinischen Einflusses wirksam 
waren. Die Formensprache ist in 
ihren einzelnen Elementen voll- 
ständig Byzanz entlehnt. Wer 
denkt bei dem thronenden Christus 
auf der Rückseite des Ciboriums Abb. 7. S. PIETRO IN CIVATE 
nicht an viele der byzantinischen Ciborium, Rückseite o 


A. Feigel. San Pietro in Civate 211 


Elfenbeinschnitzereien? Wie der Mantel iiber die Schultern geschlagen ist, wie er am 
Oberarm eckig gebrochen eine ,Dachfalte“ bildet, sih auf dem Kissen des Thrones 
staut und dann längs des Beines herabläuft, für all das finden wir ähnliche Beispiele 
in Byzanz. Die überraschendste Verwandtschaft mit dieser Kunst zeigen die Köpfe. 
Der edel geschnittene Kopf Christi mit den weich fließenden Locken, dem spitzen Barte, 
dem schmalen Nasenrücken und den großen ausdrucksvollen Augen, könnte ebensogut 
auf einem elfenbeingeschnitzten Buchdeckel byzantinischer Herkunft sein. Auch die vollen, 
fleischigen Köpfe der Frauen und Engel weisen auf Ostrom. Auf dieselbe Quelle geht 
die Typik der Engel des großen Fresko zurük. Man braucht daraufhin nur den ge- 
wappneten Michael mit seinen flau- | 
migen Flügeln zu betrachten. Auch 
die Art und Weise, wie der Maler 
sich hilft, um die große Anzahl 
der Streiter glaubhaft zu machen 
durch Übereinanderreihung der Kö- 
pfe und Heiligenscheine beruht auf 
dem byzantinischen Kompositions- 
schema. Freilich bin ich nicht in 
der Lage mitzuteilen, ob die Ikono- 
graphie dieses großen Gemäldes 
vollständig mit byzantinischen Dar- 
stellungen übereinstimmt. Das Ma- 
terial ist hierfür noch zu wenig | ~- 
bekannt. Auf dieVerwandtschaft des ‘bb. 8 S. PIETRO IN CIVATE o 

gebarenden Weibes mit Maria in Ciborium, linke Seite (Detail) 
Geburtsdarstellungen wurde schon 

oben hingewiesen. Vielleicht wollte man durch diese Annäherung die Identifizierung des 
apokalyptischen Weibes mit der Muttergottes offenkundiger gestalten. Ich vermute, 
daß dieser Zug nicht der byzantinischen Tradition angehört, denn das Malerbuch vom 
Berge Athos!) verlangt eine ganz andere Darstellung, ungefähr in der Art, wie sich 
der Meister der Fresken von Saint-Savin*) seiner Aufgabe erledigte. Auch die Ge- 
staltung des Drachens als „dicke Schlange, aus deren Hals eine Reihe von sechs kurzen 
Köpfen hervorwädhst“, scheint nicht auf Byzanz hinzudeuten; denn diese ist, wie 
Frimmel meint, für Italien charakteristisch.) Auch eine solche Kleinigkeit, wie die 
Haltung des frontal sitzenden Engels bei dem Besuch der Frauen am Grabe, wie er 
zu diesen spricht, ohne im kunstvollen Kontrapost auf die Tücher im Sarkophage hin- 
zuweisen, läßt unsern Schluß rechtfertigen, daß wir trotz aller Byzantinismen in 
der Einzelausführung den Künstler nicht für einen Griechen halten. Wenn 
wir der Anregung Frimmels folgen wollen, so müssen wir annehmen, daß die Werke 
in Civate von einem italienischen Meister geschaffen wurden. Es sei hier die 


') Vergl. die Aufgabe von Schäfer, S. 251. 
3) Abb.: André Michel, Histoire de l'art Bd. 1, 2, Fig. 410. 
3) Frimmel: Die Apokalypse in den Bilderhandschriften des Mittelalters. Wien 1885. S. 35f. 


212 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Hypothese aufgestellt, daB dieser Kiinstler aus der Schule von Monte Cassino stammt. 
Denn mit dieser Annahme können wir die Charakteristik dieses Meisters die wir oben 
gegeben haben, mit dem Kunstcharakter, so wie er jetzt für Monte Cassino in An- 
spruch genommen wird, vereinbaren. Beziehungen des Benediktinerklosters von Civate 
mit der Centrale in Monte Cassino sind ja leicht erklärbar. Daß wir den Künstler 
außerhalb des Nordens von Italien zu suchen haben, dafür sprechen seine Werke selbst. 
Denn wo könnte man in Oberitalien Skulpturen ähnlicher Vollendung finden, wo doch um 
1100, die Zeit die ich für Civate annehme, das Interesse für plastische Gestaltung erst 
anfängt sich zu regen? Zu diesen Wahrscheinlichkeitsgründen sei auch noch der Hin- 
weis auf einige Ähnlichkeiten in der Zeichnung, Haltung und Stellung der Engel 
des großen Fresko mit den Engeln des jüngsten Gerichtes von S. Angelo in Formis 
hinzugefügt. 

Den meisten Forschern, die sich mit S. Pietro in Civate beschäftigten, und an 
ihrer Spitze Giuseppe Allegranza, ist es sofort klar geworden, daß zwischen dem 
‘Ciborium in S. Pietro und dem von S. Ambrogio in Mailand Beziehungen be- 
ständen; jedoch wurden diese noch nie genauer untersucht. Im architektonischen 
Aufbau entsprechen sich die beiden Ciborien vollständig: wie auf den Rundbogen die 
skulptierten Platten sitzen, die nach oben giebelförmig und mit Krabben besetzt ab- 
schließen, wie in die Ecken, wo zwei Platten aneinanderstoßen, Säulchen treten, auf 
deren Kapitell ein großes Akanthusblatt sitzt, wie diesen Säulchen Träger untergeschoben 
sind, in Civate sehr schön gearbeitete Evangelistensymbole, in S. Ambrogie Adler: alles das 
ist ganz gleich. Beide Werke können nicht unabhängig voneinander entstanden sein. 
Dieser Schluß wird noch zwingender, wenn wir bedenken, daß sie aus demselben Material 
aus Stuck bestehen, und daß ihre Form einzig in ihrer Art ist; sämtliche andere er- 
haltenen Ciborien und solche auf Miniaturen reproduzierten sind anders aufgebaut, 
entweder kuppel- oder pyramidenartig mit geradem Gebälke auf den Säulen. Jedoch 
trotz all dieser Übereinstimmungen, ist es durchaus sicher, daß beide Ciborien nicht 
von einer Hand stammen, ja daß ihre Meister ganz verschiedenen Schulen und vielleicht 
weit auseinander liegenden Zeiten angehören. Die stilistischen Verschiedenheiten können 
nicht scharf genug betont werden. Hier in Civate größere Eleganz und Flüssigkeit in 
der Linienführung, aber Abhängigkeit von Byzanz. Dort in S. Ambrogio alles härter, 
unbeholfener sowohl in der Faltengebung als auch in der Darstellung des Körpers, 
jedoch größere Freiheit und Unabhängigkeit von der byzantinischen Kunst. Die weit- 
gehende Abhängigkeit des Civatener Künstlers von Byzanz brachte ihn ja vielfach 
in Vorteil gegenüber dem mehr selbständigen Bildhauer von Mailand. Er hatte den 
sicheren Boden einer alten Tradition unter sich und zwar einer künstlerischen Schule, 
die einen großen Wert auf monumentale Wirkung legte und deren Werke immer, auch 
bei noch so trockener Formengebung groß wirkten. Dies sichere Gefühl für Komposition 
und Raumausnützung dringt hier gewaltig durch. In der Tat, wie die Flügel der 
Engel, die die Mandorla halten, die Fläche füllen, wie der thronende Christus unge- 
zwungen Petrus und Paulus überragt, wie diese ganz selbstverstandlich tief in die 
Zwickel hinabsteigen, wie überhaupt die Größe der Figuren zu den Flächen abge- 
stimmt ist, das alles erscheint bei weitem glücklicher als bei den überfüllten Mailänder 


A. Feigel. San Pietro in Civate 213 


Abb. 9. S. PIETRO IN CIVATE D 


Platte am Eingang zur Krypta 


Platten. Diese Überlegenheit des Civatener Künstlers legt den Gedanken nahe, daß 
das Ciborium von S. Pietro dem in S. Ambrogio vorangehe und es inspirierte. Und 
trotzdem wird man diesen Schluß nicht wagen dürfen, und zwar gerade wegen der 
starken Abhängigkeit unseres Künstlers von Byzanz, denn der Aufbau des Ciboriums ist 
ganz und gar ungebräuchlih in der oströmischen Kunst. Hier finden wir meistens 
Kuppeln oder pyramidenartige Dächer mit dem Kreuze bekrönt. Von letzterer Art 
war auch das Tabernakel von Monte Cassino, das wir ja aus der Beschreibung kennen. 
Die Form der giebelförmig geschlossenen Frontispizien, wie wir sie in Mailand. und 
Civate finden, ist eine Weiterentwicklung jener Art, wie sie im VIII. Jahrhundert in 
der ravennatischen Kunst gebräuchlich war.!) Da es anzunehmen ist, daß der Civatener 
Künstler, der doch ganz erfüllt ist von Erinnerungen an die byzantinische Kunst, auch 
das Ciborium in ihrem Geiste geschaffen hätte, wenn nicht in seinen Gesichtskreis ein 
Werk von so imponierender Größe, wie das Mailänder Tabernakel, getreten wäre, so 
liegt es nahe zu behaupten, daß er eben durch dieses zu seiner Schöpfung inspiriert 
wurde. Daß er eine ihm nicht geläufige Form kopierte, beweist noch eine Einzel- 
heit seines Ciboriums. Die Ecksäuldhen des Mailänder Baldachins haben nicht nur den 
Zweck, die tote Ecke zwischen je zwei zusammenstoßenden Platten auszufüllen, sondern 
sie nehmen auch mit dem großen, muschelförmigen Akanthusblatt auf ihren Kapitellen 


1) Zum Vergleich heranzuziehen ist das Frontispiz von S. Maria in Valle. Abb. bei 
Cattaneo: L'Architettura in Italia usw. Fig. 40. 


214 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


tuenden Stützpunkt. Der Krabbenkranz in Civate kann jedoch einen solchen Stützpunkt 
vollständig entbehren, da er ununterbrochen bis zu den tragenden Evangelistensymbolen 
hinabreicht. Und doch setzt der Künster auf jedes Säulchen ein großes Akanthusblatt 
als Bekrönung, das aber hier keine Funktion mehr auszuüben hat. Auch die Form 
der Krabben scheint unserm Meister nicht zu liegen, er nimmt das für diesen Zweck 
wenig geeignete Akanthusblatt, während die Krabben am Mailänder Ciborium eine 
logische Weiterbildung jener im VII. Jahrhundert gebräuchlichen Form sind, die aus 
dem „laufenden Hund“ sich entwickelt hat. Aus all diesen Gründen glaube ich schließen 
zu dürfen, daß der Künstler von Civate eine ihm bisher fremde Kunstform nachahmte, 
d. h. daß er das Ciborium von S. Ambrogio sich zum Vorbild nahm. Diese Erkenntnis 
ist für das Letztere selbst nicht ohne Interesse. Denn gelingt es uns für die Neu- 
ausstattung von S. Pietro in Civate einen einigermaßen sicheren Zeitpunkt zu finden, 
so ist damit ein terminus ante quem für das Mailänder Ciborium gegeben, dessen 
Datierung ja bekanntlich vom IX. bis zum XIII. Jahrhundert schwankt. 

Für die zeitliche Festlegung der Kunstwerke von S. Pietro sind andere Be- 
ziehungen zwischen ihm und S. Ambrogio wichtig. Auf der Kanzel dieser Kirche 
finden wir nämlich dieselbe Chimäre, die in Civate auf der einen Platte des Eingangs 
steht (Abb. 3) und zwar in der ornamentierten Füllung unter der ,Agape“ auf der 
Rückseite des Ambo.!) Aber hier ist das dreiköpfige Tier nicht in der klassisch ein- 
fachen, klaren Form dargestellt, wie in Civate, sondern es ist ganz versteckt unter dem 
Rankengewirr, das gleicimaBig Figur und Hintergrund überzieht. In dieser Art, Figür- 
lies mit vegetabilem Flechtwerk zu verbinden, steht der Verfertiger dieser Platte in 
enger Verwandtschaft mit dem Künstler, der die ornamentierten Platten des Krypta- 
einganges von S. Pietro schuf (Abb. 9). Die Ähnlichkeit der Rankenführung, Blatt- 
zeichnung ist trotz der Verschiedenheit des Materials, hier der leicht bildsame Stuck, 
dort der spröde Marmor, so groß, daß man mindestens an Schulverwandtschaft, wenn 
nicht an die Identität der Künstler denken muß. Dieser Ornamentik begegnen wir in 
S. Ambrogio allenthalben an den Kapitellen der Kirche, und besonders an den Por- 
talen.und in der Vorhalle. Zweifellos hängen all diese Ornamentstücke mit dem Neubau 
S. Ambrogios, der im ersten Viertel des XII. Jahrhunderts im Gange war, zusammen. 
Im Grunde genommen läßt sich diese Art der Ornamentierung weit zurückverfolgen: 
von den Platten in S. Marco in Venedig und zu Torcello (Abb. Cattaneo: Fig. 163 — 165) 
bis zu den Werken des ravennatischen Kunstkreises. Das Neue, Charakteristische jedoch 
ist, daß die Gesetzmäßigkeit der Linienführung, die die ordnende Hand des Künstlers 
durch Symetrie und rythmische Wiederholung gleicher Muster erstrebte, hier aufgehoben 
ist. Die Ranken werden von vegetabilem Leben beseelt, sie wachsen wirklich, folgen 
nicht mehr dem Zwange geometrischer Linienführung, sondern füllen so wie sie es 
wollen, die ganze ihnen zu Gebot stehende Fläche aus. Selbst vor den Leibern der 
Tiere machen sie nicht mehr halt, sondern umspinnen sie mit ihren Asten. Die Blätter 
selbst sind nicht mehr starr in einer Fläche ausgebreitet, sie wachsen in die Tiefe, sie 
suchen sici gegenseitig auf, haken sich ineinander ein und umklammern sich. Merk- 


') Abbildungen bei: Dartein, a. a. O. Tafel 36 und Romussi: S. Ambrogio. Fig. 35. 


A. Feigel. San Pietro in Civate 215 


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À Abb. 10. S. PIETRO IN CIVATE D 
Krypta, Kreuzigung und Marientod 


wiirdig jedoch ist, daB die Einzelform, so viel Leben auch in ihr pulsiert, noch nicht 
der Natur abgelauscht ist; es ist die typische Blattform, die aus der byzantinischen 
Ornamentik sich entwickelnd in die romanische Kunst überging. Die Kunst brauchte 
noch ungefähr 100 Jahre, bis sie auch dies letzte von der Natur für sich eroberte. 
Die Gothik kam hiermit ans Ziel. Jedoch der Grund für diese letzte Phase der Ent- 
wicklung wurde schon in der Zeit gelegt, mit der wir uns beschäftigen. 

Woher stammen nun diese Motive? Haben die Comacini — denn es ist kein 
Zweifel, daß sie es waren, die diesen neuen Stil am meisten kultivierten, in ihrer 
Heimat am üppigsten zur Blüte brachten und ihn von da nordwärts, zumeist in die 
Bauhütten des Rheines und der Sachsengaue einführten — haben sie diesen Stil von 
selbst erfunden, oder von außen her Anregungen dazu erhalten? Ich glaube, daß uns 
S. Pietro in Civate zur Lösung dieser Frage einen Anhaltspunkt gibt. Denn dasjenige, 
was eine Platte von Torcello von Platten in S. Ambrogio oder Civate unterscheidet, 
nämlich die lebendige Kraft der Ranken, ist dem Wesen nach in einfacher, klarer Form 
von dem Hauptmeister, der die Dekoration der Eingangshalle schuf, vorgebildet worden. 
Denn die Stuckornamente, des Triumphbogens und der 3 Arkadenbogen setzen sich 
nicht aus den sonst üblichen lose nebeneinander gereihten, ornamentalen Gebilden zu- 
sammen, sondern auch hier kommen die einzelnen Aste aus verschiedenen Richtungen, 
haken sich zusammen und bilden dann erst gemeinsam das Ornament. Auf diese 


216 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Weise sind die einzelnen Glieder miteinander verwachsen und so wird eine starke 
Illusion treibender Krafte erzeugt. Die Ornamentik der Eingangshalle von S. Pietro, 
die in ihrer einfachen und sauberen Ausführung an Erzeugnisse der Goldschmiedekunst 
erinnert, erscheint wie ein Fremdkörper inmitten der mehr handwerklichen Kunst der 
Comasken. Schon Dartein erkannte diese Sonderstellung, und suchte sie durch die 
Annahme byzantinischer Ent-- 
lehnungen zu erklären. Diese 
Hypothese hat viel Wahr- 
scheinlichkeit für sich, da sie 
ja dem entspricht, was wir 
für den Charakter des Civa- 
tener Hauptmeisters ange- 
führt haben. Diesem möchte 
ich nur noch hinzufügen, daß 
wir bei einer genaueren 
Kenntnis der Geschichte der 
ornamentalen Kunst in Süd- 
italien wohl ähnliche Ten- 
denzen ermitteln künnen!). 
In diesem Falle würde denn 
Civate als wichtiger Vermitt- 
lungspunkt für jenen starken 
byzantinischen Strom erschei- 
nen, der von Süden kommend 
sih dann im Norden ver- 


breitet. 
Die Entstehungszeit der 


Innendekoration von S. Pietro 
in Civate ist nach der oben 
versuchten Charakteristik der 
Ornamentik ungefähr fest- 
gelegt. Für die Platten des 
Kryptaeingangs müssen wir 


` Abb. 11. S. PIETRO IN CIVATE D das 1. Viertel des XII. Jahr- 
Gewölbemalerei der Eingangshalle hunderts annehmen. Klar 

ist es ferner, daß der Ver- 

fertiger dieser Platten, sicherlich ein Lombarde, zeitlich dem Künstler, der die 


Dekoration der Eingangshalle schuf, folgte, da letztere Arbeiten durch die bau- 


') Vergleiche den Elfenbeinkasten der Sammlung Saltyng, London; Abb. bei Molinier. 
Les ivoires S. 152. Der untere Fries setzt sich aus herzformigen Gebilden zusammen, die aus 
sich einhakenden, von verschiedenen Seiten kommenden Ästen hervorwachsen. Die Herzen sind 
so aneinandergereiht, daß je 2 durch ein S-förmiges Glied verbunden sind, also ganz ähnlich dem 
horizontalen Ornamentfriese der Eingangswand von S. Pietro. Molinier hält den Kasten für 
italienische Arbeit unter stark byzantinischen Einfiuß, er denkt dabei an Rom als Entstehungsort. 


A. Feigel. San Pietro in Civate 217 


lien Veränderungen zunächst bedingt waren. Daß die Tätigkeit des Lombarden 
jüngeren Datums ist, wird auch aus folgendem Grunde wahrscheinlich. Die Platte mit 
dem Marientod (Abb. 10), die wegen ihrer unbeholfenen Ausführung sicherlich nicht 
dem fremden, sondern dem einheimischen Künstler zuzuschreiben ist, verdeckt ein 
Fenster, das durch die Treppe, welche außen an die neugebrochene Tür angelegt 
wurde, verdunkelt und deshalb wertlos geworden war. Mithin wurde diese Arbeit 
erst nach den fertiggestellten baulichen Veränderungen vorgenommen. Als Anfangs- 
termin für die künstlerische Tätigkeit des fremden Meisters glaube ich die 90er Jahre 
des XI. Jahrhunderts annehmen zu dürfen und zwar aus folgender Überlegung. Im 
Jahre 1093 wurde Arnolfo de'Capitani zum Erzbischof von Mailand gewählt aber nicht 
vom Papste bestätigt. Dieser ließ ihn durch seinen Legaten absetzen. Arnolfo zog 
sich in ein Kloster zurück, wo er zwei Jahre blieb; Papst Urban Il. rief ihn 1095 nach 
Mailand als Erzbischof zurück; er starb am 24. September 1096 und wurde in Civate 
beigesesetzt. (Longoni: a. a. O. S. 51). Der Schluß liegt nun nahe, dab er die 2 Jahre 
seines Exils in Civate verbrachte; und auf seine Veranlassung könnte die Neuaus- 
stattung der Klosterkirche zurückgehen. Die offenkundige Anlehnung an das Ciborium 
von S. Ambrogio ist dann wohl auf einen Wunsch des Erzbischofs zurückzuführen. 

Die Bedeutung von S. Pietro in Civate für eine noch zu schreibende Geschichte 
der oberitalienischen Ornamentik im XI. und XII. Jahrhundert ist oben dargelegt worden. 
Ich möchte seine Bedeutung auch noch nach einer anderen Seite hin skizzieren. Wer 
sich mit der Geschichte der romanischen und den Anfängen der gotischen Skulpur be- 
schäftigt, erkennt bald einen wie großen Anteil an der Entwicklung der Plastik dieser 
Epoche die byzantinische Kunst genommen hat. Bis jetzt mußte man sich begnügen 
als Träger solcher Einflüsse zumeist Werke der Kleinkunst, wie Elfenbeintafeln, an- 
nehmen. So stark auch die Wirkung dieser Vorbilder auf die abendländischen Künstler 
gewesen sein mag, so ist doch mit dem Hinweise auf diese allein die gewaltige Ent- 
wicklung der Plastik im XII. Jahrhundert noch nicht erklärt. Die Monumentalfiguren 
des Ciboriums von Civate füllen diese Lücke aus. Von besonderer Bedeutung er- 
scheinen mir jedoch diese Skulpturen auch für unsere deutsche Plastik. Allenthalben 
kann man nachweisen, einen wie großen Anteil die Comacini an dem Werden unserer 
rheinishen Dome hatten. Auch für Sachsen müssen die Beziehungen mit Ober- 
italien rege gewesen sein. Da nun mit dem Einsetzen einer lebhafteren Bautätigkeit 
in jener Epoche zugleih auch das Erwachen einer neuen Plastik verbunden ist, so 
kann man annehmen, daß die Comacini, die vielfah Anregungen zu der neuen 
romanischen Ornamentik von Oberitalien mit herüberbrachten, auch Teil hatten an dem 
Wiedererwachen der Plastik. Unsere Vermutung bekommt eine um so sichere Grund- 
lage, wenn wir bedenken, daß die ersten Denkmale rheinischen (ich denke an die 
Platten von Gustorf) und besonders der sächsischen Skulptur aus demselben Material, 
nämlich aus Stuck bestehen, den wir in Civate fanden und der auch anderwärts in 
Oberitalien vielfache Verwendung fand. Erst durch die Annahme solcher Beziehungen 
wird das unvermittelte Auftreten von relativ hochstehenden Arbeiten, wie die Platten 
von Gustorf oder die Skulpturen von Gröningen und Gernrode, erklärt. 


STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


DIE ST. BARBARASAULE 
ZU BRESLAU 


Die mittelalterliche Kunst Schlesiens und vor 
allem Breslaus war bisher nicht dem weiteren 
Kreise der Gelehrten bekannt. Die Lokal- 
forschung eines Alwin Schultz, Luchs und Lutsch 
hat in zerstreuten, teilweise schwer zugänglichen 
Schriften schon eine große Arbeit geleistet, doch 
erst eine umfassende Publikation wird der All- 
gemeinheit die Augen öffnen für die Schönheiten 
schlesischer Kunstbetätigung. 

Die Beziehungen mit den großen Kunst- 
zentren') Italiens und Deutschlands sind zum 
Teil durch Veröffentlihungen über schlesische 
Malerei aufgedeckt, weniger hat man sich mit 
der Plastik beschäftigt. 

Zwar weiß man, daB im Dom sich die Grab- 
platte des Bischofs Johann IV. Roth befindet 
mit der Inschrift „gemacht zu Nurinberg fon mir 
peter Fischer im 1496 iar“; zwar verraten Epi- 
taphien an St. Elisabeth ihre Anfertigung nach 
Entwürfen Dürers, aber von größerem Interesse 
ist es, was das Land selbst an bodenständiger 
Kunst für die Menschheit geleistet hat. Auch 
da ist uns neben den Werken selbst Rühmliches 
in Urkunden erhalten. Im XV. Jahrhundert 
ließ sich der Magistrat von Danzig den Meister 
Martin Frey aus Hirschberg kommen, und schle- 
sische Meister wirkten in Polen zumal in Kalisch. 

Die Holzplastik wird von Kennern der Lü- 
becker gleidigestellt; so seien ihrer hohen Be- 
deutung wegen der Marienaltar aus St. Elisabeth 
(nah Schultz 1470—1480) und der Stanislaus- 
altar aus St. Maria Magdalena (1508) genannt. 

Aus dem Fehlen an gutem Sandstein erklärt 
Schultz das Fehlen großer Steinskulpturen; aber 
nach meiner Ansidit ist er mit diesem Urteil, 
sowohl gegen das Material, wie gegen die Kunst, 
zu streng. 

Die Steinbildnerei blühte im XIMI., XIV. 
XV. Jahrhundert, und eine ganze Reihe von be- 
zeichneten Werken ist uns erhalten. Joducus 
Tauchen, ein Liegnitzer Kind, der sich im Aus- 
land in seiner Kunst gebildet hatte, sei vor 
allem genannt. Von ihm stammt das Sakra- 
mentshäuschen in St. Elisabeth (1453), der Chor 


1) Näheres bei Alwin Schultz: Schlesiens Kunstleben 
im XV.- XVII. Jahrhundert. Publikation des Vereins für 
Gesdiidite der Bildenden Künste zu Breslau. Breslau 1872. 


der Sandkirhe und sogar eine Reihe Erz- 
denkmäler.') | 

Dieses Sakramentshäuschen hat dem Kunst- 
werk, das ic vorführen will, im Aufbau zum 
Muster gedient, wenn auch die jiingere Nach- 
ahmung ihr Vorbild durch Formenschönheit 
übertrifft. 

Diese sogenannte Barbarasäule befindet sich 
heute an einem Strebepfeiler der gleichnamigen 
Kirche eingebaut. 

Hier hat sie auch A. Schultz gesehen, der 


‘ihr das Prädikat ausstellt, daß sie „weniger 


durch Schönheit der Figur als durch zierliche 
Formen des Sockels und des Baldachins vor- 
teilhaft wirkt“. 

H. Lutsch?) lobt den „brav gearbeiteten 
Faltenwurf“, stellt einen „spätmittelalterlichen 
idealisierten Typus“ fest und erkennt schon die 
Bedeutung der Plastik an, indem er ihr zwei 
Sternchen als Auszeichnung verleiht. 

Ehe wir dieses Werk ästhetisch würdigen 
und einigermaßen in die anderen noch vor- 
handenen Bildwerke einzureihen suchen, möchten 
wir seine Entstehungszeit festlegen. 

Die St. Barbarasäule befand sich nämlich bis 
zum Jahre 1863 nicht an der Kirche St. Barbara, 
sondern an der Ecke Reusche- und Nikolaistraße. 

Erst nach Abbruch des Hauses wurde sie 
1865 an die gleichnamige Kirche verlegt und so 
erhalten. An seiner alten Stelle zeigen uns das 
Werk die Bilder von A. Wöffl (Schlesisches 
Museum N. 745—744) und eine Zeichnung 
C. F. Bach (+ 1829).*) 

Das Haus, an dem die St. Barbara stand, war 
ein Hospital, und über seine Bauzeit ist die 
Ansicht schwankend. In dem Verzeichnis der 


1) Näheres bei A. Schultz. Diss. de Jodoco Tauchen. 
Viat. 1864, und Zeitsdirift des Vereins fiir Geschichte und 
Altertum Schlesiens, X. 131. 

) H. Lutsch, Kunstdenkmäler der Stadt Breslau. 1886. 
S. 244. 

3) Diese Zeichnung ist veröffentlicht in Robert Becker: 
Aus Alt-Breslau (Sdiriften des Vereins für Geschichte der 
Bilden Künste zu Breslau). Breslau 1%0. Die Jahreszahıl 
auf dem A. Wölfflsdien Gemälde (Nr. 743), nämlich 1867, 
darf uns nicht zu dem Schlusse veranlassen, daß die 
Barbarasäule noch in diesem Jahre an seiner alten Stelle 
gestanden habe. WOlffl hat oftmals auf Grund vorhan- 
dener Zeichnungen im Auttrage von Kunstfreunden Archi- 
tekturstücke von Alt-Breslau gemalt, lange nec der 
NiederreiBung; so für Conrad Fischer das „Leinwandhaus“ 
im Jahre 1841, Eine fliicitige Sikzze der Barbaraecke be- 
findet sih noch im Breslauer Privatbesitz, wahrscheialidi 
aus dem Jahre 1857. 


R. Corwegh. Die St. Barbarasäule zu Breslau 


219 


Kunstdenkmäler der Stadt Breslau (S. 116) ist 
das Jahr 1461 genannt; Stenzel') wieder er- 
wähnt an dieser Ecke ein Haus mit Erker aus 
dem Jahre 1488. - 

In die Jahre zwischen 1461 und 1500 fällt 
die Schaffung der Bildsäule. Allerdings scheint 
sie nach 1469 entstanden zu sein; denn erst 
1469 huldigte Breslau dem König Matthias 
Corvinus von Böhmen, und unterhalb der Fiale 
der rechten Seite ist der böhmische Löwe im 
Wappenschild angebracht. Daß man die heilige 
Barbara für ein Hospital (ein solches befand 
sid in dem Hause) und für eine Ecke gewählt 
hatte, an der die Reisenden, wenn sie das Tor 
durchschritten, zuerst vorbei mußten, ist aus der 
Bedeutung der Heiligen,?) einer der 14 Not- 
helfer, als Schützerin der Reisenden in Schlesien 
erklärlich, und zweitens gehörte das Hospital 
zur Gemeinde St. Barbara. In dem Baldachin 
über der Hauptfigur sind die heilige Elisabeth, 
die oft in Verbindung mit St. Barbara vor- 
kommt, mit der Figur eines knieenden Bettlers, 
und auf der anderen Seite die heilige Hedwig, 
das Modell einer Kirche haltend, verewigt. 

Auf einem dreieckigen Säulchen mit feiner 
MaBwerkverzierung erhebt sich ein Laubsockel, 
der in seiner Mitte des Meisters und Stein- 
metzen Monogramm GSV trägt. Auf diesem 
Sockel steht St. Barbara über der liegenden 
Figur eines Mannes, umrahmt von zwei Fialen, 
deren Abschluß nach unten Wappenschilder 
bilden. Das Schild der rechten Seite zeigt den 
böhmischen Löwen mit dem gespaltenen Schweif, 
das der linken einen Männerkopf auf umge- 
kehrter Krone; vielleicht das Haupt St. Johannis 
des Täufers, des Schutz- und Wappenpatrons 
der Stadt. Auch im heutigen Wappen, seit 
Mitte des XVI. Jahrhunderts in dieser Form, 
bildet er das Mittelstück. Über der Barbara 
erhebt sich der aus dem Dreieck entwickelte 
Baldachin nach unten schwer in seiner Orna- 
mentik, sich leicht und frei nach oben ver- 
jüngend. An zwei Dreiecksflächen trägt er die 
Gestalten der St. Elisabeth und St. Hedwig auf 
Laubsockeln unter kleinen Baldachinen. Nach 
oben schließt der Aufbau mit einer Kreuzblume 
ab. Als Eckpfeiler erdacht, ist die Säule in 
allen ihren Teilen einfach und sinngemäß. 

Der Wert beruht in den Figuren. Nach alten 
Zeitungsberichten aus den Jahren 1863— 1865 
soll man bei der Versetzung des Werkes mit der 


1) Stenzel: script. rer. Sil. Ill. 1843. S. 251. 

*) Ober die heilige Barbara: Dr.S. Peine: St. Barbara, 
Leipzig 1896; Detzel: Christlihe Iconographie, Frei- 
burg i. B. 1894; Wessely: Iconographie, Leipzig 1874; 
Hans Lutsch: Zur Würdigung des künstlerischen Schmuckes 
der St. Barbarakirche, Breslau 1898. 


Barbara barbarish umgegangen sein. In der 

Tat fehlt ihr der rechte Unterarm mit Hand, sonst 

kann man ihre ganze Schönheit bewundern. 
Die ihr zu Füßen liegende Männergestalt soll 


Die St. Barbarasäule zu Breslau 


den Vater der Heiligen darstellen, den nach 
ihrer Hinrichtung ein Blitz zu Boden streckte. 
Über ihm erhebt sich die Heilige schlank und 
frei aus dem reichen Gefält ihres aufliegenden 
hochgegürteten Gewandes, in der Haltung mit 
Stand- und Spielbein fein ausbalanziert. Die 
Gewandfalten umschlieBen ganz schlicht ihre 
Gestalt, die Formen des Körpers leicht ver- 
ratend. Reicher gefältelt ist nur der Mantel am 


220 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


rechten Arm und der linke Armel. Die linke 
Hand stützt sich auf den Turm, der die Ge- 
stalt der Legende nach als St. Barbara charak- 
terisiert. 

Das Gesicht ist von breitem Eirund mit 
kleiner Nase, fein geschnittenem, lächelndem 
Munde. Auch die Augen sind klein nach unten 
blikend. Die Wangenflächen sind sehr breit 
und hochgewölbt, ein Charakteristikum schlesi- 
scher Kunst. Sie werden von leicht gelocktem 
Haar umrahmt, das die hohe Stirn, die stark 
gewölbt ist, freiläßt. Auf dem Haupte trägt die 
Heilige die Märtyrerkrone. Die Ruhe in der 
Haltung, im Faltenwurf gibt der Gestalt ihren 
besonderen Reiz. Sie macht sie zur schönsten 
der schlesischen Plastik jener Tage. Bei beiden 
anderen Heiligen verdecken die reichen Schüssel- 
falten der Gewandung die Körperformen, auch 
hat die Haltung das spiralförmig Gedrehte spät- 
gotischer Figuren. 

Aber auch bei ihnen verrät der feine Ge- 
sihtsausdruck, das leichte leonardeske Heiligen- 
lächeln, die Hand des gleichen Meisters. 

Wenn man das Werk bewundert, stößt so- 
fort die Frage auf, wer war der Meister, sind 
andere Schöpfungen von ihm vorhanden? 

Die erste Frage ist leider nicht zu beant- 
worten, zur zweiten folgendes: A. Schultz 
nennt neben der heiligen Barbara als bedeu- 
tendere Leistungen schlesischer Kunst die Figu- 
ren vom ehemaligen Odertor zu Glogau 
(1505—1506 entstanden). Diese Gestalten stellen 
St. Barbara '), Maria mit dem Kinde und St. Nico- 


1) Nach einem Nachwort von A. Schultz soll nicht 
St. Barbara sondern S. Catharina die Gestalt am Odertor 
in Glogau sein. Abgebildet als Taf. Il. in A. Schultz: 
Schlesiens Kunstleben. Das alte Odertor in der Zeitschrift 
„Schlesien“ Jahrg. I. von Prof. R. Knòtel. 


laus dar. Nur das nackte Kinderkörpercen ist 
überraschend schön in Formensprache und Hal- 
tung. Das Gesicht der h. Barbara verträgt nicht 
den Vergleich mit unserem Werk und auch die 
Gewandung ist willkürlicher, spielerischer in 
ihrem Gefält. 


Nahe verwandt unserer Figur ist hingegen 
die Maria mit dem Kind am Westportal von 
St. Maria-Magdalena, neben dem h. Christoph 
von 1506. Leider habe ich wegen der Höhe, 
in der sich die Figur befindet, vergeblich ver- 
sucht Jahreszahl und Steinmetzzeichen zu ent- 
decken. Das Kind ist arg zerstört, Maria aber 
auf Halbmond und Wolken stehend, gleicht in 
Haltung und Gesichtsausdruck unserer Barbara, 
auch die Krone ist gleich. Die Falten des Man- 
tels sind allerdings bewegter und lassen nicht 
den Körper erkennen. Der gleichen Werkstatt, 
von schwächerer Hand, gehört die Maria mit 
Kind auf Mond und Wolken stehend (an der 
Westecke der Sakristei von St. Maria-Magda- 
lena) an. Sie hat der Maler Jacob Beinhard 
1499 gestiftet. 


Leider ist die photographishe Aufnahme 
beider Figuren infolge ihres hohen Platzes nidıt 
möglich gewesen. 


Möge das Bild der St. Barbara den Wunsch 
nach Abbildung anderer Werke schlesischer 
Kunst wachrufen. An St. Elisabeth, St. Maria 
Magdalena befinden sich eine große Reihe von 
Werken heimischer Kunst, zumeist datiert, an 
deren Hand sich Geschichte und Werdegang der 
Plastik dieser Gegend leicht studieren lieBe. 
Vielleiht ist die Zeit nicht ferne, wo man 
Breslau, Schlesien und ihre Kunst entdeckt. 


Robert Corwegh. 


Diesem Hefte lieven Prospekte der Firmen JOSEPH BAER & CO., Frankfurt und 
LOESCHER & CO., Rom bei, auf die wir hiermit besonders aufmerksam machen. 


Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, Leipzig, Liebigstraße 2. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig. 


ONAT SHEP TES 


BESKUN STWISSENSCHAF rig 


Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN 
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Hans von Marees 
Ein Epilog zu den Ausstellungen in Miinchen und Berlin 


Von Gustav KeyBner 


„sein Bild war vielfach entstelit worden; 
von den einen, die ihm eine fibergroBe Bedeu- 
tung beilegten, ohne doch hinreichende Beweise 
für ihre Meinung beibringen zu können — von 
den andern, die in seiner Laufbahn nichts weiter 
zu sehen vermochten, als den gänzlichen Schiff- 
bruch eines Menschen, der nicht nach Maßgabe 
seiner Kräfte, sondern nach den Anspriichen 
seines Ehrgeizes gelebt hätte.“ 

C. Fiedler über H. v. Marées'). 


Nach einem Wort Nietzsches entsteht der Ruhm, wenn die Dankbarkeit Vieler gegen 
Einen alle Sham wegwirft. Wir sind in diesen Monaten Zeugen der Entstehung eines 
Ruhmes, und das Schauspiel, das sich uns dabei bietet, ist wohl geeignet, uns jenen 
Ausspruch des Zarathustra-Dichters ins Gedächtnis zu rufen. Die „Scham“, welche in 
diesem Falle die Vielen — oder vielmehr die lautesten ihrer Wortführer — wegwerfen, 
ist der besonnene Respekt vor der Tatsächlichkeit dessen, was wirklich war und ist, 
und die Scheu vor allzu starker Rede, vor den letzten, schrankenlosen Steigerungen 
des Lobes. 

Der erste, der zur Münchner Marées-Ausstellung öffentlich das Wort ergriff, war 
Adolf Hildebrand °). Seine Proklamationen — so darf man seine zweimaligen AuBe- 
rungen wohl bezeichnen — hatten etwas Imposantes und Fortreißendes; hier pries ein 
großer Künstler das Schaffen und Wollen des Einzigen, der unter seinen Zeitgenossen 
ihm Lehrer und Vorbild gewesen, aus voller künstlerischer Überzeugung und mit echter 
menschlicher Wärme. Dieses Klanges durfte man sich freuen, auch ohne mit jeder 
einzelnen Wendung und Folgerung einverstanden zu sein. Viel unerfreulicher wirkten 
von vornherein die Unbedingtheiten und Superlative, die Julius Meier-Graefe in seinem 
Aufsatz über Marées (in knapperer Form dem Münchner Katalog beigegeben, ausführlicher 
in der „Kunst für Alle“ 1909 [Bd. XXIV], 1. März-Heft publiziert) den Lesern zuschleuderte. 
Die immer rauschender instrumentierten Hymnen, in denen dann die jäh erwachte 


1) Schriften über Kunst, 1896, S. 376. 


2) Münchner Neueste Nachr. 1908, Nr. 608; 1909, Nr. 17. 16 


222 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Marées-Begeisterung der Kritik sich ergoB, sind sachlim für das Thema Marées 
ziemlich belanglos. Als Stilübungen haben sie gewiß ihren Wert, und sie werden 
einst noch erbaulicher zu lesen sein, wenn erst die Hosiannah-Rufer von heute es zeit- 
gemäßer und interessanter finden, in den Schrei „Ans Kreuz mit ihm!“ auszubrechen. 
Denn — mande Erfahrung lehrt es uns — einer gewissen Sorte hysterischer Tages- 
kritik sind die vier Tage, die zwischen Palmsonntag und Karfreitag liegen, fast schon 
eine zu lange Frist. 

Aber heute ist heut; und wer heute nicht mit Meier-Graefe Marces den „größten 
Meister deutscher Kunst“ nennt, kommt leicht in den Verdacht, als wolle er schon am 
_Palmsonntag ,Kreuzige! kreuzige!“ rufen. Seis drum! Lange, bevor der Ruhm des 
Malers der „Hesperiden“ eine öffentliche Sache wurde, hat es eine kleine stille Gemeinde 
gegeben von solchen, die von Zeit zu Zeit aus München hinauspilgerten zu der Marées- 
Kollektion in SchleiBheim. Nicht ungetrübt von äußeren Dingen (die Bilder sind ja 
dort draußen so erbärmlich beleuchtet!), war es doch ein tiefer, unvergeBlicher Genuß, 
hier in stillem Beschauen einem großen, hochstrebenden Geist, einer wunderbar die 
Natur erfassenden und umwandelnden Kunst sich nähern zu dürfen. Ein Genuß, in 
dem etwas von tragischer Ergriffenheit mitklang: denn die Offenbarungen jenes Geistes, 
die Schöpfungen dieser Kunst waren zum größten Teil Ruinen, trugen das furchtbare 
Merkmal einer rätselhaften Selbstzerstérung. Wer von der kleinen Gemeinde, die 
kein äußeres Band, keine Tageslosung der Mode zusammenhielt, hätte damals geahnt, 
daß es einmal so etwas wie ein Marées-Dogma geben würde, eine Marées-Orthodoxie, 
die ihren Gläubigen die Autosuggestion auferlegt, die Trümmer als vollkommene Werke 
zu bewundern, das, was uns vor Augen steht, — allem zum Trotz, was bisher der 
Kunsterfahrung als Norm galt — nicht nach der künstlerischen Leistung und nach dem 
Verhältnis der Leistung zur Absicht, sondern allein nach der Absicht ihres Schöpfers 
anzusehen und einzuschätzen! Nicht die Pietät gegen einen großen und unglücklichen 
Künstler wird verletzt, wohl aber die Pietät vor den Tatsachen gewahrt, wenn man 
jenem im Werden begriffenen Dogma gegenüber sich klar bleibt, daß Marées nur 
wenige Werke vollendet und vollkommen hinterlassen hat, und wenn man sich klar 
zu werden versucht, wieweit die Ungunst der äußeren Verhältnisse, wieweit ein inneres 
Verhängnis die Schuld an seinem Scheitern trug und was an seiner Kunstübung und 
-lehre geeignet ist, allgemein als Norm und Vorbild zu dienen. 


x * 
* 


Es ist Meier-Graefes dankenswertes Verdienst, in jahrelangem, unermidlichem 
Nachforschen die weit verstreuten, oft wohl schon halb vergessenen und verlorenen 
Arbeiten Marées, soweit sie nicht in der Schleibheimer Sammlung und im Besitz 
der Familie Marées, Adolf Hildebrands und der Witwe Conrad Fiedlers gesichert 
waren, wieder aufgespürt und für eine einheitlidie Betrachtung gerettet zu haben. 
Diese Bemühungen kamen nicht allein dem großen Werk über den Künstler zugute, 
das Meier-Graefe demnächst herausgeben wird, sondern auch der Ausstellung, die die 
Münchner Sezession im letzten Winter veranstaltete und die dann noch nad Berlin 
wanderte, wo die Aufstellung und das Arrangement besonders der letzten großen 


G. KeyBner. Hans von Marées 223 


Arbeiten, der Triptychen, noch günstiger und wirkungsvoller gewesen sein soll, als in 
München. Einen ganz einzigartigen, tiefen Eindruck mußte aber jeder auch in den 
Räumen der Münchner Sezession empfangen. Eines Künstlers Erdenwallen spielte sich 
hier, wie in einer autobiographischen Dichtung, in seinen eigenen Werken vor uns ab, 
von den ersten Lehrjahren, mit ihrem redlichen, unbekümmert fröhlichen Bemühen, zu 
dem Stadium, da sicher erworbenes, reiches Können sidi einer Vollendung nähert, die 
hundert andern als Ziel und Gipfel genügt hätte, während für Marées nun erst ein 
neues Erkennen, ein neues Suchen und Ringen beginnt; über diese zweite Lern- und 
Werdezeit zu einer kurzen Episode gliicklidien raschen Schaffens, im schönsten Gleich- 
gewicht der Kräfte und Ideale, und dann die letzten anderthalb Jahrzehnte dieses 
kurzen Lebens mit ihrer unermüdlichen Arbeit, die immer weniger sich selbst genug 
tun kann, weil die Außenwelt ihr die Bedingungen des vollen Sichauswirkens versagt 
und die nach innen gedrängte Glut allmählich das Mark der schöpferischen Kraft auf- 
zehren muß. 

Wie Marées Entwicklungsgang bis zu den Neapler Fresken, der glücklichsten, 
blühendsten Schöpfung seines Lebens aufzufassen, wie die biographische und allgemeine 
Bedeutung der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werke abzuschätzen sei, darüber 
wird bei allen, die den Maler überhaupt für eine ernst zu nehmende, große Persön- 
lichkeit ansehen, Übereinstimmung herrschen. 

Die Gabe eines klaren, scharfen Blicks und bildmäßigen Sehens verrät sich schon 
in den frühen Jugendarbeiten, die im übrigen auf wirkliche Eigenart keinen Anspruch 
machen können. Zum selbständigen Künster reift er rasch in München heran; die dort 
entstandenen Porträts und Bilder wie die „Rast der Diana“ und die „Pferdeschwemme“ 
sind Zeugnisse dieser ersten Reifeperiode. Erst beim Vergleich mit den späteren 
Arbeiten lassen sie erkennen, daß sie noch mit einer gewissen Naivetät gemalt sind, 
daß Marées noch nicht das feste Kunstprinzip gefunden hatte, in dessen Dienst erst 
ihm sein und alles Kunstschaffen organish und gesetzmäßig wurde. 

In Italien, während seines ersten dortigen Aufenthalts (1864—1870), ging ihm 
dies Prinzip nach und nach auf, wachgerufen durch die Macht der Eindrücke, die aus 
Kunst und Natur auf ihn eindrangen. „Von großen Dingen soll man schweigen oder 
groß reden“: ihn trieb es, all dem Großen, das ihn umgab, mit der Sprache großer 
Kunst, aber in seinem eigenen Idiom, zu antworten. Langsam, sozusagen Silbe für 
Silbe, in mühsamem Ringen bildete er sich diese Sprache. 

Was er so gefunden und was er von Früherem aufgegeben, kann man sid 
vielleicht am klarsten anschaulich machen, wenn man die „Rast der Diana“ von 1863 
und die ,Abendlicie Waldszene“ von 1870 nebeneinander betrachtet und zwischen 
diese Endstücke ein paar Mittelglieder der Reihe hält. Das Entscheidende ist die Art, 
wie die beiden Grundelemente, mit denen alle nicht rein lineare Flächenkunst ihre 
Wirkungen hervorruft — wie Hell und Dunkel über die Bildfläche verteilt werden. 
In der „Rast der Diana“ sind die Flecken der hellen, leuchtenden Farben über die 
Massen der dunklen, glühenden, mit leichter, spielender Bewegung hingestreut wie 
Juwelen oder bunte Blumen über eine tieffarbige Samtdecke. Die ,abendlihe Wald- 
szene“ zeigt Hell und Dunkel in großen geschlossenen Flächen gegeneinandergesetzt, 


224 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


statt des Geschmeides oder der Guirlande eine feste Architektur, statt des labilen 
Gleichgewichts ein sicheres Ruhen auf breiten Fundamenten. An den zwischen diesen 
beiden Bildern liegenden Arbeiten, die meist über den Entwurf nicht weit hinaus- 
gediehen sind, läßt sich die Entwicklung, die sich natürlich nicht in korrekter Gerad- 
linigkeit vollzog, verfolgen. Die Mitte des Wegs mag etwa die „Römische Landschaft“ 
in Schleißheim (gemalt 1868) bezeichnen. Mit ihrem in die Ferne sich verlierenden 
Hintergrund nimmt sie fast schon die entschiedene Weiträumigkeit der letzten Phase 
vorweg; nur wirken die Figuren des Vordergrunds noch nicht so energisch als raum- 
gliedernde Faktoren. Doch wird dies Bild vielen, denen das ceuvre Marées nicht nur 
das corpus juris der Raumkunst ist, besonders lieb sein wegen der zauberischen Schön- 
heit seiner Stimmung. In dem Silbergrau, mit dem sein Kolorit durchwebt ist, in der 
traumhaften Ruhe der Gestalten liegt eine fast musikalische Wirkung. Wenn eine 
spätere Arbeit des Meisters als „Erinnerung an Rubens“ bezeichnet wird, so darf man 
dieser den Namen „Huldigung für Giorgione“ geben. — In einer AuBerlichkeit: dem 
unbefangenen Nebeneinanderstellen bekleideter und nackter Figuren, erinnert freilich 
die „Waldszene“ noch direkter an den Maler des „Konzerts“ im Louvre (heiße dieser 
nun Giorgione oder nicht) und des „Gewitters“ im Palazzo Giovanelli; aber die Gior- 
gioneske Stimmung ist jetzt verklungen, im verglühenden Abendhimmel, im Dämmern 
der Baummassen, von dem der nackte Leib des sitzenden Mannes sich in gedämpftem 
Leuchten abhebt, ist fast eher etwas von deutscher Romantik. So sicher und groß die 
Trägerin dieses Stimmungsgehaltes, die Flächendisposition, behandelt ist, noch hat 
Marees den letzten Schritt nicht getan; noch ist nicht der Raumeindruck, die ideale 
Illusion des Dreidimensionalen, zur vollen entscheidenden Wirkung gebracht. 


* * 
* 


»Marees betrachtete die Arbeit an der Bildtafel als Surrogat fiir die Wand- 
malerei“, so lesen wir in K. v. Pidolls Marées-Erinnerungen.') Es war das ausschlag- 
gebende Verhängnis in seiner Existenz, daß er nur einmal in seinem Leben, statt am 
„Surrogat“, an der Wandmalerei selbst seine Kräfte versuchen und bewähren durfte; 
ein Glück und Trost für uns Nachlebende, daß es doch wenigstens dieses eine Mal 
geschah. In voller Manneskraft, im 36. Lebensjahre, stand Marces, als ihm die Mög- 
lichkeit gewährt wurde, einen Raum mit Wandmalereien ganz nach seinem Sinn und 
Belieben zu schmücken. 

Von diesen Fresken im Bibliotheksaale der Zoologischen Station zu Neapel konnten 
sich bisher diejenigen, die nicht in Neapel selbst gewesen sind, nur einen schwadchen 
Begriff machen nach den ziemlich ungenügenden Photographien, die vor einigen Jahren 
in der „Kunst für Alle“ (XVII, S. 169 ff.) reproduziert wurden.) Die großen Olstudien 


1) Aus der Werkstatt eines Künstlers. Erinnerungen an den Maler Hans von Marées 
aus den Jahren 1880—81 und 1884—85, S. 40. (Ich zitiere nach der ersten, als Manuskript 
gedruckten Ausgabe, Luxemburg 1890.) 

*) Jetzt liegt auch ein großes Tafelwerk vor: Hans von Marees Fresken in Neapel. Text 
von Paul Hartwig (Berlin, Cassirer). 


G. KeyBner. Hans von Marees 225 


in preuBischem Staatsbesitz, die zu den Hauptdarbietungen der Marées-Ausstellung 
gehörten, geben nun, nadı Maßstab und Farbe, einen annähernden Begriff von der 
wirklichen Erscheinung der einzelnen Bilder. Die Raumwirkung — also das, was dem 
Maler selbst als das Oberste galt — wird man freilich immer nur in jenem Saale 
selbst ganz empfinden können. 

So einfach das Stoffliche der Darstellungen, so reich ist die formal-künstlerische 
Erfindung. Das Stofflidie: die harte, schwere Arbeit der Fischer, die friedlichere des 
Landbebauers; der ruhige, unbewußte Naturgenuß plaudernder Frauen und spielender 
oder schlafender Kinder, das beschauliche Ausspannen geistig arbeitender Männer in 
der Feierabendstunde nach vollbrachtem Tagwerk. Das Formal-Künstlerische: das 
Thema des „Raums an sich“ erscheint vierfach variiert: als Unendlichkeit von Meer 
und Himmel auf dem Bild mit dem Ruderboot in voller Fahrt; als weite, aber durch 
mächtige Felsenkulissen bestimmt abgegrenzte Landschaft in der Vorbereitung zur Fahrt; 
als naturgeschaffenes Architekturgebilde eines schattig lichten Haines; eingefangen und 
-gegliedert zwischen den Mauern, Treppen und Winkeln eines von Menschenhand ge- 
schaffenen Gebäudes — wohlgemerkt des ins Freie greifenden Vorbaus, nicht eines 
Innenraums, der die Illusion der Weite, auf die es dem Maler durchweg ankam, nicht 
im gleichen Maß ermöglicht hätte. Nirgends aber drängt sich die formale Absicht dem 
Beschauer unmittelbar auf; die struktive Idee ist gleichsam das Knochengerist, das 
einem lebendigen Körper die Grundproportionen und festen Halt gibt, ringsum aber 
von blühendem Fleisch bekleidet ist. Noch ist das Bild nicht, von der Phthise der 
Abstraktion ausgesogen, zum hageren Gerippe der ,Bildkonstellation“ abgemagert. 

Bliken wir von den in einem glücklihen Wurf konzipierten und in ein paar 
arbeitsfrohen Monaten vollendeten Neapler Fresken zurück auf das vom Künstler seit 
seinem ersten Einzug in Italien Geleistete und vorwärts auf das, was er in den 
folgenden vierzehn Jahren noch geschaffen hat, so kommt uns das Fragmentarische, 
Trümmerhafte seines Lebenswerkes besonders deutlich und schmerzli zum Bewußt- 
sein. Von den auch nicht allzu zahlreichen, aber desto meisterhafteren Porträts ab- 
gesehen: in den Jahren von 1864—73 eigentlich kein ganz ausgeführtes Bild, nachher 
fast lauter unvollendete oder nach einem Augenblick der Vollendung wieder und wieder 
in Angriff genommene, verquälte, halbzerstörte Arbeiten. Ganz von selbst ergibt sich 
der Eindruck: in des Malers Innerem lagen schwere Hemmungen, über die ihn nur 
äußere Antriebe: das Belebende eines Auftrags, der Zwang zu raschem Ausführen, 
der in der Freskotechnik liegt, hinwegreißen konnten. Die Hemmungen nun lähmten 
ihm nicht etwa Arbeitskraft und -freude an sich. Im Gegenteil vielmehr meint 
Meier-Graefe !): „Das Manko ist bei Marées ebenso groß wie sein Wert. Es wurzelt 
im Grunde in einem bis zum Pathologischen gesteigerten Schaffensdrang, der selbst 
den unentbehrlihen künstlerischen Selbsterhaltungsinstinkt übertraf.“ Darin liegt 
siher viel Richtiges. Wenn wir hören, wie Marees mit seinen Studien und Ent- 
würfen, ja mit fertigen Arbeiten umging, achtlos und selbstzerstörerisch, so wird es 
uns ganz klar, daß ihm das Werk fast gleichgültig war gegenüber dem Ärbeiten. 


') Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst (Stuttgart, 1904) S. 435. 


226 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Von der Elternfreude, der naiven Verliebtheit, mit der der normale Kinstler einer 
neuen Schöpfung seiner Hände gegenübersteht und die Goethe so liebenswiirdig-offen- 
herzig in dem „Geständnis“ des West-Gstlihen Divans !) beschreibt, hat Marées gewiß 
sehr selten etwas empfunden. Wäre diese Disposition aber in einer pathologischen 
Steigerung des Schaffensdranges begründet, so müßte sie doch wohl in einem über- 
hasteten Fortstürmen von Entwurf zu Entwurf, in einem Abnehmen der Vertiefung in 
die einzelne Arbeit sich äußern. Statt dessen sehen wir ihn wenigstens in seiner 
letzten Periode immer wieder zu den gleichen Werken zurückkehren und diese solcher 
Art nach und nach entstellen, ja vernichten. 

Nein, was ihm ein unbefangenes Schaffen und freudiges Vollenden unmöglich 
machte, was ihn vor der Schwelle des „Fertigmachens“ vorzeitig festhielt oder weit 
über sie hinaus zerrte, das war die überwache Bewußtheit seines künstlerischen In- 
tellekts. Was wir aus Conrad Fiedlers schöner Schrift über seinen Freund °), aus Karl 
v. Pidolls wertvollen Marees-Erinnerungen von der besonderen Eigenart seines Kunst- 
betrachtens und -schaffens erfahren, läßt sich nicht knapper und bezeichnender aus- 
sprechen als in den Worten Pidolls: „Hans von Marées betrachtete die künstlerische 
Tätigkeit als einen zusammenhängenden Entwicklungs- und ErkenntnisprozeB, 
welcher die Ausbildung des Sehvermögens und das unmittelbare Erfassen der uns um- 
gebenden Welt durch das äußere und innere Gesicht zum Gegenstande hat ..... 
Diesen Vorgang selbst pflegte er, seinem Wesen nach, als intellektuelle Arbeit zu 
bezeichnen“ (Pidoll, S. 84f.). 

Wir wollen gewiß nicht in die etwas kindlichen Vorstellungen verfallen, die 
sich Laien so oft von dem „naiven“ Schaffen des Künstlers machen. Zur Meister- 
schaft gehört sicherlich die volle Klarheit über das, was der Künstler erreichen will, 
und über die technischen Mittel, mit denen er es erreichen kann; seine „Naivetät“ be- 
ruht in der seinem Willen entrückten spezifischen Empfänglichkeit für die Eindrücke 
der Außenwelt und in dem ebenfalls unwillkürlichen ersten Reagieren auf diese Eindrücke, 
in dem sich schon der schöpferishe Keim eines neuen Werkes regt. Aber etwas 
anderes ist es, mit bewußter Sicherheit und klarer Absicht die naiv empfangenen 
Eindrücke ordnen und gestalten, etwas anderes, die eingeborenen Normen der künst- 
lerischen Empfänglichkeit selbst analysieren, aus ihnen allgemeine, ausschließliche 
Formeln bilden, diese Formeln zu Forderungen steigern, denen nicht die eigene, noch 
irgend eines andern Künstlers Kraft genug tun kann. Marées besaß jene zuerst um- 
schriebene gesunde BewuBtheit in hohem Maße. Als vornehmer, sachlich denkender 
Mensch immer bereit, ja sich verpflichtet fühlend, mit den eigenen Erkenntnissen auch 
die Freunde und Schüler und damit die ganze Kunstübung zu fördern, von der Natur 
mit der Gabe bedacht, sich klar, prägnant und durchaus nicht abstrakt auszudrücken, 
war er — innerhalb der Schranken seiner sich stofflich immer melır verengenden 
Kunst — unerschöpflich in technischen Ratschlägen und Aufschlüssen, in richtung- 


') Ausg. 1. H. Bd. 5, S. 11. 

2) Zuerst gedruckt als Text zu der nicht im Budihandel erschienenen Mareces- Mappe 1889. 
Jetzt in: „Conrad Fiedlers Schriften über Kunst. Hgg. von Hans Marbach“ (Leipzig, 1896), 
S. 369— 462. 


G. KeyBner. Hans von Marées 227 


gebenden Hinweisen auf die Grundwahrheiten und letzten Ziele aller Kunst. So ist 
das kleine Buch K. v. Pidolls eine wahre Fundgrube für praktische „Malerästhetik“ !) 
und für die Psychologie des Künstlers. Wie es bald allerlei Handwerkeinzelheiten des 
Ateliers mitteilt, bald von des Lehrers Streben und Ringen erzählt (übrigens nie in 
krausem Durcheinander, sondern klug und übersichtlich disponiert), das gibt dem Leser 
etwas von dem gleichzeitigen Empfinden sachlidien Vergnügens und persönlicher Er- 
griffenheit, wie es Aufzeichnungen der Renaissance, etwa von Lionardo oder Dürer, 
in uns wecken; und man kann sich vorstellen, daß junge Maler von all den Angaben 
über Zeichnen, Entwerfen, Zusammenstellung der Palette, Behandlung des Mal- 
grundes usw. usw. viel zu ihrem Nutzen beherzigen mögen, ganz abgesehen davon, 
wie unentbehrlich diese Dinge für eine Einzelanalyse der Maréesschen Kunst sind. 


Aber neben dieser gesunden künstlerischen Bewußtheit steht wie das Gespenst 
einer schleichenden tödlichen Krankheit die Spekulation. So hat Marées die Feindin 
selbst bezeichnet in einer von Fiedler mitgeteilten Briefstelle, die man geradezu als 
den Schlüssel zu dem Problem dieses tragischen Künstlerdaseins bezeichnen darf. Die 
Stelle lautet (wann sie niedergeschrieben ist, gibt Fiedler nicht an — doch wohl nach 
1873): „Es mag bis jetzt schon so die beste Art gewesen sein, meine Kräfte im Stillen 
zu üben und meine Erfahrungen nach manchen Seiten hin zu bereichern. Bleibts jedoch 
so, so muß es zur Verzettelung und endlich zur Erlahmung führen. Der Hauptfeind 
der Kunstausübung bleibt doch immer die Spekulation, und auf die bleibt 
man doch immer angewiesen, wenn keine äußere Veranlassung zur Herstellung eines 
Werkes vorliegt. Den bestimmten Anforderungen von Ort und Gelegenheit läßt sich 
bis zu einem gewissen Grad Genüge leisten, in der alleinigen Konkurrenz mit den 
Werken der Schöpfung muß man sich ewig als Stümper fühlen und die eigenen Taten 
verwerfen“ (Fiedler, S. 412f.). 

Es hat etwas Erschütterndes, den Leidenden selbst so unzweideutig sein Leiden 
bezeichnen zu hören, gleich einem Arzt, den sein eigenes Wissen eine Krankheit, die 
ihn befallen, als unheilbar erkennen läßt. Wir vernehmen, daß der Maler nur dann 
sich wirklich produktiv fühlen konnte, wenn er vor eine bestimmte Aufgabe gestellt 
wurde — das zeigt, wie sehr und ausschließlih er zum Raumkünstler berufen war — 
und daß er selbst das Übermaß des Reflektierens als einen ungesunden Ersatztrieb für 
das zurückgedrängte frische Schaffen empfand. — Andere Hemmungen mögen in seiner 
nervösen, schwächlichen Konstitution gelegen haben, von der Floerke °) berichtet und 
die auch ein brieflicher Seufzer (bei Fiedler, S. 412) erraten läßt („Idh habe das eigene 
Geschick, daß eine jede künstlerische Phase bei mir mit dem größten körperlichen Un- 
behagen, ja oft mit Schmerzen verbunden ist, wie bei einer schwangeren Frau“), und 
in einer gewissen körperlichen Ungeschicklichkeit, die gleichfalls Floerkes kritischer, 
aber nicht feindseliger Blick an ihm bemerkt hat. Doch das wesentliche bleibt, in un- 
heilvoller Verbindung mit der so eng bedingten Ergiebigkeit der freien Produktivität, 


1) In dem so betitelten inhaltreichen Buche von Herm. Popp („Maler-Asthetik“. Straßburg, 
1902) ist denn auch Pidolls Schrift ausführlich berücksichtigt. 
2) Gust. Floerke, Zehn Jahre mit Böclin (München, 1901), S. 171 f. 


228 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


die „Spekulation“. Hat sie ihn anfangs zur vollen Klarheit über seine eigenartige 
Anlage und über das innerste Wesen der ihm gemäßen Kunstgattung geführt, so rückte 
sie ihm allmählich sein Ziel in immer unerreichbarere Fernen. 

In den ersten italienischen Jahren hatte er den entscheidenden Schritt vom mehr 
malerischen zum mehr körperlichen, räumlichen Sehen getan. Die Erkenntnis, die er 
sich dabei gewonnen, hat er viel später in die endgültigen Worte gekleidet, die eigent- 
lich in allem, was sich zur Formanalyse seiner Kunst sagen läßt, nur noch umschrieben 
und variiert, aber nicht mehr wesentlich vertieft und erweitert werden können: „Soviel 
wir von der sichtbaren Welt mit Einem Blicke umspannen können, ist in seiner Grund- 
form allemal eine horizontale Fläche, von welcher einzelne Gegenstände vertikal in das 
Himmelsgewölbe aufragen. Aus dieser Art der Betrachtung ergibt sich für jede natür- 
lime Gesamt-Erscheinung ein Netz von führenden und begleitenden horizontalen und 
vertikalen Linien, in welchem die einzelne Erscheinung hauptsächlich durch die Modi- 
fikation ihrer Lage auf den Gesichtssinn wirkt“ (Pidoll, S. 29f.). 

Liest man bei Pidoll weiter, so erstaunt man über die Folgerichtigkeit, mit der 
aus diesem theoretischen System Schritt für Schritt eine praktische Lösung der Auf- 
gabe: Darstellung der menschlichen Figur im Raum, hauptsächlich in der Landschaft, 
entwickelt wird. Erscheint auch in der Schilderung dieses Werdeprozesses die Farbe 
ganz ausgeschaltet, so spielt sie doch in den übrigen Ausführungen Pidolls eine so 
große Rolle, daß schon die Theorie des Malers deutlich zeigt, was seine Bilder erst 
recht bestätigen: der Übergang vom rein malerischen zum betont plastischen Sehen 
bedeutete nicht etwa eine Wandlung vom Maler zum Plastiker, und es ist nichts von 
einem inneren Zwiespalt, einem künstlerischen Widerspruch, wie er aus solcher Wand- 
lung hätte hervorgehen und zurückbleiben können, in seinem Schaffen nachzuweisen. 
Die Fläche so zu behandeln, daß sie dem Beschauer die Illusion der Raumvertiefung 
aufzwingt, war stets und ausschließlich sein Ziel: „der Künstler solle die Fläche zum 
Raume umschaffen“ (Pidoll S. 43). Und wenn es „nicht die Farbe an sich war, was 
für ihn den Maler ausmachte, sondern die Farbe als Mittel zur Formen-Gestaltung und 
Raumbildung“ (ebenda S. 21), so steht auf dem Boden dieser Anschauung nicht nur 
eine besonders plastisch gerichtete Malerei, sondern jede, die nicht auf bloße Flecken- 
wirkung hinarbeitet. Erinnern wir endlich noch daran, daß von bildhauerischen Ver- 
suchen Marces gar nichts bekannt, daß seine Art, zu zeichnen, so eminent male- 
risch, wie entschieden unplastisch ist, daß seine gemalten Figuren nie als bunte Statuen 
in luftlosem Raum dastehen, sondern immer das bewegte Spiel des Lichts um ihre 
atmenden Körper zu weben scheint. Nein, hier ist kein wunder Punkt, keine brüchige 
Stelle in Marées Seele und Werk. 

Was seinen Arbeiten zum Verhängnis wurde, war eine überstiegene, Unmög- 
liches fordernde Auffassung dessen, was er „Illusion“ nannte. Das Kunstwerk soll, 
das war seine Forderung, ohne den täuschenden Schein der Wirklichkeit hervorzurufen, 
auf den Beschauer mit der zwingenden Bedeutsamkeit und Inkraft eines großen, tiefen 
Natureindrucks wirken, eines Eindrucks, wie ihn nur das zu reinem, bildnerischem 
Sehen geschulte Auge in ganzer Stärke empfangen und vermitteln kann. Und wie 
bei solchem Sehen Form und Farbe nicht mehr als zwei verschiedene Faktoren 


G. KeyBner. Hans von Marees 229 


empfunden werden, so handelte es sich beim Schaffen fiir Marées ,nicht um eine 
mehr oder minder glückliche Verbindung von Form und Farbe, um eine sogenannte 
Vollendung des Getrennten nach beiden Seiten hin, sondern um das beiden Gemein- 
same, um einen Bildaufbau, der Beides als Eines gibt, wie in der Natur. Dieses 
Gemeinsame erkannte Marées in der Bildkonstellation.“ Diese von Hildebrand in 
dem zweiten der oben genannten Aufsätze gegebene Formulierung ist gewiß richtig; 
ebenso gewiß aber ist, daß Marées sich nicht mit der „Bildkonstellation“ begnügte 
oder daß er doch mit dem Worte immer tiefere, sozusagen mystische Beziehungen 
verband, denen er nicht mehr Genüge zu tun vermochte. Fiedler und Pidoll be- 
richten, wie seine Bilder, besonders die großen, durchaus als Wandmalereien ge- 
dachten, im ersten Stadium der Arbeit, der Ausführung in Ei-Tempera, eine Voll- 
endung und Schönheit erreichten, daß sie jeden Betrachter zu voller Bewunderung 
hinrissen und jene Forderung der „Illusion“ ganz und gar zu erfüllen schienen. Aber 
dann geschah das Seltsame und Traurige: Die Wirkungen, die er mit der von ihm 
meisterhaft beherrschten Ei-Malerei erreicht hatte und die, nach Pidolls Urteil, über die 
mit den Kalkwasser-Farben der eigentlichen Fresko-Malerei erreichbaren noch hinaus- 
gingen, hätten ihm vielleicht genügt, wenn sie von einer festen Wand aus, bedingt 
und getragen durch einen bestimmten Raum, zu ihm gesprochen hätten. Vor dem 
Mittelding zwischen Wand- und Tafelbild, das die großen Triptychen darstellten, regte 
sih in ihm aber doch wieder der Kolorist, den nach einem größeren Umfang der 
Farbenskala verlangte, als ihn die Ei-Tempera bot und wie ihn eben nur die Firnis- 
Ölmalerei ermögliht. Und so „tränkte er die Ei-Malerei mit einem Firniß, der sie 
allerdings für kurze Zeit besonders frisch und kräftig erscheinen ließ, aber doch bald 
das Oberflächen-Licht der Eifarbe in transparente Qualitäten verwandelte, die eine ein- 
gehende Umarbeitung erforderten. Hiebei mußten die Bilder Zustände durchlaufen, 
welche mannigfach mit Zerstörung verbunden waren, wenn sie in abermaliger Steige- 
rung der lebensvollen Wirkung zu neuer Schönheit auferstehen sollten“ (Pidoll, S. 82). 
Diese Auferstehung ist ihnen versagt geblieben; und daß nicht sein allzu früher Tod 
sie vereitelte, sondern der rettungslose Zustand der Arbeiten selbst und die immer 
tiefere Verstrikung des unglüclichen Künstlers in „Spekulation“ und Experimentieren, 
machen ein paar Jahreszahlen ganz zweifellos: das eine der von Pidoll (S. 53f.) an- 
geführten Werke, das Helena-Triptychon, wurde 1880—81, das Hesperiden-Bild 1884— 85 
in Tempera begonnen und zu jener Vollendung gebracht, die der dann einsetzenden 
Ölübermalung zum Opfer fiel; Marces aber starb im Sommer 1887. — Was die Zer- 
störung noch gründlicher machte, war ein schlimmes Erbe der „Idealisten“, denen im 
übrigen Marées so fern wie nur möglich steht: der Hochmut gegen das „Metier“. 
Er verschmähte es, „den Widerstand, welchen das Material der gestaltenden Hand ent- 
gegensetzt, durch handwerksmäßige Übungen und Geschicklichkeiten überwinden zu wollen. 
Daraus entstehe, sagte er, die Mache um der Mache willen“ (Pidoll S. 50f.). Daß eben 
durch handwerksmäßige Übung die Geschicklichkeit der Alten, die er der Routine 
der Neueren gegenüberstellte, jene Höhe erreichte, „daß sie auch für den Sachverstän- 
digen ein ewiges Geheimnis bleibt“, bedachte er nicht. Und so wurde einerseits 
der Bereitung der Farbe in seinem Atelier nicht genügend Sorgfalt zugewandt, 


230 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


andrerseits suchte er mit der Olfarbe zu operieren wie mit der Eifarbe und dem Zeichen- 
stift und vergewaltigte so das völlig verschiedenartige Material (Pidoll, 82f.). 
* * 

So haben, um es noc einmal zusammenzufassen, die Ungunst der äußeren 
Umstände, der grüblerishe Zug in Marées Wesen und technische Mängel zusammen- 
gewirkt mit dem Erfolg, daß nach den Neapler Fresken kein größeres Werk mehr 
vollendet oder unzerstört aus Marees Hand hervorgegangen ist. Natürlich sind die Ab- 
stufungen im Zustand des Unfertigen oder nachträglich Verdorbenen in der Reihe dieser 
späteren Arbeiten sehr verschieden, und gar manche in der Durchführung weit, aber 
noch nicht zu weit vorgeschrittene Bilder und besonders auch die Entwürfe in Pastell 
und in Zeichnung gewähren einen reinen, ungetrübten Genuß. Allen ohne Ausnahme 
aber kommt es zugute, daß sie einem groß angelegten und immer dem rein Künst- 
lerischen zugewandten Geist entstammen. Es rettet so der character indelebilis der 
Größe Werke für unser Empfinden, die sonst unerträglich peinlich wirken würden; 
und es ist ein tragischer Genuß, aus Ruinen die edle Intention, die einst in ihnen 
Gestalt gewonnen, herauszuempfinden. Aber zu unrichtiger Auffassung der Tatsachen, 
zu Begriffsverwirrung und Heuchelei muß es führen, wenn das Unzulängliche und 
Ruinöse übersehen, weggeleugnet oder gar als normal erklärt wird. 

Messen wir doch z. B. die „Hesperiden“, wie wir sie heute vor uns sehen, mit 
dem Maßstab, den Marées selbst uns in die Hand gibt! Wo bleibt bei diesem immer 
noch in gewissem Sinne harmonischen, aber durch und durch kranken, leichenhaften 
Kolorit, bei diesen seltsam in die Länge gezogenen Körpern mit den verkümmerten 
Extremitäten, bei diesen maskenhaften Gesichtern — wo bleibt da die „Illusion“ im 
Maréesschen Sinn, die „Natürlichkeit“, die für ihn im ,Parallelismus der Darstellung mit 
den Gesichtseindrücken der lebendigen Welt“ (Pidoll S. 50) bestand? Das Morbide 
des Kolorits hat sicher einen großen Reiz: nur gewiß nicht den, den Marées selbst 
ihm gewünscht hätte. Diese Figuren von ich weiß nicht wieviel Kopflängen mögen 
dem an Gestalten des Greco gewöhnten Auge normal erscheinen; wie wenig sie dem 
Formen-Ideal ihres eigenen Urhebers entsprechen, erkennt man, wenn man sie mit 
einem nicht verquälten Bild aus der gleichen Periode vergleicht, wie den „drei Jüng- 
lingen“ von 1883 in der SchleiBheimer Gallerie, von denen besonders der stehende 
noch durchaus das „Gewächs“ der Menschen auf den Neapler Fresken zeigt. Hier ist 
der Körper nicht nur dazu da, um durch die oder die Bewegung eine bestimmte 
Funktion in der räumlichen Gliederung des Bildganzen zu vollziehen, er erscheint auch 
in seiner gesunden Kraft als ein in sich vollkommenes Gebilde und darum doppelt 
tauglich und würdig, in der idealen Welt des Marcesschen Idylle seinen Platz aus- 
zufüllen. 

Wie weit man nun die Mängel und Zerstörungen in den spätesten Marees 
zugibt oder nicht, das ist nicht allein Sache des persönlichen Geschmacks. Und an 
sie erinnern, ob man auch diesen Werken viel schuldet an Genuß und Erkenntnissen, 
ist nicht Abfall und Undank, nicht die kleinliche Eitelkeit, Nein zu sagen, wo tausend 
andere Ja rufen. Die Folgerungen, die aus der unbedingten Anerkennung des letzten 


G. KeyBner. Hans von Marées 231 


Marees, aus der Erhebung dieser trümmerhaften Werke zum allgemein giltigen Kanon 
sih ergeben, lassen den Einspruch als Pflicht erscheinen. Es sei zunächst nom ein- 
mal daran erinnert, daB weder Fiedler, der treue Freund und tiefblickende Kenner, 
noch Pidoll, der begeisterte Schüler und tüchtige Maler, das hinterlassene Lebenswerk des 
Meisters als etwas Vollkommenes, schlechthin Vorbildliches betrachtet haben. Besonders 
Fiedler hat Marées als einen Gescheiterten angesehen, als einen, der am Leben und 
an sich selbst scheitern muBte’). Heinrich Wölfflin, der als der erste Fachgelehrte in 
einer Fachzeitschrift (Ztschr. f. bild. Kunst, Jan. 1892) Marées in eindringender, groB- 
zügiger Weise gewürdigt hat (was um so bedeutungsvoller war, als Fiedlers und 
Pidolls Schriften damals noch nicht der Öffentlichkeit gehörten), hat in seiner Analyse 
die groBe Bedeutung des Kiinstlers dargetan, ohne den Zustand seiner Werke zu 
beschönigen. Julius Meier-Graefe schrieb noch 1904 in seiner ,.Entwicklungsgeschichte“ 
„Wir können uns heute kaum noch vorstellen, wie die Tafeln einst waren... Was 
davon geblieben ist, gießt brennendes Weh in die Seele des Überlebenden.“ (S. 431). 
Das brennende Weh hat sich unterdeß gemildert; heute sagt derselbe Meier-Graefe: 
„Keine seiner Übermalungen hat nicht tatsächlidı eine Verbesserung, eine höhere 
Realisierung angestrebt und erreicht“. (Kunst für Alle, XXIV, S. 263). 

Die letzten Konsequenzen — nicht nur für die rein ästhetische Einschätzung, 
sondern auch für die vorbildliche, kanonische Bedeutung der Maréesschen Spätkunst — 
hat Hildebrand gezogen. „Seine Bilder sind immer neue Konstellationen, immer neue 
Resultate seiner Einsicht in die Geheimnisse der künstlerischen Anordnung. Je größer 
die Tragweite der Konstellation für die Wirkung, desto entbehrlicher werden alle 
Details. Die Vollendung des Bildes ist schon in der Anordnung gegeben, die sogenannte 
Ausführung würde nichts Wesentliches dazu beitragen. Es ist dies derselbe Fall wie 
bei den angehauenen Figuren Michelangelos.“ Hildebrand predigt hier eine Genüg- 
samkeit, die ein bedenkliches Ideal für jüngere Künstler werden könnte und die nie- 
mals die Sache großer Meister gewesen ist, auch seine eigne sowenig wie die Marees. 
Michelangelo hat seine angehauenen Figuren nicht deshalb unvollendet gelassen, weil 
er schon in diesem Stadium das Wesentlihe der künstlerischen Arbeit vollbracht zu 
haben glaubte, sondern weil äußere Umstände ihm Einhalt geboten oder die Aufgabe 
verleideten. Die Wirkung, die von diesen abbozzi ausgeht, ist nicht allein darin be- 
gründet, daß wir aus ihnen die „Konstellation“ schon klar herauslesen können, sondern 
in viel stärkerem Maß darin, daß wir einem Werden zusehen, daß die Meisterschaft 
jedes Meißelhiebs uns völlig sicher werden läßt über die Vollkommenheit des Gebildes, 
das sich da vor unseren Augen aus dem Stein lösen will. Und wie hier unsere 
Phantasie gezwungen wird, gleichsam an der Vollendung des Werks mitzuschaffen, 
so bei den letzten Marées, das, was einmal vollkommen war, aus den Schichten, die 


1) Man lese z. B. folgende Sätze (Fiedler, a. a. O. S. 399): „Und nun beganı für ihn der 
eigentlihe tragische Konfiikt, der Kampf seines dem höchsten Ziele zugewendeten Wollens gegen 
die Unzulänglichkeit seiner Kräfte. Diesen inneren Feind sollte er niemals überwinden.“ (S. 400:) 
„Wer mochte im Grunde mehr als er selbst die inneren Hindernisse erkennen, an denen seine 
Leistungen scheitern mußten, nodi ehe der Prozeß künstlerischer Gestaltung bis zu einem klaren 
überzeugenden Abschluß durchgeführt war.“ Und ähnlich viele andere Stellen. 


232 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


sih begrabend und zerstörend darüber gebreitet, wieder herauszulösen. Wenn die 
„Anordnung“ eines Bildwerks schon seine Vollendung bedeutete, so wäre die Arbeit, 
die Hildebrand selbst auf die Durchbildung etwa seiner „Selene“ gewandt hat, über-- 
flüssig und darum verwerflich, denn ein geschlossenes Kunstwerk soll nichts Über- 
flüssiges enthalten. Die ,Augensinnlichkeit“ des Künstlers ist eben doch kein so ein- 
faches Ding, daß sie nur durch Richtungslinien und Tiefenbewegung in der körperlichen 
Erscheinung der Dinge angesprochen und zum Produzieren aufgeweckt würde; das 
ganze innere Leben der Körper und Gegenstände, wie es an der Oberfläche sich in 
Licht und Schatten selbst modellierend offenbar wird, drängt sich dem Künstler ent- 
gegen, daß er ihm Form und Ewigkeit gebe. 

Hildebrand selbst spricht die Befürchtung aus, es könnten Künstler, die lern- 
begierig an Marées herantreten, in die Gefahr kommen, „dem Stimmungsgehalt der 
Maréesschen Bilder direkt nachjagen zu wollen und sich einzubilden, daß man dies 
erreiche, wenn man auch wieder so einfache Vorwürfe zur Gestaltung bringe wie 
er.“ Die Gefahr ist vielleicht insofern nicht so wesentlich, als an Leuten, die bei 
Marées nicht mehr sehen, als nur die „Stimmung“ und die Stoffwahl, kaum sehr viel 
verloren wäre. Viel besseres wird bedroht durch die Gefahr, die in der stark doktri- 
nären Betonung der „Bildkonstellation“ liegt und darin, daß Werke als Vorbilder 
aufgestellt werden, in denen der Bildkonstellation oder vielmehr dem technischen und 
theoretischen Experimentieren sehr vieles geopfert wurde, was ihr Schöpfer selbst gar 
nicht hatte opfern wollen. Mit der starken Betonung der „Entbehrlichkeit der Details“ 
ist es doch nicht ganz in Einklang zu bringen, daß Marées, wie Pidoll (S. 23f.) erzählt, 
„nicht müde wurde zu erinnern, daß in der Darstellung alles auf oft geringfügige 
Modifikationen ankomme, auf Kenntnis und Beherrschung der Formen beruhe, welche 
nur durch große Erfahrung, durch Beobachtung und Studium zu gewinnen seien.“ 
Liest man dergleichen bei Pidoll und bei Fiedler, so erhält man den Eindruck, als sei 
Marées selbst doch ein noch besserer Lehrer, ein größerer Pädagoge gewesen, als 
seine Werke und deren Verherrlicher von heute. Wenigstens sollte jeder Künstler, der nach 
Hildebrands Rat „von Marees lernt, in die künstlerishe Wirkung der Konstellations- 
bedingungen einzudringen“, sich auch jene Mahnung gegenwärtig halten. In ihr liegt 
das beste Korrektiv gegen die einseitige Hervorhebung und Überschätzung formaler 
Kunstgesetze. Die Erkenntnis vom Wesen des bildnerischen Sehens, die Einsicht in 
die Bedingungen und Wirkungen des künstlerischen Gestaltens, das solchem Sehen am 
unmittelbarsten entspringt und entspricht — Erkenntnisse und Einsichten, denen Adolf 
Hildebrand mit der ganzen Stärke besonnener Leidenschaft eine beherrschende Stellung 
mitten im Kunstschaffen und -betrachten unserer Tage erkämpft hat — sie teilen das 
in gewissem Sinn tragische Los aller Wahrheiten, selbstverständlich und einseitig zu 
sein und allmählich — oft in verhältnismäßig kurzer Zeit — erstarrend und lähmend 
zu wirken, wenn sie, weil neugefunden, in ihrer Selbstverständlichkeit überschätzt und 
trotz ihrer Einseitigkeit zu allgemein angewandt werden. Die Lehre von den raum- 
bildenden und -gestaltenden Werten in der Kunst hat viel Klärung gebracht und ist 
intellektuell kaum hoch genug zu schätzen. Bedenklich kann sie werden, weil sie nur 
zu geeignet ist, scion in das erste Aufquellen der künstlerischen Produktion den 


G. KeyBner. Hans von Marées 233 


kristallisierenden und damit erstarrenden Tropfen der BewuBtheit zu gieBen, die naiv 
empfangliche Liebe zur Schönheit der Dinge auf ein kühlbewußtes Suchen nach dem 
»kiinstlerisch Brauchbaren“ herabzudämpfen. Die heutige Entwicklung der Münchner 
Plastik gibt Stoff zu solchen Gedanken. Man beginnt allzu sehr die Kunst als etwas 
Lernbares zu empfinden, als etwas, was man richtig machen kann, wenn man die 
richtigen Regeln weiß; und die Regeln sind nicht schwer zu behalten. 

Für Marées war die Kunst etwas, woran man nie auslernen kann, ein ewiges 
Ringen mit der unerschöpflichen Lebens- und Erscheinungsfülle der Natur. Ihm würde 
vieles von dem, was heute in unmittelbarer Nähe seines Bannkreises gemeißelt und 
gemalt wird, nicht als künstlerisch im höchsten Sinn erscheinen, sondern als dekorativ. 
Wie er das Wort verstand, lehrt eine Briefstelle, die Fiedler (S. 452) mitteilt und die 
vielleicht gehaltvoll und nachdenklich genug ist, um hier noch zum Schluß wiederholt 
zu werden: 

„Hier [in Paris] haben die beiden Sklaven von Michelangelo mein Interesse am 
meisten in Anspruch genommen. Und zwar scheint es mir nicht der Typ zu sein, 
wodurd sie zuerst ins Auge fallen, sondern vielmehr durch [so!] die Glaubwürdigkeit 
der Darstellung. Man erkennt sofort, wo die knochigeren und wo die fleischigeren 
Teile sind; dadurch vergißt man das Material, das Handwerk, man sieht Lebendiges. 
Und das ist das erste Erfordernis eines Bildwerkes, wenn es mehr als dekorativ sein 
soll. Die Natur erregt unter allen Umständen Teilnahme, und nicht die Vollkommen- 
heit des Vorbildes, sondern die Vollkommenheit des Verständnisses macht eine Sache : 
zum Kunstwerk.“ 


+ 


Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 
Von Otto v. Falke 


Das Innsbrucker Museum besitzt ein sehr hervorragendes Denkmal muslimischer 
Metallkunst: ein Kupferbecken von 23 cm Durchmesser, das außen und innen mit 
Figuren und Ornamenten in Zellenschmelz bedeckt ist und dessen Entstehung vor dem 
Jahre 1144 durch eine arabische Inschrift sichergestellt ist. Die photographischen Auf- 
nahmen (Abb. 1 und 2) geben nur ein undeutliches Bild, weil mit der im Gebrauch 
abgeriebenen Vergoldung der Kupferzellen die klaren Umrisse der Zeichnung ver- 
schwunden sind. Die am Rand entlang laufende Inschrift ist von Karabacek gelesen 
worden; sie besagt, daß das Becken dem Rukn ed daula Daud ibn Sokman ibn 
Ortok, einem Emir von Amid und Hisn Keifa gehört hat. Dieser Ortokide war einer 
jener zahlreichen seldschukischen Emire, die zur Kreuzzugszeit in Syrien und Meso- 
potamien ein kriegerisches Kleinfürstendasein geführt haben, bis Nureddin und Saladdin 
das yanze Gebiet wieder zusammenfaßten. Seine Sitze waren Amid, gleich dem 
heutigen Diarbekr, und Hisn Keifa, eine Burg am oberen Tigris, etwa halbwegs 
zwishen Amid und dem durch seine Metallkünste berühmten Mossul gelegen. Nach 
Karabacek währte die Regierung des Rukn ed daula Daud bis zum Jahr 1144. 

Das Becken ist also zu derselben Zeit entstanden, als fern im Westen am 
Rhein und der Maas der Kupfergrubenschmelz, das heißt die spezifisch weströmische 
und weiterhin germanische Emailtechnik im Gegensatz zur oströmischen des Zellen- 
schmelzes, unter den Händen Eilberts von Cöln, Gottfrieds von Huy und ihrer Nach- 
folger seine romanische Neublüte erlebte. 

Die Innsbrucker Ortokidenschüssel, das einzige datierte Denkmal. muslimischer 
Schmelzkunst aus dem Mittelalter, ist zuerst 1874 von Karabacek (Beiträge zur 
Geschichte des Mazjaditen; Leipzig) kurz besprochen und neuerdings von Gaston 
Migeon in der Gazette des Beaux Arts (Februar 1906) und nochmals in seinem 
Manuel d'Art Musulman (1907, S. 156) veröffentlicht worden. 

Über die kunstgeschichtlihe Bedeutung der Schüssel haben Karabacek und 
Migeon sich im wesentlichen gleichlautend geäußert. Beide betrachten sie als ein 
wichtiges Beweisstück für den chinesischen Einfluß auf die vorderasiatishe Kunst im 
Mittelalter. Die Worte Karabaceks lauten: „Das in doppelseitigem prachtvollem Email 
cloisonné ausgeführte unschätzbare Kleinod persischer Kleinindustrie gibt die glänzende 
Bestätigung zu den durch persische Dichtungen und arabische Chroniken zu uns 
gelangten Nachrichten über den Einfluß Chinas auf die mittelalterlihe Kunst in Vorder- 
asien. Er war für die Emailtechnik bahnbrechend, während bei den figürlichen 
Darstellungen zumeist einheimische und occidentalische Motive vorherrschend geblieben 
sind.“ Auch Migeon erkennt in den figiirlichen Bildern byzantinische Elemente, leitet 
aber die Technik ebenso entschieden von China ab. 

Diese Auffassung ist auf den ersten Blick ganz einleuchtend. Sie gründet sich 
ausschließlih auf die Technik des Zellenschmelzes auf Kupfer, und diese ist heute 


O. v. Falke. Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 235 


Abb. 1. Innenseite des Ortokidenbeckens 


fast ausschließlich als eine ostasiatische Spezialität bekannt. Chinesische Cloisonné- 
geräte älterer Arbeit sind in vielen Sammlungen zu sehen und als moderne Export- 
ware kommt der Kupferzellenschmelz jahraus jahrein in Massen aus China und Japan 
zu uns herüber. 

Chinesische Einflüsse auf die mittelalterliche Kunst des Westens, sogar des 
Abendlandes, sind auch sonst festgestellt worden. In den letzten Jahren hat namentlich 
Dr. M. Dreger in seiner ,Entwicklungsgeschichte der europäischen Weberei und 
Stickerei“ und weiterhin in „Kunst und Kunsthandwerk“ (1905 und 1906) die ost- 
asiatischen Anregungen für die italienischen Seidenmuster der Frühgotik sehr hoch 
eingeschätzt und ihnen einen erheblichen Anteil an der Entfaltung des Naturalismus 
in der gotischen Ornamentik zugeschrieben. Damit würde China in der größten 
Evolution der christlichen Kunst des Mittelalters eine aktive Rolle gespielt haben; denn 


256 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


der friihgotische Naturalismus in der Flachornamentik italienischer Seidenstoffe ist von 
der gleihen Tendenz in den plastischen Zierformen der Baukunst nicht wohl zu 
trennen. 

Es ist daher nicht unnütz, die chinesischen Einflüsse bei der Ortokidenschüssel 
nachzuprüfen, da sie solche schon für die erste Hälfte des XII Jahrhunderts be- 
weisen soll. 

Daß in der muslimischen Kunst des späten Mittelalters, insbesondere in der 
persischen, chinesishe Elemente in Mengen zu finden sind, ist eine offenkundige und 
allerseits anerkannte Tatsache. Weniger klar aber ist das Verhältnis zwischen Ost 
und West im frühen Mittelalter, das heißt vor der Mitte des XIII. Jahrhunderts. Der 
Untergang des Khalifats bildet den Wendepunkt. Das mongolische Großkhanat, das 
ihm das Ende bereitete, hat zwar Ost- und Westasien nur vorübergehend zusammen 
gezwungen, aber die Vereinigung hat lange nachgewirkt. Der Nimbus der Über- 
legenheit, den die Siegeszüge der Mongolen dem Osten verliehen hatten, war damals 
auch der Kunst Chinas zu Gute gekommen. 

Um das hundert Jahre ältere Ortokidenbecken von China ableiten zu können, 
darf man sich nicht bloß auf die technische Gleichartigkeit mit den chinesischen Email- 
arbeiten der Mingzeit berufen, sondern man müßte ältere oder mindestens gleichalte 
Kupferzellenschmelze aus China ins Feld führen. Solche aber sind nicht vorhanden. 
Die ältesten datierten Zellenschmelze Chinas reichen nicht weiter als bis ins XIV. Jahr- 
hundert zurück und in größerer Zahl sind alte Stücke erst aus der Mingzeit erhalten, 
namentlich aus der Regierungszeit Tsching-tai (1450—56). Und es ist kein Zufall, 
daß ältere Denkmäler fehlen. Die chinesischen Quellenschriften, die zuletzt Dr. Stephen 
W. Bushell in seinem Handbuch Chinese Art (London 1904, II. Band, S. 71) besprochen 
hat, stimmen darin überein, daß der Zellenschmelz keine in China alteinheimische Kunst 
war, sondern daß er erst im späteren Mittelalter aus Byzanz und durch Mohamme- 
daner eingeführt worden ist. Die Übertragung aus Byzanz wird in die Il. Hälfte des 
XII. Jahrhunderts verlegt, in die Zeit, als unter Kubilai Khan, dem Gründer der Yuan- 
dynastie ein lebhafter Verkehr und Austausch zwischen Ost und West im Gange war. 
Bei Bushell ist des Längeren ausgeführt, daß auch in den chinesischen Namen des 
Zellenemails die sarazenisch-byzantinische Abkunft der Technik zum Ausdruck kommt. 
Nirgends findet sich eine Andeutung, daß China den Zellenschmelz schon im XII. Jahr- 
hundert gekannt oder geübt hätte. 

Es ist somit unmöglich, das Innsbrucker Becken aus Ostasien herzuleiten; es 
kann nur in dem Sinne mit China in Beziehung gebracht werden, daß es uns eine 
greifbare Vorstellung gibt, wie die Schmelzwerke ausgesehen haben mögen, welche 
die Mohammedaner nach China eingeführt haben und denen Ostasien die Anregung 
zu seiner eigenen Schmelzkunst verdankt. 

Sucht man nach der Quelle, aus welcher der Kupferzellenschmelz in die Gegend 
von Mossul gelangt sein kann, so müssen wir uns nach der alten Heimat und dem 
Hauptsitz der Zellentechnik wenden, nach Byzanz. 

Man könnte einwenden, daß Byzanz nur durch seinen Goldzellenschmelz 
berühmt ist und daß die Existenz byzantinischen Kupferzellenschmelzes bestritten wird. 


O. v. Falke. Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 237 


Abb. 2. Unterseite des Ortokidenbeckens 


Rundweg abgeleugnet hat sie Johannes Schulz (Der byzantinische Zellenschmelz, Frank- 
furt a. M. 1890, Seite 76), obwohl Labarte in der ersten Ausgabe seiner Geschichte 
der gewerblihen Künste ein vollwertiges Beweisstück vorgeführt hatte. Es ist eine 
große Bildplatte mit dem Drachentöter Sankt Theodor und griechischer Inschrift, die 
aus der Sammlung Basilewsky in die Petersburger Eremitage gekommen ist. Sie ist 
abgebildet von Labarte im II. Band des Albums der Histoire des arts industriels 
(Tafel 105) und mit besseren Farben von Alfred Darcel (Collection Basilewsky 
Il. Tafel 14). Kondakoff, der in seinem bekannten Werk über die Sammlung 
Swenigorodskoi die Frage des Kupferzellenschmelzes sonst nicht berührt, hat die Theodor- 
platte ohne weiteres als byzantinische Arbeit anerkannt und dem XII. bis XIII. Jahr- 
hundert zugeschrieben. Labarte erwähnte ferner die etwa halbmeterhohe Kupfer- 
schmelztafel mit der stehenden Figur Christi im Museo Kircheriano in Rom, gibt hier 
17 


238 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 3. Ausschnitt aus dem Agramer Reliquiar der Sammlung Figdor 
Halbe Naturgröße o 


aber selbst die Möglichkeit italienischer Arbeit zu. Das wird wohl das Richtige treffen. 
Der Christustypus ist zwar ganz byzantinisch, ähnlich den Christusfiguren auf den 
Goldemails zweier Buchdeckel im Schatz von San Marco (abgeb. Labarte Album 
II. Tafel 102 und 103); technisch aber ist die in Trastevere ausgegrabene Schmelztafel 
des Kirchermuseums mit der im Westen üblichen Mischung von Gruben- und Zellen- 
schmelz ausgeführt. Daß in Rom romanischer Kupferschmelz gemacht worden ist, ergibt 
sih aus den allerdings unscheinbaren Schmelzresten am alten Altar der Peterskirche, 
auf die mich Professor Haseloff aufmerksam gemacht hat. 

Der Theodorplatte lassen sich nur wenig wirklich byzantinische Kupferzellen- 
schmelzarbeiten anreihen, immerhin genug, um die Zweifel an der Pflege dieser Technik 
in Byzanz zu beseitigen. Der Vatikan besitzt im Christlichen Museum ein zweiteiliges 
Kupferkreuz, vorn und hinten mit Zellenschmelz bedeckt. Griechische Beischriften sind 
vorhanden und zwar in derselben etwas unbeholfenen Zeichnung, die auch die Schrift- 
züge der Theodorplatte aufweisen. In der Form und Ausstattung ähnelt das Kreuz 
des Vatikans einem Goldschmelzkreuz im South Kensington Museum, früher in den 
Sammlungen Debruge-Dumenil und Hope (abgeb. Kondakoff, Seite 177), also einem 
bekannten byzantinishen Typus. Weit bedeutender ist ein rechteckiger Reliquienkasten 
mit flachem Deckel, der aus dem Dom zu Agram in die Sammlung Figdor in Wien 
übergegangen ist. Die langgestreckte Form läßt hier nur die Abbildung eines Aus- 
schnittes der Vorderseite zu. (Abb. 3.) Die Vorderseite zeigt auf Rankengrund acht 
Rundfelder mit den Brustbildern Christi zwischen Maria und Johannes, daneben Heilige, 
alle mit grob gezeichneten griechischen Beischriften. Auf den Schmalseiten sind die 
Erzengel dargestellt (Abb. 4), die Rückseite ist nur ornamental ausgestattet, der Schmelz- 
belag des Deckels zum Teil zerstört. 

Die farbige Erscheinung und die Technik des Reliquiars sind einerseits der 


O. v. Falke. Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 239 


Theodorplatte, andererseits dem Ortokidenbecken und somit auch den späteren chine- 
sischen Zellenschmelzwerken vollkommen gleichartig. Bemerkenswert ist das Rankenwerk, 
das die Bildfelder umgibt. Es ist dasselbe, ziemlich steife wurmartige Geringel, das 
auf dem Ortokidenbecken so chinesisch anmutet, weil es nur in China mit dem dort 
allein fortlebenden Zellenschmelz sich bis zur Gegenwart unverändert erhalten hat. 
Seine Vorstufen sind im byzantinischen Goldemail bis ins Xl. und X. Jahrhundert 
zurückzuverfolgen. Die byzantinische Herkunft des Agramer Reliquienkastens bedarf 
keines Beweises; die Typen der Heiligenbilder sprechen deutlich genug. Man braucht 
sie nur mit verwandten Darstellungen 
auf Goldemail, etwa der Rundbilder- 
folge der Sammlung Swenigorodskoi 
(abgeb. bei Kondakoff und bei Joh. 
Schulz a. a. O.) zu vergleichen. Zur 
näheren Ortsbestimmung der byzan- 
tinischen Kupferzellenschmelze liegen 
bisher keinerlei Anhaltspunkte vor; 
es ist sehr wohl möglich, daß sie 
nicht in der Hauptstadt selbst, sondern 
in einem provinziellen Betrieb des 
oströmischen Reiches entstanden sind. 
Datiert ist das Agramer Reli- 
quiar nicht und es braucht nicht not- 
wendig älter zu sein, als das Orto- 
kidenbecken von 1144. Trotzdem 
läßt sich aus den figürlihen Dar- 
stellungen erweisen, daß das letztere 
rer na DURANENI- Abb. 4. Schmalseite des Agramer Reliquiars der 
Sammlung Figdor D 
Die ‚sechs Rundfelder auf der o Halbe Naturgröße 
Rückseite enthalten zweimal einen 
Adler mit seiner Beute in den Klauen, zweimal einen Greifen, der ein Tier niedergerissen 
hat und zwei Paare menschlicher Figuren, eins in Umarmung, das andere musizierend. 
Auf der Vorderseite entsprechen diesen Rundbildern drei Adler und drei Greifen mit 
ihrer Beute. Zwischen den Runden füllen den Raum außen und innen Tänzerinnen, 
abwechselnd mit Palmbäumen, die von Vögeln und löwenähnlichen Tieren flankiert 
sind. Auf der Innenseite ist eine der Tänzerinnen durch eine Akrobatengruppe ersetzt. 
Von diesen Bildern könnte ein Teil einheimischen, das heißt orientalischen 
Ursprungs sein; die Greifen und die Palmen zwischen symmetrischen Tierpaaren gehören 
zu dem alten persisch-sarazenischen Formenschatz. Sie waren aber auch der ost- 
römischen Ornamentik schon längst vollkommen geläufig. Die von vorn gesehenen 
Adler sind ebenfalls gemeinsames westôstlidies Gut. In der oströmischen Kunst treten 
die streng en face stilisierten Adler schon sehr frühzeitig auf; ich erinnere an den 
byzantinischen Goldschatz von Pietrossa aus dem V. Jahrhundert, weiterhin an den 


240 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Adlerstoff der Brixener Kasel und Verwandtes. Der Islam hat ein Beispiel des X. Jahr- 
hunderts in den Adlern auf dem marmornen Brunnenbecken aus Medinet ez Zahra, 
jetzt im Museum von Madrid (abgeb. Migeon, Manuel S. 73) aufzuweisen, von späteren 
Seidenstoffen abgesehen. 

Für die seltsame Akrobatengruppe, die den regelmäßigen Wechsel der Palmen 
und Tänzerinnen unterbricht, ist ein byzantinisches Vorbild kaum nachzuweisen. Auf 
islamitishen Mossulbronzen dagegen sind ähnliche 
Darstellungen vorhanden; doch ist zu beachten, daß 
die Tracht der Akrobaten auf dem Innsbrucker Becken 
nicht orientalisch, sondern antikisierend ist. 

Alle übrigen Figuren des Beckens gehen un- 
mittelbar auf byzantinishe Vorbilder zurück. Die 
Tänzerinnen tragen nicht nur antike Gewandung, 
sondern sie kehren auch mit allen wesentlichen Kenn- 
zeiten auf einem vollkommen gesicherten byzan- 
tinischen Denkmal wieder. Auf den Goldschmelz- 
platten der Krone des Kaisers Konstantin Monomadı 
im Pester Museum (abgeb. bei Bock, Reichskleinodien II, 
bei Kondakoff, S. 246, Abb. 75 und in den Chefs 
d'œuvre d'orfèvrerie, Budapest 1884, II. Band), sind 
zwei Tanzerinnen in genau derselben Haltung und 
Bewegung dargestellt, mit dem antiken Motiv der hoch 
über den Kopf geschwungenen Schärpen, mit der 
gleihen Gewandung, mit demselben Umschlag des 
unteren Gewandsaumes über dem emporgeworfenen 
Bein (Abb. 5). Die Herzmusterung der Kleider ist 
im Goldzellenschmelz von Byzanz auch sonst oft zu 
sehen (vgl. Kondakoff Tafel 9 und 11). Hier ist die 
Nachbildung ganz offenkundig und auch die Priorität 
ist für Byzanz gesichert, denn die Monomachkrone 
Abb. 5. Goldschmelztafel von der ist zwischen 1042 und 1054 gearbeitet, also ein Jahr- 

Monomachkrone o hundert vor dem Becken des Rukn ed daula Daud 

von Hisn Keifa. Das Mittelbild stellt offenbar des 
Pseudo-Kallisthenes Sage von der frevelhaften Himmelfahrt Alexanders des Großen 
dar, die in der christlihen Kunst der romanischen Zeit als Symbol des Hochmuts ver- 
wendet wurde (Beispiele sind zusammengestellt von Graeven in den Bonner Jahr- 
büchern, Band 108, S. 269). Der König spannt hungrige Greifen oder Adler vor 
seinen Wagen und läßt sich, während er ihnen an Stangen Köder vorhält, in die Lüfte 
tragen. Alle typischen Einzelheiten sind auf dem Becken vorhanden; es scheint aber, daß 
der sarazenische Verfertiger den Sinn seiner Vorlage nicht mehr verstanden hat. 
Denn die Räder des Wagens stehen mit dem letzteren nicht mehr in Verbindung, sie 
sind als lose Scheiben seitlid ins Ornament geraten; auch einer der Köder hat sich 
von der Stange entfernt. Daraus ist zu schließen, daß der muslimische Emailleur 


O. v. Falke. Kupferzellenschmelz im Orient und in Byzanz 241 


unmittelbar nach einem byzantinischen Original in unfreier Nachbildung gearbeitet hat. 
Die Erinnerung an derartige Becken lebte ja auch im Westen nach in den Limousiner 
Waschbecken aus Kupfergrubenschmelz des XII. Jahrhunderts, deren Verzierungen, 
unter denen Tänzerinnen mehrfadı vorkommen, in ganz ähnlicher Weise ange- 
ordnet sind. 

Das Ergebnis ist, daß das Ortokidenbecken unmöglich als Beweis für früh- 
mittelalterliche Einflüsse aus China dienen kann. Es weist im Gegenteil auf den Weg 
vom Westen nach dem Osten, auf dem nicht allein die Technik des Zellenschmelzes, 
sondern audi — was wichtiger ist — die oströmische Ranke nach China gekommen 
ist, die dort im stilisierten Pflanzenornament noch Jahrhunderte hindurch eine wichtige 
Rolle gespielt hat. Darf man aus dem Einzelfall allgemeine Schlüsse ziehen, so ist im 
frühen Mittelalter die byzantinisch-sarazenishe Kunst der gebende, Ostasien der 
nehmende Teil gewesen. 


Alonso Cano 
par Paul Lafond 


Une erreur trop commune est de vouloir juger les hommes des temps passés 
comme nous le faisons de nos contemporains. Le point de vue change suivant les 
époques. Chaque siècle trouve une formule pour exprimer les idées de vérité et de 
justice. Tel principe que nous tenons pour absolu aujourd'hui le semblera peut-être 
moins à nos petits fils. Trois cents ans nous séparent de l'Espagne de Philippe IV, large 
fossé qu'il nous faut non pas combler, mais franchir en nous dépouillant de nom- 
breuses conventions contemporaines, pour étudier Alonso Cano qui est la complète 
expression de son temps, de l’âme de sa patrie ardente et voluptueuse. 

Chez lui, le sang maure et le sang castillan violemment mélés, mais non con- 
fondus et unis, luttent et se contredisent sans trêve ni merci. De l'arabe, il a la sen- 
sualité; de l'espagnol, l'orgueil. Rien ne peut maîtriser son tempérament qui éclate 
comme une fusée; ainsi que son pays, il est durement contrasté. Quel désaccord, a 
première vue, entre son caractère et son talent. Dans ses actes, il se montre violent, 
exalté, tragique, implacable; dans ses productions, doux, mélancolique, tendre, mysti- 
que même; mais de ce mysticisme presque d’ascete, qui n'a rien à voir avec celui fait 
de ‘religiosité d’alcove que va bientôt inaugurer Murillo. 

Alonso Cano a l'esprit chevaleresque, le mépris de la souffrance, l'horreur du 
factice et du théatral comme tous ses compatriotes, mais de plus qu'eux, il a le gout 
des gestes nobles, l'instinct des draperies harmonieuses et surtout de la beauté qu'il 
sent exister par elle-même et pouvoir par conséquent jouer un rôle et non un des 
moindres dans le domaine de l'art. 

Chez cette individualité puissante, généreuse, riche, loyale, dévouée, mais toute 
proche de la nature, le ressort est violent et la détente subite. Il est avant tout l'homme 
du premier mouvement, tout d'une pièce, presque un impulsif, au moins un instinctif 
auquel les nuances et les complications du sentiment sont totalement étrangères. 

Les sens dominent chez lui; peu accessible aux idées — le vague et l'abs- 
traction ne sont pas son fait, — il lui faut des formes palpables; aussi cet être d'une 
violence sans pareille, aux terribles sursauts, témoigne d'une piété d'enfant; il est 
possédé de transports de dévotion voisins de l'extase, qui le font se courber en se 
frappant la poitrine aux pieds des autels, se prosterner ravi devant une image de la 
Vierge ou la figuration d'un Saint. Ses sentiments de ce côté étaient poussés si loin, 
qu'il évitait de fröler un pénitent du S! Office ou un juif, considérant comme une 
souillure le plus léger attouchement avec un condamné de l'Eglise ou avec un infidèle. 
Cette répulsion était si profonde que si par hasard, pendant son absence, un de ses 
domestiques recevait dans sa maison un hérétique, il le chassait impitoyablement et 
faisait immédiatement laver le sol des pièces que le mécréant avait foulé. 

On pourrait à propos d’Alonso Cano rééditer le mot du Pape Paul III au 


P. Lafond. Alonso Cano 243 


sujet de Benvenuto Cellini avec lequel il a plus d’un point de contact: «Les hommes 
uniques dans leur profession ne doivent pas étre soumis aux lois.» 

Néanmoins, ce violent est un contemplatif; ce tapageur, un silencieux. Dans 
ces Castilles retardées dans leur évolution par les guerres contre leurs conquerants de 
jadis, seul peut-étre de sa race, il est pitoyable. Sa charité est sans bornes. 

Apres avoir vide son escar- | 
celle entre les mains des pauvres, 
il leur donne encore une ceuvre 
de son intelligence, une ebauche, 
un dessin crayonne a la hate dont 
ils trouveront facilement la vente. 
Quoi de plus noble, de plus pro- 
fondément chretien! 

Un autre témoignage de sa 
bonté, c'est l'intérêt et l'affection 
qu'il porta constamment à ses ap- 
prentis, à ses aides, à ses élèves, 
venant à leur secours dans les 
difficultés de l'existence, les recom- 
mandant chaudement aux per- 
sonnes capables de leur fournir 
des travaux, inspirant leurs ou- 
vrages, leur en procurant le modèle, 
les retouchant et les achevant 
même. 

Au point de vue technique 
Alonso Cano est un des meilleurs 
peintres qu'aît produit l'Andalousie. 
Nul n'a plus fidèlement dessiné, ni 
poussé plus loin l'éxécution des 
extrémités; les pieds et les mains 
de ses personnages sont impec- 
cables. Ses nus sont d'un modelé 
des mieux ressentis, sans exagé- 
rations ni soulignements intempes- 
tifs; ses draperies témoignent d'une liberté et d'une élégance encore inconnues aux écoles 
espagnoles. Son coloris manque peut-être parfois de puissance, quand il s'abandonne, 
car il est journalier, mais il demeure toujours riche, chaud et lumineux. Pas un 
maitre de son pays n'a autant simplifié ses compositions, souvent même, elles se 
réduisent à une seule figure; le décor y tient toujours fort peu de place, le pittoresque 
de l'instant en est soigneusement banni ou réduit à sa plus simple expression. Il a 
l'horreur de la violence du geste, c'est un artiste en dedans, à l'inverse d'autres que 
Yon peut qualifier d'artistes en dehors. 


A. CANO: La Vierge adorant son divin fils 
Madrid, Musée du Prado D 


244 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Il s’est créé une sorte de type de beauté féminine qui donne a ses Vierges et 
a ses Saintes, un air de famille. Toutes montrent un large front, des yeux voiles et 
quelque peu vagues, un nez droit, des joues pleines, la bouche petite et le menton 
rond. Son procédé, emprunté jusqu'à un certain point à Venise, comme d'ailleurs celui 
de la plupart des maîtres andalous, est des plus simples, des moins secrets. Il fait 
d'ordinaire surgir ses figures en clair sur des valeurs brunes, avivant les lumières 
d'une sorte de blanc crayeux à l'instar de Zurbaran, usant pour les ombres des étoffes, 
d'un bleu assombri et pour les fonds, d'une sorte d’ocre rougeâtre tirant sur le brun. 

Quelque étrange que la constatation en puisse paraître, Alonso Cano est sans 
contredit, le moins naturaliste des maîtres espagnols de son temps, celui dont les 
tendances se rapprochent le plus du style florentin de la grande époque et même 
du caractère antique. 

Chez Alonso Cano, le sculpteur est encore au-dessus du peintre; ses statues 
et ses bas-reliefs sont d'une forme et d'une correction irréprochables. 

L'antiquité, qu'il ne connaissait cependant que fort imparfaitement, l'a gardé de 
l'exagération de mouvements habituelle à la sculpture ibérique. Dans ses figures, 
la recherche des formes pures et nobles, la simplicité des attitudes, la sobriété des 
gestes, le naturel de l'aspect, l'élégance des ajustements, ont été une nouveauté ignorée 
de l’école espagnole. Tout cela joint au sentiment de la vie, à l'expression religieuse que 
le maitre possédait au suprême degré, lui a fait produire des œuvres dignes de la 
plus profonde admiration. 

Nous ne pouvons, à notre grand regret, adresser à l'architecte, les mêmes éloges 
qu'au peintre et au sculpteur. Ses fastueux retables, malgré un certain sens de- 
coratif, restent lourds, communs et hors de proportion. Ils se ressentent de ce 
déplorable baroquisme qui devait bientôt règner en maitre incontesté dans la 
péninsule et c'est cependant par eux que l'artiste établit sa réputation. Il s’exerca 
aussi dans la gravure, mais on ne connait de lui qu'une seule estampe, excellente à 
la vérité, laissant regretter qu'il n'ait pas plus fréquemment manié le cuivre. C'est un 
Saint François d'Assise de dimensions des plus réduites. 

Alonso Cano naquit à Grenade le 19 mars 1601, ainsi qu'il appert des registres 
de la paroisse de San Ildefonso où il fut baptisé. Il était donc le cadet d'un an de 
Velazquez, celui de trois ans de Zurbaran. Son père, Miguel Cano, constructeur de 
retables, était originaire du bourg d’Almodovar del Campo, dans la Manche; sa mere, 
Maria de Almansa avait vu le jour dans le village voisin de Villarobledo, de la 
même province. 

Manuel Cano enseigna à son fils son métier touchant à l'art par bien des côtés, 
puisqu'il consistait à élever ces autels à plusieurs corps, en bois assemblés, peints et 
dorés que l'on rencontre dans la plupart des églises d'Espagne, véritables monuments 
d'architecture, montant bien souvent jusqu'à leurs voûtes. L’artisan, des plus experts, 
ne tarda pas à se rendre compte des grandes dispositions de son fils pour le dessin 
et cest probablement pour lui en faciliter l'étude qu'il quitta Grenade et vint avec les 
siens se fixer à Séville où le peintre Juan de Castillo lui avait assuré qu'il trouverait 
à s'occuper avantageusement. Alonso Cano entra alors dans l'atelier du célèbre 


P. Lafond. Alonso Cano 245 


A. CANO: Deux rois Goths 
Madrid, Musée du Prado O 


sculpteur Martinez Montafies, son compatriote, un des plus grands artistes non seulement 
de l'Espagne, mais du monde entier, que son père avait sans doute connu a Grenade 
et qui, lui aussi, était venu s'établir dans la capitale de l'Andalousie. Le jeune homme 
fut en méme temps, un des fidéles habitués de l'académie de Pacheco, où il étudia 
le dessin et la peinture, aux cötes de Zurbaran et de Velazquez avec lesquels il ne 
tarda guère a se lier. Il convient d'ajouter qu'il recut encore les conseils de Juan de 
Castillo, coloriste brillant et dessinateur facile qui travaillait, lui aussi, à Séville, alors 
la ville la plus peuplée la plus éclairée de toute l'Espagne, son principal port où se 
pressaient les galiotes et les caravelles chargées des richesses du Nouveau Monde. 


Peut-étre l'enseignement du fougueux et exubérant Montafies aurait-il poussé 
son élève dans la voie d'un naturalisme rude et exagéré, si les conseils de Pacheco 
ne l'eussent prémuni contre ses violences et dirigé vers des horizons moins contrastés. 
Il est cependant difficile d'admettre que les objurgations du beau-pere de Velazquez 
aient suffi à amener ce résultat et il n’est pas défendu de penser que la vue et l'étude 
des chefs-d'œuvre antiques rapportés d'Italie et réunis par les ducs d’Alcala dans leur 
palais de Séville, connu sous le nom de la Casa de Pilatos, n'y aient contribué en 
grande partie. Plusieurs historiens — Palomino entre autres — se basant sur la 
correction de son dessin et la suavité de son coloris, veulent qu’ Alonso Cano ait fait 
le voyage d'Italie. S'il est le plus italien des artistes espagnols, il faut cependant 
reconnaître qu'il n'a jamais quitté sa patrie et que s'il a écouté et suivi les enseigne- 


246 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


ments des maitres florentins ou vénitiens, il ne les a connus que par les gravures 
burinées d’apres leurs ouvrages; il ne les a étudiés que sur les quelques rares toiles 
brossees par eux, apportees de son temps en Andalousie ou dans les Castilles. Son 
mérite, c'est de s'être élevé au-dessus des préjugés et de l'intolérance nationale et 
d'avoir, grâce à ces productions d'un autre peuple, entrevu une beauté supérieure 
élargissant les horizons de l'art. 

Les premiers ouvrages d’Alonso Cano furent cinq volumineux retables élevés 
par lui à Séville, trois dans le collège de San Alberto; deux autres, dans le monastère 
des religieuses de Ste Paule. Lourds et communs, ils ne méritent guère d’eloges au 
point de vue architectonique et leur aspect massif est peu fait pour plaire. 

Le premier retable du collège de San Alberto montrait un grand bas-relief du 
Christ au calvaire, accompagné des Saintes femmes; le second, une magnifique statue 
de Sainte Thérèse et diverses peintures figurant quelques épisodes de la vie de la 
grande réformatrice; enfin, le troisième, représentait l'Education de la Vierge par 
Ste Anne, environnée de différents personnages sacrés. 

Les retables latéraux de l'église du monastère de Ste Paule renferment: le premier, 
une statue de Saint Jean Baptiste, un bas-relief du Baptême du Christ, deux 
anges présentant la tête du Précurseur dans un plat, ainsi que d'autres sujets qu'il 
serait trop long d’enumerer; le second, comprend S! Jean Baptiste assis, un medaillon 
figurant le Miracle de la chaudiere d’huile bouillante et dans les entre-colonne- 
ments, huit peintures se rapportant a ce saint. 

Alonso Cano avait environ vingt-cinq ans lorsqu'il exécuta ces importants 
ouvrages; son talent atteignait ainsi du premier coup son apogée. Jamais son ciseau 
ne fut plus expert, plus ferme, son pinceau plus suave, plus chaud. 

Sur ces entrefaites, en 1628, le père de notre artiste fut chargé de dresser les 
plans d'un grand retable destiné a l'église de Lebrija, petite ville située sur la route 
de Murcie a Alicante. L’année suivante, ses projets ayant été agréés et le traité qui 
en était la conséquence passé avec D" Diego Martinez, fondé de pouvoir de la 
fabrique de l'église, le constructeur se mit au travail. La mort vint sans doute 
l'arrêter, puisqu'en 1630, l'entreprise passa aux mains de son fils qui l’acheva six 
ans apres en 1636. 

Le prix convenu et arrêté d'avance pour cet ouvrage avait été de 500 ducats; 
Alonso Cano en recut 250 en surplus, soit que des adjonctions aient été ultérieurement 
decidees, soit pour tout autre motif. . 

Toujours est-il que cette derniere somme lui fut allouée, apres une expertise 
faite sur les lieux, par les sculpteurs Martinez Montafies, mandataire de notre artiste et 
Geronimo Velazquez, représentant de la paroisse de Lebrija. 

La partie sculpturale de ce retable consiste en une statue de la Vierge, 
l'Enfant Jésus dans les bras, placée dans une niche, au-dessus du tabernacle, dont 
Palomino fait les plus grands éloges et en un Christ en croix, au milieu de l'attique, 
accompagné a droite et a gauche, des figures de Saint Pierre et de Saint Paul. 

Malgré qu'en ait dit Ponz, dans son Viaje en España, ces différents morceaux, 
comme l'ensemble d'ailleurs du retable, n'ont pas ete peints, dorés et estofados par 


P. Lafond. Alonso Cano 247 


Alonso Cano lui-même, mais par Pablo Legato qui jouissait alors en Andalousie d'une 
véritable notoriété. C'est à ce dernier, que sont dus deux Apostolados célèbres à 
Séville: l’un, au palais archiépis- 
copal; l'autre, longtemps attribué 
à Herrera el Viejo, dans l'église 
de la Miséricorde. 

Alonso Cano exécuta ensuite 
à Séville, plusieurs ouvrages qui 
mirent le comble à sa réputation. 

Il peignit pour la paroisse San 
Martin, un Christ en croix, un 
Saint Etienne, un Saint Lau- 
rent, une Ascension et une 
Résurrection; pour la chapelle 
des Mercenaires déchaussés, une 
Sainte Anne avec la Vierge 
enfant; pour l'église du Mont 
Sion, une composition représen- 
tant le Purgatoire; mais non 
pas, comme le prétend Palomino, 
les peintures du grand retable qui 
sont de Juan de Castillo; il se 
pourrait néanmoins qu'il ait dessiné 
les plans de cet autel et même 
que les sculptures en aient été 
taillées sous sa direction. 

La chartreuse de S' Maria 
de las Cuevas acquit à la fin du 
XVIIIe siècle de nombreuses toiles 
d’Alonso Cano; d'abord, huit scènes 
empruntées à l'Ancien Testament, 
dont elle décora les murs de son 
réfectoire: Adam et Eve chassés 
du Paradis terrestre; Adam travaillant et Eve élevant leurs enfants; la 
Mort d'Abel; Joseph et la femme de Putiphar; Le Sacrifice d'Abraham; 
David portant la tête de Goliath; L'archange Raphaël et Tobie; Jésus et la 
Samaritaine; puis, un tableau représentant la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras, 
assise sur des nuées, devant laquelle Saint Pierre et Sainte Claire sont agenouilles; 
enfin, un Christ en croix. On voit encore de lui, dans la chapelle de l'ancienne 
maison professe des Jésuites, transformée au XVIII siècle en Université littéraire, un 
Saint Jean Baptiste et un Saint Jean l'Evangéliste. 

Les autres villes d’Andalousie tinrent, elles aussi, à posséder des ouvrages 
d’Alonso Cano. La chartreuse de Paular lui demanda un Saint Michel; la chartreuse 


A. CANO: Le Christ en croix 
Madrid, Académie San Fernando O 


248 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


de Jerez, un Saint Pierre et un Saint Francois à qui un ange présente un verre 
d'eau; la cathédrale de Cordoue, une Annonciation et une Conception de la 
Vierge; l'église San Francisco de la même ville, un Ecce Homo. 

Parmi ses sculptures, signalons à Séville trois statues de l'Immaculée Conception: 
une premiere, en pierre, jadis au-dessus du porche de la chapelle des Sceurs de la 
Conception; une seconde, en bois, sur le grand retable de l'église San Andres; une 
troisième, sur l'autel principal de l'église Sta Lucia; puis, un Saint Jean l’Evangeliste 
placé dans la chapelle des religieuses de Sta Ana. 

Entre temps, notre artiste trouva le moyen d'avoir un duel avec le peintre 
Llanos y Valdes qui devait cependant avoir le tempérament pacifique et accommodant, 
car des élèves du terrible Herrera, c'est celui qui supporta le plus longtemps les 
rudesses et les emportements de son maitre. 

Dans cette rencontre, Alonso Cano plus aguerri au maniement de l'épée que 
son adversaire, le blessa serieusement et se vit dans la necessite de quitter Séville en 
hâte. Il s'enfuit à Madrid; c'était en 1637 et trouva un refuge auprès de son ancien 
condisciple de l'atelier de Pacheco, Velazquez, tout puissant à la Cour, qui le présenta 
au comte-duc d’Olivares, dispensateur souverain des faveurs et au dominicain 
Juan Bautista Mayno, ancien maitre de dessin du roi, alors qu'il était prince des 
Asturies. Grace a ces hautes protections, il ne fut pas, ainsi que le prétend Palomino 
assez mal renseigné à son égard, comme on en aura d'autres preuves plus loin, 
nommé maestro mayor des palais royaux, dignité qui échut à Juan Gomez de Mora; 
mais il obtint le titre de peintre du roi et la charge de professeur de peinture de 
l'Infant D" Baltasar Carlos. Dans cette situation qui demandait tant de tact et de 
prudence, il ne sut maitriser sa nature et il traita son royal éléve avec si peu de 
menagements que l'héritier de la Couronne fut obligé de s'en plaindre a son père. 
Cela n'empêcha pas que vers la même époque, Alonso Cano fut chargé de la de- 
coration d'une partie du catafalque dressé dans l'église San Gil, lors des cérémonies de 
la Semaine Sainte; il prit part ensuite, à la construction de l'arc triomphal élevé à la 
porte de Guadalajara à l'occasion de l'entrée solennelle à Madrid, de la seconde 
femme de Philippe IV, l’archiduchesse d'Autriche Maria Ana qui avait dû antérieure- 
ment épouser son malheureux élève l'Infant D" Baltasar Carlos, si inopinement enlevé 
en quelques jours, à Saragosse. 

Au milieu de ces succès, Alonso Cano eut cependant un déboire des plus sen- 
sibles. En 1643, il s'était rendu à Tolède pour briguer la place de maestro mayor 
de la primatiale des Espagnes, qui fut donnée le 13 Aout de la même année, a 
Felipe Lazaro de Gayti. Cela ne veut pas dire qu'il ne fut pas hautement apprécié 
dans la cité impériale, puisqu’en 1650, il y fut appelé pour donner son opinion sur 
l'Ochava que l'on venait d'élever dans la basilique métropolitaine; témoin surtout le 
Saint Bernard et la Vierge qu'il peignit pour le grand retable de la chapelle du 
convent des capucins de l'antique cité, qui fait partie aujourd'hui de la collection 
laissée par l'Infant D" Sebastien de Bourbon à ses héritiers. 

D'un dessin impeccable, d'une coloration blonde, vaporeuse, exquise, dont rien 
ne peut donner une idée, cette composition, au moins naïve, montre sur un autel des 


P. Lafond. Alonso Cano 249 


plus simples, une statue de la madone, l'Enfant Jésus dans les bras, aussi pres de la 
réalité que possible, telle que l'on comprend ces figurations de l'autre côté des Pyrénées, 
s'animant et pressant son sein d'où jaillit une fusée de lait qui s'en va tomber dans 
la bouche entrouverte du Saint agenouillé en avant. Malgré l'étrangeté du sujet, 
il est impossible d'imaginer plus de noblesse et plus de dignité dans l'attitude et 
l'expression du fondateur des Do- 
minicains, plus de vérité et de 
grandeur dans les draperies de 
son froc. 

Nous sommes au temps ou 
Alonso Cano produisit ses plus 
nombreux ouvrages, tant en pein- 
ture qu’en sculpture. 

Il peignit d'abord plusieurs 
toiles pour la célèbre église de 
San Isidro el Real de Madrid: 
une Vierge avec l'Enfant Jésus 
dans les bras; un Saint Ignace 
placé à l'entrée de l'oratoire du 
Bon Secours; un Couronnement 
de Marie et divers Saints dans 
la chapelle de l'Immaculée Con- 
ception; enfin il exécuta pour le 
grand retable, une Vierge Imma- 
culée, reléguée depuis, dans une 
des pièces de la sacristie et rem- 
placée sur l'autel par une statue 
de la Mère du Christ triom- 
phant, de son élève Josef de 
more . A. CANO: La Vierge et l'Enfant Jesus 

Il ne faudrait pas confondre ` Cathédrale de Seville DO 
la Vierge, l'Enfant Jésus dans les 
bras, de San Isidro el Real, avec celle du musée du Prado cataloguée sous le titre de la 
Vierge adorant son divin fils, dont la grande collection madriléne possède une copie 
ou une variante provenant du musée de Fomento bien inférieure à la première. Dans 
cette composition, la jeune mère, son abondante chevelure tombant sur les épaules, la 
tête nimbée d'une couronne d'étoiles, vêtue d'une robe rose recouverte d'un manteau 
bleu, assise sur une éminence dans la campagne, porte dans ses bras son fils qu'elle 
contemple amoureusement. En plus de ses qualités habituelles, Alonso Cano témoigne 
ici d'une pureté d'expression et d'une simplicité de sentiment rares dans l'école 
espagnole. | 
Poursuivons la revue des travaux du maître à Madrid. Il exécuta encore pour 
l'église de Santiago, un Bon Pasteur placé alors sur la porte du Sagrario et un Saint 


250 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Francois a qui un ange présente un verre d’eau, sur un des retables collateraux. 
Depuis longtemps l'ange a disparu; mais comme l'artiste avait déjà traité ce sujet 
pour la chartreuse de Jerez, la toile de l'église de Santiago ne pouvait être qu'une 
variante de celle du monastère d’Andalousie. Il peignit pour l'église San Gines, une 
Annonciation, un Saint Joseph et le Christ assis sur une pierre au Gol- 
gotha, accompagné de sa mère, de la Madeleine et de l'apôtre bien aimé, attendant 
qu'on ait dressé le gibet; c'est la une 
de ses compositions les plus émotion- 
nantes et les plus parfaites. 

De la même époque date pro- 
bablement l’energique Saint Jérôme 
nu, un crucifix dans les mains, priant 
dans le désert, tandis qu'un ange des- 
cendant du ciel fait vibrer à son oreille 
la trompette annonçant le Jugement 
dernier. Cette toile, d'une puissance 
rare dans l'œuvre d’Alonso Cano, se 
trouve au musée du Prado qui a aussi 
recueilli un petit Christ ala colonne, 
peint pour le couvent des Carmes et 
transporté, à la fin du XVIIIe siècle, 
à l'Escurial. Fort beau, d'une ordon- 
nance noble et simple, d'un coloris 
chaud et vigoureux, il n'est que la 
première pensée d'un plus grand, de 
dimensions à peu près nature, retrouvé 
A. CANO: L'Immaculée Conception par un amateur aux environs de Cadiz, 
Cathédrale de Grenade O depuis quelques années au musée de 

Pau. Il montre le fils de Dieu, n'ayant 
pour tout vêtement qu'un linge autour des reins, attaché au pied d'une colonne, les mains 
ramenées derrière le dos, la tête retombant sur la poitrine; en avant, au milieu de 
taches de sang, sont étalés sur le sol les vétements du divin martyr. 

A côté du Christ à la colonne, il convient de faire une place au Christ 
mort, étendu sur une pierre, qu'un ange à l'expression douloureuse embrasse de ses 
ailes éployées. Cette toile, une des plus accomplies du maitre, jadis au Palais royal 
de Madrid, est aujourd'hui au musée du Prado. C'est encore dans la grande galerie 
nationale espagnole que se trouve le Saint Benoit, provenant aussi du Palais royal, 
où, selon Cean Bermudez, il se trouvait dans la sacristie de la chapelle. Le fameux 
fondateur de l’abbaye du Mont Cassin est représenté à mi corps, en robe sombre, les 
mains devotement croisées sur la poitrine, devant une table sur laquelle sont posés 
un crucifix et la crosse abbatiale; en extase, il contemple le signe divin apparaissant 
en haut à droite, dans une gloire resplendissante, terminée par un globe environné 
d’anges. | 


P. Lafond. Alonso Cano 251 


C'est sans doute comme peintre du roi qu’ Alonso Cano brossa les deux toiles, 
encore au Prado, antérieurement dans la salle des portraits de l'ancien Alcazar de 
Madrid, qu'on a prétendu être les effigies plus ou moins fantaisistes des anciens 
rois goths de Tolède. Pour notre part, nous serions plutôt disposés à retrouver dans 
ces personnages des fous ou des bouffons de Cour, déguisés en souverains. 

C'est encore pendant son séjour à Madrid, que le maitre peignit pour l'église 
San Miguel, une Sainte Cathe- 
rine disparue en 1750 et pour les 
Carmes pénitents, dont il a déja 
été question à propos du Christ 
a la colonne, une Madeleine 
dont on a également perdu la 
trace. Cest aussi a la méme 
époque qu'il entreprit la décoration 
picturale de l'église de Getafe, 
petite ville voisine de la capitale, 
figurant divers épisodes de la Vie 
de la Madeleine, ainsi que 
d'autres toiles consacrées à l'En- 
fance du Christ et à la Vierge 
de la Paix, brossées pour le 
même sanctuaire. Il exécuta en- 
core pour l'église St Philippe de 
Néri de Cuenca, une Naissance 
du Christ et une Sainte Tri- 
nité; pour le chœur de la cha- 
pelle des Carmélites déchaussées 
d'Avila, un Christ à la colonne, 
digne de ses ainés; pour l’église 
San Diego d’Alcala de Henares, 


; à i A. CANO: La Vierge au rosaire 
un Saint Francois et un Saint palais archiépiscopal de Grenade O 


Antoine, ce der nier laissé 
inachevé fut fini par Bartolome Roman. Tous deux ont été transferes au ministère 
de Fomento. 


D’autres peintures d'Alonso Cano ont trouvé place à l'Académie San Fernando: 
un quatrième Christ à la colonne, variante de ceux dont il a été question et peut 
être le meilleur de tous; un Christ en croix, d'une construction impeccable noble et 
douloureux; un Christ mort dans les bras de sa mere, le groupe pitoyable, rejeté a 
l'extrémité droite de la toile s'enlevant sur un ciel lugubre, d'un effet dramatique des 
plus puissants; un Jésus, l'Agneau pascal dans les bras plus grand que nature, 
qui étonne un peu dans les salons de l'Académie, mais qui devait faire un tout 
autre effet au sommet du retable duquel il a du être enlevé; une Mort deSaintBruno, 
montrant le fondateur des Chartreux sur sa couche mortuaire, que n'aurait pas 


252 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


desavoue notre Lesueur; enfin une Vierge noire, assise sur un tröne au milieu de 
rochers, qu'entourent des moines en adoration, des musiciens en surplis coupés a mi- 
corps, jouant de divers instruments ou chantant. Cette dernière composition d'une 
ampleur magistrale, est superbe de noblesse et d’expression. 

En fait de sculptures, citons un Christ en croix, pathetique et douloureux, 
un chef d'œuvre, exécuté pour la chapelle des Bénédictins de Montserrat. 

Est-elle de lui la statue d'Elie que l'on voit à Tolède, dans l'église de San 
Tome c'est douteux, quoique cette noble ef majestueuse figure de prophète assis et 
endormi, la barbe et les cheveux longs, vétu d’une ample robe laissant passer les 
pieds nus, soit des plus remarquables. 

Signalons, en Allemagne, a la Pinacotheque de Munich, une toile fort impor- 
tante: Sant Antoine de Padoue recevant la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras; 
a la Pinacotheque de Dresde, un Saint Paul apötre; au musée de Berlin, une belle 
figure de Sainte Agnes; en Russie, au musée de l'Ermitage, une Madone et un 
Enfant Jésus. A Londres, dans la galerie de Grosvenor House, se trouve un 
Saint Bernard tenant l'Enfant Jésus, dont Murillo, selon Louis Viardot, n'a pas de- 
passé l'admirable couleur; en Ecosse, au musée de Glasgow, une Vierge triomphante. 

A la vente Salamanca qui a eu lieu a Paris, à l'hotel Drouot, au commence- 
ment de l'année 1875 il a été attribué à Alonso Cano un paysage accidenté d'un très 
beau caractère dont nous n'oserions cependant pas affirmer l'authenticité. 

La femme d’Alonso Cano fut trouvée en 1645 morte dans son lit, criblée de 
coups de couteau. Palomino sur la foi de racontars plus ou moins suspects à lui 
rapportés, en 1700, par les héritiers de D" Rafael Sanguineto, prétend que l'artiste fut 
accusé de ce crime. Les soupçons seraient d'abord tombés sur le modèle ordinaire 
du maitre, un italien, puis sur le maitre lui-même, épris d’une autre femme. Il aurait 
alors précipitamment quitté Madrid pour se réfugier au monastère de Porta Coeli. 
près de Valence, où il aurait exécuté de nombreux travaux. 

En quittant plus tard le couvent valencien, croyant l'affaire assoupie, il serait 
tombé dans les mains de la justice et aurait été soumis à la torture; mais, sur 
l'ordre de Philippe IV, on aurait épargné sa main droite; cette main avec laquelle il 
tenait le pinceau et maniait l'ébauchoir. D” Jose Pellicer, dans ses Annales, fait 
mention de ce proces criminel, qui d'après lui, aurait eu lieu en 1644, un an avant 
la date donnée par Palomino pour celle du crime et dit que le malheureux Alonso 
Cano, malgré son innocence, subit la torture. 

Qu'y a-t-il de vrai dans tout cela? Il est bien difficile de le savoir. 
D" Lazaro Diaz del Valle qui connut l'artiste et donne des détails circonstanciés sur 
sa vie, ne dit rien de cette grave affaire. Cean Bermudez de son cöte, si meticuleux 
et si renseigné d'ordinaire, assure n'avoir, malgré toutes ses recherches, trouvé aucune 
trace de ce procés criminel qui, selon lui, n'est très probablement qu'une fable. 

Ce qui est hors de conteste, c'est le mauvais caractère d'Alonso Cano, sa 
hauteur, son orgueil, son manque de sociabilité, témoin sa condamnation à une 
amende d'une centaine de ducats, en 1647, pour s'être refusé en qualité de major- 
dome de la hermandad des peintres de Notre Dame des Douleurs, établie dans le 


P. Lafond. Alonso Cano 253 


collège San Tomas, d'assister à la tête de sa confrérie, à la procession de la Semaine 
Sainte, en compagnie des alguaziles du roi et des argentiers de la Cour. Remarquons, 
qu'il eût été tout au moins étrange — a moins que ce ne fût un hommage 
rendu — que trois ans seulement aprés avoir subi la torture pour un crime 
d'assassinat, Alonso Cano se fût trouvé président d’une association d'artistes, honneur 
des plus apprecies et des plus prisés. Ce refus d’assistance du maitre a cette proces- 
sion dont nous venons de parler, fut la source de démélés et de proces sans nombre. 
Alonso Cano, il convient de le re- 
connaitre, ne fut, en la circonstance, 
que le défenseur des droits et des 
prerogatives de ses confréres, se 
refusant a étre confondus avec des 
artisans ou des agents subalternes. 
D'ailleurs, cette question de la di- 
gnité de l'art, déjà défendue par le 
Greco, soutenue depuis par Matias 
de Toros, Josef Donoso, Vicente 
Carducho et même encore, au XVIIIe 
siécle, par Luca Giordano, fut tou- 
jours consideree comme primordiale 
par les artistes espagnols. 

Mais, revenons en arriére pour 
nous occuper des travaux d’Alonso 
Cano a Valence. Ils consistent en 
peintures et en sculptures disse- 
minees dans divers édifices religieux 
de la ville, particulierement dans 
la chartreuse de Porta Coeli qui a A. CANO: Portrait d’un Dominicain O 
renfermé jusqu’a sept toiles de lui Aranjuez, anc. coll. de Don Sebastien de Bourbon 
des plus importantes, tant pour leurs 
dimensions que pour leur mérite: L'Enfant Jésus entouré de Séraphins, Saint Jean 
Baptiste, Saint Jean l'Evangéliste, Le Christ en croix, Le Christ à la colonne, 
sujet particulièrement affectionné par l'artiste, puis les portraits d'une vénérable carmélite 
et d'une certaine Inez Moncada qui vécut dans le désert. Le Saint Jean l'Evangé- 
liste de la chartreuse de Porta Coeli est-il le mème que le Saint Jean à Pathmos, 
aujourd'hui au musée du Prado? D" Pedro de Madrazo, le savant rédacteur du 
catalogue de la galerie nationale espagnole le suppose, sans cependant l'affirmer. Il 
a raison d'en rester aux conjectures, car Alonso Cano, comme nombre d'artistes 
espagnols, s'est souvent répété. Dans la composition du Prado, le Saint parvenu a 
un âge avancé, est représenté dans l'île de Pathmos, assis sur un rocher, en train 
d'écrire son célèbre Apocalypse, les yeux levés vers le ciel où apparait la femm 
poursuivie par le dragon à sept têtes. | 


Alonso Cano peignit encore à Valence, un Baptême du Christ ur Sainte 


254 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Trinité, pour le grand autel de l'église San Juan de la Ribera; un Saint Vincent 
préchant, pour un des retables latéraux de l'église sous le vocable du Saint séra- 
phique. Il tailla aussi dans le bois un magnifique Crucifix, de grandeur naturelle 
pour la paroisse del Socos. C'est toujours de Valence que provient le Christ en 
croix, de dimensions reduites, avec un buste de la Vierge, au pied du gibet, incon- 
testablement du maitre, faisant aujourd'hui partie de la collection d'un amateur de 
Toulouse. Enfin, le musée provincial de Valence a recueilli d’Alonso Cano une tres 
belle toile représentant le Crucifiement et une seconde, moins importante, un En- 
fant Jésus. 

L'âge et le besoin de tranquillité qui en est la conséquence ordinaire — il ap- 
prochait de la cinquantaine — deciderent Alonso Cano 4 solliciter un benefice du 
chapitre de la cathedrale de sa ville natale. 

La prétention de prime abord semble étrange, surtout chez un homme qui a 
été accuse d’avoir assassine sa femme et a peut-étre méme a ce propos subi la 
torture; mais il ne faut pas oublier que le crime est loin d’avoir été prouve; puis vu 
les mœurs du temps, l'ambition du maitre est moins étonnante qu'elle ne le parait. 

Une charge de musicien était vacante au chapitre de la metropole, notre artiste 
n'eut pas de peine a faire admettre aux chanoines qu'il y aurait tout avantage pour 
l'église, à donner cette place à un artiste d'un autre genre qui s'occuperait plus utile- 
ment de l'ornementation et de la décoration de la basilique et qu'en sa qualité 
d'architecte, de sculpteur et de peintre, il remplirait à merveille cette triple fonction. 
Les chanoines n'ignorant pas ses mérites et trouvant son raisonnement juste, le pré- 
sentérent en conséquence à l'agrément du souverain qui, par une ordonnance royale 
du 11 Septembre 1651, l'accepta à condition qu'il se fit ordonner dans l'année. 

Le 20 Mars suivant, Alonso Cano prit possession de son canonicat. Il établit 
même son atelier dans le premier étage de la tour de la cathédrale. Le chapitre 
l'avait dispensé de l'assistance journalière au chœur — a part bien entendu, les jours 
fériés — pour ne pas mettre d'entraves a ses travaux. 

On ne sait pourquoi, sans doute par suite de son caractere atrabilaire, l'année 
s'écoula sans que le nouveau dignitaire de la cathédrale de Grenade eit recu les 
ordres. Usant de patience, les chanoines lui octroyerent un second délai, mais comme 
Alonso Cano s’entetait et ne témoignait pas la moindre intention de se faire recevoir 
même sous-diacre, le chapitre se facha et demanda à Philippe IV de déclarer la place 
libre. Le roi, par une cédule du 29 Aout 1659, décida que si le prébendé récalcitrant 
ne se soumettait pas dans un délai très court, le poste serait déclaré vacant. Alonso 
Cano nett pas été Alonso Cano s'il se fût soumis, il s’obstina et la vacance fut 
déclarée. Ce résultat, auquel il eût dů cependant bien s'attendre, le surprit et lat- 
terra. Il s'en prit au provisor de la cathédrale qui lui répondit que sa mauvaise vo- 
lonté était cause de tout et que l'on allait même sans délai pourvoir à la place re- 
devenue libre. Il comprit qu'il n'y avait plus à tergiverser et se mit en quête d'un 
évêque qui voulut bien lui confèrer les ordres sacrés. Après ce qui lui était arrive, 
c'était difficile, beaucoup s'y refusèrent, enfin, l'évêque de Salamanque qui le con- 
naissait et n'ignorait pas que son cœur valait mieux que sa tête, consentit à l'or- 


P. Lafond. Alonso Cano 255 


donner sous-diacre. Par une nouvelle cédule royale du 
14 Avril 1658, il rentra en possession de sa prébende 
avec les arrérages échus du jour de sa premiere instal- 
lation et en jouit depuis lors jusqu'à son dernier jour. 
Son activité ne se ralentit pas dans cette stalle 
de chanoine que d’aucuns auraient pu considerer comme 
une retraite. Il travailla au contraire plus que jamais, 
sans étre pour cela devenu plus calme et plus pacifique. 
En voici une preuve: dans un différent avec un Auditeur 
de la chancellerie, au sujet du paiement d'une statuette 
de St. Antoine de Padoue que celui-ci lui avait com- 
mandée, il jeta violemment son œuvre par terre, la 
piétina et la réduisit en miettes plutôt que de la lui livrer. 
De son installation définitive dans son canonicat 
datent de nombreux ouvrages, disséminés de tous côtés 
dans sa ville natale, qui peuvent être mis au nombre 
de ses meilleurs. Passons d’abord en revue les peintures. 
Ce sont, dans la cathédrale d'abord, sept grandes 
compositions qui décorent le chœur: La Conception, 
la Présentation, la Nativité d'un côté; la Visitation 
Ja Purification et Ascension de l'autre, avec ] An- A. CANO: Saint Bruno 
nonciation au milieu; puis, quatre plus petites placées Chartreuse de Grenade p 
sur l'autel lateral de Jésus 
Nazareen, figurant: La Voie douloureuse, Saint Au- 
gustin, Jesus et sa Mere; dans la chapelle de la 
Trinité, se trouve: Le Père éternel soutenant sur les 
genoux, son fils mort; dans une des sacristies, une 
Immaculée Conception. Le palais archiépiscopal ren- 
ferme une Vierge au rosaire, l'Enfant Jésus dans les bras. 
Il peignit pour la chapelle del Angel, des religieuses 
franciscaines, une vingtaine de toiles qu'il serait trop long 
d’enumerer ici, consacrées à la Vie de la Vierge, dont 
huit de grandes dimensions. Il brossa pour l'église San 
Diego plusieurs compositions hors de pair parmi lesquelles 
une Immaculée Conception entourée d'anges et de 
chérubins tient le premier rang; pour l’église des Augustins, 
un superbe Ecce Homo; pour celle des Carmes dé- 
chaussés, un Saint Jérôme et une Madeleine; pour 
la chapelle de la Chartreuse, une autre Madeleine; enfin 
pour l'église Ste Catherine de Zafra, quatorze toiles 
représentant le Sauveur et les Douze Apôtres que 
A. CANO? St François d'Assise Cean Bermudez ne craint pas de mettre en parallèle 
Musée de Agen a avec les productions de Paul Veronèse. 


256 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Mais arrêtons cette énumération qui deviendrait fastidieuse et passons aux 
sculptures. 

La cathédrale en renferme de nombreuses, d'abord: deux têtes plus grandes que 
nature d'Adam et d’Eve; puis, les bustes des plus expressifs, taillés en plein bois de 
chêne et peints, de Saint Jean Baptiste et de Saint Paul; une Vierge au rosaire 
au haut du grand lutrin; enfin dans la sacristie, les statues de l'Immaculée Con- 
ception et de la Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras. 

Sur la porte de la chapelle del Angel il placa un très délicat Ange Gar- 
dien; à la Chartreuse se trouvent une Vierge avec l'Enfant Jésus, une Immaculée 
Conception, sujets fréquemment répétés par l'artiste et un Saint Bruno debout, sur 
un rocher, revétu du froc et du manteau de son ordre, le capuchon rabattu sur le 
cou, les mains jointes sur le haut de la poitrine, une mince couronne de cheveux 
autour du crâne, l'air extatique, les yeux levés vers le ciel, la bouche légèrement 
entrouverte. C'est là, très certainement, une des plus nobles créations de la statuaire 
espagnole. 

Signalons ensuite, dispersés dans les édifices religieux de Grenade: un Saint 
François de Paule contemplant un crâne qu'il tient dans la main droite, la main 
gauche ramenée vers la poitrine, debout, en longue robe serrée à la ceinture par une 
cordelière, aux manches bouffantes jusqu'aux coudes, étroites jusqu’ aux poignets, la 
tête tournée de gauche à droite, longue, chauve à la barbe en pointe; une Made- 
leine pénitente, les cheveux épandus sur les épaules, une croix de bois grossière 
dans la main droite, un crâne sur un rocher à ses côtés; enfin un petit Saint 
Antoine de Padoue d'un demi mètre environ de hauteur, en costume de capucin. Ce 
dernier serait l'œuvre la plus exquise et la plus délicate de l'auteur si l’on ne connaissait 
son fameux Saint François d'Assise, trop célèbre pour qu'il soit utile de le décrire, 
figure ascetique de moine enveloppée dans un froc grossier, cousu d'innombrables 
pièces d'un aspect si saisissant et si profondément religieux. Ce morceau hors de 
pair est assurément antérieur aux années 1662—1663, époque à laquelle Pedro de 
Mena tailla son Saint François d'Assise du trésor de la cathédrale de Tolède, 
inspiré par celui de son maitre et qu'a popularisé en France, la copie qu'en a 
faite Zacharie Astruc. De ces figurations de Saint François d'Assise, il convient de 
rapprocher une statuette du fondateur de l'ordre séraphique, faisant à Paris partie de 
la collection du peintre Ignacio Zuloaga; une seconde, décorant à S! Jean de Luz, 
l'oratoire de D" Tirso de Olazabal; enfin, une dernière statuette de religieux franciscain, 
au masque de nègre, léguée au musée d'Agen, par le comte de Chaudordy, qui 
semble bien devoir être donnée à Alonso Cano. 

Appelé à Malaga pour décorer le chœur de la cathédrale, Alonso Cano peignit 
d'abord un grand tableau de la Vierge au rosaire, assise sur un trône, au milieu 
d'une Cour de saints et de saintes; mais estimant que son ouvrage n'était pas apprécié 
a sa juste valeur, il s'en tint là et refusa obstinément, malgré les instances les plus 
pressantes, de continuer l'œuvre commencée. 

Citons aussi de lui, une délicate statue de l'Immaculée Conception, posée 
sur la porte principale de l'église de l'Incarnation. 


P. Lafond. Alonso Cano 257 
Encore a Malaga il brossa pour le compte de D" Andres Cascantes, chanoine- 
chantre de la cathédrale de Séville, le beau tableau de la Vierge l'Enfant Jésus 
dans les bras, place dans cette merveilleuse basilique. L’eglise San Nicolas de 
Murcie montre une œuvre sculpturale du maitre d'un charme et d'une élégance ex- 
quises, c'est un Saint 
Antoine de Padoue au- 
dessous duquel on lit lin- 
scription que voici: 

»A Devocion del Ilustri- 
simo señor D" Alonso de 
San Marti, abab de Alcala 
la Real, el racionero Alonso 
Cano faciebat. Granada.« 
Cest-a-dire —. Fait a 
Grenade par le chanoine 
Alonso Cano, aux frais 
et débours de D" Alonso 
de San Marti, abbe de 
Alcala la Real.« 

Epris avant tout de re- 
alite ainsi que tous ses 
compatriotes, comme il a 
déjà été dit et redit; Alonso 
Cano fut un portraitiste 
de premier ordre ommec 


i Sa 


oS ESETET 
‘ as h gy me | - 
u d'ac L J ie \ SA 


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A. CANO: Saint François d'Assise 
> Jean de Luz, coll. de Don Tirso de 
Olazabal 


en temoignent les rares 
effigies sorties de son 


A. CANO: Saint Francois d'Assise 
Paris, coll. de Don. Ign. Zuloaga O 


pinceau, toutes d'une jus- 
tesse de coup d'œil, d'une habileté de main, d'une perfection d'éxécution dignes de 
Velazquez et de Zurbaran. Comme eux, il poursuit ses modèles jusqu'au tréfond de 
leur être, ne négligeant rien de ce qui explique leur tempérament, n'oubliant rien des 
indications physionomiques. 

Les deux portraits de femme, peints par lui a la chartreuse de Porta Celi, 
que nous avons déjà cités, ont disparu; mais, à défaut de ceux-ci, il reste celui de 
D" Fr. Antonio Enriquez, évêque de Malaga, dans le chœur de l'église Ste Domingo 
de cette ville; le sien propre, — est-ce le même qui se trouvait jadis chez le marquis 
de Javalquinto? — ayant fait partie de la galerie du duc de Montpensier, au palais 
de San Telmo à Séville: celui du célèbre poëte dramatique Calderon de la Barca, de 
l'ancienne collection du roi Louis Philippe, dispersée au feu des enchères à Londres, 
enfin, le portrait d’un moine dominicain appartenant au duc d'Ansola et provenant 
de la galerie de son grand père l'Infant D" Sebastien de Bourbon. Ce gros moine, si 
éclatant de santé, aux chairs rebondissantes, au triple menton aux plis graisseux, 
aurait peut être, en France, patrie de Rabelais et de Lafontaine, prêté à quelque 


258 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


ironie; il n'en a rien été dans sa patrie; le maitre espagnol l'a rendu et interprété 
avec une rare noblesse, ne voyant que l'âme sous cette enveloppe grossière. Quelle 
lumière chaude et vaporeuse, quelle entente des valeurs décelée par la blancheur du 
capuchon faisant valoir les tonalités vives du visage apaisées par les teintes du froc. 


On a accusé Alonso Cano de s'être beaucoup servi d’estampes pour l’arrange- 
ment de certains de ses ouvrages. L'imitation des gravures burinées d'après les 
compositions des autres maîtres était, il faut bien en convenir, asses fréquente chez 
les artistes de son temps, mais nous ne croyons pas quon puisse le lui reprocher 
plus qu'à nombre de ses contemporains. 


Nous ne nions pas que son Saint Jean à Pathmos rappelle un peu le 
Saint Jérôme de J. Ribera; sa Madeleine avec le Christ de la galerie Estherhazy 
de Vienne et sa Marie Madeleine de la chapelle San Miguel de Grenade, le 
Noli me tangere de Corrège, du musée du Prado; son Christ mort, la toile de 
Paul Veronese sur le même sujet de la galerie de l'Ermitage de St Petersbourg; sa 
statue de la Vierge de la Soledad, celle d'une si sublime expression de Becerra; 
mais ce ne sont peut-étre la que des rapprochements involontaires, conséquence de 
sujets analogues, et, apres tout, Alonso Cano, comme notre Moliere, a-t-il pris son 
bien où il l'a trouvé. Toujours est-il que c'est de notre temps seulement, que l'idée 
a pu venir de lui en tenir rigueur. 


Peu d'artistes ont montré autant de conscience et de soin que lui, dans la 
preparation de leurs ouvrages. Jamais il ne livra un plan d’architecture, ne brossa 
une toile, ne modela une statue, sans avoir exécuté préalablement de nombreux des- 
sins, exquisses ou projets. Il est de toute l'école espagnole le maitre qui a laissé le 
plus grand nombre de croquis, la plupart a la plume, sur papier blanc rehausse de 
teintes de lavis. Ces dessins n'en sont pas moins fort rares aujourd'hui. 


En ce genre, le musée du Louvre montre un projet de retable a la plume, 
lavé de bistre, provenant de la collection Standish, comprenant les quatre figures 
allégoriques de la Force, la Douceur, la Charite et la Foi; les deux premières 
assises sur l’archivolte qui surmonte l'autel et les deux autres, sur les frontons qui 
les couronnent. 


La célèbre collection Malcolm d'Oxford en possède deux, également a la 
plume et au bistre, ayant fait partie de la galerie Robinson et provenant des cartons 
du peintre espagnol Madrazo. Le premier, cintre par le haut, portant au bas d'une 
ancienne écriture »de mano de Alonzo Cano« représente la Vierge donnant la 
chasuble a S! Ildefonse; le second, la Vierge les bras levés, enveloppée de longues 
draperies flottantes, montant au ciel, portée par une troupe d’anges et de cherubins 
ailés, premiere idée d'une composition fréquemment répétée par l'artiste. 

Alonso Cano mourut a Grenade, non pas en 1676 comme le prétend par 
erreur Palomino, mais le 5 Octobre 1667, après avoir fait son testament devant le 
notaire royal Pedro de Urrea. Il s'éteignit doucement avec les secours de la 
religion, mais en donnant en même temps un dernier témoignage de son amour 
pour la beauté. Comme on lui présentait un crucifix à baiser, le trouvant laid, il le 


P. Lafond. Alonso Cano 


259 


repoussa et s'en fit composer un de deux bouts de bois réunis qu'il tint devotement 


dans ses mains jusqu'à son dernier soupir. 


Alonso Cano fut inhumé dans le cimetière des prébendés de la cathédrale. 
Le maitre laissa de nombreux élèves qui honorerent grandement l'école de 


Grenade dont Pedro de Moya et lui sont les protagonistes. 


Parmi les principaux 


disciples d’Alonso Cano il nous faut citer, pour la sculpture: Pedro de Mena, Diego 
et Josef de Mora et Jose Risuefio; pour la peinture: Alonso de Mesa, Miguel Geronimo 
Cieza, Sebastian de Herrera Barnuevo, Pedro Atanasio Bocanegra, Ambrosio Martinez, 


Sebastian Gomez, Juan Nufio de Guevara. 


oo 
loro 


Signature de l'artiste 


ESSAI DE CATALOGUE DE L'ŒUVRE 
D’ALONSO CANO 1) 
I. PEINTURES 


1. Adam et Eve chassés du Paradis terrestre 
Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria 
de las Cuevas. Seville. 

2. Adam travaillant la terre et Eve élevant 
leurs enfants. Fig. p. natre. Anciennt Chartreuse 
de Sta Maria de las Cuevas. Seville. 

3. Adam et Eve après le péché. Coll. de 
Sir John Stirling Maxwell. Angleterre. 

4. Les Ames du Purgatoire? Musée de 
Séville. 


1) Ce catalogue est loin d’ötre definitif; ainsi que son 
titre l'indique, il n'est qu'un simple essai de liste des 
productions du maitre. Il mentionne nombre de peintures 
et de sculptures qui a un moment donné ont figuré dans 


des églises, chapelles, édifices religieux et autres, où ` 


elles ne se trouvent plus aujourd'hui; soit, qu'elles aient 
été détruites, égarées ou transportées ailleurs, le plus 
ordinairement dans des collections publiques où parfois 
elles sont désignées, sons des attributions erronnées. Ce 
travail n'a qu'un but, donner un premier aperçu approxi- 
matif de l'œuvre d’Alonso Cano. 


Explication des Abréviations employées dans cet 
Essai de catalogue: H. — Hauteur. L. — Largeur. 
Fig. = Figure. Gr. nat = Grandeur naturelle. P. nat" 
= Petite nature. Demi nat" = Demi nature. Ancienn' = 
Anciennement. Anc. = Ancienne. Coll. = Collection. 
? = Attribution incertaine. 


5. L’Ane de Balaam. Anc. Coll. du roi Louis 
Philippe. 

6. L'Ange Gardien. Eglise del Angel. Monjas 
Franciscanas. Grenade. 


7. L’Annonciation. Cathédrale de Cordoue. 


sacristie. 

8. L’Annonciation. Eglise San Gines. Ma- 
drid. 

9. L'Annonciation. Fig. gr. natre. Cathé- 


drale de Grenade. 

10. Apparition de Saintes à un religieux do- 
minicain. Musée del’Ermitage. St Petersbourg. 

11. Apostolado-en treize tableaux. Fig. gr. 
natre à mi corps. Eglise Sta Catalina de Zafra. 
Monjas dominicanas. Grenade. 

12. L’archange Raphaël et le jeune Tobie. Fig. 
p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de 
las Cuevas. Séville. 

13. L’Ascension. 
de Grenade. 

14. L'Ascension. Anciennt Eglise San Martin. 
Séville. 

15. L’Assomption. 
Londres. 

16. L'Atelier de St Joseph. Anc. Coll. Aguado. 
Paris. 

17. Le Baptéme du Christ. 
de la Ribera. Valence. 


Fig. gr. natre. Cathédrale 


Collection Fred. Cook. 


Eglise San Juan 


260 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


18. Le Bon Pasteur. Anciennt Eglise San- 
tiago. Académie San Fernando. Madrid. 

19. Le Christ. Eglise del Angel. Monjas fran- 
ciscanas. Grenade. 

20. Le Christ assis sur une pierre, a la 
montée du calvaire accompagné de la Vierge, 
de St Jean et de la Madeleine, attendant que 
l'on dresse le gibet. Eglise San Gines. Madrid. 

21. Le Christ en croix. Anciennt Chartreuse 
de Sta Maria de las Cuevas. Séville. 

22. Le Christ en croix. Eglise del Carmen 
Descalzado. Madrid. 

23. Le Christ en croix. h. 2,21—I. 1.07-toile. 
Fig. de gr. natre. Anciennt Eglise San Martin. 
Musée de Fomento. Madrid. 

24. Le Christ en croix. Anciennt Chartreuse 
de Porta Coeli. Valence. 

25. Le Christ en croix. 
Valence. 

26. Le Christ en croix. Peut-étre Anciennt 
Eglise des Bénédictins de Montserrat. Académie 
San Fernando. Madrid. 

27. Le Christ mort. Peut-être Anciennt 
Eglise San Martin de Séville. Musée de Lyon. 

28. Le Christ mort. Cathédrale de Grenade. 

29. Le Christ et la Vierge assis et conversant, 
domines par un Ange. Eglise del Angel. Grenade. 

30. Le Christ a la colonne. Peut-étre An- 
ciennt Eglise des Carmelites d'Avila. Académie 
San Fernando. Madrid. 

31. Le Christ à la colonne. h. 0,41—1. 0,27-toile. 
Fig. demi natre. Anciennt Eglise del Carmen 
Delcalzado. Musée du Prado. Madrid. 

52. Le Christ a la colonne. Anciennt Char- 
treuse de Porta Coeli. Valence. 

33. Le Christ à la colonne, chapelle des 
Calices. Cathédrale de Séville. 

34. Le Christ à la colonne. h. 1.65—l. 1,03- 
toile. Fig. gr. natre. Musée de Pau. 

35. Le Couronnement de la Vierge. 
San Isidro el Real. Madrid. 

36. David portant la téte de Goliath. Fig. 
p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de 
las Cuevas. Séville. | 


Musee provincial. 


Eglise 


37. Ecce homo. Eglise San Francisco. Cordoue. 


38. Ecce homo. Eglise des Augustins chausses. 
Grenade. 


39. L’Enfant Jesus. Musée provincial. Valence. 


40. Enfant endormi. Eglise del Angel. Grenade. 
41. L'Enfant Jesus et le petit St Jean. Musée 
de l'Ermitage. St-Petersbourg. 


42. L'Enfant Jésus entouré d’archanges et de 
séraphins. Anciennt Chartreuse de Porta Coeli. 
Valence. 

43. Evéque donnant la communion ä une 
jeune fille. Anc. Coll. Soult. Paris. 


44, L’Immaculée Conception. Cathédrale de 
Cordoue. 


45. L'Immaculée Conception. 
Isidro el Real. Madrid. 


46. L'Immaculée Conception. 
Grenade. 


47. L'Immaculée Conception. 
Grenade. 

48. L'Immaculée Conception. 
Diego. Grenade. 

49. L'Immaculée Conception accompagnée 
d'anges et de séraphins. Eglise San Diego. 
Grenade. 

50. Jésus remettant les clés à Saint Pierre. 
Anc. Coll. Aguado. Paris. 

51. La Jeunesse du Christ — en plusieurs 
tableaux. Eglise paroissiale de Getafe. 

52. Jésus mort soutenu par un ange h. 1,78— 
I. 1,21-toile. Fig. gr. natre. Anciennt Palais— 
royal. Musée du Prado. Madrid. 

53. Jésus et la Samaritaine. Fig. p. natre. 
Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville. 


Eglise San 
Cathédrale de 
Cathédrale de 


Eglise San 


54, Joseph et la femme de Putiphar. Fig. 
p. natre. Anciennt Chartreuse de Sta Maria de 
las Cuevas. Seville. 


55. La Madeleine. Casino del Rey. Escurial. 

56. La Madeleine. Eglise del Carmen Calzado. 
Grenade. 

57. La Madeleine. Fig. a mi corps. Anciennt 
Chartreuse de Grenade. 

58. La Madeleine au desert. 
Angel. Monjas Franciscanas. Grenade. 

59. La Mort d'Abel. Fig. p. natre. An- 
ciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. 
Séville. 

60. La Madeleine pénitente. Anc. Coll. Aguado. 
Paris. 

61. Le Martyre de Saint Sebastien. 
Coll. Aguado. Paris. 

62. Mort de St Bruno. Fig. en pied de gr. 
natre, Académie San Fernando. Madrid. 

63. La Naissance du Christ. Fig. en pied de 
gr. natre. Eglise St Philippe de Neri. Cuenca. 

64. La Nativité. Fig. gr. natre. Cathédrale 
de Grenade. 

65. Noli me tangere. Anciennt Collection 
Estherhazy. Musée de Buda-Pesth. 


Eglise del 


Anc. 


P. Lafond. Alonso Cano 


261 


66. Paysage accidenté? h. 0,45—1. 0,63-toile. 
Anc. Collection Salamanca. Madrid. 

67. Le Pere Eternel soutenant son fils mort 
dans les bras. Cathédrale de Grenade. 

68. La Purification. Cathédrale de Grenade. 

69. Portrait de l'auteur. Anc. Collection de 
Javalquinto. Madrid. 

70. Portrait de l’auteur. Anciennt Collection 
du duc de Montpensier. Palais de San Telmo. 
Séville. 

71. Portrait de Calderon de la Barca. 
Collection du roi Louis Philippe. 

72. Portrait d'une Carmélite. Anciennt Char- 
treuse de Porta Coeli. Valence. 

73. Portrait d'un Dominicain. ‘h. 0,72—1. 0,60- 
toile. Fig. en buste de gr. natre. Anc. Collection 
de Dn Sebastien de Bourbon. Aranjuez. 

74. Portrait de Dn Fr. Antonio Henriquez 
évéque de Malaga. Eglise Sto Domingo. Malaga. 

75. Portrait de Iñez Moncada. Anciennt Char- 
treuse de Porta Coeli. Valence. 

76. La Présentation au Temple. 
de Grenade. 

77. Le Purgatoire? h. 0,51 —1. 1,22 bois. 
Peut-étre Anciennt Eglise du Mont Sion. Musée 
provincial de Séville. 

78. La Purification. 

79. La Résurrection. 
Martin. Séville. 

80. Le Rosaire. Anc. Coll. Lebrun. Paris. 

81. Un roi Goth. h. 1,65—I. 1,25-toile. Fig. 
en pied de gr. natre. Musée du Prado. Madrid. 

82. Deux rois Goths. h. 1,65—1. 2,27-toile. 
Fig. en pied de gr. natre Musée du Prado. 
Madrid. 

83. Le Sacrifice d'Abraham. Fig. p. natre. 
Anciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. 
Séville. 

84. St Antoine. h. 2,91 — l. 1,65-toile. Fig. 
de gr. natre. Anciennt église San Diego de 
Alcala de Henares. Musée de Fomento. Madrid. 

85. St Antoine de Padoue, la Vierge et l'En- 
fant Jésus. h. 1,60 —1. 1,09-toile. Musée de 
Munich. 

86. St Augustin. Cathédrale de Grenade. 

87. St Bernard, l'Enfant Jésus dans les bras. 
Grosvenor house. Londres. 

88. St Bernard et la Vierge. h. 2,71—1. 1,82- 
toile. Fig. en pied de gr. natre. Anciennt Eglise 
des Capucins de Tolède. Collection de Dn Luis 
de Bourbon, duc d'Ansola. Madrid. 


Anc. 


Cathédrale 


Cathédrale de Grenade. 
Anciennt Eglise San 


89. St Bonaventure. Eglise San Diego. Gre- 
nade. . 

90. St Benoit abbé. h. 1,66 — 1. 1,23-toile. 
Fig. a mi corps de gr. natre. Anciennt Palais 
Royal. Musée du Prado. Madrid. 

91. Ste Paule (épisodes de la vie de) —en 
huit tableaux. Anciennt Eglise de las Monjas 
de Sta Paula. Séville. 

92. St Etienne. Anciennt Eglise San Martin. 
Seville. 

93. St Francois. Fig. en pied de gr. natre 
h. 2,91 — I. 1,65-toile. Anciennt Eglise San Diego 
de Alcala de Henares. Musée de Fomento. 
Madrid. 

94, St François auquel un ange présente un 
verre d'eau. Anciennt Chartreuse de Jeres. 

95. St Francois 4 qui un ange présente un 
verre d'eau. Eglise Santiago. Madrid. 

96. St Francois en extase Ecoutant un con- 
cert céleste. Eglise San Diego. Grenade. 

97. St Ignace de Loyola. Eglise San Isidro 
el Real. Madrid. 

98. St Jacques. Anc. Coll. Soult. Paris. 

99. St Jean Baptiste. Eglise de l'Université 
littéraire. Séville. 

100. St Jean Baptiste. 
de Porta Coeli. Valence. 

101. St Jean Baptiste. Anc. Coll. Livry. Paris. 

102. St Jean l'Evangéliste. Eglise de l'Uni- 
versité littéraire. Séville. 

103. St Jean l'Evangéliste. h. 1,29 —1. 0,97- 
toile. Fig. à mi corps de gr. natre. Anciennt Char- 
treuse de Porta Celi. Valence. Musée du Prado. 
Madrid. 

104. St Jean l'Evangéliste. 
Paris. 

105. St Jérôme. Eglise del Carmen Calzado. 
Grenade. 

106. St Jérôme pénitent. h. 1,77 — 1. 2,09-toile. 
Fig. en pied de gr. natre Musée du Prado. 
Madrid. 

‘107. St Joaquin. Fig. à mi corps de gr. natre. 
Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Grenade. 

108. St Joseph. Anciennt Eglise San Gines. 
Madrid. 

109. St Laurent. Anciennt Eglise San Martin. 
Séville. 

110. St Michel. 
Paular. 

111. St Paul apôtre. Musée de Dresde. 

112. St Pierre. h. 0,53 — 1. 0,42-toile. Anc. 
Collection de Dn Sebastien de Bourbon. Aranjuez. 


Anciennt Chartreuse 


Anc. Coll. Soult. 


Anciennt Chartreuse de 


262 


113. St Pierre. Anciennt Chartreuse de Jeres. 

114. St Pierre d’Alcantara. Eglise San Diego. 
Grenade. 

115. St Vincent préchant. 
cisco. Valence. 

116. Différents Saints. Anciennt Colegio San 
Alberto. Séville. 

117. Différents Saints. 
Real. Madrid. 

118. Différents Saints. Fig. a micorps. Eglise 
San-Diego. Grenade. 

119. Ste Agnés. Anc. Coll. du roi Louis Philippe. 
Musée de Berlin. 


Eglise San Fran- 


Eglise San Isidro el 


120. Ste Anne. Fig. a mi corps. Eglise del 
Angel. Monjas Franciscanas. Grenade. 
121. Ste Anne et la Vierge. Anciennt Eglise 


des Mercenarios Descalzos. Séville. 

122. Ste Therese (Episodes de la vie de). 
Anciennt Colegio San Alberto. Séville. 

123. Ste Thérèse guérissant un enfant malade. 
Anc. Coll. du roi Louis Philippe. 

124. Le Sauveur. Fig. à mi corps. Eglise de 
Sta Catalina. Monjas Dominicanas. Grenade. 

125. La Trinité. Fig. à mi corps. Eglise 
St Philippe de Neri. Cuenca. 

126. La Trinité. Eglise San Juan de la Ri- 
bera. Valence. 

127. La Trinité. Eglise de San Diego. Gre- 
nade. 

128. La Vie de la Madeleine —en plusieurs 
tableaux. Eglise paroissiale de Getafe. 

129. La Vie de St Jean-Baptiste — en plu- 
sieurs tableaux. Eglise de las Monjas de Sta 
Paula. Séville. 

130. La Vie de la Vierge—en huit tableaux. 
Eglise del Angel. Monjas Franciscanas. Gre- 
nade. 

131. La Visitation. Cathedrale de Grenade. 

132. La Vierge son fils mort dans les bras. 
Académie San Fernando. Madrid. 

133. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras 
et St Jean Baptiste (Copie de Raphaël). An- 
ciennt Chartreuse de Sta Maria de las Cuevas. 
Séville. 

134. La Vierge et l'Enfant Jésus, St Pierre et 
Ste Claire agenouillés à leurs pieds. Anciennt Char- 
treuse de Sta Maria de las Cuevas. Séville. 

135. La Vierge avec l'Enfant Jésus. Eglise 
San Isidro el Real. Madrid. 

136. La Vierge de la Paix. Eglise paroissiale 
de Getafe. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


137. La Vierge adorant son divin fils. h. 1,62 
J. 1,07-toile. Fig. en pied de gr. natre. Musée 
du Prado. Madrid. 

138. La Vierge adorant son divin fils. h. 1,62 
l. 1,07-toile. Fig. en pied de gr. natre. Variante 
du précédent. Anciennt Musée de Fomento. 
Musee du Prado. Madrid. 

139. La Vierge noire entourée de religieux 
et de musiciens. Académie San Fernando. 
Madrid. 

140. La Vierge avec l'Enfant Jésus. 
de l'Ermitage. St Petersbourg. 

141. La Vierge avec l'Enfant Jesus. Collection 
of the Earl of Northbrook. Angleterre. 

142. La Vierge avec l'Enfant Jésus dite la 
Vierge au rosaire. Palais archiépiscopal de 
Grenade. 

143. La Vierge avec l'Enfant Jesus. 
Coll. du roi Louis Philippe. 

144. La Vierge. Fig. a mi corps. Cathedrale 
de Grenade. 

145. La Vierge dite du rosaire. 
de Murcie. 

146. La Vierge. Fig. en pied de gr. natre. 
Eglise paroissiale de Marchena. 

147. La Vierge. Fig. a mi corps. Eglise del 
Angel. Monjas Franciscanas. Grenade. 

148. La Vierge triomphante. Musee de Glas- 
gow. Ecosse. 

149. La Vierge triomphante accompagnée de 
Saints et de Saintes en adoration. Cathédrale 
de Malaga. 

150. La Vierge de Belem. Fig. à mi corps. 
Cathédrale de Séville. 

151. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras. 
Eglise San Francisco. Grenade. 

152. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras 
apparaissant à St François. Académie de 
Cadiz. 

153. La Vierge dite del Regalo. Eglise San 
Diego. Grenade. 

154. Vision de St Jean l'Evangéliste. 


Musée 


Anc. 


Cathédrale 


Coll. 


Wallace. Hertford House. Londres. 

155. Vision de l’Agneau. Anc. Coll. Soult. 
Paris. 

156. Vision de Dieu. Anc. Coll. Soult. 
Paris. 


157. La Voie douloureuse. Fig. a mi corps. 
Cathedrale de Grenade. 
158. La Voie douloureuse. 


San Alberto. Seville, 


Anciennt Colegio 


P. Lafond. Alonso Cano 


263 


II. SCULPTURES 


1. Adam et Eve. Bustes colossaux-chéne. 
Cathédrale de Grenade. 

2. L'Ange gardien. Statue marbre. Eglise 
del Angel. Monjas Franciscanas -— sur le porche — 
Grenade. 

3. Deux Anges portant sur un plat la tête 
de St Jean Baptiste. Groupe. Eglise de las Monjas 
de Sta Paula. Séville. 

4. Le Baptême du Christ. Bas-relief. Eglise 
de las Monjas de Sta Paula. Séville. 

5. Le Christ en croix. Statue bois. 
del Socos. Valence. 

6. Le Christ en croix. Statue. Eglise de los 
Padres Benedictinos. Madrid. 

7. Le Christ en croix. Statue. Eglise parois- 
siale de Lebrija. 

8. Le Christ en croix avec un buste de la 
Vierge au pied de la croix. Statuette bois. 
Anciennt dans une église de Valence. Collection 
Desnaux. Toulouse. 

9. L'Immaculée Conception. 
ciennt Eglise Ste Lucie. Séville. 

10. L’Immaculde Conception. 
Eglise St André. Séville. 

11. L'Immaculée Conception. Statue pierre. 
Anciennt Eglise de las Monjas de la Concepcion. 
Séville. 

12. L'Immaculée Conception. Statue. Cathe- 
drale de Grenade. 

13. L’Immaculée Conception. Statue. Eglise 
de l'Incarnation. Malaga. 

14. Le Miracle de la chaudiere d’huile bouil- 
lante. Medaillon. Eglise de las Monjas de Sta 


Eglise 


Statue. An- 


Statue bois. 


Paula. Séville. 

15. St Antoine de Padoue. Statuette bois. 
Grenade. 

16. St Antoine. Statue. Eglise St Nicolas. 
Murcie. 


17. St Bruno. Statue. Chartreuse de Grenade. 

18. St Francois d’Ässise. Statuette bois. Col- 
lection Odiot. Paris. 

19. St François d'Assise. Statuette bois. 
Collection T. de Olazabal — St Jean de Luz. 

20. St François d’Assise. Statuette bois. 
Collection I. Zuloaga. Paris. 

21. St Francois d'Assise (à tête de nègre)? 
Anc. Coll. Chaudordy. Musée d'Agen. 

22. St François de Borja? Buste. Université 
de Séville. 

23. St François de Paule. 


Statue. Grenade. 


24. St Ignace de Loyola? Buste. Université 
de Séville. 

25. St Jean Baptiste. Statue. Eglise de las 
Monjas de Sta Paula. Séville. 

26. St Jean l'Evangeliste assis. Statue. Eglise 
de las Monjas de Sta Paula. Séville. 

27. St Jean l'Evangeliste. Statue bois. Eglise 
de las Monjas de Sta Ana. Séville. 


28. St Paul. Buste. Cathédrale de Grenade. 

29. St Paul. Statue. Eglise paroissiale de 
Lebrija. 

30. St Pierre. Statue. Eglise paroissiale de 
Lebrija. 


31. Le Prophète Elie ? Eglise San Tome. Tolède. 

52. Différents Saints. Statues. Anciennt Co- 
legio San Alberto. Séville. 

33. Différents Saints. Statues. 
Andres. Séville. 

34. Ste Anne assise donnant une leçon de 
lecture à la Vierge enfant. Groupe. Anciennt 
Colegio San Alberto. Séville. 

35. Ste Madeleine. Statue. 
Grenade. 

36. Ste Thérèse. Statue. 
San Alberto. Séville. 

37. La Vierge dite au Rosaire. 
de Grenade. 

38. La Vierge, l'Enfant Jésus dans les bras. 
Cathédrale de Grenade. 

39. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras. 
Groupe. Chartreuse de Grenade. 

40. La Vierge l'Enfant Jésus dans les bras. 
Groupe. Eglise paroissiale de Lebrija. 

41. La Voie douloureuse. Bas-relief. 
ciennt Colegio San Alberto. Séville. 


III. DESSINS 


1. Dessins divers au nombre de vingt cinq. 
Institut Jovellanos. Gijon. 

2. La Vierge donnant la chasuble à St Ilde- 
fonse. h. 0,183 — 1. 0,810 — à la plume lave 
de bistre. Anc. Collections Madrazo et Robinson. 
Collection Malcolm. Londres. 

3. L'Assomption. h. 0,247 — 1. 0,197 — à la 
plume lavé de bistre. Anc. Collections Madrazb 
et Robinson. Collection Malcolm. Londres. 

4. Projet de retable — Figures allégoriques. 
h. 0,605 — I. 0,301 — à Ja plume lave de bistre. 
Musee du Louvre. 


V. GRAVURE 
1. St François d'Assise. Eau-Forte. 


Eglise San 


Chartreuse de 
Anciennt Colegio 


Cathédrale 


An- 


STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


DIE ZEICHNUNGEN DES HAUSBUCH- 
MEISTERS. 


Dr. H. Kehrer veröffentlicht im Februarheft 
1909 der Zeitschrift für bildende Kunst „eine 
neue Zeichnung vom Meister des Hausbuches 
auf der Veste Coburg“, die zweifelsohne von 
der Hand des Meisters ist. Dargestellt ist die 
Anbetung der hl. drei Könige in rund. Er weist 
mit Recht auf die eklatanten Beziehungen zu 
Schongauers Stich B. 6 (Anbetung der Könige) 
hin. Dieselben Vermutungen sind bereits an 
anderer — schwer zugänglicher — Stelle bei 
einer Veröffentlichung der Zeichnung in den 
„Staryje Gody“ (Mai 1508, S. 302—305) von 
Dr. M. Geisberg gemacht!) und ausführlich be- 
gründet worden. Die Berechtigung der Zuschrei- 
bung weist Geisberg im einzelnen nach durch 
die Übereinstimmung in Typen und geistigem 
Gehalt mit Stichen und Zeichnungen des Meisters. 
Den Stich des Meisters L. 10, die Schongauersche 
Darstellung B. 6 und die Koburger Zeichnung 
bespricht er nacheinander in ihren Beziehungen 
und kommt zu dem Schluß: „Beide Darstellungen 
(L. 10 und die Zeichnung) sind fraglos zwei ver- 
schiedene Konzeptionen desselben Themas (sc. 
Anbetung der Könige), wobei in beiden Fällen ein 
und dasselbe Prototyp zugrunde liegt“. SchlieB- 
lich knüpft er an die Tatsache der „wörtlichen“ 
Übernahme der Monstranze aus Schongauers 
Stich B. 6 den berechtigten Schluß, daß dies ein 
neuer Beweis dafür sei, daß der Hausbuchmei- 
ster kein Goldschmied war — sonst hätte er 
doch gerade hier sein eigenes Handwerk ver- 
werten können. 

Dr. Kehrer reiht die Zeichnung als Nr. 5 den 
früher entdeckten „allgemein als echt anerkann- 
ten“ Zeichnungen des Meisters an, jedoch, ohne 
daß man erfährt, welches die 4 früheren seien. 
Nach den Literaturangaben (S. 112, Anm. 1) zu 
schließen, fehlen die von Kämmerer (Jahrb. XVII), 
Valentiner (Jahrb. XXIV) und Springer (Jahr- 
buch XXVI) angeführten. — Ich stelle daher die 
na den bisherigen Forschungsergebnissen in 
Betracht kommenden Zeichnungen nochmals voll- 
ständig zusammen, 


Sicher echt sind: 


! Herr Dr. M. Geisberg hatte die Liebenswürdigkeit, 
mir einen Separatabdruck seines Aufsatzes zu übersenden. 


1. Liebespaar. Berlin. Kupferstichkab. Sil- 
berstiftzeichnung. — Lippmann, Zeichnungen alter 
Meister im kgl. Kupferstichkabinett zu Berlin 
V.E. — Lehrs, Jahrb. XX. 177. — Auch sonst 
allgemein anerkannt und vielfach abgebildet. 


2. Prinzessin Kleodelinde mit 2 Drachen. 
Dresden. Kupferstikab, — Federzeichnung 
rund. Entwurf zu einem Glasgemälde. — Lehrs, 
Jahrb. XX. 181. — Springer, Jahrb. XXV. 142. 
Katalog der kunsthist. Ausstellung Düsseldorf 
1904. 2. A. p. 199. 


3. König und Page als Wappenhalter. Dres- 
den. Kupferstichkab. Federzeichnung rund. Ent- 
wurf zu Glasgemälde. Rückseite: König und 
Königin mit Papagei. Wasserzeichen: Großer 
Ochsenkopf mit großen Ohren und lange Stange 
mit Stein. — Wörmann, Handzeichnungen alter 
Meister im kgl. Kupferstichkab. zu Dresden 1896. 
T. 9 u. 12.—. Friedländer. Rep. XX. 72. — Lehrs, 
Jahrb. XX. 180 („Mainzer Gruppe im weiten 
Sinn“). — Springer, Jahrb. XXV. 142. Katalog 
der kunsthist. Ausstellung Düsseldorf 1904, 
p. 199 („dem M. d. H. zugeschrieben‘). 


4. Johann von Soest übergibt Philipp dem 
Aufrichtigen von der Pfalz sein Werk. Heidel- 
berg. Univ.-Bibl. Cod. pal. germ. Nr. 87. Kolo- 
rierte Federzeichnung. Datiert 1480. — Valen- 
tiner, Jahrb. XXIV, 291 ff. — Springer a. a. O. 
bezweifelt seine Urheberschaft. — Geisberg 
Rheinlande IV, 136 u. Staryje Gody 1908, 303 
tritt mit Recht entschieden für die Echtheit ein. 
Auch Bock (Hessen-Kunst 1908, S. 32) hält die 
köstlihe Miniatur nach Stil und Qualität für 
zweifellos echt. 


5. Ein schreitender Mann. Berlin. Kupfer- 
stidhkab. Federzeichnung auf bräunl. Papier. — 


Lippmann, Zeichnungen alter Meister. XIX A. 
— Springer, Jahrb. XXV. 142. 
6. Die Ermahnung. Berlin. Kupfersichkab. 


Federzeichnung. — Lippmann, a. a. O. XIX. A. 
— Springer, Jahrb. XXVI. 68. Jetzt auch abge- 
bildet in Federzeichnungen altdeutscher Meister 
aus dem Besitz des königl. Kupferstichkabinettes 
zu Berlin. Mit Einleitung von J. Springer. 
Bin. 1909. 

Der Jüngling, auf den der Vater seine Hand 
legt, erinnert neben mandiem andern (besonders 
der freien und lockeren Haarbehandlung) an 


W. F. Storck. Die Zeicinungen des Hausbuch-Meisters 


niederlandische Vorbilder, vgl. Lippmann, Handz. 
XXHIG und XVF. 


7. Anbetung der hlg. drei Könige. Koburg. 
SchloB. Federzeichnung in rund auf grundier- 
tem Papier. Studie für Glasgemälde. — Was- 
serzeichen: lateinisches Kreuz über sockelartigem 
Bau. — Freie Kopie nach Schonganer B. 6. — 
Geisberg op. cit. Kehrer. Z.f.b.K. 1908/09, S. 
112/113. 


8. Große Kreuzigung. Paris. Bibliotheque 
nationale. Federzeichnung. 0,405 : 0,300 m Ver- 
öffentliht von der Dürer-Society 1906. Jahr- 
gang IX. Taf.V. Text von Peartree. „Techni- 
cally the soft broken pen strokes, whic 
serve both for outlines and for filling in the 
slight shadows, are an exact analogy of 
the method employed in the Masters engraved 
work.‘ 1) — Dr. R. W. Valentiner und Prof. 
Dr. J. Springer halten — nach schriftlicher Mit- 
teilung — die Zuweisung an den Hausbuch- 
meister für zweifellos richtig. 


Werkstattarbeiten größeren Stils: 


1. Mittelalterlihes Hausbuch im Besitze des 
Fürsten von Waldburg-Wolfegg. (Hg. von Essen- 
wein. Fft. 1887). Die Zeichnungen sind sicher 
unter persönlicher Mitwirkung und Leitung des 
Meisters entstanden. Sie atmen alle seinen 
Geist, sind aber nicht alle von seiner Hand. Die 
Qualitätsunterschiede der einzelnen Blätter sind 
doc z. T. recht groBe. Sogar bei den Planeten- 
bildern, die von der Internat. Chalkograph. Ge- 
sellschaft 1895 von Lippmann mustergültig publi- 
ziert sind, scheinen neben dem Meister noch 
. zwei andere Hände tätig gewesen zu sein. 


Über die Entstehungen aus Stichen des E. S. 


(auf BI. 3a, 24b—25a) vgl. Kammerer Jahrb. XVII. 
155. Anm. 1 und Lehrs ibid. XX. 181.—. 

Die reiche Literatur kann hier auf die haupt- 
sächlichsten Angaben beschränkt werden: 

Harzen. Archiv fiir die zeichn. Kiinste I. 
1860. 

Rotberg. Kulturgeschichtlihe Briefe. 1865. 

Lübke. Altes und Neues. Studien und Kri- 
tiken. 1891, p. 136 —149. 

Hachmeister. Der Meister des Amsterdamer 
Cabinets. Heidelberg, Diss. 1897. S. 20—25. 

Bock (Hessen-Kunst 1908, p. 32) halt die 
Zeichnungen fir ,Jugendarbeiten von nicht ent- 
fernt so großer Bedeutung wie seine Stiche“. 

Beth (Jahrb. XXIX. 275) halt nur die Planeten- 
bilder fiir eigene Arbeiten des Meisters (gegen- 
fiber Lehrs mit Hachmeister). 


2. „Historie vom Herzog Herpin von Burges 
und seinem Sohn Lewe.“ Berlin, kgl. Bibl. m. 


265 


germ. fol. 464. Federzeichnungen. — Rhein- 
franke, in Ulm ausgebildet, dann am Mittelrhein 
tätig, vielleicht in der Werkstatt des Hausbuch- 
meisters. — Beth, Jahrb. XXIX. 264—275. 


Zweifelhaft, bzw. der Richtung des Meisters 
angehörend: 


1. Tanzende Bauern. Basel. Öffentl. Kunst- 
sammlung. Kräftige Federzeichnungen. — Vala- 
bregue, Gazette des Beaux-Arts, 1896, p. 232. 
— 3e per. XV. — Kämmerer, Jahrb. XVII, 156, 
Anm. 4. — Handzeichnungen schweizerischer 
Meister des XV.— XVIII. Jahrhunderts. II. 16 
(Schongauer-Schüler, vielleiht B. S. [Barthel 
Schön], der oft nach Stichen des Hausbuchmei- 
sters arbeitete). °) 


2. Weibliche Figur mit Schleier. Lilie. — 
Musée Vicar 936. — Braun 313 (Schongauer). — 
Kämmerer, Jahrb. XVII. S. 156. Anm. 4. — 
Lehrs Jahrsb. XX. findet keine Beziehungen. 


3. Frau mit Rosenkranz. Erlangen. Univ. 
Bibl. — Kämmerer, Jahrb. XVII, 156. — Bock, 
Hessenkunst 1908, 32. 


4. Wappenzeichnung. Wien Albertina. Fe- 
derzeichnung. Jungfrau und Ritter halten zwei 
Schilde. Ornamentale Rankenumfassung. — 
Schönbrunner-Meder 680. — Valentiner, Jahrb 
XXIV, 209. — „Der Frauentypus erinnert aller- 
dings an Nürnberg“. 


5. Reiterzug. Berlin. Kupferstichkabinett. 
Federzeichnung. — Lippmann, Handz. XXVI. A. 
(Nürnberger Meister um 1480.) Die Typenbildung 
der Reiter verrät Anklänge an Striche und Bilder 
des Hausbuchmeisters (cfr. z. B. L. 13, 44, 65 
und die Freiburger Bilder). Der sich vom Pferd 
zum Gespräch herabbeugende bärtige Mann hat 
etwas von der Art des Joseph, wie er uns in 
den Strichen so oft begegnet. Der vor diesem 
stehende Landsknecht ist zu vergleichen mit 
dem auf dem Planeten Saturn (Hausbuch BI. 11 a) 
sich vornüber beugenden Knecht, der eine Schind- 
mäbre abdeckt. Auch die Pferde sind ähnlich 
steif und hölzern, wie im Hausbuch. Über die 
Bildung der Bäume vgl. das, was Beth a. a. O. 
über die Zeichnung der Bäume in der Herpin- 
Handschrift sagt. 


1) Ich verdanke diese Angabe der gütigen Nachricht 
des Herrn Prof. V. von Loga. — 

2) Bei Hefner-Alteneck, Trachten, Kunstwerke und 
Gerätschaften usw. Fft. 1884, sind zwei Zeichnungen ab- 
gebildet (V. T. 359) die tanzende Bauern darstellen und 
nach der Bemerkung des Herausgebers aus der groß- 
herzo |. Kunstsammlung zu Weimar stammen (Martin 
Schongauer zugeschrieben). Soweit sich nach den dürftigen 
Umrißzeichnungen bei Hefner-Alteneck urteilen läßt, ge- 
hören diese mit den Basler Zeichnungen stilistisch und 
inhaltlich zusammen. 


266 


6. Madonna. Kolorierte Zeichnung als Titel- 
blatt eines Lehnsbuches des Bischofs Matthias 
von Speier. 1465. 


Kopialbuch Nr. 300. Landesarchiv Karlsruhe. 
— Von Valentiner Jahrb. XXIV. p. 300 abge- 
bildet und besprochen. Mittelrheinisch. — 


Ohne Zweifel werden in Kabinetten und 


Galerien noch manche Zeichnungen unseres 
Meisters zu finden sein, die beitragen zum 
über 


Verständnis dieses genialen Künstlers, 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


dessen Name immer noch ein dunkler Schleier 
liegt. 

Zusatz. Herr Prof. Dr. Jaro Springer teilt mir 
soeben mit, daß er die beiden Dresdener Zeich- 
nungen (s.0.2u.3) jetzt nicht mehr für echte Ar- 
beitendes Meisters hält. Nach „ihrem groben und 
plumpen Strich“ möchte er sie nur unter die 
Werkstattarbeiten einreihen. — Die Heidelberger 
Zeichnung (s. o. Nr. 4), gegen deren Zuschreibung 
er sich im Jahrb. XXV. zweifelnd geäußert, hält 
S. jetzt für sicher echt. Willy F. Storck. 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN 
UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2. 


Zweigredaktionen: 


Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 44. 
Für München: Dr. W. WORRINGER, München, Georgenstraße 9. 


Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16, 
Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill 
bei London, Lyon Road. 
Für Paris: Dr. R. MEYER-RIEFSTAHL, Paris 45 rue d’Ulm. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. — Agent exclusif pour 
la France: FREDERIC GITTLER, editeur, Paris, 2 rue Bonaparte. 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma FRANZ HANFST/ENGEL, MÜNCHEN 
bei, den wir besonderer Beachtung empfehlen. 


Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN 
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Heft 6 


Studien über die Benutzung der Antike 


in der Renaissance 
Von Paul Gustav Hübner 


Für die Erforschung des Einflusses der Antike auf die Renaissance werden 
immer sole Fälle von Anlehnungen an antike Originale wertvoll sein, wo sich unab- 
hängig von dem stilistischen Beweise der Übereinstimmung zwischen antikem und 
modernem Motiv nachweisen läßt, daß ein Exemplar des Typus zu der in Frage 
kommenden Zeit den Künstlern zugänglich war. Der Beweis aus den Objekten allein 
genügt nur, wenn es sich um genaue Kopien von unbedeutenden Künstlern handelt, die 
alle Einzelheiten des Vorbildes wiedergeben, oder wenn die fremden Elemente nicht 
genügend verarbeitet sind und die stilistische Einheitlichkeit des Kunstwerkes stören. 
Wenn der Künstler sidi das Original ganz zu eigen gemacht hat, wird meistens die 
Behauptung der Abhängigkeit sich nur als bescheidene Vermutung geben dürfen; und 
es bleibt immer die Möglichkeit, die Übereinstimmungen als zufällig gleiche Einzel- 
produkte einer im ganzen gleichartigen Entwicklung oder wenigstens als selbständige 
Weiterbildungen eines ähnlichen von der Antike übernommenen Typus anzusehen. 
Wenn sich dagegen das Original, dessen Nachahmung behauptet wird, in einer Antiken- 
sammlung der Renaissance nachweisen läßt, wird man der Abhängigkeit ebenso gläubig 
gegenüberstehen, wie etwa einer Nachbildung des Laokoon nach 1506. Die Inventare 
und Periegesen jener Zeit, die Skizzenbücher italienischer und niederländischer Künstler 
stellen ein wertvolles Urkundenmaterial dar für den Nachweis der Wirkung antiker 
Monumente. Bei den nachfolgenden Bemerkungen spielt es eine Hauptrolle. 


I. 
DER ISAAK DES BRUNELLESCHI 
In der eleganten Gestalt des Isaak auf dem Konkurrenzrelief des Ghiberti hat 
man schon längst eine Nachbildung der Antike vermutet. 
Erst kürzlich hat Grünwald das Original in dem Münchener Ilioneus zu finden 
geglaubt’). Er findet Übereinstimmungen „in der jugendlichen Schönheit des nackten 


) Österr. Jahrbuch XXVII, 1908, S. 155 ff. 
19 


268 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Körpers, auch in der Haltung und Stellung der Oberschenkel -- der rechte mehr 
vertikal, der linke etwas mehr schràg vorgesetzt — sowie in der Lage der Schultern, 
deren rechte erhoben, die linke gesenkt ist, in der bis ins Detail entsprechenden Bildung 
der Beckengegend.“ Die Verschiedenheiten sind jedoch groß: Die Unterschenkel des 
Isaak sind gekreuzt, die des Ilioneus liegen nebeneinander; die antike Figur ist bedeutend 
mehr nach links und vorn gebeugt und in den Hüften stark gedreht; Brust und Bauch 
sind eingezogen, während sie beim Isaak herausgedrückt sind; endlich geht der rechte 
Arm nach oben, der linke seitwärts, um sidi an der Aktion des rechten zu beteiligen; 
bei Ghiberti sind beide Arme auf den Rücken gebunden. Die ganze Ähnlichkeit ist, 
daß beide Male ein nackter knieender Jüngling dargestellt ist, der sich nach rechts 
neigt. Daß Ghiberti zur Bildung des Körpers die Antike zum Vorbild gehabt hat ist 
wohl sicher; nackte knieende Jünglinge mit leichter Neigung in den Hüften gibt es und 
gab es damals auf antiken Reliefs, Gemmen und als Freistatuen in Menge. Die Über- 
einstimmung aber speziell mit dem Ilioneus ist so gering, daß er — die beiden Kunst- 
werke an sich betrachtet — selbst als beliebiges Exemplar des eventuell vorbildlichen 
Typus ungünstig gewählt sein würde. 

Aber der Ilioneus hat eine Geschichte. Er wird von Aldrovandi 1550 in der 
Sammlung Rodolfo Pio da Carpis erwähnt. Ein Stück dieser enorm reichen Sammlung, 
(ihre Beschreibung nimmt bei Aldrovandi über 25 Seiten, also etwa den achten Teil 
seines Werkes ein) das „Letto di Policleto“, kam mit mehreren anderen in den Besitz 
Alfons II. von Ferrara. Das ,Letto“ stammte aus dem Besitz Giovanni Gaddis, der 
es von dem Erben Ghibertis erworben hatte. Da nun auch der Ilioneus von Carpi 
nach Ferrara verkauft wurde, könnte er ebenso aus dem Besitz Gaddis und weiterhin 
aus dem Ghibertis stammen. 

Der Schluß, daß eine Antike, deren Geschicke später mit denen einer anderen 
verknüpft sind, auch die früheren Schicksale dieses anderen Stückes geteilt habe, 
ist bedenklich; er wäre zulässig, wenn man nachweisen könnte, daß die Sammlung 
Carpi im wesentlichen die frühere Sammlung Gaddi und diese wieder die Sammlung 
Ghiberti umfaBte; daß ist im allgemeinen nicht anzunehmen, da die Sammlungen 
des XV. und XVI. Jahrhunderts, soweit man nach den Inschriften urteilen kann, 
in den seltensten Fällen en bloc verkauft oder vererbt wurden. Außerdem fehlt 
jede Nachricht über das Dasein des Ilioneus vor 1550, abgesehen von der vermeint- 
lien Anlehnung Ghibertis an den Torso. Die entfernte Ahnlichkeit des Ghibertischen 
Isaak mit der Münchener Figur und die entfernte Möglichkeit, daß diese im Besitz 
des Künstlers gewesen ist, geben zusammengenommen wohl keine so große Wahr- 
scheinlichkeit, daß man die Ergebnisse der Untersuchung in den Tatsachenbestand 
der Renaissancegeschichte aufnehmen möchte. 

Im Gegenteil, die ausgesprochen männliche, harte Muskulatur des Isaak weist 
auf ein anderes Vorbild als den zarten Knaben in München hin; eher als der Ilioneus 
könnte noch der muskulöse Satyrtorso der Uffizien, den Schlosser herangezogen hat’), 
Vorbild gewesen sein; man wird in einem der zahlreichen nackten jugendlichen Torsi 


') Österr. Jahrbuch XXIV, 1903, S. 151. 


G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 269 


mit der praxitelischen Hüftbeugung das Vorbild zu suchen haben; Kopf und Arme 
können gefehlt haben, die Stellung der Unterschenkel ist sicher nicht antik. 

Im Relief des Brunelleshi hat man in dem Hirten links die „gleichsam pro- 
grammatische“ Darstellung des Dornausziehers erkannt, den Sixtus IV. 1471 dem 
römischen Volke schenkte. Auch der andere Hirt mit der Strigilis geht wohl auf 
ein antikes Motiv zurück, ebenso in letzter Linie der sih am Kopfe kratzende Widder '). 
Dagegen folgt der Abraham, vor allem in seiner Gewandung, durchaus gotischen 
Traditionen. In dem Relief stehen die Ausläufer der Gotik und wiederauflebende 
Antike nebeneinander. Welchem Element gehört nun der Isaak an? Ist er ein ein- 
faches Weiterentwicklungsprodukt des Trecento oder verdankt er der Antike seine 
Entstehung? Man ist wegen der harten, eckigen Bewegung besonders der Beine 
geneigt, die Abstammung von der Antike ohne weiters zu verneinen und die Figur 
für die primitiv unbeholfene Darstellung wilder Angst zu halten, die dem Temperament 
des Künstlers entsprang. C. v. Fabriczy z. B. kommt zu dem Schluß, daß in dem 
„Isaak die erste Aktfigur der modernen Kunst vor uns steht, geschaffen ohne An- 
lehnung an die Antike, aber mit der Absicht und im Bewußtsein der Überwindung 
der schwierigen Aufgabe“ ?). Aber wo sind die Vorarbeiten des Trecento, auf denen 
Brunelleschi weiterbaute, wenn er diese Figur entwarf? Sie fehlen. In der Beobachtung 
des bewegten nackten Körpers hat die Gotik fast nichts geleistet. 

Man. kann ja beobachten, wie in einer ziemlich unabhängigen Kunstentwicklung 
die Bewegungsprobleme auftauchen: In der griechischen Plastik findet sich bekanntlich 
der erste Versuch zu einer Drehung des Körpers bei den gefallenen Agineten, wo der 
Körper noch am Nabel wie abgebrochen und falsch angesetzt erscheint; dieser Fehler 
ist auf den Olympiametopen und in Myrons Diskobol noch nicht überwunden; erst im 
Parthenonwestgiebel ist die Biegung des Körpers vollkommen naturgetreu aufgefaBt °). 
Und erst die Pergamener stellen den Körper in den mannigfachsten Drehungen und 
Biegungen dar und bringen Figuren mit drei Drehungsachsen hervor, die dem Isaak 
des Brunelleschi entsprechen‘. Hier geht also eine jahrhundertelange Entwicklung 
voraus, bis man sich diese Probleme stellt und Jahrzehnte gehören dazu, sie zu lösen. 
Und das bei einer Kunst, deren Hauptaufgabe die Darstellung des Nackten war. 

Soll man glauben, daß die Gotik aus sich selbst ganz unvermittelt nackte 
Figuren hervorbrachte, die der griechischen Kunst erst nach Jahrhunderten gelangen? 
Das wäre eine erstaunliche Frühreife, für die jede Erklärung fehlt. 

Außerdem verfügen die Künstler der Giebelgruppen von Agina über einen an- 
sehnlichen Schatz von anatomischen Kenntnissen, die Brunelleshi abgehen; in den 
steifen, leblosen Oberschenkeln und dem unausgebildeten Unterkörper des Isaak zeigt 
Brunelleschi, wie eng die Grenzen seines Könnens sind. 

Man wird von selbst den Schluß ziehen, daß hier ein Zurückgreifen auf die 

1) Venturi, Storia dell’ arte italiana VI, S. 128; Fabriczy, Filippo Brunelleschi (1892) S. 14 ff. 

2) Fabriczy a. a. O. S. 16. 

3) Julius Lange, Darstellung des Menschen in der älteren griechischen Kunst (1899) S. 69 ff. 

1) Z. B. der Perser in Aix, Reinach Répertoire de la statuaire II, 198, 3; der Perser im 
Vatikan, Clarac Musée de sculpture 859, 2153 Reinach Repertoire I, 525, 2. 


270 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


antiken Monumente vorliegt, an denen die Künstler jederzeit sole Bewegungsmotive 
in vollkommener Ausbildung studieren konnten. 

Den Weg zur Auffindung des unmittelbaren Vorbildes weist die beistehend 
reproduzierte Zeichnung aus dem Skizzenbuche des Lambert Lombard und seiner 
Schüler im Besitze des Herzogs von Arenberg in Brüssel’). Das Album enthält über 
700 ausgeschnittene und aufgeklebte Zeichnungen, unter denen ein kleiner Teil von 
Lombard selbst herrührt; darunter eine Gruppe von Antikenzeichnungen, die aus seiner 
römischen Zeit stammen; Anhaltspunkt sind zwei bezeichnete und aus Rom 1538 
datierte Zeichnungen der Löwen- und Ebergruppe des Herkulessarkophags Savelli- 
Torlonia °). Mit diesen Blättern stimmt unsere Zeichnung (auf fol. 100) in Technik und 
Stil überein; sie gehört offenbar auch zu den römi- 
schen Studien. Eine Victoria verzeichnet auf einem 
Schilde einen Sieg; zu ihren Füßen kniet ein gefesselter 
Barbar. Dieser Gefangene entspricht in der Haltung 
dem Isaak: beide knieen mit dem linken Knie auf 
dem Boden, während das rechte im spitzen Winkel 
gebeugt ist; der Oberkörper macht eine halbe Drehung 
nach links; der Kopf wendet sich nach hinten; die 
Arme sind auf den Rücken gebunden; die Überein- 
stimmung geht soweit, daß auch der Isaak das linke 
Knie etwas über die Basis hinaussetzt. Abweichend 
ist die stärkere Neigung des Isaak nach rechts und 
das Aufsetzen der Zehen des linken Fußes; den Fuß 
des Gefangenen hält die Victoria mit ihrem Tritt an 
der Erde fest. 

Das antike Original der Skizze Lombards 
Abb. 1. Isaak aus dem Konkurrenz. fat, wahrscheinlich auch als Zeichnung, Brunelleschi 

relief des BRUNELLESCHI vorgelegen. Es ist das Relief vom Sockel der rechten 

inneren Säule von der Nordseite des Constantins- 
bogens. Leider ist eine genaue Konfrontierung mit dem Originale nicht mehr 
möglich; das Relief hat sehr gelitten: heut fehlen viele Teile der Figuren und ihre 
Oberfläche ist zerstört, so daß nur noch die Umrisse erkennbar sind. Nach der 
(auf demselben Blatte aufgeklebten) Zeichnung des linken Sockels, der jetzt nodı 
gut erhalten ist, zu schließen, ist die Skizze auch in den Details ziemlich getreu; 
soweit man die Zeichnung des rechten Sockels kontrollieren kann, stimmt sie; nur die 
Flügel der Victoria sind hier weggelassen; die Haltung des Gefangenen ist jedenfalls 
genau wiedergegeben. Die Zeichnung ist wohl als bessere Reproduktion des ursprüng- 
lihen Originals zu betrachten als eine Photographie des jetzigen Zustandes. 


1) Die Kenntnis dieses Skizzenbuches verdanke ich mein. hochverehrten Lehrer A. Goldschmidt. 

?) Fol. 66v.: „1538 Roma Lambertus Lombardus fecit“; fol. 67r: „Lambertus Lombardus 
15358“, auf der Keule „1538 Roma“. 

Der Sarkophag bei Robert, Die antiken Sarkophagreliefs IIl, 1, no. 126; dort auch die 
Geschichte des Monuments. 


G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 271 


Zugleich ist sie eine Urkunde für das Interesse, das man diesem stets zugäng- 
lien Monument entgegenbrachte, von dem auch zahlreiche Nachbildungen der Reliefs 
im Hauptdurchgang Zeugnis ablegen. Von Nachbildungen der beiden Säulenbasen ist 
mir außer den beiden Lombardzeichnungen nur eine Riccio zugeschriebene Plakette 
des Berliner Museums (Nr. 714) bekannt, welche die Victoria mit dem Gefangenen des 
linken Sockels darstellt. 

Aus dem antiken Vorbild erklärt sich die Figur Brunelleschis vollkommen. 
Gegeben war das Temperament des Künstlers, das nach starker Bewegung verlangte; 
das antike Relief lieferte ihm ein für die darzustellende Handlung geeignetes Motiv; 
aber die Ausführung des Motivs stellte Aufgaben, denen seine anatomischen Kennt- 
nisse nicht gewachsen waren; da wo das Vorbild ihn im Stich ließ, mißlang der 
Körper; denn die Flauheit des Unterkörpers erklärt sich wohl einfach daraus, daß der 
Barbar mit Hosen bekleidet ist. 

Die Nachbildung des Brunelleschi steht höher als z. B. 
die etwa gleichzeitige Nachahmung eines ähnlichen Bewegungs- 
motives im Livre d'heures des Duc de Berry '!); dort ist die 
dem Perser von Aix entlehnte Haltung des Adam in keiner 
Weise aus der Aktion zu erklären; hier stimmt die Bewegung 
so gut zur Handlung, daß man eine Disharmonie nicht empfindet. 

Hinter seinem Konkurrenten Ghiberti aber bleibt 
Brunelleshi in der Darstellung des Körpers zurück, ebenso 
wie in der Fähigkeit die Handlung zu konzentrieren und in 
der technischen Ausführung des Gusses*); er stellt sich zu 
hohe Aufgaben; er eilt der Entwicklung voraus. Ghiberti 
knüpft an Produkte der Antike an, die seiner Stilstufe etwa  Abb.2. Barbar vom Con- 


entsprechen — der im Isaak nachgeahmte Typus wird ins stantinsbogen o 
vierte oder fünfte Jahrhundnrte gehôren — und es gelingt ihm, a Gene. 


das Vorbild zu erreichen *). Brunelleschi ahmt die kompli- 
zierten Gebilde der späten Antike nach, die etwa dem Stile Michelangelos entsprechen. 
Auch die damaligen Kritiker schätzten die festgegründeten Kenntnisse Ghibertis höher 
als die unfertige Frühreife Brunelleschis; und doch schließt sein mächtiges Vorwärts- 
drängen die stärkeren Keime neuen Lebens in sich; denn in der Folgezeit überwiegt 
der Drang nach Bewegung bei weitem die Freude an ruhiger Größe. 

So knüpft auch Donatello, als er zwanzig Jahre später die Abrahamgruppe am 
Campanile entwirft, an den Isaak des Brunelleschi an: von der linken Seite gesehen 
entspricht der Knabe in der Stellung der Figur des Konkurrenzreliefs. Die Drehung 


1) Nachgewiesen von A. von Duhn in der Festschrift für Anton Springer (1885) S. 5. 

3%) Venturi a. a. O. Fabriczy a. a. O. 

3) Ahnlich urteilt Julius von Schlosser, Osterr. Jahrb. XXIV, 1903, S. 156: ,Aber es ist 
schon ein Künstler, der die Antike nicht mehr äußerlich, nicht mehr ängstlich und unfrei kopiert, 
sondern der sie, wenn auch noch einigermaßen nach Schülerweise, versteht und in ihrem Sinne 
bildet“. S. 159: „Aber Ghiberti eignet sih das Antikische nicht mehr äußerlich, phantastisch zu, 
sondern als eine innere Erfahrung.“ 


272 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


des Oberkörpers und des Kopfes ist — wohl wegen des Zwanges der Frontansicht — 
schwächer; daß die ganze Figur matt und leblos wirkt, liegt wohl am Ungeschick des 
Gehilfen Rosso. 
Noch einmal, hundert Jahre später, scheint der gefangene Barbar vom Con- 
stantinsbogen auf die Renaissance stilbildend eingewirkt zu haben: Eine ganz ähnliche 


Abb. 3. 


Amor aus dem Triumph der Keuschheit von LUCA 


SIGNORELLI 


London, Nat. Gall. 


Stellung nimmt der gefesselte 
Amor ein auf dem Triumph 
der Keuschheit von Luca 
Signorelli aus Palazzo Pe- 
trucci in Siena, jetzt in der 
National Gallery in Lon- 
don!). Schon Vischer hat 
auf die Ähnlichkeit dieser 
Figur mit gefesselten Kriegs- 
gefangenen auf antiken Re- 
liefs und Wandgemälden 
hingewiesen. Und entschlieBt 
man sich einmal, die zarte 
Gestalt des Liebesgottes 
mit dem greulichen Bar- 
baren in der Zeichnung zu 
vergleichen, so scheint in 
der Tat ein Zusammen- 
hang vorzuliegen; die Bein- 
stellung, die Stellung der 
Arme und die Bewegung 
des Körpers im allgemeinen 
sind gleich. Aber alles Ge- 
waltsame, Ungestüme der 
Bewegung ist verschwun- 
den; der Körper dreht sich 
in den Hüften fast gar 
nicht und der Kopf neigt 
sih nur etwas nach hinten 
zu einem schmerzlichen Blick 


auf die grausamen Peinigerinnen. Hier spricht ein dem antiken mindestens ebenbürtiger 
Künstler zu uns, der das Vorbilds einen Zwecken vollkommen unterordnet. Der Zu- 
sammenhang ist jedoch nicht so sicher, daß man darauf den lockenden Vergleich mit 
der Nachahmung Brunelleschis gründen könnte. 


1) Gemalt 1506 oder 1509. Vischer, Luca Signorelli (1879) S. 273ff. Mancini, Vita di 
Luca Signorelli (1903). S. 146 ff. 


G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 273 


IL 
RAFFAEL UND DIE SAMMLUNG GRIMANI 


Auf dem Sieg Josuas über die Amoriter in den Vatikanischen Loggien bemerkt 
man vor der Reiterfigur des Josua, der Sonne und Mond stillstehen heißt, unter den 
Kämpfenden die Gruppe zweier Krieger: ein Israelit holt von oben mit der Lanze 
zum StoBe aus gegen einen rückwärts zu Boden gestürzten Feind, der sich mit dem 
Schilde zu decken sucht. Der Angegriffene ist eben hingestürzt; die Rechte die den 
Schwertgriff umklammerte, hat sich gespreizt, um sich aufzustemmen; das rechte Bein 
ist zum äußersten gekrümmt, während das linke balanzierend schwebt. 

Diese Figur ist die Umarbeitung eines antiken Motives, das uns im zurück- 
fallenden Gallier in Venedig erhalten ist. Die Ähnlichkeit des Motivs ist wohl nicht 
zu leugnen; außerdam läßt sich der Beweis führen, daß die Venediger Statue zu der 
Zeit, als Raffael diese Fresken entwarf, sich in Rom befand. 

Das Stück gehörte der Sammlung des Kardinals Domenico Grimani!) an, einem 
Museum, dessen Bedeutung für die Monumente der ersten Jahrzehnte des Cinquecento 
im allgemeinen wohl erkannt ist, dessen Einfluß im einzelnen aber sich der Beobachtung 
entzogen hat, weil man keine Details über den Bestand der Sammlung hatte. 

Die Antiken standen im Palazzo di San Marco, wo der Kardinal z. B. 1505 
den Venezianischen Gesandten eine große Menge antiker Statuen zeigte, wo auch 
Albertini viele Marmorwerke erwahnt*). Müntz schildert die Sammlung als die be- 
deutendste im Anfang des Jahrhunderts; doch weist er kein Stück ihres Bestandes 
nach ë). Erst Wickhoff hat erkannt, daß die Gallier in Venedig zum Bestande des 
Museums gehörten; im Anschluß daran hat kürzlich Grünwald eine plastische Nach- 
bildung des zurückfallenden Galliers aufzuzeigen versucht ‘); im übrigen herrscht über 
das Schicksal der Sammlung Unklarheit. Im Katalog der Antiken in Venedig’), wo 
man zuverlässige Auskunft über die Provenienz der Stücke sucht, finden sich irrige 
Angaben, und doch sind die auf die Sammlung bezüglichen Dokumente in einer 
älteren Beschreibung der Marciana publiziert °). 

Sie geben eine genaue Vorstellung von dem Museum von Bronzen und Marmor- 
statuen, das sidi Domenico Grimani in Rom angelegt hatte und das er im Testament 
vom 15. August 1523, zusammen mit dem berühmten Brevier, seiner Vaterstadt ver- 
machte. Bis dahin befanden sich die Kunstwerke offenbar in Rom; denn Marcanton 
Michiel, der 1521 im Palast Grimani in Venedig seine Notizen machte, berichtet dort 


1) Die Daten seines Lebens bei Chevalier Repertoire des sources historiques, Bio- 
Bibliographie I (1905) pag. 1894. Geboren in Venedig 1460, Zum Kardinal ernannt 20. September 
1493, 1508 Kardinal von San Marco, gestorben 27. August 1523. Einiges über die Geschichte der 
Sammlung bei Lanciani, Storia degli scavi di Roma I, pag. 138 f. 

?) Albertini, De mirabilibus urbis Romae fol. 61v, 62v: „in palatio Pauli Veneti multa 
signa marmorea posuit Rev. Do. de Grimanis“, 83v, 86r. 

3) Müntz, Raphael pag. 590. 

4) Jahrbuch der Kunsthist. Samml. des Allh. Kaiserhauses XXVII (1908) pag. 148 f. 

») Dütschke, Antike Bildwerke in Oberitalien V (1882). 

6) Bei Valentinelli, Marmi scolpiti del Museo Archeologico della Marciana di Venezia 
(1866) pag. VIII f. 


274 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


nur von Gemälden. Zur Zeit des Testaments waren die Skulpturen eben erst nach 
Venedig transportiert worden und standen noch in Kisten verpackt im Kloster Santa 
Chiara in Murano. Dort wurde ein Inventar aufgenommen, welches von Marmorbild- 
werken über 25 Köpfe, etwa 8 Statuen und ebensoviele Reliefs enthält‘. Es hat 
leider sehr allgemeine Bezeichnungen und ist deshalb für die Feststellung der einzelnen 
Stücke ziemlich unbrauchbar. Die Skulpturensammlung wurde 1525 vom Dogen Andrea 
Gritti in der Chiesetta des. Palastes aufgestellt, wo sie 1581 noch erwähnt wird. Man 
scheint jedoch mit dem Vermächtnis etwas sorglos umgegangen zu sein; denn 1586 
sind die Statuen bis fast auf die Hälfte zusammengeschmolzen, befinden sich auch 
nicht mehr an ihrem ausgezeichneten Platze. In diesem Jahre bot nämlich Giovanni 
Grimani der Stadt eine neue große Antikensammlung zum Geschenk an; und bei dieser 
Gelegenheit entstand ein 
Verzeichnis des alten Be- 
standes, welches nur 
12 Köpfe und 5 Sta- 
tuen kennt‘). Es sollte 
vermieden werden, daß 
die Statuen verwechselt 
und bestoßen (strabalzate) 
würden; daher ist dies 
Inventar erfreulich genau 
und ermöglicht sichere 
Identifizierungen. Es 
stammt von den Bild- 
hauern Alessandro Vittoria 
und Angelo dalle due 
Abb. 4. Krieger vom Sieg Josuas über die Amoriter in den Regine, welche dann auch 
Loggien des Vatikan n die Stücke restaurierten, 
so wie sie im Inventar 
von 1593 *), zusammen mit den etwa hundert Antiken der Sammlung Giovanni Grimani, 
wiederkehren. — Mit Hilfe dieser Inventare lassen sich aus dem Bestande des Archaeo- 
logischen Museums in Venedig die wichtigsten Statuen herausfinden, die Domenico Grimani 
besaß, und die man bis 1523 in seinem Palaste in Rom sehen konnte. Es sind folgende: 
1) die Gruppe einer Aphrodite mit Eros auf Delphin *), 
2) der Apollo mit aufgestütztem linken Bein 5), 


1) Abgedruckt bei Valentinelli a. a. O. pag. VIII, Anm. 2, im folgenden als no. I zitiert. 
2) Valentinelli pag. XII, Anm. 1, im folgenden als II zitiert. 

5) Valentinelli pag. XXXIIIff., im folgenden als III zitiert. 

4) Dütschke no. 93. Abbildung mir unbekannt. Inv. II 15, I 25, III 24. 

») Dütschke no. 197. Abbildung unten, nach Arndt-Amelung Einzelaufnahmen antiker 
Skulpturen Serie VI. Inv. Il 16 „Un torso d’Apollo nudo senza il brazo destro senza la gamba 
sinistra dal genocchio in giuso senza il piè destro“; wohl einer der Torsi in Inv. I; Inv. II 17 
„Una statua di giovane nuda di piedi 3 in circa, tiene un arpa nella mano, et la faretra ai piedi 
con una biscia avolta nel tronco“. 


G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 275 
3) der schreitende Odysseus’), 

4) der ins Knie gesunkene Gallier °); 

5) der zurückfallende Gallier °), 

6) höchstwahrscheinlich auch der tot ausgestreckte Gallier *). 

Die drei letztgenannten Statuen sind Stücke einer Kopie des Attalosweih- 
. geschenkes auf der Burg von Athen, deren einzelne Figuren in den Museen von 
Venedig, Neapel, Rom, 
Paris, Aix zerstreut sind, 
deren Zusammengehörig- 
keit nach Stil, Größe und 
Material aber feststeht `). 

Da die Geschichte 
der Gruppe eine Voraus- 
setzung für den ange- 
tretenen Beweis ist und 
in einem späteren Ab- 
schnitte auf ein Stück der 
Kopie zurückzukommen 
sein wird, ist es nòtig, 
wenigstens auf die Fund- 
geschichte näher einzu- 
gehen ô). 

DaB die einzelnen 
Bestandteile der Gruppe 
an demselben Orte zum | Jiu 
Vorschein gekommen sein Abb. 5. Gallier aus der Smig. des Kardinals GRIMANI, Venedig 


ı) Dütschke no. 176, fälschlih Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12902. Inv. Il 
14; einer der Gladiatoren im Inv. I; Ill 15. 

2) Diitschke no. 208, fälschlih Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12905. 
Inv. II 13; einer der Gladiatoren im Inv. I; Inv. Ill 18. 

5 Dütschke no. 217, fälschlih Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12904. Unten 
nach dem Minchener AbguB; die Photographie verdanke ich meinem Freunde Georg Dehn. 
Inv. II 12 „Un Torso d’un giovine nudo con Ja testa e con la cossia sinistra senza brazzi, et 
senza la gamba destra longo tre quarte sino al sentar tutto tondo e bello“; einer der Torsi oder 
Gladiatoren in Inventar I; Inv. III 5 ,una statua di huomo nuda distesa over cuffa di lunghezza 
di piedi 3 in circa tiene la mano destra in terra, et la sinistra elevata in alto“. 

4) Dütschke no. 209, falschlich Provenienz Giovanni Grimani. Phot. Alinari 12906. Er 
wird in Inventar II nicht erwähnt und läßt sich unter den Gladiatoren und Reliefs des Inventars | 
nicht herausfinden; erst im Inventar III no. 13 taucht er auf. Dod ist er zweifellos mit den 
beiden andern zusammengehörig und vielleicht bis 1592 im Besitz der Familie geblieben. 

©) Zusammengestellt von Heinrich Brunn, Annali del Istituto Archeologico Germanico 1870 
pag. 2%ff. Eine übersichtlihe Zusammenstellung aller Figuren (mit Ausnahme der in Aix) findet 
sich bei Overbeck, Griechische Plastik, 4. Aufl. Bd. Il. Fig. 189. 

6) Uber die Schicksale der Neapler Statuen vgl. Michaelis im Jahrbuch des Deutschen 
Archaeologischen Instituts VIII (1893) pag. 116f. 


276 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


müssen, ist klar; man wird auch nicht ohne Grund von der Annahme abgehen, daß 
sie zur selben Zeit gefunden wurden. Für die Auffindung der Figuren in Neapel, 
Rom und Paris existieren sichere Zeugnisse. Das erste ist ein Brief des Filippo 
Strozzi an Giovanni di Poppi aus dem September 1514, den ich im Wortlaute hierher 
setze, weil er zugleich ein Zeugnis ist für die Bedeutung, die man dem Funde beimaß: 

„Direte anchora al Magnifico che sua madre 
è la più fortunata donna mai fusse, che li danari 
che la dà per dio li fruttono più perché se li 
prestassi a usura; et questo perche murando a 
certe monache una cantina vi hanno trovate sino 
a questo di circa a 5 figure si belle quanto ne 
sian altre in Roma. Sono di marmo di statura 
mancho che naturale, et sono tutti chi morti e 
chi feriti, pure separati. Evi chi tiene che sian la 
historia delli horatii et curiatii; non ne scrivo più 
particulari perchè in breve spero el Magnifico li 
abbia a vedere, e li piaceranno ').“ 

Die Mutter Lorenzos, Alfonsina Orsini, be- 
wohnte damals den Palazzo Medici bei San Eu- 
stachio, der später in den Besitz der Margarete 
von Osterreich kam. Bei ihr („apud aedem divi 
eustachii in uno domo mulieris cujusdam de Ursi- 
norum familia“)°) sah im Winter 1514/15 auch 
Claude Bellievre aus Lyon sechs Figuren, welche 
die Geschichte der Horatier und Curiatier dar- 
stellten; eine siebente dazugehörige befand sich im 
Vatikan. Seine Beschreibungen sind sehr präzis, 
und man kann mit Sicherheit die vier Neapler 
Stücke, den Gallier im Louvre, den Perser im 
Vatikan erkennen; die siebente ist verschollen. | 
Kardinal Grimani wird wie der Papst im Laufe 
der Ausgrabung (der Fund wurde ja, wie der Brief 
zeigt, beim Baue eines Klosters gemacht) Gelegen- 
Abb. 6. Apollo aus der Schindung heit gefunden haben, seine drei Stücke zu erwerben. 

a ee Unter diesen befand sich der zuriickfallende 

Gallier. Raffael wurde bald darauf, am 27. August 

1515 *), zum commissario di antichità ernannt und hat natürlich den Torso öfters ein- 
gehend betrachtet, ungefähr zu der Zeit, als er die Ausmalung der Loggien leitete. Der 
Marmor war, wie aus den Beschreibungen der zitierten Inventare hervorgeht, unergänzt: 
es fehlten die Arme bis auf kurze Stümpfe, das rechte Bein ganz und das linke zur Hälfte. 


1) Nach Gaye, Carteggio II, pag. 139. 
°) Der Bericht ist publiziert von Kliigmann in der Archaeologischen Zeitung 34 (1876) pag. 35. 
*) Lanciani, Storio degli scavi di Roma I, pag. 166. 


G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 277 


Der gestürzte Krieger auf dem Loggienbilde ist eine archaeologish durchdachte 
und künstlerisch empfundene Ergänzung und zugleich eine Korrektur des Originals. 
Daß die Ergänzung im allgemeinen dieselbe ist wie die jetzt vorhandene des Restau- 


rators vom Ende des Jahrhunderts, kann nicht 
Wunder nehmen, da die stehengebliebenen 
Reste die Richtung der Arme und Beine be- 
zeichneten. Ohne Zweifel steht die Raffaelische 
Ergänzung künstlerisch viel höher; ganz abge- 
sehen von den groben Mißverhältnissen der 
plumpen Extremitäten am Marmor ist im Fresko 
das Bewegungsmotiv energischer und richtiger 
ausgebildet. Raffael hat empfunden, daß der 
Körper, um auf dem rechten Arm und Bein 
ruhen zu können, mehr auf die rechte Seite 
gedreht werden muß und der rechte Unter- 
schenkel sich bis zum äußersten beugen muß, 
damit der Fuß auch nur in die Nähe des Schwer- 
punktes der Figur kommt; um die Ungleich- 
wichtigkeit zwischen Ober- und Unterkörper aus- 
zugleichen, hat er das linke Bein weit ausge- 
streckt und ist sogar vom Gegebenen abge- 
widien, indem er den Körper etwas stärker 
krümmte und den Kopf dieser stärkeren Kurve 
folgen ließ. 

Noch ein anderes Stück des Attalosweih- 
geschenkes hat Raffael inspiriert: der sterbende 
Gallier in Neapel!) ist das Vorbild zu dem 
sterbenden Ananias auf dem bekannten Teppich 
geworden. Nod Marten van Heemskerck hat 
ihn bei seinem Aufenthalt in Rom, 1532—36, 
auf der Mauer des Hofes im Palazzo Medici, 
wo ihn Alfonsina Orsini hatte aufstellen lassen, 
gesehen *). Bei der Nachbildung Raffaels ist 
wie im vorigen Fall Steigerung der Bewegung 
und Zuspitzung der Handlung zu bemerken. Die 
Stellung ist im allgemeinen dieselbe; doch sind 


Abb. 7. 


Apollo aus der Sammlung des 
Kardinals GRIMANI, Venedig 
Eigentum der Verlagsanstalt, Bruck- 
mann, München O 


alle Bewegungen der GliedmaBen, die im Original nur leise angedeutet sind und als 
Streckungsunvermögen der erschlaffenden Muskeln empfunden werden, gesteigert worden 
und erscheinen jetzt als Zuckungen des sterbenden Körpers. Der plötzlich von der Hand 


1) Guida ‘del Museo Nazionale 1908 no. 302. Phot. 
Denkmäler 481b. Clarac Musée de sculpture 858B, 2158. 
*) Ansicht des Hofes im Berliner Skizzenbuch I fol. 5; abgeb. Michaelis a. a. O. pag. 121. 


Alinari 11095. Brunn-Bruckmann, 


278 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Gottes Getroffene neigt nicht wie der langsam verblutende Soldat das Haupt zur Erde, sondern 
hat das verzerrte Gesicht dem Himmel zugewandt, aus dem die Strafe auf ihn herabfiel. 

Aud in dem zugreifenden Jüngling, der dem Ananias gegenüber kniet, möchte 
ich einen Attaloskrieger erblicken; den am Oberschenkel verwundeten Gallier im Louvre ') 
aus casa Medici; auf der angeführten 
Skizze Heemskercks sieht man einen 
Künstler, der gerade diese Figur ab- 
zeichnet. 

Man erwartet, daß noch von 
anderen Figuren des Museums Grimani 
künstlerische Änregungen ausgegangen 
sind; in der Tat ermöglichen die Nach- 
richten über den Bestand der Samm- 
lung es, die Entstehung einiger anderer 
Raffaelischer Figuren aufzuklären. 

Auf dem Siege des Apoll über 
Marsyas in der Stanza della Segnatura 
hat man in dem Satyr schon längst 
eine antike Figur erkannt. Es ist 
wahrscheinlih die Marsyasstatue der 
Sammlung Valle-Capranica, die circa 
1550 auf einem Stiche Kocks erscheint, 
1584 von Ferdinando dei Medici er- 
worben wird und jetzt in den Uffi- 
zien steht *). 

Der Apollo, welcher in seiner 
etwas unbequemen Art zu sitzen ein 
nicht völlig verarbeitetes Vorbild ver- 
muten läßt, ruft das antike Motiv des 
Hochauftretens ins Gedächtnis. Nun 
befand sich im MuseumGrimani (cfr. 
oben, no. 2) ein Apollo mit aufge- 
stitztem linken Fuß, allerdings als 
Torso: ihm fehlten der linke Unter- 
schenkel, der rechte Fuß, der rechte 
Arm bis auf einen Stumpf, die linke 
Hand und der obere Teil der Lyra. Ob der Torso sitzen oder stehen sollte, darüber 
konnte man bei flüchtiger Betrachtung im Zweifel sein; doch hat man in ihm sicher 
schon damals den göttlichen Sänger gesehen, der wie in der Farnesina die Götter 
beim Mahle ergötzt. Raffael behielt das Motiv des hoch aufgestützten Fußes bei und 


Abb. 8. Zeicinung von G. F. Penni © Wien Albertina 


1) Phot. Giraudon. Clarac Musée de sculpture 280, 2151. 
*) Dütschke, Antike Bildwerke in Oberitalien II Uffizien no. 251. Phot. Alinari 1254. 
Clarac 541, 1157. 


G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 279 


versetzte den Gott, vielleicht weil er das Motiv so verstand, in jene unbequeme Sitz- 
stellung, der man die Abstammung von einem Standmotiv noch anmerkt. Im übrigen 
änderte er die Aktion dem dargestellten Momente gemäß; Apollo hat im Wettstreit 
gesiegt und wird mit Lorbeer gekrönt; Marsyas soll geschunden werden. Die Augen 
träumen nicht in die Ferne, die Hand greift nicht in die Saiten; Hand und Blick 
sprechen den Befehl aus, die grausame Strafe an dem Unterlegenen zu vollziehen. 
Hier liegt also eine weitgehende Umformung des Gegebenen vor, die aber, wie es 
scheint, zum Teil auf unrichtiger Auffassung des antiken 
Originals beruht. 

Es ist interessant, daß sich in einem späteren Werke 
Raffaels und seiner Schüler, der Hochzeit Amors und der Psyche 
in der Farnesina, eine ganz enge Anlehnung an die Grimanische 
Statue findet; der Apollo ganz links ist eine Rückenansicht des 
antiken Marmors. Das Gewand im Fresko verschleiert etwas 
das ursprüngliche Motiv, welches sich in der Vorstudie im Besitz 
der Albertina mit aller Deutlichkeit zu erkennen gibt'). Diese 
Zeichnung stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Giov. Franc. 
Penni, der auch die Figur im Fresko ausgeführt hat. Sie ent- 
spricht in den gegebenen Teilen genau dem Marmor; die Er- 
gänzungen sind ungefähr dieselben wie die heute vorhandenen 
von Alessandro Vittoria; nur die Lyra ist etwas anders aus- 
gefallen. Das Gewand, welches auf dem Gemälde um den 
linken Arm gewickelt und um den Unterkörper geschlagen ist, 
findet sich schon leicht angedeutet. Dieser Umstand sowie die 
individuellen Einzelheiten des Körpers und der äußere Habitus 
der Figur beweisen, daß es sich nicht um eine rein zeichnerische 
Ergänzung vor dem Marmor handelt, sondern um eine Akt- 

: i : i i Vermählung Amors 
studie. So wird diese Zeichnung zu einem lehrreichen Dokument mit Psyche in der 
aus dem Umformungsprozeß, den der Künstler mit dem antiken Farnesina o 
Original vornahm. Er machte sich vielleicht eine zeicinerische 
Notiz vor dem Torso, ließ dann im Atelier das Modell die Stellung der Statue ein- 
nehmen und fixierte die gewählte Ansicht; den nackten Körper umkleidete er mit 
Gewand und übertrug ihn auf das Gemälde. 

Es ist gewagt, aus diesen vereinzelten Nachahmungen einen allgemeinen Schluß 
auf das Verhältnis Raffaels zur Antike überhaupt zu ziehen. Man könnte aus dem 
Gegensatz zwishen dem Apollo in der Stanza della Segnatura und dem Krieger auf 
dem Loggienbilde folgern, daB das archaeologische Verständnis der Monumente und 
die Kraft der Phantasie in der Auffassung der antiken Werke zugenommen hat und 
infolgedessen der Anschluß an die Antike überhaupt enger geworden ist — was mit 
den von Pulszky gewonnenen Resultaten annähernd übereinstimmen würde *]. Jeden- 


Abb. 9. Apollo aus der 


1) Fischel, Raphaels Zeichnungen (1898) no. 263. 
?2) Carl von Pulszky, Beiträge zu Raphaels Studium der Antike. Diss. Leipzig 1877, 


pag. 48 ff. 


280 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


falls lassen die beiden Nachahmungen des Apollo Grimani und die Nachbildungen der 
Attaloskrieger die Distanz zwischen Meister und Schüler erkennen: Raffael verarbeitet 
das Vorbild völlig und geht darüber hinaus; Penni begnügt sich damit, es erreicht 
zu haben. 

Der Apoll auf dem Farnesinafresko liefert einen Beweis dafür, daß die 
Mitteilungen Vasaris über die Götterversammlung und die Hochzeitsfeier der Psyche 
wôrtlid zu nehmen sind: „E nella volta fece il Concilio degli Dei in cielo; dove si 
veggono nelle loro forme molti abiti e lineamenti cavati dall’ antico, con bellissima 
grazia e disegno espressi: e così fece le nozze di Psiche con ministri che servon 
Giove, e le Grazie che spargono i fiori per la tavola ')“. 


1) Ed. Milanesi IV, pag. 367. 


Abb. 1. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon“: Der Brand 
Kokka, Heft 182 o 


Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst 


und ihre Zeit 
Von William Cohn 


Die Nebeneinander- und Gegenüberstellung der Maler Fujiwara no Mitsunaga 
und Sesshu bietet für das Verständnis der ganzen japanischen Kunst eine Reihe höchst 
instruktiver Aufklärungen. Ihre Werke repräsentieren die zwei wichtigsten Stile der 
japanischen Malerei — zwei in ihrem Wollen prinzipiell entgegengesetzte Stile. Mit- 
sunaga ist ein echter und hochbedeutsamer Meister der Yamato-Tosaschulen, Sesshu 
der kraftvollste Vertreter der chinesisch beeinflussten Richtung. Die Künstler sind aus 
zwei in ihrer Struktur ganz verschiedenen Kulturstufen herausgewachsen. Hier Fuji- 
wara-Kamakuraperiode, dort die Zeit der Ashikagashogune — Japans Gotik und 
Renaissance. 

Fujiwara no Mitsunaga war ein Kind der Übergangstage von der Fujiwara- zur 
Kamakuraperiode. Die Fujiwarazeit setzte ein mit dem Aufkommen der Fujiwarafamilie 
unter den Kaisern Uda und Daigo um das Ende des IX. Jahrhunderts. Die Kaiser 
waren damals zu vollständiger Ohnmacht verdammt — ohne dass an ihrer Existenz 
etwa gerüttelt wurde. (Diesen Ruhm hat ja Japan: immer standen die Nachkommen 
einer einzigen Familie als Herrscher an des Landes Spitze. Aber wie nirgends in der 
Welt war der angestammte Herrscher dauernd so machtlos) 250 Jahre lang, bis um 
die Mitte des XII. Jahrhunderts, leiteten die Fujiwara die Staatsgeschäfte — und das 
Land befand sich gut. Fast völliger Friede. Keine Bürgerkriege verheerten das Insel- - 
reich, wie späterhin bis zum Aufkommen der Tokugawa um 1600 fast ohne Unter- 
brechung. Handel und Industrie konnten blühen. Reiches religiöses Leben entfaltete 


282 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 2. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon“: Die Verhaftung 
Kokka, Heft 176 D 


sich aller Orten. Vor allem aber nahmen Literatur, Malerei, Plastik und Kunstgewerbe 
einen glänzenden, für die Zukunft Japans ungeheuer bedeutungsvollen Aufschwung. 

Die gesamte Kultur der Fujiwaraperiode zeigt eine deutlich nationale Richtung. 
Man begann die indischen und chinesishen Gedanken nun mit Erfolg innerlich zu 
verarbeiten oder abzustoßen. Man besann sich auf sich selbst. Ein Feudalzeitalter 
brach an. Das bedeutet nichts anderes, als daß die alten japanischen Traditionen 
der Familienherrschaft wieder gegen den von China geliehenen Einheitsgedanken 
auflebten. Gleich in den Anfang dieser Epoche fiel die Aufhebung des Verkehrs 
mit China, Sugawara no Michizane, der berühmte Minister und Gelehrte, riet im 
Jahre 895 keine diplomatischen Gesandtschaften mehr nach China zu senden, ja jeden 
Verkehr mit dem Festlande aufzugeben. In China hatten gerade die Wirren der 
sinkenden Tangdynastie und der 5 Dynastien eingesetzt. In Japans goldenem Engizeit- 
alter (901—22) wurde die erste offizielle japanishe Gedichtsammlung, das 
Kokinshu, auf Befehl des Daigo Tenno herausgegeben. Die jaganischen Kata- und 
Hiragana-Alphabete entstanden, während man bisher nur mit phonetisch gebrauchten 
chinesischen Charakteren schrieb. Eng damit hängt das Aufkommen einer natio- 
nal-japanischen Prosaliteratur zusammen. Wie die Frauen zuerst die Kanaal- 
phabete gebrauchten — Onnaji, Frauenschrift werden sie genannt — so waren sie 
auch die Schöpfer der japanischen Prosa, die jetzt im X. und XI. Jahrhundert eine nie 
wieder erreichte Höhe erstieg. Um das Jahr 980 kam das Kagero Nikki heraus, um 
1000 das Genjimonogatari der Frau Murasaki Shikibu und das Makura no Soshi der 
Frau Sei Shonagon. 

Aud der Buddhismus hörte damals auf, ein Fremdkörper innerhalb des japa- 
nischen Geistesleben zu sein. Immer untrennbarer verschmolz er mit dem Shintoismus. 
Japan begann sich seiner eigenen buddhistischen Heiligen zu rühmen. Selbständige 
japanische Sekten erstanden. Gerade in die Zeit Mitsunagas fallen die Gründungen 
einer ganzen Anzahl höchst einflußreiher Orden. Im Jahre 1124 stiftet Ryonin die 
Yuzu-Nembutsushu, 1175 Honen Shonin die Jodoshu, 1224 Shinran die Shinshu, 1253 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 283 


Abb. 3. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon“: Die Schlägerei 
Kokka, Heft 1 | o 


Nichiren die Nichirenshu, um nur einige zu nennen. Vor allem der Amidaglaube, der 
Glaube an das Paradies des Westens, an das Land „Bliss“, in dem Amida mit ihrem 
Gefolge von 25 Bodhisattwas unter Sphärenmusik die frommen Seelen empfängt, ist 
jetzt verbreitet und teilt Kunst und Literatur von seiner schönen Sehnsucht mit. Die 
ganze verhältnismäßig optimistishe Färbung des japanischen Buddhismus dürfte ein 
Produkt der Fujiwaraperiode sein. 

Wir wollen das Erwachen des Nationalen in der japanischen Volksseele 
nicht weiter verfolgen, ein so reizvolles Thema es auch wäre. Nur einige wichtige 
Faktoren, die die Yamatomalerei verständlicher machen, sollten aufgezeigt werden. 
Es lag mir daran, darauf hinzuweisen, dass in der Fujiwarazeit die gesamte 
japanischeKultur sich zu einer kräftigenSelbständigkeit gegenüber fremden 
Einflüssen durchringt; eine Selbständigkeit, die sogar in der Kamakuraperiode noch 
stärker wird und ihren Höhepunkt in der Abwehr der Mongoleneinfalle unter Kublai 
Khan in den Jahren 1274 und 1281 erreicht. Man kann also mit ziemlicher Sicher- 
heit annehmen, daß der eigentümliche Stil der gleichzeitigen Yamatomalerei — so ge- 
nannt als Gegensatz zu den fremdländischen Richtungen — in seinem Wesen autod- 
thon ist. Natürlich, die Grundlagen auch des Yamatostils müssen bis zu einem gewissen 
Grade chinesisch sein. Ein wichtiger Teil aller ostasiatischen Kultur geht ja auf China 
zurück, das wieder selbst eine Fülle von Anregungen aus Süden — Indien, und 
Westen — Babylonien, Assyrien, Griechenland, Persien verarbeitet. Die Verhältnisse 
sind denen in Europa ähnlich, wo einmal Griechenland, Rom und Italien ein Ausgangs- 
punkt aller Kultur waren. Es handelt sich darum, nicht nur immer das Gemeinsame 
der ostasiatischen Schöpfungen herauszufinden, sondern die speziellen Entdeckungen 


der einzelnen Völker kräftig zu betonen. Besonders wenn es sich zeigt, daß die 
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Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 4. MITSUNAGA. Aus dem „Jigoku-zoshi“: Marterort für Fleischesser 
Selected Relics. Band 10 D 


speziellen Entdeckungen in einem Stile das Wesentliche ausmachen. Um hier schon 
vorzugreifen: jene weltfreudige und frische Erzählungsweise, jene reiche Beweglichkeit, 
jene besondere Raumanschauung, jene schillernde und frohe Farbigkeit des Yamatoye 
dürften ein neues und originales Geschenk der japanischen Künstlerseele sein. 

So viel von den nationalen Geistesstr6mungen, die erst die Möglichkeit zu dem 
Aufkommen der Yamatomalerei gaben. Nun zu dem engeren Milieu unseres Yamato- 
meisters. Fujiwara no Mitsunaga dürfte während der Kämpfe der damals einfluß- 
reichsten Familien Japans, der Fujiwara, der Taira und Minamoto aufgewachsen sein. 
Als Knabe sieht er die seit Menschengedenken die Geschicke des Landes leitenden 
Fujiwara in den Staub sinken (1158). Der Jüngling mag den kurzen Traum der Herr- 
schaft der Taira, die die üppigen Feste der Fujiwara wiedererstehen lassen, mit auf- 
horchenden Sinnen durchkostet haben. Der Mann sieht die Taira fallen und erlebt den 
Beginn der ernsten Tage von Kamakura. So wechseln Krieg und Frieden — Zeiten 
rauschender Freuden und rauhen Kriegsgetümmels. In Mitsunaga scheinen die Schat- 
tenseiten des ihn umgebenden Treibens am stärksten wiederzuklingen. So ist seine 
Kunst von ernster und dramatischer Art. Niemals gibt er sich jener anderen Richtung 
des Yamatostils hin, die sentimentale Liebesszenen, Hoffeste und Hofzeremonien deko- 
rativ und in bewegungsloser Gemessenheit behandelt. 

Über Mitsunagas persönliche Lebensschicksale ist nur wenig Authentisches be- 
kannt. Wie ja die Daten fast aller Yamatomeister noch im Dunkeln liegen und die 
meisten Zuschreibungen noch recht unsicher sind. Sein Name beweist, daß er aus der 
vornehmsten Aristokratie seines Landes stammt. Ein einziger Bericht vermittelt einen 
festeren Anhalt über den Wirkungskreis unseres Malers. Er soll im Jahre 1173 für 
das Midoschloß ein Bild gemalt haben, daß den Kaiser Takakura darstellt, wie er den 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 285 


Abb. 5. MITSUNAGA. Aus dem „Jigoku-zoshi“: Marterort für Betriiger 
Kokka, Heft 81 O 


Hiyetempel in der Provinz Omi und die Kaiserin, wie sie den Hiranotempel in Kyoto 
besuchen. Fujiwara no Takanobu soll ihm hierbei die Köpfe der Hofchargen ausge- 
führt haben. Aus diesem Auftrag folgt jedenfalls mit Gewissheit, daß Mitsunaga einer 
der angesehendsten Maler der Zeit gewesen sein muß. Von seinem Mitarbeiter Taka- 
nobu weiß man gleichfalls nicht viel. Nur das eben erwähnte Datum, Geburts- und 
Todesjahr (1142 und 1205) und daß er der Vater des berühmten Fujiwara no Nobuzane 
ist. Nobuzanes, des Schöpfers eindrucksvoller Porträts, Emakimonos und buddhistischer 
Gôttergestalten. Mitsunaga lebt also in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts. 
Sein unmittelbarer Vorgänger, der auch auf seine Kunst bestimmend eingewirkt haben 
muß, ist Toba Sojo (1053—1140), wohl der erste bedeutsame Yamatomeister. Die 
dramatische Richtung des Yamatostils, die Mitsunaga pflegt, hat in ihm ihren Schöpfer. 


286 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 6. MITSUNAGA. Aus dem „Jigoku-zoshi“: Bishamon tötet Dämone 
Kokka, Heft 51 O 


Die lyrische Richtung der nationalen Malerei vertritt in der Zeit unseres Meisters vor 
allen Fujiwara no Takayoshi, der erste Direktor des Yedokoro, d. h. der Malakademie, 
die mit dem Kasugatempel in Nara verbunden war. Mitsunagas Nachfolger diirfte 
Sumioyoshi Keion gewesen sein, dessen Existens übrigens von Okakura Kakuzo, einem 
der hervorragendsten modernen japanischen Autoren angezweifelt wird. 

Mitsunaga werden vier groBe, je aus mehreren Emakimonos!) bestehende 
Arbeiten zugeschrieben, außerdem einige buddhistische Kakemonos. Keines der Werke 
ist wirklich authentisch. Man muß sich aber mit den traditionellen Attributionen 
begnügen, da man bisher keine besseren hat. Jedenfalls verbindet die vier Bildrollen 
eine außerordentliche Verwandtschaft, so daß ihre Herkunft von einer Hand wenigstens 
ziemlich fest steht. Ziemlich fest steht auch, daß die Werke der zweiten Hälfte des 
XII. Jahrhunderts angehören. Und das ist ja schließlich für ein Verstehen schon wichtig 
und fruchtbringend genug. 

Am berühmtesten unter Mitsunagas Werken sind die Illustrationen zu den 
Anekdoten des Ban-Dainagon im Besitze des Grafen Tadamichi in Sakai (Abb. 1—3). 


1) Emakimonos sind sehr lange, 30—40 cm hohe Papierstreifen, die der Länge nach um 
einen Elfenbein- oder Holzstab gerollt werden. Zur Besichtigung rollt man sie auf und legt sie 
vor sich hin. Die vorliegenden Reproduktionen geben immer nur Abschnitte. Die Yamatomeister 
malten in weitaus den meisten Fällen Emakimonos. Daneben kommen — nicht zu vergessen — 
Setzschirme und Kakemonos im Yamatostil vor. Die Emakimonos sind europäischen Buchillumi- 
nationen zu vergleichen. Beide hatten übrigens zur selben Zeit ihre Blüte. 


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Abb. 7. MITSUNAGA. Aus dem „Jamai-zoshi“: Ein Albino auf der Straße 
Kokka, Heft 210. D 


Uber Zeit und Verfasser des zugrunde liegenden Textes kann ich nichts Naheres be- 
richten. In den Literaturgeschichten von Florenz und Okasaki wird nichts darüber 
gesagt. Jedenfalls handelt es sich um ein Tage- oder Skizzenbuch aus der Heian- 
periode (792—1186), wie solche vielfach bekannt sind. So z. B. das Tosanikki und 
das Makura no Soshi. Ich bespreche nur die Teile der langen Bildrolle, die besonders 
charakteristish sind und am besten reproduziert erscheinen. Zuerst ihr Inhalt: Herr 
Ban-Dainagon — Dainagon ist ein alter Hoftitel — hat ein großes Verbrechen be- 
gangen. Er hat das Tor des kaiserlichen Palastes angesteckt. Auf dem ersten Bildteil 
sehen wir eine sich drängende, erschreckte Menge vor Rauchwolken und züngelnden 
Flämmchen (Abb. 1). Die nachste Szene zeigt eine Militärabteilung, die zur Verhaftung 
des Verbrechers abgeschickt ist. Dieser sucht die Schuld von sich abzulenken und auf 
andere zu schieben (Abb. 2). Inwiefern die Schlägerei der dritten Szene mit der 
Brandstiftung zusammenhängt, konnte ich nicht feststellen. — Das stilistische Haupt- 
moment des Ban-Dainagon-emakimonos ist die Konzentrierung auf reichste Be- 
wegung. Es herrscht eine fast verwirrende Unruhe auf der ganzen Rolle. Man 
findet schlechterdings keine einzige Figur, die irgendwie den Eindruck ruhigen Sich- 
gebens macht. Alles zappelt, hoppst, rennt, biegt sich nach rechts und nach links, 
blickt nach oben und nach unten, agiert mit Händen und Füßen. Vor jedem Kunst- 
werke sollte man wartend stehen, sollte man sich vorerst des Urteils enthalten. 
Erst muß klar und unzweideutig erfaßt sein: was will der Künstler, worauf legt 


288 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 8. MITSUNAGA. Aus dem „Gaki-zoshi“: Marktszene 
Kokka, Heft 208 o 


er den Hauptakzent. Mitsunaga erzählt seine Geschichte unter ausdrücklicher Be- 
tonung reih bewegter Menschenmassen. Nun ist Beschränkung auf das Hauptziel 
eins der ersten Gesetze der bildenden Kunst. Deshalb müssen viele Momente der 
Wirklichkeit negiert werden, um ein einziges klar zur Anschauung zu bringen — 
klarer als das Leben es je zu bieten vermag. Mitsunaga will uns von der Erregung 
seiner Gestalten überzeugen. So stellt er uns eine ungeheure Fülle treffender und 
überraschender Bewegungsmotive vor Augen. Es würde zu weit führen, sie hier ein- 
zeln zu verfolgen. Man müßte Figur für Figur durchgehen. Und in der Tat, es gibt 
nichts Reizvolleres, als die Aktionen einer jeden Gestalt in Gedanken nachzuschaffen. 
Was wird aber alles zugunsten dieser Bewegungskunst negiert? (Und den meisten 
Beschauern fällt gerade das, was der Meister bewußt hintenansetzte, zuerst ins Auge.) 
Da sind verrenkte Körper, da sind die unmöglichsten Hände und Füße, verkrüppelt, 
verzerrt, zu klein und zu groß, und alle nach demselben Schema gearbeitet. Doch je 
tiefer man sih in das Emakimono versenkt, um so deutlicher erkennt man, daß alle 
diese Mängel in gewisser Weise sogar Vorzüge bedeuten. Die Vernachlässigung der 
Einzelzeichnung läßt das Detail in einem größeren Ganzen aufgehen. So kann inten- 
sives Massenleben kräftiger zum Ausdruck gebracht werden. Wir kennen ja diese 
Auffassungsart aus modern-europäischer impressionistischer Malerei. An die Köpfe von 
Mitsunagas Gestalten wird sich im allgemeinen der stärkste Vorwurf knüpfen. In der 
Tat sind sie kaum besser fortgekommen als die Extremitäten. Es handelt sich bei den 
dramatischen Werken in der ganzen Yamatokunst nur selten um den einzelnen 
Menschen. Selten ist, wie wir es in Europa gewohnt sind, eine einzige Persòn- 
lichkeit Mittelpunkt der Komposition. Immer gilt es der Darstellung eines Haufens 
von Menschen, einer Masse. Jede Figur ist gleichwertig, aber auch in gleicher 


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W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 289 


Weise unbetont. Der Meister saugt sich nicht an den Gesichtern fest. Er sucht ihnen 
nur Einheitlichkeit mit dem Körper zu verleihen. 

Mitsunaga arbeitet immer mit scharf hingesetzten Umrissen. Niemals ist die 
Linie zu Flecken aufgelöst, wie man es auf chinesischen Bildern so oft finden kann. 
Die Bewegung der Figuren wird von einem reißend über das Papier eilenden Pinsel 
geschaffen. Die Figuren sind mit ausgeschriebener Hand niedergeschrieben, könnte man 
sagen. Damit ist auch ein leises Ver- 
hältnis zur Kalligraphie angedeutet. In 
der Yamatokunst ist dieses Verhältnis 
aber nicht eben viel stärker als etwa 
auf Handzeichnungen Rembrandts. Von 
wirklichen kalligraphischen Elementen 
darf man erst in der chinesisch beein- 
flußten Kunst des XV. Jahrhunderts 
sprechen, besonders bei Meistern der 
Kanoschule. 

. Ebenso interessant wie die Illustra- 
tionen zum Leben des Ban-Dainagon 
sind die zum Jigoku-zoshi, zu dem 
Hôllenbuch (Abb. 4—6). Florenz er- 
wähnt das Emakimono in seiner Lite- 
raturgeschichte. Drei Abschnitte der 
Rolle, die sich im Besitze des Herrn 
Masuda befindet, lege ich vor. Auf 
dem ersten schleppen Teufel nackte 
Bonzen, die sich an dem buddhistischen 
Fleischverbot vergangen haben, heran, 
um sie in siedendes Wasser zu werfen. 
Ein tierköpfiger Dämon trägt zwei sich 
mit Füßen und Händen wehrende Mensch- 
lein mit rasender Schnelligkeit herbei. 
Ein anderer, im Äußeren einem Ni-o 
ähnelnd, macht sich die Sache leichter. pp, 9. SESSHU. Winterlandschaft 
Der sündige Herr muß selber laufen; Selected Relics. Band 10 
und da er keine sonderliche Lust dazu 
hat, zerrt ihn der Teufel recht tüchtig. Auf der anderen Seite der Marterort selbst. 
Der Maler denkt offenbar an heiBe Sprudel, wie es solche vielfach in Japan gibt. 
Eine Anzahl Sünder brühen schon; Köpfe, Hände Füße gucken aus dem Wasser heraus. 
Dahinter gebirgiges Land. Die Art der Landschaftsauffassung erinnert überraschend 
an die des italienischen Trecento. Unsere zweite Szene spielt in dem Teil der Hölle, 
in welchem die Betrüger und Fälscher bestraft, werden. Drei anmutig anzuschauende 
Gesellen bereiten alles Nötige zur Folterung vor. In dem Feuer werden Eisenklötze 
zum Peinigen der Verbrecher glühend gemacht. Ein Oberteufel mit drei Augen, 


290 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


herabhängenden Brüsten und einer furchtbaren Schnauze scheint die Arbeit zu beauf- 
sichtigen. Das letzte Stück erzählt von einer Niederlage der Dämonen: Friedlich in 
einer Bergeinöde vor seiner Strohhütte sitzt ein Bonze. Das kleine Tischchen vor 
sich. Auf dem Tischchen ein Kasten mit heiligen Schriften. Er studiert das Saddharma- 
pundarika-sutra, das japanische Hokekyo, das Lotus des wahren Gesetzes. Da stürmen 
durch die Lüfte beflügelte ‘Geister heran, um den Frommen zu stören. Doch Vaisra- 
vana, der japanische Bishamonten, er- 
scheint auf Wolken, den Gläubigen zu 
schützen. Seine Pfeil töten einen der 
Angreifer nach dem andern. 

Eine Fülle von inhaltlichen Fragen 
drängt sich vor diesen Höllenbildern auf. 
Wie steht es um den Zusammenhang 
der Buddhistischen Hölle mit der christ- 
lich-danteschen? Wie verhält sich die 
Ikonographie aller dieser Dämonen zu 
der der indischen Garudas, Nagas und 
Yakshas usw. Der Versuch, auf alle 
diese Fragen einzugehen, würde zu weit 
führen. Daß engste Zusammenhänge 
bestehen, ist jedenfalls sicher. Nur das 
sei hier betrachtet, was die Bilder zu 
Kunstwerken macht. Die Gemeinsam- 
keiten mit dem vorigen Emakimono sind 
klar zu erkennen. Wieder rapideste 
Bewegung. Wie die Dämonen vor den 
Pfeilen Bishamons durch die Lüfte 
fliehen, ist mit großer Kraft heraus- 
gebracht. Wie wird diese Kraft noch 
verstärkt durch die friedliche Ruhe, die 
über der Einsiedlerhütte liegt (Abb. 6). 
Nicht minder temperamentvoll schleppen 
die beiden Teufel ihre Opfer heran. 
Überzeugend ist das Tragen und Sich- 
wehren sichtbar gemacht (Abb. 4). Die 
am Feuer hingelagerten Gestalten (Abb. 5) wirken ebenfalls äußerst unruhig durch 
ihre flackernden Linien. Das ist Mitsunagas Pinselstrich mit seinem kurzatmigen Lauf, 
seiner ungeheuren Nervosität, seiner nie rastenden Hast und mit seiner suggestiven Kraft. 

Aus den beiden letzten Emakimonos, dem Gaki- und Yamai-zoshi') will ich nur 
noch zwei Bildteile anführen, die besonders lebendige und inhaltlich interessante Straßen- 
szenen wiedergeben: Hier ein Albino, der von Voriibergehenden verspottet wird 


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Abb. 10. SESSHU. Herbstlandschaft 
Selected Relics. Band 10 


1) Gaki-zoshi, d. s. die Geschichten von den hungrigen Teufeln; Yamai-zoshi, Kranken- 
geschichten. 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunago und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 291 


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Abb. 11. SESSHU. Landschaft o 
Selected Relics. Band 4 


(Abb. 7); dort buntes Marktleben, in das sich durstige Ungeheuer verirrt haben 
(Abb. 8). Mit diesen Darstellungen aus dem Treiben des Volkes greift Mit- 
sunaga bereits den in Europa so bekannten Ukiyoyemeistern vor. — 

Tun wir jetzt noch einen Blick auf die räumlichen Eigenschaften unserer 
Emakimonos. Im ersten Augenblick dürfte es scheinen, als fehle ihnen jegliche einheit- 
lihe Durchführung des Raumes. Dem ist aber nicht so. Eine ganze Reihe von per- 
spektivischen Prinzipien läßt sich aus den szenischen Anordnungen herauslesen. Auf 
fast allen Blättern ist deutlich zu erkennen, daß die vorderen Gestalten, also die dem 
Beschauer näheren, kleiner sind als die hinteren, die dem Beschauer ferneren. Wir 
haben also genau das entgegengesetzte Verhältnis, wie es in Europa Brauch ist. 
Brauch ist, sage ich; denn die europäische Perspektive ist durchaus nicht die 
einzig mögliche. Dann: Entweder sind die Figuren einfach übereinandergesetzt, um 
eine klare Gliederung der Menschengruppen zu erzielen. Oder der Maler blickt von 
schräg oben und hinten auf die Bühne herab — ebenfalls aus einem wirklichkeits- 
unbekümmerten Klarheitsstreben heraus. Anßerdem, auf keiner unserer Szenen ist 
ein Horizont zu sehen. Bald agieren die Menschen ohne jede Milieuangabe im 
Leeren, bald haben wir eine bescheidene Angabe des Terrains und Wolkenstreifen 
in der vordersten Raumschicht als Ersatz für den Horizont und als Abschluß 
nach vorne zu. Diese Momente sind in der ganzen Yamato-Tosakunst wiederzufinden 
und noch eine ganze Anzahl hierhin gehöriger mehr, zu deren Anschauung unsere 
Beispiele keine Gelegenheit bieten. Ich will jetzt nicht versuchen, dem Ursprung und 
der Synthese dieser Raumgedanken nachzugehen. Nur die Existenz ganz bestimm- 
ter, vollberechtigter Raumgesetze sollte konstatiert werden. Noch eines: Daß 
diese Gesetze so wenig auf wissenschaftlihe Eroberung der Wirklichkeit 
gerichtet sind, kommt daher, daß japanische Malerei immer eine Kunst der Sug- 
gestion ist und nicht eine Kunst der Naturnachahmung. Die Phantasie des Beschauers 
soll aufs regste zur Mitarbeiterschaft herangezogen, soll aber auch in die Welt des 
Künstlers gezwungen werden. 

Fujiwara no Mitsunaga ist ein Maler, in dem echter Japanergeist zum Aus- 


292 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


druck kommt, ein Maler, der die Ideale der Yamatoschulen mit besonderer Kraft ver- 
tritt. Reiche Phantasie, eine ausgeprägte Freude an der Beobachtung des umgebenden 
Lebens, an der Beobachtung von Hoch und Niedrig (man denke an die Höllenbilder 
und an die Straßenszenen), lebhafteste Vorliebe für Farben und ein tiefer Drang seine 
Geschöpfe nie rasten und ruhen zu lassen sind seine bestechendsten Eigenschaften. 
Mitsunaga ist ein Meister der Massendarstellungen. Die Yamatoschulen kultivieren ja 
dieses Motiv schon an sich gerne; aber unser Maler bewältigt es am vorzüglichsten. 
Er dürfte darin sowohl Toba Sojo, wie Sumiyoshi Keion übertreffen. Im Einzelnen 
setzt immer wieder die Kraft und Intensität in Erstaunen, mit der es Mitsunaga gelingt, 
das Hinweisen, das Beifallsklatschen, das Zuschauen, das Sich-umwenden, das Neu- 
gierig-heranstürzen, das Angstlich-sich-abwenden usf. herauszubringen.° Eng hiermit 
hängt seine auffallende Beherrschung überraschender Verkürzungen zusammen. Das 
beweist deutlich, daß den japanischen Maler die Bewältigung von Verkürzungsproblemen 
wohl beschäftigt. Alles in Allem Mitsunagas Kunst steht in vollem Gegensatz 
zu der unseres zweiten Malers, Sesshus, der sein Größtes und Bestes Chinas 
gewaltiger Kultur zu verdanken hat. — 

Sesshu ist der feinste künstlerische Extrakt der Ashikagazeit (1333—1573). 
Immer komplizierter wird es, die in Japan herrschenden Geistesstr6mungen zu erfassen, 
je weiter wir in der Zeit vordringen. Die Seele der Ashikagaperiode nachempfinden 
zu wollen, möchte eine besonders schwierige Aufgabe sein. Drei Momente bilden, 
scheint es, die Grundpfeiler des Zeitabschnittes, der seinen Namen nach den damals 
regierenden Shogunen aus der Familie der Ashikaga erhalten hat: Die fortgesetzten 
Bürgerkriege mit ihren Folgen, die erneute Verehrung alles Chinesischen und 
schlieBlih der übermächtige Einfluß der Zensekte. Auch die Kamakurazeit, die 
Fujiwara- und Ashikagaperiode verbindet, war reich an Kriegen. Aber damals hielt 
man den Krieg für die notwendige, ja für die einzig würdige Beschäftigung des Adels. 
Es war ebenso, wie in dem höfischen Mittelalter Europas, das ja noch viele andere 
Gemeinsamkeiten mit der Kamakurazeit aufweist. So den Minnedienst, den Bardensang, 
die Rittergeschichten und die religiöse Sehnsucht. Seit dem Anfang des XIV. Jahr- 
hunderts aber hatten die lange Dauer und die furchtbaren Verwüstungen aller Orten 
die Kriege unerträglich gemacht. Hinzu kommt, daß die Sitten des Krieges naturge- 
mäß immer roher, die Soldateska immer zuchtloser wurden. Die gleichzeitige Literatur 
ist voll von Klagen über die Unsicherheit und Verödung des Landes. Der zweite 
Punkt: Der Verkehr mit China, lange fast gänzlich unterbrochen, wurde wieder 
reger. Anfangs vor allem durch die chinesische Einwanderung. Die Angriffe der 
Mongolen gegen China veranlaßten auch viele Künstler zur Überfahrt nach Japan. 
Sie brachten die chinesische Kunst der Sung- und Yüan-, das ist der Mongolen- 
dynastie, in das Inselreih. Um 1360 wurden dann die Mongolen aus China verjagt. 
Es begann die Zeit der Mingkaiser, nicht gerade bedeutsam für die bildende Kunst, 
um so mehr aber in Politik und Literatur. China stand in den Augen Japans wieder 
so gewaltig da, daß der Ashikagashogun Yoshimitsu um 1390 eingewilligt haben soll, 
einen Tribut an China zu bezahlen, um vom chinesischen Kaiser als König von 
Japan anerkannt zu werden. Nicht nur auf das zeitgenössische China blickte Japan 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 293 


Abb. 12. SESSHU. Landschaft © 
Selected Relics. Band 4 


voller Verehrung, sondern auf die ganze glorreiche Vergangenheit des Landes der 
Mitte. Und Japan war jetzt in ganz anderer Weise gerüstet, sich in Chinas Kultur 
einzuleben als früher in der Suiko- und Naraperiode (VII. und VIII. Jahrhundert). Denn 
es hatte eine fünfhundertjährige eigene Geistesentwicklung hinter sich. Wir kommen 
zu dem Hauptpunkt. Die Zensekte zog die gesamte japanische Intelligenz in ihren 
Bann. Schon in der Kamakurazeit begann der Aufstieg der durchgeistigten Lehre 
Bodhidharmas. Und je ungünstiger die Zeitverhältnisse wurden, je mehr die frische 
Naivität des Japaners dahinsank, je mehr der EinfluB von China sich geltend machte, 
um so weiteren Boden gewann die Zenphilosophie. Ich will hier nur einige Hin- 
weise geben. Taoistische, neokonfuzianistische Gedanken vermischen sich in der Zen- 
philosophie mit buddhistischen. Der Geist steht im Weltganzen am höchsten. Durch- 
geistigte Schönheit ist das Lebensprinzip des Universums. Sie atmet in dem Silber- 
schein des Mondes, in dem Perlenstaub des Wasserfalles, in dem Schleierdunst der 
Atmosphäre, in den ziehenden Wolken, in dem Wandern des Bächleins und im Da- 
hinbrausen des Stromes. Der Mensch sollte alles Nichtige ablegen und sich von allen 
Außerlichkeiten unabhängig machen. Der Sieg über seine Gelüste ist das Erhabenste, 
was er erstreben kann. Von dem Trubel der Welt sollte er sich zurückziehen und 
nur den Geheimnissen der Natur und seines geläuterten Herzens lauschen. So wird 
ihm der äußere bunte Flitterschleier von den Dingen der Welt abfallen und ihre innere 
Schönheit sich enthüllen. Die geistige aus der Tiefe leuchtende Schönheit in schlichter 
Einfachheit anschaulich zu machen, ist das hohe Ziel der Kunst. — Ohne diese Ge- 
danken, die die Zensekte und ihre Zweige, die Rinzai- und Sotosekte in Japan 
predigten, wäre die Kunst der Ashikagazeit unverständlich. Es ist klar, daß die naive 
Yamato-Tosakunst alle diese Ideen nicht zum Ausdruck zu bringen vermochte. Solchen 
Zielen entspricht eine weltfremde romantische Kunst, die durchgeistigte, meditierende 
Gestalten schafft, die Seele und Stimmung der Natur zu erfassen sucht, So wurde die 
edle Sungmalerei Chinas zum hehren Vorbild für den japanischen Bildner. Er blickte 
sehnsüchtig zu ihr auf, wie der Mensch des italienischen Quattro- und Cinquecento 
zur Antike emporsah. 


294 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Schon im XII. Jahrhundert wurde in Japan hier und da in chinesishem Sung- 
stile gemalt. Wirkliches Heimatsrecht in Japan erhielt das Karaye, d. h. das Chinabild, 
erst mit den Meistern Cho Densu (1352—-1432) und mit Josetsu (cr. 1394 — 1428). 
In Josetsus Atelier arbeiteten, so wird erzählt, 
als Schüler Shubun, Sesshu und Kano Masa- 
nobu. Diese drei Meister gründeten die drei 
wichtigsten japanischen Malersculen 
chinesischen Einflusses: die Shubunschule, auch 
ältere chinesische genannt, die Sesshu-, auch 
Unkokuschule genannt und die Kanoschule. 

Über die Maler der Ashikagaperiode und 
ihr Oeuvre sind wir viel besser orientiert, als 
über die der vergangenen Fujiwara- und 
Kamakurazeit. Sesshus Leben ist mit einiger 
Klarheit zu übersehen, wenn auch von einer 
chronologischen Einordnung seiner Werke noch 
nicht die Rede sein kann. Der Künstler ist im 
Jahre 1420, also unter dem Shogunat des 
kunstsinnigen Ashikaga Joshimochi, der selbst 
Maler war, geboren. Schon mit 13 Jahren 
trat er in ein Kloster der Zensekte ein. Doch 
das Studium der buddhistischen Schriften ent- 
sprach nur wenig der Neigung des Jünglings. 
Unwiderstehlih zog es ihn zur Malerei hin. 
Trotz des Unwillens seiner Lehrer ließ er nicht 
von seiner Leidenschaft ab. Später finden wir 
ihn in dem Kloster Shokokuji zu Kyoto, als 
Schüler der Maler Josetsu und Shubun. Denn 
auch diese Meister waren wie fast alle Künstler 
der Ashikagazeit Bonzen. Malende Mönche 
— wem kommt da nicht Fra Angelico in den 
Sinn, der Malermönch von St. Marco in Florenz. 
Im Jahre 1465 oder 1468, also als gereifter 
Mann, verließ Sesshu Japan zu einer längeren 
Reise nach China. Mochte ihn nun innere 
Abb. 13. SESSHU. Goldfasan und Kiefer Unzufriedenheit dazu veranlaßt haben — oder 

Kokka, Heft 60 è war es für einen Maler überhaupt Sitte, 

nach China zu gehen, dem Lande der maB- 

gebenden Kunst. Wie etwa für einen Dürer die Italienreise das größte Ereignis 
seines Lebens war. In China herrschte damals der Mingkaiser Hsien-tsung. Die 
Malerei der Mingzeit konnte dem hochstrebenden Geiste Sesshus keine neuen Bahnen 
weisen. In der Tat ist die chinesische Malerei des XV. und XVI. Jahrhunderts mit 
wenigen Ausnahmen Dekadenzkunst. Sie steht auf demselben Niveau, wie z. B. die 


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W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 295 


italienische Malerei nach dem Tode Michelagniolos. Die Vasari, die Caracci, die Bas- 
sani, die Domenichini waren am Ruder. Unzahlige Werke wurden in den Malfabriken 
Chinas hergestellt. (Vor den chinesischen Gemälden der Berliner Akademieausstellung, 
die fast nur Werke aus der Mingzeit enthält, 
sollte man das alles nicht vergessen.) Un- 
befriedigt, so wird berichtet, sucht Sesshu 
nun von der Natur allein zu lernen. Wenn 
es auch unleugbar ist, daß unser Meister 
einige auffallend naturwirkliche Landschaften 
gibt, die fast an Hiroshige mahnen, so ist 
doch diese Behauptung nur bedingt zu nehmen. 
Viel verständlicher wäre die Angabe, daß er 
die Kunst der Sungzeit studiert, die so 
unendlich viel höher steht als die der Ming- 
dynastie. Von den großenSungmeistern er- 
scheinen Ma Yüan, Hsia Kuei, Liang Kai, 
Mu-chi und Yen Hui am meisten auf ihn 
eingewirkt zu haben. Sesshu bekleidet in 
China die Stelle eines höheren Priesters an 
einem Tempel. Später reist er im Lande 
umher und besucht viele berühmte Örtlich- 
keiten. Es werden wohl jene landschaftlich 
hervorragenden Gegenden an den Flüssen 
Hsiao und Hsiang gewesen sein, die den 
chinesischen Landschaftern die Anregung zu 
einer stereotypen Folge von acht Landschaften 
gegeben haben. Inzwischen ist der Kaiser 
Hsien-tsung auf unsern Künstler aufmerksam 
geworden. Sesshu erhält den Auftrag, den 
Zeremoniensaal des kaiserlichen Palastes aus- 
zumalen. Eine solche Auszeichnung war für 
einen japanischen Künstler unerhört. Der 
Herrscher des als Wiege aller feineren Kultur 
angestaunten China hält einen japanischen 
Maler für würdig, sein Schloß mit Fresken 
auszuschmücken. Nicht zuletzt auf diesem 
Auftrag beruht Sesshus so großer Ruhm in 
Japan. Hochangesehen kehrt der Meister in Abb. 14. SESSHU. Falke 

Jahre 1469 oder 1470 in seine Heimat zu- Kokka, Heft 210 

ruck. Dort griindet er den Tempel Unkokuan 

in Yamaguchi und lebt in ihm viele Jahre. | Nach diesem Tempel wird Sesshus Schule 
auch Unkokuschule genannt. Doch er sollte sich nicht der ungestörten Ruhe des Alters 
erfreuen. Er wird vor dem Daimyo von Suwo aus irgend einem Grunde verleumdet 


296 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


und daraufhin nach Otoyoshi verbannt. 


Dort stirbt er im Kloster Daikian, hochbetagt 


im Alter von 86 Jahren. Sein Einfluß auf die japanische Kunst war ungeheuer. Viele 


Abb. 15. SESSHU. Hakadıo 
Kokka Heft 214 © 


Schüler hatten sich um ihn gesammelt. Die 
hervorragendsten waren Sesson und Shugetsu. 
Sesshu war eine höchst komplizierte Natur. 
Heute würde man ihn vielleicht dekadent 
nennen. Bevor er an die Arbeit ging, so 
wird erzählt, pflegte er sich erst ordentlich 
Begeisterung anzutrinken. Beim Trinken spielte 
er die Flöte oder sang japanische und chine- 
sische Lieder. Dann ergriff er plôtzlich den 
Pinsel und schuf sein Werk in einem Zuge. 
Der Meister hat ein äußerst umfangreiches 
Oeuvre hinterlassen. Doch viele Zuschrei- 
bungen sind noch strittig. Ich habe nur einige 
typische Beispiele ausgewählt, um die ver- 
schiedenen Arten seiner Malweise einigermaßen 
charakterisieren zu können. Schufen Mitsu- 
naga und die Yamatomeister vor allem 
illustrierende Emakimonos, so geben 
Sesshu und die Ashikagamaler weitaus 
zum größten Teile wandschmückende Kake- 
monos. Daneben kommen auch Fusuma- 
malereien, Setzschirme und Emakimonos vor. 
Waren Mitsunagas Schöpfungen reichfarbig, 
so sind Sesshus meist monochrom. Die Re- 
produktionen vermitteln also hier eine adae- 
quatere Vorstellung der Originale, als es bei 
den bunten Blättern Mitsunagas möglich war. 
Ich bespreche zuerst zwei Kakemonos einer 
Serie von vier Landschaften aus dem Be- 
sitze des Marquis Kuroda, die die vier Jahres- 
zeiten darstellen sollen — eines der belieb- 
testen Motive chinesischer Landschaftskunst. 
Jedes Stück hat ein mittleres Format, wie es 
auch in Europa allgemein gerne genommen 
wird. Außerdem zwei Abschnitte eines Land- 
schaftsemakimonos aus dem Besitze des Fürsten 
Mori, das 40 cm hoch und sehr lang ist. 


Winter und Herbst sind die Titel der beiden Kakemonos (Abb. 9 und 10). 
Im Winter sitzt der einsame Eremit in seiner Hütte und genießt den Anblick der 
schneebedeckten Bergwelt. Im Herbst liegt er verträumt in seinem Boot und angelt. 
Beide Motive sind in der chinesischen und chinesisch-japanischen Kunst immer wieder 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 297 


zu finden. Stimmen sie doch so recht zu dem naturbegeisterten und weltfernen Ideal 
der Zensekte. Auf beiden Werken ein enger Bergkessel. Dicht vor uns bauen sich 
die mächtigen, zackigen Felsen auf. Und gewaltige Baume mit weit ausladendem Geäst 
nehmen den letzten Rest von Luft. Das ist die Weise der nördlichen Schulen Chinas, 
die der dramatischen Richtung im Yamatoye entsprechen dürfte. Die südlichen Schulen 
Chinas lieben weich sich neigende Hügel 
und offneres Gelände — keine heroischen, 
sondern lyrische Stimmungen. Das Winter- 
bild ist weit ernster gehalten als die Herbst- 
szene. Kein befreiender Ausblick, kein Laut 
mildert den Druck der aufgetürmten Mauern. 
Auf der Herbstszene stürzt ein Gießbach 
brausend heran — auf der einen Seite Öffnet 
sich das Tal und läßt das Auge frei und er- 
löst in die endlose Ferne schweifen. Solche 
effektvollen Nüancen gelingen nur einem 
Sesshu, dem größten Meister des Karaye. 
Auch der wuchtige Aufbau der Landschaften 
in seiner großen Einfachheit und vor allem 
die luftperspektivischen Wirkungen. Denn 
ähnlich wie in der europäischen Malerei ist 
auch in der chinesisch beeinflußten die Fein- 
heit der Tiefenwirkungen ein wichtiges Ele- 
ment des ästhetischen Eindrucks. Allerdings 
wird die Tiefe mehr durch die Beobachtung 
atmosphärischer Erscheinungen, durch Ab- 
schattierung der chinesischen Tusche hervor- 
gerufen, als durch voluminös modellierte Fels- 
formationen, durch räumlich klare Verbin- 
dungen, durch nach hinten führende Wege oder 
Ströme. Man beachte wie die Nebel um die 
Berge spielen, wie die Bäume allmählich 
immer mehr in der Luft verschwinden Abb. 16. SESSHU. Bodhidharma 

und schließlich kaum noch bemerkbare Selected Relics. Band 15 
Schatten bilden. 

Die beiden eben besprochenen Landschaften sind in ihrem Gerippe typische Bei- 
spiele chinesisch-japanischer Landschaftsmalerei. Keine Naturausschnitte, sondern 
komponierte idealistishe Szenen nach Stilprinzipien, wie sie etwa einen Claude 
Lorrain bestimmten. Das schließt, wie sich von selbst versteht, nicht Naturstudien aus. 
Im Gegenteil, vorerst sind alle Details aus der Natur genommen. Und der Maler 
muß den Aufbau des natürlichen Geländes mit besonderer Intensität studieren und 
dessen Stimmungsgehalt nachzuempfinden suchen, um dann aus eigener Phantasie so 
überzeugende Landschaftsstücke schaffen zu können. Die Kompositionsweise solcher 


298 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Werke ist weder in Europa, noch in China und Japan sehr mannigfaltig. Bald hat 
sih ein gewisses Schema herausgebildet. Und nur dem Größten gelingt es, dieses 
Schema mit kraftvollem Leben zu erfüllen. Sesshu sprengte sogar bisweilen das Schema. 
Die beiden anderen Landschaftsbeispiele beweisen das. Die Rolle, zu der sie gehören, 
gilt als des Meisters bedeutendstes Werk. Sie ist datiert und stammt aus der Spät- 
zeit des Malers, als er 67 Jahre alt war. Hier versteht man den Ausspruch der ja- 
panischen Quelle, daß Sesshu die Natur zur Lehrmeisterin nahm. In der Tat sind so 
naturwirklihe Landschaften in der Kunst der früheren Ashikagazeit vielleicht 
einzigartig. Es muss sich direkt um eine Arbeit nach der Natur handeln. Schon die 
größere Greifbarkeit, in die das Ganze für den Beschauer gerückt ist, zeigt das. Noch 
mehr aber gewisse Details. Im Allgemeinen spielt das Detail in der chinesisch beein- 
flußten Landschaftsmalerei fast gar keine Rolle. Der Blick des Malers ist auf das 
Ganze gerichtet, auf die Stimmung. Wo ein Detail mehr in den Vordergrund treten 
soll, wird es fast immer sehr schematisch gegeben. Auf Sesshus Rolle von 1497 aber 
sind die Einzelheiten überraschend frei behandelt. Das Wasser nicht nach dem be- 
kannten Wellenshema. Der mächtige Felsvorsprung führt, auffallend scharf durchmo- 
delliert, in die Tiefe. Die Raumtiefe selbst ist so hervorragend durchgeführt — dies- 
mal nicht nur durch athmosphärische, sondern auch durch lineare Mittel — wie höchstens 
noch bei einigen Landschaften Kano Motonobus. Der Charakter der Bäume ist per- 
sönlicher gefaßt, als man es sonst gewohnt ist. Eine Pagode ragt hervor. Daneben 
findet sich natürlich Schematisches genug. So die Zeichnung einiger Felspartien, der 
Häuser, der verschwimmenden Berge. 

Sowohl die Landschaftsserie, wie das Landschaftsemakiono sind einfarbig. 
Einige zarte Farbenandeutungen auf den Jahreszeitenbildern verändern den Charakter 
des Monochromen kaum. Monochromie symbolisiert so recht die Sehnsucht nach Inner- 
lichkeit, Selbstentsagung und Einfachheit der Künstlermönche aus der Ashigagazeit. 
Es ist, als wenn alle AuBerlichkeit abgelegt ist und nur die Seele spricht. Einfarbig- 
keit ist eigentlich ein falscher Ausdruck. Denn eine der feinsten Eigenschaften der 
Ashikagamalerei ist gerade der Reichtum an Nüancen, die sie aus der Schwarz-weiB- 
und Schwarzbraunskala herauszuholen weiß. Und wieder steht Sesshu an der Spitze. 
Eine wunderbare Tonigkeit liegt über seinen Landschaften. Vom tiefsten vollsten 
Schwarz gleitet er bis zu dem leisesten Verklingen der Halb- und Vierteltöne. 

Noch drei Tier- und drei Figurenkakemonos, sämtlich bezeichnet, ziehe ich her- 
an. Drei verschiedene Auffassungsarten. Der Goldfasan (Abb. 13) auf dem Kiefern- 
stamme ist farbig. Man vergleiche diese Farbigkeit mit der auf Mitsunagas Werken. 
Keine bunte Farbenfreude, sondern gemessene Zurückhaltung. Das reich variierte 
Schwarz behält den Hauptakzent und wird durch ein dreifach gestuftes Rot belebt. 
Von monumentaler GroBartigkeit ist der monochrome Falke (Abb. 14). Die GroB- 
zügigkeit wird durch die sichere Raumfüllung, durch die Einfachheit der Körperbe- 
handlung, durch die imponierende Silhouette und das geschickt untergeordnete Beiwerk 
erreicht. Der Eindruck des weichen Gefieders ist nur durch Aussparen vermittelt, Einige 
Pinselspritzer suggerieren die Umgebung. — Auf dem letzten Vogelbilde (Abb. 15) — 
ein Hakacho auf einem Zweige — ist die Einfachheit noch gesteigert. Die wenigen 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 299 


Details durch Aussparen. Ein paar Ziige zaubern einen Zweig hervor. Die Zierlich- 
keit des Vogels wird betont, während bei dem Falken Kühnheit und Kraft zu uns 
sprechen. Dort eine glänzende leuchtende Tönung, hier eine matte, stumpfe. Das ist 
die echte Symbolik der japanischen Tiermalerei, daß man vor dem einem Werk 
sagen kann, es stelle etwa kühne Kraft, 
vor dem anderen, es stelle zierliche Grazie 
dar. Die literarischen und tradionellen Ver- 
knüpfungen sind für den ästhetischen Wert 
nur sekundär. 

Zum Schluß drei Figurenbilder. Da 
blickt uns Bodhidharma (Abb. 16), der Gründer 
der Zensekte, mit seinen liderlosen Augen 
durchdringend an. Zahllos sind diese Bod- 
hidharmaköpfe, diese Dokumente des Zenein- 
flusses, in der Ashikagazeit. Ein besonders 
schönes Original von Soami, einem Zeit- 
genossen Sesshus, haben wir in Berlin in 
der Sammlung Gustav Jakoby. Sesshus 
Dharma offenbart die Macht konzentriertester 
Linienkunst in ihrem letztem Höhepunkt. 
Mit überraschend wenigen Linien und 
Wischern ist die Büste in den Rahmen ge- 
setzt, völlig rund. Gerade die Sparsamkeit 
der Mittel macht es, daß uns die aus diesem 
Kopfe sprechende Persönlichkei geradezu 
aufgezwungen wird. Sold eine ideale 
Heiligengestalt kann an edler Innerlichkeit 
Dürers Aposteln an die Seite gestellt werden. 
— Die zweite Figurendarstellung (Abb. 17) 
zeigt die lieblihe Kwannon, die gnaden- 
reihe Göttin. Wurde in der Fujiwarazeit 
Amida, die Herrin des Paradieses, besonders 
verehrt, so jetzt Kwannon. Eine große Ver- 
änderung in der künstlerischen Auffassung 
der buddhistischen Gottheiten im Vergleich 
zu früher hat stattgefunden. Keine gnosti- pp. 17. SESSHU. Kwannon o 
schen Begriffsgestalten mehr, sondern wirk- Selected Relics. Band 15 
liche Menschen in landschaftlicher Umgebung. 

Eine lieblihe Frau ist das eigentlihe Thema geworden. Der Bildraum ist außer- 
ordentlich überfüllt. Vermutlich unter dem Einfluß der chinesischen Mingmalerei. 
Aber die Überfüllung ist klug in den Dienst des Motivs gestellt Auf einem über- 
hängenden Felsen sitzt Kwannon. Unter dem Felsen stürzt ein Gießbach dahin, der 


von ganz ferne herkommt; sechs Windungen sind zu verfolgen. Ein mächtiger Drache 
21 


300 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


ringelt sich unter dem Göttersitz hervor. Von allen Seiten drängen hohe Felsen und 
eine knorrige Kiefer entfaltet ihr zackiges Geäst. Die Wirkung des Bildes beruht auf 
dem überraschenden Gegeneinander der weichlinigen Kwannongestalt in ihrem lichten 
Gewande und mit dem leuchtenden Heiligenschein zu der wuchtig gezeichneten fast grausigen 
Umgebung. So wird die Göttin zur Friedens- 
bringerin, zur Weltenberuhigerin. — Ebenso 
überfüllt ist die Darstellung Jurojins, des Gottes 
der Langlebigkeit, eines der berühmten sieben 
Glücksgötter (Abb. 18). Hier wird in tief- 
sinniger Weise das Verwobensein des Zen- 
menschen mit der Natur symbolisiert. Denn 
Niemand anders als ein frommer Eremit steht 
vor uns, trotz seiner besonderen Attribute. 
Von Kiefern-, Bambus- und Umezweigen um- 
rankt, einen sich anschmiegenden Hirsch zur 
Seite, lehnt der alte Mann an einem Kiefern- 
stamm. In sein durchgeistigtes Gesicht hat 
Grübeln und Meditieren tiefe Runzeln gegraben. 
Vor diesem Werke darf man nicht an Tiefen- 
wirkungen und verschwimmende Fernen denken; 
denn der Eindruck eines Gobelins, eines Teppichs 
ist viel eher beabsicht. Trefflih paßt dazu 
die Komposiion, die alles ineinander verwebt, 
die Bildfläche teppichartig füllt und doch die 
Gestalt deutlich hervortreten läßt. 

Sesshu ist einer der bedeutendsten Maler, 
die Japan hervorgebracht hat, jedenfalls der 
größte Landschafter. Er ist ein ganz strenger 
und ernster Meister. Seine Landschaften atmen 
immer heroischen und dramatischen Geist und 
verlieren sich fast nie in lyrisch-sentimentaler 
Stimmungsmacherei. Sie werden auch nie 
genrehaft. Denn etwa auftretende Menschen 
Abb. 18. SESSHU. Jurojin verschwinden meist in der Umgebung. Auch 

Kokka. Heft 111 die Figurendarstellungen fügen sich dieser 

Strenge. Sesshu bevorzugt das ideale Einzel- 

porträt. Weder jene humoristischen Gruppen, wie Hanshan und Shite’) oder die wein- 
kostenden Eremiten ') noch die die vielfigurigen Idyllen, die die vier Hauptbeschäftigungen 
der Weisen behandeln '), dürften den Meister zur Gestaltung angeregt haben. Dieselbe 
Schlichtheit bei den Tierbildern. Fast alle Werke Sesshus sind monochrom. So ver- 
langte es das Wollen der Zeit. Aber Sesshu weiß wie nur wenige, einen überraschen- 


1) Beliebte Motive der chinesisch beeinflußten Schulen. 


W. Cohn. Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst und ihre Zeit 301 


den Reichtum an Tönen der Schwarzweißskala zu entlocken. Die Japaner schätzen an 
dem Meister den Pinselstrid am höchsten. Auch zu uns spricht Sesshus Genius über- 
zeugend aus seinen kühn hingeworfenen, im Ausdruck fast überspannten Linien. 

Ich bin mir bewußt, auch nicht im entferntesten Mitsunagas und Sesshus Man- 
nigfaltigkeit und Bedeutung zur Anschauung gebracht zu haben. Dazu ist vor allem 
der Rahmen eines Aufsatzes zu eng. Und dann lag es auch gar nicht in meiner Ab- 
sicht. Ich wollte viel mehr den Gegensatz zwischen Yamato- und chinesisch 
beeinflußter Malerei in ihren wichtigsten Vertretern charakterisieren. Mit- 
sunaga ist ein SproB aus ritterlicher Familie, Sesshu ein Bonze. Jener erzählt bunte 
und phantastische Geschichten, läßt Menschen agieren, deren karikaturnahe Gesichter 
nur physische Tätigkeit verraten. Dieser schafft durchgeistigte Idealgestalten. 
Dort Japaner aus allen Klassen des Adels und des Volkes, in Zeittracht und auf den 
Straßen ihrer Städte. Hier chinesische Eremiten inmitten der Großartigkeit der Natur. 
Aber für Sesshu ist die Menschendarstellung überhaupt nicht mehr der einzige Stoff- 
kreis, sondern die ideale Landschaftsmalerei beherrscht neben Tiermotiven weitaus zum 
größten Teil sein Streben. Bietet Mitsunaga miniaturistische Emakimonos in reichem 
Kolorit, so gibt Sesshu vor allem wandschmückende monochrome Kakemonos. Und 
sogar seine Emakimonos haben den illustrierenden Charakter verloren. Sesshus Raum 
weitet sich nach Prinzipien, wie sie auch in Europa üblich sind. So lehrt es ja das 
chinesische Vorbild. Mitsunaga und die Yamatoschulen wenden die „umgekehrte Per- 
spektive“ an. Jener arbeitet mit kräftigem Pinsel in wuchtigen Zügen, dieser mit 
feinerem Pinsel, gleichsam illuminierend. Das sind die auffallendsten Stildifferenzen, 
die sich auf unsern Beispielen verfolgen jieBen. 

Und noch Eines: Mitsunaga und Sesshu bezeichnen die historisch wichtigsten 
Perioden japanischer Malerei, europäischer Gotik und Renaissance vergleichbar. Nach 
diesen Zeilabschnitten ist die Schöpferkraft des japanischen Genius zu ermessen. Da- 
mals wurden die Grundlagen zu allen kommenden Stilen gelegt. Ebensowohl 
zu Korins Dekorationsstücken und zu Okyos Realismus, wie zum Ukiyoye. Ohne die 
Kenntnis dieser Perioden ist ein wahres umfassendes Verständnis der japanischen 
Malerei unmöglich. Dabei sei nicht vergessen, daß trotz der imponierenden Großartig- 
keit Sesshus ein Schöpfer wie Mitsunaga für die Japanische Kunst unendlich viel be- 
deutsamer erscheint. Ist doch Mitsunaga ein echtes Produkt seines Landes, ein Ver- 
kinder japanischen Wollens tind Fühlens. Sesshu aber bleibt der Interpret fremder 
Errungenschaften und fremder Größe. Er ist ein Japaner, der chinesisch fühlt, wie 
etwa Thorwaldsen ein antik empfindender Germane sein dürfte. — 


G7 


Abb. 1. PIETER LASTMAN: Bathseba bei der Toilette Holz 42><63 
D St. Petersburg, Sammlung Zabielsky 


Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 
Von Kurt Freise (Haag) 


Um es gleich vorweg zu sagen: es kommt mir in diesen Zeilen nicht darauf 
an, wieder einmal eine neue „Entlehnung“ Rembrandts bei Lastman festzustellen. 
Wenn ich aber doch ein Gemälde mit der Darstellung der Bathseba bei der Toilette 
von Pieter Lastman (in der Sammlung Zabielsky in St. Petersburg) den beiden Bildern 
gleichen Gegenstandes von Rembrandt (in der Sammlung Jhr. Steengracht im Haag 
und in der Sammlung La Caze im Louvre) gegenüberstelle, so geschieht das in der 
Absicht, zunächst zu zeigen, eine wie viel höhere Stufe Rembrandts Schépfungen 
gegenüber dem Machwerke des einst so gefeierten „Akademikers“ aus der sogenannten 
vor-Rembrandtischen Amsterdamer Zeit bedeuten. Das wird ohne größere Schwierig- 
keiten deutlich gemacht werden können. In zweiter Reihe — aber als Hauptsache — 
möchte ich dann die beiden Bathsebabilder von Rembrandt für sich losgelöst von der 
Arbeit Lastmans betrachten, gegen einander abwägen und der eminenten Höherent- 
wicklung, die sich bei Rembrandt, ich möchte sagen von Bild zu Bild vollzieht, einmal 
in diesen beiden Gemälden, die zeitlih durch elf Jahre von einander getrennt sind, 
näher nachgehen. Gleichzeitig kann dann diese Betrachtung der Bathsebabilder Rembrandts 
auch gewissermaßen als eine Ergänzung der Ausführungen Dr. Valentiners über des 
Meisters Susannadarstellungen in der „Zeitschrift für bildende Kunst“ N. F. XIX, 1907/08 


K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 303 


Abb. 2. L. BRAMER: Nadhzeichnung eines Gemäldes von P. Lastman in der 
Sammlung Zabielsky in St. Petersburg D 
O Amsterdam, Rijksprentenkabinet 


S. 32—38 angesehen werden, insofern als das Susannathema artistisch-künstlerisch mit 
dem Thema Bathseba in Zusammenhang steht. Beide Male handelt es sich um die 
Darstellung einer im Mittelpunkte der Handlung stehenden weiblichen Aktfigur. 

Die äußere Veranlassung zur gemeinsamen Beharidlung dieser drei Bathseba- 
darstellungen gab mir die Auffindung des hier zum ersten Male abgebildeten Gemäldes ` 
von Lastman in der Sammlung Zabielsky (Abb. 1), das bisher für versdiollen galt und 
nur ungenügend aus einer rasch hingeworfenen Kreideskizze danach von Leonard Bramer 
(Abb. 2) bekannt war’). Diese Zeichnung gab das Original sehr oberflächlich wieder. 
Sie ließ aber doch schon das erkennen: daß „diese Bathseba von Rembrandts Lehrer 
offensichtlich das Prototyp gewesen ist für Rembrandts Gemälde in der Sammlung 


1) Diese Zeichnung, die ich hier auch erstmalig abbilde, befindet sich im Rijksprentenkabinet in 
Amsterdam und ist dort zusammen mit 55 anderen Nadhzeidinungen von derselben Hand nach 
Gemälden in ein Album geklebt, über das E. W. Moes in Oud Holland XIII (1895) auf Seite 182ff. 
geschrieben hat. — Die Zuschreibung der Zeichnung an L. Bramer rührt von Dr. Hofstede de 
Groot her (Oud Holland XIII, Seite 240). Ich selbst wurde auf das Gemälde hingewiesen durch 
eine Beschreibung desselben von P. v. Semeonoff im Katalog seiner Gemäldesammlung (1906, 
Seite XXXI). Meine erste Vermutung, daß dies Bild das Original zu jener Nachzeichnung von 
Bramer sei, fand ich durch die mir auf meine Bitte von Herrn Zabielsky freundlichst zugesandte 
Photographie bestätigt. 


304 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Steengracht. Das Arrangement des Parkes, die Wasserpartie, die Gebäude im Hinter- 
grund stimmen in vielen Punkten überein. Natürlich ist es selbstverständlich, daß 
Rembrandts Darstellung in jeder Beziehung besser ist, nicht zum wenigsten in der 
Auffassung der nackten Frauenfigur, in der man selbst auf Bramers flüchtiger Skizze 
das Unbeholfene und Gesuchte, das Lastman eigen ist, erkennt.“ Mit diesen Worten 
wies Dr. Hofstede de Groot seiner Zeit auf die enge Beziehung zwischen Lastmans 
Gemälde und dem Rembrandts vom Jahre 1643 in der Sammlung Jhr. Steen- 
gracht hin !). 

Durch das Vorhandensein einer direkten Nachzeichnung Rembrandts nach dem 
Gemälde der Susanna mit den beiden Alten von Lastman in der Sammlung P. Delaroff 
in St. Petersburg °), das ebenfalls eine weibliche Aktfigur zur Trägerin der Handlung 
hat, und von dem Dr. Valentiner in seinem oben zitierten Aufsatz ausging, gewinnt 
die eben angeführte Beziehung zwischen den beiden ersteren Bildern an Bedeutung. 
Man geht wohl nicht fehl, wenn man der Steengrachtschen Bathseba von Rembrandt 
noch eine speziellere Stellung im Œuvre des Meisters, zunächst in der Gruppe mit 
weiblichen Nacktfiguren, einräumt. Sie weist nicht nur Berührungspunkte mit dem 
Bathsebabild Lastmans auf, sondern zeigt auch noch leise Anklänge an dessen 
notorisch von Rembrandt kopiertes (wenn auch gleichzeitig korrigiertes) Susannabild 
der Sammlung P. Delaroff, dessen Nachwirkung in Rembrandts Darstellungen des 
gleichen Motivs von Dr. Valentiner feinsinnig beleuchtet wurde. Die von Rembrandt 
1643 gemalte Bathseba bei Jhr. Steengracht wäre nun die erste Weiterbildung in einem 
Gemälde des durch Lastman angeregten Susannathemas — vom Standpunkte des mehr 
Künstlerischen aus. Bei der Susanna galt es, das jählings im Bade überraschte und 
vor der Gier der alten Lüstlinge zitternde Weib darzustellen; beim Bathsebathema die 
Frau, die vor unkeuschen Blicken sich sicher wähnend ihren Körper im Bewußtsein 
seiner Schönheit schmücken läßt. Bei Lastman fand Rembrandt aber auch hierfür, 
wo es sich also um ein ganz anderes Haupt-Bewegungsmotiv handelt, ein direktes 
Vorbild, eben die Bathseba der Sammlung Zabielsky. Eigene Vorstudien zu seinen 
Bathsebabildern finden sich unter den erhaltenen Zeichnungen Rembrandts seltsamer- 
weise nicht. Mag sein, daß sie verloren gegangen sind; es ist sogar wahrscheinlich. 
Sollte Rembrandt aber dennoch ohne solche an die Ausführung der Gemälde gegangen 
sein, so ist es nur so zu erklären, daß ihm eben die zahlreichen Studien für seine 
beiden Susannabilder auch für die Bathsebagemälde ausreichten. Jedenfalls gehen die 
Spuren der ersten Susanna Rembrandts vom Jahre 1637 (im Mauritshuis im Haag, 
Abb. 3) nicht allein auf die Susanna von Lastman bei Delaroff zurück. Es läßt sich 
vielmehr auch schon auf diesem Susannabilde im Mauritshuis die Beschäftigung 
Rembrandts mit Lastmans Bathseba der Sammlung Zabielsky aus einigen Berührungs- 
punkten im Beiwerk der beiden Gemälde annehmen. 

So ist doh wohl die urnenförmige Vase auf Lastmans Bathseba als Vorbild 


1) Oud Holland XIII, 240. 

2) Gegenwärtig leihweise ausgestellt im Kaiser Friedridi-Museum in Berlin. Abgebildet 
in der „Zeitschrift für bildende Kunst“ N. F. XIX, 190708 und in den ,Amtlichen Berichten aus 
den königl. Kunstsammlungen“, Dez. 1908. 


K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 305 


Abb. 3. REMBRANDT: Susanna 
O Haag, Mauritshuis 


für die ähnlihe auf Rembrandts Susanna im Mauritshuis im Haag anzusehen, nur 
daß Rembrandt mit mehr Geschmack den klaglich wirkenden dünnen Blumenstengel 
weglieB, und das bei Lastman nur aus einem rechteckig glatt behauenen Steinblock 
bestehende Postament durch eine Skulptierung belebte, die ihrerseits ganz von weitem 
noch die halb sphinx- halb schwanartige Brunnenfigur auf Lastmans Susannabild ahnen 
läßt. Die Kleidungsstücke neben Susanna sind auch ganz ähnlich angeordnet wie die 


306 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


der Lastmanschen Bathseba, ganz anders wie die auf seinem Susannabild. Eine 
weitere Berührung der Susanna im Mauritshuis mit dem Lastmanschen Bathsebagemälde 
findet sich in der Hintergrundarchitektur: hinter der Baumkulisse kommt die SchloB- 
fassade mit einem Terrassenanbau davor ähnlich wie auf der Batlıseba in der Sammlung 
des Herrn Zabielsky zum Vorschein; Rembrandt fühlte aber hier noch nicht das 
Bedürfnis, auch im Hintergrund durch entsprechend gewählte Architektur die Raum- 
wirkung zu heben, wie er es später durch Einführung von Rundbauten tat, die 
übrigens bei Lastman sehr häufig, wie auch hier auf dem Bathsebabild, vor- 
kommen. 

Rembrandts Beschäftigung mit der Lastmanschen Bathseba ist durch diese 
kleinen Übereinstimmungen angedeutet. Sichergestellt wird sie durch seine Dar- 
stellung der Bathseba bei Jhr. Steengracht im Haag (Abb. 4), die eine nicht zufällige 
Verwandtschaft mit dem Lastmanschen Bilde zeigt. Dieses stammt aus dem Jahre 1619, 
aus einer Periode, wo er bereits einige Zeit auf der Höhe seiner Künstlerlaufbahn 
stand, wo er seinen eigenen Stil — wenn man bei ihm für Stil nicht lieber Manier 
sagen will — gefunden hatte. Rembrandt malte seine erste Bathseba 1643, also noch 
vier Jahre vor der zweiten Fassung der Susanna (in Berlin); sie ist daher auch noch 
als eine Zwischenstufe zwischen diesen beiden anzusehen. Darauf will ich jedoch nicht 
mehr eingehen, sondern hier nur, wie oben gesagt, ihr Verhältnis zu der Bathseba 
Lastmans einerseits und andererseits zu der zweiten Bathseba Rembrandts selber vom 
Jahre 1654 untersuchen. — Zwischen Lastmans Gemälde und dem ersten von Rembrandt 
liegt eine Welt: die ganze künstlerische Umwertung der holländischen Malerei, die auf 
Rembrandt zurückzuführen ist — und doch sind die einzelnen Fäden zwischen der 
Zeit, da Lastman seine Bathseba und Rembrandt die seine malte, nicht abgeschnitten, 
sondern nur weitergesponnen worden. Dort haben wir den äußerlih und ober- 
flächlich fühlenden Maler, der zu seinem Gegenstand in kein inneres Verhältnis tritt 
und ihn daher auch nicht auszuschöpfen vermag. Hier steht der tiefe, intensive 
Beobachter des Lebens und der Natur, der die darzustellende „Geschichte“ nicht nur 
innerlich völlig erfaßt, sondern auch aus sich selber bereichert und — da setzt das 
rein Künstlerische ein — kompositionell und zeichnerisch in die prägnanteste Form, 
sowie malerisch in den ausdrucksvollsten Ton der Farben und Valeurs zu einander 
bringt. Der Maler stellt mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln für das Auge 
wahrnehmbar das dar, was seine empfängliche Seele aus den Vorgängen des Lebens, 
aus der Natur usw. herauszulesen imstande ist. Er vereinigt als Künstler die beiden 
Elemente -— technisches Können und künstlerisches Schauen und Empfinden — in sich, 
die gesondert entweder nur zum Artisten bezw. Handwerker, oder zum nur Nadh- 
empfinden, nicht aber zu eigenem schöpferischen Gestalten befähigen. Auf unsere 
beiden Gemälde bezogen: Rembrandt, der sein Gemälde von innen aufbaut, mußte 
vor allem die Hauptfigur auch kompositionell in den Mittelpunkt rücken. Bathseba, 
die Trägerin der Handlung, wurde für ihn damit auch das Zentrum für Farben und 
Licht, die sich hier zusammenfinden, um nach außen zum Beschauer weiter gegeben 
zu werden. Bei Lastman, der zur ersten Kategorie, den Artisten bezw. Handwerkern 
zu rechnen ist, spürt man nichts von einer solchen künstlerischen Durcharbeitung; bei 


K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 307 


Abb. 4. nr a Bathseba bei der Toilette 
Haag, Sammlung Jhr. Steengracht 


ihm sitzt Bathseba rechts, dicht vorn; die Zehen des linken FuBes werden fast vom 
untern Bildrand berührt. Mit dem Licht des Frauenkörpers rivalisiert das daneben 
auf dem Sitz liegende weiße Gewand, wetteifern die durch den schroffen Gegensatz 
mit tiefstem Schatten noch besonders grell leuchtenden Arme der den Fuß Bathsebas 
waschenden Dienerin, sowie der sehr unorganisch in der Luft schwebende auf dem 
Delphin reitende Putto in der Mitte des Bildes. Lastman ließ sich bei seiner Komposition 
eben von ganz anderen Gesichtspunkten leiten als Rembrandt. Er hatte sein äußerliches 
Linienschema, in das er die Figuren einordnete, ohne dabei auf den Inhalt und die 
koloristische Einheit besondere Rücksicht zu nehmen. Rembrandt ging umgekehrt von 
der prägnantesten Wiedergabe des Themas durch die künstlerischen Ausdrucksmittel 
aus. Dabei war Lastmans Kompositionsschema in diesem Falle gar nicht einmal so 
einfach. Die handelnden Personen sind rechts in ein rechtwinkliges Dreieck hinein- 
komponiert, dessen Hypotenuse sich mit der einen Diagonalen des Gemäldes deckt. 
Dieser hell beleuchteten Dreiecksmasse entspricht links eine im Schatten liegende andere, 
deren Hypotenuse mit der zweiten Diagonalen zwar nicht ganz zusammenfällt, ihr aber 
in kleinem Abstande parallel läuft. Den so durch die beiden Hypotenusen gebildeten 
stumpfen Winkel halbiert die Senkrechte der Delphinfontäne. Diese Senkrechte wird 
wiederholt in den Säulen der SchloBterrasse. Für die Natürlichkeit der Bewegungen 
der Figuren war die Einzwängung in dies Schema verhängnisvoll; mußte es sein bei 


308 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


einem Maler von der geringen Phantasie und von so schwachem Verständnis für die 
Funktionsmöglichkeiten der Glieder und Gelenke des menschlichen Körpers; bei einem 
Manne, der nicht künstlerisch-anatomisch fühlte und dachte, sondern stets abhängig vom 
Modell war, das er aus dem gleichem Grunde nicht voll auszunutzen verstand und auch 
nur äußerlich-unvollkommen abzuschreiben vermochte. Der Blick in das geheimnisvolle 
Zusammenspiel der einzelnen Körperteile blieb ihm versagt. Daher die Unbeholfenheit in 
der Figur der Bathseba. Die sitzt nicht fest; man hat das peinliche Gefühl, als ob sie nur 
balanziere und jeden Augenblick das Gleichgewicht verlieren könne. Das linke 
(Stütz)bein ist nur ganz ungenügend als solches charakterisiert — man vergleiche das 
bei Rembrandt damit! Und das andere, von der Dienerin gehaltene würde schwer 
herunterfallen, sobald diese es loslieBe. Bei Rembrandt hingegen ruht dies Bein fest 
auf dem Knie der Alten und trägt auch sein Teil zur Festigkeit der ganzen Figur bei. 
Der gleiche Umwandlungsprozeß ist auf Rembrandts Bild bei den Armen, dem Ober- 
körper vorgenommen. Dieser ist bei Rembrandt fast gerade aufgerichtet; nur ganz 
leise neigt er sich nach vorn, um in dem rechten Arm eine Stütze zu finden. Bei 
Lastman knickt der Oberkörper gleichsam um; es entsteht ein gefährlicher Winkel 
zwischen dem Rumpf und dem gehobenen Bein. Der rechte Arm, der hier eigentlich 
stützen müßte, ist — auch wieder Ecken und Winkel bildend — gebeugt, und die 
Hand greift bedeutungslos ins Haar, während der andere freibleibende Arm auch nur 
einen Verlegenheitsgestus macht. Noch mehr kommt hinzu: Bathseba ist die Trägerin 
der Handlung, auf sie muß also auch die Aufmerksamkeit des Beschauers in erster 
Linie gelenkt werden. Aus diesem Grunde wohl blickt sie bei Rembrandt aus dem 
Bild heraus gerade zum Beschauer, festen, ruhigen, stolzen Auges. Dessen Blick 
gleitet dann von ihrem Kopf aus weiter: über die goldenen Haarsträhne, dem Strich 
des Kammes folgend — dessen leisknisterndes Geräusch man zu vernehmen meint — 
und dann die leichtgeschwungenen Armlinien der im Helldunkel stehenden Dienerin 
entlang zu dieser selbst. An die Stelle der häßlichen Alten bei Lastman, die den 
feinen stimmungsbildenden Reiz des Haarkämmens auch nicht im Entferntesten auf- 
kommen läßt, hat Rembrandt eine junge Dienerin gebracht. Eine Negerin; ihr Inkarnat 
ordnet sich so von selbst dem Gesamtton unter. Ahnliche störende Kontraste bei der 
andern Magd auf Lastmans Bild, wo das Waschen des Fußes ebenfalls nicht so ruhige, 
weniger auffällige Bewegungen gestattet wie das Beschneiden der Nägel durch die stille 
bejahrte Frau zu Füßen der Bathseba bei Rembrandt. Daß dieser die beiden Dienerinnen 
in ihrer Beschäftigung die Rollen tauschen ließ, erklärt sich wohl leicht aus dem feineren 
Empfinden Rembrandts, der auf solche starken, aber billigen Kontrastwirkungen zwischen 
der Person und ihrer Tätigkeit absichtlich verzichtete. DaB er an Stelle des Fuß- 
waschens das Nägelschneiden setzte, scheint mir in erster Linie mit dem Bestreben nach 
Beruhigung der Handlung, insbesondere bei den nebensächlichen Figuren, innerlich 
begründet zu sein. Außerlicher — wenn auch nicht unmöglich — ist die Zurückführung 
auf Tintoretto, der dies Motiv des Nägelschneidens bei seiner „Susanna nach dem 
Bade“ im Salon Carré im Louvre bereits gewählt hat '). 


1) Vergl. hierzu auch Valentiner, Rembrandt und seine Umgebung, Seite 84. Über die 
Deutung der Darstellung dieses Bildes von Tintoretto sind Zweifel möglidı. Thode nennt es in 


K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 309 


Abb. 5. REMBRANDT: Bathseba 


0 Paris, Louvre 


Natürlich mußte aus solchen künstlerischen Riicksichten auf die Gesamtstimmung 
auch das Beiwerk mehr zurücktreten, im Einzelnen wie im Allgemeinen. Der auf dem 
Delphin reitende Putto war vollends ganz unmöglich. Dagegen behielt Rembrandt den 
Pfau als Raumfüllung der rechten unteren Ecke noch bei. Zieht man alles zusammen 
in Betracht, womit Rembrandt als künstlerischer Beobachter seine Bathsebadarstellung 


seiner Tintoretto-Monographie ,Susanna nach dem Bade“, der Katalog des Louvre „Susanna im 
Bade“. Ich habe lieber eine Bathsebadarstellung darin sehen wollen, da die Susanna ihre beiden 
Mägde doch wegschickt, um „Balsam und Seife“ zu holen; zum Bade selbst kommt es nach dem 
Bibeltexte strenggenommen nicht. Valentiner erwähnt in seiner Bearbeitung des Bandes „Rem- 
brandt“ (Klassiker der Kunst) das Bild auch als „Bathseba“. Auf der mir vorliegenden Abbildung 
ist hinten rechts nur ein Greis sichtbar, das wäre dann David; aber der Katalog des Louvre gibt 
an, daß im Hintergrund bei einem Tische die beiden Greise sichtbar seien. Dann müßte es sich 
jedenfalls doch um eine Susannadarstellung handeln. 


310 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


bereichert und vertieft hat, so erscheint das Werk seines Lehrers doppelt leer und 
unbeholfen. 

Und doch bedeutete für Rembrandt —- den damals 37 jährigen — diese Bath- 
seba in der Sammlung Steengracht noch nicht die endgültige Lösung dieses Themas. 
Das letzte Wort darüber sprach der Meister erst elf Jahre später — es war zugleich 
das letzte Mal, daß er überhaupt den ganzen nackten weiblichen Körper in einem Ölgemälde 
darstellte (Abb. 5). So sehr man nun für gewöhnlich geneigt ist anzunehmen, das 
berühmte Gemälde der Sammlung La Caze im Louvre sei nur um des Aktes willen 
gemalt, so ist doch sehr bezeichnend für Rembrandt, daß er daraus auch zugleich ein 
Seelengemälde von unendlicher Tiefe im Ausdruck schuf. Ich kann mir nicht denken, 


daß er — wie es früher geshah — das biblishe Motiv nur als Vorwand für 
die Darstellung des Aktes wählte. Die Zeiten, wo der Künstler zu diesem Mittel 
greifen mußte, waren vorüber -— anderenfalls hätte sih Rembrandt über solche 


Bedenken dem Publikum gegenüber hinweggesetzt. Bei seinem ersten Bathsebabilde 
spielte das äußere Beiwerk, die Umgebung immerhin noch eine gewisse Rolle: bei 
der Konzipierung des späteren Bildes tritt an die erste Stelle das psychologische Moment, 
die innere Handlung. Das Beiwerk, das nicht unbedingt zur Sache gehört, das die 
tiefere Bedeutung nicht klären hilft, verschwindet völlig. Das geht natürlich Hand in 
Hand mit der Entwicklung in die Tiefe beim Menschen Rembrandt, durch welche 
seine „ursprünglichen Ideen“ ebenfalls einfacher, großzügiger, allgemein menschlicher 
geworden sind und daher auch eine andere äußere Umkleidung erheischen, wenn 
kein Mißklang zwischen Inhalt und Form entstehen soll. Gewiß: „die ganze Ent- 
wicklung Rembrandts, die uns so reich scheint [und es auch ist], spielt sich zuletzt in 
der äußeren Umkleidung seiner ursprünglichen Ideen ab“, wie Valentiner seinen Aufsatz 
beschloß. Vielleicht könnte man aber auch übertragen sagen: sie spielt sich in der 
allmählichen Entkleidung von ihren nicht absolut notwendigen Umhüllungen ab. Denn 
künstlerische Entwicklung ist gleichbedeutend mit gesteigerter Prägnanz und Knappheit 
im Gebrauche der Ausdrucksmittel. Der Größte sagt das Meiste mit dem Wenigsten. Die 
späte Bathseba zeigt Rembrandt bezüglich der Behandlung des nackten weiblichen 
Körpers, der Haut, des Fleischtones auf dem Gipfel der Entwicklung. Und wir können 
beobachten, wie der Meister den Umwandlungsprozeß, den er einst mit der Lastmanschen 
Darstellung vorgenommen hatte, jetzt, nach einem Jahrzehnt, mit seiner eigenen Arbeit 
wiederholte. Natürlih in anderem Maßstabe Wer will kürzer und zugleich doch in- 
haltsreicher als hier in dem Louvrebilde die ganze Bathsebageschichte bildmäßig wieder- 
geben! Wie tat es Rembrandt? Eine Figur, die lebensgroße nackte Frau beherrscht fast 
gänzlich die quadratische Leinwand. Die Toilettenszene ist auf das Beschneiden der Nägel 
des Fußes beschränkt. Von der damit beschäftigten alten Dienerin ist nur das Nôtigste zu 
sehen, Hand, Kopf und Büste, und das ist noch obendrein in den Schatten und in die 
untere linke Ecke gerückt. Das Haarkämmen durch die zweite Dienerin ist ganz 
weggelassen. Im Körper der Bathseba aber liegt noch größere Ruhe und Stetigkeit 
als vordem, noch stärker trägt dazu jedes Glied sein Teil bei, ohne daß es auf den 
ersten Blick so scheinen möchte. Das linke Bein stützt noch mehr; durch das Über- 
legen des andern Beines auf das Knie des linken wird die Festigkeit vermehrt und 


K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 311 


diesem selber noch mehr Eigenruhe verliehen, Unabhängigkeit von der Dienerin 
gegeben. Sie könnte ganz fehlen, ohne daß der sicheren Lage der Beine auch nur 
geringer Abbruch getan würde, was früher nicht der Fall war. Den gleichen Zweck 
erfüllt die aufs Knie gelegte rechte Hand. Die Momente des ruhigen und sicheren 
Lagerns häufen sich an dieser Stelle. Der Gestus der linken Hand der Bathseba auf 
dem Bild bei Jhr. Steengracht wird überflüssig; sie und der Arm können besser als weitere 
Stütze verwandt werden. Wie eine schlanke Säule ruht der kraftvolle Arm auf der breiten 
Basis der Hand — und die rechte Begrenzungslinie des Körpers, die früher noch nicht 
in ihrer ganzen organischen Zusammensetzung deutlich zum Ausdruck gebracht werden 
konnte, weil sie zur Hälfte vom Oberarm verdeckt war, läßt hier die Form und kom- 
pakte Masse des Rumpfes in größter Plastik erscheinen: alle Elemente, auf denen die 
Bewegung und der innere Zusammenhang der körperlichen Lebensfunktionen beruhen, 
treten offen zutage. Glied für Glied baut sich der Torso auf. Es gibt keine Stelle, 
wo die Gelenkbewegung unklar wäre, wo der geheimnisvolle Mechanismus des mensch- 
lichen Körpers durch mißverstandene oder verdeckte Formen verwischt würde. Deshalb 
wirkt dieser Körper so lebenswahr, so beruhigend; deshalb so statuarisch und monu- 
mental — — man kann immer wieder hinsehen, nie wird einen das Gefühl über- 
kommen, daß irgendwo eine Ermattung der Glieder eintreten und dadurch eine andere 
Stellung eingenommen werden könnte, die das Bild mit einem Male um seine ganze 
künstlerishe Wirkung brächte. Der Gedanke an ein posierendes Modell vollends ver- 
mag überhaupt nicht aufzukommen. 

Der Kopf wendet sih — im Gegensatz zu der ersten Fassung — nicht 
mehr zum Beschauer, sondern ist unbekümmert um diesen nach links gerichtet. 
Er soll eben nicht mehr als erster die geistige Verbindung zwischen Beschauer 
und Bild herstellen. Denn der ganze Bildgedanke überhaupt ist gegen früher 
modifiziert. Es ist nicht mehr nötig, irgend ein Hauptmoment aus der neben- 
sächlicheren Umgebung herauszusondern und intensiver zu betonen. Die ganze Figur, 
die Trägerin der Handlung allein wirkt hier durchaus als Gesamterscheinung. 
Innerhalb derselben hat Rembrandt aber natürlich doch nicht auf eine verschiedene 
Wertverteilung der einzelnen Faktoren verzichte. An der wichtigsten Stelle: wo die 
Knie und die rechte Hand in der Mitte des Bildes zusammentreffen, hält Bathseba den 
Brief, der sonst kaum unsere Aufmerksamkeit besonders auf sich lenken würde, wenn 
er nicht durch die Zurückdrängung des übrigen Beiwerkes auf fast ein Nichts der 
einzige und außerdem auch der hellste Gegenstand wäre, der auch äußerlich dem Ganzen 
den Sinn gibt, der den Bildinhalt erklärt, der diese abgeklärte Bathsebageschichte 
durch die nackte Frauenfigur so gut wie allein ermöglicht. Er ist Ursache, der Grund 
für die ganze Handlung. Durch ihn erklären wir uns den Ausdruck im Blick der 
Bathseba, der mechanisch den Verrichtungen der alten Dienerin zu folgen scheint, in 
Wirklichkeit aber weit darüber hinwegschaut und ganz wo anders weilt. Und obwohl 
die Augen der Bathseba nicht auf uns gerichtet sind — sie ziehen uns dennoch in ihren 
Bann, wir folgen ihnen — in die Vergangenheit und ungewiß fragend in die Zukunft. — 
Die ganze Bathsebatragôdie — um die Schönheit des Weibes — ersteht vor 
unserm geistigen Auge und wird uns künstlerisches Erlebnis. Ich meine, daß Rem- 


312 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


brandt seiner Darstellung nicht den Beginn des Bibeltextes zugrunde legte: , ... es 
begab sich, daß David um den Abend aufstund von seinem Lager und ging auf das 
Dach des Königshauses und sah vom Dach ein Weib sich waschen und das Weib 
war sehr schöner Gestalt. Und David sandte hin und ließ nach dem Weibe fragen .. .“, 
sondern vielmehr den letzten, 27. Vers des 11. Kapitels 2. Samuelis: „Da sie aber 
ausgetrauert hatte, sandte David hin und ließ sie in sein Haus holen, und sie ward 
sein Weib und gebar ihm einen Sohn. Aber die Tat gefiel dem Herrn übel, die 
David tat.“ Dieser Text verlangte mehr als die gewöhnliche unbefangene Toiletten- 
szene als Hauptinhalt des Bildes. Denn diese Worte bergen einen viel, viel schwereren 
Inhalt, sie setzen die ganze Bathsebageschichte voraus, Bathsebas Ehebruch mit David, den 
Tod ihres Mannes Urias und die Trauer um ihn. Erst nachdem sie ausgetrauert hatte, 
sandte der König wieder zu ihr hin — zum zweiten Male —-, um sie zu seinem Weibe 
zu machen. Von einem Briefe sagt der Bibeltext zwar nichts. Der ist künstlerische 
Zutat, er enthält die Worte, mit denen David Bathseba wieder zu sich entbietet. 
Die Toilette ist nun aber nicht mehr das gewohnte tägliche Bad von früher. Jetzt 
gilt es, den schönen Leib für den König, dem sie sich schon einmal hingab und von 
dem sie sich bereits Mutter fühlt, zu schmücken! Und während ihr die alte Frau, 
die man links kaum bemerkt, dabei behilflich ist, ziehen in der Erinnerung des schönen 
Weibes noch einmal die vergangenen Wochen vorüber. Träumerisch sinnend sitzt sie 
da und vermag ein banges Ahnen für die nächste Zukunft, das sich der glück- 
verheißenden Botschaft des Königs zugesellt und den Blick des leicht gebeugten Hauptes 
umflort, nicht zu verscheuchen. Denn: „die Tat gefiel dem Herrn übel, die David 
tat.“ ... „Und der Herr schlug das Kind, das Urias’ Weib David geboren hatte“ ... 
„Am siebenten Tage aber starb das Kind.“ — — 

Liegt nun in Rembrandts Gemälde nicht ein tieferer, allgemeiner gefaßter Sinn? 
Wie auch die Bathsebageschichte keinen eigentlichen Einzelfall bedeutet, sondern 
typisch aufzufassen ist? Ist diese Bathseba Rembrandts nicht zugleich auch das Sinn- 
bild der Schönheit des Weibes, ihrer berückenden, beglückenden, aber auch das Ver- 
hängnis in sich bergenden Macht? Ist es nicht echt rembrandtisch, wenn er so die 
Aufgabe auffaßte, die Schönheit des Weibes darzustellen, und dem äußerlich einfachen 
und selbst prosaischen Motiv diesen tieferen Inhalt zu geben? Wenn er um dies Weib, 
trotz des koketten Schmuckes von Halskette und Armreif und trotz der üppig sinnlichen 
Fülle ihrer Formen, dennoch die ganze Keuschheit seiner wahren Künstlerseele wob? — 

Bisher haben wir nur Komposition und Inhalt des Gemäldes betrachtet und auf 
uns wirken lassen. Wir richteten unsere Aufmerksamkeit also in erster Linie auf das 
Verstehen des Bildgedankens und seiner künstlerischen Lösung durch die dem Maler, 
abgesehen von der Farbe, zu Gebote stehenden Ausdrucksmöglichkeiten. Soll zu 
dem tiefen Eindruck, den wir auf diese Weise schon gewannen, noch das köstliche 
Genießen des Werkes hinzukommen, so müssen wir — selbstverständlid — auch seine 
Farben und Töne uns sich wirken lassen. Dann erst wird sich unserer Einsicht in 
den künstlerischen Aufbau des Bildes noch der rein sinnliche Genuß an dem farbigen 
Element desselben zugesellen. Und erst dann werden wir uns ganz in den Bannkreis 
des Gesamtkunstwerkes hineingezogen und von ihm gefesselt fühlen. 


K. Freise. Bathsebabilder von Rembrandt und Lastman 313 


Das Bathsebabild der Sammlung Steengracht hat sogut wie keine Lokalfarben; 
es ist bis auf ein bischen Griin (Gewand der Bathseba), BlaBlila (Kleid der alten 
Dienerin) und das goldblonde Haar Bathsebas in einem dunkelbraunen Gesamtton 
gehalten. Die Farbenskala des Bathsebabildes im Louvre ist ebenfalls nicht umfang- 
reich. An lokalen Farben kommen nur Rot, Goldgelb und Weiß in Betracht. Die 
nackte Bathseba sitzt auf einem roten Pfühl, auf dem rechts ein weißes Laken liegt, 
links, mehr im Hintergrund, ein reiches barockgemustertes Goldbrokatgewand. Das 
rotbraune Haar schmückt eine Korallenkette, um den Hals trägt sie an schwarzem Band 
ein goldenes Medaillon; den rechten Oberarm umschlingt eine goldene Spange. Alles 
andere verliert sich in schokoladebraunen Halbtönen. 

Diese knappen Angaben werden denen, die das Original kennen, genügen, 
um sich den farbigen Eindruck des Gemäldes wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, 
wenn sie ihrer überhaupt bedürfen. Denjenigen aber, die noch nicht selber vor dieser 
Bathseba standen, würde auch die ausführlichste Wortbeschreibung der Farben keine 
annähernd richtige Vorstellung geben können. 

Ih bin am Ende und glaube am besten schließen zu sollen mit dem Hinweis, 
noch einmal die besprochenen drei Gemälde nach einander zu betrachten: die Bathseba 
Lastmans, Rembrandts Bathseba bei Jhr. Steengraht und endlih die im Louvre 
befindlihe Dann wird man fühlen, welche künstlerische Tat durch Rembrandt in einem 
Zeitraum von 1619 — 1645— 1654 geleistet worden ist. 


STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


EINE ZEICHNUNG HANS HOLBEINS 
DES ALTEREN NACH EINER 
ITALIENISCHEN PLAKETTE 


Unter den zumeist ornamentalen Entwürfen 
im Stile der italienischen Renaissance, die sich 
auf den Rückseiten einer Reihe von Silberstift- 
porträts des älteren Holbein im Berliner Kupfer- 
stidıkabinett finden, ist der auffallendste ein 
Sturz des Phaéton') auf der Rückseite eines 
Porträts des Hans Schwarz. Ich hatte in meiner 
Monographie über den Meister die Komposition 
als eigene Erfindung des Künstlers auffassen zu 
sollen gemeint, da das stürzende Pferd („nicht 
steigende“, wie es in meiner Beschreibung in- 
folge eines Druckfehlers heißt) in der Haltung 
an das des Paulus in der Darstellung seiner 
Bekehrung auf dem Augsburger Bilde der Paulus- 
basilika erinnert, ebenso wie das zweite Pferd 
an das des Begleiters des Paulus dort. Wenn 
ich jetzt das italienische Vorbild der Holbeinschen 
Zeichnung namhaft machen kann, so zeigt es 
sich, daB ich den gleichen Fehler beging wie 
Stoedtner ?) und nach ihm Weis-Liebersdorf’°), 
die die Abhängigkeit der Darstellung des stürzen- 
den Paulus von dem Stich des Hausbuchmeisters 
(Lehrs 41) behaupteten. Ich nannte ihnen gegen- 
über andere Beispiele ganz ähnlicher Beinstellung 
zusammengebrochener Pferde +), die weder mit 
Holbein noch mit dem Hausbuchmeister in Zu- 
sammenhang stehen, und ebenso zeigt es sich 
nun, daß das ähnliche Motiv auf der Phaöton- 
Skizze nicht mit dem früheren Bilde Holbeins 
zusammenhängt, sondern auf eine eigene Quelle 
zurückgeht. Die originale Komposition, der 
Holbein seine Studie entnommen hat, findet sich 
nämlich auf einer in 2 Fassungen vorkommen- 
den Plakette des Moderno.’) Daß Holbein diese 
kopierte kann keinem Zweifel unterliegen. Die 
Übereinstimmung erstreckt sich, soweit die Kopie 
reicht, bis in alle Einzelheiten. Ob die eine 


1) Nr. 235 des Verzeichnisses der Handzeichnungen in 
meiner Monographie über Hans Holbein den Alteren. 
Leipzig 1908. 

*) Hans Holbein, der Altere. I. Teil. 1743—1504. Ber- 
liner Dissertation. 1896. 

*) Das Jubeljahr 1500 in der Augsburger Kunst. 
Miinchen 1901. . 

‘) A. a. O. S. 74, Anm. 

*) Katalog der italienischen Bronzen in den königl. 
Museen zu Berlin. 1904, Nr. 759 urd 760. Abbild. auf 
Tafel LIII. 


oder die andere Form der Plakette, die mit 
landschaftlihem oder die mit architektonishem 
Hintergrund Holbein vorgelegen habe, läßt sich 
nicht entscheiden, da nicht die ganze Kompo- 
sition wiedergegeben, sondern nur ein Teil der 
Gruppe, die zwei vorderen Pferde mit dem 
stürzenden Phaéton, ein Rad, der umgeschüttete 
Becher, herausgenommen ist, und auch die orna- 
mentalen Motive im architektonischen Hinter- 
grund der einen Plakette sich nicht anderweit 
bei Holbein nachweisen lassen. Immerhin ist 
es für die Beurteilung des Holbeinschen Re- 
naissanceornamentes überhaupt nicht ohne Be- 
lang, daß gerade diese wichtige Studie als eigene 
Erfindung ausscheiden muß. Die Plakette des 
Moderno war ganz gewiß nicht das einzige 
Originalwerk der italienischen Renaissance, das 
in Holbeins Hände kam. 

Für die Bestimmung der Zeit gibt die Vorder- 
seite des Holbeinschen Blattes, die sich einiger- 
maßen sicher datieren läßt, wenigstens einen 
terminus post, da man wohl annehmen darf, 
daß die flüchtige Skizze der Rückseite nicht 
früher da war als das ausgeführte Porträt der 
Vorderseite. Hans Schwarz ist im Jahre 1492 
oder 1493 geboren !), und da er als etwa sech- 
zehnjähriger Jüngling dargestellt ist, wird die 
Zeichnung nicht viel später als 1508 entstanden 
sein. Natürlich ist es sehr wohl denkbar, daß 
die Skizze der Rückseite erst später hinzu kam, 
und das Zusammentreffen mit dem Porträt des 
Hans Schwarz ein rein zufälliges ist. 

Daß Holbein aber auch schon in früherer 
Zeit ein Werk der italienischen Kleinplastik 
kannte, läßt sich an einem anderen Falle er- 
weisen. Der Profilkopf des Pilatus mit dem 
spitzen Hute, der in der Zeit um 1500 mehrfach 
in Holbeinschen Passionsdarstellungen wieder- 
kehrt, so in der Vorführung Christi vor Pilatus 
vom Kaisheimer Altar *), in der Dornenkrönung 
im oberen Felde der Paulusbasilika des Augs- 
burger Museums und auf dem Kreuzigungs- 
bilde ebendort, zeigt eine auffällige Über- 
einstimmung mit dem Porträt des byzantinischen 
Kaisers Johannes VIII. Palaeologus auf der be- 
kannten Sciaumiinze des Pisanello.") Bei der 


') Vgl. Habidı im Jahrb, der königl. preuß. Kunstss. 
XXVII. S. 30. 1906. 

*) Münden. Alte Pinakothek, Nr. 194. 

3) Friedlaender: Die italienischen Schaumiinzen. Jahrb. 
der königl. preuB. Kunstss. I. S. 99. 180. Abgeb. auf 
Tafel I. 


C. Glaser. Eine Zeichnung Hans Holbeins d. A. nach einer italienischen Plakette 315 


folgerichtigen Entwicklung des Holbeinschen 
Pilatustypus, wie sie sich von der Donaueschinger 
Passion über den Frankfurter Altar zu dem aus 
Kloster Kaisheim und den verwandten Werken 
verfolgen läßt, und die auch mit der allgemeinen 
Entwicklung der Typen völlig übereingeht, fällt 
es nicht leicht, an das Dazwischentreten eines 
fremden Vorbildes zu glauben, doch erscheint 
die Beziehung zwischen der Medaille und Hol- 
beins Pilatus zu schlagend, um vernachlässigt 
werden zu dürfen. Man muß annehmen, daß 
Holbein, dessen Skrupellosigkeit in der Ver- 
wendung fremder Vorbilder ja oft erwiesen 
werden konnte, hier das Bildnis des Griechen- 
kaisers in demselben Sinne verwandte wie seine 
eigenen Porträtstudien. Ein ähnlicher Typus 
mag ihm vorgeschwebt haben, und beim Suchen 
nach einem geeigneten Vorbilde — denn der 
Gestaltungskraft seiner Phantasie allein ver- 
traute Holbein nicht allzusehr — fiel ihm eben 
dieses Bildnis in die Hände. Die Eigentümlichkeit 
daB bei anderen Einstellungen des Kopfes die 
Ähnlichkeit mit dem Profil, das als Ausgang 
diente, fast ganz verloren geht, teilt dieser Pilatus 
mit anderen Holbeinschen Typen. Immerhin läßt 
auch dieser Umstand darauf schließen, daß nicht 
die volle plastische Vorstellung eines selbst ge- 
sehenen Menschen dem Typus zur Grundlage 
diente. 

Ein dritter Fall von Verwendung einer italieni- 
schen Vorlage läßt sich nicht ebenso einwand- 
frei beweisen wie die beiden ersten, immerhin 
ist es wahrscheinlich, daß der sehr charakte- 
ristische Papsttypus, den Holbein mehrfach ver- 


: DCE | 
Fett. ©) 


Vai 


MODERNO: Sturz des Phaéton 
O Bronzeplakette 


HANS HOLBEIN D. A.: Sturz des Phaéton 
D Silberstiftzeichnung 


wendet '), und der am besten auf dem Frank- 
furter Blatt mit Porträtstudien in Silberstift °) 
studiert werden kann, auf ein italienisches Me- 
daillenporträt zurückgeht. DaB Weis-Liebersdorf 
irrt, wenn er eine Ähnlichkeit mit Alexander VI, 
feststellen zu können meint ë), scheint mir sicher. 
Mit GewiBheit das Vorbild Holbeins nachzuweisen. 
ist jedoch in diesem Falle nicht möglich. Es gibt 
mehrere Medaillen, die zum Vergleich heran- 
gezogen werden könnten, und die Möglichkeit, 
daß Holbein aus einer Reihe von Papstporträts 
seinen Typus geformt habe, ist nicht von der 
Hand zu weisen. Die charakteristische Form des 
Auges mit der hochgeschobenen Braue, die Art, 
wie die Tiara aufsitzt und das Ohr bedeckt, er- 


1) Weltgerichtsfenster in Eichstätt. Paulusbasilika. 
Entwurf eines Allerheiligenaltares, Frankfurt, mein Ver- 
zeichnis der Handzeichnungen Nr. 67. 

°) Verzeichnis Nr. 98. Neuerdings vortrefflich publi- 
ziert als Nr. 3 der Handzeichnungen alter Meister im 
Städelsdien Kunstinstitut. 
A 80.5.8; 


22 


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Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


FRANCESCO FURINI: Hylas und die Nymphen 


innert an die Medaille Sixtus IV. von Guazzalotti.') 
Mund und Kinn kehren in sehr ähnlicher Bildung 
auf einer Plakette Pauls II.*) wieder. In keinem 
von beiden Fällen ist die Ähnlichkeit eine schla- 
gende, und der auffallende Höker der Nase des 
Holbeinschen Papstes scheint eine sole ge- 
radezu absichtlich verdecken zu sollen. Es ist 
sehr wohl denkbar, daß in diesem Falle die 
Medaillen nur benutzt wurden, um auf ihrer 
Grundlage einen allgemeinen Typus des Papstes 
zu gestalten, wie er etwa in der damaligen Vor- 
stellung lebte. Ein solches Umbilden gegebener 
Formen ließ sich gerade für die fragliche Zeit 
(um 1500-1508) auch in anderen Fällen als 
charakteristisch für Holbeins Typenbildung er- 
weisen. Man lese auf Seite 60 meines Buches 
nach, was von dem Kopf des Mannes ganz 
rechts auf der Münchener Anbetung der Könige à) 
und seinem Verhältnis zu der zugehörigen Studie 
im Basler Skizzenbuche‘) gesagt ist, und man 
wird finden, daB das Verhältnis des Holbeinschen 
Papstkopfes zu den genannten Medaillen an- 
nähernd das gleiche ist. Beweisen läßt es sich 
allerdings nicht, daß gerade diese oder nur eine 


1) Friedlaender: Die italienischen Shaumünzen. Jahrb. 
der königl. preuß. Kunstss. II, S. 233. 1881. Abgeb. 
auf Taf. XXIV, Nr. 10. 

*) Königl. Museen zu Berlin. 


Nr. 331. 
3) Pinakothek, Nr. 205. 
+) Verzeichnis Nr. 94. 


Sammlung James Simon, 


von ihnen Holbein zum Vorbild dienten, aber 
ein italienisches Medaillenporträt der Art war 
ihm sicherlich bekannt, denn die Ähnlichkeiten 
sind zu groß, um lediglich zufällige zu sein. 


Curt Glaser. 
9 


ZU FRANCESCO FURINI. 


Wie Italien im XVII. Jahrh. keine besondere 
Rolle mehr in der allgemeinen Weltgeschichte 
spielte, so büßte es auch seine Führerschaft in 
der Malerei ein, die unmittelbar nach dem höch- 
sten Aufschwung, gleich der Plastik, einer völli- 
gen Erschöpfung anheim fiel und dem ddesten 
Manierismus huldigte. Selbst als von der Aka- 
demia in Bologna aus, eine allerdings rein ver- 
standesmäßige Erneuerung eingeleitet wurde, 
waren es nur einzelne Meister, deren Schaffen 
über die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus Ein- 
fluB zu gewinnen vermochte. Freilich, Italien 
hatte seine Anziehungskraft knineswegs ver- 
Ioren. Nach wie vor kamen ausländische 
Künstler. Aber sie kamen nicht der Seicentisten 
wegen. Für sie lagen die Anknüpfungspunkte 
noch immer im Cinquecento. Die Selbständig- 
keit aber, mit der sie diesem, als Vertreter einer 
neuen Aera gegenübertraten, ließ sie nicht mehr 
wie früher als Italiener nach Hause kehren; sie 
blieben was sie waren, Vlamen, Franzosen, 


H. Popp. Zu Francesco Furini 


317 


Deutsche, Spanier. Das machte sie in den 
Augen und dem Urteil der Nachwelt besonders 
groß, so daB man bei der Seicentokunst mehr 
an sie denkt wie an die italienischen Elektiker. 

Das XVIII. Jahrh. mit seiner Vorliebe für 
sinnlihe Grazie dachte noch anders. Ihm gal- 
ten die feinen, weichen, süß - sentimentalen 
Florentiner mit ihren geistig wohl weniger be- 
deutenden, dafür körperlich reizvolleren, voll- 
saftigeren Gestalten, den delikaten Linien und 
Lichtwirkungen, als die bevorzugtesten Meister. 
Ihre Werke waren am besten bezahlt, in Stich- 
und Schabkunst weit verbreitet. Das XIX. Jahrh. 
das eine außerordentlihe Wertschätzung des 
Selbständigen, Individuellen charakterisiert, be- 
handelte diese Meister, wie die italienischen 
Seicentisten überhaupt, geradezu verächtlich. 
Wohl weniger aus tiefgrändiger Kunstauffassung 
heraus, als der Mode wegen. Gleichviel, selbst 
die Kunstgeschichtsschreibung hat der histo- 
rischen Unbefangenheit ermangelt. Außer Burk- 
hardt, der den Italienern dieser Epoche eine 
kaum mehr als summarische Würdigung zu Teil 
werden läßt, kommt im Grunde nur Woermann 
in Frage, der denn auch die Basis für die Be- 
handlung dieser Zeit in den ,Kunstgeschichten“ 
bildet. Umso dankenswerter, daB L. v. Buerkel 
in einer vornehmen Publikation (Francesco Fu- 
rini. Mit 12 Tafeln und 38 Textabbildgn. Jahrb. 
d. Allerh. Kaiserhauses, Bd. 27, Heft 2. Wien.), 
die Aufmerksamkeit auf einen der liebenswür- 
digsten und delikatesten jener in Vergessenheit 
geratenen Meister gerichtet und damit den ersten 
energischen AnstoB zu erneuter Beschäftigung 
mit der Seicentokunst gegeben hat. 

Ein Vergleich der Liste, die Baldinucci, der 
BiographFurinis, von dessen ouevre gibt, mit dem 


was Buerkel emsig erforscht und in eingehender 
Analyse vorgeführt hat, läßt bedeutende Lücken 
zu Tage treten. Vieles scheint wirklich ver- 
loren gegangen zu sein. Sicherlich ist aber 
Manches in englischen Privatsammlungen ge- 
borgen oder vielmehr verborgen. England 
zeigte ja für Furini stets das lebhafteste Inter- 
esse. Reynolds besaß Bilder von ihm, auch 
Gainsborough. Mit Recht weist Buerkel darauf 
hin, daß ein weiteres Eindringen in diese Kunst- 
periode erkennen lassen wird, „welch wichtige 
Anregungen die französischen und englischen 
Maler der folgenden Zeit von Furini empfangen 
haben.“ 

Als verloren bezeichnet Buerkel jenes nadı 
Baldinucci hochberühmte Bild „Hylas von Nym- 
phen geraubt“, dessen letzte Spur er 1780 im 
Hause des Conte Galli-Tassi in Florenz findet 
und leider nur nach Eredis Stich reproduziert. 

Unsere Abbildung stellt das Bild (2,60><2 m) 
dar, das aus dem Hause Tassi in den Besitz 
des Baron Paolo Zezza kam und erst 1889 bei 
der Auktion im Palazzo Gattai-Budini in Flo- 
renz von einem Engländer Mc. Auslin erworben 
wurde. Es befindet sich jetzt in Schottland. 

Die letzten zwanzig Jahre sahen überhaupt 
eine stattliche Reihe von Werken Furinis auf 
dem Markt: 1875 eine Caritas in Rom, 1879 
der Kopf einer Andromeda (Sammlg. Capponi 
Florenz), 1886 eine büßende Magdalena (Kollek- 
tion Artaria Wien), 1887 eine heilige Veronika 
(Kollektion Penthe Wien), im gleichen Jahre eine 
Sofonisbe (Galerie Scalambrini Rom), 1894 eine 
heilige Katharina (Sammlung Marchese Mansi 
Lucca), 1895 eine büßende Magdalena (Samm- 
lung Wymetal Köln), 1902 eine ruhende Venus 
(Galerie Panciaticchi Florenz). H. Popp. 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN 
UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2. 


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Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. — Agent exclusif pour 
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.N sichten wie auch die Höhe 
“ji deserreichten Ortes angibt. 
H Dieses Barometer trägt auf 
dem Zifferblatte zwei gra- 
duierte Skalen. Die innere 
Skala gibt den jeweiligen 
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Heft 7 1909 


Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 
Von Martin Wackernagel 


Mit dem Regierungsantritt Papst Leos X. (März 1513) verknüpft sich in Raffaels 
künstlerischer Tätigkeit zeitlich — vielleicht auch zum Teil ursächlih — die verhängnis- 
volle Wendung zum großen Werkstattbetrieb, durch den der allgemeine Charakter 
seiner letzten Jahre so sehr verunglimpft ist. 

Von den vatikanishen Wandgemälden gehören diejenigen des dritten Saales, 
der „stanza dell’ incendio“ (beg. 1514) in der Ausführung fast völlig, aber auch in 
der Komposition zum großen Teil offenbar Schülerhänden an.') Aber auch schon in 
den Bildern des noch unter Julius II. begonnenen Heliodorzimmers machen sich an 
verschiedenen Stellen Inkongruenzen und Abweichungen von Raffaels eigener Art 
bemerkbar, die der Annahme einer alleinigen Autorschaft des Meisters für den ganzen 
Saal entgegentreten, und den Betrachter auffordern, zur Gewinnung einer reinen An- 
schauung vom Werk Raffaels, alle die fremden Bestandteile auszusondern. 

Mit einer derartigen Aussonderung der Schülerarbeit waren in ganz besonders 
radikaler Weise schon Crowe und Cavalcaselle in ihrer Raffaelmonographie °) voran- 
gegangen; sie hatten ausgedehnte Teile aller Bilder nicht nur in der Ausführung, 
sondern auch im detaillierten Entwurf teils dem Gio. Francesco Penni, teils Giulio 
Romano zugewiesen. 

Eine neuere diesen letztgenannten Raffaelschülern im besonderen gewidmete 
Arbeit (Dollmayr, Raffaels Werkstätte) °) hat freilich die meisten dieser Zuweisungen 
unhaltbar gemacht und, da Nachrichten über andere namhafte Gehilfen Raffaels in 
diesen Jahren nicht erhalten sind, die ganze Arbeit mit geringen Einschränkungen doch 
wieder dem Meister selbst zurückgegeben, die unleugbaren stilistischen Ungleichheiten 
partiellen mehr oder weniger ungeschickten Restaurationen auf Rechnung gesetzt. 

Dagegen glaube ich aber nochmals auf die schon von Crowe und Cavalcaselle 
bemerkte Schwierigkeit hinweisen zu müssen, daß Raffael wirklich sollte imstande 
gewesen sein in der kurzen Zeit die ihm unter dem beständigen Drängen des un- 


1) Dollmayr. Raffaels Werkstätte. (Jahrbuch d. ah. Kaiserhauses 1895, p. 248ff.) 
?) II, p. 114, 123 ff. 


3) a. a. O. p. 241 ff. 
23 


320 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


geduldigen Papstes gegönnt war, den ganzen Freskenschmuck des Saales allein zu 
entwerfen und auszuführen. 

Als Julius I]. am 20. Februar 1513 starb waren nachweislich vollendet — 
außer der Decke, die jedenfalls nicht Raffael, vielleicht in allen ihren Teilen dem 
Peruzzi angehört!) — die beiden Bilder des „Heliodor“ und der „Messe von Bolsena“. 
Im Fenstergewände unter diesem letzteren Bild steht das Datum 1512, im neunten 
Jahr des Pontifikats: also vor dem 1. November, dem Anniversar der Krönung. Aber 
auch das dritte Wandbild, die Begegnung mit Attila war jedenfalls schon entworfen; 
auf einer in Oxford bewahrten Zeichnung *) zeigt der Papst die bärtigen Züge Julius II. 
— an Stelle des bei der Ausführung eingefügten Porträts Leos X. 

Andererseits sind die letzten Bilder in der Segnatura frühestens im Sommer 1511 
ausgeführt worden. Bei der „Verleihung der Decretalen“ ist Julius bereits mit seinem 
weißen Bart porträtiert, in dem er zuerst bei seiner Rückkehr vom Bologneser Feldzug 
28. Juni 1511 den erstaunten Römern erschienen war’). Ende August wird nach 
einer Briefstelle des mantuanischen Gesandten das Porträt des jungen Federigo 
Gonzaga in die Schule von Athen noch nachträglich eingefügt ‘). 

Besten Falls konnte also im Spätherbst dieses Jahres mit den Vorarbeiten 
für das Heliodorzimmer begonnen werden; die Malerei selbst kann aber vor Ablauf 
des Jahres schwerlich in Angriff genommen gewesen sein. 

Eine eigentliche Berechnung der möglichen Arbeitsleistung Raffaels in dem 
gegebenen Zeitabschnitt bleibt freilich ausgeschlossen, schon deshalb, weil über die 
weiteren in den gleichen Zeitraum fallenden Arbeiten sichere Nachrichten fehlen, 
namentlich aber, weil wir überhaupt über fast Alles was an praktischen Realien der 
Entstehung der älteren Kunstwerke zugrunde liegt gänzlich im Ungewissen bleiben, 
solange nicht die in den Quellen beiläufig gegebenen Hinweise in dieser Richtung 
systematisch gesammelt sind. 

Wir können somit die äußere Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsteilung bei den 
Fresken der Heliodorstanze nur schätzungs- und vermutungsweise aufstellen. Es bleibt 
die Beurteilung der Bilder selbst und der (wie bereits gesagt) an ihnen hervortretenden 
Ungleichheiten. Dabei möchte ich aber die Frage nach dem eventuellen Anteil Giulio 
Romanos und Pennis ganz beiseite lassen. Sicher waren diese beiden im Jahre 1512 
schon in Raffaels Werkstätte beschäftigt, aber nur als noch durchaus unreife und unselb- 
ständige Gehilfen, die, wenn sie je etwas allein auszuführen bekamen, sich völlig an 
die Vorlage und Art des Meisters anschlossen. Es ist also von geringer Bedeutung 
zu wissen ob gewisse Härten der Zeichnung, gewisse Buntheiten im Kolorit eher 
— mit Cavalcaselle — auf das Konto dieser Schüler, als — mit Dollmayr — auf das 
späterer Restauratoren zu schieben sind. Das Werk bleibt in seinem Charakter immer 
raffaelisch, wie ein Musikstück immer den Charakter des Komponisten behält, auch 
wenn es von einem Schüler mangelhaft vorgetragen wird. Dies gilt, wie wir zeigen 


1) Dollmayr. Zeitschrift f. bild. Kunst 1890, p. 292f. 

*) Abgeb. z. B. in Klaczko, Rome et la Renaissance. Jules II. bei p. 392. 
#) Vgl. Klaczko a. a. O., 285. 

4) Steinmann, d. Sixtin. Kapelle II, p. 116°); 120. 


M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 321 


werden, für das ganze Heliodorbild und für den größten Teil der „Messe von 
Bolsena“. Hier aber finden sich nun auch Partien, in denen, wie mir scheint, fremde 
Klänge von einer, mit der raffaelischen durchaus nicht übereinstimmenden selbständigen 
künstlerischen Eigenart auftreten. 

Die zwei beigegebenen Teilaufnahmen zeigen, die eine (Abb. 1), eine Gruppe von 
Zuschauern aus der linken Bildhälfte, die andere (Abb. 2) die knieenden Schweizer- 
gardisten rechts vorn. Die Unterschiede in der ganzen Malweise und Auffassung treten 
schon auf den ersten Blick deutlich hervor: Bei den Schweizern eine ruhige sorg- 
fältig beobachtende Zeichnung mit feinlienigen aber deutlichen Umrissen und sehr 
zarter Modellierung in gleichmäßig hellem Licht. Auf der anderen Seite, bei der 
Frauengruppe, eine breite schwungvolle Manier, die unter Vermeidung aller linearen 
Mittel nur die hauptsächlichen Formen in einer kräftigen aber weich gerundeten Plastik 
wiedergibt; ein ausgesprochener Freskostil mit deutlich konstrastierenden Licht- und 
Schattenmassen von einheitlicher, geschlossener Fernwirkung. 

Trotzdem ist es beim Anblick des Originals nicht diese Partie sondern die 
Schweizergruppe und überhaupt die Bildhälfte rechts, die zuerst die Blicke fesselt, und 
das zwar dank ihrem auffallend reichen und warmen Kolorit, dem gegenüber die 
linke Bildhälfte mit einer gewissen kalten Buntfarbigkeit behaftet scheint. 

Es ist durchaus natürlich, daß für uns moderne Betrachter mit unsern, durch 
die neue pleinairistische Malerei geschulten, darum besonders für koloristische Reize 
empfänglichen Augen die ausgesprochen malerischen Vorzüge der rechten Bildhälfte 
besonders ansprechend und einleuchtend sein müssen. Nun aber wird — wie in der 
genannten Arbeit von Dollmayr — ohne Weiteres angenommen, daß auf diese kolo- 
ristischen Vorzüge auch gerade Raffaels letztes Streben hier aus gegangen sei, und 
daß die für unsere Anschauung am meisten fesselnde Partie in ganz besonderem Maß 
noch den Stempel seines eigensten Kunstvermögens bewahrt habe, sei es als allein 
völlig eigenhändiger, sei es als allein von aller Übermalung verschonter Teil. 

Dagegen glaube ich nun darlegen zu können daß: einmal die von einem 
fälschlidı hereingebrachten Gesichtspunkt aus verurteilten und miBachteten Teile des 
Freskobildes in ihrer ganzen Auffassung, Formengebung und Malweise auf das engste 
mit den übrigen sicher raffaelischen Bildern verknüpft sind und sich als ein festverkettetes 
Glied innerhalb seiner in den Stanzen sich vollziehenden Stilentwicklung darstellen, 
daß andererseits die uns bestrickenden malerischen Reize der rechten Bildhälfte 
Raffaels Kunstweise jedenfalls in diesen Jahren — noch völlig fernliegen, und auf eine 
hier hereingezogene fremde — nach ihrer koloristischen Feinheit anscheinend in Venedig 
geschulte Künstlerpersönlichkeit deuten. 

Was oben zur formalen Charakteristik der Figurengruppe in der linken Bild- 
hälfte bemerkt wurde ist in vollem Umfang zutreffend auch für alle anderen zeitlich 
benachbarten Malereien Raffaels, die Tafelbilder nicht ausgenommen. 

Gleich der hier besonders ins Auge fallende jugendlihe Kopf der stehenden 
Frauenfigur in seiner für den Gefühlsausdruck besonders wohl geeigneten schrägen 
Profilansicht mit der einfachen sanftgebogenen Kurvenlinie von Stirn und Nase, dem 
wenig eingesenkten Auge, dem fleischigen Mund mit etwas vorgeschobener Oberlippe 


322 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


ist ein echt raffaelischer Typus, der mit allen den genannten Einzelzügen an verschie- 
denen Stellen sich wiederholt. Er findet sich zuerst völlig ausgebildet bei dem schwebenden 
Engel zu äußerst rechts in der Disputa; er kehrt wieder z. B. in einem Tafelbild, 
dessen Entstehung wohl noch etwas später als die „Messe von Bolsena“ anzusetzen ist, 
der sog. „Madonna del pesce“ in Madrid und da sogar in zwei Varianten: beim 
kleinen Tobias und beim Engel 
der ihn geleitet. 

Und wenn wir auch zu den 
anderen Köpfen in der linken Hälfte 
des Bolsenabildes, genauere Ana- 
loga nicht so leicht auffinden, so 
bieten sich doch in der allgemeinen 
malerishen Behandlung dieser 
Köpfe genugsam Anknüpfungs- 
punkte an Raffaels eigensten Stil. 
Die Art etwa wie gewisse männ- 
lihe Köpfe unter den Zuschauern 
auf dem Bolsenabild mit breiten 
Lichtern und starken Schattentiefen 
energisch belebt und in Wirkung 
gesetzt sind, läßt sich an vielen 
Stellen der raffaelischen Malereien 
wieder beobachten; ich nenne nur 
den Aristoteles aus der Schule 
von Athen als Gegenstück zu dem 
auh im Typus nahe überein- 
stimmenden bärtigen Mann, der 
sih oben im Bolsenabild über die 
Brüstung lehnt. Auch wie die Haare 
behandelt sind, als geschlossene 
Masse mit breit aufgetragenen oder 
derb gestrichelten Lichtern, in der 
Silhouette vielfach kraus gelockt, 
oder in ungeordneten buschigen Strähnen gleichsam ausgezackt — läßt sich bis in die 
Bilder der Segnatura zurückverfolgen. Die massige Gewandbehandlung z. B. bei der 
hockenden Frau im Vordergrund stimmt aufs Nächste überein mit der Gewandbehandlung 
bei den drei Tugenden unter der „Jurisprudenz“. 

Es ist stets das Interesse an der kraftvollen plastischen Form und an der reichen 
Bewegung was künstlerisch die Figurengestaltung Raffaels bestimmt. Und in dieser 
Richtung entwickelt sidi auch sein Stil zu immer größerer Breite und Kraft: das zier- 
jihe und graziöse Element, das noch in der „Schule von Athen“ und im „Parnaß“ 
stark weiterlebte, wird schon in den Wandbildern unter der Jurisprudenz und jeden- 
falls im Heliodorzimmer völlig ausgeschaltet. 


Abb. 1. Zuschauergruppe aus der „Messe von Bolsena“ 


M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 323 


Abb. 2. Gruppe der Schweizergardisten aus der „Messe von Bolsena“ 


Eine solche Anschauung mußte aber von Anfang an auch das Interesse für die 
farbige Schönheit und die selbständige Rolle der Farbe im Bild unterdrücken. 

Raffael würde gewiß Lionardos Anschaung durchaus zugestimmt haben, wie 
sie im „Trattato della pittura“!) ausgesprochen ist, daß nämlich der Maler seinen 
Ruhm zu suchen habe in der feinen und plastisch wirkungsvollen Modellierung, wo- 
gegen die farbige Schönheit des Bildes doch nur dem Farbenfabrikanten Ehre mache. 

Es scheint nun geradezu eine veränderte ästhetische Akkomodation der Augen 
zu erfordern, wenn man von der Betrachtung der linken Bildhälfte zu der rechten 
sih hinüberwendet. 

Beim Anblick der Schweizergruppe wird es sofort klar, daß der Maler dieser 
Partie künstlerisch auf einem ganz anderen Standpunkt steht, mit andersgearteten 
Augen beobachtet, anderen Problemen nachgeht. 

Ihm liegt es fern, das Ideal der klaren, einfachen Form in Plastik und Bewegung 
aufzusuchen, sein Auge bleibt vielmehr ruhig haften an all den delikaten Einzelreizen 
der Oberfläche, an den vielfachen fast unmerklichen Hebungen und Senkungen, an den 
feinen Gegensätzen des stofflihen Charakters, vor allem aber an den farbigen Quali- 
täten; für ihn ist die Farbe nicht nur gefällige Überkleidung der Form, sondern ein 
wesentliches Element der Darstellung. 

Wie fein und eingehend ist aber auch die Zeichnung aller Einzelheiten an 
diesen Köpfen, der Mund, die Augenpartie, das Haar. Und das ist keineswegs nur 


1) II, 123 ed. Ludwig. (Quellenschriften für Kunstgesch. XV) p. 172,3. 


324 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


durch die Porträthaftigkeit dieser Köpfe begründet. Auch Raffael hat einzelne Porträt- 
köpfe in den Fresken dargestellt, von denen besonders die Sänftenträger des Papstes 
aus der Heliodorszene sich gut zur Vergleichung darbieten. Aber auch bei diesen 
Porträts hält er durchaus fest an der großzügig einfachen, alle linearen Details ver- 
schmähenden Formangabe, und an der kontrastreichen Modellierung mit lebendig 
herausgeholten Lichtern und breiten Schatten. 

Gerade solchen lauten Kontrasten von Hell und Dunkel geht der Meister 
der Schweizergruppe geflissentlidi weit aus dem Wege, er modelliert seine Köpfe in 
gleihmäßig hellem Licht vermittelst fein nuancierter Farbtöne. Der Gedanke, zwei 
helle fast schattenlose Profilköpfe vor einen gleichmäßig hellen Grund zu setzen, mußte 
einem Raffaelschüler wie eine Verachtung der elementarsten malerischen Regeln er- 
scheinen. Ihn aber reizte ganz augenscheinlich gerade ein solches rein koloristisches 
Problem. Und auch dies ist ein unverkennbares Zeugnis seines Zusammenhangs 
mit der venezianischen Kunstweise, wie ja überhaupt die ruhige beschauliche Auf- 
fassung dieser Gruppe, die, völlig handlungslos durch ihre bloße innerlich lebens- 
volle Präsenz und Zuständlichkeit eine solche Rolle im Bild zu spielen vermag, nur in 
venezianishen Gemälden ihres Gleichen findet. Besonders an die ebenso in ruhiger 
Seitenansicht erscheinende knieende Stiftergruppe auf Tizians Pesaromadonna wird 
man erinnert. 

Fassen wir zusammen: das Freskobild der Messe von Bolsena ist in seiner 
ganzen linken Bildhälfte raffaelischen Ursprungs, sei es vom Meister selbst, sei es 
durch von ihm völlig beherrschte Schüler ausgeführt. — Ebenso in der rechten Bild- 
hälfte die freilich etwas übermalte Gruppe der Prälaten im Hintergrund und der Kopf 
des Papstes; dagegen bricht schon in dessen Gewandung das reiche warme Kolorit 
hervor, das dann weiter in der ganzen Schweizergruppe so glänzend sich offenbart, 
und mit den anderen genannten Eigenschaften als Merkzeichen eines dem Raffaelischen 
Kunstkreis fernstehenden anscheinend venezianischen Mitarbeiters zu erkennen ist. 

Dieser venezianisch anmutende Charakter in den letztgenannten Stücken ist auch 
in früheren Besprechungen der Stanzenbilder nicht unerwähnt geblieben !). Man er- 
klärte diesen Umstand durch Annahme einer starken Beeinflussung Raffaels durch den 
seit 1511 in Rom ansässigen Sebastiano del Piombo und schob die — scheinbar 
graduellen — in Wahrheit wie ich gezeigt zu haben glaube prinzipiellen Abweichungen 
in den anderen Teilen den Schülern zu. 

Springer, der hauptsächlich und wie es scheint zuerst einen solchen Einfluß 
Sebastianos auf Raffael in der „Messe von Bolsena“ statuiert hat °), konnte sich dabei 
noch berufen auf zwei Porträtbilder, die trotz ihres sehr ausgesprochen venezianischen 
Charakters noch unter Raffaels Namen gingen, die sogen. „Fornarina“ in der Tribuna 
der Uffizien und den ,Violinspieler“ in der ehemaligen Gallerie Sciarra (jetzt bei 
A. Rothschild, Paris). Beide sind seitdem unter allgemeiner Zustimmung ihrem wahren 
Urheber Sebastiano wieder zuerkannt worden. 


1) Klaczko (a. a. O. p. 413) „on dirait une page du Titien“. — Springer, Raffael und 
Michelangelo (Ill. Aufl.) I. 289. 
2) a. a. O. I. p. 291 2. 


M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 325 


Wie sollte aber überhaupt Raffael Sebastianos Einfluß empfangen, ja dessen 
Art mit seiner eigenen so völlig entgegengesetzten bereits geradezu vertauscht haben, 
zu einer Zeit, wo Sebastiano in Rom mit bemerkenswerten Leistungen selbst noch 
kaum hervorgetreten war? | | 

Eine Hinneigung Raffaeis zu der Art des Venezianers finden wir allerdings 
unverkennbar (wenn audi in sehr eingeschränkten Maß) bei den Porträts des 
„Castiglione“ und der „donna velata“, doch sind diese beiden erst 1515, also drei 
Jahre nach der Messe von Bolsena ent- 
standen ’). 

In den venezianisch gearteten Teilen 
dieses Freskobildes muß aber — scheint mir 
— ganz ebenso wie bei den beiden Porträts 
der sogen. „Fornarina“ und des „Violinspielers“ 
statt des angenommenen Einflusses des Se- 
bastiano auf Raffael die eigene Hand und 
Arbeit Sebastianos selbst erkannt werden. 

Um diese Aufstellung beweiskräftig zu 
machen, müßte nun die Übereinstimmung der 
Schweizerporträte aus dem Bolsenabild mit be- 
glaubigten Porträts des Sebastiano aus der 
gleichen Periode dargelegt werden; jedoch ist 
es mit dazu geeignetem Vergleichungsmaterial 
sehr knapp bestellt. 

Was zunächst in Betracht käme, wären 
die Fresken, die Sebastiano im Jahre 1511 


=. 


gleich nach seiner Ubersiedelung nadh Rom in | HK 
der Gartenloggia der Villa Farnesina ausgefiihrt 
hat. Doch stehen diese schon ihrem Inhalt und 


Abb. 3. Detail aus der ,Verleihung der 


o Decretalen“ 
Wesen nach — — kleine mythologische Szenen 


von vorwiegend dekorativem Charakter °) — fern, namentlich aber sind sie später — 
vermutlich um die Mitte des XVII. Jahrhunderts, als die noch leergebliebenen Wand- 
flächen neben Raffaels Galatea mit Landschaftsbildern ausgeshmückt wurden — so 
gründlih und schonungslos übermalt worden, daß darin kaum ein originaler Pinsel- 
strih mehr zutage liegen dürfte °). 

Dagegen besitzen wir ein wohlerhaltenes Porträt Sebastianos aus demselben 
Jahr 1512 wie das Bolsenabild, die erwähnte sogen. Fornarina der Uffizien — das 


1) Das bisweilen für Sebastiano in Anspruch genommene elegante Jünglingsporträt der 
Gallerie Czartoryski, Krakau (sogen. Herzog von Urbino) gehört vielmehr in die nächste Umgebung 
Raffaels — wenn nicht diesem selbst — und in die Zeit der „donna velata“. 

2) S. die Beschreibung bei Bernardini. Sebastiano d. Piombo. Bergamo 1908. p. 22/3. 

3) Der neueste Biograph Sebastianos P. d’Achiardi. (Roma 1908) p. 62 anerkennt solche 
Obermalung nur beim Kyklopen, und rühmt auffallenderweise bei den Lünetten die „vaghezza 
del colorito“. — Leider existieren keine Photographien dieser Fresken. 


326 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


einer Vergleichung sich nur insofern etwas entgegensetzt, als es eine Dame darstellt, 
und weil es als Tafelbild in Öl ausgeführt ist. 

Wir vergleihen darum zunächst dieses Bild Sebastianos mit einem gegen- 
ständlich nahe entprechenden, und (wie schon bemerkt) auch in der Farbengebung ihm 
angenäherten Werk Raffaels, dem Porträt der „Donna velata“. Dabei fallen uns 
sogleich wieder die nämlichen Gegensätze ins Auge, die wir zwischen Raffaels Porträt- 
köpfen aus dem „Heliodor“ und den Schweizern des Bolsenafreskos beobachteten. 

Obgleih auch Raffael für ein solches Tafelbild begreifliher Weise mehr ins 
Detail geht als bei dem breiten vereinfachenden Freskostil der Stanzenbilder, setzt sich 
doch seine weiche Formengebung und Modellierung die alle linearen Abgrenzungen 
vermeidet, auch hier wieder in denselben charakteristischen Gegensatz zu der klar und 
scharfkantig zeichnenden Art des Venezianers. 

Ebenso finden sich auf Seiten Raffaels die entschiedenen Licht- und Schatten- 
kontraste als beliebtes Wirkungsmittel, während Sebastiano seinen Kopf wieder ganz 
im hellen Licht stehen läßt und so sich die Möglichkeit feiner detaillierter Darstellung 
der Augenpartie und der Lippen sichert und die Gesamtformen des Gesidits mit 
durchsichtigen Helldunkeltönen gestaltet. Es verhält sich also das Damenbildnis Sebastianos 
zu Raffaels Donna velata genau so, wie die Schweizer in der „Messe von Bolsena“ 
zu den Sänftenträgern im „Heliodor“. 

Nur ein Detail kann ich noch namhaft machen, das die Zusammengehörigkeit 
dieser Schweizerporträts mit der „Fornarina“ Sebastianos bestätigt: die eigentiimlich 
feine Darstellung des Haars mit den zierlichen, einzelne Haare heraushebenden Lichtern; 
sie findet sich in genauester Übereinstimmung bei den beiden genannten Werken 
Sebastianos, wogegen Raffael mit derselben Übereinstimmung im Fresko wie im Tafel- 
bild das Haar als geschlossene dunkle Masse (bisweilen mit einzelnen breiten Licht- 
effekten belebt), darstellt. 

Die ausführende Hand des Sebastiano, die wir in einem nicht unbedeutenden 
Teil der Messe von Bolsena wahrgenommen haben, läßt sidi in den andern Wand- 
gemälden dieses Saales nirgend weiter nachweisen; dagegen scheint es, daß bereits im 
letzten Bild der Stanza della Segnatura dieser Künstler Gelegenheit gefunden habe, 
ein erstes kleines Probestück seiner Porträtkunst abzulegen. 

Bei dem Wandbild der „Verleihung der Decretalen“ (s. Abb. 3), das nach 
dem darin aufgenommenen bärtigen Porträt Julius II. frühestens im Sommer 1511 
begonnen sein kann — hebt sich inmitten der verschiedenen Porträte und Idealkòpfe 
von deutlich raffaelischem großzügigem Charakter, schon durch die verkleinerten Por- 
portionen und die eigentiimlich zierlihe Formengebung der Kopf des jugendlichen 
Prälaten zur linken Seite des Papstes (also vom Beschauer aus rechts) als etwas 
Besonderes und Fremdartiges heraus und erinnert zugleich an die Schweizerportrate 
in der Messe von Bolsena. Eine nähere Vergleihung — etwa mit dem en face 
gestellten Kopf des jüngsten Schweizers — zeigt, daß Stil und Ausführung in der 
Tat bis in alle Einzelheiten hinein übereinstimmen. Beide Köpfe zeigen diese auf- 
fallende überaus minutiös ausgestaltete Modellierung der Augenpartie; wo die Augen 
in eine flache Mulde hineingesetzt scheinen, aus der sie in kräftig gewölbter Gestalt 


M. Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 327 


aufsteigen, während der untere Rand der Mulde durch einen feinen Lichtstreifen 
herausgehoben ist. Weiter die Modellierung der Wangen und die Zeichnung der 
Lippen: lauter vollkommene Gegenstücke, die ebenso nahe zusammengehen als sie von 
der Formgebung der Raffaelishen Köpfe sich entfernt halten. 

Sebastiano kam nach Rom, veranlaßt durch den reichen Bankherrn und Mäcen 
Agostino Chigi, der ihn auf einer Geschäftsreise in Venedig kennen gelernt hatte; doch 
war seine malerische Tätigkeit in der eben erbauten Villa Agostinos, der Farnesina, 
keine ausgedehnte — Vasari behauptet auch’), Sebastiano habe die Gunst des lebens- 
frohen Kunstfreundes ebenso sehr durch seine gesellschaftlichen, insbesondere musi- 
kalischen Talente sich erworben als durch seine Malerei. 

Es entstanden also 1511 als erstes römisches Werk die schon genannten 
Lünettenbilder. Das größere Wandbild mit dem verliebten Polyphem das ihm eben- 
falls zugeschrieben wird, kann aber nicht vor der Galatea Raffaels °) auf die es Rück- 
siht nimmt, also nicht vor 1514 entstanden sein. Es ist ebenso wie die Lünetten 
völlig übermalt *) und beinahe abstoBend in der Färbung. 

Über Sebastianos äußeres Leben und seine Tätigkeit während der ersten 
römischen Jahre fehlen alle Nachrichten. Es steht so jedenfalls nichts der Annahme 
im Wege, daß er zunächst Anschluß an Raffael gesucht habe ‘) und als guter Porträtist 
— als welcher er von Anfang an in Rom sich einen Namen machte — von diesem 
beim Drängen der Arbeit für die Ausführung der Porträtgruppe der Schweizerwache 
im Bolsenabild beigezogen wurde, nachdem er bereits den einen Porträtkopf in der 
noch unvollendet gebliebenen Decretalenszene ausgeführt hatte. 

Bildnisse von Zeitgenossen erscheinen in den Wandgemälden der Stanzen (im 
Gegensatz zu Fresken des XV. Jahrhunderts) ziemlich selten; sie heben sich auch stets 
schon durch die notwendigerweise eingehendere und schärfere Zeichnung deutlich aus 
der Mitte der Idealköpfe heraus. 

Zur Aufnahme soldier Porträts in die Wandbilder der päpstlichen Gemächer 
konnten offenbar nur besondere Wünsche des Bestellers Veranlassung geben. 

Ebenso wie er es besonders verlangt haben muß in den Szenen des „Heliodor“ 
und der „Messe von Bolsena“ aller historischen Logik zum Trotz in päpstliher Würde 
mit dargestellt zu sein, wird er selbst auch verfügt haben, das die eine oder andere 
Persönlichkeit seines Hofes aus besonderer Gunst und Sympathie hier mit dargestellt 
und verewigt werden sollte. 

Die Porträte der fünf Schweizergardisten verdanken nun ihr Dasein vielleicht 
der besonderen Freude des Papstes an den auffallenden nordischen Typen in dieser 
von ihm wenige Jahre zuvor erst begründeten Leibwache. Andererseits muß aber 
auch mitgewirkt haben die besondere Gunst in die sich die Schweizer als Nation eben 
beim Papst gesetzt hatten: ihrer bewaffneten Intervention, die mit der Erstürmung von 


1) ed Milanesi. V. 566. 

3) S. auch Vasari a. a. O. ,dopo — avendo Raffaello fatto — una storia di Galatea, 
vi fece Bastiano — un Polifemo — allato a quella.“ — 

3) Bernardini a. a. O. p. 24. 

4) Einen solcien AnschluB an Raffael nimmt auch d’Achiardi (a. a. O. p. 10) an. 


328 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Pavia im Juni 1512 abschloß, hatte er die langerstrebte Vertreibung der Franzosen 
aus der Lombardei zu verdanken; das goldene Prunkschwert samt Herzogshut im 
Zürcher Landesmuseum und die in verschiedenen kantonalen Rathäusern und Museen der 
Schweiz noch erhaltenen Ehrenbanner kamen damals als Geschenke des erfreuten Papstes 
an die Teilnehmer jenes glänzenden Feldzugs*). So mußte denn auch die schweizerische 
Palastgarde in diesem Sommer 1512 besonders hoch in Gunsten stehen, und es begreift 
sih daß gerade damals einige ihrer ausgewählten Vertreter in einem Wandbild des 
Heliodorzimmers Aufnahme fanden. 

Weiter ist es dann auch sehr wohl glaublich, daß Raffael, wenn er sich entlasten 
mußte, gerade eine solche Uniformen-Gruppe mit Porträten gemeiner Soldaten am 
ehesten abtreten mochte, und daß umgekehrt gerade diese Partie einen Porträtmaler und 
ausgesprochenen Koloristen wie Sebastiano ganz besonders ansprechen konnte. 


1) Vgl. dazu R. Durrer, die Geschenke Papst Julius II. an d. Eidgenossen (in d. Zürcher 
Zeitschrift „Wissen und Leben“ I. (1908), p. 193ff. S. auch Pastor. Gesch. der Päpste III, 713ff. 


+ 


Uber den Ursprung der Stalaktiten und einiger 


anderer mittelalterlicher Baumotive 
Von Bruno Schulz 


„Orient und Occident 
Sind nicht mehr zu trennen.“ 
Goethe. 


Als man in Europa anfing sich mit der Kunst des Islam zu beschäftigen, war 
es natürlich, daß der Eindruck des Fremdartigen zunächst so stark war, daß man sie 
als etwas durchaus Einheitlihes und von der gewohnten Formenwelt Abweichendes 
auffaBte und infolgedessen die durch zeitliche, örtliche und andere Verhältnisse bedingte 
Verschiedenheit innerhalb der orientalihen Formen ebensowig wahrnahm, wie die 
Zusammenhänge, die zwischen den fremden und den heimischen und bekannten Formen 
bestanden. So kam es, daß zwei Irrtümer sich festsetzen und lange erhalten konnten: 
der Glaube an ein unverändertes Fortbestehen der orientalischen Kunst durch die Jahr- 
hunderte, also an das Fehlen einer Entwicklung in ihr, und die Überzeugung von 
ihrer unbedingten Originalität. Heute kennen wir die Entwicklung, die die 
islamische Kunst wie jede andere durchgemacht hat, wenigstens in den großen Zügen, 
und nehmen auch mehr und mehr die Übergänge wahr, die von der älteren Kunst 
zu den eigentlich arabischen Formen hinführen. Naive frühere Erklärungsversuche, 
wie die Ansicht, das farbige Flachornament der arabischen Wände stamme vom 
orientalischen Teppich — der 
auf den Fußboden gehört und 
nicht an die Wand — oder 
gar vom Beduinenzelt — das 
schwarz ist und überhaupt 
keine senkrechten Wände hat 
— müssen dabei dem Nach- 
weis einer allmählichen Ab- 
leitung der islamischen For- 
men aus denen der voris- 
lamischen Kunst weichen. 

Welchen Anteil nun 
die einzelnen vorislamischen 
Kulturzentren an der Ent- 
stehung der mittelalterlichen 
Kunst in Orient und Occi- 
dent gehabt haben, darüber 
herrscht zurzeit lebhafter Streit. 
Der kann meines Erachtens nur 
dadurch seiner Entscheidung 
näher gebracht werden, daß 
die mittelalterlihen und die 


330 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


vormittelalterlihen Einzelmotive konstruktiver wie formaler Art in ihrer Entwicklung 
verfolgt werden, diese vorwärts, jene rückwärts, und die Zusammenhänge der mittel- 
alterlihen mit der älteren Form, wo sie sich ergeben, auf diese Weise im einzelnen 
klargestellt werden, wozu als Voraussetzung eine genaue Aufnahme und Untersuchung 
der einzelnen Baudenkmäler gehört. Dann erst wird sich uns das Bild des Gesamt- 
vorganges aus sehr vielen Einzelheiten zusammengesetzt klarer zeigen. 

Für das Motiv der so- 
genannten Stalaktiten, eine 
Form, die ja wie kaum eine 
zweite der Kunst des Islam 
ausschließlich und eigentümlich 
angehört, ist meines Wissens 
dieser Nachweis bisher nicht 
geführt worden, und man ist 
deshalb vielleicht geneigt, ge- 
rade dies Motiv noch als eine 
durchaus selbständige arabische 
Erfindung anzusehen. Wie aber 
auch für diese eigentümliche 
islamische Form die Entwick- 
lung aus bekannten älteren 
In: Konstruktions- und Dekora- 
nr en tionsformen, und zwar aus 
spätrömischen, nachgewiesen 
werden kann, das soll in 
Folgendem zu zeigen versucht werden. 

Die Form der eigentlich sogenannten Stalaktiten, 
die in der späteren Entwicklung der islamischen Kunst zu 
den mannigfaltigsten Zwecken, zu Gesimsen, Säulenkapitellen u. dergl. benutzt werden, 
ist ursprünglich eine Form des Übergangs aus dem quadratischen GrundriB}zur poly- 
gonalen oder runden Kuppel und besteht als solche in mehreren Reihen kleiner, spitz- 
bogiger, polygonaler Halbkuppeln übereinander, die in wechselnden Formen und nach 
oben zunehmender Anzahl zu einem Pendentif angeordnet werden (Abb. 1)!). Diese 
zusammengesetzte Form hat sich jedoch erst später?) aus einer älteren einfacheren Über- 
gangsform gebildet, welche den Übergang zum Achteck direkt durch eine einzige 
Halbkuppel in jeder Quadratecke vermittelt. Die neuere ist also nur eine Häufung 
und wiederholte Anwendung der älteren Form: die dort zur einmaligen Abstumpfung 
des rechten Winkels angewandte Halbkuppel wird hier mehrere Male über- und 
nebeneinander zur immer weiteren Abstumpfung des Polygonwinkel verwandt. Neben 
den späteren eigentlichen Stalaktiten hat sich auch die ältere Form noch lange 


ı) Nach Franz Pascha, die Baukunst d. Islam im Handb. d. Arch. II, 3, 2. Darmstadt 1896 S. 52. 
*) Nach Franz Pascha, a. a. O. erst am Ende des XII. Jahrh. n. Chr. 


B. Schulz. Uber d. Ursprung d. Stalaktiten u. einiger and. mittelalterl. Baumotive 331 


erhalten (Abb. 2)'). Eins der ältesten bis jetzt bekannten Beispiele des Vorkommens 
der einfachen Übergangsform zeigt die kirzlich von F. Sarre”), im Frühjahr 1898 von 
ihm und mir aufgenommene Moschee-Ruine Makam Ali am Euphrat (Abb. 3). Dort ist 
der Übergang aus dem Quadrat zum Achteck durch vier in die Ecken gestellte spitz- 
bogige Halbkuppeln hergestellt, die mit je einer Muschel ——— ~ 
in Stuck dekoriert sind. Dieser Muschelschmuck tritt 
auch später noch immer wieder bei den Stalaktiten auf 
(vgl. Abb. 1). 

Schon diese wiederkehrende Dekoration der Halb- 
kuppel mit der Muschel kann auf die Vermutung eines 

x SS Zusammenhanges fiihren, der zwi- 

schen diesem ältesten islamischen 
Kuppelübergang und der römischen ?) 
»Conche“, der mit Halbkuppel über- 
deckten Halbkreisnische der spätrömi- 
scien Kunst, besteht, da hier die 
Halbkuppel ebenfalls als typischen 
Schmuck die Muschel zeigt; und das 
umsomehr, als die Anwendung der Halbkreisnische in 
der römischen Kunst der ersten nachchristlichen Jahr- 
hunderte gerade auch zur Lösung derselben Aufgabe 
beliebt ist, einen quadratischen Raum mit einer Kuppel 
zu überdecken. Die Kuppel wird (rund oder als acht- 
seitiges Klostergewölbe) auf ein regelmäßiges Achteck 
gesetzt, das aus dem Quadrat durch Einstellung von vier 
Halbkreisnischen in seine Ecken entwickelt wird (Abb. 4a). Der Grundriß des Raumes 
bleibt dabei zwar nicht mehr wirklich quadratisch, schmiegt sich aber eng dem Quadrat an. 

Und nun läßt sich in der Tat die Ent- 
wicklung nachweisen, die von dieser römi- 
schen in die Quadratecke gestellten Halbkreis- o 
nishe zu der schwebenden Halbkuppel der Abb. 7. 
früharabischen Kunst hingeführt hat. Sie ver- 
läuft in zwei Abschnitten; zunächst werden die gemauerten 
Wandungen der Halbkreisnische bis zum Halbkuppelkämpfer durch freistehende Säulen 
ersetzt, und dann werden diese Säulen weggelassen, und die schwebende Halbkugel 
bleibt als rudimentäre Form übrig. 

Der erste dieser Entwicklungsabschnitte ist durch eine große Anzahl von Bei- 
spielen allgemein für die Wandnische der spätrömischen Kunst belegt: Die Conche so- 


Abb. 5. 


Abb. 6. 


1} Nach Franz Pascha a. a. O. S. 18. 

2) F. Sarre, Makam Ali am Euphrat, im Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunstsammlungen. 1908. Heft II. 

3) „Römisch“ ist hier und im Folgenden natiilich nicht als „stadtrömisch“ oder „italisch“ 
zu verstehen, sondern als der gesamten römischen Reichskunst angehörig, ohne daß die Frage, 
woher das Motiv in diese Kunst Eingang gefunden habe, hier berührt werden soll. 


332 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


wohl wie die Rechtecknische (Aedicula) erhält ihre typische immer wiederkehrende 
formale Ausbildung zunächst durch zwei die Nische flankierende Pilaster mit Gebälk 
darüber (das bei der Conche auch aus einer bloßen Archivolte bestehen kann [Abb. 5)). 
An Stelle der Pilaster treten dann der kräftigeren plastishen Wirkung wegen zwei 
frei vor die Wand gestellte Säulen, „prostyle“ Conche 
(Abb. 6) und „prostyle“ Aedicula (Abb. 7), (wobei auch 
die Bogenumrahmung der Conche immer die Form 
eines vollständigen Gebälkes aus Epistyl, Fries und 
Geison annimmt. Um Platz zu gewinnen ohne an 
schattenwirkender Reliefhöhe zu verlieren, wird dann 
die Säulenfront der Conche oder Aedicula fast bis an 
die Wandfläche zurückgeschoben, und dazu das Ganze 
in eine Ausnischung der Wand gestellt (Abb. 8 u. 9). 
Diese Ausnischung erhält gar keine formale Ausbildung, 
und die Nische, zu deren Umrahmung Säule und Ge- 
balk eigentlich da sind, kann ganz fortfallen, d. h. 
ganz in diese größere nicht umrahmte Ausnischung 
aufgehen, so daß die Form der unsprünglichen Nische 
nur durch die beiden Säulen und das Gebälk darüber 
angedeutet wird (Abb. 9). 

Die Ausnischung der Wand, in die so Conche 
oder Aedicula hineingestellt wird, wird dabei entweder 
bis über die Verdachung in die Höhe gezogen (Abb. 8a) 
oder endigt tiefer und schließlich schon in Höhe der 
Epistyl-Unterkante (Abb. 8b). Beispiele dafür sind 
namentlich in Baalbek zahlreich vorhanden. 

Diese in der geraden Wandfläche besonders 
herzustellende Ausnischung, in die die Säulen hinein- 
gestellt werden, ist nun beim quadratischen Raum in 
den einspringenden Ecken schon vorhanden, und so 
ergibt sich als Endform dieses ersten Entwicklungs- 
abschnittes die Anordnung, wie sie im Grundriß auf 

Abb. 9. Abb. 4b und in den Ansichten auf den Abb. 10 und 11 
dargestellt ist. 

Die in diesen Darstellungen niedergelegte Annahme von der Existenz einer 
solhen aus zwei Säulen und einer Halbkuppel darüber bestehenden Zwischenform 
zwischen der römischen Conche und der älteren arabischen Ecklösung ist von mir zu- 
nächst rein hypothetish ohne Kenntnis eines wirklich noch vorhandenen Beispiels dafür 
aus Analogien abgeleitet worden. Sie findet nun aber überraschend exakte tatsächliche 
Bestätigung in, so viel mir bis jetzt bekannt, drei Beispielen an weit voneinander ge- 
legenen Orten: Zwei davon bildet Strzygowski') ab, die Kuppelkonstruktionen im 


1) Strzygowski, Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte, Leipzig 1905, Abb. 78, 80 u. 81. 


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B. Schulz. Uber d. Ursprung d. Stalaktiten u. einiger and. mittelalterl. Baumotive 335 


roten Kloster zu Solhag in Oberegypten und in der Kirche von Kodscha Kalessi in 
Kleinasien. Und ein drittes Beispiel für dieselbe Art des Überganges ins Aditeck hat 
F.Sarre, wie er in einem auf dem internationalen Historiker-Kongreß dieses Jahres gehaltenen 
Vortrage erwähnte, in der Sergius- 
Basilika zu Rusafa-Sergiopolis am Euphrat 
in zwei die Apsis der Basilika flankieren- 
den turmartigen dreigeschossigen Räumen 
gefunden (Abb. 12). Wie die weitere for- 
male Ausbildung des Motivs dort im 
Einzelnen gewesen ist, läßt sich leider 
nicht vollständig erkennen. Da die Wand- 
flächen Reste von Putz zeigen, scheint 
Stuck dabei zu Hilfe genommen worden 
zu sein, wohl in denselben einfachen 
für die syrische Kunst um etwa 500 n. Chr. 
eigentümlichen Formen, die die Säule und 
die Konsole zeigen. Kodscha Kalessi setzt 
Strzygowsky ins IV. Jahrhundert. Daß 
die formale Ausbildung des Motivs auch 
mit den noch kanonischen Formen des 
III. Jahrhunderts in fast klassischer Weise 
möglich ist, zeigen Abb. 10 u. 11. 

Der zweite Entwicklungsabschnitt 
des Motivs, die Entstehung der Ecklösung 
von Makam Ali (Abb. 3) aus dieser Form 
dur Weglassen der Säulen und ihrer 
Konsolen hat nun zwei ganz gleichartige 
Parallelen in der Entwicklung zweier an- 
derer Formen, des Bogenfrieses, der bei 
den romanischen Bauten des Abendlandes 
eine so häufige Verwendung findet, und 
des Zickzackfrieses, wie er uns in der 
Prachtfassade von Mschatta (im Kaiser 
Friedrich-Museum in Berlin) erhalten ist’). 
Alle drei Formen, die ältere Stalaktiten- 
form, der Bogenfries und der Zickzack Abb. 14. 
sind auf gleihe Weise, durch Fortfall 
der Säulen, aus der mit Säulen dekorierten römischen Wandnische entstanden: 
Die nebeneinander aufgereihten und durch ihre Bogengebälke miteinander zu einer 
Blendarkade verbundenen Conchen, wie sie uns in der Dekoration der Porta aurea in 


1) Vgl. B. Schulz, Bogenfries und Giebelreihe in der röm. Baukunst, im Jahrbuch d. Kgl. 


deutschen Archäol. Inst. Bd. XLI. 1906. Heft 4, S. 221. ji 


336 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Spalato (Abb. 13) erhalten sind, haben durch Weglassen der Säulen unmittelbar den 
mittelalterlichen Bogenfries ergeben. Genau ebenso ist es eine Reihe von nebeneinander- 
gesetzten durch ihre dreieckigen Giebel miteinander verbundenen Aediculen, die nach 
Weglassen der Säulen das Motiv von Mschatta (Abb. 14) ergeben haben. Die beiden 
bis jetzt bekannten hauptsächlichsten monumentalen Beispiele für diese Vorstufe der 
Dekoration von Mschatta — die meisten anderen gehören der Sarkophagplastik an — 
sind zeitlih und räumlich sehr weit voneinander getrennt: das Grabmal des Sampsi- 
geramus zu Homs-Emera am Orontes aus dem Jahre 78 n. Chr. und die Vorhalle des 

Klosters Lorsch im Rheintal 

(Abb. 15)!), ein Bau Karls 

des Großen. Beide Beispiele 

zeigen eine Reihe von Aedi- 

culen mit Dreiecksgiebeln in 

gegen die klassischen redu- 

| zierten Formen. Beide haben 
auch das miteinander und 
mit Mschatta gemein, daß 
die ganze Fläche, auf .der 
die Giebelreihe sitzt, mit 
gleichmäßig verteiltem Orna- 
ment überzogen ist, hier in 
beiden Fällen mit einem 
einfachen geometrischen 
Muster mit unendlichem 
Rapport, dort in Mschatta 
mit reichen Pflanzen- und 
Abb. 15. Tiermotiven in eigenartigen 

persischen Formen. 

Zu diesen drei aus der römischen Wandnische abgeleiteten Motiven muB als 
viertes noch das Motiv der zur Wanddekoration verwandten Arkade gerechnet werden, 
die ja nicht bloß die Vorstufe für die Entstehung des Bogenfrieses gewesen ist, sondern 
als Zwerggallerie und als Blendarkade einen selbständigen Fortbestand in der mittel- 
alterlichen Kunst gehabt hat; und als fünftes noch das Motiv der sogenannten ein- 
geblendeten Ecksäule, das ebenfalls in der mittelalterlichen Architektur im Morgen- und 
Abendland eine große Rolle spielt, denn auch dies hat sich aus der Conche entwickelt, 
dadurch, daß die Ausklinkungen der Wand, in die die Conchensäulen bei der Anord- 
nung nach Abb. 8 hineingestellt werden, möglichst gering bemessen, also schließlich 
auf den Raum beschränkt werden, den die Säulen selbst einnehmen. 


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So muB fiir alle diese fiinf Motive als erwiesen gelten, daB sie aus dem ròmi- 
schen Wandnischen-Motiv sich entwickelt haben, daB diese Entwicklung ohne Einschlag 


') Nach Essenwein, A., Die Ausgänge der klassischen Baukunst (Handb. d. Archit. Teil Il. 
Bd. 3, erste Hälfte, Darmstadt 1886). 


B. Schulz. Über d. Ursprung d. Stalaktiten u. einiger and. mittelalterl. Baumotive 337 


eines fremden Motivs nur durch Variation und Kombination — Bereicherung durch 
Häufung und Vereinfachung — vor sich gegangen ist, daß also für die Entstehung 
dieser mittelalterlichen Formen, wenn sie auch hauptsächlich an orientalischen Beispielen 
verfolgt werden kann, doch nicht etwa irgend etwas Altmesopotamisches oder sonst 
Urorientalishes maßgebend gewesen ist, sondern allein das hellenisch-römische System 
von Säule und Gebälk in seiner schier unerschöpflichen Anpassungs- und Veränderungs- 
fähigkeit. 


Der Meister des Berliner Martin 


+ und Hans von Heilbronn :: 
Von Paul Ferd. Shmidt 


I. 


Die Holzstatue des heiligen Martin im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin (Kat.- 
Nr. 362) hat schon einmal die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Friedrich Haack hat 
sie mit dem Laurentius des Germanischen Museums (Kat.-Nr. 315) zusammengebracht 
und gegen die Zusammenstellung mit der „Nürnberger Madonna“ entschieden, und mit 
Recht, protestiert!). Aber er hat die Spur nicht weiter verfolgt und auch weitergehende 
stilistische Schlüsse unterlassen; es blieb also bei der Berliner Benennung: „Schwäbisch 
um 1510“°) (Abb. 1. Die Aufnahme ist ungünstig, die richtige Ansicht wäre 
von unten). 

Da es sih um ein Werk ersten Ranges handelt, verlohnt es sich, zunächst bei 
ihm zu verweilen und sich nach genauerer Kenntnis seiner Art um verwandte 
Schöpfungen umzusehen. | 

Der heilige Martin ist ungefähr in LebensgrôBe als Standfigur dargestellt. Er 
beschäftigt sich damit, den Mantel mit seinem Schwerte zu teilen; gemaB dem strengen 
Charakter der siiddeutschen Stand- oder Schreinfigur, dem hier noch immer ein Rest 
gotisch-architektonischer Gebundenheit anhaftet, ist aber nicht eigentlich die Bewegung 
gegeben, sondern ein Augenblick des Innehaltens mitten in der Geste. Dieses fixierte 
Bewegungsmoment liegt im plastischen Charakter des Künstlers, dessen Tempo über- 
haupt ein allegro ritardando ist. 

Prüft man die ganze Figur durch, so ergibt sich eine vollkommene Konsequenz 
dieses plastischen Charakters. Das Standmotiv mit dem leicht seitwärts gesetzten Spiel- 
bein (man denkt fast an Lysipps Apoxyomenos) ist gut und körperlich überzeugend; 
es liegt etwas Adliges, ja Königliches in seinem Auftreten. Und die vornehme Ge- 
lassenheit des Mannes findet ihren krönenden Ausdruck in dem Haupte, das leicht und 
frei getragen wird und mit unerschrockenem Ausdruck ein wenig zur linken Seite ge- 
wendet, dem Nahenden fest entgegenblickt. 

Während sich dergestalt als kennzeichnende Merkmale der Figur gelassene Festig- 
keit und eine vornehme Selbständigkeit offenbaren, spiegeln auch die rein formalen 
Details ihren Charakter wieder. Die Bewegung der Arme dient der Entfaltung des 
einen großen Gewandmotives: der Mantel, von der Linken an einem Zipfel empor- 
gehalten, bildet ein System bauschiger Falten, deren Kurven zusammenlaufen und in 


') Repertorium XXIX, S. 245. Der hl. Martin ist aus Lindenholz, unbemalt, 163cm hoch, 
mit unbedeutenden Ergänzungen (Schwert und linker Fuß); der Laurentius ebenfalls jetzt un- 
bemaltes Lindenholz, 157 cm hoch. 

2) Daß von Nürnberger Art, wie der Skulpturenkatalog des Germanischen Museums meint, 
keine Rede sein kann, ergibt sih aus dem Folgenden von selbst. 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 339 


einer groBen edlen Linie den Rhythmus des Standmotives begleiten. Selbst die Faltelung 
des linken Armels und des herabhängenden Mantelendes zur Rechten ist in die Kurve 
einbezogen; die Geberde des Heiligen letzten Endes nur dekorativ wirksam. Die 
Faltengebung hat aber innerhalb des bedeutenden Hauptmotives etwas heimlich Er- 
regtes; die Bauschen gleichen einem Plateau, das von 
tiefen Schluchten durchschnitten wird, ihr Rand ist 
knitterig wie bei einem Seidenstoff und endet in 
muldenförmigen Zungen. In wirksamen Gegensatz 
gegen diese zeichnen sich unterhalb der Faltenzüge 
Schenkel und Knie klar durch den gefütterten Mantel- 
stoff hindurch ab. Das Haupt ist energisch gebildet, 
von vierkantigem Typus, Kinn und Stirn als ent- 
schiedene Kriterien des Willensausdruckes fassen das 
Gesicht zusammen; Kinn und Mund, Nase und Brauen 
wölben sich aus ihrer Umgebung in plastischer Be- 
tonung heraus — besonders eigentümlich der Mund, 
dessen ganzer Bau die Erhöhung des Schließmuskels 
namentlih an den Mundwinkeln unterstreicht. Die 
Augen blicken kühn und ruhig unter starker Brauen- 
wölbung hervor; und den Eindruck eines Mannes, 
dem das Herrschen selbstverständliche Lebensbetätigung 
ist, der gelassen über die Umwelt verfügt, vollendet 
die geringelte Lockenfülle, die den Kopf umgibt, voll- 
endet auch etwas scheinbar so Nebensäcliches wie 
die Schuhe, die mit breiten Flächen, als „Kuhmäuler“, 
auf der Erde haften, ihrem Träger festen Stand ver- 
bürgend. | 

Man braucht gar nicht bis ins XV. Jahrhundert 
zurückzugehen, um die Gestalt des Martinus als Gegen- 
satz zum gotischen Ideal zu empfinden. Auch die 
spätesten Figuren Riemenschneiders sind ängstlich und 
haltlos neben ihr, die des Krafft bäurisch, und alle 
ihre Genossen von den schwäbischen Altären des 
XVI. Jahrhunderts scheinen nur schwankende Gestalten 
neben der gesunden Fülle des Martinus. Will man Abb. 1. Der hl. Martin. Berlin, 
seinesgleicien sehen, so muß man sich zu den besten Kaiser Friedrih- Museum 
Schöpfungen von Vischer und Stoß und zur „Nürn- 
berger Madonna“ bemühen. Erst in den großen Schöpfungen der deutschen Renaissance- 
plastik findet man diesen Geist stolzer Größe und des Selbstbewußtseins wieder, der 
so außerordentlich kontrastiert gegen das unterwürfige Zusammenknicken der gotischen 
Figuren. Zwei Weltalter stehen da gegeneinander, diein ihrer plastischen Gesinnung 
wenig miteinander gemein haben, wenn sie auch ihre Formeln auf denselben Ursprung 
zurückführen, auf das kirchliche Heiligtum. Die einen, die Gotiker, möchten die Himmels- 


340 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


sehnsucht durch Abkehr von irdishem Gewaltausdruck und durch hochaufstrebende 
Altarbauten verewigen; ihr feinster Schöpfer ist Tilman Riemenschneider, der Zarte. 
Die andern aber, die Modernen, ergreifen von dem Irdischen Besitz und von der 
Herrlichkeit menschlicher Schönheit: sie wurzeln fest 
in der Realität, sie stellen das plastische Gewissen 
der neuen Zeit dar, die nicht abstrakte Heilige, sondern 
lebendige Menschen zu schauen wünscht. Sie erleben 
die Schöpfung des Menschen als Ganzes noch einmal. 
Aus diesem lebensfrohen, plastisch fühlenden Geschlecht 
ist der Meister des Berliner Martin. 

Seine Charakteristika sind so eigentümlich und 
verraten so viel Persönlichkeit in der gesteigerten 
Geistigkeit und dem hoheitsvollen plastischen Idealis- 
mus der Figur, daß man unschwer weitere Werke 
seiner Hand erkennt. Eines hat Haack schon mit 
glücklihem Blick in dem Laurentius des Germanischen 
Museums entdeckt; neben diesem steht aber ein als 
Petrus ergänzter heiliger Mönch (Kat.-Nr. 329), der 
demselben Meister gehört. Beide Statuen vereinigen 
Merkmale mit denen des heiligen Martinus zu nahezu 
unumstößlichen Beweisen der nämlichen Abstammung 
und sollen deshalb zusammen untersucht werden. 
(Abb. 2 u. 3.) 

Angefangen von der freien männlichen Haltung, 
haben sie hier auch im einzelnen Verwandtschaften 
mit dem Martin. Das linke Bein schiebt sich unter 
den Gewändern spielbeinartig vor, das Knie ist nach 
innen gedreht; die Füße stecken sicher in den näm- 
lihen breiten Kuhmäulern. Die Faltenbehandlung 
variiert das System des Martin nach zwei Seiten, 
und ebenso variiert Kopf- und Handbildung dessen 
Stil in leise abklingender Weise. Beim Laurentius ist 
alles knapper, klarer; vorweg das Gewand, bei welchem 
Abb. 2. Laurentius. Nürnberg, Ger- die Täler weniger tief in die Stoffmassen einschneiden, 

O manisches Museum die Motive übersichtliher und magerer sind. Aber 

es ist die nämliche bildnerische Gewohnheit wie beim 

Martin, welche Bauschnester an den Biegungen eingräbt, die jene kleine Mulden z. B. 
am Knie wie absichtslos einstreut, um die Flächen zu beleben; es ist die namliche Be- 
handlung der Armel, um das Handgelenk ein wenig trichterförmig geöffnet, vom Ell- 
bogen in luftiger Kurve weit herabhängend. Das alles bis ins einzelnste ist auBer- 
ordentlich gleich im plastischen Gefühl, aber beim Laurentius noch weniger entwickelt. 
Martin ist voller und rauschender im Gewand, selbstbewußter im Auftreten. Dagegen 
verraten die Köpfe weniger Entwicklungsdifferenz. Der Nürnberger ist vielleicht etwas 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 341 


weniger kompliziert in der plastischen Struktur; die Bildung derber, die Nase breiter: 
aber im ganzen und in den Einzelheiten, wie dem Munde, den Stirnknochen und Kinn, 
dem Lockenkranz wirkt er völlig wie ein Bruder des aristokratischeren Mantelteilers. 
Auch die Hände mit ihrer klaren Artikulierung und dem Reichtum an gut beobachteten 
Fältchen, Sehnen und Adern, bezeugen die Blutsver- 
wandtschaft der beiden Figuren. Daß die des Nürn- 
bergers weniger energisch zugreifen, liegt an den 
verschiedenartigen Motiven. 

Beim Mönch wiederum erscheinen die Elemente 
der Unruhe und der seidenartigen Bauschung im Ge- 
wande des Martin gesteigert. Alles steuert bei ihm 
auf Extreme hin: das Motiv des gerafften Kleides in 
der untern Partie wird wiederholt, aber wirbelartig 
um das linke Bein herum verstärkt; die Säume 
schwellen und winden sich, werden selbständiger 
(selbst die Schuhe nehmen an dieser Bewegung teil); 
die Massigkeit des Stoffes nimmt zu, die Ärmel stauen 
sich und fallen lang herunter. Aber an der Identität 
des plastischen Ursprungs beider Figuren läßt nichts 
einen Zweifel aufkommen: die Bauschigkeit hergestellt 
durch Eintiefungen, die kleinen Mulden, die ge- 
schlängelten freien Säume an den Gewändern, deren 
Differenzen die verschiedene Tracht bedingt (Mantel 
resp. Kutte); die gleihen Hände, deren Energielosig- 
keit die nämliche ist wie beim Laurentius; die Köpfe, 
deren gleichförmige Grundbildung im einzelnen wohl 
nicht mehr der Hervorhebung bedarf, und bei denen 
die Abweichungen nur zu dem Eindruck der gleichen 
Entstehung beitragen können. Statt der Locken fallen 
bei dem Mönche einzelne Haarbüschel schlicht herab; 
und die Individualisierung ist hier stärker als der 
idealistishe Zug, was zum Teil wohl der erhaltenen 
Bemalung zuzuschreiben ist. Dennoch erkennt man, 
wie nahe bei gleichbleibender Grundform der Typus 
sich leicht vom Heroischen ins Individuelle (cum grano salis!) abwandeln läßt. Die hohe 
Kunst des Meisters verbürgt doch immer jenen Grad von Idealität, der zu monumentaler 
Skulptur am besten eignet. Die hoheitsvolle Weltlichkeit, die bei allen drei Statuen aus 
ihren Augen blickt, stempelt sie nicht nur zu Repräsentanten einer Weltanschauung, die 
man Renaissance zu nennen pflegt, sie zeichnet sie auch vor der Masse der späteren 
schwäbischen Altarskulpturen aus, die über einen bloßen kräftigen Realismus nicht hinaus- 
kommen. Hier dagegen herrscht der Wille, den Statuen ein höheres geistiges Ansehen zu 
geben (welches niemals dem bloßen Realismus gelingt), und die Fähigkeit, die wertvolle 
Persönlichkeit als solche, als monumentale Individualität, zur Erscheinung zu bringen. 


Abb. 3. Mönch. Nürnberg, Ger- 
manisches Museum D 


342 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Mit solchen für einen deutschen Altarfigurenbildner nicht gewöhnlichen Quali- 
täten verbinden sich fast noch ungewöhnlichere: die Gabe, seine Typen sinngemäß zu 
variieren, und die Möglichkeit, sich formal zu steigern. Die Entwicklung von der 
härteren Flächenhaftigkeit des Laurentius zu der klassischen Fülle des Berliner Martin 
und von diesem zu dem barock (barock wie Hans 
Leinberger) anmutenden Bewegtheit des Mönches ist 
gar nicht zu verkennen. Eigentümlich ist, daß an 
dieser Entwicklung die Gewandung in viel stärkerem 
Maße Teil hat als Köpfe, Hände und selbst Haltung. 
Und daß die plastischen Motive, der stilistischen Wand- 
lung entsprechend, des Meiste Reichtum an Form und 
Ausdruck beweisen, ist leicht zu überblicken. Das 
Maß an innerer Energie ist ebenso verschieden bei 
den drei Heiligen wie ihre Gewandmotive und Details. 

Wie weit die drei Statuen zeitlich auseinander 
liegen, ist bei dem Mangel an allen Daten nicht mög- 
lih zu sagen. Bei versprengten Stücken der Art muß 
überhaupt die Stilvergleihung nahezu alle übrigen 
Hilfsmittel ersetzen. Der Denkmälerbestand ist aber 
so zerstreut, daß wir auch mit dieser den Grund legen- 
den Arbeit noch nicht sehr weit gediehen sind. 

Behält man die Wandlungsfähigkeit des Meisters 
im Auge, so wird es nicht überraschen, wenn wir ihm 
nun auf Grund der gewonnenen Stilkenntnis auch eine 
so scheinbar abweichende Figur zuschreiben, wie den 
jugendlihen Diakonen, der den beiden Nürnberger 
Figuren nahe benachbart im Kirchensaal des Ger- 
manischen Museums steht (Abb. 4)'). Der von spät- 
gotischen Statuen so abweichende ruhige Stand mit 
Abb.4. Jugendlicher Diakon. Nürn- der leichten Andeutung des Spielbeins; die ‚Haltung 

berg, Germanisches Museum der beiden Hände, die dem Lorenz entspricht, mit 

demselben scheuen, ja zaghaften Zulangen der Finger; 
das Faltensystem unterhalb der rechten Hand; die langen röhrenartigen Ringellocken: 
alles ist an der Gestalt dem Lorenz verwandt, nur in einem unentwickelten Stadium 
stehend und ins Flachrelief übersetzt. Daß das Gesicht beim ersten Anblick so auffällig 
abweicht, ist kein Gegenbeweis: unter seiner mädchenhaften Lieblichkeit verbirgt sich 
derselbe Knochenbau, und die weiche sorgfältige Modellierung entspricht derselben Lust 
an charaktervollen Wölbungen wie bei den andern. Dieses überaus anmutige Relief 
füllte ursprünglich wohl den Seitenflügel eines Altars. 

Noch um etwas älter erscheinen zwei Diakonenfiguren im Darmstädter Museum), 


ı) Kat.-Nr. 301, Höhe 172 cm, Lindenholz (?), unbemalt. 
2) Lindenholz, unbemalt, Höhe 102 und 104cm. Sie stehen im Chor des gotischen Kirchen- 
raumes. 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 343 


deren Zusammengehörigkeit beim ersten Blick auffällt (Abb. 5). Der Stil des Paares ist 
wesentlich härter als der des Lorenz, und es bedarf vielleicht einiger Abstraktion, dieselbe 
Hand hier zu erkennen. Gleichwohl sind die Familienmerkmale nicht von der Hand 
zu weisen, nur ist ihre Plastizität und Kraft im ganzen geringer; als früheste Versuche 
des Künstlers sind sie etwas unreif und herb ae Das Faltensystem der Dal- 
matika geht über Andeutungen kaum 
hinaus, die Energie des vierkantigen 
Schädels ist in den Anfängen stecken 
geblieben; aber selbst hier ist die Klaue 
des Löwen nicht zu verkennen in dem 
freien Blick; und Haltung, fingernde 
Hände, Kopfwendung, Lockenschwall 
und Armelfall am Handgelenk verraten 
so sehr die nämliche Abstammung, daß 
die Unterschiede nicht als stilistische, 
sondern nur als entwicklungsgeschicht- 
lihe betrachtet werden können. An 
diesen sechs Figuren prägt sich einmal 
der persönliche Charakter eines Meisters 
dur verschiedene Wandlungen der 
Zeit in typischer Zeichnung aus: er 
macht die allgemeine Stilwandlung von 
der gotischen Jugendlickkeit bis zu der 
reifen Männlichkeit des XVI. Jahrhun- 
derts mit, behält aber unverrückt sein = 
körperliches Ideal bei. Er entfaltet nur Abp. 5. Zwei Diakonen 
alle Reichtümer, die von Anfang an 
in seinen Motiven liegen; wie er denn von Anfang an der Reifezeit innerlich angehört. 
Für unsere Stilkenntnis bedeutet diese Entwicklungsreihe eine wesentliche Be- 
reicherung. Stilistische Reifeunterschiede sind noch nicht Unterschiede der ausführenden 
Hand. Es ist kein Privileg der anerkannten Großen, sich wandeln zu dürfen; wenn 
es allerdings auch ein Kennzeichen für Große ist, sidi wandeln zu können. Und der 
Meister des Berliner Martinus ist ein Großer. Seine Menschen leben, sie führen ein 
starkes, männliches und adeliges Eigenleben. Wer so über gewöhnliches Maß hinaus- 
ragende Menschen gestalten kann, der ragt selber, nicht durch die Qualität seiner Ge- 
schöpfe, sondern durch seine Schöpferkraft über die andern hinaus. Vielleicht beugt er 
sih nur dem größten Charakterbildner Veit Stoß; unter den schwäbischen Bildhauern 
ist nicht einer, der es mit ihm aufnehmen könnte in der Blütezeit der Altarplastik. 


. Darmstadt, Museuin 


IL. 


Die Frage nach der Herkunft dieser Kunst und nach verwandten Werken führt 
uns nach Heilbronn, zu dem Hochaltar der Kilianskirche, den, nach den über- 
zeugenden Darlegungen Marie Schuettes, im Jahre 1498 Meister Hans von Heilbronn 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


344 


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Abb. 6. Schrein des Hochaltars in der Kilianskirche zu Heilbronn 


An diesem groBen und harmonischen Altar ist die Ausgleichung 


schwäbischer Formschönheit und fränkischer Beseelung angebahnt; ganz dem Charakter 


| verfertigt hat’). 


Heilbronns entsprechend, das unter einem echt schwäbischen Himmelsstrich liegt und 


dennoch seiner Bevölkerung nach halb zu Franken rechnet (Abb. 6—8). 


Es ist die- 


selbe Harmonie wie bei dem Meister des Berliner Martinus, um wenige Nüancen 


1907, S. 128, 


Christl. Kunstblatt 1892, S. 106. 


Straßburg, Heitz & Mündel 


1) Marie Schuette, Der schwäbische Schnitzaltar. 


182 ff. — Tonnies 


S. 165 ff. 


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1900 


StraBburg, 


Tilman Riemenschneider. 


Abb. 7. Aufsatz des Kiliansaltars in Heilbronn 


346 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


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Abb. 8. Flügel vom Kiliansaltar in Heilbronn 


schwäbischer. Die Frage ist die: genügen diese :Nüancen, um die Verschiedenheit 
der Hände davon abzuleiten — oder ist der Martinusmeister einfach Hans von 
Heilbronn? 

Halt man sich die Entwicklungsreihe des Martinusmeisters vor Augen, so er- 
scheint die Verwandtschaft zwischen ihm und Hans sehr groß: zwischen dem Werk 
des Berliner als Ganzen und dem Kiliansaltar fiir sich. Unverhohlene Erdentreue, 
Gegenwartssinn, Festigkeit bis zu Kiihnheit und Trotz gesteigert im Charakter der 
Menschen; das Schleifende im Standmotiv; vierkantige Kopfform mit den tiefliegenden 
Augen, dem vorgebauten Munde, dem vielgelockten reichen Haar; Handbildung und 
Greiflust; im Gewandstil die Einsenkung der Tiefen und das Gewirr der Nester über 
dem Schoß. Aber die detaillierte Betrachtung löst die Stilparallelen alle zur bloßen 
Ähnlichkeit auf und läßt in der Entwicklungreihe des Martinusmeisters nirgends Platz 
für den Kiliansaltar. Um es vorwegzunehmen: Hans von Heilbronn ist nicht nur um 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 347 


einige Grade „schwäbischer“, sondern auch um ein paar Nüancen „gotischer“ als der 
Meister des Martinus es von Anbeginn ist. Ä 
Schwäbischer ist am Kiliansaltar vor allem die größere innere Ruhe der Men- 


schen; trotz ihrer scharfblickenden 
Augen leben nicht einmal die dis- 
putierenden Kirchenväter in der Pre- 
della so sehr in ihren Gedanken 
wie schon die Darmstädter Diakonen, 
die frühesten im Werke des Mar- 
tinusmeisters. Sie sind träger im 
Denken und gleichmütiger in der 
Empfindung. Schwäbischer ist auch 
die lebhaftere Aktion der Hände, 
die nicht innere Erregung, sondern 
ledigih der echt schwäbischen 
Freude am Formenspiel schöner 
Hände entspringt. Man gehe alle 
schwäbischen Schnitzaltäre durch, 
und man wird staunen, wie ihnen 
gegenüber Riemenschneider und 
selbst Stoß die Hände verhältnis- 
mäßig nebensächlich behandeln. Der 
ungemeinen Varationslust schwäbi- 
scher Hände und speziell derer am 
Kiliansaltar stehen die des Berliner 
Meisters gegenüber, die nie so fest 
zupacken, die den Motivenreichtum 
des Heilbronners nicht kennen. Der 
Berliner legt eben auf andere Dinge 
geistigen und formalen Nachdruck. 
Nur der hl. Martin besitzt ein wenig 
von der herrlihen Ausdrucksfülle 
und nervösen Beweglichkeit der 
Heilbronner Hände. Es zeigt sich 
hier gleichzeitig eine ähnliche Form- 
gebung und eine Art psychischer 
Differenzierung, die in ihrer Ver- 
bindung schon für sid allein 


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Abb. 9. Kreuzigungsgruppe hinter der Bernhardskirche 
in Stuttgart O 


den Schluß auf nahe persönlihe Verwandtschaft der Meister nahelegen. 
„Gotischer“ zeigt sidi Hans von Heilbronn in der Empfindung wie im Detail. 
Die stärkere Ausbiegung, das unsichere Stehen seiner Figuren weist ebenso wie der 
kleinliche Knitterstil der röhrenartigen Falten, die von keinem durchschwingenden 
Motiv beherrscht werden, auf ein höheres Alter des 1509 gestorbenen Meisters. Seinen 


348 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Gestalten haftet noch ein starker Rest spätgotischer Unsicherheit an. Der Martinus- 
meister hat die schwache Stelle im Kanon der schwäbischen Schreinfiguren erkannt: 
die falsche Hebung der Schulter an der Spielbeinseite !). Gelingt es ihm nun auch 
nicht, den Körper richtig zu biegen und die Schulter der Standbeinseite zu senken, so 
stehen seine Menschen doch wenigstens gerade auf ihren Füßen, und die verhängnis- 
volle Hüftenschiebung ist vertusdit. Das ist eine der Aufgaben, die der schwungvollen 
Drapierung zufallt. Die Heilbronner Statuen können schon dieser Drapierung wegen 
nicht von derselben Hand wie der heilige Martin stammen; die konsequente Entwick- 
lung von den Darmstädter Figuren bis zu dem Mönch in Nürnberg bezeugt laut genug 
die revolutionäre Gesinnung ihres Meisters, der auf einen bewußt dekorativen Falten- 
stil etwa im Sinne des Moosburger oder Breisacher Hochaltares hinarbeitet; ein Stil, 
der die Gewandung zu plastischen Kombinationen in großartigen Liniensystemen ver- 
wendet, darunter aber den Körper nicht verhüllt, sondern Teile von ihm zwischen dem 
Faltenmeer um so plastischer heraushebt °). 

Will man gegenüber dieser fortgeschrittenen Gesinnung des Martinusmeisters 
das im Altertümlichen Beharrende des Hans von Heilbronn, aber auch seine Größe er- 
kennen, so haben wir noch ein späteres Werk von ihm, den urkundlih von ihm 
stammenden Kalvarienberg hinter S. Leonhard in Stuttgart von 1501?) Zum Unter- 
schied gegen den holzgeschnitzten Altar ist dieses Werk in graugelbem Sandstein ge- 
hauen (Abb. 9). Aber der Gewandstil und die gotisierende Tendenz sind hier die gleichen 
wie am Kiliansaltar. Die Ruhe der Gestalten wächst durch ihre Teilnahme an dem er- 
schütternden Vorgange ins Monumentale, und trolz ihrer ausgebogenen Haltung geben 
ihnen die größer gedachten Gewandmotive erhöhte Würde, die den Schmerz zu 
stummerem Pathos dämpft. Diese Gruppe wirkt bedeutender als die im Heilbronner Altar. 
Der Gegenstand war auch lockender und plastischer. Die Kreuzigungsgruppe, in das 
Stäbchengewirr des Heilbronner Aufsatzes verbannt und als schlecht beleuchtetes Akzi- 
dens wohl yeringern Händen überlassen +), wird in Stuttgart zur Hauptsache und kann 
sich hier in mächtiger Geschlossenheit aufbauen, den gegliederten Felsen zur Unterlage. 
Der anatomisch ziemlich gut durchgebildete Körper des Gekreuzigten zeigt noch die 
gotish dünnen Beine und die starke Einschnürung der Weichen; der Kopf voll edler 
Hoheit, mager, aber ohne Schmerzverzerrung. 7 

Der Stuttgarter Kalvarienberg ist nicht der einzige gewesen, den Hans von 
Heilbronn schuf. In Heilbronn selbst hat ein solcher gestanden, von dem nichts mehr 
Kunde gibt, als ein verstiimmelter Christuskopf in grauem Sandstein, unbemalt, im 


1) Vgl. dazu die feine Formalanalyse der gotischen Ponderation bei M. Schuette a. a. O., S. 91 f. 

2) Ein schönes Beispiel für den rein dekorativen Faltenstil des XVI. Jahrhunderts in 
schwäbischer Mundart ist die Gruppe des „Meisters mit den Langfalten“, die Felix Mader in „Die 
christlihe Kunst“, III. Jahrgang, Heft 7 abbildet und ohne Grund dem Meister des Mörlin- 
Epitaphs zuschreibt. 

3) Schuette a. a. O. S. 128, 184. H. Wagner, Die Kreuzigungsgruppen zu Frankfurt a. M., 
Wimpffen und Mainz. Darmstadt 1886, S. 24 ff. 

4) D. h. die Ausführung, die bei den Flügeln und den Figuren des Aufsatzes flauer ist; 
der Entwurf ist durchaus einheitlih und Werk des Meisters Hans, wie schon die Ähnlichkeit der 
beiden Magdalenen beweist. 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 349 


Historishen Museum in Heilbronn [respektive!] (Abb. 10). Er wurde im vorigen Jahre 
beim Abbruch eines Hauses aus dem Zement geschlagen, mit dem er verbaut war, und 
ins Museum gerettet; andere Köpfe aber sind spurlos verloren gegangen’). Der 
sichelförmige geöffnete Mund mit der Bartkurve, der feine Nasenrücken, die hodh- 
gezogenen Brauen mit den tiefeingebetteten Augen, der tiefgelegte Liderschlitz (der 
übrigens der Madonna des Kiliansaltares entspricht), die Anordnung der schweren, mit 
Stricken vorn gebundenen Dornenkrone, selbst die seitlih auf die Schultern herab- 
fallenden Locken wiederholen sich bei dem Stuttgarter Christus. Die überaus feine und 
schöne Arbeit dieses Bruchstückes läßt den Verlust des übrigen schwer empfinden. 
Der Kopf gehört zu den ergreifendsten und formal 
ausgereiftesten Skulpturen der deutschen Spätgotik. 


III 


Das bisher übersehbare Material dieser Unter- 
suchung verteilt sich nun folgendermaßen, chronologisch 
geordnet, unter die beiden Meister: 


Hans von Heilbronn. 


1. Kiliansaltar in Heilbronn. 1498. 

2. Kalvarienberg in Stuttgart. 1501. 

5. Kalvarienberg in Heilbronn, von dem nur der 

Christuskopf vorhanden ist. Ungefähr dieselbe Zeit. Abb. 10. Christuskopf. Heilbronn 

4. Der gänzlich zerstörte Speierer Ölberg, von Histor. Museum = 
dem die Stuttgarter Chronik berichtet; 1505 von Meister Hans visiert, 
1509— 1511 nach seinem Tode von Lorenz von Mainz und Heinrich von 
Speyer ausgeführt. 

5. Ölberg in Lauffen a. Neckar, am Chor der Regiswiediskirche; bis zur völligen 
Unkenntlichkeit verstümmelt, scheidet er aus der Betrachtung aus. 1507. 

1509 stirbt Meister Hans. 


Martinusmeister. 


u. 2. Die beiden Diakonen im Darmstädter Museum. 

. Der jugendliche Diakon (Nr. 301) im Germanischen Museum. 

. Heiliger Laurentius (Nr. 315) im Germanischen Museum. 

. Heiliger Martin im Kaiser Friedrih-Museum zu Berlin (Nr. 362). 
. Der Mönch im Germanischen Museum (Nr. 329). 


Die Berliner Statue ist dort „Schwäbish um 1510“ benannt und mit der 
Datierung sicherlich das Richtige getroffen. Wie weit die frühesten Arbeiten vor dieser 


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1) Die meisten Verstiimmelungen des Kopfes sind ganz frisch, sie rühren von den Hammer- 
schlägen her, mit denen er befreit wurde. Die Sorglosigkeit, mit der die kostbarsten Funde an 
so alten Kulturstätten behandelt werden, berührt etwas befremdlich; mit einiger Aufmerksamkeit 
hätte ohne Zweifel sehr viel mehr gerettet werden können. 


3£0 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Zeit zurückgehen, darüber fehlt jeder Anhalt, wie es auch bisher nicht gelungen ist, 
frühere Werke des Hans von Heilbronn aufzufinden. Er setzt sogleich mit dem Reife- 
werk des Heilbronner Altars ein und schafft weiterhin eine Reihe umfangreicher und 
bedeutender Arbeiten, ja der bei den Zeitgenossen hochberühmte Speierer Ölberg ist 
nach seinem Tode erst von andern ausgeführt worden. All das und die Überlieferung 
seines Namens, der gleich mit zwei Arbeiten verknüpft wird, beweisen, daß auch von 
den Zeitgenossen seine Bedeutung richtig eingeschätzt wurde. Von den schwäbischen 
Bildhauern nach Multscher und Syrlin ist er zweifellos der bedeutendste. Weder der 
Blaubeurer — einschlieBlich der schönen ihm jüngst von Vöge!) zugeteilten Skulp- 
turen — noch der Geislinger Meister, weder Yvo Strigel noch Christoph von Urach 
oder’ der Nördlinger und Rothenburger (Schuette, S. 133) können sich mit ihm an 
monumentaler Kraft und an Würde seiner Gestalten messen. Der Einschlag fränki- 
scher Geistigkeit erhebt ihn über sie und steigert die natürliche Formenfülle des 
Schwaben zu edler Hoheit. Übrigens zeigt auch der architektonische Aufbau eine be- 
ruhigtere Feierlichkeit und strengeres Maß der führenden Architektonik als die meisten 
Altäre schwäbischer Herkunft. Wohl bei keinem anderen sind die Verhältnisse, in 
denen Schrein und Aufsatz, Breite und Gesamthöhe, Figuren und Ornament, alle mit- 
einander stehen, so rhythmisch durchgebildet, so durchsichtig. Und dasselbe gilt von 
dem glücklich komponierten Kalvarienberg in Stuttgart. Es ist nicht anders, als ob die 
spätgotische Empfindung in diesen Werken ihre Erregung in strenge Linien bannte 
und den Ausdruck klassischer Ruhe suchte. 


Der Meister des Berliner Martinus stellt uns äußerlich keine so günstige Bilanz 
seines Schaffens auf. Wir haben eben erst sein Werk zusammengesucht. Nun zweifle 
ich nicht, daß bei genauerer Kenntnis der unendlich verstreuten Denkmäler (zu der 
hoffentlih die Publikationen des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft uns ver- 
helfen werden) noch mancherlei seinem Werke hinzuzufügen sein wird. Schwerlich aber 
wird es gelingen, sein Wirken an so großartigen Gesamtwerken zu demonstrieren, wie 
bei Hans von Heilbronn. Keine seiner Statuen ist datiert; und keine fügt sich mit 
anderen zusammen, sieht man von den beiden Darmstädter Figuren ab. Ich kann Haack’) 
leider nicht zustimmen, wenn er den Nürnberger Lorenz mit dem Martin in einem 
Altare unterbringen möchte. Der Unterschied von 6 cm Höhe will natürlich nichts be- 
sagen. Aber der Martinus ist, nicht etwa bloß in der Gewandung, um so viel Jahre 
stilistisch hinter dem Martin zurück wie dieser hinter dem Nürnberger Mönch; es ist 
unwahrscheinlich, daß sie in einem Schrein sich miteinander darstellten. 


Jedenfalls aber haben wir lauter Einzelfiguren vor uns, schöne Bruchstücke von 
verschiedenen Altären, die uns gerade kein vollständiges Bild von dem Können des 
Meisters geben. Wer weiß, wo diese drei oder vier Altäre einstmals standen, wann 
sie zerstückelt, zerstört, wohin die Bruchstücke gekommen sind. Was aber ihre, vor- 
läufig auf sechs, beschränkte Zahl uns zeigt, bildet die interessanteste Parallele zu 
Meister Hans. 


In den Monatsheften für Kunstwissenschaft, II. Jahrg. 1909, Heft 1, S. 11. 
2) Repertorium XXIX, S. 246. 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 351 


Vielleicht gewinnt man eine lebendigere Vorstellung von dem Verhältnis dieser 
beiden Bildhauer, wenn man sie sich als Brüder denkt. Das gemeinsame Blut gehört 
der Heilbronner Rasse an mit ihrer Vereinigung von fränkischer Energie und schwäbi- 
scher Sinnlichkeit’). Sie sind beide gleich weit entfernt von der Inbrunst und dramati- 
schen Spannung der Franken (Riemenschneider, Stoß), wie von der trägen Sinnlichkeit 
und der liebenswürdigen Behaglichkeit der Schwaben (Blaubeurer Meister) 2). Aber sie 
haben süddeutsches Temperament genug, die stattlihe Form mit Leben und Geist zu 
sättigen: wie ungeduldig halten sich ihre Gestalten im Zaum, wie bedeutend erscheint 
ihre monumentale Würde durch diese Zurückhaltung, die sie sich freiwillig auf- 
erlegen! Solh eine gemäßigte Bewegung erscheint naturgemäß als Produkt einer 
Mischung der Stammescharaktere von Schwaben und Franken. Die Art dieser Meister 
ist darum nicht schulartig übertragbar, sie knüpft sich rein an ihre Persönlichkeit und 
wirkt wie ein einmaliges Ereignis. Vielleicht ist darum auch ihre Briderlichkeit mehr 
als bloß bildlih zu nehmen. Für die Heilbronner Zuständigkeit des Martinusmeisters 
sprechen die Verwandtschaften mit Hans überaus beredt. Die Herkunft seiner Statuen 
ist nicht bekannt, außer der der beiden Darmstädter, die wahrscheinlich aus Wimpffen 
stammen?). Dies würde ohne weiteres auf Heilbronn als Ursprungsort weisen. 


Was die beiden Künstler nun am stärksten unterscheidet, sind ihre Entwick- 
lungslinien, die sie innerhalb der sich gleichbleibenden Rassemerkmale auseinanderführen. 
Der Altere ist zweifellos Hans von Heilbronn. Er kann sich von dem kleinlichen, fast 
motivlosen Faltengeknitter und der falschen Schulterstellung (schwäbischer Art) nicht 
lösen; er bleibt gotisch selbst in dem edlen Kalvarienberg von Stuttgart, bei dem die 
Ansätze zu einer Neuorganisation etwa von der Art des Kalvarienbergs am Frank- . 
furter Dom nicht vollendet werden. Der Martinusmeister ist der Elastischere. Weniger 
von der gotischen Tradition beschwert, weil jünger, hat er sein beschränktes Figuren- 
problem entwickeln können, so weit wir sehen, von der zarten Linienhaftigkeit 
spätgotischen Falten- und Formgefühls, von einer fast graphischen Ausdrucksweise 
bis zu der üppig bewegten schillernden Plastizität des Barocks von 1525, bei der das 
Gewand den stärksten Akzent im Gesamtaufbau erhält und an Stelle der statischen 
Aneinanderreihung von Standbildern oder Szenen der Altarschrein gefüllt wird mit 
einer Komposition von stärkster dekorativer Einheitlichkeit, gegliedert und bestimmt 
von rhythmisch bewegten Gewandmassen (Moosburger Altar). Man hat für diese letzte 
Phase der deutschen Schnitzkunst Worte eines überlegenen Tadels gefunden, der, wie 
an dieser Stelle so auch bei dem Knorpelwerk des XVII. Jahrhunderts, bei Bernini, 
Borromini und so vielen andern verwandten Erscheinungen moralische Negation an 


1) Einen verwandten Künstlercharakter derselben Rassemischung konnte der Verfasser 
schon einmal analysieren, in dem irrtümlich so genannten „Bohnensack“, dem Baumeister des 
Maulbronner Paradieses am Anfang des XIII. Jahrhunderts („Maulbronn“. Straßburg 1903, S. 45 ff.). 
(Daß der Name Bohnensack ihm nicht zukommt, hat Dr. Hamann im Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunst- 
samml. 1909, nachgewiesen.) 

2) Etwas anders natürlich ist die Frage ihrer Schulung, die gerade auf Ulm und Riemen- 
schneider weist. Vgl. unten S. 353. 


3) Nach freundlicher Mitteilung von Herrn Direktor Back. 
| 25 


352 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


die Stelle von Verständnis setzte. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine bewegte 
Form minder wert sein soll als eine ruhige, bei gleicher künstlerischer Höhe; zumal 
wenn die bewegte von höherer dekorativer Einsicht diktiert ist. Schaltet man den 
persönlichen Geschmack und die eventuelle Abneigung gegen „das barocke Wesen“ 
aus, so ist das eine unbestreitbar: daß die Entwicklung, wie sie im Wesen des ober- 
deutschen Schnitzaltars enthalten war, zu einer immer stärkeren Ausarbeitung des 
Dekorativen führen mußte. Der Schnitzaltar war eine Einheit, die für den bestimmten 
Platz im Kirchen- oder Kapellenchor gearbeitet wurde. So lange man noch mit techni- 
schen Widerständen zu kämpfen hatte, fiel der Nachdruck wohl oder übel auf die aus- 
geführte Einzelheit, auf die isolierte Figur oder Gruppe. Als man aber sein Metier 
beherrschen gelernt hatte, geriet ganz von selbst das Detail, als selbstverständlich Ge- 
lungenes, vor der Komposition des Altars selbst ins Hintertreffen: zum Vorteil des 
Eindruckes, den man von Anfang an beabsichtigt hatte. Mit isolierten Figuren kann 
man kein Gerüst von der Kompliziertheit des spätgotischen Altarbaues füllen; die wür- 
den nur immer wieder als Säulen wirken, wie schon an den Portalen der frühgotischen 
Dome. Es ist darum ein wahrhaft selbständiges und bedeutendes Verdienst der deutschen 
Bildner des beginnenden XVI. Jahrhunderts, den Sinn der Gewandung als dekoratives 
Mittel begriffen und mit Energie durchgeführt zu haben. Nicht aus Freude an barockem 
Schwulst ließen sie die Faltenmassen die Körper umwuchern, sondern deshalb, weil sie 
nur solche Gewandmassen mit der Freiheit disponieren konnten, die der Gesamtrhyth- 
mus verlangte. In dem Zusammenklang von Architektur und Plastik geht die Plastik 
rettungslos verloren, wenn sie sich auf den körperlichen Ausdruck versteift !) Es gibt 
aber einen übergeordneten Ausdruck der Plastik, die ihr gleiches Stimmrecht mit den 
unerbittlihen Linien der Architektur verleiht: das ist die Überlegenheit der rhythmi- 
schen Masse, der dekorativen Fassung. Diese dekorative Einbeziehung von Architektur 
und Plastik in ein malerisches Dritte ist das, was man gemeinhin barock nennt; es ist 
eine ganz bestimmte Ausdrucksform künstlerisch hochentwickelter Zeiten und mitnichten 
eine Entartung der vordem so blühenden Kunst. Daß die Spätmeister der deutschen 
Schreinkunst wundervoll mit den Massen umzugehen verstanden und wußten, wie man 
einen Altar in die Kirche stellen müsse, verleiht ihnen eine unschätzbare Überlegen- 
heit über alle jene KompromiBler des folgenden Jahrhunderts, die durch die undekorative, 
bloß ornamentale Kunst der oberitalienischen Renaissance aus ihrem natürlichen Ent- 
wicklungsgange gerissen wurden; es schlägt von ihnen eine Brücke zu den großen 
Bildnern des XVIII. Jahrhunderts. 

Daß von dem Meister des heiligen Martin nur die eine Figur und nicht ein 
ganzer Altar der letzten dekorativen Richtung erhalten blieb, ist ein schwerer Verlust 
für unsere Erkenntnis der Stilentwicklung. Diese Statue (des Möndhs) stellt sich durch 
die nach der rechten Seite hin orientierten Gewandmassen als zu der linken Seite eines 
Altars gehörig dar; sie macht als isolierter Teil eines untrennbaren Ganzen keine so 
gute Figur wie der mehr für sich bestehende Martin. Die letzte Konsequenz des 
barocken Stils kann der Altar, zu dem der Mönch gehörte, freilich noch nicht gezogen 


1) Wenigstens für die nordische Kunst. 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 353 


haben: dazu gehen die Wogen der Faltenmassen nicht hoch genug. Aber er war 
schon das größte Stück dieses Weges gegangen (vielleicht finden sich gar noch vor- 
geschrittenere Arbeiten von ihm)!), und es genügt, aus der erreichten Entfernung auf 
den Heilbronner Altar seines glückliheren Bruders zurückzublicken, um zu erkennen, 
daß es eine weite Kluft gibt zwischen der dekorativen Souveränität der Skulptur bei 
dem Einen und der noch so ganz gotisch berührenden Ehrfurcht des Altern vor der 
allein seligmachenden Architektur, welche die Figuren großmütig in ihren Nischen und 
Winkeln duldet. Der wohl etwas früher entstandene Blaubeurer Hochaltar *) ist schon 
bedeutend freier in der Einordnung und Zusammenstellung der Figuren, die den Ge- 
samteindruck wirklich beherrschen. Der Besigheimer Altar 


von Christoph von Urach (um 1520) gibt dann die reife 
dekorative Entfaltung in schwäbischer Auffassung, in einer 
anmutig naiven Mischung ornamentaler Teppichkunst und 
malerisch geordneter Plastik, gesättigt mit süßer poesievoller 
Sinnlichkeit. 

Man fragt nicht ganz umsonst nach der künstlerischen 
Herkunft der Heilbronner; wobei man sie freilich nicht durch- 
aus voneinander trennen kann, wie ihr verschiedenes Alter 
es eigentlich erfordert. Auf schwäbischer Seite weisen Spuren 
verwandter Formbildung auf eine Berührung mit der Ulmer 
Schule, wie sie im Blaubeurer Altar uns als gereifte Schön- 
heit entgegentritt. Die Flügelreliefs des Heilbronner Altars, 
an sich schwädter und keine eigenhändige Arbeit des Meisters, 
wohl aber als sein geistiges Eigentum bis auf weiteres an- 
zuerkennen — sind in der Art der Darstellung mit dem 
Landschaftshintergrunde, in Reliefbehandlung und selbst Kopf- 
bildungen von den weit besseren Flügeln in Blaubeuren beein- Abb-11. Chorknabe = 

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fluBt; man vergleiche die drei Anbetungen des Christkindes. O Würzburg, Dom 
Ja das ganze Schema des Aufbaus ist das gleiche, von den 
fünf Schreinfiguren mit der erhöhten Madonna bis zu der Art der Dreiteilung des 
Aufsatzes und der mit Büsten gefüllten Predella. Vergleicht man schlieBlich die maß- 
geblichen Schreinfiguren miteinander, so verstärken namentlidı bei den Madonnen und 
dem Johannes und Stephan gewisse Ähnlichkeiten in den Faltenzügen und den Be- 
wegungsmotiven (der Kinderhaltung usw.) den Eindruck, daß die Ulmer Schule, die 
den Blaubeurer Altar gearbeitet, nicht unbeteiligt sei an der Entstehung des Heil- 
bronner Stils. 

Eine direkte Beeinflussung gerade durch den Altar von Blaubeuren anzu- 
nehmen, ist gar nicht einmal nötig, da zweifellos schon früher eine Anzahl ähnlicher 


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1) Sollte die Madonna des Germanischen Museums (Kat.-Nr. 371) etwa nicht bayrisch 
sein, sondern in diesen Zusammenhang gehören? Die naturalistish derbe Bildung ihres Kopfes 
und des Kindes erlaubt allerdings nicht, an den Martinusmeister zu denken; wohl aber läge die 
Gewandbildung in seinem Entwicklungswege. 

2) Zwischen 1493 und 1497 „oder etwas später“, vgl. Vöge a. a. O. S. 17f. 


354 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Arbeiten derselben Werkstatt bestanden hat. Der Martinusmeister ist nicht mehr von 
der Ulmer Schule beeinflußt *). 

So erscheint in der Tat auch hier das Wort Vöges glänzend gerechtfertigt, daß 
„die hohe Bedeutung der Blaubeurer Skulpturen in den Perspektiven liegt, die sie er- 
öffnen.“ Und abermals ist es hier wie dort Riemenschneider, dessen Name als zweiter 
Pate bei der Entstehung des Heilbronner Stils in Erinnerung kommt. Zwar die Mar, 
als ob er der Schöpfer des Heilbronner Altares sei, ist endgültig aufgegeben. Aber 
es gibt Elemente in der Kunst der beiden Brüder, deren ursächlicher Zusammenhang 
mit dem jungen Riemenschneider nicht von der Hand zu weisen ist. Am meisten 
kann man es bei den frühern Arbeiten des Martinusmeister spüren: die zarten lang- 
fingrigen Hände mit den zaghaften Griffbewegungen, das Lockenhaar mit seinen vielen 
gekerbten Ringeln, die trocken knittrigen Falten und die zarte Verträumtheit bei den 
Darmstädter und Nürnberger Diakonen lassen sich sehr gut aus einer Beeinflussung 
durch Riemenschneider erklären. Man vergleiche sie nur mit Figuren aus Münnerstadt 
oder der Rothenburger Jakobskirche. Ihre von dem reifen Stil des Martinusmeisters 
abstechende Befangenheit findet die beste Erklärung in der Abhängigkeit von dem 
Würzburger, dessen dünne Körperlichkeit von dem Schüler später überwunden wurde. 
Und noch bei dem Kiliansaltar finden sich Erinnerungen an solche Aufnahmezeit: die 
jugendlichen Heiligengestalten, die in dem Schrein über den äußern Statuenbaldachinen 
stehen und von Marie Schuette mit einigem Zweifel als Totnan und Coloman ge- 


1) Dagegen steht er in naher Beziehung zu den Werken, die Dehio im letzten Heft des 
Jahrbuchs der Kgl. PreuB. Kunstsammlungen (XXX, 2, S. 139) als Arbeiten Hans Backofens ver- 
öffentlicht hat. Leider erschien diese höchst aufschluBreiche und weite Perspektiven erdffnende 
Studie erst, als mein Aufsatz bereits im Druck lag; ich kann also nur wenige Worte hinzufügen, 
möchte aber nicht unterlassen, meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, daß Dehios Ansicht 
über die Barockplastik Deutschlands um 1500 sich nahezu mit dem deckt, was ich hier darüber 
geäußert habe. — Die Verwandtschaft des Martinusmeisters mit Backofen läßt sich in sehr vielen 
Teilen verfolgen. Namentlich sind der Nürnberger Diakon mit Henneberg, Martinus und Laurentius 
mit Jakob von Liebenstein und der Mönch mit dem Gemminger-Denkmal zu vergleichen. Ab- 
gesehen davon, daß diese Backofenchen Arbeiten jedesmal etwas entwickelter sind als die entsprechen- 
den Holzfiguren, sind Faltenwurf, Hände, Köpfe (mit den breiten Kinnladen und dem vorgebauten 
Munde), teilweise auch die Standmotive so verwandt, daß man in Zweifel gerät, ob hier nur ein 
Schüler Backofens oder er selber dahinter steht. Bei dem augenblicklichen Mangel an zuverlässigem 
Vergleichsmaterial lasse ich dies dahingestellt und bemerke zu dem Zusammenhange mit Hans von 
Heilbronn no“ Folgendes: Einzelne Motive Backofens sind offensichtlich beeinflußt von dem 
(älteren) Heilbronner Altar; besonders auffällig die Hände mit Büchern (die Linke des Henneberg 
und des Laurentius im Heilbronner Schrein völlig identisch); die Gekreuzigten stehen mit dem 
Stuttgarter Kruzifixus, und die Statuetten namentlich beim Henneberg mit den Heilbronner Figuren 
in Verbindung. Bemerkenswert ist das von Dehio S. 146, A. 5 berührte Verhältnis zu Riemen- 
schneider; es scheint fast, als ob der EinfluB des Würzburger Meisters durch Vermittlung Hans 
von Heilbronns zu erklären ist, als dessen Schüler Backofen erscheint. Für den Zusammenhang 
mit Würzburg spricht die Steinfigur eines buchhaltenden Chorknaben im Würzburger Dome, auf 
die mich Dr. Rohe in München aufmerksam madite (Abb. 11); sie ist augenscheinlich von derselben 
Hand, die denzKanonikus Lutern in Oberwesel schuf (Dehio, Abb. 10), also wohl von Backofen 
selbst. In seine Nähe gehört auch das Grabmal des Herrn von Ingelheim und seiner Frau in 
Handschudisheim bei Heidelberg, 1519 (abgeb. bei H. Schweitzer, Grabdenkmäler S. 67 ff.); außer 
bei den Figuren finden sidı auch im Ornament Anklänge an die Bischofsstäbe Backofens. 


P. F. Schmidt. Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn 355 


kennzeichnet werden, fallen durch eine feine Reserviertheit auf, die wieder Riemen- 
schneiderisch anmutet !). 

In welcher Weise diese verschiedenen Kunstströmungen aufeinander eingewirkt 
haben und wo das geschehen ist, kann vorläufig nicht ausgemacht werden. Darf man 
mit Vöge annehmen, daß in Ulm „schon in den siebziger Jahren ungefähr wie am 
Blaubeurer Altar“ gearbeitet wurde, und mit M. Rohe’), daß Riemenschneider in seiner 
Jugend (also vor seiner Ubersiedlung nach Würzburg 1483) in Schwaben gewandert 
sei, so würde sich die gemeinsame Herkunft von der Schule Ulms her leicht erklären, 
die auch Vöge für Meister Dill vermutet. Die Heilbronner hätten dann von dem früh- 
reifen Genie ihres Arbeitsgenossen Riemenschneider noch ihren besonderen Anteil 
profitiert. 


1) In diesen Zusammenhang gehört eine Figur, die man wohl als Schularbeit des Meisters 
Hans ansprechen darf, und die eine gewisse Anlehnung an Riemenschneiders Art zeigt. Es ist 
ein hl. Johannes, aus Lindenholz, von einer Kreuzigungsgruppe, 67 cm hoch, im Germanischen 
Museum (Kat.-Nr. 340) und von dem alten Katalog ebenso wie vom Klass. Skulpturenschatz 
(Nr. 72) als Schule Riemenschneiders bezeichnet, von Tönnies (S. 243) schon ganz aus seiner Nähe 
entfernt. Sie sieht dem händefaltenden Johannes im Heilbronner Altaraufsatz in allen wesentlichen 
Stücken so auffallend ähnlich, daB sie als eine freie Kopie danach bezeichnet werden muß. 

2) Nach mündlicher Mitteilung Dr. Rohes. 


French sixteenth century portraiture with special 


reference to the new Francois Clouet in the Louvre 
By L. M. Richter 


The portrait of Pierre Qutte by Francois Clouet which has been recently 
acquired by the Louvre throws new light on the still somewhat nebulous question 
of the French 16!" century portraiture. With it, we are now in the possesion of a 
picture which not only bears the signature of its author: „Fr. Janetu Opus PE. OVTTIO. 
AMICO. SINGVLARI AETATIS SVE 63. 1562“, but which actually brings before us 
a special friend of the artist who lived in his close vicinity at Paris. Dr. von Frimmel 
was the first to draw attention to this interesting work’), which he discovered in the 
collection of a private gentleman in Vienna. He tried in vain, however, to identify 
the name of Petrus Qvttio among the scientific and literary contemporaries of the 
artist; subsequently M. H. Stein was fortunate enough to find it in the registers of 
the Paris municipality, changed into Pierre Qutte and refering to a well known 
apothecary who owned a famous Botanical garden in the neighbourhood of Paris, 
which served him in his profession. 

Compared with other works of Fr. Clouet this portrait is to be considered one 
of his best achievements: the intelligent look of a thinking man which characterizes 
the face of P. Qutte makes it moreover more attractive than the portraits of some of 
the empty-looking courtiers whom the artist as court-painter was so often compelled 
to portray. The well drawn hands, the open book, with illustrations of various 
plants, referring to the profession of the sitter, the curtain on the left, with its remark- 
able tints of shadows and lights, qualify the painter as an artist of high standard, 
who fully deserved the praises, that Ronsard the poet, has bestowed upon him. 

There is only one more signed work extant of Fr. Clouet. It is the life-size portrait 
of Charles IX (painted in 1563): at the Vienna-Gallery °), with which Catherine de 
Medici*) is known to have commissioned Fr. Clouet on the eve of the kings engage- 
ment with Elisabeth of Austria. The effects of his extravagant tastes and self- 
indulgence, since he had come to the throne, as Charles IX can already be traced 
on this portrait: especially if we compare it with an earlier coloured drawing at 
Dresden where the future king of France still looks a bonny boy, who might be 
credited with the good qualities which he was said to have possessed before he came 
under the evil influence of his mother. This drawing is reproduced with slight 
variations as portrait in oil at Chantilly; which would seem a proof that Fr. Clouet, 


1) Blatter für Gemäldekunst von Dr. Th. von Frimmel 1907. 

2) A miniature-copy of it is in the Louvre; probably by Clouet himself. 

3) The small effigy of Catherine di Medici at Vienna is also proved to be authentic by the 
fact that M. F. Mazerolle found the account of it in the Clairembault MS. No. 233, p. 2992, 
Bibl. Nat. Paris. 


L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 357 


CHARLES IX (drawing at Dresden) 


Fig. 2. 


(new acquisition of the Louvre) 


Fig. 1. Portrait of PIERRE QUTTE by FRANCOIS CLOUET 


358 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


as his father Jean, used original drawings for subsequent copies in oil; and this 
probably for no other reason than to save the sitters the tediousness of sitting again. 
Among the Howard-collection at Chantilly, for instance we can trace several such 
original drawings, which we find repeated either by their respective authors, or by 
lesser hands, in other collections. Thus the portrait of an unknown man ') at Hampton- 
court with a volume of Petrarch in his hand attributed to Jean Clouet’); the portrait 
of Louis de Nevers at the Lochis-Gallery (Bergamo) formerly given to Holbein *); the 
portrait of Claude de Guise’) at the Pitti-Gallery, can all be traced back, to original 
drawings at Chantilly. But in perusing French crayons and portraits of the 16 cen- 
tury we must not fail also to examine, what was done in France in the line of por- 
traiture before the advent of Jean Clouet. We shall then be in a better position to 
Classify the numerous French drawings of that time which have come down to us, 
and to fix more approximately the date of their origin, und their respective authors. 

There are three names which stand out as the most important in the pre- 
Clouetion time: Fouquet‘), Bourdichon and Perréal. Of Jean Fouquet there are, as 
we know, several authenticated portraits and ,crayons“ in the Louvre, in Berlin, and 
in London. Bourdichon ist better known as a miniature-painter, although reference is 
made in contemporary literature to his portraits; as to Perréal all the annals and 
chronicles of his time combine in praising his portraiture. There is a letter, written 
by Louis XII from Italy, which refers to the „visages-portraites of Jehan de Paris 
(Perréal) pour monstrer aux dames de par decas, car il n'en a point de pareils“. 
Unfortunately these apparently much appreciated portraits by Perréal have been lost 
sight of. Yet it would seem that others have come down to us, if only we were 
able to recognise and identify them. 

There is an engraving’) at the head of an „Epistola Consolatoia“ addressed to 
Mary Tudor, which M. Renouvoir rightly maintained to be engraved from an original 
portrait by Perréal who at that time was courtpainter to Louis XII. The engraving 
is accompanied by the following note, which is not without historical interest °): — 
„Maria Francorum Alba Regina non sic — sed pullata depingenda veniebat, verum 
hanc atratam pictor non viderat“ — considering that the young widowed Queen, 
after the death of her aged husband, was compelled through the intrigues of Louise 
of ‘Savoy, to leave France rather suddenly, lest in case of a doubtfoul progeny, she 
should step in between Francis and the throne. 

A portrait at Troyes, catalogued in the „Galerie des portraits nationaux“ is 
very similar to the above --- mentioned engraving and is apparently a later copy of the 


1) L. Dimier, French 16th cent. painting. 

?) G. Frizzoni, Catalogue raisonné of the Bergamo Gallery. 

*) There are pencil-notes on the back of the Guise-drawing which might derive from 
the artist himself. 

‘) A drawing representing a Popal Legate; Heseltine-collection; Exhibited al the Pavillon 
Marsan, 1904. 

*) Engraved by H. Estienne 1515 Paris. 

5) Inv. Reserve 2707, Melanges, B. 99. Bibl. Nat. Paris. 


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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 359 


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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 361 


same original; there are moreover several drawings which evidently refer to the 
same original portrait, all with the same characteristic lock of hair portruding on 
the left side, underneath the coquettish cap: for instance in the Ashmolian museum 
at Oxford; in the Album of Madame de Boisy at Aix, and in the Receuil Destailleur 
at Chantilly. 

All these above mentioned effigies of Mary Tudor, sister of Henry VII, cor- 
respond in their style and their conception with another French portrait of the same 
period, attributed to Perréal, which is in the 
so-called Clouet-room at Chantilly. It represents 
Francis at the age of twenty when he had 
just succeeded Louis XII. M. Anatole Gruyer 
(the late much lamented director of the Musée 
Condé) describes this portrait as representing 
Francis, still as Monsieur d’Angouleme; whilst 
M. Dimier not without reason assigns it to the 
year 1515 when Francis was already King. ve» . 
The portrait seems a subtile interpretation of |" 
character and fascinates by its extreme probity. |< 


There is an undeniable affinity between this thick! ine {sd ash T ii 


picture and the portraits of the donors on the | 7. eG 
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triptych of Moulin. Compared with the much Les FORCE 


more elaborate portrait of Francis I in the Louvre 
(which dates about ten years later) by Jean 
Clouet, we notice a great difference of style and |: N'quariteypaities efdiui 
make between the two effigies: the earlier portrait 2 fee touteila gaule vous | 
betrays the realistic tendency so characteristic of sirio edi peinesr 
ci French portraiture, whilst the later portrait Fig. 7. Frontispiece of the MS. of the 

y Jean Clouet is more conventional and studied, GALLIC WAR representing 
great care being bestowed on accesories, as is the FRANCIS I. (Brit. Museum) 
case in his portrait of Oronce Fine. 

What gives however great importance to the earlier portrait at Chantilly !), is 
the circumstance, that it has been reproduced as a miniature-portrait on the frontis- 
piece of the cebrated Manuscript, called the „Gallic War“ °), wherein Francis I, after 
the Victorious battle of Marignan, gloried in being represented in colloquy with Caesar. 
The young monarch apparently also wished to have reproduced in the same MS., 
headed by his own effigy, the miniature-portraits of his seven Preux, the valliant 


KERN: x. Frähcoysu pol ASANG 
i) ER DAN iDemandoea Gafar. PRES m 


1) It is quite unlikely, as M. Dimier rightly states, that an effigy for this MS. should 
have been reproduced from a portrait where Francis I still should figure as M. d’Angouleme. 

3) A free translation of the Commentaries of Caesar in 3 Volumes which are now 
scattered: the 1st being at the Brit. Museum: the 2nd at the Bibl. Nat. at Paris; and the third at 
the Musee Conde at Chantilly. According to an inscription at the end of the 3d vol. this memo- 
rable MS. was commissioned by Francois Moulin, preceptor of the King, to Albert Pigghe and 
terminated with the collaboration of Gottfried le Battave painter in 1520. — 


362 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Fig. 8. JACQUES RICARD, master of artillery under LOUIS XII 
D (Musée CONDÉ, Chantilly) 


Knights who had fought for him. These seven miniatures which we find in the 
2nd Vol. of the said MS. can be traced, as M. Bouchot already stated, to original 
drawings most of them at Chantilly which have been acquired by the duc d’Aumale 
from Lord Carlisle in 1889; they have been, much commented upon and alternately 
attributed to Jean Clouet by M. Bouchet; to Jean Perréal’) by M. de Maulde; and 
lately even to Gottfried le Battave (the authenticated illustrator of the MS. of the 
Gallic War) by M. de Melly °), who all accept as a foregone conclusion that drawings 
and miniatures must be by one and the same hand. In my opinion there is little 
doubt, however, that the miniatures*) only, are by Gottfried le Battave; whilst the 
drawings themselves, from which the miniatures are exact copies seem to be by an 
earlier hand, and most probably by Jean Perreal who has been identified, as the 
Maitre de Moulin since the memorable exhibition at the Pavillion Marsan. *) 

We have seen above, that Gottfried le Battave reproduced the miniature of 
Francis I, on the frontispiece of the Manuscript in question, from an already existing 
portrait of the King painted by Perréal, and there is certainly no tangible reason, 
why he should not have availed himself in the same way of the already existing 


') Gazette des Beaux-arts 1895 pp. 256—273. 

*) Gazette des Beaux-Arts, May 1907. 

°) The Duc d’Aumale was the first to state that these miniatures of the seven Preux 
were by the hand of G. le Battave. 

1) Roger Fry, French painting in the middle Ages Quarterly Review 1904 Oct. 


L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 363 


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Fig. 9. The Marechal de Chabannes, Seigneur de Palisse 
O Musée CONDE 


drawings of the seven Preux, probably by the same author for his other miniatures. 
Another proof of the probability of this statement is the fact that there are in the 
same MS other reproductions of the head of Caesar, and of several well-known 
Roman heroes, which the artist likewise copied from old cameos and medals. To 
judge by their age and their dress, the personnages depicted on the original 
drawings at Chantilly, evidently date, as also the early portrait of Francis I, from 
the years 1514—1515 when Perréal who had been court-painter to Louis XII, had 
the same dignity conferred upon him by his successor, nearly two years before Jean 
Clouet appeared on the scene. 

Round this group of original drawings we would like to range some others, 
likewise at Chantilly (and from the Howard collection), which betray the same style 
and are therefore apparently of the same period: the drawing of Jean Ricard, master 


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364 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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O (Musée CONDÉ, Chantilly) 


of Artillery at Marignan; a drawing !) representing a man whom M. Bouchot identified 
with Anne of Montmorency, (the great Constable of France), but who more probably 
is meant for a courtier of the time of Louis XII, if not for the king himself; a 
drawing representing Erasmus, the great contemporary of Luther which has become 
famous since M. Moreau Nelaton °) has identified on its margin, the hand-writing of 


1) We note on the back of this drawing the following pencil notes: robe tannee damas; 
saye velour cramoise. Propoint de satin bleu; les cheveux tanne brun-evidently notes by the 
artist with reference to the execution of a picture in coulours. This handwriting differs entirely 
from that mentioned above on the J. Clouet-drawing; but is somewhat similar to signatures 
we possess of Jean Perréal in the Comptes De Lyon, and the Bibl. Nat. at Paris where Perreal 
speaks of his „croions qui n’est que demy couleurs.“ 

°) Portraits de la cour des Valois. 


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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 365 


Catherine de Medicis an interesting fact which proves that this drawing, with others 
on which the same handwriting is to be discerned, must have made part of the 
Queens’ private collection during her lifetime. Erasmus was born about 1467; he must 
therefore have been 48 years of 
age in 1515; and this ‘is the age 
of the man represented on this 
drawing. 

With regard to portraits in 
oil, which from reasons mentioned 
above, might be attributed to Perreal, 
we note a portrait in the Louvre 
representing Guillaume de Mont- 
morency, whom our artist is known 
to have portrayed; another of the 
same personnage when younger at 
Lyons; and yet another in Lord 
Sackvilles collection, evidently a 
copy by Cormeille de Lyon. A 
small portrait of Philip le Bel (father 
of Charles V), in the Northbrook 
Collection seems also to recall a 
lost original of our master; we find 
a later drawing after it in the 
„Recuil d’Arras“. According to M. 
Bouchot it is analogous to some 
early drawings at Chantilly one of 
them representing the Comte de 
Ligny!), known to have been a 
patron of Perreal. Considering the 
fact that our artist acted as maitre- Fig. 11. ERASMUS o 
de-plaisir to the court of Louis XII (Musée CONDÉ, Chantilly) 
at the time when Philip le Bel was 
entertained at Lyons by the French King on his way to Spain it seems quite possible 
that a portrait of this Prince should have been painted by the master on this occassion. 
There is yet another portrait attributed to Perréal in the Salting collection at the 
present moment exhibited at the Burlington Fine arts Club, which also is said so 
represent Mary Tudor. 

It would lead us here too far, to mention still further portraits and drawings 
which, to judge from their manner of execution, appear to belong to the time 
anteriour to Jean Clouet — a period which, as it may seem, has not yet been 


1) This drawing, together with another representing Lescueur Bourdillon, (formerly errone- 
ously given to Lucas van Leyden) are probably copies after lost original portraits by Perréal. 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


366 


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L. M. Richter. French sixteenth century portraiture with special reference etc. 367 


sufficiently investigated. Yet, already the few examples we have noted enable us to 
come to the following conclusion: that the peculiar style of the French sixteenth cen- 
tury „Crayons“ which so much fascinate amateurs and art-students at the present 
moment, could not have been imported, as hitherto generally supposed, by Jean 
Clouet, but has on the contrary much more probably originated on French soil. For, 
when Jean Clouet came to Tours, the home of the great Fouquet, he probably found 
many works of this great master to guide him there. But on the other hand, the 
foreign artist had no doubt brought over with him, something of the art of Holbein, 
which he adapted to, and amalgamated with French elegance and grace in his 
„Crayons“. Subsequently under Francois Clouet, born and bred in France, that 
peculiar art of French portraiture attained the final development which we perceive 
in the portrait of Pierre Qutte, an acquisition for which we heartily congratulate 
the „Amis du Louvre“. 


+ 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FOR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN 
UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, LiebigstraBe 2. 
Zweigredaktionen: 
Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, UhlandstraBe 44. 
Fiir Miinchen: Dr. W. WORRINGER, Miinchen, GeorgenstraBe 99. 


Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16. 
Fiir London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill 
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Fiir Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. — Agent exclusif pour 
la France: FREDERIC GITTLER, éditeur, Paris, 2 rue Bonaparte. 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma KLINKHARDT & BIERMANN, LEIPZIG 
liber Neuerscheinungen bei, den wir besonderer Beachtung empfehlen. 
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Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Heft 8 


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Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 


Von Eduard Firmeni-Ridartz 


Eine gefallene Größe in ihrem Ansehen zu restituieren bleibt ein undankbares 
und schwieriges Unternehmen. Anklagen finden gewöhnlich weit eher Glauben wie 
Apologien, auch wenn diese keineswegs auf Gefühlswerten beruhen, sondern reinsach- 
liche Beweisgründe ins Feld stellen. Gegenüber den letzten sensationellen Enthüllungen 
auf dem Gebiete der Kölner Kunstgeschichte, die fast allenthalben begierig aufgenommen 
wurden, können vollends historische und stilistische Betrachtungen keine zwingende 
Entscheidung herbeiführen. Eine solche ist nur durch den experimentellen Eingriff in den 
Bestand jener Werke erreichbar. Diese Darlegungen sollen daher nur zur Klärung der 
Frage beitragen, indem sie auf die starke Unwahrscheinlichkeit der neuen Annahmen 
hinweisen und ihre inneren Widersprüche aufdecken. 

„Der Madonna mit der Wide“ im Wallraf-Richartz- Museum und einigen ver- 
wandten Gemälden wird jeder dokumentare Wert als Schöpfungen alter Meister der 
niederrheinischen Schule abgesprochen, da sie nach äußeren Indizien mit modernen Mal- 
mitteln hergestellt erscheinen. Sie werden jetzt als Produkte der ersten Jahrzehnte des 
neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet, die vielleicht aus harmloser Absicht hervorgingen, 
sih aber der Typik, Formbildung, Kompositionsart und Farbengebung kölnischer . 
Werke aus der Zeit der reifen Gotik um 1400 bis zu vollkommener Täuschung an- 
schließen. Man wird ohne weiteres zugeben, daß eine solche Wiedererweckung längst 
erstorbener Anschauungen und Traditionen zu Kunstwerken voll innerem Leben neben 
genialer Intuition auch der genauen umfassenden Denkmalkenntnis bedarf und erst 
durch eine feinsinnige langjährige Vertiefung, ein restloses Aufgehen in hochgeschätzte 
Vorbilder ermöglicht wird. Derartige selbständige Leistungen in fremdem Geiste stehen 
auf einer anderen Stufe als Restaurationsarbeiten oder Kopien, die Vorhandenes ge- 
schickt ergänzen oder genau wiederholen. 

Zur Erklärung dieses seltsamen Phänomens, daß erst das neunzehnte Jahrhundert 
den allerkostbarsten Nachtrag dem Wirken der altkölnischen Zunftmeister hinzugefügt 
habe, beruft man sich nun auf die deutsche Romantik, die sich mit Inbrunst in das 
Mittelalter hineinträumte, als die entschwundene Jugend der Nation, in der ihre höch- 


sten Ideale zwar herb und einseitig doch in voller Frische und Ursprünglichkeit künst- 
27 


370 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


lerische Gestalt empfingen. Die für die heimische Kultur somit wiedergewonnene Ver- 
gangenheit regte zunächst die Auffassung und Vorstellungskraft an zu einer recht eigen- 
mächtigen Deutung des geistigen Gehaltes der überkommenen Werke. Das Wesen und 
die besonderen Bedingungen mittelalterlicher Produktion, die Art des technischen und 
handwerklichen Betriebes erschlossen sich nur allmahlich. Eine ganz moderne Senti- 
mentalität des Empfindens, die Überschwänglichkeit, die den Romantikern eigen, und 
stets mit einfloß, läßt namentlich in Dichtung!) und Malerei kaum einen Zweifel über 
die Zeit und die Art der Entstehung dieser Erneuerungsversuche aufkommen. 

Dabei übersieht man noch, daß einzelne der jetzt als echt angefochtenen Tafel- 
bilder nachweislich schon bekannt waren, ehe noch jene Bestrebungen einer Repristi- 
nation der altheimischen Kunst zugleich mit der deutschen Erhebung zu den Befreiungs- 
kriegen einsetzte. Sie tauchten weit früher auf, als die Prinzipien der französischen 
Revolution sich ausbreiteten und eine neue Weltanschauung die Reste des Mittelalters 
verächtlich wegfegte. 

Kaum die imposanten Massen des Kölner Domes hielten damals diesem Ansturm 
stand. Als ,témoignage d'un art, qui n'existe plus“ wurde das Innere zeitweise pro- 
fanen Zwecken eingeräumt, nachdem man Portalskulpturen und Glasgemälde entfernt, 
die innere Ausstattung zum Teil vernichtet hatte. Durch die Säkularisation (Dekret vom 
9. Juni 1802) stieg die Gelegenheit billigen Erwerbs an altem Kirchenschmuc ins Un- 
gemessene. Zweiundvierzig Kirchen und Klosterkapellen sind damals in Köln nieder- 
gerissen worden. 

Die Verschiedenartigkeit und die Menge der Erzeugnisse, die nach und nach 
ans Licht traten, machten es unmöglich, sogleich die Bedeutung eines jeden Werkes 
annähernd richtig zu erfassen oder gar den Gang der Entwicklung mittelalterlicher 
Kunstübung zu überschauen; auch mangelte es fast an allen Vorkenntnissen. Die 
Schätzung erreichte oft nur den Materialwert. Gelegentlich sind Tafelbilder altdeutscher 
Meister sogar zu Fensterläden und Tischplatten verarbeitet, als Brennholz verwandt 
worden oder sie dienten zur Reparatur an Taubenschlag und Hühnerstall. An den 
Hauptwerken haftete immer noch ein gewisser alter Ruf, der letzte Nachklang früherer 
Veneration. „Die meisten hatten schon vor hundert und bundertfünfzig Jahren dem 
neuen Geschmack in der Kirchenverzierung weichen müssen und waren in Neben- 
kapellen, Kapitelsäle, Sakristeien und Schatzkammern versetzt worden, wo sie zwar 
wenig betrachtet aber meistens gut erhalten wurden.“ 

Sulpiz Boisseree vergleicht die Ausbeute in diesen Jahren der Bergung unschein- 
barer Schätze nach einem ungeheuren Schiffbruch. „Wieviel Köstliches konnte in 
dem Sturm untergegangen sein; wie vieles konnten die bewegten Wellen noch an den 
Strand spülen.“ (Sulpiz Boisseree I. Stuttgart 1862. S. 29.) 


Unruhe, Besorgnis und freudige Überraschung wechseln. Zu einer ausgebreiteten 
systematischen Betrachtung der Denkmäler lag das Material noch ungesichtet, für eine 
ruhige Würdigung des Wiedergewonnenen oder eine Vertiefung in Formen und Stil, 


1) Vgl. etwa L. Tiecks: „Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter“ (1803) oder Clemens 
Brentanos: „Chronika eines fahrenden Schülers“ (1804). 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 371 


ursprüngliche Technik und Zersetzungserscheinungen des Alters zum Zweck einer sub- 
tilen Nachbildung fehlten einstweilen MuBe und Fähigkeiten. 

Woher sollte man audi die Richtschnur nehmen all’ diese Stücke, die sich täg- 
lich mehrten in allgemeine historische Zusammenhänge in ungefähr richtiger Folge ein- 
zuordnen? Beim ersten Bekanntwerden solcher Schöpfungen, die so fremd und eigen- 
artig, streng gebunden nach Prinzipien der Linienführung und dabei naiv in ihrer 
Anschaulichkeit waren, erhob sich jedesmal ein Raten und Mutmaßen über den Ursprung 
des Stils, dessen Ausbreitung und die Zeitgrenzen seiner Herrschaft. Gänzlich schiefe 
Vorstellungen, widersprechende Urteile drängen und überstürzen sich. Spärliche Hin- 
weise in Epen und alten Chroniken auf eine Kunstblüte in Köln wurden willkürlich 
zur Datierung der eindrucksvollen Hauptwerke der Malerei herangezogen. Friedrich 
Schlegel!) sprach die kühne Annahme aus, die Bilder der Lyversberger Passion, deren 
Ursprung nicht über 1460 zurückreicht, ständen im Zusammenhange mit einer Erwäh- 
nung kölnischer Maler im Parzival des Wolfram von Eschenbach (+ um 1230). Ferdi- 
nand Wallraf bezeichnet noch 1816 den Clarenaltar als „uraltdeutsch, aus dem Ende 
des 12. Jahrhunderts“, obwohl er hätte bemerken müssen, daß die architektonische 
Gliederung des Rahmengeriistes der Bilderfolge, ebenso Maßwerk und Ornament der 
Hochgotik angehören. | 

Der Blick war noch ungeschärft, selbst für elementare Unterscheidungen, ja man 
scheint kaum beachtet zu haben, daß gemeinsame Stilgesetze sämtliche bildenden Künste 
verbinden und jene Prinzipien, welche den Aufriß und die Gliederung der Bauwerke 
bestimmen, ebenso im gesamten Linienzug, auch in der Körperbildung und Gewand- 
behandlung. der Figuren zur Geltung kommen. Eine vergleichende Bezugnahme auf 
die mannigfachen rheinischen Kirchenbauten verschiedener Epochen mit ihrem bildne- 
rischen Schmuck hätte die Forscher davor bewahrt, indem sie doch an der „eigenen 
vaterländischen Erfindung der gotischen Baukunst“ festhielten, für gotische Malereien 
die Benennung „byzantinisch-niederrheinisch“ einzuführen. °) 

Und selbst diese Annahme einer allgemeinen stabilen Gleichheit der gesamten 
christlich-mittelalterlichen Malerei, deren Gebilde sich allenthalben nach geheiligten Tradi- 
tionen des Ostens wiederholen, bis der nordische Realismus endlich neue Ziele setzte, 
bezeichnet schon eine höhere Stufe kunsthistorischer Erkenntnis. Es war die Ent- 
deckung Sulpiz Boisserées, der diese Anschauungen in einem Schreiben vom 13. Februar 1811 
Friedrich Schlegel mitteilte und bei seinem Besuch (3. Mai 1811) auch Goethe darlegte. 

Bis dahin hatte man jene Gemälde für die älteren gehalten, „welche mit den 
Werken der Brüder van Eyck einige Ähnlichkeit hatten, aber unvollkommener in der 
Zeichnung und Ausführung waren, überhaupt suchte man das höhere Alter nur in der 
größeren Unvollkommenheit, nicht aber in einer ganz verschiedenen Auffassungsweise 
und Gestaltung der Köpfe und Gewänder“. (S. 36.) „Die erste, wiewohl bei uns 


1) Friedrich Schlegel: „Europa“, eine Zeitschrift 1803,04, vgl. Fr. Schlegels Ansichten und 
Ideen von der christl. Kunst. Neudruck. Bonn 1877. S. 183f. — Ferdinand Wallrafs ,Aus- 
gewählte Schriften“. Köln 1861. S. 327. 

2) Erst Passavant (Kunstreise 1833, S.404 und Kunstblatt 1833, Nr.10) wendet sich gegen 
die Bezeichnung ,byzantinisch-niederrheiniscie Schule“. 


572 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Deutschen zum Teil noch unverständliche Kunde der in dieser Weise nie 
geahndeten, fremden griediischen Kunstweise gab uns die Maria mit dem Kinde 
auf Goldgrund, welche Melchior bei der kranken Nonne fand.“ — „Es mußte 
erst eine Reihe verschiedener Vorstellungen in dieser Art entdeckt werden, um das 
ganze Wesen derselben in Ausdruck, Gestalt und Farbe zu erkennen; die drei Tafeln, 
Christus am Kreuze mit der Maria und den zwölf Aposteln (aus der Vorhalle der 
St. Lorenzkirche), die ich bald nach jenem Muttergottesbilde fand, waren sehr will- 
kommen. Dieses Werk, welches in Köpfen und Gewändern gleich die größte Mannig- 
faltigkeit darbot, war hinreichend, uns über die Art, welcher es mit jenem alten Mutter- 
gottesbild angehört, die Augen zu Öffnen; diese meist bärtigen alten und jugendlichen 
Köpfe, die außer einigen wenigen aus dem Leben gegriffenen Zügen, alle ein all- 
gemeines höheres, aus dem Geist der christlichen Kunst hervorgegangenes Gepräge tragen, 
noch mehr aber die mit künstlerischem Wohlgefallen geworfenen Falten der Gewänder, 
deuteten ganz klar auf die neugriechishe Weise und erinnerten uns an altitalienische 
Bilder (Halbfiguren der Apostel auf Goldgrund angeblich aus S. Luigi in Rom), die wir 
in Paris im Restaurationssaal gesehen haben“. 

„Kunstkenner, welche die neugriechischhen Gemälde von Giotto gesehen haben, 
versicherten, daß sie in Farbe und Zeichnung große Übereinstimmung — mit den Tafeln 
des Heisterbacher Altars um 1450 — haben.“ 

„Man mußte sich also überzeugen, wovon man bisher nicht die geringste 
Ahnung gehabt hatte, daß die ältere kölnische Malerei vor den Brüdern varı Eyck, 
wie die gleichzeitige italienische sich ursprünglich auf alte Überlieferung byzantinischer 
Vorbilder stütze ...“ „Nicht nur in der Darstellung der Geschichten und in den von 
Jahrhundert zu Jahrhundert überlieferten Zügen der Hauptpersonen derselben, sondern 
auch in der Zeichnung und ganzen künstlerischen Behandlung scheint von den frühe- 
sten Zeiten bis ins 14. Jahrhundert die vollkommenste Einheit und Gleichheit in der 
Malerei und Bildhauerei durch die ganze Christenheit geherrscht zu haben.“ (Sulpiz 
Boisserée I, S. 35 u. 97f.) 

Das Kunstwerk aber, welches als das allererste die Aufmerksamkeit der Boisserée 
auf eine milde ausgeglihene, dem scharfen eckigen Realismus noch vorausgehende 
Stilweise hinlenkte, war — die Nürnberger Madonna mit der Erbsenblüte, eine 
Schwester der heiligen Jungfrau mit der Wicke — jenes Tafelbild der kranken Nonne, 
das wie das Kölner Flügelaltärchen jetzt als moderne Fälschung hingestellt wird. Jeden 
Zweifel an diesem Ausweis beseitigt die Beschreibung, weldie Amalie von Hellwig ver- 
faßte und über deren Richtigkeit Sulpiz selbst gewacht hatte’). 


1) Friedrich Schlegels „Deutsches Museum“ II, 1813, „Beschreibung altdeutscher Gemälde 
von Amalia von Hellweg“. S.268. „Aus derselben Zeit nämlich der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. 
steht ein kleines 1'/, FuB breites 1*/, Fuß hohes Madonnenbild an Zartheit der Form und Aus- 
druck jener Veronika nicht nach, auch stimmt der Goldgrund wie das rote grüngefütterte Gewand 
mit dem erstbeschriebenen überein, jedoch ist an diesem übrigens sorgfältiger ausgeführten Bilde 
die Carnation blasser und die Zeichnung unvollkommen, ja das Kind liegt in krüppelhafter Gestalt 
in den auch verzeichneten Händen der Maria.“ Germanisches Museum zu Nürnberg Nr. 4. Auf 
Nußbaumholz. Passavant, Kunstblatt 1841. Nr. 8. — Waagen: Kunstwerke und Künstler in 
Deutschland I. Leipzig 1843. S. 171. Lithographie von J. N. Strixner 1832. 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 373 


Wollten wir den jüngsten Urteilen folgen, welche dieses Gemälde in seinem 
gesamten Bestand als ein modernes Machwerk erklären, dem jeglicher Urkundenwert 
abgeht, so sind wir genötigt ganz absurde Konsequenzen zu ziehen, die alle Erfah- 
rungen, ja jede gesunde Überlegung einfach auf den Kopf stellen. 

Geschickte Fälscher verfügen über eine Auslese originaler Vorbilder, die dem 
Sammeleifer wie der registrierenden Wissenschaft fremd blieben. In raffinierter Nach- 
bildung gehen sie auf die feinsten Nuancen zeitlicher und örtlicher Stilentwicklung ein, 
als die wenigen Forscher, die soeben anfangen, sich diesen Denkmälern zuzuwenden, 
erst allgemeine völkerumfassende Zusammenhänge wahrnahmen. Diese Imitatoren 
arbeiten mit erstaunlicher Präzision und einem umfassenden, auf Reisen zusammen- 
geholten Apparat bloB um die Zahl „byzantinisch-niederrheinischer“ Stücke zu mehren. 
Kein großer Meistername konnte ihren Ehrgeiz locken, denn erst eine spätere Zeit ver- 
knüpfte ihre eigenen Elaborate mit dem gepriesenen Meister Wilhelm. Auch miihten 
sie sich nicht um irdischen Lohn, denn dem Angebot entsprach nicht die Nachfrage; 
sie begnügen sich stillschweigend mit dem Bewußtsein, werdende Kenner getäuscht zu 
haben und selbst diesen Triumph wissen sie so vorsichtig zu verbergen, daß er ein 
volles Jahrhundert im Verborgenen bleibt und erst heute, bei der Umwertung aller 
Werte, „der Weisheit letzter Schluß“ wird. 

Um diese Voraussetzungen gläubig hinzunehmen, bedarf es exakter Unter- 
suchungsergebnisse, die absolut keine andere Deutung zulassen. Doch noch mehr! Am 
6. Dezember 1815 schrieb Sulpiz Boisseree einem Kölner Freunde Dr. Schmitz: „Du 
weißt, daß wir unter dem Spott und Gelächter unserer Mitbürger eine Menge Bilder 
aus Staub und Nässe, aus Speichern und Kellern geradezu vom Verderben gerettet 
haben. Daß wir durch unsere Leidenschaft die Dinge erst in Wert gebracht, auf die 
früher Wallraf und die kölnischen Künstler selbst nichts hielten’).“ 

Bei der Taxation der Erbschaft des Baron Hüpsch (+ 1805) wurden 463 Ge- 
mälde auf nur 434 fs. 50 c., bei einer Revision auf 569 fs. 50 c. eingeschätzt?). In der 
Liste der Altertümer dieser Sammlung, deren Zurücklassung und Schenkung an die 
Stadt Köln man von der Munifizenz des Erben, des Landgrafen Ludwig X. von Hessen- 
Darmstadt erwartete, wird von diesen Bildern summarisch gesagt: „Die vom Herrn 
Baron von Hüpsch hinterlassenen Gemälde sind durchgehends ohne viele Bedeutung. 
Die ganze Taxe derselben steigt etwas über 160 Thir. Es findet sich aber außer den 
gut Erhaltenen und Guten, die man wandern lassen muß, manches und wohl doppelt 
von unsern kölnischen Meistern, worauf zwar kein Kunst- und Liebhaber- 
preis sondern höchstens nur einiger Lokalwert haftet, um die Zeitfolge der 
stadtkölnischen Maler daraus zu ergänzen.“ 

Es folgt der Hinweis auf die Bestrebungen Wallrafs, der „alle, selbst gering- 
fügige Monumente des alten Geschmacks und Kunstfleißes in unserer Stadt aufsammelt.“ — 
Als bescheidene Zugabe hoffte man für diesen eine malerische Hauptleistung Stephan 


1) Vgl. auch den Brief J. Bertrams an Sulpiz Boisserée vom 11. Mai 1811. a. a. O. I. 
S. 125. Benno Rüttenauer in ,Rheinlande“ VII. 1907. S. 137. 

2) Adolf Schmidt: Baron Hüpsch und sein Kabinett. Darmstadt 1906. S. 169 u. 251. 
Justus Hashagen in ,Rheinlande“ VII, 1907. S. 88. 


374 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Lochners aus der Katherinenkirche der Deutsch-Ordensritter und eine umfängliche Kollek- 
tion, in der fast alle führenden Meister der Kölner Schule trefflich vertreten waren, 
umsonst zu erlangen. 

Nur allenfalls ein recht bedingtes lokalhistorisches Interesse gestand man also 
den Altarschreinen und Votivtafeln, den Andachtsbildchen und Porträts zu, deren ver- 
staubte Massen in den Speichern und Kreuzgängen wie bei allen Tròdlern unveräußer- 
lich lagerten. Für das köstliche Triptychon jetzt in der Sammlung des Geheimrat 
Hölscher (Düsseldorfer Ausstellung 1904, Nr. 11), das in feingeschnitztem gotischen 
Rahmen die Anbetung der Könige nebst Heiligengestalten enthält, Bilder, in denen ein 
zartes Empfinden sich in erlesenem Farbengeschmack und zierlicher Ornamentation aus- 
spricht, zahlte Jean Claude von Lassaulx im Beginn des Jahrhunderts zwei Kronentaler. 
Altvlämische Stücke, die man Hubert van Eyck und Hemmelink benannte, erreichten 
damals ganz andere Preise. Die Brüder Boisserée schätzten sich glücklidi während der 
napoleonischen Kriegswirren eine Perle Brabanter Kunst, das Altärchen des Dierick 
Bouts (jetzt in der Münchner Pinakothek Nr. 107—109) um 200 Louisd’or zu erlangen; 
es waren früher tausend Dukaten dafür gefordert worden. Den heiligen Lukas (eben- 
dort Nr. 100), angeblich von van Eyck, kaufte Sulpiz in Brüssel im September 1814 
für 1500 fs. 

Von der Münchner Veronika, dem Kleinod der niederrheinischen Bestände ihrer 
Galerie ist Herkunft, Zeitpunkt und Preis des Erwerbes unbekannt. Das Gemälde be- 
fand sich noch nicht in der Sammlung, als diese 1810 von Köln nach Heidelberg über- 
führt wurde!); es wird erst 1812 erwähnt und später häufig voll Bewunderung u. a. 
von Goethe beschrieben. Als Malgrund ist abweichend von niederrheinischer Gepflogen- 
heit ausnahmsweise Lindenholz?) verwandt. Das visionäre Abbild des dornengekrönten 
Erlösers, von der Heiligen in mildem Kummer ausgebreitet und von lebhaften Engel- 
kindern im Gesang verehrt, mußte in dieser Fassung und Vollendung über die Sphäre 
lokalpatriotischer Interessen weit hinauswirken. Mit der Tradition hat sich ein inten- 
sives persönliches Empfinden verbunden. Die beiden Antlitze, die so verschiedenartig 
uns aus dem Gemälde anblicken, sind absichtlich in scharfen Kontrast gesetzt. Ein hoch- 
gespannter Idealismus abstrahiert in Konfiguration und Maßstab in eigentümlicher Weise 
von der Realität und füllt die Tafel eng mit dem wesentlichen Gegenstand andächtiger 
Betrachtung, um zugleich in warmem Kolorit und anmutigen Einzelbildungen breit und 
zwanglos wie zufällig malerische Reize über die Bildfläche auszugießen. 


1) H. Hüffer: „Die Gemäldesammlung der Brüder Boisserée im Jahre 1810* in den Annalen des 
histor. Vereins f. d. Niederrhein, Heft 62. 1896. S. 1f. Das Verzeichnis der Gemälde, über deren 
Versendung Sulpiz Anweisungen gibt, nennt aus dieser Stilepoche: das Rundbild der Madonna 
mit Heiligen (jetzt München Nr. 2), Catharina und Elisabeth auf rotem Grunde (Nürnberg Nr. 2 
und 3) und eine Tafel mit 4 Aposteln (Nürnberg Nr. 5). 

*) Kgl. ältere Pinakothek zu München Nr. 1. — Lithographie von Strixner. — Die Angabe 
der Holzart des Malgrundes verdanke ich der gütigen mündlichen Mitteilung des Herrn Konser- 
vator Dr. H. Braune. — Auch die Echtheit der Veronika ist angezweifelt worden. K. Pearson, 
Die Fronica, S. 73 f. kennt keine deutsche Darstellung des Hauptes Christi auf dem Schweißtuche 
mit der Dornenkrone vor 1460. Er meint daher, daß „das Münchner Bild entweder neueren Datums 
ist oder daß eine spätere Zeit dem älteren Bilde Dornenkrone und Blutstropfen hinzugefügt habe*. 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 375 


Ein Werk dieser Art war vorzüglich geeignet, gerade die ungeheure Schwierig- 
keit kongenialen Einlebens in die Vorstellungsreihen der mittelalterlihen Kunst zu ent- 
hüllen. Es ist nicht leicht aus erborgten Teilstücken eine neue Komposition im Sinne 
der Primitiven glaubhaft zusammenzufügen. Erst eine Übersicht der Bilderkreise und 
Darstellungen macht erkennbar, wie die natürlihe Erscheinung sich jedesmal dem 
geistigen Gehalt unterordnet und anpaßt, welche Ausdruckselemente die alte Kunst- 
übung hervorhebt, welche organischen Bindeglieder und Funktionen sie übersieht 
und ausläßt. 

Alle diese historischen Tatsachen und kritischen Erwägungen werden nun viel- 
leicht, trotz ihrer Beweiskraft, von dem sachverständigen Techniker abprallen, der sich 
kurzer Hand vor den Malereien auf den schlichten Augenschein beruft. Und in der 
Tat, besonders die Nürnberger Tafel kann bei einer Untersuchung nur geringes Ver- 
trauen erwecken. Eine breit aufgesetzte harte Farbenschicht, in der nur an wenigen 
Stellen eine höchst zweifelhafte Rißbildung sichtbar wird, die unsere Bedenken noch 
vermehrt, deckt die Flächen. Die Gesamthaltung ist trüb und dunkel, mit bräunlichen 
Schattenpartien, durchaus abweichend von der lebhaften und klaren Farbenstimmung 
altkölnischer Meister. Auch sind es weniger einzelne Zusätze, z. B. die Feldblumen, 
die Bordüre am Halsausschnitt der heiligen Jungfrau, welche störend wirken; die male- 
rische Durchführung im ganzen ist ziemlich einheitlich, entspricht aber nicht der Übung 
` niederrheinischer Werkstätten. Dagegen läßt sich der intime Anschluß an hochgotische 
Ausdrucksformen in der Körperbildung, Haltung, dem Typus der Köpfe unmöglich 
leugnen. Der Charakter der Stilphase bleibt durchaus gewahrt, in der die gotische 
Malerei von der linearen Ausbreitung der Figuren in einer Fläche schiichtern zu einer 
Modellierung der Formen, zur Andeutuny der Plastizität der Gestalten auch in der 
Zeichnung verkürzter Gliedmaßen gelangt. Das Vorbild statuarischer Werke der Hodh- 
gotik ist in dem Tafelbild unverkennbar, sowohl in der Geschlossenheit der Silhouette 
wie der Haltung und der einheitlichen allerdings auch recht summarischen Gewand- 
behandlung. | 
| Diese auffallende Diskrepanz erklärt sich jedoch vollkommen durch die Annahme 
einer weitgehenden Überarbeitung in neuerer Zeit, bei der nur die Formenbezeichnungen 
in ihren wesentlichen Zügen erkennbar gewahrt blieben. Die Erfindung der Kompo- 
sition, die Auffassung und die Wiedergabe der Körper im einzelnen, selbst die Art 
der Versehen bei den Verkürzungen (z. B. der Arme) geht so rein und unmittelbar aus 
dem Stil der Hochgotik hervor, daß diese unmöglich dem Beginn des neunzehnten 
Jahrhunderts angehören können. Ebenso wäre die Vermutung a limine abzuweisen, 
daß es sich bei dem Nürnberger Stück um eine genaue Kopie handelt, die etwa als 
Ersatz für das verschwundene Original substituiert wurde. 

Die Lithographien J. N. Strixners nach deutschen und altniederländischen Gemälden 
der Boisserée-Galerie liefern den besten Maßstab, in welcher Beschränkung auf sorgsam 
beachtete Außerlichkeiten die Romantiker die Weise alter Meister aufzufassen und 
nadizubilden vermochten. Man kann den künstlerischen Wert und die Bedeutung 
dieser Blätter voll anerkennen aber kein Kenner wird die ihrer Zeit vielbewunderten 
Reproduktionen mehr als Grundlage stilistischer Analysen benutzen. Deren Urheber 


376 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


unterlagen stets der Gefahr Fremdartiges einzumischen. Und doch entstanden diese 
Steinzeichnungen durch hochbegabte Künstler in dauerndem Verkehr mit den Originalen, 
unter der beständigen Aufsicht und Obhut der feinsinnigen Eigentümer, nach dem 
vertieften Studium von mehr als einem Jahrzehnt. Heute stört den Betrachter jene 
schulgerechte Korrektheit (ein Erbteil des Klassizismus), welche überall die Zeidinung 
der Originale kontrolliert und die strenge Gebundenheit der gotischen Linienführung 
abschwäct. Bei allem Fleiß fehlt diesen Enthusiasten ein geschmeidiges Anpassungs- 
vermögen; sie wissen nicht sic in die wechselnden Tendenzen der Stilisierung ein- 
zuleben, welche die Naturwiedergabe bei ihrem steten Fortschreiten bestimmen oft auch 
ablenken. Diese Nachbildungen erscheinen fast ebenso zeitlos wie die naiven Ritter- 
geschichten romantischer Dichter. Die Gesichtszüge und Glieder der Figuren werden 
auf Grund eingewurzelter Begriffe nach ihrer naturgemäßen Struktur schärfer akzentuiert; 
Körperformen und Bewegungsfunktionen, die im alten Original unberücksichtigt blieben, 
werden betont. Nach moderner Vorstellung stehen die Gestalten fester auf ihren 
Füßen, lösen sich deutlicher vom Grunde ab. Die Gewandung wird in massigen Falten 
als schwerer Wollstoff gegeben und die Köpfe zeigen bei konventioneller Gleich- 
förmigkeit den Anflug jener fatalen schläfrigen Sentimentalität. 


Der Lithograph mußte eben den modernen bon sens in Geschmacksdingen berück- 
sichtigen, durfte nicht durch auffällige Härten und Mängel abstoßen, zumal da das 
große Lieferungswerk !) gerade dazu bestimmt war, erst Propaganda für die Galerie ` 
und die wiederhervorgezogenen alten Meister zu machen; deren Weltfreudigkeit, 
schlichte Einfalt und fromme Inbrunst man in einer Bilderauslese recht ins Licht zu 
stellen gedachte. 

Dies Bestreben, die Reste der Vorzeit bei der Mitwelt zur Geltung zu bringen, 
das alte Erbe annehmbar zu machen, hier auszugleichen, dort Wirkungen zu steigern 
leitete auch die Wiederherstellungsarbeiten innerhalb der Gemäldesammlung. Immer 
wieder sollte die prangende ungebrochene Leuchtkraft der Farben der Primitiven 
staunendes Entzücken beim Besucher hervorrufen. Man verfuhr beim Reinigen und 
Ergänzen, den Übermalungen und dem Zusammenstimmen durch Lasuren sowie dem 
Aufsetzen neuer Goldgründe durchaus nicht immer mit der nötigen Gewissenhaftigkeit. 
Nicht das Aufdecken und Sichern der vorhandenen Teile war der Hauptzweck dieser 
Bemühungen sondern die Erreichung eines möglichst harmonischen und starken Gesamt- 
eindrucks. 

„Könntest Du nur einmal die Farbenpracht in unserem Saal sehen und wenn 
Du recht toll und voll wärest von all’ den Herrlichkeiten hinaustreten auf den Balkon 
und Deine Blicke ausruhen lassen an dem Schloß und den grünen Bergen“ schrieb 
Sulpiz aus Heidelberg 20. Oktober 1812 an B. Haussmann in Hannover. Bei besonnenen 
Kennern war das Ergebnis gründlicher Prüfung nicht eben die gewünschte helle Be- 
geisterung für diese Art alte Kunstwerke zu erneuern und aufzufrischen. 

Dieser rücksichtslose Eingriff, der mit der beabsichtigten Verjüngung schwere 


ı) „Sammlung altniederl. und oberdeutscher Gemälde der Gemäldesammlung der Brüder 
S. u. M. Boisserée und Joh. B. Bertram. Lithographien von J.N.Strixner. 38 Lieferungen. 1821 f. 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 377 


Schädigung brachte, ja den Urkundenwert der geretteten Denkmäler sogar in Frage 
stellte, trübte schon bei den Zeitgenossen die Verdienste der patriotishen Sammler 
und erregte ernste Bedenken, die sich mitunter voll Entrüstung äußern. So schrieb 
H. G. Hotho: „Den Herren (Sulpiz und Melchior Boisserée) kommt auf gelegentliche 
Beschäftigung mit Glasmalerei der Einfall, die flandrischen Meister hätten der Wirkung 
früherer Glastafeln nachgestrebt. Das gleiche Feuer, dieselbe Kraft seien durch Alter 
und Reinigung nur verloren. Das müßte sidi wieder ersetzen lassen. Gesagt, getan! 
Melchior besonders macht sich ans Werk. Blaue Gewänder werden grell übergangen, 
rote zur höchsten Glut gesteigert. Selbst Gesichtern und Händen bleibt eine rosige 
Tiinche nicht erspart. Damit können das feine Lehmgrau des Bodens, das saftige 
Wiesengrün nicht mehr stimmen; Mittelgründe, Gewässer noch weniger. Sie erhalten 
zu ihrer Stärkung Asphalt. Unter so grober Hülle muß jede Zartheit verschwinden. 
Das jeden Meister bezeichnende Kolorit ist zerstört. Wer von anderen Tafeln her den 
Farbeneinklang und Reiz belobt, steht halb als Tor halb als Lügner da.“ (Die Maler- 
schule Huberts van Eyck 1855, II. S. 45.) 

Es bedurfte späterhin in München vielfacher Anstrengungen, einer überlegenen 
Kunstfertigkeit und hingebender Sorgfalt um die Hauptstücke der Sammlung in ihren 
ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. 

Die Brüder hatten anfangs in lebhafter Ungeduld und Entdeckerfreude selbst 
mit Hand angelegt um die neuerworbenen Schätze „unter der Kruste hundertjährigen 
Schmutzes“ hervorzuholen. Ihr Faktotum Maximilian Fuchs scheint sich gelegentlich 
nicht einwandfreier Putzmittel bedient zu haben. So wurde die „beschwerliche tiefe 
Reinigung (des Dombildes) von seinem so dick eingefressenen Unrate von unserem 
geschickten Fuchs mit jedem nur auf Öl unschädlich wirkenden Reinigungsmittel scharf 
und kühn“ durchgeführt. (Wallraf.) Derselbe Künstler nahm sich 1808 viel Zeit mit 
der Wiederherstellung von Rogers Epiphanienaltar aus der Columbakirche (Münchener 
Pinakothek Nr. 101—103). 

Ober die Technik der Alten wagt man noch kein Urteil, da Kenntnisse und 
Erfahrungen allzu gering sind. Sulpiz meint, daß seine Sammlungsstücke ausnahmslos 
„alle Eigenschaften der Ölmalerei besitzen“, jedoch sei es möglih, daß man vor 
van Eycks Erfindung „eine unbekannte Bereitung der Farben mit Wachs, Eiweis u. dergl. 
hatte, die nach so langer Zeit nicht von der Ölmalerei unterschieden werden konnte“ 
(a. a. O. I. S. 102). 

In Heidelberg wurden die Gemälde zuerst dem Kopisten Epp anvertraut, später 
dem ehemaligen Landschaftsmaler C. Koester. „Durch ihn wurden wir erst mit feinerer 
Unterscheidung der Farben, Vorkehrungen rücksichtlih der Reinlichkeit usw. bekannt.“ 
Sulpiz bittet Goethe „gelegentlich unseren kleinen Maler Koester als ein Gegenstück 
zu Fuchs anzuführen; er restauriert unvergleichlich besser als dieser, ist auch eigentlich 
mehr Künstler — Fuchs hingegen mehr Dekorateur“ (a. a. O. II. S. 71). 

Mit dem Galeriedirektor Georg v. Dillis einigten sidi die Boisserée in lebhafter 
Aussprache (der Praktiker duldet keinen Widerspruch!), daß die Bedeutung der Alt- 
niederländer wesentlich in ihren Farbenwerten, dem unerreichbaren Glanz, der Leucht- 
kraft und Pracht des Kolorits, den ungebrochenen Lokalfarben und den Schillertönen 


378 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


beruhe. Seit 1815 versenkte sich dann Melchior in die Geheimnisse solcher Wirkungen. 
Er studierte emsig die technische Literatur, zu der auch Koester einen schätzbaren 
Beitrag lieferte!) und machte Versuche „über die Haltbarkeit besonders der durchsichtigen 
Farben, über ihre Mischung untereinander, ihre Verbindung mit Ölen und Firnissen 
sowie über die Reinigung und das Austrocknen der Öle“ (a. a. O. II. S. 157). 

Diese Forschungen und Experimente und deren Erfolge blieben jedoch in engem 
Kreis und dienten einzig den vorgezeichneten Zwecken. Es waren Anfänge und Sulpiz 
selbst schreibt hierüber: „Und was läßt sich nicht erwarten, wenn einmal talentvolle 
Maler diese Bilder von Eyck, Hemmling, Schoreel usw. in Hinsicht der Farben- 
behandlung und überhaupt des Technischen studieren. Bis jetzt (2. Oktober 1819) ist 
noch nichts der Art geschehen, wie denn im allgemeinen unsere Sammlung noch keinen 
direkten Einfluß auf die Künstler ausgeübt hat“ (a. a. O. II. S. 252). 

Fälscher verdanken ihr raffiniertes Verfahren wohl auch selten den Sammlern, 
obwohl immerhin geistige Beziehungen walten; der Betrüger geht gewandt auf die 
Betrachtungsweise und Schwächen seiner Opfer ein. Zwischen dem ehrwürdigen 
historischen Monument und dem jungen Falsifikat bestand stets ein strenger schon 
begrifflicher Gegensatz; Indolenz bleibt hier ausgeschlossen, beide fanden nie im 
Prinzip die nämlihe Schätzung. War das Unterscheidungsvermögen der Forscher 
gegenüber den Kennzeichen bestimmter Denkmalgruppen noch gering, so werden auch 
die Imitationen nur in bescheidenem Maß nach Stil und Faktur dem Original nahe- 
kommen und schwerlich heute den Fernstehenden noch durch subtile Feinheiten einer 
intimen Angleichung irreleiten. 

So darf die bestimmte Erwartung ausgesprochen werden, daß auch das miB- 
handelte Nürnberger Madonnenbild, das schon an der Schwelle einer methodischen 
Betraditung der altkölnischen Malerei stand, nach Entfernung der dicht verschleiernden 
Hülle sich als Original ausweisen wird und seine kunsthistorische Position behauptet. 
(Fortsetzung folgt im nächsten Hefte.) 


1) Koester: Über Restaurierung alter Ölgemälde. Drei Hefte 1827/1830. 


Ey 


PIETRO NOVELLI 


(Il Monrealese) 
Di Enrico Mauceri 


Un pittore che nel ‘600 impresse nuova e gagliarda vita all’ arte siciliana 
allora bamboleggiante dietro le orme del valoroso toscano Filippo Paladino, fu Pietro 
Novelli, meglio conosciuto col soprannome di Monrealese, essendo egli nato nella 
lieta e bella cittadina normanna il 2 Marzo 1603. 

Eppure, non ostante tal merito, egli è poco noto fuori di Sicilia, come in 
generale è quasi sconosciuta tutta l'arte che lungo il corso del sec. XVII si svolse 
nell’ Isola, arte piena di ricchezza, di fasto e di splendore decorativo ’). 

Le chiese siciliane di quel tempo presentano, invero, una tale eleganza di 
barocco che difficilmente se ne incontra l'eguale: ai dipinti a fresco smaglianti di colore 
si unirono festosamente gli stucchi animati da agile fantasia, quegli stucchi che inghir- 
landarono di gloria il genio di Giacomo Serpotta, aggiungendovisi ancora quella 
esuberante e nello stesso tempo equilibrata decorazione policromica in pietra dura 
che forma oggi la nostra ammirazione. 

Ma, oltre al grande Serpotta, uno scultore rimasto ingiustamente oscuro, scultore 
e decoratore pieno di talento, è Gioacchino Vitaliano che in Palermo, nella cappella del 
Rosario in S. Zita e nella chiesa di Casa Professa, die' prove bastevoli della sua 
non comune abilità. 

Figlio di artista, il Monrealese °) ben presto dimostrò le sue rare attitudini e il 
suo svegliato ingegno nella sua stessa patria dove ancora giovanissimo compiè vari 
lavori come alcuni affreschi nella chiesa di S. Maria dell’ Orto; altri in una cappella 
della chiesa del monastero di S. Castrenze per la quale esegui anche una tela rap- 
presentante la Sacra Famiglia; ed altri ancora nella volta della chiesa dell’ Itria ©). 

Passato indi a Palermo, si vuole sia stato allievo del pittore trapanese Vito 
Carrera; ma chi gli svelò un mondo a lui affatto sconosciuto fu il grande Antonio 
Van Dyck che fin dal 1622 era in Palermo, e nel 1624 esegui un ritratto di Sofonisba 
Anguissola e molto probabilmente anche quello del Vicerè Emanuele Filiberto ‘). 

A questo primo periodo di ondeggiamento fra le vecchie tendenze scolastiche 
e gl'influssi della vivissima luce vandyckiana, appartiene il piccolo quadro „La morte 
del Giusto“ (m. 0,66><0,80) acquistato dal Museo Naz. di Palermo, dove le tonalità 
calde del volto della Vergine di carattere fiammingheggiante contrastano con le tinte 


1) Il chiaro Hermann Voss lamenta a ragione la poca cura che finora si è avuta dell’ arte 
siciliana del '600 e perfino dello stesso Pietro Novelli. In ,Monatsheften für Kunstwissen- 
schaft“ p. 987. 

2) Il padre Pietro Antonio, oltre che pittore, fu musaicista, e mori nella peste del 1625 
in Monreale dove si additano alcuni suoi lavori. 

3) A. Gallo. Elogio storico di Pietro Novelli. Palermo, 1828, p. 2. 

1) Cfr. C. Matranga. Dipinti di Antonio Van Dyck e della sua scuola nel Museo 
Naz. di Palermo. In „Boll. d'Arte del R. Ministero della P. Istruzione“. 


380 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 1. PIETRO NOVELLI. La morte del Giusto. Palermo. Museo 
Nazionale O 


scure del fondo. Ancora un passo e vedremo il giovine pittore interamente sug- 
gestionato dal poderoso mago di Anversa, al quale molto probabilmente fu stretto da 
vincoli di amicizia; e forse non fu estraneo alla commissione da parte dell’ oratorio 
del Rosario di S. Domenico, del quale era confrate, di quella bellissima pala, che è 
una delle opere più grandiose del sommo artista fiammingo. 

Il primo periodo della carriera del Novelli è ancora alquanto oscuro. Certamente 
Palermo gli offri un campo di grande operosità in un tempo in cui vennero sorgendo 
nuove chiese, nuove corporazioni e confraternite, ed il gusto dell’ arte vieppiù affina- 
vasi dopo i mirabili esempi dati dal Van Dyck. 

Le incertezze intanto non mancano, data la perdita di alcune opere d' arte e 
quella dei documenti. 


Enrico Mauceri. Pietro Novelli 381 


Abb. 2. PIETRO NOVELLI. La Pentecoste. Palermo. Oratorio del Rosario in S. Domenico 


Il nostro Pietro nel 1626 fu incaricato dal Senato palermitano per l'esecuzione 
di una certa opera di pittura nel ciborio della grotta di S. Rosalia in monte Pellegrino, 
come risulta da notizie ricavate dagli atti dell Archivio Comunale; il che dimostra in 
qual conto fosse già egli tenuto !): 

M'o Pietro Novello. 

A 18 di marzo ni facemo esito di onze dodici pagate per tavola a M'° Pietro 
Novello antecipate a buon conto di onze 22—24 per le quali si obbligò mettere l'oro 
nel ciborio della gloriosa Santa Rosalia nella grotta in monte pellegrino pittura e 
musaico finto e compire bene e magistralmente tutte altre opere dichiarate nel contratto 
obbligatorio in notar Nuntio panetteri a 14 di marzo 9 Jn® 1626 e capitoli in esso 


._—. 


1) Esito di danari pagati per servitio della fabrica della cappella della gloriosa S. Rosalia 
nella grotta in monte pellegrino. 


382 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


inserti, e dette opere deve dar spedite fra mese uno del di di detto contratto e se li 
pagano antecipate stante l avermi dato pleggeria, nell’ officio di Spettabili Giurati di 
questa Città di scontarle con detti servitii e come per partita di tavole in questa a 
f. 34 onze 12. 

M'° Pietro Novello. 

A di detto (24 aprile) ni facemo esito di onze sei pagate per tavola a M'° Pietro 
Novello a compimento di onze 18 comprese onze 12 pagateli nel mese di marzo 
oo prossimamente passato e dette onze 
18 sono a buon conto di onze 
22—24 per le quali si obbligo 
mettere l'oro nel ciborio della 
gloriosa Santa Rosalia nella grotta 
in monte pellegrino come in detta 
partita di onze 12 è stato dichia- 
rato e conforme la partita di Ta- 
vola in questo a foglio 36 — 
onze 6 (da un volume di conti 
dell’ Arch. Comunale di Palermo. 
A. 1626, f. 13—14). 

Agostino Gallo, unico biografo 
finora del valoroso artista !), chiama 
»di seconda maniera“ quel periodo 
circoscritto al tempo anteriore alla 
gita a Napoli e a Roma, quando 
il Monrealese fu attratto da altri 
grandi astri: dal Caravaggio, dal 
Velasquez, dallo Spagnoletto e 
dal Domenichino. 

Ma tale seconda maniera non 
sarebbe, invece, che la prima, non 
Abb. 3. PIETRO NOVELLI. La Vergine col Bambino. Potendosi tenere in calcolo i primi 

Palermo. Museo Nazionale o conati giovanili che hanno carat- 
tere puramente scolastico °). 

E qui sorge un punto oscuro sulle vicende della vita del pittore. Quando si 
recò egli a Roma? Nel 1630 era ancora in Palermo e compiva per il convento del 
Carmine il quadro di S. Andrea Corsini). Secondo il Gallo, la partenza avvenne fra 
il 1631 e il 1632, e ciò non sarebbe improbabile, ma non posso allora ammettere che 


1) Precedentemente, il Mongitore si era occupato del Novelli-Memorie dei pittori, 
scultori, architetti e artefici in cera siciliani (mss. nella Bibl. Comunale di Palermo 29. c. 63.) 

2) Il Matranga (a. c.) parla anch’ egli di seconda maniera a proposito del quadro del 
Ponticello, assegnando ad esso gli anni 1630—1633. — In vece, secondo il mio avviso, bisogna 
ascriverlo ad un tempo anteriore. 

3) v. C. Matranga in „L'Arte“. Anno X fasc. VI, p. 448, dove è riprodotto il dipinto. 


Enrico Mauceri. Pietro Novelli 383 


l affresco del refettorio in S. Martino delle Scale sia stato eseguito nel 1629!) — 
Esso presenta invero quel fare largo, quelle ombreggiature forti, quell’ insieme di 
grandiosità che formano le caratteristiche della sua seconda maniera (la 3° del Gallo), 
tutta compenetrata dello spirito michelangiolesco attinto alle fonti del Domenichino, e 
di quello dell’ arte spagnuola. 

Può darsi che nel 1629 
il Novelli ne abbia ricevuto 
a commissione, ma che poi 
sia stato rimandato il lavoro 
ad altro tempo; certo dovette 
essere eseguito dopo il suo 
ritorno da Roma. 


* * 
x 


Fra i quadri di carattere 
vandyckiano son da ricor- 
darsi la Vergine col Bambino 
fra S. Rosalia ed il Battista; 
l'Annunciazione; S. Casimiro 
re coronato dal Bambino, 
tutti e tre nel Museo Nazio- 
nale di Palermo; la Pente- 
coste nell’ Oratorio del Ro- 
sario in S. Domenico’). - - 
Esaminandoli uno per uno, 
vediamo che le teste sem- 
brano tolte di peso dal grande 
pittore di Anversa, a cui 
l autore si ispira anche nella 
leggerezza delle tinte diafane, 
nel chiaro delle carni, nel rosso 
e nel verde mare delle vesti. 

Ma un grande muta- Abb. 4. PIETRO NOVELLI. La Risurrezione. Piana dei Greci. 
mento nell’ arte del Monrea- Sissa Gia nement g 
lese avviene al suo ritorno da Roma. — Nella città eterna era ancora vivo il ricordo 
della visita del Velasquez, e allora il nostro pittore ebbe occazione di eseguire per 


1) Il Gallo registra tale data come sicura per via di documenti, ed aggiunge: „Tale fresco 
che sente dell’ entusiasmo di Michelangelo, come solea dire il Cav. Puccini ... „Ma se così è, 
dove nel 1629 il Novelli avea visto qualcosa di Michelangelo? 

Anche I’ ab. Giuseppe Bertini scrive che l'anno 1629 è certo da un registro di conti 
nell’ archivio di quel Monastero. V. Ortolani. Biografia degli uomini illustri della 
Sicilia. Napoli MDCCCXVIII tomo II. | 

*) I primi due sono riprodotti in ,L’ Arte“ v. E. Mauceri. Esposizione di opere del 
Monrealese. Anno V fasc. V—VI. 


384 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 5. PIETRO NOVELLI. L’ Eterno fra Angeli. Piana dei Greci. Chiesa di S. Demetrio 


Casa Colonna i due grandi ritratti di Marcantonio III Colonna e d’ Isabella Gioeni, 
moglie di Marcantonio V Colonna col figlio Lorenzo Onofrio. 

Certo è che Pietro nel Velasquez trovò |’ anima sua e credo che nessun altro 
meglio di lui abbia saputo interpetrare il grandissimo Spagnuolo. 

A Napoli molto probabilmente fu in rapporti col Ribera, il cui capolavoro, la 
Pietà della Certosa di S. Martino, dovette recargli grande impressione’). Cosi 
avviene che il Novelli acquista carattere e fisonomia del tutto spagnuola, e sebbene 
negli affreschi non si mantenga sempre tale e circoli fra le sue teste un pò del soffio 
del Domenichino, pure nelle tele si manifesta quasi sempre fedele ai modelli del 
Velasquez e dello Spagnoletto °). 


1) Fu forse in quella occazione che esegui i due quadri (oggi nel Museo Nazionale di 
Napoli) rappresentanti uno la Trinità e 1’ altro Giuditta ed Oloferne. 

2) Il Frizzoni ha notato i segni della reazione dell’ arte spagnuola sull’ italiana, special- 
mente in due pittori: nel milanese Nuvoloni, detto il Panfilo, e soprannominato il Murillo lom- 
bardo, e in Pietro Novelli. Egli cosi scrive: ,Pietro Novelli si compiace con successo di emulare 
il Velasquez nel maneggio del pennello e negli effetti del chiaro e dell’ oscuro ne’ colori“. In 
»Archivio Storico dell’ Arte“ VI (1894) p. 194. 


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Enrico Mauceri. Pietro Novelli 385 


Abb. 6. PIETRO NOVELLI. S. Benedetto. Monreale. Monastero dei Benedettini 


Al suo ritorno in patria il Monrealese da prova di straordinaria, prodigiosa atti 
vita. Nel giro di pochissimi anni compie le opere pit celebri e più forti del suo pennello: 
nel 1634 i poderosi affreschi del „Paradiso“ nell’ antico ospedal grande, oggi caserma 
della SS. Trinita, dei quali non si conservano che pochi frammenti nel Museo 
Nazionale !); attorno allo stesso tempo, la superba e colossale decorazione della volta 
della chiesa di S. Francesco dei Chiodai, di grande effetto coloristico, anch’ essa dis- 
graziatamente in molta parte rovinata dal terremoto del 1823; altra nel cappellone 
della chiesa di S. Maria dei Latini, detta anche del Cancelliere; ed altra ancora a 
Piana dei Greci, nella chiesa di S. Demetrio, dove le teste hanno nobile, dignitosa 
compostezza e maestà di espressione. 

Nella chiesa del Cancelliere sono rappresentati i primi momenti della fondazione 
della Regola benedettina. 

A. d. S. Placido e S. Mauro condotti dai loro padri Tertullo e Canzio al 
cospetto di S. Benedetto in Montecassino; a sinistra, il Santo veste monaco S. Romano 
nella solitudine di Subiaco; in alto, sulle arcate del Coro, S. Benedetto predica alle 


turbe in Montecassino; nella volta, la Vergine, tra l' Eterno e il Cristo, incorona di 
rose S. Scolastica. 


1) Assicura il Mongitore che nell’ affresco si leggeva al suo tempo la firma dell’ autore 
e la data 1634. Di tale composizione che rappresentava Santi in gloria nel Paradiso, si vedono 
nel Museo Nazionale di Palermo alcuni lucidi del pittore Giuseppe Patania (Sala Novelli 1—29— 38). 


28 


386 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Nella chiesa di S. Demetrio, in Piana dei Greci, è rappresentata la Risur- 
rezione; in alto, l’ Eterno fra i due Arcangeli Michele e Gabriele; ai lati gli Apostoli 
e quattro santi Greci: S. Basilio, S. Gregorio il teologo, S. Atanasio e S. Giovanni 
Crisostomo. 

Si ascrive, secondo il giudizio del Gallo, al Novelli la grande decorazione della 
volta della chiesa della Badia Nuova dove in tredici quadri sono raffigurati episodi 
riferentisi all’ ordine di S. 
Francesco. Jo credo però 
che tale attribuzione sia in- 
fondata, e che il lavoro sia 
stato eseguito da un allievo, 
forse magari su cartoni for- 
niti dal Maestro. 

Nel 1635 il Novelli fu 
incaricato dal Monastero di 
S. Martino delle Scale ad 
eseguire una grande tela rap- 
presentante S. Benedetto e 
I’ istituzione degli ordini no- 
bili guerrieri. 

Il Santo di Norcia addita 
il libro della sua regola, 
mentre consegna la spada 
a Sancio III re di Castiglia. 
Ritto in piedi è Gomez Fer- 
nandez, gran maestro dei 
cavalieri di Alcantara, e gli 
stanno vicini Alfonso I di 
Portogallo e Dionisio re dello 
stesso Stato. Dall’ altro canto 
si vedono le figure di S. 
Mauro, S. Odone, S. Romu- 
aldo, S. Roberto, S. Pier 
Abb. 7. PIETRO NOVELLI. Mosè. Palermo. Museo Nazionale Celestino e il B. Bernardo 

Tolomeo. 

In basso si legge: D. P. Benedicto, P. O. D Seraphinus Gonzales de 
Panormo, devotionis causa P. anno 1635. 

Il quadro ha sofferto per i restauri; fortunatamente però un altro dello stesso 
soggetto, anch’ esso grandioso, ma di assai migliore conservazione, non ci fa tanto 
rimpiangere il grave danno. Quest’ ultimo è oggi collocato nella scala dell’ ex 
Monastero dei Benedettini in Monreale, ma ornava un tempo il Refettorio. Qui 
S. Benedetto distribuisce il pane ai vari capi della riforma del suo ordine ed ai 
cavalieri che ne seguirono la regola. Sono notevoli le figure di S. Romualdo e di 


Enrico Mauceri. Pietro Novelli 387 


Abb. 8. PIETRO ‘NOVELLI. La Comunione di S. Maria Egiziaca. Palermo. 
Museo Nazionale D 


388 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


S. Gregorio come pure quella che pare sia il ritratto del pittore. Certamente, come 
nel dipinto di S. Martino, i vari personaggi sono presi dal vero e non potrebbe essere 
diversamente data tutta quella potenza di vita che traspare dall’ atteggiamento, dalle 
mosse, dallo sguardo di ognuno di essi’). I rapporti con quello di S. Martino delle 
Scale sono evidenti nelle figure, massimamente in quelle dei Cavalieri vestiti alla stessa 
guisa con mantello bianco e croce rossa, ed anche nelle tipiche faccie volte verso il 
riguardante. 

L’ altro quadro esistente in S. Martino delle Scale, la Vergine col Bambino fra 
S. Benedetto e S. Scolastica dove la figura del Santo di Norcia ha tanti rapporti con 
quella del Mosé nel Museo Nazionale, sebbene guasto dal tempo, manifesta grande 
forza e vigoria di pennello tanto da potere stare a lato al S. Benedetto. 

Parimenti nel novero dei suoi capolavori bisogna includere i due quadri di 
Casa Professa: I Santi Eremiti nel deserto; S. Filippo d' Argirò che esorcizza un 
energumeno °). Nel primo S. Paolo è intento a discutere con i suoi compagni, uno 
dei quali ha in mano il libro degli Evangeli, ed un altro un teschio. Tutte e cinque 
le teste senili sono improntate a vigoria d'espressione; esse insieme con quelle del 
quadro di S. Benedetto in Monreale, costituiscono quanto di meglio si sia potuto 
creare nell’ arte italiana di quel tempo. 

A Ragusa Inferiore, nella raccolta civica, è notevole una grande tela rappresen- 
tante l Assunta (detta „la Madonna della legaccia“) proveniente dall’ ex convento 
dei Cappuccini dello stesso paese, di conservazione freschissima, dove fra le varie e 
belle teste spicca anche quella del pittore come nel quadro di S. Benedetto in 
Monreale °’). 

Nel 1637 il Novelli dipinse il grande quadro della Comunione di S. Maria 
Egiziaca (un tempo chiamata S. Maria Maddalena)‘) proveniente da S. Domenico, 
dove si mescolano ricordi del Domenichino e dello Spagnoletto, e nello stesso anno 
die’ mano, insieme con altri tre pittori del tempo, Vincenzo La Barbera, Gerardo 
Asturino e Giuseppe Costantino, a decorare a fresco tre saloni a pianterreno del 
Palazzo Reale di Palermo’) che da apposenti, ossia magazzini di munizione, furono 
adattati a sede del General Parlamento. Il Novelli, giusta il documento pubblicato 
dal Meli, aveva a dipingere ,otto istorie con li soi guarnimenti attorno di architettura 
et anco attornu la porta et archi et pingere attornu li finestri et anco depingere una 
finestra finta et anco tuttu il dammusu di pittura con grutteschi et uno tabellone et 
anco una fama nello menzo di d. dammuso“. E infatti sembra che il nostro pittore 


1) A proposito del quadro di Monreale il Gallo ne assegna |’ esecuzione intorno al 1635 
e ciò in base ad un documento. o. c. p. 45 in nota. 

2) Di questi due dipinti che vorrei veder qui fotografati riesce difficile una riproduzione 
a cagione del loro collocamento. | 

3) Altre due tele novellesche fan parte della stessa collezione e rappresentano una 
S. Pietro in atto di asciugare il sangue sgorgante dal seno reciso diS. Agata, e I’ altra il martirio 
di S. Agnese. — Ambedue però sono di esecuzione alquanto più scadente. 

t) Gallo o. c. p. 52. 

>) Cfr. G. Meli „Sulle tre stanze del Pallazzo Reale di Palermo dipinte da quattro valoroso 
pittori nel 1637—38, in Archivio Storico Siciliano. Nuova Serie. Anno II fasc. III, IV. p. 422. 


Enrico Mauceri. Pietro Novelli 389 


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Abb. 9. PIETRO NOVELLI (?) Affresco. Palermo. Chiesa della Badia Nuova 


di sua mano abbia atteso a tale lavoro come si puö vedere dalla rappresentanza della 
Fama che offre tutte le caratteristiche della sua maniera. 

Nel 1640, anno in cui diede il S. Pietro di Alcantara per la chiesa della 
Gancia, gli fu commessa un’ altra opera a fresco, cioè la decorazione della cappelletta 
dei Vicere nello stesso Palazzo Reale dove dovea rendere sei pannelli relativi alla 
vita di S. Francesco di Assisi e di S. Antonio di Padova. Ma io credo che abbia 
ragione il Gallo’) nel ritenere che il pittore abbia solo fornito i cartoni e che un suo 


1) o. c. p. 58 Lo stesso a. dà il documento da un R. dispaccio di pagamento di Onze 10 
con la data 4 Giugno 1640 nell’ Archivio della R. Segreteria di Stato. 


390 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


allievo abbia eseguito |’ affresco. La figura di S. Francesco sente molto delle opere 
del Monrealese non quella della Vergine e specialmente del Bambino modellato in- 
felicemente che non possono appartenere alla di lui mano. 


* i * 

‘Nel 1643, sotto Filippo IV, il nostro Pietro fu scelto ad architetto del Regno. 
Egli, nella sua gioventù, aveva appreso architettura dal cav. Carlo Ventimiglia, dotto 
matematico del tempo, e sembra che abbia pure esercitato tale nobilissima arte, seb- 
bene non abbiamo esempî sicuri da additare intorno all’ opera sua. E che sia così, 
risulta dal fatto che sin dal 1636 era successo allo Smiriglio nella qualità di archi- 
tetto del Senato !). 

Con la nuova carica di funzionario dello Stato, fu necessario al Novelli di 
imprendere un giro per le piazze forti dell’ isola, ma ciò non pertanto egli non smise 
di continuare l'esercizio dell’ arte sua prediletta. 

Proprio nell’ anno stesso della regia nomina, si obbligò a Messina con quel 
Senato a dipingere a fresco il coro maggiore della Cattedrale ,dal musaico insino al 
cornicione delli stalli di legname °“ ma non arrivò, chi sa per quali circostanze, ad 
iniziare nemmeno il lavoro. Si crede che nel 1646 abbia dipinto il grandioso quadro 
della Pietà per la chiesa di Saladino (trasportato di poi a S. Chiara), ma molti e ra- 
gionevoli dubbi si sono manifestati intorno alla autenticità del dipinto che si distacca 
completamente dal suo modo di fare. 

Sua opera, invece, pare che sia lo Sposalizio della Vergine nella chiesa di 
S. Matteo, compiuta alla vigilia della morte, dove si legge: Opus componi fecit 
Franciscus Crispaldi an Sal. MDCXLVII. 

Ma quando il Novelli avera già raggiunto l'apice della fortuna e della gloria 
gli accadde un sinistro accidente che fu causa della sua fine immatura. Erano scop- 
piati i torbidi del 1647, quando Palermo tentò di scuotere il mal governo spagnuolo 
Il Novelli, nella sua qualità d'ingegnere della R. Corte, seguiva a cavallo il Capitan 
di Giustizia D. Pietro Branciforte, allorchè una turba di sediziosi in Piazza Bologni si 
fece avanti con sassi ed archibugi; durante il trambusto fu esploso un colpo di 
moschetto che andò a ferire il pittore al braccio destro e tale ferita al terzo giorno 
gli cagionò la morte *). Fu sepolto nell’ oratorio del Rosario in S. Domenico, ma oggi 
nessuna memoria rimane della sua tomba. 


1) V. Giuseppe Taormina in Sicilia Artistica ed Archeologica. a. II. 1888 p. 22. 
fasc. II e III. 

In un atto del Senato si parla di Pietro Novello Ingegniero. Gli si attribuiva un 
tempo Porta Felice, ma essa fu architettata invece da Mariano Smiriglio ed il Novelli solo ebbe 
la vigilanza sulla costruzione. V. Sicilia Artistica ecc. a. II fasc. I p. 7. 

2) V. contratto pubblicato dal Di Marzo nel volume „Di Antonello da Messina e dei suoi 
congiunti“. Palermo, 1903, p. 151. 

3) Discordi sono gli scrittori intorno alla data della morte: il Bertini la segna nel 25 Agosto, 
il Gallo nel 17, il Salinas nel 27 (Breve guida del Museo Nazionale di Palermo, 
1901, p. 80). 


Enrico Mauceri. Pietro Novelli 391 


Il Monrealese ebbe grande celebrita nel suo tempo e formö una scuola di ca- 
rattere regionale durata per tutto il corso del sec. XVII che forse mai nella pittura si 
era vista così estesa e cosi sparsa per tutta l'isola, scuola dalla quale uscirono va- 
lorosi allievi come Andrea Carrega e Giacomo Lo Verde che alcune volte gareggiarono 
con lo stesso maestro. 

Il Novelli nacque artista, dalla fantasia feconda, dall’ anima aperta al senso 
della bellezza; egli ritrae il vero dalla natura, ma lo fa senza mai cadere nel volgare 
o nel goffo; le teste dei suoi personaggi esprimono la nobilità e la fierezza tutta propria 
della sua indole. Avviene così ch'egli, pur essendo inspirato dall’ arte del Van Dyck 
e del Velasquez, rimane siciliano in ogni atteggiamento, in ogni fisonomia delle 
sue figure. 

Oltre che artista tenace e produttivo, egli fu uomo d'ingegno straordinario. 
Coltivò l’arte dell’ incisione, e nelle feste solenni di Palermo egli era chiamato a dare 
disegni di archi trionfali e di altre opere sontuose e di grande effetto !). La carica 
ottenuta d'ingegnere della R. Corte dimostra com’ egli dovesse essere conosciuto per 
la sua abilità nell’ architettura militare. Ma la sua fama è legata principalmente alla 
sua qualità di pittore, ed oggi la critica deve rendergli meritata giustizia per aver 
saputo, in un tempo di sdolcinature e di infiacchimento arcadico, saputo elevare l'arte 
a nobile altezza. 


OPERE DEL MONREALESE 
QUADRI 


Palermo. Collez. Scalea. 
Bambino fra Santi. 

Palermo. Museo Nazionale (N. 1). La morte 
del Giusto. 

Palermo. Museo Nazionale (N.110). La Ver- 
gine col Bambino fra S. Giovan Battista e 
S. Rosalia (dall'Oratorio del Ponticello). 

Palermo. Museo Nazionale (N. 449). 
ritratto (?) 

Palermo. Museo Nazionale (N. 1028). S. Casi- 
miro re adorante la Vergine. 

Palermo. Museo Nazionale (N. 337). La Ver- 
gine, il Bambino e S. Anna. 


La Vergine col 


Auto- 


Palermo. Museo Nazionale (N. 1023). S.Andrea. 


Palermo. Museo Nazionale (N. 450). L'An- 
nunciazione (da S. Martino delle Scale). 
Palermo. Museo Nazionale (N. 144). Mose. 


Palermo. Museo Nazionale (N. 1022). S. Pietro 
Martire. 

Palermo. Museo Nazionale (N. 114). S. Pietro 
liberato dall’ Angelo. 

Palermo. Museo Nazionale (N. 112). La Co- 
munione di S. Maria Egiziaca (da S. Domenico). 


9 V. Matranga, a. c. in L'Arte, p. 448. 


Palermo. Duomo. S. Ignazio e S. Francesco 
Saverio dinanzi alla Vergine. 


Palermo. Duomo. S. Francesco di Paola. 
Palermo. Oratorio del Rosario 


in S: Domenico | La Pentecoste. 


Palermo. Chiesa del Carmine. S. Andrea 
Corsini. 

Palermo. Casa Professa. I Santi Eremiti nel 
deserto. 

Palermo. Casa Professa. S. Filippo d’Argiro. 

Palermo. Chiesa di S. Antonio. Il Santo 
Titolare. 

Palermo. Chiesa diS. Giuseppe. S. Gaetano. 

Palermo. Chiesa di S. Maria degli Angeli. 


S. Pietro d'Alcantara. 


Palermo. Chiesa di S. Matteo. Lo Sposalizio 
di Maria Vergine. 

Monreale-Monastero dei Benedettini. S.Bene- 
detto che distribuisce i pani. 


S. Martino delle Scale. S. Benedetto. 


S. Martino delle Scale. La Vergine col 
Bambino fra S. Benedetto e S. Scolastica. 


Piana dei Greci. Chiesa di S. Antonio. S. 
Antonio. 
Alcamo. 


Chiesa del Salvatore. S. Teresa. 


392 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Alcamo. Chiesa diS. Oliva. Il sacrificio della 
Messa. 


Alcamo. Chiesa di S. Francesco di Paola. 


S. Benedetto. 
Vicari. Chiesa Madre. S. Rosalia. 


Catania. Museo Benedettini. S. Cristoforo. 
Ragusa Inferiore. Collez. municipale. L’Assunta. 


Ragusa. Inferiore. Collez. municipale. S. Pietro 
e S. Agata. 

Ragusa. Inferiore. Collez. municipale. Il mar- 
tirio di S. Agnese. 

Napoli. Museo Nazionale. Giuditta e Oloferne. 

Napoli. Museo Nazionale. La Trinita. 

Roma. Galleria Colonna. N.2 ritratti. Mar- 
cantonio III Colonna e Isabella Gioeni. 

Roma. R. Galleria Corsini. S. Giacomo. 
Dalla collezione Tesorone. 


AFFRESCHI 


Palermo. Cappella di S. Anna in Casa Pro- 
fessa. La cupola. 

Palermo. Oratorio del Rosario in S. Domenico. 
Nella volta: Incoronazione della Vergine. 

Palermo. Chiesa di S. Francesco dei Chiodai. 


Nella volta: Avanzi della decorazione figurata 
rappresentante fatti della vita di S. Francesco 
di Assisi. 

Palermo. Chiesa di S. Maria del Cancelliere. 
Nel Cappellone: Episodi della vita di S. Bene- 
detto. 

Palermo. Palazzo Reale. Sale del Parla- 
mento. 

Palermo. Palazzo Reale. Cappelletta dei 
Vicerè. Episodi della vita di S. Francesco di 
Assisi e di S. Antonio. 

Palermo. Badia Nuova. Decorazione della 
volta. (Attribuzione discutibile.) 

Palermo. Museo Nazionale. Frammenti 
(N. 194—196) del grande affresco „Il Paradiso“ 
nell’ antico Ospedale. 

Palermo. Museo Nazionale. Frammenti da 
una Cappella in S. Giovanni degli Eremiti. 

S. Martino delle Scale. Refettorio. Nella 
volta: Daniele nella fossa dei Leoni. 

Bagheria. Villa principi Valdina. 

Piana dei Greci. Chiesa di S. Demetrio 
Cappellone. 

Piana dei Greci. Chiesa dell’ ex convento. 
dei Cappuccini. L’Annunciazione. 


Ein Steinrelief des Hans Schwarz im Germanischen 


Museum zu Niirnberg 
Von Wilhelm Vöge 


Das Relief der ,Madonna mit dem Cherub“ (Abb. 1), das ich Hans Schwarz 
zuweisen möchte, ist von kleinen, fast winzigen Abmessungen (H. 11, Br. 6,25 cm); 
die Abbildung gibt es etwas vergrößert; es hat gelitten, von Feuchtigkeit und anderen 
Unbilden; doch zeigte seine Oberfläche wohl von vornherein gewisse Unebenheiten; 
denn der poröse Kalkstein hat kleine kornartige Einsprerfgungen; er war nicht aus- 
gesucht. Zwar, ein Moderner würde 
gerade nach ihm gegriffen haben, und 
man könnte selbst denken, daß auch 
Schwarz die kleinen Tupfen nicht als 
störend empfunden habe. Ihm war — 
gewiß auch als Menschen — das Glatte 
zuwider. „Er kennt den Reiz des un- 
berührten Gusses, ein da und dort stehen- 
gebliebener Gußfehler verschlägt ihm 
wenig. Bisweilen beläßt er selbst die 
Gußhaut, den Eindruck des Impressio- 
nistischen betonend“, bemerkt Habich 
zu seinen Medaillen. 

Wie Habich, der feinfühlige Inter- 
pret des Schwarzschen Œuvres gesagt 
hat’), wurzelt des Meisters Medaillenstil 
in der Plastik, im Schnitzen und Kerben. 
Allerdings kann man die selbständigen 
plastischen Arbeiten desselben fast an 
den Fingern einer Hand aufzählen; es 
sind, Reliefs in Holz, alle von kleinerem 
Maßstab. Das einzige, dem Meister bis- 
her zugewiesene Steinrelief, ein Brust- 
bild Kaiser Maximilians im Wiener Hof- 
museum, will Habich (a. a. O. S. 42f,) 
anscheinend nur als Werkstatt gelten 
lassen. 

Doch Schwarz hat sicher in Stein 
gearbeitet; er würde sonst nicht auf 


ml 


') Studien zur deutschen Renaissance- Abb. 1. HANS SCHWARZ. Die Madonna mit 
medaille II, Jahrbuch der k. preuB. Kunstss. dem Cherub O 


XXVII, S. 30 ff. O Nürnberg, Germanisches Museum 


394 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Abb. 2. HANS SCHWARZ. Anna selbdritt 
D Berlin, Kaiser Friedrih-Museum 


Holbeins d. A. beiden Porträtzeichnungen im Berliner Kabinett „Hanz Schwartz der 
Steinmetz“ genannt werden’). 

Das Nürnberger Relief ist zwar ohne Signatur, doch legitimiert es sich aus- 
reichend durch Erfindung und Formensprache. Schon der kleine verkürzte Tellernimbus 
mit dem Strahlenradchen erinnert auffallend an den des Christkinds auf dem Berliner 
Medaillon mit der Anna selbdritt im Kaiser Friedrih-Museum (Abb. 2). 

Schwarz liebt die kleinen perspektivischen Hülfen, die der Raumillusion, wie 
der plastischen dienen. Dahin gehören auch die verkürzt gegebenen Cherubsköpfe zu 
Füßen der Madonna wie unter der Annengruppe; die verkürzte rechte Hand der Anna, 
wie die der Madonna in Nürnberg und die Art, wie sie den Knaben faßt. 

Sehr ähnlih sind auch die schlanken Kurven der Mantelfalten bei beiden 
Gestalten, ihr Übereinanderlaufen, Sichüberkreisen; für gewisse straffere Linien unten 
am Gewande der Madonna mag man das Medaillon bei Figdor vergleichen (Abb. 3); 
dem fröhlichen Wellengang der dünnen langen Lockensträhne, die sich unten einrollen, 
wieder auf dem Berliner Medaillon verfolgen. Das merkwürdige Relief bei Figdor, 
dessen photographishe Aufnahme ich der Güte des Besitzers verdanke, bringe ich 
hier vor allem wegen des Mädchenkopfes ganz rechts °.) 


1) Die Inschrift rührt auf dem einen Blatt, das den Künstler „als einen dem Knabenalter 
noch nahestehenden Jüngling“ zeigt, wie auch Habich annimmt, wahrscheinlich von Holbein selbst her. 
*) Wo das Relief der Beweinung Christi, das 1886 bei Lempertz in Köln für 12000 M. 


W. Voge. Ein Steinrelief d. Hans Schwarz im Germanischen Museum zu Nürnberg 395 


Sein volles, zusammengedrüctes, fast kantiges Oval mit dem breiten Kinn, 
dem gekniffenen Mund (dessen Winkel sich nach oben ziehen), das Näschen, die 
winzigen Augen, deren fette Lider den Blick kaum durchschlüpfen lassen, alles erinnert 
an das Gesicht der Nürnberger Madonna. 

Die Rahmung des Nürnberger Täfelchens endlich bietet ähnliche Motive, wie 
die Schwarzsche Grablegung von 1516, früher bei Felix, so die Bogenlaibung, die sich 
über den Kämpfern perspektivish zusammenzieht, so die in einer geriefelten Hülse 
sitzenden Pilasterkapitelle, die unten breit aufsitzende, spitz zugeschnittene Blätter 
verkleiden. 

Arbeiten von Hans Schwarz möchte man auch unter den deutschen ‘Plaketten 
vermuten; doch gibt es nur wenige, die man als augsburgisch ansprechen kann, zumal 
aus dieser Zeit; denn das meiste ist späteren Datums. Der Augsburger Frührenaissance 
möchte ich die „Madonna mit sechs Engeln“ zurechnen (Molinier, Les plaquettes, 
Nr. 690), nächst den Vischerschen Orpheusplaketten die schönste deutsche Plakette 
überhaupt, ein erfrischendes Werk, unter so vielen Erborgtem. Idı nenne es augs- 
burgisch gerade um seiner Verwandtschaft mit den Schwarz’schen Arbeiten willen. 
Doch glaube ich nicht, daß man weiter gehen und diese Tafel ihm selbst zuschreiben soll. 


versteigert wurde (P. v. Eye und P. E. Börner, die Kunstsammlung von E. Felix, Leipzig 1880, 
Taf. XVIII) sich jetzt befindet? 


Abb. 3. HANS SCHWARZ. Der Jüngling und 


die drei Frauen O 
O Wien, Sammlung Figdor 


A Connecting-Link between Tiepolo 
> and the Guardi Family + 


By George A. Simonson 


In a back-number of th e Burlington Magazine (July, 1907). I briefly referred 
to a discovery which I then had the good fortune to make, of a black and white study 
by Giambattista Tiepolo, which derives a peculiar interest from the fact that there is 
affixed to it a contemporary inscription, in the writing of one of the Guardis from 
Mastellina (Val di Sole, Trentino). Though the inscription upon this drawing of 
Tiepolo who, I may be permitted to recall the fact, became the brother-in-law of the 
celebrated Venetian landscape-painter Francesco Guardi, by marrying his sister Cecilia, 
does not enlighten us on the effect of this interesting family alliance upon the personal 
relations subsisting between these two masters, it would seem to allow the inference 
that Tiepolo was on an intimate footing with a kinsman of Guardi. Such a document, 
however slight the incident may be which it chronicles, deserves, I venture to think, 
to be preserved, more especially when it is no longer within reach of the art student. 

The drawing of Tiepolo in question is now in the possession of Miss Sarah 
Cooper Hewitt of New York, who, by kindly placing at my disposal a photograph 
of it, enables me to reproduce it. It is commonly said that when works of art stray 
to the New World, their return to our hemisphere is very rare. When, like Tiepolo's 
study, they have historical as well as artistic claims to our attention, it seems more 
than ever desirable to take time by the forelock, whenever feasible, and to keep 
photographic records of them, lest they be completely lost sight of on the other side 
of the Atlantic. This is an additional reason for rescuing from oblivion the subject 
which we reproduce. 

Though it is primarily with the endorsement upon Tiepolo's study that we are 
here concerned, a few remarks concerning its theme and intrinsic merits may not be 
out of place. The reader who scans it, will hardly fail to recognise in its main- 
d'œuvre a good example of Tiepolo's finished sepia drawings, heightened with white. 
Tiepolo has frequently represented cognate allegorical subjects in his fresco paintings 
and it may be that the composition which we are discussing, was a preparation for adorning 
the ceiling of some Venetian palace. The subject represented in it, which exhibits 
his usual creative imagination and bold execution, seems to have been utilised by 
Tiepolo more than once, as M. Henry de Chennevrières, the author of ,Les Tiepolo“, 
describes another composition exactly corresponding to that of the annexed repro- 
duction. „Au centre de nuages égayés de petits génies“, he writes'), „Venus remet 
Cupidon entre les mains du vieux Temps, tout surpris de ce dépôt“. In the Bischoffsheim 


1) See M. Henry de Chennevrières-Les Tiepolo, (Les Artistes célèbres) Paris, 1896 
(commencement of page 20). 


George A. Simonson. A Connecting-Link between Tiepolo and the Guardi Family 397 


collection in London, I may add, there is a large fresco painting, also by Tiepolo to 
which the above description applies. 

Besides Venus and Time, with the putto in his arms, there are several other 
figures visible in Tiepolo's drawing and the overcrowding of the picture with them 
seems to furnish a sufficient clue for supposing that it is an early work of the 
painter. There is, however, only internal evidence to settle this question by. 

I will now pass on to the inscription, which is inserted in the blank part of 
the drawing, to be more precise, in the extreme left-hand top corner of it. As un- 
fortunately the process of reproduction on a much reduced scale has, if not effaced, 
rendered the text hard to read, I transcribe it in full for the convenience of the reader. 
It runs as follows: 

Lo fece il Tiepolo e me lo dono Juseppino Guardi. 

This inscription may have been added when Giuseppe Guardi parted with the 
study, aS a guarantee of authenticity, or because he felt proud of owning a work by 
the great master. Already in 1719, it may be observed, when Tiepolo married 
Cecilia, he was a promising artist. Concerning Giuseppe Guardi we have but little 
information. From the genealogical tree of his family!) we learn that he was a 
contemporary of Francesco Guardi's father (Domenico). 


1) See the authors monograph on Francesco Guardi. (Methuen & Co., London). 
Appendix I. 


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398 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


I will complete this discussion by stating the provenance of the drawing of 
Tiepolo. Its former owner was the Spanish artist Raimondo de Madrazo, whose 
grandfather was an intimate friend of Goya, and whose family possessed drawings 
by Tiepolo and Guardi as well as by Goya. One of the drawings of this collection 
(it has now passed into other hands) is a fascinating landscape by Guardi, enclosed 
in black and white arabesque work, which almost betrays Tiepolesque influence. 

Postscriptum. I take this opportunity of bringing to the notice of your readers an 
important new work on G. B. Tiepolo, just published, which cannot fail to be of deep interest, 
as its author is the eminent historian of Venice, Sig. Pompeo Molmenti, to whose fruitful 
collaboration with the late Dr. Gustav Ludwig the world already owes the standard book on 
Carpaccio. — 


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STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


DER MODELLKOPF VON DER HAND 
MICHELANGELOS IM BESITZE DES 
PIETRO ARETINO 


In der Sammlung von Briefen des Pietro 
Aretino (Lettere. Parigi. 1609. Vol. II, S. 40 f.) 
befindet sich auch ein solcher an Vasari!), in 
dem der Autor von einem Tonkopfe spricht, von 
der Hand Michelangelos, den ihm der Herzog 
Alessandro geschenkt hatte. Er preist ihn mit 
Ausdrücken höchster Bewunderung: „Wie ich 
beim Öffnen des Kistchens, das mir durch die 
Giunti geschikt wurde, den Kopf eines der 
Schutzheiligen des ruhmvollen Hauses der Medici 
erblickte, war ich vor Staunen eine Weile reglos. 
Wie ist es nur môglich, daß Seine Exzellenz 
der Herzog Alessandro, um einem seiner Diener 
eine Freundlichkeit zu erweisen, sich dazu ver- 
stehen konnte sich seiner zu berauben? Ich 
habe Scheu das Werk zu betrachten, zu loben, 
so ehrwürdig und wunderbar ist es: was für 
ein Bart, was für Haarlocken, wie ist die Stirn 
geformt, was für Augenbrauen und was für 
Augenhöhlen, wie ist das Ohr gemacht, weldi 
Nasenprofil und welch Schnitt des Mundes! Man 
kann gar nicht sagen, wie er den Ausdruck faßt, 
der dem Kopf das Leben gibt; man kann sich 
nicht denken, worin es liegt, daB er zu blicken, 
zu schweigen und zu hören scheine; man sieht die 
Ehrwürdigkeit des sakrosanten Alters über seine 
Züge gegossen und dodh ist es nichts als Ton, 
vom kundigen Finger in wenigen Zügen geformt.“ 

Grimm (Michelangelo. 4. Aufl. Vol. II, pag. 499) 
hat zuerst auf diesen Brief aufmerksam gemadht, 
da er aber den Passus „uno de gli avocati della 
gloriosa casa dei Medici“ mißverstand, indem 
er meinte es müsse sih um ein Mitglied der 
Familie Medici handeln, während die „avocati“ 
die Schutzheiligen des Hauses sind, kam er zu 
keinem Resultat. In dem Briefe wird der Bart 
bewundert; sollte der bärtige Papst Clemens 
dargestellt gewesen sein? Jedenfalls wäre dies 
das einzige Porträt gewesen, daß Michelangelo 
gemacht hätte. Schließlich zieht Grimm die Mög- 
lichkeit in Erwägung, daß es sich gar nicht um 
ein Werk Michelangelos, sondern um eine der 


1) Der Brief Aretinos ist vom 15. Juli 1558 datiert; das 
Datum ist sicher falsch, worauf Grimm und Frey hin- 
gewiesen haben, und wahrscheinlich unachtsam für die 
Drucklegung eingefügt worden; denn Herzog Alessandro, 
auf den der Inhalt offenbar berechnet ist, war schon am 
5..6. Januar 1537 ermordet worden. 


Büsten Alfonso Lombardis handelte, die Vasari 
in Rom gekauft hatte. — Man möchte Aretino so- 
viel Verständnis zutrauen, daß er die nüchternen 
Schöpfungen Lombardis nicht mit einem solchen 
Enthusiasmus gepriesen hätte. 

Karl Frey (Quellen und Forschungen. I. S. 21) 
kommt auf diesen Brief ebenfalls zu sprechen. 
Er erkennt, daB es sich nur um den Kopf eines 
hl. Cosmas’ oder Damians handeln könne; da 
er aber als feststehend annimmt, daB Michel- 
angelo „allenfalls Wachsmodelle in kleinem MaB- 
stabe bosselte, nicht aber Tonabozzi“, so nimmt 
er den als Originalarbeit des Michelangelo dem 
Aretino gesandten Kopf für eine Kopie oder 
einen AbguB, den etwa Tribolo gefertigt haben 
mag. 

Nun können wir aber aus einer Aussage 
Vasaris deutlicher sehen, was es für eine Be- 
wandtnis mit diesem Kopfe hatte. Im Leben 
Michelangelos (VII, S. 203) erzählt er, der Meister 
habe bei seinem Fortgange von Florenz den Bild- 
hauern, welche die noch zu fertigenden Statuen 
ausführen sollten, Tonmodelle gefertigt; an an- 
derer Stelle spricht er sich etwas genauer über 
die Arbeitsteilung bei einer der Heiligen-Figuren 
aus. Montassali erhielt den hl. Cosmas in 
Auftrag: „Der Frate ging mit größtem Eifer ans 
Werk und machte ein großes Modell jener Figur, 
das in vielen Teilen von Buonaroti überarbeitet 
wurde, ja Michelangelo bildete mit eigener Hand 
den Kopf und die Arme aus Ton, und diese 
werden heute von Vasari in Arezzo als An- 
denken an einen so groBen Mann aufbewahrt 
und zu seinen teuersten Schätzen gerechnet“. 
(VI, pag. 634). 

Diese Darstellung wird man durchaus als 
glaubwürdig ansehen müssen; man wird auch 
nicht einwerfen können, daß Vasari den Kopf 
des hl. Cosmas als eigenhändige Arbeit des 
Meisters bezeichnet, weil er ihn besitzt. Er 
wird seinen Besitz erstrebt haben, weil er 
eben eine eigenhändige Schöpfung Michelangelos 
war. Wir wissen also, daß der Kopf des einen 
„avocato“ der Medici von Michelangelo eigen- 
händig ausgeführt war und in den Besitz Vasaris 
kam. Beim Modelle des hl. Damian, den Raffaello 
da Montelupo ausführte, wird Michelangelo in 
analoger Weise, wie beim Cosmas verfahren sein, 
und der von ihm modellierte Kopf des Modells 
zum hl. Damian ist eben der „Kopf eines der 
Schutzheiligen des Hauses Medici“ den Aretino 


empfing. Adolf Gottschewski. 


Monatshefte für Kunstwissenscm aft 


Meister des sterbenden Cato, Jesus unter den Schriftgelehrten 
O Museum in Worcester (U. S. A.) 


NOCHMALS DER MEISTER DES 
STERBENDEN CATO 


Eine Nottaufe bei einem Meister des iiber- 
lieferungsreichen italienischen Seicento — dieser 
Vorgang ist bisher ohne Präzedenz gewesen. 
Vor einigen Monaten war ich so kühn, in die- 
ser Zeitschrift einem Künstler aus dem Sci- 
cento den Notnamen „des sterbenden Cato“ 
beizulegen, ohne in das rein stilkritisch kon- 
struierte Gebäude mehr als vier Gemälde mit 
Sicherheit einfügen zu können. 

Das wichtige und interessante Bild, mit dem 
ih heute das Oeuvre des Malers bereichern 
möchte, habe ich, wie voraus bemerkt sei, im 
Original nicht gesehen; es befindet sihim Museum 
zu Worcester (U.S. A.) und ward vor nicht langer 
Zeit in Europa erworben. DaB aber eine Arbeit 
des Catomeisters vorliegt, läßt sich nach der 
mir durch die Güte Dr.W.Valentiners übermittelten 
guten Photographie bestimmt behaupten, wie 
denn auch schon die äußerliche, durch den Stoff 


bedingte Ähnlichkeit mit dem Münchner Gemälde 
so unmittelbar in die Augen fällt, daß sie auch 
von den Händlern bemerkt wurde, die das Bild 
nach Amerika gebracht haben. 


In der Tat scheint das Gemälde in Worcester 
nichts als eineinsBreitformatübertrageneVariante 
des Münchner Exemplares zu sein. Bei der Figur 
des jugendlichen Jesus begonnen, die in beiden 
Darstellungen wenig abweicht, bis zu den meist 
kurz anliegenden Bärten, den gestikulierenden 
Händen, den Füßen und Beinbekleidungen der 
Schriftgelehrten ist der Stil beider Bilder lacher- 
lich übereinstimmend. Einzelne Typen verraten 
geradezu, daB dasselbe Modell für sie benutzt 
wurde, selbst zu den Büchern, mit denen sie dispu- 
tieren, scheinen dieselben Atelierrequisiten ver- 
wandt zu sein. Der linkssitzende Mann in Wor- 
cester entspricht fast vollständig demSchriftgelehr- 
ten rechts auf dem Münchner Exemplar. Auch die 
malerischen Eigentümlichkeiten, die Art der 
Schatten, das Verschwinden der Köpfe im Halb- 
dunkel, ist von ganz verwandter Art. 


E. Bock. Zeichnungen von Hans von Kulmbadı für ein 


Kompositionell erinnert das Breitbild mit der 
etwas wirren Anordnung der Köpfe stärker an 
ein anderes Werk des gleichen Malers: die Hei- 
lung des blinden Vaters des Tobias in Catania. 
Auch sonst herrscht mit dem letzteren Bilde eine 
weitgehende Übereinstimmung, die einen neuen 
Beweis für die Zusammengehörigkeit 
dieser Gemälde bildet. 

In einem tieferen Sinne ist der 
„Zwölfjährige Jesus“ von Worcester 
wohl keine große Bereicherung der 
Vorstellung, die wir von dem inter- 
essanten Meister bisher hatten. Die 
Münchner Variante ist ohne Zweifel 
kompositionell und dem Ausdrucke 
nach glücklicher; die Cataneser Bilder 
haben ebenfalls vor dem aus Europa 
entführten Schatze in Worcester ihre 
Vorzüge. Der Hauptmangel des Mei- 
sters, sein Kleben am Modell, macht 
sih nirgends so fühlbar wie gerade 
in dem neu hinzugekommenen Bilde, 
so sehr uns dieses als „Probe aufs 
Exempel“ und der Seltenheit des 
Meisters wegen willkommen ist. 


Hermann Voss. 


8 


ZEICHNUNGEN VON HANS 
VON KULMBACH FÜR EIN 
KAISERFENSTER 


Unter den Kulmbach-Zeichnungen 
des Berliner Kupferstichkabinetts, die 
durch neuere Ankäufe und Zuweisungen 
auf eine beträchtlihe Zahl gestiegen 
sind, befinden sich drei Blätter, die 
eine besondere kunstgeschichtlihe Be- 
deutung zu haben scheinen. Es sind 
drei zum Teil aquarellierte Feder- 
zeichnungen, auf denen Wappenhalter 
und Heilige dargestellt sind, einzeln unter Ar- 
kaden aus großblättrigen Ranken stehend, wie 
sie von Kulmbachs Gemälden bekannt sind. Ich 
gebe eine kurze Beschreibung: 


1. Oben links: ein Orientale mit dem Wappen 
von Granada, rechts: die heilige Elisabeth. 

Unten links: ein Landsknecht mit dem Wappen 
von Slavonien, rechts ein anderer mit dem vom 
Elsaß. Größe: 225:125 mm; Inv.-Nr. 4278. 


2. Oben links: die heilige Walpurgis, rechts: 
ein Orientale mit dem Wappen von Kärnten. 
Unten links: ein Landsknecht mit dem Wappen 
von Burgund, rechts ein anderer mit dem von 


gelehrten O 


Kaiserfenster 401 


Krain. GròBe 225:125 mm; Inv.-Nr. 4279 (siehe 
die Abbildung). 

3. Oben links: ein Engel mit dem Wappen 
von Steiermark, rechts ein Heiliger mit könig- 
lihen Attributen. 

Unten links: eine Frau in einer großen Haube 


Meister des sterbenden Cato, Jesus unter den Schrift- 


München, Altere Pinakothek 


mit dem Wappen von Dalmatien, rechts der 
heilige Ulrih oder Arnulf (Bischof mit einem 
Fisch als Attribut). Größe 224:125 mm; Inv.- 
Nr. 4280. 

Der Zusammenhang der Blätter besteht darin, 
daB es sidi um Wappen der kaiserlichen Erb- 
lande und um Heilige des Hauses Habsburg 
handelt. Wir müssen also auf einen Auftrag 
des Kaisers Max schließen. 

1514 gab Maximlian dem Rat von Nürnberg 
den Auftrag, dasKaiserfenster imChor vonSt.Se- 
bald zu erneuern, und gleich darauf stiftete Mark- 
graf Friedrich von Brandenburg-Bayreuth eben- 
falls ein Chorfenster dorthin. Beide wurden im 
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E. Bock. Zeichnungen von Hans von Kulmbach für ein Kaiserfenster 


403 


Lauf des folgenden Jahrzehnts von dem Glas- 
maler Veit Hirschvogel ausgeführt und sind an 
der ursprünglichen Stelle erhalten. Auf beiden 
sind, umgeben von ihren Wappen, paarweise 
die Stifter mit Angehörigen und Vorfahren dar- 
gestellt; über ihnen Schutzheilige. Anordnug 
und Ausführung lassen einen nahen Zusammen- 
hang der Fenster auch im Entwurf vermuten. 
Nun ist Kulmbachs Gesamtskizze zum Mark- 
grafenfenster bekannt. Sie befindet sich im 
Dresdner Kupferstichkabinett !). Dagegen ist der 
Urheber des Maximilianfensters nicht mit Sicher- 
heit festgestellt, und ich möchte die Vermutung 
aussprechen, daB unsere drei Kulmbach-Zeich- 
nungen Studien für dasselbe darstellen, die bei 
der Ausführung nicht verwendet worden sind. 
Ich wüßte auch keinen anderen kaiserlichen Auf- 
trag, der in Betracht kommen könnte. Es er- 
geben sich dann zwei Möglichkeiten. Entweder 


1) Woermann, Handzeichnungen alter Meister im 
königlichen Kupferstichkabinett zu Dresden, 1896, Mappe Il, 
Tafel 7. 


ist Kulmbach nach diesen ersten Versuchen selb- 
ständig zu der endgültigen Fassung gelangt, 
bei der die Wappen nur einen einfassenden 
Schmuck für die Stifter und Heiligen bilden, und 
hat für das Markgrafenfenster dieselbe Idee bei- 
behalten, oder aber die großzügige Lösung des 
früheren Auftrages ist auf einen Anderen, Größe- 
ren zurückzuführen. Dürers Name ist längst mit 
dem Maximiliansfenster in Verbindung gebracht 
worden '), und die gemeinsame Arbeit beider 
hätte auch bei diesem späten Datum nichts 
Unglaubhaftes. Noch lange, nachdem Kulmbach 
selbständig geworden war, hat ja Dürer den 
Freund unterstützt. Gerade das Berliner Kupfer- 
stikabinett hat die bekannten Belege dafür. 
Wie Kulmbachs Tucheraltar auf Dürers Kom- 
positionsskizze von 1511 zurückgeht, so liegt der 
groBen ,Laurea“-Zeidinung Kulmbachs für den 
Triumphzug des Kaisers Max von 1518, nach- 
weislich ein Auftrag an Dürer zugrunde. 
Elfried Bod. 


1) Thausing, Dürer. 2. Aufl. (1884), II. pag. 120. 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN. Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN 
UHDE-BERNAYS. Beide in Leipzig, Liebigstraße 2. 


Zweigredaktionen: 


Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 44. 

Für Miinchen: Dr. W. WORRINGER, Minchen, Georgenstraße 99. 

Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16. 
Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill 


bei London, Lyon Road. 


Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. — Agent exclusif pour 
la France: FREDERIC GITTLER, editeur, Paris, 2 rue Bonaparte. 


Diesem Hefte liegt ein Prospekt der Firma KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig 

bei über das Werk des HERZOGS ADOLF FRIEDRICH ZU MECKLENBURG: „INS 

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eines deutschen Fürsten dürfte auch bei den Lesern der „Monatshefte für Kunst- 
wissenschaft“ lebhaften Interesse begegnen. 


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auf die in der Herderschen Verlagshandlung zu Freiburg i. Br. erscheinende 
7 s ‘ für christliche Altertumskunde und 
Römische Quartalschri für Kirchengeschidite. Unter Mit- 
wirkung von Fachgenossen herausgegeben von Dr. A. de Waal, Rektor des Kollegiums 


von Campo Santo, für Archäologie, und Dr. J. P. Kirsch, Professor in Freiburg i. d. Shw., 
für Kirchengeschichte. Lex.-8°. 23. Jahrgang M. 16.— 


Erscheint jährlich in 4 Heften, jedes Heft etwa 125 Seiten stark, mit Tafeln, meist in Heliotypie. 
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Jährlih erscheinen 2 Hefte mit zahlreichen Abbildungen und Kunstbeilagen zu je M. 5.— 
» - +. Bei der Stellung, die das Freiburger Münster unter den Bauwerken des Mittelalters 


einnimmt, ist die Zeitschrift ein Dokument für die Kunstweise des Mittelalters überhaupt, das 
weit melır als lokales Interesse beanspruchen darf.“ (Kunst für Alle, 1908, Heft 2.) 


3 - - — 


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Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN 
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Heft 9 


Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 
Von Emil Schaeffer 


I. 


Ein grauer Januartag im Vatikan. Durch hohe Gänge eilen verängsteten An- 
gesichtes die Kleriker in den Saal vor dem päpstlichen Gemache, wo sie mit aufgeregter 
Ungeduld der Arzte harren. Es stehe schlecht, sagen die, sehr schlecht um den siebenten 
Clemens. Als er den heiligen drei Kénigen zu Ehren die Messe celebrierte, habe ihm 
die feuchte Kirchenkühle ein hitziges Fieber gebracht und wenn die Lungen davon 
ergriffen würden, so . . . . ein Achselzucken vollendet den Satz... Flüsternd drängen 
sih die Cardinale um das Bett des leidenden Völkerhirten, und während die ihm 
Nächsten mühsam ihre Tränen zurückhalten, sinnen andere schon über den Namen 
jenes Glücklichen, auf dessen Haupte binnen kurzer Frist die dreifache Krone schimmern 
sollte. Auch das Denken des Kranken ging ähnliche Pfade und härtere Pein als das 
Fieber schuf ihm die Vorstellung, daß nach seinem Tode keiner vom Geschlechte des 
Magnifico dem heiligen Kollegium angehören, im nächsten Conclave kein Cardinal 
de’ Medici sitzen würde. Das aber sollte nicht sein! Darum ließ der Papst seinen 
Neffen Ippolito nach Rom entbieten und drückte auf das widerstrebende Haupt des 
Jünglings, der von den Küssen der schönen Giulia Gonzaga und dem Titel eines 
Herzogs von Florenz träumte, das Barett eines Cardinals der römischen Kirche. 
Clemens gesundete wieder; Ippolito jedoch, der „närrische Teufel“ '), wie seine Heiligkeit 
ihren Liebling nannte, durfte das verhaßte Purpurgewand nicht mehr abstreifen. 

Ungefähr fünfundzwanzig Jahre später hat Giorgio Vasari in einem Deckenfresco 
der „sala di Clemente VII.“ des Palazzo della Signoria zu Florenz diese ungewöhn- 
liche Creierung eines Cardinals geschildert und in den „Ragionamenti“, jenen endlosen 
Dialogen zwischen „messer Giorgio e Principe“, die das gemalte Ruhmes-Epos der 
Familie Medici erläutern, die Scene auch mit hinreichender Ausführlichkeit beschrieben. 
Seinem Gebieter, dem Herzog Cosimo, dem er die Höflinge nennen will, die damals 
um den Papst waren, sind all’ diese Männer aber wohlbekannt, sofort erinnert er sich 
vor den Bildnissen ihrer Namen, und fordert nur über das Porträt eines Jünglings 
Auskunft, der, kaum dem Knabenalter entwachsen, sich freilich sonderbar genug in 


1) S. Pastor, Geschichte der Päpste. Freiburg i. Br. 1907. Bd. IV. 2. Teil, p. 543. 
30 


406 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


dieser Versammlung der Graubärte ausnimmt. „Es ist Messer Piero Carnesecchi, der. 
voreinstens Sekretär des Papstes war“ — bedeutet Vasari, den Fragenden — „damals, 
in seiner Jugend wurde er gemalt und ich habe jenes Bildnis für meine Arbeit 
benutzt“ 1)... Wie Cosimo diese Erklärung aufnahm, hat uns Vasari leider nicht über- 
liefert. Vielleicht, daß er seinem Giorgio einen Schritt vom Wege des getreuen Chronisten 
verziehen und auf das Porträt Messer Pieros in dieser Umgebung gern verzichtet 
hätte; vielleicht aber blickte er auch nachdenklich zu dem gemmenhaft feingeschnittenem 
Jünglingsantlitz empor und sann mit ernstem Lächeln den seltsam verschlungenen 
. Wegen nach, auf denen das Schicksal die Menschen ihrer Bestimmung zuführt. Denn 
Piero Carnesecchi, dieser Florentiner aus edelstem Geblüt, den Papst Clemens unter 
seiner Gnaden Fülle schier erdrückt, den er zum Tischgenossen und zum vertrautesten 
Freunde erhoben, den er endlich mit dem eigenen Namen beschenkt hatte, so daß er 
nunmehr Pietro Medici de’ Carnesecchi hieß, er stand, als Vasari die Fresken der sala 
di Clemente VII. malte, bei vielen gut katholischen Christen im Geruche arger Ketzerei, 
und wehe dem Prälaten, dem es beigekommen wäre, mit freundlichen Worten im 
Vatikan seiner zu gedenken. Und doch hatten dort, so lange Clemens herrschte, die 
ältesten Würdenträger um sein, des Jüngsten Wohlwollen geworben, dem alle Welt 
eine Zukunft voll Macht und Herrlichkeit prophezeite Als ihm jedoch anno 1534 der 
Tod seinen Gönner Clemens raubte, begab sich der kaum sechsundzwanzigjährige Piero 
sofort aller Politik und zog, Freunde und Feinde in Erstaunen setzend, die ämterlose Behag- 
lichkeit eines stillen Gelehrtendaseins dem nervenaufreibenden Wettstreit um die Gunst 
des neuen Papstes vor. Schüchternen Wesens und lärmendem Prunk abhold, kostete 
es ihn keinen Kampf, von Rang und Einfluß Abschied zu nehmen. Er wandte sich 
zuerst nach seiner Heimat Florenz, wo ihm der Vater noch lebte, und späterhin nach 
Neapel; dort wurde er bald ein werktätiges Mitglied jener in Rom mehr als unbeliebten 
Gruppe von Reformkatholiken, die in Juan de Valdes ihr Haupt verehrte und zu der, 
neben ihrer Schwägerin Vittoria Colonna, auch jene von Ippolito de’ Medici einstens 
hoffnungslos umworbene Giulia Gonzaga gehörte, mit der Piero bald eine mònchisch- 
unsinnliche, allem Begehren entrückte Liebe verband. Wieder in Florenz, ließ er sich 
von Bernardino Ochino mit Luthers Meinungen vertraut machen, was einem Zu-ihnen- 
sich-Bekehren ziemlich nahe kam, und da er besorgte, um solcher Studien willen in dem 
glaubensstrengen Florenz Cosimos I. mißliebig zu werden, übersiedelte er nach Venedig, 
weil die Serenissima, als einzige der Regierungen Italiens, Fremden gegenüber sich 
niemals zum Büttel der eben neu organisierten Inquisitation hergab. Die freilich hatte 
Pieros Tun lange schon wachsamen Blickes verfolgt und bereits im Jahre 1546 wurde 
ihm eine der Form nach allerdings noch höfliche Aufforderung zugestellt, er möge vor 
dem heiligen Officium in Rom erscheinen, um über sein Tun und Lassen Rechenschaft 
abzulegen. Piero gehorchte und nach monatelangem Hin und Her endete die ganze 
Angelegenheit ohne eigentliche Entscheidung. Gleichwohl schien es Piero ratlich, aus 


1) Vasari: „Le vite etc.“ ed. Milanesi. Vol. VIII. p. 167 (Giornata seconda. Ragionamento 
quarto). P.: „il giovane non la ritrovo.“ V.: „Vostra Eccellenza non s’affatichi, perche è M. 
Piero Carnesecchi, segretario gia di Clemente, che allora fu ritratto quando era giovanetto, ed io 
dal ritratto l'ho messo in opera... “ 


E. Schaeffer. Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 407 


GIORGIO VASARI: Clemens VII. ernennt Ippolito de’ Medici zum Cardinal 


O Florenz. Palazzo della Signoria 


der engeren Machtsphäre des Vatikans sich freiwillig zu verbannen und für einige Jahre 
nach Frankreich zu gehen, wo er, am Hofe Caterinas de’ Medici wohl gelitten, auch 
den angesehensten Hugenotten persönlich näher trat Nach einem Exil von sieben 
Jahren hoffte er, wieder unangefochten in Venedig leben zu können. Aber Paul IV., 
der anno 1555 den Thron des heiligen Petrus bestieg, hatte ein gutes Gedächtnis für 
Häretiker und citierte Piero zu neuerlicher Verantwortung vor seinen Richterstuhl. 
Solcher Aufregung war die zarte Gelehrtenphysis nicht gewachsen, Piero erkrankte und 
bat Herzog Cosimo, beim Papste für seine Rechtgläubigkeit einzutreten. Cosimo, über- 
zeugt von der Unschuld seines Adoptiv-Verwandten, willfahrte ihm gern. „Wenn er 
uns“ — so ließ er dem Papste vermelden — „in Fragen der Religion irgendwie ver- 


408 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


ANDREA DEL SARTO: Bildnis des Pietro Carnesecchi 
O Florenz. Palazzo Pitti 


dächtig wäre, so würden wir nicht allein nicht zu seinen Gunsten sprechen, sondern 
selbst seine . Verfolgung in die Hand nehmen, weil wir in solchen Dingen unseren 
eigenen Söhnen nichts verzeihen täten“ ... Trotzalledem wurde nur eine Vertagung 
des Prozesses um zwei Monate erreicht, und als der Kranke auch zum neuen Termin 
sich nicht einfand oder nicht einfinden wollte, wie man im Vatikan argwöhnte, ließ Paul IV. 
in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln und Piero am 6. April 1559 als einen der 
Ketzerei Überführten zum Verlust aller ihm von Clemens VII. verliehenen Beneficien, 
seines Vermögens und zur Auslieferung seiner Person an die weltliche Gewalt ver- 
urteilen. Da wandte noch einmal, zum letzten Male, ein gnädiges Schicksal das Außerste 


E. Schaeffer. Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 409 


von seinem Haupte. Der vierte Paul erlag der Bürde seiner vierundachtzig Jahre und 
Cosimo I. erwirkte bei dem neuen Papste, dem vierten Pius, der ohnehin zur Milde gegen 
Häretiker neigte und in dem Staatssekretär von einstens nur einen unvorsichtigen, aber 
im Grunde harmlosen Gelehrten erkannte, für Piero die Erlaubnis, sich in Rom per- 
sönlich rechtfertigen zu dürfen. Wie kaum anders zu erwarten, wurde er dieses Mal 
ohne Makel befunden und in den 
Vollgenuß seiner Pfründen wieder 
eingesetzt. Vier Jahre später aber 
fand nochmals ein Conclave statt, 
und als Piero den Namen des zum 
Pontifex Gewählten erfuhr, hat ihn 
wohl ein Zittern befallen. Denn 
Cardinal Michele Ghislieri, der nun 
Pius V. hieß, hatte im Prozeß unter 
Paul IV.den verdammenden Spruch 
wider Pietro Carnesecchi gefällt 
und mußte ob dessen Aufhebung 
umso erzürnter gewesen sein, als 
er für seine Person felsenfest an 
die ketzerische Gesinnung des Flo- 
rentiners glaubte. Er sollte diese 
bald bewiesen haben: In Neapel 
starb Pieros Freundin Giulia Gon- 
zaga. Pius, der sofort ihre Papiere 
sequestieren ließ, fand unter ihnen, 
was er zu finden hoffte -- eigen- 
händige Briefe Carnesecchis, die 
erzählten, wie er Calvinisten zur 
Flucht vor der Inquisition verholfen 
und die Fliehenden noch mit Geld 
unterstützt habe. Piero war noch 
zu Lebzeiten Giulias nach Florenz 
zurückgekehrt, weil er sich vor dem 
Hasse des Papstes nur im Schatten 
des Medicäer-Thrones geborgen DOMENICO PULIGO: Bildnis des Pietro Carnesecchi 
wähnte. Ein totbringender Irrtum: o Florenz: Uffizien 
denn als Fra Tommaso Manriquez 

in Florenz erschien und in aller Form des Rechtes von Cosimo I. die Auslieferung Pietro 
Carnesecchis an das heilige Officium forderte, willfahrte ihm der Herzog. Cosimo unter- 
handelte nämlich mit dem Papste wegen des Titels eines „Großherzogs von Toscana“, 
den ihm der heilige Vater als einem getreuen Sohn der Kirche verleihen sollte, und 
da Pius wußte, wieviel dem Herzog an dieser Auszeichnung gelegen war, so mußte 
ihn Fra Tommaso in diskreter Form auf die Möglichkeit eines Causal-Zusammen- 


410 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


hanges zwischen der Erfüllung seines Wunsches und dem Gewähren des päpstlichen 
Anliegens hinweisen. Cosimo, als Medici ein Meister im politischen Schachspiel, 
zauderte keinen Augenblick, einen Bürger zu opfern, um den Großherzog zu retten. 
Piero wurde unter sicherer Bedeckung nach Rom gebracht und hier begann jetzt die 
gräßliche Komödie eines Prozesses, in dem der Kläger auch der Richter und das Urteil 
vor dem ersten Verhöre schon gefällt ist. Sich selbst wollte Piero entlasten, 
aber die Namen seiner Schützlinge und Gesinnungsgenossen konnte ihm auch die 
Folter nicht entreiBen. Zu spät erkannte Cosimo, daß diese Sache nicht, wie er viel- 
leicht angenommen hatte, zum Scheine geführt wurde, vergebens wandte er sich in 
zwei eigenhändigen Schreiben zu Gunsten Pieros an den Papst, umsonst traten Gio- 
vanna d’Austria und der Cardinal von Trient für den Angeschuldigten ein. Pius schwur, 
lieber wolle er einen zehnfachen Mörder begnadigen als diesen verruchten Ketzer, und 
so wurde denn am ersten Oktober des Jahres 1567 den Römern ein grausliches 
Spektakel geboten. Sie sahen, wie Pietro Medici de’ Carnesecchi, den sie voreinstens 
den eigentlichen Papst geheißen hatten, aus seinem Kerker auf die Engelsbrücke 
geschleppt wurde, wo ihm der Henker zuerst das Haupt vom Nacken herunterschlug 
und den Körper sodann am Schandpfahl verbrannte. Es war ein ehrlidier Handel 
gewesen. Cosimo hatte einen Menschen, dessen letzte Zuflucht er bedeutete, einen 
Untertan, der des Herzogs eigenen Namen führen durfte, an seine Mörder verkauft und 
nach einer Anstandsfrist von zwei Jahren erhielt er von Rom die Bezahlung, den Titel 
eines „Granduca di Toscana“ ... 
IT. 


In den ,ragionamenti“, wo sich Vasari gern als „messer Giorgio“, als den 
Träger einer goldenen Ritterkette gibt und am liebsten nur von seiner Leistung spricht, 
hat er den Künstler nicht genannt, dem er die Vorlage für das Fresco-Porträt des 
Piero Carnesechi verdankte. Als Historiograph des italienischen Kunstschaffens aber 
hat er auch einem lustigen Freunde und Nachahmer des Andrea del Sarto, dem 
Domenico Puligo eine Biographie gewidmet, aus der wir erfahren!), daß „von den 
vielen Bildnissen, die Domenico schuf und die alle vortrefflich und von großer Ahn- 
lichkeit sind, das Porträt des Monsignore messer Piero Carnesecchi, der damals ein 
außerordentlich schöner Jüngling war, ihm am vorziiglichsten geriet“. Dieses Hauptwerk 
Puligos nun, das einzige zum mindesten von seinen „vielen Bildnissen“, dessen Modell 
Vasari nennt, gilt als verschollen. Mit Unrecht. Es hängt als „Porträt eines Unbekannten“ 
in den Uffizien zu Florenz, und so bietet sich denn die Möglichkeit, eine Künstler- 
Persönlichkeit zu rekonstruieren, die uns bisher, da wir keine authentischen Bildnisse 
von Puligos Hand besaßen, nur ein Begriff war, eine Gesamtbezeichnung für alle 
Porträts aus dem ersten Drittel des florentiner Cinquecento, in denen die Art des 
Andrea del Sarto mit größerem oder geringerem Talent nachgeahmt schien °). Und 


1) Vasari: vol. IV. p. 465 (vita di Domenico Puligo): „Fra molti ritratti che Domenico fece 
di naturale, che tutti sono belli e molto somigliano, quello è bellissimo che fece di Monsignore 
messer Piero Carnesecchi, allora bellissimo giovinetto“. 

* Auch das Bildnis Carnesecchis gelangte auf diese Weise, als man in den florentiner 
Galerien vor wenigen Wochen einige Porträts aus der Schule des Andrea auf den Namen 


E. Schaeffer. Die Bildnisse des Piero Carnesecchi 411 


diese Aufstellung seines CEuvre diirfte um so leichter gelingen, als Puligo, obschon 
ein Schiller des Ridolfo Ghirlandajo, zeitlebens nur an einer einzigen, der sartesken 
Malweise festhielt 1). Daß im Bildnis der Uffizien aber wirklich der Giinstling Clemens VII. 
dargestellt ist, lehrt auch ein flüchtiger Blick auf jenen Jüngling im Fresco des Palazzo 
della Signoria, den uns Vasari ausdrücklich als Piero Carnesecchi vorstellt. Mehr noch, 
Puligos Porträt war ganz gewiß seine Vorlage: denn die Stellung des Hauptes mit dem 
matten, doch etwas zum Rötlichen neigenden Blond der Haare haben beide Bildnisse 
mit einander gemein, ebenso das dunkle Barett und das schwarze Untergewand; auch 
dessen violetter Überwurf kehrt im Fresco wieder, nur hat ihn Vasari, wahrscheinlich, 
um in die düstere Farbenskala eine helle Note zu bringen, mit weißen Aufschlägen 
versehen. Ist nun aber das Gemälde der Uffizien wirklich von Puligos Hand? Das läßt 
sich freilich durch kein Dokument erweisen, aber man überlege: Wir besitzen ein authen- 
tisches Bildnis Pietro Carnesecchis; Domenico Puligo hat ein solches geschaffen und 
das uns erhaltene Porträt zeigt alle Merkmale, die Vasari und Raffaello Borghini als 
Charakteristika der Bildnisse Puligos anführen °). Hat jedoch Puligo dies Porträt gemalt, 
und wir dürfen nach alledem kaum daran zweifeln, so kann dies nur im Jahre 1527 
geschehen sein, als Piero vor dem „sacco di Roma“ aus dem Vatikan in die Vater- 
stadt flüchtete, deren Boden er seit den Tagen der Kindheit ebensowenig betreten 
hatte wie Puligo jemals die römische Erde. Und da dieser bereits im September des 
nämlichen Jahres von der Pest hinweggerafft wurde, so ist Carnesecchis Porträt, nach 
Vasaris Zeugnis sein „vortrefflicistes“, zugleih eine der letzten Arbeiten Puligos 
gewesen. 

Einen neunzehnjährigen Jüngling, der das Amt eines päpstlichen Geheimsekretärs 
ausfüllen konnte, mochte die Natur mit einem gewiß nicht alltäglichen Intellekt begnadet 
haben, den darzustellen die Kunst eines Puligo freilich nicht ausreichte. Sein Piero ist nur 


. un giovan delicato 
Galante e come proprio una donzella *) . . . 


Aber der Freund des Papstes ist damals noch von einem Größeren gemalt 
worden und zwar von dem Meister aller, die zu jener Zeit in Florenz den Pinsel 
führten, von Andrea del Sarto. Denn auch der Jiingling in dem herrlichen Porträt 
des Palazzo Pitti, das, wegen der halbgeistlihen Tracht des Modells, als Bildnis 
eines Laienbruders der Abtei von Vallombrosa gilt, ist, wie aus einem Vergleich mit 


»Puligo“ taufte, zu seinem richtigen Cartellino. Vordem hieß es „Selbstbildnis des Andrea del 
Sarto“ und als solches wurde es noch von Alinari photographiert, später „Scuola di Andrea 
del Sarto“. 

1) Vasari: IV. p. 463 „.. il suo (d. h. Puligos) colorire e la bell’ aria delle teste facevano 
piacere l’opere sue; tenne sempre il medesimo modo di fare e la medesima maniera che lo fece 
essere in pregio, mentre che visse. 

*) Borghini: „Il Riposo.“ In Firenze MDLXXXill. Libro terzo. p. 395. „li suo dipignere 
fu con dolcezza non molto tinto; ma come da una certa nebbia velato con gratia, e rilievo.“ 

3) Sonett des Francesco Mauro an Carnesechi. S. „Delle rime piacevoli“. In Vinegia. 
Parte prima MDCXXVII. p. 95. (Citiert bei Agostini: „Pietro Carnesechi e il movimento 
Valdesiano.“ Firenze 1899.) 


412 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Puligos Bilde zu erhellen scheint, kein anderer als Messer Pietro Carnesecchi: die 
Farbe der dunklen Augen, der Ton der mattblonden Haare, der breite Riicken der 
leicht gebogenen Nase, das flache ein wenig zurücktretende Kinn, der starke, aber 
etwas kurze Hals, das mädchenhaft feine Oval der rechten Wange, die leise auf- 
geworfenen Lippen — all’ dies gleicht in beiden Bildnissen einander so vollkommen, 
daß man getrost aus diesen vielen Übereinstimmungen schließen darf, Puligo und 
Andrea del Sarto haben das nämliche Modell porträtiert. Freilich, „si duo idem 
faciunt“ .... Andrea besaß eine Feinfühligkeit in seelischen Dingen, die man bei 
dem stumpfen Domenico vergeblich suchen würde, die feminine Schönheit Pieros kam 
seiner eigenen Art entgegen, und da ein gelungenes Porträt Carnesecchis den Maler 
gewiß beim Papst Clemens empfahl, so hat Andrea mit dem ganzen Aufgebot seines 
Könnens ein Bildnis geschaffen, dem sich in grandioser Conception und Meisterschaft 
der Durchführung nur wenige zur Seite stellen dürfen: Andrea läßt den Körper 
Pieros eine leise Wendung machen, sein Antlitz hingegen bleibt groß und ruhig 
dem Beschauer zugekehrt und dieses ernste Vor-sich-Hinblicken verleiht dem Bilde 
eine tragische Hoheit, die wir, das totgeweihte Haupt betrachtend, wie einen Ausfluß 
göttliher Sehergabe Andreas empfinden. Nordisch versonnen blicken Pieros Augen, 
leise Schwermut ist um seine Lippen und wir glauben es diesem Verwandten von 
Shakespeares Dänenprinzen, daß er sich im bunten Treiben des Fürstenhofes einsam 
und nur in selbstgezimmerter Traumwelt heimisch dünkte. Seine Hände, ganz durch- 
geistigt und bleich, wie oft die Hände bei den letzten Sprossen alter Geschlechter, 
halten die sorgsam gefalteten Handschuhe. Eine Nebensächlichkeit, die aber doch, 
wenngleich erst in zweiter und dritter Linie, für die Identität ihres Besitzers mit Pietro 
Carnesechi spricht. Denn niemals zeigte er sich anders vor der Öffentlichkeit und 
selbst, als er sich zum letzten furchtbaren Gang rüstete, hielt seine Rechte in den 


bebenden Fingern keine Bibel, nicht den Crucifixus, wohl aber die sorgsam gefalteten 
Handschuhe . ... 


F 


Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im 
Werk eines französischen Künstlers 


von Konrad Escher 


Bei Anlaß seiner Studien über „die Architekturen Raffaels in seinen Fresken, 
Tafelbildern und Teppichen') wiederholt Max Ermers, was schon bekannt war, daß 
Raffael im Karton mit der Heilung des Lahmen die acht gewundenen Säulen kopiert 
habe, welche zur Konfession von St. Peter gehörten, und die sich heute an den 
Loggien der Kuppelpfeiler befinden, weist aber auch?) darauf hin, daß ihm Jean 
Fouquet darin vorangegangen sei. An dieser Stelle seien zwei Miniaturen be- 
sprochen, welche zu den ,Antiquités judaiques des Josephus“ gehören, welche Jean 
Fouquet im Jahre 1470/1 illustrierte. Diese liegen in der Prachtpublikation von Paul 
Durrieu vor.*) Es handelt sich hauptsächlih um die Szenerie auf der Darstellung des 
Einfalls des Pompejus in den Tempel von Jerusalem, wobei er sich weigerte, den 
Tempelschatz anzutasten (Durrieu, Taf. XIV), und in zweiter Linie um diejenige beim 
Einzug des Herodes (Ders., Taf. XV). Die erstgenannte Miniatur zeigt vorn das Ge- 
metzel, welches die Römer unter den Juden anrichten, als Mittel- und Hintergrund die 
höchst bemerkenswerte Darstellung des Tempels. Das Allerheiligste bezeichnet, von 
Schranken umgeben und auf Stufen erhöht, die Altarmensa, die mit einem roten Tep- 
pich und einem weißen Tuch geschmückt ist, und an deren Rückseite sich das niedrige 
Retabulum erhebt. Dahinter tragen vier Säulen die goldene Arca, d.h. den Reliquien- 
schrein. Auf großen blauen Säulen stehend, hält ihn zu beiden Seiten je ein goldener 
sechsflügeliger Engel, die Cherubim der mosaischen Bundeslade. Chorschranken um- 
geben das Allerheiligste auf allen vier Seiten, lassen aber vorn den Zugang frei. 
Weiße Marmorstreifen teilen die Schranken in einzelne Rechtecke und diese wieder in 
Rauten; grüne Serpentin- und rote Porphyrstücke bezeichnen die Flächen. Hinter den 
zwei Fronten der Chorschranken, d. h. zu beiden Seiten des Zugangs stehen je zwei 
goldene Säulen, welche vergoldete Leuchterengel tragen und durch grüne Draperien, 
an Querstangen befestigt, miteinander verbunden sind. | 

Um diese Chorschranken bilden nun die acht gewundenen Säulen von ver- 
goldetem Metall einen weiteren Bezirk, indem sie die Rückseite und die Seitenfluchten 
begleiten. Alle tragen ein gemeinsames, reich profiliertes, aber unverziertes Gebälk. 
Über dem Altarraum schwebt ein Kronleuchter. 

Dass Fouquet wirklich die erwähnten acht früher zum Hauptaltar gehörigen 
Säulen kopiert hat, beweist ein Vergleich.) Hier wie dort gliedern Ringe den Schaft 
in vier Zonen, von denen die erste und dritte schräge Kanellüren, die zweite und 
vierte den zierlihen Schmuck der Weinranken mit Vögeln und Putten, die sich im 


1) Straßburg 1909, p. 9. 

2) p. 94 und Note 1. 

3) Les antiquites judaiques et le peintre Jean Fouquet. Paris 1908. 
4) Enrico Mauceri. Le colonne tortili. L'Arte I, p. 578. 


414 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Geäste tummeln, aufweisen. Den FuBpunkt jeder Zone bezeichnen zwei Reihen auf- 
rechtstehender Blätter, hintereinander angeordnet. Das Kapitell ist komposit; über 
dem Korb, dessen Blattschmuck sehr vergröbert ist, liegt das Volutenpolster, und auf 
diesem der Abakus; auf der Miniatur sind aber die Ecken desselben stärker ausge- 
bogen, als bei der Marmorsäule, und die Mitte bezeichnet eine Rosette. — Die acht 
Säulen in St. Peter stimmen ungefähr in den Maßen und genau in der Gliederung mit 
der berühmten Säule der Pietäkapelle zusammen, an welcher Christus gegeißelt worden 
sein soll. Wie auch das Säulenpaar der Sakramentskapelle sind sie als Spolien eines 
antiken Baues zu betrachten, und galten als Teile des salomonischen Tempels. Was 
lag näher für Fouquet, als diese hochverehrten Überreste zu kopieren? Ihm ist Raffael. 
im XVII. Jahrhundert Bernini gefolgt, als er über der Confessio seinen ehernen Koloß 
errichtete. | | 

Wenn diese Tatsache allein noch nicht genügen würde, um einen Aufenthalt 
Fouquets in Rom zu beweisen, so führt Durrieu!) als zweites Zeugnis eine Stelle in 
Filaretes Traktat an, welche lautet: „Il quale (Fouquet) fece a Roma papa Eugenio 
e due altri de’ suoi appresso di lui, che veramente parevano vivi proprio. I quali di- 
pinse insù uno panno collocato nella sagrestia della Minerva. Io dico così perchè a 
mio tempo gli dipinse.“ Diese Notiz ergibt zugleich das Datum für den Aufenthalt 
Fouquets: zwischen 1433 und 1447. 

Das zweite literarishe Zeugnis ist ein Brief des Francesco Florio”), worin er 
sih von Fouquets Kunst so begeistert zeigt, daß er ihn über die antiken Künstler stellt, 
und um nicht beim Adressaten den Verdacht leerer Lobrednerei zu erwecken, weist er 
auf dasselbe Porträt Papst Eugens IV. in Sta. Maria Minerva hin. 

Um eine genaue Kopie des Innern von St. Peter kann es sich aber bei der Miniatur 
selbstredend nicht handeln, sie zeigt vielmehr eine höchst eigenartige Mischung franzö- 
sischer Kunst mit römischen Eindrücken. Die Kathedralen der Heimat gaben ihm das Vor- 
bild für den Altar mit Retabulum, für den auf Säulen erhobenen Reliquienschrein dahinter, 
der das Retabulum überragt, ferner für die durch Draperien verbundenen Säulen mit den 
Engelstatuen.*) Vorbilder, von denen er nicht abweichen modite. In Rom sah er fast 
in jeder Kirche Chorschranken vor dem Konfessionsaltar; diejenigen auf der Miniatur 
zeigen in der Dekoration Verwandtschaft mit denen von S. Clemente. Auch die Che- 
rubim könnte er vielleicht römischen Eindrücken verdanken. „Aus der Säulenhalle stieg 
man in die Konfession hinunter. Hier waren neben und auf silbernen, nachher goldenen 
Schranken, silberne und goldene Leuchter, silberne Säulen und Bögen mit den kost- 
barsten Behängen und goldenen Cherubim von Hadrian I. und Leo Ill. mit steigen- 
der Pracht aufgestellt“.! Was dem Nordländer aber das Interessanteste schien, waren 

') op. cit. p. 85. 

2) Durrieu, op. cit. p. 83 und Note 4. 

3) Vergl. Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l'architecture française II, p. 26, 29, 
30, 42, 46. 

') Beschreibung der Stadt Rom von Platner, Bunsen, Gerhard und Rôstell II, 1, p. 88. 
Leider ist die Schilderung unklar und entbehrt des Quellennachweises. Allerdings bleibt zweifel- 
haft, ob F. im XV. Jahrhundert diese Cherubim noch gesehen hat. Vorbilder konnte er auch in 
der Heimat finden. 


nung uoa ‘pa ‘janbnog O nailing ‘d uoa ‘pa "janbnoJ O 
usaf sap ,sanbjepn{ saynbyue* uap sny usaf sap ,Sanbiepni sayinbyue* uap sny 


Wajesnia{ ul saposaH sap Énzurz ‘7 ‘qqy waesnia{ uoa jadwiay, wi snfaduod ‘I ‘qqy 


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416 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


die Spiralsäulen; er hat sie sogar in ähnlicher Anordnung und gleicher Zahl auf der 
zweiten in Frage kommenden Miniatur wiederholt, den Altar aber viel einfacher ge- 
staltet, die Chorschranken dagegen außerhalb der Säulen aufgestellt. 

Hat sich nun Fouquet in Zahl und Anordnung der Spiralsäulen genau an das 
Bestehende gehalten? Durrieu nimmt es an’): „dans l'antique basilique détruite pour 
faire place a l'œuvre architectural de Bramante e de Michel-Ange, elles étaient grou- 
pées pour constituer un portique qui était placé devant la Confession de Saint Pierre, 
c'est-à-dire qu'elles étaient utilisées d'une manière analoghe à l'emploi qui en est fait 
dans notre miniature.“ 

Ob mit Recht? Es ist zu untersuchen, ob Fouquets Miniatur wirklich ohne 
weiteres als zuverlässige Quelle für die Topographie des alten St. Peter angesehen 
und benutzt werden darf. Zunächst hat der Maler die Marmorsäulen in metallene 
umgewandelt; er hat die Confessio und das Ciborium durch einen französischen Altar- 
aufbau ersetzt, die Chorschranken in einem anderen Sinne verwendet, als es der litur- 
gishe Brauch in Rom verlangte. Die Anzahl der Säulen entspricht allerdings der 
heute vorhandenen und bei Raffael gegebenen; aber die älteren Zeugnisse, schriftliche 
sowohl als Pläne (welch leiztere allerdings z. T. auf den ersten basieren mögen) reden 
zunächst von 12 Spiralsäulen und lassen sie ferner als doppelte Portikus vor der Con- 
fessio aufgestellt sein. Cancellieri?) spricht wie Alpharanus von duodecim Columnae 
elegantissimae, frontem majoris Altaris complectentes, et Sancta Sanctorum consti- 
tuentes. Ahnlich die Beschreibung Roms.?) „Die Türen (der Chorschranken) waren 
wahrscheinlich an der Säulenhalle vor der Konfession angebracht, welche in der Chronik 
dem ersten Bau Constantins zugeschrieben wird, und nach ihr aus porphyrnen und 
andern gewundenen Marmorsäulen bestand. Die erste bestimmte Nachriht davon 
finden wir im Leben Gregors III. im VIII. Jahrhundert. Dieser setzte neben die alten 
sechs Säulen, sechs gewunden geriefelte Alabastersäulen, von denen drei rechts und 
drei links standen, so daß der mittlere Eingangsbogen größer gewesen sein muß, als 
die andern Säulenweiten. Der Exarch Eutychius hatte sie ihm für diesen Zweck be- 
willigt: ohne Zweifel wurden sie also von einem Öffentlichen Gebäude genommen. 
Das Gebälk über den Säulen war von Leo III. mit Silberblech belegt, worin auf der 
einen Seite die Gestalten des Heilandes und der Apostel, auf der anderen die der 
Mutter Gottes und anderer heiliger Jungfrauen gebildet war. Über dem Gebälk standen 
silberne Leuchter und Lampen, 700 Pfund schwer.“ Eine zur Portikus mit 12 Säulen 
erweiterte Ikonostasis vor der Confessio gibt Ciampini*}, nimmt auch Geymiiller*) an 
und rekonstruiert Burger vor dem durch Sixtus IV. restaurierten Konfessionstabernakel.®) 
Vom Hauptaltar im mittelalterlichen St. Peter sagt die Beschreibung Roms’): „Den 


1) op. cit. p. 35. 

°) Citiert bei Ermers, op. cit. p. 92. 

3) p. 87. 

*) De sacris aedificiis synopsis historica. Taf. XV. 

*) Die ursprünglichen Entwürfe für St. Peter in Rom. Taf. 45. 
6) Jahrbuch der königl. preuB. Kunstsammlungen 28, p. 97. 

7) ib. p. 128. 


K. Escher. Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk ein. franz. Kiinstlers 417 


Schule Raffaels. Die konstantinishe Schenkung im Konstantinssaal des Vatikans 


Hauptaltar hatte Calixt Il. erneuert.') — Seit dieser Zeit blieb seine Gestalt unver- 
ändert, und er überlebte die Abtragung dieses Teils der Kirche, bis er unter Cle- 
mens VIII. in den Altar der Konfession in den vatikanischen Grotten eingeschlossen 
wurde. Wie früh ein marmornes Tabernakel an die Stelle des metallenen Ciboriums 
getreten, ist unbekannt; dasjenige, was man im XVI. Jahrhundert über diesem Altar 
sah, war aus der Zeit Pauls II.“ (vielmehr das Tabernakel Sixtus’ IV.). 

Behielt nun der Hochaltar bis zu seiner Schleifung im XVI. Jahrhundert die 
Portikus der 12 Spiralsäulen bei, oder wurde ihre Zahl im Laufe der Jahrhunderte 
etwa durch Calixt II. vermindert und die Anordnung verändert? Burger stützt sich 
bei seiner Rekonstruktion nur auf die früher zitierte Stelle der Beschreibung Roms; 
Grimaldi, dem wir doch zahlreiche, wenn auch ungenaue Zeichnungen alter Monumente 
des St. Peter verdanken, scheint keine doppelte Portikus, überhaupt keine Säulen- 
stellung abgebildet zu haben. Daß aber wirklich eine Veränderung vorging — ob im 
Mittelalter oder erst in neuerer Zeit, bleibt fraglich, bis neues Quellenmaterial den 
Aufschluß erteilt — beweist das Fresco Francesco Pennis °) im Constantinssaal des 
Vatikans, das die Schenkung des Kaisers an die Kirche zum Gegenstande hat. Der 


— 


1) regierte 1119—1124. 
2) Von Patzak dem Raffaellino del Colle vindiziert. Villa Imperiale bei Pesaro, pag. 225 ff. 


418 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Ort der Handlung kann kein anderer als St. Peter sein. Das Fresko entstand kurz 
nach 1520, zu einer Zeit, wo der Maler noch das ganze alte Langhaus sehen konnte, 
ebenso die Konfession mit Altar und Säulen. Die Säulen des Langhauses tragen Ge- 
bälk, das sich unter dem Triumphbogen über einer vortretenden Säule verkröpft. 
Jenseits folgt das breite Querschiff, die Apsis ist mit einem Mosaik geschmückt. Über 
der Konfession steht das Tabernakel, das die übliche römische Form zeigt: auf vier 
Säulen das Gebälk und Giebeldach — und davor erhebt sich auf den Chorschranken 
die Ikonostasis, bestehend aus den Spiralsäulen, die in ihrer Gliederung genau denen 
an den Loggien entsprechen; sie sind also mit denen Fouquets und Raffaels identisch. 
Ihre durch die Chorschranken bedingte Anordnung ist auch maßgebend für ihre Zahl. 
In der Fronte sind deren vier sichtbar, rechts in der Seitenflucht eine, verdeckt sind 
deren drei; d. h. ihre Zahl beläuft sich auf acht, und sie sind einfach und nicht dop- 
pelt angeordnet. Auf dem Gebälk stehen, wie üblich, Leuchter. Das Fresko Pennis 
stellt als den letzten Zustand des Konfessionstabernakels und der Chorschranken mit 
den alten Spiralsäulen dar. 

Gehören diese aber zu der Gruppe von 12 Spiralsäulen, von denen schon im 
VIII. Jahrhundert die Rede ist? Oder ersetzen sie jene, und aus welcher Periode der 
Basilika stammen sie? Auf alle diese Fragen ist leider noch keine Antwort zu geben; 
vielleicht gehen sie auf Calixt II, also ins XII. Jahrhundert zurück, und sind vielleicht 
Kopien jener älteren Gruppe. Jedenfalls sind sie älter als das Quattrocento, da in 
diesem Falle eine Notiz ihre Aufstellung erwähnen müßte, und der Rekonstruktions- 
versuch Burgers für das Sixtustabernakel ist also an Hand des Freskos Pennis zu 
korrigieren. 

Somit ist der weitere Schluß zu ziehen, daß Fouquet diese Aufstellung gesehen 
hat; allein anstatt sechs der Säulen der Wirklichkeit entsprechend und dem liturgischen 
Brauch gemäß vor dem Altar anzuordnen, versetzte er deren vier an die Rückseite 
desselben, je zwei stellte er in der seitlichen Flucht auf. (Miniatur Taf. XIV.) Ent- 
weder geschah es mit Absicht, um den Ausblick auf den Altar und sein Zubehör nicht 
zu behindern, oder nach dieser Reihe von Jahren, welche zwischen dem römischen Auf- 
enthalt und der Illustrierung des Kodex liegt, hat sich die Erinnerung an das, was er 
gesehen, getrübt; die Säulen hat er freilich genau kopiert; aber es ist leicht möglich, 
daß er nur eine einzige in seinem Skizzenbuch festgehalten hat; oder es waren schlieB- 
lich persönlihe Wünsche der Besteller, ein ganz spezieller Auftrag, der ihm verbot, 
die französischen Kirchenrequisite, vielleicht das getreue Abbild einer damals existie- 
renden Ausstattung einer Kathedrale, mehr oder weniger den römischen Reminiszenzen 
zu opfern. Fouquets Miniatur gibt also kein treues Abbild der Konfession von St. Peter, 
wie sie im XV. Jahrhundert aussah; nur die Zahl und Form der Säulen, sowie ihre 
Verbindung durch den Architrav entsprechen der Wirklichkeit; aber trotz dieser Ein- 
schränkung beansprucht das Bilden hohen Wert als früheste bis jetzt bekannte 
Kopie der Columnae vitineae, und somit als Zeugnis des Interesses und der Verehrung, 
die ihnen der nordische Maler widmete; an ihnen mag er sich ganz besonders gefreut 
haben, sei es wegen des eigentlichen künstlerischen Eindrucks, sei es wegen der Be- 
deutung, die ihnen die Legende gab; sonst finden wir — wenigstens in den jüdischen 


K: Escher. Die columnae vitineae im St. Peter in Rom im Werk ein. franz. Künstlers 419 


Altertümern erstaunlich wenig Erinnerungen an Italien. (Schlacht der Juden gegen die 
Kanaaniter und Bestrafung der Rotte Kohra, Taf. IV, zeigt eine Kapelle in Form einer 
renaissancemäßig gebildeten Pfeilerhalle. Bei der Gnade des Cyrus gegen die Juden, 
Taf. XI, erscheint links ein Torbogen mit Reliefs an der Attika und in den Zwickeln. 
Vielleicht haben italienische Eindrücke die Flußlandschaft auf Taf. VII bestimmt: David 
erhält die Nachricht von Sauls Tod.)') 


1) Erwähnt sei noch die Darstellung der Vermählung Mariae im Livre d’heures d’Etienne 
Chevalier. Ein Triumphbogen vermittelt den Eingang zum Tempel. Er darf als Kopie desjenigen 
des Septimius Severus auf dem Forum in Rom angesehen werden; zu beiden Seiten des Haupt- 
bogens stehen wieder 2 der Colonne tortili, ein deutlicher Beweis dafür, welchen Eindruck diese 
Werke auf den Künstler machten. Abb. siehe Eugene Muentz, La Renaissance en Italie et en 
France. Paris 1885 zu pag. 492. 


Anmerkung: Inneres der alten Peterskirche in den Grandes Chroniques, Paris Bibl. Nat. 
Manuscrits francais 6465, gemalt gegen 1460, für Karl VII. (abgeb. J. Klaczko, Rome et la 
Renaissance. Jules II. Paris 1898 bei pag. 40 und 41. Daselbst ist der Aufenthalt Fouquets in 
Rom in die Jahre 1444—1447 verlegt. Auch Klaczko weist p. 44 auf das Freskobild der kon- 
stantinishen Schenkung, gelangt aber bezüglidı der Wertung als Quelle zu andern Resultaten 
als der Verfasser.) 


Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 


Von Eduard Firmenih-Ridartz 
(Fortsetzung und Schluß.) 


Dem Nürnberger Bilde der Madonna mit der Erbsenblüte ist das stilverwandte 
Kölner Marienaltärchen ') in jeder Hinsicht weit überlegen. Zunächst hat das Triptychon 
eine unvergleichlih bessere Erhaltung voraus. Alle Fleischpartien bei der innig zu. 
sammengeschmiegten Gruppe des Mittelstückes, die Muttergottes in Halbfigur, an der 
der Jesusknabe liebkosend aufstrebt, ebenso die Köpfe und Hände der langgestreckten 
Gestalten der heiligen Jungfrauen Barbara und Catharina an den Innenseiten der 
Flügel sird in ihrem wesentlichen Bestande pür und klar in Farbenauftrag und Ton, 
zeigen in den Flächen eine so durchaus einwandfreie alte Rißbildung, daß es schwer 
verständlih wird wie ruhige Fachleute den Urkundenwert dieser Gemälde in ihrem 
Gesamtumfang ableugnen konnten. Gerade wegen dieses zartvertriebenen Schmelzes 
der Karnation, der Originalität der Figurenverbindung und vornehmlich als reine Ver- 
körperung des fraulichen deutschen Marienideals sland das Werk bisher bei allen 
Kennern in hohem Ansehen. Die „Madonna mit der Wicke“ galt als eine der voll- 
endetsten Leistungen der nordischen Tafelmalerei im Mittelalter und diente neben der 
Münchener Veronika als Ausgangspunkt und Kanon stilkritischer Untersuchungen wie 
einer historischen und ästhetischen Würdigung der Ziele und Erfolge der Kölner Schule 
zu ihrer Blütezeit. 

Mit der Ausstoßung und Verwerfung dieses Ecksteins reißt eine klaffende Lücke 
in den einheitlihen Verband der Entwicklung; im Vergleich mit den parallelen Er- 
scheinungen in Burgund, am Oberrhein, in Schwaben und Westfalen verarmt die 
Produktion in der hochberühmten niederrheinischen Zentrale fast völlig. Mit dem ab- 
sprechenden Urteil über jenen Flügelaltar und verwandte Arbeiten stellt man Eigenart 
und inneres Wachstum der Kölner Kunstübung gänzlih in Frage. Was dort unan- 
gefochten aus dem Beginn des XV. Jahrhunderts noch übrig bleibt, erscheint mit einem 
Mal derbhandwerklih und minderwertig oder vereinzelt, abgebrochen, ohne Folge- 
richtigkeit und selbständige Bedeutung. 

Mit Berufung auf zahlreihe Denkmäler bestimmte man das Wesen der nor- 
dischen Tafel- und Buchmalerei seit dem XIV. Jahrhundert nach seinem Gehalt dahin, 
daß Vorstellungen aus der höfischen Sphäre besonders dem Minnedienst — jener über- 
feinerte Kultus zarter schwärmerischer Gefühlsanwandlungen — auf die Wiedergabe 
der Ereignisse der Heilsgeschichte und die Schilderung transzendentaler Zustände über- 
tragen wurden. Bei lyrischer Gesamtstimmung äußert sich ein weiches erregtes 
Empfinden in geschmeidiger süßer Anmut. 

In einem Brennpunkt des religiösen Lebens mußte das Andachtsbild dem Hang 


1) Wallraf-Richartz-Museum Nr. 13. Mittelstück Nußbaumholz, die Flügel aus Eichenholz. 
— Farbenlichtdruk Fischer & Franke, Berlin; Lichtdrucke Nöhring, Lübeck; Photographie 
E. Hermann, Köln. 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung ? 421 


zur Gefühlsseligkeit und gesteigerten Inbrunst entgegenkommen. Die Darstellungen 
hatten den Zweck starke Empfindungen bei den Gläubigen zu wecken. Neben der 
rührenden Aufforderung zur Compassio durch Veronika erwartet man in Köln vor 
allem die künstlerische Erfassung des Marienideals und der mystischen Beziehungen 
der jungfräulichen Mutter zum Jesusknaben. Diese Verkörperung stand im Mittelpunkt 
sehnender Wünsche und einer gleichgerichteten Phantasietatigkeit. Es war die vor- 
nehmste Aufgabe, in der alle Bestrebungen zusammenflossen. 

Eine vielstimmige Resonanz zeugt für den Eindruck einer eminenten künstlerischen 
Tat; selbst in veränderten Stilformen steigen noch Anklänge an die vertraute Kom- 
position in der Erinnerung späterer Maler auf. 

Ahnlih wie die Nürnberger Madonna stehen auch die Bilder des Kölner 
Marienaltärchens auf einer Kunststufe, bei der „die Seele ganz und der Körper kaum 
erst ins Leben tritt“. Die hohen Intentionen übersteigen das 
gesicherte Darstellungsvermögen. Selbst die Halbfigur im 
Mittelstück berührt noch als etwas Ungewohntes. Sie erhebt 
sih auf der Basis der übereinandergelegten Arme in fast 
zylindrischer Form und erfüllt so sehr die Bildfläche, daß 
deren oberer Rand den Nimbus zum Teil abschneidet. Über 
die organische Verbindung der Glieder, ihre Verhältnisse und 
Funktionen blieb der Urheber noch häufig im unklaren. Als 
Gnadenbild sollte die Maria mit dem Beschauer unmittelbar 
in Beziehung treten. Auf ihn ist der Blick der unter schweren 
Lidern nur halb geöffneten Augen gerichtet. Das leise Neigen 
des Hauptes sollte die strenge Frontalität mildern. Den Ver- 
kürzungen, die durch die Verschiebung bedingt werden, ist ea 
der Maler noch nicht recht gewachsen. So bleibt das Antlitz a. Attares zu Niederwildungen 
flach ausgebreitet, ohne die volle Vorstellung körperhafter 
Rundung. Die Gesichtshälften entsprechen sich nicht mehr; die Nase und der winzige 
gespitzte Mund stehen nicht ganz an ihrer Stelle. Solche Mängel in der Auffassung 
der Formen, die sich als Reste eines reinlinearen Flächenstiles erweisen, bleiben un- 
verständlich bei einer reifen Neuschöpfung aus dem Zeitalter der Romantik. 

Das Hauptbestreben des Künstlers richtete sidi sodann darauf, den Körper des 
Christkindes mit dem der Mutter in engen Konnex zu setzen, ihn in den Gesamtumriß 
einzuordnen und doch auch die Selbständigkeit und Bedeutung des Gottessohnes 
wirksam hervorzuheben'). Dabei mußten alle Verkürzungen und Überschneidungen 
vermieden werden. Die Art, wie der Meister diesen Zweck erreichte, indem er den 
Knabenleib mit vorgestreckten Armen in der Seitenansicht darbietet, entspricht durchaus 


1) Auf die neuen Darstellungsformen und die Wahl einzelner Motive wirkte vielleicht 
anregend das Vorbild berühmter plastisher Werke. Beziehungen zu Frankreich-Burgund sind 
evident. Es sei hier nur bemerkt, daB schon bei der silbernen Madonnenstatue der Jeanne 
d'Evreux von 1329 aus St. Denis (jetzt Galerie d’Apollon du Louvre) Maria das nackte Kind 
mit ihrem Mantel unten umhüllt auf dem Arm trägt, und dieses sich vorbeugend mit aufwärts 
gestreckter Hand an das Kinn der Mutter greift. -- Photo. Giraudon. 


51 


422 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


dem Wesen der hochgotischen Kunst. Nur ein eindringliches Verständnis für deren 
Gebundenheit und Prinzipe der Formengebung konnte diese Lösung finden. 

In engbemessener Raumschicht stehen auch die langaufgeschossenen dünn- 
gliedrigen Gestalten der heiligen Jungfrauen auf den Flügeltafeln, mit schweren Gewand- 
stücken in langherabsinkenden Falten behangen. Eine konsequente Stilisierung ab- 
strahiert von der natürlichen Erscheinung mit einer Einseitigkeit und einem Zielbewußt- 
sein, die einem modernen Praktiker nicht ohne weiteres zugetraut werden dürfen. 

An den AuBenseiten ist nach dem Grundsatz einer gleihmäßigen Flächenfüllung 
die Gruppe der Peiniger in wenig moderierter Symetrie rings um den Erlöser als 
Schmerzensmann angeordnet. 

Für diese reinformalen Gesichtspunkte bei der Genesis aller Kompositionen und 
Gestaltungen besaßen nun die Romantiker nur geringes Verständnis bei ihrer Würdigung 
und Wiedergabe älterer Stilarten. Wie vollkommen J. N. Strixner sie in seinen litho- 
graphischen Reproduktionen noch außer acht ließ, lehrt der Vergleich mit den Original- 
gemälden. Manche Härten der altdeutschen Meister und Abweichungen von der offen- 
sichtigen Naturwahrheit verletzten sogar die noch wenig eingewöhnten Augen und 
einen Geschmack, der seine Schulung dem Klassizismus dankte. 

Die Übermalungen am Clarenaltar und dem für die Kgl. Museen zu Berlin neu- 
erworbenen Altarschreine angeblich aus St. Gereon dienen oft ausschließlich der An- 
näherung an moderne Forderungen !). Nach besserem Wissen sollen die neuen Zusätze 
deuten, vermitteln, abschwächen und ausgleichen. Echte primitive Bestandteile werden 
zugedeckt durch „Verschönerungen“ im Sinne einer angemaßten Korrektheit oder jener 
sentimentalen Gefühlsweise. Die überschlanken Figuren werden ein wenig verbreitert, 
Haltung und Bewegungen motiviert und abgerundet. Man gelangte nicht etwa durch 
Einleben in fremde Stilgesetze zu extremen Konsequenzen, man wünschte vielmehr 
psychische Ausdruckswerte zu gewinnen ohne den Kontakt mit der Realität aufzugeben. 

Die Anempfinder stehen hilflos vor jeder umfassenden Aufgabe, wenn der un- 
mittelbare Anschluß fehlt und sie selbständig im Charakter eines alten Stiles etwas 
Neues hervorbringen sollen. Ein unerquickliches Gemisch erborgter Motive und schwer 
zu unterdrückender zeitgemäßer Formanschauungen und Tendenzen ist gewöhnlich das 
Ergebnis solcher Versuche. Als Beweisstücke nenne ich (abgesehen von den unglück- 
lichen älteren Versuchen einer Wiederherstellung des malerischen Kirchenschmucks in 
den Rheinlanden) in Köln die Bildtafeln, Maria mit dem Kinde und Heilige, mit welchen 


') Die früheren jetzt durch Reinigung entfernten Ergänzungen und Zusätze an den Berliner 
Tafeln hielten sich jedoch auf der Grundlage einer umfassenden Restauration. Der Goldgrund 
wurde erneuert, einzelne Köpfe ersetzt. Wesentliche Bestandteile der ursprünglichen Arbeit 
blieben hingegen stets sichtbar, so daß an die Aufdeckung einer im Stil abweichenden primären 
Schicht in gesamtem Umfang wie beim Clarenaltar gar nicht zu denken war. Die unberührten 
Köpfe zeigen genau die nämlidie RiBbildung wie die Fleischpartien „der Madonna mit der 
Wicke“. Das bedeutende Werk nahm eine bevorzugte Stelle auf der Düsseldorfer Ausstellung 1904 
ein (Nr. 12) Photo. Bruckmann. — Die Übermalungen der Darstellung „Maria mit dem Kinde im 
Kreis versammelter Heiligen“ bei H. Felix (Leipzig) sollten sich ebenfalls dem Urbild angleichen; 
Köpfe und Figuren des Marienaltares (Galerie Weber, Hamburg Nr. 4) wurden von Franz Becker 
modernisiert. | 


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424 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


der vielgeriihmte J. A. Ramboux die leeren Nischen des Antependiums aus Sta. 
Ursula füllte, eines Meisterwerkes der niederrheinischen Grubenschmelzkunst um 1175, 
jetzt im Kunstgewerbe-Museum, und die Malereien an den Seitenwänden des 
Albinusschreines in Sta. Maria in der Schnurgasse (Düsseldorfer Ausstellung 1902 
Nr. 504). Auch der begabte C. B. Beckenkamp vermag in seinen glatten sauberen 
Kopien diesen inneren Zwiespalt nicht ohne merklichen Rest auszugleichen. 

Unmöglich konnten diese Kräfte dazu hinreichen, was selbst beim Clarenaltar 
nicht gelang, disparate Elemente in einem Guß zu verbinden, allenthalben aufgelesene 
Motive zusammenzufassen und aus ihnen Kompositionen zu läutern, die ihren festen 
Platz folgerichtig innerhalb der Entwicklungsreihe einnehmen. 

Überragende Kunstwerke pflegten in alter Zeit weite Kreise um sich zu ziehen. 
Es war nicht immer Gedankenarmut, wenn man angebahnte Wege nicht verließ und 
an Bekanntes anknüpfte. Diese Gesinnung entsprach dem Zweck der Andadhtskunst. 
Doch dabei entstanden nicht bloße Wiederholungen, neues aus eigener Erfindung 
drängte sich ein; man veränderte, schaltete frei mit dem ererbten Schatz, so daß von 
der gesamten ursprünglichen Erfindung zuletzt nur eine unvergeßlihe Wendung, ein 
beredter Zug oder der künstlerische Ausdruck für die beherrschende Stimmung übrig 
bleibt. Allmählich verblaßend erhielten sich die edelsten Inspirationen langdauernd 
und wurden Gemeingut. 

Kein Verständiger wird deshalb nach Feststellung solcher Verbindungslinien 
etwa das Dombild für ein modernes mixtum compositum unter Benutzung eines 
Gemäldes des Glorifikationsmeisters (Aachen) und eines Kupferstiches des „maître aux 
banderoles“ (Lehrs 1, Dresden) proklamieren oder den Epiphanienaltar des Roger van 
der Weyden aus St. Columba aus dem Grunde anzweifeln, weil dessen Mittelgruppe 
sih noch im Domfenster von 1508 wiederfindet. Auf eben diesen „Meister der hl. 
Sippe“ wirkte an anderer Stelle (Altar der sieben Freuden Maria, Collection Dollfus, 
Paris) faszinierend Stephan Lochners köstliche Darbringung im Tempel, eine Komposition, 
die sich früher schon ein Werkstattgenosse des Meisters des Marienlebens angeeignet 
hatte. Die Übereinstimmung der abhängigen Stücke untereinander galt bisher als 
Gewähr ihrer Schulzusammengehörigkeit oder doch als Hilfsmittel zur Umgrenzung der 
Einflußsphäre ausgezeichneter Meister. 

Jede methodische Beweisführung wird abgeschnitten, wenn man dies Verhältnis 
willkürlich umkehrt und in jenen Analogien die Spuren der Fälscher erblickt, die das 
überkommene Material in einer Auslese verfeinerten. 

Auc die Konzeptionen des Kölner Madonnenmalers stehen nicht vereinzelt. 
Es sind Glieder einer langen Entwicklungskette. In den Leistungen benachbarter 
Schulen werden ähnliche Ziele verfolgt. Apart und präziös veranschaulicht Jean 
Malouel den Seelenbund in der Halbfigur der heiligen Jungfrau, die mit gekreuzten 
weichen Armen das Christkind ans Herz preñt !). 

Die nämlichen Intentionen leiteten Meister Conrad von Soest 1404, als er 


1) Die Bestimmung Jean Malouel ist nicht gesichert. Lyon Collect. Edouard Aynard, Ex- 
position des Primitifs francais. Paris 1904 Nr. 13. 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 425 


am linken Flügel des Altarschreines zu Niederwildungen das Kosen der ruhenden 
Mutter mit dem neugeborenen Jesus vorführte. Die verwandte Auffassung beweist wie 
vollkommen eben diese Lösung dem damaligen Formensinn wie den künstlerischen 
Fähigkeiten beim Zusammenordnen einer Gruppe entsprah. Kein Zug deckt sich 
völlig und doch bedingt die Übereinstimmung der Prinzipien wie der beliebten Aus- 
drucksmittel eine ganz ähnlie Kon- 
figuration. Vergl. Abbildung 1. 

Sind es in diesen Fällen die um- 
fassenden Zusammenhänge oder allge- 
meine Grundbedingungen der Kunstübung, 
welche die annähernde Gleichheit des 
bildnerischen Gehaltes der Kompositionen 
verursachen, so stand in Köln die Per- 
sönlichkeit eines Meisters von weitreichen- 
dem Ruf hinter dem mustergültigen Werke. 
Diesem Vorbilde werden ganze Gestalten 
oder einzelne Motive unmittelbar ent- 
nommen. Besonders die statuarischen Ge- 
wandfiguren an den Flügeln kehren häufig 
wieder. Schon die Gleichartigkeit der 
stark vergröberten Typen weiblicher 
Heiligen auf den Tafeln in Nürnberg, 
Berlin und Darmstadt’) spricht für 
feste Schultraditionen. Wenn die Originale 
uns fehlten, könnte man wohl aus solchen 
Abwandlungen ihre einstige Bedeutung 
feststellen. Abb. 3. Meister des Marienlebens: Maria mit 

| dem Kinde O 

Andere Nachwirkungen des be- O Kaiser Friedrih-Museum, Berlin 
liebten Andachtsbildes können nicht be- 
stritten werden, entziehen sich aber der Ausnutzung selbst eines phantasiereichen Imitators. 
Eine Rekonstruktion des Urbildes aus weitverstreuten Reminiszenzen, eine Vereinigung 


in Betracht: a) Die beiden Flügeltafeln im Germanischen Museum zu Nürnberg Nr. 2 und 3. 
Sta. Catharina und Elisabeth. Die Erstere ist eine vergröberte Variante der entsprechenden 
Kölner Figur von der Hand des Hauptmeisters. Restauriert. Tannenholz. Lithographien von 
Strixner und Schöninger 1832. b) Altar in reichgeschnitztem Rahmen mit den Heiligenfiguren 
Barbara, Catharina, Gregorius, Gereon, Helena, Anno, Stephanus und Elisabeth, außen „Die Ver- 
kündigung“. Neuerwerbung für das Kaiser Friedrih-Museum zu Berlin aus der Samm- 
lung des Baron Brenken zu Wewer vormals beim Grafen Haxthausen. (Franz Kugler: Gesch. 
d. Malerei I, 279 Anm.) Die hl. Elisabeth ist der Figur in Nürnberg mit kleinen Änderungen 
nachgebildet. Sta. Barbara schließt sich in vergrößertem Maßstab den Flügelbildern des Kölner 
Triptychons an. Eichenholz. c) Im GroBherzogl. Museum zu Darmstadt Nr. 160. Die 
Votivtafel des Joh. Rost de Cassel und der Aleid Cleingedank. Entstand bald nach 1409. Der Anschluß 
der entsprechenden Heiligenfiguren an das Kölner Marienaltärchen gibt einen Anhalt zu dessen 


426 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


der Glieder, die erst wieder in ihre originäre Form zurückversetzt werden müßten, 
erfordert Fähigkeiten und Kenntnisse, über welche die Romantiker nachweislih noch 
nicht verfügten. 

In erster Linie kommt ein Gemälde in Betracht, vor dem mehrfach der Name 
Stephan Lochner genannt wurde. Es rührt auf jeden Fall aus der Kölner Schule 
und entstand um 1440'). Ein fortgeschrittener Künstler hat sich der Komposition 
„der Madonna mit der Wicke“ bemächtigt und versucht eine verjüngte Weiterbildung. 
Er vermeidet die Verschiebung der Züge im Antlitz der hl. Jungfrau, indem er dies 
nur etwas seitwärts beugt und die Frontansicht beibehält. Auch in der Körperbildung 
des Kindes ist vieles verändert; doch die Hand der Maria, die zierlich mit gespitzten 
Fingern eine Wicke darbietet, erweist durch präzise Abschrift den direkten Anschluß. 
Zwar das Tafelbild ist shwer beschädigt, durch Übermalungen alteriert. Nach Angabe 
des Besitzers Kommerzienrat Wittich in Darmstadt war es Philipp Veit, der die Er- 
gänzungen unternahm, Krone und Nimben mit überreicher ornamentaler Zier versah 
und die Gewandung der Madonna vollständig und ohne Rücksicht in Ölfarben aus- 
führte. Auch die Feldblumen sind in ihrer heutigen Gestalt moderne Zutat; dagegen 
blieben alle Fleischpartien fast unversehrt und wurden nur durch einzelne kleine 
Retouchen ausgebessert. Die gesundentwickelte Rißbildung bringt den sicheren Beweis 
für die Echtheit der wesentlichen Bestandteile des Stückes. Abbildung 2. 

Es folgen weitere Beispiele von Entlehnungen. Als der Meister des Marien- 

lebens nach der Mitte des XV. Jahrhunderts in seiner Frühzeit es unternahm, mit der 
fremden Technik die herbe, weit schärfer distinguierende Ausdrucksweise aus Brüssel 
und Löwen auch in Köln einzubürgern, verschiebt die angestammte zartsinnige Gefühls- 
weise ihm oft das Konzept. Bei dem Marienbilde, das aus dem italienischen Kunst- 
handel ins Kaiser Friedrih-Museum kam (Nr. 1235B) wirkt merkbar noch die 
ferne Erinnerung an „die Madonna mit der Wicke“ nach. Abbildung 3. Freilich, 
die scharfumrissene eckige Formenbezeichnung und den entscheidenden Gesamteindruck 
bestimmen bekannte Vorlagen von Roger van der Weyden und Dierick Bouts. Doch 
das Haupt der Jungfrau neigt sich nicht wie bei diesen vlämischen Gemälden zum 
Kinde herab; es dreht sich mit eingedrücktem Kinn schräg seitwärts zum Beschauer, 
auf dem der Blick der schwermütigen graublauen Augen aus schmalen Lidspalten ruht. 
An Stelle einer Abspiegelung des vertieften Raumes steht der traditionelle Goldgrund 
mit gepunzten Mustern. Aus der Beschränkung auf erprobte Motive und dem gleich- 
bleibenden Sentiment „glaubt man immer die zurückziehende Schwerkraft der Ver- 
gangenheit zu spüren“. (Carl Justi.) 
Datierung spätestens im ersten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts. Die Votivtafel hat gelitten und 
wurde durch spätere Zusätze beeinträchtigt. Eichenholz. — Die kleinen Fliigelbildchen auf Eichen- 
holz im gotishen Haus zu Wörlitz Nr. 1251, 1267: Barbara und Catharina auf Goldgrund; 
Rückseiten: Agnes und Dorothea, Figurenreste auf schwarzer Folie gehören höchstens noch der- 
selben Kunstprovinz an. 

1) Düsseldorfer Ausstellung 1904 Nr. 16. Eichenholz. — Ludwig Smeibler im 
Repertorium XXVII, S. 556 „ein bisher unbekanntes ausgezeichnetes Werk, durch alte Restauration 
stark beeinträchtigt; nodı vorwiegend in Art „Wilhelms“, doch schon auf Stephan hindeutend.“ 
Eine größere veränderte Wiederholung befand sich in der Kölner Sammlung Weyer Nr. 108. 


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428 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Die Verspottung Jesu in starker Kontrastwirkung an die Außenseiten der Flügel 
des Kölner Triptychons breit hingesetzt, wurde im Aufbau der Gruppe und den heftig 
ausfahrenden eindringlichen Hauptmotiven schon in einem niederdeutschen Schrotblatt 
reproduziert !). Solche Metallschnitte, in denen gelegentlich berühmte Darstellungen 
anklingen, empfahlen sich zu Zwecken der Buchillustration *). Die Platten bewahrten 
zähe Widerstandskraft und wanderten oft weit von einer Offizin zur anderen. Das 
fragliche Blatt ist ein unbeschriebenes Unikum und daher ist es höchst unwahrscheinlich, 
daß ein Abdruck um 1820 einem Fälscher vorlag. 

Von entscheidender Wichtigkeit für den historischen Nachweis eines Falsifikates 
sind die Umstände und Verhältnisse, unter denen die Arbeit zuerst in das Licht 
wissenschaftlicher Betrachtung tritt. In Sachen der „Madonna mit der Wicke“ war 
trotz aller Bemühungen kein einziger zuverlässiger Belastungszeuge aufzutreiben. Im 
Gegenteill Bei dem Versuch einer Begründung des vernichtenden Urteils über die 
zusammengehörigen Gemälde kam man nicht ohne schwere Verdächtigungen hoch- 
geachteter Männer aus, denen man ,Schalksstreiche“, Arglist, Betrug und grobe Ver- 
nachlässigung ihrer Ehrenpfliciten zur Last legte. 

Der vielberufene Flügelaltar befand sich noch nicht in Ferdinand Wallrafs 
Sammlung, als diese 1817 zum ersten Male inventarisiert wurde. Seine Provenienz 
ist unbekannt, wie bei fast allen kleinen altkölnischen Stücken. Die älteste kurze 
Beschreibung enthält das Nachtragsverzeichnis, welches nach dem Tode des Stifters 
(t 18. März 1824) begonnen, im Januar 1826 fertig vorlag. Die alten Gemälde waren 
meist in üblem Zustande.?) „Die Madonna mit der Wicke“ ist nachweislich unter der 
Aufsicht des Mathias Joseph de Noöl von dem belgischen Bilderrestaurator A. Lorent 
im September 1828 wiederhergestellt worden. Der erste Konservator des Wallrafianums 
gilt als verständiger gewissenhafter Lokalforscher und Kunstfreund, dem später J. D. Passa- 
vant beim Studium der niederrheinischen Malerschule manche Unterweisungen entlieh. 
Ein Betrug, bloß aus miBleiteter Künstlereitelkeit inszeniert, konnte damals weder über- 
sehen noch schweigend hingenommen werden‘). Eine junge, erst kürzlich unter- 
schobene Fälschung wäre von dem erfahrenen Restaurator bei seiner Arbeit erkannt 
worden. Für den Unbeteiligten lag kein Grund vor, den Tatbestand zu verleugnen. 
Die feinen Tafelbilder standen inmitten einer reichhaltigen stilverwandten Masse, die 
sih nun zum ersten Male ausbreitete. Das Madonnenbild war noch nicht der Gegen- 
stand allgemeiner Bewunderung; nur wenige hätten den Verlust bemerkt, wäre es 


') Sammlung W. L. Schreiber. Auktionskatalog Gilhofer & Rauschburg XXVIII, 
Wien 1909, Nr. 56. Tafel XVII. — „Der Cicerone“ I, 2 1909, Abb. S. 57. 

*) Vergl. Ernst Voulliéme: Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des XV. Jahrhunderts. 
Bonn 1903. XXIV. Publ. der Gesellschaft f. rhein. Geschichtskunde. 

») Vergl. Professor Dr. J. Hansen: „Der Meister Wilhelm und die Kölner Malerschule.* 
Kölnische Zeitung Nr. 31 (10. Jan. 1909), 36, 41. Der Marienaltar wird in de Noéls Verzeichnis 
vom September 1826 als Werk „Meister Wilhelms“ allerdings nicht als „ruinös“, sondern als 
„rein“ charakterisiert, was aber eingreifende Wiederherstellungsarbeiten und Ergänzungen in der 
oben bezeichneten Weise nicht ausschließt. 

1) In Köln denkt man sich den Vorgang etwa wie den mysteriösen Fall, von dem Goethe 
in seiner „italienischen Reise“ zum 18. November 1786 berichtet. (Hempel, 24. Bd. S. 127-8.) 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Falschung? 429 


Abb. 5. Meister des Paradiesgartens: Federzeichnung 
D München 


damals nach reifliher Prüfung aus der Reihe der historischen Denkmäler aus- 
geschieden. 

Und welches sind nun die Indizien, die mit absoluter Bestimmtheit die Ent- 
stehung der Bilder des Triptychons im XIX. Jahrhundert nachweisen sollen? !) 

Entgegen der oft wiederholten irrigen Behauptung muß zunächst ausgesprochen 
werden, daß der Zustand der Gemälde keineswegs so gleichmäßig und einheitlich ist, 
wie man dies bei einem Falsifikat neueren Ursprunges erwartet. Die Mitteltafel aus 
Nußbaumholz ist gespalten, die Fuge ward zusammengepaßt und ausgefüllt. Aus- 
gesprungene Farbenstückchen z. B. an der linken Hand des Christkindes wurden ersetzt. 
Einige Retouchen an den gestreckten Fingern der Hand Marias, welche die Feldblume 
hält, ebenso seitwärts an ihrer Stirn ergeben sich sogleih als modern. Die breit- 
aufgetragenen Farbenmassen des stumpfen braunvioletten Mantels der Madonna, der 
über den Unterkörper des Knaben gebreitet ist und auch den Kopf der hl. Jungfrau 
deckt, kontrastieren mit dem zart und verschmolzen behandelten Inkarnat. An dem 
Gewand und blauen Futter sind gleichfalls Stellen ausgebessert und die dunklen fetten 


1) Aus der nach Abschluß dieser Studie (Pfingsten 1909) stark angeschwollenen Literatur zur 
„Madonna mit der Wicke“ hebe ich hervor: Jos. Poppelreuter in der Zeitschr. f. chr. K. XXI. Heft 11,12. — 
Alfred Hagelstange: Köln. Zeitung Nr. 1324. — Heinz Braune: Köln. Volkszeitung Nr. 285. — 
Karl Voll: Köln. Volkszeitung Nr. 304. Kunstchronik 10. April 1909 und Süddeutsche Monatshefte 
Juli 1909. — W. Bode im „Cicerone“ I. Juli 1909. — Referierend: Köln. Zeitung Nr. 251. Frankfurter 
Zeitung Nr. 71. Köln. Volkszeitung 244 und 610 (Dr. Heribert Reiners). 


430 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Pinselzüge, welche Gefältel und Schatten andeuten, fallen ganz augenscheinlich aus dem 
Zusammenhange. Die unregelmäßig zerrissene Farbenfläche des Mantels, die wie eine 
vielgeteilte Kruste aufsitzt, bot zunächst Anlaß zu Zweifeln, die man dann auf das 
gesamte Gemälde übertrug, da man die den geleimten Kreidegrund bloßlegenden 
Spalten dieser Partien, Schrumpfungen der Farbensubstanz, welche Lücken in eine 
zähe Masse rissen, auch in der Wickenblüte wiederfand. 


Neben der höchst indifferenten Gewandbehandlung bei der Halbfigur des Mittel- 
stückes entsprechen die großzügigen Faltenlagen und herabsinkenden Stoffbauschen 
der statuarischen Gestalten an den Innenflügeln durchaus der einheitlihen und klaren 
Anordnung der Hochgotik. Der grüne Mantel der hl. Barbara ist zum Teil über- 
gangen und in seinem Farbenwert verändert; das Rad der hl. Catharina und die Kronen 
beider Martyrerinnen sind weitere unwesentliche Zusätze. 


Trotz subtiler Untersuchung ist es nicht gelungen die Herstellung des Gold- 
grundes zu voller Evidenz als modern nachzuweisen. Ebenso fehlt dafür der aus- 
reichende Beweis, daß die abweichende Rißbildung ausschließlich durch die Anwendung 
bekannter moderner Malverfahren ihre Erklärung findet. Die Übereinstimmung des 
Verhaltens der fraglichen altkölnischen Tafelbilder beim Zersetzungsprozeß mit ruinòsen 
modernen Gemälden, bei denen Asphalt als Bindemittel verwendet war, läßt sich nicht 
konstatieren. Solche Schrumpfungen und gewaltsame Trennungen der aufgetragenen 
Farben findet man außer bei kölnischen, westfälischen und burgundischen, auch bei 
altniederländischen Bildern, ohne daß der Charakter der Farbe in seiner Klarheit durch 
chemische Veränderung getrübt wäre !). 


Den Ausschlag für die Echtheit der wesentlichen Bestandteile des Werkes gibt 
der technische Befund der Fleischpartien. Der Vergleich mit einzelnen Arbeiten jener 
Epoche, auf welche eine ähnliche Sorgfalt beim dünnen Auftrag der Farben und dem 
Verschmelzen der Töne verwandt wurde, muß überzeugen. 


Das nämliche dichte Netz dünner sich verästeinder Haarrisse, welches sich an 
den Fleischpartien der „Madonna mit der Wicke“ ausgebildet hat, breitet sih auch 
über die gesamte emailartige Farbenflache des miniaturfeinen Paradiesbildchens im 
städtischen Museum zu Frankfurt. Abbildung 4. 


Die Echtheit der idyllischen Darstellung des umschlossenen Gartens mit den 
anmutigen Gruppen zierlicher Heiligenfiguren wird überdies noch durch eine Feder- 
zeichnung von demselben Urheber in der Kgl. graphishen Sammlung zu München 
(Nr. 19736) beglaubigt. Die am Boden hockende Gestalt einer Heiligen oder Sibylle, 
die mit gesenktem Köpfchen in einem Buche blättert, während ihr weites Gewand sich 
in rundlichen Faltenzügen um sie ausbreitet, gehört in ähnlichen Zusammenhang. 


') Ahnliche Sprungbildung und Reißungen, welche sogar Stellen des geleimten Kreide- 
grundes bloßlegen, findet man beispielsweise auf der altkölniscıen Tafel Nr. 5 im Germanischen 
Museum mit 4 Apostelfiguren, auf dem kleinen Kreuzigungsbilde bei Amtsgerichtsrat Clemens in 
Aachen, den Tafeln mit Szenen der Jugendgescidıte Jesu im Erzbischéfl. Museum zu Utrecht 
vormals Seydel, Köln) und auf dem Profilbildnis des Jean Il roy de France angeblich von Girard 
d'Orléans um 1359. NuBbaumholz. Bibliothèque nationale, Paris. Exposition des Primitifs 1904, Nr. 1. 


E. Firmenich-Richartz. Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung? 431 


Abbildung 5. Den spitzdetaillierenden Pinsel vertritt diesmal die Feder, die mit 
winzigen gehäuften Strichen punktierend Hell- und Dunkelwerte angibt. 

Den von der normalen Beschaffenheit alter Temperamalereien abweichenden 
Zustand „der Madonna mit der Wicke“ oder verwandter Tafelbilder in England hat 
früher schon Waagen!) und Ernst Berger °) beachtet und eine Erklärung aus der von 
der gewöhnlichen Tafelmalerei abweichenden Tedinik versucht, ohne aber die Echtheit 
dieser Gemälde irgend in Frage zu stellen. 

‘ Diese Maßnahmen der alten Meister bei der Bereitung der Farben und ihr 
Malverfahren im besonderen sind durchaus nicht so einheitli durch Werkstattbrauch 
geregelt und so durchsichtig in ihrer Anwendung, daß sich hieraus umfassende Schlüsse 
ableiten lassen. Wir wissen, daß einzelne Meister in fortgesetzten Versuchen ihre 
Farbentechnik vervollkommneten und ihre Rezepte sorgsam als Geheimnisse hüteten °). 

Das Studium der Rißbildung alter Gemälde ist von unleugbarem Werte und 
liefert meist die sichersten Kriterien zu deren Bestimmung sowie zur Umgrenzung von 
Übermalungen. Negative Folgerungen sind aber auch hier gefahrlich; man kann nicht 
einzig auf Grund einer ungewöhnlichen Rißbildung Schöpfungen als unecht abweisen, 
deren historische Bedeutung sich aus ihren künstlerischen Qualitäten und der stilkritischen 
Analyse ganz deutlich ergibt. Mit einem Hinweis auf das Ausbleiben der normalen 
Craquelage und mit einem bedenklichen Kopfsciütteln über die Entwicklung tiefer 
gewundener Furchen oder jener vielteilig gebrochenen Kruste läßt sich schließlich sogar 
die Originalität des Genter Altares, der Madonna Rolin Jan van Eycks und der Veronika 
des Meisters von Flémalle anfechten. 

Wer bis zum Gehalt und Wesen eines Kunstwerkes vordringt, fiir den bedarf 
es keiner Rechtfertigung „der Madonna mit der Wicke“. Die vereinigten Gemälde 
beantworten selbst die an sie gerichtete Frage. Ein heller reiner Klang geht von den 
Kompositionen und Gestaltungen aus und diese innere Ausgeglichenheit bleibt uner- 
reichbar für eine Arbeit, die abgeleitete Formen und entlehnte Motive aufreiht und 
deren Endzweck nur die Täuschung ist. 


ı) Waagen kennzeichnet ein altkölnisches Flügelaltärchen der Sammlung Beresford Hope: 
„das feinste und ausgezeichnetste Spezimen einer Miniatur in Tempera auf Holz, welches ich 
bisher von altdeutscher Kunst dieser Periode gesehen habe“... „Die Ausführung ist überaus 
weich, die bräunlichen Töne im Weiß deuten auf den Gebrauch von Ambrafirnis.£ (Treasures IV, 
London 1857, pag. 1%.) 

2) Ernst Berger: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik III, S. 210. „Dabei 
ist zu bemerken, daß Bilder auch in gemischter Technik d. h. teils in Gummitempera teils in Ol- 
farben gemalt wurden, was sich in deren ungleichen Erhaltung ausspriht. Das Fleisch der 
Wilhelmschen Madonna ist ungemein hell und klar, dagegen zeigt die blaue Draperie um den 
Kopf Sprünge und Krusten; noch auffallender ist dies an dem bräunlich-roten Gewand zu sehen, 
welches sich im Laufe der Zeit sehr geändert haben muß; ursprünglich wird die Farbe viel satter 
und leuchtender gewesen sein, so daß ich nicht anstehe zu erklären, dieser Teil des Bildes sei 
mit dem Farbstoff Folium (Tournesol, Purpur der Miniaturmaler [Theophil. c. XL]) gemalt. Die 
Sprünge im Gewand und besonders in der Blume sprechen deutlich für die Verwendung des 
Bernsteinfirnisses (Vernition)“. 

3) Vergil. Charles Lock Eastlake: Materials for a history of oil painting. London 2 vol. 
1847 und 1869. 


Karl Blechen in Berlin 


Die Zeit vor der italienischen Reise !) 
Von G. J. Kern 


Blechen zählte siebzehn Jahre. Die Post hatte ihn Kottbus und dem Eltern- 
hause entführt. Als Lehrling des Berliner Bankhauses von Selchow u. Co. finden wir 
ihn wieder. Die Eindrücke der neuen Umgebung ließen zunächst der Sorge um die 
Zukunft keinen Raum, sie erwachte aber im nüchternen Einerlei des Alltags. Die 
bange Ahnung stieg in Blechen auf, daß er sein Glück als Kaufmann nicht finden 
werde. Der Beruf, den er halb widerwillig, unter dem Drängen der Eltern, ergriffen, 
wurde ihm verhaßt. „Alle Mußestunden“ widmete er der Kunst‘), zeidinend saß er 
noch häufig vor seiner Lampe, wenn die Turmuhr der Parochialkirche Mitternacht 
verkündete’). Jahre gingen dahin. — 

Die Lehrzeit bei Selhow war abgelaufen, das Vaterland forderte sein Recht. 
Um das Jahr 1819 diente Blechen als Einjährig-Freiwilliger beim Königl. Garde-Pionier- 
Corps zu Berlin‘). Wie er aussah, schildert uns Toelken, der ihn persönlich kannte °). 
Seine Ausführungen ergänzt ein später entstandenes geistreiches Selbstbildnis Blechens 
in der National-Galerie®) (Abb. S. 433). Schlank und ebenmäßig gewachsen steht er vor uns. 
Unter geschwungenen Brauen schauen zwei dunkle Augen sinnend in die Welt. Rotes 
welliges Haupthaar und ein roter kurzer Backenbart umrahmen ein schmales Gesicht, 
leise Melancholie spielt auf den feingeschnittenen Zügen. 

Das Soldatenleben verringerte nicht die Liebe Blechens zur Kunst, die Pflicht 
hinderte ihn, seiner Neigung zu folgen. Nähere Nachrichten über die Dienstzeit fehlen ‘), 
wir erfahren nur, daß Blechen nach Ablauf des Jahres zu Selchow als Volontär zurück- 
kehrte °) und bald darauf eine besoldete Stelle als „Kassenführer und Disponent“ in dem 
Bankhause von A. Koehne annahm °). Die Beförderung entriß ihn der Not, doch machte 
sie ihn nicht glücklich. Durch Sold gekettet an eine Beschäftigung, die er verachtete, fühlte 
er sich unglücklicher denn je; er sah die Hoffnung dahinschwinden, sein Ziel zu erreichen. 


') Die Ausführungen sollen bereits auf eine größere Monographie des Verfassers über 
Karl Blechen hinweisen, die im Laufe des nächsten Jahres im Verlage von Klinkhardt & Biermann 
erscheinen soll. Die Red. 

*) Autobiographische Skizze Blechens i. d. Akademie der K., Berlin, datiert „d. 27. May 
1835“; der Akademie eingereicht bei der Ernennung zum ordentlichen Mitgliede. Wird im folgen- 
den als ,Selbstbiographie“ zitiert. 

3) Das häufige Arbeiten zur Nachtzeit legte mit den Grund zu einer Geisteskrankheit, die 
Blechen später befiel. Siehe Gesuch der Frau Professor Blechen an S. M. den König um Be- 
willigung einer Lebensrente. Entwurf im Besitz von C. Brose, Berlin, von Prof. Hotho redigiert. 

4) Selbstbiographie. 

5) Sekretär an der Berliner Akademie. (Berlinische Zeitung vom 12. Juni 1841.) 

6) Olskizze, National-Galerie, Kat., Nr. 878. 

7) Die Stammrollen der Kompagnie sind nicht mehr erhalten. Gef. Mitteilung vom Kom- 
mando des Garde-Pionier-Bataillons. 

8) Selbstbiographie. 

*) Desgl. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise. 433 


Der Zufall wollte, daß Blechen den Sekretär Schumann von der Aka- 
demie kennen lernte) Dem leutseligen Manne schüttete er sein Herz aus. In 
Skizzen, die ihm der junge ,Kaufmann“ vorlegte, erkannte Schumann Regungen eines 
beaditenswerten Talents. Er 
riet ihm, zur Vervollkomm- 
nung seiner Technik, in freien 
Stunden den Unterricht an 
der Akademie zu besuchen 
und verschaffte ihm eine Frei- 
stelle *). Vermutlid in der 
Landschafterklasse des Pro- 
fessors P. Lütke, in dessen 
Atelier wir ihn bald darauf 
antreffen 3). Am 28. August 
1822 schrieb sich Blechen als 
Schiller in die Listen der 
Akademie ein t). Künstlerische 
Fortschritte, der ständige Ver- 
kehr mit Gesinnungsgenossen 
hatten den Widerwillen gegen 
die geschäftliche Tätigkeit ge- 
steigert, der Entschluß war 
gereift: Blechen kündigte, ob- 
schon bar jeglicher Mittel, 
1823 der Firma Koehne den 
Dienst, um sein Leben der 
Kunst zu widmen ^). 

Der Name Lütke ®) hatte 
einen guten Klang, kein ge- 
ringerer als Gottfried Shadow 
zollte ihm Anerkennung ^). 
Die Berliner Presse verglich ihn mit Ruisdael °), erwies ihm also die höchste Ehre, die 
sie einem Landschafter erweisen konnte. Von dem alten Ruhm ist wenig übrig 


KARL BLECHEN: Selbstbildnis (Ölstudie) 


National-Galerie, Berlin 


2) Desgl. 

8) „Nach einem Vermerk vom Januar 1823 war er P. Lütkes Atelierschiller*. Festschrift 
zur Jubelfeier der Kgl. akad. Hochschule f. d. b. K. zu Berlin 1896. Text von Dr. Seeger. S. 86. 
Wird im folgenden als „Festschrift“ zitiert. 

1) Daselbst. 

5) Daselbst. 

5) Betr. P. L. Lütke siehe Festschrift S. 84, 85. Die Schreibweise des Namens schwankt zwischen 
„Lütke“ und ,Lüttke“ Der Künstler signiert „Lütke“ (Ansicht von Tivoli, StadtschloB Potsdam). 

7) Festschrift, S. 85. 

8) „Herr Lütke ist unser Ruisdael“, Berlinische Zeitung vom 27. Okt. 1826 (Nr. 252). 


434 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Der Liebethaler Grund 


D National-Galerie, Berlin 


geblieben. Lütke hat seine Verdienste, auch sie sind vergessen worden. Eine bloße 
Erwägung sichert Lütke das Anrecht, in den Annalen der deutschen Kunstgeschichte 
genannt zu werden. Er warf 1816 (!) die Frage auf: „In wiefern lassen sich die lokal- 
grünen Farben der Natur unbeschadet der Wirkung und Täuschung in einem Land- 
schaftsbilde anwenden, und wo mag die Gränze dieser Anwendung liegen?“ !) 
Er begnügte sich nicht mit einer theoretischen Beantwortung sondern versuchte 
mit Farbe und Pinsel eine Lösung zu finden. Das Bild stellte eine ideale Land- 
schaft „im vaterländischen Styl“ vor. Es ist verschollen, gewissen Ersatz bietet 


1) Katalog der akad. Ausstellung von 1816, Nr. 17. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 435 


KARL BLECHEN: Motiv aus der sächsischen Schweiz (Olstudie) 
D Bes.: C. Brose, Berlin 


eine 1824 gemalte Ansicht von Tivoli’). Neben den Prospekten seines Lehrers Hackert 
mutet das Werk Lütkes mit seinem gedämpften Licht und seinen von Reflexen 
aufgehellten Schatten wie das Werk eines Pleinairisten an. Die älteren Bilder Lütkes 
unterscheiden sidi kaum von Hackerts „Veduten“. In einer Landschaft von Glienicke, 
datiert 1803 °), ahmt Lütke Ruisdael und Hobbema nach, in einem Bilde des Nemisees ) 
Claude Lorrain und Jan Both. Im akademischen Unterricht befolgte Lütke streng die 
Methode Hackerts, für den Akademieprofessor blieb Hackerts „Anweisung“ *) das Evan- 
gelium der Kunst. „In den Wintermonathen“ übten die „Eleven nach Zeichnungen des 
Lehrers“ die verschiedenen Charaktere der Bäume’), in den „Sommermonathen“ 
erprobten sie die erlernten Manieren an Motiven aus der Natur‘). Fortgeschrittene 
durften ausnahmsweise Bilder des Lehrers kopieren. Ahlborn’), wie Blehen Schüler 
Lütkes, erzählt mit Stolz, daß er die Solfatara mit dem Golf von Bajae, das erste 
größere Werk des Meisters kopiert und es „binnen acht Tagen für eine ziemlich 
hohe Summe“ verkauft habe. Im Zeichnen kamen die wenigsten über die berüchtigten 
Hackertschen Schnörkel hinaus. Die Baumstudien °) Blechens aus dieser Zeit bilden 
keine Ausnahme, auch sie zeigen den nüchternen kraftlosen Hackertstil. 


1) Datiert, StadtschloB zu Potsdam. 

*) Daselbst. 

3) Akademie d. K., Berlin. Abgeb. im Kat. d. Jahrh.-Aust. 1906, Bruckmann, Nr. 1088. 

4) „Über Landschaftsmalerei. Theoretische Fragmente“, hersgg. von Goethe. S. Goethes 
Werke, Deutsche Nationalliteratur. Hist.-krit. Ausg. Band 27, S. 272 ff. 

5) Festschrift, S. 84. 

6) Daselbst. 

7) Leben des Malers Wilhelm Ahlborn von W. Sander, nach Ahlborns Tagebuch dar- 
gestellt. 2. Aufl. Nördlingen 1892. S. 7 u. 9. 

8) Handzeichnungen Blechens in der National-Galerie. 


436 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


C. C. DAHL: An der Elbe (Abend, Olstudie) 


O National-Galerie, Kristiania 


Dresden und die sachsische Schweiz erfreuten sich als Ziel von Studienfahrten 
bei den deutschen Landschaftern großer Beliebtheit. Aus dem unfernen Berlin wurden 
häufig Reisen dorthin unternommen. Natur und Kunst hatten dieses Land mit Schätzen 
reih beglückt. Das malerische Stadtbild, das sich in den Fluten des Elbstromes 
spiegelte, Dresdens Kirchen und Paläste, seine Sammlungen lockten die Künstler in 
Scharen an. Zur Galerie mit den Werken Ruisdaels und Everdingens pilgerten die 
Landschaftsmaler, auf Goethes Wegen, wie zu einem Heiligtum. Und wenige Meilen 
vor den Toren der Stadt lag das Wunderland: die sächsische Schweiz mit ihren zer- 
klüfteten, senkrecht aus der Ebene aufsteigenden Felsen, ihren düsteren Schluchten, 
Höhlen und brausenden Wasserfällen. 

Im Juni!) 1823 schnürte Blechen sein Ränzel und brach nach Dresden auf. In 
der Tasche trug er ein Handschreiben des Stadtrat David Friedländer an seinen Freund, 
den Maler Professor Christian Claussen Dahl °). 


1) Prof. Dr. L. v. Donop, Der Landschaftsmaler Karl Blechen. Mit Benutzungen von Auf- 
zeichnungen Theodor Fontanes. Berlin 1908, S. 16. Ohne weitere Quellenangabe. Eine Reise 
B.s nach Dresden ist für die Monate Juli, August und September durch Skizzen Blechens und 
das Tagebuch des Malers C. C. Dahl bezeugt, vergl. Anm. 2. 

*) Andreas Aubert, Professor Dahl. Et Stukke af Aarhunderts Kunst — og Kulturhistorie, 
Kristiania, 1893. S. 197. Dieses Werk, enthaltend das Tagebuch Dahls, und sein Ergänzungsband 
„Den nordische Naturfolelse og Professor Dahl, Kristiania 1894“, die wir in folgendem als Aubert, 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 437 


Dahl gehörte zu den gefeiertsten Landschaftsmalern, mit Berlin verbanden ihn 
enge Beziehungen.') Als er im September 1818, von Kopenhagen kommend nach 
Dresden fuhr, verweilte er auf der Durchreise zehn Tage in Berlin. Bei Friedlander 
hatte er gastlihe Aufnahme gefunden, dur Buchhorn in den Berlinischen Künstler- 
verein eingeführt, eine Reihe Maler, unter ihnen Hampe, Völcker und Weitsch kennen 
gelernt. In den folgenden Jahren kamen wiederholt Bilder Dahls nach Berlin: die 
berühmte Schloßruine von Tharandt zierte 1820 die Ausstellung des Kunstvereins, 
sechs andere Werke 1822 die akademische Ausstellung. Die Malerin und Schrift- 
stellerin Amalie von Helvig hatte aus Dresden Bilder Dahls nach Berlin gebracht, um 
sie Freunden und Bekannten zu zeigen. 

Wo immer Werke Dahlis erschienen, entstand Verwunderung. Benoni Fried- 
länder, der Sohn des Obengenannten, schreibt Dahl auf eine Anfrage über die Aufnahme 
seiner Bilder in Berlin, Schinkel, Lütke, Zimmermann u. a. hätten die Werke in der 
Ausstellung des Kunstvereins gesehen und sidi sehr darüber gewundert. In Dresden 
nahmen die maßgebenden Kreise Dahl zunächst nicht ernst. Ludwig Richter erzählt, 
daß Dahlshe Werke bei ihrem ersten Erscheinen in Dresden von den älteren 
Akademikern mit Kopfschütteln und mit Lächeln empfangen wurden’). 


Nicht allein der Wunsch, Dahl kennen zu lernen, führte Blechen in sein Haus 
an der Elbe 33%). Es wohnte dort noch ein anderer berühmter Maler, der mit Dahl 
befreundet war, der Professor Caspar David Friedrich $). | 

Friedrichs Name bedeutete eine Parole. Unter den Berliner Künstlern gab es 
wohl niemand mehr, der nicht für oder gegen ihn Partei ergriffen hätte. Heinrich 
von Kleist wagte es schon 1810, für Friedrich einzutreten, als er die Meereslandschaft 
mit dem Mònd in Berlin ausstellte °). 


Kleist hatte 1811 sein trauriges Ende gefunden, seitdem hatte sich wie in der 
Politik in der Kunst manches geändert. Die Romantik herrschte über den Rationalismus 
auf der ganzen Linie, an die Pforten der Berliner Akademie klopfte Tieck an. Mit 
Schrecken nahm Lütke das Umsichgreifen der mystischen Tendenzen wahr ‘), sein Wider- 
spruch konnte die Entwicklung nicht aufhalten. 


Dahl I und II zitieren, geben ganz neue Gesichtspunkte für die Beurteilung der Blechenschen 
Kunst. Den Namen Blechens verändert Dahl in „Bleken“. 

1) Aubert, Dahl I. S. 59, 60, 70, 71, 174, 175. Über Tharandt s. auch S. 440, Anm. 1. 

3) L. Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. IV. Aufl. Frankfurt a. M. 1886. S. 53. 

5) Aubert, Dahl I, S. 177. 

4) Daselbst S. 179. Friedrich wohnte in dem Hause seit dem Jahre 1820. 

5) In den Berliner Abendblattern vom 13. Oktober 1810 findet sich ein lesenswerter Auf- 
satz „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft*. Die Kenntnis der Stelle und Identifizierung 
des Bildes verdanke ich einer freundl. Mitteilung von Aubert. Über Brentanos Autorschaft und 
die Bearbeitung, die der Aufsatz durch Kleist erfuhr, — der Artikel ist mit cb unterzeichnet — 
siehe R. Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe, Berlin 1901, S. 262 ff. 

6) Er schilt in einem Bericht von 1815 über seinen Schüler Wiese: „es scheint, als habe 
derselbe mehr Behagen an den jetzt herrschenden mistischen Prinzipien in den Kompositionen 
als an den ungekünstelten und gefälligen Wahrheiten der Natur, daher ist er auch ein großer 
Verehrer seines ersten Lehrers, des Herrn Friedrich in Dresden.“ (April 1815.) In einem anderen 

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438 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Mondnacht 


o Bes.: C. Brose, Berlin 


Dem Beispiele anderer folgend schloß sich Blechen den Künstlern an, die sich 
um die Fahne Tiecks scharten. Alle Werke Blechens, die auf die Dresdener Reise 
zurückgehen und viele der späteren stehen unter dem Einfluß der Dresdener Roman- 
tiker. Bald übernimmt Dahl, bald Friedrich die Führung Blechens, Dahl blieb ihm 
ein treuer Ratgeber bis an sein Ende. 

Das unvollendet gebliebene Hauptwerk Blechens (Abb. S. 434), das dem Besuche 
Dresdens und der sächsischen Schweiz seine Entstehung verdankt, vereinigt in sich die 
Einflüsse der beiden Dresdener Künstler. Nach der Bezeichnung der 1823 datierten 
Skizze stellt das Bild!) den „Liebethaler Grund“ dar, „gesehen von der Lohmühle nach 
der Rabentaufe“. In seiner Empfindung, Farbe und Technik entspricht es Bildern wie 
etwa Dahls Waldba von 1819 aus der Dresdener Galerie oder der norwegischen 
Landschaft Dahls von 1822 in der Hamburger Kunsthalle, in der Zeichnung Werken 
Friedrichs wie dem „Kreuz im Gebirge“ des Grafen von Thun und Hohenstein (Teschen, 
Böhmen) von 1808 oder dem um 1814 gemalten Felsental der Bremer Kunsthalle ?). 


Schriftstück (April 1816) heißt es mit Bezug auf Wiese: „da ich ihm in dieser Art von Produktion 
nicht ferner nützlich sein kann, so werde ich ihn auch künftig nicht weiter als einen Eleven auf- 
führen“. Festschrift, S. 85. 

1) Skizze und Bild in der National-Galerie. Das Bild trägt im Katalog von 1908 die 
Nummer 620. 

2) Kat.-Nr. 111. Erst kürzlich von F. Bechley, Berlin, erworben. In der Hamburger Kunst- 
halle ein ähnliches Bild, das ebenfalls zum Vergleich herangezogen werden kann. Das Bild in 
Bremen ist, laut freundlicher Mitteilung Auberts, kurz vor 1814 entstanden. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 439 


Blechens ,Liebethaler Grund“ erfüllt alle Forderungen, die Carus als Sprecher 
des Tieckschen Kreises an das Werk des Landschafters stellt’). Es ist ein ,Erdleben- 
bild“ ganz im Sinne der Romantiker: Zwischen Felsen gleitet über Klippen der Bach 
zu Tal, Regenwolken verhüllen den Himmel. Am Horizont ein heller Streifen, der 
letzte Gruß des Tages. Flackernde Lichter huschen über den Wasserspiegel. Keines 
Menschen, keines Tieres Laut unterbricht die feierliche Stille. Man hört nur das 
Plätschern des Wassers und das Säuseln des Windes. 

Bach und Felsen erzählen die Geschichte von Jahrtausenden, im Rauschen der 
Bäume spüren wir den Odem Gottes. So ist ein „Moment des Erdlebens“, eine 
„Szene in ihrem inneren Sein“, l 
ihrer inneren Bedeutung nach 
festgehalten, und aus „einem 
Gefühl“ die „Stimmung aller 
Theile“ des Kunstwerkes abge- 
leitet ?). 

In Farbenstudien, die Blechen 
nach der Natur malte, bekennt 
sich noch offener als in diesem 
Werke der Schüler Dahls. Die 
schon von Lichtwark gerühmte 
Studie nach Bergen der sädisi- KARL BLECHEN: Der Maler auf der Studienreise 
schen Schweiz”) (Abb. S. 435) o Bes.: C. Brose, Berlin 
könnte fast von Dahl selbst ge- 
malt sein. In ihrer Auffassung stimmt sie mit Studien Dahls überein wie der Ansicht 
vom Golf von Neapel vom 5. Januar 1821“), der Skizze des Vesuvs bei Gewitter- 
stimmung vom 15. Januar 1821) und der Aussicht auf die Elbe vom 30. Mai 1822 °) 
(Abb. S. 436). Blechen hatte Dahls Studien in Dahls Atelier studiert, sie lagen dort, 
in Mappen aufgestapelt, zu Hunderten °). | 

Genau wie bei Dahl stehen bei dem jungen Blechen neben Ausschnitten 
aus der Natur, Farbenstudien voll warmen zitternden Lebens, „Kompositionen“: 
Bilder oder Bildentwürfe, die mit der Natur kaum Berührungspunkte gemein haben. 

Bei Blechen nehmen die Kompositionen häufig einen grotesk-phantastischen 
Charakter an. Ein kleiner, braun in braun gemalter Entwurf °) (Abb. S. 438), bezeichnet 


1) Carus, Briefe über Landschaftsmalerei, 1835, 

2) Daselbst, Seite 254—257. 

3) Lichtwark, Studien Bd. II, Seite 137. 

*) Kristiania, National-Galerie. Vergl. Jahrh.-Aust. Kat. Bruckmann, Nr. 321. 

5) Kristiania, Nat.-Gal., Handkatalog der Jahrh.-Aust. Nr. 303. 

6) Kristiania, Nat.-Gal., Handkat. d. Jahrh.-Aust. Nr. 317. 

*) Aubert, Dahl I, S. 175. Dahl hatte von seiner italienishen Reise allein zweihundert 
ausgeführte Handzeichnungen mitgebracht. Vergl. Dahl II. S. 109. 

8) Besitzer C. Brose, Berlin. Ich mödıte schon an dieser Stelle Herrn C. Brose, der mir 
aus dem Nachlaß seines Vaters eine Reihe von Blechenschen Skizzen, Studien, Bildern und Briefen, 
betreffend Blechen, zur Verfügung stelite, meinen verbindlichsten Dank aussprechen. 


440 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Entwurf zu einer Theater-Dekoration 


O National-Galerie, Berlin 


„Dresden 18. July 23“, führt uns in stürmischer Nacht hinaus an das Ufer eines Berg- 
sees. Der Mond bescheint kahle Felswände, sein fahles Licht zittert auf unruhigen 
Wellen. Vor der Mondscheibe die schwarze Silhouette einer zerstörten Burg. Am Ufer 
steht sinnend ein Greis mit langem wallenden Bart: eine Bürgersche Ballade. — Die 
Ruine läßt die Herkunft des Motivs erkennen, sie erinnert an Tharandt und an das 
gleichnamige Bild Dahls vom Jahre 1819'). 

Die Skizze Blechens zum „Liebethaler Grund“ gehört zu einer Reihe von 
Zeichnungen, die in den malerischen Schluchten der sächsischen Schweiz entstanden 
sind. Das Ränzel auf dem Rücken, auf dem Kopf den hohen Hut’), wanderte 
Blechen mit dem Skizzenbuch durch den Plauenschen ?) und Ottowalder *) Grund 
Zwischen moosumsponnenen Blöcken rauscht der Bach, der Himmel lugt von 
oben durch die Tannen. — Dresdens stolze Bauten zogen das Auge des Malers 
an: von der Elbbrücke, der Hofkirche und Frauenkirche nahm Blechen flüchtige Skizzen 


!) Kristiania, Nat.-Gal. Näheres über das Werk bei Aubert, Dahl II, S. 64. 
2) Aquarell im Besitz von C. Brose, Berlin. Der rote Backenbart ist deutlich zu erkennen. 
5) Angetuschte Bleistiftzeichnung, bez.: „Plauenscher Grund d 28 July 23.“ Berlin, Nat.-Gal. 
1) Federzeichnung, bez. ,Ottowalder Grund 10 Aug. 1823“ und Federzeichnung, bez. 
„Ottowalder Grund 19. Aug. 1823“. Die Schriftzüge verraten noch eine „kaufmännisch geschulte 
Hand“. Beide Zeichnungen in der Nat.-Gal. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 441 


auf. Eine Reihe sorgfältig ausgeführter Zeichnungen nach Architekturmotiven brachte 
ihm ein längerer Aufenthalt in Meißen ein’). Der Dom, in Norddeutschland eines der 
schönsten erhaltenen Denkmäler’ der „vaterländischen“ Bauweise, fesselte sein besonderes 
Interesse, wie er schon 1803 Runges Begeisterung erweckt hatte °). Runge meinte da- 
mals, vielleicht erfinde er noch einmal eine neue Baukunst, die wäre aber „gewiß mehr 
eine Fortsetzung der Gothischen wie 
der Griechischen“ °). 

Der Akademie und ihrem Geiste 
entfremdet kehrte Blechen nach Berlin 
zurük. Er scheint den Besuch im 
Atelier Lütkes bald aufgegeben zu 
haben, mußte er doch empfinden, 
daß er ihn nicht weiter fördern 
konnte. Der Ernst des Lebens trat 
aufs neue an Blechen heran, da 
seine kleinen Ersparnisse erschöpft 
waren. Mit der Herstellung von 
Theaterdekorationen dachte er sich 
durchzuschlagen, als ein unerwartetes 
Ereignis ihn mit einem Mal der 
Sorgen um den Unterhalt befreite. 

Arbeiten des jungen Künstlers, 
die Schinkel vorgelegt wurden, er- 
regten dessen lebhaftes Interesse °). 
Als sich die Verwaltung des neu 
errichteten Königstädtishen Thea- 
ters “| an ihn mit der Bitte wandte, 
ihr einen Dekorationsmaler zu emp- 
fehlen, schlug er Karl Blechen vor’). „Um eine gewisse Existenz zu erlangen“ 
nahm Blechen die Stelle an 6), | 

Das Repertoire umfaBte Spieloper, Lustspiel, Schwank und Posse. Die meisten 
Stücke sind heute nicht mehr dem Namen nad bekannt, nur Boildieus und Scribes 
„Weiße Dame“ wird noch gegeben, Körners grünen Domino kennen wir aus der 
pucratungescucile. Die Theaterzettel “) des Königstädtischen Theaters aus der Zeit 


1) Eine Reihe meist datierter Zeichnungen nach Dresdener und MeiBener Motiven im Be- 
sitz der Berl. Nat.-Gal. 

2) Runge, Hinterlassene Schriften, II, 220; vergl. A. Aubert, Runge und die Romantik, Berlin, 
P. Cassirer, 1909. Seite 62. 

3) Selbstbiographie. 

4) Über das Königstädtische Theater siehe „Berlin 1688—1840. Geschichte des geistigen | 
Lebens der preußischen Hauptstadt von Ludwig Geiger, II. Bd. 1786—1840, S. 501 ff. 

5) Selbstbiographie. 

6) Daselbst. 

7) Vergl. Bericht über die Sitzung der kunstgeschichtl. Gesellschaft vom 10, Januar 1908 
in der Kunstchronik vom 31. Januar 1908. 


KARL BLECHEN: Interieur 
O National-Galerie, Berlin 


442 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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KARL BLECHEN: Skizze zu einem gepanzerten Ritter 
O National-Galerie, Berlin 


vom 4. August 1824 bis zum 7. August 1827 geben in ihren Angaben betreffen die 
Dekorationen eine willkommene Übersicht!) über die Stücke, für die Blechen Entwürfe 
angefertigt hat. Sein Name wird häufig erwähnt, nach den Vermerken hat Blechen 
für etwa dreißig Stücke Dekorationen ausgeführt. 

Im Theaterleben von damals spielt der Zauber eine große Rolle. Aus 
Titeln von Opern wie „i Uhr oder der Ritter und die Waldgeister“ des Eng- 
länders Lewis, Kotzebues „Kluge Frau im Walde“ hören wir Webers „Freischütz“, 
die Oper der Zeit, heraus. Die erste Aufführung, die sie in Berlin erlebte, fand im 
Königlichen Schauspielhaus am 18. Juni 1821 statt?) Das Publikum geberdete sich 


1) Nach v. Donop. Karl Blechen, S.21, nicht ganz vollständig, es fehlt an der Möglichkeit 
einer Nachprüfung. 
*) S. den Theaterzettel des Königl. Schauspielhauses vom 18. Juni 1821. 


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G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 443 


wie toll. „Alles“, schreibt Karoline Bardua!) „war davon elektrisiert. Gleich nach 
der ersten Vorstellung hörte man die Jungen auf der Straße Melodien daraus pfeifen 
und singen. Solchen Success hat wohl selten eine Oper erlebt. Wollte man Plätze 
haben, mußte man den Einfluß aller Theaterautoritäten in Bewegung setzen und sich 
lange gedulden, ehe man das Gewünschte erreichte. In allen musikalischen Gesell- 
schaften ward aus dem Freischütz musiziert. Wohin man sah und hörte: Freischütz! — 
Auf der Ausstellung erschien ein lebensgroßes Bild: Agathe auf ihrem Betstuhl knieend 
am Morgen ihrer Hochzeit °). Überall tauchte die schaurig romantische Gestalt Samiels °) 
auf, in allen Straßen spielten Orgeln den Jungfernkranz und ‚hier im ird'schen Jammer- 
tal‘. Es herrschte eine allgemeine Freischützmanie“. — Sie ist ein Gradmesser für die 
Stimmung der Zeit, geboren aus der Reaktion gegen den nüchternen phantasiefeind- 
lien Rationalismus. Die Not der Zeit hatte das deutsche Mittelalter, die deutsche 
Mystik heraufgeführt. Die Phantasie des Volkes belebten bunte Bilder aus der 
deutschen Vergangenheit: Die machtvollen Gestalten der mittelalterlichen Kaiser und 
Päpste stiegen in seiner Erinnerung auf. Das Andenken an die Römerfahrten, Kreuz- 
züge wurde wach, an Fehden, Turniere und Fastnachtspiele. Aus den zerstörten 
Burgen drang Waffenlärm, Orgelklange mischten sich in den Schrei der Nachtvögel, 
die im Gemäuer der Ruinen nisteten. Zu den Mönchen, Einsiedlern, frommen Pilgern 
gesellten sic Zauberer, Hexen, Vampyre und andere spukhafte Gestalten, — sie wohnen 
im Dunkel der Wälder und Höhlen und lauern in stürmischer Nacht, wenn die Blitze 
zucken und der Donner rollt, dem Wanderer auf. | 
Ausgeführte Dekorationen Blechens sind kaum erhalten, eine Reihe von Ent- 
würfen bewahrt die National-Galerie, andere sind im Privatbesitz verstreut. 
Künstlerisch ist den Arbeiten schwer beizukommen. Sie stellen eben nur Unter- 
lagen für Kunstwerke dar, und diese Kunstwerke gehen in gleicher Weise den Re- 
gisseur wie den Maler an. Auch der kleine Maßstab erschwert die Beurteilung. Der 
Zusammenhang mit Schinkel fällt sofort in die Augen; wir müssen uns mit einer Gegen- 
überstellung der Entwürfe Blechens mit entsprechenden Arbeiten Schinkels begnügen. 
Daß Schinkel, schon damals mit großen Plänen beschäftigt, MuBe und Lust 
gefunden, Blechen persônlid zu unterrichten, ist nicht wahrscheinlich, wir vermuten 
ihn vielmehr in der Werkstatt von Wilhelm Gropius, der im Sinne Schinkels tätig 
war. Gerade damals erlernte der Maler und Sänger am Königstädtischen Theater 
Wilhelm Krause bei Gropius die Dekorationsmalerei*). Erst vor einigen Jahren, 


1) W. Schwarz (Wanda v. Dallwitz), Jugendleben der Malerin Bardua, nach einem 
Manuskript ihrer Schwester, Breslau 1874. Seite 265 ff. 

2) Wohl identisch mit dem Bilde von Eduard Gleich, Katalog der akad. Aust. von 1826, 
Nr. 329: „Fräulein Henriette Sonntag, als Agathe in Webers Oper der Freishütz. Nach dem 
Leben gemalt, ganze Figur in Lebensgröße“. „Eine Szene aus dem Singspiel der Freischütz“ 
behandelte auch die Landschaft „eigener Erfindung“ von Heinrich Stürmer, die 1822 auf der 
akademischen Ausstellung ausgestellt war. Katalog Nr. 93. 

3) Siehe folgendes Heft. 

4) Raczynski (-v. d. Hagen), Geschichte der neueren deutschen Kunst, 1841; Rosenberg, Berliner 
Malerschule, 1879, und Aubert, Dahl I, S. 196. Übrigens war Krause, wie Aubert nachweist, in 
Dresden Schüler Dahls. 


yyy Monatshefte für Kunstwissenschaft 


1822, war eine Folge von Dekorationsentwürfen des Malers Gropius in farbigen Ab- 
bildungen erschienen !). Sie gehörten zum „neuen Styl“, der alte, der „italienische“ Stil, 
Verona und Genossen, galten als 
überwunden. 

Unter der Intendantur des 
Grafen Brühl hatte sih auf dem 
Gebiete der Theatermalerei eine 
umfassende Reform vollzogen. Die 
Seele der Bewegung war Schin- 
kel. Sie nahm ihren Anfang °) mit 
den „perspektivisch-optischen“ Dar- 
stellungen, die er fūr die seit 1807 
von W. Gropius veranstalteten 
Weihnachtsausstellungen anfer- 
tigte. Die Ansichten Schinkels von 
Palermo, Konstantinopel, Jerusalem, 
dem brennenden Moskau ?), die 
bei künstlicher Beleuchtung einer 
staunenden Menge vorgeführt wur- 
den, sind Vorstufen für die Deko- 
rationen zur Zauberflöte, mit denen 
Schinkel 1815 an die Öffentlichkeit 
trat. Sie bedeuten einen Bruch 
mit allem Früheren. Daß die Oper 
nach ihrer ersten Aufführung in 
Berlin am 18. Januar 1816 in 
kürzester Frist zwölfmal vor über- 
fülltem Hause gegeben werden 
KARL BLECHEN: Entwurf zu einem Denkmal konnte, verdankte die Intendantur 

den neuen Dekorationen’). An diesen 
Werken gemessen, erscheinen die Blechenschen Dekorationen künstlerisch wenig bedeutend. 
In Blechens Entwürfen für das Zauberreich überwiegt das Kuriositätsinteresse, das 
historische und ethnographische Empfinden die Stimmung‘), Blechen fehlt Schinkels 
kühne den Weltenraum umspannende Phantasie und die Beherrschung des Mittels. 
Angstlich tastet er umher, der Geist einer verknöcherten Philologie sitzt zwischen den 
Mauern seiner Burgen, Wagner, nicht Faust, blättert in den Pergamenten. 
Bei der Schilderung der Wirklichkeit hat Blechen auch als Dekorationsmaler Wert- 


1) Entwürfe von Schinkel waren bereits früher in Abbildungen herausgegeben worden. 

2) Uber Schinkel als Dekorationsmaler siehe Aufsatz von A. G. Meyer i. d. Zeitschrift Berliner 
Architekturwelt, Jahrgang VI, Heft 11, 12; vergl. dazu A. v. Wolzogen, Schinkel als Architekt, 
Maler und Kunstphilosoph, Berlin 1864. 

3) Abbildg. bei Hermann Ziller, Schinkel, Velhagen & Klasing, 1897, S. 14. 

1) Vergl. H. Makowsky. Karl Blechen, Museum, Band 8. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 445 


volles geschaffen. Zum Besten gehört der Entwurf eines Biedermeier-Interieurs !) (Abb. S. 441). 
Das Blatt ist in seiner Anspruchslosigkeit von intimem Reiz: kühles Tageslicht fällt, 
durch einen Vorhang gedämpft, in den kleinen Raum, es wird zurückgeworfen von 
reinlichen Steinfliesen und hellen Wänden. Eine von Pilastern eingerahmte Wandnische 
nimmt das Sofa auf, vor dem ein runder dreibeiniger Tisch steht, ein Kachelofen mit 
„antiker“ Bekrönung, ein Sekretär, ein Tafelklavier, ein paar Stühle mit altväterisch 
zurückgebogenen Lehnen machen den Raum behaglich. Die treffliche perspektivische 
Konstruktion des Raumes, die einer mathematischen Prüfung Stand hält, ordnet sich 
ganz dem künstlerischen Zweck unter. 

Von den figürlihen Entwürfen Blechens ragt der Entwurf zu einem Theater- 
vorhang mit drei Musen °) durch die Geschlossenheit der Komposition hervor, die 
Zeichnung eines gepanzerten, weit ausschreitenden Ritters?) erhebt sich zu monu- 
mentaler Größe (Abb. S. 442). Eine Vorahnung Hodlers. 

Etwa gleichzeitig mit der Skizze des Ritters mag ein Entwurf Blechens für ein 
Denkmal‘) entstanden sein, dessen Sockel die Jahreszahl 1825 tragf*). Die Skizze 
zeigt den Erdball zwischen zwei weinenden Frauen in antiken Gewändern, in einer er- 
weiterten Fassung (Abb. S. 444) umgeben fünf klagende Frauen die Erdkugel. Der Sinn 
der Darstellung ist nicht ganz klar. Es liegt nahe, in ihr eine künstlerische Huldigung 
an die Helden des griechischen Freiheitskrieges ®) zu vermuten, der damals die ganze ge- 
sittete Welt zur Begeisterung für das mutige Griechenvolk hinriß, aber der Deutung 
im einzelnen stehen Schwierigkeiten im Wege‘). Die formale Lösung der Aufgabe 
macht Blechens architektonishem Sinn alle Ehre. Der Rhythmus der Komposition, die 
Anmut der Verhältnisse und Linien durften den Neid selbst der Bildhauer vom 
Fach erregen. 


') Nat.- Galerie. 

2) Melpomene, Polyhymnia, die dritte vermutlich Thalia. In der Nat.-Galerie. 

*) Daselbst. 

4) National-Galerie, Handzeidinungenkatalog Nr. 155, daselbst angeführt als ,Grabdenkmal*. 

*) Schwer leserlich, wurde von Dr. B. Schröder, Berlin, entziffert. 

e) In das Jahr 1825 (auf den 1. Dezember) fällt der Tod Alexanders von Rußland, der 
den Griedien Rettung brachte. Belagerung Missolonghis Mai 1825 bis April 1826. 

*) Wenn die fünf Frauen (nicht vier, wie im Katalog der National-Galerie angegeben) die 
fünf Erdteile darstellen, so fragt sich, wer, bzw. was unter den beiden Frauen des anderen 
Entwurfes. zu verstehen ist. Eine dekorative Skizze in Öl (Nat.-Gal., angeführt im Hand- 
zeichnungs Katalog unter Nr. 223 als „Grabdenkmal im Gestrüpp“) gibt das Denkmal in ver- 


shwommenen Umrissen wieder. 
(Fortsetzung folgt im nädisten Hefte.) 


Cy 


STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


DAS PISA-RELIEF DES MUSEO 
PIO-CLEMENTINO 


Im Heft 1,2, Seite 43, des I. Jahrganges dieser 
Zeitschrift hat Ernst Steinmann ein Relief des 
Museo Pio-Clementino reproduziert und seinen 
Inhalt auf Grund einer analogen Darstellung 
Vasaris in der Sala di Cosimo im Palazzo Vecchio 
zu Florenz richtig gedeutet, zugleich auch auf Grund 
stilistischer Untersuchung den Känstler in der Per- 
son des Bartolommeo Ammanati bestimmen zu 
können geglaubt. Es ist Steinmann dabei ent- 
gangen, daß Vasari eine Beschreibung des Re- 
liefs selber gibt und auch den Namen des Künst- 
lers nennt. Er schreibt im Leben des Pierino 
da Vinci: „Er begann darauf eine Szene in 
Marmor, von einer Elle Höhe und 1'/ Ellen 
Länge, in halbem und flachem Relief; der Gegen- 
stand ist die Stadt Pisa, welche von dem Her- 
zoge wiederhergestellt ist. Auf dem Werke ist 
dieser selber bei der Wiederherstellung der Stadt 
anwesend und beschleunigt sie durch seine Gegen- 
wart. Rings um den Herzog sind seine Tugen- 
den abgebildet, und sonderlich eine Minerva, 
welche die Universität und die von ihm in der 
Stadt Pisa wieder aufeıweckten Künste ver- 
körpert; und sie ist rings umgeben von vielen 
Übeln und den von Natur vorhandenen Mängel 
der Gegend, die als Feinde sie von allen Seiten 
belagern und heimsuchen. Von allen diesen ist 


dann die Stadt durch die genannten Tugenden 
des Herzogs befreit worden. Alle die Tugenden 
rings um den Herzog und alle die Übel rings 
um Pisa waren in sehr schöner Manier und in 
sehr schönen Bewegungen von Vinci in seinem 
Relief dargestellt; aber er ließ es unvollendet, 
zum großen Bedauern des Beschauers wegen 
der Vollkommenheit der fertigen Teile.“ 

Die Identität des von Vasari beschriebenen 
Stückes mit dem Relief des Museo Pio-Clemen- 
tino wird nicht bezweifelt werden können; die 
Maßangaben in Ellen, wie immer von Vasari 
als ungefähre GròBenbezeichnung gegeben, ent- 
sprechen ziemlich der wirklichen Größe von 73 
zu 106 cm. Stilistisch hängt das Pisa-Relief 
durchaus mit dem Ugolino-Relief zusammen, 
wobei man aber nicht an das aus abgenutzter 
Form gewonnenen Stucco des Museo Nazionale 
zu Florenz mit seinen verschwommenen Formen, 
sondern an das Bronzeoriginal zu denken hat. 
Nach Vasari hat Pierino das Relief nicht voll- 
endet; heute präsentiert es sich als fertige Arbeit, 
es ist aber nicht schwer die scharfkantige und 
ekige Formgebung des spätren Fertigstellers 
zu erkennen. — Das von Steinmann auf dem 
Relief erkannte Porträt Ammanatis dürfte, da 
seine diese Feststellung begründende Autor- 
bestimmung nicht zutrifft, nicht als solches an- 
gesehen werden können. 

Adolf Gottschewski. 


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REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FUR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstraße 2. 
Verantwortlich fiir die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. 


Zweigredaktionen: 


Fir Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, UhlandstraBe 44. 

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Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. — Agent exclusif pour 
la France: FREDERIC GITTLER, éditeur, Paris, 2 rue Bonaparte. 


Herausgeber: DR. GEORG BIERMANN 
Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Heft 10 


Zwei mittelalterliche Plastiken des Märkischen 


Museums 
Von Friedrich Wolff 


Die Sammlung kirchlicher Altertümer im Märkischen Museum enthält der Mehr- 
zahl nach Stücke von mittlerem und geringem Werte, die ihre Aufnahme in eine öffent- 
lie Sammlung weniger wissenschaftliher Kritik als dem Zufall verdanken. Mitten 
unter sie aber hat dieser Zufall auch einige wenige Denkmäler getragen, die nicht nur 
zum besten gehören, was die Provinz Brandenburg in ihren Kirchen besaß, und nach 
diesem Maßstab gemessen sein wollen, sondern weit über ihn hinaus im allgemeinen 
kunstgeschichtlihen Zusammenhang volle Würdigung verdienen. 

Im Jahre 1876 kam aus der Kirche St. Nikolai in Spandau eine Figur der 
Maria mit dem Kinde, die jetzt an einem Pfeiler der groBen Halle im Neubau des 
Museums ihren leidlich günstigen Standort gefunden hat, während sie bei den bisherigen 
Aufstellungen mit den denkbar schlechtesten Plätzen an Pfeilern zwischen Fenstern sich 
hatte begnügen müssen. So blieb sie all die Zeit hindurch unbeachtet und auch dem 
kundigen Auge entzogen. Es ist eine Statue aus feinkörnigem Sandstein, 1,54 m hoch. 
Die Art ihrer jetzigen Aufstellung entspricht wohl der ursprünglichen, denn die Rück- 
seite ist, mit Ausnahme des Hinterkopfes, flach und grob behauen. Die Haltung der Gestalt 
ist ruhig, nur leise geschwungen. Die Last ruht auf dem linken Fuß, der rechte ist ohne 
Beugung des Knies zur Seite gestellt. Die Verhältnisse von Ober- und Unterkörper sind 
wohl erwogen, die Erscheinung im ganzen scimäcitig mit ihren steil abfallenden 
Schultern; die flache, doch leise schwellende Brust der eher mädchen- als frauenhaften 
Madonna wirkt deutlich hervor unter dem kollerartig anliegenden Untergewand. Der 
fast eiförmige Kopf ist mit der Masse des Rumpfes durch die Konturen des senkrecht 
auf die Schultern fallenden Kopftuches vereinigt. Das weiße Tuch liegt leicht auf dem 
blonden Haar, in der Bewegung seiner gewellten Säume die Linien der dünnen Haar- 
strähne begleitend. Haar und Kopftuch zusammen bilden in ihrer graziösen Bewegt- 
heit den Gegensatz zu den kantigen, härtlihen Formen des Gesichts, in dem die 
Plastik nur die Hauptverhältnisse feststellt, während die Durchbildung in den Einzel- 


heiten der Malerei überlassen ist. Charakteristisch für dieses Gesicht ist die leicht ge- 
| | 35 


448 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


bogene Nase und das stark nach vorne gezogene leicht gerundete Kinn; die flache 
Stirn, der Nasenrücken und das Ende des Kinnes liegen nahezu in einer Schicht. Der 
Typus der Züge läßt fast an ein slavisches Modell denken, ein Eindruck, der durch 
die starken Backenknochen noch verstärkt wird, die Ober- und Untergesicht und 
Wangenflächen, plastisch fast übergangslos, in große getrennte Flächen zerlegen. Wie 
das Gesicht entbehren auch die Hände der Weichheit und zarteren Durchbildung, ja 
die Konturen der Finger erscheinen noch härter und schärfer. Als dünn und knochig 
wirken audi die eng an den Leib genommenen Arme mit ihren schwachen Gelenken 
durch die Ärmel hindurch. So ist die ganze Masse der Gestalt eng und ohne Ein- 
schnitte zusammengehalten. Nur das Kind ist, wie zur Betonung seiner selbständigen 
Existenz, abgerückt und in eine etwas geneigte Achse gestellt, daß ein tiefer Einschnitt 
zwischen seinem Körper und dem der Mutter entsteht. Sein Kopf ist runder als der 
der Maria, mit kurzen, braunen Léckchen bedeckt, die einzelnen Partien des Gesichts 
und der Hände doch ein wenig elastischer und minder scharf als bei der Mutter durch- 
gebildet. 

Im Gegensatz zu den graden Umrißlinien des Oberkörpers ist der Unterkörper 
der Figur belebt vom reichen Faltenzug des Mantels. Das Gewand darunter stößt in 
parallelen scharfrippigen Falten, nur unten in einer Knickung gebrochen, auf den 
Boden auf. Rechts entstehen die parallelen Stufenfalten des Mantels, indem ihn die 
Linke, die das Kind trägt, nach oben zieht. 

Den Wert dieser reizvollen Figur erhöht die Erhaltung ihrer alten Bemalung. 
Das Untergewand der Madonna ist goldbraun mit etwas dunkleren Borten besetzt. 
Der Mantel in seinem Blaugrün, dessen Pracht jetzt etwas verblaßte über das Ganze 
verstreute goldene Kreise und Quadrate erhöhten, zusammen mit dem Fleischrot 
des Futters bildet eine kompakte Masse tiefer, schwerer Farben, die gleichsam als 
Sockel wirkt für die hellere obere Hälfte, die von dem lichteren Braun des Unterge- 
wandes bis zum Weiß des Kopftuches sich immer weiter aufhellt. Das Kind trägt ein 
Kleid von dunklem Violett, mit braungoldenen Sternen und Säumen verziert, wird 
also durch die Farbe mit der Hauptmasse zusammengehalten. Die Bemalung der 
Gesichter ist, von Augen und Augenbrauen abgesehen, fast nur angedeutet in einem 
gelbbräunlichen Fleischton mit griinlichen Lichtern. Lippen- und Wangenrot sind hel 
und nur leicht angedeutet. 

Eine rund um den Kopf der Maria über der Stirnlinie hinlaufende Rille deutet 
darauf hin, daß diese vielleicht eine Krone trug, mit deren Befestigung dann wohl 
auch ein 5 cm tiefes konisches Loch im Scheitel in Zusammenhang steht. 


Dem 14. Jahrhundert verdankt die Spandauer Nikolaikirche hervorragende Teile 
ihrer inneren Ausschmückung, die erst bei der Einführung der Reformation verloren 
gegangen sind. Die Akten einer Kirchenvisitation von 1541 nennen allein fünf Altäre, 
deren Stiftung im XIV. Jahrhundert erfolgte, deren vier in der ersten Hälfte!). Ist die 
Aufzählung richtig, so wurden allein im Jahre 1330 zwei Marienaltäre errichtet, deren 


1) Urkundliche Geschichte der Stadt und Festung Spandau, bearbeitet von Dr. Otto Kuntze- 
müller, Spandau 1881, S. 150ff. 


F. Wolff. Zwei mittelalterliche Plastiken des Markischen Museums 449 


einer „beatae Mariae virginis et privatarum 
horarum“ in der Marienkapelle, der heutigen 
Sakristei unter dem Patronat des Rates stand, 
während der zweite als Frühmessealtar privater 
Stiftung seinen Ursprung verdankte. Der Marien- 
kult stand danach in großem Flor. Um die- 
selbe Zeit oder nicht viel später muB die Auf- 
stellung unserer Marienfigur erfolgt sein, ver- 
mutlih wohl auch in der Marienkapelle. 

Diese Figur weist auf einen der Wege, 
auf dem um diese Zeit und gewiß noch lange 
nachher Kunstwerke in das Landöstlih der 
Elbe kamen, in allen den Fällen, in denen 
man sich mit der mäßigen, wenn überhaupt 
vorhandenen provinziellen Produktion nicht 
begnügen wollte. 

Die Nikolaikirche war schon im XIII. Jahr- 
hundert im Besitz des Benediktinerinnen- 


Nonnenklosters und dieses Verhältnis bestand. 


nad Kaiser Karl IV. Landbuch auch in der 
zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts noch 
fort.) Durch sein Bistum Brandenburg oder 
audi direkt unterhielt das Kloster wohl eine 
starke Verbindung auch in Dingen der Kunst 
zum Erzstift in Magdeburg. 

Im Querhaus des Magdeburger Domes 
im nördlichen wie im südlichen Schiff steht je 
eine Figur der Maria aus der ersten Hälfte 
des XIV. Jahrhunderts.?) Die größere der beiden 
an einem Pfeiler des südlihen Querarms, aus 
Sandstein, übertrifft die Spandauer Madonna 
um fast !/, m.*) Von diesem Unterschied und 
einigen wenigen Abwandlungen und Bereiche- 
rungen im unwesentlichen Detail abgesehen, 
ist die Verwandtschaft der beiden Figuren so 
erstaunlich, daß der Schluß, sie müßten beide 


Märkisches Museum, Berlin o 
Orig.-Aufn. v. Dr. Fr. Stoedtner-Berlin 


aus derselben Werkstatt, ja aus derselben Hand hervorgegangen sein, zwingend erscheint. 
Zunächst ist die Erscheinung fast dieselbe. Hier wie dort der ein wenig lange Unter- 
körper, der etwas kurze Oberleib. Die größte Ahnlichkeit in der charakteristischen 


1) Fidicin, Kaiser Karl IV. Landbuch der Mark Brandenburg, S. 30. 


2) Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 100. Schnaase, Geschichte der bildenden 


Künste, Bd. VI, S. 50f. 
3) Höhe 1,82 m. 


450 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Bildung des Kopfes mit den breiten Flachen, den hohen Augenbrauen, der leicht 
gebogenen Nase, dem vorgezogenen Kinn. Das Standmotiv völlig gleich, ebenso 
die Art, wie das Kind getragen wird und wie es sich hält, sein ein wenig un- 
sicher balancierendes Sitzen auf dem untersten Teil des Unterarms mit völlig ge- 
radem Rücken. Das Kind scheint der Doppelganger des unsrigen. Auch das Gewand 
ist im Faltenmotiv identisch, nur daß in Magdeburg nicht die Hand, die das Kind 
trägt, den Mantel hinaufzieht und die vier Wellen des Seitenumrisses verursacht, 
sondern die miissige Rechte, in der die Spandauer Madonna einen Apfel halt. Die 
Faltengebung läßt die völlige Übereinstimmung bis in die S-förmigen Lagerungen 
im AufstoBen des Unterkleides, bis in die Wellen und Spiralen im Kopftuch verfolgen. 
Auch die Magdeburger Figur steht noch im Schmuck der schönen, alten Bemalung, die 
Farbenstellung ist hier und dort dieselbe. Nur ist aus dem Blaugrün des Mantels in 
Magdeburg ein Grünlichgrau geworden, das das Gesamtverhältnis der Farben nicht 
ändert. Völlig gleich sind beide Figuren in den Borten des Mantels, in denen helle 
Quadrate mit fünf dunklen dominoartig angeordneten Punkten die dunkleren Streifen 
unterbrechen. Reicher ist die Magdeburger Figur durch einen Kleeblattsaum am Unter- 
gewand Marias, durch einen gemalten Brustshmuck am Kleid des Kindes. Wie sie 
überhaupt in ihrer besseren Erhaltung!) mit der lebhaft wirkenden Goldmusterung der 
Gewänder und des Kopftuches glänzender wirkt. 

Ich halte die Magdeburger Maria für die jüngere der beiden. Die Durchbildung 
des Gesichts und der Hände ist formenreicher, mehr am Detail verweilend, gefälliger 
Die Hände sind voller und rundlicher, an Übergängen reicher, nicht mit der gleichen 
Unbedenklichkeit Flächen gegen Flächen gesetzt. Aber gerade darum steht die Figur 
in Magdeburg auch an Frische und Kraft des Eindrucks hinter der naiveren, mehr 
archaistischen Spandauer Madonna zurück. Besser, lebendiger erscheint die Beziehung 
von Mutter und Kind in Magdeburg; aber auch das spricht dafür, daß diese Figur die 
etwas spätere ist. 

Ohne weiters kann man sagen, daß die Spandauer Maria nicht nur das beste 
erhaltene Stück Steinplastik des XIV. Jahrhunderts ist, das auf brandenburgischem 
Boden seinen Standort fand, sondern daß sie zu den reizvollsten Denkmälern der Zeit 
— und nicht nur in der norddeutschen Tiefebene -— gehört, die ein Museum besitzen 
kann. Ein glücklicher Zufall hat sie bewahrt. Man hat ihr, wie die Überlassung an 
das Museum bezeugt, keine Beachtung geschenkt, selbst nicht zu einer Zeit, in der 
man weit weniger wertvolle Stücke, wie die dem XVI. Jahrhundert angehörigen Fi- 
guren der Maria und des Johannes vom Triumphkreuz der Nikolaikirche zurückforderte. 
Sie hat jedenfalls schon seit der Einführung der Reformation in einem stillen Winkel 
gelegen und verdankt wohl gerade die Erhaltung der schönen alten Farben der Un- 
beachtetheit, in der sie blieb, bis die Neuaufstellung der Sammlungen sie hervor- 
treten ließ. 


* * 
x 


') Der Figur im Märkischen Museum sind leider beide Fußspitzen abgeschlagen worden, 
auch war der Kopf des Kindes jahrelang vom Rumpf getrennt. 


F. Wolff. Zwei mittelalterlihe Plastiken des Märkischen Museums 451 


Und nodi einen zweiten kostbaren Schatz besitzt das Museum, den wie den 
ersten die Neuordnung erst ans Licht gebracht hat: die wundervolle, überlebensgroße') 
Figur eines Bischofs. Sie steht nicht fern von der 
Madonna an der Schmalwand der großen Halle. 

Für dieses ausgezeichnete Werk, das 1890 in die 
Sammlung kam, war bei den früheren Aufstellungen 
niemals ein Platz zu finden gewesen. Auch der heutige 
ist leider sehr ungünstig. Das Licht fällt scharf von der 
Seite ein, so daß die eine Hälfte in schwerem, unge- 
teiltem Schatten steckt. Für die Aufnahme gelang es 
nur ungenügend, ihn aufzuhellen. Der Putz der Wand 
ist überdies im Ton fast gleich der Farbe des grau 
gewordenen Eichenholzes und verschluckt alle Feinheiten 
des Umrisses. 

Die Figur stammt aus der Marienkirche zu Witt- 
stock. Dort residierten seit dem Ende des XIII. Jahr- 
hunderts die Bischöfe von Havelberg in fürstlicher Hof- 
haltung auf der Burg als Herren des Gebiets. Durch 
sie kam die unbedeutende Landstadt in den Besitz 
einer Reihe von Denkmälern, die andernfalls dorthin 
sich nicht verirrt hätten. Die Bischofsfigur kam in die 
Berliner Sammlung mit einer Anzahl minderwertiger 
Stücke, die Bergau noch in den achtziger Jahren nur 
ganz nebenher als „mehre in Holz geschnitzte Statuetten“ 
inventarisiert hatte.?) Es ist erstaunlich, daß ihre Be- 
schädigungen nadı so langen Jahren der Vernachlässigung 
nicht zahlreicher sind.°) 

Groß und einfach stellt die Gestalt sidi dar. Es 
scheint, als halte sie im Schreiten still, als verharre der 
Bischof sinnend nur einen kurzen Augenblick. Doch 
ist die Bewegung in völliger Abgeschlossenheit gegeben. 
Der Körper ist kraftvoll aufgerichtet, fest umgrenzt die 
ganze Erscheinung wie die Form des rechteckigen Werks- 
tückes. Die geringe Ausbiegung der linken Hüfte bleibt Dom in Magdeburg o 
fast unbemerkt. Alles ist machtvoll, doch leicht in Ein- ©'19--Aufn. v. Dr. Fr. Stoedtner-Berlin 
fachheit gegeben. Der Bischof ist ein Mann von starker Brust, ein wenig hochgezogenen 
Schultern, von großen, doch nirgends plumpen Maßen. Das Verhältnis von Ober- und 
Unterkörper, von Kopf und Rumpf ist völlig richtig. 


1) Höhe 1,96 m. 

2) R. Bergau, Inventar der Bau- u. Kunstdenkmäler der Prov. Brandenburg. Berlin 1885, S. 788. 

5) An gröberen Beschädigungen sind die Verstiimmelung der linken Hand, der Verlust 
eines Stückes vom Hinterkopf und der Krümme des Pedums zu beklagen. Die Nase, der ein 
kleines Stück fehlte, wäre besser geblieben, wie sie war. Die vorgenommene Ergänzung stört. 


452 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Einzig der Kopf ist nach vorn und um ein weniges nach links aus der Achse 
geneigt, eine fast unmerkliche Bewegung der Vertikalen, die doch genügt, Rhythmus in 
den Oberleib zu bringen, der sonst in seiner Unberührtheit von allem Nebensachlichen 


Märkisches Museum, Berlin O 
Orig.-Aufn. v. Dr. Fr. Stoedtner-Berlin 


im Gegensatz steht zum Unterkòrper mit seinen diago- 
nalen, stark bewegenden Faltenziigen. Links fallt eine 
fast ungebrochene Linie steil von der Schulter, ent- 
lang dem angedrückten Oberarm bis zu den Füßen, 
im unteren Teil durch den welligen Umriß der Kasel 
ein wenig bewegt. Rechts bildet der Bischofsstab, in 
dessen Richtungstendenz der Arm und die gesenkte 
Hand einbezogen sind, eine nicht minder sichere Be- 
grenzung. Der volle Holzstamm scheint erhalten. 

Von höchster Kraft und Fülle des Ausdrucks 
ist der Kopf. Beim ersten Anblick glaubt man seines 
Bildnischarakters gewiß zu sein. Ein Porträt scheint 
angestrebt und sicher erreicht. Diese Wirkung spricht 
sidi aus, ohne daß die naturalistische Durchbildung 
der einzelnen Form zur Hauptsache geworden wäre. 
Im Gegenteil ist die Behandlung von Haar und Bart 
fast schematisch. Aber dieser kraftvolle, entblößte 
Hals, die Stirn, die ein wenig eingesenkte Nase, der 
ruhende Blick, das alles scheint voll persönlichsten 
Lebens. Die Oberflächenwirkung der Haut, die 
Lagerung der Muskeln ist in voller Entfaltung des 
Könnens gegeben. Mund und Augen haben etwas 
Scharfes, Gealtertes, sie geben vor allem den Zug von 
Müdigkeit und Verlorenheit im Anblick der Gestalt. 

Die Mitra ist nur niedrig, in ihren Dimensionen 
zurückgehalten, um vom Kopf selbst nicht abzuziehen. 
Sie lenkt vielmehr noch stärker das Schwergewicht 
auf die wenig hohe Stirnfläche, die das ganze dominiert, 
auf den Ausdruck des Geistigen in des Bischofs Er- 
scheinung. 

GroBe Kunst der Stoffcharakterisierung spricht 
sich in der Schilderung des Gewandes aus. Die Alba 
mit ihren starken, parallel-diagonalen Rippenfalten ist 
als schwer und lastend geschildert. Die dinnere 
Kasel im Gegensinn über der Brust zu kurzen Falten 


gezogen, endigt fast schleierartig fein in zarten Lagerungen ihres Saumes am linken 


Schenkel. 


Es ist die Frage welches die Heimat dieser prachtvollen Figur voll starken, 
tiefen Lebensausdruckes ist, die in ihrer Zeit in allererster Reihe steht. Woher kam 
sie — da von einer Entstehung am Ort nicht die Rede sein kann — in die Residenz 


F. Wolff. Zwei mittelalterlihe Plastiken des Märkischen Museums 453 


der norddeutsch-binnenlindischen Bischöfe, unter denen die Förderer solcher Kunst 
nicht allzu dicht gesäet sind? 

Der starke nordfranzösische Einfluß auf den Künstler dieser Figur ist wohl unver- 
kennbar. Die Größe und Ruhe des Aufbaus, diese Gebundenheit in der Achsenent- 
wicklung weist auf einen Künstler, dem die großen Meister und Werke der architektoni- 
schen Plastik nicht fremd waren. Andrerseits scheint es mir ausgeschlossen, an fran- 
zösishhen Ursprung zu glauben. Vielmehr möchte ich vermuten, daß sie in ihrer 
zeitlichen Stellung um 1350 zu den ältesten Zeugen der allmählich einsetzenden Strö- 
mung gehört, die von den Ländern am Niederrhein und der unteren Maas hinüberzog 
in die Gebiete der Ostsee und ihr Hinterland, nach Lübeck und dem deutschen Nord- 
osten, eirie Strömung, die alle Stilwandlungen überdauernd vom XIV. bis ins XVI. Jahr- 
hundert reicht. | | 

Unsere Figur scheint mir auf eine niederrheinische Gruppe von Künstlern hinzu- 
weisen, die von Frankreich her starke Impulse empfing und ihrerseits wieder im Laufe 
der Entwicklung solche Anregungen weiter gab für um 1400 entstehende Werke, wie 
die Apostel am Portal des Südturmes des Kölner Domes, um nur eins zu nennen. 

Es ist ein Künstler, der sich von aller Ziererei und Übertreibung noch völlig 
frei hält, der diesen Eindruck mannlichsten Ernstes zu schildern vermochte. Nichts 
wandelt diesen Bischof an von äuBerlicer Demut. Stammt diese tektonische Klarheit 
von jenseits der französischen Grenze, so ist in dieser Einheit von Kraft und Hoheit, 
in diesem sichtlihen Interesse am Bildnismäßigen ein Schritt über die nordfranzösischen 
Vorbilder hinaus getan. 

Ist die Figur am Niederrhein zuhause, so ist sie an ihren Aufstellungsort wohl 
sicher über Lübeck gelangt. Es ist natürlih, daß die Beziehungen Wittstocks zum 
Haupt der Hanse lebhaft waren, obwohl weder Havelberg noch Wittstock zum Bunde 
gehörten. Wie Lübeck auch weiterhin das Haupteinfallstor der Einflüsse von Westen 
her wurde, ist es dies jedenfalls vom ersten Einsetzen der Strömung nach Osten 
gewesen. Etwa anzunehmen, daß wenigstens Lübeck die Heimat des Bischofs ist, 
schließt ein Blick auf die gleichzeitigen Holzbildwerke der Zeit aus. 

Er überragt alles, was in diesen Ländern vorhanden ist — auc was als 
Fremdgut außer Zweifel steht — bei weitem. Er findet seinesgleichen nur in dem 
Besten der Zeit. Und er erscheint, wie die Steine, die elementare Kräfte von fern- 
her in dieselben Länder trugen, als Findling innerhalb weiter Strecken, die der selb- 
ständigen Entwicklung der Plastik um diese Zeit nicht günstig waren. Der Freude an 
seinem prachtvollen Anblick kommt nur das Interesse gleich für die Tatsache, daß wir 
— wenn meine Annahme zutrifft — so früh schon Werke des westländischen Holz- 
bildhauers denselben Weg nach Osten einschlagen sehen, den die Metallplastik, wie 
wohl heute nicht mehr bezweifelt wird, um weniges früher schon gegangen war. 


F 


Karl Blechen in Berlin 


Die Zeit vor der italienischen Reise ') 
Von G. J. Kern 
(Fortsetzung und Schluß) 


Die Tätigkeit Blechens als Theatermaler konnte nicht ohne nachhaltigen Einfluß 
auf seine Landschaftsmalerei bleiben. Die Folgen treten bald zutage. 

Auf die Ausstellung des Jahres 1826 hatte Blechen neun Landschaften gesandt. 
Der Katalog führt sie als Werke „eigener Erfindung“ auf. Leider summarisch, wo- 
durch eine Identifizierung der einzelnen Bilder erschwert wird. Anscheinend, nadı 
dem Datum ihrer Entstehung und nach Zeitungsberichten, war die Winterlandschaft mit 
dem verkrüppelten Baum °) ausgestclit, die sidi heute im Besitz der National-Galerie 
befindet (Abb., S. 455). Das Werk ist bezeichnet „C. Blechen 1825.“ Ein Motiv aus der 
sächsischen Schweiz, im Sinne einer Schweizer Landschaft heroisiert. Die Vorstellung 
von „echten“ Schweizer Landschaften schöpfte der Künstler aus Schweizer Bildern und 
Veduten, die den Kunstmarkt überschwemmten. Blechen hatte früher selbst Schweizer 
Prospekte kopiert, eine Wiederholung dieser Art bietet eine Landschaft Blechens in Öl 
bei C. Brose. 

In dem Bilde der Winterlandschaft von 1825 fällt der riesenhafte kahle Baum 
ins Auge. Er versperrt den Zugang zum Tal. Wie ein Polyp im Meerwasser die 
Fangarme streckt er rotgraue narbige Zweige in die kalte Winterluft aus. Aus der 
Ferne schimmert durch den Nebel das einsame ®) Licht einer Hütte, bleiche Lichtstrahlen 
wirft der Mond über beschneite Felsblöcke: 


„Furchtbar gähnt Gespenst'ge Nebelbilder wallen, 
Der düstre Abgrund, welch ein Graun! Belebt ist das Gestein! 

Das Auge wähnt Und hier — husch, husch! 

In einen Höllenpfuhl zu schaun! — Fliegt Nachtgevögel auf im Busch! 
Wie dort sich Wetterwolken ballen, Rotgraue narb'ge Zweige strecken 


Der Mond verliert von seinem Schein! Nach mir die Riesenfaust!“ — 


In Webers „Freischütz“, in der fürcherlihen „Wolfschlucht“, hatte Blechen die 
Motive für sein Bild gefunden. Die Wolfschlucht selbst aber, wie sie Blechen vor 
Augen stand, gibt ein anderes Werk des Künstlers wieder. Es ist unter der Bezeichnung 


1) Die Ausführungen sollen bereits auf eine größere Monographie des Verfassers über 
Karl Blechen hinweisen, die im Laufe des nächsten Jahres im Verlage von Klinkhardt & Biermann 
erscheinen soll. Die Red. 

°) Es wird vom Referenten der Berlinischen Zeitung ein Bild mit einer „strippigen Eiche“ 
erwähnt, die ihm zu kahl schien „in Hinsicht ihrer Zweige“. 

3 Das Wort „der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes“, das 
Brentano bezw. Kleist (s. oben) auf Friedrichs Mönch am Meer anwendet (Berliner Abendblätter 
vom 13. Oktober 1810) findet durch Blechens Bild eine wôürtlihe Auslegung! 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 455 


KARL BLECHEN: Beschneites Tal 


Nat’onal-Galerle, Berlin 


„Gebirgslandschaft mit Vampyrjagd“ bekannt'). Der Titel geht auf eine Verwechslung °) 
mit dem Bilde zurück, das in Böttichers Inventar *) Blechenscher Arbeiten die Nummer 130 
trägt, während unser Bild der Nummer 5 des Verzeichnisses entspricht *). 

Hugo von Blomberg hat als erster, 1867, in dem Buche „Der Teufel und seine 
Gesellen in der bildenden Kunst“, den Sinn des Blechenschen Werkes erklärt, kürzlich 
wies von Donop in seiner angeführten Schrift über Blechen auf die entlegene Stelle hin. 
Die Blombergsche Interpretation ergänzte eine Erklärung, die unabhängig davon gefunden 
ward°). Die Landschaft ist also dem siebenten Auftritt des zweiten, die Staffage und Handlung 
dem zehnten Auftritt des dritten Aufzuges aus Webers Freischütz entnommen, die drama- 
tishe Szene des Freischusses aus der heiteren Gegend, in der sie sich auf der Bühne 


1) Besitzer Herr v. Decker, das Werk auf Schloß Boberstein bei Hirschberg in Schlesien. 

2) Die herrschende Verwirrung betr. dieses Bild scheint der Katalog der Blechen-Aus- 
stellung von 1881/82 angestiftet zu haben, der es (bei Nr. 173) unter diesem Titel anführt. Vergl. 
die Beschreibung Lichtwarks, Studien Bd. II, Seite 139 u. 140. 

3) F. von Boetticher, Malerwerke des XIX. Jahrhunderts, Bd.]. Dresden 1891. Art. Blechen. 

4) Ober den Verbleib der Landschaft die Bötticher in seinem Buche ,Malerwerke des 
XIX. Jahrhunderts“, Artikel Blechen, unter Nr. 5 anführt, konnte nichts Näheres ermittelt werden. 
Eine ausführlichere Beschreibung bringt L. Pietsch, „Wie ich Schriftsteller geworden bin, Er- 
innerungen aus den fünfziger Jahren“, Bd. I, Berlin 1898, S. 170 ff. Danach war das Bild 1855 
in der Berliner Kunstakademie ausgestellt. 

à) S. Bericht über die Sitzung der Berliner kunstgeschichtlichen Gesellschaft vom 10. Januar 
1908. Die Stelle bei H. v. Blomberg war mir leider entgangen. 


456 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


abspielt, in die finstere Wolfschlucht verlegt. Durch einen RiB im Gewölk bescheint 
der Mond gigantische Felsen und einen Fluß, der träge zwischen ihnen dahinschleicht. 
Ein Regenschauer geht hernieder. Max kniet vor einem Strauch, vorn am Ufer des Flusses, 
die Biichse an der Wange, hinter ihm steht Samiel, der Unhold, halb Mensch, halb Fleder- 
maus, und streckt die Kralle nach seinem Haupte aus. Ein Pulverwölkchen wirbelt auf, der 
Schuß fiel: scheinbar getroffen bricht Agathe zwischen den Bäumen am jenseitigen Ufer 
zusammen. Über dem Wald flattert die „weiße Taube“. Kaspar bleibt unsichtbar, der 
Eremit, ein feister Zwerg, steht am Felsen unterhalb seiner Klause und glotzt scimunzelnd 
zu Samiel herüber, dem er das leuflische Handwerk verdorben hat. —— 

Der Tag dämmert, die Szene verwandelt sich. — Durch das Tor einer Ruine 
schweift der Blick über bewaldete Höhen (Abb., S. 457). Am dunkelblauen Himmel flimmert 
der Morgenstern, von hellen Streifen des Frührots heben sich scharf die Umrisse eines 
zinnenbekrönten mittelalterlihen Schlosses ab. Auf dem Weg, der zur Ruine hinauf- 
führt, eine seltsame Staffage: ein Ritter in Renaissance-Tracht, ringend mit einer 
schwarz gekleideten Edeldame. Zwischen Vögeln und Ungeheuern auf einem Felsblock 
hockend, schaut aus der Höhle eine Eule dem Kampfe zu. Durdi den Torweg ringelt 
sih eine Schlange'). Wie auf einen Schrei hin wendet sie ihren Kopf zur Gruppe 
zurück. Was bedeutet die merkwürdige Darstellung? Nach dem Vorangegangenen fällt 
die Antwort nicht schwer. Sie stellt eine Verbindung innerlih verwandter 
Motive aus den drei damals bekanntesten romantischen Opern dar: Webers 
Freishütz, Mozarts Zauberflöte und Don Juan. Die Eule ist die „große Eule“ 
der Wolfsschucht, der Vogel mit dem „gesträubtem Gefieder“ und den „feurig rädern- 
den Augen“, das Reptil die Verfolgerin Taminos, die beiden Kämpfenden sind Anna 
und Don Juan; aus dem Hause des Komturs ist eine Ruine, aus der Freitreppe des 
Palastes ein Felsenpfad geworden — Annas Schreie klingen mit den Hilferufen des unsicht- 
baren Tamino zu einem Duett zusammen”). Eine fürchterlidie, Grauen erregende Vision. 


1) Sie blieb unausgeführt. 
2) In der Staffage, zumal der Tierstaffage, klingt die schaurige Musik aus der Wolfs- 
schluchtszene des Freischiitz nach, die die Worte begleitet: 


„Milch des Mondes fiel aufs Kraut! Ist sie tot, die zarte Braut! 
Uhui! Uhui! Uhui! Uhui! 

Spinnweb' ist mit Blut betaut! Eh’ nodi wieder sinkt die Nacht, 
Uhui! Uhui! Ist das Opfer dargebracht! 

Eh’ nodi wieder Abend graut — Uhui! Uhuil Uhuil“ 
Uhui! Uhui! 


Uberschrieben ist die Einleitung zu dem Finale von Karl Maria v. Weber: ,Unsichtbare Geister- 
stimmen“. Der Originalstext von Kind lautet etwas anders und zwar ohne die Überschrift (ich 
zitiere hier nach C. F. Wittmann, Einführung zur II. Aufl. des Textes, Ph. Reklam jun., S. 20): 


„Ein Rabe. Milh des Mondes fiel aufs Kraut! Eule. Ist sie tot die zarte Braut! 


Waldvögel (schreien). Uhui! Waldvögel (wie oben). Uhui! 
Zweiter Rabe. Spinnweb’ ist mit Blut betaut! Alle. Eh’ nodi wieder sinkt die Nacht, 
Waldvögel (wie oben). Uhuil Ist das Opfer dargebracht! 


Dritter Rabe. Eh’ noch wieder Abend graut — Waldvögel. Uhui! Uhuil Uhuil“ 
Waldvögel (wie oben). Uhui! Der Chorus 


Hinquayojsey) nz ajnıpsıpoy ‘upa, ‘WnasnW-[2HUIPS O 
(Bunutpraz12p2J) SBM Ul HIS :TIMNIHIS ‘J ‘M uapegsarm ‘ayajsuy xg :'sag 
o oumy :NIHIITA TUYM 


458 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


In der Komposition des Werkes treten Einflüsse Schinkels zutage. Der Tor- 
bogen, der das Fernbild umrahmt, ist Eigentum Schinkels. Er verwendet ihn in 
Bildern und Dekorationen zur Steigerung des räumlichen Eindruckes, zugleich als wirk- 
samen dekorativen Abschluß. Eine 
Zeichnung Schinkels von Sion oder 
Sitten in Wallis (Abb., S. 457) ist 
typisch für Schinkelsche Kompositi- 
onen dieser Art und hat wohl direkt 
das Vorbild für die Blechensche 
Komposition abgegeben. Es mag 
zum Vergleich auch auf Schinkels 
Ansichten von Stralau (Schinkel- 
Museum, Berlin) hingewiesen wer- 
den. Anklänge an Schinkel verrät 
in Blechens Bild auch das Schloß 
auf der Bergkuppe, es erinnert 
in seinem Aufbau, seiner Lage 
und Beleuchtung an das „Schloß 
mit dem Hirsch im Hofe“, das 
Schinkel nach einer Erzählung von 
Clemens Brentano gemalt hatte !). 

Das bisher unbekannt ge- 
bliebene Werk Blechens ist nach 
Wiesbaden verschlagen worden, es 
gehört heute Exzellenz von Am- 
stetter °). Zu Lebzeiten des Künst- 
lers soll das Bild ,als eines der 
KARL BLECHEN: Mönch in Extase besten Werke“ Blechens gegolten 
O National-Galerie, Berlin 

haben; es wurde auf den Rat der 
Maler Schirmer und Eduard Hildebrand durch eine GroBtante der Gattin des heutigen 
Besitzers, eine Gräfin von Lüttichau (geborene Durtu) unmittelbar vom Künstler er- 
worben ?) und scheint nie auf eine Ausstellung gekommen zu sein. Die Käuferin 
starb 1901, im 94. Lebensjahre*). Zur Untersuchung der Beziehungen zwischen Blechens 


der Tiere deutet darauf hin, daß Blehen den urspriinglihen Kindschen Text benutzte. 
Eine genaue Übereinstimmung zwischen Bild und Operntext findet aber ebenfalls nicht statt. 
Bei Blechen fehlen die Raben. An ihre Stelle treten andere Vögel und Ungeheuer, die dem 
nilpferdartigen Untier verwandt sind, das in einer malerischen Paraphrase der Szene auftritt, 
die den Pater Medardus von E. T. A. Hoffmann in den Kellergrüften des Klosters zeigt. Vergl. 
S. 459 und Abb. S. 458. 


1) National-Galerie. Wagnersche Sammmlung Nr. 292; über die Beziehungen zu Brentano; 
s. Jordans Katalog der National-Galerie von 1855. S. 109. 

°) Gütige Mitteilungen Ihrer Exz. Freifrau v. Amstetter, Wiesbaden, die auch die Wieder- 
gabe des Werkes in zuvorkommender Weise gestattete. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 459 


Dekorations- und Tafelmalerei bietet es von allen Bildern Blechens wohl die wichtigsten 
Anhaltspunkte. 

Die Streifziige des Malers durch das Gebiet der romantischen Literatur erstrecken 
sich über die romantische Oper hinaus. Er kennt seinen Shakespeare !), liebt den 
Dichter des Faust’), er vertieft sich 
in die Schriften von E. T. A, Hoff- 
mann. Mit ihm durchirrt er finstere 
Gebirgsschluchten *), steigt hinab an 
Orte, ,wo das Grauen die Seele 
erstarren macht“. Mit ihm dringt 
er ein in das unterirdische Gewölbe 
des Klosters, wo Pater Medardus ‘) 
Befreiung von seinen Sünden sucht. 
Eine Ölstudie, braun in braun, zeigt 
den Armsten, wie er von schreck- 
lichen Visionen gepeinigt, durch die 
dunklen Gänge enteilt. Die Finger 
seiner erhobenen Hände sind wie 
vom Krampf gespreizt, die Züge von 
Entsetzen entstellt: die weit aufge- 
rissenen Augen heften sich auf die 
grelle Flamme einer umstürzenden 
Tonlampe, aus der Finsternis des 
Hintergrundes taucht der Kopf eines 
nilpferdartigen Ungetüms auf?) — 


1) Katalog der Blechen-Ausstel- 
lung i. d. Nat.-Gal. 1881/82. Nr. 196: 
„Romeo und Julia bei Pater Lorenzo“ 
(Sepia) und Nr. 197: „Lorenzo in der 
Tür seiner Zelle“ (Sepia). 

*) Blechens Verehrung für Goethe 
bezeugt am besten der Umstand, daß 
er aus Goethes Tagebuch der italienischen 
Reise einen Auszug anfertigte. Vergl. de KARL BLECHEN: Klosterhalle mit Mönchen (Studie) 
Schrift von Prof. Dr. L. v.Donop. „Der o National-Galerie, Berlin 
Landschaftsmaler Karl Blechen. Mit Be- 
nutzung von Aufzeichnungen Theodor Fontanes“, Berlin 1908, mit dem Referat von Uhde-Bernays 
in der Zeitschrift „Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, S. 932ff. Ich behalte mir vor, auf das 
Verhältnis Blechens zu Goethe bei anderer Gelegenheit ausführlicher zurückzukommen. — Pausen 
Blechens nach Figurinen Retzschs zu Goethes Faust in der National-Galerie. 

3) Landschaft mit einem Mönch in Extase. Bes.: National-Galerie, als Leihgabe be- 
findet sih das Werk im Museum zu Halle. 

4) Aus E. T. A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels. 

5) Ölstudie (braun in braun) bez. „C. Blechen 1826“. Die umstürzende Tonlampe ist von 
Blechen offenbar in malerischer Absicht hinzugefügt. Das Ungetüm nur schwach erkennbar. 


460 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


In flüchtigen Skizzen wird das ganze Heer der Unterwelt lebendig. Da schwirren durch 
die Luft ,langgedehnte Roßgerippe“, „deren Haut zur Schabracke geworden“ '), Männer 
mit Vogelköpfen °) torkeln tastend umher, Ahasver stürzt sich von der Klippe ins Meer’). 

Zwischen alten Bäumen im Tal liegt das Kloster. Mönche ziehen hin in feier- 
licher Prozession, die Kirche füllt sich, Orgelklänge brausen durch die weihrauch- 
duftenden Hallen. — Das Te Deum 
ist verklungen, die Dämmerung 
senkt ihre Schatten über Wald und 
Feld, der Mond kommt hinter den 
Bergen herauf. Grabesstille — 
Da springt ein Mensch über die 
Kirchhofsmauer. Er hat eine Laute 
unter dem Arm. In wilden Sätzen 
jagt er über die beschneiten Gräber. 
Jetzt steht er, wie angewurzelt, 
am Standbild der Madonna: Don 
Juan. Das Standbild des Komturs 
suchen wir vergebens, — ein Ge- 
spenst im Kreuzgang, in weiße 
Laken gehüllt, tut dem Maler 
bessere Dienste ‘). 

In Gedanken an den Tod 
feiert der Weltschmerz seine Tri- 
umphe. Das Grab bedeutet ihm 
Erlösung von irdischem Leid, Be- 
freiung der Seele, Unsterblichkeit. 
„Unsterblichkeit“, ruft Tiedge aus, 
„nur Du weilest auf Kirchhöfen 
auf Gottesäckern; das Gewühl der 
Städte, wo man es auch findet, sind nicht Deine Hallen . . .”)“ Die Klosterruine 
spinnt das Grabesthema aus: Chorin®) wird die Devise. Wir treffen Blechen in 
Eberswalde’) bei Chorin. Schinkel schwelgte im Anblick seiner Ruinen®), von 
S. L. Hesse, Blechens Freund °), gab es auf der akad. Ausstellung des Jahres 1826 


KARL BLECHEN: Klosterkirchhof (Lith.) 


1) Aus E. T. A. Hoffmann, Elixiere, Nat.-Gal., Bleistiftskizze. 

?) Desgl. 

») National-Galerie, Tuschzeichnung. 

t) Lithographie Blechens, bez.: „C. B. 1827“. 

°) Aus einer Besprechung des Bildes „Der Kirchhof“, den C. F. Lessing 1826 auf die akad. 
Ausstellung sandte. Berlinishe Zeitung vom 21. Oktober 1826. 

5) Altes Cistercienser Kloster in der Mark. 

‘) Vergl. Blechens Bild „Das Walzwerk in Neustadt-Eberswalde“, Nat.-Gal., Katalog von 
1908: Nr. 763. 

*) Zeichnungen Schinkels nach der Ruine im Schinkel-Museum zu Berlin. 

°) „Kgl. Baukondukteur“. Wird in Briefen der Frau Prof. Blechen (Besitzer C. Brose. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 461 


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KARL BLECHEN: Ruine mit alten Bäumen (Lith.) 


eine Zeichnung der Ruine von Chorin’). Ob Blechen die Ruine gemalt hat, wissen 
wir nicht, das Thema Chorin kehrt bei ihm ständig wieder. Gothische Kirchen, 
Abteien mit Wasser und Wald. Die Ruine auf einer Lithographie Blechens, bez. 
„1828 C. B. inv. & fec.“ *) (Abb.), erinnert auch in Einzelheiten (Fenster) an Chorin. 
Eine unheimliche, fast dämonishe Wirkung geht von dem Blatte aus. Schinkel hat 
nie solche Akkorde angeschlagen, und doch erscheint er wiederum als Lehrer Blechens 
in der Lithographie mit der Unterschrift: „Versuch die lieblihe wehmutsvolle Sehn- 
sucht auszudrücken, welche das Herz beim Klange des Gottesdienstes aus der Kirche 
herschallend erfüllt, auf Stein gezeichnet von Schinkel ?.)“ 


Berlin) mehrfach als Freund der Familie erwähnt. Nach dem Tode Blechens leistete er der Frau 
in geschäftlichen Dingen Beistand. 

1) Kat. Nr. 364: „Das Kloster Chorin, nach der Natur gezeichnet“. 

% Mit der Rohrfeder gezeichnet. 

3) Abgebildet bei M. Schmid, Kunstgeschichte des XIX. Jahrhunderts, 1904, Seemann, 
Bd. I, S. 242. 


462 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Müggelseelandschaft mit Semnonenlager 
O National-Galerie, Berlin 


Die Tätigkeit Blechens als Dekorationsmaler am Königstädtischen Theater fand 
im September 1828 einen jähen Abschluß. Wenn wir zwei Gehilfen Blechens, 
Siemering und Bils, Glauben schenken wollen, kam es so'): Blechen hatte für die 
Aufführung einer Oper die Dekoration zu einem Festsaal gemalt. Die Farbe mißfiel 
der Sängerin Sonntag °). Sie stellte Blehen schroff zur Rede und er erwiderte in 
schroffer Weise. Schon war es um ihn geschehen. Die Demoiselle duldete keinen 
Widerspruch, die Direktion mußte sich dazu verstehen, Blechen kurzer Hand zu ent- 
lassen, wollte sie es nicht mit der Primadonna verderben, die ihr allabendlich die 
Kassen füllte. Von neuem begann für Blechen der Kampf um das Dasein und um 
die Kunst. 

Um das Tragische seiner Lage zu verstehen, müssen wir weiter zurückgreifen. 
Vor drei Jahren, im November 1824, hatte der Künstler, im Besitz einer „Lebens- 
stellung“, mit Henriette Dorothea Boldt, Tochter des Mobilienhändlers Johann Friedrich 
Boldt, die Ehe geschlossen °). Was der Frau, die älter war als er, an Jugend, Schön- 
heit, Bildung und an materiellen Gütern fehlte, ersetzte sie durch häuslichen Sinn und 
echte edle Herzensgüte. Die Kosten des Haushaltes bestritten die Einnahmen des 
Mannes und der kärgliche Verdienst der Frau, den der Betrieb einer kleinen Weib- 
näherei im Hause abwarf. Der gesellige Verkehr war, schon der Kosten wegen, auf 
ein geringes Maß beschränkt. In engere Fühlung mit Künstlern brachte Blechen der 


1) Beleg Brief von Prof. A. Hagen an H. F. W. Brose vom 17. Okt. 1857. Bes.: C. Brose. 

2) Uber die Sängerin Sonntag s. L. Geiger, Geschichte des geistigen Lebens der preußischen 
Hauptstadt, Bd. II, S. 502 ff. 

3) Kirchenbuch der Jerusalemer Kirche zu Berlin. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise. 463 


KARL BLECHEN: Naturstudie zur Landschaft mit dem Semnonenlager i. d. 
National-Galerie zu Berlin. Federzeichnung. Hochschule f. d. b. K., Berlin 


häufige Besuch des Berlinischen Kunst-Vereins, zuweilen unterbreitete er dort dem 
Urteil der Fachgenossen Arbeiten seiner Hand’). Einen Freund fand Blechen in dem 
Kunsthändler Sachse. Kein Name leuchtet heller in Blechens Leben als der seine, er 
hat Blechen auch in Zeiten der größten Not nicht verlassen. Frau Blechen nennt 
Sachse später in einem Briefe?) ihren und ihres Mannes ,Lebensretter“. Die übrigen 
Freunde kommen gegen Sachse weniger in Betracht. Unter den Bekannten Blechens 
finden wir einige interessante Erscheinungen. Von Schinkel war bereits die Rede. 
Da ist ferner Bettina von Arnim *), die sich lebhaft für Blechen interessiert, der kunst- 
sinnige Bankier C. F. Brose‘), der Verlagsbuchhändler Decker‘), die Kunstgelehrten 
Minutoli °) und Hotho °). Fürst Pückler, Bettinas verzärtelter Liebling, der große Garten- 
künstler, scheint Blechen persönlich gekannt zu haben, in den sechziger Jahren noch 


1) v. Donop, Karl Blechen, S. 26. Er wurde nach v. D. mit Ahlborn und Krause im 
Dezember 1826 als Mitglied aufgenommen. 

®) An Sachse, vom 24. August 1840. Im Besitz von C. Brose. 

3) Briefe Bettinas an Sachse betr. K. B. vom 21., 25. Juli und vom 18. August 1838; 
Besitzer C. Brose. Bettina nennt Blechen einen „großen genievollen Mann“. 

4) Er legte später eine Sammlung Blechenscher Werke an, von der der größte Teil, 
ca. 60 Arbeiten, 1881 in den Besitz der National-Galerie gelangte. Vergl. Kat. der Nat.-Gal. 

5) Brief R. Deckers an einen ungenannten Adressaten vom 24. Juli 1846 (Bes.: C. Brose) 
und mündliches Zeugnis des Herrn v. Decker in Dittersdorf (Schlesien), Sohnes des oben Genannten. 

6) In einem Briefe an Sachse vom 25. Juli 1840 spricht Minutoli von Blechen als seinem 
verewigten Freunde (Bes.: C. Brose). Blechen war zwei Tage vorher, am 23. Juli, gestorben. 

7 Verwandte sih nach dem Tode des Meisters für die Frau, der er u. a. bei der Ab- 
fassung ihres Gnadengesuches an den König behilflich war. Vergl. einen undatierten Brie 
B. G. Hothos an Sachse und einen Brief der Henriette Blechen an Sachse vom 1. August 1840 aus 


dem Besitz von C. Brose, Berlin. a 


464 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Ölstudie zur Landschaft mit dem Semnonenlager in der 
National-Galerie zu Berlin Hochschule f. d. b. Künste, Berlin 


sprach er mit dem Kottbuser Geheimrat Liersch „oft und gern“ vom Maler Blechen, 
der seiner Lausitz und „Kottbus selbst“ entsprossen war. Auf diese Gespräche geht 
indirekt die Gründung der BlechenstraBe in Kottbus zuriick'). Es ist anzunehmen, 
daß Pückler, der aus Muskau °) bei Kottbus stammte, Blechen in Bettinas Salon ein- 
geführt hat. 

Der Allgemeinheit des Berliner Publikums wurde der Name Blechen erst 1828 
bekannt. In der akademischen Ausstellung drängten sich die Besucher vor einem 
großen Bilde zusammen. Der Katalog *) führte als Maler Karl Blechen an, als Titel: 
„Blik von den Mügelbergen bei Köpenick gegen Süden. Staffage: Semnonen rüsten 
sih zum Aufbruch gegen den Andrang der Römer“ (Abb. S. 462). Man erinnerte 
sich nicht, je ein ähnliches Werk gesehen zu haben. 

Der Blick schweift über eine flache mit Kieferngruppen und Buschwerk bestandene 
grüne Mulde hinüber zu den Gestaden des Miiggelsees. Vom Horizont zieht blau- 
schwarzes Gewölk herauf, Wolkenschatten wandern über die Landschaft. Kriegerisches 
Treiben herrsht auf dem Plan, Zelte sind aufgeschlagen, Stimmengewirr erfüllt 
die Luft und der Schall von Hammerschlagen. Die Semnonen mit roten Schöpfen 
und Bärten, in Tierfelle gehüllt, treffen Vorbereitungen zur Schlacht. Wer zum Kampfe 
gerüstet, pflegt mit Genossen des Rates oder der Ruhe. Am Abhang eines Hügels 
lodert zwischen dunklen Kiefern ein Feuer. 


1) Akten der Stadt Kottbus betr. die Herstellung der BlechenstraBe. Über die Beziehungen 
Schinkels und Püclers zu Bettina von Arnim siehe „Bettina v. Arnim (1765—1859). Ein Er- 
innerungsblatt zu ihrem 100. Geburtstag“ von Conrad Alberti, Leipzig, 1885. 

2) Über die Tätigkeit Schinkels in Muskau s. A. v. Wolzogen, Aus Schinkels Nachlaß, 
Berlin 1862. Bd. II. S. 265. 

3) Nr. 121. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 465 


KARL BLECHEN: Motiv von der Insel Rügen 
o Bes. Dr. C. Loewe: Berlin 


Nichts lag Blechen ferner, als eine „Begebenheit“ schildern zu wollen. Als er 
eines Tages durch die Müggelberge schlenderte, mag ihm beim Anblick der alten 
wetterharten Kiefern die Erinnerung an die Urbewohner des Landes, die Semnonen, 
in den Sinn gekommen sein. Schon als Kind hatte er von ihnen gehört, hier standen 
sie um ihn herum, lagen zu seinen Füßen im Sande. Aus dieser Stimmung heraus 
entstand die Staffage. 

Die Entwicklung der Komposition läßt sich über die erhaltenen Vorarbeiten, 
Schritt für Schritt verfolgen, der Vergleich bietet zudem eine günstige Gelegenheit, die 
Arbeitsweise Blechens kennen zu lernen. Eine Federzeichnung aus dem Besitz der Hoch- 
schule f. d. bild. Künste (Abb., S. 463) trägt von Blechens Hand die Bezeichung „Original“. 
Wir wandern auf weichem Wiesenteppich über den Rücken eines Hügels, begleitet von 
einem Kiefernwald, der sich an seinem Abhange hinzieht. Durch das Grün der Bäume 
lugt aus dem Tal der sonnenbeschienene Müggelsee herauf. Eine Farbenstudie (Abb., S. 464), 
gleichfalls im Besitz der Hochschule, beseitigt den Hügel, zieht den Wald zu Baumgruppen, 
kulissenartig, auseinander und drängt den See an den äußersten Horizont. Der Himmel 
leicht bewölkt, Barbaren und Zelte geben die Staffage. Und nun das Bild: Vorn eine 
Sandbank, die sim nach der Tiefe hin in flachem Bogen öffnet. Der unterste Punkt 
der Abschlußlinie in der Mitte der Bildbreite, symmetrisch zur Mitte zwei lagernde 
Krieger, deren Gestalten sich in die Kurve der Böschung einfügen. Als Eckpfeiler der 
Komposition Semnonengruppen vor hohen Bäumen; der Himmel hat sich verfinstert, 


466 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Sturm auf dem Meere 
O Kunsthalle Hamburg 


phantastisch beleuchtete Haufenwolken rücken gegeneinander, schon kommen über dem 
See ihre Vorposten ins Gefecht. Eine Darstellung von theatralisch-dramatischer Wirkung. 
Claude Lorrain und die Bühne waren Blechen zu Hilfe gekommen. Kugler erzählt !), 
daß in der Oper ,Armide“ die vergrößerte Kopie einer Landschaft Claudes als Deko- 
ration für die Szene benutzt wurde, in der Rinald im Zaubergarten Armidens ent- 
schläft. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis audı dieses Werkes: nur der Theater- 
maler konnte aus dem Motiv einen Claude, nur Blechen aus Claudes Arkadien eine 
Müggelseelandschaft gestalten. In Einzelheiten überrascht das Werk durch seine 
Wahrheit und die Kraft seiner Darstellung. Den Bäumen des Bildes entströmt der Duft 
märkischer Kiefern, dem Boden der „Erdgeruch“ der märkischen Scholle. Fontane stand 
ergriffen vor dem Bilde °), das Bild trat vor ihn hin, als dem „dichteren Gehölz“ der 
Miiggelberge Pirol, „der nordische Wundervogel“, zuflog *). 

Über den künstlerischen Vorzügen dürfen die Schwächen des Werkes nicht 
übersehen werden. Die Perspektive entbehrt der Einheit, die anatomische Zeichnung 
einzelner Figuren hinterläßt ein peinliches Gefühl der Unsicherheit, das Kolorit ist bunt 
und hart. Freilich, „es konnte nur mit einer so reichen Phantasie für schroffe Gegen- 
sätze gelingen, dem Schroffen Poesie abzugewinnen“. Die Kritik aus dem Jahre 1828 *) 


ı) Karl Friedrih Schinkel, eine Charakteristik seiner künstlerishen Wirksamkeit von 
Franz Kugler, Berlin 1842, S. 127 ff. 

2) Vergl. v. Donop, Karl Blechen, S. 32 ff. 

3) Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg. IV. Teil, 7. u. 8. Aufl., 1907, 
Seite 107 ff. 
3) Berlinische Nachrichten vom 31. Oktober. Daß die Worte „schroffe Gegensätze“ sich 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 467 


C. J. VERNET: Schiffbruch 
O Miinchen, Alte Pinakothek 


der wir diese Stelle entnehmen, nennt Blechen „unseren Ossian in der Malerei“; sie 
trifft mit der Bezeichnung das Wesen seiner Auffassung. 

Mit Ossian verbindet sich die Erinnerung an das schottishe Hochland und an 
die Insel Rügen. „1828“ ist ein Ölbild Blechens nach Kreidefelsen der Riigenschen 
Küste (Abb., S. 465) datiert!). Das Werk zieht die Summe des Könnens, das der Schüler 
Dahls in ständigem Kampfe mit der Natur errungen hatte. Hier ist, vielleicht zum 
ersten Mal, das Prinzip der Dahlschen Studie bewußt auf das Bild übertragen. 
Von einer „Studie“ kann bei der Ausführung nicht mehr die Rede sein der Keil- 
rahmen allein spricht gegen die Annahme einer „Studie“ im Blechenschen Sinne °). Ein 
ganz anspruchsloses Motiv: Kreidefelsen, durchsetzt von kleinen Brocken härteren Ge- 
steins, auf der Kante eine kümmerliche Grasnarbe, darüber ein dunkler Wolkenhimmel. 
Die Malerei mutet vollends modern an. Der Pinsel, der Bleiweiß mit Terra di Siena, mit 
Ultramarin, dunklem und lichtem Oker zu silbrigem Grau vermischt, eilt an der Felsen- 


auch auf die Ausführung des Bildes beziehen, geht deutlich aus der Bemerkung hervor „da 
ist weder von dem raumschaffenden Duft die Rede* usw. 

1) Besitzer Dr. jur. C. Loewe, Berlin. Die Kenntnis des Werkes verdanke einer güt. briefl. 
Mitteilung von H. v. Tschudi. 

2) Die Grenzen zwischen „Studie“, „Vedute“ („Prospekt“) und „Bild“ sind häufig schwer 
wieder zu erkennen. Heute ist aber „Bild“, was damals unbedingt nom „Studie“ war. 
Der Begriff „Bild“ hat in den letzten hundert Jahren eine völlige Umwandlung erfahren wie 
der Begriff „romantisch“ und andere Begriffe ihren Inhalt geändert haben. Diesem Umstand sollte 
m. E., soweit die Raumverhältnisse es irgendwie gestatten, auch beim Hängen der Werke in den 
Museen Rechnung getragen werden. 


468 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


KARL BLECHEN: Olstudie zum ,Venusfest“ in Posen 
O Hochschule f. d. b. K., Berlin 


wand verlorenen Sonnenstrahlen nach, dringt in die Risse des poròsen Gesteins und 
hiipft behend über die abgestürzten Blöcke. — Ein Aquarell nach den Felsen bei 
Stubbenkammer zeigt Blehen noch im Banne C. J. Vernets !). Blechen schilderte das 
Meer, ehe er es gesehen hatte. Wie sein Kollege Wilhelm Krause. Man behalf sich, 
wenn es nicht anders ging, mit Stichen nach Vernet. Das Wrack an der Klippe, 
von schäumender Brandung umtost, war seit hundert Jahren das beliebteste Motiv. 
Die Wogen auf dem unvollendeten Hamburger Bilde Blechens (Abb., S. 466) stammen von 
Vernet, das Riff mit dem Leuchtturm ist wohl dem abgebildeten „Schiffbruch“ Vernets 
aus der Münchener Pinakothek, entnommen. Noch andere Einflüsse machen sich 
geltend, Théodore Gudin, ein neuerer französischer Marinemaler *), der sich allgemeiner 
Wertschétzung erfreute, hat an dem Bilde Blechens seinen Anteil. 

Es überrascht, Blechen als Maler idyllischer Kompositionen kennen zu lernen. 

Et in Arcadia ego! ,Venusfest“.*) In der Lichtung eines Haines, vor dem 
bekränzten Standbilde der Venus, hat ein Verkauf von Liebesgöttern an Mädchen und 
junge Frauen stattgefunden. Die glücklichen Besitzerinnen treiben auf blumiger Wiese 
Kurzweil mit den Putten. Ein paar von den losen Gesellen sind ihren Herrinnen 
entflohen und tummeln sich im Laub der Bäume. Um den Verkäufer stehen Frauen 
und Mädchen trauernd herum, sie kamen zu spät, sind in ihren Hoffnungen betrogen 
worden. Mit einer Gebärde des Bedauerns weist der Mann eine schnell herbeieilende 


1) Claude Joseph Vernet (1712—1789). 
2) Jean Antoine Théodore Gudin (1802—1880). 
3) Im Besitz der Nat.-Gal.; als Leihgabe im Kgl. Regierungsgebäude in Posen. 


G. J. Kern. Karl Blechen in Berlin. Die Zeit vor der italienischen Reise 469 


Schöne auf den leeren Käfig hin. Grinsend schauen hinter einem Baume Faune dem 
Spiele zu. 

Das Thema des Erotenverkaufs gehört zu den bevorzugten Motiven der 
klassizistischen Kunst. Es ist hellenistischen Ursprunges. Das 1759 entdeckte berühmte 
Fresko von Gabiae!) wurde zu Anfang des XIX. Jahrhunderts sogar in Porzellan nach- 
gebildet). Die anmutige Erzählung fand durch Goethe ihren Weg in die romantische 
Oper. Goethe hatte sein bekanntes Lied „Liebesgötter auf dem Markte“ für die Zauber- 
flöte gedichtet, es sollte von dem Vogelhändler Papageno und von Papagena gesungen 
werden *). Möglich, daß die Erzählung auf diesem Wege in den Bereich Blechens 
gelangte. 

Die Landschaft trägt, als Ganzes, einen südlichen Charakter, Einzelheiten er- 
innern an die Heimat des Malers, märkische Kiefern nehmen sich, hat man sie 
erst entdeckt, wunderlich neben den Agaven des Bildes aus. Über den Ursprung der 
Komposition besteht kein Zweifel. Der Claude der Bühne gab auch diesem Werke 
sein Gepräge. Bei einer gewissen stilistishen Verwandtschaft ist es entschieden un- 
freier als das Semnonenbild. Auf Fontane wirkte es „unreifer, unfertiger t)“, aus dem 
Grunde verlegte er seine Entstehung vor das Jahr 1828. Fontane dürfte Recht 
behalten, wenn er mit der Datierung nicht hinter die dunklen Bilder von 1826 
zurückgeht. | 

Mit dem Venusfest spiegelt die Sehnsucht Blechens nach Italien ein unschein- 
bares kleines Bild aus dem Besitz des Berliner Malers Alexander Brendel. Es stellt 
einen Entwurf für eine italienische Phantasielandschaft dar und ist bezeichnet: „C. Blechen 
1827“. Ein Bach, der in Kaskaden vom Berge herabstürzt, eine ansteigende staubige 
Landstraße, flache Dächer im Sonnenschein: die Gegend von Trient. 

Italien! wie ein Zauberwort klang es in Blechens Ohren. Goethe hatte 1786 in 
Italien geschrieben: „ein neues Leben fängt an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, 
was man teilweise in und auswendig kann“, Blechen hatte die Stelle aus Goethe 
notiert, — 1828 durfte er sie auf sich selbst anwenden. Ein erneuter Besuch bei 
Dahl 5) gab ihm neue künstlerische Anregung, praktische Ratschläge Dahls für die 
geplante große Reise hieß Blechen hoch willkommen. Im September 1828 trat er 
mit seinem Schüler und Freunde Leopold Schlösser die Fahrt nach Italien an. 


1) Abbildung bei Wolfgang Helbig, Die Wandgemälde Campaniens 1868, Nr. 824. Vergi. 
die hübsche antike Statuette des Mädchens mit den beiden Liebesgöttern im Nest im alten 
Museum zu Berlin. 1829 für die Sammlung erworben. (Verzeichnis der Skulpturen, Nr. 95). 

2) Gruppe der MeiBener Porzellanmanufaktur. Abbild. bei Hans Kraemer, Das XIX. Jahrh., 
Bd. I, S. 168. 

3) Das Lied „gehört zu dem Ende 1794 oder 1795 begonnenen Entwurfe eines zweiten Teiles 
der Zauberflöte“. Zuerst veröffentlicht in Voss’ ,Musen-Almanach für das Jahr 1896“ unter der 
Überschrift „Die Liebesgötter auf dem Markt“. S. Goethes ges. Werke, Deutsche National-Literatur. 
Hist.-krit. Ausg., Bd. 82 (Düntzer), S.28, Anm. 

4) v. Donop, Karl Blechen, S. 34. 

5) Aubert, Dahl I, S. 197. 


Studien zur lombardischen Malerei 
= des XV. Jahrhunderts 


Von Wilhelm Suida 


I. Die erste Hälfte des Quattrocento 


Die lombardische Kunst der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts ist noch recht 
wenig bekannt. Als ein Faktor von Bedeutung für die spätere Entwicklung wird sie 
noch gar nicht in Rechnung gezogen. Eine umfangreiche Arbeit über dieses Gebiet, 
welche P. Toesca vorbereitet, wird wohl an Stelle der zusammenhangslosen kärglichen 
Bemerkungen, die sich heute in den Handbüchern weiterschleppen, eine klare Darstellung 
der Entwicklung auf breiterer Basis setzen können. Es wird sich dann zeigen, daß 
die Lombarden, wenn sie auch keinen dem Pisanello ebenbürtigen Künstler besaßen, 
doch ihre selbständige Bedeutung schon in dieser Zeit beanspruchen dürfen. Sehen 
wir, wie in einer sonst vorzüglichen neuen Publikation über Vincenzo Foppa (Siehe 
II. Kapitel) dieser als „Begründer der lombardischen Schule“ schon im Titel des Buches 
gefeiert wird, die anziehenden und den beiden Autoren der Monographie ja auch so 
wohlbekannten Malereien der älteren Lombarden aber nur hie und da mit einer 
flüchtigen Bemerkung gestreift werden, so fühlen wir uns umso mehr verpflichtet, für 
sie eine Lanze einzulegen, als wir dabei willkommene Gelegenheit finden, auf manche 
bisher unbeachtete weit verstreute frühlombardische Bilder die Aufmerksamkeit zu 
lenken. Für das allgemeine kann ich mich sehr kurz fassen, da wir Toescas Arbeit 
bald erwarten dürfen, und nach seinem Aufsatze über Michelino da Besozzo und 
Giovannino de’ Grassi (in L'Arte 1905) eine in jeder Beziehung wohlfundierte Beant- 
wortung so mancher Fragen zu erhoffen berechtigt sind. 

Für bald nach 1400 entstanden halte ich die schönen Deckenmalereien und 
das Schutzmantelbild in der Friedhofskapelle in Locarno (die Wandfelder tragen 
Malereien aus dem XIV. Jahrhundert). Manches gemahnt an die Fresken in Runkel- 
stein, so sehr ist nordischer Einschlag darin zu verspüren. Ohne daß ich sie gerade- 
wegs für lombardisch halte, möchte ich doch auch auf die wenig beachteten Fresken 
der Krypta des Doms von Parma hinweisen, die so entschieden oberitalienischen 
Charakter tragen. In Ligurien, wo damals die lombardischen, speziell pavesischen 
Künstler über die einheimischen und toskanischen Kräfte entschiedenes Übergewicht 
errangen, existiert aus dieser Frühzeit wenig. Eine auf der linken Seite etwas ver- 
kürzte Tafel der Anbetung der Könige (Abb. 1) im Besitze des Marchese Cesare 
Imperiali de’ principi di S. Angelo gewinnt dadurch an Interesse 1). 

Der lombardische Charakter der Fresken von Lionardo da Bisuccio in S. Gio- 
vanni Carbonara in Neapel ist jüngst *) mit Recht wieder betont worden — allerdings 
hatte denselben, so viel ich weiß, niemals jemand geleugnet. Farbig mit dem domi- 


1) Vgl. mein Buch über Genua pag. 72f. 
2) Bolletino d'Arte 1909. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 471 


Abb. 1. Ligurischer Meister vom Anfange des XV. Jahrhunderts, Anbetung der u 


Im Besitze des Marchese Cesare Imperiali, Terralba bei Genua 


nierenden Lichtblau und gelb gemahnen die Wandgemälde in Neapel schon an viel 
spätere Erzeugnisse der lombardishen Kunst (z. B. Bramantino). Gerade in ihrer 
Farbe haben mich zwei Tafeln, die vor einigen Jahren als Legat Marenzi in die Galerie 
von Bergamo kamen, und dort der venezianischen Schule zugeschrieben werden’), sehr 


ı) Abb. in Frizzoni, Le Gallerie dell’ Academia Carrara a Bergamo. (Monografie Illustrate 
Bergamo 1907 pag. 124 und 125. 


472 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


an die neapolitanischen Fresken erinnert. Idi möchte diese beiden Marterszenen der 
hl. Apollonia und Lucia daher als dem lombardischen Kunstbereich zugehörig betrachten. 

Als ein erfreuliher Weise erhaltenes Beispiel bezeugen uns Lionardo da 
Bisuccios Fresken in Neapel, daß die lombardischen Maler der letzten Viscontizeit den 
künstlerischen Eroberungszügen der maestri comacini folgten, was uns doppelt inter- 
essiert, wenn wir bedenken, daß damals der Toskaner Masolino in dem kleinen 
lombardischen Flecken Castiglione d’ Olona seine umfangreichen Wandgemälde aus- 
führte, daß ferner der Veronese Pisanello zur Ausschmückung des Castello di Pavia 
berufen ward, wenn wir dieser Nachricht des Cesare Cesariano und des Anonimo 
Morelliano Glauben schenken diirfen!). Die auf Stefano Breventano zurückgehende 
Notiz, im Castell seien Darstellungen von Jagdszenen und Tieren gewesen, hat 
mich auf die Vermutung gebracht, daß eine Zeichnung der Budapester Nationalgalerie 
(Schönbrunner-Meder, Albertinapublikation Nr. 751), auf welcher ein Jagdabenteuer des 
deutlich porträtähnlich charakterisierten Herzogs Giangaleazzo Visconti dargestellt ist, 
mit den Fresken des Castells von Pavia in irgendeinem Zusammenhang stehen 
könnte (Abb. 2). Jedenfalls scheint das Blatt auf die Hand eines lombardischen Künstlers 
des beginnenden XV. Jahrhunderts zurückzugehen. 

Ein anderes Bruchstück eines lombardishen Wandgemäldezyklus der ersten 
Hälfte des XV. Jahrhunderts ist uns sodann, wie ich glaube, in einer Zeichnung des 
Dresdener Kupferstich-Kabinets erhalten (phot. Braun, Dresden 94): Reiter mit Gefolge 
auf dunkelgrünem Grunde, die Tiere von vorzüglicher Beobachtung. Der Stil dieses 
Blattes ist dem Budapester gegenüber weiter vorgeschritten und nähert sich dem der 
Zavattari-Fresken von 1444 im Dom von Monza. 

Außerst wichtig ist das Weltgerichts-Fresko in Campione, das die Signatur 
zweier Künstler, Lanfranco und Filippo de’ Veri da Milano trägt’). In den Kreis der 
gleichen Künstler möchte ich eine für das Kaiser Friedrih-Museum neuerworbene 
Krönung Mariae, welche Schubring *) Michelino nennt, setzen. 

Ergänzend aber zu den wenigen erhaltenen Zyklen von Großmalereien des 
beginnenden Quattrocento treten dann die Miniaturen. Ich habe systematische Nach- 
forschungen nach dieser Richtung noch nicht angestellt, gewann aber aus den mir 
bekannt gewordenen Beispielen die Überzeugung, daß wir sie für ein richtiges Bild 
von frühlombardischer Maierei nicht entbehren können. Für besonders wichtig und 
entzückend durch die Feinheit der Ausführung halte ich zwei Handschriften der Pariser 
Nationalbibliothek. Ms. ital. (7245) 131, vita degli impcratori Romani, von 1431 datiert, 


1) Vgl. Crowe und Cavalcaselle D. A. 6. Bd. 480 note 14. Malaguzzi Valeri, Pittori 
Lombardi del Quattrocento pag. 88f. 

>) Vgl. Malaguzzi Valeri, Rassegna d'Arte 1908, VIII. 167 f. 

*) Rassegna d'Arte 1908, VIII. 181, mit Abbildung. Da ich das Bild im Original noch nidit 
gesehen habe, äußere ich mich hier mit aller Vorsicht. Daß aber Michelino nicht der Autor 
ist, ergibt ein Vergleich mit dessen einzigem bezeichneten Bilde in der Galerie von Siena, auf 
das ich (Repertorium 1902) zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt habe. Toesca hatte ganz Recht, 
ein Fresko der Madonna zwischen den hl. Nazaro und Celso in S. Maria presso S. Celso in 
Mailand in unmittelbare Nähe des Michelino zu setzen. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts #73 


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Abb. 2. Lombardischer Meister vom Beginn des XV. Jahrhunderts, Jagdabenteuer 
des Giangaleazzo Visconti, Handzeichnung Budapest, Nationalmuseum 


für Filippo Maria Visconti gemalt, und Ms. ital. 81 (8375) der Dittamondo des Fazio 
degli Uberti, von Andrea Morena da Lodi fiir Cristoforo de Cassano im Jahre 1447 
geschrieben, mit herrlichen Miniaturen von derselben Hand wie die Lebensbeschreibungen 
der römischen Kaiser. Nach der Erinnerung schien mir den Pariser Miniaturen ver- 
wandt ein sehr feines kleines Bildchen der Madonna zwischen zwei Heiligen mit vier 
schwebenden Engeln und Stifter, vorzügli erhalten, das ich kürzlid in der 
Kunsthandlung Böhler in München sah. 


Von einem Miniaturisten könnte auch ein reizendes kleines Altärchen aus- 
geführt sein, untriiglich lombardische Arbeit, um 1440 etwa, in der Galerie von Lille 
(Nr. 994). Anf dem Mittelfelde sehen wir im unteren Streifen Maria thronend zwischen 
Sebastian und Antonius dem Eremiten, darüber Christus am Kreuz zwischen Maria 
und Johannes dem Evangelisten, dem Täufer und einem Diakon. Auf dem linken Flügel 
sind übereinander St. Georg zu Pferde und Christoforus zu sehen, auf dem rechten 
St. Martin zu Pferde und die Schreckenszene aus dem Leben des hl. Giuliano. Die 
Farben sind ziemlich kühl, weinrot, zinnober, lila, stahlblau, Taubengrau, gelb und 
weiß. Die Figürchen rufen insbesondere die Genreszenen des Palazzo Borromeo ins 
Gedächtnis, die man früher, wohl irrigerweise dem Michelino zuschrieb; scheint 


474 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


doch in der Tat zwischen diesen Fresken und denen der Zavattari in Monza eine 
nähere Beziehung zu bestehen. Ich möchte es nicht versäumen, hier auch zwei jugend- 
lihe Köpfe mit Kronen, Freskobruchstiicke im Palazzo Trivulzi, zu nennen. 

Schon in die zweite Hälfte des Jahrhunderts reicht die Tätigkeit des Cremonesen 
Cristofano Moretti, dessen einziges bezeichnetes Werk die thronende Madonna im 
Besitze von Comm. Bassano Gabba in Mailand ist. Der reiche gotische mit Heiligen- 
statuetten verzierte Thron erinnert noch an des Leonardo da Bisuccio Fresken, die 
schlanke Gestalt Mariae aber mit dem feinen Gesichte, der langen schmalen gebogenen 
Nase, macht den Eindruck einer Aristokratin neben den derberen gedrungeneren Gestalten 
der anderen Lombarden. Ich vermag vorläufig kein zweites Werk des Cristofano 
anzugeben. Eine kleine Tafel der Madonna mit heiliger Nonne und Karthäusermönc 
als Donator in der Galerie Crespi wird ihm irrigerweise zugeschrieben 1). Von diesem 
anonymen Meister des Crespibildes aber stammt, wie ich glaube, ein schönes dreiteiliges 
Altarbild in der vatikanischen Galerie, das als vollständig erhaltenes Beispiel eines 
frühlombardishen Altars ein ganz einzigartiges Inteiesse für uns hat. Ich sah 
das Bild nodı als „scuola di Giotto“ ausgestellt, in der Literatur fand ich es nirgends 
erwähnt (Abb. 3). Im Mittelfelde sehen wir die Krönung Mariae in einer an Gentile 
da Fabriano erinneriden Art dargestellt, links die Geburt Christi mit dem Bade des 
neugeborenen Kindes, darüber die Verkündigung an die Hirten, rechts die Anbetung 
der hl. drei Könige. Medaillonartige, spitz zulaufende Bekrönungsstücke zeigen das 
Monogramm Christi und die Verkündigung in Halbfiguren. Die Farben sind gedämpft 
und stehen unter einem olivegrünen Gesamtton, so daß der koloristische Charakter 
allein schon auf die Lombardei weist. Daß unser Maler auch Einflüsse von Seiten 
der venezianischen Kunst erfahren hat, das lehren die namentlich an Antonio Vivarini 
gemahnenden männlihen Typen. Daß die Crespi-Madonna und der vatikanische 
Altar von demselben Künstler herrühren, ergab sich mir aus der Ähnlichkeit der Typen, 
des nackten Kindes (besonders in der Anbetung der Könige), der Gewandbehandlung, 
sowie auch der Farben. 

Von einem anderen Künstler, vermutlich einem Pavesen, rührt dann eine kleine 
thronende Madonna in der Fürstlih Czartoryskishen Sammlung in Krakau her 
(Nr. 243 Inv.). Maria trägt einen dunkelgrünen Mantel, das rotgewandete Kindchen 
hält eine Schwalbe in der Hand, während an den Pfosten des Thrones zwei Schwalben- 
nester kleben. Selten ist in der älteren Kunst die noch heute herrschende italienische 
Volksauffassung, nach der die Schwalbe der Madonna geweiht ist, so anmutig zum 
Ausdrucke gekommen. Die Halbfigur Gottvaters im spitzgiebeligen Tympanon und 
die Verehrung des Christkindes durch Maria und Josef in der Predella treten ergänzend 
zum Mittelbilde hinzu. Das Bild könnte einem der in Genua tätigen Pavesischen 
Maler angehören (schon um 1460). 

Ein Zeugnis dafür, wie Foppas Madonnendarstellung aus der älteren lombar- 
dischen Kunst herauswächst, bietet dann ein kleines Bild von selten vorzüglicher Er- 


1) Abb. Venturi, La Galleria Crespi, Mailand 1900, pag. 220. Auch Venturi lehnt die Zu- 
schreibung an Moretti ab und äußert die sehr ansprechende Vermutung, daß das Bild einst eine 
Zelle der Certosa bei Pavia geschmückt habe. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 475 


LITI? 


Abb. 3. Lombardischer Maler um 1450, Altarwerk 
Rom, Vatikan O 


haltung, das sich in meinem Besitze befindet (Abb. 4). Auf rotem Polster sehen wir 
Maria sitzend in weinrotgemustertem Unterkleid und schwarzblauem Mantel mit Gold- 
saum und weißem Futter. Das dicke Kindchen hält eine Rose und riecht daran. Maria 
aber scheint durch dieses kindliche Spiel mit der Blume des Leidens von schwermütigen 
Ahnungen ergriffen. Der aufs delikateste mit Ornamenten versehene Goldgrund (Bogen 
und Schleifen sind plasisch gehöht) schließt sih mit den Figuren zu einer unlösbaren, 
höchst reizvollen Einheit zusammen, und dies umsomehr, als wir durciwegs das alte 
schöne Gold erhalten haben, das in seinem zarten Schimmer mit den anderen Farben 
so weih zusammenklingt. Von diesem Bilde zu Foppas Madonna der Sammlung 
Noseda ist es nur ein kleiner Schritt. 

Eine andere Seite dieser frühlombardischen Malerei lernen wir in den Werken 
eines in Ligurien tätigen Pavesen kennen: 


476 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Donato de’ Bardi (t 1451) wird immer eine der merkwürdigsten Erscheinungen 
der lombardischen Kunst bleiben. Es ist nicht so sehr zu verwundern, daß Cavalcaselle 
und Crowe in Unkenntnis der 
von Alizeri veröffentlichten 
Lebensdaten des Künstlers 
dessen einzig bezeichnetes 
Gemälde, die Kreuzigung im 
Museum von Savona !), statt 
um 1450 erst um 1490 an- 
setzen. Durch die zweite, von 
mir in S. Giuliano d’ Albaro 
bei Genua aufgefundeneKreu- 
zigungstafel läßt sich dann 
über die Entwicklung der 
Kunst Donatos einiges sagen. 
Die Haupttatsache scheint mir 
das Eintreten toskanischen 
Einflusses zu sein. An Do- 
menico Veneziano und Fra 
Filippo Lippi denke ich ins- 
besondere. Die Übermittlung 
toskanischerErrungenschaften 
und Detailformen an Vin- 
cenzo Foppa dürfte wohl 
Donatos Werken zuzuschrei- 
ben sein. Sehen wir uns 
dessen Johannes und Maria 
auf der Kreuzigung in 
S. Giuliano an, so sind wir 


\ geradezu überrascht, so „fop- 
| peske“ Typen vor Foppa 
En rn re Lernen zi ae SESE] schon zu finden. Im Œuvre 

Foppas aber sind sie nicht 
Abb. 4. Lombardischer Maler um 1450, Madonna in den Arbeiten der fünfziger 


Im Besitze des Verfassers o 


Jahre (Kreuzigung von 1456 
und Madonna Noseda), sondern erst etwas später nachzuweisen. 1461 in Genua konnte 
Foppa Werke Donatos gesehen und studiert haben. Vergleiche man beispielsweise 
die kniende Heilige auf Donatos Kreuzigung (Abb. 5) mit der Mutter in der Trajans- 
szene (Zeichnung in Berlin)*). Erstaunlich entwickelt und weit vorgeschrittener als 


1) phot. Brogi 11633, Abb. Genua pag. 72. 

?) Für den Einfluß Donatos in Ligurien ist dann ein Kreuzigungsbild der Pinakothek von 
Savona (phot. Brogi 11634) nicht ohne Interesse; die schwebenden Engel weisen den gleichen 
Typus auf, der Johannes ist aber aus Mantegnas Stich der Grablegung kopiert. Als ein Werk 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 477 


auf Foppas Frühwerken sind die landschaftlichen Hintergründe auf Donatos Bildern. 
Alles in allem ist Donato Conte de’ Bardi eine der erstaunlichsten Erscheinungen in 
der lombardischen Kunstge- 
schichte und wohl geeignet, 
den hohen Rang der Maler- 
schule von Pavia schon in 
der ersten Hälfte des XV. Jahr- 
hunderts zu dokumentieren. 
Die Christusgestalt Donatos 
ist wohl die früheste nach 
bestimmten Maßverhältnissen 
dargestellte Aktfigur in Ober- 
italien. Diese bedeutsame 
kunsttheoretische Basis in 
Donatos Schaffen würde ge- 
nügen, an einen Zusammen- 
hang mit Foppa zu denken, 
selbst wenn die ganz direkte 
Ahnlichkeit der Typen nicht 
vorhanden wäre. So ist es 
schwer zu verstehen, warum 
Name und Werke Donatos von 
Foppas neuen Biographen 
gar nicht erwähnt werden, 
trotzdem ich an einigen 
Stellen!) schon meine Über- 
zeugung ausgesprochen habe, 
Foppa müsse von seinem 
älteren Pavesischen Kunst- 
genossen viel gelernt haben. 


* * 
x 


II. Vicenzo Foppa 


Durch Constance Jocelyn 
Ffoulkes und Monsignore Ro- 
dolfo Majocchi hat Vincenzo 
Foppa eine auf griindlichsten 
Vorarbeiten basierte, monu- 


Abb. 5. DONATO DE’ BARDI, Kreuzigung 


mental angelegte Mono- S. Giuliano d' Albaro bei Genua O 


aus der Zeit Donatos, das namentlich mit dem Stifterportràt auf der Kreuzigung in S. Giuliano 
einige Ahnlichkeit aufweist, nenne ich das dem Giovanni Bellini zugeschriebene Profilbildnis eines 
jüngeren Mannes im Palazzo Rosso zu Genua (phot. Noack 6617). 

1) „Genua“ Leipzig 1906, pag. 75, Monatshefte für Kunstwissenschaft 1908, pag. 440. 


478 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


graphie erhalten’). Der Fleiß und die Gewissenhaftigkeit, mit denen ein überraschend reiches 
dokumentarisches Material hier gesammelt und erstmalig publiziert wird, verdienen 
uneingeschränkte Anerkennung. Die mitgeteilten Dokumente enthalten sehr viel mehr 
als trockene biographische Notizen. Wie viel erfahren wir durch sie über allgemeine 
künstlerische Verhältnisse der Lombardei, über Arbeitsweise und Arbeitsteilung an 
Altären und Wandgemälden, über Geschmack und Wünsche der Auftraggeber. Auch 
wissen die Autoren geschickt eben durch die Dokumente das richtige Verhältnis zwischen 
dem Speziellen und dem Allgemeinen zu fixieren. Nachdrücklicıst warnen sie davor, 
was nicht oft genug geschehen kann, auf wenige, heute gerade gangbare Namen, fast 
alle erhaltenen Bilder einer Schule und Epoche zusammenstopfen zu wollen; berichten 
doch die Dokumente über so viele Künstler, für welche der verbindende Faden zwischen 
Name und erhaltenen Werken verloren ist oder noch nicht aufgefunden wurde. 

Nicht so ganz vermag ich der Stilkritik der beiden Autoren beizupflichten. 
Mit der im Bude vorgeschlagenen Reihenfolge der Werke Foppas kann 
id mich nicht in allen Punkten zufrieden geben, und auch die Unterscheidung 
zwischen eigenhändigen Arbeiten und solchen der Schüler fordert hin und wieder zur 
Diskussion heraus. So möchte ici — hier in Übereinstimmung mit F. Malaguzzi 
Valeri ° — die Madonnenbilder der Sammlung Crespi und des Museo Poldi sowie 
die Verkündigung des Museo Borromeo für eigenhändige Arbeiten halten. Gerade 
bezüglid der Verkündigung stimme ich nach neuerlich vorgenommener genauer Be- 
sichtigung vollständig Frizzonis Ansicht bei, daß wir in ihr ein sehr bedeutendes 
eigenhändiges Werk Foppas besitzen. Dagegen stehe id anderen neueren Zu- 
schreibungen skeptisch gegenüber: ich kann mir nicht vorstellen, daß die Anbetung des 
Christkindes in Versailles bei Abbe Lefevre (die allerdings eine Namensaufschrift trägt) 
und die Kirchenfahne in Orzinuovi bei Brescia späteste eigenhändige Arbeiten sind, 
auf welche die Gesamtentwicklung des Künstlers hinausliefe. Da mir beide Werke 
aber nur aus der Abbildung bekannt sind, wage ich kein endgültiges Urteil. Eine 
durch Malaguzzi Valeri eingeführte Madonna der Sammlung D. Fellow Platt in New 
York, die auch ihm nur aus der Photographie bekannt ist, hat gewiB mit Foppa 
selbst nichts zu tun. Sie scheint das Werk eines anderen gleichzeitigen Lombarden 
zu sein. Eine kleine Tafel mit dem Sebastiansmartyrium bei Ant. Grandi in Mai- 
land wird von Ffoulkes und Majocdi richtiger als von einem Foppa nahestehenden 
Schüler ausgeführt betrachtet, während Malaguzzi eigenhändige Ausführung an- 
nehmen möchte. 

Um eine Klärung der Frage der chronologischen Entwicklung zu erleichtern, 
stelle ich im folgenden dem Schema, des Ffoulkes und Majocchi (pag. 266f.) geben, 
ein anderes gegenüber und werde dasselbe durch kurze Erläuterungen begründen, auch 


1) Vincenzo Foppa of Brescia, founder of the lombard school, his life and work, by 
Constance Jocelyn Ffoulkes and Monsignore Rodolfo Maiocchi, D. D. Rector of the collegio 
Borromeo, Pavia. Based on research in the archives of Milan, Pavia, Brescia and Genoa, and 
on study of all his known works. With 90 illustrations 15 in Photogravure, and 97 documents. 
London, John Lane the Bodley head. New York: John Lane Company MCMIX. 

2) Rassegna d'Arte 1909, pag. 85. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 479 


keineswegs vergessen anzugeben, welche Bilder ich im Original nicht gesehen habe, 
weil ihre Einordnung natürlich durchaus hypothetischen Charakter trägt. 


1. Frühzeit bis nach 1460 


Madonna und Kind mit 
Engeln, Sammlung Noseda, 
Mailand. 

Madonna und Kind, 
Sammlung Crespi, Mailand. 

Madonna und Kind, 
Sammlung Trivulzio, Mai- 
land. 

Kreuzigung, Bergamo, 
datiert 1456. 

Madonna und Kind, 
Sammlung Davis, New Port 
U. S. A. (letztere mir nur 
aus der Photographie be- 
kannt.) 

Daß die Kreuzigung in 
Bergamo auf eine Bekannt- 
schaft Foppas mit Werken 
des Jacopo Bellini schließen 
lasse, ist von Ff. und M. ge- 
wiß richtigbeobachtet worden. 
Aus der Madonna Noseda 
entnehmen wir dazu noch, 
daß die (in Brescia selbst 
vorhanden gewesenen) Male- 
reien des Gentile da Fabriano 
auf Foppas Ausbildung nicht 
ohne EinfluB gewesen sein 
mögen. Anderseits sind es 
gewiß auch Arbeiten lombar- 
discher Meister, die auf des 
Brescianers Phantasie wirk- 


ten, wie ich oben schon aus- 


zuführen hatte. Zu Gunsten Abb. 6. V. FOPPA, Alter Mann, Rötelzeichnung 
Städelsches Institut, Frankfurt a. M. O 


einer fixen Idee der Ableitung 

Foppas aus dem venezianisch-veronesischen Kunstkreise scheinen mir Ff. und M. an der 
älteren lombardischen Kunst allzu achtlos vorüberzugehen. Verglichen mit späteren 
Arbeiten Foppas zeigen die genannten Gemälde Züge zarter Empfindsamkeit. Die 
Körper sind schmächtig, die Gesichtsteile klein, der Blick der Augen sanft. Erfahren 


480 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


auch plastische Durchbildung und Gewandbehandlung eine stete Steigerung, so fehlen 
doch große Motive noch ganz. 


2. Werke bis um 1470 


Christus, Sammlung Conway, Addlington Castle. 

Verkündigung, Sammlung Vittadini, Arcore. 

Ein Bischof und ein Abt, Sammlung Trivulzio, Mailand. 

Madonna del latte, Sammlung Johnson, Philadelphia U. S. A. (mir nur aus der 
Reproduktion bekannt). 

Madonna mit segnendem Kinde, Castello, Mailand. 

Die Gestalten werden allmählich voller und breiter, die Gesichtsteile größer. 
In der Madonna des Castello begegnet uns zum ersten Male der breite, eigentlich 
unschöne Typus, den dann etwas gemildert, auch die Madonna des Breraaltars zeigt. 
Das Kind dagegen findet gerade in den Frühwerken seine Gespielen, auch ist die 
räumliche Beziehung der Gottesmutter zur architektonishen Umrahmung keine klare. 
Aus diesen Gründen nehme ich eine ziemlich frühe Entstehung an. Die langgezogenen 
sanft bewegten Heiligengestalten des Fürsten Trivulzi möge man mit denen des Brera- 
altars vergleichen, um sich zu überzeugen, daß sie in eine frühere Epoche Foppas 
gehören, nicht Spätwerke sind, wie unsere Autoren annehmen. Sofern diese genannten 
erhaltenen Werke ein Gesamturteil gestatten, können wir sagen, daß die Probleme der 
Verkürzungen sowie der perspektivischen Raumdarstellung, die in späteren Arbeiten so 
sehr in den Vordergrund treten, den Künstler noch wenig beschäftigen. Vollentfaltet 
tritt uns Foppas Stil erst in der dritten Gruppe von Werken entgegen, der ich folgende 
Malereien beizähle: 

3. Die Zeit bis 1490 


Altarwerk, Madonna, drüber Stigmatisation des hl. Franz, zu Seiten Heilige, 
Brera Mailand, zugehörige Predella in Arcore, Sammlung Vittadini. 

Madonna mit Kind, Sammlung Frizzoni, Mailand. 

Madonna mit Kind, Berlin, Kaiser Friedrich-Museum (nicht ausgestellt). 

Hl. Hieronymus, Bergamo, Academia Carrara. 

Hl. Gregor und Bartolomäus, Sammlung Sarasin Warnery, Basel (mir nur aus 
Reproduktion bekannt). 

Johannes Baptista und Stigmatisation des hl. Franz, Fresken, Castell, Mailand. 

Martyrium des hl. Sebastian, Fresko, Brera. 

? Madonna mit zwei Heiligen, Fresko von 1485, Brera. 

Die Kirchenväter, Capella Portinari, S. Eustorgio, Mailand. 

Madonna und Heilige, Altar von 1489, Savona, Museum. 

Altarwerk, S. Maria di Castello, Savona, datiert 1490. 

Bezüglich des Breraaltars scheint mir unserer Autoren Annahme, die Stigmati- 
sation des hl. Franz gehöre nicht dazu, unzutreffend. Als Grund geben sie an, es 
sei nicht denkbar, daß über dem Haupte der Madonna ein anderer Heiliger seine Stelle 
gefunden hätte. Oft kommt das nicht vor, das ist richtig, aber bisweilen doch: so in 
dem Poliptychon zu Quarona (piemontesisch Anfang des XVI. Jahrhunderts) an dessen 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 481 


Intaktheit niemand zweifeln wird, wo über Maria der hl. Johannes Baptista steht 
(Abbildung in Rassegna d'Arte 1909 pag. 83), oder in dem Altar des Paolo da Venezia 
und Stefano Piovano im oratorio di S. Martino zu Chioggia (fot. Alinari 20843). 
Damit fällt auch die von Ff. und M. vermutete spätere Entstehung der Stigmati- 
sationsszene. Die Berliner Madonna von Ff. und M. ganz früh angesetzt, ähnelt im 
Typus derjenigen von 1489 in Savona, sowie den weiblichen Heiligen des Breraaltars, 
auf dem uns zuerst die schweren, massiven Formen begegnen, die auch diesem Bilde 
zu eigen sind. 

Nicht ohne Zögern habe ich das Madonnenfresko von 1485 in der Brera in 
obige Liste aufgenommen. Es ist als Werk Foppas allerdings bisher nie bezweifelt 
worden, seitdem die alte Zuschrei- 
bung an Bramantino als irrig er- 
kannt worden war. Körper und 
rechter Arm Mariae stimmen fast 
genau mit der Madonna Frizzoni 
überein, das Kind in der Haltung 
mit dem der Berliner Madonna. 
Die Typen aber haben ihre schla- 
gendsten Analogien in den Wand- 
bildern der Capella di S. Pietro 
Martire in S. Eustorgio. Sehr mit 
Recht, wie ich glaube, nehmen 
Ff. und M. an, dieselben seien 
von einer Compagnia von Künst- 
lern ausgeführt worden. Aud 
darin stimme ich vollständig bei, 


daß sie für eigenhändige Arbeit 
dos ‘Fonte ander Kenelle-inir:die Abb. 7. Lombardische Holzschnitzerei vom Anfange des 
PP P XVI. Jahrhunderts. Pieta = 


Kirchenväter unter der Kuppel O Locarno, Madonna del Sasso (Kloster) 
halten. Diese können aber un- 

möglich aus den 60er Jahren stammen, sondern passen in sein CEuvre kaum vor den 
80er Jahren '). Die meisterhafte Verkürzung und Raumillusion sind früher nicht gut 
möglih. Und sehen wir uns doch auch die Legendenszenen unten an. So freie 
Landschaftsbilder, wie das bei der Ermordung des Petrus Martyr, sollen nur um wenige 
Jahre später als Mantegnas viel strengere Eremitanifresken gemalt sein? Das Brera- 
fresko von 1485 ist aber stilistisch so enge mit den Legendenszenen der Portinari- 
kapelle verknüpft, die nicht von Foppa sind, daß ich geneigt bin, dasselbe audi aus 
- Foppas (Euvre zu streichen. Wie der Autor des schönen Werkes dann heißen mag, 
das können wir einstweilen noch nicht sagen. Einen Typus, den wir in dem Schergen 


ı) Der Dominikaner Gaspare Bugati (+ 1583) gibt betreffs der Kapelle nur die allgemeine 
Angabe, daß 1468 beim Tode des Pigello Portinari alles vollendet gewesen sei. Es ist aber gar 
nicht ausgemacht, daß seine Angabe, selbst wenn sie auf heute verlorenen Dokumenten basierte, 
sich auch auf die Malereien bezog und nicht etwa nur auf dem Bau. 


482 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


bei der Ermordung des Petrus Martyr wiederfinden, weist auch der hl. Paulus bei 
Cav. Noseda auf. Ich glaube, er ist ein Werk desselben, vorläufig anonymen Künstlers, 
nicht Foppas. Ff. und M. haben ganz recht, wenn sie die Malereien der Portinarikapelle 
noch als ein großes Rätsel der lombar- 
dischen Kunst bezeichnen, dessen sichere 
Lösung allerdings infolge der späteren 
Übermalungen kaum zu erhoffen ist. 


4. Spätwerke nach 1490 


Beweinung Christi, Berlin, Kaiser 
Friedrich-Museum. 

Madonna mit Kind, Museo Poldi, 
Mailand. 

Christus, Sammlung Cheramy, Paris 
(mir nur aus der Reproduktion bekannt). 

Madonna, Museo Poldi, Mailand. 

Anbetung der hl. drei Könige, Natio- 
nal Gallery, London. 

Verkündigung, Sammlung Borromeo, 
Mailand. 

Martyrium des hl. Sebastian, Castello, 
Mailand. 

Von der großartig ernsten Pieta 
aus S. Pietro in Gessate (in Berlin), führt 
eine Brücke zu dem wundervollen Ma- 
donnenbilde des Museo Poldi. Farbig 
ist es sehr verschieden von Foppas an- 
deren Werken. Da es aber in Formen- 
gebung und seelischem Charakter so 
durchaus zu ihnen stimmt, möchte ich 
doch an der Autentizität nicht zweifeln. 
Für den Christus der Sammlung Che- 
ramy ist es nicht ohne Interesse, daß 
Andrea Solario in seinem frühesten mir 
bekannten Bilde, das vor der Reise nach 
Venedig entstanden sein muß (wenig 


nach 1490), ihn zum Muster nahm. 
Abb. 8. Lombardischer Maler um 1500, Madonna Solarios Bild befindet sich im Besitze. 


Sammlung des Freiherrn von Tucher, Wien O 


. 111 i a | 

a I 5 1 31177 a0 4 
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DURS, RS D ee 
… 


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von Mr. Charles Butler in London. Die 
prachtvolle Verkündigung der Galleria Borromeo steht zeitlich dem Londoner Epiphaniasbilde 
sehr nahe. Ist es mir hier nicht möglich, die Zweifel der beiden Autoren zu teilen, so 
kann ich anderseits als Spätwerke die der Abbildung nach recht shwachen Gemälde 
in Versailles und Orzinuovi nicht gelten lassen. Da ich beide im Original nicht gesehen 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 483 


habe, kann ich allerdings kein endgültiges Urteil 
fällen. Es wären äußerst schwachliche, wenig 
anziehende Gebilde, in denen für uns Foppas 
Kunst ausklänge, wenn Ff. und M. mit ihrer Zu- 

* sammenstellung recht hätten. Wogegen meine 
Gruppe von Spätwerken eine letzte würdige 
Manifestation des ins monumentale gesteigerten 
Geistes des Quattrocento an der Schwelle des 
neuen Jahrhunderts darstellt. 


x * 
* 


In meiner Liste fehlen einige Bilder, deren 
chronologische Einordnung mir schwer möglich 
schien: so das reizende Fresko der Wallace 
Collection, ferner die mir im Original nicht be- 
kannte Pieta bei Sig. Bernasconi und die Madonna 
bei Mr. Berenson, welche, nach der Abbildung zu 
schließen, in den Köpfen durch Restaurierung stark Abb. 9. Lombard. Maler des XV. Jahr- 
verändert sein muß. Von Zeichnungen halte ich hunderts, Madonna ie 
die Berliner Traianszene für möglicher Weise, den ia 
aufgestützten Alten in Frankfurt für gewiß echt (um 1490). Vergleihe man dom 
Typus, Form der Hand, Gewandung usw.! (Abb. 6). 

Sehr richtig haben Ff. und M. beobachtet, daß die Pietà von 1509 in S. Giovanni 
Evangelista zu Brescia von einem sehr nahen 
Schüler Foppas herrühre, nicht von Civerchio, 
mit dessen Namen in jiingster Zeit viel Unfug 
getrieben wird. Eine weitere Arbeit dieses 
Foppaschülers fand ich in einem Seitenraum 
des Klosters der Madonna del Sasso über 
Locarno, die Fliigelbilder der klagenden Frauen 
und die Liinette mit Gottvater von einem Altar, 
dessen Schrein eine ebenfalls noch erhaltene, vor- 
zügliche bemalte Holzgruppe des von Engeln ge- 
stützten Christus auf dem Grabe enthielt (Abb. 7). 

Durch Wickhoff ist in die Literatur auch 
ein Gemälde der Madonna mit Engeln in der 
Sammlung Exellenz Baron Tuchers als Werk 
Foppas eingeführt worden’). Die Verschiedenheit 


1) Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 


Abb. 10. Lombardischer Kupferstecher des 1908, pag. 25. Die AuBerung Wickhoffs, das Bild 
XV. Jhrh., Die beiden Einsiedler entstamme „der spätesten und reifsten Periode 


O Wien, Hofbibliothek Foppas“, entbehrt jeder Begründung. 


484 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


von Foppas Werken ist aber so groB, daB sein Name unbedingt auszuschlieBen ist. 
Manche Details in dem außerordentlich reizvollen Bilde (Abb. 8) erinnern an den Altar 
des Marco Longobardo und Giovanni Auroni von Cantü bei Donna Eva Brambilla in 
Mailand (aus Assiano bei Cusago, Abbildung in Rassegna d'Arte 1907, pag. 96), die 
Farben sind aber viel lebhafter, entsprechen in der Wahl denen Foppas, die Qualitàt 
ist eine höhere als in genanntem Altar. So ist die Madonna Tucher einstweilen noch 
ein anmutiges Rétsel der lombardischen Malerei. 

Zu den von Ff. und M. erwähnten Bildern gleichzeitiger Lombarden und ano- 
nymer Schiller Foppas lieBe sich manches zufiigen. Der thronenden Madonna in Dijon 
nahe verwandt scheint mir das Altarwerk der zweiten Kapelle links in S. Pietro in Gessate; 
von demselben Maler wie die Madonna auf dem Goldthron in der Sammlung Cook stammt 
ein ganz ähnliches Bild bei Sir Martin Conway in Addlington Castle. Auf ein kleines 
foppeskes Madonnenbildchen (Abb. 9) in der Sammlung von Herrn Carl Franze in 
Tetshen (Böhmen) möchte ich bei dieser Gelegenheit ebenfalls hinweisen; es ist arg 
übermalt; das Kind erinnert auch an jenes von Butinone auf der Predella in Treviglio. 

Schwierig ist eine sichere Beantwortung der Frage nach dem Autor des vor- 
trefflichen Porträts des Francesco Brivio im Museo Poldi. Seit Morelli schreibt man 
es allgemein Ambrogio de Predis zu. Mir ist immer noch Foppas Autorschaft wahr- 
scheinlicher. Als ein Spätwerk, dessen stilistische Beziehung zum Sebastiansmartyrium 
im Castell nicht übersehen werden kann, hätten wir es dann aufzufassen. 

Habe ich früher einmal den Stich des Giovanni Maria da Brescia „die Gerechtig- 
keit des Traian“ in Vergleih zu Foppas Werken gesetzt, so möchte ich heute auf 
einen anderen anonymen Stich (Passavant V. pag. 189, 101; Bartsch XV. p. 182, 32) 
hinweisen, zwei Einsiedler darstellend, der mich immer an Foppas Werke erinnerte, 
ohne daß ich geradezu behaupten möchte, er sei nach dessen Entwurf gefertigt. Die 
heigefügte Abbildung ist eine verkleinerte Reproduktion des in der Wiener Hof- 
bibliothek aufbewahrten Exemplars (Abb. 10). 


* * 
* 


Auf einen lombardischen Zeitgenossen Foppas, dessen Tätigkeit in die 60 er 
und 70er Jahre fallen dürfte, möchte ich noch die Aufmerksamkeit lenken. Durch das 
Bild der Predigt eines Dominikaners in den University Galleries in Oxford (Nr. 24) 
wurde ich zuerst auf ihn aufmerksam (Abb. 11). Dort ist das Bild dem Jacopo Bellini 
zugeschrieben: nicht nur die Typen sondern insbesondere auch die Farben beweisen 
aber untrüglich die lombardische Provenienz. Rosa und graue Gebäude, deren Zeichnung 
den Raumeindruck bestimmt, stehen vor goldenem Grunde. Die Figuren haben fahle 
gelbliche Karnation und ziegelrote, braunrote, graulila, schwarze und gelbe Gewänder. 
Blau fehlt in dem Bilde. Von derselben Hand, gleich in Typen und Farben, stammt 
dann ein Predellenbildchen der Geburt Mariae im Louvre (Nr. 1660). Die Wöchnerin 
im Bette, das Bad des neugeborenen Kindes, der heimkehrende Joachim, all das ist 
mit jener naiven Unmittelbarkeit geschildert, die den frühlombardischen Werken eigen 
ist. Das Hauptwerk unseres Anonymus aber, eine Serie von zwölf Bildern mit der 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 485 


EIER 


Abb. 11. Meister der Thomaslegende, Predigt eines Dominikaners 
O University-Galleries, Oxford 


Lebensgeschichte des hl. Thomas von Aquino fand ich dann in Wien im Besitze Sr. k. 
und k. Hoheit des Erzherzog Thronfolgers Franz Ferdinand. Diese Gemälde, über welche 
ih an anderer Stelle ausführliche Mitteilungen zu machen hoffe, stammen aus altem 
estensischen Besitze. Nach seinem Hauptthema möchte ich unseren Anonymus einst- 
weilen den „Meister der Thomaslegende“ nennen. 

Dieser „Meister der Thomaslegende“ ist keiner der führenden Geister. 
Daß es aber neben Foppa noch sehr große lombardische Künstler gab, die wir heute 
nicht mehr kennen, das bezeugt die prachtvolle Porträtzeichnung angeblich des Francesco 
Sforza in den Uffizien (die ehemals falschlich Bramantino zugeschrieben wurde, Abb. 12). 
Solch ein Werk gibt doch zu denken über den allgemeinen Stand der lombardischen 
Malerei schon in der Francesco Sforza Zeit. Das Blatt erinnerte mich immer an 
einzelne Kriegerköpfe in der Auferstehung im Collegio Castiglione zu Pavia, in den 
Fresken die laut Inschrift 1475 gemalt wurden, möglicherweise von Bonifacio 


486 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 12. Lombardischer Meister des XV. Jahrhdts., Porträtzeichnung 
angeblich des Francesco Sforza Uffizien, Florenz 


Bembo. Allerdings ist die Qualität der Uffizienzeichnung höher. Ja man wird über- 
haupt nicht vieles in der frühlombardischen Kunst finden, das sich diesem Blatte an 
die Seite stellen läßt. 

III. Butinone und Zenale. 


Über die beiden Künstler aus Treviglio ist in den letzten Jahren viel geschrieben 
worden. Butinone lernte man dadurch als einen Künstler kennen, der bei mäßiger 
Begabung infolge einer großen Empfänglichkeit für äußere Eindrücke sich bald den 


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W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 487 


Paduanern und Mantegna, bald Foppa, Bramante oder Zenale nähert. Seine Werke, 
durch auBerliche, fast zufällige Merkmale miteinander verbunden, sind bisweilen äußerst 
reizvoll, so daß wir unwillkürlich unter größeren Namen nach dem Autor suchen, bis 
gewisse Eigentümlichkeiten in Zeichnung und Kolorit uns plötzlih zum Bewußtsein 
bringen, niemand anderer als Butinone könne der Autor sein. 

Ganz anders steht die Sache bei Zenale. Nur durch die Macht älterer falscher 
Attributionen und Erzählungen ist es möglich, daß einige ihm heute noch ganz hete- 
rogene Arbeiten zuschreiben, ein echt be- 
zeichnetes, wenn auch schlecht erhaltenes 
Bild aber nicht anerkennen wollen. Es 
gibt nicht viele Künstler, deren beglau- 
bigte, über mehrere Jahrzehnte sich ver- | | 
teilende Arbeiten stilistisch so wenig von- | e da : = 
einander abweichen. Dennoch ist es nicht [SERRE À 
überflüssig, hier noch einige Worte über RES 
Zenale zu sagen: 

Was den Altar zu Treviglio betrifft, 
so habe ich schon früher!) den Anteil 
der beiden Künster an demselben zu be- 
stimmen versucht und bin in der damals 
vorgenommenen Einteilung durch eine er- 
neute Besichtigung nur bestärkt worden. 
Danach sind von Zenale die Heiligen links, 
der hl. Martin, Auferstehung und zwei 
Kirchenväter der Predella, von Butinone 
der Rest. Berenson hat meine Einteilung 
fast genau übernommen, Malaguzzi Valeri 
hat (in Anlehnung an Seidlitz) mehrmals °) 
gegen dieselbe opponiert, mir aber im 
Vorjahre mündlich erklärt, daß er nach 
erneuter Untersuchung in dem Hauptpunkte Abb. 13. Lombardischer Meister des XV. Jhrhd. 
bezüglich des hl. Martin mir beipflichte. cut mit Gelbelung NRE 
Derselbe Forscher scheint mir in einem O Sammlung Charles Loeser, Florenz 
sehr fleiBigen Aufsatze über die Fresken 
der Capella Griffi?) wieder dem Butinone zu viel zuzuweisen. So erkennt er zwar, daß 
einzelne Gruppen in den Fresken mit den Taten des Ambrosius nur von Zenale sein können, 
gibt demselben aber nicht auch den prächtigen Ambrosius zu Pferde in der Lünette sowie 
die beiden Reiher, die in ihrer ruhigen Größe gegen Butinones knittrig kleinliche Art so 
auffallend kontrastieren. Malaguzzi hat sich in blindem Glauben an Morelli lange da- 
gegen gewehrt, die bezeichnete Verspottung Christi der Galleria Borromeo als Werk 


1) Repertorium für Kunstwissenschaft 1902. 
2) Rassegna d'Arte II, 189, III, 104. 
3) Rassegna d'Arte VII, pag. 145ff. 


488 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Zenales anzuerkennen. Heute zweifelt wohl niemand mehr, daß dieses Bild, wenn es 
auch arg gelitten hat, noch immer genug charakteristishe Eigentiimlichkeiten von 
Zenales Art aufweist. Einige von Malaguzzi neuerdings!) versuchte Zuschreibungen 
an Zenale halte ich für sehr fragwürdig. Was es mit einem kleinen, nach der Repro- 
duktion recht unbedeutenden Madonnenbilde bei Signor G. Tirigallo in Treviglio auf 
sidi hat, kann ich nicht sagen, da mir das Original nicht bekannt ist; die zwei Tondi 
im Museo Poldi (der hl. Ambrosius und Hieronymus) halte ich aber einer Gruppe von 
Bildern zugehörig, die einem vorläufig anonymen Künstler angehören, der von Zenale 
und Foppa beeinflußt erscheint. Über diesen Künstler hoffe ich an anderer Stelle aus- 
führliher zu sprechen. So sehr ich mich bemüht habe, weitere Arbeiten Zenales 
ausfindig zu machen, so war es mir doch bisher nicht möglich, solche zu entdecken. 
Von einem ihm nahestehenden Künstler rührt gewiß das schöne Bild eines lesenden 
hl. Lorenzo im Besitze der Gräfin Anna Amadei in Wien her. Der Heilige ist in ein 
tiefleuchtendes dunkelgrünes Brokatgewand gekleidet, die Bordüren am Halse und der 
Heiligenschein sind plastisch erhaben in Gips gearbeitet, eine Eigentümlichkeit, die auch 
in dem Altar zu Treviglio vorkommt. 

Ein schon früher von mir erwähntes Madonnenfresko in S. Vittore al teatro zu 
Mailand möchte ich hier neuerlich nennen, da der Autor desselben in Zenales Um- 
gebung zu suchen sein dürfte. Und dasselbe darf man auch von einer interessanten 
Federzeicinung sagen, deren Besitzer, Herr Charles Loeser in Florenz, die 
Güte hatte, die Photographie zur Verfügung zu stellen, die der beigefügten Repro- 
duktion zugrunde liegt (Abb. 13). Bei eingehender Betrachtung des lombardischen 
Dekorationsstiles dürfte sih der Autor der Loeserschen Zeichnung noch genauer be- 
stimmen lassen. Es ist ein Architekt, der hier seine Phantasie walten läßt; die im 
Hintergrunde in kleinen Figuren beigefügte Geißelung Christi ist vollständig Nebensache. 


Da über Zenales Kunst noch immer viel Unklarheit herrscht, füge ich hier die 
ungefähr chronologisch geordnete Liste der Werke, die ich für eigenhändig halte, ein: 

1485 Altar in Treviglio, Heilige links, St. Martin, Auferstehung, zwei Kirchenväter 

1489—93 Fresken der Gapella Griffi. Ambrosius zu Pferde, die beiden Reiher 
und einzelne Figurengruppen in den Historienbildern, namentlich dem zur rechten Hand 
vom Eingang zur Kapelle (mit dem kuppelbekrönten Zentralbau auf dem Berge). 

Portrait des Bischofs Novelli, Gal. Borromeo, Mailand. 

1502 Verspottung Christi, Gal. Borromeo, Mailand. 

Vorzeichnungen zu einigen Chorstuhlfüllungen, S. Bartolommeo, Bergamo. 

Altarwerk der Madonna mit Heiligen und Donatoren, Ambrosiana. 

Hl. Michael und Donator, Sammlung Frizzoni Salis, Bergamo. 


Zu untersuchen wäre noch, ob in den Freskomalereien in der Kirche S. Maria 
delle Grazie Zenales Hand sich feststellen ließe. Mir schienen einige der sehr 
hoch angebrachten Medaillonbilder weiblicher Heiligen im Mittelschiff auf Zenale zu weisen. 


!) Rassegna d'Arte VII, 163. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 489 


War mir leider eine Bereicherung von Zenales Oeuvre diesmal nicht möglich, 
so freue ici mich umsomehr, auf einige bisher den Forschern entgangene Werke Buti- 
nones hinweisen zu können, deren besonders gute Qualität geeignet ist, das Bild dieses 
Künstlers in sympathischer Weise zu ergänzen. 

Und da beginne ich gleich mit dem anmutigsten Werke, das ich von ihm bringen 
kann: einem Mädchenkopf en face im Besitze der Contessa Sola-Busca in Mailand 
(Abb. 14). Als ich vor Jahren das Bild zum ersten Male sah, erinnerte es mich an 
Bramante. Die metallisch gedrehten Locken, die harte Farbengebung hat aber Buti- 
none ebenso auf der Berliner Pieta, die ja auch 
ihrerseits auf Bramantes Einfluß hindeutet. Ähnliche 
Typen, wohl nur etwas weniger anmutig, gleiches 
Perlenstirnband und auch verwandtes Kolorit findet 
man in Butinones bezeichnetem Bilde auf Isola Bella. 
Auch entspricht der Typus mit dem kleinen Munde, 
der schmalen Nase, den melancholischen Augen völlig 
dem Butinones. Neu ist, daß wir Butinone als ersten 
von der älteren Generation das Thema des jugend- 
li schönen Facekopfes behandeln finden, das von 
Leonardo und Bramante (Fries der casa Silvestri) 
angeregt, in dem Kreise Boltraffios so häufig 
variiert wurde. 

Ein besonders schönes Exemplar aus der Gruppe 
kleinfiguriger Bilder Butinones befindet sich im Be- È 
sitze des Fürsten Liechtenstein, auf der gleichnamigen \ 

Burg bei Mödling (Niederösterreich). Es stellt die Abb.14. B.BUTINONE, Mädchenkopf 
Vorführung eines jugendlichen Heiligen vor den Contessa Sola Busca, Mailand 
Richter dar (vielleicht des hl. Martin). Die zierliche 

graugrüne Architektur, die in lebhaft farbige Gewänder gekleideten Figürchen, rufen 
sogleich jene anderen der Predella in Treviglio, sowie dem Klappaltärchen des 
Castello Sforzesco verwandten Bildchen der Galleria Borromeo, der Museen von Pavia 
und Bergamo ins Gedächtnis, die, von mir zuerst eingeführt, nun allgemein als Werke 
Butinones anerkannt werden. 

Da die beiden Gestalten des hl. Lodovico und Bonaventura in der Ambrosiana 
meines Wissens noch nicht publiziert wurden, möchte ich nicht versäumen, sie hier in 
Abbildung mitzuteilen. Dieselben stehen ganz besonders stark unter Zenales Einfluß, 
werden aber von dem neuen Katalog der Ambrosiana mit vollem Rechte Butinone zu- 
gewiesen. Das Mittelstück, dem sie als Flügel angegliedert waren, ist nicht mehr nach- 
zuweisen (Abb. 15, 16). 

Wohl das anmutigste Madonnenbild Butinones, vom Jahre 1500 datiert, ist bis 
heute der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen. Es befindet sich in = 
der Nonnenkirche S. Sofia zu Mailand und ich freue mich, hier eine M. V. 
Abbildung davon geben zu kônnen (Abb. 17). Die Inschrift auf einem 
Cartellino rechts lautet: 


VIGI NATI 
LIA VITAT 


490 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Die Farben des Bildes sind tief und leuchtend und gemahnen in ihrem goldigen 
Tone an jene des Madonnenbildes bei duca Scotti. Indem ich dieses nenne, möchte 
ich erwähnen, daß der Meister des Todes Mariae auf einem Madonnenbilde der kaiser- 
lichen Galerie zu Wien das Christkind Butinones kopiert hat. Offenbar befand sidı der 
Altar, dessen Mittelstück die 
Madonna des duca Scotti bil- 
dete, in einer Mailänder Kirche. 
Die zeitlihe Reihenfolge der 
Madonnen Butinones ist, wie 
ich glaube, folgende: 

Altar der Brera datiert 
145 ., bezeichnet, 

Altar Treviglio 1485 bez. 
datiert, 

Gemälde auf Isola Bella, 
bezeichnet, 

Gemälde bei duca Scotti, 

Gemälde in S. Sofia, Mai- 
land, datiert 1500, 

Neu erworbenes Madon- 
nenbild der Brera. 

Durch H. Cook!) wurde 
auch ein Madonnenbild bei 
Sir Herbert Jekyll in London 
dem Butinone zugeschrieben. 
Ich kann da nicht beistimmen. 
Ich glaube, der Autor ist einer 
jener Maler von Pavia, die in 
Ligurien tätig waren. Zu dieser 
Abb. 15, 16. B. BUTINONE, Die h. Bonaventura u. Ludwig Annahme veranlaßt mich ein- 

o Ambrosiana, Mailand mal die stilistishe Beziehung 

zu Lorenzo de’ Fasoli (der 

aber selbst als Autor nicht in Betracht kommt), andererseits der Umstand, daß in 

Ligurien noch ein zweites, hier in Abbildung beigefügtes (Abb. 18) Madonnenbild 

existiert, das der Familie Bisso gehört, ehemals unter dem Namen des Carlo Crivelli 
im Palazzo Bianco zu Genua leihweise ausgestellt war. 

Eine große Tafel der Herabkunft des hl. Geistes, die in den Typen sowohl zu 
Foppa als auch zu Butinone Beziehungen aufweist, ohne doch von einem derselben 
zu sein, befindet sich im Besitze von Mr.Fontaine in Lille. Das Bild war in der Samm- 
lung Cernuschi, wurde mit derselben im Jahre 1900 in Paris versteigert, und war dem 
Bramantino zugeschrieben, bezeichnet indes nur die Basis, von der aus dieser geniale 


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1) Burlington Magazine 1903. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 491 


Künstler sidı zu seinem wunderbaren Pfingstfeste in Mezzana erhob. Das Bild in Lille ist mir 
nur aus einer vom Besitzer freundlichst zur Verfügung gestellten Photographie bekannt. 


IV. Stilfragen. 


Nicht ohne Zögern bringe ich einige allgemeine Fragen der Stilentwicklung der 
lombardischen Quattrocentomalerei hier zur Erörterung. Ich bin dabei gezwungen, mit 
Begriffen zu operieren, die ich in 
ihrer allgemeinen Gültigkeit auf 
breiter Basis der Geschichte der 
gesamten Künste erst zu erweisen 
haben werde. Auf eine größere 
Arbeit ästhetisher Art muß ich 
daher als systematische Begrün- 
dung der folgenden Bemerkungen 
hinweisen. 

Daß ich mich in den Er- 
örterungen in erster Linie auf 
Foppas Werke beziehe, hat seinen 
Grund einmal darin, daß der äußere 
Anlaß zu der obigen Abhandlung 
ergänzende Randbemerkungen zur 
Monographie von Ffoulkes und 
Majocchi waren, sodann aber auch 
in dem Umstande, daB von den uns 
bekannten Quattrocentomeistern 
Foppa der bedeutendste und ein- 
zige ist, dessen Tätigkeit und 
Werdegang wir durch etwa ein 
halbes Jahrhundert an erhaltenen 
Werken studieren können. Wie 
weit er Bahnbrecher oder Führer 
war, das können wir heute in 
mehreren Fällen nicht mehr mit 
Sicherheit entscheiden. 

Der noch im Banne des Abb. 17. B. BUTINONE, Madonna (1500) 
Dekorativen stehenden Übergangs- o S. Sofia, Mailand 
richtung gehören Foppas Früh- 
werke an, Goldgrund, prächtig ornamentierte Nimben sind ihnen eigen. Intensive 
Studien, die Körper in ihrer plastishen Rundung darzustellen, durch die Anwendung 
der Gesetze der Linearperspektive die lllusion des Raumes zu erwecken, die Figuren 
portraitartig individuell durchzubilden, werden später allmahlich die Basis seines künst- 
lerishen Schaffens. 

Was war davon in der älteren lombardischen Malerei vorgebildet? Es sind 


492 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


zwei in ihrer stilistischen Grundlage voneinander verschiedene Richtungen in ihr zu 
beobachten. Der einheitgebende Faktor der einen Richtung ist die Linie (dekorative 
Einheit), der anderen die Form (plastische Einheit). Wie durch diese stilbildenden Fak- 
toren die Behandlung der Details bestimmt wird, das näher auszuführen und in 
größerem Zusammenhange zu begründen, muß ich 
mir für eine andere Stelle vorbehalten. In den 
Werken der florentinischen Künstler des beginnenden 
Quattrocento tritt zuerst in der neueren Kunst die 
plastische Form mit allen Feinheiten der Detailierung 
als stilbildendes Element auf. In den Werken der 
Florentiner fand Donato de’ Bardi diese neue Kunst- 
anschauung, der auch er huldigte. Ich zweifle nicht, 
daß Vincenzo Foppa durch des Pavesen Werke, die 
er 1461 in Genua kennen lernen mußte, Anregungen 
nach dieser Richtung erhielt. Jacopo Bellini konnte 
auf diesem Pfade nicht sein Führer sein. Er ist der 
beste ausgesprochenste Vertreter einer Kunstrichtung, 
die aus dem Dekorativen des Trecento direkt in die 
malerische Freiheit der späteren Venezianer ihren 
Weg suchte. Der künstlerische Werdegang von 
Jacopos großem Sohne Giovanni Bellini gibt uns die 
Lösung für das stilistische Problem der Kunst des 
Vaters. Eine fast bis zur Selbstverleugnung gehende 
Unterordnung unter die plastisch formalen Gesetze 
des Gestaltens, wie sie ihm in der Kunst Mantegnas 
entgegentraten (schon hier von feinem malerischen 
Empfinden durchdrungen), war die Vorstufe zu Gio- 
vanni Bellinis reifsten Werken, durch die er die 
Blütezeit der venezianischen Malerei einleitete. 
Jacopo Bellini konnte dem Foppa nicht mehr 
Abb. 18. Pavesischer Maler v. An- geben, als er selbst besaß. Und wenn auch manches 
fange des XVI. Jahrhdts. in des Brescianers Frühwerken auf Jacopo hinweisen 
Madonna, propr. Bisso, ehe- mag, Foppas eigentliche künstlerishe Tat war in 
mals im Palazzo Bianco zu 
Genua ausgestellt o des Venezianers Werken nicht vorgebildet. Wir 
haben daher das Recht zu glauben, daß der Ein- 
druck von Donatos Werken eine gewisse Bedeutung dafür hatte, Foppa auf das 
Studium der Einzelgestalt, sowie der Maßverhältnisse des menschlichen Körpers hinzu- 
weisen. Derartige Studien, durch theoretische Arbeit vertieft, wachsen später bei dem 
Künstler zu solcher Bedeutung, daß Lomazzo ihrer ausdrücklich gedenkt; ein geistiger 
Austausch mit Bramante habe dabei eine Rolle gespielt, so berichtet er, gleichwohl sei 
Foppa dabei seine eigenen Wege gegangen und habe seine Forschungen in einem 
Traktat niedergelegt, dem Dürer für seine „Unterweisung der Messung“ einiges ent- 
nommen habe. 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 493 


Die theoretisierenden Bestrebungen haben schon bei Donato de’ Bardi eine Rolle 
gespielt, wie sich sicher behaupten läßt; „aus der Mass gemacht“ sehen seine Gestalten 
aus. Allerdings spielen perspektivische Raumkonstruktionen, Verkürzungen, bei ihm 
noch keine Rolle, wenn man nach den beiden bisher allein nachweisbaren erhaltenen 
Werken ein allgemeines Urteil wagen darf. Foppas Sinn für Raumkonstruktion zeigt 
nun schon das von 1456 datierte Kreuzigungsbild. Ob später eine direkte Beziehung 
zu Mantegna eintrat, ob Foppa, ohne abhängig zu sein von dem größeren Vicentiner, 
parallel zu ihm seinen Weg fand, bis er indirekt Kunde von dessen Bestrebungen 
durch Bramante (seit Mitte der 70er Jahre in der Lombardei, vorher sicher bei Man- 
tegna) und Butinone (siehe III. Kapitel) erhielt, das können wir heute nicht mehr kon- 
statieren, da Foppas datierte Werke, insbesondere die Freskenzyklen der entscheidenden 
Jahre verloren sind. Erhalten blieb nur der Schmuck der Portinarikapelle, über dessen 
Entstehung kein Dokument Auskunft gibt. Die Kirchenväter daselbst sind sicher von 
Foppa. In ihrer plastischen Wucht, meisterhaften perspektivischen Verkürzung und ein- 
fachen, großartigen Haltung scheinen sie eine volle Verwirklichung seiner Bestrebungen 
zu sein — keineswegs frühe Versuche nach dieser Richtung. Die Annahme, Foppa sei 
vor 1468 so weit gekommen, scheint mir ganz unhaltbar (s. oben). In weniger als 
12 Jahren ist dem Künstler nicht eine Entwicklung zuzutrauen, wie sie zwischen dem 
Kreuzigungsbild in Bergamo und den Kirchenvätern liegt. Vielleicht war die fixe Idee, 
die Kirchenvater müßten vor 1468 entstanden sein, hauptsächlich Schuld daran, daß 
Ffoulkes und Majocchi in den mit Recht oder Unrecht nach 1468 angesetzten Werken 
Foppas keine Spur einer Entwicklung mehr finden konnten. 

Wohl lassen die Kirchenväter das Ziel jahrzehntelanger Arbeit erkennen, deren 
Errungenschaften in den einzelnen Etappen nachzuweisen uns aber die Lückenhaftig- 
keit des Materials verwehrt. Nur vermutungsweise ließ sich die Reihenfolge der er- 
haltenen Werke bestimmen. Sehr schwer, ja teilweise unmöglich ist es zu sagen, 
welche Neuerungen Foppa der lombardischen Kunst gebracht habe, wann dieselben 
zuerst bei ihm auftauchen und wie weit er Gebender, wie weit Empfangender im 
Verhältnis zu Butinone, Zenale und Bramante gewesen sei. Daß der von Ffoulkes und 
Majochi ihm beigelegte Ehrentitel „Founder of the Lombard school“ geradeswegs 
falsch ist, brauche ich nach dem bisher Gesagten kaum mehr zu betonen. 

Nach den heute erhaltenen Beispielen scheint es, daß Foppa der Schöpfer des 
spezifisch lombardischen Poliptychons sei. Der einheitgebende Faktor desselben ist die 
Architektur. Der Rahmenaufbau lenkt als Schaufassade den Blick in Räume, in denen 
die gemalten Figuren oder Szenen sich bewegen. Die mit großer Kenntnis der Perspek- 
tive auf den Bildtafeln gemalte Scheinarchitektur setzt in ihren Detailformen die Motive 
des Rahmenwerks fort, wodurch dieses letztere als Teil eines architektonischen Ge- 
füges (nicht als dekorative Flächenbegrenzung) sich deutlich erweist, das wiewohl pla- 
stisch ausgeführt, sich doch in seiner Funktion für das Ganze von den gemalten Schein- 
architekturen nicht unterscheidet. Es ist daher der Verlust des alten Rahmenwerks 
für das lombardische Altarwerk unersetzlih. Der Altar in Savona ist ein Ganzes, die 
Tafeln vom Bergamoaltar in der Brera sind, wiewohl vollzählig erhalten, doch nur 
ihres Zusammenhanges beraubtes Stückwerk. Unter der Herrschaft des den Lombarden 


494 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


ar 
IV 


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Abb. 19. Mailändischer Maler (1452). Votivbild des Matteo Attendolo 
Bolognini Besitzer Julius Böhler, München 


eingeborenen architektonischen Geistes hat sich das dekorative Gefüge der älteren Zeit in 
das architektonisch lombardische Poliptychon verwandelt, um als solches trotz Leonardo 
bis an das Ende des Quattrocento lebensfähig zu bleiben und endlich durch Bramantinos 
wieder von architektonischem Geiste getragene Bildtafeln abgelöst zu werden. Dessen 
Pfingstfest in Mezzana ist die cinquecentistische Vereinfachung von Foppas Poliptychon. 

Und wie im Altarwerk, so läßt sich auch in den Wandgemälden der architek- 
tonische Geist als herrschend erkennen. Leider sind die einst so zahlreichen Fassaden- 
dekorationen in der Lombardei fast spurlos verschwunden. Einige Künstler, wie Troso 
da Monza, die gerade in ihnen ihre spezielle Lebensarbeit fanden, sind dadurch für 


W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 495 


uns zu bloßen Namen. geworden. Um so wichtiger sind die wenigen Kapellenräume, 
die in ihrer Gesamtdekoration, wenn auch zumeist in wenig gutem Zustande erhalten 
blieben. Die Capella Portinari bei S. Eustorgio und die Capella Griffi in S. Pietro in 
Gessate zu Mailand sind die künstlerisch hervorragendsten unter ihnen. In beiden An- 
lagen finden wir das Bestreben, den Raum durch perspektivisch vorziigliche Schein- 
architektur zu erweitern. In der Capella Portinari sind es gerade die vier von Foppa 
gemalten Medaillons, die röhrenförmige Öffnungen in die Kuppelträger schneiden. In 
der Capella Griffi ist es ein gemaltes Balkengerüst, das den Kuppelraum scheinbar 
durchbricht, und auf dem dann die Engelgestalten stehen. 

Wieder ist es Bramantino, der in seinen Fresken den Schritt ins Cinquecento 
tut, Luini und andere folgen ihm. Der große Genuese Luca Cambiaso nimmt das 
architektonisch konstruktive Raumerweiterungsprinzip auf, und legt damit die Basis für 
die genuesisdie Kunst des XVII. Jahrhunderts. Daß aber dieses Hauptelement der Barock- 
kunst schon in der lombardischen Quattrocentomalerei vorbereitet wird, dürfte das In- 
teresse der Forscher an letzterem so lange vernachlässigten Gebiete erhöhen. 


Nachtrag. 


Die Freundlichkeit des Herrn Julius Böhler in München ermöglicht es mir, eine 
Reproduktion des oben erwähnten (Seite 473) in seinem Besitze befindlichen früh- 
lombardischen Bildes beizufügen. Die Inschrift, wenn auch vielleicht später hinzu- 
gefügt oder erneut, gibt über den Besteller des Bildes sowie die Veranlassung und 
Zeit seiner Entstehung in folgenden Worten Auskunft: Spectabilis ar strenuus vir 
Matthaeus de Attendolis Bologninus Ticinensis Arcis praefectus creatus Sancti Angeli 
Comes a Francisco Sfortia Mediolani duce anno MCCCCLII commendantibus Sanctis 
Johanne Evangeliste et Antonio abbate ab Deipara clientelam recipitur. Das Bildchen 
ist vorzüglich erhalten und von freudigster Farbenpracht. Blau, karminrot, taubengrau 
und zinnober, gelb und weinrot klingen mit dem Goldgrunde hell zusammen. 

Das ganze Bildchen mit dem zarten Pflanzenteppich des Vordergrundes, dem merk- 
würdigen Rundthron, den in Gewandzipfel endenden Engelchen, den symetrisch bewegten 
Greisen, dem gebunden steifen Porträt ist eine späte liebliche Blüte einer Kunstsprache, 
welche vorwärtsdrängende Geister eben damals schon als veraltet anzusehen sich be- 
rechtigt fühlen mochten. Die Vermutung einer näheren Beziehung zu den Pariser 
Miniaturen gründet sich auf mein Gedächtnis. Doch muß ich erwähnen, daß es eine 
gute Reihe von Jahren her ist, daß ich die Codices studierte. 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT 


Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstraße 2. 
Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. 
Zweigredaktionen: 
Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 4. 
Für Münden: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, München, Holbeinstr. 1. 


Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16. 
Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill 
bei London, Lyon Road. 
Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. 


Firmentafel der Monatshefte firKunstwissenschaft 


Diese alphabetisch nach Städten geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariats- 
Wegen Beteiligung wende man sich an Klinkhardt & Biermann in Leipzig. 


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Heft 11 


Melozzo-Entdeckungen in Rom 


Von August Schmarsow 


In den Köpfen italienischer Kunsthistoriker regt sich seit einigen Jahren das 
Verlangen irgend ein neues Werk von Melozzo da Forli hinzu zu entdecken, um doch 
über den Bestand, den ein deutscher Forscher vor mehr als zwanzig Jahren festgestellt 
hatte, nun endlich einmal hinauszukommen. Namentlich in Rom tritt dieser eifrige 
Wunsch von Zeit zu Zeit immer wieder hervor. Noch im letzten Heft der römischen 
Fachzeitschrift „L’Arte“ (XII, IV, Juli-August 1909) hat eine Dame, Lisa von Schlegel, 
das Gemälde der Galleria Nazionale im Palazzo Corsini mit S. Sebastian und zwei 
knieenden Stiftern als Eigentum des Forlivesen verfochten, während ein Nordländer 
gegen sole Taufe Einspruch erhoben (1906, Repert. f. Kwsch. 107), ein andrer, der 
es längere Zeit vorher gekannt, bis dahin sich schweigend dazu verhalten hatte, in 
der guten Hoffnung, die Meinungen würden sich schon allmählich abklären. Dann 
aber ließ Corradi Ricci, der jetzige Generaldirektor selbst, zwei von ihm aufgefundene 
Bruchstücke unter dem Namen Melozzo in der Galerie der Uffizien aufstellen und in 
Photographien mit dem Namen des großen Quattrocentisten veröffentlichen, der in den 
Tagen des ersten Rovere, Sixtus IV. so herrliche Meisterwerke in Rom geschaffen hat. 
Die beiden Tafeln sind auf beiden Seiten bemalt, und enthalten auf der einen nur die 
unteren Hälften großer Heiligenfiguren, während auf der andern die Verkündigung in 
ganzen, aber viel kleineren Figuren zu sehen ist, — ein Umstand, der die Belegung 
beider, offenbar nicht gleichzeitig entstandener Seiten mit dem nämlichen Künstlernamen 
keineswegs ohne weiteres annehmbar erscheinen läßt. Nicht lange ist es her, daß auch 
Antonio Mufoz, der die frühere Melozzoforschung nachgeprüft hat, ein Bildnis der 
Galerie zu Faenza, in dem man Kardinal Roverella erkennen will, als eine Arbeit des 
Melozzo da Forli in Anspruch nahm. Als Neuestes aber wurde mir in Florenz 
gesprächsweise mitgeteilt, daß im Pantheon. ein Wandgemälde zum Vorschein gekommen 
sei, das die Verkündigung darstellt, und daß sich sowohl Adolfo Venturi als Corradi 
Ricci für Melozzo als dessen Autor entschieden hätten. Die Freilegung der verbauten 
Altarnische soll schon vor Ostern erfokt sein, wurde jedoch geheim gehalten, so dab 
die Fachgenossen, die nach Rom kamen, nichts davon erfuhren. Jetzt ist der Anblick 
erreichbar, wenn man über das Vorhandensein, hinter dem Bretterverschlag einer Kapelle 


rechts vom Eingang, Bescheid weiß. 
37 


498 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


So mag es dem Verfasser jenes deutschen Werkes über Melozzo da Forli, das 
schon im Herbst 1885 erschienen ist, vergönnt sein, ein Wort über diese Neuent- 
deckungen mitzureden. Haben doch die römischen Lokalforscher allmählich eingesehen, 
daß er auch da als scharfsichtiger Kenner seines Meisters geurteilt hatte, wo man seinem 
Auge und seiner Kritik zunächst keinen Glauben beimessen wollte, z. B. in der Zu- 
schreibung des thronenden Papstes Marcus in der Basilica di S. Marco, in der Kapelle 
neben der Apsis. Er darf somit auch heute wohl nodi für berechtigt gelten, in den 
Meinungsverschiedenheiten über die neuen Taufen heimischer Autoritäten ein ent- 
scheidendes Votum abzugeben, und hätte es, wie langes Schweigen über den ersten 
Fall bezeugt, gern in der Stille getan, wäre er bei den öffentlichen Zuschreibungen 
an verantwortlicher Stelle um Rat gefragt worden. 

Beginnen wir mit der Prüfung des Neuesten, der Verkündigung im Pantheon, 
S. Maria la Rotonda. Der untere Teil des Nischenfeldes über dem Altar ist als Hof- 
raum oder geschlossener Garten unter freiem Himmel gedacht, ein ziemlich schmaler 
Vordergrund für die zwei Personen, durch eine hinten gemalte Wandvertäfelung mit 
Pilastern und horizontalem Gebälk darüber, Porphyr- und Serpentinplatten in den 
Zwischenräumen abgegrenzt. So bleibt das Rundbogenfeld für den Himmel und die 
links hereinschauende Halbfigur Gottvaters übrig. Ohne Zweifel hat der links an- 
kommende, ein Knie beugende und seine Botschaft ausrichtende Engel die Veranlassung 
gegeben, den Namen Melozzo auszusprechen; denn durch seine Engel in der Sakristei 
von S. Peter kennt ja heute den Meister von Forli die Mehrzahl derer, die ihn bewundernd 
zu nennen weiß und nicht mehr wie Vasari mit Benozzo Gozzoli, dem Florentiner 
zusammenwürfelt, der als Nachfolger des Fra Angelico in Rom gearbeitet hat. Die 
Madonna, die rechts auf einem hölzernen Schemel kniet, ist es gewiß nicht gewesen, 
solche Taufe herauszufordern; denn die Wenigsten kennen überhaupt eine der weiblichen 
Gestalten des Forlivesen, würden also über seinen „Typus“ der heiligen Jungfrau gar 
keine Rechenschaft zu geben vermögen. 

Der Kopf des Engels mit seinem Lockenschmuck ist das eigentliche Vergleichs- 
stück, das zuerst in Frage kommt. Er ist ganz in Profil genommen, mit einem kräftigen 
Haarschopf über der Stirn und im Nacken, um die Ohren und am Halse frei. Der 
Profilansicht nach rechts gemäß ist das Antlitz in ganz flachem Relief durchmodelliert, 
wie auf einer Medaille. Und suchen wir unter dem schlanken Hals nach Schlüsselbein 
und Schulterbreite, nach der Körperhaftigkeit der Brust hinter dem Arme, so stoßen 
wir auf einen befremdenden Mangel an Fülle und Leibhaftigkeit, den die berühmten 
Engel Melozzos gewiß nicht mit ihm teilen. Und nehmen wir gar den Flügel mit 
goldenen Schuppen oben, seine heraldisch dekorative Behandlung hinzu, d. h. wieder 
in flächenhafter Ausbreitung der Form und ornamentaler Umschreibung mit Linien, wo 
der Forlivese die Kurvatur eines wirklichen Flügels, sei es auch einer Gans, eines 
Schwanes, genug eines bestimmten Naturvorbildes zugrunde legt, bevor sein buntes 
Farbenspiel im treulich beobachteten Gefieder beginnt, da merken wir überall: dies ist 
westumbrisch, zwischen Rom und Perugia, zwischen Rieti und Orvieto gewachsen. 
Wer unbefangen den Maler zu bestimmen sucht, erkennt vielleicht wie ich auf den 
ersten Blick: er kommt von Lorenzo da Viterbo her, d. h. mittelbar von Benozzo 


A. Schmarsow. Melozzo-Entdeckungen in Rom 499 


Gozzoli, und vermag diese Unterlage seiner Schulgewohnheit nicht zu verleugnen, 
selbst wenn er in Rom auch andere Künstler gesehen hat und ihnen nachzueifern 
versucht. Auf die nämliche Herkunft von Benozzo Gozzoli und Lorenzo da Viterbo 
weist die Pilasterordnung, deren Kapitelle so gar nichts vom eifrigen Antikenstudium 
des Piero della Francesca haben, geschweige denn von der sauberen Wiedergabe spät- 
römischer Einzelformen, wie Melozzos Fresko in der Vatikanischen Pinakothek sie auf- 
weist oder seine gemalte Marmorkuppel in Loreto. Auf Lorenzo da Viterbo geht auch 
der Gottvater zurück, der eher etwas vom hausbackenen Wesen eines Fra Filippo 
oder Fra Diamante mitbekommen hat, wie die beiden in Spoleto erscheinen, als von der 
Wucht und Majestät auch nur der Apostelkòpfe oder des auffahrenden Christus aus 
Sti Apostoli, die man als Vergleichsstücke aus dem Werk des Forlivesen in Rom 
zunächst herbeiziehen müßte. Keine kühne Verkürzung in der Halbfigur des Segnenden, 
kein würdiger Charakter in dem Kopf Jehovahs. 

Und die derbe Gottesmagd vom Lande, die ungeschickt und vierkantig dahin 
kniet auf der schräggestellten hölzernen Fußbank, sagt uns schließlich, wer dieser Maler 
aus dem Patrimonium Petri sein mag, sein muß. Sie trägt denselben Kopf, nur in 
Wandmalerei etwas vergrößert und verbreitert, wie die Annunziata in der Kapelle ihrer 
Bruderschaft in S. Maria sopra Minerva, in dem Bilde der nämlichen Szene mit dem 
kleineren Stifterbildnis des Kardinals Torquemada und seinen Schützlingen, den heirats- 
fähigen armen Mädchen, neben ihm, die ihre Säckchen mit der bescheidenen Mitgift 
bekommen haben. Der anerkannte Meister dieses Altargemäldes in den Minerva ist 
‚Antonatius Romanus; er hat auch das Wandbild in der Altarnische des Pantheon dicht 
daneben gemalt. Nur steht er hier stärker unter dem Einfluß des Melozzo da Forli, 
den er doch so wenig zu erreichen vermag, weil ihm die Körperkenntnis gebricht. 
Die Schrägstellung des Schemels und der darauf knieenden Maria verrät auch, daß er 
gewisse perspektivische Kompositionsregeln dieses Vorbildes wie des Piero della 
Francesca zu befolgen sucht. Es ist das namliche Regulativ radialer Anordnung, auf 
das sich die ganze Schlüsselübergabe Peruginos in der Sixtinischen Kapelle aufbaut. 
Gewisse Faltenmotive in den Gewändern so des Engels wie der Madonna könnte man 
auf den Forlivesen zurückführen, noch sicherer vielleicht einige Farbenzusammen- 
stellungen in den Stoffen der biblishen Tracht. Aber dies Verhältnis des römischen 
Zunftmeisters zu dem Fremden ist längst bekannt und eingehend in dem Buche über 
Melozzo dargetan worden, wie andrerseits die Herkunft von Lorenzo da Viterbo. 

Damit genug, das Wandgemälde, das man in S. Maria Rotonda zutage gefördert 
hat, gehört Antoniasso Romano und niemand anders! — Wie steht es nun mit dem 
Bilde der Galleria Nazionale, dem hl. Sebastian mit seinen Stiftern? 

Die nackte Gestalt des Heiligen, auf erhöhter Erdschwelle stehend, wie er an 
einen Baumstamm, mit den Händen rückwärts, festgebunden gegen den landschaftlichen 
Hintergrund und den freien Himmel sich abhebt, besitzt doch wohl nun den Grad der 
Körperkenntnis und jene etwas schwerfällige Wucht des Knochenbaues, die wir soeben 
von Melozzo da Forli ausgesagt haben? Ohne Zweifel, wer diese Gestalt im Palazzo 
Corsini mit dem Wandbilde in S. Vito e Modesto vergleicht, die leider nicht im selben 
Maßstab — wie es sich gehörte — aber doch bequem daneben im letzten Hefte der 


500 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Arte abgebildet ist (XII, 308f.), der muß die künstlerische Überlegenheit der ersteren 
anerkennen. Das wäre aber nodi kein vollgültiger Beweis, daß Melozzo sie gemalt 
haben müsse, wenn jene andre von Antoniasso herrührt. Die Leistungen des letzteren 
sind sehr ungleich unter sich, da er eigentlich als Unternehmer an der Spitze einer 
Werkstatt steht und sehr verschiedene Gehilfen beschäftigt, wie es hernach Pinturicchio 
in den Gemächern des päpstlichen Palastes, wie in den Kapellen römischer Kirchen 
getan. Er arbeitet sogar selbst in früheren Jahren kontraktlich als Genosse neben 
Melozzo d. h. gewiß unter der Oberleitung dieses „Pictor Papae“, wie z. B. in den 
Salen der Bibliothek unter Sixtus IV., im Erdgeschoß des alten Palastes. Aber auch dieser 
Sebastian in der Galleria Nazionale, der aus S. M. della Pace stammen soll, steht den 
Jünglings- und Engelsgestalten des Forlivesen unzweifelhaft näher als der umbrische 
Gabriel im Pantheon. Hier ist die Schulterbreite, die Fülle des muskulösen Halses, 
der runde Kopf mit großem vollem Oval, und der wallende Lockenschmuck, der vom 
Scheitel in der Mitte über Ohren und Nacken herunterwallt. Hier ist auch der runde 
Schnitt der Augenhöhlen, die geradabsteigende Nase, die geschwellten Lippen, das 
festgefügte Kinn. Und dennoch liegt in den Augen etwas Blödes, in den Nasenflügeln 
etwas leblos Starres, wie im Schnitt des Körperumrisses, z. B. an den gefesselten 
Oberarmen, in dem Einziehen der Taille in Nabelhöhe, in der Schmalheit der Ober- 
schenkel, besonders über dem Knie links, etwas Hölzernes, Dürftiges, das bei Melozzos 
_eigenhändigen Arbeiten in der Zeit römischer Meisterschaft befremden würde. Ähnlich 
aber steht es mit den beiden Stifterfiguren, die unten in Profil ganz symmetrisch ein- 
ander gegenüber knieen, mit den Kappen auf den gefalteten Händen — wie lang- 
weilig! Würde Melozzo damals noch sie in kleinerem Maßstab zu geben sich herbei- 
gelassen haben? — befangen in mittelalterlicher Devotion war er gewiß nicht. Und gerade 
die Ähnlichkeit mit der knieenden Figur des Bartolommeo Platina vor Sixtus IV. im 
Fresko der Bibliothek, aber in verkleinertem Maßstabe, ist kein Beweis für die Autor- 
schaft Melozzos selber, sondern spricht gerade für den unselbständigen Nachahmer, der 
das Vorbild im Vatikan selbst entstehen sah: Antonazzo Romano. Nun aber kommt 
noch ein dritter Faktor hinzu: die Landschaft und ihr Himmel. Das ist beides ganz 
westumbrisch, mit den konventionellen Hügeln links und rechts 4 la Perugino und 
Pinturicchio oder Fiorenzo, das weite Flußtal in der Mitte, und das mager, büschel- 
artig belaubte Frühlingsbäumchen links, ja sogar mit den oben gekräuselten unten gerad- 
linigen Wolkenstreifen, durchweg wie die ganze stumpfe Temperamalerei dieser Teile 
westumbrish! Das kann aus dem Atelier Antoniassos erst in einer spätern Phase 
seiner Wirksamkeit als Unternehmer hervorgegangen sein, und damit datieren wir alles 
an der Pinselarbeit, die Fertigstellung des Bildes in Farben, auf eine Zeit nach dem 
Weggang Melozzos aus Rom, der einige Zeit vor dem Tode des Papstes (+ 1484) 
zugleich mit dem Abzug des Nepoten Girolamo Riario in seine Herrschaft Forlì, erfolgte. 
In dieser Erkenntnis der westumbrischen Technik des Bildes liegt vielleicht auch die 
Erklärung des Sachverhalts, wenn wir andrerseits den Widerspruch zu der in vielen 
Stücken so vortrefflidien und Antonazzo überlegenen Gestalt des Heiligen selber berück- 
sichtigen. Gerade wenn das Bild aus S. M. della Pace stammt, dem Kirchlein das 
Sixtus IV. zu Ehren des Friedens mit Neapel gestiftet, aber nicht mehr vollendet hat, 


A. Schmarsow. Melozzo-Entdeckungen in Rom 501 


kommen wir auf die gleiche Periode des Übergangs aus dem Pontifikat Sixtus IV. zu 
dem Innocenz VIII. Schon die Marmorumrahmung des Kruzifixes, die James von 
Schmidt auf ihren richtigen Autor zurückgeführt hat, ist nicht mehr unter dem Rovere, 
sondern erst unter dem Cibo vollendet. Da wird es mit Altären, die andre Stifter 
außer dem Papst selber übernahmen, nicht anders gegangen sein. Die Bestellung des 
Sebastianbildes mag beim Beginn des Neubaues an den Maler des Papstes Sixtus, 
Melozzo da Forli, gekommen sein, vielleicht schon nicht ohne Abfindung mit dem römischen 
Lokalmeister Antonazzo. Als aber der Forlivese mit dem Herrn seiner Vaterstadt, 
Girolamo Riario, davonging und nach dem Tode des Papstes nicht wieder nach Rom 
zurückkam, da wird die Fertigstellung des Bildes, das Melozzo mit der Hauptfigur 
angefangen hatte, dem städtischen Lieferanten zugefallen sein, der einen westumbrischen 
Gehilfen in der Art des Fiorenzo di Lorenzo mit der Ausführung der Malerei betraute, 
während er selbst vielleicht das Wichtigste für die Besteller, die Bildnisse der beiden, 
zu zeichnen übernahm. So wenigstens würde sich die innere Ungleichmäßigkeit des 
Ganzen und die besondere Verquickung dreier Beiträge: Hauptfigur, Bildnisse und Land- 
schaft, mit der sich die ganze zutage liegende Pinselarbeit verbindet, zwanglos und natürlich 
genug erklären, ja sogar die Datierung der Malerei als solcher, die sich dem kritischen Blick 
notwendig ergibt: nach Melozzos Aufenthalt in Rom, wenn auch unmittelbar darnach, 
wo unter Innocenz VIII. die Bevorzugung der Westumbrer, des Perugino in erster Linie 
beginnt und dann des Pinturicchio weiter. Mir scheint daraufhin ließe sich eine Ver- 
ständigung zwischen den einander widersprechenden Ansichten erzielen. Gegen den 
Versuch aber dem Bilde der Galleria Nazionale in Rom den Namen „Melozzo da 
Forli“ allein zu belassen, muß ich Einspruch erheben; denn seine Art von Tafelmalerei 
ist seit dem Aufenthalt in Urbino und der Gemeinschaft mit Justus von Gent eine ganz 
andre. Würde es sich um ein Frühwerk handeln, so läge die Sache anders; aber 
dazu würde wieder die Zeichnung des hl. Sebastian nicht stimmen. Daß man sich 
darüber selbst in Rom nicht klar ist, hat m. E. eine ganz törichte Entdeckung des 
Cicerone verschuldet, die in einem solchen Handbuc aller Romfahrer unglaubliche 
Verwirrung stiften mußte. Ich weiß nicht, von wem die Angabe, resp. das vermeintliche 
Kennerurteil herrührt, die Wandmalerei in dem Grabmal des Diego Coca in S. M. sopra 
Minerva sei ein Werk des Melozzo. Genug, Bode hat sie drucken lassen und durch 
soundsoviel Auflagen wiederholt, während doch jeder, der mit der umbrischen Malerei 
in den siebziger und achtziger Jahren wirklich vertraut ist, hier vielmehr eine Vorstufe 
zu Signorelli und einen Verwandten des Bartolommeo della Gatta erkennt, aber niemals 
den Forlivesen, für den der Zuschnitt der Figuren, die Hagerkeit des Weltrichters und 
seiner Posaunenbläser, die nichtssagende Schwäche des Porträtkopfes am Rande ganz 
unmöglich erscheinen zu jener Zeit, wo das Grabmal des Bischofs von Calahorra 
entstanden sein kann. Doch das sind alte Sünden; sie rächen sich indes an der 
Generation, die mit solchen Irrtümern aufwächst. 

Minder verhängnisvoll ist der Mißgriff von Antonio Mufoz mit dem Bildnis in 
der Galerie von Faenza. Gerade in den Jahren, als ich mit Melozzo-Studien beschäftigt 
war, bin ich auch häufiger nach Faenza gekommen, um die Gemälde des Marco 
Palmezzano zu vergleichen. Damals habe ich das Porträt des sog. Roverella bei jedem 


502 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Besuch gesehen; jetzt sah ich es nach langer Zeit wieder; aber der Einfall, daß diese 
schwache Durchschnittsware aus den Marken ein Melozzo sein könne, ist mir nie 
gekommen: ich hätte gemeint, mit solcher Zumutung eine Blasphemie gegen den 
Forlivesen zu begehen, und so glaube ich noch heute, aufs Neue angesichts des 
Werkes mit dem ausdrücklichen Anspruch, den Muñoz dem Bilde verliehen. Es gehört 
einem braven Manne zweiten, dritten, vierten Ranges, wie etwa Marco Palmezzano, 
Giovanni Santi und der ältere Utili von Faenza sein mochten — ohne daß es mir in 
den Sinn käme es einem dieser genannten beizumessen. Aber es trägt die Wahr- 
zeichen der verschiedenen Einflüsse, die sich von Venedig und Ferrara her damals mit 
ostumbrischen begegneten, während im XVI. und XVII. Jahrhundert hier Bologna und 
und Florenz miteinander um den Vorrang streiten oder an der tonangebenden Stelle 
sidı ablösen. Als das Bildnis des Roverella entstand, war die Zeit des Marco Palmezzano 
in Forli und des Bellini-Schülers Niccolö Rondinelli von Ravenna, während der jüngere 
Utili, der fast alle Bilder, die in Faenza unter Vater und Sohn verteilt sind, gemalt zu 
haben scheint, sich ganz deutlich an Florentiner, sogar ans Verrocchio-Atelier anschließt. 

In diesen Umkreis zwischen der Bellinischule von Venedig her und der heimischen 
Art der Romagna gehören auch die beiden Bruchstücke, die Corrado Ricci in der 
Florentiner Galerie hat aufstellen lassen. Die beiden Seiten sind sehr verschiedenartig 
im Stil der Zeichnnng, wenn auch verwandt im technischen Charakter der Ölmalerei. 
Da die Verkündigung in einem Altarwerk oder an ähnlicher Stelle im Kirchenraum 
immer oben zu sitzen pflegt, so ist nicht denkbar, daß die unteren Hälften der beiden 
großen Heiligenfiguren, die auf ihrer Rückseite zu sehen sind, gleichzeitig mit jener, 
etwa als die Außen- und die Innenseite je eines beweglichen Flügels, in Gebrauch 
gewesen seien; sondern die Heiligenfiguren wurden zerschnitten und deren untere 
Hälften für neue Bilder verwertet, sei es aus welchem Grunde immer: sie sind die 
älteren Bestandteile, und das beweist auch ihr Stil; sie sind echte Quattrocentoarbeit, 
und zwar von großem, etwas derbem Zuschnitt. Die Verkündigungsfiguren sind das 
Werk eines Faltendrechslers, in der Farbe entschieden venezianisch gesonnen, nicht 
ohne Anklänge an Bellinischüler des spätern Nachwuchses, etwa eines Altersgenossen 
des Cima da Conegliano, d. h. eines angehenden Cinquecentisten, und bei der Zurück- 
gebliebenheit der Provinz im Vergleich zur Zentrale Venedig selbst, wohl sicher Arbeit 
des XVI. Jahrhunderts. Viel größeren Anspruch als diese Verkündigungsfiguren erheben 
können, noch zum allerletzten Spätwerk Melozzos({ 1494) gerechnet zu werden, besitzen m. E. 
die unteren Hälften der beiden Einzelgestalten auf der anderen Seite, für die Periode 
der Vollkraft unmittelbar in Frage zu kommen. Aber können solche Heiligen ohne 
Köpfe, ohne Oberkörper, ohne Träger des Charakters und des Ausdrucks, bis auf eine 
herabhängende Hand etwa oder ein Beiwerk kirchlichen Ornates uns genügend sagen, 
web Geistes Kinder sie seien? Wüßten wir urkundlich, diese abgeschnittenen Unter- 
körper seien von Melozzo gemalt, so würden sie ja für Zeichnung, Faltenmotive, 
Farbentechnik noch immer einen gewissen Beitrag zur sicheren Kenntnis liefern; aber 
so — mit der Zuschreibung allein, was haben wir daran? Ich vermag nur zu bekennen, 
die Verkündigung in Florenz ist ebenso wenig von Melozzo selbst, wie die im Pantheon 
zu Rom, und der Generaldirektor der italienischen Museen, der sie für Werke des 


A. Scimarsow. Melozzo-Entdeckungen in Rom 503 


Forlivesen ausgibt an öffentlicher Stelle, vor den Augen der Welt, muß die Verant- 
wortung dafür zu tragen wissen. Bis auf jene Bruchstücke, die dem genießenden Publikum 
nichts, sondern höchstens dem Fachgelehrten bei vergleichenden Studien intimster Art 
etwas zu bieten vermögen, zerfließen alle diese Neuentdeckungen angeblich authentischer 
Werke Melozzos fast in nichts; fast, sage ich nur noch in Rücksicht auf die Zeichnung 
‘zum Sebastian in Rom, die er geliefert haben mag: sie würde uns den Weg zu einer 
ähnlichen Gestalt des Giovanni Santi im Altarbild aus S. Francesco in Urbino besser 
bereiten als der bisherige Besitz es vermochte. Aber das ist auch das AuBerste, was 
ih zugestehen kann. Alles übrige beruht auf Selbsttäuschung derer, die durchaus 
finden wollen. Der Wunsch ist der Vater all dieser Entdeckungen gewesen !). 
Während man aber so auf der einen Seite nicht genügend historische Kritik 
walten läßt, um von voreiligen Namengebungen zu ruhigerer Stunde wieder Abstand 
zu nehmen, und nicht eifrig genug darnach trachten kann, das Werk des großen 
Forlivesen zu bereichern, gewinnt auf der anderen Seite die Skepsis gegen anerkannte 
Hauptwerke, wie z. B. die Allegorien aus dem Schloß von Urbino (in London und 
Berlin), immer mehr Boden. Man sucht den Anteil des italienischen Quattrocentisten 
zu schmälern zugunsten seines Mitarbeiters Justus von Gent, dem man immer größeres 
Eigentumsrecht an der Ausführung nicht nur, sondern auch an der Erfindung dieser 
Gemälde zuerkennen möchte. Den Übergang bilden dabei die Bildnisse berühmter 
Männer aus dem Studio des Herzogs Federigo, die sich teils im Louvre zu Paris, 
teils im Palazzo Barberini zu Rom befinden, an beiden Stätten erst neuerdings recht 
zugänglich geworden. Ich habe von eifrigen Studien des Hugo van der Goes und 
seiner Zeitgenossen ausgehend, wie auf Grund des Abendmahls von Justus in Urbino 
s. Z. meine Ergebnisse über die Verteilung des Eigentumsrechts im einzelnen dargelegt; 
ich vermag also in jenen Abirrungen italienischer Forscher zugunsten des Vlamen nur 
eine gewisse Ironie des Schicksals zu erblicken, die für manche frühere Versündigung 
am Germanischen im eigenen Lande, nun mit dem Gegenteil bestraft. Bis dahin gehen 
diese Schmälerungen am Werke Melozzos nur in der Stille von Mund zu Mund. 
Erst wenn man sie eines Tages drucken läßt, wird man sich damit abzufinden haben. 
Der Senatore Morelli hatte s. Z. eine Art Monroedoktrin in der Kunstgeschichte auf- 
gebracht, nur Italiener verstiinden etwas von der Kunst ihres Landes, den anderen 
Nationen sei der Sinn für das Allerheiligste darin nicht gewachsen, d. h. man sperre 
sie besser aus, sie sollten nur die Erzeugnisse ihrer eignen Heimat studieren. Ich 
hoffe, es bleibt dem Deutschen, der ein Buch über Melozzo schrieb, in dem auch die 
Abrechnung mit Justus von Gent, wie mit Antoniasso Romano, mit Piero della Francesca 
und Pietro Perugino, wie mit Marco Palmezzano gegeben ward, erspart, solchen Verwechs- 
lungen der Ingenia zweier Nationen gegenüber mit aller Schärfe Einspruch zu erheben. 


1) Dagegen besitzt die Zeichnungssammlung der Uffizien einen herrlidien Apostelkopf von 
Melozzos Hand, der unter dem Namen Luca di Leida ging, als ich ihn unter den Blättern der 
niederländischen Schule erkannte, und mit seinem richtigen Autornamen in der Kunsthistorischen 
Gesellschaft für photographische Publikationen veröffentlichte, — auch das ist schon lange her (1900). 


Meister Hans Seyfer, Bildhauer und 
:: Bildschnitzer in Heilbronn  :: 


Von Moriz von Rauch in Heilbronn 


Von dem Bildhauer „Meister Hans von Heilbronn“ ist bekannt, daß er den 
Entwurf zum Speyerer Ölberg gemacht und die Kreuzigungsgruppe bei der Stuttgarter 
Leonhardskirche geschaffen hat; neuerdings ist er auch als der Meister des Hochaltars 
in der Heilbronner Kilianskirche erkannt worden. Da der Schöpfer dieser hervor- 
ragenden Werke der deutschen Stein- und Holzplastik den Meistern ersten Rangs bei- 
zuzählen ist, so soll in dieser Arbeit versucht werden, ein genaueres Bild von der 
Tätigkeit des Meisters Hans’) zu gewinnen. 

Der verdienstvolle Forscher in der württembergischen Kunstgeschichte, A. Klemm, 
bringt den Bildhauer Hans von Heilbronn mit dem in Heilbronn tätigen Steinmetzen 
Hans von Mingolsheim zusammen, spricht aber doch die Vermutung aus, es seien in 
Heilbronn vielleicht zwei Meister Hans zu unterscheiden °). Diese Vermutung ist richtig: 
der Steinmetz Hans von Mingolsheim war schon zu Anfang des Jahres 1473 tot; von 
seiner Tätigkeit in Heilbronn steht nur der Bau des Karmeliterklosters urkundlich fest; 
den Chor der Kilianskirche, der im Jahr 1487 fertig wurde, hat nicht Hans von 
Mingolsheim sondern der fürstlih württembergische Baumeister Albrecht Georg gebaut ?). 

Über den Bildhauer Meister Hans findet sidi im Heilbronner Betbuch ‘) von 
1501—1503 folgender Eintrag: „Meister Hans, bildhauer (korrigiert aus: bildschnizer), 
ist bürger worden und ist fur sein persone sein leben lang gefryet bet, torehut, wadı 
und frondienst; und so er bettbare gutt kaufen wurdt, davon soll er thon wie ein 
ander burger; und wan er in mytaller zeit hinwegk ziehen will, so soll er alle sein 
habe und gutt veranzalen nach der stat ordnung. Actum uf donrstag nach Pangracii 
anno etc. im 1502°).“ Im Jahr 1507 gab „Meister Hans Bildhauer“ dem Betbuch zu- 
folge 7 x) Bet von bürgerlihem Gut, namlich von einem Krautgarten, das Betbuch 
von 1508 nennt ihn nicht mehr. Seinen Familiennamen erfahren wir durdı ein später 
nodı zu erwähnendes Schreiben des Speyerer Domkapitels von 1506, worin dieses 
den Heilbronner Rat bittet, den „Meister Hans Sufer, Bildhauer, Bürger zu Heilbronn“, 
dem das Kapitel einen Ölberg zu machen verdingt habe, Steine hiefür brechen zu 
lassen; der Heilbronner Stadtschreiber schreibt in einem gleichfalls noch zu erwähnenden 
Schriftstück von etwa 1506 den Namen „Seyfer“. 


1) Die von mir benützten Meister Hans betreffenden Akten und Urkunden des Heilbronner 
Archivs werde ich im 2. Band des Heilbronner Urkundenbuchs teils wörtlich teils im Auszug drucken. 

*) A. Klemm, Württembergische Baumeister und Bildhauer bis 1750 (Württemb. Viertel- 
jahrsh. für Landesgeschichte 1882), S. 119— 121. 

3) Die Belege hiefür werde ich in einer Arbeit über die Heilbronner Kilianskirche bringen. 

4) Die Betbticher befinden sich nicht mehr auf dem Heilbronner Archiv sondern im Unter- 
geschoß der Heilbronner Friedenskirche. 

5) 19. Mai 1502. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heibronn 505 


Daß Hans Seyfer im Jahr 1502 Bürger in Heilbronn wurde, schließt natiirlich 
nicht aus, daß er sich schon früher dort aufhielt; aber ein geborener Heilbronner war 
er shiwerlich. Zwar kommen ähnlihe Namen wie Seyfer in Heilbronn vor (so 1474 
ein Zimmermann Hans Scheipfer und 1490 ein Hans Syfer !)), aber der Eintrag über 
Meister Hansens Bürgerannahme im Betbudı macht es wahrscheinlich, daß er ein 
Fremder war, und seine nodı zu erwähnenden Brüder hätten, wenn sie Heilbronner 
gewesen wären, keine Sitzbewilligung nötig gehabt. 

Die früheste Steinskulptur, die wir von Meister Hans kennen, ist die Stuttgarter 
Kreuzigungsgruppe °) von 1501, als deren Schöpfer „der kunstreiche Meister des Speyerer 
Ölbergs“ genannt wird; Johann Jakob Gabelkofer schreibt nämlidı in seiner Chronik 
von Stuttgart *). 

„Anno 1503 starb der ehrenfest und fürnehme Jakob Walter gen. Küehorn 
von Fewerfeld d. älter; anno 1525 starb die ehrsame fraw Clara Magerin, Jakob 
Kuhehorns hausfrau. Die haben gestiftet des künstliche cruzifix uff den kirchhof zu 
St. Leonhard außerhalb des chors stehend; ist alles von steinwerk und ist das kreuz 
so artlidı und meisterlih gehawen, daß noch vihl von guetem gesicht und verstand 
nicht alsobald eigentlidi wissen und urteilen mögen, ob der stamm von stein oder 
holzwerkh seie. Welcher stamm uff einem stein im darzu elaborierten berg stehet, 
darauf 2 weibsbilder in lebensgrößen knieen und den salvatorem am kreuz hangend 
anbetten. Am börg herumb sind ebenmäßig in stein gehauen allerhand kräuter wie 
auch insekten von schlangen, egeBen ‘), item todenköpff und beiner. Der kunstrich meister, 
so den ölberg zue Speyer im thuem*) gemacht, hat diB werck auch geförtigt und 
zwar laut eingehauener jahreszahl 1501.“ 

Eigentiimlich ist es, daß sowohl Maria als Johannes als Magdalena Kleidungs- 
stiicke von sich gefaßt halten; bei der am Kreuz knieenden Magdalena ist dies 
etwas manieriert. | 

Im XIX. Jahrhundert hat wohl zuerst J. D. G. Memminger in seinem Werk über 
Stuttgart und Ludwigsburg °) auf die Stuttgarter Kreuzigungsgruppe hingewiesen, „die 
von vielen bewundert werde“; bald darauf erschien in einem englischen Werk eine 
Beschreibung der Kreuzigungsgruppe mit Abbildung 7). In neuester Zeit sind die 
Figuren der Gruppe nach der Stuttgarter Hospitalkirche verbracht worden, wo die 
Mittelgruppe, Christus mit Magdalena, jetzt unter dem Chorbogen aufgestellt ist, 
während die Figuren von Maria und Johannes, bei deren Ausführung man eine geringere 


1) Dieser hatte damals eine Streitigkeit mit dem Pfleger des Kaisersheimer Hofs in Heilbronn. 

2) Abbildung in den Kunst- und Altertumsdenkmalen Wiirttembergs, Atlas des Neckar- 
kreises; Beschreibung u. a. bei Wilhelm Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 184. 

3) Mitgeteilt von A. Klemm in der Besond. Beilage des Staatsanzeigers für Württem- 
berg 1875, S. 88. 


1) Eidechsen. — Auch zwei Schnecken sind zu sehen, wie auf verschiedenen später zu 
erwähnenden Werken des Meisters. 
6) Dom. 


6) J. G. D. Memminger, Stuttgart und Ludwigsburg mit ihren Umgebungen (1817), S. 292, 
*) Dibdins biographical, antiquarian and pitturesque tour III (1821), S. 118 ff. mit einem 
Stich der Gruppe von B. Mitau nach einer Zeichnung von G. Lewis. 


506 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


künstlerische Hand beteiligt glaubte, sich in einem Nebenraum befinden'}. Am ur- 
sprünglichen Standort beim Chor der Leonhardskirche sind jetzt Kopien aufgestellt. 

In Heilbronn bekam „Meister Hans Bildhauer“ am 30. März 1505 von dem 
dort ansässigen Albrecht Dinkelsbühl, früherem kurpfälzishen Keller zu Weinsberg, 
den Auftrag „ein steinernes Kreuz zu machen und zu St. Barbara vor dem Sülmer 
Tor an unser Frauen Weg aufzurichten“; bei der Schließung des Vertrags waren außer 
den zwei Heilbronner Bürgermeistern Konrad Erer und Thomas Engelhard und Wolf 
Feurer gen. Weikmar auch die zwei Baumeister (d. h. die Baudeputierten des Rats) 
Michel Hüngerlin und Klaus Sandreuter zugegen. Die Höhe des Kreuzes wurde auf 
13 oder 14 Schuh festgesetzt, die Länge des „Herrgotts“ auf über 5 Werkschuh; das 
Kreuz sollte auf einen steinernen Fels zu stehen kommen, „wie das Muster anzeigt“, 
das Fundament sollten die städtischen Baumeister machen lassen. Dem Bildhauer, der 
den Stein auf seine Kosten brechen lassen mußte, wurden für sein Werk zwanzig 
Gulden Rheinisch zugesagt, dazu Eisen und Blei; die Hälfte des Gelds sollte er während 
der Arbeit erhalten, die andere nadı Fertigstellung des Werks, die auf Jakobi 1505 
festgesetzt wurde’). Ein Rest dieses von Meister Hans gefertigten Werks ist ohne 
Zweifel der künstliche Fels, der an der Südostecke des Bläßschen Gartens beim Frauen- 
weg steht; man sieht noch den Anfang des Kreuzesstamms aus dem Felsen aufragen; 
im Jahr 1540 wird „das heilige Kreuz“ vor dem Sülmertor erwähnt °’). 

In einer abschriftlidi erhaltenen Lauffener Chronik findet sich folgender Ein- 
trag $: „Anno 1507. Inn diesem jahr ist der öhlberg gemacht worden; davon zu 
bauen m. Hanßen steinmetzen zu Heyltpronn 80 gulden; und kost sonsten uffzurichten 
sehr viel.“ Dieser Ölberg befindet sich, sehr verstümmelt, auf der Südseite der Regis- 
windiskirche zu Lauffen a/N. in einem rippengewölbten Einbau. In felsiger Landschaft 
kniet Christus, die drei Jünger schlafen, einer ist ganz hingestreckt; von hinten drängen 
sidi durch eine Gartenpforte die Häscher herzu, die Kriegsknechte haben antike Ge- 
wandung. Daß es sich beim Lauffener Ölberg trotz der Bezeichnung „Steinmetz“ um 
den Bildhauer Hans Seyfer handelt und nicht etwa um den Steinmetzen Hans Schweiner, 
den Erbauer des Heilbronner Kiliansturms, ist mit Sicherheit anzunehmen. 

Wir kommen nun zu einem der Hauptwerke von Hans Seyfer, dem Olberg zu 
Speyer’). Am 17. Januar 1504 brachten im Speyerer Domkapitel der Custos und der 
Sänger vor: „das ein person verhanden were, begerte ime cruytzgang ein oleberg 
uffzurichten und 200 gulden ungeverlihen daran zu geben; so es myn hern gefiel, 


1) Vgl. über die neue Aufstellung Christliches Kunstblatt 1905, S. 214—221. 

2) Vertrag von Quasimodogeniti 1505 (Heilbronner Archiv, Or.). 

3) Untergangsurteil von 1540 (Heilbronner Archiv). 

4) Benützt von A. Klemm (Württ. Viert. für Landesgesci. 1882, S. 120; den wörtlichen 
Auszug aus der Chronik verdanke ich Herrn Stadtpfarrer Fischer in Lauffen. 

>) Vgl. Albert Sdiwartzenberger, der Ölberg zu Speyer (Speyer 1866). — Es ist nötig, 
daß ich die den Ölberg betreffenden Einträge des Speyerer Domkapitelprotokolls genau mitteile; 
denn Schwartzenberger in seinem ausführlihen Werk hat zwar das Protokoll benützt und die 
Einträge z.T. wörtlich mitgeteilt, aber einige der wichtigsten sind ihm entgangen. Das Domkapitel- 
protokol! liegt in Karlsruhe auf dem Großh. General-Landesarchiv; ich zitiere die dortigen Protokoll- 
bände Nr. 6937 und 6938 mit Speyerer Protok. I und Il. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 507 


wolten sie die person nennen etc.;“ darauf begehrten die Kapitelherren ,die viesirung 
des olebergs zu sehen !).“ Am 18. März 1504 brachte dann der Sänger als Seelwärter 
des verstorbenen Domherrn Wiprecht von Finsterlohe*) abermals vor, „so min hern 
wolten ein oleberg im crutzgang ufrichten, wolten sie?) 200 gulden darzu stuern“; 
darauf erfolgte der Beschluß: „Sint myn hern willig, den uffzurichten und das gelt 
anzunemen, und wollen allerhant viesirungen besichtigen, damit sie ein erlichs werg 
ufrichten mochten zum zierlichsten und andechtigsten ‘). Welche Künstler Visierungen 
eingaben, ist nicht überliefert; am 6. November 1505 findet sich die Notiz: „antreffen 
den oleberg wollen myn hern die visierung, so durch den meinster Hansen von Heyl- 
pronnen°) inen ubergeben, behalten, bitz sie das werck und pauw angryffen®).“ Am 
9. Januar 1506 wurden der Dekan, der Custos und die Domherren Hans Krandı und 
Walter Vilbil „zu dem oleberg verordnet, mit dem wergkmeinster zu reden und 
handeln °)“, und am 3. Februar beschloB das Kapitel: antreffen des oleberg zu bauwen 
sol man gen Heylpronnen schicken nach dem meynster und mit im überkomen werden, 
damit das werck ein furgang habe und verpracht werd®).“ Am 13. Februar erhielten 
die Verordneten den Auftrag „mit dem werckman von Heylpronn, doch mit rath 
anderer werckleut, der ding verstendig, zu handeln?.“ Am Tag darauf „haben die 
deputierten heren mit dem meynster uberkomen, doch ein bedacht darzu genommen 
uff das, so er begert 1800 gulden und etlih weyn und korn etc.;“ die Verordneten 
wurden nun (es handelte sich offenbar nur noch um die Höhe der Meister Hans zu 
bewilligenden Geldsumme) beauftragt „berumpter meynster rat zu pflegen '°)“; eine 
deshalb beabsichtigte Sendung nach Straßburg wurde verschoben, „bytz der meynster 
von Mentz kompt!'). Unter dem Meister von Mainz ist wohl der auch später beim 


1) Speyerer Protok. I, Antoniustag 1504. 

*) Er starb am 6. Aug. 1503 (Archiv des histor. Vereins für Unterfranken 33, S. 22). 

3) Die Seelwärter. 

4) Speyerer Protok. I, 18. März 1504. 

5) Zwischen den Städten Speyer und Heilbronn gab es mancherlei Familien- und sonstige‘ 
Beziehungen, z. B. war der damalige Heilbronner Bürgermeister Konrad Erer mehrere Jahre in 
Speyer ansässig gewesen, nachdem der dortige Zweig der Patrizierfamilie Erer erloschen war. 
Im Speyerer Domkapitel waren mehrere Heilbronn benachbarte Adelsfamilien (Gemmingen, Ehren- 
berg, Helmstatt) vertreten; im Jahr 1497 hatte das Kapitel Steine aus Heilbronn bezogen. Zu 
Stuttgart, wo Hans Seyfer die Kreuzigungsgruppe gemacht hatte, hatte das Kapitel künstlerische 
Beziehungen: der Schreiner Hans Ernst, der 1504 das hintere Gestühl im Kreuzchor des Speyerer 
Doms machte (Speyerer Protok. I, Samstag nach Kreuzerfindung, 18. Nov. und 23. Dez. 1504) ist 
jedenfalls identisch mit dem Hans Ernst von Böblingen, der 1490 einen Teil des Chorgestühls in 
der Stuttgarter Hospitalkirche ausführte (Ed. Paulus, Neckarkreis, S. 20 und 559); Hans Ernst 
machte 1504 auch das Schreinerische an der Speyerer Orgel, als Orgelmacher wird Meister Wolf- 
gang genannt; anfangs 1507 wurde Hans Grünbeck, Kapellan und Organist zu Stuttgart, wegen 
der Speyerer Orgel beschrieben (Speyerer Protok. I, Mittwoch nach Convers. Pauli 1507). 

6) Speyerer Protokoll I, 6. Nov. 1505. 

+) Speyerer Protok. I, Freitag nach Dreikönigstag 1506. 

8) Speyerer Protok. I, 3. Febr. 1506. 

®) Speyerer Protok. I, 13. Febr. 1506. 

10) Speyerer Protok. I, 14. Febr. 1506. 

11) Speyerer Protok. I, 27. Febr. 1506. 


508 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Speyerer Ölberg zu Rat gezogene Mainzer Werkmeister Niklaus zu verstehen, in Straß- 
burg sollte vielleicht angefragt werden, was der dortige Ölberg gekostet hatte, der 
im Jahr 1488 von Nikolaus Röder von Diersburg gestiftet worden war!) Am 
9. März 1506 erstattete dann der Domherr Walther Vilbil mit dem Fabrikmeister 
Niklaus Buer dem Kapitel Bericht von Mainz „nadı welcher relation beschlossen, 
meynster Hansen gen Heylpron widder zu schryben, alher gen Spyer zu kommen, 
mit im entlichen zu überkommen des olebergs halben °)“. Drei Tage darauf brachte 
der Steinmetz Meister Heinrich, des Stifts Werkmann, dem Kapitel „ein visirung des 
olebergs und grundbaws etc.“ mit dem Begehren, „in nit so gar umbsunst am weg 
lassen gen, sunder in zu bedenken, so man den bauw verdingen wolt“; Meister Heinrich 
erhielt den Bescheid, sic: nach Rückkehr des Dekans an das Kapitel zu wenden >’). 

Zwischen Meister Hans und den Verordneten des Stifts kam es zum AbschluB; 
denn am 24. April 1506 schrieben der älteste Kanoniker und das Domstift zu Speyer 
an den Heilbronner Rat: nachdem sie dem Meister Hans Syfer, Bildhauer und Bürger 
zu Heilbronn, einen Ölberg in der Speyerer Domkirche zu madıen verdingt hätten 
inhaltlic: eines Kerbzettels, bäten sie den Heilbronner Rat, daß er den Meister Hans 
Steine hiezu brechen lasse‘). Der Rat antwortete am 12. Mai, es seien in Heilbronn 
so viele fürgenommene notdürftige Bäue an der Pfarrkirche und von sonderlichen 
Personen vorhanden, daß die Steine nicht ohne große Kosten gebrochen werden 
könnten; deshalb habe sidı die Sache bisher verzogen und sie könnten die Steine 
nicht mehr zum früheren Preis geben; das Kapitel möchte die langsame Ankunft 
Meister Hansens, des Briefzeigers, entschuldigen; der Rat habe ihn aufgehalten 5). Am 
15. Mai schrieb das Kapitel, das des Rats Antwort offenbar noch nicht erhalten hatte, 
noch einmal an den Heilbronner Rat, er möchte Meister Hans behilflih sein, daß die 
Steine so bald wie möglidı gehauen würden, damit „das angefangene Werk vollendet 
und vollbracht werde °)“. 

Obwohl demnach Meister Hans im Frühjahr 1506 schon in Tätigkeit am Ölberg 
‘war, gab es noch nachträglich eine Schwierigkeit wegen der Bürgschaft: am 27. Juni 
berichtete der Eflinger Pfleger des Speyerer Domkapitels, Meister Hans Meyerhoffer, 
dem Kapitel „antreffen burgschaft meynster Hans Seyfern, bildhauern, wie das die- 
selbigen ‘) zu EBlingen ernennt nit hebig oder gnugsam zu solicher burgschafft 
weren etc.“; das Kapitel beschloB, der Pfleger solle, „damit das werck ein furgang 
gewinne“, dem Bildhauer fünfzig Gulden anzahlen und diesem solle geschrieben werden, 


— 


') An diesem Straßburger Ölberg, der früher vor der Thomaskirche stand und jetzt in 
einer Kapelle am Münster aufgestellt ist, sind Christus und die drei sdilafenden Jünger befangene 
Figuren, unter den Kriegsknechten und Reisigen dagegen befindet sich eine Reihe von lebens- 
wahren Gestalten mit Porträtköpfen (Straßburg und seine Bauten, herausg. vom Architekten- und 
Ingenieurverein für ElsaB-Lothringen (1894), S. 225). 

*) Speyerer Protok. I, 9. März 1506. 

3) Speyerer Protok. I, 12. März 1506. 

*) Schreiben von Freitag nach Georgi 1506. (Heilbronner Archiv, Or.) 

») Sdireiben von Dienstag nach Cantate 1506. (Heilbronner Archiv, Konz.) 

*) Schreiben von Freitag nadı Cantate 1506. (Heilbronner Archiv, Or.) 

°) Die Bürgen des Hans Seyfer. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 509 


daß er andere Bürgen setze’). Was für Beziehungen Meister Hans Seyfer zu EBlingen 
hatte, ist nicht bekannt. 

Erst 2'/, Jahre später °) erhalten wir wieder eine Nachricht über Meister Hansens 
Tätigkeit am Speyerer Olberg, für dessen Altar und Kapelle übrigens ein im Dezember 
1506 verstorbener Domherr schon zwei ewige Messen stiftete 9): am 21. Dezember 1508 
begehrte „Meister Hans Seyfer, Bildhauer“, Bescheid vom Domkapitel, „wes er sich 
halten solt mit den VIII jungern, die do nit im gediengzettel bestimpt“; er erhielt zur 
Antwort, er solle das Werk nadı dem Gedingzettel und der Visierung, die er dem 
Kapitel übergeben habe, aufrichten ‘). Meister Hans hatte offenbar gewünscht, außer 
den meist auf den Ölbergen Dargestellten drei schlafenden Jüngern Petrus, Johannes und 
Jakobus und dem Verräter Judas audı die acht übrigen Jünger anzubringen. Zugleich 
bat Meister Hans das Kapitel um ein nahe beim Stift gelegenes Haus, für das er sich 
Zins zu geben erbot, und um eine Geldhilfe, „das er sih doben mog fordern und 
herab komen uf den fryling ô)“; diese für den Frühling beabsichtigte Verlegung seiner 
Wohnung von Heilbronn nadı Speyer scheint Meister Hans ausgeführt zu haben; 
denn am 5. März 1509 beschloß auf sein nochmaliges Anbringen das Domkapitel, den 
„Meister Hans, Werkmann des Ölbergs“, zu einer Behausung zu helfen, und der 
Fabrikmeister wurde angewiesen, ihm 50 Gulden zu leihen®); noch am 13. März war 
von der Meister Hans anzuweisenden Wohnung die Rede ‘). 

Am 21. März findet sich dann im Domkapitel-Protokoll der Eintrag: „meister 
Lienhard werckman des olebergs °)“; Meister Hans war nämlich, anscheinend unerwartet, 
gestorben. Am 27. März sagt das Protokoll: „Antreffen den oleberg, als meinster 
Hans tots abgangen und ein merglidı gelt zuvorweg hat, ist meinster Lenhart, sin 
bruder °), für mein hern erschin, meiner hern meynung zu versten begert; hat man 
nichts mogen handeln, dwil meinster Lorentz von Heydelberg !‘), der burgen einer, nit 


1) Speyerer Protok. I, Samstag nach 26. Juni 1506. 

2) Von Corporis Christi 1507 bis zum 4. November 1508 ist im Protokoll eine Lücke. 

3) Schwartzenberger a. a. O., S. 14. 

4) Speyerer Protok. II, Thoma 1508. 

5) Speyerer Protok. II, Thoma 1508. 

©) Speyerer Protok. II, Montag nach Reminiscere 1509. 

*) Speyerer Protok. II, Dienstag nach Oculi 1509. 

8) Speyerer Protok. II, Mittwoch nach Lätare 1509. 

9) Meister Lienhard war also der von Simonis (Beschreibung aller Bischoffen zu Speyer, 
S. 377) ohne Namen erwähnte Bruder des ersten Werkmeisters am Olberg (nicht, wie Schwartzen- 
berger [a. a. O., S. 12] meint, Meister Lorenz). 

10) Diesen Meister Lorenz von Heidelberg (er wohnte dort, wie aus dem Protokoll vom 
12. April 1509 hervorgeht), bezeichnet Schwartzenberger (a. a. O., S. 11) unrichtigerweise als 
„von Mainz“, wobei er ihn wohl mit dem später zu nennenden Meister Niklaus von Mainz ver- 
wechselt. Da Meister Lorenz nicht von Mainz war, fällt auch die Vermutung von Georg Dehio 
(Jahrbuch der Kgl. Preußischen Kunstsammlungen XXX [1909], S. 152) über einen Anteil der Werk- 
statt Meister Hans Backoffens zu Mainz am Speyerer Ölberg. Môglidierweise ist Meister Lorenz 
von Heidelberg identisch mit einem Meister Lorenz, den das Speyerer Domkapitel im Jahr 1497 
nach Heilbronn schickte wegen Steinen „für etliche im Domstift aufzurichtende Gebäue“ (Schreiben 
vom Dienstag nach Misericordia domini 1497 im Heilbronner Archiv). Über einen Meister Lorenz 
Lechler von Heidelberg, der 1486 in der dem Speyerer Domkapitel gehörigen Dionysiuskirche zu 


510 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


inheymsch ist; darüff meinster Lenharten befollen, uff die ostern die burgen mit ime 
zu bringen und weyters mit mein heren zu handeln, und wollen den grundtbau hie- 
zwischen austern laBen') und sunst umb rath suchen °)“. Da Meister Lienhard an 
Ostern nicht erschien, befahl das Kapitel am 12. April 1509 den Fabrikmeistern, sich 
nadı Heidelberg zu begeben „und mit meinster Lorenzen und ander burgen zu handeln, 
si derselbigen ë) ledig zu machen‘)“ Am 15. April erhielten die Fabrikmeister den 
Auftrag, sie sollten „meinster Lenhart beschicken, mit des rath das fundament des ole- 
bergs uffuren und uf das man auch wyters des wercks halben mit ime handeln 
moge °).“ Als aber Meister Lienhard erschien und das Kapitel am 24. April seine 
Meinung des Ölbergs halber zu hören begehrte, „nachdem das fundament nit wol 
zu setzen sy onn rat des ihenen, der den uberbauwe wyters uffuren sol“, antwortete 
Lienhard: „er mag nit wol raten, dwil er nicht wissens, wie mein heren den bauw 
ußfuren wollen und ob man sich wol mit ime lassen genugen etc.“ Das Kapitel 
beschloß darauf, Meister Lienhard solle möglichst bald den Meister Lorenz mit sich 
bringen „so mog man dan audı anderswo rat haben und der burgschaft und der 
uBfurung halben handeln®).“ Meister Lienhard und die Bürgen sagten sich nun auf 
einen bestimmten Tag in Speyer an und der Fabrikmeister Niklaus Buer erhielt am 
26. April Befehl vom Kapitel, sid nach Mainz zu begeben und das dortige Dom- 
kapitel zu bitten, daß der Werkmeister Meister Niklaus (jedenfalls der Mainzer Dom- 
baumeister Niklaus Eseler ‘)) ebenfalls auf jenen Tag nach Speyer gesandt werde, 
„rath zu schlagen, wie man das werck des olebergs volfuren mocht“; auch sollte Buer 
den abwesenden Dekan benachrichtigen ®). Über die Verhandlung, die am 4. Mai 1509 
stattfand, berichtet das Protokoll: „Haben mein herrn mit rath meinster Niklaus von 
Meintz, werckmeister, mit meyster Lorenzen und Hans Glesern °), den burgen, des 
olebergs halben gehandelt und nach mancherley unterredung und handlung zuletzst 
sih mit meinster Lorentzen vertragen und entschlossen, dwil solid werck nit mocht 
oder kont in altem geding ußgefürt werden, das er sich des wercks underziehen solt, 
dasselbig regiren, von grunt uffuren und ufsetzen, mit maß und bildwerck nadı not- 
turft versehen solt; deßhalben er und meinster Heinrich, meiner heren werckman, den 
namen des wercks haben solten, doch mit einer maß !‘); also ist das wergk in meyner 


EBlingen als Bildhauer tätig war, vgl. A. Klemm a. a. O., S. 100, wo auch ein kurpfalzischer Bau- 
und Büchsenmeister Lorenz Lacher erwähnt wird. 

1) Den Grundbau bis Ostern anstehen lassen. 

*) Speyerer Protok. II, Dienstag nach Judica 1509. 

5) Der Bürgen. 

*) Speyerer Protok. II, 12. April 1509. 

*) Speyerer Protok. II, Quasimodogeniti 1509; statt „des wercks halben“ hieB es zuerst: 
des uberbauws halben. 

5) Speyerer Protokoll II, 24. April 1509. 

3 Vgl. A. Klemm a. a. O., S. 118. 

») Speyerer Protok. II, Donnerstag nach Misericordia Domini 1509. 

®) Der Bürge Gleser (nicht Glese) scheint nach dem erwähnten Protokoll vom 12. April 
1509 wie Meister Lorenz in Heidelberg gewohnt zu haben; demnach hatte Meister Hans audi 
hier Beziehungen. 

10) Der Sinn ist wohl: zu gleichen Teilen. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 511 


heren kosten usserhalb des ersten gedings widder angfangen und sol meinster Lorentz 
vlei ankeren und ein insehens haben, damit solichs forderlich ein fürgang hab !).“ 
Einige Tage nach dieser Verhandlung, am 7. Mai 1509, wurde der erste Stein am 
Ölberg gelegt im Beiwesen des Dekans und anderer’). 

Zehn Monate später, am 18. März 1510, begehrten die Fabrikmeister einen 
Zug *) zum Ölberg; am gleichen Tag verhandelte das Kapitel, ob das Dadi von Blei 
oder Schieferstein zu machen sei‘). Das Protokoll vom 5. September 1511 berichtet 
wieder etwas von Meister Lienhard: „Meinster Lenhard steinmetz anbracht, die fabricken- 
meynster hetten ime abgekondet, das hauß zu raumen zu meyner hern gebrauch, und 
mit wein und ander kosten zu reichen weren sie ihme herdt°); begert, dwil das werck 
nuh zusammen gieng und noch umb ein klein zyt zu thun, man solt ime und siner 
geschwyen behausung gennen und kosten reychen, wie bisher, uf 6 wochen, so wolt 
er viyB ankeren, so viel an ime, das werk zu fertigen und zusammen zu bringen; 
darnadı so mogen myn heren der arbeyt nach mit ime und siner geschweyen wyters 

zu handeln. Ist fabrickmeynster befollen, hiezwischen Galli das best zu thun mit 
-1/, fuder weyns und ein malter korns oder vier und ime zu sagen, das er mehe vlyB 
ankere dan bitzher und das meyn hern nach ußgang des ziels kein kosten mehe haben 
wollen, darnodı zu richten; und dies ist ime auch capitulariter furgehalten und gesagt 
worden: versehen sich, so es zu sim abscheyt komme, er, meinster Lenhart, und sein 
geschwyhen sollen den kosten auch zu hertzen nemen °). 

Gegen Ende des Jahres 1511 wurde der Ölberg fertig; diese Jahreszahl stand 
auf dem Oberbau °). Am 18. April 1512 wurde beschlossen, ihn mit einer Einfassung 
(„Gerembs“) von Steinwerk zu befrieden, für die Meister Heinrich Entwürfe vorlegen 
sollte®). Dieser hatte übrigens am 22. Januar 1512 das Kapitel gebeten, „syn arbeit, 
so er am oleberg fur andern °) gethon, gunstiglicheren zu bedenckhen !°). 

Es ist nun die Frage, ob Meister Hans von Heilbronn als Meister des Speyerer 
Ölbergs anzusehen ist oder, wie es nach dem Protokoll vom 4. Mai 1509 scheinen 
könnte und wie Schwartzenberger angenommen hat !'), Lorenz von Heidelberg und der 
Speyerer Werkmann Heinrich. Daß ein so berühmtes Werk wie der Speyerer Olberg 
von zwei Meistern gemacht sein soll, von denen man sonst kein einziges Kunstwerk 
kennt, ist an sich unwahrscheinlich, auch kamen beide so zu sagen zufällig zur Mit- 
arbeiterschaft: Meister Lorenz, weil er des verstorbenen Hans Seyfers Bürge war, und 


1) Speyerer Protok. II, 4. Mai 1509. 

2) Speyerer Protok. II, Montag nach Cantate 1509. 

3) Flaschenzug. 

4) Speyerer Protok. II, 18. März 1510. 

5) Hart. 

6) Speyerer Protok., 5. Sept. 1511. 

*) Sichtbar auf einer der noch zu erwähnenden Göttinger Handzeichnungen (Abb. 1). 

8) Speyerer Protok., Quasimodogeniti 1512. 

9) Vor anderen (nicht: für andere). 

10) Speyerer Protok., 22. Jan. 1512. 

1) A, Sciwartzenberger a. a. O., S. 12 (ebenso in seinem neuen Werk, der Dom zu 
Speyer [2 Bd. Neustadt a/H. 1903], wo in Bd. II, S. 419—29 der Ölberg behandelt wird). 


512 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 1. Der Speyerer Olberg vor seiner Zerstörung 


Meister Heinrich als Werkmann des Domkapitels. Dagegen arbeitete Meister Hans 
bereits im Mai 1506 am Olberg und schon damals drängte das Kapitel auf Vollendung 
des „angefangenen Werks“; müssen wir nun nicht annehmen, daß er, als er im März 
1509 vom Tod ereilt wurde, mit den Statuen, deren Material aus den Heilbronner 


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Vorderansicht des Speyerer Olbergs 


Abb. 2. 


Sandsteinbrüchen er zur Hand hatte, fertig war und daß es sich bei seiner Über- 


siedlung nach Speyer nur noch um die Aufstellung des Werks handelte? Angenommen 


38 
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ch nichts oder nicht viel für den Ölberg gearbeitet gewesen, 


dann denkbar, daß man schon 3 Tage nach der Beratung vom 4. Mai 1509, 


durch welche die Vollendung des Werks den Meistern Lorenz und Heinrich übertragen 
wurde, zur Legung des ersten Steins geschritten wäre? Bei dieser Beratung vom 
4. Mai handelte es sich neben der dem Kapitel sehr wichtigen finanziellen Auseinander- 


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Abb. 3. Seitenansicht des Speyerer Olbergs 


setzung mit des verstorbenen Hans Seufers Biirgen offenbar um das Legen des 


“, also um technische 


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und architektonische Fragen, nicht um bildhauerische; dazu stimmt auch die Beiziehung 


des Mainzer Dombaumeisters Niklaus. 


Heinrich wird etwas erwähnt 


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ie Aufsetzung des Werks und um den 


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Weder von Meister Lorenz noch von Meister 
ie Bildhauer waren; wäre es Heinrich gewesen '), 


überhaupt nötig gehabt, den Ölberg einem Fremden, 


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1) Auch bei Meister Heinrichs erwähntem Anbringen vom 12. März 1506 handelte es si 


ichen Ölbergs war damals das 


denn wegen des eigentl 


Kapitel mit Meister Hans schon so gut wie einig. 


offenbar nur um das Arcitektonische 


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M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 515 


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Abb. 4. Seitenansicht des Speyerer Olbergs 


dem Hans von Heilbronn, zu übertragen? Wenn es im Protokoll vom 4. Mai 1509 
heißt, „Meister Lorenz solle das Werk mit Maß- und Bildwerk nach Notdurft ver- 
sehen“, so bezieht sich dies nicht auf die eigentlichen Olbergskulpturen, sondern auf 
den Uberbau, der tatsächlich mit gotischen Fialen und dergl. sowie mit Brustbildern 
verziert wurde (Abb. 1). Und wenn die Meister Lorenz und Heinrich ,den Namen 
des Werks haben“ sollten, so stellt sie dies nicht etwa in Gegensatz zu Hans Seyfer, 
dem bisherigen Meister, sondern zu dessen Bruder Meister Lienhard, der nach Hansens 
Tod zuerst zum Werkmann des Ölbergs gemacht worden war, aber dann die Voll- 
endung des Werks nicht übernehmen wollte. Daß Meister Lienhard, der Bildhauer 


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516 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


war, trotz der Übertragung des Werks an die Meister Lorenz und Heinrich doch noch 
an der Vollendung mitgearbeitet hat, ist ein weiterer Beweis dafiir, daB jene mit den 
Skulpturen des Olbergs nichts zu tun hatten. 

Offenbar haben Meister Lienhard und seine ,Geschweihe“ (jedenfalls Hans 
Seyfers Witwe) das „Zusammenbringen des Werks“, d. h. die Aufstellung der Olberg- 
Statuen in den von den anderen Meistern geschaffenen architektonischen Rahmen 
besorgt und Meister Lienhard mag an den Statuen fertiggestellt haben, was etwa 
sein Bruder unvollendet gelassen hatte. Als Schöpfer der Ölbergskulpturen aber kommt 
Lienhard, obwohl eine Quelle vom Ende des XVI. Jahrhunderts als Vollender des 
Ölbergs „den Bruder des ersten Werkmeisters“ nennt!), nicht in Betracht; denn er 
war offenbar kein bedeutender Meister und traute sich selbst wenig zu; in Heilbronn, 
wohin er sich spätestens 1513 wendete, wird kein bildhauerishes Werk von ihm 
erwähnt; „Meister Lienhard Bildhauer“ wurde dort am 16. Mai 1514 gegen ein jähr- 
liches Sitzgeld von 1 Gulden auf 4 Jahre als Einwohner angenommen mit der Be- 
stimnung, daß er sich allein an das Bildhauerhandwerk halte ohne Beschwerung des 
Maler- und Schreinerhandwerks. Er blieb dauernd in Heilbronn und war später als 
BiichsengieBer für den Rat tätig; im Jahr 1526 nennt er sich: Lienhard Seyfer, Büchsen- 
gießer; er wird noch 1535 erwähnt °). 

Wir dürfen also die Skulpturen des Speyerer Ölbergs mit Gewißheit dem Meister 
Hans zuweisen; er allein kann gemeint sein, wenn als Schöpfer der Stuttgarter 
Kreuzigungsgruppe „der kunstreiche Meister“ des Speyerer Ölbergs genannt wird. 
Wer Meister Hans nicht als solchen gelten läßt, müßte ja auch die Stuttgarter 
Kreuzigungsgruppe dem Lorenz von Heidelberg oder dem Speyerer Werkmann Heinrich 
oder dem Meister Lienhard zuschreiben! Was die Kosten des Speyerer Ölbergs 
betrifft, so gibt Simonis an, er habe „auf 3000 Gulden“ gekostet*); das war für 
damalige Zeiten eine ungeheuere Summe; wenn wir aber bedenken, daß Meister 
Hans im Jahr 1506 1800 Gulden nebst Korn und Wein verlangte, daß 1509 der 
Wechsel in der Bauleitung eintrat und das Werk erst Ende 1511 fertig wurde, so 
dürfte die Angabe von Simonis doc richtig sein. 

Der Ölberg +) (Abb. 1, 2, 3 und 4) stand im Domkreuzgang und bildete ein 
Sechseck mit 4'/, Meter langen Seiten; auf schmucklosem Unterbau erhoben sich sechs 
durch Spitzbogen verbundene Pfeiler, die einen mit gotishem Zierrat und Brustbildern 
versehenen Oberbau trugen. Im Inneren dieses Zentralbaus befand sich ein felsiger 
Berg mit vielen verschiedenartigen Pflanzen und Tieren (Schnecken, Eidechsen, Frösche, 
Schlangen, Hasen, Eichhörnchen, Schildkröte und Greif); den oberen Teil des Bergs 
bildete der von einem Zaun umschlossene Garten Gethsemane, hier waren die Statuen 


1) Simonis, Beschreibung aller Bischoffen zu Speyer (1584), S. 377 (mitgeteilt bei Schwarzen- 
berger a. a. O., S. 63—64). 

2) Heilbronner Archiv. 

3) In seiner erwähnten Chronik von 1584 (Schwarzenberger a. a. O., S. 64). 

4) Vgl. die ausführlichen Beschreibungen von A. Schwartzenberger in seinen erwähnten 
Werken über den Ölberg und über den Speyerer Dom (nach den noch zu erwähnenden Göttinger 
Handzeichnungen). 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 517 


des knieenden Christus, des Engels mit Kelch und Kreuz und der drei schlafenden 
Jünger. Zu dem Garten führte außen am Berg ein Weg hinauf, auf dem die Häscher 
einzeln hinaufstiegen, so daB auf jeder der sechs Seiten des Bauwerks unten eine 
Gruppe der Hascher und oben die Hauptgruppe sichtbar war. Judas, der vorderste der 
Aufsteigenden, hatte gerade den Garten Gethsemane erreicht; die ihm folgenden Kriegs- 
knechte in der Tracht vom Anfang des XVI. Jahrhunderts zeigten derbsten Realismus und 
viel Humor; z. B. hatte ein Hakenschiitze eine eiternde Wunde am Knie, auf der eine 
Fliege saß; in der zuunterst stehenden Gruppe von römischen Soldaten war ein voll- 
ständig Gepanzerter mit Kommandostab, dessen ruhige, an eine Grabfigur erinnernde 
Haltung zu den lebhaften Bewegungen der übrigen in seltsamem Gegensatz stand. 

Der Speyerer Olberg war im XVI. und XVII. Jahrhundert ein viel bewundertes 
Werk. Der Heidelberger Dichter Theodor Reysmann beschreibt ihn in seinem 1531 
erschienenen lateinischen Gedicht Pulcherrima Spirae summique in ea templi enchromata 
voll Begeisterung und sagt, selbst die knidische Aphrodite und der Zeus in Olympia 
müßten dem Ölberg weichen !); Simonis sagt 1584 in seiner „Beschreibung aller Bischoffe 
zu Speyer“ vom Ölberg, „man möge an Schönheit, Art und Kunst in der Teutschen 
Nation nicht leichtlih deBgleichen finden °)“; dann hat der Jesuit Johann Armbruster 
in dem 1654 in Frankfurt erschienenen Parnassus societatis Jesu den Ölberg in lateinischen 
Hexametern besungen und im Jahr 1683 schrieb der Magister Hoffmann über ihn `). 

Im Jahr 1689 wurde der Ölberg, der beim Brand des Doms nur wenig gelitten 
hatte, von den Soldaten des allerchristlichsten Königs zerschlagen und, was noch etwa 
vorhanden war, zerstörten ihre Enkel, die französischen Freiheitsmänner, im Jahre 1794 $). 
Die spärlichen Reste der Statuen sind jetzt im Pfälzishen Museum zu Speyer unter- 
gebracht ^); die Universitäts-Gemälde- und Kupferstihsammlung in Göttingen besitzt 
aber sieben, mit jenen Resten übereinstimmende Handzeichnungen ®) vom Ölberg, die 
uns immerhin ein Bild geben von der Schönheit und Originalität dieses zerstörten 
Werks von Meister Hans Seyfer. Bei der im letzten Drittel des XIX. Jahrhunderts ins 
Werk gesetzten Wiederherstellung des Ölbergs ist die Naivetät und Frische der Original- 
skulpturen nicht zum Ausdruck gebracht worden. 

Bei seiner Annahme zum Heilbronner Bürger im Jahre 1502 wurde Meister 
Hans zuerst als „Bildschnitzer“ bezeichnet, was dann allerdings in „Bildhauer“ korrigiert 
wurde. Einen Auftrag, bei dem es sich offenbar um eine Holzschnitzerei handelte, 
erhielt er etwa im Mai 1506 ?): die Kerzenmeister sowie Brüder und Schwestern der 


1) Theodor Reysmann und sein Lobgedicht auf Speyer, herausg. von Gustav Bossert 
(Speyer 1907), S. 231—233. 

2) Schwartzenberger a. a. O., S. 63. 

3) Schwartzenberger a. a. O., S. 18. 

+) Schwartzenberger a. a. O., S. 17. 

5) Sie waren, während ich diesen Aufsatz schrieb, nicht zugänglich. 

©) Nach Photographien von diesen sind die Abbildungen 1—4 gemacht; die Photographien 
sind mir durch Herrn Professor Dr. Wilhelm Meyer in Göttingen gütigst zur Verfügung gestellt 
worden. — Ein Teil der Göttinger Zeichnungen ist schon veröffentlicht in einem Aufsatz von 
S. J. Zimmern über den Olberg zu Speyer (Baudenkmale der Pfalz II (1889—92), S. 14—23. 

?) Der (ausgestrichene) Vertragsentwurf auf dem Heilbronner Archiv ist undatiert; auf der 


518 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 5. Die Reliefs vom Heilbronner Hochaltar 


St. Anna-Bruderschaft in der Heilbronner Kilianskirche verdingten „dem ersamen und 
berumpten meister HanBen Seyfer, bildhower zu Haylpronn, ain tafel auf sant Anna 
altar zu schneyden und zuzurüsten“ inhaltlih einer Visierung; da Meister Hans 
34 Gulden verlangte, die Kerzenmeister der Bruderschaft ihm aber nur 32 Gulden 
boten, so wurde verabredet, daß sie ihm, wenn er das Täfelein „ihres Gefallens“ 
machen werde, die strittigen zwei Gulden noch geben sollten; bis St. Anna Tag sollte 
„die obgedacht Tafel auBgemacht und mitt dem schnytt (ausgestrichen: und bilder ')) 
zugerust und auf den altar gesetzt werden.“ Ob diese Holzschnitzerei ausgeführt 
wurde, ist nicht bekannt; vielleicht fiel sie der Erneuerung der Kilianskirche im Jahre 
1784 zum Opfer, bei der man u. a. „ein Cruzifix von Holz in colossalischer Größe“ 


Rückseite befindet sich ein gleichfalls undatiertes Konzept über eine andere Sache, dessen Original 
am Donnerstag nach Kreuzerhöhung 1506 ausgefertigt wurde. 
1) Skulpturen. 


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M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 519 


Abb. 6. Der Hauptaltar in Sciwabach D 
(Nach einem Klischee aus Berthold Daun, Veit Stoß, Verlag von Karl W. Hiersemann, Leipzig 1903) 


(angeblich mit Fehlern gegen die Anatomie) entfernte und die Kilianskirche wie auch 
die Deutschordenskirche „von überflüssigen, mittelmäßigen Gemälden säuberte !)“. 

Der berühmte, seit 1784 zum Schutz gegen den Holzwurm mit Bleiweiß über- 
strihene Hochaltar °) der Heilbronner Kilianskirche galt seit Heideloff als Werk Tilman 
Riemenschneiders, was jetzt ziemlich allgemein abgelehnt wird®). Heinrich Merz hat 
in seinem Aufsatz „Der alte Hochaltar in der Kilianskirche zu Heilbronn und der 
Kruzifixus auf dem Kreuzberg bei der Leonhardskirche in Stuttgart)“ die Vermutung 
ausgesprochen „beide hohe Kunstwerke seien von der Hand desselben Meisters Hans 


1) Friedrich August Webers kleine Reisen (Gotha 1802) I, S. 161—166 und 171. 

+) Photographien in Folio von Hch. Schuler mit Erläuterungen von W. Lübke (1891); Ab- 
bildungen (doch ohne Gesamtbild) in den Wirttemb. Kunst- und Altertumsdenkmalen, Atlas des 
Neckarkreises, und (ohne die Flügel) bei Marie Schütte, der Schwabische Schnitzaltar (StraB- 
burg 1907). 

3) Vgl. namentlich Eduard Tönnies, Tilman Riemenschneider (Straßburg 1900), S. 165—166. 

4) Christliches Kunstblatt 1892, S. 106—108. 


520 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


von Heilbronn“, wobei Merz namentlich auf die Ähnlichkeit der Christusfiguren in der 
Dornenkrone und der Art der Bindung, im Haupthaar, in der Leibesgestalt und im 
Lendentuch hinwies. Schon vorher hatte Eduard Paulus in den Württembergischen 
Kunst- und Altertumsdenkmalen gesagt, der Heilbronner Hochaltar rühre „am Ende“ 
von Hans von Heilbronn her'), später schrieb aber Paulus den Altar wieder Riemen- 
schneider zu’). Bestimmt hat neuerdings Marie Schütte in ihrem Werk über den 
Schwäbischen Schnitzaltar den Heilbronner Hochaltar dem Meister Hans von Heilbronn 
zugewiesen; sie sagt, der Altar „trage Zug um Zug die Handschrift des Meisters 
vom Stuttgarter Kalvarienberg“ und vergleicht „die kraftvolle Charakteristik der starken 
Menschen des Heilbronner Hochaltars“ mit der noch gesteigerten, derben Charakteristik, 
die in allen Beschreibungen des Speyerer Ölbergs, des letzten und berühmtesten 
Werkes von Meister Hans, hervorgehoben werde*). Die Zuweisung Schüttes hat 
Zustimmung gefunden‘) und der Heilbronner Hochaltar darf bestimmt als ein Werk 
Hans Seyfers bezeichnet werden. 

Hinsichtlich der vier Flügelreliefs ergibt sich allerdings eine Schwierigkeit: diese 
Reliefs (Abb. 5), von denen die links die Geburt Christi und die AusgieBung des 
heiligen Geists, die rechts die Auferstehung Christi und den Tod Marias darstellen, 
haben namlich in der Komposition auffallende Ahnlichkeit mit den Reliefs auf dem 
Hauptaltar zu Schwabach, auf denen die gleichen, unter sich nicht zusammenhängenden 
Begebenheiten dargestellt sind (Abb. 6). Die Heilbronner Reliefs sind von 1498, denn 
diese Jahreszahl *) findet sich am Schluß einer auf der Grabplatte des Auferstehungs- 
reliefs angebrachten, sonst unleserlihen hebräischen Inschrift, die Skulpturen des 
Schwabacher Altars aber, der im Jahre 1506 bei Michel Wolgemut bestellt wurde und 
1508 aufgestellt war, gelten als Werke des Veit Stoß bzw. seiner Werkstatt °). Die Ahn- 
lichkeit der Heilbronner und der Schwabacher Reliefs, namentlich der die Geburt Christi 
und den Tod Mariasdarstellenden, ist so groß, daß an einem Zusammenhang nicht 
zu zweifeln ist; die Heilbronner Reliefs sind frischer und natürlicher: so sind die un- 
motiviert gedrehten Gewandfalten ‘) des Christus auf dem Schwabacher Auferstehungs- 
relief in Heilbronn nicht vorhanden und die sterbende Maria liegt in Heilbronn natür- 
licher da als in Schwabach. Die Heilbronner Reliefs dem Veit Stoß oder seiner Werk- 


1) Eduard Paulus, Neckarkreis (1889), S. 252. 

2) In der von Paulus herrührenden Beschreibung des Altars in der neuen Heilbronner 
Oberamtsbesdireibung II (1903), S. 18—20. 

3) Marie Schütte, der Schwäbische Schnitzaltar, S. 128 und 182—184. 

') Vgl. E. Gradmann im Staatsanzeiger für Württemberg 1908, S. 169 und Paul Ferdinand 
Schmidt, der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn (Monatshefte fiir Kunstwissen- 
schaft 1909, S. 338—355); die Abhandlung Schmidts erschien, als ich meine Arbeit eben abschloB. 

5) DaB es eine Jahreszahl ist, ist sicher, denn das Wort vor der sehr deutlici geschriebenen 
Zahl bedeutet „Jahr“ (E. Nestle, Besondere Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg 1878, 
S. 265—269. — Eine hebräische Inschrift ist auch auf dem Blutaltar der Rothenburger Jakobs- 
kirche (Tönnies, Riemenschneider, S. 119). 

5) Berthold Daun, Veit Stoß und seine Schule (Leipzig 1903), S. 72ff. und Fritz Traugott 
Schulz im Anzeiger des Germanischen Museums 1508, S. 89ff. 

7) Daun a. a. O., S. 77. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 521 


statt zuzuweisen !) und Hans Seyfer auf den mittleren Teil des Heilbronner Hochaltars 
mit den Rundfiguren zu beschränken geht nicht an; denn gerade auf den Reliefs zeigt 
sidi die beim Speyerer Olberg hervorgehobene derbe Charakteristik des Meisters Hans, 
namentlich auf dem Auferstehungsrelief, das andererseits manche Ähnlichkeiten mit dem 
ebenfalls Hans Seyfer zuzuweisenden °) Steinrelief des Ölbergs in Heilbronn hat; und 
auf dem idyllischen Relief der Geburt Christi am Heilbronner Hochaltar ist auch die 
für Meister Hans charakteristische Vorliebe für Tiere und Pflanzen zum Ausdruck gebracht, 
es fehlt nicht einmal die sowohl bei der Stuttgarter Kreuzigungsgruppe als auf dem 
SpeyererÖlberg vorkommendeSchnecke. 
Von der Stoßschen Werkstatt ist natür- 
lich nicht anzunehmen, daß sie die um 
10 Jahre älteren Heilbronner Reliefs 
nachgemacht hatte; dies wäre höchstens 
dann denkbar, wenn etwa ein Schüler 
Hans Seyfers in die Stoßsche Werk- 
statt übergegangen wäre. Eher wäre 
es möglich, daß auch die Schwabacher 
Reliefs der Seyferschen Werkstatt ent- 
stammen, sei es daß Wohlgemut, der 
den Schwabacher Altar übernommen 
hatte, die Reliefs in Heilbronn machen 
ließ oder, was mehr für sich hätte, 
daB Veit Stoß, der im Jahre 1507 
scdiwer Gesellen bekam °), einen Teil 
der ihm von Wolgemuth übertragenen 
Skulpturen bei Seyfer bestellte. Eine 
weitere Möglichkeit wäre, daß die Heil- Abb. 7. Ölberg an der Heilbronner Kilianskirche 
bronner und die Schwabacher Reliefs 

auf eine gemeinsame Quelle, etwa eine Zeichnung von Stoß zurückgehen. Be- 
ziehungen zwischen Veit StoB und Hans Seyfer sind mir sehr wahrscheinlich; denn 
wenn auch Meister Hans, über dessen Geburtsort und Bildungsgang wir nichts wissen, 
von Lübke *), Bode *), Tönnies °) und Schütte’) übereinstimmend der schwäbischen Schule 
zugewiesen wird, so scheint er mir doch auch fränkische Elemente aufgenommen zu 


1) In dem Aufsatz „Der Meister der gotischen Flügelaltäre in Heilbronn und Öhringen“ 
von Ernst Kapff (Heilbronner Unterhaltungsblatt vom 16. Mai 1907) werden diese beiden Altäre 
für Veit StoB in Anspruch genommen. 

2) Vgl. unten S. 522. 

3) Daun a. a. O., S. 78. 

4) In seinem schon angeführten Text zu den Schulerschen Photographien des Heilbronner 
Hodhaltars. 

5) Wilhelm Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 181—182. 

6) Tönnies a. a. O., S. 166. 

7) Schütte a. a. O., S. 184, 


522 | Monatshefte für Kunstwissenschaft 


haben’) und namentlich im Relief von Veit StoB abhängig gewesen zu sein?). Wenn 
es sich so verhält, so wäre es auch für den Fall, daß die Schwabacher Reliefs 
der Seyferschen Werkstatt entstammen, erklärlich, daß sich viele Stoßsche Motive auf 
ihnen finden. Eine Vermischung schwäbischer und fränkischer Elemente ist bei einem 
in Heilbronn tätigen Künstler sehr naheliegend; denn die Reichsstadt hatte zwar eine 
fränkische Bevölkerung und stand kirchlih unter dem Bistum Würzburg, politisch aber 
gehörte sie zu Schwaben. Meister Hans verbindet auch alte und neue Elemente: 
während auf zwei Säulchen des Heilbronner Hochaltars sich durchschneidende Spitz- 
bogen angebracht sind von einer Form, wie man sie in der Spätgotik nicht mehr 
erwartet, erscheinen auf der Bischofsmütze des Ambrosius ein nackter Sebastian und 
ein Bogenschütze, die nichts Gotisches mehr an sich haben. 

Fragen wir nach weiteren Werken von Hans Seyfer, so dürfen wir ihm 
mit Sicherheit das kleine Steinrelief des Olbergs an der nördlichen Außenseite des 
Chors der Heilbronner Kilianskirche zuweisen (Abb. 7); dieser Olberg war, nach dem 
linken der darunter befindlihen Schildchen zu schließen, eine Stiftung der angesehenen 
und reichen Heilbronner Familie Burger gen. Dinkelsbiihl*). Der Heilbronner Ölberg 
beschränkt sich auf Christus und die drei schlafenden Jünger, die ähnliche Stellungen 
haben wie auf dem Lauffener Ölberg; Judas und die Häscher fehlen, der Engel wird 
dadurch entbehrlich, daß der Kelch oben auf einem Fels steht; man sieht einen reichen 
Stadthintergrund wie auf dem Auferstehungsrelief des Heilbronner Hochaltars; der den 
Garten Gethsemane umschließende Zaun ist dem Zaun auf diesem Relief ganz gleich. 
Die auf den Stuttgarter und Speyerer Werken sowie auf dem Heilbronner Relief 
der Geburt Christi zutage tretende Vorliebe für die Anbringung von allerhand Getier 
zeigt sich auch auf dem Heilbronner Olberg-Relief: wir sehen 2 Schnecken, 2 Frösche 
und 1 Eidechse, die bei dem kleinen Maßstab des Reliefs etwas komisch wirken. 
Das Relief erinnert an die Stoßschen Ölberg-Reliefs in Krakau und in Nürnberg ‘) 
(letzteres ist von 1497). — In der Heilbronn benachbarten ehemaligen Reichsstadt Wimpfen 
ist an der Südseite der evangelischen Pfarrkirche eine rippengewölbte Kapelle an- 
gebaut, die früher einen Ölberg enthielt; der einzige Rest davon ist der weiden- 
geflochtene Zaun des Gartens Gethsemane, auf dessen Gleichartigkeit mit dem Zaun 
des Heilbronner Ölberg-Reliefs Georg Schäfer hingewiesen hat; Schäfer glaubte die 
beiden Ölberge der gleichen Werkstatt zuweisen zu können’). 


1) Die Heilbr. Madonna erinnert an die Riemenschneidersche des Stadelsch. Mus. in Frankf. a/M. 

2) S. unten S. 522. — Man vergleiche auch die auf dem Marienaltar zu Krakau (Abbildung 
bei Daun, Veit StoB und seine Schule, S. 7) und auf der Heilbronner AusgieBung des heiligen 
Geistes gleichermaßen vorkommende auffallende Erhöhung der Figuren des Hintergrunds. 

3) Das Schildchen zeigt deren Wappen, eine Rose innerhalb eines von zwei Dreiecken 
gebildeten Sterns (später hatte die Familie ein anderes Wappen, nämlich einen mit drei Rosen 
belegten Schrigrechtsbalken); das Schildchen rechts ist wohl das Wappen von des Stifters Frau; 
die Schildchen, die auf unserer Abbildung nicht zu sehen sind, sind abgebildet bei A. Klemm a. a. O., 
S. 120; Klemm hielt sie für Steinmetzzeichen. 

4) Abbildungen bei Daun, Veit StoB und seine Schule, S. 31 und 47. 

5) Georg Schäfer, ehemaliger Kreis Wimpfen (Kunstdenkmale im Großherzogtum Hessen), 
S. 41—44 mit 2 Abbildungen der Ölberg-Kapelle. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 523 


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Abb. 8. Olberg an der Neuffener Kirche m 
(Nach einem Klischee im Besitze des Schwäbischen Albvereins) 


Eine große Ölberg-Darstellung befindet sich an der Öhringer Stiftskirche, die 
Figuren sind aber derart überstrichen, daß von den Gesichtern fast nichts zu sehen ist. 
Durch eine Lücke des Gartenzauns, der auch hier mit dem des Heilbronner Ölberg- 
Reliefs gleichartig ist, sieht ein Neugieriger mit groteskem Gesicht der Gefangennehmung 
zu; hinter Judas und den ihm zunächst folgenden Häschern drängen sich, ähnlich wie 
in Lauffen, viele römische Krieger durch die Gartenpforte; ich halte die Urheberschaft 
von Meister Hans beim Öhringer Ölberg für sehr wahrscheinlich. 

Zwei weitere große Ölberg-Darstellungen sind an den Kirchen des Städtchens 
Neuffen (Oberamt Nürtingen) und des benachbarten Dorfs Beuren; diese beiden Ölberge 
sind fraglos von dem gleichen Bildhauer gearbeitet und es ist mir wahrscheinlich, daß 
es Hans Seyfer war, der in der württembergischen Hauptstadt Stuttgart bekannt war 
und zu dem nahe bei Neuffen gelegenen EBlingen, vielleiht auch zu dem noch näher 
gelegenen Urach’), Beziehungen hatte. Der Neuffener Olberg*) (Abb. 8), in einer 


1) S. unten S. 527. 
2) Genaue Beschreibung bei Stadtpfarrer Metzger, die Stadtkirche in Neuffen (Neuffen 1905), 


524 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


rippengewölbten Kapelle an der Westseite der Neuffener Kirche, ist von dem in 
kniender Stellung abgebildeten Aberlin Schech, wahrscheinlih einem Weingärtner, 
gestiftet und mit der Jahreszahl 1504 bezeichnet; mit der Stifterstatue sind 15 Personen 
auf ihm angebracht. Die Apostel Johannes und Jakobus haben ähnliche Stellungen 
wie auf dem Speyerer Ölberg, während Petrus mehr dem Petrus des Heilbronner 
Ölbergs ähnlich ist; der Boden ist wie beim Speyerer Ölberg mit vielen verschieden- 
artigen Pflanzen bedeckt, dagegen sind keine Tiere zu sehen. Unter den Häschern 
können eirizelne den originellen Gestalten des Speyerer Olbergs an die Seite gestellt 
werden, namentlich der über den Zaun hereinstürmende Kerl mit dem gierig grinsenden 
Gesicht. Der Beurener Ölberg ist ganz ähnlich angelegt wie der Neuffener, den er 
an Größe noch übertrifft; einzelne Figuren sind stark ergänzt. 

Von einem Ölberg bei der sog. Klosterkirche zu Adelberg (Oberamt Schorndorf) 
sind die großen, schönen Figuren des betenden Christus und der drei schlafenden 
Jünger!) erhalten, sowie der tröstende Engel, der, wie der Engel des Speyerer Olbergs, 
ein Kreuz hält. Der Gedanke an Meister Hans liegt bei diesem Ölberg um so näher, 
als auf ihm eine Eidechse, eines der Lieblingstiere des Meisters, angebracht ist. 

Mit Bestimmtheit möchte ich für Hans Seyfer einen sandsteinernen Christuskopf 
(Abb. 9) des Heilbronner Historischen Museums?) in Anspruch nehmen; dieser Kopf 
wurde vor wenigen Jahren bei Grabarbeiten im ehemaligen Amtshaus des Heilbronner 
Predigers (jetzt Klostergasse 4) aufgefunden, leider ist er, namentlih an der Nase, 
beschädigt; der edle Ausdruck erinnert stark an den Christus der Stuttgarter Kreuzigungs- 
gruppe, auch die Dornenkrone stimmt überein. 

Eduard Tönnies schreibt „dem Meister des Heilbronner Hochaltars“ das hölzerne 
Brustbild des hl. Kilian im Sakramentshäuschen der Heilbronner Kilianskirche zu”). 
Wenn diese Annahme von Tönnies richtig ist, liegt es nahe, auch beim Sakraments- 
häuschen selbst an Meister Hans zu denken; dieses hübsche Werk‘), bei dem der 
Sakramentsschrank in origineller Weise von Wendeltreppchen flankiert wird, ist gestiftet 


S. 36—40, und (von demselben) in der Besond. Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg 
1904, S. 250—253. — Daß die Ölberge in Neuffen und Beuren auf Hans Seyfer zurückgehen, ist 
mir zur Gewißheit geworden, seit ich den jedenfalls der gleichen Werkstatt wie jene zuzuweisenden 
Olberg in GroBsüBen (O;A Geißlingen) gesehen habe; auf diesem sind auch die für Seyfer 
dharakteristischen Tiere (5 Schnecken, 2 Frösche, 2 Eidechsen, 1 Schlange, 1 Vogel) zu sehen; unter 
den Großsüßener Ölberg sind in einer Nische die drei Frauen mit dem (modernen) Leichnam 
Christi dargestellt. 

1) Abbildungen von Christus und Petrus in einem Aufsatz über den Adelberger Ölberg 
im Christlichen Kunstblatt 1866, S. 185—186. 

2) Katalog (Historischer Verein Heilbronn, Heft VIII, 1903—6), S. 107 (IX D 57). — 
P. F. Schmidt in seinem erwähnten Aufsatz (a. a. O., S. 348—349) schreibt den Heilbronner 
Christuskopf ebenfalls dem Meister Hans zu. — Man vergleiche den Heilbronner Christuskopf mit 
der Abbildung des Christuskopfs der Stuttgarter Kreuzigungsgruppe im Christlichen Kunstblatt 
1892, S. 104. 

5) Tönnies, Riemenschneider, S. 166. — Der etwas mürrisch aussehende Kilian ist auf den 
Schulerschen Photographien des Heilbronner Hochaltars mit abgebildet. 

1) Abbildung bei Heinrich Titot, Beschreibung der evangelischen Hauptkirche zu Heilbronn 
(Hibr. 1833.) 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Bildschnitzer in Heilbronn 525 


Abb.9. Christuskopf im Heilbronner Historishen Museum 


von einem in kniender Stellung daneben abgebildeten Angehörigen der Heilbronner 
Patrizierfamilie Hünder, wahrscteinlih von dem im Jahre 1513 verstorbenen Eber- 
hard Hünder. 

Tönnies bringt auch die Büsten der vier Kirchenväter im Städelschen Museum 
zu Frankfurt a/M. mit dem Heilbronner Meister in Verbindung!) und Wilhelm Bode 
hat auf die Ähnlichkeit der Heilbronner und Frankfurter Kirchenväterbüsten mit denen 
an der Kanzel der Wiener Stefanskirche hingewiesen; diese sind von 1512 und werden 
Anton Pilgram von Brünn zugeschrieben °). 

Neuestens bringt Paul Ferdinand Schmidt den Meister Hans von Heilbronn mit 
dem Meister der Holzstatue des hl. Martin im Berliner Kaiser Friedrich-Museum in 
Verbindung ?). 

Für möglich halte ici Hans Seyfers Urheberschaft beim ehemaligen Hochaltar 
der Öhringer Stiftskirche , von dem aber nur der Mittelschrein erhalten ist; dieser 
Altar war, nach den darin aufgehängten Wappen von Hohenlohe und Württemberg 
zu schließen, eine Stiftung des Grafen Kraft VI. von Hohenlohe (gest. 1503) oder 


1) Tönnies a. a. O., S. 167. 

2) Wilhelm Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 200—201. 

3) P. F. Schmidt, Der Meister des Berliner Martin und Hans von Heilbronn (Monatshefte 
für Kunstwissenschaft 1909, S. 338—355). 

4) Abbildung bei Ernst Boger, die Stiftskirche zu Öhringen (Württembergisch Franken, 
N. F. II, 1885) und in den Württemb. Kunst- und Altertumsdenkmalen, Atlas des Jagstkreises, Taf. 94. 


526 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


seiner Gemahlin Helena (gest. 1506), einer Tochter Graf Ulrichs des Vielgeliebten von 
Württemberg-Stuttgart; im Jahr 1501 wurde zur „Wiederherstellung“ des Altars ein 
AblaB verliehen!. Wie im Heilbronner Mittelschrein stehen in Öhringen je zwei 
Heilige unter reichen Baldachinen rechts und links von der etwas erhöht stehenden 
Madonna, deren Schleier vom Christuskind gefaßt wird. 

Beim Hochaltar der Schloßkirche zu Winnental bei Winnenden °), der im Auf- 
bau und auch in den Reliefs an den Heilbronner Hochaltar erinnert, könnte man ver- 
sucht sein, das auf dem Altar vorkommende, verschlungene Monogramm J. S. mit 
Johann Seyfer aufzulösen; aber erstens erscheint dieses Monogramm zu unbedeutend 
für eine Kiinstlersignatur*) und dann ist wahrscheinlici der Winnentaler Altar, der 
mehrfach Renaissanceformen zeigt, erst nach Hans Seyfers Zeit entstanden. 

Die schöne Holzstatue des zum Kreuz aufblickenden Johannes‘) in der Domini- 
kanerkirche zu Wimpfen erinnert etwas an die Art Hans Seyfers. Auch die Kreuzigungs- 
gruppe neben der evangelischen Pfarrkirhe zu Wimpfen”) hat manches mit Hans 
Seyfers Stuttgarter Kreuzigungsgruppe gemein: man vergleiche die Gestalt des Christus 
und die Gewandung der Magdalena. Es ist mir deshalb wahrscheinlich, daß irgend 
ein Zusammenhang besteht zwischen Hans Seyfer und dem im Jahre 1519 verstorbenen 
Mainzer Bildhauer Hans Backoffen von Sulzbach “), der die zwei Kreuzigungsgruppen 
in Frankfurt a/M. geschaffen hat und dem auch die Wimpfener Gruppe zugewiesen 
werden muß‘). Die Gruppe auf dem Frankfurter Domkirchhof ist von 1509, die auf 
dem dortigen Peterskirchhof von 1511, die Wimpfener Gruppe wird als später als die 
auf dem Domkirchhof erklärt °); daß bei der Wimpfener Gruppe teiweise Heilbronner 
Sandstein verwendet wurde °), ist bei der kleinen Entfernung Wimpfens von Heil- 
bronn naheliegend, daß aber auch bei beiden Frankfurter Gruppen zum Teil Heilbronner 
Steine verwendet wurden!), ist doch auffallend. 

Suchen wir nach Schülern von Meister Hans Seyfer, so wird als solcher sein 
schon erwähnter Bruder Lienhard anzunehmen sein. Ein Bruder Lienhards und also 
auch Hans Seyfers war der bald Schreiner bald Bildhauer genannte Peter Seufer; er 
erhielt im Jahre 1513 Sitzbewilligung in Heilbronn und heiratete Ottilia Holzwartin von 
dort, die im Jahre 1531 als Witwe unter dem Namen ,Ottilia Bildhauerin“ erwähnt 
wird!!). Ob ein zu Lebzeiten des Meisters Hans und noch im Jahr 1527 in Heilbronn 


1) Boger a. a. O., S. 77. 

2) Gesamtabbildung bei M. Schütte a. a. O., Taf. 79; gute Abb. der Reliefs in den 
Wiirttemb. Kunst- und Altertumsdenkmalen, Atlas des Neckarkreises. 

3) M. Schütte a. a. O., S. 215. 

1) Abbildung bei Georg Schäfer, Kreis Wimpfen, zwischen S. 104 und 105. 

5 Vgl. Georg Schäfer a. a. O., S. 78—87 mit Abbildung. 

‘) Von welchem Sulzbach er war, ist nicit bekannt. — P. F. Schmidt in seinem erwähnten 
Aufsatz (a. a. O., S. 354) spricht die gleiche Vermutung aus. 

‘) Wolff-Jung, die Baudenkmäler zu Frankfurt a/M. II (1898), S. 366—390. 

9) Wolff-Jung a. a. O., S. 386. 

P) Georg Schafer a. a. O, S. 79. 

10) Wolff-Jung a. a. O., S. 367 und 380. 

1) Dies und das Folgende aus Betbüchern und sonstigem ardiivalisdien Material in Heilbronn. 


M. v. Rauch. Meister Hans Seyfer, Bildhauer und Eildschnitzer in Heilbronn 527 


erwähnter Schreiner Niklaus Sufrit ebenfalls ein Bruder des Hans Seyfer war, wäre 
deshalb wissenswert, weil im Jahre 1499 als die Heimat eines vielleicht mit ihm identischen 
Heilbronner Söldners Niklas Syfried Würzburg angegeben wird. Der Schreiner Niklaus 
Syfrit ist jedenfalls identisch mit einem Niklaus Schreiner, den der Heilbronner Rat im 
Jahre 1519 zum Büchsenmeister annahm; im Jahre 1531 war er tot und scheint einen 
Sohn Mathis Syffert, der gleichfalls Schreiner war, hinterlassen zu haben. 

Als Schüler von Hans ist vielleicht der Heilbronner Bildhauer Michel Viktorin 
oder Lang anzusprechen; dieser nicht unbedeutende, aus Schlesien stammende Meister, 
der seit 1503 in Heilbronn nachzuweisen ist, machte u. a. im Jahre 1525 das schöne 
Grabdenkmal der Familie von Plieningen in der Kirche zu Kleinbottwar!); im Jahre 
1522 scheint er mit Meister Hansens Bruder Peter Seyfer zusammengewohnt zu haben. 

In einem undatierten Schriftstück des Heilbronner Archivs wird neben ver- 
schiedenen Schreinern ein Stoffel Geiger genannt und als „Meister Hansen des Bild- 
hauers Knecht“ bezeichnet. Es wäre möglich, daß dieser Stoffel identisch ist mit dem 
Bildhauer Stoffel oder Christof zu Urach ?), dessen erstes beglaubigtes Werk der Uracher 
Taufstein von 1518 ist. M. Schütte hat dem Christof von Urach, der in Stein und 
Holz gearbeitet hat, den Hochaltar in dem nicht weit von Heilbronn gelegenen Besigheim 
zugewiesen *); die schöne, sorgfältig frisierte Königstochter der Besigheimer Mittel- 
gruppe könnte sehr gut von einem Schüler des Meister Hans ausgeführt sein, denn 
sie scheint mir den zwei Sibyllen des Heilbronner Hochaltars nahe zu stehen, auch 
der mit Pflanzen bewachsene felsige Boden, auf dem die Besigheimer Mittelgruppe 
steht, erinnert an Seyfer, der sogar die Einzelfiguren des Heilbronner Hochaltars zum 
Teil auf solchen Boden stellte. Der Besigheimer Altar erinnert iibrigens in manchem 
an den Winnentaler. 

Da Meister Hans vielleicht den Christof von Urach als Schüler hatte und wahr- 
scheinlich selbst in kleinen Orten der Uracher Gegend (Neuffen, Beuren) tätig war, so 
möchte ich auf eine Möglichkeit bezüglich der Herkunft des Meisters hinweisen: sollte 
Meister Hans Seyfer selbst aus Urach stammen und vielleicht mit dem Steinmetzen 
Hans von Aurach“) identisch sein, als dessen Heimat doch wohl die württembergische 
Residenz Urach zu betrachten ist? Hans von Aurach war an zwei Orten der Heil- 
bronner Gegend tätig, nämlich in Öhringen beim Umbau der Stiftskirche (urkundlich 
1491) und in Wimpfen beim Umbau der Pfarrkirche (inschriftlich 1493 und 1497°)), 
also gerade in zwei Städten, wo auch eine Tätigkeit Hans Seyfers als wahrscheinlich 
zu bezeichnen ist‘); die erwähnte Wimpfener Ölbergkapelle steht in struktivem Zu- 


1) Abbildung im „Deutschen Herold“ 1907, Nr. 8. 

2) Vgl. über ihn A. Klemm in Ed. Paulus Schwarzwaldkreis, S. 516. 

5) M. Schütte a. a. O., S. 127; Abbildungen Taf. 4 und 5. 

4) Vgl. über ihn A. Klemm in den Württemb. Vierteljahrsh. für Landesgeschichte, S. 125 
und (berichtigend) S. 201. — Ein Hans von Uradı war 1492 als Kirchenmeister in Gmünd ansässig 
(E. Gradmann, Jagstkreis, S. 368.) 

5) Das bei diesen Jahreszahlen erscheinende Steinmetzzeichen ist nicht das des Bernhard 
Sporer sondern das des Hans von Auradı, wie Klemm a. a. O., S. 201 nachgewiesen hat 
(Figur 100 bei Klemm). 

5) Vgl. S. 522, 523 und 525. 


528 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


sammenhang mit einer Vorhalle, an der das Steinmetzzeicien des Hans von Aurach 
angebracht ist!) Von einer bildhauerischen Tätigkeit des Hans von Aurach ist aller- 
dings nichts bekannt, während Bernhard Sporer von Leonberg, sein Mitarbeiter beim 
Öhringer und Nachfolger beim Wimpfener Kirchenbau, Baumeister und Bildhauer war °). 
Sporer, dessen Lehrmeister Albrecht Georg den Chor der Heilbronner Kilianskirche 
erbaut hat, war nach einem Schreiben des Grafen Kraft von Hohenlohe vom 1. De- 
zember 1498°) damals Einwohner von Heilbronn, während Hans von Aurach in diesem 
Schreiben, also am Ende des Jahres, in dem der Heilbronner Hochaltar vollendet 
wurde, als „zu Hall“ bezeichnet wird. Dies ist die letzte bestimmte Nachricht, die 
wir von Hans von Aurach haben; unmöglidı wäre es nicht, daß er zur Bildhauerei 
übergegangen wäre und sich, nachdem er sich im Jahre 1502 fest in Heilbronn nieder- 
gelassen, Hans von Heilbronn genannt hatte. A. Klemm bezieht auf Hans von Aurach 
folgende Nachricht: „pauch waren die Steinmetzmeister Hansen von Öhringen und Michel 
Pley in den Jahren 1480 bis 1520 Mitglieder der Bauhütte in Nürnberg 4)". Wenn 
diese sehr unbestimmte Angabe wirklih auf Hans von Aurach zu beziehen ist, so 
kann, falls ihre Jahreszahlen richtig sind, Hans von Aurach mit dem 1509 verstorbenen 
Hans von Heilbronn nicht identisch sein, für den andererseits die Beziehungen zu 
Nürnberg gut stimmen würden’). 


1) Georg Schäfer a. a. O., S. 41—42. 

2) Vgl. E. Paulus, Neckarkreis, S. 127—128 und 578. In Heilbronn wird Sporer meistens 
Bernhard von Leonberg genannt. 

3) Heilbronner Archiv. 

*) C. Heideloff, die Bauhütten des Mittelalters in Deutschland, S. 33. 

5) Vgl. S. 521—22, 


Palastanlagen im islamischen Abendlande 
Von Ernst Kühnel 


Wenn wir die Geschichte der mohammedanischen Fürstenpaläste bis auf ihre 
Anfänge zurückverfolgen, so kommen wir mit sicheren Nachrichten kaum über die 
erste Abbässidenzeit hinaus. Die einfache Lebensführung des Propheten und der 
großen Khalifen berechtigen zu der Annahme, daß erst mit der Glanzentfaltung am 
Hofe der Omayaden jene prunkvollen Residenzbauten entstanden, deren beispielloser 
Luxus die Phantasie der Schriftsteller beschäftigte und zu der Entstehung unzähliger 
Sagen und Märchen den ersten Anstoß gab. Das früheste derartige Denkmal, von 
dem wir historishe Data besitzen, war das „goldene Haus“ in Fostät, dem alten 
Kairo, das im Jahre 669 von ‘Abd-el-Aziz ben Mo‘awia errichtet wurde. Die Resi- 
denzstadt selbst, Damaskus, hatte wahrscheinlid eine Reihe ähnlicher Paläste auf- 
zuweisen, für die wir, was die Disposition der Anlage betrifft, die unmittelbaren Vor- 
bilder im syrischen Haurän suchen müssen, wo’ unter den Ghassaniden die dort seB- 
haft gewordenen südarabischen Stämme einen sehr eigenartigen und zurzeit der 
islämischen Eroberung hochentwickelten Architekturstil ausgebildet hatten (vgl. Mschatta). 
In Mesopotamien war neben den Ruinen der alten Lakhmidenhauptstadt Hira, in einer 
Region, die ebenfalls von sabäisdien Flüchtlingen aus dem Yemen bewohnt wurde, 
über dem Grabe des großen ‘Ali das gelehrte Küfa emporgeblüht, das in Künsten und 
Wissenschaften mit Bacra wetteiferte und um die Mitte des achten Jahrhunderts auf 
kurze Zeit Sitz des Khalifats wurde, ehe die Abbässiden ihre neue Residenz, Baghdäd, 
bezogen. Wir haben Kunde von drei Palästen in Hira: der eine as-Sadir, wird nur 
kurz genannt, der zweite, al-Khawarnaq, wurde von dem Fürsten Nu‘màn als Jagd- 
schloß für den persischen König Bahräm Gir erbaut und später von den Khalifen noch 
bisweilen zu demselben Zwecke bezogen, und von einem dritten, al-‘Okhaidir, sind 
kürzlich interessante Ruinen nachgewiesen worden’). Wir können vermuten, daß diese 
vermöge ihrer altarabischen Traditionen einen besonders starken Einfluß auf die Schloß- 
bauten von Küfa, Baghdäd, Raqqa und Sämarrä ausübten und sich neben den im 
Euphrat-Tigris-Gebiet vorherrschenden rein persischen Elementen als wichtigste Ingre- 
dienz durchsetzten. Und die mesopotamischen Denkmäler wiederum waren der wesent- 
liste Faktor in der Ausbildung des maghribinischen Stiles, der in den Ländern des 
Sonnenunterganges sehr bald zu einheitlihen und charakteristischen Formen gelangen 
sollte, nachdem die Errichtung des westlichen Khalifats in Cordova die endgültige 
politishe Trennung vom Orient herbeigeführt hatte. 

In Qairùan, der ältesten der afrikanischen Residenzen, sah schon Edrisi, der sie 
um 1130 besuchte, nur noch Ruinen von Cabra, dem Sitz der Regierung, und von 
den einst weltberühmten Schlössern von Raqqâda mit ihren herrlichen Gärten, in denen 
die Aghlabiten Hof gehalten hatten. Ebenso sind die Paläste von Mancüria und 
Abbässia, die vor den Toren gelegen waren, spurlos verschwunden. 


1) cf. L. Massignon, Les chäteaux des princes de Hirah. Gaz. des Beaux-Arts, 1909, avril. 
39 


530 | Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Tahert (Tiaret), die Hochburg der ibaditischen Berbern, die im VIII. und IX. Jahr- 
hundert sehr aufgeblüht war, und Sidjilmaésa am Rande der marokkanischen Sahara, 
wo die Sofriten ,nach dem Vorbilde von Küfa“, wie es ausdrücklich heißt, imposante 
Bauten aufgeführt hatten, weisen keine Erinnerung mehr an ihre Vergangenheit auf, 
und auch in Fés, das, 806 gegründet, unter den Idrisiden schnell zu hoher Bedeutung 
gelangte, sind aus dieser ersten Epoche keine profanen Denkmäler erhalten. 

Zu Beginn des X. Jahrhunderts wurde vom Mahdi ‘Obeidallah an der tunisischen 
Küste die Hauptstadt der Fatimiden, Mehdia, angelegt, deren hochragender Königs- 
palast angeblidi eine Front von 360 Fenstern aufwies, und fast gleichzeitig bauten die 
in die Wüste vertriebenen Ibaditen in Sedrata bei Wargla ihr neues Jerusalem auf, 
das freilidi schon im folgenden Jahrhundert zerstört wurde, aber in seinen geringen 
Trümmern immerhin wichtige Anhaltspunkte für die Kunstgeschichte des Maghrib bietet. 
Bei einem dort erhaltenen Palast bemerkt man die typische Anordnung der Säle um 
einen Innenhof und das erste Beispiel einer Stuckdekoration der Wände in Motiven, 
die auf textile Vorbilder schließen lassen !). 

In Spanien hatte bis dahin Cordoba die Führung behalten; doch sind die Nach- 
richten über den Khalifenpalast spärlicher, als man erwarten sollte. Medinat ez-Zahra, 
das ‘'Abderrahmän III. im Jahre 936 anlegen ließ, war wohl das prächtigste und aus- 
gedehnteste LustschloB in der ganzen islämischen Welt. Leider fehlen uns auch hier 
konkrete Angaben über die Disposition der verschiedenen Komplexe. Wir erfahren 
nur, daß ein Brunnen mit reihem bildnerischen Schmuck im Harimshofe stand, und 
daß eine Moschee vorhanden war. Ebenso ist von der architekturgeschichtlich inter- 
essanten Einrichtung von Kuppelpavillons hier zuerst die Rede. Wie bei Baghdad, so 
gab es auch bei Cördoba einen Palast namens Rucäfa. 

Im XI. Jahrhundert wurde mit der Auflösung des Khalifats in die kleineren 
Reiche der berberischen Taifa-Könige die Verschmelzung des gesamten Westens an- 
gebahnt, die dann von Marokko aus die Murabtin (Almoraviden) und die Muwahdin 
(Almohaden) vollzogen, und die als die politische Vorbereitung des sog. „maurischen“ 
Einheitsstiles zu betrachten ist, den wir zu dem eigentlich „arabischen“, für Ägypten 
und Syrien charakteristishen, in Gegensatz zu stellen gewohnt sind. Damals war 
unter den Berberfamilien, die im Maghrib die Staatsgewalt inne hatten, die der Ziriten 
die mächtigste. Sie residierten sowohl in Granada, wo sie sich auf dem später al- 
Bayasin geheißenen Hügel einen stattlicien Palast errichtet hatten, wie auch in Tunis, 
wo sie ursprünglich als Statthalter der Fatimiden saßen. Sie machten sich dort selbst- 
ständig, verloren aber bald ihre Autorität an die Hammäditen, einen Zweig ihres 
Hauses, der von seiner Qal‘aa aus das mittlere Nordafrika beherrschte. In der Qal‘aa 
Hammäd sind die Ruinen von drei Palästen nachgewiesen worden, von denen aber 
der eine wegen seiner rein turmartigen Konstruktion hier nicht in Betracht kommt. 
Beylié hat dort erfolgreiche Ausgrabungen unternommen, deren Resultate uns in einer 
kürzlich erschienenen Publikation °) vorliegen. Sie sind deshalb von besonderem Werte, 


1) Vgl. Saladin, Manuel d'art musulman, Paris 1907, Fig. 152, 153. 
*) L. de Beylie, La Kalaa des Beni Hammad. Paris 1909. 


E. Kühnel. Palastanlagen im islämischen Abendlande 531 


FOUILLES EXECUTEES PAR M” LE GENERAL DE BEYLIE 1908 


PLAN DU DAR-EL-BAHAR 


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Der SEEPALAST in der Qal‘aa Hammad, nach der Publikation von Beylié 
O (Paris, E. Leroux, 1909) 


weil wir an ihnen zum ersten Male die Dreiteilung konstatieren, die den Residenz- 
bauten im Maghrib eigentümlih war. Der erste Komplex, gewöhnlich Meëuar genannt, 
enthielt die Räume für die öffentliche Rechtsprechung und die allgemeinen Audienzen, 
der zweite, mit den Amtslokalen der Minister und den Sälen für feierliche Empfänge, 
war der eigentliche Sitz der Regierung (Diwan), während der dritte, der Harim, aus 
den Privatgemächern des Königs und den Frauenkemenaten bestand. Die einzelnen 
Teile waren gewöhnlich streng von einander geschieden, der mittlere regelmäßig der 
größte und prunkvollste, mit einem Wasserbassin in der Mitte, während der letzte um 
einen offenen Hof gruppiert wurde. Bei unebenem Terrain lag der Mešuar stets am 
tiefsten. Gärten wurden vornehmlich vor dem Eingang und im Anschluß an den Harim 
angelegt. Mit diesem waren auch die Bäder verbunden, die nirgends fehlten, während 
die zugehörige Moschee in der Regel von außen zugänglich und wohl nur die Frauen- 
tribüne durch einen gedeckten Gang vom Palastinneren aus zu erreichen war. Alle 
diese Bauten waren verhältnismäßig niedrig, ohne Fassadendekor, und von scheinbar 
ganz willkürlicher Anordnung; sie unterschieden sich darin wesentlich von derartigen 
persischen Anlagen, die oft mehrere Stockwerke hoch und stets unter Berücksichtigung 
der Symmetrie und der Außenwirkung aufgeführt waren. Die Normen des abend- 
landischen Schemas finden sich größtenteils bereits in den beiden Palästen auf der 
Qal‘aa, deren Grundrisse — die übrigens in einzelnen Teilen noch der Nachprüfung 


532 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


und Vervollständigung bedürfen — hier wiedergegeben sind. Der untere, Dar el- 
Bahar, ist in gerader Linie von Osten nach Westen angelegt, Die eigentümliche Pro- 
filierung der vorderen MeSuarwände führt man auf Mesopotamien zurück, ohne daß 
sie sich dort in derselben Form vorläufig nachweisen ließe. Die langgezogenen, schmalen 
Räume sind für jene Epoche charakteristisch. Nach Beylies Aufnahme scheint der 
Zugang zu den Empfangsräumen doppelt gewesen zu sein; man sollte nur einen, und 
zwar den südlihen Durchbruch vermuten. Der große Mittelhof wurde von einem 
Wasserbassin eingenommen; ein Detail, das wir bereits im sassanidischen Persien 
finden und das sicher von dorther importiert war’). In der Flucht kleiner Zimmer an 
der Südseite wird man unschwer die Amtslokale der höchsten Regierungsbeamten 
erkennen, die natürlich nie im Königspalast selbst wohnten, sondern ihn nur zur Er- 
ledigung ihrer Dienstobliegenheiten aufsuchten. Die strenge Trennung von Diwän und 
Harim wird durch die Anordnung der Säle im Westbau deutlich. Rechts und links 
öffnet je einer auf den zweiten Komplex, während die drei mittleren bereits zu den 
intimen Gemächern gehören. Zu diesen gelangt man auf einem schmalen, ehedem von 
der Eunuchenwadhe besetzten Gange, der an den Bädern vorbei in mehreren Krümmungen 
den Frauenhof erreicht. An ihn scheinen sidi nach Norden weitere Räume angeschlossen 
zu haben, von denen bisher noch keine klare Vorstellung gewonnen werden kann. 


Auf dem anderen Plane interessieren uns besonders die Bauten V und VI, deren 
Zusammenhang allerdings nach dem vorliegenden Grundrisse fraglich erscheinen möchte; 
die Verbindung durch einen Torvorbau des Harim wäre jedenfalls ein überraschendes 
Kuriosum. In V ist diesmal der Thronsaal mit Gewißheit zu bestimmen. Wir müssen 
es dahin gestellt sein lassen, ob die Konstruktionen um IV noch zur Mesuargruppe 
gehörten oder irgend einen selbständigen Zweck erfüllten. In VII hätten wir allerlei 
Nebengebäude zu suchen, während VIII, an der höchsten Stelle des ganzen stark an- 
steigenden Burgbezirkes, ein unabhängiger, vielleiht von einem Verwandten des 
Sultans bewohnter Palast gewesen sein dürfte. Die Mauerungen über den Zisternen 
sind vorläufig ohne Belang, ebenso die Gärten, die nicht sehr ausgedehnt gewesen 
sein können. Eine Moschee ist bisher nicht festgestellt worden; man wird sie suchen 
müssen, denn es ist nicht anzunehmen, daß der Hof die zwar in der Nähe gelegene, 
aber doch unverbundene große Djam‘a ständig benützt habe. Zwei Lustsitze der 
Hammäditenstadt, von denen in den Quellen die Rede ist, das FriedensschloB (dar as- 
salam) und die Bräuteburg (qacr ‘arüsain) lassen sich bislang mit Bestimmtheit nicht 
nachweisen. 

Von der Qal‘aa aus wurde im Jahre 1067 Budjia (Bougie) gegründet und mit 
prunkvollen Palästen geschmückt, von denen die alten Schriftsteller das „Perlenschloß“ 
(qacr el-l‘ul‘ua), die „Sternenburg“ und ,Qacr Amimün“ wegen ihrer leuchtenden 
Kuppeln und ihrer kunstvollen Dekoration besonders rühmend hervorheben. Sie wurden 
zu Anfang des XVI. Jahrhunderts vollständig zerstört, und die Ansichten, die uns 


1) Man vergleiche die analoge Disposition eines Wasserbeckens mit einem Audienzsaal 
in dem von Khosroes II. erbauten Schlosse Amarat-i-Khosrou in Qacr-i-sirin (de Morgan, Miss. 
scientif. en Perse, t. IV.), sowie die Nachrichten über mesopotamische Paläste. 


E. Kiihnel. Palastanlagen im islamischen Abendlande 533 


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FOUILLES ÉXÉCUTÉES PAR A LE GENERAL DE BEYLIÉ 1908 
Comte leur Zu 
PLAN DU PALAIS PARTICULIER DES EMIRS 
ET DEPENDANCES 
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Rochers 
Gares 


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Das GROSSE RESIDENZSCHLOSS in der Qal‘aa Hammad, nach der Publikation von Beylie 
O (Paris, E. Leroux, 1909) 


davon Beylié nach der Kopie eines alten Manuskripts mitgeteilt hat, sind zu phantastisch, 
als daß sie uns die nötigsten Aufschlüsse geben könnten. 

Unterdessen hatten in Spanien besonders die Emire von Sevilla eine rege Bau- 
lust betätigt, von der uns leider auch nur noch Namen überliefert sind, und in Zaragoza 
war die sog. Aljaferia entstanden, die außer der zugehörigen Moschee so gut wie 
ganz untergegangen und verbaut ist. Yüsuf ben Tesfin, der durch die Gründung seines 
großen Reiches schlieBlim der Kleinstaaterei ein Ende machte, hatte im südlichen 
Marokko eine neue Hauptstadt angelegt, Merräkes. Der streng soldatische Geist, den 
er allenthalben einführte, verschmähte die prunkenden Wohnungen und begnügte sich 
mit der Errichtung starker Festungen, die auch als Residenzen dienen mußten. So 
entstanden die Burgen von Merräkes, Tlemsén, Toledo, und die Qacba Bü Djelüd in 
Fés. Aber schon seine Nachfolger wichen von diesen Prinzipien ab — Edrisi sah in 
Merräkes außer anderen Palästen das in Quadern errichtete „Felsenschloß“ (Dar al- 
Hidjär) — und vollends um die Mitte des XII. Jahrhunderts brachte die Almohaden- 
bewegung eine Rückkehr zu ästhetischer Kultur unter neuen, günstigeren Bedingungen, 
und damit einen schnellen Aufschwung der Luxusbaukunst. ‘Abdelmümin und besonders 
Yaqüb el-Mancür beschäftigten in allen größeren Städten tüchtige Architekten, und die 
Statthalter bemühten sich, in der Pflege von Künsten und Wissenschaften mit ihren 


534 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


Fürsten zu wetteifern. In Marokko schoß plötzlich eine ganze Reihe neuer, bliihender 
Orte aus dem Boden empor; Granada erhielt in der Unterstadt einen glänzenden 
Regierungspalast, dessen kostbares Material und kunstvolle Gartenanlagen Weltruhm 
erlangten, und den Lustsitz Qacr S‘aid mit einem künstlihen See für Naumachien und 
Regatten; Sevilla hob sich zu neuer Bedeutung und bekam außer zahlreichen mili- 
tärishen und religiösen Gebäuden seinen „Alcäzar“, den im Jahre 1200 der Bau- 
meister Djalübi für König Muhammed en-Nacr vollendete und den später Peter der 
Grausame so gründlich umbaute, daß er eigentlich nur noch für den dhristlich-maurischen 
Mudejarstil in Betracht kommt. Der groBe Patio mit dem anstoBenden Gesandtensaal 
einerseits und die Zimmer um den kleineren Puppenhof andererseits bezeichnen aber 
noch ungefähr die Scheidung in einen offiziellen und einen privaten Teil, Der MeSuar 
hat hier eine reich dekorierte Innenfassade mit dem frühesten Beispiel eines holz- 
geschnitzten Vordaches, das seitdem typis wird bei andalusischen und marok- 
kanischen Bauten. : 

Die größte Palastanlage jener Zeit war die von Merräkes, im wesentlichen das 
Werk des Sultans Yaqüb el-Mancùr und 1196 vollendet’), später aber groBenteils 
zerstört und erneuert. Sie wurde bis in die neueste Zeit von vielen europäischen 
Gesandtschaften und einzelnen Reisenden besucht, aber niemals von architektonischen 
Gesichtspunkten aus beschrieben, so daß wir als den zuverlässigsten Bericht noch 
immer den eines intelligenten arabischen Schriftstellers aus dem XVI. Jahrhundert, des 
sog. Leo Africanus, benützen müssen. Er erwähnt die dicken Mauern der Burg aus 
porösem Kalkstein und die Anordnung der Komplexe, die in ihrer Gesamtheit eine 
Stadt für sich, mit eigener Moschee und Medersa, bildeten. An den Kasernen der 
Armbrust- und Bogenschützen, dem Arsenal und den Stallungen vorüber erreichte man 
einen prächtig ausgestatteten kleinen Palast, der offenbar für hohe Gäste bestimmt war, 
dann die Hauptwache und den großen Mesuär für allgemeine Audienzen. An diesen 
schloß sich der Regierungsbau mit dem Ratssaal für die Empfänge der fremden Ge- 
sandten und der Harim des Sultans, auf den noch ein besonderes Wohnhaus für die 
erwachsenen Prinzen folgte. Der übrige Raum bis zur Umfassungsmauer wurde von 
einem Park ausgefüllt, der eine große Fontäne mit reichem plastischen Schmuck und 
eine zoologishe Sammlung aufwies. Del Puerto?) unterscheidet später ältere und 
neuere Bauten, nennt den amtlichen Teil als den größten, mit einem Teich von vierzig 
Ellen Länge und zehn Ellen Breite, und bemerkt in jedem Patio einen Brunnen. 

Fés, dessen Architektur und Kunstgewerbe schon zu Edrisi's Zeit sehr hoch 
stand *), gelangte im XIII. Jahrhundert unter den Meriniden zu großer Entfaltung, zu- 
mal nach der Gründung der Königsstadt Fas Djedid (1276). Von dem außerhalb der 
Mauern gelegenen Qacr Beni Merin, mit Moschee und Gräbern der Fürsten, sind noch 
einige Trümmer stehen geblieben‘). Über den Residenzpalast selbst, der wesentlich unter 


1) Vgl. den „Rûdh el-Qarthas“ von 1326. (v. Dombay, Gesch. d. mauritan. Könige. 
Agram 1794—97. I, S. 218f.) 

?) Mision historial de Marruecos. Sevilla 1708. 

3) Edrisi, Descript. de l'Afrique etc. Edn. Dozy et de Goeje. Leyde 1866. p. 86. 

') Gaillard, Fes: une ville de l'Islam. Paris 1905. 


E. Kühnel. Palastanlagen im islämischen Abendlande 535 


Skizze der Palastdisposition in der ALHAMBRA 


andalusischen Einflüssen entstand, werden wir später noch zu handeln haben. Die 
gefährlichste Rivalin von Fés war damals Tlemsén, wo die Zeiäniden ihren glänzen- 
den Hof hielten und außer vielen religiösen Gebäuden einen ,Meëuar“ (der Ausdruck 
ist als pars pro toto des Regierungssitzes zu verstehen) aufführten, von dem heute 
nur noch die Burgkapelle die ursprünglihe Form bewahrt. Die Meriniden erbauten 
vor Tlemsén um 1300 eine gewaltige Lagerstadt, Mehallat el-Mancüra, die u. a. auch 
einen „Siegespalast“ enthielt‘), Im östlichen Maghrib war Tunis, das seit 1206 unter 
den Hafciden stand, ein Mittelpunkt geistiger und künstlerischer Tätigkeit geworden. 
Der berühmte Palast von Abu Fahr in der Ariana, mit großem Wasserbecken, Pavillons 
und Gärten fiel bei der Eroberung durch Karl V. der Zerstörung anheim. 

Die eigentliche Metropole des islämischen Abendlandes aber wurde im XIV. Jahr- 
hundert Granada, wo die Nacriden das von ihrem Ahnherrn Muhammed I. begonnene 
Riesenwerk der Alhambra zur Vollendung brachten. Die älteren Teile sind bis auf 
die Qacba, in der die Leibwachen einquartiert waren, untergegangen, und was wir 
jetzt als den in aller Welt bekannten Königspalast bewundern, geht fast ausschließlich 
auf die Sultane Yüsuf I. und Muhammed V. zurück. Die beigegebene Grundrißskizze 
mag die ursprüngliche Disposition, die durch mancherlei Ein- und Umbauten jetzt völlig 
entstellt ist, in großen Zügen darstellen. Der Mesuar hat diesmal einen inneren Hof 
mit Brunnen und reicher Fassade, an der sich wiederum das reich geschnitzte Vordach 
findet, das auch über dem alten Eingangstor vorkommt. Man steigt auf einer Treppe 
zu dem höher gelegenen Myrtenhofe hinauf, um den die Amtsstuben der Veziere und 
die Empfangsräume lagen. Die ,Segenshalle“ und der „Gesandtensaal“ erinnern noch 


1) W. et G. Marcais, Les monuments arabes de Tlemcen. Paris 1903. 


536 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


heute an ihre ehemalige Bestimmung. Das Wasserbassin kennen wir an dieser Stelle 
bereits aus früheren Analogien. Die Trennung von dem Löwenhofe, um den sich die 
Privatgemächer gruppierten, war durch einen jetzt zugemauerten Korridor bewerk- 
stelligt. Wie der Teich für den Diwan, so ist der Springbrunnen für den Harim 
charakteristisch. Eine derartige Anlage mit speienden Löwen wird schon in einem der 
ersten Märchen aus Tausendundeiner Nacht geschildert. Die Pavillons lassen sich 
ebenso weit zurückverfolgen. Die Bäder lagen etwas tiefer, auf dem Niveau des 
Meëuar, die Fürstengruft (Rauda) nach der jetzt durch die Marienkirche ersetzten Moschee 
zu, die mit dem Harim verbunden war. Weitere Konstruktionen, die gegenwärtig 
bloßgelegt werden, leiteten zu dem sog. Frauenturm über, einem kleinen Prinzenpalast (?), 
zu dem ein hübscher Kunstteich gehörte, Auf dem Burghügel befand sich noch ein 
weiterer Palast von bescheidenen Dimensionen, aber ebenfalls mit einem länglichen 
Bassin, der dem gänzlichen Verfall nahe ist. Über der Alhambra thront das Lust- 
schloß Djnin al-Arif, dessen kunstvolle Park- und Wasseranlagen, Terrassen und Kas- 
kaden wir erst im XVII. Jahrhundert in den persischen Villen aus der Zeit des großen 
Abbäs wiederfinden. Noch großartiger sollen die hydraulischen Vorrichtungen der 
Wasserburg ‘Ain ed-dam‘a gewesen sein. Zwei weitere Sommersitze der granadiner 
Fürsten, Dar el-‘Arùsa (vgl. Qal‘aa Hammad) und Qacr el-Hidjär (vgl. Merräkes) werden 
nur noch durch unförmliche Ruinen bezeichnet !). In Malaga hatten die Nacriden einen 
Palast, über den uns nähere Details fehlen. 

Nach der Kapitulation von Granada (1492) fand die maurische Kunst Anda- 
lusiens am marrokkanischen Hofe ihre letzte Zuflucht, nachdem die Beziehungen 
zwischen beiden Ländern in den letzten Jahrhunderten immer enger geworden 
waren. Zunächst nahm Fös das große Erbe Spaniens auf. Von dem Königs- 
palast besitzen wir Beschreibungen aus dem XVI. Jahrhundert von Marmol 
und Torres*). Der letztere erwähnt das reiche Material von Marmor, Jaspis und 
Alabaster, die Teiche und Brunnen, und die zugehörige Moschee. Golius, der im 
Jahre 1622 nach Marokko reiste, nahm den hier wiedergegebenen Plan des Harim 
auf — denn nur um diesen handelt es sih — den zuerst Windus in der „Reise nach 
Mequinetz von Kapt. Stuart“ (Hannover 1726) mitteilte. In i haben wir einen ähn- 
lichen Pavillon wie im Löwenhofe, hier Qubbat ed-dheheb (goldene Kuppel) genannt, 
gegenüber den anderen, in w eine Fontäne, die ihr Wasser in ein längliches Becken (x) 
ergießt. Rechts schließt sich der königliche Garten an. Die ganze Abteilung heißt noch 
heute Där es-Sultän im Gegensatze zum Där el-Makhzen (Palast der Behörde), wo 
die Minister sich aufhalten, einem rechteckigen Hof mit Pavillon für den Herrscher, 
und zum Mesuar, wo der Fürst die Abgesandten der Stämme empfängt, um von 
ihnen den Tribut entgegenzunehmen, und wo er Öffentlich Recht spricht. Später er- 
baute Mulay ‘Abdallah bei Fés das LustschloB Dar ed-Debibägh, wo er 1757 starb, 
und Mulay Hasan verband Altstadt und Neustadt durch den Palast und die Gärten 
von Bü Djelüd. Er restaurierte auch alle früheren Bauten und errichtete manche von 


1) Vgl. „Stätten der Kultur“, Band 12: Granada. 


2) Marmol Carvajal, Descripción de Africa. Granada 1573. Diego de Torres, Relación 
del origen y suceso de los Xarifes. Sevilla 1586. 


E. Kühnel. Palastanlagen im islämischen Abendlande 537 


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Der Harim im Sultanspalast zu FÉS 
(Aufgenommem 1622, publiziert 1726) D 


Grund auf neu, so den Palast der Lalla Amina, mit eigenem MeSuar und Bethaus. 
Einzelne marokkanische Fürsten residierten mit Vorliebe in Meknés, das seine Physiog- 
nomie hauptsächlich dem tatkräftigen Mulay Ism'aïl verdankt. Die Königsburg mit 
ihren riesigen Gärten bildet dort eine Stadt für sich. Del Puerto (s. o.) zählte darin 
vier Moscheen. Eine klare Vorstellung von der Gliederung vermögen wir uns aber 
aus den Beschreibungen nicht zu bilden. 

Algier und Tunis kamen als Seeräuberstaaten sehr unter türkischen Einfluß. 
Die Palastbauten, die dort entstanden, sind deshalb nicht als eine Fortbildung maghri- 
binischer Traditionen zu betrachten. Sie sind gewöhnlih mehrstöckig, so daß im 
UntergeschoB die Empfangsräume lagen, während sich um den oberen Hof bezw. den 
oberen Galeriegang die Gemàcher des Harim reihten. Doch läßt sich, wenigstens in 
Tunis und Constantine, eine Nachwirkung der älteren Disposition noch häufig nachweisen. 

Wir haben in diesem Zusammenhange Sizilien außer Acht gelassen, da es 
seit 965 politish und auch kunstgeschichtlih zu Ägypten gehörte. Aus der ersten 
Epoche, da es den Aghlabiten von Qairüän gehorchte, sind uns keine Denkmäler erhalten. 


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STUDIEN UND FORSCHUNGEN 


EIN FRÜHBILD 
DES HAUSBUCHMEISTERS? 


Es befindet sic nicht etwa in einer unbe- 
kannten Privatsammlung noch irgendwo im Aus- 
land, sondern unter den paar oberdeutschen Ge- 
mälden des Cölner Wallraf-Richartzmuseums. 
Offenbar hat es, bescheiden und unauffällig in 
Format (91><55 cm) wie wenig hervorstechend im 
Charakter, bisher keine andere als flüchtige Be- 
achtung gefunden. Die zurückhaltende Bezeich- 


nung des Katalogs „Schule des Martin Schon- 
gauer“ mag dazu beigetragen haben. 

Allein das Gemälde, das den Tod der Maria 
darstellt, verdient diese Teilnahmlosigkeit nicht. 
Es hat ein prachtvolles, harmonisches und dabei 
mannigfaches Kolorit; die Bettdecke aus schwar- 
zem Brokat mit goldenen Lichtern gibt einen 
satten, eigenartigen Kontrast mit dem Weiß und 
Dunkelblau der sterbenden Maria, dem Rot des 
Johannes, dem Gelb und Zinnober des vorn 
links hockenden Apostels. Dazu hat die Kom- 
position in ihrer Zusammenballung der 
Figuren der oberen Hälfte und der küh- 
nen, lediglich durch den Leuchter ge- 
füllten Leere unten doch etwas beson- 
deres, eigenes, das den Meister des 
Bildes als eine Persönlichkeit, keinen 
Nachahmer erweist. Von Schongauers 
berühmten Kupfer „Tod Mariens“ (B. 33) 
sind wir meilenweit entfernt. 

Daß der Künstler der Art des viel- 
genannten mittelrheinishen Meisters 
näher steht, scheint mir der erste, flüchtige 
Blick darzutun. Der Eindruck ist dann 
zunächst: eines der vielen Werke aus 
seiner Werkstatt! Ich gestehe, daß meine 
erste Meinung ebenfalls diese war. Aber 
während man gewöhnlich ein Bild im 
Anfange zu hoch einschätzt, wenn man 
den Stil eines berühmten Künstlers darin 
erkannt zu haben glaubt, so gewinnt 
die Cölner Tafel bei genauerer Betrach- 
tung. Was darin, im Vergleich mit an- 
deren Arbeiten des Hausbuchmeisters, 
=| allzu mager, kunstlos und hart erschien, 
stimmt im Gegenteil gerade zum Ver- 
trauen. Denn die gewisse Armut der 
Komposition (die übrigens durch die 
Pracht der Farbe völlig ausgeglichen 
wird) ist keineswegs schülerhafte Dürftig- 
keit: eben die nicht eigenhändigen und 
die Werkstatt-Arbeiten wie die Mainzer 
Marienlebenserie bemühen sich „reich“ 
und abwechselnd zu erscheinen — man 
vergleiche die Cölner Darstellung mit der 
entsprechenden in Mainz, um zu sehen, 
daß es sich bei uns um die echte Kraft 
einer „primitiven“ Entwicklungsstufe, in 
Mainz aber um die Ausschweifungen 
einer ungenügsamen Werkstatt handelt. 

Ich bin mir bewußt, daß diese Argu- 
mentation keinen überzeugen wird, bei 


E. Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 539 


dem der Anblik der Abbildung Bedenken 
hervorrufen sollte. Vielleicht aber ist es über- 
haupt nur vor dem Original selber möglich 
sih von der unbedingten Zugehörigkeit der 
Tafel zum Œuvre des Meisters zu über- 
zeugen; die auBerordentlihe Leuchtkraft und 
Schönheit der Farben sprechen beredter als 
alles andere zugunsten der Zuschreibung. Vor 
der Reproduktion erinnere ich an Gewandmotive 
wie die Fältelung des Tuches über den beiden 
Armen des hl. Petrus, die charakteristischen 
Linien des Kopftuches der Maria, vor allem aber 
an den so absolut typischen Hausbuchmeister- 
schädel des Petrus, an den Ausdruck des 
Apostelkopfes rechts von ihm (am Rande) und 
an die gefalteten, überaus sensitiven Hände der 
Maria. Diese selber, übrigens eine Gestalt von 
ergreifender, herber Empfindung, könnte Be- 
denken erregen. Und dennoc kommt der Typ 
ganz ähnlidi in den graphischen Arbeiten des 
Künstler vor, so auf dem Blatte „Arma Christi“, 
Besonders auf die geradeLinie der (falsch ver- 
kürzten) Nase, auf den kleinen, knollenartigen 
Mund, die gerundeten Augendeckel würde ich 
für die Zuschreibung Gewicht legen. Und auch 
die eigentümlich verschobene Haltung der Figur 
scheint mir bezeicinend fur die Empfindung 
unseres Meisters. 

Auf Einzelheiten die zugunsten seines Stiles 
sprecien, wie den Leuchter, die Fliesenmusterung 
des FuBbodens, die kleine Gruppe in der Mitte 
oben (wie Maria gen Himmel getragen wird) u. a. 
sei nur flüchtig hingewiesen. Solche kleinen 
Züge können eine Zuweisung allenfalls probabler 
machen, aber beweisen kann man mit ihnen aller- 
höchstens, daß man sich in der Nähe des mittel- 
rheinischen Meisters befindet, nicht aber, daß 
das Bild wirklich von seiner Hand herrührt. 
Zwingender ist es schon, daß die Technik die 
charakteristische Strichelmanier seiner übrigen 
sicheren Bilder aufweist. Gerade hier handelt 
es sich um Eigentümlichkeiten, die von der Schule 
nicht allgemein aufgenommen worden sind. 

Wie gleich zu Anfang betont worden ist: 
die Tafel unterscheidet sich von anderen des 
Künstlers durch eine gewisse Primitivität. Das 
läßt auf ein relativ frühes Datum schließen. 
Eine ungefähre Entstehungszeit anzugeben 
möchte ich nicht wagen — dazu liegt die Chrono- 
logie dieser noch immer kleinen Bildergruppe 
allzusehr im Argen. Jedenfalls gehört der „Tod 
Mariae“ unbedingt vor die bisher bekannten 
Bilder, d. h. vor die Sigmaringer „Auferstehung“ 
und die ,Kreuztragung* in Venedig, von den 
übrigen gar nicht zureden. Mit anderen Worten: 
es würde sich um ein Frühbild unseres Meisters 
handeln, das uns die Entwicklung seines Stiles 


aus dem ungefähren Umkreis der Schongauer- 
Schule anschaulicı macht. 

Ob sich diese Ansicht, die einstweilen nur 
vermutungsweise geäußert werden kann, be- 
stätigen wird, hängt von dem weiteren Verlauf 
der Forschungen über den mittelrheinischen 
Künstler ab, der augenblicklich wie wenig andere 
„primitive“ Deutsche im Vordergrunde des 
wissenschaftlichen Interesses steht. 


Hermann Voss. 


2 


DIE HANDZEICHNUNGS-SAMMLUNG 
SMIDT IN DER KUNSTHALLE 
IN BREMEN. 


Das Kupferstichkabinett der Bremer Kunst- 
halle hat in diesem Jahre einen beträchtlichen 
Zuwachs zu seiner Sammlung von Handzeich- 
nungen alter Meister erhalten. Die Sammlung 
Dr. H. Smidt (früher Konstanz, jetzt Bremen) ist 
dem Kabinett von ihrem Besitzer geschenkt 
worden. Es sind im ganzen 59 Blatt, viele dar- 
unter von kunstgeschichtlicher Bedeutung und 
guter Provenienz. Da es bei einem Übergang 
von Kunstwerken aus Privatbesitz in ein öffent- 
lies Museum oft zu geschehen pflegt, daß die 
interessierten Forscher und Liebhaber nicht Kennt- 
nis davon erlangen, und da auf diese Weise 
dann ein in jahrelanger Wanderung durch Kunst- 
handel und Privatsammlung bekannt gewesenes 
Blatt plötzlich als vermißt angesehen wird, sei hier 
mit einigen Worten eine kleine Anzahl der uns 
am wesentlichsten dünkenden Stücke bekannt 
gemacht. Doch vorher einige Bemerkungen über 
Art und Entstehung der Sammlung. 

Der Besitzer, Herr Dr. Hermann Smidt, ist 
Mediziner. Er war 25 Jahre dirigierender Arzt 
der Nervenheilanstalt Bellevue-Konstanz und 
hat in seinen MuBestunden sich mit alter und 
moderner Kunst beschäftigt und ein besonderes 
Interesse dem Gebiet der Handzeichnungen zu- 
gewandt. In den letzten Jahren widmete er sich 
fast ausschlieBlich dem Studium der japanischen 
Farbenholzschnitte und brachte auch hier eine 
bedeutende und für die Geschichte dieses neuer- 
dings übrigens einmal wieder unterschätzten 
Kunstzweiges sehr wichtige Sammlung zusammen. 
Die Handzeichnungen alter Meister wurden von 
ihm sämtlich im Laufe der letzten 20 Jahre er- 
worben, auf Auktionen, bei Händlern oder aus 
Privatbesitz, und zwar mit nicht gerade erheb- 
lien Mitteln. Man kann ja heute, wenigstens 
in Deutschland, immer noch die Zeichnungen 
auch berühmter Meister um sehr billiges Geld 


540 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


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Abb. 1. 


haben, wenn man sich die Mühe macht, aus 
Konvoluten von Hunderten wertloser Blätter die 
zwei guten herauszusucien — eine Tatsache, 
welche sich die Sammler in noch nicht genügen- 
dem Umfange zunutze machen und der auch die 
Kabinette manche schöne Erwerbung verdanken 
könnten. Daß eine gute Zeichnung von Rem- 
brandt für den hundertsten Teil der Summe ver- 
kauft wird, die ein früher Abdruck einer mittel- 
mäßig seltenen Radierung auf Auktionen erzielt, 
ist gar kein seltener Fall. 

Der weitaus größte Teil der Smidtschen Hand- 
zeichnungen ist niederländischen Ursprungs, dann 
folgen einige deutsche sowie einzelne Franzosen 
und Italiener. Außer den von uns abgebildeten 
Blättern ragen unter den Niederländern hervor 
einige der bekannten bildmäßigen Zeichnungen 
von Jan van Goyen aus den 50er Jahren, eine 
sehrlebendigeBildniszeichnungvonJanLievens, 
sowie ein sehr bedeutendes Blatt vonCornelis 


REMBRANDT: Hamann vor Esther und Ahasver 
O Federzeicinung. 


149: 170 mm 


Bega, eine Rötelzeichnung einer Bauerngesell- 
schaft von einer Kraft und Sicherheit, die man 
sonst an Bega nicht häufig findet und die um 
vieles ausdrucksvoller ist, als manches seiner 
Gemälde. Die Komposition steht dem Bilde des 
Leipziger Musenms (Kat.-Nr. 635) nahe. Ferner 
sei noch Pieter Molyn mit einer an Goyen heran- 
reichenden Diinenlandschaft von 1653 genannt. 

Das interessanteste Blatt unter den deutschen 
ist ein Gottvater von Hans von Kulmbac, 
eine Federzeichnung, Hände und Gesicht aqua- 
relliert.!) Daneben von großem Interesse eine 
Schlachtendarstellung von Melchior Feselen, 
eine große Federzeichnung mit der Szene des 
Mucius Scaevola im Vordergrunde. Die Italiener 
sind fast ausschließlich durch spätere, nachklas- 
sische Meister, z.B. Cambiaso, repräsentiert; die 


1) R. StiaBny beabsichtigt, laut brieflicher AuBerung an 
den ehemaligen Besitzer, dieselbe gelegentlich zu publi- 
zieren, 


E. Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 541 


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Abb. 2. PAUL POTTER: Auf der Weide 


Franzosen, abgesehen von einer feinen Rötelstudie 
eines Knaben von J. J. de Boissieu, durch 
Kiinstler des Rokokko, die bisher in der Bremer 
Sammlung ganz fehlten. ° 

An erster Stelle veröffentlichen wir von den 
wichtigeren Blättern eine Federstudie von Rem- 
brandt (s. Abb. 1). „Hamann vor Esther und 
Ahasver“ (149:170 mm). Eine Zeichnung mit 
bräunlicher Tinte, das Papier ist mit einigen 
nichts bedeutenden Rötellinien überzeichnet. Auf 
der Rückseite befindet sich eine Tuschzeichnung 
mit der gleichen Darstellung von irgend einem 
Stümper, die auf der Vorderseite stark durch- 
schimmert. 

Das Blatt stammt, laut Bezeichnung, aus der 
Sammlung Samuel von Festetics, ging dann in 
die Sammlung J.C.v.Klinkosch über und wurde 
1889 aus derselben versteigert, von Gutekunst 
1890 dann weiterverkauft für M.80. Im Katalog 
Klinkosch (Nr. 709) ist sie beschrieben als Ahasver, 
Esther und Mardochai. Die Deutung auf Hamann 
ist aber richtig, die Darstellung schließt sich eng 
an die Bibelstelle Esther VII, 7 an, wo es heißt, 
nachdem Esther dem König Ahasver den mit 
ihnen zu Tische sitzenden Hamann als einen 
Missetäter bezeichnet hat: „Und der König stund 
auf vom Mahl und vom Wein in seinem Grimm 


Kreidezeichnung. 128: 195 mm 
und ging in den Garten am Hause. Und Ha- 
mann stund auf und bat die Königin Esther um 
sein Leben, denn er sahe, daß ihm ein Unglück 
vom Könige schon bereitet war.“ Kein Zweifel, 
daß dies gemeint ist. Und wie schlagend ist 
die Charakteristik! Die wenigen Linien der Skizze 
drücken alles aus, den Zorn des Königs und den 
abgewandten unerbittlichen Haß der Esther, und 
vor allem dieses klägliche winselnde Jammern 
des Schuldigen. In dieser Eindeutigkeit und der 
vollkommenen Ausdeutung des Vorgangs zeigt 
sih Rembrandts Meisterschaft. Das Zusam- 
menziehen zweier dicht aufeinander folgen- 
der Momente ist so vollkommen gelöst, daß 
das Erzählte mit einer sicheren Gegenwart 
plötzlich vor einem steht. Ein Zweifel an 
Rembrandts Urheberschaft ist meines Erachtens 
nicht möglich. Zeichnerisch steht das Blatt einer 
Gruppe von Arbeiten nahe, die einen sehr 
schnellen Strih mit kreuz und quer fahrenden 
Linien sowie sehr zerhackte, eckige Formen- 
behandlung aufweisen. Zum Vergleich mögen 
besonders folgende Blätter dienen: Die Be- 
schneidung Christi!) in Dresden und Judith mit 


1) Hofstede (Die Handzeichnungen Rembrandts. Haar- 
lem 1906), Nr. 211. Reproduziert in der Handzeicinungs- 
publ. des Dresdner Kab. Mappe VIII. Taf. 5. 


Abb. 3. GUERCINO: Toilette der Venus 


ihrer Magd nach Ermordung des Holofernes!) 
in Louvre, die beide in die Mitte der 30er Jahre 
gehéren, ferner Christus bei Nikodemus?), ein 
Blatt in der Albertina, das etwas später sein 
mag, und die Witwe vor dem Propheten Elisa?) 
in der Sg. Liechtenstein in Wien, das aus der 
Spätzeit des Meisters stammt. Nach Vergleich 
mit diesen Arbeiten ist es wahrscheinlich, daß 
man die Bremer Zeichnung etwa zwischen 1635 
und 1645 anzusetzen hat. — 

Neben diesem Rembrandt verdient dann das 
meiste, ja, kunsthistorisch eigentlich ein noch 
größeres Interesse ein vollsigniertes Blatt von 
Paul Potter (Abb. 2), eine Kreidezeichnung 
(128: 195 mm), ehemals in der Sammlung W. 
Mitchell befindlich. Dem Namen ist auch das 
Datum 1640 beigefügt. Es handelt sich also um 
die Arbeit eines 15jährigen Knaben, um eins der 
allerersten Werke Potters überhaupt und zwar 
ist sie so vortrefflich, daß man gegen das Datum 


1) Hofstede, Nr. 599. Reproduziert im Handzeichnungs- 
werk (Lippmann u. Hofstede) III. 14. 

*) Hofstede 1403. Reproduziert: Handzeichn. alter 
Meister (Schönbrunn und Meder). Nr. 763, als: „Ein Mann 
Gottes bei Heli.“ 

5) Hofstede 1502. Reproduziert ebenda, Nr. 853. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Zeichnung in Feder und Sepia. 269: 402 mm 
Bedenken haben müßte, wenn nicht auch sonst 
Proben von ganz fabelhafter Frühreife des sehr 
jung gestorbehen Künstlers (1625—1654) vor- 
handen wären: Zwei Bilder gleichfalls aus dem 
Jahre 1640.') Die Bremer Zeichnung fügt sich 
der kleinen Gruppe der frühen Arbeiten gut ein, 
sie ist ein wenig ungeschickt komponiert mit 
dem etwas unübersichtlichen Hintereinander der 
beiden Tiere, und zeigt im übrigen auch die 
trockene Ängstlichkeit des jungen Künstlers, der 
nichts auslassen möchte. Aber dennoch enthält 
dieses Erstlingswerk schon den ganzen Potter 
in seinem wesentlichsten, den Autodidakten, seine 
große Andacht vor der Natur und seine intime 
Vertrautheit mit dem Leben der Weiden, der 
Bäume und der Tiere draußen. DaB dieses Blatt 
so gar nicht zusammengehen will mit der be- 
kannten, auch in Wurzbachs niederländischem 
Künstlerlexikon an hervorragender Stelle ge- 
nannten Jagddarstellung aus dem Jahre 1641, 
auf der man neben Namen und Datum auch das 
Alter des Verfertigers, allerdings um 2 Jahre zu 
niedrig angegeben, findet, wird dem Kenner 


1) W. Bode: 


Rembrandt und seine Zeitgenossen. 
S. 168/69. 


E.Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 543 


Abb. 4. BOUCHER: Liegendes Madchen 


Potters nicht entgehen. Es liegt eben daran, 
daB jene Frankfurter Zeichnung absolut nichts 
mit Potter zu tun hat. Die Echtheit der Bremer 
Zeichnung kann fiiglich nicht bezweifelt werden, 
die Signatur stammt von derselben Hand wie 
die Darstellung, und der kurze harte eckige Strich 
in der Tierdarstellung ist für ihn charakteristisch. 

Das Blatt von Guercino, die „Toilette der 
Venus“, das wir an dritter Stelle veröffentlichen 
(Abb. 3), ist zwar nicht bezeichnet, doch dürfte 
die traditionelle Attribution an diesen von Goethe 
so hochverehrten Bolognesen kaum auf Wider- 
spruch stoBen. Die nächsten Parallelen zu diesem 
Blatt in Feder und Sepia (269:402 mm) bieten 
eine Rötelzeichnung von „Diana und Aktäon“ 
in der Albertina und die ebendort aufbewahrte 
„Bathseba im Bade“), sowie die Anbetung der 
Könige, die ehemals Tiepolo besaß und die von 
Bartolozzi radiert wurde. Hier wie dort die 
gleiche schöne Behandlung im Licht, mit dem 
feinen Spiel der Schatten, der lichten Halb- 
schatten, und der auf nackte Körper fallenden 
Schlagschatten, hier wie dort dieselbe Art der 
Komposition und die gleiche Feinheit der Körper- 
bewegung; auch dann dieselbe Eigentümlichkeit 


1) Abgebildet bei Schönbrunn und Meder unter Nr. 191 
und Nr. 660. 


Rötelzeichnung. 263: 341 mm 


z.B. in der Zeichnung der Füße mit den bieg- 
samen langen Zehen. Die Technik ist insofern 
bemerkenswert, als mit der Feder in die noch 
nasse Tusche hineingezeichnet ist — eine ,Auf- 
lösung“ des Linearen im wahrsten Sinne des 
Wortes. Seinem Stil nach gehört das Blatt etwa 
in die 40er Jahre des XVII. Jahrhunderts, es ist 
ein Hauptblatt für diese Blüteepoche des Meisters. 
Die Zeichnung stammt aus den Sammlungen 
Edward Bouverie und Habich, aus der es 1899 
bei Gutekunst versteigert wurde. 

Von den Franzosen des XVIII. Jahrhunderts 
bilden wir einen liegenden weiblichen Akt von 
Boucher (Abb. 4) ab, in Rötel, weiß gehöht 
(263 : 241 mm), eine ruhende Gefährtin der Diana. 
Sie hat ihre nächsten Verwandten in dem nackten 
liegenden Madchen und der Venus mit Amoretten 
der Albertina‘). Der leichte rieselnde Strich in 
der Modellierung des Fleisches bei starker Mar- 
kierung einiger besonders sprechender Punkte, 
welche die dominierenden Schärfen geben, sowie 
die kräftigen Schraffen des Grundes sind sehr 
charakteristisch für die besten Zeichnungen dieses 
Künstlers, dessen Studien im übrigen ja von 
ziemlich ungleicher Qualität sind. 

Besonders interessant ist dann ein Blatt von 


1) Abgebildet ebenda, Nr. 276 und Nr. 1260. 


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Abb. 5. LANCRET: Kavalier 


Lancret (Abb. 5), eine Studie nach einem Ka- 
valier in schwarzer und weißer Kreide auf blau- 
grauem Papier (247:195). Es ist ein Herr, im 
Begriff sich einzuschenken, in lebhafter Bewegung 
des ganzen Körpers. Lancret hat an dem Motiv 
herumstudiert und -gebessert, die Haltung der 
Beine war ursprünglich anders, man sieht noch 
die Linien der Vorzeichnung. Es ist hier der- 
selbe Fall von Arrangementstudium wie in einer 
Berliner R6telzeichinung'), wo er auch die gleiche 
Haltung auf verschiedene Weise versucht hat. 
Dieses Berliner Blatt hat übrigens im Bewegungs- 
motiv — ein halb Knieender mit ausgestreckten 


') Abgebildet in der Handzeicinungspublikation des 
Berliner Kabinetts. XXIV. F. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


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Kreidezeichnung. 247 : 195 mm 


Armen — groBe Ahnlichkeit mit unserer Studie 
Nur ist dort die Manier des Stiftes sehr leicht 
und fließend, fast ohne energische Betonung des 
Striches. Daß aber Lancret auch im Rôtel ge- 
legentlich die scharfe, starke Führung des Instru- 
ments nicht fremd war, zeigt ein anderes Ber- 
liner Blatt, eine Studie einer Frau mit Blumen. 1) 
— Die Bremer Zeichnung stammt aus der Samm- 
lung J. W.-London., die 1897 von Helbing ver- 
steigert wurde. 

Diese wenigen Stichproben mögen eine 
Vorstellung geben von der Vielseitigkeit und 
Bedeutung sowie von der künstlerischen Quali- 
tät der nun dem Bremer Kabinett zugefallenen 


1) Abgebildet ebenda, Nr. XXV. G. 


en Google 


J. Vogel. Lucas Cranach in Wien. 


545 


Smidtschen Handzeichnungen. Es ist erfreulich, 
daß das Schicksal jene Privatsammlungen, die 
einen gewissen Ruf haben, doch allmählich, 
direkt oder auf Umwegen in die Öffentlichen 
Kabinette führt. Mit der Sammlung Beckerath 
ist es so gegangen, nun mit der Sammlung 
Smidt, die ihrerseits Bestandteile älterer be- 
rühmter Sammlungen „rettete* — vielleicht wird 
es auch mit der letzten großen Sammlung mit der 
Kollektion Lanna im groBen und ganzen so gehen. 
Ganz möglich aber wird das nur durch die Hilfe 
privater Kunstfreunde sein. E. Waldmann. 


2 


LUCAS CRANACH IN WIEN 


Lucas Cranachs d. A. Aufenthalt „in Österreich“ 
wird durch die bekannte Anekdote bezeugt, die 
Scheurl in seiner Lobrede auf den Künstler mit- 
teilt: Cranach habe einstmals „in Österreich“ 
Trauben auf einen Tisch gemalt, mit solchem 
Erfolg, daß in seiner Abwesenheit eine Elster 
beständig herbeiflog und, unwillig über die 
Täuschung, mit Schnabel und Klauen das neue 
Werk zerhackte. Der Begriff „Österreich“ ist 
natürlich, selbst wenn man ihn geographisch so 
eng wie möglich auffaBt, sehr dehnbar, wenn 
es auch an sich sehr nahe liegt an Wien zu 
denken. Verschiedene Werke weisen mit Ent- 
schiedenheit auf den österreichischen Aufenthalt 
hin, so die beiden um 1500 und im Jahre 1502 
entstandenen Holzschnitte mit der Kreuzigung 
Christi (vonFlechsig, Cranach, Studien I zu S. 8 u. 9 
in Nachbildungen gegenübergestellt; vgl. auch 
Friedlander im Jhrb. d. preuß. Kunsts. 1902S. 228 ff.) 
die wegen der darauf vorkommenden Gestalten — 
ausgeprägt magyarische Typen — nach Flechsig 
in der Nähe der ungarischen Grenze, sagen wir 
allgemein an einem Orte entstanden sein werden, 
wo solche nichtdeutsche Gestalten dem Auge 
des Künstlers besonders auffielen. Sicher ist 
auch mit Recht betont worden, daB das aus dem 
Jahre 1505 stammende Bildnis des Professors 
an der Wiener Universität Dr. Johann Stephan 
ReuB eigentlich nur in Wien gemalt sein kann. 
Hierher weist auch die von Dörnhöfer in dem 
Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission für Kunst 
und historische Denkmale II (1904) S. 175 ff. zum 


ersten Male veröffentlichte und als Cranach er- 
wiesene „Kreuzigung“ in der Galerie des Schotten- 
stiftes in Wien, eine figurenreiche Weiterbildung 
der , SchleiBheimer „Kreuzigung“ vom Jahre 1503. 
Holzschnitte, die in Wien entstanden sein müssen, 
hat Dodgson im Jahrb. der preuß. Kunstsml. 1903 
S. 284 ff. nachgewiesen und besprochen. Der 
Aufenthalt Cranadis in Wien steht demnach 
auBer allem Zweifel. Interessant ist es, daB er 
auch literarisch einwandsfrei beglaubigt ist, durch 
das Zeugnis keines geringern als des Philipp 
Melanchthon, das mir mein Freund Ernst Kroker, 
dem es bei Gelegenheit seiner Lutherstudien 
über die Bearbeitung der Lutherschen Tischreden 
unter die Hände gekommen ist, in dankenswerter 
Weise mit der Befugnis es an dieser Stelle zu 
veröffentlichen, mitgeteilt hat. Es findet sich 
abgedruckt im Corpus Reformatorum XX, 
593 f. und lautet unter Nr. CCLXI. De Luca 
pictore Wittenbergensi: „Lucas Cranadı 
pictor hat auf ein zeit mit dem Bischof von 
Maintz geeBen. Da waren im kleine Fischlein 
fürgesetzt worden, die hatten dem Lucas Maler 
sehr wol geschmeckt, darüm er auch viel geeBen 
hat, das sich yderman darüber verwündert hatte 
Vnd wie auch der Bischof solches gesehen hat, 
hat er in gefragt, ob er kranck wer geweBen? 
Sagt Lucas Maler: Ja warlich ich bin sehr kranck 
gewesen. Da hat er in gefragt, ob es auch 
lang wer? Antwort er widerum: Fur 32 Jaren 
lag ich sehr krank zu Wien in Österreich.“ 

Die hübsche Geschichte, die Cranachs Gesund- 
heit im übrigen das beste Zeugnis ausstellt, hat 
Melandithon im Jahre 1557 in einem seiner 
Collegs erzählt, aufgeschrieben hat sie ein ge- 
wisser Vendenheimer, ein junger Nürnberger. 
Wann sie Melanchthon erfahren hat, vor allem 
wenn der Künstler mit dem Bischof von Mainz 
gemeinsam gespeist hat, wissen wir nicht. Die 
32 Jahre lassen also leider keine Schlüsse nach 
rükwärts zu. Wien ist nun quellenmäßig un- 
zweifelhaft ebenso beglaubigt wie ein Er- 
eignis im Leben des damals dreißigjährigen 
Künstlers: daß er längere Zeit in der Donau- 
stadt ernstlich krank gewesen ist. Möchte die 
Lutherforshung noch mehr sole Zeugnisse 
zutage fördern! Julius Vogel. 


REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT 
Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, en straße 2. 


Verantwortlich für die Redaktion: Dr. 


Zweigredaktionen: 


RMANN UHDE-BERNAYS. 


Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Charlottenburg, Knesebeckstraße 32. 


Für München: Dr. HERMANN UHDE-BERN 


Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödlin 
Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill 
bei London, Lyon Road. 
Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. 
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2. 


YS, München, Holbeinstr. 1. 
bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16. 


Firmentafel der Monatshefte firKunstwissenschaft 


Diese alphabetisch nach Städten geordnete Liste soll einen Überblick über die ersten Firmen des Kunst- und Antiquariats- 


handels geben. 


Aachen. Ant.Creuizer 
vorm. M. Lempertz. An- 
u. Verkauf, sowie Versteigerung 
erstklassiger Gemälde und Anti- 
quitäten. Kunstverlag. Wissen- 
schaftlich. Antiquariat. Spezial- 
kataloge auf Wunsch. 


Amsterdam. 146 Singel. 


R. W. P. de Vries. Seltene Bücher. 
Kupferstiche. Porträts. Handzeich- 
nungen. Buch- und Kunstauktionen. 


Berlin. Amsler & Ruthardt. 
Kgl. Hofkunsthindler. Speziali- 
tat: alte u.neue Graphik. Hand- 
zeichnungen. Kupferst.- Aukt. 

H Unter den Lin- 

— Ludwig Glenk, sen 59." Geer. 
1886. Antiquitäten. China, Japan, Per- 
sien. Islamische Kunst. Alte Gemalde, 
Pastelle, Miniaturen, Kupferstiche, 
Lithographien. Bedeutendste Adolf 
Menzel-Sammlung. Japanische Far- 
benholzschnitte. Illustrierte Bücher. 
Ankauf wertvoll. Stücke zu gut. Preis. 


— Paul Graupe, Kochstraße 3. 
Seltene Biicher / Manu- 
skripte / Kupferstiche / 
Exlibris / Stammbiicher 
etc. / Ankauf / Verkauf. 


— Edmund Meyer, Antiquariat, 
Potsdamerstr. 27 B. Bucher für 
Bibliophilen — Kunst etc. 


’ 

Bonn. Math. Lempertz 
Buchhandlung und Antiquariat 

(Inhaber: Peter Hanstein.) 

Auktionshaus fur Antiquitaten, 
Gemälde und Bücher. — Anti- 
quarisches Bücherlager von ca. 
600000 Bänden, über welches 
fachwissenschftl. Katalogeersch. 
Budapest. Könyves Kälman. Unga- 
rische Kunstverlags-A.G., Nagymerò 

u. 37—39. Kunstverlag. Verkauf von 
Reproduktionsrechten hervorragend. 
Schöptungen ungarischer Künstler. 
Hervorragender Kunstsalon mit stän- 
dig wechselnden Kunstausstellungen, 


Darmstadt. Müller & Rühle. 
Großherzoglich hessische Hof- 
kunsthandlung. Kais. russ. Hofl. 


Dresden. Galerie Ernst 
Arnold. Inhaber L. Gutbier. 


Permanente Ausstellung in 
11 Salen: Gemalde, Skulp- 
turen, Radier. alter Meister. 


— Franz Meyer, Struvestraße 2, I. 


Kupferstiche, Radierungen, Holz- 
schnitte, Handzeichnungen alter und 
neuerer Meister. An- und Verkauf 
sowie Taxation von Einzelblättern 
und ganzen Sammlungen. 


— Emil Richter, Hofkunsthändler. 
H. Holst. Spezialität Alte und Neue 
Graphik. Handzeichnungen. Per- 
manente Gemälde - Ausstellung. 


— v. Zahn & Jaensch, Waisenhausstr. 10. 
Größtes Dresdener Buch- und Kunst- 
antiquariat, Kataloge gratis. (Nr. 218 
Kunstbl. u. Kupferst., Nr. 220 Histor. 
Architektur. In Vorber.: Alte Drucke, 
Kat. f. Bücherfr. Napoleonica, Kultur- 
hist. Blatt., Kostimkunde, Stammbüch. 


FrankfurtahM.josephBaeraCo., 
Buchhandlung u. Antiquariat, Hoch- 
str.6. Spez.: Kunstu. Kunstwissensch. 
Seltene Drucke. Handschr. m. Miniat. 


— Rudolph Bangel, begr. 1868, Kaiser- 
str. 66, Übernahme v. Kunstwerk. all. 
Art z. Auktion od. freihänd. Verkauf, 
736 Kataloge. Ständige Kunstausstell. 


= Philipp Bode, weserstrabe 24. 
Übernahme von Kunst- 
sammlungen in Kupfer- 
stichen, Gemälden, Anti- 
quitaten etc. z. Versteigerung. 

— Frankfurter Kunstverein. 
Gemäldeerster moderner Meister 


und der Frankfurter Schule. 
Permanente Ausstellung. 


— A. Voigtländer -Tetzner, 
Kunsthandlung für alte und 
9 moderne Graphik. 9 
o Mainzer Landstraße 19. o 


— Max Ziegert, Hochstraße 3. 


Kupferstiche, Handzeichnungen 
Autographen, Holzschnittwerke 
Porträts, Ansichten, Inkunabeln 
Übernahme v. Aukt.-Aufträgen. 
Karlsruhe, À. Biclefeld’s Hof- 
buchhdig. Kupferst., Holzschn., 
Handzeichnungen, Manuskripte. 


Wegen Beteiligung wende man sich an Klinkhardt & Biermann in Leipzig. 


Köln. xv.Eisner & Spieckermann. 
Minoritenstraße 21. Kunst-Sortiment- 
Antiquariat. Galerie- und Sammel- 
werke, Kunstgewerbe, Kunstausstellg. 


_] M Heberle (H. Lempertz’ 
e e 


Söhne)G.m.b. 
H., Friesenplatz 15. Auktionshaus für 
Kunstgegenstände, Gemälde, Münzen, 


—Math. Lempertz’ Buch- 


handlung und Antiquariat. (In- 
haber Peter Hanstein.) Kunst- 
Auktionshaus für Antiquitäten, 
Gemälde, Stiche, Münzen etc. 
Leipzig. P.H.Beyer & Sohn. 
Moderne Gemälde, Kleinplastik, 
Handzeichnungen. Speziell neue 
Graphik (Max Klinger, O. Grei- 
ner, Menzel, Boehle, Zorn etc). 


C.G. Boerner, Kupferstiche, 
Handzeichn.,Autograph., 
Manuskr., Holzschnittb., 
Erstausgab., Ubernahme 


anz. Sammlg.z. Auktion. 


— Karl W. Hiersemann. Antiquariat und 
Verlag fiir Kunst und Kunstgewerbe 
Architektur, Archacologie etc. Groß. 
Lag.v. Biblioth.- Werk., Zeitschr. Ori- 
ental. Handschr. u. Miniaturen, Japan. 
Farbenholzschn., sow. eine Sammlg. v. 
Palmblatt-Manuskript.aus Siid-Indien. 


— Pietro Del Vecchio. Hof kunst- 
handlung. Ausstellung von Wer- 
ken erster Meister. Kunstsorti- 
ment. Moderne Graphik. 


Miinehen, Pfandhausstr. 8. 
Hermann Einstein. 

Kgl. bayr. Hoflieferant 

Antiquitaten u. Gemalde. 


—Galerie Helbing. "1." 


ganzer 
Sammlungen, wie einzelner guter 


Stücke behufs Auktion und freihän- 
digen Verkaufs. Ständige Ausstellung 
erstklassiger Antiquitäten, Kunst- 
gergenstände, Olgemalde alter und 
neuerer Meister, Kupferstiche etc. 


-Moderne Galerie 


Theatinerstraße 7 (Arco - Palais) 
Gremälde u. Zeichnungen 


moderner Meister. 
Eröffnung November. 


HOLLÄNDISCHE KUNSTHANDLUNG 


GERBRAND OLIE 
mannshaus). 


HAMBURG 


Bergstraße 16—18, hochparterre, (Her- 
Ausstellung von Orig.-Gemälden und Radierungen holländischer Meister. 


7 4 di 
a 
\ Herausgeber: DR: GEORG BIERMANN 

Redaktion: LEIPZIG, Liebigstr. 2 


Æ 27 


Heft 12 | 1909 


Ein unbekanntes Gemälde Wolf Hubers 
Von Philipp Maria Halm 


Dem umfangreichen Werk Wolf Hubers an Zeichnungen steht nur eine sehr 
geringe Zahl von Gemälden gegenüber. Ich reihe den vollkommen gesicherten in Feldkirch, 
Berlin (Sammlung v. Kaufmann und Kaiser Friedrih-Museum), Wien (Hof-Museum), 
Kremsmünster und St. Florian ein weiteres an, das bisher nicht die verdiente Berück- 
sichtigung gefunden hat. Es ist eine ,Heimsuchung Mariä“, die mir unter den Öl- 
gemälden aus dem „Kunstbesitz eines bekannten norddeutschen Sammlers“, gelegentlich 
der jüngsten Auktions-Ausstellung bei Hugo Helbing, sogleich als unzweifelhaftes Werk 
des Passauer Malers aufgefallen war. Die beifolgende Abbildung überhebt mich einer 
eingehenden Beschreibung sowie der näheren Beweisführug für meine Behauptung. Nur 
ergänzend will ich erwähnen, was die Netzätzung an Farbe schuldig bleibt: Elisabeth 
trägt eine Jacke in dem gleichen schmutzigen Grün, wie es uns z. B. am Nikodemus 
der Feidkircher Beweinung und an dem einen Engel der dazu gehörigen Predella mit 
dem Vera-Ikon begegnet'). Ferner sprechen das Rostrot des Gewandes der das 
Gepäck tragenden Dienerin und die Mischung von Gelb und Orange im Habit des 
greisen Zacharias, dann die geblauten weißen Kopftücher der beiden heiligen Frauen 
nicht weniger deutlich für Hubers Hand als die mit der liebevollsten Sorgfalt durch- 
studierte, etwas zu schwer im Grün gehaltene Baumkulisse links und die duftige Fern- 
sicht rechts mit den blaugrünen Rundtürmen an der einsamen Bucht. All das ist echt 
huberisch und läßt kein Bedenken über die Zuweisung an unsern Meister aufkommen. 
Der neue Wolf Huber steht dem im Januarheft der „Amtlichen Berichte aus den könig- 
lichen Kunstsammlungen“ (1909, S. 87) von Voss veröffentlichten Bilde der „Flucht nach 
Ägypten“ desselben Meisters am nächsten, wenigstens was die Szenerie, die räumliche 
Tiefenwirkung und die Stellung und Größenverhältnisse der Figuren zur Landschaft 
anlangt. Wenngleich ich die Flucht nur nach der dort gebotenen Abbildung zu 
beurteilen in der Lage bin, glaube ich nichts destoweniger noch auf weitere Beziehungen 
zwischen beiden Bildern hinweisen zu dürfen. Der Kopf Mariens ist beide Male völlig 
der gleiche und deckt sich auch aufs engste mit jenem der Wiener Kreuzerhöhung, in 


1) Über die von Riggenbach, „Der Maler und Zeichner Wolfgang Huber“, bestrittene Zu- 
sammengehörigkeit vgl. Halm, Zu Wolf Huber und der Kunst des Donaustils in „die christliche 


Kunst“ V (1908) S. 78. à 


548 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


deren Nähe, wie es Voss für die Flucht nach Ägypten annimmt, ich auch die Heim- 
suchung setzen möchte. Ganz die sonnige Stimmung jenes Bildes breitet sich auch 
über den neuen Huber, nur nicht in solcher Ausdehnung, Die Maße des Bildes 
im Kaiser Friedrih-Museum sind mir z. Z. unbekannt, aus der engen stilistischen 


| | | -= Verwandtschaft 
en Vite a ‘desselben mit dem 
> “ ‘=? = ' Heimsuchungsbilde 


~ und dem allgemei- 
nen Verhältnis von 
Höhe zur Breite 
wage ich den 
Schluß, daß beide 
Bilder ursprünglich 
zu einem und dem- 
selben Altar gehört 
haben und daseine 
vielleicht die Rück- 
seite des anderen 
gebildet hat !). Da- 
für spricht auch die 
gleihe Herkunft, 
denn wie die Flucht 
nach Ägypten ge- 
hörte auch die Be- 
gegnung der hei- 
ligen Frauen zur 
vielbesuchten 

Sammlung Lipper- 
WOLF HUBER: Mariä Heimsuchung. München, Bayerisches Nationalmuseum heide; merkwürdig 

genug, daß das 
charakteristische Bild bisher als Huber unerkannt geblieben. Die Erhaltung der Tafel 
ist im großen ganzen gut, da und dort ist etwas zu viel geputzt worden, dodh blieb 
das Bild größtenteils und glücklicherweise an allen wesentlichen Stellen von Über- 
malungen verschont, so daß das leuchtende Kolorit nirgends Einbuße erlitt. Am 
deutlichsten erkennt man die Hand des Restaurators an dem stumpfen Grau der 
Architektur rechts und dem matten Himmel mit den weißen Gebirgsschroffen über der 
Landschaft des Hintergrundes. Das anmutige Werk gelangte in den Besitz des 
Bayerischen Nationalmuseums. 


n 


1) Das Bild der Heimsuchung mißt in der Höhe einschlieBlich einer schmalen angestückelten 
Leiste 0,55 m, in der Breite 0,56 m. Da es neu gerostet wurde, der Zustand des Gegenstiickes 
nach dieser Seite hin mir aber nicht bekannt ist, muB ich die Frage, ob es sich um eine aus- 
einandergesägte Tafel handelt, vorerst noch offen lassen. 


Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen. 


Von Hans Vollmer. 


Es ist auffallend, wie wenig bekannt die alte Kopenhagener Gemäldegalerie in 
den Fachkreisen des Auslandes ist. Man weiß wohl von diesem oder jenem bedeuten- 
den Stück, das nach der dänischen Hauptstadt verschlagen ist, aber ein klares Gesamt- 
bild über den Bestand der Sammlung hat man nicht. Mitschuld an dieser auch von 
Deutschland geteilten mangelhaften Kenntnis dieser wertvollen Galerie ist deren unbe- 
greifliche literarische Vernachlässigung seitens der Gelehrtenwelt des Auslandes. Eine 
zusammenhängende Besprechung der Kopenhagener Galerie hat außerhalb Dänemarks 
nur Clement de Ris in einem Aufsatze der Gaz. d. beaux-arts 1875 gegeben, dessen ober- 
flächlicher Charakter aber schon von Sigurd Müller (Kunstchronik XI, 825) eine scharfe 
und berechtigte Zurückweisung erfuhr. Seitdem ist nirgends wieder im Zusammenhang 
über die Kopenhagener Galerie geschrieben worden, eine Tatsache, die in einigem 
-Widerspruch steht zu der hohen Bedeutung der Sammlung, die sich vor allem dadurch 
auszeichnet, daß sie einen Überblick von seltener Vollständigkeit über die holländische 
Kunst des XVII. Jahrh. gewährt. | 

Über die Geschichte der Kopenhagener Gemäldegalerie in Kürze folgendes: der 
Grundstock zu der Sammlung wurde unter König Friedrich V (1746—66) gelegt, der 
durch seinen Intendanten Gerhard Morell in Holland einen reichen Schatz holländischer 
Bilder ankaufen ließ, zu einer Zeit, als die Niederlande die sämtlichen großen 
europäischen Kunstsammlungen mit ihren heimischen Kunstschätzen zu füllen sich ge- 
zwungen sahen. 

Eine wertvolle Bereicherung erfuhr die Sammlung unter Friedrich VI. (1808—39) 
durch die Erwerbung der beiden Sammlungen Bodendick und West. Unter dem Regnum 
Friedrihs VI. wurden auch die bis dahin auf den königlichen Schlössern verstreuten 
Gemälde in Christiansborg zu einer Galerie vereinigt und dem Besuch des Publikums 
zugänglich gemacht. Friedrichs Nachfolger Christian VIII (1839 — 48) ließ die Bildersäle 
des Schlosses mehr zweckentsprechend herrichten und gleichzeitig eine kritische Auslese 
unter der großen Masse der Gemälde treffen. Die große Feuersbrunst vom 3. Oktober 1884, 
der Christiansborg zum Opfer fiel, machte die Galerie obdachlos. 1889—96 wurde 
nach Dahlerups und Georg Möllers Plänen ein neues Museum erbaut, dessen obere 
Etage zur einen Hälfte die alte Gemäldesammlung aufnimmt. 

Ein vorzüglicher beschreibender kritischer Katalog, verfaßt von Karl Madsen 
unter dem Titel: „Fortegnelse over den kongelige Malerisamlings billeder af aeldre 
malere“ (Kopenhagen 1904), reich illustriert und mit Nachbildungen der Signaturen, 
orientiert über etwa ein halbes Tausend Gemälde alter Meister, unter denen die 
Holländer des XVII. Jahrh. sowohl quantitativ wie qualitativ obenan stehen. 

Um eine Betrachtung der italienischen, deutschen und französischen Schulen 
vorwegzunehmen, sei zuerst das kleine, früher, und auch von Crowe und Cavalcaselle, 
auf Lorenzo Monaco getaufte Predellenfragment genannt, mit der Verkündigung in der 


550 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Abb. 1. FILIPPINO LIPPI: Begegnung Joachims mit Anna 


Mitte, rechts einer betenden Nonne, vermutlich der Stifterin, links dem hl. Benedikt, ein 
wenig bedeutendes Stück, jetzt einfach „Florent. Schule XV. Jahrh.“ genannt, das zudem 
durch mangelhafte Erhaltung — die Tafel ist der Länge nach einmal zerbrochen 
und dann schlecht wieder zusammengefügt worden — seine geringen ursprünglichen 
Reize fast völlig eingebüßt hat. Die Taufe auf Monaco, jenen unselbständigen 
Ausläufer der Giottoschule in Florenz, der die Kunstrichtung des Trecento in das 
Quattrocento herüberträgt, hat alle Wahrscheinlichkeit für sich. Der Mantegna genannte, 
auf dem marmornen Sargdeckel sitzende Christus, der von zwei hinter ihm knienden 
Engeln betrauert, die Wundmale in seinen Händen weist, hat, wie schon Fr. Portheim 
(Jahrb. d. kgl. preuB. Kunstsammlgn. VII 224) erkannte, „mit Mantegna nichts als die 
wohl später hinzugefügte ungewöhnliche Namensbezeichnung gemein“. Kalt, bunt und 
geleckt in der Farbe, will auch der fast modern berührende, süBliche Ausdruck der 
Köpfe wenig zu dem ehernen Stil Mantegnas passen. Der mit dem Gemälde überein- 
stimmende anonyme Stich B. 7 ist bekanntlich schon lange in die spätere Schule des 
Meisters verwiesen worden. Besser ist Florenz mit dem bezeichneten und 1487 datier- 
ten Bilde des Filippino Lippi, der Begegnung Joachims und Annas vertreten, das 
zwar alle Manieriertheiten der Formgebung des späten Lippi zeigt, durd die 
Lieblichkeit seiner Frauentypen aber für manches entschädigt. Ein klaffender Riß in 
der Länge der Tafel und einige grobe Übermalungen, besonders auffällig in dem 
scharlachroten Mantel Joachims, beeinträchtigen leider etwas den Eindruck. Die kleine 
Anbetung der Könige, von Rumohr (Schorns Kunstblatt 1825, S. 345) als echte Jugend- 


H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 551 


arbeit Raffaels beschrieben, ist jetzt als freie, ungefähr gleichzeitige, übrigens recht schwache 
Kopie der Raffaelschen Predella im Vatikan erkannt. Unangenehm glasig in der Farbe, 
scheint die kleine Tafel starke Übermalungen erlitten zu haben; das Gewand der Maria 
z. B. hat alle Struktur eingebüßt, von anderen Formlosigkeiten nicht zu reden. Wür- 
diger wird die Kunst des italienischen Cinquecento repräsentiert durch das schöne 
Männerporträt auf grünem Hintergrund No. 162, von der Hand eines unbekannten 
oberitalienischen, vielleicht venezianischen 
Malers, im Geschmack des Lotto oder 
Moretto, oder Stücke wie die prachtvoll 
frische kleine Skizze des Tintoretto zu dem 
Gemälde der Kanaanäischen Hochzeit in 
Sta Maria della Salute. 

Sobald man die Schwelle des XVII. Jahrh. 
überschritten hat, häufen sich die Namen. 
Von dem großen Salvator Rosa bewahrt 
die Galerie u. a. ein Hauptstück: Jonas’ 
Predigt in Niniveh, aus Schloß Frederiks- 
borg stammend (gest. von J. M. Preisler), 
ein Bild von starker eindringlicher Wirkung, 
obgleih zu viel mit den Händen agiert 
wird. Von Giordano sieht man zwei Gegen- 
stücke, einen läppisch erzählten Bruder- 
mord des Kain und eine Beklagung der 
Leiche Abels durch das erste Elternpaar, 
wo der schöne blonde Akt der jammernden 
Eva für die weinerlihe Gestalt Adams 
entschädigen muß. Das Parisurteil, ein 
Thema recht nach dem Herzen des Fa 
Presto, verrät, wie die bekanntere Berliner Abb. 2. CARLO CIGNANI: Joseph u. Potiphars 
Redaktion, in den Reizen seines Helldunkels Weib a 
auf dem leuchtenden Inkarnat der Frauen- 
körper den Einfluß Veroneses. Zwei wirkungsvolle Gegenstiicke von Bartolommeo 
Manfredi, Soldaten bei einer Wahrsagerin und Musizierende Mädchen mit Soldaten, 
in lebensgroBen Halbfiguren, zeigen die kontrastreiche, auf Illusionswirkung ausgehende 
Vortragsweise des Caravaggio, der selbst in der Galerie mit einem Prachtstiick: 
Würfeinde Soldaten, vertreten ist. Carlo Cignanis großes Joseph- und Potipharbild 
ist wohl nur alte Kopie oder Atelierwiederholung, immerhin ein Stück von sehr 
anständiger Qualität. Dieselbe Komposition kommt noch einmal vor auf einem Bilde 
mit gleichfalls ungefähr lebensgroßen Figuren im Besitz des Sammlers J. J. Lichtmann 
in Wien, das vermutlih das Original zu der Kopenhagener Redaktion vorstellt (vgl. 
Frimmel, Blätter für Gemäldekunde II, 1906, S. 125 6). Das kleine Hochovalbild des 
Cignani mit der Tarquinius- und Lucrezia-Szene zeichnet sich durch eine Fülle der 
feinsten koloristischen Delikatessen aus. Die venezianishe Schule des XVIII. Jahrh. 


552 Monatshefte fir Kunstwissenschaft 


wird durch ein hübsches Stück des G. B. Piazetta, die Halbfigur eines Mädchens mit 
einer Henne im Arm, sowie durch einen stattlihen Tiepolo repräsentiert, eine Abend- 
mahlsdarstellung mit jener für die Zeit charakteristischen aufgelösten Komposition, die 
an die Stelle der allzuwenig plastische Bewegungsmöglichkeit bietenden Gruppierung 
der Gesellschaft um den Tisch herum das malerisch bewegte Chaos setzt und die Gruppe 
der Jünger kniend, dicht ge- 
drängt um den stehenden 
Christus sich scharen läßt. 
Die Deutschen sind durch 
nicht weniger als acht echte 
Arbeiten des älteren Cranach 
gut, aber einseitig in Kopen- 
hagen vertreten; davontragen 
fünf, außer dem Monogramm, 
ein Datum. Von 1521 datiert 
das kleine Parisurteil, No. 73. 
Ein reizendes Stück ist die 
Tafel von 1530 mit Venus 
und dem von Wespen ge- 
stochenen Amor. Schreiend, 
die Wabe in der Hand, sucht 
der Kleine Hilfe bei Venus, 
die indeB gelassen lächelnd 
wenig Notiz von dem Schmerz 
Amors nimmt; oben eine In- 
schrift mit der Moral auf die 
Geschichte. No. 74 stellt eine 
Allegorie auf die Melancholie 
dar, wie sie Cranach öfters 
darzustellen liebte; ähnliche 
Stücke finden sich bei dem 
Earl of Crawford (abgebildet 
in Illustrated Catalogue of 
Early German Art, London 
1906, Tafel 25) und in 
Southam Delabere bei Cheltenham in Süd-England. Das Kopenhagener Exemplar 
ist 1532 datiert. Eine geflügelte, sonst aber gut bürgerlich bekleidete Frau sieht, indeB sie 
achtlos an einem Stabe schnitzt, drei nackten Putten zu, die eine große Kugel auf dem 
Boden durch einen Reifen durchzurollen suchen. Der Ahne dieser Darstellungen ist 
natürlich Dürers berühmter Kupferstich von 1514. Von 1535, also zwei Jahre jünger 
als das denselben Gegenstand behandelnde bekannte Braunschweiger Stück, datiert das 
große Halbfigurenbild des Herkules bei der Omphale, das leider stellenweise krud über- 
malt ist, um die klaffenden Längsrisse der Tafel zu verdecken. Offenbar stark übermalt 


Abb. 3. JAC. CORN. VAN AMSTERDAM: Begegnung Davids 
mit Abigail 


H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 553 


Abb. 4. PIETER AERTSEN: Küdienstück 


ist auch No. 79, eine Verlobung der hl. Katharina, in lebensgroßen Halbfiguren; der 
Kopf der Maria scheint ganz modern zu sein, ebenso das Untergesicht der Katharina, 
die Halspartien des Kindes usw. Endlich von Cranach eine amüsante Hirschjagd, 
undatiert, aber signiert, sowie die beiden Bildnisse eines Ehepaares auf olivgrünem 
Hintergrund, letztere leider zu hoch hängend, um eine genaue Prüfung zuzulassen. 
Die kleine Kreuzigung No. 80 wird durch ihre schwache Zeichnung und unangenehme 
Buntheit als Schulstück gekennzeichnet. Ein anonymes, recht interessantes männliches 
Porträt ist No. 347, ein mandolinespielender Jüngling in schwarzem Kostüm und Barett, 
offenbar schwäbische Schule, Ambergersche Richtung. 

Aus dem XVII. Jahrh. ist das sehr distingierte weibliche Halbfigurenbild von 
Peter Lely hervorzuheben, das an Noblesse der Auffassung hinter keinem varı Dyck 
zurücksteht. Lely, eigentlich Pieter de Faes geheißen, ein geborener Soester, hatte 
sich während eines 37jährigen Aufenthaltes in England, wo er Hofmaler zweier Könige 
war, an den Meisterwerken seines großen vlämischen Vorgängers so stark inspiriert, 
daß er auf den ersten Blick in der Tat oft mit van Dyck verwechselt werden 
kann. Die deutsche Bildniskunst des XVIII. Jahrh. vertritt der seinerzeit auch in Däne- 
mark beschäftigt gewesene Hamburger Balthasar Denner mit einem feinen kleinen 
Damenbildnis. 

Frankreichs Kunst wird in der Kopenhagener Galerie nur durch ein einziges 
bedeutenderes Werk repräsentiert, ein großes Figurenbild des Poussin: Der Herr erscheint 
Mose im brennenden Busch (Gest. von Vernesson), eine übrigens auch mit Poussin- 
sciem Maßstabe gemessen temperamentlose, in der Empfindung schwächliche Konzeption. 
Von altspanischer Kunst sei die lebensvolle Porträtgruppe des außerhalb seiner Heimat 
selten anzutreffenden Jose Antolinez erwähnt, eine Gesellschaft von Astronomen und 
Mathematikern mit einem lieblichen, in Kirschrot gekleideten blonden Mädchen im Vor- 
dergrund, das mit einem Hiindchen spielt. 

Wir kommen nunmehr zu den alten Niederländern und eröffnen ihre Revue 


554 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


mit der ein berühmtes stilistisches Kuriosum darstellenden Tafel No. 63, einer Anbetung 
der hl. Familie durch den knienden Stifter, an der zwei Meister aus zwei ganz ver- 
schiedenen Jahrhunderten tätig waren. Die linke Bildhälfte mit dem von dem hl. An- 
tonius assistierten Stifter wurde lange Zeit Jan von Eyck benannt, dann von einer so 
gewichtigen Seite wie der James Weales für Hubert van Eyck in Anspruch genommen, 
um in neuerer Zeit endlich ziemlich allgemein (auch von Karl Voll) dem Petrus Christus 
zugewiesen zu werden. Die höchst großartige Stilisierung der Köpfe, für die sich in 
dem sonstigen Werke des Christus keine Analogien finden, und in der sich trotz des 
relativ kleinen Maßstabes der geborene Monumentalmaler verrät, spricht viel für die 
Wealesche Zuweisung, der nachgewiesen hat, daß diese Tafel zusammen mit einer 
Statue des hl. Antonius sidi am 9. März 1426 in Huberts Werkstatt befand). Viel- 
leicht hat Otto Seeck das Richtige getroffen, als er ein Schulverhältnis zwischen dem 
älteren varı Eyck und Petrus Christus konstituierte und annahm, daß die Kopenhagener 
Tafel „noch unter den Augen Huberts und vielleicht nicht ganz ohne seine Mitwirkung 
von Christus gemalt sei“*). Die rechte Hälfte des Bildes ist völlig deckend im XVII. 
Jahrh. mit einer hl. Familie im Stile des van Dyck übermalt worden. Frimmel?) will 
in diesem ,Frevler“ mit ziemlicher Sicherheit den Antwerpener Peeter van Avont (t 1632) 
erkennen, der Rubens und van Dyck viel kopierte, und dessen Weichheit des Inkarnats 
und Grazie seiner Darstellung, Vorzüge, die auch unser Bild aufweist, schon von seinem 
Zeitgenossen Cornelis de Bie gerühmt wurden. 

Aus dem XVI. Jahrh. sind nur einige wenige aber recht bemerkenswerte Stücke 
zu erwähnen. Von Pieter Breughel d. A. drei braun untermalte Studienköpfe in Tempera: 
ein kleines mannliches Bildnis und die Karikaturen eines alten verhungerten Ehepaares, 
das einen fetten Mönch in dessen feiste Wangen beißt; von Jacob Cornelisz van 
Amsterdam ein meines Wissens in der Literatur bisher kaum beachtetes, charakteristisches 
Bild, die Begegnung Davids mit Abigail darstellend (I. Sam., 25. Kap.), das auch von 
Scheibler in seinem Verzeichnis der Gemälde Jacobs nicht mit aufgeführt wird‘) und das 
ich nur in Wurzbachs Niederl. Kstlerlex. erwähnt fand; von Pieter Aertsen ein prach- 
tiges Küchenstück mit lebensgroßen Figuren aus der letzten Zeit des Meisters, mono- 
grammiert und 1572 datiert; von Marinus van Roemerswaelen eins seiner bekannten 
Geldwechslerehepaare, sehr ähnlih dem Madrider Stück (Wiederholung in Antwerpen), 
bez. Reymerswale Marinus me fecit Ao (es folgt unleserlihe Zahl [1540?]), stark 
manieriert in den Formen und gläsern in der Farbe, aber die Richtung gut kenn- 
zeichnend. Leider finden sich stellenweise rohe Übermalungen, so namentlich im Kopf 
des im Hintergrunde sichtbar werdenden Knaben, der auf dem Madrider Exemplar 
ganz fehlt, und von dem Wurzbach (Niederländ. Kstlerlex. II, 102) vermutet, daß er 
überhaupt erst in späterer Zeit dazugemalt sei’) Ein amüsantes Bild ist die Ver- 


1) Vgl. Zeitschrift f. bild. Kst. N. F. XI. 254,5. 

3) Vgl. Kunstchronik. N. F. XII 258. 

3) Blätter f. Gemäldekunde. I. 70. 

4) Jahrb. d. kgl pr. Kunstsammlungen. (1882). III. 13. 

») Vgl. Ober die Geldwechslerbildnisse des Massys und des Marinus den Aufsatz von 
F. de Melu in der Gaz. d. beaux-arts. 3 Per. t. XI (1908) p. 215 ff. 


H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 555 


Abb. 5 MAR. VAN ROEMERSWAELEN: Geldwechslerehepaar 


sammlung der fünf klugen und fünf tôriditen Jungfrauen von dem Genter Lucas de 
Heere aus der Zeit seines englischen Aufenthaltes (1570 datiert), mit mannigfachen 
moralisierenden Pointen gespickt. 

Der eigentliche Schwerpunkt der Sammlung aber liegt bei den Niederländern 
des XVII. Jahrhunderts. Um mit den Vlamen zu beginnen, so ist Rubens selbst mit 
einem prachtvollen „Salomonischen Urteil“ vertreten, das in die zweite Periode des 
Meisters gehört, welche mit der Antwerpener Kreuzabnahme anhebt und mit dem 
Jahr 1625 etwa schließt, und die Max Rooses in seiner Geschichte der Malerschule 
Antwerpens folgendermaßen charakterisiert: „In dieser Periode erlangt die Farbe all- 
mählich die Oberhand über das Helldunkel, die Bilder werden sonniger und durch- 
geführter, die Umrisse sind deutlich gezeichnet.“ Ursprünglich für die Ausschmückung 
eines Gerichtssaales bestimmt, wurde das Gemälde später vom Grafen Rantzau an König 
Christian IV. geschenkt, der eine dieseSchenkung bezeugende Inschrift auf dasBild setzen ließ. 


Ein schönes Beispiel Rubensscher Bildniskunst bewahrt Kopenhagen in dem 
imposanten Halbfigurenporträt des Abtes Matthäus Yrsselius (+ 1629) in weißer Schaube 
auf kirschrotem Grund. Das Bildnis ist kurz nach dem Tode des Dargestellten, aber 
unzweifelhaft nach einer Studie nach dem Leben gemalt worden und gehörte ursprüng- 
lich zum Grabmal desselben in der Abteikirche von S. Michael in Antwerpen. Eine 
herrliche, erst kürzlich erworbene braun untermalte Skizze für die Brüsseler Kreuz- 
tragung ergänzt das Bild des vlämischen Malerfürsten in willkommener Weise. Die 
handfeste Kunst des Jordaens ist mit drei Hauptstücken glänzend vertreten. Eine 


556 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Susanna im Bade, die kokett und die Situation wenig ernst nehmend, sich lachelnd 
dem Beschauer zuwendet, indes die beiden Alten eben hinten über die niedrige 
Brüstung einsteigen; der üppige blonde Frauenakt gehört mit zum besten, was man 
von Jordaens sehen kann. Dann eine Allegorie auf den Überfluß, wie sie Jordaens 
öfters gemalt hat, mit drei kraftstrotzenden weiblichen Akten im Vordergrund, Nymphen, 
die das Füllhorn des besiegten Achelous schmücken, während von oben Herkules mit 
Dejanira auf dieses Stilleben von Frauenfleisch und köstlich gemalten Früchten herunter- 
blicken, eine jener zwanglosen Versammlungen nackter Naturmenschen, in denen man 
den robusten Pinsel Jordaens’ uneingeschränkt bewundern kann.) Umso fühlbarer 
bringt das dritte Bild die Grenzen Jordaensscher Kunst zum Bewußtsein: eine Dar- 
stellung des „Lasset die Kindlein zu mir kommen“. Was hier von vornherein jede 
Stimmung nimmt, ist die denkbar weihelose Lokalität, in die die Szene verlegt ist. 
Man stelle sich vor! Christus sitzt auf dem oberen Podest einer bildeinwärts führen- 
den Treppe, die die gesamte Bildbreite einnimmt, so daß die Segnung der Kinder 
auf den Treppenstufen vor sich geht. Einige maBlos erregte Zuschauer riskieren Arme 
und Beine, indem sie die steinernen Treppenwangen erklimmen, um des Schauspiels 
habhaft zu werden. Eine Farbenskizze zu einer Gefangennehmung Christi fordert in 
ihrer unökonomischen Komposition mit der ungebührlich breit sih machenden Petrusszene 
im Vordergrund zu ähnlicher Kritik heraus. Welch einen Gegensatz bietet zu dieser 
lärmenden Kunst das stille Emmausbild Rembrandts, die edelste Perle der Kopenhagener 
Sammlung! Aus demselben Jahre (1648) wie das berühmte Pariser Stück stammend, mit 
dem es vieles gemeinsam hat, von dem es im Format aber abweicht (dort Hoch-, hier Längs- 
format), steht es doch trotz aller seiner Schönheiten dem Louvrebild in jeder Beziehung 
nach; undenkbar daher, daß es, wie Bode in seiner Geschichte der holländischen 
Malerei annahm, nach der Pariser Redaktion entstanden sein sollte, die die letzte 
höchste Lösung des Themas bringt. Schon daß dem Mysterium zwei unbeteiligte 
Zuschauer beigegeben sind an stelle des einen Knaben dort, wird als ablenkende 
Tautologie empfunden. Was das Louvrebild aber vor allem voraus hat, ist die wunder- 
bare in den Dienst der Stimmung gestellte Lichtführung, während hier gesuchte Inter- 
essantheiten der Beleuchtung (unsichtbar gemachte Lichtquelle, indem das Licht in der 
Hand der Alten gerade durch den Oberkörper des eines Jüngers verdeckt wird) eher 
stimmungstörend als stimmungfördernd wirken. Auch von dem Weltentrückten, Visio- 
nären im Antlitz Christi ist auf dem Kopenhagener Bild noch kaum etwas zu spüren. 
Für die ebenso diskrete, wie eminent ausdrucksvolle Gebärde des Erstaunens bei den 
Jüngern wußte Rembrandt dagegen auch später nichts Vollkommneres mehr zu geben, 
wie denn überhaupt nur dieser Vergleih mit Rembrandt selber das Bild herunter- 
zusetzen vermag. Unter den Rembrandtschülern findet man von dem wenig gekannten 
Bernard Fabritius, der in der älteren Literatur häufig mit seinem berühmteren Namens- 
vetter Carel zusammengeworfen wird, eine bez. und 1668 datierte Darstellung im 
Tempel, wie alle Arbeiten Barents etwas trocken und einförmig grau in der Farbe, 


1) Eine von dem Gemälde nur wenig abweichende Aquarellstudie zu der Kopenhagener 
Abundantia des Jordaens gelangte vor kurzem bei Fred. Muller in Amsterdam zur Versteigerung. 
Vgl. Monatshefte f. Kunstwissenschaft, I. Jahrg., 1908, S. 709. 


H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 557 


Abb. 6. RUBENS: Urteil Salomonis 


sonst aber von tüchtigen Qualitäten. Aert de Gelder ist mit einem durch reiche Psycho- 
logie wie wunderbaren Tonreichtum gleich ausgezeichneten Halbfigurenbilde: Mardochai 
vor Esther und Ahasver zur Stelle (bez. und 1685 dat... Von Ferdinand Bol bewahrt 
die Galerie ein großes Hauptwerk, die drei Frauen am Grabe Christi. „Da traten 
bei sie zwei Männer mit glänzenden Kleidern. Und sie erschraken und schlugen 
ihre Augen nieder zur Erde“. Ein Frühwerk des Meisters aus seiner geschätztesten 
Helldunkelperiode (1644 dat.), ist dasselbe noch ganz im geistigen und malerischen 
Geschmack des jungen Rembrandt gehalten, unter empfindlihem Mangel an Ökonomie 
im Ausdruck der Gebärdensprache leidend, aber andererseits mit einer Fülle von Ton- 
schönheiten ausgestattet, namentlich in den blaulich silbrigen Gewändern der Engel, 
die, als Vision unbedeutend, durch malerische Reize ersetzen, was ihnen an innerlicher 
Größe gebricht. Ein seltener Meister ist Hendrik Terbrugghen (geb. 1587 zu Deventer), 
von dem die Galerie ein Hauptstück besitzt, eine Dornenkrönung Christi in lebensgroßen 
Figuren, die den Einfluß des Caravaggio zeigt, unter den Terbrugghen in Italien geriet. 
Mit manchen koloristishen Kruditäten behaftet und ungeschickt im Aufbau, insofern 
die Hauptfigur des Gemarterten vollkommen versinkt, verfügt das Bild doch über eine 
starke geistige Ausdrucksnote. Terbrugghens Lehrmeister, Abraham Bloemaert, der 
Begründer der Schule von Utrecht, ist gleichfalls in Kopenhagen gut zu studieren, wo 
sich drei bezeichnete Arbeiten, mythologische Szenen, von ihm befinden. 


Ganz besonders zahlreih sind die holländischen Landschafter beisammen. 
Cornelis Vroom, der große Vorgänger des Jakob Ruisdael und eigentliche Bahnbrecher 


558 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


der Haarlemer Landschaftsmalerei ist mit zwei Arbeiten vertreten, darunter einer Wald- 
lichtung mit hügeliger Ferne und düster bewölktem Himmel, einem Bilde, das in seiner 
ernsten schwermütigen Stimmung unmittelbar Ruisdaelsche Phantasien vorwegnimmt.!) 
Salomon von Ruisdael bewundert man in einer kleinen Flußlandschaft und einer herr- 
lien, vollbezeichneten und 1659 datierten Landschaft mit einer Reisegesellschaft im 
Vordergrund und begleitenden Kavalieren, die ihre Pferde tränken. Hervorragende 
Stücke sind von Jakob varı Ruisdael eine prächtige Hirschjagd, von Isaak varı Ostade die 
kleine Winterlandschaft mit holzbeladenem Wagen im Vordergrunde. Allaert van 
Everdingen ist mit einer glänzenden Suite von fünf Arbeiten vertreten, die wohl ge- 
eignet sind, einem wieder Respekt vor diesem häufig etwas unterschätzten Meister 
einzuflôBen. Von dem fruchtbaren Jan Wynants sieht man eine treffliche, im Kolorit 
äußerst frische Waldlichtung mit Staffagefiguren von Ph. Wouwermann, von dem 
seltenen Anthonie van Beerstraten eine mächtige, etwas hart und lichtlos gemalte 
Winterlandschaft mit der imposanten Stadtvedute von Haarlem im Hintergrund (bez. u. 
1664 dat.). 

Aus der Reihe der Amsterdamer Landschafter seien nur Aert van der Neer 
(zwei hübsche Mondscheinlandschaften) und Jan Hackaert hervorgehoben, dessen 
stattliche Baumallee mit Ausblick auf eine sonnige italienische Hügellandschaft an 
die berühmte Eschenallee des Amsterdamer Reichsmuseums anklingt, aus der Reihe 
der Utrechter Jan Both mit einer prachtvollen, sonnendurchfluteten, mit Hirten- und 
Tierstaffage belebten Szenerie. Von den Vertretern der arkadischen Landschaftsmalerei 
trifft man wie in jeder größeren Galerie so auch in Kopenhagen natiirlich Poelenburg, 
von seinen Nachfolgern Dirk van der Lisse, Abrah. van Cuylenborch, Barthol. Breen- 
berch, Moses van Uytenbrok u. a. Unter den Landschaftsbildern vlämischer Prove- 
nienz fiel mir eine kleine Winterlandschaft des Joost de Momper mit einer in bläu- 
lier Ferne verschwimmenden Stadt am FluBufer besonders günstig auf. | 

Unter den Stilleben sind namentlich ein trefflicher Willem Kalf und ein Frucht- 
stück des Pieter Claesz zu bewundern, sowie ein köstlich zart gemaltes Früchteensemble 
des dem Clasz sehr ahnlich sehenden, nicht eben häufigen Marten Boelema gen. de 
Stomme, während das große Stück des C. Gysbrechts mit seiner etwas aufdringlichen, 
rot-grün gemusterten Tischdecke im Vordergrunde farbig weniger harmonisch wirkt 
Abraham van Beijeren präsentiert sich mit einem seiner breit hingestrichenen Fischstücke, 
Joris van Son mit ebenso trefflihen wie seltenen Blumenstücken. 


Das Architekturbild — eine Spezialabteilung sozusagen des Stillebens — 
vertreten seltene Meister, wie der bis 1703 in Haarlem tätige Isaak varı Nickele (zwei 
köstliche gotische Kircheninterieurs, bez. und datiert 1681 u. 1695) und der angebliche 
Franz Hals-Schüler Dirk varı Delen (Straßenansicht von 1636). Eine Seltenheit aller- 
ersten Ranges besitzt die Galerie in dem 1628 dat. Prozessionsbild des Jacob Isaaksz 
van Swanenburgh, der einzigen bisher bekannten durch Signatur beglaubigten Arbeit 
dieses Meisters, der als der erste Lehrer des jungen Rembrandt interessiert. Gegen- 
ständlich von größtem Interesse durch die dargestellte Lokalität — eine naturgetreue 


1) Abgeb. bei Frimmel, Blätter f. Gemäldekunde 1907, II, S. 77. 


H. Vollmer. Die alte Gemäldegalerie in Kopenhagen 559 


Kopie der römischen Piazza 
di S. Pietro aus der Zeit um 
1610, bevor Bernini seine 
Kolonnaden dort aufstellte — 
it das Bild an sich ohne 
höhere künstlerishe Ver- 
dienste. *) 

Einige vortreffliche Stücke 
bieten die Tiermaler: vor allem 
Jacob van der Does, der Freund 
des Karel du Jardin, unter 
dessen starkem Einfluß Does’ 
durch stofflihe Wahrheit sich 
auszeichnenden Tierbilder ent- 
standen sind; hödıst reizvoll 
und poetisch empfunden ist 
die ruhende Hirtin mit ihrer 
gelagerten Lämmerherde. Von Paul Potter sieht man ein hübsches, wenn auch 
bescheidenes Bildchen: Kiihe auf der Weide. Ein kleiner Albert Cuyp, Reiter auf 
dem Felde, hat in den linken Bildpartien leider sehr gelitten. Von P. Berchem fielen 
mir zwei lebensvolle Pferdebilder 
auf, ebenso ist die Berchemschule 
gut vertreten. 

Weniger vollzählig und nicht 
in gleicher Qualität findet man die 
Genremaler beisammen. Die beiden 
Jan Steens sind wenig bedeutend: 
Der Geizhals, an dessen Fenster 
der Tod anklopft, zwar echt und 
bezeichnet, aber trocken und grau 
in der Farbe. Manche amüsante 
Pointen bietet dagegen der Einzug 
des siegreichen Saul in Jerusalem 
von 1641 — késtlih darauf die 
Figur des eitlen, sich blahenden 
Triumphators auf dem Wagen. Ein 


Abb. 7. JORDAENS: Abundantia 


1) Abb. bei Frimmel, BI. f. Gemälde- 
kunde 1906, II, S. 61. Ein zweites 
_ Werk des Swanenburgh hat Frimmel in 
einem dieselbe Lokalität darstellenden 
Gemälde der Augsburger Galerie nach- 
gewiesen, das dort als Dirk varı Delen 


katalogisiert ist. (Vgl. Blätt. f. Gemälde- | 
kunde 1895 Il., S. 94.) Abb. 8. C. P. BERCHEM: Bäumender Schimmel 


560 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


trefflicher Gerard Dou behandelt das beliebte Thema der ärztlichen Konsultation. 
Zwei Gegenstüke von der Hand des älteren Egbert van Heemskerk, ein Bauern- 
gelage und eine Gerichtsverhandlung, in goldbräunlihem Gesamtton gehalten, ver- 
raten einen Spötter, dessen Art an Hogarthsche Satire gemahnt, und von dem 
die Geschichte wohl wahrscheinlich klingt, er habe Karl II. in so fataler Situation 
porträtiert, daß die Sache dem Maler beinahe den Kopf gekostet hätte. Pieter 
de Hoochs musizierende Gesellschaft — in zwei Varianten zu genießen — gehört 
zu den Juwelen der Sammlung; ebenso sind sehr reizvoll die beiden Gegenstücke 
des Thomas Wyck, den Hof eines Wirtshauses und ein Kücheninterieur mit Mutter 
und Kind darstellend, die Einflüsse von Adr. von Ostade her zeigen. Der überaus 
seltene Maerten Stoop ist mit zwei Bildern zur Stelle: das eine, etwas flüchtig gezeichnet, 
stellt die räuberische Plünderung eines herrschaftlichen Besitzes dar; das andere eine lustige 
Gesellschaft in der Art des A. J. Duck, von dem die Galerie gleichfalls zwei Arbeiten 
bewahrt. Ein delikates Bildchen ist die musizierende Dame in zitronenfarbenem Mieder 
und rosarotem Rock von Jacob Ochtenwelt aus Rotterdam (1663), dem Mitschüler Pieter 
de Hoochs bei Cl. Berchem; nicht ganz so fein die beiden Eglon van der Neers: Herr 
mit drei Damen im Walde und Musizierende Dame im Zimmer. Von Neers berühmtem 
Schüler, Adr. v. d. Werff, sieht man ein reizendes Stück, ein junges Mädchen betrachtet 
eine Blumenvase, das sich von der sonstigen geleckten porzellanartigen Maltechnik 
Werffs glücklich entfernt. Von vlämischen Sittenbildern sei der kleine Teniers, eine 
auf ein feines Silbergrau gestimmte Versuchung des hl. Antonius, und das sehr hübsche 
Interieur des Jan Siberechts erwähnt, eine häusliche Szene darstellend, mit Bildern im 
Bilde ausgestattet, in denen Siberechts, wie neuerdings nachgewiesen, eigene Arbeiten 
kopiert hat.!) 

Die trefflih vertretenen „Gezelschalschilderen“ aus der Umgebung des Franz 
Hals: David Vinckboons, Palamedes, Dirk Hals, Pieter Potter und wie sie heißen 
(auch von dem wenig gekannten Christoffel Jacobsz van der Laenen oder Lamen aus 
Brüssel findet man ein interessantes Interieur von 1630, mit einer gemalten Bilder- 
galerie) führen uns endlich auf das Kapitel der Bildnismalerei, daß, wenn auch der 
Franz Hals’ und varı Dycks entbehrend, doch so glänzende Stücke aufzuweisen hat 
wie den erwähnten Yrsselius des Rubens und das herrliche kleine Bildnis einer älteren 
Dame von Terborch. 

Ein glücklicher Zufall ist es, der den kunstbeflissenen Besucher der dänischen 
Hauptstadt in den Stand setzt, seine Studien in der alten Gemäldegalerie an Ort und 
Stelle noch weiter ausdehnen und vertiefen zu können, indem Kopenhagen in der 
kleinen, aber auserlesenen Sammlung des Grafen Moltke-Bregentved eine Galerie 
besitzt, deren Schwergewicht wie das der Staatsgalerie bei den Holländern des XVII. 
Jahrhunderts liegt, und die daher wie geschaffen dazu ist, eine Ergänzung jener zu bilden. 


1) Vgl. Frimmel, Blätter f. Gemäldekunde 1907, HI., S. 18 u. 19. 


pere asssss 


Fig. 1. S. ROSA: La Giustizia che si rifugia fra i contadini. 
Vienna. Galleria Imperiale. o 


Opere di Salvator Rosa a Vienna 


Di Leandro Ozzola 


L'arte di Salvator Rosa fino al principio dell’ ottocento ha avuto cosi larga 
fortuna che innumerevoli sono le copie e le imitazioni delle sue opere eseguite in quei 
tempi, non di rado segnate anche con la sua sigla o col suo nome’). Perciò l'opera 
dello studioso, invece che alla ricerca di pitture smarrite sotto il nome d'altri artisti 
deve quasi esclusivamente rivolgersi alla critica delle attribuzioni false per sgombrare 
dagli errori l'odierno selvaggio campo rosiano. 

Questo il lavoro principale che ho dovuto compiere anche nelle gallerie di Vienna. 

Nel mio volume su Salvator Rosa (Heitz. Strassburg, 1908) ho dovuto far men- 
zione di parecchi quadri di queste collezioni semplicemente sulla scorta delle fotografie; 
sono perciò molto lieto di poter ora affermare che lo studio degli originali ha confer- 
mato pienamente le mie prime conclusioni’). 


1) Per dare un'idea di queste imitazioni basta scorrere la vasta produzione delle imitazioni 
da opere del Rosa e dalle sue stampe eseguite nel sei e sette cento. Qui citeremo solo le stampe 
edite dal Boydell nella seconda metà del settecento, le copie delle stampe del Rosa per opera 
del Sandrart, del De Polly e di Carlo Antonini (Roma 1780). 

3) Altrettanto devo dire a proposito dei quadri delle pinacoteche di Monaco e di Dresda. 
Nella prima sono attribuiti al Rosa tre opere. La prima: I Soldati di Gedeone (n. 1242) è una 
copia, come si può dedurre dal colorito freddo e fuligginoso (in contrasto assoluto con le tona- 
lità calde del Rosa) e dalla fattura stentata delle macchiette. I due Paesaggi (n. 1243, n. 1244) 
sono deboli imitazioni (Fig. 2 e 3). 

La Tempesta (Fig. 4) della Galleria di Dresda (n.468) come quella della Galleria di Berlino (n.421) 
non ha col Rosa che una lontana somiglianza nelle macchiette: tutte e due sono del secolo 


562 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Fig. 2. SCUOLA DI S. ROSA. Paesaggio. Monaco. Pinacoteca 


Nel mio libro (Aggiunte) ho accennato al quadro della Galleria Imperiale di 
Vienna (no 528) rappresentante la Giustizia che si rifugia tra i contadini, (Fig. 1) 
opera descritta dal Baldinucci. 

E' perciò inutile che io qui ripeta quello che ho già scritto, sia sull’ autenticità 
della pittura, sia sui caratteri di essa. Uno di questi, il più evidente, è la derivazione 
delle macchiette dalle figure del Bamboccio e del Cerquozzi. Dall’ originale, nel calore 
delle tinte, si rivela un' affinità forse maggiore col Van Laar (cf., per es., di questo 
artista il quadro della stessa galleria, rappresentante un’ osteria, n. 1241). 

Il Ribera, oltre che nella figura della Giustizia, come abbiamo gia notato, è 
rammentato nell’ asino ragliante che si vede a sinistra (cf. dello Spagnoletto lo stesso 
motivo nel Baccanale della Galleria di Napoli). I genietti sopra la Giustizia possono 


posteriore nel quale soltanto fu acquisita alla pittura una tale riproduzione del mare in burrasca. 
Nessuna delle due però è italiana. Il Ritratto di uomo con una scimmia sulle spalle (Fig. 5) 
della Galleria di Dresda (n. 469) è già stato riconosciuto dalla stessa direzione della Galleria per 
attribuzione errata. E’ inutile aggiungere che non posso che confermare le attribuzioni alla 
scuola o agli imitatori di tutti i quadri cosi segnati nelle due gallerie. 

Notiamo ancora che i due Paesaggi della Galleria di Monaco (n. 1247, n. 1248) ascritti al 
Torreggiani non hanno nulla di comune con quelli dello stesso artista che si trovano nella 
Galleria Doria di Roma; sono di un imitatore qualunque del Rosa. Neppure possono essere 
attribuiti al Torreggiani i due bei Paesi della Galleria Schleissheim, che portano il suo nome 
(n. 668, n. 669), e che, dal tocco e dalla concezione del cielo, paiono eseguiti sotto l'influenza del 
Tintoretto, mentre i costumi indicano i primi anni del settecento. 


L. Ozzola. Opere di Salvator Rosa a Vienna 563 


Fig. 3. SCUOLA DI S. ROSA: Paesaggio. Monaco. Pinacoteca 


trovare un riscontro, nell’ opera del Rosa, in, quelli della stampa n. 111 del mio ca- 
talogo. Dalla fotografia già si poteva intravedere la bellezza dell’ opera, che è delle 
piü riuscite del nostro artista. 

Poche infatti, anche di quel periodo molto fecondo e accurato che fu il tos- 
cano, si possono paragonare a questa. La scena ha una grandiosita solenne per la 
larghezza luminosa della massa bianca delle nuvole sapientemente contrapposta a 
quella scura dell’ ombra che avvolge tutta la parte sinistra. In questa fusione delle due 
masse di chiaroscuro in contrasto, sta anche la ragione del legame logico ed estetico 
del fantastico col reale completamente ottenuto. La parte in ombra poi, dalla tonalita 
generale marrone, & d'una trasparenza veramente atmosferica. Il dipinto rappresenta in 
grado altissimo tutte le qualita pittoriche del Rosa. Lo studio della modellatura, appare 
profondo nella struttura della casa, degli animali, e di quel magnifico albero scrupo- 
losamente riprodotto dal vero in tutta la sua efficace fisonomia individuale. Con 
questo dipinto, secondo noi, é finito l'elenco delle opere autentiche del Rosa nelle 
collezioni pubbliche di Vienna. 

Nella stessa Galleria Imperiale, è attribuito al nostro artista un quadro rappre- 
sentante un Guerriero (n. 516). (Fig. 6). Già ho accennato ad esso nel mio libro 
rifiutando questa attribuzione. L'opera infatti non ha di comune col Rosa che il 
colorito, più freddo però e fulliginoso, e il soggetto. Del resto il tipo, la concezione 
del panneggio e la modellatura tradiscono all’ evidenza un lontano e debole imitatore !). 


1) Il panneggio, come abbiamo già notato, nella parte inferiore è troppo semplificato, 
42 


564 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Fig. 4. IGNOTO: (Sec. XVIII.) Tempesta di mare. Dresda. Pinacoteca 


Il n. 523, sempre della Galleria Imperiale, rappresenta una Battaglia, di grandi 
dimensioni, e porta la segnatura del Rosa due volte, una col monogramma, a sinistra, 
e l’altra col cognome rovesciato, a destra; di più reca la data, MDC. XLV. Nonostante 
tutto questo apparato, il massimo che si possa concedere a questo quadro è che si 
tratti di una copia. Il dipinto, secondo la data, apparterrebbe a quel periodo toscano, 
del quale conosciamo molto bene la vivacità coloristica, lo studio del modellato e la 
cura dei particolari; tutte cose che in questa Battaglia sono contraddette nel modo più 
assoluto. I colori sono freddi e affumicati, i gialli non hanno quella nota calda che 
è propria del nostro artista, né vi sono le violenti lumeggiature a lui care. Le figure, 
e i cavalli in ispecie, sono d'una modellatura vuota e legnosa (cf. p. es. quello bianco 
nel mezzo, e quello sotto). Il n. 525 rappresenta San Guglielmo, legato mani e piedi, 
che fa penitenza nel deserto. (Fig. 7.) Una stampa del Rosa tratta lo stesso soggetto 
in modo simile. Un’ altra del Prenner supposto originale riproduce questo (Dresda. 
Kupf. Kab.; A. 836, 3, pag. 240)!). Ciononostante il quadro della Galleria Imperiale 
non può essere considerato come tale. La tecnica è d'una debolezza estrema, il tocco 
a colpetti è in contrasto con quello largo rosiano, come il colorito freddo e scuro. 
La composizione poi geometrica, a linee angolari fa pensare più a una imitazione 
che e una copia. Si può perciò ritenere che il quadro e la stampa dell’anonimo della 
Kupf. Samm. di Vienna siano tutte derivazioni dalla stampa del San Guglielmo 
del Rosa. 

Ultimo della Galleria Imperiale, attribuito al nostro artista, è un Paesaggio 


nella manica grossolano e sparbato, nella sciarpa infantile. Gli occhi poi sono d’ una scorrettezza 
eccezionale. 

1) Una terza stampa di anonimo con questo soggetto, e qualche variante, si può vedere 
nel Kupf. Samm. della Biblioteca di Vienna. (M. I. vol. 42, p. 4.) 


o əpuədwu] 81191189) 
Buu oanp (4 [TAX əs) OLONDI ‘9 ‘Pra B2209BUId “BPS2Iq '(MIAX ‘22S) OLONDI ‘S "Did 


566 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


Fig. 8) con rovine (n. 526). La concezione di rovine e antichità romane di questo 
quadro potrebbe più facilmente essere avvicinata all’ arte d'uno scolaro del Nostro, il 
Ghisolfi, se la tecnica lo permettesse. Il debole dipinto però, fosco nel colorito, stentato 
nella fattura, non può essere ascritto che a un imitatore del Ghisolfi’). 

Il più curioso dei problemi offerti dalle attribuzioni al Rosa è presentato da un 
grande quadro della Galleria Harrach (n. 268), il Martirio di San Bartolomeo. Il santo 
è legato ad un albero per le braccia, ed intorno stanno i carnefici. In basso, a destra, 
si vede il monogramma del Rosa. Il dipinto non solo sarebbe degno di lui, ma secondo 
noi, è perfino superiore alle sue forze, non troppo grandi, di pittore di figure al 
naturale. A ogni modo presenta tali differenze dalla sua maniera, che è impossibile 
poterlo annoverare fra le sue produzioni. Gli splendori rosei viola della nuvola 
bianca, e il violaceo delle altre, sono toni sconosciuti alla tavolozza rosiana. Il bianco 
e il celeste del manto del San Bartolomeo sono rispettivamente più vivi e più freddi 
di quelli del nostro artista, e la trasparenza rossastra delle figure del secondo piano 
mostra una abilità di tono nelle sfumature, supreriore alle sue abitudini tecniche. Lo 
stesso modellato del Santo non ha affatto quel pesante giallo che già i contemporanei 
criticavano nel Rosa, ma presenta una finezza squisita di ombre e una grande ric- 
chezza di tinte, insieme con le solite trasparenze violacee. Perfino il tipo del soldato che si 
vede nel secondo piano è più gentile di quello usato da Salvatore. L'opera 
s'avvicina all’ arte di Luca Giordano e può essere un’ imitazione dal Rosa di lui o 
della sua scuola?). 

Difficoltà minori presenta, a essere ritenuto come una copia, il quadro della stessa 
galleria Harrach, in cui è figurato il pentimento del Figliuol Prodigo (n.283). Lo stesso 
soggetto è rappresentato in un altro quadro, pure attribuito al Rosa, della Galleria 
dell’ Ermitage (Fig. 9), gia descritto nel mio libro, e ritenuto con dubbio una copia 
sulla scorta della riproduzione fotografica’). Comunque sia, quello di Vienna non è 
un originale. Tutta la modellatura è cosi stentata che non lascia dubbi sul giudizio 
del dipinto, specialmente se si osserva la gamba del uomo, schematica e leg- 


1) Le tre macchiette che dovrebbero ricordare il Rosa non ne hanno nè la vivacità del 
colore, e delle lumeggiature, nè la disinvolta modellatura. 

®) Questa ipotesi sorge spontanea dal fatto che non è possibile pensare a un’ imitazione 
del Rosa superiore alle sue forze da Luca. Salvatore era anche più vecchio del Giordano di 12 anni. 
Di più è comunemente noto quale versatile e abile imitatore sia stato il Giordano; basterebbe a 
provarlo il quadro di Esaü e Giacobbe, che porta la sua firma, nella stessa Galleria Harrach. Il 
dipinto si distingue dallo Spagnoletto solo per un più intenso rosseggiare delle carni. Per questa 
caratteristica, e per l affinità di qualche tipo, è da ritenere del Giordano anche la Morte di Seneca 
della Pinacoteca di Monaco (n. 1281) sebbene porta firma del Ribera e la data (1645); mentre 
non si può attribuire a Luca, come si legge nel Catalogo, la Morte di Seneca della Galleria di 
Dresda (n. 487) che si deve ascrivere invece alla scuola del Solimena, se non a lui stesso. 

°) A favore dell’ autenticità dell'esemplare di Pietroburga starebbe questo fatto, che nel 
1775 l'originale del Figliuol prodigo era pubblicato in stampa dal Boydell come esistente nella 
Galleria di Houghton. In quella stessa Galleria, secondo la segnatura d'un’ altra stampa edita dal 
Boydell, nel 1777 si trovava quel Capobanditi (Pascariello) che ora è all’ Ermitage, e che io ho 
riprodotto nel mio libro. Vien fatto naturalmente di pensare che il Figliuol prodigo della 
Galleria di Pietroburgo provenga anch’ esso da quella di Houghton. 


D apeuuadıuj Baye ’BUUSIA O əppədw] BLY ‘BUUSIA 
-3UJA0J uon o6esəgd “(ILAX 22S) OLONDI ‘8 ‘514 ‘ow no ‘S :HSOU 'S IA WIONIS ‘2 ‘bis 


568 Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Fig. 9. S. ROSA: Il Figliuol prodigo. Pietroburgo. Ermitage 


nosa e i piedi e le dita di essi d'una scorrettezza e durezza possibili solo in un 
debole copista. 

I due Paesaggi di questa galleria attribuiti al Rosa (n. 265, 267) sono pesanti e 
stentate imitazioni dai colori verdastri e freddi. Le macchiette non presentano mai 
quelle vivaci lumeggiature angolari sulle spalle, o laterali sul contorno, con cui il Rosa 
soleva rilevare le sue piccole figure. Nel Paesaggio n. 267 poi l'acqua è eseguita in 
una maniera affatto primordiale. 

Nella Galleria Lichtenstein un altro Paesaggio porta il nome del Rosa (n. 182). 
Non è piu della serie affumicata e verdastra che abbiamo finora esaminato, ma anche 
esso non ha col nostro artista altra affinità che quella della composizione. Il colore 
e le macchiette non presentano punto la sua maniera. Il cielo è azzurro limpido, 
pallido, le nuvole grigiastre, il mare azzurro, grigio: una tavolozza fredda e una 
fattura leccata da seguace della corrente lorenesiana. 

Finalmente nella Pinacoteca dell’ Accademia è ascritta alla scuola del Rosa una 


L. Ozzola. Opere di Salvator Rosa a Vienna 569 


Battaglia (n. 237) che piu giustamente deve essere attribuita in genere all’ arte napole- 
tana. Vi sono dei chiaroscuri cosi violenti che ricordano piu il Giordano che il nostro 
artista *). | 


1) Per curiosita notiamo che vi & anche quell caratteristico cavaliere orientale visto di 
tergo con la lancia nella destra (qui perd con la veste celeste rigata di bianco) che, come ho gia 
notato nel mio libro, si trova di frequente nella scuola napoletana; p. es. nel Rosa (Battaglia 
Galanti) in un anomino della Galleria Corsini di Firenze e nel Coppola, in una Battaglia d’ una 
collezione privata di Roma. 


Ein Kopf des Meisters der Marmorfiguren 


vom Kölner Domaltar 


In Köln wurde bei dem Abbrudh eines spät- 
gotischen Hauses, Ecke am Hofe — Unter Gold- 
schmied, ein bemerkenswerter Fund gemacht. 
Zwei Bruchstücke von Marmorskulpturen, die 
wie Ziegelsteine in die Wand eingemauert waren, 
kamen unter dem Abbruchsgemäuer zutage. 
Eines, ein stark beschädigter Torso einer barocken 
Ritterfigur, ist kunsthistorisch wertlos. Das andere 
Stück ist der Kopf einer gotischen Madonna 
aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. 

Schon das Material des Kopfes, weißer Mar- 
mor, läßt den möglichen Entstehungskreis des 
Werkes eng begrenzt erscheinen. Da sich im 
Mittelalter in den Rheinlanden Marmor nur bei 
dem plastischen Schmuck des Hauptaltars im 
Dom nachweisen läßt, lag es nahe, diesen Kopf 
mit der Domplastik in Verbindung zu bringen. 
Die stilistische Verwandtschaft des Kopfes mit 
den erhaltenen Figuren des Domaltares stellt es 
außer Zweifel, daß es sich in beiden Fällen um 
Arbeiten ein und desselben Meisters handelt. 
Audi die ganze Art, wie der Kopf gefunden 
wurde, gibt genügend starke Anhaltspunkte, an 
eine Verbindung mit der Domplastik zu glauben. 

Der im Norden seltene Marmor findet eine 
zureichende Erklärung in der Vorliebe des Auf- 
traggebers, des Erzbischofs Wilhelm von Gennep, 
für dieses edle Material. An der plastischen 
Ausstattung des Domes hatte der Erzbischof 
einen bedeutenden Anteil. Während seiner Re- 
gierungszeit von 1349—61 erhielt der Dom die 
Statuen Christi, Mariae und der Apostel an den 
Pfeilern des Chores. Auch wurde in seinem 
Auftrage der Hochaltar des Domes ausgeführt, 
der in der auffallenden Verbindung von schwar- 
zem und weißem Marmor für seine Zeit prunkvoll 
wirkte. Daß der Erzbischof den Altar erbauen 
ließ, geht aus der Koelhoffschen Chronik hervor, 
in der es S. 242 mit Bezug auf Wilhelm von 
Gennep heißt: 

„He dede machen dat hoiche altair in dem 
doym van swartzen marmelsteyn ind dede dat 
selve sich zieren mit den silveren bilden, die 
men un tzer zyt siet.“ 

Dieser Altar des Wilhelm von Gennep hat 
sich in seiner ursprünglichen Gestalt nur bis ins 
XVII. Jahrhundert erhalten. Schon 1633 wurde 
er durch das Denkmal des h. Engelbert ver- 
baut. Dann, in der zweiten Hälfte des 
XVII. Jahrhunderts begann sich der Kölner 


eine blinde Zerstörungswut gotischer Kunst- 
werke zu bemächtigen. 1767 wurde das Innere 
des Domes von dem Italiener Johann Syrus und 
seinen Gehilfen dem Geschmack der Zeit ent- 
sprechend restauriert. Dabei wurde 1770 der 
Hochaltar vollständig verstümmelt und durch 
einen kuppelförmigen Aufsatz verunstaltet. Zwei 
Jahre vorher hatte man das neben dem Hoch- 
altar stehende Sakramentshäuschen zerschlagen, 
das, wie man vermuten kann’), auch von dem 
Meister des Domaltares herrührte. 

Die zerbrochenen und abgeschlagenen Bruch- 
stücke wurden als Schutt in den Rhein gefahren. 
Von diesen Stücken gelang es dem jungen 
Wallraf einige zu retten. Diese kamen später 
in das Wallraf-Richartz-Museum; andere, die 
dem Untergang entgingen, in die Sammlung 
Schnütgen in Köln. 

Man könnte darnach vielleicht glauben, daß 
der Kopf vom Domaltar selbst stamme. Allein, 
es ist das unmöglich. Denn der Altar war von 
niedriger, sarkophagartiger Form ohne Überbau. 
Er war von allen Seiten zugänglich. Denn an 
der Vorderseite hatten die Canoniken, an der 
Rückseite der Erzbischof, mit dem Gesichte dem 
Volke zugewandt, zu zelebrieren. Eine Figur, 
in der Größe wie sie nach den Proportionen des 
Kopfes anzunehmen ist, war auf diesem Altar 
unmöglich. 

Wahrscheinlicher ist es, daB es sich um das 
Bruchstück einer einzelnen Skulptur handelt, 
die vielleicht als alleiniger Schmuck eines Altares, 
einer Säule oder des Sakramentshäuschens ge- 
dient hat und die in derselben Zeit wie der 
Domaltar dem Vandalismus zum Opfer gefallen 
ist. So erscheint es nach dem Schicksal der 
Domskulpturen nicht merkwürdig, daß sich der 
Kopf in dem Gemäuer eines alten Kölner Hauses 
fand. Vielleicht könnte man sogar darin einen 
Hinweis finden‘, ihn mit der Domplastik zu- 
sammenzustellen. 

Der Kopf hat eine Höhe von 17cm und mit 
den das Gesicht eng umrahmenden Haarmassen 
ungefähr die gleiche Breite (Abb. 1). Durch dieses 
quadratische Größenverhältnis ist der Eindruck des 
Gedrücten von Anfang an bestimmt; um so mehr 
als auch das Gesicht ähnliche Porportionen auf- 


1) Vgl. Pfeilschmidt, Geschichte des Doms zu Köln. 
S. 45.. Halle 1842, 


G. E. Lüthgen. Ein Kopf des Meisters der Marmorfiguren vom Kölner Domaltar 571 


weist(10>11 cm). 
Um die flache, 
nur wenig ge- 
wölbte Stirn 
zieht sich das 
welligeHaar, das 
sih in breiten 
Locken fest an 
die vollen 
Wangen an- 
schmiegt, die Oh- 
ren völlig ver- 
deckend. Über 
das Haar zieht 
sich ein dickes 
Kopttuch insprö- 
der etwas unge- 
lenker Faltenge- 
bung, im Stoff- 
charakter einem 
dicken Flanell- 
tuche ähnelnd. 
Haar und Kopf- 
tuch werden von 
einem Reif um- 
wunden, der frü- 
her in eineKrone 
endigte. Denn 
daß eine Bekrö- 
nung des Kopfes vorhanden war, geht schon 
aus der Tatsache hervor, daB der Stein ober- 
halb des Reifes nur ganz roh bearbeitet ist. 
Es muß sich um eine ähnliche Form der Krone 


Abb. 2. Köln, Wallraf-Richartz- 
Museum O 


Abb. 4. Köln, Wallraf-Richartz~Museum 


Abb. 1. Köln, Kunstgewerbe-Museum 


gehandelt haben wie sie bei der h. Cäcilie des 
Domaltares sich noch erhalten hat (Abb. 2). Die 


| mit der Spitze ein wenig nach oben gebogene 


Nase ist klein und an dem Stirnansatz ohne 
Einsattlung. Im dem vollen, fleischigen Gesicht 
liegen ein paar weiche, mandelförmige Augen. 
Durch eine zarte Betonung des an den Nasen- 


Abb. 3. Köln, Wallraf-Richartz- Museum 


572 


rücken angrenzenden Stirnbeines sowie des 
unteren Augenlides gewinnt der obere Teil des 
Gesichtes ein starkes individuelles Gepräge. Die 
kleinen Tränensäckchen unter den Augen, die 
sich in gleicher Weise bei fast allen Skulpturen 
des Domaltares wiederholen, tragen nicht wenig 
dazu bei. Auch der untere Teil des Gesichtes 
hat solche in der Eigenart des Künstlers moti- 
vierte, prägnante Merkmale. Der schmallippige 
in den Mundwinkeln ein wenig zum Lächeln 
eingezogene Mund, das spitzige, vorspringende 
Kinn mit dem den Ansatz eines Doppelkinnes 
verratenden Übergang zum Halse und der form- 
lose, plumpe Hals. 

Die Locken des Haares fallen in regelmäßigen, 
ziemlich tief eingeschnittenen Wellenlinien herab. 
Starke Spuren alter Vergoldung haben sich hier, 
gerade in den tiefen Rillen, die die einzelnen 
Locken von einander trennen, erhalten. 

Leider ist der Kopf ein wenig beschädigt. 
Auf der Stirn hat einstmals jemand in roher 
Weise ein Kreuz einzumeißeln versucht. Die 
Nasenspitze, ein Teil der Unterlippe und des 
Kinnes ist abgeschlagen. 

Trotzdem wurde der Kopf vom Kölner Kunst- 
gewerbe Museum neu erworben. Denn daB es 
sih um ein Werk des Meisters der Domaltar- 
skulpturen handelt ist evident. Alle charakte- 
ristishen Merkmale des Kopfes nämlich, die 
quadratischen Proportionen, die eigenwillige Be- 
handlung der Augenpartien, des Mundes und 
Kinnes, der plumpe Hals kehren bei den Heiligen 
des Altares aufs genaueste wieder (vergl. Abb. 3). 
Auch die stofflihe Behandlung des Kopftuches, 
das wahrscheinlih kapuzenartig vom Mantel 
aus über den Kopf gezogen war, wodurch auch 
der schwere Stoff gerechtfertigt erscheint, ist 
ganz verwandt (Abb. 3 u. 4). Dabei entspricht 
die Faltengebung auf die man allerdings nur 
. aus den spärlihen Beispielen am Kopftuch 
schließen kann, durchaus dem Formgefühl dieses 
Meisters, der in großen Zügen wenige, aber 
vollkommen klar durchgearbeitete Motive zu 
geben pflegt. Auch zeigt sich eine gleiche Art 
der technischen Bearbeitung des Steines, die bei 
den Locken des Haares in beiden Fällen fast 
identisch ist (Abb. 3). Hinzu kommt noch, daB 
die Reste der Vergoldung, die sich im Haar 
finden, auf ein und dasselbe Verfahren der Arbeit 
sowie auf ein und denselben künstlerischen 
Geschmack hinweisen. Als Beispiel mag eine 

Figur der Sammlung Schnütgen dienen !). Es ist 


') Vgl. Schnütgen, Zeitschrift f. dhristl. Kunst. 1909. 
H. 1 u. 2. Dort auch Abb. Taf. 1. Sdinütgen weist auf 
eine Figur der Dreikönigengruppe, die sich in seiner Sanım- 
lung befindet hin, deren formaler Charakter vollkommen 
der des Madonnenkopfes entsprechen soll. 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


ein Prophet, dessen -Kopf- und Barthaar erheb- 
liche Spuren der ursprünglichen, partiellen Ver- 
goldung zeigt, genau in der Art wie der Kopf 
der Madonna. 

Da die noch erhaltenen 28 Figuren des Dom- 
altares, die alle aus einer Werkstatt stammen, 
unterschiedlihe Formcharaktere aufweisen, ist 
es notwendig, die Gruppe näher abzugrenzen, 
zu der der Kopf gehört. Für die Domskulpturen 
sind sicherlich zwei, wenn nicht gar drei ver- 
schiedene Hände in Anspruch zu nehmen. Der 
Meister der künstlerisch bedeutendsten Arbeiten 
ist auch der Meister des Madonnenkopfes. Nach 
der im Mittelalter üblichen Schaffensart scheint 
er der führende Meister der Werkstatt gewesen 
zu sein. 

Es ist anzunehmen, daB er, nachdem ihm 
der Auftrag zu Teil geworden ist, mit der Arbeit 
begonnen hat. Soviel sih aus der formalen 
Entwicklung, wie sie in den 28 Skulpturen zu 
verfolgen ist, herauslesen läßt, sind die frühesten 
Arbeiten zugleich die künstlerisch ausgeglichen- 
sten. Drei Arbeiten sind noch vollkommen 
durch den Charakter der Frühgotik bestimmt, 
Als prägnannte Beispiele dieser Gruppe weise 
ih auf eine Heilige ohne Attribut, und eine 
hl. Dorothea des Wallraf-Richartz Museums hin 
(Abb. 3), dann auf die Figur aus der Dreikönig- 
gruppe der Sammlung Schnütgen und zuletzt 
auf den Madonnenkopf des Kölner Kunstgewerbe 
Museums (Abb. 1). 

Die Gestalten dieses Meisters sind nodi von 
geringer Körperlichkeit, die Körperformen sym- 
bolisieren sich in der Hauptsache in den Gewand- 
falten. Die Bewegung der Figuren ist im Kontra- 
post übertrieben, weil sie anatomisch durchaus 
unverstanden ist. Die Gliedmaßen, Arme und 
Hände sind eng an den Körper gepreßt; sie sind 
noch in die Blocform des Steines hineinge- 
zwungen. An Bewegungsfähigkeit der Glieder 
dachte der Künstler noch nicht. 

Trotzdem geht ein großer, einheitlicher Zug 
durch diese Arbeiten; denn alles kleinliche Detail 
ist vermieden. Ein einziges festumgrenztes Ziel 
schwebte dem Meister vor: durch die Reinheit 
einer auf Naturalismus verzichtenden Formen- 
gebung die höchste Innerlichkeit des Ausdruckes 
zu erreichen. Hier spricht noch die Kunstauf- 
fassung der Frühgotik, die die körperlichen 
Formen nur darstellt, um sie als Symbole eines 
Gedankens oder Gefühles zu benutzen. 

Anders die zweite Gruppe (Abb. 2 u. 4). In 
ihr beginnt sich schon das naturalistische Streben, 
das zur Plastik der Spätgotik führt, schüchtern 
anzukiindigen. Die Funktionen des Körpers 
kommen in ihren charakteristischen Bewegungs- 
tätigkeiten stärker zum Ausdruck. Dadurch ge- 


G. E. Liithgen. Ein Kopf des Meisters der Marmorfiguren vom Kölner Domaltar 573 


winnt die Geste in den Handlungen des Einzelnen 
an Bedeutung und Vertiefung. Der Körper wirkt 
in seiner materiellen Substanz durch das Gewand 
hindurch; er wird zum Träger des Gewandes, 
zur Hauptsache. 

Im einzelnen läßt sich dies an einer Fülle 
von Beispielen nachweisen. Das Haar, das der 
Meister der ersten Gruppe mehr in seine einzelne 
Locken zerlegte, wird jetzt als Masse behandelt; 
die langen, glied- und kraftlosen Finger werden 
knochiger, und zugleich plumper, ja oft eckig; 
die Hände erhalten Adern, das Gesicht auf der 
Stirn und an den äußeren Augenwinkeln Falten 
und Fälten. Vor allem aber: es wird die 
ganze Haltung freier. Der Kopf sitzt locker auf 
einem beweglichen Halse, die Schultern dehnen 
sich zur Seite und bieten starke Ansatzflächen 
für muskulöse Arme. Die vom Hals zu den 
Hüften in runder Linie abfallenden Schultern 
sind endlich verschwunden. 


Eine ganz neue Beobachtung des Lebens und 
der Lebenstätigkeiten hat eingesetzt und be- 
ansprucht naturgemäß einen bedeutenden Teil 
der Schaffenskraft des fortgeschritteneren Künst- 
lers. Diese neue Beobachtung des körperlichen 
Lebens absorbiert gleichsam einen Teil seiner 
künstlerischen Gestaltungskraft und bewirkt da- 
durch zunächst ein gewisses Nachlassen der 
Innerlichkeit des Ausdruckes, das aber durch 
Lebendigkeit und Energie der Bewegung reichlich 
ersetzt wird. 

Wie sich in dieser zweiten Gruppe nochmals 
eine Abgrenzung zweier Meister vornehmen läßt, 
das zu zeigen, würde hier zu weit führen. Auch 
sind hier die Unterschiede gering und für die 
allgemeine Entwicklung der rheinischen Plastik 
weniger bedeutsam als daß es sich lohnte, hier 
des Näheren darauf einzugehen. 


G. Eugen Lüthgen. 


„Die Bedeutung Kölns für den Metallschnitt 
des XV. Jahrhunderts” 


In meiner Studie „Ist die Kölner Wicken- 
Madonna eine Fälschung“ (Monatshefte für 
Kunstwissenschaft II, 9, S. 428) wies ich auf Ana- 
logien hin, welche die Darstellung ‘an den AuBen- 
seiten des vielbesprochenen Triptychons mit 
einem Schrotblatt ,Die Verspottung Jesu“ (Samml. 
W. L. Schreiber, Nr. 56) verbinden. Schon die 
häufige Verwendung der Metallschnitte zum 
Buchscimuck Kölner Drucke zeugt dafür, daß 
diese Vervielfältigungsart dort besonders ge- 
pflegt wurde. 

In seiner Untersuchung „Die Bedeutung 
Kölns für den Metallschnitt des XV. Jahr- 
hunderts“ (Studien zur deutschen Kunstgesch., 
Heft 114, Straßburg 1909) hat nun Wilhelm 
Molsdorf die Beweisgründe zusammengestellt, 
die bei einer Gruppe vorzüglicher Schrotblätter 
für die Kölner Provenienz sprechen. Er beruft 
sih zunächst auf das Kölner Wappen an der 
Brunnenmauer auf dem Blatt „Christus und die 
Samariterin“ (Wilh. Schmidt Nr. 33), einem in 
den Darstellungsmitteln schon reif entwickelten 
Metallschnitt. Er weist dann auf die eng- 
gehäuften Stadtbilder im Hintergrund einiger Dar- 
stellungen hin, bei denen Kölner Bauten kennt- 
lim werden. Weiter zieht der Verfasser Über- 
einstimmungen im dekorativen Beiwerk wie der 
technischen Durchbildung heran, um die Zu- 
sammengehörigkeit dieser Arbeiten darzutun. 

Auf ein keineswegs unwichtiges Hilfsmittel 
zur Bestimmung des Ursprunges einzelner dieser 
Blätter soll hier noch kurz hingewiesen werden — 
auf die wiederholte Anlehnung an Kölner Tafel- 
bilder in einzelnen Motiven, Figurenverbindungen 
oder der gesamten Komposition. 

Bei der Darstellung der Kreuzigung (Bouchot 
Nr. 24) ist die Gruppe der Trauernden dem 
Gemälde desselben Gegenstandes von dem führen- 


den Hauptmeister um 1410 (bei Amtsgerichtsrat 
Clemens in Aachen, Aldenhoven Tafel 26) im 
Gegensinn entnommen, ebenso auch die Figur 
eines Shädiers am Kreuze. Die Art der An- 
reihung von Szenen zur Vorführung des ge- 
samten Verlaufs der Passion, die Ausstaffierung 
der Kriegsknechte mit römischen und orien- 
talischen Rüstungen und Kleidungsstücen ist in 
Köln besonders beliebt und findet sich ganz 
übereinstimmend auf niederrheinischen Gemälden. 
Unmittelbar überzeugt der Zusammenhang 
der Darstellung „die Verkündigung des Erzengels 
Gabriel“ (Originalplatte Paris, Victor Gays, 
Bouchot Nr. 57, Schreiber 2865) mit Stephan 
Lochners monumentaler Fassung dieser Szene. 
Der enge AnschluB gerade bei einem so oft 
dargestellten Vorgang wirkt beweiskräftig für 
den Ursprung des Metallschnittes. Er kann ge- 
radezu als Reproduktion der AuBenflügel des 
„Dombildes“ im Gegensinn gelten. Nur deko- 
rative Einzelheiten z. B. die Haltung der Flügel 
des Erzengels, sein Spruchband, der Nimbus der 
Madonna sind verändert; hinzugefügt wurde 
die ausführliche Schilderung des Gemaches d.h. 
die enggedrängte Aufreihung aller Bestandteile 
eines Interieurs zur Belebung des Grundes. Mit 
solhem Beiwerk kontrastiert die Bedeutsamkeit 
und immanente Größe der beiden Figuren. 
Durch diesen unmittelbaren Zusammenhang 
werden jene Metallschnitte augenfälliger und 
überzeugender noch lokalisiert wie durch sonstige 
Anhaltspunkte. Weder jene figurenreiche weit- 
ausholende Schilderung noch die groBgedachten 
prägnanten Gestalten sind Erfindungen des Form- 
schneiders. Sie stammen von berühmten Mal- 
werken und bewahrten in abgeleiteter Form 
verblaßte Spuren ihres ursprünglichen Stiles. 
E. Firmenich-Richartz. 


Ey 


Dürers Aufenthalt in Straßburg 


Man mag sich zu der Hypothese von Dürers 
Arbeiten und Verweilen in Basel in den Jahren 
1492—1494, wie sie Daniel Burckhardt an ver- 
schiedenen Orten!) darzulegen versucht hat, 
stellen wie man will, in einem wird man ihm, 
glaube ich, nur schwer beipfliditen können, näm- 
lich darin, daß er den Dürerschen Aufenthalt in 
Straßburg 1494 schlechtweg für nicht geschehen 
erklärt 2), obwohl derselbe, wie man bisher all- 
gemein annahm, sehr gut begründet erschien. 
Trotzdem ist bis jetzt von niemanden, soweit 
ich die Literatur übersehe, darin eine andere Än- 
sicht geäußert worden, so daß ich es für nötig er- 
achte, meine Meinung über diesen für die künst- 
lerishe Entwicklung des jungen Dirers nicht 
unwichtigen Punkt in kurzen Worten darzulegen. 

Über Dürers erste Reise wissen wir aus seiner 
von ihm selbst angelegten Familiendhronik so 
gut wie gar nichts; es heißt nur, daß er 1490 
nach Ostern hinweg von Nürnberg zieht und 
1494 nach Pfingsten wieder heimkommt, um sich 
am 7. Juli desselben Jahres mit Agnes Frey zu 
verheiraten. Aus Christoph Scheurls Lobrede 
auf Anton Kreß (1515), der voller Glaube bei- 
gemessen werden muß, zumal sie zu Lebzeiten 
und unter den Augen Dürers gedruckt ist, und 
wir audi ihre Angaben völlig bestätigt finden, 
ergeht ferner, daß Dürer 1492 nach Durchwande- 
rung Deutschlands in Kolmar bei den Brüdern 
Martin Schongauers ankehrt und von diesen 
freundlih empfangen wird®). Wo er sich in 
den Jahren 1490—1492 herumgetrieben hat, ist 
uns nicht bekannt; Daniel Burckhardt schlägt für 
diese Zeit einen Aufenthalt im Osten‘) vor. 
Mir dünkt es wahrscheinlicher, daB Dürer, was 
ja wohl auch mit dem Ausdrucke Scheurls „per- 
agrata Germania“ gemeint ist, sich in den großen 
Kunstzentren wie Augsburg, Köln *), Ulm °) usw. 


1) Daniel Burckhardt: Albrecht Dürers Aufenthalt in 
Basel 1492—1494 (1892); ferner: Diirer und der Meister d. 
Bergmannschen Offizin. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 28 
(1907) p. 168ff. Ihm tritt entgegen Werner Weisbac: Die 
Basler Buchillustration d. XV. Jahrh. (1896); ders.: Der 
junge Dürer (1906). 

2) Daniel Burckhardt: Martin Schongauer und seine 
Brüder in ihren Beziehungen zu Basel. Jahrb. d. preuß. 
Kunstsamml. 14 (1893) p. 162. 

3) A. Caspare et Paulo aurifabris et Ludovico pictore, 
item etiam Basileae a Georgio aurifabro, Martini fratribus 
susceptus est benigne atque humane tractatus. 

+‘) Diirers Aufenthalt in Basel p. 10 ff. 

5) In Köln hatte Dürer sogar einen Vetter, Niklas 
Unger, der bei Dürers Vater das Goldschmiedehandwerk 
erlernt hatte. Vgl. Lange u. Fuhse p. 5 u. 109. Auch 
Thode (Jahrb. 10 [1889] p. 10) denkt an Köln. 

©) In Ulm besaß Dürer einen guten Freund, den Maler 


umgesehen hat !). — Scheint es schon nadı reiner 
Überlegung kaum zweifelhaft, daB Dürer dar- 
nach wohl etwas länger in der weitberühmten 
Schongauerschen Werkstatt zu Kolmar, die nach 
dem Tode Martins (1491) von dessen Bruder 
Ludwig in den alten Traditionen fortgeführt 
wird, verweilt, so wird uns diese Überlegung 
zur GewiBheit, wenn wir uns die verschiedenen 
Handzeichnungen, die in jener Zeit entstanden 
sein mögen, näher betrachten; in ihnen drückt 
sich nämlich so hervorstechend der Einfluß Schon- 
gauerschen Geistes auf Dürers Schaffen aus, daB 
man nicht umhin kann, diesen auf einen zeitlich 
ausgedehnteren und nicht nur ganz flüchtigen 
und kurzen Besuch Dürers in dieser Werkstatt 
zurückzuführen ?). Doch auc nicht allzulange 
darf man sich Dürers Verweilen in Kolmar vor- 
stellen; er wird sich ein paar Monate dort auf- 
gehalten haben, um dann noch 1492 für längere 
Zeit nach Basel überzusiedeln, wo er von einem 
Bruder Martin Schongauers namens Georg, der, 
wie wir jetzt durch die Forschungen Daniel 
Burckhardts wissen, ein ziemlich bedeutender 
Goldschmied gewesen zu sein scheint, aufge- 
nommen wird. Noch für das Jahr 1492 haben 
wir ein sicheres Dokument für Dürers Anwesen- 
heit in Basel; es ist der bekannte Holzschnitt 
„Heiliger Hieronymus“, der 1492 bei Kessler er- 
scheint. Für ausgeschlossen halte ich es auch 
nicht, daB Dürer in kleinerem Umfange an den 
weiter ihm von Burckhardt zugeschriebenen Holz- 
schnitten mitgearbeitet hat. Denn sie zeigen 
sehr viel Dürer Verwandtes, und es haben auch 
die Zeichnungen *) dieser Epoche manches mit 


Konrad Merkel, mit dem er 1510 noch in Briefwechsel stand. 
Ob diese Freundschaft wohl schon aus dieser seiner ersten 
Wanderschaft herrührte? Vgl. Lange u. Fuhse p. 80. 

1) Die Behauptung Sandrarts (Teutshe Akademie 
tom. II, p. 222), daß Dürer ,sich vier Jahr in Niederland 
aufgehalten“, bedarf wohl keiner Widerlegung. 

*) In diese Zeit gehören etwa: Madonna unter einem 
Baldachin thronend (L. 300), Louvre Paris; Selbstbildnis 
und heilige Familie (L. 429/430), Universitätsbibliothek- 
Erlangen, von W. v. Seidlitz zuerst zirka 1487 angesetzt 
(vgl. Jahrb. d. preuß. Kunsts. 15 [1894] p. 23); Dame im 
Schleppkleide (L. 346), Sammlung Bonnat-Paris, von Lipp- 
mann zirka 1494 angesetzt; ferner der friihe Kupferstich: 
Madonna mit der Heusdirecke (B. 44). 

*) Herr und Dame zu Pferd (L. 3), Kupferstichkabinett- 
Berlin, von anderer Hand falsch „1496“ datiert; Belisar 
oder nach neuester Bezeichnung „Paulus auf dem Wege 
nach Damaskus“ im Kupferstichkabinett-Berlin, von Lipp- 
mann um 1494 angesetzt (vgl. Jahrb. d. preuß. Kuusts. 18 
(1897) p. 181ff.). Franz Bock hält die Zeichnung für einen 
Grünewald (vgl. die Werke des Matthias Grünewald [1904] 
p. 64); Ein Reiter (L. 209) im British Museum-London; 
Schreitendes Liebespaar (Kunsthalle-Hamburg); Vgl. S. 


576 Monatshefte für Kunstwissenschaft 


dem Meister der Bergmannschen Offizin ge- 
mein !). 

Man mag noch einen groBen Teil des Jahres 
1493 Dürers Aufenthalt in Basel zuerteilen; das 
ganze Jahr 1493 hindurch war er jedenfalls nicht 
dort, denn gerade in den zwei „1493“ datierten 
Zeichnungen °) und in dem Selbstporträt®) aus 
demselben Jahre zeigt sich plötzlich etwas völlig 
Neues, mit einer Tätigkeit in Basel meiner An- 
siht nach Unvereinbares. Die Formensprache 
macht eine auffällige Wandlung durch: vom 
fleischlosen zum vollen; die Körper runden sich, 
besonders die früher ziemlich dürren, langen, 
Spinnenfinger werden wohl proportioniert 
und fleischig. Auch die Gesichtstypen unter- 
scheiden sich ausnehmend von denen Basels und 
Schongauers. Bei welchem Meister Diirer da- 
mals weilte, wird natürlidiı mathematisch genau 
nicht zu erweisen sein, zumal uns die historische 
Überlieferung für dieses Jahr bis jetzt im Stiche 
läßt; mir drängt sich jedoch die Vermutung 
immer stärker auf, daB dies bei dem „alten 
Straßburger Meister“, den Burckhardt zu leugnen 
sucht, gewesen sein könnte. Gehen wir jedoch 
zuvor auf die Gründe ein, die Burckhardt be- 
stimmen, den Straßburger Aufenthalt im Jahre 
1494 für nicht geschehen zu betrachten. Der 
Hauptgrund ist natürlih, daB „zwischen der 
ungemein reichen Tätigkeit, die der junge Meister 
in Basel entfaltete, und welche sicher in die 
ersten Monate des Jahres 1494 reichte, und hin- 
wiederum der Ankunft Dürers in Nürnberg ein 
Aufenthalt in einer Straßburger Werkstatt kaum 
mehr Platz finde ‘).“ Nun teilt aber das von 
Wilboldt Imhoff*) angelegte Kunstinventar °) 
von 1573 folgendes mit: 


M. Montagu Peartree, Jahrb. d. preuß. Kunsts. 25 (1904 
p. 119 ff.) 

1) Vql. auch Hans Koegler: zu Diirers Aufenthalt in 
Basel (Rep. f. Kunstw. XXX [1907] p. 199 ff.). 

1) Nackte Frau stehend (L. 345), Sammlung Léon Bonnat- 
Paris; Jesusknabe mit Weltkugel (L. 450), Temperamalerei 
auf Pergament. Albertina-Wien. 

3) Selbstporträt 1493, Sammlung Leopold Goldschmidt- 
Paris früher Eugen Felix-Leipzig, von Pergament auf 
Leinwand übertragen. 

*) Burckhardt, a. a. O. p. 162. 

*) Hier folgt der Wichtigkeit halber ein kurzer Stamm- 
baum dieser Familie. 

Hans Imhoff I Wilibald Pirkheimer 


| 
Hans Imhoff Il m Felicitas Pirkheimer 


Wilboldt Imhoff (+ 1580) 
| 


| Wilibald, Philipp, Karl, Hans, Katherina, Anna | 
IE O 
| Hans Hieronymus, Paul | 
“) Im Namen Gottes des Herrn wirdt Inn diss puech 


No. 31. Ein Alter Mann In ein tefelein ist 
zu Straspurg sein meister gewest. auf pergamen. 
4 fl 


No. 32. Ein weibspild audı In ein tefelein 
olifarb, So darzu gehoertt. gemalt von Im zu 
Straspurg 1494. 3 fl. 

Diese für Burckhardt ziemlidı ungünstige 
Quelle wird von ihm nun folgendermaßen er- 
klärt: Dürer wohnt in Basel bei Georg Schon- 
gauer; kurz vor seiner Abreise fertigt er zum 
Andenken die beiden unter Nr. 31 und Nr. 32 
genannten Gemälde an und nimmt sie dann 
nach Nürnberg mit. Unterdessen (zwischen 10. Juli 
1494 und 2. Juni 1495) zieht Georg Schongauer 
nach Straßburg; dies erfährt Dürer und setzt 
später gelegentlich, was ja öfters bei ihm vor- 
kommt, etwa folgende Inschrift auf die Bilder: 

No. 31. Georg Schongauer, Goldschmied zu 
Straßburg, ist mein Meister gewesen. 

No. 32. Apollonia, seine Hausfrau. Gemalt 
von mir Albrecht Dürer. a. D. 1494. 

Wilboldt Imhoff liest nun bei seiner Inven- 
tarisierung diese Beischrift und deutet sie, als 
ob Dürer 1494 in Straßburg gewesen wäre. — 

Dem ist folgendes entgegenzuhalten. Erstens 
ist Georg Schongauer, man kann es wenden 
und drehen, wie man will, eben 1494 noch kein 
alter Mann’), denn zwischen 1445—1468 geboren, 
hat er damals ein Alter von mindestens 26 
höchstens aber 49 Jahren erreicht. In keinem 
Falle verdient er also die Bezeichnung „alter 
Mann“; übrigens ist bis jetzt kein triftiger Grund 
vorhanden, das Maximalalter anzunehmen; viel 
naheliegender erscheint es mir sogar, daB Georg 
Schongauer, da er 1482 zum ersten Male in 
Basel auftaucht, dort als junger Meister von 
etwa 25 Jahren eingewandert ist. Wir kämen 
somit auf ein Alter von zirka 37 Jahren. Dod 
gebe ich gerne zu, daB dieser Einwand allein 
nicht genügen würde, Burckhardt zu wider- 
legen. — 

Dazu kommt zweitens noch ein viel wich- 
tigeres Beweisglied: es wird mir nämlich mög- 
lich sein, zu beweisen, daB eine solche Inschrift, 
wie sie Burckhardt konstruiert hat, gar nicht 
existiert haben kann; sondern alles, was von 
dieser Inschrift übrig bleiben wird, wird, wie 
wir nachher sehen werden, höchstens die Jahres- 
zahl 1494 auf Nr. 32 sein, und das ist nicht 


von mir Wilbaldten Im Hoff dem Eltern aufgezeichnet vnd 
geschrieben, was Ich für Antiquitaett auch andere Kunst 
vnd gemel hab, Auch wie Ich sole wirdig vnd Schecz 
(1573 — 1574). 

1) Unwahrscheinlich bei den damaligen Verhältnissen, 
wenn auch nicht unmöglic,, kommt es mir vor, daß ein 
so betagter, alteingesessener Meister (nach Burckhardt) 
seine Stadt verläßt, um in eine ziemlich entfernte Aber- 
zusiedeln, wo er nicht einmal das Bürgerrecht besitzt. 


re ici MIN 


H. Th. Bossert. Dürers Aufenthalt in Straßburg 


einmal ausgemacht. — Wäre nämlich auf Nr. 31 
und Nr. 32 die von Burckhardt angenommene 
Beischrift gestanden, wie erklärte es sich dann, 
daB das Inventar von 1580‘), das sonst sich 
nicht genug tun kann mit dem Zusatze „von 
Dürer's handt“ sagt: „hat ein alter maister von 
Straßpurg gemacht“, und daß das Geheimbüchlein 
von 1633 °) nur den Gegenstand nennt und nicht 
den Maler ? 

Ferner wie erklärt es sich, daB zu Nr. 32 
das Inventar von 1580 bemerkt: „Ein Weibs 
bildt. Inn ein tefelein von Ölfarben gemalt 
umb 3 fl.? — Das Inventar von 1580 ist völlig 
abhängig, sogar im Ausdruck, von dem von 1573; 
nur ist es kritikloser, und dort, wo das Inventar 
1573 die Autorschaft Dürers in der Schwebe 
läßt, behauptet es dieselbe. Somit ist natürlich 
in unserm entgegengesetzten Falle auch nicht 
gesagt, weil eben gerade das Inventar von 1580 
sich so kritiklos erweist, daB Nr. 31 und Nr. 32 
nicht trotzdem von Dürer herrühren könnten. 
Nur die Inschrift kann nicht auf Nr. 31 und Nr. 32 
gestanden haben, denn wenn sie sich darauf 
befunden hätte, wäre den nachfolgenden In- 
ventaristen, denen es außerdem vielmehr wie 
dem Verfasser von 1573 auf einen möglichst 
guten Verkauf der Bilder ankam, niemals Zweifel 
an der Autorschaft Dürers aufgestiegen, zumal 
dieselben auch Dürers Handschrift ausgezeichnet 
kennen mußten. Bei den Zahlen ist aber eine 
sole Unterscheidung der Hand fast unmöglich; 
überhaupt braucht nicht einmal diese, wie wir 
gleich sehen werden, vorhanden gewesen sein. — 
Wie erklart sich nun aber der Text des Inventars 
von 1573? — Ganz einfach; als Wilbodt die 
Bilder zwischen 1564 und 1574 erstand — im 
ersten Inventar von 1564 finden sie sic nodi 
nicht — hatten diese natürlih ihre Tradition. 
Der Verkäufer sagte etwa: die hat Dürer gemalt, 
als er in Straßburg war, und der Dargestellte, 
der als Künstler jedenfalls leicht zu erkennen war, 
ist damals sein Lehrer gewesen. Als Wilboldt 
dann die beiden ins Inventar eintrug, fügte er 
diese Erzählung nebst der Jahreszahl °), die auf 
Nr. 32 stand, zur Erläuterung bei. Vielleicht ist 
der Gang auch ein andrer gewesen, und scheint 


1) Nach Wilboldts Tod wird von seinen Söhnen (vgl. 
Stammbaum) am 11. April 1580 ein neues Inventar auf- 
genommen. 

2) Geheim Biichlein fiir mich Hans Hieronymum Imhoff 
1633—1649. Zu alldem vgl. auch die Mitteilungen d. K. K. 
Zentralkommission z. Erforsch. u. Erhalt. d. Baudenkm. 
Bd. V (1860): Inventare d. Imhoffschen Kunstkammer zu 
Niirnberg v. Anton Springer, p. 352 ff. 

4) Daß diese wahrscheinlich vorhanden war, ergeht 
daraus, daß, wenn sie nicht vorhanden gewesen wäre, 
und Wilboldt anderweitig gewußt hätte, daß Dürer 1494 
in Straßburg war, er diese Zahl wohl schon bei Nr. 31 
angebracht hätte. 


977 


mir folgendes am ehesten glaubhaft. Wilboldt 
bemerkte an Nr. 32 die Jahreszahl 1494 und 
da er leicht!) wissen konnte, daB Dürer 1494 
in Straßburg bei einem alten Meister, der zudem 
auf dem Bilde noch dargestellt war, gewesen, 
schrieb er das zur Erklärung in sein Inventar. 
Wenn die Beischrift schon auf den Bildern viel 
genauer gestanden hätte, warum hätte dann 
Wilboldt diese nicht ebenso genau in sein Buch 
eingetragen? Er hätte dann wenigstens sicher 
nicht von einem alten Mann gesprochen, sondern 
von Georg Schongauer, zumal das ganze In- 
ventarium von 1573 die Tendenz hat, einen 
kunstgeschichtlihen Kommentar zu den „Anti- 
quitaetten“ zu bilden. 

Wenn aber, wie wir nunmehr gesehen haben 
nur die Jahreszahl 1494 auf Nr. 32 gestanden 
haben kann, dann ist auch die Beweisführung 
B.'s kaum haltbar. Denn dann war es kein 
Versehen Wilboldts, das von den nach folgen- 
den Inventaristen in anderer Form übernommen 
wurde, sondern der Aufenthalt Dürers in StraB- 
burg war Wilboldt eine bekannte Tatsache, 
die ihm aus den schon oben erwähnten Grün- 
den geläufig sein konnte und mußte. Ich sehe 
daher nicht ein, warum ich den Straßburger °) 
Aufenthalt Dürers 1494 verwerfen sollte ?). 

Und nun, nachdem dies gesichert ist, komme ich 
auf meine frühere Vermutung, daB Dürer sich schon 
Ende 1493 vielleicht in Straßburg, jedenfalls kaum 
in Basel befunden habe, zurück. Gesprochen 
habe ich bereits davon, in welcher Hinsicht eine 
Umgestaltung der Körperformen in jener Zeit 
stattfand; ih könnte noch hinzufügen, daß mit 
den natürlihen Proportionen auch eine an- 
mutigere und elegantere Haltung und Stellung 
der Gestalten Hand in Hand ging. Man möchte 
fast sagen, daB schon hier sich leise italienischer 
Einfluß bemerkbar machte, der vielleicht damit 
zu erklären wäre, daB irgend einer von Dürers 
Ateliergenossen oder sein Lehrer selbst in Italien 
geweilt hätte. Eines ist jedenfalls sicher: der 


ı) Wilboldts Vater und seine beiden Großväter be- 
sonders waren mit Dürer äußerst befreundet; auch stammen 
die meisten Dürermanuskripte aus Imhoffschem Besitze; 
könnte darunter nicht auch Aufzeichnungen über diese 
Zeit gewesen sein? — Man könnte z. B. an das Gedenk- 
bud erinnern. 

2) Das Inventar von 1580 führt ferner auf: „Ein tafel 
von Olfarben mit vil weibern. Von einem Meister von 
Strassburg gemacht. Sollte das Bild nicht auch in einer 
Beziehung zu Diirer stehen? 

3) Ich verstehe nun nicht, wie Burckhardt, nachdem er 
den Straßburger Aufenthalt Dürers zu gunsten Basels 
gestriien hat, worauf es ihm doch hauptsäclich nach 
eigener Aussage ankam, folgendes anmerken konnte: In 
das Frühjahr 1494, welches bis jetzt der etwas unbequeme 
Straßburger Aufenthalt ausfüllte, kann nunmehr in zwang- 
losester Weise eine kurze Reise Dürers nach Venedig 
verlegt werden. 


578 


Schongauer Einfluß ist in dem Jahre 1493 ziemlich 
gering und tritt fast völlig in den Hintergrund. 
Läßt uns dies schon ohne weiteres auf einen 
Lehrer schließen, der von Schongauer unab- 
hängig ist, so wird unser Schluß dadurch nur 
bestätigt, daß wir wissen, daß der Straßburger 
Meister ein alter Meister war und somit min- 
destens mit Schongauer gleichalterig wenn nicht 
älter als jener. Auffällig berührt es uns ferner, 
daß Dürer 1493 plötzlich auf Pergament +) zu 
malen beginnt, und daß eben die im Imhoffschen 
Inventar erwähnten Bilder auch auf demselben 
Stoffe ausgeführt waren. 

Hier angelangt, fragt man sich unwillkürlich, 
ob es wohl möglich wäre, den Namen des StraB- 
burgers ausfindig zu machen; doch hier versagt 
selbst die Hypothese *), und werden wir uns 


1) Vielleicht haben wir den Straßburger Meister unter 
der Zahl der Handschriftenillustratoren zu suchen; auch 
Burckhardt findet das Auftauchen des Pergamentes be- 
achtenswert und führt es auf eine Basler Gewohnheit 
zurück. 

*) Vgl. das Verzeichnis der Straßburger Künstler von 
Seyboth (Rep. f. Kunstw. XV, p. 37ff.). — Die sonst so 


Monatshefte für Kunstwissenschaft 


wohl auch in Zukunft, falls keine neuen Urkunden 
ans Tageslicht gefördert werden, mit den eben 
gewonnenen Resultaten zufrieden geben müssen. 
Schließlich ist diese Epoche auch nicht in dem 
Grade für das Verständnis Dürerschen Frühkunst 
wichtig, wie diejenige, die darauf folgte. Bald 
nach seiner Hochzeitsfeier tritt Dürer seine erste, 
so oft bestrittene Italienfahrt an, bei der sich 
ihm ganz andersartige und viel tiefergehende 
Eindrüke bieten, als auf seiner ersten Reise 
durch Deutschlands Gaue. 


Helmuth Th. Bossert. 


ansprechende Vermutung Robert Fischers (Studien z. Kunst- 
gesch. 1886, p. 415), daß eine Begegnung zwischen Dürer 
und dem Hausbuchmeister 1494 in Straßburg stattgefunden 
habe, und daB eben der Hausbuchmeister der „alte StraB- 
burger Meister“ sei, finde ich gerade für diese Zeit aus 
den Handzeichnungen nicht zu belegen. Zweifelsohne 
steht jedoch die Frühkunst Dürers eine Zeit lang in ab- 
hängigem Verhältnis zum Hausbuchmeister, wie dies be- 
sonders Hachmeister einleuchtend dargetan hat. Hoffent- 
lich können meine Forschungen über die Hausbuchmeister- 
gruppe, worüber demnächst eine größere Arbeit erscheinen 
wird, zu einer weiteren Klärung dieser Fragen beitragen. 


ui 


Als man seinerzeit den Meister der Lyvers- 
berger Passion seines Ruhmes entkleidete und 
ihm sämtliche Bilder nahm bis auf die Passion, 
um sie dem Meister des Marienlebens zu geben, 
ist man entschieden zu weit gegangen. Man 
ist auch zum Teil davon abgekommen, indem 
man die Linzer Altartafeln unserm Meister wieder 
zugeschrieben hat. 

Es ist ja gewiß miBlich, einem Meister Bilder 
zuzuschreiben, von dem man nichts kennt als 
eine Serie völlig übermalter Bilder. Die Lyvers- 
berger Passion ist offenbar, wie man durch die 
Übermalung erkennen kann, sehr stark beschä- 
digt gewesen; bei der Restaurierung hat man 
die Figuren des Bildes zum Teil in willkürlicher 
Weise verändert und Gestalten und Landschaften 
auf den alten Goldgrund gemalt. 

Als Beispiele seien folgende Übermalungen 
angeführt: 

Nr. 148. Die Landschaft ist zum Teil auf 
den Goldgrund übermalt. 

Nr. 149. Die Inschrift A. S. K. T. ist offen- 
bar ein neuer Zusatz. 

Nr. 152. Durch Knie, Arme und Kreuz sieht 
man den Goldgrund. 

Nr. 153 und 154. Die Landschaft ist über 
den Goldgrund und die Punzierung gemalt; eben- 
falls Arm und Fahne Christi. 

Es sei mir gestattet, hier auf vier Bilder hin- 
zuweisen, die nach erfolgter weiterer Unter- 
suchung nach meinem Ermessen dem Meister 
der Lyversberger Passion zugeschrieben werden 
müssen: 

1. Das Bild 131 des Kölner Museums, Cru- 
cifixus mit Maria, Johannes und Magdalena. 
Der Crucifixus ist genau gleich dem der Passion, 
auch die derben Gesichtsziige des Johannes und 
der Magdalena sprechen zugunsten der Annahme. 

Es sei hier auf eine AuBerlichkeit hingewiesen, 
die nicht nur bei unserm Meister, sondern auch 
bei den Roger van der Weyden und Memling 
zugeschriebenen Bildern als Charakteristikum 
dienen kann, nämlich das eingemauerte Kreuz. 
Ich habe dieses bisher nur auf den Bildern 
Rogers und seiner Schüler wie Memling, sowie 
denen unsres Meisters gefunden. Sämtliche 
andern deutschen (z. B. Meister des Marien- 
lebens, Schongauer, Dünnwegge, Lochner, Meister 
Wilhelm usw.) und niederländischen (z. B. Meister 
von Flémalle, Gerard David, Jan van Eyck, Petrus 
Cristus, varı der Goes, Antonello da Messina usw.) 


Der Meister der Lyversberger Passion. 


Meister umgeben den FuB des Kreuzes mit 
Holzpflöcken und Stainen. 

Die beiden mir bekannten Ausnahmen: die 
Kreuzigung bei Flamm in Aachen und das gleiche 
Motiv im Brüsseler Museum Nr. 627, die jetzt 
der Schule des Meisters des Marienlebens resp. 
ihm selbst zugeschrieben werden, wären danach 
als Schulbilder aus der Schule des Meisters der 
Lyversberger Passion zu bezeichnen, eventuell 
als Jugendwerke des Meisters des Marienlebens 
aus der Zeit, wo er nodi von seinem Lehrer, 
dem Meister der Lyversberger Passion beein- 
fluBt wurde. 

Danach kann man also wohl das Bild Nr. 131 
auch unserm Meister zuschreiben. 

2. Nr. 29 der alten Pinakothek in München: 
Krönung Mariae. Wer die Bilder in der Martins- 
kirche zu Linz kennt, wird nicht zweifeln, daß 
diese Komposition von demselben Meister her- 
rührt. 

3. Nr. 30 derselben Galerie: Anbetung der 
Könige. Wie die Tafeln der Passion zeigt 
dieses Bild in der Mitte eine gute Gruppierung, 
in der Ecke eine Anhäufung von Menschen. 
Man findet hier dieselben Typen wieder, die 
sich auf der Passion und vor allem den Linzer 
Tafeln finden. Man darf dabei nicht vergessen, 
daß die Münchener Tafel eine achtmal so große 
Fläche besitzt wie die einzelnen Bilder des Linzer 
Altars und daß dadurch wohl der etwas härtere 
Ausdruck in den männlichen Gesichtern auf dem 
großen Bilde zu erklären ist. Absolut über- 
einstimmend ist aber die Gottesmutter, deren 
schwere, niedergeschlagenen Augenlider, leicht- 
gebogene Nase, kräftiger Mund und stark ent- 
wickeltes Kinn sich viermal auf den Linzer 
Tafeln wiederfinden. 

Zwei Außerlichkeiten mögen den Beweis 
vervollständigen: einmal hat der Diener auf der 
rechten Bildseite fast denselben Pokal in der 
Hand, den der analoge Diener auf dem das 
gleiche Motiv behandelnden Linzer Bild trägt. 
Andererseits paßt die Bildgröße genau zu der 
Lyversberger Passion, so zwar, daß vier Bilder 
der Passion haarsdıarf unser Bild decken: 


Breite Höhe 
Münden: 132 cm 185 cm 
Cöln: 66 „ 92 , 


Man könnte sich also wohl denken, daß die 
Passionsbilder die Flügel zu der Münchener Tafel 
gebildet haben. 

43 


580 


Monatshefte fiir Kunstwissenschaft 


Firmenich-Richartz schreibt in dem Katalog 
der Düsseldorfer Ausstellung 1904 über das 
Linzer Bild: ,In der Anbetung der Magier sind 
Motive derselben Darstellung, Nürnberg, Ger- 
manisches Museum benutzt.“ Dieses Nürnberger 
Bild des Meisters des Marienlebens (nach 
Escherich, „Die Schule von Köln“, übrigens ein 
spätes Werk des Meisters) ist nun weiter nichts 
als eine ziemlich genaue Kopie des jetzt in 
München befindlichen Rogerschen Bildes mit der- 
selben Darstellung. Dieses Bild Rogers ist be- 
stimmt nach 1450 entstanden, da Roger bis dahin 
in Rom war; also vielleicht 1452. Andererseits 
ist der Linzer Altar vor 1461 gemalt, da in 
diesem Jahr der Stifter starb. Ist es da anzu- 
nehmen, daß der Meister des Marienlebens zu- 
erst das Rogersche Bild benutzt hat und von 
diesem dann der ,Lyversberger“? Ich denke 
eher umgekehrt. Es scheint mir sicher, daß der 
„Lyversberger“ bei Roger gelernt hat. Es finden 
sih nämlich auf dem Linzer Bild neben dem 
Hauptmotive auch die Motive der Rogerschen 
Flügelbilder Verkündigung und Darstellung im 
Tempel wieder, ferner die Geburt Christi fast 
genau nach dem Middelburger Altar, der ja 
auch Anfang der fiinfziger Jahre entstanden ist. 
Sollte nun nicht anzunehmen sein, daß der 
„Lyversberger* den Rogerschen Altar, der dann 
eben noch nicht in Columba, Cöln, war, ebenso 
wie den Middelburger, in Flandern gesehen und 
danach seinen Linzer Altar zusammengestellt 
hat? 

Später hat er dann das Motiv für sein großes 
jetzt in München befindliches Bild benutzt, dessen 
Flügel eben die Lyversberger Passion darstellen. 
Wenn ich noch einer Vermutung Raum geben 
darf, so möchte ich sagen, daß der Meister 
der Lyversberger Passion eben jener 
Meister Christophorus ist, der nach einer 
alten Chronik der Cölner Karthause für diese 
im Jahre 1471 ein Bild malte. Daß die Lyvers- 
berger Passion aus der Karthause stammt, ist 
ja bekannt. 

4, Die Heimsuchung aus der Sammlung Crom- 
bez, Paris. 

Das Bild ist eine recht genaue Wiederholung 
der von der Weydenschen Komposition, die 
jetzt in Turin befindlich ist. Der Typus der 
Maria ist durchaus der gleiche wie der auf dem 
Linzer Altar. Maria hat, wie auch auf dem 
wohl gleichzeitig entstandenen Crucifixus strah- 
lenförmigen Nimbus. Das Bild ist daher wohl 
als ein Werk zu betrachten, das er gleich im 
Anschluß an seinen Brüsseler Aufenthalt etwa 
Mitte der fünfziger Jahre vollendet hat; es kann 
schon deshalb nicht dem Meister des Marien- 
lebens zugeschrieben werden, weil es doch aus- 


geschlossen erscheinen muß, daß ein Maler, der 
als Schüler Rogers eine recht gute Wiedergabe 
seiner Heimsuchung gibt, bald darauf eine in 
mancher Beziehung minderwertige Leistung wie 
die im Münchner Marienleben sollte fertig ge- 
bracht haben. Ist schon der Schritt von Rogers 
Köpfen mit den derben Zügen zu den nadı 
Kölner Art verfeinerten auf dem Bilde bei Crom- 
bez sehr groß, so ist der von diesem zu dem 
im Marienleben mindestens noch einmal so groß. 
Die auf der Rückseite befindliche Madonna mit 
Heiligen gehört wohl auch demselben Meister 
an, wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß z. B. 
der Typus der Catharina mit den geschlitzten 
Augen und der kurzen Oberlippe an den Meister 
des Marienlebens erinnert. 


Wir haben nach Obigem im Meister der 
Lyversberger Passion also wohl denjenigen 
Maler zu sehen, der in erster Linie nieder- 
ländische Auffassungs- und Malweise in Köln 
eingeführt hat. Als sein Schüler hat wohl nicht 
nur der Meister des Marienlebens sondern auch 
der des Georgs- und Hyppolytaltars zu gelten. 
Vor allem die Flügel dieses Altargemäldes haben 
große Ähnlichkeit einerseits im Figürlichen mit 
der Lyversberger Passion, andrerseits im Land- 
schaftlichen mit dem Crucifixus Nr. 131 im Kölner 
Museum. 

Eine sehr ähnliche Darstellung der Hippolyt- 
legende --- also von der „Taufe“ des Kölner 
Bildes an — findet sich übrigens im Brügger 
Stadtmuseum. Die Kompositionen sind den 
Kölnern sehr ähnlich aber primitiver, vor allem 
in der Landschaft. 


Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß 
der Meister die jetzt in Berlin befindlichen Tafeln 
eines Triptychons des Petrus Cristus gekannt 
hat. Wenigstens findet sich in der Landschaft 
seiner großen Anbetung der Könige große Über- 
einstimmung mit der in der Geburt Christi des 
Petrus Cristus. 


Da unser Meister seine Bezeichnung nun ein- 
mal nach der Passion trägt, wäre es audi 
wünschenswert, zu wissen, wieviel wohl von 
dem, was jetzt auf den Bildern zu sehen ist, 
auf ihn und seine Kunst zurückzuführen ist. 
Natürlich ist es ja ganz ausgeschlossen, die guten 
Übermalungen abzukratzen, da man ja nur 
Ruinen übrig behalten würde, analog dem Claren- 
altar. Vielleicht würde aber hier die Röntgen- 
röhre helfend eingreifen können. 


Ich habe in Gemeinschaft mit Herrn B. Jost 
hier, der in liebenswürdigster Weise seine Rönt- 
genapparate und sein schönes Radiumpräparat 
(t Gramm chemisch reines Radiumbromid!) zur 
Verfügung stellte, einige Versudie auf einer 


Th. Asher. Der Meister der Lyversberger Passion 581 


selbst präparierten Holztafel mit mir gerade 
zur Verfügung stehenden Olfarben gemacht. 
Folgende Resultate wurden erzielt: 

1. Mit Radium läßt sich bei auf Holz ge- 
malten Bildern nichts ausrichten, da die Strahlen 
zu intensiv und mannigfaltig sind und durch 
das Holz zu sehr nach allen Seiten abgelenkt 
werden. Dahingegen würden sie zweifellos bei 
auf Leinwand gemalten Bildern sehr gute Dienste 
leisten, da die Radiumstrahlen in dünnen Schichten 
vorzüglich differenzieren. 

2. Röntgenstrahlen geben mit einigen Farben 


gute Bilder, wenn man möglichst weiche Röhren 
anwendet. Einige Versuche ergaben, daß alle 
Bleifarben, wie Kremser Weiß, Chromgelb, 
Mennige sehr deutliche Bilder geben, während 
alle anderen, wie lichter Ocker, Terra di 
Siena, Preußisch Blau, Zinnobergrün, Florentiner 
Lack und Eifenbeinshwarz sowie Bronze mehr 
oder weniger schwache Bilder geben. Viel- 
leicht würde das Verfahren auch bei der Madonna 
mit der Wickenblüte Neues zutage fördern. 
Weitere Versuche sind beabsichtigt. 

Th. Asher. 


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Der Name des Meisters 


Das Werk dieses tüchtigen Meisters der deut- 
schen Renaissance wurde zum ersten Male 1896 
von Herrn von Marcuard') zusammengestellt, 
der damals seine Identität mit Melchior Feselen 
vermutete. Weder Feselen aber noch Wolf Huber, 
wie man jüngst angenommen hat, kann der Maler 
dieser Bilder gewesen sein, da eine Anzahl 
von ihnen, die zuverlässig von der gleichen Hand 
sind, das Monogramm C. v. C.?) tragen. Es sind 
dies diePorträts 1. eines im Besitz derFrau v. Gün- 
derode in Höchst, 2. u. 3. zwei im Palazzo Torri- 
giani inFlorenz,4. u. 5. zwei in der National Gallery 
of Ireland, 6. das Porträt der Margareta v. Rein 
im Dessauer Amalienstift, auf dessen Zugehörig- 
keit zu dem Porträt des Georg Weiss in der 
alten Pinakothek mich Herr Sekretär Beckmann 
freundlichst aufmerksam machte. Durch die 
Gleichheit des Arrangements der Vorderseiten, 
wie auch der Wappendarstellungen auf den 
Rückseiten, der Maße, der Jahreszahl 1533 usw. 
stellte sich diese Annahme als zweifellos richtig 
heraus. Vermutlich war auch das Bild der Pina- 
kothek signiert, doch ist die Stelle der Rückseite, 
die bei dem Dessauer Bild das Monogramm zeigt, 
abgehobelt worden. Sowohl Georg Weiss als seine 
Gattin Margareta v. Rein gehörten nach Sibmacher 
zum Frankfurter Patriziate, wie denn überhaupt 
alle Porträts des Meisters, soweit sie bestimmbar 
sind, Frankfurter Persönlichkeiten darstellen, mit 
Ausnahme jenes Hans v. Schönitz, den wir uns 
am Hofe Albrechts von Brandenburg in dem 
benachbarten Mainz zu denken haben. Sämt- 
liche Bilder sind zwischen 1529 und 1551 datiert. 
Ihr Stil hat m. E. mit Bayern nicht viel zu tun. Er 


1) Die Litteratur siehe bei Gebhardt, Martin Hess; 
Rep. XXXI. S. 443. Abbildungen der meisten Bilder bei 
v. Marcuard, das Bildnis des Hans v. Schonitz und der 
Maler Melchior Feselen, München 1896. 

2) Abbildungen bei Nagler, Monogrammisten Bd. V. 
Nr. 1184. 


der Holzhausenbildnisse. 


erscheint mir vielmehr durchaus als „rheinisch“, 
und auch H. Voss hat die Verwandtschaft des 
Schönitzbildes mit Aldegrever erkannt. Übrigens 
tragen auch die recht scharf charakterisierten 
Hintergrundslandschaften der Bilder, die alle die 
gleiche Gegend zeigen, doch wohl eher rheini- 
schen Charakter, etwa den der Binger Gegend, 
und die Ähnlichkeit der Vedute mit Passau 
scheint mehr eine zufällige zu sein. 

Ih glaube, es kann kein Zweifel darüber 
herrschen, daß wir den Maler, der durch einen 
Zeitraum von mehr als 20 Jahren hindurch Frank- 
furter Patrizier porträtierte, zunächst in Frankfurt 
selbst suchen müssen. Da löst sich denn das 
Monogramm C. v. C. zwanglos in Conrad von 
Creuznach auf, den einzigen Maler in Frank- 
furt a. M., dessen Lebenszeit mit den Daten der 
Bilder in Einklang zu bringen ist. Wir wissen über 
ihn vorläufig nur wenig zu berichten, da wir auf 
die näheren Angaben Gwinners!) angewiesen 
sind. Danach hieß der Maler mit Familiennamen 
Faber, wurde 1537 unter die Bürger aufgenommen 
und starb kurz vor dem Jahre 1553, in dem 
seine Witwe erwähnt wird. Wir dürfen oder 
müssen wohl annehmen, daß er schon längere 
Zeit am Ort gewohnt hat, bevor er Aufnahme 
in die Bürgerschaft fand, wie ja audı das Porträt 
eines Gliedes der Frankfurter Familie Knoblauch 
das Datum 1529 trägt. Zweifellos werden aus den 


‘ Archiven noch bestimmtere Angaben zu gewinnen 


sein. Da mir selbständige Archivforschung von 
hier aus nicht möglich ist, kann ich nur die Hoff- 
nung aussprechen daß die Frankfurter Lokal- 
forschung sich des neugewonnenen Künstlers 
annehmen und bald Greifbareres über Conrad 
Faber von Creuznach zutage fördern wird. 


Heinz Braune. 
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1) Fr. Gwinner, Kunst u. Künstler, Frankf. a. M. 1862. 


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Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS. 


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Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon. 
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