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Full text of "Monatshefte; a journal devoted to the study of German language and literature"

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*1erneKr 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes, 


Schriftleitung : 

Max  Griebsch,  B.  A.  Abrams, 

Seminardirektor.  Hilfssuperintendent 

der  offentlichen  Schuicn,  Milwaukee, 

Oscar  Burckhardt,  John  Eiselmeier,  Paul  Gerisch, 

Se  m  i  n  arlehrer. 


Letter  der  Abteilung  filr  das  bohere  Schulwesen: 

Prof.  Dr.  E.  C.  Roedder, 

Staatsuniversitat  Wisconsin. 


Fiinftcn 


Dczcmbcr  1903 
Mi 

Dezembet*  1904 


Verlag : 
National  German -American  Teachers'  Seminary, 

558  to  568  Broadway,  Milwaukee,  Wis. 


v 


.5 


Der  Jahrgang  der  Padagogischen  Monatshefte  beginnt  im  Januar  und  besteht  aus 
10  Heften,  welche  regelmassig  in  den  ersten  Tagen  eines  Monats  (mit  Aus- 
nahme  der  Ferieumonate  Juli  und  August)  erscheinen. 

Der  Abonnementspreis  betragt  $1.50   pro  Jahr,  im  voraus  zahlbar. 

Abonnementsanmeldungen   wolle   man   gefalligst   an   den   Verlag:    Nat.  German- 
American  Teachers'  Seminary,  558-568  Broadway,  Milwaukee.,  Wis.,  richten. 

Beitrage,  das  Universitats-  und  Hochschulwesen  betreffend,  sind  an  Prof.  Edwin 
C.  Roedder,  Ph.  D.,  412  Lake  St.,  Madison,  Wis.; 

samtliche  Korrespondenzen  und  Mitteilungen,  sowie  Beitrage,  die  allgemeine 
Padagogik  und  das  Volksschulwesen  betreflFend,  und  zu  besprechende 
Biicher  an  Max  Griebsch,  (Nat.  G.  A.  Teachers'  Seminary,  Mil- 
waukee, Wis.)  zu  senden. 

Die  Beitrage  fiir  eine  bestimmte  Monatsnummer  miissen  spatestens  am  20.  des 
vorhergehenden  Monates  in  den  Handen  der  Kedaktion  sein. 


Padagogische  Monatshefte* 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Scbulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

V.  Dezembeit  1903.  Hcit  I. 

Emil  Dapprich  f- 

Offiziell. 

An  die  Ivlitglieder  des    Nationalen    Deutschamerikanischen  Lehrerbun- 
des. 

Unsere  erste  amtliche  Kundgebung  wird  durch  ein  trauriges  Er- 
eignis  veranlasst.  Es  ist  unsere  schmerzliche  Pflicht,  der  deutschame- 
rikanischen  Lehrerschaft  Mitteilung  zu  niachen  von  dem  unersetzKchen 
Verluste,  den  der  Lehrerbund  durch  das  Dahinscheiden  eines  seiner 
treuesten,  fahigsten  und  geachtctsten  Mitglieder  erlitten  hat.  Am  fiinf- 
undzwanzigsten  November  wurde  Seminardirektor  Emil  Dapp- 
rich nach  langem  Leiden  durch  den  Tod  von  dem  Felde  seiner  se- 
gensreichen  Tatigkeit  abberufen. 

Fiinfzehn  Jahre  stand  unser  verblichcner  Freund  an  der  Spitze  des 
vor  einem  Vierteljahrhundert  durch  den  Lehrerbund  ins  Leben  gerule- 
nen  Lehrerseminars.  In  dicsem  einzigen  Mamie  stirbt  uns  ein  ganzfs 
Heer.  Schwer  trifft  der  Tod  die  wenigen  Alten,  an  de,ren  Seite  er  ein 
Menschenalter  hindurch  fur  die  ihnen  und  ihm  teuren  Ideale  kampfte; 
mit  gleicher  Wucht  trifft  er  die  strebsamen  Juugen,  denen  er  voranleuch- 
tete  als  Muster  aller  Tugenden,  die  den  wahren  Erzieher  schmucken. 

Nur  zweimal  fehlte  er  auf  den  Jahresversammlungen  des  Lehrer- 
bundes :  wahrend  unserer  Tagung  in  Newark  im  Jahre  1804,  als  es  gait, 
die  Interessen  des  Lehrerseminars  auf  der  Tagsatzung  des  Turnerbun- 
des  zu  vertreten ;  und  in  diesem  Jahre  gedachten  vvir  in  Erie  des  abwe- 
senden  Freundes,  der  in  der  alten  Heimat  Starkung  und  Heilung  suchte. 
Wie  werden  wir  ihn  vermissen!  Er  war  die  Seele  unserer  Versamm- 
lungen  durch  die  Macht  seiner  Personlichkeit,  durch  die  zundende 


2  Pddagogisclic  Monatshefte. 

Kraft  seiner  Rede,  durch  seine  Hoffnungsfreudigkeit,  vor  deren  Licht 
und  Warme.  unser  Zagen  und  Bangen,  unser  Fiirchten  und  Zogern  \vie 
diinne  'Nebelschleier  zerflossen.  Nichts  Kleinliches  und  Gehassiges 
wagte  sich  in  seine  Niihe,  kein  Rankespiel  konnte  seinem  freien  Blicke, 
seinem  graden  Wort  widerstehen.  Einigkeit  und  kraftiges,  treues  Zu- 
sammenstehen  zur  Wahrung  und  Pflege  alles  dessen,  was  der  deutsch- 
amerikanischen  Lehrerschaft  teuer  ist,  war  der  Grundton  aller  seiner 
Reden  und  Ermahnungen.  Des  Kindes  sonnige  Heiterkeit,  des  Jung- 
lings  froher  Wagemiit,  die  Kraft  und  Schaffensfreudigkeit  des  Mannes 
und  die  abgeklarte  Lebensanschauung  des  Weisen  vereinigten  sich  in 
seinem  Wesen  zu  einem  harmonischen  Ganzen.  Der  Deutschamerikani- 
sche  'Lehrerbund  wird  sein  Andenken  lieilig  bewahren.  Unser  schon- 
ster  Dank  fiir  das,  was  er  fiir  uns  getan,  sei,  ihm  nachzueifern,  unser 
bestes  Konnen  und  Wollen  in  den  Dienst  der  Ziele  zu  stellen,  die  unser 
vefstorbener  Freund  anstrebte,  —  selbstlos  hingebend  und  treu  zu  sein, 
wie  er. 

Ftir  den  Vorstand  des  Nationalen  deutscham.  Lehrerbundes : 

Bernard  A.  Abrams,  Pras. 


So  haben  wir  ihn  denn  zur  Ruhe  gebettet ;  und  uns  bleibt  von  Emil 
Dapprich  nichts  als  ein  Hauflein  Asche,  welches  auch  bald  zur  Mutter 
Erde  zuruckgekehrt  sein  \vird.  Vor  unserm  Geiste  aber  steht  der  Ver- 
storbene  mit  seinem  klaren  und  treuen  Auge,  wie  wir  ihn  im  Schulzim- 
mer,  in  unsern  Versammlungen,  im  Kreise  von  Kollegen,  wo  er  sich  im- 
mer  am  wohlsten  fiihlte,  sahen;  wir  lauschen  seinen  begeisternden  Wor- 
ten,  erheben  uns  an  seiner  kraftvollen  und  doch  von  Herzensgiite  iiber- 
stromenden  Personlichkeit.  Nun  er  von  uns  gegangen,  sollte  all  das, 
was  er  uns  war,  mit  vernichtet  sein  ? 

•  In  seinen  letztwilligen  \rerordnungen  hat  der  Verstorbene  ganz  im 
Einklang  rait  seinem  bescheidenen  Sinne  sich  verbeten,  dass  ein  Monu- 
ment an  seinem  Grabe  errichtet  werde.  Nun,  fiir  ihn  bedarf  es  keines 
Denkmals  von  Stein  oder  Erz.  Sein  Monument  hat  er  sich  selbst  in  den 
Herzen  und  dem  Geiste  seiner  Schuler  und  aller,  die  um  ihn  sein  durf- 
ten,  errichtet.  Das,  was  er  gewollt  und  erstrebt  hat,  es  hat  in  ihnen 
Wurzeln  gefasst  und  —  bewusst  oder  unbewusst  —  es  spricht  aus  ihneri 
und  wird  weitergetragen.  ,,Es  wird  die  Spur  von  seinen  Erdentagen 
nicht  in  Aonen  untergehen",  dies  ist  die  Zuversicht  jedes  ernst  Streben- 
den,  es  ist  vornehmlich  aber  die  grosse  Genugtuung  des  waliren  Lehrers. 

Einfach  und  schlicht  ist  der  Lebenslauf  unseres  lieben  Verstorbenen. 
Enlil  Dapprich  wurde  zu  Emmerichenhain  in  Hessen  -  Nassau  am  20. 
August  des  Jahres  1842  geboren.  Es  drangte  ihn,  Lehrer  zu  werden, 
tuVd'sb  trat'ef  fast  gegen  den  Willen  seiner  Eltern  in  das  Lehrerseminar 


Emit  Dapprich  t.  '3 

zu  Usingen  ein.  Nach  Absolvierung  desselben  erhielt  er  cine  Anstel- 
lung  in  seinem  engeren  Vaterland,  das  seiner  Tatkraft  und  seiner  fort- 
schrittlichen  Gesinnung  jedoch  bald  zu  enge  Grenzen  zog,  so  dass  er  sich 
zur  Auswanderung  nach  Amerika  entschloss.  Im  Jahre  1865  landete 
er  in  Baltimore  und  fand  bald  eine  ilim  zusagende  Tatigkeit  an  der  zu 
jener  Zeit  in  holier  Bliite  stehenden  Scheibschen  Privatschule.  Vom  Be- 
ginn  seiner  Wirksamkeit  in  diesem  Lande,  seiner  neuen  Heimat,  sehen 
wir  ihn  regen  Anteil  an  allem  nehmen,  was  die  Schule  im  allgemeinen, 
den  deutschen  Unterricht  und  den  Lehrerstand  im  besonderen  anging. 
In  die  ersten  Jahre  seiner  Tatigkeit,  in  das  Jahr  1870,  fallt  die  Griin- 
dung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbun des ;  dass  er  sich 
diesem  anschloss  und  bei  der  aus  dessen  Anregung  heraus  ersprossenen 
Grundung  des  hiesigen  Lehrerseminars  regcn  Anteil  nahm,  war  bei  sei- 
ner Begeisterung  fur  alles,  das  die  Schule  zu  heben  bestimmt  war,  selbst- 
verstiindlich.  Dachte  er  vvohl  damals  daran,  dass  er  einst  berufen  sein 
wurde,  in  die  Geschicke  dieser  Anstalt  einzugreifen? 

Nach  zehnjahriger  Tatigkeit  in  Baltimore  folgte  Dapprich  einem 
Rufe  nach  Belleville,  im  Staate  Illinois.  Hier  erweiterte  sich  sein  Ar- 
beitsfold  mehr  und  mehr.  Als  Lehrer  der  Natunvissenschaft  an  der  dor- 
tigen  Hochschule  begann  er  seine  Wirksamkeit,  bald  erhielt  er  die  Stel- 
lung  als  Schulsuperintendent  des  St.  Clair  County,  und  als  sein  Freund 
Heinrich  Raab,  durch  dessen  Veranlassung  er  nach  Belleville  berufen 
wurde,  in  das  Amt  des  Staatsschulsuperintendenten  von  Illinois  gewahlt 
worden  war,  wurde  ihm  auch  die  dadurch  vakant  gewordene  Stellung 
des  Superintendenten  des  offentlichen  Schulwesens  von  Belleville  iiber- 
tragen.  Ein  arbeitsreiches,  aber  auch  arbeitsfreudiges  Leben,  gewurzt 
durch  den  anregenden  Verkehr  mit  gleichgesinnten  Kollegen,  entfaltete 
sich  hier.  Da  traf  ihn  ein  harter  Schlag ;  seine  Gattin,  die  Mutter  seiner 
fiinf  Kinder,  wurde  ihm  durch  den  Tod  entrissen.  Wie  schwer  ihm  die- 
ser Schlag  gewesen  sein  muss,  wird  nur  der  ermessen,  der  das  tiefe  Ge- 
miit  unseres  teuren  Toten  kannte.  Er  hatte  sein  Heimatsgefuhl  in 
Belleville  verloren,  und  er  sehnte  sich  zuriick  nach  dem  ersten  Platz  sei- 
ner Tatigkeit,  nach  Baltimore.  Schon  riistete  er  sich  zur  Obersiede- 
lung,  als  seine  Berufung  zum  Direktor  der  Deutsch-Englischen  Akade- 
mie  und  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerseminars  erfolgte. 
Seit  dem  Jahre  1888  war  er  hier  tatig.  Was  er  diesen  Anstalten  war, 
das  abzuschatzen  und  zu  wiirdigen,  dazu  stehen  wir  seiner  Periode  noch 
zu  nahe.  Seine  Tatigkeit  bezeichnete  eine  neue  Ara ;  das,  was  Dapprich 
gedacht  und  gewollt,  war  das  Werk  eines  Genies  und  vermag  von  uns 
Alltagsmenschen  nur  in  Bruchstucken  erfasst  zu  werden,  und  erst  die 
Folgezeit  wird  sein  Wirken  im  rechten  Lichte  erstrahlen  lassen.  —  Im 
Jahre  1892  vermahlte  sich  der  Hingeschiedene  zum  zweiten  Male  und 
gewann  in  seiner  nun  mit  ihren  zwei  Kindern  trauernden  Gattin  eine  Le- 


4  Pddagogische  Monatsliefte. 

bensgefahrtin,  die  mit  unsaglicher  Treue  an  ihm  hing  und  fur  scin  \\'ohl 
besorgt  war.  —  Die  Leidensgeschichte  der  letzten  Monate  steht  uns  nur 
allzu  frisch  im  Gedachtnis.  Weder  die  Reise  in  seine  alte  Heimat,  noch 
die  Kunst  des  Arztes,  noch  die  aufopfernde  Pflege  seiner  Gattin  ver- 
mochten  dem  Ubel,  das  ihn  ergrififen,  Einhalt  zu  tun.  Unerbittlich 
schritt  es  vorwarts,  bis  sein  Korper  demselbcn  erlag. 

,,Er  war  ein  Lehrer"  —  das  waren  die  Worte,  die  einst  der  edle 
Domherr  von  Rochow  seinem  Lehrer  Bruns  auf  den  Grabstein  setzte  und 
damit  das  hochste  Lob  bezeichnen  wollte,  welches  er  seinem  Freunde  und 
Mitarbeiter  geben  konnte.  Und,  wenn  jemals  wieder,  so  gelten  diese 
Worte  unserem  lieben  Toten.  Ein  Lehrer  wollte  er  sein  und  war  er,  im 
vollsten  Sinne  des  Wortes,  nicht  ein  Mietling,  der  seine  Tagesarbeit  fur 
einen  gewissen  Lohn  verrichtet,  der  mit  dem  Schulstaub  auch  die  Ge- 
danken  an  seinen  Beruf  von  sich  abschiittelt,  der  im  Sinne  unserer  auf 
das  Materielle  nur  allzusehr  gerichteten  Zeit  seine  Pflicht  zu  erfiillen 
glaubt,  wenn  er  den  Schulern  ein  gewisses  Quantum  von  Kenntnissen 
iibermittelt.  Nein,  unser  Dapprich  war  ein  anderer — ihn  trieb  die  Liebe 
zu  seinem  Beruf,  die  Liebe,  welche  ihm  aus  der  Liebe  zur  Menschheit 
crwuchs,  aus  seinem  Glauben  an  dieselbe,  aus  der  festen  Hoffnung  auf 
ihre  Fortentwicklung  und  Veredlung.  Diesem  Ziele  nachstrebend,  die 
Menschheit  zu  heben,  leeren  Schein  und  Trug,  Hohlheit  und  Umvissen- 
heit  aus  der  Welt  zu  bannen,  der  Wahrheit  und  Gerechtigkeit  zum  Siege 
zu  verhelfen,  war  Dapprich  Lehrer.  In  seinen  ihm  anvertrauten  Zb'g- 
lingen  den  Sinn  fur  alles  Reine,  Edle,  Gute,  Schone  und  Wahre  zu  er- 
wecken,  war  seine  Lebensaufgabe.  Diirfen  wir  uns  wundem,  dass  er 
da  mit  Leib  und  Seele  Schulmeister  war  ?  Nirgends  war  ihm  wohler  als 
in  seiner  beruf lichen  Tatigkeit.  Wer  ihn  bei  seinen  Kindern  im  Schul- 
zimmer  sah,  wurde  mit  ihm  erhoben.  Da  leuchtete  sein  Auge  von  Be- 
geisterung,  da  leuchteten  ihm  die  Blicke  der  Schiller  entgegen  —  da  ver- 
gass  er  alles  urn  sich.  •  Mehr  als  einmal  vernahm  Schreiber  dieses  aus 
seinem  Munde  die  Versicherung,  dass  die  Schulstunden  die  gliicklichsten 
Stunden  des  Tages  seien.  Und  mit  welchem  Vertrauen  kamen  ihm  die 
Kleinen  und  Klein sten,  wie  die  Grossen  entgegen.  Allen  wandte  er  seine 
Teilnahme  zu.  Kein  Anliegen  war  zu  klein,  dass  ihm  Dapprich  nicht 
ein  williges  Ohr  schenkte,  und  kein  Wunsch  war  zu  gross,  als  dass  er 
nicht  versucht  hatte,  nach  seinen  Kraften  zur  Erfiillung  desselben  bei- 
zutragen.  Ftir  alle  hatte  er  eine  hulfreiche  Hand,  fiir  alle  sorgte  er, 
sich  selber  dariiber  vergessend.  ,,Alles  fiir  Andere,  nichts  fiir  sich 
sclbst,"  —  diese  Worte,  welche  dem  Vorbilde  aller  Lehrer,  Pestalozzi,  ge- 
widmet  wurden,  sie  finden  fiir  Dapprich  gleiche  Berechtigung.  Die 
Sorge  fur  die  ihm  anvertrauten  Anstalten,  Gedanken  an  die  Schularbeit 
beschaftigten  ihn,  auch  als  ihn  das  unheilvolle  Leiden  niederwarf,  bis 
sein  Geist  in  die  Nacht  eintrat,  aus  der  es  kein  Erwachen  mehr  gibt.  Ja, 


Emit  Dapp,  ich  t.  5 

er  war  ein  Lehrer;  und  mit  frohem  Sinn  trug  er  das  Los  eines  solchen. 
Wer  es  ergreift,  muss  vieles  hinter  sich  lassen,  was  die  Welt  fur  erstre- 
benswert  halt,  und  seine  Befriedigung  in  seiner  eigenen  Brust  suchen. 
Dapprich  fand  sie  und  war  gliicklich. 

\\'ie  Dapprich  als  Lehrer  war,  war  er  auch  als  Mann.  Die  grossen 
Eigenschaften,  welche  ihn  in  seinem  Berufe  erhoben,  sie  bekundeten  sich 
iti  gleicher  Weise  in  alien  Lagen  seines  Lebens.  Seine  Freunde  hatten 
keinen  treueren  Freund,  seine  ihm  unterstellten  Lehrer  und  Lehrerinnen 
keinen  wohlmeinenderen  Vorgesetzten  als  ihn;  wer  Rat  und  Unter- 
stiitzung  suchte,  durfte  auf  ihn  rechnen  ;  wo  er  konnte,  trug  er  die  Lasten 
anderer  und  nahm  deren  Arbeit  auf  sich ;  das,  was  ihn  bedriickte,  ver- 
barg  er  in  seiner  eigenen  Brust  und  machte  es  mit  sich  selbst  ab,  wie 
schwer  es  ihm  auch  oft  geworden  sein  mag,  nur  um  andere  nicht  zu  be- 
triiben ;  nie  kam  ein  Wort  der  Klage  iiber  seine  Lippen,  —  so  blieb  er 
sich  selbst  treu  bis  zum  letzten  Atemzuge. 

Mit  seiner  Liebe  und  Aufopferungsfahigkeit  verband  sich  cine  sel- 
tene  Einfachheit  und  Bescheidenheit,  die  ihm  nicht  gestattete,  seine  zahl- 
reichcn  Geistesgaben,  sein  grosses  Wissen,  seine  glanzende  Beredsamkeit, 
sein  iiberzeugende  Kraft  der  Beweisfiihrung,  seine  anregende  Unterhal- 
tungsgabe  —  Vorzuge,  von  denen  jeder  einzelne  einen  anderen  zum  be- 
deutenden  Manne  gestempelt  hatte, — fur  seinen  eigenen  Vorteil  zu  ver- 
werten ;  alles  stellte  er  in  den  Dienst  der  einen  grossen  Sache,  welche 
sein  Leben  erfullte. 

Am  Samstag,  28.  November,  bestatteten  wir  den  Verstorbenen  von 
der  Statte  seiner  Wirksamkeit,  dem  Seminargebaude,  aus,  und  zwar  fand 
die  Leichenfeier  in  der  Turnhalle  des  Turnlehrerseminars  statt.  Die 
Halle  vermochte  kaum  die  Menge  der  Freunde  und  Schuler,  die  dem 
Hingeschiedenen  die  letzte  Ehre  crweisen  wollten,  zu  fassen.  Von  nah 
und  fern  waren  die  prachtigsten  Blumenspenden  eingetroffen,  so  dass 
der  Sarg  unter  denselben  vollstandig  begraben-  war.  Es  sprachen  bei 
der  Feier  der  Prasident  des  I^ehrerseminars,  Dr.  Louis  Frank,  der  Su- 
perintendent des  offentlichen  Schulwesens  von  Milwaukee,  H.  O.  R.  Sie- 
fert;  der  Prasident  des  Vereins  deutscher  Lehrer  von  Milwaukee,  Phil. 
Lucas ;  Theo.  Stempfel  von  Indianapolis  als  Vertreter  des  Nordamerika- 
nischen  Turnerbundes,  und  Schreiber  dieser  Zeilen ;  dieser  hielt  dem 
Verstorbenen  auf  dessen  in  seinen  letzten  Tagen  ausgesprochenen 
Wunsch  die  Gedachtnisrede,  welche  teilweise  auch  diesem  Nachrufe  zu 

Grundc  liegt. 

M.  Q. 


Pddiigogiscbe  Mona  tsliefte. 
IN  MEMORIAM. 

Es  wir'd  winterlich  einsam  um  uns.  Einer  nach  dem  anderen  treten 
die  alt*n  Freurtde  und  Genossen,  die  mit  uns  fitr  das  VVohl  der  durch  uns 
vertretenen  Anstalten  gewirkt  und  gcstritten  haben,  aus  dcr  Reihe  imd  fol- 
gen  dem  Winke  des  Allbezwingers  Tod.  Kosenstcngel,  Raab  und  Weiek, 
Boppe  und  Preusscr,  Frankfurth  und  Kiihn  —  sie  alle  habcn  des  Lebens 
Last  und  Leid  abgestreift,  um  nach  jenen  Gefielden  zu  fliehen,  von  wannen 
keiner  wiederkehrt. 

Und  heute  tritt  die  scbmerzlich  traurige  Pllicht  an  uns  heran,  uns  vor- 
zubereiten  fiir  den  letzten  Abschied  von  eineni  der  besten,  treuesten  und 
edelsten  Miinner,  dercn  Namcn  und  VVirken  aufs  eligste  mit  der  Geschiehte 
des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrer seminars  und  der  Deutsch*. 
Englischen  Akadenrie  verflochten  sind. 

,,Alles  fiir  andere,  nichts  fiir  sich .  selbst"  —  lautet  die  In?chrift  auf 
dem  Steine,  der  die  letzte  Ruhestatte  des  edlen  Sdnveizers  bezeiclmet.  der 
die  Erziehung  des  Menscliengescl'-lechts  in  neue  Balmen  gelenkt  bat.  Wie 
treffiich  schildern  diese  schcneu  Worte  das  Wesen  und  Wirken  unseres  da- 
hingeschiedenen  «dlen  P'reundes,  seinen  selbstlosen  und  trelien  Charakter, 
seine  Begeisterung,  die  kein  Hindcrnis  kannte.  seinen  Feuereifer  ira  Dienste 
des  Wahrep  und  Guten.  seine  Bereit\villigkeit  zu  helfen  und  zu  trosten, 
seine  Liebe  fiir  seinen  Beruf,  den  er  h«>her  sehlitzte  als  Titel  und  Gold  und 
Ruhm! 

Seine  SchUler  verelnten  und  liebten  ihn  wie  einen  Vater,  scinen  Mit- 
arbeitern  leuchtete  er  voran  als  Muster  treuester.  hingebender  Pflichterfttl- 
lung, 'die  deutschamerikanische  Lehrerschaft  sah  in  ihm  die  Zierde '  ihree 
Standes.  Wer  ibn  kannte.  musste  ihn  lieben,  den  Mann  mit  dem  kindlicb 
frohen  Gemiite  und  dem  klaren  Blicke  des  Denkers.  Nieuiand  konnte  sich 
dem  Zauber  seiner  Personlielikeit  entziehen. 

•Sein  Tagewerk  ist  vollendet;   sein  Andenken  \vird  nieht  erloschen,  die 
Spuren  seiner  segensreichen  Tatigkeit  xverden  sich  nicht  verwischen.  denn: 
,,Wer  den  Besten  seiner  Zeit  genug  getan, 
Der  hat  gelebt  fiir  alle  Zeiten!" 

Die  Vertreter  der  beiden  Lehranstalten,  deren  langjahriger  Leiter  der 
Verstorbeue  war,  beschliessen: 

1)  Vorsteheriden  Ausdrut-k  ihrer  Trauer  und  Anerkennung  dureh  di« 
Presse  zu  veroffent lichen ; 

2)  .die  trauernde  Wittwe  und  die  trauernden  Kinder  und  Verwandten 
der  innigsten  Teiloahme  zu  versiehern ; 

3)  sieh  in  corpore  an. der  Totenfeier  und  dem  BegrUbnisse  zu  beteiligen. 

...          .  Carl  Penshorn, 

John  W.  Suetterle, 
Bernard  A.  Abrams. 


Der  Tod  Emil  Dapprichs  hat  die  Lehrer  des  Deutschamerikanischen 
I^ehrerseininars  und  der  Deutsch-Englischen  Akademie  mit  tiefer  Trauer 
erfUllt. 

Sie  verlieren  in  dein  cdlen  Manne,  den  eih  vorzeitiger  Tod  an  der 
Schwelle  des  Greisenalters  dahingcrafft  hat,  ihren  berufeneteh  Fiihver.  Von 


EmU  Dapprich  t.  7 

seiner  Begeisterung  mitgerissen,  von  dem  reinen  Feuer,  welches  sein  gan- 
zes  Leben  erhellt,  durebgliiht,  durften  sie  mitbauen  an  dem  grossen  Werke, 
das  ihn  uberdauern  und  seiaen  Kame»  einer  dankbareh  Xachwelt  iiberlie- 
fern  wird. 

Sie  verlieren  in  Eniil  Dappricb  den  warmempfifidenden  Freund,  der, 
jedes  Eigeninteresse  vergessend,  alle  Scbranken  zwisehen  Vorgesetzten  und 
Untergebenenen  aufhebend,  seinen  Lehrern  stets  mit  treuern  Trost  und  herz- 
licher  Aufmunterung  zur  Seite  stand;  der,  wie  ein  holier  Patriarch,  es  ver- 
standen  hat,  aus  Lehrern  und  Schlllern  eine  gross*  FaiFiHie  zu  gestalten. 

Sie  besitzen  aber  —  und  das  kann  ihnen  auch  der  Tqd  nicht  rauben  — 
fur  alle  ihre  bleibeiwton  EwteBtage  in  ihm  das  V-erbiid  eines  wahren  Lehrers 
und  Volkserziehers,  der  jederzeit  seinen  Beruf  fiir  den  erhabensten  ansah 
und  diese  Anschauung  alien,  die  unter  ihm  wiikten  und  lernten,  mitteilte. 

Es  sei  hiermit  l>eschlossen,  den  GefUhlen  der  Trailer  uiid  der  Dankbar- 
keit,  welche  an  dem  Grabe  des  Dahingeschiedenen-  eeine  Lehrerschar  nieder- 
beugt  und  wieder  erhebt,  durch  diese  Zeileu  offeutlichen  Ausdruck  zu  ver- 
leihen,  und  eine  Abschrift  derselben  den  Hinterbliebeuen  zu  Ubermitteln. 

Das  Lehrerkollegium    des    Nationalen  Deutsehamerikanisclien  Lehrerse- 
minars  und  der  Deutsch-Englischen  Akademie. 


,,Der  Vorort  des  Turnerbundes  spi'ieh.t  dem  Vorstande.  des  Lehrerseiui- 
nars  sein  herzlichstes  Beileid  aus  zu  dem  sehweren  Verluste,  welcher  diese 
Anstalt  durch  das  Hinscheiden  seines  fiir  eine  ratioaelle  Jugenderziehung 
bcgeistertcn  Direktors  Emil  Dapprich  bctroffen.  Der  Turnerbund  beklagt 
in  ihm  den  \7erlust  eines  eharakterfestcn,  fotisehritti)  :h  gfisinuten  Mitglieds, 
eines  tretien  und  aufrichtigen  Freundes,  der  sich  uia  die  Hebung  des  Turn- 
lehrerseminars  grosse  Verdienste  erworben  hat."  . 

Hermann  Lieber. 

Durch  den  Hingang  von  Emil  Dapprich  hat  das  Deutsehtum  der  Ver. 
Staaten  einen  herben  Verlust  erlitten.  Die  deutschamerikanische  Schule, 
dieser  \\-ichtigste  Faktor  zur  dauernden  Erhaltung  der  deutschen  Spraehe, 
deutschen  Denkens  und  deutschen  Gemiites,  hat  einen  ihrer  begabtesten, 
hingebensten  loiter  verloren;  die  Jugend  einen  geborenen  Lehrer  und  Er- 
zieher;  die  nsenschliche  Gesellschaft  einen  guten  und  edlen  Menschen. 

Der  Vorstand  des  Deutschamerikanischen  Nationalbundes,  seinem  tiefen 
Bedauern  iiber  das  Ableben  eines  so  wackeren  Mannes  Ausdruck  gebend, 
glaubt,  dass  sein  Andenken  nicht  beseer  geehrt  werden'  kann,  als  durch 
Hochhaltung  der  idealen  und  erzieherischeu  BestrebungeH,  jdenen  der  Dahin- 
geschiedene  seines  Lebens  Kraft,  sein  ganzes  Wissen  und  Konnen  gewidmet 
hat. 

Adolph  Timm, 

BundessckretSr  des  Deutsehamerikanisclien  Nationalbundes. 


Ervvartung  der  Weihnacht. 


Von  O.  Ernst. 


Noch  eine  Nacht  —  und  aus  den  Luften 
Herniederstromt  das  gold'ne  Licht 
Der  wundersamen  Weihnachtsfreude, 
Verklarend  jedes  Angesicht. 
Und  wieder  klingt  die  alte  Sage: 
Wie  einst  die  Lieb'  geboren  ward, 
Die  unbegrenzte  Menschenliebe 
In  einem  Kindlein  hold  und  zart. 

Nun  zieht  ein  suss  erschauernd  Almen 
Durch  Hoh'n  und  Tiefen,  Flur  und  Feld. 
Nun'  deckt  geheimnisvoll  ein  ^Schleier 
Des  trauten  Heimes  kleine  Welt. 
Dahinter  strahlt's  und  lacht's  und  flimmert's 
Und  ist  der  siissen  Ratsel  voll, 
.  Durch  alle  Raume  weht  ein  Odem 
Der  Freude,  die  da  kommen  soil. 

Und  draussen  nicken  Baum'  und  Biische 

So  leis'  in  winterklarer  Luft : 

Die  Kunde  kommt,  dass  neues  Leben 

Sich  wieder  regt  in  tiefer  Gruft. 

Es  kharrt  die  Eiche  vor  dem  Fenster, 

-Sie-lraum't  ven  knger  Zeiten  Lauf ; 

Da  steigt  wohl  auch  ein  froh  Erinnem 

In  ihre 'Krone  still  hinauf. 

O  weilt,  ihr  j  ugendschonen  Stunden, 
Venveile  du,  der  Hoffnung  Gliick! 
Vermocht  ich's  nur:  mit  alien  Kraften 
Der  Seele  hielt  ich  dich  zuriick. 
Ihr  siissen  Tra'ume  des  Envartens, 
Der  Wunder  und  Gesichte  voll, 
Ihr  seid  noch  schoner  als  der  Jubel, 
Die  Freude,  die  da  kommen  soil. 


1st  der  deutsche  Wortschatz  grosser  als  der 

englische  ? 


(PUr  die  PiitUgogiachen 


Von  tt.  C.  G.  von  Jagemmnn,  Harvard  University,  Cambridge,  Mass. 


Vor  mir  liegt  eine  Postkarte  folgenden  Inhalts:  "Please  inform  me, 
by  returt  mail,  of  the  exact  number  of  words  in  the  English  and  German 
languages  respectively.  A  friend  of  mine  says  that  there  are  more  words 
in  German  than  in  English,  but  I  do  not  believe  it." 

Jedem  Lehrer  des  Deutschen  ist  gewiss  schon  dieselbe  Frage  vor- 
gelegt  worden,  wenn  auch  vielleicht  nicht  in  soldi  belustigender  Form, 
und  wahrscheinlich  hat  er  sich  selbst  schon  oft  gefragt,  wie  sich  der 
Reichtum  des  deutschen  Wortschatzes  eigentlich  zu  dem  englischen  ver- 
lialt.  Da  nun  hieriiber  auch  in  den  Kreisen  der  Gebildeten  manche  ir- 
rige  Ansichten  verbreitet  sind,  so  scheint  es  nicht  unangebracht,  auf  diese 
Frage*€inmal  naher  einzugehen,  und  vorerst  wenigstens  festzustellen,  in 
welcher  Weise  dieselbe  iiberhaupt  einer  Beantwortung  fahig  ist. 

Mehr  oder  weniger  genaue  Zahlenangaben  iiber  den  Wortschatz  der 
hervorragenden  Kultursprachen  sind  oft  gemacht  worden.  In  den  Zei- 
tungen  kann  man  unter  dem  Titel  ,,Vermischtes"  von  Zeit  zu  Zeit  lesen, 
dass  die  franzosische  Sprache  so  und  so  viele  Worter  besitzt,  die  deut- 
sche so  und  so  viele,  u.  s.  w.  In  englischen  Ouellen  findet  man  dann 
gewohnlich  die  Sache  so  dargestellt,  dass  die  englische  Sprache  bei  wei- 
leni  den  grossten  Wortschatz  hat;  die  Zahl  der  Worter  im  Englischen 
wird  gewohnlich  auf  iiber  zweihunderttausend  geschiitzt,  wall  rend  der 
deutschen  Sprache  selten  iiber  fiinfundsiebzigtausend  zugestanden  wer- 
den.  Dieses  fiir  das  Detttsche  sehr  ungiinstige  Verhaltnis  4iat  seinen 
Grumd  zweifellos  .nicht  nur  in  dem  Bestreben  der  Englander  oder  Ame- 
rikaner,  seine  Sprache  als  die  reichere  und  vollkommenere  hinziistellen, 
sondern  auch  besonders  darin,  dass  es  gerade"  fiir  das  Englische  eine  An- 
zahl  guter,  popularer  und  allgemein  verbreiteter  Worterbiicher  gibt,  die 
einander  in  der  Zahl  der  aufgefuhrten  Worter  zu  iiberbieten  stichen,  und 
deren  Verleger  in  ihren  Anzeigen  dem  Statistiker  die  Miihe  sparen,  die 
Zahl  der  verzeichneten  Worter  zu  berechnen.  Es  gibt  nun  kein  deut- 
sches  Worterbuch,  welches  im  Plan,  in  der  Anordnung  und  Reichhaltig- 
keit  des  Materials  diesen  popularen  englischen  Worterbuchern,  z.  B.  dem 
"International",  dem  "Standard",  oder  dem  "Century  Dictionary",  auch 
nur  ungefahr  entsprache,  und  es  fehlt  daher  die  passende  Grundlage  fur 
eine'n  Vergfeich. 

Es  kommen  eigenllich  iiberhaupt  nur  drei  grossere  deutsche  Wor- 
terbiicher neueren   Datums   in    Frage,    ramlich    Grimm,    Sanders   und 


10  Pddiigogische  Monatshcfte. 

Heyne.  Von  diesen  ist  das  erste,  trotzdem  der  erste  Band  davon  im 
Jahre  1854  erschiencn  ist,  noch  immer  nicht  voilstandig,  und  wie  die 
Dinge  jetzt  liegen,  \vird  es  auch  schwerlich  vor  dem  Jahre  1920  fertig 
werden.  Aus  dem,  was  vorliegt,  die  Zahl  der  moglichenveise  zu  behan- 
delnden  Worter  zu  bcrechnen,  ist  ausserordentlich  schwer.  Das  ergibt 
sich  unter  anderem  schon  daraus,  dass  das  Material,  welches  urspriing- 
lich  den  vierten  Band  ausfiillen  sollte  (namlich  der  Ictzte  Teil  von  F  bis 
cinschliesslich  J),  tatsachlich  jt-tzt  schon  drei  Bande  in  Anspruch  genom- 
men  hat,  und  noch  einen  vierten  erfordern  wird,  ehe  es  ganz  bearbeiict 
ist.  Auch  hat  ein  Verglcich  einzelner  vollendeter  Teile  des  Grimmschen 
Werkes  mit  entsprecbenden  Tcilen  eines  englischen  Worterbuchs  wenig 
Wert,  denn  gewisse  Buchstaben  und  Buchstabenverbindungen  sind  ebcn 
in  der  einen  Sprache  ini  Anlaute  verhaltnismassig  haufiger  als  in  der  an- 
deren ;  z.  B.  muss  wegen  der  ausserordentlich  zahlreichen  deutschen 
Worter  mit  .der  Vorsilbe  G  e-  die  Gesamtzahl  der  mit  G  anlautenden 
Worter  im  Deutschen  verhaltnismassig  grosser -sein  als  im  Englischen. 

Das  dreibandige,  seit  1865  vollcndete  Worterbuch  von  Sanders  (mit 
dem  Erganzungs worterbuch  )  wiirde  schon  eher 
als  das  Grimmsche  eine  geeignete  Grundlage  fur  unsere  Unt-ersucliung 
bieten,  aber  infolge  der  eigentiimlichen,  ausserst  pedantischen  Anord- 
nung  des  Stoffes  hat  sich  wohl  noch  niemand  die  Miihe  genommen,  die 
Zahl  der  darin  verzeichneten  \V6rter  auch  nur  annahernd  zu  berechnen. 
Alle  zusammengesetzten  Worter  sind  bekanntlich  unter  ihrem  letzten  Be- 
standteil  eingereiht,  so  dass  man  zum  Beispiel  g  e  n  a  u  unter  N  suchen 
muss;  dazu  sind  die  typographischen  Unterscheidungsmittel  so  sparsatn 
angewandt,  dass  nur  die  sorgfaltigste  Durchsicht  der  2900  Seiten  von 
je  drei  engbedruckten  Spalten  zu  einem  zuverliissigen  Resultat  fuhren 
wiirde. 

Das  seit  1895  vollendete  dreibandige  Wrerk  von  Heyne  ist  zwar  ein 
sehr  nittzliches  Nachschlagewerk,  i;;t  aber  weit  davon  entfernt,  den.  Wort- 
schatz  der  klassischen  und  modernen  Literatur,  der  Kiinste  und  Wissen- 
schafteh,  der  Unigangssprache  in  solcher  Vollstandigkeit  zu  bieten,  wie 
die  grossen  englischen  Worterbuch er.  Sogar  Worter,  die  jeder  deutsche 
Schiiler  in  Schillers  Gedichten  lernt,  fehlen  manchmal,  und  wir  konnten 
Seiten  fiillen  mit  Wortern  aus  Uhland,  Scheffel  und  anderen  vielgelese- 
nen  Dichtern  und  Schriftstellern,  Wortern,  die  bei  Heyne  nicht  ange- 
fuhrt  sind.  Es  liegt  daher  auf  der  Hand,  dass  auch  Heyne  keine  sichere 
Grundlage  zur  Bereicherung  unseres  Wortschatzes  bietet. 

.  Wenn  wir  jedoch  auch  wirklich  die  Zahl  der  Worter,  die  das  Grimm- 
sche Worterbuch  nach  seiner  Vollendung  verzeichnen  wird,  genau  ver- 
anschlagen  konnten,  so  wiirde  diese  Zahl  doch  immer  noch  keine  pas- 
sende  Ant  wort  auf  die  im  Eingsnge  gestellte  Frage  sein,  wenigstens 
nicht  zum  Zweck  eines  Vergkichs  mit  der  Zahl  der  in  den  grossen  eng- 


1st  der  deutsche  Wortschit^  groesser  als  der  englisclx  ?  11 

lischcn  VVorterbiichern '  angeftihrten  Worter.  Diese  Werke  enthalten 
namlich  eine  Unmasse  von  Stoff,  der  von  Grimm  und  mehr  oder  wcni- 
ger  von  anderen  deutschen  Worterbtichern  grundsatzlich  ausgesch lessen 
\vird.  Es  ist  eine  merkwtirdige  Tatsache,  dass  wir  in  letzteren  gerade 
diejcnigen  Worter  am  wenigsten  vollstandig  verzeichnet  finden,  mit  Be- 
zug  auf  deren  Rechtschreibung,  Geschlecht,  Bedeutung  und  Gebrauchs- 
gebiet  der  Durchschnittsmensch  sich.am  haufigsten  ini  \V6rterbuch  Rats 
erholen  muss,  namlich  die  Fremd\vorter.  Die  grossen  englischen  Wpr- 
terbiicher  geben  gerade  diesen  Teil  des  Wortbestandes  sehr  vollstandig, 
und  eins  sucht  das  andere  in  der  Zahl  der  aus  dem  Lateinischen  und  Grie- 
chischen  entnommenen  Worter  zu  iibertreffen.  Man  kann  daselbst  so- 
gar  die  allerneuesten  streng  technisch-\vissenschaftlichen  Ausdriicke  fin- 
den,  und  man  darf  nur  ein  paar  Seiten  eines  solchen  Werkes  durchsehen, 
um  sich  daruber  klar  zu  werden,  welch  grosser  Teil  des  fur  die  englische 
Sprache  in  Anspruch  genommenen  Wortschatzes  aus  solchen  tcchnischen 
und  wissenschaftlichen  Fachausdriicken  internationalen  Geprages  be- 
steht,  die  eben'sp  gut  dem  deutschen  wie  dem  cnglischen  Wortschatze  an- 
gehoren,  obgleich  kein  allgemeines  deutsches  Worterbuch  und  nicht  ein- 
mal  die  gebrauchlichen  Frenidvvorterbiicher  sie  in  annahernder  Vollzah- 
ligkeit  auffiihren. 

Diese  Vernachlassigung  der  Fremdworter  durch  die  heryorragend- 
ste.n  deutschen .  Vvorterbiicher  ist  nicht  zu  rechtfertigen.  .Zunachst  lasst 
sich  iiberhaupt  keine  scharfe  Grenze  zwischen  einheimischcn  und  Fremd- 
wortern  ziehen,  denn  viele  Worter  frernden  Ursprungs  sind  im  Laufe  der 
Zeit  bei  uns  so  heimisch  geworden,  dass  nur  die  philologische  Forschung 
sie  als  Fremdworter  erkennen  kann ;  sie  sind  zum  taglichen  Gebrauche 
notig,  und  auch  Grimm  konnte  nicht  daran  denken,  sie  auszuschliessen. 
Man  denke  nur  an  M  ii  n  z  e,  P  f  u  n  d,  S  t  r  a  s  s  e,  K  i  s  t  e,  W  e  i  n, 
T  r  i  c  h  t  e  r,  M  a  u  e  r,  und  zahlreiche  andere  ursprunglich  lateinische 
Worter.  Es  dreht  sich  daher  nicht  darum,  ob  ein  Wort  deutschen  Ur- 
sprungs ist,  oder  nicht,  sondern  darum,  wie  weit  verbrcitet  es  ist,  welche 
Rolle  es  tatsaclilich  in  der  Sprache  spielt  oder  gespielt  hat,  kurz  um  ahn- 
liche  Dinge  wie  bei  den  einheimischen  Wortern,  denn  auch  das  vollstan- 
digste  deutsche  Worterbuch  w^ird  nicht  alle  hier  und  da  gebrauchlichen 
einheimischen  Worter  verzeichnen  konnen,  sondern  sich  auf  die  verhalt- 
nismassig  verbreiteten  beschranken  mussen. 

Ferner  gibt  es  im  Deutschen  eine  Menge  \V6rter  fremden  Ursprungs, 
die  vielleicht  noch  nicht  in  demselben  Masse  Gemeingut  geworden  sind, 
wie  die  oben  erwahnte  Klasse,  aber  doch  weit  verbreitet  und  sogar  in  un- 
sere  beste  Literatur  gedrungen  sind,  und  daher  in  den  Worterbuchern 
verzeichnet  sein  sollten.  Wenn  zum  Beispiet  Goethe  den  Mephistophe- 
les  sagen  lasst: 


13  Piidagogische  Monatskefte. 

Was  heisst  das  fiir  ein  Leben  fiihren, 
Sich  und  die  Jungens  ennuyieren?  (Faust,  I,  i836f.) 
oder  Gretchen : 
Inkommodiert  euch  nicht !  Wie  konnt  ihr  sie  nur  kiissen ?  ( Faust, 

I.  3081), 

so  gehoren  ennuyieren  und  inkommod  i  e  r  e  n  auch  in  jedes 
einigermassen  vollstandige  deutsche  Worterbuch;  wir  finden  sie  aber 
weder  bei  Heyne,  noch  bei  Grimm.  Keins  der  grossen  englischen  Wor^ . 
terbiicher  hat  verfehlt,  den  Wortschatz  Shakespeares  vollstandig  zu  ver- 
zeichncn,  obgleich  viele  der  von  ihm  verwandten  Worter  jetzt  ausser  Ge- 
brauch  und  vielleicht  iiberhaupt  nie  so  volkstiimlich  gewesen  sind  wie  die 
oben  genannten. 

Weiter  ist  zu  bedenken,  dass  die  Fremdworter  mit  Bezug  auf  ihre 
Aussprache  und  Rechtschreibung  viel  grossere  Schwierigkeiten  bieten 
als  die  einheimischen,  und  dass  fiir  den  Durchschnittsmenschen  ihre  Be- 
deutung  nicht  so  leicht  aus  ihren  Bestandteilen  erhellt ;  sogar  wenn  man 
ihren  Ursprung^kennt,  so  ist  man  doch  noch  manchmal  iiber  ihre  Bedeu- 
tung  ira  Zweifel,  denn  viele-haben  iuv  Deutschen  Bedeiitungen  angenom- 
men,  die  sie  in  der  Sprache,  aus  der  sie  stammen,  niemals  gehabt  haben. 
Man  denke  nur  an  Parterre,  das  im  Franzosischen  niemals  ,,Erdge- 
schoss"  bedeutet,  oder  an  Billion,  das  im  Deutschen  ,,eine  Million 
Millionen"  bedeutet,  im  Englischen  und  Franzosischen  dagegen  ,,tausend 
Miilionen". 

Endlich  darf  man  gegen  die  Aufnahme  der  Fremdworter  nicht  gel- 
tend  machen  wollen,  dass  der  Gebrauch  derselben  tadelnswert  sei  und 
dass  das  Worterbuch  sie  deshalb  nicht  als  vollberechtigt  anerkennen  diir- 
fe.  Ein  Worterbuch  ist  ja  eben  nicht  in  erster  Linie  ein  Gesetzbuch  der 
Sprache,  sondern  ein  alphabetisches  Verzeichnis  sprachlicher  Tatsachen. 
Wenn  ein  Fremdwort  wirklich  ein  gewisses  Gebrauchsgebtet  beherrscht, 
so  hat  das  Worterbudr  diese  Tatsache  zu  verzeichfifen ;  notig'erf falls  soil 
man  gerade  aus  dem  Worterbuch  erfahren  konnen,  wie  eng  begrenzt 
dieses  Gebiet  ist,  und  welche  einheimischen  Worter  gleicher  Bedeutung 
weiter  verbreitet  sind  oder  von  den  besten  Schriftstellern  dem  betreffen- 
clen  Fremdwbrte  vorgezogen  werden.  Hieriiber  geben  nun  \vieder  die 
Fremdworter  gar  keine  Auskunft ;  ihnen  kommt  es  bloss  auf  die  Bedeu- 
tungserklarung  an. 

Auf  alle  Falle  aber  mussten  wir,  um  auf  Grund  der  Worterbiicher 
den  deutschen  Sprachschatz  mit  dem  englischen  vergleichen  zu  konnen, 
erst  ein  deutsehes  Worterbuch  besitzen,  welches  die  Fremdworter  ein- 
schltesslich  der  wissenschaftlichen  und  techhischen  Fachausdriicke  nach 
denselben  Grundsatzen  verzeichnete,  wie  die  grossen  englischen  Worter- 
biicher. In  Ermangelung  eines  solchen  diirfen  wir  fiir  das  Deutsche, 


7s/  der  deutsche  Wortschat^  groesser  als  der  englhche  ?  ]  3 

was  diesen  Teil  des  Wortschatzes  betrifft,  .mindestens  denselben  Reich- 
turn  in  Anspruch  nehmen,  den  das  Englische  besitzt,  denn  es  wird  in 
vielen  Fallen  zutreffen,  dass  das  Deutsche  fur  denselben  Begriff  ein  ein- 
heimisches  und  ein  f remdes  Wort  besitzt,  wie  das  bei  Fernspre- 
cher:  Telephon  der  Fall  ist.  Die  Schwierigkeit,  den  Wortschatz 
angemessen  zu  begrenzen  und  in  der  Ausscheidung  von  Wortern  von  zu 
engem  Gebrauchsgebiete  folgerichtig  zu  verfahren,  ist  natiirlich  bei  bei- 
den  Sprachen  gleich  gross. 

Diese  Schwierigkeit  ist  nun  aber  bei  einer  andern  Klasse  von  Wor- 
tern noch  erheblicher  als  bei  den  Fremdwortern,  namlich  bei  den  Zu- 
sammensetzungen.  Es  ist  bis  jetzt  noch  niemandem  gelungen,  das  Ge- 
biet  der  zusammengesetzten  Worter  so  zu  beschranken,  dass  man  mit 
einiger  Sicherheit  der  deutschen  Sprache  so  und  so  viele  Worter  zuge- 
stehen  konnte,  und  der  englischen  so  und  so  viele.  Man  musste  das  be- 
kannte  Mittel  des  Pfaffen  Amis  anwenden,  der  sich  anheischig  machte, 
den  Inhalt  des  Meeres  genau  zu  messen,  wenn  nur  vorher  jemand  die 
Fliisse  und  Strome  zum  Stehen  brachte,  so  dass  sich  kein  Wasser  mehr 
ins  Meer  ergiessen  konnte.  Es  sind  aber  gerade  iiber  diesen  Punkt  viele 
irrige  Ansichten  verbreitet.  Die  Moglichkeit,  nach  Bedarf  und  Belieben 
neue  Zusammensetzungen  zu  bilden,  wird  namlich  oft  als  ein  Vorteil  hin- 
gestellt,  den  die  deutsche  Sprache  vor  der  englischen  voraus  hat ;  aber 
tatsachlich  ist  der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Sprachen  in  dieser 
Hinsicht  geringer  als  man  gewohnlich  annimmt.  Man  geht  bei  der  Be- 
trachtung  der  Zusammensetzungen  gar  zu  oft  nur  von  dem.  geschriebe- 
nen  oder  gedruckten  Worte  aus,  und  lasst  die  Tatsache  unbeachtet,  dass 
die  Zusammenschreibung  zwar  zumeist  auf  ein  besonders  enges  Verhalt- 
nis  der  Bestandteile  deutet,  dass  aber  ebenso  enge  Verhaltnisse  haufig  in 
der  Schreibung  nicht  zum  Ausdrucke  kommen.  Wir  schreiben  zum  Bei- 
spiele  5m  Deutschen  regelmassig  derselbe  in  einem  Worte,  aber  e  i  n 
a  n  d  e  r  e  r  getrennt,  umgekehrt  im  Englischen  the  same  immer  ge- 
trennt, dagegen  a  n  o  t  h  e  r  in  einem  Worte,  trotzdero  das  Verhaltnis  der 
Worter  in  alien  vier  Verbindungen  genau  dasselbe  ist.  Ebenso  stehen 
die  Bestandteile  von  railroad  company  zu  einander  in  keinem  an- 
deren  Verhaltnisse  als  die  von  Eisenbahngesellschaft;  die 
beiden  Sprachen  sind  sich  hierin  vollig  gleich,  und  der  Unterschied  be- 
steht  bloss  in  der  Rechtschreibung,  die  mehr  oder  weniger  Modesache 
und  allerhand  ausseren  Einflussen  unterworfen  ist.  Man  darf  daher  be- 
haupten,  dass  eine  sehr  grosse  Zahl  der  deutschen  Zusammensetzungen 
ihr  genaues  Gegenstiick  in  englischen  Worterverbindungen  haben,  die 
ebenso  innig  sind  und  sprachlich  denselben  Wert  haben,  ob  sie  nun  nach 
der  jeweilig  geltenden  Rechtschreibung  als  ein  Wort  geschrieben,  oder 
durch  einen  Bindestrich  verbunden,  oder  als  ganz  unabhangig  behandelt 
werdcn.  Dies  vermindert  die  Zahl  der  Zusammensetzungen,  die  das 


14  Pa.lagogische  Monatshtfte. 

Deutsche  nach  landliiufiger  Ansicht  vor  dem  Englischen  voraus  hat,  ganz 
bedeutend.  \Vir  konnen  aber  noch  welter  gehen;  doch  miissen  wir  da 
erst  ein  Wort  iiber  das  Wesen  der  Zusarnmensetzung  im  allgemeinen 
vorausschicken. 

Jede  Art  der  Zusammensetzung  hat  ihren  Ursprung  in  der  innigen 
Verschmelzung  benachbarter  Glieder  im  Satzgefiige.  Nicht  jedes  ein- 
zelne  zusammengesetzte  \Vort  ist  so  entstanden ;  die  Mehrzahl  derselben 
sind  vielmehr  Neubildungen  nach  dem  Muster  der  schon  bestehenden, 
und  nur  die  altesten  Mitglieder  der  Klasse  sind  immer  aus  dem  Satzge- 
fiige selbst  entsprungcn.  Zum  Beispiel  sind  Zusammensetzungen  von 
dem  Typus  Landesherr,  Hungersn  o  t  lediglich  Verschmelzun- 
gen  von  Substantiven  mit  ihren  vorausgestellten  Genitiven,  da  noch  im 
Mittelhochdeutschen  der  Genitiv  zwischen  Artikel  und  Nomen  stehen 
konnte :  (d  e  r)  1  a  n  d  e  s  h  e  r  r  e,  (d  i  u)  h  u  n  g  e  r  s  not.  Die  Frage 
ist  nun :  Wann  war  das  Verhaltnis  der  beiden  Worter  zu  einander  ein 
so  inniges  geworden,  dass  man  die  Verbindung  als  ein  einheitliches  Wort 
ansehen  durfte  ?  Oder,  anders  ausgedriickt,  was  unterscheidet  das  blosse 
Wortgefuge  von  der  Zusammensetzung?  Die  Antwort  darauf  ist  zu- 
nachst,  dass  sich  keine  scharfe  Grenze  zwischen  beiden  ziehen  lasst.  Es 
gibt  einerseits  Wortgefuge,  deren  Bestandteile  noch  ganz  unabhangig 
von  einander  sind,  und  die  deshalb  niemand  als  Zusammensetzungen  an- 
sehen wiirde ;  zum  Beispiel  Objekt  und  Partizipium  in  dem  Satze  der 
Knabe  hat  ein  M  e  s  s  e.  r  g  e  f  u  n  d  e  n.  Andererseits  gibt  es 
Verbindungen,  die  wir  allgemein  als  Zusammensetzungen  bezeichnen,  wie 
zum  Beispiel  empfunden  (aus  ent  -  fun  den).  Dazwischen  aber 
liegen  zahllose  Verbindungen,  die  sich  auf  dern  Wege  vom  blossen  Wort- 
gefiige  zur  Zusammensetzung  befinden,  und  die  je  nach  dem  wechseln- 
den  Sprachgefiilil  und  der  damit  niemals  gleichen  Schritt  haltenden 
Reclitschreibung  zur  einen  oder  zur  anderen  Klasse  gezahlt  werden  kon- 
nen, z.  B.  Objekt  und  Partizipium  in  dem  Satze  dieVersammlung 
hat  s  t  a  1 1  g  e  f  tt  n  d  e  n  (oder  s  t  a  t  t  g  e  f  u  n  d  e , n).  Hierher  ge- 
horen  wieder  kommen,  zuriickerstatten,  vonstat- 
t  e  n  gehen,  zu  standeko  mmen,  im  stand  esein,  z  u 
g  u  t  e  h  a  1 1  e  n,  gutschreiben,  in  kraft  treten  und  viele 
andere.  Die  neueste  offizielle  Rechtschreibung  geht  sehr  weit  in  dem 
Bestreben,  solche  Verbindungen  als  Zusammensetzungen  anzuerkennen. 

Es  wird  nun  oft  gesagt,  dass  es  zum  Wesen  der  Zusammensetzung 
gehort,  dass  die  Wortverbindung  der  Summe  ihrer  Bestandteile  gegen- 
iiber  in  irgend  einer  Weise  differenziert  sein  muss,  namlich  in  der  Form, 
oder  in  der  Becleutting,  oder  in  beiden  zugleich.  Bei  der  Form  kommt 
als  liiiufigstes  Unterscheidungsmittel  die  Betonung  in  Betracht ;  man  ver- 
gleiche  zum  Beispiel :  der  Knabe  kann  gut  schrei  b  e  n  mit : 
wir  w  e  r  d  e  n  I  h  n  e  n  die  S  u  m  m  e  g  u  t  s  c  h  r  e  i  b  e  n,  wo  sich 


1st  der  deutsche  Worlscbat^  groe-sser  ah  der  englische  ?  15 

die  Zusammensetzung  durch  die  verhaltnismassig  starkere  Betcnung  des 
ersten  Bestandteils  kennzeichnet.  Ferner  hat  die  Zusammensetzung  oft 
eine  lautliche  Form,  die  der  blossen  Wortverbindung  nicht  zukommt ;  da 
zum  Beispiel  im  Neuhochdeutschen  das  vor  dem  Substantiv  stehende 
Adjektiv  nicht  mehr  wie  im  Mittelhochdeutschen  unflektiert  gelassen 
werden  darf,  so  sind  (der)  E  d  e  1  m  a  n  n  aus  dem  mittelhochdeutscheu 
deredelman,  dieAltstadt  aus  dem  mittelhochdeutschen 
die  alt  statt  den  Verbindungen  der  edele  M  ann,  diealte 
S  t  a  d  t  gegeniiber  in  der  Form  so  differenziert,  das  sie  jetzt  als  Zusam- 
mensetzungen  gelten  mussen.  Ebenso  sind  jetzt  (der)  Landesherr 
(die)  Hungersnot  und  viele  ahnliche  Verbindungen  unstreitig  als 
Zusarrrmensetzungen  anzusehen,  da  die  obenerwahnte  Stellung  des  Ge- 
nitivs  im  Neuhochdeutschen  nicht  mehr  beliebig  nachgeahmt  \verden 
darf,  solche  Verbindungen  also  den  freien  Verbindungen  der  H  e  r  r 
des  Landes,  die  Not  des  Hungers  gegeniiber  differenziert 
sind.  Es  gibt  noch  andere  Arten  der  fonnellen  Diii'erenzierung,  auf  die 
wir  hier  wegen  Mangel  an  Raum  nicht  eingehen  konnen ;  die  eben  er- 
vvahnten  werden  geniigen,  um  zu  zeigen,  worum  es  sich  hanclelt. 
-;  Es  ist  nun  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  gerade  in  den  beiden 
letztgenannten  Arten  formeller  Differenzierung  das  Deutsche  dem  Eng- 
lischen  gegeniiber  z\vei  vorziigliche  Mittel  besitzt,  die  Zusammensetzung 
von  der  freien  Wortfiigung  zu  unterscheiden,  und  dass  unsere  Sprache 
den  ausgiebigsten  Gebrauch  davon  macht.  N'ach  dem  Muster  gewisser 
alter  Verbindungen,  wie  der  schon  genannten,  kann  der  Deutsche  nach 
Bedarf  und  Belieben  unzahlige  neue  schaffen,  die  nach  jetzigem  Sprach- 
gebrauche  von  vornherein  als  echte  Zusammensetzungen  gelten  mussen, 
VVorter  wie  Regierungsrat,  Lebensart,  L  i  e  b  e  s  or  a  - 
k  e  1,  S  c  h  w  a  r  z  k  ii  n  s  t  1  e  r,  G  e  I  b  v  e  i  1  c  h  e  n  u.  s.  \v.  Die  Zahl 
der  moglichen  Zusammensetzungen  diescr  zwei  Typen  —  ganz  abgese- 
hen  von  anderen  ebenfalls  ergiebigen  Ouellen  --  ist  fast  unbeschrankt, 
und  auch  das  vollstandigste  deutsche  Worterbuch  kann  nur  einen  gerin- 
gen  Teil  derselben  verzeichnen.  Ein  einziges  Beispiel  wird  geniigen,. 
dies  zu  beweisen.  Im  sechsten  Bande  von  Grimms  Worterbuch  sind  auf 
achtzehn  engbedruckten  Spalten  ungefii.hr  350  Zusammenselzungen  mit 
L  i  e  b  e-  und  L  i  e  b  e  s-  verzeichnet ;  vvahrlich  eine  stattliche  Anzahl ! 
Dass  diese  Liste  aber  die  Zahl  der  moglichen  Verbindungen  auch  nicht 
annahernd  erschopft,  geht  daraus  hervor,  dass  der  Nomenclator 
Amoris  von  A.  Gombert  (Strassburg,  1883)  ungefiihr  600  Zusam- 
mensetzungen mit  L  i  e  b  e-  und  L  i  e  b  e  s-  anf  iihrt,  die  bei  Grimm  nicht 
zu  finden  sind !  Und  zwar  sind  dies  nicht  solche,  die  vom  Herausgeber 
willktirlich  gebildet  sind,  sondern  sie  sind  tatsachlich  alle  in  der  Litera- 
tur  belegt ;  auch  sind  es  alles  echte  Zusammensetzungen  im  obigen  Sinne, 
in  der  Form  und  meist  auch  in  der  Bedeutung  von  den  freien  Wortge- 


16  Pddagogische  MonatsMte. 

fugen  geniigend  difierenzkrt.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass,  wcnn  wir 
hiernach  den  deutschen  Wortschatz  berechnen  wollten,  die  Zahl  der  wirk- 
lich  vorkommenden  Worter  einschliesslich  der  Zusammensetzungen  bis 
weit  in  die  Millionen  steigen  und  die  kiihnsten  Behauptungen  der  Ver- 
leger  englischer  Worterbiicher  weit  hinter  sich  lassen  wiirde. 

Es  ware  nun  aber  giinzlich  falsch,  hieraus  schlechtweg  einen  wirk- 
lich  entsprechend  grossercn  Reichtum  der  deutschen  Sprache  zu  folgern. 
Es  ist  allerdings  richtig,  dass  unsere  Sprache  gewisse  Mittel  zur  formel- 
len  Differenzierung  zwischen  Zusammensetzung  und  freier  Wortfiigung 
besitzt,  die  der  englischen  Sprache  abgehen,  wie  an  den  obigen  Beispie- 
len  gezeigt  worden  ist,  aber  fast  gleiche  Resultate  lassen  sich  attch  mit 
geringeren  Mitteln  erzielen.  Wenn  man  zum  Beispiel  glaubte,  dass  L  i  e- 
b  e  s  b  r  i  e  f  irgend  welchen  Vorzug  vor  love  -  letter  hatte,  lediglich 
weil  durch  das  bindende  -s-,  welches  dem  einfachenL  i  e  b  e  nie  zukommt, 
die  Zusammensetzung  von  der  freien  Wortfiigung  differenziert  ist,  so 
miisste  man  auch  zugeben,  dass  Versicherungsgesellschaft 
eine  Zusammensetzung  in  hoherem  Sinne  sei  als  Eisenbahnge- 
s  c  h  a  f  t,  und  dazu  wird  wohl  niemand  bereit  sein.  Der  Bindestrich  in 
love- letter  ist  natiirlich  ganz  belanglos ;  ob  eine  solche  Verbindung 
als  ein  Wort  geschrieben  werden  soil  oder  als  zwei,  mit  oder  ohne  Binde- 
strich, daruber  sind  sich  die  Doktoren  in  den  seltensten  Fallen  einig,  eben 
weil  es  sich  urn  reine  Ausserlichkeiten  der  Schrift  handelt,  die  etwaige 
Verschiedenheiten  der  eigentlichen  Sprachwerte  nur  sehr  unvollkommen 
wiedergeben. 

Andererseits  muss  zugestanden  werden,  dass  es  5m  Deutschen  einige 
grosse  Klassen  von  Zusammensetzungen  giebfc,  die  hit  Englischen  entwe- 
der  gar  keine,  oder  nur  verhaltnismassig  wenige  Vertreter  haben.  Hier- 
her  gehoren  besonders  die  Worter,  deren  erster  Teil  ein  Verbalstamm  ist, 
zum  Beispiel :  Wanderlust,  Lesewut,  schreibkundig, 
lernbegierig.  Dieser  Typus  ist  nicht  direkt  aus  dem  Satzgef uge 
entstanden,  sondern  erst  indirekt  dadurch,  dass  in  manchen  alten  Zusam- 
mensetzungen, deren  erster  Teil  ein  Nominalstamm  war,  letzterer  auch 
als  Verbalstamm  aufgefasst  werden  konnte,  wie  noch  heute  in  R  e  i  s  e- 
1  u  s  t,  f  1  u  c  h  w  ii  r  d  i  g.  Die  gebrauchlichen  Zusammensetzungen  dic- 
ser  Art  sind  ausserordentlich  zahlreich,  und  neue  konnen  jederzeit  nach 
Bedarf  und  Belieben  gebildet  werden.  Das  Englische  muss  sich  hier 
meist  der  Verbalnomina  auf  -ing  oder  anderer  umstandlicher  Wortge- 
fiige  bedienen,  wie  in  mania  for  reading,  (Lesewut), ready 
for  the  j  ourney  (reisefertig).  Esist  nicht  zu  leugnen,  dass 
das  Deutsche  hier,  wie  das  Griechische,  den  Vprteil  der  Kiirze  hat. 

Schliesslich  darf  mit  Recht  behauptet  werden,  dass  das  Deutsche  alle 
Arten  von  Zusammensetzungen,  auch  diejenigen,  die  der  englischen 
Sprache  zu  Gebote  stehen,  mit  grosserer  Freiheit  und  Leichtigkeit  bildet 


1st  der  deutsche  Worse  fat  %  -groesser  als  iUr  englische  ?  )  V 

und  anwendet  als  das  Englische.  Besonders  straubt  sich  das  letztere  ge- 
gen  Zusammensetzungen,  deren  einer  Teil  schon  ein  zusammengesetztcs 
Wort  ist,  obgleich  sich  auch  dafiir  allgemein  gebrauchliche  Beispiele  an- 
fiihren  lassen .  Fire  insurance  company  entspricht  nach  un- 
seren  obigen  Auseinandersetzungen  genan  dem  deutschen  F  e  u  e  r  v  e  r- 
sicherungsgesellschaft;im  allgemeinen  aber  vermeidet  man 
solche  Haufungen  und  gibt  zum  Beispiel  Zeichenlehrerverein 
lieber  durch  association  of  drawing- teachers  wieder. 

Aus  alien  unseren  Erorterungen  geht  nun  wohl  hervor,  dass  «wt  Be- 
zug  auf  die  zusammengesetzten  Worter  der  deutsche  Wortschatz  viel 
reicher  ist,  als  der  englische,  und  dass  ein  deutsches  Worterbuch  eine 
bedeutend  grossere  Zahl  von  Zusammensetzungen  enthalten  miisste,  a)s 
ein  englisches  von  verhaltnismassig  gleicher  Vollstandigkeit.  Ehe  man 
aber  deshalb  die  deutsche  Sprache  als  absolut  reicher  als  die  englische  be- 
zeichnen  darf,  muss  man  erst  wieder  bedcnken,  dass  die  letztere  sehr  oft 
ein  ein  f aches  Wort  besitzt,  wo  wir  uns  im  Deutschen  eines  zusammenge- 
setzten bedienen  miissen.  Wenn  wir  aus  Hand  und  S  c  h  u  h  cin 
H  a  n  d  s  c  h  u  h  bilden  konnen,  so  mag  das  den  Vorteil  der  An^cha^flie.h- 
keit  haben ;  das  Englische  ist  dagegen  mit  seinem  glove  ebenso  reich 
und  hat  den  Vorteil  der  Kurze.  Auch  ist  die  Anschaulichkeit  nicht  im- 
mer  so  gross  wie  man  hiiufig  denkt.  Jeder  Lehrer  des  Deutschen  kann 
ein  Lied  davon  singen,  wie  schwer  es  demjenigen  oft  wird,  die  Beden- 
tung  eines  zusammengesetzten  Wortes  aus  seinen  Bestandteilen  berzulei- 
ten,  der  dieselbe  nicht  schon  vorher  kennt.  Annahernd  lasst  sich  ja 
die  Bedeutung  meist  bestimmen,  genau  dagegen  sehr  oft  nicht.  Wcr 
wird  wohl  von  selbst  darauf  kommen,  was  ein  H  i  r  s  c  h  f  a  n  g  e  r  ist? 
Der  Unterschied  zwischen  einem  Schraubenzieher  und  einem 
Schraubenschliissel  wird  doch  sicher  nicht  durch  den  zwischen 
-z  i  e  h  e  r  und  -schliissel  veranschaulicht. 

Die  erwahnte  Fahigkeit  des  Englischen,  eincn  Begriff  oft  dupch  cm 
ein  f  aches  Wort  auszudriicken,  wo, wir  zurZusanimensetzung-gneil«»j  -hat 
ihren  Grund  zum  Teil  darin,  dass  die  englische  Sprache,  infolge  Hires 
Ursprungs  als  Mischsprache  aus  dem  Angelsachsischen  und  Normanni- 
schen,  den  Vorteil  eines  doppelten  Wortschatzes  hat.  Von  diesem  macbt 
sie  zur  Differenzierung  der  Begriffe  vielfach  Gebrauch.  So  werden  die 
beiden  urspriinglich  gleichwertigen  calf  und  veal  in  der  Bedeutung 
so  geschieden,  wie  unser  K  a  1  b  und  die  Zusammensetzung  K  a  1  b  - 
f  1  e  i  s  c  h.  Durch  diesen  doppelten  Wortschatz  wird  unzweifelhaft  em 
Teil  des  Vorteils,  den  das  Deutsche  durch  seine  grossere  Zusammcn- 
setzungsfahigkeit  vor  dem  Englischen  hat,  wieder  aufgewogen. 

Aus  den  vorgehenden  Erwagungen  ergibt  sich  nun  wohl  klar,  dass 
cs  einerseits  ganz  unmoglich  ware,  den  Wortschatz  des  Deutschen ,  im«> 
des  Englischen  nach  einheitlichen-  Grundsatzen  so  genau  abzugrenzcn, 


18  »'.':•       Pddagogiscbe  Monatsbefte. 

dass  sich  ein  numerischer  Vergleich  zwisclien  den  beiden  Sprachen  mit 
Sicherheit  ansteilen  liesse,  wenn  auch  manches  dafiir  zu  sprechen  scheint, 
dass  der-deutsche  Wortschatz  dem  englischen  iiberlegen  ist;  andererseits, 
dass  man  die  Mittel  der  beiden  Sprachen  iiberhaupt  nicht  schlechtweg 
nach  der  Zahl  der  an  sich  moglichen  oder  tatsachlich  vorkommenden 
Worter  beurteilen  darf.  Ob  sich  auf  anderer  Grundlage  ein  Vergleich 
liber  den  Reichtum  der  beiden  Sprachen  ansteilen  lasst,  soil  bei  einer  spa- 
teren  Gelegenheit  erortert  werden. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Zweite  Konvention  des  Deutschamerikanischen  National  bundes. 


Abgehalten  von  Samstag,  dem  12.  bis  Dienstag,  den  15.  September  1903,  zu  Baltimore,  Mil. 


(FOr  die  Padagoglsc.ien  Honatshefte.) 


Von  C.  O.  SchSnrich,  Baltimore. 


.  Die  zwe.ite  Konvention  des  Deutschamerikanischen  Nationalbundes  war 
in  jeder  Hinsicht  ein  grosser  Erfolg.  Das  eigentliche  Wesen  des  jug-end- 
kraftigen  Bundes  trat  bei  derselben  so  recht  zu  Tage;  das,  was  der  Bund 
ist,  was.  .er  seiii:  soil  und  bleiben  muss:  eine  Volksbewegung-.  Da  sah  man 
Profes«oren^  Doktoren  der  Philosopbie  und  Medizin,  \rolksschullehrer, 
Schongeister,  I.iteraten,  Journalisten,  Kiinstler,  Ingenieure,  Juristen,  Pri- 
vatiers,  grosse  xmd  kleine  Gesclmftsleute  und  Handwerker  einmiitig  bei- 
sammen  zu  .ernster  Arbeit.  Nach  Ansicht  des  Bundespi-asidenten,  Dr. 
Hexanier,  war  der  Prozentsatz  der  Tiichtigkeit  der  anwesenden  Delegaten 
einer  der  hochsten  von  irgend  einer  Konvention,  der  er  jenials  beigewohnt 
hatte  —  und  er  hat  in  den  hervorragenden  Kulturlandern  an  grosseren 
Kon-ventionen  teilgenommen.  Vom  Osten,  vom  Norden  und  Siiden  des  wei- 
ten  Landes  hatten  sie  sich  eingefundeii,  als  Delegaten  von  Staatsverbanden, 
Stadtevereinigungen  und  einzelnen  Vereinen.  Der  Lehrerbund  war  durcli 
M.  II.  Ferren  und  C.  O.  Schoiirich  vertreten,  unser  Lehrer.seminar  dnrch  C. 
O.  Schonrich. 

Schon  bei  der  Vorversammliing  im  Hotel  am  Samstag  Abend  zeigte  sich 
der  rege  Schaffensgeist  der  deutschen  Manner.  Sie  waren  zu  ernster  Arbeit 
cekommen.  ,,Wir  kennen  die  sprichwortliche  Gastfreundschaft  der  Balti- 
iruorer",  hatte  schon  der  wackere  Freund  Bloedel  dem  Schreiber  bei  dessen 
Durchreise  durch  Pittsburg  anfangs  Juli  gesagt,  ,,aber  sagen  Sie  den  dorti- 
gen  Freunden,  sie  mochten  uns  nicht  fetieren,  denn  wir  kommen  zu  ernster 
Arbeit  tmdwerden  deren  gar  viel  zu  bewaltigen  ha  ben." 

:  'Natiirlich  ^'lirden  die  Delegaten  doch  fetiert,  und  zwar  in  grossartiger 
T\'eise,.allein  sie' Kessen  sich  dadurch  nicht  in  der  vorgesetzten  Arbeit  auf- 
halten,  und -wa-s  in  :den  regelniassigen  Geschiiftsstunden  nicht  bewiiltigt 
werden  konnte,  wurde  an  der  abendlichen  Banketttafel  zu  Ende  gefiihrt. 
Da  zeigte  sich  kein  Bankett-  oder  Biertisch-Enthusiasmus,  sondern  der  tief- 
ernSt«  Entschluss  jedes'  Einzelnen,  an  einem  Riesenwerk  mitzuhelfen,  das 
eigentlioh •  s«hon  zn -Pastorhis'  Zeiten  hatte  begonnen  werden  sollen.  Die 
Geschaftsstunden  wiihrten  an  den  drei  Sitzungstagen,  Sonntag,  Montag  und 


Be  rich  te  und  Notion.  19 

Dienstag,  von  morgens  nenn  Uhr  ohne  jede  Unterbrechung  bis  eins,  nach- 
rnittags  wurde  dann  ein  Ausflug  unternommen,  abends  ging's  zu  einom 
Bankett.  Die  verschiedenen  Ausschiisse  hielten  ihre"  Sitzungen  in  aller 
Friihe;  Herr  Rudolph  Cronau  >on  New  York  holte  seine  Koroiteeglieder 
schon  um  sechs  TJhr  morgens  aus  dein  Bette. 

Die  Sitzungen  wurdon  in  dem  prachtig  geschmiickten  grossen  Saale  des 
riihrigen  Turnvereins  ,,Yorwarts"  abgehalten,  die  Delegaten  sassen  an  klei- 
nen  Tischen,  auf  deneii  Schreibmaterial  bereit  gelegt  war.  Der  jiingste 
Jahresbericht  unseres  Lehrerseminars,  sowie  erne  Konstitution  desselben 
waren  auch  auf  jedem  der  Tische  zu  finden  und  erregten  viel  fnteresse.  Von 
St.  Louis  war  eine  Delcgatin  erschienen,  Frau  Fernanda  Riehter,  besser 
bekannt  unter  ihrein  Schriftstellernamen  Edna  Fern.  Milwaukee  war  dureh 
He.rrn  Viktor  Gangelin,  StadtredaKteur  vom  ,,Herold",  vertreteii.  Derselbe 
erwies  sich  als  ein  wackerer  Kanipe,  besonders  als  es  im  Laufe  der 
Yerhandlungen  gait,  eiuen  von  Boston  her  wehenden  anarchistischen  Gift- 
hauch  unschiidlich  zu  niachen.  Mit  grosser  Freude  wurde  unser  treuer 
Freund  Dr.  Learned  begriisst,  er  war  eben  von  einer  ausgedehnten  Studien- 
und  Erholungsreise  durch  Deutschland  und  England  zuriickgekomrnen. 

Der  bei  der  Eroffmmg  vom  Bundespriisidenten  verlesene  Jahresbericht 
brachte  nur  Erfreuliclies.  Der  Bund  hat  in  den  zwei  Jahren  seines  Be- 
fctehens  schon  ganz  bedeutende  Erfolge  aufzuweisen,  er  hat  sich  auch  im 
Kongress  geltend  gemacht  und  ist  in  kraftigem  Wachstum  begriffen.  Aha- 
lich  giinstig  lauteten  die  Berichte  der  Delegaten  iiber  das  Wirken  ihrer  resp. 
Staatsverbande,  sie  fanden  alle  reicheii  Beifall.  Leider  kann  hier  aus  Man- 
gel an  Raiim  nicht  niiher  auf  diese  mitunter  besonders  interessanten  Be- 
richte eingegangen  werden.  So  berichtete  Dr.  Anderson  von  New  York, 
dass  in  jener  Stadt  148  Vereine  mit  ca.  30,000  Mitgliedern  zum  Wohle  der 
Deutschen  und  zum  Kampfe  gegen  den  Nativismus  organisiert  •  worden 
seien.  Desgleichen  arbeiteten  die  ,,Vereinigten  deutschen  Gesellschaften 
von  New  York"  fiir  den  deutschen  Unterricht  in  den  Schulen,  iiund  er  habe 
die  feste  Oberzeugung,  dass  der  Gesell.scliaft  eine  grosse  Zukunft  bevor- 
stehe. 

Herr  Tjarks  von  Baltimore  brachte  in  seinem  Bericht  folgende  Worte: 
,,(jber  den  Unterricht  des  Dentschen  liisst  sich  berichten,  class  im  letz- 
ten  Jahre  derselbe  in  einer  weiteren  Schule  eingefiihrt  wurde;  und  dass 
es  sicher  vorauszusehen  ist,  dass  die  YerhSiltnisse  derartig  giinstig  sind, 
dass,  wenn  in  irgend  tiner  Stadtgegend  die  Junfiihrung  des  deutschen  Un- 
terrichts  von  einer  geniigenden  Anzahl  von  Biirgern  verlangt  wird,  derselbe 
auch  eingefiihrt  werden  wird.  Doch  miissen  wir  zu  gleicher  Zeit  konstattie- 
ren,  dass  gerade  der  Deutsche  derjenige  ist,  der  seine  Kinder  nicht  in  die 
deutsche  Schule  schickt,  und  dass  der  Stockamerikaner  verhtiltnismassig 
mehr  Gebrauch  davon  macht." 

Eine  Anzahl  von  Delegaten,  die  cinzelne  Vereinigungen  vertraten  an 
IMJitzen,  woselbst  es  noch  keine  Stadte-  oder  Staatsverbtinde  gibt,  wie  z.  B. 
Herr  Emil  Manhardt  von  der  Ilistorischen  Gesellschaft  in  Chicago,  berich- 
teten,  dass  sie  gesandt  worden  seicn,  um  die  Ziele  und  Zwecke  des  National- 
bundes  eingehend  kenncn  zu  lernen,  um  dann  im  eigenen  Bezirk  den  Ver- 
such  zu  machen,  die  deutschen  Vereine  nnter  einen  Hut  zu  bringen.  Frau 
Fernande  Richter  (Edna  Fern)  berichtet*  nicht  giinstig  iiber  die  St.  Louiser 
Zustiinde.  Sie  sagte  unter  anderem:  ,,Tch  muss  sagen,  dass  ich  nur  den 
,,Schillerverein  von  St.  Louis"  vertrete,  von  dem  ich  den  Auftrag  habe,  mich 
init  den  Zielen  und  Zwecken  des  Nationalbundes  vertraut  zu  machen.  Ich 


20  Piidagogiscbe  Monats/iefte. 

will  die  deutsohe  Lage  in  St.  Louis  schildern;  sie  ist  manchmal  herzlieh 
schlecht,  manehes  mal  auch  wieder  besser.  Wir  haben  friiher  grossartige 
deutsche  Tage  gefeiert,  so  grossartig,  dass  wir  heute  noch  an  dem  Kuhme 
zehren.  Die  Politiker  haben  die  deutsche  Bewegung  an  sich  gerissen,  und 
gerade  in  der  Politik  haben  wir  in  Missouri  mit  den  Deutschen  nicht  viel 
Ehre  eingelegt.  In  den  Schulen  ist  zwar  der  Turnunterricht  eingefiihrt, 
aber  nicht  der  deutsche.  Die  friiheren  sieben  deutschen  Zeitungen  sind  auf 
zwei  zusammengeschmolzen.  Aber  mit  dem  Riickgang  der  Organisation  ist 
auch  die  Achtung  der  Deutschen  gesunken.  An  der  Hochschule  wird  noch 
Deutsch  gelehrt." 

Prof.  Ferren  sprach  als  Delegat  des  Lehrerbundes  seine  Freude  aus 
iiber  das  sich  in  der  Konvention  bekundende  hohe  Tnteresse  fiir  Erhaltung 
der  deutschen  Sprache  und  Einfiihrung  des  Deutschen  an  den  Schulen  des 
Landes.  Er  wiiusche  nur,  dass  die  Delegaten  ihre  Begeisterung  axich  auf 
die  Lehrerschaft  in  ihren  Stadten  iibertriigen,  sie  veranlassten,  sich  dem 
Lehrerbund  anzuschliessen  und  zimachst  dessen  Organ,  die  ,,P  a  d  a  g  o  g  i- 
schenMonatshefte'Mn  jeder  Beziehung,  vornehmlich  auch  durch  Bei- 
triige,  unterstiitzten.  Auch  den  Delegaten  selbst  empfahl  er  die  Monats- 
hefte  aufs  wiirmste,  sie  mochten  im  eigeiien  Hause,  in  ihren  Vereinen  und 
unter  andern  Erziehungsfreunden  fiir  die  Verbreitung  derselben  wirken, 
und  somit  fiir  die  Verbreitung  deutscher  Erziehungs-Grundsatze  und  Be- 
strebungen.  Wie  die  Monatshefte,  die  sich  auch  bereits  unter  leitenden 
Schulmannern  Deutschlands  ein  hohes  Ansehen  erworben,  dem.deutschame- 
rikanischen  Lehrer  geradezu  unentbehrlich  sein  miissen,  so  diirften  sie  sich 
fiir  jeden  hiesigen  Schulfreund  niitzlich,  und  anbetrachts  der  geringen 
Kosten,  $1.50  per  Jahr,  auch  zugiinglich  erweisen. 

Der  zweite  Delegat  des  Lehrerbundes  unterstiitzte  die  Worte  seines 
Kollegen  und  sagte  dabei,  es  werde  den  Mitgliedern  des  Lehrerbundes 
grosse  Freude  und  Ermunterung  gewahren,  von  den  hier  berichteten  Be- 
tatigungen  fiir  deutsche  Schulbestrebungen  zu  erfahren,  und  das  teihveise 
aus  Stadten,  die  im  Lehrerbund,  wie  auch  in  dessen  Organ,  seit  Jahr  und 
Tag  keine  Vertretung  gehabt  haben.  Letzteres  sei  iibrigens  eine  so  be- 
denkliche  Tatsache,  dass  er  darauf  besondcrs  hinweisen  miisse. 

Es  ist  ja  leider  wahr,  fiihrte  er  aus,  dass  manche,  und  vielleicht  viele, 
durch  ein  geringes  Einkommen  vom  Lehrertag  abgehalten  werden,  warum 
halten  sich  aber  andere  geflissentlich  fern?  Und  warum  unterstiitzen  nicht 
alle  das  mit  so  viel  Aufopferung,  Fleiss  und  Geschick  redigierte  Bnndesor- 
gan,  die  ,,PadagogischenMonatshe  f  t  e"?  Vom  Lehrertmnd  sind 
sie  doch  wiederholt  und  in  verschiedener  Weise  herzlich  eingeladen  \vorden. 
Es  muss  betont  werden,  dass  keine  gewinnsuchende  Spekulation  mit  den 
Monatsheften  verbunden  ist;  die  Verlagsfirma,  ,,The  Herold  Co."  in  Mil- 
waukee, hat  sich  von  Anfang  an  zufrieden  erklart,  wenn  nur  die  Kosten 
gedeckt  werden,  und  da  dies  soweit  noch  nicht  der  Fall  war,  hat  sie  die 
ganze  Zeit  her  der  guten  Sache  bedeutende  Opfer  gebracht. 

Zum  erfolgreichen  Durchfiihren  Ihrer  Schulbestrebungen  bediirfen  sie 
berufstiichtiger,  begeisterter  Lchrkrafte,  sehen  Sie  darauf  -  -  und  i  c  h 
spreche  durch  Sie  zu  dem  ganzen  Deutschamerika- 
nertum  des  weiten  Landes  —  ja,  sehen  Sie  darauf,  dass  Sie  solche 
Lehrkrafte  haben  und  heranziehen;  dasHal  tender  ,,Padagogi- 
s  c  h  e  n  Monatshefte"s  e  i  t  e  n  s  Ihrer  Lehrer,  und  deren 
Stellungnahme  zum  Lehrerbund,  gebe  Ihnen  einen 
trefflichen  Gradmesserzu  deren  Beurteilnng.  Und 


Berichte  und  Notion.  31 

wenn  Sie  solche  deutschamerikaniscnen  Leltrer  und  Lehrerinnen  an  Ihren 
Schulen  haben,  dann  wirken  Sie  auch  dafiir,  dass  sie  anstiindig  besoldet, 
nicht  geaschenbrodelt  werden. 

Als  Vertreter  des  Lehrerseminars  erinnerte  Delegat  Schonrich  in  sei- 
nem  Bericht  an  den  vor  zwei  Jahren  get'assten  Beschluss:  ,,Die  Konvention 
richtet  an  siimtliche  Vereinigungen  des  Landes,  an  jedes  einzelne  Mitglied, 
sowie  an  alle  Freunde  unserer  Bestrebungen  die  dringende  Bitte,  in  jeder 
Weise  zu  einer  kraftigen  finanziellen  Unterstutzung  des  Lehrerseminars 
beizutragen,  der  einzigen  nationalen  Schopfung  des 
Deutschamerikanertums,  die  von  weitgehendsterBedeutung  sein 
rnuss  fiir  die  Weiterentwickelung  unseres  Schulwesens  und  ein  wichtiger 
Faktor  in  dem  BiJdungsprozess  unseres  Volkes".  Im  Sturm  und  Drang  der 
ersten  Jugendjahre  sei  jene  Bitte  unbeachtet  geblieben,  inzwischen  aber 
deren  treue  Ausfiihrung  um  so  notiger  geworden,  denn  es  sei  ein  Defizit 
Ton  $1500  vorhanden. 

Wahrend  nun  von  hochsinnigen  Biirgern  Milwaukees  jahraus,  jahrein 
fiir  diese  national  deutschamerikanische  Stiftung  in  aller  Stille  bedeutende 
Opfer  gebracht  werden,  haben  eine  Reihe  der  im  Nationalbund  vertretenen 
Stadte  entweder  gar  nichts  oder  doch  nur  wenig  dafiir  getan.  Eine  lebhafte, 
dauernde  Agitation  sollte  iiberall  eingeleitet  werden,  um  das  Stammkapital 
auf  eine  solche  Hohe  zu  bringen,  dass  von  dessen  Zinsen  das  Institut  er- 
halten  iind  den  wachsenden  Anforderungen  der  Zeit  entsprechend  weiter 
entwickelt  werden  kann.  Energische,  einflussreiche  Manner  sollten  an  den 
verschiedenen  Platzen  zur  Leitung  dieser  Agitation  ausgesucht  werden. 

In  Deutschland  ausgebildete  Lehrer  passen  wohl  fiir  unsere  hoheren 
Lehi-anstalten,  fiir  unsere  Volksschulen  aber  miissen  sie 
erst  gute  Deutsehamerikaner  werden,  und  das  nimmt  ge- 
wohnlich  viele  Jahre;  manche  werden's  nie.  Die  Reihen  der  alten  Berufs- 
tiichtigen  lichten  sich  immer  mehr,  wichtiger  wie  je  wird  die  Heranbildung 
neuer  Krafte  —  und  das  ist  die  schone  Aufgabe  des  Nationalen  Deutsch- 
amerikanischen  Lehrerseminars,  wofiir  der  Nationalbund  mit  alien  Kraf- 
ten  eintreten  muss,  wenn  seine  Schulbestrebungea  dauernd  erfolgreich 
sein  sollen.  —  Der  folgende  Antrag  des  Delegaten,  warm  unterstutzt  von 
Prof.  Ferren  und  Dr.  Learned,  fand  einstimmige  Annahme: 

,,Die  zweite  Konvention  des  Deutschamerikanischen  National- 
bundes  empfiehlt  samtlichen  deutschen  Vereinigungen  des  Landes 
eine  tatkraftige  dauernde  Unterstiitzung  des  Nationalen  Deutsch- 
amerikanischen Lehrerseminars  zu  Milwaukee,  und  dabei  vor  allem 
die  Erwerbung  der  Mitgliedschaft  in  jenem  Musterinstitut,  dessen 
Sicherstellung  geradezu  eine  Lebensbedingung  fiir  unsere  Bestre- 
bungen ist.  Eine  solche  Mitgliedschaft  kann  durch  einen  Beitrag 
von  $50,  der  in  Raten  eingezahlt  werden  kann,  erlangt  werden  und 
berechtigt  zu  einer  Stimme  in  der  Verwaltung." 

Dr.  Albert  J.  W.  Kern  von  New  York  hielt  am  Schluss  der  ersten  Sit- 
zung  einen  geistvollen  Vortrag  iiber  die  Ziele  des  Nationalbundes  und  ern- 
tete  dafiir  reichen  Beifall.  Er  ist  ein  so  treuer  Freund  und  Mitarbeiter  de> 
,,Padagogischen  Monatshefte",  dass  wir  hoffen  diirfen,  den  ganzen  Vortrag 
in  diesen  Blattern  zu  Gesicht  zu  bekommen. 

Einer  der  wichtigsten  Beschliisse  der  ganzen  Konvention  wurde  ohne 
jedwede  Diskussion  angenommen;  es  war  die  politische  Unab- 


22  Pddagogische  Monatslxfte. 

hangigkeitserklarung  des  Xationalbundes;  dieselbe 
lautet: 

,,Als  loyale  Burger  dieser  grossen  Republik,  dnrchdrungen  von  dem 
Geiste,  der  die  Unterzeichner  der  Unabhangigkeitserkliirung  der  Vereinig- 
ten  Staaten  Ton  Amerika  am  4.  Juli  1776  veranlas.ste,  Front  zu  mac-hen  ge- 
gen monarchistische  Bevormundung,  auf  dass  der  Wille  des  Volkes  regiere 
und  nicht  der  Wille  eines  einzelnen  Menschen,  sehen  wir  uns  gezwungen, 
unsere  Stimmen  zu  erheben  gegen  ungesunde  politische  Verhaltnisse,  die 
sich  im  Laufe  der  Jahre  gebildet  haben  und  die  eine  Gefahr  fiir  das  Wohl 
und  Gedeihen  des  Landes  und  die  Eechte  der  Biirger  in  sich  bergen.  Aus 
den  sich  immer  mehr  kbnzentrierenden  Methoden,  Macht  zu  erlangen,  hat 
sich  eine  Kombination  von  Politikern  und  Amterjagern  herangebiklet,  die 
eine  ausserhalb  des  Volkes  stchende  Kaste  bildet.  Wie  in  einem  Militar- 
staat  hat  sich  eine  Anwartschaft  anf  die  offentlichen  Amter  herausgebildet, 
der  nur  derjenige  teilhaftig  wird,  welcher  es  fertig  bringt,  so  und  so  viele 
seiner  Mitbiirger  bei  Wahlen  durch  allerlei  Versprechungen  oder  init  barein 
Gelde  zu  beeinflussen.  Diese  Beeinflussungen  sind  von  einer  so  degenerie- 
renden  Wirkung,  dass  strenge  Gesetze  mit  empf.ndlichen  Strafen  fiir  den 
Beeinflussenden  und  den  Beeinflussten  sehr  von  noten  sind.  Das  Stiminreeht 
ist  das  hochste  Recht  des  Burgers,  dessen  Ausiibung  lauter  und  rein  zu  hal- 
ten  ist.  Wer  solcher  Ausiibung  nicht  fahig  ist,  begibt  sich  dieses  und  aller 
anderen  Privilegien  des  Gemeinwesens. 

,,In  unserem  Lande  rait  seinen  bunt  durch  einander  gewiirfelten  Xa- 
tionalitaten  ist  es  die  Haupttaktik  der  Politiker,  jede  Xationalitat  so  zu  be- 
handeln.  \vie  sie  behandelt  werden  will,  und  ihr  das  zu  sagen,  was  sie  am 
liebsten  hort.  Die  verschiedenen  Xalionalitaten  wissen  wohl  von  einander, 
aber  sie  kennen  sich  nicht,  erwarmen  sich  auch  nicht  fiir  einander.  Das 
Besultat  ist  immer  dasselbe:  der  Sieg  der  Politiker  und  der  Xativisten. 

,,Es  ist  ferner  eine  Taktik  der  Politiker,  sich  in  den  Eeihen  der  ver- 
schiedenen Nationalitaten  eine  Keihe  kauflicher  Subjekte  z\i  halten.  Deren 
Aufgabe  ist  es,  sich  iiberall  einzuschleichen,  Unfrieden  und  Uneinigkeit  zu 
siien  und  Bericht  iiber  alle  Vorgange  zu  erst  at- ten.  Diese  gefahrlicheii 
Subjekte  sind  am  leichtesten  daran  zu  erkennen,  dass  sie  sich  alien  Eini- 
gungsbestrebungen  unter  ihren  respektiven  Nationalitaten  widersetzen. 

,,Noch  verabscheuungswiirdiger  sind  die  in  dieselbe  Kategorie  gehori- 
gen  gelben  Zeitungen.  Die  Hauptaufgabe  dieser  Entarteten  ist  es,  den  Le- 
sern  ihrer  Nationalittit  falsche  Ratschlage  zu  geben  uud  Manner,  die  im 
Interesse  des  Gesamtwohls  und  ihrer  Xationalitilt  wirken,  mit  Schmutz  zu 
bewerfen. 

,,Es  ist  daher  die  doppelte  Pflicht  der  Staats-  und  munizipalen  Behor- 
den,  darauf  zu  sehen,  dass  der  Wille  des  Volkes  rein  und  unverfiilscht  zum 
Ausdruck  kommt;  dass  das  System  der  Beeinflussung  durch  Begiinstigun- 
gen  jeglicher  Art,  oder  auch  mit  klingender  Miinze  aufhort,  fiir  strafbar 
erklart  und  bestraft  wird;  dass  die  Amterjagerei  einer  Gleichberechtigung 
aller  guten  Biirger,  Amter  zu  bekleiden  oder  in  die  munizipalen  und  gesetz- 
gebenden  Korperschaften  erwiihlt  zu  werden,  Platz  macht. 

,,Und  es  ist  die  Ehrenpflicht  aller  guten  Deutschamerikaner,  deren  Vor- 
t'ahren  schon  im  Jahre  1688  den  erstenProtest  gegen  dieSklaverei  erliessen, 
—  religiose  Freiheit  erklarten,  —  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  so  viel  fiir 
dieses  Land  getan  haben,  sich  von  alien  die  Kechte  des  Volkes  ueeintriichti- 
genden  Maximen  unabhangig  zu  erklaren  und  deren  Abhulfe  zu  erstreben. 
Und  alle  politischen  Parteien  sollten  uns  dabei  behiilflich  sein,  denn  es  ist 


Berlchte  und  Notion.  23 

riiehts  ehrender  fur  eine  Partei,  als  wenn  sie  den  Willen  des  Volkes.i-ein 
und  unverfalscht  znm  Ausdruck  bring!.  Sollten  die  Parteien  es  unterlassen 
oder  sich  weigem,  dies  zu  tun,  dann  1st  es  die  Pflicbt  jedes  Deutschameri- 
kaners,  sich  von  seiner  Partei  loszusagen. 

,,Wir,  die  in  Konvention  versammelten  Vertreter  des  Deutschamerika- 
nertums  der  Ver.  Stauten,  verpflichten  uns  auf  Ehre  und  Gewissen,  mit  al- 
ien ehrlichen  uud  gesetzlk-hen  Mitteln  fiir  die  Durchfiihrung  der  Satzungen 
dieser  Unabhangigkeitscrklarung  zu  wirken." 

Weitere  wichli^e  Besohliisse  der  Konvention  seien  nachfolgend  in  kiir- 
zester  Form  wiedtrgegeben: 

1.  Die  Konventionen  sollen  a  lie  zwei  Jalire  abwechselnd  im.  Westen  und 
im  Osten  abgehalten  \verden.    Die  nnchste  Konvention  findet  im-Jahre  1905 
in  Indianapolis  statt. 

2.  Es  sollen  ein  eiserner  und  ein  fliessender  Fonds  fiir  Sehulzwecke,  ein 
Fonds  fiir  Organisationszwecke,  sowie  ein  Fonds,  tlureh  welchen  die   Be- 
st rebungen  zur  Wahrung  der  personliehen  Freiheit  fortgeset/t  werden  kiin- 
nen,  gesohaffen  werden. 

3.  Der  Zentralverein  A'on  Washington,  D.  C.,  wird  mit  der  Bildnng  .ejnes 
Aufsichtskomitees  beanftragt,  welches  dnriiber  vvachen  soil,  dass  alle  Vor- 
gange  von  internationaler  Bedeutunif  imd  besonders  solche,  welche  fiir  das 
Deutschamerikanertum  von  Wichtigkeit  sind,  baldmoglichst  zur  Kenutnis 
der  Bundesleitxmg  gelangen. 

4.  Den  Zweigen  des   Natioiialbundes  wird  empfohlen,   auch  Frauenver- 
eine  aufxunehmen. 

5.  Die  Staatsverbiinde  sollen  in  ihrein  Bereich  von  alien  dentschen  Biir- 
gern,  Miinnern  sowohl  wie  PYauen  und  Kindern,  eine  Gabe  von  je  5  Cents 
erheben,  um  eiiien  Fonds  von  ca.  $14,000  zur  Krrichtur.g  eines  Denkmals  fiir 
Franz  Daniel  Pastorius  und  die  iibrigen  Griinder  von  Germantown  zusam- 
menzubringen.  Auch  ein  Prozentsatz  des  uberschusses  von  Deiitscher  Tag- 
Feiern  soil  fiir  diesen  Zweck  verwandt  werden.     Die  Ang^elegenheit  wurde 
dann  an  das  Vereinigte  Komitee  fiir  Geschichtsforschung  und  Presse  iiber- 
wiesen 

6.  Der  President  soil  in  Stiidten.  die  mit  dem  Nationalbund  noch  keiile 
Fiihlung  haben,  VertrauensmUnncr  ernennen. 

7.  Am  9.  Mai  1905  soil  der  lOOjiihrige  Todestag  Schillers  allgemein  gc- 
feiert  werden. 

8.  Es  soil  darauf  hingearbeitet  werden,  dass  alle  Gesetze,  welche  die 
durch  die  Konstitution  gewahrleisteten  Rechte  verkriippeln,  die  sogenann- 
ten  ,,Blue  Laws",  abgesehafft  werdrn. 

9.  Vereine  oder  Yereinigungen  von  Staaten,  wo  noch  keine  festen  Ver- 
biinde  bestehen,  sollen  zur  Entsendung  eines  Delegaten  und  zu  einer  Stim- 
me  berechtigt  sein. 

10.  Kein  Beaniter  des  Natioiialbundes  darf  Kandidat  fiir  ein  wahlbares 
Amt  sein. 

11.  Von  der  Griindung  einer  Bundeszeitung  riet  das  Komitee   fur  die 
deutsche  Presse  ab,  sagte  aber  zum  schluss:  ,,Wir  erkennen  mit  freudigem 
Danke  die  tatkrilftige  Unterstiitzung  an,  die  die  deutsche  Presse  des  Lan- 
des  der  deut.schamerikanischen  BeAvegung  hat  angedeihen  lassen,  und  spre- 
chen  die  Hoffnung  aus,  dass  dieselbe  fortfahre,  die  Wichtigkeit 'und  Be- 
deutung  dieser  Bewegung  clem  Deutschtum  des  Landes  dringend  ans.  Herz 
zu  legen.    Da  die  deutsche  Presse  des  Landes  jederzeit  fiir  Wahrung  deut- 
scher  Interessen  und  fiir  die  Wohlfahrt  des  Deutschtums  furchtlos  kiimpft 


24  Padctgojp-sche  Menatshefte. 

rmd  ohne  dieselbe  eineZentralisierung  desDeutschtums  kaum  moglich  ware, 
so  uaacht  der  Nafcionalverband  es  jedem  Deutschen  zur  Ehrensache,  diese 
Presse  nach  Kraften  zu  unterstiitzen." 

12.  Gutgeheissen  win-den  anch  die  Empfehlungen,  welche  der  Vorsitzer 
des   Komitees   fiir  deutsche   Biihne   machte,   dahingehend,   dass   das   Press- 
kouiitee  beauftragt  werde,  mit  der  grossten  Energie  fiir  die  deutsehe  Biihne 
Propaganda  zu  machen,  dass  aber  Dilettantenbiihnen  nur  daUnterstutzung 
fmden  sollten,  wo  keine  professionelle  Biihne  Gelegeiiheit  habe  aufzutreten. 

13.  Jeder  Staatsverband  ist  verpflichtet,  dem  Publikationsfonds  im  In- 
teresse  der  deutschamerikaiiischen   Geschichtsforschung,   als   deren   Organ 
t»is*  zur  Schaffung~  eines  amt  lichen  Organs  die  ..German-American  Annals" 
fcnerkennt  wurdeiv,  alle  «7alire-$25  zuzu-wenden. 

14.  Der  Nationalbnnd  soil  inkorporiert  werden. 

15.  Auf  der  Weltausstellung  in  St.  Louis  soil  nachstes  Jahr  ein  Deut- 
«euer  Tag,     verbunden     mit    einem     germanischen     Kongress     abgehalten 
v.rerden. 

16.  Ein      Komi  tee      fiir      deutsehe      Sprache      in      den 
Volksschulen  Avurde  ernannt,  bestehend  aus  Dr.  A.  J.  W.  Kern,  C.  O. 
Schonrich,  M.  H.  Ferren,  J.  Miiller,  J.  Freitag.  Dasselbe  wird  bei  der  nach- 
*.ten  Konrention  berichten,  wie  auch  ein 

Komi  tee  fiir  Turnen  in  den  Volksschulen,  bestehend 
aus  H.  C.  Bloedel,  Noah  Guter,  Dr.  H.  A.  C.  Anderson,  Carl  Eberhard,  Georg 
VVeth,  imd  gleichfalls  ein 

K  o  m,i  tee  fiir  Geschichtsforschung,  zusammengesetzt  aus 
Emil  Mannhardt,  Dr  M.  D.  Learned,  Theodor  Lamb,  Kurt  Volkner,  C. 
8cMichter. 

Der  nicht  geschiiftliche  Teil  der  Konvention  verlief  ebenfalls  in  schoner 
v-'tirdiger  Weise.  Die  Delegaten,  von  denen  einige  ihre  Gattinnen  mit- 
batten,  genossen  unbegrenzte  Gastfreundschaft.  Sie  wurden  in 
citiem  vorziigliche»  Hotel  einquartiert  und  blieben  daselbst  wrahrend  der 
g-anzen  Zeit  ihres  Aufenthaltes  die  geehrten  Gaste  des  ,,Unabhangigen  Biir- 
^ervereins  von  Maryland." 

Der  Schreiber  liess  sich  natiirlich  das  Vergniigen  nieht  nehmen,  seinen 
lieben  Freund  und  Mitdelegaten  Ferren  im  eigenen  Hause  zu  beherbergen. 

Von  dem  exklusiven  ,,Germania  Club",  dem  Gesangverein  ,,Harmonie", 
und  den  an  dem  betreffenden  Abend  vereinigten  drei  Turnvereinen  ,,Vor- 
\v;irts",  ,,Gernr.ania",  ,,Locust  Point"  waren  sie  der  Eeihe  nach  zu  Cast  ge- 
laden,  und  bei  der  Feier  des  Deutschen  Tages  im  Darley  Park  am  Mohtag 
WacltmUtag'und-AbFend,  jwaren  die  Delegaten  die  Gaste  siimtlicher  deutscher 
Vereine'  der  Monumeiitenstadt,  die  alle  mit  einander  gewetteifert  batten, 
ihre^ll^uptqtlartiere  'aiif,*3ein  Festplat  moglichst  originell  und  anziehend 
einzurichten  und  auszuschmiicken.  Am  originellsten  war  wohl  das  des 
I'iattdeutschen  Vereiiis,  die  wohlgelungene'  Darstellung  eines  kunstgerecht 
a  ufgetakelten,  vor  Anker  liegenden  Segelschiffes.  Bei  Beginn  des  Festes 
var  an  demselben  die  iibliche  Schiffstaufe  in  aller  Form  durch  die  St. 
Louiser  Delegatin  vollzogen  worden. 

Die  Feier  des  Deutschen  Tages  bildete  den  Glanzpunkt  der  Konventions- 
Festlichkeiten,  sie  war  grossartig  und  eindrucksvoll,  und  dementsprechend 
v/aren  auch  die.  beiden  Festreden  unter  dem  griinen  Bliitterdache  des  Parks, 
die  deutsehe  von  Dr.  Hexamer,  die  englische  von  Oberst  Morris.  (Sie  wei-- 
d?n  demnachst  in  den  ..German  American  Annals"  erscheinen.)  Es  war  ein 
echtes  Volksfest,gegen  30,000 -Menschen  drang-ten  sich  in  buntem  Gemisch 


Btiickte  und  Notion.  25 

auf  den  Festplatz,  ohne  dass  auch  nur  die  geringste  Stoning  vorgekommen 
ware.  In  den  zahlreichen,  am  Abend  mit  bunten  Ltiterneii  festlich  beleuch- 
teten  Vereins-Hauptquartieren,  an  den  Schiessstanden,  den  Kegelbahuen, 
dem  Gliicksrad,  auf  dem  Tanzboden,  iiberall  heitere  Gesichter,  frohliche  Z\t- 
rufe,  Gesang  und  Musik.  Und  drinnen  im  Bankettsaale  brachte  Delegat 
Guter  von  Newark  die  Gesinmmg  der  Ehrengaste  zum  Ausdruck,  als  er  mit 
seinem  trockenen  Humor  seine  Eede  schloss:  ,,Besser  konnen  uns  die  Bal- 
timorer  wirklich  nicht  bewirten,  \vir  konnten's  ja  gar  nicht  aushalten". 

Ein  ausgedehnter  Landausflug  am  Tage  zuvor,  nnd  eine  Wasserpartie 
am  Tage  danach,  letztere  verbunden  mit  einem  interessanten  Besuch  der 
Marylander  Stahlwerke,  be.reitete  den  Delegaten  ebenfall.s  grosses  Vergnii- 
gen,  Dazu  verschonte  noch  ein  echtes,  ungetriibtes  Kaiserwetter  die  Tage; 
den  Delegaten  aus  dem  Nordwesten  war's  zuerst  freilich  zu  warm,  sie 
wussten  sich  aber  bald  dadurch  zu  helfen,  dass  sie  sieh  Sommerrocke  an- 
schafften. 

Eine  ganz  besonclere  Auszeichnung  erfuhr  die  Konvention  dadurch,  dass 
zu  ihren  Ehren  die  Stadt  illuminiert  wurde.  Dies  geschah  am  Sonntag 
Abend.  Es  war  eine  Wiederholung  der  feenhaften  Illumination,  welche  die 
Stadtbehorde  fiir  das  grosse  Siingerfest  im  Jnni  hatte  vorbereiten  lassen. 
Ihre  Grossartigkeit  liisst  sich  aus  der  Tatsache  erkennen,  dass  der  Stadt- 
rat  damals  $25,000  fiir  die  Einrichtung  dazu  ausgesetzt  hatte.  Zweimal  seit- 
dein  war  die  Illumination  fiir  Konvenlionen  wiederholt  worden,  fiir  die  der 
,.Elks"  und  ,,Odd  Fellows",  welch  beide  von  Zehntausenden  besucht  worden 
waren,  das  dritte  und  letx.te  Mai  —  die  betreffenden  Einrichtungen  werden 
jetzt  abgenommen  —  geschah  es  zu  Ehren  unserer  Konvention.  Dass  die 
Stadt  von  600,000  Einwohnern  diese  Konvention  von  5f>  deutschamerikani- 
schen  Delegaten  in  soldier  Weise  auszeichnete,  zeigt,  wie  sich  der  ,,Unab- 
hangige  Biirgerverein  von  Maryland"  in  der  ,,Monnmental  C'ity"  geltend  zu 
mac-hen  versteht;  und  dass  derselbe  bei  den  angloamerikanischen  Mit  bur- 
gem  ein  Verstandnis  und  warmes  Interesse  fiir  die  Bestrebungen  des  Bun- 
des  erweckt  hat,  das  zeigen  die  mit  scltener  Einmiitigkeit  gebrachten  Aus- 
lassungen  der  englischen  Lokalpresse. 

Um  den  reichen  Erfolg  dieser  Konvention  hatten  sich  die  Herren  John 
Tjarks,  Karl  A.  M.  Scholz  und  Aug.  F.  Trappe,  als  leitende  Beamte  des 
Marylander  Verbandes,  die  sich  einen  Stab  arbeitswilliger,  einflussreicher 
Mitarbeiter  zu  gewinnen  verstanden,  besonders  verdient  gemacht;  wie  dem 
sicheren  Takt  des  Bundespriisidenten  Dr.  Hexamer,  und  den  umsichtigen 
Vorarbeiten  des  Bundessekretiirs  Timm  die  glatte  und  \virksame  Geschafts- 
leitung  zu  danken  ist.  An  letztere  wende  sich,  wer  etwas  iiber  Angelegen- 
heiten  des  Bundes  zu  \vissen,  oder  dafiir  zu  wirken  wiinscht,  er  wird  stets 
ein  promptes  und  enthusiastisches  Entgegenkommen  finden;  seine  Adresse 
ist:  Aclolph  Timm,  522  Lehigh  Ave.,  Philadelpnia,  Pa. 

So  sind  wir  denn  mit  dieser  Konvention  dem  erstrebten  Ziele  xini  ein 
gut  Stiick  naher  gekommen:  die  iiber  dieses  weite  Land  zerstreuten  Deut- 
schen  zu  vereinigen,  das  Gefiihl  ihrr  Zusammengehorigkeit  z\i  kraftigen, 
die  Wertschatzung  deutschen  Wesens,  deutscher  Gedanken,  deutscher  Le- 
bensauschauungeu  und  Ideale,  sowie  deutseher  Mitwirkung  am  Aufbau  und 
Gedeihen  unseres  Landes  zu  strirken  und  zu  vertreiben.  D«r  Nationalbund 
steht  heute  nach  zweijiihrigem  Bestehen  als  eine  kraftige  deutsche  Eiche 
auf  amerikanischem  Boden  da,  ein  knorriger  Stamm.  der  seine  Wurzeln  ira- 
mer  weiter  ausbreitet  in  das  amerikanische  Volk  deutscher  Geburt,  deut- 
scher Abstammung  und  deutschen  Blutes. 


26 


Pddagogische  Monatshefte. 


Die  Zeit  wird  hoffentlich  nicht  fern  sein,  wo  ein  einiges  Amerikaner- 
tum  unter  dem  Banner  des  Nationalbundes  dastehen  wird.  Oder  will  man 
tia  und  dort,  vornehmlich  draussen  im  ,,deutschen"  Westeii,  wo  ich  mir  uoch 
letzten  Summer  an  mehrcren  Orten  sagen  lassen  musste,  das  dortige 
Deutschtum  benotige  einer  solchen  Vereinigung  nicht,  da  es  jetzt  schon 
alles  haben  konne,  was  es  wolle  (?),  will  man  dort  gelassen  abwarten,  bis 
dem  eingebiirgerten  Deutschtum  die  Horden  der  ins  Land  stromenden 
Mischvolker  unangenehm  fiihlbar  gemacht  worden  sind?  Der  kluge  Mann 
baut  vor.  Auch  fiir  die  Deutschamerikaner  gilt  die  Mahnung  Felix  Dahns: 

,,O  haltet  fest,  was  Ihr  errungen, 
Die  deutsche  Einheit  haltet  recht; 
Jhr  habt  sie  ja  so  oft  besungen, 
So  oft  vertrunken  \md  verzecht!" 


II.     Korrespondenzen. 


(Fiir  die  PSdagoglechen  flonatshef te. ) 


Davenport,  Iowa. 

Desgenialen  Dapprich  Tod 
wird  auch  hier  tief  beklagt!  Wir  batten 
ihn  zum  letzten  Male  unter  uns  zur  Zeit 
der  Turnerbund-Tagsatzung  imJuli  1902 
und  durften  ihn  bei  dieser  Gelegenheit 
auch  in  der  Ferienschule  der  FreienDeut- 
schen  Schule  begriissen.  VVie  anregend 
sprach  er  damals  fiber  diesen  unseren 
praktischen  Beitrag  zur  Pflege  des 
Deutschtums  und  der  deutschen  Sprache, 
Tviinschend,  dass  viele  Stadte  in  Ost  und 
West  der  \7ereinigten  Staaten  dem  Bei- 
spiele  der  Davenporter  Freien  Deutschen 
Seliule  folgen  mochten. 

Zur  Zeit  sind  die  VVinterkurse 
der  letzteren  (die  Abendschule)  in  vol- 
lem  Gauge,  und  zwar  mehr  derselben  als 
je.  NatUrlich  (iberwiegen  die  praktischen 
Klassen  an  Zahl:  Zeichnen,  Arithmetik, 
Algebra,  Geometrie,  Trigonometric,  Phy- 
sik,  Elektrizitat,  Chemie,  Tischlern  und 
Drechseln  und  Modellieren,  daneben  ele- 
mentares  (englisches)  Lesen  und  Schrei- 
ben,  nnd  Unterricht  im  Englischen  fiir 
neugekommene  junge  Deutsche.  Aber  die 
Pflege  des  Deutschen  bildet  doch  das  ide- 
ale  Zentrum  unserer  Fortbildungsschule. 
Wfihrend  die  deutsche  Mittelklasse  rein 
spraehliche  Ziele  A'erfolgt,  vertieft  sic-h 
die  vorgeschrittene  Klasse  in  diesemWin- 
ter  in  die  Schatze  unserer  Literaturge- 
scliiclite,  und  zwar  nach  dem  Grund- 
satze:  nicht  nur  iiber  die  Dichter  und 
ihre  Werke  zu  reden,  sondern  die  Dich- 
terwcrke,  soweit  als  tunlich,  vor  allem 


selbst  reden  zu  lassen.  Die  Anfanger- 
klasse  hat  Herr  Sehiek  iibernommen,  ein 
neuer  Lehrer  des  Deutschen  an  der  hie- 
sigen  Iloclischule,  der  zusammen  mitver- 
schiedenen  Dainen  auch  die  Sonntags- 
schule  leitet. 

Herr  Sehiek  hat  einen  Teil  der  Arbeit 
des  Herrn  A.  0.  Mueller  iibernommen. 
Diese  Jtnderung  war  notig,  weil  dieFreie 
Deutsche  Schule  die  Genugtuung  hatte, 
ihren  Lehrer  der  modernen  Sprachen 
(deutsch,  franzosisch  und  spanisch), 
Herrn  A.  O.  Mueller,  als  Supervi- 
sor des  deutschen  Unterrichts  in  den  of- 
fentliehen  Schulen  der  Stadt  Davenport, 
einsehliesslich  der  bliihenden  Hochschu- 
le,  berufen  zu  sehen.  was  ihn  zwar  nicht 
verhindert  hat.,  seia  altes  Amt  weiterzu- 
fiihren,  aber  doch  notigte,  manche  Ar- 
beiten  einzuschriinken. 

Mit  dieser  Bcrufung  hat  unser  ,.platt- 
dutschcs  Athen''  ohne  Zweifel  einen  gro- 
ssen,  weiteren  Schritt  getan  in  der  Pflege 
der  deutschen  Sprache  und  des  deutschen 
Geistes,  was  dem  Schulboard  zu  nieht 
geringer  Ehre  gereicht,  und  wir  hoffen, 
dass  dieAnstellung  des  erwahntenHerrn, 
die  von  der  Presse  und  von  der  Lehrer- 
scliaft  im  ganzen  sehr  gunstig  aufgenom- 
men  wurde,  auch  die  erwiinschten  FrOch- 
te  tragen  inoge.  was  natiirlich  erst  die 
Zukunft  zeigen  kann.  Das  eine  scheint 
sicher,  dass  deiselbe  voll  und  ganz  e.n- 
treten  wird  fiir  Durehfiihrung  (oderEin- 
fiihrung)  der  in  langem  und  ernstem 
Geisteskainpfe  errungenen  modernen, 


Korresponden^en. 


27 


fortschrittlichen  Grundsatze  des  Unter-  seien.  Man  ni«3ge  .  wohl  bedenken,  dass 
richts,  hier  besonders  des  Uuterrichts  im  der  Lehrer  in  der  Sprache  den  Schiilern 
Deutschen,  so  wie  dieselben  von  dem  un-  ein  Muster  uud  Vorbild  sein  solle,  und 
vergesslichen  E.  Dapprich  vertreten  wur-  deshaib  mti&se  er  sk-h  einer  korrekten 
den  und  so  klar  und  gediegen  in  den  Pa-  und  mustergaltigen  Sprache  bediencn. 
dagogischen  Mohatsheften  vertreten  wer-  Darauf  hielt  Heir  Rud.  Braun,  dent- 
den.  Mehrere  bereits  gehaltene  Lehre-  scher  Oberlehrcr  au  der  14.  Distr.Schule, 
rinnenkonferenzen  lassen  dartiber  kaum  einen  Vortrag  (iber  Anschauung.sunter- 


Zweifel. 


richt  unter  Zuhiilfenahnie  eines  Bildes, 
welches  eine  \Yinterlaudschaft  darstellte. 
Der  Vortrag  war  t'iir  eine  Klasse  im  3. 
Grad  bestimmt.  Die  Arbeit  zeigte  flei- 


Milwaukee. 

Schon  wieder  ist  einer  der  edelsten,  be- 

eten  und  tiichtigsten  unter  den  Lehrern  ssiges  Studium  des    Stoffes,     sowie     ge- 

in  deutschamerikanischen  Kreisen    at>be-  schickte  Anordnung  und  Einteilung  des- 

rufen     durch    den     unerbittlichen     Tod.  8elben   in  methodischer  Hiusicht.* )°    Ei- 

Herr  Emil  Dapprich  von  hier,  der  nen  ungleieh  gr.'isserenWert  jedoch  hiitte 

in  der  ganzeu  Lehrerschaft  so  wohl     be-  die  Arbeit  gehabt,  wenn  der  Referent  sie 

kannte  und  tiichtige  Seminardirektor,  er-  praktisch   in '  einer   Lchrprobe  mit  Schii- 

lag  am  25.  Nov.  einem  langwierigen  Ma-  lern  hiitte  vorfiihren  konnen.     Doch  dies 

genleiden.     iiber  40  Jahre  lang  hat  er  in  wild  sich  bei  den  jetzigen  Versammlun- 

Amerika  in  verschiedenen  Stellungen  aU  gen  an  Schultagen  und  bei  der  Kiirze  der 

pflichtgetreuer  Lehrer  und  Aufseher     in  Zeit.  etwas  iiber  eine  Stunde,  wohl  kanm 


den  Schulen  gewirkt  und  viel  Gutes  ge- 
tan.  15  Jahre  war  er  in  Milwaukee  und 
erwarb  sich  hier  viele  Freunde.  Sein 
Tod  hat  eine  grosse  Liicke  unter  den  lei- 
tenden  SchulmJinnern  verursacht.  Er  war 


herstellen  lassen. 


A.  W. 


York. 


lioher  Mann,  der  nichts  so  sehr  hasste, 
als  Liige,  Verstellung  und  Heuchelei. 
Dadurch  erwarb  er  sich  auch  so  viele 


Obwohl  derVerein  Deutscher 
Lehrer  von  New  York  und  Um- 
ein  geborner  Ldirer,  ausgerfiatet  mit  al-  gegend  dieses  Schuljahr  noch  kein  Le- 
lenEigenschaften,  die  einLehrer  braucht,  benszeichen  von  sich  gegeben  hat,  er- 
um  erfolgreich  im  Amte  zu  sein.  Rtih-  freut  er  sich  doch  eines  regen  und  anre. 
rend  war  seine  Liebe  zu  den  Klemen,  genden  Daseins.  Die  Mitglieder  sind 
und  er  verstand  es,  sich  zu  ihnen  herab-  iiber  Gross  .  New  York  und  einige  New 
zulassen  und  sich  ihnen  verstiindhch  zu  Jersey  stSdte  zerstreut,  und  die  Ver- 
Dabei  wair  er  ein  offener,  ehr-  einstage  sind  daher  aiu-h  Symposien  filr 

die  Mitglieder,  die  sich  sonst  wohl  kaum 
wUhrend  der  Wintennonate  treffen  wiir- 
den.  Die  erste  Versainmlung  des  Ver- 
Freunde.  und  man  kann  wohl  mit  Recht  eins  am  3  Qktober,  war,  als  die  erste 
bdiaupten,  dass  er  keinen  Feind  hinter-  des  Sduiljahres,  «ne  stimmungsvolle  Be- 
lassen  hat.  \\  le  behebt  er  in  Milwau-  grussung:,sit/ung.  D^r  Vortrag  desHerrn 
kee  war,  zeigte  die  tiefe  Trauer  und  die  von  der  Hevdc  wurde  auf  den  zweiten 
grosse  Beteiligung  an  der  Leichenfeier.  gitzungstag,*  den  ersteu  Sonnabend  des 
Sein  Ged&ehtnu  wird  immer  in  Ehren  Monats  November,  verlegt.  Herrn  von 
gehalten  wei-den.  der  Heydens  Thema  war:  Etwas  aus  und 

Die  erste  Versa  mm  lung  der  (iber  Fritz  Renter.  Der  Redner  fiihrte 
deutschen  Lehrer  in  diesemSchul-  in  kurzen  Ziigen  das  Lebensbild  des  gro- 
jahre  fand  am  12.  Okt.  statt.  Bei  der  ssen  Humoristen  vor,  indem  er  zuglcieh 
Beamtenwahl  wurden  die  beiden  Vor-  Proben  des  kostlioh«in  Humors  und  der 
sitzer,  Herr  Ph.  Lucas  und  Frl.  A.  Hoh-  ktlnstleriscben  Uestaltungskraft  Fritz 
grefe,  wiedergewiihlt,  und  als  Schriftfiih-  Reuters  gab.  Leidcr  ist  der  Verein  zur 
rer  Herr  W.  Schaffrath  gewiihlt.  Dann  Zeit  heimatlos.  Herr  Allaire,  dem  die 
wurden  nur  Routinegeschafte  erledigt.  mUssigen  Mitglieder  zu  wenig  tranken 
Die  zweite  Versammlung  fand  am  19.  und  assen,  hat  dem  Vorsitzenden  dieMit- 
Nov.  statt.  Herr  Abrams  beriihrte  in  teilung  gemaclit,  dass  der  Veraamm- 
seinen  amtlichen  Mitteilungen  verschie-  lungssaal  pennaneat  vermietet  sei.  Dei- 
dene  Punkte,  die  sich  auf  Methode  bezo-  Verein  hat  numlicii  koin  festes,  gemiet*- 


gen,  und  bemerkte  dann  noch  besonders 

bezilglich  der   Sprache  der  Lehrer    beim 

I'nterricht,  dass  er  oftmals,     und   zwar 

besonders  bei    hier     geborenen    Lehrern,    - 

Ausdrficke  hore.  die  der  englischen  Spra-        *)     Die    Arbeit 

che  entlelmt  und  deswegen  nicht  deutsch  zuiu  Abdruck. 


tes  Lokal.  Doch  hofft  der  Verein,  im 
deutschcn  Pressklub  ein  dauerndes  Un- 
terkommen  zu  finden.  FQr  die  niiehste 


jflangt  in  den  P.  M. 


Padagogische  Monatshefte. 


Versammlung  ist  eine  Herderfeier  in 
Aussicht  genommen,  die  sehr  interessant 
zu  werden  verspricht,  und  iiber  die  ich 
des  Langeren  berichten  werdc. 

Am  6.  Dezember  hielt  der  Verein 
deutscher  Lehrer  von  New 
York  seine  erste  Versamm- 
1  a  n  g  im  neuen  Heim  ab.  Der  Deutsche 
Pressklub  hat  unserem  Vereine  in  der 
liebenawiirdigsten  Weise  sein  gemiitli- 
ehes  Ha  us  geoffnet,  und  der  Prasident 
des  Klubs,  Herr  J.  Weil,  driickte  in  Wor- 
ten  herzlichen  Willkommens  den  Wunsch 
aus,  dass  die  deutschen  Lehrer  sich  im 
Klub  zu  Hause  f  tihlen  mochten. 

Zu  Beamten  des  Vereins  f iir 
das  kommende  Jahr  wurden  folgende 
Herren  erwiihlt:  Herr  von  der  Heyde 
(Newark),  erster  Vorsitzender;  Herr 
Tombo,  senior  (Barnard  College),  zwei- 
ter  Vorsitzender;  Herr  H.  Boos  (DeWitt 
Clinton  High  School),  korrespondieren- 
der  Schriftfuhrer;  Herr  H.  Zick  (De 
Witt  Clinton  H.  S. ),  protokollierender 
Schriftfuhrer;  die  Herren  Dr.  A.  Remy 
(Columbia),  und  Dr.  Metzger  (Newark) 
wurden  zu  Beiraten  ernannt.  In  Erin- 
nerung  des  Todestages  Herders  waren 
3  kurze  Vortriige  in  Aussicht  genommen 
worden :  iiber  Klopstock  ( Dr.  Re- 
my ) ,  W  i  e  1  a  n  d  ( Dr.  Jappe )  und  Her- 
der (J.  Winter).  Dr.  Remy  begann 
seine  interessanten  Ausfiihrungen  mit  ei- 
nem  Zitate  aus  Fritz  Mauthners  humo- 
ristischem  Credo.  Danach  gehort  auch 
Klopstock  zu  den  grossen  Toten,  deren 
Ruhe  wohl  kaum  ernstlich  gestort  wer- 
den wird.  Nur  der  Berufsliteraturhisto- 
riker  wird  sich  ernstlich  mit  den  Wer- 
ken  Klopstocks  beschaftigen,  aber  das 
Andenken  des  deutschen  Mannes  wird 
und  soil  ewig  leben.  Denn  Klopstock 
bleibt,  obwohl  seine  Werke  kaum  blei- 
benden,  lebenden  Wert  besitzen,  doch  das 
Verdienst,  der  Schriftsteller  gewesen  zu 
sein,  der  gegen  das  Vorherrschen  des 
Fremden  u.  gegen  die  einheimischeFlach- " 
heit,  echten  deutschen  Gefiihls  Ausdruck 
verlieh,  und  der  die  Fahigkeit  der  deut- 
schen Sprache  als  einer  Literatursprache 
bewies.  Er  lebt  fort  durch  den  Einfluss, 
den  er  auf  seine  Zeitgenossen  ausiibte. 
Darin  besteht  auch  die  Unsterblichkeit 
Wielands  und  Herders,  deren  Bedeutung 
fur  die  Entwickelung  unserer  Literatur 
von  Dr.  Jappe  und  Herrn  .Joseph  Winter 
in  knapper,  treffender  Weise  dargelegt 
wurde.  Wieland  hat  das  bleibende  Ver- 


dienst, der  Vater  des  deutschen  Romans 
und  des  romantischen  Epoa  zu  sein  und 
durch  seine  Schriften  unter  den  hoheren 
Klassen  der  Gesellschaft  Interesse  fiir 
deutsch  ge.schriebene  Werke  erweckt  zu 
haben.  Dr.  Jappe  verteidigte  den  lie- 
benswiirdigen,  hedonistischen  Wieland, 
die  zierliche  Jungfrau  von  Weimar,  wie 
er  nicht  ganz  unzutreffend  genannt  wur- 
de, gegen  den  Vorwurf  der  Schlupfrig- 
keit  und  wies  auf  Goethe  bin,  dessen  Ro- 
mane  ja  auch  zu  verurteilen  wiiren, 
vvollte  man  sie  vom  Madchenpensionat- 
standpunkte  aus  beurteilen.  Herr  Joseph 
Winter  charakterisierte  in  der  ihm  eige- 
nen  enthusiastischen  und  gcistreichen 
Weise  Herder,  der,  wie  er  sagte,  im  v'or- 
hofe  der  Klassiker  stehe.  Herder  ist 
kein  schopferisches  Genie,  im  Cid  klei- 
dete  er  einen  fremden  Stoff  in  eigene 
Form,  in  den  Legenden  eigene  Stoffe  in 
fremde  Form,  aber  Eigenartiges  in  ei- 
genartiger  Form  zu  schaffen,  ist  ihm 
nicht  gelungen.  Dagegen  hat  er  befruch- 
tend  gewirkt  auf  Mitwelt  und  Nachwelt. 
Er  erschloss  seinen  Landsleuten  das  Ge- 
biet  der  Weltliteratur  und  suchte  di« 
Gelehrtenwelt  und  dasVolkstum  auf  dcm 
geuieinsamen  Gebiete  echter,  wahrer  Po- 
esie  in  Beriihrung  zu  bringen.  Herders 
Einfluss  auf  Goethe,  besonders  wahrend 
des  persimlichen  Verkehrs  in  Strassburg, 
ist  bekannt  und  von  allergrosster  Bedeu- 
tung. Denn  wem  als  Herder  ist  es  zuzu- 
schreiben,  dass  Goethe  so  friih  und  in  so 
gelungener  Weise  den  Ton  des  echten 
Volksliedes  in  seinen  Gedichten  an- 
schlug?  Auch  Herders  Einfluss  als  Kri- 
tiker  und  Geschichtsphilosoph  ist  nicht 
zu  unterschatzen,  hat  er  doch  das  Ver- 
dienst, den  Wert  Homers  und  der  natio- 
nal-epischen  Dichtung  ins  rechte  Licht 
gesetzt  zu  haben. 

,,Humanitat,"  so  schloss  Herr  Winter 
seine  interessanten  Bemerkungen,  er- 
scheint  unserem  Herder  der  Endzweck 
der  Menschenbildungy  und  mit  Rechtste- 
hen  in  goldener,  unaiisloschlicher  Schrift 
auf  dem  Grabsteine  Herders  die  Worte: 
Licht,  Liebe  und  Leben." 

Ehe  der  Verein  die  Versammlung  ver- 
tagte,  ehrten  die  Mitglieder  das  Anden- 
ken des  unvergesslichen  E  m  i  1  D  a  p  p- 
r  i  c  h  durch  Erheben  von  ihren  Sitzen. 

Herr  Dr.  Wahl  (Morris  High  School) 
wird  in  der  ersten  Sitzung  des  Jahrea 
1904  dem  Leben  und  Wirken  Emil  Dapp- 
richs  den  gebiihrenden  Nadir uf  widmen. 

H.  Z. 


III.     Umschau. 


Dem  S c h  u  1  s u p e r i n t e nden  - 
ten  Coolcy  von  Chicago  ist  ein  Arti- 
kel  in  dcni  New  Yorker  ,,School  Jour- 
nal" von  Arnold  Tompkins,  dem  Prinzi- 
pal  der  Chicagoer  Normalschule,  gewid- 
met,  in  welchem  die  vielen  Verbesserun- 
gen  des  Schulsystems  von  Chicago,  die 
unter  dem  Regime  Herrn  Cooleys  vorge- 
nommen  worden  sind,  gebiihrend  hervor- 
gehoben  werden.  Unter  diesen  wird 
auch  die  Reorganisation  des  deutschen 
Unterrichts  erwahnt,  durch  welche  nicht 
nur  eine  Ersparnis  von  $200,000  erzielt 
worden  ist,  sondern  auch  der  Unter- 
richt  selbst  gewonnen  hat. 
Uns  will  das  nicht  in  den  Sinn.  Die  Be- 
richte  iiber  den  Riickgang  des  deutschen 
Unterrichts,  besonders  beziiglich  der  an 
demselben  sich  beteiligenden  Schiiler- 
zahl,  beweisen  zu  klar  das  Gegenteil,  als 
dass  wir  dem  Berichte  Glauben  schenken 
konnten.  Ganz  abgesehen  davon,  wiirde 
die  Tatsaehe,  dass  gerade  an  dem  deut- 
pchen  Unterrichte  Ersparnisse  gemacht 
wurden,  unsere  Zweifel  wachrufen.  Um- 
*onst  ist  nichts  zu  haben.  und  sogar  ein 
g  u  t  e  r  deutscher  Unterricht  kostet 
Geld. 

Prof.  Harnacks  Gedachtnis- 
redeaufMomrnsen.  In  seiner  Ge- 
diichtnisrede  bei  der  Trauerfeier  charak- 
terisierte  Professor  Ha  mack  Mommsen 
als  eine  einzigartige  Verbindung  von 
exakter  Wissenschaft  und  poetischem 
Genie,  als  Kiinstler  und  leidenschaftli- 
chen  Feuergeist.  ,.Licht  wird  alles,  was 
ich  fasse,  Kohle  alles,  was  ich  lasse, 
Flamme  bin  ich  ganz  gewiss."  Des  wei- 
teren  fiihrte  Harnack  aus,  dass  es  noch 
keinen  deutschen  Geschichtsschreiber  ge- 
geben  habe,  der  mit  solcher  Kraft  wie  er 
das  Grosse  und  Kleine  zwang,  dass  es 
ihm  Antwort  gebe.  Mommsen  ist  von 
einem  heroischen  Fleiss  gewesen,  seine 
durch wach ten  Nachte  erhellten  unsere 
Tage,  fiir  sein  engeres  preussisches  Va- 
terland  war  Mommsen  der  Organisator 
der  wissenschaftichen  Arbeiten.  Ausser 
Leibniz  und  den  beiden  Humboldts  hat 
niemand  um  die  akademischen  Wissen- 
schaften  solche  Verdienste  sich  erwor- 
ben,  wie  er;  niemand  hat  es  auch  ver- 
inocht,  wie  er  sich  so  vollig  in  den  Dienst 
von  Arbeiten  zu  stellen,  die  die  Krafte 
des  einzelnen  ilbersteigen  und  wie  zahl- 
reiche  von  ihm  angeregte  Werke  eines 
ganzen  Stabs  von  Mitarbeitern  bedtirfen. 
Mommsen  war  als  Lehrer  nicht  nur 
durch  das  gross,  was  er  lehrte,  ,sondern 


nach  dem  Zeugnis  seiner  Schtiler  auch 
ein  uniibertreffiicher  Fiihrer  und  Anreger 
im  wissenschaftlichen  nicht  nur,  sondern 
auch  im  moralischen  Sinne.  Als  Mensch 
war  er  der  treueste,  liebevollste  Freund, 
den  man  gewinnen  konnte  und  von  viel 
weicherem  Gemiit,  als  die  sarkastische 
Art,  mit  der  er  Feindselige  sich  aus  dem 
Wege  raumte,  vermuten  liess. 

Rektor  Dr.  Seyffarth  -  Lieg- 
nitz,  bekannt  als  piidag.  Schriftsteller, 
ist  am  26.  Oktober  im  Alter  von  75  Jah- 
ren  gestorben.  Obwohl  Geistlicher,  fiihlte 
er  sich  doch  als  Piidagoge.  Sein  Streben 
ging  vor  a  Hem  dahin,  seinen  ,,Vater  Pe- 
stalozzi"  der  Lehrerschaft  immer  naher 
zu  bringen,  und  es  war  ihm  vergonnt, 
die  Werke  Pestalozzis  in  verbesserter 
Auflage  noch  kurz  vorher  zu  vollenden, 
ehe  die  letzte  Krankheit  dem  nimmermii- 
den  Mann  die  Fcder  aus  der  Hand  nahm. 
Dr.  Seyffarth  war  auch  Redakteur  der 
Preussisehen  Schulzeitung.  Mit  frischem 
Geiste  and  mit  vorwarts  drangendem  Ei- 
fer  behandelte  er  in  genanntem  Blat'te 
alle  pjidagogisehen  Fragen  der  Gegen- 
wart,  namentlich  stand  er  auch  auf  un- 
serer  Seite  im  Kampfe  gegen  die  geistli- 
che  Schulaufsicht. 

Professor  Di.  Rein  bleibt  in 
Jena.  Gewiss  werden  die  Lehrer  nicht 
nur  Ttmringens,  sondern  ganz  Deutsch- 
lands  diese  Nachricht  mit  Freuden  ho- 
ren.  Die  Professurstelle  in  Prag,  die  Dr. 
Rein  nach  dem  Abgange  Dr.  Willmanns 
nliernehmen  sollte,  wird  nunmehr  ge- 
teilt  und  mit  den  Herren  Privatdozent 
Arleth  -  Prag  (Piidagogik)  und  Gymna- 
sialprofessor  Hufler-Wien  (Philosophie) 
besetzt  werden. 

.  Bekanntlich  hat  der  preussische  Leh- 
rerverein  beschlossen,  dem  um  die  preu- 
ssische Lehrerschaft  und  Volksschule 
hochverdienten  Kultusminister 
F  a  1  k  in  der  Stadt  H  a  m  m  ein 
D  e  n  k  m  a  1  zu  errichten.  Die  Stadt- 
verordneten  -  Versammlung  in  Hamm 
beschloss  nun  kiirzlich  mit  grosser  Ma- 
joritat  —  dagegen  waren  nur  einige  ul- 
tramontane Stimmen  — ,  dem  Preussi- 
schen  Lehrerverein  zur  Errichtung  des 
geplanten  Fa  Ik  -  Donkmals  den  Fried- 
richsplatz,  der  fortan  ,,Falkplatz"  hei- 
sscn  soil,  und  ein  Grundstiick  an  der 
hen-lichen  Ostenallee,  das  die  Stadt  in 
einen  hervorragend  schonen  Schmuck- 
platz  uimvandeln  und  in  die  Promenade 
einziehen  will,  zur  Verffigung  zu  stellen. 


30 


PdJjgogiscke  Mon&tshefte. 


Die  Stadtver  i  return:  gibt  damit  das  Be- 
ste,  was  sie  uLerhaupt  zu  vergeben  hat, 
beschliesst  aber  trotzdem,  urn  jedes  Ent- 
gegenkommen  zu  z?igen.  dem  Preussi- 
scheri  Lehrerverein,  fulls  wider  Erwar- 
ten  keiner  der  beiden  Platze  gefallen 
sollte,  jeden  ahdern  Plat/  der  Stadtnach 
eigener  freier  \Vahl  bereitzustellen. 

Die  K  o  s  t  en  fiir  die  offenllichen 
V  o  1  k  s  s  c  h  nl  e  n  betragen  im 
Deutschen  Reiche  insgesamt  415,- 
198,000  M.  Von  dieser  Summe  \ver- 
den  aus  Staatsniitteln  gedeckt  120,- 
357,000  M.  Von  den  grosseren  deut- 
sclien  Staaten  wenden  Preussen  269,- 
917,000  M.  (darunter  73,066,000  M. 
aus  Staatsmitteln),  Bayern  39.8  Mill. 
(4,2  Mill.),  Sachsen  34,8  Mill.  (4,8 
Mill.),  Wiirttemberg  12,3  Mill.  (3,8 


Mill.)  und  Baden  11,0  Mill.  (2,4  Mill.) 
i'iir  ihre  Volkssehulen  auf. 

Bulgarien.  Die  Augen  der  ge- 
|samten  Wolt  sind  auf  den  Wetter- 
wiukel  im  Siidosten  gerichtet.  Es  ist 
nicht  uninteressant,  einen  Blick  auf 
djis  Schuhvesen  dieses  strebsainen 
Fiirstentums  zu  werfcn.  Das  gegen- 
\vartige  Volksschulgesetz  steht  seit 
1.  September  18S2  in  Kraft.  Im  .Tahre 
1893  gab  es  iiach  staatlichen  Ziihlun- 
gen  unter  den  3,300,000  Eimvohnern 
noch  84  Prozent  Analphabeten.  Die 
Gei--amtzahl  der  Volkssehulen  be- 
trtigt  gegenvvjirtig  4507,  da  von  1446 
private.  Lehrpersonen  wirken  an 
diesen  Schulen  4587,  darunter  1260 
Lehreriunen.  Die  Kosten  des  Volks- 
schulwesens  betragen  zirka  7,530,500 
Jb'rankeii  jahrlich. 


IV.     Vermischtes. 


Wann  soil  der  Klavier- 
unterricht  beginnen?  Ein 
Berliner  Spezialist  fiir  Nerveoikranke 
hat  festgestellt,  dass  es  fiir  Kinder 
schadlich  ist,  vor  dem  16.  Lebens- 
jahre  das  Klavierspielen  zu  begin- 
nen. Seine  Untersnchungen  an  1000 
jungen  Madchen,  die  Klavierunter- 
richt  genossen,  ergaben,  dass  600  von 
ihnen  an  einer  Nervenkrankheit  lit- 
ten,  wahrend  von  1000  aiideren,  die 
das  Klavierspiel  nieht  betrieben, 
nur  100  mit  Nervositiit  behnftet 


waren. 


Dezemler. 


Christkindlein  durch  die  Lande  zieht 
Mit  seinen  reichen  Geschenken; 
Mocht'  cs  doch  auf  der  frohen  Fahrt 
Der  Lehrer  auch  gedenken 
Und  bringen,  was  so  not  uns  tut, 
VertrUglichkeit  und  Opfermut, 
Verstandnis  im  Volke  bei  Jung  und  alt, 
Und  bei  den  Behorden  recht  festen  Halt; 
Auch  unser  ,,Zapfen",  der  oft  so  klein, 
Soil  ihm  recht  warm  empfohlen  sein; 
Es  bringe  uns  Eintracht  und  festes  Ver- 

trauen, 
Dann  wollen  wir    froh    in    die    Zukunft 

schauen ! 

R.  Z. 
(Schweizerische  Lehrerzeitung.) 

Verteilung  der  Sprachen 
auf  der  Erde.  Eine  interessante 
Gegeniiberstellung  der  Verteilung 
der  3  wichtigsten  enropaisehen 
Sprachen  auf  der  Erde  in  den  Jah- 


ren  1800  und  1900  entnehmen  wir  der 
,,Litterature  americane".  Danach 
sprachen  um  das  Jahr  1800  31  Millio- 
nen  Menschen  franzosisch,  30  Millio- 
nen  deutsch  und  20  Millionen  eng- 
lisch.  x>is  zum  Jahre  1900  hat  sich 
die  Pachlage  so  verandert,  dass  jetxt 
50  Millionen  franzosisch,  70  Millio- 
nen deutsch  und  125  Millionen  eng- 
lisch  sprechen. 

Humor  aus  der  S  c  h  vi  1  e.  Im 
Anschlusne  an  das  Gedicht  ,,Die 
Glocke"  von  Schiller  soil  die  Macht 
des  Feuers  in  kurzer  Weise  geschil- 
dert  werden.  Eine  Schiilerin  scbreibt 
Avie  folgt:  ,.Donner  und  Blitz  fallen 
zur  Erde.  Der  Hinimel  errotet.  Die 
Aufregung  eilt  zum  Brandplatze. 
Schon  kommen  aus  den  Nachbar- 
orten  die  Feuerwehren,  die  das 
Feuerngnal  horten  und  damit  das 
Feuer  zu  loschen  versuchen.  Man 
hort  die  Tiere  floten.  Der  Abge- 
brannte  trostet  sich,  dpnn  er  hat 
niemanden  von  seinen  Verwandten 
verbrannt.  Der  gottesfiirchtige 
Hausvaler  erknndigt  sich  am  niich- 
'sten  Tag-e  bei  der  Feuer^vehr,  ob 
nicht  eines  seiner  Kinder  verbrannt 
sei."  — 

Schiiler  in  der  Naturgeschichta- 
stunde:  ,,Die  Seidenraupe  liisst  aus 
dem  Maule  seine  Faden  herauslau- 
feiij  das  ist  die  weisse  Seide.  Fried- 
rich  der  Grosse  maehle  auch  den 
Versuch;  aber,  es  wollte  ilna  nrcht 
gelingen". 


Bacherbesprechungen. 


Das  jungste  Deutscliland. 
Zvvei  Jahrzehnte  miter  lebter  Literatur- 
geschichte.  Dargestellt  vou  Adalbert 
von  Hanstein.  Mit  113  Schriftstel- 
lerbildnissen  etc.  Leipzig,  1901.  R.Voigt- 
lander. 

Das  Hauptverdienst  des  vorliegenden 
Buches  besteht  darin,  dass  mit  grossem 
Fleiss  eine  Masse  von  schwerzuglingli- 
chem  Material  zusammengetragen  ist. 
Das  Buch  ist  in  der  Hinsicht  wirklich 
eine  nicht  zu  verachtende  Vorarbeit  fiir 
den  zukiinftigen  Geschichtsschreiber  des 
Jungsten  Deutscliland;  und  der  Verfas- 
ser  hat  also  eine  seiner  llauptabsichten, 
wie  er  sie  im  Vorwort  ausspricht,  er- 
reicht.  Weniger  gelungen  ist  ihm  die 
erstrebte  Anschauliclikeit.  Die  Portriita 
der  Schriftsteller,  iji  denv  nieinem  Gf-fiihl 
u^.ch  ausserst  ge*chmai  klosen  und  ernui- 
denden  Zierleisten.  diirften  ohne  Schaden 
grossenteils  fehlen.  Und  die  allerdings 
sehr  zahlreich  gogebenen  Proben  von  Ge- 
dichten  und  Pro.sa-Absehnitten  wiegeu 
das  Fehlen  des  sichtenden  Urteils  nicht 
auf.  In  der  verwirreuden  Masse  von 
grossen  und  kleinen  Talenten  kanu  man 
sich  unmoglich  zurechtfinden:  wenn  man 
nicht  v  o  r  der  Lektiire  desBuches  griind- 
]>ose,  the  direction  of  study  to  the  his- 
tory and  principles  of  criticism.  The 
lich  Bescheid  \veiss. 

Wer  nach  deiu  Untertitel  —  miter- 
lebter  Lit.  —  et\va  erwartet,  dass 
Haustein  auf  dem  Boden  der  modernen 
Bestrebungen  stehe,  win!  sich  getauscht 
?ehen.  Der  Verfass-er  ist  von  dem  Geist 
der  Neuzeit  nur  angehaueht.  Das  ware 
nun  an  und  fiir  sich  kein  Fehler.  Denn 
ein  unentwegter  Parteiganger  fiir  die 
Sache  des  strengeu  Klassizismus  kann, 
svie  z.  B.  Otto  Harnjck,  durch  sohavfe. 
wenn  auch  noch  so  ablehnende  Kritik 
moderner  Erscheinungen  sehr  aurcgend 
wirken  und  zum  Probierstein  des  Neuen 
vverden.  Aber  Scharfe  des  Urteils  ist  die 
Sache  des  Verfass^rs  cbensowenig  wie 
Weite  des  Gesichtakreises.  Er  ist  hierin 
dem  Herausgeber  desT  ii  r  m  e  r  s,  seinern 
Standesgenossen.  Froil.errn  von  Grott- 
huss,  sehr  iihnlich.  Fast  triumphierend 
meldet  er  am  Schlnsse  seines  Buches, 
dass  sich  der  Kreislauf  dor  literarischen 
Stromungen  wieder  gesehlossen  habe. 
Voin  Kampf  fiir  dasSclione  sei  man  aus- 
gegangen,  dann  in  den  krassen  Natura- 
li:smus  geraten.  Der  Xaturalismus  sei, 
mc-hdem  man  seiner  ftberdriissig  gewe- 
sen,  vom  Symboliiimis  abgelost  worden, 


c'ioser  hinwiederum  von  der  1'avt  pour 
1'art  -  Bewegung,  dem  SchonheitHkultus 
der  Gruppe  um  Stephan  George.  In  ahn- 
lich  erhabener  Einfachheit  zirkulierte 
nach  der  Ansicht  der  Mlteren  Grammati- 
ker  —  die  Lautverschiebung.  Die  Sache 
ist  aber  doch  komplizierter.  Es  ist  er- 
staunlich,  dass  Hanstein  unfiihig  ist,  die 
Summe  von  all  dem  Durch einander  zu 
ziehcn.  Er  hittte  zeigen  sollen,  wie  diese 
mannigfachen  Stromungen  nirgends  iso- 
liert  erscheinen,  sondern  in  fortwiihren- 
der  Wochsehvirkung  und  Vermischung 
insgesamt  dieEntwickiung  der  deutschen 
Literatur  fordern.  Man  vergleiche  ein- 
mal  die  Darstellung  in  Lamprechts  Z  u  r 
jungsten  deutschen  Vergan- 
g  e  n  h  e  i  t,  und  man  wird  sehen.was  mit 
dcmselben  Material,  das  Hanstein  vor- 
lag,  ein  Mann  /.u  tun  weiss,  der  alle  Ein- 
zplerpcheinungen  von  dem  weiten  Ge- 
sichtspnnkt  des  Historikers  aus  betrach- 
tot! 

Wenn  Hanstein  glaubt,  die  Zukunft 
beruhe  nicht  auf  ,,Schulen"  und  ,,Verei- 
nen",  sondern  auf  einzelnen  grossen  Per- 
son! if.bkeiten.  so  mag  er  Recht  haben. 
Nur  fallen  die  Genies  auch  nicht  vom 
Himiv-el.  soviel  sollten  wir  im  zwanzig- 
sten.Taltrhimdert  jetzt  dcch  wissen!  Wir 
diivffTi  iiioht  vergessen,  dass  das  ,.Jflng- 
ste  Deutachland"  bei  alien  Entgleisungen 
uml  Verirrungen  auch  ein  tiichtiges 
Stiiik  rcdlicher  Arbeit  vollbracht  hat. 
Wie  in  der  bildenden  Knnst,  so sind  aucli 
in  der  Literatur  die  tecbniacben  Aus- 
dr"cl<!*inittel  heute  noch  writ  mehr  ver- 
vollkommnet,  als  sie  es  vor  vicr/chn 
Jahren  waren:  dank  eben  des  gemeinsa- 
«:cn  Strebens  der  Gruppen  inn  Arno 
Hoi/..  Richard  Dehmel  und  Stephan 
rU'orge.  Dem  Talent,  das  die  gewonnene 
Tec'inik  anwenden  kann,  ist  die  Bahn  ge- 
ebiict.  Wer  weiss,  ob  sich  nicht  7,u  den 
fvossen  Kiinstlern  Arnold  Booklin  und 
Max  Klinger  nun  auch  Dichter  gesellen, 
welche  dieTriiume  des  .,JiingstenDeutsch- 
land"  erfilllen  konnen,  weil  sie  selbst 
mitgetraumt  haben!  Ob  sich  Gerhart 
Hanptmann  je  aus  seiner  unmannlichen 
Gebrochenhcit  auf  raff  t,  seheint  nach  dem 
ve)->ch\voininenen  ,,Armen  Heinrich",  wo 
die  Darstellung  des  Hauptproblems  wie- 
der  einmal  dem  Zwischenakt  iiberlassen 
bleibt.mehr  als  je  zweifelhaft.  Aber  jene 
genanntcn  Lyriker  sind  erst  am  Anfan? 
ihrer  Kraft;  es  sind.  wenigstena  die  z\vei 
ersten.  Manner  voll  Mut  und  Konsequenz 
des  Denkens,  voll  Scluvung  und  Reichtum 


32 


Pddagogische  Monatshefie. 


dcr  Phantasie,  roll  Innigkeit  und  Tiefe 
des'Geffihls:  noch  haben  sie  ihr  Bestes 
nicht  gegeben.  —  Der  Geschichtsschrei- 
ber  soil  sich  vor  allem  hiiten,  Talente, 
die  im  steten  Aufsteigen  sind,  schon  zu 
ihren  Lebzeiten  in  den  Kapiteln  seines 
Buches  einzusargen.  Trotz  guten  Wil- 
lens  ist  Hanstein  diesem  Fehjer  nicht 
entgangen. 

O.  E.  Lefsing. 

Laboratory  Physics  by  Dr. 
Clarence  Miller,  professor  of 
physics  in  Case  School  of  Applied  Sci- 
ence, is  more  than  its  name  implies.  It 
is  intended  for  college  students,  and  they 
are  fortunate  in  having  such  a  text 
available.  Twenty  years  ago  students 
largely  depended  upon  their  instructors 
for  aid  in  the  laboratory,  today  Dr.  Mil- 
ler's book  is  a  sure  guide  to  the  most 
important  work  in  close  measurements. 

Some  of  the  problems  may  give  aver- 
age students  trouble,  but  the  discipline 
in  careful  manipulation  remains.  About 
one  hundred  and  thirty  experiments  are 
outlined  and  explained,  covering,  besides 
the  usual  ^college  work,  some  important 
and  interesting  work  in  calibration  of 
scales  and  thermometers,  Reed's  method 
for  rating  a  fork,  high  temperature  mea- 
surements, concave-grating  spectroscope, 
magnetic  variometer,  etc. 

In  403  pages,  the  author  and  pu^^ish- 
«>rs,  Ginn  &  L;O.,  have  presented  an  at- 
tractive book  with  splendid  clear  dia- 
grams and  work  enough  for  at  least  400 
hours  in  a  physical  laboratory.  Dr.  Mil- 
ler has  given  us  a  decided  addition  to 
our  laboratory  manuals — it  should  be  in 
every  college  and  technical  school.  Quar- 
to, cloth,  mailing  price  $2.15. 

L  e  s  s  o  n  s  i  n  P  h  y  s  i  c  s  by  L.  D. 
H  i  g  g  i  n  s,  Ph.  B.,  is  certainly  a  clear 
elementary  treatise  on  this  subject.  It 
appeals  directly  to  the  pupil's  powers  of 
seeing  and  thinking  for  himself  without 
work  in  a  laboratory,  and  at  the  same 
time  informs  him  clearly  of  those  ques- 
tions which  men  "have  spent  their  lives 
trying  to  answer". 

The  diagrams  are  clearly  outlined  and 
in  some  instances  half-tones  are  given  of 
important  apparatus. 

The  publishers,  Ginn  &  Co.,  deserve 
credit  for  producing  as  usual  a  neat  and 
distinctly  printed  book.  12mo.,  cloth, 
379  pages.  Price  90  cents. 

TheTeacher's  Guide  in  Ele- 
mentary Physical  Geography, 


by  Prof.  W.  M.  D  a  v  i  e,  of  Harvard,  is 
intended  to  accompany  the  text  book  on 
Physical  Geography  by  the  earae 
author. 

This  little  book  of  80  pages  should  be 
in  the  hands  of  every  instructor  of  phys- 
ical geography.  As  the  years  go  by,  we 
feel,  more  and  more,  the  necessity  for 
laboratory  work  in  MotherEarth's  work- 
shop, if  we  wish  to  successfully  teach 
physical  geography.  Anyone  using  this 
Guide  will  be  convinced  that  a  topic 
seemingly  barren  of  laboratory  inspec- 
tion, is,  after  all.  a  most  fruitful  one  for 
cultivating  observation.  Hints  are  given 
the  teacher  for  using  the  local  topo- 
graphy in  illustrating  his  lessons — it  is 
certainly  a  most  valuable  aid  to  teachers 
using  it.  Ginn  &  Co.  D.  H. 

Old-  English  Grammar.  By 
Edward  Sievers,  and  translated 
and  edited  by  Albert  S.  Cook.  Third 
Edition.  Ginn  &  Co.,  Boston.  5x7%  in. 
422  pages.  $1.50. 

This  English  translation  has  the  mer- 
its of  following  closely  the  text  of  the 
new  and  improved  German  edition  of 
Professor  Sievers'  Angelsachsi- 
sche  Grammatik. 

As  Sievers'  grammar  has  long  been 
recognized  as  authority,  the  present  vol- 
ume needs  no  commendation. 

Loci  Critici.  By  George 
Saintsbury,  M.A.,  LL.D.  Ginn  & 
Co.,  Boston.  8x8'/,  in.  439  pages.  $1.63. 

Not  long  ago  appeared  "The  History 
of  Criticism  and  Literary  Taste  in  Eu- 
rope", by  Professor  Saintsbury,  the  most 
elaborate  history  of  criticism  which  has 
yet  appeared  in  the  English  language. 
The  present  volume  from  the  same 
author  carries  its  own  commendation  to 
all  thoughtful  minds.  The  volume  is 
one  of  the  ir,of-t  strictly  practical  pur- 
principle  of  the  book  is  to  present  pas- 
sages illustrative  of  critical  theory  and 
practice,  which  experience  has  shown  to 
be  most  useful  for  the  purpose,  from 
ancient  writers,  from  Dante,  from  a  few 
Renaissance  critics  of  the  formation  per- 
iod, and  from  English  critics  of  theEliz- 
abethan  age  onward  through  the  age  of 
Johnson. 

The  volume  which  is  designed  to  meet 
the  needs  of  students,  represents  the 
fruit?  of  many  years  of  study  and  ob- 
servation. 

L.  Sh. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

3abiu_unuj  V.  3anuan  1904.  Heft  2. 


Erziehungswissenschaft  und   Erziehungspraxis. 


Von  Thos.   H.  Jappe,  New  York  City. 


LITERATURE. 

1.  Winship,  Alb.  K.,  Is  there  a  science  of  pedagogy?  an  address   at  N.  Y. 
Univ.,  May  28,  1892. 

2.  Unold.  Job.,  Sittenlehre,  Lp/g.  1890.  S.  Hirxel. 

3.  Tracy,  Fred.,  The  Psychology  of  Childhood,  Boston,   1S93,  D.   C.  Heath 
&  To. 

4.  Than  low,    (Just.,    Einleitung   in    die    Philosophie,    Kiel,     1862.      Akadem. 
Buchhdlg-. 

5.  Tate,    T.,    The    Philosophy    of   Education,   London,    1857    (Educ.   Found., 
Dec.  1900). 

6.  Spencer,  Herb.,  Education,  1860. 

7.  Sharo  &  Webb.  School  Devices,  Educ.  Found.,  June,  1901. 

8.  Schwegler.  Gesch.  der  Philosophie,  Stuttgart,  1876,  C.  Conradi. 
'.».  Schult/.e.  Fritx,  Deiitsche  Erxiehung,  Lpxg.  1893,  E.  (Jiinther. 

10.  Schopenhauer,    Arth.,   Parerga   &    Paralipomena,    1851,    (Halle   a.    S.,    O. 
Hendel.) 

11.  Rosenkranz,  .T.  K.  Fr.,  The  Philosophy  of  Education,  trsl.  by  Anna  C. 
Brackett. 

12.  Kichter,  .T.  P.  Fr.,  Levana  oder  Erxiehlehre.   r>i-ainischweig,  1807. 
i::.   Report  of  the  Committee  of  Seven,   The   MacMillan   Co.,   1900. 

14.  "    Twelve,   (iovernm.    Print.    Office,    1898. 

15.  "    Ten,  Amer.  J5«»ok  Co.,   1894. 

16.  Rein.  Win..  Outlines  of  Pedagogics,  trsl.  by  (  .  C.  «S-  Ida  J.  Van  Liers,  1893. 

17.  Rchinkc.  .loli..  /ur  Lehre  vom  Oemiit,  Merlin.  IS'.ts.  Philos.-hislor.  Verlag. 

18.  "  "        D;is    Verhiiltnis    von    Lfii>    u.    Sr.-lr.    H:nuburg,   1901    (,,Der 
Lotse"). 

19.  Rehinke.  .Joh..   I 'nivei-siiiii     u.     Volksschullehrer,    e.    Vortrag,    Chemnil/, 
d.  :>s.  Mai,   190:.'. 


34  Pddagogische  Monatshefte. 

20.  Quick,  R.  Heb.,  Educational  Reformer,  N.  Y.  &  Chicago,  1881,  E.  L.  Kel- 
log  &  Co., 

21.  Preyer,  W.  Th.,  Die  Seele  des  Kindes,  3.  Aufl.,  Lpzg.  1890,  Th.  Griebens 
Verlag. 

22.  Pestalozzi,  H.,  Lienhard  u.  Gertrud,  Basel,  1781—89. 

23.  "     Wie  Gertrud  ihre  Kinder  lehrt,  1801. 

24.  Payne,  Jos.,  Lectures  on  the  Science  &  Art  of  Education.,  ed.  by  R.  H. 
Quick 

25.  Patridge,  Lelia  E.,  Notes  of  F.  W.  Parker's  Talks  on  Teaching,  July  & 
August,  1882. 

26.  Page,  David  P.,  Theory  &  Practice  of   Teaching,   ed.  by  W.  H.   Payne, 
1885.   (1847.) 

27.  Pudagogium,  Dittes,  Fr.,  1881—82.    Lpzg.  &  Wien,  Jul.  Klinkhardt. 

28.  PJidagog.  Monatshefte,  1901—2.     The  Herold  Co.,  Milwaukee,  Wis. 

29.  Iowa  Normal  Monthly,  1883 — 85,  W.  J.  Shoup  &  Co.,  Dubuque,  la. 

30.  Mactellan  &  Dewey,  Applied  Psychology,  Educ.  Publ.   Co.,   1900. 

31.  Lindner-Frohlich,   Empir.   Psychologie,   10.   Aufl.   Wien,   1891,    C.    Gerolds 
Sohn. 

32.  Lange,   K.,   Apperzeption,   ed.  by   Chas.   De   Garmo,  Boston,   1899,   D.   C. 
Heath  &  Co. 

33.  Krohn,  W.  0.,  Practical  Lessons  in  Psychology,  Chicago,  1895.  The  Wer- 
ner Co. 

34.  Kirchmann,  J.  H.  v.,  Die  Grundberiffe  des  Rechts  u.  d.  Moral,   2.  Aufl. 
1873 

35.  Kirchmann,  J.  H.  v.,  Erlauterungen  zu  Kants  Werken. 

36.  "  Katechismus    der    Philosophie,    2.    Aufl.,    Lpz.    1881, 
J.  J.  Weber. 

37.  Kern,  Herm.,  Grundriss  der  Padagogik,  Berlin,  3873,  Weidmann. 

38.  Kehr,  E.,  Die  Praxis  der  Volksschule,  9.  Aufl.,  Gotha,  1880,  E.  F.  Thiene- 
mann. 

39.  Kant,  Imm.,  Kl.  Schriften  z.  Ethik  u.  Relig.-Philos. 

40.  "  "        Kritik  der  prakt.   Vernunft,   1789. 

41.  "  "        Die  Religion  innerh.  d.  Grenzen  d.  blossen  Vern.,  1792,  93,  94. 

42.  "  "        Kritik  d.  reinen  Vern.,  1781. 

43.  Hoffding,  Herald,  Psychologie   auf  Grundlage   d.   Erfahrg.     Lpzg.,   1887, 
Fues'  Verlag. 

44.  Herbart,  J.  Fr.,  Lehrbuch  z.  Psychologie,  herausgeg.  T.  G.  Hartenstein, 

1887. 

45.  Gizycki,  G.  v.,  Moralphilosophie,  Lpzg.,  1883,  W.  Friedrich. 

46.  Garlick,  A.  H.,  A  Manual  of  Method,  N.  York  &  Bombay,  5th.  ed.,  1901. 

47.  Jastrow,  J.,  Psychology  (in:  Epitomes  of  3  Sciences,  Chicago,  1890.) 

48.  Gegen  die   Einheitsschule,   herausgeg.   v.  Hamburger   Oberlehrerverein, 
Friihj.  1902. 

49.  Educational  Foundations,  1899 — 1902,  N.  York,  E.  L.  Kellogg  &  Co. 

50.  Drechsler,  Ad.,   Charakteristik   d.  philos.   Systeme   seit  Kant,  Dresden, 
1863,  R.  Kuntze. 

51.  Currie,  Jas.,  Principles  &  Practice  of  Common  Sch.  Educ.,  1880(7).  W. 
Stewart  &  Co. 

52.  Carus,  Paul,  Fundamental  Problems,   Chicago  1889.     The    Open    Court 
Pub.   Co. 

53.  Carus,  Paul,  The  Soul  of  Man,  Chicago,  1891,  The  Open  Court  Pub.  Co. 

54.  Carhart,  Jos.,  The  Pedagogy  of  History,  an  address,  1894. 


Er^iehungswissenschaft  und  Er^iehungspraxis.  35 

55.  Zur  Schulreform  in  Hamburg,  G.  Coym,  Hamb.  Corresp.,  d.  18. — 22.  Febr. 
1902. 

56.  Becker,  F.,  Repetitorium  der  Physiologic,  Lpzg.,  1875,  F.  A.  Grossmann. 

57.  Arnold,  Sarah  L.,  Waymarks  for  Teachers,  Chicago,  1894,  Silver,  Burdett 
&  Co. 

58.  Adler,  Felix,  The  Moral  Instruction  of  Children,  N.  Y.,  1901  (1892). 

59.  Milwaukee  Erz.-Blatter,  diverse  Niimmern. 

60.  Reports  of  the  Commissioner  of  Education,  Washington,  D.C.,  1896 — 1901. 

61.  Sallwiirk,  E.  v.,  Die  didakt.  Normalformen,  Frkft.  a.  M.  1901. 

62.  Die  Deutsche  Schule,  herausgeg.  v.  Rob.  Rissmann.  VI.  Jahrgang.  1902. 

63.  Natorp,  P.,  Herbart,  Pestalozzi  u.  d.  heut.  Aufg.  d.  Erz..,  Stuttg.,  1899. 

64.  '     Sozialpadagogik,  Stuttg.,  1899,  Fr.  Frommanns  Verlag. 


,,Grau,  teurer  Freund,  1st  alle  Theorie; 
Doch  griin  des  Lebens  goldner  Baum!" 

Dies  sonst  yiel  gemissbrauchte  Wort  unsres  alten  Bekannten  Me- 
phistopheles  schien  mir  besonders  am  Orte  an  der  Spitze  eines  Aufsatzes 
iiber  Erziehungswissenschaft  und  Erziehungspraxis.  Denn  in  keinem 
Zweige  menschlichen  Wissens  und  Handelns  stehen  Theorie  and  Praxis 
meist  in  krasserem  Gegensatz  als  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung.  Wie 
aiiders  z.  B.  in  der  Chemie,  wo  die  Theorie,  d.  h.  die  rein  wissenschaft- 
liche  Chemie,  fortwahrend  die  Praxis,  d.  h.  die  angewandte  Chemie,  er- 
ganzt  und  ihr  an  die  Hand  geht;  wo  Hunderte  konstant  nicht  nur  an  der 
praktischen  Verwertung  der  Fortschritte  ihrer  Wissenschaft  arbeiten, 
sondern  nach  alien  Eichtungen  experimentieren,  um  mehr  Ankniipfungs- 
punkte  zwischen  Theorie  und  Praxis  zu  gewinnen.  Auf  unserm  Gebiete 
fmden  wir  dies  harmonische  Verhaltnis  iui  allgemeinen  nicht;  da  wird 
die  Theorie  denen,  die  sie  exploitieren,  nur  zu  oft  zum  Steckenpferd,  das 
sich  in  hochst  imponierender  Weise  vorfiihren  lasst,  wahrend.  seine  Reiter 
die  Praxis  sorgfaltig  vermeiden:  da  werden  die  Stellen,  wo  folgerichtiges 
padagogisches  Yerfahren  am  wichtigsten  ist,  namlich  beim  Legen  der 
ersten  Fundamente,  mit  denen  besetzt,  die  von  philosophisch-padago- 
gischer  Durchbildung,  sowie  von  Kenntnissen  und  Erfahrung  am  wenig- 
sten  haben;  da  vergisst  man,  —  die  Jesuitenschulen  etwa  ausgenommen 
—  dass  mit  steigender  Wiehtigkeit  eines  mehr  als  elementaren  Wissens 
in  den  Unterrichtsgegenstanden  die  der  rein  erziehlichen  Fahigkeit  der 
Lehrkraft  sich  vermindert,  weil  sie  nicht  mehr  so  sehr  in  Anwendung 
kommen  soil.  In  folge  dieser  und  andrer  Tatsachen  und  Umstande  ist 
die  Theorie  der  Padagogik  noch  bei  vielen,  und  nicht  etwa  bloss  den 
schlechtesten  Lehrkraften  in  argem  Misskredit,  speziell  in  Deutschland. 
Sie  geht  auch  nicht  jedem  in  Fleisch  und  Blut  iiber;  mancher  hat  die 
Padagogik  mit  Loffeln  gegessen,  ist  aber  trotzdem  ein  kiimmerlicher  Er- 
zieher;  andere  wieder  kummern  sich  so  wenig  als  moglich  darum,  ver- 
lassen  sich  auf  ihr  eignes  gesundes  Urteil  und  praktische  Erfahrung  und 
geniigen  ihrem  Beruf,  so  weit  sich  urteilen  lasst,  durchaus.  Horen  Sie 


36  Padagogische  Monatsfiefte. 

die  Ansichten  zweier  deutscher  Oberlehrer  an  hohern  Schulen,  die  mir 
personlich  nahe  stehen  nnd  mir  gegeniiber  jedenfalls  mit  ihror  wahren 
Meinung  nicht  hinterm  Berge  halt  en.     Aut'  meine  diesbfeziigliche   An- 
frage  schreibt  mir  der  cine:  ,,Es  gibt  viele  anerkannt  tiichtige  Lehrer, 
die  sich  um  die  Theorie  der  Padagogik  nicht  kiimmern.     Bei  den  akade- 
inisch  gebildeten  Lebrern  erfrent  sie  sich  meistens  keines  grossen   An- 
sehens  nnd  wird  von  vielen  geradezu  als   etwas   Minderwertiges.,    ihrer 
Unwiirdiges  betrachtet.  Ich  babe  mich  auch  nie  eingehend  damit   be- 
schaftigt.     AVas  ich  davon  gelesen  oder   sonst  erl'ahren   babe,    bat   mir 
meistens  entweder  den  Eindruck  gemacht,  dass  man  cs  sich  bei  einigein 
Nachdenken  selbst  sagen  konnte,  nnd  dass  icli  es,  weiin  aneh  niclit  klar 
crkannt,  so  doch  schon  immer  befolgt  hatte;  oder  dass  es  irrtiimliche, 
blosse  Theorie  sei.    Die  meisten  padagogischen  Leliren  sind.  ><>\veit  (iher- 
hanpt  richtig,  nnr  im  grossen  nnd  ganzen  richtig,  nicht  in  jedem  ucuvhc- 
nen  Falle.     Da  hangt  ?.\\  viel  ab  Aron  der  Personlicbkeit  des  Lehrers.  dt-r 
Art  des  Lehrstoffes,  dem  Schiilermaterial  nnd  anssern  T'mstanden.     .It1- 
denfalls  aber  ist  die  Padagogik  eine  Lehre,  nnd  auch  cine  Knnst  oder 
ein  Kb'nnen.    Der  Lehrer  nnd  Erxieher  ist  in  der  Bexiehnng  in  derselben 
Lage  wie  der,  der  ,,die  siindige  Seele  ansschimpft";  nnd  sogar  der,  der 
,,ihr  verfallenes  Hans  flickt",  wird  oft  von  seiner  AVissenschai't  im  Stich 
gelassen,   erreicbt  aber  viel   dnrcb  seine  Knnst.  d.   b.   semen   ric-htigen. 
]ilick  nnd  gesnnden  Yerstand.     Der  Wert  der  theoretischen  Padagogik 
ist  also  derselbe,  den  Lessing  der  Kritik  znschreibt:  ..AVie  die  Kriicke  dem 
Ijalimen  \vobl  hi  1ft,  sich  von  ein  em  Orte  zinn  andern  zn  bewegen,  ihn  aber 
nicht  zum  I.aufer  machen  kann,    so  anch  die  Kritik."         -  Der    andre 
schreibt  nnr  folgendes:  ,,Icb  glaube,  dass  es  in  nnsrer  Zeit  nnr  noeb  die 
Seminaristen  sind,  die  den  Mnnd  immer  voll  Padagogik  bal>en.  \vahrend 
bei  akademisch   gebildeten   Lehrern    der   Gegensatz    von   Tlieorie   nnd 
Praxis  weniger  hervortritt;  hb'chstens  in  einzelnen  Ansnabmen  bei   Her- 
ren,  de  gesalbte  Lehrproben  schreiben.  nnd  die  dabei  herzlich  schlecbte 
Lehrer  sind."     Es  darf  hierbei  indes  nicht  ansser  acht  gelassen  werden, 
dass  die  Schiller  dieser  Her.ren  der  bei  weiteni  grossten   Afehrzahl  nach 
iiber  das  gesetzlicbe  Schnlalter,  also  die  eigentlicbe  'Kindheit.  binans  sind. 
Sie  wissen,  dass  die  offizielle  Bezeichnnng  fiir  das  Ganze  der  Krzieb- 
lehre  oder  Padagogik  bier  ,,S  c  i  e  n  c  e  of  Education"  ist.    Es  wird  Ihnen 
aber  anch  nicht  nnbekannt  sein,  dass  es  immer  noch  Lente  gibt,  \velche 
sie  ansscbliesslich  eine  K  u  n  s  t  nennen.    Da  J'ragt  es  sidi  denn  in  erster 
Linie:  AVas  ist  Wissenschaft?  und  was  ist  Kunst? 

Alan  kann  den  Begriff  Wissenschaft  verscbieden  fassen.  am  wicbti.u- 
sien  fiir  nns  indes  ist  die  Unterscheidung  von  reiner  nnd  .a  n  g  e- 
wandter  AA7issenschaft.  Erstere  ist  die  Gesamtheit  des  AA'issens  in 
irgend  einem  Zweige,  das  man  in  einer  diesem  Z \veige  eigentumlichen 
AVeise  systematisch  geordnet  nnd  anf  gewisse  Gmndprinzipien  z\iriick- 


Er^iebungswissenschaft  und  Er^iebungspraxis.  37 

gefiihrt  hat.  Letztere  dagegen  1st  die  Gesamtheit  des  Wissens  in  einem 
/•weige,  dor  ans  sich  selbst  heraus  ein  System  nicht  entwickelt  hat,  resp. 
nicht  entwickeln  kann,  sondern  sich  dies  ans  ciner  andern  Wissenschaft 
oder  einer  Disziplin  einer  solehen  borgt,  der  solchergestalt  auf  anderwei- 
tig  gewonnenen  Grimdprinzipien  beruht  und  claher  durch  Fortschritte 
nnd  Veranderungen  seines  oder  seiner  Glaubiger  jederzeit  affiziert  wer- 
den  kann. 

In  nicht  ganx  uuiilinlicher  Lage  befinden  sich  auch  die  Kiinste, 
nur  (lass  hier  Talent  oder  Genie  unbedingte  Ert'ordernisse  sind  neben  der 
gelegentlich  von  den  Wissenschaften  unterstiitzten  nnd  geforderten, 
mehr  tnechanischen  Praxis. 

Dass  beide,  Wissenschaften  \vie  Kiinste.  im  letzten  Ende  der 
Philosophic  nnd  ihren  Disziplinen  unterstehen,  ist  selbstredend;  anf 
jeden  Fall  also  anch  die  Padagogik.  Aber  hat  sic  im  iibrigen  ihr  eigenes, 
mehr  oder  minder  abgeschlossenes  System?  Steht  sie  wissenschaftlich 
a ul'  eignen  Fiissen  ?  Ich  glaube  es  niclit. 

Durclilaut'en  Sic  im  (iciste  die  Geschichte  der  Erziehnng  nnd  Sie 
zngeben  miissen,  dass  selbst  die  grossten  Reformer  auf  diesem 
von  ihrem  (Jet'iihl  nnd  Instinkt  geleitet  wurden;  dass  sie  nicht 
nach  klar  crkannten  Gniiulsatzen  wirkten;  nnd  dass  dementsprechend 
I't-rade  nnter  dem  schonsten  Weizen  das  hasslichste  1,'nkraut  zu  finden 
ist.  An  Yersnche  wissenschaftlicher  Erklarimg  wird  meistens  garnicht 
gedacht,  nnd  \vo  sie  sich  finden,  da  sind  sie  ebenso  naiv  wie  primitiv;  es 
handelt  sich  dabei  fiir  sie  eben  nnr  nm  Verbesserung  der  Methoden. 

Dies  hat  erst  vor  etwa  100  Jahren  angefangen  sich  zu  andern,  na'm- 
lich  180(i,  wo  Herbarts  Padagogik  erschien.  der  erste  Versuch  wissen- 
schaftlicher Behandlimg  nnd  Begriindung  derselben.  Herbart  ist  zn- 
gleich  der  Griinder  der  Psychologic  als  Wissenschaft,  allerdings  mit  ein- 
seitigor  Ueduktion  derselben  auf  mathematischc  Formeln.  Aber  dariiber 
kann  im  ganzen  kein  Zweife]  sein,  dass  die  Psychologie  die  meisten 
Elemente  fiir  die  wissenschaftliche  Basis  der  Padagogik  liefert,  wenn 
diese  sicli  aucli  nebenbei  noch  auf  Anthropologie,  Ethik  und  Politik 
stiit/t.  Der  Greifswalder  Professor  der  Philosophic  Joh.  Rehmke  betonte 
dies  noch  kiirzlich  in  einem  Vortrage  iiber  ,,Universitat  und  Volks- 
schullehrer'  anf  der  Lehrerversammlung  zu  Chemnitz,  wo  er  die  Frage 
der  /ulassung  gepriifter  Seminarist  en  zur  philosophischen  Fakultat  cr- 
brtt-rt.  Er  sigt :  ,.Alle  Erxiehungsfragen  wurzeln  in  dem  Niihrboden  der 
Pliiloso]»hie;  ich  \viisste  kein  einziges  Stuck  dieser  Wissenschaft,  das  sich 
nicht  in  den  Dienst  der  Erziehung  gestellt  siihe:  die  Seinslehre,  die  See- 
lenlehre,  die  Erkenntnislehre,  die  Sittenlehre,  die  Kunstlehre."  Das 
geht  denn  ja  weit  genug! 

Dazu  ist  in  neuester  Zeit  die  Physiologic  getreten,  und  von  der  Vcr- 
einigung  der  Psychologic  und  Physiologic  in  der  sogeuannten  Psycho- 


38  Pddagogische  Monatshefte. 

physik  lasst  sich  fiir  wahrhafi  wisenschaftliche  Erziehungsgrundlagen 
und  Grundsatze  noch  viel  erhoffen.  Indes  dies  alles  1st  bei  dem  wohl- 
bekannten  Konservatismus  in  unserm  Berufe  so  vollig  neu  zu  nennen, 
dass  sich  die  bislang  gewonnenen  Resultate  noch  nicht  zu  leitenden  Fak- 
toren  in  unsern  Erziehungssystemen  erhoben  haben,  wenigstens  nicht  in 
der  Praxis.  ,,There  is  very  little  pedagogy  in  the  daily  routine  of  the 
common  school",  sagte  mir  noch  vor  sechs  Monaten  einer  der  tiichtigsten 
Schulvorsteher. 

.  Wie  immer  sich  aber  die  Dinge  in  der  Zukunft  gestalten  werden,  fiir 
jetzt  steht  so  viel  fest,  dass  nur  der  rein  abstrakte,  theoretische  Teil  der 
Padagogik,  also  diese  im  Gegensatz  zur  Didaktik  und  Methodenlehre,  zur 
Kot  als  angewandte  Wissenschaft  bezeichnet  werden  mag,  wahrend  ihr 
der  praktische  Teil  als  eine  Ivnnst  gegeniibersteht. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Some  Defects  in  the  Teaching  of  Modern  Languages 
in  College  and  University.*) 


By  Prof.  Starr  Willard  Cutting,  Chicago  University. 


A  glance  at  the  progress  of  the  last  twenty  years  in  the  aims  and 
results  of  modern  language  instruction  in  American  institutions  of 
learning  reveals  ample  cause  of  relative  satisfaction  with  present  con- 
ditions and  prospects.  It  would  be  easy  to  find  in  the  more  general  in- 
stitutional recognition  of  the  claims  of  modern  languages  to  an  important 
place  in  courses  of  study,  in  the  better  preparation  of  teachers,  in  more 
ample  library  facilities,  and  in  the  manifold  advantages  springing  from 
the*  cooperation  implied  in  our  Modern  Language  Association  of 
America,  inspiration  rather  for  a  paean  of  victory  than  for  the 
ungracious  tones  of  a  Jeremiad.  Not  blindness  to  past  triumphs,  but  the 
hope  that  criticism  may  prove  more  helpful  than  congratulation  has  led 
me  to  choose  the  invidious  task  of  pointing  out  what  seem  to  me  certain 
defects  in  our  work,  as  yet  unremedied. 

My  main  contention  applies  equally  well  to  both  English  and  other 
modern  languages,  although  in  the  following  considerations  attention 
is  focused  in  detail  upon  languages  other  than  the  student's  vernacular. 


*)  President's  address  delivered  before  the  Central  Division  of  the 
Modern  Language  Association  of  America,  at  the  Eighth  Annual 
Meeting,  held  in  Chicago,  January  1,  1904. 


Some  Defects  in  Teaching  of  Modern  Languages  in  College,  etc.       39 

If  we  disregard  that  rather  numerous  class,  whose  personal  choice 
has  nothing  to  do  with  shaping  their  course  of  study,  who  take  modern 
language  as  part  of  a  prescribed  curriculum,  to  be  gotten  through  with 
in  some  fashion,  there  remain  various  types  of  learners,  determined  by 
the  predominant  purpose  that  controls  their  choice  of  subject.  Thus 
some  undertake  the  task  "for  revenue  only".  They  hope  to  find 
immediate  employment  of  their  linguistic  accomplishments  as  inter- 
preters, clerks,  book-keepers,  and  the  like.  Or  they  seek  thereby  to 
fortify  themselves  against  the  wiles  of  foreign  railroad  officials,  police 
captains,  shopkeepers,  and  customhouse  guardians.  It  is  the  fashion  to 
decry  this  class  of  students  as  sordid  utilitarians,  unworthy  of  serious 
consideration  at  the  hands  of  college  or  university  teachers.  The  equity 
of  this  judgment  may  be  open  to  question,  in  view  of  the  general  ap- 
proval accorded  to  another  class  of  learners,  whose  commercial  utilization 
of  their  acquirements  is  as  indubitable  as  that  of  the  tabooed  class  just 
mentioned.  I  refer  to  those  who  regard  their  academic  study  of  modern 
languages  as  a  preparation  for  teaching  the  same  subjects  to  others. 
Their  conception  of  the  work  to  be  done  is  presumably  broader  than  that 
of  the  plain  "commercialists".  They  crave  some  acquaintance  with 
literature  and  are  on  the  whole  less  anxious  than  the  first  class  for  short 
cuts  and  for  the  completion  of  the  course  in  "six  easy  lessons".  Yet  the 
hope  of  financial  gain  is  the  impelling  motive  here  as  there.  Many  treat 
modern  languages  as  a  means  for  following  more  directly  the  past  and 
current  thought  of  other  nations  in  its  bearing  upon  their  special  studies. 
The  standing  formula  employed  to  justify  the  scant  attention  paid  by 
such  students  to  the  work  in  hand  runs:  They  seek  only  a  "'reading 
knowledge"  of  this  or  that.  This  catch-word  unfortunately  dominates 
in  such  cases  not  only  the  action  of  the  pupil,  but  also  largely  the  course 
of  study  and  the  nature  of  the  instruction.  A  much  larger  group  of 
learners  expects  from  the  study  of  languages  and  literatures  discipline  in 
sharp  observation,  careful  discrimination,  and  correct  inference,  i.  e., 
in  clear  thinking,  on  the  one  hand,  and  acquaintance  with  the  literature 
and  life  of  the  leaders  of  modern  civilization  on  the  other.  Not  salable 
information,  but  the  substance  of  a  liberal  education  is  the  object  of 
their  quest.  A  relatively  small  but  important  class  of  students  finds  in 
modern  languages  and  literatures  a  field  of  scientific  research  and  looks 
to  the  college  and  the  university  for  the  requisite  special  training  in 
methods  of  investigation.  The  needs  of  the  last  named  group  have  re- 
ceived steadily  increasing  recognition  in  this  country  since  the  founding 
of  the  Modern  Language  Association  of  America. 

There  are,  then,  several  distinct  types  of  language  learners.  While 
we  meet  more  frequently  than  otherwise  students  whose  aims  combine  in 
various  proportions  those  of  two  or  more  of  these  types,  the  college  and 


40  Piidagogische  Monatsbefte. 

university  can  safely  ignore  none  of  them  in  shaping  the  instruction  to 
I  e  offered. 

One  of  the  most  obvious  defects,  as  it  seems  to  me, 
of  our  modern  language  teaching,  hurtful  to  all 
classes  of  students,  is  neglect  of  the  spoken  word. 
This  neglect  may  come  from  a  variety  of  causes.  It  is  sometimes  traceable 
to  the  imperfect  command  of  the  spoken  idiom,  characteristic  of  many 
American-born  teachers.  It  may  occasionally  proceed  from  the  foolish 
desire  of  teachers  of  living  languages  to  share  the  high  esteem  accorded  to 
teachers  of  Greek  ond  Latin,  by  imitating  even  the  vices  of  the  class- 
room practice  of  some  of  the  latter.  It  has  certainly  become  a  widespread 
policy,  in  part  at  least,  from  a  strong  conviction  of  the  impracticability 
of  the  spoken  word  under  existing  conditions  of  class  instruction..  Scant 
time  and  large  numbers  seem  to  preclude  the  possibility  of  an  amount  of 
attention  to  the  individual,  sufficient  to  insure  a  fluent  oral  command  of 
the  language,  even  were  this  made  of  prime  importance  from,  the  outset. 
This  conviction  has  been  strengthened  latterly  in  America  by  the  in- 
evitable reaction  against  the  wild  claims  and  vagaries  of  the  "Xatural 
Method"  mongers.  Since  the  fluency  which  these  colleagues  deem  the 
sole  possible  justification  of  much  attention  to  the  spoken  word  is  un- 
attainable, thus  the  argument  runs,  why  waste  the  precious  time  needed 
for  so  many  other  objects  that  are  attainable?  A  fe\v  of  these  colleagues 
quite  likely  assent  to  the  phrasing  given  this  view  by  one  who  writes: 
"It  requires  no  higher  order  of  intellect  and  no  more  exercise  of  the 
judgment,  to  speak  French  or  German,  ihan  to  play  the  banjo."1) 

Now  this  view  as  to  the  negligible  importance  of  the.  spoken  word 
is  an  assumption  that  begs  the  whole  question.  It  is  certainly  not  true 
that  for  any  class  students  actually  learning  a  foreign  language,  as 
distinguished  from  1  earing  sundry  more  or  less  significant  facts  about  it, 
is  a  matter  of  minor  concern.  It  is  furthermore  true  that  mere  in- 
formation about  the  general  development  of  a  language  or  a  literature 
is  an  accomplishment  quite  compatible  with  relative  ignorance  of  the 
language  of  said  literature.  Such  information  implies  no  necessary 
familiarity  with  the  national  conception  of  artistic  form,  and  is  entirely 
consistent  with  the  crassest  Philistimism  with  respect  to  the  essence  of 
the  whole  subject.  While  such  information  may,  as  better  than  nothing 
at  all,  properly  be  offered  in  a  department  of  literature  in  the  student's 
vernacular,  it  is  the  flimsiest  possible  excuse  for  slighting  instruction  in 
the  language  itself.  For  a  modern  language  is  primarily  a  varying 


1)  E.  H.  Babbitt:  How  to  u  s  e  Modern  Languages  as 
a  Means  of  Mental  Discipline  (in  D.  C.  Heath's  Methods 
ofTeach  ing  Modern  Languages,  Boston,  1893.  p.  127). 


Some  Defects  in  Teaching  of  Modern  Languages  in  College,  etc.        41 

sequence  of  sound  symbols,  recalled  for  the  ear  through  the  eye  by  the 
secondary  symbols  oi'  printer's  ink.  ]t  has  its  own  peculiar  rhythm  and 
cadence,  characteristic  of  the  feeling  of  the  people  whose  collective  ex- 
perience gave  them  birth.  These  elements,  distinct  from  the  sound 
values  of  the  individual  vocables,  impart  to  the  latter  a  variety  of  musical 
quality,  whose  appreciation  is  one  of  the  most  important  and  also  one 
oi  the  most  difficult  acquisitions  of  the  language  student.  Xo  adequate 
conception  of  the  beauties  of  lyric,  epic,  or  dramatic  poetry,  or  even  of 
musical  prose,  is  possible  for  one  deaf  to  the  subtle  adjustment  of  time 
siid  tune  characteristic  of  the  spoken  word. 

Mere  instruction  in  the  pronunciation  of  vowels  and  consonants, 
when  reenforced  by  no  long-continued  efforts  of  the  learner  at  reproduc- 
ing them  in  connected  discourse,  is  an  inadequate  means  to  the  good  end. 
For  the  sound  symbol,  alone  and  in  connection,  becomes  graven  upon 
the  memory  and  vividly  associated  with  its  intellectual  and  emotional 
equivalent  in  proportion  to  the  self-activity  involved  in  its  use.  No 
amount  of  theoretical  or  practical  explanation  of  the  teacher  can  take 
the  place  of  this. 

Again  the  words  and  idioms  of  one  language  correspond,  in  a  vast 
proportion  of  all  cases,  only  approximately  to  the  so-called  equivalents 
of  another.  The  most  painstaking  lexicographer  can  hope,  therefore,  to 
accomplish  but  imperfectly  his  task  of  interpretation.  Just  those  elusive 
shades  of  difference  in  connotation  that  baffle  the  skill  of  the  lexico- 
grapher must  gradually  be  acquired  by  the  really  successful  student  of 
any  language.  This  can  be  accomplished  only  by  oft-repeated  com- 
parison of  the  same  word  or  phrase1  with  itself  in  a  variety  of  contexts. 
Most  subtle  of  all  are  the  particles  and  idioms  of  everyday  liL'e,  whose 
present  signification  reflects  most  intimately  the  hearth-stone  and 
market-place  habit  of  thought  and  expression  of  a  people.  They  pervade, 
too,  like  an  undertone  the  current  of  the  best  literary  style  and  defy  the 
efforts  of  the  interpreter,  whose  chief  reliance  is  upon  grammar  and 
dictionary,  I»y  continuous  use  of  the  spoken  w#rd  from  the  outset  the 
.student  acquires  slowly  but  surely  an  instinctive  feeling  for  a  multitude 
of  nice  distinchions  that  elude  all  attempts  at  formal  definition  and  give 
him  that  sense  of  at-home -ness  in  the  language,  which  is  in- 
dispensable for  intelligent  appreciation  and  criticism.  To  neglect  this 
surest  means  of  reaching  the  desired  goal,  in  favor  of  so-called  "rapid 
translation"  is  to  condemn  the  pupil  to  perpetual  ignorance  of  the  inmost 
spirit  of  the  language.  To  expect  from  students  so  trained  a  fine  feeling 
for  the  niceties  of  syntax  and  style  is  to  exhibit  singular  credulity  as  to 
cause  and  effect. 

Moreover  the  college  and  university  aim  to  prepare  teachers  of 
modern  languages  for  their  work.  We  must  recognize  to  an  extent 


42  Padagogiscbe  Monatshefte. 

greater  than  ever  before  in  the  modern  language  preparation  of  the 
average  candidate  for  entrance  to  college  a  reflection  through  his  teacher 
of  our  own  ideals  and  practice  in  college  and  university.  Our  frequent 
complaint  against  the  lifeless,  ineffective  teaching  of  language  in 
secondary  schools  is  too  often  a  boomerang  that  smites  the  man  who 
hurls  it.  For  how  shall  the  comparative  stranger  to  the  spirit  of  a 
language  inspire  others  with  that  spirit?  Are  even  well-chosen  facts  of 
linguistic  and  literary  history  an  acceptable  substitute  in  the  teacher  for 
that  intimate  knowledge  of  the  use  of  language,  which  alone  lends  such 
facts  their  true  significance?  The  absurdity  of  an  affirmatine  reply  to 
these  questions  is  manifest. 

The  investigator  is  not  less  important  than  the  teacher.  Those 
students  who  choose  modern  languages  as  a  field  for  the  research  of  a 
lifetime  look  rightly  to  the  university  for  such  training  as  will  contribute 
most  surely  to  their  success.  Numberless  problems  of  interpretation, 
syntax,  and  style  can  be  profitably  undertaken  only  by  those  whose 
reading  has  been  stimulated  and  guided  by  an  instinctive  feeling  for 
linguistic  form,  obtainable  solely  through  contact  with  the  spoken  word. 

Without  mentioning  in  detail  the  other  classes  of  learners,  whose 
whose  work  is  seriously  impaired  by  neglect  of  this  element  of  instruc- 
tion, we  pass  to  a  brief  mention  of  the  kindred  neglect  of  real  prose  com- 
position. Excessive  devotion  to  reading  and  translation  is  a  common 
occasion  of  both  defects.  We  follow  slavishly  the  dictum  ascribed  to 
Horace  Greely:  "The  only  way  to  learn  to  read  is  to  read."  This  truth  is 
but  a  half-truth.  It  is  certainly  true  that  reading  maketh  a  full  man; 
but  mere  fulness  is  a  doubtful  virtue.  Eating  beyond  the  power  of  di- 
gestion is  sheer  gluttony.  Now  eating  is  to  digestion  what  composition 
is  to  reading  in  the  economy  of  language  learning.  For  a  progressive 
course  in  prose  composition  means  constant  discipline  in  actively  examin- 
ing and  estimating  the  elements  of  the  language  successively  passed  in 
review  and  in  their  practical  use  as  an  expression  of  the  learner's  own 
thought.  It  is  vastly  important  as  the  chief  means  of  giving  the  pupil 
that  active  grasp  of  the  new  vocabulary  that  transforms  seeing  "through 
a  glass  darkly"  into  "face  to  face"  vision.  This  is  true  of  real  composi- 
tion in  the  language  to  be  learned,  not  of  mere  translation  from  the 
student's  vernacular  into  that  language.  While  the  latter  may  be 
necessary  at  first,  it  can  shortly  be  supplanted  with  great  advantage  by 
variant  reproduction  of  material  read  or  listened  to  by  the  student,  with- 
in clearly  indicated  lines  of  inflection,  syntax,  and  style.  For  translation, 
when  fairly  adequate,  implies  an  almost  equal  command  of  the  two 
languages  involved.  This  is,  of  course,  beyond  the  present  reach  of  the 
learner,  and  his  very  familiarity  with  the  forms  of  his  mother-tongue 
contrasts  to  his  mental  distress  with  his  comparative  ignorance  of  the 


Some  Dejects  in  Teaching  of  Modern  Languages  in  College,  etc.       43 

foreign  syntax.  Whatever  progress  he  .may  make  in  the  latter  by  -in- 
dustrious "upsetting"  of  the  vernacular  is  quite  insufficient  entirely  to 
remove  this  distress.  He  is  constantly  hampered  by  the  fetters  of  the 
familiar  speech-forms.  Xothing  else  can  take  the  place  of  extended 
elementary,  intermediate,  and  advanced  theme-writing  in  the  language 
he  be  acquired. 

Another  defect  is  the  untimeliness  of  some  of  our  work.  Our  ambi- 
tion to.  acquaint  our  pupils  with  a  wide  range  of  literary  development  is 
the  occasion  of  much  premature  discussion  of  literary  facts,  in  place  of 
reading  and  interpreting  literary  monuments.  We  repeat  the  common 
mistake  of  those  who  but  yesterday  taught  literature  by  means  of  a 
convenient  manual,  illustrated  by  a  minimum  of  reading  from  an  equally 
convenient  anthology.  Our  brave  array  of  names,  dates,  and  rival  schools 
becomes  sometimes  the  trees  that  hide  the  woods.  The  young  sailor  has 
little  use  for  a  chart  of  all  the  seas  before  he  has  learned  to  row  a  boat 
or  rig  a  sail.  Good  manuals  and  seasonable  discussions  are  excellent 
when  used  to  broaden  and  clarify  the  knowledge  gained  by  first-hand 
study  of  literature.  When  substituted  for  such  study  they  defeat  their 
own  purpose. 

What  seems  to  me  a  false  application  of  the  "Same  W  o  c  h  e  n, 
F  r  o  h  e  F  e  s  t  e"  principle  often  introduces  the  student  to  a  nominal 
study  of  literature,  rendered  comparatively  fruitless  by  uiifamiliarty  with 
the  language  in  which  it  is  expressed.  All  attempts  to  enjoy  the  classics 
of  any  people,  undertaken  during  the  period  of  linguistic  groping,  are 
doubly  disadvantagious  to  the  student.  First,  they  discourage  him,  by 
impressing  him  with  the  magnitude  of  the  task  and  the  apparent  worth- 
lessness  of  the  results;  arid,  secondly,  they  consume  much  time,  whose 
employment  in  wisely  directed  study  of  the  language  would  equip  the 
learner  for  real  appreciation  and  enjoyment  of  the  literature,  for  which 
he  now  acquires  a  positive  distaste. 

Acquaintance  with  and  appreciation  of  good  literature  are  one 
thing;  knowledge  of  genetical,  chronological,  biographical,  and  other 
critical  details  is  quite  another.  All  students  of  modern  languages  need 
the  former  as  an  important  element  of  a  liberal  education.  This  is  a 
corollary  of  the  fact  that  literature  is  one.  of  the  most  significant  ex- 
pressions of  the  mind  of  civilized  man  in  all  ages  and  in  all  lands.  But 
literature  should  not  be  confused  with  the  history  of  literature.  Dis- 
criminating love  of  the  form,  color,  and  odor  of  flowers  is  quite  inde- 
pendent of  systematic  botany,  even  though  study  of  the  latter  may  some- 
times quicken  the  former.  Each  is  good  and  desirable  in  its  own  way. 
The  same  is  true  of  literary  appreciation,  on  the  one  hand,  and  the  facts 
of  literary  history,  on  the  other.  Our  educational  blunder  at  this  point 


44  Pddagogisclie  Monatshefte. 

consists  in  neglecting  the  one  or  the  other  through  carelessly  regarding 
them  as  interchangeable. 

Similar  to  this  is  the  common  mistake  of  neglecting  to  instruct 
students  in  language  through  misplaced  zeal  in  imparting  to  them  the 
facts  of  language  hisory.  Morphological  history  is  as  distinct  from 
organic  function,  in  the  field  of  language  as  in  that  of  zoology  or  botany. 
Some  teachers  seem  to  labor  under  the  honest  delusion  that  the  form  and 
spirit  of  a  language  can  be  most  effectively  acquired  by  strict  attention 
to  the  salient  features  of  its  historical  development.  Evidence  of 
this  are  those  dictionaries  and  grammars  intended  for 
the  use  of  beginners,  which  devote  much  space  and  attention  to  etymo- 
logies and  genetical  discussions  of  modern  forms.  When  duly  sub- 
ordinated to  direct  oral  and  written  drill,  historical  instruction  of  this 
sort  may  with  some  pupils  facilitate  the  acquisition  of  a  foreign  tongue 
or  of  on  older  dialect  of  the  vernacular.  When  not  thus  subordinated, 
however,  it  prevents  the  acquisition  of  either  the  language  or  its  history. 
Other  teachers  frankly  disregard  the  student's  ignorance  of  the  language, 
as  a  vehicle  of  thought,  and  resolutely  attempt  to  engraft  upon  this  igno- 
rance such  scientific  knowledge  of  language  and  literary  history,  as  seems 
lo  them  alone •• 'consistent  with  the  supposed  dignity  of  college  and  uni- 
versity instruction.  They  are  reluctant  to  recognize  in  their  practice  that 
mastery  of  the  inflectional,  syntactical,  and  stylistic  elements  of  a 
language  is  for  the  learner  primarily  an  art  to  be  acquired  rather  than 
a  science  to  be  comprehended.  Such  a  recognition  seems  to  them  a  de- 
plorable concession  to  the  unscientific  spirit  of  the  S  p  r  a  c  h  m  e  i  s  t  e  r. 
They  prefer  to  play  the  ostrich,  by  denying  the  student's  need  of  instruc- 
tion in  the  art  of  speech  usage  and  by  hurrying  him  at  once  into  courses 
intended  to  prepare  him  for  investigative  work.  And  yet  even  a  bright 
pupil  thus  unfamiliar  with  the  idiomatic  niceties  and  with  the  musical 
values  of  the  language  must  remain  a  mere  bungler  in  all  questions  of 
interpretation,  phonology,  morphology,  syntax,  prosody,  and  style. 
Warning  examples  of  this,  are  furnished  anually  by  the  score  in  the  crude 
studies  of  these  subjects,  offered  to  university  faculties  for  the  doctorate. 
What  these  students  of  the  earlier  English,  German  and  Romance 
dialects  need  more  than  lectures  upon  historical  grammar  is  intimate 
acquaintance  with  the  syntax,  style,  and  vocabulary  of  the  dialects  in 
question,  based  upon  wide  inductive  reading  of  numerous  authors  of  the 
period  chosen  for  special  study.  This  is  the  only  sure  preventive  of  those 
speculative  extravagances  of  phonological,  svntactical,  and  text-critical 
research  that  shock  or  amuse  the  reader,  according  to  his  temper  or  mood. 

In  spite  of  recent  conspicuous  efforts  to  introduce  into  all  our  in- 
struction in  modern  languages  what  some  term  the  "spirit  of  university 
work",  it  seems  doubtful  that  we  as  yet  distinguish  sharply  enough  be- 


Some  Defects  in  Teaching  of  Modern  Languages  in  College,  etc.        45 

tween  the  general  needs  of  all  classes  of  our  students  and  the  special 
needs  of  our  research  students.  Whoever  studies  a  modern  language 
with  any  seriousness  of  purpose  needs  information  along  countless  lines. 
What  is  already  known  of  linguistic  and  literary  form,  in  their  present 
state  and  past  development,  is  a  great  storehouse  of  detail,  whose  appro- 
priation by  the  students  may  or  may  not  he  wisely  restricted  to  essentials 
by  the  choice  of  the  teacher.  Courses  determined  by  wisdom  and 
courage  in  the  omission  of  all  information,  not  vital  for  the  subsequent 
steps  of  the  work,  are  indispensable  for  satisfactory  progress.  Such 
courses  orient  the  student  suitably  in  the  field  of  his  interest.  Various 
methods  of  procedure  may  be  equally  lit  for  this  work.  In  any  case  the 
main  purpose  of  the  teacher  is  to  inform  the  learner  of  facts  and  re- 
lations first  discovered  by  another  than  the  pupil  himself.  Informational 
courses  supplemented  by  occasional  attention  to  clasic  methods  of  re- 
search, employed  by  exemylary  workers,  are  sufficient  for  the  needs  of 
most  students.  Such  courses  are  at  their  best  when  most  devoid  of  all 
futile  parody  of  research  work.  Efforts  to  inject  into  them  elements 
whose  dubious  purpose  is  to  produce  the  appearance  of  scientific  severity 
of  discipline  are  strangely  at  variance  with  the  real  scientific  spirit. 

The  young  investigator  needs  besides  the  best  type  of  in  format. ional 
course  for  preliminary  training,  instruction  in  methodology,  i.  e.,  counsel 
in.  discovering  and  selecting  suitable  problems  for  solution  and  assistance 
in  devising  working  plans  for  the  conduct  of  research,  with  frequent 
criticism  of  his  choice  and  interpretation  of  evidence.  Work  of  this  kind, 
undertaken  in  connection  with  concrete  problems  and  shaped  so  as  to 
jiH'ord  discipline  in  the  formulation  of  multiple  hypotheses  and  in  the 
impartial  evaluation  of  each  in  the  light  of  all  available  material,  is  in 
aim  and  effect  quite  different  from  the  legitimate  informational  course. 
The  conditions  of  work  in  Amercan  universities  are  unquestionably  still 
largely  moulded  by  the  informational  ideal  of  teaching,  which  we  have 
inherited  from  the  early  American  college.  Institutional  concessions  to 
the  needs  of  research  have  hitherto  been  rather  theoretical  than  practi- 
cal. Large  classes,  many  hours  of  instructional  service  per  day.  and 
meagre  library  facilities  still,  for  most  of  us,  hamper  all  investigative 
work  in  modern  languages.  The  presence  of  immature  students  in  courses 
intended  primarily  for  research  is  doubtless  a  frequent  cause  of  an  un- 
fortunate compromise  in  the  nature  of  the  instruction,  that  vitiates  its 
usefulness  alike  for  the  specialist  and  the  non-specialist.  Such  fad-. 
however,  are  merely  an  explanation  and  no  real  excuse  for  offering  our 
sludents  a  hybrid  instruction,  the  leanness  of  whose  informational 
features  suggests  the  scant  diet  of  the  Prodigal  Son  and  whose  value  a< 
a  preparation  for  philological  research  is  practically  zero.  Intellectual 
honesty  would  suggest  that  we  resolutely  refuse  to  offer  course's  in  re- 


46  Pddagogische  Monatshefte. 

search,  for  which  we  may  have  neither  the  time  nor  the  indespensable 
equipment.  It  would,  in  case  of  informational  courses,  just  as  surely 
frown  upon  the  merely  decorative  employment  of  the  manners  of  re- 
search. 

The  defects  of  our  work,  briefly  indicated  in  the  foregoing,  have  one 
feature  in  common.  They  all  spring,  in  part  at  least,  from  what  seems 
to  me  the  confusion  of  two  instructional  ideals  —  the  informational  and 
the  research  ideal.  By  premature  devotion  to  the  latter  actually  learning 
the  language  is  slighted,  interpretative  and  appreciative  reading  of 
literature  is  neglected,  and  the  student  is  imbued  with  the  conceit  of 
ignorance  disguised  as  knowledge.  By  substituting  for  genuine  courses 
in  methodology  compromises,  suggested  by  the  immaturity  of  some  of 
our  students,  or  by  our  own  laxity  in  excluding  such  students  from  work 
for  which  the}^  are  not  prepared,  we  hopelessly  handicap  the  spirit  of  re- 
search and  thus  diminish  what  might  otherwise  be  our  respectable 
contribution  to  the  total  of  trustworthy  investigation  in  modern 
philology. 

None  of  these  defects,  however,  whether  occasioned  by  institutional 
illiberality  or  by  individual  short-sightedness,  seem  irremediable.  Hence 
I  have  chosen,  in  the  full  consciousness  of  my  own  shortcomings  in  the 
premises,  to  call  to  mind  in  this  paper  certain  conspicuous  obstacles 
in  the  way  of  our  attaining  that  degree  of  success  as  teachers  which  we 
rightfully  crave. 


(Fflr  die  Padagogischen  Honatshefte.) 

Antwort 

?.u  den  Versen  auf  dem  Grabe  Heinrich  Hein  e's,  Paris,  Cimetiere  de 
Montmartre: 

,,Wo  wird  einst  des  Wandermiiden 
,,Letzte  R.uhestatte  sein? 
,,Unter  Palmen  in  dem  Sxiden, 
,,Unter  Linden  an  dem  Ehein? 

,,Werd'  ich  einst  in  oder  Wiiste 
,,Eingescharrt  von  freiuder  Hand? 
,,Oder  ruh'  ich  an  der  Kiiste 
,,Eines  Meeres  in  dem  Sand? 

,,Immerhin  mich  wird  umweben 
,,Gottes  Odem  dort  wie  hier, 
,,Und  als  Totenlampen  schweben 
,,Gottes  Sterne  iiber  mir." 

Heinricn  Heine. 


Lange  bei  des  Dulders  Bette 
Stand  das  Schicksal  schon  bereit, 
Zeigte   sch\\eigend  anf   die   Statte, 
Seinem  letzten  Schlaf  geweiht. 

Nicht  wo  stolze  Palmen  traumen 
Hoch  im  wolkenlosen  3Jlau, 
Noch  wo  Meereswogen  schaumen 
An  den  steilen  Felsenbau. 

Nicht  wo  silberklare  Quellen 
Hiipfen  durch  des  "\Valdes  Moos, 
Noch  wo  breiter  Strome  Wellen 
Dome  spiegeln,  still  und  gross. 

Nicht  fiir  dich,  den  Euhelosen, 
Dem  kein  Menschenschicksal  fremd, 
Der  des  Lebens  Dornenrosen 
Fest  noch  driickt  ans  Totenhemd. 

Nein,  du  schlummerst,  wo  die  Schwiile 
Lastet  und  der  voile  Tag, 
Wo  noch  in  der  nacht'gen  Kiihle 
Eastlos  tont  der  Hammer  Schlag. 

Wo  das  Leben  spat  und  friihe 
Itauscht  und  rasselt  ungedampft, 
Seinen  Schlafern  nnr  mit  Miihe 
Selbst  der  Tod  den  Platz  erkampft. 


48  Pddagogisclie  Monatsbefte. 


Dioht  an  deinem  stillen  Hause 
Xoch  das  Dampfross  stampft  und  stoh 
Und  der  Boulevards  Gebrause 
Bis  in  deine   Traume   tout. 

Also  ruhst  du  dicht  am  Herzen 
Jener  grossen  Stadt  Paris, 
Den  das  Mutterland,  der  Schmerzen 
Kind  von  seiner  Brust  verstiess. 

Doi'h  der  Xachklang  deiner  Lieder, 
Und  das  Echo  deiner  Fein 
Tont  durch  alle  Zeiten  wieder 
Hier  um  deinen  Leieheiistein. 


vor  eines  Tempels  Sehwelle 
Fronnner  Andacht  Gabe  glanzt, 
St-i  init   l{os'  und  Immortelle 
Deine  Ruhestatt  bekriinzt. 

'Kromme    Pilgerscharen  \vallen 
Spater  Enkel  an  dein  Grab, 
Und  als  Weihetropfen  fallen 
Hire  Traneii  drauf  herab. 

_  '_  C.  L.  Nicolay,  M.  A. 

Leitfaden  zum  Unterricht  nach  Anschauungs= 

bildern. 


Vortrag  gehalten  vor  dem  Vereiu  Dentscher  I.ehrer  in  Milwaukee,  Wis. 


Von  A.   R.   Braun,  Public  Schools,  Milwaukee.  Wis. 


Die  Schulbehorde  hat  jeder  Schule  eine  Reihe  von  Anschauungsbildern 
zur  Yerfiigung  gestellt.  Wir  Lehrer  sollten  diese  Tatsaehe  mit  Freuden 
begriissen,  da  dadurch  unsere  Arbeit,  besonders  im  Anschauungsunter- 
riehte,  bedeut^nd  erleichtert  wird.  \Velcher  junger  Lehrer  wiirde  es  wohl 
bestreiten,  dass  ihm  gar  oft  in  diesem  Lehrfache  der  Stoff  ausgegangen 
ist,  dass  er  wohl  manchmal  noch  im  letzten  Augenblicke  mit  sich  zu  Rate 
gegangen  ist,  was  vorzunehmen  sei,  um  das  Interesse  der  Kinder  zu  wecken, 
und  den  Unterricht  nicht  zur  beiderseitigen  Qual  zu  machen.  Ehe  i«-h  zu 
meiiier  eigentliehen  Aufgabe  schreite,  will  ich  mir  gestatten,  Ihr  A'.igen- 
inerk  Mit'  einige  allgemein  bekannte  Punkte  in  bezug  auf  /week,  Form  und 
Methode  des  Anschauungsunterrichtes  zu  lenken. 

\\ir  alle  wissen,  dass  das  Kind  ziemlich  verworrene  und  unklare  A'or- 
stellungen  besitzt,  wenn  es  als  sechsjahriger  Abc-Schiitze  den  Boden  der 
Sehule  betritt.  Seine  Aufmerksamkeit  muss  geweckt,  seine  Sprachkraft 
eiitfesselt  werden.  Es  muss  folglich  erst  fiir  den  eigentliehen  Unterrieht 
reif  gemacht  werden.  Der  Lehrer  bedient  sich  dabei  des  Frageunterrii-h- 
K-S  \md  lenkt  die  Aufmerksamkeit  des  Kindes  in  gewisse  Bahnen.  Die 
Kinder  miisseii  angehalten  werden,  in  Satzen  bestimmt  und  scharf  zu 


Leitfaden  ^ttm  Unterricbt  nach  Anschaiiungsbildern.  49 

sprechen,  denn  die  Entfesselung  der  Sprachkraft  ist  ausserlich  die  Haupt- 
sache.  Es  sollte  deshalb  kein  undeutliches,  leises  Sprechen  geduldet 
werden. 

Der  Zweek  der  Anschauungs-,  Denk-  vmd  Sprechiibungen  ist,  die 
Kinder  dahin  zu  fiihren,  dass  sie  sich  ein  klares  Bild  von  den  Gegen- 
standen  der  ausseren  Welt  machen  und  es  richtig  reproduzieren  konnen, 
Durch  Fragen  und  Antworten  miissen  sie  zur  Fertigkeit  im  Spre- 
chen und  zvvar  zunachst  iiber  sinnlich  wahrnehmbare  Gegenstande, 
gefiihrt  werden.  Was  ware  \vohl  fiir  diesen  Zweek  besser  geeignet,  als 
ein  gutes  Anschauungsbild,  welches  in  seiner  bunten  Farbenpracht  und 
geordneten  Ztisammenstellung  dem  Kinde  im  Schulzimmer  eine  Welt 
im  Kleinen  vor  Augen  fiihrt,  mit  welcher  es  sich  verwandt  fiihlt  und  in 
der  seine  Phantasie  lebt  und  webt!  Es  darf  jedoch  nicht  dem  Zufalle, 
<ler  Willkiir  und  Laune  iiberlassen  bleiben,  woriiber  zu  jeder  Zeit  mit  dem 
Kiude  gesprochen  werden  soil,  damit  der  Unterricht  nicht  ein  planloses 
Hin-  und  Herreden  iiber  die  versehiedenartigsten  Dinge  \verde,  was  zn 
Zestreuung  und  Oberflachlichkeit  fiihrt.  Von  Anfang  an  muss  dev  Lehrer 
sein  Ziel  fest  im  Auge  behalten  und  in  einem  planmassig  geregelten  Gauge 
dasselbe  zu  erreichen  streben. 

Der  Form  nach  sollen  die  ubungen  so  eingerichtet  sein,  dass  im  Ge- 
spriiche  alle  Wortarten,  ihre  Formen,  Biegungen,  Abieitungeii  und  Zusain- 
niensetzungeii  moglichst  vollstandig  und  doch  auf  eine  urtgezwungene  Art. 
vorkommen,  was  bei  einer  zweckmassigen  Anordnung  und  BehandJung  des 
Stoffes  sehr  wohl  ausfiihrbar  ist. 

Was  die  Methode  dieses  Unterrichtes  betrifft,  so  muss  sich  dieselbe 
in  die  Form  einer  freien  Unterhaltung  kleiden,  welche  nirgends  mehr  am 
Platze  ist  wie  hier.  Da  es  Ubungen  im  Denken  und  Sprechen  sein  sollen, 
so  miissen  die  Kinder  iiberall  selbsttiitig  erhalten  werden.  Der  Lehrer 
muss  ihnen  durch  seine  Fragen  nur  die  Veranlassung  geben,  selbst  zu 
beobachten  und  das  Gefundene  richtig  auszusprechen.  Die  Fragen,  welche 
ihnen  der  Lehrer  zu  diesem  Ende  vorlegt,  miissen  so  bestimmt  gefasst 
sein,  dass  dem  Sinne  nach  nur  eine  ric htige  Autwort  darauf  gegeben  wer- 
clen  kann.  Er  miiss  nicht  darauf  bestehen,  dass  gerade  in  bestimmten 
\Vorten  geantwortet  werde,  vielmehr  muss  es  ihm  lieb  sein,  vvenn  die  Kin- 
der amlere  Wovte  gebrnucheu,  als  die  er  vielleicht  erwartete,  und  wenn 
mehrere  Kinder  denselben  Inhalt  in  andere  Worte  kleiden.  Gerade  dieses 
zeigt,  dass  die  Kinder  denken.  !\ie  muss  er  gestatten,  dass  die  Kinder 
aus  Bequemlichkeit  mit  einzelnen  Wortern  seine  Fragen  beantwor- 
worten,  sondern  jede  Antwort  muss  die  Frage  des  Lehrers  in  sich 
sehliessen.  Keinen  Fehler  der  Sprache  darf  der  Lehrer  unverbessert 
las.sen.  Wo  die  von  den  Kindern  erworbene  Sprachfertigkeit  noch  nicht 
ausreicht,  das  Beobachtete  oder  Gedachte  selbst  sprachrichtig  auszu- 
driicken,  da  kommi  der  Lehrer  ihnen  zu  Hilfe,  fasst  es  notigenfalls  selbst 
in  die  richtigen  Worte  und  liisst  sie  von  den  Kindern  wiederholen. 

Der  zulet/t  erwahnte  Punkt  bezieht  sich  besonders  auf  solche  Schulen, 
in  welchen  die  Kinder  die  deutsche  Sprache  und  ihren  Gebrauch  erst  er- 
lernen  miissen.  Hier  ist  die  Aufgabe  des  Anschauungsunterrichtes  eine 
sehr  schwierige.  Er  ist  hier  gleichsam  die  iMulter,  welche  ihre  Kinder  <);is 
richtige  Sprechen  und  Verstehen  lehrt.  Und  wie  in  der  Sprache  der  Kin- 
•3er  die  Frage  die  Hauptralle  spielt,  so  muss  auch  im  Anschauungsini- 
terricht  die  Frage  in  der  mannigfaltigsten  Gestalt  die  gehorige  Beriick- 
sichtig-ung  finden.  Da  aber  die  Fragestellung  besonders  bei  nicht  deutsch- 


50  Padagogische  Monatshefte. 

redenden  Kindern  den  Zweck  verfolgen  muss,  die  Kinder  mogliehst  schnell 
unterrichtsfiihig  zu  machen,  so  muss  dieselbe  in  darauf  berechneter  Weise 
systematise!!  geordnet  auftreten.  Bedeutende  Sctuilmanner  haben  sich 
mit  der  Systematisierung  der  Fragen  bei  Anschauungsbildern  beschaftigt, 
doch  den  meisten  Anklang  hat  die  Methode  von  Aug.  D  u  d  a  gefunden, 
^velche  ich  in  den  folgenden  Erorterungen,  verwerten  will. 

Der  erste  Schritt  beim  Anschauungsunterricht  nach  Bildern  ist  die 
Glieclerung  des  Stoffes,  wodurch  die  Arbeit  systematisiert  und  bedeutend 
erleichtert  wird.  Ein  guter  Plan  ist  es,  den  Stoff  in  zwei  Hauptteile  zu 
zergliedern  und  zwar  in 

Vorbesprechungen    und    Gruppen. 

Die  ersteren  werden  eingeleitet  durch  das  Nennen  der  auf  dem  Bilde 
dargestellten  Dinge,  wie  dieselben  dem  Kinde  in  die  Augen  fallen.  Hier 
wird  besonders  der  Gebrauch  der  Ein-  und  Mehrzahl,  des  bestimmten  und 
unbestimmten  Geschlechtswortes  und  das  richtige  Anwenden  des  4.  Falles 
geiibt.  Ersteres  wird  veranlasst  durch  die  Fragen:  Wer  oder  was  ist  das? 
wobei  man  auf  den  zu  nennenden  Gegenstand  zeigt;  letzteres  wird  erreieht 
durch  die  Frage:  Wen  oder  was  siehst  Du  hier? 

Z.  B.  Wer  ist  das?  —  Antw.:   Jun  Knabe,  eine  Fi*au. 
Was  ist  das?  —  Ein  Haus. 
Wo  ist  der  Baum?  Die  Miihle?  Das  Kind? 
(Der   Schiiler  geht   zur   Tafel   und   zeigt    die    Gegenstande.) 
Was  siehst  Du  hier?  —  Einen,  den  Knaben,   eine,  die   Frau,   ein, 
das  Haus. 

Dieselben  Siitzchen  konnen  in  der  Mehrzahl  ausgedriickt  werden. 
Die  ubung  im  Benennen  der  Dinge  wird  fortgesetzt,  bis  den  Kindern 
samtliche  Namen  vollkommen  gelaufig  sind.  Ein  gutbewahrter  Plan  ist  es, 
die  Kinder  so  oft  wie  moglich  zur  Tafel  zu  schicken  und  die  Gegenstande, 
die  sie  kennen,  aufziihlen  zu  lassen,  oder  auch  einzelne  Kinder  mit  dem 
Fragestellen  zu  betrauen,  die  sodann  sich  meldende  Kinder  aufrufen  und 
die  gestellten  Fragen  beantworten  lassen.  Natiirlich  muss  dann  und  wann 
der  Lehrer  helfend  und  verbessernd  einspringen.  Man  versaume  nie,  eine 
Antwort  von  einzelnen  Kindern  sowie  der  ganzen  Klasse  wiederholen  zu 
lassen,  damit  jeder  Schiiler  Gelegenheit  tindet,  seine  Sprachfertigkeit  zu 
betatigen. 

Nachdem  die  Kinder  mit  den  Gegenstiinden  auf  dem  Bilde  hinliinglich 
vertraut  sind,  gehe  man  zum  Ordnen  der  Dinge  nach  gewissen  Eiicksich- 
ten  iiber. 

Folgende  Einteilung  kann  dabei  zur  Verwendung  kommen: 

1.  Menschen.  —  Was  ist  die  Frau?  Das  Kind?  —  Auch  Mehrzahl! 

2.  Tiere;   a.  vierfiissige;   b.  Vogel;   c.  niedere  Tiere. 

3.  Pflanzen. 

4.  Gebaude. 

5.  Gertit-e  (Werkzeuge.) 

Daran  kann  sich  noch  das  Benennen  der  Korperteile  der  Tiere  an- 
schliessen.  Wenn  die  Kinder  darin  geniigend  ubung  erlangt  haben,  so  wer- 
den bei  jeder  neuauftretenden  Tierform  mir  die  charakteristischen  Merk- 
male  hervorgehoben. 

Zahl   der   Dinge. 

Ein  weiterer  Schritt  ist  die  Einiibung  der  Zahl  der  Dinge,  welches 
zugleich  eine  ubung  der  Mehrzahlist. 


Leitfaden  %um  Unterricht  nach  Anschauiingsbildern.  51 

Z.  B.  —  Wie  viele  Menschen  siehst  Du  auf  dem  Bilde? 
-  Ich  sehe  neun  Menschen  auf  dem  Bikle. 

Tatigkeiten    der    Dinge. 

Daraufhin  folgt  die  Besprechung  der  Tatigkeiten  der  Dinge,  wobei  wie- 
der  nach  gewissen  Riicksichten  vorgegangen  wird,  indem  man  zuerst  Men- 
schen, dann  Tiere  und  Pflanzen,  und  zuletzt  die  leblosen  Dinge  ins  Auge 
fasst. 

Z.  B.  —  Was  tut  (tun)  die  Frau?  die  Kinder?  der  Knabe?  die  Knaben? 
der  Vogel?  die  Vogel?  der  Baum?  der  Strauch?  der  Kaueh?  der 
Besen?  der  Schnee? 

Im  Falle  Tiere  auf  dem  Bilde  sind,  so  kann  man  auch  iiber  die  Stim- 
men  derselben  sprechen.  Z.  B.: 

Was  kann  das  Pferd?  der  Hund?  der  Hahn?  der  Vogel?  die  Biene? 

Eigenschaften  der   Dinge. 

Nach  Beendigung  der  Tatigkeiten  der  Dinge  gehe  man  zur  Besprech- 
ung der  Eigenschaften  derselben  iiber,  was  ein  unendlich  reiches  und 
dankbares  Feld  bietet. 

Zuerst  kommen  die   Farben  der  Dinge  in  Betracht. 
Z.  B.  —  Eot  —  Wie  ist  das  Kopftuch?  das  Kleid?  die  Tiir? 

Blau  —  Wie  ist  die  Schiirze?  die  Jacke  des  Miidchens? 
Weiss  —  \Vie  ist  der  Schnee?  das  Dach?  der  Hiigel? 
Braun  —  Wie  ist  der  Baum?  der  Schornstein? 
Gelb  —  Wie  ist  der  Rock  dieses  Knaben? 

Wenn   griine   Gegenstlinde   auf   einem   Bilde   vorhanden   sind,   muss    be- 
sonders  auf  die  Aussprache  des  ii  gesehen  werden.     Auch  der  zweite  Fall 
der  Dingworter  kann  bei  dieser  Gelegenheit  vorteilhaft  eingeiibt  werden. 
Daran   schliesst   sich   die   Aufzahlung  anderer  Eigenschaften,   Z.  B.: 
Wie  ist  der  Knabe?  Wie  ist  er,  weil  er  noch  so  klein  ist?  Wie  sind 
die  Kinder,  weil  sie  viel  Spass  haben?  Wie  ist  die  Frau,  weil  sie  Holz 
sammeln  muss?  Wie  sind  die  Vogel?  Der  Baum,  weil  er  keine  Blatter 
hat?  Weil  man  mit  der  Hand  nicht  hinaufreichen  kann?  Der  .uauch, 
weil  er  in  die  Luft  steigt?  Das  Eis,  weil  man  leicht  fallen  kann? 
Der   Kompai'ativ  und  Superlativ  von  Adjektiven  sollte  bei  dieser  Gele- 
genheit griindlich  eingeiibt  werden.  Z.  B.: 

Wie  ist  die  Miihle,  weil  man  mit  der  Hand  nicht  hinaufreichen  kann? 
Das  Haus?  Der  Hiigel?  Wie  ist  der  Knabe?  Das  Madchen?  Dieser 
Knabe? 

Die  genannten  Dinge  miissen  mit  einander  in  Bezug  auf  Grosse  ver- 
glichen  werden. 

Material  der  Dinge. 

Nachfolgend  bespreche  man  das  Material  der  Dinge: 
Holz,  holzern;    Stein,  steinern;      Eisen,  eisern. 

Frage    nach    dem    Satzgegenstand. 

B.  —  Wer  streut  Futter?  Wer  sitzt  auf  dem  Schlitten?  Wer  tragt  erne 
Biirde  Holz?  WTer  sitzt  auf  dem  Dache?  Was  steigt  aus  dem  Schorn- 
stein auf?  Was  steht  beim  Hause?  Was  bedeckt  den  Teich?  Die  Erde? 

Frage   nach  den  Ergiinzungen. 

4.  Fall:   Was  streut  die  Frau?  Was  rollt  der  Knabe?  Was  machen  die 
Kinder?  Was  trtigt  die   Frau?   Was  hat  der  Schneemann  in 
der  Hand? 
3.  Fall:  Wem  tun  die  armen  A  ogel  leid?  Wem  gibt  die    die  Frau  Fut- 


52  P&dagogiscbe  Monatsliefte. 

ter?  Wem  geben  die  Kinder  einen  Stock?  Wem  ist  die  Miitze 
herabgef  alien  ? 

Bestimmungen. 

Des  Ortes:  Wo  befinden  sich  die  Knaben?  Wo  sit/.t  der  Yog-el?  \Vo 
stehen  die  Kinder?  Wo  sit/.t  der  Knabe?  Wo  steht  der 
Baum?  Wo  lehnt  der  Besen? 

Wohin  fliegen  die  Vogel?  Wohin  sind  die  Knaben  ge- 
gangen?  Wohin  fahrt  der  Knabe?  Wohin  wird  die  Fran 
g-ehen,  wenn  sie  das  Futter  gestreut  hal  ? 
Woher  kommt  die  Fran?  Woher  kommen  die  Yog-el 
geflogen?  Woher  fallt  der  Sehnee?  Woher  kommt  der 
Eabe?  Woher  kommt  im  Sommer  das  \Yasser? 

Der  Zeit:  W  a  n  11  werden  die  Kinder  heimgehen?  \Vanii  werden  die 
Vogel  fortfliegen?  Wann  wird  der  Rauch  anfhoreii  zu 
steigen?  Wanii  wird  der  Schnee  weggehen?  Wann  bliihen 
die  Ban  me? 

Wielange  werden  die  Kinder  auf  dem  Eise  bleiben? 
Wie  lange  bleibt  der  Schnee  lieg-en?  Wie  lange  wird  der 
Knabe  den  Ball  rollen? 

Des  Grundes:  W  a  r  u  in  hat  die  Frau  selbst  IIolz  geholt  ?  Warnm 
fiittert  die  Fran  die  Vogel?  Warum  hat  <lie  Fran 
Feuer  angemaeht?  Waruni  hat  der  Kuabe  die 
Hiinde  in  der  Tasehe? 

Des  Z  we  ekes:  W  o  z  u  dient  der  Besen?  die  Schaufel?  der  Schlit- 
ten?  die  Schlittschuhe?  die  Bank?  der  Kiibel?  das 
Wohnhaus? 

G  r  u  p  p  e  n. 

Xach  Beendigung  der  Vorbespreehnngen  geheii  wir  znr  Behandlung 
der  Gruppen  tiber.  Hier  sollte  sieh  die  Selbstbetatignng  der  Kinder  noeh 
inehr  zeigen.  als  im  Vorhergehenden.  Da  nnsere  Zeit  bemessen  ist.  iind 
es  zu  weit  fiihren  wiirde,  jede  einzelne  Gruppe  Y.\\  besprechen,  so  will  ich 
nnr  eine  oder  zwei  heransgreifeii  und  einige  Worte  dariiber  bemerken. 
Eine  den  Kindern  besonders  ins  Ange  fallende  Gruppe  ist  die,  welehe  den 
Sehneemann  veransehanlieht.  Das  Xachfolgende  muss  den  Kindern  in  Fra- 
gen  dargeboten  werden. 

I.  Gruppe:  Der  Sehneemann. 

Hier  sehen  wir  einen  Sehneemann.  Er  ist  aus  Sehnee.  Die  Kinder  ha- 
ben  ihn  gemacht.  Bei  dem  Sehneemaiine  sehen  wir  drei  Knaben  und  ein 
Madchen.  Die  Knaben  haben  grosse  Schneebiille  gerollt;  dann  ha  ben.  sie 
dieselben  aufeinander  gesetzt.  Oben  ist  der  Kopf  des  Sehneemannes;  das 
ist  seine  Brust;  das  sind  die  Arme,  die  Augen,  die  Xase,  der  Mund.  Aber 
die  Beine  fehlen;  deshalb  kann  er  nieht  laiifen.  Seine  Augen  und  seiii 
Mund  haben  eine  sehwarze  Farbe;  sie  sind  aus  Kohle.  In  den  Arm  haben 
die  Kinder  dem  Sehneemann  einen  grossen  Stock  sresteckt.  Wenu  der 
Sehneemann  fertig  sein  wird,  dann  sprechen  die  Kinder  zn  ihm: 

,,Seht    den    Mann,    o    grosse    Not" 

IT.  Gruppe:  Die  Not  der  Vogel. 

Nun  ist  der  Winter  eingetroffen.  Draussen  ist  es  kait.  Alle.-;  ist  mit 
Sehnee  bedeckt.  Aueh  auf  den  Feldern  und  in  den  Wiildern  liegt  der 
Sehnee.  Wir  horen  dort  keine  Vogel  singen.  Sie  sind  hi  wiirmere  Liinder 
g-ezogen.  Dort  fallt  kein  Sehnee;  dort  gibt  es  keinen  Winter.  Dot  finden 


Leitfaden  %um  Unterricht  nach  Anschauungsbildern.  53 

die  Vogel  Fliegen,  Miicken,  Kafer,  Raupen  und  Frosche.  Bei  uns  wiirden 
sie  im  Winter  keine  Nahrung  finden.  Erst  im  Friihling  kommen  sie  wie- 
der. 

JS'icht  alle  Vogel  haben  uns  verlasseji.  Auf  dem  Bilde  sehen  wir  Sper- 
linge  utid  Eaben.  Wenn  der  Boclen  mit  Sehiiee  bedeckt  ist,  finden  diese 
Vogel  kein  Futter.  Sie  leiden  oft  Hunger  und  grosse  Not.  Sie  iiirchteh 
fcich  dann  nicht  mehr  so  sehr  vor  den  Meiischen;  sie  werden  zahm.  Wenn 
die  Hiihner  gefiittert  werden,  kommen  die  Spatzen  gern  auf  die  Futter- 
pliitze.  (iute  Leute  lassen  sie  gerne  mitpicken.  Gute  Kinder  sammeln 
Brotkriimehen  und  Korner.  Dann  offnen  sie  das  Fenster  und  streuen  das 
.Flitter  hinaus.  Die  Vogel  clanken  den  Kindern  und  zwitschern.  Die  Kinder 
:'rcuen  sich  iiber  die  Vogel.  Wenn  die  Kinder  im  Winter  die  Vogel  futtern, 
sind  sie  gut  und  wohltatig-.  Audi  wir  sollen  wohltiitig  sein.  Wir  sollen 
den  hungrigen  Voglein  im  Winter  Futter  streuen.  Dafiir  singen  sie  fiir 
uns  im  Sommer. 

Gedi elite,  Avelche  bei  dieser  Gruppe  zur  Ver \vendung  kommen  konnen, 
sind: 

.,Was    ist    das    fiir    ein   Bettelmann?" 

ferner: 

..An   das   Fenster   klopft   es,   pick,   pick!" 

Ebenso  lassen  sich  folgende  Gruppen  behandeln: 
III.  Gruppe:  Die    Schlittschuhlaufer. 

Gedichtchen: 

Michel  auf  dem  Eise. 

^lichel  wollte  Schlittschuhiaufen  lernen  gehn, 

Juchhe!    juchhe! 

Liess  sich  auf  dem  blanken  Eise  sehn, 

He  didel  duin  dc! 

,,Mut  gefasst!    Jetzt  schwenk'  ich  mich  herum,  herurn!" 

Juchhe!    juchhe! 

Hat  es  kaum  gedacht,  da  fallt  er  tun, 

He  didel  dum  de! 

I  nd  er  stehet  auf:    ,,Der  Anfang  ist  gemacht!" 

Juchhe!    juchhe! 

Und  er  purzelt  wieder,  dass  es  kracht, 

He  didel  dum  de! 

Oft  noch  fallt  er,  stehet  immer  wieder  auf, 

Juchhe!    juchhe! 

Endlich  lernt  er  doch  den  Schlittschxihlauf, 

He  didel  dum  de! 

Aller  Anfang  ist  ja  schwer  —  wer  das  nicht  weiss, 

Juchhe!    juchhe! 

"Ki,  der  bleibe  lieber  von  dem  Eis,  . 

He  didel  dum  de! 

(Hoffmann  v.  Fallersleben.) 

JV.  Gruppe:  Die    Schlittenfahrt. 

Gedicht:  Schlittenritt. 

Auf  dem  Schlitten,  auf  dem  Schlitten 
Sind  wir  heute  froh  geritten, 
Sind  geritten  stolz  und  munter 
Von  dem  Berg  ins  Tal  hinunter. 


54  Padagogische  Monatshefte. 

Abwarts   sind  \vir  rasch  gefiogen, 
Aufwiirts  haben  wir  gezct'en 
An  dem  Stricke  unsern  Gaul; 
Aufwiirts  war  er  itnmer  faul. 

Aber  abwarts  ihn  zu  lenken, 
Schon'res  liisst  sich  gar  nicht  denken! 
Und,  \venn  wir  gestiirzt  zuweilen, 
Gab's  doch  keine  schlimmen  Beulen 

(Wiener  Lesebuch.) 

V.  ( iruppe  W  o  h  n  h  a  n  s   u  n  d    M  ii  h  1  e. 

Lied: 

Es  klappert  die  Miihle 

VI.  Gruppe:  Der   Wald  im  Winter. 

VII.  Gruppe:  Die   arme   Frau. 

Zum  Schlusse  mochte  ich  noch  bemerken,  dass  es  wohl  jedem  von  nns 
zweifellos  einleuchten  wird,  dass  natiirlich  der  Lehrer  den  grossten  Erfolg 
in  diesem  Unterrichtszweige  haben  wird,  der  die  Sache  fiir  die  Kinder  am 
interessantesten  zu  gestalten  weiss  Ein  Lehrer,  der  kalt  und  steif  die 
Fragen  vorlegt,  wird  die  Kinder  nur  wenig  fiir  seine  Sache  erwarmen. 
Nichts  wirkt  deprimierender  auf  den  Geist  der  Schiiler,  als  die  Pedanterie 
des  Lehrers.  Lebhaftigkeit,  Freundlichkeit  und  Herabsteigen  auf  den 
kindlichen  Standpunkt,  —  das  heisst  mit  den  Kindern  Kind  sein,  ohne  kin- 
disch  zu  sein,  —  wird  sie  ganz  unwillkiirlich  mit  fortreissen,  und  wo  das 
Interesse  einmal  geweckt  ist,  kann  der  Erfolg  nicht  ausbleiben.  Zu  guteni 
Erfolge  ist  jedoch  griindliche  Vorbereitung  unumganglich  notvvendig.  Ein 
guter  Plan  ist  es,  jede  Woche  ein  kleines  Programm  auszuarbeiten,  w^el- 
ches  das  tiiglich  dnrchzunehmende  Pensum  fiir  jede  Klasse  enthal*.  Sicher 
ist,  dass  die  geringe,  damit  verkniipfte  Arbeit  auch  reichlich  ihre  guten 
Friichte  tragen  wird. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Der  43.  Nationale  Lehrertag  zu  Boston. 


(Fur  die  Padagogischen  flonatshefte.) 


Von  B.  A.  Abrams,  ^filwa.ukee,   Wis. 


(Fortsetzung.) 

Der  achte  Juli  bezeichnet  den  Hohepunkt  der  Tiitigkeit  des  Lehrer- 
tages.  Elf  Versainmhingen,  zweiundachtzig  Vortrage  und  ebensoviele 
kiirzere  Ansprachen.  Beim  Durchblattern  meines  Xotizbuches  finde  ich 
folgende  Eintragung  fiir  diesen  Tag:  ,,Hitze  unertraglich;  Versammlungen 
weniger  gut  besucht.  Die  stolzen  Paliiste  der  Bostoner  Geld-  und  Geburts- 
aristokratie  offnen  Tiir  und  Tor  zum  gastlichen  Empfange  der  besuchen- 
den  Lehrer.  Festlichkeiten,  Bankette,  Ausfliige,  Empfihige  in  Htille  und 
Fiille.  —  Etwa  zweitausend  Personen  wohnten  der  Abendversammlung  in 
..Mechanics  Hall"  bei.  Vier  Redner  beleuchteten  von  jedem  Gesichtspunkte 
das  auf  der  Tagesordnung  stehende  Thema:  Schulgarteii,  Spielpltitze  und 


Der  43.  Nationale  Lebrertag  %it  Boston.  55 

die  Umgebung  der  Landschulen.  Herr  Orville  T.  Bright  von  Chicago  war 
der  erste  Refiner.  Er  driickte  sein  Bedauern  dariiber  aus,  (lass  iler  Schul- 
unterricht  das  Leben  auf  der  ..Farm"  nicht  beriicksichtige.  Man  fiille  die 
Kopfe  der  Schulkinder  auf  dem  Lande  njit  Kenntnissen  fiber  Bankweseii, 
Aktien.  T'fandscheinen,  Diskontoberechnungen  und  mit  Rechenoperatio- 
nen,  die  ausserhalb  des  Schulhauses  nie  vorkommen.  Es  sei  an  der  Zeit, 
diesem  Verfahren  Halt  zu  gebieten.  Die  Aussichten  auf  Gliiek  und  Frei- 
iieit.  auf  Wohlstand,  Unabhiingigkeit  und  \Viirde  und  Schonheit  der  Arbeit, 
welehe  mit  dem  Landleben  so  innig  verbunden  siud.  sollten  in  den  Land- 
schulen  veranschaulicht  werden.  Man  fiille  den  Lehrplan  mit.  Lernstoffen, 
die  auf  das  Landleben  Bezug  nehinen,  und  setze  die  Geschaftstransaktio- 
nen  der  Stadt  in  den  verdienten  Uuhestand.  Meiner  Meinung  naeh  stellt 
Herr  Bright  zu  weitgehende  Forderungen.  Stadt  und  Land.  Kaufmann  und 
Bauer,  Ackerbau  und  Vertrieb  stehen  heute  in  so  enger  Wechselver- 
bindung,  dass  der  von  dem  Chieagoer  Schulmann  vorgeschlagene  arka- 
disehe  Lehrplan  als  zu  einseitig  und  mangelhaft  verworfen  werden  muss. 
Man  soil  das  eine  tun  und  das  andere  nicht  lassen.  Riickhaltslos  darf  man 
jedoch  den  folgenden  Satzen  beipflichten:  Stadte,  die  sich,  wie  in  New 
York,  willig  unter  das  Joch  Tammany's  beugen,  oder,  wie  in  Philadelphia, 
sich  einen  Diktator  Quay  gef alien  lassen,  vergeuden  in  e  i  n  e  in  Jahre 
Smnmen,  die  den  Bedarf  an  Schulhausern  reichlich  decken  wiirden.  Die 
I'mgebung  des  Schulhauses  sollte  eine  bestandige  Anschauungslektion 
t'iir  den  Distrikt  sein,  in  dem  das  Schulhaus  liegt.  Blumen  und  Ranken, 
Baume  und  Biische  sollten  durch  Schonheit,  Zierlichkeit,  geschmackvolle 
Ordnung  und  sorgfaltige  Pflege  das  Schonheitsgefiihl  wecken  und  niihren. 
Die  Fahigkeit,  das  Scheme  wiirdigen  /u  konuen,  sollte  den  Kindern  durch 
•len  Lehrer  ebenso  gut  iibermittelt  werden,  als  die  Fertigkeit  des  Buch- 
stabierens  und  des  Rechnens.  Was  man  in  Schweden,  Deutschland  und 
Oesterreich  tut.  kann  auch  in  unserem  Lande  erreicht  werden.  Herrn 
Bright  folgte  als  /weiter  Redner  Herr  Henry  L.  Clapp  von  Boston.  Die 
Stadtkinder.  sagte  er,  haben  wenig  Verantwortlichkeit  und  \\enig  Gelegcn- 
heit  zur  Haudarbeit.  Die  Korpertibung  durch  produktive  Tatigkeit  fehlt 
ihnen.  dafiir  bieten  die  unproduktiven  Bewegungen  und  Ubungen  im  Klas- 
seiv/.i miner  wenig  Ersatz.  Er  befiirwortet  die  Einfiihrung  von  Schulgiirtfii 
fiir  die  Schiiler  der  Stadtschulen.  Gelegeuheit  zur  Gewohnung  an  Pfl;chl 
erfiillung.  schnelle  Initiative  und  ubung  aller  Muskeln,  die  der  I'tit'.Lit  *»*•• 
diirfen,  seien  die  Vorteile,  welche  der  Schulgarten  bietet.  Auf  den  gL'icfceu 
'!'<»]!  waren  dit>  Ansprachen  der  letzten  Jfedner,  der  Herren  Skin  no*  Von 
Albany.  N.  Y.,  und  Stetson  von  Maine  gestimmt 

lu  enger  Yerbindung  mit  dem  Gedankengange  der  vier  \Tor1riige  in  der 
..Mechanics  Hall",  steht  der  an  demselben  Tage  im  grosscn  Saalr  ilt-s 
Bibliothekgel)iiiides  gehaltene  illustrierie  Yortrag  iiber  ..Ausschmiickung 
der  Schulsiile".  Der  bekannte  Fachmann  auf  diesem  Gebietc.  .1.  JJandolph 
Coolidge  .Jr..  von  Boston,  war  der  Yortragende,  und  eiue  Zohorerschaft, 
fiir  welche  der  geriiumige  Saal  sich  als  zu  klein  erwies,  folgte  mit  lebhaf- 
tem  Interesse  seinen  durch  zahlreiche  Lichtbilder  erliiuterten  Ausfiihrun- 
gen  iil)«-r  Karl)enharmonie  und  Wahl  von  15ihlern  und  Skulpturen  fiir  die 
verschi*'denen  Altersstufen  der  Schulkinder.  Eine  interessaute  Sit/ung 
fand  am  Xachmiltage  des  vorletzten  Tages  im  Kunstnuiseum  der  Harvard 
rniversitiit  statt.  Die  Professoren  Sumichrast  von  Harvard  und  Cusachs 
\on  Annapolis  befiirworteten  die  Yerwendung  von  Sprechmaschinen  beim 
Unterricht  in  den  modernen  Sprachen.  Prof,  Cusachs,  Lehrer  der  moder- 


56  P&dagogische  Monatshefte. 

nen  Sprachen  an  cler  Seekadettenschule  zu  Annapolis,  erkliirte  das  von  ihna 
in  der  genannten  Anstalt  angewandte  System.  Die  Sprechmaschine,  die 
nie  ermiide,  stets  bereit  sei,  deiii  Lernenden  jeden  Lant  in  unveriinderter 
Farbting  vorzusprechen,  sei  das  vorziiglichste  Hilfsmittel,  das  deiu  Sprach- 
lehrer  zur  Verfiigung  stehe. 

AVas  in  dem  auf  dem  Erier  Lehrertage  gehaltenen  Yortrage  iiber  die 
Jiealien  des  Sprachunterrichts  und  in  ehiem  in  der  Oktobernummer  der 
..P.  M.  Hefte"  veroft'entlichten  Anfsatze  zum  Ausdrucke  kam,  bildete  auch 
den  Gedankengang  der  von  Prof.  Sumichrast  gehaltenen  Ansprache:  Der 
Sprachlehrer  soil  den  Lernenden  iin  Geiste  in  das  Land  fiihren,  desst-n 
Sprache  er  lehre.  Der  Schiiler  lerne  die  Geschichte,  die  Sittt-u.  Gebriiuche 
n nd  Anschauungen  des  Volkes  kennen,  dessen  Sprache  er  sieh  anzueigneii 
bemiiht  ist.  —  Meine  Anfzeichnungen  sind  erschiipft.  In  ubereinsthnmimg 
mit  ineiner  Absicht,  nur  dariiber  z\i  berichten,  was  ich  gehiirt  nnd  »v- 
sehen,  mnss  ich  die  Leser  der  P.  M.  Hefte,  denen  an  einem  planvoll  geord- 
neten  erschcipfenden  Berichte  der  Yerhandlungeii  gelegen  ist,  anf  das  bald 
zu  erwartende  Jahrbnch  des  Lehrerbundes  verweisen.  Die  am  letzten  Tage 
zur  Annahme  gelangte  Prinzipienerkliirung  unterschied  sich  weiiig  von  den 
auf  friiheren  Tagungen  gefassten  Beschliissen;  das  Heer  der  Besucher 
schwelgt  wohl  heute  noch  in  der  Erinnerung  an  die  Bostoner  Tage,  viele 
der  in  der  alten  Baysladt  empfangeiien  Eindriicke  sind  seitdem  wohl  in 
der  Geographic-  und  Geschk-htsstunde  erspriesslich  verwertet  worden,  und 
Boston  sonnt  sich  in  dem  stolzen  Gefiihl,  den  43.  Lehrertag  zu  einem  denk- 
wiirdigen  Ereignis  gestaltet  zu  haben.  Die  Weltausstellungsstadt,  St. 
Louis,  wurde  als  Tagungsort  der  ntichstjahrigen  Versammlung  erkoren. 


II.     Korrespondenzen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Baltimore.  lande    weilen,    ein,    sich     an    diesem 

B  a  1  1  i  m  o  r  e  r      B  1  u  m  e  n  s  p  i  e-  Dichterwettkampf  zu  beteiligen,  und 

le  1904.  —  Im  kommenden  Lenz  wird  stellt  die  folgenden  Aufgaben: 

Baltimore,  wird   Amerika    seine   Blu-  i_     Ejn  Liebesgedicht. 

inenspiele  haben.  Und  wenn  der  Ruf,  2      Gedicht        zum        preise        des 

den  der  hiesige  ..Germama  Club     an  Deutschtums 

die     deutschamerikanischen    Dichter  3      Gedleht  aus  der  Geschichte  der 

ergehen  lasst,  Anklang  hndet,  so  ist  Deutschen  in  Amerika. 

die  Einfuhrung  der  Blumenspiele   in  4      Huinoristisches  (nicht  karneva- 

Amerika    auf     die     Dauer    gesichert.  listisches)   Gedicht. 

Der  Euf  lautet,  wie  folgi  :  5      Xovelle  in  Versen  oder  Ballade. 

..Cteleitet    von    dem    \\  unsche,    die  _  .    ,     , 

'  6-                    ^' 


Form    der    altehrwiirdigen     Blumen-  1.     Frische   Blumen   in  it    einer 

spiele    zu    veranstalten,    die     iui     14.  renschleife     fiir    den   Verfasser 

.Tahrhundert    in    der    Provence     ent-  des       besten       Liebesgedichtes. 

standen   und  neuerdings   in  Barcelo-  Derselbe     hat     ausserdem     das 

na,    Zaragoza     und     durch    Dr.    Job.  Eecht,     die    Blumenkomgm     zu 

Fastenrath  in  Koln  am  Bhein  wieder  ernennen,       mit        Kranz 

aufgelebt   sind.  schmiicken   und    zum   Trone   zv 

Der   ..Germaiiia-Club"  ladet   alle   in  geleiten.      1st    der    Sieger    eine 

den     Yereinigten     Staaten     lebenden  Dame,    so   wird    sie    selbst   Blu- 

deutschen   Dichter   und    solche   ame-  menkonigin. 

rikanische    Burger,   welche    im   Aus-  2.     Goldene  Medaille,  gestiftet  von 


Karresponden^en. 


Rechtsanwalt      L.     P.     Hennig- 
hausen,  Baltimore. 

3.  Ein    silberner    Pokal,    gestiftet 
von      Ingenieur      Fritz     Mayer, 
Baltimore. 

4.  Ein    silberner   Becher,   gestiftet 
vom       Washingtoner       Dichter- 
Bund. 

5.  E^n       Schreibzeug       mit       \\id- 
mungsplatte,    gestiftet   von    In- 
genieur  Dr.  Ernst  Henrici,  Bal- 
timore. 

6.  Ein  silberner  Dolch  zum  Brief- 
falzen,    gestiftet    von    der    ,,Ge- 
sellschaft   fiir   deutsche   Litera- 
tur    und    Kunst"    zu   Baltimore. 

Ks  stehen  noch  weitere  Preise  in 
Aussie-lit,  welche  als  zweite  Preise 
geyeben  werdeii  sullen.  Ausserdem 
soil  tiichtigen  Leistnngen  eine  ,.eh- 
p-en  voile  Erwiihniing''  und  Diploin 
dariiber  zu  teil  werden. 
Bedingnngen  fiir  die  B  e- 
w  e  r  b  n  n  g. 

Die  Dichter  miissen  entweder  in 
den  Vereinigten  Staaten  leben  oder 
auswiirts  lebende  amerikanische 
P>iirger  sein. 

Keine  der  einzusendenden  Arbei- 
ten  darf  schon  gedruckt  oder  offent- 
lich  vorgelesen  sein. 

Alle  Gedichte,  mit  Ausnahme  des 
humoristischen,  miissen  in  hocli- 
deutscher  Spraehe  abgefasst  sein; 
fiir  lunnoristische  sollen  Dialekte 
rugelassen  werden. 

Jeder  Dichter  darf  sich  um  alle 
ausiresetzten  Preise  bewerben,  je- 
doch  nur  mit  je  einer  Arbeit  fiir  jede 
A  u  f  gabe. 

Die  Arbeiten  diirfen  nicht  den  Na- 
men  des  Verfassers  tragen,  sondern 
t>in  Kennwort;  einer  jeden  ist  ein 
iri'srhlossener  Brief  umschlag  beizu- 
Vii»vn,  welcher  als  Aufschrift  das- 
seibe  Kennwort  (z.  B.  Titel  der 
Dichtnng)  triigt,  nnd  innen  den  Na- 
men  nnd  Wo'hiiort  des  Verfassers 
enthalt. 

Die  Arbeiten  sollen  dentlich  nnd 
worn  moglich  auf  der  Schreibma- 
schine  geschriebeii  sein,  tind  spti- 
testens  bis  z  n  in  15.  Febrnar 
THU  eingesendet  werden  an  den  Se- 
kretsir  der  Baltimorer  Blnmenspiele, 
Dr.  Ernst  Henrici,  Balti- 
more, Md.,  705  Portland-Sir." 

Sieben  Preisrichter  werden  \ir- 
tfiic-n  —  sieben  Richter.  wie  einst  im 
,l;ihre  1323  sieben  Troubadours  die 
frohen  Spiele  stifteten.  Und  die 
sieben  Richter  sind  keineswegs  ein- 
>fitig  Literaten.  sondern  gehoren  so 
ziemlich  alien  Berufszweigen  an.  so 
class  die  Dichter  keine  Einseitigkeit 
des  Urteils  zu  fiirchten  brauchen:  da 


ist  der  Fachprofessor  der  dentschen 
Literatur  an  der  Johns  Hopkins 
Universitat,  der  Redakteur  einer 
grossen  dentschen  Zeitnng,  welcher, 
ein  ehemaliger  Kollege  nnseres  un- 
vergesslichen  Emil  Dapprich,  zu- 
gleich  ein  tiichtiger  Schulmaiiu  ist, 
ein  Ingenieur,  ein  Theologe,  ein  Pro- 
fessor der  Naturwissenschaften  nnd 
zwei  Herren  aus  dem  hiiheren  Havi- 
delsstande  —  also  Vertreter  der 
Hauptrichtnngen  der  Knltur. 

Sobald  die  Preisrichter  ihre  Ar- 
beit vollendet  haben.  werden  sie  sich 
mit  dem  Vorstaiul  des  Germania- 
Clubs  nnd  dem  Komitee  der  Blumen- 
spiele  zu  einer  Sitznng  vereinigen 
nnd  durch  Eroffnen  der  Briefum- 
schlage  die  Nainen  der  Sieger  fcst- 
stellen.  Nichtgekronte  Arbeiten 
w-erden,  wenn  sie  von  grosserem 
Umfange  sind,  auf  besonderes  Ver- 
langen  den  Verfassern  zuriickg-e- 
sandt. 

Die  Feier  der  Blnmenspiele  soil 
dann  Mitte  April  in  hiesiger  Stadt 
A'or  sich  gehen,  die  Sieger  werden 
dabei  besonders  willkommen  ge- 
heissen,  nni  aus  den  HUnden  der 
Blnmenkonigin  ihre  Preise  in  Em- 
pfang  zu  nehmen.  Die  preisgekron- 
ten  Arbeiten,  mit  Ausnahme  der  all- 
zn  langen,  \verden  bei  dieser  Gele- 
genheit  feierlich  vorgetragen  wt-r- 
den.  Der  Germania-Club  behiilt  sich 
das  Recht  vor,  die  preisgekronten 
und  ehrenvoll  erwiihnten  Arbeiten 
zii  veroffentlichen,  ohne  dass  da- 
durch  den  Verfassern  das  Recht  an- 
der\Veitiger  Veroffentlichung  be- 
schrankt  werden  soil. 

So  ist  denn  der  \Vunsch.  der  durch 
das  im  vergangenen  Maimonat  hier 
abgehaltene  Dichtertournier  rege 
geworden,  iind  woriiber  seinerzeit  in 
diesen  Spalten  eingehend  berichtet 
wurde,  der  Erfiillung  niiher  gekom- 
men.  Nun  mogen  im  ernst-friihlichen 
Wettkampf  die  deutschamerikani- 
sclien  Dichter  ihre  Schuldigkeit  tun 
-  nnd  dann  das  Publikinn.  ..Der 
Xachtigallen,  der  sind  viel!'  siiiiz't 
ein  altdentscher  Dichter;  auch  im 
Lehrerbnnd  sind  solcho.  wir  h  off  en, 
sie  beim  Blnmenspiel  zu  horen.  Es 
ist  kein  Spiel,  sondern  eine  deutsche 
Kulturtat.  s- 

Cincinnati. 

TJ  n  s  e  r  e  n  e  u  e  S  c  h  n  1 1  e  i  - 
tung  lasst  sich  sehr  gut  an.  ^"ill 
sagen:  Seit  Dr.  John  B.  Peasleafl 
Zeit,  also  seit  nahezu  -/wanzig  Jah- 
ren.'ging  es  nicht  so  glatt  nnd  rnhig, 
(hibe'i  iiiiirtMiscluMiilich  ebenso  er- 
Iriiylich  wie  ertragsreich  fiir  allo  ^'.^'- 
teiligten  in  unserem  Schulwesen,  wie 


58 


Piidagogische  Monatshefte. 


dies  jetzt  unter  dem  neuen  Superin- 
tendenten  der  Fall  ist.  Selbst  ein 
sehr  ruhiger,  besonnener  und  um- 
sichtiger  Mann,  flosst  er  nach  alien 
Seiten  Yertraxien  ein  und  belebt  das 
nachgerade  abhanden  gekoniniene 
Selbstvertrauen  wieder,  ohne  welches 
von  erspriesslicher  Lehrtiitigkeit  nur 
sehr  ausnahmsweise  die  Rede  sein 
kann.  ,,Xene  Besen  kehren  gut",  ist 
ja  ,.ein  altes,  ein  tiiehtiges  Wort", 
um  mit  Goethe  zu  reden;  ich  halte 
aber  dafiir,  dass  auch  ,,so  fort"  ge- 
kehrt  werden  wird,  and  dass  die  Zei- 
ten  des  nimmer  ruhenden  „ Worry" 
in  unseren  bchulen  zum  Dagewese- 
iien  gehoren.  t 

Aller  Augen  sind  jetzt  nach  Co- 
lumbus gewandt  und  \varten  der 
Dinge,  die  da  in  der  eben  zusammen- 
getretenen  Staats  -  Legisla- 
t  u  r  zur  Ausheckung  gelangen  wer- 
den. Als  namlich  vor  zwei  Jahren 
die  Gesetze  des  Staates  Ohio  einer 
Revision  unterzogen  und  besonders 
die  stadtischen  Yerwaltungeu  mit 
allerlei,  fiir  notwendig  und  heilsam 
eraehteten  Xeuerungen  bedacht 
wurden.  da  liess  man  im  Unterrichts- 
wesen  so  ziemlich  Fiinf  gerade  sein 
und  das  Meiste  beim  Alten.  Jetzt 
aber  haben  die  Gerichte  erklart,  dass 
nach  dem  Wortlaute  der  revidierten 
Verfassung  die  Schulverwaltung  im 
ganzen  Staate  einheitlich  zu  gestal- 
ten  sei.  Und  damit  hat  sich  nun  die 
Legislattir  in  der  niichsten  Zeit  zu 
be.schaftigen.  Das  meiste  Tnteresse 
wird  den  zu  erwartenden  Be- 
stimmungen,  betrefPend  die  Zusam- 
mensetzung  und  Errichtung  der  Yer- 
waltungsbehorden,  vulgo  Schidrate, 
entgegengebfacht.«  Und  mit  Recht. 
H'singt  doch  von  diesen  Behcirden  ein- 
fach  der  ganze  Handel  und  Wandel. 
das  Wohl  und  Wehe  jeder  einzelnen 
Schule  im  Staate  ab.  Zweierlei  An- 
sichten,  zwei  Stromungen  sind  es, 
die  'da  sich  gel  tend  machen.  Die 
eine  geht  dahin.  dass  keiue  Anderung 
darin  gemacht  werden  soil:  Die 
stimmberechtigten  Biirger  sollen 
nach  wie  vor,  nach  Wards  in  den 
Stiidten  und  nach  Distrikten  in  den 
Townships,  so  viele  Mitglieder  in  die 
Schulbehorde  wiihlen.  ein-.  zwei-, 
dreijiihrig,  je  nachdem.  als  Wards, 
bezw.  Distrikte  vorhanden  sind.  Die 
andere  Ansicht  begiinstigt  kleine, 
von  den  Burgermeistei'n  in  Stiidten 
und  irgend  einem  hoheren  Beamten 
in  Townships  zu  besetzenden  SchuJ- 
rate.  Hier  in  Cincinnati  machen  die 
Verfechter  der  ersten  Ansicht  gel- 
tend,  eine  aus  nur  einigenMitgliedern 
bestehende  oberste  Schulbehorde 
konnte  viel  leichter  dem  deutschen 


Unterrichte  in  den  offent  lichen 
Schulen  etwas  anhaben,  als  die 
jetzige  vielkopfige  Behorde,  deren 
Mitglieder  in  vielen  Wards  jetzt  aiii 
Erwtihluno-  gar  nicht  rechnen  kon- 
nen,  wenn  sie  nicht  Freunde  des 
deutschen  Unterrichts  sind.  Da  hat 
sich  eine  dritte  Ansicht  Bahn  gebro- 
chen,  die  dahin  geht,  eine  kleine  von 
alien  Biirgern  ..at  large"  zu  erwiih- 
lende  Behorde  sei  alien  anderen  mtig- 
lichen  imd  unmoglichen  vorzuziehen. 
Xun,  die  Legislatur  tut  schliesslich 
das.  was  sie  will,  oder  wozu  sie  sich 
bestimmen  liisst.  Jeder  Denkende 
aber  wird  sich  wohl  dariiber  klar 
sein,  dass,  wie  immer  auch  die  Rate 
eingesetzt  werden,  es  vor  allem  da- 
rauf  ankommt,  dass  die  stimmenden 
Biirger  willens  und  imstande  sind, 
den  unumstosslich  wahren  Grund- 
satz  zur  Geltung  zu  bringen,  wonach 
die  Parteipolitik  keinen  Einfluss  in 
Schulsachen  ausiiben  sollte.  Da 
wird  eben  nach  wie  vor  der  Haken 
sitzen! 

..V  on  einer  g  r  o  s  s  e  n 

F  u  r  c  h  t  sind  w  i  r  b  e  f  r  e  i  t ! " 
komien  die  Cincinnatier  Abiturienten 
des  Milwaukeer  Seminars  sowohl, 
wie  aller  anderen,  als  solche  aner- 
kannten  ,,Xormalschulen"  seit  eini- 
gen  Tagen  sagen.  da  man  ihnen  mit- 
geteilt  hat,  dass  ihre  Lehrerdiplome 
von  dort  fortan,  beziiglich  Anstel- 
lung  als  Lehrer  an  unseren  Schulen, 
hier  dasselbe  Ansehen  geniessen  sol- 
len wie  die  an  der  hiesigen  Xormal- 
schule  erworbenen,  und  dass  fiir  sie 
die  Xotwendigkeit.  erst  300  Tage 
lang  ..Schul-Kadett"  zu  sein.  nicht 
mehr  existiert.  Das  ist  nicht  mehr 
wie  billig. 

Es  ist  wohl  uicht  notig.  an  dieser 
Stelle  zu  betonen,  welchen  Eindruck 
die  T  r  a  u  e  r  n  a  c  h  r  i  c  h  t  von 
Dapprichs  A  b  1  e  b  e  n  in  alien 
deutschen  lyreisen  hervorgerufen 
hat,  und  zu  ersviihnen,  dass  vor  allem 
die  deiitschen  Lehrer-  und  Turnver- 
eine  dadurch  zu  offiziellen  Kundge- 
bungen  sich  veranlasst  sahen. 

Auch  \vir  beklagen  das  sehon  im 
Xovember  erfolgte  Dahinscheiden 
eines  allerseits  beliebten  Kollegeii, 
des  Herrn  K  a  s  p  e  r  G  r  o  m  e.  des- 
sen  man  sich  auch  in  weiteren 
deutschen  Lehrerkreisen  von  Leh- 
rertagen  her  wohl  erinnern  wird.  Der 
ebenso  hochgebildete  wie  joviale 
..gute  Kamerad"  litt  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  schwer  an  Rheumatismus 
und  wurcle  dadurch  schon  seit  einer 
betrachtlichen  Zeit  an  der  Ausiibung 
seines  Berufes  verhindert.  bis  zu- 
letzt  auch  dieser  eiserne  Korper  den 


Umschau. 


59 


furchtbaren  Leiden  erliegen  musste. 
VVir  werden  des  braven  Mannes  ge- 
wiss  irnmer  mit  Liebe  gedenken. 

Xur  wenige  Tage  nach  Gromes 
Tode  feierte  der  Deutsche  L  e  h- 
rerverein  von  Cicinnati,  in 
dem  er  zweimal  das  Presidium  ge- 
fiihrt  hat,  den  fiinfzehnten  Jahres- 
tag  seiner  Griindung  durch  ein  Ban- 
kett  und  gemiitliches  Zusammen- 


sein.  Der  Verein  hat  sich  im  La  life 
der  Jahre  zu  einer  der  grossten  der 
zahlreichen  hier  bestehenden  deut- 
schen  Vereinigungen  emporge- 
schwungen.  Er  zahlt  heute  nahezu 
dreihundert  Mitglieder,  worunter 
sich  gebildete  Deutsche  aus  alien 
Standen  befinden,  und  noch  ist  da 
das  letzte  Wort  nicht  gesprochen 


III.     Umschau. 


Vom  Lehrerseniinar  zu 
M  i  1  w  a  u  k<?  e.  Der  Verwaltungs- 
rat  des  Nationalen  Deutschamerika- 
nischen  Lehrerseminars  hat  am  6. 
Dezember  Herrn  Max  Griebsch 
/inn  Xachfolger  des  verstorbenen 
Direktors  Emil  Dapprich  gewiihlt. 
Der  ..Milwaukee  Herold"  vom  12. 
Dezember  berichtete  iiber  den  Le- 
benslauf  des  Herrn  Griebsch  wie 
folgt: 

..Herr  Max  Griebsch  wurde  vor  42 
Jahren  geboren  zu  Zduny  in  der  Pro- 
vinz  Posen.  Er  besuchte  die  Biirger- 
schule  seines  Heimatsstiidtchens  und 
spiiter  das  Gymnasium  der  Kreis- 
stadt  Krotoschin.  Seine  berufliche 
Ausbildung  erhielt  er  in  dem  Lehrer- 
seminar  zu  Bunzlau  in  Schlesien.  Zu- 
erst  unterrichtete  er  in  mehreren 
Schulen  im  schlesischen  Riesenge- 
birge  und  kam  im  Jahre  1890  nach 
Amerika.  In  Cincinnati  fand  er  An- 
stellung  an  den  ciffentlichen  Schulen 
und  wurde  nach  dreijahriger  Tiitig- 
keit  daselbst  im  Jahre  1893  von  Di- 
rektor  Emil  Dapprich  an  das  Xatio- 
nale  Deutschamerikanische  Lehrer- 
seminar  und  die  D.-E.  Akademie  be- 
rufen,  wo  er  seitdem  ununterbrochen 
liitig  war. 

Herr  Griebsch  nahm  tiitigen  An- 
teil  an  der  Entwickehing  des  ameri- 
kanischen  Schulwesens,  besonders 
sowcit  der  devtsche  Unterricht  in 
I'.ctracht  kommt.  Seit  dem  Jahre 
1891  war  er  regelmassiger  Besucher 
der  Yersammlungen  des  Deutsch- 
amerikanischen  Lehrerbundes,  und 
(lessen  Sekretiir  von  1893  bis  1897. 
Seine  Vortriige  vor  den  Lehrerta<ren 
in  Louisville  und  Buffalo  iiber 
..Herbert  und  seine  Schule"  und 
in  Cincinnati  iiber  ..Selbsttiilifr- 
keit  im  deutschen  I'nterricht"  wur- 
den  mit  grosstem  Interesse  von  sei- 
ifii  der  Lehrerschaft  aufgenommen. 
1m  Jahre  1899  wurde  er  Redakteur 
der  dainals  von  der  Herold  Co.  nach 
dem  Eingehen  der  ..Erziehunsrsbliit- 
ter"  gegriindeten  Zeitschrift  fiir  das 
dentschamerikanische  Schulwesen, 


der  ,,Piidagogischen  Monatshefte", 
und  trat  in  denselben  unentwegt  fiir 
eine  verniinftige,  im  Sinne  humani- 
stischer  Prinzipien  geleitete  Erzie- 
hung  ein." 

Herr  Griebsch  ist  wahrend  seiner 
zehnjiihrigen  Tatigkeit  an  Seminar 
und  Schule  mit  den  Freuden  und  Lei- 
den der  beiden  Anstalten  innig  ver- 
wachsen.  Er  kennt  Ziele  und  Bediirf- 
nisse  beider,  und  es  steht  zu  erwar- 
ten,  dass  er  durch  sein  bekanntes 
wiirdiges  Auftreten  und  feinen 
Takt.  und  durch  seine  padagogische 
Erfahrung  die  Leistungsfiihigkeit 
und  den  guten  Ruf  der  ihm  nunmehr 
anvertrauten  Lehranstalten  erhalten 
und  fester  begriinclen  wird. 

Am  letzten  Schultage  vor  den 
\Veihnachtsferien  wurde  den  Zoglin- 
gen  des  Lehrerseminars  zum  ersten 
Male  in  diesem  Schuljahre  e  i  n 
Z  e  u  g  n  i  s  iiber  Fleiss  und  Betra- 
gen  und  iiber  die  Leistungen  in  den 
einzelnen  Fachern  eingehandigt, 
nachdem  eine  Woche  vorher  eine 
Priifung  im  englischen  und  deut- 
schen Aufsatz  stattgefunden  hatte. 
Es  ist  erfreulich,  berichten  zu  kiin- 
nen,  dass  Fleiss  und  Betragen  aller 
Zb'glinge  zu  keiner  ernstlichen  Klage 
Veranlassung  gegeben  haben  und 
dass  irgendwelche  A'erstiisse  gegen 
die  Disziplin  im  ganzen  Seminar 
nicht  vorgekommen  sind. 

Am  22.  Dezember  hielten  die  Zoir- 
linge  des  Lehrerseminars  in  der  Mu- 
sikhalle  des  Seminargebaudes  einen 
literarischen  Abend  ab.  bei 
dem  neben  musikalischen  und  dekla- 
matorischen  Vdrtriigen  auch  eine 
Debatte  iiber  die  nachteiligen  oder 
giinstigen  Folgen  der  Kreu/ziige  /nm 
Austrair  gebracht  wurde.  Herr  Otto 
Greubel  fiihrte  die  Redner  anf  der 
bejahenden  Seite  und  Frl.  Gretel 
Schenk  diejenigen  auf  der  verneinen- 
den  Seite  mit  Geschick  und  \Viirnn- 
an. 

Mit  dem  .\7ifang  des  neuen  Jahres 
ist  Herr  John  E  i  s  e  1  in  e  i  e  r  in 
den  Lehrkorper  des  Lehrerseminars 


60 


Padagogiscfie  Monatskefte. 


und  seiner  Musterschule  eingetreten. 
Herr  Eiselmeier  hat  den  Unterricht 
in  U.  S.  History,  Geography,  Weltge- 
schichte,  Geschichte  der  Padagogik, 
und  einen  Teil  des  Deutschunter- 
richts  ubernommen.  Herr  E.  ge- 
niesst  einen  gnten  Ruf  als  liebens- 
wiirdiger  Kollege  und  als  tiichtiger 
vScluilmeister:  er  ist  aussedem 
dureh  den  Eit'er.  mit  dem  er  erziehe- 
risehe  Fragen  verfolgt.  \md  durch 
den  heiligen  Ernst,  mit  dem  er  eine 
gerechte  Sache  in  Wort  und  Schrift 
\erhcht,  in  den  Lehrerkreisen  St. 
Pauls  und  Milwaukee*  loblich  be- 
kannt  geworden.  Moge  auch  seine 
Tatigkeit  dem  Seminar  und  der  Aka- 
demie  viel  Segen  bringen!  P.O. 

Die  X.  E,  A.  h  a  1  t  i  h  r  e  n  ii  c  h- 
s  t  e  J  a  h  r  e  s  v  e  r  s  a  m  in  1  u  n  g  in 
der  Ausstellungsstadt  St.  Louis  ab. 
Das  Datum  ist  noch  nicht  bestimmt. 

Da  in  den  K  1  a  s  s  e  n  u  11- 
serer  Volksschulen  oft 
so  v  i  e  1  e  Kinder  s  i  t  z  e  n, 
dass  die  Lehrerin  einfach  nicht  mehr 
weiss,  was  sie  ..damit  anfangen"  soil, 
so  ist  der  Schulsuperintendent  Keii- 
7iedv  in  B  a  t  a  v  i  a  im  Staate  New 
York  auf  den  (iedanken  gekommen, 
jede  Volksschulklusse  unter  die  Ob- 
hut  von  /  w  e  i  Lehrerinnen  zu  stel- 
len.  iJie  eine  L?hrerin  erteilt  den 
eigentlichen  Unterricht.  die  andere 
individualisiert,  d.  h.  sie  geht  von 
Bank  zu  Bank,  urn  dem  Schiiler  bei 
der  Vorbereitung  auf  die  nachste 
Lektion  /u  helfen.  Herr  Kennedy 
hat  die  Xeuerung  fiinf  Jahre  lang 
oepriift.  und  sein  Plan  hat  sich 
selbstverstandlich  bewiihrt!  Was 
wird  der  nachste  Schritt  in  der  Evo- 
lution der  amerikanischen  Volks- 
schule  sein? 

A,uch  hierzulande  erschallt  jetzt 
bald  hier,  bald  dort  eine  Stimme,  die 
auf  B  e  s  e  i  t  i  g  u  n  g  des  X  a  c  h- 
•m  i  t  t  a  g  s  u  n  t  e  r  r  i  c  h  t  s  in  den 
Volksschulen  zielt.  In  einem  Yor- 
trage  vor  einem  literarischen  Klub 
Milwaukees  iiber  das  Thema  ..War- 
urn  die  Geisteskraft  versagt"  be- 
hauptete  jiingst  Dr.  Walter  Kemp- 
ster.  ein  b'ekannter  Xervenarzt,  dass 
viele  Krankheiten  des  Xervensystenis 
unter  uns  Amerikanern  von  der 
ijberarbeitung  in  den  Schulen  her- 
ruhrten,  und  dass  solch  iible  Folgen 
der  Schularbeit  vermieden  wiirden, 
•\venn  die  Anzahl  der  Schulstunden 
fiir  Kinder  unter  16  Jahren  auf 
taglich  vier  herabgesetzt  werde. 

Dr.  Harper  von  der  Universitat 
Chicago  sagte  neulich  vor  einer  Ver- 
samlung  von  Hochschulprinzipa- 
len:  ,,Tn  zehn  Jahren  werdpn  die 


Hochschulen  (high  schools)  des  gan- 
zen  Landes  ein  fiinf tes  und  sechstes 
Jahr  ihrem  Lehrkursus  hinzugefiigt 
haben.  und  sie  werden  hann  die  Ar- 
beit leisten,  die  jetzt  den  ersten  bei- 
den  Jahren  des  ,. College"  zxifiillt.  Die 
Universitateri  von  Michigan,  imd 
Minnesota  anerkennen  bereits  jetzt 
die  Leistungen  niancher  Hochschulen 
fiir  das  erste  Jahr  des  , .College".  Ich 
zweifle  nicht  daran,  dass  in  Zukunft 
die  Hochschulen  die  Arbeit  des 
,,C'ollege"  iibernehmen  werden." 

Einen  Fall  von  S  c  h  u  1- 
t  y  r  a  n  n  e  i  erziihlt  die  ,,Educatio- 
nal  Ueview"  in  der  Dezember-Num- 
mer.  Am  24.  Juni  erhielten  elf  aus 
21  Lehrerinnen  eines  kleinen  Stiidt- 
chens  in  Connecticut,  25  Meileii  von 
der  Stadt  New  York  entrernt,  die 
Mitteihmg.  dass  sie  entlassen  seien. 
Aus  welchem  Grunde?  Ein  neuer 
Schulrat  war  vor  vier  Wochen  ge- 
w^ahlt  worden,  der  nur  d  r  e  i  der 
vom  vorangegangenen  Schulrat  er- 
nannten  Lehrerinnen  in  ihren  Stel- 
lungen  Hess. 

S  c  h  u  1  b  e  s  uchsverhalt- 
11  i  s  s  e  in  P  r  e  u  s  s  e  11  nach  der 
neuesteii  Statistik.  Die  Normalzah- 
len  fiir  die  Besuch.sverhaltnisse  in 
den  einzelnen  Klassen  sind  bis  auf 
die  der  Halbtagsschulen  die  gleicheii 
geblieben.  Bei  diesen  letzteren  ist 
die  Normalzahl  70  ouf  60  heruiiterge- 
setzt  worden.  Es  vvurden  unter  nor- 
malen  Verhaltnissen  unterrichtet  (d. 
h.  bis  80  Schulkinder  in  der  Klasse 
bei  einklassigen  Schulen,  bis  60 
Schulkinder  in  der  Klasse  bei  Halb- 
tagsschulen, bis  70  Kinder  in  der 
Klasse  bei  sonstigen  zwei-  und  mehr- 
klassigen  Schulen)  in  den  Stlidten 
1896:  1.340.767  Kinder  in  24,584  Klas- 
sen, 1901:  1.684,334  Kinder  in  31,558 
Klassen,  »auf  dem  Lande  1896: 
2,505.534  Kinder  in  50.252  Klassen, 
1901:  2.730.614  Kinder  in  56.397  Klas- 
sen. iiberhaupt  1896:  3,846,301  Kin- 
der in  74.836  Klassen,  1901:  4,414,948 
Kinder  in  87,955  Klassen. 

Xach  einer  Mitteihmg  der  ,,Bliit- 
ter  f.  d.  Schulpraxis"  erfreuen  sich 
die  deutschen Schulen  im 
Auslande  nicht  nur  der  mate- 
riellen  Unterstiitzung  des  Deutschen 
Reichs.sondern  auch  der  bestiindigen 
Fiirsorge  in  schultechnischer  Be- 
ziehung.  So  sind  schon  bliihende 
Schulanstalten  in  Konstantiiiopel, 
Bukarest,  Briissel,  Antwerpen  vor- 
handen.  die  der  regelmiissiiren  Be- 
aufsichtigung  der  preussischen 
Schulverwaltung  unterstehen,  und 
an  einzelnen  dieser  Anstalten  wird 
an  Ort  und  Stelle  die  Priifung  fiir 


Vermischtes. 


61 


den  einjahrig-freiwilligen  ,  Militjir- 
dieiist  unter  Aufsicht  eines  dorthin 
entsendeten  Sehulkomniissars  vorge- 
nominen.  Wie  die  MNat.-Ztgy"  hort, 
hat  jetzt  auch  die  deutsche  Schule 
in  Mailand  uin  eine  ilhnliche  Revision 
gebeten,  die  demnachst  der  Geh.  Re- 
gierungsrat  Dr.  Matthias,  vortragen- 
der  Eat  in  der  Unterrichtsabteilung 
des  preussischenKultusministeriums, 
vornehmen  wird.  Welchen  Wert  die 
deutsche  Reichsregierung  auf  die 
Pflege  dentscher  Bildung  und  deut- 
scher  Schulen  iin  Auslanue  legt,  be- 
weist  der  Umstand,  dass  bei  dieser 
(Jelegenheit  Geh.  Rat  Dr.  Matthias 
vom  Auswartigen  Amt  im  Einver- 
standnis  mit  dem  preussischen  Kul- 
tusminister  ersncht  \vorderi  1st.  auch 
die  dentschen  Schulen  in  Gen ua,  Flo- 
rcn/.  Rom  und  Venedig  zu  besuclien, 
sie  in  schultechnischer  Beziehuiig  zu 
priifen  und,  wenn  notig,  Vorschliige 
zu  ihrer  Hebnng  und  Eorderung  zu 
ma  die  11. 

A  us  P  r  e  u  s  s  e  n.  E  i  n  e  b  e- 
1  r  ii  b  e  n  d  e  S  c  h  u  1  s  t  a  t  i  s  t  i  k, 
die  von  der  viel  beklagteii  uberfiil- 
luug  der  Volksschulen  und  dem  Leh- 
rermangel  handelt,  wurde  auf  der 
ji'mgst  abgehaltenen  Bezirkslehrer- 
koufereiiz  des  Schulaufsichtskreises 
Gostyn  (Prov.  Posen)  zur  Kenntnis 
"ebracht.  Danach  werden  in  118 
Klassen  7146  Kinder  von  inir  S7  Leh- 
rern  Tinterrichtet;  7  Lehrerstellen 
sind  aber  noch  unbesetzt.  In  13 
Tiilleii  miissen  weit  mehr  als  100 
Kinder  von  einem  Lehrer  nnterrich- 
1et  werden.  In  Possadowo  hat  ein 
Lehrer  schon  seit  Jahren  staiidig 
iil>er  170  Kinder  in  seiner  Klasse;  in 
/nlesic  kommen  zurzeit  auf  einen 
Lehrer  160,  in  Ciolkowa  150,  in  Gra- 
l)on op  144,  in  Altkrolen  13.").  in  Sul- 
ko\vic;i  I :::•>.  in  Zyohtewo  131,  in  Ro- 
kossowo  137  Schiiltr.  Was  soil  da 
fiir  die  (lerinanisierungsarbeit  her- 
auskommeii?  —  In  .den  meisteii  Fiil- 
len  siiid  iibrigens  auch  nnr  noeh 
a  I  ic.  baufallige  Schulhiiuser  vorhan- 
den. 

Berlin.         uber       die       Ein- 


\v  i  r  k  u  11  g-  des  Xachmittags- 
Unterrichts  in  den  hoheren 
Schulen  auf  die  Gesundheit  der 
Schiller  sprach  im  Berliner  Verein 
fiir  Schulgesundheitspflege  Dr.  Kor- 
nlan-Leipzig.  Wie  der  Referent  mit- 
teilte,  betinden  sich  am  Beginn  des 
Schuleintritts  unter  den  Schiilern 
nur  4  Prozent  Blutarme.  Aber  am 
Schluss  des  ersten  Schuljahres  ist 
diese  Zahl  bereits  auf  25  Prozent  ge- 
stiegen,  bis  schliesslich  ein  Drittel 
aller  Zoglirig-e  zu  den  Blutarmeii  ge- 
rechnet  werden  mussen.  Zur  Be- 
kampfung  dieses  ubelstandes  em- 
pfahl  Dr.  Korman  die  Beseitigung 
des  Xachmittags-Unterrichts.  Wag- 
ner-Darmstadt habe  nachgewiesen, 
dass  nach  dreistiindiger  Pause  14 
Prozent  der  Schiller  von  dem  Vor- 
mittags  -  Unterricht  noch  nicht  vol- 
lig  erholt  waren.  Auch  mache  jeder 
an  sich  selbst  die  Erfahrung,  wie  ge- 
ring  Arbeitskraft  nnd  Arbeitsfreu- 
digkeit  nach  dem  Mittagsmahl  sind. 
Die  Knaben  aber  miissten  sofort 
x,um  Xachmittags  -  Unterricht  wie- 
der  aufbrechen.  Der  Gedanke  daran 
mache  den  Jinigen  schon  am  Vormit- 
tag  liissig,  wiihrend  andrerseits  die 
Zuversicht,  am  Nachmittag  frei  zu 
sein,  den  Schiller  freudiger  und  so 
seinen  Geist  elastischer  stimme. 
Dies  alles  wisse  man  ja  selber  noch 
gut  aus  der  eigenen  Schulzeit.  Da- 
rum  in  den  Grosssttidten  zumal: 
Fort  mit  dem  Unterricht  an  den 
Nachmittas-en.  Zum  Schluss  ent- 
wickelte  Redner  die  Moglichkeit 
hierzu  an  einem  fimfstiindisren  Un- 
terrichtsplan.  der  seiner  Meinung 
nach  alien  Anforderungen  der  Hy- 
giene entsprechen  Aviirde.  Danach 
hiitte  die  Schule  um  halb  8  Uhr 
more-ens  zu  beginnen,  jede  Lehr- 
stunde  ist  auf  45  Minuten  berechnet, 
nach  den  beiden  folgenden  Stunden 
haben  Pausen  von  .ie  15  Minuten  ein- 
zutreten.  Mittags  12  Uhr  Schluss  des 
Unterrichts.  Dann  werde  der  grosse 
hygienische  Fortschritt  erreicht 
sein,  den  wir  gerade  dem  heran- 
wachsenden  Geschlecht  schulden. 


IV.     Vermischtes. 


—-Unter    der    uberschrift   ..Dent-  hat     Excellenz     Studt     ebcnfalls     in 

s  c  h  e     u  b  e  r  h  o  f  1  i  c  h  k  e  i  t"  italienischer    Sprache     geantwortet, 

schreibt    der    Diisseldorfer    General-  verrnutlich.      weil      er    zcigen    wollte, 

anzeiifer    vom    11.    November    1003:  dass  man   im   Kultusministeriiini    Ita- 

...\nf    ein    in    italienischer    Sprache  lienisch    kann.   und   weil    er   befiirch- 

abgefassles   Telegrainm.   in    welchem  tete.    dass    ein    von    einem    deutscheii 

der    italienische    Unterrichtsmiiiister  Minister    in     deutscher     Sprache   ^ab- 

beim    Tode    Mommsens    dem    preussi-  cefasstes    Danktelegramm      in     Rom 

schen   Kullusminister   die   Teilnahme  nicht  verstanden   worden  ware, 

des     gelehrten     Italiens     ausspriclit,  italienische    Minister    hat    aber    ohne 


Padagogische  Monatshefte. 


weiteres  aiigenommen,  class  man  im 
Berliner  Kultusministerium  Italie- 
nisch  versteht.  Wann  wird  encllich 
diese  uberhoflichkeit  aufhoren,  mit 
cler  unsere  Behorden  auf  fremdspra- 
chige  Zuschriften  ausliindischer  Be- 
hordeii  nicht  in  der  deutschen*  son- 
dern  in  der  fremden  Sprache  ant- 
worten,  wiihrend  es  z.  B.  amerika- 
nische  Behorden,  an  welche  von 
hier  aus  hoflicherweise  offizielle 
Telegramme  oder  Zusehriften  in 
englischerSpraehe  gerichtet  \verden, 
gar  nieht  einfiillt,  diese  Hoflichkeit 
durch  eine  in  deutscher  Sprache  ab- 
gefasste  Antwort  zu  erwidern?  Fur 
Montenegro  oder  Ungarn  oder  Siam 
mag  solcheGepflogenheit  angebracht 
sein,  aber  die  deutsche  Sprache  1st 
eine  Weltsprache." 

-  Unter  dem  Titel  Vom  geruhigeii 
Leben   hat  Otto   Ernst,   der   Ver- 
fasser     von     ,,Flachsmann     als     Er- 
zieher",    kiirzlich    einen    neueii    Sani- 
nTelband        seiner        humoristischen 
Skizzen    erscheinen    lassen.      (Yerlag 
von  L.  Staackmann  in  Leipzig,  Preis 
3  M.)     Er  enthiilt  11.  a.  zwei  Beitrage, 
die    auch    f iir    den    Padagogen    und 
Kinderpsychologen      von      hochstem 
Reiz   und    Interesse   sind.     Wer   fein- 
sinnige    und   in   poetisches    Licht    ge- 
riickte   Schilderungen   des  kindlichen 
Seelenlebens   lesen,    so   schreiben   die 
..Pad.  Bl.",  wer   sich  an   unverfalsch- 
ter  Kindersprache  ergotzen  will,  der 
schlage    die    ,,Appelschnut"-Geschich- 
ten    Otto    Ernsts   auf.      Er   wird    rei- 
cheren  Gewinn   davon  haben  als  von 
dem    Studium    irgendeines    theoreti- 
schen      Werkes      iiber      die      Kinder- 
psychologic. 

-  Ausgeriistet    mit    der    doppelten 
Autoritat    des    Sprachforschers     und 
Theologen   hat     zu     dem      Bab  e  1- 
Bibelstreite    der    Leipziger    Ge- 
lehrte    Heinrich    Zimmern    das    Wort 
ergriffen.     In  seiner  Broschiire  Keil- 
inschrift    xind    Bibel    nach    ihrem   re- 
ligionsgeschichtlichen         Zusammen- 
hange    (Berlin,   Reuther   &   Reichard, 
1  M)  will  er  ,,den  weitesten  Kreisen, 
die  nun  einmal  in   diesen  Streit   hin- 
eingezogen    worden    sind,    die    Mog- 
lichkeit     an     die     Hand     geben.  sich 
selbst     einigermassen  *  klar     dariiber 
zu   werden,   wieweit   es   sich   bei    die- 
sem    Streite    \\m     wirkliche     urlcund- 
liche    Tatsachen    handelt.     und    wie- 
weit   anderseits    am   blosse   an    diese 
Tatsachen      gekniipfte      Kombinatio- 
nen".     Er  kommt   zu   dem   Ergebnis, 
dass       ein       religionsgeschichtli^her 
Zusammenhang    zwischen    den    Keil- 
inschriften    iind    dem    Alten    sowohl 


wie  dem  Neuen  Testament  in  ziem- 
lich  weitem  Umfang  anzuerkennen 
ist. 

-  Uber  die  Nervositat  der 
Lehrer  und  Lehrerinnen 
verbreitete  sich  auf  dem  im  Septem- 
ber in  Kassel  abgehaltenen  75. 
deutschen  Naturforscher-  und  Arzte- 
tag  Geh.  San.-R.  Wichmann-Harz- 
burg.  Auf  Grund  von  Fragebogen  er- 
zielte  er  folgende  interessante  Er- 
gebnisse:  Von  den  305  Lehrern, 
welche  die  Fragen  beaiitworteten, 
^varen  nur  46  gesund,  von  782  Leh- 
rerinnen nur  etwa  200  (!).  Im  ein- 
zelnen  stellten  sich  die  Erkrankun- 
gen  wie  folgt: 

Leh-  Lehrer- 
rer:     innen: 

Organische  Herzleiden  3%  0,9% 
Lungen  7  "  11 

Magen  vind  Darm  14 "        13 

Nase,   Rachen,   Ohr  23  "        20     : 

]nfektionskrankheiten       27  "        20     ! 
Bleichsucht  42 

Im  besonderen  klagten  iiber: 

Leh-  Lehrer- 
rer:     innen: 

Kopfdruck  60%       65% 

Herzklopfen  50 " 

Angstzustilnde  49  "        37 " 

Zwangsgedanken  37  "        24  " 

Der  Redner  erkalrte  zvim  Schluss, 
das  es  im  hochsten  Grade  erwiischt 
sei,  medizinischerseits  den  iiervosen 
Erkrankungen  der  Lehrer  ein  er- 
hohtes  Interesse  zuzuwenden. 

(L.-Z.  f.  Thviringen.) 

Farbenblindheit  kommt  leider 
sehr  oft  vor  und  macht  fiir  viele  Berufe 
unfahig.  60  Prozent  a  Her  Falle  sind 
nicht  ein  angeborenes  tfbel,  sondern  wiir- 
den  im  Kindesalter  durch  Erziehimgund 
Weckung  des  Farbensinnes  verhaltnis- 
massig  leicht  gehoben  werden.  Die  Ge- 
sellschaft  zur  Griindung  und  Forderung 
des  Museums  fiir  weibliche  Handarbeiten 
will  auf  die  Entwickelung  des  Farben- 
sinnes der  heranwachsenden  Jugend  Ein- 
fluss  nehmen  und  strebt  zu  diesem  Zweck 
die  Aufnahme  der  Farbenlehre  in  das 
Unterrichtsprogramm  der  Volks-  und 
Biirgerschulen  an.  Das  Prasidium  die- 
ser  Gesellschaft  wendete  sich  daher  an 
die  namhaftesten  Kiinstler  und  Farben- 
fachmsinner,  sowie  an  Malerakademien 
und  Lehrervereine,  um  zu  erfahren,  wel- 
che Farben  in  den  Lehrplan  der  ersten 
fiinf  Klassen  aufgenommen  werden  sol- 
len,  wo  jene  an  Naturobjekten.voi'kom- 
men,  wie  diese  Farben  immer  gleich  her- 
gestellt  werden  konnen. 


Biicherbesprechungen. 


Die  Anschaulichkeit  des 
geographischen  Unter- 
r  i  c  h  t  s.  Ein  Beitrag  zur  Methodik 
dieses  Gegenstandes  von  Hans 
*T  r  u  11  k.  Vierte  giinzlich  umgear- 
beitete  Auflage.  1902.  Wien,  Karl 
Graeser  &  Co.;  Leipzig,  B.  G.  Teub- 
ner. 

Auf  252  Seiten  behandelt  der  Ver- 
fasser  die  geographischen  Anschau- 
ungsmittel  und  die  methodischeii 
Hilfsmittel  des  geographischen  Un- 
teriehts.  Unter  den  geographischen 
Anschauuiigsinitteln  sind  bespro- 
cheii:  1.  die  Hilfsmittel  der  unmit- 
telbareii  Anschauung  fiir  die  Hei- 
matkunde;  2.  das  Relief;  3.  das  Bild; 

4.  die    Landkarte,     und    5.    die    Hilfs- 
mittel   fiir    den    Unterricht    in    der 
mathematischen    Geographic;      unter 
den    methodischen      Hilfsmitteln    des 
geographischen    Unterrichts:      1.    das 
Kartenzeichnen;  2.  die  Vergleichung; 

5.  die   Schilderung;   4.  die  Erklarung, 
und    5.    das   Hilfsbuch    fiir    die    Hand 
der    Schiiler.      Wie      die    Landkarten 
hergestellt   werden,   wie   sie  beschaf- 
feii  seiii  sollen,  und  wie  sie  beim  Un- 
terricht      mitzbringend      angewandt 
werden  konnen  —  das  alles  wird  vom 
Yerfasser    in    klarer,     verstandlicher 
Sprache      geschildert.      Ein      Kapitel 
iiber  den  Lehrer  der  Geographic  bil- 
det    den    Schluss.     Die   widerstreben- 
den      Ansichten      von    Schulmannern 
sind      in        den      Gedankengang     des 
Buches   eingereiht,   und   das    sich   je- 
desmal   anschliessende   sichtende   Ur- 
teil    des    Yerfassers    verrat    den    er- 
fahreiien    Lehrer. 

Auf  Seite  73  fehlt  nach  dem  Satze: 
..Es  (das  Yerfahren,  mittels  der  Berg- 
striche  oder  Schraffen  die  grossere 
oder  geringere  Steilheit  einer  Fliiche 
darzustellen)  beruht  auf  dem  Grund- 
satze.  dass  eine  geneigte  Flache  von 
weniger  Lichtstrahlen  getroffen 
wird  als  eine  horizontale"  die  Bedin- 
gung:  ..w  enn  die  Lichtquel- 
le  senkrecht  iiber  dem 
» J  e  g  e  n  s  t  a  n  d  s  t  e  h  t."  Die 
Verstiindlichkeit  des  Abschnittes 
iiber  die  Darstelluiig  des  Gelandes 
auf  Seite  73  und  den  folgenden  Seiten 
leidet  durch  das  ganzliche  Fehlen 
von  lllustrationen.  Wir  glauben  auf 
diesen  Mangel  hinweisen  zu  diirfon, 
well  das  Trunksche  Buch  ein  Hohe- 
lied  auf  die  Anschaulichkeit  alles 
I'nterrichts  ist. 

Die  Literaturnachweise  sind  fast 
7.\\  zahlreiclu  um  die  Angabe  glau.b- 
haft  erscheinen  zu  lassen,  der  Ver- 
fasser  habe  nur  solche  Schriften  an- 


gefiihrt,  die  besondere  Empfehlung 
verdienen.  Eine  solche  Empfehlung 
sollte  nur  nach  der  allersorgfaltig- 
sten  Priifung  durch  berufene  Ken- 
ner  gemacht  werden,  aber  nur  zu 
haufig  ist  der  Name  des  Autors  und 
vielleicht  noch  der  Titel  des  Werkes 
das  einzige,  was  derjenige,  der  die 
Empfehlung  macht,  gelesen  hat. 
Dass  der  Verfasser  von  ,,Die  An- 
schaulichkeit des  geographischen 
Unterrichts"  die  Fahigkeit  besitzt, 
die  meisten  der  empfohlenen  Werke 
zu  beurteilen,  wollen  wir  gerne  an- 
nehmen;  dass  die  Priifung  immer  die 
genaueste  war,  miissen  wir  bezwei- 
feln.  So  empfiehlt  Trunk  z.  B.  auf 
Seite  244  dem  Lehrer  der  Geographic 
zur  ausreichenden  Vorbereitung  auf 
jede  Unterrichtsstunde  unter  andern 
auch  Tischendorfs  ,,Priiparationen 
fiir  den  geographischen  Unterricht 
an  Volksschulen".  Nach  Durchsicht 
desjenigen  Teiles  des  fiinften  Bandes 
der  Tischendorfschen  Praparatio- 
nen,  der  sich  mit  Nordamerika,  und 
besonders  mit  den  Vereinigten  Staa- 
ten,  beschaftigt,  befiirchten  wir, 
dass  der  Geographielehrer,  der  sich 
sein  Material  zur  Behandlung  von 
Nordamerika  aus  Tischendorf  holt, 
den  Kindern  manch  sonderbaren  Be- 
griff  beibringen  wird. 

Wenngleich  es  vielleicht  besser  ge- 
wesen  ware,  die  eine  oder  andere 
Schrift  nicht  zu  empfehlen,  so  ha- 
ben  wir  andererseits  bei  der  Be- 
sprechung  des  Bildes  die  Nennung 
des  Leipziger  Schulbilderverlags  von 
F.  E.  Wachsmuth  ungern  vermisst. 

Das  Trunksche  Buch  ist  merkwiir- 
dig  frei  von  Druckfehlern.  Nur  auf 
den  Seiten  43,  69  und  84  sind  uns 
einige  Buchstabenfehlgriffe  des 
Setzers  begegnet. 

Wer  in  Trunks  Arbeit  eine  trocke- 
ne  methodische  Abhandlung  zu  fin- 
den  glaubt,  der  diirfte  ausserst  an- 
genehm  enttauscht  werden.  Der 
Vortrag  ist  so  klar  und  einfach  und 
die  Behandlung  des  Gegenstandes  so 
teilnehmend,  dass  das  Interesse  des 
Lesers  erst  recht  beginnen  diirfte, 
nachdem  das  letzte  Blatt  umgewen- 
det  ist!  P.  O. 

Heimatklang.  Von  E.  Werner. 
Edited  with  notes  and  vocabulary  by 
M  a  r  i  a  n  P.  W  h  i  t  n  e  y.  Ph.  D., 
Teacher  in  the  New  Haven  High 
School.  New  York,  1903.  Henry  Holt 
and  Co. 

As  the  editor  states  in  her  preface, 
the  production  of  this  edition  is 


64 


Padagogische  Monatshefte. 


justified  by  the  fact  that  teachers 
have  felt  the  lack  of  lively  and  enter- 
taining books  for  those  who  have 
done  some  elementary  reading',  but 
who  are  not  yet  fitted  to  study  and 
appreciate  the  great  masterpieces  of 
German  literature.  Miss  Whitney 
lias  tested  the  story  by  use  in 
several  classes  and  has  found  it 
interesting  and  stimulating.  The 
editing  lias  been  done  with  a  view  to 
second  year  work  in  schools  or  first 
year  in  colleges.  The  vocabulary  is 
intended  to  be  complete  and  to  con- 
tain all  the  idioms  that  occur  in  the 
text.  Here  are  only  seven  pages  of 
notes  to  the  one  hundred  and  thirty- 
nine  pages  of  text,  but  this  is  quite 
enough  to  explain  the  various  usages 
and  customs  that  might  give  the  be- 
ginner trouble. 

The  editing  has  been  wisely  done. 
T  would  offer  the  following  correc- 
tions: The  note  to  page  47.  line  18, 
seems  to  imply  that  schalten 
n  n  d  w  a  1  t  e  n  is  a  rhymed  and  alli- 
terative phrase:  a  slight  change  in 
the  wording  could  obviate  such  an 
interpretation.  The  reference  in  the 
first  line  iif  page  14S  should  read  p. 
47,  line  18.  instead  of  "p.  47,  line  1". 
In  the  note  to  page  76.  line  11.  "da- 
tive after  fern"  might  better  read 
'dative  with  f  e  r  n';  this  is  a  case 
where  the  phraseology  of  English 
grammar  is  applied  to  German  gram- 
mar regardless  of  the  relative  posi- 
tion of  the  words.  The  reference  in 
the  note  to  page  S4.  line  24,  should 
read  p.  65.  line  14,  instead  of  "p.  64, 


line  14".  The  note  to  page  98,  line 
1.  should  include  The  future  as  well 
as  the  future  perfect. 

Questions  o  11  T  h  o  m  a  >'-- 
Grammar  with  Essentials 
of  Grammar  in  German.  By 
W,  a  r  r  e  n  W.  F  1  or  e  r.  I'niversity  ' 
of  Michigan.  Ann  Arbor,  1903. 
George  Wahr. 

This  little  book  is  intended  as  an 
aid  in  classes  where  the  "direct 
method"  is  used.  (This  method  has 
been  discussed  by  Dr.  Florer  in  an 
article  in  this  periodical,  volume  IV. 
(•ages  303 — 309).  The  first  part  of 
the  book  comprises  twenty-two 
Exercises,  each  of  which  contains 
from  six  to  twenty-four  quest  ions. 
The  questions  are  based  upon  twen- 
ty-two of  the  first  forty-two  Exer- 
cises in  Thomas's  German  Grammar. 
They  are  easy,  and  are  such  as  a 
teacher  would  naturally  ask  in  an 
effort  to  get  students  to  talk  about 
the  lesson  in  German.  The  second 
part  consists  of  German  lUiles  in 
German  on  the  essentials  of  German 
Grammar.  These  have  been  taken 
from  the  author's  edition  of  Heysc's 
L'Arrabbiata.  Every  alternate  page 
is  left  blank,  evidently  for  notes.  I 
take  it  that  the  principal  object  of 
the  book  is  to  stimulate  interest  in 
German  conversation  and  drill  in  the 
language.  In  the  hands  of  an 
enthusiastic  teacher  like  Dr.  Florer, 
it  will  be  sure  to  do  this. 

Charley   Bundy  Wilson. 

State  University   of   Iowa. 


Eingesandte  Biicher. 


A  French  R  e  a  d  e  r.  Arranged 
for  beginners  in  preperatory  schools 
and  colleges  by  Fred  Davis 
A  1  d  r  i  c  h,  A.  B.,  Master  in  Modern 
Languages  in  Worcester  Academy, 
and!  rving  Lysander  Foster. 
A.  M.,  Assistant  Professor  in  the 
Uomanee  Languages  in  the  Pennsyl- 
vania Slate  College.  Boston,  Ginn 
&  Co..  1903.  Price  55  cts. 

Preparation,  en  fiir  den 
g  e  o  g  r  a  p  h  5  s  c  h  e  n  U  n  t  e  r- 
r  i  c  h  t  a  n  V  o  1  k  s  s  c  h  u  1  e  n.  Fiinf 
Teile.  Ein  methodischer  Beitrag  7.um 
erxiehenden  Unterricht  von  ,T  u  1  i  u  s 
T  i  s  c  h  e  11  d  o  r  f,  Schuldirektor  in 
Dohna.  V.  Teil:  Aussereuropiiische 
Erdteile.  Zehnte  und  elfte  Auflage. 
Leip/ig,  Ernst  Wunderlich,  1904. 
Preis  M.  2.80. 


U  n  t  e  r  s  u  c  h  u  n  g  e  n  ii  b  e  r  die 
K  i  n  d  h  e  i  t.  Psychologische  Ab- 
handlungen  fiir  Lehrer  und  gebildete 
Eltern  von  Dr.  James  S  u  1  1  y. 
Professor  d<?r  Philosophic  am  1'ni- 
versity  College  in  Lodon.  Aus  deni 
Englischen  iibertragen  xmd  mit  An- 
merkungen  versehen  von  D  r.  .T. 
S  t  i  m  p  f  I.  Konigl.  Seminarlehrer 
in  Bamberg.  Zweite  vermehrte  Auf- 
lage. Leipzig,  Ernst  Wunderlich, 
1904. 

M  a  c  a  u  1  a  y's  Life  of  b  a  m  \i  e  1 
Johnson,  with  a  selection  from 
his  essay  on  Johnson.  Edited  with 
an  introduction  and  notes  by 
Charles  Lane  Hanson,  In- 
strtictor  in  English,  Mechanic  Arts 
High  School,  Boston,  Giim  £  ('<>.. 
1903.  Price  30  cts. 


Padagogische  Monatshefte, 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 
Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 


Organ  des 


Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


3nbtutiirm  V.  Febiuiat*  1904.  Heft  3, 


Erziehungswissenschaft  und  Erziehungspraxis, 


Von  Thos.  H.  Jappe,  New  York  City. 


(Fortsetzung.) 

Dem  hier  iiber  reine  und  angewandte  Wissenschaft,  sowie  iiber 
Kunst  Gesagten  scheinen  mir  iibrigens  die  gewohnlichen  englischen  Be- 
griff  serkliirungen  genau  zu  entsprechen.  Pure  science,  heisst  es, 
is  knowledge  of  powers,  causes,  and  laws,  considered  apart  from  all 
application.  Applied  science,  hingegen,  is  knowledge  of  facts, 
events,  and  phenomena  as  explained,  or  accounted  for,  by  pure  science. 
Art,  diesen  beiden  gegeniiber,  is  a  system  of  rules  serving  to  facilitate 
the  perfomance  of  certain  actions.  Die  beiden  letzten  dieser  drei  De- 
fmitionen  scheinen  mir  auf  die  Theorie  und  die  Praxis  der  Piidagogik  zu 
passen,  als  wiiren  sie  dafiir  gemacht.  Vergleichen  Sie  damit  nun  das 
Wort  Ruskins  iiber  den  Unterschied  der  Iviinste  von  den  Wissenschaften: 
,.The  Arts  differ  from  the  Sciences  in  this  that  their  power  is  founded 
not  merely  on  facts  which  can  be  communicated,  but  on  disposi- 
tions which  require  to  be  created."  Mir  scheint,  dass  dies  in  seiner  An- 
wendbarkeit  auf  die  Erziehungspraxis  nichts  zu  wiinschen  iibrig  lasst. 
Dcnn  jenes  ,,creating  dispositions",  wie  Ruskin  sich  ausdrttckt,  lasst  sich 
nicht  erlernen;  es  kann  durch  Ubung  und  Erfahrung,  verbunden  mit 
wissenschaftlicher  Bildung  wohl  zur  hochsten  Vollendung  gebracht  wer- 
den,  aber  es  lasst  sich  dadurch  nicht  ersetzen,  wo  es  nun  eininal  am  Ta- 
lent oder  Genie  dieser  Art  fehlt;  gerade  wie  bei  jedem  andern  Kiinstler 
auch.  Daher  ist  denn  auch  ein  grosser  Philosoph  und  Weltweiser  nicht 
notwendig  ein  grosser  Padagog;  ich  erinnere  Sie  nur  an  das  gewisa  klas- 
Bische  Beispiel  Kants;  daher  gibt  auch  ein  ausgezeichnetes  Examen  in 


66  Pddagogisclie  Monatshefte. 

theoretischer  Padagogik  nicht  die  gcringste  Garantie,  dass  der  Enami- 
nand  ein  guter  Lehrer  scin  werde.  > 

Kaum  brauche  ich  zu  betonen,  dass  dies  in  keiner  Wcisc  cine  Herab- 
eetzung  der  Theorie  sein  soil,  sondern  nur  eine  Richtigstellung  dessen, 
was  das  Ganze  der  Padagogik  1st,  namlich  im  theoretischen  Teile  ange- 
wandte  Psychologic,  odor  vielleicht  richtiger  Psychophysik,  im  pralc- 
tischen  Teile  eine  Kunst  im  vollen  Sinne  des  Wortes.  Ich  kann  mir 
nicht  versagen,  an  dicser  Stelle  auf  einen  Artikel  von  Geo.  Trumbull 
Ladd,  Professor  der  Philosophic  in  Yale  College,  in  der  Educational  Re- 
view vom  Oktober  1895  hinzuweisen,  der  mich  damals  so  sympathiscli 
beriihrte,  dass  ich  ihn  sofort  fur  die  Milwaukeer  Erziehungsblatter  iiber- 
setzte,  wo  er  sich  in  den  Heften  vom  Dezembcr  1895  imd  Januar  1896 
findet.  Ladd  sagte  u.  a.:  ,,Die  Erziehung  ist  einer  der  Gegenstiinde, 
welche  wegen  ihres  Charakters  eine  genaue  Beweisfiihrnng  nicht  zulas- 
sen.  Weder  aus  der  Geschichte,  noch  aus  unsrer  Kenntnis  der  Natnr 
imd  des  Geistes,  noch  ans  dem  Studium  der  Einzelheiten  friiherer  Er- 
fahrung  kb'nnen  wir  eine  wirkliche  Wissenschaft  der  Erziehimg  kon- 
struieren.  Die  Padagogik  wird  wohl  nie  zu  den  exakten  Wissenschaften 
zahlen.  \Vir  kb'nnen  mis  jedoch  verstiindliche  imd  haltbare  Ansichten 
dariiber  bilden." 

Damit  waren  wir  denn  zu  der  Frage  gelang-t,  was  Psychologic  imd 
Psychophysik,  sowie  Psychogenesis  sind,  und  in  wiefern  sie  die  TJnterlage 
der  Erziehungswissenschaft  bilden. 

Die  Psychologie  oder  Seelenlehre  ist  eine  Disziplin  der  Philosophic, 
und  zwar  von  Herbart  als  angewandte  Metaphysik  charakterisiert.  Damit 
wird  ihm  dann,  wie  ich  der  Kuriositat  halber  bemerkc,  die  Padagogik 
zur  Anwendung  einer  angewandten  Disziplin  der  Philosophic,  und  so 
etwas  ist  sicher  nicht  mehr  reine  Wissenschaft.  Die  Psychologie  behan- 
delt  das  Leben  und  Wirken  der  sogenannten  Seele,  d.  h.  der  geistigen 
Seite  des  Menschen,  im  Gegensatz  zur  Somatologie  als  der  Lehre  vom 
Wesen  des  Korpers,  beides  entsprechend  dem  bis  in  die  neuste  Zeit  ge- 
henden  landlaufigen  Dualismus,  dem  auch  Herbart  huldigt.  Denn  ihm 
ist  ist  die  Seele  ein  besonderes  Reales  gegeniiber  den  korperlichen 
Realen,  das  ewig  ist,  das  seine  gekniipften  Vorstellungsverbindungen  be- 
halt,  und  das  frei  vom  Leibe  vollkomraencr  erwachen  wird,  als  es  je  im 
Leben  war.  Es  ist  wohl  nicht  nb'tig,  an  diesem  veralteten  Standpunkt 
hier  eingehende  Kritik  zu  iiben;  alle  Forscher  sagen  mehr  oder  weniger 
deutlich,  dass  wir  von  der  Seele  als  einem  besondern  Wesen,  das  nach 
Linserm  Tode  weiterexistiert,  absolut  nichts  wissen.  Die  Seele  wird  jedoch 
den  meisten  von  ihnen  um  der  Religion  willen  zu  einem  Postulat,  dessen 
wir  fiir  praktische  Erziehungszwecke  nicht  bediirfen.  Sogar  der  fromme 
Karl  Lange  giebt  zu,  dass  "the  heart  of  man  with  its  changes  and 
vicissitudes  still  remains  for  psychologists  an  unfathomable 


Eryehungswissenscb.ifl  usid  Erqiehungspraxis.  07 

Fiir  die  moderne  Psychologie,  d.  h.  die  der  letzten  30  Jahre,  gibt  es' 
kein  von  den  mannichfaltigen  Gedanken  des  Menschen  imabhiingiges 
Jch  mehr.  Der  menschliche  Geist  ist  eine  Gescllschaft  von  Ideen,  von 
denen  bald  diese,  bald  jene  sein  Ich  konstituiert.  Die  heutige  Psycholo- 
gie zerstb'rte  die  dualistische  Ansicht  von  der  Seele;  und  mehr  als  eine 
Ansicht  oder  Meinung  war  jene  eben  nicht.  Die  Seele  hat  aufgehort 
etwas  von  psychischer  Tiitigkeit  Unabhangiges  und  Yerschiedenes  zu 
sein;  sie  besteht  ans  unsern  Geftihlen  und  Gedanken,  nnsern  Befiirchtun- 
gen  und  Hoffnungen,  imsern  Wiinschen  imd  Idealen.  In  almlichem  Sinne 
sagte  Jos.  Carhart  einmal  in  einem  vortreffliclien  Vortrag  iiber  "The 
Pedagogy  of  History",  den  ich  Ihnen  am  liebsten  ganz  vorlase:  ''The 
mind  produces  itself.  It  consists  of  the  sum  of  its  ideas,  emotions,  and 
volitions.  In  its  first  form,  the  mind  of  the  infant,  it  exists  potentially. 
Its  destiny  is  to  make  actual  that  which  it  is  potentially." 

Und  diesen  Fortschritt  verdankt  die  Psychologie  der  Psychophysik 
oder  physiologischen  Psychologie,  einer  Art  Xaturlehre  der  Seele,  welche 
die  korperlichen  Bedingimgen  der  Seelentatigkeiten  und  uberhaupt  die 
Wechselwirkung  des  Leiblichen  und  Geistigen  in  uns  untcrsucht.  Fech- 
ner,  Lotze,  E.  H.  Weber,  v.  Ilelmholtz  und  besonders  Wundt  seit  1874  ha- 
ben  diese  neue  Disziplin  entwickelt  und  gefordcrt;  wogegen  Darwin, 
Preyer  und  der  kiirzlich  gestorbene  Kussmaul  die  Hilfswissenschaft  der 
Psychogenesis  schufen,  d.  h.  die  Entwickhmgsgeschichte  der  Seele,  oder 
die  Lehre  von  der  Entwicklung  der  Sinnesfahigkeiten,  des  Willens,  der 
Sprach-  und  Denkfahigkeit  des  Kindes.  Xehmen  Sie  dazu  noch  die 
finch  ganz  moderne  Experimental-Psychologic,  welche  besonders  die  Zeit- 
verhJiltnisse  der  Geistesphanomene  untersucht,  und  fiir  die  Wm.  Wundt 
1878  in  Leipzig,  G.  Stanley  Hall  und  Dr.  Cattell  Ende  der  80er  Jahre 
bier  die  ersten  Laboratorien  einrichteten,  so  haben  Sie  das  ganze  Gebiet 
iiberschaut.  Der  Bequcmlichkeit  wcgen  fasst  man  dies  alles  vmter  dcm 
Namen  Psychologie  zusammen,  gerade  wie  wir  fortfahren  von  einer  Seele, 
vom  Auf-  undUntergehen,  von  Sonne  und  Mond  u.  s.  w.  zu  sprechen. 

Die  Psychologie  ware  demnach  eine  umfassende  Untersuchung  und 
Beschreibung  des  Seelenlebens,  unsres  Fiihlens,  Vorstellens,  Begchrens, 
eine  Sammluug  und  Erklarung  der  innern  Erf  ah  rung,  sowie  der  Wechsel- 
wirkung von  Korper  und  Geist. 

Die  sich  immer  mehr  bahnbrechende  Erkenntnis  der  absoluten  Ein- 
heit  von  Korper  und  Geist  oder  Seele  bildet  iibrigens  eine  crncute  Be- 
kraftigung  des  alten,  wahren  Wortes:  Orandum  est  ut  sit  mens  sana  in 
corpore  sano;  nur  vielleicht  mit  Substituierung  von  ,,laborandunv'  fiir 
,,orandum".  Die  Ausbildung  und  Erziehung  des  Korpers  ist  eben  nach 
wie  vor  Mittel  zum  Zweck,  nur  in  erhohtem  Sinne;  also  nicht  etwa  urn 
den  Menschen  zu  befahigen  mehr  zu  essen  und  zu  trinken,  sowie  sicli  rait 
grosserer  Freiheit  alien  denkbaren  Exzessen  hinzugeben,  wie  wir  dies  bei 


68  Padagogische  Monatshefte. 

imsern  Kraftmenschen,  Athleten,  Fanstkampfern  u.  s.  w.  oft  genug  er- 
leben;  sondern  vielmehr  seiner  geistigen  Entwicklung,  Ausbildung  imd 
Betatigung  eine  gesundere,  kraftigere  Basis  zu  liefern,  und  ihm  zur  Ent- 
wicklung einer  Sunime  von  Energie  zu  stahlen,  die  der  Schwachling  und 
der  Kruppel  selbst  bei  sonst  giinstigen  Anlagen  und  Umstanden  nicht 
zu  erreichen  vermogen.  Denn  wer  bei  jeder  Gelegenheit  das,  was  er  un- 
umganglich  notig  findet,  trotz  seines  Korper-  und  Gesundheitszustandes 
lun  muss,  wird  bald  erlahmen  oder  aber  iiber  kurz  oder  lang  definitiv 
zusammenbrechen.  Es  sei  hier  gleich  bemerkt,  dass  auch  bei  der  korper- 
lichen  Erziehung,  auf  die  ich  nicht  weiter  eingehen  kann,  ein  gewisses 
Individ ualisieren  erwiinscht  ware;  nicht  jeder  Zogling  braucht  gleich  viel 
davon,  und  keiner  iiber  ein  gewisses  Quantum  fiir  geistige  und  Schul- 
zwecke. 

Es  mag  Ihnen  aufgef alien  sein,'  dass  ich  garnicht  der  Unterscheidung 
zwisehen  rationaler  und  empirischer  Psychologie  gedacht  habe,  indes 
einmal  kiimmert  uns  die  rationale  Psychologie  hier  nicht,  und  zweitens 
glaube  ich,  dass  man  iiberhaupt  ohne  sie  fertig  werden  kann.  Denn  die 
eine  Halfte  davon  ist  ein  Teil  der  Metaphysik,  und  die  andere  Hirnge- 
spinst;  dies  ist  ungefahr  auch  Schopenhauers  Standpunkt,  der  die  ratio- 
nale Psychologie  verwirft.  (Vgl.  Parerga  u.  Paralipomena,  Kap.  26. 
(psychologische  Bemerkungen)  u.  Kap.  28  (iiber  Erziehung).) 

Eine  kurze  Betrachtung  des  Verlaufs  der  geistigen  Entwicklung  des 
Menschen,  wie  ihn  die  Psychologie  lehrt,  wird  ihren  Wert  fiir  die  Pada- 
gogik  ermessen  lassen.  Dabei  diirfen  wir  aber  eine  Tatsache  nicht  aus 
den  Augen  verlieren,  die  die  Padagogik  in  ihrer  Anwendung  zeitlich  ein- 
schrankt,  ihren  Wert  innerhalb  dieser  Begrenzung  indes  ganz  betracht- 
lich  vermehrt.  Im  Ganzen  des  Lebens  ist  die  Zeit,  wo  der  Mensch  unter 
den  Einfluss  systematischer  Erziehung  kommt,  nur  eine  recht  kurze 
Phase;  und  diese  ist  nicht  einmal  die  erste,  denn  es  geht  ihr  die  wich- 
tigste  formative  Periode,  die  der  ersten  Kindheit,  voraus.  Und  deren 
Resultate  oder  Folgen  konnen,  soweit  sie  eben  ungiinstige  sind,  selbst 
dem  besten  Padagogen  kaum  zu  iiberwindende  Schwierigkeiten  in  den 
Weg  legen.  Die  hiermit  zugleich  im  Bewusstsein  aufsteigende  weitere, 
eben  so  unerfreuliche  Tatsache,  dass  einem  die  Schiller  meistens  fort- 
gehen,  wenn  man  gerade  glaubt  sie  im  Zug  zu  haben,  sodass  es  eine  Lust 
werden  konnte  mit  ihnen  weiterzuarbeiten,  erwahne  ich  nur  nebenbei. 

Das  neugeborene  Kind  ist  sich  anfangs  seiner  selbst  nicht  bewusst, 
und  das  ist  gut,  denn  so  verhalt  es  sich  passiv,  bis  seine  Sinne  und  Ner- 
ven  sich  mehr  gestarkt  haben;  wo  es  sonst  einfach  durch  die  Masse  der 
Eindriicke  und  Wahrnehmungen  iiberwaltigt  werden  wiirde  und  eher  zum 
Wahnsinn  als  zu  geistiger  Reife  kame.  Dieser  natiirliche  Schutz  des 
Sauglings  vor  geistiger  t^berfiitterung  hort  allmahlich  auf;  fiir  manche 
Kinder  in  der  Tat  viel  zu  friih,  manchen  Eltern  leider  viel  zu  langsam. 


Eryehungswissensc'iaft  und  Er^iehungsp:axis.  69 

Die  Sinneseindriicke  nun,  die  das  Kind  erhalt,  zerfallen  in  solche 
von  aussern  Gegenstanden  und  von  innern  Zustanden;  erstere  wirken 
vorziiglich  auf  die  iiussern  Sinne,  und  beide  zusaramen  auf  den  innern 
Sinn.  Sie  sind  von  sehr  verschiedener  Starke  und  von  sehr  verschiedener 
Klarheit.  In  der  Vergleichung  derselben,  in  der  diskriminierenden  Ar- 
beit der  aufnehmenden  Sinne  liegt  schon  etwas  Aktives,  das  man  Perzi- 
pieren  nennt.  Aber  das  wahrhaft  Aktive  ist  doch  erst  die  mehr  und  mehr 
bewusste  und  gewollte  Ergreifung  und  Verarbeitung  der  Eindriicke,  ihre 
Assimilierung,  welche  die  Herbartianer  Apperzeption  nennen. 

Hier  muss  gleich  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass  bei  der 
Unzahl  der  das  Kind  treffenden  neuen  Eindrucke,  also  seiner  moglichen 
Wahrnehmungen,  sehr  viele  kaum  perzipiert,  sehr  viele  unvollkommen 
fcpperzipiert,  und  nur  die  kleine  Minderzahl,  sozusagen  ein  Rest,  an  bis- 
herige  Vorstellungsreihen  sich  anschliessen  und  so  fahig  werden,  sich 
selbst  wieder  andere  weitere  Perzeptionen  zu  assimilieren.  Es  geht  den 
meisten  Erwachsenen  ja  nicht  viel  besser. 

Ferner  fehlt  in  dem  ganzen  Vorgang  jedes  ersichtliche  System  der- 
art,  dass  nur  die  fur  eine  folgerechte  Entwicklung  passendsten  Ein- 
drucke das  Kind  trafen,  wiewohl  sehr  viele  ungeeignete  naturgemass  ab- 
gewiesen  werden.  Aiich  ist  die  Entwicklung  des  Individuums  nicht  ge- 
nau  analog  der  der  Menschheit  iiberhaupt,  wie  sie  uns  die  Anthropologie 
zeigt;  rait  andern  Worten,  das  Kind  ist  nur  in  beschranktem  Sinne  ein 
Mikrokosmus.  Und  trifft  es  sich  im  einzelnen  Falle  so,  dass  die  einer 
systematischen  Erziehung  vorgreifenden  Eindrucke  iiberwiegen,  so  wird 
das  Kind  entweder  ein  schwer  resp.  garnicht  zu  forderndes  Erziehungs- 
substrat  sein,  wenn  es  zur  Schule  kommt,  oder  es  wird  was  wir  friihreif, 
altklug  etc.  nennen.  Die  Opfer  fehlender  oder  verkehrter  hauslicher  Er- 
ziehung und  die  derjenigen  Kindergarten  oder  Infant  Schools,  denen 
nicht  sehr  ttichtige  und  vorsichtige  Erzieher  vorstehen,  reichen  sich  hier 
die  Hand. 

Der  wichtigere  dieser  beiden  Punkte  ist  natiirlich  der  erstere,  da  er 
daran  erinnert,  dass  das  Unklare  und  Unbewusste  nie  ganz  aus  unserem 
Leben  verschwindet,  eben  so  wenig  wie  wir  jemals  ganz  aufhoren  noch 
bis  dahin  vollig  Jieue  Eindrucke  aufzunehmen.  Ein  Schiiler  daher,  der 
alles  ihm  Gebotene,  selbst  wenn  es  im  allgemeinen  sich  innerhalb  der 
Grenzen  seines  Begreifens  halt,  apperzipieren  sollte,  ist  ein  vollig  uner- 
reichbares  Ideal;  nur  weniges  sitzt  gleich,  anderes  erst  nach  mehrfacher 
Wiederholung,  manches  nie.  Ferner,  je  mehr  die  Aussenwelt  das  Kind 
mit  Eindriicken  iiberhauft,  und  je  systemloser  sie  dabei  vorgeht,  desto 
vorsichtiger  muss  die  Schule  der  Kinderjahre,  sagen  wir  von  6  bis  12  J., 
sein,  nur  beschranknte  Quanta  moglichst  systematisch  und  griindlich  ver- 
orbeiten  zu  lassen;  sonst  muss  sie  unbedingt  mehr  schaden  als  niitzen. 
,,Non  multa,  sed  multum",  so  lange  sich  das  Interesse  nur  dabei  wach 
halten  lasst. 


70  Padagogische  Monatshefte. 

Jeder  geistige  Yorgang  geht  durch  eine  gradierte  aufsteigende  Eeihe 
der  Entvvicklung;  zuerst  iibenviegt  das  physiologische  Moment,  und  der 
Eindruck  1st  nur  eine  Beaktion  des  Nervensystems  auf  aussere  Eindriicke 
cder  organische  Zustande;  spater  wird  das  geistige  Moment  allmahlich 
inerklicher.  Dor  Prozess  veriindert,  wie  bereits  angedeutet,  seinen  Charak- 
ter  vom  mehr  Passiven  ins  Aktive,  wobci  das  sich  nun  zeigende  Gedacht- 
•  ms-eme  hervorragende  Rolle  spielt,  und  er  geht  dann  auch  immer  rascher 
.«nd  geordneter  vor  sieh.  Das  Arerfahren  des  Kindes  entspricht  durchaus 
dem  Zustande  seines  Korpers;  das  Gehirn  ist  verhaltnismassig  niemals 
grosser  als  in  den  ersten  3  bis  4  Jahren,  aber  es  sammelt  bei  seiner  Un- 
reife  mehr  als  es  verarbeitet.  Sein  Verfahren  liisst  sich,  wie  mir  scheint, 
r.m  besten  mit  dem  der  Aetronomen  vergleichen,  die  sich  eine  ganze 
Menge  lange  ausgesetzter  P]atten  mit  Himmelsbildern  anlegen,  welche 
eie  spater  cntwiekeln  und  studieren.  So  nimmt  anch  das  Kind  schon  vor 
dem  Schulalter  tausenderlci  zunaehst  unentwiekelte,  unklare,  aber  doch 
danernde  und  eutwickhmgrfahige  Bilder  und  Eindriicke  und  Fakta  auf, 
die  der  reifende  Geist  spater  verarbeitet,  d.  h.  allmahlich  durch  geeignete 
Einreihung  klarcr  und  klarer  macht,  van  sie  zuletzt  ganz  zu  eriassen  imd 
j'.u  beherrschcn;  die  freilich  andrerseit?,  wenn  ungiinstig,  schlecht  auszu- 
rottcn  sind. 

Diese  Empfanglichkeit  fiir  neuc  Eindriicke,  fur  zunaehst  sinnliche 
Vorstellungen,  vcrmehrt  sich  noch  im  Schulalter,  der  zweiten  Pcriode 
der  Kindheit,  obzwar  das  Quantum  des  Neuen  sich  mindestens  nicht  ver- 
raehrt;  die  Sinne  verfeinern  sich,  wahrend  zugleich  bewusstcs  Handeln 
und  Verglcichen  der  Wahrnehmungen  sich  zu  zeigen  anfangon.  Gleich- 
wohl  nberwiegt  die  Kraft  des  Gedachtnisses  noch  fortdauerud  die  des 
Vcr^tandes  odcr  Intellekts,  v/ogegen  die  Lebhaftigkeit  der  Phantasie 
rasch  und  gewaltig  zunimmt.  Wir  finden  demgemiis^,  dass  Kinder  man- 
ches  Wort,  manclie  Bilder,  Tatsachc-n,  Geschichten  rein  meclianisch  be- 
hn.lten,  also  ohne  voiles  Verstandnis,  und  dass  oft  Jahre  vergehen,  ehe 
Bedeulung  des  Gelernlen  klar  wird,  wie  es, gelcgent'Hch  selbst 
noch  erght. 

Fiir  die  Schule  folgt  hioraus  klar,  dass"  es  nicht  unbedingt  immer 
fcdiadet,  TJnverstander.es  lernen  zu  lassen,  wie  z.  I>.  manches  Poetische, 
besonders  in  Yerbindung  mit  der  Singstunde,  odcr  das  Einmaleins  bis 
5.'0  re^p.  25.  Natiirlich  muss  die  Schule  ausserst  vorsichtig  sein  im  Ein- 
paukcn  von  dem,  was  man  wohl  Gedachtniskram  nennt;  aber  sie  braucht 
sich  nicht  in  jedein  Fache  und  durchaus  auf  vollkommen  und  in  seiner 
ganzen  Tragweite  Verstandenea  zu  beschriinken,  v/as  sie  ja,  v;ie  Sie  alle 
wissen,  auch  gainiclit  kann.  Es  ist  nicht  notig,  das  ausfiihrlich  zu  ex- 
eniplifizieren;  icli  branch e  nur  auf  das  gauze  ethische,  moralische  und 
religiose  Gebict  hinzuweiscn.  Wcr  kb'nnte  da  allcs  ganz  unvermeidlich 
Yorkommende,  dem  niclit  glek-h  voiles  Yerstandnis  entgegenkommt,  er- 


Gustav  Frenssen— A  Study  71 

klaren?  Man  1st  gezwungen  sich  zu  beschriinken  und  vieles  gehen  zu 
lassen.  Es  ist  furchtbar  bequem  gegen  blossc  Gedachtnisarbeit  zu  predi- 
gen,  und  gewiss  wird  das  Gedachtnis  noch  in  vielen  Schulen,  hier  in  dem, 
da  in  jenem  Faclie,  gemissbraucht.  Aber  welche  Idee  haben  Kinder 
z.  B.  von  irgend  grb'ssern  Dimensionen  imd  Zahlen?  Wie  viele  Dinge  hat 
ein  zelmjahriger  Junge  denn  in  grosserer  Anzahl  als  hundert  zusammen 
gesehen,  derart  dass  er  sie  zahlen  und  sich  iiberzeugen  konnte?  Dabei 
rechnet  er  womoglich  in  Hunderttausenden.  Zur  Vermeidung  iiberflus- 
sigen  Auswendiglernens  hat  Schopenhauer  den  bemerkenswerten  Vor- 
schlag  gemacht,  man  solle  von  kompetenten  Leuten  alle  zehn  Jahre  den 
stets  wachsenden  Memorierstoff  sichten  lassen,  damit  cr  in  keinem  Fache 
ein  unschadliches  Mass  iibersteige. 

(Fortsetzung  folgt.)  .. 


Gustav  Frenssen— A  Study. 

(FOr  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Dr.  Warren  W.  Florer,  University  of  Michigan. 

The  men  who,  but  a  few  months  ago,  were  maintaining  that  con- 
temporary German  literature  was  too  corrupt  and  uncertain  to  bring 
forth  lasting  fruit  have  been  aroused  by  what  seems  to  them  the  sadden 
appearance  of  an  unexpected  poet,  from  an  unexpected  place  and  from 
an  unexpected  profession.  But  Gustav  Frenssen,  the  Pastor  Poet  of 
H'emme,  came  in  the  fulness  of  time, when  the  minds  of  the  German 
people  had  been  prepared  by  years  of  a  secret  social  revolution.  Legion 
have  been  the  underlying  forces  which  have  shaped  this  development; 
modern  commerce;  modern  social  conditions;  modern  philosophy;  modern 
literature;  modern  development  of  the  individual;  modern  conception  of 
religion.  The  tooth  of  time  has  been  gnawing  at  the  old,  and  the  old 
has  been  stubbornly  struggling  in  the  inevitable  war  of  the  survival  of 
the  fittest.  The  "paper  walls'"  behind  which  the  old  retreat  when 
attacked,  are  the  established  government,  the  established  religion  with 
set  etiquette,  laws  and  morality.  Its  weapons  are  dogma;  its  armor  an 
assumed  authority  of  divine  inspiration.  The  best  example  in  the  field 
of  literature  is  the  forbidding  of  Heyse's  powerful  moral  drama  "Mary 
of  Magdala"  (which  has  been  weakened  in  the  adaptation  to  the 
American  stage)  by  the  police  of  Berlin.  However,  one  sees  the  opposite 
extremes  in  the  excesses  of  the  new.  And  it  is  well  in  this  chaos  of 
transition,  that  the  old  is  beginning  to  assert  its  tempering  influence. 

Who  is  Gustav  Frenssen?  The  average  teacher  might  say.  "Gustav 
Frenssen  was  born  in  the  year  1862  at  Barlt.  His  parents  were  god- 
fearing industrious  people.  He  has  inherited  the  stern  integrity  of  hia 
father  and  the  deep  religious  nature  of  his  mother."  The  Low  German 
will  rejoice  over  the  fact  that  Frenssen  comes  from  the  same  indomitable 


72  Padagogische  Monatshefte. 

race  as  Renter  and  Bismarck,  Storm  and  Hebbel.    And  the  individuality 
of  the  man  might  be  overlooked. 

The  mere  date  of  Frenssen's  birth  means  but  little  shorn  of  its 
environment.  In  other  words  Frenssen  was  born  at  a  time  when  con- 
ditions around  him  were  beginning  to  grow  and  develop  and  ripen  along 
with  his  growth  and  development  and  ripening,  and  so  influenced  him 
from  his  very  childhood  and  prepared  him  for  the  day  when  he  could 
assume  leadership.  This  correlation  of  individuality  and  Zeitgeist  rests 
upon  observation  trained  by  experience. 

Frenssen's  education  might  be  given  as  schools  of  his  native  town, 
Gymnasien,  Universities  of  Tubingen,  Berlin  and  Kiel,  had  he  not  in- 
directly revealed  it  to  us;  practical  occupation,  expanseless  fields  of  uni- 
versal life's-wisdom,  independent  reflection,  acquaintanceship  with  life, 
entering  upon  unexplored  fields  and  endeavoring  to  rise  as  well  as 
possible,  plus  the  great  objective  factor  —  "nothing  educates  a  man  more 
than  to  observe  the  lot  of  fellowmen". 

At  the  Gymnasium  he  observed  so  much  that  when  a  Primaner  he 
wrote  an  essay  of  which  the  conservative  teacher  said:  "You  never  wrote 
that  essay;  it  was  written  by  a  man  fifty  years  of  age,  not  by  a  youth  of 
eighteen".  And  this  youth  entered  the  universities  and  continued  his 
observations.  Some  of  these  observations  are  to  be  found  in  his  writings. 
Among  other  things  he  observed  that  many  a  lad  obedient  to  the  strong 
will  of  his  parents  is  compelled  to  finish  the  Gymnasium  and  the 
University,  although  he  has  no  inclination  for  or  capability  of  such  an 
education.  He  also  observed  the  opposite  when  at  home.  Many  a  lad 
with  talents  and  craving  for  an  education  is  forced  to  remain  a  mere 
laborer  by  the  obstinacy  of  th*e  parent. 

When  at  Berlin  Frenssen  apparently  passed  the  Literaturecafes,  the 
breeding  places  of  that  literature  which  has  a  slovenly  and  ugly  form, 
and  which  gives  a  man  no  more  capability  than  that  of  an  animal.  The 
world  seems  to  it  to  be  a  tenementhouse.  He,  however,  was  diligently 
preparing  himself  for  his  chosen  field  of  labor. 

Frenssen's  chosen  field  of  labor  was,  evidently,  determined  not  so 
much  by  feelings  of  homesickness,  not  so  much  by  the  desire  to  be  in  the 
neighborhood  of  the  sea  with  all  its  invisible  influences,  but  because  he 
knew  the  secret  wishes  and  the  burning  needs  of  the  people,  whom  he 
had  been  observing  since  his  very  childhood.  The  study  of  the  past  and 
present  history  of  this  people  emphasized  the  possibilities  of  the  people. 
For  a  few  years  he  worked  in  his  still  quiet  way,  cheered  by  the  helping 
hand  of  a  virtuous  woman  (this  is  often  referred  to  in  his  writings). 
His  father  always  full  of  hope,  his  mother  introspective,  bashfully  modest 
and  inclined  to  borrow  troube.  The  worry  brought  upon  him  by  the  re- 
ception and  misinterpretation  of  his  sermons  is  also  evident  in  his 
writings. 


Gustav  Frenssen — A  Study.  73 

The  step  of  literary  activity  is  best  explained  by  his  own  words  to 
Theodor  Rehtwisch:  "Believe  me  we  have  many  grand  and  capable  men 
among  the  country  pastors  who  could  fulfil  entirely  different  tasks  than 
are  assigned  to  them.  Such  a  manifold  inner  life  generally  becomes 
resigned.  The  children,  if  there  are  any,  receive  the  best  of  it.  For  it 
is  certain  that  a  moral  wealth  without  coniporison  has  been  carried  out 
into  life  from  the  evangelic  parsonages  by  sons  and  daughters  who  enter 
different  fields  of  activity.  What  a  list  of  great  names  comes  from  the 
parsonages,  but  the  people  do  not  know  it  this  way.  Believe  me,  it  is 
awful  to  think  that  one  must  waste  one's  life,  when  forces  which  are 
struggling  towards  light,  are  slumbering  within  one.  I  do  not  know  what 
would  have  happened  if  this  talent  had  not  worked  itself  free.  What  a 
liberation  it  is  to  me  that  outside  of  my  little  parish  I  have  a  large 
growing  parish,  to  which  I  am  allowed  to  give  my  best." 

Frenssen's  literary  activity  began  in  1895  with  sketches  and 
novelettes  for  a  Berlin  illustrated  magazine.  Then  followed  the  "S  a  n  d- 
g  r  a  f  i  n",  "Die  d  r  e  i  G  e  t  r  e  u  e  n"  and  "J  o  r  n  U  h  1".  In  addition 
to  these  he  has  published  a  collection  of  ^ermons.  A  potent  activity,  if 
one  estimates  by  content  and  not  by  pages.  Furthermore,  it  is  not  the 
number  of  books  which  gives  a  poet  a  literary  position,  but  the  influence 
of  his  writings.  It  is  true  that  the  poet  was  not  recognized  at  first,  but 
this  is  the  lot  of  nearly  all  great  men.  It  was  not  until  the  criticism  of 
Karl  Busse  in  "Tag"  that  the  German  people  awakened  to  the  fact  that 
a  real  German  poet  had  been  silently  working  among  them.  And  since 
that  time  the  writings  of  Frenssen  have  entered  nearly  every  educated 
and  many  a  common  home.  What  does  this  tremendous  demand  mean? 
The  Germans  are  not  in  the  habit  of  reading  the  novels  of  the  day.  It 
means  that  the  material  presented  corresponds  to  the  needs  of  the 
people,  these  needs  springing  from  a  secret  development  within  the  lone 
sanctuaries  of  their  hearts,  and  from  forces  which  have  been  slumbering, 
nut  struggling  for  expression.  The  German  people  understand  these 
books,  because  they  have  an  appreciative  feeling  for  the  people.  And  in 
literature,  as  well  as  in  government,  the  people  crave  to  be  controlled  by 
their  own.  They  understand  these  books  because  they  have  experienced 
them. 

Again,  these  books  have  been  written  with  a  high  moral  purpose 
notwithstanding  the  tradition  that  art  must  not  have  a  purpose.  In  "D  i  e 
dreiGetreuen"  one  finds:  "Whoever  wishes  to  write  must  first  of  all 
be  a  genuine  man,  humble  before  his  divinity,  proud  in  the  face  of  the 
world.  I  wish  to  edify  myself  with  what  I  read.  It  must  elevate  me.  It 
must  make  me  stronger  against  every  sin  and  more  courageous  against 
every  destiny".  Heim  Heiderieter  also  says:  "You  must  write  something 
worth  writing;  something  earnest,  that  one  can  grasp  with  both  hands 


T4  Pddagogische  Monatskefte. 

without  breaking:  Of  sin,  of  sorrow,  of  Heimat  and  of  Fatherland,  of 
true  love  and  of  upright  work.  Something  real  German  and  simple  as 
Reuter  and  Freytag  have  written,  something  for  the  entire  German 
people,  something  which  the  educated  loves  to  read  and  also  the  common 
man." 

With  this  purpose  and  with  the  equipment  at  which  I  have  merely 
hinted  Frenssen  created  his  epic  trilogy.  Of  the  "S  a  n  d  g  r  a  f  i  n"  I  will 
give  only  the  author's  preface:  "The  Heimat  is  marshland,  ,fertile  as  a 
hot-bed  and  as  flat  as  a  slate.  History  has  not  written  much  about  it, 
and  the  people  pass  over  it  as  an  overgrown  child  would.  The  boy  who 
grew  up  in  this  Heimat  possessed  a  restless  fancy,  but  no  opportunity  to 
satisfy  it.  He  sought  a  land,  manifold  in  its  forms,  beautiful  in  its 
changes,  and  did  not  find  it.  An  hour  distant  toward  the  west  was  the 
sea,  the  ever  turbulent.  In  the  east  the  firm  land  ascended  abruptly. 
This  bore  villages  and  hills,  meadow  and  forest  in  variegated  blending. 
Thither  flew  the  hungry  soul.  The  boy  saw  the  men  wandering  over  the 
waste  sea  and  the  desolate  heath,  men  who  had  experienced  great  deeds 
and  bitter  privations.  —  When  he  began  to  become  a  man  he  wrote  this 
his  first  book". 

"Since  that  time  he  has  made  a  great  step  forward  in  the  develop- 
ment. He  has  learned  to  go  more  slowly  and  to  see  more  clearty.  But 
whenever  he  will  look  into  this  book  again,  he  will  not  regret  what  he 
has  written.  He  will  rejoice  that  he  has  written  it  with  such  good  cheer, 
and  will  wonder  that  he  had  then  seen  so  much  and  so  extensively." 

"He  will  continue  to  wonder  as  long  as  he  lives.  The  'nil  admirari' 
he  will  always  leave  to  others/" 

The  transition  from  the  "S  a  n  d  g  r  a  f  i  n",  which  smells  at  times  of 
old  library  books,  to  "D  i  e  d  r  e  i  G  e  t  r  e  u  e  n"  is  on  the  surface  abrupt. 
However,  if  one  reads  between  the  lines  and  follows  the  then  visible 
threads  the  transition  will  appear  natural  and  simple.  The  author  frees 
himself  from  the  learned  studies  of  past  history  and  enters  upon  the 
study  of  the  human  beings  around  him.  He  is  at  home  among  them. 
The  objective  insight  into  the  life  about  him  enabled  Frenssen  to  picture 
the  passions  of  his  countrymen.  He  has  fulfilled  what  Theodore  Strom 
with  the  same  material  failed  to  grasp  on  account  of  his  extreme  sub- 
jectivity. It  remained  for  Frenssen  to  be  the  first  epic  novelist  of  his 
native  country  Schleswig-Holstein. 

The  space  is  too  limited  to  give  any  adequate  conception  of  this 
typical  German  book,  rich  in  material,  perhaps  not  exactly  unified,  ac- 
cording to  the  dogma  of  art,  but  all  the  more  natural.  We  obtain  a 
beautiful  picture  of  his  country  and  of  the  influences  of  nature,  especially 
of  the  sea.  The  life  manner  of  thinking  and  customs  of  the  people  are 
unrolled  before  our  very  eyes.  The  short  and  simple  annals  of  the  poor 


Gustav  Frenssen — A  Study.  75 

affect  us.  We  see  the  influences  of  the  Franco-Prussian  war  and  the  re- 
construction period  upon  this  people.  The  scenes  where  man  and  woman 
are  brought  together  are  beautiful.  —  Heyse  mentioned  this  in  a  letter 
to  Frenssen.  (Rehtwisch).  We  catch  the  underlying  currents  of  the 
social  disturbances,  the  needs  and  hopes  of  the  people,  the  crying  need 
being  land.  And  to  us  Americans  the  book  gives  an  insight  into  some 
of  the  causes  of  that  large  migration  to  our  country  and  also  into  the 
hopes  and  sorrows  of  the  men  and  women  who  have  decided  to  cast  their 
lot  among  us.  Most  touching  is  the  parting  scene  with  the  singing  of 
the  Reiselied  and  the  simple  powerful  farewell  sermon  of  the  old  pastor. 
The  author  adds:  "If  a  stranger  had  been  in  the  church,  he  would  have 
been  able  to  have  said  exactly:  'Thus  have  these  people  lived.  Such  has 
been  their  work,  such  is  their  love  and  such  their  hope'." 

The  poet's  epic  power  is  especially  seen  in  the  development  of  the 
lives  of  "D ie  drei  Getreuen"  and  in  the  mastery  of  the  final  so- 
lution. The  refrain  of  the  epic  is  contained  in  the  song  of  the  night- 
watchman  which  ends  each  book: 

"De  Klock  hett  veer  slahn, 

Veer  hett  de  Klock. 

Der  Tag  vertreibt'die  fmstere  Nacht, 

Ihr  lieben  Christen,  seid  munter  und  wacht, 

Und  lobet  Gott  den  Herrn." 

Especially  interesting  is  the  development  of  the  poet  Heim  Heide- 
rieter,  the  character  which  reflects  Frenssen  himself.  The  book  in  this 
connection  teems  with  literary  references.  The  following  conversation 
of  books  illustrates  Frenssen's  keen  sarcasm: 

An  old  thick  three  volume  Danish  history  said  to  its  triplet  sister: 
*'I  do  not  feel  at  home  here.  The  man  who  is  studying  us  is  unworthy, 
he  is  not  learned". 

"He  is  an  enthusiast  and  a  dreamer." 

The  insulted  moon  reflected  a  yellow  light. 
,         "And  often  he  stares  past  us." 

"Yes"  the  sister  answered,  "it  is  sad.  For  twenty  long  years  we  have 
i-tood  unused  in  the  stackrooms  of  the  state-library;  and  now,  since  we 
have  finally  come  to  life  again  they  send  us  to  this  unlearned  man." 

'•'Do  you  recall  the  Professor  at  whose  house  we  were  twenty  years 

ago?" 

"Yes,  he  was  a  different  man". 

"He  wrote  a  very  learned  work,  do  you  know  it  still"  (the  sister 
shook  her  head).  "He  occupied  himself  very  diligently  with  me,  more 
so  than  with  you.  He  hemmed  and  hawed  and  puffed  himself  up  and 
v/as  very  learned  and  excited.  He  was  so  excited  that  he  occasionally 
wrote  words  in  my  margin.  I  did  not  get  vexed  at  him  either". 


76  Pddagd&ische  Monatshefte. 

"What  did  he  write?" 

The  leaves  rustled  lightly. 

"What  can  it  be?  I  only  unterstand  Danish.  Something  respectful, 
you  may  depend  upon  that.  See,  there  it  stands''. 

There  stood  scrawled  with  a  hard  leadpenciL 

"Ignorantia  Pyramidalis". 

"And  here?" 

The  short  word  "Blech". 

"What  does  that  mean?" 

"It  is  a  recognition  of  my  authorithy.  I  am  proud  of  the  fact  that  I 
am  a  learned  book,  the  first  born  of  us  three.  Who  knows  the  olden 
times  as  well  as  I?" 

The  moon  endeavored  to  glide  along  the  window-sill.  It  yawned  and 
was  disgusted  with  the  continues  flood  of  books  and  wished  for  a  passing 
cloud  to  cover  it  up.  Then  another  book  began  to  speak  with  a  still 
suppressed  voice. 

"It  certainly  is  not  nice  of  him  to  lay  such  an  old  and  heavy  book 
as  I  am  upon  my  stomach,  but  I  will  tell  you  something,  I, the  chronicle 
of  the  Priest  Helmold  von  Bosau,  am  glad  that  I  finally  got  out  of  the 
hands  of  the  professors  and  stackrooms,  and  have  fallen  into  proper 
hands  and  into  the  proper  house.  I  am  a  fine  book.  I  am  so  fine  that  I 
must  be  read  between  the  lines,  for  my  truth  and  my  reality  lie  far  back 
of  my  letters.  Who  reads  you,  must  have  learning,  who  reads  me  must 
have  heart  and  faith,  he  must  be  a  poet". 

Frenssen's  first  great  plan,  evidently,  was  to  write  an  historical 
novel,  but  the  study  of  the  past  in  books  was  overshadowed  by  his 
occupation  with  the  people  around  him.  And  the  past  was  absorbed  by 
the  present.  In  "D  i  e  d  r  e  i  G  e  t  r  e  u  e  n"  we  find  a  conversation  bearing 
on  this  presumption:  "Do  listen  Heim,  perhaps  you  could  take  material 
from  the  past  of  your  Heimat"  —  "Hm,  an  historical  novel"  —  "Well, 
yes"  —  "Dont  want  to  read  one,  much  less  to  write  one". 

Frenssen's  attention  went  from  the  people  to  the  individual.  And 
the  next  step  was  the  development  of  an  individual  within  his  environ- 
ments. He  wrote  "Jb'rn  Uhl".  Jorn  Uhl's  life  is  summed  up  in  a  con- 
versation betweeen  Jorn  and  his  friend  Heim  Heiderieter  at  the  close  of 
the  book.  Heim  Heiderieter  said: 

"You  have  experienced  a  hard  life,  Jorn,  I  would  like  to  know  what 
you  think  about  it." 

"Do  you  wish  to  write  the  history  of  my  life,  Heim?  It  certainly 
is  not  the  right  material". 

"Your  life,  Jorn  Uhl,  is  not  a  minor  human  life.  You  have  had  a 
ptill  boyh'ood,  adorned  with  variegated  pictures.  You  have  been  lonely 
when  you  were  growing  up  and  have  courageously  struggled  without 


Gustav  F;  ens?  en— A  Study.  77 

assistance  with  the  problems  of  life.  And  however  little  you  may  have 
been  able  to  have  divited;  the  struggle  has  not  been  in  vain.  You  have 
marched  to  the  front  for  the  land  which  surrounds  this  spring,  you  have 
been  hardened  in  fire  and  frost,  and  have  made  progress  in  the  most 
essential  of  all,  namely,  to  discriminate  the  values  of  things.  You  have 
experienced  woman's  warm  love,  the  second  highest  which  life  can  give. 
You  have  placed  Lena  Tarn  and  father  and  brothers  in  the  coffin.  In 
those  hours  you  looked  human  trouble  in  the  very  eye  and  have  become 
humble.  You  have  struggled,  with  hard  hostile  destiny  and  have  not 
succumbed.  You  have  freed  yourself,  although  it  lasted  long  before 
assistance  arrived.  You,  with  set  teeth  and  high  courage,  have  worked 
yourself  into  science,  at  an  age,  when .  many  are  thinking  of  retiring. 
And  although  surveying  has  been  your  work  and  joy  for  years,  you  have 
not  become  onesided.  You  are  interested  in  the  country  which  lies  be- 
yond your  chains.  You  are  also  interested  in  the  books  which  your  friend 
Heim  Heidrieter  writes.  What  is  one  to  relate  Jorn,  if  such  life  is  not 
worthy  of  relating." 

The  moral  of  this  reminds  one  of  the  moral  of  the  story  of  "F  r  a  u 
Sorge":  A  man's  life  experience  can  not  be  given  him.  Another  cannot 
live  a  life  for  him.  He  must  have  experienced  life,  and  he  can  not  begin 
to  live  until  he  has  freed  himself.  And  he  must  act  of  his  own  free  will 
and  accord.  The  fundamental  idea  of  "F  r  a  u  Sorge"  and  "Jorn 
U  h  1"  which  are  alike  in  many  respects  and  which  have  "die  Sorge"  as 
the  basis  of  the  work,  is  that,  "although  sorrow  has  blighted  the  youth 
of  many  excellent  and  capable  young  men  and  women,  the  opportune 
moment  of  victorious  decision  can  rescue". 

The  first  woman  in  Hemme  who  read  "Jorn  U  h  1"  was  the  wife 
of  a  farmer.  She  said:  "The  book  is  pretty  good,  but  how  any  one  can 
pay  money  for  it,  I  can  not  understand".  And  then  a  clergyman  of  high 
position  in  Hamburg  read  it.  After  he  had  read  the  first  few  pages  he 
condescendingly  expressed  himself  as  beeing  satisfied  with  it.  "But  after- 
wards1) well  afterwards  when  I  describe  that  which  I  must  describe,  he 
is  said  to'  have  remarked:  "We  must  exert  revivalistic  influence  upon  our 
Brother." 

We  are  thus  led  to  Frenssen's  interpretation  of  religion,  as  this  is  the 
most  vital  element  of  the  hook,  and  accordingly  the  principal  reason  of 
its  increasing  influence  Frenssen  recognizes  that  religion  and  nature  are 
not  two  separate  things:  "you  certainly  are  not  of  the  opinion  that  re- 
ligion is  from  God  and  nature  from  the  Devil,  but  both  are  from  God, 
and  shall  dwell  together  in  perfect  harmony,  rendering  one  another 
mutual  assistance."  He  thus  believes  that  the  Seele  and  the  Korper  are 


l)  I  quote  Frenssen  through  Rehtwisch. 


78  Pddagogische  Moiiatsfofte. 

inseparable.  This  is  in  direct  contrast  to  Luther's  opinions  (see  "vo» 
der  Freiheit  eines  Christenmenschen").  He  recognizes  that  religion  is 
one  thing  and  dogma  another;  that  religion  is  one  thing  and  the  mere 
history  of  religion  another,  that  the  development  of  religion  correlates 
with  the  development  of  the  individual.  And  thus  it  is  natural  that  the 
development  of  Jorn  U Ill's  religion  centres  about  his  individual  develop- 
ment. In  short  we  see  in  Jorn  Uhl  the  development  of  a  Christian  man 
within  the  newer  conception  of  chritianity  —  the  real  freedom  of  a 
Christian  man.  Such  a  man,  as  Frenssen  thinks,  the  '"'Man  of  Galilee" 
would  wish.  (To  be  continued.) 


Zur  gesetzgebenden  Qrammatik. 


(Far  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Dr.  Edwin  C.  Roedder,  Assistant  Professor  of  German  Philology,  University  of  Wisconsin. 


Die  rein  wissenschaftliche  Sprachbetrachtung,  ,,der  es  nur  darauf  an- 
hommt,  ihren  Gegenstand  zu  begreifen."!)  ist  im  wesentlichen  die  unver- 
gleichliche  Schb'pfung  und  das  Hauptverdieivst  Jakob  Grimms,  mi  thin  noch 
keine  hundcrt  Jahre  alt.  Was  Grimm  vorfand,  \var,  abgesehcn  von  An- 
satzen  zur  wirklichen  Sprachforschung  in  den  Arbeiten  seiner  bedeutend- 
sten  Vorgiinger,  lediglich  Sprachbeschreibung,  im  besten  Falle  eine  zuvey- 
iassige  Darstellung  der  zu  einer  bestimmten  Zeit  nebeneinander  vorkorn- 
menden  sprachlichen  Formen  und  Erscheinungen.  Diese  iiltere  Sprachbe- 
handhing  verfolgte  aber  auch  keine  wissenschaftlichen,  sondern  praldisehe 
Zwecke.  Ein  Blick  auf  die  Geschichte  der  systematischen  Bcschiiftigung- 
mit  der  Sprache  wird  dies  erkliirlich  erscheinen  lassen.  Bei  den  Griec'hcn, 
cienen  wir  diese  systematische  Sprachbehandlung  verdanken,  und  deren 
Schopfung  das  ganze  Geriiste  und  Fachwerk  uiiserer  Grammatik,  ihre  ganze 
Terminologie  und  Methode  2)  ist,  hat  die  Sprachbetrachtung  nie  eine  selb- 
stiindige  Stellung  eingenommen;  einerseits  diente  sie  der  Schriftsteller- 
auslegung;  anderseits  lag  es  ihr  ob,  den  richtigen  Gebrauch  der  Sprache  zu 
lehren  und  zu  erhalten.  Auch  das  Mittelalter,  dem  die  Hauptergebnisse  der 
Griechen  durch  romische  Ehetoriker  vermittelt  wurden,  brachte  in  der 
Sprachbetrachtung  keinen  Fortschritt.  Ebensowenig  ging  dem  Humanis- 
inus  ein  Licht  liber  das  geschichtliche  Werden  und  das  eigentliche  Wesen 
der  Sprache  auf;  eher  noch  konnte  man  fiir  diese  Zeit  von  einem  tatsiieh- 
lichen  Riickschritt  sprechen.  Frisch  und  frcihlich  hatte  sich  das  mittel- 
alterliche  Latein  in  mehr  als  tausendjiihrigem  Gebrauch  immer  weiter  von 
demMuster  der  goldenen  Latinitat  entfernt;  das  lag  im  Wesen  der  Sache, 
uiid  wenn  Cicero  und  Ciisar  hundertmal  die  Hande  iiber  dem  Kopfe  zu- 
sammengeschlagen  hiitten.  Mit  volliger  Verkennung  aller  Gesetzc  der 
Sprachentwickelung  aber  erweckte  der  Humanismus  das  ciceronia7iische 


1)  Steinthal,  Geschichte  der  Sprachwissenschaft  bei  den  Griechen  und 
Eomern,  Berlin  1863,  S.  709. 

2)  Steinthal,  ebenda;  und  Eies,  Was  ist  Syntax?  Marburg  1894,  S.  7. 


Zur  gesei^gebenden  Grammatik.  79 

Latein  zu  kiinstlichem  Lebcn  und  machte  ebcn  dadurch  das  Lateinische  zur 
toten  Sprache.  Dass  hierin  der  Humanismus  die  Sache  der  deutschen  Ge- 
meinsprache  miichtig  fordterte,  bleibt  sein  unbestrittenes,  wenn  auch 
hochst  unfreiwilliges  Verdienst;  ebenso  mag  beiliiufig  erwiihnt  werden,  dass 
die  Humanist-en  durch  ihre  strenge  Forderung,  alles,  was  lateinisch  abge- 
fasst  werden  sollte,  zuniichst  griindlich  durchzudenken  und  in  angemessene 
deutsche  Form  zu  bringen,  dem  Deutschen  —  freilich  wieder  auf  einem 
Umwege  —  gute  Dienste  leisteten.  Die  lateinische  Grammatik  jedoch  — 
und  um  diese  handelt  es  sich  vorerst — musstte  durch  den  gewaltsamen  Ein- 
griff  des  Humanismus  in  die  Ehtwicklung  des  Lateinischen  vorwiegend  eine 
Sammlung  von  Regeln  zur  Erlernung  eines  guten  lateinischen  Stils  werden. 
Dies  um  so  mehr,  je  weniger  in  den  folgenden  Jahrhunderten  das  Lateini- 
sche ziir  praktischen  Verwendung  kam.  Iminer  dringender  stellte  sich  die 
Notwendigkeit  hcraus,  vom  Standpunkte  der  Muttersprache  aus  ver- 
gleichungsweise  vorzugehen.  Umgekehrt  iibertrug  man  dieses  nicht  am 
Forschungsgegenstande  selbst  gewonnene  System  der  lateinischen  Gram- 
matik, in  der  man  nach  wie  vor  eine  Idealgrammatik  erblickte,  auf  die  Mut- 
tersprache sowie  auf  andere  Idiome,  was  das  Missverhiiltnis  noch  ver- 
schlimmerte.  Nicht  nur  die  wissenschaftliche  Behandlung  der  lateinischen 
Grammatik  musste  darunter  leiden,  sondern  die  wissenschaftliche  Behand- 
lung  der  Grammatik  iiberhaupt;  das  hat  fur  ein  besonderes  Kapitel  Ries 
in  dem  angefiihrten  Buche  anschaulich  bewiesen. 

Ob  den  Humanismus  ausser  dem  moglichen  Vorwurf,  dass  gerade  er 
durch  die  gekennzeichnete  Art  der  Sprachbetrachtung  die  wissenschaft- 
liche Sprachforschung  auf  geschichtlicher  Grundlage  verzogert  habe,  ob 
ihn  nicht  der  noch  schwerere  Vorwurf  trifft,  in  sprachlichen  Dingen  dem 
Geiste  der  Unduldsamkeit  und  Rechthaberei  —  einer  ohnehin  echt 
deutschen  Untugend!  —  betrachtlieh  Vorschub  geleistet  zu  haben?  Fast 
will  es  so  scheinen.  Fur  die  lateinische  Schulgrammatik  gab  es  seit  dem 
Humanismus  iiber  Cicero  hinaus  nur  Verfall  und  Entartung;  ihr  war  zum 
mindesten  verdiichtig,  was  sich  nicht  aus  seinen  Schriften  belegon  Hess. 
Man  gewohnte  sich  daran,  in  der  Grammatik  ein  Gesetzbuch  zu  sehen, 
dessen  Vorschriften  bindend  waren  wie  die  Paragraphen  des  romischen 
Rechts  und  der  hochnotpeinlichen  Halsgerichtsordnung.  Und  so  hat  es 
denn  auch  von  jeher  nicht  an  Grammatikern  des  Deutschen  gefehlt,  denon 
nach  solchem  Muster  alle  Abweichungen  von  ihrem  tngem-.u  Standuunkt, 
die  Kulturfortschritte  oder  landschaftliche  Besonderhcitcn  hervorgerufen 
hatten,  ein  fluch-  und  strafwiirdiger  Greuel  schienen.  Nun  konnte  man 
aber  doch  solchen  Sprachfrevlern  nicht  mit  Strang  und  Had  und  Schwert 
zu  Leibe.  Also  hiess  es  sie  im  Gewittersturme  donneinder  Machtspriiche 
abtun.  Das  half  freilich  auch  nicht  viel;  im  Gegenteil,  der  Fre.vler,  die  solch 
Schauspiel  hochlich  belustigte,  wurden  inimer  mehr.  A'ocr  \voljl  tat  es  doch, 
so  mit  dem  Wetterstrahl  einherfahren  zu  diirfen;  nnJ  iibte  man  sicJi  imch 
vergeblich  an  Eichen  und  Bergeshohn,  so  gewiihrte  immerhin  das  KSpfen 
von  Disteln  eine  gewisse  aumutige  Befriedigung. 

Nun  lege  man  aber  das  hier  Gesagte  ja  nicht  dahin  aus,  als  sollo  es  der 
gesctzgebenden  Grammatik  an  und  fiir  sich  alle  Daseinsberechtigung 
absprechen  und  die  ganze  deutsche  Grammatik  vor  Grimm  in  Bausch  und 
Bogen  verurteilen.  Das  ware  vollig  verkehrt,  ungerecht  und  unwissen- 
schaftlich.  Erst«ns  ist  die  gesetzgebende  Grammatik  durchaus  notwendig, 
sie  ist  das  jederzeit  gewesen,  sie  ist  es  fceute  so  sehr  wie  nur  je.  Zweitens 


80  Padagogische  Monatshefte. 

hat  trotz  alien  Fehlern  und  Mangeln  die  praktische  Sprachbetrachtung  des 
16.,  17.  imd  18.  Jahrhunderts  sehr  achtungswerte  Ergebnisse  hervorge- 
bracht,  und  ,,5hr  gebiihrt  ein  ganz  wesentlicher  Anteil  an  tier  Festsetzung 
und  Ausbreitung  unserer  Gemeinsprache".  3)  Nur  muss  sich  die  gesetz- 
gebende  Grammatik  ihrer  Grenzen  stets  bewusst  bleibeii  und  nie  vergessen, 
dass  sie  nur  auf  dem  Boden  der  Ergebnisse  geschichtlicher  Sprachforsch- 
ung  Gedeihliches  leisten  kann.  Umgekehrt  ist  ja  die  historische  Grammatik 
aus  der  alteren,  praktischen  und  beschreibenden,  hervorgegangen,  inclem 
man  die  praktischen  Grammatiken  verschiedener  Zeitalter  verglich —  wobei 
natiirlich  fiir  Zeitalter,  denen  es  an  einer  Grammatik  noch  fehlte,  eine 
solche  erst  aus  den  vorhandenen  schriftlichen  Denkmalem  hergestellt  wer- 
den  rnusste,  —  und  aus  den  so  erkannten  Unterschieden  die  Veriinderungen 
der  Sprache  aufzeigte.4) 

Die  ersten  deutschen  Grammatiken,  die  den  Xamen  verdienen  und  nicht 
schlechtweg  Orthographiebiicher  sind,  die  des  Laurent ius  Albertus  (1573) 
und  die  des  Albert  Oelinger  (1574),  folgen  in  der  Behandlung  der  Sprache 
durchweg  der  lateinischen  Grammatik.  Dieser  entnahmen  sie  auch  die 
streng  loglschen  Abhangigkeitsverhiiltnisse  der  Satzglieder  und  des  Satz- 
baus  im  Lateinischen,  und  mit  dem  aberglaubischen  Respekt,  den  man  nun 
einmal  vor  dieser  Sprache  hatte,  iibertrugen  sie  die  ganze  lateinische 
Sprachlogik  und  noch  alles  mogliche  Andere  auf  das  Deutsche,  ohne  sich 
iange  zu  fragen,  was  der  Muttersprache  gemass  sei  und  was  nicht.  So 
erlangte  das  Lateinische  wiederum  wie  einst  in  althochdeutscher  Zeit  tief- 
gehenden  Einfluss  auf  die  Gestaltung  des  Deutschen.  Nur  war  dieser  Ein- 
fluss  jetzt  nicht  mehr  so  berechtigt  als  in  jener  friiheren  Periode;  denn 
die  Prosa  der  althochdeutschen  Zeit  war  grosstenteils  Ubersetzung  aus  dem 
Lateinischen;  und  es  gab  wenig  rein  deutsche  Prosadenkmaler,  die  allge- 
mein  hiitten  mustergiiltig  werden  konnen;  so  ist  die  unmittelbare  Nach- 
ahmung  lateinischer  Fiigungen  im  Althochdeutschen  mindestens  erkliirlich 
und  kaum  der  den  Deutschen  von  jeher  anhaftenden  Auslanderei  zuzu- 
schieben.  Zur  Zeit  des  Humanismus  jedoch  hatte  sich  das  Deutsche  schon 
Jiingst  von  allem  Einflusse  des  Lateinischen  freigemacht;  neben  einer  blii- 
henden  Dichtung  war  in  mittelhochdeutscher  Zeit  eine  Prosa  mit  kuiistvol- 
lem  und  doch  hochst  iibersichtlichern  Satzbau  erstanden,  die  auf  dem 
besten  Wege  war,  an  Glatte  und  Geschmeidigkeit  mit  der  altisliindischen 
Prosa  zu  wetteifern.  Nun  bewirkte  das  lateinische  \7orbild  wiederum  die 
Einfiihrung  gewisser  lateinischer  Fiigungen  und  die  ausgesprochene  Be- 
vorzugung  der  Fiigung,  die  bei  der  Moglichkeit  einer  Wahl  zwischen  meh- 
reren  der  lateinischen  Bedeweise  am  nachsten  stand.5)  Dieser  Einfluss  des 
Lateinischen  hatte  fiir  das  Deutsche  unheilvoll  werden  konnen  und  miissen, 
wenn  er  sich  zu  halten  und  ins  echt  volkstiimliche  Schrifttum  ebenso  stark 
einzudringen  vermocht  hiitte  als  in  die  Schriften  der  Gelehrten,  als  diese 
endlich  wieder  in  deutscher  Sprache  zu  schreiben  begannen.  Doch  ist  es 
zum  wenigsten  sehr  zweifelhaft,  ob  der  Satzbau  einer  Fremdsprache  und 


3)  H.  Paul,  Die  Bedeutung  der  deutschen  Philologie  fiir  das  Leben  der 
Gegenwart,  Miinchen  1897,  S.  5. 

4)  Vergl.  Otto  Lyon,  Historische  und  gesetzgebende  Grammatik   (Pro- 
gramm  der  Annenschule  zu  Dresden-Altstiadt),  Dresden  1890,  S.  11. 

5)  Vgl.   Otto  Behaghel,  Die  deutsche   Sprache,  zweite  Auflage,  Leipzig 
1902,  S.  29. 


Zur  geset^gebenden  Grammatik.  gl 

dazu  einer  toten  unter  normalen  Umstiinden  je  den  Satzbau  eines  lebens- 
kraftigen  Idioms  auf  die  Dauer  beeinflussen  konnte,  wenn  nicht  sehon  die 
innere  Sprachform  bei  beiden  sich  sehr  nahestiinde.  Eine  starke  Neigung 
lange  Siitze  zu  Widen  und  die  innere  Einheit  einer  langeren  Gedankenreihe 
auch  ausserlich  zum  Ausdruck  zu  bringen,  eignet  der  deutschen  Sprache 
ohnehin  und  ist  nicht  auf  Rechnung  des  Lateinischen  zu  setzen.6)  Beson- 
ders  deutlich  zeigt  sich  dies  in  der  Sprache  der  Kanzlei  und  des  Rechtes; 
und  dass  das  keineswegs  eine  Laune  und  Marotte  des  Deutschen  ist,  ergibt 
sich  zur  Geniige  aus  den  ganz  analogen  Verhaltnissen  z.  B.  des  Englischen, 
dessen  Satzgliederung  doch  sonst  von  der  deutschen  erheblich  abweicht. 
Ganz  zu  leugnen  ist  aber  der  Einfluss  des  Lateinischen  in  dieser  Hinsicht 
nicht;  auch  wiire  es  ein  Wunder,  wenn  bei  der  grossen  Anzahl  der 
Deutschen,  die  sich  wahrend  der  letzten  Jahrhunderte  ihre  Bildung  vom 
Gymnasium  geholt  haben,  das  Lateinische,  rein  sprachlich  betrachtet,  vollig 
spurlos  geblieben  wiire. 

Auch  in  der  nachsten  deutschen  Grammatik,  der  des  Johannes  Clajus 
(1578),  wirkte  das  Latein  des  Humanismus  vorbildlich,  wenn  auch  in  anderm 
Sinne.  Wie  der  Humanismus  Cicero  in  Permanenz  als  sprachliches  Muster 
aufgestellt  hatte,  so  fiel  fur  Clajus  das  Deutsche  mit  dem  Deutsch  Luthers 
zusammen.  Diese  Wahl  des  Clajus  ging  nicht  von  denselben  Erwagungen 
aus,  von  denen  sich  ein  Germanist  unserer  Zeit  bei  der  Frage  nach  einem 
Sprachmuster  fiir  jene  Periode  leiten  liesse,  wenn  er  auch  annahernd  zum 
selben  Ergebnis  kommen  miisste.  Dann  aber  war  des  Clajus  Entscheidung 
nicht  willkiirlich  noch  ganz  unter  dem  Eindruck  der  machtigen  Personlich- 
keit  des  Reformators  getroffen.  Mit  andern  Worten,  Luther  war  tatsach- 
lich  der  Mittelpunkt  der  Entwicklung  der  deutschen  Gemeinsprache  in  der 
zweiten  Halfte  des  sechzehnten  Jahrhunderts.  Fiir  diese  Gemeinsprache 
konnte  Luther  zu  keiner  geeigneteren  Zeit  auftreten;  und  wenn  ihm  nuo  , 
heute  kein  Einsichtiger  mehr  die  Schopfung  und  die  Einigung  der  deutschen 
Schriftsprache  zuschreibt,  —  ihre  Anfiinge  liegen  viel  weiter  zuriick,  ihre 
Einigung  ist  im  wesentilichen  ein  Werk  des  ausgehenden  achtzehnten  Jahr- 
hunderts und  ist  heute  noch  nicht  abgeschlossen,  —  so  ist  es  doeh  unbe- 
streitbar,  dass  sie  durch  ihn  die  kraftvollste  Forderung  erfahren  hat.  Dar^ 
Ronnte  sie  aber  nur,  weil  Luther  auf  dem  Boden  der  einer  gemein- 
*amen  deutschen  Schriftsprache  am  nachsten  kommenden,  mitteldeutschen 
kursachsischen  Kanzleisprache  mit  Bewusstsein  weiterbaute  und  sich  in 
Wortwahl  und  Satzbau  an  die  Volkssprache  anschloss.7) 

Bei  richtiger  Auslegung  der  Griinde,  warum  gerade  Luthers  Sprache  als 
Muster  fiir  das  Gemeindeutsche  gelten  konnte,  hatte  schon  das  ausgehende 
sechzehnte  Jahrhundert  die  Grundsatze  entwickeln  konnen,  wonach  sioh  die 


6)  Vgl.  Behaghel,  ebenda,  S.  47;  und  F.  N.  Fink,  Der  deutsche  Sprach- 
bau  als  Ausdruck  deutscher  Weltanschauung,  Marburg  1900. 

7)  Es  mag  hier  beiliiung  erwahnt  werden,  dass  wegen  der  vielen  jetzt 
vollig  veralteten,  uns  nur  aus  der  Lutherischen  Bibeliibersetzung  oder  der 
alteren  Dichtung  bekannten   Worter,  Wortformen   und   Wortfiigungen   die 
Sprache  in  Luthers  Bibel,  die  ja  zum  Volksbuch  bestimmt  war,  auf  uns 
heute  einen  wesentlich  andern  Eindruck  macht,  als  sie  auf  Luthers  Zeit- 
genossen  machen  musste  und  sollte.     Um  denselben  Eindruck  auf  uns  her- 
vorzurufen,  ware  es  notwendig,  die  Bibel  in  die  heutige  Volkssprache  um- 
zusetzen. 


82  Padagogiscbe  Monatshefte. 

Abfassung  jeder  gesetzgebendcn  Grammatik  gestalten  irniss:  ihre  Regeln 
und  Forderungen  miissen  sich  griinden  auf  den  allgemeinen  Sprachge- 
brauch,  wie  er  sich  besonders  bei  den  hervorragendsten  Schrif  tstellern  der 
betreffenden  Zeit,  und  auf  das  Sprachgef  iihl,  wie  es  sich  vorwiegend  in  der 
Umgangsprache  der  hoheren  Kreise  kundgibt,  wtihrend  im  Zweifelsfalle 
die  Sprachgeschichte,  der  Gebrauch  der  besten  Dichter  und  Schriftsteller 
der  unmittelbar  vorhergehenden  Zeitalter  und  ein  auf  die  geschichtliche 
Entwickelung  der  Sprache  gegriindeter  gesunder  Geschinack  den  Ausschlag 
geben  miissen. 

Die  hier  genannten  Erfordernisse,  deren  relative  Wichtigkeit  durch  die 
gegebene  Eeihenfolge  angedeutet  1st,  bediirfen  nsiherer  Erklarung  und  Be- 
griindung. 

Vornehmste  Eichtschnur  und  Regel  fur  jede  praktische  Grammatik  ist 
der  lebende  Sprachgebrauch.  Zwischen  Sprachgebrauch  und  Sprachrichtig- 
keitj  scheiden  zu  wollen  ist  trotz  Andresens  so  betiteltem  Buche  verlorene 
Liebesmiih;  was'eine  Sprachgemeinschaft  einmal  anerkannt  und  angenom- 
men  hat,  das  hat  kein  Grammatiker  das  Recht  als  fehlerhaft  zu  brand- 
marken.  8)  Was  oft  so  Sprachrichtigkeit  genannt  wird,  ist  welter  nichts 
als  der  Sprachgebrauch  eines  dahingegangenen  Geschlechtes.  \Vie  alle  Er- 
zeugnisse  der  Volkerpsychologie,  so  steht  aber  auch  die  Sprache  in  ihrer 
Entwicklung  nie  still;  und  deshalb  gibt  es  bei  ihr  keine  Zeiten  des  reinen 
Verfalls  und  keine  Zeiten  des  reinen  Aufbaus:  Verfall  und  Aufbau  gehen 
bestandig  neben  einander  her  oder  decken  sich  grosstenteils.  Die  Sprache 
von  gestern  ist  tot,  so  wie  die  tot  sind,  die  sie  gesprochen  haben;  keine 
Macht  der  Erde  wird  sie  wieder  zum  Leben  erwecken,  —  denken  wir  ihrer 
in  Ehrfurcht,  aber  ohne  Klage,  und  lassen  wir  die  Toten  ihre  Toten  begra- 
ben;  das  Leben  ist  bei  den  Lebendigen.  Auch  die  Sprache  von  heute  geht 
dahin,  wie  der  Tag  vergeht,  und  keines  Josua  Gebet  wird  ihre  Sonne  und 
ihren  Mond  stillstehen  heissen.  Und  indem  sie  stirbt,  iibergibt  sie,  was  von 
ihr  lebensfahig  und  keimkraftig  ist,  der  Sprache  von  morgcn. 

Im  objektiven  Sprachgebrauch  liegt  schon  an  sich  die  Allgemeiugiiltig- 
keit.  Festzustellen  ist  er  also  an  moglichst  vielseitigen  Ausserungen  der 
Sprachttitigkeit.  Dahin  gehort  bei  der  lebenden  Sprache  vor  allem  als 
Ausgangspunkt  die  Unigangsprache,  die  wichtigste  Seite  des  Sprachlebens, 
und  zwar  sowohl  in  gewiihlter  als  in  vertraulicher  Form.  Zu  beobachten 
ist  die  Umgangsprache,  erstens  im  taglichen  miindlichen  Yerkehr,  was 
natiirlich  nur  fur  die  Gegenwart  gelten  kann;  zweitens  im  Briefe,  dessen 
Sprache  vorwiegend  geschriebene  Umgangsprache  ist;  drittens  im  ernsten 
Prosadrama  und  hoheren  Lustspiel  zeitgenossischer  Schriftsteller  sowie  im 
Dialog  des  Romans.  Die  beiden  letzten  Punkte  miissen  fur  vergangene 
Sprachperioden  den  notigen  Aufschluss  gewiihren,  da  dann  der  erste  ver- 
sagt.  Sodann  sind  erziihlende,  beschreibende,  rednerische  und  wissen- 
schaftliche  Prosa,  einschliesslich  der  besten  Zeitschriften  und  Zeitungen, 
und  endlich  Dichtungen  in  gebundener  Sprache  zu  untersuchen.  Was  sich 
bei  all  diesen  Gruppen  vorfindet,  ist  allgemeiner  Sprachgebrauch;  findet 
sich  eine  Erscheinung  nur  in  der  einen  oder  der  anderen  oder  zweien  der 
Gruppen,  so  erwartet  man  dariiber  in  einer  praktischen  Grammatik  zuver- 
liissige  Angaben. 

Fur  jedes  Zeitalter  muss  die  gesetzgebende  Grammatik  neu  geschrieben 
werden.    Das  ergibt  sich  zur  Geniige  schon  aus  dem  Vorhergehenden. 

8)  Vgl.  Lyon,  a.  a.  O.,  S.  17.  .   :   ': 


Zur  gesct^ge:enden  Gmmmatik.  83 

Das  Sprachgefiihl  beobachtet  man  ain  sichersten  wieder  an  der  Urn- 
grangssprache.  Da  diese  zwischen  Schriftsprache  und  Mundart  die  Mitte 
halt,  indem  sie  sich  abg-esehen  von  mundartlicher  Farbung  in  Lautstand  und 
Wortformen  an  die  geschriebene  Sprache,  in  Wortschatz  und  Wortfiigung 
hauptsiichlich  an  die  Mundart  anschliesst,  so  gerat  der  kriiftigste  Jung- 
brunnen  dcs  Deutschen,  der  Dialekt,  wohl  schwerlieh  in  Gefahr  verschiittet 
zu  werdcn.9) 

Wo  Sprachgebrauch  und  natiirliches  Sprachgefiihl  zur  sicheren  Ent- 
scheidung  nicht  ausreichen,  also  in  zweifelhaften  Fiillcn,  ist  die  Sprachge- 
schichte  zum  Vergleich  heranzuziehen.  Bietet  diese  deutliche  Parallelen,  so 
ist  die  fraglichc  Erscheinung  nicht  zu  beanstandeu.  Dies  ist  besonders 
v.ichtig,  wenn  eiiie  Wendung  nur  bei  einem  Einzelnen  belegt  werden  kann; 
denn  ,,gerade  in  sprachlichen  Ding?n  kann  oft  der  Einzelne  mehr  bedeuten 
als  erne  tausendkopfige  Menge,  und  r.m  allerwenigsteii  liisst  sich  hier  nacli 
Majoritsiten  entscheiden."10)  Wegen  dieser  Aufgabe  der  Sprachgeschiehte 
ist  es  aber  auch  unerlasslich,  dass  sich  die  gesetzgebende  Grammatik  je- 
weils  die  Ergebnisse  und  Fortschritte  der  Sprachwissenschaft  grundlich 
zu  eigen  mache.  Sonst  entbehren  ihre  Aufstellungen  der  einzig  sicheren 
Grundlage  und  tragen  den  Karaktcr  der  Launenhaftigkeit  und  ^illkiir. 

Dass  auch  der  Sprachgebrauch  der  Klassikcr,  v.-ofcrn  er  nur  dem  hen- 
iigen  nicht  zuwiderliiiift,  —  aber  auch  nur  dann,  —  zur  Entschcidung  her- 
beigezogen  werden  kann,  bedarf  keiner  besondercn  Eechtfertigung. 

Mit  der  Forderung,  in  der  praktischen  Grammatik  auch  dem  Geschmack 
eine  Stimme  einzuraumen,  verlassen  wir  eigentlich  schon  das  Gebiet 
der  Grammatik  und  begeben  uns  in  das  Gebiet  des  Stils,  wo  uns  Dexitscheii 
im  allgemeinen  nicht  so  sonderlich  wohl  ist,  da  wir  nicht  den  festen  Boden 
unbedingter  Objektivitat  unter  den  Fiissen  haben.  In  Fragen  den  Stils  sind 
die  Romanen  und  vor  alien  die  Franzosen  ganz  anders  zu  Hause.  1m 
Deutschen,  das  fiir  jeden  Gedanken  eine  ungemeine  Fiille  von  Ausdrucks- 
mitteln,  fiir  jede  Schattierung  zahllose  Halb-  und  Viertclsfarben  zur  Ver- 
fiigung  hat,  braueht  sich  keiii  Schriftsteller  um  seinen  individtieilen  Stil 
abzuiniihen,  solange  er  nur  Jiidividualitht  hat.  Der  niehr  aufs  Aligemeinc 
gerichlete,  mehr  unpersonliche  Franzose  aber  hat  es  infolgc  der  fest- 
stehendeii  Form  seiner  Sprache  viel  leichter,  sich  den  objektiven  Sprach- 
slil  anzueignen.ll) 

Und  dann  ist  der  asthetische  Sinn  der  Deutschen  in  sprachlichen  Din- 
tren  in  der  langen  Zeit,  da  das  Deutsche  unter  fremder  Zucht  stand,  sehr 
abgestumpft  worden.  Zurn  Gliick  sind  die  Falle,  bei  deren  Entscheidung 
man  sich  einzig  auf  das  Stilgefiihl  verlassen  muss,  verschwindencl  gering. 
Wenn  sie  aber  vorkommen,  dann  werden  den,  der  sich  an  die  Abfassung 
einer  gesetzgebenden  Grammatik  macht,  seine  Vorarbeiten  zu  dor  ganzen 
Aufgabe  auch  instandsetzen,  in  Stilfragen  sein  eigenes  Urteil  haben  zu 
diirfen. 

Der  Erste,  der  dem  herrschenden  Sprachgebrauch  sein  voiles  Eecht 
cinriiumte,  war  der  Berliner  Rektor  Johann  Bodiker;  in  seinen  ,,Grund- 

9)  Vgl.  Goethes  Wort:  ,,Der  Dialekt  ist  doch  eigentlich  das  Element,  in 
wek'hem  die  Seele  ihren  Atem  scliopft." 

10)  Lyon,  a.  a.  O.,  S.  19. 

13)  Vgl.  Hans  Meyer,  Das  deulsrhe  Volkstum,  Leipzig  und  Wien  1889, 
S.  29 


84  Pddagogische  Monatshefte. 

satzen  der  deutschen  Sprache"  (1690)  verlangt  er,  dass  die  Grammatik  den 
Sprachgebrauch  im  Zusammenhange  behandle;  als  Spraclimuster  nennt  er 
eine  Reihe  zeitgenossischer  Schriftsteller,  daneben  auch  noch  Luther.  Die 
Ansicht,  dass  die  Schriftsprache  (oder,  wie  sie  damals  oft  genannt  wurde, 
hochdeutsche  Mundart)  von  den  Gebildeten  als  Umgangspraehe  angenoni- 
men  werden  miisse,  hatte  gegen  Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  viele 
Anhanger  gewonnen.  Die  bestehende  Schriftsprache  aber  griindete  sich 
seit  Luthers  Zeit  auf  das  Kursachsische,  die  ,,Meissner  Mundart",  und  die 
Meissner  standen  trotz  dem  energischen  Einspruch  des  grossen  J.  G.  Schot- 
tel  (Schottelius)  in  seiner  ,,Ausfiihrlichen  Arbeit  von  der  teutschen  Haupt- 
sprache"  (Braunschweig  1663)  lange  im  Rufe,  das  schonste  Deutsch  zu 
sprechen,  worauf  sie  sich  nicht  wenig  zu  gut«  taten.12)  Gestiitzt  wurde  die 
herrschende  Ansicht  noch  im  achtzehnten  Jahrhundert  durch  Gottsched, 
der  in  seiner  ,,Grundlegung  einer  deutschen  Sprachkunst'*  (Leipzig  1748) 
vom  Meissner  Deutsch  (von  ihm  und  Adelung  als  ,,obersachsische  Mundart" 
bezeichnet)  ausging,  und  durch  J.  Chr.  Adelung,  der  auf  das  Deutsche 
starkeren  Einfluss  ausgeiibt  hat  als  je  ein  Einzelner  vor  oder  nach  ihm. 
(Lehrbuch  der  deutschen  Sprache  1782;  versuch  eines  vollstandigen  gram- 
matisch-kritischen  Worterbuchs  der  hochdeutschen  Mundart,  4  Bande, 
1774 — 1780).  Wahrend  Gottschel  noch  den  Schlesier  Opitz  an  Stelle  Luthers, 
dessen  Sprache  durchweg  veraltet  sei,  als  Sprachmuster  empfohlen  hatte, 
stellte  Adelung  die  lebende  Umgangspraehe  Obersachsens  sogar  iiber  den 
Sprachgebrauch  zeitgenossischer  Schriftsteller.  Und  in  Adelungs  Bann- 
kreis  gerieth  trotz  anfanglicher  Ablehnung  und  trotz  den  energischen  Pro- 
testen  Bodmers  selbst  die  klassische  Dichtung,  besonders  Schiller.  In  der 
Schreibweise  und  der  Formenlehre  hat  tatsachlich  Adelung  die  Einigung 
der  Schriftsprache  vollzogen;  in  diesen  Punkten  sind  wir  heute  noch  kaum 
iiber  ihn  hinausgekommen,  wie  iiberhaupt  unsere  praktische  Grammatik 
noch  im  ganzen  die  Gottscheds  und  Adelungs  ist.  Wer  sich  heute  auf  sein 
Sprachgefiihl  verlasst,  spricht  und  schreibt  nach  den  Regeln  in  den  Wer- 
ken  Adelungs  und  der  beiden  Heyse,  selbst  wenn  er  sie  nie  gesehen  hat. 13) 
Nun  trat  im  Jahre  1819  Jakob  Grimm  mit  dem  ersten  Bande  seiner 
Deutschen  Grammatik  auf  den  Plan,  die  die  wissenschaftliche  Sprachbe- 
trachtung  von  Grund  aus  umgestaltete.  Grimms  Werk  lehnte  von  vorn- 
herein  jeden  praktischen  Zweck  ab;  und  durch  die  Irrgange  der  gesetz- 
gebenden  Grammatik  abgestossen,  warf  er  diese  vollig  beiseite  und  erklarte 
in  der  Vorrede  seines  Werkes,  jeder  Deutsche  diirfe  sich  eine  selbsteigene 
lebendige  Grammatik  nennen  und  brauche  sich  nach  keinerlei  Sprach- 
meisterregeln  zu  richten.  Diese  schroffe  Ablehnung  der  gesetzgebenden 
Grammatik  vertragt  sich  aber  keineswegs  mit  unsern  heutigen  Anschau- 
ungen.  Freilich  kennt  die  historische  Grammatik  keine  Sprachfehler,  und 
jede  Ausserung  der  Sprachtiitigkeit,  einerlei  welcher  Gestalt,  ist  ihr  gleich- 
•\villkommen  als  Material,  woran  sie  die  Gesetze  der  Sprachentwickelung 
aufsucht  und  beobachtet.  Nun  ist  aber  der  oberste  Zweck  der  Sprache,  der 


12)  Nach   dem   beriihmten   Satze    ,,Mir   Sachsen    sprechen     das   reenste 
Deitsch"  diirfte  diese  Anschauung  heute  noch  nicht  ausgestorben  sein,  wie 
ja  auch  der  alte  Aberglaube,  die  hannoverische  Ausprache  des  Deutschen 
sei  durchaus  vollkommen,  immer  noch  in  Hannover  den  begeistertsten  An- 
hang  findet. 

13)  Vgl.  Lyon,  a.  a.  O.,  S.  8—12. 


Zur  gesetzgebenden  Orammatik.  85 

sich  im  Laufe  der  Zeit  immer  starker  herausgebildet  hat,  Mitteilung  und 
Verstandigung.  Ob  die  Sprache  diesem  Zweck  vollkommen  geniigt,  und  ob 
tie  ihm  iiberhaupt  geniigen  kann,  bleibt  sich  gleich;  der  Zweck  ist  einmal 
da,  und  ihm  hat  sich  der  Einzelne  zu  fiigen,  wenn  auch  nach  der  Ansicht 
einiger  Sprachforscher  jeder  Einzelne  eine  Sprachinsel  fiir  sich  bildet. 
Gegen  diesen  Zweck  der  Verstandigung  jedoch  verstossen  die  Sprachfehler 
des  Einzelnen;  ja,  im  eigentlichen  Sinne  werden  solche  Erscheinungen  erst 
zu  Sprachfehlern  infolge  ihres  Mangels  an  Verstandlichkeit.  Der  Einzelne 
wird  nun  schon  von  selbst  sich  dem  Ganzen  anzupassen  suchen.  Wo  aber 
Schwankungen  und  Unsicherheiten  einzureissen  drohen,  hat  die  Sprachge- 
meinschaft  das  gute  Recht,  regelnd  einzugreifen;  am  allerineisten,  wenn. 
jeder  Sprachstumper  es  wagen  darf,  sich  mit  einer  verkehrten  Anschauung 
des  grossen  Grimm  schirmen  zu  wollen,  die  dieser  heute  ganz  gewiss  nicht 
mehr  aussprechen  wiirde. 

Ganz  offenkundig  besteht  das  Bediirfnis  nach  einer  gesetzgebenden 
Grammatik  im  Deutschen,  und  zwar,  abgesehen  von  jedem  anderen  Grunde, 
schon  um  die  Einigung  der  Gemeinsprache  riistig  zu  fordern.  Daran  haben 
Jahrhunderte  gearbeitet,  und  doch  ist  die  Einigung  noch  lange  nicht  voll- 
kommen. Ob  sie  jemals  erreicht  werden  kann,  ist  zum  mindesten  zweifel- 
haft;  und  noch  zweifelhafter  ist  es,  ob  eine  vollstandige  Einigung  wtin- 
schenswert  ware.  Man  darf  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  einige  der 
Krafte  (wie  mundartliche  Unterschiede),  die,  wenn  nicht  durch  starke  Ge- 
genstromungen  verhindert,  die  Gemeinsprache  iiber  kurz  oder  lang  zer- 
setzen  mussten,  zugleich  unermiidlich  der  Sprache  neue,  kraftige  Nahrung 
an  Wortschatz  und  syntaktischen  Ausdrucksmitteln  zufiihren.  Doch  diese 
Vorteile  konnen  dem  Deutschen  voll  erhalten  bleiben,  ohne  den  Dis- 
integrationstendenzen  das  Feld  zu  iiberlassen.  Bewirkt  werden  kann  dies 
jedoch  nur  durch  eine  neue  praktische  Grammatik  auf  streng  geschicht- 
licher  Grundlage  in  dem  schon  oben  besprochenen  Sinne.  Eine  neue;  denn 
in  das  Heysische  Werk  sind  zwar  die  Ergebnisse  der  geschichtlichen 
Forschung  mit  anerkennenswertem  Geschick  und  Fleiss  hineingearbeitet 
worden,  aber  verlangt  wird  von  dem  verdienstvollen  Bearbeiter  selbst,  Dr. 
Lyon,  eine  vollige  Umgestaltung  der  praktischen  Grammatik  auf  Grund 
der  historischen. 

Diese  Forderung  enthalt  zugleich  auch  die  Angabe,  wessen  Pflicht  es 
ist,  dem  Bediirfnis  nach  einer  gesetzgebenden  Grammatik  entgegenzukom- 
men.  Die  Allgemeinheit  hat  ein  Recht,  das  von  den  Vertretern  der 
deutschen  Sprachwissenschaft  an  den  Universitaten  zu  erwarten.14)  Denn 
ebensowenig  wie  jede  andere  Wissenschaft  ist  die  Sprachwissenschaft  nur 
um  ihrer  selbst  willen  da;  und  keiner  Wissenschaft  tut  es  an  ihrer  Wiirde 
Eintrag,  sich  sehr  ernstlich  darum  zu  kummern,  welche  Dienste  sie  der 
Allgemeinheit  leiste.  Sie  kann  darum  doch  die  hohe,  die  himmlische  Gottin 
bleiben  und  braucht  keineswegs  zu  der  beriihmten  milchenden  Kuh  zu 
werden.  Hinter  dem  geflissentlichen  Meiden  aller  Fiihlung  mit  dem  Leben 
versteckt  sich  leicht  ,,das  Unvermogen  einer  unfruchtbaren  Gelehrsamkeit, 
oder  aber  eitle  Lust  an  dem  zwecklosen  Spiele  des  eigenen  Scharfsinnes,  die 
beide  gleich  weit  entfernt  von  wahrer  Wissenschaftlichkeit  sind."15)  — 

14)  Vgl.  auch  H.  C.  G.  von  Jagemann,  Philology  and  Purism.    Publ.  of 
the  Mod.  Langg.  Ass.  of  Amer.,  vol  XV. 

15)  Paul,  a.  a.  O.,  S.  3—4. 


86  Padagogiscbe  Monatshefte. 

,,Wissenschaft  und  Praxis  stehen  vollkommen  gleichberechtigt  nebenem- 
ander.  Ja,  die  Wissenschaft  gewinnt  ihren  wirklichen  Wert  nur  erst  dxirch 
eine  Yerwertung  ihrer  Ergebnisse  im  Leben.  Und  eine  Wissenschaft,  die 
sich  vom  Leben  trennt,  erstarrt  in  totcn  Fornien  und  wird  zu  einer  un- 
fruchtbaren  Scholastik."lG)  Wie  unheilvoll  und  verwerilich  anderseits  die 
Praxis  wird,  wenn  sie  losgelost  von  der  Wissenschaft  und  im  trotzigen  Ge- 
gensatz  zu  ihr  eigene  Wege  zu  gehen  versucht,  zeigt  Lyon  schlagend  an 
dem  Beispiel  des  alten  Daniel  Sanders,  desseii  Bienenfleiss  eine  hundert- 
fliltig  reichere  Ernte  erlangt  haben  miisste,  wenn  er  nicht  in  seiner  Verbit- 
terung  es  verschmsiht  hatte,  sich  durch  das  Studium  der  Sprachgeschichte 
zu  mehr  als  lediglich  zum  Stoffsaminler  auszubilden.17) 

Den  besten  Beweis  aber  fiir  das  Bestehen  des  Bediirfnisses  bestimmter 
F.prachlicher  Belehrung  liefert  der  Erfolg  eines  Werkes,  das  in  den  letzten 
i-.wolf  Jahreii  von  sich  redon  gemacht  hat  wie  kein  zweites  auf  sprach- 
lichem  Gebiete,  und  das  in  seiner  neuen  Auflage  die  vorstehenden  Be-' 
incrkungen  xiber  die  gcsetzgebende  Gramrnatik  veranlasst  hat,  Wustmanns 
,,Spraehduromheiten".18)  . 


16)  Lyon,  a.  a.  O.,  S.  1. 

17)  Ebeuda,   S.   13.     Dass  Xietzsehes  Bezeichnung  ,,lland-  und   Schand- 
wo'rterbtich"  ungerecht  ist,  bcdarf  keines  Beweises. 

18)  Allerhand    Sprachdummheiten.      Kleine    deutsche    Gramma tik    des 
Zv/eifelhaften,   des  Falschen  und   des   Iliisslichen.     Ein  Hilfsbuch   fiir   allc 
die  sich  tiffentlich  der  deutschen  Sprache  bediencn,  von  Gustav  Wustmann. 
Dritte,  verbesserte  und  vcrmehrte  Ausgabe.     Leipzig,  F.  W.  Grunow,  1903. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Korre5pondenzen. 

(Far  die  Padagogischen  flonatshefte.) 


Cincinnati.  wollen,    indeni    es    allerlei    ,,Enthiil- 

Wie   ich   in   meinem  letzten  Briefe  lungen"    zum    Nachteile    des    Cincin- 

schon    betonte,   konzentriert   sich   in  natier  Systems     der  Wardvertretung 

den  Gesezesh  alien   unserer  mit  grossem  Gusto  zum  besten  gibt, 

guten     Hauptstadt     Colum-  AA'iihrend    anderseits    Cincinnati    sich 

bus  das  bisschen  Interesse,  welches  bemiiht,  die  sehr  bedeiitenden  J.Iehr- 

dieStaats-Solone    ,dem    auszuhecken-  kosten  des  als  schlecht  hingestellten 

den  Schulkodex  iiberhaupt  ent-  Clevelander      Unterrichtswesens      in 

geg-enbringen,  hauptsiichlich  auf  die  liebevoller      Beleuchtung      hervorzu- 

Schulbehorden  oder  -rate,  bezw.  deren  heben.  Ich  bin  der  unniassgeblichen 

Zu&ainmensetzung.        Jede      grossere  Meinung,  dass  die   gauze   Geschichte 

Staclt  im  Staate  empfielilt  ihre  gegen-  durch    diese    Norgeleien    geschiidigt 

•vvartig    bestehende    Einrichtung    als  und    zur    Hinschleppung     verdammt 

Suinnrum  der  Weisheit,  und  die  Leh-  v>'ird,  so  dass  vielleicht  eben  vor  dem 

rer    dort    petitionieren      zu    gunsten  Schlusse  der  Legislatursitzxmg  etwas 

derselben.     So  Cleveland  und  Toledo  ubereiltes    und    Halbfertiges    zutage 

fiir    kleine,    Cincinnati    ftir    grossere  gefo'rdert   und   flugs   per   Einhaltsbe- 

Schulrathe.    Wie  gewohnlich  fehlt  es  fehl  in  die  Ecke  gestellt  werden  wird 

dabei  nicht  an  Liebenswiirdigkeiten,  nach  dem  Motto:   Was  hilft   das  Ge- 

die       man       sich      nach      beriihmten  setz,     wenn     es    nicht     umgestossen 

Mustern  in  der  Presse  nn  die  gegen-  wird! 

seitigen  Kb'pfe  wirft.     Darin  scheint  Auch     die    Lehrerpensions- 

Cleveland  den  Vogel  abschiessen  zu  a  n  g  e  1  e  g  e  n  h  e  i  t    ist   wieder   auf 


Korresponden^en. 


8? 


der  Bildnache  erscliienen,  und  zwar 
auf  Anlass  des  traurigen  Zustandes, 
in  deni  sich  die  Finanzen  der  einzi- 
gen  derartigen  Einrichtung  imStaate, 
der  Lehrerpensionsbehorde  von  Cin- 
cinnati, befinden.  Ich  habe  dariiber 
schon  wicderholt  berichtet,  kann 
mich  daher  heute  auf  die  voratisge- 
sehene  traurige  Tatsache  beschran- 
ken,  wonach  die  Einkiinfte  dieser 
Kasse  die  Ausgaben,  d.  h.  die  Pen- 
sionsbetrage  nicht  decken,  trotz- 
dem  siimtliche  Lehrer  je  $20  jiihrlich 
dazu  beitragen  und  die  ausbezahlten 
Pensionen  sich  kaum  auf  $400  jahr- 
lich  fiir  jeden  Pensioner  belaufen. 
Audi  damit  soil  die  Legislatur  sich 
befassen  und  gesetzlich  bestimmen, 
dass  ein  gewisser  Teil  der  Schul- 
steuer  znr  Pensionierung  der  Leh- 
rer verwendet  werden  kann.  Darob 
Entriistung  und  Widerspruch  von 
alen  Seiten,  weil  man  nicht  einsehen 
kann,  \varum  Lehrer  in  dieser  Hin- 
sicht  vor  anderen  stiidtischen  Ange- 
selltcn  etwas  voraushaben  sollten. 
V.'ir  haben  und  brauchen,  so  heisst 
cs,  in  unserem  freien,  grossen,  glor- 
reichcii  Lande  weder  einen  Beamten- 
noch  einen  Lehrerstand,  ergo:  ,,Sur- 
vival  of  the  fittest"  auch  fiir  die 
Lehrer,  mlt  anderen  Worten  ,,Weiin 
Du  aber  gar  nichts  hast,  so  lasse 
Dich  begraben,  Hund!",  oder  sich 
zu,  dans  Du  Dich  beizeiten  aus  deni 
gottlichen  Lehramte  salvierest. 
Letzeren  Ausweg  betreten  denu 
auch  nicht  wenige  heiratsfiihige 
Kolleginnen  allhier,  woriiber  wieder 
die  ,,Kadetten''  ihre  helle  Freude 
haben. 

Einem  vielgefiihlten  Bediirfnisse 
abzuhelfen,  haben  eine  Anzahl  von 
Mitgliedern  des  hiesigen  deutschen 
Lehrervereines  sich  zu  g  e  s  e  1- 
jlig  -  wissenschaflichen 
Zwecken  zusammengetan  und  einen 
,,S  c  h  e  r  z  und  Ernst"  benamsten 
Verein  ins  Leben  gerufen.  Hoffent- 
lich  ist's  den  Leuten  auch  rechter 
Ernst  damit  und  beherzigen  sie  das 
beklagenswcrte  Schicksal,  das  die 
eine  zeitlang  so  schon  bliihende  Ge- 
sangssektion  des  genannten  Ver- 
eines  betroffen  hat,  die  augenschein- 
lich  auf  Ximmerwiederzusammenge- 
trommeltwerden  (dieses  Wort  hat 
Duden  rein  vergessen!)  aus  dem 
Leim  gegangen  ist  —  ein  ruhmloses 
Sterben,  das  sich  gewiss  der  Griin- 
der  der  Sektion,  unser  Freund  Re- 


dektor  der  ,,P.  M."  seinerzeit  nicht 
hat  triiumen  lassen. 
DerDeutscheOberlehrer-. 
v  e  r  e  i  n  hat  sich  jiingst  an  die  Ver- 
leger  der  Weick-Grebnerschen  deut- 
schen Lesebiicher  gewandt  mit  dem 
Ansinnen,  dieselben  einer  von  seinen 
Mitgliedern  fiir  dringend  notig  erach- 
teten  zeitgemsissen  Revision  und 
Neubearbeitung  zu  unterziehen.  Der 
Bescheid  der  Verleger  soil  jedoch 
ziemlich  schroff  ablehnend  gelautet 
haben. 

Da  ich  gerade  von  Buchern 
spreche!  Von  den  zahlreichen  . 
,.edited',  annotated  with  voca- 
bulary" deutschen  Dicht-  und  Pro- 
sawerken,  die  uns  neuerdings  von 
liebcn  hoheren  Kollegen  dargeboteii 
werden,  hat  mir  noch  keines  so  gut 
gefallen  wie  ,,Der  Trompeter  von 
Sakkiiigen"--),  hergerichtet  von  Va- 
lentin Biiehner,  San  Jose,  Cal.  Das 
gilt  vor  allem  von  dem  wirklich  vor- 
ziiglichen  Erkliirungen  und  dem 
nicht  mir  vom  Verfaser  so  bezeich- 
neten,  sondern  tatsachlich  durchaus 
vollstiindig  deutsch-englischen  Wor- 
terverzeichnisse.  Ich  nehme  keineu 
Anstand,  diese  Arbeit  des  mir  per- 
sonlich  unbekannten  Verfassers  eine 
sehr  zeit-  uiid  zweckgemiisse  zu  ncn- 
nen  und  die  Hoffnung  auszuspre.- 
chen,  dass  dieses  Scheffelsche 
Meisterwerk  der  neueren  deutscheu 
Dichtung  sich  in  Schul-  und  Privat- 
kreisen  recht  bald  einej  weiten  Ver- 
brcitung  erfreuen  nioge.  Dass  ich 
mit  Meister  Joseph,  wie  im  Buche 
abgebildet,  im  Touristengewande 
mehr  als  einmal  personlich  zusani- 
niengekommen  bin  in  ,,Alt  -  Hei- 
delberg, der  Feinen",  das  macht  mir 
den  ,,Sang  vom  Oberrhein"  in  dieser 
Form  uni  so  lieber  *  *  * 

Milwaukee. 

Grosses  Interesse  bringt  man  hier 
jetzt  der  im  niichsten  Monate  Marz 
stattfindenden  Wahl  eines  Lei-, 
ters  unsers  Schul wesens 
entgegen,  und  der  Schulrat  ist  schon 
mit  den  Vorarbeiten  seit  einiger  Zeit 
beschiiftigt.  Es  ist  von  demselben 
ein  Ausschuss  ernannt,  welcher  sich 


*)  Diese  Schulausgabe  ist  auch  uns 
zugegangen,  und  wir  freuen  uns, 
unserm  Herrn  Berichterstatter  voll 
und  ganz  beipflichten  zu  konnen. 
Eine  Besprechung  des  Buches  soil 
in  kurzer  Zeit  folgen.  D.  R. 


88 


Pcfdagogische  Monatshefte. 


nach  Bewerbern  und  passenden 
Miuiiic.ru  fiir  diesen  Posteu  umzu- 
sehen  und  dem  Schulrat  passende 
Vorschliige  zu  naachen  hat.  Es 
stehen  5  Bewerber  fiir  das  Anit  im 
Felde,  von  denen  3  von  hier  sind, 
einschliesslich  des  jetzigen  Inhabers 
der  Stelle,  und  zwei  von  aussen.  So 
weit  bis  jetzt  verlautet,  scheint  im 
Ausschuss  ein  Maim  von  auswarts 
begiinstigt  zu  werden,  wohl  nach  der 
alten  Kegel,  dass  das  Gute  weit  her- 
geholt  vverden  miisse.  Der  jetzige 
Supt.  Siefert,  der  das  Ami  3  Termine 
eur  volligen  Zufriedenheit,  wie  man 
wohl  behaupten  kann,  verwaltet  hat, 
scheint  mehreren  Mitgliedern  des 
Schulrats  nicht  inehr  zu  geniigen. 
Man  will  vielleicht  einen  jiingern 
Mann  haben,  der  sich  mehr  der  al- 
lerneuesten  und  modernsten  Rich- 
tung  in  der  Piidagogik  zuwendet  und 
den  Kopf  voll  allerlei  up  to  date  Me- 
thoden  hat,  und  solche  denn  auch 
sofort  einfiihren  wiirde;  ohne  das 
alte  und  wahre  Sprichwort  zu  be- 
denken,  dass  das  Neue  ineistens  nicht 
gut,  und  das  wirklich  Gute  nicht  neu 
ist.  Herr  Siefert  ist  ein  praktischer 
uad  erfahreiier  Schulmann,  der  seit 
mehr  als  24  Jahren  mit  den  offent- 
lichen  Schulen  Milwaukees  in  Ver- 
foindung  steht,  und  dessen  Anschau- 
ungen  in  der  Padagogik  durchaus 
nicht  altmodisch  und  hinter  der  Zeit 
zuriick  sind,  der  aber  trotzdem  vor- 
sichtig  zu  Werke  geht  bei  alien 
Neuerungen  und  als  probat  ange- 
priesenen  Methoden,  und  sich  die- 
selben  erst  gehorig  ansieht  und  sie 
priift.  Doch  was  geht  dieser  ganze 
Wechsel  in  der  Oberleitung  der 
Schulen  iiberhaupt  uns  Lehrer  an? 
Wir  werden  ja  nicht  um  unsere  An- 
sicht  befragt  und  haben  mit  der 
Wahl  nichts  zu  tun.  Wir  Lehrer  wer- 
den auch  mit  jedem  neuen  Leiter  der 
Schulen  fertig  werden,  und  miisgen's 
ja  auch,  denn  ,,Ordnung  muss  sind!" 
sagt  der  Berliner.  Aber  dennoch  ge- 
wohnt  man  sich  mit  der  Zeit  so  an 
einen  Vorgesetzten,  der  im  amtlichen 
Verkehr  stets  freimdlich,  zuvorkom- 
mend  und  hoflich  ist,  und  niemals 
ohne  Not  den  ,,super"  herauskehrt, 
dass  man  solchen  Vorgesetzten  un- 
gern  aus  dem  Amte  scheiden  sieht; 
noch  dazu,  da  man  nicht  weiss,  wer 
sein  Nachfolger  wird  und  wie  der- 
selbe  ,,regieren"  wird.  Doch  hoft'en 
wollen  wir,  dass  die  Wahl,  wie  immer 
sie  auch  ausfallen  moge,  zum  Wohl 
und  Besten  der  Schulen  und  der 
Stadt  ausfalle;  die  Wiinsche  und 
Hoffnungen  der  Lehrer  fallen  dabei 
ja  weniger  ins  Gewicht. 


Im  Verein  der  stadti- 
schen  Lehrer  (Milwaukee 
Teachers'  Association)  wurde  vor 
einiger  Zeit  ein  Vorschlag  zur  Auf- 
besserung  der  Lehrergehalter  ge- 
macht  und  debattiert.  Die  daraus  re- 
sultierende  Resolution,  welche  vor- 
gelegt  und  angenommen  wurde,  ist 
sodann  dem  Schulrat  iiberreicht.  Die 
Proposition  empfiehlt  icine  Aufbes- 
serung  von  25  Prozent.  Das  ist  ja 
nun  alles  recht  gut  und  schon,  wenn 
die  Sache  nur  Erfolg  hiitte.  Der 
Schulrat  nimmt  die  Resolution  ent- 
gegen,  und  damit  hat  es  sein  Bewen- 
den.  Doch  lassen  Sie  mich  dieselbe 
erst  anfiihren.  Sie  enthalt  die  fol- 
genden  Bestimmungen.  1.  Lehrer  der 
untersten  4  Grade,  Hilfslehrer  im 
Deutschen  und  Lehrerinnen  der 
Kindergarten  beginnen  mit  einem 
Gehalte  von  $500,  steigend  mit  $50 
per  Jahr,  bis  das  Maximum  des  Ge- 
halts  von  $1000  nach  11  Jahren  er- 
reicht  ist.  2.  Lehrer  des  5.  und  6. 
Grades  beginnen  mit  $600,  steigend 
mit  $50  per  Jahr,  bis  das  Maximum 
von  $1000  nach  9  Jahren  erreicht  ist. 
3.  Lehrer  des  7.  Grades  beginnen  mit 
$700,  steigend  mit  $50  per  Jahr,  bis 
das  Maximum  von  $1000  na9h  7  Jah- 
ren erreicht  ist.  4.  Lehrer  des  8. 
Grades  beginnen  mit  $800,  steigend 
$50  per  Jahr,  bis  das  Maximum  von 
$1000  nach  5  Jahren  erreicht  ist.  5. 
Erste  Gehilfslehrer  und  Oberlehrer 
des  Deutschen  beginnen  mit  $900, 
steigend  mit  $50  das  Jahr,  bis  das 
Maximum  von  $1100  nach  fiinf  Jahren 
erreicht  ist.  Das  wiirde  uns  deutsche 
Oberlehrer  wieder  auf  den  status  quo 
aute  unsers  Gehaltes  bringen,  wie 
wir  es  vor  7  Jahren  hatten,  wo  man 
es  fiir  gut  befand,  uns  um  $200  per 
Jahr  zu  beschneiden,  wenn  —  die 
'Sache  den  leisesten  Schatten  von 
'Verwirklichung  hatte.  Aber  der 
Schulrat  hat  immer  seine  stereotype 
Antwort  bei  der  Hand:  Wir  haben 
dazu  kein  Geld  in  der  Kasse.  Das 
ist  eben  so  stereotyp,  wie  der  be- 
kannte  Ausspruch  des  Kirchen- 
fiirsten  —  non  possumus!  Und  so 
warten  wir  Lehrer  geduldig  und  den- 
ken  dabei  mit  Karl  Havermann: 
,,Badt  iit  nich,  so  schadt  ja  nich". 
Dazu  kommt  nun  noch  die  flaue  Ge- 
schaftszeit  und  allgemeine  Depres- 
sion, so  dass  wir  Lehrer  uns  auf 
dieselbe  Antwort  gefasst  machen 
konnten,  die  die  Magnaten  der  hie- 
sigen  Strassenbahn  ihren  Angestell- 
ten  auf  eine  Anfrage  nach  hohern 
Lohn  gaben,  namlich:  ,,Seid  nur 
froh,  dass  wir  euch  nicht  noch  ab- 
xiehen!"  Lehrergehalter  aufbessern 


Umscbau. 


und  den  Lehrern  Pension  zahlen,  das 
tut  man  nur  in  europaischen  Lan- 
dern,  von  wo  die  armen,  ungebilde- 
ten  und  halbbarbarischen  Einwan- 
derer  kommen,  denen  man  die  Lan- 
dung  hier  so  missgonnt  und  er- 
schwert.  Fiir  solche  Extravaganzen 
hat  man  hier  kein  Geld.  In  einem 
englischen  Schulblatt  las  ich  neu- 
lich  in  einem  Aufsatz  iiber  Lehrer- 
pensionen  den  Satz:  ,,Alle  zivi- 
lisierte  Lander  und  Nationen  be- 
sahlen  ihren  Lehrern  Pensionen,  mit 
Ausnahme  von  England  und  Ame- 
rika."  Das  Blatt  fiihrte  dann  noch 
#anz  richtig  aus,  dass  man  das  Geld, 
was  man  hier  in  einigen  Staaten  den 
alten  Lehrern  unter  dem  Namen 
,,Pension"  zahle,  diesen  Namen  gar 
nicht  verdiene,  da  es  nur  eine  spa- 
tere  Riickzahlung  von  friiher  abge- 
zogenem  Gehalte  sei.  Pensionen  be- 
zahlt  /.  B.  Onkel  Sam  seinen  alten 
und  invaliden  Soldaten.  A.  W. 

New  Yo-k. 

Die  erste  Versammlung 
unseres  Vereines  im  neuen 
Jahre,  am  9.  Januar,  war  dem  Anden- 
ken  des  verstorbenen  Emil  Dapp- 
r  i  c  h  gewidmet.  Dr.  Wahl  gab  in 
schlichten,  schonen  Worten,  die  von 
Herzen  kamen  und  zu  Herzen  dran- 
gen,  ein  Lebens-  und  Charakterbild 
des  deutschen  Mannes,  der  wie  weni- 
ge  Wissen  und  Konnen  zu  einem  har- 
monischen  Ganzen  vereinigte  und  ein 
lebendes  Beispiel  eines  wahren  Pa- 
dagogen  war.  Herr  Herzog  schilderte 
den  Eindruck,  den  Dapprich  auf  die- 
jenigen  machte,  die  ihn  auf  Lehrer- 
tagen  kennen  zu  lernen  und  zu 
beobachten  Gelegenheit  hatten,  den 
Eindruck  eines  Ritters  vom  Geiste, 


ohne  Furcht  und  ohne  Tadel,  wah- 
rend  drei  Schiller  des  Verstorbenen, 
die  Herren  Appell,  Riemer  und 
Schmidt  in  kurzer  und  tiefgefiihlter 
Kede  des  Lehrers  und  Freundes  ge- 
dachten.  ,,Er  war  uns  alien  ein  Vor- 
bild;  er  lehrte  uns  arbeiten  durch 
sein  Beispiel."  ,,Er  war  uns  mehr 
als  ein  Lehrer,  er  war  uns  ein  vater- 
licher  Freund.".  ,,Sein  heiteres,  son- 
niges  Gemiit  durchdrang  die  ganze 
Schule."  ,,Als  Lehrer  ist  er  unbe- 
schreiblich.  Er  verstand  es,  wie  kei- 
ner,  selbst  den  trockensten  Gegen- 
stand  zu  beleben  und  anziehend  zu 
machen  durch  seine  Personlichkeit". 
Er  hat  sich  die  beste  Unsterblichkeit 
gesichert  im  liebenden  Andenken  sei- 
ner Freunde  und  Schuler.  Kequiescat 
in  pace. 

Unser  Verein  erfreut 
sich  eines  frohlichen  G  e- 
d  e  i  h  e  n  s.  Derselbe  hat  im  letzten 
Jahre  eine  Anzahl  neuer  Mitglieder 
gewonnen,  und  die  jungen  wie  die 
alten  stellten  sich  und  stellen  sich 
in  erfreulicher  Anzahl  bei  den  Ver- 
sammhmgen  ein.  Besonders  lobens- 
wert  ist  der  piinktliche  und  zahl- 
reiche  Besuch  unserer  wackeren 
Newarker,  der  alten  Garde,  die  we- 
der  stirbt  noch  sich  ergibt,  oder 
doch  wenigstens  nur  dem  geistigen 
Genusse  und  der  auf  die  Versamm- 
lungen  folgenden  Gemiitlichkeit. 
Piinktlich  zur  Sekunde  findet  sich 
vor  allem  ein  der  allererste  Nestor 
unseres  Vereins,  Herr  Geppert 
(Newark),  trotz  Regen  und  Schnee. 
Unser  Verein  wiinscht  alien  Bruder- 
vereinen  ein  gliickliches  neues  Jahr: 
Vivant,  floreant,  crescant. 

H.  Z. 


II.     Umschau. 


Preisausschreiben.  Der 
iN  o  r  d  a  me  rikanische  Tur- 
ner b  u  n  d  hat  einen  Preis  von  $50 
(210  Mark)  fiir  das  beste,  zum  Text 
fur  ein  Turnfestlied  geeignete 
deutsche  Gedicht  ausgeschrieben. 
Dem  von  Herrn  Hermann  Lieber, 
dem  ersten  Sprecher  des  Bundes- 
vorortes  zxi  Indianapolis,  und  dem 
ersten  Schriftwart  Herrn  Theodor 
Stempfel  ebendaselbst  unterzeichne- 
ten  Zirkular  entnehmen  wir  folgende 
Bestimmungen : 

1.  Die  Gedichte  sind  dem  1. 
Schriftwart  des  Bundesvororts, 
Theodor  Stempfel,  Box  166,  Indiana- 
polis, Indiana,  United  States  of 
America,  franko  zu  iibersenden.  Sie 


miissen  sich  spiitestens  am  1.  Mai 
1904  in  den  Handen  des  genannten 
Beamten  befmden. 

2.  Zur    Preisbewerbung    sind    Man- 
ner und  Frauen  aller  Lander  berech-- 
Jtigt.      Der     Preisbewerber     braucht 
nicht   Mitglied  eines  Turnvereins  zu 
sein.      Da      die    infolge     des     ersten 
Preisausschreibens  eingesandten  Ge- 
dichte     und      Namensangaben      sich 
nicht  mehr  in  den  Handen  des  Preis- 
gerichtes  befinden,  so  ist  es  den  be- 
treffenden  Einsendern  gestattet,  sich 
entweder  mit  neuen  Gedichten  oder 
Umarbeitungen     der     alten     an    der 
Preisbewerbung  zu  beteiligen. 

3.  Die  Gedichte  miissen  mit  einem 
Motto  versehen  sein,  und  es  soil  den- 


90 


Pddagogiscbe  Monatshefte. 


selben  ein  verschlossener  Umschlag 
mit  dem  Motto,  dem  Namen  und  der 
Adresse  des  Dichters  beiliegen.  Die- 
ser  Umschlag  wird  erst  nach  Fallung 
des  Urteils  geoffnet. 

4.  Der    Text     des    Festliedes      soil 
niclit  mehr  als  etwa  300  Silben  ent- 
halten. 

5.  Falls     sich     unter     den     einge- 
eandten    Gedichten    kernes    befindet, 
das     den     gestellten    Anforderungen 
geniigt,   so   soil   keinem   der   Dichter 
der  Preis  zugesprochen  werden. 

6.  Das    Preisausschreiben    fiir    die 
Tondichtvmg   wird     unter   Mitteilung 
des   preisgekronten   Gedichtes   am   1. 
Juni  1904  znr  Post   gegeben  vrerden. 

7.  Konkurrenztermin   fiir   die    Ton- 
dichtnng:  1.  November  1904. 

Prof.  Rein  von  der  Universita  t 
Jena  beabsichtigt,  im  kommenden 
Sommer  den  Yereinigten  Staaten 
einen  Besnch  abzustatten  und  eine 
Anzahl  von  Vortragen  zu  halten. 
Wie  uns  Frl.  Amalie  Nix,  die  auf  die 
Einladung  des  Herrn  Prof.  R.  im 
Sommer  des  Jahres  1902  in  mehre- 
ren  Universitiits  -  Sommerschulen 
Deutschlands  Vortriige  iiber  Frauen- 
bildung  in  den  Yereinigten  Staaten 
gehalten,  mitteilt,  reist  Herr  Prof. 
E.  in  Begleitung  seiner  Gattin  und 
trifft  Mitte  Aug'ust  in  New  York  ein. 
Die  Vorbereitungen  zu  der  Yortrags- 
tour  liegen  in  den  Hiinclen  von  Frl. 
Nix,  Central  High  School,  St.  Paul, 
Minn.,  an  die  man  sich  gefiilligst  we- 
gen  naherer  Auskunft  baldigst  wen- 
den  \volic.  Herr  Prof.  Eein  1st  in 
den  Yer.  Staaten  ebenso  riihmlich 
bekannt  wie  im  alten  Yaterlande, 
und  seine  vielen  Freunde  werden 
ihm  einen  warmen  Empfang  berei- 
ten. 

Die  Welle  der  Bewegung  z  u  r 
Aufbesserung  der  Lehrer- 
gehiilter  in  den  Yereinigten 
Staaten  hat  bereits  die  Kiiste  des 
Stillen  Ozeans  erreicht.  In  .  Ivalif  or- 
nien  ist  es  der  Journalist  Irving  Mar- 
tin, der  im  ,,Daily  Record"  von  Stock- 
ton entschlossen  fiir  hohere  Gehalter 
der  kalifornischen  Lehrer  kampft. 
Herr  M.  fordert  unter  anderem  fiir 
Manner  und  Frauen  denselben  Yer- 
dienst  fiir  dieselbe  Arbeit.  Er  hat 
nicht  allein  bereits  den  Gouverneur 
Pardee  fiir  die  Sache  gewonnen, 
sondern,  was  weit  wichtiger  ist,  er 
hat  auch  die  Presse  seines  Staates 
veranlasst,  die  Angelegenheit  der 
Lehrer  zu  fordern. 

In  Pennsylvanien  hat  der  Staats- 
Schulsuperintendent  Dr.  N.  C. 


Schaffer  in  den  letzten  fiinf  Jahren 
sich  fortgesetzt  und,  wie  berichtet 
wird,  auch  mit  Erfolg  bemiiht,  die 
Gehalter  der  Lehrer  zu  erhohen. 
Auch  in  Indiana,  Nebraska,  Nord- 
Carolina,  Arizona  und  Kansas  sind 
die  Lehrer  nicht  untatig  geblieben, 
ihre  Lage  zu  verbessern. 

Die  Lehrer  der  Stadt  New  York 
allein  scheinen  zufriedenstellende 
Gehalter  zu  erhalten.  Dort  beziehen 
4913  Lehrer  Gehalter,  die  zwischen 
$1000  und  $8000  jahrlich  schwanken. 
Aber  selbst  das  oft  gepriesene  New 
York  hat  immer  noch  5650  Lehrer, 
die  weniger  als  jahrlich  $1000  haben. 

Der  Staats-Lehrerverband  von 
Wisconsin  hat  sich  ebenfalls  wjih- 
rend  seiner  Sitzungen  in  den  Weih- 
nachtsferien  recht  ernstlich  mit  der 
Frage  der  Lehrergehiilter  befasst. 
Er  beschloss,  sich  an  die  Legislator 
des  Staates  zu  wenden. 

Als  Kiiriosum  mag  hier  die  Tat- 
sache  miterwahnt  werden,  dass  es 
in  den  Reihen  der  Lehrer  selbst 
Leute  gibt,  die  einer  Erhohung  der 
Lehrergehalter  entgegenarbeiten.  Zu 
dieseii  seltenen  Vogeln  gehcirt  der 
'Schulsuperintendent  von  Anderson, 
Ind.,  ein  gewisser  J.  W.  Carr,  der 
,. seine"  Lehrerinnen  fragt,  ob  der 
Aufenthalt  unter  Kindern,  inmitten 
einer  Atmosphare  von  Rcinheit  und 
Unschuld,  das  Gliick  und  der  Son- 
nenschein  auf  den  Gesichtcrii,  und 
was  dergleichen  schone  Dinge  mehr 
sind,  nicht  schon  Belohnung  genug 
sei.  Es  diirfte  Herrn  C.,  dem  iibri- 
gens  das  Gchalt  sofort  herabgesetzt 
werden  sollte,  schwerlich  gelingen, 
einer  aus  tausend  Lehrerinnen  zu  be- 
Aveisen,  dass  Gotteslohn  und  im  Alter 
ein  Leben  im  Armeiihause  verlocken- 
der  sind  als  eine  nennenswerte  Ge- 
haltszulage! 

Die  Fussball  -  Saison  der 
amerikanischen  Hochschulen  ist  eben 
zu  Elide  gegangen.  Da  eine  zuver- 
IJissige  Unfall-Statistik  nicht  erhalt- 
lich  ist,  so  lasst  sich  iiber  die  vor- 
gekommenen  Ungliicksfalle  nur  das 
mitteilen,  was  hier  und  dort  in  den 
Tagesblattern  berichtet  worden  ist. 
Dreizehn  Fussballspieler  sind  ge- 
fahrlich  verletzt  worden,  einige  die- 
ser  dreizehn  wrerden  lebensliinglich 
verkriippelt  bleiben;  einen  Studeiiten 
haben  die  erhaltenen  Yerletzungen 
wahnsinnig  gemacht.  Die  Anzahl  der 
\veniger  gefahrlichen,  aber  schmeiv.- 
lichen  Yerletzungen  geht  natiirlich 
in  die  Hunderte. 

Die  schwereren  Unftille  sollen  auf 
die  ungeschulten  Spieler  beschriinkt 


Umschau. 


91 


geblieben  sein.  Die  professionellen 
Neuner-  oder  Elfer-Riegen  der  gros- 
sen  Universitaten  haben  keine  per- 
manenten  Invaliden  aufzuweisen  ge- 
habt.  Zwei  von  diesen  Athleten  ha- 
ben n  u  r  je  ein  Bein  gebrochen 
(Yale  und  Harvard);  andere  haben 
nichts  weiter  davongetragen,  als  eine 
ausgerenkte  Schulter  oder  einen  zer- 
schundenen  Kopf,  oder  sonst  eine 
,,Kleinigkeit". 

Infolge  der  vielen  Unftille  haben 
nun  eine  Anzahl  der  kleineren 
Schulen  das  Fussballspiel  ganz  ver- 
boteii,  Columbus  Junction,  Pa.,  und 
Greenfield,  O.,  auf  Grund  einer  von 
den  Eltern  den  Schulbehorden  zuge- 
stellten  Bittschrift. 

Im  Jahre  1903  belief  sich  die  An- 
zahl der  Kinder  in  den 
Schulen  der  Vereinigten 
S  t  a  a  t  e  n  auf  rund  13  Millionen, 
oder  22  Prozent  der  Gesamtbe- 
volkerung.  Der  Durehschnirtsbestich 
war  70  Prozent  der  18  Millionen.  Ein 
V  i  e  r  t  e  1  der  halben  Million  Leh- 
rer  waren  Manner.  Durchschnitts- 
gehalt  der  mannlichen  Lehrkrtif  te: 
£aO.  der  weiblichen:  $40. 

Der  Flachenraum  der  W  e  1 1  a  u  s- 
stellung  zu  St.  Louis  ist  1200 
Acker  gross;  seine  Form  ist  die  ernes 
liinglichen  Viereckes,  2  Meilen  lang 
und  eine  Meile  breit.  Die  Fliiche  ist 
wellig,  und  viele  der  schonsten  Ge- 
baude  stehen  auf  Iliigcln.  Das  Haus, 
in  dem  die  Schulen  der  ganzen  Welt 
das  Wenigstc,  was  sie  zeigen  konnen, 
ausstellen  sollen,  ist  400  zu  600  Fuss 
gross.  Die  Schulausstellung  in  St. 
Louis  soil  insofern  von  alien  vorher- 
gegang-enen  iihnlichen  Ausstellungen 
abweichen,  als  man  dort  die  Zoglinge 
selbst  bei  ihrer  Arbeit  im  Laborato- 
rium,  in  der  Nah-  oder  Kochschule, 
in  der  Werkstatt  beim  Ilandfertig- 
keits-Unterricht,  ja  selbst  die  Taub- 
stnmmen  und  Blinden  bei  ihrer  Tii- 
tigkeit  vorfiihren  will. 

Die  betreffendeii  Beam  ten  haben 
die  Ausstellungsgegenstiinde  der 
Schulen  in  acht  Gruppen  geteilt,  und 
iwar  wie  folgt: 

Gruppe  I  imd  IT,  Volksschulen; 
III,  Hochschulen;  IV,  Die  schonen 
Kiinste;  V,  Ackerbauschulen;  VI, 
Handels-  und  Industrieschulen;  VII, 
Blinden-  und  Taubstummen-Anstal- 
ten;  VIII,  Textbiicher,  Schulmobel, 
Anschauungsmittel,  etc. 

Der  S  t  a  a  t  Wisconsin,  mit 
einer  Bevolkerung  von  2,069,042,  hat 
im  Schuljahre  1902—03  $7,157,730  fiir 
die  Erziehung  der  Jugend  ausgege- 
ben.  Die  Anzahl  der  Kinder  belief 


sich  auf  456,831,  die  der  Lehrer  ouf 
13,669. 

Mit  grosser  Hiirte  ist  der  S  t  a  a  t  s- 
gesundheitsrat  von  India- 
n  a  gegeu  etwa  250  Lehrer  und  Leh- 
rerinnen  vorgegangen.  Denselben 
wurde  die  Wiederanstellung  unter- 
sagt,  und  zwar  auf  den  Grund  hin, 
dass  die  betreffenden  Herren  und 
Da  men  tuberkulos  sind,  so  dass  also 
die  Gefahr  vorliegt,  dass  sie  die 
Keime  der  schrecklichen  Krankheit 
auch  den  Schiilern  mitteilen. 

Berlin.  Streik  im  In- 
teresse  der  Standesehre. 
An  den  kaufmiinnischen  Fortbil- 
dungsschulen  waren  bisher  20 — 25 
akademisch  gebildete  Lehrer  be- 
schiiftigt.  Einem  dieser  Oberlehrer 
wurde  nach  den  Sommerferien  ge- 
kiindigt,  weil  er  sich  beschwert 
hatte,  dass  der  seminaristisch  ge- 
bildete IJektor  bei  ihm  hatte  hospi- 
tieren  wollen.  Jetzt  beschwerten 
sich  siimtliche  Oberlehrer  gegen 
eine  derartige  ubei'wachung  beim 
Kuratoriuin,  aber  ohne  Erfolg. 
Daraufhin  stellten  mit  Ausnahme 
von  zweien  alle  akademisch  gebilde- 
ten  Lehrer  am  1.  Oktober  ihre  Wirk- 
samkeit  an  den  Fortbildungsschulcn 
ein.  In  einer  Versammlung  des  Ber- 
liner Gymnasiallehrervereins  wurde 
folgende  Resolution  angenommen: 
,,Die  Versammlung  nimmt  mit  In- 
teresse  von  den  Griinden  Kenntnis, 
die  eine  grosse  Anzahl  der  Mitglie- 
der  veranlasst  haben,  ihre  bisherige 
Tiitig-keit  an  den  kaufmiinnischen 
Fortbildungsschulen  aufzugeben.  Sie 
erkennt  an,  dass  dieser  Schritt  im 
Interesse  der  Standesehre  unbedingt 
notwendig  war  und  halt  deshalb 
auch  fiir  die  Zukunft  eine  Lehrtsitig- 
keit  von  akademisch  gebildeten 
Lehrern  an  jenen  Anstalten  unter 
den  jetzigen  Verhiiltnissen  fiir  un- 
vereinbar  mit  dem  Standesinteresse." 
Dazu  macht  die  ,,Leipz.  Lehrerztg." 
die  folgenden  Bemerkungen:  Die 
akademisch  gebildeten  Lehrer  in 
Preussen  uncl  einigen  anderen  Staa- 
ten  sorgen  doch  immer  fiir  den  Hu- 
mor. 1st  doch  erst  kiirzlich  einer 
dieser  Humoristen  in  die  Redaktion 
des  Kladderadatsch  eingetreten.  Wir 
empfehlen  den  in  ihrem  Standesge- 
fiihl  so  tief  Gekriinkten,  solange 
nach  China  auszuwandern,  bis  die 
deutschen  Regierungen  das  berech- 
tigte  Verlangen  der  deutschen  Volks- 
schullehrer  auf  uneingeschriinkte 
Zulassung  zum  Studium  an  den  Uni- 
versitiiten erfiillt  haben.  Auch  der 


Pddagogische  Monatshefte. 


vor  kurzem  wegen  Beleidigung  eines 
oldenburgischen  Ministers  verurteilte 
Oberlehrer  Dr.  Ries,  der  in  dem  Pro- 
cess erklarte:  Ich  war  auch  verbit- 
tert,  dass  einem  Seuiinarlehrer  d-er 
Titel  ,,Oberlehrer"  verliehen  wurde, 
kb'nnte  sich  mit  ins  Land  der  Zopfe 
begeben. 

Deutschland.  Die  im  De- 
cember 1902  und  Januar  1903  ergaii- 
genen  neuen  Verordnungeu 
der  preussischen  Mini- 
ster i  en  iiber  die  Erwerbung  des 
Berechtigungsscheines  d  u  r  c  h  S  e- 
minarabiturienten  haben 
bewirkt,  dass  auch  in  den  iibrigen 
deutschen  Bundesstaaten  ahnlich- 
lautende  Erlasse  gegeben  worden 
sind.  Damit  ist  die  Frage  der  Er- 
werbung  des  Berechtigungsscheines 
endgiltig  und  fur  alle  Bundesstaateu 
einheitlich  geregelt. 

Hesse  n.  Andertlniversi- 
t  a  t  zu  Giessen  sind  mit  Beginn 
des  Winterhalbjahres  zum  erstenmal 
Volksschullehrer  zum  Stadium  ein- 
getreten,  die  von  der  kiirzlich  er- 
lassenen  Verfiigung  des  Grossherzog- 
lichen  Ministeriums  Gebrauch 
machen,  wonach  es  den  Lehrern,  die 
mit  den  besten  Noten  die  Abgangs- 
priifung  vom  Seminar  und  die  Staats- 
priifung  bestanden  haben,  gestattet 
ist,  eine  dreijiihrige  Studienzeit  an 
der  Universitat  durchzumachen,  um 
alsdann  als  Lehrer  an  hoheren  Lehr- 
anstalten,  Lehrerbildungsanstalten 
und  im  Schulverwaltungsdienst  ver- 
wendet  zu  werden. 

Mecklenburg.  Zum  Besol- 
dungselend.  Nachdem  in  Sch. 
die  neuerrichtete  Klasse  ein  halbes 
Jahr  von  den  dortigen  Lehrern  mit 
verwaltet  worden  Avar,  fand  sich  zu 
Michaelis  eine  eigene  Lehrkraft  da- 
fur.  Das  Anfangsgehalt  betragt  wie 
iiblich  800  M.  Als  der  neue  Kollege 
am  Tage  vor  Schulanfang  in  seinem 
neuen  Wirkungskreise  eintraf  und 
sich  um  eine  geeignete  Wohnung  mit 
Pension  bewarb,  forderte  man  fast 
uberall  mit  besonderer  ubereinstim- 
mung  720  M.  Enttiiuscht  griff  er 
wieder  zum  Knotenstock  und  wandte 
der  ungastlichen  Stadt  den  Riicken: 
mit  20  M.  Taschengeld  pro  Quartal 
glaubte  er  Schneider  und  Schuh- 
macher,  Steuern  und  Abgaben  etc. 
nicht  bezahlen  zu  konnen. 

Zahl  der  Lehrerinnen  in 
den  deutschen  Gross- 
s  t  a  d  t  e  n,  nach  dem  statistischen 
Jahrbuch  der  deutschen  Stadte:  Es 
kommen  in  Berlin  auf  je  100  Lehr- 


krafte  44,02  Lehrerinnen,  in  Aachen 
49,50,  Altona  44,51,  Danzig  44,72,  Lii- 
beck  44,69,  Miinchen  47,85,  Strass- 
burg  46,50,  Chemnitz  4,02,  Plauen  i. 
V.  5,81,  Zwickau  5,17,  Leipzig  10,92, 
Duisburg  7,65,  Niirnberg  15,98,  Wies- 
baden 19,85.  Der  Anteil  der  Leh- 
rerinnen betragt  zwischen  20  und 
30  Prozent  in  12  Stadten,  in  14 
Stadten  zwischen  30  und  40  Prozent. 
Durchschnittlich  ist  in  den  42  Gross- 
stadten  der  Anteil  der  Lehrerinnen 
30  auf  je  100  Lehrpersonen. 

Schweden.  Da  die  schwedische 
Unterrichtsverwaltung  den  U  n  t  e  r- 
richtsplan  der  hoheren 
Lehranstalten  zu  andern 
wiinscht,  wandte  sie  sich  an  die  Lehr- 
korper  der  einzelnen  Anstalten  und 
holte  ihre  Ansicht  iiber  den  Unter- 
richt  in  den  neueren  Sprachen  ein. 
Fast  allgemein  hielt  man  fiir  notig, 
Deutsch  an  die  erste  Stelle  zu  setzen 
und  ihm  den  Vorrang  vor  Englisch 
und  Franzosisch  einzuraumen.  Die 
Begriindung  dieser  Ansicht  gibt  ein 
Lehrerkollegium  in  folgender  Weise: 
,,Die  deutsche  Kultur  mit  ihren  rei- 
chen  Wissensschiitzen,  ihren  dichteri- 
schen  Erzeugnissen  und  der  Vielsei- 
tigkeit  des  sprachlichen  Ausdruckes 
rangiert  ganz  unbestritten  in  unsern 
Tagen  an  der  vornehmsten  Stelle. 
Hinzu  kommi,  dass  die  neuzeitlichen 
Schulbestrebungen  mehr  und  mehr 
einer  positiven  Brriicksichtigung 
jener  besonderen  Aufgabe  zuneigen, 
durch  welche  die  Befiihigung  der 
heranwachsenden  Jugend  zur  spate- 
ten  Teilnahme  am  wissenschaftlichen 
Leben  erhoht  und  die  Aussichten  auf 
eine  gesicherte  Lebensstellung  ver- 
bessert  werden  konnen.  In  diesen 
beiden  grundlegenden  Beziehungen 
bietet  weder  das  Franzosische 
mit  seinem  geringen  kommer- 
ziellen  Werte  noch  das  Englische 
mit  seiner  geringen  Bedeutung  auf 
rein  kulturellem  Gebiete  die  gleichen 
Bildungsmoglichkeiten  wie  das 
Deutsche."  Dass  die  Reform  durch- 
gefiihrt  wird,  geht  daraus  hervor, 
dass  in  Upsala  und  Lund  zwei  neue 
Professuren  fiir  germanische  Spra- 
chen eingerichtet  werden  sollen,  da- 
mit  es  nicht  an  gut  vorgebildeten 
Lehrern  fehlt. 

S  c  h  w  e  i  z.  In  Zurich  sind  kiirz- 
lich erschwerende  Be- 
dingungen  fiir  die  Aufnahme 
von  Russinnen  zum  Studium  der 
Medizin  erlassen  worden.  Als  Grund 
wird  der  aussergewohnlich  starke 
Zudrang  aus  dem  Zarenreich  ange- 


Vermischtes. 


93 


geben.  Russinnen,  die  zugelassen 
werden  wollen,  miissen  an  Vorbil- 
dung  denselben  Anforderungen  ge- 
niigen,  wie  die  Schweizer  Studenten; 
damit  dennoch  letztere  nicht  be- 
nachteiligt  werden,  sollen  in  Zu- 
kunft  auch  noch  Platzkarten  fiir  die 
Kliniken  ausgegeben  werden. 

Frankreich.  Von  den  10,049 
kongreganistischen  S  c  h  u- 
1  e  n,  die  geschlossen  worden  sind,  ist 
wie  die  ,,Schweiz.  Lehrerztg."  berich- 
tet,  mehr  als  die  Halfte  (5830  Schu- 
len)  wieder  eroffnet  worden.  Von  988 
Knabenschulen  werden  106  von  welt- 
lichen  Lehrern,  die  anderen  von  sa- 
kularisierten  Monchen  geleitet.  Von 
den  Madchenschulen  stehen  2976 
unter  Leitung  ehemaliger  Nonnen. 

England.  Auf  der  V  e  r  s  a  m  m- 
1  u  n  g  der  ,,British  Associa- 
t  i  o  n"  in  Southport  f  iihrte  Sir  Wil- 
liam Abney  aus,  wie  gross  der  Fort- 
schritt  der  Erziehungswissenschaft 
in  den  letzten  50  Jahren  ist,  sowohl 
was  Qualitat,  als  auch  was  Quan- 
titat  anbelangt.  Im  allgemeinen  war 
man  dafiir,  die  Spezialisierung  der 
Schulen  soweit  wie  moglich  hinaus- 
zuschieben.  Besonders  empfohlen 
wurde  das  sogenannte  Frankfurter 
System,  wonach  Latein  erst  im  12. 
kebensjahre  des  Schiilers  beginnt. — 
Am  praktischsten  war  die  Frage 
iiber  die  Madchenerziehung.  Es 
wurde  besonders  die  Gefahr  des 
tJberarbeitens  zwischen  dem  12.  und 
16.  Jahre  betont.  tJber  den  Unter- 
schied  in  Knaben-  und  Madchen- 
schulen konnte  wenig  festgestellt 
werden.  Die  neuesten  Madchen- 
schulen sind  ahnlich  den  Knaben- 
schulen angelegt.  Sie  haben  diesel- 
ben  Examina  und  ebenso  gute,  oft 
bessere  Erfolge.  Die  mangelhafte 


Erziehung  fiir  den  ,,hauslichen  Be- 
ruf"  wurde  von  Dr.  Armstrong  be- 
sprochen,  jedoch  seine  Worte  waren 
nur  ,,vox  clamantis  in  deserto". 

Aus  Russian  d.  Wen  die  Got- 
ter  hassen,  den  machen  sie  auch  in 
Russland  zum  Lehrer.  Am  19.  Okto- 
ber  traf  auf  der  Station  Werinnowka 
aus  Ssaratow  eine  unbekannte,  off  en- 
bar  kranke  junge  Dame  ein;  sie  be- 
gab  sich  in  das  Damenzimmer  und 
erregte  durch  ihren  langen  Aufent- 
halt  dortselbst  die  Aufmerksamkeit 
des  Stationspersonals.  Als  sich 
schliesslich  ein  Wachter  ins  Damen- 
zimmer begab,  fand  er  die  Dame  wie 
leblos  auf  dem  Sopha  liegen.  Er  rief 
den  Stationschef  herbei,  der,  nach- 
dem  er  sich  von  dem  kranken  Zu- 
stande  der  Reisenden  iiberzeugt 
hatte,  sofort  einen  Feldscher  holen 
liess.  Diesem  gelang  es  mit  grosser 
Miihe,  die  Kranke  ins  Bewusstsein 
zuriickzurufen.  Nachdem  er  ihr 
einige  Loffel  Bouillon  eingeflbsst 
hatte,  erfuhr  er  von  der  Dame,  dass 
sie  eine  Volksschullehrerin  sei.  In 
letzter  Zeit  ware  sie  an  einem  Fieber 
erkrankt  und  hatte  sich  zur  Kur  in 
ihre  Heimat  begeben  miissen.  Un- 
terwegs  ware  ihr  ihre  ohnehin  sehr 
kleine  Barschaft  —  eine  Unterstiitz- 
ung  hatte  sie  nicht  erhalten  —  ge- 
stohlen  worden,  so  dass  sie  seit  drei 
Tagen  buchstablich  nichts  genossen 
hatte.  Tatsachlich  stellte  der 
Feldscher  fest,  dass  sich  die  Kranke 
im  letzten  Stadium  des  Verhungerns 
befinde.  Die  Eisenbahnbeamten 
nahmen  sich  auf  das  freundlichste 
der  Ungliicklichen  an,  veranstalte- 
ten  fiir  sie  eine  Subskription  und 
forderten  sie  auf,  bis  zur  volligen 
Wiederherstellung  auf  der  Station  zu 
bleiben. 


III.      Vermischtes. 


*Eigenartiger  Zufall.  In 
einer  Schule  zu  Soest  trug  sich  ein 
eigenartiger  Zufall  zu.  In  der  Friih- 
stiickspause  kam  ein  Kind  zu  Fall, 
wobei  es  mit  der  Stirn  auf  einen 
Stein  schlug.  Das  Kind  begab  sich 
alsbald  mit  den  iibrigen  ins  Klassen- 
summer,  wo  es  plotzlich  erblindete. 
Sogleich  wurde  es  dem  Arzt  vorge- 
fiihrt,  der  eine  leichte  Gehirner- 
schiitterung  konstatierte,  die  vor- 
aussichtlich  in  einigen  Tagen  geho- 
ben  sein  wiirde.  Zur  besseren 
Beobachtung  und  sorgfaltigen  Pflege 
wurde  das  erblindete  Kind  dem 


Waisenhause  iibergeben.  Die  Ge- 
nesung  ties  Kindes  schreitet  langsam 
fort.  Schon  gegen  Abend  war  das 
Auge  fiir  einige  Lichtstrahlen 
empfanglich. 

*  Plakatpadagogik.  Die 
,,Neue  Westdeutsche  Lehrerzeitung" 
wendet  sich  gegen  eine  Art  der  Er- 
ziehung der  Jugend:  Die  Erziehung 
durch  Plakate.  ,,Es  ist  an  der  Zeit, 
mit  lauter  Stimme  Protest  zu  erhe- 
ben".  -  -  Der  Verfasser  beruft  sich 
auf  eine  Erfahrung,  die  jeder  Lehrer, 
jeder  Seminarist  machen  kann  und 
die  er  auch  gemacht  hat.  Eine  Karte 


Pddagogische  Monatshefte. 


unit  den  Bildnissen  der  preussischen 
Konige  und  ihrer  Regierungszeit  hing 
nahc-zu  em  Jahr  lang  an  der  Vorder- 
vvand  cines  Schulzimmers.  Als  das 
Bild  entfernt  wurde,  konnte  niemand 
eine  von  den  Zahlen  angeben  ausser 
den  Eegierungszahlen  der  Kaiser. 
Trotzdem  ist  man  auf  diesem  Wege 
fortgegangen.  Uin  den  Kampf  gegen 
den  Alkoholgenuss  recht  wirksam  zu 
fiiliren,  hat  ein  Verein  abstinenter 
Lehrer  zehn  ,,Lehrsatze"  verfasst 
nnd  sie  anf  Heftdeckel  drucken  las- 
sen.  Wenn  ein  Kind  von  semen  Eltern 
einen  Schnaps  bekommt,  wird  es 
vielleicht  daran  denken,  dass  auf  dein 
Deckel  seines  Schreibheftes  gesagt 
ist,  es  sei  besser,  das  Alkolioltrinkeii 
zu  unterlassen,  \venn  es  zufiillig  die 
Siitze  gelesen  hat.  Ein  iihnliches 
Mittel  wendet  man  in  Sachsen-Wei- 
mar-Eisenach  an.  Dort  hat  man 
Tafeln  mit  21  Regeln  in  die  Schul- 
zimmer  gebracht,  die  die  Uberschrift 
tragen:  ,,Was  iniissen  wir  tun,  um 
gesund  zu  bleiben?"  —  Die  beiden  an- 
gefiihrten  Massnahmen  lassen  den 
Verfasser  in  die  Worte  ausbrechen: 
,,Soviele  Manner  unterziehen  sich 
dem  Studium  der  Psychologic;  soviel 
Manner  suchen  auf  Grund  dessen  die 
Padagogik  auszugestalteii;  soviel 
Manner  studieren  ihre  Zoglinge;  so- 
viel Manner  bereiten  sich  auf  ihreii 
Unterricht  vor;  soviel  Manner  habeii 
sich  in  ihreii  Unterrichtsstunden 
abgearbeitet;  und  das  Avar  alles  un- 
notig,  die  Sache  ist  so  einfach.  Mit 
iinrner  inehr  Plakaten  miissen  die 
Wiiiide  bedeckt  werden.  Doch  noch 
erhabener  lasst  es  sich  gestalten. 
Die  Wande  werden  tapziert  (was  sehr 
zu  wiinsehen  ware),  die  Tapeten  sind 
bedeckt  mit  lauter  Siitzen,  die  An- 
weisungen  uncl  Belehrnngen  enthal- 
ten,  die  Fussboden  sind  mit  solchen 
bemalt,  ebenso  die  Banke.  Essgerate 
dtirfen  nicht  fehlen,  Schuhanzieher, 
Hosentriiger,  alles,  alles  Padagogik." 
Und  nun  die  Griinde  dafiir,  dass  man 
auf  diesem  Wege  nicht  zuin  Ziele 
kommt?  Man  vertraut  auf  Worte, 
man  glaubt,  die  Vorstellungen  seien 
die  Grunderscheinungen  des  Seeleii- 
lebens,  aus  denen  sich  der  Wille  stets 
aufbaue.  Dazn  kommt  ein  zweites. 
Wie  wir  das  Ticken  der  Uhr  nach 
einiger  Zeit  nicht  niehr  horen,  so 
verschwindet  auch  das  Plakat  vor 
unseren  Augen.  Die  Kinder  sehens 
und  sehens  doch  nicht.  Moge  man 
sich  doch  stets  an  das  Wort  des  Ko- 
nigsberger  Philosophen  erinnern: 
,,Erziehung  ist  das  grosste  Problem 
und  das  schwerste,  was  dem  Men- 
gchen  kann  aufgegeben  werden." 


•-•  Am  i  n  t  e  r  n  a  t  i  o  n  a  1  e  n 
\S  c  h  ii  1  e  r  b  r  i  e  f  w  e  c  h  s  e  1,  der 
ein  von  padagogischer  Seite  unter- 
nommener  Versuch  ist,  deutsche 
'Schiller  mit  franzosischen,  ong- 
lischen  und  amerikanischen  Schiilern 
Briefe  wechseln  zvi  lassen,  sind  nach 
Angaben  in  einem  den  Gegenstand 
behandelnden  Schriftchen  von  Prof. 
Dr.  Markscheffel  (Weimar)  in 
Deutschland  beteiligt:  70  Gymnasien, 
50  Eealschulen,  46  llealgymiiasien,  ]4 
Oberi'ealschulen,  5  Lehrerseminare, 
5  Handelsscluilen,  75  hohere  Miicl- 
chenschulen,  9  Lehrerinnenseminare, 
also  280  Schulen,  in  Frankreich  217, 
in  Grossbritannien  55,  in  Amerika  68 
Schulen  verschiedener  Art.  Die 
,, Deutsche  Zentralstelle  fiir  inter- 
r.ationalen  Briefwechsel"  befindet 
sich  Leipzig-Gohlis,  Fechnerstrasse  2. 
Schiiler  miissen  sich  fiir  die  An- 
meldnng  stets  der  Vermittlung  durch 
einen  ihrer  Lehrer  bedienen.  -  -  In 
Nr.  285  der  ,,Tagl. Rundschau"  spricht 
ein  v/estdeutscher  Alumnatsinspek- 
tor  schwerwiegende  Bedenken  gegcn 
diesen  Briefwechsel  aus. 

*  Die  f  o  1  g  e  n  d  e  n  a  e  h  t  W  6  r- 
t  e  r    sollen    die    Uingsten     der     eng- 
lischeu   Sprache   sein: 

Incomprehensibility. 

Subconstitutioiialist, 

Philoprogenitiveness, 

Disproportionableness, 

Velocipedestrianistical, 

Anthropophagmian, 

Transubstantiationalist, 

Antitransubstantionalist. 

Da  sollte  das  ,,W.  Va.  School  Jour- 
nal" erst  mal  die  acht  Uingsten  Wor- 
ter  der  deutschen  Sprache 
sehen! 

•-•Was  ist  Faulheit?  ,rDie 
Wirkimg  der  Harnsiiure  und  der 
Kohlensiiure  auf  willkiirliche  Ner- 
venmittelpunkte,  sie  (die  Faulheit) 
ist  in  ihrer  Art  ebenso  wohl  eine 
Krankheit  wie  Rheumatismus."  Das 
ist  Roy  Glasgows  Definition  fiir  Faul- 
heit vor  einer  Lehrerversaininlung  in 
Missouri. 

•"•Das  W  e  i  m  a  r  e  r  S  t  a  a  t  s- 
m  i  n  i  s  t  e  r  i  u  m  macht  auf  die  Ge- 
fiihrlichkeit  der  ,,Farbkreiden"  aui'- 
merksam  und  ordnet  die  Aufnahme 
der  ,,Alkoholgenussgefahr"  in  den 
Lehrplan  an. 

*  I  n      R  u  m  a  n  i  e  11      ist      jedem 
Gymnasialdirektor      zur      Besorgung 
der     Schreibgeschiifte     ein    Sekretiir 
beigegeben,  und  die  Lehrer  sind  nur 
zu     12     wochentlichen     Unterrichts- 
stunden    verpflichtet.      Jede    weitere 


Biicherbesprechungen. 


95 


Stunde  wird  mit  20  Fr.  pro  Monat 
honoriert.  Das  Gehalt  der  rumiini- 
schen  Gymnasiallehrer  1st  ein  ange- 
messenes,  denn  es  betriigt  3600  Fr. 
und  steigt  jedes  fiinftc  Jahr  bis  zum 
Hochstgehalt  von  5040  Fr.  Die  Dienst- 
zeit  dauert  30  Jahre. 

*  Am   10.    November     verstarb     im 
Alter    von   46    Jahrcn     in    Halle     der 
durch    seine    Arbeiten    auf    dem    Ge- 
biete  der  Kinderforschung  bekannte 
Arzt  Dr.  m  e  d.  Schmidt  -  M  o  n- 
n  a  r  d.     Auf  arztlichen   Kongressen, 
im   Stadtverordnetensaal,  in   Lehrer- 
und  Burgervereinen  trat  er  stets  fiir 
schulhygienische    Forderungen      mit 
Sachkenntniss  und  Wiirme  ein. 

*  In  der  hessischen  zweiten  Kam- 
mer    wurde    gesetzliche    Festsetzung 
der  hochstzuliissigen  Schii- 
1  e  r  z  a  h  1   einer   Klasse   ouf   40   ver- 
langt.    Nur  ausnahmsweise  sollen  bis 
zu  60  Kinder  einem  Lehrer  iiberwie- 
sen  werden  diirfen. 

*Bin  reicher  Hindu  stif- 
tete  25,000  Pfund  Sterling  zur 
Griindung  eines  Lehrstuhles  der 
Philosophic  an  der  Hochsehule  zu 
Oxford  unter  dem  Namen  Herbert 
Spencers. 

*Der  Deutsche  Frobel- 
V  e  r  b  a  n  d  verlangt  bei  der  Reform 
der  hohern  Miidchenschulen  Pflege 
der  ,,Wissenschaft  der  Mutter": 
Haushalt,  Erziehung,  Kinderpflege 
nach  ,,Harry  Schmitt". 

*  G  e  winner       der       Nobel- 
p  r  e  i  s  e  1903:  Bj.  Bjornson  ftir  Lite- 
ratur;   Svante  Arrhenius,  Stockholm, 
Prof.,  45  J.  alt,  ftir  Physik  (Theorie 
der        elektrolytischen        Disassozia- 
tioiien);     Nyls     Ryberg    Finsen,     ein 
Sohn  der  Faroer,   Arzt  in  Kopenha- 
gen,  43  J.  alt,  ftir  Medizin    (Begrtin- 
der  der  Lichttherapie) ;   das  Ehepaar 
Currie  und  Henry  Becquerel  in  Paris, 


Preis  fiir  Chemie  (Erforschung  des 
Radiums);  William  Randall  Cremer, 
engl.  Parlamentsmitglied,  Friedens- 
Preis  (Urheber  der  Friedenskon- 
ferenzen). 

*  I  n     S  c  h  w  e  d  e  n     haben     viele 
Sclmlen  nur  halbe  Uiiterrichtszeit,  je 
den  zweiten  Tag.     Da  eine  Scliulbe- 
horde    in    Angermansland     die     voile 
Schulzeit   einfiihrte,   beschlossen   200 
Arbeiter  zu  streiken,  d.  h.  ihre  Kin- 
der wie  bisher   je   den  zweiten   Tag 
zur  Schule  zu  seiiden. 

*In  einigen  Bezirken 
S  e  r  b  i  e  n  s  haben  die  Lehrer  2 — 3 
Monate  keinen  Gehalt  (gesetzlich 
1000—3000  Dinar,  fiir  Lehrerinnen 
840  bis  2450  D.)  erhalten. 

*  E  i  n  e  H  6  f  1  i  c  h  e.    Eine  Ber- 
liner   Lehrerin    miihte    sich    ab,    den 
Kindern     die     zuriickzielenden     Zeit- 
worter     zu     erkliiren.       Schliesslich, 
nachdem    sie      verstanden      zu     sein 
hoffte,  begann  sie  damit,  die  Kinder 
das  Zeitwort  ,,sich  setzen"  durchkon- 
jugieren    zu  lassen:     ,,Fang    du    an, 
Mariechen!"     Mariechen:     Ich   setze 
mir,  du  setzest  dir,  er  setzet  ihr.  .  . 
Lehrerin:  Falsch,  die  Nachste  weiter! 
Gretchen:    Ich   setze   dir,   du    setzest 
mir....     Lehrerin:      Falsch!      Weisst 
etwa  du  es,  Lieschen!"  Lieschen  von 
der    letzten   Bank   hat    sich    niimlich 
durch     Fingerhochheben     benierkbar 
gemacht.      Und    Lieschen    nickt    und 
beginnt   triumphierend:    ,,Ich   bin   so 
frei   und   setze    mir,   du   bist   so   frei 
und  setzest  dir. .  .  . 

*  A  u  s    S  c  h  ii  1  e  r  h  e  f  t  e  n.     Ob- 
schon  der  Xagelschniied  ein  wackerer 
Mann  war,  brannte   seinem  Nachbar 
das  Haus  ab.   --  lufolge   der  gliick- 
lichen    Regierimg    kam    bei    der    Ko- 
nigin   Elisabeth   der   beriihmte   Dich- 
ter  Shakespeare  hervor. 


Bacherbesprechungen. 


German  Genders.  Rules 
and  Exceptions.  Compiled  by 
Robert  Grimshaw,  Ph.  D. 
New  York.  Brentano's,  1902. 

This  is  a,  handy  little  book  of 
thirty-five  pages  all  told,  —  a  com- 
panion volume  to  the  same  author's 
French  Genders.  In  the  first 
place,  the  author  points  out,  with 
many  illustrative  examples,  seven 
ways  in  which  gender  is  expressed 
in  German,  devoting  over  thirteen 
pages  to  affixes.  Then  follows  a  list 


of  nouns  with  double  genders, 
divided  into  two  classes,  (1)  those 
with  practically  the  same  meaning, 
and  (2)  those  with  different  mean- 
ings. The  book  is  closed  with  an 
alphabetical  list  of  exceptions 
covering  four  or  five  pages.  The  in- 
nocent little  volume  presents  in 
convenient  form  the  most  esential 
rules  on  the  subject  of  gender. 

Charles  Bundy  Vvilson. 
State  University  of  Iowa. 


96 


Padagogische  Monatslwfte. 


Allen  and  Greenough's 
New  Latin  Grammar  for 
Schools  andCollegea,  founded  on  compar- 
ative grammar.  Edited  by  J.  B. 
Greenough,  G.  L.  Kittredge,  A. 
A.  H.  Howard,  Benj.  L.  D.  Ooge. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1903. 

The  Allen  and  Greenough's  New  Latin 
Grammar,  recently  published,  will  take 
its  place  in  the  foremost  ranks  of  Latin 
grammars  as  a  suitable  text-book  for 
secondary  schools  and  the  college  stu- 
dent. Advantage  has  been  taken  of  the 
careful  study,  investigation  and  prac- 
tical conclusions  reached  since  the  edi- 


tion of  1888,  and  the  result  is  an  excel- 
lent guide  for  the  student  of  Latin.  That 
which  recommends  the  book  more  than 
any  other  feature  is  the  clear  and  com- 
plete setting  forth  of  the  fundamental 
principles  of  Latin  syntax,  both  noun 
and  verb  constructions.  While  the  cita- 
tions of  examples  are  from  a  wide  range 
of  authors,  yet  they  are  unusually  clear 
and  arranged  in  such  a  way  as  to  invite 
the  attention  of  the  beginning  student. 
The  terminology  employed  is  plain  and 
satisfactory  and  the  typography  is  neat 
and  attractive,  and  with  the  beginner 
these  features  are  important. 


Eingesandte  Bucher. 


Entwicklungslehre  von 
Dr.  Franz  T.  Wagner.  With 
notes  and  vocabulary  by  Arthur 
S.  Wright,  Professor  of  Modern 
Languages,  Case  School  of  Applied 
Science.  Boston,  D.  C.  Heath  and 
Co.,  1904. 

Robinson  der  Jungere  von 
Joachim  Heinrich  Campe. 
Abridged  and  edited  with  notes  and 
vocabulary  by  C.  H.  I  b  e  r  s  h  o  f  f , 
Teacher  of  German,  Detroit  Uni- 
versity School.  Boston,  D.  C.  Heath 
and  Co.,  1904. 

Elementary  German  for 
Sight  Translation  by  R.  Clyde 
Ford,  Pht.  D.,  Professor  of  French 
and  German  in  the  Michigan  State 
Normal  College,  Ypsilanti,  Ginn  and 
Co.,  1904.  Price  30  cts. 

Goethes  ,,d  a  s  M  a  r  c  h  e  n". 
Edited  with  introduction,  notes, 
vocabulary  and  conversational  exer- 
cises by  C  h  a  s.  A.  E  g  g  e  r  t,  Ph. 
D.,  formerly  Professor  of  the 
German  Language  and  Literature  in 
the  University  of  Iowa.  Boston,  D. 
C.  Heath  and  Co.,  1904. 

The  FirstThree  Books  of 
Homer's  Iliad  with  introduction, 
commentary  and  vocabulary  for  the 
use  of  schools  by  Thomas  D. 
Seymour,  Hillhouse,  Professor  of 
Greek  in  Yale  College.  Revised 
Edition.  Boston,  Ginn  and  Co.,  1903. 
Price  $1.25. 

Die  drei  Freier,  Erzahlung 
ron  Levin  Schiicking.  Edited 
with  introduction  and  notes  by  Otto 


Heller,  Ph.  D.,  Professor  of  the  Ger- 
man Language  and  Literature  in 
Washington  University,  and  Head  of 
the  German  Department  in  the 
Chautauqua  Institution.  Boston 
Ginn  and  Co.,  1904.  Price  35  cts. 

La  Mare  au  Diable  by 
George  Sand.  Edited,  with  brief 
introduction,  notes,  and  full  vocabu- 
lary by  Leigh  R.  Gregor, 
Lecturer  on  Modern  Languages  in 
McGill  University,  Montreal,  Canada. 
Boston,  Ginn&Co.,  1903.  Price  35  Cts. 

New  First  Music  Reader 
by  James  M.  M  c  L  a  u  g  h  1  i  n,  Di- 
rector of  Music,  Boston  Public 
Schools,  George  A.  Venzie,  Supervisor 
of  Music,  Chelsea  Public  Schools,  and 
W.  W.  G  i  1  c  h  r  i  s  t,  Author  of 
"Exercises  for  Sight-SingingClasses", 
etc.  Boston,  Ginn  &  Co.,  1903.  Price 
30  Cents. 

Elemetary  Plane  .Geo- 
metry, Inductive  and  Deductive,  by 
Alfred  Baker,  M.  A.,  F.  R.  S.  C., 
Professor  of  Mathematics,  Univer- 
sity of  Toronto.  Boston,  Giun  &  Co, 
1903.  Price  55  Cents. 

Elementary  Guide  to  Li- 
terary Criticism  by  F.  V.  N. 
Painter,  A.  M.,  D.  D.,  Professor 
of  Modern  Languages  in  Roanoke 
College.  Boston,  Ginn  &  Co.,  1903. 
Price  95  Cents. 

Bacteria,  Yeasts,  and 
Molds  in  the  H  o  m  e  by  H.  W. 
Conn,  Ph.  D.,  Professor  of  Biology 
in  Wesleyan  University,  Middletcwn, 
Conn.  Boston,  Ginn  &  Co.,  1903. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Scbolweseo. 
Organ  <!es 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


3iibt'cjamj  V.  fftapz  1904.  Heft  4. 


Gustav  Frenssen  —  A  Study. 


(Fttr  die  PadagogUchen  flonatshefte.) 


Von  Dr.  Warren  W.  Florer,  University  of  Michigan. 
(Concluded.) 

Only  the  most  important  stages  of  Jorn  UhFs  slow  and  powerful 
religious  development  may-be  given  in  this  article. 

When  but  a  mere  babe  Jorn  Uhl  was  robbed  of  a  mother  by  the  care- 
lessness of  a  father,  whose  inner  life  had  been  corroded  by  cards  and  drink. 
Jorn  had  no  guide  to  explain  to  him  the  phenomena  he  saw  about  him. 
That  it  was  so,  was  perhaps  well,  for  he  was  compelled  to  look  out  for  him- 
self. As  he  grew  up,  he  observed  the  lives  of  his  brothers  and  father 
and  witnessed  the  increasing  ruin  of  'Die  Uhl.'  This  in  small  way  he 
endeavored  to  correct  and  to  prevent  as  much  as  possible.  He  learned  in 
early  boyhood  that  the  best  thing  in  the  world  is  work,  the  worst,  idleness 
with  gambling,  drink  and  certain  forms  of  society  as  companions.  (In 
this  connection  Frenssen  is  unscathing  in  his  attacks  upon  the  gambling 
and  drinking  of  men  and  the  excessive  society  of  women,  by  which  children 
are  shorn  not  only  of  their  birthright,  but  also  of  their  parent-,  especially 
mother-right.)  Jorn  was  thus  inwardly  prepared  to  hear  the  history  of 
his  family,  but  when  the  teacher  noticed  the  rebellious  instinct  when  he 
came  to  tell  about  Jorn's  father,  he  simply  gave  the  following  advice: 
"What  you  have  inherited  from  your  fathers,  acquire  it  in  order  to  pos- 
sess it." 

Jorn  then  determined  to  prepare  himself  to  be  Landvogt;  this  was 
also  the  wish  of  his  father.  To  attain  this  end  he  was  sent  to  the  Gymna- 
sium. But  Jorn,  who  was  prepared  only  in  English,  encountered  Latin, 
which  has  about  the  same  relative  position  in  the  curriculum  as  mathe- 


9&  Pddagogiscbe  Monatshefte. 

rnatics  in  American  schools.  He  therefore  was  compelled  to  begin  in  the 
lowest  class.  The  course  of  instruction  offered  nothing  new  to  him.  He 
finally  determined  to  follow  Thiess  Thiessen's  advice — "gerade  auf  den 
Landvogt  los!" 

The  instruction  in  the  confirmation  class,  in  which  the  old  church 
dogma  was  proclaimed,  was  also  incomprehensible  to  him  and  therefore 
torturous.  The  practical,  sober  youth,  who  applied  everything  to  'Die  Uhl' 
and  to  the  people  who  dwelt  there  and  to  the  conditions  of  the  village, 
could  not  understand  either  the  sin  or  the  grace  that  was  taught.  The  sin 
seemed  to  him  to  come  much  too  late  and  the  grace  much  too  soon.  The 
sin  began  with  larceny,  .theft  and  murder  (not  with  cards,  drink,  excessive 
society  and  gossip).  The  grace  was  there  too  soon,  namely,  when  one  cast 
his  sin  upon  the  Lord.  Jorn  Uhl  could  not  understand  'diesen  lieben  Gott.' 
To  him  God  seemed  to  be  an  impracticable  bookkeeper,  who  in  his 
room  kept  his  books  in  the  most  beautiful  order  and  on  the  out- 
side was  being  frightfully  deceived  by  his  chosen  people. 

Jorn  Uhl  went  out  to  the  open  field  and  listened  to  old  Wilhelm 
Dreyer,  as  no  one  ever  listened  in  the  church.  Dreyer's  experience  was 
for  him  in  those  years  evangel;  to  work  and  be  sober  and  saving — glad 
tidings  of  great  joy. 

Then  came  the  time  of  life  when  one  has  no  guide,  when  the  parents 
lose  control,  if  they  have  any.  And  the  other  people  do  not  grab  for  the 
reins  which  are  dragging  behind  us,  when  we  are  rushing  madly  down  the 
street — which  leads  to  the  marketplace  of  life,  to  that  place  where  destiny 
so  earnestly  asks  us: — 'What  are  you  worth?'  The  meaning  of  these  hours 
is  so  important  because  they  denote  the  transition  from  youth  to  manhood 
with  all  its  conflicts  and  experiences.  Jorn  Uhl  was  no  exception.  He  had 
his  experience  with  the  Sanddeern  and  at  the  Jungeleuteball,  where  under 
the  influence  of  the  experience  with  the  Sanddeern  and  the  resulting  con- 
flicts he  attempted  to  outdo  his  father  and  brothers  in  their  wild  life.  But 
he  did  not  possess  the  talent  to  become  a  vagabond.  Then  followed  a  sad 
night  and  the  morrow,  when  he  struggled  with  his  conscience  which  was 
bidding  fair  to  make  a  coward  of  him.  Until  this  time  he  had  nothing 
which  he  could  honor.  No  one  had  understood  how  to  bring  religion 
close  to  him.  The  vigorous,  beautiful  and  proud  stature  of  the  Savior 
they  had  botched  and  destroyed.  He  did  not  have  a  mother.  Thus  this 
warmhearted  youth  was  without  love.  It  was  natural  that  he  went  again 
to  the  Sanddeern  who  was  pure,  although  wronged  by  the  gossip  of  the 
neighborhood,  and  who,  after  hearing  his  confessions,  revealed  unto  him  a 
new  gospel  and  went  her  way.  The  content  of  her  gospel  was:  'What 
one  has  experienced  is  not  necessarily  destructive,  rather  productive  of 
strength,  if  one  does  not  give  up  the  battle  for  the  good  and  the  true.' 

The  experiences  of  these  days  worked  upon  him  for  years.     He  was 


Gustav  Frenssen—.-4  St'idir.  99 

withcut  friends  and  books.  In  his  introspective  mood  ho  determined  to 
separate  himself  from  women  and  from  the  world.  One  cannot,  however, 
get. away  from  the  world  very  easily.  If  one  turns  around,  it  is  the.re;  if 
one  turns  around  again,  it  is  still  there;  if  one  closes  hist  eyes,  one  hears 
its  bustling;  stops  his  ears,  it  capers  before  him.  One  must  take  a  stand, 
keep  peace  or  begin  conflict.  .  Jorn  Uhl  began  conflict.  In  this  conflict  he 
drew  the  eyebrows  so  deep  that  he  did  not  perceive  the  great  wonders, 
and  he  carried  his  head  so  high  that  he  did  not  heed  the  great  beauties. 
Therefore,  if  the  world  with  all  its  natural  and  human  equipment  did  not 
meet  his  approval,  so  must  he  who  created  heaven  and  earth  fare  ill. 

Jorn,  indeed,  went  to  church.  He  had  been  going  to  church  for 
months,  because  he  noticed  that  the  saving  and  the  sober  and  the  old- 
fashioned  people  went  to  church;  he  also  noticed  that  the  young  and  the 
wild  and  the  statemakcrs  did  not  go  to  church.  Jorn  went  to  church  be- 
cause he  desired  to  be  and  remain  a  safe  man.  He  wanted  to  show  it,  so 
he  went  to  church.  He  went  to  church  and  it  bored  him.  Above  all 
things  he  could  not  reconcile  the  fact  that  the  man  who  preached  to  him 
was  a  hypocrite,  judging  from  his  outside  actions.  The  old  man  Dreyer 
said:  "It  does  not  depend  on  the  life  of  the  man,  Jorn,  but  upon 
whether  he  preaches  the  right  word  of  God."  But  just  this  right 
doctrine  which  the  preacher  proclaimed  cut  Jorn  to  the  very  quick. 
The  contents  of  the  sermons  were  about  as  follows :  ' '  The  imagina- 
tion of  man 's  heart  is  evil  from  his  youth. "  "  The  Trinity  praised  in 
eternity."  "Whoever  builds  upon  his  life  and  upon  his  works  will 
be  eternally  damned."  "Believe  and  ye  will  be  saved."  Jorn  Uhl 
sat  and  listened  and  could  not  discover  what  these  teachings  had  to 
do  with  the  wild  life  in  the  village  and  with  his  own  life.  He  wondered 
why  the  word  of  God  was  so  impractical,  and  thought  out  his  own 
Bible. 

At  times  when  the  small  man  read  the  prescribed  passages  with  a  sing- 
ing, sepulchral  voice  it  seemed  as  if  he  heard  something  else  than  what  the 
man  afterwards  really  preached.  It  seemed  to  him  as  if  he  heard  great 
powerful  thoughts  right  out  of  human  life.  He  was  like  unto  a  man  who, 
lying  in  the  edge  of  the  woods,  is  surrounded  by  the  twittering  of  birds  and 
the  buzzing  of  insects  and  hears  deep  in  the  forest  a  spring  rushing  with 
full,  heavy  and  pure  water.  But  in  the  dependency  of  his  youth  it  never 
occurred  to  him  to  read  through  Matthew  or  Marc  to  see  whether  the  man 
had  not  suppressed  a  good  part  of  the  evangel,  and  falsified  another. 
But  Jorn  still  went  to  church,  and  was  becoming  as  the  others,  when 
an  episode,  the  rescuing  of  a  child,  occurred. 

On  the  next  Sabbath,  the  little  one  whom  he  had  rescued  accompanied 
him  on  the  way  to  church.  Jorn  Uhl  went  in  and  listened  to  a  sermon  on 
faith,  and  how  the  so-called  good  works  and  the  so-called  upright  life 
were  to  be  looked  upon  with  suspicion,  as  "Glanzendcs  Laster."  After 


100  P&dagogische  Monatshefte. 

church  the  old  tailor  Rose  followed  him  and  began  to  talk  about  religion. 
Jorn  was  at  first  surprised  to  hear  a  common  man  talk  about  religion,  as 
that  was  the  business  of  the  minister  in  the  pulpit.  The  old  man  insisted 
that  one  should  always  act  with  the  help  of  God.  Jb'rn  Uhl  could  not 
understand  that.  He  then  went  to  Wieten  Penn,  the  faithful  old  servant, 
and  heard  her  interpretation.  Jorn  had  thus  three  different  interpreta- 
tions of  religion.  The  one  which  was  preached  in  the  church  no  sensible 
man  could  sanction.  The  tailor's — to  care  for  others  in  the  name  of 
God — and  Wieten's,  to  care  for  yourself  in  your  own  name — both  had 
sense.  Reflecting  over  these  problems,  he  began  to  become  an  indepen- 
dent man. 

Then  followed  years  of  experience,  study,  war,  the  reconstruction 
period,  the  accident  to  his  father,  the  story  of  Wieten  Penn.  And  when 
Jorn  was  thinking  about  the  diagnosis  of  the  physician  there  came  upon 
him  for  the  first  time  the  feeling  of  the  limitations  of  human  power,  the 
strong  feeling  of  helplessness,  the  feeling,  'whither  my  soul  in  thy  awful 
loneliness  and  desertion.'  And  it  was  well  that  he  had  heard  the  Lord's 
prayer  when  at  school,  otherwise  he  might  have  feared  too  much  the  super- 
human phantoms  which  stood  in  hostile  array  about  him.  Yes,  he  might 
have  worshipped  them!  He  then  fled  with  trembling  confidence  to  the 
invisible,  strong,  blessing  powers  which  are  in  the  evangel.  This  was  an 
important  step  that  Jorn  Uhl  made,  who  had  previously  been  so  certain. 
For  he  began  to  investigate  and  question,  wonder  and  respect.  The  portals 
to  a  complete  wide  human  existence  were  opened  to  him.  He  began  to  see 
the  wonders  and  heed  the  great  beauties  about  him,  for  he  realized  that 
he  was  not  all-knowing. 

Then  followed  work,  nearer  acquaintanceship  with  Lena  Tarn,  mar- 
riage, a  happy  year,  the  birth  of  a  boy,  fever,  death  of  Lena  Tarn,  return 
of  his  brothers — reaction.  Jorn  Uhl's  character  began  to  break  down,  and 
he  was  inclined  to  the  dark  and  the  hard.  We  see  again  the  influence  of 
Wieten  Penn  in  the  home.  She  again  relates  the  old  stories  and  reads  out 
of  the  Old  Testament,  because  she  sought  in  accord  with  her  experience 
the  secret  of  life  not  in,  the  sunshine,  but  in  the  dark,  and  therefore  she 
could  not  enter  the  spirit  of  the  New  Testament.  Jorn  Uhl  continued 
to  live  his  life  full  of  work  and  sorrow,  unconsciously  cheered  by  the  little 
one.  Lisbeth  Junker,  the  comrade  of  his  youth,  came  from  time  to  time 
to  'Die  Uhl,'  to  look  after  his  child,  as  she  said. 

One  day  this  child  led  the  new  pastor  into  the  house.  The  old  pastor, 
the  one  had  preached  so  loud  and  certain  about  the  right  faith,  had 
been  called  to  a  larger  city.  The  new  one  was  young,  from  his  nature  a 
child,  and  spoke  his  opinion  about  everything.  And  everything  he  said 
was  true,  but  not  always  pleasant.  He  was  not  adapted  to  the  'Uhlen.' 
He  was  not  adapted  to  these  hardshelled,  clever  and  cautious  men,  with 


Gusta-v  Frenssen — A  Study.  ioi 

whom  one  must  diligently  seek  the  truth  concealed  behind  the  words. 
In  the  course  of  the  year  the  opposition  increased.  Finally  the  entire 
congregation  cried  out.  It  wanted  another,  it  wanted  a  safer  man,  a  bom- 
bastic one,  a  smooth  oily  individual,  and  at  the  same  time  a  good  card 
player. 

The  new  pastor,  however,  hoped  through  love  and  work  to  win  all 
for  himself  and  thereby  for  the  proud,  beautiful  evangel.  He  came  to 
invite  Jorn  to  attend  the  services  to  be  held  in  the  honor  of  the  fallen 
heroes.  A  tablet  was  to  be  placed  in  the  church.  On  this  tablet  were 
the  names  of  the  men  and  under  these:  ''They  died  for  their  country/' 
This  inscription  pleased  Jorn  Uhl,  but  the  parish  wanted  a  more  dignified 
phrase.  In  this  connection  he  said:  "Every  earnest  man  does  what 
these  men  have  done."  He  then  recalled  in  simple  words  the  past,  and 
spoke  of  the  simple  life  of  Lena  Tarn.  He  said  in  conclusion:  "Serving 
others,  self-sacrificing,  helping  and  remaining  faithful,  or  whatever  one 
may  call  it,  is  the  real  human  kingdom.  That  is  also  the  real  Christianity. 

Jorn,  who  could  understand  this  conception  of  Christianity,  looked  at 
the  pastor  as  if  he  longed  to  hear  more.  The  pastor  continued: 

"The  Savior  has,  through  his  beautiful,  pure  life  and  his  wonder- 
fully affecting  death,  and  through  his  good,  powerful  and  proud  words, 
brought  a  fulness  of  thought. and  life  into  humanity,  as  a  brilliant* fire, 
as  he  said.  Now  the  one  takes  this  and  the  other  that.  The  one  church 
this  and  the  other  that,  and  betakes  itself  into  a  corner  with  its  little  fire- 
brand and  lets  it  smoke  or  flame,  according  as  it  prefers  smoke  or  flame, 
and  says  that  is  the  truth  of  the  Savior.  Many  add  their  own  wisdom, 
many  their  dishonesty,  and  many  indeed  their  malicious  intent.  Thus 
the  Savior's  real  image  has  become  with  some  petrified,  with  some  masked, 
and  with  some  so  distorted  that  one  no  longer  sees  anything  of  his  noble 
countenance.  And  it  really  is  not  so  very  difficult,  even  for  a  layman, 
to  deduct  from  the  first  evangels  a  portrait  so  clear  and  distinct,  that 
one  recognizes  the  fundamental  traits  of  his  being,  will  and  life.  As  far 
as  I  can  see  this  is  what  he  has  to  say  to  us:  'We  shall  have  confidence 
that  God  always  stands  at  our  side,  at  all  times,  yea,  even  in  the  darkest 
moments,  with  a  strong  ever  watchful  will  and  with  an  ever  good  intent. 
Eesting  on  this  happy  faith  we  shall  war  courageously  against  the  evil 
within  and  about  us.  Fortified  by  confidence  in  God  as  by  a  high  strong 
wall,  we  shall  fight  for  the  good  and  never  doubt  a  final  victory,  first  on 
this  side  and  then  on  the  other  side.  That  I  think  is  the  entire  Christi- 
anity." "If  however,"  he  continued,  "one  can  not  obtain  this  confidence 
in  God,  for  that  is  not  everyone's  privilege,  and  can  fulfill  the  good  and 
the  charitable  without  confidence  in  God,  then  one  shall  let  that  suffice 
and  be  happy." 

"Every  good  man  must  immediately  agree  with  that,"  Jorn  Uhl  ans- 


103  PiUagogiscfie  Mon-atshefte. 

wered.  "One  docs  need  to  ponder  over  a  thing  for  which  one  has  no  time. 
Also  it  is  not  necessary  to  render  immature  the  understanding  which  God 
has  given  one,  and  then  accept  everything  they  charitably  offer,  or  be 
eternal )y  damned." 

The  pastor  laughed  right  out.  "Nothing  is  more  certain,"  he  said, 
*"Hian  that  the  religion  Jesus  wished  to  bring  unto  man  was  a  very  simple, 
•original  and  clear  one." 

Such  is  a  mere  outline  of  the  religion  which  Frenssen  has  given  to 
his  larger  parish  in  "Jorn  Uhl."  He  is  simply  helping  to  pave  the  way 
for  the  broader  conception,  for  which  all  modern  men  have  been  work- 
ing. The  creed  of  this  is  w  o  r  k;  the  motive  power  individuality; 
the  commandments  are,  love,  hope  and  c  h  a  r  i  t  y.  The  rock  upon 
which  this  religion  may  securely  rest  is  confidence  in  God. 

The  pastor  went  to  the  village  to  bring  his  thoughts  and  deeds  unto 
the  hardshelled  people,  and  to  attain  as  much,  perhaps,  as  a  dog  attains 
barking  at  a  passing  lumber  wagon.  Ju'rn  Uhl  went  to  the  darkest  hour 
of  his  life,  but  with  this  new  conception  of  the  religion  of  the  Savior 
ringing  in  his  ears.  It  is  impossible  to  give  even  a  general  review  of  .Torn 
I'hl's  new  development  and  of  his  corresponding  influence  at  home,  on 
liis  associates  and  on  his  country.  One  must  read  the  book  in  order  to 
appreciate  the  genius  of  this  village  Pastor. 

We  can  not,  unless  it  be  the  history  of  the  young  pastor's  Struggles, 
divine  what  this  noble,  intelligent  Factor  will  next  produce.  This  Pastor 
who  knows  life  and  knows  the  need*  of  his  hearers,  who  is  thoroughly 
imbued  with  the  sublime  worth  of  those  sacred  writings  which  reveal  the 
destiny  and  contemplations  of  men,  and  who  also  kiiows  the  best  secular 
•  literature/-'  He  understands  it  because  he  has  experienced  and  observed 
if,  appreciating  that  all  poetry  comes  from  the  need  and  lot  of  men  and 
wcinen.  He  is  a  real  man,  humble  before  his  divinity  and  proud  before 
man.  What  he  writes  elevates,  makes  one  more  earnest  against  every  sin, 
and  more  courageous  against  every  destiny. 

^Hermann  und  Dorothea.  Ilehtwisch's  pamphlet  entitled  "Gnstav  Frenssen. 
der  DIehter  des  Morn  Uhl,'  "  has  been  freely  used.  The  passages  from 
Frenssen's  writings  are  adapted.  April,  1903. 


Zur  gesetzgebenden  Grammatik. 

(Pflr  die  J»dtl«goSi»cheji  Moaatsaeft*. ) 

You  Or.  Edwin  C.  Roedder.  Assistant  Professor  of  Gerraau  Philology,  University  of  Wisconsin. 

(Fortsetzung.) 

Afit   vielen  Biichern  geht  es   uns  wie  mit   Mensehen;    wir  werden  den 

ersten   Eindruck   nicht-los.     Und   der  erste   Eindruck,     den     ieh   von  den 

,,8prachdurnmheHen"   erhielt,  war  der  einer  gelungenen  Bierzeitung1.  Al^ 


Zur  geset^gebenden  Grammatik.  103 

das  Biichlein  —  jetzt  priisentiert  es  sich  als  ein  Band  von  fast  doppeltem 
Umfang  —  im  Herbst  1891  zuerst  erschien,  war  ich  Fuchs  in  Alt-Heidelberg. 
Der  eigenartige  Titel  zog,  er  forderte  formlich  heraus;  buchhandlerisch 
betrachtet  war  er  die  beste  Mitgift,  die  der  Verfasser  seinem  Geisteskinde 
schenken  konnte.  Bekannt  war  an  der  Universitat  ausserdem  die  scharfe 
Polemik  des  damaligen  Privatdozenten  Wunderlich  gegen  Wustmanns 
Werkchen,  als  es  zuerst  in  einzelnen  Aufsatzen  in  den  ,,Grenzboten"  er- 
schien. Kurzum,  die  ,,Sprachdummheiten"  wurden  gekauft;  auch  in  unse- 
rer  Korporation  tauchten  sie  auf.  Die  kiihnsten  Erwartungen  waren  iiber- 
troffen.  Ja,  mit  solchen  Kapuzinerpredigten  batten  es  kaum  unsere 
deutschen  Lehrcr  am  Gymnasium  gewagt,  uns  die  Kopfe  zurechtzusetzen. 
Mit  ganz  besonderem  Vergniigen  lasen  wir  Philologen  den  zukiinftigen 
Gerichts-  «nd  Verwaltungsbeamten  daraus  Satze  vor  wie  ,,Sowie  der 
Deutsche  die  Feder  in  die  Tinte  taucht,  fahrt  ihm  der  Registrator  oder  der 
Kanzlist  in  die  Glieder,"19)  —  und  an  solch  treffenden  Bemerkungen  ist 
ja  in  dem  Biichlein  kein  Mangel.  Die  Juristen  blieben  uns  die  Antwort 
nieht  sehuldig  und  sprachen  bei  der  Gelegenheit  ganz  verstandlich  Deutsch. 
Die  Mediziner  sassen  stillvergniigt  dabei  und  lachten;  und  warf  ihnen  einer 
vor,  sie  verstiinden  ja  gar  kein  Deutsch  zu  schreiben,  so  hiess  es  einmutig, 
sie  freuten  sich,  dass  sie  es  nicht  notig  batten;  lateinisch  konnten  sie  uns 
mit  Tiel  besserem  Gewissen  umbringen.  Uns  alien  aber  war  der  ergotzliche 
Herzenserguss  wider  die  Englander  und  die  Englanderei  in  Mode  und 
6prache  ein  Hochgenuss. 

Einem  Buche,  an  das  sich  solche  Erinnerungen  kniipfen,  gram  zu  sein, 
ist  kein  leichtes  Stuck.  Und  doch  ist  es  nur  zu  leicht,  einzusehen,  warum 
sich  die  Sprachforschung  so  einhellig  gegen  den  Geist  des  Werkes  erhob. 

Um  das  Gesamturteil  vorwegzunehmen  :  Wustmanns  Buch  hat  in  der 
Zeit  seines  Bestehens  viel  Nutzen,  aber  noch  mehr  Schaden  gestiftet.  Viel 
Nutzen;  es  ist  in  weite  Kreise  gedrungen,  hat  manchen  derb  geschtittelt, 
manch  schlummerndes  Sprachgewissen  aufgeriittelt.20)  Zweifellos  hat  es 
in  rielen  den  Wunsch  erweckt,  genauer  auf  den  Pulsschlag  des  Sprach- 
lebens  zu  achten,  dieser  oder  jener  Erscheinung  weiter  nachzuspiiren; 
vielleicht  hat  sich  mancher  Leser  dann  auch  einem  berufeneren  Fiihrer 
anvertraut.21)  Dass  es  eine  so  bedeutende  Wirkung  erzeugen  konnte,  ist 
abgesehen  von  der  Sache,  die  es  vertritt,  aus  der  anregenden  Form  des 
Vortrags  erklarlich,  ob  es  nun  Beifall  oder  Widerspruch  herausfordert. 
Auch  sonst  haben  die  ,,Sprachdummheiten"  ihre  grossen  Vorziige.  Der 


19)  S.  226  der  dritten  Auflage. 

20)  Der  Rezensent  von  Behaghels  ,,Deutscher  Sprache"  in  den  ,,Neueren 
Sprachen,"  Band  XI,  S.  498,    bemerkt,  dass  der  \erfasser  in  der  zweitcn 
Auflage   manches  meide,  was  ihm  in  der   ersten   (1886)     noch    als   gutes 
Deutsch  vorkam:   so  den  Gebrauch  von  ,,derselbe"  statt  des  Peraonalpro- 
nomens;    ,,der    Unterschied   ist   ein   betrachtlicher"    statt    ,,betriichtlich"; 
ebenso  "i.welcher"  als   Relativ  statt  ,,der".     Alldas   bekampft   auch  Wust- 
mann.    Wie  weit  des  Berichterstattera  Beobachtung  stimmt,  hab«  ich  nicht 
nachpriifen  konnen. 

21)  Von  Werken,  die  aus  tier  ganzen  Bewegung  entstanden  sind,  seien 
hier  genannt:~J.-*  Minor,  Allerhand-  Sprachgrobheiten,  Stuttgart  1892;    Dr. 
X»*»,  Allerhand  Sprachverstand,  Bonn  1892;  Th.  Matthias,  Sprachleben  und 
Sprachschaden,  Leipzig  1892,  zweite  Auflag-e,  Leipzig  1897. 


104  Pddagogische  Monatsbefte. 

Ausdruck  ist  fast  immer  klar  und  knapp,  die  Beobachtung  oft  iiberraschend 
fein,  einmal  iibers  andere  trifft  der  Verfasser  den  Nagel  auf  den  Kopf. 
Die  einzelnen  Kapitel  sind  kurz,  die  Beispiele  gewohnlich  zahlreich  und,  wo 
es  angeht,  wie  in  der  Satzlehre,  auch  sinnreich  gewah.lt,  so  dass  sie  auch 
Eum  Nachdenken  iiber  andere  als  sprachliche  Fragen  anregen  —  was  frei- 
lich  auch  wieder  ein  Nachteil  sein  konnte.  Gut,  zum  Teil  ausgezeichnet, 
sind  die  Abschnitte  iiber  Unterdriickung  des  Subjekts;  ,,die  Ausstattung 
war  eine  glanzende;"  Missbrauch  des  Imperfekts;  Worden;  Wurde,  war,  ist 
geboren;  Erzahlung  und  Inhaltsangabe;  Tempusverirrung  beim  Infinitiv; 
tWelch  letzterer;  fortgesetzte  Relativsatze;  Relativsatz  statt  eines  Haupt- 
satzes;  das  Partizipium,  ,,die  stattgefundene  Versammlung*"  ,,das  sich  er- 
eignete  Ungliick;"  der  erstere  und  der  letztere;  Derselbe;  Darin,  daraus 
u.  s.  w.;  Derjenige;  Jener;  die  Stellung  der  personlichen  Fiirworter;  der 
Dritte  und  der  Andre. 

Damit  wird  die  Liste  der  Vorziige  so  ziemlich  erschopft  sein.  Eine 
Darlegung  des  Schadens,  den  der  Sprachforscher  in  dem  Buche  erblicken 
muss,  diirfte  viel  langer  ausfallen. 

Zunachst  fehlt  es  dem  Leipziger  Stadtarchivar  —  beim  Erscheinen  der 
ersten  Auflage  hielten  ihn  viele  ftir  einen  Schulmeister  —  auf  dem  Gebiete 
der  Sprache  am  historischen  Sinne,  am  Verstandnis  fiir  die  Entwieklung 
der  Sprache  im  allgemeinen  und  fiir  die  Entwieklung  der  deutschen 
Schriftsprache  im  besondern.  In  Einzelheiten  ist  zwar  der  ersten  Atiflage 
gegeniiber  viel  geandert;  iiberall  merkt  man  die  nachbessernde  Hand  von 
dem  Sohne  des  Verfassers,  dem  Dr.  Rudolf  Wustmann;  der  Abschnitt  iiber 
die  untrennbaren  Prafixe  S.  343  ff.  stammt  dem  Inhalte  nach  a  us  dessen 
1894  erschienener  Dissertation  ,,Verba  perfectiva,  namentlich  im  Heliand," 
worin  der  pfiichtgetreue  Sohn  auch  das  Racheramt  an  dem  bosen  Wunder- 
lich  iibernahm  fiir  dessen  Angriffe  auf  den  Papa  und  eine  mehrjahrige 
Familientragikomodie  in  Szene  setzte.  Tief  aber  ist  dieser  historisierende 
Einfluss  nicht  gegangen.22)  Wollte  man  das  Buch  mit  der  wissenschaft- 
lichen  Sprachforschung  in  Einklang  bringen,  so  verlore  es  seine  ganze  Ei- 
genart.  Die  frische  Schreibweise  wird  ja  zum  Teil  dadurch  erreicht,  dass 
Wustmann  sich  iiber  Lappalien,  wie  sie  die  geschichtliehen  Tatsachen  nun 
einmal  sind,  je  nach  Bedarf  auch  mit  souveraner  Grandezza  hinwegsetzt. 
Und  selbst  zugegeben,  dass  das  Buch  gegen  friiher  um  fiinfundsiebenzig 
Prozent  besser  geworden  ist,  so  will  das  wenig  bedeuten;  der  Geist  des 
Buches  ist  ungeschichtlich  geblieben.  Nach  annahernd  einem  vollen  Jahr- 
hundert  eifrigsten  historischen  Sprachstudiums  kann  man  aber  unmoglich 
die  grossre  Halfte  seiner  Schuld  dem  ungliickseligen  Gestirn  der  tiber- 
lieferung  zuwalzen. 

Wustmann  geht  von  der  gesprochenen  Sprache  aus,  deren  lebendigen 
Fluss  er  auch  fiir  die  geschriebene  verlangt,  und  betont  nachdriicklich  den 
Grundsatz:  ,,Schreibe  nichts,  was  du  nicht  auch  sagen  wiirdest."  Dies  ist 
zweifellos  eine  verniinftige  Anschauung,  wie  ja  auch  die  Umkehrung  ,,Sage 
nichts,  was  du  nicht  auch  wohliiberlegt  schreiben,  d.  h.  deinem  lieben 
Kebenmenschen  schwarz  auf  weiss  geben  wiirdest"  als  gesunde  Lebensregel 

22)  Dm  im  einzelnen  zu  verfolgen,  ist  mir  unmoglich,  da  mir  hier  kein 
Exemplar  der  ersten  Auflage  zur  Verfiigung  steht.  Ich  muss  mich  also  auf 
mein  Gedachtnis  verlassen  und  kann  mich  in  manchem  irren,  denn  seit  dem 
ersten  Erscheinen  des  Buches  hatte  ich  mich  nicht  mehr  damit  befasst. 


Zur  geset^gelwiden  Grammatik.  105 

gelten  darf.  Aber  in  blinder  Einseitigkeit  treibt  Wustmann  seine 
Forderung  auf  die  Spitze  und  verkennt  dabei  vollig,  dass  es  zwischen  ge- 
schriebener  Rede  und  gesprochener  Rede  eben  auch  wesentliche  Unter- 
schiede  gibt,  was  Behaghel23)  sehr  anschaulich  dargestellt  hat.  Wortlich 
genommen  ist  Wustmanns  Forderung  ohnehin  undurchfiihrbar;  ein  Fall 
wie  der  Goethes,  der  nach  mehrerer  Zeugnis  genau  so  sprach  wie  er 
schrieb,24)  scheint  vereinzelt  dazustehen. 

Nicht  zu  billigen  ist  es,  dass  Wustmann  als  Norm  fur  das  Gemein- 
deutsche  das  Sachsische  ansieht.  Hier  spuken  wiederum  die  Geister  Gott- 
scheds  und  Adelungs.  Wustmann  sagt  zwar  dafiir  Mitteldeutsch;  aber  das 
ist  in  mehreren  Fallen  entweder  Selbsttiiuschung  oder  eine  ungerechtfer- 
tigte  Einschrankung  des  Begriffes  auf  Sachsisch-Thiiringisch.  Und  dieses 
als  Muster  hinzustellen  hat  heutzutage  ungefahr  ebensoviel  Sinn  als  die 
Zumutung,  die  einheitliche  Aussprache  des  Deutschen  nach  dem  gemied- 
lichen  Leibzcher  Dialekte  zu  gestalten.  Verhehlen  wir  Mitteldeutschen  uns 
die  Tatsache  nicht,  dass  die  sprachliche  Fiihrung,  die  noch  in  mittelhoch- 
deutscher  Zeit  Oberdeutschland,  dann  lange  Jahrhunderte  Mitteldeutsch- 
land  zugefallen  war,  heute  an  Norddeutschland  iibergegangen  ist.  Wir 
mogen  das  bedauern;  andern  konnen  wir  es  nicht.  Eher  noch  konnten  sich 
Mittel-  und  Siiddeutschland  mit  Erfolg  gegen  die  unaufhaltsam  vor- 
riickende  Verpreussung  im  politischen  Leben  wehren.  Die  Einigung  der 
Gemeinsprache  wird  dieses  Verriicken  des  Schwerpunktes  freilich  nicht 
fordern;  und  darum  ist  zu  hoffen,  dass  es  Mitteldeutschland  recht  bald  be- 
schieden  sein  moge,  durch  Erzeugung  der  fiihrenden  Geister  im  Schrift- 
tum  sich  seinen  Ehrenplatz  zuriickzuerobern. 

Mit  der  Fehlerhaftigkeit  in  den  Grundlagen  verbindet  nun  Wustmann 
die  grossartigste  Selbstuberhebung  und  Anmassung.  Und  die  ist  das 
Grundiibel  des  Buches;  denn  sie  erzieht  systematisch  zur  Unduldsamkeit 
gegen  die  Sprache  des  Nachsten,  sei  er  Freund  oder  Feind.  Wustmann  ge- 
liardet  sich  wie  ein  Sprachschutzmann,  der  unserm  geliebten  Deutsch  aus 
der  von  einem  Wagnerianer  beklagten  Verrottung  die  vom  selbigen  er- 
sehnte  Errettung  zu  bringen  sich  berufen  fuhlt.  Doch  um  meine  Anklage 
zu  beweisen,  wenden  wir.  uns  zum  Vorwort  zur  dritten  Auflage. 

Gleich  im  ersten  Abschnitte  erzahlt  hier  Wustmann,  er  habe  in  den  letz- 
ten  Jahren,  nachdem  er  die  ,,Sprachdummheiten"  vollig  aus  den  Augen  ver- 
loren  hatte,  sich  ein  paarmal  aus  einer  bekannten  Sprachzeitschrift  Be- 
lehrungen  notiert,  die  ihm  durch  ihre  iiberzeugende 
.Klarheit  und  Sicherheit  angenehm  aufgef alien  seien,  und  die 
seien,  wie  er  sich  nachtriiglich  iiberzeugt  habe,  einfach  aus  seinen 
..Sprachdummheiten"  abgeschrieben  gewesen.  Wenn  nun  einem  ein  Kri- 
tiker  iiberzeugende  Klarheit  und  Sicherheit  nachriihmt,  so  hat  der  Gelobte 
gewiss  ein  Recht,  sich  daruber  zu  freuen;  man  darf  auch  im  Vorwort  oder 
sonstwo  kecklich  erklaren,  man  habe  in  der  Darstellung  nach  solchen 


23)  A.  a.  O.,  S.  45  ff.     Aus  dem  Buche  dieses  Gelehrten,  das  in  seiner 
Art  ein  kleines  Meisterwerk  ist,  konnte  uberhaupt  Wustmann  bei  einiger- 
massen  gutem  Willen  mehr  lernen,  als  Behaghel  Wustmann  verdanken  soil. 

24)  Vgl.   Goethe-Jahrbuch  17,   S.   62,   und  die  tiefgriindige  Abhandlung 
Dr.    E.    A.    Bouckes,     ,,Associative     and    Apperceptive    Types     of    Sentence 
Structure,"  Journal  of  Germanic  Philology,  vol.  IV,  p.  401. 


106  Padagogische  Monatshefte. 

Eigenschaften  gestrebt.     In  der  gegebenen  Fassung  abcr  liegt  ein  heraus- 
forderndes  Eigenlob. 

,,Mein  Buch,"  heisst  es  weiter,  ,,hat  zwar  grossen  aussern  Erfolg  ge- 
habt,  aber  doch  eigentlich  wenig  geniitzt."  Ein  bemerkenswertes  Zuge- 
standnis!  Und  doch,  glaube  ich,  irrt  sich  der  Verfasser  hier.  Er  sucht  den 
Nutzen  jedenfalls  darin,  dass  die  zahlreichen  Leser  sich  womoglich  all 
seinen  Forderungen,  ob  richtig  oder  falsch,  anbequemen  sollten.  Das  wiire 
naturlich  eine  unerfiillbare  Zumutung.  Der  wirkliche  Nutzen,  der  dem 
Buche  nicht  abzusprechen  ist,  besteht  wie  schon  erwiihnt  in  der  Aut'riitt- 
lung  des  Sprachgewissens  und  der  Erweckung  allgemeineren  Interesses 
an  sprachlichen  Dingen.  Wer  Nutzen  davon  haben  wolle,  miisse  sich  den 
Geist  des  Buches  zu  eigen  machen,  meint  der  Verfasser  weiterhin.  Nein! 
gerade  davor  muss  er  sich  hiiten,  will  er  Nutzen  daraus  ziehen;  denn  der 
Geist,  wiederholen  wir  es,  ist  der  unwissenschaftlicher  Kechthaberei.  Da- 
fur  ein  weiteres  Beispiel:  ,,Vor  zwolf  Jahren,"  sagt  Wustmann  auf  Seite 
X,  ,,schrieb  ich  in  der  Einleitung  zu  diesem  Buche,  ich  ginge  jede  »*ette 
mit  ein,  dass  ich  in  jedem  neu  erschienenen  Buche,  wo  ich  es  auch  auf- 
schliige  und  den  Finger  hineinsetzte,  in  einem  Umkreis  von  fiinf  Zentime- 
tern  um  die  Fingerspitze  eine  Sprachdummheit  nachweisen  wollte.  Die 
fiinf  Zentimeter  konnte  ich  jetzt  ruhig  streichen."  Soil  das  vielleicht  ein 
schlechter  Witz  sein?  Wo  nicht,  heisst  das  dann  nicht  soviel,  dass  der 
Einzige,  der  noch  ohne  Sprachdummheiten  Deutsch  schreiben  konne,  mit 
dem  Herrn  Leipziger  Stadtarchirar  Gustav  Wustmann  identisch  sei?  t)bri- 
gens  mochte  ich  dem  Verfasser  verraten,  dass,  wenn  er  sich  die  Miihe  neh- 
men  will,  in  der  Erzahlung  ,,Zwei  Gefangene"  von  Paul  Heyse,  dem  er  als 
bestem  deutschen  Stilisten  der  Gegenwart  sein  Buch  widmefc,  auf  Seite  eins 
der  Reclamschen  Ausgabe  den  Finger  einzxisetzen,  ihm  innerhalb  der  ge- 
nannten  fiinf  Zentimeter  auch  eine  Erscheinung  begegnen  muss,  die  er, 
und  diesmal  mit  Recht,  als  Sprachdummheit  klassifiziert. 

Die  Art,  wie  auf  Seite  XIII  dem  Sprachgebrauch.  der  Text  gelesen  wird. 
kann  ich  mit  Wustinanns  immer  wiederholter  Forderung,  stets  axif  di* 
miindliche  Rede  zu  acht«n,  nicht  in  Einklang  bringen.  Der  Sprachgebrauch 
stiitzt  sich  doch  vornehmlich  auf  die  gesprochene  Sprache.  Wustmann 
fiihrt  hier  missbilligend  den  Ausspruch  an,  wenn  der  Sprachgebrauch  sich 
f  iir  etwas  entscheiden  zu  wollen  scheine,  so  habe  er  immerhin  eine  gewisse 
Berechtigung.  Immerhin  eine  gewisse!  Auch  wir  missbilligen  den  Aua- 
spruch,  aber  nicht  in  Wustmanns  Sinn.  Es  gibt,  wie  im  Leben,  so  auch  in 
der  Sprache,  Tagesmoden,  denen  man  sich  vornehm  fernhalten  darf,  — • 
erinnern  wir  nur  an  das  ganz  alberne  Modewort  fin  de  sigcle,  das  ja  nun 
gottlob  abgetan  ist.  Der  Sprachgebrauch  als  Ganzes  aber  steht  auf  einer 
Stufe  mit  der  herrschenden  Sitte,  und  sich  der  zu  widersetzen  ist  nicht 
vornehm,  solange  wir  nicht  Eigenes,  Besseres  als  Ersatz  dafiir  bieten. 
Wieviel  dabei  der  Einzelne  seinem  Geschmack  zutrauen  will,  muss  er  mit 
sich  selbst  ausmachen.  Meinem  Gefiihle  nach  ist  z.  B.  Werdegang,  das 
Wustmann  so  hart  verurteilt,  ein  schones,  vornehmes  Wort,  auf  das  wir 
stolz  sein  diirfen.  Ich  glaube  hier  sogar  die  Mehrheit  auf  meiner  Seite  zu 
haben.  Und  so  wird  es  ohne  Zweifel  noch  in  vielen  andern  Fallen  sein. 
Aber  wie  schon  friiher  ausgefiihrt,  der  Geschmack  besagt  in  der  Gramma- 
tik  und  im  lexikalischen  Wortschatz  so  gut  wie  nichts;  sein  Gebiet  ist 
lediglich  die  Stilistik  und  die  individuelle  Wortwahl  und  Wortverwendung. 
Ein  Bedenken  kann  ich  hier  nicht  unterdriicken.  Ich  traue  dem  Geschmacke 


Zur  geset^gebenden  Grammatik.  107 

tines  arbiter  elegantiarum  nicht  so  recht,  der  dem  allgemeinen  Ge- 
schmacke  aufhelfen  zu  konnen  vermeint,  wenn  er  nur  bestandig  alle  Ab- 
\veichungen  vom  Hergebrachten  als  Dummheiten  und  Gestammel  brand- 
markt.  Ein  merkwiirdiges  Zeugnis  fiir  seinen  Geschmack  stellt  sich  der 
alte  Herr  auch  aus,  wenn  er  einmal,  wo  er  aufs  Englische  zu  sprechen 
kommt,  sich  ganz  polizeiwidrig  gemein  ausdriickt.  Fiir  eine  vierte  Auflage 
wiire  dem  Verfasser  in  solchen  Stiicken,  um  genau  zu  erfahren,  was  sich 
ziemt,  die  Anfrage  bei  edeln  Frauen  dringend  zu  empfehlen. 

Wenn  Wustmann  auf  derselben  Seite  mil  der  Bemerkung,  man  habe 
sogar  angefangen,  sich  um  die  Geschichte  des  Satzbaus  zu  kiimmern,  wozu 
freilich  sein  Buch  Tielfach  Anlass  gegeben  habe,  wenn  er  damit  einen 
$eitenhieb  auf  Professor  Wunderlich  ausfiihren  will,  so  ist  mir  das  nicht 
ganz  verstandlich.  Wunderlichs  deutscher  Satzbau  ist  nicht  aus  der  Be- 
wegung  gegen  die  ,,Sprachdummheiten'  hervorgegangen. 

Auf  den  Untertitel  ,,Kleine  deutsche  Grammatik  des  Zweifelhaften,  des 
Falschen  und  des  Hasslichen"  tut  sich  Wustmann  nicht  wenig  zugute.  Ich 
sehe  darin  nur  einen  seltsamen  Gebrauch  des  Wortes  Grammatik.  Darunter 
habe  ich  mir  immer  eine  Darstellung  des  richtigen  Sprachgebrauchs  vor- 
g-estellt;  Sprachlehre  sagten  wir  dafiir  in  der  Volksschule.  Aus  einer 
Grammatik  des  Deutschen  lernt  man  das  Deutsche  geb  rauchen; 
also  darf  man  auch  kaum  erwarten,  aus  einer  Grammatik  des  Hasslichen 
dies  vermeiden  zu  lernen. 

Zum  Schlusse  beklagt  Wustmann  das  Fehlen  akademischer  Vor- 
lesungen  ,,ttber  Grammatik  und  Stilistik  der  heutigen,  der  lebendigen 
Sprat-he,  auf  sprachgeschichtlicher  Grundlage  und  mit  sprachkiinstlerischen 
Absiehten  und  Zielen."  Der  lluf  nach  der  Einfiihrung  solcher  Vorlesungen 
und  praktischer  tfbungen  im  Anschlusse  daran  ist  in  den  letzten  Jahren 
ofters  erhoben  worden,  z.  B.  in  P.  von  Salvisbergs  Hochschulnachrichten; 
man  hat  sogar  schon  behauptet,  die  deutschen  Studenten  verlernten  auf 
dt>r  Hochschule  die  auf  dem  Gymnasium  erworbene  Fahigkeit,  sich  schrift- 
lich  auszudriieken.  Lyon  verlangte  selbst  akademische  Lehrstiihle  fiir 
Dichter,  um  zugleich  den  Fortschritten  der  Poetik  Rechnung  zu  tragen.25) 
Ich  bezweifle,  dass  damit  der  gedeihlichen  Forderung  der  deutschen  Dicht- 
kunst  gedient  ware;  und  niemand  steht  dafiir  ein,  dass  dann  nicht  den  jun- 
gen  Akademikern  die  gewagtesten  Ansiitze  zu  einem  Zukunftsstil  und  das 
halt-lose,  ohnmiichtige  Gestotter  einer  Hypermoderne  ex  cathedra  vordo- 
ziert  wiirden.  Viel  praktischer  schienen  mir  Lehrgange  und  tJbungen  in 
Aufsatz  und  Stilistik,  wic  sie  an  den  amerikanischen  Universitaten  fiirs 
Englische  eingerichtet  sind.  Den  deutschen  Verhaltnissen  angepasat, 
tniissten  sie  sich  auch  dort  fruchtbringend  erweisen. 

Doch  nun  zu  einigen  Einzelheiten.     Folgen  wir  dabei  dem  Buche  selbst. 


A.  a.  O.,  S.  3. 

(Schluss  folgt.) 


Lehrproben  zum  deutschen  Unterricht  nach 
konkreter  Methode. 


(FQr  die  P3dagoglschen  Honatsliefte. 

Von  Dr.  Arthur  Altschul,  San  Francisco. 


I. 
Eine  Lesestunde  In  der  sechsten  Volksschulklasse. 

In  der  Novembernummer  der  P.  M.  babe  ich  die  natiirliche  (oder,  wie  ieh 
von  jetzt  ab  lieber  sagen  will,  die  konkrete)  Metbode  des  Sprachunterriehts 
in  Ihren  Hauptziigeu  zu  schildern  gesucht.  Im  Anschluss  daran  sehien  es 
mir  nun  geraten,  den  Lesern  dieses  Blattes  darzulegen,  wie  ich  mir  die  An- 
wendung  der  dort  besprochqnen  Priuzipien  und  Verfahren  auf  bestimmte 
amerikaniscbe  Schulverhaltnisse  vorstelle.  Zu  diesem  Zweck  gedenke  icb  bier 
einige  auf  meiner  eigenen  Praxis  berubende  Lehrproben  mitzuteilen.  Eine 
solche  Lehrprobe  kann  natiirlich  nicht  darauf  Anspruch  macben,  in  ihrein  gan- 
zen  Umfang  als  ein  Muster  und  Vorbild  zu  gelten,  dessen  Nachahrnung  in  je- 
dem  Fall  zu  einpfehleu  ware;  dafiir  sind  Umstande  und  Verhaltnisse  von  Fall 
zu  Fall  zu  verschiedeu.  So  zeigt  die  folgende  Lehrprobe  die  Spuren  der  beson- 
deren  Verbaltnisse,  unter  denen  icb  arbeite,  und  maiiche  der  daraus  entsprin- 
genden  Ziige  der  Bebaudlung  wiirden  moglicherweise  von  Kollegen,  die  etwa 
durch  meiue  Mitteilungen  zu  eineui  ahnlichen  Vorgeben  sicb  angeregt  finden 
sollten,  modifiziert  oder  auch  ausgeschieden  werden  miissen.  Dahin  gehort 
der  stellenweise  ziemlich  ausgedebnte  Gebraucb  des  Englischen,  der  sich 
daraus  erklart,  "dasz  icb  auf  die  —  in  alien  meinen  Klassen  vorbandenen  — • 
Schiller,  die  erst  kiirzlich  deutsch  zu  lernen  angefangen  baben  oder  aus  sonst 
eineru  Grunde  irn  Deutschen  zuriickgeblieben  sind,  Riicksicht  nehmen  musz. 
Eine  Eigentiimlichkeit,  die  manchein  Leser  noch  unliebsamer  auffallen  diirfte, 
ist  das,  wie  es  scbeiueu  konute,  ganz  iiberuiaszig  langsame  Vorgehen.  Nun 
musz  man  nicbt  deuken.  dasz  ich  den  Lesestoff  iuimer  so  eiugehend  behandle; 
manchmal  gehe  ich  bedeutend  gescbwiuder  vor;  doeh  halte  ich  ein  solches 
bedachtiges,  griindliches  I>urcbsprecheu,  wie  ini  Folgenden  dargestellt  ist,  fiir 
das  einzige  Mittel,  dein  Schiller  neue  Kenntnis  so  beizubringen,  dasz  sie  ihin 
wirklich  zu  Fleiscb  und  Blut  wird.  Wenn  ich  niir  eineu  etwas  unasthetischen, 
aber  treffendeu  Vergleich  erlauben  darf,  so  mocbte  ich  sagen:  wenu  die  den 
Schiilern  gebotene  Speise  ordentlicb  verdaut  und  assiniiliert  werden  soil,  so 
musz  sie  zuerst  von  Lehrer  uud  Schiilern  gemeinscbaftlich  tiichtig  durchge- 
kaut  uud  wiedergekaut  werden.  Fiir  rneine  Praxis  kommt  auch  nocb  in  Be 
tracbt,  dasz  ich  keine  Hausarbelt  vevlange;  also  was  gelernt  werden  soil,  musz 
in  der  Schulstunde  gelernt  werden.  Sollte  trotz  dem  Gesagten  der  L«ser  sicb 
daran  stoszen,  dasz  das  in  der  ganzen  gescbilderten  Lesestunde  im  Buch  Gele- 
sene  sicb  auf  kaum  drei  Zeilen  belauft,  so  will  ich  gestehen,  dasz  ,, Lese- 
stunde" eigentlicb  keine  recht  zutreffende  Bezeichnung  ist:  es  handelt  sicb 
um  eine,  an  einen  gedruckteu  Text  sich  anschlieszende,  allgerneine  Sprach- 
iibung,  wobei  nicht  uur  das  Versteben  von  Gedrucktem  und  das  Lautlesen 
geiibt  wird,  sondern  auch  das  Sprecben,  vor  allem  aber  das  Verstehen  von 
Gesprochenem  (aus  welchern  sicb  ja  das  Versteben  von  Gedrucktem  fast  un- 
mittelbar  ergibt,  walirend  das  Umgekebrte  keineswegs  der  Fall  ist). 

Im  Folgenden  kommen  nur  acht  Scbiileruamen  vor,  die  aber  samtliche 
Mitglieder  der  Klasse  reprasentieren  sollen.  Mit  Anna,  Fritz  und  Wilhelm 
sind  alle  Schiilerinuen  gemeint,  die  vom  Elternhause  aus  mit  der  Sprache  mehr 
oder  minder  vertraut  siud:  mit  Mary,  Ruth  und  John  alle  die,  die  ihr  Deutscb 
ausscblieszlich  der  Schule  verdauken.  aber  tiicbtige  Fortscbritte  darin  gemacbt 


Lekrproben  {urn  deutschtn  Unterricht  nack  honkreter  Methode.       109 

haben;  mit  Caterina  und  Patrick  alle,  die  im  Deutschen  stark  zuriick  siiid. 
Nach  diesen  einleitenden  Bemerkungen  folge  nun  die  Lehrprobe  selbst. 

We  will  read.  Open  your  books  (Weick  und  Grebners  Zweites  Lesebucb), 
page  45.  1st  dein  Buch  offen,  John?  —  Ja,  mein  Buch  ist  offen.  —  1st  dein 
Buch  auf  oder  zu,  Ruth?  —  Mein  Buch  ist  auf.  —  Mary,  mache  dein  Buch 
zu;  mache  es  auf.  Anna,  auf  welcher  Seite  ist  dein  Buch  offen?  —  Mein 
Buch  ist  auf  Seite  45  offen.  —  Wieviele  Lesestxicke  fangen  auf  dieser  Seite 
an?  Mary!  —  Zwei.  —  Fritz,  answer  in  a  sentence!  —  Zwei  Lesestucke  fan« 
gen  auf  dieser  Seite  an.  —  We  will  read  number  36;  wir  wollen  Numiner  36 
lesen.  Ist  Numiner  36  ein  Gedicht?  —  John!  —  Nein,  Nummer  36  ist  keia 
Gedicht.  —  Gut.  Wie  heiszt  dieses  Lesestuck?  Patrick,  you  don't  under- 
stand the  question?  —  No,  sir.  —  Wie  heiszt  du?  (Da  Patrick  uicht  antwortet, 
richtet  der  Lehrer  dieselbe  Frage  an  verschiedene  andere  Schiiler,  die  alle 
antworten,  und  kehrt  dann  zu  Patrick  zuriick.)  Wie  heiszt  du?  —  Patrick.  — 
Gut.  John,  wie  heiszt  dieses  Lesestuck?  —  Die  schlaue  Katze.  —  Gut.  ,,Die 
schlaue  Katze,"  das  ist  die  tJberschrlft.  Who  does  not  understand  ,,tJber- 
schrift"?  (Verschiedene  Schuler  heben  die  Hand  auf.)  Cberschrift:  t)ber- 
Schrift.  Mary,  was  ist  ,,iiber"  auf  englisch?  —  Over.  —  Was  ist  ,,Schrift"? 
Think  of  ,,schreiben".  —  Write.  —  No.  ,,Schrift"  is  a  noun.  —  Writing.  — 
Yes.  Who  can  name  a  word  similar  (dies  ist  mein  Schulausdruck  fur  "cognate 
word")  to  ,,Schrift"  in  English?  Wilhelm!  —  Script  —  Good.  Ruth,  was  ist 
,,t)berschrif t"  ?  —  Over- writing.  —  Gut.  Das  Lesestuck  hat  eine  ttber- 
schril't.  John,  wo  ist  die  Uberschrift?  —  (John  zeigt  sie  in  seinem  Buch.)  — 
Translate  ,,t)berschrift."  —  The  heading.  —  Gut.  Die  Geschichte  heiszt  ,,Die 
schlaue  Katze."  Ist  es  eine  Tiergeschichte?  Fritz!  —  Ja,  es  ist  eine  Tierge- 
schichte.  —  Ist  eine  Katze  ein  Tier,  Caterina?  —  Ja,  eiu  Kasse  ist  ein  Tier.  — 
Ein  e  Ka  t  z  e  ist  ein  Tier.  Say  it  again!  —  Eine  Katze  ist  ein  Tier.  —  Das 
Lesestuck  ist  eine  Geschichte  von  eineni  Tier.  Von  was  fur  einem  Tier? 
Patrick,  you  don't  understand  it?  —  No,  sir.  —  Well,  listen!  Anna,  du  hast 
ein  Buch  in  der  Hand.  Ist  das  ein  englisches  Buch?  —  Nein.  —  Was  fur 
ein  Buch  ist  es?  —  E»  ist  ein  deutscbes  Buch.  —  Gut.  Hast  du  ein  rotes 
Kleid  an?  —  Nein.  —  Was  fur  ein  Kleid  hast  du  an?  —  Ich  babe  ein 
blaues  Kleid  an.  —  Patrick,  do  you  understand  it  now?  —  Yes,  sir.  —  Was 
ftir  ein  Buch  ist  das?  —  Das  ist  ein  deutsches  Buch.  —  Was  fur  ein  Ding 
ist  das,  John?  —  Das  ist  ein  Bleistift.  —  Von  was  fur  einem  Tier  erzahlt 
die  Geschichte?  John!  —  Die  Geschichte  erzahlt  von  einer  Katze.  —  Von 
was  fur  einer  Katze?  —  Von  einer  schlauen  Katze.  —  Translate  ,,scblau"!  — 
Cunning.  —  Better  use  the  similar  word.  —  Sly.  —  That's  it.  Welches  Tier 
ist  sehr  schlau?  Anna!  —  Der  Fuchs  ist  sebr  schlau.  —  Ja.  Ist  die  Cans 
schlau?  Ruth!  —  Nein,  die  Gans  ist  nicht  schlau.  —  Wie  ist  die  Cans?  —  Die 
Cans  ist  dumm.  —  Caterina,  translate  ,,dumm."  —  ,,Dumb."  —  No.  Der  Fuchs 
ist  schlau,  die  Gans  ist  dumm.  The  fox  is  sly,  the  goose  is  —  what  do  you 
suppose?  —  Stupid.  —  Yes.  Die  Gans  ist  dumm.  1st  der  Hund  dumm?  — 
Nein.  —  Ist  das  Pferd  dumm?  —  Nein.  —  Ist  das  Schaf  dumm?  —  Ja.  —  Was 
fur  ein  Tier  ist  der  Fuchs?  —  Mary!  —  Der  Fuchs  ist  ein  schlaues  Tier.  — 
Was  fur  ein  Tier  ist  die  Gans?  Patrick!  —  Die  Gans  ist  ein  dummes  Tier. 
(Mehrere  Schuler  mussen  sagen  ,,Der  Fuchs  ist  schlau,  die  Gans  ist  dumm." 
,,Der  Fuchs  ist  zu  schlau  fur  die  durame  Gans.") 

Now  we  come  to  the  story.  "Die  Nachbarin  hat  einen  zahmen  Zeisig." 
Who  understands  it?  (Hande.)  Ruth,  translate.  —  "The  neighbor  has  a  tame 
gold-finch."  —  Not  a  gold-finch;  a  siskin.  Der  Zeisig  ist  ein  hiibscher  kleiner 


110  Padagogiscbe  Monatshefle. 

Vogel.  Seine  Federn  sind  grun.  In  Deutschland  giebe  es  vielc  Zeisige.  "Tlie 
neighbor  has  a  tame  siskin."  Ruth,  was  the  neighbor's  name  Mr.  Brown?  — 
I  don't  know.  —  Anna!  No,  it  was  not.  —  How  do  yon  know?  —  It  says  ,,Nach- 
barin."  —  That's  right.  ,,NaehbarSn"  means  a  woman,  or  a  girl.  If  you  mean 
H  man,  or  a  boy,  what  do  you  say?  Fritz!  —  Naehbar.  —  Good.  Herr  M  tiller 
ist  inein  Naehbar,  und  Frau  Miiller  ist  rueine  Nachbarin.  Taul  1st  Emmas 
Naehbar;  Emma  ist  Pauls  Nachbarin.  Mary,  ist  Anna  dein  Freund?  —  Ja.  — 
Nein!  Anna,  ist  Mary  dein  Freund?  —  Neiu,  Mary  ist  uicht  rnein  Freund.  — 
(Mary  ist  sehr  verdutzt.)  —  1st  Ruth  dein  Freund?  —  Nein.  —  Caterina?  — 
Nein.  —  Fritz?  —  Ja,  Fritz  ist  mein  Freuud.  So?  Fritz  ist  deiu  Freuud,  aber 
Mary  nicht?  Was  ist  Mary?  —  Mary  ist  meine  Freuudin.  —  (Mary  geht  ein 
Licht  auf.)  —  Ist  Ruth  deine  Freundin?  —  Ja.  —  John,  ist  Mary  eiu  guter 
Schiller?  —  Ja.  —  Nein.  Ist  Mary  ein  Freund  von  Anna?  —  Neiu.  —  Ist 
Mary  ein  Schiller?  —  Ja.  —  Nein.  Mary  ist  eiue  Schulei'in.  let  Wilhelm 
eine  Schiileriu?  (Heiterkeit.)  Ist  Miss  Smith  ein  Lelirer?  —  Nein.  (Ver- 
schiedene  Schiiler  miissen  sageu,  und  einer  an  die!  Wandtafel  techreiben: 
,,Otto  ist  mein  Freund  und  Agnes  meine  Freundin.  Hans  ist  ein  Schiiler  und 
Minna  eine  Schiilerin.  Herr  Miiller  ist  mein  Lehrer  und  Fraulein  Smith  meine 
Lehrerin.") 

We  will  go  on.  ,,Die  Nachbarin  hat  einen  zahmeu  Zeisig."  Wer  von  euch 
hat  einen  zahmen  Vogel  zu  Hause?  Du  hast  einen,  Wilhelrn?  Was  fiir  eineu? 
Ich  habe  einen  zahmen  Kanarienvogel  zu  Hause.  —  Ist  er  ganz  zahni?  —  Ja, 
er  ist  gauz  zahm-  —  Was  ist  das  Gegenteil  von  zahni?  —  Das  Gegenteil  von 
xalun  ist  wild.  —  Ja,  ,.Die  Nachbarin  hat  einen  zahmen  Zeisig,  den  sie  oft 
aus  dem  Kafig  laszt."  Translate  ,,den,"  Mary,  —  "The."  —  No.  —  ,,Den" 
very  often  means  "the,"  but  here  it  does  not.  ,,Den  Mann,"  "the  man,"  ,,den 
Vater,"  "the  father;"  but  here  there  is  no  noun  after  ,,den."  Well,  Wilhelm, 
what  do  you  say?  —  It  means  "him."  —  No.  Translate  ,,E>er  Mann,  der  hier 
ist."  —  "The  man,  he  is  here."  —  No;  that  would  be  in  German  ,,Der  Maun, 
der  ist  hier."  Translate  ,,Der  Mann,  der  hier  ist,  ist  mein  Freund."  —  "The 

man,  who  is  here,  is  my  friend."  —  Now  translate  ,,einen  Zeisig,  den  ".  — 

"A  siskin,   which    ".   —   Good.     Mary,   translate   ,,den    sie  oft   aus   dem 

Kafig  laszt."  —  I  don't  understand  the  last  word.  —  No?  Sieh:  ich  lasse  mei- 
iien  Bleistift  fallen.  Die  Gans  sagl  «um  Fuchs  ,,Lasz  mien  gehen!"  Do  you 

understand  that?  —  Yes.  —  Well,  go  on.  —  that  she  often  lets  out  of 

the  cage."  —  Good.  ,,Die  Nachbarin  hat  eiuen  zahmen  Zeisig,  den  sie  oft  aus 
dem  Kafig  laszt."  Lies  den  Satz  vor,  Ruth.  (Ruth  liest.) 

In  the  next  clause  I  want  you  to  change  two  words.  Change  ,,lieblieh" 
to  ,,niedlich,"  and  ,,umher"  to  ,,herum."  ,,Dann  hiipft  das  niedliche  Tierchcn 
in  der  Stube  heruru."  ,,Das  Tierchen."  Who  does  not  understand  that?  (Nie- 
mand  meldet  sich.)  ,,Das  niedliche  Tierchen."  Ist  der  Elefant  ein  niedliches 
Tierchen?  (Heiterkeit.)  John!  —  (Nach  langereni  Besinnen:)  Ja.  (Groszer 
Jubel.)  —  Tell  him  what  he  said,  Mary.  —  "The  elephant  is  a  cute  little 
animal."  —  John,  ist  der  Elefant  ein  Tierchen?  —  Nein.  —  Ist  der  Elefant 
niedlich?  —  Nein.  —  Sentence!  —  Nein,  der  Elefant  ist  nicht  niedlich?  - 
Who  noticed  a  mistake  in  pronunciation?  Anna!  —  He  said  ,,niedlich"  (mit 
weichem  Laut  des  d).  What  do  you  say?  —Niedlich.  —  Good.  (Der  Lehrer 
schreibt  die  f olgenden  Worter  an  die  Waudtafel  und  laszt  sie  wiederholt  lesen, 
mit  b,  d,  g  =  p,  t,  k:  "niedlich,  landlich,  freundlich,  eudlich,  endlos,  lieblich, 
Liebling,  lieblos,  gelblich,  taglich,  klaglich;"  dazu  auch  "Roslein  Hauslein, 
Haslein"  mit  s  =  ss.)  Wer  hat  ein  Katzchen  zu  Hause?  (Hande.)  Ruth,  ist 
dein  Katzchen  niedlich?  —  Ja,  mein  Katzcheu  ist  niedlich.  —  Was  ist  uied- 


Lehrproben  %um  deutschen  Unterricht  nach  konkreter  Methode.        Ill 

licher,  eine  Katze  ocler  ein  Katzchen?  John!  —  Ein  Katzchen  1st  niedlicher 
als  eine  Katze.  —  Sind  alle  Hunde  niedlich?  Fritz!  —  Nein,  alle  Hunde  sind 
nieht  niedlich.  —  N  i  c  h  t  alle  Hunde  sind  niedlich.  Was  fur  Hunde  sind 
niedlich?  —  KleSne  Hunde  sind  niedlich.  —  1st  Fritz  niedlich?  (Grosze  Hei- 
terkeit.  Fritz  1st  ein  groszer,  vierschrotiger  Junge.)  1st  -Anna  niedlich? 
(Enthusiastisches  "Ja,  ja!"  von  verschiedeneu  Seiten.) 

,,Das  niedliche  Tierchen:"  "the  pretty  little  animal,  the  dear  little  animal." 
,,Das  uiedliche  Tierchen  hiipft."  John,  kannst  du  auch  hiipfen?  You  don't 
understand?  Kannst  du  spriugen?  —  Ja.  —  Kannst  du  hiipfen  und  springen? 

—  Ja.  —  Ka'nn  der  Elephant  hiipfeu?  —  Nein,  der  Elephant  kann  nicht  hiipfen, 
Translate  ,,hiipfen."  —  Hop.  —  Would  you  call  ,,bupfen"  and  "hop"  similar 
words?  —  Yes.  —  Who  can  name  any  more  similar  words  with  p  in  English 
and  with  pf  in  German?    Wilhelm!  —  Apfel.  —  Good.    What  is  that,  Patrick? 

—  Apple.  —  Yes.     (Schreibt  „ Apfel  —  apple"  an  die  Wandtafel;  dann  unter 
„ Apfel"  ,,Kupfer.")    Was  bedeutet  das?    Das  Kupfer  ist  ein  Metall.    Ruth!  — 
Copper.  —  Gut.    (Schreibt  "copper"  unter  "apple;"  dann  wieder  links  ,,Pfen- 
nig.")     Was  ist  das?     Der  Pfennig  ist  von  Kupfer.     John!     Penny.  —  Die 
Pfanne  ist  auch  manchmal  von  Kupfer.    Was  ist  eine  kupferne  Pfanne?  Mary! 
A  copper  pan.  —  Was  ist  eine  Pfeife?  —  A  pipe.  —  Pflaume?  —  Plum.  — 
(Dergleichen  sprachvergleichende  Uebungen  halte  ich  auch  in  der  Volksschule 
fur  durchaus  angebracht  und  sehr  nutzlich.     Der  Hauptzweck  ist  natiirlich, 
dem  Schiiler  das  Erkennen  verwandter  Worter  in  der  fremden  Sprache  zu 
erleichtern;  aber  auch  abgesehen  von  diesem  speziellen  und  direkten  Nutzen 
halte  ich  die  durch  solche  ttbungen  gewonnene  Scharfung  des  Beobachtungs- 
sinnes  fur  wertvoll,  fur  ein  wahres  Bildungselement.) 

,,Dann  hiipft  das  niedliche  Tierchen  in  der  Stube  herum;"  "then  the  dear 
littles  animal  hops  around  in  the  room."  Die  Kinder  springeu  im  Garten  hen 

um;  die  Kinder  laufen  um  das  Haus  herum.    „ und  sucht  Krumen  am 

Boden."  Translate,  Wilhelm.  —  "....  and  hunts  for  crumbs  on  the  floor."  -» 
Yes.  What  is  the  similar  word  to  ,,sucht?"  Anna!  —  Seeks.  —  Yes.  In  Ger- 
man, instead  of  saying  "I  look  for  the  book,"  "I  hunt  for  the  book,"  we  saj 
"I  seek  the  book."  Translate  "Look  for  the  bird."  John!  —  Suche  fur  den 
Vogel.  —  Xo;  you  must  say  "Seek  the  bird."  —  Suche  den  Vogel.  —  That's  it. 
Anna,  tell  Mary  to  look  for  your  English  book.  —  Mary,  such  mein  englisches 
Buch.  —  (Mary  tut  als  suchte  sie  etwas  in  Annas  Pult.)  —  Ruth,  was  tut 
Mary?  —  Sie  sucht  Annas  Buch.  —  Ruth,  suche  das  Buch  am  Boden.  (Ruth 
tut  es.)  —  Caterina,  do  you  understand  ,,Boden?"  —  Yes,  Sir.  —  (Nach  oben 
sehend:)  Do  you  understand  "Decke"?  —  Yes.  —  Wo  ist  die  Decke,  und  wo 
ist  der  Boden?  —  Die  Decke  ist  oben,  und  der  Boden  ist  unteu.  —  Very  good. 

Hierauf  wird  das  Gelesene  von  verschiedenen  Schiilern  vorgelesen.  Dann 
wird  es  noch  einmal  von  Anfang  an  durchgenommen,  indem  die  Schiiler  fol- 
gende  Fragen  beantworten  miissen,  und  zwar  imrner  in  Form  von  vollstan- 
digen  Satzen:  ,,Was  hat  die  Nachbarin?  —  Die  Nachbarin  hat  einen  Zeislg. 
—  Was  fur  einen  Zeisig  hat  die  Nachbarin?  —  Die  Nachbarin  hat  einen  zah 
men  Zeisig.  —  Wer  hat  den  Zeisig?  Wer  lasst  den  Zeisig  aus  dem  Kaflg? 
Was  fur  ein  Tierchen  ist  der  Zeisig?  Wo  hiipft  das  niedliche  Tierchen 
herum?  Was  sucht  es?  Wo  sucht  es  die  Krumen?" 

Hierauf  wird  noch  eine  grammatlsche  Uebung  im  Anschluss  an  das  Gele- 
sene  vorgenommen,  wie  folgt:  What  is  the  plural  of  ,,die  Nachbarin,"  of 
,,das  Tierchen,"  of  ,,die  Stube"?  Say  in  German  "a  tame  bird,  the  tame  bird, 
the  tame  birds."  Give  the  three  principal  forms  of  "laszt,"  "hupft,"  "sucht." 

Hiermit  endet  unsere  Lesestunde. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Korrespondenzen. 


.FUr  die  PiidagogUchen  Mon«t«hcfle. 


Die  grosze  Feuersbrunst 
— In  den  secbsunddreiszig  Jabren  sei- 
ner Lehrtatigkeit  in  der  groszen  Stadt 
Baltimore  hat  der  Scbreiber  keinen  so 
bewegten  Scbulgang  geuiacbt,  als  am 
Montag  Morgen,  deiu  acbten  Februar. 
Seit  dem  vorbergehenden  Vormittag 
stand  das  Herz  der  Stadt  in  Flammen, 
und  obgleich  Loschmannschaften  aus 
einem  Umkreis  von  nahezu  zweihuu- 
dert  Meilen  zur  Hilfe  herbeigeeilt  wa- 
ren,  raste  der  sebreckliche  FeuerdJi- 
mon  immer  noch  fessellos  weiter.  Die 
gliiheude  Hitze  liesz  dieselben  deu 
Feuerberden  gar  nicbt  nabe  kommen. 
Wie  ungebeuer  diese  Hitze  war,  laszt 
sich  daraus  erseben,  dasz  eiserne  Sau- 
len  angescbmolzen  wurden;  der 
Schmelzpunkt  des  Eisens  ist  bekauut- 
lich  ungefabr  3000  Grad  F.  Viele  der 
ausgeworfenen  maehtigen  Wasser- 
strahlen  verwandelten  sich  scbnell  in 
Dampf,  und  aucb  das  Niederwerfer 
ganzer  Hauserreihen  durch  Dynainit 
hatte  sich  immer  noch  vergebens  er- 
wiesen,  der  Feuerdamon  raste  ver- 
heerend  weiter.  Der  einzige  Trost  war 
jetzt,  dasz  sich  der  heftige  Wind  von 
den  rielen  bedrohten  Wohnhausern 
abgewendet  hatte  und  die  Millionen 
fliegender  Feuerbrande  und  Funkeu 
der  Hafengegend  zuwirbelte,  in  dereu 
reichgefiillten  Lagerbausern  sich  der 
Brand,  durch  das  Bassin  abgegrenzt, 
voraussichtlich  austoben  konnte.  Frei- 
Hch  konnte  ein  tlmscblagen  des  Win- 
des  sofort  wieder  neuen  Schrecken 
bringen. 

Die  Nacht  war  fur  Viele  eine 
Schreckensnacht  gewesen.  Die  stol- 
zesten  Gebaude  der  Stadt,  Hotels, 
Banken  und  Geschaftspalaste  aus 
Marmor,  Granit  und  Eisen,  und  statt- 
liche  Lagerhauser  brannten  lichterloh, 
und  die  riesigen  ,,feuerfesten"  Ge- 
baudegruppen,  unter  ihnen  das  jung*t 
nach  allerneuerster  Konstruktion  mit 
einem  Kostenaufwand  von  drei  Mil- 
lionen Dollars  erricbtete  sechzehn- 
stockige  ..Continental"  machten  dabei 
keine  Ausnahme.  Sie  zeigten  sich 
feuerfest  in  dem  Sinne,  als  sie  Hoch- 
ofen  waren.  Und  hochofenartig  war 
die  belle  Glut,  die  fiber  dem  eine  halbe 
Quadratmeile  umfassenden  Feuer- 
meere  briitete.  In  Washington  und 


weiterhiu  war  sie  zu  sehen — eiu  gchau- 
erlich  schoner  Anblick! 

Uuter  diesen  Eindriicken  machte 
Scbreiber  den  weiteu  Schulweg,  vorbei 
an  Rettenden  und  Helfenden.  Unter- 
wegs  war  Him  gesagt  wordeii,  die  drei 
Gebaude  seinor  Schule  seien  zerstort, 
er  fand  sie  aber  unversehrt,  und  bei 
der  nun  heiTSChenden  Windrichtung 
auszer  Gefabr.  Von  den  1600  Zoglin- 
gen  fanden  sich  nur  40  znsaiamen, 
diese  wurden  natiirlicb  fur  den  Tag 
entlassen.  Als  sich  der  Schreiber  ge- 
gen  Abend  auf  den  noch  woiteven  Weg 
zu  seiner  ebent'alls  fast  scbiilerleeren 
Abendscbule  machte — er  hatte  auf  bei- 
den  Scbulwegen  fiiufzebn  ^leilen  zu 
gehen:  der  Bahndienst  war  durch  Zer- 
storuug  der  elktrischen  Kraftstelle 
unmoglicb  geworden— war  das  Feuer 
endlich  unter  Kontrolle.  aber  gar  un- 
heimlich  droheud  briitete  am  Nacbt- 
biinmel  die  Feuersglut  tiber  achtzig 
zevstorteu  Hausergevierten.  Auf  150 
^rillioneu  Dollars  wird  der  direkte 
Verlust  gescbatzt.  der  indirekte  laszt 
sicb  noch  gar  nicht  absehen. 

Bei  alledeni  wurde  keine  der  stad- 
tiscben  Scluilen  gescbadigt.  wohl  aber 
ist  das  stattllche  turmgekronte  Ge- 
)>aude  des  Maryland  Institutes,  dessen 
Kunstschule  unter  der  I^eitung  unse- 
res  genialen  Landsuiannes.  Prof.  Otto 
Fuchs,  zu  einer  der  ersten  des  Landes, 
weun  nicht  zur  ersten,  geworden  ist, 
mit  all  seinen  Sammlungen  und 
Kunstschatzen  in  einen  unformlichen 
Haufen  raucbender  Triimmer  verwan- 
delt  wordeu.  Sie  zahlt  zur  Zeit  1300 
Zogliuge  in  den  Tag-  und  Abendklas- 
sen.  Die  Johns  Hopkins  Universitat 
erlitt  auch  empfindliche  Verluste.  in- 
dem  achtzig  zu  ihrem  Grundvermogen 
gehorige  Lagerhauser.  im  Wert  von 
etwa  zwei  Millionen  Dollars,  ganzlich 
zerstort  wurden.  In  abnlicher  Weise 
ist  auch  das  so  herrlicb  bluhende 
Woman's  College  geschadigt  worden. 
Dem  Leser  sind  gewisz  durch  die  illu- 
strierten  Zeitungen  Bilder  von  der  Zer- 
storung  vor  Augen  gebracht  worden. 
Diese  vermogen  aber  kaum  ein  Bild 
von  der  Trostlosigkeit  und  dem  Urn- 
fang  des  weiten  Triimmerfeldes  zu  ge- 
ben.  Ein  Fachmann  der  Regierung  hat 
berecbnet,  dasz  das  Wegraumen  der 
Triimmer,  um  Uinbauten  zu  ermogli- 


Korrespondenqen. 


113 


chen,  fiber  zwanzig  Millionen  Dollars 
kosteu  werde.  Dieses  alles  bat  hier 
aber  keineswegs  entmutigt,  es  sind 
scbon  Vorkehrungen  Im  Gange,  um 
aus  der  Asche  des  alten  ein  neues, 
schoneres  Baltimore  hervorzurufen. 

Die  Blumenspiele  werden, 
wie  geplant,  urn  die  Mitte  des  Monats 
April  hier  stattfinden.  Zu  dern  Dich- 
ter-Wettkampfe  sind  bis  zum  16.  Feb- 
vuar,  deiii  letzten  Termin  fiir  die  Ein- 
sendung,  305  Gedichte  eingelaufen, 
und  zwar  Liebesgedichte  78,  humoi'i- 
stische  50,  Novelleu  und  Balladen  42, 
Gedichte  zuui  Preise  des  Deutschtums 
42,  sangbare  Lieder  41,  darunter  19  mit 
Komposition,  religiose  Gedichte  26, 
'Dichtungen,  welche  sich  auf  die  Ge- 
schichte  der  Deutschen  in  Amerika  be- 
zieheu,  17.  Als  keiner  gestellten  Auf- 
gabe  entsprechend  wurden  9  ausge- 
schlosseu.  Die  sieben  Preisrichter  ha- 
ben  ihre  Arbeit  begonnen  und  werden 
gegen  Eude  Marz  das  Urteil  fallen. 

Enail  Dappric  h. — Ini  Februar 
war  es  ein  Jahr,  dasz  Freund  Dapp- 
rich  auf  seiner  Durchreise  nach  der 
alten  Heiinat  den  Schreiber  in  der 
Schule  besuchte.  Eine  kleine  Ab- 
schiedsfeier  zu  Ehren  des  lieben 
Gastes  wurde  damals  von  den  Zoglin- 
gen  der  Oberklassen  improviaiert,  wie 
sich  die  Leser  dieser  Spalten  vielleicht 
noch  erinnern  werden.  Es  war  ein 
Abschied  fiirs  Lebeu,  denn  als  der 
Hebe  Freund  bei  seiner  Riickreise  an 
unserem  Hause  anklopfte,  waren  wir 
noch  am  Moeresstrande.  Am  Jahres- 
tage  jener  Abschiedsfeier  wurde  dem 
Heimgegangenen  in  demselben  Schul- 
rauru  ein  besonderes  Gedenkeu  gewid- 
met,  die  beiden  da  Kir  zusammengeru- 
fenen  Ol>erklassen  sangen  dabei  wie- 
der  ,.Es  ist  bestimmt  in  Gottes  Rat." 
das  ihu  uud  mich  damals  so  tief  er- 
griffeu  hatte.  Wie  herzlich  und  an- 
haltend  er  mir  dann,  zum  letzten  Mai, 
die  Hand  driickte.  —  ,,Er  war  mein 
Freund,  uiir  immer  echt  und  treu." 


California. 


S. 


Der  Verein  von  Lehrern 
des  Deutschen  hielt  am  Samstag 
den  16.  Januar,  eine  Versamnilung  in 
San  Francisco  ab.  Fiir  das  kommende 
Jahr  wurden  folgende  Beamten  ge- 
wahlt:  Dr.  H.  K.  Schilling.  President; 
Dr.  Julius  Goebel,  Vize- President; 
r-Terr  Martin  Centner,  Scbriftfiihrer; 
Fraulein  Emma  Garretson,  Schatz- 
meisterin 

Dr.  Julius  Goebel  hielt  eine  An- 
sprache  fiber  ,,Prose  Composition"  jm 


deutschen   Unterricht.     Als  Vorsteher 

des    deutschen    Departments    an    der 

Stanford   Universitat  bat  er  Gelegen- 

heit,    die    Arbeiten    der    eintretenden 

Studenten  und  deren  Korrektur  durch 

die  Lehrer  durchzusehen.    Da  zeigt  es 

sicb    denn,    dasz    der    Unterricbt    im 

deutschen    Aufsatz     sehr    im    argen- 

liegt.    Dies  liegt  teils  an  der  Inkompe- 

tenz  mancher  Ix?hrer  und  teils  an  den 

mangelhaften    Lelirbiichern.     Im    Be- 

richte  des  Zwolfer-Komitees  fiber  mo- 

derne    Sprachen    heiszt    es,    dasz    ein 

Lehrer  fur  den  deutschen  Unterricht 

befahigt  sei,  wenn  er  eiuen  Brief  oder 

Aufsatz     scbreiben    konue,     "without 

making  gross  mistakes  in  grammar  or 

idiom."    Dies  ist  ein  gefahrlicber  Aus- 

spruch;  wir  sollten  besser  vorgebildete 

Lehrer  ftir  den  deutschen  Unterricht 

verlangen. — In  den  Lehrbfichern  fehlt 

es  vor  allem  an  padagogischem  Auf- 

bau   der  Wbungsstucke,   vom   Leichte- 

ren    zum    Schwereren    fortschreitend. 

Die  Syntax  sollte  dabei  systematisch 

eingefibt  werden.    Der  Reduer  verwies 

auf    die    ausgezeichneten    Lehrbucher 

fiir  den  Sprachunterricht  in  den  Schu- 

len   Deutscblands,  die  von  berufenen 

Padagogen   geschrieben    sind,    und   in 

welchen  der  Lehrstoff  auf  das  genau- 

este    und    gruudlicbste    ausgearbeitet 

ist.      Solche    Bucher    feblen    fur    den 

deutschen  Unterricht  in  diesem  Lande 

noch  ganzlich,   und   es  steht  zu  wun- 

schen,  dasz  diesem  Mangel  bald  abge- 

bolfen    werde.      Auch    die    deutschen 

Lesebucher  sind  noch  lange  uicht,  was 

sie  seiu  sollten.    Die  Schuld  liegt  zum 

grossen  Teil  an  den  Verlagsfirmen,  die 

wenig  Sinn  fiir  die  wirklicheu  Bedfirf- 

nisse    der    Schulen    haben    und,    von 

Geldmacherwut  geleitet,  den  Autoren 

nur  eine  winzige  Vergutung  bieten. 

V.  B. 
Chica~  o. 

Die  Brandkatastropbc 
vom  30.  Dez.  lag  uns  Allen  so  schwer 
auf  den  Gemiitern,  dasz  ich  es  blsher 
versaumt  habe.  mefnen  regelmaszigen 
Bericht  an  die  P.  M.  zu  senden.  Ha- 
ben wir  doch  unter  den  590  Toten  103 
Schulkinder  und  38  Lehrer  gehabt! 
Unter  letzteren  zwei  unserer  bekann- 
testen  Turnlehrer,  James  Schneider, 
vom  Aurora  Turn- Verein.  und  Her- 
mann O.  Dreisel.  von  der  Crane  Hooh- 
schule.  Beide  waren  Abiturienten  des 
Turnlehrerseminars  in  Milwaukee, 
Dreisel  hat  aucb  das  I^hrerseminnr 
dort  absolvlert.  Wahreud  die  anderen 
stadtfschen  Turnlehrer  die  Ferien- 
woche  benutzten,  um  sk-h  auf  das  auf 


114 


P&dagoghche  Monatshefte. 


den  2.  Januar  anberaumt  g«weseue 
Promotions  -  Examen  vorzubereiten, 
wurde  dem  Dreisel,  der  seine  Prufuug 
schon  im  Juni  vorber  mit  Auszeich- 
nung  bestauden  batte,  die  freie  Zeit 
verhangnisvoll.  Mit  ihm  nnd  Schnei- 
der verbrannten  seine  und  des  letzte- 
ren  Fran,  dereu  Schwester  mit  ibrern 
Brautigam  und  deren  Mutter  —  alle 
gieben! 

Unsere  offentlichen  Scbulen  glicben 
nacb  deni  Ungliick  einem  Trauerhaus. 
Beinahe  in  jeder  derselben  fand  man 
leere  Sitze,  die  von  den  Mitschiilern  in 
liebevoller  Weise  schwarz  verbangt 
wurden.  Obne  eine  Frage  zu  stellen, 
wuszte  man,  was  das  zu  ;bedeuten 
batte,  und  es  lag  lange  Zeit  wie  ein 
Alp  auf  Lebrern  und  Scbiilern. 

Die  Coroners-Gesebworenen  haben 
den  Fall  drei  Wochen  lang  unter- 
sucht  und  gefunden,  dasz  der  Mayor 
Hasrison  mit  seinem  Feuerwehr-Chef 
und  mit  seinew  Oberbauinspektor,  die 
beiden  Eigentiimer  der  Menschen- 
falle  und  der  Biihnenmeister  fiir  das 
Entsetzlicbe  verantwortlich  seien.  Der 
Biirgernieister  wurde  gleicb  am  nach- 
sten  Tage  von  seinem  Freund  und 
Parteigenossen,  dem  Ricbter  Tuthill, 
entlastet.  Jetzt  hat  nun  auch  die 
Grand  Jury,  die  den  Fall  untersucht 
hat,  ihren  Spruch  abgegeben,  nach 
welchern  e  i  n  e  r  der  Eigentiimer  des 
Theaters,  W.  H.  Davis,  ferner  der  Ge- 
schaftsleiter  desselben,  Th.  Noonan, 
sowie  der  Biihnenzimmerrnann,  J.  E. 
Cummings  wegen  fahrlassiger  Totung, 
und  der  Oberbaukommissar,  G.  Wil- 
liams, und  der  Bauinspektor,  E. 
Laughlin,  wegen  strafbarer  Pflichtver- 
nachlassigung  zum  Prozesse  festgebal- 
ten  werden.  Uud  wenn  dann  der  dritte 
Akt  des  Gerichtsschauspieles  vorbei 
sein  wird,  werden  wir  finden,  dasz 
noch  weniger  Personen  oder  eigentlich 
gar  niemand  fur  das  Entsetzliche  ver- 
antwortlich ist  —  hochstens  vielleicbt 
der  Buhnenzimmermann,  demi  bei 
dem  hort  vielleicht  der  ,,Einflusz,"  wie 
man  das  so  schon  uennt,  auf.  Und  das 
furchtbare  Verbrechen  an  beinahe  600 
Menschenleben  —  von  den  vielen  fiir 
L/ebenszeit  verstiimmelteu  gar  nicht  zu 
reden  —  bleibt  ungesiihnt! 


Milwaukee. 

Schule  fiir  verwahrloste 
Kinder  (Parental  School).  Fiir 
die  Aniage  einer  solchen  Schule 
wird  bei  uns  jetzt  fleiszig  gearbeitet. 
Dasz  dieselbe  dringend  notwendig 
ist,  wird  wohl  jeder  zugeben,  der 


das  Leben  einer  Groszstadt  keunt, 
und  somit  die  Gefalireu,  deuen  die  Ju- 
gend,  und  besonders  die  Knaben, 
durch  Verfiihrung  und  boses  Beispiel 
in  schlechter  Gesellschaft  ausgesetzt 
sind.  Besonders  siud  dies  solche  Kin- 
der, denen  ein  Teil  Leichtsinn,  Eigen- 
wille,  Uulenksainkeit,  Trotz  und  Trag- 
heit  angeboren  ist,  uud  die  danu 
noch  oft  das  Ungliiek  haben,  dasz 
ihnen  eines  der  Elteru  oder  gar  beide 
starben.  Kommen  solche  Kinder  dann 
in  schlechte  Umgebung  und  schlechte 
Hande  —  uud  wie  viel  Gelegenheit  ist 
dazu!  —  so  geht  es  mit  ihnen  schnell 
bergab,  und  scblieszlich  wiukt  das 
Arbeits-  und  Zuchthaus.  Da  ist  es 
doch  wohl  die  gebieterische  Pflicht  der 
Gemeinde,  diese  Kinder  zu  retteu,  so 
lange  es  noch  Zeit  ist. 

In  einer  Versammlung,  die  kiirzlich 
von  den  Schulprinzipalen  und  der 
"Children's  Betterment  League"  ge- 
meinschaftlich  abgehalten  wurde,  be- 
sprach  man  sich  iiber  Mittel  und  Wege 
zur  Ercichtung  einer  solchen  Schule. 
Auf  dieNotwendigkeit  dieser  Anstalt 
wurde  zuerst  von  einigen  Rednern  bin- 
gewiesen.  Aus  eiuem  Bericht  des  Ju- 
gendgerichtes.  Juvenile  Court,  ging 
hervor,  dasz  im  letzten  Jahre  561  Kna- 
ben und  Madchen  verhaftet  und  als 
anscbeinend  unverbesserlich  vor  das 
Gericht  gebracht  wurden,  weil  sie  sich 
gegen  Gesetz,  Ordnung  und  gute  Sitte 
vergaugeu  batten.  Von  diesen  waren 

15  Prozent    schon    im    vorigen   Jahre 
dem  Gericht  vorgefiihrt  worden,  und 
es  hat   sich   gezeigt,   dasz   von,  ihnen 
nur  Besserung  zu  erhoffen  ist,  wenn 
sie  in  eine  bessere  Umgebung  gebracht 
werden.     Dagegen   waren  67   Prozent 
der    Falle    derart,    dasz    die    Kinder 
nach  einer  Parental  School  batten  ge- 
schickt  werdeii  sollen,  da  aber  in  Mil- 
waukee keine  solche  Schule  vorhanden 
ist,  so  wuMe  ein  Teil  mit  einer  Warn- 
ung  entlassen,  und  die  andern  unter 
die  Aufsicht  der  Probations-Beamten 
gestellt.    In  den  Jahren  1902  und  1903 
hat  die  Zabl  der  Schulschwanzer  um 

16  bis  20  Prozent  zugeuommen.     Die 
Priuzipale  aber  erklaren,  dasz  im  gan- 
zen  etwa  240  Kinder  in  den  Scbulen 
siud,  die  in  einer  gesonderten  Schule 
untergebracht     werden     sollten,     und 
zwar  zu  ihrem  eignen  und  dem  Besten 
der  andern  Kinder.     Die  meisten  der 
vor  Gericht  gebrachten  Kinder  werden 
schon  in  friiher  Jugend  durch  andere 
an  Leib  und  Seele  verdorben,  und  zu 
Diebstahl  und  andere  Schlechtigkeiten, 
verleitet.     In  alien  groszeren  Stadten, 
wo   solche   Sohulen    fiir   verwahrloste 


Korresponden^cn. 


115 


Kinder  errichtet  siud,  be\vahrcn  sie 
sich  ausgezeichuet,  und  es  hat  sich 
herausgestellt,  dasz  selbst  Kiuder  der 
allerschliinmsten  Umgebung,  die  alien 
La  stern,  frohnten,  gebessert  und  zu 
ehr-  und  brauchbareii  Meuschen  erzo- 
geu  werden  konuten.  Die  richtige 
Lage  fiir  sole-he  Schulen  ist  das  platte 
Land,  fern  vom  Getriebe  der  Grosz- 
stadt  mit  ihreu  Vei'suchungen  und 
Lockuugen,  in  der  frischen  freien  Got- 
tesnatur,  wo  sich  das  Gemiit  des  Kin- 
des  an  den  Bachen,  Wiesen,  Waldern 
uud  Fcldern  erfretien  und  wieder  ge- 
sunden  kann.  Korperliche  Uebungen 
und  Arbeiten  im  Freieu  uiiissen  mit 
dein  Unterrichte  Hand  in  Hand  gehen. 
Fiir  diese  Schulen  ist  das  sogennnute 
Cottage-System  das  beste,  wo  eine  Au- 
zahl  Knaben  Oder  Madcheu  imterge- 
bracht  uud  uuter  die  Aufsicht  eines 
Manues  und  einer  Frau  gestellt  wer- 
den. Liebe,  Freundlichkeit  und  Ver- 
trauen  seitens  der  Leiter  und  vater- 
liche  und  miitterliche  Ermahnung,  ge- 
paart  mit  Milde  und  Ernst,  sind  die 
eiuzigeu  Mittel,  welche  auf  Irr-  und 
Abwege  geratene  Kinder  wieder  auf 
den  rechten  Weg  zu  fiihren  und  sie  zu 
niitzlichen  Mitgliedern  der  mensch- 
lichen  Gesellsehaft  zu  machen.  Man 
riihmt  sich  in  der  jetzigen  Zeit  so  sehr 
der  geiibten  Mildtatigkeit  in  Erbanung 
von  Hospitalern,  Altenheimen,  Kin- 
derheimen,  etc.;  da  sollte  man  vor 
alien  Dingen  auch  die  vorerwahnten 
Anstalten  nicht  vergessen,  dann  hatte 
man  weuiger  Zucht-  und  Arbeitshau- 
ser  zu  errichten,  uud,  was  die  Haupt- 
sache  ist,  konnte  so  nianche  junge 
Menscheuseele  rotten,  so  lange  es  noch 
Zeit  ist. 

Ob  freilich  die  Agitation  in  unserer 
Stadt  etwas  nutzen  wird,  ist  noch  sehr 
fraglich.  Der  Stadtrat  wird  sich  wohl 
wieder  mit  dern  Gel'dinangel  entschul- 
digen  und  sich  um  die  Sache  herum- 
/udriicken  suchen.  Doch  wir  wollen 
das  beste  hoflfen. 


Englisches  Urteil  t)  b  e  r 
A  ui  e  r  i  k  a  u  i  s  c  h  e  Schulen. 
Letztes  Jahr  sandte  eiu  reicher  eng- 
lischer  Philanthrop,  uameus  Alfred 
Mosely  in  London,  eine  Anzahl  Mit- 
glieder  der  Trades  Unionists  nach 
Amerika,  um  die  Ursachen  nnseres 
rapiden  Fortschrittes  auf  kommerziel- 
loui  und  gewerblichem  Gebiete  zu  stu- 
dieren.  Diese  Manner  schrieben  dann 
die  Ursachen  des  Fortschritts  der  gro- 
szen  Bildung  und  Intelligenz  der  hiesi- 
gen  Arbeiter  zu,  und  gaben  als  den 
Grund  hiervon  wieder  die  guten  Schu- 


len in  Amerika,  an.  Darauf  samite 
dann  Mcsely  eiuige  Schulmanner  her- 
iiber,  um  auch  auf  padagogisehem  Ge- 
biet  dem  guten  Onkel  Sam  einmal  in 
die  Kartell  zu  gucken.  Die  Manner  ka- 
meu,  wurden  sehr  freundlich  empfan- 
gen,  gefeiert  mit  Festen  und  Reden, 
wie  es  denn  so  iiblich  ist.  Darauf  nah- 
men  einige  Manner  sie  ins  Schlepp- 
tau,  um  sie  zu  fiihren  uud  ihnen  d  i  e 
Schulen  und  d  i  e  Klassen  zu  zeigcn, 
die  sie  sehen  sollten,  und  —  es  klappte 
alles  wie  am  Schuurcheu.  Doch  nach 
uud  nach  cmauzipierten  sich  die  Her- 
ren  Englander  von  ihren  Fiihrern  und 
versuchten  auf  eigene  Hand  eineu  "re- 
search"' vorzimehmen,  um  womoglieh 
mehr  und  scharfer  zu  .seheu.  Natiir- 
lich  fanden  sie  jetzt  auch  einige  Sehat- 
tenseiteu  in  unserm  Schulwesen,  uud 
freimiitig  sprachen  ele  sich  iiber  die 
Mangel  und  Fehler  aus.  Zwei  der  Be- 
sucher,  namens  Coward  uud  Cock- 
burn,  nehmen  hohe  Stellungen  im  eng- 
lischen  Schulwesen  ein  uud  scheinen 
tiichtige  Schulniauner  zu  sein,  und  das 
rnacht  ihre  Ausstellungen  an  unserm 
Schulwesen  um  so  wertvoller.  Sie  fin- 
den,  z.  B.,  dasz  wir  ganz  ausgezeich- 
nete  Schulhauser  haben,  wahre  Pa- 
laste;  aber,  meinen  sie  ganz  naiv,  es 
ware  vielleicht  gut.  wenn  eiu  Teil  des 
vielen  Geldes,  welches  die  Gebaude 
kosten,  den  Lehrern  an  Gehalt  zuge- 
legt  wiirde,  deun  dieses  sei  dnrchweg 
zu  gering,  und  kaum  so  hoch  wie  bei 
ihuen  in  England;  dagegen  seien  die 
Kosten  des  Lebensunterhalts  hier  be- 
deutend  hoher  als  bei  ihnen.  .,Das 
stimmt  auffalleud,"  pflegt  ein  Freund 
und  Kollege  von  mir  immer  zu  sagen, 
und  jeder  von  uus  Lehrern  wird  den 
Herren  wohl  in  dem  Punkte  beistim- 
men.  Sodann  behaupten  sie,  es  wiirde 
von  groszem  Vorteil  fiir  unsere  Schu- 
len sein.  wenn  wir  mehr  m  a  n  n- 
1  i  c  h  e  I>ehrkrafte  hatteu,  die  Frawen 
seien  in  zu  groszer  und  unverhaltnisa- 
masziger  Ueberzahl.  Vom  13.  oder  14. 
Jahre  an  sollten  die  Knaben,  wenn 
moglich.  nur  von  Mannern  unterricb- 
tet  werden,  und  zwar  besonders  we- 
gen  der  notigen  Charakterbildung. 
In  diesem  Punkte  werden  von  uns 
wohl  nur  die  niannlicheu  Kollegen  be>- 
stimmen.  Doch,  ,,es  ist  nun  einmal 
so,"  bleibt  auch  so,  ja  —  es  wird  noch 
schlimmer;  ich  glaube,  dasz  wir  nach 
10  oder  20  Jahren  gar  keine  Manner 
mehr  im  Schulfach  haben,  und  konse- 
quent  wiirde  es  daiin  sein,  auch  Fran- 
en  zu  Superiutendenten  und  Schulra- 
ten  zu  ernennen.  Amerika  ist  das 
Land  der  Extreme;  vielleicht  wiirde 


116 


Pddagogische  Monatshefte. 


dadurch  um  so  eher  die  notige  Reak- 
tion  eintreten  und  Besserung  kommen. 
Interessaiit  ist  auch,  was  Mr. 
Coward  iiber  korperllche  Ziichtigung 
sagt.  Bekauutlicb  ist  ja  in  der  Grosz- 
stadt  New  York  schon  seit  Jahren  die 
Priigelstrafe  abgeschafft.  Nun  haben 
aber  an  5000  Lehrer  in  New  York  eine 
Massen-Petition  an  den  dortigen 
Schulrat  gerichtet,  in  welcher  in  drin- 
gender  Weise  um  Wiedereinfiihrung 
der  Korperstrafe  nachgesucht  wird. 
Bel  einem  Bankett  nun,  welches  die 
dortigen  Lehrer  Herrn  Coward  gaben, 
ersuchten  sie  ilm,  sich  tiber  korper- 
liehe  Ziichtigung  in  den  Schulen  zu 
auszern.  Er  sagte  dann  (1m  Aus- 
zug)  folgendes:  ,,Diese  Frage  spielt 
bei  uns  gar  keine  Rolle,  da  man 
es  in  England  als  selbstverstand- 
lich  ansieht,  Oder  besser,  als  not- 
wendig,  dem  Lehrer  In  der  Schule 
auch  das  Ziichtigungsrecht  zu  erteilen. 
Doch  musz  ich  bekennen,  dasz  diese 
Frage  eine  sehr  wichtige  ist.  Es  ware 
wirklich  gut,  wenn  man  in  der  Schule 
ganz  ohne  Ziichtigung  fertig  werden 
konnte;  jedoch  es  gibt  Schiller,  die  das 
nicht  zulassen.  Von  hundert  Kindern 
kann  man  bei  99  ohne  Ziichtigung  fer- 
tig werden,  aber  vielleicht  nicht  bei 
dem  hundertsten,  "and  then  the  teach- 
er will  find  himself  sometimes  between 
the  'devil  and  the  deep  sea'  in  man- 
aging such  a  boy,  and  —  he  will  break 
the  rule  not  to  punish."  Sind  das  nicht 
treffliche  und  wahre  Worte?  Das  ist 
ein  Schulmann,  und  er  keuut  die 
Schule  uml  die  Schiller.  Dann  musz 
ich  noch  ein  kleines  Erlebnis  erwah- 
nen,  dasz  die  Manner  in  Washington 
batten,  und  das  fiir  sie  sehr  merk- 
wiirdig  war,  jedoch  fiir  uns  von  kei- 
uerlei  Bedeutung  ist.  Wie  die  Her- 
ren  dort  eine  Volksschule  besuchten, 
fliisterte  einer  der  Lehrer,  oder  wohl 
der  Prinzipal,  Herrn  Coward  ins  Ohr: 
Der  Schiller  dort  heiszt  Quentin 
Roosevelt.  Was!  ist  das  ein  Sohn  des 
Prasidenten?  Ja.  und  ich  kann  Ihnen 
noch  mehrere  Sohne  von  Sekretaren 
im  Kabinet  des  Prasidenten,  oder  Kin- 
der von  Senatoren  zeigen.  Merkwiir- 


dig!  und  die  besuchen  eine  gewohn- 
licbe  Volksschule  und  sitzen  neben 
dem  Sohne  eines  gewb'hnlichen  Arbei- 
ters!  Und  die  Englander  staunten  und 
verwunderten  sicb  sehr.  Ja,  das  ist 
ecbt  amerikanisch  und  demokratisch, 
und  das  ist  ein  groszer  Vorzug  bei  un- 
sern  Schulen,  und  zugleich  ein  Segen 
fiir  unser  Land.  Wird's  immer  so 
bleiben?  Wer  weisz?  Zu  wiinschen 
ware  es  wohl. 

Die  Englander  werden  bier  manches 
gelernt  haben.  Vielleicht  auch  dieses, 
dasz  man  die  hoheren  Schulen,  als 
Hochschulen,  Colleges,  Seminarien 
und  Universitaten  sehr  reichbaltig 
ausstattet.  Die  "donations"  regnen 
nur  so  auf  sie  herab,  sogar  in  Millio- 
nen.  Darum  schwimmen  sie  nur  so 
,,im  Fett".  Dagegen  sind  die  gewohn- 
lichen Volksschulen  das  Aschenbrodel, 
Die  Kommunen  haben  immer  viel 
Geld  fiir  irgendwelche  Zwecke,  nur 
nicht  fiir  die  Schulen.  Sie  sind  und 
bleiben  das  Schmerzenskind,  und  an 
und  bei  ihnen  musz  man  sparen,  so 
viel  man  kann. 

/.  W. 
N^w  Yo  k 

In  der  lezten  Versammlung 
des  V  e  reins  Deutscher  Leh- 
rer von  New  York  und  U  m- 
g  e  g  e  n  d,  die  am  5ten  dieses  Monats 
stattfand,  hielt  Herr  Dr.  Volkel  vom 
City  College  in  freier,  gefalliger  und 
anregender  Weise  einen  Vortrag  iiber 
,,D5e  Bedeutung  der  Etymologic  irn 
deutschen  Unterricht,"  eiuen  Vortrag, 
den  er  krankheitshalber  vor  4  Wochen 
zu  halteu  verhindert  war.  Der  Redner 
betonte  vor  allem  die  Bedeutung  der 
Etymologie  fiir  den  Schiller.  Als  ein 
Seitenstiick  zu  diesem  Vortrage  wird 
Herr  Doktor  Remy  von  der  Columbia 
University  am  2ten  April  das  Thema 
behandeln:  ..Die  Bedeutung  der  ger- 
manischen  Philologie  fiir  den  Lehrer." 
Seit  der  Verein  gastliche  Aufnahme  im 
Heim  des  Deutschen  Presz-Klubs  ge- 
funden  bat,  entwickelt  sich  auch  die 
gesellige  Seite  des  Vereiues,  was 
wesentlich  der  guten  Kiiche,  die  echt 
deutsch  ist,  zuznschreiben  ist.  H.  7, 


II.     Umschau. 


Auf  der  Weltausstellung  zu 
St.  Louis  werden  die  A  u  s  s  t  e  1- 
1 u n g s g e g e n s t a n d e  der 

S  c  h  u  1  e  n  zum  ersten  Male  in  einem 
besonderen  Gebaude  untergebracht. 
Dieses  Gebaude  steht  im  Mittelpunkte 
aller  andern  Bautea;  es  bedeckt  210,- 
000  Quadratfusz  Grundflache,  ist  in 
modern  klassischem  Stil  gehalten  und 
kostet  $350,000.  Der  zu  Ausstellungs- 
zwecken  verfvigbare  Raum  belauft 
sich  auf  156,670  Quadratfusz,  wovon 
43  Prozent  auf  die  Schulen  fremder 
Staaten  kommt.  Deutsehland,  Eng- 
land, Frankreich,  Schweden,  Belgien, 
Gstreich,  Italien,  Japan,  China,  Cey- 
lon, Mexico,  Cuba,  Brasilien,  Argenti- 
nien  und  Chile  werden  vertreten  sein. 

Fiinf  Stadte  des  Landes,  namlich 
New  York,  Chicago,  St.  Louis,  Cleve- 
land und  Indianapolis,  werden  ihre 
Ausstellungen  gesondert  von  den  an- 
dern vorfiihren,  um  den  Grad  der 
Vollkoinmenheit  zu  zeigen,  bis  zu  wel- 
chem  sich  die  Volksschulen  jener 
Stadte  entwickelt  haben.  Prof.  C.  M. 
Woodward  von  St.  Louis  wird  eine 
Muster-Handfertigkeitsschule  wah- 
rend  der  Dauer  der  Ausstellung  in  der 
Arbeit  zeigen,  und  Schulsuperinten- 
dent  Louis  Soldan  von  St.  Louis  stellt 
einen  Muster-Kindergarten  aus.  Der 
Staat  Missouri  hat  Photographien 
eines  jeden  Schujhauses  im  Staate, 
mit  den  Kindern  und  Lehrern  vor 
dem  Gebaude  aufgestellt,  fiir  die 
Weltausstellung  anfertigen  lassen. 

Ein  triibes  Bild  unseres 
S  ii  d  e  n  s  entwirft  Professor  F.  P. 
Claxton  von  der  Tennessee  Universi- 
tat.  In  einer  neulich  in  New  York  ge- 
haltenen  Ansprache  sagte  er:  ,.In  ein- 
zelnen  Teilen  der  Siidstaaten  konnen 
sogar  bis  zu  33  Prozent  der  w  e  i  s  z  e  n 
Bewohner  weder  lesen  noch  schreiben 
und  sind  deshalb  nicht  im  Stande,  ihre 
Stimmzettel  zu  lesen.  Unter  660,000 
Bewohnern  siud  100,000  des  Lesens 
und  Schreibens  unkundig.  In  einem 
Teile  des  Siidens  gibt  es  30,000  Wahler, 
die  nicht  lesen  konnen,  und  in  einem 
anderen  Teile  33,000  des  Lesens  unkun- 
dige  Mutter,  die  Kinder  erziehen  sol- 
len." 

Auf  eine  alberne  Bemerkung  des 
Major  Vardaman,  des  Gouverneurs 
von  Mississippi,  dasz  Erziehung 
die  Neger  zu  Verbrechern 
m  a  c  h  e  und  dasz  kein  TJnterschied 


besteshe  zwischen  Booker  Washington 
— dem  bekannten  schwarzen  Lehrer 
der  Schwarzen  —  und  dem  Neger- 
burschen,  der  des  Majors  Stiefeln 
putzt,  antwortete  Washington  in  einer 
Rede  zu  New  York  am  12  Februar: 
,,Kein  einziger  Abiturient  der  Er- 
ziehungsanstalten  zu  Hampton  oder 
Tuskegee  beflndet  sich  heute  im  Ge- 
fangnis  oder  im  Zuchthaus."  ,,K6nnte 
man  ebenso  viel  fiir  Harvard  oder 
Yale  sagen?"  fragt  die  ,,Nation." 
Herr  W.  fiigte  noch  hinzu,  dasz  90 
Prozent  der  Farbigen,  die  im  Gefang- 
nis  sitzen,  ohne  Kenntnis  eines  Hand- 
werks,  und  dasz  61  Prozent  Illiteraten 
seien.  (Herr  W.  betatigt  in  den  Ne- 
gerschulen  zu  Hampton  und  Tuskegee 
den  Grundsatz,  dasz  der  Schwarze  im 
spatern  Leben  leicht  sein  Fortkommen 
findet,  wenn  er  in  der  Schule  ein  nutz- 
liches  Handwerk  gelernt  hat;  er  er- 
zieht  den  Neger  zur  Arbeit.) 

Die  Januarnummer  der  "German- 
American  Annals"  ist  von  bleibendem 
geschichtlichem  Werte.  Sie  enthalt 
den  amtlichen  Bericht  von  der  Ein- 
weihung  des  germanischen  Museums 
der  Harvard-Universitat,  einschliesz- 
lich  der  gehaltenen  Reden;  ferner 
die  Mitteilung  vom  Ableben  Emil 
Dapprichs;  und  endlich  den  offe- 
nen  Brief  des  Deutsch-amerika- 
nischen  Nationalbundes  an  den  Gen- 
eralmajor  McArthur  wegen  dessen 
abfalliger  Auszerung  iiber  die  Be- 
teiligung  resp.  Nichtbeteiligung  der 
Burger  deutscher  Abkunft  am  spa- 
nisch-amerikanischen  Kriege;  dazu  den 
Brief,  den  der  Deutschamerlkanische 
Zentralbund  von  Minnesota  in  dersel- 
ben  Angelegenheit  McArthur  an  den 
Herrn  Prasidenten  Roosevelt  gerich 
tet  hat.  Die  beiden  Briefe  treten  den 
Beweis  an,  dasz  der  Herr  General  ent- 
weder  aus  Dummheit  oder  Bosheit  die 
fragliche  Aeuszerung  getan  hat;  sie 
sind  nicht  weniger  ein  nationales 
Ereignis  als  die  Einweihung  des  ger- 
manischen Museums.  Der  National- 
bund  und  sein  Minnesotaer  Zweig  ha- 
ben sich  durch  ihr  mannhaftes  Vorge- 
hen  den  aufrichtigen  Dank  aller  der- 
jenigen  Deutschen  erworben,  die  treue 
Burger  dieses  Landes  sind  und  sich 
dnrch  keinen  Bramarbas  die  Errun- 
genschaften  deutschen  Geistes  da- 
durch  rauben  lassen  wollen,  dasz  man 
die  Vereinigten  Staaten  in  einen  Krieg 
mit  Deutsehland  hineinhetzt. 


118 


P&dagogiscbe  Monatshefte. 


Das  Unterhaus  der  Staatsgesetz- 
gebung  vou  Kentucky  hat  mit  75  ge- 
gen  5  Stimmen  einen  Gesetzvorschlag 
angenommen,  der  die  g  e  in  e  i  n- 
s  a  m  e  Erziehung  vou  W  e  I- 
s  x  o  n  und  Schwarzen  verbie- 
t  e  t.  Dasselbe  Gesetz  gestattet  einer 
Behorde  die  Leitung  einer  Erziehungs- 
anstalt,  in  der  Schwarze  und  Weisze 
unterriehtet  werden,  nur  dann,  wenn 
die  ,,schwarze"  Schule  f  ii  u  f  u  n  d- 
7,  vr  a  u  z  i  g  Meilen  von  der  ,,weiszen" 
Schule  entferut  ist! 

Die  J  a  h  r  e  s  ~7  *  r  s  a  m  m  1  u  n  g 
d  e  r  N.  E.  A.  \vird  vom  28.  Juni  bis 
1.  Juli  ia  St.  Louis  abgehalten. 


Zur  Frage  der  Lehrerge- 
halter  sei  hier  mitgeteilt,  was 
Kehulsuperintendent  E.  S.  Dreher  in 
Columbia,  S.  C.,  in  seinem  letzten  Jah- 
resberlcht  sagt:  ,,Nach  jahrelangera 
geduldigem  Warten  auf  eine  Zulngc 
ist  die  Aukiindigung  des  Schulrats, 
dasz  das  Hochstgehalt  eines  Klassen- 
lehrers  kiinftig  $405  statt  $360  jahrlich 
betragen  wird,  unsern  Lehrern  eine 
sehr  willkommene  Nachricht.  Ob- 
gleich  diese  Zulage  daukbar  anzuer- 
kennen  ist,  so  zeigt  doch  eiu  einfaches 
Divisionsexempel,  dasz  ein  Lehrer,  der 
ein  Gehalt  von  $405  im  Jahre  erhalt, 
eiu  taglicb.es  Einkommen  von  nur  $1.11 
bat.  So  viel  zahlen  wir  unsern  Leh- 
reru  dafiir,  dasz  sie  aus  dem  Menscben 
eiueu  Charakter  macben!  Die  unwis- 
isenden  Arbeiter,  die  den  Schmutz  der 
Straszen  sehaufeln,  erbalten  fast  eben- 
so  viel,  wahrend  Klenipner,  Maurer 
und  Tischler  wenigstens  zweiinal  so 
viel  verdieneu.  Unser  Volk  scheint 
nocb  niebt  ganz  im  Staude  zu  sein,  die 
Tatsnche  zu  erfassen,  dasz  das  Schul- 
ziminer  uber  das  Schicksal  unseres 
Landes  gebietet;  wenn  es  das  eiust  tut, 
dann  werden  unsern  Lehrern  Gehalter 
gcKahlt  werden,  die  der  Wichtigkeit 
der  Arbeit  einigermaszeu  angeinessen 
sind." 

Der  Scbulrat  von  Chicago,  111., 
hat  den  3000  Lchrern  und  Lehrerinnen 
eiae  Erhohung  Hires  Jahre  s- 
gehaltcs  von  $50  bewilligt.  Auch 
hat  sie  den  Schuletat  fiir  1904  ange- 
nommen, worin  $9,831,324  bewilligt 
werden;  $7,405,619  fiir  Lehrergehalter 
und  Reparaturen  an  Schulhausern,  der 
Rest  fiir  neue  Schulgebaude  und  Bau- 
pliitze. 

Ebenso  ist  in  Pitts  burg,  P  a., 
das  Gehalt  der  stadtischen  Lehrer 
(Uirchschnittlich  zelin  Prozent  erhoht 
worden,  in  dem  Falle  der  Ijehrer  des 
achten  Grades  sogar  um  28  Prozeut. 


Die  Lehrer  des  ersten  Grades  erhalten 
nunmehr  $70,  die  des  achten  Grades 
$90  monatlich;  die  Gehalter  der  Prinzi- 
pale  schwanken  jetzt  zwischen  $1400 
und  $2500.  Die  Vereinigung  der  Prin- 
zipale  hatte  eine  etwas  hohere  Ge- 
haltszulage  fiir  die  Lehrer  verlangt, 
aber  der  Schulrat  glaubte  dem  Verlan- 
gen  uicht  nachkommen  zu  konnen, 
weil  eine  neue  Hochschule  mit  einem 
Kostenaufwand  von  einer  Million  Dol- 
lars gebaut  wrerden  miisse. 

Nach  einem  Vortrage  von  Supt.  John 
W.  Carr,  vor  dem  Staatsverband  der 
Lehrer  von  Indiana  betragt  das 
Durchschnittsgehalt  der  16,304  Lehrer 
jenes  Staates  $308.55  jahrlich,  oder 
weniger  als  eineu  Dollar  den  Tag.  Der 
Verband  traf  geeignete  Maszregeln, 
eine  Aufbesserung  der  Gehalter  zu  er- 
streben. 

A  u  c  h  i  u  den  K  r  e  i  s  e  n  der 
Professor  en  der  Colleges 
und  Universitaten  der  Verein- 
igten  Staaten  tritt  man  jetzt  der  G  e- 
haltsfrage  naher.  Die  Dezember- 
nummer  von  ,, Harvard  Graduates' 
Magazine"  teilt  mit,  dasz  das  Gehalt 
des  Prasidenten  von  Harvard  1856-57 
$2500,  das  einiger  Professoren  $2200, 
und  das  von  James  Russell  Lowell. 
Smith  Professor  des  Franzosischen 
und  Spanischen,  $1200  betragen  habe. 
Der  Yerfasser  des  Artikels  behauptet 
dann,  dasz  die  Gehalter  von  heute  ver- 
haltniszmaszig  niedriger  seien,  denn 
die  ,,bestbezahlten  Professoreu  erhal- 
ten nur  $5000  jahrlich  am  Ende  Hirer 
Laufbahn,  wahitud  einige  $3500  ha- 
ben,  und  die  Mehrzahl  zwischen  $4000 
und  $4500.  Das  Hochstgehalt  von 
$5000  ist  aber  an  Kaufkraft  mit  den 
$2200  der  besten  Professoren  von  1856 
uicht  gleichwertig."  Er  fragt,  ob  es 
nicht  paradox  sei,  dasz  die  College 
Professoren,  welche  Meister  ihres 
Faches  siud,  und  welche  die  Advoka- 
ten,  Aerzte,  Ingenieure,  Elektriker,  u. 
s.  w.,  heranbilden,  dem  Volke  heute 
verhaltnismaszig  von  geringerem 
Werte  sind  als  vor  fiinfzig  Jahren,  und 
ob  die  aufgedrungene  einfache  Lehrer- 
weise  nicht  schlieszlich  eiue  Rasse  von 
Professoren  erzeugen  miisse,  die 
grosze  Gedanken  nicht  mehr  zu  erfas- 
sen vermag. 

An  den  Artikel  des  "H.  G.  M."  an- 
kniipfend,  fiihrt  "The  Nation"  aus, 
dasz  unsere  Professoren  zu  schlecht 
bezahlt  werdeu.  In  manchen  Hoch- 
schulen  des  Siidens  und  Westens  sei 
das  Hochstgehalt  von  $1200  bis  $1500 
so  lacherlich  gering,  dasz  Krafte  zwei- 
ter  und  dritter  Giite  es  nicht  anneh- 


Umschau. 


119 


men  wollten.  Die  einzige  Rettung  Je- 
ner  Colleges  sei  dann,  sich  fahiger  jun- 
ger  Leute  zu  versichern  und  auf  deren 
lokale  Anhanglichkeit  und  Beharr- 
ungsvermogen  zu  bauen.  "Wenn  es 
nun  aber  auch  wahr  sel,  dasz  Aerzte, 
etc.,  mehr  als  zweimal  so  viel  wie 
Professoren  verdieuten,  so  folge  dar- 
aus  uicht,  dasz  die  Professorengehal- 
ter  uach  der  Meinung  einiger  gleich 
verdoppelt  werden  miiszten.  Ein 
Draufschlag  von  $1000  bis  §1500  ge- 
\vahrleiste  ein  anstandiges  Auskom- 
men  und  ziehe  die  besten  Manner  an. 
Der  beste  College  Professor  sei  derje- 
nige,  der  den  Geldgewinn  den  edleren 
Einkiinften  des  Berufes  zu  opfern  wil- 
lens  sei,  vorausgesetzt,  dasz  er  bequem 
und  anstandig  leben  konne. 

Darauf  antwortet  ein  E-insender, 
,,Veritas,"  dasz  "The  Nation"  eine 
schreiende  Schande  viel  tiefer  an  der 
Wurzel  getroffen  haben  wiirde,  wenn 
sie  mit  dem  glanzenden  Elend  des 
Durchschnitts-Professors  vollstandig 
bekannt  gewesen  ware.  Dasz  viele, 
vielleicht  die  Mehrzahl,  nicht  genug 
haben,  um  bequem  und  austandig 
leben  zu  konnen,  konne  man  am  leich- 
testen  dadurch  beweisen,  dasz  man  ein 
Rundschreiben  an  ihre  Franen  richte. 
Von  diesen  Martyrinnen  der  Selbstver- 
laugnung  und  Sparsamkeit  konne  man 
lernen,  was  es  bedeute,  zur  Jetztzeit 
standesgeinasz  zu  leben,  die  Kinder, 
selbst  in  eineni  kleinen  Collegestadt- 
chen,  anstaudig  zu  kleiden  und  zu  er- 
ziehen,  und  sich  gegen  die  vieleu  Kra- 
mer zu  wehreu,  die  den  ,,uuprakti- 
schen"  Professor  als  leichte  Beute  be- 
trachteten.  Noch  konne  die  F  r  a  u 
des  College-P rofessors  einsehen, 
warum  der  College-P  r  a  s  i  d  e  n  t  von 
der  Bereitwilligkeit  i  h  r  e  s  Gotten, 
Geldeslolm  den  edleren  Gewinnen  des 
Berufes  zu  opfern,  befrelt  sein  solle. 
,,Ist  der  President  ein  groszerer  Ge- 
lehrter?"  fragt  Veritas.  ,,Kauft  er 
mehr  Bticher?  Halt  er  groszere  oder 
bessere  Gesellschaftsabende  ab?"  In 
einem  westlicheu  College  ist  es  vorge- 
kommen,  dasz  der  Prasident,  der 
$12000  jahrlich  erhalt,  von  seinen  un- 
geniigend  besoldeten  Professoreu  ver- 
langte,  sie  sollten  fxir  den  Tee  und  die 
..Crackers"  zahlen,  womit  sie  spater 
an  seiuem  Enipfangsabende  ,er- 
frischt'  wurden." 

Und  endlich  stimmt  in  einem  weite- 
ren  Artikel  ein  Einsender  "X"  aus 
Ithaka  mlt  weithin  horbaren  Tonen 
die  Jeremiade  des  College-,,1  n- 
s  t  r  u  c  t  o  r  s"  an.  ,,Hat  eiu  'In- 


structor* nicht  auch  Frau  und  Kinder? 
Musz  er  nicht  auch  fur  Miete,  Nahr- 
ung  und  Kleidung  zahlen?  Braucht  er 
nicht  auch  Biicher,  wie  der  Professor, 
ukid  soil  er  nicht  auch  zum  Studium 
oder  zur  Erholung  im  In-  und  Aus- 
lande  auf  Reisen  gehen?  Zahlt  er  den 
Handlern  nicht  dieselben  Preise  wie 
der  Viertausenddollar-Professor,  oder 
der  Millionarssohn,  sein  Schiller? 
Wird  von  ihm  nicht  erwartet,  dasz  er 
Eintrittskarten  zu  alien  Wohltatig- 
keitsvorstelhmgen  kauft,  die  Studen- 
tenzeitungen  halt,  die  athletischen, 
christlichen  und  Debattier-Vereine  un- 
terstiitzt,  und  einen  Tuxedo  tragt? 
Soil  ein  Jnstruktor'  einer  gi'oszen  tlni- 
versitat  ein  Gehalt  von  $700  bis  $1000 
bekommen,  wie  ein  Clerk  eines  Gro- 
cery Store?" 

So  zieht  die  Bewegung  unter  den 
Lehrern  der  Volksschulen  und  der 
Hochschulen  zur  Verbesserung  ihrer 
finanziellen  Lage  iminer  weitere 
Kreise! 

DielnternationaleKinder- 
g  a  r  t  e  u-U  n  i  o  n  halt  ihre  elf  te  jahr- 
liche  Tiigimg  vom  27.  bis  29.  April  1904 
in  ROCHESTER,  N.  Y.,  ab.  Das 
vorlaefige  Programm  enthalt  die  An- 
kumligimg  einer  stattlichen  Anzahl 
von  Reden,  von  geplanten  Unterhal- 
tnngen  und  anderem  Wissenswerteu. 
Wer  die  Tagung  besuchen  will  und 
nahore  Auskunft  braucht,  moge  sich 
an  Frl.  Martha  E.  Brown,  56  Rowley 
St.,  Rochester,  N.  Y.,  wenden. 

Deutsches  Reich.  P  r  e  u  s  z  e  n.  In 
Preuszen  bestehen  sehr  viele  P  r  i  v  a  t- 
s  c  h  u  1  e  n.  Die  Lehrer  und  Lehrerin- 
nen  an  denselben  besitzen  noch  keine 
gesetzlich  geregelte  Altersversorgung. 
Sie  haben  sich  nun  an  den  Landtag  ge- 
wandt  und  baten  urn  Einfiihrung  einer 
solchen.  Es  soil  eine  Pensiousanstalt 
ins  Leben  gerufen  werden,  welche  die 
Selbsthilfe  in  den  Vordergrund  stellt, 
aber  staatlich  unterstiitzt  wird. 

Eine  F or tb i  1  d  u ng s s c h u 1 e 
fur  geistig  zuriickgebliebene  Jiinglinge 
und  Madchen  will  die  Stadt  Ber- 
lin einrichten.  In  derselben  solleu 
ehemalige  Schiller  von  Nebenklassen 
und  solche  junge  Leute,  die  sich  In- 
folge  einer  eigentiimlichen  Veranlag- 
ung  oder  schwerer  Ei'krankung  nur 
geringe  Fertigkeiten  und  ein  gauz  be- 
scheidenes  Wissen  aneignen  konnten, 
und  deneu  daher  der  Besuch  einer  be- 
stehenden  Fortbildungsschule  versagt 
werden  musz,  so  weit  ausgebildet  wer- 
den. dasz  sie  doch  noch  moglichst 
niitzliche  Glieder  der  menschlichen 


120 


Palagogische  Monatshefte. 


Gesellsclmft  werden  konnen.  Die 
Mt-thode  soil  ganz  besonders  Riicksicht 
auf  die  Schiller  nehmen.  Der  Unter- 
richt  soil  abends  stattfinden  und  un- 
entgeltlich  sein.  (Allg.  D.  Lehrerztg.) 
Der  Streik  der  Akademiker  an  den 
Berliner  F  o  r  t  b  i  1  d  u  n  g  s- 

s  c  h  u  1  e  u,  die  den  f  remdspracblichen 
Unterricht  niedergelegt,  weil  sie  nicht 
von  seminarisch  gebildeten  Fortbil- 
dungsschulleitern  beaufsichtigt  sein 
wollen  (s.  P.  M.,  V,  p.  91),  hat  einen 
unerwarteten  Ausgang  gehabt.  Das 
Zentralbureau  der  Altesten  der  Kauf- 
inannschaft  veroffentlichte  namlich 
eine  E-rklanmg,  aus  welcher  hervor- 
geht,  dasz  die  vakanten  Stunden  sofort 
wieder  von  anderen  Lehrkraften  fiber- 
nommen  warden.  Eine  bittere  Pille 
aber  fiir  die  Streikenden  mag  folgende 
Stelle  der  betr.  Erklarung  sein:  ,,Der 
Austritt  der  Oberlehrer  gab  Gelegen- 
heit,  eine  Anzahl  vorzuglieher,  gerade 
fiir  den  kaufmaunischen  Sprachunter- 
richt  geeigneter  Lehrkrafte  einzustel- 
len,  insbesondere  durch  langjahrigen 
Auslandsanfenthalt  geschulte  Akade- 
miker, sowie  kaufmannisch  und  me- 
thodisch  vorgebildete  Auslander." 

Bayern.  InErlangen  haben 
die  stadtischen  Kollegien  den  An- 
faugsgehalt  der  Lehrer  von  1700  M. 
auf  1800  M.  erhoht  und  bestimnit,  dasz 
60  Prozent  des  jeweiligeu  Gehaltes 
pensionsberechtigt  sind. 


Eine  L  e  h  r  e  r  f  1  u  c  h  t  macht 
sich  jetzt  im  Groszherzogthum  Wei- 
mar bemerkbar.  Zu  Ostern  verlassen 
nicht  weniger  als  10  Volksschullehrer 
Weimar,  um  in  andereu  Landern  Stel- 
luugen  anzunehmen,  in  denen  sie  bes- 
ser  beznhlt  werden.  Die  vollig  unge- 
nugende  Bezahhmg  —  der  I^ehrer  er- 
halt  vom  49.  Lebensjahre  an  2000  M. 
Gehalt  —  erklart  dieson  Weggang  voll- 
kommen. 

II  o  1 1  a  n  d.  Lehrer  S.  de  .Vries  hat 
eiue  Broschure  fiber  das  nieder- 
landische  S  c  h  u  1  w  e  s  e  n  her- 
aui<iregeben.  Nach  derselben  wer- 
den die  dortigen  offentlicheii  Volks- 
schulen  von  74  Prozent  der  schul- 
pttichtigen  Madchen  besucht.  Die 
ubrigen  Schulpflichtigen  besuchen  Pri- 
vatschulen,  welche  meist  einen  be- 
stimmt  religiosen  Charakter  trageii 
und  von  Vereinen  oder  Privatpersonen 
gegrundet  warden.  An  fast  samtli- 
chen  Schulen  wird  Schulgeld  erhoben. 
Von  dem  Lehrpersonale  ist  ein  groszer 
Teil  weiblieh  und  zwar  verhalten  sich 
die  mannlichen  und  weiblichen  Lehr- 
krafte  bei  den  offentlicheii  Schulen 
wie  5  :  2,  bei  den  privaten  5  :  4.  An 
Gehalt  beziehen  die  offentlicheii  Leh- 
rer 500  Gulden  und  4X50  Gulden  Zu- 
lage  nach  je  5  Jahren.  Schulleiter  be- 
ziehen 750  Gulden  Anfaugsgehalt. 
Zum  Gehalte  kommt  freie  Wohnung 
und  Garten. 


Biicherschau. 


I.     Bucherbesprechungen. 


A  Latin  Grammar,  by  Willi- 
am Gardner  Hale,  Professor  of 
Latin  in  the  University  of  Chicago,  and 
Carl  Buck,  Professor  of  Comparative 
Philology  in  the  University  of  Chicago. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1903.*  Price  $1.00. 

There  is  no  doubt  that  Messrs.  Hale 
and  Buck  have  given  to  Latin  students, 
in  many  ways,  an  unusually  excellent 
grammar.  They  have  been  careful  to 
avoid  the  many  mistakes  made  in  the 
arrangement  of  earlier  grammars.  That 
part,  dealing  with  phonology  and  word- 
formation  is  especially  good.  Syntax 
naturally  commands  a  closer  study  and 
the  most  serious  consideration  of  its  pre- 
sentation. It  is  a  question  for  sub- 
sequent decision,  reached  by  practical 
application,  whether  their  treatment  of 
syntax  in  its  every  phase  and  especially 
that  of  the  subjunctive,  while  original 
and  sound,  and  defended  by  the  ripest 


scholarship,  will  not  confuse  the  begin- 
ing  student.  The  faxilt  lies  in  the  no- 
menclature, not  because  it  is  incorrect, 
quite  the  contrary,  but  because  it  may 
bewilder  rather  than  enlighten  the  im- 
mature mind,  struggling  with  a  subject 
more  difficult  than  it  has  heretofore 
met  with.  On  the  other  hand,  the  more 
mature  student  will  find  much  of  lasting 
value. 

TheOdesandEpodesof  Ho- 
race. Edited  with  introduction  and 
notes,  by  Clement  Lawrence 
Smith,  Pope  Professor  of  Latin  in 
Harvard  University.  Boston,  Ginn  & 
Co.,  1903.  Price  $1.60. 

This  second  edition  of  the  Odes  and 
Epodes  of  Horace  by  Professor  Smith  is 
in  the  main  the  same  as  the  earlier  edi- 
tion, but  with  some  much-desired  im- 
provements in  the  way  of  indexes,  —  an 
index  to  different  poems,  an  index  of 


Bucherbesprechnngen. 


121 


citations,  and  a  general  index.  These  will 
aid  very  much  the  inquiring  and  poetry- 
loving  student  and  will  lead  him  on  to  a 
keener  appreciation  of  the  poems.  It  is 
unnecessary  to  say  anything  concerning 
the  main  part  of  the  text.  Since  it  is 
practically  the  same  as  the  earlier  edi- 
tion, its  continued  use  for  years  past  is 
a  well-deserved  sanction  of  its  genuine 
worth.  R.  B.  Holt. 

Kinder-  und  Hausmarchen 
der  Briider  Grimm.  Selected 
und  edited  with  an  introduction, 
notes  and  a  rocabulary  by  B.  J.  V  o  s, 
Associate  Professor  of  German  in  the 
Johns  Hopkins  University.  American 
Book  Company.  New  York,  Cincin- 
nati, Chicago,  (1903). 

As  frontispiece  the  book  has  a  re- 
production of  the  statue  erected  in 
honor  of  the  Grimm  Brothers  at 
Hanau  in  1896.  The  Introduction 
contains  biographical  sketches  of 
the  two  brothers  and  two  chapters 
on  the  M  a  r  c  h  e  n,  treating  its 
literary  aspects  and  its  scientific  as- 
pects. In  comparing  Jacob  and 
Wilhelm  Grimm,  the  editor  says: 
"As  a  pathfinder  in  the  field  of 
Teutonic  antiquity  and  philology 
Jacob  stood  without  a  compeer  in 
universality  of  knowledge,  acumen, 
originality  and  power  of  combina- 
tion. Wilhelm  on  the  other  hand  was 
Jacob's  superior  as  editor  of  texts, 
possessing  greater  skill  of  presenta- 
tion and  more  patience  in  the  investi- 
gation of  detailed  critical  problems." 
Professor  Vos  has  devoted  much  time 
to  the  study  of  the  M  a  r  c  h  e  n,  as 
evidenced  by  his  paper  on  "Stylistic 
Survivals  in  Grimm's  Kinder-  und 
Hausmarchen,  which  was  pre- 
sented before  the  Modern  Language 
Association  of  America  in  1902  (see 
Publications  of  Mod.  Lang.  Assoc., 
vol.  XVIII,  p.  VI):  Some  of  this 
paper  has  evidently  been  used  in 
preparing  this  Introduction.  The 
editor  draws  attention  to  the  fact 
that  scientific  considerations  were 
not  uppermost  in  the  minds  of  the 
Grimms  in  their  collection  and 
publication  of  the  M  a  r  c  h  e  n,  but 
that  the  book  is  primarily  a  literary 
production. 

In  the  chapter  on  the  scientific 
aspects  of  the  subject,  Professor 
Vos  states  and  discusses  the  three 
principal  theories  which  would  ex- 
plain the  correspondence  in  the  great 
majority  of  folk-tales  that  "are  not 
peculiar  to  any  one  people  but  are 
the  possession  of  many  peoples, 
frequently  living  apart  and  not  un- 


commonly belonging  to  different 
races".  (1)  The  Grimms  believed 
that  the  traditions  of  the  folk-tales 
were  a  common  heritage  of  the  Indo- 
European  race,  transmitted  from 
primitive  times,  and  held  that  the 
similarities  were  due  to  the  same 
cause  as  resemblaces  among  cognate 
languages.  The  editor  presents  the 
three  following  objections  to  this 
theory:  (a)  that  there  is  no  evidence 
of  the  antiquity  of  the  tales;  (b) 
that  the  theory  does  not  account  for 
correspondences  with  tales  among 
non-Indo-European  peoples;  (c)  that 
the  resemblances  are  in  many  cases 
too  detailed  to  make  an  explanantion 
on  the  score  of  common  heritage 
seem  plausible.  This  theory  has  now 
been  generally  abandoned  by 
scholars.  (2)  The  second  theory, 
that  of  E.  B.  Tylor  and  Andrew 
Lang,  explains  the  similarities  in 
folk-tales  as  the  result  of  the  pre- 
valence in  all  parts  of  the  world,  at 
one  time  or  another,  of  similar 
mental  traditions  and  ideas.  (3)  A 
German  scholar,  Benfey,  is  the  best 
exponent  of  the  third  theory,  the  one 
most  commonly  accepted,  according 
to  which  folk-tales  are  Buddhistic  in 
origin  and  by  various  channels  made 
their  way  to  Europe. 

TheNotas,  which  are  at  the  bottom 
of  the  page,  show  care  and  skill  in 
preparation,  and  they  are  not  too 
copious  for  the  class  of  students 
that  are  likely  to  use  the  book.  The 
Vocabulary  seems  to  be  complete:  I 
have  found  no  words  missing.  I  have 
noted  two  misprints:  page  16,  last 
line,  for  "on"  read  in;  page  24,  last 
line,  for  "fathers"  read  father's. 

Goethe's  Egmont,  Edited 
with  introduction  and  notes  by 
Robert  iWaller  Deering, 
Ph.  D.,  Professor  of  Germanic 
Languages  in  Western  Reserve  Uni- 
versitjr.  New  York.  Henry  Holt  & 
Co.,  1903. 

The  Introduction  is  divided  into 
seven  chapters  which  treat  in  an 
attractive  and  scholarly  manner  the 
following  topics:  The  composition  of 
the  play,  the  historical  background, 
Goethe's  use  of  the  history,  the  char- 
acters, the  dramatic  structure  of 
the  play,  style  and  tone  of  the  play, 
and  criticism  of  the  play.  The  first 
chapter  clearly  points  out,  by  way 
of  introduction,  that  Goethe  was  at- 
tracted to  the  career  of  the  historical 
Egmont  because  he  saw  in  him  the 
embodiment  of  a  character  and  of 
views  similar  to  his  own,  and  that, 


122 


Padagogiscbe  Monatshefte. 


besides,  Goethe  was  impressed  by 
the  psychological  possibilities  in  the 
conflict  between  Egmont,  the  ad- 
vocate of  liberal  government  and  of 
personal  freedom,  and  Alba,  the 
embodiment  of  despotic  tyranny. 
The  third  chapter  discusses  Goethe's 
use  of  this  history,  showing  how  he 
followed  the  well  known  principles 
laid  down  by  Lessing  and  freely 
adapted  his  historical  material  to  his 
own  plans,  first,  by  condensing  and 
simplyfying  it  to  secure  dramatic 
imity,  clearness,  and  rapid  move- 
ment, and  secondly,  by  changing  the 
historical  figure  into  a  nature  more 
like  his  own.  Professor  Deering's 
treatment  of  the  characters  shows 
appreciation  and  sympathetic  under- 
standing. The  dramatic  structure  is 
handled  with  lucidity.  Space  will  not 
permit  mention  of  all  the  admirable 
features  of  the  introduction,  but 
quotations  from  the  closing  para- 
graph will  not  be  out  of  place: 
"While  Egmont,  therefore,  may 
not  be  tragic  in  the  orthodox  sense 
of  the  word  as  used  by  Schiller, 
Lessing,  and  Freytag,  yet  as  Schiller 
admits,  it  moves  as  tragedy  should. 

-  which  shows  that  Goethe  con- 
sidered the  ordinary  canons  of 
tragedy  too  narrow  and  thought  it 
possible  to  write  a  drama  that  is  in 
the  highest  sense  tragic  without 
conflict  and  guilt  of  the  usual  type. 
It  is  not  to  be  condemned  because 
the  critic  may  not  understand  it  or 
may  not  be  able  to  measure  it  with 
his  ordinary  rule  and  compass.  .  .  . 
Egmont  is  like  all  his  later 
dramas  —  they  were  not  intended 
to  be  popular,  they  were  not  written 
for  the  masses,  they  are  denied  the 
highest  stage  effects,  but  they  are 
soul-pictures  of  tremendous  power." 

There  are  sixty-two  pages  of  notes 
to  the  one  hundred  and  twelve  pages 
of  text — a  rather  generous  quantity 
more  than  in  Primer's  edition,  but 
not  so  many  as  in  Winkler's  edition. 
The  notes  are  interesting  though, 
and  should  add  to  the  student's 
enjoyment  and  understanding  of  the 
play. 

The  book  will  rank  high.  There  is 
Tery  little  in  it  to  criticise.  The 
teacher  betrays  himself  through  an 
occasional  repetition,  as  for  in- 
stance: "Conflict  between  the  powers 
of  light  and  of  darkness,  so  to 
speak",  page  X,  and  "Struggle  be- 
tween the  powers  of  light  and  dark- 
ness, so  to  speak",  page  LIII;  "Its 
great  drawback  is  that  it  is  not 


positive  and  evident  enough  for  the 
ordinary  reader",  page  LVIII,  and 
"Perhaps  the  greatest  fault  is  the 
fact  that  Goethe  expects  too  much 
of  his  readers",  pages  LXXI  and 
LXXII.  But  such  repetitions  do  no 
harm  and  often  help  to  impress  im- 
portant facts  upon  the  mind. 

Charles  Bunde  Wilson. 
State  University  of  Iowa. 

Das  Habichtsfraulein  von. 
Rudolph  Baumbach.  By  Dr. 
Wilhelm  Bernhardt,  D.  C.  Heath  & 
Co.,  1904.  We  have  to  thank  the  well 
known  editor  Dr.  Bernhardt  for  a  prac- 
tical and  accurate  edition  of  Rudolf 
Bauinbach's  instructive  and  fascinat- 
ing story  'Das  Habichtsfraulein'.  This 
romance  of  the  free  forest  will  find  a 
welcome  place  in  High  School  and 
College  courses.  It  will  help  to  intro- 
duce the  student  to  the  spirit  of  the 
Thuringian  Forest,  thereby  preparing 
him  for  the  study  of  the  poets  who 
have  drawn  so  much  inspiration  from 
the  natural  forces,  legends  and  history 
of  this  poetic  locality. 

The  notes  will  be  of  great  help  to 
the  students.  The  experienced  editor 
has  carefully  avoided  the  Introduction 
of  things  which  find  their  proper  place 
in  the  vocabulary.  The  questions  in 
German  offer  good  material  for  the 
use  of  German  in  the  classroom.  How- 
ever, suggestive  questions  which  bring 
out  the  development  of  the  story  more 
completely  would  have  been  wel- 
comed. 

In  this  connection  I  wish  to  answer, 
if  possible,  Dr.  Bernhardt's  question 
in  his  coui'teous  review  of  my  edition 
of  1'Arrabbiata  (P.  M.,  IV,  1).  He  said: 
,,Zu  bedauem  ist  ferner,  dasz  das  dem 
Buch  angefiigte  Worterverzeichnis 
nicht  vollstandi^  ist  ,und,  nach  des 
Herausgebers  eigener  Aussage,  auch 
nicht  bestimmt  war,  vollstandig  zu 
sein.  ,Warum  iiberhaupt  ein  Worter- 
verzeichnis?' fragt  man  sich  dabei 
unwillkurlich."  My  first  reason,  was 
simply  this — I  do  not  deem  it  neces- 
sary to  include  in  a  vocabulary  the 
words  which  the  student  should  know 
by  the  time  he  has  reached  a  text,  as 
TArrabbiata'.  The  second  reason  is. 
that  the  student  should  start  as  soon 
as  possible  to  ascertain  the  meaning 
of  the  words  from  the  context.  And 
if  the  student  knows  that  he  can  find 
the  meaning  of  the  word  in  the  voca- 
bulary, he  will  be  inclined  to  depend 
upon  it,  thus  retarding  his  reading 
power.  W.  W.  Florer. 


Bucherbesprecbungen. 


Report  of  the  Commis- 
sioner of  Education  for  the 
year  1902.  Vol.  1.  Washington:  Gov- 
ernment Printing  Office.  1903.  Pp. 
CXII  and  1176.  Vol.  2.  Pp.  1177-2447. 

Aus  dem  Material,  welches  unser 
Erziehungskommissar  in  seiuem  so- 
eben  erschienenen  Jahresbericht  auf 
2600  Seiten  gesammelt  hat,  kann  man 
natiirlich  nur  wenig  beriihren. 

Auf  Seite  47  wird  berichtet,  dasz  das 
Analphabetentum  in  unserem  Lande 
abnimmt.  Wahrend  im  Jahre  1870 
noch  83.5  Prozent  der  stimmberechtig- 
ten  Neger  unseres  Landes  weder  lesen 
noch  schreiben  konnten,  war  der  Pro- 
«entsatz  im  Jahre  1900  auf  47.4  gesuu- 
ken.  Fur  die  Weisen  gelten  die  Zahlen 
9  fur  1870  und  6.6  fiir  1900. 

Den  geringsten  Prozentsatz  des 
Analphabetentums  findeu  wir  unter 
den  "native  born  of  foreign  parents" 
nainlich  2  Prozent.  ''This  small  illit- 
eracy of  the  sons  of  immigrants  is 
general,  being  observable  in  every  one 
of  the  five  geographical  divisions  as  a 

whole "  (Das  sollten  sich  Senator 

Lodge  und  seine  Freunde  ins  Stamm- 
bnch  schreiben.) 

Im  Jahre  1870  besuchten  7,561,582 
Schiller  die  offentlichen  Schulen  unse- 
res Landes;  heute  hat  sich  die  Zahl 
verdoppelt;  sie  betragt  15,925,887 
20.2  Proz.  aller  Bewohner  besuchen  die 
Schulen:  1896  betrug  die  Zahl  20.6  vom 
Hundert;  mithin  ist  in  den  6  Jahren 
ein  Riickgaug  urn  .4  Prozent  z\i  ver- 
zeichnen. 

Nicht  sehr  erfreulich  ist  die  Tat- 
sache.  dasz  durchschnittlich  nur  69.07 
Prozent  der  eingeschriebenen  Schiller 
die  Schule  besuchen.  Dadurch  wird 
die  hone  Ziffer  der  15.925,887  einge- 
schriebenen Schiller  auf  10,999,273  re- 
duziert.  Die  Schulzwangsgesetze 
scheinen  demnach  ganz  am  Platze  zu 
sein. 

Das  Durchschnittsschuljahr,  welches 
im  Jahre  1870  nur  132  Tage  betrug,  ist 
in  diesen  30  Jahren  nur  um  13  Tage 
gestiegen.  Es  betragt  heute  145  Tage. 
Wahrlich.  ein  sehr  kurzes  Schuljahr! 
(Und  doch  macht  man  immer  wieder 
die  Schule  fiir  so  viele  unerquick- 
liche  Dinge  verantwortlich.) 

I  in  Jahre  1870  waren  von  100  Lehr- 
kraften  noch  41  Manner;  1901  waren 
es  nur  noch  27.8.  Wenn  es  in  diesem 
Masze  weitergeht,  wird  in  unserem 
Lande  im  Jahre  1967  der  letzte  Schul- 
meister  begraben. 

Das  Durchschnittsgehalt  betrug  im 
Jahre  des  Heils  1901  fiir  den  Lehrer 


$49.05,  filr  die  Lehrerin  $39.77.  (Da- 
bei  ist  unser  Land  eines  der  reichsten 
der  Erde  und  erfreut  sich  einer  nie 
dagewesenen  Prosperitat.)  Da  das 
Durchschnittsschuljahr  nur  7.25  Mo- 
nate  betragt,  so  stellt  sich  das  Durch- 
schnittsjahreseinkommen  des  Lehrers 
auf  $355.61,  das  der  Lehrerin  auf 
$288.33.  Beschamende  Zahlen!  Wenn 
man  bedenkt,  dasz  in  den  Stadten  die 
Gehalter  doch  gliicklicherweise  iiber 
jenen  Durchschuittsziffern  stehen,  so 
miisseu  die  Gehalter  auf  dern  Lande 
entsetzlich  niedrig  sein.  (Das  Jahres- 
einkomrnen  des  amerikanischen  Arbei- 
ters  betragt  etwa  $400.00.) 

Im  Jahre  1870  besuchten  50,000 
Schiller  die  'secondary  schools';  1901 
betrug  die  Zahl  650,000;  ein  Steigen 
von  .2  Prozent  der  Gesamtbevolker- 
ung  im  Jahre  1870  auf  .75  Prozent 
1901. 

Die  Zahl  der  'College  students'  stieg 
von  20,000  im  Jahre  1870  auf  110,000 
1901. 

Dem  verstorbeneu  Padagogen  Fran- 
cis Wayland  Parker  wird  ein  49  Seiten 
langer  Nachruf  gewidmet.  Er  hat 
denselben  redlich  verdient. 

President  W.  R.  Harper  von  der 
University  of  Chicago  schildert  in  ei- 
ner 17  Seiten  langen  Abhandlung  'the 
educational  progress  of  the  year 
1901-.02'  In  dieser  Abhandlung  spricht 
•er  auch  iiber  'the  tenure  of  office  of 
professors — freedom  of  teaching'.  Herr 
Harper  ist  der  Ansicht,  dasz  die  Stel- 
lung  der  Professoren  an  Universitaten 
im  Laufe  des  Jahres  eine  sicherere  ge- 
wordeu  ist.  (Prof.  Ross  von  der  Le- 
land  Stanford  University  und  Prof. 
Triggs  von  der  University  of  Chi- 
cago!?) 

Interessant  sind  gerade  jetzt  die  An- 
gaben  iiber  den  Elementarunterricht 
in  Russland.  Dort  gab  es  im  Jahre 
1898  78,724  Volksschulen  mit  3,801,133 
Schiilern.  Und  das  in  einem  Reiche, 
das  120,000,000  Einwohner  hat.  Daher 
die  hohe  Zahl  der  Analphabeten,  61.70 
Prozent.  Armes  Reich!  Wenn  in 
Russland  derselbe  Prozentsatz  der 
Schiller  die  Schule  besuchen  wiirde. 
wie  das  in  unserem  Lande  der  Fall  ist, 
so  miiszten  dort  24,240,000  Elementar- 
schiiler  in  den  Schulen  sein. 

Und  Japan?  Im  Jahre  1900  hatte 
dasselbe  28,421  Schulen  mit  92,963 
Lehreren  und  4,247,341  Schiilern.  Da- 
bei  hat  Japan  etwa  40,000,000  Eiu- 
wohner. 

Besonders  interessant  sind  fur  uns 
noch  die  Tabellen,  welche  die  Anal- 


124 


Pddagogische  Monatslxfte. 


phabeten  in  den  europaischen  Lan- 
dern  angeben.  Nach  dem  Kaiserlichen 
Statistischen  Amt  in  Berlin  gab  es  iui 
Jahre  1901  unter  den  eingezogenen 
Rekruten  in  Preuszen  .07  Analphabe- 
ten;  in  Baiern  .01,  Sachsen  .00,  Wiir- 
temberg  .01,  Baden  .03,  Hessen  .02, 
Mecklenbiirg-Schweriu  .  00,  Sachsen- 
Weimar  .00,  Mecblenburg-Strelitz  .00, 
Oldenburg  .00,  Braunschweig  .11, 
Sachsen-Meinigen  .  00,  Sachsen- Alten- 
burg  .00,  Sachsen-Koburg-Gotha  .00, 
Anhalt  .07,  Schwarzburg-Sonderhau- 
sen  .00,  Schwarzburg-Rudolstadt  .00, 
Waldeck  .00,  Reuss,  altere  Linie  .00, 
Reuss,  jiingere  Linie  .00,  Schaumburg- 
Lippe  00,  Lippe  .00,  Liibeck  .00,  Bre- 
men .00,  Hamburg  .05,  Elsasz-Loth- 
ringen  .06.  Wahrlich,  giinstige  Zah- 
len! 

Nun  kommen  die  auszerdeutschen 
Lander:  Die  Schweiz  .13,  Danemark 
.2,  Finnland  .49  (Dagegen  das  ubrige 
Russland  mit  61.70 — und  den  Finnen 
zwingen  jetzt  die  Russen  ihre  Kultur 
und  ihre  Sprache  auf),  Holland  2.3, 
Schottland  2.46,  England  3  (Man  ver- 
gleiche  die  deutschen  Lander  mit  Eng- 
land Oder  mit  den  Ver.  Staaten), 
Frankreich  4.7,  Irland  7.9,  Belgien 
10.10,  Griechenland  30,  Italien  32.9, 
Oesterreich  35.6,  Ungarn  47.8,  Oester- 
reich-Ungarn  41.7,  Russland  61.7, 
Spanien  68.1,  Portugal  79.2,  Serbien 
79.3,  und  Rumanien  mit  88.4  Prozent 
Analphabeten. 

Sehr  interessant  und  belehrend  sind 
die  Tabellen  iiber  Pensionen  der  Leh- 
rer.  Es  bezahlen  nach  denselben  fol- 
gende  Lander  ihren  Volksschullehrern 
Pensionen: 

Preuszen  zahlt  nach  45-jahriger 
Dienstzeit  75  %  des  Hochstgehalts. 

Wiirteuiberg nach  45  Jahren    85% 

Baiern nach  45  Jahren    75% 

Sachsen    nach  45  Jahren    80% 

Baden    nach  45  Jahren    75% 

Hessen  nach  45  Jahren  100% 

Mecklenburg-Schwerin    

nach  50  Jahren    90% 

Oldenburg  nach  45  Jahren    80% 

Sachsen- Weimar,  nach  37  Jahren    80% 
Braunschweig  . .  .nach  50  Jahren  100% 

Anhalt    nach  50  Jahren  100% 

Sachsen- Altenburg   

nach  45  Jahren     86% 

Sachsen-Koburg-Gotha   

nach  40  Jahren  100% 

-Sachsen-Meiuingen  

nach  50  Jahren  100% 

Reuss,  altere  Linie 

nach  45  Jahren    80% 

Reuss,  jiingere  Linie 

nach  45  Jahren    80% 


Schwarzburg-Sonderhausen    

nach  48  Jahren    80% 

Schwarzburg-Rudolstadt    

nach  50  Jahren  100% 

Lippe-Detmold  ..  .nach  45  Jahren    80% 

Schaumburg- Lippe,  

nach  45  Jahren    80% 

Waldech   nach  45  Jahren  66%% 

Bremen nach  45  Jahren    80% 

Liibeck nach  35  Jahren    75% 

Hamburg  nach  40  Jahren    80% 

Elsass-Lothringen 

nach  45  Jahren    75% 

Es  folgen  dann  die  folgenden  auszer- 
deutschen Lander: 
Oesterreich  zahlt  nach  40   Dienstjah- 

ren  100% 

Ungarn   zahlt   nach   45    Dienstjahren, 

$150  bis  $200. 

Danemark    nach  45  Jahren  66%% 

Schwedeu    nach  30  Jahren    75% 

Holland    nach  40  Jahren  66  % 

Frankreich  nach  25  Jahren    50% 

England,    nach   35    Dienstjahren    $100 

fur  jedes  Jahr  nach  einem  10-jahri- 

gen  Dienst. 

Und  in  unserem  Lande?  "In  the 
United  States  teachers  are  not  pen- 
sioned from  public  school  funds,  ex- 
cept in  Maryland."  (S.  2371.) 

John  Eiselmeier. 

a.  Padagogische       Briefe 
von  Prof.  Dr.  M.  Lazarus.  Mit 
einem    Vorwort    herausgegebet    von 
Dr.     Alfred     Leicht.      Breslau, 
Schlesische     Verlagsanstalt     von     S. 
Schottlaender,  1903.     Preis  M.  1.50. 

b.  Die    allgemeine    obliga- 
torische       Madchen    -    Fort- 
bildungsschule.     Vortrag   von 
Joh.  Hofmann,  Rektor.     Leipzig, 
Ernst  Wunderlich,  1903.     Preis  50  Pf. 

c.  Die  Unterricntslektion 
als      didaktische      Kunst- 
f  o  r  m.     Praktische    Ratschlage    und 
Proben     fur    die     Alltagsarbeit     fiir 
Lehrproben      von      Dr.      Richard 
S  e  y  f  e  r  t,  Seminaroberlehrer.  Leip- 
zig,   Ernst    Wunderlich,    1904.     Preis 
M.  2.40. 

Man  hat  von  Luther  gesagt,  als 
Sohn  des  Bergmannes  habe  er  die 
Klumpen  edlen  Metalls  zutage  ge- 
fordert,  wahrend  sein  Gehilfe  Me- 
lanchthon,  der  Sohn  des  Schmiede- 
meisters,  dieselben  zu  kunstvollen 
Gebilden  verarbeitet  habe.  In  die- 
sem  Sinne  lasst  sich  Dr.  Lazarus  dem 
letztern  an  die  Seite  stellen.  Er  ist 
kein  schopferisch.es  Genie,  das  sich 
neue  Bahnen  bricht  und  die  Welt 
mit  neuen  Entdeckungen,  Erfindun- 
gen  oder  Kunstwerken  iiberrascht; 
kein  Stiirmer,  der  mit  flammender 


Bucberbespreckungen.  125 

Rede,  mit  dem  Schwerte  des  Geistes  chen.  --  Der  erste  Brief  zeigt  uns 
morsche  iiberlieferungen  oder  die  vor  allem  den  lautern  Idealismus  des 
Gotzen  des  Tages  zerschlagt,  son-  Verfassers,  der  dureh  eine  zweck- 
dern  ein  edler,  vornehmer  Geist,  ein  massige  Erziehung  die  "Volksseele  zu 
Kiinstler  im  achtenSinne  desWortes,  einem  Kunstwerk  gestalten  mochte, 
der  die  tiefen  Gedanken  der  grossen  in  dem  jeder  Teil  von  andern  sich 
Geistesheroen  nachdenkt  und  mit  lie-  unterscheidtet,  aber  alle  Teile  ein 
bendem  Verstandnis,  mit  bewun-  harmonisches  Ganzes  bilden.  Die 
derungswiirdiger  Feinfiihligkeit  idealistische  Stimmung  des  Erzie- 
sich  in  ihr  Innenleben  versenkt.  Die  hers,  die  ,,von  der  intimen  Schatz- 
Philosophen  und  Dichter  des  klas-  ung  jenes  eigenartigen  und  unver- 
sischen  Altertums,  die  Seher  Israels,  gleichlichen  Wertes  abhiingt,  den 
die  grossen  Dichter  und  Denker  die  Entwickelung  einer  menschlichen 
Deutschlands,  besonders  Herbart,  (individuellen)  Seele  hat",  und  die 
als  dessen  Jtinger  man  ihn  so-  ,,wie  ein  Imponderables  in  atheri- 
fort  erkennt,  liefern  ihm  das  sehen  Wellenbewegungen  das  Feste 
kostbare  Metall,  aus  dem  er  und  Schwere  des  Lehrstoffes  durch- 
seine  Hterarischen  Kunstgebilde  dringen  kann",  mochte  er  auch  dem 
formt.  Er  ist  in  erster  Linie  Leser  mitteilen.  Im  zweiten  Briefe 
der  zartbesaitete  Kiinstler,  der  vor-  behandelt  er  mit  Ruhe  und  Klarheit 
nehme  Stilist,  iiber  dessen  Werken  die  Frage  der  ,,Staatserzie  fa- 
die  ruhige  Schonheit,  die  massvolle  xi  n  g",  die  besonders  damals  in 
Anmut  des  klassischen  Griechen-  Deutschland  und  der  Schweiz  viel 
turns  schwebt,  gleich  zarten  Rosen-  Aufregung  verursachte.  Schreiber 
wolken  iiber  einer  schonheitstrunke-  dieser  Zeilen  erinnert  sich  noch'mit 
nen  Friihlingsladschaft.  Dass  Dr.  einem  wehrnutigen  Lacheln  jener  be- 
Lazarus  aber  auch  die  Waffen  einer  wegten  Tage,  da  er  von  einem 
geistvollen  Polemik  meisterhaft  zu  einsamen  Winkel  der  schneebe- 
fiihren  versteht,  beweisen  die  vor-  deckten  rhiitischen  Alpen  aus 
liegenden  ,,padagogischen  Briefe".  in  Prosa  und  stiirmischen  poe- 
Mehr  als  zwanzig  Jahre  sind  dahin-  tischen  Ergiissen  gegen  die  ,,des- 
gegangen,  seit  er  diese  wertvolle  potischen  Dunkelmiinner  und  Je- 
Gabe  dem  deutschen  Volke  dar-  suiten"  mitkampfte  und  iiber  die 
brachte,  —  im  Hinblick  auf  unsre  .,unbegreifliche  Lauheit"  seines  fru- 
raschlebige  Gegenwart  eine  sehr  hern  Lehrers,  des  Seminardirektors 
lange  Zeit;  die  Verhaltnisse  haben  Th.  Wigel,  und  seiner  Herbart'schen 
sich  zum  teil  geandert,  die  ihn  in  die  Gesinnungsgenossen  sich  fast  zu  Tod 
Arena  riefen,  und  Lazarus  selbst  ist  argerte.  Es  war  ein  lustiger,  froh- 
seitdem  in  das  von  ihm  ersehnte  Hcher,  oft  auch  recht  roher  ,,Kultur- 
Reich  des  ewigen  Friedens,  der  voll-  kampf",  bei  dem  man  die  Hiebe  nicht 
kommenen  Schonheit  eingegangen,  sparte.  .  .,  ein  oft  kindischer,  aber 
wo  vermutlich  keine  Dunkelmanner  doch  unschiitzbarer  Idealismus,  fur 
und  keine  hochmutigen  Bureaukva-  eine  Nation  trotz  aller  Schlacken 
ten,  die  alles  nivellieren  mochten,  zu  von  grosserm  Werte,  als  alle  Schatze 
finden  sind;  —  ja,  wir  miissen  fiir  ties  Klondyke.  .  .  Doch  vorwarts  ge- 
den  amerikanischen  Leser  noch  blickt:  da  dieses  Problem  auch  bei 
hinzufiigen:  die  a,  u  s  s  e  r  n  Umstan-  uns  friiher  oder  spater  viel  Kopfzer- 
de,  die  diese  Briefe  veranlassten,  brechen  verursachen  diirfte,  beson- 
sind  hier,  trotz  der  Wiihlereien  ge-  ders  wenn  Onkel  Sam  fortfahrt,  seine 
wisser  Maulwiirfe,  im  deutschen  ethnologische  Mustersammlung  zu 
Sinne  des  Wortes  so  gut  wie  unbe-  bereichern,  —  so  hat  wenigstens  em 
kannt.  Mogen  sie  es  noch  recht  Teil  dieser  Briefe  auch  fiir  Amerika 
lange  bleiben!  —  Dennoch  mochten  ein  bedeutendes  praktisches  In- 
wir  auch  letzteren  das  Studium  die-  teresse.  Mit  gewichtigen  sachhchen 
ser  Briefe  aufrichtig  empfehlen,  und  philosophischen  Grunden,  mit 
denn  die  Probleme,  die  darin  bespro-  iiberraschenden  kulturhistorischen 
chen  werden,  sind  nicht  nur  fiir  Streiflichtern  tritt  Lazarus  fiir  die 
Deutschland,  sondern  auch  f iir  Ame-  Staatserziehung  em,  doch 
rika,  ja  fiir  die  gesamte  Menschheit  nur  unter  drei  sehr  wichtigen  Be- 
von  grossten  Interesse.  Diese  kurze  dingxmgen:  1)  Die  Letter  des  hchi 
Besprechung  erlaubt  kaum  eine  wesens  sollen  von  jeder  Partei  volhg 
fliichtige  Andeutung  dieser  Proble-  unabhiingig  sein;  2)  nur  padag 
me;  aber  dieselbe  wird  geniigen,  um  gische  Erwagungen  sind  fiir  diesel- 
den  Leser  auf  die  Reichhaltigkeit  ben  massgebend,  und  3)  den  Lehrern 
dieser  ,,Briefe"  aufmerksam  zu  ma-  soil  das  grosstmogliche  Mass  person- 


Padagogmhe  Monatskefte, 


licherFreiheit  gewiihrleistet  werden. 
Bureaukratismus     und     Nivellierung 
Bind  fur  Lazarus  wie  fiir  jedeii  eiu- 
sichtigen      Anhiiiiger      der       wissen- 
schaftlichen    Piidagogik    ein    Griiuel, 
worin      sie     mit     Herbert     Spencer, 
IS'ietzsche  und  Goethe  wenigstens  im 
Prinzip      iibereinstimmen.       Padago- 
gische  Griinde   sind   fiir  Lazarus  vor 
allem   niassgebend,   und   es   1st  wohl 
der   Millie   wert,   den   logischen,   von 
jeder    Parteiriicksicht    unabhangigen 
Gedankengang  zu  verfolgen,  den  der 
Polemiker  bei  seiner  hochst  interes- 
santen  Untersuchung     verfolgt.     Ini 
dritten  Brief  fahrt  er  fort,  die  Ver- 
dienste  des  Staates    um    die   Schule 
und  die  Vorteile  der  Staatserziehung 
zu   beleuchten;    von    seinem   jetzigen 
Standpunkte  aus  konute  ihm  der  Re- 
zensent    nicht    iiberall   Kecht    geben, 
mochte  aber  umsomehr  auf  die  kost- 
lichen    Gedankenperlen    aufinerksain 
machen,  die  iiberall     in     die   Unter- 
suchung  eingestreut    sind.      Hierauf 
bespricht    er    im    vierten    Briefe    die 
Erziehungsideale     W.   v.   Humboldts, 
Schillers    und    Goethes,     um     sodann 
der  Teilnahme  des  Einzelnen  an  den 
Kulturaufgaben      des      Staates,      zu 
welcher   ihn     die    Schule     befiihigen 
soil,    zu    gedenken.      Das    Ideal    des 
modernen    Staates    wird    im    fiinften 
Briefe     vorgefiihrt.       Seine      Burger 
sollten     alle     leiblich     (und     okono- 
misch)    freie,    selbstdenkende,    s  i  c  h 
selbst      bestimmende      Meii- 
schen    sein.      Er    soil     konserva- 
t  i  v  sein     im     b  e  s  t  e  n     Sinne     des 
Wortes,  indem  er  durch  die  Bildung 
seiner  Biirger  dafiir  sorgt,     ,,d  a  s  s 
die    einmal   errungene   K  \i  1- 
tur  und  Sittlichkeit   nicht 
wieder    verloren    geh  t,"    und 
liberal,     indem     er     an     den 
F or t schrit t e n        der        Zeit 
sorgfaltig      priifend      teil- 
n  i  m  m  t."     Er  darf  es  nicht  dulden, 
,,dass  irgend  eine  Kirche  oder  Partei 
die   Jugend  zur  geistigen  Abhangig- 
keit  von  ihren   Lehren  erzieht   oder 
gar     eine     antinationale     Gesinnung 

pflegt" ,,Der  Staat   soil  zwar 

die  oberste  Aufsicht  iiber  die  Schu- 
len  fiihren,  aber  dabei  den  einzelnen 
Lehrern,  Dorfern,  Stadten  und  Pro- 
vinzen  moglichst  viel  Selbstandigkeit 
und  Raum  zur  freien  Bewegung  und 
Entwickelung  lassen,"  mit  andern 
Worten,  der  Staat  1st  hauptsiichlich 
xur  A  b  w  e  h  r  gegen  die  Kriihen, 
Wolfe  und  Rotfiichse  da.  .  .  .  Die 
individuelle  Freiheit  von  Lehrern 
und  Gemeinden  wird  im  sechsten 
Briefe,  der  von  der  Schulverwaltung 


handelt,  noch  besonders  betout  und 
eindringlich      empfohlen.      Im      sie- 
benten,   achten   und  neunten   Briefe, 
die  von  allgemeinem  Interesse    sind, 
wird  die  Anzahl  der  Schuljahre   und 
die  Notwendigkeit  der  Fortbildungs- 
schule      besprochen.      Was      Lazarus 
darin   iiber     den     Zweck     des  Volks- 
schulunterrichtes,       iiber      die      Ent- 
wickelung der  Apperzeption,  des  un- 
mittelbaren   Interesses,   wie   es   Her- 
bart  und  Ziller  nennen,  sagt,  ist  fiir 
alle    Erzieher    sehr    interessaiit    und 
lehrreich,     wenn     auch     leider     auch 
sehr     nnvollstandig.         Er     versucht 
darin    zu    zeigen,    wie    die    geistigen 
Apperzeptionskreise,    die    die    Schule 
erzeugt,  fiir  das  spatere  Leben  we  it 
•\vichtiger     siud,     als     die     positiveu 
Kenntnisse,  die  sie   iibernaittelt,  und 
dass    ein   psychologisch     richtig   ge- 
leteter   Unterricht   auch   im    spiitern 
Leben  noch  die  wertvollsten  Friichte 
zeitigt.      Ware    irgend   ein   Millioniir, 
Ward-Politiker      oder      Kanzelredner 
imstande,  dies  den  Amerikanern  ein- 
leuchtend  zu  machen,  —  auf   andre 
Leute  horen  sie  ja  nicht,  —  so  hiitte 
er  sich  von  seiten  unsrer  armen,  ge- 
plagten,  gedrillten,  verflachten,  iiber- 
biirdeten,    versimpelten    uud    verdor- 
benen    Schulkinder     ein    Denkmal    in 
Gold  und  Elfenbein  verdient  —  dazu 
wiirde     aber     das     Studium     dieser 
Briefe  bei  weitem  nicht  ausreichen! 
—     Lazarus     sucht     hier,     wie     im 
z  e  h  n  t  e  n    und   letzten    Briefe,    der 
von  der  Erziehung  an  und  fiir   sich 
handelt,  die   streng  wissenschaftlich 
gehaltenen       Untersuchungen      Her- 
barts  und  seiner  Schule  in  ein  volks- 
tiimliches   Gewand   zu   kleiden,     und 
wenn  ihm  das  auch  nicht  iiberall  gut 
gelungen   ist,    so     sind      doch    seine 
Ausfiihrungen    fiir   jeden    denkenden 
Leser,    besonders    aber    fiir    den    ge- 
wissenhaften  Lehrer,     von     grossem 
Werte.     Die   Bekanntschaft     mit  ei- 
nem  so  edlen,  idealgesinnten  Geiste 
wie    Lazarus    ist    schon    an    und    fiir 
sich    ein   kostlicher   Gewinn,   und    so- 
darf     ich    wohl    mit    dem    Wunsche 
schliessen,   der  werte   Leser   mochte 
diese    geistvolle    Gabe    des    sinnigen 
Weisen  selber  zur  Hand  nehmen  und 
die  Perlen,  die  sie  enthiilt,  zu  heben 
suchen.     Idealisten  wie  Lazarus  sind 
leider  sehr  seiten;  umsomehr  sollten- 
wir  sie  hochschatzen.  .  .  . 

b.  Ich  komme  nun  zu  eiiier  zweiten 
Publikation,  die  zwar  etwa  22  Jahre 
spjiter  (1903)  erschien,  als  diese 
Briefe,  dieselben  aber  doch  nach  ei- 
ner  Richtung  hin  zu  erganzen 
scheint,  niimlich  in  Bezug  auf  das 


Ttiicherbesprechungen 


12 


Ton  Lazarus  iiber  die  Fortbildungs- 
schulen  Gesagte.  Es  ist  dies  eine 
kleine,  sehr  lesenswerte,  wenn  auch 
nicht  einwandfreie  Broschiire,  die 
einen  Vortrag  von  Kektor  John  Hof- 
inaun  iiber  die  allgenieine  obli- 
gatorische  Madchen  -  Fort- 
bildungsschule  enthalt,  den 
er  auf  der  Meiningischen  Lehrerver- 
sammlung  ana  4.  August  1903  gehal- 
ten  hat.  Dieser  Vortrag  errthalt  in 
seiner  schlichten  Einfachheit  viele 
vortreffliche  Gedanken  und  wird  je- 
dem,  der  sich  fiir  diese  Frage  in- 
teressiert,  mannigfache  Anreguiigen 
darbieten.  Herr  Kektor  Hofmann 
geht  von  der  gewiss  sehr  berechtig- 
ten  Voraussetzung  axis,  dass  die 
obligatorische  Madchenfortbildungs- 
schule  eine  zeitgeschichtliche  Not- 
wendigkeit  sei,  um  die  Madchen  fiir 
ihren  spiiteren  Beruf  als  Hausfrauen 
xind  Mutter  durch  praktischen  Fach- 
unterricht  und  die  Pflege  des  Ge- 
mutlebens,  besonders  nach  der  sitt- 
lich-religiosen  Seite,  vorzubereiten, 
ihnen  iiberhaupt,  auch  wenn  sie  zeit- 
lebens  auf  sich  gestellt  sein  sollten, 
eine  bessere  praktische  und  innere 
Ausbildung  auf  den  sich  immer 
schwieriger  gestaltenden  Lebensweg 
mitzugeben.  Was  er  bei  dieser  Ge- 
legenheit  iiber  den  Wert  der  Familie 
fiir  den  Staat  und  einer  guten  Haus- 
frau  fiir  die  Familie,  sagt,  sind  gol- 
dene  Worte.  Seine  Anregungen  und 
Vorschlage,  die  die  praktische  Seite 
der  Madchenerziehung  betreffen, 
reugen  von  wirklichem  Verstandnis 
der  Sachlage  und  diirften  auch 
ausserhalb  Deutschlands  sehr  beher- 
zigenswert  sein.  Leider  lasst  sich 
iiber  das,  was  er  als  ,,Gesinnungs- 
unterricht"  vorftihrt,  nicht  das 
Gleiche  sagen.  Diesen  Teil  des  Vor- 
trags,  der  eigentlich  der  allerwich- 
tigste  1st  oder  sein  sollte,  da  ja  im 
letzten  Grunde  alles  von  der  Gesin- 
nung,  dem  Gemiite,  abhangt,  behan- 
delt  er  sehr  stiefmiitterlich,  oder 
vielmehr  stiefvaterlich.  Mit  einigen 
schtinen  Phrasen  und  einer  bunten 
Zusammenstellung  unzusammenhan- 
gender  Gedichte,  die  sich  an  keinen 
eigentlichen  Gesinnungsstoff  anleh- 
nen,  1st  fiir  ihn  die  Sache  abgetan! 
Von  einer  Durchfiihrung  der  Kon- 
xentrationsidee  ist  bei  Hofmann,  der 
doch  sonst  mit  den  Grundsatzen  der 
wissenschaftlichen  Padagogik  ver- 
traut  ist  und  ihre  technischen  Aus- 
driicke  oft  genug  anwendet,  kaum 
die  Rede.  Natiirlich  ist  dieser  Teil 
des  Problems  der  schwierigste,  be- 
sonders wenn  man,  wie  es  Ziller  ver- 


sucht  hat,  eine  allgemein  giiltige 
Stoffauswahl  treffen  ^v-ill.  Prakti- 
scher  ware  es,  iiur  die  allgemeinen 
Gesichtspunkte,  nach  welchen  die- 
selbe  zu  geschehen  hat,  klar  darzu- 
legen,  und  das  Weitere  dem  intelli- 
genten  Erzieher  zu  iiberlassen.  Die 
Verhaltnisse,  Individualitaten,  natio- 
len  Unterschiede  u.  s.  w.,  miissen  ja 
in  jedem  besondern  Falle  beriick- 
sichtigt  werden.  Yermutlich  war 
auch  Herr  Hofmann  der  gleichen 
Ansicht,  und  seine  Vorschlage  soil- 
ten  nur  eine  Art  Beispiel  sein.  Dazii 
passen  sie  aber  nicht.  Auch  hatte  er 
in  solchem  Falle  ganz  leicht  auf 
bessere  Beispiele  hinweisen  konnen, 
woran  es  ja  in  Deutschland  schon 
langst  nicht  nicht  mehr  fehlt.  Der 
intelligente  und  erfahrene  Lehrer 
kann  diese  Liicke  in  Herrn  Hoff- 
manns Vortrag  selber  zu  ergiinzen 
suchen,  und  im  iibrigen  wird  er,  wie 
gesagt,  in  dieser  Broschiire  viele 
wertvolle  Anregungen  linden,  denn 
dem  Verfasser  hat  die  einfache,  ge- 
miitvolle,  durch  den  Geist  der  Eeli- 
giositat  und  Sittlichkeit  veredelte 
deutsche  Hausfrau,  die  dem  Manne 
nicht  bloss  die  niitzliche  Gehilfin, 
sondern  vor  allem  die  verstandnis- 
volle  Genossin  und  treue  Freundin 
ist  und  ihre  Kinder  zu  guten,  brauch- 
baren  Menschen  zu  erziehen  ver- 
steht,  als  Ideal  vorgeschwebt,  sowie 
ein  trautes,  gliickliches  deutsches 

Familienleben 

c.  TVir  haben  oben  gesehen,  wie 
Lazarus  in  seinen  letzten  ,,piid.  Brie- 
fen"  mehr  Wert  legt  auf  das  un- 
mitelbare  Interesse,  die  Apperzep- 
tionskrafte,  wie  er  sie  dort  nennt, 
die  geistige  Eegsamkeit  und  Aneig- 
nungskraft,  die  ein  methodisch  rich- 
tiger  Unterricht  im  Zogling  erzeugen 
kann,  als  auf  Detailkenntnisse,  die 
bloss  gedachtnismassig  angeeignet 
wurden  und  bald  wieder  dem  Be- 
wusstsein  entschwinden.  Um  dieses 
unmittelbare  Interesse  ins  Leben  zu 
rufen,  ist  aber,  wie  ich  friiher  in 
meinen  Bemerkungen  iiber  die  ,,Be- 
rufsbildung  des  Lehrers"  zu  zeigen 
versucht,  eine  griindliche  theore- 
tisch-praktische  Vorbildung  des  Leh- 
rers unerlasslich.  Dies  mochte  ich 
besonders  betonen,  bevor  ich  zur 
Besprechung  des  dritten  mir  vorlie- 
genden  piidagogischen  Werkcheus 
komme,  welches  offenbar 
diese  Vorbildung  voraus- 
s  e  t  z  t.  Nur  insofern  es  dies  tut, 
verdient  Dr.  Kichard  Seyferts 
Buch  ,,Die  Unterrichts- 
lektion  als  didaktische 


128 


Padagogisclie  Monatsfofte. 


Kunstfor  m"  den  Lehrern  em- 
pfohlen  zu  werden.  Fur  Lehrer,  die 
mit  der  Herbart-Zillerschen  Rich- 
tung,  d.  h.  mit  der  wissenschaft- 
lichen  Piidagog'ik  vertraut  sind,  ent- 
halt  dieses  Werkchen  manchen  wert- 
vollen  Wink.  Die  allgemeinen  Be- 
merkungen  des  ersten  Teils,  die  von 
der  kiinstlerischen,  wissenschaftli- 
chen  und  ethischen  Seite  des  Unter- 
richts  handeln  und  das  Verfahren  bei 
der  Erteilung  von  Lektionen  auf 
geistvolle,  oft  humoristische  Weise 
beleuchten,  diirfte  selbst  der  Laie 
recht  lesenswert  finden.  Die  Kapitel 
iiber  das  Verhalten  gegeniiber  dem 
werten  Publikum  bei  offentlichen 
Priifungen,  resp.  Musterlektionen, 
iiber  Stimmung  und  Mache,  iiber  die 
Unterrichtsimpulse"  und  das  Fragen 
enthalten  besonders  fiir  angehende 
Lehrer  eine  wahre  Fundgrube  wert- 
voller  Gedanken  und  Anregungen, 
und  die  zwei  letzten  Kapitel  geben 
uns  eine  ergotzliche  Kritik  falscher 
Lektionen  (wie  sie  hierzulande  be- 
sonders in  den  Sonntagsschulen  vor- 
kommen)  und  eine  Art  Rechtfertig- 
ung  fiir  das  vorliegende  Buch.  Die 
,.praktischen  Versuche",  das  heisst 
die  im  zweiten  Teil  dargebotenen, 
versehiedenartigen  ,,Musterlektio- 
nen"  enthalten  eine  sehr  reiche 
Fiille  wertvollen  Unterrichts- 
materials,  und  diirften  dem  theore- 
tisch  gut  vorgebildeten  Lehrer  sehr 
willkommen  sein  und  ihm  mannig- 
faltige  Anregungen,  dankbaren  Stoff 
zu  zahlreichen  Variationen  darbie- 
ten.  Leider  aber  beschrankt  sich  der 
Wert  dieser  Lektionen  fast  ganz  a\if 
diejenigen  Lehrer,  die  mit  den 
Grundlagen  der  \vissenschaftlichen 
Padagogik  gut  vertraut  sind.  Fiir 


die  grosse  Mehrzahl  der  Erzieher, 
besonders  in  Amerika,  sind  sie  in  der 
Fassung,  wie  sie  jetzt  vorliegen,  fast 
wertlos.  Diesem  Mangel  liesse  sich 
jedoch  einigermassen  abhelfen, 
wenn  der  Verfasser  eine  psycholo- 
gisch  begriindete  Erklarung  der 
formalen  Unterrichtsstufen,  und  ge- 
legentlich  eine  ebensolche  Auf- 
klarung  ober  sein  didaktisches  Ver- 
fahren wahrend  der  Lektion  geben 
wollte.  Dann  ware  auch  der  ,,Un- 
eingeweihte"  imstande,  an  Hand  die- 
ser Beispiele  und  gestiitzt  auf  me- 
thodische  Grundsiitze,  sich  seine 
,,Lektionen"  selbst  anzufertigen. 
Statt  dessen  hat  der  Verfasser  es 
sich  nicht  versagen  konnen,  nach 
,,beriihmten"  piidagogischen  Mnstern 
eigene  Wege  zu  suchen,  die  von  den 
urspriinglichen  ,,Formalstufen"  eini- 
massen  abweichen  sollen,  und  mog- 
lichst  weithergeholte  neue  Bezeich- 
nungen  fiir  eine  langst  bekannte 
Tatsache,  die  nichts  ntitzen  und  nur 
allenfalls  Verwirrung  anrichten  kon- 
nen. Diese  ,,Originalitat"  a  tout 
prix,  die  sich  so  oft  in  padagogischen 
und  kiinstlerischen  Kreisen  zeigt,  ist 
ein  trauriges  Zeichen  menschlicher 
Schwache.  Nach  dem  Gesagten 
braucht  es  wohl  kaum  noch  hinzuge- 
fiigt  zu  werden,  dass  das  vorlie- 
gende, an  und  fiir  sich  wertvolle 
Biichlein  nur  von  denen  mit  Nutzen 
studiert  werden  kann,  die  mit  den 
theoretischen  Voraussetzungen  ver- 
traut sind.  Wem  dieselben  fehlen, 
der  wird  gut  daran  tun,  sie  sich  vor- 
her  durch  ein  eingehendes  Studium 
anzueignen,  oder  wenigstens 
R  e  i  n's  ,,S  c  h  u  1  j  a  h  r  e"  s  o  r  g- 
faltig  zu  studieren.  ... 
I.  Barandun. 


II.     Eingesandte  Bucher. 


GERMAN  COMPOSITION.  With 
a  review  of  grammar  and  syntax  and 
with  notes  and  vocabulary  by  B. 
MACK  DRESDEN,  A.  M.,  Instructor 
in  German,  State  Normal  School,  Osh- 
kosh,  Wis.  American  Book  Co. 

DER  TROMPETER  VON  SAKKIN- 
GEJf.  Ein  Sang  vom  Oberrhein  von 
JOSEPH  VIKTOR  VON  SCHEFFEL. 
With  introduction,  notes  and  vocabu- 
lary by  VALENTIN  BUEHNER, 
Teacher  of  Modern  Languages,  High 
School,  San  Jose,  Cal.  American  Book 
Co. 

DIE  ERZIEHUNG  DES  WILLENS, 
von  JULES  PAYOT.  Berechtisrte 
t)bersetzuug  nach  der  elften  Auflage 


der  franzosischen  Ausjrabe  von  DR. 
TITUS  VfllKEL,  Buchschmuck  von 
RICHARD  GRIMM.  Zweite  Auflage. 
Leipzig.  R.  Voigtlander,  1903.  Bro. 
3  M;  geb.  4  M. 

SCHILLER'S  WILHELM  TELL. 
With  footnotes  and  vocabulary.  Intro- 
duction by  E.  M.  GRANGER,  A,  B. 
Hinds  &  Noble,  New  York  City. 

THE  MAN  WHO  PLEASES  AND 
THE  WOMAN  WHO  CHARMS,  by 
JOHN  A.  CONE.  Hinds  &  Noble,  New 
York  City.  Price  75  cts. 

THE  LEADING  FACTS  OF 
FRENCH  HISTORY,  by  D.  H. 
MONTGOMERY,  Ginn  &  Co.,  Boston. 
1903,  Price  $1.12. 


Padagogische  Monatshefte, 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

3abPQana  V.  flpnil  1904.  Heft  5. 

Erziehungswissenschaft  und  Erziehungspraxis. 

Von  Thos.  H.  Jappe,  New  York  City. 


(Fortsetzung.) 

Mit  herannahender  Pubertat,  mit  derZunahme  des  Bewnsstseins,  init 
der  gesteigertcn  Disziplin  der  Sinne  wic  des  Geda<jhtnisses  und  der  Einbild- 
ungskraft,  mit  verbesserter  Urteilsbildung,  die  allerdings  durch  Einprag- 
ung  von  Vomrteilen  vcrschiedcnster  Art  nur  zu  oft  'ge'Klhmt  wird,  begirint 
dann  der  definitive  Charakter  des  jungen  Menschen  sich  zu  bildeu.  Dass 
dieser  letzte  Vorgang  in  richtiger  Weise  cingeleitet  werde,  nnd  bei  deni 
zeitigen  Abgang  der  grossen  Masse  der  Kinder  aus  der  Sehiilc  auch  wirk- 
lich  richtig  eingesetzt  habe,  ist  die  schwerste  und  wiehtigste  Aufgabc  des 
Erziehers. 

Denn  kaura  der  Schulstube  entronnen  soil  das  juugc  Volk  begiiinew, 
seine  Sinne  und  sein  Urteil  je  nach  der  Bcrufstatigkcit  zu  spezialisicren, 
soil  Encrgie  besitzen,  soil  moralischen  Charakter  in  bis  dahin  niir  Acm 
I^amen  nach  gekannten  Versuehungen  zcigcn,  und  soil  sieh  seine  Ideale 
bilden;  ja  cr  soil  Selbsterkenntnis  erlangen,  die  ohne  Selbstbeobachtung 
gar  nicht  zu  ermb'glichen  ist.  Und  letztere  wiedermn  wird  um  so  schwerer 
und  unangenehmer  fiir  die  moisten  durch  den  TJmstand,  •  dass  sic  unter 
nutiirlichen  Yerhaltuissen  stets  h inter  unserin  Tun  und  Treiben  herhinkt. 
Sic  ist  zwar  mit  dem  Handcln  gleiehzeitig  dcnkbar,  daun  abcr  ein  posi- 
tives Hindernis  fiir  voile  Encrgie  und  Hingabe  an  die  vorliegende  Tatig- 
keit,  und  also  dann  fiir  den  Durchschnittsmensehen  uunatiirlich  •  und 
unerwiinscht.  Ihr  ausgcpragtes  Erscheinen  bei  eigentlichen  Kindem  ist 
jcdenfalls  als  krankhaft  zu  bezeichnen. 

Der  gereifte  Mann  endlieh  soil  so  ausgeriistet  sein,  class  die  schliesslieh 
unvermeidliche  Abnahme  der  Fiihigkeit,  Neues,  event.  Schwerverbindliehes 


130  P&dagogische  Mowtskefte. 

zu  seinem  dauernden  Eigentum  zn  machen,  so  weit  als  moglich  hinausge- 
schoben  werde;  dasssein  Gedachtnis  und  seine  sonstigen  Geistesgaben  nicht 
vor  eintretender  Schwache  des  Grcisenaltcrs  abnehmen,  und  er  erst  im  Tode 
selbst  aufhore,  seine  Empfanglichkeit  fiir  neue  Vorstellungen  sowie  In- 
tcresse  an  denselben  zu  zeigen,  was  alles  wir  im  gewohnlichen  Leben 
,,geistig  frisch  bleibcn"  nennen.  Es  ist  mir  gelegentlich  so  vorgekommen, 
als  ob  diese  geistige  Frische  schon  in  der  Schule  ein  fur  allemal  umge- 
bracht  werden  kann  und  wird,  wenn  die  Schule  nichts  taugt. 

Hoffentlich  ermiidet  es  Sie  nicht  zu  sehr,  mit  mir  durch  die  Hanptmo- 
mcnte  des  schon  beriihrten  wichtigen  Vorgangs  der  Apperception  hindurch- 
zugehen,  im  wesentlichen  auf  Gruud  von  Karl  Langes  gleichnamiger 
Schrift,  die  ich.Ihnen  wohl  nicht  weiter  anzupreisen  brauchc.  Das  erste 
ist  selbstredend  der  rein  p  h  y  s  i  s  c  h  e  Akt,  dass  etwas  die  Enden  der 
Nerven  eines  oder  mehrerer  der  iiusseren  Sinne  trifft.  Dadurch  wird  deren 
Tatigkeit  erregt,  womit  das  physiologische  Moment  beginnt;  und 
diese  Tatigkeit  wird  im  allgemeinen  um  so  lebhafter  sein,  je  mehr  Sinne 
der  Eindruck  getroffen  hat.  Dies  ist  fiir  die  Schule  von  grosser  Wiehtig- 
keit,  insofern  es  lehrt,  die  ausschliessliche  Inanspruchnahme  eiues  einzelnen 
Sinnes  tunlichst  zu  vermeiden;  ich  denke  hier  in  erster  Linie  an  das  Gehor. 
Die  Nervenerregung  nun  pflanzt  sich  nach  den  zentralen  Enden  fort,  die 
Ganglien  werden  erregt,  und  daunt  ist  die  Wahrnehmung  oder  Perzeption 
da;  der  rein  physiologische  Vorgang  ist  zu  Ende.  Findet  sich  dann  in  der 
Masse  der  im  Bewusstsein  auf-  und  niederwogenden  Vorstellungen  vey- 
wandter  Gedankeninha.lt,  und  erkennen  wir  die  Ursache  des  neuen  Ein- 
drucks,  so  richtet  sich  der  Wille,  d.  h.  die  Aufmerksamkeit  darauf,  womit 
andere  Ideen  zuruckgcdrangt  werden,  und  also  das  dritte  Moment,  das 
psych  ische  hinzutritt.  Es  setzt  sich  der  Strom  in  den  sensiblen  Ner- 
ven nach  dem  vordern  Tcile  des  Gehirns,  dcm  Orte  der  Apperzeption,  fort, 
um  von  hier  teils  nach  den  sensiblen  Nerven  zwecks  weiterer  Priifung  des 
Neuea  zuriickzugehen,  teils  nach  den  in  jedem  gegebenen  Falle  in  Dienst 
zu  nehmenden  Muskeln. 

•Die  Zeit,  die  dies  in  Anspruch  nimmt,  wie  klein  sie  auch  sei,  lasst  sich 
messen,  und  sie  ist  weder  fiir  die  verschiedenen  Sinne,  noch  fur  verschiedene 
Individuen  gleich.  Besonders,  mochte  ich  abermals  darauf  hinweisen,  dass 
Perzeption  und  Apperzeption  sich  nicht  immer  unmittelbar  folgen,  wenig- 
stens  nicht,  wo  es  sich  um  geistiges  Erfassen  handelt.  Lange  meint,  das 
seien  Ausnahmen,  aber  ich  kann  ihm  darin  nicht  beipflichten.  Denn  viele 
konnea  gar  nicht  apperzipiert  werden,  weil  der  verwandte  Gedankeninhalt 
fehit;  viele  nicht,  weil  der  Wille  dazu  fehlt,  sei  es  nun,  dass  habituelle  oder 
hereditare  Schlaft'heit  vorliegt,  oder  dass  zeitweilige  Erschlaffung  cinge- 
tretc-n  ist;  von  gelegentlichen  Schwachezustanden,  wie  Zerstreutheit  oder 
Gadankenlosigkcit,  gar  nicht  zu  reden. 

Js-t  aber  die  Disposition  giinstig,  so  ergeben  sich  als  Resultate  der  voll- 


Erpehungswissenscbaft  und  Er^iehungspraxis.  131 

2ogenen  Apperzeption  folgende:  1.  Eine  Bereicherung  oder  Berichtigimg 
der  Kenntnisse;  2.  Ein  erwecktes  Interesse  fiir  das  betreffende  Objekt; 
und  3.  Eine  Scharfung  des  oder  der  benutzten  Sinne. 

Bei  ofterer  Wiederholung  dieses  Prozesses  gewinnen  wir  allgemeine 
Anschauungen,  logische  Begriffe,  Gesetze  und  Regeln,  die  schliesslich  auch 
unsere  moralische  Disposition  beeinflussen  und  gelegentlich  eine  vollige 
Umkehr  und  Revolution  in  uns  bewirken  konnen.  Ich  erinnere  Sie  nur 
an  anscheinend  plotzliche  und  kaum  erhoffte  Anderungen  im  Wesen  und 
Tun  einzelner  Schiller;  desgleichen  an  Vorfalle  in  sogenannten  ,,Revivals." 

Hoher  als  die  bisher  ins  Auge  gefasste  iiussere  Apperzeption  steht 
natiirlich  die  innere,  wenn  Ideen  von  schon  vorhandenen  Ideen-  oder  Ge- 
dankenreihen  apperzipiert  werden,  wie  z.  B.  in  hervorragender  Weise  im 
Geiste  des  Dichters,  Erfinders  oder  Forschers.  Hierher  gehort  auch  die 
Selbstbeobachtung,  denn  sie  ist  in  der  Tat  nichts  anderes  als  absichtliches 
inneres  Apperzipieren. 

Die  kitzliche  Frage  nach  der  ersten  Apperzeption  eines  Kindes,  die 
ihre  Schwierigkeiten  hat,  konnen  wir  fiiglich  unberiihrt  lassen,  da  wir  es 
in  der  Schule  gliicklicherweise  nicht  mit  Sauglingen  zu  tun  haben.  Wir 
konnen  uns  hier  damit  begniigen  zu  sagen,  eine  Apperzeption  sei  diejenige 
seelische  Tatigkeit,  mittelst  derer  Wahrnehmungen,  Ideen  oder  Ideenkora- 
plexe  mit  unserm  vorherigen  Geistes-  und  Gefiihlsleben  in  Beriihrung  ge- 
bracht,  ihm  assimiliert  und  so  zu  grosserer,  event,  grb'sster  Klarheit,  Aktivi- 
tiit  und  Bedeutimg  erhoben  werden.  Bis  zur  befriedigenden  selbstandigen 
Wiedergabe  des  so  Erfassten  ist  dann  nur  ein  verhaltnissmassig  kleiner 
Schritt;  was  wirklich  verstanden  und  zu  eigen  gemacht  ist,  das  kann  man 
auch  ausdriicken.  Und  somit  waren  uir  denn  ganz  von  selbst  zu  President 
Elliott's  Definition  des  Prozesses  und  Zieles  der  Erziehung  gef iihrt,  namlich 
"'to  observe  carefully,  to  judge  clearly,  to  express  accurately." 

Systematise!!  f ortgesetztes  Apperzipieren  ist  daher  gleichbedeutend  mit 
geistiger  Entwicklung,  das  Wort  geistig  hier  im  weitesten  Sinne  genom- 
men.  Aber  freilich  einen  Wert  fiir  die  konstante  Beschleunigung  und  Er- 
leichterung  der  Entwicklung  hat  nur  die  aus  der  willkiirlichen  Aufmerk- 
samkeit  resultierende  aktive  Apperzeption,  nicht  die  aus  unwillkurlicher 
hervorgehende  passive,  wo  der  Schiller  beinahe  gegen  seinen  Willen  apper- 
zipiert. Wir  sehen  Beispiele  letzterer  oft  genug  in  der  Schule,  wo  Kinder 
etwas  lernen  "in  spite  of  themselves,"  wie  man  sagt;  sie  hatten  kein  In- 
teresse an  dem  Neuen,  es  blieb  aber  doch  etwas  davon  hangen. 

Das  bed  der  aktiven  Apperzeption  notwendig  vorauszusetzende  Interesse 
enthiilt,  wo  es  voll  vorhanden  ist,  folgende  drei  Elemente: 

1.  Es  muss  dem  Neuen,  das  erfasst  werden  soil,  irgend  welche,  wenn 
auch  beschrankte  Kenntnis  von  Verwandtem  entgegenkommen;  2.  Der 
Gegenstand  muss  sich  im  Vordergrund  des  Bewusstseins  befinden,  derart 


132  Pddagogisdw  Monatshefte. 

dass  die  Aufmerksamkeit  imgcteilt  1st;  und  3.  das  Xeue  muss  Gef alien 
erregen,  so  dass  Erweiterung  der  Kenntnis  gewiinscht  wird. 

Nun  1st  aber  das  Interesse  ndcht  immer  voll  vorhanden,  wie  sich  aus 
den  in  der  Schule  gebotenen  drei  Arten  von  Neuem  ergibt: 

1.  Manches  ist  nur  zum  Teil  neu,  war  schon  friiher  mehr  oder  weniger 
unvollstandig  vorgekommen,  so  dass  es  sich  vielfach  nur  um  Erganzung 
und  Berichtigung  des  bezweckten  Wissens  handelt.  Und  da  hat  der  Pada- 
goge  nicht  selten  eine  recht  unangenehme,  wenn  auch  hochst  wichtige  und 
wohltatige  Aufgabe;  ja,  es  gibt  Leute,  die  vielleicht  mit  Recht  behaupten, 
dies  sei  seine  allerwichtigste  Aufgabe. 

2.  Manches,  besondersim  Anschauungsunterricht,lasst  sich  alien  Kin- 
dem  sehr  anziehend  maclien,  sodass  die  mehr  oder  minder  riickstandigen 
Wenigen  von  den  Viclen  einfach  mit  fortgerissen  werden,  und  die  ge- 
wiinschte  allgemeine  Vermehrimg  der  Kenntnisse  mit  Leichtigkeit  zu  er- 
reichen  ist. 

3.  Manches  endlich  interessiert  nur  wenige,  oft  schon,  weil  es  sich  wohl 
erklaren,  aber  nicht  gut  f iir  die  ausseren  Sinne,  also  durch  Bilder.  Objekte, 
Tone,  etc.,  illustrieren  lasst,wahrend  es  doch  im  Rahmen  des  Unterrichts 
gefordert  wird  uud  gef ordert  werden  muss.    Da  greift  man  denn  zu  allerlei 
z.  T.  zweifelhaften  Hilfsmitteln, — vergleichen  Sie  z.  B.  Shaw's  School  De- 
vices, Educat.  Foundations,  Juni,  1901, — wirkt  auf  die  Gefuhle,  erzeugt 
kiinstlichen  Entlmsiasmus  oder  Ehrgeiz,  worauf  ich  hier  nicht  niiher  ein- 
gehen  kann. 

Die  Hauptsache  ist,  dass  es  sich  bei  dieser  Art  von  Neuem  nicht  bloss, 
wie  bei  den  beiden  andern,  um  eine  wiinschenswerte  Vermehrungj  der 
Kenntnisse,  sondern  um  den  Wilkn,  die  Selbstbeherrschung,  den  sittlichen 
Ernst  und  also  im  letzten  Ende  um  das  allerwichtigste,  die  Charaktcrbild- 
ung,  handelt.  Denn  ohne  guten  Willen  gibt  es  keine  erspriessliche  Selbst- 
tatigkeit  des  Schiilers,  und  dann  i&t  in  diesem  Falle  wenig  zu  machen;  da 
muss  schon  mit  Hilfe  der  beiden  ersten  Arten  von  Neuem  vorgearbeitet 
.worden  sein. 

Dort  lasst  sich  eher  das  Bewusstseiu  des  Konnens  und  Wissens,  die 
Freude  am  Gelingen  und  die  Entschlossenheit  zum  Versuchen  der  erworbe- 
.nen  Kraft  an  Schwererem  erzeugen,  die  das  Lebenselement  der  Selbst- 
tatigkeit  bilden. 

Der  Wille  aussert  sich  als  das  Begehren  von  etwas,  das  wir  auf  Grund 
einer  im  Bewusstsein  befindlichen  Kausalreihe  als  erreichbar  aiisehen;  i?t 
solches  Begehren  mehrfach  von  Erfolg  begleitet  gewesen,  so  gcwinnen 
wir  Mut  und  Selbstvertrauen,  uns  an  Weiteres,  Schwereres  zu  wagen,  wiili- 
rend  im  entgegengcsetzten  Falle  Zweifel  und  Verzagtheit  erfolgen.  Der 
auf  Selbstvertrauen  beruhende  Wille  zur  Tatigkeit  ergibt  aber  die  bei  weitem 
beste  Aufmerksamkeit. 

Diese  Aufmerksamkeit  immer  zu  haben,  ist  der  ideale  Wunsch  des 


Er^iehiingsiiissenschaft  wid  Er^iehungspraxis.  133 

Lehrers;  aber  er  muss  sich  nur  zu  oft  mit  Aufmerksamkeit  bcgniigen,  die 
in  der  Xengier  ihre  Quelle  hat.  Sie  ist  immerhin  besser  als  gar  keine  und 
mag  gelegentlich  iiber  eine  Periode  der  Erschlaffung  weghelfen;  von  lan- 
gerer  Daucr  kann  sie  naturgemass  nicht  sein,  dient  auch  nicht  notwendig 
der  Entwicklung  des  Intellekts,  und  jedenfalls  nicht  der  des  Charakters. 
Wertvoll  hierfiir,  weil  dauerndes  Interesse  erzeugend,  ist  nur  das  Gefiihl 
der  Befriedigung,  welches  der  Erfolg,  die  gliickliche  Ueberwindung  von 
Sehwierigkeiten,  im  Gefolge  hat. 

Dabei  mag  bisweilen  Tausehung  mit  imterlaufen;  der  Schiller  denkt 
wohl  mal,  er  habe  eine  Regel  erfaszt,  eine  Erklarung  begriffen,  und  es  stellt 
sich  nachher  heraus,  dass  ihm  die  Hauptsache  entging.  Da  heisst  es  dann, 
ihn  nicht  unnotig  entmutigen,  sondern  ihn  event,  auf  Umwegen  zum 
rechten  Yerstandnis  f  iihren,  soweit  das  innerhalb  seines  geistigen  Horizonts 
licgt. 

Strong  genonimen  gibt  es  innerhalb  der  Sclmljahre  ja  doch  nur  unvoll- 
kommenes  Erfassen,  sei  es  allein  mit  dem  Gefiihl  oder  der  Phantasie  oder 
dem  Ver?tande,  von  feme  in  seiner  Einseitigkeit  vergleichbar  dem  des 
Die-liters,  Malers,  Botanikers,  etc.  Zum  volleren  Erfassen  bringt  uns  erst 
eine  abgerundete  Erziehuug  zusammen  mit  der  direkten  Erfahmng  des 
spateren  Lebens,  und  vollends  systematisches,  logisches,  sagen  wir  philo- 
sophisches  Erfassen  ist  nur  wenigen  je  beschieden.  Ich  darf  Sie  hierbei 
wohl  an  Schopenhauers  Schatzung  der  grossen  Masse  der  Menschen  er- 
innern.  , 

Es  komrnt,  wie  gesagt,  vor  allem  darauf  an,  dass  der  Schiller  das 
frohe  Gefiihl  des  Erfolges  habe,  dass  er  also  zu  erfolgreicher  Selbsttatigkeit 
gefiihrt  werde.  Bedauernswert  sind  in  der  Tat  die  Schiller,  die  dies  Ge- 
fiihl nicht  kennen,  einerlei  durch  wessen  Schuld;  nicht  minder  beklagens- 
wert  abcr  auch  jeder  Lehrer,  der  viel  derartige  Schiller  hat.  Es  mag  das 
ja  in  manchen  Fallen  an  ihm  selber  liegen,  wenn  er  eben  volHg  seinen  Beruf 
vcrfehlt  hat,  oder  fur  die  ihm  vorkommende  Altersstufe  nicht  passt,  oder 
seine  Tatigkeit  nur  als  eine  zwar  unangenehme,  aber  niitzliche  zeitvveilige 
Er\verbsquelle  ansieht.  Liebt  er  dagegen  seinen  Beruf,  so  wird  er  selbst  bei 
geringem  Talent  unter  leidlich  giinstigen  Umstanden  noch  viel  Gutes  stiften 
i«nd  demgemass  Erfolg-erzielen.  Hat  er  noch  Talent  oder  gar  Genie  dazu, 
und  ist  also  jedenfalls  keine  blosseUnterrichtsmaschine,  sondern  wirkt  auch 
sittlich  und  charakterbildend,  so  wird  die  Schuld  an  gelegentlichem  Miss- 
erfolg  andern  Faktoren  zuzuschreiben  sein. 

Ich  will  von  diesen  nur  einen  beriihren,  namlich  das  Schiilermaterial, 
wolches  in  unserer  Einheitsschule  naturgemass  sehr  gemischt  ist;  auf 
andere,  wie  die  soziale  Herkunft  und  Stellung  der  Lehrenden,  ihre  durch- 
sclmittliche  allgemcine  Bildung  im  Gegensatz  zu  dem,  was  fur  Examina 
gclernt  wird,  die  Dauer  und  Sicherhcit  resp.  Unsicherheit  ihres  Dienstes, 


134:  Padagogiscfjc  Monatsbefte. 

ihre  Behandlung  durch  Yorgesetzte  und  Eltern,  ihr  Quantum  an  prak- 
tischem  Sinn,  u.  s.  w.,  verbietet  es  sich  hier  einzugehen. 

1.  Ungiinstig  1st  schon  die  Mischung  so  vieler  Nationalitaten  und  Ras- 
sen,  die  erst  zu  einer  Einheit  verschmolzen  werden  sollen,  was  die  meisten 
der  einseitig  anglo-amerikanisch  angelernten  Lehrkrafte  ganz  und  gar 
ndcht  im  rechten  Sinne  zu  tun  verstehen;  mir  wohl  bekannte  riihmliche 
Ausnahmen  bestatigen  bloss  die  Regel.  Durch  z.  T.  ganz  schamloses  Para- 
dieren  ihrer  spezifisch  anglo-amerikanischen  Vorurteile  schaden  manche 
mehr  als  sie  und  andere  niitzen  und  wieder  gutmachen  konnen. 

£.  Die  Schiller  sitzen  oft  mit  sehr  verschiedener  geistiger  wie  korper- 
licher  Reife  in  einer  und  derselben  Klasse,  wofiir  die  Schule  keineswegs 
immer  zu  tadeln  ist,  und  bei  Yersetzungen  spielt  bald  das  positive  Wissen, 
bald  das  Betragen  eine  zu  grosse  Rolle.  Daher  ist  notwendig  vieles  den 
einen  langweilig,  oft  schon  durch  die  Art  der  Behandlung  dcs  Stoffes,  was 
die  andern  noch  interessieren  kann,  weil  ihnen  neu  und  angepasst;  und  um- 
gekehrt,  ein  Teil  versteht  schon,  wo  der  andere  es  noch  nicht  vermag. 

3.  Die  natiirlichen  Anlagen  und  Neigungen  gehen  unendlich  weit 
auseinander,  sind  nicht  selten  in  ein  und  demselben  Kinde  fast  widerspre- 
chender  Art,  und  nicht  jedes  wird  erkannt  in  seiner  Eigenart,  denn  schnelle 
Erkenntnis  der  verschiedenen  Individualitaten  ist  nicht  jedermanns  Sache, 
und  in  der  rechten  Weise  zu  diskriminieren  ist  noch  schwerer.    Dies  ver- 
mehrt  denn  die  Zahl  der  Fehlschlage  ganz  betrachtlich. 

4.  Verschiedene  Ernahrung,  Lebensweise,  hausliche  Erziehung,  resp. 
Nlchterziehung,   sowie   erbliche   Belastung   der  einen   oder  andern    Art 
niachcn  vielfach  die  Schiiler  einer  und  derselben  Klasse  ganz  disparat,  und 
die  etwa  nicht  sehr  phlegmatische  Lehrkraft  desparat.     Setzen  Sie  z.  B. 
folgenden  Fall,  wie  er  Ihnen  in  jeder    Grossstadt  vorkommen  kann.  Es  be- 
stehe  eine  Klasse  zu  ednem  Drittel  aus  Kindern,  womoglich  noch  beider 
Geschlechter,  des  respektablen  kleinen  Mittelstandes,  der  zwar  den  guten 
Willen  hat,  dass  seine  Kinder  ehvas  lernen  sollen,  aber  nicht  viel  fiir  sie 
tun  kann;  zu  einem  Drittel  aus  Kiudem  der  allerndedrigsten  Mietskasernen- 
Bevolkerung,  die  sich  in  unsern  grossern  Stadten  fast  nirgends  mehr  auf 
einen  bestimmten  Stadtteil  beschrankt;    und  im  letzten  Drittel  aus  Kin- 
dern von  Leuten,  die  ihre  Sprosslinge  eigentlich  f  iir  die  offentliche  Schule 
fiir  zu  gut  halten,  aber  nicht  in  der  Lage  sind,  die  Preise  der  fashionablen 
Privatschulen  zu  bezahlen,  da  sie  sonst  schon  bis  zur  aussersten  Grenze 
ihrer  pekuniaren  Mittel  leben.    Wer  aus  dieser  Mischung  etwas  macht,  der 
verdient  als  zaubcrisches  Lehrgenie  verherrlicht  und  belohnt  zu  werden; 
im  entgegengesetzten  Falle  ist  er  als  Martyrer  zu  beklagen.    Kaum  brauche 
ich  hinzuzufiigen,  dass    wie  es  Wunderkinder  gibt,  so  auch  unter  den 
425,000  Lehrkraften  der  Union  sich  einzelne  erstaunliche  Genies  finden; 
aber  nach  diesen  die  ubrigen  abzuurteilen  ware  noch  schlechter,  als  einiger 
Monstra  wegen  alle  zu  verdammen. 


Ertfchungswissenscbaft  und  Er^iehungspraxis.  135 

Wo  sich  mehrere  Klassen  desselben  Grades  in  einer  Sclmle  befinden, 
1st  solche  Mischung  der  Elemente  leicht  zu  vermeiden;  und  bedauerlieh 
bleibt  sie  immcr,  denn  die  Folge  davon  ist  gemeiniglich,  dass  die  betr.  Lehr- 
kraft,  auch  olme  besondere  "pets"  zu  habcn,  sich  ausschliesslich  den  ihr 
kongcnialeren  Kindern  widmet, — nur  zu  oft  sind  das  etwelche  von  den 
Madchen, — \viihrend  den  andern  ihre  Schulzcit  mehr  sehadet  als  niitzt. 
Die  Schule  des  Lebens  wird  fiir  diese  nur  so  viel  hiirter,  wenn  sie  nicht 
ganz  darin  zu  Grunde  gehen;  und  das  siiid  leider  gar  zu  viele. 

Gerade  hier  in  dicsem  Lande  ist  es  von  dcr  grosstenWiehtigkeit,  dass 
die  Kinder  zeitig  auf  die  Bildung  eines  festeu  Willens  und  sittliehen  Cha- 
rakters  hingeleitet  werden,  einerlei  wie  viel  positives  Wissen  sie  dabei  er- 
langen,  und  dazu  f  iihrt  vor  alien  Dingen  die  richtige  Disziplin.  Ich  meine 
nicht  die  der  militarischen  nachgeahmte  Schwijidel<lisz,ip}in,,die,.allerdings 
fiir  die  Sehulvorsteher  die  bequemste  ist;  auch  nicht  diejenige,  wo  die 
argsten  "ring  leaderes"  zu  Aufsehern  der  andern  gemacht  werden,  wie  man 
es  gelegentlich  wohl  in  Straf-  und  Korrektionsanstalten  macht;  auch  nieht 
diejenige,  v.'elche  den  Teufel  durch  Beelzebub  austreibt,  also  sehleehte 
Eigenschaften  wie  Eitelkeit,  krankhaften  Plhrgeiz  und  Grossenwahn  ziieh- 
tet,  um  die  allergewohnlichste  Roheit  und  Gemeinheit  bloss  fiir  die  Schul- 
stunden  einzudammen.  Denn  auf  die  Dauer  ausgerottet  werden  sie  da'durch 
nicht,  sie  werden  vielmehr,  um  im  Bilde  zu  rcden,  auf  Eis  gelegt  und  hal- 
ten  sich  dabei  ausgezeichnet.  Andrerseits  wollen  wir  auch  nicht  die  bar- 
barische  Zucht  z.  B.  der  Zeit  Luthers  oder  Elizabeths  .von  England. 

Vielmehr  soil  das  Bestreben  sein,  die  Kinder  auf  ihre  fruh  eintretende 
Verantwortlichkeit  hinzuweisen,  auf  ihre  Fflichten  gegen  Eltern,  Sclmle 
und  Staat;  damit  also  ihre  zuniichst  rein  personlichen,  sinnlichen  Interes- 
sen  in  ethische  zu  venvandeln;  ihnen  zu  zeigen,  dass  das  Interesse-der  Ge- 
samtheit,  d.  h.  in  erster  Linie  der  Klasse  und  Schule,  der  gegeniiber  das 
Individuum  nichts  bedeutet,  sobald  es  opponieren  will,  zugleich  ihr  eigenes 
bestes  Interesse  ist;  dass  sie  durch  treue  Pflichterfiillung  nicht  etwa 
ihren  Lehrern  und  Angehorigen  einen  Gef alien  tun,  sondern  indirekt  sich 
selbst  den  grossten  Dienst  erwicsen;  dass  iiberhaupt  kleine  Dienste  und 
Gefiilligkciten  nicht  arge  Pflichtversiiuinnis  gutmachen  konnen,  was  viel- 
fach  sogar  noch  der  Standpunkt  Erwachsencr  dem  von  ihnen  gcglaubtea 
Gotte  gegeniiber  ist. 

Der  Lehrer  hat  hicrbei  zwei  Tatigkeitcn  zu  vereinigen,  die  sich  auf 
den  ersten  Blick  zu  widersprechen  scheinen,  niimlich  einerseits  die  uber- 
wiegende  Wichtigkeit  der  Gesamtheit,  also  zunachst  der  ganzen  Klasse  oder 
Schule  als  einer  Einheit  zu  betonen,  andrerseits  den  Individuen  gegen- 
iiber behutsam  zu  diskriminieren  und  nicht  nach  jeder  Richtung  hin  alle 
iiber  einen  Kamm  zu  scheren. 

(Schluss  folgt.) 


Zur  gesetzgebenden  Grammatik. 


(Far  die  Piidairogisclten  Monatshefte.) 


1*«  Of.  El  win  C,  Roedtler,  Assistant  Professor  of  German  Philology,  University  of  Wisconsin. 

(Schluss.) 

Sear  bose  ist  Wustmann  auf  den  Apostroph  zur  Bczeichnung  des  Genitivs 
in  Ausdriicken  wie  Voss'  Luise —  Brockhaus'  Lexikon;  er  nennt  ihn 
bier  Incherlich,  weil  er  nicht.  auszusprechen  sei.  1st  dem  aber  wirklicli 
so?  SprecUen  bier  uicbt  sebr  viele  Deutscbea  eben  ein  gelangtes  s,  das  dem 
doppeltea  s  in  den  romanischcn  und  skandinavischen  Sprachen  entspricht,  und 
bei  dem  der  La ut  gewissermassen  in  zwei  Halften,  mit  einer  Icichten  Druck- 
gronze  in  der  Mitte  horbar  wird?  Das  Alemanniscbe  bietet  hiczu  eine  Paral- 
lele  mit  seinem  gelangten  n,  weun  fiir  ,,in  den  Hof '  in  Ilof  gesagt  wird. 
Efoenso  ist  es  gauz  leic-bt,  bei  einem  Genitiv  wie  Busch'  das  s  horeu  zu  lassen. 
'  Fur  die  Pluralbildung  Herzoge  gait  natiirlich  nicbt  die  Analogic  Trog— 
Troge,  sondern  etwa  eine  Bildimg  wie  Bischofe.  tberbanpt  ist  es  raerk- 
wiirdig,  -die  Analogiewirkmig  ar.s  Reimspielereien  berleiten  zu  wollen. 

Bei  Ort  (S.  21)  macbt  man  wenigstens  in  Suddeutscblaud  beute  noeli  den 
Uutcrscbied,  dass  der  Or  t—Platz  den  Plural  O  r  t  e,  d  a  s  Or  t— Dorf 
O  e  r  t  e  r  bildet. 

Unricbtig  ist  auf  S.  25  die  Bebauptung,  die  Adjektiva  batten  in  der 
scbwacben  Deklination,  v/ie  die  Hauptworter,  nnr  die  Enduug  e  u;  im  Nomina- 
tiv  des  Singulars  haben  sie  in  alien  Geschlecbtern  e. 

Wenn  bei  deutlicb  bezeicbnetem  Genitiv  eines  Hauptwortes  in  der  Ein- 
zaht  das  begleitende  Adjektiv  in  die  schwache  Flexion  iibergetreten  1st,  wenn 
man  also  beute  statt  friiberen  ,,gutes  Mutes"  guten  Mutes  sagt, — eine  Bildung, 
die  Wustmann  ausrotten  mocbte,  weil  ,,Spracbkundige"  des  17.  und  18.  Jabr- 
bunderts  dagegen  ankampften, — so  ist  das  die  letzte  Konsequenz  des  Obsiegens 
eioes  formalen  Prinzips,  wo  friiber  ein  wortbildendes  gegolten  batte.  Heute 
stebt  bier  die  schwache  Flexion  durcbgangig,  wenn  der  Genitiv  durch  ein  vor- 
ausgebendes  Bestimmungswort  oder  ein  nacbfolgendes  Hauptwort  kenutlich 
gemacht  ist;  sonst  die  starlce;  also  muss  man  sagen  grosses  (nicht 
grossen)  H  e  1  d  e  n,  da  die  schwache  Form  Akkusativ  der  Einzahl  ooer  Dativ 
der  Mehrzahl  sein  konntc. 

Falsch  ist  es  wieder,  wenn  auf  S.  31  gesagt  wird,  die  schwache  Form  des 
Adjektivs  sei  endgiiltig  durchgedrungeu  binter  den  besitzanzeigenden  Adjek- 
tiven.  Es  heisst  doch  mein  lieber  Freund,  unser  jiingstes 
Kind.  Die  schwache  Form  stebt  nur  nacb  flektiertein  Possessiv.  Nicht  ganz 
dem  Sachvcrlmlt  entspricht  die  Darstellung,  dass  iui  Nomiuativ  und  Akkusativ 
des  Plurals  nacb  viele,  inanche,  einige  u.  s.  w.  starkes  Adjektiv  stehe;  siid- 
deutscb  beisst  es:  viele  jungen  Leute,  mane  he  bittern  E  r- 
fahrungen.  Dass  es  keinem  Zweifel  unterliegen  soil,  dass  nach  dekli- 
niertem  Zablwort  (zweier,  dreier)  das  starke  Adjektiv  (zweier  grosser  Volker) 
deh  Vorzug  verdiene,  stebt  in  direktem  Widerspruch  mit  Wustmanns  Er- 
klarung,  dass  die  schwache  Form  vorzuzieben  sei,  weun  das  vorausgehende 
(flektierte)  Wort  cine  bestinimte  Menge  bezeiclme;  sind  z  w  e  i  V  6  1  k  e  r  nicht 
ebea  so  gut  eine  bestinimte  Menge  als  alle  VolkerV 


Zur  geset^gebenden  Grammatik.  137 

Reste  der  schwacheu  Form  substantivicrter  Adjektive  und  Partizipien 
finclen  sich  noch  viel  zahlreicher  als  auf  Seite  32  in  Zusammensetzungcn  wie 
Gelehrtenversamrnlung,  Beamtenwahl. 

Sehr  viel  milder  als  in  der  ersten  Auflage  ist  die  Ausdrucksweise  in  den 
Abschnitten  lieben  Freuude  Oder  liebe  Freunde?  und  W  i  r 
Deutsche  oder  wir  Deutschen?  Falsch  ist  es  im  letztgenannten, 
dass  der  Singular  die  starke  Form  verlange;  wir  sagen  \vohl  i  c  h  A  r  m  e  r 
(mannlich)  und  ich  Arme,  micb  A  r  m  e  (weiblich),  aber  sonst  schwach 
m  i  r  A  r  m  e  n  (mannlich  und  weiblich),  mich  Armeu  (mannlich).  Im 
Nominativ  musste  die  starke  Form  eintreten,  als  durch  das  Zusammenbrechen 
der  Vollvokalendungen  in  spatalthochdeutscher  Zeit  der  Unterschied.  im  Ge- 
schlceht  verwischt  zu  werden  drohte. 

,,K  inVereinvon  Kiinstlern;    erst  durch  das  v  o  n  entsteht  ein 

erkcunbarer  Genitiv  (S.  38).  — ein  auf  irgend  eine  Weise  erkennbar  ge- 

machter  Genitiv  (eine  M  e  u  g  e  von   Menschen)    der  abhangige 

Genitiv  von  Menschen  (S.  95)."  In  all  diesen  Fallen  handelt  es  sich 
natiirlich  nicht  um  einen  Genitiv.  Geiueint  ist,  dass  hier  von  uiit  dem 
Dativ  dieselbe  grammatische  Beziehung  ausdriickt  wie  sonst  der  Genitiv. 
Dass  die  genanute  Verbindung  ein  Genitiv  sei,  ist  eine  schulerhafte  Auschau- 
ung.  , 

Eine  Bildung  wie  grosstmoglichst  (S.  42)  ist  allerdings  nicht 
schon,  weder  wohllautend  noch  logisch.  Solche  Formen  entspringen  aber 
cinem  ,,sprachlichen  Drange,  der  fiir  eine  gewisse  Funktion  das  typische 
Zeichen  auch  da  auzuweuden  sucht,  wo  dasselbe  bereits  anderweitige  Ver- 
korperuug  erfahren  hat."2«  So  stcht  neben  dein  alten  Komparativ  fort 
die  Weiterbildung  f  u  r  d  e  r  ;  so  ist  auch  der  Superlativ  zu  e  i  n  z  i  g  zu 
erklaren. 

Die  Genitivbildungeu  u  n  s  e  r  e  r,  e  u  r  e  r,  statt  u  n  s  e  r,  e  u  e  r,  erschei- 
nen  in  jeder  Stilart;  erinnern  wir  uns  nur  an  Tells  ,,Und  Eurer,  wahrlich, 
halt'  ich  nicht  gefehlt!"  Die  Formen  sind  nicht  unlogischer  als  m  e  i  n  e  r, 
d  e  i  n  e  r,  u.  s.  w.  statt  m  e  i  n,  dein,  die  selbst  wieder  analogisch  zu 
unser,  euer  gebildet  worden  sind.  Wir  konnen  hier  einen  vollstandigen 
Kreislauf  in  der  Analogiewirkung  beobachten. 

Die  flektierten  Formen  jemandem,  niemandem,  jeinanden, 
uiemanden  werden  in  absehbarer  Zeit  die  uuflektierteu  jemand,  nie- 
mand  verdrangen.  Dariiber  sollte  sich  Wustmann  doch  eigentlich  freuen; 
sind  sie  doch  ein  Zeichen,  dass  das  Gefiihl  fur  die  Flexion  nicht  im  Schwinden 
ist.  Tatsachlich  erstarkt  das  GefQhl  iinrner  mehr;  selbst  die  Verwendung 
des  Geuitivs,  der  dem  Uutergaug  in  absehbarer  Zeit  geweiht  schien,  nimmt 
wieder  zu. 

Der  Gebrauch  von  e  i  n  statt  etwas  in  ein  Schones,  ein  W  un- 
der bares,  sollte  dftn  hoheren  Stile  vorbehalten  sein;  da  aber  besteht  er 
zu  Recht  (vgl.  ,,Bald  werden  sie  ein  Weiteres  von  mir  horen."  (Schillers  Tell 
IV,  1).  E  i  n  ist  hier  gar  iiicht  der  unbestimmte,  sondern  eiu  Rest  des  ver-,, 
einzelnden  Artikels,  wie  er  auch  noch  vorliegt  in  der  Fuguug  ,,Das  konnte  ein 
Bismarck,  aber  kein  Caprivi." 

Wnstmaim  verurtcilt  die  Ortlinalbildung  h  u  n  d  e  r  t  u  n  d  e  i  n  t  e;  wa- 
rum,  ei-fahrt  man  nicht.  Ist  aber  h  u  n  d  e  r  t  u  n  d  e  r  s  t  e  logischer?  Dieses 
stimmt  zum  Englischen,  die  Neubilduug  zum  Franzosischen;  orgauisch  sind 
beide  Formen  berechtigt. 

20  Vgl.  Behaghel,  Die  Syntax  des  Heliand,  Leipzig  1897,  S.  11. 


138  Pddagogische  Monatshefte. 

Komiseh  diirftc  in  manchen  Teilen  Deutschlands  folgender  Satz  (S.  67) 
lauteu:  ,,Bei  Pate  unterscheidet  man  den  Paten  und  die  Pate,  je 
nachdem  ein  Kuabe  oder  ein  Madchen  gemeint  ist."  Vielerorts  kommt  es 
auf  das  Geschlecht  des  Tauflings  gar  nicht  an,  und  in  Fnlnken  haben  die 
meisten  Kinder  einen  Paten  und  eine  Pate. 

S.  69  heisst  es,  fiir  Zusaminensetzung  mit  Feinininen  gebe  es  nur  zwei 
Moglichkeiten,  das  Biude-e  n  und  den  verkiirzten  Stamm.  Das  schlosse  Falle 
wie  Gansefuss,  iiberhaupt  aus;  diese  werden  S.  73  gestreift.  Dazu  ge- 
hort  auch  das  vollig  richtig  gebildete  B  1  u  t  e  z  e  i  t,  das  Wustmann  in  der 
Anmerkung  fiir  falsch  erklart;  denn  inittelhochdeutsch  heisst  es  d  i  u  b  1  u  o  t, 
derbliiete.  DieBliitenzeitist  nicht  die  Zeit  des  Blxihens  einer  ein- 
zelnen  Blume  oder  irgend  einer  Erseheinung  auf  geistigem  Gebiete,  sondern 
die  Zeit,  da  alle  Blumen  bliihen. 

M  ii  n  c  h  e  n,  das  auf  S.  83  als  slavischer  oder  slavisch-deutscher  Orts- 
name  gilt,  ist  ein  echt  deutscher  Dativ  des  Plurals. 

Um  seine  Verurteilung  von.  Fiigungen  wie  ,,Die  Anschauung  ist  eine  vollig 
verkehrte"  noch  weiter  zu  begriindeu,  hatte  Wustmann  (S.  90  ff.)  auch  auf 
das  einfache  Mittel  hinweiseu  konnen,  solche  Siitze  in  den  Plural  umzusetzen; 
bleibt  das  Pradikat  auch  dann  flektiert,  dann  ist  die  Fiigung  mit  e  i  n  im 
Singular  berechtigt;  sonst  ist  sie  zu  verwerfen. 

Dass  in  Satzen  wie  ,,Sowohl  Frankreich  als  auch  Deutschland  entwickeln 
sich  sozialistisch"  der  Plural  im  Pradikat  (S.  97)  durchdringeu  wird,  darf  man 
als  sicher  annehmen.  Man  hat  hier  ebcn  das  Gefiihl,  dass  die  beiordnenden 
Fiigeworter  zusammen  so  vlel  heissen  wie  und. 

Auf  w  e  1  c  h  e  r  als  Relativ  ist  Wustmann  besonders  schlecht  zu  sprechen; 
er  weist  es  ganz  uud  gar;  der  Papiersprache  zu.  Dies  stimint  aber  insofern 
nicht,  als  es  auch  mundartlich  in  Relativsatzen  belegt  ist.  Bedingte  Gnade 
lasst  er  walten,  wenn  es  zur  Einfiihrung  eines  Relativsatzes  dienen  soil,  der 
einem  vorausgeheuden  Relativsatz  uutergeordnet  ist.  Eine  solche  Unter- 
scheiduug  ist  aber  rein  willkiirlich.  Berechtigt  ist  es  ohne  Zweifel,  zwischen 
der  und  welcher  zu  wechseln.  Eine  iiicht  allgemein  bekannte,  auch 
von  Wustmann  nicht  erwahnte  Tatsache  ist  die  Abneigung  der  Sxiddeutschen. 
gegen  welcher  als  unbestimmtes  Fiirwort.  Ihnen  klingt  cine  Satzfolge 
wie  diese  geradezu  greulich:  ,,Hast  du  Federn?  ich  brauche  welche.  —  Ja, 
hier  sind  welche;  nimui  dir  welche."  Der  Siiddeutsche,  der  nicht  ,,ange- 
preusselt"  ist,  lasst  in  all  diesen  Fallen  das  welche  einfach  aus. 

,,Einer  der  schlimmsten  Unfalle,  der  uns  betroffen  hat"  (S.  126)  ist  zwar 
wieder  unlogisch,  aber  psychologisch  gerechtfertigt.  Wer  so  sagt,  denkt  tat- 
Bachlich  nur  an  das  eine  Ereignis.  Weniger  verzeihlich  wiire  ,,einer  der 
schlimmsten  Unfalle,  der  uns  betreffen  kann";  hier  denken  wir  an  die  Zukunft 
und  verschiedene  Moglichkeiten.  Interessant  ist  es  iibrigens,  dass  Macaulay, 
der  besten  englischen  Stilisten  einer,  die  Fiigung  unbedenklich  verwendet.  — 
in  dem  Satze  ,,eine  der  grossten  Schwierigkeiten  fiir  das  Verstandnis  unse- 
rer  Vorzeit,  die  nieist  gar  nicht  gewiirdigt  wird"  bezieht  sich  das  Relativ 
nur  auf  Vorzeit,  nicht  auf  eine;  hier  ist  zur  Verdeutlichung  das  Einfiigen 
von  und  zwar  unerlasslich. 

S.  131  Z.  9  v.  u.  lies  weglassen  statt  weggelassen.  Meines 
Wissens  der  einzige  Druckfehler  des  ganzen  Buches. 

Warum  soil  trotzdem  nicht  Konjunktion  sein  diirfen,  so  gut  wie 
in  dem,  seitdem?  Wer  sind  die  ,,vielen,"  die  das  Bediirfnis  nach  einem 
Unterschied  zwischen  trotzdem  und  trotzdem  dass  noch  f iihlen 


Zur  geset^gebenden  Grammatik.  139 

(S.  132)?  Gebraucht  man  nicht  auch  seitdem  als  Konjunktion  wie  als 
Adverb? 

Und  warum  sollen  Bedingungssatze  Oder  vielmehr  warum  soil  das  sehr 
oft  cine  Bedingung  bezeichneude  w  e  n  n  (S.  133)  nicht  in  adversativem  Sinne 
verwendet  werden?  besonders  wenn  dam  it  stilislische  Feiuheiten  zu  erzielen 
sind? 

Im  Nebensatz  das  Hilfszeitwort  (haben  und  sein)  zu  unterdrucken  (S. 
134  ff.)  sollte  dem  hoheren  Stile  und  vorab  der  Poesie  vorbebalten  sein;  die 
aber  diirfen  auf  dies  Vorrecht  bestehen.  ,,Die  Feuerwehr  loschte  die  Flammen, 
nachdem  sie  betrachtlichen  Schaden  angerichtet,"  las  ich  neulich  in  einer 
Zeitung.  Wer?  darf  man  da  fragen.  Vielleicht  die  Feuerwehr  selbst  durch 
Unacbtsamkeit  und  Ueberflutung  der  Zimmer?  Wohin  iibrigens  die  leidige 
Angewohnheit  fuhrt,  hinter  jedem  partizipahnlichen  Worte  nach  einem  aus- 
gelasseuen  Hilfsverb  zu  schniiffeln,  zeigt  eine  wahrhaft  ungeheuerlicbe  Er- 
klarung  von  Schillers  schonen  Versen  In  der  Huldigung  der  Kiinste:  ,,Schnell 
kniipfen  sich  der  Liebe  zarte  Bande;  wo  man  begliickt,  1st  man  im 
Vaterlande."  In  die  zweite  Person  umgesetzt,  heiest  dies  natiirlich  ,,wo  du 
begliickst,  bist  du  im  Vaterlande."  Und  was  hat  eim  Banause  von  Erklarer 
da raus  gemacht?  ,,Wo  man  begliickt  1st,  1st  man  im  Vaterlande."  La- 
teinisch,  ubi  bene,  ibi  patria.  Kann  man  sich  eine  schandlichere  Entweihung 
des  Dichterwortes  vorstellen? 

,,Das  Belegen  der  Platze,  um  sie  Spaterkonimenden  zu  sichern,  1st  ver- 
boten,"  enthalt  nach  Wustmaun  ein  falsches  u  m  (S.  159).  Weitere  Aufklarung 
glbt  er  nicht.  Soil  man  sagen  z  u  m  Z  w  e  c  k,  s  i  e  u.  s.  w.? 

,,In  friihern  Jahrhunderten  war  die  Sprache  unsers  Volks  so  voll  uber- 

quellenden  Lebens heute  ist  sie  so  tot  und  starr (S.  179)."  Kom- 

mentar  iiberflussig. 

Unter  einem  Shakespearedrama  (S.  190)  sollte  man  sich  aller- 
dings  ein  Drama  denken,  das  Shakespeare  zum  Helden,  und  keins,  das  ilm 
zum  Verfasser  hat.  Zwischen  Bismarckbeleidigungeri  und  B  e- 
leidigungen  Bismarcks  gab  es  einmal  einen  tatsachlichen  Unter- 
schied.  Wenigstens  schrieb  einst,  ich  glaube  es  war  die  Frankfurter  Zeitung: 
,,Das  ist  nun  freilich  keine  Beleidigung  Bismarcks,  aber  es  ist  eine  Bismarck- 
beleidigung  und  darauf  steht  Strafe."  Das  Wort  ist  ganz  offenbar  als  Gegen- 
stiick  zu  Majestatsbeleidigung  gebildet. 

Zu  den  Ausf alien  Wustrnanns  gegen  die  adjektivische  Verwendung  von 
Adverbien  auf  w  e  i  s  e  vergleiche  man  die  Darstellung  bei  Andresen.27  dem 
man  sicherlich  im  allgemeinen  nicht  den  Vorwurf  machen  wird,  gegen  Neu- 
erungen  allzu  nachgiebig  zu  sein. 

Fiir  das  Englische  gebricht  es  Wustmann  an  allem  Verstanduis.  Dass 
er  den  jetzigen  Einfluss  des  Englischen  aufs  Deutsche  einzudammeii  sucht, 
dafiir  wird  ihm  jeder  E-insichtige  dankbar  sein,  und  nicht  zum  wenigsten  die 
Deutsch-Amerikant  r.  Dazu  bedarf  es  aber  keiner  Schmahungen  gegen  das 
Englische  an  sich.28  Uiid  dabei  passiert  es  Wustmann,  der  sich  doch  bestan- 
dig  auf  die  lebendige  Sprache  beruft  und  den  Buchstaben  so  scharf  bekampft, 
dass  er  bei  den  Wortzusammensetzungen  einzig  das  Schriftbild  beriicksich- 
tigt  und  BO  dem  Englichen  alle  Wortzusammensetzungen  abspricht.  Dass 
aber  Fire  Insurance  Company  gerade  so  gut  e  i  n  Wort  ist  als  Feuerversicher- 
ungsgesellschaft,  die  Erkenutnis  scheint  ihm  nie  aufgedaminert  zu  sein. 


Sprachgebrauch  und  Sprachrichtigkeit,  7.  Auflage,  Leipzig,  1892,  S.  243. 
Mit  seinein  Antisemitismus  verschont  uns  der  Verfasser  In  der  neuen  Auf- 
lage. 


140  Pddagogische  Monatshefte. 

Zuin  Besteu  gehoren  die  Abschnitte  von  218-234.  Zu  dom,  was  iiber  d  e  r 
e  r  s  t  e  r  e  und  der  letztere  gesagt  1st,  seieai  Kenner  des  Englischen 
wiedcr  auf  Macaulay  verwiesen,  der  in  einer  Vergleichung  der  Koniginnen 
Maria  und  Elisabeth  in  rund  zwanzig  Satzpaaren  nacbeinander  seine  Per- 
souen  nie  anders  als  Mary  und  Elizabeth  nennt.  , 

Die  Verwechslung  von  m  i  r  und  m  i  c  h  ist  keine  Berliner  Eigenheit,  son- 
dern  gehort  deni  ganzen  niederdeutschen  Sprachgebiet  an,  wo  Dativ  xind  Ak- 
kusativ  sieh  lautlich  zur  selben  Form  entwickelt  haben.  Da  iiber  den  Ber- 
liner Dialekt  die  irrigsten  Vorstellungen  verbreitet  sind,  verweise  ich  bei 
dieser  Gelegenheit  auf  eiue  Darlegung  davon,  die  wahrend  der  letzten  Monate 
1903  in  der  Beilage  der  Miinehener  Allgemeinen  Zeituug  erschienen,  mir'aber 
in  diesem  Augenblick  nicht  zuganglich  ist. 

,,Aus  aller  Herrn  Landern"  (S.  242):  Das  doppelte  ern  erscheine  uner- 
tragiich.  Aber  sagen  nicht  die  meisten  Deutschen  H  err  en?  Und  waren 
denn  auch  bei  der  Aussprache  Herrn  die  belden  e  r  n  in  der  Aussprache 
gleichartig? 

Die  Anfiihrungszeichen  vulgo  Gansefusschen  nennt  Wustmann  cine  ahn- 
lich  unniitze  Spielerei  wie  den  Apostroph.  Gewiss  kann  auch  damit  Miss'- 
brauch  getrieben  werden.  Aber  notig  sind  sie  doch;  existierten  sie  noch  uicht, 
so  mu'sste  man  sie  eigens  erflnden.  Sie  erfullen  sogar  einen  moralischen 
Zweck;  sie  verhindern  manchen  geistigen  Diebstahl;  darum  den  Hut  ab  vor 
den  Gansefusschen!  Zweitens  kann  man  sie  zwar  nicht  direkt  aussprechen, 
und  doch  sind  sie  uns  auch  beim  lauten  Lesen  dienstbar,  indem  sie  den  Vor- 
leser  auf  notige  Anderungen  in  der  Stimmlage  aufmerksain  inachen.  Drit- 
tens  sind  sie  ein  sehr  bequemes  UnterscheidungsmSttel  beim  stillen  Lesen; 
und  soil  man  denn  darauf  gar  keine  Riicksicht  nehmen?  Hat  der  Leser  nicht 
auch  das  Recht,  zu  verlangen,  dass  man  ihm  seine  Aufgabe  so  leicht  als 
moglich  mache,  genau  so  gut  wie  der  Horer?  Wenn  ich  also  in  einem  Auf- 
satze  schreibe;  Schillers  ,,T  e  11"  ist  sein  letztes  grosses 
Drama,  und  weiterhin :  Schillers  Tell  ist  ein  andrer  als  der 
der  Sage,  ist  da  mit  den  Gansefusschen  nicht  mehr  gewonnen  als  verloren? 
Einen  Zweck,  meint  Wustmann,  batten  sie  nur  da,  wo  man  eine  Stelle  aus 
der  Darstellung  eines  andern  einflechte,  oder  WQ  man  Worter  ironisch  ge- 
brauche,  um  sie  lacherlich  zu  machen.  Wieviel  Selbstironie  doch  der  Herr 
Wustmann  haben  muss,  wenn  er  in  seiner  Vorrede  den  Titel  seines  Buches 
immer  in  Gansefusschen  anfu'hrt!  Doch  der  Sachverhalt  ist  anders.  Er  fiihlt 
eben,  dass  zwischen  Wustmanns  ,,Sprachdummheiten"  und  Wustmanns 
Sprachdummheiten  ein  Unterschied  besteht  (oder  doch  bestehen  sollte).  Seine 
..Sprachdummheiten"  sind  das  von  ihm  verfasste  Biichlein  mit  besagtem  Titel; 
seine  Sprachdummheiten  sind  die  Sprachdummheiten,  die  er  selber  macht. 
Wer  sich  die  Millie  nehmen  will,  die  beiden  letzten  Satze  laut  zu  lesen,  wird 
eine  Bestatigung  des  oben  Gesagten  iiber  Wesensunterschiede  zwischen  miind- 
licher  und.schriftlicher  Rede  darin  finden  und  auch  merken,  wieviel  welter 
die  schriftliche  Rede  mit  einem  ganz  einfachen  Mittel  kommen  kann.  War- 
um  ihr  also  dieses  verleidenwollen? 

Wer  grundsatzlich  die  Provinzialismen  in  Acht  und  Bann  tut,  sollte  die 
seines  eigenen  Landstriches  nicht  als  mundartliche  Feinheiten  verteidigen. 
Das  tut  Wustmnnn  mit  dem  sachsisch-thiiringischen  aller  v  i  e  r  W  o  c  h  e  n, 
wo  das  Genieiudeutsche  den  Akkusativ  verlangt.  Die  Feinheit  hierin  ent- 
zieht  sich  meiner  Beobachtung.  Der  Ausdruck  steht  auf  einer  Stufe  mit 
j  e  d  e  n  M  o  n  a  t,  j  e  d  e  W  o  c  h  e,  j  e  d  e  n  S  o  n  n  t  a  g,  wo  auch  die 


Zur  gestt^gebenden  Grammatik.  141 

Sachsen  den  Akkusativ  verwenden,  der  hier  Wiederholung  und  nicht  Zeit- 
dauer  bezeichnet.  Bcklagt  sich  jemand,  cr  babe  drei  Woclien  in  einem  oden 
Nest  zubringen  miissen,  so  frage  ich  ilm  nicht  mit  Wustmann,  ob  or  a  1  lo 
drei  Woe  hen,  soudern  ob  er  die  ganzen  drei  Wochen  Oder 
noch  wahrscheiulicher  die  ganze  Zeit  da  gewesen  sei,  und  er  kann  mir 
getrost  antworteu,  er  habe  alle  drei  Tage  oder  jedeu  dritten  T a g 
einen  Ausflug  gemacht,  und  dabei  den  Zauber  des  partikularistischen  distri- 
butiven  Genitivs  verschmerzen. 

Sachsischer  Provinzialismus  ist  auch  die  Mitt  wo  c  h  statt  des  Mas- 
knlins..  Wie  lange  wohl  hier  noch  das  etymologische  Gefiihl  gegeniiber  deu 
sechs  mannlichen  Wochentagen  kiinstlich  wach  gehalten  werden  kann?  Es 
wiirde  nicht  sonderlich  befreunden,  wenn  Wustmann  da  auch  den  Provinzia- 
lismus e  r  m  a  c  h  e  n  in  Schutz  nahme. 

Von  den  auf  S.  262  geriigten  Doppeladjektiven  sind  s  o  z  i  a  1  -  w  i  r  t- 
schaftlich  und  sozial-ethisch  wohl  aus  den  Substantiven  Sozial- 
wirtschaft  und  Sozialethik  entstanden,  sollten  daher  in  einem  Worte  geschrie- 
ben  werden.  An  dieser  Stelle  ware  auch  cine  Anmerkung  iiber  Zusammen- 
ziehungen  wie  deutseh-frauzosisch,  blauschwarz  am  Platze 
gewesen. 

Dass  ein  Wort  so  gut  wie  aussterben  und  doch  in  ciner  gewissen  Kate- 
gorie  sich  erhalten  kann,  scheint  Wustmann  nicht  zugestehen  zu  wollen;  er 
verwirft  d  e  n  n  als  Komparativartikel  auch  in  Satzen  wie  Er  war  g  r  6- 
sseralsStaatsmanndennalsDichter  und  verlangt  dafiir  a  1  s 
als.  Mir  ist  diese  Doppelung  unertraglich;  lieber  noch  verwendete  ich  eine 
weitlaungeUmschreibung.  Aber  warum  soil  d  e  u  n  nicht  sein  Dasein  weiter 
fristen? 

W  a  r  n  e  n  mit  verneintem  Infinitiv  scheint  unter  englischem  Einfluss 
entstanden  zu  sein  (S.  266). 

Worter  wie  Referent,  Berichterstatter,  K  lager  werden 
wohl  wie  Eigennamen  gefiihlt;  daher  der  Branch,  den  Artikel  wegzulassen 
(S.  268).  In  Fallen  wie  an  Land,  auf  Deck  haben  wir  es  mit  iiberlebeu- 
den  Bildungen  zu  tun,  in  auf  Wache,  auf  Festung  mit  analogen  Ncu- 
bildungen. 

,,F  r  a  u  1  e  i  n  (sachlich)  D  o  k  t  o  r  (mannlich)  II  e  d  w  i  g  (weiblich). 
Dabei  ist  aber  eigentlich  gar  nichts  Verwunderlichcs.  Die  Verschrobenheit 
der  Sprache  ist  ja  nur  das  Abbild  yon  der  Verschrobeuheit  der  Sache."  So 
Wustmann  auf  S.  271.  Wie  viel  schoner  wars  doch,  als  der  Grossvater  die 
Grossmutter  nahm!  Da  wusste  man  nichts  von  Mamsell  und  Madam;  und 
von  Inhaberinnen  des  Doktortitels  traunite  man  noch  nicht  einmal. 

,,Das  Gymnasium  geriet  in  einen  innern  Widerspruch  hiuein"  ist  cnt- 
schieden  ein  Stilfehlcr,  trotz  Wustmanns  Billigung  auf  S.  283. 

Fiir  und  wider  die  sogenannte  Inversion  nach  und  ist  schon  so  viel 
geschrieben  worden,  dass  ein  Wort  daruber  kauui  der  Miihe  lohnt;  ich  halte 
es  hier  gerne  mit  Wustmann.  Unter  einem  ueuen  Gesichtspunkte  behandelt 
die  Frage  Behaghel  in  seinem  Aufsatze  ,,Die  Herstellung  der  syutaktischen 
Ruhelage  im  Deutschen."  20  t 

Die  Stellung  hinter  der  PVaposition  ware  hasslich  bei  alien  Adverbien, 
die  den  Adjektivbegriff  einschrauken,  lierabsetzeu  u.  s.  w.  (S.  310).  Also 
darf  man  auch  nicht  sagen:  e  r  versuchte  e  s  mit  k  a  u  m  g  e  n  ii  g  e  n- 
den  Mitteln,  er  sprengte  die  Tiir  in  fast  (bcinahe) 


20  Indogermauische  Forschungen.    XIV.  S.  438-59. 


142  Padagogische  Monatshefte. 

wahnsinnigem  Zorn?  Was  wird  aus  dem  luhalt  der  Satze  bei  der 
Vorstellung  des  Adverbs? 

Dass  die  Einzahl  Hose  fiir  fein  gilt,  wird  die  siiddeutschen  Bauern 
stolz  machen,  da  sic  den  Plural  gar  nicht  kennen.  Auch  das  Wort  B  e  i  n 
bedeutet  iin  Volksmund  nur  K  n  o  c  h  e  n,  und  der  siiddeutsche  Bauer  hat  viel- 
leicht  seit  Jahrhunderten  keine  Beine  mehr,  sondern  nur  noch  F  ii  s  s  e.  Aber 
nicht  aus  Vornehmtuerei. 

Die  Klasse  von  Wortern,  die  sich  am  leichtesten  uud  bestandig  verschiebt, 
ist  die  der  modalen  Hilfszeitworter  k  6  n  n  en,  diirfen  u.  s.  w.  Jedes 
gute  Worterbuch  auf  historischer  Grundlage  gibt  dariiber  reichhaltige  Aus- 
kunft;  ein  Blick  in  die  deutsehen  Klassiker  lehrt,  welche  Wandlungen  liter 
schon  ein  Jahrhundert  erzetigt  hat.  Nicht  anders  ists  im  Euglischen.  Fiir 
Wustmann  ist  das  alles  ohne  jeden  Belang,  Sprachduminheit,  nichts  weiter. 

Wenn  bei  Zeitwortern  mit  iibertragner  Bedeutung  h  i  n  durch  her  voll- 
standig  verdriingt  worden  ist  (S.  343),  was  soil  dann  die  Verurteilung  von 
r  e  i  n  f  a  1 1  e  n  (S.  342)  ? 

Von  einem  neu  aufkommenden  Worte  fordert  Wustmann,  ,,das  es  regel- 
recht,  gesetzmassig  gebildet  sei,  und  dass  es  mit  einleuchtender  Deutlichkeit 
wirklich  das  ausdrucke,  was  es  auszudriicken  vorgibt  (S.  350)."  Diese  zweite 
Forderung  stellt  an  die  Neubildungen  zu  hohe  Anspriiche;  auch  iiberschatzt 
sie  die  Starke  des  etymologischen  Bewusstseius.  Eigentlich  sollte  man  von 
einem  ueuen  Worte  auch  nicht  mehr  verlangen  als  von  eiuem  alten;  wieviele 
Worter  fiir  Gegenstaude  und  Verrichtungen  des  taglichen  Lebens,  Dinge,  die 
alien  genieinsam  sind,  wie  viele  entsprechen  denn  tatsachlich  der  Forderung 
einleuchtender  Deutlichkit?  Wie  viele  bezeichnen  denu  auch  nur  einiger- 
massen  die  Beziehung,  die  sich  uns  bei  der  Analyse  zuerst  aufdrangt?  Lea 
mots  ne  signifient  naturellement,  mais  a  plaisir,  sagt  Rabelais.  Will  sagen, 
die  Bedeutung  wohnt  ihnen  nicht  von  Natur  inne,  sondern  stiitzt  sich  auf 
uienschliches  tibereiukommen.  Wenn  einmal  ein  Wort  fiir  eine  Sache  ins 
Leben  getreten  ist,  so  gleicht  es  sich  sehr  schnell  dem  bezeichneten  Objekte 
an. so  Allerdings  werden  alljahrlich  eine  Unzahl  neuer  Worter  gebildet,  die 
es  nur  zu  einer  Eintagsfliegenexistenz  bringen.  Die  wirksamsten  schopfe- 
rischen  Krafte  hierbei  sind  die  sich  stetig  steigernde  Hast  des  modernen 
Lebens,  die  uns  zu  keinem  ruhigen  Sucheu  nach  entsprechenden  Ausdrucks- 
mitteln  im  vorhandenen  Wortschatze  kommen.  lasst,  und  die  eitle  Sucht,  mit 
noch  nie  dagewesenem  zu  prunken.  Mit  den  meisten  derartigen  Bildungen 
mac-lit  die  Sprache  kurzen  Prozess;  auch  auf  geistigem  Gebiefce,  nicht  min- 
der als  auf  physichem,  gilt  der  Satz  vom  iiberleben  der  Tauglichsten.  Hierin 
kann  man  ruhig  die  Sprache  sich  selbst  iiberlassen.  Doch  selbst  angenommen, 
neunzig  Prozent  aller  Neubildungen  erwiesen  sich  als  nicht  lebensfahig,  so 
darf  uns  der  Rest  mit  der  fieberhaften  sprachschopferischen  Tatigkeit  aus- 
sohnen.  Tatsachlich  ist  das  Deutsche  auf  dem  besten  Wege,  sich  unter  den 
heutigen  Kultursprachen  den  reichsten  Wortschatz  zu  erwerben,  wenn  es  ihn 
nicht  ohnehin  schon  besitzt.si  Das  kann  uns  Deutsche  aber  doch  nur  mit 
stolzer  Freude  erfiillen. 

Erhalt  sich  nun  neben  einem  bereits  bestehenden  Worte  eine  Neubildung 


so  Vgl.  hierzu  die  schonen  Ausfiihrungen  iiber  ,,gedankenlosen  Wortgebrauch" 
bei  K.  O.  Erdmnnn,  Die  Bedeutung  des  Wortes,  Leipzig  1900. 

si  Man  hat  bereits  Zehntausende  von  Wortern  gesammelt,  die  Muret-Sanders, 
das  vollstandigste  deutsche  Worterbuch,  nicht  verzeichnet. 


Zur  gesetyebenden  Grammatik.  143 

von  annaherud  demselben  Begriffsinhalt,  so  geschieht  das  immer  in  der  Weise, 
dass  sicb  in  sehr  kurzer  Zeit  der  Begriffsinhalt  des  einen  oder  des  andern 
oder  auch  beider  mehr  oder  minder  verandert;  oder  eines  der  beiden  entwik- 
kelt  einen  gewissen  Nebensinn;  oder  endlich  sie  decken  sich  zwar  begrifflich, 
gehen  aber  im  Stimmungsgehalt  oder  Gefiihlswert  auseinander.sz  go  wird 
.es  sicherlich  auch  mit  mancheu  der  von  Wustmann  angefochtenen  Neuschopf- 
ungen  gehen.  Werdegang  z.  B.  ist  inhaltlich  soviel  wie  Evolution  und  Ent- 
wickelung,  und  doch  hat'tet  ihm  ein  Etwas  an,  das  es  in  eine  hohere  Gefiihls- 
sphare  riickt. 

An  Einzelheiten  nur  folgendes:  Brauch  ist  nicht  dasselbe  wle  G  e- 
pflogenheit;  dieses  ist  subjektiv,  Brauch  aber  ist  es  nicht.  Was  ist  denn 
so  Garstiges  an  Einakter?  und  wenn  man  ein  Distichon  einen  Zwei- 
z  e  i  1  e  r  nennen  will,  warum  nicht?  Die  A  u  s  r  e  i  s  e  eines  Schiffes  ist  nicht 
dasselbe  wie  A  b  r  e  i  s  e,  die  auch  die  H  e  i  m  r  e  i  s  e  sein  kann;  wenn  man 
in  Mitteldeutschland,  wo  der  Unterschied  zwischen  stimmhaftem  und  stimin- 
losein  s  nicht  deutlich  gemacht  wird,  dabei  an  ausreissen  denkt,  so 
erinnert  ja  wohl  die  A  b  r  e  i  s  e  auch  an  abreissen. 

Bei  der  Besprechung  des  Wortes  bedeutsam  konimt  Wustmann  auf 
den  sinnvollen  Wortgebrauch.  Nun  wiirde  es  ja  den  schriftstellernden 
Menschen  zieren  und  davon  zeugen,  dass  ihm  Verstand  ward,  wenn  er  im 
innern  Herzen  spiirte,  was  er  so  schreibt  mit  seiner  Hand,  —  wollte  er  das 
aber  bei  jedem  W'orte  tun,  so  konnte  er  ebensogut  sich  bei  jeder  Bewegung 
deren  Zusammenhang  mit  der  Tatigkeit  aller  Organe  seines  Korperg,  bei 
jedem  Schritte  in  eiuer  Gesellschaft  den  Ursprung  jeder  Sitte,  jedes  Brauche* 
klar  machen  wollen.  Wie  Erdmannaa  es  treffend  dargestellt  hat,  ist  ein  gut 
Teil  gedankenloser  Wortgebrauch  .zur  kraftigen  Sprachentwicklung  sehr 
notwendig. 

Der  absolute  Komparativ  findet  sich  nicht  nur  bei  besser,  das  auf 
S.  359  abgekanzelt  wird,  sondern  auch  sonst  vielfach;  ein  alterer  Herr 
ist  jiinger  als  ein  alter  Herr,  und  weun  ich  langere  Zeit  an  einem 
jQrte  war,  so  brauche  ich  nicht  lange  Zeit  da  gewesen  zu  sein;  ein 
hoherer  Beamter  in  reiferem  Alter;  er  ist  ohne  ed- 
lere  Regungen.  "Man  empfindet  den  Komparativ  als  Ausdruck  der  Er- 
hebung  fiber  ein  gewisses  nicht  naher  bezeichnetes  Durchschnittsniveau,  die 
in  der  Regel  den  durch  den  Positiv  bezeichneten  Punkt  nicht  ganz  erreicht."  s* 
Suddeutsch  gebraucht  man  inn  sogar  adverbiell:  "Das  ist  schon  langer  (ziem- 
lich  lange)  her." 

Unter  einer  Darstellung  in  grossen  Zugen  verstehe  ich  keine  ober- 
flachliche,  sondern  elne  kurze,  alles  Wesentliche  hervorhebende  (S.  360).  Dem 
Adjektiv  grossziigig  liegt  offenbar  der  Zug  ins  Gross  e,  nach 
dem  Grossen  zugrunde. 

Gut,  aber  etwas  iibertrieben  ist  der  Abschnitt  "haben  und  besitzen,"  S. 
391  ff. 

Die  haufigen  Umschreibungen  eines  einfachen  Zeitwortes  durch  Verbin- 


3=  Vgl.  Erdmann,  a.  a.  O.,  Kapitel  vier.  Dies  liebenswurdige  und  geistvolle 
Biichlein  sei  jedem  aufs  warmste  empfohlen,  der  sich  fur  die  Spracha 
als  Kunst  interessiert. 

ca  A.  a.  O.,  Kapitel  sechs. 

«*  Wilmanns,  Deutsche  Grammatik,  zweite  Abteilung,  zweite  Auflage,  Strass- 
burg  1900,  §  333,3. 


144  Pddagogische  Monatshefte. 

dungen  vonHauptwort  undZeitwort(Wustrnanns  "Verbalsurrogate"  S.307ff.) 
erklart  Behaghel  35  aus  der  der  miindlichen  Rode  cntnomnienen  Neiguug,  den 
Schluss  der  Rede  volltonender  zu  gestalten.  Daher  k  o  ru  m  t  heute  z  u  r 
V  e  r  1  e  s  u  n  g,  was  fruher  einfach  verlesen  wurde. 

Unter  den  Verdeutschungen  von  Fremdwortem  verwirft  Wustmann  (S.  414) 
die,  die  keine  Uebersetzungen,  sonderu  Umschreibungen  Oder  Begriffserklar- 
ungen  seien,  z.  B.  Schriftleiter  f iir  Redakteur.  Allein  ist  die 
Begriffserklarung  nicht  das  hochste  Lob,  das  man  einer  Neubildung  gpendeu 
kann?  Abgesehen  da  von,  dasz  Redakteur  urspriinglich  auch  nur  einen 
Teil  seines  heutigen  Begriffsinhaltes  umfasste,  braucht  man  der  Verdeutsch- 
ung  dafiir  nur  etwas  Zeit  zu  gonneu,  und  sie  wird  schon  denselben  Begriffs- 
unifang  auszufiillen  wissen  wie  ihr  Vorganger.  Ein  Deutscher,  der  das  Wort 
Redakteur  gar  uicht  kennt,  wurde  im  Handumdrehen  ausnndig  macheu,  was 
ein  Schriftleiter  ist,  ebensoschnell  als  er  sieh  uber  das  Fremdwort  Rats  holen 
konnte.  Das  Beste  iiber  die  ganze  Frage  hat  wieder  Erdmann  im  letzten 
Kapitel  seines  Buches  geschriebeu. 

Die  fife  sisters  und  fife  brother*  anf  S.  418  sollen  doch  jeweils  wohl  five 
sein;  oder  sind  wirklich  Querpfeifer  damit  gemeint?  Zum  Tingeltangel  konute 
das  passen.  —  Der  hannoverische  Teegebackfabrikant,  der  sein  Fabrikat  als 
den  besten  Buttercakes  anpreist,  Leibnitz  heisst  er,  verdient  eine  strengere 
Riige,  als  sie  Wustmann  ihm  erteilt,  fiir  seine  Englanderei  und  die  scheuss- 
liche  Sprachvergewaltigung.  Der  deutsche  Reklamenmischmasch  ist  unbe- 
schreiblich  kliiglich,  voll  wirklicher  Sprachdummheiten.  Die  Sprachver- 
mengung  im  Anzeigeteil  deutsch-amerikanischer  Blatter  ist  demgegeniiber 
noch  ertraglich. 

Wir  sind  am  Eude  unserer  Betrachtnng.  Erfreulich  ist  dieselbe  nicht 
gewesen.  Der  Umfang,  der  den  Einwandeu  gegen  Wustmanns  Bueh  gege- 
ben  werden  musste,  —  und  an  Eiuzelausstellungen  hatte  noch  manches  ge- 
naunt  werden  konnen,  —  musste  notweudigerweise  viel  grosser  ausfallen  als 
der  auf  die  Auerkennung  der  Vorziige  verweudete  Raum.  Das  ist  einnial  die 
traurige  Pflicht  der  Kritik  diesem  Buche  gegeniiber.  Ich  fiirchte,  sie  wird, 
cs  immer  bleiben.  Xiemand  aber  wird  das  Buch  aus  der  Hand  legen,  ohne 
sich  ehrlich  gestehen  zu  miissen,  dasz  er  daraus  gelernt  hat.  Freilich  nicht, 
wie  man  das  Palladium  unserer  Muttersprache  retten  kounte,  wenn  ihm 
tJefahr  drohte.  An  diese  Gefahr  glaubea  wir  uicht.  Im  .Gegeaiteil,  das 
Deutsche  geht  einer  grossartigen  Zukuuft  entgegen.  Aber  der  E-ifer  des  Ver- 
fassers  ist  ansteckend;  und  dass  es  ihm  ehrlich  Ernst  ist  um  seine  Sachc,  wird 
auch  der  nicht  verkennen,  deui  seine  Kampfesweise  nicht  zusagt.  Lassen 
wir  auch  dein  Fleisse  Wustmanus  Gerechtigkeit  Aviderfahren.  Selbst  im  be- 
standigeu  Widerspruch  gegeu  ihn,  achtlos  darf  die  deutsche  Sprachwissen- 
schaft  weder  in  der  Gegenwart  noch  in  der  Zukunft  an  dem  Buche  vorbei- 
gehen. 

Zum  Schlusse  kann  ich  mirs  nicht  versagen,  auf  das  baldige  Erscheineu 
ciues  gross  augelegteu  und  durchgefiihrten  Werkes  hinzuweisen,  an  dem  ich 
warmen  personlicheuAuteil  nehme,  —  Professor  George  O.  Curmes  "German 
as  Spoken  and  Written  Today,"  eine  umfangreiche  wissenschaftliche  Gram- 
matik  der  lebenden  deutschen  Sprache  seit  1850,  auf  streng  geschichtlicher 
Gruudlage,  die  noch  dieses  Jahr  im  Verlag  von  Mac  Millan  &  Co.  erscheinen 
soil.  Das  Werk,  die  reife  Frucht  zwauzigjahriger  treuester  Hingabe  uud  Auf- 
opferuug  uud  eines  unbeugsamen  eiseruen  Fleisses,  den  kein  Hiudernis  zu 

s-i  Die  deutsche  Sprache,  S.  69. 


Bcrichtc  und  Notion.  145 

schreckea  vcrmoehte,  wird  ein  glanzendes  Deukmal  der  gerinanistischea  Wis- 
seiischaft  seiii,  worauf  die  ganze  sprachwissenschaftliche  Welt  stolz  sein  darf ; 
und  mit  urn  so  grosserer  Genugtumig  darf  es  uas  erfulleu,  dass  eine  sole-he' 
Arbeit  aus  dem  Stndierzimmer  eines  arnerikauisclieii  Gelehrten  hervorgegangcu 
ist.  Mauche  veralteteii  Anschauuugeii  fiber  die  deutscbe  Sprache,  die  sich  seit 
Adeluug  YOU  Jabrzebnt  zu  Jabrzebnt  weitergesehleppt  baben,  wird  Professor 
Curincs  Bucb  hinwegramnen;  und  icb  wiisste  von  keiuer  Schulgramaiatik,  die 
nicht  auf  Grund  dieses  Werkes  wird  uingeschriebea  werdea  miissen.  Wie- 
viel  icb  dem  Bucbe,  von  dem  es  mir  vergonut  Avar,  einige  Teile  iiu  Mauuskript 
zu  lesen,  beute  scbou  verdanke,  vermag  icb  nicbt  zu  berechnen.  Nacb  seiner 
Vollenduug  aber  wird  jeder  sein  Scbulduer  sein,  der  scbopfen  will  am  Borne 
der  Erkcnntnis  der  wtinderbaren  deutscben  Spraehe,  wie  sie  sicli  offeabar! 
in  der  lebendigcu  Gegenwart. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Report  of  the  Meeting  of  the  Modern  Language  Association. 


(Fiir  die  Padagoglschen  Monatshefte.) 


The  Union  meeting'  of  the  Modern  Language  Association  of  America 
and  the  Central  Division  of  the  Association  held  at  the  University  of 
Michigan  was  a  very  successful  one  in  representative  attendance,  work,  and 
goodfellowship. 

The  address  of  welcome  by  President  James  B.  Angell  will  always  be 
remembered.  President  Angell  gave  reminiscences  about  the  nature  of  the 
study  of  Modern  Languages  in  this  country  and  in  Germany  during  his 
student  days.  He  also  reviewed  the  history  of  the  Modern  Language  De- 
partments at  the  University  of  Michigan  and  referred  with  kind  and 
touching  words  to  the  tragic  deaths  of  Professors  Walter  and  Heneh.  Dr. 
Angell  expressed  the  wish  that  the  main  emphasis  should  be  placed  011 
literary  interpretation  in  the  colleges  of  the  country,  rather  lhan  <5n 
philology.  He  also  said  that  'tho  students  should  be  introduced  to  the 
riches  and  the  spirit  of  the  writings  of  the  poets,  and  that  the  interrelation 
and  the  interdependence  of  literatures  should  be  especially  emphasized'. 

One  of  the  most  pleasant  events  was  the  social  gathering  in  the  cozy 
and  comfortable  rooms  of  the  University  Club  of  Detroit.  The  'Smoke 
Talk'  of  Professor  Calvin  Thomas  was  characteristic  of  the  man  and  made 
all  forget  the  daily  work  and  the  differences  of  opinion.  Professor  Victor 
Aiichels  of  Jena  honored  the  association  with  a  'Bierrede'  in  which,  among 
other  things  he  expressed  his  surprise  that  such  "Gemutlichkeit"  was 
possible  in  this  country. 

The  P  r  e  s  i  d  e  n  t's  address  by  Professor  George  H  c  m  p  1 
was  especially  timely,  and,  as  is  always  the  case  when  Professor  Hempl 
speaks  on  his  chosen  subject,  was  a  valuable  contribution,  based  on  inde- 
pendent observation  and  investigation.  Among  other  things,  he  showed 
that  the  attitude  assumed  toward  the  mother  tongue  by  the  average 
teacher  of  English,  as  well  as  by  the  averag'e  person  of  education  is  wrong. 
Language  is  looked  upon  as  something  printed  rather  than  as  something- 
spoken,  whereas  real  speech  is  spoken.  The  language  of  books  makes  little 


146  Piidagogischc  Monatshefte. 

impression  upon  the  speech  of  most  people,  but  the  tendencies  that  spring 
from  the  conditions  of  spoken  speech  are  allpowerful  and  determine  the 
future  of  the  language.  The  average  teacher  regards  print  as  the  norm 
and  strives  to  make  the  pupils  read  and  speak  like  print,  forgetting  that 
print  is  but  a  poor  picture  of  language,  and,  in  many  respects,  a  picture 
not  of  the  speech  to-day  but  of  that  of  five  hundred  years  ago. 

Another  common  error  is  the  assumption  that  English  is  somewhere 
.spoken  to  perfection  and  that  it  is  our  duty  to  strive  to  speak  this  perfect 
speech,  If  we  try  to  localize  it,  we  find  that  its  habitat  is  is  quite  un- 
certain, and  we  flit  from  the  West  to  Boston  and  from  Boston  across  the 
sea  to  England,  only  to  find  that  there  too  the  teachers  are  talking  about 
this  mythical  perfect  speech  and  reproving  their  pupils  for  their  natural 
usage.  The  English-speaking  world  is  far  too  large  for  \is  to  expect 
uniformity  of  speech.  Speech  is  nothing  but  one  of  the  results  of  human 
activity,  dependent  upon  the  conditions  under  which  men  live.  We  must 
expect  diversity  and  respect  it. 

The  task  of  the  English  teacher  is  a  large  one.  His  chief  function  is 
to  teach  his  pupils  to  write  clearly  and  effectively  and,  in  order  to  do  that 
to  think  clearly  and  mars-hall  their  thoughts  well.  He  must  also  teach  them 
to  avoid  that  in  their  speech  which  would  give  offense  to  the  great  mass  of 
English-speaking  people.  But  there  he  should  stop.  There  arc  so  many 
important  things  to  be  tauglit  that  no  time  should  be  wasted  on  petty 
matters.  If  a  teacher  knows  that  a  pronounciation  or  construction  which 
he  is  trying  to  teach  a  boy,  will  be  given  up  as  soon  as  the  boy  gets  out 
into  the  world,  it  is  his  business  to  find  something  to  teach  that  boy  that 
will  remain  by  him  and  be  of  some  use  to  him  and  to  the  world  that  he 
lives  in. 

A  large  number  of  papers  are  of  immediate  interest  to  the  readers  of 
the  P.  M.  1.  Professor  James  Taft  Hatfield  announced  the 
finding  of  the  missing  volume  3  of  the  Al  edition  of  G  o  e  t  h  e's  works 
(1806),  containing  the  misprints  recorded  by  Eiemer  in  Goethe's  Tagebuch 
for  1809,  i.  e.  p.  83,  "magst"  for  "machst",  and  (p.  191)  "habe"  for  "hatte". 
From  vol.  5  of  A'  (1807)  he  infers  several  important  amendments  to  the 
Weimar-text  of  Egmont. 

Prof.  Hatfield  also  described  a  copy  of  Egmont  (Leipzig,  Goschen  1788) 
resembling.  El  as  recorded  by  Minor,  but  exhibiting  fewer  errors.  It  has 
none  of  the  errors  of  E2. 

2.  Professor  Osthaus  presented  a  carefully  prepared  paper  on 
"The   S  t  a  ge    o  f  ,-H  a  n  s    Sachs   and    the   Nuremberg   Drama 
etc."    The  paper  gave  a  picture  of  the  stage  and  the  stage-apparatus,  the 
sources  of  the  paper  being  the   contemporary  accounts  and   the   dramas 
themselves.    The  principal  points  discussed  were:  the  nature  of  the  stage, 
its  effect  on  the  stage-apparatus;   stationary  fixtures  and  temporary  ad- 
ditions;  the  actors,  their  number,  dress,  and  the  demands  on  their  skill; 
mute  persons. 

3.  Professor  Hohlfeld   offered  a   valuable    contribution   to  the 
history  of  modern  German  rhyme.     He  gave  a  comprehensive 
account  of  the  history  of  the  6-e,  ii-i,  and  eu-ei  rhjrmes  so  common  in  al- 
most all  German  verse  of  the  last  three  centuries.    The  teacher  of  German 
literature  has  to  constantly  deal  with  these  rhymes,  but  their  nature  and 
frequency  are  not  understood  by  some  of  our  best  scholars. 


Report  of  Meeting  of  M.  L  A.  147 

Systematic  investigation  shows  that  these  rhymes  begin  to  appear 
sporadically  as  early  as  the  second  half  of  the  14.  century,  if  not  earlier. 
They  are  firmly  established  about  the  year  1500  in  authors  who  belong  to 
the  south-west  of  Germany.  They  are  less  frequent  in  authors  who  belong 
in  the  east  or  midland.  Their  appearance  proves  that  in  certain  parts  of 
Germany  the  umlaut  vo%vels  o,  ii,  and  iiu  lost  their  original  rounding,  being 
pronounced  e,  i,  and,  ei  respectively.  During  the  16th  century  this  phonetic 
change  and  the  rhyme  practice  based  on  it  spreads  eastward  and  north- 
ward, and  from  the  17.  century  on  the  new  rhymes  seem  to  have  been 
established  in  all  parts  of  Germany.  In  the  third  quarter  of  the  18.  century 
this  development  reaches  its  high-water  mark.  The  writer  quoted  figures 
to  establish  his  point  of  view  from  a  wide  range  of  authors  from  Brant  to 
Liliencron  and  the  contemporary  writers. 

Since  the  first  decades  of  the  past  century,  partly  through  bookish 
influences  and  partly  through  the  growing  preponderance  of  the  north  in 
Germany's  intellectual  life,  a  rerounding  in  the  pronounciation  of  6,  ii,  and 
eu  has  made  strong  headway  and,  hence  in  the  technically  more  careful 
poets  the  ii-e,  ii-i,  and  eu-ei  rhymes  are  rapidly  disappearing.  And  thus  a 
development  that  began  300  years  ago  and  reached  its  climax  in  the  18. 
century  seems  to  be  drawing  to  a  close.  Professor  Hohlfeld  finally  pointed 
out  that  various  phonetic  and  philological  deductions  of  a  more  general 
character  are  suggested  by  the  results  of  his  observations. 

4.  The  venerable  Professor  Edward  H.  Magill  presented  the 
report      of      the      Committee      on      International      Cor- 
respondence.    The  committee  reported  that  in  France,  Germany  and 
the  United  States,     1098  persons  had  been  placed  in  correspondence  in  the 
past  year,  at  a  charge  of  25  Cents;  and  that  copies  of  the  Easter  Annual, 
"Comrades  All"  had  been  given  to  new  subscribers.  They  also  reported  that 
it  was  not  proposed  to  continue  that  Annual  the  coming  year,  and  that  the 
price  to  be  paid  should  be  reduced  from  25  cents  to  10  cents  each.     They 
also  presented  two  plans  of  work  which  they  had  \inder  consideration;  one 
to  interest  leading  Educational  Journals  to  take  charge  of  it,  instead  of 
a   central   committee;    and   the   other  was  to   continue   the   work   of   the 
committee,  and   let  this  committee  secure  names  of  Educational  Institu- 
tions that  are  willing  to  enter  upon  the  work,  and  send  the  names  of  all 
interested  applicants  to  the  proper  officers    in  such  institutions,    and  let 
these  officers  make  the  arrangements,  and  pair  the  students  whose  names 
are  thus  sent.     The  committee  also  suggested  that  the  German  bureau  be 
requested  to  make  no  charge  to  our  students,  but  be  satisfied,  as  we  had 
been,  with  the  fees  of  the  students  of  one's  own  nation.     The  committee 
desired  further  time  to  consider  the  two  forms  of  proceeding  proposed. 
The  committee  was  continued,  their  work  much  approved,  and  they  were 
directed  to  report  the   conclusion  of  their  further  investigations  to  the 
next  annual  meeting  of  the  association. 

5.  M  r.  P.  W.  M  e  i  s  n  e  s  t  of  Wisconsin  presented  an  excellent  paper 
on  "Leasing  and  Shakespear  e".    Mr,  Meisnest  will,  it  is  hoped, 
follow  the  suggestion  of  Professor  Thomas  and  publish  his  investigations 
in  full.     The   conclusions  reached  were:    1.  What  little   Lessing  knew  of 
Shakespeare   up   to   1758  he   obtained  from  Voltaire,     La   Place's   French 
translation  and  the  few  articles  in  German  periodicals.    Nicolai  and  Men- 
delsohn,  together  with  Dryden's  'Essay  on  Dramatic   Poesy'  led   him  to 


148  Pi'Utigogische  Monatsbefte. 

study  and  read  Shakespeare  in  the  original  in  1758.  2.  Lessing's  utterances 
referring  to  Shakespeare  are  comparatively  few  in  number,  and  always 
mi.  ^6  incidentally.  Only  five  of  his  dramas  are  referred  to  (Hamlet,  Othello, 
Lear,  Borneo  and  Juliet,  and  Richard  III.).  3.  The  only  probable 
Shakespearean  influence  discernible  in  Lessing's  dramas  is  the  approach 
to  the  character-drama  in  Emilia  Galotti.  4.  In  introducing  Shakespeare 
into  Germany  Lessing  was  more  a  follower  than  a  leader.  Nicolai,  Men- 
delsohn, Gerstenberg,  Herder,  and  Wieland  —  each  deserve  more  credit 
than  Lessing.  5.  What  Lessing  did  for  Shakespeare  was  due  largely  to  his 
eminence  as  a  critic  and  to  the  vigor  of  his  attacks  on  Voltaire,  Corneille 
and  Racine,  which  removed  many  difficulties  in  the  way  for  a  favorable 
reception  of  the  great  dramatist. 

6.  Professor  Gruener's  paper  was  of  especial  interest  to  those 
who  have  followed  the  interrelation  of  German  and  American  literatures. 
The  paper  briefly  called  attention  to  the  conflicting  views  held  by  critics 
in  regard  to  the  influence  of  Hoffmann  uponPoe.     After 
a  brief  synopsis  of  the  conflicting  views  concerning  the  influence  of  Hoff- 
mann upon  Poe,  mention  was  made   of   the   various  French  and  English 
translations  of  Hoffmann  before  Poe's  early  works.    The  conclusions  were: 
1.  Poe  knew  Hoffmann,  as  shown  by  his  references  to  "phantasy-pieces", 
the  name  coined  by  the  latter  for  his  earliest  tales.    2.  Poe  borrowed  from 
the  "Serapions-Briider"  the  chief  idea  and  the  setting  of  his  "Tales  of  the 
Folio  Club".    3.  Poe,  as  seems  quite  probable,  obtained  from  "Walter  Scott's 
article  on  Hoffmann  (Foreign  Quarterly  Review,  July,  1827)  the  suggestions 
for  the  name  "Tales  of  the  Grotesque  and  Arabesque",  and  also,  from  the 
outlines  of  Hoffmann's  "Das  Majorat"  as  given  in  that  article,  suggestions 
for  the  "House  of  Usher"  and  "Metzengesstein".    4.  A  certain  peculiarity  of 
style  noticeable  in  Poe's  early  tales  and  prose  seems  quite  evidently  to  have 
been  taken  from  Hoffmann.    It  is  the  peculiarity,  chiefly  in  conversational 
dialogue,  of  beginning  a  sentence  with  one  or  more  words,  then  putting  in 
the  word  of  phrase  of  saying,  or  some  other  parenthetical  word,  and  re- 
peating the  opening  words  before  proceeding  with  the  rest  of  the  sentence. 
These  observations    seem  to  furnish    tangible   evidence     of    a   direct  and 
striking  influence  of  the  German  upon  the  American  author. 

7.  The  summary  of  Professor  Scott's  valuable  contribution  on 
"TheMostFundamentalDifferentiaofProseand 
Poetry  is  as  follows: 

The  difference  between  prose  and  poetry  has  its  root  in  the  difference 
between  two  distinct  and  ever-recurring  social  situations:  first,  the  sit- 
uation in  which  a  member  of  society  is  moved  to  utterance  bjr  a  desire  to 
communicate  with  his  fellow-men,  the  desire  for  self-expression  being 
present  but  subordinate;  second,  the  situation  in  which  one  man,  or  a 
number  of  men  acting  in  concert,  are  moved  by  a  desire  to  give  vent  to 
their  feelings  and  ideas,  the  desire  for  communication  being  present  but 
subordinate.  The  character  of  the  situation  colors  in  each  case  the  quality 
of  the  utterance  —  gives  it  a  peculiar  tone  or  tang  or  atmosphere,  what- 
ever form  the  utterance  may  take.  But  in  the  history  of  human  utterance 
the  form  also  has  been  shaped  by  the  situation  out  of  which  the  expres- 
sion flowed.  The  situation  which  is  toned  communicatively,  gives  rise  to 
the  form  of  utterance  in  which,  to  use  the  language  of  Professor  Budde, 
*'the  current  of  speech  flows  consistenly  as  far  as  the  thought  carries  it", 


Report  of  Meeting  of  M.  L  A.  149 

or  until  there  is  some  response  of  comprehension  on  the  part  of  the 
listener.  The  situation  which  is  toned  expressively  gives  rise  to  a  form  of 
utterance  in  which  "the  store  of  thought  is  divided  into  relatively  brief 
units",  the  recurrence  of  whose  elements  is  determined  by  the  ebb  and 
flow  of  individual  feeling  or  by  the  consent  of  the  throng.  In  a 
formula,  poetry  is  communication  in  language  for  expression's  sake;  prose 
is  expression  in  language  for  communication's  sake. 

8.  Professor  Carruth's  paper,  based  on  extensive  and  accurate 
investigation  was  a  most  interesting  one  and  \vill  help  to  diffuse  the  pe- 
culiar and  erroneous  views  on  Schiller's  religion.  The  summary 
of  the  paper  is: 

The  most  valid  evidence  on  Schiller's  religious  convictions  is  offered  by 
his  letters,  his  essays  and  hisories,  and  his  lyric  and  gnomic  verse.  The 
sentiments  found  in  the  dramas  are  to  be  accepted  only  with  reservations 
and  rather  as  confirmation  of  views  expressed  elsewhere,  never  when  in 
contradiction  to  such  expressions. 

From  about  his  seventeenth  year  Schiller  learned  to  distinguish  be- 
tween religion  as  a  personal  experience  and  the  outward  institutions  of 
religion.  He  had  always  religious  convictions  of  his  own,  but  he  rejected 
practically  the  whole  theological  system  of  the  Church  as  he  understood 
it,  and  very  explicitly:  All  impeachments  of  the  law-fullness  of  the  Uni- 
verse, including  special  revelations,  the  inspiration  and  peculiar  authority 
of  the  Bible,  the  exceptional  divinity  of  Jesus,  his  miraculous  origin  and 
deeds,  and  special  providences.  He  distrusted  religious  organization  of  all 
kinds,  fearing  their  tendency  to  fetter  the  human  spirit.  Hence  he  avoided 
and  to  some  extend  antagonized  the  hierarchy,  the  clergy,  public  worship, 
and  all  rites  and  ceremonies.  Toward  the  end  of  life  this  attitude  was 
less  belligerent,  but  none  the  less  distinct. 

Schiller  believed  steadfastly,  and  with  no  more  hestitation  and  inter- 
mission than  many  a  patriarch  and  saint,  in  one  Good,  Allwise,  Allknowing, 
Loving  Power,  immanent  in  the  Universe  and  especially  in  man. 

He  believed  in  Virtue  supremely,  and  in  the  Inner  Voice,  its  monitor, 
holding  virtue  to  be  the  harmonious  adaptation  of  the  individual's  will  to 
the  will  of  God  as  revealed  in  the  laws  and  history  of  the  Universe  and  in 
the  heart  of  man. 

He  believed  with  a  strong  faith  in  immortality,  wavering  sometimes  as 
to  the  persistance  of  the  individual  consciousness,  and  rejecting  all 
attempts  to  locate  and  condition  the  future  state. 

He  believed  in  the  brotherhood  of  man,  and  trusted  man  as  the  image 
of  God  on  earth. 

He  recognized  the  greatness  of  Jesus  of  Nazareth  and  revered  his 
ethics  and  life. 

He  recognized  the  immense  service  to  mankind  of  the  Christian  religion. 

He  was  intensely  reverent  toward  all  that  was  good  and  beautiful,  and 
worshipped  sincerely  in  his  own  way  which  was,  indeed,  not  the  way  of  the 
Church. 

From  the  standpoint  of  the  enlightened  thought  of  the  twentieth 
century  Schiller  was  without  question  a  deeply  religious  man,  and  all  of 
his  writings,  no  less  than  his  life,  bear  testimony  to  the  fact. 


150  Pddagogischc  Monatshefte. 

9.*)  Owing  to  the  departure  of  Professor  von  K  1  e  n  z  e  to 
Germany  his  valuable  paper  "G  o  e  t  h  e's  S  uc  c  e  s  s  o  r  s  in  Italy 
inthe  Nineteenth  Century"  was  read.  The  paper  dealt  especially 
with  the  changes  wrought  by  Romanticism  in  the  attitude  toward  Italy; 
the  revival  of  religious  sentiment;  admiration  for  the  Middle  Ages;  the 
charm  of  historical  associations;  love  of  the  picturesque  replacing  love  of 
the  "plastic";  fondness  for  detail;  interest  in,  art  as  a  manifestation  of 
social  conditions  and  race  characteristics. 

10.*)  Profcssr  Voss  presented  a  valuable  contribution  entitled 
"Erasmus  Roterodamus  in  his  Relations  to  Mar  tin 
Luther  and  Philip  Melanchtho  n."  The  results  of  this  investi- 
gation when  published  will  be  of  great  interest  to  the  students  of  that 
important  and  too  much  neglected  period.  Apamphlet  called  Yrteyl  Doctor 
Martin  Luther  and  Philippi  Melanchthoni  von  Erasmo  Roterdam  1323  (Br. 
Mus.  3915.  bb.  13),  which  the  writer  intends  to  publish,  throws  light  upon 
the  chief  differences  in  opinion  and  character  between  Erasmus  and  both 
Luther  and  Melanchthon  once  his  most  ardent  admirers.  The  correspon- 
dence between  Erasmus  and  Luther  and  Melanchthon  has  been  collected 
from  the  year  1019  up  to  1326,  when  Erasmus  wrote  his  last  letter  to  Mar- 
tin Luther. 

The  following  papers  were  presented  by  title: 

1.  "Some    Hitherto    Unpublished    Criticisms    by    W  i  1- 
h  e  1m   Heinse    (1749 — 1803)    on  Lessing,   Herder,    Schilling,   and    Goethe, 
especiallu  on  the  Faustf  ragment"     by  Dr.  Karl  D.  Jesse  n.   The  im- 
portance of  the  critical  views  was  emphasized  by  Erich  Schmidt  as  early 
as  1878  in  the  "Archiv  fur  Literaturwissenschaft".  They  betray,  in  a  striking 
manner,  the  critical  acumen  of  the  famous  author  of  "Ardighello",  the  lirst 
art  novel  in  German  Literature.     Since   a  genuine  revival   of  interest  in 
Heinse  has  set  in  within  the  last  few  years,  these  criticisms  may  claim 
especial  timeliness.    Remarkable  is  his  estimate  of  Lessing,  and  with  a  keen 
insight  he  discerns  in  the  first  part  of  Faust     the     different     strata  of 
Goethe's  work. 

2.  "F  r  i  e  d  r  i  c  h    S  p  i  e  1  h  a  g  e  n,    the    Best    Representative    of    the 
German  Contemporary  Novel  of  the  Nineteenth  Century"  by  Professor 
Albert  B.  Faust.     Spielhagen  combines  characteristics   of  a  number 
of  German  novelists.     Such  are:  1)  thoroughness  and  high  seriousness;  2) 
theorized  art;    3)    purpose,  or  Tendenz;    4)    treatment  of  the  problematic 
character;  5)  philosophy,  or  Weltanschauung.     Being  most  representative, 
his  works  constitute  a  convenient  centre  for  the   study    of    the   modern 
German  novel. 

3.  "A  Comparison  of  the      1522  and   1545   E  d  i  tio  n  s    of  the 
New  Testament:  S  u  b  s  t a  n  t  i  v  e  s"  by  D  r.  W  a  r  r  e  n  W.  F  1  o  r  e  r. 
This  paper  is  the  first  of  a  series  based  on  an  investigation  of  the  linguistic 
development  of  Luther,  as    seen    in  his  translations    of    the  Bible.     The 
principal  paragraphs  will  treat  of  the  apocope  and  syncope  of  e  in  the  a 
and  ja  classes,  the  o  aid  n  classes  of  feminines,  the  e  and  er  plural  endings 
of  neuters.  W.  VV.  F. 


regret  that  I  can  only  give  the  outlines  of  the  program. 


II.     Korrespondenzen. 


(Fflr  die  Padagogischen  Honatshefte.) 


Baltima.-e. 

Bis  vor  vier  Janren  bestand  u  n  - 
sere  Schulbehorde  aus  zwei- 
undzwanzig  vom  Stadtrat  ernannten 
Mitgliedern,  einem  aus  jeder  Ward. 
Danu  fand  die  damals  an  dicser 
Stelle  mitgeteilte  Anderung  statt, 
wonach  jene  Behorde  aus  neun  vom 
Biirgermeister  ernannten  Mitglie- 
dern  zusammengesetzt  ist.  Dadurch 
wurden  tiichtigere  Miinner  gesichert 
und  unserc  Schulen  dem  leidigen 
Parteihader  der  Politik  entzogen. 
Nun  ist  zur  Zeit  wieder  eine  Be- 
wegung  im  Gange,  die  sich  zum  Ziel 
gesetzt  hat,  die  stadtischen  Schul- 
RommiKsare  durch  die  Biirger  wah- 
len  zu  lassen.  Das  wiirde  wieder  Po- 
litiker  und  politische  Streber  in  un- 
sern  Schulrat  bringen.  Gliicklicher- 
weise  ist  die  offentliehe  Meinung,  wie 
selbe  in  der  gesamten  Lokalpres.se 
zum  Ausdrnck  kommt,  gegen  eine 
solche  Anderung,  und  es  ist  daher 
nicht  anzunehmen,  dass  diese  Be- 
wegung  einen  Erfolg  haben  wird. 

Die  in  den  vier  Jahren  e  i  n  g  e- 
fiihrten  11  e  f  o  r  m,,e  n  beziehen 
sich  so  weit  vornehmlich  auf  die 
iiusserlichen  Einrichtungen,  die  der 
technischen  Leitimg  zu  gate  kom- 
men.  Dabei  ist  mit  der  Ernennung 
von  Gruppen-Prinzipalen  eine  Reihe 
der  tiichtigsten  Lehrer  zur  Routine- 
Arbeit  verwandt  Avorden,  die  als 
praktische,  erfahrene  Lehrer  in  den 
Klassen  sehr  vermisst  werden.  In 
den  Unterriehtsmethoden  hat  sich 
tine  entschiedene  Wendung  zuni  bes- 
seren  vollzogen,  und  wenn  dies  bis 
jetzt  noch  nicht  in  weiterem  Um- 
1'ang  und  gro.sserem  Masse  bewerk- 
stelligt  wordcn  ist,  so  ist  es  eine 
offene  Frage,  ob  das  Lehrpersonal 
nicht  teilweise  selbst  die  Schuld  dar- 
an  tritgt.  Es  sei  hier  nur  darauf 
hingewiesen,  dass  von  den  1800  Leh- 
rern  und  Lehrerinnen  nur  etwa  250 
die  jetzt  nur  noch  vierteljiihrlich 
Ktattfiiidenden  Vereinsversaramlun- 
geu  besuchen,  und  dass  die  vom  Ver- 
ein  herausgegebene  Schulzeitung 
.,The  New  Pedagogue",  trotzdem 
das  Jahresabouneinent  auf  fiinfund- 
zwanzig  Cents  herabgestezt  worden 
war,  aus  Mangel  an  Unterstiitzung 
eingehcn  inusste.  O  Lehrerbcwusst- 
sein! 


So  betriibend  dem  Schreiber  die 
Erwahnung  dieser  Tatsachen  ist,  so 
tut  cs  ihin  im  Herzen  weh,  hinzu- 
fiig-en  zu  miissen,  dass  das  deutsche 
Lehrpersonal  keine  Ausnahme 
macht.  I>er  Verein  der  deut- 
schen  Lehrer  und  Lehrerinnen-  an 
unsern  offentlichen  Schulen  ist  ein- 
gegangen,  und  wie  viele,  Oder  viel- 
mehr  wie  wenige  zur  Zcit  das  Be- 
diirfnis  und  die  Verpflichtung  fiih- 
len,'  die  ,,Pa<Jagogisehen  Monat«- 
hefte"  7.u  halten,  dariibcr  kann  die 
Abonnentenliste  ein  trauriges  Zeug- 
nis  abstatten.  Es  ist  in  vielen  ande- 
ren  Stadten  ja  leider  auch  nicht 
besser. 

Wenn  heutzutage  jeder  anstiindige 
Handworker,  jeder  tiichtige  Schnei- 
der und  Schuhmacher,  eine  Fach- 
zeitung  halt,  um  sich  anf  der 
Hiihe  seines  Bcrufs  zu  halten,  so  ist 
es  geradezn  unverstiindlich,  wie 
solche,  die  dem  hochsten,  dem  Leh- 
rerberuf,  folgen  wollen,  eine  solche 
vernachliissigen  und  geringschiitzen, 
'zumal  wenn  sie  so  reichhaltig  nnd 
anregend  ist,  wie  die  Padagpgischen 
Monatshefte,  dazu  noch  die  einzige 
deutschamerikanische  Behulzeitvin^r. 
Um  so  mehr  elirende  Anerkennung 
gebiihrt  denen.  d>e  eine  lobliche  Aus- 
nahme bilden. 

Es  fiingt  hier  un,  an  deutsehen 
Lehrerinnen  zu  mangel  n. 
Von  andern  Stadten  her  sind  keine 
mehr  zxi  bekommen,  denn  uach  den 
jetzigen  Itegulationen  ist  das  Ein- 
kommen  einer  Lehrerin  in  der  ersten 
Zeit  lange  zu  goring  zuin  Jjebensun- 
terhalt,  und  hiesige  Kandidatiniten 
scheinen  sich  damit  zu  begniigen,  die 
englische  Priifung  bcstanden  zu  ha- 
bcn,  und  vcrsuchen  nicht  auch  noeh 
ben.  Nach  denselben  Regulationcu 
ist  das  Gehalt  der  erfahrenen  Kla*- 
senlehrerinneii  anf  sechshundert 
Dollars  erhoht  wordet.  Das  ist  er- 
freulich.  S. 

Cincinnati. 

Tod  und  Krankhoiten, 
sonst  aljer  nichts,  am  Ohio!  Die  Zei- 
ten  sind  so  ,,gut",  sagen  die  Herren 
Politiker,  so  ruing,  sagen  wir,  dass 
einfach  nichts  sich  zu  passieren  ge- 
traut  in  unserem  Haushalte. 

Kollege  August  Roth,  ei- 
ner unserer  Veteranen,  seit  etwa 


152 


PaJjgogische  Monatshcfte. 


zwei  Jahren  beinahe  erblindet  und 
in  wohlverdienter  Ruhe  sich  selbst 
erworbenen  Wohlstandes  und  einer 
iniKroskopischen  Pension  iiebenher 
c-rfreuend,  starb  vor  kurzer  Zeit  in- 
folge  einer  Operation.  Das  Hin- 
scheiden  dieses  gemiitvollen,  als  Pii- 
dagoge  und  Kamerad,  wie  als  Bur- 
ger und  uberall  gerne  gesehener  Ge- 
sellschafter,  allgemein  geachteten 
Mannes  wird  von  alien,  die  ihn  kaiin- 
ten,  aufrichtig  bedauert. 

Krank  waren  und  sind  heute  nocli 
nicht  wenige  Kollegen.  Die  Grippe 
halt  formlich  Umzug,  und  keiner 
weiss^  wie  bald  sie  bei  ihm  anldopfen 
mag. 

Dass  die  Kolleginnen  aus- 
serdein  auch,  nun  der  Schluss  her- 
annaht,  Extra-Nerven  haben  und  von 
diesen  geworfen  werden,  ist  ebenso 
wie  die  Tatsache,  dass  bereits  voll- 
zogene,  wie  auch  bevorstehende  Ver- 
lobungen  an  der  Tagesordnung  sind, 
in  diesem  Jahre  mehr  als  seit  laii- 
ger  Zeit,  eigentlich  nichts  Neues.  Es 
ist  ja  recht  traurig,  weibliche  Jung- 
gesellen  der  Fahne  untreu  werden  zu 
sehen;  aber  es  gibt  iininer  Leutchen, 
denen  ,,Kosen  lachen",  wo  ,,andere 
diirren  Sand  sehen" — das  sind  im  vor- 
liegenden  A'alle  unsere  Kadettinnen, 
ein  ganz  priichtiges,  aber  stelleu- 
durstiges  lunges  Volkchen,  dem  man 
xibrigens  nur  ,,Waidmanns  Heil!"  zu- 
rufen  kana. 

Laut  Mitteilung  unseres  deutschen 
Ilerra  Superintendenten,  Dr.  Fick, 
steht  uns  im  konimenden  Erntemond, 
bei  Gelegenheit  des  stiidtischen 
,,Teachers  Institute",  der  Besuch  des 
11  e  r  r  11  Professors  Rein  aus 
Jena  bevor,  der  drei  Vortriige  vor 
der  deutschen  Lehrerschaft  halten 
wird. 

Wie  es  mit  unserer  in  der  Luft 
luiiigenden  Staats  -  Schulver- 
f  a  s  s  u  n  g  werden  wird,  ist  beim 
besten  Willen  nicht  abzusehen.  Vor- 
lagen  sind  allerdings  mehr  als  genug 
bei  der  I/egislatur  eingekouimen. 
KoaapromissvorschUige  eind  jetzt,  da 
das  hohe  Haus  sich  balcl  vertagen 
wird,  an  der  Tagesordnung,  und  dar- 
u liter  einer,  den  ich  der  Kuriositat 
halber  hier  anfiihren  will:  ,,Jede 
jetzt  bestehende  oberste  Schulbe- 
iiorde  soil  die  Befugnis  erlangen, 
selbst  zu  bestimmen,  wie  die  zu  er- 
richteude  neue  Behorde  zusammen- 
gesetzt  werden  muss."  Das  ist  fiir 
die  einzelnen  Lokalitaten  vielleicht 


ganz  vorteilhaft,  wird  aber  jeden- 
falls  an  ,,allgemeiner  Einheit"  zu 
wiinschen  iibrig  lassen.  Uns  C'in- 
cinnatiern  ist  es  ganz  genehm,  denn 
wir  haben,  so  viel  ich  weiss,  alle  zu 
punsten  der  Beibehaltung  des  jetzi- 
geu  Systems  petitioniert.  Ebenso 
haben  es  die  Clevelander,  die  Tole- 
doer  und,  tutti  quanti  mit  den  ihri- 
gen  gehaltcn,  also:  You  see! 

Geht  der  Kompromiss  durch,  dann 
bleibt  der  deutsche  Unterricht  in 
Cincinnati  unangefochten,  weil  wir 
dann  die  Wardsvertretung  beibehal- 
ten.  Da,  wo  er  durch  die  kleinen  Be- 
horden  bereits  angetastet  worden 
ist,  wird  so  wie  so  an  der  vollendeteii 
Tatsache  nichts  zu  anclern  sein. 

Sonst,  Gott  sei  Dank,  nichts  Neues, 
und  daher  Gott  befohlen!  *  *  * 

c 

Milwauke0. 

Eine  Superintendenten- 
W  a  h  1  —  b  r  i  n  g  t  d  o  c  h  in  a  n  c  fa- 
in a  1  grosse  Qual.  \Vie  in  der 
vorletzten  Korrespondenz  mitgeteilt 
wurde,  lag  dem  Schulrat  die  wichtige 
Pflicht  ob,  einen  neuen  Leiter  unsers 
stiidtischen  Schulwesens  am  1.  Marz 
zu  erwahlen.  Diese  Wahl  gestaltete 
sich  nun  dieses  Mai  zu  einer  wirk- 
lichen  Qual.  Nach  einigen  Yorposten- 
Gefechten  und  Plankeleien  beim  Ab- 
stimmen,  w^odurch  die  verschiedenen 
Parteien,  respektive  deren  Kandida- 
ten,  ihre  Starke  erprobten  und  fest- 
stellten,  gelangte  man  alsbald  zu 
einem  sogenannten  ,,dead  lock",  und 
da  hiess  es  denn  in  Wirklichkeit : 
..Und  keiner  wankte,  keiner  wich." 
Da  11  ur  auf  4  Kandidaten  Stimmeii 
fielen,  so  hatten  sich  vier  Gruppeii 
gebildet,  Avelche  nun  treu  und  fest 
r\\  ihrem  Kandidaten  hielteu,  als  ob 
es  sich  um  Tod  ocler  Leben  gehanclelt 
hatte.  Die  Abstimmungen,  die  am 
ersten  Abend  von  8  Uhr  bis  2  Uhr 
r.achts  fortgesetzt  wurden,  blieben 
wie  folgt  stehen:  Blodgett  von 
Syraciise  10,  Diedrichsen  von  hier  7, 
•Supt.  Siefert  von  hier  3,  und  JIc- 
Lenegan  von  hier  3,  und  dieses  Re- 
siiltat  blieb  bis  zur  150.  Abstiramnng. 
Am  folgenden  Abend  blieb  dasselbe 
Resultat  bis  zum  200.  Ballott.  Xun 
vertagte  man  sich  auf  eine  Woche. 
Es  liisst  sich  denken,  wie  in  der  Zeit 
gearbeitet  wurde,  um  eine  Wahl  her- 
beizufiihren.  Am  moisten  arbeite- 
ten  die  zehn  Mitglieder,  welche  fiir 
den  Auswiirtigen,  Bloociget,  ge- 
stimmt  hatten,  um  die  noch  fehlen- 
deu  zwei  Stimmeii  heriiberzuziehen, 


Korresponden^en. 


153 


aber  alles  Avar  vergeblich.  Es  hatte 
sich  die  Sache  schliesslich  auf  die 
Frage,  ob  ein  Einheimischer  oder 
Fremder  gewahlt  werden  sollte,  zu- 
gespitzt.  Doch  da  man  einsah,  dass 
man  keinen  der  genannten  vier  Kaii- 
didaten  durchbringen  konnte,  so 
einigte  man  sich  schliesslich  auf 
einen  neuen  Kandidaten,  Supt.  C.  G. 
Pearse  von  Omaha,  welcher  denn 
auch  mit  20  Stimmen,  gegen  drei, 
endlich  gewahlt  wurde.  Die  Gegen- 
stimmen  fielen  auf  Siefert,  dessen 
Wahler  stets  treu  und  fest  zu  ihm 
gehalten  batten,  und  merkwiirdig — 
keiner  von  ihnen  ist  ein  Deutscher. 
Herr  Siefert  hatte  die  Sympathie 
fast  samtlicher  Lehrer  und  ebenso 
der  Mehrzahl  der  Burger,  und  die 
Wahl  erregte  unter  der  Burgersehaft 
zuerst  grosse  Verstimmung,  wenig- 
stens  hatte  man  lieber  einen  Mil-, 
waukeer  als  einen  Auswartigen  ge- 
habt.  Doch  der  Schulrat  kiimmerte 
sich  nicht  um  die  Wiinsche  der  Be- 
volkerung.  Er  wollte  nun  einmal 
einen  ,,outsider"  haben.  Anscheinend 
hat  man  ja  auch  eine  gute  Wahl  ge- 
troffen.  Supt.  Pearse  soil  ein  tiichti- 
ger  Schulmann  sein,  den  man  ungern 
in.  Omaha-  ziehen  Hess.  Der  Schulrat 
hat  bei  der  Wahl  sogleich  sein  Gehalt 
von  $4000  auf  $6000  erhoht.  Eecht  so! 
In  Schulsachen  soil  man  nicht  knau- 
sern.  Milwaukee  kann  sich  dasselbe 
leisten,  was  andere  Grossstadte 
ihren  Superintendenten  zahlen.  Wir 
wollen  hoffen,  dass  sich  Herr  Pearse 
als  ein  tuchtiger  Schulmann  erwei- 
sen  wird,  der  im  Eeformieren  nicht 
gar  zu  eifrig  und  zu  eilig  vorange- 
hen  wird,  sondern  Eile  mit  Weile 
recht  schon  und  harmonisch  zu  ver- 
binden  weiss. 

Ein  Empfang  dem  aus- 
scheidenden  Supt.  Siefert 
als  Ehrung  gegeben.  Der 
Prinzipals-Verein  und  der  Lehrer- 
Verein  haben  gemeinschaftlich  am 
30.  Murz  im  grossen  Schulratssaal 
Herrn  Siefert  einen  Empfang  gege- 
ben, der  recht  schon  verlief.  Der  Saal 
war  fast  vollstiindig  von  Lehrern  und 
Prinzipalen  gefiillt.  Prinzipal  Cook 
als  Vorsitzer  eroffnete  die  Feier  und 
stellte  nach  einigen  passenden  Wor- 
ten  als  ersten  Redner  Prinzipal  Don- 
nelly vor.  Derselbe  hob  in  eiuer  ge- 
fiihlvollen  und  zu  Herzen  gehenden 
Eede  die  Verdienste  Sieferts  als  Leh- 
rer,  Prinzipal  und  Superintendent  um 
die  Schulen  Milwaukees  hervor.  Er 


betonte  besonders  das  freundliche 
und  Vertrauen  erweckende  Verhal- 
ten  Sieferts  gegeniiber  seinen  Unter- 
gebenen,  und  wie  er  sich  dadurch  die 
Achtung,  die  Liebe  und  das  Ver- 
.trauen  der  Lehrerschaft  Milwaukees 
erworben  habe.  Dann  verlas  er  die 
von  beiden  Vereinen  verfassten  Be- 
solutionen,  worin  der  vielen  .Ver- 
dienste des  Scheidenden  um  das 
Schulwesen  Milwaukees  in  warmen 
Worten  gedacht  wurde.  Nachdem 
dann  noch  Friiulein  M.  Minnehan  als 
Vertreterin  des  Lehrervereins,  und 
Herr  M.  Meyer  als  Mitglied  der 
Schulkommissare  geredet  batten, 
wurden  Herrn  Siefert  vom  Vorsitzer 
einige  Geschenke  als  Andenken  iiber- 
reicht,  namlich  eine  kostbare  gol- 
dene  Uhr  mit  Diamanten  besetzt  und 
die  Bildnisse  Sieferts  und  seiner  Ge- 
mahlin  enthaltend,  sodann  die  vor- 
hin  verlesene  Kesolution  eingraviert 
und  eingerahmt.  Supt.  Siefert  war 
von  seinen  Gefiihlen  so  iiberwaltigt, 
dass  er  kaum  sprechen  konnte.  Er 
dankte  dann  alien  Lehrern  herzlich 
fur  alle  Beweise  der  Achtung,  Liebe 
und  Zuneigung,  und  er  versicherte 
den  Anwesenden,  dies  sei  der 
schonste  und  zugleich  stolzeste 
Tag  seines  Lebens.  Er  habe  stets 
versucht,  in  seinem  Amte  seine  voile 
und  ganze  Schuldigkeit  zu  tun.  Er 
habe  den  Lehrerberuf  zu  seiner  Le- 
bensaufgabe  gemaoht.  Er  habe  auch 
stets  versucht,  seinen  Untergebenen 
so  viel  wie  moglich  Freiheit  zu  las- 
sen,  und  ihnen  nur  ratend  und  hel- 
fend  zur  Seite  zu  stehen.  Nun  sehe  er 
aber,  dass  man  ihn  nicht  bios  achte 
und  ehre,  sondern  dass  man  ihn  lieb 
habe,  und-  das  erfiille  ihn  mit  Stolz 
und  Freude,  und  er  versichere  alien, 
dass  sie  seiner  Gegenliebe  gewiss 
sein  konnten.  Zum  Abschiede  driick- 
ten  ihm  noch  die  meisten  die  Hand. 
Man  kann  wohl  mit  Eecht  be- 
haupten,  dass  selten  einem  Schul- 
leiter  von  seinen  Lehrern  solcheLiebe 
und  Verehrung  entgegengebracht 
wurde,  wie  Herrn  Siefert.  Hat- 
ten  die  Lehrer  die  Wahl  zu  vollzie- 
hen  gehabt,  so  ware  er  wohl  perma- 
nent im  Amte  geblieben.  Doch  wie 
es  denn  so  geht  im  Leben — Le  roi  est 
mort — Vive  le  roi!  In  der  niichsten 
Woche  wurde  dem  neuen  Supt.Pearse 
bei  seinem  hiesigeii  Amtsantritt  von 
den  Lehrern  ein  Willkommen  -  Em- 
pfang gegeben,  und  jetzt  wendet 
sich  alles  dem  neu  aufgehenden  Ge- 
btirn  zu. 


154 


PSdagogische  Monatshcfte. 


Moge  der  iieue  Leiter  versuchen,  und  den  Lehrern  anzubahnen  und  zu 
ein  ebenso  gutes  und  freundschaft-  erhalten,  wie  es  unter  Herrn  S.  der 
liches  Einvernehmen  zwischen  sich  Fall  war.  A.  W. 


II.     Umschau. 


—  Auf  der  Weltausstellung  in   St. 
Louis     veranstaltet    die     bereits     im 
Jahre   1789  gegriindete   Verlagsbuch- 
handlung     von     Gerhard     Stal- 
ling  in   Oldenburg  i.   Gr.   cine 
Ausstellung         deutschna- 
fcionaler          Ku  n  s  tbliitter. 
Diese   Kunstblatter,   in  einer  Grosse 
von  drei    Fuss  Hohe  und  zwei  Fuss 
Breite,  sind  nack  Gemiilden  beriihm- 
ter   deutscher  Meister   in   dem  jetzt 
vornehmsten        Yervielfiiltigungsver- 
fahren  der  Photogravure  hergestellt. 
Die   Firma   beabsichtigt,   die   Blatter 
den  weitesten  Kreisen  der  amerika- 
nischen    Deutschen      zugiinglich    zu 
machen;    deshalb   hat   sie    den  Preis 
auf  einen  bis  zwei  Dollars  herabge- 
setzt,   wahrend   sie    sonst   das   Fiinf- 
und  Sechsfache   fordert.    Den  P.   M. 
hat    Herr    H.    Stalling    sechs    dieser 
Kunstblatter     freundlichst     zur    An- 
sicht  zugeschickt.     Der  hohe  kihist- 
lerische    Wert    der    Bilder   ist    unbe- 
stritten,  und  der  erstaunlich  billige 
Preis  Hisst  sich  nur  durch  die  Worte 
des  Herrn  H.  S.  erklaren,  dass  seine 
Firma  in  dieser  Sache  mehr  ideelle 
als  materielle  Ziele  ins  Auge  gefasst 
liat.     Die    Kunstblatter    sollen    ,,zur 
Starkung      des      Deutschtums      und 
der     nationalen  Gesinnung"     beitra- 
gen. 

—  N  a  c  h     z  w  e  i  h  u  n  d  e  r  t     A  b- 
s  t  i  m  m  11  n  g  e  n  wiihlte    der   Schul- 
rat  von  M  i  1  w  a  u  k  e  e  Herrn  C  a  r- 
roll  G.  Pearse  von  Omaha   zum 
Buperintendenten      der      offentlichen 
Schulen.    DasGehalt  wurde  von  $4000 
auf  $6000  erhoht.    Die  Ereignisse  vor 
der  Wahl,  zu  denen  der  auf  die  Eiu- 
ladung    des    Schulrats    erfolgte    Be- 
such  der  beiden  auswartigen  Kandi- 
daten  Pearse  von  Omaha  und  Blod- 
gett  von  Syracuse   gehort,  vor  alien 
Dingen  aber  die  Wahl   selbst,  haben 
die  Gemiiter  lange  Zeit  in  Spannuug 
gehalten.     Alle   Versuche,    die    Mehr- 
heit  der  Stimmen  auf  einen  Mihvau- 
keer  Schulmann  zu  vereinigen,  schei- 
terten   an   der    sonderbaren  Yorstel- 
lung    von     elf  Schuldirektoren,     das 
Heil  der  Schulen  Mihvaukees  miisse 


von  auswiirts  kommen.  Mit  einem 
Blic\  in  die  Zukunft  haben  die  Mil- 
waukeer  deutschen  Zeitungen  die 
eindringlichsten  Ermahnungen,  den 
f<eitherigen  verdienstvollen  Inhaber 
des  Aintes,  Herrn  H.  O.  R.  Siefert, 
wiederzuerwiihlen,  ergehen  lassen. 
Audi  den  Beifall,  der  sich  unter  den 
vielen  anwesenden  Angehorigen  des 
Lehrstandes  jedesmal  erhob,  wenn 
sich  Herrn  Sieferts  Aussichten  bei 
der  Stimmenabgabe  zu  verbessern 
schienen,  haben  die  Herren  Schuldi- 
rektoren nicht  verstehen  kounen. 
Keiner  wankte,  keiner  wich.  Endlich 
durchbrach  der  schwarze  Eitter  in 
der  Person  des  genannten  Herrn 
Pearse  die  achttiigige  Wahlsperre. 
Herr  P.  hat  sein  Amt  bereits  ange- 
treten;  die  besten  Wiinsche,  er  moge 
das  auf  ihn  gefallene  Vertrauen 
rechtfertigen,  werden  ihm  von  alien 
Seiten  entgegengebracht. 

—  Dr.  William  H.  Maxwell 
ist  am  24.  Februar  vom  Schulrat  der 
Stadt   Gross-New   York   auf   weitere 
sechs    Jahre     mit    einem    jahrlichen 
Gehalte    von    $8000    zum    Sui)erinten- 
denten  der  offentlichen  Schulen   ge- 
wahlt  worden. 

—  Der  Yersuch  der  Trennung 
derGeschlechter    an  der  Uni- 
versitiit  von  Chicago  soil  erfolgreich 
gewesen  sein.  Sogar  diejenigen  Mit- 
glieder  des  Lehrkorpers,  die  anfangs 
Gegner  der  Trennung  der  Studenten 
nach   dem  G^schlecht  waren,  haben 
erkliirt,  dass   sie   nach  den  gemach- 
ten    Erfahrungen    herzlich     fur     die 
Sache    eintriiten. — Die    Northwestern 
University  hat  dieser  Tage  nun  auch 
den  Anfang  gemacht,  die  mannlichen 
von    den    weiblichen     Studenten     zu 
sondern.      Vorlaufig     erstreckt    sich 
die    Ti'enuung   indesseii    nur   darauf, 
dass    man   den    ,. girls"    ein   Plauder- 
zimmer    an    einem    Ende    uud    den 
,,boys"  eins  an  dem  entgegengesetz- 
ten   Ende   einer   langen   Halle   einge- 
richtet    hat.      Diese    Massregel    hat 
ihren  Grund  darin,  dass  sich  die  Pro- 
fessoren  iiber  das  Betragen  der  jun- 
gen  Lcute  wahrend  der  Pausen  zwi- 
schen   den    Vorlesungen    -vviederholt 
beklagt  hatten. 


Umscbau. 


155 


—  Der    Vereiii   mannlicher    Lehrer 
der  Stadt   New   York  hat  nach  mo- 
natelanger  Beratung  eine  Reihe  von 
Empfehlungen  zur  Hebung  der 
Disziplin     in     den    Schulen 
einstimmig     angenommen.       Er     er- 
sucht    den    Schulrat,     die    Regel     zu 
widerrufen,  nach  welcher  alle  Schii- 
ler    spjitestens   halb   vier   Uhr   nach- 
mittags   entlassen   werden     miissen; 
f  e  r  n  e  r,      dem      Principal      unum- 
schrankte      Gewalt  zu  geben,  einem 
Schiller  das  Recht  des  Schulbesuchs 
zeitweilig  zu  entziehen;  d  r  i  1 1  e  n  s, 
die  Macht  des  Prinzipals,  wegen  be- 
sonderer   Fiihigkeit  in    eine     hohere 
Klasse  oder  wegen  Unftihigkeit  und 
Faulheit    in   eine    niedere   Klasse    zu 
versetzcn,     ebenfalls     unumschrankt 
zu     machen;     viertens,     die     Be- 
ratung       iiber       die       Duchfiihrung 
ron      Massregeln,      Unverbesserliche 
und     Schulschwaiizer     gesondert     zu 
erziehen,  zu  beschleunigen;     f  ii  n  f- 
t  e  n  s,      schleunigst      Vorkehrungen 
dafiir      zu      treffen,      dass      geistig 
und   sittlich     Verkommene,     Nerven- 
schwache  und   Schlechternahrte   un- 
ter  die   Obhut  eines  besonders  dazu 
geschickten    Lehrers     gestellt     wer- 
den;     sechstens,     die     Schulbe- 
volkerung  besser  einzuteilen,  um  die 
iiberfiillten  Schulen  zu  entlasten  und 
die  leeren  Banke  in  anderen  Schulen 
zu    besetzen;     siebentens,     sol- 
chen     dem     Lehrer     unangenehmen 
Schiilern,  die  einseitig  befahigt  sind 
und  denen   deshalb  die   gewohnliche 
abstrakte  Gedankenarbeit  ein  Greuel 
ist,  Gelegenheit  zu  geben,  in  beson- 
deren    technischen    Schulen    sich    zu 
entwickeln;   a  c  h  t  e  n  s  empfiehlt  er 
Lehrern   und    Prinzipalen,   mehr   Ge- 
brauch   von   dcr   Stsirke   zu   machen, 
die  aus  einem  herzlichen  Einverneh- 
men     zwischen    Lehrer     und    Eltcrn 
fliesst,    und    e  n  d  1  i  c  h   ersucht    der 
Verein    alle    Prinzipale     und    Lehrer 
der  ganzen   Stadt,  die  vorgeschlage- 
nen    Reformen   durchfiihren   zu   hel- 
fen,   um   dann,   wenn   moglich,   ohne 
die  Rute  fertig  werden  zu  konnen! 

—  Freude  herrscht  unter 
d«n      Brooklyn  er     L-ehrer- 
i  11  n  e  n !     Der  Schulrat  hatte  seiner 
Ilegel    gemiiss,    die    den   weiblichen 
Lenrkriiften  das  Heiraten  verbietet, 
eine  Lehrerin  nach  vollzogener  Hei- 
rat  entlassen,  und  die  Lehrerin  hatte 
darauf     den     Schulsuperintendenten, 
vv-cil  er  ihr  vcrboten,  ihren  Pflichten 
in  der  Schule  weiter  nachzukommen, 
verklagt.    Sic  hat  die   Klage  gewon- 
nen.     Der    Freibrief    von    Gross-New 


York  verbiirgt  eine  gerichtliche  Un- 
tersuchung  der  Anklagen  vor  der 
Entlassung  und  bestimmt  die  Griin- 
de,  weswegen  eine  Lehrerin  entlas- 
sen werden  kann,  namlich:  Unfahig- 
keit,  Grehorsamverweigerung,  Unmo- 
ralitat.  Heirat  sei  unter  diesen 
Griinden  nicht  angegeben,  und  der 
Schulrat  konne  keine  Regel  machen, 
die  d«ni  Freibrief  der  Stadt  zuwider- 
laufe,  entschied  der  Richter. 

—  Nach  einem  fur  die  ,,Ed.  Re- 
view" von  F.  W.  Nash  aus  Manila, 
P.  L,  geschriebenen  Artikel  haben 
die  Philippinen  -  Inseln  jetzt 
38  s.  g.  Hochschulen,  von  denen  die 
meisten  erst  im  letzt«n  Jahre  eiuge- 
richtet  wurden,  und  2000  Primar- 
schulen.  An  diesen  Schulen  unter- 
richten  723  amerikanische  Lehrer  — 
700  weniger  als  letzt-es  Jahr  —  und 
ung^fahr  3000  eingeborene  Lehrer. 
Die  Anzahl  der  eingeschriebenen 
Schxiler  ist  700,000,  wahrend  der 
erste  zuverlassige,  kiirzlich  aufge- 
nommene  Schulzensus  anderthalb 
Millionen  unterrichtsbediirf  tiger 

Kinder  allein  in  den  christlichen 
Provinzeii  anfiihrt.  Der  General- 
superintendent  der  Erziehung 
schatzt,  daps  wenigstens  10,000  ein- 
heimische  Lehrer  und  850  aufsicht- 
fiilirende  amierikanische  Lehrer  in 
den  philippinischen  Primarschulen 
tiitig  sein  sollt«n. 

So  viele  einheimische  Lehrer  sind 
indessen  jetzt  nicht  vorhanden  und 
werden  auch  in  den  nachsten  Jahren 
noch  nicht  zu  haben  sein.  Die  Nor- 
malschule  in  Manila  ist  von  400  Stu- 
deiiten  besucht,  auch  in  Lingaryen, 
und  in  lloilo  befinden  sich  Normal- 
schulen.  Aber  sie  alle  geniigen  den 
Anforderungen  nicht.  Jedem  Ver- 
suche,  die  Einrichtung  dcr  Schulen 
zu  erweitern  und  zu  verbessern,  um 
d«m  Andrange  der  Einlass-Begehren- 
den  zu  geniigen,  steht  die  Armut  der 
Bevolkerung  hindernd  entgegen. 

In  einzelnen  Fallen  hat  ein  ein- 
ziger  amerikanischer  Lehrer  die 
Schulen  eines  Gebietes  mit  einer  Be- 
volkerung von  30,000,  in  vielen  Ort- 
ischaften  zerstreut,  zu  beaufsichtl- 
gen.  In  den  Inseln  Lyte  und  Samar 
kommt  ein  amierikanischer  Lehrcr 
auf  je  27,000  Einwohner,  in  Bohol 
einer  auf  je  24,000,  in  Cebu  einer  auf 
je  21,000. 

1m  l^aufe  des  Jahres  kamen  14 
Todesfiille  unter  den  amerikanischeu 
Lehrern  vor:  Vier  Lehrer  starben  an 
der  Cholera,  vier  an  den  Pocken, 
zwci  wurden  von  Ladroncn  ermordet 


156 


Pddagogische  Monatshefte. 


und  einer  beging  Selbstmord.  38 
Lehrer  mussten  wegen  Selbster- 
krankung  oder  wegen  Krankheit  in 
der  Familie  ihre  Stellungen  aufgeben, 
93  resignierten  nach  Ablauf  des  zwei- 
jjihrigen  Kontraktes,  21  nahmen  an- 
dere  Stellungen  an,  und  50  wurden 
Kaufleute. 

Herr  Nash  erzahlt  auch,  dass  die 
anstissige  katholische  Geistlichkeit 
den  amerikanischen  erzieherischen 
Bestrebtingen  eine  Zeit  lang  be- 
trachtlich  opponiert  habe,  was  aus 
der  unrichtigen  Axiffassung  der  Ziele 
der  Regierung  der  Ver.  Staaten  zu 
erklaren  sei.  Diese  Gegnerschaft  sei 
heute  beinahe  verschwunden,  und 
viele  Kirchenschulen,  die  mit  der  er- 
klarten  Absicht  gegriindet  worden 
seien,  den  .ttesuch  der  Regierungs- 
schulen  zu  beeintrachtigen,  seien 
wieder  geschlossen  worden.  Viele 
der  Padres  gehorten  jetzt  zu  den 
starksten  Stiitzen  der  amerikani- 
schen Schule. 

—  Dr.  David  P.  Barrows,  der 
General-Superintendent  der  Schulen 
auf  den  Philippinen-Inseln,  sagt  in 
seinem  Berichte  an  die  Philippinen- 
Kommission,  dass  alle  auf  jenen  In- 
seln  gesprochenen  Dialekte  gemein- 
samen  malayischen  Ursprungs  seien. 
Ihr  grammatikalischer  Ban  sei  der- 
selbe;  ein  Satz  werde  in  jedem  in 
derselben  Weise  gebildet.  Der  auf- 
fiillige  Gebrauch  von  Vor-  und  Nach- 
silben,  die  einer  Sprache  das  eigent- 
liche  Geprage  geben,  sei  in  alien 
gleich.  Ausserdem  giibe  es  Worter 
und  Ausdriicke,  die  in  alien  Dialek- 
ten  gleichbedexitend  seien;  man  kon- 
ne  mit  Leichtigkeit  hundert  gewohn- 
liche  "\V6rter  flndeii,  die  kaum  von 
einander  abwichen.  Aber  trotz  des 
gemeinsameii  grammatischen  Baus 
seien  die  philippinisclien  Dialekte  in 
ihrem  Wortschatz  so  sehr  verschie- 
dien,  dass  die  Angehorigen  zweier 
Stamme  sich  bei  der  einfachsten 
Mitteilung  nicht  verstiindlich  ma- 
chen  kbnnten.  Der  gleichartige  Bau 
der  Dialekte  erleiehtere  einem 
Philippino  eines  Stammes  das  Er- 
lernen  der  Sprache  eines  andern 
Stammes;  niehtsdestoweniger  hat- 
ten  die  philippinischen  Zungen  wah- 
rend  einer  europaischen  Herrschaft 
von  mehr  als  drei  Jahrhunderten  und 
•angesichts  einer  gemeinsamen  Re- 
ligion und  trotz  der  betrachtlichen 
Wanderung  und  Mischung  der  ver- 
schiedenen  Stiimme  ihre  Eigenart  er- 
halten.  Nirgends  sei  ein  Zeichen  vor- 


handen,  dass  die  Dialekte  sich  misch- 
ten.  Der  Philippino  hange  seinem 
heimischen  Dialekte  in  seiner  Rein- 
heit  an  und  gebrauche  gebrochenes 
Spanisch,  wenn  er  sich  mit  einem 
Philippino  eines  andern  Stammes 
unterhalt.  Zum  gemeinsamen  Ver- 
kehr  und  zu  Bildungszwecken 
braucht  der  Philippino — das  sagt  Dr. 
Barrows!  —  eine  f  r  e  m  d  e  Sprache. 
Aus  den  angefiihrten  und  aus  ande- 
ren,  praktischen,  Griinden — Englisch 
sei  die  lingua  franca  des  fernen 
Ostens,  sagt  Dr.  Barrows  —  sei  es 
wteise,  die  englische  Sprache  zum 
Ausgangspunkt  des  offentlichen  Un- 
terrichts  auf  den  Philippinen  zu  ma- 
chen. 

—  Siidamerika.     In   Argen- 
tinian sind  die  neuen  Lehrplane  in 
Kraft  getreten.     Nach  diesen  ist  fiir 
das  5.,   6.  und  7.   Schuljahr   der  Na- 
tionalkollegien,   d.  h.  fiir  diejenigen 
Klassen,  die  fiir  die  juristische,  me- 
dizinische  und  mathematische  Lauf- 
bahn     vorbereiten,     als     e  i  n  z  i  g  e 
fremlde  Sprache  das 
Deutsche   vorgeschrieben,   das   in 
mindestens    6    Stunden    wochentlich 
gelehrt  werden  soil. 

—  Ein     Ver  ein      deutscher 
Lehrer  in   Siid  -   Chili  besteht 
seit  einigen  Monaten.    Nach  den  vor- 
liegenden    Satzungen    bezweckt    der 
Verein  unter   Ausschluss   aller   kon- 
fessionellen      und      politischen      Be- 
strebungen         die         Hebung         der 
deutschen    Schulen    innerhalb   seines 
Wirkungskreises   und   die   Forderung 
der  an  ihnen  angestellten  Lehrer  in 
Hinsicht  auf  ihreii  Beruf,  ihre  amt- 
liche    Stellung    iind  ihre    wirtschaft- 
liche  Lage.     Der  Verein  gliedert  sich 
in    Ortsgruppen,    deren    jede    minde- 
stens   vier    Mitglieder    zahlen    muss. 
Mitglied  kann  jeder  Lehrer  ^verden, 
der   eine   abgeschlossene   Bildung   in 
Deutschland  genossen  hat,  seit  min- 
destens einem  Jahr  in  Siid-Chile  eine 
Lehrtiitigkeit     ausgeiibt     und     nicht 
durch     eigenes      Verschulden     seine 
Stellung    in    der    Heimat    verscherzt 
hat.     Doch  konnen  auch  anderweitig 
vorgebildete   Lehrer,   die   sich   schon 
in    der   Praxis   bewiihrt   haben,    Mit- 
glieder \verden. 

—  DeutschesReich.  Im  Vor- 
anschlag  fiir  das   Jahr   1904  hat   die 
Reichsregierung    den    F  o  n  d  s    z  u  r 
U  n  t  e  r  s  t  ii  t  z  u  n  g    deutscher 
Schulen     im     Auslande     auf 
500,000   M.   erhoht.     Es   ist   damit   in 
dankenswerter    Weise    die    Bitte    er- 


Umschau. 


157 


fiillt,  die  der  Kolonialkongress  1902 
auf  Anregung  des.Allg.  Deutschen 
Schulvereins  an  den  Reichskanzler 
gerichtet  hatte,  der  ja  sein  Ver- 
standnis  und  seine  Teilnahme  fiir 
das  deutsche  Auslandschulwesen 
wiederholt  bekundet  und  schon  bei 
der  Aufstellung  des  Staatshaushalt- 
planes  fiir  1903  eine  Erhohung  des 
Auslandsfonds  bewirkt  hat.  Wir 
machen,  wie  auch  im  vorigen  Jahr, 
bei  dieser  Gelegenheit  darauf  auf- 
merksani,  dass  diejenig-en  deutschen 
Auslandschulen,  welche  sich  um  eine 
Reichsunterstiitzung  bewerben  wol- 
len,  gut  tun  werden,  ihre  Antriige 
moglichst  bald  an  das  Auswartige 
Amt  in  Berlin  gelangen  zu  lassen. 
Um  Riickfragen  zu  vermeiden  und 
eine  rasche  Erledigung  der  Gesuche 
zu  ermoglichen,  empfiehlt  es  sich,  die 
Gesuche  durch  Vermittlung  der  di- 
plomatischen  und  konsularischen 
Vertreter  einzureichen,  in  deren 
Amtsbezirk  die  -unterstutzungsbe- 
diirftigen  Schulen  sich  befinden. 

—  Hervorragende  Arzte  Deutsch- 
Jands  haben  sich  fiir  den  Fort- 
fall  des  Nachmittags  -  Un- 
terrichts  ; ausgesprochen.  Geh. 
Medizinalrat  Dr.  Eulenburg  ver- 
langt  die  Beseitigung  als  die  drin- 
gendste  schulhygienische  Forderung, 
die  von  der  offentlichen  Meinung 
notigenfalls  zu  erzwiiigen  ware.  D  r. 
Schmidt  -  Monnard  in  Halle 
fand  folgende  Kriinklichkeitsziffern: 
a)  Nur  Vormittagstmterricht  Kna- 
ben  13 — 25  Prozent,  Madchen  21 — 40 
Prozent,  b)  Vor-  und  Naehmittags- 
unterricht  Knaben  26 — 37  Prozent, 
Madchen  30 — 45  Prozent.  —  Die 
D  ii,  is  s  e  1  d  o  r  f  e  r  R  e  g,i  e  r  u  n  g 
hat  durch  einen  Erlass  angeregt,  in 
Beratungen  dariiber  zu  treten,  ob  es 
sich  empfiehlt,  auch  bei  den  Volks- 
schulen  die  ungeteilte  Unter- 
richtszeit  einzuf iihren.  Der  El- 
berfelder  Lehrerverein  hielt  zur  Be- 
sprechung  der  Frage  kiirzlich  eine 
teehr  stark  besuchte  Versammlung 
ab,  in  der  ausfiihrlich  die  Vorteile 
und  Nachteile  der  Unterrichtszeit 
fiir  Schiiler  und  Lehrer  beleuchtet 
wurden.  Es  wurde  folgende  Reso- 
lution einstimmig  angenommen: 
,,Der  Elberfelder  Lehrerverein  halt 
es  aus  padagogischen,  hygienischen 
und  sozialen  Griinden  fiir  wiin- 
schenswert,  dass  auch  in  den  Volks- 
schulen  Elberfclds  die  ungeteilte 
Unterrichtszeit  zur  Einfiihrung  ge- 
langt,  und  gibt  sich  der  Hoffnung 
hin,  dass  die  Schulverwaltung  den 


Griinden  ihre  Anerkenmmg  nicht 
versagen  und  einer  versuchsweisen 
Einfiihrung  der  ungeteilten  Unter- 
richtszeit zum  1.  Mai  dieses  Jahres 
ihre  Zustimmung  erteilen  \vird."  — 
Xachdem  in  Dortmund  bereits 
in  zwei  Schulen  ein  ebenfalls  giinstig 
ausgefaaener  Versuch  gemacht  wor- 
den  ist,  geht  man  dort  mit  dem 
Plane  um,  zu  Ostern  an  alien  Sch\i- 
len  die  ungeteilte  Unterrichtszeit 
einzufiihren.  —  Den  Wert  einer  ver- 
nunftgemJissen  KSrperpflege  hat 
auch  in  besonderem  Masse  der  deut- 
sche Kaiser  erkannt,  der  sich  als 
eifriger  Forderer  alles  Spiels  und 
gesunden  Sports  zeigt,  der  aber  auch 
erkannt  hat,  dass  ohne  die  freie  Zeit 
alle  modernen  hygienischen  Be- 
strebungeii  fiir  die  Schuljugend  auf 
dem  Papier  und  wertlos  bleiben  und 
darum  erkliirte:  ,,Was  den  Korper 
betrifft,  so  bin  ich  auch  der  be- 
stimmten  Ansicht.  dass  die  Nachmit- 
tage  frei  sein  miissen,  ein  fiir  alle- 
mal." 

—  P  r  e  u  s  s  e  n.     Ein   Schiilerheer 
von    223,818    Kindern    steht  <in    Ber- 
lin gegemvartig  unter  Aufsicht  der 
stadtischen  Schuldeputation;  es  ver- 
teilt     sich     auf     56     Schulanstalten, 
welche    die    Schulbehorde    der    Stadt 
Berlin    beaufsichtigt,    und    265    An- 
stalten,  welche  sie   zugleich  verwal- 
tet.     Das    Gros   der   Kinder   besucht 
die    Berliner    Gemeindeschulen,    wel- 
che,258   an   der   Zahl,   nicht  weuiger 
als    213,699    Kindern    den    Unterricht 
gewiihren;   dann  folgen  die  13  stahti- 
schen   Realschulen    mit    5,689    Schii- 
lern,     die     hoheren  Miidchenschulen 
mit  4234  Schiilerinnen  u.  s.  w.     Auf 
Kosten    der    Stadtgemeinde    werden 
214,325  Kinder  (einschl.  der  Zoglinge 
des     Waisenhauses,     der     Taubstum- 
men-  und  Blindenschule  u.  s.  w.)  un- 
terrichtet.   Das  Gemeindeschulwesen 
allein     erfordert     einen     Kost«nauf- 
wand  von  xiber  15  Millionen  Mark  pro 
Jahr;  das  sind  617,761  Mark  mehr  als 
im  Vorjahre;   fiir  ein  Kind  zahlt  die 
Stadt  sonach  70,69  Mark  (gegen  68,48 
Mar  kim  Vorjahre).    Die  stadtischen 
TJealschulen    erheischten    einen    Zu- 
schuss   von   799,667   Mark    (pro   Kopf 
140,56   Mark),   ihre    Einnahme    belief 
sich  auf  442,164  Mark. 

—  S  a  c  U  s  e  n.      Xach    einer    Mit- 
teilung    der     Regierung'    im     sachsi- 
schen  Landtag  wachst  die  B  e  v  o  1- 
kerungin  Sachsen  .iahrlich  im 
Durchschnitt   um    82,905    Kopfe.     Da 
sich  die  Schulkinderzahl  auf  16  Proz. 
der  Bevolkerung  stellt,  so  sind,  weiin 


158 


Pddagogiscbe  Monatsheftf. 


fur  je  100  Kinder  eine  Lehrkraft  er- 
forderlich  1st,  alljahrlich  130  neue 
Klasscn  zu  errichten.  Die  bestehen- 
den  Seminare  sind  nicht  mehr  im- 
staiide,  diesen  Mehrbedarf  an  Leh- 
rern  zu  decken,  weshalb  die  Regie- 
rung  die  Errichtung  ernes  neuen  Se- 
minars verlangte.  Der  Landtag  ge- 
nehmigte  die  Errichtung  eines  sol- 
chen  in  Leipzig,  ein  im  Hinblick  auf 
die  vielen  Vorteile,  die  eine  Gross- 
stadt  bietet,  hocherfreulicher  Be- 
schluss. 

—  Osterreic  h-U  n  g  a  r  n.     Die 
Stellung     der     VereinsleH- 
rer     des    Deutschen   Schul- 
v  e  r  e  i  n  s    ist   eine    recht    traurige. 
Das  gilt  insbesondere  dort,  wo   sich 
eine     deutsche     und     eine     slavische 
Schule  in  einem  weltentlegenen,  ge- 
wohnlich  deutschgewesenen  Orte  be- 
finden.     So  \vurde  der  deutsche  Ver- 
einslehrer    in    einer    Ortschaft    Bcih- 
mens  im  Verlaufe  der  Jahre  zweimal 
ganzlich  ausgeraubt.    Unziihligemale 
wurde  tcils  bei  Nacht,  teils  bei  Tage 
die  Schule  gestiirmt,  einigemale  auch 
der  Versuch     gemacht,     den  Unter- 
richt  gewaltsam  zu  storen.     Der  be- 
treft'ende  Lehrer  hatte  104  Gerichts- 
verhandlungen  und  18  Kreisgerichts- 
verhandlungen,     9     Disziplinarunter- 
suchungen  durchzumachen.     Das  ge- 
niig-t  doch!  (A.  D.  L,) 

—  Italien.       Von     364     italieni- 
schen    Soldaten  antworteten  auf  die 
Frage:    Welches   ist    die   Hauptstadt 
Italiens?  150  gar  nicht  oder  falsch; 
mehr  als  200  konnten  die  Hauptstadt 
der   Lombardei  nicht  nennen.     Wel- 
ches ist  der  grosste  Strom  Italiens? 
180   keine   Antwort,   andere   der  Nil, 
der  Jordan.     Von  Garibaldi  wussten 
100  gar  nichts,  andere  meinten,   ein 
Konig,     ein     mutiger     General,     ein 
Garibaldianer.       Man   begreift,   dass 
der  Minister  Orlando  auf  obligatori- 
fcchen    Untierrieht    dringt    in    einem 
Lande,  wo  der  Lehrer  taglich  40  Kp. 


(Provinz  Florenz),  30—20  Rp.  (Man- 
tua), 13  Rp.  (Cuneo),  ja  10  Rp.  (Ab- 
ruzzen)  verdient.  (Rp.  ist  die  Ab- 
kiirzung  fiir  Rappe,  die  volkstiim- 
liche  Bezeichnung  fiir  Centime  in  der 
Schweiz;  5  Rappen  also  gleich  1 
Cent.)  (Journ.  d.  G.) 

—  Japan.         Langjiihrigen       Be- 
miihungen   ist   es    endlich    gelungen, 
den     Plan     der     Errichtung     einer 
deutschen  Schxtle  in  Yoko- 
hama der  Verwirklichung  nahe  zu 
fiihren.      Die    Sammlungen    fiir    die- 
selbe  hatten  das  schone  Resultat  von. 
nahezu  10,000  Dollar  gleich  20,000  M. 
ergeben.       Daraufhin     ist     von     den 
Zeichnern,  die  zu  einem  ,,Deutschen 
Schulverein    Yokohomo"    zusammen- 
getreten  sind,  ein  Ausschuss  gewahlt 
worden,  zu  welchem  die   bisher  fiir 
diese  Sache  am  meisten  tatig  gewese- 
nen    Herren    gehoren.    Dieser    Aus- 
schuss   soil    die    Satzungen   fiir     den 
neuenSchulverein  vorbereiten  und  die 
Wahl  eines   Schulrates   in   die   Wege 
leiten,   der  aus  9  Mitgliedern  beste- 
hen  soil.  Stiindig  sollen  zu  demselben 
der  deutsche  Generalkonsul  in  Yoko- 
hama,  sowie   der  Pfarrer    der  deut- 
schen Gemeinde  gehoren.    Audi  soil 
der       diplomatische     Vertreter     des 
Deutschen  Reiches  das  Recht  haben, 
den  Sitzungen  des  Schulrates  stimm- 
berechtigt  beizuwohnen.   Die    Schule 
soil   Kindern   deutscher   Reichsange- 
horigkeit,     sowie     osterrcichisch-un- 
garischer    und    Schweizer    Staatsan- 
gehorigkeit     ohne     Unterschied     des 
Bekenntnisses  offen  stehen.     Kinder 
anderer    Staatsangehorigkeit    sollen 
durch  Beschluss  des  Schulrates  auf- 
genommen  werden  kcinnen,  doch  soil 
ihre    Zahl    ein    Viertel    der    Gesamt- 
schiilerzahl  nicht  iiberschreiten  diir- 
fen.     Der   Untcrricht    soil   natiirlich 
in  deutscher  Sprache  erteilt  werden. 
Die  technische  Leitung  der     Schule 
soil    in    den    Handen    des    deutschen 
Pfarrers  liegen. 


IV.      Vermischtes. 


*  Z  w  e  i  e  r  1  e  5  ..neue"  B  e  c  h  t- 
schreibung?  Wie  verlautet,  will 
das  osterreichische  Reichsministerium 
eine  ,,leichter  erlernbare"  Orthogra- 
phic fur  die  k.  u.  k.  Militar-Bildungs- 
aostalten  zulas*en.  Das  betreffende 
Buch  soil  im  Privatverlag  erscheinen. 
Die  Qffiziere  werden  sieh  also  in  Zu- 
kunft  vom  Zivil  auch  durch  die  Recht- 


schreibung  unterscheiden.     Ware  eine 
grossartige  Idee!  (Fr.  Schztg.) 

*  Das  Allerneueste!  Aus 
Schmalkalden  wird  als  Neuestes  auf 
dem  Gebiete  der  Schulhygiene  vermel- 
det,  dass  in  den  dortigen  Schulen 
jetzt  Gurgeliibungen  vorge- 
nommen  werden  miissen.  In  der 
Madchenschule  wurde  am  13.  Dezbr. 


Vermischtes. 


159 


anno  1903  damit  begonnen.  Warum? 
Weil  bei  Halskrankheiten  oft  gegur- 
gelt  werden  muss,  und  manche  Kin- 
der sich  dabei  dann  recht  unge- 
schickt  anstellen.  Auch  die  Eltern 
wissen  oft  nicht,  wie  sie  ihre  Spross- 
linge  dazu  anleiten  sollen.  Also  muss 
die  Schule  dran!  Gurgeln.  Gurgeln 
bis  zur  grossten  Fixigkeit.  Und  das 
1st  nicht  der  Laune  eines  Scholar- 
ehen  entsprungen.  Nein,  die  sta'dti- 
scne  Gesundheitskommission  ist  der 
Autor  der  Neuerung,  und  die 
stadtische  Schuldeputatiou  hat  den  gc- 
nialen  Gedanken  anfgenommen  und  in 
die  Praxis  iibergeleitet.  Man  will 
eventuell  der  Diphtheric  damit  ein 
Sclmippehen  schlagen. 

(Frankf.  Schulztg.) 

*  S  c  h  u  I  e    und     L  e  b  e  n.       Ein 
franzosisclier    Schulinspektor    erzahlt 
in      seinem     amtlichen     Bericht     an 
seine   vorgesetzte   Behorde    einen    be- 
zeichnonden    Zwischenfall    von    einer 
seiner   Inspektionsreisen.    Es    war   in 
der  hoheren  Tochterschule  einer  gro- 
ssen  Provinzstadt.  Er  richtete  an  eine 
Schiilerin  die  Frage,  welche  Art  von 
Nahrstoff  ein  Ei  enthalte.    ..Stickstoff- 
haltigen  Nahrstoff,"  antwortete  die  Ge- 
fragte  olme  Zogern.     Er   fragte  eine 
zwelte  nach  der  Farbe  verschiedener 
Haus-    und    Wildvogel.    Auch    darauf 
erhielt   er   fast  durchweg  zutreffende 
Antworteu.      Nun    fragte    er    weiter: 
,,Wie  lange  muss  man  ein  Ei  kochen 
lassen,    inn   es  pftaumenweich   zu   be- 
kommen?"   Eine  Schlilerin  wurde  sehr 
rot,  schwieg  eine  Weile  nnd  stotterte 
dann:      ,,Eine    halbe    Stunde."      Der 
Schnlinspektor     blickte     unzufrieden, 
und  wandte  sich  dann  an  die  naehste. 
,,Mindestens  drel  Viertelstnnden!"  er- 
widorte     diese     zuversichtlich.       Eine 
dr-itte   meinte,    ungefahr  eine   Stunde, 
und  eine  vlerte,  pflaumenweiche  Eier 
wiirdon  iiberhaupt  nicht  gekocht,    Ge- 
lehrt   waren   alle  diese  Madchen  und 
batten  sich  mit  moderner  P.ildung  voll- 
gesogen,   aber  ein   Ei   kocheu   konnte 
keines. 

*  Pariser    Volksschulgeo- 
graphic.  Aus  Paris  wird  der  .,Voss. 
Ztg."  folgender  Dialog  aus  einer  dor- 
tigen  Volksschule  mitgeteilt:    Die  Leh- 
rerin  fragt  eiu  kleinea  Madeheii  iiber 
die     verschiedenen      Lander:       ,,Was 
weisst    Dn    von    Deutschland    zu    sa- 
g-en?"— ,.O,  das  ist  das  Land,  wo  die 
deutsehen  Dienstmadchen  herkommen, 
die   guten    Kuchen   backen."  —  ,.TJnd 
von  England? — ,,Dort  essen  die  Loute 
Beefsteak  und  trinken  Tee."  —  ,,Aber 


die  Russen,  unsere  Verbundeten?"  — 
,.Die  tragen  Schafpelze,  essen  Talg 
und  schmieren  sich  auch  den  Bart 
damit."  —  ,,Genng,  setz  dich." 

*Ueber  Deutsch lands 

kleinste  Schule  schreibt  man 
aus  Sehleswig-Holstein:  Weit  drau- 
ssen  in  den  Wogen  der  Nordsee  liegt 
die  kleine  Insel  Nordstrandischmoor, 
einst  durch  eine  Sturmflut  von  der 
grossen  Insel  Nordstrand  abgerissen. 
Von  Jahr  zu  Jahr  schwindet  das  Ei- 
land  mehr  und  mehr,  denn  Wind  und 
Wetter  setzen  ihrn  hart  zu.  Und  mit 
dem  Schwinden  des  Bodens  geht  Hand 
in  Hand  ein  Schwinden  der  Bevolker- 
ung.  Vor  50  Jahren  lebten.dort  noch 
50  Menschen,  jetzt  nur  15.  Fischerei 
und  Viehzucht  sind  ihr  Erwerb.  Das 
stattlichste  Haus  auf  der  Insel  ist  das 
Schulhaus.  und  doch  sind  zur  Zeit  nur 
zwei  Schiiler  vorhanden.  1836  wurde 
das  Schulhaus  erbaut,  und  eine  ganz 
stattliche  Schiilerzahl  hielt  ihren  Ein- 
zug.  Danach  nahm  die  Schiilerzahl 
schnell  ab  und  betrug  1898  bis  1903 
gleich  0.  Erst  am  1.  April  d.  J.  wur- 
den  wieder  zwei  Kinder  schulpflichtig, 
und  sie  unterrichtet  ein  Lehrer,  der 
von  der  Insel  Nordstrand  besoldet 
wird. 

*Zur  Bedeutung  der 
deutsehen  Sprache  in  Ost- 
e  u  r  o  p  a.  Der  auf  den  Schauplatz 
des  mazedonischen  Aufstandes  ent- 
sandte  Berichterstatter  der  Petersbur- 
ger  ,,Nowosti"  berichtet  diesem  Blatte, 
er  habe  von  Wien  abwarts  das  Schiff 
der  Donaudampfergesellschaft  be- 
nutzt,  und  nn  Bord  des  Dampfers  hat- 
ten  sich  unter  den  Mitreisenden  Rus- 
sen, Polen,  Tschechen,  Kroaten,  Ser- 
ben  und  Montenegriner,  kurz  die  An- 
gehorigen  aller  erdenklichen  slawi- 
F.chen  Stamme  befunden.  Aber  als 
diese  verschiedenen  Vertreter  des  Sla- 
wentnnvs  unterwegs  miteinander  in 
Verkehr  traten,  bedienten  sie  sich  ins- 
gesamt  beim  Gesprach  der — deutschen 
Sprache.  Einer  der  am  Gesprach  teil- 
nehmenden  slawischen  Briider  be- 
merkte  unter  allgemeinem  Gelachter: 
,,D  ie  deutsche  Sprache  ist 
doch  die  a  1 1  g  o  in  e  i  u  e  s  1  a- 
V7  i  s  c  h  e."  Und  alle  Slawen,  die  zu- 
gegen  waren,  stimmten  ihm  zu. 

*  A  u  s  Schiilerheft'en.  Urn 
den  Drachen  besser  bekiimpfen  zu 
konnen,  zog  Struth  von  Winkelried 
eine  eiserne  Uniform  an. —  Sie  setz- 
ten  eine  alte  Spinnerin  vor  jedes 
Stadttor.  Nun  fiillten  sie  sich  sicher. 
—  Ich  habe  mein  obligatoriscb.es 


160 


Padagogische  Mouatsbefte. 


Vermogen  auf  der  Bank  (statt  in 
Obligationen).  —  Die  Ilonier  bauten 
breite  Strassen,  damit  die  romischen 
Religionen  (Legionen)  darauf  mar- 
schieren  konnten. — Zu  diesein  Spiele 
(Schlagball)  eignet  sich  am  besten 
eine  Wiese,  deren  Gras  kurz  abge- 
schnitten  uncl  nicht  mit  Biiumen  be- 
wachsen  1st.  —  Die  Mutter  nahm  ein 
Binsenkorblein,  legte  das  Knablein 
hineiii  und  bestrich  es  aussen  und 
innen  mit  Pech.  —  Man  nennt  sie 
Schmarotzerpflanzen,  weil  sie  auf 
andere  Pflanzen  hocken  und  ihnen 
den  Saft  entziehen.  —  Die  Ameisen 
und  Wespen  durchlochern  die  Apfel 
und  dann  gehen  sie  zugrunde.  —  Das 
so  gewonnene  Kochsalz  ist  sehr  un- 
reinlich.  —  Eine  Magd  liess  ein  Seil 
aus  der  Burg.  Mehr  als  20  Jiinglinge 
kletterten  hinauf  und  eroberten  sie 
mit  Leichtigkeit.  —  Wir  Kinder  wiir- 
den  auf  Weihnachten  oder  Neujahr 
gerne  ein  kleines  Theaterstiick  auf- 
fiihren;  aber  wir  haben  leider  keine 
passenden  Biiuchlein. 

*  U  e  b  e  r  t  r  i  e  b  e  n  e          Angst- 
lie  h  k  e  i  t.     Der  Pfarrer  in  Ockstadt 
bei   Friedberg   (Hessen)   hat,   wie  die 
Mitteldeutsche     Sonntagszeitung     be- 
richtet,       angeordnet,       dass       beim 
Schlittschuhlaufen        Knabeu        und 
Madchen  getrennt  werden.  Jedenfalls 
ordnet   der   Herr   Pfarrer    nlichstens 
an,  dass  in  seiner  Gemeinde  die  ein- 
zelneii      Familien       entweder      bloss 
Knaben  oder  Madchen  haben  diirfen. 

*  Humor  aus   den  Aufsatz- 
Heften:    ,,Das    Schaf    erfreut    uns 
auch  nach  dem  Tode  noch  durch  den 


liehlichen  Klang  seiner  Gedarnie."  — 
..Friiher  sind  die  Leute  im  hohen  Al- 
ter gestorben:  denn  mit  der  arzt- 
lichen  Kunst  war  es  noch  nicht  weit 
her."  •  —  ,,Walfische  zeichnen  sich 
durch  ihr  unhandliches  Format  aus.'r 

—  ,,Lessings  Gram  iiber  den  Tod  sei- 
ner Frau  Avar  ein  so  tiefer,  dass  er 
iiberhaupt   erst   nach   Italien     gehen 
musste,  um  dort  die  Wunden  zu  hei- 
len,   die   ihm   seine   Frau   geschlagen 
hatte."  (Piid.   Brosamen.) 

*Eine  franzoslscheSchnl- 
geschichte.  In  Frankreich 
braucheu  die  Kinder  nach  dem  Gesetz 
nur  bis  ztim  vollendeteii  dreizelmten 
Lebensjahre  in  der  Schule  zu  bleiben. 
In  einer  Volksschule  eines  etwas  \vil- 
den  Pa  riser  Viertels  erhob  sich  nun 
dieser  Tage  mitten  in  der  Stuude  ei- 
ner von  den  Jiuigen,  packte  seine 
Biicher  zusammen,  legte  sie  auf  deu 
Tisch  des  Lehrers,  nahm  seine  Miitze 
und  ging  zur  Tur.  Die  Uhr  schlug 
eben  halb  drei. 

..Was  ist  das,  wo  willst  du  deuu 
hin?"  fragte  der  Lehrer. 

,,Herr  Professor,"  erwiderte  der 
Bcngel  ganz  keck,  ,,soeben  bin  ich 
voile  dreizelm  .Tahre.  Ich  bin  sogar" 

—  er  sah   nach  der  Uhr  hiuiiber  — 
,,schon  seit  vier  Minuten  im  vierzehn- 
ten,  Sie  haben  also  nach  dem  Gesetze 
kein  Recht  mehr  auf  mich." 

Sprachs  und  verschwand  —  der  Pro- 
fessor und  die  Klasse  wareu  sprach- 
los. 

Gegen  die  Logik  des  Jungeu.  im 
Sinne  des  Gesetzes,  ist  nichts  einzu- 
wenden. 


Eingesandte  Biicher 


A  Guide  for  the  Study  of 
G  o  e  t  h  e's  Hermann  und  Do- 
rothea by  Ernst  Wolf,  E. 
Saginaw  High  School,  and  Warren 
W.  F  1  o  r  e  r,  University  of  Mich. 
George  Wahr,  Ann  Arbor,  Mich.,  1904. 

Plane  Trigonometry  by 
James  M.  T  a  y  1  o  r,  A.  M.,  LL.  D., 
Professor  of  Mathematics,  Colgate 
University. 

Lesebuch  zur  Einfiihrung 
in  die  Kenntnis  Deiitsch- 
lands  und  seines  geisti- 
g  e  n  L  e  b  en  s.  Fur  auslandische 
Studierende  und  fur  die  oberste 
Stufe  hbherer  Lehranstalten  des  In- 
und  Auslandes.  Bearbeitet  von  D  r. 
W  i  1  ht  e  1  m  P  o  s  z  k  o  w  s  k  i,  Biblio- 


thekar  an  der  koniglichen  Biblioihek 
zu  Berlin.  Berlin,  Widmanusche 
Buchhandlung,  1904. 

Goethes  Egmont.  Edited 
Avith  an  introduction  and  notes  by 
James  Taft  Hatfield,  Pro- 
fessor of  the  German  Language  and 
Literature  in  Northwestern  Uni- 
versity. Boston,  D.  C.  Heath  &  Co., 
1904. 

Note  -  Book  to  accompany 
B  e  r  g  e  n's  Text-Books  of 
Botany  or  for  general  use  in 
botanical  laboratories  of  Secondary 
Schools  by  Joseph  Y.  Bergen. 
Boston,  Ginn  ot  Co.,  1904.  Price  90 
Cents. 


Padagogische  Monatshefta 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Dabtujiimj  V.  IThii   1904.  Heft  6. 

Nationales  Deutschamerikanisches   Lehrerseminar  zu   Milwaukee, 
Wis.,  558-568  Broadway. 


Das  Rationale  Deutschamerikanische  Lehrerseminar  eroffnet  am 
sechsten  September  dieses  Jahres  seinen  sechsundzwanzigsten  Kursus. 
Seit  ihrer  Griindung  im  Jahre  1878  hat  diese  Pflegestatte  deutscher 
Sprache,  deutscher  Padagogik  und  deutscher  Sitten  Hunderten  von  jun- 
gen  Lehrern  und  Lehrerinnen  ihre  berufliche  Vorbildung  gegeben  und 
sie  instand  gesetzt,  an  offentlichen  und  privaten  Lehranstalten  mit  Be- 
geisterung  und  treuer  Hingabe  an  dem  grossen  Erziehungswerke  mit- 
zuhelfen. 

Das  Nationale  Deutschamerikanische  Lehrerseminar  bildet  seine 
Zoglinge  im  Sinne  der  modernen  Padagogik  fur  die  amerikanische 
Volksschule  aus  und  befahigt  sie,  sowohl  in  englischer  als  in  deutscher 
Sprache  zu  unterrichten. 

Der  Seminarkursus  umfasst  drei  Jahre  bei  vollstandig 
kostenfreiem  TJnterricht.  Mittellosen  Zb'glingen  wird  auf  Em- 
pfehlung  des  Direktors  der  Anstalt  aus  der  Seminarkasse  ein  in  Monats- 
raten  zur  Auszahlung  gelangender  Stipendienvorschuss  gewahrt. 

Das  Lehrerseminar  verfiigt  iiber  tlichtige  und  erprobte  Lehrkrafte, 
die  Schulraume  sind  modern,  alien  sanitaren  Anforderungen  Reclu»«ng 
tragend;  die  Klassenarbeit  wird  erganzt  und  unterstiitzt  durch  reichhal- 
tige  Sammlungen  und  eine  gute  Biicherei;  es  erf  rent  sich  einer  Muster- 
gchule, — der  Deutsch-Englischen  Akademie, — die  erfolgreich  die 
hochste  Stufe  der  Leistungsfahigkeit  anstrebt  und  den  Zb'glingen  des 
Seminars  die  erwiinschte  Gelegenheit  gibt,  sich  fiir  ihren  Beruf  als 
Lehrer  praktisch  auszubilden. 


16&  Padagogische  Monalsbefte. 

Durch  das  in  innigster  Verbindung  mit  dem  Lehrerseminar  imd 
dessen  Musterschule  stehende  Tiirnlehrerseminar,  einer 
Schopfung  des  Nordamerikanischen  Turnerbundes,  wird  den  Semi- 
naristen  eine  grundliche  turnerische  Ausbildung  gewahrleistet.  Der  ein- 
jahrige  Kursus  fiir  Turnlehrer  wird  im  September  gleichfalls  eroffnet. 

An  die  Freunde  imserer  Anstalt  und  an  Erziehimgsfreunde  im  all- 
gemeinen,  an  alle,  denen  die  Pflege  der  deutschen  Sprache  an  den  Lehr- 
anstalten  dieses  Landes  und  die  Verbreitung  gesunder  Erziehungsgrund- 
satze  und  Unterrichtsmethoden  am  Herzen  liegt,  richten  wir  die 
dringende  Bitte,  in  ihren  Kreisen  unsere  Bestrebungen  durch  die  Zu- 
weisung  passender  Schiiler  zu  unterstiitzen. 

Strebsame  junge  Leute,  welche  die  Neigung  in  sich  fiihlen,  sich 
dem  schweren  aber  schonen  Lehrerberufe  zu  widmen  und  der  begriinde- 
ten  Ansicht  sind,  dass  ihre  sprachliche  und  wissenschaftliche  Vorbildung 
sie  befahigt,  den  untenstehenden  Aufnahmebedingimgen  zu  entsprechen, 
werden  freundlichst  ersucht,  sich  mit  dem  unterzeichneten  Direktor  des 
Lehrerseminars  baldigst  schriftlich  oder  personlich  in  Verbindung  zu 
setzen. 

Aufnahmebedingungen : 

A)  Deutsche   und   englische   Sprache.     1.    Mechanisch- 
gelaufiges    und   logischrichtiges   Lesenj    2.    Kenntnis    der   Hauptregeln 
der   Wort-   und   Satzlehre;    3.     Richtige     (miindliche   und   schriftliche) 
Wiedergabe  der  Gedanken  in  beiden  Sprachen. 

B)  Mathematik.    Sicherheit  und  Gewandtheit   in   ganzen   Zah- 
len,    in     gemeinen    und    Dezimalbriichen,     in     benannten     und     un'oe- 
nannten  Zahlen,  Zins-  und  Diskonto-Rechnung. 

C)  Geographic.     Bekanntschaft   mit     den   fiinf   Erdteilen   und 
Weltmeeren,  der   Geographic   Amerikas   und    den   Hauptbegriffen     der 
mathematischen  Geographic. 

D)  G  e  s  c  h  i  c  h  t  e.      Kenntnis     der     Geschichte     der     Vereinigten 
Staaten. 

E)  Naturgeschichte     und    Naturlehre.     Beschreibung 
einheimischer  Pflanzen,  Tiere  und  Steine;   die  eintachsten  Lehren  der 
Chemie    und    Physik;     eine     elementare    Kenntnis     des    menschlichen 
Korpers 

F)  T  u  r  n  e  n.     Alle    korperlich   befahigten   Zoglinge     des     Lehrer- 
seminars   sind    verpflichtet,     behufs    Ausbildung     als    Turnlehrer     am 
Turnunterricht    teil    zu   nehmen.     Zeitweilige    sowohl    als   permanente 
Entschuldigung  von  diesem  Fach  kann  nur  durch  das  Zeugnis  des  von 
der  Anstalt  angestellten  Arztes  erlangt  werden. 


Da  der  Kindergarten  ein  wesentlicher  Teil  des  Volksschulsystems 
ist,  so  ist  von  der  Seminarbehorde  ein  Kursus  zur  Ausbildung  von 
Lehrerinnen  fiir  solche  Anstalten  eingerichtet  worden.  Die  Aufnabme- 
bedingungen  fiir  diesen  Kursus  sind  die  gleichen  wie  fiir  die  anderen 
Zoglinge  des  Seminars. 

Max  Griebsch,  Direktor. 

Milwaukee,  Wis.,  25.  Mai  1904. 


Erziehungswissenschaft  und  Erziehungspraxis, 

Von  Thos.  H.  Jappe,  New  York  City. 


(Schluss.) 

Nur  ja  keine  Moralpauken!  Die  verstehen  die  meisten  doch  nicht, 
und  sie  sind  nicht  so  sehr  zu  tadeln,  wenn  sie  nachtraglich  dariiber  lachen. 
Aber  das  verstehen  sie  bald,  wenn  jeder  unweigerlich  fiir  sich  und  sein 
Tun,  einerlei  wie  es  andern  geht,  und  was  sie  tun,  einzustehen  hat;  wenn 
jedem  genau  das  zu-  und  angerechnet  wird,  wofiir  er  unter  seinen  Verhalt- 
nissen  verantwortlich  ist;  wenn  jeder  so  viel  Freiheit  und  Zutrauen  geniesst, 
und  nicht  mehr,  als  sein  Gesamtverhalten  in  und  ausser  der  Schule  gewahr- 
leistet;  wenn  dem  Kinde  auf  diese  Weise  langsam  aber  sicher  beigebracht 
wird,  dass  Freiheit  nicht  Schrankenlosigkeit  ist,  sondern  einzig  und  allein 
darin  besteht,  innerhalb  sittlicher  Schranken  das  Rechte  zu  tun  und  das 
Schlechte  mit  Festigkeit  abzuweisen;  dass  wir  uns  diese  Schranken  mehr 
und  mehr  selbst  setzen,  oder  doch  sollen  setzen  kb'nnen;  dass  Verbote  nur 
fiir  die  eine  Sklavenkette  bilden,  die  ohnehin  unfugsam  und  sittlich  unfrei 
sind;  dass  Versuchungen  uns  wohl  gelegentlich  straucheln  lassen  konnen, 
uns  aber  die  Folgen  des  Falles  niemand  abnimmt;  dass  es  sich  nicht  lohnt, 
andere  mit  zu  inkriminieren  und  die  Schuld  auf  sie  zu  schieben,  sondern, 
dass  der  feste  Vorsatz  der  Besserung  in  der  Zukunft  die  beste  Reue  ist. 
Fiir  den  Eigensinn  und  die  Verstocktheit,  die  Zerrbilder  des  Charakters, 
bleibt  da  jedenfalls  kein  Platz. 

Auch  an  systematischen  Moralunterricht  in  eigens  dazu  angesetzten 
Stunden  glaube  ich  trotz  Herrn  Felix  Adler  nicht;  es  ware  in  der  Schule 
ohnehin  keine  Zeit  dazu,  und  es  kann  am  Sonnabend  und  Sonntag  dafiir 
genug  getan  werden. 

Aussere  Manieren  und  gute  Sitte  kann  man  neben  dem  eignen  guten 
Beispiel  wohl  durch  mundlichen  Hinweis  und  Ermahnung  lehren;  des- 
gleichen  Regeln  der  blossen  Klugheit.  Aber  den  sittlichen  Charakter  bil- 
det  nur  das  Vorbild,  d.  h.  die  ganze  Personlichkeit  des  Lehrenden  und 
des  Versorgers,  sowie  sonst  mit  geniigender  Klarheit  und  Lebendigkeit  vor- 
gefiihrte  Charaktere.  Dies  ist  vor  allem  Sache  des  Unterrichts  in  der 
Geschichte  und  Literatur,  wenn  richtig  gefiihrt;  •  da  heisst  es  fiir  den 
Schiiler: 

,,Ein  jeglicher  muss  seinen  Helden  wahlen, 
Dem  er  die  Wege  zum  Olymp  hinauf 
Sich  nacharbeitet." 

Ich  sagte,  wenn  richtig  gefiihrt,  denn  beim  biographisch-historischen 
Unterricht  liegt  die  grosse  Gefahr  vor,  dass  aus  den  in  Betrachtung  ge- 
nommenen  Charakteren  reine  Engel  und  Wunder  gemacht  werden;  die  sich 
dann  ergebenden  Gefiihle  des  blossen  Staunens  und  der  Verwunderung 


164  Pddagoghche  Monatshefte. 

aber  rufen  nicht  eifernde  Nachahmung  hervor,  sondern  schwachen  statt  zu 
sarken,  well  die  Vergeblichkeit  des  Versuchs,  solchen  Ubermenschen 
gleichzukommen,  instinktiv  gefiihlt  wird. 

Viele  Padagogen  wie  Nichtpadagogen  glauben,  dass  die  Bildung  eines 
gittlichen  Charakters  in  erster  Linie  Sache  des  Eeligionsunterrichts  sei, 
dass  also  wahre  Moral  ohne  Religion  nicht  entstehen  oder  existieren  konne. 
Das  ist  grundfalsch  und  nichts  als  vorgefasste  Meinung,  obzwar  in 
der  Bibel  und  in  der  Religionsgeschichte  viele  sehr  schatzbare  Charaktere 
vorkommen;  die  gehoren  eben,  gerade  wie  die  der  Fabel,  My  the  und  Sage, 
mit  zur  Geschichte  und  Literatur  im  Sinne  der  Schule  und  konnen  sehr 
wohl  helfen,  die  einseitige  direkte  Erfahrung  der  Schiller  an  Eltern,  Be- 
kannten  und  Lehrern  durch  indirekte  Erfahrung  zu  erganzen. 

Im  iibrigen  aber  kann  man  Moral  und  Religion  garment  scharf  genug 
auseinander  halten;  denn  jene  griindet  sich  ausschliesslich  auf  den  aus 
den  Gefiihlen  der  Achtung,  Verehrung  und  Ehrfurcht  abgeleiteten  Begriff 
der  Pflicht,  wahrend  die  blosse  Liebe  bekanntlich  blind  ist,  und  die  Re- 
ligion sich  im  grunde  immer  auf  die  Gefiihle  der  Furcht  und  Hoffnung 
basiert :  Furcht  vor  geglaubter  ewiger  Strafe  f iir  zeitliche  Vergeheu, 
Hoffnung  auf  ewige  Belohnung  fur  seitliche  Guttaten.  Das  mag 
nun  nicht  bed  jedem  Glaubigen  scharf  hervortreten;  wo  es  aber  nicht  min- 
destens  im  Hintergrunde  noch  hie  und  da  auftaucht,  da  hat  de  facto  das 
rein  religiose  Element  im  Gegensatz  zum  moralischen  aufgehb'rt  zu  existie- 
ren, und  wer  sich  dann  noch  fur  einen  Glaubigen  halt,  tauscht  sich  selbst, 
so  harmlos  einem  diese  Art  Selbsttiiuschung  auch  scheinen  mag. 

Einen  moralischen  Charakter  kann  aber  weder  die  Schule  noch  sonst 
jemand  durch  Furcht  und  Hoffnung  erziehen,  eben  so  wenig  wie  man  eine 
griindliche  Bildung  durch  Furcht  vor  den  Examina  resp.  Hoffnung  auf 
Preise  und  Priimien  im  Fall  des  Bestehens  erzielt.  Moral  und  Religion  sind 
eben  nicht  dasselbe,  sondern  gehen  oft  ^veit  auseinander;  Sie  wissen  so 
gut  wie  ich,  dass  nicht  jeder  Mensch  moralischen  Wert  hat,  der  religios  ist, 
und  dass  man  also  auch  nicht  religios  im  streng  dogmatischen  Sinne  zu 
sein  braucht,  um  moralischen  Charakter  zu  besitzen. 

In  der  Erziehung  zur  Moral  ist  es  daher  dringend  geboten,  die  reine 
Religion  aus  dem  Spiel  zu  lassen,  da  Furcht  und  Hoffnung  allein,  wenn 
nicht  die  Gefiihle  der  Achtung  vor  dem  Guten,  Edlen,  Schonen  und  des 
Abscheus  vor  ihrem  Gegenteil  sich  eng  damit  verbinden,  die  Bildung  eines 
wetterfesten  moralischen  Charakters  eher  hindern  als  fordern;  denken  Sie 
z.  B.  nur  an  die  Friichte  der  deutschen  Internate.  Gerade  so  muss  auch, 
wie  bereits  fliichtig  erwahnt,  das  System  des  "doing  favors,"  statt  strikter 
Pflichterfullung  auch  ohne  besondern  Dank  dafiir,  aus  der  Schule  fern- 
gehalten  werden.  Charaktere  von  Wert  bilden  sich  in  der  Welt  nur  t  r  o  t  z 
Furcht  und  Hoffnung,  niemals  durch  sie,  oder  doch  wenigstens  nicht 
durch  sie  allein. 


Eryehungswissenscbaft  und  Er^iehungspraxis.  165 

In  diesem  Zusammenhang  diarf  ich  Ihnen  vielleicht  ein  Wort  Gibbons 
anfiihren:  "All  religion  is  equally  true  to  the  vulgar,  equally  false  to  the 
philosopher,  equally  useful  to  the  magistrate."  TJnter  den  "vulgar"  sind 
hier  offenbar  diejenigen  zu  verstehen,  welche  meinen,  dass  positive,  dog- 
matische  Religion,  einerlei  welcher  Schattierung,  unbedingt  notig,  und 
einerlei  wie  riickstandig,  besser  sei  als  keine. 

Wer  freilich  die  oben  von  mir  charakterisierte  Moral  mit  dem  Kar- 
dinalbegriff  der  Pflicht  nicht  haben  kann,  weil  ihm  das  alles  bohmische 
Db'rfer  sind,  der  muss  sie  wohl  auf  positive,  dogmatische  Religion  begriin- 
den,  denn  sonst  mbchte  er  in  der  Tat  gemeingefahrlich  werden,  wie  etwa  die 
Anarchisten.  Und  dies  ist  allerdings  bis  jetzt  die  Lage  der  grossen  Mehr- 
zahl  der  Menschen. 

Hieraus  aber  folgt  fur  den  Padagogen,  dass  er  sich,  wie  das  unsrer 
amerikanischen  Einheitsschule  ja  auch  entspricht,  vollig  objektiv  und  neu- 
tral verhalten  muss,  wenn  es  sich  um  Glaubens-  und  Gef iihlssachen  handelt; 
seine  meist  zu  weit  gehende  Abhangigkeit  von  sozialen  und  andern  Ein- 
fliissen  schreibt  ihm  ohnehin  vor,  im  Ausdruck  seiner  personlichen  An- 
sichten  behutsam  zu  sein.  Trotzdem  darf  er  weder  ein  Heuchler  noch  ein 
Hermaphrodit  aus  Kautschuk  sein,  und  er  wird  es  zu  zeiten  notig  finden, 
gerade  heraus  zu  sagen,  was  schwarz  ist,  und  was  weiss;  denn  es  ist  so  klar 
wie  das  Licht  der  Sonne,  wer  nicht  Charakter  hat,  kann  keine  Charaktere 
bilden. 

Wenn  nach  dem  Gesagten  nun  auch  die  Gefiihle  der  Achtung,  Ehr- 
furcht,  Verehrung  und  ihre  Gegenteile  fur  den  Erzieher  die  weitaus  wich- 
tigsten  sind,  so  sind  doch  die  der  Liebe,  Zuneigung,  Sympathie,  Mitgefiihl, 
Mitleid  und  ihre  Gegenteile  keineswegs  von  geringer  Bedeutung. 

Mehr  als  irgendwo  sonst,  ausser  vielleicht  im  Schosse  der  Familie,  gilt 
in  der  Schule  das  Wort  des  grossen  Apostels,  der  da  sagt:  ,,Wenn  ich  mit 
Engelzungen  redete  und  hatte  der  Liebe  nicht,  so  ware  ich  ein  tonendes 
Erz  und  eine  klingende  Schelle."  Mit  Recht  setzte  Schiller  an  Kants  Sit- 
tengesetz  dessen  iibergrosse  Rigorositat  aus,  denn  was  mit  Neigung  ge- 
schieht,  so  fern  es  nur  gut,  ist  darum  nicht  schlechter,  sondern  besser,  weil 
es  dadurch  an  dem  asthetischen  Moment  des  Schonen  teil  gewinnt. 

Erst  an  dritter  Stelle  endlich  kommen  die  Gefiihle  der  Furcht  und 
Hoffnung  in  betracht,  da  wir  die  .Strafen  und  Belohnungen,  auf  die  sie 
sich  griinden,  nur  als  notwendiges  Uebel  betrachten  kb'nnen. 

tiber  die  z.  T.  recht  kindischen  und  unpassenden  Belohnungen,  die 
in  manchen  Schulen  vorkommen,  wo  oft  nichts  als  die  allergewohnlichste 
Pflichterfiillung  die  Veranlassung  dazu  ist,  will  ich  hier  nichts  weiter  sagen; 
aber  der  Begriff  der  Strafe  verdient  und  fordert  Erwagung.  Wollten  wir 
wortlich  nach  dem  Dichter  gehen,  der  da  sagt:  ,,Alle  Schuld  racht  sich 
auf  Erden,"  so  ware  strafendes  Eingreifen  der  Menschen  gegen  einander 
absurd,  um  so  mehr,  als  niemand  vollkommen  ist.  Dieser  Aus?prtich  be- 


166  Padagoghche  Monahhefte. 

zieht  sich  aber  nur  auf  das  gesamte  sittliche  Bewusstsein,  d.  h.  das  Ge- 
wissen;  und  dieses,  wenn  es  sich  auch  bei  jedem  Menschen  in  irgend  einer 
Weise  friiher  oder  spater  regt,  geniigt  nicht  zur  Verhinderung  von  Wieder- 
holungen  desselben  Vergehens  oder  der  Begehung  andrer  Schlechtigkeiten, 
schon  weil  es  gar  zu  viele  Menschen  gibt,  die  wohl  ein  untriigliches  Ge- 
wissen,  aber  keinen  festen  Charakter  haben. 

Also  Strafe  muss  sein;  es  fragt  sich  nur,  was  genau  darunter  zu  ver- 
stehen  ist,  desgleichen  wie,  wann  und  wo  sie  angebracht  ist. 

In  erster  Linie  ist  Strafe  im  alttestamentlichen  Sinne,  also  das  ,,Auge 
um  Auge,  Zahn  um  Zahn,"  niemals  und  nirgends  zu  billigen,  am  allerwe- 
nigsten  in  der  Schule,  denn  das  ist  gleichbedeutend  mit  Rache. 

Auch  die  Idee  des  Wiedergutmachens  durch  Erleidung  von  Strafe  ist 
zu  verwerfen,  denn  sie  befordert  die  Selbsttauschung.  Vieles,  was  wir  uns 
zu  schulden  kommen  lassen,  einerlei  in  welchem  Grade  schlecht  oder  falsch 
oder  unsinnig,  ist  einfach  nicht  wieder  gut  zu  machen,  und  das  blosse 
Biissen  des  einen  Menschen  kann  niemals  einen  andern,  sich  selbst  achten- 
den,  sittlichen  Menschen  befriedigen.  Wo  aber  in  der  Schule  ein  Wieder- 
gutmachen  wirklich  erfolgen  kann,  muss  der  Eindruck,  als  sei  das  einer 
Strafe  gleich,  und  daher  mehr  oder  weniger  eine  Schande,  der  sich  das 
Kind  zu  schamen  habe,  mit  der  grossten  Sorgfalt  vermieden  werden.  Der 
Unterschied  zwischen  Restitution  und  Strafe  sollte  auch  dem  jungern 
Schiller  schon  klar  gemacht  werden.  Desgleichen  sollte  ihm  die  Tatsache 
eingepragt  werden,  dase  sich  manches  im  Fall  der  Besserung  wohl  v  e  r- 
g e b e n,  aber  nicht  so  leicht  vergessen  lasst;  dass  manches  Unrecht, 
welches  wir  andern  tun,  einerlei  ob  absichtlich  oder  unabsichtlich,  in  ihrer 
Erinnerung  immer  wieder,  und  sogar  als  ein  bitterer  Schmerz,  auftauchen 
mag,  selbst  wenn  kein  Rachegefiihl  damit  verbunden  sein  sollte,  oder  doch 
uicht  mehr  damit  verbunden  ist. 

Xach  diesem  bleibt  aber  nur  ein  verniinftiger  Standpunkt  in  bezug 
auf  Strafen  iibrig,  und  der  ist  folgender.  Da  adaquate  Gerechtigkeit  im 
natiirlichen  Lauf  unsres  Lebens  ausserlich  zum  mindesten  nicht  waltet, 
und  da  die  meisten  Menschen  nicht  gewissenhaft  oder  charakterfest  genug 
sind,  um  aus  freien  Stiicken  Unrecht  zu  vermeiden,  so  miissen  wir  fur 
jedes  nennenswerte  Vergehen  gewisse  Folgen  kiinstlich  festsetzen,  die  den 
Fehlenden  unweigerlich  treffen,  um  ihn  wie  andre  von  Wiederholung  des- 
selben Delikts  abzuschrecken;  wie  das  die  Selbsterhaltungspflicht  der 
menschlichen  Gesellschaft  fordert.  Und  diese  Folgen,  vulgo  Strafen,  diir- 
f en  keine  blossen  Akte  der  Grausamkeit  sein,  weil  sie  statt  des  Gef iihls  des 
Bedauerns  oder  der  Reue  sonst  das  der  Rache  erzeugen;  ganz  abgesehen 
davon,  dass  sie  auf  den  sittlichen  Charakter  des  Vollstreckers  hochst 
nachteilig  wirken  wiirden. 

Die  Anwendung  hiervon  auf  die  Schule  ist  nun  leicht  gemacht;  man 
miisste  denn,  wie  Rousseau  an  einer  Stelle  im  ,,Emile"  tut,  gegen  alle 


Er^iehungswissenscbaft  und  Erqiehungspraxis.  167 

Strafen  sein.  Jede  Strafe  also,  die  einerseits  die  Gesundheit,  andrerseits 
die  keimende  Selbstachtung  des  Kindes  nicht  schadigt,  muss  dem  Lehrei- 
gestattet  sein,  da  es  im  eignen  Interesse  des  Kindes  liegt,  in  der  dem  ein- 
zelnen  Vergehen  angemessenen  Weise  korrigiert  zu  werden.  Und  wer  da 
den  Lehrer  beschrankt,  so  dasz  er  gezwungen  wird,  entweder  zu  unpassen- 
den  Strafen  zu  greifen,  oder  Strafen  zu  verhangen,  die  in  ihrer  Art  und 
Anwendung  dem  betr.  Vergehen  nicht  entsprechen,  oder  aber  entgegen 
seinem  padagogischen  Gewissen  alles  Mogliche  hingehen  zu  lassen,  der  ver- 
siindigt  sich  auf  das  grb'bste  an  der  heranwachsenden  Generation.  Denn 
klar  ausgepragtes  sittliches  Gefiihl  und  deutliches  'Bewusstsein  der  Ve£- 
antwortlichkeit  vor  sich  selbst  wie  vor  andern  kann  dann  nicht  resultieren, 
und  ohne  diese  wird  der  Hauptzweck  der  eigentlichen  Sehulerziehung,  die 
Bildung  eines  festen,  moralischen  Charakters  verfehlt,  da  jene  eben  seine 
Basis  sind. 

Es  hat  auch,  um  das  hier  anzufiigen,  noch  niemals  ein  Lehrer  die 
Achtung  seiner  Schiller,  ja  ihre  Verehrung  entbehrt,  weil  er  sie  strafte, 
vielleicht  sogar  hart  strafte,  wo  sie  es  verdienten,  so  weit  es  nur  1.  auf  der 
Stelle,  2.  mit  Besonnenheit  und  3.  mit  sittlichem  Ernst  geschah;  im  Ge- 
genteil,  oft  haben  sie  ihm  spater  dafiir  gedankt,  dass  er  sie  die  Schwere 
ihrer  Vergehen  entsprechend  hat  fiihlen  lassen,  denn  sie  sind  dabei  zn 
wahrhaft  freien,  ordentlichen  Menschen  geworden.  Sehr  wahr  sagt  darunpt 
Diesterweg:  ,,Wer  Freiheit  will,  muss  Ordnung  wollen;  wer  Ordnung 
will, muss  die  Achtung  des  Gesetzes  wollen;  wer  die  Achtung  des  Gesetzes 
will,  muss  die  Erziehung  zur  Achtung  des  Gesetzes,  muss  dieErziehung  in 
Achtung  und  Ehrfurcht  vor  dem  Erzieher  wollen.  Wer  unter  jener  Be- 
dingung  diese  Dinge  nicht  will,  der  weiss  nicht,  was  er  will."  Die  hier 
geforderte  Ordnung  ist  aber  ganz  ohne  Strafen  vorerst  nicht  zu  haben. 
Trotz  der  Unerschopflichkeit  des  Stoffes  glaube  ich  Sie  schon  zu  lange  in 
Anspruch  genommen  zu  haben,  und  doch  lag  mir  daran,  keinen  der  soweit 
beriihrten  Punkte  zu  iibergehen,  da  sie  mir  auf  Grund  einer  SOjahrigen 
Erfahrung  die  wichtigsten  scheinen.  Lassen  Sie  mich  daher  zum  Ab- 
gchluss  die  Resultate  meiner  Erorterungen  kurz  zusammenfaesen. 

Die  Psychologic  zeigt  uns  1)  was  das  Kind  beim  Eintritt  in  die 
Schule  geistig  ist,  sie  gibt  uns  Kenntnis  der  geistigen  Elemente  und  des 
Prozesses  ihrer  Entwicklung;  2)  was  wir  aus  dem  Kinde  machen  konnen 
und  sollen,  wobei  sie  uns  hilft  das  Individuum  richtig  zu  beurteilen;  3) 
was  fiir  diesen  Zweck  die  beste  allgemeine  Methode  ist,  also  wie  nach 
Alter  und  Fassungskraft  in  der  Ordnung  und  Sichtung  der  Unterrichts- 
facher  vom  Konkreten  zum  Abstrakten,  vom  Einfachen  zum  Kompli- 
zierteren,  vom  Leichten  zum  Schwereren  fortgeschritten  werden  muss: 
und  endlich  4)  zeigt  sie  uns  zugleich  die  Begrenzung  unsrer  Tatigkeit, 
dass  namlich  Erziehung  und  Unterricht  wohl  unterstiitzen  und  ent- 
wickeln,  aber  nichts  schaffen,  eben  so  wenig  wie  die  Philosophic  etwas 


1G8  Padagoghche  Monatshefte. 

Neues  schafft.  Wir  gleichen  in  vieler  Beziehung  denjenigen  Gartnern, 
welche  Pflanzen,  die  sie  nicht  selbst  grossgezogen  haben,  zur  Pflege  und 
Aufbesserung  in  Verwahrung  nehmen. 

Dies  alles  zeigt  die  Psychologic  aber  nur  bei  eingehendem  Studium, 
aus  dem  sich  dann  alsbald  die  Not  wend  igkeit  der  nahern  Bekanntschaft 
mit  andern  philosophischen  Disziplinen  ergibt.  Ein  klein  wenig  Psycho- 
logic ist  so  gut  wie  gar  .kerne  Psychologic,  ja  vielleicht  schlimmer;  denn 
sic  :kanh  dann  nur  verwirrend  wirken  und  entwickelt  das  wichti^ste 
nicht,  was  sie  zu  entwickeln  helfen  soil,  den  padagogischcn  Takt.  Ira 
ganzen  und  grossen  k'ann  man  wohl  sagen,  dass  ein  Hauptwert  des  Stu- 
diums  der  Psychologic  in  der  philosophischen  Durchbildung  besteht,  zu 
der  sie  uns  verhilft.  Wenn  sie  trotzdem  bei  manchen  Leuten  in  Misskre- 
dit  gekommen  ist,  so  sind  diejenigen  schuld,  welche  sie  nur  halb  ver- 
dant haben  und  ihren  Namen  unniitzlich  fiihren,  sowie  diejenigen, 
welche  sie  zum  Zweck  der  Selbst  verb  errlichung  missbrauchen.  Da  sind 
denn  die  immer  noch  viel  besser,  welche  das  rein  theoretische  Studium 
der  Psychologic  wie  Padagogik  ganz  den  Mannern  der  Wissenschaft 
iiberlassen,  denen  das  Lebensaufgabe  ist,  und  die  gereiften  Kesultate 
stillschweigend  praktisch  verwerten. 

Die  Padagogik  selbst  aber,  auf  Psychologic  und  andere  philosophi- 
sche  wie  naturwissenschaftliche  Disziplinen  sich  stiitzend,  ist  zeitweilig, 
derart,  dass  ein  Teil  erlernt  werden  kann,  der  andere  nur  entwickelt. 
Da  letzterer  nun  fur  den  Erfolg  im  ganzen  und  auf  die  Dauer  der  wich- 
tigere  ist,  so  betrachte  ich  die  Pagagogik  oder  Erziehlehre  als  cine  Kunst, 
deren  Basis  zum  Teil  angewandte  Wissenschaft  ist,  zum  Teil  Talent  oder 
Genie,  Wissen  und  Erfahrung;  in  diesem  Sinne  mao1  man  demnach  von 
Erziehungswissenschaft  und  Erziehungspraxis  reden. 

Alle  Erziehung  f erner  teilt  sich  in  natiirliche,  die  den  Anfang 
macht  und  eigentlich  nie  endet,  und  k  ii  n  s  1 1  i  c  h  e,  die  zeitweilig  dazu 
tritt.  In  der  natiirlichen  ist  kein  System,  aber  wenn  sie  nur  ungehindert 
fortschreitet,  kommt  ihr  der  Instinkt  im  Menschen  entgegen,  der 
das  Neue,  das  iiberhaupt  geboten  wird,  von  selbst  in  der  passenden  Ord- 
nung  aufnehmen  lasst. 

In  der  kiinstlichen  oder  Schulerziehung  dagegen  ist  mehr  oder 
weniger  System,  aber  wie  logisch  und  nach  unserm  Verstiindnis  grad- 
weise  angemessen  es  auch  sei,  es  bleibt  etwas  Gemachtes,  also  Unvollkom- 
menes,  und  der  Instinkt  versagt  seine  Hiilfe;  an  seine  Stelle  muss  das 
Interesse  treten,  welches  freilich  erweckt  und  lebendig  erhalten  wer- 
den will. 

Zweck  aller.  Schulerziehung  aber  ist  die  mit  moglichst  viel  Ein- 
sicht  und  moglichst  wenig  blosser  Dressur  verbundene  Vorbereitung  und 
Kinleitung  des  moralischen  Charakters,  der  die  rechte  Mitte  zwischen 


Herders  Perscenlichkeit.  169 

Altruismus  und  Egoismus  zu  halten  versteht;  ein  gewisses  Quantum 
niitzlicher  sowohl  als  rein  kultureller  Kenntnisse  1st  dabei  ein  selbstvcr- 
standliches  Corollarium. 


Herders  Personlichkeit. 


(FUr  die  PSdazogischen  Monatshefte. 


Von  A.  Busse,  University  of  Wisconsin. 


Was  Herder  in  der  gesamten  deutschen  Kultureiitwicklung  bedeutet, 
1st  wohl  dem  ,,modernen"  Menschen  recht  wenig  klar  und  gegenwartig. 
Dass  dieser  gewaltige  schopferische  Geist  so  sehr  in  Vergessenheit  ge- 
raten  ist,  so  dass  wir  uns  durch  Literarhistoriker  an  bedeutenden  Ge- 
clenktagen  wie  der  hundertjahrigen  Wiederkehr  seines  Todestages  erst 
wieder  auf  ihn  aufmerksam  machen  lassen  miissen,  mag  zum  Teil  an  sei- 
ner  eigenartigen  Stellung  innerhalb  der  Geschichte  liegen.  Denn  im 
flrunde  musste  er  sich  mit  der  ihm  vom  Geschick  zuerteilten  Rolle  eines 
Bahnbrechers  und  Wegebereiters  fur  den,  der  da  kommen  sollte,  begnii- 
gen.  Und  dieser  Kommende  war  Goethe.  Das  Licht  dieses  Geistesriesen 
drangte  Herder  in  seinen  eignen  Schatten.  Doch  nicht  Goethe  allein  be- 
reitete  er  den  Weg,  er  hat  vielmehr  zu  einer  ganzen  Reilie  wissenschaft- 
licher  Forschungen  des  reiferen  neunzehnten  Jahrhunderts  den  ersten 
Spateristich  getan.  Selten  aber  erntet  ja  bekanntlich  der  die  gebiihrende 
Anerkennung,  der  die  ersten  scheinbar  kaum  bemerkenswerten  Funda- 
mentsteine  zusammentragt;  der  Baumeister,  der  sein  Gebaude  darauf 
auffiihrt,  tragt  nur  zu  oft  den  Ruhmeslorbeer  ungeteilt  davon.  Das 
erstere  war  denn  auch  Herders  Schicksal,  allein  wie  gesagt,  doch  nur  zum 
Teil.  Dass  wir  von  ihm  nicht  in  unserem  Andenken  das  Bild  eines  mar- 
kigen,  festen  Kampen  seiner  Sache  bewahren,  wie  beispielsweise  doch  ein 
Lessmg  in  unserem  Gedachtnis  fortlebt,  daran  ist  Herder  zum  grossen 
Teil  selbst  schuld.  Er  hat  sich  zeit  seines  Lebens  fast  immer  selbst  im 
Lichte  gestanden.  Fein  und  zart,  empfindlich  und  reizbar,  wie  er  veran- 
lagt  war,  hat  er  nie  mit  der  Unverletzbarkeit  und  dem  Siegesbewusstsein 
seines  Vorgangers  Lessing  oder  seines  grossen  Zeitgenossen  in  die 
Schranken  treten  konnen.  Seiner  vorteilhaften  tJberlegenheit,  die  er 
den  meisten  seiner  Gegner  voraus  hatte,  nicht  immer  bewusst,  stellte  er 
sich  mit  diesen  auf  gleiche  Basis  und  verlor  in  Differenzen  mit  ihnen  die 
vornehme  Ruhe  des  echten  Geistesadels.  Recht  musste  er  immer  behal- 
ten,  sich  iiir  besiegt,  fiir  iiberzeugt  zu  erklaren,  war  ihm  unmoglich.  Da- 
durch  wurde  oft  sein  Wagemut  gebrochen  fiir  solche  Falle,  wo  von  vorn- 
herein  das  Recht  auf  seiner  Seite  war.  Das  hat  viele  seiner  wissenschaft- 


170  Padagogiscbe  Monatshefte. 

lichen  Erzeugnisse  verkiimmert  und  trotz  der  Fiille  wertvoller  Mitteilun- 
gen,  die  er  aus  seinem  Erkenntnisschatz  der  Hit-  und  Nachwelt  zu 
machen  hatte,  ist  doch  manches  uns  verschwiegen  worden,  wie  z.  B.  ge- 
rade  aus  der  unschatzbaren  Sammlung  seiner  Volkslieder.  Hier  beson- 
ders  hat  er  mit  den  Ergebnissen  eines  andauernden  Fleisses  tentativ 
naoh  dem  mbglicherweise  ungiinstigen  Eindruck  geforscht  und  doch  zu- 
lezt  mi  seinen  Gaben  gegeizt.  War  es  ihm  gleich  unmoglich,  sich  mit 
der  Wucht  seiner  Personlichkeit  durchzusetzen  und  sich  Geltung  zu  ver- 
schaffen,  zuriickziehen  von  der  Walstatt  der  kritischen  Waffengange 
konnte  und  wollte  er  sich  trotzdem  nicht.  So  verbittert  er  gleich  zuweilen 
war,  wenn  man  an  den  Resultaten  seines  Forschens  zweifelte,  das  Selbst- 
bewusstsein  des  echten  Forschers  besass  er  dennoch  und  liess  sich  daher 
nicht  abschrecken,  immer  wieder  aufs  neue  zu  suchen. 

Denn  sichten,  sammeln,  sinnen  musste  er;  das  war  ihm  gleichsam 
zweite  Natur.  Ein  freies  unbehindertes,  von  Sorgen  unsretriibtes  Schaf- 
fen.  wie  ein  Goethe  es  kannte,  war  ihm  freilich  nicht  vergonnt.  Nicht 
nur  die  Menschen,  sondern  auch  das  Leben  geriet  in  arge  Schuld  bei 
ihm.  Aber  er  war  eine  zu  fein  und  geistig  zu  hoch  gestimmte  Natur,  als 
dass  er  sich  durch  matsrielle  Bekiimmernisse  hatte  hinunterziehen  las- 
sen  von  seiner  hohen  Warte  in  das  Tiefland  dunkler  Alltaglichkeit. 
Hochlandsluft  war  ein  unerlassliches  Sublimat  fur  sein  geistiges  Dasein. 
Sein  Wirken  und  Schaffen  war  ihm  aber  nicht  nur  Liebhaberei,  nicht 
nur  Zeitvertreib  fiir  die  ode  Einsamkeit  des  Lebens,  die  ihn  oft  umgab. 
Wo  er  stand,  da  wollte  er  immer  zunachst  seinen  Platz  ganz  ausfullen. 
Darum  war  er  in  der  Schule  ein  ganzer  Schulmeister  und  hat  lange  vor 
einem  Pestalozzi  und  Herbart  edit  padagogische  Bahnen  im  modernen 
Sinne  eingeschlagen.  Seine  Tuchtigkeit  und  Griindlichkeit  in  dieser 
Arbeit  waren  nicht  nur  leicht  verduftende  Bliiten  eines  schnell  wuchern- 
den  und  ebenso  schnell  ersterbenden  Enthusiasmus.  Sich  auszuleben  in 
seinem  Beruf  war  ihm  Bediirfnis.  Und  gerade  dies  hat  er  versucht  in 
dem  Amt,  das  er  sich  zum  Lebensberuf  erwahlte.  Er  selbst  hat  es  wohl 
nie  empfunden,  wie  wenig  er  gerade  in  diese  Bahn  hineinpasste.  Erst 
die  Geschichte  hat  das  Urteil  endgiltig  dariiber  abgeschlossen,  und  der 
Zahn  der  Zeit  hat  uns  wirklich  wenig  iibrig  gelassen  gerade  von  dem 
j.Konsistorialrat"  Herder.  Wie  viele  haben  heute  iiberhaupt  noch  die 
Vorstellung,  dass  er  sein  Leben  lang  als  Geistlicher  gewirkt  hat.  So 
unvereinbar  uns  ein  Goethe  mit  Regierungsarbeiten  erscheint,  so  wider- 
epruchsvoll  will  uns  ein  Herder  im  Talar  auf  der  Kanzel  und  am  Altar 
vorkommen.  Aber  er  hat  sein  Pfarramt  nicht  nur  zum  Broterwerb  inne 
gehabt,  wenngleich  es  ihm  in  erster  Linie  Not  und  Nahrungssorgren  von 
der  Tiir  fernhalten  musste.  Als  der  primus  inter  pares  hatte  er  seinen 
Amtsgenossen  gar  manches  Beherzigenswerte  zu  sagen  iiber  Amts- 


Herders  Perscenlichkeit.  171 

fiihrung,  Schriftauslegung  und  Predigt.  Als  der  geistliche  Versorger 
.  wiinschte  er  seine  Gemeinde  zu  heben  und  bei  frischem  Leben  zu  erhalten 
durch  einen  erweiterten  geistlichen  Liederschatz,  durch  lebendige  man- 
nigfaltige  liturgische  Formen,  durch  weise  und  ordnungsmassige  Hand- 
habung  kirchlicher  Gesetze.  Hier  kam  besonders  eine  Seite  seines  so  viel 
umspannenden  innersten  Wesens  zum  Ausdruck.  Der  Menschheit,  aus 
deren  Mitte  ihm  so  viel  Verkenmmg,  soviel  Undank  entgegentrat,  mit 
deren  Gliedern  er  bestandig  im  Kampf  lag,  gerade  der  wollte  er  dienen. 
Nicht  aus  eineh  falschen  Selbstgefalligkeit,  aus  einem  unaufrichtigen 
Eigennutz  wurde  dieser  "VVunsch,  dieser  Trieb  gezeugt;  es  war  das  der 
innerste  Gedanke  seiner  Seelc,  denn — er  liebte  diese  Menschheit.  Beim 
Verfolgen  ihrer  Geschichte,  ihres  Werdeganges,  ihres  Daseinszweckes  in 
dem  Plan  des  Universums  Gottes,  da  wurde  er  zum  Pfadfinder  neuer 
Ideen,  neuer  Probleme,  neuer  Forschungsgebiete.  An  dem  Suchen  und 
Arbeiten  in  dieser  Richtung  schien  ein  fiir  das  Kosmische,  das  Universale 
veranlagter,  stets  weit  ausholender  Geist  sich  zu  erfrischen,  denn  durch 
cine  ganze  Periode  seines  Lebens  zieht  sich  die  Arbeit  an  den  Ideen  zur 
Philosophic  der  Geschichte  und  an  dem  Versuch  der  Geschichte  der 
Menschheit. — ,,Die  Poesie  1st  die  Muttersprache  des  Menschenge- 
schlechts,"  dieses  sein  gefliigeltes  Wort  kennzeichnet  die  Tiefe  und  die 
Erhabenheit  seins  Menschheitsgedankens.  Melodisch  und  harmonisch 
sind  ihm  die  ersten  Laute  menschlicher  Gefiihls-  und  Willensausserun- 
gen,  bis  sie  mit  ,,der  Entwicklung  der  Vernunft"  auch  andre  Formen  an- 
nehmen.  Jene  poetischen  Laute  erscheinen  ihm  als  eine  der  edelsten 
Gaben  Gottes,  als  es  die  Menschen  ins  Dasein  rief.  So  verallge- 
meinert  und  idealisiert  er  diesen  Menschheitsbegriff,  um  ihn  gleich- 
zeitig  wieder  zu  individualisieren.  Denn  in  jener  ersten  biblischen  Ur- 
kunde  des  Menschengeschlechts  sieht  er  die  ganze  Entwicklung  der 
Menschheit  vorgebildet  in  den  einzelnen  Beziehungen  zu  einander  wie 
in  ihrer  Gesamtheit. 

Die  ganze  Geschichte  der  Menschheit  ist  nur  eine  Wiederholung 
derselben  Geschicke  eines  einzelnen  Menschen,  denn  die  grossen  Bliite- 
perioden  gewisser  Volker  sind  nur  Lebensabschnitte  im  Dasein  des  ge- 
samten  Menschengeschlechts.  Alles  entwickelt  sich,  um  zu  immer  rei- 
neren  Formen  zu  gelangen,  gleich  wie  die  menschliche  Seele,  die  ihren 
Aufenthaltsort  von  einem  Korper  in  den  andren  verlegt.  Licht,  Leben 
und  Warme  sind  ihm  die  Fundamentalfaktoren,  durch  die  eine  rechte, 
vernunftsmassige  Entwicklung  zu  wahrer,  reiner  Menschlichkeit  ge- 
schieht.  Diese  letztere  verbietet  jeden  Partikularismus,  da  alle  Volker 
unter  sich  gleichberechtigt  dastehen;  darum  wahle  man  sich  auch  in  der 
Geschichte  kein  Lieblingsvolk  aus,  weil  alle  Volker  sich  entwickeln  und 
uns  nur  nicht  immer  ihre  vorteilhaften  Seiten  ins  Auge  fallen.  Sie  alle 


172  Padagogische  Monatshefte. 

haben  einst  in  der  poetischen  Muttersprache  der  Menschen  geredet  und 
reden  darin  heute  noch.  —  Diese  poetischen  Laute  der  Volker  zu  be- 
lauschen  war  daher  gewissermassen  logisches  Axiom  fiir  Herder.  Es  <nng 
aus  seiner  Weltanschauung  hervor,  wie  er  eine  solsche  sich  aus  tausend 
feinen  Faden  zusammenwob,  so  dass  uns  dies  Gewebe  wie  eine  feine,  zarte 
Dichtung  erscheint.  Denn  Vieles,  was  er  in  den  erwahnten  Schriften 
sagt,  mag  einen  tiefen  philosophischen  Anstrich  haben,  wirklich  be- 
stechen  kann  es  uns  doch  nur  durch  den  poetischen  Hauch,  den  er  un- 
willkiirlich  dariiber  ausbreitete.  Denn  im  Grunde  war  Herder  doch  eine 
Dichternatur.  Philosoph  wollte  er  selbst  nicht  sein  und  auch  nicht  als 
solcher  gelten.  Abstraktionen  waren  ihm  Friichte  eines  miissigen  Trei- 
bens;  am  Metaphysischen  sah  er  die  Grenze  seiner  Gedankenarbeit.  Bis 
dorthin,  glaubte  er,  gingen  die  Rechte  eines  jeden  Forschers,  alles  tibrige 
sei  unfruchtbar  fiir  die  Menschheit  und  daher  zu  unterlassen.  Mit  ehr- 
f urchtsvoller  Scheu  und  frommer  Verehrung  macht  er  daher  auch  in 
seinem  theologischen  Denken  vor  dem  Transzendentalen  Halt.  Wurde  er 
gleich  trotz  seiner  streng  biblischen  Bichtung,  der  er  sich  in  Biickeburg 
zugewandt  hatte,  in  Weimar  liberaler,  so  blieb  er  doch  auch  hier  seinen 
innersten  Gefiihlen  treu  und  hiitete  sich  vor  reflexiven  Spekulationen. 
Fiir  seine  Vorstellungen  itber  die  grossen  Frangen  des  Woher  und  Wo- 
hin  des  Menschengeschlechts  half  ihm  gerade  seine  dichterische  Veran- 
lagung  zu  einer  ihm  befriedigenden  Losung.  Zur  Dichtung  wurden  ihm 
daher  seine  tiefsinnigsten  philosophischen  Schriften;  und  was  er  andrer- 
seits  in  seinem  Suchen  und  Forschen  als  Dichtung  entdeckte,  das  fesselte 
ihn  darum  auch  wieder  machtig. 

Mit  seltenem  Fleiss  hat  er,  diesem  Triebe  folgend,  Zeit  seines  Lebens  in. 
den  Poesien  aller  Volker  gesucht  und  daraus  gesammelt.  Ohne  Vorlau- 
fer  darin  zu  haben,  ohne  einen  Fiihrer  an  der  Seite,  hat  er  dabei  den 
Weg  zu  den  herrlichsten  Schatzen  und  Kleinoden  gef unden.  In  die 
grauste  Vorzeit  wie  in  die  jiingste  Mitwelt,  zu  den  Volkern  des  eisigen 
Nordens  sowohl  wie  zu  denen  des  sonnigen  Siidens  erstreckten  sich  seine 
Forschungstriebe.  Nicht  nach  den  bereits  durch  alle  Kunstmittel  ge- 
feilten  Juwelen  der  Dichtkunst  suchte  er,  obwohl  sich  sein  Herz  und 
Auge  nicht  minder  daran  erfreuten.  \Villkonimener  waren  ihm  doch  die 
von  Schlacken  umhiillten  Edelsteine  echter  Volkspoesie.  Volkslieder 
wollte  er  sammeln;  den  Xamen  dazu  erf  and  er  sich  selbst,  und  dass  er 
ihn  uns  mit  seinem  weiten  Begriff  gegeben  wie  einen  Schliissel  zu  einein. 
reizenden  Zauber-  und  Feenland,  dafiir  miissen  wir  ihm  dank  wissen. 
Wie  vorher  angedeutet,  hat  er  uns  leider  nicht  alle  Funde  seines  Sam-, 
meleifers  mitgeteilt,  nur  verkiirzt  und  arg  geschmiilert  liess  er 
seine  Mitwelt  an  dem  mitgeniessen,  woran  er  selbst  wohl  die 
tiefste  Freude  und  den  grossten  Genuss  fand.  Denn  zu  dieser 


Herders  Persoenlichkeit.  173 

Arbeit  1st  er  mit  dem  ganzen  Eifer  seines  arbeitsamen  Geistes 
Und  seiner  Freude  am  Schaffen,  das  ihm  Lebensbedingung  war, 
immer  wieder  zuriickgekehrt;  ihr  verdanken  wir  nicht  allein 
die  schb'nsten  Proben  deutscher  und  noch  vielmehr  ausserdeutscher 
Volkspoesie,  sondern  vor  allem  das  Ergebnis  der  Arbeit,  die  dem  ver- 
bitterten  imd  enttauschten  Greise  den  Lebensabend  versiisste,  namlich 
die  tibersetzung  des  Cid. 

Mehr  als  an  seinen  kritischen  Untersnchungen  und  seinen  aestheti- 
schen  und  theologischen  Schriftstellererzeugnissen  fand  Herder  wohl  im 
Jnnersten  seines  Gemiits  Befriedigung  an  dieser  prodnktiven  Dichter- 
arbeit.  Hier  trafen  von  aussen  Klange  in  Sinn  und  Gemiit,  die  ohne  wei- 
teres  im  Innern  einen  Wiederhall  fanden,  hier  schmolz  das  Leben,  das 
ihn  von  aussen  anwehte,  leicht  und  fiiissig  mit  dem  eigenen  Innenleben 
zusammen.  Denn  das  war  das  tragische  Verhangnis,  das  iiber  den  iibri- 
gen  Arbeiten  unseres  Dichters  schwebte,  dass  er  sich  darin  nicht  bis  zur 
inneren  Selbstbefreiung  ausleben  und  ausarbeiten  konnte.  Es  schien 
vielmehr  stets  in  seinem  Innern  etwas  haften  zu  bleiben,  das  nicht  zum 
Leben  kommen  und  das  er  infolgedessen  auch  nicht  mitteilen  konnte. 
So  sieht  er  in  seinen  Arbeiten  nie  sein  eigenes  wahres  Leben  in  seinem 
ganzen  Umfang  vor  sich;  er  verliert  daher  bald  das  Interesse  daran,  sie 
bleiben  liegen  und  oft  erst  nach  Jahren  beginnt  er  am  kalt  gewordenen 
Eiseiv  ohne  rechtes  Feuer  wieder  zu  schmieden.  Daher  haftet  vielen 
Herderschen  Produktionen  etwas  stark  Fragmentarischcs  an,  und  andere 
sind  iiberhaupt  unvollendet  auf  die  Xachwelt  gekommen. 

Ohne  sich  selbst  dessen  vollig  bewusst  zu  werden,  hat  er  doch  den 
Mangel  an  ausreichender  Kraft  wohl  je  und  dann  gefiihlt.  Aber  er  hatte 
einen  zu  starken  Glauben  an  seine  Bestimmung  und  an  sein  Recht,  Fiih- 
render  zu  sein,  als  dass  er  auch  nur  einen  Augenblick  in  seinem  eigenen 
Sinn  zusammengebrochen  ware.  In  den  Zenith  seines  Jahrhunderts 
wollte  er  treten  und  die  Stelle  hat  er  erreicht;  etwas  iiber  seine  Zeit  Hin- 
ausragendes  und  Hinausreichendes  wollte  er  hinterlassen,  und  das  ist 
ihm  gelungen.  Herder  ist  uns  als  Ganzes  nicht  so  sehr  Vorbild  fiir  einen 
edlen  Menschentypus  wie  Goethe  oder  Emerson,  zu  denen  wir  auf- 
blicken  wie  zu  Mustern  echten  Menschentums.  Die  unverwiistliche  Ener- 
gie  seiner  Herrennatur,  die  beispiellose  Selbstlosigkeit  in  seinem  aussern 
materiellen  Leben,  der  Adel  seiner  Gesinnung,  die  Vielseitigkeit  seiner 
Ideenwelt,  das  alles  sind  einzelne  Ziige,  die  wir  an  ihm  bewundern,  an, 
denen  wir  auch  von  ihm  lernen  kb'nnen.  Wahrhaft  gross  wird  er  uns 
doch  aber  erst  als  der,  der  selbst  den  Besten  seiner  Zeit  genug  getan  und 
darum  gelebt  hat  fiir  alle  Zeiten,  auch  fiir  unsere  Zeit. 

Denn  das  ist  unumstrittenes  Faktum;  Herders  Einfliisse  reichen 
direkt  und  indirekt  bis  auf  unsere  Tage.  Eins  vor  alien  andren  Ver- 


174  Pddagogiscbe  Monatsbefte. 

diensten  wird  die  Weltgeschichte  ihm  in  ihrem  Buche  unausloschlich 
bewahren,  namlich,  dass  seine  Lebenswanne,  sein  unzerstorbarer  Lebens- 
kern  den  Dichter  Goethe  werden  half.  Denn  als  Goethe,  der  Mensch, 
dem  gereiften  Herder  zum  ersten  Mai  gegeniiber  trat,  war  das  reiche 
Leben  in  ihm  noch  ein  grosses  Chaos,  erst  die  erprobte  Hand  des  alteren 
Gefahrten  half  darin  Ordnung  und  Grundlage  schaffen,  und  die  Volks- 
lieder,  Herders  geistige  Lieblingskinder,  die  er  damals  sammelte,  waren 
das  giinstige  Omen,  unter  dem  dies  geschah.  Sie  haben  also  bei  dem 
Dichtertalent  unsres  grossen  Goethe  gewissermassen  Patenstelle  einge- 
nommen.  Der  Dichter  des  Faust  hat  diesen  Einfluss  und  jene  ersten 
friihesten  Anregimgen  zu  geordnetem  zusammenhangendem  Schaffen 
durch  Herder  stets  anerkannt  und  seinem  alteren  und  erprobteren 
Freunde  gegeniiber  bis  zur  aussersten  Moglichkeit  sich  dankbar  erwiesen. 
Neben  ihm  hat  aber  kein  geringerer  als  Burger  bekannt,  dass  Herders 
Anregungen  ihm  zur  dichterischen  Yollendung  seiner  ,,Lenore"  verhol- 
fen  haben.  Novalis,  der  leider  zu  friih  seine  fruchtbare  Tatigkeit  ab- 
brechen  musste,  hat  von  dem  Erbe  Herders  reichen  Gewinn  gezogen  und 
A.  W.  Schlegel  vollends  nahm  direkt  unsres  Dichters  Gedanken  auf,  um 
sie  zu  weitrer  Entfaltung  und  Entwicklung  zu  fiihren.*)  So  darf  man 
fiiglich  sagen,  dass  die  gesamie  Friihromantik  in  Herder  einen  ihrer  Vor- 
laufer  und  Lehrmeister  gefunden  hat.  Die  Evolutionisten  andrerseits, 
wie  sie  in  England  und  Amerika  im  vergangenen  Jahrhundert  mit 
grossem  Erfolge  aufgetreten  sind,  werden  nicht  umhin  konnen,  Herder 
als  einem  ihrer  friihesten  Anreger  und  Vorgan^er  Dank  zu  zollen.  Auch 
die  ausgedehnte  Forschung  orientalischer  Literatur  und  Kunst  zuerst 
belebt  zu  haben,  wird  man  Herder  als  Verdienst  anrechnen  miissen. 
Auch  auf  die  Philosophic  des  neunzehnten  Jahrhunderts  hat  er  nicht 
geringen  Einfluss  gehabt;  Schelling  und  Hegel  miissten  hier  in  erster 
Linie  als  von  ihm  beeinflusst  angefiihrt  werden. 

Doch  wer  will  sie  alle  aufzahlen,  die  Friichte  seines  reichen  und 
ergiebigen  Schaffens,  ohne  Gefahr  zu  laufen,  ihm  Unrecht  zu  tun.  Denn 
wer  kann  sie  alle  nennen,  die  in  Herder  ihren  geistigen  Yater  gesehen 
haben?  Machtig  und  weit  ist  der  von  ihm  ausgestreute  Same  aufgegan- 
gen  iiber  die  Grenzen  Deutschlands  hinaus.  Herder  ist  daher  nicht  mehr 
ausschliesslich  Eigentum  der  deutschen  Nation;  seine  Schriften  gehoren 
der  Weltliteratur  an.  Dennoch  bleibt  er  uns  einer  der  ersten  Sohne  un- 
seres  Vaterlandes,  den  Ehrenplatz  unter  den  ,,0riginalgenies"  des  18. 
Jahrhunderts  raumen  wir  ihm  ohne  Bedenken  ein.  Seine  Person  mag 
imserem  Gedachtnis  entschwinden;  die  reiche  Arbeit  seines  Geistes  wird 


*)  Dessen  Schrift  von  deutscher  Art  und  Kunst  ist  ihm  nach  seinem 
eignen  Gestandnis  friih  zum  Lieblingsbuch  geworden. 


Ein  Bruch  mil  der  Ueberlieferung.  175 

fortleben  bis  in  kommendo  Geschlechter.  Was  er  fiir  sich  selbst  als  cchter 
Mensch  forderte,  was  er  seiner  Zeit  und  seiner  Nachwelt  bringen  wollte 
und  auch  gebracht  hat,  was  wir  ihm  daher  heute  noch  als  seine  Erben 
schulden,  das  hat  sein  Fiirst  und  Conner  Karl  August  in  treffender 
Weise  auf  seinen  Leiehenstein  eingraben  lassen,  damit  seine  Lebensdevise 
und  seinen  Wert  in  die  drei  inhaltsschweren  Worte  zusammenfassend: 

Licht,  Leben,  Liebe. 


Ein  Bruch  mit  der  Ueberlieferung. 

(FQr  die  Padagogischen  Honatshefte.) 


Von  Dr.  August  Prehn,  Columbia  Grammar  School,  New  York  City. 


Auszug  aus  dem  Originalvortrag,  gehalten    vor  dem  33.  Lehrertag  zu  Erie,  Pa. 


Der  Vortrag  ,,Ein  Bruch  mit  der  Uberlieferung"  war  fiir  die  Ver- 
treter  der  westlichen  Staaten  von  vornherein  dadurch  interessant,  dass 
derselbe  sich  mit  einem  geographischen  Gebiete  befasste,  mit  welchem 
die  Mehrzahl  der  Konventsbesucher  in  gar  keiner,  oder  nur  sehr  loser 
Fiihlung  stehen,  und  innerhalb  desselben  wieder  mit  einem  grossen.  Mit- 
telpunkte,  der  Stadt  New  York,  welche  gemass  den  Ausfiihrungen  des 
Vortragenden  unter  den  grossen  deutschen  Sprachinseln  in  den  Verei- 
nigten  Staaten  trotz  eines  hochentwickelten  Vereinslebens,  trotz  deut- 
scher  Theater,  Kirchen  und  reichlich  ausgestatteter  Bibliotheken  nur 
noch  diirftige  Spuren  eines  sprachlich  deutschen  Lebens  aufweist.  Die 
heutige  Generation  der  New  Yorker  Kinder  deutscher  Eltern  kennt  mit 
wenigen  Ausnahmen  die  deutsche  Sprache  augenscheinlich  nur  vom 
Horensagen.  Die  besser  gestellten  Deutschen  selbst  haben  den  deutsch- 
amerikanischen  Schulen,  deren  es  vor  zwanzig  Jahren  noch  eine  Menge 
gab,  den  Todesstoss  versetzt,  viele  haben  die  deutsche  Sprache  sogar 
vom  hauslichen  Herde  verbannt  und  ereifern  sich  dann  unbegreiflicher- 
weise  iiber  das  einmiitig  ablehnende  Verhalten  ihrer  eigenen  Kinder  und 
der  New  Yorker  Schulverwaltung  in  Sachen  des  Unterrichts  in  der 
deutschen  Sprache  in  den  Elementarschulen. 

Unter  diesen  Umstanden  sollte  der  denkende  Lehrer  sich  bestreben, 
einen  durch  ortliche  Verhaltnisse  entwiirdigten  Lehrgegen stand  durch 
die  Anwendung  ungeeigneter  Grundsatze  nicht  vollstandig  lahmzulegen. 

Der  Vortragende  warnt  vor  der  Erzeugung  von  Wahnvorstellungen 
im  Geiste  der  Anfanger,  die  in  erster  Linie  durch  den  vorzeitigen  Un- 
terricht  in  der  Grammatik,  sowie  die  entsprechende  Verzogerung  des 
Lese-  und  Sprechunterricht  hervorgerufen  werden.  Er  schildert  das 


176  Pddagogische  Monatshefte. 

Obersetzen  von  Satzchen  ins  Deutsche  ohne  eine  ausreichende  Bekannt- 
schaft  mit  der  Sprache  als  das  schadlichste  Mittel  der  Spracherzeugung 
und  empfiehlt  an  Stelle  derselben,  wo  iiberhaupt  ein  Zwang  vorliegt,  die 
Wiedergabe  von  idiomatisch  zuverlassigem  Material  als  das  natiirliche 
Prinzip  der  Erweckung  eines  richtigen  Sprachgefiihls  und  will  den  Ge- 
brauch  der  Grammatik  auf  die  Einiibung  der  unentbehrlichen  Abschnitte 
beschrankt  wissen,  um  den  Scbiiler  daran  zu  gewohnen,  in  dieser  Wis- 
senschaft  statt  einer  gefurchteten  Zuchtmeisterin  und  vermeintlicben 
Sprachbildnerin  eine  treue,  aber  untergeordnete  Beraterin  in  zweifelhaf- 
ten  Fallen  zu  sehen. 

Der  Vortrag  richtet  sodann  seine  Angriffe  auf  die  Lacherlichkeiten 
in  den  Ubungssatzen,  welche  selbst  die  besten  Grammatiken  enthalten, 
und  welche  im  Bunde  mit  dem  unzeitgemassen  Lesestoff  der  meisten 
Biicher  fiir  Anfanger,  Fabeln,  Marchen  und  mittelalterlichen  Schwan- 
ken,  im  Gehirne  des  Durchschnittsschiilers  ein  Zerrbild  vom  deutschen 
Kulturleben  entwickeln. 

Dass  trotz  aller  Fortschritte  auf  padagogischem  Gebiete  der  Unter- 
richt  in  der  deutschen  Sprache  nicht  nur  kein  moderneres  Geprage  er- 
halt,  sondern  immer  ruckschrittlicher  wird,  schreibt  der  Vortragende 
der  Gleichgiltigkeit  zahlreicher  Lehrer,  dem  Despotismus  von  manchen 
fachlich  unmassgeblichen  Aufsichtsbeamten  und  dem  Charakter  der  Ein- 
trittspriifungen  unserer  hervorragendsten  Colleges  zu.  Er  riigt  es,  dass 
die  ganze  Wucht  des  Examens  in  der  Grammatik  und  Satzbildung  in 
der  fremden  Sprache  auf  die  niedrigste  Priifungsstufe  fallt  und  kniipft 
daran  die  wohlberechtigte  Frage,  welchen  Vorteil  ein  junger  Mann  aus 
einer  solchen  Bekanntschaft  mit  der  deutschen  Sprache  in  denjenigen 
Fallen  zieht,  wo  die  elementare  Aufnahmepriifung  gleichzeitig  der 
letzte  Akt  in  der  Tragodie  der  Spracherlernung  ist,  und  was  dann  auf 
diese  Weise  von  denen  erreicht  wird,  welche  stets  die  Phrase  von  dem 
idealen  Einflusse  der  deutschen  Sprache  und  Literatur  im  Munde  fiih- 
ren  und  ihren  Schiilern  die  Eingangspforte  verriegeln,  statt  als  kundige 
Fuhrer  denselben  einen  Blick  auf  die  vorhandenen  Herrlichkeiten  zu 
eroffnen  und  von  der  ersten  Stunde  an  so  viel  Lust  und  Liebe  in  ihnen 
zu  erwecken,  dass  der  Erfolg  nicht  ausbleiben  kann. 

Die  Mittel,  welche  die  Ausfuhrung  eines  solchen  Planes  ermogli- 
chen,  sind  einfach  genug.  Durch  gehorige  Ausbeutung  der  lautlichen 
Verwandtschaften  beider  Sprachen  liisst  sich  in  kurzer  Zeit  ein  Wort- 
schatz  anhaufen,  mit  dessen  Hilfe  die  meisten  zusammenhangenden  Er- 
zahlungen  iibersetzt  werden  konnen,  die  unsere  grossen  Verlagshauser 
auf  den  Markt  bringen.  Ein  betrachtlicher  Teil  dieses  Wortvorrates 
kann  gleichzeitig,  wo  das  Bediirfnis  dazu  vorliegt,  zu  Gesprachsiibun- 
gen  verwendet  werden,  die  bei  fertig  gegebenen  grammatischen  Formen 
in  systematischer  Weise  das  ganze  Gebiet  der  Wortstellung  entwickeln 


Ein  'Bruch  mit  der  Ueberliefening.  177 

miissen,  und  erst  nachtraglich  soil  die  Formenlehre,  mit  deren  gesam- 
tem  Inhalt  der  Lernende  inzwischen  durch  das  anhaltende  Lesen  ver- 
traut  gevvorden  ist,  zur  Einiibung  gelangen. 

Irgend  ein  Schiiler,  der  gegen  fiinfhundert  Seiten  guter  und  fes- 
selnder  deutscher  Texte  gelesen  hat,  kann  nicht  umhin,  die  Beobachtung 
zu  machen,  dass  die  idiomatische  Verschiedenheit  der  beiden  Sprachen 
so  gross  ist,  dass  jede  eigenmachtige  Hervorbringung  als  ein  Unding 
erscheint,  und  dass  die  Sprachnachahmung,  der  wir  alle  in  der  sichtbar- 
sten  Gestalt  beim  Briefschreiben  frohnen,  der  theoretischen  Stiitze  nicht 
entbehren  kann,  und  der  Vortragende  behauptet,  dass  die  Grammatik 
bei  dieser  Verschiebung  ohne  Schwierigkeit  mit  gutem  Erfolge  in  sehr 
kurzer  Zeit  bewaltigt  werden  konne  und  von  den  Schiilern  als  eine  will- 
kommene  Gabe  mit  Freuden  begriisst  werde. 

Um  einen  durchschlagenden  Erfolg  vpm  ersten  Augenblicke  an  zu 
sichern,  musse  die  Tat  an  die  Stelle  der  Phrase  treten.  Es  sei  unnatiir- 
lich,  amerikanischen  Kindlrn,  die  doch  keine  deutschen  Kolonisten  sind 
oder  sein  sollen,  ein  Evangelium  zu  predigen,  an  das  sie  nicht  glauben, 
und  sie  durch  das  verbrauchte  Reizmittel  der  geistigen  Giiter  zu  kodern, 
die  sie  so  haufig  im  eigenen  Hause  von  den  in  Deutschland  geborenen 
Eltern  mit  Fussen  getreten  sehen.  Der  Unterricht  in  der  deutschen 
Sprache  sollte  als  ein  niitzliches  und  unentbehrliches  Glied  der  allgemei- 
nen  Bildung  ohne  jegliche  Gefiihlsduselei  behandelt  werden,  und  wenn 
wir  unseren  Zoglingen  ohne  schwulstigen  Kommentar  immer  nur  das 
allerbeste  in  der  schonsten  Form  darboten,  so  konnten  wir  eine  Liebe 
zur  deutschen  Sprache  und  eine  Achtung  vor  dem  deutschen  Volke  her- 
vorrufen,  um  die  uns  der  gewiegteste  Diplomat  beneiden  diirfte. 


Zur  Abwehr. 


Das  Deutschtum  in  den  Vereinigten  Staaten 
von  Nordamerika  betitelt  sich  eine  Schrif  t,  die  von  Dr.  Julius 
Goebel,  Professor  der  deutschen  Philologie  und  Literatur  an  der  Stan- 
ford-Universitat,  Kalifornien,  verfasst  und  vom  Alldeutschen  Verband 
herausgegeben  ist.  (Miinchen,  190-4,  J.  F.  Lehmanns  Verlag.) 

,,Die  deutschamerikanische  Geschiehte  ist  so  recht  die  G  e- 
sc  hie  lite  verpasster  G  el  e  gen  licit  en",  das  ist  der  Grund- 
gedanke,  der  sich  dureh  die  obengenannte  Schrift  hindurchzieht,  und 
mit  Wehmut  betrachten  wir  das  Bild,  das  der  Yerfasser  vor  unseren 
Augen  entrollt,  das  uns  das  ideale  Streben,  edle  Menschenliebe,  die 
Liebe  zur  Freiheit,  die  ungeheure  Arbeitskraft,  das  grosse  Konnen,  den 
unermiidlichen  Fleiss  and  die  gewaltigen  Zukunftsplane  der  dcutschen 
Einwanderer  auf  der  einen  Seite,  auf  der  anderen  deren  Enttausehungen 
und  den  Niedergang  des  Deutschamerikanertums  zeigt.  Und  das  Bild 
erscheint  um  so  triiber,  wenn  wir  an  der  Hand  des  Buches  sehen,  wie 
die  Misserfolge  durch  eigenes  Verschulden  —  infolge  der  Uneinigkeit 
der  Deutschen,  der  elenden  Kleinstaaterei,  des  Mangels  an  praktischem 
Sinn  und  politischer  Selbstandigkeit  —  und  dadurch,  dass  das  Hehnat- 
land  seine  Solme  im  Stiche  Hess,  entstanden.  Freilich  fehlt  es  diesem 
Bilde  auch  nicht  an  Lichtseiten;  und  es  erfiillt  uns  mit  Genugtuung, 
wenn  uns  der  Verfasser  an  der  Hand  geschiehtlicher  Tatsachen  die  Teil- 
nahme  des  Deutschamerikanertums  an  der  politischen  sowohl,  als  an 
der  kulturellen  und  wirtschaftlichen  Entwickelung  unseres  Landes 
nachweist.  Es  wiirde  hier  zu  weit  fiihren,  wollten  wir  ins  einzelne 
gehen;  ge'niige  es  zu  sagen,  dass  der  Hauptteil  an  der  Kolonisations- 
arbeit  in  Amerika  von  Deutschen  getan  worden  ist,  und  dass  in  alien  ge- 
schichtlichen  Wendepunkten  deutscher  Einfluss  massgebend  gewesen  ist. 
Aber  wo  ist  die  Anerkennung  geblieben?  Welche  aussere  Geltung  hat 
sich  das  Deutschamerikanertum  verschafft?  Wahrend  einst  ein  Benjamin 
Franklin  noch  vor  der  Germanisierung  Amerikas  warnte,  zeigen  sich 
jetzt  iiberall  nur  die  Spuren  ,,verpasster  Gelegenheiten",  und  wir  fiihren 
einen  ,,Kampf  urns  schwindende  Yolkstum",  um  zu  ret  ten,  was  vielleicht 
noch  zu  retten  ist. 

Das  teuerste  Gut,  das  der  eingewanderte  Deutsche  mit  einer  ge- 
wissen  Zahigkeit  festgehalten  hat,  ist  seine  Sprache.  "Was  zu  ihrer  Er- 
haltung  und  Pflege  getan  worden  ist  und  noch  getan  werden  kann,  dem 
widmet  der  Verfasser  seine  besondere  Aufmerksamkeit.  Leider  aber 
zeigt  er  gerade  in  diesen  Ausfiihrungen  eine  Einseitigkeit,  die  uns 
zwingt,  dagegen  Stellung  zu  nehmen. 


Zur  Ab-dcehr.  179 

Prof.  Goebel  sieht  alles  Heil  fiir  die  Erhaltung  der  deutschen 
Sprache  einzig  und  allein  in  der  Universitat.  Xur  der  akademisch  ge- 
bildete  Lehrer  ist  imstande,  wirkliche  Resultate  zu  erzielen.  ,,Denn  fiir 
jedes  deutschamerikanische  Kind,  auch  fiir  das  gebildeter  Eitern,  be- 
deutet  die  voile  Erlernung  und  Beherrschung  der  deutschen  Sprache  ein 
Studium,  um  so  mehr,  weil  sich  das  Englische,  als  Umgangssprache,  mit 
seinen  Idiomen  immer  wieder  gewaltsani  und  verwirrend  ins  Sprachge- 
fiihl  drangt.  Dieses  Studium  aber  zu  leiten  ist  der  gewohnliche,  semi- 
naristisch  gebildete  Lehrer  gar  nicht  befahigt."  Mit  Keulenschlagen 
zieht  er  gegen  die  ,,halbgebildeten",  ,,freisinnigen"  Schulmeister  aus 
der  nach  48er  Periode,  sowie  gegen  ihre  Lesebiicher  zu  Felde,  ,,wo  das 
Stroh  freisinniger  Jugenddichtung  auf  der  Wassersuppe  moralischer  Er- 
zahlungen  herumschwimmt  und  dem  deutschamerikanischen  Kinde  die 
Sprache  seiner  Eitern  verekelt." 

Der  im  Jahre  1870  von  ,,freisinnigen"  deutschamerikanischen  Leh- 
rern  gebildete  Lehrerbund  und  das  von  ihm  errichtete  Schullehrersemi- 
nar  finden  natiirlich  auch  wenig  Gnade.  Von  einem  Einfluss  auf  die  Ent- 
wickelung  der  amerikanischen  Volksschule  durch  den  Lehrerbund  kann 
keine  Rede  sein;  denn  ,,nur  zu  oft  stellte  er  sich  in  friiheren  Jahren  den 
amerikanischen  Schulbestrebungen  wenn  nicht  feindselig,  so  doch  hoch- 
iniitig  abweisend  gegeniiber". 

Das  deutsche  Erziehungswesen  hatte  der  Amerikaner  unabhangig 
von  den  Deutschen  in  Amerika  entdeckt.  (Merkwiirdigerweise  nennt  der 
Verfasser  bald  darauf  unter  den  Schulmannern,  welche  aus  Amerika 
nach  Deutschland  geschickt  wurden,  um  das  dortige  Schulsystem  kennen 
zu  lernen,  Prof.  Stowe,  ,,der  in  Cincinnati  die  deutsche  Lehrmethode 
aneinerderdeutschenS  c  h  u  1  e  n  hatte  bewundern  lernen/') 

Mit  der  Ausdehnung  und  allmahlichen  Verbesserung  der  amerika- 
nischen Yolksschule  ,,waren  die  paar  Vereinsschulen  mit  wenigen  Aus- 
nahmen  bald  geliefert,  zumal  es  mancher  deutsche  Knauser*)  als  Er- 


*)  Mit  dem  reichen  Deutschamerikaner  geht  der  Prof,  scharf  ins  Ge- 
richt,  und  wir  konnen  uns  nicht  versagen,  seine  Worte  wiederzugeben: 
,,Der  reiche  Deutschamerikaner  ist  mit  wenig  riihmlichen  Ausnahmen  ein 
elender  Knauser,  der  an  seinem  Besitze  mit  hitziger  Zahigkeit  festhalt  und 
ihn  lieber  lachenden  Erben  als  einem  gemeinniitzigen  Zwecke  hinterlasst. 
Vergleichen  wir  die  ungezahllen  Millionen,  die  reiche  Amerikaner,  eiuem 
Pflichtgefiihle  folgend,  mit  fiirstlicher  Freigebigkeit  an  Wohltatigkeits- 
und  Erziehungsanstalten  geschenkt  haben,  mit  dem,  was  ebenso  reiche 
Deutschamerikaner  je  weggaben,  dann  ergreift  uns  das  Gefiihl  ekler 
Scham.  Und  mit  diesem  schiibigen  Knausertum  geht  nicht  selten  der 
Mangel  an  geistigen  Interessen  Hand  in  Hand;  ja  im  Vergleich  zu  dem 
grossartigen  Bildungsstreben  des  Amerikaners  ist  der  Deutschamerikaner 
geistig  tot." 


180  Pfidagogische  Monatshefte. 

leichterung  empfand,  kein  Sclmlgeld  mehr  zalilen  zu  brauchen".  Um 
nun  das  Deutsche  zu  retten,  ,,schien  nur  noch  ein  Ausweg  iibrig:  den 
deutschen  Unterricht  soviel  als  moglich  in  die  amerikanische  Volksschule 
einzufiihren."  Er  schildert  alsdann  die  verschiedenen  Versuche,  die  dazu 
gemacht  wurden.  Nur  das  Cincinnatier  System  findet  bei  ihm  Aner- 
kennung,  wenn  auch  padagogische  Einwiirfe  seine  Einfiihrung  nicht 
wiinschenswert  erscheinen  liessen.  Im  allgemeinen  beweise  die  Besultat- 
losigkeit  des  Unterrichts,  dass  ,,das  Deutsche  —  da  es  als  Fremdsprache 
betrieben  werden  muss  —  so  wenig  eine  Stelle  in  der  amerikanischen 
Volksschule  hat,  wie  ein  einjahriger  Unterricht  im  Franzosischen  etwa 
in  der  deutschen  Dorfschule." 

Da  nun  natiirlich  mit  dem  Aufheben  des  deutschen  Unterrichts 
das  Lehrerseminar  in  seiner  jetzigen  Gestaltung  unnotig  ware,  so  sollte 
sieb  dasselbe  sobald  als  moglich  in  eine  hohere  akademische  Lehranstalt 
umwandeln.  Es  sollte  ein  ,,Hochsitz  des  Studiums  der  deutschen  Philo- 
logie  und  Literatur  werden,  wo  deutschamerikanische  Lehrer  der  deut- 
schen Sprache  —  Amerikaner  bringen  es  selten  zur  volligen  Be- 
herrschung  des  Deutschen  —  theoretisch  und  praktisch  herangebildet 
wurden." 

"Wir  haben  versucht,  die  Ansichten  Prof.  Goebels,  soweit  wie  mog- 
lich, in  seinen  eigenen  Worten  wiederzugeben.  Bei  aller  wohlwollenden 
Beurteilung  ist  es  uns  nicht  moglich  geworden  zu  erkennen,  welches  denn 
nun  eigentlich  seine  Vorschlage  sind,  die  bessere  Eesultate  herbeizu- 
fiihren  imstande  waren.  Er  greift  an  —  sind  diese  Angriffe  aber  wirk- 
lich  notwendig  gewesen?  Heutzutage  erkennt  jeder  verniinftige  Lehrer 
an,  dass  die  Sache  des  Deutschtums  weder  mit  Eeligion  noch  Freisinn 
verquickt  werden  darf.  Wozu  also  die  Ausfalle  gegen  eine  Bewegung, 
die,  soweit  die  Schulein  Betracht  kommt,  langst  abgetan  ist?  Er  erwartet 
von  den  Vereinsschulen  Hilfe,  gesteht  aber  deren  Verfall  ein.  Er 
zollt  den  Kirchenschulen  gerechterweise  hohes  Lob.  Sie  haben  viel  zur 
Erhaltung  der  deutschen  Sprache  beigetragen.  Aber  auch  dort  wachst 
leider  ein  neues  Geschlecht  heran.  Ihnen  war  die  Erhaltung  der 
deutschen  Sprache  nie  Endzweck,  sondern  nur  Mittel  zum  Zweck.  Mit 
dem  Nachlassen  der  deutschen  Einwanderung  und  der  Anglisierung  der 
hier  geborenen  Deutschamerikaner  wird  das  Aufgeben  des  Deutschen 
eine  notwendige  Folge  werden,  und  die  Leiter  der  Kirchengemeinden 
werden  eben  ihres  Endzweckes  wegen  williger  fur  die  Umwandlung  zu 
haben  sein,  als  es  die  Leiter  der  ,,freisinnigen"  Vereinsschulen  je 
waren.*) 


*)  Die  Anzeichen  fiir  diese  Umwandlung  sind  leider  schon  allzu  zahl- 
reich  vorhanden:  In  vielen  friiher  strong  deutschen  Gemeinden  wird  jetzt 
deutsch  und  englisch  gepredigt;  ja.  urn  die  Osterzeit  berichteten  Milwau- 


Zur  Abwehr.  181 

Prof.  Goebel  wiinseht  eine  deutsche  Schule  mit  deutscher  Methode 
und  deutschem  Geiste.  Das  sagt  er  als  Advokat  des  alldeutschen  Ver- 
bandes.  Sind  die  Ziele  dieser  Yereinigung  aber  wiinschenswert,  auch 
wenn  sie  bei  dem  stark  pulsierenden  nationalen  Leben  in  unserem  Lande 
erreichbar  waren?  Diese  wiirden  einen  Kiickschritt  in  unserer  nationalen 
Entwickelung  bedeuten.  Eine  Schule  in  seinem  Sinne  hatte  heute  nur 
da  die  Moglichkeit  der  Existenz,  wo  sich  das  gebildete  Deutschtum  und 
das  gebildete  Amerikanertum  die  Hande  reichen.  Den  breiten  lioden 
aber  finden  die  berechtigten  Bestrebungen  des  Deutschamerikanertums 
einzig  und  allein  in  der  amerikanischen  Volksschule;  sie  miissen  wir  zum 
Bimdesgenossen  gewinnen  und  in  ihr  unser  Arbeitsfeld  suchen.  Gewiss 
ist  die  amerikanische  Volksschule  auch  nicht  das,  was  sie  sein  soil.  ,,Sie 
ist  vom  eigentlichen  Geiste  deutscher  Padagogik  noch  wenig  beriihrt. 
Neben  geisttotendem  Mechanismus  und  einseitigem  Abrichten  der  Ver- 
standeskrafte  wird  hier  durch  Tausende  von  Lehrerinnen  ein  hysteri- 
scher  Patriotismus  geziichtet,  der  Yerstandnis  und  Liebe  zu  einer  ande- 
ren  Sprache  und  zu  einem  anderen  Yolkstum  gar  nicht  aufkommen 
lasst".  Aber  hier  ist  doch  andererseits  die  Moglichkeit  zum  Besserwerden 
gegeben.  Die  Eeihen  derjenigen,  die  die  Mangel  sehen,  werden  immer 
grosser.  Der  Fortschritt  ist  sichtbar,  mehr  in  der  Elementarschule  als 
in  der  Hochschule  (High  School),,  wo  der  Mechanismus — wir  erinnern 
iiur  an  die  Prozentwirtschaft — fast  arger  als  je  sein  Unwesen  treibt.  Das 
Grosse  und  Sehone,  das  in  der  Kenntnis  einer  zweiten  Kultursprache 
liegt — und  willig  spricht  man  der  deutschen  Sprache  die  Palme  zu  — 
wird  in  immer  weiteren  Kreisen  empfunden  und  verstanden. 

Aber  erst  in  den  High-Schools  will  Prof.  Goebel  den  deutschsprach- 
lichen  TJnterricht  beginnen.  Hier  halt  er  ,,in  einem  3 — 1  jahrigen  Kur- 
sus,  bei  guten  Lehrmitteln  und  einer  akademisch  gebildeten  Lehrerschaft 
wirkliche  Eesultate  fiir  moglich".  Hier  also  soil  dem  Herrn  Professor  ein 
Material  geliefert  werden,  mit  dem  er  das  hohe  Ziel  erreichen  will,  das 
ihm  bei  seiner  Arbeit  vorschwebt?  Wenn  aber  der  Unterricht  in  der 
Yolksschule  beganne,  dann  ware  dies  nicht  moglich?  Doch  ja,  da  unter- 
richten  keine  akademischen  Lehrer!  Prof.  Goebel  spricht  von  einer 
ywanzigjahrigen  Erfahrung.  Wenn  er  wahrend  dieser  Zeit  je  die  Arbeit 
des  deutschamerikanischen  Lehrers  beobachtet  hat,  dann  begeht  er  mit 
seinem  Urteil  eine  Ungerechtigkeit,  die  unverzeihlich  ist.  Er  mtisste  ge- 
sehen  haben,  wieviel  ernste  Arbeit,  wieviel  Hingabe,  wieviel  padago- 


keer  englische  und  deutsche  Zeitungen  —  jene  mit  einem  gewissen  Gusto, 
diese  unter  verlegenen  Entschuldigungsworten  —  von  einer  separaten 
englischen  Konfirmation  an  einer  deutschen  Kirchengemeinde. 


182  Pddagogische  Monatshefte. 

gisches  Kb'nnen  zu  finden  1st.*)  Freilich  lauft  viel  Afterwirtschaft  mit 
unter,  und  wir  finden  unter  den  deutschamerikanischen  Lehrern  aueh 
Mietlinge  und  Verrater  an  ihrer  Sache.  Sind  die  Universitaten  und 
Hochschulen  ganz  frei  von  solchen? 

Wenn  die  Universitaten  das  im  deutschsprachlichen  Unterricht  er- 
reichen  wollen,  was  Prof.  Goebel  vorschwebt,  dann  muss  dieser  Unter- 
richt so  friih  als  moglich  beginnen.  Unser  Schulsystem  —  die  allge- 
meine  Volksschule — verweist  uns  dann  ganz  von  selbst  auf  die  Elemen- 
tarschule.  Und  die  Lehrer  an  den  hoheren  Schulen  sollten  ihren  ganzen 
Einfluss  geltend  machen,  dass  der  Unterricht  dort  gestarkt  werde,  dass  er 
organisch  in  den  Lehrplan  aufgenommen  und  von  padagogisch  tiichtigen 
und  sprachlich  griindlich  vorgebildeten  Lehrern  und  Lehrerinnen  er- 
teilt  werde.  Unser  Lehrerseminar  hat  die  Aufgabe,  solche  Lehrkrafte 
heranzubilden.  Wie  weit  es  seiner  Pflicht  nachkommt,  das  sollen  die  be- 
urteilen,  die  dazu  berufen  sind.  Sicher  ist  es,  dass  die  Zoglinge  des  Se- 
minars Liebe  und  Begeisterung  zum  Lehrerberuf  in  ihre  Amtstatigkeit 
hinausnehmen.  Sie  besitzen  padagogisches  Konnen;  es  fehlt  ihnen  viel- 
leicht  an  Philologenweisheit,  sie  sind  auch  nicht  so  fruchtbar  in  der 
Herausgabe  von  Schulausgaben;  aber  der  Geist  der  deutschen  Sprache 
wohnt  in  ihnen,  und  ihr  sprachlich.es  Konnen  kann  sich  im  Durchschnitt 
mit  dem  Gros  der  akademisch  vorgebildeten  Lehrer  messen. 

Der  Herr  Professor  sollte  nicht  zu  den  vielen  ,,verpassten  Gelegen- 
heiten"  nun  noch  die  zufiigen,  dass  er  sich  des  wichtigsten  Faktors  zur 
Geltendmachung  der  deutschen  Sprache,  der  Volksschule,  und  dadurch 
des  Erfolges  seiner  Bestrebungen  begibt.  Wenn  er  ehrlich  sein  will,  so 
muss  er  doch  zugeben,  dass  die  Universitaten  bei  weitem  das  nicht  lei- 
sten,  was  bei  einem  geordneten  deutschen  Sprachunterricht  ge- 
leistet  werden  konnte.  Wie  oft  muss  sich  der  Universitatsprofessor  mit 
Quartanerarbeit  begniigen!  Und  das  nur  darum,  weil  die  Grundlage,  die 
in  der  Jugend  des  Schiilers  gelegt  werden  muss,  fehlt. 

Wenn  wir  einmal  erreicht  haben  werden,  dass  der  deutsche  Un- 
terricht von  der  Volksschule  an  bis  herauf  zur  Universitat  systema- 
tisch  geordnet  ist,  dann  kann  vielleicht  einmal  eine  solche  Hochschule, 
zu  welcher  Herr  Prof.  Goebel  das  Seminar  machen  will,  notwendig  wer- 
den. Fiir  die  Anspriiche  von  heute  geniigen  die  Universitaten  vollstan- 
dig,  und  sie  werden  geniigen,  auch  wenn  die  ersteren  noch  verdoppelt 
und  verdreifacht  wiirden.  M.  Q. 


*)  Prof  Goebel  empfiehlt  zur  Ilebung-  Jes  deutschen  Sprachunterrichts 
die  Stsirknncr  der  Vereins-  und  Kirchenschulen.  Sollen  die  Lehrer  dersel- 
ben  auch  akademische  Vorbildung  haben;  oder  sind  diese  avis  einem  an- 
deren  Holze  geschnitzt  als  der  seminaristisch  gebildete  Lehrer  der  Volks- 
schule? 


AHerlei. 

Schiilerehre.  Schiilerehre  ist  in  unserm  Sprachgebrauch  kein 
gebrauchliches  Wort.  Wir  sprechen  wol  von  Manner-  und  Frauenehre,  von 
Biirger-,  Soldaten-,  Studentenehre  etc.,  dass  aber  auch  der  Schiller  seine 
Ehre  besitzt,  die  man  ihm  nicht  ungerechterweise  angreifen  soil,  wird  bin 
und  wieder  von  einem  Erzieher  vergessen.  Einen  Schiller  in  seinem  Ehr- 
gefiihl  unbegriindeterweise  zu  kranken,  ist  ein  Unrecht. 

Wer  Ehrgefiihl  besitzt,  kommt  freiwillig  den  moralischen  Gesetzen 
nach,  welche  in  einer  Lebensgemeinschaft  gelten,  der  es  angehort.  Eine 
Frau  mit  Ehrgefiihl  wird  stillschweigend  und  ungezwungen  alien  An- 
forderungen  einer  sittlichen  Lebensart  folgen,  welche  wir  von  einem  guten 
Weibe  erwarten.  Und  so  der  Burger,  der  Soldat,  der  Student,  jeder  in 
seinem  Kreise.  Wird  diese  gute  Lebensfiihrung  von  irgend  jemand  ange- 
zweifelt,  so  wird  sich  der  Betroffene  in  seinem  Ehrgefiihle  verletzt  fiihlen 
und  sich  wehren,  bis  die  ihm  angetane  Schmach  gesiihnt  und  der  aufge- 
driickte  Makel  weggenommen  ist.  —  Auch  der  Durchschnittsschiiler  hat 
das  Bestreben,  den  Gesetzen  eines  guten  Lebenswandels  nachzukommen, 
das  zu  tun,  was  Eltern  und  Lehrer  billigerweise  von  ihm  fordern  konnen. 
Der  gute  Wille  zum  mindesten  wird  dazu  bei  den  Schiilern  in  der  Kegel  da 
sein.  Mangelhafte  Kenntnis  der  Welt  und  ihrer  Anforderungen,  un- 
klare  Vorstellungen  iiber  gut  und  bose,  recht  und  unrecht  und  ein  unge- 
bandigter  starker  Wille  lassen  die  Schiller  oft  den  Weg  verfehlen  und  zu 
falschen  Mitteln  greifen.  Die  Absicht  aber  zu  einem  ehrenhaften  Leben 
werden  wir  ihnen  nicht  absprechen  durfen. 

Wie  es  die  Erwachsenen  krankt,  wenn  ihr  Ehrgefiihl  verletzt  wird,  so 
schmerzt  es  die  Kinder,  wenn  man  ihre  Ehre  betastet,  und  in  diesem  Falle 
sind  diese  meist  viel  schlimmer  daran,  als  jene.  Ein  Burger  oder  ein  Sol- 
dat oder  eine  Frau,  deren  Ehre  angegriffen  wird,  werden  sich  zu  helfen 
und  zu  wehren  wissen.  Ein  Schtiler,  dem  Ehrlosigkeit  vorgeworfen  wird, 
steht  in  vielen  Fallen  ja  meistens  dem  Vorwurf  hilflos  gegeniiber. 

Das  Ehrgefiihl  kann  durch  die  Lehrer  hauptsachlich  in  zweierlei  Art 
gekrankt  werden:  durch  Argwohn  und  durch  ungerechten,  iibertriebenen 
Tadel. 

Es  gibt  Lehrer,  zu  deren  padagogischer  Maxime  es  geradezu  gehort, 
den  Schiilern  fortwahrend  Misstrauen  entge^enzubringen,  von  ihnen  von 
vornherein  das  Schlechte  zu  denken.  Das  zeigt  sich  etwa  bei  den  Unter- 
suchungen  gegen  die  Schiller,  die  kleiner  Vergehen  gegen  die  Schulord- 
nung,  wie  solche  an  jeder  Schule  von  Zeit  zu  Zeit  vorkommen,  angeklagt 
sind.  Da  wird  jede  Kleinigkeit  zu  einem  Kriminalfall  aufgebauscht,  zu 
einer  an  den  Gerichtssaal  erinnernden  Untersuchung,  die  an  und  fur  sich 
schon,  auch  wenn  sie  Schuldige  trifft,  die  Kinder  anwidert.  Aber  nicht 
/ufrieden  damit,  einen  oder  zwei  Hauptiibeltater  erwischt  zu  haben,  deh- 
nen  solche  Untersuchungsrichter  ihre  Tatigkeit  gerne  etwas  aus  und  fan- 
gen  an  ins  Blaue  hinein  den  einen  oder  andern  Schiller  zu  beschuldigen, 
ihn  dieses  oder  jenes  Verschuldens  zu  bezichtigen.  Die  Kinder  sollen  damit 
eingeschiichtert  und  eher  zu  einem  Gestandnis  getrieben  werden.  Hat  der 
Lehrer  aber  wirklich  einen  Unschuldigen  vor  sich,  den  er  ohne  Grund  eines 
Fehlers  zeiht,  so  wird  der  Betroffene  tief  gekrankt,  ohne  sich  iibrigens 


184  Pa.lagogische  Monatshefte. 

stark  genug  wehren  zu  konnen.  Der  Lchrer  aber  steht  in  den  Augen  des 
Schiilers  erbarmlich  da,  als  ein  kleinlicher  umvahrhafter  Mensch,  der  sich 
dariiber  freut,  seine  Macht  dem  Schwachern  gegeniiber  zu  missbra  lichen. 
Aus  diesem  Gefiihl  entspringt  Widerwillen,  Abneigung,  Hass  gegen  den 
Lehrer  und  die  Schule,  und  schwer  halt  es  dein  Schiiler  selbst,  dieses  Ge- 
fiihls  los  zu  werden.  Es  folgt  ihm  wie  ein  boser  Schatten  lange  iiber  die 
Schulxeit  hinaus. 

Man  kanh  sich  als  Lehrer  in  den  Argwohn  gegeniiber  den  Schiilern 
ganz  verrennen.  Aus  Versehen  lasst  ein  Schiiler  ein  Buch  fallen,  was  eine 
Stoning  verursacht;  der  argwohnische  Lehrer  empfindet  das  als  ein  Arger- 
uis.  Schiiler  werden  oft  wegen  der  unbedeutendsten  und  albernsten  Klei- 
nigkeit  zum  Lachen  gereizt;  der  schwache,  argwohnische  Lehrer  glaubt 
sogleich,  man  lache  ihn  aus.  Und  so  in  hundert  Fallen.  Hinter  allem, 
was  die  Schiiler  tun,  fragen  u.  s.  w.,  sucht  man  schliesslich  etwas  Boses, 
Absichtliches.  Die  Schiiler  werden  durch  die  vielen  Beschuldigungen  ge- 
kriinkt  und  fangen  an,  den  Lehrer  zu  hassen.  Der  Lohn  seiner  Arbeit  ist 
dahin. 

Ebenfalls  verletzend  fur  das  Ehrgefiihl  der  Schiiler  ist  ein  roher  Ta- 
del,  welcher  in  seinem  Mass  nicht  im  Verhaltnisse  zum  Vergehen  steht. 
Xiemand  lasst  sich  in  seinem  spatern  Leben  auch  nur  den  geringsten 
Schimpfnamen  aiihangen.  Ist  es  da  zu  verwundern,  wenn  sich  ein  Gym- 
nasiast  einer  obern  Klasse  auflehnt,  wenn  der  Lehrer  ihm  an  den  Kopf 
wirft,  er  sei  versimpelt,  \vfeil  er  eine  unrichtige  lateinische  Perfektum- 
form  gebraucht  hat?  Oder  ist  der  Schiiler  nicht  im  Ilecht,  gekriinkt  zu 
sein  und  gering  von  dem  Lehrer  zu  denken,  der  ihm  vor  seinen  Kaniera- 
den  vorhiilt,  aus  ihm  werde  Zeit  seines  Lebens  nichts  Rechtes,  weil  er  ir- 
gend  eine  Dummheit  gesagt  hat?  Mit  solchen  albernen  Drohungen  scha- 
det  der  Lehrer  sich  selbst  und  der  Schule. 

Die  Ehre  des  Schiilers  verdient  es,  vom  Lehrer  geachtet  zu  werden. 
Man  richtet  entschieden  weniger  Unheil  an,  hie  und  da  zu  wenig  arg- 
wohnisch  zu  sein,  oder  zu  milde  zu  strafen,  als  die  Schiiler  mit  zu  viel 
Argwohn  und  Tadel  zu  verletzen.  Krankungen  in  der  Schule  werden  oft 
das  ganze  Leben  nicht  mehr  vergessen. 

P^ndlicn  sollte  ein  Lehrer  auch  die  Grosse  haben,  einem  Schiiler  gegen- 
iiber, den  er  falsch  beargwohnt  oder  ungerecht  gestraft  hat  und  dessen 
Unschuld  spa'ter  an  das  Tageslicht  tritt,  seinen  Fehler  zu  gestehen  und 
durch  offene  Aussprache  gut  zu  machen. 

(Willi   Nef.    Schweizerische    Lehrerzeitung.) 

Patriotismus,  —  n  i  c  h  t  Jingoismus.  ,,Kind  und  Heimat 
—  wie  natiirlich!  Man  weiss  ja,  dass  die  Kleinen  zwar  gern  nach  aussen 
s-treben,  aber  noch  lieber  heimkehren.  Da  kniipfe  man  an,  lehre  sie  Liebe 
zum  Hause.  Ein  eigener  Herd,  eine  Familie,  in  diesem  Kreise  ist  der 
Mensch  vor  dem  Argsten  bewahrt;  in  diesem  Kreise  entwickelt  sich  leicht 
die  Aufmerksamkeit,  die  Opferwilligkeit,  das  Selbstvertrauen  und  die 
Zufriedenheit;  in  diesem  Kreise  gedeiht  die  Liebe  zur  Gemeinde,  die  Treue 
iiim  Vaterlande.  Nicht  so  sehr  jenen  Patriotismus  liebe  ich,  der  unsere 
Sohne  auf  das  von  Staatslenkern  ausgemesfene  Schlachtfeld  jagt  und  sie 
dort  sterben  heisst,  sondern  jenen,  der  fiir  das  Vaterland  1  e  b  e  n  lehrt. 
Gegen  feindliche  Einfiille  z  u  s  c  h  1  a  g  e  n,  ja!  Das  ist  manubar  und 
echt.  Aber  nur  nicht  selbst  anfangen.  Oft  hat  der  Patriotismus  seine 
Wurzel  in  Vorurteilen,  so  sollte  man  die  Kinder  lehren,  wo  er  aufhort,  eine 


Allerlei.  185 

Tugend  zu  sein.  Xebst  der  Liebe  fur  das  Heimatland  hat  im  Menschen  zum 
Oliick  auch  noch  eine  Liebe  fur  die  ganze  Welt  Platz.  Anstatt  die  Kinder 
fiir  die  Kriegshelden  der  Geschichte  zu  begeistern,  ist  es  besser,  ihneu  vor 
dem  Kriegshandwerk  den  zornigsten  Abscheu  einzuflossen.  Die  Idee,  aus 
was  immer  fiir  eineni  Grunde  unschuldige  Menschen  toten  zu  diirfen,  muss 
allmahlich  im  Menschengeschlechte  ausgeloscht  werden." 

Das  sind  wahre  und  fiir  uns  Lehrer  beherzigenswerte  Worte,  geschrie- 
ben  von  dem  humor-  und  gemiitvollen  P.  K.  Rosegger,  und  zwar  in  der 
\vundervollen  Erzahlung  ,,Die  Schriften  des  Waldschulmeisters",  welche 
ich  alien  Kollegen  dringend  zum  Lesen  empfehlen  mochte.  Diese  Worte 
liber  den  wahren  und  echten  Patriotismus  passen  auch  fiir  unser  Land 
und  besonders  fiir  unsere  jetzige  Zeit  ganz  ausgezeichnet.  Den  gemeinen, 
riiden  und  grossmauligen  Jingoismus,  welcher  hier  jetzt  so  recht  iippig 
ins  Kraut  schiesst,  und  der  von  der  gelben  Sensationspresse  so  geflissent- 
lich  geniihrt  und  unterhalten  \vird,  verwechselt  man  jetzt  so  vielfach  mit 
Patriotismus.  Selbst  unsere  Schuljugend  wird  schon  davon  angesteckt. 
Die  fortwahrenden  Hetzereien  in  den  Jingobliittern  erhitzen  das  Blut  und 
entflammen  die  Eauf-  und  Kriegslust  bei  Jung  und  alt.  We  can  fight  the 
whole  world!  Das  ist  die  herrschende  Stimmung.  Als  ob  das  grausige  und 
blutige  Kriegshandwerk  ein  nobles  und  ruhmreiches  Gewerbe  ware. 

Wohl  sollen  wir  Lehrer  in  der  Schule  den  Kindern  Liebe  und  Treue 
zum  Vaterlande  und  zugleich  Achtung,  Verehrung  und  Begeisterung  vor 
den  Kriegshelden  in  dem  Befreiungskriege  einzuflossen  suchen;  aber  eben- 
sowohl  ist  es  auch  unsere  Pflicht,  wie  Kosegger  sagt,  den  Kindern  Abscheu 
und  Entsetzen  vor  Morden  und  Blutvergiessen  im  Kriege  beizubringen. 
Man  sollte  denken,  jeder  Lehrer  sollte  selbstverstandlich  sich  in  iiberein- 
stimmimg  erklaren  mit  den  Bestrebungen  der  Friedensliga  in  Deutschland, 
<1ie  das  Motto  ,,Die  Waffen  nieder!"  auf  ihre  Fahne  gsehrieben  hat.  Was 
niitzt  uns  aller  Fortschritt  und  alle  geriihmte  Zivilisation,  wenn  die  alte 
Barbarei  des  Kriegfiihrens  noch  immer  unter  uns  bestehen  bleibt?  Sollten 
nicht  gerade  wir,  das  Yolk  der  Vereinigten  Staaten,  die  wir  uns  doch  so 
gern  das  reichste,  miichtigste,  intelligenteste  und  humanste  Yolk  der  Erde 
nennen,  es  als  unsere  Aufgabe  ansehen  und  diese  edle  Mission  uberneh- 
men,  alle  Kriege  und  alles  Yolkermorden  und  Blutvergiessen  unter  den 
Yolkern  zu  verhindern  suchen,  unu  alle  Streitigkeiten  unter  denselben  auf 
giitigem  Wege  zu  schlichten,  wie  es  zwischen  den  einzelnen  Individuen 
doch  auch  geschieht?  Leider  haben  wir  die  beste  Gelegenheit  hiezu  vor- 
iiber  gehen  lassen,  namlich  in  dem  barbarischen  und  grausamen  Kriege 
zwischen  England  und  den  Buren.  Ja,  noch  mehr,  wir  haben  durch  unser 
Stillschweigen  England  zugestimmt,  nach  dem  alten  romischen  Rechte  und 
Grundsatz:  qui  tacet,  consentet.  Doch  wir  konnen  das  vielleicht  wieder 
gut  machen,  wenn  wir  die  Buren  hier  in  unserem  Lande  aufuehmen  und 
ihnen  Land  und  Heimstiitten  verkaufen. 

Unsere  Jingos  mochten  es  nun  auf  keinen  Fall  mit  England  verder- 
ben;  aber  gar  zu  gerne  mochten  sie  uns  gegen  Deutschland  verhetzen  und 
zum  Kriege  gegen  dasselbe  treiben.  Deutschland  ist  ja  iiberhaupt  nach 
ihrer  Ansicht  immer  das  Karnickel  gewesen,  das  nur  Boses  gegen  uns  im 
Schilde  fiihrt.  Gliicklicherweise  ist  unsere  Eegierung  verniinftiger,  und 
vor  allem  President  Roosevelt  weiss  die  Freundschaft  Deutschlands  zu 
fichiitzen,  und  er  hat  in  seiner  Rede  hier  in  Milwaukee  den  Jingos  fiir  ahre 
Hetzereien  gehorig  den  Kopf  gewaschen.  Er  scheint  auch  iiberhaupt  nicht 


186  Pddagogische  Monatshefte. 

fur  kiinftige  Eroberungs-  und  Raubpolitik  zu  schwiirnien,  \vie  er  sich 
deutlich  genug  in  der  Kede  in  St.  Louis  bei  der  Denkfeier  der 
Erwerbung  des  Louisiana  Landgebiets  dahin  ausdriickte.  Er  sagte 
dort  am  Schluss  seiner  Rede:  ,,Wir  miissen  kiinftig  auf  den  rein 
mannlichen  Tugenden  bestehen,  der  Tugend  der  Zuriickhaltung,  der 
Selbstbeherrschung  und  der  Riicksichtnahme  a\if  die  Eechte  anderer;  wir 
miissen  im  offentlichen  und  privaten  Leben  in  gleicher  Weise  unsern  Ab- 
Kcheu  vor  Grausamkeit,  Brutalitat  und  Verderbtheit  zeigen.  Wenn  wir 
eine  dieser  Eigenschaften  vermissen  lassen,  so  werden  wir  sichtliche  Fehl- 
schllige  erleiden.  Doch  wenn  wir  diese  Eigenschaften  in  noch  lib'herem 
Grade  ausbilden,  dann  werden  wir  aus  unserer  Republik  den  freiesten, 
ordnungsliebendsten,  den  gerechtesten  und  miichtigsten  Staat  erschaffen, 
der  jemals  dem  Schosse  der  Zeiten  entsprungen."  A.  W. 


Padagogische  Aphorismen. 


Von  Peter  Rosegger. 


Das  erste  und  allcrerste  Lebenszeichen,  welches  in  dem  jungen  Menschen- 
kinde  die  aul'keimende  Seele  von  sich  gibt,  ist  die  Offeubarnng  der  Selbstliebe. 
Ob  Menschenliebe  daraus  wird  oder  Selbstsucht,  das  entscheidet  die  Erziehuug. 

Eiu  Schleif stein  paszt  nicht  fiir  alle  Messer;  niancher  Schiller  lernt  mehi 
iiu  Leben  als  in  der  Schule. 

Soil  man  den  Kindern  sagen:  Die  Weltordnung  ist  nichts  weniger  als  gut, 
die  Menschen  sind  unvollkominen,  armselig,  ihr  Dasein  ist  zwecklos,  das 
Leben  ist  em  Ungliick? 

Soil  man  ilmen  die  schlechten.  und  guten  Seiten  zeigen,  ihnen  alles  niich- 
tern  auseinandersetzen,  wie  es  uns  selbst  erscheint? 

Oder  soil  man  sie  in  ihrem  Sehen,  dasz  alles  grosz,  wunschenswert  und 
zum  besten  sei,  bestarken? 

Das  erstere  wird  ein  Erzieher  tun,  der  weder  Yernuuft  noch  Herz  hat? 
das  zweite  wird  ein  Erzieher  tun,  der  Yernuuft  hat;  das  dritte  wird  ein  Er- 
zieher tun,  der  Yernunft  und  Herz  hat. 

luimer  besser,  man  schiichtere  den  Mund  der  Kinder  ein  als  ihre  Hande. 
Uud  haben  sie  etwas  Gefehltes  getan,  etwas  Verkehrtes  vollbracht,  so  gebc 
man  ihneu  Gelegeuheit,  es  noch  einmal  uud  besser  zu  machen. 

Die  Schule  allein  kann  freilich  nicht  alles  tun;  sie  lehrt  die  Jugeud,  aber 
sie  vermag  dieselbe  nicht  zu  erziehen.  Mit  welchen  Organen  saugt  das  junge 
Baumchen  mehr  Nahr-  und  Lebensstoff  an  sich,  mit  den  Zweigen  und  Blat- 
tern  aus  der  freien  Luft  oder  mit  der  Wurzel  aus  dem  Boden,  dem  esi  ent- 
sproszt?  Was  das  Kind  durch  die  Schule  aufuimmt,  musz  miihsam  verar* 
beitet  werden,  aber  die  Beispiele  und  Anleitungen  der  Eltern  gehen  unwill- 
kiirlich  in  Fleisch  und  Blut  iiber.  Den  Elteru  obliegt  es,  ini  Kinde  den  Grund 
zur  gedeihsamen  Weltanschauung  zu  legen. 

(Eduard   Siegers  in  ,,0st.   Schulbote.") 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Das  erste   Dichterfest   in   Amerika. 


Die  Baltitnorer  Blumenspiele,  abgehalten  am  21.  April  19O4. 
Von  C.  O.  Schoenrich,   Baltimore. 


(Fiir  die  Padagogisciien  Monatshefte. ) 


,,Sei  gegriisst,  du  Stadt  der  Musen, 
Heut  von  Deutschlands  Irikolore, 
Da  das  Dichterfest  Du  feierst 
Selbst   in    Deinem   Trauerflore, 
Baltimore,  Baltimore." 

(Dr.  Fastenrath,   Koln.) 

Die  ,,Jeux  floraux"  oder  Blumenspiele  entstanoen  im  14.  .Tahrhundert 
in  Siid-Frankreich.  Es  waren  poetische  Tourniere,  auf  denen  mit  den  Waf- 
fen  des  Geistes  gefochten  wurde,  wie  im  wirklichen  Tournier  mit  der 
Lanze.  Sieben  Preisrichter  batten  ihr  Urteil  abzugeben,  und  den  Siegern 
iiberreichte  die  Blumenkonigin  ihre  Preise:  teils  frische  Blumen,  teils  in 
Gold  und  Silber  gearbeitete.  Es  war  ein  inniges,  ideales  Fest  inmitten  des 
Alltagslebens.  Von  der  Provence  verbreiteten  sich  die  Blumenspiele  nach 
Spanien,  wo  sie  besonders  in  Catalonien  bis  auf  den  heiitigen  Tag  gefeiert 
werden.  Seit  1898  sind  durch  den  feinsinnigen  Dr.  Fastenrath  diese  Dich- 
terwettkampfe  in  Koln  eingefiihrt,  und  sie  haben  bereits  eine  tiefgehende 
Bedeutung  im  geistigen  Leben  des  deutschen  Volkes  gewonnen,  indem  sie 
einen  Brennpunkt  rein  idealen  Lebens  inmitten  krassen  Geldmaterialismus 
geschaffen  haben,  und  einen  Damm  gegen  bedrohliche  literarische  After- 
stromungen. 

Von  Koln  ist  das  Dichterfest  in  diesem  Friihling  nach  Baltimore  ver- 
pflanzt  worden.  Warum  es  nicht,  wie  in  der  frohlichen  Rheinstadt,  am 
ersten  Maisonntag  gefeiert  wurde?  Nun,  aus  zartfuhlender  Eiicksicht, 
man  wollte  die  Kreise  des  heiligen  Puritan  nicht  storen.  —  Die  Durch- 
fiihrung  unseres  schonen  Festes  geschah  ganz  nach  dem  Plan,  wie  er  in 
der  Januarnummer  der  P.  M.  eingehend  mitgeteilt  worden  war,  und  die 
weihevolle  Stimmung  wurde  durch  gewahlte  Musik  und  kiinstlerischen  Ge- 
sang  gekraftigt.  Der  mit  Guirlanden  und  Pflanzen  geschmackvoll  de- 
korierte  Bankettsaal  des  tonangebenden  Germania  Clubs  war  bis  auf  den 
letzten  Platz  mit  festlich  gekleideten  Herren  und  Damen  gefiillt,  und  vom 
goldenen  Tronsessel  herab  erteilte  die  Blumenkonigin  die  Preise.  Nur  eine 
geringe  Zahl  der  Preisgedichte  hatte  zum  Vortrag  gelangen  konnen,  und 
diee.  war  in  den  meisten  Fallen  von  den  Dichtern  selbst  geschehen. 

Es  waren  305  Gedichte  eingegangen,  wovon  neun  als  nicht  den  Be- 
dingungen  entsprechend  axisgeschieden  worden  waren.  31  Preise  und 
ehrenvolle  Erwahnungen  wurden  22  Verfassern  zxierkannt;  einige  siud 
also  mehrfach  siegreich  gewesen;  so  wurde  Pastor  Hildebrand,  der  Dich- 
ter  des  Kaiserpreislieds,  fiinfmal  vor  den  Tron  der  Blumenkonigin  gerufen. 
Die  Sieger  wurden  teils  mit  den  schon  friiher  beschriebenen  Preisen,  teils 
mit  Ehrendiplomen  belohnt;  die  Namen  derselben  sind,  wie  folgt: 


188  Pddagogische  Monatshefte. 

Liebeslieder  (78  waren  zur  Beurteilung  gekommen) :  Pastor  A. 
W.  Hildebrandt,  Greenfield,  Mass.;  Frau  Martha  Toplitz,  New  York;  Frau 
Elisabeth  Eudolph,  Baltimore;  Anna  Wiinn,  Dresden;  William  Apel,  Mil- 
waukee; Oskar  Illing,  Detroit;  Wilhelm  Wageniann,  San  Francisco. 

Zum  Preise  des  D-e  utschtums  (42) :  Konrad  Nies,  St.  Louis; 
Pastor  A.  W.  Hildebrandt;  Edna  Fern,  St.  Louis;  Pedro  Ilgen,  St.  Louis. 

Balladen  und  Novellen  (42) :  Konrad  Nies;  Edna  Fern;  Dr. 
Berthold  A.  Baer,  Seranton,  Pa. 

Geschiche  der  Deutschen  in  Amerika  (17) :  Pastor  A. 
W.  Hildebrandt;  Dr.  Emil  Schneider,  Hoboken;  Dr.  H.  H.  Fick,  Cincinnati. 

Religiose  Gedichte  (26):  Pastor  Paul  Wienand,  Brooklyn; 
Pastor  A.  W.  Hildebrandt;  William  Apel;  Carrie,  Freifrau  v.  Veltheim, 
Berkley,  Californien. 

Sangbare  Lieder  (27):  A.  O.  Miiller,  Davenport,  la.;  Dr.  B.  A. 
Baer;  Erwin  T.  Bussmann,  Newark;  Hugo  Feix,  Hoboken. 

Sangbare  Lieder  mit  Tonsatz  (14):  Oskar  Illing,  Detroit; 
H.  W.  Hartmann,  Miinchen. 

Humor  (50):  Paul  Brandner,  ><ew  York;  Pastor  A.  W.  Hildebrandt; 
Hermann  Schening,  Milwaukee; ,  New  Jersey. 

Der  zugemessene  Raum  gestattet  nicht  einmal  die  Titel  der  preisge- 
kronten  Gedichte  anzufiihren,  geschweige  denn  die  eine  oder  andere  der 
vorgetragenen  Dichtungen,  gar  kostliche  Perlen;  es  sei  nur  angedeutet, 
dass  Konrad  Nies  mit  seiner  ergreifenden  Schopfung  ,,Die  Rache  der 
Walder"  die  Palme  des  Abends  davongetragen  hat.  Dr.  Fastenrath  hatte 
eine  in  Silber  getriebene  kiinstlerische  Nachbildung  des  Kolner  Doms  als 
ersten  Preis  fiir  religiose  Dichtung  iiber  den  Ozean  geschickt,  er  wurde 
Herrn  Pastor  Wienand  zuerkannt  fiir  das  tief  empfundene  Gedicht  ,,Ich 
will  vergelten!"  Die  preisgekronten  Gedichte  werden  in  einem  Band  ver- 
offentlicht  werden,  und  da  hervorgehoben  wurde,  dass  sich  unter  den  nicht 
ausgezeichneten  schone  Sachen  fanden,  die  eben  so  viel  Recht  haben,  be- 
kannt  zu  werden,  schliigt  Dr.  Henrici  vor,  selbe  zu  sichten  und  in  einem 
Anhang  dazu  zu  geben,  oder  in  der  Presse,  etwa  dern  in  Cleveland  er- 
scheinenden  ,,Deutschen  Magazin"  zu  veroffentlichen  —  nicht  als  zuriick- 
gelegte  Ware,  sondern  als  iiberscnaumenden  Champagner. 

Wrohl  fehlten  einige  der  bekanntesten  Dichternamen,  sei  es,  dass  sie 
diesmal  noch  nichts  eingesandt  hatten,  sei  es,  dass  sie  nicht  die  Tone  an- 
geschlagen  haben,  die  der  Gesamtstimmung  der  sieben  Richter  entsprach. 
Freilich  hatten  sich  unter  diesen  selbst  die  Urteile  initunter  grundver- 
schieden  gezeigt,  und  manche  Entscheidung  konnte  nur  durch  eine  knappe 
Abstimmung  erfolgen,  als  sie  nach  mehrwochentlicher  Einzelpriifung  die- 
selben  gegenseitig  austauschten.  tiber  den  Geschmack  im  allgemeinen 
lasst  sich  eben  nicht  streiten,  und  iiber  den  Kunstgeschmack  im  besondern 
erst  recht  nicht,  die  einen  halten  dies  fiir  gut  und  preiswiirdig,  die  andern 
jenes.  So  ist  die  Tatsache  zu  erklaren,  dass  am  ersten  Mai  in  Koln  ein 
Gedicht  ehrenvoll  erwahnt  wurde,  das  zehn  Tage  zuvor  in  Baltimore  leer 
ausging.  Diese  Tatsache  wird  den  Nichtgekromen,  die  mit  dem  Spruch 
bei  den  Baltimorer  Blumenspielen  unzufrieden  sein  sollten,  eine  gewisse 
Genugtuung  gewahren. 

Wenn  man  bedenkt,  dass  der  Gedanke  eines  solchen  Dichter-Wett- 
kampfes  in  diesem  Lande  vollig  neu  war,  auch  an  gar  nichts  Vorhandenes 


Komsponden^en.  189 

ankniipfen  konnte,  und  dass  trotzdem  ein  nicht  zu  bezweifelnder  Erfolg 
errungen  wurde,  so  kann  Amerika  mit  Befriedigung  auf  dies  Ergebnis 
blicken.  Und  die  hochste  Anerkennung  seitens  des  gesamten  Deutschtums, 
liier  und  auswarts,  gebvihrt  dem  genialen  Ingenieur-Dichter,  Dr.  Ernst 
Henrici,  dem  Begriinder  der  Baltimorer  Blumenspiele.  Blumenspiele  — 
es  ist  ja  nur  ein  poetischer  Xame  fur  eine  ernste  Sache,  eine  Kulturtat, 
die  vom  ,,Spiel"  weit  entfernt  ist  —  waren  und  sind  auch  jetzt  der 
Krystallisationspunkt  reinen  Idealismus,  bewussten  ethischen  Strebens, 
wie  das  durch  die  alte  Devise  ,,Vaterland,  Glauben,  Liebe"  zusammenge- 
fasst  wird. 

Das  war  die  Auffassung  des  Begriinders  der  Baltimorer  Blumenspiele, 
das  war  die  Auffassung,  die  im  Laufe  des  Festes  in  ergreifender  Weise 
durchdrang.  Wer  Saiten  in  sich  hat,  die  beim  Schonen,  Edlen  und  \Vahren 
erzitternd  schwingen,  dem  werden  die  EindriicKe  dieses  Festes  eine  be- 
seligende  Erinnerung  bleiben.  Mogen  all  die  Lieder  und  Dichtungen  hin- 
ausklingen  in  die  Menschenherzen,  fiir  die  sie  bestimmt  sind,  und  dort  die 
Empfindungen  wecken,  die  sie  bei  den  Festteilnehmern  hervorriefen. 

Dieser  Artikel  beginnt  mit  einem  Vers  aus  dem  poetischen  Festgruss, 
den  Dr.  Fastenrath,  der  deutsche  Troubadour,  von  Koln  heriibersandte,  er 
schliesse  nun  mit  zwei  Versen  aus  dern  Eroffnungsgruss,  den  der  hiesige 
Trotibadour,  Dr.  Henrici,  der  ersten  amerikanischen  Blumenkonigin  in  den 
Mund  legte : 

,,Das  ist  der  Lenz,  der  zog  herein 

Und  schenkte  uns  Blumen  vom  deutschen  Ehein, 

Blauveilchen,  Maiglockchen  und  Eosenglut, 

Die  brachte  der  Lenz  uns  iiber  die  Flut. 

Nicht   Blumen,  geknickt   fiir  den   Totenschrein, 

Der  Lenz  bringt  uns  Blumen  mit  Wiirzelein. 

Wir  pflanzen  sie  heute  mit  frommer  Hand, 

Mit  hoffendem  Herzen  in  diesem  Lanu." 


II.     Korrespondenzen. 


(Fiir  die  Padagogisclien  flonatshefte.) 


Baltimore.  segemvirkenden   Musteranstalt    nah- 

Die     Johns     Hopkins    Uni-  men   ein   ganzes    Hfhisergevierte    am 

versitat    ist     durch     die     Gross-  schonsten  und  hochstgelegenen  Teil 

herzigkeit   des    Olkonigs  Rockefeller  des  Broadway  ein. 

von    einer    schweren     Sorge     befreit  Auch  dem     Maryland   Insti- 

worden.    Derselbe   hat  niimlich   dem  t  u  t     degsen   ausgedehntes   Gebiiude, 

Umversitatshospital  die   Summe  von  .       ,        .,         ,      .  ,  , 

500,000     Dollars     bedingungslos     ge-  ^vie     bereits      benchtet,       in     jener 

schenkt.  Diese  Summe  und  dazu  die  Schreckensnacht  der  ganzhchen  Zer- 

erhaltenen   Versicherungsgelder   rei-  storung  anheimfiel,  ist  Hilfe  gewor- 

chen   gerade   hin,   um   an  Stelle   der  den,       inrlem      die      Staatslegislatur 

vom  Feuerdamon   zerstorten   achtzig  $^75,000    clafiir   bewilligte,    allerdings 

Lagerhauser,    die    zum    Grundvermo-  lange  nicht  so  viel,  als  verlangt  wor- 

geii  des   Hospitals     gehorten,     neue  den    war.     Von    den    Versicherungs- 

Gebaude   aufzufiihren,   was   auch   so-  geldern     werden     nur     $100,000     ein- 

fort   geschehen     wird,     so    dass    das  gehen,  da   mehrere   der   lokalen   Ge- 

Hospital      schon      in     wenigen      Mo-  sellschaften    nicht    im    stande     sind, 

naten  wieder   das   normale   Einkom-  dje     vollen     Betriige     auszubezahlen. 

men  geniessen  wird.    Die  stattlichen  Einige    derselben    sind    eingegangen. 

Gebiiulichkeiten  und  Anlagen  dieser  Es  sei  hier  erwahnt,  dass  sich  die 


190 


Padagogische  Monatshefte. 


beiden  lokalen  deutschen  Gesell- 
schaften  bei  der  iiberaus  traurigen 
Brandkatastrophe  riihinenswert  aus- 
zeichneten.  Sie  zahlten  prompt  die 
vollen  Summen  aus,  im  ganzen  1 
i[i  Hi  on  und  200,000  Dollars,  und  da- 
bei  bleib  noch  bei  der  iilteren  das 
Stammkapital,  %  Million  Dollars, 
unberiihrt. 

Die  offentlichen  Abend- 
s  c  h  u  1  e  n  haben  ihren  sechsmonat- 
lichen  Kurs  beendet.  Derselbe  er- 
weist  sich  nac^i  den  einberichteten 
Beforderungen  erfolgreicher  als  je. 
Jn  der  Abendschule,  welcher  der 
Schreiber  als  Prinzipal  vorsteht,  und 
die  sich  in  der  Hafengegend  befin- 
aet,  waren  Angehorige  von  elf  ver- 
schiedenen  Nationalitaten,  im  Le- 
bensalter  von  16  bis  45  Jahren.  Aus 
denjenigen,  die  bei  der  Aufnahine 
gar  nicht  Englisch  verstanden,  war 
wie  friiher,  eine  besondere  Klasse 
gebildet  worden,  die  der  Prinzipal 
selbst  iibernahm.  Diese  ,,internatio- 
nale  Klasse"  uberraschte  bei  der 
Schlussfeier  den  Schreiber  mit  einer 
wfetvollen  Standuhr,  und  gab  ihm 
am  spateren  Abend  noch  ein  kleines 
Abschiedsbankett.  ,,'s  ist  nicht  die 
Wurst,  aber  man  sieht  doch  die 
Liebe". 

Vor  der  Deutschen  His  tor  i- 
schen  Gesellschaft  dahier 
wurde  unliingst  eine  liingere  Ab- 
handlung  in  deutscher  Sprache, 
,,Als  Deutsche  in  Venezuela  regier- 
ten",  verlesen,  welche  Distriktsrich- 
ter  Otto  Schonrich  in  Porto  Rico 
seinem  Vater  dahier  zu  Weihnach- 
ten  gesandt  hatte.  Aus  vergilbten 
Schriftstiicken,  die  der  junge  Rich- 
ter  bei  seiner  Durchforschung  der 
portorikanischen  Archive  aufgefun- 
den  hatte,  hatte  er  neue  Tatsachen 
betreffs  der  deutschen  Eroberer 
Venezuelas  ans  Licht  gebracht.  Die 
alten  Berichte  zeigen,  wie  jene 
deutschen  Eroberungsziige  denen 
Pizarros  an  kiihnem  Wagemut  bei 
unsaglichen  Hindernissen  und  Ent- 
behrungen  nicht  nachstanden;  und 
wie  bei  letzteren  spanische  Grau- 
samkeit  obwaltete.  so  zeigen  erstere 
Ziige  deutscher  Ritterlichkeit.  Der 
Verein  will  die  Abhandlung  drucken 
lassen.  In  seiner  eben  eingelaufenen 
Erwiederung  auf  einen  ihm  zugegan- 
genen  Dankesbeschluss  schrieb  der 
Verfasser  dem  Verein  u.  a.: 

,,Die  Geschichte  der  spanisch- 
amerikariischen  Liinder  ist  mir  hoch- 
interessant,  und  es  freut  mich,  dass 
Detitsche  eine  solch  hervorrasrende 


Rolle  darin  spielten.  Was  Porto  Rico 
betrifft,  so  hat  sich  in  dessen  neue- 
ster  Geschichte  deutsches  Blut  auch 
geltend  gemacht.  Der  amerikanische 
General  Schwan,  dessen  Namen  ge- 
niigend  seinen  Ursprung  andeutet, 
befehligte  die  ersten  Belagerungs- 
truppen  im  Westen  der  Insel. 
Der  Oberrichter  Louis  Sulzbacher  in 
San  Juan,  der  erste  amerikanische 
Polizeikommandant,  und  der 

Strassenbaudirektor,  -sind  geborene 
Deutsche,  und  der  Delegat  Porto 
Ricos  im  Kongress, — Degetau  — ,  ist 
der  Sohn  eines  genialen  Harnbtirgers. 
Deutsche  Kaufleute  spielen  eine 
grosse  Rolle  in  dem  Exporthandel 
und  ich  habe  manche  Woche  mehr 
Gelegenheit,  deutsch  zu  sprechen, 
als  englisch."  S. 

Ch'cpgo. 

Die  hiesige  Teachers 
Federation  ist  begreiflicher 
Weise  den  Reformbestrebungen  un- 
seres  Superintendenten  Cooley  ab- 
geneigt.  Insbesondere  sind  den  Mit- 
gliedern  derselben  die  Bestimmun- 
gen  der  neuen  Regeln  verhasst,  nach 
welchen  sich  alle  Lehrer,  die  in  eine 
hohere  Gehaltsstufe  eingereiht  wer- 
den  wollen,  sich  einer  Promotions- 
priifung  unterziehen  miissen  und  die 
Mitglieder  der  Federation  bleiben 
diesen  Examina  mit  anerkennens- 
wertem  Corpsgeist  fern.  Nun  hat  es 
die  genannte  grosse  Lehrerverbin- 
dung  fertig  gebracht,  dass  bei  der 
letzten  Wahl  den  Stimmgebern  die 
Frage  zus  Entscheidung  vorgelegt 
worden  ist,  ob  der  Schulrat  weiter- 
hin  vom  Biirgermeister  der  Stadt  er- 
nannt  werden,  oder  ob  er  vom  Volke 
direkt  gewiihlt  werden  soil.  Und 
diese  letztere  Frage  ist  von  der 
WJihlerschal't  mit  rieeiger  Mehrzahl 
bejaht  worden.  Wenn  uiichstes  Jahr 
die  Legislatur  zusammentreten 
wird,  wird  wohl  ein  dahin  lautendes 
Gesetz  erlassen  werden  und  dann 
sind  wohl  die  Tage  des  Herrn  Coo- 
ley  als  Superintendent  geziihlt. 

Ob  eine  Wahl  des  Schulrats  durch 
das  Volk  der  Ernennung  desselben 
durch  den  .olirgermeister  oder  durch 
eine  Kommission  vorzuziehen  sei  und 
zum  Wohle  der  Schule  ausfallen 
wird,  ist  freilich  eine  andere  Frage. 
Aber  Herr  Cooley  hat  sich  mit  sei- 
nen Reformbestrebungen  unter  der 
Lehrerschaft  und  auch  unter  den 
Biirgern  sehr  viele  Gegner  ge- 
schaffen,  die  mit  allem  Eifer  darauf 
hinarbeiten,  ihn  durch  einen  libera- 
leren  Mann  zu  ersetzen. 


191 


Die  Deutschen  brauchen  ihm  keine 
Trane  nachzuwemen  —  unter  ihm 
ist  der  deutsche  Unterricht  in  den 
offentlichen  Schulen  so  verkriippelt 
worden,  dass  eine  ganzliche  Ab- 
schaffung  desselben  gerade  so  gut 
ware.  Und  dann  wtisste  man  doch 
genauer,  woran  man  ware. 

ubrigens  hatten  wir  die  Dienste 
des  Herrn  beinahe  verloren.  Die 
Staatsuniversitiit  hat  ihm  angeblich 
die  Rektorschaft  angetragen,  und  er 
hatte  sie  wohl  auch  angenommen, 
wenn  er  —  gewiihlt  worden  ware. 
Aber  es  scheint,  man  wollte  ihn 


Lehrmittel,  die  sanitaren  Einrichtun- 
gen  sehr  gefallen  hatten,  dass  es  ihn 
aber  wundere,  warum  man  den  Leh- 
rern  so  kleine  Gehalter  bezahle.  Und 
der  Mann  hat  recht.  Nieht  der  Su- 
perintendent,  nicht  der  Prinzipal, 
sondern  der  Lehrer  ist  die  Seele  der 
Schule.  Ohne  die  ersteren  konnten 
wir  am  Ende  ferti°-  werden,  ohne 
den  letzteren  nicht.  °  E. 


Cincinnati. 

Wiederum  entriss  der  unerbittliche 
Tod  einen  unserer  Besten  aus  un- 
serer  Mitte<  den  deittschen  Ober- 
lehrer  W  i  1  h  e  1  m  S  c  h  a  f  e  r.  Die 

•  i    i*       •  i    i,  •  -i. 
entwickelte  sich  bei  mm 

S.ta^ken  Lungenentzundung, 

Ziic  h  t  i  g  u  n  g  befiirworten.    So     *ep    ^>st    die    starke    Institution 
hat  sich  die   Vereinigung   der   Prin-    d*s  n.ur  achtundvierzig  Jahre  alten 


Mehr  und  mehr  werden  wieder 
Stimmen  laut,  die  die  E  i  n  f  ii  h- 
rung  der  korperlichen 


zipale  neulich  einstimmig  dafiir  aus- 
gesprochen.  Und  das  ist  recht!  In 
unserer  Gefiihlsduselei  sind  wir  auf 
ganz  falsche  Wege  geraten.  Ein 
Knabe,  der's  verdient,  sollte  sicher- 
lich  die  Hosen  gespannt  bekommen. 
Dann  brauchten  wir  nicht  so  viele 
,,Parental"-,  Reform-  und  derglei- 
chen  Schulen,  die  eine  Unsumme 
Geld  kosten  und  ihren  Zweck  nicht 
erfiillen. 

In  unserer  ,,P  a  r  e  n  t  a  1"  -  S  c  h  u- 
1  e  kommt  jeder  Insasse  dem  Gemein- 
wesen  auf  $700  per  Jahr  zu  stehen. 

Neulich  haben  wir  wieder 
eine  der  bekannten  ,,Untersuchun- 
gen"  jener  Anstalt  gehabt,  die  den 
Steuerzahlern  die  Augen  geoffnet 
hat.  Aber  wie  kann  es  denn  anders 
sein,  wenn  man  die  Leitung  in  die 
Hande  von  mehr  oder  weniger  ge- 
riebenen  Politikern  legt? 

Jetzt  sollen  wir  auch  eine  H  a  n- 
delshochschule  bekommen! 
$500,000  soil  der  Bau  mit  dem  Grund- 
stiick  und  der  Einrichtung  kosten! 
O,  wir  haben's  ja!  Unser  Superin- 
tendent wird  zwei  Monate  lang  auf 
Reisen  gehen  und  ahnliche  Schulen 
des  Landes  besuchen  und  sie  studie- 
ren.  Selbstredend  mit  vollem  Gehalt 
von  $1000  per  Monat.  Wenn  einmal 
ein  Klassenlehrer  eine  kleine  Auf- 
besserung  verlangt,  liest  man  ihm 
die  Armutsakte  vor,  oder  man  sagt, 
du  musst  eine  Priifung  machen. 

Einer  der  deutschen  Pro- 
fessoren,  die  kurzlich  zum  Be- 
suche  unserer  Universitiit  hier  wa- 
ren,  hat  viele  Schulen  in  Chicago  be- 
sucht  und  dann  offentlich  gesagt, 
dass  ihm  die  herrlichen  Gebaude,  die 


tief  betrauerten  und  hoch 
geachteten  Mannes  nicht  standhal- 
t-en  konnte.  Auf  langere  Zeit,  jeden- 
falls  bis  zum  nachsten  Schuljahre, 
dienstunfahig  sind,  gleichfalls  wegen 
schwerer  Krankheit,  hochgradige 
Nervenerregung,  die  beiden  Ober- 
lehrer  Aloys  Schultz  und  Benjamin 
Wittich.  Ob  damit  nun  ,,die  letzten 
vorbeigezogen"  sind?  Wrir  hoffen 
das  Beste,  wollen  ober  von  der  ei- 
nem  Berichterstatter  wohl  zu  ge- 
stattenden  Lizenz  Gebrauch  machen, 
indem  wir  alien  zuliebe  und  keinem 
einmal  zuleide  die  wohlgemeinte  Warming 
hier  recht  fett  drucken  lassen:  So 
du  noch  nicht  tapfer  in  den  Sechzi- 
gern,  also  noch  nicht  bombenfest, 
bist,  Kollege,  tue  des  Gnten  nicht  zu 
viel.  Halte  Mass  in  alien  Dingen,  be-, 
senders  in  der  Arbeit.  Musst  du  dir 
in  irgend  etwas  einmal  ein  Mehr 
leisten,  lass  es  lieber  in  der  Er- 
holung  eintreten  und  wenn  auch. .  . 
nun,  den  Kopf  wird's  ja  nicht  gleich 
kosten!  *  *  * 


Milwauks-. 

Die  neue  Schule  des  9. 
Distrikts.  Was  lange  wahrt, 
wird  endlich  gut.  Nun  sind  wir  Leh- 
rer und  Schiller  des  9.  Distrikts  doch 
endlich  auch  einmal  an  die  Reihe  ge- 
kommen,  und  haben  ein  neues,  aus- 
gezeichnetes  Schulhaus  erhalten. 
Das  alte  Schulhaus  war  schon  recht 
baufallig  geworden,  und  als  es  nie- 
dergerissen  wurde,  mussten  Lehrer 
und  Schiiler  sich  recht  kiimmerlich 
durchhelfen  und  fast  zwei  Jahre  lang 
die  sechs  Oberklassen  in  einer  alten 
baufalligen  Schule  und  die  andern 


192 


Pddagogiscbe  Monatshefte. 


Klassen  teils  in  Barracken  und  teils 
in  g-emieteten  Lokalen  ihr  tempo- 
riires  Heim  anfschlagen.  Am  12. 
April  haben  \vir  dann  unser  neues 
Schulgebiiude  bezogen,  das  in  jeder 
Hinsicht  ein  Musterschulhaus  ge- 
nannt  zu  werden  verdient.  Es  steht 
auf  dem  alten  Piatze,  Ecke  14.  und 
Galena  Strasse,  wo  Schreiber  dieses 
in  dem  alten  Gebiiude  fast  27 
Jahre  lang  tmterrichtete.  Die 
Frontseite  des  Gebiiudes  langs  der 
14.  Strasse  ist  154  Fuss,  und  die  bei- 
den  Seitenfltigel  je  120  Fuss  lang. 
In  der  Mitte  ist  ein  grosser  Lichthof, 
52x69  Fuss,  gelassen.  Das  Gebiiude 
ist  dreistockig  und  aus  gelben  Back- 
steinen  errichtet,  einem  stiidtischen 
Fabrikat,  das  unserer  Stadt  den  be- 
kannten  Namen  ,,Cream  City"  gege- 
ben  hat.  Die  Plane  sind  von  dem 
Architekten  G.  Ehlers  entworfen,  so- 
wie  der  Bau  von  den  beiden  Kontrak- 
toren  A.  Holstein,  Schreiner,  und 
Theo.  Riesen,  Maurer,  ausgefiihrt 
wurde,  unter  der  Aufsicht  des  Bau- 
inspektors  G.  DeBrake.  Die  Bau- 
kosten  betragen  $75,000.  Das  Ge- 
biiude enthalt  mit  dem  Kindergarten 
21  Klassenzimmer,  alle  hell,  gerau- 
mig  und  praktisch  gelegen.  Die 
Pulte  sind  alle  so  aufgestellt,  dass 
das  Licht  den  Schiilern  zur  linken 
Seite  fiillt.  Im  dritten  Stock  ist  eine 
recht  geriiumige  Halle,  75x57  Fuss 
gross,  die  zwischen  700 — 800  Perso- 
nen  fassen  kann.  Im  zweiten  Stock 
befindet  sich  die  Amtsstnbe  des 
Prinzipals,  und  daneben  ein  Biblio- 
thekzimmer.  Im  ersten  Stock  ist  ein 
geriiumiges  Lehrerzimmer;  alle  drei 
Eiiunie  sind  passend  ausgestattet. 
Das  Gebiiude  hat  vier  Ein-  und  Aus- 
g'iinge,  die  auf  breiten  Treppen  nach 
oben  fiihren;  ausserdem  sind  noch 
Ausgiinge  den  Lichthof  hinunter, 
zur  Benntzung  bei  Feuersgefahr.  Die 
Wasserklosets  fiir  die  Schiiler,  sehr 
praktisch  und  den  sanitiiren  Vor- 
schriften  entsprechend,  sind  in  alien 
drei  Stockwerken  an  der  Nordseite 
eingerichtet.  Die  Heizung  geschieht 
mit  Dampf  und  zwar  nach  dem  aus- 
gezeichneten  Johnsonschen  elektri- 
schen  Selbstregulierungssystem.  Ein 
Fiicherrad  im  Erdgeschoss  treibt  die 
kalte  Luft  durch  Luftschachte  in 
alle  Zimmer  und  reguliert  somit  die 
Temperatnr.  Sodann  wird  noch  eine 
elektrische  Uhr  in  der  Office  aufge- 
stellt, welche  auf  die  Seknnde  ge- 
jiau  das  Programm  anzeigt  und 


durch    ,,gongs"   im    ganzen   Gebiiude 
verkiindet. 

Moge  die  neue  Schule  Lehrern  und 
Schiilern  Gliick  und  Gedeihen  brin- 
gen  und  Lehr-  und  Lerneifer  an- 
reizen  und  stiirken.  Die  Burger  der 
Ward,  sowie  Lehrer  und  Schiiler 
konnen  mit  Eecht  stolz  auf  ihre 
Schule  sein.  A.  W. 

New  York. 

I  n  d  e  r  Versarnmlung  des 
\ereines  Deutscher  Leh- 
rer von  New  York  und  TJ  m- 
g  e  g  e  n  d,  die  in  der  ersten  April- 
Woche  statfand,  hielt  Herr  Dr.  Remy 
vom  Columbia  College  einen  gediege- 
nen,  fachmannisch  und  doch  auch 
popular  gehaltenen  Vortrag  iiber: 
Die  germanische  Philologie  im 
Dienste  des  Lehrers.  Die  Anwesen- 
den  \vurden,  so  weit  sie  es  noch 
nicht  waren,  griindlich  iiberzeugt 
von  der  absoluten  Xotwendigkeit 
der  Kenntnis  der  historischen  Gram- 
matik  und  der  Etymologie.  Es  war- 
den im  Verlaufe  der  Sitzung  zwei 
\Ausschiisse  gebildet;  ein  Dreier- 
ausschuss,  um  fiir  die  Verbreitung1 
der  Piidagogischen  Monatshefte  zu 
agitieren,  und  ein  Fiinferausschuss, 
der  sich  mit  der  Entdeckung  von 
Mitteln  undWegen  beschaftigen  soil, 
die  zur  Griindung  einerDeutschame- 
rikanisch-Historischen  Abteilung  in 
Verbindung  mit  einer  der  ciffent- 
lichen  Bibliotheken  fiihren  dtirften. 
Vorsitzender  des  Ausschusses  ist  der 
streitbare  und  federgewandte  Prii- 
sident  der  Vereinigten  Deutschen 
Gesellschaften  New  Yorks,  unser 
allgeehrter  Dr.  A.  Kern;  unter  den 
Beisitzern  befinden  sich  der  urger- 
in}anische,  kampfbereite  Herkules 
unseres  Vereines,  Hermann  Boos, 
und  Herr  Joseph  Winter,  der  Vor- 
kiimpfer  im  Streite  um  Eecht  und 
Gerechtigkeit  inSachen  des  Deutseh- 
tums.  Parturiunt  montes  et  nasce- 
tur  die  deutsche  Abteilung  der  New 
Yorker  Bibliothek.  Fiir  den  ersten 
Samstag  im  Mai  hat  Herr  Doktor 
Eckhoff,  der  vielgereiste  und  tief- 
imterrichteteGelehrte,  einen  vielver- 
sprechenden  Vortrag  angekiindigt: 
,.Warum  Herbart?"  Fiir  den  Juni  ist 
ein  Ausflug  ins  nahe  Newark,  der 
Geburtsstadt  unseres  Vereins,  in 
Aussicht  genommen. 

Im  allgemeinen  liisst  sich  sagen, 
dass  der  Verein  sich  eines  regeren 
Lebens  erfreut,  seit  er  sein  Heim  im 
Press-Klub  aufgeschlagen.  Teilweise 


Konesponden^en. 


193 


diirfte  der  Grund  darin  auch  zu  su- 
chen  sein,  dass  der  gemiitliche 
Okonom  uncl  seine  kochkundige  bes- 
sere  Halfte  zu  zivilen  Preisen  ein 
Abendmahl  liefern,  dass  die  Fein- 
schmecker  unseres  Vereines  wohl  zu 
wiirdigen  verstehen.  H.  Z. 

Pop  land,  Maine. 
Dass  in  der  Geburtsstadt  Long- 
fellows  das  Deutsche  in  hohen  Ehren 
steht,  liisst  sich  wohl  denken,  und 
das  zeigt  sich  auch  recht  deutlich  in 
dem  Sonimerkursus  an  un- 
serer  stadtischen  Hoch- 
s  c  h  u  1  e,  denn  da  nimmt  von  den 
zehn  Departements  das  Deutsche  den 
ersten  Hang  ein,  seit  vor  einigen 
Jahren  Professor  Spanhoofd  von 
Washington  die  Leitung  der  ,,Port- 
land  Summer  School"  ubernommen 
hat.  Wie  das  eben  angekiindigte 
Programm  darlegt,  hat  Direktor 
Spanhoofd  fiir  den  diesjtihrigen 
Sommerkurs  eine  noch  grossere  Er- 
weiterung  des  deutschen  Departe- 
ments vorbereitet,  und  ist  dafiir 
Professor  Schonrich  von  Baltimore 
gewonnen  worden.  Die  Unterrichts- 
stunden  sind  nur  vormittags,  abends 
finden  im  Laufe  des  Sommers  18 
iiffentliche  Vortriige  statt,  woven 
sechs  in  deutscher,  die  andern  in 
englischer  und  franzosischerSprache, 
und  zwar  wird  Direktor  Spanhoofd 
iiber  ,,Dichter  fiir  die  Kinderwelt", 
,,Was  ist  ein  Drama?"  ,,Dichtermut- 
ter"  und  ,,Heine"  sprechen,  wahrend 
Professor  Schonrich^  folgende  The- 
mata  behandeln  wird:  ,,Das  deutsche 


Sprichwort"  und  ,,Der  neuere  Idea- 
lismus".  Xachmittags,  und  den  gan- 
zen  Samstag,  werden  Wasser-  und 
Landausfliige  in  unsere  einzig  schone 
Umgebung  unternommen. 

Unsere  Sommerschule  zeichnet 
sich  vor  den  andern  zunachst  durch 
zwei  Punkte  aus:  Hier  sind  fur  die 
modernen  Sprachen  besondere  Klas- 
sen  fiir  die  eingerichtet,  die  eine 
solche  praktisch,  d.  h.  sprechen  ler- 
nen  wollen,  wozu  dann  die  nattir- 
liche  Methode  angewandt  wird,  und 
hier  kommt  die  gesellschaftliche 
Seite  recht  zur  Geltung.  Da  niimlich 
die  Glieder  der  besten  Gesellschaft 
unserer  reichen  Stadt  zur  Sommer- 
schule gehoren  oder  gehort  haben, 
so  sind  die  der  Schule  Angehorigen 
in  alien  Hausern  willkommen,  und 
das  werden  die-  von  auswarts  auch 
verstehen,  wenn  sie  am  Juli  bei  der 
Eroffnungsfeier  vom  Biirgermeister 
der  Stadt  in  iiblicher  Weise  bewill- 
kommt  und  sie  die  herzlichen  Worte 
horen  werden:  ,,You  are  no 
strangers  here,  you  are  our  welcome 
guests".  Und  solche  willkommserte 
Gaste  sind  uns  bereits  wieder  aus 
ientfernten  Teilen  des  Landes,  bis 
Californien,  angesagt,  aus  Mexiko 
und  Cuba,  und  in  den  letzten  Tagen 
auch  zum  ersten  Mai  aus  Porto  Kico. 
Zur  unentgeltlichen  Erlangung  des 
eben  erschienenen  hiibsch  illustrier- 
ten  Zirkulars  wende  man  sich  an  die 
iSekretiirin  Miss  Mary  P.  Ames,  23 
Shepley  Street,  Portland,  Maine. 

P.  R. 


III.     Umschau. 


—  Im  Senat  der  Vereinig- 
ten  Staaten  protestierte  am  9. 
Marz  Senator  Bacon  geegn  die  A.n- 
nahme  einer  Statue  Friedrichs  des 
Grossen,  weil  Friedrich  die  Verkor- 
perung  des  Absolutismus  darstelle. 
Senator  Stewart  von  Nevada  vertei- 
digte  den  preussischen  Konig,  indem 
er  sagte,  er  habe  jene  Platze  in  Hol- 
land personlich  aufgesucht,  wo 
Friedrich  als  Schiffszimmermann  ge- 
arbcitet  habe.  Nachdem  Herr 
Steward  indessen  erfahren,  dass  er 
den  grossen  Friedrich  mit  dem  gro?- 
sen  Peter  verwechselt,  beeilte  er 
r>ich,  seine  Bemerkungen  aus  den 
amtlichen  Berichten  entfernen  zu 
lassen. 

-Das       Reprasentanten- 
haus   zu   Washington   hat   ei- 


nen  Gesetzesvorschlag  angenommen, 
nach  welchem  sechshundert  Lehrer 
der  Insel  Porto  Kico  freie  Fahrt 
nach  den  Vereinigten  Staaten  ge- 
wiihrt  werden  soil,  um  Sommerschu- 
len  besuchen  zu  konnen. 

—  Xach  Priisident  Harper  der  Uni- 
versitsit  Chicago  sieht  das  B  i  1  d 
des,,idealen"  College  -  Pro- 
fessors so  aus:  1)  Der  Professor 
muss  verheiratet  sein;  2)  er  muss 
^"n  Kirchenmitglied  sein;  3)  er  muss 
mit  seinen  Studenten  auch  ausser- 
halb  der  Klassenzimmer  verkehren; 

4)  er  muss  den  Doktorgrad  besitzen; 

5)  er  muss  willens  sein,  elf  Monate 
im  Jahre  tiichtig  zu  arbeiten;   6)  er 
muss  tiitigen  Anteil  an  offentlichen 
(Angelegenheiten      nehmen.  —  Sonst 
nichts? 


194 


P&dagogischt  Monatshefte. 


—  Die  Universitat  Chicago  hat  am 
22.   Miirz   der   deutschen   W  i  s- 
senschaft       einen       Tribut 
gebracht.     In    feierlicher    Versamm- 
lung  wurde  den  Botschaftern  Tower 
und   Speck  von   Sternbnrg   und   fiinf 
Professoren  deutscher  Hochschulen, 
die   zu   dem   Zwecke    die   Reise    iiber 
das   Meer   gernacht   hatten,   der   Eh- 
rendoktor        verliehen.         President 
Rooseyelt  und  der   deutsche   Kaiser 
sandten  telegraphische   Griis"se. 

—  SuperintendentCooley 
hat  den  Plan  gefasst,  den  Unterricht 
in  der  Volkswirtschaftslehre   in   den 
Chicagoer   Schulen  p  r  a  k  t  i  s  c  h  e  r 
zu  gestalten.    Jede  Grammatikschule 
scliickt    einen   Abgeordneteu   in    das 
nationale     Unterhaus,      jede      Stadt- 
hochschule    zwei    Senatoren     in    das 
uoerhaus,    und    der    ,,Kongress*'    ist 
fertig!  Die  staatliche  und  die  stadti- 
sche  Verwaltung  sollen  in  ahulicher 
Weise     nachgeahrnt     werden.       Der 
President  und  die   Beamten  der   an- 
deren        Regierungszweige        diirfen 
selbstverstandlich  nur  nach  der  au- 
stralischen     Abstimmungsweise     ge- 
wiihlt  werden.    Das  kann  recht  nett 
werden. 

—  Der  Schujrat          der 

Deutsch  -  Englischen  A  k  a- 
demie  zu  Milwaukee  hat  nach 
reiflicher  Efwiigung  die  Abschaffung 
des  rein  wissenschaftlichen  Xach- 
mittags  -  Unterrichts  beschlossen 
und  die  Anderung  bereits  nach  den 
Osterferien  in  Kraft  treten  lassen. 
Nach  dem  neuen  Plane  fangt  die 
Schule  morgens  8  Uhr  an  und  dauert 
mit  je  einer  viertelstiindigen  Pause 
nach  der  zweiten  und  vierten  Lek- 
tion bis  hai  -  eins.  Fiir  die  drei  un- 
tersten  Klassen  schliesst  damit  die 
Arbeit  fiir  den  Tag  uberhaupt;  die 
vierte  und  die  fiinfte  Klasse  hinge- 
gen  erhalten  an  zwei,  und  die  drei 
oberen  Klassen  an  drei  Nachmit- 
tagen  der  Woche  noch  Unterricht  in 
Handfertigkeit  und  im  Turnen,  und 
zwar  von  halb  drei  bis  vier  Uhr.  Mit 
dieser  Anderung  des  Stundenplanes 
hat  der  Schulrat  der  Akademie  einer 
gesundheitlichen  und  erzieherischen 
Forderung  Rechnung  getragen,  die 
unter  leiteuden  Schulmannern  und 
Arzten  hierzulande  und  in  Deutsch- 
alnd  immer  mehr  die  gebiihrende 
Anerkennung  findet:  der  Vormittag 
der  Ausbildung  des  Geistes,  und  der 
Nachmittag  der  andern  Seite  des 
Menschen. 


Da  die  Arbeit  der  Akademie  mit- 
bestimmend  in  den  Unterricht  des 
Lehrerseminars  greift,  so  ist  auch 
der  Stundenplan  des  letzteren  dem- 
entsprechend  geiindert  worden.  Im 
Seminar  dauert  indessen  der  Unter- 
richt taglieh  bis  ein  Uhr.  An  drei 
Xachmittagen  hat  jede  Klasse  von 
halb  drei  bis  dreiviertel  fiinf  eine 
wissenschaftliche  Lektion  und  je 
eine  Lektion  im  Singen  und  Turnen; 
der  Dienstag  und  der  Donnerstag 
Xachmittag  sind  schulfrei. 

—  Was    fiir    eine    deutsche 
Stadt  das  Borough  Manhattan  (Xew 
York)   ist,  geht  aus  dem  ersten  offi- 
ziellen     Berict     des     Tenementhaus- 
Departements  hervor.    Darnach  sind 
unter   der   Gesamtzahl   der   in   Tene- 
ments lebenden  Familien  93,850  deut- 
sche, 80,101  irliindische,  56,853  ameri- 
kanische,  37,884  russische,  29,623  ita- 
lienische,    13,884    englische    und    6376 
polnische.        Nach   Familienlitiuptern 
gerechnet    stehen   wieder    voran    die 
deutschen    mit    24.20    Prozent,    dann 
kommen    die    irliindischen    mit   22.02 
Prozent,    und    erst    in    dritter    Reihe 
die    eingeborenen    Amerikaner      mit 
34.55  Prozent. 

—  Ein       Rechtsfall       ganz 
eigner  Art,  auf  dessen  Ausgang 
man  in  LehrerKreisen  allgemein  ge- 
spannt  ist,  wird   vor  Richter  Dunne 
in    Chicago    verhandelt.     Im    Monat 
Juli  1902  zahlten  fiinf  grosse  Gesell- 
schaften,   die    sich,    obgleich    im   Be- 
titze   offentlicher   Gerechtsame,     der 
feteuerhinterziehung       schuldig      ge- 
macht   hatten     und     vorn   Chicagoer 
Lehrerverein  auf  dem  Klagewege  zur 
Erfiillung  ihrer  Steuerpflichten  dem 
Staate  gegeniiber  gezwungen  worden 
waren,     das     nette     Siimmchen     von 
.$598,000    riickstandiger    Steuern    fiir 
1890  in  die  Kasse  des  Schatzmeisters 
von   Cook   County.     Von    diesem   Be- 
trage    gehorten    $249,000    dem    Schul- 
fonds  an.    Am  9.  Juli  1902  erhielt  der 
Stadtschatzmeister  den  aiif  die  Stadt 
Chicago  fallenden  Anteil  ausbezahlt, 
und  der  Finanzausschuss   des  Schul- 
rates   hatte   nichs    Eiligeres   zu  tun, 
als   in   einer   Spezialsitzung     zu     be- 
schliessen,    die    $249,000    fiir   Kohlen, 
fiir   das    Reinigen   von   Sehulhiiusern 
Tind  fiir  andere  Zwecke  fiir  das  Jahr 
1902  zia  bewilligen.  In  der  regelmiissi- 
gen  Sitzung  des  Stadtrates  in  dersel- 
ben  Woche   wurde  verkiindigt,   dass 
Fonds  aus  einer  sich  unerwarlet  er- 
schlosseuen    (!)    Quelle    es    mciglich 


Umschau. 


195 


rnachten,  den  Feuerleuten  —  die  ini 
Jahre  1902  einen  Monat  unfreiwilli- 
g-er  Ferien  nebst  Lohnabzug  hatten 
nehmen  miissen  —  den  verlorenen 
Monatxlohn  zuriickzuzahleii. 

Da  wallte  —  den  Lehrern  anch  ihr 
Bhit!  Sie  glaubten  ebenfalls  An- 
spruch  auf  einen  Teil  der  $249,000  zu 
haben  und  nagelteii  das  Siimmchen 
mittles  ESnhaltsbefehls  vorlaufig 
fest.  Miss  Goggin  rief,  nicht  als 
Lehrerin,  sondern  als  Steuerzahler, 
die  Gerichte  an,  um  den  Schulrat  zu 
verhindern,  Steuern  des  Jahres  1900 
fiir  Zwecke  des  Jahres  1902  auszu- 
geben.  Sie  sagte  in  ihreni  Gesuche 
inn  einen  Einhaltsbefehl,  dass  der 
Schulrat  gesetzlich  gehalten  sei, 
seine  Schuldeii  aus  dem  Jahre  1900 
mit  dem  Gelde,  dass  der  Stadtrat 
mm  ausdriicklich  zu  diesein  Zwecke 
in  jenein  Jahre  zur  Verfiigung  ge- 
stellt  habe,  zu  bezahlen.  Die  in  Frage 
stehenden  Schulden  nun  betreffen 
die  Gehiilter  der  sogenannten  ,.er- 
fahrenen"  Lehrer  Chicagos.  Im 
Januar  1900  wurden  die  Gehalter  je- 
ner  Lehrer  beschiiitten;  und  der 
Verlust  des  Gehaltes  fiir  eine  Woche, 
den  ausserdem  a  1 1  e  Lehrer  wegen 
Schulschlusses  im  September  1900 
erlitten,  gehort  auch  zu  jenen 
,,Schulden"  des  Schulrats. 

Der  Richter  hat  nun  zu  entschei- 
den,  ob  der  Schulrat  den  Lehrern 
fiir  das  Jahr  1900  noch  etwas  schul- 
det,  und  ob  der  Stadtrat  Ver- 
\villigungen  zu  dem  Zwecke  gemacht 
hat,  die  betreffenden  Schuld  abzu- 
tragen. 

-  F  r  a  n  k  r  e  i  c  h.  In  Paris  hat 
der  Franzose  Toni  Mathieu  plaii- 
mtissig  das  Werk  in  die  Hand  genom- 
men,  den  Austausch  von 
Ivindern  beiderlei  G  e- 
schlechts  zwischen  Familien 
verschiedener  Nationalitat  und  Zun- 
ge  zu  vermitteln.  Durch  den  Aufent- 
halt  in  der  fremden  Familie  und  in 
dem  fremden  Lande  soil  den  Kindern 
ein  Mittel  zu  grosserer  allgemeiner 
und  sprachlicher  Ausbildung  insbe- 
sondere  geboten,  sowie  durch  die  An- 
kniipfung  personlicher  Beziehungen 
zwischen  den  Familien  der  ausge- 
tauschten  Kinder  zugleich  in  politi- 
schem  Sinne  aufklarend  und  den 
Friedeii  fordernd  gewirkt  werden. 
Der  Genannte  ging  dabei  von  dem 
Grundsatze  aus,  jedes  Geld-Interesse 
als  selbstverstandlich  bei  dem  Aus- 
tausch auszuschliessen,  und  nur 
darauf  z\i  achten,  dass  den  Kindern 


in  der  fremden  Familie  die  gleiche 
liebevollc,  durch  die  Gegenseitigkeit 
gewjihrleistete  Unterkunft  wie  im 
eigenen  Elternhause  gewiihrt  werde. 
Es  meldeten  sich  zu  dem  ersten  Ver- 
suche  135  Familien,  66  in  Frankreich 
und  69  im  Auslande,  die  bereit  wa- 
ren,  zuniichst  fiir  die  Dauer  der  letz- 
ten  Herbstferien  auf  den  angeregten 
Austausch  einzugehen.  Bezeichnend 
fiir  die  franzosische  Madchener- 
ziehung  und  die  Abneigung  der  fran- 
zosischen  Eltern,  ihre  Tochter  aus 
der  eigenen  Obhut  oder  der  eines 
Klosters  zu  lassen,  ist  es,  dass  die 
66  franzosischen  Familien  65  Kna- 
ben  und  nur  ein  Miidchen  anmelde- 
ten.  Im  iibrigen  scheint  aber  nach 
der  ,,Koln.  Ztg."  der  erste  Versuch 
sehr  zur  Zufriedenheit  der  Eltern 
ausgefallen  zu  sein.  Denn  dem 
Griinder  des  Werkes  gingen  von 
vielen  Familien  Dankes-  und  Aner- 
kennungsschreiben  fiir  seine  Ver- 
mitteilung  zu,  namentlich  aus 
Deutschland.  Eine  Miitter  fiigte 
ihrem  Danke  die  Bemerkung 
hinzu:  ,,Wenn  so  die  Volker  sich 
besuchen  und  achten  und  lieben 
lernen,  werden  vielleicht  die  Konige 
sie  nicht  mehr  zvvingen  konnen,  sich 
zu  bekriegen."  Xicht  nur  die  Konige 
konnte  man  hinzfiigen,  sondern  viel- 
leicht auch  die  Demokraten,  die  des- 
halb,  wie  gerade  Frankreich  zeigt, 
nicht  ohne  weiteres  friedliebender 
sind,  weil  sie  keinen  Konig  mehr  ha- 
ben. Fiir  die  Franzosen  ist  es  aber 
immerhin  ein  erfreuliches  Zeichen 
des  Fortschritts,  wenn  gerade  von 
ihnen  jetzt  dieser  Kinderaustiiusch 
ausgeht  und  befiirwortet  wird.  Ge- 
rade sie  sind  es,  die  der  nationalen 
Abschliessung  von  freundschaftli- 
chem  Verkehr  mit  den  Angehorigen 
anderer  Nationen  durch  Sitte  und 
Gewohnheiten  am  meisten  huldigen. 

-  Der  Schiessunterricht 
in  Frankreich  soil  fortan  aus- 
giebiger  beriicksichtigt  werden.  Der 
Minister  des  offentlichen  Unterrichts 
hat  niimlich  folgende  Verfiigung  er- 
lassen:  Es  ist  darauf  hinzuwirken, 
dass  die  Schiessiibungen  einen  immer 
grcisseren  Platz  in  der  Schule  ein- 
nehmen,  da  doch  bald  eine  Verkiirz- 
ung  der  aktiven  Militiirzeit  eintreten 
wird.  Bisher  nahmen  etwa  1000 
Schulen  an  dem  ja'hrlichen  Preis- 
schiessen  teil,  diese  Zahl  ist  mog- 
lichst  zu  vergrossern.  Helfend,  for- 
dernd und  anspornend  tritt  der  Bund 
der  Schiessvereine  hinzu,  der  beson- 


196 


Piidagogische  Monatshefie. 


dere  Preise  fur  die  Lehrer  und 
Hchiiler  hat  anfertigen  lassen,  um  so 
moglichst  viel  fiir  den  Schiesssport 
zu  interessieren.  Ausserdem  hat  der 
Bund  ein  Taschenbuch  herausgege- 
ben,  das  alle  notigen  Uiiterweisun- 
gen  fiir  das  Schiessen  enthalt.  Es 
wird  kosteiilos  durch  den  Bund  zur 
Yerfiigung  gestellt.  Ferner  soil  eine 
Kasse  zur  Entschtidigung  bei  etwai- 
gen  Ungliicksfiillen  gegriindet  wer- 
den.  Die  Regierung  wird  jahrlich  50 
Sehulflinten  verteilen;  zu  diesem 
Zweclce  sollen  die  Schulinspektoren 
iiber  besonders  eifrige  und  tiichtige 
Lehrer  auf  dein  Gebiete  des  Schiess- 
K'ports  berichten,  damit  sie  bei  die- 
ser  Verteiluiig  und  bei  Auszeichnun- 
gen  herangezogen  werden  koiinen. 

F  r  a  n  k  r  c  i  c  h.  Die  Sektioa  des 
"Conseil  superieur"  (Volksschulrates) 
dps  oiTentlichen  Unterrichts  hat  neuer- 
dings  besehloKsen,  den  Untcrricht  in 
den  neueren  Sprachen  in  den  L  e  h- 
rerbildungsanstalten  f  aknl- 
t.ntiv  zu  machen  und  folglich  auch  die 
Prii  fung  in  den  neueren  Spracheu 
beim  Lelirer-Examen.  Gegen  deu  obli- 
jratcrischen  Unterricht  der  neueren 
Sprachen  in  den  Lehrerbildungsanstal- 
ten  werden  folgende  Griiude  angege- 
ben: 

I.  Dieser  Unterricht  hat  keinen  Er- 
folg.      Nach    abgelegter    Prufuug   be- 
schaftigen  sich  die  Lehrer  weder  rait 
dem      Englischen      noch      mit      clem 
Deutschen. 

II.  Die  neueren   Spracheu  venneh- 
ren    zu    sehr   den    ohnehin    schon    so 
reichen    Unterrichtsstoff   in   den    Leh- 
rerbildungsanstalten. 

III.  Die  Lehrer  brauchen  keine  neu- 
eren Sprachen  zu  konnen;  da  sie  die- 
selben  in  ihren   Klasseu  nicht  unter- 
richten  miissen  und  auch  keiue  Gele- 
genheit     haben,     sich     der     neueren 
Sprachen  zn  bedienen. 

Der  ., Manuel  general*'  bemerkt  hier- 
zu,  dass  diese  Massregel,  wenn  sie 
vom  ,.Conseil  superieur"  angenommen 
wird,  den  Ruin  des  Studiums 
der  neueren  Sprachen  irn 
V  o  1  k  s  s  c  h  u  1  u  n  t  e  r  r  i  c  h  t  e  her- 
beifiihrt.  Der  ..Manuel  general"  be- 
merkt zu  Punlct  1.  dass  dieser  Vor- 
v.'iirf  nicht  gerechtigtfertigt  ist.  Das 
Interosse  an  dem  neusprachlichen  Un- 
lerrichte  ist  so  gross,  dass  in 
alien  T  e  i  1  e  n  F  r  a  n  k  r  e  i  c  h  s 
v  c  n  L  e  h  r  e  r  5  n  n  e  n  und  L  e  h- 
r  e  r  n  u  in  U  u  t  e  r  s  t  ii  t  z  u  n  g  z  u 
e  5  n  e  m  A  u  f  e  n  t  h  a  1 1  e  i  in  A  u  s- 
1  a  n  d  e  u  a  c  h  g  e  s  u  c  h  t  wird. 


Der  Minister  bewilligt  jedes  Jahr  30 
Lehrkraften,  welche  Uuterricht  in  den 
neueren  Sprachen  an  der  hohern 
Volksschule  erteilen,  Stipendien.  Zu 
Punkt  II,  dass  derselbe  Vorwurf  auch 
andere  Unterrichtszweige  trifft,  so  z. 
B.  in  Chemie,  Physik,  Naturgeschichte 
eiue  Vermindenmg  des  I^ehrstoffes  er- 
forderiich  ist.  Zu  Punkt  III:  Der  Un- 
terricht ist  sehr  uiitzlich  vom  bildeu- 
den,  sozialen  usw.  Standpuukte  aus. 
Die  Abschaffung  des  Examens  in  den 
neueren  Sprachen  beim  Lehrerexamen 
oder,  was  dasselbe  ist,  die  Prufung 
fnkultativ  zu  niachen,  geht  g  e  g  e  n 
deu  W  i  1 1  e  n  d  e  s  P  a  r  1  a  in  e  n- 
tes  und  die  Stimine  des  Yol- 
k  e  s.  Es  wird  dadurch  iinnioglich. 
den  Unterricht  in  der  Yolksschule  ein- 
zufiihren.  Das  ist  antidemokratir-ch, 
indem  man  den  Kinderu  des  Yolkes 
einfache  Bildung  gibt,  die  bessere  aber 
fiir  die  Kinder  der  bemittelten  Idas- 
sen  reserviert.  Durch  die  Abschaffung 
der  Priifuug  wird  es  ferner  unmoglich 
gemacht,  Lehrkrafte  fiir  die  Leh- 
rerbildungsanstalten  nnd  hoheren 
Yolksschulen  aus  dem  Yolkssclmlleh- 
rerstande  zu  wahlen.  Das  heisst  zu- 
riickkoir.nieu  auf  das  Regime  vor  1887 
in  dem  Moment,  da  D  e  u  t  s  c  h- 
1  a  n  d  von  u  n  s-  e  r  e  m  B  e  i  s  p  i  e  1  e 
beeinflusst,  den  Unter- 
richt in  den  neueren  Spra- 
chen in  s  e  i  n  e  n  L  e  h  r  e  r  b  i  1  d- 
ungsanstalteu  obligate- 
risch  macht  (Juli  1902).  Im  Re- 
gime vor  1887  war  der  Unterricht  in 
den  neueren  Sprachen  in  den  Lehrer- 
bildungsanstalten  fakultativ.  Alle  die, 
welche  ihn  kannten.  haben  ihn  ein- 
stirnmig  verurteilt.  Die  Fakultativge- 
staltung  des  neusprachlichen  Unter- 
richts  ist  gleich  einer  Abschaffung.  Es 
ware  besser,  den  Unterricht  gauz  ab- 
zuschaffen,  als  eine  solche  Massregel 
zu  ergreifen.  Ware  es  nicht  besser, 
den  Unterricht.  seine  Methode.  zu  re- 
formieren  wie  in  den  Gymnasien  und 
Lyzeen,  ihn  gehorig  zu  kontrollieren 
und  ihn  bewahrten  Lehrkraften  anzu- 
vertrauen?  Die  Sache  ware  dann  in 
einigen  Jahren  besser  begriiudet.  und 
die  Erfahrung  wiirde  uberzeugen. 

(Allg.  D.  Lztg.) 

—  England.  Die  \V  e  r  t- 
schsitzung  der  deutschen 
Pprache  ist  in  England  im  YVachsen 
begriffen.  Die  Londoner  Morning 
Post  empfiehlt  in  einem  Leitaiifsatze 
dringend  nebeii  dem  anerkannt  not- 
wpTirlipen  Unterricht  in  der  franzosi- 
schen  Sprache  den  der  deutschen  als 


Vermischtes. 


197 


gleicherweise  uneiitbehrlich  fur  das 
geschiiftliche  \vie  das  wissenschaft- 
liche  Leben.  Die  Halfte  der  Sehwie- 
rigkeiten,  unter  denen  Grossbritan- 
nien  hente  leide,  fiihrt  der  Yerfasser 
auf  die  Unbekanntschaft  britischer 
Staatsmanner,  Offiziere,  Seeleute, 
Abgeordneter  mit  der  deutschen 
Bprache  zuriick,  die  der  Schliissel 
zu  der  Halfte  des  geistigen  Lebens 
im  heutigen  Europa  sei.  —  Deutsch 
sei  die  Sprache  Luthers  und  Les- 
fcings,  Kants  und  Goethes,  Kankes 
und  Bismarcks.  Wer  die  deutsche 
Sprache  nicht  verstehe,  konne  auch 
diese  Manner  nicht  verstehen  und 
ihr  Werk  ebensowenig,  er  konne  also 
ivur  eine  ganz  einseitige  Anffassung 
der  niodernen  Geschichte  und  des 
modernen  Europe  bekomnieh,  der 
Welt  also,  in  der  er  leben  niiisse.  In 
der  Nationaiokonomie,  der  verglei- 
ohenden  Sprachwissenschaft,  der 
Chemie,  auch  in  der  Erdkunde  gehe 
Deutschland  voran,  ohne  einen 
deutschen  Atlas  komme  kein  engli- 
scher  Geograph  aus. 

—  Russia  n  d.  Als  man  die 
deutschen  Schulen  der  Ostseepro- 
vinzen  russifizierte,  da  wurde  an- 
fangs  aus  den  Elementarschulen, 
wie  iiberhaupt  den  unteren  Bil- 
dungsanstalten,  die  deutsche 
Sprache  vollstiindig  verbannt.  All- 
mahlich  indes  erwies  es  sich,  dass 
bei  der  Stellung,  die  das  Deutsch- 
tum  in  den  Ostseeprovinzeii  ein- 
nimmt,  diese  Aiiordiiung  auf  die 
Dauer  nicht  durchzufiihren  sei. 
Ohne  Kenntnis  des  Deut- 
schen kann  man  in  den  Ost- 
seeprovinzen  nichts  a  n,- 
f  a  n  g  e  n.  Es  wurden  heshalb  Ge- 
suche  von  estnischer  und  lettischer 
Seite  an  den  Kurator  gerichtet,  die 
darin  gipfelten,  man  mb'ge  das  Er- 
lernen  der  deutschen  Sprache  den 
unteren  Klassen  erleichtern.  Die  Re- 
gierung  wollte  anfangs  nichts  von 


der  Sache  wissen,  sic  hat  sich  aber 
genothigt  gesehen,  nachzugeben.  In 
den  Elementarschulen  der  balti- 
schen  Stiidte  wird  von  nun  an  regel- 
miissiger  deutscher  Unterricht  er- 
teilt  werden.  Verschiedene  Stadt- 
verordnetenversammlungen  haben 
sich  deshalb  schon  mit  den  Einzcl- 
heiteii  dieser  Neuemng  beschaftigt, 
die  im  Prinzip  natiirlich  allenthal- 
ben  angenommen  wird.  Jedenfalls 
ein  Beweis,  dass  das  deutsche  Kul- 
turelement  den  Ostseeprovinzen 
doch  organischer  und  inniger  ver- 
wachsen  ist,  als  die  Moskowiter  sich 
dachten. 

—  G'riechenland.        Am      12. 
April  1904     wurde     in     Athen   eine 
iSchulau.  sstellung    (Dauer    1 
Monat)   erciffnet,  die  das  griechische 
Schulwesen       und       das       Zeichnen 
(Mathem.  und  Zeichnungen)   darstel- 
len   und   den   Grundstock     zu   einem 
Schulmuseuna   in   Athen    bilden    soil. 

—  Japan.      Der     g  e  g  e  n  w  si  r- 
t  i  g  e    K  r  i  e  g   lenkt    die    Aufmerk- 
samkeit   auf   das   niongolische    Insel- 
volk,  das  von  eiiiem  Kenuer  japaiii- 
scher    Zustiinde    nach    der    ,,Frankf. 
Zeitung"   als   das  ,,Volk   ohne    Gott" 
bezeichnet  wird.    uber  die  Religions- 
losigkeit   der  dortigen   Schulen   wird 
daselbst    berichtet:    ,,In   den    japarii- 
schen    Schv.leii    wird    keine    Religion 
gelehrt,     den    Kiiidern     werden     nur 
allgemeine    ethische    Begriffe    beige- 
bracht.    Gott  oder  der  Himniel  wer- 
deii  nie  erwiihnt.    Den  Kinilern  wird 
bloss       die       einfache      menschliche 
Pflicht   gelehrt,   die   der   Mensch   ge- 
geniiber    dem    Menschen    hat.      Seit 
tausend    Jahren    hat  der   japanische 
Nationalgeist    es    sich    geniigen    las- 
sen,  eine     rein     ethische   Knltur  im 
Yolke    zu   pflegen.       Im   Herzen    der 
[Nation      hat      der     Konfuzionismus 
eine  Stiitte  gefunden,  und  alle   "Ver- 
suche,     das   Christentum     auszubrei- 
ten,   sind   fehlgeschlagen." 


IV.      Vermischtes. 


*  Unter  dem  Drucke  der  Not 
wandte  sich  im  Bezirke  Pogstall 
(Niederosterreich)  ein  Lehrer  an- 
den  Bezirksschulrat  mit  der  Bitte, 
ihm  die  Ausiibung  des  Binderhand- 
werkes  als  Nebenbeschiiftigung  zu 
gestatten.  Das  Gesuch  wurde  ab- 
schliigig  beschieden.  O  welche  Lust, 
Lehrer  zu  sein! 


*  Erziehungsgrundsiitze 
eihes  alten  Lehrers.  Man 
erziihlt  von  einem  alten  Lehrer,  dass 
er  Eltern,  die  ein  Kind  in  die  Schule 
brachten,  zwei  Spriiche  sagte.  Er- 
stens:  ,,Allein  kann  ich  nicht  ziehen, 
Ihr  miisst  mitziehen."  Zweitens: 
,,Und  wenn  Ihr  mitzieht,  so  miisst 
Ihr  nicht  riickwarts  wollen,  wenu 


198 


Pddagogische  Monatshefte. 


ich  vorwiirts  will."  Wenn  aber  ein 
Vater  ein  Sohnchen  ocler  eine  Mut- 
ter ihr  Tochterchen  recht  heraus- 
strich,  pflegte  er  einen  dritten 
Spruch  beizufiigen:  ,,Lieber  unge- 
zogen  Kind,  als  verzogen  Kind"  — 
und  erziihlte  folgendes  Exempel: 
Ich  kannte  einen  Lautenschliiger, 
der  oftmals  sagte:  ,,Wenn  ich  einen 
Schiiler  bekomme,  der  iiichts  auf 
der  Laute  kann,  so  fordere  ich  5  fl. 
Lehrgeld;  bekomme  ich  aber  einen, 
der  schon  etwas  kann,  so  verlange 
ich  10  fl."  Wenn  man  ihn  fragte, 
warn  in  er  das  tue,  sprach  er:  ,,Fiinf 
verlange  ich  fiir  das,  was  ich  lehre, 
und  fiinf  fiir  das,  was  ich  ihm  ab- 
gewohnen  muss."  (Sachs.  Schulz.) 

—  Ein  starkes  Anwachsen 
der  Z  a  h  1  der  Lehrerinnen 
zeigt  Stettin.  Unter  den  758  Lehr- 
krilften  der  Stadt  sind  503  Lehrer 
und  254  Lehrerinnen. 

*  Ja  so!  A  Lehrer  war  a  Millioniir 
Und  hat  si'  beinah  g'schaamt! 
Bald  aber  hat  er  si'  erholt: 
Er  hat  ja  's  Ganz'  bloss  'traamt! 


—  Fiinfundvierzig  Prozent  der 
Einwohner  von  Moskau 
sollen  Illiteraten  sein.  Das  ist  das 
Ergebnis  einer  Untersuchung  der 
stadtischen  Behorden.  Die  Priifung 
verlangte,  dass  jeder  seinen  Namen 
schreibe.  (Ed.  Rev.) 

*  Lehrer:    Wie  heissen   die   drei 
Weisen  aus  dem  Morgenlande? 

iS  c  h  u  1  e  r:  Kaspar,  Melchior, 
Balthasar. 

Lehrer:  Welcher  von  den  dreien 
war  der  Mohr? 

Schiiler:   Der   Schwarze! 

*  Ein  mit   drei  Tochtern   gesegne- 
ter     Vater     klagte     nach     der     6st. 
Schlztg.    am    Weihnachtsmorgen: 

,,Die   Mutter  stickte 
Und  Elli   stickte 
Und  Olli  stickte, 
.Doch  keine  strickte 
Und  keine  flickte. 
Nun  hab'   ich     vier     Paar   gestickte 

Schuh' 
Und   keinen    ganzen    Strumpf  dazu." 


Biicherschau. 


I.     Studten  in  der  deutschen  Literatur. 


(Pur  die  Padaoroglschen  Honatshefte.) 


Von  Prof.  Chas.  Bundy  Wilson,  State  University  of  Iowa. 


Coars  Buch*)  ist,  wie  der  Verfasser  selbst  hervorhebt,  nicht  eine  Ge- 
schichte  der  deutschen  Literatur  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  sondern 
mir  ein  Versuch,  die  demokratischen  Ideen  zu  verfolgen,  die  in  gewissen, 
charakteristischen  Gattungen  der  deutschen  Literatur  dieses  Zeitrauuis 
so  ausgepriigt  zu  Tage  treten.  Der  bedeutsame  Einfluss,  den  politische, 
biirgerliche,  und  soziale  Zustiinde  auf  die  Entwicklung  des  deutsehen 
Schriftstellertums  gehabt  haben,  ist  das  Grundthema  seines  Buches.  Es 
war  die  Absicht  des  Verfassers,  den  Fortschritt  der  deutschen  Nation  nach 
den  Idealen  der  amerikanischen  Dfemokratie,  jedoch  nicht  nach  dem  Mass- 
stabe  amerikanischer  Lebensweiae  zu  bemessen.  Sein  Standpunkt  war  also, 
wie  er  selbst  freimiitig  zugibt,  durchaus  nicht  vorurteilsfrei. 

Das  erste  Kapitel  hebt  hervor,  dass  zu  Anfang  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts dor  nationale  Geist  in  Deutschland  einerseits  von  Provinzialis- 
mus,  anderseits  von  Kosmopolitanismus  befehdet  wurde,  und  dass  darum 


*)  John  Firman  Coar,  Studies  in  German  Literature  in  the  Nineteenth 
Century,  New  York,  The  Macmillan  Company,  1903,  401  pp. 


Studien  in  der  deutschen  Ltteratur.  199 

die  deutsche  Literatur  dieser  Periode  nationales  Bewusstsein  nicht  zum 
Ausdruck  bringt.  Wie  hatte  auch  die  Erkenntnis  einer  gemeinsamen  Zu- 
kunft,  gemeinsamer  Interessen  in  einer  hundertfaltig  zerstiickelten  Nation 
bestehen  konnen?  Die  Weltanschauung  des  einzelnen  war  damals  so  be- 
schriinkt,  dass  seine  Interessen  kaum  iiber  den  engen  Kreis  des  Familien- 
lebens  hinausgingen.  Die  Gefiihle  nahmen  ihren  Ursprung  auschliesslich 
in  den  Interessen  der  Lokalitiit;  so  waren  sie  wohl  oft  niiichtig  und  tief, 
aber  auch  immer  beschrankt  im  Bereich  und  kleinlich  von  Natur.  So  kam 
es,  dass  die  Institution  der  Familie  den  ersten  Platz  in  der  sozialen  Rang- 
ordnung  einnahm;  biirgerliche  Ideale  hingegen  fanden  wenig  Gelegenheit, 
sich  im  Yolksbewusstsein  zu  entwickeln,  und  der  Gedanke  einer  politischen 
Einheit  zahlte  wenige  Anhiinger.  Ein  anderer  Umstand,  der  das  Aufkeimen 
tiefen,  patriotischen  Gefiihls  verhinderte,  war  das  damals  noch  stark  aus- 
gepragte  Kastenwesen.  Das  Volk  zerfiel  in  drei  scharf  abgegrenzte 
Stande:  Adelige,  Burger  und  Bauern;  und  derartige  Verhaltnisse  unter- 
driickten  naturgemass  jenen  grossherzigen,  selbstlosen  Trieb,  welcher  die 
Angehorigen  derselben  Rasse  zu  einer  Nation  vereinigt.  Coar  macht  auf 
die  Reaktion  gegen  die  oben  angefiihrten  Tendenzen  aufmerksam.  Diese 
Riickwirkung  kam  zuerst  im  Sturm  und  Drang  zum  Ausdruck,  also  schon 
im  letzten  Viertel  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  jedoch  ohne  sofortigen, 
sichtbaren  Erfolg.  Die  Romantische  Schule  loste  die  verungliickte  Be- 
wegung  ab.  Da  ihre  Dichter  in  der  Gegenwart  geistige  Einheit  nicht  finden 
konnten,  so  suchten  sie  darnach  in  der  gesamten  Menschheit  und  verflelen 
in  phantastische  Allgemeinheiten.  Demniichst  wandten  sie  sich  der  Be- 
trachtung  des  Weltalls  zu  und  rerloren  sich  schliesslich  in  der  mystischen 
Welt  des  Unbekannten.  Der  ubrige  Teil  des  Kapitels  behandelt  diejenige 
Phase  von  Schillers  Wirken,  die  in  ,,Wilhelm  Tell"  hervortritt,  und  schliesst 
mit  einer  kurzen  Betrachtung  des  phantastischen  und  unverantwortungs- 
fahigen  Mystikers  Zacharias  Werner.  Coar  sagt,  ,,Tell"  war  zwar  keine 
bewusste  Prophezeiung  der  bevorstehenden  Auferweckung  des  Volfcs- 
geistes,  aber  das  Schauspiel  gab  zum  wenigsten  dramatisches  Leben  zu 
dem  Grundsatz,  dass  das  Volk  und  nicht  die  Regierung  den  Staat  aus- 
macht,  und  dass  darum  der  Volkscharakter  und  nicht  die  Regierungsform 
das  Wesen  und  den  Umfang  politischer  Freiheit  bestimmt.  Der  Verfasser 
findet  in  Werners  Schriften,  trotz  der  Unverantwortlichkeit  dieses  Dich- 
ters,  zwei  Elemente,  die  direkten  und  wesent lichen  Bczug  auf  die  WiecTJr- 
geburt  des  national-patriotischen  Gefiihls  haben:  niimlich  das  religiose 
Element  und  die  Erkenntnis  historischer  Einheit.  Coar  gesteht  gern  ein, 
dass  die  Romantiker  in  ihrer  Verehrung  des  Mittelalters  iiber  das  Ziel 
geschossen,  doch  wunscht  er  nicht  leicht  hinwegzugehen  iiber  den  Um- 
stand, dass  das  Deutschland  des  Mittelalters  der  Gegenstand  der  roman- 
tischen  Dichtung  wurde,  denn  gerade  dadurch  spielte  die  letztere  eine 
wichtige  Rolle  in  der  Auferweckung  des  Nationalbewusstseins  in  den 
deutschen  Landen. 

Heinrich  von  Kleist  steht  im  Mittelpunkte  des  zweiten  Eapitels,  wel- 
ches angeblich  die  Geburt  der  deutschen  Einheit  behandeln  soil.  Es  zeigt 
uns  das  Ringen  der  Dichtkunst,  mogliche  Ldeale  eines  nationalen  Lebena 
zum  Ausdruck  zu  bringen,  doch  nur  insofern,  als  die  Werke  dieses  einen 
Schriftstellers  in  Betracht  kommen.  Das  ganze  Kapitel  ist  deshalb  nur 
eine  interessante  Besprechung  Kleists  und  seiner  Werke;  doch  gleichzeitig 
ein  Versuch,  eine  bestimmie  Phase  in  der  Entwicklung  der  deutschen  Ein- 


200  Padagogiscbe  Monatshefte. 

heit  zu  erlautern.  Dieses  Xebenziel  ist  sehr  gut  erreichbar,  denn  Kleists 
beste  Werke  haben  wir  der  Auferweckung  des  nationalen  Bewusstseins  zu 
verdanken.  Zwei  Ideen  haben  anscheinend  Kleists  ganzes  Leben  be- 
herrscht:  das  doppelte  Verlangen,  die  Wahrheit  kennen  zu  lernen  und 
Weisheit  zu  erwerben.  Der  Begriff  der  Wahrheit  bedeutete  fur  ihn  Er- 
kenntnis  der  Bestimmung  des  Menschen  hier  auf  Erden  und  im  zukiinftigen 
Leben.  Weisheit  zu  erwerben,  war  fiir  ihn  eine  Schulung  des  Menschen, 
welche  ihn  in  den  Stand  setzen  wiirde,  mit  Intelligenz  die  Verwirklichung 
dieser  Bestimmung  zu  beschleunigen.  Coars  Studie  ist  vielleicht  philo- 
sophischer  als  Nollens  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  des  ,,Prinzen  von 
Homburg",  aber  nicht  so  klar.  Coar  betont  besonders  die  sozialen  und 
politischen  Zustiinde,  Xollen  mehr  die  literarische  und  kiinstlerische  Seite. 
Coar  weist  hin  auf  die  metaphysischen  Probleme  Kants  und  auf  die  sozia- 
len Theorien  Rousseaus,  wahrend  Nollen  in  Kleists  Stil  den  Einfluss  der 
griechischen  Literatur  entdeckt  und  darauf  aufmerksam  macht,  welch 
:wich.tige  Eolle  Phantasie  und  Gefiihl  in  Kleists  Werken  spielen.  Der 
letztere  erklarte,  dass  Gefiihl  fiir  ihn  eines  der  heiligsten  Dinge  im  Men- 
schenleben  sei,  und  Verwirrung  des  Gefiihls  ist  ein  in  seinen  Schriften  im- 
mer  wiederkehrendes  Thema. 

Das  nationale  Erwachen  in  den  Freiheitskriegen  ist  der  allgemeine 
Gegenstand  des  iiachsten  Kapitels,  welches  ausfiihrt,  dass  lyrische  Poesie 
jetzt  besonders  drei  Grundprinzipien  der  Vaterlandsliebe  verherrlicht. 
Korner,  Schenkendof',  und  Arndt  sind  als  Vertreter  dieser  Prinzipien  ge- 
wahlt.  Coar  schei.v.§  tibgeneigt,  Korners  poetischen  Werken  grossen  Wert 
beizumessen,  da  er  der  Ansicht  ist,  dass  Korner  nicht  so  sehr  durch  ausser- 
gewohnliche  Vortreffiichkeit  seiner  Schriften,  als  vielmehr  durch  eben  den 
Soldatentod,  von  dem  er  so  gem  sang  und  der  seiner  poetischen  Laufbahn 
ein  Ziel  setzte,  der  Abg'ott  des  deutschen  Volkes  wurde.  Der  Yerfasser 
lasst  dem  Angedenken  des  gefallenen  Dichters  mehr  Gerechtigkeit  wider- 
fahren,  wenn  er  sagt,  dass  Korner  sich  weigerte,  das  komplizierte  Frei- 
heitsideal  zu  analysieren,  und  dass  er  es  vorzog,  die  Bestatigung  des  Ge- 
fiihls anstatt  die  Ursache  des  Gefiihls  zu  verherrlichen.  Der  Umstand,  dass 
Korner  Gefiihl  als  den  Grundbestandteil  lyrischer  Toesie  behandelte,  zeigt, 
dass  er  ein  ziemlich  klares  Verstandnis  von  der  Natur  und  dem  \Yesen  der 
lyrischen  Poesie  gehabt  haben  muss.  Coar  findet,  dass  die  treibende  Kraft 
in  Schenkendorfs  dichterischer  Natur  nicht  die  leidenschaftliche  Frei- 
heitsliebe  Korners  war,  sondern  ein  seltsames  Yerlangen  nach  einer  poe- 
tisch-religiosen  Verkltirung  des  Lebens.  Coar  zollt  Schenkendorf  gerechte 
Anerkennung,  wenn  er  erklart,  dass  kein  anderer  Dichter  den  deutschen 
Khein  besungen  hat  in  einer  Weise,  so  durchdrungen  von  lebhafter  Schon- 
heit  und  feurigem  Nationalgefiihl.  Schenkendorfs  ljrrische  Gedichte  brin- 
gen  zum  Bewusstsein  der  Deutschen  ein  Band  der  Einheit,  zarter  und  doch 
dauerhafter  und  zwingender  als  das  gemeinsamen  Ursprungs  und  ge- 
meinsamer  Einrichtungen,  das  Band  gemeinsam  ererbter  Seeleneigen- 
schaften,  eines  gemein&amcn  geistigen  Charakters.  Coar  nennt  es  das 
Band  gemeinsamer  ,,Spiritualitat  .  Arndts  Gedichte  zeigen  \\reder  den 
mystischen  Geist,  der  Schenkendorfs  Yerse  erfiillt,  noch  die  naive  Leiden- 
schaft  von  Korners  lyrischer  Muse.  Arndt  betont  in  seinen  Dichtungen 
eine  Phase  des  nationalen  Bewusstseins,  die  weniger  an  die  person^che 
Yaterlandsliebe  oder  an  das  Gefiihl  geistiger  Zusainmengehorigkeit,  als 


Studien  in  der  deutschen  Literatur.  201 

vielmehr  an    den   verwandtschaftlichen   Instinkt    der    Rassengemeinschaft 
appelliert. 

Im  vierten  Kapitel  zeigt  Coar,  wie  die  romantische  Dichtung  schliess- 
lich  durch  die  nationale  Bewegung  erlost  und  versohnt  wurde  und  sich 
mmmehr  in  den  Dienst  des  ethischen  Zartgefiihls  der  Deutschen  fiir  das 
Naturleben  stellt.  Der  Verfasser  macht  besonders  raif  die  Bedeutung  der 
Volksideale  aufmerksam.  Wiederum  wiihlt  er  bestimmte  Schriftsteller  als 
Vertreter  gewisser  Phasen  und  Tendenzen  in  der  Entwicklung  und  Enian- 
/ipation  der  deutschen  Literatur:  diesmal  den  Sehlesier  Eichendorff  und 
den  Schwaben  Uhland.  Im  schonen  Schlesierland  lernte  Eichendorff  zuerst 
die  Schonheit  der  Natur  kennen  und  schatzen,  dort  erwarb  er  sich  die  erste 
Einsicht  in  das  tiefe  und  doch  so  einfache  Gefiihlsleben  der  schlichten  Er- 
zahlungen  des  Volkes.  Nur  wenige  Dichter  haben  es  so  gut  verstanden  \vie 
er,  den  ewigen  Wandel  der  Natur  in  ihren  Versen  auszudriicken.  Der 
rhythmische  Wechsel  im  Leben  der  Natur  war  der  Grundton  des  Eichen- 
dorffschen  Gesanges.  Coar  ist  der  Ansicht,  dass  die  aussergewohnliche 
Schonheit  der  Uhlandschen  Dichtung  wesentlich  dieselbe  ist  als  die  der 
Eichendorff  schen;  nur  menschlich  tiefer  und,  trotz  ihrer  Einfachheit,  um- 
fassender.  Das  Kapitel  schliesst  mit  einem  Zitate  von  Auerbach,  welches 
das  Leben  Uhlands  hinstellt  als  den  Inbegriff  des  Geistes  der  biirgerlichen 
Freiheit,  der  Deutschland  seit  den  letzten  fiinfzig  Jahren  bewegt  und  er- 
regt  hat. 

Hierauf  folgt  ein  Kapitel  u'ber  die  typischen  Vorlaufer  der  verneinen- 
den  Dichtung,  representiert  durch  Manner  wie  Holderlin  und  Chamisso, 
Platen  und  Baiimmd,  und  liber  das  Zeitalter  des  Pessimismus.  Grillparzer, 
Lenau,  und  Grabbe  nennt  Coar  die  grossen  Dichter  der  Isolierung,  und  er 
entrollt  vor  unseren  Augen  mit  allzuviel  Eealismus  die  doppelte  Tragodie 
Jhres  Lebens  und  ihrer  Werke.  Die  drei  letztgenaiinten,  so  erkliirt  tier  Ver- 
fasser, sind  Typen,  die  nur  in  einem  Zeitalter  existieren  konnten,  in  dem 
die  Moglichkeit  fiir  gesundes,  individuelles  Interesse  mit  Bezug  auf  die 
Angelegenheiten  des  offentlichen  Lebens  so  eng  umschrieben,  so  scharf 
abgegrenzt  war,  dass  moralisches  Bewusstsein  clariiber  zu  Grunde  ging 
und  der  Glaube  an  die  Realitat  der  Wirklichkeit  schwand.  Man  hat  das 
Gefiihl,  dass  Coar  gegen  Grillparzer  und  Lenau  etwas  ungerecht  ist,  bis 
man  zu  dem  Paragraphen  kommt,  in  dem  er  bekennt,  dass  diese  beiden 
Dichter  der  Verneinung  ihren  Werken  den  Stempel  einer  Seelengrosse  auf- 
gedriickt  haben,  die  wir,  selbst  wenn  in  hochst  unsympathetischer  Stim- 
mung,  respektieren  und  oft  bewundern  miissen. 

Nach  dieser  Periode  des  Pessimismus  ist  es  erfreulich,  etwas  iiber  die 
\7orliiufer  der  aufbauenden  Dichtkunst  und  ihre  demokratischen  Ideale  zu 
horen.  Immermann,  Hegel  und  ,,die  Jung-Deutschen"  sind  jetzt  zu  be- 
handeln.  Coar  fasst  sein  Urteil  iiber  Immermann  ungefahr  folgender- 
massen  zusammcn:  Er  hat  keinen  Anspruch  auf  Grosse  auf  Grimd  seines 
dichterischen  Erfolges,  aber  er  war  ein  Dichter  voller  gediegener  Wahr- 
heitsliebe  und  echt  demokratischer  Triebe.  In  seiner  Ungeduld,  die  Er- 
losung  seines  Volkes  herbeizufiihren,  hat  er  sich  oft  durch  Dummheiten 
und  Irrtiimer  des  Volkswillens  von  dem  schmalen  Pfade  dieser  Triebe 
abbringen  lassen,  ist  aber  immer  wieder  auf  denselben  zuriickgekehrt.  Die 
Ansichteii  Immermanns  stimmten  theoretisch  mit  den  Prinzipien  des 
Hegelschen  Systems  und  mit  dem  politischen  Glaubensbekenntnisse  der 


202  Pddagogische  Monatsbefte. 

Jung-Deutschen  iiberein.  Coar  hebt  hervor,  dass  die  sogenannte  jung- 
deutsche  Bewegung  einen  ausschliesslich  politischen  Charakter  hatte,  und 
dass  die  von  den  Jnng-Deutschen  verfolgten  biirgerlichen  Ziele  nicht  ganz 
mit  der  Idee  nationaler  Einheit  im  Einklange  waren.  Diese  Bewegung 
hatte  einen  weltbiirgerlichen  Anstrich  und  trat  in  die  Schranken  fiir 
Mannes-  und  Menschenwiirde,  erhoht  durch  biirgerliche  Pflichten,  und 
gesichert  durch  grossere  individuelle  Rechte.  Ein  bedeutsames  Anzeichen 
der  neuen  Epoche,  das  besonders  in  Ludwig  Borne  Ausdruck  fand,  war  das 
Veilangen  nach  gegenseitigen  Austausch  zwischen  dem  Gelehrtenstande 
und  den  Leuten  der  Tat;  und,  als  das  Resultat  des  wiedererwachten  An- 
teils  an  der  Wirklichkeit,  ein  Verlangen  nach  lebendiger  Wissenschaft. 

Das  Kapitel,  welches  Heine  behandelt,  betitelt  Coar  ,,Demokratie  ge- 
gen  Aristokratie.''  Es  gehort  zu  den  interessantesten  Teilen  des  Baches 
und  lasst  Heine  mehr  Gerechtigkeit  widerfahren,  als  vieles  andere,  das 
u'ber  ihn  geschrieben  worden  ist.  Coar  halt,  dass  die  cynischen  Anklagen, 
die  Heine  den  selbstsiichtigen  Leitern  des  deutschen  Volkes  ins  Gesicht 
geschleudert,  seinerzeit  manchem  mildgestimmten  Patrioten  Anstoss  ge- 
gebeu  und  sogar  noch  heute  geben.  Ware  Heines  Vaterlandsliebe  geringer 
gewesen,  wiirde  sein  Sarkasmus  gelinder  ausgefallen  sein.  Gerade  durch 
seine  Vaterlandsliebe  zog  er  sich  den  Namen  eines  Vaterlandsfeindes  zu. 
Seine  innerliche  Ehrei-bietung  vor  alien  gottlichen  Dingen,  seine  erhabe- 
nen  Ansichten  iiber  die  Herrschergewalt,  seine  ideale  Wertschatzung  des. 
deutschen  Charakters  sind  wohl  bekannt.  Der  Kampf  fiir  Freiheit  machte 
einen  theoretischen  Demokraten  aus  ihm;  die  poetische  Anschanung  der 
Demokratie  blieb  ihm  indessen  versagt. 

Die  dreiunddreissig  Seiten  des  neunten  Kapitels  sind  der  Revolution 
von  1849  und  1849  gewidmet.  Es  hat  zwei  Unterabteilungen,  das  Drama  und 
die  lyrische  Dichtung  der  Revolution.  Coar  sagt  gleich  im  Anfange  des 
Kapitels,  dass  Heine  im  Recht  war,  als  er  Einspruch  gegen  die  sogenannte 
politische  Dichtung  erhob  und  dieselbe  als  Erniedrigung  der  Kunst  be- 
zeichnete.  Es  dient  zur  Bcstiitigung  von  Heines  Urteil,  wenn  man  zugeben 
jmiss,  dass  politische  Dichtung  im  engeren  Sinne  nie  bis  auf  die  naehste 
Generation  gekommen  ist.  Aber  trotz  des  Mangels  an  Phantasie,  der  diese 
Dichtungsart  kennzeichnet,  hat  dieselbe  doch  eine  Aufgabe  zu  erfiillen, 
manchmal  sogar  eine  Aufgabe  von  weitreichender  Bedeutung,  und  ein 
Kritikcr  der  menschlichen  Seite  der  Literatur  muss  das  leidenschaftliche 
Verlangen  nach  biirgerlichen  Rechten,  welches  in  der  dexitschen  Dichtung 
die  Revolution  von  184S  vorschattete,  nicht  zu  gering  anschlagen.  Der 
zwischen  Freiligrath  und  Korner  angestellte  Vergleich  ist  interessant. 
Zeit  und  Eaum  verbieten  uns,  niiher  auf  dieses  Kapitel  einzugehen,  welches 
mit  der  Erklarung  schliesst,  dass  ein  Verehrer  der  Schonheit  um  der 
Schonheit  willen  Einspruch  erheben  muss  gegen  das  dichterische  Lebens- 
werk  eines  Griin  oder  Freiligrath  und  anderer  Dichter  dieser  Art.  Dieser 
Einspruch  ist  gerecht,  doch  wer  ihn  erhebt,  muss  dariiber  nicht  vergessen, 

sich  streng  an  den  Bereich  des  Schonen  zu  halten,  alles  ubrige  aber  un- 

angetastet  zu  lassen. 

Die  nachsten  rierundzwanzig  Seiten  handeln  von  dem  Siege  der  Demo- 
kratie iiber  die  Sonderparteien,  und  die  Werke  Otto  Ludwigs,  Richard 

vVagners,  und  Friedrich  Hebbels  sind  als  Grundlage  gewiihlt,  da  in  densel- 

ben    drei   verschiedene,    demokratische    Phasen    des   poetischen   Realismus 


Studien  in  der  dentschen  Literatur.  203 

zum  Ausdruck  kommen.  Obschon  diese  drei  Dichter  nicht  iibereinsthnmen, 
so  verfolgten  sie  doch  dasselbe  Ziel,  mir  dass  sie  es  auf  verschiedenen  We- 
gen  zu  erreichen  suchten,  und  dass  aus  diesem  Grunde  ihr  Ringen  und 
Streben  in  abweichender  Weise  kiinstlerische  Betatigung  fand.  Coar  er- 
lautert,  wie  dieses  Streben  zu  psychologischer,  metaphysischer  und  histo- 
fischer  Symbolisierung  fiihrte.  Jeder  dieser  Dichter  sah  in  seiner  Kunst 
rine  erlosende  Kraft;  alle  drei  betrachteten  sich  als  Jiinger  einer  rieuen 
Lehre.  Der  Verfasser  findet  es  besonders  bedeutungsvoll,  dass  in  jedem 
<ueser  Manner  der  musikalische  Trieb  zuerst  erweckt  und  angeregt  wurdft. 
Sie  horten  mit  dera  Ohre  der  Seele,  ehe  sie  die  Dinge  mit  dem  inneren  Auge 
schauten. 

Nationalismus  und  Sozialismus,  wie  sie  in  Alexis',  Spielhagens,  und 
Kellers  Romanen  zu  Tage  treten,  nehmen  demnachst  unsere  Aufmerksam- 
keit  in  Anspruch.  Coar  lasst  dem  grossen  Einflusse,  den  Walter  Scott s 
Werke  auf  den  nationalen  Roman  in  Deutschland  batten,  voile  Gerechtig- 
keit  widrfahren  und  bemerkt  sehr  treffend,  dass  Scott  die  literarische 
Form  schuf  fiir  gewisse  Ideen,  die  in  den  Besitz  aller  iibergegangen  waren, 
wahrend  Goethe  die  Entdeckung  dieser  Ideen  andeutete,  die  dereinst  Ge- 
meingut  werden  sollten.  Der  Verfasser  1st  der  Ansicht,  dass  das  deutsche 
Volk  nicht  von  der  politischen  Macht  der  Gesamtheit,  sondern  von  irgend 
einer  festbegriindeten  Autoritat  Fiihrung  erwartete;  und  dass  diese  Be- 
reitwilligkeit,  sich  leiten  zu  lassen,  das  Emporkommen  Bismarcks  errnog- 
lichte,  dessen  Einfluss  auf  die  biirgerliche  Gesellschaft  so  miichtig  war 
und  sogar  jetzt  noch  ist.  Coar  sieht  in  ihm  die  Verkorperung  des  bosen 
Prinzips,  welches  die  Fortentwicklung  der  demokratischen  Freiheit  er-« 
heblich  verspatete.  Bismarck  mit  seinem  durchgreifenden  Verstandnis 
des  deutschen  Charakters  sah  in  der  Sozialdemokratie  nur  einen  Hebel 
fiir  Regierungzwecke.  Die  Romanschriftsteller  dieser  Periode  fiihlten,  so 
scheint  es,  dass  das  Nationalbewusstsein  der  Deutschen  viel  zu  kompliziert 
war,  um  sich  alsbald  als  Thema  fiir  schaffende  Literatur  verwerten  zu 
lassen.  Charaktereinheit  des  Volkes,  einheitliche  Geschichte,  fanden  sie 
iiur  in  der  Entwicklung  der  verschiedenen  kleinen  Staaten  und  Provinzen, 
nnd  in  ihrem  Verlangen,  Einheit  und  Einigkeit  als  eine  nationale  Tatsache 
darzustellen,  behandelten  sie  die  Provinz  als  Symbol  der  Nation. 

\Vir  kommen  jetzt  zum  umfangreichsten  Kapitel  des  Buches,  fiinfuncl- 
fiinfzig  Seiten.  Sozialismus  und  das  Individuum  bilder.  das  Thema;  oder 
richtiger  gesagt,  der  Kampf  zwischen  Realismus  und  Idealisnius.  Die 
Werke  Wildenbruchs,  Sudermanns,  Hauptmanns,  und  Anzergrubers  bilden 
die  Grundlage  der  Ausfiihrungen.  Die  Frage  iiber  die  Rechte  und  Pflichten 
des  Individuums  als  Mitglied  der  biirgerlichen  Gesellschaft  erregte  plotz- 
lich  in  Schriftstellerkreisen  solch  leidenschaftlichen  Anteil,  dass  Schon- 
heit,  und  was  damit  in  Verbindung  steht,  fiir  die  Gegenwart  mit  Fiissen 
getreten  wurde,  wie  Coar  sehr  riehtig  bemerkt.  Naturahsmus  herrschte 
tyrannisch  im  Bereiche  der  deutschen  Kunst  und  fiihrte  mit  gebietendem 
Stolze  seinen  Anhangern  den  Abschaum  der  Gesellschaft  vor.  Friedrich 
Nietzsche,  zum  Beispiel,  ist  nur  verstandlich  als  ein  Opfer  des  Hungers 
nach  kiinstlerischen  Idealen;  in  ihm  brach  schliesslich  das  ungestillte  Ver- 
langen seiner  Generation  nach  einer  kiinstlerischen  Vision  ihrer  Ideale 
\iber  die  Ufer.  Die  Werke  Wildenbruchs,  Sudermanns  und  Haiiptmanna 
tragen  alle  die  charakteristischen  Merkmale  des  Ringens  um  die  Ideale  des 


204  Padagogiscke  Monatshefte. 

Wertes  des  Lebens.  Ihre  Dichtungen  streben,  nach  Coar,  die  Losung  des, 
grossen  Problems  der  ethischen  Individualitiit  an.  Von  diesen  Schrift- 
stellern,  Demokraten  in  Theorie,  Aristokraten  in  der  Praxis,  wendet  sich 
Coar  mit  einem  Gefiihl  der  Erle'ichterung  zu  eineni  Dichter  voller  echter 
demokratischer  Sympathien,  verbunden  mit  ungetriibter  demokratischer 
Vision,  namlich  zu  Ludwig  Anzengrnber.  In  Anzengrubers  Schriften 
linden  wir  wecler  den  idealen  Trimmer  und  unbedingten  Realisten  der 
W'ldenbruchschen,  noch  den  moralischen  Bildungstiirmer  und  hyperortho 
doxen  Moralisten  der  Sudermannschen,  noch  die  mystischen  Beformideen 
*md  geistige  Verkommenheit  der  liauptmannschen  Dichtungen.  Anzen- 
grubers  Optimismus  ist  gesund.  Er  verschloss  seine  Augen  den  Schatten- 
seiten  des  Lebens  nicht,  noch  zauderte  er,  dieselben  in  seinen  Vverken  zu 
schildern,  aber  es  waren  und  blieben  immer  nur  Schattenseiten.  In  seinen 
Dichtungen  herrscht  iiberall  helles  Tageslicht,  wahrend  in  der  triiben 
Finsternis  des  Sudermannschen  und  Hauptmannschen  Naturalismus 
Schatten  zu  den  Unmoglichkeiten  gehoren,  denn  dort  ist  die  Sonne  noch 
\veit  vom  Aufgehen  entfernt;  es  ist  und  bleibt  Nacht,  finstere  Xacht.  Die 
Quelle  von  Anzengrubers  Optimismus  war  seine  gesunde  Freude  am  Leben 
in  der  Gewissheit  von  dessen  gottlicher  Natur,  welche  er  als  das  unver- 
ausserliche  Besitztum  der  Menschheit  betrachtete. 

Das  letzte  Kapitel  fiihrt  den  Titel:  Das  neunzehnte  Jahrhundert  im 
Lichte  und  Schatten  des  Goetheschen  Genies.  Coar  sagt,  Goethe  vvurde 
durch  seine  Grosse  die  hauptsiichlichste  Stiitze  unsinniger  Autoritat,  und 
eine  der  verneinenden  Kriifte  des  dahinsterbenden  neunzehnten  Jahrhun- 
derts.  Der  Verfasser  sucht  seinen  Standpunkt  durch  Hinweis  auf  gewisse 
Stellen  in  Goethes  Werken  zu  rechtfertigen.  Der  erste  Teil  des  Kapitels 
ist  enttauschend,  denn  er  klingt  fast  durchgehends  wie  der  Versuch  einer 
Anklage  gegen  Goethe.  Im  zweiten  Teil  jedoch  zeigt  der  Verfasser,  wie 
Goethes  Ringen  und  Streben  nach  personlicher  Freiheit,  nach  hohen 
Idealen  eine  bei  weitem  nachhaltigere  und  heilsamere  Wirkung  hatte,  als 
irgend  eine  seiner  besonderen  politischen,  biirgerlichen,  und  sozialcn 
Theorien.  In  den  letzteren  war  Goethe  immes  Aristokrat,  in  seinem 
Kampfe  \im  aufgekliirte  Freiheit  war  er  ein  griindlicher  Demokrat.  Kein 
anderer  Dichter  hat  je  durch  seinen  Gesang  in  solchem  Masse  die 
deutschen  Herzen  mit  der  Freude  an  dem  ewigen  Ruhme  des  rastlosen, 
unermiidlichen  Strebens  nach  hoheren  und  immer  hoheren  Zielen  erfiillt, 
als  der  Altmeister  der  deutschen  Dichtung.  Zum  Schlusse  hebt  Coar 
Goethes  Kampf  gegen  das  Philistertum  hervor,  und  unterstiitzt  seine  Aus- 
fiihrungen  durch  Zitate  aus  ,,Faust". 

Im  ganzen  und  grossen  ist  Coars  Buch  ein  wiLkommener  Zuwachs  zur 
Geschichte  der  deutschen  Literatur.  Es  ist  belebend  und  anregend,  und  es 
bezeugt  des  Verfassers  Enthusiasmus  fiir  den  Gegenstand.  Leider  fehlt 
oft  das  verbindende  Glied  zwischen  den  einzelnen  Kapiteln.  Die  Ursache 
hiervon  ist  die.  Art  und  Weise  der  Behandlung.  Schon  der  Titel,  Studien 
in  der  deutschen  Literatur  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  deutet  darauf 
hin,  dass  jede  Studie  in  sich  abgeschlossen  ist,  ohne  Bezugnahme  auf  die 
Einheit  des  Ganzen.  Ausserdem  betont  der  Verfasser  in  der  Vorrede,  dass 
sein  Buch,  wie  schon  gesagt,  keine  Geschichte  der  deutschen  Literatur  sein 
soil.  Die  historische  Perspektive  scheint  zuweilen  zu  eng  fiir  den  behan- 
aelten  Gegenstand,  und  die  literarische  Charakterisierung  ist  nicht  immer 


Biicherbesprechnngen. 


205 


unmittelbar,  klar  und  bestimmt.  Doch  trotz  manch  kleineren  Fehlers 
«ollte  das  Buch  in  den  Hiinden  eines  jeden  Lehrers  der  deutschen  Litera- 
tuv  rein. 


I!.     Bacherbesprechungen. 


Encyklopadisches  Hand- 
buch  der  Padagogik  von  D  r. 
U  e  i  n.  Zweite  Auflage.  I.  Band, 
erste  Halfte.  Langeiisalza,  Hermann 
Bej-er  und  ;Sohne.  1903.  Preis  des 
Halbbandes  M.  7.50. 

Eine  Besprechung  des  oben  ge- 
naniiten  Werkes  im  gewohnlicheii 
Sinne  des  Wortes  zu  liefern,  wiirde 
veit  iiber  den  Eahmen  der  P.  M. 
hinausgehen;  zudem  hat  sich  lleins 
Handbuch  der  Padagogik  in  seiner 
ersten  Auflage  in  der  piidagogischen 
Welt  einen  solchen  Nanien  erwor- 
ben,  dass  es  wohl  nur  des  Hinweises 
auf  das  Erscheinen  der  zweiten 
Auflage  bedarf,  um  von  neuem  die 
Aufmerksamkeit  unserer  Leser  auf 
das  hochbedeutende  Werk  zu  len- 
ken. 

In  der  Form  von  Monographieen 
behandelt  das  Encyklopiidische 
Handbuch  alle  Zweige  des  Er- 
ziehungs-  und  Unterrichtswesens, 
und  fiir  jeden  derselben  hat  Prof. 
Ilein,  unstreitig  gegenwiirtig  der 
bedeutendste  Vertreter  auf  dem  Ge- 
biete  der  Padagogik,  in  dessen  Han- 
den  die  Leitung  des  Unternehmens 
liegt,  eine  Autoritiit  ersten  Grades 
zur  Bearbeitung  gefunden. 

Der  vorliegende  erste  Halbband 
besteht  aus  83  einzelnen  Abhand- 
lungen,  auf  die  wir  selbstverstiind- 
lich  nicht  eingehen  konnen.  Nur 
eine  wollen  wir  hervorheben:  Ame- 
rikanisches  Schulwesen.  Sie  ist  von 
W.  Ch.  Bagley  in  St.  Louis  verfasst, 
ist  aber  keine  selbstandige  Arbeit, 
sondern  folgt  im  allgemeinen  den 
Arbeiten,  die  unter  der  Leitung  des 
Herrn  Nicholas  Murray  Butler, 
PrLisidenten  der  Columbia-Universi- 
tat,  fiir  die  Schulabteilung  der  Ver- 
einigten  Staaten  der  Pariser  Welt- 
tiustellung,'  1900,  veroffentlicht  wur- 
den.  Die  P.  M.  brachten  nach  Er- 
scheinen dieses  Werkes  eine  Be- 
sprechung  aus  der  Feder  unsers  ver- 
storbenen  Seminardirektors  Dapp- 
rich  (IT,  3),  in  welcher  seine  Mangel 


dargelegt  wurden.  Dieselben  haften 
natiirlich  auch  dem  Artikel  in  dem 
Handbuch  an.  Es  zeigt  sich  auch 
hier  eine  gewisse  Einseitigkeit,  die 
weder  dem  Einfluss  der  deutschaine- 
rikanischen  Privat-  und  Kirchen- 
schulen  auf  dem  Elementarschulge- 
biet,  noch  demjenigen  der  deutschen 
Wissenschaft  auf  die  Entwickelung 
unserer  Universitiiten,  noch  dem 
auf  dem  Gebiete  des  Kindergar- 
tens und  dem  der  kiinstlerischen^Er- 
ziehung  Eechnung  triigt.  Es  ware 
.wiinschenswert,  dass  Prof.  Rein  in 
einem  Nachtrag  auch  dem  Deutsch- 
amerikanertum  Gerechtigkeit  wider- 
fahren  liesse. 

Doch  dies  ist  eine  Ausstellung,  die 
nur  von  lokalem  Inter  esse  sein 
kann.  Das  Werk  als  solches  muss 
als  ,,standard"  fiir  die  gesamte 
padagogische  Wissenschaft  be- 
zeichnet  werden,  dem  kein  zweites 
als  ebenbiirtig  an  die  Seite  gestellt 
werden  kann.  M.  G. 

Lesebuch  zur  Einfiihr- 
u  n  g  in  die  Kenntnis 
Deutschlands  und  seines 
geistigeii  Lebens.  Fiir  aus- 
landische  Studierende  und  fiir  die 
oberste  Stufe  hoherer  Lehranstalten 
des  In-  und  Auslandes.  Bearbeitet 
von  Dr.  W i  1  h  e  1  in  P  a  s  k  o  w  s  k i, 
Bibliothekar  an  der  koniglichen 
Bibliothek,  Lektor  an  der  UniVersi- 
tiit  von  Berlin,  1904;  Wiedemannsche 
Buchhandlung. 

",,Bei  der  Beriihrung  mit  Ausliin- 
dern  sind  wir  uns  bewusst,  wie  wir 
in  diesem  Augenblicke  eine  Mission 
besitzen,  wie  wir  wirklich  unser  Va- 
terland  zu  vertret«n  haben.  Nicht 
durch  Riihmen  und  Eig-ensinn,  soii- 
dern  durch  ein  solches  Wesen,  dass 
ullgemein  menschlich  in  Ehren  steht 
und  allenthalben  Beifall  fiiidet, 
durch  williges  Verstiindnis  des 
Fremden,  durch  massvolles  Urteil, 
durch  vornehme  Selbstbeherrschung, 
durch  Herz".  Dieses,  das  vorliegende 
Bnch  einleitende  Motto  von  Wilhelm 


206 


Padagogiscbe  Monatshefte. 


Munch  passt  ganz  auf  die  Lage  der 
hiesigen  deutschen  Lehrer  an  hohe- 
ren  Lehranstalten,  wo  dasselbe  nicht 
genug  zum  Gebrauch  empfohleii 
werden  kann  .  1st  es  doch  heute 
jedem  gutert  deutschen  Lehrer  hier- 
zulande  vollstandig  klar,  dass  das 
geistige  Leben  der  Deutschen  es  1st, 
mit  dem  die  deutschlernenden  Schil- 
ler unserer  Hochschulen  und  Uni- 
versitiiten  bekannt  gemacht  werden 
miissen,  wenn  sie  in  Geist  xmd  We- 
sen  der  deutschen  Sprache  und  Lite- 
ratur  eindringen  sollen.  Aber  der 
Lehrer  allein  kann  das  nicht  bewerk- 
stelligen.  Er  muss  liber  den  geeig- 
neten  Lesestoff  verfiigen.  Mehrere 
Lesebiicher  in  einem  Schuljahre, 
oder  gar  in  einem  Semester  anzu- 
schaffen,  ist  kaum  angiinglich.  Einen 
einzigen  Schriftsteller  zu  lesen,  er- 
miidet.  Beides  kann  nun  vermiedeii 
werden  durch  den  Gebrauch  eines 
Lesebuches,  wie  das  hier  kurz  zu  be- 
sprechende.  Die  Stoffwahl,  der  Stil, 
die  Geeignetheit  der  Lesestiicke  fiir 
sprachliche  Erliiuterungen  und 
sachlich-abschweif  elide  Ankniipfmi- 
gen,  der  Grundgedanke  der  ganzen 
Sammlung  —  Wertschiitzung  fiir 
dcutsche  Wissenschaft,  Kunst,  Sitte 
und  Sprache,  sowie  Achtung  vor  dem 
Deutschtume  iiberhaupt — dies  alles 
ist  in  dem  Buche  stetig  im  Auge  be- 
halten,  wie  die  nachstehende  ge- 
druiigte  ubersicht  des  Inhaltes  des- 
selben  bestiitigen  wird: 

1.  Flinf      Stiicke     zur     deutschen 
Landes-    und    Volkskunde    von    eben 
sovielen  Ycrfassern,  von  denen  her- 
vorgehoben     seien:      ,,Das     deutsche 
Yolk"     von     J.     Kutzen      und     ,,Der 
deutsche  Wald"  von  P.  D.  Fischer. 

2.  Zwei    Stiicke     zum     allgemeincn 
Geistesleben     der     Deutschen;      dar- 
unter   besonders    .,Deutsche   Bildung 
— Menschenbildung"  von  F.  Paulsen. 

3.  Zum  Universilatswesen  Deutsch- 
lands:    vier   Stiicke,   wie    z.    B.    ,,Der 
Charakter   der    deutschen    Universi- 
tiit"  von  F.  Paulsen. 

4.  Acht      Stiicke       zur     deutschen 
Sprache     und     Literatur,     worunter 
,,Das  geistige  Geprage  der  deutschen 
Sprache"  von  O.  Weise;   ,,Die  beiden 
klassischen  Perioden  der   deutschen 
Literatur"  von  A.  Vilmar;    ,,Die  Ge- 
briider    Grimm"      von     W.    Scherer; 
,,Deutsche  Charakterziige  in  Goethes 
Leben"  von  P.  Lorentz. 


5.  ~cht   Stiicke  zur  deutschen  Ge- 
schichte,      wie     ,,Luther      und       die 
deutsche  Nation"  von  H.  v.  Treitsch- 
ke;  ,,Konigin  Luise"  von  Th.  Momm- 
sen;     ,, Kaiser    Wilhelm    I"    von    O. 
Fiirst  v.  Bismarck;    ,,Bismarck"   von 
11.  Harm;     ,,Aus     dem     Staate  Fried- 
richs   des  Grossen"   von  G.   Freytag. 

6.  Fiinf      Stiicke      zur      deutschen 
Philosophic  und  Kunst;   u.   a.:    ,,Das 
klassische    Zeitalter    der    deutschen 
Philosophic"    von    A.    Lasson;    ..Cha- 
rakteristische    Ziige     der     deutschen 
Musik"  von  E.  H.  Kostlin. 

7.  Zur       Rechtswissenschaft       und 
Yolkswirtschaftslehre,   zwei   Stiicke: 
,,Der   Kainpf   urns   RechtJ'   von   R.   v. 
llinring    und     ..Gegenwart    und    Zu- 
kunft  der  Familie"  von  G.  Schmoller. 

8.  Zur    Medizin    und    Naturwissen- 
schaft,    drei    Stiicke,    wie    ,,Goethes 
naturwissenschaftliche          Arbeit  en" 
von  H.  von  Helmholtz. 

9.  Yier   Briefe   von   Konigin  Lviise, 
Goethe,  Schiller,  Moltke. 

Im  Ganzen  41  Stiicke,  die  achtund- 
dreissig  Schriftsteller  eiiifiihren, 
ausnahmslos  dazu  geeignet  sind,  \in- 
seren  Studiereiiden  Respekt  vor 
deutschem  Wesen  und  Tun  einzu- 
flossen.  Audi  wo  das  Buch  sich  nur 
in  den  Hiindcn  des  Lehrers  beftinde, 
Aviire  es  ausnehmend  dazu  angetan, 
ihm  zu  helfen,  seine  Schiiler  zxi  be- 
leben  mit  der  Goetheschen  ,,Courage, 
sich  den  Eindriicken  hinzugeben", 
und  sie  einsehen  zu  lassen,  woher 
dem  Deutschen  jenes  Gefiihl  der 
Mannesehre  kommt,  das  ,,seinen 
Xacken  so  gerade,  seine  Brust  so 
frei,  seiiien  Blick  so  klar"  sein  liisst. 

Das  Buch  hat  196  Seiten.  Die 
Stiicke  sind  demnach  kurz  genug, 
um  sowohl  den  Lehrer,  wie  die 
Schiiler  ergiinzend,  erliiuternd  und 
wiedergebend  zu  Worte  kommeii  zu 
lassen,  ohne,  an  den  Grundgedanken 
der  Yerfasser  vorbei,  ins  Weite  zu 
schiessen.  Gewiss  wird  es,  mit  die- 
sem  Buche  in  der  Hand,  auch  gelin- 
gen,  amevikanische  Studierende  da- 
hin  zu  leiten,  dass  sich  ihre  inner- 
lichen  Gefiihlsspharen  umsetzen  in 
die  Eigenschaft,  die  niemand  in  so 
hohem  Grade  besitzt,  wie  der 
Deutsche,  in  das  Gemiit.  Damit 
wiirde  aber  allein  schon  unendlich 
viel  gewonnen  sein,  selbst  auf  die 
Gefahr  hin,  dass  solche  deutsch- 


Bucherbesprecbungen.  207 

lernende     Amerikaner     durch     diese  fasslich   und   werden   Zoglingen  von 

Gefiihlsinnerlichkeit     zu     Jndividua-  Hochschulen,  Colleges  und  Universi- 

listen  wiirden,  wie  die  Deutschen  es  taten     hierzulande     jedenfalls  genii- 

sind.  gen.      Eine  Karte     der  Eheingegend 

Auf    Grimd   dieser    Vorziige    allein  vom    Feldberg    bis    zum    Siintis    und 

ist  jedem   Lehrer   des   Deutschen  in  vom  Bodensee   bis   Basel  ist   behufs 

Amerika,  der  so  oder  annahernd  so  ortlicher       Orieiitierung      beigefiigt. 

unterrichten    soil    oder    will,    recht  Ein    Kniebild    Scheffels    im    Reiseko- 

sehr  anzuraten  sich  dieses  Buch  an-  stiim,    sowie    zwei   Wiedergaben   von 

zuschaffen,     noch     besser     die     Ein-  Hlustrationen        zum       ,,Trouipeter" 

fiihrung  desselbeii  in  seinen  Klassen  (»Jung-  Werner  beim  Freiherrn"  und 

ermoglichen  zu  suchen.  ,,  Werners  Abschiedsgruss")    sind  als 


Der   Tro-np.t.r     von    SI* 

km  gen,   em    Sang   vom   Oberrhein  den  das  Buch  durch  schemes  Papier' 

J"°ni      w-*tP-   +      i     V°r  V'   !  ;  aus^zeichneten    Druck    und    soliden 

fel      With    introduction,    notes   and  Einband   auch    dem  Aeusseren   nach 

vocabulary    by   \  a  1  e  n  t  in  B  u  e  h-  macht.       Auf     die      Druckfehleria-d 

n  e  r,  teacher   of  modern   languages,  sind  wir  nicht  aus^egan^en    Hat  der 

High  School,  San  Jose,  Cal.     Ameri-  bewusste   Teuiel   doch   cfa   oder   dort 

can  Book  Company,  Xew  York,  Cin-  sein   Spiel  getrieben  —  habeat  sibi' 

cinuati,   Chicago.  —  Zu   der   ,,Note"   27   auf     Seite     29 

Wir  haben  dieses  Buch  bereits  in  mochten  wir  bemerken,  dass  Sche'f- 

der   Februar-Xummer     der      ,,P.   M."  fel   sowohl  wie   viele   andere   ,  Xeue" 

fiir  eine  sehr  zeit-  und  zweckgemasse  ja    wohl     sagen:      ,,ich    anvertraue" 

Arbeit  erkltirt  und   stehen  nicht  an,  ,,ich  anerkenne"  u.  s.  w.,  auch  dann' 

nach  sorgfiiltiger  Priifung  unser  da-  wenn  es  sich  nicht   um  das  Metrum 

maliges    Urteil    befestigend    zu    wie>-  handelt.    Seite  46,  Xote  14:  In  Schef- 

derholen.  fels    Studentenzeit    hielten    sich    die 

Dem  Buche  ist  die,  mit  Ausnahme  Herren      Studiosen      noch       ,Stamm- 

des   zehnten    Stiickes    (,,In    der    Erd-  biicher",      und     wiire      deshalb      das 

mannshohle")    und    einiger    Gedichte  5,Stanimbuchblatt   auf   manche   o-]at- 

im    vollsttindigen     Wortlaute    abge-  te     Wange     besser     als     eine    *Ver- 

druckte     zweihundertsiebenundfiinf-  gleichung    dieses    Gesichtsteiles    mit 

zigste   Auflage    (1902)     des    ,,Sanges"  einem   Stammbuche   erkliirt    worden 

zugrunde     gelegt,     die     Rechtschrei-  als     durch     den     Hinweis     auf     den 

bung    jedoch    den    iieuesten    llegeln  Schmissstolz      deutscher    Studenten 

gemass  geiindert  worden.  um  so  mehr,  da  Werner  nur  solcher 

In   der    Einleitung  gibt    der    Ver-  manche    ausgeteilt     zu     haben    sich 

fasser    eine    gedriingte,    aber    durch-  riihmt  und  seinen  ersten  spiiter  von 

aus   genaue   und   wahrhafte   Lebens-  dem      ,,alten      Wallensteiner"      beim 

beschreibung     Scheffels;      die     Ent-  ,,Hauensteiner    Iiummel"    davontrug. 

e.tehungsgeschichte      des      ,,Trompe-  •-  Seite  72,  Xote  24:    ,,Am  Aral  und 

ters";      eine     Angabe     der     iibrigen  am    Irtisch"     hausen    Kirgisen     und 

Scheffelschen    Werke    und    schliess-  Tartaren,  also  Mongolen,  nicht  aber 

lich     die     Erlebnisse     des     Dichters  Slaven;    auch  haben  wohl  die   erste- 

wahrend    seiner    fiinfzehn    schweig-  ren    und    nicht    die    letzteren    insge- 

samen   Jahre    bis     zu   seinem    Tode,  mein  ,,etwas  plattgedriickte  Xasen". 

1886,     wo     ,,der  diirre  Ast"     endlich  Dass    beide    Sorten      ,,ihren    Brannt- 

brach.  wein  trinken",  wenn  sie  welchen  ha- 

Als     Hauptvorziige     der    Buehner-  ben,    wollen    wjr    nicht     in    Abrede 

schen  Arbeit    sehen     wir    die    unbe-  stellen.  —  Seite  111,  Xote  11:   ,,Fahn- 

dingte    Vollstandlgkeit    des   Vocabu-  rich"   war  die  niedrigste   Charge  ei- 

lariums   ("it  is  intended  to  be  com-  nes   Adeligen,   in   der   er   beim   Mili- 

plete",     sagt     er     selbst)     und     die  tiir   eintrat,   wenn   er,   was   zur   Zeit 

miissige   Anzahl   und   Lunge   der  An-  des     dreissigjiihrigen     Krieges     vor- 

merkungen  und  Erkliirungen  an,  die  ausgesetzt  werden   kann,  bereits  im 

in  richtiger  Weise  nicht  als  Anhang  JWfvffenhandwerk    geiibt    war.       Der 

hinten  im  Buche,  sondern  unten  an  Hinweis     auf     Scheffels    Kneipname 

den    betreffenden    Textseiten     ange-  ,,Fahnrich     Pistol"     beim     ,,Falstaff 

bracht     sind.      Dieselben     sind,     mit  Club"    in  Karlsruhe    scheint    ausser- 

einigen    Ausnahmcn,    korrekt,    leicht  dem    unbegriindet,    weil    der    Trom- 


208 


Padagogische  Monatsbefte. 


peter  eine  geraume  Weile  vor  der 
Karlsruher  Zeit  des  Dichters  vol- 
lendet  war.  —  Seite  218,  Note  27: 
Das  beriihmte  sch\vedische  ,,blaue 
Regiment"  Mess  ,,voii  Siidermann- 
land"  (Sodermanland)  nach  der 
Herkunft  der  Mehrzahl  seiner 
Mannschaften  aus  der  Landeshaupt- 
mannschaft  dieses  Xamens,  nicht 
aber  nach  einem  denselben  tragen- 
den  schwedischen  General,  den  es 
unseres  Wissens  zu  jener  Zeit,  und 
auch  wohl  spiiter,  nicht  gegeben  hat. 
—  Ini  ubrigen  halten  \vir,  wie  be- 
reits  gesagt,  die  Erkliirungen  fiir 
sehr  vortreffdch,  und  wir  sind,  soil- 
ten  wir  uns  unit  unseren  im  ganzen 
ja  geringfiigigen  Einwiirfen  irren, 
dann  werden  wir  uns  gerne  eines 
Besseren  belehren  lassen.  Mit  gutem 
Gewissen  konnen  wir  der  braven  Ar- 
beit des  werten  Kollegen  am  Stillen 
Ozeane  wiinschen,  dass  sie  dazu  bei- 
tragen  mogc,  dem  Scheffelschen 
..Schwarzwaldgesaiig  eiii  Heimat- 
recht"  auch  in  unseren  Erziehungs- 
anstalten  zu  erwerben.  C.  Q. 

Px.  Clyde  Ford,  Ph.  D.,  Ele- 
mentary German  for  Sight  Trans- 
lation. Boston,  Ginn  and  Co.,  1904. 
Cloth  20  cents. 

Das  Blichlein  enthalt  auf  43  Sei- 
ten,  auf  18  ,,Exercises*'  verteilt,  gut 
ausgewuhlte  Stiicke  in  Prosa  und 
Poesie  zur  'Stegreiflibersetzung  ins 
Englische.  Ein  Yokabular  ist  selbst- 
verstandlich  nicht  beigegeben; 
kurze  Fussnoten  bringen  die  Er- 
lauterung  sprachlicher  Schwiei-ig- 
keiten.  Der  Wert  solcher  tJbungen 
diirfte  kaum  einem  Zweifel  unter- 
liegen,  und  das  Werkchen  wird 
rnanchem  Leser  willkommen  sein 
und  erspriessliche  Dienste  leisten. 

Levin  S  c  h  ii  eking,  Die  drei 
Freier.  Edited  with  an  introduction 
and  notes  by  Otto  Heller,  Ph.  D. 
Boston,  Ginn  and  Co.,  1903.  Cloth, 
30  cents. 

Prof.  Hellers  Ausgabe  dieser  nn- 
gemein  spannenden  und  tiefsinnigen 
Erzahlung  Schiickmgs  ist  eine  der 
erfreulichsten  Leistungen,  die  mir 
seit  langer  Zeit  auf  diesem  Gebiete 
begegnet  sind.  Einmal  war  die  Wahl 
des  Stoffes  eiii  gliicklicher  Griff;  so- 
danu  ist  die  Einleitung  (17  Seiten) 
musterhaf  t,  -  -  besonders  hervorzu- 
heben  ist  die  auf  selbstandiger 
Forschung  beruhende  kurze  Ab- 
handlung  iiber  die  Sagen  vom  Ewi- 


gen  Juden,  Wilden  Jiiger  und  Flie- 
genden  Hollander,  —  und  die  An- 
merkungen  (22  Seiten)  halten  das 
rechte  Mass  und  sind  durchweg  klar 
gefasst.  Riihmend  erwtihnen  mochte 
ich  auch  die  vier  Seiten  lange  Dar- 
stellung  der  sprachlichen  Eigenhei- 
ten  in  der  Einleitung.  Die  Ausstat- 
tung  liisst  nichts  zu  wiinschen  iibrig. 
]\HL  einem  Worte,  ein  vorziigliches 
Buch.  E.  C.  Roedder. 

Goethe's  EgmjOnt,  edited 
with  an  introduction  and  notes  by 
Professor  James  Taft 
H  a  t  f  i  e  1  d.  D.  C.  Heath  and  Co., 
Publishers,  1904. 

The  well  known  editor,  Professor 
James  Taft  Hatfield,  has  added  to 
the  useful  series  of  D.  C.  Heath  and 
Co.  another  edition  which  is  Avell 
adapted  to  the  practical  use  of 
American  students.  The  text  is  the 
product  of  diligent  and  painstaking 
research.  The  notes,  although  not 
extensive  and  exhaustive,  are  very 
helpful  and  show  scholarly  work, 
even  if  one  may  differ  in  the  inter- 
pretation of  several  passages.  They 
also  contain  literary  references  of 
a  suggestive  nature.  Professor  Hat- 
field,  like  Professor  Deering,  has 
deemed  it  best  not  to  include  a 
comparative  study  of  Schiller's  re- 
vision. There  is  room  for  a  differ- 
ence of  opinion  in  regard  to  this 
subject.  Such  a  comparison  gives 
the  student  an  insight  into  the 
different  methods  and  motives  of  the 
two  poets,  if,  indeed,  it  does  not 
lend  assistance  to  the  comprehen- 
tion  of  the  drama  "Egmont".  One 
may  also  have  a  different  opinion 
concerning  the  value  of  inserting 
exhaustive  historical  notes.  These 
may  help  or  retard  the  interpreta- 
tion of  the  Drama.  Professor  Hat- 
field  thinks  that  the  exposition,  in 
addition  to  the  material  suggested 
in  the  introduction,  will  fully  pre- 
pare the  student  for  the  under- 
standing of  the  drama.  And  there 
is  no  doubt  that  Goethe  was  very 
particular  in  weaving  into  the  ex- 
position as  much  information  as 
compatible  with  his  purposes. 

The  introduction  consists  of  four 
chapters:  1.  The  Spirit  of  Goethe's 
Egmont.  2.  The  Chief  Characters.  3. 
How  Goethe  Wrote  Egmont.  4.  The 
Historical  Background.  The  book  is 
equipped  with  a  map,  facsimiles  and 


Tlticherbesprechungen. 


209 


engravings,   for  which    original   ma- 
terials have  been  used. 

Professor  Hatfield's  attitude  to 
scientific  accuracy  is  rather  mis- 
leading in  the  statement  about 
Motley's  "Rise  of  the  Dutch  Re- 
public": "but  there  is  vastly  more 
deep  historical  truth  in  its  vivid 
dramatic  fiction  than  in  all  the  dead 
facts  of  mere  statisticians".  Histo- 
rical truth  is  always  based  on  ac- 
curacj^.  How  many  misconceptions 
concerning  the  development  of 
civilization  and  religion  have  arisen 
from  sources  of  "vivid  dramatic 
fiction".  Again,  this  statement  does 
not  accord  with  Professor  Hatfield's 
methods.  In  order  to  obtain  the 
"Spirit  of  Egmont",  he  insists  upon 
a  pure  text.  In  order  to  obtain  a 
pure  text,  he  has  worked  through 
all  the  editions  of  "Egmont"  and  has 
diligently  sought  for  misprints  of 
the  most  minute  nature  (compare 
P.  M.,  V.,  5,  p  146).  Are  these  live 
facts  and  the  products  of  modern 
historical  research  dead  facts  of 
mere  statisticians? 

"Vivid  dramatic  fiction"  seems  to 
play  a  part  in  reading  into  "Eg- 
mont', as  well  as  into  "Hermann  and 
Dorothea"  too  much  influence  of 
"The  Spirit  of  '76".  For  example: 
"The  beginnings  of  the  American 
Revolution  were  holding  Goethe's 
breathless  attention  as  he  wrote, 
and  its  ideals  of  liberty  and  equality 
are  reflected  everywhere  in  the 
work".  Are  these  ideas  not  due  more 
to  the  influence  of  the  Zeitgeist  of 
the  age  in  which  Goethe  lived  than 
to  the  beginnings  of  our  country's 
struggle  for  independence,  which  is 
but  a  particular  product  of  the 
European  revolution,  differing  ac- 
cording to  the  different  conditions 
and  according  to  the  different  Welt- 
anschauung caused  by  the  different 
conditions?  (Compore  "Hermann 
und  Dorothea".  Canto  VI,  Das  Zeit- 
alter.*) 

The      statement      that      "Egmont 


mixes  freely  with  the  people,  re- 
spects their  judgment,  and  takes 
them  into  his  confidence  in  a  way 
which  would  have  been  approved  of 
by  Abraham  Lincoln"  seems  a  little 
overdrawn.  Egmont,  no  doubt, 
sympathizes  with  the  people  and 
is  a  champion  of  their  rights,  but  he 
hardly  respects  their  judgment. 
Again  the  statement  that  "Goethe 
was  always,  in  a  certain  deeper 
sense,  a  good  democrat  at  heart", 
is  not  exactly  clear.  Goethe  was  "a 
lordly  aristocrat",  and  can  be  com- 
pared with  Bismarck  rather  than 
with  Lincoln  in  many  respects. 

A  tendency  to  sanctify  Goethe,  or 
rather  Egmont,  is  noticeable  in  the 
chapter,  "The  Spirit  of  Goethe". 
Will  this  not  hinder  the  student  in 
obtaining  an  insight  into  "die  Dar- 
stellung  menschlicher  Naturen  in 
Goethes  unerschopflich  reicher  Fiille 
und  Lebendigkeit"? 

The  above,  perhaps  too  subjective 
observations,  are  not  intended  to  de- 
tract from  the  interesting  intro- 
duction and  the  helpful  edition  of 
the  drama  into  which  the  maturer 
poet  has  worked  so  much  of  his 
great  experiences  and  forceful 
personality. 

Goethes  "Das  M  a  r  c  h  e  n", 
edited  with  introduction,  notes, 
vocabulary,  and  conversational  ex- 
ercises by  Professor  Charles  A. 
E  g  g  e  r  t.  D.  C.  Heath  and  Co., 
1904. 

Professor  Eggert's  neat  and  care- 
ful edition  of  "Das  Miirchen"  will, 
undoubtedly,  be  introduced  by  many 
teachers  who  appreciate  the  fact 
that  the  training  of  the  imagination, 
is  one  of  the  important  factors  in 
education.  The  pupils  are  inclined 
to  remember  that  which  is  fanciful 
and  weird.  This  will  help  them  to 
acquire  a  living  vocabulary.  The 
conversational  exercises,  as  far  as 
they  go,  will  be  of  assistance  to  the 
pupil  in  preparing  the  work  at 
home.  The  notes  are  well  selected. 


*)  Denn  wer  leugnet  es  wohl,  dass 

hoch  sich  das  Herz  ihm  erhoben, 

Him  die  freiere  Brust  mit  reineren 

Pulsen  geschlagen, 
Als  sich  der  erste  Glanz  der  neuen 

Sonne  heranhob. 

Als  man  horte  vom  Rechte  der  Men- 
schen,  das  alien  gemein  sei, 


Von  der  begeisternden  Freiheit  und 
und  von  der  loblichen  Gleichheit! 

Damals  hoffte  jeder,  sich  selbst  zu 
leben;  es  schien  sich 

Aufzulosen  das  Band,  das  viele  Lan- 
der umstrickte, 

Das  der  Miissiggang  und  der  Eigen- 
nutz  in  der  Hand  hielt. 


210 


Ptidagogische  Monatshejte. 


The  vocabulary  is  carefully  pre- 
pared. However,  it  hardly  seems 
necessary  to  include  words  which 
the  pupil  already  knows. 

W.  W.  Florer. 

Entwicklungslehre  von 
Dr.  Franz  v.  Wagner  with 
notes  and  vocabulary  by  A  r  t  h  u  r 
S.  W  r  i  g  h  t,  Professor  of  Mod. 
Languages,  Case  School  of  Applied 
Science,  Boston,  Heath  and  Co., 
1904.  IV  +  61  Ss. 

Mit  dieser  Ausgabe  von  Herrii 
Prof.  Wagners  Tierkunde,  denn  un- 
ter  diesem  Titel  ist  das  Werkchen  in 
der  Sammlung  Goschen  erschienen, 
hat  der  Herausgeber  die  Liste  der 
wissenschaftlichen  Texte,  die  dem 
ainerikanischen  Lehrer  zu  Gebote 
steht,  um  ein  sehr  brauchbares  Buch 
bereichert.  Es  mangelt  tins  immer 
noch  an  solchen  Texten,  denn  von 
derartigen  vorhandenen  Texten  ist 
eine  grosse  Anzahl  in  Bezug  auf  den 
Inhalt  veraltet,  und  da  hat  der  Herr 
Herausgeber  entschieden  recht, 
solche  wissenschaftlichen  Texte 
sollten  auch  inhaltlich  von  Wert 
sein.  Der  Text  ist  wohl  etwas 
schwierig  und  diirfte  daher  wohl 
kaum  Sals  Einfiihrung  in  die  wis- 
senschaftliche  Lektiire  benutzt 
werden. 

In  den  Text  (p.  32  ff)  ist  ein  fiinf 
Seiten  langes  Kapitel  iiber  den 
,.Kampf  uins  Dasein"  aus  Hertwigs 
,uehrbuch  der  Zoologie  eingeschal- 
tet  worden,  angeblich,  iim  zuni  bes- 
seren  Verstandnis  des  Kampfes  urns 
Dasein  beizutragen,  wohl  aber  auch, 
um  die  Seitenzahl,  die  sonst  viel- 
leicht  als  zu  gering  empfunden  wer- 
den  mochte,  um  etwas  zu  vermeh- 
ren. 

Der  Text,  sowie  Vokabulariuin 
tmd  Anmerkungen,  sind  auffallend 
frei  von  Druckfehlern.  Die  den  An- 
merkungen voransteheden  Paragra- 
phen  iiber  die  Partizipialkoiistruk- 
tion  im  Deutschen  sind  gut  ange- 
bracht.  Anmerkungen  und  Voka- 
bular,  welches  letztere  nur  die 
Fachausdriicke  enthillt,  sind  durch- 
weg  gut  und  genau  gemacht.  Man 
konnte  allerdings  fragen,  wozu  die 
Anmerkung  zu  formbildende 
Wirksamkeit  p.  40,  17 ?  Hill  te 
<es  nicht  geniigt,  formbildend 
in  das  Vokabular  zu  bringen? 
Warum  ferner  die  Anraerkung  z  u 
d  a  r  b  i  e  t  e  n  p.  42,  5.  ff.,  da  man 


doch  sonst  die  trennbaren  Verba 
nicht  beriicksichtigt.  Im  Vokabular 
heisst  es  ferner:  W  e  c  h  s  e  1 1  i  e  r- 
c  h  e  n,  pi.  amoebae,  wiihreiid  das 
Wort  p.  5,  9  auch  Sing,  vorkommt. 

A  Guide  for  the  Study  of 
Goethe's  Hermann  and  Do- 
rothea by  Ernst  Wolf  and  W. 
W.  F  1  o  r  e  r,  Geo.  Wahr,  Ann  Ar- 
bor, Mich.,  1904.  Ill  +  82  Ss. 

Dieser  Leitfaden  besteht  aus 
deutschen  Fragen,  die  so  gestellt 
sind,  dass  der  Schiller  am  besten 
und  bequemsten  mit  den  Worten  des 
Dichters  selbst  antworten  wird.  Die 
Fragen  sind  dtirchweg  in  gutem 
Deutsch  gehalten,  was  bei  einem 
solchen  Leitfaden  von  der  aller- 
grossten  Wichtigkeit  ist,  denn  wel- 
chen  Schaden  unrichtige,  nicht 
deutsche  1  ragen  anzurichten  im 
Stande  wliren,  kann  man  sich  den- 
ken.  Das  Biichlein  soil  dazu  dienen, 
die  Handhabung  der  sog.  direkten 
Lehrmethode  zu  erleichtern.  Was 
diese  M^ethode  betrifft,  so  konnen 
wir  jede  in  diese  Eichtung  gehende 
Stromung  nur  gut  heissen.  Eine  Ge- 
fahr  liegt  aber  immer  vor,  niimlich 
die,  dass  der  Lehrer  sich  die  Fragen 
nicht  selbst  einpriigt  imd  dieselben 
einfach  vom  Buch  abliesst.  Das  Be- 
streben  der  Herren  Herausgeber  ist 
aber  nur  zu  loben.  Es  ist  ge- 
wiss  Zeit,  dass  die  alte  routinen- 
massige  Lesung  und  ubersetzung 
etwas  Werthvolleren  Platz  macht. 
Charl  s  H.  Handschin. 

Elementary  Guide  to 
Literary  Criticism.  By  F.  V. 
N.  P  a  i  n  t  e  r,  A.  M.,  D.  D.,  Profes- 
sor of  Modern  Languages  in  Roa- 
noke  College.  Boston,  Ginn  and  Co., 
1903. 

Any  work  that  will  aid  or  encour- 
age the  study  of  literature  should 
be  heartily  welcomed.  This  book,  as 
the  title  indicates,  is  intended  to 
help  the  young  student,  but  many 
an  older  student  will  find  something 
in  it  that  will  make  his  literary 
study  more  definite.  The  work  is  di- 
vided into  three  parts.  Part  I  dis- 
icusses  the  fundamental  principles 
of  literary  criticism  in  three  chap- 
ters which  treat  of  the  nature  and 
office  of  criticism,  the  author  and 
his  work,  and  aesthetic  principles. 
The  few  pages,  only  seventeen,  de- 
voted to  aesthetic  principles  will 
set  the  student  to  thinking,  and  will 


Bucberbesprecbungen. 


211 


surely  lead  him  to  see  beauties  in 
literary  expression  and  suggestion 
that  never  before  appealed  to  him. 

Part  II  explains  the  rhetorical 
elements  of  form  under  the  sub- 
jects words,  sentences,  paragraphs, 
figures  of  speech,  and  style. 

Part  III  is  the  best  in  the  book, 
still  its  arrangement  might  be  im- 
proved. The  main  subject  is  kinds 
of  literature.  There  are  six  chapters, 
but  the  line  of  division  is  not  well 
defined.  For  instance,  didactic  and 
lyric  poetry  are  discussed  in  the 
chapter  that  is  entitled  kinds  of 
poetry,  while  epic  and  dramatic 
poetry  are  treated  in  a  chapter  by 
themselves.  These  two  chapters 
might  well  have  been  thrown  to- 
gether, or  else  there  should  have 
been  a  greater  subdivision  in  order 
to  give  the  various  kinds  of  poetry 
equal  importance  or  coordinate 
rank.  The  introductory  chapter  on 
the  nature  and  structure  of  poetry 
is  interesting  and  stimulating. 

Each  chapter  throughout  the  book 
is  followed  by  a  list  of  review  ques- 
tions, and  with  the  exception  of  the 
last  four,  each  chapter  is  supple- 
mented by  illustrative  and  practical 
exercises.  In  the  case  of  these  four 
chapters,  which  deal  with  epic  and 
dramatic  poetry  and  the  various 
kinds  of  prose,  the  author  recom- 
mends that  the  student  be  referred 
to  representative  productions,  and 
in  lieu  of  the  exercises,  he  offers 
some  sensible  suggestions  for  the 
guidance  of  the  teacher  in  making 
selections. 

The  book  is  certainly  helpful  as 
an  elementary  guide,  and  it  can  be 
used  to  advantage  even  in  the  study 
of  foreign  literatures. 

German  Composition.  With 
a  Review  of  Grammar  and  Syntax 


and  with  Notes  and  a  Vocabulary. 
By  B.  Mack  Dresden,  A.  M., 
Instructor  in  German,  State  Normal 
School,  Oshkosh,  Wis.  American 
Book  Company,  1903. 

The  author  states  in  his  Preface 
that  this  book  has  been  compiled 
for  the  use  of  students  who  have  a 
fair  knowledge  of  the  grammar  of 
the  German  language,  and  who  have 
done,  in  addition,  at  least  one  half 
3'ear's  reading  and  translating  from 
German  into  English.  He  has  en- 
deavored to  present  well-graded  se- 
lections for  translating  English  into 
German.  The  notes,  which  are  at 
the  bottom  of  the  page,  and  the 
vocabulary  are  m,erely  suggestive, 
and  they  will  not  make  grammar 
and  dictionary  unnecessary.  The 
brief  review  of  grammar  and  syntax 
preceding  the  exercises  will  be  help- 
ful to  the  student.  The  author  has 
accomplished  with  success  his  task. 
The  book  could  be  used  to  good  ad- 
vantage alternately  with  another 
composition  book,  for  experience 
has  shown  that  it  is  well  to  change 
composition  texts  from  time  to 
time. 

There  are  a  few  unusual  words 
and  expressions  in  the  work,  for  in- 
stance, "stage  of  advance",  page  5, 
line  10;  "addresive",  p.  12,  1.  4.  The 
signs  and  abbreviations  after  the 
word  "April",  p.  52,  in  the  Vo- 
cabulary, seem  to  indicate  that  one 
form  of  the  genitive  may  be  "April". 
Under  "Dorn",  p.  66,  the  more  usual 
weak  plural  "Dornen"  should  be 
added.  Among  misprints  may  be 
noted,  "pheasants'  egg"  for  "pheas- 
ant's egg",  p.  43,  1.  6;  also  1.  11; 
"embarassment"  for  "embarrass- 
ment", p.  56,  1.  13. 

Charles  Bundy  Wiison. 
The  State  University  of  Iowa. 


III.     Eingesandte  Biicher 


Die  Chemie  im  t  a  g  1  i  c  h  e  n 
L  e  b  en  von  Prof.  Dr.  Lassar- 
Cohn.  Abridged  and  edited  with 
notes  and  an  introduction  on  Ger- 
man chemical  nomenclature  by 
Neil  C.  Brooks,  Ph.  D.,  Assist- 
ant Professor  of  German,  University 
of  Illinois.  Boston,  D.  C.  Heath  and 
Co.,  1904. 

An  Introduction  to  Ver- 
tebrate Embryology.  Based 
on  the  Study  of  the  Frog  and  the 
Chick  by  Albert  Moore  Reese, 
Ph.  D,  (Johns  Hopkins),  Associate 
Professor  of  Histology  in  Syracuse 
University  and  Lecturer  on  Histo- 
logy and  Embryology  in  the  College 
of  Medicine.  With  84  Illustrations. 
G.  P.  Putnam's  Sons,  New  York  and 
London,  1904. 

Germelshausen  von  Fried- 
rich  Gerstacker.  Edited  with 
introduction,  notes,  exercises,  and 
vocabulary  by  Griffin  M.  Love- 
lace, Instructor  in  Modern  Lan- 
guages, Louisville  Male  High  School. 
Boston,  Ginn  and  Co.,  1904.  Price  35 
cts. 


Minna  von  Barnhelm  oder 
!D  a  s  Soldatengliick  von 
L  e  s  s  i  n  g.  Edited  with  notes  and 
vocabulary  by  Richard  Alex- 
ander von  Minckwitz  and 
Anne  C  r  o  m  b  i  e  Wilder,  B.  A. 
Boston,  Ginn  and  Co.,  1904,  Price  50 
cts. 

Primary  Arithmetic  by 
David  Eugene  Smith,  Ph.  D., 
Professor  of  Mathematics  in 
Teachers  College,  Columbia  Uni- 
versity, New  York.  Boston.  Ginn 
and  Co.,  1904.  Price  33  cts. 

An  Elementary  American 
History  by  D.  H.  Montgom- 
e  r  y.  Boston,  Ginn  and  Co.,  1904. 
Price  85  cts. 

The  Louisiana  Purchase 
and  the  Exploration  Early 
History  and  Bxiilding  of 
the  West  by  Ripley  Hitch- 
cock. Boston,  Ginn  and  Co.,  1904. 

TheShipofState  by  Those 
at  the  Helm.  Boston,  Ginn  and 
Co.,  1904. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

3abrujany  V.        Scptembcn-Oktohcn  1901.  Heft  7-8. 

26.  Generalversammlung  des  Nationalen  Deutsch- 
amerikanischen Lehrerseminar=Vereins. 

(OffizieJl.) 

Die  26.  Generalversammlung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen 
Lehrerseminar-Vereins  fand  am  29.  Juni  im  Seminargebaude  statt. 

Dr.  Louis  F.  Frank,  President  der  Verwaltungsbehb'rde  des  Seminars, 
richtete  eine  herzliche  Begriissungsansprache  an  die  Delegaten. 

Der  Ausschuss  fur  Beglaubigungsschreiben,  welcher  aus  den  Herren 
Albert  Wallber,  Wm.  J.  Krauthofer  und  Chas.  F.  Ringer  bestand,  berichtete, 
dass  68  Mitglieder  mit  1694  Stimmen  zu  Sitz  und  Stimme  berechtigt  seien. 

Die  folgenden  Beamten  verlasen  hierauf  ihre  Jahresberichte. 

Bericht  des  Prasidenten  Dr.  L.  F.  Frank. 

Eine  wehmiitige  Stimmung  lagert  iiber  unserer  diesjahrigen  Versamm- 
lung;  konnen  wir  doch  nicht  umhin,  des  Mannes  zu  gedenken,  der  seit  16 
Jahren  wie  ein  kundiger  Steuermann  mit  sicherer  Hand  das  Schifflein  unserer 
Anstalt  lenkte,  er,  der  auf  die  Fahne  seines  Lebens  das  Motto  geschrieben 
hatte:  ,,Vorwarts  in  Wahrheit,  Freiheit  und  Liebe"  —  er,  der  mit  gliihender 
Begeisterung  und  rastlosem,  selbstlosem  Fleisse  an  der  Hebung  des  Lehrer- 
standes  arbeitete  —  er,  von  dem  man  nicht  vveiss,  was  an  ihm  grosser  war,  ob 
die  Scharfe  seines  Denkens,  die  Tiefe  seines  Gemiites  oder  die  Energie  seines 
Willens ;  unser  in  alien  Kreisen  hochangesehener  Direktor  Emil  Dapprich  ist 
von  seinem  segensreichen  Wirken  durch  den  Tod  uns  entrissen  worden.  Ich 
ersuche  die  Versammlung,  durch  Erheben  von  den  Sitzen  unserem  toten 
Freund  den  schuldigen  Tribut  der  Dankbarkeit  zu  erweisen. 


214  Padagogische  Monatshefte. 

Nach  dem  am  25.  November  erfolgten  Ableben  Emil  Dapprichs  wurde 
in  einer  im  Dezember  abgehaltenen  Versammlung  Herr  Max  Griebsch,  wel- 
cher  mit  Herrn  Oskar  Burckhardt  wahrend  der  neunmonatlichen  Krankheit 
des  Direktors  die  Leitung  der  Schule,  letzterer  die  des  Seminars  iibernommen 
hatte,  zum  interimistischen  Direktor  beider  Anstalten  gewahlt.  Es  gereicht 
mir  zur  grossen  Freude  bei  der  heutigen  Gelegenheit  den  beiden  Herren  fiir 
ihre  miihevolle  und  treffliche  Leitung  der  Anstalt  im  Sinne  ihres  Vorgangers 
meine  Anerkennung  und  den  Dank  des  Seminars  auszusprechen. 

Das  verflossene  Schuljahr  war  ein  Jahr  ernster,  zugleich  aber  harmoni- 
scher  und  erfolgreicher  Arbeit;  dieses  war  erkennbar  an  der  in  der  letzten 
Woche  stattgefundenen  Schlussfeier  des  Seminars,  welche  ein  beredtes  Zeug- 
nis  nicht  allein  der  Fahigkeit  der  Abiturienten,  als  auch  der  Teilnahme  und 
Gewissenhaftigkeit  der  Lehrer  ablegte. 

Herr  Henry  Mann  resignierte  als  ein  Mitglied  des  Venvaltungsrats ;  auf 
Empfehlung  des  Prasidenten  wurde  Herr  Carl  Penshorn  zum  Mitgliede  ge- 
wahlt. 

Wahrend  des  verflossenen  Jahres  wurde  die  Anstalt  von  32  Zoglingen 
besucht,  von  denen  sich  10  in  der  Oberklasse,  14  in  der  Mittelklasse  und  8  in 
der  Unterklasse  befanden.  Sieben  Abiturientinnen  und  ein  Abiturient  erhiel- 
ten  Diplome  und  8  das  Diplom  als  Turnlehrer  und  Lehrerinnen. 

Die  diesjahrige  Benefizvorstellung  des  Deutschen  Theaters  zum  Besten 
der  Anstalt  brachte  ,,Clavigo"  und  ,,Die  Geschwister",  welche  in  der  gedie- 
gensten  Weise  aufgefiihrt  wurde.  Ober  den  finanziellen  Erfolg  berichtet  der 
Schatzmeister. 

Als  sehr  erfreulicher  Umstand  ist  es  zu  bezeichnen,  dass  der  erfolgte 
Aufruf  an  friihere  Stipendiaten  einen  befriedigenden  Erfolg  hatte. 

Es  liegt  der  heutigen  Versammlung  die  wichtige  Frage  zur  Erorterung 
vor,  ob  das  Seminar  die  finanzielle  Leitung  und  Verantwortung  der  Padago- 
gischen  Monatshefte  iibernehmen  soil.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  von  den 
Herren  Griebsch  und  Abrams  ein  Zirkular  an  die  deutschamerikanische 
Lehrerschaft  erlassen,  mit  der  Anfrage  behufs  materieller  und  geistiger  Un- 
terstiitzung. 

Zwringende  Griinde  veranlassen  mich,  eine  Wiederwahl  als  Prasident  des 
Seminars  abzulehnen.  Es  geschieht  dies  mit  den  freundschaftlichsten  Ge- 
fiihlen  gegen  jeden  mit  mir  an  dem  Seminar  Beteiligten,  und  ich  kann  nicht 
umhin,  das  zu  jeder  Zeit  angenehme  Verhaltnis  des  Venvaltungsrats  unter 
sich  und  den  Lehrern  der  Anstalt  hervorzuheben  und  fiir  die  entgegen- 
kommende  und  liebenswiirdige  Art  und  Weise,  wie  sie  mein  Amt  erleichter- 
ten,  meinen  herzlichen  Dank  auszusprechen. 

Louis  F.  Frank, 

Prasident. 
Milwaukee,  den  29.  Juni  1904. 


Generalversammlung  des  Lehrerseminar-Vereins.  215 

Sekretar  Wallbers  Bericht. 
An  die  22.  Generalversammlung  des  Lehrerseminars! 

Das  26.  Schuljahr  ist  zu  Ende.  Wir  ziehen  den  Vorhang  zuriick,  um 
die  Vorkommnisse  des  verflossenen  Termins  Revue  passieren  zu  lassen.  Zu 
Anfang  desselben  fungierte  Herr  Oskar  Burkardt  als  stellvertretender 
Direktpr,  wahrend  Herr  Dapprich  in  Deutschland  auf  seiner  Erholungsreise 
begriffen  war.  Als  letzterer  im  Juli  v.  J.  zuriickkehrte,  verschlechterte  sich 
sein  Gesundheitszustand  derartig,  dass  ihm  eine  weitere  Ruhepause  bewilligt 
wurde.  Seine  Krafte  nahmen  zusehends  ab,  und  Ende  November  schied  er  aus 
dem  Leben.  Die  Trauer  um  seinen  Verlust  war  eine  allgemeine  und  recht 
schmerzlich  beriihrte  sein  Ableben  die  Mitglieder  der  Verwaltungsbehorde, 
mit  denen  er  so  viele  Jahre  fur  die  Interessen  des  Seminars  gearbeitet  hatte. 
Eine  imposante  Leichenfeier  fand  in  der  Bundes-Turnhalle  statt  und  die 
Ehrung,  welche  ihm  zu  teil  wurde,  bewies,  in  welch  hoher  Achtung  er  bei 
seinen  Mitmenschen  stand,  und  wie  sehr  er  als  Lehrer  beliebt  war.  In  dank- 
barer  Anerkennung  seiner  Verdienste  um  das  Seminar  iibernahm  der  Voll- 
zugsausschuss  in  Gemeinschaft  mit  der  Deutsch-Englischen  Akademie  die  Be- 
grabniskosten,  sowie  die  Auszahlung  seines  vollen  Gehalts  an  die  Witwe 
wahrend  des  restierenden  Schuljahres. 

Herrn  Burckhardt,  welcher  die  Leitung  des  Seminars  wahrend  Dapp- 
richs  Abwesenheit  in  arierkennenswertester  Weise  fiihrte,  wurde  eine  Extra- 
Vergiitung  und  herzlicher  Dank  fiir  seine  erschwerenden  Arbeiten  zugedacht. 

Um  wieder  eine  einheitliche  Leitung  ftir  Akademie  und  Lehrerseminar 
herzustellen,  erwahlte  der  Vollzugsausschuss,  mit  Zustimmung  der  aus- 
warts  wohnenden  Mitglieder  des  Verwaltungsrats,  Herrn  Max  Griebsch 
zum  provisorischen  Direktor,  es  dem  Verwaltungsrate,  den  Statuten  gemass, 
iiberlassend,  die  Ernennung  zu  einer  permanenten  zu  machen. 

Die  Beforderung  des  Herrn  Griebsch  veranlasste  eine  Vakanz  im  Lehr- 
personal,  welche  durch  die  Anstellung  von  Herrn  John  Eiselmeier  von  Mil- 
waukee  gut  ausgefiillt  wurde.  Die  vielseitige  Tatigkeit  samtlicher  Lehrer 
hatte  zur  Folge,  dass  fiir  Erteilung  des  Zeichenunterrichts,  der  eine  Zeitlang 
ausfiel,  Frl.  Mary  Shields,  eine  Lehrerin  der  Ostseite  Hochschule,  gewonnen 
wurde. 

Seminarlehrer  Hall,  welcher  die  englischen  Facher  unterrichtete,  been- 
digte  seine  Tatigkeit  am  Schlusse  des  Schuljahres.  An  dessen  Stelle  gewan- 
nen  wir  Herrn  Chas.  W.  Babcock,  einen  an  der  Universitat  Yale  ausgebilde- 
ten  Lehrer,  welcher  sein  Amt  mit  Beginn  des  neuen  Schuljahres  antreten 
wird. 

Neue  Gedanken  und  neue  Wege,  welche  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung 
und  des  Unterrichts  auftauchen,  finden  bei  uns  stets  Forderung.  So  auch  die 
bereits  in  mehreren  Landern  eingefiihrte  ungeteilte  Schulzeit.  Sie  wurde  als 
gut  anerkannt  und  ist  seit  Ostern  in  Akademie  und  Seminar  mit  Erfolg  ein- 


216  Padagogische  Monatshefte. 

gefiihrt  worden.  In  dem  Bericht  unseres  Direktors  wird  diese  Massnahme 
die  ausgibigste  Erorterung  erfahren.  Wir  diirfen  es  uns  zur  Ehre  anrechnen, 
hier  die  Ersten  zu  sein,  die  in  dieser  Richtung  bahnbrechend  vorgegangen 
sind. 

Zu  den  23  am  Anfange  des  Schuljahres  sich  in  der  Anstalt  befindlichen 
Schulern  traten  8  neu  ein ;  von  diesen  trat  eine  Schulerin  in  das  Turnlehrer- 
seminar  liber,  2  Schiller  und  eine  Schulerin  resignierten,  so  dass  30  Schiiler 
verblieben.  Aus  dieser  Zahl  graduierten  8. 

Stipendiaten  hatten  vvir  8,  denen  $818  Vorschuss  ausgezahlt  wurden. 
In  der  letzten  Generalversammlung  wurde  Herr  C.  O.  Schonrich  dazu  aus- 
ersehen,  das  Seminar  bei  der  im  September  1903  in  Baltimore  tagenden  Kon- 
vention  des  D.  A.  Nationalbundes  zu  vertreten.  Herr  Schonrich  entledigte 
sich  dieser  Aufgabe  aufs  Energischste,  und  ist  es  seiner  speziellen  Befiir- 
wortung  zu  verdanken,  dass  der  Konvent  seinen  Mitgliedern  ans  Herz  legte, 
den  im  Interesse  des  Lehrerseminars  gefassten  Beschluss,  dem  Institute  eine 
kraftige  finanzielle  Unterstiitzung  angedeihen  zu  lassen,  in  Ausfiihrung  zu 
bringen.  Als  nach  mehreren  Monaten  noch  keine  Gelder  eingingen,  unter- 
nahm  es  der  Unterzeichnete,  ein  Rundschreiben  an  alle  dem  Nationalbunde 
zugehorigen  Vereine  zu  senden,  sie  ersuchend,  dem  Beschlusse  freundlichst  zu 
entsprechen. 

In  Beantwortung  dieses  Aufrufs  envarben  sich  folgende  Vereine  und 
Personen  die  Mitgliedschaft : 

D.  A.  Zentral  Bund,  westlicher  Zweig,  Allegheny,  Pa. 

Allegheny  Turnverein,  Allegheny,  Pa. 

H.  C.  Bloedel,  Allegheny,  Pa. 

Zentral  Turnverein,  Pittsburg,  Pa. 

Verband  der  Deutschen  Vereine,  Indianapolis,  Ind. 

Ausserdem  sandte  Herr  Clemens  Vonnegut,  Sr.,  Indianapolis,  vvelcher 
bereits  zu  unseren  Mitgliedern  zahlt,  den  Betrag  von  zwei  Mitgliedszerti- 
fikaten  ein. 

Vom  Schillerverein  in  St.  Louis  erhielten  wir  eine  Abschlagszahlung  mit 
dem  Versprechen,  dass  weitere  Rimessen  folgen  wiirden,  bis  ein  Mitglieds- 
zertifikat  in  Voll  bezahlt  sei. 

Die  Summe  der  so  eingezahlten  Betrage  beziffert  sich  auf  $360.  Auch 
eine  Theatervorstellung  zum  Besten  des  Stipendienfonds  fand  statt,  jedoch 
fiel  das  Ergebnis  derselben  hinter  dem  des  Vorjahres  zuriick,  weil  die  Saison 
bereits  zu  weit  vorgeschritten  und  es  unmoglich  war,  die  Vorstellung  friiher 
abzuhalten.  Der  Reinertrag  belief  sich  auf  $338.68. 

Unsere  Bibliothek,  der  ein  neues,  mehr  entsprechendes  Heim  angewiesen 
wurde,  ist  von  Herrn  Burckhardt  katalogisiert  worden  und  befindet  sich  jetzt 
in  geordnetem  Zustande.  Ein  jeder,  der  diese  immense  Arbeit,  welche  damit 
verkniipft  war,  zu  wiirdigen  weiss,  wird  es  begreiflich  finden,  dass  der  Voll- 


Generalversammlung  des  Lehrerseminar-Vereins.  217 

zugsausschuss  Herrn  Burckhardt  seinen  verbindlichsten  Dank  fur  seine 
Miihewaltung  aussprach.  Auch  Herrn  Gerisch  wurde  Anerkennung  und 
Dank  zuteil  fur  die  Inventuraufnahme  der  physikalischen  und  naturwissen- 
schaftlichen  Lehrmittel. 

Aus  dem  Finanzbericht  werden  Sie  entnehmen,  dass  das  diesjahrige 
Defizit  $2,100  betragt.  Es  ware  auf  hochstens  $900  zu  stehen  gekommen, 
wenn  nicht  die  Extraausgaben  gewesen  waren,  welche  mit  dem  Ableben 
unseres  Direktors  verbunden  waren. 

Die  Riickzahlung  von  Stipendiengeldern  ging  ziemlich  flott  von  statten 
Dank  des,  an  die  japanesische  Kriegsfiihrung  erinnerden,  forschen  Vorgehens 
unseres  Cincinnatier  Verwaltungsratsmitgliedes.  Dieses  hatte  zur  Folge,  dass 
4  in  Cincinnati  wohnhafte  Abiturienten  ihre  Konti  vollstandig  ausgeglichen 
haben. 

Von  solchen  Abiturienten,  die  bisher  Abzahlungen  geleistet,  sind  leider 
zwei  in  dem  Iroquois  Theaterbrande  in  Chicago  urns  Leben  gekommen. 

Mit  dieser  Versammlung  lauft  der  Amtstermin  von  folgenden  5  Ver- 
waltungsratsmitgliedern  zu  Ende,  deren  Nachfolger  wahrend  der  heutigen 
Sitzung  zu  wahlen  sind : 

Gottlieb  Miiller  und  John  Schwab,  Cincinnati;  Starr  W.  Cutting, 
Chicago;  Dr.  Louis  F.  Frank  und  Dr.  Joseph  Schneider,  Milwaukee. 

Im  Jahre  1878  eroffnet,  konnte  unser  Institut  am  I.  September  1903  auf 
ein  25Jahriges  Arbeitsfeld  zuriickblicken.  Es  hat,  wie  Sie  wissen,  machtig 
mit  unzureichenden  Mitteln  zu  kampfen  gehabt  und  ist  jetzt  noch  nicht 
dahin  gelangt,  dass  sein  Einkommen  es  vor  einer  Unterbilanz  bewahrt.  Aber 
sein  bisheriges  erspriessliches  Wirken  als  Erziehungsanstalt  sichert  seine 
Existenz  auch  fur  die  Zukunft,  von  der  wir  die  uns  mangelnde  materielle 
Hilfe  erhoffen.  Mb'ge  das  einzige  nationale  deutsche  Werk  in  Amerika  von 
seinen  Freunden  weiter  gepflegt  und  so  liberal  unterstiitzt  werden,  wie  das- 
selbe  es  verdient. 

Gliick  auf  denn  zum  zweiten  Vierteljahrhundert. 

Milwaukee,  den  29.  Juni  1904. 

Albert  Wallber, 

Sekretar. 

Bericht  des  Seminardirektors  Max  Griebsch. 

Milwaukee,  den  29.  Juni  1904. 

An  die  Generalversammlung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrer- 
seminar-Vereins. 
Geehrte  Versammlung! 

Am  2.  September  des  Jahres  1903  waren  25  Jahre  seit  der  Griindung 
•des  Lehrerseminars  verflossen.  Unter  gliicklicheren  Umstanden  ware  dieser 
Tag  wohl  in  gebiihrender  Weise  gefeiert  worden.  Aber  schon  zum  Beginn 


218  Padagogische  Monatshefte. 

des  Schuljahres  lagerte  eine  triibe  Wolke  liber  der  Anstalt,  die  jede  Fest- 
freude  bannte.  Unser  Direktor  Dapprich  war  von  seiner  Urlaubsreise  zu- 
riickgekehrt,  ohne  die  gesuchte  und  von  uns  alien  so  sehnlichst  gewiinschte 
Heilung  gefunden  zu  haben.  Das  Krankenlager,  auf  das  er  sofort  nach  seiner 
Riickkehr  geworfen  wurde,  ward  ihm  zum  Sterbebette.  Am  25.  November 
wurde  er  von  seinem  langwierigen  und  schweren  Leiden  durch  den  Tod  er- 
lost. 

In  Dapprich  verlor  die  deutschamerikanische  Lehrerschaft  ihren  be- 
deutendsten  Fiihrer,  seine  Freunde  den  treuesten  Berater,  unsere  Anstalten 
den  aufopferndsten  Leiter,  dessen  ganzes  Sinnen  und  Trachten  einzig  und 
allein  dem  Wohle  derselben  gait.  Das,  was  Dapprich  auf  diesem  seinem  Ar- 
beitsfelde  getan  hat,  wird  unauslb'schlich  in  den  Annalen  unserer  Anstalt  ein- 
gegraben  bleiben,  und  Ihr  unterzeichneter  Berichterstatter,  der  durch  Be- 
schluss  des  Verwaltungsrates  mit  dem  Amte  des  Direktors  fur  den  Rest  des 
laufenden  Schuljahres  betraut  worden  war,  kann  nichts  Weiteres  iiber  seine 
Tatigkeit  sagen,  als  dass  er  sich  bemiihte,  das  Seminar  im  Sinne  und  Geiste 
unseres  verstorbenen  Freundes  weiter  zu  fiihren. 

Die  Arbeit  des  Seminars  verlief  sonst  im  verflossenen  Schuljahre  ohne 
besondere  Zwischenfalle.  Lehrer  und  Schiller  waren  gleichmassig  bemiiht, 
der  Anstalt  durch  doppelte  Pflichterfiillung  iiber  die  schweren  Tage  hinweg- 
zuhelfen.  Und  ich  erlaube  mir  an  dieser  Stelle,  insbesondere  meinen  Kollegen 
fiir  ihr  freundschaftliches  Entgegenkommen  den  herzlichsten  Dank  abzu- 
statten. 

Das  Seminar  war  von  32  Schiilern  besucht,  die  sich  in  folgender  Weise 
auf  die  einzelnen  Klassen  verteilen:  I.  Klasse — 8,  2.  Klasse — 14  und  3. 
Klasse — 10.  Von  den  Schiilern  der  dritten  Klasse  erhielten  acht  nach  abge- 
legtem  schriftlichem  und  miindlichem  Examen  das  Zeugnis  der  Reife;  eine 
derselben  hatte  den  Kindergarten-Kursus  gewahlt.  Zwei  Mitglieder  der 
Klasse  zogen  aus  eigenem  Antrieb  vor,  die  Arbeit  des  dritten  Kursus  im 
folgenden  Jahre  zu  wiederholen. 

Gemass  dem  Beschluss  der  vorjahrigen  Generalversammlung,  durch 
welchen  der  stellvertretende  Direktor  Herr  Burckhardt  in  Verbindung  mit 
dem  Lehrerausschuss  beauftragt  wurde,  wenn  moglich  eine  Entlastung  der 
Schiiler  und  Lehrer  vorzunehmen,  fand  eine  Abanderung  des  Stundenplanes 
statt,  durch  den  namentlich  in  Obereinstimmung  mit  dem  technischen  Leiter 
des  Turnlehrerseminars,  Herrn  Wittich,  die  Stundenzahl  fiir  den  theoreti- 
schen  Turnunterricht  verringert  wurde. 

Eine  weitere  Abanderung  des  Stundenplanes  trat  am  5.  April  d.  J.  in 
Kraft.  Der  Vorstand  der  Deutsch-Englischen  Akademie  hatte  in  Wiirdigung 
hygienischer  sowohl,  als  damit  auch  in  enger  Verbindung  stehender  padago- 
gischer  Griinde  beschlossen,  den  Unterricht  in  den  wissenschaftlichen  Fachern 
auf  den  Vormittag  zu  verlegen  und  nur  den  Unterricht  in  Handarbeiten  und 


Generalversammlung  des  Lehrerseminar-Vereins.  219 

Turnen  fur  die  Oberklassen  am  Nachmittag  bestehen  zu  lassen,  den  Unter- 
klassen  dagegen  den  Nachmittag  vollstandig  freizugeben.  Da  die  Lehrkrafte 
des  Seminars  auch  in  der  Schule  tatig  sind,  erheischte  diese  Veranderung  des 
Stundenplanes  in  der  Akademie  auch  eine  solche  im  Seminar.  Mit  Genehmi- 
gung  des  Vollzugsausschusses  war  daher  fur  die  Monate  April,  Mai  und  Juni 
die  Schulzeit  so  festgesetzt,  dass  der  Hauptunterricht  von  8 — I  Uhr  in  Drei- 
viertelstunden-Sektionen  mit  zwei  Pausen  von  je  15  Minuten  stattfand,  dass 
am  Dienstag  und  Donnerstag  ebenso  wie  in  den  Oberklassen  der  Akademie — 
der  Nachmittagsunterricht  ausfiel,  an  den  drei  anderen  Schultagen  von  2 130 
— 4:45  Unterricht  vornehmlich  in  Gesang  und  Turnen  erteilt  wurde.  Diese 
Anordnung  bewahrt  sich  in  Bezug  sowohl  auf  den  Gesundheitszustand  der 
Schiiler  als  auch  auf  die  geleistete  Arbeit  vorziiglich. 

Im  Sommer  des  vorigen  Jahres  wurde  im  Daehraume  unseres  Schul- 
gebaudes  ein  Zimmer  zur  Aufnahme  der  Bibliothek  neu  angelegt.  Wahrend 
des  Jahres  unterzog  sich  Herr  Burckhardt  der  Aufgabe,  die  Biicher  von 
Schule  und  Seminar  zu  ordnen  und  zu  katalogisieren.  Dank  seinem  beharr- 
lichen  Fleisse  und  seinem  grossen  Geschick,  prasentiert  sich  unsere  Bibliothek 
nunmehr  in  prachtigster  Ordnung,  die  das  Auffinden  eines  jeden  Buches  und 
seinen  sofortigen  Gebrauch  ermoglicht. 

Eine  wertvolle  Bereicherung  erhielt  unsere  Bibliothek  in  den  letzten 
Wochen  dadurch,  dass  uns  Frl.  Klara  Kuehn  die  Bibliothek  ihres  Vaters, 
unseres  langjahrigen  Freundes  und  Mitgliedes  des  Vollzugsausschusses, 
Herrn  Ferd.  Kuehn,  iiberwies,  wofiir  ihr  der  Dank  des  Seminars  gebiihrt. 

Durch  den  Hingang  Dapprichs  war  die  Neuanstellung  einer  Lehrkraft 
notwendig  geworden.  In  Herrn  J.  Eiselmeier  gewann  die  Anstalt  einen  fur 
seinen  Beruf  begeisterten,  mit  griindlichem  Wissen  ausgestatteten  und  uner- 
miidlich  tatigen  Lehrer.  Auch  fiir  den  Zeichenunterricht  ergab  sich  die  Not- 
wendigkeit  der  Anstellung  einer  besonderen  Lehrkraft.  Frl.  Mary  D. 
Shields,  Lehrerin  des  Zeichnens  an  der  Hochschule  der  Ostseite,  iibernahm 
dieses  Unterrichtsfach  auch  im  Seminar,  wo  sie  Samstags  von  g — 11  Uhr 
tatig  war. 

Eine  Veranderung  im  Lehrpersonal  des  Seminars  tritt  mit  Ende  des 
Schuljahres  in  Kraft,  indem  Herr  E.  A.  Hall,  Lehrer  der  englischen  Sprache 
und  Literatur,  die  Anstalt  verlasst.  Herr  Hall  gehorte  ihm  5  Jahre  an,  und 
seine  Energie  und  Tatkraft,  verbunden  mit  dem  notigen  Konnen,  machten 
seine  Wirksamkeit  zu  einer  sehr  erfolgreichen.  An  seiner  Stelle  wurde  durch 
Beschluss  —  Maiversammlung  des  Vollzugsausschusses  Herr  Chas.  W.  Bab- 
cock  von  New  Haven,  Conn.,  wo  er  wahrend  des  letzten  Jahres  an  der  Hoch- 
schule unterrichtete  und  an  der  Yale-Universitat  studierte,  erwahlt. 

An  der  Weltausstellung  zu  St.  Louis  beteiHgten  sich  auch  unsere  An- 
stalten  mit  einer  Anzahl  von  Schiilerarbeiten,  die  vornehmlich  zeigen  sollen, 
wie  das  Prinzip  des  zweisprachigen  Unterrichts  durchgefiihrt  wird. 


220  Padagogische  Monatshefte. 

Dieses  Jahr  fiihrt  eine  Reihe  bedeutender  Manner  Europas  aus  Anlass 
der  Ausstellung  nach  Amerika.  So  wird  auch  Prof.  Dr.  W.  Rein  von  Jena 
erwartet,  und  es  gereicht  dem  Seminar  zur  Ehre,  diesen  bedeutendsten  Ver- 
treter  auf  dem  Gebiet  der  Piidagogik  fur  zwei  Vortrage  gewonnen  zu  haben, 
fiir  welche  vorlaufig  der  16.  und  17.  September  festgesetzt  sind. 

Nachdem  die  Herold  Co.  von  Milwaukee  zu  dem  Entschluss  gekommen, 
die  Padagogischeh  Monatshefte,  das  offizielle  Organ  des  Lehrerbundes,  nicht 
mehr  weiter  zu  fiihren,  befasste  sich  der  Vollzugsausschuss  mit  der  Frage, 
ob  das  Lehrerseminar  den  Verlag  iibernehmen  soil.  Ein  Zirkular  von  Herrn 
Abrams  und  dem  Unterzeichneten  an  die  bisherigen  Abonnenten  ausgesandt, 
brachte  eine  ganze  Reihe  von  Antworten,  die  durchweg  dem  Plane  ihre  Zu- 
stimmung  gaben  und  die  Unterstiitzung  zur  Forderung  desselben  zusagten. 
Eine  tJbernahme  der  Zeitschrift  durch  das  Lehrerseminar  vviirde  eine  nur 
heilsame  Zentralisation  der  Sache  des  deutschen  Unterrichts  in  unserem 
Lande  bedeuten,  und  ich  erlaube  mir  daher,  den  Plan  der  tJbernahme  befiir- 
wortend  zu  unterbreiten. 

Zum  Schluss  gestatte  ich  mir  noch,  den  Herren  des  Vollzugsausschusses 
und  des  Verwakungsrates  fiir  ihr  Interesse  an  dem  Wohl  und  Gedeihen  der 
Anstalt,  sowie  fiir  das  mir  erwiesene  Wohlwollen  von  ganzem  Herzen  zu 
danken.  Der  Wert  der  Kenntnis  der  deutschen  Sprache  wird  in  immer  wei- 
teren  Kreisen  anerkannt,  und  auch  die  Wichtigkeit  fiir  ihren  Beruf  tiichtig 
vorgebildeter  Lehrer  bricht  sich  im  Erziehungswesen  immer  mehr  Bahn.  Dies 
gibt  unserer  Anstalt  die  Gewahr  nicht  allein  des  Weiterbestehens,  sondern 
einer  grosseren  segensreichen  Tatigkeit  in  der  Zukunft,  vorausgesetzt,  dass 
sie  den  Anforderungen,  die  an  sie  gestellt  werden,  gerecht  wird.  Da,  wo 
Fortschritt  ist,  da  ist  Leben  —  und  auch  im  Lehrerseminar  ist  Fortschritt  Be- 
dingung  fiir  Bestand.  Mochten  die  alten  bewahrten  Krafte  uns  treu  bleiben 
und  sich  immer  neue  hinzufinden,  um  vereint  diesen  Fortschritt  zu  erstreben 
und  die  Anstalt  so  auszubauen,  dass  sie  je  mehr  und  mehr  ihrer  Aufgabe  ge- 
recht werde:  dass  sie  ein  Sarnmelplatz  fiir  alle  diejenigen  werde,  denen  die 
Pflege  unserer  schb'nen  deutschen  Sprache  am  Herzen  liegt,  dass  sie  junge 
Lehrer  und  Lehrerinnen  in  immer  grosserer  Anzahl  hinaussende,  die  nicht 
allein  mit  dem  notigen  Wissen  ausgestattet  sind,  sondern  auch  mit  der  wahren 
Begeisterung  fiir  ihren  Beruf  erfiillt  sind,  und  in  denen  der  Geist  der  Hu- 
manitat  lebendig  ist,  der  den  Menschen  aus  dem  Materialismus  zu  allem 
Wahren,  Guten  und  Schonen  erhebt. 

Ergebenst, 

Max  Griebsch. 


Generalversammlung  des  Lehrerseminar-Vereins.  221 

Bericht  des  Priifungsausschusses. 
An  den  Vorstand  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes  und 

den   Verwaltungsrat   des    Nationalen    Deutschamerikanischen    Lehrer- 

seminars. 
Geehrte  Herren: 

Die  Tatsache,  dass  nur  der  Name  eines  Mitgliedes  des  auf  dem  Erier 
Lehrertage  ernannten  Priifungsausschusses  unter  dem  nachfolgenden  Berichte 
steht,  ist  auf  den  Umstand  zuriickzufiihren,  dass  Herr  John  Eiselmeier  vor 
einigen  Monaten  in  die  Fakultat  des  Lehrerseminars  eintrat  und  Herr  Dr.  H. 
H.  Fick  eine  Ferienreise  nach  Deutschland  angetreten  hat. 

Es  darf  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,  dass  das  Seminar  seit  dem 
Dahinscheiden  unseres  unvergesslichen  Freundes  Emil  Dapprich  interi- 
mistisch  unter  der  Leitung  des  Herrn  Max  Griebsch  steht.  Es  gereicht  uns 
zur  Freude,  konstatieren  zu  konnen,  dass  diese  Erziehungsanstalt  wahrend 
des  heute  zu  Ende  gehenden  Schuljahres  im  Sinne  und  im  Geiste  des  ver- 
storbenen  Leiters  gewirkt  hat. 

Dem  Priifungsausschusse  wurden  im  Monate  Mai  die  schriftlichen  Prii- 
fungsarbeiten  der  Oberklasse  zur  Durchsicht  unterbreitet.  Diese  behandelten 
in  tJbereinstimmung  mit  den  Vorschlagen  der  Fakultat  und  des  Priifungs- 
ausschusses die  folgenden  Facher:  Aufsatz,  Literaturgeschichte,  Geschichte 
der  Padagogik,  Composition  und  Physics. 

Samtliche  Arbeiten  zeichneten  sich  durch  Sorgfalt  und  Sauberkeit  in  der 
Ausfiihrung  aus  und  zeugten  von  fleissiger,  erfolgreicher  Arbeit  seitens  der 
Schiiler  und  Lehrer  wahrend  des  Jahres. 

Auch  iiber  den  Ausfall  der  miindlichen  Priifungen,  welche  in  den 
Tagen  vom  20.  bis  zum  22.  Juni  stattfanden,  ist  Erfreuliches  zu  berichten. 
Die  vorgefiihrten  Probelektionen  bewiesen,  dass  die  jungen  Lehrer  sich  mit 
Freudigkeit  und  Ernst  fiir  die  ihnen  gestellten  Aufgaben  vorbereitet  hatten; 
sie  zeigten  Sicherheit,  Gewandtheit  und  Ruhe  in  der  Handhabung  der  ihnen 
zeitweilig  unterstellten  Schulklassen,  und  die  Fragestellung  war  in  den 
meisten  Fallen  entwickelnd  und  spracchlich  und  padagogisch  einwandfrei. 

In  einer  Vorversammlung  hatte  man  sich  ausser  den  erwahnten  Probe- 
lektionen auf  folgendes  Programm  beziiglich  der  miindlichen  Priifungen  ge- 
einigt:  Padagogik  und  Psychologic  durch  Direktor  Max  Griebsch,  Algebra 
und  deutsche  Grammatik  durch  Herrn  Oskar  Burckhardt,  englische  Litera- 
tur  durch  Herrn  E.  A.  Hall,  Physiologic  cxurch  Herrn  Paul  Gerisch,  und 
Geschichte  der  Vereinigten  Staaten  durch  Herrn  Eiselmeier.  Die  Fragen  er- 
streckten  sich  iiber  ein  weites  Gebiet  in  jedem  Fache,  die  Antworten  der 
Schiiler  waren  sicher  und  bestimmt,  inhaltlich  und  sprachlich  wohl  gegliedert 
und  berechtigen  uns  zu  dem  Urteil,  dass  die  Abiturientenklasse  des  Jahres 
1904  sich  den  besten  Hirer  Vorgiinger  wiirdig  anreiht.  Ein  Umstand,  fiir  den 
die  Leitung  des  Seminars  nicht  verantwortlich  gemacht  werden  kann,  erfiillt 


222  Padagogische  Monatshefte. 

uns  mit  Bedauern:  das  mannliche  Geschlecht  ist  unter  den  Zb'glingen  des 
Nationalen  D.  A.  Lehrerseminars  numerisch  sehr  schwach  vertreten.  Die 
Miglieder  des  Lehrerbundes  und  die  anderen  Freunde  der  Strebeziele  unserer 
Anstalt  sollten  es  sich  zur  Aufgabe  machen,  tiichtige  junge  Manner  zum 
Eintritt  in  das  Lehrerseminar  zu  bewegen. 

Indem  wir  dem  Leiter  und  den  Lehrern  des  Seminars  Dank  und  An- 
erkennung  zollen  fiir  ihr  segensreiches  Wirken  im  Dienste  der  Erziehung, 
verbleiben  wir  mit  kollegialischem  Grusse  und  Hochachtung 

Bernard  A.   Abrams,   Milwaukee. 

M.  Schmidhofer,  Chicago. 

Milwaukee,  den  22.  Juni  1904. 

Die  Ausschiisse  fiir  Priifung  der  Jahresberichte  unterbreiteten  folgende 
Beschliisse  zur  Annahme: 

1.  Mit  schmerzlichem  Bedauern  haben  wir  die  Kunde  von  dem  Dahin- 
scheiden  des  langjahrigen  Direktors  des  Lehrerseminars  vernommen.    Einer 
der  wackersten  Manner  deutscher  Abstammung,  ein  fortschrittlicher,  fiir 
seinen  Beruf  begeisterter  Erzieher  und  Lehrer,  ein  edler  Mensch  schied  mit 
Emil  Dapprich  allzufriih  von  dem  ihm  so  teuren  Wirkungsfelde.   Wir  ver- 
sichern  hiermit  der  Familie  unseres  verewigten  Freundes  unser  inniges  Beileid 
und  sprechen  dem  Vollziehungsausschusse  Dank  und  Gutheissung  aus  fiir 
alle  von  ihm  zur  Ehrung  des  Andenkens  unseres  verstorbenen  Direktors  ge- 
troffenen  Massregeln. 

2.  Wir  ersehen  aus  dem  Bericht  des  Sekretars,  dass  auch  das  letzte 
Rechnungsjahr  des  Seminars  mit  einem  Defizit  abschliesst.    Wir  empfehlen 
dem  Verwaltungsrat  dringend,  durch  rege  Agitation  eine  Vermehrung  des 
Stammkapitals  herbeizufiihren. 

3.  Die  Jahresversammlung  ist  der  Ansicht,  dass  die  Weiterfuhrung  der 
Padagogischen  Monatshefte  im  Interesse  der  Ziele  unserer  Kb'rperschaft  von 
hoher  Wichtigkeit  ist.    Sie  erkliirt  sich  im  Prinzip  mit  dem  Plane,  die  Mo- 
natsschrift  unter  der  Agide  und  der  finanziellen  Verantwortung  des  Lehrer- 
seminars weiterzufiihren,  einverstanden.    Sie  verweist  hiermit  diese  Ange- 
legenheit  an  den  neuen  Verwaltungsrat  mit  dem  Auftrage,  den  Plan  und 
dessen  Ausfiihrbarkeit  sorgfaltig  zu  priifen  und  nach  bestem  Ermessen  zu 
handeln. 

4.  Die  Jahresversammlung  driickt  hiermit  ihr  Bedauern  aus,  dass  der 
verdienstvolle  President,  Herr  Dr.  Louis  F.  Frank,  eine  Wiederwahl  ent- 
schieden  ablehnt.   Sie  spricht  jedoch  die  Hoffnung  aus,  dass  seine  wertvollen 
Dienste  der  Anstalt  nicht  entzogen  werden. 

5.  Wir  schliessen  uns  dem  Vollziehungsausschusse  an,  indem  wir  dem 
Seminarlehrer  Oskar  Burckhardt  herzlich  danken   fiir  die  Opfer  an  Zeit 


Generalversammlung  des  Lehrerseminar-Vereins.  223 

und  Miihe,  die  er  auf  die  Ordnung  der  Biicher  des  Lehrerserainars  ver- 
wandt  hat. 

Fiir  die  Uberweisung  der  Bibliothek  ihres  verewigten  Vaters  gebiihrt 
Frl.  Klara  Kuehn  der  herzliche  Dank  der  Versammlung. 
Diese  Empfehlungen  wurden  gutgeheissen. 

Vertretung  in  St.  Louis. 

Herr  C.  O.  Schonrich  von  Baltimore,  Md.,  machte  die  Delegaten  auf 
die  am  16.  und  17.  September  in  St.  Louis  stattfindende  Konvention  der  Ger- 
manischen  Vb'lker  aufmerksam,  zu  der  man  von  Europa  zahlreichen  Besuch 
erwarte.  Er  wiinschte  auch  das  Nationale  Deutschamerikanische  Lehrer- 
seminar  auf  derselben  offiziell  vertreten  zu  sehen,  und  solle  dort  auch  wo- 
moglich  ein  Vortrag  iiber  das  Deutschamerikanische  Lehrerseminar  gehal- 
ten  werden.  Auf  den  Antrag  von  Prof.  B.  A.  Abrams  wurde  der  Wunsch 
des  Herrn  Schonrich  zum  Beschlusse  erhoben,  sodass  die  Milvvaukeer  Lehr- 
anstalt  in  St.  Louis  offiziell  vertreten  sein  wird. 

Der  Nominationsausschuss,  dem  die  Herren  Wm.  J.  Krauthofer,  Chas. 
F.  Ringer  und  Paul  Gerisch  angehorten,  brachte  die  folgenden  Herren  in 
Vorschlag:  Gottlieb  Miiller  und  John  Schwab  von  Cincinnati,  O.,  Dr.  Louis 
F.  Frank  und  Dr.  Joseph  Schneider  von  Milwaukee  und  Prof.  Otto  Heller 
von  St.  Louis. 

Die  Vorgeschlagenen  wurden  einstimmig  erwahlt.  In  einer  unmittel- 
bar  darauffolgenden  Sitzung  organisierte  sich  der  Verwaltungsrat  wie  folgt: 

President:  Dr.  Louis  F.  Frank. 
Vize-Prasident :  Fred.  Vogel  jr. 
Schatzmeister :  Albert  O.  Trostel. 
Sekretar:  Albert  Wallber. 

Finanzausschuss :  Fred.  Vogel,  jr.,  Karl  Penshorn. 
Lehrerausschuss :  Bernard  A.  Abrams,  Prof.  Otto  Heller,  St.  Louis, 
Louis  Schutt,  Chicago. 

Herr  Max  Griebsch  wurde  einstimmig  auf  3  Jahre  als  Direktor  er- 
wahlt. 

Der  Bericht  des  Schatzmeisters  Albert  O.  Trostel,  ergab:  Einnahmen 
$9,102.38;  Ausgaben,  $11,247.53;  Defizit,  $2,145.15. 

Albert  Wallber, 

Sekretar. 


Das  Kind  in  der  Literatur. 


(Aus  der  Schweizerischen  Lehrerzeitung.) 


Von  L.  von  Dobrzynska. 


Das  Gebiet  der  Literatur  hat  sich  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  be- 
trachtlich  erweitert.  Es  sind  so  tiefgreifende,  geheimnisvolle  Geisteszustande 
ans  Tageslicht  gefordert  und  zum  Ausdruck  gebracht  worden,  dass  Kunst- 
werlje  wie  diejenigen  eines  Dehmel,  Schlaf,  Hauptmann,  Gorki,  Przybys- 
zewski,  d'Annunzio  nicht  nur  Offenbarungen  fiir  die  Kunst  sind,  sondern 
auch  als  wissenschaftliche  Vorarbeiten  der  Psychologic  gelten  konnen.  Sie 
erschliessen  Gefuhlszustande,  die  aus  den  bis  jetzt  unerforschten  Grenzge- 
bieten  herriihren,  wo  Geist  und  Korper  zusammentreten,  sich  unterstiitzen, 
bekampfen  oder  ewig  peinigen. 

Der  Mensch  begegnet  nicht  mehr  dem  Leben  als  Dulder  oder  Lenker 
unerwartet  eintretender  Ereignisse ;  er  wird  stets  als  der  Urheber  des  Lebens 
und  seiner  Zufalligkeiten  gezeigt.  —  Wir  erfahren  nicht  nur,  ,,wie"  das 
Dasein  und  die  Menschen  sind  —  sondern  ,,warum"  sie  so  sind,  welchen  An- 
teil  jede  Individualitat  an  diesem  ,,warum"  hat,  wie  jede  Tat  aufgebaut  wird, 
durch  alle  Stadien,  vom  ersten  Eindruck  oder  Gefiihl  an  bis  zur  letzten,  in 
die  aussere  Handlung  sich  gestaltenden,  definitiven  Aufregung.  Diese  Analyse 
ist  das  Grossartige  der  modernen  Kunst. 

Und  nicht  genug,  dass  der  reife  Mensch  unter  jenem  Skalpell  der  ge- 
nauen  Beobachtung  seine  Seele  vollstandig  enthiillen  muss;  auch  das  Kind 
wird  herangezogen  und  an  ihm  festgestellt,  welche  Elemente  des  Mannes 
oder  der  Frau  im  Knaben  und  Madchen  schon  vorhanden  sind  und  als  Trieb- 
feder  des  kindlichen,  ausseren  Wesens. gelten  konnen. 

Die  Kleinen  haben  seit  langen  Zeiten  her  den  Dichtern  ein  nie  seine 
Wirkung  verfehlendes,  kiinstlerisches  Mittel  geboten. 

Das  Kind  war  das  unschuldige,  gedankenschwache,  gefiihlvolle,  phan- 
tasiereiche,  nach  Liebkosung  und  lustigem  Spiel  lechzende  Geschopf,  wie  es 
Viktor  Hugo  in  zahlreichen  Gedichten  besungen  hat.  Es  war  sein  Recht, 
absolut  sorglos  zu  leben,  von  den  Verirrungen,  Kampfen,  Konflikten  des 
reiferen  Alters  keine  Ahnung  zu  haben,  iiberhaupt  ein  tibergangsglied  zwi- 
schen  Engel  und  Menschen  zu  bilden,  eher  mit  dem  ersten  als  dem  zweiten 
verwandt.  —  Diese  Vorstellung  vom  Kinde,  die  noch  bei  alien  Grossmiittern 
und  bei  mancher  Mama  des  XX.  Jahrhunderts  unversehrt  fortlebt,  war  bis 
in  die  letzten  Jahrzehnte  auch  der  Standpunkt  der  Literatur.  Der  Schrift- 
steller  oder  Dichter  brauchte  dann  nur  jenen  unschuldigen,  sich  selbst  unbe- 
wussten  Engel  dem  Leben  in  die  rohen  Klauen  zu  werfen,  ihn  von  Abenteuer 
zu  Abenteuer  zu  fiihren  —  und  der  Erfolg  war  gesichert. 


Das  Kind  in  der  Literatur.  225 

Und  wenn  ich  den  Sachverhalt  so  darstelle,  will  ich  gar  nicht  dariiber 
scherzen.  Ich  verdanke  dieser  Methode  viele  tiefe  und  erschopfende  Ein- 
driicke. 

Wer  in  Shakespeares  ,,Kb'nig  Johann"  die  Szene  gelesen  hat,  wo  der 
zwblfjahrige  Arthur  von  Bretagne  durch  seine  Klagen  und  Bitten  den  Hen- 
ker  dazu  bringt,  ihn  unversehrt  zu  lassen  —  wo  jener  ihm  die  Augen  aus- 
brennen  sollte  — ;  wer  mit  den  Kindergestalten  Dickensscher  Romane,  einem 
Oliver  Twist,  David  Copperfield,  Paul  Dombey  mitgefiihlt;  die  Schicksale 
des  kleinen  Remy  in  Malots  ,,Sans  Famille",  oder  des  Daudetschen  ,,Petit 
Chose"  verfolgt,  die  Anfangskapitel  des  ,,Homme  qui  rit"  von  Viktor  Hugo 
bewundert  und  seine  Cosette  in  den  ,,Miserables"  liebgewonnen,  hat  das 
Dramatische  und  Liebliche  dieser  Schopfungen  nicht  genug  bewundern  kon- 
nen  —  und  wird  sie  noch  jetzt  schatzen  miissen,  obgleich  er  in  dieser  Hinsicht 
etwas  Besseres  kennt. 

Denn  leugnen  kann  man  es  nicht :  die  moderne  Behandlung  des  Kindes 
in  der  Literatur  bezeichnet  einen  grossen  Fortschritt.  Es  wird  vor  allem  der 
Wahrheit  ein  gerechter  Tribut  gezollt.  Das  Kind  ist  nicht  mehr  das  Ge- 
schopf,  das  mit  dem  zukiinftigen  Menschen  keinen  sichtbaren  Zusammenhang 
aufweist  —  ganz  besonders  nur  ihm  zukommende  Gefiihle,  Urteile  und  Be- 
gehrungen  hat,  das  Kind  ist  jetzt  der  kleine  Mensch.  Das  Leben,  mit  dem 
es  zusammentritt,  bildet  alle  in  der  Seele  niedergelegten  Keime,  und  dank 
der  Kunst  wird  der  bisher  geheime  Entwicklungsprozess  sichtbar ;  die  Hiillen 
des  Samenkornleins  sind  behutsam  gehoben,  man  sieht  den  Baum  wachsen. 

So  hebt  Peter  Altenberg,  der  grosse  Wiener  Meister,  in  mehreren  seiner 
Skizzen  aus  der  Sammlung  ,,Wie  ich  es  sehe"  eine  Seite  der  Madchenseele 
hervor,  in  der  sich  die  zukiinftige  Frau  kundgibt.  Mit  ein  paar  Zeilen  meis- 
selt  er  seine  Gestalten  wie  aus  Marmor.  —  Die  kleinen  Miidchen  mit  langen 
Locken  und  stimmungsvollen  Kleidchen  bewahren  ihre  ganze  kindliche 
Naivitat.  Wie  er  sie  zu  belauschen  versteht!  Hier  schildert  er  ein  winziges, 
siebenjahriges  Ding,  das  hinausgegangen  ist  in  die  Fruhlingssonne,  es  will 
nicht  spielen,  sondern  sitzt  und  schaut  in  den  blauen  Himmel,  die  Friihlings- 
diifte  einatmend  —  eine  sich  noch  unbewusste,  aber  tiefe  Kiinsilerseele.  — 
Dort  sieht  er  von  einer  Hotelterrasse  einer  Zwolfjahrigen  zu,  die  mit  fliegen- 
dem  Haar  und  vor  Freude  gerotetem  Gesichtchen  am  Gartenteich  steht  und 
angelt.  Es  wirft  die  kleinen,  goldenen  Fischlein,  die  es  herauszieht,  auf  den 
weichen  Sand.  Die  Fischlein  verenden  nach  kurzem  Todeskampf  —  das 
Kind  kummert  sich  um  ihre  Qual  nicht.  Alte  Damen  schelten  liber  diese 
Grausamkeit.  Der  Dichter  lacht  und  ruft:  ,,Angle,  Kind,  —  bis  die  Zeit 
kommt,  wo  du  Herzen  so  angeln  wirst,  du  Liebliche,  Grausame  —  du 
Konigin !" 

Die  Grausamkeit  der  Frau  erschreckt  ihn  nicht.  Der  Mann  soil  Konig 
sein,  der  bettelt  bei  einer  Konigin,  .und  nicht  ein  Bettler  —  der  Konig  bei 


226  Padagogische  Monatshefte. 

einer  Bettlerin  ist.  Seine  Kleinen  sind  auch  immer  stolz,  aber  wie  liebevoll 
zugleich !  —  ,,Der  Mann  hat  eine  Liebe  —  die  Welt,  die  Frau  eine  Welt  — 
die  Liebe,"  meint  Altenberg,  und  die  jungen  Seelen,  die  er  heraufbeschwort, 
haben  alle  schon  jene  traumerische  Sehnsucht,  zu  verstehen,  zu  fiihlen  — 
sich  hinzugcben.  So  das  Magdlein,  das  gewissenhaft  ihre  Klavieriibungen 
halt  und  sich  zugleich  stark  wundert,  wie  es  doch  sonderbar  ist,  dass  sie  bei 
gewissen  Akkorden  immer  an  den  jungen  Hausfreund  denken  muss,  dessen 
Seele,  ihrem  Urteil  nach,  diesem  Akkord  so  sehr  ahnlich  sei.  —  Sie  fragt  den 
Jiingling  um  Erklarung.  Er  steht  betroffen  vor  dem  tiefen  Gemiit  dieser 
Zwolfjahrigen  und  denkt:  ,,Wie  wird  einst  diese  in  den  Seelen  zu  dichten 
verstehen,  wie  wird  sie  eine  jener  Frauen  werden,  die  nicht  das  sind,  was  sie 
sind,  sondern  das,  was  sie  im  Manne  dichten,  Dichter  und  Dichtung,  des 
Liedes  Sanger  und  das  Lied  zugleich." 

Von  den  beiden  braunlockigen  Schwesterchen  tont  jede  gleichsam  die 
Melodic  ihres  Wesens  aus.  Die  eine  unterhalt  sich  am  liebsten  mit  Hrn. 
Altenberg,  die  andere  hat  nur  Ohr  und  Auge  fur  Blumen  und  Baume;  jene 
eine  zukiinftige  Frau  —  diese  einsame  Kiinstlerin. 

Die  Zartheit,  Lieblichkeit,  Beredsamkeit  dieser  Kindertypen  lasst  sich 
nicht  in  einem  fliichtigen  Feuilleton  wiedergeben.  Man  muss  das  Buch  lesen. 

Ein  Gegenteil  zu  Altenberg  ist  Gorkie  in  vielen  seiner  Werke,  besonders 
aber  in  seinem  Roman  ,,Die  drei  Menschen".  Diese  ,,drei  Menschen"  sind 
drei  kleine  Knaben:  Ilja  Lunew,  Paschka  Gratschew  und  Jakob  Filimonow. 
Das  Milieu,  in  dem  sie  aufwachsen,  ist  dasselbe,  wie  in  ,, Oliver  Twist",  d.  h. 
die  niedrigsten  Volksklassen.  Dunkle  Kellerraume  dienen  als  Wohnung  und 
schmutzige  Hofe  und  noch  schmutzigere  Strassen  als  Spielplatz.  Um  sich  her 
sehen  die  Kinder  nur  Ausschweifung,  Betrug,  Luge.  In  der  Schule  lernen  sie 
zwar  lesen,  schreiben  und  rechnen  —  aber  von  Religion,  Moral,  Weltan- 
schauung keine  Spur.  Ganz  ihrer  eigenen  Natur  iiberlassen,  so  dass  Rousseaus 
Herz  in  Wonne  hatte  dariiber  aufgehen  kb'nnen,  —  verstehen  die  Kinder  den 
Sumpf,  der  sie  umgibt,  nicht  —  und  ihr  ganzes  Streben  geht  darauf  hin,  sich 
ein  reines,  asthetisches  Dasein  zu  verschaffen.  Besonders  strebsam  ist  der  be- 
gabte,  lebenslustige  Ilja. 

Da  bekommt  er  Dinge  zu  sehen,  die  liber  sein  Verstandnis  reichen.  Das 
Bose  siegt  iiber  das  Gute  in  der  Weise,  dass  er  an  Gott  zweifelt.  In  der  Liebe 
und  dem  Schaffen  hofft  er  eine  Zuflucht  zu  finden,  sein  ungeschulter  Geist 
kann  aber  nicht  die  richtigen  Mittel  wahlen,  um  Menschenherzen  zu  ge- 
winnen,  seine  Arbeit  ertragsvoll  zu  machen.  Ein  grossartiger  Kampf  beginnt 
zwischen  dem,  seine  Mangel  immer  starker  fiihlenden  Verstande  und  dem 
immer  vervvorrener  werdenden  Leben.  Die  Leidenschaf ten  wachsen ;  Misse- 
tat  hauft  sich  auf  Missetat  —  alien  Vorsatzen,  alien  Versuchen  eines  Besseren 
zum  Trotz.  —  Der  gepeinigte  Geist  verlangt  nach  Befreiung,  und  wenn  der 
?,ur  Verzvveiflung  getriebene  Ilja  sich  an  einer  Mauer  den  Schadel  einschlagt 


Das  Kind  in  der  Literatur.  227 

mit  dem  Rufe:  ,,Flieg  Seele"  —  so  bleibt  man  vor  dieser  markerschiitternden, 
inneren  Tragodie  bestiirzt  stehen,  wie  vor  einem  machtigen  Sj-mbol  jenes, 
die  Gesellschaft  zerfressenden  Cbels  der  falschen  oder  mangelnden  Begriffe, 
an  dem  so  unzahlige  Existenzen  zugrunde  gehen.  —  Und  nicht  nur  daran. 

Es  miissen  auch  Menschen  untergehen,  wenn  sie  nach  zu  hoch  gestellten 
Idealen  greifen.  ,,Der  Kinderkreuzzug"  Schwobs  1st  eine  Versinnlichung  die- 
ser Wahrheit.  Die  Modernen  gebrauchen  das  Kind  nicht  nur  als  grund- 
legendes  Studium  der  Psychologic  der  Erwachsenen  —  sondern  ebenso  oft 
zum  Symbolisieren.  Schwob  gebiihrt  darin  die  Siegespalme.  Selten  wird  die 
siisse  Zuversicht,  Menschenliebe,  geduldige  Aufopferung,  Unvorsichtigkeit, 
gefiihlvolle  Phantasie  des  Idealisten  so  schlicht  und  doch  ergreifend  dargelegt, 
wie  in  den  Erzahlungen  der  kleinen  Alix  und  ihrer  Gefahrten,  die  nach  Jeru- 
salem wandern,  um  das  heilige  Grab  zu  befreien. 

Dass  die  Auffassung  des  Kindes,  wie  sie  in  diesen  Werken  vorkommt, 
keine  kiinstlerische  Abstraktion,  sondern  aus  der  Erfahrung  herausgeschalter 
Eindruck  ist,  beweisen  Versuche  von  Nicht-Kiinstlern,  auf  dieselbe  Weise 
zu  verfahren,  d.  h.  die  zu  einer  Tat  sich  verschmelzenden  Gefiihle  und  Ge- 
danken  bis  auf  ihren  Ursprung  zu  verfolgen  und  Ziige  der  allgemein  mensch- 
lichen  Psychologic  im  Kinde  zu  unterstreichen.  —  Die  Ergebnisse  zeigen  sich 
als  hochst  befriedigend.  Lou  Andreas-Salome  verdankt  dieser  Methode  das 
psychologisch  iiberaus  reiche,  neue  und  ergreifende  Material,  welches  aus 
ihrer  Novellensammlung  ,,Im  Zwischenland"  eine  hervorragende  Leistung 
macht,  trotz  der  hochst  mangelhaften,  durch  weitschweifige  Schilderungen 
und  iiberflussige  Gesprache  entstellten  Form. 

Ihre  Kindergestalten  weisen  einfach  herrliche  Momente  auf. 

Die  unbewussten  und  halbbewussten  Assoziationsprozesse,  aus  denen 
Affekte  entstehen,  die  Wendepunkte  im  geistigen  Dasein  des  Kindes  bilden, 
sind  mit  einer  Feinheit  und  Wahrheit  geschildert,  welche  nichts  zu  wiinschen 
iibrig  lasst.  —  Nicht  minder  der  gewaltige  Zwang  der  fortschreitenden  Ent- 
wicklung.  Er  fiihrt  trotz  ihres  Willens  und  oft  auf  miihsamem,  dornenvollem 
Wege  die  Kleinen  aus  dem  sonnigen  Lande  der  Kindheit  in  das  sturmbevvegte 
Konigreich  der  Jugend  hiniiber  und  wirft  einen  tragischen  Schein  auf  sie. 

Die  so  grausam  missverstandete  Ubergangszeit  vom  Kind  zum  Backfisch 
wird  hier  vielleicht  zum  erstenmal  ins  richtige  Licht  gestellt.  Wer  je  die 
Unbesonnenheit  begangen  hat,  iiber  die  herannahenden  Kinder  und  ihre  sich 
so  oft  unangenehm  aussernden  seelischen  Umwalzungen  zu  schelten  oder  zu 
lachen,  mag  die  Heldinnen  von  Lou  Salomes  ,,Im  Zwischenland"  kennen 
lernen,  und  es  wird  ihm  wohl  die  Lust  vergehen,  fliichtig  iiber  die  kindlichen 
inneren  Kampfe  hinwegzugehen.  Helfen  muss  man  hier,  nicht  ziirnen  oder 
t-cherzen. 

Ungeschickte  Behandlung,   ein   gedankenloses  Spott-  oder  Scheltvvort 


228  Padagogische  Monatshefte. 

kann  das  ausserordentlich  stark  in  die  Hohe  schiessende  jugendliche  Gedan- 
ken-  und  Gefiihlsleben  knicken,  es  dazu  zwingen,  sich  in  die  tiefsten  Tiefen 
der  Seele  zusammenzuknicken,  zu  verkriechen,  dort  zu  verderben,  um  den 
schlammigen  Boden  zukiinftiger  Entartung  zu  bilden. 


Aufbau  im  Sprachunterricht. 


(Oesterreichischer  Schulbote.) 


Von  Julia  Pulitzer,  k.  k.  Uebungsschullehrerin  in  Linz,  a.  D. 


Von  dem  Satze  ausgehend,  dass  der  Gebrauch  der  Sprache  das  Gebiet 
sei,  das  im  Sprachunterricht  die  moglichste  Beriicksichtigung  und  zielbe- 
wussten  Auf-  und  Ausbau  zu  erfahren  habe,  suchen  wir  jene  Teile  der 
Sprachlehre  heraus,  die  erfahrungsgemass  am  meisten  gegen  den  Anprall  der 
teils  vernachlassigten,  teils  fehlerhaften  Umgangssprache  geschiitzt  werden 
miissen.  Ein  solches,  vielen  Angriffen  ausgesetztes  Kapitel  ist  die  Rektion 
der  Zeitworter. 

Was  hier  zu  lehren,  vor  allem  zu  iiben  ist,  liegt  vollstandig  im  gewohn- 
heitsmassigen  Denken  und  Sprechen.  Regeln  aufzustellen,  ist  selbst  fiir  die 
Oberstufe  schwer  und  nicht  lohnend.  Eine  Durchsicht  von  Lehrbiichern  der 
Grammatik  wird  den  Lehrer  bald  zu  dem  Ergebnis  fiihren,  dass  hier  mit 
Grammatik  im  engeren  Sinne  nichts  erreicht  werden  kann.  Was  sollen  Kin- 
der damit  anfangen,  wenn  man  sie  lehren  wollte,  der  Akkusativ  bezeichne 
das  nachste  Ziel  der  Tatigkeit,  der  Dativ  ein  entfernteres.  Und  selbst  wenn 
man  Regeln  aufstellen  wollte,  zeigen  dieselben  nichts  anderes,  als  dass  sie 
unbestimmt  und  schwankend  sind.  Nach  welcher  Regel  soil  man  unterschei- 
den,  warum  der  Jager  den  Hund  jagt,  der  Hund  demselben  nachjagt,  dabei 
aber  ihn  verfolgt.  Wenn  Grammatiker  behaupten,  der  Dativ  werde  nach 
Zeitwortern  gesetzt,  die  trennbar  zusammengsetzt  sind,  so  frage  ich,  warum 
kann  ich  dich  suchen  und  ebenso  dich  aufsuchen. 

Es  hiesse  Wasser  mit  Sieben  schopfen,  wollte  man  sich  in  der  Volks- 
schule  und  namentlich  in  der  Unter-  und  Mittelklasse  mit  grammatischen 
Regeln  heifen.  Nichts  anderes  als  Gewohnheit  und  Ubung  konnen  eine  feste 
Grundlage  fiir  korrektes  Sprechen  und  Schreiben  schaffen,  und  zwar  Ubung 
beim  Lese-  und  Schreibunterricht,  in  den  sehr  ernst  zu  nehmenden  Memorier- 
und  Erzahliibungen  und  haufiges  Erkennenlassen  der  durch  die  Falle  der 
Haupt-  und  Fiirworter  ausgedriickten  Beziehungen.  Dass  bei  entsprechen- 
der  Erziehung  und  Aufmerksamkeit  das  Sprachgefiihl  bald  vorhanden  und 
die  Einsicht  in  die  Beziehungen  der  Satzglieder  selbst  im  zarteren  Alter 


Aufbau  im  Sprachunterricht.  229 

moglich  sind,  erlebte  fch  an  Kindern,  die  in  richtiger  Umgangssprache  auf- 
wuchsen.  So  las  ein  siebenjahriger  Knabe  die  Aufschrift:  ,,Eingang  im  Gast- 
garten."  —  ,,Ist  denn  der  Eingang  drin  im  Garten?"  fragte  das  Kind.  Aller- 
dings  war  sein  Sprachgefiihl  nicht  irre  gemacht  worden,  Hatten  wir  iiber- 
haupt  nicht  mit  angewohnten  Fiigungen  wie:  ,,Ich  habe  ihm  gesehen,"  — 
,,ihm  gefragt"  —  ,,die  Wasche  im  Kasten  gelegt"  u.  s.  w.  zu  kampfen,  so 
ware  die  Arbeit  in  der  Schule  weniger  entmutigend.  So  treten  die  Dativ- 
Unarten  gerade  erst  im  spateren,  schulpflichtigen  Alter  auf,  wenn  die  Frei- 
schreibiibungen  beginnen,  da  ja  dann  der  durch  den  Familiendialekt  ange- 
wb'hnte  Sprachgebrauch  erst  recht  seine  zwingende  Macht  ausiibt.  Und  ich 
muss  leider  bekennen,  dass  es  mir  bei  aller  Sorgfalt  und  Miihe  nicht  gelungen 
ist,  Vorstosse  gegen  die  Rektion,  die  einem  oft  einen  Faustschlag  versetzen, 
vollstandig  auszurotten.  Indessen  darf  man'  doch  den  Mut  nicht  verlieren 
und  muss  in  der  angedeuteten  Richtung  so  bald  als  moglich  den  Kampf  gegen 
die  Nachlassigkeit  des  Sprechens  und  die  Fliichtigkeit  des  Denkens  auf- 
nehmen. 

Die  Lehrplane  verlangen  auf  der  Unterstufe  den  einfachen  Satz.  Da- 
durch  wird  man  leicht  veranlasst,  die  Sprachiibungen,  miindliche  sowohl  als 
schriftliche,  auf  den  einfachen  Satz  zurechtzuschneiden.  Es  werden  also  ein- 
fache  Satze  geiibt,  die  nur  die  verschiedenen  Pradikatsformen  enthalten.  Das 
Kind  wird  im  I.  un'd  2.  Schuljahre  verbal  ten,  in  ganzen  Satzreihen  auszu- 
sagen,  was  das  Subjekt  tue,  wie  es  sei,  was  es  sei,  was  mit  ihm  getan  werde. 
Dabei  werden  aber  in  dem  empfanglichsten  Alter,  in  der  Zeit  der  bildsamsten 
Sprechfahigkeit  der  3.  und  4.  Fall  vermieden.  Und  das  sollte  nicht  sein. 
Man  wende  nicht  ein,  das  sechs-  bis  siebenjiihrige  Kind  sei  noch  zu  unreif 
dazu.  Man  lausche  nur,  wie  so  oft  schon  betont  wurde,  der  Lehrmeisterin 
Natur  und  horche,  was  das  Kind  auf  seinen  Spielplatzen,  was  es  unter  seines 
gleichen  spricht.  Es  wird  ihm  nicht  einfallen,  nur  in  einfachen  Satzen  zu 
sprechen.  Langst  schon  hat  es  den  Begriff  der  zielenden  Zeitworter.  Es 
verlangt,  es  bittet,  es  nimmt,  es  gibt,  es  schenkt,  und  lasst  sich  beschenken. 
Karl  fangt  seinen  Bruder  und  versetzt  ihm  einen  Hieb,  Marie  behiitet  den 
kleinen  Bruder  und  fiihrt  ihn  zur  Schule,  sie  erhalt  den  Apfel  und  verspeist 
ihn  —  lauter  Beziehungen,  die  den  Kindern  gelaufig  und  vertraut  sind  und 
fiir  die  sie  auch  den  richtigen  Ausdruck  finden  werden,  insofern  er  nur  auch 
richtig  gepflegt  wird. 

Im  Anschauungsunterricht  und  in  den  Erzahlungen  finden  wir  in  der 
Elementarklasse  reichlich  Gelegenheit,  die  Sprechiibungen  so  vorzunehmen, 
dass  der  3.  und  4.  Fall  der  Haupt-  und  Fiirworter  zur  Einiibung  gelangt, 
lang  bevor  er  grammatikalisch  behandelt  werden  kann. 

Ich  setze  voraus,  dass  der  anlehnende  Sprachunterricht  seine  Geltung  be- 
halte,  hoffe  dabei  eine  Wiedergeburt  unserer  Lesebiicher  und  lasse  hier  einige 


230  Padagogische  Monatshefte. 

Beispfele  folgen,  die  zeigen  sollen,  welche  Sprachiibungen,  sowohl  miindliche 
als  schriftliche,  sich  aus  dem  Anschauungs-  und  Lesestoff  ergeben  konnen. 

2.  Schuljahr. 

Lesebuch  des  k.  k.  Schulbiicherverlages.   II.  Teil. 

Grundlage :  2O.  Der  grosse  Tisch. 

Anschauungsstef? :  Was  Menschen  und  Tiere  essen.*) 

Einiibung  des  4.  Falles. 

Anna  und  Hermann  assen  die  Suppe,  das  Brot,  den  Braten,  die  Kar- 
toffeln,  den  Apfel.  Die  Mutter  hatte  den  Tisch  gedeckt;  der  Vater  hatte 
versprochen,  einen  anderen  gedeckten  Tisch  zu  zeigen.  Er  zeigte  das  Feld, 
die  Wiese,  den  Wald  und  den  Berg.  Die  Bienen  suchten  Honig,  die  Spatzen 
schmausten  die  Kirschen,  die  Schwalbe  ring  eine  Miicke  nach  der  anderen,  der 
Hase  frass  den  Kohl  auf  dem  Felde,  die  Schafe  weideten  das  Gras  ab  und 
die  Kinder  suchten  und  fanden  Erdbeeren. 

Zur  EinVibung  des  3.  Falles  (miindlich  und  schriftlich). 

Die  Mutter  gab  den  Kindern  die  Speisen.  Sie  reichte  dem  Knaben  und 
dem  Madchen  ein  Stiick  Brot.  Die  Kinder  dankten  dem  Vater  und  der 
Mutter.  Spater  zeigte  der  Vater  den  Kindern  das  Feld, .die  Wiese,  den  Wald 
und  den  Berg.  Er  hatte  seinem  Sohne  und  seiner  Tochter  einen  Spaziergang 
versprochen.  Damit  machte  er  seinen  Lieblingen  eine  grosse  Freude. 

4.  Fall.    (Das  Furwort  ,,ihn".) 
Grundlage:  33.  Set  versohnlich. 

Josef  begleitete  seinen  Mitschiiler  Franz.  Er  \vurde  zornig  und  stiess 
ihn  und  schlug  ihn ;  dann  aber  wurde  er  angstlich  und  bat  ihn  um  Verzeihung. 
Er  wollte  ihn  nimmer  schlagen  und  stossen. 

NB.    Es  ist  aufzufassen,  wer  mit  dem  Worte  ,,ihn"  gemeint  sei. 
3.  Fall.    (Das  Fiirwort  t,ihm".) 

Josef  zeigte  seinem  Mitschiiler  Franz  seine  Aufgabe.  Die  gefiel  dem 
ordentlichen  Knaben  nicht.  Da  wurde  Josef  zornig,  riss  ihm  die  Schrift  weg, 
gab  ihm  Stosse  und  versetzte  ihm  einen  Hieb.  Franz  drohte  ihm,  er  werde 
ihn  verklagen.  Anfanglich  trotzte  Josef  dem  friedfertigen  Franz,  dann  aber 
sah  er  sein  Unrecht  ein  und  bat  um  Verzeihung.  Franz  verzieh  ihm  auch, 
reichte  ihm  die  Hand  und  versprach  ihm,  er  werde  dem  Herrn  Lehrer  von 
dem  Streite  nichts  sagen. 


*)  Das  Zeitwort  ,, essen"  ist  sehr  wertvoll  als  Typus  des  zielenden  Zeit- 
wortes. 


Aufbau  im  Sprachunterricht.  231 

3.  Fall  der  Mehrzahl.    (Einubung  der  Endung  t,n".) 

Grundlage :  93.  Die  Haustiere. 

Was  den  Tieren  schmeckt. 

Franz  ist  bei  einem  Bauersmann  gewesen,  der  hat  ihm  seinen  Hof  und 
seine  Tiere  gezeigt.  Franz  ist  ein  Tierfreund  und  bringt  den  Tieren  etwas 
mit.  Den  Hunden  reicht  er  ein  Stiickchen  Fleisch,  den  Katzen  stellt  er  ein 
Schalchen  Milch  auf  den  Boden,  den  Kiihen,  den  Kalbern,  den  Ochsen 
pfliickt  er  Gras  und  gibt  es  ihnen.  Den  Enten  macht  er  mit  Disteln  Freude, 
den  Schafen  und  den  Ziegen  mit  einem  Stiickchen  Brot.  Den  Schweinen 
schiittet  er  saure  Milch  in  den  Trog.  Den  Hiihnern,  den  Tauben,  den  Enten 
und  Gansen  streut  er  Hafer  und  Mais  in  den  Hof.  Den  Pferden  gibf  er 
Zucker.  Die  Tiere  kennen  ihn  und  folgen  ihm  nach,  sobald  sie  ihn  erblicken. 
Anders  konnen  sie  ihm  nicht  danken. 

3.  Fall.    (Das  Furwort  ,,ihnen".) 

Grundlage:  74.  Sei  bescheiden  und  geniigsam! 

(Nach  Chr.  Schmid.) 

Ein  reicher  Mann  liess  die  armsten  Kinder  zu  sich  kommen.  Er  sagte 
ihnen,  sie  mogen  sich  Brot  nehmen.  Es  liege  in  einem  Korbe,  den  er  fiir  sie 
habe  fiillen  lassen.  Er  schenkte  ihnen  das  Brot.  —  Wenn  die  Kinder  Brot 
holten,  sah  er  ihnen  zu.  Da  bemerkte  er  unter  ihnen  viele  unbescheidene,  ja 
undankbare  Kinder.  Nur  eines  fiel  ihm  unter  ihnen  wegen  seiner  Bescheiden- 
heit  auf.  Das  war  die  kleine  Hedwig.  Er  belohnte  sie  auch,  wie  ihr  wisst. 

*  #       * 

Nicht  ohne  Absicht  haben  diese  Ubungen  eine  gevvisse  materielle  Grund- 
lage. Aber  man  ist  bei  Zeitwortern  wie  essen,  schlagen,  stossen  etc.  des  vollen 
Verstandnisses  der  Beziehungen  des  Pradikats  sicher.  Man  wird  nicht  ver- 
saumen,  bei  den  notwendigen  Entwicklungs-  und  Wiederholungsfragen  die 
fragenden  Fiirworter  wen?  und  wem?  recht  zu  Gehor  zu  bringen. 

*  *       * 

Akkusativ  der  Sache  und  Dativ  der  Person. 

Grundlage:  115.  Ich  mag  nicht  liigen. 

Der  Vater  schenkte  seinera  Sohne  Georg  ein  schones  Messer.  Er  machte 
dem  Knaben  damit  eine  grosse  Freude.  Leider  vergalt  Georg  seinem  Vater 
das  Gute  mit  Bb'sem.  Er  wollte  sich  iiberzeugen,  wie  scharf  das  Messer  sei. 
Er  erblickte  einen  jungen  Kirschbaum,  den  schnitt  er  durch.  Dafiir  hatte  der 
Vater  ihw  bestrafen  sollen.  Aber  er  erliess  dew  Knaben  die  Strafe.  Denn 
reumiitig  bekannte  Georg  seinew  Vater  seinen  Leichtsinn. 

3.  Schuljdkr. 

Im  3.  Schuljahre  tritt  schon  durch  die  Deklination  der  Hauptworter 
die  grammatische  Einsicht  in  die  Fallbiegung  auf.  Man  wird  jedenfalls  bei 


232  Padagogische  Monatshefte. 

der  Biegung  des  Artikels  und  des  Hauptwortes  des  Mechanismus  nicht  voll- 
standig  entbehren  kb'nnen.  Hauptwb'rter  miissen  dekliniert  werden.  Man 
wird  es  darin  bald  zu  einer  gewissen  Fertigkeit  bringen,  hat  aber  damit  noch 
keineswegs  den  richtigen  Gebrauch  des  3.  und  4.  Falles  erreicht.  Ahnliche 
tibungen  wie  im  2.  Schuljahre  werden  auftreten,  das  schon  etwas  mehr  ent- 
wickelte  Sprachbewusstsein  wird  dieselben  nur  giinstig  beeinflussen.  Sobald 
der  3.  und  4.  Fall  in  der  Grammatik  auftreten,  empfiehlt  es  sich,  das  Ver- 
standniss  des  erweiterten  einfachen  Satzes  anzubahnen.  Auf  Grund  der  vor- 
bereitenden  tibungen  des  2.  Schuljahres  wird  es  moglich  sein  zu  zeigen,  dass 
das  Zeitwort  die  betreffenden  Falle  regiere.  Sprachstiicke,  die  das  Sprach- 
gesetz  veranschaulichen,  werden  aus  den  Lesestiicken  herausgearbeitet. 
Ausserdem  werden  Zeitworter  herausgehoben  und  verwertet,  wie  folgt . 
4.  Fall. 

1.  Grundlage:  34.   Ein  kostbares  Krautlein. 
Zwei  Madde  trugen  jede  einen  Korb  mit  Obst. 

Gebt  an,  was  man  tragen  kann!  (Den  Korb,  den  Mantel,  den  Hut,  den 
Schirm,  den  Ranzen,  den  Koffer,  die  Tasche,  das  Gewehr,  den  Sabel,  den 
Spaten,  den  Rechen  ....  u.  s.  w.) 

2.  Grundlage :  39.  Der  kluge  Richter. 

Verlieren  und  finden.  (Das  Geld,  einen  Heller,  den  Bleistift,  eine 
Feder  u.  s.  w.) 

3.  Grundlage :  76.  Der  weisse  Hirsch. 

(Uhland.) 
Erjagen.    (Den  Hirsch,  das  Reh,  den  Fuchs,  den  Hasen,  die  Hirsche, 

die  Rehe,  die  Schnepfe  etc.) 

Sehen.   (Den  Wald,  die  Baume,  den  weissen  Hirsch  u.  s.  w.) 
3.  Fall. 

1.  Grundlage:  Liebet  cure  Feinde! 

Helfen.    (Mir,  dem  Knaben,  dem  Feinde,  dem  Mitschiiler,  der  Mutter, 

der  Schwester.) 
Nachahmen.    (Dem  Heiland,     dem  Vater,     der  Mutter,     alien  guten 

Menschen.) 

2.  Grundlage:  64.  Die  Wichtelmanner. 
Gefallen,  sich  empfehlen,  danken. 

3.  und  4.  Fall. 

3.  Grundlage :  90.  Der  Wolf  und  der  Mensch. 
Erzahlen  —  dem  Wolfe. 

Widerstehen  —  dtm  Menschen. 
Zeigen  (dir  einen  Menschen.) 
Geben  (dem  Wolfe  die  Ladung.) 

4.  Fall. 


Aufbau  im  Sprachunterricht.  233 

4.  Grundlage:  135.  Die  Hauskatze. 

Putzen,  belecken,  suchen,  beriihren,  streicheln,  necken,  strafen,  zuriick- 
ziehen,  vorstrecken,  erhaschen,  dauern,  lieben,  verbergen,  fressen,  finden. 

Eine  hohe  Auslese  von  Zeitwortern  ist  das  Ergebnis  eines  sachlich  und 
sprachlich  behandelten  Lesestiickes  und  die  Zeitworter  sind  dann  wieder 
Bausteine  zur  Rekonstruktion  von  Satzen,  die  niedergeschrieben  werden. 
Mit  einiger  Sorgfalt  gewinnt  man  durch  diesen  Wiederaufbau  ein  logisches 
Ganze;  auf  die  richtige  Fiigung  seiner  Teile  achtend,  hat  man  wieder  fur 
den  Aufsatz  etwas  gewonnen.  Wie  das  zu  halten  sei,  wird  aus  der  Behand- 
lung  des  4.  Schuljahres  ersichtlich  sein. 

4.  Schuljahr. 

Die  Schiller  des  4.  Schuljahres  sind  voraussichtlich  schon  zum  Ver- 
standnis  gelangt,  dass  in  der  Bedeutung  des  Zeitwortes  selbst  auch  der  Hin- 
weis  auf  den  richtigen  Fall  des  Objekts  liegt.  Neben  dem  haufig  auftreten- 
den  3.  sowie  dem  4.  Falle  werden  auch  die  Zeitworter,  welche  den  Genetiv 
regieren,  beachtet  und  zum  Hauptworte  tritt  das  mit  demselben  deklinierte 
Attribut,  sei  es  nun  Eigenschafts-,  Fiir-  oder  Mittelwort. 

Man  wird  die  schriftlichen  Ubungen  so  einrichten,  dass  immer  wieder 
in  irgend  welchem  Zusammenhange  die  Rektion  der  Zeitworter  zur  An- 
wendung  kommt.  Der  Aufsatz  gibt  Gelegenheit  hiezu. 

Es  folgen  nun  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  Zeitworter,  welche  sich 
aus  dem  Sachunterricht  und  den  Leseiibungen  gewinnen  lassen  und  einige 
Proben  von  Aufsatzchen,  in  welchen  der  Standpunkt  der  Rektion  wohl  ein- 
genommen  wird,  ohne  der  Sprache  wesentlich  Zwang  anzutun.  Wenigstens 
ist  das  Bestreben  vorhanden,  gezwungene  Fiigungen  zu  vermeiden.  Sowie 
diese  grammatikalischen  Arbeiten  in  den  Dienst  der  Stiliibung  treten  kon- 
nen,  ebenso  bilden  sie  nach  ihrer  Anfertigung  wieder  ein  angemessenes  Sprach- 
stiick  zur  Veranschaulichung  der  Sprachgesetze. 

Wenn  bei  der  im  folgenden  aufgestellten  Reihe  von  Zeitwortern  Wie- 
derholungen  auftreten,  so  wird  diese  Wiederholung  mit  Absicht  vorgenom- 
men,  mit  Riicksicht  auf  die  verschiedenen  Schichten  der  Intelligenz  und  der 
Sprachentwicklung,  wie  sie  eben  in  jeder  Schulklasse  vorkommen. 

~Ubung  des  4.  Falles. 

I.  Grundlage:  14.  Die  Pfirsiche. 

(Nach  Krummacher.) 

Bringen  (die  schonsten  Pfirsiche),  sehen  (herrliche  Friichte),  verteilen 
(die  vermeintlichen  Apfel),  aufbewahren  (den  Stein,  den  harten  Kern), 
ziehen  (einen  jungen  Baum),  aufessen  (meinen,  seinen  Pfirsich),  wegwerfen 
(den  unnotigen  Stein),  geben  (ihren  Pfirsich,  die  saftige,  siisse  Frucht,  den 
ihrigen ) . 

3.  und  4.  Fall. 


234  Padagogische  Monatshefte. 

Erganzungen  nach  den  Zeitwortern  bringen,  geben,  schenken.  (Dem 
kranken  Nachbarssohne  den  saftigen  Pfirsich  u.  s.  w.) 

2.  Grundlage:  61.   Der  Wolf  und  der  Fuchs. 

(Briider  Grimm.) 

Erwischen,  auffressen,  hinunterschlucken,  herunterreissen,  anfiihren, 
helfen,  zeigen. 

Erganzungen :  dich,  mich,  ihn ;  mir,  dir,  ihm. 

3.  Grundlage :  49.  Das  Wunderk'dstchen. 

(ChristopH  Schmid.) 

Was  die  Hausfrau  sah,  als  sie  ihr  Haus  durchwanderte. 
Die  Hausfrau  gehorchte  dem  Einsiedler  und  trug  das  Kastchen,  welches 
er  ihr  mitgegeben  hatte,  im  Hause  fleissig  umher.  Dabei  musste  sie  jeden 
Raum  des  Hauses  durchwandern  und  entdeckte  allerlei  Ubelstande.  Der 
Knecht  trug  heimlich  einen  Krug  Bier  aus  dem  Keller,  die  Magde  hatten 
ohne  Erlaubnis  einen  Eierkuchen  gebacken.  Dazu  hatten  sie  viele  Eier, 
Mehl,  Fett  und  Milch  verwendet.  Die  Knechte  hatten  die  Pferde  nicht  ge- 
striegelt,  die  Magde  die  Kiihe  nicht  gereinigt.  Auch  hatten  sie  die  Haus- 
tiere  nicht  geniigend  gefiittert.  So  musste  die  Hausfrau  alle  Tage  einen  an- 
deren  Fehler  abstellen.  Nach  einem  Jahr  hatte  sie  die  Ordnung  wieder  her- 
gestellt  und  dankte  dem  Einsiedler  fur  sein  gutes  Mittel. 

4.  Grundlage:  125.  Ratsel.    (Die  Biene.) 
,,Es  ist  ein  kleiner  Soldat, 

Der  ein  giftig  Spiesslein  hat".  .  .  . 

Von  der  Biene. 

Die  Biene  gleicht  einem  Soldaten.  Sie  tragt  wie  er  eine  Waffe,  einen 
giftigen  Spiess  sogar.  Sie  zieht  ins  Feld  und  erobert  viele  schone  Schlosslein. 
Sie  besucht  den  tiefen  Keller  desselben  und  holt  daraus  siissen  Wein  und  fei- 
nes  Mehl.  Wird  sie  verfolgt,  so  gebraucht  sie  den  scharfen  Spies.  Lasst  man 
sie  aber  in  Ruhe,  dann  vermeidet  sie  den  Kampf.  Sie  sucht  ihn  nicht,  sie  liebt 
den  Frieden.  Sie  gleicht  auch  einem  Baumeister.  Sie  baut  viele  schone  Kam- 
mern,  fiillt  sie  mit  siissem  Most  und  schafft  so  den  Wintervorrat  herbei. 

5.  Grundlage:  130.    Einkehr.  (Uhland.) 
Der  Apfelbaum   gleicht  einem   freundlichen  Wirte.    Er  bietet  seinen 

Gasten  ein  reiches  Lager,  frischen  Schaum  und  siisse  Kost.  Er  verschafft 
ihnen  auch  hellen  Sang  und  Klang.  Seine  Gaben  gibt  er  als  Geschenk.  Denn 
niemand  bezahlt  dem  Wirte  die  Zeche. 

6.  Grundlage:  119.   Die  Kreuzotter. 

Die  Kreuzotter  ist  dem  Menschen  sehr  gefahrlich.  Sie  kann  ihn  durch 
einen  Biss  toten.  An  jeder  Seite  des  Oberkiefers  besitzt  sie  einen  sehr  spitzen, 
hohlen  Giftzahn.  Diesen  richtet  sie  beim  Beissen  auf  und  ergiesst  durch  ihn 
das  Gift  in  die  Wunde.  Ihr  Biss  erzeugt  eine  schwere  Krankheit  oder  baldi- 
gen  Tod.  Gebissene  Menschen  sollen  so  rasch  als  moglich  den  Arzt  rufen. 


Aufbau  im  Sprachunterricht.  235 

5.    Schuljahr. 

Es  treten  ahnliche  Ubungen  mit  gesteigerten  Anforderungen  auf. 

1.  Grundlage:  78.  Der  Edel-  oder  der  Baummarder. 
Der  Dativ. 

Wir  miissen  dem  Edelmarder  Bewunderung  zollen.  So  klein  er  1st,  so 
mutig  ist  er.  Mit  welcher  Kiihnheit  stellt  er  nicht  nur  jungen,  sondern  auch 
erwachsenen  Rehen  nach.  Es  ist  klar,  dass  der  Jager  solchem  Rauber  eifrig 
nachspiirt  und  ihn  unschadlich  zu  machen  sucht.  Er  legt  ihm  Schlingen  und 
Fallen  aller  Art.  Er  schleicht  ihm  im  Waldesdickicht  nach.  Er  lauert  ihm 
auf,  wo  und  wann  er  nur  kann.  Aber  nur  dem  geiibten,  dem  aufmerksamen 
Weidmanne  gelingt  es,  dieses  schlauen  und  wehrhaften  Raubers  Herr  zu 
werden. 

2.  Grunlage :  63.  Der  Lowe  und  der  Hase. 

(Lessing.) 

Der  Genetiv. 

Ein  Lowe  wiirdigte  einen  drolligen  Hasen  seiner  naheren  Bekanntschaft, 
seines  Umganges.  Der  Hase  gedachte  dabei  des  Unterschiedes,  der  zwischen 
dem  Konig  der  Tiere  und  zwischen  ihm,  dem  Kleinen,  dem  Wehrlosen  be- 
stand,  nicht  mehr.  Er  vergass  der  Vorsicht  und  fragte  den  Lowen,  ob  es 
wahr  sei,  dass  er  das  Krahen  eines  Hahnes  fiirchte.  Der  Lowe  veriibelte 
seinem  kleinen  Gesellschafter  die  vorwitzige  Frage  nicht,  sondern  beant- 
wortete  sie  ihm  mit  aller  Ruhe.  Er  nannte  diese  Furcht  eine  kleine  Schwache 
grosser  Tiere.  Nun  vergass  der  Hase  abermals  seiner  Wehrlosigkeit  und 
seiner  Kleinheit  und  nannte  seine  Furcht  vor  dem  Hunde  auch  eine  kleine 
Schwache. 

Wenn  wir  nun  die  vorgefiihrten  Obungen  rekapitulieren,  so  zeigt  sich, 
dass  schon  in  diesen  wenigen  typischen  Beispielen  eine  ganz  stattliche  Reihe 
von  Zeitwb'rtern  mit  den  von  ihnen  abhangigen  Fallen  zur  Anwendung  und 
Einiibung  gekommen  sind.  Und  diese  Ubung  eben  in  den  Vordergrund  des 
Sprachunterrichts  zu  stellen,  ist  der  Zweck  dieser  Abhandlung. 


Aus  dem  Tagebuch  eines  deutschamerikanischen 

Schulmeisters. 


FUr  die  Padagogischen  Monatshefte. 


6.     Schule  und  Haus. 


Von  C.  O.  Schonrich,  Baltimore,  Md. 


Es  1st  in  der  Schule,  wie  im  Leben,  je  hoher  die  Klasse,  desto  weniger 
der  Mitglieder.  Das  gilt  besonders  fiir  die  amerikanische  Schule.  Bis  zura 
vierten  Schuljahr  finden  wir  voile  Klassen,  vom  fiinften  an  beginnt  die  Aus- 
diinnung,  die  dann  mit  den  folgenden  Jahren  lawinenartig  zunimmt.  Fragt 
man  sich  nach  dem  Grund  des  Wegbleibens  so  vieler,  so  muss  ich  gestehen, 
dass  ich  in  vielen  Fallen  denselben  selbst  ausfindig  machen  musste,  denn 
nicht  immer  verabschiedeten  sich  abgehende  Zoglinge,  und  das  waren  dann 
in  der  Regel  solche,  die  wegen  Verzug  oder  Familienverhaltnissen  die  Schule 
zu  verlassen  genotigt  waren. 

Manche  Eltern  haben  ihre  Kinder  zu  Hause  behalten,  weil  dieselben  bei 
den  jahrlichen  Klassenversetzungen  wiederholt  zuriickgeblieben  sind.  Ein 
solches  Zuriickbleiben  ist  dem  nicht  befremdlich,  der  erfahren  musste,  wie 
bereit  viele  Eltern  sind,  Entschuldigungen  fiir  Ausbleiben,  Zuspatkommen 
oder  fehlende  Arbeiten  zu  schreiben,  ohne  selbst  einmal  einen  plausiblen 
Grund  angeben  zu  konnen,  und  ohne  dabei  zu  bedenken,  wie  schadlich  sie  auf 
das  Kind  einwirkeri,  das  sie  gerade  dazu  ermutigen,  unfleissig  und  unpiinktlich 
zu  sein. 

Befremdlich  war  es  mir  aber  immer  wieder  und  sehr  peinlich,  wenn  ich 
bei  Erkundigungen  Antworten  horte,  wie  ,,Mein  Sohn  (Tochter)  will  nicht 
mehr  in  die  Schule  gehen,"  ,,Er  will  nicht  weiter  lernen."  Und  wenn  ich 
mir  einzig  im  Interesse  des  Schiilers  Miihe  gab,  klar  zu  legen,  wie  ein  langerer 
Schulbesuch  denselben  um  so  besser  fiir  das  Leben  bereit  mache,  da  musste 
ich  oft  vom  Vater  horen,  er  gebe  das  alles  zu,  aber  der  Junge  wolle  einmal 
nicht;  oder  derselbe  habe  sich  ganz  allein  eine  Stelle  gesucht,  er  wolle  auch 
Geld  verdienen,  wie  der  und  jener,  und  es  gebe  doch  nichts,  das  zu  tun  oder 
zu  lassen  man  den  Sohn  zwingen  solle.  (There  is  nothing  one's  son  ought  to 
be  compelled  to  do  or  not  to  do).  Dieser  verderbliche  amerikanische  Grund- 
satz  hat  schon  unsagliches  Unheil  angerichtet 

Als  ich  in  ahnlichen  Fallen  fragte,  was  fiir  eine  Stelle  sich  der  Sohn 
gesucht  habe,  erhielt  ich  auch  von  sehr  wohlhabenden  Eltern  mehr  als  einmal 
die  Antwort,  sie  wiissten  es  selbst  nicht  genau,  aber  er  bekomme  gleich  von 


Aus  dem  Tagebuch  eines  deutscham.  Schulmeisters.  237 

Anfang  $2  die  Woche.    Durch  Beantwortung  von  Zeitungsanzeigen  batten 
sich  die  Jungen  solche  Stellen  gewohnlich  gesichert. 

Gilt  es  nicht  auch  heute,  was  Krates,  der  Thebaner,  so  oft  zu  sagen 
pflegte,  dass  er,  wenn  es  moglich  ware,  auf  den  hochsten  Ort  der  Stadt 
steigen,  und  aus  alien  Kraften  rufen  wollte:  ,,Wo  denkt  ihr  bin,  ihr  Leute, 
dass  ihr  alien  Fleiss  auf  die  Erwerbung  von  Reich tiimern  verwendet,  um  cure 
Kinder  aber,  denen  ihr  sie  hinterlassen  wollt,  euch  gar  nicht  bekiimmert!" 
Plutarch,  der  uns  dieses  erzahlt,  setzt  hinzu,  dass  solche  Vater  sich  eben  so 
verhalten,  wie  einer,  der  alle  Sorgfalt  auf  den  Schuh  verwendet,  aber  den 
Fuss  dariiber  vernachlassigt. 

Bei  den  vorriickenden  Altersklassen  macht  sich  neben  manchem  Eltern- 
haus  noch  ein  weiterer  Faktor  in  der  Erziehung  Jungamerikas  mehr  und  mehr 
storend  geltend :  die  Gesellschaf t.  Da  und  dort  muss  der  Beobachter  wahr- 
nehmen,  wie  die  zarten  Pflanzen  an  Schaden  leiden,  die  ihnen  Nachtfroste 
und  Sonnenhitze  zugefiigt  haben.  Kein  Wunder,  viele  Kinder  werden  aus 
der  schiitzenden  Familienstube,  in  der  der  platonische  Grundsatz  ,,Gotter 
sind  Freunde  des  Spiels"  massgebend  sein  sollte,  herausgeholt,  nicht  um  zur 
Anschauung  der  herrlichen,  Seele  und  Korper  erfrischenden  Gottesnatur 
gebracht,  sondern  in  die  schwiilen  und  zugigen  Vergniigungsplatze  der  Er- 
wachsenen  genommen  zu  werden,  wo  die  ohnedem  zur  Friihreife  Beanlagten 
aus  dem  einzig  schonen  Jugendtraum  geriittelt  werden.  Und  selbst  manche 
der  von  Deutschamerikanern  angeblich  fur  die  Jugend  veranstalteten  Feste — 
Picknicks  bei  Kirchlichen,  Kinderballe  bei  Nichtkirchlichen — wiirden  viel 
besser  ohne  die  Kinder  gefeiert  werden. 

Die  Gesellschaft  beeinflusst  die  Jugend  auch  schadigend  auf  der  Strasse, 
das  offene  anmutige  Kinderauge  wird  getriibt,  das  ganze  Wesen  verandert. 
Ein  Deutscher  kann  bei  solchen  Wahrnehmungen  nicht  untatig  bleiben,  und 
wenn  ich  in  solchen  Fallen  die  Eltern  brieflich  auf  die  zunehmende  Gleich- 
giiltigkeit  ihrer  Kinder  aufmerksam  gemacht  und  den  Wunsch  ausgedriickt 
hatte,  mit  ihnen  einen  Plan  zur  Abhilfe  zu  beraten,  erfuhr  ich  nicht  oft  ein 
verstandiges  Entgegenkommen,  wohl  aber  kamen  Antworten  wie : 
,,Werter  Herr  Schuhlehre! 

Appliziren  Sie  nur  den  Stock,  das  wird  Ihn  schon  kuriren. 

Achtungsvoll 

F.  Mater." 

,,Geehrter  Herr! 

Hauen  Sie  ihm  tiichtig  durch  and  oblige 

Yours  respectfully, 

John  Bauer." 

Das  hiesse  also  die  Kinder  fur  die  Unterlassungsiinden  der  Eltern  schla- 
gen.  —  Ein  anderes  Bild. 


238  Padagogische  Monatshefte. 

,,Wertester  Herr  S. ! 

Die  Lehrerin  von  der  Annie  hat  Vorurteile  gegen  sie,  meine  Annie  ist 
ganz  gut,  wenn  man  ihr  nur  den  Willen  lasst. 

Hochachtungsvoll 

Mrs.  G.  Smith." 

Ja,  wenn  man  uns  nur  den  Willen  lasst,  sind  wir  alle  gut,  uns  ware  das 
schliesslich  aber  nicht  gut;  darum  ist  es  gut,  dass  uns  die  Welt  nicht  immer 
den  Willen  lasst. 

Von  der  Schule  schifft  die  bunte  Schar,  die  Segel  geschwellt  von  reichen 
Hoffnungen,  zuversichtlich  hinaus  ins  Leben,  zum  Nutzen  oder  zum  Schaden. 
Mit  ihnen  ziehen  die  guten  Wiinsche  des  Lehrers,  ja  gewissermassen  ein  Teil 
seiner  Seelc,  denn  er  hat  sie  im  Lauf  der  Jahre  schiitzen  und  lieben  gelernt. 

Doch  auch  bange  Besorgnis  begleitet  seine  Wiinsche,  sind  doch  schon  so 
manchmal  die  Envartungen,  die  er  an  die  ausziehenden  Freunde  kniipfte, 
bitter  getauscht  worden.  Wie  hatte  er  sie  oft  wiedersehen  miissen,  manche 
schon  hinter  Schloss  und  Riegel,  und  zwar  solche,  die  einst  zu  den  besten 
Hoffnungen  berechtigten,  Kinder  wohlhabender  und  wohlmeinender  Eltern. 
Freilich  habe  ich  auch  wieder  andere  schon  in  hohen  Vertrauens-  und  Ehren- 
a'mtern  sehen  diirfen,  einer  davon  sitzt  gegen  war  tig  im  Kongress. 

Die  solche  bedrohenden  Klippen,  bei  denen  der  angeborene  Sinn  fiir 
Freiheit  in  den  Sinn  fiir  Ungebundenheit  verkehrt  wurde,  sind  dem  Erfahre- 
nen  schon  bei  der  Ausfahrt  klar  in  Sicht;  solchen,  die  sich  bis  dahin  einer 
guten  Obhut  derer  erfreuten,  nun  aber  ganz  auf  sich  angewiesen  sind,  werden 
die  Stiirme  des  Friihlings  manche  Gefahr  bieten;  bose  Beispiele  und  eine 
verderbliche  Literatur  werden  ihren  Kurs  gefahrden. 

Bei  der  Hinneigung  des  Jugendalters  zur  Sinnlichkeit,  und  bei  der  noch 
nicht  erstarkten  Geistes-  und  Willenskraft  desselben,  aussern  bose  Beispiele 
eine  bei  weitem  grossere  Wirksamkeit  als  gute  Beispiele.  Die  oft  wiederholte 
Behauptung,  man  miisse  die  Jugend  austoben  lassen,  die  Wildesten  wiirden 
gewohnlich  die  Besten,  hat  sich  in  meinen  Erfahrungen  nicht  bewahrt;  bei 
vielen  Vatern  scheint  dieser  Grundsatz  nur  darum  so  viel  Anklang  zu  finden, 
weil  er  ihnen  die  eigenen  Jugendjahre  in  ertraglicherem  Lichte  zeigt. 

Man  sieht,  Jungamerika,  Knaben  und  Madchen,  ist  mitunter  von  Hause 
aus  libel  beraten.  Doch  zeigen  Kundgebungen  aus  dem  grauen  Altertum, 
dass  die  Jugendbliite  von  jeher  iihnlichen  Storungen  in  ihrer  Entwickelung 
ausgesetzt  war;  durch  alle  Jahrhunderte  bis  heute  gelten  die  Worte  Juvenals: 
,,Die  Ursache  der  Verdorbenheit,  woriiber  die  Eltern  klagen,  liegt  in  ihnen 
selbst." 

Und  heute  ist  es  noch  .ebenso;  nicht  Unwissenheit  und  Unmassigkeit 
liefern  die  meisten  Verbrecher ;  zuverlassige  Gefiingnisstatistiken  weisen  nach, 
dass  die  grosse  Mehrzahl  der  Gefangenen  eine  gewisse  Schulbildung  besassen 
und  keine  unmassigen  Trinker  gewesen  waren ;  sie  waren  aber  von  den  Eltern 


Das  Chorsprechen  und  -lesen  in  der  Sckule.  239 

verzbgen,  verwahrlost  oder  verlassen  worden.  Es  ist  ein  schweres  Wort, 
das  Wort  Christi :  ,,Eure  Kinder  werden  cure  Richter  sein." 

Wenn  trotz  alledem  die  Menschheit  sich  hoher  entwickelt  hat,  so  ist 
das  ein  Beweis  fiir  das  Gottliche  im  Menschen.  Das  zeigt  sich  deutlich  bei 
Jungamerika. 

Ein  noch  vielseitig  unterschatzter  Fakter  tragt  viel  zur  Steuerung  der 
Jungamerika  bedrohenden  iiblen  Einwirkungen  bei:  die  Sonntagsschulen.  An- 
fanglich,  often  gestanden,  sehr  gegen  sie  eingenommen,  habe  ich  sie  im  Laufe 
der  Jahre,  nachdem  ich  die  Spreu  vom  Weizen  unterscheiden  gelernt  hatte, 
als  einen  grossen  Segen  erkannt. 

In  Sonntagsschulen,  woselbst  Religion  frei  von  Dogrnatik  gelehrt  und 
geiibt  wird,  (zu  viele  Pfeiler  verdunkeln  dem  Kinde  das  Gotteshaus),  die 
Religion  der  Liebe,  der  Liebe  zu  Gott  und  dem  Nachsten,  muss  sich  das  Kind 
wohlig  fiihlen.  Religion  liegt  ja  in  dessen  innerster  Natur.  Religion  ist  sein 
erstes  Gefiihl  der  Liebe,  der  Dankbarkeit,  der  Zuversicht  dem  teuren  Eltern- 
paar  gegeniiber ;  eine  hohere  Liebe,  eine  hohere  Dankbarkeit,  eine  hohere  Zu- 
versicht tragt  es  dann  zu  Gott  iiber.  Damit  erscheinen  ihm  dann  die  teuren 
Eltern,  die  an  Gottes  Statt  stehen,  in  verklartem  Lichte,  ihre  Autoritat  ist 
ihm  heilig. 

Wohl  einem  solchen  Hause,  dort  folgt  der  Ausfiihrung  des  Gebots: 
,,Du  sollst  Vater  und  Mutter  ehren"  auch  die  Verwirklichung  der  Ver- 
heissung  ,,auf  dass  dir's  wohl  gehe  und  du  lange  lebest  auf  Erden." 


Das  Chorsprechen  und  -lesen  in  der  Schule. 

(Schweizerische  Padagogische  Zeitschrift. '      (Gtkiirzt.) 


Von  Heinrich  Heine,  Nordhausen. 


In  vielen  lesmethodischen  Werken  kann  man  die  Anweisung  finden,  dass  folgen- 
der  Gang  beim  Lesen  eines  Stiickes  innegehalten  werden  miisse:  1.  Vorlesen  seitens 
des  Lehrers,  2.  Nachlesen  seitens  der  Schiller,  und  zwar  a)  ein/eln,  b)  im  Chor.  Es 
ist  nun  aber  doch  die  Frage,  ob  die  Verfasser  dieser  Vorschrift  sich  iiber  den  ei- 
gentlichen  Zweck  des  Chorlesens  recht  klar  geworden  sind.  Wenn  das  Chorlesen 
ans  Ende  der  methodischen  Massnahmen  gestellt  wird.  ersclieint  es  als  beabsichtig- 
ter  Zweck  und  erstrebtes  Ziel  des  Leseunterrichts.  Das  kann  es  aber  nicht  sein, 
jedes  Kind  soil  e  i  n  z  e  1  n  schon  lesen  konnen,  denn  spiiter  im  Leben  liest  es  ein- 
zeln  und  nicht  im  Chor.  Es  ware  also  zu  untersuchen,  welche  Stellung  das  Chor- 
sprechen oder  -lesen  im  Schulunterricht  einnehmen  soil.  Jn  seinem  Bnche:  ,,D  i  e 
Kunst  des  Vortrags"  bespricht  Emil  Talleske  in  dem  Abschnitte 
,,Das  Seminar  als  Leseschule"  die  Leistungen  des  Seminars  zu  Lobau  (West- 
preussen)  im  Chorsprechen  und  erteilt  demselben  das  hochste  Lob.  Und  wenn  ein 
solcher  Vortragskiinstler  wie  Palleske  sich  so  anerkennend  ausspricht,  so  miissen 
die  Leistungen  des  Seminars  im  Sprechen  wohl  ganz  ausserordentliche  gewesen  sein. 
Dieselben  erregten  um  so  mehr  seine  Bewunderung,  als  die  Seminaristen  fast  aus- 
schliesslich  aus  Gegenden  stammten,  in  denen  mehr  polnisch  ah  deutach  und  das 
Deutsche  in  der  schiirfsten  westpreussischen  Mundart  gesproehen  wurde;  und  doch 


240  Pddagogische  Monatshefte. 

horte  er  ein  vollkommen  dialektfreies  Hochdeutsch  von  den  jungen  Leuten.  Diese 
sprachreinigende  und  sprachverbessernde  Wirkung  schreibt  er  dem  C  h  o  r- 
sprechen  zu,  das  dort  unter  dem  damaligen  Direktor  Goebel  ganz  besonders 
gepflegt  wurde;  ,,in  dem  Ensemblesprechen,"  sagt  er,  ,,liegt  eine  Heilquelle  fiir  die 
kranken  und  verkruppelten  Sprachglieder  der  grossen  Massen,"  und  er  hofft,  dass 
auf  diesem  Wege  durch  die  Schule  in  die  Tiefen  der  Bevolkerung  allmahlich  der 
Sinn  fiir  edleres  Sprechen  einziehen  wird. 

Palleske  und  mit  ihm  wohl  auch  der  Seminardirektor  Goebel  fassen  das  Chor- 
sprechen  mehr  als  eine  Kunst  auf,  die  um  ihrer  selbst  willen  gepflegt  werden  musse. 
Der  Seminarsprechchor  wirkte  in  Auffiihrungen  mit  und  trug  Dichtungen  vor,  wie 
sonst  ein  Singchor,  und  jedesmal  erzielte  er  einen  ungewohnlichen  Erfolg,  so  dass 
von  fernerher  Direktoren  und  Lehrer  nach  Lobau  kamen,  um  diese  Leistungen  als 
Vorbild  kennen  zu  lernen. 

Ohne  Zweifel  wirkt  ein  schoner  Sprechchor  kiinstlerisch  bildend  und  es  ist  ge- 
wiss  ein  hoher  asthetischer  Genuss,  derartige  vollendete  Leistungen  zu  horen;  die 
Kraft  des  gesprochenen  Wortes  kommt  bei  solchen  Sprechchb'ren  mit  einer  elemen- 
taren  Gewalt  zur  Erscheinung,  so  dass  ein  Singechor  an  einfacher  Wirkung  dahinter 
zuriickbleibt.  Kapellmeister  Zelter,  der  Freund  Schillers  und  Goethes,  der  gewiss 
Musik  verstand,  bemerkt  iiber  die  unisono  gesprochenen  Stellen  von  Schillers 
,,Braut  von  Messina",  dass  sie  eine  erschiitternde  Wirkung  ausgeiibt  hatten.  Und 
wer  jemals  von  einer  gut  eingeiibten  Knabenklasse  einen  Vortrag  im  Chor  gehort 
hat,  etwa  einen  Psalm,  der  wird  wissen,  welche  Macht  darin  liegt.  Aber  so  hoch 
man  auch  die  Leistung  eines  Sprechchors  einschatzen  mag,  fiir  die  Volksschule  liegt 
doch  kein  Grund  vor,  das  Chorsprechen  um  seiner  selbst  willen  zu  betreiben,  als 
eine  Kunst,  die  auch  im  spateren  Leben  zur  Anwendung  kommt;  und  wenn  Palleske 
in  den  Hoch-  und  Hurrarufen  der  einzelnen  Gruppen  im  Parlamente  sogar  Anklange 
dieser  Kunst  in  der  Wirklichkeit  sieht,  so  ist  das  doch  wohl  kaum  ernst  zu  nehmen. 
So  weit  sind  wir  doch  noch  nicht  gekommen,  dass  das  Hoch-  und  Hurrarufen  etwa 
als  ein  unfehlbares  Mittel  zur  Erziehung  zur  Vaterlandsliebe  angesehen  und  zur 
fleissigen  tibung  anbefohlen  wird,  und  die  parlamentarischen  Formen  beherrschen 
bis  jetzt  das  Leben  auch  noch  nicht  so  sehr,  dass  die  weitesten  Kreise  davon  er- 
griffen  sind  und  daher  ein  dringendes  Bediirfnis  vorliegt,  die  Zwischenrufe  ,,H6rt, 
Hort!"  ,,Oho!"  ,,Sehr  richtig!"  in  der  Schule  einzuiiben.  Also  nicht  um  seiner 
selbst  willen  ist  das  Chorlesen  in  der  Schule  zu  treiben,  sondern  nur  als  Mittel 
zum  Zweck,  und  da  muss  man  allerdings  sagen,  dass  es  eins  von  den  Mitteln 
ist,  die  in  der  Hand  des  umsichtigen  Lehrers  Wunder  wirken,  wie  das  Palleske  an 
dem  Lobauer  Seminar  beobachtet  hat. 

Zunachst  iibt  das  Chorsprechen  einen  ausserordentlichen  Einfluss  auf  das  laut- 
reine  und  sprachlichschone  Sprechen  iiberhaupt.  Woher  kommt  das?  Durch  die 
grossere  Klangmasse  des  Chores  entsteht  ein  grosserer  Umfang  der  Schallwellen, 
der  den  Sprecher  zwingt,  etwas  langer  auf  den  tonstarken  Silben  zu  verweilen  und 
die  Worter  scharfer  zu  accentuieren.  Die  Konsonanten,  die  das  eigentliche  Geriist 
der  Sprache  darstellen  und  von  deren  Bildung  die  Deutlichkeit  der  Aussprache 
wesentlich  abhangt,  kommen  hierbei  zu  vollerer  und  klarerer  Auspragung.  Darin 
liegt.  der  Hauptunterschied  des  Chorsprechens  von  dem  Chorsingen,  bei  dem  die 
Bildung  der  Vokale  die  Hauptsache  ist. 

Die  wichtigste  Bedingung  fiir  ein  gutes  Chorsprechen  ist  eine  gute  Disziplin; 
wo  diese  zu  wunschen  iibrig  lasst,  artet  das  Chorsprechen  leicht  in  argen  Schlendrian 
aus  und  kann  dann  unermesslichen  Schaden  stiften.  Seine  Anwendung  erfordert 
stets  Umsicht  und  Aufsicht  seitens  des  Lehrers;  mit  dem  Auge  muss  jeder  Ein- 
zelne  im  Sprechchor  hinsichtlich  seiner  Mitwirkung  beobachtet  werden;  mit  dem 


Das  Chorsprechen  und  -lesen  in  der  Schule.  241 

Ohre  muss  man  Tonbildung  und  Aussprache  kontrollieren,  mit  der  Hand  den  Rhyth- 
mus  leiten  bezw.  andeuten.  Wo  keine  straffe  geistige  Disziplin  in  der  Klasse  herrscht, 
wo  der  Einzelne  nicht  gewohnt  ist,  sich  zusammenzunehmen,  da  wird  das  Chor- 
sprechen immer  Schwierigkeiten  bereiten. 

tiberhaupt  ist  das  Chorsprechen  mit  einer  gewissen  Vorsicht  anzuwenden. 
Dass  es  wohl  nur  in  einer  ganz  zuchtlosen  Klasse  vorkommt,  dass  Kinder  im  Chore 
durcheinander  antworten  mag  hier  nur  angedeutet  werden;  jedenfalls  ist  es  ein 
Zeichen  wildester  Disziplinlosigkeit,  wo  so  etwas  vorkommt.  Zu  verwerfen  ist  aber 
auch  die  Art  und  Weise  der  Anwendung  des  Chorsprechens,  wie  man  es  nur  leider 
allzuhaufig  horen  kann. 

Der  gewohnlichste  Fehler  beim  Chorsprechen  ist  der,  dass  die  Kinder  in  einen 
leiernden  singenden  Tonfall  hineingeraten,  in  den  nur  zu  bekannten  und  ebenso 
gefiirchteten  Schulton.  Dass  dieses  Leiern,  dieser  monotone,  ziehende  Ton  sehr  bald 
einreisst,  weiss  wohl  jeder  aus  Erfahrung  und  ist  auch  leicht  erklarlich;  denn 
infolge  der  grb'sseren  Schallmasse  neigen  die  Kinder  unwillkiirlich  dahin,  bei  den 
Vokalen,  als  den  Tragern  des  Schalles,  liinger  zu  verweilen,  so  dass  die  Konsonanten, 
die  an  sich  schon  einen  schwachen  Lautgehalt  haben,  fast  verschwinden.  Das  Spre- 
chen  wird  dabei  unverhaltnismassig  langsam  und  schlafrig.  Wirkt  dieser  leiernde, 
singende  Tonfall  schon  bei  Erwachsenen,  die  sich  eine  derartige  Sprechweise  ange- 
wohnt  haben,  so  unangenehm,  ja  widerwartig,  wie  viel  mehr  erst  in  der  Schule  von 
frischen  Kindern.  Vor  alien  Dingen  muss  aber  auf  ein  schones,  wohlklin- 
d  e  s  Sprechen  hingearbeitet  werden,  und  das  soil  nicht  durch  das  Chorsprechen 
erschwert  oder  gar  unmoglich  gemacht,  sondern  durch  dasselbe  herbeigefiihrt  und 
vermittelt  werden. 

Haufig,  namentlich  auf  den  unteren  Stufen,  wird  das  Chorsprechen  als  Mittel 
/urn  Einpragen  eines  Stoffes  benutzt.  Als  solches  hat  es  schon  in  der  friihesten 
Zeit  seine  Anwendung  gefunden.  Von  den  alten  Chinesen  wird  bereits  berichtet, 
dass  sie  in  ihren  Schulen  laut  und  zusammen  lesen  liessen  und  zwar  meist  in 
singender  Weise,  und  von  den  Griechen  berichtet  uns  Plato,  dass  die  Lernstoffe 
durch  gemeinsames  Absingen  eingepragt  wurden;  das  Chorsprechen  artete  bei  ihnen 
also  auch  in  einen  leiernden  Tonfall  aus,  das  ging  sogar  so  weit,  dass  man  den 
Memorierstoffen  eine  Art  Melodic  unterlegte.  Und  auch  bei  den  Juden  geschah  das 
Zusammenlesen  in  einem  gewissen  melodischen  Tonfall,  ja  das  Lesen  der  Bibel  ohne 
denselben  wurde  als  geschmacklos  angesehen.  Dass  das  Einpragen  haufig  im  Chore 
geschah  und  noch  geschieht,  beruht  auf  dem  psychologisch  ganz  richtigen  Schluss, 
dass  die  kraftigsten  und  starksten  Anschauungen  am  leichtesten  in  der  Seele 
haften;  gewiss  bringt  das  Chorsprechen,  der  voile  Ton  von  40  bis  50  Stimmen  einen 
ganz  andern  Eindruck  hervor,  als  die  Stimme  eines  Einzelnen  und  schafft  damit 
die  Bedingungen  fiir  ein  leichteres  Einpragen  und  festeres  Haften  des  Stoffes.  So 
ist  das  Chorsprechen  ein  Mittel,  den  Vorstellungen  einen  hoheren  Grad  von  An- 
schaulichkeit  und  demgemass  auch  eine  leichtere  Behaltbarkeit  zu  geben;  dass 
vorher  eine  zweckmassige  Veranschaulichung  stattgefunden  hat,  versteht  sich  von 
selbst.  Ferner  wird  durch  das  Chorsprechen  die  Verbindung  der  Vorstellungen  zu 
Reihen  eine  festere,  und  Wort  und  Wort  ketten  sich  enger  aneinander,  so  dass  be- 
sonders  das  mechanische  Gediichtnis  durch  dasselbe  eine  wesentliche  Stiitze  erhalt. 
Es  lasst  sich  gegen  das  Chorsprechen  zum  Zwecke  des  Memorierens  auch  nichta 
einwenden,  sofern  es  in  der  richtigen  Weise  geschieht  und  die  erforderliche  Sorgfalt, 
auf  das  Sprechen  selbst  gelegt  wird;  geschieht  das  nicht,  so  richtet  es  mehr  Unheil 
als  Segen  an  und  ist  zu  verwerfen.  Es  geht  mit  dem  Chorsprechen  wie  mit  vielen 
anderen  unterrichtlichen  Hilf smitteln :  in  der  Hand  eines  geschickten  Lehrers  wirkt 
es  Wunder,  wahrend  eine  ungeschickte  Anwendung  ins  GegeMeil  umschliigt. 


242  Padagogische  Monatshefte. 

Was  fiir  das  Chorsprechen  gilt,  lasst  sich  auch  iiber  das  Chorlesen 
sagen:  beide  sind  nicht  um  ihrer  selbst  willen  zu  pflegen,  sondern  sind  nur  Mittel 
zum  Zweck;  auf  beide  finden  daher  auch  dieselben  Grundsiitze  Anwendung. 

Was  ist  nun  beim  Chorlesen  besonders  zu  beachten? 

Im  Gegensatz  zu  dem  lauten  Einzellesen  muss  das  Chorlesen  moglichst  g  e- 
massigt  im  Toneundleise  geschehen.  Schon  in  Riicksicht  auf  die  Nerven 
ties  Lehrers  und  auf  die  etwa  benachbarten  Klassen  ist  dies  geboten;  aber  auch 
asthetische  und  methodische  Griinde  erfordern  es.  Was  die  letzteren  anlangt,  so 
geniigt  es  nicht,  dass  der  Lehrer  vorspricht  oder  vorliest,  er  muss  auch  im  Chore 
mitlesen.  Seine  Stimme  muss  gleichsam  der  Schrittmaclier  sein,  der  das  Tempo 
bestimmt,  die  Betonung  regelt,  auf  die  Satzze  ichenachtet 
u  .s.  w.,  sie  muss  iiber  dem  Chore  schweben  und  von  jedem  Einzelnen  gehb'rt  werden 
konnen.  Je  besser  das  Lesen  der  Kinder  wird,  desto  mehr  tritt  die  Stimme  des 
Lehrers  zuriick,  bis  sie  bei  geniigenden  Leistungen  des  Chors  ganz  schweigen  kann. 
Der  Lehrer  kann  sich  hierbei  mancherlei  Hilfen  schaffen.  Wie  der  Gesangslehrer 
den  Singchor  mit  dem  Taktstock  leitet,  so  muss  auch  der  Dirigent  eines  Sprech- 
chors  das  Tempo  und  die  Betonung  durch  Handbewegungen  regeln;  beim  Lesen,  wo 
die  Kinder  diese  nicht  sehen,  markieren  leichte  Schlage  mit  dem  Stock  auf  den 
Tisch  oder  Handklappen  das  Tempo.  Man  glaube  ja  nicht,  dass  der  Lehrer  auf  diese 
Weise  seine  Stimme  allzusehr  anstrengen  miisse;  wenn  die  Kinder  leise  genug 
sprechen,  dringt  seine  Stimme  leicht  durch,  und  ausserdem  braucht  er  auch  nicht 
alles  mitzulesen  oder  mitzusprechen,  es  wird  geniigen,  wenn  er  einzelne  Stellen 
mitliest.  Er  wiirde  seine  Kehle  noch  mehr  anstrengen,  wenn  er  den  vielen  schwachen 
Lesern  der  Klasse  bei  ihren  ungeniigenden  Iieistungen  einzeln  vorlesen  miisste,  ganz 
abgesehen  davon,  dass  der  Erfolg  der  aufgewandten  Miihe  nicht  entsprechen  konnte. 

Nicht  minder  beachtenswert  sind  die  asthetischen  Griinde,  die  ein  leises 
Sprechen  im  Chor  erfordern.  Es  liegt  ein  eigener  Zauber  in  dem  gedampften,  an- 
sichgehaltenen  Chorsprechen;  man  merkt  formlich  die  gebandigte  elementare  Ge- 
walt  des  Redestroms,  dessen  rohe  Masse  durch  den  eigenen  Willen  zuriickgehalten 
wird.  Wie  in  einem  grossen  Orchester  kann  die  gebundene  Tonfiille  durch  ein  ge- 
ringes  Zutun  der  Einzelnen  in  machtigen  Proportionen  sich  steigern,  ohne  dass  die 
Schonheitslinie  iiberschritten  wird;  eine  ganze  Skala  von  feinsten  Nuancen  kann 
durchlaufen  werden;  im  Crescendo  kann  der  Chor  bis  zum  Sturmesbrausen  an- 
schwellen  und  im  Decrescendo  bis  zum  leisesten  Gefliister  herabsinken. 

Ein  solches  Chorsprechen  muss  fiir  das  Kind  von  packender  Vorbildlichkeit  und 
Anschaulichkeit  sein.  Sein  Sprachgefiihl  wird  auf  diese  Weise  kraftiger  angeregt, 
als  wenn  ein  Einzelner  vorliest.  Diese  Beobachtung  kann  man  jeden  Tag  machen. 
Eine  beim  Einzellesen  stets  falsch  betonte  Stelle  wird  sogleich  besser  gelesen,  wenii 
man  sie  einige  Male  hat  im  Chore  lesen  lassen.  Es  ist  das  ein  ganz  vorziigliches 
Mittel,  ich  mochte  sagen,  das  einzige  Mittel,  eine  sinngemiisse  Betonung  irgend 
einer  Stelle  auf  kiirzestem  Wege  herbeizufiihren.  Da  werden  alle  gezwungen,  mit 
tatig  zu  sein,  die  Schwacheren  werden  von  den  Besseren  mit  fortgerissen,  der  Ton- 
korper  der  ganzen  Klasse  dringt  auch  in  die  verschlossensten  Ohren  und  fiihrt  auch 
den  stumpfsten  Geistern  die  richtige  Betonung  in  markiger  Weise  vor,  so  dass  em 
Abweichen  von  dieser  vorgezeichneten  Linie  nicht  mehr  moglich  ist. 

Was  das  Tempo  des  Chorlesens  anlangt,  so  muss  darauf  gehalten  werden, 
dass  dasselbe  recht  flott  geht.  Jede  Langsamkeit,  zu  der  die  Kinder  beim  Chorlesen 
gern  neigen,  birgt  die  Gefahr  in  sich,  dass  der  Tonfall  singend  und  leierig  wird.  Ein 
schnelleres  Lesen  lasst  die  Vokale  nicht  zu  lange  festhalten,  wodurch  ein  Ziehen 
derselben  vermieden  wird.  Auf  ein  solches  flottes  Tempo  ist  von  vornherein  grosses 
Gewicht  zu  legen,  es  schutzt  vor  manchen  Gefahren. 


Das  Chorsprechen  und  -lesen  in  der  Schule.  243 

Auch  die  T  o  n  h  6  h  e  des  Sprechchors  ist  von  Bedeutung;  sie  ergibt  sich  in  der 
Regel  von  selbst.  Das  Gefiihl  weist  die  Kinder  schon  auf  die  richtige  Hohe;  wenn 
noch  einige  ,,Brummer"  dazwischen  sind,  kann  man  bald  nachhelfen,  indem  man  aie 
zunachst  zuhoren,  sie  auch  wohl  mit  nur  einem  Schiiler  zusammen  sprechen  lasst 
oder  sie  notigt,  recht  laut  zu  sprechen  u.  dergl.  Mit  der  Zeit  finden  sie  sich  in  den 
rechten  Ton  hinein. 

So  tritt  das  Chorsprechen  iiberall  nur  helfend  auf.  Die  eingangs  erwahnte  An- 
weisung  muss  also  folgende  Reihenfolge  aufweisen:  1.  Vorlesen  dea  Lehrers,  2. 
Nachlesen  der  Schiller  und  zwar  1.  im  Chor,  2.  einzeln.  Das  Einzellesen  muss  als 
das  zu  erstrebende  Ziel  den  Beschluss  bilden,  das  Chorlesen  geht  ihm  als  Mittel, 
dies  Ziel  zu  erreichen,  voran. 

Schon  auf  der  Unterstufe  tritt  das  Chorsprechen  auf ;  es  beschrankt 
sich  hier  allerdings  naturgemass  eben  auf  das  Sprechen;  das  Chorlesen  wird 
hier  noch  nicht  angewandt  werden  konnen,  weil  die  Kinder  noch  zu  unsicher  im 
mechanischen  Lesen  sind.  Beim  Einpragen  kleiner  Satze  und  Verse,  das  auf  dieser 
Stufe  ja  noch  in  der  Schule  geschieht,  wird  aber  das  Chorsprechen  wichtige  Dienste 
leisten. 

Auf  der  M  i  1 1  e  1  s  t  u  f  e,  wo  die  Kinder  schon  gelaufiger  lesen  konnen,  wird 
auch  das  Chorlesen  eintreten  und  bis  ans  Ende  der  Schulzeit  als  ein  wichtiges  Un- 
terrichtsmittel  benutzt  werden  miissen.  Besonders  wird  es  immer  da  angewendet 
werden,  wo  es  hauptsiichlich  auf  guten  Vortrag  und  richtige  Betonung  ankommt. 
Bei  dem  sogenannten  kursorischen  Lesen,  bei  dem  es  mehr  auf  die  mechanische  Lese- 
fertigkeit  ankommt,  wird  es  daher  seltener  Verwendung  finden,  obgleich  auch  hier 
stets  dann,  wenn  falsch  betont  wird,  zum  Chorlesen  gegriffen  werden  mag,  das  so 
lange  wiederholt  wird,  bis  die  richtige  Betonung  beim  nachfolgenden  Einzellesen 
erreicht  ist.  Um  die  Kinder  nicht  zu  ermiiden,  darf  nicht  zu  viel  auf  einmal  im 
Chore  gelesen  werden;  wenn  ein  kleiner  Abschnitt  im  Chore  geiibt  ist,  folgt  gleich 
das  Einzellesen. 

Dass  das  Chorlesen  durch  eine  genaue  Ordnung  geregelt  werden  muss,  ist  Be- 
dingung  fiir  den  Erfolg  desselben.  Durch  kurze  Kommandos  oder  auch  durch  Zahlen 
muss  besonders  der  Beginn  desselben  scharf  markiert  werden. 


Unterricht  in  der  Bildersprache. 


(Deutsche  Blatter  fur  erziehenden  Unterricht.) 


Von  Dr.  Gerhard  Heine,  Bernburg,  a.  S. 


Die  Behandlung  von  dichterischen  Stiicken  hat  auf  der  Unterstufe  besonders 
das  Ziel,  das,  was  der  Dichter  sagt,  wohltonend  in  der  Seele  des  Kindes  widerhallen 
zu  lassen.  Sie  sieht  ab  von  der  verstandesmassigen  Zergliederung  iiber  das  Wie? 
und  Wodurch  ?  dieser  Wirkung.  Doch  schon  dieses  Ziel  verlangt  beim  Kinde  ein  lie- 
bevolles  Entgegenkommen,  ein  freudiges  Verstiindnis  fur  dichterische  Form  nnd  An- 
schauung.  Die  Anlage  dazu  ist  in  hohem  Grade  vorhanden.  Ich  sehe  die  heller 
leuchtenden  Augen  vor  mir,  wenn  ich  an  die  Geschichtsstunden  denke,  die  ich  durch 
Vorlesen  eines  Gedichtes  unterbrach.  Wenn  aber  das  Kind  Teilnahme  und  Span- 
jmng  schenken  soil,  so  stellt  es  seine  Gegenf orderung :  es  will  nicht  soviel  erklart, 
nicht  soviel  zergliedert  haben;  die  Augen,  die  sich  an  einer  Bliite  satt  gesehen  haben, 
schweifen  lieber  weiter,  als  dass  sie  geneigt  waren,  aufmerksam  die  Staubfaden  zu 
zahlen.  Gleichwohl  aber  ist's  notig,  dass  Klarheit  herrsche.  Der  Genuss  wachst  bei 
liebevollem  Vertiefen,  und  die  Unfahigkeit  dazu  zu  nahren,  1st  recht  die  Vor- 
bereitung  fiir  oberflachliche,  zerfahrene  Lektiire.  Es  ist,  von  diesem  Gesichtspunkt 
aus  betrachtet  besonders  wertvoll,  vor  der  Lektiire  den  Stoff  des  Gedichtes  ent- 
wickeln,  gleichsam  selber  dichten  zu  lassen,  sowie  in  diese  Entwicklung  die  der 
Erklarung  bediirftigen  Ausdriicke  .einzuflechten.  Die  Moglichkeit  dazu  bietet  fast 
jedes  Gedicht.  Wenn  dann  die  Lektiire  erfolgt,  so  wird  sie  ein  Verstiindnis  finden, 
das'  auch  kiinstlerisch  reiner  und  hoher  ist  und,  weil  es  klare  Durchdringung  vor- 
aussetzt,  auf  der  Freude  an  den  dichterischen  Mitteln,  an  der  Form,  beruht. 

Dieses  wiinschenswerte  Ziel  zu  erreichen,  scheint  mir  nun  noch  ein  anderes 
Mittel  anwendbar  zu  sein.  Nicht  nur  darauf  kommt's  an,  vor  der  Lektiire  jedes 
cinzelnen  Gedichtes  das  Verstandnis  fiir  dieses  zu  wecken.  Dichterische  Form  und 
Anschauung  haben  in  alien  Dichtungen  viel  Gemeinsames.  Wenn  es  gelange,  dafiir 
Stimmung  und  Verstandnis  zu  pflegen,  so  ware  damit  eine  Vorbereitung  nicht  fiir 
Gedichte,  sondern  fiir  die  Dichtung  gegeben.  Dichtersprache  aber  ist  Bildersprache. 
Bildersprache  miissen  die  Kinder  verstehen  lernen,  dann  verstehen  sie  Dichter- 
sprache. 

Es  soil  etwa  an  einem  schonen  Friihlingsmorgen  Robert  Reinicks  Friih- 
lingslied  ,,Wie  ist  doch  die  Erde  so  schon"  gelesen  werden.  Die  Kinder  lernen  ver- 
stehen, wie  ein  Dichter  die  Welt  ansieht,  wie  ihm  die  Vogel  die  Schonheit  des 
Friihlings  singen  und  die  Fliisse  und  Seen  ihn  abmalen.  Dass  dies  nicht  nur  die 
Dichter  tun,  sondern  alle,  auch  sie  selber,  das  merken  zu  lassen,  findet  sich  andere 
Gelegenheit.  Sie  haben  sich  ja  selber  mit  ihrem  Schaukelpferd  auf  du  und  du  ge- 
standen.  Beim  ersten  lateinischen  Stiick  entdecken  wir  mit  Erstaunen,  dass  das 
Lateinische  keinen  Artikel  hat.  Diese  Gelegenheit  kann  dazu  fiihren,  die  anschau- 
iiche,  bildende  Kraft  der  deutschen  Sprache  zu  zeigen.  Nicht  nur  Mann,  Fran  und 
Kind  verteilen  unter  sich  die  Artikel,  auch  Hahn,  Henne  und  Kiichlein,  auch  Baum, 
Blurne  und  Baumchen.  Der  Baum  wird  als  Mann  angesehen,  die  Blume  als  Frau, 
das  Baumchen,  das  Bliimchen  als  Kind  (vgl.  Hildebrand,  Vom  deutschen 
Sprach unterricht).  Es  ist  ein  wahres  Vergniigen,  sie  dies  entdecken  zu  lassen. 


Unterricht  in  der  Bildersprache.  245 

Solche  dichterische  Anschauung  schliigt  ganz  in  ihr  eigenes  Gebiet,  1st  ja  auch  eonst 
ihre  Starke.  Diese  zu  erhalten,  ist  eine  schone  Aufgabe  der  Schule.  Was  sie  so 
oft  unbewusst  getan  haben,  sollen  sie  nun  auch  mal  bewusst  tun.  Denkt  Euch  ein 
Volk,  das  ruhig  und  im  Frieden  lebt.  Das  wird  plotzlich  von  einem  andem  Volke 
angegriffen  und  bekriegt.  Womit  lasst  sich  das  vergleichen?  Ein  kurzes  Stutzen, 
und  dann  regnen  die  Vergleiche  von  dem  Himmel,  der  iiber  dem  kindlichen  Horizonte 
sich  ausspannt.  ,,Mit  dem  Wolf,  der  in  die  Schafherde  einbricht."  ,,Wie  wenn  der 
Habicht  auf  die  Hiihner  herabstosst."  ,,Wenn  ieh  auf  der  Strasse  gehe  und  denke 
an  nichts,  und  dann  klopft  mich  einer  plotzlich  auf  die  Schulter"  u.  s.  w. 

Beliebte  Vergleiche  wie  z.  B.  der  Schlacht  mit  dem  Gewitter  konnen  in  dieser 
Weise  nicht  nur  gefunden,  sondern  auch  einmal  griindlich,  anschaulich,  lebhaft  und 
packend  ausgefiihrt  werden.  Die  Kinder  werden  dann  sicher  eher  befahigt,  kiirzere, 
metaphorische  Ausdriicke,  die  aus  diesem  Gebiet  genommen  sind,  in  ihrer  Bildlich- 
keit  und  urspriinglichen  Frische  zu  fiihlen.  Auch  der  Sinn  fiir  das  Treffende  der 
Bilder  kann  leicht  gescharft  werden,  wenn  das  Recht  der  Vergleiche  zu  hinken  nicht 
gar  zu  unumschrankt  anerkannt  wird.  Doch  lieber  iippige  Ranken  als  Stubenge- 
wachse;  die  Phantasie  hat's  notig,  munter  zu  treiben,  und  will  geschutzt  sein,  vor 
allem  dagegen,  ,,dass  die  alte  Schwiegermutter  Weisheit  das  zarte  Seelchen  ja  nicht 
beleidige".  Jeder  soil  im  kleinen  die  Freude  dichterischer  Schopfungskraft  empfin- 
den. 

Besonders  die  Entwicklung  geistiger  oder  abstrakter  Begriffe  aus  sinnlichen  ist 
der  Aufmerksamkeit  wert.  Wie  Seele  und  Wille  dazu  kommen,  mit  See  und  Welle 
zusammenzuhangen,  dass  der  Zweck  mit  der  Schusterzwecke  von  gleicher  Ab- 
stammung  ist,  was  Ausbund  mit  binden  zu  tun  hat,  welches  Bild  den  Begriffen  des 
geistigen  Vorstellens,  Erfassens,  Begreifens,  Einbildens  zu  Grunde  liegt,  solehe 
und  ahnliche  Hinweise  miissen  dazu  dienen,  das  Denken  anschaulich  zu  machen 
und  den  Staub  von  den  alten,  schonen  Bildern  wegzublasen.  Die  Schxiler  miissen 
erkennen,  wie  erst  das  Auge,  das  wieder  das  Sinnliche,  Bildliche  erfasst,  fiihig 
wird,  die  Schonheit  der  Dichterrede  zu  verstehen,  und  dass,  worauf 's  mir  hier  gerade 
besonders  ankommt,  die  Schonheit  des  Stiles  zum  guten  Teil  auf  der  Fahigkeit 
bildlichen  Erfassens  beruht. 

Wenn  das  Wort  gilt,  dass  der  Stil  der  Mann  ist,  so  liiest  sich  auch  aus  der 
Eigentiimlichkeit  der  Bilder  die  der  Geistesrichtung  erkennen.  Und  das  ist  in  der 
Tat  der  Fall. 

Nicht  nur  die  orientalische  Phantasie  zeigt  ihre  Verschiedenheit  von  der  ger- 
manischen  in  der  Art,  wie  sie  sich  in  Bildern  auepriigt;  auch  innerhalb  des  Germa- 
nischen  sehen  wir  dasselbe,  wenn  wir  Goethe  iuit  Shakespeare  oder  Schiller  ver- 
gleichen. Die  hebraische  Phantasie  ist  wohl  kiihn  und  machtvoll,  aber  die  An- 
schaulichkeit,  die  schlichte  Einfalt  fehlt  ihr  oft,  sie  liebt  es,  Bilder  weiter  zu  malen, 
Faden  weiter  zu  spinnen  um  der  Bilder,  nicht  um  der  Sache  willen.  Es  ist  notig,. 
sich  damit  vertraut  zu  machen,  um  das  Befremdende  daran  zu  iibenvinden,  ja  um 
iiberhaupt  das  richtige  Verstandnis  zu  gewinnen.  Die  peinliche  Ausdeutung  der 
einzelnen  Ziige  neutestamentlicher  Gleichnisse  wird  der  orientalischen  Phantasie 
nicht  gerecht.  Ein  Gleichnis  wie  das  vom  ungerechten  Haushalter  zeigt,  wie  notig 
das  Verstandnis  daf iir  ist.  Schnellers  Werk  }rKennst  du  das  Land ?"  ist  ge- 
eignet,  aus  der  Redeweise  der  jetzigen  Orientalen  die  der  damaligen  verstehen  zu 
lehren. 

Die  Dichtereigentumlichkeit  Goethes  und  Shakespeares  vergleicht  R  ii  m  e  1  i  n 
in  seinen  Shakespearestudien  (2.  Auflage,  S.  271  ff.).  Kaum  hat  er  im  allgemeinen 
die  besondere  Natur  der  Dichtergabe  eines  jeden  geschildert,  so  wendet  er  sich  dazu, 


246  Padagogische  Monatshefte. 

den  Beleg  und  die  Anwendung  zugleich  zu  geben,  indem  er  das  Vergleichungsver- 
rnogen  beider  Dichter  betrachtet.  ,,Die  Bilder  Shakespeares  sind  in  der  Regel  kiih- 
ner,  frappanter,  fernerliegend,  die  von  Goethe  einfacher,  treffender,  wahrer.  Jene 
ruhen  auf  einer  Einbildungskraft  von  der  wunderbarsten  Beweglichkeit,  diese  auf 
einer  Fiille  und  Breite  der  klarsten  Anschauungen.  Shakespeares  Vergleiehungen 
halten  manchmal  die  niihere  Priifung  nicht  aus;  sie  neigen  sich  zur  Hyperbel;  es 
fehlt  ihnen  nicht  selten  die  sinnliche  Vollziehbarkeit .  . . .  Shakespeare  erfindet  die 
Ahnlichkeiten,  Goethe  sieht  sie.  Jener  hatte  nicht  die  reiche  Naturkenntnisse,  die 
breite  Welterfahrung,  das  umfassende  Wissen;  die  Phantasie  hatte  alles  aus  sich 
selbst  zu  schopfen,  die  Gebilde  von  unbekannten  Sachen  auszugebaren  und  dem 
luftigen  Xichts  festen  Wohnsitz  zu  geben.  Diesem  drangen  sich  die  Bilder  der 
wahrgenommenen  Dinge  zu,  wie  die  Schatten  urn  Odysseus  Haupt,  dass  er  sich 
ihrer  nur  zu  erwehren  hatte  und  eine  Auswahl  trefFen  musste,  welchen  von  ihnen  er 
das  Wort  vergonnen  will." 

So  tragt  ein  aufmerksames  Betrachten  der  Bilder  zum  Verstandnis  der  Dichter- 
eigentu'mlichkeit  bei.  Ja  auch  die  Entwicklung  e  i  n  e  s  Dichters  geht  Hand  in 
Hand  mit  der  seines  Vergleichungsvermogens.  Die  Unfertigkeit  des  jungen  Schiller, 
der  spiiter  so  meisterhaft  die  Kunst  der  Bildersprache  verstand,  lasst  sich  kaum 
besser  als  an  der  Verschwommenheit  seiner  Bilder  verstiindlich  machen,  z.  B.  an 
dem  Durcheinander  der  Bilder  in  der  ersten  Strophe  der  ,,Grosse  der  Welt": 

Die  der  schaffende  Geist  aus  dem  Chaos  schlug, 
Durch  die  schwebende  Welt  flieg'  ich  des  Windes  Flug, 

Bis  am  Strande 

Ihrer  Wogen  ich  lande, 
Anker  werf,  wo  kein  Hauch  mehr  weht, 
Und  der  Markstein  der  Schopfung  steht. 

Oder  an  den  Vergleichen  der  Elegie  auf  den  Tod  eines  Junglings,  die  teils  einer 
den  andern  verdrangen,  teils  links  und  rcchts  iiber  die  Grenzen  des  Masses  und  Ge- 
schmackes  hinausgehen. 

Nicht  nur  zum  Verstandnis  der  Jugendentwicklung  Schillers,  auch  um  den 
eignen  Stil  zu  bilden,  sind  seiche  Hinweise,  wie  iiberhaupt  das  Studiuni  bildlicher 
Vergleiche,  wertvoll. 

Einige  recht  drastische  Beispiele  fur  misslungene  Vergleiche  tun  als  Vogel- 
scheuchen  gute  Dienste,  so  das  bekannte  vom  Zahn  der  Zeit  oder  von  den  Univer- 
sitaten,  die  wie  rohe  Eier  sind,  und  sobald  man  sie  antastet,  sich  auf  die  Hinter- 
beine  setzen.  Dadurch  wird  auch  das  stumpfeste  Gefiihl  aufgeriittelt  und  fahig,  nun 
auch  das  Gemengsel,  das  sich  in  andern  Redensarten  findet,  zu  erkennen,  so  wenn 
von  durchschlagendem  Eindruck  gesprochen  wird,  was  Wustmann  anfiihrt, 
oder  wenn  der  Schwerpunkt  der  Frage  gipf eln  soil . . . . ,  wie  H  e  i  n  /  e  zitiert. 

Diesen  Ausgeburten  der  Fliichtigkeit  miissen  dann  klassische  Beispiele  treffen- 
der Bilder  gegeniibergehalten  werden,  wie  sie  unsere  Dichter  soviel  bieten.  Die 
Schiller  miissen  nur  erst  lernen,  aufzumerken,  und  es  wird  sich  lohnen,  Vergleiche 
und  Bilder  sammeln  und  in  der  Schule  vorlesen  zu  lassen.  Die  Absicht  dea  Sam- 
melns  macht  aufmerksam,  und  wer  gefunden  hat,  wird  auch  den  Fund  untersuchen, 
ob's  ein  echter  Edelstein  ist. 

Die  Sehonheit  eines  Bildes  beruht  besonders  darauf,  dass  es  nicht  nur  im 
Voriibergehen  mit  einem  Blick  gestreift  wird,  sondern  dass  der  Blick  sich  darein 
vertieft.  Wie  oft  wird  davon  gesprochen,  dass  ein  Kunstler  das  Leben  malt,  ohne 


Unterricht  in  der  Bildersprache.  247 

class  einer  an  den  Maler  denkt.  Wie  hiibsch  und  lebendig  wird  gleich  das  Bild, 
wenn  es  so  ausgefiihrt  wird,  wie  jiingst  in  den  Fliegenden  Blattern:  Auch  Idealisten 
malen  das  Leben  naturgetreu,  aber  sie  sagen  stets  zu  ihrem  Modell :  Wenn  ich  bitten 
darf,  recht  freundlich. 

Darauf  beruht  das  Geheimnis  der  Vergleichung,  das  Bild,  das  durch  eine  leise 
Ahnlichkeit  sich  eingestellt  hat,  nicht  gleich  entschliipfen  zu  lassen,  sondern  fest- 
zuhalten  und  zu  zeigen,  wie  es  auch  noch  einen  andern  verwandten  Zug  hat. 

Ich  setze  als  Beispiele  zwei  bekannte  Bilder  her.  Leasing  in  der  Hamb. 
Dram.:  ,,Ich  fiihle  die  lebendige  Quelle  nicht  in  mir,  die  durch  eigene  Kraft  sich 
emporarbeitet,  durch  eigene  in  so  reichen,  so  frischen,  so  reinen  Strahlen  auf- 
schiesst;  ich  muss  alles  durch  Druckwerk  und  Rohren  aus  mir  herauspressen"  und 
Schiller,  Uber  das  Pathetische:  ,,Die  Poesie  kann  dem  Menschen  werden,  was 
dem  Helden  die  Liebe  ist.  Sie  kann  ihm  weder  raten,  noch  mit  ihm  schlagen,  noch 
sonst  eine  Arbeit  fur  ihn  tun;  aber  zum  Helden  kann  sie  ihn  erziehen,  zu  Taten 
kann  sie  ihn  rufen  und  zu  allem,  was  er  sein  soil,  ihn  mit  Starke  ausriisten." 

Die  Bildersprache  hat  Ahnlichkeit  mit  dem  Witz.  Aber  wahrend  dieser  nach 
einem  bekannten  Worte  ein  Priester  ist,  der  jedes  Paar  kopuliert,  so  finden  sich 
beim  guten  Vergleich  nur  die  Paare  zusammen,  deren  Ehe  im  Himmel  geschlossen 
ist.  Eine  tiefe  Wesensverwandtschaft  muss  Bild  und  Sache  verbinden.  Wo  hingegen 
eine  komische  Wirkung  am  Platze  ist,  da  wird  sie  vielfach  dadurch  erreicht,  dass  nur 
ein  loser  Faden  das  Bild  an  die  Sache  kniipft.  So  wenn  Frau  Rat  ihre  Schwieger- 
tochter  bittet,  ihr  Biicher  zu  senden :  ,,Wir  haben  hir  das  Thirische  Leben  betrefendt 
annichts  mangel  —  aber  dem  Geist  geht  es  wie  Adonia  dem  Konigs  Sohn  im  Alten 
Testament  —  von  dem  geschrieben  steht  wie  wirst  du  so  mager  du  Konigs  Sohn." 
(15.  2.  98.) 

Weithergeholt  und  breit  ausgefiihrt,  beides  tragt  zur  komischen  Wirkung  bei. 

Nun  hat  aber  iiberhaupt  kein  rhetorisches  Bild  die  Verpflichtung,  ein  Portrat 
der  Sache  zu  sein;  ja  eine  besondere  Kunst  der  Rede  besteht  darin,  durch  Hinweis 
auf  die  nicht  zutreffenden  Ziige  des  Bildes  die  Sache  naher  zu  erliiutern.  Denn  das 
gilt  ein  fiir  allemal  als  Grundsatz,  dass  nicht  die  Bilder  um  ihrer  selbst  willen, 
sondern  um  der  Sache  wrillen  da  sind.  Ein  schones  Beispiel,  wie  in  dieser  Weise  ein 
abweichender  Zug  des  Bildes  benutzt  wird,  findet  sich  am  Schluss  von  Fried- 
richs  des  Grossen  de  la  litterature  allemande:  ,,Diese  schonen 
Tage  unserer  Literatur  sind  noch  nicht  gekommen,  aber  sie  nahen.  Ich  kiindige 
sie  Ihnen  an,  sie  sind  im  Anzuge;  ich  werde  sie  nicht  schauen,  das  zu  hoffen  verbie- 
tet  mir  mein  Alter.  Mir  geht's  wie  Moses:  ich  sehe  das  gelobte  Land  von  ferae, 
aber  ich  werde  es  nicht  betreten.  Lassen  Sie  mir  diesen  Vergleich  hingehen.  Moses 
bleibt  darum  doch,  was  er  ist,  und  ich  will  niich  keineswegs  mit  ihm  in  eine  Linie 
stellen;  die  schonen  Tage  der  Litteratur  aber,  die  wir  erwarten,  sind  mehr  wert, 
als  die  kahlen  und  diirren  Felsen  des  unfruchtbaren  Idumaa."  (tibers.  von  Simon.) 
Ja  sogar  ein  Herausfallen  aus  dem  Vergleich  kann  von  besonderer  Wirkung  sein,  so 
wenn  Jesajas  Kap.  31  den  Konig  (oder  Gott)  der  Assyrer  als  ihren  Fels  bezeichnet, 
der  vor  Grauen  davonlauft.  (Ob  diese  tfbersetzung  die  treffendste  ist,  bleibt  hier 
gleichgiiltig.) 

Es  ist  niitzlich  und  bietet  sich  Gelegenheit  genug,  die  Schiiler  auf  diese  Grund- 
eatze  und  Arten  der  Gleichnisbildung  hinzuweisen.  Aber  es  geniigt  nicht.  C  h  o  1  e- 
v  i  u  s  in  seiner  Praktischen  Anleitung  zur  Abfassung  deutscher  Aufsatze  stellt  des- 
halb  die  lohnende  tibung  an,  einzelne  Stiicke,  die  durch  Schonheit  der  Bilder  sich 
auszeichnen,  in  diirre  Prosa  zu  verwandeln,  um  durch  den  Gegensatz  die  Schonheit 


248  Padagogische  Monatshefte. 

des  Stils  rum  Bewusstsein  zu  bringen.  So  ein  Beispiel  aus  Schiller.  ,,In  den 
Briefen  iiber  iisthetische  Erziehung  hatte  er  folgende  Bemerkung  auszusprechen: 
.Unsere  Zeit  macht  zu  ihrein  hochsten  Zwecke  den  Nutzen;  nur  nacli  ihm  sollen 
alle  kraftvollen  und  begabten  Menschen  streben.  Demgemiiss  finden  die  KUnstler 
fiir  ihre  geistigen  Werke  jetzt  keine  Anerkennung,  und,  von  niemand  beachtet, 
stellen  sie  bei  dem  matereillen  Treiben  des  Jahrhunders  endlich  ihre  Tiitigkeit  ein.' 
Vergleiche  hierinit  die  bilderreiche  Sprache  jener  Briefe:  ,Der  Nutzen  ist  das  grosse 
Idol  der  Zeit,  dem  alle  Krafte  fronen  und  alle  Talente  huldigen  sollen.  Auf  dieser 
groben  Wage  hat  das  geistige  Verdienst  der  Kunst  kein  Gewicht  und,  aller  Auf- 
munterung  beraubt,  verschwindet  sie  von  dem  larmenden  Markt  des  Jahrhunderts.'" 

Von  noch  sicherer  Wirkung  scheint  mir  eine  andere  tibung  zu  sein,  namlich  ein- 
fach  die  Aufgabe  zu  stellen,  Bilder  zu  bestimmten  Gegenstanden  zu  suchen  oder 
umgekehrt  bestimmte  Dinge  zu  Bildern  zu  verwenden.  Die  Anregung  dazu  habe  ich 
aus  einem  Werke  von  Henry  Ward  Beecher  (Vortriige  iiber  das  Predigtamt, 
deutsch  von  Kannegiesser,  Berlin,  Berggold)  empfangen,  einem  Werke,  das 
mir  bei  uns  nicht  geniigend  bekannt  geworden  zu  sein  scheint,  obwohl  es  nicht  nur 
dem  Prediger,  sondern  iiberhaupt  dem  Redner  manches  Gute  bietet.  Er  verlangte 
von  seinen  Zuhorern:  ,,uben  Sie  sich  im  Stillen  vor  gedachten  Zuhorern;  machen 
Sie  Bilder  und  wenden  Sie  sie  an;  bilden  Sie  Sich  dazu."  S.  157. 

Eiuiges  kann  die  Schule  tun. 

Stellen  wir  die  Aufgabe,  den  Tapfern,  den  Idealisten,  den  Zankischen,  den 
Schwermiitigen  in  Bildern  darzustellen;  die  Phantasie  wird  nicht  vergeblich  an- 
gerufen. 

,,Die  Schwermut,"  schreibt  ein  Schiiler  (la),  ,.gleicht  einer  tiefen  finstern 
Hohle.  Mag  der  Sonnenschein  auch  noch  so  hell  sein,  es  bleibt  darin  immer  dunkel; 
wenn  man  auch  noch  so  frb'hlich  hineinruft,  es  schallt  doch  dumpf  zuriick." 

Oder  die  Forderung  wird  umgekehrt  gestellt. 

Moses,  der  das  heilige  Land  nur  schauen,  aber  nicht  betreten  durfte,  ein  Schiff 
im  Sturm,  ein  geblendeter  Vogel,  ein  prunkvoller  Rahmen  um  ein  schlechtes  Bild, 
ein  Wasserspiegel  oder  ein  Regenschirm  sollen  zu  Vergleichen  verwandt  werden. 
Nur  ein  Beispiel,  wie  die  letzte  Aufgabe  delost  ist:  ,,Der  Egoismus  des  Menschen  ist 
wie  ein  Regenschirm,  der  von  dem  Menschen  selbst  den  Regen  (in  diesem  Falle  alles 
Ltistige)  fernhiilt.  Doch  ebenso  wie  die  Tropfen,  wenn  man  den  Regenschirm  dreht, 
abspritzen  und  die  Voriibergehenden  treffen,  so  schieben  wir  durch  unsern  Egoismus 
das  Ltistige  gern  auf  unsere  Mitmenschen."  (Das  Bild  gleicht  einem,  das  sich  bei 
Bellamy,  Riickblick,  findet,  ist  aber  von  dem  Schiiler  nach  seiner  Aussage  selbst 
gefunden;  iibrigens  wurde  die  ubung  in  der  Schule  vorgenommen.) 

Von  besonderm  Werte  wird  es  nun  sein,  nachdem  die  Schiiler  selbst  gesucht 
haben,  zu  zeigen,  wie  in  klassischen  Mustern  das  gleiche  Bild  eigenartig  und  schon 
gemalt  ist.  Ebenso  lassen  sich  auch  an  misslungenen  Versuchen  die  Fehler,  an  denen 
Vergleiche  gern  kranken,  aufzeigen.  Wer  sich  vorher  mit  dem  gleichen  Bilde  be- 
schaftigt  hat,  wird  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  den  Irrwegen  schenken,  denen 
er  dabei  ausgesetzt  war. 

Den  Unterricht  in  der  Bildersprache  wird  die  Warnung  begleiten  miissen,  die 
Bilder  da  anzuwenden,  wo  der  Zweck  des  Aufsatzes  nicht  nach  Schonheit,  sondern 
nach  streng  sachlicher  Beweisfuhrung  oder  Begriffsbestimmung  verlangt.  Schil- 
ler sagt  in  seinem  Aufsatz  ,t)ber  die  notwendigen  Grenzen  beim  Gebrauch  schb'ner 
Formen'  dariiber:  ,,Zur  tJberzeugung  des  Verstandes  kann  allerdings  die  Schonheit 


Zur  Sprachgeschichte  irn  deutschen  Unterricht  des  Lehrerserninars.   249 

der  Einkleidung  ebensowenig  beitragen,  als  das  geschmackvolle  Arrangement  einer 
Mahlzeit  zur  Siittigung  der  Gaste,  oder  die  aussere  Eleganz  eines  Menschen  zur  Be- 
urteilung  seines  innern  Wertes.  Aber  ebenso,  \vie  dort  durch  die  schone  Anordnung 
der  Tafel  die  Esslust  gereizt  und  hier  durch  das  Empfehlende  im  Aussern  die  Auf- 
merksamkeit  auf  den  Menschen  iiberhaupt  geweckt  und  gescharft  wird,  so  werden 
wir  durch  reizende  Darstellung  der  Wahrheit  in  eine  giinstige  Stimmung  gesetzt, 
ihr  unsere  Seele  zu  6'ffnen,  und  die  Hindernisse  in  unserm  Gemiit  werden  hinweg- 
geriiumt,  die  sich  in  der  schwierigen  Verfolgung  einer  langen  und  strengen  Ge- 
dankenkette  sonst  wiirden  entgegengesetzt  haben.  Es  ist  niemals  der  Inhalt,  der 
durch  die  Schonheit  der  Form  gewinnt,  und  niemals  der  Verstand.  dem  der  Ge- 
schmack  beim  Erkennen  hilft.  Der  Inhalt  muss  sich  dem  Verstand  unmittelbar 
durch  sich  selbst  empfehlen,  indem  die  schone  Form  zu  der  Einbildungskraft  spricht 
und  ihr  mit  einem  Scheine  von  Freiheit  schmeichelt. 

Es  wiirde  aus  dem  Rahmen  dieses  Aufsatzes  hinausgehen,  Schillers  Gedanken 
weiter  zu  folgen.  Das  von  mir  erstrebte  Ziel  ist,  den  Unterricht  in  der  Rhetorik 
praktisch  nutzbar  zu  gestalten.  Denn  ich  meine,  dass  die  Lektiire  guter  Schrift- 
steller  und  die  Verbesserurg  der  Aufsatze  allein  nicht  geniigend  sind,  um  zu  diesem 
Ziele  zu  fiihren.  Fur  den  Begabten  mag's  ausreichen.  Fiir  die  Mehrzahl  wird's  gut 
sein,  noch  zu  andern  ubungen  verschiedener  Art  zu  greifen.  Nur  eine  davon  ver- 
euchte  ich  hier  anzugeben. 


Zur  Sprachgeschichte  im  deutschen  Unterricht  des 

Lehrerseminars. 


(Aus  den  Padagogischen  Blattern  fiir  Lehrerbildung  und  Lehrerbildungsanstalten.) 


1.  Das  ist  kein  Spielzeug  nicht. 

Die  neuen  preussischen  Lehrplane  fordern  fiir  Klasse  III.  des  Seminars:  Laut- 
lehre  und  Aussprachelehre,  deutsche  Mundarten;  fiir  Klasse  II:  Uberblick  iiber  die 
geschichtliche  Entwickelung  der  deutschen  Sprache,  Bedeutungswandel  —  also  kurz 
einen  sprachgeschichtlichen  Betrieb  des  grammatischen  Unterrichts.  Die  methodi- 
schen  Anweisungen  sagen,  dass  sich  diese  Belehrungen  iiberall  an  Beispiele  an- 
schliessen  und  auf  wesentliche  Erscheinungen  beschriinken  sollen.  Diese  Forderungen 
und  Anweisungen  sind  geboren  aus  dem  Geiste  Rudolf  Hildebrands;  ihre  Aus- 
fiihrung  wird  den  Seminaristen  das  Verstiindnis  fiir  das  Leben  und  Werden  unsrer 
Muttersprache  geben  und  in  ihnen  so  allmahlich  die  Werturteile  erzeugen,  die  sie  in 
Schenkendorfs  Worten  aussprechen: 

Sprache  schon  und  wunderbar, 
Ach,  wie  klingest  du  so  klar! 
Will  noch  tiefer  mich  vertiefen 
In  den  Reichtum,  in  die  Pracht; 
Ist  mir's  doch,  als  ob  mich  riefen 
Viiter  aus  des  Grabes  Nacht. 

Wie  wir  Lehrer  das  machen  miissen,  das  lehrt  uns  Rudolf  Hildebrand  an  Beispielen; 
und  darum  sollen  solche  Beispiele  aus  dem  Unterricht  im  Seminar  uns  auf  die  Wege 
Rudolf  Hildebrands  fiihren,  beziiglich  auf  den  begonnenen  Wegen  weiterfiiliren. 


250  Pddagogische  Monatshefte. 

Der  Bauer  ist  kein  Spielzeug  nicht. 

Wie  tief  hatte  sich  doch  der  Franzose  Chamisso  in  den  deutschen  Geist  und 
seine  Sprache  eingelebt!    Das  Riesenfriiulein  hat  aus  dem  Tal  in  seiner  Schiirze  den 
Bauer  mit  Pflug  und  Gespann  auf  die  Hohe  der  Burg  Niedeck  getragen. 
Sie  spreitet  aus  das  Tiichlein  und  fangt  behutsam  an, 
Den  Bauer  aufzustellen,  den  Pflug  und  das  Gespann; 
Wie  alles  auf  dem  Tische  sie  zierlich  aufgebaut, 
So  klatscht  sie  in  die  Hande  und  springt  und  jubelt  laut. 

Sie  erwartet,  dass  der  Vater  ihre  Freude  teile,  mit  ihr  lache  und  scherze,  ihre  Kraft 
bewundere;  aber  er  verneint  ihre  Hoffnung: 

Der  Alte  wird  gar  ernsthaft  und  wiegt  sein  Haupt  und  spricht : 
Was  hast  du  angerichtet  ?  das  ist  kein  Spielzeugnicht! 
Wo  du  es  hergenommen,  da  trag  es  wieder  hin! 
Der  Bauer  ist  kein  Spielzeug,  was  kommt  dir  in  den  Sinn! 

Das  Riesenfraulein  zogert,  das  artige  Spielding  wieder  hinzutragen,  wo  es  war;  da 
aber  fahrt  der  Vater  auf  und  gebietet  ihr  mit  rauher,  starker  Stimme: 

Sollst  gleich  und  ohne  Murren  erfiillen  mein  Gebot. 

Zwei  Urteile  iiber  den  Bauer  stehen  sich  gegeniiber;  so  urteilt  das  Kind,  anders 
der  Vater;  er,  der  Vater,  verneint  das  Urteil  seines  Kindes,  mit  ernster,  dann 
barscher  Stimme;  und  damit  diese  Verneinung  Kraft  habe,  damit  sie  von  dem 
Fraulein  nicht  iiberhort  \verde,  verdoppelt  er  sie:  das  ist  kein  Spielzeug 
nicht.  Ergebraucht  die  doppelte  Verneinung  A  1  s  ver- 
starkte  Verneinung.  So  will's  sein  Denken  und  Fiihlen,  so  will's  aber  auch 
die  Riesensprache;  denn  heute  spricht  man  nicht  mehr  so,  da  heisst's:  die  doppelte 
Verneinung  ist  eine  leise  Bejahung.  Doch  auch  unsre  grossen  Dichter  gebrauchen 
die  doppelte  Verneinung,  Lessing  sagt:  Keinen  wirklichen  Nebel  sah  Achilles  nicht 
—  Goethe:  Es  ist  kein  Schnee  nicht;  es  ist,  als  hatte  niemand  nichts  zu  treiben  und 
nichts  zu  schaffen  —  und  Schiller:  Alles  ist  Partei  und  nirgends  kein  Richter.  Und 
neben  diese  Grossen  stellt  sich  der  thiiringische  Bauer,  der  foergeblich  nach  etwas 
gesucht  hat,  und  berichtet  voll  Verdruss :  ech  konne's  nergends  nich  f enge.  Wer  wird 
so  geschmacklos  sein,  eine  solche  Zusammenstellung  zu  wagen?  Jeder,  der  sich 
einen  Schiiler  Rudolf  Hildebrands  nennt,  und  das  sind  viele  und  werden  Gott  sei 
Dank  immer  mehr.  Doch  die  Griinde?  Sie  stehen  in  der  letzten  Strophe  von 
Chamissos  Gedicht: 

Burg  Niedeck  ist  im  Elsass  der  Sage  wohlbekannt, 
Die  Hohe,  wo  vorzeiten  die  Burg  der  Riesen  stand; 
Sie  selbst  ist  nun  verf alien,  die  Statte  wiist  und  leer; 
Und  fragst  du  nach  den  Riesen,  du  findest  sie  nicht  mehr. 

Die  doppelte  Verneinung  als  verstarkte  Verneinung  ist  die  Sprache  der  Zeit,  da 
von  unsern  Hohen  stolze  Ritterburgen  hinunter  in  die  Tiller  schauten,  da  noch 
manniglieh  an  Riesen  und  Zwerge,  Elf  en  und  Wichte  glaubte,  die  mittelhochdeutsche 
Sprachstufe.  Und  darum  musste  der  Riese  von  der  Burg  Niedeck  in  den  Formen 
seiner  Zeit  sprechen  und  die  doppelte  Verneinung  gebrauchen. 

Zur  Verneinung  gebrauchte  man  mhd.  die  Partikel  en,  ne  oder  n.  Sie  trat  vor 
Umstandsworter,  Fiirwb'rter  und  Dingworter,  zumeist  aber  vor  Tatigkeitsworter. 
Wir  horen  sagen : 

daz  beste  daz  ich  ie  gewan  und  iemer  mac  gewinen. 

ie  bezieht  sich  auf  die  Vergangenheit,  iemer  (=  ie  +  mere,  also  von  jetzt  an)  auf 
das  Zukiinftige.   Wir  verneinen  beide  Worter  durch  ein  vorangestelltes  n  und  erhal- 


Zur  Sprachgeschichte  im  deutschen  Unterricht  des  Lehrerseminars.  251 

ten  n  +  ie  =  nie  und  n  +  iemer  =  niemer  =  nimer.  Aus  der  Entstehung  dieser 
Wb'rter  ist  ersichtlich,  dass  auch  nie  sich  auf  die  Vergangenheit,  nimmer  auf  die 
Zukunft  beziehen  muss.  Wir  greifen  das  Fiirwort  ieman  heraus  (ie  +  man),  d.  h. 
irgendeiner,  der  gedacht  werden  kann,  ohne  dass  man  ihn  naher  bezeichnet.  Es  ist 
der  mhd.  Vater  der  nhd.  jemand;  denn  das  d,  der  weiche  Zahnverschlusslaut,  ist  ein- 
fach  dadurch  hinzugekommen,  dass  die  bei  der  Aussprache  des  n,  des  Zahnnasals,  ge- 
schlossenen  Zahne  wieder  geoffnet  werden.  Jetzt  verneinen  wir  ieman  durch  die 
Verneinungspartikel  n  und  erhalten  nieman,  niemand.  Noch  wertvoller  wird  diese 
kleine  Verneinungssilbe  bei  der  Entstehung  unsers  nicht  und  nichts;  der  Stamm 
von  nichts  ist  iht;  das  ist  ein  zahlendes  Pronominalsubstantiv  und  bedeuted  irgend- 
ein  Ding,  etwas.  Von  ihm  wird  ein  schwaches  Verb  abgeleitet:  ihten,  oder  durch 
Ausstossung  des  t  =  ihen  =  nhd.  eichen,  d.  h.  eine  Sache  zu  etwas  machen,  ihr 
einen  Wert  geben.  Das  tun  die  Eichmeister  auf  dem  Eichamt  mit  dem  Eichstempel 
an  Gewichten  und  Gefiissen,  damit  diese  Dinge  den  Wert  erhalten,  der  ihnen  durch 
das  Gesetz  fiir  das  Verkehrswesen  zuerkannt  ist.  Nun  zuriick  zum  alten  iht;  es 
deklinierte  iht,  ihtes  oder  ihts,  ihte,  iht;  und  nun  verneinen  wir  es  durch  das  kleine 
Zauber-n,  und  so  erhalten  wir  die  Formen  niht,  nihts,  nihte,  niht.  Also  nicht  ist  ein 
etwas,  das  keinen  Wert  hat;  und  dieser  alte  Sinn  ist  in  dem  Dativ  zunichte  machen 
=  einer  Sache  den  Wert,  die  Eedeutung  nehmen,  bewahrt.  Unser  Verneinungswort 
nicht  ist  also  der  Nominativ,  nichts  der  Genetiv  eines  alten  Pronominalsubstantivs. 
Nicht  verlor  diesen  substantivischen  Charakter  gar  bald  und  sank  zum  blossen  Ver- 
neinungswort herab.  Es  war  eine  derbe,  kraftvolle  Zeit,  da  das  geschah;  es  war,  als 
die  Ritterheere  zum  Karnpf  gegen  die  lombardischen  Stiidte  und  den  Papst  Jahr  um 
Jahr  iiber  die  Alpen  oder  gegen  die  Tiirken  iibers  Mittelmeer  nach  Palastina  zogen, 
da  eisengepanzerte  Manner  mit  Schwert  und  Lanze  hochste  Ehre  errangen.  Und 
solche  Manner  voll  Kraft  redeten  auch  eine  kraftvolle,  markige  Sprache,  wenn  sie 
dem  andern  zustimmten  oder  anders  dachten;  sie  redeten  genau  wie  die  Bauern 
unsrer  Zeit.  Was  die  falsch  ansehen,  das  nennen  sie  auch  gleich  ordentlich  falsch. 
So  teilte  einer  meiner  Schiiler  (aus  Sulzbach,  3  Stunden  von  Weimar)  folgende 
Redewendungen  seiner  Heimat  mit :  Der  Jonge  hat  sich  falsch  ver- 
schrewn.  August  hat  das  Schreftstecke  falsch  veriinnert;  und  der 
Gastwirt,  der  in  ein  falsche  Zigarrenkiste  gegriffen  hatte,  entschuldigte  sich  mit  den 
Worten :  ech  ha  mech  falsch  vergreffen.  Uns  geniigt  zur  Bezeichnung  des 
Falschen  die  Vorsilbe  ver  (verschrieben,  verrechnen,  verziihlen),  dem  Bauer  nicht, 
er  muss  das  sicherer,  fester,  zweifelloser  aussprechen,  und  darum  sagt  er's  zweimal, 
durch  die  Vorsilbe  ver  und  das  Umstandswort  falsch.  Und  so  war's  auch  in  der 
Ritterzeit;  das  nicht  trat  neben  das  alte  ne,  en  oder  n  und  k  e  i  n  verstiirkend  hin- 
zu,  und  so  ward  die  doppelte  Verneinung  eine  verstarkte  Verneinung.  Die  Werke 
unserer  mhd.  Dichter  sind  voll  davon ;  hier  nur  zwei  Beispiele  von  Walter  von 
der  Vogelweide. 

Walter  hofft,  dass  sich  Herzog  Leopold  von  Gsterreich  auch  gegen  ihn  milde 
erweise;  aber  dies  Gliick  (saelde)  wird  ihm  nicht.   Daher  singt  er: 

Mir  ist  verspart  der  saelden  tor, 

da  sten  ich  als  ein  weise  vor: 

mich  hilfet  niht,  swaz  ich  dar  an  geklopfe. 

So  berichtet  er,  dass  sein  Bitten  ergebnislos  ist,  dass  es  verneint  wird:  mich 
hilfet  niht.    Aber  er  denkt  an  die  andern  alle,  die  sich  der  Gunst  des  Fiirsten 

erf  reuen : 

Des  fiirsten  milte  uz  Osterriche 
frout  dem  siiezen  regen  geliche 
beidiu  liute  und  ouch  daz  hint. 


252  Padagogische  Monatshefte. 

Das  verstimmt  ihn  und  macht  ihn  unwirsch,  ja  zornig;  und  darum  gebraucht  er 
run,  seinem  Arger  iiber  die  Verneinung  seiner  Bitten  dutch  den  Herzog  Leopold 
Ausdruck  zu  geben,  die  doppelte  Verneinung: 

Wie  mohte  ein  wunder  groezer  sin? 
ez  regent  bedenthalben  min, 
daz  mir  des  alles  niht  enwirt  ein  tropfe. 

Es  ist  1198;  die  Staufen  haben  Friedrich  I.  Sohn  Philipp,  die  Welfen  Otto  von 
Braunschweig  zum  Konig  gekiirt,  und  nun  durchtobt  Biirgerkrieg  die  deutschen 
Lande : 

Untriuwe  ist  in  der  saze, 
gewalt  vert  {if  der  straze: 
frid  unde  reht  sind  sere  want. 

Es  ist  dieselbe  Zeit,  da  Walter  aus  Osterreich  scheiden  und  als  ein  Fahrender 
durch  die  Lande  gehen  muss.    Seine  Not  und  des  Vaterlandes  Not  bedrlicken  sein 
Herz  und  machen  ihra  schwere  Gedanken. 
Ich  saz  uf  eime  steine 
und  dahte  bein  mit  beine, 
dar  uf  satzt'  ich  den  ellenbogen, 
ich  hete  in  mine  bant  gesmogen 
daz  kinne  und  ein  min  war.ge, 
do  dahte  ich  mir  vil  ange, 
wie  man  zer  werlte  solte  leben. 
Doch  all  sein  Den  ken  ist  umsonst. 

deheinen  rat  kund'  ich  gegeben, 
wie  man  driu  dine  erwurbe, 
der  keines  niht  verdurbe. 
diu  zwei  sint  ere  und  varnde  guot, 
daz  dicke  ein  ander  schaden  tuot: 
daz  dritte  ist  gotes  hulde, 
der  zweier  iibergulde. 
die  wolte  ich  gerne  in  einen  schri'n. 

Wie  lange  er  auch  sitzt  und  denkt,  er  findet  keinen  Rat,  und  daher  muss  er  be- 
triibt  und  traurig  bekennen: 

ja  leider  des  enmac  niht  sin, 
daz  guot  und  wertlich  ere 
und  gotes  hulde  mere 
zesomen  in  ein  herze  komen  . 

Achten  wir  scharf  auf  Stimmung  und  Sprache  des  Dichters.  Nach  dem  ersten 
Gang  seines  Denkens  und  Sinnens  begniigt  er  sich,  den  Misserfolg  durch  eine  ein- 
fache  Verneinung  auszusprechen : 

deheinen  (keinen)  rat  kund'  ich  gegeben. 

Als  er  aber  wiederholt  keinen  Weg  aus  der  Not  findet,  als  ihm  das  Herz  eng  dabei 
wird  (vil  ange)  und  ihn  der  Kummer  niederdriickt,  da  will  das  stiirkere  Gefiihl  auch 
einen  starkeren  Ausdruck  haben,  und  daher  gebraucht  er  jetzt  die  doppelte  Ver- 
neinung: 

ja  leider  daz  enmac  niht  sin. 

Und  so  ist's  in  mittelhochdeutscher  Zeit  immer;  eine 
verstarkte  Verneinung  wird  durch  eine  doppelte 
Verneinung  ausgedriickt. 


Zur  Sprachgeschichte  im  deutschen  Unterricht  des  Lehrerseminars.  253 

Auch  Luther  hat  diesen  Gebrauch  da  und  dort  beibehalten.  Einige  Zeugnisse! 
Im  1.  Kapitel  der  Klagelieder  wird  Versl— 4  Jerusalem  nach  der  Zerstorung  586 
els  eine  verlassene  Witwe  geschildert,  der  die  Tranen  des  Nachts  iiber  die  Backen 
laufen.  ,,Es  ist  niemand  unter  alien  ihren  Freunden,  der  sie  trb'ste.  . . .  Die  Strassen 
gegen  Zion  liegen  wiiste,  weil  niemand  auf  kein  Fest  komm t."  Und  als 
Jesus  den  Aussiitzigen  geheilt  hat,  verbietet  er  diesem,  von  der  Heilung  zu  erzahlen, 
mit  den  Worten :  ,,Siehe  zu,  dass  du  niemand  nichts  sages  t." 

Anders  ward  der  Gebrauch  im  18.  Jahrhundert ;  die  Gelehrten,  die  den  lateini- 
schen  Stil  als  Muster  aufstellen,  fanden,  dass  eine  doppelte  Verneinung  eine  Be- 
jahung  sei,  und  ihre  Ansicht  hat  sich  allmahlich  durchgesetzt.  Die  Zeit  unsrer 
Klassiker  kennzeichnet  sich  als  ubergang,  und  so  kommt  es,  dass  wir  bei  ihnen, 
wie  oben  an  einigen  Beispielen  gezeigt  wurde,  die  doppelte  Verneinung  ofters  noch 
als  verstarkte  Verneinung  finden.  Greifen  wir  nur  ein  Beispiel  heraus,  das  Wort 
Wallensteins  (Tod  III,  15):  ,,Alles  ist  Partei  und  nirgends  kein 
R  i  c  h  t  e  r."  Wallenstein  ist  in  schwerer  Gefahr;  alle  sind  von  ihm  gewichen,  auf 
die  er  gebaut;  jetzt  stehen  die  Pappenheimer  vor  ihm,  von  ihm  selbst  zu  erfahren, 
ob  er  ein  Feind  und  Landesverriiter  ist.  Jetzt  gilt's,  sie  zu  gewinnen,  dass  sie  bei 
ihm  bleiben  und  mit  ihm  gegen  den  Kaiser  streiten.  Er  sagt  ihnen,  dass  er  der  Welt 
aus  seinem  Lager  den  Frieden  schon  gekranzt  entgegefiihren  wolle;  denn  der 
Jammer  des  deutschen  Volkes  erbarme  ihn.  Und  zutraulich  fahrt  er  fort: 

Seht!    Fiinfzehn  Jahr  schon  brennt  die  Kriegesfackel, 

Und  noch  ist  nirgends  Stillstand.    Schwed'  und  Deutscher! 

Papist  und  Lutheraner !    Keiner  will 

Dem  andern  weichen!    Jede  Hand  ist  wider 

Die  andre !     Alles     ist     Partei     und    nirgends 

Kein    Richter!     Sagt,  wo  soil  das  enden ?    Wer 

Den  Kniiuel  entwirren,  der,  sich  endlos  selbst 

Vermehrend,  wachst?  —  Er  muss  zerhauen  werden. 

I  c  h    f  ii  h  1's,    dass    ich    der    Mann    des    Schicksals    bin, 

Und  hoff' s  mit  eurer  Hilfe  zu  vollfiihren. 

Wie  wunderbar  tief  begriindet  ist  doch  diese  doppelte  Verneinung!  Ihr  gehen 
einfache  Verneinungen  voraus,  sie  ist  die  Zusammenfassung  derselben.  Schon  die 
Wucht  der  Zusammenfassung  verlangt  Starke  und  Kiirze  des  Ausdruckes;  noch 
mehr  aber  der  Gegensatz,  den  Wallenstein  aufstellt.  Allem  stellt  er  sich  gegeniiber. 
Und  nun  vergleiche  man  den  Ausspruch: 

Alles  ist  Partei  und    nirgends    ein    Richter. 
Ich  f  iihl's,  dass  ich  der  Mann  des  Schicksals  bin, 

mit  dem  andern: 

Alles  ist  Partei  und    nirgends    kein    Richter. 
Ich  fiilil's,  dass  ich  der  Mann  des  Schicksals  bin  — 

und  man  wird  gestehen,  dass  der  Gegensatz:  ,,nirgend  kein  —  ich"  doch  viel  kraft- 
voller  wirkt  als  der  andere  ,,nirgend  ein  —  ich".  Und  so  hat  der  alte  Sprachgeist 
unsern  Schiller  beseelt  und  ihm  geboten,  seinen  gelehrten  Zeitgenossen  zum  Trotz 
die  doppelte  Verneinung  zu  gebrauchen,  damit  Sprachinhalt  und  Sprachform  sich 
einander  vermahle;  denn  das  haben  doch  unsre  Beispiele  gezeigt,  dass  hier  nichts 
Zufalliges  und  Willkiirliches,  sondern  etwas  Notwendiges,  aus  deutschem  Geist 
Geborenes  waltet. 


254:  Padagogische  Monatshefte. 

Und  so  ist's  nun  auch  nicht  zufallig,  dass  die  doppelte  Verneinung  vom  sog. 
gemeinen  Mann  und  vom  Bauer  noch  heute  massenhaft  gebraucht  wird.  Zwei  Ziige 
seines  Charakters  verlangen  das.  Liebe  und  Abneigung,  Freude  und  Leid,  Zustim- 
mung  und  Verwerfung,  das  alles  aussert  er  kriiftiger,  leidenschaftlicher  als  der  sog. 
gebildete  Mann.  Und  dann  ist  er  im  Grunde  seines  Wesens  doch  konservativ;  er 
ist  nicht  nur  der  Erhalter  und  Bewahrer  alter  Sitten  und  Gebriiuche,  sondern  auch 
alter  Sprachf ormen.  In  der  Mundart  des  gemeinen  Mannes  ver- 
bindet  sich  die  Sprache  alter  und  neuer  Zeit.  Auch  h  i  e  r  gilt, 
natiirlich  init  einer  gewissen  Beschrankung,  die  Gleichung:  volkstiimlich  = 
altertiimlich.  Und  daher  nun  noch  gewisse  Zeugnisse  aus  dem  Munde  des 
Volkes  selbst  und  aus  dem  Munde  volkstiimlicher  Schriftsteller. 

Aus  dem  Munde  des  ,,Galoppschusters"  in  Sulzbach  hat  der  obengenannte 
Schiiler  noch  folgende  Wendungen  gehb'rt:  s'  es  ooch  ke  Schpass  nech  —  in  d'r 
Schule,  da  hat  e  ke  mal  nischt  gekonnt  —  su  a  Paar  Langschafter  wie  die  dahier, 
die  fing'n  Se  nargends  en  keen  Schuhgeschiifte  nee  h."  Wie  stolz  ist  der 
Galoppschuster  auf  sein  Werk,  wie  voll  von  Verachtung  blickt  er  auf  die  Fabrik- 
ware  herab,  wie  kraftig  verneint  er  deren  Giite,  ein-,  zwei-,  dreimal:  nargends  — 
keen  —  nech!  In  einem  Volkslied  vom  alten  Fritz  (Fridericus  Rex,  Strophe  7) 
heisst  es: 

Unsre  Artillerie  hat  ein  vortrefflich  Kaliber, 

Und  von  den  Preussen  geht  keinernicht  zum  Feinde  nicht  iiber; 

Die  Schweden,  die  haben  verflucht  schlechtes  Geld, 

Wer  weiss,  ob  der  Osterreicher  besseres  halt. 

Und  in  Anton  Sommers  Bildern  und  Klangen  aus  Rudolstadt,  in  Thiiringen 
viel  gelesen,  heisst  es  z.  B.:  ,,De  alte  Knoppern  verseimte  kiine  Kerche  nech."  • 
Der  Nargelfriede  schreit  entriistet:  ,,Da  stieht  Jimal  widder  de  Kallerthb'r  sperr- 
angelweit  offen,  hat'er  ann  nur  gar  keene  Agen  nech?"  —  ,,Schuhmersch  Wilhelm  — 
s  war  su  a  Fidewig,  dar  nergends  nech  gut  tat."  ,,Und  d'r  Her  Kanter  setzte  iiinal 
sein'  Jong'  ausananner,  dass  manches  Dong  gar  nech  das  war',  was  sei  Name  aus- 
drb'ckte.  Guckt,  saht'r,  da  hasst's  a  Walfisch,  un  das  as  doch  gar  kii  Fesch  nech  — 
oder  d'r  Seidenworm,  un  das  as  doch  gar  ka  Worm  nech  —  oder  ane  Fischotter,  un 
das  as  doch  gar  keene  Otter  nech,  und  mere  dergleichen.  Und  wie  ar  nachen  zu'n 
Kb'nnern  sahte:  Na,  ihr  Jong',  war  kann  nier  noch  su  was  nenne?  da  reef  d'r  klane 
Rinkelmann:  Lagerbier:  mei  Vater  sprecht  ammer:  Unser  Lagerbier  etze,  dos  os 
gar  kee  Bier  nich." 

Wer  das  hb'rt  und  weiss,  woher  es  kommt,  der  iiberfliegt  in  Gedanken  die 
Jahrhunderte,  und  durch  seine  Seele  ziehen  Schenkendorfs  Wovte: 

Ist  mir's  doch,  als  ob  mich  riefen 
Vater  aus  des  Grabes  Nacht. 


Die  naturliche  Methode  in  der  Grammatik. 


(FUr  die  Padagogischen  Honatshefte. ) 


Von  Dr.  A.  Altschul,  San  Francisco,  Cal. 


In  der  Novembernummer  der  P.  M.  habe  ich  die  naturliche  Methode  (im 
weiteren  Sinne  des  Wortes;  ich  meine  damit  die  direkte  oder  konkrete  Methode)  des 
Sprachunterrichts  in  ihren  allgemeinen  Umrissen  zu  schildern  gesucht.  Heute  ge- 
denke  ich  einen  einzelnen  Punkt,  der  dort  nur  angedeutet  werden  konnte,  eingehen- 
der  zu  behandeln;  ich  meine  die  Anwendung  der  Idee  des  natiirlichen  Lehrens  auf 
das  Gebiet  des  grammatischen  Unterrichts. 

Ich  beginne  die  Besprechung  mit  einem  Bericht  iiber  das  wichtigste  auf  den 
Gegenstand  beziigliche  Buch:  Francois  Gouin's  L'art  d'enseigner  et  d'etudier  les 
langues,  Paris,  1880.  (Ich  benutze  und  citiere  nach  der  dritten  Auflage  der  unter 
dem  Titel  "The  Art  of  Teaching  and  Studying  Languages"  in  Scribners  Verlag  er- 
schienenen  englischen  ubersetzung. )  Von  den  fiinf  Abschnitten,  in  die  das  Buch  zer- 
fallt,  ist  der  ganze  dritte  Abschnitt,  S.  196 — 303,  der  Grammatik  gewidmet.  Der 
grammatische  Teil  ist,  wie  das  ganze  Buch,  weitschweifig  und  rhetorisch;  aber  der 
Wert  des  darin  enthaltenen  Guten  ist  sehr  gross.  Durch  das,  was  er  hier  bietet,  hat 
Gouin  sich  um  die  Begriindung  und  Ausbildung  der  natiirlichen  Grammatik  die 
grossten  Verdienste  erworben,  liesse  es  sich  feststellen,  dass  seine  Ideen  zur  Zeit 
ihrer  Veroffentlichung  ganz  neu  waren.  Dies  zu  entscheiden  bin  ich  nicht  im  stande. 
(Das  Buch  von  R.  Kron  ,,Die  Methode  Gouin",  Maiburg  1896,  worin  diese  Frage  ver- 
mutlich  besprochen  ist,  ist  mir  nicht  zuganglich.)  Meine  Meinung  geht  dahin,  dass 
Gouin  wohl  nicht  der  erste  gewesen  ist,  der  die  Idee  der  natiirlichen  Grammatik  ge- 
habt  und  sie  ausgesprochen  und  auch  verwirklicht  hat,  dass  er  aber  der  erste  war, 
der  dies  mit  Nachdruck  und  Konsequenz  und  mit  vollem  Bewusstsein  der  weit- 
reichenden  Bedeutung  der  Idee  getan  hat,  und  dass  s  e  i  n  Vorgang  es  war,  der  die 
Idee  zu  weiter  Verbreitung  und  Annahme  gebracht  hat,  wiihrend  das  von  seinen 
Vorgangern  wohl  nur  unbedeutend  und  unwirksam  gewesen  sein  kann. 

In  den  folgenden  Notizen  will  ich  versuchen,  dem  Leser  in  moglichster  Kiirze 
von  allem,  was  mir  in  dem  grammatischen  Teile  von  Gouins  Buch  von  besonderem 
Wert  mit  Hinsicht  auf  die  natiirliche  Grammatik  erscheint,  einen  Begriff  zu  geben. 
Ich  numeriere  die  Notizen,  um  nachher  bequemer  darauf  verweisen  zu  konnen. 

Notiz  1.  In  den  einleitenden  Bemerkungen,  auf  S.  196,  spricht  sich  Gouin  unge- 
fahr  wie  folgt  aus:  Es  gibt  jetzt  zwei  entgegengesetzte  Ansichten  iiber  das 
Studium  der  Grammatik  beim  Erlernen  fremder  Sprachen:  1.  Grammatik  ist  not- 
wendig;  in  der  Sprache  herrschen  Regeln;  diese  Regeln  also  miissen  erlernt  wer- 
den. 2.  Die  Grammatik  ist  iiberfliissig;  denn  Kinder  lernen  Sprachen  vollkommen 
ohne  Grammatik.  —  "Which  of  these  judgments  is  wrong?  which  is  right?  To  our 
mind,  both  are  well  founded,  and  it  is  by  reason  of  this  that  they  are  reconcilable. 
The  reconciliation  must  take  place  upon  the  basis  of  a  grammatical  reform."  Indem 
das  Kind  eine  Sprache  vollig  zu  beherrschen  lernt,  lernt  es  doch  tatsiichlich  Gram- 
matik. Wir  miissen  also  beim  Sprachunterricht  auch  Grammatik  lehren;  aber  wir 
miissen  uns  dabei  die  Methode  zum  Vorbild  nehmen,  womit  die  Natur  das  Kind 
Grammatik  lehrt;  wir  miissen  eine  naturliche  Methode  des  Grammatik-Lehrens  an- 
wenden. 


256  Padagogische  Monatshefte.  , 

Notiz  2.  Im  folgenden  gebe  ich  die  Hauptziige  von  Gouins  Lehrplan  fii  die  erste 
Unterrichtsstunde  in  einer  fremden  Sprache. 

la.  Der  Lehrer  pragt  zuerst  dem  Schiller  raiindlich  und  in  der  Mutter- 
s  p  r  a  c  h  e  ein  ,,theme"  ein,  d.  i.  eine  Reihe  von  kurzen  Siltzen,  die  eine  zusam- 
menhangende  Folge  von  Handlungen  ausdriicken  (siehe  S.  129  ff.  und  173) : 
Ich  schreite  auf  die  Tiir  zu. 
Ich  nahere  mich  der  Tiir. 
Ich  komme  bei  der  Tiir  an. 
Ich  bleibe  bei  der  Tiir  stehen. 
Ich  strecke  den  Arm  aus. 
Ich  fasse  den  Griff  an. 
u.  s.  w. 

Hierauf  f iingt  der  Lehrer  wieder  beira  Anfang  an  und  lehrt  das  V  e  r  b  u  m 
jeden  Satzes  in  der  fremden  Sprache. 

Hierauf  fangt  er  abermals  von  vorn  an,  und  nun  wird  in  der  fremden  Sprache 
zu  jedem  \rerbum  der  Rest  des  betreffenden  Satzes  gefiigt,  bis  das  ganze  theme  ein- 
gepriigt  ist. 

Ib.  Soweit  war  alles  miindlich.  Jetzt  wird  das  Buch  geoffnet  und  der  Schiiler 
liest  das  eben  studierte  theme. 

Ic.  Hierauf  schreibt  er  es  ab. 

Ha.  (S.  198.)  Hierauf  beginnt  (gleich  in  der  ersten  Stunde!)  das  gramrnatische 
Studium,  namlich  so:  Der  Lehrer  pragt  dem  Schiiler  miindlich  ein  die  fremd- 
sprachlichen  Formen  des  Indik.  Pras.  des  ersten  im  theme  vorkommenden  Ver- 
bums.  Er  schreibt  sie  dann  nieder  und  lasst  sie  auch  vom  Schiiler  schreiben;  der 
Stamm  wird  hierbei  von  den  Endungen  getrennt: 

ich  schreit  e  wir  schreit  en . . 

du  schreit  est  ihr  schreit  et 

er  schreit  et  sie  schreit  en 

Der  Schiiler  muss  dann  alle  im  theme  vorkommenden  Verben  so  abwandeln. 

lib.  Hierauf  wird  die  Abwandlung  wiederholt,  dabei  aber  jedem  Verbum  der 
Rest  des  Statzes,  worin  es  im  theme  erscheint,  zugefiigt : 

Ich  schreite  auf  die  Tiir  zu, 

Du  schreitest  auf  die  Tiir  zu.  u.  s.  w. 

He.  Die  beiden  letzten  tibungen  (Ha  und  lib),  sagt  Gouin  selbst,  sind  etwas 
abstrakt;  wir  miissen  uns  beeilen  wieder  ins  Konkrete  zu  kommen,  namlich:  es 
wird  jetzt  das  ganze  theme  in  die  zweite  Person  Sing,  iibertragen: 

Du  schreitest  auf  die  Tiir  zu, 

du  niiherst  dich  der  Tiir, 

du  kommst  bei  der  Tiir  an,  u.  s.  w., 

und  dann   ebenso   in   die   iibrigen   Formen,   wobei   also   jedesmal   eine   zusamtnen- 
hangende  Handlung  geschildert  wird. 

Notiz  3.  Auf  S.  205 — 207  wird  treffend  auseinandergesetzt,  dass  es  sehr  un- 
zweckmassig  ist,  das  Verbum  auf  die  Art  zu  lehren,  dass  man  dem  Schiiler  gleich 
eine  ganze  Konjugationstabelle  vorlegt,  die  er  sich  vor  allem  aneignen  soil,  worauf 
man  ihm  dann  zumutet,  die  einzelnen  Formen  richtig  zu  gebrauchen;  das  ver- 
niinftige  Verfahren  sei  viehnehr,  eine  jede  Form  fiir  sich  allein  darzustellen  und 
einzuiiben,  und  zwar  nieht  die  Form  allein,  sondern  Form  und  Bedeutung  zusammen. 

Notiz  4.  Auf  S.  231  ist  die  folgende  Tabelle  beachtenswert.  Hinsichtlich  des 
Sprachgebrauchs  ist  sie  freilich  nicht  vollig  korrekt. 

Indicative. 
Simple  and  Momentary  Acts. 


Die  natiirliche  Methode  in  der  Grammatik.  257 

Gestern Ich  off ntete  die  Tiir. 

Heute 

Heute  morgen Ich  habe  die  Tiir  geoffnet. 

Soeben Ich  habe  die  Tiir  geoffnet. 

Jetzt Ich  offne  die  Tiir. 

Sogleich Ich  will  die  Tiir  offnen. 

Ich  werde  die  Tiir  offnen. 

Heute  abend Ich  will  die  Tiir  offnen. 

Ich  werde  die  Tiir  offnen. 
Morgen Ich  werde  die  Tiir  offnen 

N.  B.  We  regard  here  the  list  of  times  as  a  simple  grammatical  indication; 
for  this  reason  we  construe  ,,ich  offnete,  ich  habe,"  etc.,  instead  of  ,,offnete  ich,  habe 
ich." 

Notiz  5.  S.  250:  In  Bezug  des  Verfahrens,  beim  Einpriigen  neuer  themes  in 
jedem  Satz  das  Verbura  zu  isolieren  und  dann  die-  iibrigen  Satzteile  wieder  daran- 
zufiigen,  sagt  Gouin:  ,,'Je  marche  vers  la  porte.'  When  the  teacher  gives  the  lesson, 
this  sentence  is  detached,  as  we  have  seen,  from  the  rest  of  the  theme;  then  it  is 
concentrated  for  one  moment  in  th  verb  'marche';  then  it  blossoms  out  finally,  by 
unfolding  or  evolving  from  itself,  first  the  subject  and  then  the  complement  of  the 
verb.  But  is  this  manner  of  presenting  the  phrase  really  anything  else  than  an 
analysis — an  analysis  at  the  same  time  both  grammatical  and  logical?  Will  it  be 
necessary,  think  you,  to  unmake  and  remake  such  sentences  before  the  student 
learns  to  distinguish  the  subject  from  the  verb,  the  verb  from  its  complements? 
Where  is  the  child  who,  at  the  first  hour,  at  the  first  lesson,  at  the  first  phrase, 
will  not  comprehend  this  'spoken'  analysis?" 

Notiz  6.  S.  241:  Das  Plusquamperfektum  wird  wie  folgt  eingeiibt:  Der  Lehrer 
sagt:  Yesterday  you  opened  this  door;  how  did  you  do  it? — The  pupil  will  reply: 
First  of  all,  I  walked  towards  the  door. — Teacher.  Well,  and  when  you  had  walked 
towards  the  door,  what  did  you  do  next? — Pupil.  After  I  had  walked  towards  the 
door,  I  arrived  at  the  door.  After  I  bad  arrived  at  the  door,  I  stretched  out  my  arm. 
And  when  I  had  stretched  out  my  arm,  etc. 

Notiz  7.  S.  261:  Die  Deklinationstabellen  sollen  erst  in  Angriff  genommen  wer- 
den,  nachdem  samtliche  Deklinationsformen  einzeln  vorgekommen  und  praktisch 
erlernt  worden  sind;  und  zwar  sollen  die  Tabellen  nicht  vom  Lehrer  fertig  dem 
Schiller  vorgelegt  werden,  sondern  die  Schiiler  sollen  sie  unter  Anleitung  des 
Lehrers,  selbst  herstellen. 

Notiz  8.   Auf  S.  263  finden  wir  die  folgende  Deklinationstabelle: 

What  T  port-a          subject. 

Of  what,  whose?  ae        complement  of  noun. 

What?  am       1st  complement  of  verb. 

To  what?  ae        2nd  complement  of  verb. 

By  what  ?  a          3rd  complement  of  verb. 

Notiz  9.  S.  270:  "How  does  the  assimilation  of  the  preposition  take  place?.  . . . 
We  shall  not  draw  up,  as  do  the  ordinary  grammars,  and  abstract  list  of  these 
prepositions  and  of  the  cases  they  govern.  No;  this  is  an  abstract  work,  a  barren 
task.  We  shall  take  them,  we  shall  grasp  these  prepositions  living;  as  living  as  the 
idea  of  which  they  are  the  embodiment.  . . .  The  preposition  will  be  learned  in  the 
phrase  and  by  the  phrase." 

Soviel  iiber  Gouin.  Seit  dem  Erscheinen  seines  Buches  ist  die  natiirliche  Gram- 
matik mit  grossem  Erfolge  weiter  ausgebildet  worden,  vor  allem  in  Deutschland,  wo 


258  Padagogische  Monatshefte. 

denn  auch  heutzutage  die  Anwendung  der  natiirlichen  Grammatik  ira  franzosischen 
und  englischen  Unterricht  ganz  iiblich  ist. 

Ich  komme  nun  zum  zweiten  und  letzten  Abschnitt  dieses  Aufsatzes,  worin  ich 
den  Gegenstand  in  systematischer  Anordnung  darstellen  will. 

1.  Vielleicht  das  wichtigste  Prinzip  der  natiirlichen  Grammatik  ist  dies:  ,,Die 
Theorie  soil  der  Praxis  folgen,  nicht  ihr  vorausgehen."   Das  heisst,  die  theoretisch- 
grammatische  Behandlung  soil  nicht  dazu  dienen,  den  Schiller  mit    ganz    neuen 
Sprachformen  oder  Spracherscheinungen  bekannt  zu  machen,  sondern  sie  soil  nur 
angewendet  werden  wenn  der  Schiller  mit  der  betreffenden  Form  oder  Erscheinung 
schon  durch  praktischen  Gebrauch,  unreflektierend,  einigermassen  vertraut  geworden 
ist.   Z.  B.  der  Schiiler  soil  keine  Deklinationstabelle  sehen,  bevor  er  in  Wortern,  die 
ihm  bei  seinen  praktischen  Sprachiibungen  (Sprechen  oder  Lesen)     vorkoinmen,  die 
verschiedenen  Kasusendungen  kennen  gelernt  hat.   Man  findet  dieses  Verfahren  vor- 
trefflich  demonstriert  in  dem  von  Frederic  Spencer  in  seinem  Buch  ,,Aims  and  Prac- 
tice of  Teaching"  S.  100  ff.  mitgeteilten  detaillierten  Lehrplan  fiir  den  deutschen  An- 
fangsunterricht. 

2.  Hieraus  folgt  fast  mit  Notwendigkeit  die  induktive  Behandlung  der  Gram- 
matik.   Denn  selbstverstandlich  wird  der  verstandige  Lehrer  sich  nicht  damit  be- 
gniigen,  die  Theorie  zeitlich  auf  die  Praxis  folgen  zu  lassen,  sondern  er  wird  sie  auch 
logisch  damit  verkniipfen,  das  heisst  er  wird  seine  grammatischen  Mitteilungen 
auf  Beobachtungen  und  Vergleichung  der  vorgekommenen  Formen  etc.,  woran  er 
die  Schiiler  teilnehmen  lasst,  begriinden. 

3.  Wir  haben  schon  bei   Gouin    (Notiz  7)    den  Gedanken   gefunden,   dass   die 
grammatische  Induktion  von  den  Schiilern  selbst,  nur  unter  Anleitung  des  Lehrers, 
vorgenommen  werden  soil;  und  hierin  sind  nicht  wenige  Anhanger  der  neuen  Me- 
thode  —  aber  doch  wohl  nur  eine  Minoritat  —  mit  ihm  einverstanden. 

4.  Die  Mitteilung  neuen  grammatischen  Stoffes  soil  immer  miindlich  erfolgen; 
erst  das  Ohr,  dann  das  Auge.   Auch  beim  Einiiben  des  Gelernten  soil  das  miindliche 
Verfahren  viel  gebraucht  werden. 

5.  Neue   Sprachformen  sollen  nicht  massenweise  geboten  werden,  sondern  es 
ist  moglichst  eine  jede  fiir  sich  zu  lehren  und  einzuiiben.  Gouin,  Notiz  3;  man  ver- 
gleiche  auch  den  oben  erwahnten  Lehrplan  von  Frederic  Spencer.  —  Man  konnte  hier 
an  die  bekannte  Geschichte  von  dem  Biindel  Pfeile  erinnern,  um  die  umgekehrte 
Moral  daraus  zu  ziehen:   Das  Biindel  ist  schwer  zu  zerbrechen,  darum  soil  man 
lieber  einen  Pfeil  nach  dem  andern  in  Angriff  nehmen. 

6.  Kom-ersation  ist  auch  beim  grammatischen  Unterricht  viel  zu  verwenden. 

7.  Und  ebenso  das  aktuelle  Element.   Dieses  besteht  darin,  dass  der  Inhalt  der 
Sprachiibungen  irgendwie  sich  auf  den  Schiiler  selbst  oder  die  ihn  umgebende  Wirk- 
lichkeit  bezieht.    (Siehe  hieriiber  meinen  Aufsatz  in  der  Novembernummer,  S.  327  f.) 
Beispiele  der  Verwendung  des  Aktuellen  in  grammatischen  ijbungen  findet  man  in 
dem  vortrefflichen  Biichlein  von  Mary  Brebner  ,,The  Method  of  Teaching  Modern 
Languages  in  Germany"  (New  York,  Macmillan)  auf  S.  6,  9,  20  unten. 

8.  Die  Beschrankung  der  Reflexion  beim  grammatischen  Studium. 

Bei  den  ersten  sieben  von  den  genannten  acht  Punkten  geniigt  fiir  die  Zwecke 
dieses  Aufsatzes  die  obige  kurze  Erwahnung;  ihre  Natur  und  Bedeutung  ist  leicht 
zu  verstehen  und  zu  wiirdigen  ohne  weitere  Erklarung  als  die  in  meinen  Zitaten 
aus  Gouin  geboten  ist.  Dagegen  der  achte  Punkt  verlangt  eine  ausfiihrliche  Be- 
sprechung,  umsomehr  als  er  bisher  in  der  padagogischen  Literatur,  soweit  meine 
Kenntnis  reicht,  auffallend  vernachlassigt  worden  zu  sein  scheint.  Der  Rest  meiner 
Arbeit  von  hier  an  wird  der  Besprechung  dieses  einen  Punktes  gewidmet  sein. 


Die  naturliche  Methode  in  der  Grammatik.  259 

Der  Hauptfehler  der  traditionellen  Methode  des  grammatischen  Unterrichts  ist, 
dass  sie  sich  allzusehr  an  die  Reflexionstiitigkeit  des  Schiilers  richtet,  wodurch  die 
grammatische  Arbeit  ungebiihrlich  anstrengend  wird  und  obendrein  noch  unge- 
niigende  Resultate  gibt,  da  die  durch  Reflexion  erworbene  Kenntnis  nur  langsam 
oder  auch  garnicht  zu  wirklicher  Belierrschung  der  Sprache  fiihrt.  Die  natiirliche 
Methode  sucht  diesen  Fehler  zu  vermeiden,  indem  sie  die  Reflexion  des  Schiilers 
moglichst  wenig  in  Anspruch  nimmt. 

A.  Oft   liisst   sich   die   abstrakte   Denkarbeit   ganz   eliminieren;    dem    Schiller 
werden   einfach  Beispiele  geboten,   in   Form   von   vollstiindigen   Satzen    (entweder 
mittels  Kohversation  oder  durch  blosse  Mitteilung,  letztere  mit  oder  ohne  tiber- 
setzung) ;  bloss  durch  Gewohnung  und  haufig  wiederholte  Nachahmung  gelangt  er 
zur  Beherrschung  des  in  den  Beispielen  enthaltenen  Faktums. 

B.  Wo  dies  aber  nicht  angeht,  wo  vielmehr  ein  verstandesmiissiges  Begreifen 
des  grammatischen  StofFes  notig  ist,  da  besteht  doch  ein  tiefgehender  Unterschied 
zwischen  der  natiirlichen  und  der  traditionellen  Lehrweise.    Die  letztere  namlich 
bezweckt,   dass    der    Schiiler   das   verstandesmiissig   Erfasste   durch   logische   An- 
wendung  auf  den  besondern  ihm  vorliegenden  Fall  zur  praktischen  Sprachproduk- 
tion  verwerten  soil.  Die  naturliche  Lehrweise  dagegen  will  von  diesem  rein  logischen 
Verfahren  nichts  wissen.    Sie  gebraucht  das  logische  Element  nur  Im  engsten  An- 
schluss an  die  konkreten  Beispiele,  nur  als  eine  helfende  Zugabe  zum  Studium  der 
letzteren,  und  sucht  das  verstandesmassige  Begreifen  moglichst  bald,  durch  Ver- 
schmelzung  der  abstrakten  mit  der  konkreten  Kenntnis,  geistige  Anschauung  um- 
zuwandeln,  um  auf   d  i  e  s  e  r   dann  die  richtige  Sprachproduktion  f  ussen  zu  lassen. 
Ich  will  dies  an  einem  Beispiel  zeigen.   Die  Regel,  dass  in  Nebensiitzen  das  Verbum 
am  Ende  steht,  ist  leicht  zu  begreifen,  und  es  diirfte  auch  beim  natiirlichen  Ver- 
fahren sich  empfehlen,  sie  sehr  bald  (nachdem  anfangs  nur  in  jedem  vorkommenden 
Nebensatz  die  Stellung  des  Verbums  bemerkt  worden  ist)  in  ihrer  abstrakten  Form 
zur  Kenntnis  des  Schiilers  zu  bringen.    Diese  Mitteilung  diirfte  von  wesentlichem 
Nutzen  sein;  trotzdem  sollte  aber  danach  der  Schiiler  sich  nicht  auf  seine  Kenntnis 
der  Regel  verlassen,  sondern  er  sollte  hauptsiichlich  durch  haufiges  Horen,  Lesen 
und  Nachsprechen  von  einfachen  Beispielsatzen  und  sonstige  tibungen  der  Art  sich 
die  praktische  Beherrschung  dieser  Art  der  Wortordnung  aneignen;  und  wenn  er 
einen  Fehler  machte,  wiirde  ich  ilm  nicht  auf  die  Regel  verweisen,  sondern  viel- 
mehr ihn  an  einen  zu  diesem  Zweck  auswendig  gelernten,  oder  wenigstens  ihra 
wohlbekannten,  Mustersatz  erinnern  (etwa  ,,Er  sagt,  dass  er  heute  nicht  mit  uns 
in  den  Park  gehen  k  a  n  n"). 

C.  Wenn  abstrakte  Erkenntnis  geboten  wird,  so  muss  das   in  einer  solchen 
Form  geschehen,  dass  die  Umsetzung  in  geistige  Anschauung  moglichst  erleichtert 
wird;  der  abstrakte  Inhalt  muss  in  einer  moglichst  konkreten  Form  geboten  wer- 
den.   Dies  lasst  sich  oft  besonders  durch  graphische  Darstellung,  mittels  gramma- 
tischer  Tabellen,  erreichen.    Diese  sollten  so  abgefasst  sein,  dass  ihre  Bedeutung 
soweit  mb'glich  bloss  durch  die  Anordnung  und  Gruppierung  der  gegebenen  Formen 
und  Beispiele,  durch   typographische  Mittel    (fetten  Druck   und  dergleichen)  und 
durch  beigefiigte  tJbersetzung  ausgedriickt  wird;  wenn  aber  erklarende  tJber-  und 
Beischriften  notig  sind,  so.  wird  es  sich  oft  empfehlen,  hierfur  statt  technischer 
Ausdriicke  natiirliche  Bezeichnungen  zu  verwenden,  wie  wir  das  bei  Gouin,  Notiz  4 
und  8,  gesehen  haben.  Ich  gebe  zwei  selbstverfasste  Beispiele  von  solchen  Tabellen. 
Die  Inversion  wiirde  ich  folgendermassen  darstellen: 


Das 


Ich  sehe 
sehe  ich 


das. 


260 


Padagogische  Monatshefte. 


Mein  Buch 
Haben 

Ich  muss 
muss  ich 
muss  ich 

mein  Buch  haben. 
habeu. 
mein  Buch. 

Oekommen 

Erist 
ist  er 

gekommen. 

Die  folgende  Tabelle  ist  bestimmt  dem  Schiiler  den,  vom  Englischen  so  auf- 
fallend  abweichenden,  Gebrauch  der  drei  Geschlechter  im  persb'nlichen  Fiirwort  ver- 
standlich  zu  machen. 

Nominative.        Objective. 

Wo  ist  der  Mann  ?    E  r  ist  hier.   Ich  sehe  i  h  n.  Masc.    Persops. 

Wo  ist  die  Frau?     Sie  ist  hier.  Ich  sehe  s  i  e.    Fern.  Persons. 

Wo  ist  das  Kind?     Es  ist  hier.     Ich  sehe  es.     Neut.    Persons. 

Wo  ist  d  e  r  Tisch  ?   E  r  ist  hier.    Ich  sehe   i  h  n.   Masc.  Things. 

Wo  ist  die  Blume?   Sie   ist  hier.    Ich  sehe   sie.   Fern.  Things. 

Wo  ist  das  Buch?    Es  ist  hier.    Ich  sehe  e  s.    Xeut.    Things. 
D.     Schliesslich  ist  einiges  zu  sagen  iiber  die  verschiedenen  Verfahren,  die  die 
natvirliche  Methode  zur  Einiibung  grammatischen  Stoffs  anwendet. 

Die  traditionelle  Methode  hat  hierfiir  ein  einziges  Verfahren:  das  ttbersetzen 
aus  der  Muttersprache  in  die  frenide  Sprache.  Hier  ist  der  Schiiler  ganz  selbst- 
tatig;  nachdem  ihm  die  grammatischen  Fakten  in  abstrakter  Form,  als  Paradigmen 
und  Regeln  mitgeteilt  und  eingeprsigt  worden  sind,  soil  er  nun  bloss  darauf  fussend, 
ohne  sonstige  Hiilfe,  gegebene  Gedanken  in  der  fremden  Sprache  ausdrticken.  Die 
natiirliche  Methode  verwirft  dieses  Verfahren  entweder  ganz  und  gar  (so  die  radi- 
kaleren  Vertreter  der  deutschen  Sprachlehvreform),  oder  schliesst  es  wenigstens  da 
aus,  wo  es  sich  um  Einiibung  von  neu  erlerntem  grammatischen  Stoff  handelt.  Als 
Ersatz  verwendet  sie  iJbungen,  worin  dem  Schiiler  als  Material  zur  Bearbeitung 
nicht  Satze  in  seiner  Muttersprache,  sondern  Siitze  in  der  fremden  Sprache  vorge- 
legt  werden;  diese  hat  er  entweder  einfach  zu  wiederholen,  oder  aber  er  muss  sie  in 
einer  bestimmten  Art  und  Weise  verandern,  wobei  die  gegebene  Form  des  Satzes 
ihm  als  Vorbild  dient,  woran  er  sich  mehr  oder  \venigcr  anlelmen  kann. 

1.  Eine  hb'chst  einfache,  aber  sehr  niitzliche  ubung  ist  das  rein  rezeptive  und 
wiederholende  Studium  von  Beispielsittzen:  ofteres  Lesen,  Nachsprechen,  und  Aus- 
wendiglernen.    Solche  Siitze  sollten  dem  Schiiler  in  Menge  geboten  werden,  sowohl 
durch  den  Lehrer  als  auch  gedruckt  im  Lehrbuch. 

2.  Das  satzanalysierende  Frageverfahren,  wie  ich  es  nennen  mochte.  Es  ist  sehr 
wichtig  nicht  nur  als  speziell  grammatisches  Verfahren,  sondern  zur  Sprachiibung 
iiberhaupt,  besonders  zum  nachtrsiglichen  Durch sprechen  von  Gele-ienem.    Es  wird 
folgendermassen  geiibt:  Wenn  etwa  der  Satz  ,,Im  Juli  gingen  die  Kinder  mit  ihren 
Eltern  aufs  Land"  durchzunehmen  ist,  so  werden  folgende  Fragen  dariiber  gestellt: 
,,Wer  ging  aufs  Land?    Was  taten  die  Kinder?    Wohin  gingen  die  Kinder?    Wann 
gingen  die  Kinder  aufs  Land?   Mit  wem  gingen  sie?"  Es  wird  also  ein  Satzteil  nach 
t!em  andern  sozusagen  als  unbekannte  Grosse  behandelt.   Die  Antwort  muss  immer 
in  Form  eines  vollstandigen  Satzes  erfolgen.*)     Wenn  es  sich  um  Einiibung  eines 
bestimmten  grammatischen  Punktes  handelt,  da  wird  im  allgemeinen  iiber  jeden 


*)  Henry  Sweet  erwiihnt  in  seinem  Buch  ,,The  Practical  Study  of  Languages", 
S.  207,  dass  dieses  Verfahren  schon  von  A.  Bernays  von  King's  College,  London,  in 
der  Vorrede  zu  seinem  German  Header,  siebente  Auflage,  1856,  (und  moglicherweise 
auch  schon  in  friiheren  Auflagen)  beschrieben  und  empfohlen  wordon  ist. 


Die  naturllche  Methode  in  der  Grammatik.  261 

vorliegenden  Satz  nur  eine  einzige  Frage  gestellt  werden  konnen;  z.  B.  bei  Ein- 
iibung  des  Dativs  nach  Verben:  ,,Julius  half  seinem  Bruder.  Wem  half  Julius?" 
Die  Antwort  besteht  in  der  Regel  einfach  in  Wiederholung  des  besprochenen  Satzes, 
vollstiindig  oder  verkiirzt;  aber  es  ist  dies  doch  von  bloss  rezeptiver  Wiederholung 
wesentlich  verschieden;  ein  gewisses  Mass  von  Selbsttatigkeit  wird  vom  Schiller 
erfordert. 

3.  Auch  einfache  Konversationsfragen  konnen  von  der  Art  sein,  dass  das  zur 
Antwort  erforderte  Sprachmaterial  in  der  Frage  schon  vollstiindig  vorliegt.    Z.  B. 
bei  Einiibung  des  Relativums:   ,,Ist  das  Buch,  das  dort  liegt,  deutsch?"    Die  vom 
Schiiler  geforderte  Selbsttatigkeit  ist  hier  schon  von  einem  etwas  hoheren  Grade 
als  in  2. 

4.  Ferner  konnen  Fragen  ahnlicher  Art  gestellt  werden,  worin  derjenige  Satz- 
teil,  der  das  gerade  einzuiibende  grammatische  Element  enthalt,  schon  so  enthalteii 
ist,  wie  er  in  der  Antwort  erscheinen  muss,  wogegen  der  Rest  des  Satzes  in  Frage 
und  Antwort  mehr  oder  weniger  verschieden  ist.    Z.  B.  bei  Elniibung  des  Rela- 
tivums:  ,,Wem  gehort  die  Feder,  die  auf  deni  Tisch  liegt?    (Antwort:  Die  Feder, 
die  auf  dem  Tisch  liegt,  gehort  mir.)    Wie  gefullt  Ihnen  das  Bild,  das  dort  hangt? 
Kennen  Sie  den  Herrn,  der  dort  sitzt?    Wem  gehort  der  Bleistift,  den  ich  in  de» 
Hand  habe?" 

5.  Etwas  ahnliches  liegt  vor  bei  dem  Verfahren,  wo  der  Lehrer  eine  einzu- 
iibende Konstruktion  oder  Redensart  in  einem  Mustersatz  anwendet,  worauf  die 
Schiiler  nach  diesem  Vorbild  ahnliche  Siitze  bilden  miissen.    (Der  Lehrer  wird  in  der 
Regel  angeben,  welche  Satzteile  des  Mustersatzes  beibehalten,  welche  variiert  wer- 
den sollen.)   Z.  B.  bei  Einiibung  von  i  n,  a  n,  a  u  f  u.  s.  w.  mit  dem  Akkusativ: 
Mustersatz:     Ich  lege  das  Buch  auf  den  Tisch. 

Variationen:  Ich  stelle  die  Flasche  auf  den  Tisch. 

Ich  setze  das  Glas  auf  den  Tisch. 

Ich  werfe  meine  Miitze  auf  den  Tisch. 

Er  stellte  den  Stuhl  neben  den  Tisch. 

Wir  setzten  uns  an  den  Tisch. 

Ich  schob  den  Kasten  unter  den  Tisch. 

Ferner  zur  Einiibung  des  Unterschieds  zwischen  Dativ  und  Akkusativ  nach 
diesen  Priipositionen: 

Mustersatz:  Ich  lege  das  Buch  auf  den  Tisch;  nun  liegt  das  Buch  auf  dem  Tisch. 
Variationen:  Ich  setze  mich  auf  den  Stuhl;  nun  sitze  ich  auf  dem  Stuhl. 

Ich  stelle  den  Stock  in  die  Ecke;  nun  steht  der  Stock  in  der  Ecke. 

Ich  nehme  das  Buch  in  die  Hand;  nun  habe  ich  es  in  der  Hand. 

Er  warf  das  Buch  in  die  Kiste;  da  lag  das  Buch  in  der  Kiste. 
Auf  dieselbe  Weise  kann  der  Unterschied  von  hier  und  hierher,  da  und 
dahin,   darin   und   hinein,   zu   Hause   und   nach   Hause   eingeiibt 
werden. 

Eine  (Jbung  dieser  Art  in  Form  von  Frage  und  Antwort  finden  wir  bei  Gouin, 
Notiz  6. 

6.  Schliesslich  gibt  es  noch  ein  Verfahren,  wobei  das  Material  zur  Antwort  in 
der  Frage  oder  Aufgabe  teihveise  gegeben  ist,  aber  gerade  der  einzuiibende  Satzteil 
n  i  c  h  t.    Z.  B.  der  Gebrauch  von  e  r,  s  i  e,  e  s  =  it  kann  getibt  werden,  indcm  der 
Schiiler  Fragen  beantworten  muss,  wie  folgt: 

Ist  das  Wasser  klar?    Ja,  es  ist  klar. 

Ist  die  Milch  gut  ?  Ja,  sie  ist  gut. 

Ist  der  Garten  schon?   Ja,  er  ist  schon. 


262 


Padagogische  Monatshefte. 


Eine  sehr  niitzliche  tibung  der  Art  besteht  darin,  dass  in  einem  gegebenen  Satze 
ausgelassene  Worter  oder  Endungen  vom  Schiiler  einzufiigen  sind.  Dieses  Verfah- 
ren  findet  man  in  einem  sonst  von  der  neuen  Methode  wenig  beeinflussten  Buch, 
Collar's  Shorter  Eysenbaeh,  zur  Einiibung  der  Deklination  des  Adjektivs  (§85.  93) 
und  des  Relativums  (§190)  angewendet;  z.  B.  ,,Stark..  Kaffee  ist  nicht  gesund 
i'iir  dich,  lieb. .  Karl;  du  inusst  schwach..  trinken."  ,,Der  Vogel,  von  -  -  wir 
eprachen,  war  ein  Adler." 

Hierher  gehort  schliesslich  das  Variieren  von  gegebenen  Siitzen  durch  uber- 
tragung  des  Verbums  in  eine  andere  Person  oder  Zahl  oder  Zeit,  oder  durch  Um- 
wandlung  eines  Hauptsatzes  in  einen  Nebensatz(  oder  durch  Veriinderung  der 
Wortordnung,  u.  s.  w.  Z.  B.  zur  Einiibung  der  Inversion  wiirde  ich  u.  a.  folgende 
zwei  ubungen  gebrauchen: 

a)  (Stelle  das  Subjekt  an  den  Anfang!)    Dem  Buch  habe  ich  nicht.   Hier  kann 
er  nicht  sein.    Dort  ist  er. 

b)  (Stelle  die  Worte  in  Kursivschrift  an  den  Anfang!     Ich  sehe  einen  Vogel. 
Mein  Bruder  kam  hcute.   Er  sah  micJi   nicht.    Ich  tue*   das  jeden  Tag.  Ich  tue  das 
•eden  Tag. 

Zur  Einiibung  der  Transposition  kann  man  dem  Schiiler  aufgeben,  eine  Reihe 
von  gegebenen  Hauptsatzen  mittles  Voranstellung  von  ,,Ich  weiss,  dass"  oder  der- 
gleichen  in  Nebensatze  zu  verwandeln. 

Zur  Einiibung  einer  bestimmten  Verbform,  etwa  der  2.  Person  Sing.  Indik. 
Perf.,  kann  man  irgend  ein  geeignetes  Lesestiick  mit  Umwandlung  jedes  vorkom- 
menden  Verbums  in  die  gewiinschte  Form  lesen  oder  schreiben  lassen. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Korrespondenzen. 


(Fiir  die  PUdagogischen  Honatshefte.) 


C  incinnati. 

Mit  dem  wohligen  Bewusstsein,  nur 
auf  ein  einziges  Jahr  wieder  angestellt 
zu  sein,  ziehen  siimtliche  Lehrer  im  gan- 
zen  Staate  Ohio  ins  neue  Schuljahr  hin- 
ein.  Wie  ich  bereits  friiher  angedeutet 
habe,  kreiste  die  verflossene  Staatslegis- 
latur  einen  ganz  neuen  Schulkodex  zu- 
recht,  der  unter  anderem  die  Bestim- 
mung  enthalt.  dass  alle  jetzt  amtierenden 
Lehrer  sich  stehenden  Fusses  noch  einmal 
einer  Priifung  unterziehen  miissen,  um 
nach  September  1905  wieder  angestellt 
werden  zu  ko'nnen.  Die  hiesige  Schulbe- 
hb'rde  hat  diese  sonderbare  Bestimmung 
dermassen  zur  Ausfiihrung  gebracht, 
dass  man  uns  alle  anstellte  mit  der  Be- 
dingung  jedoch,  uns  vor  Ablauf  des 
Schuljahres  neue  Priifungszertifikate  zu 
erwerben,  da  die  jetzt  bestehenden  als- 
dann  keine  Giiltigkeit  mehr  haben  wer- 
det,  gleichviel  auf  welche  Zeitdauer  die- 
selben  lauten.  Auch  werden  dann  keine 
lebenslanglichen  Zertifikate  erlangt  wer- 
den konnen,  sondern  nur  solche  auf  2,  3 
Jahre  furs  erste  —  ich  weiss  das  nicht 


genau;  die  Sache  ist  einigermassen  ver- 
wickelt  und  nicht  angenehm  fiir  Lehrer, 
die  schon  seit  Jahren  auf  Lebzeit  ange- 
stellt sind.  Natiirlich  braucht,  wer  sonst 
nichts  auf  dem  Kerbholz  hat,  sich  nicht 
zu  angstigen — kurios  ist's  dennoch. 
Besser  fiel  die  Sache  mit  der  Einrich- 
tung  der  neuen  Schulrate  aus,  indem 
alle  Stadte  der  ersten  Klasse  (20,000  und 
mehr  Einwohner)  durch  ihre  jetzige 
Schulbehorde  es  bestimmen  lassen  sol- 
len,  wie  es  in  der  Zukunft  gehalten  wer- 
den wird.  Cincinnati  bekommt  daher 
einen  aus  sieben  und  zwanzig  Mitgliedern 
bestehenden  Schulrat,  was  besonders  im 
Hinblicke  auf  den  fleutschen  Unten-icht 
in  seiner  gegenwartigen  Gestalt  sehr 
giinstig  ist.  Noch  eine  recht  annehmbare 
Bestimmung  ist  die,  dass  bestehenden 
oder  zu  errichtenden  Lehrer  -  Pensions- 
kassen  eine  gewisse  Quote  —  wenn  ich 
mich  nichi  irre,  bis  zu  vier  Prozent  — • 
der  Schulsteuer  dem  Pensionsfonds  zu- 
gewendet  werden  darf.  Das  wird  unseren 
Fonds  ganz  bedeutend  erhohen  und 
sicher  stellen. 


Korrespondenzen.  263 

Beinahe  hatten  die  mannlichen  Lehrer  Einen  weiteren  grossen  Verlust  erlitt 
hier  mit  dem  September  dieses  Jahres  das  hiesige  Deutschtum  durch  das  Ab- 
eine  Gehaltserhohung  bekommen — vom  leben  unseres  friiheren  Kollegen  Karl  L. 
$700  und  $800  auf  $1000  und  $1300  Nippert,  der,  wenig  iiber  50  Jahre  alt, 
Maximum,  aber.  . . .  das  Ewig-Weibliche!  durch  ein  Herzleiden  dahingerafft  wurde. 
Wie  ein  Mann  erhob  es  sich  und  pro-  In  Deutschland  von  deutschamerika- 
testierte,  alien  Vorstellungen  taub  und  nischen  Eltern  geboren,  erzogen  und  fur 
unzuganglich:  Entweder  auch  die  weib-  das  Ingenieurfach  ausgebildet,  kam  Nip- 
lichen  Lehrer.  oder  gar  niemand!  Und  pert  vor  28  Jahren  nach  Amerika  und 
so  ist  es  gckommen.  Hatten  die  Damen  ergriff  ein  paar  Jahre  darauf  den  Leh- 
nur  ein  Jalir  warten  wollen,  sie  wiirden  rerberuf,  dem  er  16  Jahre  lang  als  deut- 
im  nachsten  Jahre  gewiss  auch  Erhohung  scher  Oberlehrer  und  als  Schulprinzipal 
bekommen  haben.  Aber  nein !  und  ce  que  in  unserer  Stadt  angehorte. 
femme  vent,  Dieu  le  veut:  Weder  miinn-  Von  Lehrertagen  her,  als  Sekretar, 
liche  noch  weibliche  Gehaltserhohung,  Vizepriisident  und  President  des  D.  A. 
vielleicht  auf  Jahre  hinaus.  ,,Kann  ich  Lehrerbundes  war  er  in  weiteren  Lehrer - 
den  Hafer  nicht  fressen,  so  soil  ihn  doch  kreisen  sehr  vorteilhaft  bekannt.  Vor 
das  Pferd  auch  nicht  haben!"  So  lasst  10 — 12  Jahren  wurde  er  Advokat,  Po- 
Lafontaine  den  Hund  in  der  Fabel  spre-  lizeirichter,  Staatssenator  und  Vize- 
chen.  Ich  mache  es  wie  Heine,  der,  an-  gouverneur  von  Ohio,  ,,Probate"-richter 
statt  eine  vorlaute  weibliche  Frage  zu  und  —  herzleidend,  bis  nun  der  Tod  uns 
beantworten,  die  Arme  fromm  iiber  der  diesen  hochgebildeten,  genial-gemiitlichen 
Brust  kreuzte  und  gliiubig  redete:  ,,La  und  ganz  allgemein  beliebten  Mann  ent- 
illah,  ill  allah,  warn  hamed  rassul  allah!"  riss. 

Ich  meine  ferner,  dass  jede  Zeit,  wenn  sie  Ein  anderer  deutscher  Oberlehrer,  Ben- 

neue  Ideen  bekommt,  auch  neue  Augen  jamin  Wittich,  ein  durch  und  durch  ge- 

bekommt,    und    dass    es    den    Menschen  bildeter  Schulmann,  hat  dem  Lehrerfache 

dann   nichts   hilft,   sich   blind  stellen   zu  Valet    gesagt,    um    sich    einem    anderen 

wollen.     Das    beste    wird    auch     in     der  Berufe  zu  widmen. 

Frauenfrage    sein,    man    lasst   die    ,,zer-  \yie  bekanntlich   Cincinnati   im  Jahre 

storende    Plotzlichkeit"    sich    austoben;  1897       gelegentlich       des       Allgemeinen 

schliesslich    wird   die    ,,begiitigende   All-  Deutschamerikanischen  Lehrertages  einen 

mJihlichkeit"  ja   doch   siegen,  wenn  erst  etwa      dreitausend      Stimmen      starken 

tiichtig  Haare  gelassen  sind.  deutschen  Kinderchor  unter  Theo.  Mey- 

Wahrend  der  Ferien  starb  noch  der  ders  Leitung  mit  deutschen  Volksliedern 
deutsche  Oberlehrer  Aloys  Schultz.  Er  vorfiihrte  —  das  erste  Mai,  dass  so  etwas 
war  erst  einige  Jahre  im  Dienste  und  hierzulande  unternommen  worden  — ,  so 
hatte  bald  nach  seinem  Eintritte  in  das  hat  es  auch  kurz  vor  den  Ferien  beim 
ihm  fremde  Lehrerfach  die  Erfahrung  Cincinnati-Turnbezirksfeste  gegen  fiinf- 
zu  verzeichnen,  dass  dazu  feste  Nerven  tausend  turnende  Zoglinge  der  offent- 
gehoren,  denn  die  Nerven  waren  es,  die  lichen  Schulen  in  Freiiibungen  und  teil- 
den  sehr  gebildeten  und  stark  scheinen-  weisen  Geniteturnen  vorgefiihrt  und  da- 
den  Mann  so  herunterbrachten,  dass  ein  mit  nicht  nur  einen  glanzenden  L/folg  er- 
schnell  eintretendes  weiteres  Leiden  ihn  rungen,  sondern  auch  einen  propagan- 
ohne  viel  Federlesens  hinwegraffen  distischen  Einfluss  Don  ungeheurer  Kraft 
konnte.  und  Tragweite  zur  Geltung  gebracht.  Der 

Eines    anderen    vor  ganz   kurzer   Zeit  Anblick   dieser   frischfrohlich   turnenden 

eingetretenen   Todesfalfes    muss   ich   ge-  Kindermassen,     je    ir-3,000     zusammen 

denken:    Friedrich   Bartsch,   der   in   den  war  geradexu  uberwaltigend  und  so  recht 

weitesten    Kreisen    so    hoch    angesehene  da/u  angetan,  diese  Seite  deutscher  Kul- 

deutschamerikanische          Turnerveteran  turarbeit  in  Amerika  in  das  he.rlichste 

starb  hier  nach  langem  Siechtum.   Wenn  Licht    zu    stellen.      Hunderte     und    aber 

er  auch  mit  dem  Volksschullehrerstande  Hunderte  unter  den  Zuschauern  wurden 

nicht  in  direkter  Verbindung  gestanden  zum   sonst   belachelten   Schulturnen   be- 

hat,  so  gehorte  er  doch  durch  seine  Tatig-  kehrt'  und  es  ^ird  nunmehr  nur  an  den 

keit  als  Turner-Zeichenlehrer  und  durch  massgebenden   Behorden   hegen,   demsel- 

das  grosse  Interesse,  das  er  alien  Fort-  ben  die  allerdmgs    noch    zu    wunschende 

schritten  im  Erziehungswesen.  besonders  Ausbreitung  und  Erhohung  der  Leistun- 

aber  dem  Bestehen  des  deutschen  Unter-  8en  zu  sichern. 

richts   in   Schrift   und   Wort   immer   be-  Schreiten  wir  auf  diesem  Wege   fort, 

zeugte,  ganz  und  voll  zu  uns.   Ihm  fehlte  dann    konnen    unseretwegen    noch    mehr 

es   darum   auch   in   unseren   Kreisen   im  Herren  Professoren  Biicher  gegen  das  Ge- 

Leben   nicht   an    Anerkennung.   und   wir  bahren  der  Deutschamerikaner  und  gegen 

werden  seiner  stets  in  Ehren  gedenken.  das     deutschamerikanische     Volksschul- 


264 


Padagogische  Monatshefte. 


wesen  druben  drucken  lassen  und  ihr 
eigenes  Nest  beschmutzen.  Sie  werden 
vielleicht  mir  zu  bald  gewahren,  dasa  sie 
den  Ast  abgesagt  haben,  auf  dem  sie 
jetzt  so  stolz  horsten;  das  Deutschtum 
in  Amerika  aber  wird  fortbestehen,  nur 
starker  und  angesehener,  anscheinend 
getrennt  im  Haushalte,  vereint,  wenn  es 
gilt  zu  handeln  und  zu  schlagen.  Da  von 
wird  man  sich  bei  der  bevorstehenden 
Schiller-Feier  auch  hier  iiberzeugen,  und 
f  iir  deren  Vorbereitung  ist  auch  den  Ver- 
tretern  unserer  deutschen  Lehrervereine 
der  diesen  gebiihrende  Anteil  einge- 
riiumt  worden. 

Am  6.  September  beginnen  wir 
unsere  Jahres  -  Verproviantierung  beim 
,,Teachers'  Institute",  und  am  12.  treten 
wir  wieder  in  der  Schule  an.  Proficiat! 

Unser  deutscher  Superintendent,  Herr 
Dr.  Fick,  ist  wohlbehalten  von  seiner 
Europareise  heimgekehrt,  hat  also,  da  er 
sich  hauptsachlich  in  Italien  aufhielt,  den 
alten  Spruch  ,,Vedi  Kapoli  e  poi  muori!" 
zu  Schanden  gemacht.  *  #  * 

Milwaukee. 

Kleine  Ursachen  haben  oft  grosse 
Wirkungen.  Da  man  jetzt  so  viele  Sachen 
als  niitzlich  und  notwendig  erachtet,  in 
den  b'ffentlichen  Schulen  gelehrt  zu  wer- 
den, so  gestaltet  sich  denn  dadurch  auch 
der  Lehrplan  recht  vielseitig,  und  die 
armen  Lehrer  wissen  oft  nicht,  wie  sie 
alle  diese  Lehrgegenstande  xmterbringen 
und  wo  sie  die  dafiir  nb'tige  Zeit  her- 
nehmen  sollen.  So  wurde  denn  in  einer 
Versammlung  im  Mai  in  der  "Teachers' 
Association"  ein  Ausschuss  ernannt,  um 
Mittel  und  Wege  zu  finden,  wie  diesem 
Ubelstande,  namlich  der  uberbiirdung  des 
Lehrplans,  abzuhelfen  sei  und  dann 
eventuell  dem  Schulrat  passende  Vor- 
schlage  zu  machen. 

Da  hatte  denn  eine  "smarte  school- 
ma'm"  auch  bald  des  Ratsels  Lbsung  ge- 
funden  und  schlug  ganz  unverfroren  in 
der  nachsten  Versammlung  vor,  den 
deutschen  Unterricht  im  ersten  und 
zweiten  Grade  einfach  abzuschaffen.  Wie 
das  in  die  Zeitung  kam,  da  gab's  Auf- 
ruhr;  denn  die  Deutschen  Milwaukees 
lassen  sich  den  deutschen  Unterricht 
nicht  so  leicht  rauben  und  sind  sehr  auf 
der  Hut,  beizeiten  die  Gefahr  abzuwen- 
den.  War  nun  die  Sache  auch  an  und  fiir 
sich  dumm  und  einfaltig  und  von  keiner- 
lei  Bedeutung,  da  sie  nur  als  naseweise 
Ausserung  eines  uberklugen  Damchens 
anzusehen  war,  so  konnte  man  ander- 
seits  doch  nicht  wissen,  ob  nicht  der 
Vorschlag  doch  bei  dem  einen  oder  an- 
dern  Schuldirektor  Anklang  finden  wiirde. 
Vor  allem  aber  war  man  noch  ganz  im 
Unklaren  betreffs  der  Stellung  des  neuen 


Supt.  Pearse  zum  deutschen  Unterricht. 
Schon  hatte  der  hiesige  Turnverein  Mil- 
waukee, der  stets  bei  der  Hand  ist,  wenn 
es  gilt,  die  Fahne  des  Deutschtums  hoch- 
zuhalten  und  seine  edlen  Giiter  eu  ver- 
teidigen,  die  Sache  in  die  Hand  genom- 
men,  um  in  einer  offentlichen  Bespre- 
chung  sich  iiber  die  geeigneten  Schritte 
klar  zu  werden  und  dann  bei  dem  Schul- 
rat vorstellig  zu  werden,  als  Supt.  Pearse 
plbtzlich  der  ganzen  Sache  ein  Ende 
machte. 

Eine  hiesige  deutsche  Zeitung  hatte 
sich  namlich  an  ihn  gewandt  und  sich 
seine  Meinung  iiber  den  deutschen  Un- 
terricht erbeten.  Herr  Pearse  gab  dann 
folgende  offene  und  mannliche  Erklarung 
ab:  ,,In  Beantwortung  Ihrer  Frage  be- 
ziiglich  des  deutschen  Unterrichts  in  den 
offentlichen  Schulen  Milwaukees  er- 
scheint  es  mir  klar,  dass  darin  den 
Wiinschen  der  Bewohner  der  Stadt  vor 
alien  Dingen  Rechnung  getragen  werden 
muss.  Manche  Stiidte  haben  in  ihren 
Schulen  Handfertigkeitsunterricht,  an- 
dere  nicht.  Einige  treiben  systematische 
Ausbildung  des  Korpers,  andere  nicht. 
In  gleicher  Weise  lehrt  man  in  einigen 
Stadten  die  Grundelemente  des  Gesangs, 
in  andern  nicht.  In  Milwaukee  ist  es  ge- 
briiuchlich,  Deutsch  zu  lehren  als  einen 
Teil  des  regelmassigen  Schulpensums.  So 
lange  nun  die  Bewohner  der  Stadt  dies 
wollen,  wird  der  Unterricht  auch  beibe- 
halten  werden  miissen.  Ich  glaube  nicht, 
dass  irgend  welche  Aussicht  vorhanden 
ist,  dass  der  deutsche  Sprachunterricht 
in  unsern  offentlichen  Schulen  aufgege- 
ben  wird;  imd  ich  fiir  meine  Person  neige 
in  keiner  Weise  der  Ansicht  zu,  dass  es 
geschehen  sollte;  auch  habe  ich  nie  daran 
gedacht,  einen  solchen  Vorschlag  zu  ma- 
chen. Wenn  es  mir  erlaubt  ist,  ein  Ur- 
teil  zu  wagen,  mb'chte  ich  sagen,  dass  der 
deutsche  Unterricht  in  den  offentlichen 
Schulen  von  Milwaukee  schwerlich  auf- 
gehoben  werden  wird,  ausser  die  deut- 
schen Burger  Milwaukees  fordern  es." 

Carroll  G.  Pearse, 
Supt.   der  offentlichen   Schulen. 

Bemerken  mo'chte  ich  hier  noch,  dass 
wir  alle  Gegenstiinde  in  den  Schulen 
haben,  die  Supt.  Pearse  anfiihrt,  als 
Handfertigkeitsunterricht,  Turnen  und 
Gesangsunterricht.  Nun,  das  war  ge- 
sprochen  wie  ein  Mann,  offen  und  ehrlich, 
ohne  RiicKhalt  und  Hintergedanken. 
Jedermann  weiss  also  jetzt,  dass  Supt. 
Pearse  nicht  fiir  Abschaffung,  Verkur- 
zung  oder  Beeintrachtigung  des  deutschen 
Unterrichts  zu  haben  ist. 

ubrigens  niochte  ich  noch  hinzufiigen, 
dass  schon  seit  Jahren  sich  gar  keine 
Stimmen,  .weder  editoriell  noch  in  Ein- 


Korrespondenzen. 


265 


gesandts,  in  den  englischen  Zeitungen 
Milwaukees  gegen  den  Unterricht  im 
Deutschen  erhoben  haben,  trotzdera  das 
Schulbudget  von  Jahr  zu  Jahr  hoher 
wird,  und  dieses  Jahr  nahezu  eine  Mil- 
lion erreicht  hat.  Es  scheint  also,  als  ob 
die  Feinde  desselben  es  endlich  einge- 
sehen,  dass  alle  ihre  Bemiihungen  in  die- 
ser  Hinsicht  fruchtlos  sind  und  sie  sich 
endlich  mit  Grazie  und  Bonhomie  in  das 
Unvermeidliche  zu  schicken  haben.  So- 
dann  ware  auch  die  Zeit  zu  einer  solchen 
Agitation  sehr  schlecht  gewahlt,  denn  die 
Wahlen  stehen  vor  der  Tiir,  und  da 
braucht  man  die  guten  Deutschen,  oder 
doch  wenigstens  ihre  Stimmen,  und  so 
lasst  man  sie  ungeschoren,  ja  nennt  sie 
sogar  "our  dear  German  fellow  citizen." 

A.  W. 

Professor  Dr.  Rein  in  Milwaukee.  Sie 
ist  doch  noch  nicht  ganz  ausgestorben, 
die  deutsche  Gemiitlichkeit  in  unserem 
Lande.  Damit  soil  indes  nicht  gemeint 
sein  jene  soldatenspielende,  kamerad- 
schaftsduselige  Deutschtiimelei,  die  lei- 
der  nur  den  einen  sehr  zweifelhaften 
Segen  haben  kann,  der  bei  uns  schon 
allzusehr  ins  Kraut  geschossenen  Pflanze 
des  Militarismus  Nahrung  zuzufiihren. 
Es  ist  vielmehr  gemeint  jene,  wenn  auch 
manchmal  allzutiefe  Innigkeit  der  Ge- 
fiihle,  die  die  Wurzel  ist  des  vielgeriihm- 
ten  und  ebenso  geschmahten  deutschen 
Idealismus,  der  in  der  Studentenzeit  alles 
in  rosafarbne  Schminke  taucht,  der  aber 
auch  in  den  erniichterten  Mannesjahren 
zu  begeistern  vermag  zu  grossen,  edlen 
Taten.  Dass  die  obige  Behauptung  be- 
griindet  ist,  zeigte  sich  gelegentlich  des 
Besuches,  mit  dem  Dr.  Wm.  Rein,  Prof, 
der  Piidagogik  und  Philosophic  zu  Jena 
am  Abend  des  19.  Septembers  unsern 
Deutschen  Lehrerverein  beehrte.  Vorher 
Melt  der  deutsche  Gelehrte,  dessen  Na- 
men  in  Schriften  seit  beinahe  2  Jahr- 
zehnten  jedem  deutschen  Schulmeister 
ruhmlichst  bekannt  sind,  unter  den 
Ausspizien  des  Lehrerseminars  im  Turn- 
saale  desselben  einen  Vortrag  iiber  die 
Entwicklung  des  Schulwesens  in  Eng- 
land, Frankreich  und  Deutschland,  der 
Dank  der  geistvollen  Ausfiihrung  des 
Redners  von  Anfang  bis  zu  Ende  mit 
hohem  Interesse  verfolgt  wurde.  Der 
grosse  Saal  des  Turnlehrerseminars  war 
bis  auf  den  letzten  Platz  geftillt;  von 
den  hervorragenden  Personlichkeiten 
unseres  Milwaukeer  Schulwesens  fehlten 
nur  wenige,  und  eine  grosse  Anzahl  der 
Vertreter  des  intelligenten  Deutschtums 
unserer  lieben  Stadt  Milwaukee  hatte 
sich  eingef unden;  —  was  aber  der  Phy- 
siognomic des  Ganzen  einen  besonders 
wohltuenden  Zug  verlieh,  war,  dass  bei 


dieser  Gclegenheit  alle  die  Schulmeisterei 
leider  hierzulande  haufig  noch  trennenden 
Schranken  niedergeworfen  waren.  So 
fanden  wir  unter  den  begeisterten  Zu- 
horern  Vertreter  von  alien  Erziehungs- 
instituten  Milwaukees  und  seiner  Nach- 
barschaft:  Professoren  der  Staatsnormal- 
schule,  dem  Downer  College,  Direktor  und 
Professoren  der  Xorthwestern  Universi- 
tiit  von  Watertown,  einer  hoheren  An- 
stalt  der  lutherischen  Wisconsin  Synode, 
Professoren  des  zur  Missouri- Synode  ge- 
horigen  Concordia-College  und  der  ge- 
samten  Lehrerschaft  beider  Synoden.  Sie 
alle  vereinte  der  Gedanke,  dem  hervor- 
ragenden Vertreter  deutscher  Padagogik 
ihre  Huldigung  darzubringen. 

Nachdem  Prof.  Rein  in  meisterhaft 
akademischer  Weise,  wie  sich  von  selbst 
versteht,  seiner  Aufgabe  sich  entledigt, 
folgte  er  einer  Einladung  des  Vereins  der 
deutschen  Lehrer  an  den  offentlichen 
Schulen,  die  ihm  einen  Empfang  in  dem 
oberen  Saale  des  Lehrerseminars  bereitet 
hatten.  Dank  dem  emsigen  Tatigkeit  des 
Herrn  Lucas,  Prasidenten  des  Vereines, 
sowie  des  fur  solche  Zwecke  ernannten 
Komitees  unter  Frl.  Hohgrefe,  war  es 
trotz  der  kurzen  Zeit,  die  zu  Gebote 
stand,  gelungen,  alle  Vorbereitungen  zu 
einer  wiirdigen  Aufnahme  der  Ehren- 
gaste  zu  treffen.  Zu  denselben  gehorte 
auch  unser  neuer  Schulsuperintendent 
Carrol  S.  Pearse,  der  von  Anfang  bis  zu 
Ende  der  Feier  beiwohnte  und  dem  es 
augenscheinlich  in  der  Mitte  seiner 
deutschen  Lehrer  ganz  wohl  gefiel. 

Eine  lange  Tafel  war  einfach,  aber  ge- 
schmackvoll  von  unsern  Damen  herge- 
richtet,  denselben  Damen,  die  stets  bei 
solchen  Gelegenheiten  in  dankeswertester 
Weise  den  wirtschaftlichen  Pflichten  und 
Lasten  sich  unterzogen  haben. 

Herr  Lucas,  Pras.  des  D.  L.  V.,  waltete 
in  gewandter,  launiger  Weise  seines 
Amtes  als  Toastmeister.  Ea  war  Sorge 
getragen  worden,  einige  passende  Musik- 
einlagen  einzufiigen,  die  in  gelungener 
Weise,  in  Abwechslung  mit  den  verschie- 
denen  Reden  geliefert  wurden. 

Der  Reigen  wurde  eroffnet  von  Prof. 
Rein,  der  in  gemiitvoller  Weise  seine 
Beobachtungen  wahrend  seines  Aufent- 
halts  in  unserm  Lande  schilderte  und 
freimiitig  zugestand,  dass  er  sich  nie  so 
gemiitlich  wohl  gefiihlt  hatte,  wie  an 
diesem  Abend  in  der  Mitte  der  deutschen 
Lehrerschaft  der  deutschesten  Stadt  der 
Union.  In  bescheidener  Weise  lehnte  er 
es  ab,  sich  iiber  das  amerikanische  Schul- 
wesen  zu  aussern  und  schilderte  in  eini- 
gen  launigen  Anekdoten,  zu  welchen 
Missgriffen  ein  voreiliges  und  unreifes 
Aburteilen  f  iihren  konne.  Der  herzlichste 


266 


Padagogische  Monatshefte. 


Dank  fiir  die  ihm  erwiesene  Ehrenbe- 
zeugung  bildete  den  Schluss  seiner  Rede, 
die  natiirlich  mit  dem  herzlichsten  Beifall 
aufgenommen  wurde. 

Prof.  Ernst  von  Watertown  sprach 
liber  die  hohe  Aufgabe  deutscher  Pada- 
gogik  in  unsern  Landen  und  mahnte  die 
Vertreter  derselben,  nicht  miide  zu  wer- 
den,  die  hohen,  idealen  Ziige  derselben  so 
viel  als  mbglich  in  der  praktischen  Be- 
rufsarbeit  zum  Anisdruck  zu  bringen.  — 
Superintendent  Pearse  zeigte  in  langerer 
Rede,  dass  er  die  deutsche  Padagogik 
wohl  studiert  und  die  Ziele  und  den  Wert 
derselben  wohl  erkannt  habe,  und  dass 
besonders  die  praktische  Amvendung  der- 
selben in  den  deutsehen  Gewerbeschulen 
unsre  eifrige  Nachahmung  verdiene.  Zum 
Sehluss  kniipfte  Dr.  Rahn  vora  deutsehen 
Lehrerverein  an  die  Worte  Prof.  Reins 
an  und  wies  nach,  dass  wir  alle  Ursache 
haben,  mit  hohem  Stolz  auf  die  Eutwick- 
lung  unseres  Mihvaukeer  Schulsystems 
zu  blicken,  wie  wir  es  hier  wohl  verstan- 
den  haben,  das  Beste  und  Brauchbarste 
der  Schulsysteme  des  alten  Landes  aus- 
zuwahlen  und  zur  Anwendung  zu  bringen. 
Wenn  es  dennoch  hiiben  wie  driiben  nicht 


zu  verkennende  Mangel  gabe,  so  liegen 
dieselben  hier  einerseits  in  der  Unvoll- 
kommenheit  aller  menschlichen  Einrich- 
tungen,  ganz  besonders  aber  in  der  Tat- 
sache,  dass  wir  hier  doch  noch  so  gar 
jung  sind,  wrenn  wir  bedenken,  dass  noch 
vor  kaum  einem  halben  Jahrhundert  un- 
sere  ,,schb'ne  Erde"  ein  Tummelplatz 
der  Indianer  gewesen.  Die  allzu  hastige 
Jagd  nach  dem  alhnachtigen  Dollar,  sowie 
die  allzueifrige  Anbetung  des  Gb'tzen 
..Erfolg"  habe  uns  bisher  gehindert,  die 
Bildungsideale  der  deutsehen  Schule  zu 
verwirklichen,  doch  habe  in  erster  Linie 
der  dexitsche  Unterricht  durch  seine  Ver- 
treter diese  Ziele  ins  Auge  gefasst,  und 
werde  an  der  Verwirklichung  derselben 
arbeiten,  so  lange  ihm  eine  Statte  in  un- 
serm  Schulwesen  beschert  sei,  zu  Nutz 
und  Frommen  unserer  amerikanischen 
Jugend  und  zum  Segen  unseres  herr- 
lichen,  schbnen  und  grossen  Vaterlandes. 
So  verlief  der  Abend  in  hoch  genuss- 
reicher,  harmonischer  Weise,  und  alle,  die 
an  demselben  zugegen  waren,  werden 
ohne  Ausnahme  die  Erinnerung  daran  zu 
den  angenehmsten  ihres  Berufslebens 
zahlen.  ** 


II.     Umschau. 


Vom  Lehrerseminar  zu  Milwaukee. 
Das  Nationale  Deuschamerikanische  Leh- 
rerseminar hat  am  6.  September  den  27. 
die  Deutsch-Englische  Akademie  den  54., 
und  das  Turnlehrerseminar  des  Nord- 
amerikanischen  Turnerbundes  den  27. 
Jahreskursus  in  den  Anstaltsgebiiuden 
am  Broadway  zu  Milwaukee  begonnen. 
Die  Akademie  zeigt  einen  erfreulichen 
Zuwachs  an  Schiilern  in  alien  Klassen. 
Bedauerlich  ist  der  Umstand,  dass  Frau 
Magdalene  Boppe,  in  der  Herr  D.  eine 
iiusserst  tiichtige,  erfahrene  Lehrkraft 
gewonnen  hatte,  wegen  Wiederverhei- 
ratung  am  1.  Oktober  die  Schule  ver- 
lassen  hat.  Der  Posten  des  Klassen- 
lehrers  des  achten  Grades  und  Lehrers 
der  englischen  Sprache  und  Literatur  am 
Seminar  ist  durch  Herrn  Chas.  Babcock, 
M.  S.,  aus  Boston  neubesetzt  worden. 
Durch  ein  Vermachtnis  des  Herrn  Herr 
mann  Stern,  besonders  aber  durch  die 
Freigebigkeit  einiger  Mitglieder  des 
Schulvorstandes,  wurde  es  moglich,  das 
Handfertigkeitsziinmer  mit  neuen, 
elektrisch  betriebenen  Sage-  und  Drech- 
selniaschinen  neu  auszustatten,  sowie  zu 
dem  physikalischen  Apparat  der  Schule 
manches  Neue,  wie  Cooksche  Rbhre  mit 
Leuchtschirm,  Marconi  -  Instrument, 
Geissler  -  Rbhren.  zerlegbare  Dynamo- 
maschine,  Pascalsche  Vasen,  und  noch 


manches  andere,  hinzuzufiigen.  Alle  diese 
Xeuanschaffungen  kommen  natiirlich 
auch  dem  Unterricht  im  Seminar  zu- 
gute. 

Zwolf  Zb'glinge  wurden  nach  abgeleg- 
ter  Priifung  in  das  Seminar  aufgenom- 
men, drei  mannliche  und  neun  weibliche. 
Ihrer  Befahigung  nach  wurden  zwei  der 
oberen,  zwei  der  mittleren  und  die  iibri- 
gen  der  unteren  Klasse  zugeteilt.  Von 
giinstiger  Vorbedeutung  fiir  den  Fort- 
schritt  der  Klassen  ist  diesmal  die  gleich- 
miissig  gute  Vorbildung  der  neueinge- 
tretenen  Zbglinge.  Eine  Xeuerung  ist  in- 
sofern  zu  verzeichnen,  als  zum  ersten 
Mai  dem  Seminar  zwei  junge  Damen 
(Lehrerinnen)  angehbren,  die  sich  im 
praktischen  Gebrauche  der  deutsehen 
Sprache  die  nbtige  Fertigkeit  erwerben 
wollen,  wozu  sich  in  Seminar  und  Schule 
reichlich  Gelegenheit  bietet. 

In  das  Turnlehrerseminar  des  N.  A. 
Turnerbundes  sind  zwblf  Zbglinge,  sieben 
Herren  und  fiiuf  Damen,  eingetreten. 
Zwei  Mitglieder  der  diesjiihrigen  Klasse 
wollen  sich  ein  Diplom  fiir  Turnlehrer  an 
hbheren,  Volks-  und  Vereinsschulen  er- 
werben, fiinf  ein  solches  fiir  Turnlehrer 
an  hbheren  und  Volksschulen.  und  fiinf 
ein  solches  fiir  Turnlehrer  an  Volks-  und 
Vereinsschulen.  Diejenigen  Zbglinge  des 
Turnlehrerseminars,  die  nicht  vom 


Umschau. 


267 


sprachlichen  Unterricht  entbunden  sind, 
erhalten  diesen  Unterricht  in  der  einen 
oder  andern  der  drei  Seminarklassen, 
wahrend  fiir  den  Unterricht  in  Anatomie, 
Physiologic  und  anderen  Fachern  eine 
derartige  Trennung-  nach  Vorbildung  und 
Befahigung  nicht  besteht. 

Als  erstes  bedeutsames  Ereignis  in 
dem  eben  begonnenen  Termin  des  Leh- 
rerseminars  verdient  der  Vortrag  ge- 
nannt  zu  werden,  den  Prof.  Dr.  Rein 
von  der  Universitat  Jena  auf  die  Ein- 
ladung  des  Verwaltungsrats  des  Lehrer- 
seminars  ana  Abend  des  19.  September 
vor  einem  sehr  zahlreichen,  meist  aus 
Lehrern  bestehenden  Publikum  gehalten 
hat.  Prof.  Rein  sprach  iiber  ,,Erziehungs- 
methoden  Englands,  Frankreichs  und 
Deutschlands."  Er  fiihrte  aus,  wie  das 
Prinzip  der  Dezentralisation,  der  Nicht- 
einmischung  des  Staates,  die  gesamte 
englische  Schule  noch  immer  beherrsche; 
wie  dagegen  die  franzb'sische  Schule, 
namentlich  in  den  Zeiten  des  grossen 
Napoleon,  der  Pestalozzis  Gedanken  von 
der  Erziehung  des  Volkes  als  unpraktisch 
von  sich  gewiesen  habe,  ganz  in  dem 
Banne  des  Prinzips  von  der  Zentralisa- 
tion  stehe,  wie  jedoch  Frankreich  nach 
dem  Tage  von  Sedan  den  Blick  nach  in- 
nen  gerichtet  und  sein  Schulwesen  griind- 
lich  reformiert  habe.  In  Deutschland 
nun  halte  der  Staat  die  Leitung  des  ge- 
samten  Erziehungswesens  fest  in  der 
Hand,  doch  nicht  so,  dass  Privatinteres- 
sen  nicht  umgestaltend  und  fordernd 
einwirken  diirften.  Wie  Deutschland  zur 
Fb'rderung  der  Erziehung  nicht  ver- 
schmaht,  das  Gute  aus  andern  Landern 
zu  holen,  zeigte  er  in  dem  Hinweise  auf 
die  aus  England  iiberlieferte  Spielbe- 
wegung,  die  in  D.  recht  miichtig  gewor- 
den  ist  und  die  der  geistigen  uberbiirdung 
der  deutschen  Schuljugend  die  Wage  zu 
halten  bestimmt  sei. 

Es  war  nicht  der  Inhalt  des  Vortrages, 
der  vielen  Anwesenden  mehr  oder  weni- 
ger  bekannt  gewesen  sein  diirfte,  was  die 
Zuhorer  veranlasste,  atemlos  bis  zum 
letzten  Worte  dem  gefeierten  Redner  zu 
lauschen.  Die  freie  Rede,  die  Einfachheit 
des  Ausdrucks,  und  besonders  die  jugend- 
lich  feurige  Begeisterung  des  Vortragen- 
den  zogen  jeden  Anwesenden  unwider- 
stehlich  in  den  Bann  dieses  grossen 
Lehrers.  Wir  verstehen  jetzt,  warum 
Herrn  Prof.  Dr.  Rein  die  Horer  aus  alien 
Landern  zustrb'men. 

Nach  dem  Vortrage  verweilte  Herr 
Prof.  Rein  noch  ein  Stundchen  in  den 
Rjiumen  des  Lehrerseminars,  und  zwar 
als  Gast  des  Vereins  der  Lehrer  des 
Deutschen  von  Milwaukee.  Manches 
ernste  und  heitere  Wort  wurde  da  ge- 


redet,  und  auch  manch  Glas  geleert!  Als 
Herr  Prof.  Rein  sich  schliesslich  erhob, 
urn  fiir  die  ihm  gebrachten  Ehrungen  zu 
danken,  legte  er  noch  ein  kraftig  Wb'rt- 
lein  zugunsten  der  Pflege  der  deutschen 
Sprache  ein.  Seiner  Meinung  nach 
miissten  die  Deutschamerikaner  kraft  der 
Macht,  die  in  der  Kenntnis  der  englischen 
und  der  deutschen  Sprache  al- 
lein  schon  liege  die  gebietende  Macht  im 
Lande  sein.  Herr  Prof.  Rein  mag  auf 
der  Fortsetzung  seiner  Reise  noch 
manchen  Beweis  gesammelt  haben, 
warum  das  Deutschtum  dieses  Landes 
die  ihm  gebiihrende  Stellung  nicht  ein- 
nimmt.  Einer  der  Griinde  ist  der,  dass 
es  dem  Deutschtum  an  selbstlosen,  ziel- 
bewussten  Fiihrern  fehlt.  Nachdem 
Herr  Prof.  Rein  so  machtig  die  Herzen 
gepackt,  mag  in  manchem  Zuhorer  der 
Wunsch  rege  geworden  sein,  der  be- 
geisterte,  beredte  Mann  mochte  ein 
Apostel  des  Deutschtums  in  Amerika 
werden ! 

Herr  Prof.  Dr.  Rein  sollte  urspriinglich 
zwei  Vortrage  im  Lehrerseminar  halten; 
seine  verspatete  Ankunft  in  Amerika 
machte  jedoch  eine  Xnderung  und  Ver- 
schiebung  des  gesamten  Vortragspro- 
grammes  notwendig.  Aufrichtig  bedauert 
wurde  allerseits,  dass  die  Reiseplane  des 
Herrn  Professors  keine  Verlangerung  des 
Milwaukeer  Aufenthalts  gestatteten. 
Als  am  Abend  des  19.  September  der 
Vortrag  iiber  Erziehungsmethoden  im 
Seminargebaude  seinen  Anfang  nehmen 
sollte,  langte  Herr  Prof.  Rein  in  Mil- 
waukee an;  friih  am  andern  Morgen 
fiihrte  ihn  das  Dampfross  bereits  wieder 
iiber  die  Grenzen  Milwaukees  hinaus. 
Der  Aufenthalt  war  wirklich  allzu  kurz 
Auf  Wiedersehen! 

Preisausschreiben.  Bei  Gelegenheit  der 
Feier  zu  Ehren  der  deutschen  Wissen- 
schaft  in  der  ,,University  of  Chicago"  im 
Marz  dieses  Jahres  machte  der  President 
der  Universitat,  Prof.  Win.  R.  Harper, 
bekannt,  dass  Frau  Konrad  Seipp  von 
Chicago  zum  Gediichtnis  an  ihren  ver- 
storbenen  Gatten  drei  Preise  von  3000, 
2000  und  1000  Dollars  gestiftet  habe 
fiir  die  besten  Arbeiten  iiber  das  folgende 
Thema:  ,,Das  Deutsche  Element  in  den 
Vereinigten  Staaten  unter  besonderer 
Beriicksichtigung  seines  politischen,  ethi- 
schen,  sozialen  und  erzieherischen  Ein- 
flusses." 

Die  Arbeiten  sind  abzuliefern  bis  zum 
22.  Marz  1907  inklusive,  an  das  Ger- 
man Department  of  the  University  of 
Chicago." 

Die  Arbeiten  kb'nnen  in  englischer  oder 
in  deutscher  Sprache  verfasst  werden; 
die  zur  Veroffentlichung  gewiihlte  Schrift 


268 


Padagogische  Monatshefte. 


wird  jedenfalls  in  englischer — wenn 
moglich  auch  in  deutscher  —  Sprache 
gedruckt  \verden. 

Das  Buch  wird  unter  den  Auspizien 
der  Universitat  von  Chicago  bei  einer 
erstklassigen  Verlagshandlung  in  den 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika  ver- 
legt  und  wird  dieses  auf  dem  Titelblatt 
vermerkt  werden. 

Die  HJilfte  der  aus  dem  Vertrieb  des 
Buches  vom  Verleger  wahrend  der  ersten 
zehn  Jahre  nach  dem  Tage  der  Ausgabe 
erzielten  Reineinnahme  fliesst  dem  Autor 
zu  (neben  dem  errungenen  Preise),  die 
andere  Halfte  und  nach  Ablauf  von 
zehn  Jahren  die  voile  Reineinnahme  er- 
halt  das  ,,German  Department  of  the 
University  of  Chicago"  zur  Forderung 
deutscher  Forschung  und  Wissenschaft 
in  den  Vereinigten  Staaten. 

Die  Preise  werden  den  Gewinnern 
durch  ein  aus  drei  Richtern  bestehendes 
Komitee  zuerkannt;  dieses  Komitee  soil 
auch  das  zur  Veroffentlichung  geeignetste 
Werk  auswahlen,  das  indessen  nicht  das 
mit  dem  ersten  Preise  bedachte  zu  sein 
braucht.  Die  nicht  gewahlten  Schriften 
werden  den  Autoren  zuriickgesandt. 

Zur  Forderung  von  Arbeiten  auf  Spe- 
zialgebieten,  die  in  den  Rahmen  der  ge- 
stellten  Preisaufgabe  fallen,  steht  den 
Preisrichtern  das  Recht  zu,  solche  Werke 
ganz  oder  teilweise  zu  erwerben  und  sie 
unter  dem  Namen  des  An  tors  dem  ge- 
wahlten Werk  auzugliedern.  Der  Preis 
hierfiir  ist  fiir  die  Zeile  7  Cents,  d.  h. 
ungefahr  30  Pfennige  bis  zu  50  Seiten. 
Fiir  langere  Aufsiitze,  deren  Veroffent- 
lichung erwiinscht  erscheint,  wird  beson- 
dere  Vereinbarung  zu  treffen  sein. 

Das  Buch  soil  einen  Umfang  von  etwa 
800  Druckseiten  haben  in  dem  Format 
etwa  wie  Treitschke,  Deutsche  Geschich- 
te,  Band  1. 

Da  das  Buch  in  erster  Linie  zum  Stu- 
dium  fiir  junge  Leute  an  Colleges  und 
Universitaten  bestimmt  ist,  muss  es  in 
anziehender  Form  geschrieben  sein. 

Das  Buch  soil  zahlreiche  Illustrationen 
enthalten ;  diese  Einzelheiten  .werden  vom 
German  Department  der  Universitat  in 
Chicago  bearbeitet  werden. 

Herr  Karl  Schurz  hat  das  Preisrichter  - 
amt  bereits  angenommen;  man  hofft, 
dass  der  friihere  Botschafter  der  Ver- 
einigten Staaten  in  Berlin,  Herr  Andrew 
D.  White,  gleichfalls  als  Preisrichter 
fungieren  wird.  Diese  beiden  Herren 
sollen  einen  dritten  Preisrichter  ernen- 
nen. 

Dem  deutschen  Konsul  Dr.  jur.  Walter 
Wever  in  Chicago  und  bei  dessen  Ver- 
hinderung  dem  jeweiligen  deutschen  Ge- 
neral -  Konsul  in  New  York  wird  das 


Recht  iibertragen,  jede  Schwierigkeit.  die 
ira  Laufe  von  drei  Jahren  entstehen 
kann,  aus  dem  Wege  zu  riiumen,  auch  irn 
Verhinderungsfalle  an  Stelle  der  vorge- 
nannten  Preisrichter,  andere  Herren  dazu 
zu  ernennen.  Herr  Wever,  wie  bei  seiner 
Verhiudei  img  der  etwa  entscheidende  Ge- 
neral-Konsul  in  New  York,  darf  aber 
weder  als  Mitbewerber  urn  den  Preis 
noch  als  Preisrichter  fungieren,  die 
Preisrichter  ebensowenig  als  Mitbe- 
werber. 

Es  ist  bekannt,  dass  die  Nationale 
Lehrerversammlung  —  N.  E.  A.  —  all- 
jjihrlich  Resolutionen  annimmt. 

Diese  Resolutionen  weisen  gewohnlich 
auf  die  Wichtigkeit  der  Schule  hin,  for- 
dern  eine  Ausdehnung  der  Machtbefug- 
nisse  des  ..Bureau  of  Education",  u.  s.  w. 

In  diesem  Jahre  hat  die  Versammlung 
z\vei  Resolutionen  angenommen,  die 
einen  Sieg  der  Volksschullehrerinnen 
verzeichnen.  Es  sind  dies  die  Reso- 
lutionen, welche  eine  f  e  s  t  e  A  n- 
stellung  der  Volksschullehrer  und 
hohere  Gehalter  verlangen,  so- 
wie  die  Resolutionen,  welche  die  K  i  n- 
derarbeit  regeln. 

Die  Resolutionen  lauten  im  Wortlaut : 

7.  Wie  believe  that  merit  and  merit 
alone  should  determine  the 
employment  and  retention 
of  teachers,  that,  after  due 
probation,  tenure  of  office 
should  be  permanent  during 
efficiency  and  good  be- 
havior, and  that  promotions  should 
be  based  on  fitness,  experience,  profes- 
sional growth  and  fidelity  to  duty.  We 
especially  commend  the  efforts  that  are 
being  made  in  many  parts  of  the  country 
whereby  teachers,  school  officials,  and 
the  general  public  working  together  for 
a  common  purpose  are  securing  better 
salaries  for  teachers  and  de- 
vising a  better  system  for  conserving 
the  rights  and  privileges  of  all  and  for 
improving  the  efficiency  of  the  schools. 

9.  We  advocate  the  enactment  and 
rigid  enforcement  of  appropriate  laws 
relating  to  child  labor,  such  as  will  pro- 
tect the  mental,  moral  and  physical  well- 
being  of  the  child,  and  will  be  conducive 
to  his  educational  development  into 
American  citizenship. 

Chicagoer  Lehrerinnen  siegreich.  Im 
,,Circuit  Court  of  Cook  County"  ist  am 
22.  August  d.  J.  vom  Kreisrichter  Dunne 
|  in  dem  Prozess  der  Lehrerinnen  gegen 
den  Schulrat  eine  Entscheidung  zugun- 
sten  der  Lehrerinnen  abgegeben  worden. 

Am  28.  Februar  1900  setzte  der  Schul- 
rat das  Gehalt  der  Lehrkrafte  um  $7.50 
pro  Monat  herab;  die  so  erniedrigten 


Urnschau. 


269 


Gehjilter   wurden   von   Januar    bis   Juni 
1900  bezahlt. 

Im  Sept.  1900  erschien  ein  Ausschuss 
der  ,,Chicago  Teachers'  Federation"  mit 
eiuem  Anwalt  vor  dem  ,,State  Board  of 
Equalisation"  in  Springfield  und  ver- 
langte,  dass  derselbe  die  Gerechtsame 
der  Gasgesellschaft,  der  Strassenbahn- 
gesellschaft  und  verschiedener  anderer 
Korporationen  zu  dem  Betrage  von  200 
Millionen  Dollars  auf  die  Steuerliste 
setze.  Der  ,.Board"  ignorierte  dieses 
Verlangen. 

Nun  forderten  die  Lehrerinnen  am  16. 
Nov.  1900  im  ,,Circuit  Court"  von 
Sangammon  County,  in  welchem  Spring- 
field liegt,  einen  ,,writ  of  mandamus"  ge- 
gen  den  ,,Board  of  Equalisation." 

Mit  der  den  Korporationen  eigenen 
Hartnackigkeit  \vehrten  sich  die  fiinf 
Gesellschaiten  gegen  die  Besteuerung. 

Nicht  weniger  als  fxinfmal  wurde  der 
Prozess  zwischen  dem  16.  Nov  1000  und 
dem  22.  Aug.  1904  in  den  verschiedenen 
Gerichtshofen  verhandelt. 

Schliesslich  bezahlten  die  Gesellschaf- 
ten  die  ihnen  auferlegten  Steuern.  Von 
diesen  so  durch  die  Agitation  der  Lehrer- 
iiiRen  eingetriebenen  Steuern  (die  Schul- 
behorde  sowie  andere  Stadtamter  kiim- 
merten  sich  nicht  um  die  Klage)  erhielt 
der  Schulrat  der  Stadt  die  Summe  von 
$249,554. 

Nun  verlangten  die  Lehrerinnen  fiir  die 
sechs  Monate  des  Jahres  1900  die  Nach- 
zahlung  -  ihres  Gehalts.  Der  Schulrat 
weigerte  sich,  das  zu  tun,  sondern  wollte 
das  Geld  anderweitig  verwenden. 

2,300  Lehrerinnen  gingen  nun  vor  den 
Richter  Dunne  uud  ersuchten  um  einen 
Einhaltsbefehl  gegen  den  Schulrat,  die 
Summe  fiir  andere  Zwecke  als  fiir  Zah- 
lung  des  riickstandigen  Gehalts  auszu- 
geben. 

Diesen  Einhaltsbefehl  hat  nun  Richter 
Dunne  am  22.  August  den  Lehrern  ge- 
geben.  Er  lautet: 

,,The  prayer  of  the  petition,  restrain- 
ing the  Board  of  Education  from  using 
the  funds  described  in  the  bill  to  an 
amount  sufficient  to  pay  the  defendant- 
teachers  the  balance  due  them  for  the 
salaries  of  January  to  June  1900  in- 
clusive, on  the  same  basis  that  they  were 
paid  in  December  1899,  for  any  purpose 
other  than  paying  the  same  to  the  de- 
fendant-teachers and  praying  that  the 
same  be  paid  to  the  defendent- teachers 
is  granted  and  it  is  so  ordered." 

Durch  diese  Entscheidung  erhalten  nun 
2,300  Lehrerinnen  je  $45.00  nebst  Zinsen, 
wenn  der  Schulrat  nicht  etwa  Berufung 
einlegt,  und  das  Obergericht  die  Ent- 
scheidung des  Richters  Dunne  umstosst. 


Der  Anwalt  des  Schulrats  hatte  be- 
hauptet,  dem  Schulrat  stehe  daa  Recht 
zu,  die  Gehiilter  der  Lehrer,  welche  im 
Juni  1899  angestellt  wurden,  im  Febr. 
1900  herunterzusetzen,  wenn  es  notwen- 
dig  erscheine.  Hierzu  bemerkte  das  Ge- 
richt : 

,,A  valid  contract  made  between  the 
Board  of  Education  and  the  teachers  by 
the  resolution  of  January  11,  1899,  the 
election  of  the  teachers  in  the  following 
June,  and  the  performance  by  the 
teachers  of  their  work  under  the  con- 
tract, cannot  be  abrogated  by  the  reso- 
lution of  ipse  dixit  of  the  the  Board  in 
February,  1900,  no  matter  what  may 
have  been  the  motives  or  necessities 
inspiring  the  resolution." 

Die  Entscheidung  enthalt  eine  Riige, 
die  der  Schulrat  wohl  nicht  erwartet  hat. 
Die  Lehrerinnen  hingegen  werden  belobt, 
dass  sie  die  Behorden  gezwungen  haben, 
ihre  Pflichten  zu  erfiillen. 

,,While  the  defendant,"  heisst  es  in 
dem  Urteil,  ,,the  Board  of  Education,  sat 
supinely  by,  and  while  other  public 
officials,  more  especially  charged  with  the 
levy  and  collection  of  these  taxes,  re- 
fused to  perform  their  sworn  duty,  this 
complainant,  (Fraulein  Katharina  Gog- 
gin,  welche  im  Namen  der  Lehrerinnen 
um  den  Einhaltsbefehl  nachsuchte)  acting 
for  and  on  behalf  of  these  same  teachers, 
out  of  their  own  limited  resources,  went 
out  and  performed  the  duties  which, 
primarily,  devolved  upon  the  tax-levying 
bodies  of  the  state  and  secondarily,  upon 
the  Board  of  Education,  to  see  that  the 
tax-levying  officers  of  the  state  collected 
the  taxes  honestly  belonging  to  the 
schools  of  the  city,  and  brought  about 
the  payment  of  these  dishonestly  with- 
held taxes." 

Dr.  W.  Rein  hat,  einem  Rufe  der  Uni- 
versittit  Manchester  folgeleistend,  im 
Laufe  dieses  Sommers  dortselbst  Vor- 
triige  gehalten,  bei  welcher  Gelegenheit 
ihm  von  der  UniversitJit  der  Titel  eines 
,,Doctor  of  Letters"  honoris  causa  ver- 
liehen  wurde.  Der  Vizekanzler  der  Hoch- 
schule  und  insbesondere  Professor  Find- 
lag  hoben  die  Verdienste  Reins  als  eines 
Fiihrers  in  den  padagogischen  Wissen- 
schaften  hervor,  wobei  vornehmlich  auf 
die  Bedeutung  des  Universitiits-Seminars 
in  Jena  fiir  Lehrer  aus  alien  Landern  und 
auf  zwei  Ziige  in  seinen  Darlegungen,  die 
man  in  England  besser  zu  schatzen  wisse 
als  vielleicht  in  Deutschland,  hingewiesen 
wurde;  namlich  Rein  sahe  auf  Einheit 
bei  dem  Werke  der  Erziehung,  das  die 
Lehrer  von  der  Dorfschule  bis  zur  Univer- 
sitJit umfasse  und  er  raume  auch  den 
Frauen  einen  gebiihrenden  Platz  in  der 


270 


Pizdagogische  Monatshefte. 


Erziehung  ein.  Die  Klassen  im  Neben- 
hause  der  tibungsschule  in  der  Bruns- 
wickstrasse,  die  zu  eroffnen  Rein  einge- 
laden  wurde,  sollen  kiinftig  ,,Rein- 
Klassen"  genannt  werden.  In  seiner  An- 
sprache  legte  Prof.  Rein  die  Geschichte, 
Notwendigkeit  und  Einrichtung  des 
Jenenser  Seminars  dar. 

Universitat  und  Volksschullehrer.  Im 
bayrischen  Landtage  wiinschte  bei  der 
Generaldebatte  zum  Kultusetat  Abgeord- 
neter  Dr.  Andreae  eine  eigene  Professur 
fiir  Padagogik.  Kultusminister  Dr.  v. 
Wehner  antwortete  darauf:  ,,Dass  das 
heurige  Budget  in  dieser  Hinsicht  keine 
Position  erhalt,  wird,  glaube  ich,  auch 
den  Herrn  Dr.  Andreae  nicht  uberraschen. 
Im  iibrigen  glaube  ich  allerdings  auch, 
dass  die  Einrichtung  einer  eigenen  Pro- 
fessur fiir  Padagogik  wenigstens  an  einer 
der  drei  Landesuniversitaten  nicht  mehr 
allzulange  wird  zuriickgestellt  werden 
kb'nnen."  —  In  der  2.  badischen  Kammer 
erklarte  der  Kultusminister  am  15.  Juni : 
Was  das  Studium  der  Lehrer  an  den 
Universitaten  anlangt,  so  werde  eine  Ver- 
ordnung  ausgearbeitet,  die  unter  gewis- 
sen  Bedingungen  das  Universitatsstu- 
dium  ermoglicht.  —  In  Wiirttemberg  hat 
die  Kammer  der  Abgeordneten  beschlos- 
sen,  eine  Eingabe  der  beiden  Landesleh- 
rervereine,  den  Seminarabiturienten  den 
Besuch  der  Hochschule  zu  gestatten  und 
einen  Lehrstuhl  fiir  Padagogik  zu  er- 
richten,  der  Regierung  zur  Erwagung  zu 
iiberweisen. 

Eine  Waldschule.  Eine  Waldschule, 
eine  vollstandig  neue  Einrichtung,  will 
der  Charlottenburger  Magistrat  errich- 
ten.  Diese  Waldschule  ist  fiir  solche 
Kinder  bestimmt,  die  zwar  nicht  krank 
sind,  aber  so  schwachlich,  dass  sie  den 
Keim  von  Krankheiten  in  sich  aufnehmen 
konnen.  Die  Kinder  bleiben  den  ganzen 
Tag  von  fruh  bis  abends  in  der  Wald- 
schule, wo  sie  nicht  nur  Unterricht,  son- 
dern  auch  ihre  Mahlzeiten  erhalten.  Ein 
Frauenvevein  hat  sich  bereit  erkliirt,  die 
Bewirtschaftung  zu  fiihren.  Es  wird 
eine  Baracke  fiir  die  Schule  und  eine  fiir 
die  Verpflegung  errichtet.  Die  Kinder, 
die  taglich  nur  2 — 2y2  Stunden  lang  un- 


terrichtet  werden,  sollen  vorlaufig  etwa 
vier  Monate  in  der  Waldschule  bleiben. 
Sie  hat  etwa  fiir  120  bis  150  Kinder 
Platz.  Die  Einrichtung  gilt  zunachst  als 
ein  Versuch. 

Die  Hamburger  Lehrerschaft  hat  sich 
neuerdings  mit  der  Scheidung  der 
Schiller  nach  ihrer  Begabung  (Mannhei- 
mer  System)  befasst  und  nach  eingehen- 
der  Aussprache,  die  auf  gedruckten 
Kommissionsarbeiten  beruhte,  folgende 
Resolution  mit  134  gegen  36  Stimmen  an- 
genonimen:  ,,Das  Prinzip  der  Trennung 
nach  Fiihigkeiten,  . .  sowie  jede  Art  von 
sogenannten  Abschlussklassen  ist  zu  ver- 
werfen." 

Zur  Lehre  innsnfraoe. 

In  einer  der  letzten  Versammlungen 
des  Bezirksvereins  Stuttgart  behandelte 
Dr.  Barth  die  Lehrerinnen- 
f  r  a  g  e  in  eingehender,  griindlicher 
Weise.  Das  Ergebnis  der  Verhandlungen 
war  die  einstimmige  Annahme  folgender 
Satze:  Der  Verein  kann  der  Frau  —  bei 
voller  Anerkennung  ihrer  Pflichttreue  — 
nicht  in  demselben  Masse  wie  dem  Manne 
diejenigen  Eigenschaften  zuerkennen, 
welche  in  der  offentlichen  Erziehung  zur 
Wahrung  der  Autoritiit  und  Zucht  und 
zur  allseitigen  geistigen  Ausbildung  der 
Kinder  notwendig  sind;  er  anerkennt  die 
Mitwirkung  der  Lehrerinnen  auf  den  un- 
teren  Stufen  des  Lehr-  und  Erziehungs- 
planes,  erblickt  aber  in  einer  vermehrten 
Anstellung  weiblicher  Kriifte  (Klassen- 
lehrerinnen)  aus  piidagogischen,  natio- 
nalen  und  sozialen  Griinden  eine  Schadi- 
gung  unseres  Volkslebens  und  in  der  all- 
zureichlichen  Verwendung  von  Lehrer- 
innen in  den  grosseren  Gemeinden  eine 
empfindliche  Benachteiligung  der  mann- 
lichen  Lehrkrafte.  (Lehrerheim.) 

Ungeteilte  Unterrichtszeit.  In  Meinin- 
gen,  soil,  gleichwie  am  Gymnasium,  am 
Realgymnasium  und  an  der  Hoheren 
Tochterschule,  auch  an  der  Volksschule 
die  ungeteilte  Unterrichtszeit  (Vormit- 
tagsunterricht)  eingefiihrt  werden,  da 
man  sich  iiberzeugt  hat,  dass  der  Nach- 
mitt<ag3unterricht  eine  abnorme  geistige 
Belastung  darstellt. 


III.     Vermischtes. 


*  Eine      Probe      des      ^Pennsylvania 
Dutch",   d.   h.    des   auch   heute   noch   in 
mehreren  Counties  von  Pennsylvania  ge- 
sprochenen  Deutsch  geben  die  folgenden, 
einer  pennsylvanischen  Zeitung  entnom- 
menen  Lebensregeln :  ,,Es  sollte  niemand 
zu   leichte   Butter   uf   de   Markt   bringe 
und  net  die  beste  Grumbeere  und  Aeppel 
als  obe  uf  der  Basket  lege,  bekahs  von  so 
Leut   kauft  mer  just  emol.  —  Es  sollt 
sich   ke   junger   Mann   einbilde,   dass   er 
eppes  Apartiges  is,  wenn  er  en  Schnurr- 
bart  rehse  kann.  —  Schulmeister  sollen 
partikuler    dene    grosse    Mad    nie    mehr 
lehren,    wie    in    den    Biichern    steht.    — 
Handwerker  sollten  keh  Mad  heiern,  di 
das  Piano  spielen  und  goldene  Watsclien 
tragen.  —  Temperenzmucker     sollte     an- 
kehm    Wirthshaus    stoppe,    wann    noch 
Platz  in  der  Scheuer  is.  —  Es  sollte  ab- 
solut  nit  sein,  dass  Weibsleit  fashionable 
in  der  Strass  herumlaufen,  und  dahehm 
alles    im    Dreck    leien    hen,    bekahs    die 
erste  und  schonste   Faschen  bei  Weibs- 
leut    ist    und    bleibt    immer    en    sauber 
Haus." 

*  Prof.  Brandl  vom  ,,Deutschen  Schul- 
verein"  schreibt:  Unsere  ausgewanderten 
Landsleute  und  deren  Nachkoramen  mo- 
gen  in  ein  anderes  Staatswesen  iiberge- 
gangen  und  dessen  loyale  Burger  gewor- 
den  sein,  so  lange  sie  sich  die  deutsche 
Sprache  bewahren,  bleiben  sie  mit  uns  in 


einer  Kulturgemeinschaft,  behalten  eine 
Gemiitsbeziehung  zu  ihrem  Jugendleben, 
eine  Liebe  zu  den  deutschen  Dichtern, 
deren  Worte  sie  in  der  Schule  lernten,  zu 
der  Musik  und  Kunst.  die  ihre  Feste  ver- 
schonten,  zu  heimischer  Sitte  und  Art 
auch  in  den  praktisehen  Gepflogenheiten 
des  Werktaglebens.  Erst  sobald  sie  die 
deutsche  Sprache  verlieren,  schwindet 
diese  Anhiinglichkeit,  der  Mensch  wird 
englisch,  portugiesisch.  spanisch,  und  alle 
seine  angestammte  Tiichtigkeit  wird  es 
mit  ihm.  Da  gibt  es  kein  Leugnen  und 
kein  Beschonigen;  Kultur  haftet  nicht 
am  Boden,  an  Regierungsfornien,  an 
Sammlungen  und  Bauten,  sondern  an  der 
Sprache,  denn  die  Sprache  ist  das  Werk- 
zeug  un  seres  Denkens. 

0  diese  Fremdwb'rter!  Dieser  Tage  er- 
schien,  so  erziihlen  die  Hamburger  Nach- 
richten  (Xr.  556  vom  9.  August),  ein 
Mann  im  Rathause  zu  Altona  und  er- 
kundigte  sich  nach  dem  ,.Bureau  des 
Krematorium  s".  Es  wurde  ihm 
bedeutet,  dass  sich  in  Altona  kein  Kre- 
matorium befinde.  wohl  aber  in  Hamburg 
und  zwar  in  Ohlsdorf.  Der  Mann  Hess 
sich  aber  nicht  abweisen,  behauptete, 
nach  dem  Krematorium  beschieden  zu 
sein,  und  schliesslich  stellte  sich  heraus, 
dass  er  das  ,,K  uratoriu  m"  der 
Reallehranstalten  meinte. 


Biicherschau. 


I.     Biichersprechungen. 


Robinson  der  Jiingere.  Von  Joachim 
Heinrich  Campe.  Abridged  and  Edited 
with  notes  and  vocabulary  by  C.  H. 
Ibershoff,  Teacher  of  German,  De- 
troit University  School.  Boston,  D.  C. 
Heath  and  Co.,  1904. 

The  editor  of  this  volume  has  selected 
an  easy  story  that  is  full  of  interest  and 
action,  a  story  that  appeals  to  young 
students  and  that  is  not  without  fascina- 
tion for  older  minds.  There  is  no  intro- 
duction; the  editor  has  missed  an 
opportunity  to  discuss  the  various  "Ro- 
binsonaden"  and  their  relation  to  Defoe's 
Robinson  Crusoe.  Yet,  while  such  a  dis- 
cussion would  be  interesting  and  profit- 
able to  the  student  of  mature  years,  it 
might  perhaps  be  unpedagogical  to  in- 
clude it  in  a  book  intended  to  be  used  so 
early  in  the  course. 

The    notes     are    good    and    not    too 


copious;  there  are -twenty-two  pages  of 
notes  to  one  hundred  and  twelve  pages  of 
text.  The  vocabulary  seems  adequate; 
a  careful  examination  has  failed  to  de- 
tect any  great  errors.  The  gender  of 
"Begriff",  page  144.  and  of  "Einstern", 
page  156,  is  not  indicated.  The  book  is 
well  printed,  the  typography  being  clear 
and  distinct.  This  story  should  meet 
with  much  favor. 

Schillers  Wilhelm  Tell.  With  Foot- 
notes and  Vocabulary.  Introduction  by 
E.  M.  Granger,  A.  B.  Hinds  and 
Noble,  New  York. 

In  internal  appearance  this  is  a  very 
unsatisfactory  book;  the  print  is  allto- 
gether  too  fine,  and  the  typography,  in 
general,  has  a  muddy,  dim  look.  An 
attempt  to  read  it  gives  one's  eyes  and 
patience  a  severe  test. 


272 


Padagogische  Monatshefte. 


The  introduction  consists  of  two  parts: 
a  brief  sketch  of  the  author's  life  and 
about  two  pages  on  the  drama  itself. 
We  are  told,  among  other  things,  that 
"in  appearance  Schiller  was  tall  and 
quite  lean,  with  dark -red  hair,  a  pale, 
thin  face,  and  thoughtful  and  dreamy 
eyes,  which  lighted  up  when  he  became 
enthusiastic."  A  fuller  discussion  of  the 
elevating  thoughts  that  filled  Schiller's 
noble  life  would  be  more  likely  to  lead 
the  student  to  an  appreciation  of  the 
poet's  genius  and  character. 

The  notes,  which  are  almost  entirely 
translations  into  English,  are  too  numer- 
ous; on  some  pages  there  is  a  note  to 
nearly  every  line,  while  some  lines  have 
two  notes.  The  book  is  equivalent  to  a 
text  and  a  translation  for  the  student's 
use.  There  is  not,  in  introduction  or 
notes,  any  adequate  discussion  of 
"Wilhelm  Tell"  as  a  piece  of  literature 
worthy  of  careful  and  appreciative  study. 

Xot  many  misprints  have  been  noted. 
In  the  vocabulary,  page  176,  "Tor" 
(gate)  is  given  as  masculine  instead  of 
neuter;  page  176,  "Trumm",  which  is 
given  as  masculine,  may  also  be  neuter. 
No  gender  is  indicated  for  the  following 
nouns:  "Geliiute".  page  156;  "Himmels- 
raum",  p.  161;  "Lebensgliick",  p.  164; 
"Mehr"  p.  166.  Charles"  Bundy  Wilson. 
The  State  University  of  Iowa. 

Die  Erziehung  des  Willens.  Von  Ju- 
les P  a  y  o  t,  Agrege  de  philosophic, 
Docteur  es  lettres,  Inspecteur  d'Acade- 
mie.  Berechtigte  tibersetzung  nach  der 
elften  Auflage  der  franzosischen  Ausgabe 
von  Dr.  Titus  V  o  e  1  k  e  1.  Zweite 
Auflage.  R.  Voigtlander,  Leipzig;  1903, 
315  Seiten. 

Das  Buch  zerfallt  in  einen  theoreti- 
schen  und  einen  praktischen  Teil,  und 
beginnt  mit  der  niederschmetternden 
Erklarung,  dass  wir  ,,alle  anderen  Dinge 
mit  einiger  Sorgfalt  studieren,  die 
Wissenschaft  des  Lebens  aber  gar  nicht 
lernen  und  auch  gar  nicht  wTiinschen, 
dieselbe  zu  erlernen".  Das  wird  wohl 
stimmen;  und,  nachdem  man  das  vor- 
liegende  Werk,  besonders  den  zweiten 
Teil  desselben,  ,,studiert"  hat,  wird  man 
noch  viel  weniger  Lust  verspuren,  aus 
einem  Kompendium  zu  lernen,  wie  man 
leben  soil.  ,.Fruher",  so  meint  der  Ver- 
fasser  weiterhin,  ,,geniigten  die  Krafte, 
iiber  welche  die  katholische  Kirche,  diese 
unvergleichliche  Erzieherin  der  Charak- 
tere  verfiigte,  um  dem  Leben  der  Gliiu- 
bigen  in  seinen  grossen  Linien  Ziel  und 
Richtung  zu  geben;  heute  fehlt  aber  der 
Afehrzahl  der  denkenden  Geister  diese 
Leitung."  Jammerschade !  Aber  wir 
miissen  uns  eben  behelfen,  und  wir  wer- 


den  es  gerne,  je  nach  Anlage  und 
Neigung,  tun,  nachdem  wir  dieses  Buch 
gelesen  haben.  Ich  habe  die  beiden  obi- 
gen  Siitze  wortlich  angefuhrt,  um  ein 
fur  allemal  zu  zeigen,  dass  der  liber- 
setzer,  dessen  Stil  und  vorziigliche 
Schreibweise  wir  durchaus  nicht  be- 
mangeln  wollen,  sich  in  vielen  Fallen 
doch  etwas  allzu  sklavisch  an  den 
Originaltext  halt,  den  man  gar  nicht 
vor  sich  zu  haben  braucht,  um  die  fran- 
zosischen Siitze  dennoch  beinahe  wort- 
lich vor  sich  zu  sehen. 

Anhiinger  der  Theorie  vom  freien 
YVillen  und  angeborenen  Charakter  wcr- 
dea  mit  dem  Verfasser,  der  natiirlich 
beides  negiert,  von  vorneherein  nicht 
einverstanden  sein.  Anderseits  werden 
sich  nur  schwache  Geister  oder  abge- 
w  irtschaf  tete  Existenzen  dazu  verste- 
hen,  ihren  Willen  nach  den  Rezepten 
dieses  Buches  erziehen  zu  wollen.  Ob 
wir  aber  Kant,  Schopenhauer,  Spencer 
und  anderen  beistimmen,  oder  ob  wir 
mit  Payot  die  einschlagigen  Theorien 
dieser  Denker  ,,als  ein  bemerkenswertes 
Beispiel  der  geistigen  Faulheit,  welche 
gewissermassen  die  unausloschliehe  Erb- 
siinde  der  grossten  Geister  ist",  betrach- 
ten,  das  Avird  die  Frage  nach  dem  freien 
Willen  und  dem  angeborenen  Charakter 
ebensowenig  Ibsen,  wie  es  der  Verfasser 
auf  den  220  Seiten  seines  theoretischen 
Teiles  getan  hat,  oder  auf  eben  so  viel 
tausend  Seiten  tun  konnte.  Die  Vor- 
schlage  und  Anregungen  zur  Willens- 
erziehung  und  Charakterbildung,  die  wir 
da  fmden,  sind  in  fesselnder,  beinahe  be- 
stechender  Weise  vorgetragen,  jedoch 
keineswegs  neu  und  hie  und  da  von 
einem  formlich  anwidernden  Pessimis- 
mus  angefressen,  den  der  Verfasser, 
trotzdem  er  sich  dagegen  verwahrt,  nicht 
verhehlen  oder  ableugnen  kann.  Die 
,,Studenten"  (,,etudiants"  ware  im  gan- 
zen  Buche  besser  mit  ,,Studierenden" 
iibersetzt  worden),  die  willens  wTaren, 
Anachoreten  oder  Saulenheilige  aus  sich 
machen  zu  lassen,  sind  jedenfalls  fisch- 
bliitige  oder  unrettbar  blasierte  junge 
Herren  und  werden  in  Deutschland  und 
in  Amerika  wohl  nur  in  seltenen  Exem- 
plaren  aufzutreiben  sein.  Damit  sei  nicht 
gesagt,  dass  wir  die  Angabe  des  Ver- 
fassers  bezweifeln,  er  habe  beifallige  Be- 
urteilungen  seines  Buches  von  vielen 
,,Studenten"  erhalten. 

Wie  will  Herr  Payot  den  Willen  er- 
ziehen, den  Charakter  bilden?  Wir 
lassen  seine  Mittelchen  in  der  im  Buche 
eingehaltenen  Reihenfolge  aufmarschie- 
ren:  Arbeiten;  nicht  lugen;  immer  nach- 
sinnen;  fortwahrend  sich  anstrengen; 
keine  Redensarten;  Einsamkeit  pflegen; 


Backer  besprechungen. 


273 


mit  bisheriger  Umgebung  brechen;  nicht 
rauchen;  Geduld  iiben;  die  Zeit  aus- 
niitzen;  einen  festen  Arbeitsplan  fiir  je- 
den  Tag  machen;  nicht  zu  viel  auf  ein- 
mal  tun;  die  Nerven  in  acht  nehmen; 
sich  in  Weisheit  und  Miissigkeit  er- 
niihren  nach  streng  wissenschaftlichen 
Gmndsiitzen;  Atmung  und  Muskeln 
pflegen;  des  Nachts  nicht  arbeiten,  son- 
dern  schlafen,  aber  nicht  zu  lange,  und 
niemals  wach  im  Bette  liegen;  viel 
spazieren  gehen,  aber  dabei  lesen,  oder 
wenigstens  systematisch  meditieren; 
nicht  zu  spat  heiraten;  nie  kneipen; 
keine  frohlichen  Karaeraden  haben;  wo 
moglich  nicht  in  einer  grossen  Stadt 
wohnen;  sich  nicht  zu  viel  um  die 
offentliche  Meinung  kiiramern;  sich 
hiiufig  rait  den  grossen  Toten  unterhal- 
ten — voila  tout!  Auch  da  ist  nicht  viel 
Neues.  Wenn  man  aber  einen  solchen 
Katechismus  schwarz  auf  weiss  vor  sich 
hat,  so  sieht  man  sich  unwillkiirlich  nach 
dem  Hauptstiick  vom  Abend-  und  Mor- 
gengebete  um. 

Dass  das  gegenwartige  Erziehungs- 
system  und  Unterrichtswesen  (er  hat 
hauptsachlich  das  franzosische  im  Sinne) 
dem  Verfasser  ein  Dorn  im  Auge  ist  und 
von  Grund  aus  reformiert  werden  muss, 
ist  selbstredend;  aber  er  sagt  uns  nicht 
wie.  Endlich  heisst  es  auf  Seite  287: 
,,der  Verfasser  betrachtet  seine  Abhand- 
lung  iiber  die  Erziehung  des  Willens  als 
das  niitzlichste  Buch,  das  er  je  schreiben 
wird,  mit  einem  Worte  als  sein  Haupt- 
werk.  Daher  gedenkt  er  es  noch  lange 
Jahre  auf  dem  Bauplatze  zu  behalten, 
um  es  zu  vervollstandigen  und  umzu- 
arbeiten." 

Allzu  verlockend  scheint  dem  Schreiber 
dieses  die  Aussicht  auf  ein  Mehr  von  der 
Sorte  keineswegs — doch,  habeat  sibi! 
Constantin  Grebner,  Cincinnati,  O. 

Friedrich  Gerstacker,  Germelshausen. 
Edited  with  introduction,  notes,  exer- 
cises, and  vocabulary  by  Griffin  if. 
L  o  v  e  1  a  c  e.  Boston,  Ginn  and  Co., 
1904.  XIII  -|-  107  pp.,  16  mo.  30  cents. 

Abgesehen  von  einer  Reihe  Einzelaus- 
stellungen,  die  unten  zur  Sprache  kom- 
men  sollen,  haben  wir  es  in  dieser  Aus- 
gabe  der  bekannten  phantastiachen  Er- 
ziihlung  Gerstackers  mit  einer  recht  an- 
erkennenswerten  Leistung  zu  tun.  Die 
etwa  sechs  Seiten  lange  Einleitung  gibt 
ein  anschanliches  Bild  von  dem  vielbe- 
wegten  Leben  des  Verfassers  und  eine 
gerechte  Wiirdigung  seiner  schriftstelle- 
rischen  Tatigkeit.  Die  Anmerkungen  (22 
Seiten)  beschiiftigen  sich  besonders  mit 
den  wichtigsten  Erscheinungen  der 
deutschen  Syntax  und  mit  der  genauen 
Wiedergabe  haufig  in  verschiedeuem 


Sinne  gebrauchter  Partikeln.  Vierzehn 
sorgfaltig  ausgearbeitete  Ubungen  zum 
Riickiibersetzen  ins  Deutsche,  sechs 
Seiten  umfassend,  denen  eine  drei  Seiten 
lange  Darstellung  der  deutschen  Wort- 
folge  vorangeht,  bilden  einen  fortlaufen- 
den  Text,  der  zugleich  eine  Inhaltsangabe 
der  ganzen  Erzahlung  bietet.  Dariiber 
liesse  sich  allerdings  streiten,  ob  bei 
einem  so  kurzen  Texte  (40  Seiten)  eine 
Inhaltsangabe  wiinschenswert  ist;  der 
Schiller,  der  sie  von  vornherein  entdeckt 
und  dtirchliest,  wird  dadurch  um  den 
vollen,  tiefen  Eindruck  der  uberraschung 
gebracht,  auf  den  hier  so  viel  ankommt. 
Jedoch  wird  dieser  Nachteil,  wenn  es 
einer  ist,  reichlich  aufgewogen  durch  den 
Vorteil  eines  das  Interesse  fesselnden 
fortlaufenden  Textes. 

In  der  Einleitung  hatte  der  Heraus- 
geber  auf  S.  XII  sehr  wohl  etwas  naher 
auf  die  der  Geschichte  zu  Grunde  liegende 
Idee,  die  Sage  von  der  vom  Meere  ver- 
schlungenen  Stadt  (wofiir  Vineta  ein 
schones  Beispiel  abgibt),  vom  ver- 
sunkenen  Kloster,  von  der  Glocke  im 
tiefen  See,  deren  Gelaut  nur  die  Sonn- 
tagskinder  vernehmen,  und  iihnliche 
Volksiiberlieferungen  eingehen  konnen; 
der  denkbare  Einwurf,  dass  auf  diese 
Weise  das  Geheinmis  preisgegeben  wer- 
den miisste,  ist  hinfiillig  im  Hinblick  auf 
die  fiir  die  Dbersetzungsaufgaben  ge- 
wiihlte  Form. — Auf  S.  IV  spricht  der 
Herausgeber  von  einer  kaiserlichen  Re- 
gicrung  im  Jahre  1849;  was  ist  damit 
gemeint  ? 

Erwiinscht  ware  auf  S.  1  eine  An- 
merkung  zu  den  Worten  ,,des  Jahres 
184--,"  die,  nur  fiir  das  Auge,  nicht  fiir 
das  Ohr  berechnet,  dem  Schiller  beim 
Lesen  Schwierigkeiten  machen  diirften; 
ebenso  eine  Anmerkung  iiber  die  Orts- 
namen  JIarisfeld  und  Wichtelhausen 
(sowie  weiterhin  Dillstedt  und  Bischofs- 
roda),  die  keiiie  willkiirlichen  Bildungen, 
sondern  bis  auf  unbedeutende  Ver- 
anderungen  die  Xamen  einer  Gruppe  von 
Dorfern  in  der  Umgebung  von  Meiningen 
und  Eisenach  sind. 

Zu  der  Grabschrift  auf  S.  22  (die 
Schreibung  Dcbr.  war  zu  erklaren)  be- 
merkt  der  Herausgeber,  der  Gebrauch 
arabischer  ZitFern  statt  romischer  fiir  die 
angegebene  Zeit,  1188 — 1224,  sei  ein 
Anachronismus.  Sehr  richtig;  und  wenn 
er  nur  der  einzige  ware!  Germelshausen 
strotzt  ja  formlich  davon;  es  kann  einem 
wind  und  well  werden,  und  da  braucht 
man  noch  nicht  einmal  Kulturgeschichte 
des  Mittelalters  studiert  zu  haben.  Schon 
diese  Grabschrift  ist  so  modern,  als  sie 
nur  sein  kann:  erstens  ist  zum 
mindesten  fraglicb,  ob  fiir  die  be- 


274 


Padagogische  Monatshefte. 


treffende  Landschaft  der  Gebrauch  von 
Familiennamen  fiir  Bauern  um  die 
Wende  des  zwolften  und  dreizehnten 
Jahrhunders  angesetzt  werden  darf; 
zweitens  hiess  es  noch  im  achtzehnten 
Jahrhundert  nicht  ,,Anna  Maria  Berthold, 
geborene  Stieglitz",  sondern  ,,Anna  Maria 
Stieglitz,  verehelichte  Berthold;"  drit- 
tens  starb  man  anno  1224  nicht  am  2ten 
Dezember,  sondern  am  Tage  des  betref- 
fenden  Kalenderheiligen ;  viertens  bekam 
man  als  einfache  Bauersfrau  keinen 
Grabstein;  bekam  man  aber  dennoch 
einen,  so  war,  fiinftens,  die  ganze  Auf- 
schrift  lateinisch.  Noch  viel  mehr  gilt 
dies  fiir  Leichensteine  mit  der  Jahres- 
zahl  930.  Ausserdem  begrub  man  da- 
mals  die  Toten  mitten  im  Dorfe  um  die 
Kirche  und  nicht  ausserhalb  des  Dorfes 
in  einem  gesonderten  Friedhof.  Ebenso- 
wenig  gab  es  zu  jener  Zeit  in  Bauern - 
hausern  glaserne  Fensterscheiben,  die 
sich  ja  kaum  die  reichsten  Privatleute 
leisten  konnten;  von  einem  Schulhause 
auf  dem  Dorfe  zu  triiumen  ware  halsge- 
ftihrlich  gewesen;  hiitte  der  wiederer- 
standene  Dorfschulze  von  Germelshausen 
seinem  Cast  auf  der  Violine  zum  Tanz 
aufspielen  wollen,  so  hatte  die  Form 
seiner  Fiedel  allein  schon  Arnold  auf- 
kliiren  miissen,  dass  es  hier  nicht  mit 
rechten  Dingen  zuging;  einer  Schlag- 
uhr  auf  dem  Kirchturm,  die  ohnehin  eine 
grosse  Seltenheit  gewesen  ware,  riihmten 
sich  die  Germelshauser  schwerlich;  und 
ebensowenig  spielten  sie  Karten,  weil 
diese  erst  mehrere  Jahrhunderte  spjiter 
in  Europa  bekannt  wurden.  All  das 
brauchte  der  Herausgeber  ja  keineswegs 
aufzufiihren;  im  Gegenteil,  ich  erachte 
es  sogar  als  erzieherisch  wertvoll,  den 
Schiiler  unter  Anleitung  des  Lehrers 
solche  Sachen  selbst  finden  zu  lassen; 
eine  Andeutung  aber  darf  man  in  einer 
Schulausgabe  dartiber  doch  wohl  erwar- 
ten,  dass  der  Verfasser,  um  geschicht- 
liches  Werden  unbekiimmert,  ein  deut- 
sches  Dorf  seiner  Zeit  frischweg  ins  drei- 
zehute  Jahrhundert  zuriickversetzt  hat. 

Auch  zu  S.  40.  Z.  7  sahe  ich  gerne  eine 
Anmerkung.  Hier  reicht  Arnold  dem 
Forster  die  Hand  zum  Abschied  mit  den 
Worten  ,,Griiss'  Gott!"  worauf  der 
Forster  mit  ,,Schonen  Dank"  antwortet. 
Die  Stelle  charakterisiert  den  Verfasser 
als  Norddeutschen,  der  mit  dem  schb'nen 
siiddeutschen  Grusse  nicht  umzugehen 
weiss.  Denn  die  Form  ,,Griiss'  Gott," 
worauf  immer  dieselben  Worte  als  Ge- 
gengruss  erfolgen,  gilt  nur  fiir  die  Be- 
gegnung;  der  Abschiedsgruss  ist 
,,B'h iit'  Gott,"  und  geantwortet  wird  im- 
mer nur  mit  ,,B'hiit  Gott",  ubrigens  ist 
diese  Grussform  keineswegs,  wie  aus 


der  Anmerkung  zu  S.  11,  Z.  22  hervor- 
gehen  konnte,  auf  die  landlichen  Bezirke 
beschriinkt;  in  Osterreich  z.  B.  ist  sie 
die  allgemein  iibliche,  einschliesslich 
Wiens. 

,,Heute  abend"  (S.  12,  Z.  18)  wird  ala 
=  diesen  Abend  gegeben;  soil  das 
heissen.  dass  diese  Ausdrucksweise  vor- 
zuziehen  sei?  Das  Gegenteil  ist  der  Fall; 
,,diesen  Abend"  ist  ein  Eindringling  aus 
dem  Franzosischen. — Wenn  zu  S.  13,  Z.  2 
,,Dicht  neben  der  Kirche  steht  auch  ge- 
wohnlich  die  Schenke"  die  Erklarung 
,,a  relic  of  old  German  civilization"  ge- 
geben wird,  durfte  auch  der  Grund  dafiir 
angegeben  werden. — Dass  Eisenbahn  und 
Telegraph  noch  in  den  fiinfziger  Jahren 
an  abgelegenen  Orten  nicht  bekannt  ge- 
wesen seien  (zu  S.  21,  Z.  23),  ist  eine 
willkiirliche  Annahme;  die  versteckte- 
sten  Hinterwalder  hatten  sicherlich  um 
jene  Zeit  von  diesen  Einrichtungen  schon 
gehort,  wenn  auch  nicht  notwendiger- 
weise  durch  die  Zeitung,  so  doch  von 
Handwerksburschen,  herumziehenden 
Hiindlern,  Landstreichern  u.  dgl. 

Zu  S.  65,  I,  3  ware  zu  bemerken,  dass 
die  Auslassung  von  dass  doch  auch 
die  ungerade  Wortfolge  zulasst;  ,,er 
sagte,  gestern  habe  (nicht  ,,hatte")  er 
mich  gesehen." — Ebenda  ist  die  Zuge- 
hb'rigkeit  der  Unterabteilungen  a,  b,  c,  d 
etc.  wegen  der  Bezeichnungsweise  nicht 
ganz  klar. 

Das  Vokabular  bezeichnet  die  langen 
Vokale.  Ich  halte  das,  von  einigen  we- 
nigen  Fallen  abgesehen,  fiir  unnotig  und 
geradezu  schiidlich.  Der  Schiiler,  der 
Germelshausen  lesen  kann,  sollte  auch 
die  paar  leichtfasslichen  Aussprache- 
regeln  iiber  Vokallange  so  anzuwenden 
wissen,  dass  er  keiner  solchen  Nachhilfe 
bedarf;  wird  sie  ihm  dennoch  gewahrt, 
so  gewohnt  er  sich  leicht  an  Denkfaul- 
heit.  ubrigens  sind  hier  eine  grosse  An- 
zahl  Versehen  untergelaufen.  Das  Lange- 
^zeichen  fehlt  bei  Anzug,  Art,  aufgelegt, 
Bahn,  beiwohnen,  benachbart  (zweites 
a),  dafiir  (ii),  da(r)  nach  (zweites  a), 
Eisenbahn,  oder  (unter  entweder — oder), 
genug,  Glas,  Grab,  grad,  Gras,  Kirchhof- 
mauer,  lautlos,  Mittag  mit  seinen  Zu- 
sammensetzungen,  Nachbar,  Nachmittag, 
Ohr.  Schlag,  Sonntag.  Spinnrad,  Tag,  un- 
gewohnt,  Ururgrossmutter,  (o),  Vor- 
schlag,  Weg.  Umgekehrt  steht  es  falsch 
bei  Heimat,  Sakristan  (erstes  a),  Tele- 
graph (erstes  e).  Die  Form  frug  sollte 
nicht  als  veraltet  bezeichnet  werden. 
Neutra  wie  Deutschland,  Marisfeld  wur- 
den besser  nicht  mit  dem  bestimmten 
Artikel  gegeben. 

Druckfehler  sind  mir  nur  zwei  aufgefal- 
len;  S.  19,  Z.  12  lies  Vortrefflich;  S.  90, 


Biicherbesprechungen. 


275 


Spalte  2,  lies  hundert.    Die  aussere  Aus- 
stattung  ist  gediegen. 

Lessings  Minna  von  Barnhelm.  Edited 
with  introduction,  notes,  and  vocabulary, 
by  Richard  A.  von  Minckwitz 
and  Anne  C.  Wilder,  XVIII  -|-  202 
pp.,  16  mo.  Boston,  Ginn  and  Co.,  1904. 
45  cents. 

Die  Beigabe  eines  annahernd  fxinfzig 
Seiten  starken  Vokabulars  und  die 
Kurze  der  Einleitung  (etwas  iiber  fiinf 
Druckseiten  lang)  charakterisieren  diese 
neue  Ausgabe  der  Minna  als  fur  die 
Schule,  nicht  das  College,  berechnet.  Dass 
sie  fur  Schiiler  des  dritten  Jahrgangs 
geschrieben  ist,  entnehmen  \vir  ausser- 
dem  der  dem  Rezensionsexemplar  beige- 
legten  gedruckten  Notiz,  die  dem  Be- 
richterstatter  seine  undankbare  Aufgabe 
erleichtern  soil.  (Fiir  diese  Art  Notizen 
hat  man  in  Deutschland  den  von  schno- 
der  Herzlosigkeit  zeugenden  Ausdruck 
Waschzettel  aufgebracht.  Obwohl  ich 
dies  Verfahren,  den  Referenten  ge- 
wissermassen  zu  beeinflussen,  sehr  be- 
dauerlich  finde,  soil  daraus  dem  Verlag 
kein  Vorwurf  gemacht  werden;  es  ist 
hierzulande  einmal  so  Mode.)  Eben  diese 
Beilage  belehrt  uns  auch,  dass  das  Buch 
extra  cathedram  verfasst  ist,  da  beide 
Herausgeber  Lehrer  der  klassischen 
Sprachen  sind;  das  Titelblatt  gibt  diese 
Auskunft  nicht. 

Die  Hiilfte  der  Einleitung  beschaftigt 
sich  mit  Lessings  Leben;  es  leuchtet  ein, 
dass  man  auf  den  iibrigen  dritthalb  Sei- 
ten dem  geschichtlichen  oder  gar  dem 
literarischen  Werte  des  Stiickes  nicht 
gerecht  werden  kann,  zumal  da  mehrere 
Abschnitte  hier  so  gehalten  sind,  dass 
sie  wohl  in  eine  Festrede,  nicht  aber  in 
ein  Schulbuch  passten. 

"For  students  who  wish  to  gain  a 
deeper  insight  into  Lessing,  his  time, 
and  his  writings,  a  list  of  reference  books 
is  added,"  sagt  das  Vorwort.  Die  Zu- 
sammenstellung  dieser  Liste  aber  ist, 
urn  es  ehrlich  zu  sagen,  eine  Ungeheuer- 
lichkeit.  Wer  wiirde  einem  Schiiler  z.  B. 
Erich  Schmidts  ,.Lessing"  oder  Wundts 
,,Lessing  und  die  krititsche  Methode"  in 
die  Hand  geben  wollen !  Die  Befiirchtung, 
dass  der  Schiiler  mit  kritischer  Literatur 
iiber  Lessing  iibersjittigt  werden  konnte, 
wird  freilich  schon  dadurch  gegen- 
standslos,  dass  sich  von  den  angefiibrten 
27  Werken  auch  in  guten  Schulbiblio- 
theken  kaum  mehr  als  drei  bis  vier  vor- 
finden  diirften.  Dem  Durchschnittslehrer 
nicht  minder  als  dem  Schiiler  ware  viel 
besser  gedient.  wenn  eine  kleine  AnzahJ 
Werke  (bei  denen  man  aber  iibrigens 


auch  Ort  und  Jahr  des  Erscheinens  an- 
geben  miisste)  ausgewiihlt  und  bei  jedem 
noch  besonders  die  betreffenden  Ab- 
schnitte bezeichnet  wiirden. 

Auch  an  den  Anmerkungen  ist  man- 
cherlei  auszusetzen.  Fiir  unnotig  halte 
ich  z.  B.  die  teilweise  zu  langen  An- 
merkungen zu  vermaledeit  (S.  3,  Z.  7), 
ah  (S.  20,  Z.  13),  Dukaten  (S.  22,  Z.  9), 
Blitz  (ebenda,  Z.  18),  Lichtmess  (S.  30, 
Z.  21),  wegkapern  (S.  31,  Z.  21),  Karat 
(S.  34,  Z.  5),  Rummel  (S.  49,  Z.  10), 
Potzgeck  (S.  57,  Z.  7) ;  in  all  diesen 
Fallen  geniigte  eine  einfache  tibersetzung 
im  Vokabular.  Die  Etymologie  von  Potz- 
geck ist  iibrigens  unrichtig  angegeben; 
der  erste  Bestandteil  ist  nict  aus  Bocks 
•=.  des  Teufels  verstiimmelt,  sondern  aus 
Gotts  und  enspricht  dem  englischen  Odds, 
woftir  Sheridan's  Rivals  so  mannigfache 
Belege  gewiihren,  und  dem  franzosischen 
bleu  fiir  Dieu. 

Umgekehrt  wiiren  Anmerkungen  drin- 
gend  erwiinscht  zu  einer  grossen  Reihe 
sprachlicher  Erscheinungen,  die  dem 
Schiiler  auffallen  und  ihn  verwirren 
miissen.  Ich  hebe  nur  folgende  heraiis: 
unterkommen  ware  (S.  6,  Z.  20) ;  Justen 
(S.  7,  Z.  8),  ebenso  Wernern  (S.  11,  Z.  3), 
Herr  Wernern  (S.  38,  Z.  14);  meine 
iibrige  Saehen  (S.  9,  Z.  6;  ahnliche  Falle 
S.  85,  Z.  4  f.:  S.  93,  Z.  4  f.  und  23); 
diirfen  im  Sinne  von  brauchen  (S.  12, 
Z.  8);  Maul  fiir  Mund  (S.  25,  Z.  16  if.); 
mit  einer  hohen  Polizei  (S.  31,  Z.  29) ; 
die  ihn  diesen  Morgen  komplimentieren 
lassen  (S.  38,  Z.  25),  ahnlich  S.  90,  Z.  15; 
ofterer  (S.  41,  Z.  2);  wenn  =  wann  (S. 
49,  Z.  23  u.  o.) ;  die  Rittmeisterin  Mar- 
loff  (S.  61,  Z.  6);  ein  acht  Tage  (S.  62, 
Z.  26) ;  fiinf zehn  Tage  als  ubersetzung 
des  franzosischen  quinze  jours  fiir 
deutsches  vierzehn  Tage  (S.  80,  Z.  25); 
Vorbitterin  fiir  Fiirbitterin  (S.  112,  Z. 
3);  vertraulich  statt  vertraut  (S.  114,  Z. 
6).  Der  Notwendigkeit  sprachlicher  Er- 
lauterungen  Hesse  sich  nur  durch  das 
Gewaltmittel  einer  Anderung  des  Textes 
nach  Massgabe  unseres  heutigen  Sprach- 
gebrauchs  vorbeugen;  und  dazu  wiirden 
sich  hoffentlich  die  Herausgeber  nicht  be- 
reit  finden.  Auch  der  transitive  Gebrauch 
von  niitzen  war  als  veraltet  zu  kenn- 
zeichnen. 

Falsch  gefasst  ist  zu  S.  3,  Z.  12  die 
Bemerkung,  spater  sei  Eur  mit  dem 
plural  en  Verb  in  Gebrauch  gekommen, 
gewohnlich  mit  Titeln;  steht  es  denn  je 
ohne  Titel?  Ebenso  das  iiber  Ihro  ge- 
sagte.  Epiphaniii  (zu  S.  21,  Z.  10)  ist 
kein  bewegliches  Fest,  sondern  fallt  auf 
den  6.  Januar,  der  allerdings  auch  gc- 
legentlich  mit  dem  zweiten  Sonntag  nach 


276 


Padagogische  Monatshefte. 


Weihnachten  zusammenfallen  kann. 
Zur  reilektierten  Form  jemanden  war 
Thomas  321,2,  nicht  154  beizuziehen;  die 
Fassung  dieses  Abschnittes  entsprang 
lediglich  praktischen  Riicksichten. 

Sehr  ungliicklich  sind  eine  Anzahl 
Auslegnngen  einzelner  Stellen.  Die  Fas- 
sung  der  Erklarung  zu  S.  10,  Z.  8  ist 
wohl  nur  ein  Versehen;  der  Sinn  ist  ge- 
rade  umgekehrt.  In  dem  Ausruf  ,,Herr 
Major!"  (S.  13,  Z.  21)  sehe  ich  alles  an- 
dere  eher  als  einen  Vorwurf,  dass  Tell- 
heira  der  Sprecherin  nicht  glauben  wolle. 
— S.  52,  Z.  20  ,,Nun  ist  mir  fiir  das 
Avancement  des  Laufers  bange"  soil  na- 
tiirlich  bedeuten,  wenn  die  Andern  so 
avanciert  sind,  was  werde  ich  da  von  dem 
Laufer  fiir  nette  Sachen  zu  horen  be- 
kommen:  Justs  Antwort  beweist,  dass  er 
diesen  Sinn  verstanden  hat,  wie  es  ja 
auch  die  einzig  richtige  Auslegung  ist; 
auch  Franziskas  niichste  Rede  ,,Dacht' 
ich's  doch!"  stimrat  dazu.  Z.  22  muss 
demgemsiss  auch  anders  iibersetzt  wer- 
den,  niimlich  etwa  ,,no,  no,  he  really  has 
advanced." — Wenn  der  spitzbubische 
Wirt  fiir  den  Ring  statt  der  darauf  ge- 
liehenen  achtzig  Pistolen  hundert  haben 
moehte  und  dann  auf  neunzig  zuriickgeht, 
so  ist  das  selbstverstandlich  keine  Ge- 


dachtnisschwache  (S.  55,  Z.  17).  —  S.  58, 
Z.  7:  ,.Das  heisst  Ihn  Gott  sprechen!" 
=  es  ist  ein  Gliick  fiir  dich,  dass  du  das 
sagst;  nicht  aber  =  deine  eigene  Nieder- 
tracht  hat  dir  diese  Worte  nicht  einge- 
geben,  sondern  Gott  selber. — S.  61,  Z.  7: 
Die  Rittmeisterswitwe  wiirde  einem  Un- 
teroffizier  wohl  kaum  ihre  Leiden  klagen, 
selbst  wenn  sie  krank  ist,  lesen  wir  hier. 
Diesen  Satz  kann  nur  ein  Reserveleut- 
nant  geschrieben  haben! — Minnas  Aus- 
spruch  ,,Die  Ehre  ist  die  Ehre!"  (S.  96, 
Z.  2G)  ist  nach  unsern  Herausgebern  ,.ein 
sarkastisches  Zugestandnis,  dass  das 
Weib  keine  walire  Auffassung  des  Ehr- 
begriffes  habe."!!! — Werner  nennt  eich 
einen  Tolpel  (S.  126,  Z.  2),  nicht  weil  er 
das  Geld  zur  Unzeit  gebracht,  sondern 
weil  er  sich  unnotig  geargert  und  auf- 
geregt  hat. 

Ein  guter  Gedanke  war  es,  fiir  die 
franzosischen  Stellen  ein  gesondertes 
kleines  Vokabular  anzuhangen. 

Von  zweifelhaftem  Werte  ist  das  dem 
Buche  beigegebene  Bildnis.  Es  sieht 
Lessing  so  ahnlich,  als  nur  ein  gewieser 
anderer  Klassiker  ihm  Jihneln  kann. — 
Druck  und  Ausstattung  entspreehen  alien 
berechtigten  Anforderungen. 
Univ.  of  Wis.  Edwin  C.  Roedder. 


II.     Eingesandte  Buche r. 


Our  Bodies  and  How  we  Live.  An  ele- 
mentary text  book  of  Physiology  and 
Hygiene  for  use  in  schools  by  Albert 
F.  B  1  a  i  s  d  e  1 1,  M.  D.  Revised  Edition. 
Boston,  Ginn  and  Co.,  1904.  Price  75  cts. 

A  Manual  of  Pronunciation  for  pract- 
ical use  in  schools  and  families.  Contain- 
ing a  careful  selection  of  words  in  the 
English  Language  most  commonly  mis- 
pronounced, together  with  their  pronun- 
ciation as  given  by  the  best  authorities 
in  England  and  America,  by  Otis 
A  s  h  m  o  r  e,  Supt.  of  Schools,  Savannah, 
Ga.  Ginn  and  Co.,  Boston,  1904. 

A  Scientific  German  Reader  by  George 
Theodore  Dippold,  Ph.  D.,  Professor  of 
Modern  Language  of  the  Massachusetts 
Institute  of  Technology.  Revised  Edition. 
Boston,  Ginn  and  Co.,  'l904.  Price  80  cts. 

Das  Gymnasium  zu  Stolpenburg  von 
Hans  Hoffmann.  Die  Handschrift  A  — 
Erfiillter  Beruf.  Edited  with  introduc- 
tion, notes,  and  vocabulary  by  Valen- 
tin Buehner,  Teacher  of  Modern 
Language,  High  School,  San  Jose,  Cal. 
Boston,  D.  C.  Heath  and  Co.,  1904. 

Pole  Poppenspiiler  von  Theodor  Storm. 
With  introduction,  notes  and  vocabulary 


by  D  r.  Wilhelm  Bernhardt,  D.  C.   Heath 
and  Co.,  Boston,  1904. 

Essays  of  Charles  Lamb.  Selected  and 
edited  with  introduction  and  notes  by 
George  Armstrong  Wanhope, 
M.  A.,  Ph.  D.,  Professor  of  English  in 
South  Carolina  College.  Boston,  Ginn  and 
Co.,  1904.  Price  60  cts. 

Meaning  and  Practice  of  Commercial 
Education  by  C  h  e  e  s  in  a  n  A.  He  r- 
r  i  c  k,  Ph.  D.,  Director  School  of  Com- 
merce, Central  High  School,  Philadelphia. 
New  York,  The  Macmillan  Co.,  1904. 

La  Mere  de  la  Marquis  et  la  Fille  du 
Chanoine  par  E  d  m  o  n  d  A  b  o  u  t.  Edited 
with  notes  and  vocabulary  by  O.  B. 
Super,  Ph.  D.,  Professor  of  Romance 
Language  in  Dickinson  College.  Boston, 
Ginn  and  Co.,  1904. 

Flachsmann  als  Erzieher.  A  comedy  by 
Otto  Ernst.  Edited  with  notes  and 
vocabulary  by  Elizabeth  Kings- 
bury,  A.  M.  Ginn  and  Co.  Price  45  cts. 

Der  zerbrcchene  Krug  von  H  e  i  n  r  i  c  h 
Z  s  c  h  o  k  k  e.  With  introduction,  notes, 
and  vocabulary  by  H  e  r  b  e  r  t  C  h  a  r  1  e  s 
S  a  n  b  o  r  n,  A.  M.,  Bancroft  School, 
Worcester,  Mass.  Ginn  and  Co.  Price 
30  cts. 


Padagogische  Monatsheftt 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


V.  novcmbcu   1904.  Heft  9 


Dichter  und  Schule. 


(Schweizerische  Schulzeitung.) 


,,Du  sollst  nicht  toten,  sondern 
lebendig  machen." 

Ein  Zogling  einer  schweizerischen  Mittelschule  sagte  mir  einst,  im 
deutschen  Lesebuche  gefielen  ihm  jene  Dichtungen  am  besten,  welche  nicht 
von  dem  Lehrer  in  der  Schule  behandelt  worden  seien.  Dieses  Urteil  spricht 
jedenfalls  nicht  sehr  zugunsten  der  Behandlungsart  der  Poesie  durch  den  be- 
treffenden  Lehrer,  denn  durch  eine  Erklarung  einer  Dichtung  sollte  die 
Freude  der  Schiller  an  den  Kunstwerken  erhoht  und  nicht  vermindert  wer- 
den.  Dieser  eine  Fall  steht  aber  nicht  allein  da.  Gebildete  Manner,  die 
unsere  Mittelschule  besucht  haben,  klagen  nicht  selten,  man  habe  ihnen  in 
der  Schule  die  Freude  an  den  deutschen  Kassikern  verdorben,.  Diese  Stim- 
mung  hat  auch  Widerhall  gefunden  auf  dem  letzten  deutschen  Kunster- 
ziehungstage  in  Weimar,  auf  welchem  harte  Anklagen  gegen  die  Behandlung 
der  Poesie  in  der  Schule  erhoben  worden  sind. 

Ein  Vertreter  der  Schule,  Otto  Anthes,  hat  es  nun  unternommen,  zu 
zeigen,  auf  welche  Weise  die  Dichtung  den  Schiilern  lebendig  gemacht  wer- 
den  kann.  In  einem  kleinen  Biichlein  ,, Dichter  und  Schulmeister"  gibt  er 
an  der  Hand  von  vielen  schonen  Beispielen  reiche  Anregung,  wie  man  in  der 
Schule  Poesie  behandeln  soil.  Seine  wichtigsten  Gedanken  mogen  hier  in 
Kiirze  erwahnt  werden. 

Die  Hauptsache  an  einem  Gedicht,  das  eigentlich  Kiinstlerlsche  daran 
ist  die  durch  die  Anschauung  vermittelte  Stimmung.  Diese  soil  der  Lehrer 


278  Padagogische  Monatshefte. 

beim  Schiller  erwecken,  indem  er  diesem  die  Plastik  des  Gedichts  vor  Augen 
fiihrt,  indem  er  ihn  schauen  u»d  horen  lehrt,  indem  er  ihm  das  eigentliche 
Bildliche  (im  weiten  Sinn  des  Wortes)  eines  Gedichts  lebendig  macht.  Man 
muss  die  Vorgange  in  einem  Gedicht  mitschauen,  dann  stellt  sich  auch  das 
Mitfiihlen  ein.  Den  Grundgedanken  aus  der  Dichtung  herauszuschalen, 
totet  die  Poesie;  denn  der  Gedanke  ist  abstrakt,  wahrend  das  eigentlich 
Kiinstlerische  anschaulich  ist.  Ebenfalls  aus  der  Anschauung  und  damit  aus 
der  Stimmung  heraus  vvird  der  Schiller  gerissen,  wenn  der  Lehrer  beim  Be- 
handeln  der  Dichtung  abschweift  und  z.  B.  solche  historische,  geographische 
literargeschichtliche  Bemerkungen  einflicht,  die  nicht  unmittelbar  zum  An- 
schauungs-  und  Stimmungsgehalt  der  Dichtung  gehb'ren. 

Dieser  kurze  Auszug  moge  nur  dazu  dienen,  alle  Lehrer  und  besonders 
die  Deutschlehrer  an  den  Mittelschulen  anzuregen,  das  Biichlein  von  Anthes 
selbst  zu  studieren.  Dagegen  moge  es  mir  gestattet  sein,  meinerseits  auf  einen 
Fehler  in  der  Schulbehandlung  von  Dichtungen  aufmerksam  zu  machen. 

Eine  Siinde  an  einer  Dichtung  begeht  man,  wenn  man  sie  in  der  Schule 
vollstandig  erschopfend  behandeln  will.  Weshalb  behalten  die  bedeutenden 
Dichtungen,  welche  einem  nicht  von  einem  Schulmeister  verdorben  worden 
sind,  einen  evvig  neuen  Reiz  das  ganze  Leben  hindurch  ?  Ich  denke  doch  zum 
Teil  deshalb,  weil  man  immer  wieder  etwas  Neues  in  ihnen  entdeckt.  Ich 
kanri  mir  nicht  vorstellen,  dass  man  den  Wallenstein,  oder  den  Faust,  oder 
Hermann  u.  Dorothea  je  ausgelesen  haben  wird.  Man  wird  immer  wieder 
etwas  Frisches  darin  entdecken,  wenn  man  die  Dichtungen  von  Zeit  zu  Zeit 
wieder  liest.  Das  steigende  Lebensalter  und  die  wechselnden  Erfahrungen 
und  Stimmungen  lassen  uns  zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedene  Schon- 
heiten  in  den  Dichtungen  geniessen.  Und  eben  dieses  immer  neue  Entdecken 
macht  es  zum  Teil  aus,  dass  wir  gerne  zu  den  alten  bekannten  Dichtungen 
zuriickkehren. 

Wie  sieht  nun  eine  Dichtung  nach  einer  erschopfenden  Schulbehandlung 
aus?  Eine  solche  Dichtung  gleicht  einer  auf  den  letzten  Tropfen  ausge- 
quetschten  Zitrone.  Alles  iiberhaupt  Denkbare  ist  erklart;  jeder  Gedanke, 
jeder  Satz,  oft  fast  jedes  Wort  ist  erlautert.  Beinahe  alle  iiberhaupt  mb'g- 
lichen  Assoziationen  sind  herbeigerufen  worden.  Ein  Schiiler  darf  etwa  an 
Schillers  Glocke  nicht  nur  das  geniessen,  was  ihm  ans  Herz  geht,  was  ihm 
nahe  liegt,  man  qualt  ihn  damit,  die  ganze  Bedeutung  dieses  Gedichtes  fur 
andere  Leute  in  anderen  Lebenslagen  kennen  zu  lernen.  Diese  Bedeutung 
der  Schillerschen  Worte  fiir  andere  ist  dem  Schiiler  in  der  Regel  gleichgiiltig, 
weil  er  wegen  seiner  geringen  Erfahrung  gar  nicht  nachfuhlen  kann.  Hat 
man  dem  Schiiler  dann  alles  erklart  und  alles  vorgenommen,  so  mag  er  spater 
das  Gedicht  nicht  mehr  ansehen ;  es  hat  fiir  ihn  keinen  Reiz  mehr  (der  Pada- 
goge  sagt:  kein  Interesse  mehr),  weil  er  nichts  Neues  darin  suchen  und  finden 
kann. 


Dichter  und  Schule.  279 

Man  wird  also  besser  daran  tun,  dem  Schiller  nur  soviel  an  einer  Dich- 
tung  zu  erklaren,  als  er  fur  das  momentane  Erfassen  der  Dichtung  bedarf, 
so  dass  er  dann  auch  zum  augenblicklichen,  asthetischen  Genuss  gelangt. 
Lasse  man  sich  den  Schiller  doch  am  Wallenstein  begeistern,  lasse  man  ihn 
doch  aus  dem  Wallenstein  das  aufnehmen,  was  fhm  in  seinem  Alter  nur  als 
das  Wichtigste  erscheint,  wenn  es  auch  nicht  ganz  mit  dem  iibereinstimmt, 
was  der  reife  Schiller  sich  unter  der  Wallensteinwirkung  vorgestellt  hat.  Der 
Schiller  wird  dann  zum  mindesten  mit  Freude  an  den  schillerschen  Wallen- 
stein denken  und  als  Mann  wieder  nach  dem  Buche  greifen.  Dann  wird  er 
allerdings  das  Drama  wieder  anders  auffassen  und  als  Greis  vielleicht  wieder 
anders,  aber  die  Dichtung  wird  ihm  so  ewig  lebendig  bleiben,  er  wird  sich 
ihrem  Einfluss  mit  immer  neuer  Freude  wieder  hingeben. 

Ich  fiirchte,  man  wird  einwenden,  dass  aus  einer  nicht  erschopfenden 
Behandlung  der  Dichtungen  die  Schiller  nicht  viel  lernen  werden.  Dazu  ist 
folgendes  zu  bemerken :  Allerdings  wird  der  Schiller  aus  einer  kiinstlerischen 
Betrachtung  von  Dichtungen  sozusagen  keine  abstrakten  Kenntnisse  davon 
tragen ;  die  Dichtung  ist  aber  auch  nicht  dazu  da,  abstrakte  Erkenntnis  zu 
fordern.  Dichtung  ist  anschauliche  Darstellung;  sie  ruft  Anschauungen  her- 
vor  und  weckt  dadurch  Stimmungen.  Wenn  Goethe  von  der  Geschichte  sagt, 
dass  das  Beste,  was  wir  von  ihr  haben,  der  Enthusiasmus,  den  sie  erregt,  sei, 
so  gilt  ein  Ahnliches  von  der  Poesie.  Konnen  wir  in  der  Schule  Begeisterung 
fiir  die  Dichtungen  erregen,  so  haben  wir  schon  manches  erreicht.  Dann 
werden  sicher  viele  Schiller  spater  gerne  wieder  auf  die  Dichtungen  zuriick- 
greifen  und  sie  werden  die  Meisterwerke  ohne  weitere,  fremde  Hilfe  noch 
mehrmals  mit  Freuden  und  mit  tieferer  Auffassung  lesen;  denn  das  Leben 
hat  ihnen  in  der  Erfahrung  das  gegeben,  was  wir  Lehrer  durch  die  Er- 
klarung  doch  nicht  ersetzen  konnten.  Suchen  wir  also  in  unserem  Deutsch- 
unterricht  der  Mahnung  jenes  Philosophen  nachzuleben,  der  einem  jungen 
Germanisten  ins  Stammbuch  schrieb:  ,,Du  sollst  nicht  toten,  sondern  lebendig 
machen." 


Sprachliches. 

(Aus  der  "Zeitschrift  des  Allgemeinen  Sprachvereins") 


ij  b  e  r  den  Ursprung  einiger  Namen  von  Hausgeraten 
Das  so  rein  deutsch  klingende  Wort  T  i  s  c  h  1st  aus  dem  griechischem  diskos  = 
Diskus,  Wurfscheibe,  entstanden,  das  dann  im  Lateinischen  die  Form  discus  und  die 
Bedeutung  Teller,  Platte  annahm.  Im  Englischen  haben  sich  daraus  zwei  Worter 
disk  =  Scheibe  und  dish  =  Schiissel,  Gericht  entwickelt.  Von  Stuhlarten  sei 
Fauteuil  erwahnt,  das  trotz  seines  franzosischen  Aussern  doch  deutschen  Ursprungs 
ist  und  eigentlich  Faltstuhl  bedeutet.  Das  althochdeutsche  valtstuol  ist  namlich 
ins  Franzosische  iibergegangen  und  aus  diesem  wieder  mit  fremdlandischem  Auf- 
putz  in  unsere  Sprache  heimgekehrt.  Diesen  eigenartigen  Vorgang  der  Aus-  und 
Riickwanderung  deutscher  Worter  kann  man  iibrigens  mehrfach  beobachten,  so  bei 
B  i  w  a  k  aus  frz,  bivouac,  das  wieder  vom  deutschen  biwake  =  Beiwache  herkommt, 
ferner  bei  Bresche  (frz.  breche,  deutsch  Breche),  Garde  (frz.  garde,  ahd.  warta), 
Balkon  (frz.  balcon,  ahd.  balco  =  Balken)  u.  a.  K  am  in  ist  das  lat.  caminus  = 
Feuerstatte  und  damit  hangt  das  jetzt  in  Dichtungen  wieder  viel  gebrauchte  Wort 
Kemenate  zusammen,  das  aus  lat.  caminata  entstanden,  eigentlich  ein  mit  Ka- 
min  versehenes  Zimmer  ist,  im  Mittelalter  aber  ein  Schlaf-  und  besonders  ein 
Frauengemach  bezeichnete.  Die  Worter  T  a  p  e  t  e  und  T  e  p  p  i  c  h  gehen  beide  auf 
das  griechische  tapes  zuriick  und  bedeuteten  zunachst  das  gleiche,  namlich  Teppich. 
Wurden  doch  in  friiheren  Zeiten  die  Wande  nicht  wie  jetzt  mit  Papierstreifen  be- 
klebt,  sondern  mit  Geweben  behangt,  von  denen  besonders  beriihmt  waren  die  aus 
Arras  in  Frankreich  (daher  engl.  arras  =  Teppich  oder  Tapete)  und  die  Gobelins 
aus  der  Anstalt  der  Gebriider  Gobelin  in  Paris.  T  a  p  e  t,  das  wir  jetzt  allerdings 
nur  in  der  Redensart  kennen  ,,etwas  aufs  Tapet  (=  zur  Besprechung)  bringen", 
wurde  friiher  vom  Tische  eines  Beratungszimmers  gesagt  und  dieser  wieder  hatte 
seinen  Namen  von  der  auf  ihm  liegenden  Tapete  oder  Decke.  F.  W. 


Ich  will  dir  zeigen,  was  eine  Harke  ist.  Diese  Redensart,  die  be- 
kanntlich  bedeutet :  ich  will  dir  etwas  gehorig,  in  handgreif licher  Weise  klar  machen, 
wird  auf  die  Erzahlung  von  einem  Bauernsolme  zuriickgefiihrt,  der,  nach  langem 
Aufenthait  in  der  Fremde  heimgekehrt,  verachtlich  auf  die  vaterliche  Wirtschaft 
herabsieht  und  vorgibt,  nicht  einmal  mehr  zu  wissen,  was  eine  Harke  ist.  Als  er 
jedoch  aus  Versehen  auf  die  Ziihne  einer  Harke  tritt  und  ihm  dabei  deren  Stiel  ins 
Gesicht  schlagt,  vergisst  er  alle  stadtische  Bildung  und  ruf t  aus :  Au,  du  verdammte 
Harke!  Dem  entspricht  die  Wendung  ,,er  kennt  die  Harke  nicht"  von  einem  der  so 
tut,  als  sei  er  in  der  Heimat  fremd  geworden  und  als  verstehe  er  seine  Muttersprache 
nicht  mehr  ein  Ausdruck,  der  besonders  in  Holstein  in  der  Form  ,,He  kennt  de  Hark 
nig"  iiblich  ist.  Friedrich  van  Hoffs  hat  die  Geschichte  von  dem  Bauernsohn  in 
folgende  launige  Verse  gebracht: 

Der  Rechen. 

Der  Stoffel  war  drei  Vierteljahr 
Im  Franzenland  gewesen. 
Das  Deutsche  hatt'  er  schier  verlernt, 
Er  konnt  es  kaum  noch  lesen. 


Sprachiiches.  281 


Er  trat  ins  Zimmer  mit  bon  jour 

Statt  mit  dem  guten  Tage. 

,,Comment  —  wie  sagt  man  gleich  auf  deutsch?" 

War  seine  dritte  Frage. 

Bei  Tisch  begrusst'  er  pommes  de  terre  — 
Wie  mundeten  sie  Stoffeln! 
,,Comment?  Wenn  ich  nicht  irre  bin, 
Sagt  man  auf  deutsch:  Kartoffeln." 

Nach  Tische  ging  er  in  den  Hof, 
Da  lag  ein  neuer  Rechen; 
Der  mochte  mit  dem  blanken  Stiel 
Ihm  in  die  Augen  stechen. 

,,Comment?"    Er  zeigte  mit  dem  Fuss 
Und  trat  aufs  untre  Ende; 
Der  Rechen  richtet  sich  empor  — 
O  unverhoffte  Wende! 

Ein  derber  Schlag  auf  Nas'  und  Maul 
Lehrt  plotzlich  deutsch  ihn  sprechen. 
Er  greift  nach  seinem  Kopf  und  schreit: 
,,I  du  verdammter  Rechen!" 


Schwiegermutter,  Sch  wager.  Die  Sprache  eines  Volkes  ist  daa  Buch 
seines  Lebens,  das  dem  kundigen  Leser  iiberraschend  reichlich  Auskunft  gibt  iiber 
Vergangenes  und  Werdendes  in  seiner  Geschichte.  Ein  Beispiel  heute  aus  der  altesten 
Vergangenheit !  Die  Worter  Schwiegervater,  Schwiegermutter, 
Schwager,  Schwa  g  e  r  i  n  bezeichnen  jetzt  ebenso  gut  Vater,  Mutter  und 
Geschwister  der  einen  als  der  anderen  Ehehalfte.  Urspriinglich  gab  es  dagegen  keine 
Bezeichnung  f iir  den  Schwiegersohn  und  die  oben  genannten  Worte  konnte 
nur  die  Frau  gebrauchen,  um  Vater,  Mutter  und  Geschwister  ihres  Mannes  zu  be- 
zeichnen, nicht  auch  dieser  von  den  gleichen  Verwandten  seiner  Frau.  Man  erkennt 
daraus,  dass  die  Frau  mit  dem  Kauf  durch  ihren  Mann,  mit  der  Unterordnung  unter 
dessen  Gewalt  iiber  Leben  und  Tod  vollstandig  aus  ihrer  Sippe  ausschied  und  sich 
nur  noch  zugehorig  fiihlen  durfte  zur  Verwandtschaft  des  Mannes.  In  der  alt- 
deutschen  Vergangenheit  ist  diese  Beschriinkung  freilich  schon  iiberwunden;  so 
friih  hat  die  auf  die  Gleichberechtigung  der  mannlichen  und  weiblichen  Reihe  von 
Mann  und  Frau  gerichtete  Bewegung  eingesetzt! 


Etwas  vom  sprachlichen  Ausdruck  fiirZeitver- 
haltnisse.  Ebenbild,  Ebenmass,  ebenbiirtig,  e  b  e  n  falls, 
ebenderselbe  lassen  noch  deutlich  erkennen,  dass  e  b  e  n  die  Grundbedeutung 
gleich  hat.  Die  E  b  e  n  e  ist  die  Flache,  in  der  ein  Teil  den  niichsten  gleich  in  der 
Lage  ist.  Wem  das  Leben  eben  dahinfliesst,  der  wird  vom  Schicksal  nicht  iiber 
Stock  und  Stein  gefiihrt.  In  Goethes  Heidenroslein  bedeuten  die  Worte:  ,,Musst' 
es  eben  leiden"  ganz  entsprechend:  "musste  es  genau  so,  gerad  in  der  Weise  lei- 
den,  in  der  es  kam".  Diselbe  Bedeutung  von  grade  hat  eben  namentlich  in  Ver- 
bindung  mit  nicht:  eben  nicht  schon,  nicht  eben  schon,  d.  h.  nicht  gerade  — ,  nicht 
sonderlich  schon.  Scheinbar  seitab  liegt  eine  andere  Bedeutung  des  Wortchens. 


282  Padagogische  Monatshefte. 

Wenn  ich  sage:  "er  ist  eben  angekommen",  bezeichne  ich  mit  demselben  Worte 
nicht  mehr  das  Nebeneinander  im  Eaura  oder  die  Gleichheit  der  Stufe,  sondern  daa 
V  or  her  in  der  Zeit.  Indes  auch  neben  (=  in-eben:  im  gleichen)  bezeichnet 
ja  nicht  die  Gleichheit,  sondern  nur  die  Nahe  im  Raum ;  so  konnte  dann  auch  eben 
die  unmittelbare  Vergangenheit  ausdriicken,  zumal  es  dazu  erst  mittelbar,  infolge 
der  Verbindungen  mit  der  Zeitform  der  Vergangenheit  kam.  —  Auch  g  e  r  a  d  e  ge- 
wann  erst  aus  der  raumlichen  Bedeutung  sehnurstracks,  genau  auf 
etwas  zu,  gerade  insAuge  die  zeitliche:  genau  im  Augenblick  mit  oder  vor 
einem  andren  Ereignisse.  Im  iibrigen  geht  bei  diesen  Bedeutungsentwicklungen 
Jediglich  noch  vor  unseren  Augen  vor,  was  ein  allgemeiner  Vorgang  im  sprachlichen 
Leben  gewesen  ist.  Der  Raum  ist  etwas  sichtbares,  mit  der  ausseren  Vorstellung 
Wahrnehmbares,  die  Zeit  selbst  nicht,  der  Raum  ist  der  aussere,  die  Zeit  die  innere 
Anschauungsf orm ;  sollte  also  vor  ihr  das  Gesetz  des  sprachlichen  Ausdrucks  Halt 
machen,  wonach  Ausseres,  Angeschautes  zum  Bilde  von  Innerlichem,  nur  Vorstell- 
barem  wird?  Dass  es  ein  solches  Halt  nicht  gibt,  zeigt  die  Gesamtheit  unserer  zeit- 
lichen  Verhaltnisworter :  in,  an,  nach,  vor,  auf,  gegen,  die  samtlich  ur- 
spriinglich  Raumverhaltnisse  bezeichnen.  Gewinnt  nicht  auch  das  Kind  die  Vor- 
stellungen  von  den  Beziehungen  im  Raum  lange  vorher,  ehe  sich  ihm  nach  ihrer 
Art  und  Ausdrucksweise  auch  die  fiir  die  Zeit  bilden?  • 


H  a  n  s  e  1  n.  Es  ist  den  meisten  Leuten  unbekannt,  dass  das  Wort  ,,Hanseln", 
womit  wir  eine  harmlose  Neckerei  bezeichnen,  von  dem  alten  Worte  Hansa  abge- 
Jeitet  ist,  das  eine  Schar,  Vereinigung,  Gesellschaft  und  spater  insbesondere  den 
bekannten  norddeutschen  Stiidtebund  bedeutete.  Doch  war  das  Hanseln  urspriing- 
lich  durchaus  nicht  harmloser  Natur.  Denn,  um  den  gewaltigen  Zudrang  der  jun- 
gen  Kaufleute  zu  dem  beriihmten  Komptoir  der  Hansa  im  norwegischen  Bergen 
einzuschranken,  fiihrte  man  dort  fiir  diese  eine  Priifung  ein,  und  erst  durch  deren 
Bestehen  wurden  sie  in  den  Bund  aufgenommen,  d.  h.  gehanselt.  Diese  Prufung 
stand  aus  drei  ,,Spielen",  1.  dem  Wasserspiel,  wobei  der  Neuling  dreimal  unter 
einem  Schiffe  durchgezogen  und  dann  von  vier  handfesten  Kerlen  mit  Ruten  ge- 
strichen  wurde,  2.  dem  Rauchspiel,  wobei  er  in  einen  Schornstein,  den  ein  betau- 
bender  Gestank  von  brennenden  Haaren,  Fischgraten  usw.  erfiillte,  zehn  Minuten 
lang  gehangt  wurde,  3.  dem  Staupenspiel,  wobei  er  mit  Spiessruten  durchgepeitscht 
wurde,  bis  das  Blut  kam.  Der  rohe  Gebrauch  verbreitete  sich  iiber  viele  andere 
deutsche  Handel  sstadte  und  ging  auch  auf  andere  Berufe,  z.  B.  auf  die  Fuhrleute, 
iiber.  Mit  der  Zeit  jedoch,  und  vielfach  unter  dem  Druck  der  staatlichen  Verwal- 
tungsbehorden,  wurde  die  Roheit  des  Hiinselns  gemildert.  Auch  konnte  man  sich 
durch  den  sog.  Hanselgroschen  von  der  Prufung  loskaufen;  da  von  wurde  dann  der 
j,Hanselerschmaus"  bestellt.  So  kam  das  Hanseln  immer  mehr  auf  ein  frohes 
Mahl  und  eine  harmlose  Neckerei  hinaus. 


F  r  an  zosische  Fremdwb'rter  und  ihre  deutsche  Be- 
u  e  u  t  u  n  g.  Zu  den  vielen  irrtiimlichen  Griinden,  mit  denen  die  Fremdworter  vei>. 
teidigt  werden,  gehb'rt  auch  der,  dass  sie  die  Verstandigung  im  fremden  Lande  er- 
leichterten.  Dass  dies  gerade  bei  einer  Reihe  von  Verkehrs-  und  Bediirfnisgegen- 
standen,  deren  Namen  man  in  der  Fremde  kennen  muss,  nicht  zutrifft,  mag  folgende 
Gegeniibersetzung  lehren,  in  der  links  unser  Fremdwort  in  der  Mitte  die  deutsche 
Bedeutung  und  rechts  die  von  dem  Franzosen  in  dieser  Bedeutung  wirklich  ge- 
brauchte  Bezeichnung  steht;  ein  Strich  in  dieser  Reihe  deutet  an,  dass  der  Franzose 
die  Bildung  iiberhaupt  nicht  kennt,  eine  deutsche  tibersetzung  in  der  ersten  Reihe, 
welche  Bedeutung  das  franzosische  Wort  daheim  hat. 


Sprachliches. 


283 


Fremdwort 

Deutsche 

Franzosische    Bezeichnung 

im  Deutschen: 

Bedeutung: 

dafiir: 

sich  blamieren 

sich  blossstellen 

se  compromettre 

(tadeln) 

u.  a. 

Blamage 

Blossstellung 

— 

Delikatessengeschaft 

Vorkost-,  Feinkost- 

1'epicier,  le  fruitier; 

handlung 

le  machand  de 

comestibles,    — 

de  volaille 

Galoschen 

iJberschuhe 

les  caoutchocs 

Garderobe    (Kleider- 

Kleiderraum 

le  vestiaire 

schrank,  -bestand) 

Gardinen 

Vorhange 

les  rideaux,  stores, 

vitrages 

(chambre)  garni  (e) 

Junggesellenwohnung 

la  chambre  meublee 

Koffer  (Truhe,  Geld- 

la  malic 

kasten) 

Koupe  (Postsitz  u.  a.) 

Abteil 

le  compartiment 

Kourierzug 

Schnellzug 

le  (train)  express 

Kuvert  (Tischgedecck) 

(Brief-)  Umschlag 

Tenveloppe 

Logis  (Stube  mit 

Wohnung 

un  appartement 

Kiiche  u.  Kammer) 

Melange    (Kaffee  mit 

Milchkaffee 

un  cafe  a  la  creme 

Schlagsahne) 

Parket  (getafelter  Fuss- 

Sperrsitz 

1'orchestre 

boden  u.  a.) 

Parforcejagd 

Hetzjagd 

la  chasse  a  courre 

Parterre  (Beet  u.  a.) 

Erdgeschoss 

le  rez  de  chaussee 

Perron    (Freitreppe) 

Bahnsteig 

le  quai 

Plumeau    (Federwedel) 

Feder-,  Deckbett 

1'edredon 

Portier    (  Tiirsteher  ) 

Pfortner,   Tiirschliesser 

le  concierge 

Regal  (Schmaus) 

Biichergestell 

le  rayon 

renommieren    (wieder- 

grosstun 

se  vanter  u.  a. 

ernennen,  beriihmt 

machen) 

Renommage 

Grosstuerei 

fanfaronnade 

Tornister 

Ranzen 

le  sac 

Zy  Under  (an  der  Lampe) 

hoher  Hut 

le  chapeau  haut 

(de  forme) 

Der  Widerspruch  der  Bedeutung  bei  uns  und  im  Ursprungsfande  erklart  sich 
nat iirlidi  geschichtlich :  die  fremden  Wb'rter  haben  bei  uns  im  wesentlichen  noch  die 
Bedeutung,  die  sie  zur  Zeit  ihrer  Aufnahme  in  unsre  Sprache  auch  in  ihrer  Heimat 
batten.  Aber  eben  damit  ist  auch  bewiesen,  dass  Fremdworter  ein  starrer  Be- 
standteil  der  Sprache  und  nicht  in  gleichem  Masse  wie  das  heimische  Sprachgut 
Trager  innerer,  geistiger  Entwicklung  sind.  Philipp  StolL 


Die    Auswanderer. 

Von  F.  Freiligrath. 


(Aus  der  Schule  —  fiir  die  Schule.) 


Lehrprobe  bearbeitet  von  W.  Mueller,  Lehrer  in  Plettenburg. 


I.    Vorbereitung:    a)    Wohin   zog  im  vorigen  Jahre   der   Schuhmacher- 

meister  Z von  hier  mit  seiner  Familie?     (Nach  Amerika.)    In  jedem  Jahre 

wandern  aus  unserm  Vaterlande  viele  Leute  aus.  Weshalb  wohl  die  meisten?  (Weil 
es  ihnen  in  der  Heimat  nicht  mehr  gefallt.)  Oder  auch?!  —  Nun,  sie  traumen  sich 
ihr  Gliick,  ja  goldene  Berge  jenseits  des  Ozeans  in  Amerika.  Wie  nennt  man  die 
Leute,  weil  sie  auswandern?  —  Wohin  wenden  sie  sich  gewohnlich?  (Amerika.) 
Wohin  wandern  sie  auch?  (Afrika.)  Wohin  noch?  Denkt  an  unsere  jiingsten  Er- 
werbungen!  (Nach  Asien.)  —  Nach  welchen  von  den  eben  genannten  drei  Erd- 
teilen  gehen  die  meisten  Auswanderer?  —  Besonders  machte  sich  in  den  Jahren 
von  1830 — 40  in  Deutschland  eine  starke  Aus  \vanderung  nach  Nord- Amerika  be- 
merklich.  Dort  hatte  eine  Gesellschaft  am  Missouri  grosse  Landerstrecken  ange- 
kauft  und  lockte  durch  Verheissung  goldener  Berge  viele  Heimatuberdriissige  und 
Gewinnsiichtige  nach  dem  Lande  der  Freiheit.  Es  folgten  dem  lockenden  Rufe  viele 
schwiibische  Landleute  aus  dem  Schwarzwalde,  Neckartale  und  Spessart.  (Karte!) 
Welchen  Weg  wahlten  diese  wohl  damals,  zumal  in  jenen  Gegenden  noch  keine 
Eisenbahnen  gebaut  waren?  —  Wohin  kamen  sie,  wenn  sie  den  Rhein  hinabfuhren? 
(Amsterdam.)  (Zeigen!)  Hie  nahmen  grosse  Auswandererschiffe  sie  auf.  tiber 
welches  Meer  fuhren  sie  dann?  —  Wie  lange  dauerte  in  jener  Zeit  die  Fahrt  iiber 
den  atlantischen  Ozean?  (Wochenlang.)  Aus  welchem  Lesestiick  wisst  ihr  dies? 
(,,Ein  Gesang  iiber  den  Wassern.")  Sprich  die  Stelle  aus  dieser  Erzahlung,  welche 
unsere  Behauptung  beweist!  (,,Und  sie  (die  rheinischen  Bauersleute)  waren  schon 
wochenlang  mitten  auf  dem  \Veltmeere,  wo  man  keinen  griinen  Wald  sieht  und 
keinen  Kornacker"  u.  s.  w.)  Warum  dauerte  die  Fahrt  damals  wochenlang?  (Kein 
Dampfschiff.)  Heute  wahrt  die  uberfahrt  mit  einem  Dampfschiff  9 — 12,  hochstens 
14  Tage.  Nach  welchen  Hafenstadten  reisen  heutzutage  die  deutschen  Auswanderer 
gewohnlich?  —  Wohin  hatten  sich  noch  jene  schwabischen  Landleute  aus  dem 
Schwarzwalde,  Neckartale  und  Spessarte  gewandt  ?  —  Damals  lebte  in  der  hollan- 
dischen  Hauptstadt  Amsterdam  der  junge  Dichter  Ferdinand  Freiligrath.  Er  war 
1810  zu  Detmold  als  Sohn  eines  Biirgerschullehrers  geboren.  Nachdem  er  in  Soest 
die  Kaufmannschaft  erlernt  hatte,  ging  er  nach  Amsterdam  und  arbeitete  von 
1831 — 36  in  einem  Bankierhause  daselbst.  War  seine  Phantasie  schon  in  Soest,  wo 
ihm  Reisebeschreibungen  in  die  Hande  fielen,  entziindet,  so  fand  sie  in  dem  bunten 
Volkergemisch  und  vielgestaltigen  Treiben  dieser  grossen  Handel  sstadt  neue 
Nahrung.  In  seinen  Mussestunden  ging  er  nach  dem  belebten  Hafen  und  sah  mit 
herzlicher  Teilnahme  der  Einschiffung  von  Auswanderern  zu.  Unsere  Auswanderer- 
gruppe  aus  dem  Schwarzwalde,  Neckartale  und  Spessart  fesselte  ihn  besonders  und 
r#gte  ihn  dichterisch  an.  Was  er  da  empfunden  hat,  teilt  er  uns  in  einem  schonen, 
riihrenden  Gedichte  ,,Die  Auswanderer",  welches  im  Sommer  1832  entstand,  mit. 

b)  Wer  kann  das  Gesagte  zusammenf assen  ?  — 

II.  Ziel:   Wir  wollen  jetzt  dieses  Gedicht,  welches  eine  Perle  Freiligrathscher 
Poesie  ist,  kennen  lernen;  hb'rt  zu! 

]3.  Vortrag:  Der  Dichter  spricht:  (Der  Lehrer  tragt  nun  das  ganze  Gedicht 


Die  Auswanderer.  285 

mit  guter  Betonung  vor,  wobei  er  nach  der  3.,  5.  und  10.  Strophe  eine  kurze  Pause 
macht,  um  dadurch  die  Teile  des  Liedes  ausserlich  kenntlich  zu  machen.) 

b)    (Nachlesen  des  Gedichts  durch  vier  Kinder,  von  denen  das  erste  Kind  Str. 
1 — 3,  das  zweite  Str.  4  und  5,  das  dritte  Str.  6 — 10  und  das  vierte  Str.  11  liest.) 

IV.  Erlauterungen:    ,,Blick"  =  Auge  nicht  abwenden.    ,,Ich  muss  euch 
anschaun  iramerdar"  =  immerfort,   ohne»  Unterbrechung.    Geschaft'ge  Hande  = 
fleissige,  tatige  Hande,  Hande,  welche  schaffen.    ,,Habe"  =  was  ich  habe,  besitze, 
was  mir  gehb'rt,  mein  Eigentum  ist;   hier  ist  Hausgerat  u.  drgl.  gemeint.    Fur 
,,Nacken"  kb'nnen  wir  Schulter  und  Riicken  setzen.    ,,Die  Kbrbe  langt"  =  reicht. 
,,Brot  gerb'stet"  erinnefn:  auf  einem  Rest  braten,  hier  soil  uns  der  Ausdruck  sagen, 
das  Brot  ist  zu  Schiffszwieback  gerostet   (zweimal  gebacken),  damit  es  sich  als 
Mundvorrat  fiir  die  lange  Seereise  besser  halte.   ,,Herd"  =  Backofen.  Schaluppe  = 
Schiffsboot,  welches  zwischen  Schiff  und  Landestelle  fahrt,  Menschen  und  Guter  be- 
fb'rdert.   Griine  Bank  =  griin  angestrichene  Bank  in  der  Schaluppe.   Heimat  Born 
=  Brunnen.  Missouri  ist  ein  Strom  in  Nord-Amerika,  hier  sind  die  Gegenden  Nord- 
Amerika  gemeint,  durch  welche  dieser  Strom  fliesst.   Die  Tb'pfe  und  Kriige  malen 
euch  der  Heimat  Bild  =  sie  rufen  das  Bild  der  Heimat  ins  Gedachtnis  zuriick,  sie 
erinnern  an  den  Dorfbrunnen,  an  den  hauslichen  Herd  und  an  die  reinliche  Kiiche. 
Steingefasste   Quelle  =  Brunnen  mit   steinerner   Einfassung.    ,,Wandgesims"  =r 
Brettergesims  oder  Bank  iiber  dem  Herde  in  der  Kiiche,  auf  der  die  blankgescheuer- 
ten    Tb'pfe    und   Kriige    standen.     ,,Braunen    Gasten"   =   kupferbraune    Indianer. 
Tscherokesen  =  indianischer  Volksstamm.    Andere  Indianerstamme :    Mohikaner, 
Huronen  u.  s.  w.   ,,Alpler"  werden  die  Hirten  im  Spessart  genannt,  weil  ihr  Leben 
mit  dem  der  Alpenbewohner  viel  Ahnlichkeit  hat.   ,,Bootsmann"  =  der  Ftthrer  der 
Schaluppe  oder  des  Bootes,  der  dasselbe  durch  Rudern  fortbewegt. 

V.  Gliederung: 

1.  Die  Auswanderer  im  Hafen.    (Str.  1 — 3.) 

2.  Die  Auswanderer  in  der  alten  Heimat.    (Str.  4  u.  5.) 

3.  Die  Auswanderer  in  der  neuen  Heimat.    (Str.  6 — 10.) 

4.  Wiinsche  des  Dichters  fiir  die  Auswanderer.    (Str.  11.) 

VI.  Grundgedanken:  ,,O  sprecht !  warum  zogt  ihr  von  dannen ?"  —  Ana 
Vaterland,  ans  teure,  schliess  dich  an;  das  halte  fest  mit  deinem  ganzen  Herzen! 
Hier  sind  die  starken  Wurzeln  deiner  Kraft!    Dort  in  der  fremden  Welt  stehst  du 
allein,  ein  schwankes  Rohr,  das  jeder  Sturm  zerknickt.  —  In  der  Fremde  wird  es 
klar,  wie  so  schb'n  die  Hehnat  war.  —  Bleibe  im  Lande  und  nahre  dich  redlich ! 

VII.  Gedankengang  (etwas  erweitert,  weil  er  als  Aufsatz  Verwendung 
finden  soil) :  Nach  beendigter  Lehrzeit  war  Ferdinand  Freiligrath  langere  Zeit  ala 
Handlungsdiener  in  Amsterdam  tatig.   In  seinen  Mussestunden  ging  er  oft  an  dem 
Hafen  spazieren,  wo  seine  Einbildungskraft  reichlich  Nahrung  und  Anregung  fand. 
Stundenlang  stand  es  da  und  sah  dem  geschaftigen  Treiben  zu.    Die  gewaltigen 
Fahrzeuge,  die  mannigfaltigen  Erzeugnisse  aller  Zonen,  die  fremdlandischen  Trach- 
ten  und  Gesichter  machten  auf  seinen  Geist  tiefen  Eindruck.  Am  meisten  zog  eine 
Gesellschaft  deutscher  Auswanderer  seine    Aufmerksamkeit  auf  sich.   Es  waren  ja 
seine  Landsleute,  welche  die  Heimat  verliessen.  Sie  sind  eifrig  beschaftigt,  ihre  Habe 
einzuschiffen.    Die  Manner  tragen  Kb'rbe  mit  deutschem  Brote  auf  ihrem  Nacken. 
Schmucke  Schwarzwaldmadchen  stellen  sorgfaltig  saubere  Topfe  und  Kriige  in  das 
Boot.   Diese  Hausgerate  werden  sie  noch    oft  an  die  teure  Heimat  erinnern:  an  den 
Brunnen  des  Dorfes,  woraus  sie  Wasser  geschopft  und  an  dem  sie  manches  ange- 
nehme  Plauderstiindchen  verbracht  haben,  an  die  traute  Feuerstelle  des  Herdes 
und  an  das  Wandgesims,  dessen  Zierde  die  Kriige  und  Tb'pfe  waren.   Bald  werden 


286  Pddagogische  Monatshefte. 

diese  die  Wiinde  eines  rohen  Blockhauses  schmiicken.  Kein  liebes  und  bekanntes 
Gesicht  wird  sich  den  Auswanderern  zeigen.  Hb'chstens  erscheint  ein  Tscherokese,. 
der  mit  unverstandlichen  Lauten  um  einen  Trunk  bittet.  Da  konnen  sie  ihm  nieht 
den  funkelnden  Wein  der  Heimat  reichen,  sondern  nur  einen  Becher  Wassers.  Der 
Dichter  wird  von  Wehmut  ergriffen.  Sind  es  doch  seine  Landsleute,  deutsche  Man- 
ner mit  biederem  Sinn  und  starkem  Arm,  die  ihre  Heimat  verlassen.  Er  spricht 
zu  ihnen:  ,,Warum  zogt  ihr  von  dannen?  Hat  nicht  das  Neckartal  Korn  und  Wein 
genug;  steht  nicht  der  Schwarzwald  voll  majestatischer  Tannen;  hort  man  nicht  im 
Spessart  die  lieblichen  Klange  des  Alphorns?  ,,Wie  wird  das  Bild  der  alten  Tage- 
durch  eure  Traume  glanzend  wehn!  Gleich  einer  stillen  frommen  Sage  wird  es  euch 
vor  der  Seele  stehn."  Doch  der  Dichter  will  ihnen  das  Herz  nicht  weiter  mit  Trau- 
rigkeit  beschweren.  Die  Stunde  der  Abfahrt  ist  gekommen.  Wehmutsvoll  wiinscht 
er  ihnen  in  der  neuen  Heimat  Zufriedenheit,  Gliick  und  Segen. 

VIII.  Schonheiten    des    Gedichts: 

1.  Von  machtiger  Wirkung  ist  die  Personifikation  der  Kriige  und  Topfe. 

2.  Gar  meisterhaft  ist  die  Gegeniiberstellung  der  Heimat  und  Fremde. 

Die  Heimat,  welche  die  Auswanderer  verlassen,  bietet  alles,  was  das  Leben 
gemiitlich  und  gliicklich  machen  kann:  ein  mildes,  fur  den  Anbau  der  Rebe  und  des 
Getreides  giinstiges  Klima,  einen  fruchtbaren  Boden,  griinumgebene  Dorfer,  in  den 
Talern  wunderschbn  gelegen,  fette  Weiden  und  freundliche  Obstgarten. 

Die  Fremde  dagegen,  der  die  Auswanderer  zueilen,  hat  von  alledem  nichts  auf- 
zuweisen.  Zerstreut  umher  liegen  einzelne  Blockhauser,  die  aus  unbehauenen 
Baumstammen  und  Brettern  gebaut  sind.  Die  innere  Einrichtung  ist  sehr  einfach 
und  hochst  ungemiitlich.  Weite  Strecken  endloser  Walder  sind  niedergebrannt  und 
urbar  gemacht.  Grosse  Flachen  sind  mit  Mais  bestanden,  die  sumpfigen  Niederungen 
mit  Reis  bestellt.  Alles  zeugt  von  einer  erst  beginnenden  Kultur. 

3.  Ein  eingreifender  Ton  tiefer  Wehmut  klingt  durch  das  Gedicht  und  weckt 
etwas  wie  Heimweh  in  uns. 

Infolge  dieser  Schonheiten  hat  es  Aufnahme  in  die  Lesebiicher  gefunden  und 
ist  ein  Lieblingsgedicht  unserer  Jugend  geworden. 

IX.  Verwandtes:  Ein  Gesang  iiber  den  Wassern. 

X.  Aufgaben    fur    schriftliche    Arbeiten: 

1.  Der  Hafen.    (Eine  Schilderung.) 

Im  Geiste  stehen  wir  mit  dem  Dichter  im  Hafen  an  der  Landestelle.  Vor  unsern 
Blicken  breitet  sich  das  grosse  wogende  Weltmeer  aus.  Hier  schaffen  die  Matrosen 
den  reichen  Inhalt  eines  Schiffes  ans  Land,  dort  wird  eii>  anderes  beladen.  Etwas 
vom  Ufer  liegt  ein  grosses  Auswandererschiff  vor  Anker.  Aus  dem  Schornsteine  des- 
selben  steigt  bereits  Rauch  auf,  ein  Zeichen,  dass  es  bald  abfahrt.  An  der  Land- 
stelle  liegt  ein  grosses  Boot,  welches  die  Menschen  und  Giiter  zum  Schiffe  bringt. 
In  demselben  steht  ein  Schiffer.  Die  Auswanderer  reichen  ihm  vom  Lande  aus  ihre 
Habe  in  das  Boot  hinein.  Starke  Manner  tragen  schwere  Kb'rbe  u.  s.  w. 

2.  Die  alte  Heimat. 

3.  Die  neue  Heimat. 

(Schilderungen  mit  Benutzung  von  2  unter  VIII.) 

4.  Ein  Brief  aus  der  neuen  Heimat  an  Verwandte  oder  Bekannte. 

5.  Gedankengang  des  Gedichts.    (Siehe  unter  Punkt  VII!) 

6.  Warum  verlassen  die  Auswanderer  die  Heimat? 


Aphorismen  aus  Herders  "Schulreden 


S  c  h  u  1  e  soil  nie  ohne  Zucht  sein,  sonst  ist's  keine  Schule,  denn  eine  M  e  n  g  e 
kann  nie  zusammen  bestehen  (nie  zusamraen  unterrichtet  oder  geiibt  werden)  ohne 
0  r  d  n  u  n  g,  ohne  strenge  Einrichtung  und  Anstalt.  Nur  was  wir  ii  b  e  n, 
\vissen  wir:  wir  k  6  n  n  e  n  nur  so  viel,  als  wir  geiibt  haben;  dies  gilt  in  Sprachen, 
Wissenschaften,  Sitten  und  schb'nen  Kiinsten.  Eine  Schule  also,  die  viel  Zucht,  viel 
und  strenge  tibung  im  Guten  und  allerlei  Guten  hat,  dazu  die  Jugend  gebildet  werden 
soil,  das  ist  eine  gute  Schule. 


Schule!     Bist  du  verloren,  so  ist  alles  verloren,  denn  aus  dir  miissen  dem 
Staate  neue,  bessere  Burger  kommen. 


Ein  guter  Kopf  bei  einem  schlechten  Herzen  ist  wie  ein  Tempel  bei  einer 
Mordergrube,  und  gute  Wissenschaften  ohne  Sitten,  ohne  Erziehung  sind  wie  eine 
Perle  im  Kot. 


Jede  Wissenschaft  hat  ihre  eigene  Methode;  und  wer  eine  in  die  andre  hiniiber- 
tragt,  macht's  oft  nicht  kliiger,  als  wer  in  der  Luft  schwimmen,  im  Wasser  saen 
und  ackern  will  . 


tibung  ist  die  Mutter  aller  Vollkommenheit.  Sie  muss  also  auch  die  Gehilfin, 
die  treue  Gefahrtin  jedes  Lernens  sein,  oder  es  ist  zu  besorgen,  das  Lernen  selbst 
werde  einem  grossen  Teile  nach  unniitz. 


Sobald  der  Lehrer  das  Gliick  hat,  seine  Klasse  in  rege  Aufmerksamkeit,  ja  in 
einen  Wettstreit  von  Aufmerksamkeit,  von  eigenen,  sich  iibenden  Seelenkraften 
seiner  Schiiler  zu  setzen  und  darin  zu  erhalten,  macht  und  fordert  sich  alles  gleich 
von  selbst. 


Traurig  ware  jede  Schule,  wo  nichts  von  selbst,  nichts  durch  edle  Nacheiferung, 
nichts  durch  eigene  Lust  und  Miihe  hervorkame;  wo  der  reichste  Boden  soviel  triige 
als  der  armste. 


Sehr  ausgezeichnete  Menschen  bilden  sich  ohne  Lehrer;  es  ist  aber  iibel,  wenn 
insonderheit  zu  unsrer  Zeit  sich  alles  ohne  Lehrer  bilden  und  oft  nur  durch  seine 
Unformlichkeit  ausgezeichnet  sein  will. 


Eine  Schule  guter  Art  ist  eine  Gesellschaft  Bienen,  die  auffliegen  und  Honig 
sammeln,  eine  Schule  lassiger  Art  ware  eine  Gesellschaft  der  lastbaren  Tiere,  die 
hingehen,  wohin  sie  getrieben  werden,  und  auch  von  dem,  was  man  ihnen  auflegt, 
zeitlebens  nichts  erbeuten. 


Jede  Kunst,  jede  Wissenschaft,  sie  werde  schon  oder  hsisslich  genannt,  erfordert 
Fleiss,  Miihe,  timing;  auch  Dichter  und  Redner,  wenn  man,  wie  gemeiniglich,  ihre 
Werke  fiir  die  einzigen  schb'nen  Wissenschaften  halt,  wurden  nie  ohne  Fleiss,  ohne 
Miihe  gross. 


288  Padagogische  Monatshefte. 

Was  unsre  Seelenkrafte  bildet,  ist  schon,  was  uns  nicht  dazu  bildet,  verdient 
den  Namea  der  schonen  Wissenschaften  nicht,  wenn  es  auch  iiber  und  iiber  mit 
Goldschaum  bekleckt  ware. 


Schone  und  ernste  Wissenschaften  konnen  einander  nicht  entgegengesetzt  wer- 
den,  denn  die  schonen  Wissenschaften  sind  keine  Hofspassmacher;  auch  sie  haben 
ernsthafte  Zwecke  und  befordern  sie  durch  ernsthafte  Mittel  und  Regeln. 


Keine  Wissenschaft  nennt  man  schon,  wenn  sie  nur  unser  Gedachtnis  martert, 
wenn  sie  uns  Worte  ohne  Gedanken,  Satze  und  Behauptungen  ohne  Licht,  ohne 
Beweis,  ohne  praktisches  Urteil  darlegt,  kurz,  wenn  sie  keine  von  unsern  Seelen- 
kraften  bildet.  Sobald  sie  dies  tut,  wird  sie  angenehm;  und  je  rnehr  sie's  tut,  je 
mehr  sie  unsre  Seelenkrafte,  unsre  Phantasie  und  Erfindungskraft,  unsern  Witz  und 
Geschmack,  unser  Urteil,  insonderheit  unser  praktisches  menschliches  Urteil  be- 
schaf  tigt,  je  mehr  Seelenkrafte  sie  auf  einmal  beschaftigt,  desto  —  bildender 
ist  sie,  und  jedermann  fiihlt's  und  sagt's,  auch  desto  s  c  h  6  n  e  r. 


Von  Kindheit  auf  empfangen  wir  den  besten  Teil  unsers  Wesens  von  andern, 
durch  Unterricht,  durch  Erziehung,  und  gleichsam  durch  mitgeteilte  Erfahrung. 


Wer  etwas  weiss,  muss  es  gelernt  haben,  und  muss  es  so  lange  lernen,  bis  er's 
weiss.  Wer  etwas  konnen  will,  muss  es  getibt  haben,  und  muss  sich  so  lange  iiben, 
bis  er's  kann. 


Lerne  was,  so  kannst  du  was;  lerne  es  recht,  so  kannst  du  es  recht  und  weisst, 
warum  du  es  konnest;  gegenteils  bleibst  du  mit  alien  deinen  Genieanlagen  ein 
Stumper. 


Besitzt  der  Lehrer  Methode,  so  kommt  dadurch  Ordnung  in  meinen  Kopf,  und 
die  halbe  Wissenschaft  ist  Ordnung. 


Nichts  kleidet  einen  wirklich  grossen  Mann  schoner  als  dies  Gewand  der  Be- 
scheidenheit,  wenn  man  sieht,  dass  solche  keine  stolze  Demut  oder  vielmehr  ein 
demiitiger  Stolz,  sondern  das  echte  Gefiihl  der  Erkenntlichkeit  und  Wahrheit  ist. 


Nichts  racht  sich  so  sehr  als  ein  versaumter  Schulunterricht;  nichts  riicht  sich 
so  sehr  als  eine  vernachlassigte  Grammatik,  als  hintangesetzte  Prinzipien,  auf  denen 
alle  unsre  Kenntnisse  und  ubungen  beruhen.  Mb'get  ihr  auf  der  hoheren  Schule  so 
fleissig  sein,  wie  ihr  wollt,  und  ihr  seid  der  niedrigen  Schule  halbfertig  entlaufen, 
so  wird  man  euch  immer  ansehen,  dass  ihr,  um  eine  wahre  Gestalt  zu  bekommen, 
noch  einmal  in  den  Ofen  getan  werden  miisstet,  weil  der  Teig  immer  nachher  niisset, 
oder  das  Gebilde  kriippelhaft  und  elend  ist. 


Durch  die  Geographic  wird  die  Geschichte  gleichsam   zu  einer  illuminierten 
Karte  fur  die  Einbildungskraft,  ja  fur  die  Beurteilungskraft  selbst. 


Die  Schule  sollte  von  jeder  Wissenschaft,  die  fiir  den  Knaben  dient,  das  Not- 
wendigste,  Wahreste,  Wissenswerteste  im  schb'nsten  und  strengsten  Umrisse  geben, 
und  ich  weiss  nicht,  warum  sie  es  nicht  ungescheut,  ohne  Riicksicht  auf  Zeiten  und 
Menschen,  geben  diirfte?  Je  reiner  eine  Wissenschaft  gelehrt  wird,  desto  schul- 
massiger  wird  sie;  und  je  schulmiissiger,  desto  reiner  soil  sie  werden. 


Aphorisrnen  aus  Herders  Schulreden.  289 

1st  das  Messer  einmal  gewetzt,  so  kann  man  allerlei  daniit  schneiden,  und  nicht 
jede  Haushaltung  halt  sich  eben  ein  ander  Gedeck,  das  Brot,  ein  andres  das  Fleisch 
auseinanderzulegen.  So  ist  es  auch  mit  der  Scharfe  und  Politur  des  Verstandes. 
Scharfe  und  poliere  ihn,  woran  und  wozu  du  willst,  genug,  dass  er  geschilrft  und 
poliert  werde,  und  gebrauclie  ihn  nachher  nach  Herzenslust,  und  nach  deines  Standes 
Bediirfnis.  Ob  du  an  Griechen  oder  an  Romern,  ob  an  der  Theologie  oder  der 
Mathematik  denken  gelernt,  d.  i.  deinen  Verstand  und  dein  Urteil,  dein  Gedilchtnis 
und  deinen  Vortrag  ausgebildet  habest;  alles  gleich  viel,  wenn  sie  nur  ausgebildet 
sind  und  du  mit  so  hellen,  scharfen,  polierten  Waffen  ins  Feld  der  offentlichen  und 
der  besonderen  Geschafte  eintrittst. 


Der  Sinn  der  Humanitat,  d.  i.  der  echten  Menschenvernunft,  des  wahren 
Menschenverstandes,  der  reinen  menschlichen  Empfindung  ist  ihm  aufgeschlossen, 
und  so  lernt  er  Richtigkeit  und  Wahrheit,  Genauigkeit  und  innere  Giite  iiber  alles 
schatzen  und  lieben. 


Zur  Menschheit  und  fur  die  Menschheit  gebildet  soil  unser 
Geist  und  Herz  werden,  und  was  uns  dazu  gebildet,  ist  studium  humanitatis. 


Da  nun  der  Mensch  fiir  alle  Geschafte  des  Lebens  nichts  Besseres  lernen  kann 
als  Aufmerksamkeit,  zu  sehen,  was  da  ist,  woraus  es  entspringt  und  was  aus  ihm 
folget,  so  muss  billig,  wie  Pythagoras  an  seinen  Lehrsaal  schrieb:  ,,Niemand  komme 
ohne  Geometrie  herein!"  an  die  Tiir  der  oberen  Klassen  eines  Gymnasiums  ge- 
schrieben  werden:  ,,Niemand  gehe  ohne  Geometrie  heraus!";  und  so  wa'ren  denn, 
wenn  wir  alles  zusammennehmen,  Sprachen,  Schreibart  und  Vortrag,  Geschichte, 
Philosophic  und  Mathematik,  die  schb'nen  Wissenschaften,  die  die  Jugend  bilden, 
also  im  edlen  Sinne  der  Alten  die  humaniora.  Sie  geben  unserm  Verstande 
Richtigkeit  und  Gewissheit,  unsern  Sitten  Grundsatze,  unserm  Gedachtnis  einen 
niitzlichen  Vorrat  von  Kenntnissen  und  Erfahrungen;  unsrer  Einbildungskraft  ver- 
schaffen  sie  einen  edlen  Flug  iiber  den  tragen  Gang  des  gemeinen  Lebens  und  geben 
zugleich  unsrer  Sprache  Sicherheit  und  Anstand,  eine  gefiillige  Harmonic  und  Ge- 
echicklichkeit  iiber  jeden  Gegenstand,  iiber  jedes  Geschait  des  Lebens  zu  sagen  und 
zu  schreiben,  was  fiir  ihn  gehoret. 


Wir  miissen  mit  der  Zeit  fortgehen,  oder  die  Zeit  schleppt  uns  fort,  ans  Zuriick- 
gehen  ist  nicht  mehr  zu  denken;  gliicklich  ist  der,  der  willig  geht,  der  nicht  nur 
seinem  Nachbar  mit  Schritten  zuvorkommt,  sondern  selbst  der  Zeit,  die  bisweilen 
langsam  schleicht,  und  dem  Bediirfnis,  das  sich  zuweilen  spat,  aber  sodann  desto 
grausamer  und  barter  meldet,  freudig  und  einsichtsvoll  voreilet. 


Kein  edles  Bild,  keine  grosse  Gesinnung,  Aufmunterung  und  Warnung,  wenn  es 
musterhaft  gedacht  und  gesagt  ist,  sollte  bloss  in  unsern  deutschen  Biichern  und 
Bibeln  stehen  oder  makulaturweise  in  unsern  Buchladen  liegen,  sondern  in  den 
Schulen  sollte,  wie  auf  der  Tenne  das  Korn  von  der  Spreu  gesichtet,  jedes  Edelste 
und  Beste  laut  gelesen,  auswendig  gelernt,  von  Jiinglingen  sich  zur  Regel  gemacht, 
und  in  Herz  und  Seele  befestigt  werden 


Subordination  und  piinktlicher  Gehorsam  muss,  sowie  im  Kriegsheer  und  auf 
dem  Schiff,  so  bei  jedem  offentlichen  Geschaft  sein,  an  welchem  mehrere  zu  arbeiten 
haben;  also  gewiss  auch  in  der  Schule.  , 


290  Padagogische  Monatshefte. 

Hiervon  bin  ich  so  iiberzeugt,  dass  ich  das  Schulgeschaft  wie  eine  Hollenqual 
des  Sisyphus  und  der  Danaiden  ansehe,  solange  der  Lehrer  nicht  vollig  in  seiner 
Klasse  Herr,  seiner  Schiller  miichtig  und  eines  jeden  Winkes,  den  er  gibt,  gewiss  ist. 


Gottliche,  edle  Talente  im  Menschen  unbenutzt  liegen,  verrosten  und  sich  selbst 
aufreiben  zu  lassen,  ist  nicht  nur  Hochverrat  gegen  die  Menschheit,  sondern  der 
grosseste  Schade,  den  ein  Staat  sich  selbst  zufiigen  kann. 


Lernt  erzahlen,  berichten,  fragen  und  antworten;  zusammenhangend,  an- 
dringend,  klar,  natiirlich  schreiben,  verniinf tige  Ausziige,  Tabellen,  Expositionen  und 
Deduktionen  der  Begriffe  machen;  lernt,  was  ihr  denkt,  wollt,  sagen.  Die  Zeit  ge- 
bietet's,  die  Zeit  fordert's. 


Im  Willen  leben  wir;  das  Herz  muss  uns  verdammen  oder  trosten,  starken 
oder  niederschlagen,  lohnen  oder  strafen;  nicht  auf  Kenntnisse  allein,  sondern  auf 
Charakter  und  Triebe.  auf  die  menschliche  Brust  ist  die  Wirksamkeit  und  der  Wert, 
das  Gliick  oder  Ungliick  unsers  Lebens  gebauet. 


Jeder  Lehrer  muss  seine  eigene  Methode  haben,  er  muss  sie  sich  mit  Verstand 
erschaffen  haben,  sonst  frommt  er  nicht. 


Nun  aber  gibt's  wohl  keinen  verachtlicheren  Titel,  ja  f  iir  sich  und  andere  wohl 
kaum  eine  grossere  Last  des  Lebens,  als  zeitlebens  in  seinem  und  jedem  Geschaft 
ein  Stiimper  zu  sein  und  zu  bleiben,  kein  eigenes  Land,  wo  wir  recht  zu  Hause  sind, 
sich  angeeignet  zu  haben,  in  dem  wir  mit  Gewissheit  des  Eigentums,  mit  Ehre  und 
Freude  wohuen. 


Die    Prinzipienerklarung  der  diesjahrigen  Tagung 
der  N.  E.  A.  in  St.  Louis. 


—  In  Ermangelung  eines  ausfiihrlichen  Berichtes  iiber  die  naheren  Vorgange 
auf  der  diesjahrigen  Tagung  der  N.  E.  A.  in  St.  Louis  bringen  wir  nachstehend  die 
am  1.  Juli  von  den  Kollegen  angenommene  Prinzipienerklarung. 
Schulaufsicht,  Lehrergehalter,  Ausbau  der  Volkshochschule  und  der  Landschule, 
Kinderarbeit,  Gleichstellung  der  Lehrer  i  n  mit  dem  Lehr  e  r  und  Schulsteuern  sind 
einige  der  Punkte.  zu  denen  die  N.  E.  A.  Stellung  nimmt.  Aus  gutem  Grunde  nennen 
wir  hiermit  die  Namen,  die  die  ,,Platform"  gezimmert  haben:  Chas.  D.  Mclver, 
North  Carolina;  John  W.  Carr,  Indiana;  Amelia  C.  Fruchte,  Missouri;  Margaret  A. 
Haley,  Illinois;  Anna  I.  Smith,  Dist.  Col.;  Augustus  S.  Downing,  New  York;  S.  Y. 
Gillan,  Wisconsin. 

Punkt  8  werden  sich  unsere  weiblichen  Leser  jedenfalls  herausschneiden.  In 
Punkt  9  beriihrt  die  N.  E.  A.  eine  ernste  soziale  Frage.  Wir  konnen  leider  nicht 
angeben,  ob  die  N.  E.  A.  bei  ihren  sonstigen  Verhandlungen  der  Lb'sung  der  Frage 
naher  getreten  ist.  Zu  wiinschen  ware  es  gewesen.  Punkt  10  ist  auf  jene  amerika- 
nischen  Stlidte  gemiinzt,  in  denen  der  Schulrat  ernannt  statt  vom  Volke  gewahlt 
wird.  Der  Verfasser  dieses  Punktes  diirfte  den  Milwaukeer  Lesern  der  P.  M.  be- 
kannt  sein.  Auch  die  Hand  der  mutigen  Streiterin  Marg.  A.  Haley  ist  im  elften 
Absclmitte  unschwer  zu  erkennen. 


Die  Prinzipienerkldrungder  N.  E.  A.  in  St.  Louis.  291 

Die  Prinzipienerklarung  kennzeichnet  den  Geist,  der  die  St.  Louiser  Verhand- 
lungen  der  N.  E.  A.  beseelte,  und  wir  empfehlen  sie  deshalb  der  Beachtung  unserer 
Leser.  Sie  folgt  hiermit  unverkiirzt  in  der  tibersetzung : 

E  r  s  t  e  n  s :  Wir  kb'nnen  nicht  oft  genug  das  erzieherische  Credo  hervor- 
heben,  das  vor  mehr  als  hundert  Jahren  zum  ersten  Male  verkiindet  wurde, 
namlich:  ,,Da  Religion,  sittlicher  Lebenswandel  und  Bildung  notwendige  Be- 
diagungen  zu  einer  guten  Regierung  und  zur  Gliickseligkeit  der  Menschen  sind, 
so  sollen  Schulen  und  die  Mittel,  die  Menschheit  zu  erziehen,  zu  alien  Zeiten 
gefordert  werden."  Diese  Erklarung  unserer  Vater  klingt  uns  heute  wie  ein 
erneuter  feierlicher  Ruf,  wenn  wir  daran  denken,  dass  in  manchen  Teilen  unse- 
res  gemeinsamen  Vaterlandes  die  einfachsten  Fragen  der  Volkserziehung  — 
ortliche  Besteuerung;  die  Verbindung  und  Kraftigung  schwacher  Schulen;  ver- 
niinftige  Beaufsichtigung;  geeignete  Anerkennung  des  Lehrers  als  eines  Er- 
ziehers  im  Schulsystem:  Schulbibliotheken  und  gutvorgebildete  und  gutbe- 
zahlte  Lehrer — noch  immer  grosstenteils  nicht  gelost  sind. 

Zweitens:  Wir  erlauben  uns  deshalb,  die  Auf merksamkeit  auf  die 
Notwendigkeit  eines  fahigen,  taktvollen  Aufsichtsbeamten  fiir  jede  Stadt,  jedes 
Dorf  und  County  und  jede  staatliche  Volksschule  zu  lenken.  In  dieser  Stellung 
werden  Fiihrer  benotigt,  die  nicht  allein  fahig  sind,  das  Beste,  was  der  Lehrer 
zu  leisten  imstande  ist,  zu  verstehen  und  anzuregen,  sondern  die  ebenfalls  die 
Eigenschaften  eines  Fiihrers  des  Volkes  zu  dem  Zwecke  besitzen,  um  die  An- 
teilnahme  aller  Klassen  des  Volkes  wachzurufen,  damit  jeder  zukiinftige  Bur- 
ger der  Republik  die  allerbeste  Gelegenheit  zur  Bildung  fiir  seine  gesellschaft- 
liche  und  staatliche  Wirksamkeit  erhalt. 

Drittens:  Die  Beschaff enheit  der  Arbeit  eines  Lehrers  erf ordert  ganz 
von  selbst,  dass  diese  Arbeit  nur  Mannern  und  Frauen  von  Bildung  und  von 
geistiger  und  sittlicher  Kraft  anvertraut  werde.  Ungeniigende  Bezahlung  fur 
erzieherische  Arbeit  treibt  manche  tiichtige  Kraft  aus  dem  Schulzimmer  und 
verhindert  viele  strebsame  Manner  und  Frauen,  den  Lehrerberuf  zu  ergreifen. 
Es  gereicht  weder  dem  Lehrerstande  noch  dem  Volk  zur  Ehre,  dass  man  den 
Lehrern  unserer  Kinder,  selbst  wenn  man  sie  zu  dem  Preise  erhalten  kann,  die 
niedrige  Summe  von  jiihrlich  dreihundert  Dollars  zahlt,  was  ungefahr  das 
jahrliche  Durchschnittsgehalt  eines  Lehrers  in  den  Ver.  Staaten  ist. 

Viertens:  Das  Bureau  der  Erziehung  zu  Washington  sollte  in  seiner 
Vollkommenheit  erhalten  bleiben  und  die  Bedeutung  seiner  Stellung  vergrb'ssert 
werden.  Ihm  sollten  von  unsern  Gesetzgebern  die  Anerkennung  und  die  Geld- 
bewilligungen  zuteil  werden,  die  es  in  den  Stand  setzen,  nicht  nur  die  not- 
wendige fachmannische  Hilfe  in  Dienst  zu  stellen,  sondern  auch  die  Resultate 
von  Untersuchungen  in  passender  und  brauchbarer  Form  herauszugeben,  damit 
auf  diese  Weise  dieses  Departement  unserer  Regierung  zu  einer  Quelle  werde, 
aus  der  das  Volk  solche  Auskunft  und  solchen  Rat  schopfen  kann,  die  der 
Sache  der  Erziehung  am  meisten  niitzen. 

Fiinftens:  Wir  erlauben  uns  f erner,  die  Notwendigkeit  des  Ausbaus 
der  Volkshochschulen  hervorzuheben,  wo  immer  diese  in  geeigneter  Weise 
unterhalten  werden  konnen,  damit  die  grosstmb'gliche  Zahl  derjenigen,  die  die 
Elementarklassen  durchlaufen  haben,  den  Vorteil  einer  guten  Erziehung  ge- 
niesst,  und  ferner  auch  aus  dem  Grunde,  weil  in  den  Elementarklassen  der 
Volksschule  meist  nur  solche  Lehrer  unterrichten,  die  keinen  andern  Unter- 
richt  als  den  einer  Volkshochschule  erhalten  haben. 

Sechstens:    Solange  mehr  als  die  Hiilfte  unserer  Bevolkerung  auf  dem 


292  Pddagogische  Monatshefte. 

Lande  wohnt,  sollten  die  Landschulen  und  deren  Aufgaben  von  der  N.  E.  A. 
aufs  sorgfiiltigste  beriicksichtigt  werden.  Die  Republik  nimmt  wesentlichen 
Anteil  an  der  erzieherischen  Entwisklung  eines  jeden  Teiles  ihres  Gebietes.  In 
unserem  Bunde  von  Staaten  und  Territorien,  und  in  unsern  abhangigen  Staats- 
wesen  sollte  es  nirgends  vernachlassigte  Volksmassen  geben. 

Siebentens:  Wir  sind  der  Ansicht,  dass  nur  das  Verdienst  die  An- 
stellung  und  Beibehaltung  von  Lehrern  bestimmen  sollte;  dass  nach  ange- 
messener  Probezeit  die  Stellung,  solange  die  Tiicbtigkeit  und  gute  Fiihrung 
des  Inhabers  ausser  Zweifel  steht,  lebensliinglich  sein  sollte;  und  dass  Be- 
fb'rderungen  auf  Fahigkeit,  Erfahrung,  Pflichttreue  und  jene  Erweiterung  von 
Kenntnissen,  wie  sie  die  tagliche  Ausiibung  des  Berufs  und  die  Hingabe  an  die 
Aufgaben  der  Erziehung  mit  sich  bringt,  gestiitzt  werden  sollten.  Wir  loben 
besonders  die  Bern iihungen,  die  in  manchen  Teilen  des  Landes  jetzt  gemacht 
werden,  durch  welche  Lehrer,  Schulbehorden  und  Volk  in  einmiitiger  Weise 
den  Lehrern  bessere  Gehalter  sichern,  und  bessere  Mittel  ergreifen  zur  Be- 
wahrung  der  Rechte  und  Freiheiten  aller  und  zur  Erhohung  der  Leistungs- 
fahigkeit  der  Schulen. 

A  c  h  t  e  n  s :  Wir  erklaren  f  erner,  dass,  falls  gleicher  Charakter  und 
gleiche  Tiichtigkeit  und  gleiche  erfolgreiche  Tatigkeit  zugestanden  wird,  die 
Frauen  in  gleicher  Weise  wie  die  Manner  zu  den  Ehren  und  Vorteilen  des 
Lehrerberufs  berechtigt  sind. 

Neuntens:  Wir  bef iirworten  die  Annahme  und  strenge  Durchf iihrung 
von  geeigneten  Gesetzen,  die  auf  die  Kinderarbeit  (in  Fabriken)  Bezug  haben, 
damit  die  geistige,  sittliche  und  korperliche  Wohlfahrt  des  Kindes  geschiitzt 
und  damit  die  erzieherische  Entwicklung  zu  amerikanischem  Biirgertum  gefor- 
dert  werde. 

Zehntens:  Die  Verantwortlichkeit  f iir  den  guten  oder  den  schlechten 
Zustand  der  Schulen  liegt  ganz  in  der  Hand  des  Volkes,  und  deshalb  sollte  die 
Volksschule  dem  Volke  so  nahe  als  moglich  bleiben.  Zu  diesem  Zwecke  heissen 
wir  den  Grundsatz  von  der  lokalen  Volksregierung  in  alien  Schulangelegen- 
heiten  gut. 

E 1  f  t  e  n  s :  Da  die  Erziehung  eine  offentliche  Angelegenheit  von  der 
grossten  Wichtigkeit  ist,  so  sollte  unsere  Volksschule  durch  Besteuerung  voll- 
standig  und  in  geniigender  Weise  unterhalten  werden;  und  Steuergesetze  soll- 
ten gerecht  und  streng  durchgefiihrt  werden  sowohl  in  bezug  auf  die  Steuerein- 
schatzung  als  auch  in  bezug  auf  die  Eintreibung  der  Gelder. 

Zwb'lftens:  Wir  sprechen  derWeltausstellungsbehorde  Dank  und 
Gliickwunsch  dafiir  aus,  dass  sie  bei  der  Klassifizierung  der  Ausstellungsgegen- 
sttinde  den  Schulen  don  ersten  Platz  eingeraumt  hat;  wir  danken  ihr  fiir  die 
Lage  und  die  Pracht  des  Erziehungsgebaudes  und  fiir  die  Ausdehnung  und  die 
Anordnung  der  Schulausstellung.  Eine  solche  Anerkennung  der  Erziehung 
steht  im  Einklange  mit  dem  Geiste  unserer  Demokratie  und  wird  die  An- 
teilnahme  an  der  Volkserziehung  auf  der  ganzen  Welt  rege  machen.*)  P.  G. 


*)  Im  Anschluss  an  die  Worte  beziiglich  der  Weltausstellung  teilen  wir  unseren 
Lesern  mit,  dass  es  uns  gelungen  ist,  eine  Reihe  von  Berichten  aus  berufenen  Federn 
iiber  die  Ausstellung  in  St.  Louis,  das  Erziehungswesen  betreffend,  fiir  die  P.  M.  zu 
sichern.  Es  sind  vier  Berichte  vorgesehen:  1.  Die  Unterrichtsausstellung  im  all- 
gemeinen.  2.  Die  Unterrichtsausstellung  der  Vereinigten  Staaten;  3.  die  deutsche 
Unterrichtsausstellung;  4.  die  Unterrichtsausstellung  der  Stadt  St.  Louis. 


Das  Gedachtnis  nach  der  neuen  Psychologic. 


t)ber  dieses  Thema  fiihrte  G.  Friedrichs  im  Lehrerverein  zu  Osnabriick  folgen- 
des  aus: 

Wohl  keine  geistige  Funktion  wird  von  der  Schule  mehr  in  Anspruch  genom- 
men,  als  das  Gedachtnis.  Es  ist  daher  wolil  angebracht,  den  gegenwartigen  Stand- 
punkt  der  Wissensehaft  iiber  das  Gedachtnis  festzustellen.  Die  alte  Psychologic 
geht  aus  vom  Begriff  ,,Seele".  In  ihr  lasst  sie  samtliche  geistige  Vorgiinge  sich  ab- 
spielen,  ohne  dem  Gehirn  den  geringsten  Anteil  daran  zuzugestehen.  Nach  der  neuen 
Psychologie  dagegen  ist  jede  geistige  Funktion  an  einen  Gehirnteil  geknupft.  Auch 
bei  dem  Gedachtnisse  ist  das  Gehirn  in  ganz  hervorragender  Weise  beteiligt.  Im 
Jahre  1861  gelang  es  Broca,  einwandsfrei  nachzmveisen,  dass  das  artikulierte 
Sprachvermb'gen  an  die  zweite  und  besonders  an  die  dritte  Stirnwindung  geknupft 
ist.  Sodann  wurde  nachgewiesen,  dass  der  Gehb'rsinn  seinen  Sitz  in  den  Schlafen- 
lappen,  der  Gesichtssinn  in  dem  Hinterhauptslappen  und  der  Gefiihlssinn  in  dem 
Scheitellappen  hat.  Zwischen  diesen  Sinnesgebieten  sind  Assoziations-  oder  Be- 
griffszentren  eingelagert.  Das  gesprochene  Wort  setzt  sich  als  ein  Lautbild  in  dem 
Gebiete  des  Gehbrsinnes  fest.  Wird  das  Wort  nicht  nur  mechanisch  aufgefasst, 
sondern  auch  verstanden,  so  muss  es  von  dem  Lautbildzentrum  in  der  Gehbrsphiire 
zu  einem  Assoziations-  oder  Begriff szentrum  wandern;  denn  nur  diese  vermitteln 
das  Verstandnis.  Um  ein  Wort  auszusprechen,  ist  die  Bewegung  bestimmter  Ar- 
tikulationsorgane  notwendig,  die  nur  durch  ein  sogenanntes  motorisches  Sprach- 
zentrum  zustande  kommen  kann.  Wird  ein  Wort  ohne  Verstandnis  nachgesprochen, 
so  durchlauft  es  nur  das  Ohr,  das  Lautbildzentrum  und  das  motorische  Sprach- 
zentrum,  ohne  das  Begriffszentrum  zu  beriihren.  Ahnlich  verhalt  es  sich  mit  den 
geschriebenen  oder  gedruckten  Worten.  Ist  die  Verbindung  zwischen  dem  Laut- 
bildzentrum und  dem  Begriffszentrum  gestbrt,  so  werden  die  Worte  wohl  gehbrt, 
aber  nicht  verstanden.  So  berichtet  Kussmaul  von  einer  Frau,  welche  das  Ticken 
einer  Uhr  klar  vernahm,  den  Klang  zweier  Hausglocken  unterschied,  vorgesprochene 
Vokale  nachsprach,  gesprochene  Worte  aber  nur  als  ein  verworrenes  Gerausch  hb'rte, 
wie  sie  spater  nach  ihrer  Gesundung  selbst  erzahlte.  Kussmaul  nennt  diese  Krank- 
heit  Worttaubheit  und  die  entsprechende  bei  der  Schrift  Wortblindheit.  Funktio- 
niert  das  Sprechzentrum  nicht,  so  ist  jedes  Sprechen  ausgeschlossen.  Auch  hierzu 
ein  Beispiel.  Ein  bliihender  junger  Beamter  verliert,  ohne  dass  irgend  eine  Lahm- 
ung  eintrat,  ganz  seine  Sprache.  Er  konnte  jedoch  alle  seine  Geschiifte  schriftlich 
abmachen.  Nach  seiner  Besserung  erzahlte  er:  ,,lch  hatte  alle  Worte  vergessen, 
hatte  aber  alle  meine  Kenntnisse  und  meinen  ganzen  Willen.  Ich  wusste  sehr  wohl, 
was  ich  sagen  wollte,  aber  nicht  konnte.  Ich  verstand  alles  vollkommen,  machte 
alle  Anstrengungen  zu  antworten;  aber  es  war  mir  unmbglich,  mich  der  Worte  zu 
erinnern.  Im  iibrigen  konnte1  ich  alle  Bewegungen  der  Zunge  und  Lippen  mit 
Leichtigkeit  ausfiihren." 

Zwischen  den  verschiedenen  Wortbildzentren  bestehen  vielfache  Verbindungen. 
Daraus  erklart  sich  auch,  dass  Stb'rungen  in  einem  Zentrum  fast  regelmassig 
solche  in  anderen  nach  sich  ziehen,  sodass  Falle,  in  denen  nur  ein  einziges  Zentrum 
zerstb'rt  ist,  sehr  selten  sind. 

Aus  dem  Dargelegten  ergibt  sich,  dass  das  Gedachtnis  nicht  eine  Einheit,  son- 
dern eine  Vielheit  ist,  dass  wir  nicht  ein  Gedachtnis,  sondern  viele  Gedachtnisse 


294  Padagogische  Monatshefte. 

haben.  Fiir  die  Schule  1st  diese  Kenntnia  von  grossena  Nutzen.  So  ist  es  nicht  einer- 
lei,  ob  die  Kinder  bei  der  Schreibung  eines  Wortes  das  Schreibzentrum  von  dem 
Lautbildzentrum  her  oder  von  dem  Schriftbildzentrum  her  in  Bewegung  setzen. 
Da  das  Lautbild  sich  in  vielen  Fallen  nicht  mit  dem  Schriftbilde  deckt,  so  werden 
Kinder,  die  das  Lautbild  beim  Schreiben  verwenden,  bedeutend  mehr  Fehler  maclien, 
als  diejenigen,  welche  durch  das  Schreibbild  das  Schreibzentrum  in  Bewegung  setzen. 

Das  Gedachtins  beruht  auf  Nervenfunktionen.  Ware  das  nicht  der  Fall,  so 
ware  es  unerklarlich,  wie  mit  der  Zerstorung  oder  Ausschaltung  von  bestimmten 
Nervenpartien  auch  bestimmte  Teile  des  Gedachtnisses  verloren  gehen  konnten. 
Dass  letzteres  aber  tatsachlich  der  Fall  ist,  zeigen  eine  Anzahl  von  Beispielen,  die 
von  anerkannten  Autoritaten  beobachtet  sind.  Viele  derselben  sprechen  dafiir,  dass 
jede  Zahl,  jedes  Wort,  jedes  Bild  u.s.w.  ganz  bestimmte  Nervenzellen,  vielleicht  auch 
Komplexe  solcher  Zellen  in  Anspruch  nimmt.  Ribot  teilt  z.  B.  mit,  dass  ein  Soldat, 
der  bei  einer  Gehirnoperation  etwas  Gehirnsubstanz  verlor,  die  Zahlen  5  und  7 
nicht  mehr  wusste.  Ferner  erwahnt  er  einen  Kranken,  der  durch  ein  Fieber  die 
Kenntnis  des  Buchstaben  f  einbiisste.  Kussmaul  f iihrt  einen  Mann  an,  der  nach 
einer  Kopfverletzung  die  Dingworter  verloren  hatte.  Man  braucht  nicht  zu  fiirchten, 
dass  bei  der  eben  erwahnten  Annahme  nicht  genug  Nervenfasern  zur  Leitung  und 
genug  Nervenzellen  zur  Aufbewahrung  und  Reproduktion  der  Reize  vorhanden 
waren,  denn  die  Nervenzellen  werden  auf  mindestens  1000  Millionen  und  die  Nerven- 
fasern auf  4  bis  5  Millionen  geschatzt.  Durch  tibung  und  Gebrauch  sind  viele  Ner- 
venzellen vermittelst  Nervenfasern  zu  Gruppen  verbunden,  die  gemeinschaftlich  mit 
einander  in  Funktion  treten.  Ein  Beispiel  moge  dies  klar  machen.  Ein  Kind  will 
das  Wort  ,,Bild"  buchstabieren.  Jeder  Buchstabe  des  Alphabets  befindet  sich  in 
einen  bestimmten  Nervenzellenkomplex,  ebenso  das  Wort  ,,Bild".  Buchstabiert  das 
Kind  das  Wort  mit  dem  Schriftbilde  desselben,  so  treten  nacheinander  die  Buch- 
staben des  Wortes  als  Buchstabenbilder  ins  Bewusstsein  und  werden  mit  den  Laut- 
bildern  derselben  durch  Nervenfasern  verbunden.  Die  Herstellung  dieser  Ver- 
bindungen  geht  nur  langsam  vor  sich.  Je  haufiger  sie  aber  wiederholt  werden,  desto 
gelaufiger  und  fester  werden  sie,  bis  sie  schliesslich  fast  von  selbst  funktionieren. 

In  dem  zweiten  Teile  seines  Vortrages  verbreitete  sich  Referent  iiber  ver- 
schiedene  Arten  des  Gedachtnisses  bei  der  Begriffs-  und  Schlussbildung  und  zeigte 
dabei,  dass  sicheres  Denken  auch  sichere  und  feste  gedachtnissmassige  Verbindun- 
gen  erfordert.  Da  diese  aber  nur  auf  Gebieten  vorhanden  sein  konnen,  die  man  be- 
herrscht,  so  ist  es  klar,  dass  auf  unbekanntem  Gebiete  leicht  die  tollsten  Trug- 
schliisse  gemacht  werden.  Denken  ohne  Stoff  ist  unmoglich.  Die  zum  Denken 
nb'tigen  Stoffe  aber  konnen  nur  durch  die  Sinne  geliefert  und  dann  im  Gedacht- 
uisse  aufbewahrt  werden.  Albrecht  Rau  sagt:  ,,Unser  Verstand  schafft  nichts 
Neues,  er  ist  kein  Organ  des  Begreifens  oder  Verstehens,  sondern  sein  Begreifen 
beruht  nur  auf  einem  methodischen  Anordnen.  Ohne  Inhalt  und  Gegenstand  ist 
der  Verstand  ein  blosses  Wort,  ein  Nichts,  ein  Auge  ohne  Licht,  ein  Ohr  ohne  Klang. 
Den  Verstand  bloss  formal  schulen  oder  bilden  zu  wollen,  ist  ein  Speisen  von 
Luft,  ein  Atmen  im  Vakuum,  ein  Gehen  ohne  Boden,  ein  Emporsteigen  ohne  Leiter; 
es  ist  kurz  eine  Ungereimtheit.  (Aus  der  Schule — fur  die  Schule). 


Berichte   und   Notizen. 


I.     Ko  rrespo  ndenzen. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Cincinnati. 

Leider  ist  das  Wenige,  das  ich  zu  be- 
richten  habe,  nicht  durchweg  angeneh- 
mer  Art.  Andere  mogen  davon  unter- 
richtet  gewesen  sein,  jedoch  vorgezogen 
haben  die  vollendete  Tatsache,  um  die  es 
sich  handelt,  in  den  gegenwiirtigen  Zeit- 
laufen  der  Besteuerung,  der  bevorstehen- 
den  Wahlschlacht  und  anderer  ein- 
schlagiger  Kleinigkeiten  nicht  an  die 
grosse  Glocke  zu  hiingen.  Mir  personlich 
ist  der  Seifensieder  erst  vor  kurzem  auf- 
gegangen,  als  ich  einer  hiesigen  deut- 
schen Zeitung  die  traurige  Kunde  ent- 
nahm,  dass  die  verflossene  Staatslegis- 
latur  fiir  gut  befunden  habe,  die 
festeste  Saule  des  deut- 
schen  Unterrichts  in  den 
offentlichen  Schulen  von 
Ohio  zu  stiirzen:  das  Gesetz 
namlich,  welches  bestimmt,  dass  die 
deutsche  Sprache  in  alien  Schuldistrik- 
ten  des  Staates  gelehrt  werden  muss, 
wo  fiinfzig  in  dem  Distrikte  stimmbe- 
rechtigte  Burger  solchen  Unterricht  ver- 
langen.  Es  sei,  so  sagt  die  Zeitung,  nicht 
angjingig  gewesen,  auf  der  ferneren  Bei- 
behaltung  dieses  Gesetzesparagraphen  zu 
•bestehen,  weil  dann  die  durch  den  neuen 
Schulkodex  beabsichtigte  Einheit  des 
Schulwesens  im  ganzen  Staate  gefahrdet 
oder  nicht  durchfiihrbar  geworden  ware; 
doch  sei  dem  deutschen  Unterrichte  da- 
mit  keine  Gefahr  erwachsen.  ,,Die  Kunde 
hor  ich  wohl,  doch  mir  fehlt  der  Glaube," 
oder,  nach  einer  anderen  Lesart,  ,,ich 
here  die  Vogel  und  sehe  sie  nicht!" 
Wenn  auch  —  ich  spreche  von  Cincinnati 
—  bei  der  jetzigen  Zusammensetzung 
unseres  Schulrates  und  voraussichtlich 
auch  des  bald  zu  wiihlenden  neuen,  kei- 
nerlei  Gefahr  der  Beschneidung  oder  gar 
der  Abschaffung  des  deutschen  Unter- 
richts vorhanden  zu  sein  scheint,  so  iat 
eben  doch  die  schone  Zeit  auf  Nimmer- 
wieder  verschwunden,  wo  die  Deutschen 
von  Ohio  irgend  einer  Schulbehorde  in 
aller  Gemiitlichkeit  sagen  konnten:  Ihr 
k  6  n  n  t  den  deutschen  Unterricht  nicht 
abschaf fen !  oder  auch :  Ihr  m  ii  s  s  t  das 
Deutsche  einfiihren  —  das  Staatsgesetz 
verbietet  euch  das  erstere,  es  gebietet 
euch  das  letztere,  je  nach  Umstanden. 
Damit  ist  es  hier  und  anderswo  in  Ohio 


jetzt  gi-iindlich  vorbei;  jeder  Schulrat 
hat  auch  beziiglich  des  deutschen  Unter- 
richts freie  Hand,  alleinige  Befugnis; 
und  da  ist  das  klassische  Wort  wohl  er- 
laubt:  ,,Der  Teufel  traue!" 

Auch  wir  hatten  uns  eines  kurzen,  mit 
einem  Vortrage  —  das  Thema  war  das 
gleiche  wie  in  Milwaukee — verbundenen 
Besuches  des  beriihmten  Piidagogen, 
Professor  Rein,  zu  erfreuen,  und 
ausserdem  Gelegenheit,  seiner  gernut- 
vollen  anheimelnden  Personlichkeit, 
wenn  auch,  der  Umstande  halber,  in  sehr 
engem  Kreise,  wenigstens  einigermassen 
naher  zu  treten.  Dem,  was  Milwaukee 
iiber  diesen  magister  mundi  in  der  letzten 
,,P.  M."-Nummer  zu  sagen  hatte, 
schliesst  Cincinnati  gewiss  sich  an,  das 
zu  behaupten  iibernehme  ich. 

Man  riistet  sich  augenblicklich  hier  auf 
die  festliche  Begehung  eines  welter- 
schiitternden  Ereignisses :  Die  I  n  - 
stallierung  eines  neuen 
Rektors  der  McMicken- 
Universitat.  Die  Elite  der  Uni- 
versitiitsprofessorenschaft  im  Lande 
wird  zur  Teilnahme  an  dem  Festaktus 
erwartet;  der  President  der  Vereinigten 
Staaten  von  Nord-Amerika  wurde  dazu 
eingeladen,  desgleichen  der  Exprasident 
Grover  Cleveland  —  beide  werden  aber 
durch  notgedrungene  Abwesenheit  gliin- 
zen.  Der  beriihmte  Herr  heisst  Dabney 
und  kommt  von  Tennessee.  Moge  die 
neue  Ara,  die  er  inaugurieren  soil,  von 
recht  langer  Dauer  sein! 

Allhier  wurde  bereits  der  Anfang  ge- 
macht  mit  den  Vorbereitungen  fiir  eine 
auf  den  9.  Mai  1905  festgesetzte  wiirdige 
Todesfeier  Friedrich  von 
S  c  h  i  1  1  e  r  s,  des  Lieblingsdichters  al- 
ler Deutschen,  wo  immer  sie  auch  leben. 
Die  ,,Deutsche  Taggesellschaft"  hat  die 
Sache  in  die  Hand  genommen,  und  sie 
besitzt  in  ihrem  Priisidenten,  dem  ehe- 
maligen  Lehrer,  jetzt  Advokaten,  Richter 
A.  H.  Bode,  den  rechten  Mann  fiir  eine 
ihrer  hohen  Bedeutung  angemessene 
Durchfiihrung.  Die  deutschen  Lehrer,  in 
deren  Versammhing  wiihrend  des  an- 
fangs  September  stattgefundenen 
Teachers'  Institute  durch  einen  Vortrag 
iiber  die  ,.Frauengestalten  in  Schillers 
Wilhelm  Tell"  der  erste  Ton  in  Cincin- 


296 


Padagogische  Monatshefte. 


nati  angeschlagen  wurde,  sind  ausserdem 
durch  die  Vorsitzer  von  drei  der  mit- 
wirkenden  deutschen  Vereine  (,,Turnge- 
meinde",  ,,Deutscher  Lehrerverein", 
,,Deutscher  Oberlehrerverein")  aktiv  an 
dem  Arrangement  der  Feier  beteiligt. 
Cincinnati  wird  gewiss  auch  dieses  Mai 
Ehre  einlegen.  *  *  * 

Milwaukee. 

Suppenkiichen  fiir  die  Schulen.  Der 
hiesige  Frauen-Verein  fiir  Wohltatigkeit 
hat  in  Verbindung  mit  der  Schulbehorde 
beschlossen,  fiir  bediirftige  Schulkinder 
in  den  offentlichen  Schulen  Suppen- 
anstalten  einzurichten,  so  dass  Kindern 
von  armeren  Eltern  ein  warmes  Essen, 
wenigstens  ein  Teller  Suppe  mit  Gemiise 
wahrend  der  Mittagspause  im  Winter 
verabreicht  werden  kann.  Das  ist  eine 
sehr  gute  Idee.  In  den  Schulen  sind  gar 
manche  Kinder,  die  zu  Hause  im  kalten 
Winter  nicht  einmal  ein  warmes  Zimmer, 
viel  weniger  noch  eine  warme  Mahlzeit 
zu  erwarten  haben.  Die  Kosten  fiir  diese 
Einrichtung  sollen  durch  freiwillige  Bei- 
trage  gedeckt  werden.  Da  kb'nnte  man 
denn  die  Kochschulen  gut  verwenden, 
und  es  ware  recht  praktisch  und  wiin- 
schenswert,  wenn  die  jungen  Madchen  in 
den  Kochschulen  lernten,  wie  man  eine 
gute  Suppe  kocht,  anstatt  nur  zu  lernen, 
wie  man  cakes  und  pie  backt,  und 
hb'chstens  noch,  ein  beefsteak  zu  braten. 
Ob  wohl  die  gelehrten  Kochkiinstlerin- 
nen,  die  als  Lehrerinnen  fungieren,  alle 
verstehen,  eine  kraftige  und  schmack- 
haf te  Gemiisesuppe  zu  bereiten  ?  Doch  wir 
wollen  einstweilen  diese  Frage  als  eine 
offene  betrachten.  Recht  schon  ware  es, 
weun  in  dieser  Weise  unsere  Kochschulen 
einen  praktisch  en  Nutzen  aufweisen 
konnten.  Ich  glaube,  es  sind  eine 
Menge  Skeptiker  in  Milwaukee,  denen 
der  praktische  Nutzen  unsrer  Kochschu- 
len noch  immer  nicht  recht  einleuchten 
will. 

Freie  Schulbiicher.  Jetzt  hat  auch  der 
Schulrat  beschlossen,  einen  Fond  zu 
bilden,  urn  Kindern  von  bediirftigen 
Eltern  die  Schulbiicher  frei  zu  liefern, 
was  bis  jetzt  durch  Privatpersonen  ge- 
schehen  ist.  Viel  Weisheit,  Takt  und 
Gerechtigkeitsgefiihl  wird  dazu  gehoren, 
um  hier  die  richtige  Auswahl  zu  treffen. 
Ebenso  auch  von  seiten  der  Lehrer  und 
Prinzipale  bei  Austeilung  der  Biicher,  um 
den  betreffenden  Kindern  eine  Art  der 
Beschamung  vor  den  andern  zu  ersparen. 
Applikanten  werden  sich  wohl  genug  ein- 
stellen,  auch  solche  von  den  Eltern,  die 
nicht  sowohl  bediirftig  und  notleidend 
sind,  als  vielmehr  frisch  und  frei,  und 
nicht  besonders  verschamt  veranlagt. 
Man  hat  nun  dieses  Amt,  namlich  die 
Auswahl  solcher  Eltern  zu  treffen,  den 


Schulpolizisten  (Truant  officers)  iiber- 
weisen  wollen,  aber  diese  scheinen  nicht 
grosse  Lust  dazu  zu  haben,  umsomehr  da 
sie  schon  genug,  und  mehr  als  genug,  zu 
tun  haben,  um  nur  die  Schulschwanzer 
ausfindig  zu  machen  und  sie  den  betref- 
fenden Schulen  zuzuweisen.  Bisher  hat 
man  nur  die  Prinzipale  damit  betraut, 
diese  Auswahl  zu  treffen,  und  ich  glaube, 
dass  sie  es  an  Takt  und  Diskretion  nicht 
haben  fehlen  lassen.  Es  werden  voraus- 
sichtlich  eine  grossere  Anzahl  sich  mel- 
den  als  bisher,  denn  die  Kasse  der  Pri- 
vatpersonen wurde  meistens  mit  dem 
ominosen  Namen  ,,Poor  fund"  benannt. 
Wenn  aber  nun  die  Stadt  der  Lieferant 
wird,  so  werden  manche  die  Gelegenheit 
benutzen,  die  es  nicht  so  notig  haben, 
um  so  mehr,  da  ja  schon  ofter  die  Frage 
der  allgemeinen  freien  Schulbuchliefer- 
ung  durch  die  Stadt  ventiliert  worden 
ist.  Ich  muss  bekennen,  dass  ich  mich 
zu  dieser  Idee  noch  nicht  aufschwingen 
kann.  Aber  ich  glaube,  dass  wir  in 
unsern  oiFentlichen  Schulen  eine  ganze 
Menge  Biicher  haben,  die  recht  wohl  ent- 
behrlich  waren  fiir  die  Schiiler,  und  die 
nur  dazu  dienen,  um  die  Taschen  der 
ohnehin  schon  reichen  Herausgeber  und 
Lieferanten  zu  fiillen.  A.  W. 

New  York. 

Verein  deutscher  Speziallehrer,  New 
York.  Dass  Sie  im  letzten  Jahre  keinen 
Bericht  von  unserein  Verein  erhielten, 
hat  semen  Grund  in  dem  bedauerlichen 
Umstande,  dass  unser  Mitglied  Karl 
Herzog  aus  Gesundheitsriicksichten  die 
Versammlungen  nicht  regelmiissig  be- 
suchen  konnte  und  schliesslich  als  Be- 
richterstatter  resignierte.  Als  der  Unter- 
zeichnete  an  dessen  Stelle  gewahlt 
wurde,  war  bereits  mehr  als  die  Hiilfte 
des  Schuljahres  verflossen,  und  die  Vor- 
kommnisse  in  den  letzten  Sitzungen 
schienen  nicht  wichtig  genug,  um  darti- 
ber  speziell  zu  berichten. 

Die  Vorstandswahl  in  der  Maiver- 
sammlung  brachte  einige  Veranderungen. 
An  Stelle  des  Vizepriisidenten  Hiilshof, 
der  wegen  geschwiichter  Gesundheit  sich 
nicht  mehr  aktiv  beteiligen  konnte, 
wurde  Kollege  Stampe  gewahlt,  und  an 
Stelle  unserer  seitherigen  Schriftfiihrerin 
Frl.  Constantini,  die  eine  lange  Reihe 
von  Jahren  treu  und  gewissenhaft  ihres 
Amtes  gewaltet  und  dringend  ihre  Ent- 
lassung  verlangt  hatte,  war  bereits  im 
Jamiar  Frl.  Luther  gewahlt  worden. 
President  Scholl  und  Schatzmeistein 
Frau  Richter  haben  sich  seit  Jahren  so 
gut  bewahrt,  dass  ihre  Wiederwahl  ohne 
irgend  welche  Opposition  erfolgte. 

Am  18.  Juni  machten  die  Vereinsmit- 
glieder  und  deren  Angehorige  einen  Aus- 


Berichte  und  Notizen. 


297 


flug  nach  Staten  Island,  der  alien  Be- 
teiligten  einige  heitere  und  genussreiche 
Stunden  bereitete. 

Am  29.  September  hielt  der  Verein 
seine  erste  Versammlung  im  neuen 
Schuljahre.  Beschliisse  von  besonderer 
Wichtigkeit  wurden  nicht  gefasst  und 
der  Bcsuch  war  schwach,  was  teilweise 
dem  Umstande  zuzuschreiben  ist,  dass 
manche  Mitglieder  in  den  entlegensten 
Distrikten  von  Gross  New  York  ange- 
stellt  sind  und  das  Versammlungslokal 
nicht  rechtzeitig  erreichen  konnen.  Be- 
kanntlich  wird  jetzt  deutscher  Unter- 
richt  in  den  Volksschulen  aller  fiinf 
Borough  von  Gross  New  York  erteilt, 
wahrend  friiher  nur  dip  Boroughs  Man- 
hattan und  Bronx  diesen  Vorteil  genos- 
sen.  Allerdings  war  friiher  in  diesen 
zwei  Boroughs  der  Unterricht  auf  die 
letzten  zwei  und  ein  halb  Schuljahre 
ausgedehnt,  wahrend  er  jetzt  auf  das 
letzte  Schuljahr  beschrankt  ist.  Doch 
muss  beriicksichtigt  werden,  dass  friiher 
die  Unterrichtszeit  per  Klasse  und 
Woche  nur  100  Minuten  betrug,  wahrend 
gegenwartig  im  letzten  Schuljahre  jeden 
Tag  40  Minuten  diesem  Gegenstande  ge- 
widmet  werden.  Wenn  auch  die  neue 
Einrichtung  durchaus  nicht  den  An- 
forderungen  an  einen  gi-iindlichen  und 
ausreichenden  deutschen  Unterricht  ent- 
spricht,  und  wenn  namentlich  zu  be- 
dauern  ist,  dass  jetzt  eine  weit  geringere 
Anzahl  von  Kindern  an  dem  Unterricht 
teilnimmt  als  friiher,  so  ist  die  Neuer- 
ung  immerhin  als  ein  entschiedener 
Fortschritt  zu  bezeichnen,  und  die  Re- 
sultate  sind  im  Ganzen  besser  als  friiher. 
Quantitativ  haben  wir  verloren,  hingegen 
qualitativ  gewonnen.  D.  Adler. 

Der  ,,Verein  Deutscher  Lehrer  von 
New  York  und  Umgegend"  hielt  seine 


erste  Sitzung  im  neuen  Schuljahre  am 
ersten  Oktober  im  Deutschen  Pressklub. 
In  Anbetracht  dessen,  dass  der  ein- 
ladende  Sekretar  und  Finanzsekretar 
unseres  Vereins,  Herr  Boos,  seine  Mit- 
gliederliste  verlegt  und  die  Einladungs- 
karten  aus  dem  Gedachtnisse  addressiert 
hatte,  war  der  Besuch  ein  sehr  zahl- 
reicher.  Obwohl  kein  Vortrag  oder 
sonstige  Geschafte  vorgesehen  waren,  ge- 
staltete  sich  die  Sitzung  zu  einer 
iiusserst  interessanten,  unterhaltenden 
wie  belehrenden  durch  das  Verlesen 
einiger  Berichte  iiber  unsre  Sitzungen 
im  verflossenen  Vereinsjahre  durch  un- 
seren  allverelirten  Herrn  Geppert.  Mit 
kostlichem  Humor  und  liebenswiirdiger 
Satire,  die  aber  keinen  Stachel  zuriick- 
liess,  gab  unser  ,,a  1 1  e  r  Herr"  uns 
jiingeren  Sprosslingen  ein  Bild  unseres 
Tuns  und  Lassens.  Da  Herr  Geppert  uns 
eine  Fortsetzung  seines  wirklich  humor- 
istischen  Bildes  versprochen  hat,  und 
ausserdem  Herr  Doktor  Wahl  uoer  Wil- 
helm  Db'rpfeld  und  seine  Bedeutung  als 
Padagoge  sprechen  wird,  so  diirfen  wir 
mit  Zuversicht  auf  ein  ,,volles  Haus" 
rechnen.  Es  diirfte  auch  weitere  Kreise 
interessieren  zu  erfahren,  dass  eines 
unserer  Mitglieder,  der  tiichtigsten  und 
beliebtesten  einer,  Dr.  Karl  Kayser, 
an  Stelle  des  verstorbenen  Doktor  Keller 
zum  Professor  der  deutschen  Sprache  am 
New  Yorker  Normal  College  ernannt 
worden  ist.  Der  Neuerwiihlte  erschien 
gerade,  als  die  Fassung  eines  Gliick- 
wunschbeschlusses  im  Werke  war,  der 
ihm  denn  auch  sofort  miindlich  iiber- 
mittelt  wurde.  Die  Anwesenden  tranken 
dann,  natiirlich  auf  Dr.  Kaysers  Rech- 
nung,  einen  Gliick  Auf!  Schluck.  Die 
Finanzen  des  Vereins  stehen  gliinzend, 
da  sich  bis  jetzt  kein  Defizit  eingestellt 
hat.  H.  Z. 


II.     Umschau. 


Vom  Lehrerseminar.  In  seiner  Ver- 
sammlung am  19.  d.  M.  bedachte  der 
Schwaben  •  Verein  von  Chi- 
cago das  Lehrerseminar  mit  einem 
Geschenk  von  $100.  Dem  Verein  gebiihrt 
der  aufrichtige  Dank  des  Seminars  fur 
diese  Schenkung,  deren  Wert  nicht  allein 
darin  liegt,  dass  der  Anstalt  damit  eine 
willkommene  finanzielle  Hilfe  zuteil 
wird,  sondern  auch  darin,  dass  sie  eine 
Anerkennung  ist  fur  die  26jahrige  Tiitig- 
keit  des  Seminars.  Dieser  Anerkennung 
gab  der  Verein  iibrigens  auch  durch  ein 
Schreiben  seines  Schatzmeisters,  Herrn 
G.  F.  Hummel,  in  der  herzlichsten  Weise 
Ausdruck.  Mochte  dieses  Beispiel  andere 
zur  Nachahmung  anspornen! 


—  Preisausschreiben.  Das  Komitee 
fur  dieGedenkfeier  des  hun- 
dertsten  Todestags  Schil- 
ler s,  die  durch  das  Zusammenwirken 
des  American  Institute  of  Germanics  und 
des  Schwabenvereins  von  Chicago  veran- 
staltet  wird,  bereitet  ein  ausgedehntes 
Schillerfest  fiir  den  Mai  1905  vor  und 
setzt  Preise  von  je  $75  aus  fur  zwei  Pro- 
loge  in  Versen,  den  einen  in  deutscher, 
den  anderen  in  englischer  Sprache.  Diese 
Prologe  sollen  wahrend  der  Festtage  zum 
Vortrag  gelangen,  keiner  jedoch  darf 
mehr  als  sieben  Minuten  in  Anspruch 
nehmen. 

Alle  Gedichte,  die  zur  Preisbewerbung 


298 


Padagogische  Monatshefte. 


-eingesandt  \verden,  miissen  sich  im  Be- 
sitz  des  ,,Corresponding  Secretary  of  the 
Committee  on  the  Schiller  Comemora- 
tion,  617  Foster  St.,  Evanston,  111."  spii- 
testens  am  Mittwoch,  den  1.  Marz  1905, 
befinden.  Das  Gedicht  muss  unter  einem 
angenommenen  Namen  eingesandt  und 
von  einem  verschlossenen  Briefumschlag 
begleitet  werden,  in  dem  sich  der  wirk- 
liche  Name  und  die  Adresse  des  Verfas- 
sers  befindet. 

Die  Verbffentlichung  der  preisgekrbn- 
ten  Prologe  behalt  sich  das  Programm- 
Komitee  fur  die  Sehiller-Gedenkfeier  vor. 
Im  Namen  des  Zentral  Komitees, 

Otto  C.  Schneider, 

President  des  American  Institute  of 
Germanics, 

Ernst  Hummel, 

President  des  Schwabenvereins  von 
Chicago. 

-  Der  Schulrat  der  Stadt  Milwaukee 
hat  nun  endlich  die  Erhohung  der  Ge- 
htilter  der  Lehrer  und  Lehrerinnen  bis 
zu  $150  iiber  die  bisherigen  hb'chsten 
Grenzen  beschlossen.  Nach  sechsjahri- 
gem  Dienst  steigt  das  Gehalt  um  $50, 
nach  neunjahrigem  Dienst  um  weitere 
$50,  und  nach  nochmals  drei  Jahren  ist 
mit  einer  nochmaligen  Zulage  von  $50 
das  Hbchstgehalt  erreicht.  Allerdings 
kann  der  Biirgermeister  den  Beschluss 
mit  seinem  Veto  belegen,  aber  da  19  aus 
21  Schulratsmitgliedern  fiir  die  Mass- 
regel  gestimmt  haben,  so  ist  kaum  an- 
zunehmen,  dass  die  Gehaltserhb'hung  zu- 
guterletzt  noch  Schiffbruch  erleiden 
kbnnte.  Es  ist  also  auch  nicht  mehr 
nb'tig,  dem  Milwaukeer  Schulrat,  wie  von 
einem  Wechselblatte  vorgeschlagen 
wurde  wegen  wiederholter  Verschlep- 
pung  der  Angelegenheit  eine  lederne  Me- 
daille  zu  iiberreichen.  Die  Milwaukeer 
Lehrerschaft  aber  trifft  der  Vorwurf, 
durch  Lauheit  imd  Uneinigkeit  in  den 
eignen  Reihen  die  Verzbgerung  mitver- 
schuldet  zu  haben.  Wir  erinnern  nur  an 
den  Widerstreit  der  Meinungen  zwischen 
dem  Prinzipalverein  und  dem  Lehrer- 
verein.  Jeder  Teil  glaubte,  allein  ein 
Anrecht  auf  den  grbssten  Batzen  bei  der 
Gehaltserhb'hung  zu  haben.  Man  darf — 
in  den  meisten  Fallen — von  dem  Laien 
nicht  verlangen,  dass  er  die  Arbeit  des 
Lehrers  zu  wiirdigen  versteht,  und  dass 
er  aus  freien  Stiicken  bereit  ist,  dem 
Lehrer  eine  wiirdige  Entschadigung  fiir 
geleistete  Dienste  zuzuerkennen.  Wo- 
immer  in  letzter  Zeit  sich  die  Verhalt- 
nisse  der  Lehrer  gebessert  haben,  ist  das 
Ziel  nur  durch  unablassigen  Druck  auf 
die  Schulbehbrden  seitens  einer  einigen, 
geschlossenen  Lehrerschaft  erreicht  wor- 
den.  Hoffentlich  hat  die  Annahme  des 


Schulratsbeschlusses  die  gute  Folge, 
dass  sich  die  Milwaukeer  Lehrervereini- 
gung  fester  zusammenschliesst,  um 
durch  verstandige,  aufklarende  Agita- 
tion ihre  guten  Rechte  wahren  und  auf 
dem  Errungenen  weiterbauen  zu  kbnnen. 

—  Das   Schulwesen   Gross-New  Yorks 
ist  von  den  dortigen  Baugewerkswirren 
schwer  beriihrt  worden.   Bis  zum  Schluss 
der   Schulferien   hatten   achtzehn   Schul- 
bauten  fiir  21,000  Schul  kinder  vollendet 
sein  sollen;   aber  in  Folge  der  Arbeits- 
stockungen  im  Baufache  war  dies  nicht 
mbglich;    und    so    haben    tausende    von 
Schulkindern  im  September  nicht  unter- 
gebracht  werden  kbnnen. 

—  Der  Pittsbiyger  Distrikt   des   Ver- 
eins  der  Prediger  der  Unabhangigen  Ev.- 
Prot.  Kirche  von  Nordamerika  fasste  in 
einer  Versammlung  folgenden  Beschluss: 
,,Der   Predigerverein   erklart   seine   voile 
Sympathie    mit    den    Bestrebungen    des 
Deutschamerikanischen       Zentralbundes, 
spez.  fiir  Einfiihrung    des  deut- 
schen     Sprachunterrichts     in 
unseren    bffentlichen    Schulen,    und   ver- 
pflichtet    seine    Vereinsmitglieder,    nach 
besten   Kriiften    fiir   diese    Sache   inner- 
halb,  wenn  moglich  auch  ausserhalb  ihrer 
betr.  Gemeinden  dafiir  mannhaft  einzu- 
treten." 

—  Leopold   Clausnitzer  hat   das   Amt 
des  Vorsitzenden  des  Deutschen  Lehrer- 
vereins,  das  er  vierzehn  Jahre  lang  be- 
kleidet  hat,  niedergelegt. 

—  Nach  einer  Ausserung    von    Klara 
Zetkin   aus    Stuttgart   auf   der    Frauen- 
konferenz  des  sozialdemokratischen  Par- 
teitages   zu  Bremen  ist  die  Volksschule 
(Deutschlands)     das     Aschenbrbdel     des 
modernen  Staates,  der  fiir  sein  Heer  und 
seine  Marine  jiihrlich  1018  Millionen,  fiir 
die  Volksschule  dagegen  nur  99  Millio- 
nen ausgebe. 

—  Am    9.  Mai    1905    werden    hundert 
Jahre  seit  dem  Tode  Schillers  vergangen 
sein.    Mit  Bezug  hierauf  erlasst  die  wei- 
marsische      Regierung      folgende      Ver- 
fiigung:    Das  Nahen  des  Tages,  an  dem 
vor  100  Jahren  Schiller  starb,  legt  auch 
der  Schule  die  Pflicht  auf,  in  besonderer 
Weise  die  Erinnerung  an  den  Dichter  zu 
pflegen.      Erfolgreicher    als    eine     kurze 
Schulfeier    am    Todestage    wird     dieser 
Aufgabe     dadurch     entsprochen     werden 
kbnnen,  dass  wahrend  des  bevorstehen- 
den  Vierteljahres  jede  Schule  es  sich  an- 
gelegen  sein  lasst,  im  deutschen  Unter- 
richte   eingehender   als   sonst,   den   Ver- 
haltnissen     und     dem     Standpunkt    der 
Schiiler  entsprechend  die  Persbnlichkeit 
und   geeignete   Werke   des   Dichters   der 
Jugend  vorzufiihren. 


Umschau. 


299 


—  Die     deutschen     Lehrer    Bbhmens, 
die      an      der      Sprachgrenze      wirken, 
schreibt  die  ,,Bayr.  Lztg.",  haben  einen 
schweren    Kampf    u  m    ihr    Ba- 
se i  n  zu  fiihren.    So  wurde  erst  wieder 
anfang  September   auf  einen   deutschen 
Lehrer     ein     Mordanschlag     ausgefiihrt. 
Der    deutsche    Schulleiter    in     der     Ge- 
meinde  Rb'scha  war  es,  den  die  fanati- 
schen  Tschechen  unschadlich  zu  machen 
versuchten.     Zum    Gliick   ging   der   An- 
schlag  fehl. 

—  In  Ungarn  liegt  ein  Entwurf  eines 
Volksschulgesetzes     vor,     der     die     un- 
garische   Sprache  fiir  alle   Stamme   des 
Reiches   zur   Hauptsprache   machen   soil. 
Nicht  entsprechender  Erfolg  im  magyari- 
schen    Sprachunterricht    kann    zur    Ab- 
setzung  des  Lehrers  geniigen. 

—  Ein  Komitee,  das  sich  gebildet  hat 
behufs     Erwerbung     des     Neuhofs     bei 
Brugg,    auf    dem    seinerzeit    Pestalozzi 
sein  Werk  der  Liebe  an  armen  Kindern 
getrieben   hatte,   erklart,   dass   es   seine 
Mission  nicht  ausfiihren   kb'nne,  da  der 
Besitzer   des   Neuhofs   eine    Summe    als 
Kaufpreis  gefordert  habe,  die  den  wirk- 
lichen    Wert    der    Hauser    und    Grund- 
stiicke  um  vieles  iibersteigt.   Es  war  be- 
absichtigt  worden,  dort  eine  Anstalt  im 
Geiste  Pestalozzis  zu  grunden. 

—  Um  dem    Auslander    das    Studium 
der    englischen    Sprache    und    des    eng- 
lischen  Lebens  zu  erleichtern,  veranstal- 
tete  die  ,,Teachers'  Guild",  der  Lehrer- 
verein  der  vereinigten  Kb'nigreiche,  ver- 
gangenen  Sommer  in  der  Stadt  London 
zum  ersten  Male  einen  Ferienkurs.    Von 
dem  Bediirfnis  solcher  Kurse  zeugt  die 
rege    Beteiligung,    namlich    125    Herren 
und   83  Damen.    Deutschland  hatte  66, 
tisterreich-Ungarn     14,     Frankreich     28, 
Danemark    31,    Schweden-Norwegen    32 
Teilnehmer    gesandt.      Der     Leiter    der 
Kurse,     Prof.     Walter     Rippmann,     ein 
Deutscher    von    Geburt,    erwartet    eine 
doppelt  so  starke  Beteiligung  im  nach- 
sten  Jahre. 

—  Der  franzbsischen  Kammer  ist  ein 
vom     Abg.     Limyau     im     Auftrag    der 
Budgetkommission    abgefasster    Bericht 
iiberreicht  worden,  der  die  G  e  h  a  1 1  s- 
verhaltnisse         der         Volks- 
schullehrer    zum    Gegenstand    hat. 
Die  Gehaltserhohung  ist  notwendig,  um 
dem  Lehrermangel  abzuhelfen,  der  schon 
jetzt  besteht  und  infolge  Schliessung  der 
Kongregationsschulen     noch      zunehmen 
wird.    Der  Andrang  zum  Lehrerberuf  ist 
so  gering,  dass  die  Seminare  nicht  ein- 
mal  voll  besetzt  sind.  —  Im  Interesse 
der  besseren  Vorbildung  der  Volksschul- 
lehrer  ist  es  sehr  wiinschenswert,  dass 


die,  welche  das  hohere  Examen  bestan- 
den  haben,  von  Anfang  gleich  besser  be- 
zahlt  werden  als  die,  die  nur  das  Ele- 
mentarexamen  abgelegt  haben,  damit 
mb'glichst  viele  die  hohere  Priifung  be- 
stehen.  Von  den  105,416  franzbsischen 
Volksschullehrern  haben  jetzt  nur  40,585 
das  hohere  Examen  gemacht.  Diese  be- 
ziehen  aber  jvahrend  der  ersten  15 
Dienstjahre  kein  hbheres  Gehalt  als  die, 
die  nur  das  Elementarexamen  gemacht 
haben.  (Man.  gen.) 

-  Bemerkenswert  ist  es,  dass  gerade 
in  Belgien,  einem  Lande,  das  durch  sei- 
nen  Handel  und  seine  Industrie  eine  her- 
vprragende  Stellung  unter  den  Nationen 
einnimmt,  einem  Lande,  das  verhaltnis- 
massig  die  grbsste  Bevolkerung  Europas 
auf weist,  die  Regierung  fiir  die 
Volksschulbildung  so  we- 
nig  Sorge  tragt.  Obwohl  die 
Klerikalen  seit  jeher  dies  zu  bemanteln 
suchten,  ist  nunmehr  von  der  Regierung 
selbst  durch  Statistik  vom  Jahre  1900 
festgestellt  worden,  dass  tatsachlich  auf 
3,499,618  Personen  von  den  Gemeinden, 
die  mehr  denn  5,000  Einwohner  aufzu- 
weisen  haben,  insgesamt  1,135,765  Perso- 
nen und  auf  3,103,930  Personen  von  den 
Gemeinden,  die  weniger  denn  5,000  Ein- 
wohner aufzuweisen  haben,  1,002,277 
Personen  weder  lesen  noch  schreiben 
kb'nnen.  —  Demnach  befinden  sich  unter 
den  6,693,548  Einwohnern  --  2,138,042 
Personen,  die  weder  imstande  sind,  ihren 
Namen  zu  lesen  noch  zu  schreiben. 

—  Bekanntlich,   so   schreiben   die   ,,D. 
Bl.  f.  erz.  Unt.",  ist  im  Friihjahr  in  Rom 
an   Stelle  der  alten  deutschen  Kapitol- 
schule  eine  allgemeine  deutsche 
S  c  h  u  1  e  mit  Hilfe  eines  Reichszuschus- 
ses     gegriindet     worden.      Gegen     diese 
Neugriindung    erhob    sich    Widerspruch 
von   zwei   Seiten,  von   katholischer  und 
von  evangelischer.    Es  wurde  von  diesen 
beiden      Seiten      die     Griindung     einer 
deutsch-katholischen    und    einer    prote- 
stantischen  Schule  angekiindigt  und  in 
Angriff  genommen.    Die  Schaffung  einer 
deutschen  protestantischen   Schule  nun, 
fiir  die  sich  ein  Ausschuss  seinerzeit  bil- 
dete,  ist  noch  nicht  durchgefiihrt.    Da- 
gegen  ist  nach  den  Mitteilungen  des  All- 
gemeinen    Deutschen    Schulvereins    der 
Plan   einer   deutsch-katholischen   Schule 
so  gut   wie   verwirklicht.    Fiir   die   Er- 
offnung  einer  solchen  Anstalt,  die  von 
den    fratres    carissimi    geleitet    werden 
soil,  ist  der  1.  Oktober  festgesetzt  wor- 
den. 

—  Die  deutsche  Schule  in  Konstanti- 
nopel  zahlte  letztes  Jahr  559  Schiiler. 


300 


Padagogische  Monatshefte. 


—  Der  Schulrat  von  Bergen  hat  den 
Antrag    auf    Einfiihrung    von    geinein- 
samem     Unterricht     fiir     Knaben     und 
Madchen  abgelehnt. 

—  In  Russland  leben  mehr  als  z  w  e  i 
Millionen     Deutsche.      In    Rus- 
sisch-Polen  allein  sind   1,200,000,  und  in 
der  Fabrikstadt  Lodz,  die  allgemein  als 
deutsche  Stadt  bezeichnet  \vird,  sind  35 
v.  H.  der  Einwohner  deutscher  Nationa- 
litat.     In  den  baltischen  Provinzen  sind 
300,000,    ira    ubrigen    Russland    600,000 
Deutsche.     Vor    allein     ist    Riga    iiber- 
wiegend    deutsch,    denn    es    zsihlt    unter 
175,000  Einwohnern     102,000     Deutsche. 
Petersburg  hat*  60,000,  Warschau  15,000, 
Odessa    12,000,     Kiew    70,000     und    das 
Gouvernement  Samara  200,000  Deutsche. 

—  Die     Nachfrage     nach     geeigneten 
Schullehrerinnen   fiir   SMafrika   wachst 
fortwiihrend.     Das      Educational     Com- 
mittee   der    Siidafrikanischen    Kolonisa- 
tions-Gesellschaft   hat   eine   grosse   Zahl 
Lehrkrafte  fiir  alle  Teile  Siidafrikas  ver- 
langt.   Das  Gehalt  in  der  Kapkolonie  be- 
tragt  an  Staatsschulen  und  vom  Staate 
unterstiitzten  Schulen  60  bis  300  Pfund 
Sterling  jahrlich.    Es  werden  Lehrkrafte 
gesucht  sowohl  fiir  den  Elementarunter- 
richt,   als   auch    fiir   das   hohere   Schul- 
wesen.  —  In  Grahamstown  hat  man  ein 
neues   ,,Secondary  Training  College"  er- 
richtet.     Die    Ausbildung    dauert     1 — 2 
Jahre.    Unterricht  und  Wohnung  kostet 
40  Pfd.  St.   Die  Regierung  bewilligt  Sti- 
pendien  von  20—40  Pfd.  St.  fiir  alle  be- 
sonders  geeigneten  Studenten,  wie  solche, 
die  in  Oxford  und  Cambridge  studiert  ha- 
ben  u.   s.  w.,   solchen,  die  einen  akade- 
mischen  Grad  erreicht  haben.    Bewerber, 
welche    im    ,,Training    College"    geniigt, 
linden   Anstellung  nach  Beendigung  des 
Kursus. 

—  Japan     hat     zwei     Handel  s- 
hochschulen,    in    Tokio    und   Kobe. 
Die    Handelshochschule    zu    Tokio    ging 
aus    einer    Privatschule    (Vicomte    Mori 
1875)    hervor  und  steht  seit  1885  unter 
Leitung    des    Unterrichtsministers.      Sie 
umfasst  einen  einjahrigen  Vorkurs,  drei 
Jahre  im  Hauptkurs  und  einen  hoheren 
Kurs    von    zwei    Jahren.     Facher    dea 
Hauptkurses       sind:         Kaufmannische 
Moral,     Handelskorrespondenz,     kaufm. 


Arithmetik,  Handelsgeographie,  Buch- 
haltung,  Maschinenlehre,  Warenkunde, 
Volkswirtschaft,  Finanzwirtschaft,  Sta- 
tistik,  Privatrecht,  Konkursrecht,  Han- 
delspolitik,  Volker-  und  internat.  Pri- 
vatrecht, Sprachen,  Kontorarbeiten, 
Turnen  und  militarische  tibungen.  Die 
Schiiler  des  hoheren  Kurses  konnen  das 
Doktorat  der  Handelswissenschaften  er- 
\verben.  Der  Handelshochschule  ist  ein 
Handelslehrerseminar  (2  Jahre),  das  die 
Ausbildung  der  Handelslehrer  zur  Auf- 
gabe  hat  und  ein  Handelsmuseum  ange- 
gliedert.  Zahl  der  Zoglinge  (1903):  1084, 
im  Handelslehrerseminar  28.  Die  Han- 
delshochschule zu  Kobe  wurde  im  Marz 
1903  eroffnet.  Eine  dritte  Anstalt  ist  in 
Nagasaki  geplant. 

—  Der  Krieg  und  die  japanische  Volks- 
schule.  Aus  Tokio  schreibt  man:  In 
Japan  gibt  es  109,000  Volksschullehrer. 
Davon  sind  nicht  weniger  als  36,000  in 
den  Krieg  gezogen.  Nun  waren  die 
Schulen  schon  vor  dem  Ausbruch  dea 
Krieges  mit  Lehrern  schlecht  versorgt; 
man  kann  sich  denken,  wie  jetzt,  wo  ein 
weiteres  Drittel  derselben  abgeht,  die 
Not  gross  ist.  Man  lasst  in  vielen 
Schulen  die  Lchrer  jetzt  schon  in  zwei 
Kursen,  vor-  und  nachmittags  unter- 
richten.  Das  hat  natiirlich  seine  grossen 
Nachteile  fiir  Lehrer  und  Schiiler.  Die 
einen  nutzt  man  zu  sehr  aus,  ohne  ihnen 
dafiir  einen  Gegenwert  in  Erhohung  des 
Lohnes  zu  geben,  die  anderen  werden 
weder  selbst  den  Unterricht  mit  glei- 
chem  Nutzen  wie  friiher  geniesen,  noeh 
werden  sie  vom  Lehrer  die  gleiche 
Frische  am  Nachmittag,  wie  am  Morgen 
erwarten  diirfen.  Dennoch  werden  schon 
Stimmen  laut,  dass  man  diese  Neuein- 
sichtung  auch  nach  dem  Kriege  beibe- 
halten  will,  um  zu  sparen.  Es  heisst 
schon  jetzt,  dass  man  vielleicht  einige 
der  Lehrerseminarien  aus  Geldmangel 
zeitweise  aufheben  werden  miisse.  Wenn 
man  bedenkt,  wie  Klaglich  der  Volks- 
schullehrer in  Japa"ii  bezahlt  wird  (mo- 
natlich  10  bis  12  Yen  =  24  bis  25  M!), 
und  wie  wenig  geachtet  die  Stellung  ist, 
die  er  einnimmt,  wird  man  dieser  Neu- 
ordnung  nur  mit  grosser  Besorgnis  ent- 
gegensehen  konnen. 


III.     Vermischtes. 


*  Die     Tanzlehrer     des     Konigreichs  monika  werden,  wo  sie  gebraucht  wur- 

Sachsen   haben   sich   dariiber   beschwert,  den,  jedenfalls  aus  der  Turnstunde  ver- 

dass    die    Madchen     schon     in     der  schwinden.     Dam  it    die    Madchen    aber 

Schule     tanzen     lernten,   wodurch  nicht    in    Versuchung    geraten,    etwaige 

sie,  die  Tanzlehrer,  natiirlich   in   ihrem  geradlinig  gelernte  Hopserschritte  rund- 

Broterwerb  geschmalert  wiirden.    Es  ist  herum  zu  probieren,  sind  jedenfalls  noch 

dann  auch  schleunigst  eine  Untersuchung  ernste    Erwagungen    in    den    beteiligten 

erfolgt,  ob  dem  so  sei.    Geige  und  Har-  Kreisen  notwendig.    Vielleicht  empfiehlt 


Vermischtes. 


301 


sich    die    Einfiihrung    einer    besonderen  dem  solche  Rohheiten  mit  ewigen  Strafen 

Inspektion  durch  Tanzlehrer,  meint  die  belegt    werden?"    —   Lange    Pause,    bis 

,,L.  L."  einer   den    Finger   hebt.    --    ,,Nun?"   — 

*  Der    Kaiser    und    die    Volksschulen.  Der  Kleine  ruft:  ,,Was  Gott  zusammen- 

Bei  seiner  Anwesenheit  in  Kadinen  be-  gefugt  hat,  soil  der  Mensch  nicht  schei- 

gab  sich  der  Kaiser,  wie  der  Graudenzer  den." 

,,Gesellige"  berichtet,  in  Begleitung  des  *  Wie  ein  Schulbube  sich  vom  Schul- 

Landrats  v.  Etzdorf  in  die  dortige  Leh-  besuch  befreien    wollte.     Einem    zwolf- 

rerwohnung,  wo  er  sich  einige  Zeit  mit  jahrigen  Bengel  in  Kl.-Koslau  passte  es 

der  Frau  des  Lehrers  unterhielt.   Hierbei  schon  lange  nicht  mehr,  zur  Schule  zu 

*»rkiinHicrt,«    sich    der  Kaiser    nach    der  crphpn.    TTm  ainh  Awnn  n.i/.i,  ^, ,;,,,,,-  M.,;_ 


erkundigte 
Schiilerzahl,  und  als  ihm  die  Auskunft 
wurde,  dass  58  Schiller  zu  unterrichten 
seien,  ausserte  der  Monarch  sich  dahin, 
dass  der  Lehrer  bei  solcher  Schiilerzahl 


gehen.  Urn  sich  davon  nach  seiner  Mei- 
nung  befreien  zu  konnen,  griff  er  zu 
folgendem  Mittel:  In  Abwesenheit  seiner 
Eltern  schnitt  er  sich  mit  dem  Kiichen- 
messer  die  Finger  der  rechten  Hand  voll- 


vermutlich  viel  Scherereien  habe.  Als  standig  ab  und  erwiderte  auf  Vorhaltun- 
der  Landrat  v.  Etzdorf  darauf  aufmerk-  gen  der  Eltern,  dass  es  ihm  ganz  recht 
sam  machte,  dass  bei  Erreichung  einer  sei,  wenn  er  ohne  Finger  herumlaufe, 
SAhiilprznhl  von  7ft  TCrinfpn.  scinor  MAI-  warum  hatten  sie  ihn  auch  immer  mit 

der  Schule  gequalt. 

*  Verfiigung  eines  Dorfschulzen.     ,,Ea 
ist  mich  zu  Ohren  gekommen,  dass  hier 
das  Vieh  mit  brennenden  Pfeifen  und  Zi- 
garren  gefiittert  wird.    Wer  es   wieder 
tut,     der     wird     ins     Spritzenhaus     ge- 
stochen." 

*  Juristendeutsch.  ,,Auf  die  Berufung 
des  Beklagten  wird  das  Urteil  pp  dahin 
abgeiindert,    dass    Beklagter    unter    Ab- 
weisung  des  Klagers  mit  seinem  weiter- 
gehenden  Antrage  verurteilt  wird  anzu- 
erkennen,  dass  dem  Klager,  als  Eigen- 

tiimer  des  Hofes  No.  x  zu  Th das 

Recht  zusteht,  iiber  das  b'stlich  der  Bau- 
und  Hofstelle  seines  Hofes  gelegene,  zu 
dem  Hof e     No.  z  zu  Th gehb'rige 


Schiilerzahl  von  70  Kopfen,  seiner  Mei 
nung  nach,  ein  zweiter  Lehrer  ange- 
stellt  werden  miisste,  meinte  der  Kaiser, 
dass  es  ,,wohl  eine  Menschequale- 
r  e  i  sein  miisse,  eine  so  hohe  Schiiler- 
zahl  zu  unterrichten." 

*  Morallehre  auf  Schulhefte.  Die 
Uinschlage  von  Schulheften  werden  jetzt 
in  Frankreich,  wie  die  ,,Papier-Zeitung" 
dem  Pariser  ,,Figaro"  entnimmt,  viel- 
fach  zur  Verbreitung  niitzlicher  Kennt- 
nisse  benutzt.  Eine  solche  Umschlag- 
seite  zeigt  eine  Abbildung  der  Lungen- 
heilstatte  von  Bligny.  Dr.  Maurice  Le- 
tulle  hat  zu  dem  Bilde  eine  klare  Er- 
klarung  geschrieben;  er  verschweigt 
nicht  die  Gefahren  der  furchtbaren 
Krankheit,  fiigt  aber  hinzu,  dass  die 
Tuberkulose  heilbar  ist,  und  gibt  niitz- 
liche  Vorsichtsmassregeln  und  wirksame 
Heilmittel  an.  Ein  anderes  Heft  weist 

auf  die  traurigen  Folgen  des  Alkohols  Beklagten  verbindenden  Briicke  in  der 
hin;  auf  der  einen  Seite  sieht  man  den  Breite  welche  sie  vor  der  vom  Klager 
niichternen  Arbeiter,  kraftig,  arbeits-  daran  vorgenommenen  Veriinderung 
lustig,  heiter  und  bereit,  den  schweren  hatte  beim  Transporte  von  Stroh  und 
Hammer  zu  schwingen,  auf  der  anderen  Heu  auf  den  Boden  seines  Hauses  vor  die 
den  unverbesserlichen  Trunkenbold,  des- 
sen  Aussehen  Abscheu  und  Mitleid  em- 


Grundstiick  des  Beklagten  mit  Wagen 
von  der  Dorfstrasse  aus  unter  Benutz- 
ung  der  diese  mit  dem  Grundstiicke  des 


in  der  Qstwand  dieses  Hauses  befindliche 
jiaustur  und  zum  Transport  von  Diinger 
flosst.    Weitere  Hefte  zeigen  die  Wohl-    yon  dem  hinter  seinem  Hause  gelegenen 


taten  des  Genossenschaftswesens. 


Hofe  und  von  Hoiz  nach  diesem  Hofe  zu 


*  Medizinerdeutsch.      ,,Die      Autopsie    fahren."(Aus  einem  richterlichen  Urteil.) 


N     der  alte 
fr  dir 


konstatierte  die  Existenz  einci  sanguino- 

lent  tingierten  Serums  im  Pericardium."       ^ A*^ch 

Hier  ist  kaum  ein  Wort  deu^sch     Und    £          jagdgeschichte  ~einen  Baren  auf- 

doch  konnte  man,  ohne  der  Wurde  der    *     unden  gzughaben , »  ,,Ach  geh' doch,  ich 

Wissenschaft   etwas    zu   vergeben,   ganz    * 

gut     sagen:     ,,Bei     der     Leichenoffnung 

zeigte  sich's,  dass  der  Herzbeutel  blutig 

gefarbte  Fliissigkeit  enthielt." 

*  Die  Schiiler  einer  Volksschulklasse 
haben  einer  Katze  den  Schwanz  abge- 
hauen.  Der  Pastor  erfahrt  von  der  Ge- 
schichte.  Am  nachsten  Morgen  erscheint 
er  in  der  Klasse  und  halt  den  Knaben  die 


mit 


d       ,aubt    er  glaubt,   ich 
*  > 

*  Prinzenunterricht.    Erzieher:     ,,Und 
was  ist  das  fiir  eine  Taube,  Hoheit?  — 
(Prinz  schweigt,  verlegen  lachelnd.)    — 
Erzieher:    ,,Ganz  richtig  Hoheit!   Es  ist 
eine  Lachtaube!" 

*  Guter  Rat.      ,,In     meinem     Jungen 


..v.,^...  ^.«  menem 

Schlechtigkeit  ihrer  Tat  vor.    k,',Wer"von    steckt  ein  Kiinstler!"  —  ,,Lassen  Sie  'a 
euch   weisa   denn   einen  Bibelspruch,   in    stecken!" 


B  liche  r  sch  a  u, 


I.    Zeitschriftenschau.  * 


The  Pedagogical  Seminary  (G.  Stanley  Hall,  editor),  Worcester,  Mass.,  vol.  XI, 
No.  1  (March  1904),  pp.  30—50:  W.  G.  Chambers,  How  Words  Get  Meaning. 

Ein  sehr  lehrreicher  Aufsatz.  Bietet  Proben  aus  den  Ergebnissen  einer  Umfrage, 
zu  deren  Beantwortung  die  Schiller  einer  Anzahl  offentlicher  Schulen  in  Minnesota 
aus  dem  Stegreif  sechs  ihnen  vorgelegte  Wb'rter  definieren  mussten,  und  zieht 
Schlussfolgerung  iiber  das  Wachstum  der  Begriffe,  die  allmahliche  Klarung  ver- 
schwommener  Vorstellungen,  Bereicherung  und  Vertiefung  bei  gleichzeitiger  Ver- 
engerung  des  Begriffsinhaltes  und  uingekehrt,  u.  s.  w.,  wie  auch  iiber  praktische 
Anforderungen  an  den  Unterricht,  die  sich  daraus  ableiten  lassen.  Auch  dem  Lehrer 
der  Fremdsprachen  bietet  die  Arbeit  viel  Interessantes,  obwohl  nur  von  der  Mutter- 
sprache  des  Schiilers  darin  die  Rede  ist;  denn  er  zeigt,  welche  Vorsicht  besondera 
beim  Gebrauch  einer  fremden  Sprache  im  Unterricht  geboten  ist,  damit  die  Schiiler 
erstens  einen  bestimmten  BegrifT,  zweitens  einen  anntihernd  richtigen  Begriff  mit 
einem  neu  erlernten  Worte  verbinden.  Die  praktische  Forderung,  die  sich  fiir  den 
fremdsprachlichen  Unterricht  aus  der  Untersuchung  ergabe,  ware  also  haufige 
Kontrolle  des  Wortschatzes  dureh  tibersetzung  in  die  Muttersprache  des  Schiilera 
oder  durch  moglichst  vielseitige  Begriffsumgrenzung  in  einfachen  Ausdriicken  der 
Fremdsprache. 

Sammlung  von  Abhandlungen  aus  dem  Gebiet  der  padagogischen  Psychologie 
und  Physiologic,  herausgegeben  von  Prof.  Th.  Ziegler  (Strassburg)  und  Th.  Ziehen 
(Berlin),  Band  VII,  No.  4  (Berlin  1904):  Dr.  Bruno  Eggert  (Oberlehrer  in  Frank- 
furt a.  M.),  Der  psychologische  Zusammenhang  in  der  Didaktik  des  neusprachlichen 
Reformunterrichts.  74  S.  8. 

Eine  bedeutsame,  unsers  Wissens  die  erste  Untersuchung  iiber  didaktische 
Forderungen  im  fremdsprachlichen  Unterricht  auf  psychologischer  Grundlage.  Der 
Verfasser  vertritt  darin  die  Anschauungen  der  deutschen  Reformbewegung  und 
zwar  die  des  radikalen  Lagers,  das  alle  tibersetzung  in  die  und  aus  der  Mutter- 
sprache des  Schiilers  verwirft  und  den  Gebrauch  der  Fremdsprache  im  Unterricht 
konsequent  durchgefiihrt  wissen  will;  und  diese  Forderungen  werden  aus  allgemein 
psychologischen  Gesetzen  abgeleitet.  Ein  nachhaltiger  Einfluss  auf  die  Gestaltung 
des  neusprachlichen  Unterrichts  und  die  Durchfiihrung  der  Forderungen  der  Reform 
diirfte  aber  nur  mittelbar  von  dieser  Schrift  ausgehen,  da  der  Verfasser  eingehende- 
Bekanntschaft  mit  der  philosophischen  Ausdrucksweise  voraussetzt  und  ein  Ein- 
dringen  in  den  Gang  der  Untersuchung  ein  ansehnliches  Stuck  Arbeit  erfordert. 


*)  Unter  dieser  Rubrik  planen  wir  eine  kurze  tibersicht  iiber  die  wichtigsten 
Artikel  in  Zeitschriften  verwandten  Inhaltes  und  sonstige  einschliigige  Erscheinun- 
gen  zu  geben.  Wahrend  manche  Aufsiitze  nur  mit  dem  Titel  genannt  werden  sollenr 
werden  wir  von  andern  kurze  Inhaltsangaben  bringen.  Vorerst  ist  nur  ein  ge- 
legentlicher  Bericht  iiber  anderwarts  erschienene  Arbeiten  auf  unserem  Gebiete  vor-- 
gesehen;  doch  ist  eine  Erweiterung  in  der  Aufnahme  von  Fachblattern  und  regel- 
massiges  monatliches  Erscheinen  der  Zeitschriftenschau  fiir  spaterhin  in  Aussicht 
genommen. 


Zeitschriftenschau.  303 

The  School  Review  (University  of  Chicago  Press),  June,  1904,  pp.  441 461: 

Cloudesley  Breseton,  The  Teaching  of  Modern  Languages  in  England. 

Kurze  Obersicht  iiber  den  gegenwartigen  Zustand  des  neusprachlichen  Unter- 
richts  an  den  englischen  Sekundiirschulen,  Methoden  und  Ziele.  Wir  erfahren  hier, 
class  auch  in  England  die  Reform  sich  fast  uberall  Bahn  gebrochen  hat;  der  Ver- 
fasser  teilt  die  Lehrerschaft  nach  der  Analogie  eines  Parlaments  in  eine  konser- 
vative  Rechte,  ein  vermittelndes  Zentrum  und  eine  radikale  Linke;  den  Ta<*  be- 
hauptet  jetzt  der  linke  Fliigel  des  Zentrums,  d.  h.  die  gemassigte  Reform.  Speziell 
englisch  ist  das  Vorwiegen  des  Unterrichts  im  Franzbsischen,  wiihrend  das  Deutsche 
dort  eine  weniger  wichtige  Rolle  spielt;  auch  der  Verfasser  neigt  zu  der  Ansicht, 
das  Franzb'sische  \verde  in  England  noch  lange  den  Vorrang  vor  andern  Fremd- 
sprachen  behalten. 

-  pp.  468 — 472:   Adolphe  Cohn,  The  Adjustment  between  Secondary 
School  and  College  Work  in  Modern  Languages. 

Eine  Aufgabe,  die  zu  den  vornehmsten  der  National  Educational  Association 
gehb'ren  sollte  und  wohl  erst  in  Jahrzehnten  zu  vb'llig  befriedigendem  Abschluss  ge- 
langen  wird,  besonders  da  die  Bewegung,  den  Lehrgang  der  Sekundiirschule  nach 
unten  hin  auszudehnen  und  die  letzten  zwei  Jahre  der  Elementarschule  einzube- 
ziehen,  immer  mehr  erstarkt.  Eine  Seite  der  Frage  wird  in  nitchster  Zukunft  hier 
in  Wisconsin  zur  Verhandlung  kommen,  indem  voraussichtlich  Ausschiisse  aus 
Vertretern  der  SekundJirschulen  und  der  Staatsuniversitat  eine  Liste  von  Texten 
ausarbeiten  werden,  die  dem  zvveijahrigen  Lehrgang  im  Deutschen  an  Sekundiir- 
schulen  (der  vierjahrige  wird  davon  kaum  beriihrt  werden),  und  solchen,  die  dem 
deutschen  Unterricht  tin  der  Universitat  vorbehalten  bleiben  sollen.  Es  ist  nicht  zu 
befiirchten,  dass  bei  der  ausserordentlichen  Mannigfaltigkeit  an  Textbiichern  und 
bei  der  Schnelligkeit,  mit  der  fortwiihrend  neue  erscheinen,  solche  ausschliesslichen 
Listen  zu  eng  gefasst  werden  und  nicht  jeder  Geschmack  befriedigt  werden  kbnnte. 
Weniger  leicht  diirfte  eine  andere  Seite  der  Frage  zu  erledigen  sein,  niimlich  wie 
etwa  das  Pensum  der  Grammatik  auf  die  verschiedenen  Schulen  zu  verteilen  ware; 
und  die  grossten  Schwierigkeiten  werden  sich  der  Erledigung  der  Frage  in  den  Weg 
stellen,  wieweit  die  Unterrichtsweise  in  der  Sekundiirschule  einheitlich  auszubilden 
ware,  um  sowohl  den  berechtigteri  Erwartungen  hinsichtlich  einer  verhiiltnis- 
massig  abschliessenden  Mittelschulbildung  als  auch  den  angemessenen  Forderun- 
gen  der  Universitat  beziiglich  einer  annehmbaren  Vorbildting  fiir  ihre  Arbeit  in 
gleicher  Weise  zu  entsprechen.  —  Prof.  Cohns  Aufsatz  enthalt  drei  Forderungen: 
1.  Sekundarschule  und  College  sollten  nicht  beide  im  fremd.sprachlichen  Unterricht 
sprache  muss  also  der  Sekundarschule  zuf alien,  und  zwar,  (a)  weil  viele  Schiiler 
dieseiben  Kurse  auf  ihrem  Lehrplan  haben.  2.  Der  Anfangsunterricht  in  der  Fremd- 
dieser  Anstalten  kein  College  besuchen  kb'nnen,  Kenntnis  einer  modernen  Fremd- 
sprache  aber  als  allgemein  bildenden  Faches  ihnen  niclit  vorenthalten  werden  darf, 
(b)  weil  die  Schiiler  im  Sekundiirschulalter  gewisse  Phasen  des  Sprachunterrichtes, 
z.  B.  das  Sprechenlernen,  leichter  bemeistern  als  in  hb'herem  Alter.  3.  Die  Sekun- 
darschulen  sollten  sich  nicht  damit  begniigen,  ihren  Zbglingen  nur  soviel  Kenntnis 
der  Fremdsprache  beibringen  zu  konnen,  dass  diese  den  geringsten  Anforderungen 
zum  Eintritt  ins  College  entsprechen,  sondern,  zum  Teil  schon  aus  den  unter  (2) 
genannten  Griinden,  es  ihren  Abiturienten  ermb'glichen,  beim  Eintritt  ins  College 
hohere  Kurse  zu  belegen,  die  anfiinglich  teilweise,  spater  vollstandig  in  der  Fremd- 
sprache gefiihrt  werden  konnen. 

pp.  482 — 490:  Leigh  R.  Gregor,  Translation. 

Befasst  sich  erstens  mit  der  ttbersetzung  als  Kunst  und  ihren  besondern  Auf- 
gaben,  wie  der  Notwendigkeit  bewussten  oder  unbewussten  Studiums  des  nach  Per- 


304  Padagogische  Monatshefte. 

sb'nlichkeit  des  Verfassers  und  Inhalt  fiir  jeden  einzelnen  Fall  \\-echselnden  Stils. 
Daraus  werden  dann  im  zweiten  Teile  der  Abhandlung  die  Forderungen  fiir  tiber- 
setzungen  im  Unterricht  abgeleitet;  verlangt  wird  die  dynamische  An*passung  des 
Einzehvortes,  von  dem  auch  das  beste  Worterbuch  in  der  Regel  nur  die  statischen 
Werte  verzeichnen  kann,  an  die  wechselnde  Umgebung,  d.  h.  ubersetzung  in  ganzen 
Satzen  und  nicht  in  einzelnen  Wortern;  der  Verfasser  tritt  darum  auch  ftir  Her- 
stellung  von  Spezialworterbiichern  zu  den  Schultexten  ein,  an  die  er  mit  Bezug  auf 
Genauigkeit  und  Reichhaltigkeit  die  hochsten  Anforderungen  gestellt  zu  sehen 
wiinscht. 

pp.  491 — 501:   Maxirae  Ingres,  The  Teaching  of  Modern  Languages 

under  Present  Conditions. 

Erne  sehr  geistreiche,  —  leider  nur  zu  geistreiche  Erb'rterung  iiber  alle  mb'g- 
lichen  mit  dem  Spraelistudium  zusammenhangenden  Fragen,  die  jeder  Lehrer  gerne 
lesen,  und  aus  der  nur  der  Tausendste  unmittelbaren  Xutzen  ziehen  wird.  In  der 
Einleitung  verurteilt  der  Verfasser  die  Beschaftigung  mit  der  griechischen  und 
lateinischen  Sprache  und  Literatur  in  Bausch  und  Bogen,  wobei  er  vollig  iibersieht, 
wie  schwer  das  gerade  das  Ansehen  der  von  ihm  iiber  Gebiihr  hochgeschatzten 
Literatur  des  Zeitalters  Ludwigs  XIV.,  besonders  Corneilles,  erschiittern  miisste. 
Die  Sprache  will  er  dtirchweg  als  Kunst  behandelt  wissen;  von  der  Wissenschaft  im 
allgemeinen  hat  er  keine  sonderlich  hohe  Meinung;  ganz  besonders  aber  giesst  er 
die  Schale  seines  Zornes  aus  iiber  die  Verblendeten,  die  da  meinen,  anders  als  durch 
allerstrikteste  Verbannung  der  Muttersprache  des  Schiilers  aus  dem  Schulzimmer 
ihren  Zoglingen  etwas  von  einer  Fremdsprache  beibringen  zu  konnen.  Vom  wahren 
Lehrer  meint  er,  er  werde  geboren,  nicht  gemacht,  so  wie  der  Kiinstler;  —  dem- 
gegeniiber  moge  einmal  hier  ausgesprochen  werden,  dass  dieser  romische  Satz  in 
der  iibfichen  Ubertreibung  von  einer  erschreckend  leichtfertigen  Auffassung  des 
kiinstlerischen  Schaffens  zeugt,  einer  Auffassung,  die  ethisch  und  intellektuell  nicht 
hoher  steht  als  der  Ausspruch  des  deutschen  Bauers,  das  Dichten  sei  miissiger  Er- 
werb;  das  Leben  und  Wirken  unserer  Grb'ssten  beweist,  dass  der  Kiinstler  wohl 
nicht  von  aussen  her  gemacht  werden  kann  (und  doch,  wie  viel  verdankt  auch  daa 
Genie  so  oft  seiner  Umgebung!),  dass  er  aber  mit  bewusster,  schwerer  Arbeit  sick 
selbst  schaffen  muss,  auf  dass  der  Gottesfunke  in  ihm  nicht  zum  ziellosen  Spriih- 
feuer  werde,  sondern  anwachse  zu  dem  ,,stillen  grossen  Leuchten"  auf  den  hochsten 
Gipfeln  der  Menschheit.  Und  die  Anzahl  der  wahren  Lehrer,  meint  der  Verfasser, 
sei  in  einer  Generation  und  in  einem  Lande  noch  geringer  als  die  der  grossen  Kiinst- 
ler. In  diesem  Punkte  ist  der  Aufsatz  geeignet,  gerade  dem  gewissenhaften  Lehrer 
seinen  Beruf  zu  verleiden  (wenn  er  den  Aufsatz  ernst  nimmt) ;  vielleicht  folgt  der 
und  jener  dem  hier  erteilten  Rate,  Maurer  zu  werden;  auch  dass  Arbeiter  auf  dem 
Lande  und  Dienstmadchen  iinmer  gesucht  sind,  erfahren  wir.  Der  Lehrer  aber, 
meinen  wir,  der  mit  ehrlicher  Begeisterung,  Liebe  zur  Jugend,  Vertrauen  zur 
Menschheit  (griindliche  Bildung  ist  vorausgesetzt)  seines  Amtes  waltet,  mag  sich 
einstweilen  immer  noch  trosten;  wer  immer  strebend  sich  bemiiht,  —  fiir  den 
Rest  des  Zitats  mache  sich  jeder  selbst  seinen  Vers.  Recht  charakteristisch  ist  der 
Satz,  der  vom  Lehrer  zeichnerische  Fahigkeiten  und  noch  mehr  schauspielerisches 
Talent  verlangt,  da  sich  manche  Sachen  nicht  zeichnen  lassen,  aber  fast  alles  und 
jegliches  mimen  lasst.  Ja,  wenn  der  Lehrer  ein  Komodiant  ist,  wie  das  denn  wohl 
zu  Zeiten  kommen  mag!  Hier  spricht  der  Romane,  der  ja  eine  langere  Unter- 
haltung  fiihren  kann,  ohne  dabei  den  Mund  zu  Hiilfe  zu  nehmen.  —  Bei  der  stetig 
fortschreitenden  Vermehrung  der  Lehrgegenstiinde  und  den  immer  hoheren  An- 
forderungen an  die  Schiiler  ist  wohl  schon  mancher  auf  den  Gedanken  gekommen, 
den  der  Verfasser  am  Schlusse  etwas  zaghafter  ausspricht,  als  das  sonst  seine  Art 


Zeitschriftenschau. 


305 


ist:  man  konnte  ja  andere  Leln-gegenstande  mit  dem  fremdsprachlichen  Unterricht 
verbinden.  Also  z.  B.  Mathematik  auf  Franzosisch,  Geschichte  auf  Deutsch,  Botanik 
auf  Spanisch  lehren??  und  sollte  dann  der  regelrechte  SprachunteiTicht  wegfallen? 
wie  sollte  die  Teilung  der  Facher  unter  die  Sprachen  vorgenommen  werden?  und 
wie,  wenn  an  einer  Schule  nur  eine  Fremdsprache  gelehrt  wird?  Die  Idee  lasst  sich 
mit  Erfolg  —  nach  Beweisen  brauchen  wir  nicht  lange  zu  suchen  —  verwirklichen, 
aber  nur  an  Schulen,  deren  Zoglinge  von  Hause  aus  die  Kenntnis  zweier  Sprachen 
mitbringen;  an  andern  Anstalten,  also  an  der  iiberwaltigenden  Mehrheit  der 
Schulen,  lasst  sich  weder  heute  noch  in  aller  Zukunft  davon  traumen.  —  Wenn  auch 
stellenweise  bizarr,  auf  jeder  Seite  zum  Widerspruch  herausfordernd,  und  nicht 
immer  konsequent,  so  enthalt  der  Artikel  doch  nachhaltige  Anregungen  in  Fiille; 
und  dass  er  aus  der  Feder  eines  tiichtigen,  erfolgreichen  und  schaffensfrohen  Lehrers 
stammt,  bezweifeln  wir  keinen  Augenblick.  Edwin  C.  Roedder. 

II.     Jugendschriften  -Verzeichnis. 


In  dem  Novemberhefte  des  dritten  Jahrganges  (1902)  der  P.  M.  veroffentlichten 
wir  ein  Verzeichnis  empfehlenswerter  Jugendlektiire,  welches  nach  einer  von  den 
vereinigten  deutschen  Priifungsausschiissen  fiir  Jugendlekttire  hergestellten  Liste 
angefertigt  wurde.  Die  folgende  Liste  enthalt  die  Biicher,  welche  nach  Abschluss 
des  letzten  Verzeichnisses  neu  aufgenommen  worden  sind.  Bei  Benutzung  gelten 
selbstverstiindlich  dieselben  Winke,  die  wir  der  zuerst  veroffentlichten  Liste  bei- 
f  iigten :  Die  Altersgrenzen  sind  fiir  deutsche  Kinder 
berechnet  und  werden  bei  uns  teilweise  hinaus- 
geschoben  werden  miissen,  je  nach  der  sprach lichen  Ausbildung  der 
Kinder;  das  Urteil  dariiber  muss  selbstverstfindlich  Eltern  oder  Lelirern  iiberlassen 
bleiben.  Vor  dem  Preise  ist  in  Klammern  der  Verlag  angegeben.  Bei  Be-stellung 
durch  hiesige  Buchhandlungen  wird  es  ratsam  sein,  diesen  Verlag  anzugeben,  um 
den  Bezug  der  Biicher  zu  erleichtern. 


I.  Fiir  jedes  Alter  geeignet. 

1.  R  i  c  h  t  e  r,    L.,    Familienschatz.    (50 
Holzschnitte.)     (Wiegand  -  Leipzig.) 
3  M. 

II.  Vom  8.  Jahre  an. 

2.  Gerlachs    Jugendbticherei. 
Bee  h  stein,    Miirchen.     Farb.    ill. 
v.  Fahringer.    1,50  M. 

3.  L  e  h  m  e  n  s  i  c  k,    Thiiringer    Sagen. 
'  (Bredt.)   1,25  M. 

4.  M  o  s  e  r  -  K  o  1  Ib  r  u  n  n  e  r,  Jugend- 
land.    Band  II.    (Gesch.  u.  Ged.  farb. 
ill.)     (Kitnzli-Ziirich.)   5  M. 

II.  Vom   10.   Jahre  an. 

5.  D  a  h  n  h  a  r  d  t,  Deutsches   Marchen- 
buch.     Illustr.    v.    Kuithan.     (Teub- 
ner.)  2,20  M. 

6.  F  i  c  k,    Die    schonsten     Sagen     aus 
Rheinland  und  Westfalen.  (Wiegand- 
Hilchenbach.)   1,50  M. 

7.  Gerlachs       Jugendbii- 
c  h  e  r  e  i,  Till  Eulenspiegel.  Farb.  ill. 
v.  Weissgerber.  1,50  M. 

8.  H  a  u  f  f,  Zwerg  Nase.  (Ein  Marchen.) 

(Seemann.)    Illustr.  v.  Tiemann.  4  M. 

9.  Schneider,  Deutschland  in  Lied, 


Volksmund    und    Sage.      (Wiegand- 
Hilchenbach.)    0,90  M. 

IV.  Vom  13.  Jahre  an. 

10.  A  m  e  i  1  a  n,     Aus     Urvater     Tagen. 
(Gotter-  und  Heldensagen.)   (Meidin- 
ger.)    3  M. 

11.  B  e  i  e  r  1  e  i  n,  Bei  den  roten   India- 
nern.      Erlebnisse    eines    Missionars. 
(Richter-Dresden.)   0,70  M. 

12.  D  o  n  a  t  h,       Physikal.        Spielbuch. 
(Vieweg -Braunschweig.)  4  M. 

13.  Fischer.  Das  Licht  im  Elendhause. 
(Erzjihlung.)        (Wiesbad.      Volksb.) 
0,15  M.  ungeb. 

14.  L  e  n  k,     Wanderungen     der     Buren. 
(Reclam..)  0,20  M.  ungeb. 

15.  L  i  1  i  e  n  c  o  r  n,       Umzingelt.        Der 
Richtungspunkt.    (2  Kriegsnovellen.) 
(Wiesb.  Volksb.)  0,10  M.  ungeb. 

16.  M  a  i  s  t  r  e.     Die     junge     Sibirierin. 

(Erz.)     (Bibl.  Inst.)  0,10  M.  ungeb. 

17.  M  o  h  a  u  p  t,     Gesundheitsspiegel. 
(Henkel-Tetschen.)  2  M. 

18.  Mvigge,   Sam   Wiebe.     (Erz.)    (5h- 
migke.)   0,40  M.  ungeb. 

19.  O  b  e  r  1  a  n  d  e  r,     Kent     Kane,     der 
Nordpolfahrer.    (Spamer.)  5  M. 


306 


Padagogische  Monatshefte. 


20.  Rosegger      -      Schmittham- 
m  e  r,   Sein   Geld   will  er  haben   und 
and.   Gesch.     (Verein   f.   V.  g.   Schr., 
Bern.)  0,15  M.  ungeb. 

21.  S  c  h  in  i  e  d  g  e  n,   Nansens   Nordpol- 
fahrt.    (Perthes.)  4  M. 

22.  Vogel,    Gliickskindle.      (Munchen.) 
(Waetzel-Freiburg.)  111.  v.  J.  Gehrts. 
4,50  M. 

23.  W  e  b  e  r,    E.,    Der    deutsche    Spiel- 
mann.  (Geb.,  Marchen  Erz.)  7  Bande 
a  1  M.  mit  farb.  Bildern.    (Calwey- 
Mtinchen. 

1.  Kindheit,  ill.  v.  Kreidholf. 

2.  Wanderer,  ill.  v.  Cissarz. 

3.  Wald,  ill.  v.  Weingartner. 

4.  Hochland,  ill.  v.  Hoch. 

5.  Meer,  ill.  v.  Cissarz. 

6.  Helden,  ill.  v.  Weingartner. 

7.  Schalk,  ill.  v.  Diez. 

24.  W  e  h  e  r,  F.,  Der  Schmied  v.  Ochsen- 
furt.    (Ged.)    (Lehmann.)   3  M. 

25.  W  e  i  s  e,      Deutscher      Liederschatz. 
(Weise-Berlin.)  0,20  M.  ungeb. 

26.  W  e  r  n  e  r,  Erinnerungen  u.  Bilder  a. 
d.    Seeleben.     (Allg.   Verein   f.    Lit.) 
8  M. 

27.  W  e  r  n  e  r,  Salzwasser.    (Erz.)    (Allg. 
Ver.  f.  Lit.)  6  M. 

28.  W  i  s  s  e  r,   Wat    Grotmoder   vertellt. 
(Plattdeutsche      Marchen.)       (Diede- 
richs.)   0,75  M. 

29.  N  e  u  e  s      Schatzkastlein,      2 
B-indchen   a   0,90  M.     (Wiegand-Hil- 
ehenbach.)    (Erz.   v.   Amicis,   Miigge, 
Frommel  etc.) 

V.  Fiir  die  reifere  Jugend. 

30.  Andersen,  Marchen.    111.  .v.  Teg- 
ner.    (Neff.)  12  M. 


31.  Brentano,  Chronika  eines  fahren- 
den    Schiilers.      (Winter-Heidelberg.) 
4,50  M. 

32.  Eckstein,    Der    Kampf    zwischen 
Mensch  und  Tier.    (Teubner.)  1,25  M. 

33.  En  gel,    Herr    Lorenz    Stark.     (No- 
velle.)    (Ohmigke.)  0,40  M.  ungeb. 

34.  F  r  e  y  t  a  g,      Ingo      und      Ingraban. 
(Hist.  Erz.)     (Hirzel.)  7  M. 

35.  Frommel,   Nach    des    Tages   Last 
und  Hitze.    (Steinkopf.  4,20  M. 

36.  Gerlachs       Jugendbii- 
c  h  e  r  e  i,  Eichendorfs  Gedichte.  Ill  v. 
Horst-Schulze.  1,50  M. 

37.  G  o  1 1  h  e  1  f ,      Elsi,      die      seltsame 
Magd.    (Erz.)     (Wiesb.  Volksb.)  0,10 
M.  ungeb. 

39.  H  a  u  f  f,  Das  Bild  des  Kaisers.  (No- 
velle.)     (Ohmigke.)      0,40     M.     geb. 
(Biou-Bern.)     0,20  M.  ungeb. 

40.  J  a  n  s  o  n,     Meeresforschung     und 
Meeresleben.    (Teubner.)    1  M. 

41.  Kipling,    Brave    Seeleute.     (Vita- 
Berlin.)  4  M. 

42.  L  a  s  s  a  r   -   C  o  h  n,  Die  Chemie  im 
tagl.  Leben.     (Voss-Hamburg.)   4  M. 

43.  Meyer,  Eine  Amerikafahrt  1492  u. 
1892.    (H.  Patel.)   0,80  M. 

44.  M  eve  r,     Ludwig     u.      Annemarie. 
(Doffgesch.)    (Reclam.)   0,20  M. 

45.  R  a  a  b  e,      Die      schwarze      Galeere. 
(Hist.    Erz.)      (Wiesb.   Volksb.)    0,15 
M.  ungeb. 

46.  Rinne,     Kasana.       (Eine     Celebes- 
fahrt.)    (Hohn-Hanover.)   4,50  M. 

47.  Sohnrey,  Hiitte  u.  Schloss   (Erz.) 
Warneck-Berlin.)  4  M. 

48.  W  o  r  g  i  t  z  k  y,     Bliitengeheimnisse. 
(Blvitenbiologie.)    (Teubner.)  3  M. 


III.     Bucherbesprechungejn. 


Flachsmann  als  Erzieher.  A  comedy 
by  Otto  Ernst.  Edited  with  notes 
and  vocabulary  by  Elizabeth 
Kingsbury,  VII  -|-  109  pp.  Boston 
Ginn  and  Co.,  1904.  List  price,  40  cents. 

Was  man  wohl  in  Deutschland  dazu 
sagen  wird,  dass  man  nunmehr  den 
Flachsmann  hierzulande  als  Schulbuch 
herausgegeben  hat?  Das  Stiick  hat  im 
ersten  Jahre  seines  Bestehens  iiber  acht- 
hundert  Auffiihrungen  erlebt;  1902 — 3 
war  die  Anzahl  freilich  bereits  auf  etwas 
iiber  dreihundert  gesunken;  fiir  das 
letzte  Theaterjahr  fehlen  mir  die  An- 
gaben.  Der  buchhandlerische  Erfolg 
scheint  nicht  gleichen  Schritt  gehalten 
zu  haben,  wenn  wirklich  erst  fiinfzehn- 
tausend  Exemplare  des  Stiickes  verkauft 
worden  sind.  Immerhin  noch  Zahlen,  die 
sich  sehen  lassen  konnen!  Und  trotzdein 


scheint  man  iiber  Flachsmann  als  Er- 
zieher zur  Tagesordnung  xibergegangen 
zu  sein;  und  die  Griinde  dafiir  sind  ge- 
wichtiger  als  der  naturgemasse  Riick- 
schlag  nach  einer  aussergewohnlichen 
Wirkung.  Nichtsdestoweniger  ist  es  ein 
Werk,  das  ein  Lehrer  immer  wieder  ein- 
mal,  wenn  auch  nur  in  kleinen  Teilen, 
mit  Nutzen  und  mit  Anregung  lesen 
wird;  ware  es  auch  nur  das  Privatissi- 
mum,  das  Flemming  dem  Bildungs- 
schuster  iiber  die  Eigenschaften  des 
wahren  Lehrers  liest;  oder  die  Szene,  wo 
der  Held  vor  dem  Bilde  Pestalozzis  sich 
nach  der  grossen  Liebe  sehnt;  oder  des 
Schulrats  Wort  ,,Arbeiten,  dann  kommt 
die  Begeisterung ! "  Ob  aber  die  Lektiire 
bei  denen,  fiir  die  die  Ausgabe  doch 
hauptsiichlich  bestimmt  ist,  nicht  leicht 
schadlich  werden  kb'nnte?  ob  unreife 


Biicherbesprechungen. 


307 


Kopfe  sich  da  nicht  allzuleicht,  allzu- 
gern  zu  schlimmen  Verallgemeinerungen 
werden  verleiten  lassen?  Mir  ist  von  der 
hiesigen  Auffiihrung  im  April  1902  noch 
sehr  wohl  in  Erinnerung,  welch  merk- 
wiirdigen  Eindruck  selbst  hochgebildete 
Amerikaner  mitfortnahmen.  Ich  ver- 
weise  auch  auf  die  schonen  Ausfiihrun- 
gen  Prof.  Burckhardts,  die  seinerzeit  in 
dieser  Zeitschrift  erschienen,  (Band  II, 
S.  224  ff.  und  253  ff.)  Fiir  mich  sind 
iibrigens  solch  idyllische  Zustande  wie 
•die  in  der  Schule  Flachsmanns  unglaub- 
lich,  selbst  wenn  wirklich  beim  heiligen 
Bureaukrazius  nichts  unmoglich  ist.  Auf 
alle  Fiille  wiiren  die  tibertreibungen  und 
Verzerrungen  des  Dramas  in  der  Ein- 
leitung  (nicht  im  Vorwort,  dessen 
Schicksal  es  ja  ist,  nicht  gelesen  zu  wer- 
den) und  den  Anmerkungen  viel  scharfer 
hervorzuheben,  als  es  in  unserer  Ausgabe 
geschieht;  und  der  Lehrer,  der  das  Ganze 
f  iir  baare  Miinze  nimmt,  lasse  die  Hande 
von  dem  Buch,  oder  er  wird  schlimmes 
Unheil  anrichten.  Wer  sich  getraut,  dies 
vermeiden  zu  kb'nnen,  wird  der  Heraus- 
geberin  ftir  ihre  fleissige  Arbeit  dankbar 
sein.  Xur  ist  davor  zu  warnen,  den  gan- 
zen  Text  als  Grundlage  fur  Gesprache 
benutzen  zu  wollen;  und  die  Heraus- 
geberin  hatte  gut  getan,1"  die  betreffenden 
Teile  zu  bezeichnen;  tibertragungen  dia- 
lektischer  Reden  in  gutes  Schriftdeutsch, 
so  der  Erzahlung  Brockmanns  of  S.  20, 
in  den  Anmerkungen  oder  noch  besser 
unter  dem  Texte  waren  ratsam  gewesen 
und  hiitten  den  Umfang  des  Buches  nicht 
sonderlich  vermehrt.  Ohnehin  wiirde  ich 
das  Stiick  nicht  fiir  das  zweite  oder 
dritte  Jahr  des  deutschen  Lehrganges  an 
einer  Sekundarschule  empfehlen,  son- 
dern  es  sowohl  aus  sprachlichen  wie  in- 
haltlichen  Griinden  dem  Studium  an 
College  oder  Universitat  vorbehalten. 

In  den  Anmerkungen  vermisse  ich  eine 
Erkliirung  des  Titels,  der  wie  eine  Un- 
menge  anderer  (z.  B.  ,,Bismarck  bezw. 
Moltke,  Goethe,  —  —  Meier,  Miiller, 
Schulze,  als  Erzieher)  auf  Langbehns 
Buch  ,,Rembrandt  als  Erzieher"  zuriick- 
zufiihren  ist  (vergl.  S.  55,  Z.  11).  An- 
merkungen waren  ferner  erwiinscht  zu 
S.  5,  Z.  3  (wenn  das  Buch  wirklich  so 
frtih  iin  deutschen  Lehrgang  gelesen 
werden  soil);  S.  10,  Z.  11,  wo  eine 
tibersetzung  ins  Englische  nicht  geniigt; 
S.  11,  Z.  20,  zur  Erklarung  des  recht 
faden  Kalauers;  S.  12,  Z.  1,  zur  Urform 
des  Zitats;  S.  14,' Z.  10  (Anspielung  auf 
Gottfried  Kellers  Tanzlegendchen ) ;  S. 
18,  Z.  15  u.  6.  zu  jaa;  S.  19,  Z.  21,  Ver- 
•weis  auf  S.  9,  Z.  13;  S.  22,  Z.  28  so'n 
Spass;  Z.  29  u.  6.  denn  fiir  dann;  S.  23, 
Z.  29,  zu  Genie,  das  die  Sprecherin  von 
genieren  ableitet.  Solo  (S.  6,  Z.  29)  ist 


kein  solitaire,  den  die  Deutschen  mit 
Patience  bezeichnen,  sondern  eine  milde 
Form  des  Skats.  —  An  Druckfehlern  sind 
mir  aufgef alien:  S.  15,  Z.  2  einigermassen 
(statt  sz);  Z.  5  sriiher  (friiher) ;  S.  47, 
Z.  9  lautet  (statt  lautet) ;  S.  51,  Z.  26 
das  (dass)  er  mehr  kann;  S.  68,  Z.  20, 
stehend  (statt  stehen);  S.  70,  Z.  14 — 15 
Schamloseste — Schaffen  (klein  zu  schrei- 
ben);  S.  80,  Z.  21  Madschenschule ;  S. 
102,  Z.  16  Besehl  (statt  Befehl).  Die 
hiiung  gebrauchte  Form  jawoll  statt  ja- 
wohl  war  in  den  Anmerkungen  oder  im 
Worterbuch  als  abweichende  Aussprache 
zu  kennzeichnen. 

Zum  Schlusse  kann  ich  ein  grundsatz- 
liches  Bedenken  nicht  unterdriicken.  Die 
Herausgeberin,  fiirchte  ich,  kam  auf  den 
Gedanken,  das  Stiick  der  Schule  zugang- 
lich  zu  machen,  zu  einer  Zeit,  als  es  noch 
auf  dem  Hohepunkte  seiner  Beriihmtheit 
stand,  und  nicht  lediglich  seines  literari- 
schen  und  dramatischen  Wertes  wegen. 
Ohne  nun  dem  vorliegenden  Stiicke  sol- 
chen  Wert  absprechen  zu  wollen,  erlaube 
ich  mir  die  Frage:  wohin  steuern  wir, 
wenn  der  Tageserfolg  unsern  Kurs  beein- 
flussen  oder  gar  bestimmen  darf?  Mils- 
sen  wir  uns  gar  auf  Schulausgaben  von 
(der  Gedanke  ist  f  iirchterlich ! )  ,,Im 
weissen  Rossi,"  ,,Zapfenstreich"  u.  dgl. 
gefasst  machen  ?  Emerson  empfiehlt,  kein 
Buch  zu  lesen,  das  nicht  mindestens  ein 
Jahr  alt  ist;  und  ahnlich  diirfte  man 
sich's  zur  Regel  machen,  kein  Werk  her- 
auszugeben  (wohlgemerkt,  ich  spreche 
nicht  davon,  es  nicht  mit  einer  Klasse 
lesen)  zu  wollen,  das  nicht  wenigstens 
auf  ein  Alter  von  fiinf,  vielleicht  noch 
besser  zehn  Jahren  zuriickblicken  kann. 
Wir  Lehrer  sind  von  Hause  aus  und  mit 
Recht  konservativ,  und  diese  Eigenschaft 
in  verniinftigen  Grenzen  sollte  sich  bei 
den  Herausgebern  von  Schulbiichern  po- 
tenzieren  diirfen.  Sonst  geraten  wir  in 
die  Gefahr,  vor  der  ein  Dichterwort  also 
warnt:  ,,Ihr  hort  nur  auf  den  Schrei  der 
Stunde  und  iiberhort  den  Ruf  der  Zeit!" 

Edwin  C.  Roedder. 
Univ.  of  Wis. 

Der  zerbrochene  Krug  von  Heinrich 
Zschokke.  With  Introduction,  Notes  and 
Vocabulary  by  Herbert  Charles 
S  a  n  b  o  r  n,  A.  M.  Ginn  and  Company, 
Boston.  XVI  -|-  76  pp. 

Diese  oft  herausgegebene  Geschichte 
konnen  wir  anch  in  dieser  neuen  Ausgabe 
nur  willkommen  heissen. — In  der  Ein- 
leitung  heisst  es  p.  XII:  ,,He  became  a 
citizen  later".  Da  man  sich  doch  vorge- 
setzt,  den  Lebenslauf  Zschokkes,  und 
besonders  seine  Beziehungen  zu  der 
Schweiz,  darzutun,  ware  es  vielleicht  am 
Platz  gewesen  zu  bemerken,  wie  er 


308 


Padagogische  Monatshefte. 


schweizerischer  Burger  geworden. — Der 
Paragraph  iiber:  ,,two  principal  kinds  of 
scholarship",  p.  XV.  ist  schwer  ver- 
standlich  und  wird  den  Schiiler  kaum 
fordern. 

In  dem  Vokabular  werden  ,,for  the 
sake  of  uniformity"  alle  Langen  be- 
zeichnet,  was  uns  als  uberflussig  er- 
scheinen  will,  besonders  im  Falle  von 
der,  dem,  den,  etc.,  in  denen  das  e  so  wie 
so  nicht  denselben  Wert  hat,  und  man 
sich  doch  auf  die  Aushilfe  des  Lehrers 
verlassen  muss.  So  scheint  auch  das 
Langezeichen  in  abends  unter  Abend  un- 
notig,  sowie  Dienstmadchen  under  Mad- 
chen  und  iihnl. — Unter  Colin,  Cannes, 
Jacques  heisst  es:  ,,pronounce  as  in 
French."  Was,  wenn  aber  der  Betreffende 
kein  Franzosisch  versteht,  vielleicht  so- 
gar  sein  Lehrer  nicht?  —  In  uberbringer 
liegt  der  Accent  auf  der  dritten  Silbe, 
nicht  auf  der  ersten,  wie  angegeben. 

Die  Anmerkungen  und  das  Vokabular 
sind  durchweg  gut  gemacht,  und  die 
typographische  Ausstattung  des  Buches 
lasst  nichts  zu  wiinschen  iibrig.  Das 
Urteil  iiber  die  Ausgabe  muss  lauten: 
»gut". 


Die  Chemie  im  tiiglichen  Leben  von 
Prof.  Lassar  -  Cohn.  Abridged  and 
edited  with  notes  and  an  introduction 
on  German  chemical  nomendature  by 
Neil  C.  Brooks,  Ph.  D.  D.  C. 
Heath  and  Co.,  Boston,  1904.  130  pp. 

Genau  ein  soldier  Text  hat  uns  ge- 
mangelt.  Er  bietet  nicht  nur  einen  inter - 
essanten  Stoff  in  wissenschaftlicher 
Sprache,  er  hat  auch  den  Vorteil,  dasa 
er  nicht  allzu  technisch  ist.  Folgende 
uberschriften  einzelner  Kapitel  mogen 
den  Inhalt  des  Buches  andeuten:  Die 
Erniihrung  der  Pflanzen,  Kiinstliche 
Diingemittel,  Die  Ernahrung  der 
Menschen,  Die  Eiweissstoffe,  Der  Wert 
des  Kochens,  Die  Rontgenstrahlen. 

Den  Anmerkungen  steht  ein  Kapitel 
iiber  die  deutsche  chemische  Terminolo- 
gie  voran,  das  gut  gemacht  und  sehr  an- 
gebracht  ist.  Die  Anmerkungen  selbst 
sind  kurz  und  biindig  und  durchweg  zu- 
trefFend.  Druckfehler  sind  mir  keine 
aufgestossen.  Als  Einfiihrung  in  die 
wissenschaftliche  Lektiire,  oder  auch  als 
zweiter  Text,  ist  die  Ausgabe  alien  sehr 
zu  empfehlen.  Chas.  H.  Handschtn. 

Univ.  of  Wis. 


IV.     Eingesandte   Biicher. 


Meaning  and  Practice  of  Commercial 
Education  by  C  h  e  e  s  m  a  n  A.  H  e  r- 
r  i  c  k,  Ph.  D.,  Director  School  of  Com- 
merce, Central  High  School,  Philadelphia. 
New  York.  The  Macmillan  Co.,  1904. 
Price  $1.25. 

Readings  in  European  History.  A  col- 
lection of  extracts  from  the  sources 
chosen  with  the  purpose  of  illustrating 
the  progress  of  culture  in  Western 
Europe  since  the  German  Invasions  by 
James  Harvey  Robinson,  Pro- 
fessor of  History  in  Columbia  Univers- 
ity. Vol.  I,  From  the  Breaking  up  of  the 
lloman  Empire  to  the  Protestant  Revolt. 
Ginn  and  Co.,  Boston.  Price  $1.65. 

A  Guide  for  the  Study  of  Schiller's 
Wilhebn  Tell  by  Ernst  Wolf,  Yeat- 
man  High  School,  St.  Louis,  Mo.,  and 
Warren  W.  F  1  o  r  e  r,  University  of 
Michigan.  Sheehan  and  Co.,  Ann  Arbor, 
Mich.,  1904. 

A  Guide  for  the  Study  in  German  of 
Lessings  Minna  von  Barnhelm  by 
Ernst  Wolf,  Yeatman  High  School, 
St.  Louis,  Mo.  Sheehan  and  Co.,  Ann 
Arbor,  Mich.,  1904. 

The  Sonnets  of  Shakespeare  with  an 
introduction  and  notes  by  H.  C. 
B  e  e  c  h  i  n  g,  M.  A.,  D.  L  i  1 1.  Athe- 
naeum Press  Series,  Boston.  Ginn  and 
Co.,  1904.  Price  65  cents. 


A  Short  History  of  England  by  E  d- 
ward  P.  Cheyney,  Professor  of 
European  History  in  the  University  of 
Pennsylvania.  Ginn  and  Co.  Price  $1.55. 

In  St.  Jiirgen  von  TheodorStorm. 
Edited  with  introduction,  notes,  exercises 
and  vocabulary  by  J.  H.  B  e  c  k  m  a  n  n, 
B.  A.,  Teacher  of  German,  Lincoln 
(Neb.)  High  School.  Ginn  and  Co., 
Boston.  Price  40  cents. 

A  Guide  and  Material  for  the  Study 
of  Goethe's  Egmont  by  Warren  W. 
F  1  o  r  e  r,  University  of  Michigan. 
George  Wahr,  Ann  Arbor,  Mich.,  1904. 

Gennelshausen  von  Friedrich 
Gerstacker.  Edited  with  exercises, 
notes  and  vocabulary  by  Lawrence 
A.  M  c  L  o  u  t  h,  Professor  of  German 
Language  and  Literature  in  New  York 
University.  New  York.  Henry  Holt  and 
Co.,  1904."  Price  .30  cents. 

The  Educational  Music  Course: 
Teachers'  Edition  for  Elementary  Grades. 
Including  a  collection  of  rote  songs,  voice 
training  exercises,  the  material  in  the 
new  first  music  reader,  and  songs  from 
famous  composers  by  James  M.  Me 
L  a  u  g  h  1  i  n,  Director  of  Music,  Boston 
Public  Schools,  and  W.  W.  G  i  1  c  h  r  i  s  t, 
Author  of  "Exercises  for  Light  Singing 
Classes,"  etc.  Boston,  Ginn  and  Co., 
1904.  Price  $1.40. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbtmdes. 


V.  Dezembet*  1904.  Heft  10 


Offiziell. 

Nationaler  Deutschamerikanischer  Lehrertag. 


Die  nachste  Jahresversammlung. 


Auf  dem  Erier  Lehrertage  wurde  die  Stadt  Chicago  als  Tagungsort  der 
nachsten  Versammlung  des  Lehrerbundes  empfohlen  und  gewahlt.  Der  Nomi- 
nationsausschuss,  der  Chicago  empfahl,  die  leitenden  Mitglieder  des  Lehrer- 
bundes, welche  die  Empfehlung  warm  unterstiitzten,  liessen  sich  durch  die 
folgenden  Punkte  bestimmen:  Die  zentrale  Lage  Chicagos,  der  Umstand, 
dass  der  Lehrerbund  sich  seit  dem  Jahre  i80J  nicht  in  der  Metropole  des 
Westens  versammelt  hat,  die  freundliche  Erinnerung  an  friihere  glanzende 
Tagungen  in  Chicago,  die  bewahrte  Gastlichkeit  der  deutschamerikanischen 
Biirgerschaft  der  Stadt,  die  Moglichkeit,  die  grosse  Chicagoer«Universitat 
mit  ihrer  vorziiglichen  deutschen  Abteilung  fur  die  Ziele  des  Lehrerbundes 
zu  gewinnen  und  —  vielleicht,  einen  belebenden  Einfluss  auszuiiben  auf  den 
klaglich  verstiimmelten  deutschen  Unterricht  an  den  b'ffentlichen  Schulen 
Chicagos. 

Es  gereicht  mir  zur  Freude,  der  deutschamerikanischen  Lehrerschaft 
mitteilen  zu  konnen,  dass  die  einleitenden  Schritte  zu  einer  erfolgreichen 
Tagung  im  Sommer  des  Jahres  1905  geschehen  sind. 

Seminardirektor  Griebsch,  unser  treues  Chicagoer  Mitglied,  Herr  Mar- 
tin Schmidhofer,  und  der  Unterzeichnete  erhielten  von  hervorragenden 
Deutschamerikanern,  der  Fakultat  der  deutschen  Abteilung  der  Chicagoer 
Abteilung  und  dem  Prasidenten  dieser  Anstalt,  Herrn  Dr.  Harper,  so  liebens- 
wiirdige  Zusicherungen,  dass  der  Chicagoer  Lehrertag  sich  seinen  besten 


310  Padagogische  Monatshefte. 

Vorgangern  wiirdig  anreihen  wird,  wenn  die  deutschamerikanische  Lehrer- 
schaft  ihre  Pflidit  erfiillt  und  die  Erwartung  unserer  Chicagoer  Freunde  auf 
eine  glanzende  Beteiligung  nicht  zu  Schanden  macht.  An  die  Kollegen  im 
Lande  ergeht  hiermit  die  dringende  Aufforderung,  sich  jetzt  schon  mit  dem 
Gedanken,  den  nachsten  Lehrertag  zu  besuchen,  vertraut  machen  zu  wollen. 
Wer  sich  dazu  berufen  fiihlt,  durch  einen  Vortrag  oder  ein  Referat  die 
Tagung  zu  einer  erspriesslichen  fur  unseren  Beruf  und  unsere  Ziele  zu  ge- 
stalten,  moge  sich  baldigst  mit  dem  Unterzeichneten  oder  dem  Bundessekretar 
in  Verbindung  setzen. 

Die  Versammlungen  finden  in  einem  uns  freundlichst  zur  Verfiigung 
gestellten  Saale  der  Universitat  statt.  Fur  alles  Ubrige  biirgt  die  bekannte 
Gastlichkeit  Chicagos.  Weitere  Meldungen  werden  in  dem  Januarhefte 
der  P.  M.  erscheinen. 

Fur  den  Vorstand, 

Bernard  A.  Abrams, 

President. 


Land  und  Leute. 


Ein  Mahnwort. 


(FUr  die  Padagogischen  Honatshefte.) 


Auf  dem  Fiinften  Allgemeinen  Deutschen  Neuphilologentag  zu  Berlin 
im  Juni  1892  hielt  der  selige  Stephan  Waetzold  einen  Vortrag  iiber  ,,Die 
Aufgabe  des  neusprachlichen  Unterrichts  und  die  Vorbildung  der  Lehrer" 
(im  Druck  erschienen  Berlin  1892),  der  wohl  die  stiirmischeste  Begeisterung 
hervorrief,  die  noch  je  in  einer  wiirdigen  Schulmeisterversammlung  ent- 
fesselt  worden  ist.  Der  Abschnitt,  dem  der  Beifall  besonders  gait,  sei  trotz 
seiner  Lange  hier  vollstandig  wiedergegeben ;  denn  er  bietet  goldene  Friichte 
in  goldener  ^chale. 

,,Ein  dreifaches  Bewusstsein,"  heisat  es  auf  Seite  13,  ,,fordern  wir  von 
einem  Gebildeten :  ein  Volksbewusstsein,  ein  Zeitbewusstsein,  ein  Weltbewusst- 
sein.  Ein  dreifaches  Verstandnis  des  Menschlichen  soil  hb'here  Bildung  dem 
Einzelnen  eroffnen,  in  drei  grosse  geistige  Beziehungen  ihn  stellen:  zum  Vater- 
lande,  zur  Antike,  zu  den  mitlebenden  Kulturvolkern.  Als  letztes  bewusstes 
Glied  einer  langen  Kette  verbindet  der  Lehrer  den  heranwachsenden  Menschen 
mit  diesen  drei  geistigen  Welten.  Die  vaterlfindische  Welt  in  Vergangenheit 
und  Gegenwart  eroffnet  ihm  der  Lehrer  des  Deutschen  und  der  Geschichte,  die 
Geisteswelt  des  Altertums  der  klassische  Philolog;  der  Lehrer  des  Franzosi- 
schen  und  Englischen  aber  verbindet  den  Schiiler  mit  der  Kulturwelt  der  Ge- 
genwart ausserhalb  seines  Vaterlandes,  er  erganzt  die  nationale  Bildung  zur 
Weltbildung;  er  erzieht  im  Knaben  den  bewussten  Mitarbeiter  an  den  grossen 
gemeinsamen  Aufgaben  der  Menschheit,  indem  er  mittels  der  fremden  Sprache 


Land  und  Leute.  3H 

und  ihrer  Werke  ihm  das  freie  Verstiindnis  fiir  die  eigenartige  geistige  und 
materielle  Kultur,  fiir  Heimat,  Leben  und  Sitte  der  beiden  grossten  mit- 
lebenden  Vb'lker  zu  erschliessen  trachtet.  Diese  Aufgabe  ist  jeder  andern  der 
hoheren  Sclmlen  gleichwertig.  Urn  ihretwillen  verlohnt  es  sich  wohl  zu  leben 
und  zu  lehren.  Alle  ubungen,  die  der  Lehrer  vorniramt,  von  dem  Vorsprechen 
des  ersten  Satzes  in  fremder  Sprache  bis  zur  Erklarung  Descartes'  und  Victor 
Hugos;  alle  Studien,  die  der  Student  treibt,  von  den  zeitlich  und  ortlich  ent- 
legensten  bis  zu  den  nachsten,  miissen  von  diesem  Gedanken  durchdrungen  und 
getragen  sein  :Franzosisch  undEnglischlernen  und 
lehren,  heisst  Frank  reich  und  England  lernen 
und  lehren;  in  letzter  Linie  ist  nicht  die  Sprache,  sondern  das  Volk  und 
seine  Kultur  das  Objekt  des  Studiums.  Die  Sprache  und  ihre  Literatur  ist  nur 
das  geeignetste  und  unentbehrliche  Mittel,  um  dem  Ziele,  Geist  und  Leben  eines 
andern  Volkes  zu  fassen,  am  nachsten  zu  kommen.  Denn  in  der  Sprache  pragt 
das  Volk  sein  Weltbild  aus;  seine  Sprache  enthalt  das  Gesamtkapital  seines 
Geistes,  das  in  langsamer  Arbeit  die  Jahrhunderte  aufgehauft  haben;  sie  ist 
die  Schatzkammer  seiner  Gedanken  und  Traume  von  den  Zeiten  der  fernsten 
Ahnen  bis  zur  hellen  Gegenwart.  Aber  neben  und  mit  der  Sprache  und  ihrer 
Literatur  gilt  es,  die  D  i  n  g  e  zu  studieren,  besteht  doch  die  Weisheit  in 
den  Dingen  und  nicht  in  den  Wb'rtern:  Landeskunde,  politische  und  Sitten- 
geschichte,  bildende  Kunst  und  Volksleben.  Fasst  der  Lehrer  seine  hochste 
Aufgabe  so,  dann  wird  er  nicht  leicht  in  Gefahr  geraten,  in  padagogischen  und 
philologischen  Kleinkram  zu  versinken,  das  Leben  und  seine  Forderungen 
aus  dem  Auge  zu  verlieren,  und  er  wird  hoch  denken  von  seinem  Berute  auch  da, 
wo  er  ihn  durch  die  Niederungen  der  elementaren  Unterweisung  und  halb 
mechanischer  tibung  fiihrt.  Wir  Lehrer  der  lebenden  Sprachen  sind  an  be- 
scheidener  Stelle  Vermittler  des  Volkerverstandnisses,  FCrderer  des  Volker- 
friedens.  Die  Kulturaufgabe  der  Menschheit  kann  von  einem  Volke,  und  ware 
es  das  gottgesegnetste,  nicht  gelost  werden;  wir  konnen  ohne  England  und 
Frankreich  materiell  wie  geistig  ebensowenig  mehr  leben,  wie  diese  ohne  uns. 
Nur  wer  das  erkannt  hat,  wem  seine  tagliche  Arbeit  von  jener  hoheren, 
idealen  Aufgabe  geadelt  wird,  ist  ein  echter  Lehrer  der  neueren  Sprachen;  im 
letzten  Grunde  nicht  ein  scharfer  Linguist,  ein  gelehrter  Literarhistoriker,  ein 
Phonetiker,  ein  Methodiker  und  Padagog,  sondern  der  Kenner  und  Deuter  eines 
fremden  Volkstums,  einer  mitstrebenden  Nation,  ihres  Landes,  ihrer  Ge- 
schichte  und  ihres  Geistes.  Wir  sollen  gegeniiber  einem  verstiegenen  Teutonen-* 
turn  die  ijberzeugung  wecken  und  stiirken,  dass  zur  Erreichung  des  Kultur- 
zweckes  mehrere  Sprachen  und  Volker  notwendig  sind,  dass  neben  alter  po- 
litischer  und  industrieller  Erbfeindschaft  und  Nebenbuhlerschaft  es  auch  eine 
jahrhundertelange  Erbbriiderschaft  der  Ideen  und  Interessen  gibt,  durch  die 
wir  mit  England  und  Frankreich  verbunden  werden.  So  gefasst,  ist  die  Auf- 
gabe des  neuphilologischen  Studiums  und  des  Unterrichts  in  den  lebenden 
Sprachen  eine  unvergleichliche  und  einzige:  Nicht  ein  Vergangenes,  Fertiges, 
triimmerhaft  uberliefertes  gilt  es  zu  erkennen,  sondern  ein  Lebendes,  Wir- 
kendes,  das  in  liickenloser  Vollstiindigkeit  vor  uns  liegt,  unmittelbar  neben 
und  mit  uns  atmet  und  arbeitet.  Was  gabe  ein  Altphilologe  darum,  wenn  fiir 
einen  Tag  nur  Forum  oder  Agora  sich  wieder  fiillten  und  antikes  Leben  nicht 
nur  aus  Triimmern  zu  ihm  sprache,  wenn  der  Ton  der  griechischen  Rede  nicht 
aus  der  Feme  der  Jahrhunderte  undeutlich  und  entstellt  ihn  erreichte,  sondern 
ein  einzig  Mai  unmittelbar  neben  ihm  an  sein  Ohr  klange,  wenn  alles  auf- 
erstiinde  und  wandelte  und  neben  ihm  webte  und  sich  beobachten  Hesse.  Das 
alles  ist  uns  Neuphilologen  vergonnt;  was  jenen  Rom  und  Hellas,  sei  uns 


312  Padagogische  Monatshefte. 

England  und  Frankreich,  ein  Gegenstand  des  Studiums  bis  ins  Kleinste  des 
ausseren  und  inneren  Lebens.  Einen  so  vielgestaltigen  Organismus  wie  Frank- 
reich oder  England  kennen  zu  lernen,  intim  zu  beobachten,  unbefangen  aus 
seinen  Daseinsbedingungen  in  Gegenwart  und  Vergangenheit  zu  verstehen  und 
zu  wiirdigen,  dies  Verstandnis  durch  den  Unterricht  in  der  franzosischen  und 
englischen  Sprache  und  die  Einfiihrung  in  ihre  Literatur  zu  vermitteln,  das 
1st  in  der  Tat  eine  hohe  Aufgabe.  Man  wende  mir  niclit  ein,  das  gehe  weit 
hinaus  iiber  die  eigentliche  Aufgabe  der  Philologie,  welche  sich  doch  auf  die 
Erforschung  der  Sprache  und  der  in  ihr  ausgepriigten  Geisteswerke  beschranke. 
Wenn  als  die  hb'chste  Aufgabe  der  klassischen  Philologie  die  Rekonstruktion 
der  gesamten  triimmerhaft  iiberlieferten  antiken  Kultur  bezeichnet  ist,  so 
gilt  es  fiir  die  neuere  Philologie,  die  gesamte  er.glische  und  franzosische  (oder 
romanische)  Kultur  zu  durch forsch en  und  darzustellen;  in  beiden  Fallen  ge- 
hb'ren  dazu  neben  rein  philologischen  Studien  Kenntnisse  geographischer,  po- 
litischer,  kulturgeschichtlicher  Art.  Und  letzte  Aufgabe  des  Untcrrichts  an 
hoheren  Schulen  kann  nicht  die  Befahigung  zu  einer  gewissen  praktischen 
Fertigkeit  sein.  Soweit  der  Neuphilologe  sich  zum  Lehrer  bestimrat,  wird  er 
also  von  vornherein  den  Umfang  seines  Interesses  iiber  das  Sprachliche  und 
Literarische  hinaus  zu  erweitern  haben." 

Herrliche  Worte,  die  sich  ein  begeisterter  Lehrer  der  lebenden  Fremd- 
sprachen,  gleichviel  welcher,  gleichviel  wo  er  wirkt,  ob  daheim  oder  in  der 
Fremde,  nicht  tief  genug  einpragen,  nicht  oft  genug  wiederholen  kann; 
Worte,  die,  unabhangig  von  der  Tagesmode,  stetsfort  ihren  Wert,  ihre 
Jugend  behalten  werden;  Worte,  die  allein  geniigten,  dem  hochverdienten 
Verfasser,  der  nunmehr  heimgegangen  ist,  einen  bleibenden  Ehrenplatz  in 
der  Geschichte  der  deutschen  Schule  zu  sichern. 

Um  aber  zur  niichternen  Wirklichkeit  zu  kommen:  zugegeben,  dass 
auch  hierzulande  fiir  uns  Lehrer  des  Deutschen  das  von  Waetzold  gesteckte 
ideale  Ziel  gilt,  —  und  wer  wollte  das  bestreiten  ?  —  wie  kb'nnen  wir  hoffen, 
ihm  naher  und  naher  zu  kommen;  welche  besondern  Schwierigkeiten  haben 
wir  zu  bekampfen;  welche  besondern  Vorteile  geniessen  wir;  welche  beson- 
dern Hilfsmittel  stehen  uns  zur  Verfiigung? 

Zunachst  ist  an  die  Vorbildung  des  Lehrers  ein  Massstab  zu  legen,  der 
da  ansetzt,  wo  nach  der  Ansicht  und  dem  Diinkel  gar  mancher  die  denkbar 
hochsten  Anforderungen  schon  befriedigt  sind.  Ein  Zustand,  wie  er  noch  in 
einigen  Teilen  des  Landes  herrschen  soil,  wo  namlich  ein  Kandidat  fiir  das 
Lehramt  an  Sekundarschulen  nach  einjahrigem,  sage  und  schreibe  einjahri- 
gem  Studium  des  Deutschen  an  College  oder  Universitat,  wohlgemerkt  ohne 
jegliche  weitere  Vorkenntnisse,  von  seiner  Anstalt  eine  Empfehlung  als 
Lehrer  des  Deutschen,  wenn  auch  nur  im  Nebenfach,  erhalten  kann,  ein 
solcher  Zustand  ist  gottlob  doch  nur  eine  Ausnahme  und  hoffentlich  eine,  die 
man  in  einem  Jahrzehnt  als  eine  Mar  aus  der  Urvater  Tagen  behandeln 
wird.  Aber  wieviele  gibt  es  noch,  die,  wenn  sie  die  deutsche  Grammatik 
hidlich  beherrschen,  einen  deutschen  Text  in  ertraglich.es  Englisch  zu  iiber- 
setzen  verstehen,  vielleicht  zwei,  drei  Biicher  mehr  gelesen  haben,  als  sie  in 


Land  und  Leute.  313 

der  Schule  durchzunehmen  haben  warden,  damit  schon  der  Weisheit  letzten 
Schluss  gefunden  zu  haben  glauben!  Gibt  es  doch  selbst  Lehrbiicher,  bei 
denen  der  unbefangene  Beurteiler  den  Eindruck  nicht  los  werden  kann,  dass 
ihre  auffallende  Beliebtheit  lediglich  dem  Umstande  zuzuschreiben  ist,  dass 
der  Lehrer  sich  auf  des  Katheders  stolzer  Hohe  unerschiitterlich  behaupten 
kann,  sofern  er  nur  seiner  Klasse  regelmassig  um  eine  Lektion  vorbleibt.  Das 
Ziel,  das  uns  bei  der  Ausbildung  deutscher  Lehrer  vorschweben  sollte,  miisste 
einen  griindlichen  vierjiihrigen  Lehrgang  in  der  Sprache  an  der  Sekundar- 
schule,  einen  ebensolangen  an  College  oder  Universitat,  ein  einjahriges 
Spezialstudium  zur  Erwerbung  des  Magistergrades  und  einen  zum  mindesten 
einjahrigen  Aufenthalt  in  Deutschland,  der  nach  Belieben  auch  wahrend  der 
Studienzeit  genommen  werden  konnte,  in  sich  schliessen.  Unerlasslich  ist  der 
Aufenthalt  im  Auslande  in  jedem  Falle;  am  allerwichtigsten  gerade  scheint 
er  uns  das  fiir  den,  der  die  Anfangsgriinde  in  der  Fremdsprache  zu  legen  hat. 
Fur  die,  die  das  Deutsche  nur  als  Nebenfach  zu  betreiben  gedenken,  und 
denen  der  Aufenthalt  in  der  Fremde  allzu  kostspielig  werden  konnte,  waren 
entsprechend  leichtere  Bedingungen  zu  stellen.  Die  meisten  wiirden  wohl 
:hr  Auslandsjahr  am  liebsten  mit  gleichzeitigem  Studium  auf  einer  deutschen 
Universitat  zu  verbinden  wiinschen.  In  vielen  Fallen  ware  davon  direkt 
abzuraten;  was  der  zukiinftige  Sprachlehrer  auf  dieser  letzten,  wrichtigsten 
Stufe  seiner  Vorbereitung  braucht,  ist  nicht  so  sehr  eindringendes  Spezial- 
studium zur  Erwerbung  hoherer  akademischer  Wiirden  als  vielmehr  Be- 
kanntschaft  mit  dem  deutschen  Volk  und  Verstandnis  fiir  seine  Kultur  in 
den  mannigfachsten  Erscheinungsformen.*) 

Gerade  hierin  nun  hat  der  geborene  deutsche  Lehrer,  zumal  der,  der 
einen  grossen  Teil  seiner  Studienjahre  im  Vaterlande  verbracht  hat,  dem 
Angloamerikaner  gegeniiber  einen  Vorteil,  der  manches  —  sagen  wir  ruhig, 
das  meiste  von  dem,  was  sonst  gegen  ihn  geltend  gemacht  wird,  aufwiegen 
diirfte.  Selbstverstandliche  Voraussetzung  dabei  ist,  dass  er,  frei  von  aller 
Teutschtiimelei,  sich  ehrlich  bestrebe,  der  Kultur  seines  Adoptivvaterlandes 
ebensoviel  liebevolles  Verstandnis  entgegenzubringen,  als  es  von  einem  ge- 


*)  Der  Verfasser,  dessen  Ausfiihrungen  wir  freudig  zustimmen,  wird  uns  ver- 
zeihen,  wenn  wir  hier  einige  Worte  pro  domo  einfiigen.  Das  Nationals 
Deutschamerikanische  L  e  h  r  e  r  s  e  m  i  n  a  r  hat  sich  die  Aufgabe 
gestellt,  dem  zukiinftigen  Lehrer  des  Deutschen  gerade  das  in  seinen  Beruf  mitzu- 
geben,  was  der  Verfasser  als  Gmndbedingung  eines  erfolgreichen  Unterrkhtes  be- 
zeichnet:  das  Aufgehen  in  den  Geist  deK,  deutschen  Sprache  und  Literatur,  sowie 
eine  Vertrautheit  mit  der  Geschichte  und  Kultur  des  deutschen  Volkes,  wodurch 
der  werdende  Lehrer  instand  gesetzt  wird,  die  eigenartigen  Erscheinungen  im 
Staats-  und  Volksleben  Deutschlands  mit  richtigen  Blicken  zu  erfassen.  Bei  solchen 
Vorbedingungen  aber  und  bei  der  griindlichen  piidagogischen  Ausbildung  unserer 
Zoglinge  werden  diese  mehr  denn  andere  Zoglinge  befahigt  sein,  der  Arbeit  des 
Universitatslehrers  zu  folgen,  und  wir  sind  uberzeugt,  dass  sie  auch  ihren  Beruf  im 
Sinne  der  obigen  Ausfiihrungen  auffassen  werden.  D.  R. 


314  Padagogische  Monatshefte. 

bildeten  Auslander,  und  ein  gut  Teil  mehr,  als  er  von  seinen  Schiilern  fur 
sein  eigenes  Volkstum  ervvarten  darf;  denn  Jung-Amerika  ist  bekanntlich 
schwer  zu  iiberzeugen,  dass  neben  der  Kultur  seines  Landes  sich  eine  andere 
sehen  lassen  kb'nne.  Hier  ist  die  Gefahr,  dass  der  geborene  Deutsche,  der 
seine  Uberzeugung  nicht  opfern  will,  gelegentlich  anstosst;  und  um  das  zu 
vermeiden,  braucht  er  ausserordentliches  Feingefiihl.  Verstandnis  fur  die 
Eigenart  des  fremden  Volkstums,  zum  mindesten  den  redlichen  Willen  dazu, 
bringt  er  aber  in  der  Regel  mit;  in  den  meisten  Fallen  geniigt  zum  Beweise 
dafiir  schon  der  Umstand,  dass  er  gesonnen  ist,  Burger  eines  andern  Landes 
zu  werden,  d.  h.  die  Tatsache  seiner  Auswanderung  selbst. 

Es  ist  leicht  zu  erkennen,  welche  aussergewohnlichen  Vorteile  da  erst 
der  geborene  Amerikaner  deutscher  Abkunft  geniesst,  in  dessen  Familie 
deutsche  Sprache  und  deutsche  Traditionen  liebevoll  gepflegt  worden  sind. 
Dies  weiter  auszufiihfen,  verbietet  der  Raum;  und  eigentlich  hiesse  es  auch 
Eulen  nach  Athen  tragen. 

Weniger  befriedigend  diirfte  die  Antwort  auf  die  Frage  lauten,  welche 
technischen  Mittel  uns  fur  die  Schule  zu  Gebote  stehen,  und  welche  Aus- 
wahl  wir  bei  den  soweit  vorhandenen  Lehrbiichern  fiir  die  Lektiire  mit  be- 
sonderer  Riicksicht  auf  das  Ziel,  die  Schiller  mit  Land  und  Leuten  bekannt 
und  vertraut  zu  machen,  treffen  konnen. 

Vor  einiger  Zeit  sah  ich  ein  Bild,  eine  Szene  in  der  Ecole  des  Forains 
(Auswartigenschule)  zu  Paris  darstellend,  das  sich  mir  unausloschlich  ein- 
gepragt  hat.  An  der  Vorderwand  hing  eine  grosse  Wandkarte,  auf  der 
Frankreich  und  Russland  etwa  in  der  Provinz  Schleswig-Holstein  zusammen- 
jirenzten ;  ein  dreieckiger  Zipfel,  den  die  beiden  Lander  vom  Deutschen  Reich 
mit  lobenswerter  Bescheidenheit  nicht  verschluckt  hatten,  war  zu  Osterreich 
geschlagen.  Es  bedarf  keines  Beweises,  dass  wir  einer  solchen  zukunftskarto- 
graphischen  Musterleistung  gerne  entraten.  Aber  eine  Karte  von  Deutsch- 
land,  unseres  Erachtens  noch  besser  eine  von  Mitteleuropa,  wie  etwa  die 
Kiepertsche,  sollte  in  keinem  deutschen  Klassenzimmer  fehlen.  Dafiir  miisste 
unbedingt  jede  Schule,  auch  die  kleinste,  die  notigen  Geldmittel  bewilligen. 

Auch  fiir  sonstige  passende  Ausstattung  des  deutschen  Klassenzimmers 
ware  zu  sorgen.  Landschafts-,  Genre-  und  historische  Bilder,  Portrats  einiger 
Klassiker  und  anderer  grosser  Deutscher  sind  in  alien  Ausfiihrungen  und  in 
jeder  Preislage  zu  beschaffen.  Hier  ware  ein  schones  Feld  fiir  private  Frei- 
gebigkeit  wohlhabender  Deutschamerikaner  und  sonstiger  Freunde  deutschen 
Wesens ;  auch  die  Ertrage  von  Schiilerauffiihrungen  und  freiwillige  Beitrage 
der  Schiiler,  wenn  auch  noch  so  gering,  konnten  einen  Grundstock  abgeben; 
von  bescheidenen  Anfangen  ausgehend  liesse  sich  nach  einheitlichem,  wohl- 
durchdachtem  Plane  nach  und  nach  eine  kiinstlerische  Schatzkammer  her- 
stellen.  Der  Schulbibliothek  oder  einer  eigenen  Biicherei  der  deutschen  Ab- 
teilung  waren  illustrierte  Werke  iiber  Deutschland  (wie  etwa  Kiirschners 


Land  und  Leute.  315 

prachtiges  Buch  ,,Das  ist  des  Deutschea  Vaterland!")  und  deutsche  Ge- 
schichte  einzuverleiben.  Und,  um  nur  eine  Kleinigkeit  zu  ervvahnen,  ein 
Abreisskalender  mit  guten  deutschen  Landschaftsbildern,  wie  der  Meyersche 
oder  der  von  Konig  und  Ebhardt,  kann  unter  Umstanden  Wunder  wirken. 
Bildliche  Darstellungen,  die  den  Unterricht  zu  beleben  vermogen,  gibt  es  in 
Menge;  eine  Durchsicht  einschlagiger  Verzeichnisse  ist  reichlich  der  Miihe 
wert. 

An  Biichern  fiir  die  Hand  des  Lehrers  fehlt  es  nicht,  um  sich  in  einzelne 
Teile  des  grossen,  fruchtbaren  Gebietes  tiefer  einzuarbeiten.  Die  Nennung 
weniger  Titel,  die  ohne  Miihe  verzehnfacht  werden  kb'nnten,  muss  geniigen. 
Fur  Volks-  und  Heimatkunde,  alien  voran,  Hans  Meyers  ,,Das  deutsche 
Volkstum,"  kiirzlich  in  zweiter  Auflage  erschienen;  Friedrich  Ratzels 
,,Deutschland.  Einfiihrung  in  die  Heimatkunde"  (leider  nicht  sehr  leicht 
lesbar)  ;  Oskar  Weises  liebenswiirdiges  Biichlein  ,,Die  deutschen  Volks- 
stamme  und  Landschaften."  Fiir  deutsche  Geschichte:  David  Miillers  ,,Ge- 
schichte  des  deutschen  Volkes" ;  Hendersons  ,,A  Short  History  of  Germany ;" 
Simes'  ,,History  of  Germany."  Fiir  Kulturgeschichte :  Gustav  Freytags 
,,Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit ;"  Albert  Richters  ,,Bilder  aus  der 
deutschen  Kulturgeschichte." 

Aber  an  passenden  Texten  fiir  die  Klassenlektiire  in  Obereinstimmung 
mit  den  obigen  Ausfiihrungen  ist  hierzulande  erheblicher  Mangel.  Ver- 
schwindende  Ausnahmen  abgerechnet,  bewegen  sich  —  ein  Blick  in  die 
Kataloge  der  grossen  Verlagshauser  bestatigt  es  —  unsere  Textbiicher  fast 
ausschliesslich  auf  dem  Felde  der  erzahlenden  Dichtung.  Nicht  einmal  Ge- 
schichte und  Biographic  kommen  zu  ihrem  Rechte,  geschweige  denn  Landes- 
kunde,  Volksleben,  Industrie  und  Verkehr.  Man  halte  dagegen  einmal  das 
Verzeichnis  der  ,,Schulbibliothek  franzosischer  und  englischer  Prosaschriften 
aus  der  neueren  Zeit,  herausgegeben  von  L.  Bahlsen  und  J.  Hengesbach." 
Ostern  1902  wies  diese  Sammlung  fiirs  Englische  folgende  Titel  auf: 
Tyndall,  Fragments  of  Science ;  Draper,  History  of  the  Intellectual  Develop- 
ment of  Europe;  Green,  Modern  England;  Escott,  England,  its  People, 
Polity,  and  Pursuits;  Brewster,  Newton;  McCarthy,  The  Crimean  War; 
Waterton,  Wanderings  in  South  America;  Smiles,  Industrial  Biography; 
Society  in  London;  Black,  Scottish  Highlands;  Great  Explorers  and  In- 
ventors ;  Hope,  Schoolboy  Life ;  English  Life  and  Customs ;  Besant,  London ; 
Mark  Twain,  Prince  and  Pauper;  Fyfe,  Triumphs  of  Invention  and  Dis- 
covery; derselbe,  The  World's  Progress;  Corbet-Seymour,  Romantic  Tales 
of  Olden  Times;  Fyfe,  History  of  Commerce;  Barker,  Station  Life  in  New 
Zealand;  Home  Rule;  Useful  Knowledge;  J.  S.  Mill,  On  Liberty;  Hope, 
Holiday  Stories;  South  Africa;  Gordon,  London  Life  and  Institutions; 
Mason,  The  Counties  of  England;  Dickens,  Christmas  Carol;  Modern 
Travels  and  Explorations;  Heroes  of  English  Literature;  Great  English- 


316  Padagogische  Monatshefte. 

women;  Markham,  One  Century  of  English  History;  English  Letters; 
Goldwin  Smith,  A  Trip  to  England;  Ruskin,  Chapters  on  Art;  Escott, 
Social  Transformations  of  the  Victorian  Age;  Greater  Britain;  Queen 
Victoria;  Modern  English  Novels;  In  the  Far  East. 

Anstatt  unsern  Schiilern  eine  gleich  kraftige  Kost  vorzusetzen,  regalie- 
ren  wir  sie  nach  alien  Regeln  der  Kunst  mit  Marchen,  Kindergeschichten 
und  Darstellungen,  wie  der  deutsche  Jiingling  und  die  deutsche  Maid  —  auf 
dem  Papier  —  schmachten  und  lieben.  Nicht  als  ob  nicht  auch  das  in  seiner 
Weise  verstattet  ware,  beileibe !  aber  das  eine  tun  und  das  andere  nicht  lassen ! 
Auch  die  beste,  kiinstlerischeste  Novellistik  vermag  kein  vollkommenes  Bild 
vom  Volke  und  von  der  Zeit  des  Autors  zu  geben,  selbst  zugegeben,  dass  ihr 
das  farbenreichste  gelingt.  Hier  miissen  die  sachlichen  Gebiete  herangezogen 
werden,  das  Verstandnis  zu  fordern,  Dunkelheiten  aufzuhellen,  den  Ge- 
sichtskreis  zu  erweitern.  Der  einzige  Einwand,  der  zur  Zeit  gegen  eine  um- 
fassende  Ausdehnung  in  der  Wahl  des  Lesestoffes  in  den  angedeuteten  Rich- 
tungen  erhoben  werden  konnte,  namlich  der,  dass  wenig  solcher  Stoff  in 
Textbuchform  erhaltlich  ist,  verschwindet  in  nichts  gegeniiber  der  Tatsache, 
dass  solcher  Stoff  in  Menge  beigeschafft  werden  kann,  sobald  nur  eine  Nach- 
frage  danach  existiert;  und  ein  jedes  Verlagshaus  wird  willens  sein,  geeig- 
nete  Herausgeber  mit  der  Anfertigung  solcher  Textbiicher  zu  beauftragen. 

Noch  eine  fiiichtige  Anregung  sei  mir  hier  erlaubt  mit  Bezug  auf  die 
durchschnittlichen  Anmerkungen  der  Mehrheit  unserer  Texte  erzahlenden 
Inhaltes.  Das  Grammatische  nimmt  in  den  meisten  Fallen  einen  viel  zu 
breiten  Raum  ein.  Reduzierte  man  das  auf  die  wirklichen  Schwierigkeiten, 
iiber  die  Schulgrammatiken  nicht  die  notigen  Aufschliisse  geben,  —  ab- 
geschen  davon,  dass  es  eigentlich  die  Pflicht  des  Lehrers  ware,  dafiir  zu  sor- 
gen,  —  so  konnte  fur  Anmerkungen  iiber  Land  und  Leute,  von  denen  man 
oft  nicht  einmal  die  notwendigsten  antrifft,  viel  Raum  gewonnen  werden. 
Aus  einer  solchen  Anmerkung,  vorausgesetzt,  dass  sie  ein  Wesentlich.es  be- 
trifft  und  gut  gefasst  ist,  rettet  der  Schiller  mehr  ins  Leben  hiniiber  als  aus 
zehn  -grammatischen  Erorterungen,  die  seinem  Gedachtnis  entschwinden, 
sobald  ihm  der  Wortlaut  der  sie  hervorrufenden  Stelle  nicht  mehr  gegen- 
wartig  ist. 

Und  nun  mochte  ich  zum  Schlusse  noch  ein  Buch  nennen,  dem  ich  einige 
der  angenehmsten  Stunden  verdanke,  die  mir  je  bei  der  Lektiire  beschieden 
gewesen  sind,  und  das  ich  in  jeder  Schulbibliothek  und  in  der  Bibliothek  jedes 
deutschen  Lehrers  hierzulande  wissen  mochte:  William  Harbutt  Dawson, 
German  Life  in  Town  and  Country  ( New  York  and  London,  Putnam,  1901, 
aus  der  Sammlung  "Our  European  Neighbors").  Das  hiibsch  illustrierte 
Buch  behandelt  in  seinen  dreizehn  Kapiteln  besonders  die  Seiten  des  deutschen 
Lebens,  iiber  die  im  Auslande  die  meisten  Missverstandnisse  herrschen;  einige 
Uberschriften  seien  genannt:  Social  Divisions,  Military  Service,  Public 


Der  blinde  Konig.  317 

Education,  Religious  Life  and  Thought,  Woman  and  the  Home,  Pleasures 
and  Pastimes.  Fast  jedes  Kapitel  ist  ein  Meisterstiick.  Der  Verfasser,  ein 
hervorragender  englischer  Naturwissenschafter,  hat  langere  Jahre  in  Deutsch- 
land  gelebt ;  und  wer  den  vornehmen  Englander  noch  nicht  kennt,  lernt  ihn 
hier  kennen  und  schatzen,  denn  auf  jeder  Seite  offenbart  sich  die  Kardinal- 
tugend  des  Englanders,  fairness,  unbeugsamer  Gerechtigkeitssinn.  Was  aber 
noch  angenehmer  beriihrt,  ist,  dass  der  Verfasser  mit  einer  herzlichen  Warme 
schreibt,  die  sonst  des  Englanders  Sache  weniger  ist,  dass  er  die  Deutschen 
nicht  nur  kennt,  sondern  sie  auch  liebt,  mit  der  Liebe,  die  da  bewundert,  weil 
sie  versteht,  und  die  da  beim  Tadel  verzeiht,  weil  sie  begreift.  C.  C. 


Fur  die  Schulpraxis. 

I.     Der  blinde  Konig.* 


(Deutsche  Schulpraxis.) 


Von  R.  Hecker,  Danzig. 


I.  Einfiihrung  in  das  Lokal  der  Handlung. 
(Schilderung  der  Situation.) 

Unser  Gedicht  setzt  uns  an  die  steile,  felsige  Nordlandskiiste,  welche  von  zahl- 
losen  schmalen  Meeresbuchten  (Fjorden)  zerschnitten  ist,  denen  haufig  kleine  Fel- 
seneilande  oder  Skjaren  (van  skiir  =  abgeschnittenes  Felsstiick)  vorgelagert  sind, 
sodass  ein  starker  Ruf  vom  Festlande  zu  ihnen  hiniiberschallt.**) 

Nachstehende  Skizze  mb'ge  die  Situation  veranschaulichen  (Wandtafelzeich- 
nung.) 

In  grauer  Vorzeit  hauste  hier  das  markige,  kriegerische  Geschlecht  der  norman- 
nischen  Seekonige  (Vikinger),  welche  auf  ihren  scharfgebauten,  schnellsegelnden 
Fahrzeugen  (Meerdrachen)  die  Fluten  der  nordlichen  Meere  durchfurchten  und  auf 
ihren  Kriegsfahrten  nach  dem  mittleren  und  siidlichen  Europa  (Normannenziige) 
weithin  Schrecken  verbreiteten.  Volkstiimliche  Siinger  oder  Rhapsohen  (Skalden) 


*)  Obige  Skizze  beansprucht  nicht  den  Charakter  eines  streng  formalen  Lek- 
tionenentwurfs,  sondern  will  nur  einige  interessante  neue  Gesichtspunkte  fiir  die 
Behandlung  des  schSnen  Gedichts  bieten.  Zugleich  will  die  Arbeit  Richtungslinien 
fiir  die  Ausbeutung  derartiger  epischer  Stoffe  geben. 

**)  Wenn  wir  als  Schauplatz  des  Gedichts  die  Kiiste  Skandinaviens  und  nicht 
wie  andere  Erkliirer  die  felsigen  Orkneyinseln  nordlich  von  Schottland  wahlen,  so 
verlegen  wir  damit  die  Handlung  aus  dem  Bereich  der  giilischen  (keltischen  in  den 
der  gerraanischen  Sage,  was  der  nationelen  Tendenz  Uhlands  mehr  entspricht.  Jene 
winzigen  Felseneilands,  deren  Bewohner  sich  kiimmerlich  vom  Fischfange  und  der 
Vogeljagd  nahren,  diirften  auch  in  iilterer  Zeit  kaum  die  Bedingungen  fiir  die 
Existenz  auch  nur  eines  kleinen  Konigreichs  (Clanschaft)  gewahrt  haben,  wodurch 
zugleich  die  Erwillmung  der  Skalden  in  Frage  gestellt  wird.  Selbstredend  ist  unsere 
Ansicht  nur  als'  Hypothese,  der  aber  die  Begriindung  nicht  fehlt,  anzusehen. 


318  Padagogische  Monatshefte. 

verherrlichten  die  ruhmvollen  Kriegstaten  hervorragender  Vikinger  in  Heldenlie- 
dern  (vergl.  Str.  5). 

An  diese  eben  geschilderten  Verhaltnisse  kniipft  nun  Uhland,  der  seine  Stoffe 
rait  Vorliebe  dem  romantischen  Mittelalter  oder  alten  Sagen  entlehnt,  an  und 
schildert  uns  eine  ergreifende  Episode  aus  den  Kampfen  dieser  nordischen  Recken. 

II.  Zur  Wort-  und  Sacherklarung. 

Str,  1.  ,3ord"  =  Meerufer  (B  o  r  d,  eigentlich  das  Erhabene,  Hohe,  dann  das 
Ausserste  die  Spitze).  —  ,,Eiland"  (agls.  eigland,  von  Ei,  Insel  und  Land)  = 
Insel. 

Str.  2.  ,,F  e  1  s  v  e  r  1  i  e  s".  Verlies  wird  nicht  von  verlassen  (,,Verliess") 
abzuleiten  sein.  In  Holland  heisst  Verlies  sowohl  Verlust  als  Gefangnis, 
Soweit  hangt  das  Wort  mit  verlieren  (mhd.  verliesen)  zusammen.  (Nach 
Leimbach.) 

Str.  3.    ,,H unenschwert"  =  Riesenschwert  (a.  d.  Hun  =  Hunne). 

Str.  4.  ,,F  e  c  h  t  e  r  =  Kampfer,  Heergefolge  der  Vasallen,  welche  nach  alt- 
germanischem  Brauch  dem  Fiihrer  zur  Treue  bis  in  den  Tod  (Blutbann)  verpflichtet 
waren.  Um  so  verachtlicher  tritt  die  Feigheit  dieser  Kriegerschar,  der  die  Kiihnheit 
des  jungen  Thronerben  als  Folie  dient,  hervor. 

Str.  5.  ,,Skalden"  (altn.  skalld)  hiessen  Dichter  oder  Sanger  der  nordischen 
Yb'lker.  ,,S  i  e  i  s  t  der  SkaldenPreis"  =  das  Heldenschwert  des  alten 
Seekb'nigs  wurde  von  den  Skalden  (Barden)  als  uniiberwindlich  in  vielen  Helden- 
liedern  gepriesen. 

Str.  8.  ,,G  u  n  i  1  d",  eig.  Chunihilt,  die  Heldin  aus  vornehmem  Geschlecht. 
(Kehrein.) 

II.  Deklamatorischer  Vortrag. 

Sehr  wirkungsvoll,  an  sich  schon  eine  langatmige  Behandlung  xiberfliissig 
machend,  ist  die  Deklamation*mit  verteilten  Rollen.  Der 
Chor  (10 — 12  ausgewahlte  Schiiler)  liest  in  gehaltenem,  leicht  gedampften  Tone 
die  Einleitung  (Epilog),  die  der  Haupthandlung  in  echt  epischer  Breite  eingefiigten 
Stellen,  sodann  die  der  Fechterschar  in  den  Mund  gelegten  Zeilen  ff.  Je  ein  Schiiler 
liest  die  Worte  des  blinden  Konigs,  der  Hiinen,  wie  des  jungen  Kb'nigssohnes.  — 
In  Str.  2  muss  der  Leseton  die  ergreifende  Klage  des  unglxicklichen  Vaters,  sein 
inbriinstiges  Flehen  um  die  Freilassung  der  lieblichen  Gunilde,  welche  das  Gliick 
seines  Alters  bildet,  durch  entsprechende  Modulation  und  zarte  Abwagung  der 
stimmlichen  Accente  malen.***)  Welche  Gegensiitze  sind  in  dem  letzten  Teil 
der  Strophen  zu  beachten  ?  Lies  diese  Zeilen !  ( ,,D  i  r  ist  es  ewig  Schande,  m  i  r 
beugt's  das  graue  Haupt.")  —  In  grellem  Gegensatz  zu  der  eben  angedeuteten  see- 
lischen  Erregung  der  Hauptperson  steht  die  hohnvolle  Antwort  des  Riesen,  der  allein 
auf  das  Recht  des  Stiirkeren  pocht. 

Insbesondere  ist  der  wundervoll  geschilderten  Kampfszene  in  Strophe  6,  die  in 
schoner  Lautmalerei  durch  allmahliches  Anschwellen,  sodann  schrilles  Ab- 
brechen  des  Stimmfalls  des  Chores  die  einzelnen  Phasen  des  Kampfes  bis  zu*r 
blutigen  Katastrophe  wirkungsvoll  zur  Darstellung  bringen  muss,  besondere  Be- 


**)  Verfahrt  der  Unterrichtende  in  der  Weise,  dass  er  das  Gedicht  erst  selbst 
mbglichst  mustergiltig  vorliest  und  die  besonderen  Schattierungen  des  Lesevortrags 
in  der  angedeuteten  Art  ausfiihrt:  so  ist  fiir  die  Erliiuterung  eigentlich  das  We- 
sentliche  vorweg  geschehen,  da  nichts  verkehrter  ist,  als  Stimmungen  und  Gefiihle 
in  ein  Stiick  hineintragen  zu  wollen,  die  der  Dichter  gar  nicht  hineingelegt. 


Der  blinde  Konig.  319 

achtung  zu  widmen.  Die  Schiller,  namentlich  die  reiferen,  stehen  dann  unter  dera 
unmittelbaren  Eindruck  einer  packenden,  dramatisch  gehaltenen  Handlung  und  ihr 
Interesse,  das  asthetisehe,  wie  sympatetische,  ist  aufs  hochste  angefacht. 

Die  von  Gliick  und  Jubel  iiberwallende  Schlussstrophe,  der  aber  der  wehmiitige 
Hauch  eines  Todesahnung  beigemischt  ist,  stellt  an  den  Deklamator  insofern  sehr 
hohe  Anforderungen,  als  hier  eben  diese  Mischung  seelischer  Affekte,  wie  die  klare 
Hervorhebung  der  gehauften  Apostrophen  (,,Sohn",  ,,Gunilde",  ,,du  Befreite") 
schwer  darzustellen  ist. 

IV.  Zur  Analyse  und  Synthese  des  Inhalts. 

Aufbau  und  Anordnung  unserer  Rhapsodic  sind  meisterhaft.  Str.  1  bildet  eine 
wundervolle  Einleitung  (Exposition),  Etr.  2 — 8  schildern  uns  den  Verlauf  und  die 
Vollendung  der  Haupthandlung  in  vorziiglicher  Weise  und  Strophe  9  endlich  bildet 
einen  ungemein  ergreifenden,  versb'hnlichen  Abschluss,  der  zugleich  auf  die  G  r  u  n  d- 
i  d  e  e  hinweist.  Dieselbe  entspricht  derjenigen  vieler  anderer  Dichtungen  Uhlands, 
in  den  en  die  deutsche  Treue  und  ritterliche  Heldenkraft  verherrlicht  werden.  Letz- 
tere  findet  in  der  Person  des  Heldenjiinglings,  den  warme  Liebe  zu  den  Seinigen 
und  starke  Ruhmbegierde  in  den  ungleichen  Kampf  treiben,  einen  durchaus  wiirdigen 
Vertreter.  Das  Ganze  ist  ein  riihrendes  Bild  aufopfernder  Sohnesliebe  und  iiber- 
quellenden  Vaterstolzes !  Ps.  127,  3:  Siehe,  Kinder  sind  eine  Gabe  des  Herrn.  — 
Gerade  das  psychologische  Moment,  der  Einblick  in  den  Seelenzustand 
der  handelnden  Personen,  in  die  Triebfedern  der  todesmutigen  Aufopferungsfahig- 
keit  des  Heldenjiinglings,  das  zarte,  innige  Familienverhaltnis  zwischen  Vater  und 
Geschwistern,  bildet  einen  der  hervorragendsten  Reize  des  schonen  Gedichta  und 
erhoht  ungemein  den  unterrichtlichen  Wert  dessleben. 

Zum  Vergleich  geben  wir  nachstehend  die  von  Fr.  Polack  in  der  Anthologie 
,,Aus  deutschen  Lesebiichern",  Bd.  II,  S.  422  gewahlte  Form  der  Grundgedanken : 
,,Liebe  macht  stark  und  Treue  siegt!  Unrecht  und  Gewalt  finden  stets  ein  Halt!  — 
Gute,  liebe  Kinder  sind  stets  fiir  ihre  Eltern  ein  Stab  im  Leben,  ein  Schirm  im  Un- 
gliick,  der  Augen  Licht,  des  Herzens  Freude  und  des  Grabes  schonstes  Denkmal." — 

Wollen  wir  eine  strenge  logische  Fassung  des  Gedankengangs  wahlen  ,so  ergiebt 
sich  nachstehende  Disposition  (zu  entwickeln!) : 

I.  Einleitung  (Exposition),  die  die  Hauptperson  und  zugleich  das  Lokal 

der  Handlung  vorfiihrt,  Str.  1. 
II.  Haupthandlung: 

a.  Klage  des  blinden  Konigs,  Str.  2. 

b.  Der  Hohn  des  Raubers,  Str.  3. 

c.  Das  Auftreten  des  Befreiers  (Xebenepisode)  Str.  4  und  5. 

d.  Die  Befreiung,  Str.  6—8. 
m.  S  c  h  1  u  s  s,  Str.  9. 

Auch  die  sprachliche  und  metrische  Form  gehb'rt  zu  dem  Vollea- 
desten,  was  der  Dichter  geschaffen.  Die  von  ihm  in  echt  epischer  Darstellung  ge- 
gegebenen  Gegensatze  bilden  wie  oft  bei  Uhland  (die  ,,Kapelle")  einen  Haupt- 
reiz  der  Darstellung,  die  von  Anfang  bis  zum  Ende  in  einer  durch  dramatische  Le- 
bendigkeit  und  pragnante  Kiirze  ausgezeichneten  Sprache  die  Handlung  vorbereitet, 
fortfiihrt  und  zu  einem  ungemein  wirkungsvollen  Abschluss  bringt.  Der  tiefge- 
beugte  konigliche  Greis,  die  Heldengestalt  seines  Sohnes,  die  liebliche  Erscheinung 
der  blonden  Konigstochter  Gunilde,  der  ungefiige  trotzige  Recke  und  die  feige  Fech- 
terschar:  sie  alle  treten  in  lebensvoller  Klarheit  vor  unser  geistiges  Auge  und  er- 
weisen  das  meisterhafte  epische  Darstellungstalent  des  grossen  schwabischen  Dich- 


320  Padagogische  Monatshefte. 

ters,  verraten  aber  auch  damit  Grundziige  germanischer  Eigenart,  wie  wir 
sie  bei  Personen  keltischen  Stammes  kaum  finden  diirften. 

Das  fliissige  jambische  Versmass  ist  ein  sehr  gliicklich  gewahltes  -  ausseres 
Kleid  fiir  unser  Gedicht;  dasselbe  schmiegt  sich  den  einzelnen  Phasen  der  Hand- 
lung  ungekiinstelt  an  und  gibt  dem  Ganzen  eine  harmonische  Abrundung.  Die 
letzte  Vershalfte  bildet  mit  ihren  regelmassig  einsetztenden  gleitenden  Reimen  eine 
Art  Gegenstrophe  zum  ersten  Teil  und  erinnert  in  ihrem  Aufbau  fast  an  die 
Nibelungenstrophe.  Vielfach  ist  auch  die  alte  Kunstform  des  Stabreims  in  An- 
wendung  gebracht:  ,,Und  schlagt  an  seinen  Schild"  (Str.  3)  —  ,,Und  keiner  kampft 
um  sie  ?"  und  besonders  in  Strophe  6 :  ,,Der  Schild  und  Schwerter  Schall"  etc. 

1.  Gebt  eine  Charakteristik  des  blinden  Kb'nigs! 

2.  Auf satzentwurf :  ,,Der  blinde  Konig."  (Eine  Erzahlung.) 

Auf  einer  kleinen  Insel  an  der  rauhen  Nordlandsktiste  hauste  vor  graueu 
Jahren  ein  wilder  Riese,  welcher  die  benachbarten  kleinen  Eilande  und  auch  den 
in  unmittelbarer  Nahe  liegenden  Strand  durch  Raub  und  Gewalttat  heimsuchte. 

Einst  hatte  er  die  liebliche  Tochter  eines  benachbarten  Seekb'nigs,  namens 
Gunilde,  welche  am  griinen  Gestade  des  Meeres  mit  ihren  Gespielinnen  weilte,  heim- 
tiickisch  geraubt  und  hielt  sie  in  einer  finsteren  Felsenhohle  verborgen.  Der  un- 
gliickliche  blinde  Vater,  welchen  die  Last  des  Alters  beugte,  eilte  zu  spat  zur 
Hilfe  herbei  und  erflehte  vergebens  in  riihrenden  Ausdriicken  die  Freilassung  des 
geliebten  Kindes.  Der  wilde  Hiine,  welcher  am  jenseitigen  Ufer  des  die  Insel  vom 
Festlande  trennenden  schmalen  Meeresarmes  stand  und  die  Klagelaute  des  ehr- 
wiirdigen  Greises  deutlich  vernahm,  liess  sich  dennoch  nicht  erweichen,  sondern  ver- 
hohnte  denselben  und  wahnte  straflos  auszugehen,  da  die  Krieger  ihren  Heerkonig 
feige  im  Stiche  lassen. 

Da  naht  ein  Retter  in  der  Person  des  jungen  Konigssohnes,  welcher,  umgiirtet 
mit  dem  Heldenschwert  des  Vaters,  iiber  den  Meeresarm  setzt  und  den  Kampf  mit 
dem  Umholde  aufnimmt.  Dieser  unterliegt  nach  heissem  Ringen  der  jugendlichen 
Kraft  des  Heldenjiinglings,  der  nun  die  Schwester  befreit  und  mit  ihr  vereint  zu 
dem  ungliicklichen  Vater  zuriickkehrt,  der  ihnen  vom  hohen  Felsenufer  ein  freudi- 
ges  ,,Willkommen!"  entgegen  ruft  und  nun,  gestiitzt  durch  die  Hoffnung  auf  ein 
wonniges  Alter  und  ein  ehrenvolles  Grab,  gefasst  dem  Ende  seiner  Tage  entgegen- 
sieht. 

So  verkb'rpert  die  schone  Rhapsodic  echt  germanischen  Heldensinn  und  die 
echte  Treue  und  Liebe  eines  hochherzigen  Jiinglings  den  Seinen  gegeniiber. 

3.  Der  blinde  Konig.     (Ein  Gemalde.) 

Vordergrund:     Nordische    Meereslandschaf t,   auf   einem   von   griinlichen 

Wogen  umtosten  Felseneiland  der  Hiine.    Mittelgrund:    Die  hochragende  Ge- 

stalt   des   ehrwiirdigen   Greises   steht   einsam   auf   einer   ins   Meer  hineinragenden 

Felsenklippe.     Hintergrund:    Das  Heergef olge,  eine  wildzerkliif  tete  Gebirgs- 

'landschaft. 

4.  Uhlands  Gedichte:  ,,Rolands  Schildtrager"  und: 

,,D  e  r  blinde  Konig."   (Ein  Vergleich.) 

A.  Gleiche  Ziige. 

1.  Beide  Gedichte  sind  rhapsodischen  Charakters  und  erinnern  in  Bezug  auf 
Inhalt  und  Form  an  die  alten  Heldenlieder.  2.  Beide  verherrlichen  ritterliche  Hel- 
denkraft  und  Treue  in  lebensvollen  markigen  Ziigen.  3.  In  beiden  treten  jugend- 
liche  Helden  fiir  den  bedrohten  Ruhm  des  Vaters  ein  und  nehmen  mutig  den  Kampf 
mit  dem  iibermachtigen  Feiude  auf.  4.  In  beiden  unterliegt  der  machtige  Gegner 


Der  blinde  Konig.  321 

trotz  seiner  ungeschlachten  Starke  und  der  grosseren  jugendlichen  Gewandtheit 
und  Behendigkeit.  5.  In  beiden  Fallen  lohnen  ein  kostlicher  Siegespreis  und  die 
vaterliche  Anerkennung,  letztere  lesen  wir  auch  aus  Milons  Worten  heraus,  dem 
Sieger. 

B.   UngleicheZiige. 

1.  Wahrend  der  Stoff  des  ersten  Gedichts  dem  Karolingischen  Sagenkreise  ent- 
nommen  ist,  beruht  der  Inhalt  des  letzteren  auf  freier  dichterischer  Erfindung.  2. 
Die  Beweggriinde  beider  jugendlicher  Helden  vor  der  Tat  sind  nicht  ganz  gleich,  da 
Jung  Roland  mehr  aus  Besorgnis  fur  den  Ruhm  des  Vaters,  wie  aus  keeker  Aben- 
teuerlust  die  tollkiihne  Tat  begeht,  wahrend  der  Konigssohn  nur  aus  Liebe  zum 
greisen  Vater  und  der  teuren  Schwester  den  ungleichen  Karapf  aufnimmt.  Den- 
noch  hat  auch  das  zweite  Gedicht  einen  viel  ernsthafteren  Charakter  und  ein 
hoheres  sittliches  Geprage  wie  das  erste.  3.  Der  ubermut  und  die  stolze  Siegesge- 
wissheit  der  reckenhaften  Kampen  stehen  in  grellem  Kontrast  zu  dem  entschlosse- 
nen,  todesmutigen  Vorgehen  ihrer  jugendlichen  Gegner,  die  der  ungfiigige  Hiinen- 
kraft  Gewandtheit  und  behende  Bewegung  mit  Erfolg  entgegensetzen. 

Wahrend  aber  der  junge  Konigssohn  mit  vollem  Einverstandnis  und  unter 
heissen  Segenswiinschen  seines  blinden  Vaters  als  Befreier  auftritt,  unternimmt 
Jung  Roland  ohne  Vorwissen  des  schlafenden  Milon  den  schweren  Kampf  und 
erlangt  erst  nachtraglich  die  Billigung  seines  ihm  anfanglich  ziirnenden  Vaters. 
4.  Wahrend  im  ersten  Gedicht  die  einzelnen  Stadien  der  Kampfesszene  in  breiter 
opischer  Darstellung  geschildert  werden,  wird  im  zweiten  die  blutige  Entscheidung 
auf  dem  Eiland  in  wundervoller  onomatopoetischer  Malerei  und  dramatischer  Kiirze 
angedeutet,  so  dass  auch  nach  der  asthetischen  Seite  bin  der  Wert  der  zweiten 
Rhapsodie  iiberwiegt. 

5.  Vergleich  zwischen  dem  Gedicht  ,,Der  blinde 
Konig"  und  der  Geschichte  ,,David  und  Goliat h." 

I.  Ahnlichkeiten. 

a.  Beide  Stoffe  schildern  uns  einen  wichtigen  Zweikampf  wie  derartige  Kampfe 
in  der  alten  Geschichte  vielfach  erwahnt  werden.  b.  In  beiden  Fallen  tritt  ein 
hiinenhafter  Ka'mpe  auf,  der  einem  Herrscher,  bez.  seinem  Heergefolge  Trotz  bietet. 
c.2  Hier  wie  dort  nimmt  ein  ungleicher  Gegner,  ein  Jiingling,  den  Kampf  mit  dem 
iibermachtigen  Feinde  auf.  d.  Sowohl  in  Uhlands  Gedicht,  wie  in  der  Historie 
werden  die  jugendlichen  Helden  seitens  ihrer  Vater  gewarnt,  jedoch  vegeblich.  e. 
Beide  Riesenbezwinger  beseitigen  die  ihnen  entgegenstehenden  Beden- 
ken  durch  den  Hinweis  auf  ihren  durch  besondere  Umstande  bedingten  unerschiit- 
terlichen  Entschluss.  f.  Jedesmal  endigt  der  Kampf  mit  dem  jahen  Fall  des 
iibermutigen  Feindes. 

II.    Verschiedenheiten. 

a.  Im  ersten  Fall  trotzt  der  Hiine  einem  KSnige  und  seiner  Fechterschar, 
wahrend  Goliath  dem  ganzen  Israel  Hohn  spricht.  b.  Dort  ist  der  nachste  Zweck 
des  Kampfes  die  Befreiung  einer  einzelnen  Person,  wahrend  es  sich  hier  um  die 
Freiheit  eines  ganzen  Volkes  handelt.  c.  Sowohl  bei  Uhland,  wie  in  der  Geschichte 
erhalten  die  Kiimpfer  ihre  besondere  Ausriistung.  Wahrend  aber  David  die  schwere 
Rustling  Sauls  ablegt  und  zu  einer  Schleuder  greift,  beha'lt  der  junge  Konigssohn 
des  Vaters  Schwert,  das  nun  auch  gute  Dienste  tut.  d.  Wahrend  die  Geschichte 
in  breiter  Ausfiihrlichkeit  den  Hergang  des  Kampfes  schildert,  gibt  der  Dichter 
nur  wenige  Andeutungen,  die  das  Interesse  des  Hb'rers  aufs  hochste  spannen.  e. 
Uhlands  Gedicht  schildert  zwar  ideale  sittliche  Verhaltnisse,  steht  aber  offenbar 


322  Pddagogische  Monatshefte. 

noch  auf  dem  Boden  des  altgermanischen  Heidentums,  so  dass  jedes  religiose  Motiv 
fehlt,  wiihrend  die  Historic  einen  religib'sen  Hintergrund  hat,  was  ihr  einen  ungleich 
hoheren  Wert  verleiht.  So  erb'ffnet  David  den  Kampf  init  den  von  gottvertrauender 
Gesinnung  getragenen  Worten:  ,,Du  kommst  zu  mir  mit  Schwert,  Spiess  und 
Schild;  ich  aber  komme  zu  dir  ira  Namen  des  Herrn  Zebaoth,  des  Gottes  Israels, 
den  du  gehohnet  hast."  f.  Demnach  erscheint  der  Sieg  im  ersten  Fall  mehr  als 
Folge  rein  menschlicher  Tapferkeit,  wahrend  David,  der  im  Vertrauen  auf  Jehovahs 
Hilfe  Goliath  entgegentritt,  wesentlich  als  Gotteskampfer  erscheint,  der  fur  die 
hochste  Idee  —  Freiheit  des  Volkes  und  Erhaltung  seiner  Keligion  —  sein  Leben 
einsetzt. 

6.  Welche  Eolle  spielt  das  Schwert  in  dem  vorliegenden  Gedichte  im  Vergleich 
zu  ,,Siegf rieds  Schwert  ?" 

7.  Inwiefern   bezeugt   Uhlands  Rhapsodie   ,,Der  blinde  Konig"  den  miichtigen 
Familiensinn  des  germanischen  Volksstammes  ? 

Erklare    die    Ausdriicke    ,,Bord",    ,,Eiland",    ,,Felsverlies",    ,,Hiine",    ,,Skalde", 
,,Gunilde" ! 


II.     Versuchung  von  Robert  Reinick. 


(Aus  der  Schule — fiir  die  Schule.) 


Lehrbeispiel  von  Lehrer  Karl  Lichte,  Wriezen. 


Vorbereitung. 

Ehe  die  Kinder  in  die  Schule  gehen,  machen  sie  sich  allerlei  zu  schaffen. 

Was  tun  sie  besonders  gem?    (Sie  spielen.) 

Dazu  schenken  ihnen  die  Eltern  meist  das  Spielzeug,  oft  aber  ersinnen  sich  die 
Kleinen  selbst  mancherlei,  und  an  diesem  haben  sie  ihre  grbsste  Freude. 

Womit  spielen  die  kleinen  Madchen  am  liebsten?  (Puppe.)  —  Welche  Spiele 
lieben  die  Knaben?  (Baukasten,  Bleisoldaten,  Schaukelpferd  u.  s.  w.)  —  An  welch  en 
Spielen  vergniigen  sie  sich  draussen?  (Greifen,  Blindekuh,  Ball,  Soldat,  Wettlauf 
u.  s.  w.) 

So  vergniigen  sich  die  kleinen  Kinder  in  froher  Lust  und  die  Augen  der  Eltern 
belacheln  das  frohliche  Treiben  der  sorglosen  Jugend. 

Diese  Spiele  und  viele  andere  werden  auch  vorgenommen,  wenn  die  Kinder 
schon  in  die  Schule  gehoren.  Sobald  die  Schulzeit  beginnt,  fangt  fiir  das  Kind  ein 
neuer  Lebensabschnitt,  die  Zeit  der  Arbeit,  an. 

Welche  Arbeiten  muss  das  Kind  fiir  die  Schule  verrichten?  (Die  Schularbeiten.) 
—  Wer  gibt  diese  Arbeiten  auf?  —  Was  miissen  die  Kinder  nun  tun?  (Die  von  dem 
Lehrer  aufgegebenen  Arbeiten  mit  Fleiss  anzufertigen,  ist  des  Kindes  Pflicht.)  — 
Was  ist  auch  cure  Pflicht?  —  Wann  sollt  ihr  cure  Schularbeiten  machen?  —  Was 
darfst  du  tun,  wenn  diese  fertig  sind?  —  Was  sollst  du  also  zuerst  verrichten? 
(Arbeit.)  —  Was  folgt  dann?  (Spiel.) 

Erst  die  Arbeit,  dann  das  Spiel.  Wer  nach  diesem  Worte  handelt,  erfiillt  seine 
Pflicht.  Das  sollt  ihr  auch  tun.  Dazu  will  auch  ein  Gedicht  euch  mahnen,  das  wir 
heute  miteinander  besprechen  wollen. 

Behandlung. 

Vorsprechen  oder  Vorlesen  des  Gedichtes  seitens  des  Lehrers.  Lies  die  1. 
Strophe ! 


Versuchung.  333 

Von  wein  wird  hier  erzahlt?  (Von  dem  Knaben.)  —  Wo  befindet  er  sich?  (Im 
Kammerlein.)  —  Womit  beschaftigt  er  sich  dort?  —  Was  will  er  dadurch  erfiillen? 
(Seine  Pflicht.) 

Mit  Lust  und  Liebe  hat  er  sich  an  seinen  Arbeitstisch  gesetzt,  um  mit  Fleiss 
seine  Aufgaben  zu  losen. 

Wie  arbeitet  er?    (Emsig.)  —  Gebrauche  dafiir  ein  anderes  Wort!     (Fleissig.) 
-  Was  lacht  bei  der  Arbeit  des  Knaben  durch  das  Fenster  herein?     (Die  Sonne 
echeint  hell  und  freundlich  auf  seine  Arbeit.)   —  Wie  scheint  sie  verwundert  zu 
sprechen?    (Lieb  Kind,  du  sitzest  hier?) 

Sie  will  wohl  sagen:  du  hattest  ja  im  langen  Winter  Zeit  genug,  im  Stiibchen 
zu  sitzen.  Jetzt,  wo  ich  nicht  nur  scheine,  sondern  aiich  warme,  musst  du  dich  doch 
draussen  aufhalten,  um  mich  in  meiner  Schb'nheit  zu  sehen. 

Wie  ladet  sie  den  Knaben  ein?  (Komm  doch  heraus  u.  a.  w.)  —  Wozu  will  sie 
ihn  veranlassen?  (Ins  Freie  zu  gehen  und  mit  andern  Knaben  zu  spielen.) 

Gewiss  tummeln  sich  schon  viele  Kinder,  Spielgenossen  des  Knaben,  draussen 
umher  im  lustigen,  blanken  Sonnenschein.  Einige  von  ihnen  denken  auch  wohl,  dass 
das  Spiel  schoner  sei  als  die  Arbeit. 

Aber  der  Knabe  lasst  sich  nicht  storen  bei  seiner  Arbeit  durch  den  Lockruf  der 
Sonne!  —  Wie  spricht  er  zum  Sonnenschein?  —  Welcher  Gedanke  fesselt  ihn? 
(Der  Gedanke  an  seine  Pflicht.) 

Das  war  von  dem  Kanben  recht  gehandelt.  Lerne  du  es  auch  von  ihm.  Es  mag 
vielleicht  etwas  Schb'neres  geben,  als  die  Arbeit  gerade  ist,  die  du  verrichten  musst. 
Lass  dich  dadurch  aber  nicht  ablocken,  deine  Arbeit  und  damit  deine  Pflicht  zu 
tun.  Nach  getaner  Arbeit  kannst  du  auch  das  genissen,  was  schoner  ist  oder  dir 
vielleicht  nur  schoner  scheint.  Erst  die  Arbeit,  dann  das  Spiel! 

In  halt  der  1.  Strophe:  Lass  dich  nicht  abhalten  in  deiner  Arbeit, 
wenn  man  dir  auch  Schoneres  verspricht. 

Lies  die  2.  Strophe! 

Der  Knabe  hat  sich  durch  die  Lockungen  in  seiner  Arbeit  nicht  storen 
lassen. 

\Vas  tut  er  vielmehr?  —  Wer  unterbricht  ihn  in  seiner  Arbeit?  (Ein  lustig 
Vogelein.)  Das  lustige  Vogelein  fliegt  vor  dem  Fenster  des  Knaben  hin  und  her  und 
singt  sein  frohliches  Liedchen.  Was  will  es  dem  Knaben  darin  zurufen?  (Komm 
mit  u.  s.  w.) 

Ein  Gang  unter  blauem  Himmel  in  den  Wald  mit  seinem  herrlichen  Griin,  auf 
die  Wiese  mit  ihrer  Bliitenpracht  ist  eine  Freude,  die  das  Herz  nur  veredeln  kann, 
und  die  jeder  Mensch,  der  sie  recht  geniesst,  auch  als  edle  Freude  empfindet. 

Doch  der  Knabe  lasst  sich  nicht  abhalten  durch  Versprechungen  solcher  Freu- 
den !  —  Wann  kann  er  diese  edlen  Freuden  geniessen  ? 

Auf  jedes  weitere  Nachdenken  iiber  diese  Freuden  lasst  der  Knabe  sich  gar 
nicht  ein;  er  fahrt  fort  in  seiner  Arbeit. 

Wie  spricht  er  kurz  zum  Vogel?  (Erst  lass  mich  u.  s.  w.)  —  Wie  denkt  er 
wieder?  (Erst  die  Arbeit,  dann  das  Spiel.) 

Denke  du  auch  stets  so!  Es  werden  auch  von  Leuten,  die  euch  in  der  Arbeit 
aufhalten  wollen,  Versprechungen  gegeben  und  dabei  allerlei  sogenannte  Freuden 
in  Aussicht  gestellt.  Hort  nicht  auf  sie.  Die  Freuden,  die  euch  solche  Leute,  die 
meist  lockere  Vogel  sind,  versprechen,  sind  nichtig.  Schenkt  solchen  Menschen 
wenig  Beachtung.  Bleibt  fest  in  eurer  Arbeit,  die  das  Leben  siisa  macht.  Nach  Be- 
endigung  derselben  geniesst  dann  die  Freuden,  die  das  Herz  nur  veredeln  ko'nnen. 


324  Padagogische  Monatshefte. 

Inhalt  der  2.  Strophe:  Lass  dich  in  deiner  Arbeit  nicht  abhalten, 
wenn  man  dir  auch  die  Freuden  des  Lebens  verspricht! 

Lies  die  3.  Strophe! 

Der  Knabe  arbeitet  mit  Fleiss  welter.  Zufallig  wendet  er  sein  Auge  von  der 
Arbeit  nach  dem  Fenster.  Was  bemerkt  er  dort?  (Apfelbaum.)  —  Wodurch  machte 
er  sich  bemerkbar?  (Rauscht  mit  seinen  Blattern.) 

Der  Apfelbaum  stand  nicht  weit  vom  Fenster  entfernt  im  Garten. 

Was  sieht  der  Knabe  an  den  Zweigen  des  Baumes?  (Diese  schonen,  rot- 
backigen  Apfel  sind  ein  herrlicher  Genuss.)  —  Wozu  kb'nnten  sie  den  Knaben  ver- 
locken?  (Von  der  Arbeit  zu  lassen.)  —  Wie  ruft  der  Apfelbaum  dem  Knaben  gleich- 
sam  zu?  (Schau  meine  Apfel  u.  s.  w.) 

Der  Knabe  geniesst  gewiss  gern  einen  schonen  Apfel.  Aber  er  weiss,  dass  es 
jhm  gestattet  ist,  von  den  Friichten  zu  essen,  wann  und  wieviel  er  will.  Darum 
lasst  er  sich  auch  hierdurch  in  seiner  Arbeit,  die  in  kiirzester  Zeit  vollendet  ist, 
nicht  unterbrechen. 

Wie  fertigt  er  den  Apfelbaum  ab,  der  ihm  so  schone  Geniisse  verspricht?  (Erst 
lass  mich  u.  s.  w.) 

Darin  sei  auch  der  Knabe  fiir  dich  ein  Vorbild.  Mit  schonen  iibertiinchten 
Worten  sucht  so  mancher  Tagedieb  den  fleissigen  Arbeiter  aufzureizen,  von  der 
Arbeit  zu  lassen,  die  ihm  doch  keinen  Genuss,  keine  Befriedigung  bringe.  Dagegen 
weiss  er  die  Geniisse  der  Welt  in  den  schonsten  Farben  zu  schildern.  Hort  nicht 
auf  das  lose  Geschwatz  dieser  Menschen.  Nur  wer  arbeitet,  soil  essen  oder  ge- 
niessen,  nur  Arbeit  macht  das  Leben  suss.  Wenn  du  deine  Arbeit  gern  tust,  wird 
eie  ein  Segen  werden  fiir  dich,  und  es  wird  fiir  dich  der  hochste  Genuss  sein,  dass 
du  dich  und  die  Deinen  darin  gliicklich  weisst. 

Inhalt  der  3.  Strophe:  Lass  dich  in  deiner  Arbeit  nicht  abhalten, 
wenn  man  dir  auch  die  Geniisse  des  Lebens  verspricht! 

Lies  die  4.  Strophe ! 

Dem  Fleissigen  gelingt  sein  Werk. 

Wem  ist  es  auch  so  gelungen? 

Er  hat  seine  Arbeit  beendet. 

Was  tut  er,  nachdem  er  fertig  ist  mit  seiner  Arbeit?  Das  zeugt  von  Sorgfalt 
und  Ordnung.  iJbe  du  auch  solche  Ordnung  in  deinen  Sachen  und  du  ersparst  dir 
manche  Miihe  und  Unannehmlichkeiten. 

Wo  will  der  Knabe  jetzt  nicht  mehr  bleiben?  —  Wohin  eilt  er?  —  Was  tut  er 
im  Garten?  —  (Springt  vor  Lust  und  jauchzt  u.  s.  w.)  —  Warum  kann  er  jetzt 
lustig  sein?  (Er  weiss,  dass  er  seine  Pflicht  getan  hat.)  —  Er  hat  nichts  versaumt. 

Jetzt  kann  er  erst  die  Freuden  doppelt  geniessen,  und  er  geniesst  sie  recht. 

Welche  Worte  der  Strophe  erziihlen  davon?  (Juchhe!  wie  lacht  der  Sonnen- 
schein  u.  s.  w.) 

So  sollst  und  kannst  auch  du  dich  recht  freuen,  wenn  du  in  deinem  Leben  den 
Knaben  dir  zum  Vorbild  nimmst.  Tue  furs  erste  deine  Pflicht.  Lass  dich  durch 
keine  Versprechungen  schonerer  Aussichten,  besserer  Freuden  und  edlerer  Geniisse 
davon  abhalten.  Hast  du  deiue  Arbeit  beendet  und  somit  deine  Pflicht  erfiillt,  dann 
ist  noch  Zeit  genug,  dir  einen  Genuss  der  Freuden  und  Schonheiten  des  Lebens  zu 
verschaffen.  Doch  sei  in  der  Wahl  derselben  vorsichtig.  So  allein  kannst  du  nur 
wirklich  lustig  oder  gliicklich  sein. 

Inhaltder4.  Strophe.   Nach  getaner  Arbeit  darf  ich  mich  freuen. 

Zusammenfassende  Wiederholung. 


Zum  Gedachtnis  John  Locke's. 


325 


Der  Mensch  soil  arbeiten.  Das  ist  seine  Pflicht.  Im  recliten  Bewusstsein  dieser 
Pflicht  soil  er  sich  durch  nichts  in  seiner  Arbeit  aufhalten  lassen.  Erst  nach  getaner 
Arbeit  geniesse  er  die  Freude;  dann  ist  sie  ihm  dopeplt  suss. 

Lies  die  Uberschrift  des  Gedichtes! 

Wir  wollen  diese  Uberschrift  aus  dem  Gedichte  erkliiren. 

Womit  war  der  Knabe  beschaftigt? 

Er  hat  das  also  getan,  was  seine  Pflicht  und  Schuldigkeit  war.  Der  Knabe  war 
auf  dem  rechten  Wege. 

Wer  will  ihn  von  dem  rechten  Wege  abbringen?  ( Sonnenschein,  Vogel,  Apfel- 
baum.) 

Wer  darauf  ausgeht,  den  Xachsten  vom  rechten  Wege  abzubringen,  versucht 
ihn. 

Nenne  die  Versucher  in  diesem  Gedichte! 

Wie  heisst  ihre  Tatigkeit?  (Versuchung.)  —  Warum  ist  das  Gedicht  so  iiber- 
schrieben?  (Es  wird  in  dem  Gedichte  erziihlt,  wie  ein  Knabe  vom  rechten  Wege 
abgelenkt  werden  soil.) 

Der  Versucher  benutzt  gewohnlich  zu  seinem  Zwecke  die  Lieblingsgewohnheiten 
des  Menschen. 

Welche  werden  hier  benutzt?  (Freude  des  Knaben  am  Spiel,  Freude  an  der 
Natur,  Vorliebe  fiir  Obst.) 

So  macht  es  der  Versucher  immer  im  Leben  des  Menschen.  Man  hat  vielfach 
Zustiinde  und  Vorgange  im  Leben  beobachtet  \md  beurteilt  und  die  gefundene  Wahr- 
heit  in  ein  Sprichwort  zusammengefasst.  Einige  von  ihnen,  die  sich  hierauf  be- 
ziehen,  merkt  euch: 

1.  Mit  Speck  fiingt  man  Mause. 

2.  Wer  einen  Aal  fangen  will,  macht  zuvor  das  Wasser  triib. 

3.  Man  fiingt  die  Drossel  mit  Beeren,  die  sie  am  liebsten  frisst. 

(Mit  Bezugnahme  auf  das  behandelte  Gedicht  gebe  der  Lehrer  einige  kurz* 
Erklarungen.) 


Zum  Gedachtnis  John  Lockes. 


(Gestorben  28.  Oktober  1704.) 


Lauterbach-Neustadte). 


Am  28.  Oktober  war  es  Ehrenpflicht  der  Erzieher,  eines  grossen  Toten  zu  ge- 
denken.  Nicht  Denkmaler  aus  Erz  und  Stein  reden  in  unserer  so  denkmalfreudigen 
Zeit  von  seinen  Taten.  Sein  stilles  in  vielfacher  Hinsicht  segensreiches  Wirken 
wurde  vielmehr  lange  verkannt  und  iibersehen;  denn  er  machte  nicht  in  markt- 
schreierischer  Weise  die  Welt  auf  seine  Lehren  aufmerksam!  Es  ist  Englands 
grosser  Philosoph,  Piidagog,  Staatsmann  und  Arzt  John  Locke. 

Am  29.  August  1632  in  Wrington  bei  Bristol  als  Sohn  eines  Friedensrichters 
geboren,  besuchte  er  die  Westminsterschule  in  London  und  das  beriihmte  Christ- 
Church-College  der  Universitat  Oxford  und  studierte  Theologie  und  Medizin  an 
dieser  Hochschule,  an  der  damals  noch  die  alte  scholastische  Qelehreamkeit  mit 
alien  Spitzfindigkeiten  regierte.  Xach  absolviertem  Studium  begleitete  er  ah 
Sekretiir  einen  englischen  Gesandten  an  den  brandengurgischen  Hof  und  trat  dann 
als  Arzt,  Berater,  politischer  Sekretar  und  Erzieher  in  den  Dienst  des  Lord  Ashley 
Grafen  von  Shaftesbury.  Nach  dessen  Sturze  begab  sich  Locke,  die  Rache  Kails  II. 


326  Pddagogische  Monatshefte. 

fiirchtend,  nach  Holland,  von  wo  ihm  die  glorreiche  Revolution  zuriickrief.  Er  be- 
kleidete  nun  noch  verschiedene  Staatsamter  und  war  u.  a.  Mitglied  einer  Kom- 
mission  fiir  Handel  und  Kolonien.  Seinen  Lebensabend  brachte  er  auf  dem  Landsitze 
Gates  im  Kreise  einer  befreundeten  Familie  (Masham)  zu,  wo  er  auch  am  28.  Okto- 
ber  1704  starb. 

Soweit  es  der  Raum  gestattet,  mb'gen  die  Faktoren  hervorgehoben  werden,  die 
seine  Grosse  bedingen.  Bahnbrechend  wirkte  er  durch  sein  philosophisches  Werk 
,,Essay  concerning  human  understanding".  Die  Seele  hat  nach  ihm  keinen  urspriing- 
lichen  Inhalt,  ,,sie  ist  ein  unbeschriebenes  Blatt  Papier",  eine  vollkommene  ,,tabula 
rasa".  Alle  Vorstellungen  etc.  erhalt  sie  durch  die  Erfahrung,  die  teils  eine  aussere, 
teils  eine  innere  ist.  Jene  erstere,  die  ,,Sensation",  ist  die  Auffassung  der  ausseren 
Objekte  mittels  der  Sinne.  Ihr  gegeniiber  steht  die  ,,Reflexion".  Sie  umfasst  die 
psychischen  Vorgange  als  eine  besondere  Art  von  Erfahrung,  deren  Objekte  der 
Selbstbeobachtung  unterliegen.  Die  Sensation  geht  natiirlich  zeitlich  der  Reflexion 
vorauf,  und  somit  konnte  Locke  den  Fundamentalsatz  aufstellen:  ,,Nihil  est  in 
intellectu  quod  non  fuerit  in  sensu".  Er  hat  also  das  schon  von  Baco  als  Universal- 
methode  fiir  alle  Wissenschaften  aufgestellte  empirische  Verfahren  auf  die  Psycho- 
logie  angewandt  und  gilt  mit  Recht  als  der  Begriinder  der  neueren  Psychologic, 
speziell  der  des  ,,inneren  Sinnes".  Sehr  oft  mahnt  er  auch  den  Erzieher,  die  Seele 
des  Zoglings  zu  studieren;  er  weist  hier  und  da  auf  das  Leben  und  die  geistige 
Entwicklung  des  Kindes  hin,  erortert  Verkehrtheiten  in  der  herrschenden  Er- 
ziehung und  erteilt  Ratschlage  oft  von  psychologischer  Feinheit  zu  ihrer  Beseiti- 
gung.  Allerdings  hat  er  noch  kein  formvollendetes  regelrechtes  System  geschaffen, 
aber  den  grossen  Gedanken,  die  Padagogik  auf  Psychologic  zu  begriinden,  suchte  er 
bereits  zu  verwirklichen.  Er  hat  das  zwar  nicht  klar  und  bestimmt  ausgesprochen, 
er  war  sich  aber  doch,  wie  viele  seiner  Xusserungen  padagogischen  Inhalts  bezeugen, 
,,in  seinem  dunklen  Drange  des  rechten  Weges  wohl  bewusst." 

Sein  padagogisches  Hauptwerk  sind  seine  ,,Gedanken  iiber  Erziehung"  (1693). 
Aus  einem  Briefwechesl  entstanden,  zeigt  es  wohl  die  Mangel  seiner  Entstehung, 
enthiilt  aber  doch  eine  Menge  origineller  Gedanken  von  bleibender  Bedeutung.  Ein 
besonderes  Gewicht  legt  er  auf  die  korperliche  Erziehung,  veranlasst  durch  seine 
tigene  schwachliche  Konstitution  wie  seine  hervorragenden  arztlichen  Kenntnisse. 
Schon  Rabelais,  Montaigne,  Comenius  waren  dafiir  eingetreten,  Locke  aber  behan- 
delt  den  Gegenstand  viel  griindlicher.  Seinem  Einfluss  ist  es  ja  zuzusehreiben,  dass 
selbsk  heute  noch  die  englische  Erziehung  so  grossen  Wert  auf  Leibespflege  legt. 
,,De&  Sbhn  eines  Mannes-  vom  Stande  soil  so  erzogen  werden,  dass  er  dereinst  die 
Waffen  zu  tragen  und  Soldat  zu  werden  imstande  ist."  In  bezug  auf  Hygiene  fordert 
er  grosstmoglichste  Abhiirtung,  kalte  Biider  und  Fusswaschungen,  Bewegung  in 
frischer  Luft,  leichte  nicht  beengende  Kleidung  (kein  Korsett)  u.  dgl.  Die  Diat  soil 
einfach  und  naturgemiiss  sein.  Dem  Schlaf,  als  dem  grossten  Starkungsmittel  der 
Natur,  soil  geniigend  Zeit  eingerauint  werden.  Man  hole  bei  momentanen  Unpass- 
lichkeiten  nicht  sofort  den  Arzt,  ,,welcher  die  Fenster  mit  Medizinflaschchen  und 
den  Magen  mit  Apothekerwaren  fiillt".  Als  gymnastische  Leibesiibungen  empfiehlt 
cr  Bewegungsspiele,  Reiten,  Fechten,  Tanzen  und  besonders  das  Schwimmen  aus 
Nutzlichkeitsgriinden.  Seiner  Zeit  weit  voranschreitend,  tritt  er  fiir  Handfertig- 
keitsunterricht  ein.  Zur  Erholung  und  Ausbildung  des  Korpers  soil  die  Erlernung 
von  Gartenbau  und  Landwirtschaft,  von  Arbeiten  in  Holz  (Zimmermann,  Drechsler, 
Tischler),  Eisen,  Messing,  Silber,  das  Schneiden,  Polieren  und  Einfassen  edler 
Steine,  das  Schleifen  und  Glatten  optischer  G  laser  etc.  dienen.  Man  darf  also  wohl 
nicht  mit  unrecht  behaupten,  dass  Locke  fiir  die  Ausgestaltung  und  grossere  Be- 
riicksichtigung  der  leiblichen  Erziehung  bahnbrechend  gewirkt  hat. 


Zum  Gedachtnis  John  Locke's.  327 

Die  kirchlich-politischen  Wirren  Englands  im  17.  Jahrhiindert  sowie  der  starre 
"Widerspruch  der  gegeniiber  den  fortgeschrittenen  Wissenschaften  zuriickgebliebenen 
Theologie  schufen  den  Deismus,  fiir  den  neben  Herbert  Browne  vor  allem  Locke  sehr 
heftig  mit  seiner  ,,Verniinftigkeit"  des  Christentums  eintrat  (1694).  Der  Gottesbe- 
griff  ist  nach  ihm  nicht  angeboren,  sondern  wird  von  der  richtig  denkenden  die 
Werke  Gottes  betrachtenden  Vernunft  entdeckt.  ,,Weniger  nachdenkenden  Volkern 
wurde  der  Begriff  von  denen,  die  ihn  batten,  iibermittelt;  in  derselben  Lage  sind  die 
Kinder,  sie  miissen  erst  mit  dem  Vorrat  einfacher  Ideen  versehen  werden,  aus  denen 
<lie  Vernunft  den  Gottesbegriff  zusammensetzt."  Von  konfessionellen  Besonderheiten 
absehend,  hiilt  er  sich  daher  an  das  Allgemeinste  der  Religion,  ,,durch  gelegentliche, 
etwa  in  der  Form  von  Erzahlungen  gekleidete  Mitteilungen",  sagt  Locke,  ,,fiihre 
man  das  Kind  zu  der  Vorstellung  von  Gott  als  dem  hochsten  Wesen,  dem  Schopfer, 
Erhalter  und  Regenten,  der  um  die  Menschen  wisse,  ihnen  wohltue  und  von  ihnen 
Oehorsam  erwarte".  Die  Lektiire  der  Bibel  im  Unterricht  missbilligt  er,  weil  viele 
Stellen  die  Moral  gefahrdsn,  andere  die  Apperzeptionsfahigkeit  der  Kinder  iiber- 
steigen;  fiir  die  Hand  der  Schiiler  geniigt  ein  kurzer  Auszug,  welcher  die  Religions- 
grundsatze  mit  den  Worten  der  heiligen  Schrift  enthalt.  Da  Locke  in  der  Ab- 
neigung  historischer  Stoffe,  im  Wissen,  den  Zweck  des  Religionsunterrichtes  sieht 
und  den  gemiitbildenden  Einfluss,  die  Erwarmung  und  Veredlung  des  Gefiihls, 
Starkung  des  Will  ens  im  Dienste  des  Guten,  nicht  kennt  (letzteres  wenigstens  nicht 
in  diesem  Zusammenhange),  so  hat  er,  wie  Gitschmann  hervorhebt,  bei  aller  per- 
sonlichen  Frb'mmigkeit  und  Glaubenstreue  mehr  zur  Erschiitterung  des  Glaubens 
beigetragen,  als  die  schlimmsten  Atheisten.  Dennoch  soil  sein  Verdienst 
nicht  geschmalert  werden.  Durch  seine  Befiirwortung  einer  vernunftgemassen 
religiosen  Erziehung  rettete  er  seiner  und  unserer  Zeit  den  freien  Gebrauch  unserer 
Vernunft ! 

Sein  empirisches  Denken  wie  der  Rationalismus  seiner  religiosen  Stellung 
1  lessen  ihn  als  Ziel  der  Erziehung  die  Erlangung  zeitlicher  und  irdischer  Gliickselig- 
keit  ansehen.  Das  der  Menschenbrust  eingepflanzte  Streben  nach  Wohlbefinden  soil 
unter  Aufsicht  des  Verstandes  und  der  Vernunft  gestellt  werden;  geboten  ist  das 
Begehren  von  dauernden,  dem  ewigen  Gliick  nicht  widerstrebenden  Giitern,  das  Er- 
streben  der  Wahrheit  oder  freigewollte  Ausiibung  des  Guten  um  seiner  selbst  willen : 
cine  Gedankenreihe,  die  an  Kant  erinnert.  Da  aber  bei  seiner  eudamonistischen  Le- 
bensansicht  von  einem  rein  sittlichen,  d.  h.  von  jeder  Nebenabsicht  freien  Streben 
nicht  die  Rede  sein  kann,  so  ist  seine  Idee  der  Gliickseligkeit  ethisch  wertlos.  Gleich- 
wohl  regte  sie  damals  viele  warmherzige  Freunde  der  leidenden  Menschheit,  die 
,,Philantropen",  zu  segensreicher  Tatigkeit  im  Dienste  der  Gesamtheit  an.  Locke 
ist  also  mit  vollem  Recht  der  Vorlaufer  und  geistige  Vater  des  Philanthropinismus. 

Als  Sohn  streng  puritanischer  Eltern,  sowie  als  Zeuge  der  eittlichen  Verkom- 
menheit  unter  Karl  II.  gab  Locke  der  moralischen  Erziehung  in  seinem  Programm 
eine  zentrale,  herrschende  Stellung,  ,,Tugend,  aufrichtige  Tugend  ist  das  schwierige 
und  wertvolle  Teil,  wonach  in  der  Erziehung  gestrebt  werden  muss".  Das  Haupt- 
mittel  hierzu  ist  anfanglich  die  Gewohnung,  und  zwar  nicht  nur  Unterdriickung  der 
sinnlichen  Triebe,  sondern,  wo  geboten,  auch  ihre  Unterstiitzung,  dasselbe  Prinzip, 
das  spater  Schleiermacher  wieder  zu  Ehren  brachte.  Mit  grosserer  Sorgfalt  als 
Comenius  im  Informatorium  der  Mutterschule  beantwortete  Locke  die  Fragen,  wie 
dem  Kinde  Gehorsam,  Mut,  Wahrheitsliebe,  Menschenfreundlichkeit  und  Fleiss,  wo- 
2u  bei  ihm  noch  Wohlanstandigkeit  und  Takt  im  Umgange  kommt,  eingepflanzt 
wird.  Den  wichtigsten  Ersatz  fiir  die  Anwendung  korperlicher  Strafen  sieht  er  ia 
der  Appellation  an  die  Vernunft  und  das  Ehrgefiihl  der  Kinder.  Letzteres  ist  natiir- 


328  Padagogische  Monaishefte. 

Jich  nur  so  lange  zu  benutzen,  als  das  Kind  infolge  niedriger  intcllektueller  Ent- 
\vicklungsstufe  einer  anderen  Eimvirkung  unzuganglich  ist. 

Das  Lernen  betrachtet  Locke  als  den  mindest  wichtigen  Teil  der  Erziehung. 
Edit  philantropisch  klingt  der  Satz:  Man  mache  dem  Kinde  das  Lernen  leicht  und 
angenehm  und  bedenke,  dass  es  besser  ist,  \venn  es  das  Lesen,  Schreiben  etc.  um  ein 
Jahr  spater  lernt,  als  wenn  es  fiir  immer  gegen  dasselbe  Abneigung  fasst.  Als  einer 
der  grb'ssten  Vorkampfer  der  empirischen  Forschung,  als  Nachfolger  Bacos,  Freund 
Boyles,  Sydenhams  und  Newtons  wird  er  in  seinen  Gedanken  nicht  miide,  mit 
scharfen  Worten  gegen  die  scholastische  Wortweisheit  und  Schulphilologie  aufzu- 
treten.  Nur  unterschatzt  er  zu  sehr  den  Wert  der  formalen,  humanistischen  Bildung, 
,,Der  Zogling  soil  die  grosste  Miihe  auf  das  verwenden,  was  am  notwendigsten  ist, 
und  der  Hauptgegenstand  der  Sorgfalt  soil  das  sein,  was  ihm  den  grossten  und 
haufigsten  Nutzen  in  der  Welt  bringt''.  Der  reinste  Utilitarismus !  Mit  stolzer  Ver- 
achtung  wendet  er  sich  von  Musik  und  Poesie  ab.  ,,Musik  raubt  einem  jungen 
Menschen  zu  viel  Zeit  und  fiihrt  ihn  oft  in  die  absonderlichste  Gesellschaft."  Uber 
die  Poesie  sagt  er:  Es  ist  sehr  selten  bemerkt  worden,  dass  jemand  Gold-  oder  Sil- 
berminen  im  Parnass  entdeckt  habe:  ,,es  weht  dort  eine  liebliche  Luft,  aber  der 
Boden  ist  unfruchtbar".  Dagegen  ist  ihm  Zeichnen  sehr  erwiinscht.  ,,Wie  viele  Ge- 
baude  sieht  ein  Mann,  wie  viele  Maschinen,  deren  Vorstellung  durch  ein  wenig  Ge- 
schick  im  Zeichnen  leicht  festgehalten  werden  kb'nnte!"  Als  praktischer  Englander 
verlangt  er  auch  Stenographic,  kaufmannisches  Rechnen  und  kaufmannische  Buch- 
fiihrung,  ,,denn  sie  sind  fiir  jeden  jungen  Mann  von  grossem  Nutzen  und  Erfolg". 
Unerlasslich  ist  eine  gute  Handschrift  und  das  Abfassen  von  Rechnungen.  Auch 
Unterricht  in  den  Realien  fordert  er.  Der  oben  geschilderte  krasse  Utilitarismus  ist 
aber  der  Krebsschaden  seiner  Padagogik.  Wenn  auch  hier  dem  Extrem  verfallen,  hat 
er  doch  der  padagogischen  Reform  des  18.  Jahrhunderts  ihre  Bahn  gewiesen.  Und 
liber  Rosseau  und  die  Philanthropen  hinaus  ist  die  Padagogik  und  Didaktik  der 
neueren  Zeit  mehr  oder  weniger  folgerecht  die  Lockesche,  dank  dem  stillen  besonne- 
nen  Wirken  des  Philosophen  von  Gates. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Arno  Holz  und  sein  Dafnis. 


(Fiir  die  Padagogischen  Honatshefte.) 


Von  Dr.  O.  E.  Lessing. 


Noch  nie  hat  ein  Dichter  so  unter  dem  Unverstand  berufsmassiger  Rezensenten 
zu  leiden  gehabt,  wie  Arno  Holz.  Nach  Veroffentlichung  des  Papa  Hamlet 
und  Auffiihrung  der  Familie  Selirke  als  ,,konsequenter  Naturalist"  ab- 
gestempelt,  nach  dem  Erscheinen  der  Sozialaristokraten  als  klein- 
licher  Karikaturist  und  verbohrter  Alltagsfanatiker  verurteilt,  wird  er  heute,  nach 
dem  grossen  Erfolg  des  Traumulus,  als  Biilmenspekulant  an  den  Pranger 
gestellt. 

Dieselbe  Presse,  die  durch  perfides  Totschweigen  oder  lappische  Witzeleien  den 
nach  hochsten  Idealen  strebenden  Dichter  des  Phantasus  um  die  Friichte 
^ahrelanger  Arbeit  betrog,  kann  ihm  heute  den  wohlverdienten  Erfolg  nicht  gonnen. 

Richard  Nordhausen  und  Alfred  Kerr  geraten  ausser  sich  iiber  die  angebliche 
Inkonsequenz  des  Konsequenten.  L'nd  der  Rezensent  der  Allgemeinen  Zeitung  wid- 


Arno  Holz  und  sein  Dafnis.  329 

met  dem  plb'tzlich  Beriihmtgewordenen  ebenso  sentimentale  als  holperige  Distichen, 
als  ware  der   Traumulus    ein  Verrat  an  der  Kunst. 

Gewiss  wiegt  dieses  Theaterstiick  leichter,  als  die  friiheren  Werke  des  Dich- 
ters.  Aber  der  grosse  Goethe  wird  bewundert,  dass  er  nicht  nur  den  metaphysischen 
Faust  dichten,  sondern  auch  leichte  Singspiele  verfassen  konnte:  der  Moderne 
wird  verlastert,  wenn  er  es  einmal  wagt,  statt  eines  scheinbar  untheatralischen 
Milieu-Dramas  ein  gutes  Theaterstiick  zu  schreiben.  Man  glaubt,  von  geistigem 
Bankerott  und  von  Verflachung  reden  zu  diirfen,  wo  der  Dichter  neben  den 
Traumulus  ein  lyrisches  Kunstwerk  wie  den  Dafnis  gestellt  und  sich 
damit  aufs  Neue  als  den  genialsten  Lyriker  des  modernen  Deutschland  erwiesen  hat. 
Wer  kennt  nicht  den  lustigen  Zecher,  den  wahlerischen  Gourmand,  den  liebes- 
tollen  Don  Juan,  den  naturschwelgerischen  Bummler  —  den  ,,bsriihmbten  Schaffer" 
Dafnis?  In  den  Poesien  aller  Zeiten  und  Volker  treibt  er  sein  Wesen.  Kaum  hat 
die  Ubermacht  kirchlicher  Askese  ihn  scheinbar  vertrieben,  so  taucht  der  unbesieg- 
bare  Geist  dieses  menschlichsten  aller  Menschen  wieder  auf,  bis  er  in  der  Schafer- 
Poesie  des  17.  Jahrhunderts  seine  frohlichsten  Triumphe  feiert.  Er  ist  eine  Ge- 
stalt,  ebenso  typisch  wie  Ahasver,  wie  Faust,  wie  Till  Eulenspiegel,  wie  der  Wilde 
Jager,  wie  der  Fliegende  Hollander.  Diese  mythische  Gestalt — denn  zum  Mythus 
ist  sie  geworden,  wie  die  andern — hat  von  jeher  in  tausend  Verkleidungen  gelebt. 
Aber  niemand  hat  ihr  Wesen  ganz  durchschaut,  niemand  den  gemeinsamen  Kern  aller 
jener  Verkleidungen  erkannt,  ihre  typische  Bedeutung  erfasst,  bis  sie  nun  von 
Arno  Holz  in  ihrer  ganzen  Lebensfiille,  in  greifbarer  Korperlichkeit  vor  uns  ge- 
stellt worden  ist. 

Allzu  bescheiden  hat  der  Dichter  seine  Schopfung  ,,ein  lyrisches  Portrat  aus 
dem  17.  Jahrhundert"  genannt.  Dieser  Nebentitel  gibt  keine  Ahnung  von  der  leuch- 
tenden  Farbenpracht,  dem  sprudelnden  Leben,  dem  iiberwaltigenden  Humor,  der 
packenden  Kraft  und  philosophischen  Tiefe  dieser  im  eigontlichsten  Sinn  des 
Wortes  mystischen  Dichtung.  Es  wird  manchen  geben,  der  das  Buch  wegen  des 
verftihrerisch  klingenden  Aufdrucks:  ,,Fress-,  Sauff-  und  Venuslieder"  kauft  und 
eine  Sammlung  leerer  Pikanterien  erwartet.  Der  beigeheftete  Stich  Behams,  der 
grinsende  Tod  zwischen  Adam  und  Eva,  wird  einem  solchen  Kaufer  wohl  gar  als 
ein  gelungener  Spass  erscheinen,  und  der  Sinn  des  darunter  stehenden  Verses  wird 
ihm  nicht  aufgehn: 

Horch  driimb,  wass  mein  Staub  dir  spricht: 

So  vihl  Gold  hat  Ophir  nicht, 

Alss  in  ihrem  Munde 

die  fliichtige  Secunde. 

0  Adame,  o  Eve, 

Vita  somnium  breve ! 

Das  Leben  ein  kurzer  Traum  —  diese  alte,  tiefernste  Wahrheit,  der  Arno  Holz 
hier  in  wunderbarer  Praganz  Ausdruck  gibt,  ist  der  Grundton,  der  all  den  graziosen 
und  duftigen  Melodien  des  Buches  die  nachhaltige  Resonanz  verleiht. 

Der  miinnliche  Ernst,  die  furchtlose  Ehrlichkeit,  der  unbeugsam  dem  Tode 
ins  Auge  schauende  Trotz  —  das  ist  die  Quelle  des  kostlichen  Humors,  des  tollen 
tibermuts,  der  frischen  Lebensfreude,  der  derben  Naturlichkeit,  die  im  Dafnis  ver- 
korpert  ist.  Seit  Goethe  hat  es  in  Deutschland  keinen  Lyriker  gegeben,  der  iiber 
so  viele  Farben  und  Tone  verfiigt,  der  gleichermassen  den  Ausdruck  der  weichsten 
Zartheit  und  des  kraftigsten  Pathos  beherrscht,  der  heitere  Anmut  und  kindliche 
Naivetat  so  vollkommen  mit  tiefer  Lebensweisheit  in  sich  vereinigt  hiitte,  wie  Arno 
Holz. 


330  Padagogische  Monatshefte. 

II.     Der  Qermanische  Kongress. 

Ein  germanischer  Kongress  fand  am  16.  und  17.  September  1904  in  der  Halle- 
fiir  Internationale  Kongresse  auf  der  St.  Louiser  Weltausstellung  statt.  Gleich  zu 
der  ersten  Sitzvmg  hatte  sich  ein  zahlreiches  Publikum,  bestehend  aus  Professorea 
der  hervorragenden  Universitaten,  Delegaten  des  Deutschamerikanischen  National- 
bundes,  deutschen  und  amerikanischen  Kanzelrednern,  Schriftstellern  und  Personen, 
die  die  Schatze  der  deutschen  Literatur  und  die  kulturellen  Errungenschaften  der 
germanischen  Volker  wiirdigen,  eingefunden. 

Zweck  und  Ziel  des  Kongresses  erhellt  am  besten  aus  der  Ansprache,  init  der 
Dr.  C.  J.  Hexamer,  der  President  des  Deutschamerikanischen  Nationalbundes,  die 
Versammlung  begriisste: 

,,Wie  eine  Anzahl  Bache,  die  einer  Quelle  entstammen,  sich  aus  natiir- 
lichen  Ursachen  zeitweilig  trennen,  um  sich  spater  wieder  zu  einem 
gewaltigen  Strom  zu  vereinigen,  so  haben  sich  auch  in  diesem,  meinem  Ge- 
burtsland,  die  verschiedenen  Volker,  durch  deren  Adern  germanisches  Blut 
fliesst,  wieder  vermischt.  Hier  haben  Deutsche,  Briten,  Schweden,  Norweger, 
Danen  und  Hollander  welche  durch  machtige  Wogen  sozialer,  politischer  und 
religioser  Stiirme  an  unsere  Ufer  geworfen  wurden,  eine  neue  Heimat  gefun- 
den  und  sich  mit  den  Elementen  anderer  Rassen  zu  einer  grossen  Nation  ver- 
eint.  Es  war  meiner  Ansicht  nach  ein  gliicklicher  Einfall  der  Delegaten  zum 
letzten  Konvent  des  Deutschamerikanischen  Nationalbundes  in  Baltimore, 
einen  Internationalen  Germanischen  Kongress  in  Verbindung  mit  der  Aus- 
stellung  einzuberufen.  Die  Zeit  hatte  nicht  besser  gewahlt  werden  kbnnen, 
denn  nie  zuvor  bestand  ein  so  vorziigliches  Einvernehmen  und  eine  so  allge- 
meine  gegenseitige  Achtung  zwischen  den  germanischen  Nationen,  als  heute. 

Von  unseren  Briidern  und  Vettern  aus  den  alten  Heimaten  iiber  dem  Meerr 
welche  uns  durch  ihren  Besuch  beehrt  haben,  werden  wir  offenbar  viel  lernen 
kb'nnen;  ebenfalls  konnen  wir  Amerikaner  von  verschiedener  germanischer  Ab- 
stammung  viel  von  einander  lernen. 

Ein  Kongress,  wie  dieser  —  welcher  nicht  zur  Verherrlichung  einer  Rasser 
sondern  behufs  ernstlicher  Forschungen  abgehalten  wird  —  ist  deshalb  von 
grosser  historischer  und  wissenschaftlicher  Bedeutung.  Ja,  ich  mb'chte  sagen,. 
dass  die  wahre  Geschichte  des  amerikanischen  Volkes  nicht  geschrieben  worden 
ist  und  nicht  geschrieben  werden  kann,  weil  wichtige  historische  und  ethnolo- 
gische  Data  noch  nicht  gesammelt  worden  sind.  Was  in  dieser  Richtung  ge- 
tan  werden  kann,  hat  die  Expedition  der  Deutschamerikanischen  Historischen 
Gesellschaft  durch  ihre  Nachforschungen  in  einem  kleinen  Teil  Pennsylvaniena 
bewiesen.  Es  ist  hbchste  Zeit,  dass  die  Bundes-  und  Staats-Behorden  zur  Er- 
kenntnis  der  Wichtigkeit  dieser  Arbeiten  gebracht  werden,  ehe  wertvolle  Ur- 
kunden  und  Reliquien  verschwinden. 

Im  Namen  des  Deutschamerikanischen  Xationalbundes  heisse  ich  Sie  herz- 
lich  willkommen.   Mogen  diesem  ersten  Kongi'esse  noch  viele  germanische  Kon- 
gresse in  diesem  und  anderen  Landern  folgen  und  ein  Einheitsgefiihl  zwischen 
den  Nationen,  durch  deren  Adern  dasselbe  Blut  fliesst,  fordern." 
Weitere  Ansprachen  hielten  Prof.  Learned  von  der  Universitat  von  Pennsyl- 
vanien,  der  permanente  Vorsitzende;  Prof.  Heller  von  der  Washington  Universitat, 
der  Vorsitzende  der  deutschen  Abteilung;  Dr.  Enander,  der  Vorsitzende  der  schwe- 
dischen  Abteilung;   und  Gerrit  H.  Ten  Brock  von  St.  Louis,  der  Vorsitzende  der 
hollandischen  Abteilung. 


Der  Cermaniche  Kongress.  331 

Den  Reigen  der  Vortrage  erb'ffnete  Professor  J.  Harmon  Deiler  von  der  Tulane 
Universitat,  New  Orleans,  der  einen  historischen  Vortrag  iiber  ,,Die  ersten 
Deutschen  am  unteren  Mississippi  und  die  Kreolen  deutscher  Abstammung"  hielt. 

Herr  Emil  Mannhardt  aus  Chicago  bestritt  in  seiner  Vorlesung  iiber  die 
,,Mischung  des  deutschen  Elements  mit  den  anderen  Bevolkerungselementen  in 
den  Vereinigten  Staaten",  dass  dieselbe  grosse  Fortschritte  niache.  Es  zeige  sieh 
iiberall  eine  Neigung  der  deutschen  Kinder,  sich  mit  Angehorigen  ihres  eigenen 
Stammes  zu  verehelichen. 

Professor  B.  F.  Hoffmann  von  der  Universitat  Missouri  sprach  iiber  ,,GrilI- 
parzers  Konig  Ottokars  Gliick  und  Ende  im  Verhaltnis  zu  den  fruheren  dichteri- 
schen  Bearbeitungen  des  gleichen  Stoffes." 

Ihm  folgte  Frau  Fernande  Richter  (Edna  Fern)  mit  einem  packenden,  oft 
durch  stiirmischen  Applaus  unterbrochenen  Vortrag  iiber  ,,Die  Frau  in  Amerika." 
Die  deutschamerikanische  Schriftstellerin  teilte  Lob,  sprach  aber  auch  scharfeu 
Tadel  aus,  indem  sie  riigte,  dass  die  deutsche  Frau  in  diesem  Lande  nur  zu  oft  die 
Schonheit  und  die  Schatze  ihrer  Sprache  unterschiitzt  und  mit  den  Kindern  lieber 
ein  schlechtes  Englisch  statt  ein  reines  Deutsch  spricht. 

Die  Abhandlungen  von  Dr.  E.  Z.  Davis  von  der  Pennsylvania  Universitat  iiber 
,,ubersetzungen  deutscher  Gedichte  in  amerikanischen  Zeitschriften  in  den  Jahren 
]740  bis  1810",  und  von  Dr.  A.  Busse  von  der  Northwestern  Universitat  von  Chicago 
iiber  ,,Die  deutsche  Kirche  und  das  Deutschtum  in  Amerika"  wurden  dem  Drucke 
iiberwiesen,  ohne  verlesen  worden  zu  sein. 

Herr  Busse  hielt  zur  Erlauterung  seines  Vortrags  eine  kurze  Ausprache,  in 
welcher  er  sein  Bedauern  dariiber  aussprach,  dass  immer  mehr  deutsche  Kirchen 
ihre  deutschen  Schulen  eingehen  lassen  und  auch  englischen  Gottesdienst  einfiihren. 
,,Wir  sollten  die  deutschen  Kirchen  ersuchen,  die  deutsche  Sprache  beizubehalten, 
eingedenk  der  Verdienste  Luthers,  Bismarcks  und  Goethes  und  das  Deutschtum," 
sagte  Redner.  Ferner  fiihrte  Redner  aus,  dass  die  Kirche  viele  gebildete  Deutsche 
verloren  habe,  weil  sehr  viele  Geistliche  mit  der  Kultur  des  Deutschtums  nicht 
Schritt  gehalten. 

Professor  Dr.  Julius  Lingenfelder  von  West  Point,  Neb.,  sprach  iiber  das 
Thema  ,,Die  wichtigste  Aufgabe  germanischer  Kulturtrager  in  der  Jetztzeit".  Er 
fiihrte  aus,. dass  diese  Aufgabe  darin  bestehe,  eine  neue  biirgerliche  Sittenlehre  zu 
schaffen.  ,,Wir  haben  erne  kranke  Welt  vor  uns",  sagte  Redner,  ,,die  rastlos  arbeitet, 
aber  die  Resultate  ihrer  Arbeit  nicht  geniessen  kann.  Ich  glaube,  dass  gerade  die 
Deutschen  geschaffen  sind,  mit  ihrer  Gewissenhaftigkeit  kulturell  in  dieser  Rich- 
tung  zu  wirken." 

In  der  zweiten  Sitzung  des  Germanischen  Kongresses  am  17.  September  wurden 
folgende  Vortrage  gehalten: 

Wm.  Focke,  Chicago:  ,,Einige  Betrachtungen  iiber  die  Stellung  der  Deutschen 
in  de,n  Vereinigten  Staaten"; 

Konrad  Nies,  St.  Louis:  ,,Die  deutschamerikanische  Dichtung"; 

Prof.  Dodge,  Staatsuniversitat  von  Illinois:  ,,EngIische  Worter  im  modernen 
Danisch"; 

Adolph  Timm,  Philadelphia:  ,,Aufgaben  amerikanischer  Burger  germanischer 
Abstammung" ; 

Dr.  I.  I.  Houwink,  St.  Louis:  ,,Der  Einfluss  des  hollandischen  Zweiges  der  ger- 
manischen  Rasse  auf  die  Weltgeschichte". 

Zehn  weitere,  nichtgehaltene  Vortrage  wurden  an  einen  Ausschuss  zur  Ver- 
bffentlichung  verwiesen. 


332 


Padagogische  Monatshefte. 


Wahrcnd  des  geschiiftlichen  Teiles  der  Verhandlungen  erkliirte  sich  der  Kon- 
gress fiir  permanent  imd  ermachtigte  dann  seinen  Vorsitzenden  und  die  Vorsitzen- 
den  des  Abteilungen,  sich  zu  einem  Direktorium,  das  die  Beamten  erwahlt,  zu  er- 
giinzen. 

Weiter  hiess  die  Geschaftsversammlung  die  Empfehlung  des  Deutschamerik. 
Nationalbundes  an  den  Kongress  der  Vereinigten  Staaten  gut,  die  Beratung  der 
Kinwanderungsfrage  einem  Ausschusse  von  unparteiischen  Mannern  zu  uberweisen, 
ehe  die  gegenwartigen  Einwanderungsgesetze  geandert  werden. 

Endlich  sollen  das  Zensusbureau  und  der  Kongress  der  Ver.  Staaten  ersucht 
werden,  den  Zensus  der  Ver.  Staaten  durch  die  Feststellung  der  Abstammung  der 
Einwohner  zu  erweitern. 

Der  folgende,  von  Prof.  C.  0.  Schoenrich,  Baltimore,  eingesandte  Antrag  wurde 
der  michsten  Zusammenkunft  des  Deutschamerikanischeii  Nationalbundes  iiber- 
wiesen : 

,,Der  Germanische  Kongress  erachtet  es  als  eine  Notwendigkeit,  dass  fur 

die  deutsche  Sprache  jene  Einheit  in  Formen,  Ausdruck  und  Schreibweise  be- 

werkstelligt    werde,    welche,    unbeschadtet    des    freien    Wachstums    und    der 

schopferischen    Mannigfaltigkeit,    von    dem    Bewusstsein    der    Gegenwart    als 

mustergiltig  gefiihrt  wird. 

,,Die    Schaffung    eines    allgemeinen    deutschen   Worterbuches,    nach    dem 

Muster  von  Websters  Worterbuch  der  englischen  Sprache,  wurde  gleichfalls 

dringend  empfohlen." 

Von  der  Ortsgruppe  Elberfeld  des  Allgemeinen  Deutschen  Schulvereins  lag  ein 
herzliches  Anerkennungsschreiben  fiir  den  Deutschamerikanischen  Nationalbund 
und  dessen  Verdienste  um  die  Erhaltung  und  Hebung  des  Deutschtums  vor,  das 
unter  lautem  Beifall  verlesen  wurde. 

Vom  Deutschen  Romisch-Katholischen  Zentralverein  von  Nordamerika,  dessen 
Prasident,  Herr  John  B.  Oelkers  aus  Newark,  dem  Kongress  als  Delegat  beiwohnte, 
lag  ein  Schreiben  vor,  in  welchem  es  u.  a.  hiess:  ,,Festes  Zusammenhalten  der 
deutsch-sprechenden  Burger  der  Vereinigten  Staaten  ist  erwiinscht  und  von  unserer 
Seite  wird  alles  geschehen,  solches  zu  fb'rdern."  P.  G. 


IP.     Korrespondenzen. 


CHICAGO. 

Wie  Ihr  letzter  Korrespondent  aus 
dieser  Stadt  sein  trauriges  Lied  von  der 
Unterdriickungund  tiberbiir- 
<lung  der  Lehrkriifte  ausklingen 
Hess,  so  muss  mein  heutiges  damit  be- 
^innen.  Manner,  denen  das  Wohl  der 
Schule  und  der  Lehrkrafte  am  Herzen 
liegt,  fangen  doch  nach  und  nach  an  zu 
fragen,  wozu  denn  diese  Priifungen? 
Wozu  denn  diese  Abhetzung  der  Lehrer? 
Wozu  haben  wir  den  hochbezahlten  Su- 
perintendenten  ($10,000),  seine  Hilfs- 
superintendenten  ($4,000),  die  Prinzi- 
pale  ($2.500),  wenn  sie  die  Fahigkeit 
oder  Unfahigkeit  der  Lehrer  nicht  fest- 
zustellen  vermogen?  Und  werden  denn 
-iiese  etwa  durch  Priifungen  f estgestellt  ? 

Der  offizielle  Ausweis  spricht  von  ctwa 
4,500  von  den  5,500  Lehrern  der  Stadt, 
die  die  sogen.  Normal  Extension  Klas- 


sen  besucben,  nicht  zu  sprechen  von  den 
Hunderten,  die  Privatschulen  fiir  ihre 
Vorbereitung  auf  das  Examen  vorziehen. 
Viele  derseiben  besuchen  zwei,  drei, 
manche  fiinf  Ivlassen  per  Woche.  Wenn 
man  bedenkt,  dass  diese  Kurse  alle  nach 
den  Schulstunden  stattfinden,  dass  die 
meisten  Besucher  derseiben  lange 
Strecken  auf  den  Strassenbahneji  zu 
durehfahren  haben,  und  dass  sie  dann, 
iniida  und  abgehetzt,  die  halbe  Nacht 
noch  sti:dieren.  so  kann  man  sich  an  den 
Fingern  abziihien,  wie  viel  phyaische  und 
geistige  Kraft  noch  iibrig  bleibt  zur 
eigentlichen  Arbeit  in  der  Schule! 

Vom  Schulrate  ist  eine  Abhilfe  nicht 
zu  erwarten.  Wir  haben  in  der  ganzen 
Geschichte  unseres  stadtischen  Schul- 
wesens  noch  nie  einen  Superintendenten 
gehabt,  der  seine  vorgesetzte  Behorde  so 
unter  seinem  Bann  halten  konnte,  wie  es 


Korrespondenzen. 


c33 


der  jetzige  zu  tun  versteht.  Er  hat  in 
seiner  dreijahrigen  Amtszeit  alle,  aber 
auch  alle  seine  Vorschlage  durchgesetzt, 
und  wir  Lehrer  haben  uns  also  fiir  die 
Neuerungen  einzig  und  allein  bei  Herrn 
Cooley  zu  bedanken. 

Am  deutschen  Unterricht 
nehmen  dieses  Jahr  noch  rund  9,000  Kin- 
der teil,  gegen  11,000  im  Vorjahr.  Jeden- 
falls  ein  deutlicher  Beweis  fiir  die  Vor- 
trefflichkeit  desselben  unter  dera  neuen 
System,  wonach  die  Speziallehrer  als 
solche  abgeschafft  sind.  Noch  ein  paar 
Jahre  so  weiter  wurschteln,  und  das  Ziel 
.onseres  Direktors  ist,  was  den  deutschen 
Unterricht  anbelangt,  erreicht.  Und  dabei 
wagt  man  es,  in  die  Welt  hinauszupo- 
saunen,  wie  fein  dieses  neue  System 
arbeite ! 

Als  vor  drei  Jahr  en  Herr  Cooley  ans 
Ruder  kam,  war  schon  ein  kleiner 
Lehrer  mangel  zu  verzeichnen. 
Manchen  unserer  Lehrerinnen  gelingt  es 
eben  doeh,  in  ihren  eigentlichen  Beruf, 
den  der  Gattin  und  Mutter,  zuriickzu- 
kommen,  und  so  muss  immer  fiir  Nach- 
schub  gesorgt  sein.  Unser  Superinten- 
dent hat  damals  die  Frage  des  Lehrer- 
mangels  in  der  denkbar  einfachsten 
Weise  gelost,  indem  er  die  Maximalzahl 
der  Schriler  in  einem  Zimmer  von  45  auf 
55  erhohte.  Wir  sind  begierig  zu  er- 
fahren,  was  er  jetzt  tun  wird,  wo  wir 
wieder  und  zwar  vor  einem  weit  grb'sse- 
ren  Lehrermangel  stehen. 

Mit  Beginn  dieses  Schuljahres  wurden 
fiir  beinahe  alle  Unterrichtsfacher 
neue  Lehr  plane  eingef  iihrt.  Selbst- 
verstandlich  mussten  auch  auf  alien  Ge- 
bieten  neue  Biicher  angeschafft  werden. 
Welche  Riesenarbeit  dieser  vollstiindige 
Wechsel  im  Unterricht  wieder  fiir  den 
Lehrer  bedeutet,  versteht  nur  der  Ein- 
geweihte!  Aber  dies  ist  ja  ein  Zeichen 
der  Zeit.  Wir  iiberstiirzen  uns  auch  in 
der  Schule.  Wir  haben  keine  Zeit  mehr, 
eine  Sache  ausreifen  zu  lassen;  alte  be- 
wahrte  Methoden  werden  in  die  Rumpel- 
kammer  geworfen,  Neues,  Unerprobtes 
wird  an  deren  Stelle  gesetzt,  und  in 
dieser  Hast  lassen  wir  das  Wichtigste 
beim  Kinde  aus  den  Augen,  die  Charak- 
terbildung. 

Etwas  herzerfrischendes  muss  ich 
Ihnen  noch  mitteilen:  Wir  haben  jetzt  in 
unseren  manual  -training 
shops,  wo  die  Buben  hobeln,  siigen, 
nageln,  drechseln  u.  s.w.,  weibliche  Leh- 
rer. Und  ich  kann  Ihnen  sagen,  es  ist  ein 
gottvolles  Schauspiel,  zuzusehen,  wie  die 
1  ehrerin,  die  zu  andern  Zeiten  keinen 
Bescn  oder  sonst  ein  Werkzeug  anriihrt, 
den  Jungens  zeigt,  wie  man  z.  B.  ein 
Brett  absagt.  Wenn's  nicht  zum  weinen 
war',  miisst'  man  lachen! 


CINCINNATI. 

Wenn  selbstbewusste  Bescheidenheit 
das  Kennzeichen  eines  echten  Lehrers, 
eines  rechten  Mannes  iiberhaupt  ist,  dann 
fahren  wir  mit  unserem  S  c  h  u  1- 
superintendenten,  Herrn  F.  B. 
Dyer,  unbedingt  gut.  Sein  jiingst 
erschienener  Jahresbericht, 
1903 — 4,  ist,  soweit  seine  eigenen  Aus- 
lassungen  in  Anschlag  kommen,  ein  eben- 
so  verstandig  wie  zielbewusst  abge- 
fasstes  Dokument,  das  sich  vor  allem 
dadurch  vor  vielen  fruheren  auszeichnet, 
dass  darin  keine  norgelnden  Erwahnun- 
gen  dessen  vorkommen,  was  friihere 
Superintendenten  angeblich  schlecht  oder 
gar  nicht  getan  haben.  Ausdriicke  wie: 
,,Ich  musste  mich  nur  wundern,  dass  die 
Schiiler  unter  einem  solchen  System 
iiberhaupt  noch  etwas  lernten",  oder: 
,,Ich  fand  gar  keinen  nennenswerten 
Unterricht  vor",  u.  s.  w.  wird  man  bei 
Herrn  Dyer  ebenso  vergeblich  suchen,  wie 
selbstverhimmelnde  Anpreisung  alles 
dessen,  was  Er  und  wieder  nur  Er  tun 
konnte  und  getan  hat.  Wir  sehen  iin 
Gegenteil,  dass  er  z.  B.  den  so  sehr  not- 
wendigen  Lehrplan  erst  beim  Antritte 
seines  zweiten  Verwaltungsjahres  her- 
ausgegeben  und  ein  voiles  Jahr,  im  Ver- 
ein  mit  seinen  Prinzipalen  und  einer  An- 
zahl  von  Lehrern  aller  Grade,  an  dein- 
selben  gearbeitet  hat,  wiihrend  er  ausser- 
dem  jetzt  noch  fortwiihrend  in  ahnlicher 
Weise  daran  fortarbeitet.  Ferner  wird 
man  sehr  angenehm  beriihrt  durch  Aus- 
drticke  wie:  ,,Dieser  Bericht  ist  nicht 
dazu  da,  um  eingehende  giinstige  oder 
ungiinstige  Bespi  echungen  irgend  eines 
Gegenstandes  zu  liefern;  ich  habe  mich 
auf  die  Angabe  desjenigen  beschrankt, 
was  not  zu  tun  scheint".  Die  gang  und 
giibcn  Schonfiirbereien  iiber  die  immen- 
sen  Fortschritte  dieses  oder  jenea  Un- 
tevrichtszweiges  und  dieser  oder  jener 
Schule,  von  denen  man  sich  in  fruheren 
Berichten  buchstiiblich  angewidert  fiih- 
len  konnte,  fehlen  heuer  ganz  —  und  mit 
llecht.  Immer  noch  recht  giinstig  lautet 
der  Bericht  mit  Bezug  auf 
den  deutschen  Unterricht. 
Von  45,500  Schiilern  lernten  18,475 
Deutsch,  und  der  Unterricht  als  solcher 
war  durchaus  zufriedenstellend.  -  -  Im 
Gegensatz  zu  den  Ansichten  friiherer 
Machthaber  spricht  sich  der  Superinten- 
dent entschieden  fiir  die  Beibehaltung 
erfahrener  Lehrkriifte  aus,  ganz  gleich- 
giltig  wie  alt  an  Jahren  dieselben  auch 
sein  mogen,  so  lange  ihnen  Geist  und 
Korper  nicht  versagen.  —  Auch  hinsichts 
des  Abfalls  in  der  Zahl  junger  mannlicher 
Lehrer,  die  er  fiir  notwendig  ira  Schul- 
haus  erachtet,  trifft  der  Superintendent 
das  Richtige,  indem  er  sagt,  das  Bisschen 


334 


Pddagogische  Monatshefte. 


Gehalt,  das  man  solchen  Leuten  bezahlt, 
sei  nicht  dazu  angetan  sie  heranzuziehen 
oder  sie  im  Dienste  zu  halten,  sobald  sich 
ihnen  irgendwelche  bessere  Aussichten 
bieten.  Ich  kann  wohl  sagen,  dass  wir 
unter  Herrn  Dyers  Devise,  ,,Eile  mit 
Weile"  gut  fahren  und  immer  besser 
fahren  werden,  je  mehr  wir  alle  uns  die- 
sen  Grundsatz  zu  eigen  machen  und  vor 
allem  das  leidige  ,,Show"-Geschiift  bei- 
seite  legen,  das  friiher  stetig  desavouiert, 
aber  ebenso  krampfhaft  unter  alien 
mbglichen  Aushiingeschildern  belassen 
und  griindlich  weiter  betrieben  wurde.  — 
Alles  in  allera  genommen,  stehn  wir  also 
gut  und  wiirden  uns  noch  wohler  befin- 
den,  wenn  es  gelungen  ware  ein  bissel 
mehr  nervus  rerum  f iir  Lehrer- 
gehalter  und  andere  hochst  notwendige 
Neuerungen  zu  ergattern.  Doch  damit 
stehen  wir  ja  nicht  allein.  uberall  an- 
derswo  scheint  es  ebenso  zu  gehen:  Hei- 
denmassig  viel  Geld,  aber  —  wenig! 

Recht  sehr  erfreulich  ist  es,  zu  sehen, 
wie  die  deutschen  Lehrer  vor  die  Front 
treten  mit  Veranstaltungen  fiir  die 
Schillerfeier.  Sie  werden  am 
Vorabende  des  Erinnerungstages  eine 
akademische  Feier  abhalten;  werden  fiir 
die  allgemeine  Feier  einen  Kinderchor 
stellen;  einer  aus  ihrer  Mitte  hat  den 
Plan  eines  Preisausschreibens  fiir  das 
beste  ,,einheimische"  deutsche  Festge- 
dicht  angeregt;  —  das  macht  einem 
Freude,  und  unsrem  Dr.  Fick,  der  das 
alles  angeregt  hat,  gebiihrt  Ehre  dafiir. 

Besucher  von  friiheren  Lehrertagen 
werden  mit  Bedauern  vernehmen,  dass 
Fraulein  Celia  Dorner,  die 
Tochter  des  ebenfalls  in  den  weitesten 
Kreisen  seit  vielen  Jahren  so  giinstig  be- 
kannten,  jetzt  aber  erblindeten  Kollegen 
Heinrich  Dorner  von  hier,  aus  Gesund- 
heitsriicksichten  kiirzlich  den  Lehrberuf 
aufgeben  musste.  Die  ebenso  hochge- 
bildete  wie  eifrige  und  berufstreue  Kol- 
legin  weilt  jetzt  in  Florida,  um  sich  wo 
mb'glich  von  den  Plagen  eines  akuten 
rheumatischen  Leidens  zu  befreien  — 
leider  ein  wohl  aussichtsloses  Beginnen, 
wie  die  Erfahrung  anderer  in  ahnlicher 
Weise  Betroffener  zeigt. 

Dass  wir  hierzulande  manchmal  so'n 
wenig  ruhmredig  werden  kb'nnen,  wissen 
wir  ja  alle.  Was  aber  neulich  bei  der 
I  n  s  t  a  1 1  i  er  u  ng  des  neuen 
R  e  k  t  o  r  s  unserer  Universitat,  Dr. 
Dabney,  in  dieser  Beziehung  hier  ge- 
leistet  wurde,  das  ging  einfach  iibers 
Bohnenlied — ganz  baff!  In  erziehlichen, 
industriellen,  kommerziellen,  sozialen, 
asthetisch-kulturellen  und  zahllosen  an- 
deren  Hinsichten  ist  Cincinnati  einfach 
der  Welt  iiber,  und  wer  das  nicht  glauben 
kann  oder  will,  dem  geschieht's  recht. 


Man  hatte  es  wahrhaftig  nicht  nb'tig 
nach  Port  Arthur  zu  reisen,  um  sich 
beim  Kanonendonner  ein  chronischea 
Ohrensausen  beizulegen  —  mir  und  vielen 
anderen  schwach  besaiteten  Genossen 
brummt's  heute  noch  mehr  als  gewaltig 
im  ganzen  Schiidel  von  den  gehb'rten 
Lobreden  auf  Personen,  Sachen  und 
Moglichkeiten.  Es  war  einfach  —  sit 
venia  verbo !  —  ,,nimmer  schon". 

*  *  * 

MILWAUKEE. 

Die  erste  Versammlung  der  deutschen 
Lehrer  in  diesem  Schuljahr  fand  am  12. 
September  in  der  4.  Dist.  Schule  statt. 
Der  Supt.  des  Deutschen  kam  in  seinen 
amtlichen  Mitteilungen  zuerst  auf  die 
Reduktion  der  Zeit  fiir  den  deutschen 
Unterricht  von  40  auf  35  Minuten  zu 
sprechen,  und  wies  auf  die  grosse  Not- 
wendigkeit  hin,  dass  die  deutschen  Leh- 
rer jetzt  noch  haushalterischer  mit  der 
Zeit  umgehen  wie  sonst.  Man  solle  das 
Wichtigste  beim  deutschen  Unterricht  ja 
nicht  aus  den  Augen  lassen,  und  das  sei 
vor  alien  Dingen  Verstandnis  und  Ge- 
wandtheit  in  der  deutschen  Sprache,  ver- 
bunden  mit  Lesefertigkeit,  darnach  erst 
kame  Schreiben  (Schonschreiben,  Diktat, 
Aufsatz)  und  Grammatik.  Das  erstere 
sei  unbedingt  notwendig,  das  letz- 
tere  nur  Aviinschenswert.  Zur 
Erklarung  der  Reduktion  der  Zeit  will  ich 
noch  bemerken,  dass  Supt.  Pearse  sich 
gezwungen  sah,  um  Zeit  fiir  etliche  neue 
oder  erweiterte  Unterrichtsfacher  zu 
schaffen,  andere  Fiicher,  und  somit  auch 
das  Deutsche,  je  um  5  Minuten  taglich 
zu  beschneiden. 

Darauf  schritt  man  zu  der  Neuwahl 
der  Beamten  des  Vereins.  Der  Vorsitzerr 
Herr  Phil.  Lucas,  sowie  die  stellvertre- 
tende  Vorsitzerin,  Frl.  A.  Hohgrefer 
wurden  einstimmig  per  Akklamation 
wieder  erwahlt.  Da  der  Schriftfiihrer 
und  Schatzmeister,  Herr  H.  Schaffrathr 
sich  weigerte,  das  Amt  wieder  anzu- 
nehmen,  so  wurde  die  Wahl  verschoben. 
Ein  Beschluss  wurde  noch  gefasst,  dass- 
der  Verein  sich  fortan  immer  in  der  6. 
Dist.  Schule  No.  1  versammeln  solle,  da 
diese  Schule  mehr  zentral  fiir  die  Lehrer 
gelegen  sei. 

Die  Oktober  -  Versammlung 
des  Vereins  fand  am  14.  d.  M.  in  der  6. 
Dist.  Schule  statt.  Herr  Abrams  sprach 
zuerst  iiber  Entschuldigungen  vom 
deutschen  Unterricht.  Er  betonte  be- 
sonders,  dass  es  im  eigenen  Interesse  der 
deutschen  Lehrer  liege,  die  Zahl  der 
deutschlernenden  Schiiler  mbglichst  hoch 
zu  halten  und  alle  Abgange  darin  so  viel 
wie  moglich  zu  vermeiden  suchen.  Es 
scheine  aber,  als  ob  einige  Lehrer  sich 


Umschau. 


335 


dieser  Tatsache  nicht  bewusst  \viiren,  in- 
dem  sie  schwaclie  Schiller  im  Deutschen, 
die  vielleicht  kein  Wort  Deutsch  von  den 
Eltern  im  Hause  horten,  mit  15  oder  20 
im  monatlichen  Zeugnis  markierten  und 
somit  den  Kindern  selbst  das  beste  Mit- 
tel  an  die  Hand  gaben,  sich  vom 
deutschen  Unterricht  entschuldigen  zu 
lassen.  Solche  Xummer  sei  entschieden 
zu  niedrig,  und  60  oder  55  tue  denselben 
Dienst,  da  es  immer  nur  schlecht  oder 
ungeniigend  markiere.  Auch  die  Eltern 
solcher  Kinder  miissten  auf  diese  Weise 
gegen  den  deutschen  Unterricht  einge- 
nommen  werden.  Besser  sei  es,  solchen 
Kindern  in  der  letzten  halben  Stunde  am 
Nachmittage  im  Deutschen  fortzuhelfen, 
und  ihnen  Lust  und  Liebe  zum  deutschen 
Studium  einzuflossen. 

Dann  erwahnte  er  noch  die  Bewegung 
unter  den  Lehrern  des  Deutschen  in  den 
Hochschulen,  den  Direktor  Wachsner  vom 
hiesigen  Theater  zu  veranlassen,  den 
Schiilern  der  Hochschulen  von  Zeit  zu 
Zeit  die  Gelegenheit  zu  geben,  klassischen 
Vorstellungen  an  Samstagen  bei  er- 
massigten  Preisen  beizuwohnen.  Da  Herr 
Wachsner  sich  dazu  bereit  erklart  habe, 
so  sei  es  wiinschenswert,  dass  ein  Aus- 
schuss  ernannt  werde,  um  auch  unter  den 
Schiilern  der  oberen  Grade  fur  diese 
Sache  Propaganda  zu  machen.  Ein  Aus- 
schuss  wurde  darauf  vom  Vorsitzer  er- 
nannt. Als  Sekretar  und  Schatzmeister 
wurde  dann  noch  Herr  Ernst  Traeger, 
Oberlehrer  des  Deutschen  im  23.  Distrikt, 
gewiihlt.  Da  es  vorgeriickte  Zeit  war,  so 
wurde  die  Versammlung  vertagt  und  die 
Tagesordnung  auf  die  nachste  Versamm- 
lung verschoben. 

Die  von  mir  oben  erwahnte  U  b  e  r- 
biirdung  des  Studienplans 
mit  alien  moglichen  modernen  Fachern 
und  ,,fads"  zieht  die  Aufmerksamkeit  der 
Eltern  und  der  Burger  im  Allgemeinen 
auf  sich,  und  sie  iiussern  sich  dariiber 
in  missbilligender  und  nicht  Mrisszuver- 
stehender  Weise.  Eine  Zeitschrift  ausser- 
halb  Milwaukee  brachte  kiirzlich  eine 
Zuschrift  einer  Frau,  welche  mit  ,,a 


parent  and  a  teacher"  unterzeichnet  war. 
Sie  iiussert  sich  folgendermassen :  ,,Do 
not  blame  the  teacher  for  the  work  of 
the  school  board.  My  11  year  old 
daughter  is  struggling  this  term  with  19 
different  subjects,  including  civics, 
physics,  physical  geography,  English 
history,  literature,  algebra,  geometry, 
several  educational  "frills"  like  vocal 
music,  drawing,  watercolor  painting, 
construction  work  and  sewing.  She 
carries  from  6—8  Ibs.  of  books  back  and 
forth,  and  studies  out  of  school  all  I  will 
let  her.  I  protested.  "Yes,"  said  the 
long-suffering  teacher,  "it  is  dreadful — 
ridiculous.  All  the  parents  are  finding 
fault,  but  the  board  requires  these 
things  of  me."  Dazu  bemerkt  eine  hie- 
sige  englische  Zeitung,  welche  das  obige 
Eingesandt  der  Frau  reproduzierte,  fol- 
gendermassen: ,,Ganz  so  schlimm  mag  es 
bei  uns  in  Milwaukee  wohl  nicht  sein, 
aber  es  ist  schon  schlimm  genug.  Doch 
wie  gesagt,  es  ist  nicht  die  Schuld  der 
Lehrer.  Sie  versuchen  ihr  Bestes  zu  tun 
unter  den  Umstanden.  Der  Schulrat 
konnte  die  Last  der  iiberbiirdeten  Leh- 
rer und  Schiiler  erleichtern,  und  nebenbei 
Ersparnisse  machen,  indem  er  das 
,,Curriculum"  im  Interesse  der  wichtig- 
sten  Fundamentalfacher  beschneiden 
wurde.  Allerdings  wiirden  einige  ,,pet 
fads"  hinausgeworfen  werden  miissen, 
aber  es  ware  besser,  sie  zu  missen,  als  die 
Lehrer  zu  iiberburden,  und  die  armen 
Schul  kinder  an  Nerveniiberanstrengung 
zusammenbrechen  zu  sehen. 

Wahr  bleibt  die  ernste  und  dringende 
Mahnung  unseres  heimgegangenen  Dich- 
ters,  E.  Geibel,  welche  er   den  Lehrern 
(und  Schulraten)  zurief : 
Nicht  zu  friih  mit  der  Kost 

buntscheckigen  Wissens,  ihr  Lehrer 
Riihret  den  Knaben  mir  auf, 

selten  gedeiht  er  davon. 
Kraftigt  und  iibt  ihm  den  Geist 

an  wenigen,  wiirdigen  Stoffen; 
Euer  Beruf  ist  erfullt, 

wenn  er  zu    1  e  r  n  e  n    gelernt. 

A.  W. 


IV.     Umschau. 


Vom  Lehrerseminar.  In  der  Woche 
des  Danksagungstages  weilte  der  kgl. 
Seminardirektor  P.  Lichtenstein  aus  Be- 
derkesa,  Provinz  Hannover,  bei  uns.  Der- 
selbe  hatte  im  Auftrage  des  preussischen 
Kultusministeriums  die  Erziehungsaus- 
stellung  in  St.  Louis  besichtigt  und 
stellte  sich  auf  seiner  Riickreise  die  Auf- 
gabe,  sich  mit  dein  Schulwesen  einiger 
grosserer  Sta'dte  bekannt  zu  machen. 
Zu  diesem  Zwecke  wahlte  er  St.  Louis, 


Milwaukee,  Cleveland,  Buffalo  und  New 
York  aus.  Sein  erster  Besuch  gait  in 
Milwaukee  dem  Lehrerseminar  und  des- 
sen  Musterschule,  der  Deutsch-Englischen 
Akademie.  Spaterhin  besuchte  er  die 
hiesige  Staatsnormalschule,  einige  offent- 
liche  Schulen  und  lutherische  Privat- 
schulen.  Wir  lernten  in  unserm  Gaste 
einen  wohlmeinenden  Kollegen  und 
griindlichen  Schulmann  kennen,  den 
wohl  jeder  liebgewinnen  musste,  der  das 


336 


Padagogische  Monatshefte. 


Vergniigen  hatte,  mit  ihm  in  nahere 
Beriihrung  zu  kommen. 

Direktor  Lichtenfeldts  Aufenthalt  in 
unserem  Lande  erhielt  eine  schwere 
Triibung  durch  die  Nachricht  von  dem 
plotzlichen  Hingange  seines  Vaters,  des 
Kantors  em.  Lichtenfeldt  zu  Schweidnitz 
in  Schlesien.  Die  uns  vorliegenden  Nach- 
rufe  in  den  deutschen  Tauschblattern 
heben  die  personlichen  Charaktereigen- 
schaften  des  Verstorbenen,  sowie  seine 
edit  kollegiale  Gesinnung  und  seine 
schulmannischen  Fahigkeiten  hervor. 
Als  Jugendschriftsteller  hat  er  sich  einen 
Nam  en  weit  iiber  den  Rahmen  seines 
engeren  Heimatlandes  erworben. 

Ehrenvolle  Auszeichnung.  Wie  uns  die 
Tagesblatter  berichten,  ist  dem  Professor 
der  Deutschen  Sprache  und  Literatur  an 
der  Universitat  Chicago,  Starr  Willard 
Cutting,  fiir  seine  Verdienste  um  die 
Forderung  des  deutschen  Sprachunter- 
richts  der  Kronenorden  dritter  Klasse 
vom  deutschen  Kaiser  verliehen  worden. 

Deutschland.  Unter  den  V  o  1  k  s- 
schullehrern  Deutschlands 
ist  eine  Bewegung  im  Gange,  die  die 
Universitiitsbildung  fur  alle 
L  e  h  r  e  r  erstrebt.  Die  extremsten  Be- 
fiirworter  des  Gedankens  fordern  die  Ab- 
schaffung  des  Lehrerseminars.  Auf  der 
im  Monat  Mai  d.  J.  in  Konigsberg  abge- 
haltenen  Versammlung  des  deutschen 
Lehrervereins  kam  die  Sache  eingehend 
zur  Sprache.  In  der  ,,Pad.  St."  berichtet 
Schuldirektor  Enzmann  dariiber  wie 
folgt: 

,,Am  25  Mai  sprach  im  dritten  Haupt- 
vortrage  Seminaroberlehrer  Muthesius- 
Weimar  iiber  ,,U  n  i  v  e  r  s  i  t  a  t  und 
Volksschull  ehrer  b  i  1  d  u  n  g". 
Ausgehend  von  dem  Worte  Kants:  ,,Die 
Erziehung  ist  das  schwerste  Werk,  das 
ein  Mensch  treiben  kann",  beleuchtet  er 
die  Heranbildung  eines  besonderen  Volks- 
schullehrerstandes  seit  der  Reformation, 
weist  hin  auf  die  immer  steigenden  An- 
forderungen,  die  an  den  Lehrer  gestellt 
werden  und  kommt  zu  dem  Schlusse, 
dass  es  nicht  nur  ein  Recht,  sondern  eine 
sittliche  Pflicht  des  Lehrerstandes  sei,  zu 
den  Quellen  der  Wissenschaft  vorzu- 
dringen  uad  sich  den  Zugang  zu  den 
Universitaten  zu  erzwingen.  Mit  Riick- 
sicht  auf  das,  was  gegenwflrtig  erreich- 
bar  scheint,  schlagt  er  folgende  Thesen 
vor:  1.  Die  Universitaten  als  Zentral- 
stellen  wisenschaftlicher  Arbeit  sind  die 
geeSgnetste,  durch  keine  andere  Einrich- 
tung  zu  ersetzende  Statte  fiir  die  Volks- 
schullehrer-F  ortbildung.  2.  Den 
Volksschullehrern,  die  einen  regelrechten 
Studiengang  an  der  Universitat  durch- 
laufen  haben,  ist  die  Moglichkeit  zu  bie- 


ten,  ihre  Studien  durch  Ablegung  einer 
wissenschaftlichen  Priifung  zum  Ab- 
scliluss  zu  bringen.  Das  Bestehen  dieser 
Priifung  gewahrt  die  Anwartschaft  auf 
den  Schulaufsichts-  und  Seminardienst. 

In  der  Debatte  gingen  die  Meinungen 
wieder  stark  auseinander.  Wohl  war 
man  einig  in  der  Forderung,  dass  den 
Lehrern  die  Universitat  offenstehen 
solle;  aber  ob  das  Seminar  bestehen 
bleiben  und  we;  tor  ausgebaut,  oder  be- 
seitigt  werden  und  demgemiiss  die  Uni- 
versitat nicht  mir  zur  Fort  bildung, 
sondern  zur  A  u  s  bildung  des  Lehrers 
dienen  solle,  ob  zumichst  nur  einer  Aus- 
wahl  von  Seminaristen  (wie  es  gegen- 
wartig  in  Sachsen,  Hessen  und  Weimar 
der  Fall  ist),  oder  alien  der  Zugang  zur 
Universitat  offenstehen  solle  u.  s.  w., 
dariiber  herrschte  durchaus  keine  Einig- 
keit.  Schliesslich  gelangten  die  Thesen, 
die  die  weitgehenden  Forderungen  stell- 
ten,  zur  Annahme:  1.  Die  Universitat  als 
Zentralstelle  wissenschaftlicher  Arbeit 
ist  die  geeignetste,  durch  keine  andere 
Einrichtung  zu  ersetzende  Statte  fiir  die 
Volksschullehrei  bildung  (nicht  Fort- 
bildung).  2.  Fiir  die  Zukunft  erstreben 
wir  daher  die  Hocbschulbildung  fiir  alle 
Lehrer.  3.  Fiir  die  Jetztzeit  dagegen  for- 
dern wir,  dass  jedem  Volksschullehrer 
auf  Grund  seiner  Abgangszeugnisse  vom 
Seminar  die  Bereehtigung  zum  Univer- 
sitatsstudium  erteilt  werde. 

Die  Frage,  ob  die  Universitat  in  ihrer 
gegenwartigen  Beschaffenlieit  iiberhaupt 
geeignet  und  imstande  sei,  diese  Aus- 
bildung  zu  gewiihren,  wurde  in  der  De- 
batte zwar  beriihrt  (Scherer-Btidingen), 
blieb  aber  unerortert." 

Wahrend  Prof.  Rein  dafiir  eintritt, 
dass  zur  Fort  bildung  die  Hochschulen 
alien  Lehrern  offenstehen  sollten, 
stellt  er  den  Konigsberger  Beschliissen 
init  Nach4ruck  den  Satz  gegeniiber:  ,,Die 
Universitaten  sind  in  ihrer  gegenwarti- 
gen Verfassung  vollstandig  ungeeignet 
fiir  die  Ausbildung  der  Volksschulleh- 
rer." 

Prof.  Paulsen  (Berlin)  prazisiert  sei- 
nen  Standpunkt  mit  den  Worten:  ,,Die 
Annahme,  dass  die  Universitaten  iiber- 
haupt die  geeignetste  Statte  fiir  die 
Ausbildung  des  Volksschullehrers  sei, 
beruht  auf  einer  Verkennung  des  We- 
sens  der  Universitat  oder  der  Aufgabe 
des  Volksschullehrers.  Und  die  Forder- 
ung, alle  Lehrer  an  Volksschulen  mit 
Universitiitsbildung  auszustatten,  be- 
wegt  sich  jenseits  der  Grenzen  alles 
Moglichen." 

Anderseits  stimmen  eine  ganze  Anzahl 
von  Hochschullehrern,  wie  a  us  49  von 
B.  Hofmann  gesammelten  Ausserungen 


Umschau. 


337 


solcher  Lehrer  hervorgeht,  den   Konigs- 
berger  Beschliissen  unbedingt  zu. 

Die  Aufwendungen  f iir  die  6  f  f  e  n  t- 
lichen  Volksschulen  betragen 
in  Preussen  269,917,000  Mark,  in  Bayern 
39,760,000  M.,  in  Sachsen  34,323,000  M., 
in  Wiirttemberg  12,265,000  M.,  in  Baden 
10,999,000  M.,  in  Hessen  7,875,000  M.,  in 
Hamburg  3,721,000  M.,  in  Elsass-Loth- 
ringen  8,869,000  M. 

Davon  betriigt  der  Staatsanteil  in 
Preussen  27.07  Pi-ozent,  in  Bayern  35.72 
Prozent,  in  Sachsen  13.90  Prozent,  in 
Wiirttemberg  30.55  Prozent,  in  Baden 
21.79  Prozent,  in  Hessen  31.81  Prozent,  in 
Hamburg  94.35  Prozent,  in  Elsass-Loth- 
ringen  29.76  Prozent. 

Von  den  Gesamtausgaben  des  Staates 
betragen  die  Zuschiisse  zu  den  Volks- 
schullasten  in  Preussen  2.75  Prozent,  in 
Bayern  3.13  Prozent,  in  Sachsen  1.62 
Prozent,  in  Wiirttemberg  2.18  Prozent, 
in  Baden  1.59  Prozent,  in  Hessen  3.55 
Prozent,  in  Hamburg  6.99  Prozent,  in 
Elsass-Lothringen  3.99  Prozent. 

Auf  einen  Volksschiiler  entfallen  Ge- 
samtkosten  von  48  M.  in  Preussen,  46 
M.  in  Bayern,  50  M.  in  Sachsen,  42  M. 
in  Wiirttemberg,  40  M.  in  Baden,  48  M. 
in  Hessen,  74  M.  in  Hamburg,  39  M.  in 
Elsass-Lothringen. 

Der  sachsische  Staat  gibt  fur  B  i  1- 
dungsanstalten  die  Summe  von " 
31,347,000  Mark  aus.  Jeder  Besucher  der 
Leipziger  Univertiit  kostet  ihm  fur  das 
Jahr  507  Mark,  jeder  Student  der  Tech- 
nischen  Hochschule  in  Dresden  426  Mark, 
der  Bergakademie  Freiberg  217  Mark,  der 
Forstakademie  Tharand  1159  Mark  (!), 
der  technischen  Lehranstalt  in  Chemnitz 
316  Mark,  jeder  Schiiler  der  Landesschu- 
len  Grim  ma  und  Meissen  473  Mark,  der 
Gymnasien  und  Realgymnasien  280  M., 
der  Lehrer-  und  Lehrerinnenseminare 
510  Mark,  der  Kunstakademie  und  der 
Kunst-  und  Industrieschulen  430  Mark, 
der  Bauhandvverkerschulen  331  Mark,  der 
Volksschulen  13  Mark.  Hiezu  kommen 
noch  liber  2,000,000  Mark  Zuschiisse  an 
verschiedene  Schulen. 

Mexiko.  Die  Ehrung,  welche  die  mexi- 
kanisclie  Republik  dem  Organisator  ihrer 
Volksschule,  H.  Rebsamen,  ange- 
deihen  lasst,  ist  ganz  aussergewb'hnlich. 
Am  15.  Juli,  drei  Monate  nach  dessen 
Hinschied,  veranstaltete  La  Escuela  Nor- 
mal de  Professores  in  Mexiko  eine  gross- 
artige  Gedtichtnisfeier  zu  Ehren  des  un- 
vergesslichen  Direktors  des  Seminarun- 
terriclits.  Der  Unterrichtsminister  D.  Ju- 
stino  Fernandez,  sein  Sekretar,  die  Di- 
rektoren  der  Lehrerseminarien,  zahlreiche 
Lehrer  und  iiber  600  Schiiler  waren  an- 
wesend.  Das  Programm  enthielt  fiinf- 


zehn  Nummern,  darunter  Gesiinge  der 
Seminarzoglinge,  der  Lehrer,  zwei  Reden 
zum  Lobe  Rebsamens,  Rezitationen  von 
Gedichten  und  feierliche  Enthiillung 
seines  Portaits  in  01  gemalt  von  Pro- 
fessor Ruis,  das  der  Minister  dem  Se- 
minar zu  Mexiko  iibergab.  Eine  Reihe 
von  andern  Seminarien  und  Schulen  hat- 
ten  Kranze  geschickt.  Eine  besondere 
Feier  veranstaltete  die  Gesellschaft 
Ignazio  Manuel  Altamirano  in  Mexiko  zu 
Ehren  Rebsamens,  dessen  methodische 
Werke  neu  aufgelegt  und  durch  eine  von 
Prof.  Kiel  in  Veracruz  vollendete  ,,Geo- 
metrie"  vermehrt  werden. 

Brasilien.  Man  schreibt  der  ,,A.  D.  Z.": 
Die  deutscheKolonie  von 
Campinas  und  mit  ihr  zahlreiche 
Freunde  von  nah  und  fern,  Landsleute, 
Sprachgenossen,  sowie  auch  legitime  Ab- 
kb'mmlinge  luso-brasilianischen  Stam- 
mes,  riisten  sich  zu  einer  Doppelfeier, 
deren  erhebende  Bedeutung  es  wohl 
rechtfertigt,  wenn  wir  ihrer  gedenken. 
Einundvierzig  Jahre  wahrt  es  nun,  seit 
der  ,,Deutsche  Schul-  und  Lese-Verein 
Campinas"  als  festgefiigtes  Bollwerk 
zum  Schutze  nationaler  Heiligtiimer  er- 
richtet  wurde  und  seine  Schule  begriin- 
dete,  und  fiinfundzwanzig  Jahre  sind  es 
gleichzeitig,  seit  Herr  J.  L.  Schifferli 
als  unermiidlich  treuer  Hiiter  dieser  na- 
tionalen  Schatze,  als  Lehrer  der 
,,Deutschen  Schule  von  Campinas"  seines 
Amtes  waltet.  —  Es  war  am  23.  Februar 
1863,  als  sich  in  Campinas  28  Deutsche 
und  Deutschsprechende  zusammenschlos- 
sen,  um  gleichzeitig  einen  Beweis  fur 
ihre  ererbte  Liebe  zur  Ordnung  und  Ge- 
setzmiissigkeit  und  fur  die  Treue  und 
Dankbarkeit  zu  erbringen,  mit  der  sie 
dem  neuen  Vaterlande  seine  Gastlichkeit 
lohnten.  Ungeklarte  Verhaltnisse  ver- 
schuldeten  unsichere  Zustande,  die  in 
haufigen  Revolten  zum  Ausdruck  kamen. 
Zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  nun 
konstuierten  sich  die  obigen  28  Sprach- 
genossen zu  einem  bewaffneten  ,,Verein 
Deutscher  Freiwilliger",  welche  der 
Munizipalbehorde  seine  Dienste  zur  Ver- 
fiigung  stellte.  Sei  es  nun  aber,  dass  die 
damaligen  Behorden  sich  tatsiichlich 
stark  genug  fiihlten,  um  die  Hilfe  ent- 
raten  zu  konnen,  sei  es,  dass  man  die 
Uneigenniitzigkeit  des  Anerbietens  nicht 
voll  zu  wiirdigen  wusste  —  dass  man 
nicht  begreifen  konnte,  wie  Fremde,  nur 
von  ihrem  Biirgersinn  geleitet,  Leib  und 
Leben  fur  eine  Sache  einsetzen  wollten, 
die  doch  immerhin  nur  bedingt  die  ihre 
war  —  kurz,  das  Anerbieten  wurde  in 
einer  Mitteilung  an  den  Verein,  datiert 
vom  12.  April  1863,  dankend  quittiert, 
aber  —  vorlaufig  ,,abgelehnt".  —  Es  ist 


338 


Padagogische  Monatshefte. 


mb'glich,  dass  diese  Ablehnung  damals 
als  Verletzung  empfunden  wurde,  heute 
aber  haben  wir  nur  Anlass,  uns  iiber 
dieselbe  zu  freuen,  derm  aus  dem  ,,Verein 
Deutscher  Freiwilliger"  wurde  in  nam- 
licher  Sitzung,  in  welcher  man  von  dem 
ablehnenden  Bescheid  der  Munizipalbe- 
horden  Kenntnis  nahm,  der  ,,Deutsche 
Verein  fiir  Campinas",  mit  der  Be- 
griindung  einer  deutschen  Schule  und 
einer  Bibliothek.  Die  erlittene  Ent- 
tauschung  hatte  nur  den  Impuls  zu  hohe- 
rem  Streben  erweckt,  und  so  ward  aus 
der  urspriinglichen  Absicht,  friedliche 
Burger  zu  schiitzen,  die  Idee  geboren, 
Oenerationen  friedlicher  Burger  heranzu- 
ziehen,  die  mit  der  Liebe  zur  Ord- 
nung  und  zum  Vaterlande  die  Fahigkei- 
ten  vereinigen  konnten  und  sollten, 
werktiitig  am  materiellen  und  ideelen 
Gedeihen  dieses  Vaterlandes  mitzuwir- 
ken.  Dass  Schule  und  Bibliothek 
deutschen  Charakter  tragen  musten, 
konnte  jenen  Mannern  nicht  zweifelhaft 
sein.  Sie  alle  kannten  aus  eigener  Er- 
fahrung  die  Bedeutung  deutscher 
Bildung,  und  sie  alle  waren  von 
dem  natiirlichen  Wunsche  beseelt: 
Sprache,  Sitte  und  Art  zu  erhalten  und 
fiir  die  Ausbreitung  dieser  kostbaren 
Saat  im  Boden  der  neuen  Heimat  zu 
wirken. 

Zur  Lehrerbildung  in  Frankreich.  In 
Frankreich  hat  vor  kurzem  die  standige 
Abteilung  des  Conseil  superieur  de  1'In- 
struction  publique  die  Entscheidung  ge- 
troffen,  dass  in  den  Seminaren  der  Un- 
terricht  in  den  lebenden  Fremdsprachen 
kiinftig  fakultativ  werden  soil,  wahrend 
er  bisher  obligatorisch  war.  Als  Grund 
wurde  dreierlei  geltend  gemacht:  1.  Der 
Unterricht  weise  keinen  Erfolg  auf;  so- 
bald  die  Schiller  einmal  Lehrer  seien,  be- 
schaftigten  sie  sich  weder  mit  Englisch 
noch  mit  Deutsch.  2.  Die  Fremdsprachen 
bedeuteten  eine  uberlastung  der  Lehr- 
plane,  die  so  schon  iiberladen  seien.  3. 
Die  Lehrer  bediirften  der  Kenntnis  frem- 
der  Sprachen  nicht,  da  sie  weder  Ge- 
legenheit  hatten,  in  ihnen  zu  unterrich- 
ten,  noch  sich  ihrer  zu  bedienen.  Dieser 
Beschluss  erscheint  eigentiimlich  in  ei- 
nem  Augenblick,  wo  eben  Preussen  durch 
die  Julibestimmungen  seinen  Seminaren 
den  Unterricht  in  einer  lebenden  Fremd- 
sprache  zur  Pflicht  gemacht  hat.  In 
franzosischen  Lehrerkreisen  regt  sich 
denn  auch  eine  lebhafte  Opposition.  So 
werden  z.  B.  im  Manuel  General  (Jahrg. 
1903,  S.  555  und  556)  die  Griinde  des 
Conseil  superieur  geschickt  widerlegt. 
Durch  Tatsachen,  die  auch  fiir  uns  in 
mancher  Beziehung  lehrreich  sind,  be- 
weist  der  Verfasser,  dass  gerade  unter 


den  Lehrern  fiir  die  lebenden  Fremd- 
sprachen ein  sehr  reges  Interesse  vor- 
handen  ist.  Aus  alien  Teilen  Frankreichs 
kommen  an  die  Regierung  immer  zahl- 
reichere  Gesuche  um  Stipendien  zum 
Aufenthalt  im  Ausland,  und  jiihrlich 
werden  an  etwa  30  Lehrer  und  Lehrerin- 
nen  solche  Stipendien  vergeben.  Der  in- 
ternationale  Briefwechsel  unter  Lehrern 
breitet  sich  von  Tag  zu  Tag  weiter  aus; 
in  3  Jahren  haben  mehr  als  2000  Lehrer 
an  fremde  Kollegen  Anschluss  gefunden. 
Mehr  und  mehr  wachst  auch  die  Zahl 
derjenigen  Lehrer,  die  aus  eigenen  Mit- 
teln  ihre  Ferien  im  Ausland  verbringen 
oder  mit  deutschen  und  englischen  Kol- 
legen die  Pension  austauschen.  Die  Er- 
gebnisse  der  verschiedenen  Priifungen  in 
den  Fremdsprachen  sind  standig  in  die 
Hohe  gegangen.  Die  Mitglieder  der  Ge- 
sellschaft  fiir  Verbreitung  der  fremden 
Sprachen  sowie  des  Cercle  polyglotte  in 
Paris  sind  fast  nur  ehemalige  Schiiler  des 
Seminars.  Weiter  wendet  sich  der  Ver- 
fasser besonders  gegen  die  Meinung,  dass 
der  Unterricht  in  einer  lebenden  Fremd- 
sprache  fiir  den  Lehrer  unnb'tig  sei.  Er 
kommt  zu  der  entgegengesetzten  An- 
sicht:  Der  Unterricht  in  den  lebenden 
Sprachen  wirkt  in  demselben  Masse  er- 
ziehend  wie  der  in  den  alten  Sprachen. 
Wird  er  lebendig  erteilt,  so  vermag  er 
den  Geist  zu  wecken  und  bildet  so  fiir  die 
Schiiler,  die  bei  ihrem  Eintritt  ins 
Seminar  oft  ein  wenig  schwerfallig  sind, 
ein  gliickliches  Anregungsmittel.  Auch 
erweitert  er  ihren  geistigen  Horizont, 
und  das  ist  gerade  fiir  sie  durchaus  not- 
wendig;  denn  sie  haben  bisher  in  den 
engen  Grenzen  ihres  Dorfes  gelebt  und 
treten  spsiter  als  Lehrer  in  dieselbe  Enge 
zuriick.  Die  Kenntnis  einer  Fremd- 
sprache  gewahrt  vielen  Lehrern  die 
Moglichkeit,  durch  Privatunterricht  ihr 
mageres  Einkommen  zu  verbessern;  an- 
dern,  und  gerade  den  begabtesten,  ist  sie 
der  Weg  zu  einem  hoheren  Lehramt. 
Schrankt  man  den  fremdsprachlichen 
Unterricht  in  den  Seminaren  ein,  so  min- 
dert  man  damit  zugleich  die  Moglichkeit, 
ihn  in  den  Volksschulen  einzufiihren; 
denn  es  wird  dann  immer  mehr  an  ge- 
eigneten  Lehrkriiften  fehlen.  Eine  solche 
Schadigung  des  Volksunterrichts  richtet 
sich  aber  gegen  den  Willen  des  Parla- 
ments  und  gegen  die  Wunsche  des  Lan- 
des;  sie  ware  also  eine  antidemokra- 
tische  Massregel. 

In  ganz  ahnlichem  Sinne  aussert  sich 
auch  der  Verein  der  franzosischen  Semi- 
narlehrer  gegen  die  geplante  Anderung. 
(Vgl.  Manuel  General  1904,  S.  139.)  Er 
wiinscht  ausdriicklich,  dass  die  lebenden 
Fremdsprachen  obligatorisches  Seminar- 


'Bucherschau  339 

fach  bleiben;    denn   ausser  ihrem  prak-  Frankreichs    Internate.     Nun    hat    aber 

tischen  und  sozialen  Wert  sei  ihnen  ein  unterm  9.  Dezember  1903  der  Generalrat 

eminent  erziehender  Charakter  eigen,  und  der    Seine    den    Beschluss    gefasst,    den 

deshalb   wurde   ihre   Einschrankung  das  Unterricntsminister    zu    bitten,    im    De- 

geistige  Niveau  des  Lehrerstandes  herab-  partement  der  Seine  an  Stelle  des  Inter- 

drucken.  —  Noch  ist  die  Entscheidung  nats  das  Externat  zu  setzen,  und  zwar 

des  Counseil  superieur  nicht  Gesetz  ge-  soweit  dies  nur  irgend  moglich  ist.  Man 

worden,  und  es  darf  wohl  angenommen  verspriclit  sich  davon  sowohl  moralische 

werden,  dass   der  lebhafte  Widerspruch  als    auch    materielle   Vorteile.    Im    An- 

der  Lehrerschaft  Gehor  findet.  schluss  an  diese  Bitte  wiinscht  man  in 

In  einer  andern  Seminarfrage  kommen  Lehrerkreisen  auch   in   der  Provinz  das 

viele  franzosische  Lehrer  dem  Vorgehen  Internat   nach   Moglichkeit   einzuschran- 

«iner      Regierungsbehorde      freundlicher  ken.     (Vgl.  Manuel  General  1904,  S.  41 

entgegen.  Bekanntlich  sind  alle  Seminare  und  64.) 

V.     Vermischtes. 


*  Ein      Geniestreich      der     neuesten  greifenden  Gesetzes;   das  Schonste  ist: 

Rechtschreibung  ist  die  Behandlung  der  die  neue  Unrechtschreibung  widerspricht 

Worter     g  e  b  e  n    und     1  e  s  e  n.      Zwei  sicn  selber,  sie  ordnet  an :  ergiebig,  aus- 

gleichartigere  Worter  als  diese  hat  die  giebig  mi*    ie!!!    Wers   nicht  glaugt, 

ganze     deutsche     Sprache     nicht;      der  der  lasse  sich  eines  der  hundert  Worter- 

Stamm  beider  besteht  aus  je  drei  Buch-  biicher    geben,    welche    durch    die    neue 

staben  (zwei  einfachen  Mitlautern,  einem  Schreibung  zur  Welt  gekommen  sind  und 

einfachen    Selbstlauter)    und    die    Zeit-  uberzeuge  sich  dabei  zugleich,  dass  kei- 

formen    lauten    durchwegs    iibereinstim-  nem  der  Herausgeber  eines  dieser  Wor- 

mend:  ich  gebe  — ich  lese,  ich  gab  terbiicher  eingefallen  ist,  eine  Bemerkung 

—   ich   las,   ich   g  a  b  e   —  ich     1  a  s  e,  hierzu    Zu    machen.    Aber   auch    in   den 

gegeben     —    gelesen.      In     diese  vie'en  Biichern  iiber  Sprachdummheiten, 

ubereinstimmung  bringt  nun  die  neueste  Sprachunrichtigkeiten,  die  nicht  in  Be- 

Rechtschreibung   eine    Stoning;    sie    be-  ziehung    zu    der   neuen    Rechtschreibung 

fiehlt    einerseits:    du    liesest    (liest),   er  stehen,     findet     sich     nichts   iiber  diese 

liest,  mit  ie  geschrieben,  andererseits :  du  Sprachdummheit. 

mit    ie    geschrieben;    anderersents :     du         (C.  Zentz,  Wien,  in  der  ,,Allg.  D.  Ztg.") 
gibst,  er  gibt,    beides    ohne    e.  Man        *  Verteilung    der    Sprachen    auf    der 

vergleiche     aber     die    Abwandlung    der  Erde.    Eine  interessante  Gegeniiberstel- 

Worter    sehen    (sieht),    geschehen    (ge-  lung  der  Verteilung  der  drei  wichtigsten 

schieht) ;  ist  denn  das  e  in  geben  weniger  europaischen  Sprachen  auf  der  Erde  in 

lang  als   das   e    in   den   Wortern   lesen,  den  Jahren  1800  und  1900  entnehmen  wir 

sehen,  geschehen?    Und  wie  verhalt  es  der    ,,Litterature    Aniericaine".     Danach 

sich  mit  der  Bildung  des  Intransitivums  sprachen  um  das  Jahr  1800  31  Millionea 

liegen  aus  dem  Transitivum  legen?   Und  Menschen     franzosisch,       30     Millionen 

die  Schreibung  des  aus  schwer  abgelei-  deutsch  und  20  Millionen  englisch.    Bis 

teten   Wortes   schwierig?    Beweist   auch  zum  Jahre  1900  hat  sich  die  Sachlage  so 

diese  nichts  fiir  die  Umwandlung  eines  verandert,  dass  jetzt  50  Millionen  fran- 

langen  e  in  ie?  —  aber  nicht  genug  mit  zosisch,   70   Millionen   deutsch   und    125 

dieser  Verleugnung  eines  mit  Handen  zu  Millionen  englisch  sprechen. 


Bucherschau. 


I.     Zeitschriftenschau. 


The  School  Review  (University  of  Chicago  Press),  September,  1904,  pp.  559 — 
562:  Katharine  Damn,  German  in  the  Class-Room. 

Das  Ergebnis  ihrer  Untersuchung  lautet  in  den  eigenen  Worten  der  Verfasserin 
im  Schlussabsatz  wie  folgt:  "If  interest,  Sprachgefiihl,  ability  to  think  in  German, 
an  easy  familiarity  with  German  expressions,  and  a  feeling  that  other  languages  are 
cxpreasive  as  well  as  English,  are  gained,  we  need  not  feel  that  our  time  in  wasted 
if  our  pupils  do  not  speak  glibly.  They  all  speak  somewhat  and,  when  once  brought 
in  contact  with  German-speaking  people,  will  soon  talk  fluently.  These  results  are 


340  Padagogische  Monatshefte. 

intangible,  and  therefore  difficult  to  put  on  paper;  but  here,  as  with  many  things, 
the  intangible  is  the  most  important." 

-  October,  1904,  pp.  625—630:  0.  Thiergen,  The  Plans  of  Instruction  for 
the  German  Middle-Class  Schools  and  the  Regulations  of  the  Government. 

Interessant  wegen  der  tabellarischen  tibersicht  iiber  die  Verteilung  der  Schul- 
stunden  auf  die  A^erschiedenen  Lehrfacher  am  Gymnasium,  Realgymnasium,  Ober- 
realschule  und  Realschule  (die  ubersetzung  Middle-Class  Schools  fiir  Mittelschulen 
im  Titel  konnte  falsche  Vorstellungen  ervvecken).  Zum  Vergleich  mit  hiesigen  Ver- 
haltnissen  die  Anzahl  der  auf  das  Franzosische  verwendeten  Stunden:  Gymnasium 
SOO  (aus  insgesamt  11,360),  Realgymnasium  1,160  (aus  insgesamt  11,640),  Ober- 
realschule  1,880  (aus  insgesamt  11,720),  sechsklassige  Realschule  1,240  (aus  ins- 
gesamt 7,640).  Der  Rest  des  Artikels  behandelt  den  Religionsunterricht. 

pp.  635 — 647:  Frederick  Liddeke,  The  Extension  of  the  High-School 

Course. 

Fordert,  dass,  ohne  den  Bestand  der  Elementarschulen  und  die  Zahl  der  dieser 
zugewiesenen  Unterrichtsjahre  anzutasten,  die  Sekundarschule  um  z\vei  Vorjahre 
vermehrt  Averde,  so  dass  alle  Schiiler,  die  diese  zu  besuchen  gedenken,  nach  vol- 
lendetem  sechsten  Schuljahr  eintreten  konnten.  Diese  Forderung  wird  gestellt  be- 
sonders  im  Interesse  des  fremdsprachlichen  Unterrichts;  der  Verfasser  ist  der  An- 
sicht,  dass  dieser  mindestens  im  zwolften  oder  dreizehnten  Lebensjahre  des 
Schiilers  beginnen  miisse. 

Education  (The  Palmer  Company,  Boston),  June,  1904,  pp.  581 — 595:  Arnold 
Werner-Spanhoofd,  Aim  and  Character  of  the  Work  of  First  Year  German. 

Das  Unterrichtsziel  im  ersten  Jahre  muss  das  des  ganzen  Lehrganggs  sein;  die 
besten  Lehrkrafte  miissen  darum  auch  die  Unterweisung  im  ersten  Jahre  der 
Sekundarschulen  iibernehmen.  Da  erfahrungsgemass  von  alien  Schiilern  dieser 
Anstalten  iiberhaupt  nur  zehn  Prozent  sich  fiir  das  College  vorbereiten  und  tat- 
Sfichlich  nur  etwa  vierthalb  Prozent  dieses  Ziel  erreichen,  so  sind  diese  in  Lehrplan 
xind  Methode  ebensowenig  zu  beriicksichtigen  als  solche,  die  sich  einem  speziellen 
Berufe  widmen  wollen;  nicht  die  Eingangspriifungen  der  Colleges,  sondern  nur  die 
durch  die  Schule  zu  vermittelnde  Allgemeinbildung  (aber  schliessen  sich  diese  bei- 
den  denn  eigentlich  aus  ?  ? )  hat  der  Unterricht  in  Rechnung  zu  ziehen ;  der  Bericht 
des  Zwb'lferausschusses  kommt  dabei  schlecht  Aveg.  Auch  die  vielen  Schiiler,  die 
bereits  nach  dem  ersten  Jahre  die  Anstalt  verlassen,  haben  dieselbe  Riicksicht  zu 
erwarten  wie  die,  die  den  ganzen  Lehrgang  zu  absolvieren  gedenken.  In  der  be- 
schrankten  Zeit,  die  dem  deutschen  Unterrichte  zugewiesen  ist,  ist  ein  anniihernder 
Begriff  der  Schonheiten  und  des  eigentlichen  Wesens  deutschen  Schrifttums  nicht 
zu  vermitteln;  die  Anzahl  deutscher  Werke,  die  der  Schiiler  der  Sekundarschule 
und  der  Student  des  College  im  regelrechten  Lehrgang  zu  bewiiltigen  vermag,  ist 
nicht  grosser  als  die  englischer  Biicher,  die  er  bequem  in  einer  Woche  lesen  kann 
(aber  der  Verfasser  fiihrt  selbst  an  einer  andern  Stelle  Lowells  Ausspruch  an:  "It 
matters  less  what  a  man  learns  than  how  he  learns  it").  Auch  zu  einem  Xiitz- 
Hchkeitszwecke  sollte  das  Deutsche  nicht  gelehrt  werden,  trotz  dem  praktischen 
Werte  der  Kenntnis  der  Sprache.  "In  our  public  schools.  .  German  should  be  taught 
. .  so  that  every  pupil  passing  through  a  thorough  and  scientific  process  of  learning 
the  language  shall  have  acquired  from  it  the  power  and  habit  of  doing  good  and 
honest  work,  together  with  a  love  of  knowledge  and  an  earnest  disposition  to 
acquire  it..  If  we  wish  to  benefit  every  student  enrolled  in  our  schools  we  must 
not  restrict  our  aims  to  the  values  of  either  language  or  literature,  but  found  it 
upon  the  rock  of  thorough  instruction."  (Die  Ausfiihrungen  des  Verfassers  lassen 
dem  deutschen  Unterrichte  an  der  Sekundarschule  eigentlich  nur  disziplinarischen 
Wert,  den  das  Lateinische  mit  demselben  Rechte  beanspruchen  kann;  mit  gering- 


cBucherschau.  341 

ftigigen  Veranderungen  ware  seine  Beweisfiihrung  fur  jede  lebende  Sprache  zu  ge- 
brauchen,  und  selbst  fur  die  klassischen.  Mit  Bezug  auf  eine  Seite  des  Unterrichts, 
die  sein  Artikel  gar  nicht  beriihrt,  verweise  ich  auf  den  Aufsatz  ,,Land  und  Leute" 
im  vorliegenden  Heft.) 

Die  Neueren  Sprachen  (Elwert,  Marburg),  Band  VII,  Heft  5  (August-September 
1904),  pp.  257—272:  B.  Uhlmayr-Nurnberg,  Der  fremdsprachliche  Unterricht  in 
seiner  Beziehung  zur  Schulhygiene. 

Dieser  ausserordentlich  anregende,  gehaltvolle  Aufsatz,  der  auf  dem  Ersten 
Internationalen  Kongress  fiir  Schulhygiene  (Niirnberg,  April  1904)  als  Vortrag 
auf  dem  Programm  stand,  lasst  sich  in  dem  geringen  zu  Gebote  stehenden  Raume 
nicht  voll  ausschopfen.  Die  leitenden  Gedanken  sind  kurz  folgende:  Die  psychische 
Gesundheit  der  Schiller  ist  schon  wegen  der  Wechselwirkung  von  Seele  und  Korper 
aufeinander  ebenso  wichtig  wie  die  physische.  Der  fremdsprachliche  Unterricht, 
wie  er  jetzt  gehandhabt  wird,  verurs^bht  durch  ubertriebene  Anforderungen,  durch 
uberspannung  der  Geisteskrafte  eine  Schiidigung  des  seelischen  Wohlbefindens. 
Schuld  daran  ist  der  Konservativismus  der  Schule,  der  in  den  heutigen  Fremdspra- 
chen  noch  dieselben  Leistungen  verlangt  wie  frtiher  im  Lateinischen,  als  dies  noch 
Schulsprache  war,  dabei  aber  iibersieht,  dass  die  Herstellung  eines  fremdsprach- 
lichen  Milieus  nur  auf  jeweils  sehr  kurze  Zeitdauer  nicht  genu'gt,  um  die  Mutter- 
sprache  des  Schiilers  aus  seinen  Denkvorgiingen  auszuschalten;  es  ist  ein  grosser 
Irrtum,  die  natiirliche  Spracherlernung  auf  die  Schule  iibertragen  zu  \vollen.  Zur 
Produktion  in  der  Fremdsprache  muss  immer  die  Muttersprache  bewusst  in  daa 
fremde  Idiom  iibertragen,  d.  h.  iibersetzt,  werden.  Wahrend  der  Gedanke  bei  der 
Her-iibersetzung  sich  leicht  von  der  fremden  Sprachform  ablest,  bleibt  er  bei  der 
Hin-iibersetzung  eng  mit  der  Muttersprache  verbunden  und  die  ubertragung  mus3 
von  der  sprachlichen  Form  ausgehen  und  stiickweise  erfolgen.  Die  Hin-ubersetzung 
sollte  sich  darum  auf  die  Einubung  der  Grammatik  beschranken,  und  zwar  an  der 
Hand  kurz  vorher  durchgenommener  fremdsprachlicher  Texte,  da  sie  dann  verhalt- 
nismassig  leicht  von  statten  geht.  Der  allgemeine  Zweck  der  Erziehungsschule  ist, 
den  allgemeinen  Wert  des  Menschen  zu  erhohen,  seinen  Bewusstseinsirihalt  zu  er- 
weitern,  wertvoller  zu  machen,  zu  klaren  und  zu  lebendigem,  d.  h.  gedarikenerzeu- 
gendem  Besitze  umzuschaffen  und  ihn  zu  befahigen,  den  Bewusstseinsinhalt  genau 
und  in  schb'ner  Form  auszudriicken.  Dies  aber  vermag  man  in  weitaus  den  meisten 
Fallen  nur  in  der  Muttersprache  und  auch  da  nur  mit  andauernder  Cbung;  und  der 
Bildungsgrad  eines  sprachenkundigen  Dichters  wird  mit  Recht  fmmer  hoher  ge- 
schatzt  als  der  des  sprachengewandtesten  Kommis.  Das  innige  Verhaltnis  zwischen 
Denken  und  Muttersprache  wird  durch  die  Versuche  der  Produktion  in  einer  Fremd- 
sprache nur  gestort,  das  Band  zwischen  Inhalt  und  Ausdruck  gelockert,  und  die 
Folge  ist  die  oft  anzutreffende  Unfahigkeit  zu  passendem,  unmittelbarem  Ausdruck. 
Der  fremdsprachliche  Unterricht  erhielte  den  reichlichsten  Gewinn,  wenn  man  sich 
einzig  auf  den  rezeptiven  Sprachbetrieb  beschranken  wollte,  den  die  .klassischen 
Sprachen  iiber  kurz  oder  lang  in  der  Schule  annehmen  werden.  Das  praktische 
Leben  verlangt  wohl  die  Fahigkeit,  sich  in  der  Fremdsprache  miindlich  und  schrift- 
lich  ausdriicken  zu  konnen;  aber  die  Absolventen  der  Erziehungsschulen  besitzen 
diese  Fahigkeit  nicht  und  konnen  sie  auf  der  Schule  nicht  erwerben.  .  Die  Frage 
nach  einer  Weltsprache,  die  nur  aus  der  Schwierigkeit  der  fremdsprachlichen  Pro- 
duktion entsteht,  ware  am  einfachsten  zu  losen,  wenn  man  sich  uriter  den  Haupt- 
kulturnationen  auf  den  zweisprachigen  internationalen  Verkehr  einigen  wollte,  der 
Zeit  und  Kraft  ersparte  und  es  ermb'glichte,  zwei  bis  drei  Sprachen  gut  yerstehen 
zu  lernen,  bis  man  eine  auch  nur  mittelmassig  handhaben  lernt,  und.  der  zum  Teil 
auch  schon  auf  internationalen  Kongressen  mit  Erfolg  gebraucht  wird, :  Die  solcher- 


34*3  Padagogische  Monatshefte. 

niassen -. gewonnene  Energiemenge,  .die  sich  in  dem  Versuche  fremdsprachlicher 
Produktion  verzehrte,  konnte  verwendet  werden,  um  viel  tiefer  in  die  in  dem  frem- 
den  Schrifttum  niedergelegten  Geistesschiitze  einzudringen.  —  Wir  gedenken  auf 
Einzelheiten  des  fesselnden  Artikels  bei  Gelegenheit  zuriickzukommen. 

Heft  6  (Oktober  1904),  pp.  338—344:  Albert  Waag-Karlsruhe,  Wie 

ubermitteln  die  neusprachlichen  Schulen  gegeniiber  den  altsprachlichen  eine  gleich- 
wertige  Allgemeinbildung? 

Dieser  im  Mai  d.  J.  auf  dem  Neuphilologentage  zu  Koln  gehaltene  Vortrag 
gipfelt  in  der  These,  ,,dass  mir  die  neusprachlichen  Sehulen  gegeniiber  den  alt- 
sprachlichen nur  unter  zwei  Bedingungen  eine  gleichwertige  Allgemeinbildung  uber- 
mitteln zu  konnen  scheinen :  sie  miissen  e  i  n  m  a  1  der  im  Gymnasium  bewahrten 
K'unst  des  tibersetzens  in  die  Muttersprache  reiche 
Pflege  widmen,  um  nicht  einen  grossen  Ausftll  an  geist-  und  sprachbildender  Kraft 
zu  erleiden;  -und  z  u  m  z  w  e  i  t  e  n  ist  es  dringend  zu  wiinschen,  dass  die  Lehrer 
des  Franzosischen  und  Englischen  gerade  an  neusprachlichen  Schulen  auch  in 
deutscher  Sprache  und  Liter atur  wohl  vorgebildet  sind, 
damit  sie  das  gesamte  Empfindungsleben  ihrer  Schiiler  in  Schwung  zu  setzen  ver- 
mogen."  Dabei  bleiben  auch  die  Forderungen  der  Reform  bestehen:  ,,erste  Auf- 
nahme  der  Fremdsprache  durchs  Ohr,  Erziehung  zu  peinlich  genauer  Hervorbringung 
der  fremden  Laute,  andauernde  iibung  im  Erfassen  des  Gesprochenen,  Aneignung 
eines  umfassenden  Wortschatzes  durch  mannigfaltige  Umgestaltung  des  Lese- 
etoffes.  Der  schone  Aufsatz  beriihrt  sich  in  manchem  mit  dem  vorhergehenden 
Uhlmayrs,  obwohl  er  ganz  unabhangig  von  diesem  entstanden  ist. 

Edwin  C.  Roedder. 


II.     Eingesandte   Bucher. 

Mozart    auf    der     Reise    nach    Prag.    Collins,  Adjunct  Professor  of  German 

Novelle      von      E  d  u  a  r  d      M  o  r  i  c  k  e.    in  Teachers  College,  Columbia  University. 

Edited  with  an  introduction   and   notes    New    York,    The    Columbia    University 

by  William  Guild  Howard,  In-    Press,  1904.  Price  $1.50. 

structor  in  German  in  Harvard  Univer-        A    Brief    German    Course    by    C.    F. 

sity.   Boston,  D.  C.  Heath  &  Co.,  1904.        K  a  y  s  e  r,    Ph.    D.,    First    Assistant    in 

Deutsches  Lesebuch.    Deutsche  Kultur-    German  and  Latin,  and  F.  M  o  n  t  e  s  e  r, 

geschichte  in  Wort  und  Bild  f  iir  Sekunda,    P  h.  D.,  Head  of  German  Department,  De 

Prima    und    Oberprima    par    Charles    Witt   Clinton    High   School,   New   York. 

Schweitzer,      Doctur      es      Lettres,    American  Book  Co.,  1904. 

"Professeur  Agrege  au  Lycee  Janson  de       Elements     of     the     Differential     and 

SaHly,  avec  la  collaboration  de  E  m  i  1  e    integral    Calculus    by   William    A  n- 

S  i  m  o  n  n  o  t,      Professeur      a      College    t  h  o  n  y     G  r  a  n  v  i  1 1  e,     Ph.     D.,     In- 

Chaptal.    Librairie   Amand  Colin,  Paris,    structor  in  Mathematics  in  the  Sheffield 

1904.  Scientific  School,  Yale  University.    With 

English  Reader.  A  History  of  Civilisa-    the   editorial  co-operation  of  P  e  r  c  e  y 

tion  in  England,  with  literary  illustra-    F.      Smith,     Ph.     D.,     Professor     of 

tions.    'Seconde,  Premere  et    Philosophic    Mathematics    in    the    same    institution. 

par  Charles  Schweitzer,  Docteur    Boston,  Ginn  &  Co.     Price  $2.70. 

es  Lettres,  Professeur  Agrege  au  Lycee        Grillparzer  und  das  Neue  Drama.   Eine 

Janson  de  Sailly,  avec  la  collaboration  de    gtudie  von  Dr.  O.  E.  L  e  s  s  i  n g.    Miin- 

Louis      Cozamian,      Docteur       es    chen  und  Leipzig,  R.  Piper  &  Co.,  1904. 

Lettres,  Professeur  Arege  de  Anglais  au    Geheftet  M   4 

P5'^  ?SfUy°n  Librairie  Aramand  Colin»  School  Civics.  An  outline  study  of  the 

laris,  l,iU4.  origin  and  development  of  government 

Cyr's  Graded  Art  Readers.  Book  Two  an(j  the  development  of  political  institu- 

by  E 1 1  e  n  M.  C  y  r.  Ginn  &  Co.  Price  tions  in  the  United  States.  By  F  r  a  n  k 

35  cents.  David  Boynton,  Superintendent  of 

The  Teaching  of  German  in  Secondary  Schools,  Ithasa,  New  York.  Ginn  &  Co., 

Schools  by  Elijah  W.  Bagster-  1904.  Price  $1.10. 


Inhaltsverzeichnis. 


Offizielles. 

Deutschamerikanischer  Lehrertag. . .  309 

Emil  Dapprich,   gest 1 

Nat.  deutscham.  Lehrerseminar 161 

Generalversammlung  des  Lehrer- 
seminarvereins  213 

Aufsiitze. 

Altschul,  Natiirliche  Methode  in  der 

Grammatik   255 

Busse,  Herders  Personlichkeit 169 

C.  C.  Land  und  Leute 310 

Cutting,  Some  Defects  in  the  Teach- 
ing of  Modern  Languages  in  Col- 
leges and  Universities  38 

Dobrzynska,      Das      Kind      in     der 

Literatur    224 

Florer,  Gustav  Frenssen,  A  Study  71,  97 

G.,  Zur  Abwehr  178 

Heine  G.,  Chorsprechen  und  -Lesen 

in  der  Schule 239 

Heine  H.,  Unterricht  in  der  Bilder- 

sprache     244 

v.  Jagemann,  1st  der  deutsche  Wort- 

schatz  grosser  als  der  englische. .       9 
Jappe,    Erziehungswissenschaft    und 

Erziehungspraxis 33,  65,  129,  163 

Lauterbach,  Zum  Gedachtnis  Lockes  325 
Lessing,  Arno  Holz  und  sein  Dafnis.  328 
Prehn,  Ein  Bruch  mit  der  Uber- 

lieferung 175 

Roedder,  Zur  gesetzgebenden  Gram- 
matik   78,  103,  136 

Schonrich,  Aus  dem  Tagebuch  einea 
deutschamerikanischen  Schul- 

meisters    236 

Wilson,  Studien  in  der  deutschen 
Literatur  198 

—  Dichter  und  Schule 277 

—  Das  Gedachtnis  nach  der  neuen 
Psychologic    292 

—  Aphorismen  aus  Herders  Schul- 
reden   287 

Fiir  die   Schul praxis. 

Altschul,     Lehrprobe:      Eine     Lese- 

stunde  103 

Braun,  Leitfaden  zum  Unterricht 

nach  Anschauungsbildern 48 

Hecker,  Der  blinde  Konig 317 

Lichte,  Versuchung  322 

Miiller,  Die  Auswanderer  v.  Frei- 

ligratli  284 

Pulitzer,  Aufbau  im  Sprachunter- 

richt    228 

Sprachliches. 

Ursprung  einiger  Nanmen  von  Haus- 

geraten     280 

Schwiegermutter,    Schwager 281 


Sprachlicher  Ausdruck   fiir  Zeitver- 

haltnisse    281 

Hanseln    281 

Franzosische  Fremdworter  283 

Gedichte. 

Ernst,  Erwartung  der  Weihnacht..       8 
Nicolay,  Antwort  auf  Heines  Grab- 
schrif  t    47 

Berichte. 

Abrams,   Der   43.    N.    Lehrertag   zu 

Boston  54 

W.  W.  F.,  Report  of  the  Meeting  of 

the  Modern  Language  Association  145 
P.  G.,  Die  Prinzipienerklarung  der 

diesjahrigen  Tagung  der  N.  E.  A. 

in  St.  Louis  290 

P.  G.,  Der  Germanische  Kongress. . .  330 
Schonrich,  Das  erste  Dichterfest  in 

Amerika  147 

Schonrich,  Zweite  Konvention  des 

D.  A.  Nationalbundes  zu  Baltimore     18 

Korrespondenzen. 

Baltimore   (S) 56,  112,  151,  189 

Cincinnati  (***)  57,  86,  151,  191,  262,  333 
Chicago  (Ernes)  114,  (E)  191,  (*)  332 

Davenport     26 

Milwaukee    (A.  W.)    

....  27,  87,  114,  152,  191,  264,  296,  334 

Milwaukee    (**) 265 

New  York   (H.  Z.)   27,  89,  116,  192,  297 

New  York   (D.  Adler)    296 

Portland    (P.  R.)    193 

San  Francisco   (V.  B.) 113 

Umschau. 
Amerika. 

Aufbesserung   der   Gehalter   in   den 

Ver.  Staaten    90 

Booker  Washington  und  Gouverneur 

Vardamann    117 

Brooklyner  Lehrerinnen   , 155 

Cambridge,  Einweihung  des  germa- 
nischen     Museums     der     Harvard 

Universitat  117 

Chicago,  Klage  der  Lehrerinnen  ge- 

gen  die  Stadt 194 

Chicago,   Lehrerinnen   siegreich 286 

Chicago,    Volkswirtschaftslehrer    in 

den  Volksschulen   194 

Chicago,  Superintendent  Cooley 29 

Chicago,  Lehrergehalter   118 

Chicago,  Trennung  der  Geschlechter 

an  der  Universitat  von  Chicago. . .  154 
Chicago,  Jubilaum  der  Universitat . .  194 
Chicago,  Preisausschreiben  der  Uni- 
versitat      267 


IV 


Padagogische  Monatshefte. 


Chicago,  Prof.  Cutting  geehrt 336 

Der  ideale  College  Professor  nach 

Pras.  Harper  193 

Columbia,  Siid-Karolina,  Lehrer- 
gehalter    118 

Deutsche  Kunstbliitter  auf  der  St. 

Louiser  Weltausstellung 154 

Freie  t)berfahrt  fiir  portorikanische 

Lehrer  193 

Fussballspiel  v 90 

Gehalter  der  Professoren  der  Colleges 

und  Universittiten  118 

Internationale  Kindergarten-Union.  119 
Indiana,  Gesundheitsbehorde  gegen 

kranke  Lehrer  91 

Kentucky,  Gemeinsame  Schulen  fiir 

Weisse  und  Neger  118 

Milwaukee,  Erhohung  der  Gehalter  298 
Milwaukee,  Lehrerseminar  59,  266,  297 
Milwaukee,  Vormittagsunterricht  in 

der  Deutsch-Englischen  Akademie  194 
Milwaukee,  Superintendentenwahl. .  154 
New  York,  Hebung  der  Disziplin  in 

der  Volksschule  155 

New  York,  Das  deutsche  Element  im 

Borough  Manhattan  194 

New  York,  Schulwesen  von  Gross 

New  York 198 

New  York,  Superintendentenwahl..  154 
Philippinen,  Schulen  auf  denselben  155 

Pittsburger  Predigerverein 298 

Pittsburg,  Lehrergehalter 118 

Protest  gegen  die  Statue  Friedrichs 

des  Grossen  193 

Professor  Reins  Amerikareise 90 

Preisausschreiben  des  N.  A.  Tur- 

nerbundes  89 

Schulausstellung  in  St.  Louis 117 

Schultyrannen  60 

Sechsjiihriger  Kursus  der  Hoch- 

schulen  60 

Sitzenbleiben  der  Schiller 60 

Triibes  Bild  unseres  Siidens 117 

Volksschulstatistik  in  Amerika ....  91 

Vormittagsunterricht  60 

\Visconsins  Ausgaben  fiir  Schulen..  91 

Deutschland. 

Ausgaben  fiir  die  offentliche  Volks- 
schule in  Deutschland 337 

Baiern,  Universitat  und  Volksschul- 

lehrer    270 

Besoldungselend  in  Mecklenburg 92 

Berlin,     Streik     im     Interesse     der 

Standesehre    91 

Berlin,  Streik  der  Akademiker  an 
den  Berliner  Fortbildungsschulen .  120 

Berliner  Schulstatistik 157 

Berlin,    Einwirkung  -  des    Nachmit- 

tagsunterrichts    161 

Charlottenburg  Waldsehule   270 

Clausnitzer,    Leopold 298 

Denkmal  fiir  Kultusminister  Falk..  29 
Dr.  Seyffarth  29 


Deutsche  Schulen  im  Ausland 60 

Erlangen,  Lehrergehalter 120 

Fortbildungsschulen  fiir  Zuriickge- 

bliebene  in  Berlin 119 

Fortfall  des  Nachmittagsunterrichts 

in  Deutschland  157 

Giessen,  Volksschullehrer  an  der 

Universitat  92 

Hamburger  Lehrerschaft  gegen  das 

Mannheimer  System  270 

Harnacks  Gedachtnisrede  auf 

Mommsen 29 

Hochstzulassige  Schiilerzahl  in 

Hessen  95 

Kaiser  und  Volksschule 301 

Kosten  der  Volksschulen  des  deut- 

schen  Reiches  30 

Privatschulen  in  Preussen 190 

Meiningen,  Ungeteilte  Unterrichts- 

zeit 270 

Rein,  Prof.  Dr 29 

Schillers  Todestag  298 

Schulbesuch  in  Preussen 60 

Stuttgart,  Lehrerinnenfrage  vor  dem 

Bezirksverein  270 

Universitatsbildung  fiir  Volksschul- 
lehrer    336 

Unterstiitzung  deutscher  Schulen  im 

Ausland  156 

iiberfiillung  der  Volksschulen  in 

Preussen  61 

Verordnungen  des  preussischen 

Unterrichtsministeriums    vom 

Januar  1903  '. .  .  92 

Volkssclmle  als  Aschenbrodel 298 

Weimar,  Lehrerflucht 120 

Zahl  der  Lehrerinnen  in  den  Gross- 

stadten    > 92 

B  e  1  g  i  e  n. 

Illiteraten  in  Belgien 299 

Brasilien.  Deutsche  Kolonie  von 
schreibung  339 

Bulgarien. 

Volksschulwesen 30 

England. 

Ausliinder,  Studium  der  englischen 
Sprache  fiir  Auslander  in  London  299 

Deutsche  Sprache  in  England 196 

Oxford,   Griindung  eines  Lehrstuhls 

der  Philosophic   95 

Professor  Rein  in  Manchester 269 

Versammlung  der  British  Associa- 
tion in  Southport  93 

Frankreich.  . 

Austausch  von  Kindern  in  Frank- 
reich   195 

Gehaltsverhaltnisse  der  Volksschul- 
lehrer    299 

Kongregationietische  Schulen  ge- 
schlossen  .  93 


Inbaltsver^eicbniss. 


Lehrerbi Idling  in  Frankreich 338 

Unterricht    in   den    modernen    Spra- 
clien     in     den     Lehrerbildungsan- 

stalten    196 

Schiessunterricht    195 

G  r  i  e  c  h  e  n  1  a  n  d. 

Schulausstellung  in  Athen 197 

Holland. 

Niederliindisches    Schuhvesen 120 

1 1  a  1  i  e  n. 

Deutsche  Schule  in  Rom 299 

Priifung   italienischer  Soldaten 158 

Mexiko,  Ehrung  Rebsamens 337 

Osterreich  -  Ungarn. 

Die  deutschen  Lehrer  Bohmens 299 

Nebenbeschaftigung  der  Volksschul- 

lehrer    197 

Stellung  der   Vereinslehrer 158 

Volksschulen   in   Ungarn 299 

R  u  s  s  1  a  n  d. 

Deutsch  in  den  Ostseeprovinzen ....   197 

Deutsche  in  Russland 300 

Illiteraten    in    Moskau 198 

Lehrerinnenelend  in  Russland 93 

Schweden  und  N"  o  r  w  e  g  e  n. 

Halbe    Unterrichtszeit    in    Schweden     95 
Hohere   Lehranstalten    in   Schweden    92 
Gemeinsamer    Unterricht    fiir    Kna- 
ben  und  Madchen  in  Bergen 300 

S  c  h  w  e  i  z. 

Neuhof,  Erwerb  desselben 299 

Zurich,     Aufnahmebedingungen    fiir 
Russinnen  an  der  Universitat 92 

S  e  r  b  i  e  n. 

Serbische   Lehrergehalter 95 

T  ii  r  k  e  i. 

Deutsche   Schule   in   Konstantinopel  299 

Siid  -  Amerika. 
Argentinien. 

Neue  Lehrpliine  156 

Chili,  Verein  deutscher  Lehrer  in 
Chili    156 

Sudafrika. 

Lehrerinnen  fur  Sudafrika 300 

Japan. 

Deutsche  Schule  in  Yokohamo 158 

Handelshochschulen    in   Japan 300 

Japanische   Schulverhaltnisse 197 


Japanische  Volksschullehrer  im 
Krieg  300 

Vermischtes. 

Anwachsen  der  Zahl  der  Lehrer- 
innen    igg 

Babel-Bibelstreit    62 

Brandl,  Ausgewanderte  Deutsche...  271 

Die   langsten  deutschen  Worter 94 

Deutscher    Frobelverband 95 

Deutschlands    kleinste    Schule 159 

Deutsche   Sprache   in   Osteuropa 159 

Deutsche  Uberhoflichkeit   61 

Dezember     39 

Eigenartiger  ^Zufall    93 

Erziehungsgrundsatze     eines     alten 

Lehrers     197 

Farbenblindheit     62 

Gefahrliche    Farbkreiden 94 

Geniestreich  der      neuesten    Recht- 

schreibung    339 

Gewinner  der  Xobelpreise 95 

Gurgeliibungen     158 

Internationaler    Schulerbriefwecheg.!     94 

Juristendeutsch    301 

Klavierunterricht    : 30 

Lehrertraum    198 

Medizinerdeutsch     301 

Morallehre  auf  Schulheften 301 

Nervositat  der  Lehrer 62 

O,  diese  FremdwSrter 271 

Pariser    Volksschulgeographie 159 

Patriotismus  —  nicht  Jingoismus..   184 
Piidagogische  Aphorismen  von 

Rosegger    186 

Pennsylvania  Dutch    271 

Plakatpadagogik   93 

Rechtschreibung    339 

Schmidt-Monard,   gest 95 

Schreiber     rumanischer    Gymnasial- 

direktoren    94 

Schiilerehre    183 

Schule  und  Leben   159 

Tanzlehrer  in  Sachsen 300 

tJbertriebene   Xngstlichkeit    160 

Verteilung  der  Sprachen 30,  339 

Vom  geruhigen  Leben   62 

Was  ist  Faulheit   94 

Zweierlei  neue  Rechtschreibungen . .  158 

Humoristisches  aus  Schule  und  Leben. 

Aus  Schiilerheften    95,  159 

Die  Glocke    30 

Eine  Hofliche  95 

Eine  franziisische   Schulgeschichte. .   160 

Die  Seidenraupe    30 

Klage  eines  Vaters   198 

Biicherbesprechungen. 

Bernhardt,  Daa  Habichtsfraulein, 
(W.  VV.  F.) 122 

Buhner,  Der  Troiupeter  von  Sackin- 
gen,  (C.  G.) 207 


VI 


Padagogische  Monatshefte. 


Davis,  Teacher's  Guide  in  Physical 
Geography  (D.  H.) 32 

Peering,  Goethes  Egmont,  (C.  B.  W.)   121 

Eggert,  Goethes  Das  Marchen, 

(W.   W.  Florer)    209 

Ford,    Elementary    German,    (E.    C. 
Roedder)    208 

Granger,  Schillers  Tell,    (C.  B.  W.)  271 

Grimshaw,  German  Genders  (  C.  B. 
Wilson)  64 

Hanstein,  das  jiingste  Deutschland, 
(O.  E.  Lessing)  31 

Hale,  A  Latin  Grammar,  (R.  B. 
Holt)  121 

Hatfield,  Goethes  Egmont,  (W.  W. 
F.)  '. 210 

Heller,  Die  drei  Freier,  (E.  C.  Roed- 
der)    208 

Higgins,  Lessons  in  Physics,  (D.  H.)     32 

Hofmann,  Obligatorische  Madchen- 
fortbildung,  (I.  Barandun) 124 

Ibershof,  Robinson  der  Jiingere,  (C. 
B.  W.)  271 

Kingsbury,  Flachsmann  als  Erzieher, 
E.  C.  Roedder)  306 

Kittredge    and    Dodge,    Allen     and 

Greenough's  New  Latin  Grammar.  .     96 

Leicht,  Padagogische  Briefe  von 
Lazarus,  (I.  Barandun)  124 

Lovelace,  Germelhausen,  (E.  C. 
Roedder)  275 

Miller,  Laboratory  Physics,   (D.  H.)     32 

Painter,  Elementary  Guide  to  Life- 
rary  Criticism,  (C.  B.  Wilson) 210 

Paskowsky,  Lesebuch,  (C.  G.) 205 

Payot,  Erziehung  des  Willens,  Con- 
stantin  Grebner  272 

Rein,  Encyklopiidisches  Handbuch 
der  Padagogik,  (M.  G.) 205 

Report  of  the  Commissioner  of 
Education  for  1902,  (John  Eisel- 
meier)  123 

Saintsbury,  Loci   Critici,    (L.  Sh.) . .     32 

Sanborn,  Der  zerbrochene  Krug,  (C. 
H.  Handschin)  307 

Seifert,  Unterrichtslektion  als  di- 
daktische  Kunstform,  (I.  Baran- 
dun)    124 


Sievers,  Old  -  English  Grammar,  (L. 
Sh.)  32 

Trunk,  Anschaulichkeit  des  geogra- 
phischen  Unterrichts,  (P.  G.) 63 

Vos,  Kinder-  und  Hausmiirchen  der 
Briider  Grimm,  (C.  B.  W.) 121 

Whitney,  Heimatklang,  (C.  B.  Wil- 
son)    64 

Wilder  and  Minckwitz,  Minna  Axm 
Barnhelm,  (E.  C.  Roedder)  275 

Wright,  Entwicklungslehre,  (C.  H. 
Handschin) 210 

Zeitschriftenschau. 
(E.  C.  Roedder.) 

Breston,  The  Teaching  of  Modern 
Languages  in  England  303 

Cohn,  The  Adjustment  between 
Secondary  School  and  College 
Work  in  Modern  Languages 303 

Chambers,  How  Words  Get  Meaning  302 

Darrin,  German  in  the  Class- 
Room  340 

Eggert,  Der  psychologische  Zusam- 
menhang  in  der  Didaktik  des  neu- 
sprachlichen  Reformunterrichts . .  302 

Gregor,  Translation   303 

Ingres,  The  Teaching  of  Modern 
Languages  under  Present  Con- 
ditions    304 

Liddeke,  The  Extension  of  the  High- 
School  Course 340 

Thiergen,  The  Plans  of  Instruction 
for  the  German  Middle  Class 
Schools  and  the  Regulations  of 
the  Government  340 

Uhlmayr,  Der  fremdsprachliche  Un- 
terricht  in  seiner  Beziehung  zur 
Schulhygiene  341 

Waag,  Wie  iibermitteln  die  neu- 
sprachlichen  Schulen  gegeniiber 
den  altsprachlichen  eine  gleich- 
wertige  Allgemeinbildung  ? 342 

Werner-Spanhoofd,  Aim  and  Char- 
acter of  the  Work  of  First  Year 
German  340 

Jugendschrif ten-Verzeichnis    395 


PF 

3003 
M6 

v.5 


Monatshefte 


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