*1erneKr
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes,
Schriftleitung :
Max Griebsch, B. A. Abrams,
Seminardirektor. Hilfssuperintendent
der offentlichen Schuicn, Milwaukee,
Oscar Burckhardt, John Eiselmeier, Paul Gerisch,
Se m i n arlehrer.
Letter der Abteilung filr das bohere Schulwesen:
Prof. Dr. E. C. Roedder,
Staatsuniversitat Wisconsin.
Fiinftcn
Dczcmbcr 1903
Mi
Dezembet* 1904
Verlag :
National German -American Teachers' Seminary,
558 to 568 Broadway, Milwaukee, Wis.
v
.5
Der Jahrgang der Padagogischen Monatshefte beginnt im Januar und besteht aus
10 Heften, welche regelmassig in den ersten Tagen eines Monats (mit Aus-
nahme der Ferieumonate Juli und August) erscheinen.
Der Abonnementspreis betragt $1.50 pro Jahr, im voraus zahlbar.
Abonnementsanmeldungen wolle man gefalligst an den Verlag: Nat. German-
American Teachers' Seminary, 558-568 Broadway, Milwaukee., Wis., richten.
Beitrage, das Universitats- und Hochschulwesen betreffend, sind an Prof. Edwin
C. Roedder, Ph. D., 412 Lake St., Madison, Wis.;
samtliche Korrespondenzen und Mitteilungen, sowie Beitrage, die allgemeine
Padagogik und das Volksschulwesen betreflFend, und zu besprechende
Biicher an Max Griebsch, (Nat. G. A. Teachers' Seminary, Mil-
waukee, Wis.) zu senden.
Die Beitrage fiir eine bestimmte Monatsnummer miissen spatestens am 20. des
vorhergehenden Monates in den Handen der Kedaktion sein.
Padagogische Monatshefte*
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Scbulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
V. Dezembeit 1903. Hcit I.
Emil Dapprich f-
Offiziell.
An die Ivlitglieder des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbun-
des.
Unsere erste amtliche Kundgebung wird durch ein trauriges Er-
eignis veranlasst. Es ist unsere schmerzliche Pflicht, der deutschame-
rikanischen Lehrerschaft Mitteilung zu niachen von dem unersetzKchen
Verluste, den der Lehrerbund durch das Dahinscheiden eines seiner
treuesten, fahigsten und geachtctsten Mitglieder erlitten hat. Am fiinf-
undzwanzigsten November wurde Seminardirektor Emil Dapp-
rich nach langem Leiden durch den Tod von dem Felde seiner se-
gensreichen Tatigkeit abberufen.
Fiinfzehn Jahre stand unser verblichcner Freund an der Spitze des
vor einem Vierteljahrhundert durch den Lehrerbund ins Leben gerule-
nen Lehrerseminars. In dicsem einzigen Mamie stirbt uns ein ganzfs
Heer. Schwer trifft der Tod die wenigen Alten, an de,ren Seite er ein
Menschenalter hindurch fur die ihnen und ihm teuren Ideale kampfte;
mit gleicher Wucht trifft er die strebsamen Juugen, denen er voranleuch-
tete als Muster aller Tugenden, die den wahren Erzieher schmucken.
Nur zweimal fehlte er auf den Jahresversammlungen des Lehrer-
bundes : wahrend unserer Tagung in Newark im Jahre 1804, als es gait,
die Interessen des Lehrerseminars auf der Tagsatzung des Turnerbun-
des zu vertreten ; und in diesem Jahre gedachten vvir in Erie des abwe-
senden Freundes, der in der alten Heimat Starkung und Heilung suchte.
Wie werden wir ihn vermissen! Er war die Seele unserer Versamm-
lungen durch die Macht seiner Personlichkeit, durch die zundende
2 Pddagogisclic Monatshefte.
Kraft seiner Rede, durch seine Hoffnungsfreudigkeit, vor deren Licht
und Warme. unser Zagen und Bangen, unser Fiirchten und Zogern \vie
diinne 'Nebelschleier zerflossen. Nichts Kleinliches und Gehassiges
wagte sich in seine Niihe, kein Rankespiel konnte seinem freien Blicke,
seinem graden Wort widerstehen. Einigkeit und kraftiges, treues Zu-
sammenstehen zur Wahrung und Pflege alles dessen, was der deutsch-
amerikanischen Lehrerschaft teuer ist, war der Grundton aller seiner
Reden und Ermahnungen. Des Kindes sonnige Heiterkeit, des Jung-
lings froher Wagemiit, die Kraft und Schaffensfreudigkeit des Mannes
und die abgeklarte Lebensanschauung des Weisen vereinigten sich in
seinem Wesen zu einem harmonischen Ganzen. Der Deutschamerikani-
sche 'Lehrerbund wird sein Andenken lieilig bewahren. Unser schon-
ster Dank fiir das, was er fiir uns getan, sei, ihm nachzueifern, unser
bestes Konnen und Wollen in den Dienst der Ziele zu stellen, die unser
vefstorbener Freund anstrebte, — selbstlos hingebend und treu zu sein,
wie er.
Ftir den Vorstand des Nationalen deutscham. Lehrerbundes :
Bernard A. Abrams, Pras.
So haben wir ihn denn zur Ruhe gebettet ; und uns bleibt von Emil
Dapprich nichts als ein Hauflein Asche, welches auch bald zur Mutter
Erde zuruckgekehrt sein \vird. Vor unserm Geiste aber steht der Ver-
storbene mit seinem klaren und treuen Auge, wie wir ihn im Schulzim-
mer, in unsern Versammlungen, im Kreise von Kollegen, wo er sich im-
mer am wohlsten fiihlte, sahen; wir lauschen seinen begeisternden Wor-
ten, erheben uns an seiner kraftvollen und doch von Herzensgiite iiber-
stromenden Personlichkeit. Nun er von uns gegangen, sollte all das,
was er uns war, mit vernichtet sein ?
• In seinen letztwilligen \rerordnungen hat der Verstorbene ganz im
Einklang rait seinem bescheidenen Sinne sich verbeten, dass ein Monu-
ment an seinem Grabe errichtet werde. Nun, fiir ihn bedarf es keines
Denkmals von Stein oder Erz. Sein Monument hat er sich selbst in den
Herzen und dem Geiste seiner Schuler und aller, die um ihn sein durf-
ten, errichtet. Das, was er gewollt und erstrebt hat, es hat in ihnen
Wurzeln gefasst und — bewusst oder unbewusst — es spricht aus ihneri
und wird weitergetragen. ,,Es wird die Spur von seinen Erdentagen
nicht in Aonen untergehen", dies ist die Zuversicht jedes ernst Streben-
den, es ist vornehmlich aber die grosse Genugtuung des waliren Lehrers.
Einfach und schlicht ist der Lebenslauf unseres lieben Verstorbenen.
Enlil Dapprich wurde zu Emmerichenhain in Hessen - Nassau am 20.
August des Jahres 1842 geboren. Es drangte ihn, Lehrer zu werden,
tuVd'sb trat'ef fast gegen den Willen seiner Eltern in das Lehrerseminar
Emit Dapprich t. '3
zu Usingen ein. Nach Absolvierung desselben erhielt er cine Anstel-
lung in seinem engeren Vaterland, das seiner Tatkraft und seiner fort-
schrittlichen Gesinnung jedoch bald zu enge Grenzen zog, so dass er sich
zur Auswanderung nach Amerika entschloss. Im Jahre 1865 landete
er in Baltimore und fand bald eine ilim zusagende Tatigkeit an der zu
jener Zeit in holier Bliite stehenden Scheibschen Privatschule. Vom Be-
ginn seiner Wirksamkeit in diesem Lande, seiner neuen Heimat, sehen
wir ihn regen Anteil an allem nehmen, was die Schule im allgemeinen,
den deutschen Unterricht und den Lehrerstand im besonderen anging.
In die ersten Jahre seiner Tatigkeit, in das Jahr 1870, fallt die Griin-
dung des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbun des ; dass er sich
diesem anschloss und bei der aus dessen Anregung heraus ersprossenen
Grundung des hiesigen Lehrerseminars regcn Anteil nahm, war bei sei-
ner Begeisterung fur alles, das die Schule zu heben bestimmt war, selbst-
verstiindlich. Dachte er vvohl damals daran, dass er einst berufen sein
wurde, in die Geschicke dieser Anstalt einzugreifen?
Nach zehnjahriger Tatigkeit in Baltimore folgte Dapprich einem
Rufe nach Belleville, im Staate Illinois. Hier erweiterte sich sein Ar-
beitsfold mehr und mehr. Als Lehrer der Natunvissenschaft an der dor-
tigen Hochschule begann er seine Wirksamkeit, bald erhielt er die Stel-
lung als Schulsuperintendent des St. Clair County, und als sein Freund
Heinrich Raab, durch dessen Veranlassung er nach Belleville berufen
wurde, in das Amt des Staatsschulsuperintendenten von Illinois gewahlt
worden war, wurde ihm auch die dadurch vakant gewordene Stellung
des Superintendenten des offentlichen Schulwesens von Belleville iiber-
tragen. Ein arbeitsreiches, aber auch arbeitsfreudiges Leben, gewurzt
durch den anregenden Verkehr mit gleichgesinnten Kollegen, entfaltete
sich hier. Da traf ihn ein harter Schlag ; seine Gattin, die Mutter seiner
fiinf Kinder, wurde ihm durch den Tod entrissen. Wie schwer ihm die-
ser Schlag gewesen sein muss, wird nur der ermessen, der das tiefe Ge-
miit unseres teuren Toten kannte. Er hatte sein Heimatsgefuhl in
Belleville verloren, und er sehnte sich zuriick nach dem ersten Platz sei-
ner Tatigkeit, nach Baltimore. Schon riistete er sich zur Obersiede-
lung, als seine Berufung zum Direktor der Deutsch-Englischen Akade-
mie und des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerseminars erfolgte.
Seit dem Jahre 1888 war er hier tatig. Was er diesen Anstalten war,
das abzuschatzen und zu wiirdigen, dazu stehen wir seiner Periode noch
zu nahe. Seine Tatigkeit bezeichnete eine neue Ara ; das, was Dapprich
gedacht und gewollt, war das Werk eines Genies und vermag von uns
Alltagsmenschen nur in Bruchstucken erfasst zu werden, und erst die
Folgezeit wird sein Wirken im rechten Lichte erstrahlen lassen. — Im
Jahre 1892 vermahlte sich der Hingeschiedene zum zweiten Male und
gewann in seiner nun mit ihren zwei Kindern trauernden Gattin eine Le-
4 Pddagogische Monatsliefte.
bensgefahrtin, die mit unsaglicher Treue an ihm hing und fur scin \\'ohl
besorgt war. — Die Leidensgeschichte der letzten Monate steht uns nur
allzu frisch im Gedachtnis. Weder die Reise in seine alte Heimat, noch
die Kunst des Arztes, noch die aufopfernde Pflege seiner Gattin ver-
mochten dem Ubel, das ihn ergrififen, Einhalt zu tun. Unerbittlich
schritt es vorwarts, bis sein Korper demselbcn erlag.
,,Er war ein Lehrer" — das waren die Worte, die einst der edle
Domherr von Rochow seinem Lehrer Bruns auf den Grabstein setzte und
damit das hochste Lob bezeichnen wollte, welches er seinem Freunde und
Mitarbeiter geben konnte. Und, wenn jemals wieder, so gelten diese
Worte unserem lieben Toten. Ein Lehrer wollte er sein und war er, im
vollsten Sinne des Wortes, nicht ein Mietling, der seine Tagesarbeit fur
einen gewissen Lohn verrichtet, der mit dem Schulstaub auch die Ge-
danken an seinen Beruf von sich abschiittelt, der im Sinne unserer auf
das Materielle nur allzusehr gerichteten Zeit seine Pflicht zu erfiillen
glaubt, wenn er den Schulern ein gewisses Quantum von Kenntnissen
iibermittelt. Nein, unser Dapprich war ein anderer — ihn trieb die Liebe
zu seinem Beruf, die Liebe, welche ihm aus der Liebe zur Menschheit
crwuchs, aus seinem Glauben an dieselbe, aus der festen Hoffnung auf
ihre Fortentwicklung und Veredlung. Diesem Ziele nachstrebend, die
Menschheit zu heben, leeren Schein und Trug, Hohlheit und Umvissen-
heit aus der Welt zu bannen, der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Siege
zu verhelfen, war Dapprich Lehrer. In seinen ihm anvertrauten Zb'g-
lingen den Sinn fur alles Reine, Edle, Gute, Schone und Wahre zu er-
wecken, war seine Lebensaufgabe. Diirfen wir uns wundem, dass er
da mit Leib und Seele Schulmeister war ? Nirgends war ihm wohler als
in seiner beruf lichen Tatigkeit. Wer ihn bei seinen Kindern im Schul-
zimmer sah, wurde mit ihm erhoben. Da leuchtete sein Auge von Be-
geisterung, da leuchteten ihm die Blicke der Schiller entgegen — da ver-
gass er alles urn sich. • Mehr als einmal vernahm Schreiber dieses aus
seinem Munde die Versicherung, dass die Schulstunden die gliicklichsten
Stunden des Tages seien. Und mit welchem Vertrauen kamen ihm die
Kleinen und Klein sten, wie die Grossen entgegen. Allen wandte er seine
Teilnahme zu. Kein Anliegen war zu klein, dass ihm Dapprich nicht
ein williges Ohr schenkte, und kein Wunsch war zu gross, als dass er
nicht versucht hatte, nach seinen Kraften zur Erfiillung desselben bei-
zutragen. Ftir alle hatte er eine hulfreiche Hand, fiir alle sorgte er,
sich selber dariiber vergessend. ,,Alles fiir Andere, nichts fiir sich
sclbst," — diese Worte, welche dem Vorbilde aller Lehrer, Pestalozzi, ge-
widmet wurden, sie finden fiir Dapprich gleiche Berechtigung. Die
Sorge fur die ihm anvertrauten Anstalten, Gedanken an die Schularbeit
beschaftigten ihn, auch als ihn das unheilvolle Leiden niederwarf, bis
sein Geist in die Nacht eintrat, aus der es kein Erwachen mehr gibt. Ja,
Emit Dapp, ich t. 5
er war ein Lehrer; und mit frohem Sinn trug er das Los eines solchen.
Wer es ergreift, muss vieles hinter sich lassen, was die Welt fur erstre-
benswert halt, und seine Befriedigung in seiner eigenen Brust suchen.
Dapprich fand sie und war gliicklich.
\\'ie Dapprich als Lehrer war, war er auch als Mann. Die grossen
Eigenschaften, welche ihn in seinem Berufe erhoben, sie bekundeten sich
iti gleicher Weise in alien Lagen seines Lebens. Seine Freunde hatten
keinen treueren Freund, seine ihm unterstellten Lehrer und Lehrerinnen
keinen wohlmeinenderen Vorgesetzten als ihn; wer Rat und Unter-
stiitzung suchte, durfte auf ihn rechnen ; wo er konnte, trug er die Lasten
anderer und nahm deren Arbeit auf sich ; das, was ihn bedriickte, ver-
barg er in seiner eigenen Brust und machte es mit sich selbst ab, wie
schwer es ihm auch oft geworden sein mag, nur um andere nicht zu be-
triiben ; nie kam ein Wort der Klage iiber seine Lippen, — so blieb er
sich selbst treu bis zum letzten Atemzuge.
Mit seiner Liebe und Aufopferungsfahigkeit verband sich cine sel-
tene Einfachheit und Bescheidenheit, die ihm nicht gestattete, seine zahl-
reichcn Geistesgaben, sein grosses Wissen, seine glanzende Beredsamkeit,
sein iiberzeugende Kraft der Beweisfiihrung, seine anregende Unterhal-
tungsgabe — Vorzuge, von denen jeder einzelne einen anderen zum be-
deutenden Manne gestempelt hatte, — fur seinen eigenen Vorteil zu ver-
werten ; alles stellte er in den Dienst der einen grossen Sache, welche
sein Leben erfullte.
Am Samstag, 28. November, bestatteten wir den Verstorbenen von
der Statte seiner Wirksamkeit, dem Seminargebaude, aus, und zwar fand
die Leichenfeier in der Turnhalle des Turnlehrerseminars statt. Die
Halle vermochte kaum die Menge der Freunde und Schuler, die dem
Hingeschiedenen die letzte Ehre crweisen wollten, zu fassen. Von nah
und fern waren die prachtigsten Blumenspenden eingetroffen, so dass
der Sarg unter denselben vollstandig begraben- war. Es sprachen bei
der Feier der Prasident des I^ehrerseminars, Dr. Louis Frank, der Su-
perintendent des offentlichen Schulwesens von Milwaukee, H. O. R. Sie-
fert; der Prasident des Vereins deutscher Lehrer von Milwaukee, Phil.
Lucas ; Theo. Stempfel von Indianapolis als Vertreter des Nordamerika-
nischen Turnerbundes, und Schreiber dieser Zeilen ; dieser hielt dem
Verstorbenen auf dessen in seinen letzten Tagen ausgesprochenen
Wunsch die Gedachtnisrede, welche teilweise auch diesem Nachrufe zu
Grundc liegt.
M. Q.
Pddiigogiscbe Mona tsliefte.
IN MEMORIAM.
Es wir'd winterlich einsam um uns. Einer nach dem anderen treten
die alt*n Freurtde und Genossen, die mit uns fitr das VVohl der durch uns
vertretenen Anstalten gewirkt und gcstritten haben, aus dcr Reihe imd fol-
gen dem Winke des Allbezwingers Tod. Kosenstcngel, Raab und Weiek,
Boppe und Preusscr, Frankfurth und Kiihn — sie alle habcn des Lebens
Last und Leid abgestreift, um nach jenen Gefielden zu fliehen, von wannen
keiner wiederkehrt.
Und heute tritt die scbmerzlich traurige Pllicht an uns heran, uns vor-
zubereiten fiir den letzten Abschied von eineni der besten, treuesten und
edelsten Miinner, dercn Namcn und VVirken aufs eligste mit der Geschiehte
des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrer seminars und der Deutsch*.
Englischen Akadenrie verflochten sind.
,,Alles fiir andere, nichts fiir sich . selbst" — lautet die In?chrift auf
dem Steine, der die letzte Ruhestatte des edlen Sdnveizers bezeiclmet. der
die Erziehung des Menscliengescl'-lechts in neue Balmen gelenkt bat. Wie
treffiich schildern diese schcneu Worte das Wesen und Wirken unseres da-
hingeschiedenen «dlen P'reundes, seinen selbstlosen und trelien Charakter,
seine Begeisterung, die kein Hindcrnis kannte. seinen Feuereifer ira Dienste
des Wahrep und Guten. seine Bereit\villigkeit zu helfen und zu trosten,
seine Liebe fiir seinen Beruf, den er h«>her sehlitzte als Titel und Gold und
Ruhm!
Seine SchUler verelnten und liebten ihn wie einen Vater, scinen Mit-
arbeitern leuchtete er voran als Muster treuester. hingebender Pflichterfttl-
lung, 'die deutschamerikanische Lehrerschaft sah in ihm die Zierde ' ihree
Standes. Wer ibn kannte. musste ihn lieben, den Mann mit dem kindlicb
frohen Gemiite und dem klaren Blicke des Denkers. Nieuiand konnte sich
dem Zauber seiner Personlielikeit entziehen.
•Sein Tagewerk ist vollendet; sein Andenken \vird nieht erloschen, die
Spuren seiner segensreichen Tatigkeit xverden sich nicht verwischen. denn:
,,Wer den Besten seiner Zeit genug getan,
Der hat gelebt fiir alle Zeiten!"
Die Vertreter der beiden Lehranstalten, deren langjahriger Leiter der
Verstorbeue war, beschliessen:
1) Vorsteheriden Ausdrut-k ihrer Trauer und Anerkennung dureh di«
Presse zu veroffent lichen ;
2) .die trauernde Wittwe und die trauernden Kinder und Verwandten
der innigsten Teiloahme zu versiehern ;
3) sieh in corpore an. der Totenfeier und dem BegrUbnisse zu beteiligen.
... . Carl Penshorn,
John W. Suetterle,
Bernard A. Abrams.
Der Tod Emil Dapprichs hat die Lehrer des Deutschamerikanischen
I^ehrerseininars und der Deutsch-Englischen Akademie mit tiefer Trauer
erfUllt.
Sie verlieren in dein cdlen Manne, den eih vorzeitiger Tod an der
Schwelle des Greisenalters dahingcrafft hat, ihren berufeneteh Fiihver. Von
EmU Dapprich t. 7
seiner Begeisterung mitgerissen, von dem reinen Feuer, welches sein gan-
zes Leben erhellt, durebgliiht, durften sie mitbauen an dem grossen Werke,
das ihn uberdauern und seiaen Kame» einer dankbareh Xachwelt iiberlie-
fern wird.
Sie verlieren in Eniil Dappricb den warmempfifidenden Freund, der,
jedes Eigeninteresse vergessend, alle Scbranken zwisehen Vorgesetzten und
Untergebenenen aufhebend, seinen Lehrern stets mit treuern Trost und herz-
licher Aufmunterung zur Seite stand; der, wie ein holier Patriarch, es ver-
standen hat, aus Lehrern und Schlllern eine gross* FaiFiHie zu gestalten.
Sie besitzen aber — und das kann ihnen auch der Tqd nicht rauben —
fur alle ihre bleibeiwton EwteBtage in ihm das V-erbiid eines wahren Lehrers
und Volkserziehers, der jederzeit seinen Beruf fiir den erhabensten ansah
und diese Anschauung alien, die unter ihm wiikten und lernten, mitteilte.
Es sei hiermit l>eschlossen, den GefUhlen der Trailer uiid der Dankbar-
keit, welche an dem Grabe des Dahingeschiedenen- eeine Lehrerschar nieder-
beugt und wieder erhebt, durch diese Zeileu offeutlichen Ausdruck zu ver-
leihen, und eine Abschrift derselben den Hinterbliebeuen zu Ubermitteln.
Das Lehrerkollegium des Nationalen Deutsehamerikanisclien Lehrerse-
minars und der Deutsch-Englischen Akademie.
,,Der Vorort des Turnerbundes spi'ieh.t dem Vorstande. des Lehrerseiui-
nars sein herzlichstes Beileid aus zu dem sehweren Verluste, welcher diese
Anstalt durch das Hinscheiden seines fiir eine ratioaelle Jugenderziehung
bcgeistertcn Direktors Emil Dapprich bctroffen. Der Turnerbund beklagt
in ihm den \7erlust eines eharakterfestcn, fotisehritti) :h gfisinuten Mitglieds,
eines tretien und aufrichtigen Freundes, der sich uia die Hebung des Turn-
lehrerseminars grosse Verdienste erworben hat." .
Hermann Lieber.
Durch den Hingang von Emil Dapprich hat das Deutsehtum der Ver.
Staaten einen herben Verlust erlitten. Die deutschamerikanische Schule,
dieser \\-ichtigste Faktor zur dauernden Erhaltung der deutschen Spraehe,
deutschen Denkens und deutschen Gemiites, hat einen ihrer begabtesten,
hingebensten loiter verloren; die Jugend einen geborenen Lehrer und Er-
zieher; die nsenschliche Gesellschaft einen guten und edlen Menschen.
Der Vorstand des Deutschamerikanischen Nationalbundes, seinem tiefen
Bedauern iiber das Ableben eines so wackeren Mannes Ausdruck gebend,
glaubt, dass sein Andenken nicht beseer geehrt werden' kann, als durch
Hochhaltung der idealen und erzieherischeu BestrebungeH, jdenen der Dahin-
geschiedene seines Lebens Kraft, sein ganzes Wissen und Konnen gewidmet
hat.
Adolph Timm,
BundessckretSr des Deutsehamerikanisclien Nationalbundes.
Ervvartung der Weihnacht.
Von O. Ernst.
Noch eine Nacht — und aus den Luften
Herniederstromt das gold'ne Licht
Der wundersamen Weihnachtsfreude,
Verklarend jedes Angesicht.
Und wieder klingt die alte Sage:
Wie einst die Lieb' geboren ward,
Die unbegrenzte Menschenliebe
In einem Kindlein hold und zart.
Nun zieht ein suss erschauernd Almen
Durch Hoh'n und Tiefen, Flur und Feld.
Nun' deckt geheimnisvoll ein ^Schleier
Des trauten Heimes kleine Welt.
Dahinter strahlt's und lacht's und flimmert's
Und ist der siissen Ratsel voll,
. Durch alle Raume weht ein Odem
Der Freude, die da kommen soil.
Und draussen nicken Baum' und Biische
So leis' in winterklarer Luft :
Die Kunde kommt, dass neues Leben
Sich wieder regt in tiefer Gruft.
Es kharrt die Eiche vor dem Fenster,
-Sie-lraum't ven knger Zeiten Lauf ;
Da steigt wohl auch ein froh Erinnem
In ihre 'Krone still hinauf.
O weilt, ihr j ugendschonen Stunden,
Venveile du, der Hoffnung Gliick!
Vermocht ich's nur: mit alien Kraften
Der Seele hielt ich dich zuriick.
Ihr siissen Tra'ume des Envartens,
Der Wunder und Gesichte voll,
Ihr seid noch schoner als der Jubel,
Die Freude, die da kommen soil.
1st der deutsche Wortschatz grosser als der
englische ?
(PUr die PiitUgogiachen
Von tt. C. G. von Jagemmnn, Harvard University, Cambridge, Mass.
Vor mir liegt eine Postkarte folgenden Inhalts: "Please inform me,
by returt mail, of the exact number of words in the English and German
languages respectively. A friend of mine says that there are more words
in German than in English, but I do not believe it."
Jedem Lehrer des Deutschen ist gewiss schon dieselbe Frage vor-
gelegt worden, wenn auch vielleicht nicht in soldi belustigender Form,
und wahrscheinlich hat er sich selbst schon oft gefragt, wie sich der
Reichtum des deutschen Wortschatzes eigentlich zu dem englischen ver-
lialt. Da nun hieriiber auch in den Kreisen der Gebildeten manche ir-
rige Ansichten verbreitet sind, so scheint es nicht unangebracht, auf diese
Frage*€inmal naher einzugehen, und vorerst wenigstens festzustellen, in
welcher Weise dieselbe iiberhaupt einer Beantwortung fahig ist.
Mehr oder weniger genaue Zahlenangaben iiber den Wortschatz der
hervorragenden Kultursprachen sind oft gemacht worden. In den Zei-
tungen kann man unter dem Titel ,,Vermischtes" von Zeit zu Zeit lesen,
dass die franzosische Sprache so und so viele Worter besitzt, die deut-
sche so und so viele, u. s. w. In englischen Ouellen findet man dann
gewohnlich die Sache so dargestellt, dass die englische Sprache bei wei-
leni den grossten Wortschatz hat; die Zahl der Worter im Englischen
wird gewohnlich auf iiber zweihunderttausend geschiitzt, wall rend der
deutschen Sprache selten iiber fiinfundsiebzigtausend zugestanden wer-
den. Dieses fiir das Detttsche sehr ungiinstige Verhaltnis 4iat seinen
Grumd zweifellos .nicht nur in dem Bestreben der Englander oder Ame-
rikaner, seine Sprache als die reichere und vollkommenere hinziistellen,
sondern auch besonders darin, dass es gerade" fiir das Englische eine An-
zahl guter, popularer und allgemein verbreiteter Worterbiicher gibt, die
einander in der Zahl der aufgefuhrten Worter zu iiberbieten stichen, und
deren Verleger in ihren Anzeigen dem Statistiker die Miihe sparen, die
Zahl der verzeichneten Worter zu berechnen. Es gibt nun kein deut-
sches Worterbuch, welches im Plan, in der Anordnung und Reichhaltig-
keit des Materials diesen popularen englischen Worterbuchern, z. B. dem
"International", dem "Standard", oder dem "Century Dictionary", auch
nur ungefahr entsprache, und es fehlt daher die passende Grundlage fur
eine'n Vergfeich.
Es kommen eigenllich iiberhaupt nur drei grossere deutsche Wor-
terbiicher neueren Datums in Frage, ramlich Grimm, Sanders und
10 Pddiigogische Monatshcfte.
Heyne. Von diesen ist das erste, trotzdem der erste Band davon im
Jahre 1854 erschiencn ist, noch immer nicht voilstandig, und wie die
Dinge jetzt liegen, \vird es auch schwerlich vor dem Jahre 1920 fertig
werden. Aus dem, was vorliegt, die Zahl der moglichenveise zu behan-
delnden Worter zu bcrechnen, ist ausserordentlich schwer. Das ergibt
sich unter anderem schon daraus, dass das Material, welches urspriing-
lich den vierten Band ausfiillen sollte (namlich der Ictzte Teil von F bis
cinschliesslich J), tatsachlich jt-tzt schon drei Bande in Anspruch genom-
men hat, und noch einen vierten erfordern wird, ehe es ganz bearbeiict
ist. Auch hat ein Verglcich einzelner vollendeter Teile des Grimmschen
Werkes mit entsprecbenden Tcilen eines englischen Worterbuchs wenig
Wert, denn gewisse Buchstaben und Buchstabenverbindungen sind ebcn
in der einen Sprache ini Anlaute verhaltnismassig haufiger als in der an-
deren ; z. B. muss wegen der ausserordentlich zahlreichen deutschen
Worter mit .der Vorsilbe G e- die Gesamtzahl der mit G anlautenden
Worter im Deutschen verhaltnismassig grosser -sein als im Englischen.
Das dreibandige, seit 1865 vollcndete Worterbuch von Sanders (mit
dem Erganzungs worterbuch ) wiirde schon eher
als das Grimmsche eine geeignete Grundlage fur unsere Unt-ersucliung
bieten, aber infolge der eigentiimlichen, ausserst pedantischen Anord-
nung des Stoffes hat sich wohl noch niemand die Miihe genommen, die
Zahl der darin verzeichneten \V6rter auch nur annahernd zu berechnen.
Alle zusammengesetzten Worter sind bekanntlich unter ihrem letzten Be-
standteil eingereiht, so dass man zum Beispiel g e n a u unter N suchen
muss; dazu sind die typographischen Unterscheidungsmittel so sparsatn
angewandt, dass nur die sorgfaltigste Durchsicht der 2900 Seiten von
je drei engbedruckten Spalten zu einem zuverliissigen Resultat fuhren
wiirde.
Das seit 1895 vollendete dreibandige Wrerk von Heyne ist zwar ein
sehr nittzliches Nachschlagewerk, i;;t aber weit davon entfernt, den. Wort-
schatz der klassischen und modernen Literatur, der Kiinste und Wissen-
schafteh, der Unigangssprache in solcher Vollstandigkeit zu bieten, wie
die grossen englischen Worterbuch er. Sogar Worter, die jeder deutsche
Schiiler in Schillers Gedichten lernt, fehlen manchmal, und wir konnten
Seiten fiillen mit Wortern aus Uhland, Scheffel und anderen vielgelese-
nen Dichtern und Schriftstellern, Wortern, die bei Heyne nicht ange-
fuhrt sind. Es liegt daher auf der Hand, dass auch Heyne keine sichere
Grundlage zur Bereicherung unseres Wortschatzes bietet.
. Wenn wir jedoch auch wirklich die Zahl der Worter, die das Grimm-
sche Worterbuch nach seiner Vollendung verzeichnen wird, genau ver-
anschlagen konnten, so wiirde diese Zahl doch immer noch keine pas-
sende Ant wort auf die im Eingsnge gestellte Frage sein, wenigstens
nicht zum Zweck eines Vergkichs mit der Zahl der in den grossen eng-
1st der deutsche Wortschit^ groesser als der englisclx ? 11
lischcn VVorterbiichern ' angeftihrten Worter. Diese Werke enthalten
namlich eine Unmasse von Stoff, der von Grimm und mehr oder wcni-
ger von anderen deutschen Worterbtichern grundsatzlich ausgesch lessen
\vird. Es ist eine merkwtirdige Tatsache, dass wir in letzteren gerade
diejcnigen Worter am wenigsten vollstandig verzeichnet finden, mit Be-
zug auf deren Rechtschreibung, Geschlecht, Bedeutung und Gebrauchs-
gebiet der Durchschnittsmensch sich.am haufigsten ini \V6rterbuch Rats
erholen muss, namlich die Fremd\vorter. Die grossen englischen Wpr-
terbiicher geben gerade diesen Teil des Wortbestandes sehr vollstandig,
und eins sucht das andere in der Zahl der aus dem Lateinischen und Grie-
chischen entnommenen Worter zu iibertreffen. Man kann daselbst so-
gar die allerneuesten streng technisch-\vissenschaftlichen Ausdriicke fin-
den, und man darf nur ein paar Seiten eines solchen Werkes durchsehen,
um sich daruber klar zu werden, welch grosser Teil des fur die englische
Sprache in Anspruch genommenen Wortschatzes aus solchen tcchnischen
und wissenschaftlichen Fachausdriicken internationalen Geprages be-
steht, die eben'sp gut dem deutschen wie dem cnglischen Wortschatze an-
gehoren, obgleich kein allgemeines deutsches Worterbuch und nicht ein-
mal die gebrauchlichen Frenidvvorterbiicher sie in annahernder Vollzah-
ligkeit auffiihren.
Diese Vernachlassigung der Fremdworter durch die heryorragend-
ste.n deutschen . Vvorterbiicher ist nicht zu rechtfertigen. .Zunachst lasst
sich iiberhaupt keine scharfe Grenze zwischen einheimischcn und Fremd-
wortern ziehen, denn viele Worter frernden Ursprungs sind im Laufe der
Zeit bei uns so heimisch geworden, dass nur die philologische Forschung
sie als Fremdworter erkennen kann ; sie sind zum taglichen Gebrauche
notig, und auch Grimm konnte nicht daran denken, sie auszuschliessen.
Man denke nur an M ii n z e, P f u n d, S t r a s s e, K i s t e, W e i n,
T r i c h t e r, M a u e r, und zahlreiche andere ursprunglich lateinische
Worter. Es dreht sich daher nicht darum, ob ein Wort deutschen Ur-
sprungs ist, oder nicht, sondern darum, wie weit verbrcitet es ist, welche
Rolle es tatsaclilich in der Sprache spielt oder gespielt hat, kurz um ahn-
liche Dinge wie bei den einheimischen Wortern, denn auch das vollstan-
digste deutsche Worterbuch w^ird nicht alle hier und da gebrauchlichen
einheimischen Worter verzeichnen konnen, sondern sich auf die verhalt-
nismassig verbreiteten beschranken mussen.
Ferner gibt es im Deutschen eine Menge \V6rter fremden Ursprungs,
die vielleicht noch nicht in demselben Masse Gemeingut geworden sind,
wie die oben erwahnte Klasse, aber doch weit verbreitet und sogar in un-
sere beste Literatur gedrungen sind, und daher in den Worterbuchern
verzeichnet sein sollten. Wenn zum Beispiet Goethe den Mephistophe-
les sagen lasst:
13 Piidagogische Monatskefte.
Was heisst das fiir ein Leben fiihren,
Sich und die Jungens ennuyieren? (Faust, I, i836f.)
oder Gretchen :
Inkommodiert euch nicht ! Wie konnt ihr sie nur kiissen ? ( Faust,
I. 3081),
so gehoren ennuyieren und inkommod i e r e n auch in jedes
einigermassen vollstandige deutsche Worterbuch; wir finden sie aber
weder bei Heyne, noch bei Grimm. Keins der grossen englischen Wor^ .
terbiicher hat verfehlt, den Wortschatz Shakespeares vollstandig zu ver-
zeichncn, obgleich viele der von ihm verwandten Worter jetzt ausser Ge-
brauch und vielleicht iiberhaupt nie so volkstiimlich gewesen sind wie die
oben genannten.
Weiter ist zu bedenken, dass die Fremdworter mit Bezug auf ihre
Aussprache und Rechtschreibung viel grossere Schwierigkeiten bieten
als die einheimischen, und dass fiir den Durchschnittsmenschen ihre Be-
deutung nicht so leicht aus ihren Bestandteilen erhellt ; sogar wenn man
ihren Ursprung^kennt, so ist man doch noch manchmal iiber ihre Bedeu-
tung ira Zweifel, denn viele-haben iuv Deutschen Bedeiitungen angenom-
men, die sie in der Sprache, aus der sie stammen, niemals gehabt haben.
Man denke nur an Parterre, das im Franzosischen niemals ,,Erdge-
schoss" bedeutet, oder an Billion, das im Deutschen ,,eine Million
Millionen" bedeutet, im Englischen und Franzosischen dagegen ,,tausend
Miilionen".
Endlich darf man gegen die Aufnahme der Fremdworter nicht gel-
tend machen wollen, dass der Gebrauch derselben tadelnswert sei und
dass das Worterbuch sie deshalb nicht als vollberechtigt anerkennen diir-
fe. Ein Worterbuch ist ja eben nicht in erster Linie ein Gesetzbuch der
Sprache, sondern ein alphabetisches Verzeichnis sprachlicher Tatsachen.
Wenn ein Fremdwort wirklich ein gewisses Gebrauchsgebtet beherrscht,
so hat das Worterbudr diese Tatsache zu verzeichfifen ; notig'erf falls soil
man gerade aus dem Worterbuch erfahren konnen, wie eng begrenzt
dieses Gebiet ist, und welche einheimischen Worter gleicher Bedeutung
weiter verbreitet sind oder von den besten Schriftstellern dem betreffen-
clen Fremdwbrte vorgezogen werden. Hieriiber geben nun \vieder die
Fremdworter gar keine Auskunft ; ihnen kommt es bloss auf die Bedeu-
tungserklarung an.
Auf alle Falle aber mussten wir, um auf Grund der Worterbiicher
den deutschen Sprachschatz mit dem englischen vergleichen zu konnen,
erst ein deutsehes Worterbuch besitzen, welches die Fremdworter ein-
schltesslich der wissenschaftlichen und techhischen Fachausdriicke nach
denselben Grundsatzen verzeichnete, wie die grossen englischen Worter-
biicher. In Ermangelung eines solchen diirfen wir fiir das Deutsche,
7s/ der deutsche Wortschat^ groesser als der englhche ? ] 3
was diesen Teil des Wortschatzes betrifft, .mindestens denselben Reich-
turn in Anspruch nehmen, den das Englische besitzt, denn es wird in
vielen Fallen zutreffen, dass das Deutsche fur denselben Begriff ein ein-
heimisches und ein f remdes Wort besitzt, wie das bei Fernspre-
cher: Telephon der Fall ist. Die Schwierigkeit, den Wortschatz
angemessen zu begrenzen und in der Ausscheidung von Wortern von zu
engem Gebrauchsgebiete folgerichtig zu verfahren, ist natiirlich bei bei-
den Sprachen gleich gross.
Diese Schwierigkeit ist nun aber bei einer andern Klasse von Wor-
tern noch erheblicher als bei den Fremdwortern, namlich bei den Zu-
sammensetzungen. Es ist bis jetzt noch niemandem gelungen, das Ge-
biet der zusammengesetzten Worter so zu beschranken, dass man mit
einiger Sicherheit der deutschen Sprache so und so viele Worter zuge-
stehen konnte, und der englischen so und so viele. Man musste das be-
kannte Mittel des Pfaffen Amis anwenden, der sich anheischig machte,
den Inhalt des Meeres genau zu messen, wenn nur vorher jemand die
Fliisse und Strome zum Stehen brachte, so dass sich kein Wasser mehr
ins Meer ergiessen konnte. Es sind aber gerade iiber diesen Punkt viele
irrige Ansichten verbreitet. Die Moglichkeit, nach Bedarf und Belieben
neue Zusammensetzungen zu bilden, wird namlich oft als ein Vorteil hin-
gestellt, den die deutsche Sprache vor der englischen voraus hat ; aber
tatsachlich ist der Unterschied zwischen den beiden Sprachen in dieser
Hinsicht geringer als man gewohnlich annimmt. Man geht bei der Be-
trachtung der Zusammensetzungen gar zu oft nur von dem. geschriebe-
nen oder gedruckten Worte aus, und lasst die Tatsache unbeachtet, dass
die Zusammenschreibung zwar zumeist auf ein besonders enges Verhalt-
nis der Bestandteile deutet, dass aber ebenso enge Verhaltnisse haufig in
der Schreibung nicht zum Ausdrucke kommen. Wir schreiben zum Bei-
spiele 5m Deutschen regelmassig derselbe in einem Worte, aber e i n
a n d e r e r getrennt, umgekehrt im Englischen the same immer ge-
trennt, dagegen a n o t h e r in einem Worte, trotzdero das Verhaltnis der
Worter in alien vier Verbindungen genau dasselbe ist. Ebenso stehen
die Bestandteile von railroad company zu einander in keinem an-
deren Verhaltnisse als die von Eisenbahngesellschaft; die
beiden Sprachen sind sich hierin vollig gleich, und der Unterschied be-
steht bloss in der Rechtschreibung, die mehr oder weniger Modesache
und allerhand ausseren Einflussen unterworfen ist. Man darf daher be-
haupten, dass eine sehr grosse Zahl der deutschen Zusammensetzungen
ihr genaues Gegenstiick in englischen Worterverbindungen haben, die
ebenso innig sind und sprachlich denselben Wert haben, ob sie nun nach
der jeweilig geltenden Rechtschreibung als ein Wort geschrieben, oder
durch einen Bindestrich verbunden, oder als ganz unabhangig behandelt
werdcn. Dies vermindert die Zahl der Zusammensetzungen, die das
14 Pa.lagogische Monatshtfte.
Deutsche nach landliiufiger Ansicht vor dem Englischen voraus hat, ganz
bedeutend. \Vir konnen aber noch welter gehen; doch miissen wir da
erst ein Wort iiber das Wesen der Zusarnmensetzung im allgemeinen
vorausschicken.
Jede Art der Zusammensetzung hat ihren Ursprung in der innigen
Verschmelzung benachbarter Glieder im Satzgefiige. Nicht jedes ein-
zelne zusammengesetzte \Vort ist so entstanden ; die Mehrzahl derselben
sind vielmehr Neubildungen nach dem Muster der schon bestehenden,
und nur die altesten Mitglieder der Klasse sind immer aus dem Satzge-
fiige selbst entsprungcn. Zum Beispiel sind Zusammensetzungen von
dem Typus Landesherr, Hungersn o t lediglich Verschmelzun-
gen von Substantiven mit ihren vorausgestellten Genitiven, da noch im
Mittelhochdeutschen der Genitiv zwischen Artikel und Nomen stehen
konnte : (d e r) 1 a n d e s h e r r e, (d i u) h u n g e r s not. Die Frage
ist nun : Wann war das Verhaltnis der beiden Worter zu einander ein
so inniges geworden, dass man die Verbindung als ein einheitliches Wort
ansehen durfte ? Oder, anders ausgedriickt, was unterscheidet das blosse
Wortgefuge von der Zusammensetzung? Die Antwort darauf ist zu-
nachst, dass sich keine scharfe Grenze zwischen beiden ziehen lasst. Es
gibt einerseits Wortgefuge, deren Bestandteile noch ganz unabhangig
von einander sind, und die deshalb niemand als Zusammensetzungen an-
sehen wiirde ; zum Beispiel Objekt und Partizipium in dem Satze der
Knabe hat ein M e s s e. r g e f u n d e n. Andererseits gibt es
Verbindungen, die wir allgemein als Zusammensetzungen bezeichnen, wie
zum Beispiel empfunden (aus ent - fun den). Dazwischen aber
liegen zahllose Verbindungen, die sich auf dern Wege vom blossen Wort-
gefiige zur Zusammensetzung befinden, und die je nach dem wechseln-
den Sprachgefiilil und der damit niemals gleichen Schritt haltenden
Reclitschreibung zur einen oder zur anderen Klasse gezahlt werden kon-
nen, z. B. Objekt und Partizipium in dem Satze dieVersammlung
hat s t a 1 1 g e f tt n d e n (oder s t a t t g e f u n d e , n). Hierher ge-
horen wieder kommen, zuriickerstatten, vonstat-
t e n gehen, zu standeko mmen, im stand esein, z u
g u t e h a 1 1 e n, gutschreiben, in kraft treten und viele
andere. Die neueste offizielle Rechtschreibung geht sehr weit in dem
Bestreben, solche Verbindungen als Zusammensetzungen anzuerkennen.
Es wird nun oft gesagt, dass es zum Wesen der Zusammensetzung
gehort, dass die Wortverbindung der Summe ihrer Bestandteile gegen-
iiber in irgend einer Weise differenziert sein muss, namlich in der Form,
oder in der Becleutting, oder in beiden zugleich. Bei der Form kommt
als liiiufigstes Unterscheidungsmittel die Betonung in Betracht ; man ver-
gleiche zum Beispiel : der Knabe kann gut schrei b e n mit :
wir w e r d e n I h n e n die S u m m e g u t s c h r e i b e n, wo sich
1st der deutsche Worlscbat^ groe-sser ah der englische ? 15
die Zusammensetzung durch die verhaltnismassig starkere Betcnung des
ersten Bestandteils kennzeichnet. Ferner hat die Zusammensetzung oft
eine lautliche Form, die der blossen Wortverbindung nicht zukommt ; da
zum Beispiel im Neuhochdeutschen das vor dem Substantiv stehende
Adjektiv nicht mehr wie im Mittelhochdeutschen unflektiert gelassen
werden darf, so sind (der) E d e 1 m a n n aus dem mittelhochdeutscheu
deredelman, dieAltstadt aus dem mittelhochdeutschen
die alt statt den Verbindungen der edele M ann, diealte
S t a d t gegeniiber in der Form so differenziert, das sie jetzt als Zusam-
mensetzungen gelten mussen. Ebenso sind jetzt (der) Landesherr
(die) Hungersnot und viele ahnliche Verbindungen unstreitig als
Zusarrrmensetzungen anzusehen, da die obenerwahnte Stellung des Ge-
nitivs im Neuhochdeutschen nicht mehr beliebig nachgeahmt \verden
darf, solche Verbindungen also den freien Verbindungen der H e r r
des Landes, die Not des Hungers gegeniiber differenziert
sind. Es gibt noch andere Arten der fonnellen Diii'erenzierung, auf die
wir hier wegen Mangel an Raum nicht eingehen konnen ; die eben er-
vvahnten werden geniigen, um zu zeigen, worum es sich hanclelt.
-; Es ist nun keinem Zweifel unterworfen, dass gerade in den beiden
letztgenannten Arten formeller Differenzierung das Deutsche dem Eng-
lischen gegeniiber z\vei vorziigliche Mittel besitzt, die Zusammensetzung
von der freien Wortfiigung zu unterscheiden, und dass unsere Sprache
den ausgiebigsten Gebrauch davon macht. N'ach dem Muster gewisser
alter Verbindungen, wie der schon genannten, kann der Deutsche nach
Bedarf und Belieben unzahlige neue schaffen, die nach jetzigem Sprach-
gebrauche von vornherein als echte Zusammensetzungen gelten mussen,
VVorter wie Regierungsrat, Lebensart, L i e b e s or a -
k e 1, S c h w a r z k ii n s t 1 e r, G e I b v e i 1 c h e n u. s. \v. Die Zahl
der moglichen Zusammensetzungen diescr zwei Typen — ganz abgese-
hen von anderen ebenfalls ergiebigen Ouellen -- ist fast unbeschrankt,
und auch das vollstandigste deutsche Worterbuch kann nur einen gerin-
gen Teil derselben verzeichnen. Ein einziges Beispiel wird geniigen,.
dies zu beweisen. Im sechsten Bande von Grimms Worterbuch sind auf
achtzehn engbedruckten Spalten ungefii.hr 350 Zusammenselzungen mit
L i e b e- und L i e b e s- verzeichnet ; vvahrlich eine stattliche Anzahl !
Dass diese Liste aber die Zahl der moglichen Verbindungen auch nicht
annahernd erschopft, geht daraus hervor, dass der Nomenclator
Amoris von A. Gombert (Strassburg, 1883) ungefiihr 600 Zusam-
mensetzungen mit L i e b e- und L i e b e s- anf iihrt, die bei Grimm nicht
zu finden sind ! Und zwar sind dies nicht solche, die vom Herausgeber
willktirlich gebildet sind, sondern sie sind tatsachlich alle in der Litera-
tur belegt ; auch sind es alles echte Zusammensetzungen im obigen Sinne,
in der Form und meist auch in der Bedeutung von den freien Wortge-
16 Pddagogische MonatsMte.
fugen geniigend difierenzkrt. Es liegt auf der Hand, dass, wcnn wir
hiernach den deutschen Wortschatz berechnen wollten, die Zahl der wirk-
lich vorkommenden Worter einschliesslich der Zusammensetzungen bis
weit in die Millionen steigen und die kiihnsten Behauptungen der Ver-
leger englischer Worterbiicher weit hinter sich lassen wiirde.
Es ware nun aber giinzlich falsch, hieraus schlechtweg einen wirk-
lich entsprechend grossercn Reichtum der deutschen Sprache zu folgern.
Es ist allerdings richtig, dass unsere Sprache gewisse Mittel zur formel-
len Differenzierung zwischen Zusammensetzung und freier Wortfiigung
besitzt, die der englischen Sprache abgehen, wie an den obigen Beispie-
len gezeigt worden ist, aber fast gleiche Resultate lassen sich attch mit
geringeren Mitteln erzielen. Wenn man zum Beispiel glaubte, dass L i e-
b e s b r i e f irgend welchen Vorzug vor love - letter hatte, lediglich
weil durch das bindende -s-, welches dem einfachenL i e b e nie zukommt,
die Zusammensetzung von der freien Wortfiigung differenziert ist, so
miisste man auch zugeben, dass Versicherungsgesellschaft
eine Zusammensetzung in hoherem Sinne sei als Eisenbahnge-
s c h a f t, und dazu wird wohl niemand bereit sein. Der Bindestrich in
love- letter ist natiirlich ganz belanglos ; ob eine solche Verbindung
als ein Wort geschrieben werden soil oder als zwei, mit oder ohne Binde-
strich, daruber sind sich die Doktoren in den seltensten Fallen einig, eben
weil es sich urn reine Ausserlichkeiten der Schrift handelt, die etwaige
Verschiedenheiten der eigentlichen Sprachwerte nur sehr unvollkommen
wiedergeben.
Andererseits muss zugestanden werden, dass es 5m Deutschen einige
grosse Klassen von Zusammensetzungen giebfc, die hit Englischen entwe-
der gar keine, oder nur verhaltnismassig wenige Vertreter haben. Hier-
her gehoren besonders die Worter, deren erster Teil ein Verbalstamm ist,
zum Beispiel : Wanderlust, Lesewut, schreibkundig,
lernbegierig. Dieser Typus ist nicht direkt aus dem Satzgef uge
entstanden, sondern erst indirekt dadurch, dass in manchen alten Zusam-
mensetzungen, deren erster Teil ein Nominalstamm war, letzterer auch
als Verbalstamm aufgefasst werden konnte, wie noch heute in R e i s e-
1 u s t, f 1 u c h w ii r d i g. Die gebrauchlichen Zusammensetzungen dic-
ser Art sind ausserordentlich zahlreich, und neue konnen jederzeit nach
Bedarf und Belieben gebildet werden. Das Englische muss sich hier
meist der Verbalnomina auf -ing oder anderer umstandlicher Wortge-
fiige bedienen, wie in mania for reading, (Lesewut), ready
for the j ourney (reisefertig). Esist nicht zu leugnen, dass
das Deutsche hier, wie das Griechische, den Vprteil der Kiirze hat.
Schliesslich darf mit Recht behauptet werden, dass das Deutsche alle
Arten von Zusammensetzungen, auch diejenigen, die der englischen
Sprache zu Gebote stehen, mit grosserer Freiheit und Leichtigkeit bildet
1st der deutsche Worse fat % -groesser als iUr englische ? ) V
und anwendet als das Englische. Besonders straubt sich das letztere ge-
gen Zusammensetzungen, deren einer Teil schon ein zusammengesetztcs
Wort ist, obgleich sich auch dafiir allgemein gebrauchliche Beispiele an-
fiihren lassen . Fire insurance company entspricht nach un-
seren obigen Auseinandersetzungen genan dem deutschen F e u e r v e r-
sicherungsgesellschaft;im allgemeinen aber vermeidet man
solche Haufungen und gibt zum Beispiel Zeichenlehrerverein
lieber durch association of drawing- teachers wieder.
Aus alien unseren Erorterungen geht nun wohl hervor, dass «wt Be-
zug auf die zusammengesetzten Worter der deutsche Wortschatz viel
reicher ist, als der englische, und dass ein deutsches Worterbuch eine
bedeutend grossere Zahl von Zusammensetzungen enthalten miisste, a)s
ein englisches von verhaltnismassig gleicher Vollstandigkeit. Ehe man
aber deshalb die deutsche Sprache als absolut reicher als die englische be-
zeichnen darf, muss man erst wieder bedcnken, dass die letztere sehr oft
ein ein f aches Wort besitzt, wo wir uns im Deutschen eines zusammenge-
setzten bedienen miissen. Wenn wir aus Hand und S c h u h cin
H a n d s c h u h bilden konnen, so mag das den Vorteil der An^cha^flie.h-
keit haben ; das Englische ist dagegen mit seinem glove ebenso reich
und hat den Vorteil der Kurze. Auch ist die Anschaulichkeit nicht im-
mer so gross wie man hiiufig denkt. Jeder Lehrer des Deutschen kann
ein Lied davon singen, wie schwer es demjenigen oft wird, die Beden-
tung eines zusammengesetzten Wortes aus seinen Bestandteilen berzulei-
ten, der dieselbe nicht schon vorher kennt. Annahernd lasst sich ja
die Bedeutung meist bestimmen, genau dagegen sehr oft nicht. Wcr
wird wohl von selbst darauf kommen, was ein H i r s c h f a n g e r ist?
Der Unterschied zwischen einem Schraubenzieher und einem
Schraubenschliissel wird doch sicher nicht durch den zwischen
-z i e h e r und -schliissel veranschaulicht.
Die erwahnte Fahigkeit des Englischen, eincn Begriff oft dupch cm
ein f aches Wort auszudriicken, wo, wir zurZusanimensetzung-gneil«»j -hat
ihren Grund zum Teil darin, dass die englische Sprache, infolge Hires
Ursprungs als Mischsprache aus dem Angelsachsischen und Normanni-
schen, den Vorteil eines doppelten Wortschatzes hat. Von diesem macbt
sie zur Differenzierung der Begriffe vielfach Gebrauch. So werden die
beiden urspriinglich gleichwertigen calf und veal in der Bedeutung
so geschieden, wie unser K a 1 b und die Zusammensetzung K a 1 b -
f 1 e i s c h. Durch diesen doppelten Wortschatz wird unzweifelhaft em
Teil des Vorteils, den das Deutsche durch seine grossere Zusammcn-
setzungsfahigkeit vor dem Englischen hat, wieder aufgewogen.
Aus den vorgehenden Erwagungen ergibt sich nun wohl klar, dass
cs einerseits ganz unmoglich ware, den Wortschatz des Deutschen , im«>
des Englischen nach einheitlichen- Grundsatzen so genau abzugrenzcn,
18 »'.':• Pddagogiscbe Monatsbefte.
dass sich ein numerischer Vergleich zwisclien den beiden Sprachen mit
Sicherheit ansteilen liesse, wenn auch manches dafiir zu sprechen scheint,
dass der-deutsche Wortschatz dem englischen iiberlegen ist; andererseits,
dass man die Mittel der beiden Sprachen iiberhaupt nicht schlechtweg
nach der Zahl der an sich moglichen oder tatsachlich vorkommenden
Worter beurteilen darf. Ob sich auf anderer Grundlage ein Vergleich
liber den Reichtum der beiden Sprachen ansteilen lasst, soil bei einer spa-
teren Gelegenheit erortert werden.
Berichte und Notizen.
I. Zweite Konvention des Deutschamerikanischen National bundes.
Abgehalten von Samstag, dem 12. bis Dienstag, den 15. September 1903, zu Baltimore, Mil.
(FOr die Padagoglsc.ien Honatshefte.)
Von C. O. SchSnrich, Baltimore.
. Die zwe.ite Konvention des Deutschamerikanischen Nationalbundes war
in jeder Hinsicht ein grosser Erfolg. Das eigentliche Wesen des jug-end-
kraftigen Bundes trat bei derselben so recht zu Tage; das, was der Bund
ist, was. .er seiii: soil und bleiben muss: eine Volksbewegung-. Da sah man
Profes«oren^ Doktoren der Philosopbie und Medizin, \rolksschullehrer,
Schongeister, I.iteraten, Journalisten, Kiinstler, Ingenieure, Juristen, Pri-
vatiers, grosse xmd kleine Gesclmftsleute und Handwerker einmiitig bei-
sammen zu .ernster Arbeit. Nach Ansicht des Bundespi-asidenten, Dr.
Hexanier, war der Prozentsatz der Tiichtigkeit der anwesenden Delegaten
einer der hochsten von irgend einer Konvention, der er jenials beigewohnt
hatte — und er hat in den hervorragenden Kulturlandern an grosseren
Kon-ventionen teilgenommen. Vom Osten, vom Norden und Siiden des wei-
ten Landes hatten sie sich eingefundeii, als Delegaten von Staatsverbanden,
Stadtevereinigungen und einzelnen Vereinen. Der Lehrerbund war durcli
M. II. Ferren und C. O. Schoiirich vertreten, unser Lehrer.seminar dnrch C.
O. Schonrich.
Schon bei der Vorversammliing im Hotel am Samstag Abend zeigte sich
der rege Schaffensgeist der deutschen Manner. Sie waren zu ernster Arbeit
cekommen. ,,Wir kennen die sprichwortliche Gastfreundschaft der Balti-
iruorer", hatte schon der wackere Freund Bloedel dem Schreiber bei dessen
Durchreise durch Pittsburg anfangs Juli gesagt, ,,aber sagen Sie den dorti-
gen Freunden, sie mochten uns nicht fetieren, denn wir kommen zu ernster
Arbeit tmdwerden deren gar viel zu bewaltigen ha ben."
: 'Natiirlich ^'lirden die Delegaten doch fetiert, und zwar in grossartiger
T\'eise,.allein sie' Kessen sich dadurch nicht in der vorgesetzten Arbeit auf-
halten, und -wa-s in :den regelniassigen Geschiiftsstunden nicht bewiiltigt
werden konnte, wurde an der abendlichen Banketttafel zu Ende gefiihrt.
Da zeigte sich kein Bankett- oder Biertisch-Enthusiasmus, sondern der tief-
ernSt« Entschluss jedes' Einzelnen, an einem Riesenwerk mitzuhelfen, das
eigentlioh • s«hon zn -Pastorhis' Zeiten hatte begonnen werden sollen. Die
Geschaftsstunden wiihrten an den drei Sitzungstagen, Sonntag, Montag und
Be rich te und Notion. 19
Dienstag, von morgens nenn Uhr ohne jede Unterbrechung bis eins, nach-
rnittags wurde dann ein Ausflug unternommen, abends ging's zu einom
Bankett. Die verschiedenen Ausschiisse hielten ihre" Sitzungen in aller
Friihe; Herr Rudolph Cronau >on New York holte seine Koroiteeglieder
schon um sechs TJhr morgens aus dein Bette.
Die Sitzungen wurdon in dem prachtig geschmiickten grossen Saale des
riihrigen Turnvereins ,,Yorwarts" abgehalten, die Delegaten sassen an klei-
nen Tischen, auf deneii Schreibmaterial bereit gelegt war. Der jiingste
Jahresbericht unseres Lehrerseminars, sowie erne Konstitution desselben
waren auch auf jedem der Tische zu finden und erregten viel fnteresse. Von
St. Louis war eine Delcgatin erschienen, Frau Fernanda Riehter, besser
bekannt unter ihrein Schriftstellernamen Edna Fern. Milwaukee war dureh
He.rrn Viktor Gangelin, StadtredaKteur vom ,,Herold", vertreteii. Derselbe
erwies sich als ein wackerer Kanipe, besonders als es im Laufe der
Yerhandlungen gait, eiuen von Boston her wehenden anarchistischen Gift-
hauch unschiidlich zu niachen. Mit grosser Freude wurde unser treuer
Freund Dr. Learned begriisst, er war eben von einer ausgedehnten Studien-
und Erholungsreise durch Deutschland und England zuriickgekomrnen.
Der bei der Eroffmmg vom Bundespriisidenten verlesene Jahresbericht
brachte nur Erfreuliclies. Der Bund hat in den zwei Jahren seines Be-
fctehens schon ganz bedeutende Erfolge aufzuweisen, er hat sich auch im
Kongress geltend gemacht und ist in kraftigem Wachstum begriffen. Aha-
lich giinstig lauteten die Berichte der Delegaten iiber das Wirken ihrer resp.
Staatsverbande, sie fanden alle reicheii Beifall. Leider kann hier aus Man-
gel an Raiim nicht niiher auf diese mitunter besonders interessanten Be-
richte eingegangen werden. So berichtete Dr. Anderson von New York,
dass in jener Stadt 148 Vereine mit ca. 30,000 Mitgliedern zum Wohle der
Deutschen und zum Kampfe gegen den Nativismus organisiert • worden
seien. Desgleichen arbeiteten die ,,Vereinigten deutschen Gesellschaften
von New York" fiir den deutschen Unterricht in den Schulen, iiund er habe
die feste Oberzeugung, dass der Gesell.scliaft eine grosse Zukunft bevor-
stehe.
Herr Tjarks von Baltimore brachte in seinem Bericht folgende Worte:
,,(jber den Unterricht des Dentschen liisst sich berichten, class im letz-
ten Jahre derselbe in einer weiteren Schule eingefiihrt wurde; und dass
es sicher vorauszusehen ist, dass die YerhSiltnisse derartig giinstig sind,
dass, wenn in irgend tiner Stadtgegend die Junfiihrung des deutschen Un-
terrichts von einer geniigenden Anzahl von Biirgern verlangt wird, derselbe
auch eingefiihrt werden wird. Doch miissen wir zu gleicher Zeit konstattie-
ren, dass gerade der Deutsche derjenige ist, der seine Kinder nicht in die
deutsche Schule schickt, und dass der Stockamerikaner verhtiltnismassig
mehr Gebrauch davon macht."
Eine Anzahl von Delegaten, die cinzelne Vereinigungen vertraten an
IMJitzen, woselbst es noch keine Stadte- oder Staatsverbtinde gibt, wie z. B.
Herr Emil Manhardt von der Ilistorischen Gesellschaft in Chicago, berich-
teten, dass sie gesandt worden seicn, um die Ziele und Zwecke des National-
bundes eingehend kenncn zu lernen, um dann im eigenen Bezirk den Ver-
such zu machen, die deutschen Vereine nnter einen Hut zu bringen. Frau
Fernande Richter (Edna Fern) berichtet* nicht giinstig iiber die St. Louiser
Zustiinde. Sie sagte unter anderem: ,,Tch muss sagen, dass ich nur den
,,Schillerverein von St. Louis" vertrete, von dem ich den Auftrag habe, mich
init den Zielen und Zwecken des Nationalbundes vertraut zu machen. Ich
20 Piidagogiscbe Monats/iefte.
will die deutsohe Lage in St. Louis schildern; sie ist manchmal herzlieh
schlecht, manehes mal auch wieder besser. Wir haben friiher grossartige
deutsche Tage gefeiert, so grossartig, dass wir heute noch an dem Kuhme
zehren. Die Politiker haben die deutsche Bewegung an sich gerissen, und
gerade in der Politik haben wir in Missouri mit den Deutschen nicht viel
Ehre eingelegt. In den Schulen ist zwar der Turnunterricht eingefiihrt,
aber nicht der deutsche. Die friiheren sieben deutschen Zeitungen sind auf
zwei zusammengeschmolzen. Aber mit dem Riickgang der Organisation ist
auch die Achtung der Deutschen gesunken. An der Hochschule wird noch
Deutsch gelehrt."
Prof. Ferren sprach als Delegat des Lehrerbundes seine Freude aus
iiber das sich in der Konvention bekundende hohe Tnteresse fiir Erhaltung
der deutschen Sprache und Einfiihrung des Deutschen an den Schulen des
Landes. Er wiiusche nur, dass die Delegaten ihre Begeisterung axich auf
die Lehrerschaft in ihren Stadten iibertriigen, sie veranlassten, sich dem
Lehrerbund anzuschliessen und zimachst dessen Organ, die ,,P a d a g o g i-
schenMonatshefte'Mn jeder Beziehung, vornehmlich auch durch Bei-
triige, unterstiitzten. Auch den Delegaten selbst empfahl er die Monats-
hefte aufs wiirmste, sie mochten im eigeiien Hause, in ihren Vereinen und
unter andern Erziehungsfreunden fiir die Verbreitung derselben wirken,
und somit fiir die Verbreitung deutscher Erziehungs-Grundsatze und Be-
strebungen. Wie die Monatshefte, die sich auch bereits unter leitenden
Schulmannern Deutschlands ein hohes Ansehen erworben, dem.deutschame-
rikanischen Lehrer geradezu unentbehrlich sein miissen, so diirften sie sich
fiir jeden hiesigen Schulfreund niitzlich, und anbetrachts der geringen
Kosten, $1.50 per Jahr, auch zugiinglich erweisen.
Der zweite Delegat des Lehrerbundes unterstiitzte die Worte seines
Kollegen und sagte dabei, es werde den Mitgliedern des Lehrerbundes
grosse Freude und Ermunterung gewahren, von den hier berichteten Be-
tatigungen fiir deutsche Schulbestrebungen zu erfahren, und das teihveise
aus Stadten, die im Lehrerbund, wie auch in dessen Organ, seit Jahr und
Tag keine Vertretung gehabt haben. Letzteres sei iibrigens eine so be-
denkliche Tatsache, dass er darauf besondcrs hinweisen miisse.
Es ist ja leider wahr, fiihrte er aus, dass manche, und vielleicht viele,
durch ein geringes Einkommen vom Lehrertag abgehalten werden, warum
halten sich aber andere geflissentlich fern? Und warum unterstiitzen nicht
alle das mit so viel Aufopferung, Fleiss und Geschick redigierte Bnndesor-
gan, die ,,PadagogischenMonatshe f t e"? Vom Lehrertmnd sind
sie doch wiederholt und in verschiedener Weise herzlich eingeladen \vorden.
Es muss betont werden, dass keine gewinnsuchende Spekulation mit den
Monatsheften verbunden ist; die Verlagsfirma, ,,The Herold Co." in Mil-
waukee, hat sich von Anfang an zufrieden erklart, wenn nur die Kosten
gedeckt werden, und da dies soweit noch nicht der Fall war, hat sie die
ganze Zeit her der guten Sache bedeutende Opfer gebracht.
Zum erfolgreichen Durchfiihren Ihrer Schulbestrebungen bediirfen sie
berufstiichtiger, begeisterter Lchrkrafte, sehen Sie darauf - - und i c h
spreche durch Sie zu dem ganzen Deutschamerika-
nertum des weiten Landes — ja, sehen Sie darauf, dass Sie solche
Lehrkrafte haben und heranziehen; dasHal tender ,,Padagogi-
s c h e n Monatshefte"s e i t e n s Ihrer Lehrer, und deren
Stellungnahme zum Lehrerbund, gebe Ihnen einen
trefflichen Gradmesserzu deren Beurteilnng. Und
Berichte und Notion. 31
wenn Sie solche deutschamerikaniscnen Leltrer und Lehrerinnen an Ihren
Schulen haben, dann wirken Sie auch dafiir, dass sie anstiindig besoldet,
nicht geaschenbrodelt werden.
Als Vertreter des Lehrerseminars erinnerte Delegat Schonrich in sei-
nem Bericht an den vor zwei Jahren get'assten Beschluss: ,,Die Konvention
richtet an siimtliche Vereinigungen des Landes, an jedes einzelne Mitglied,
sowie an alle Freunde unserer Bestrebungen die dringende Bitte, in jeder
Weise zu einer kraftigen finanziellen Unterstutzung des Lehrerseminars
beizutragen, der einzigen nationalen Schopfung des
Deutschamerikanertums, die von weitgehendsterBedeutung sein
rnuss fiir die Weiterentwickelung unseres Schulwesens und ein wichtiger
Faktor in dem BiJdungsprozess unseres Volkes". Im Sturm und Drang der
ersten Jugendjahre sei jene Bitte unbeachtet geblieben, inzwischen aber
deren treue Ausfiihrung um so notiger geworden, denn es sei ein Defizit
Ton $1500 vorhanden.
Wahrend nun von hochsinnigen Biirgern Milwaukees jahraus, jahrein
fiir diese national deutschamerikanische Stiftung in aller Stille bedeutende
Opfer gebracht werden, haben eine Reihe der im Nationalbund vertretenen
Stadte entweder gar nichts oder doch nur wenig dafiir getan. Eine lebhafte,
dauernde Agitation sollte iiberall eingeleitet werden, um das Stammkapital
auf eine solche Hohe zu bringen, dass von dessen Zinsen das Institut er-
halten iind den wachsenden Anforderungen der Zeit entsprechend weiter
entwickelt werden kann. Energische, einflussreiche Manner sollten an den
verschiedenen Platzen zur Leitung dieser Agitation ausgesucht werden.
In Deutschland ausgebildete Lehrer passen wohl fiir unsere hoheren
Lehi-anstalten, fiir unsere Volksschulen aber miissen sie
erst gute Deutsehamerikaner werden, und das nimmt ge-
wohnlich viele Jahre; manche werden's nie. Die Reihen der alten Berufs-
tiichtigen lichten sich immer mehr, wichtiger wie je wird die Heranbildung
neuer Krafte — und das ist die schone Aufgabe des Nationalen Deutsch-
amerikanischen Lehrerseminars, wofiir der Nationalbund mit alien Kraf-
ten eintreten muss, wenn seine Schulbestrebungea dauernd erfolgreich
sein sollen. — Der folgende Antrag des Delegaten, warm unterstutzt von
Prof. Ferren und Dr. Learned, fand einstimmige Annahme:
,,Die zweite Konvention des Deutschamerikanischen National-
bundes empfiehlt samtlichen deutschen Vereinigungen des Landes
eine tatkraftige dauernde Unterstiitzung des Nationalen Deutsch-
amerikanischen Lehrerseminars zu Milwaukee, und dabei vor allem
die Erwerbung der Mitgliedschaft in jenem Musterinstitut, dessen
Sicherstellung geradezu eine Lebensbedingung fiir unsere Bestre-
bungen ist. Eine solche Mitgliedschaft kann durch einen Beitrag
von $50, der in Raten eingezahlt werden kann, erlangt werden und
berechtigt zu einer Stimme in der Verwaltung."
Dr. Albert J. W. Kern von New York hielt am Schluss der ersten Sit-
zung einen geistvollen Vortrag iiber die Ziele des Nationalbundes und ern-
tete dafiir reichen Beifall. Er ist ein so treuer Freund und Mitarbeiter de>
,,Padagogischen Monatshefte", dass wir hoffen diirfen, den ganzen Vortrag
in diesen Blattern zu Gesicht zu bekommen.
Einer der wichtigsten Beschliisse der ganzen Konvention wurde ohne
jedwede Diskussion angenommen; es war die politische Unab-
22 Pddagogische Monatslxfte.
hangigkeitserklarung des Xationalbundes; dieselbe
lautet:
,,Als loyale Burger dieser grossen Republik, dnrchdrungen von dem
Geiste, der die Unterzeichner der Unabhangigkeitserkliirung der Vereinig-
ten Staaten Ton Amerika am 4. Juli 1776 veranlas.ste, Front zu mac-hen ge-
gen monarchistische Bevormundung, auf dass der Wille des Volkes regiere
und nicht der Wille eines einzelnen Menschen, sehen wir uns gezwungen,
unsere Stimmen zu erheben gegen ungesunde politische Verhaltnisse, die
sich im Laufe der Jahre gebildet haben und die eine Gefahr fiir das Wohl
und Gedeihen des Landes und die Eechte der Biirger in sich bergen. Aus
den sich immer mehr kbnzentrierenden Methoden, Macht zu erlangen, hat
sich eine Kombination von Politikern und Amterjagern herangebiklet, die
eine ausserhalb des Volkes stchende Kaste bildet. Wie in einem Militar-
staat hat sich eine Anwartschaft anf die offentlichen Amter herausgebildet,
der nur derjenige teilhaftig wird, welcher es fertig bringt, so und so viele
seiner Mitbiirger bei Wahlen durch allerlei Versprechungen oder init barein
Gelde zu beeinflussen. Diese Beeinflussungen sind von einer so degenerie-
renden Wirkung, dass strenge Gesetze mit empf.ndlichen Strafen fiir den
Beeinflussenden und den Beeinflussten sehr von noten sind. Das Stiminreeht
ist das hochste Recht des Burgers, dessen Ausiibung lauter und rein zu hal-
ten ist. Wer solcher Ausiibung nicht fahig ist, begibt sich dieses und aller
anderen Privilegien des Gemeinwesens.
,,In unserem Lande rait seinen bunt durch einander gewiirfelten Xa-
tionalitaten ist es die Haupttaktik der Politiker, jede Xationalitat so zu be-
handeln. \vie sie behandelt werden will, und ihr das zu sagen, was sie am
liebsten hort. Die verschiedenen Xalionalitaten wissen wohl von einander,
aber sie kennen sich nicht, erwarmen sich auch nicht fiir einander. Das
Besultat ist immer dasselbe: der Sieg der Politiker und der Xativisten.
,,Es ist ferner eine Taktik der Politiker, sich in den Eeihen der ver-
schiedenen Nationalitaten eine Keihe kauflicher Subjekte z\i halten. Deren
Aufgabe ist es, sich iiberall einzuschleichen, Unfrieden und Uneinigkeit zu
siien und Bericht iiber alle Vorgange zu erst at- ten. Diese gefahrlicheii
Subjekte sind am leichtesten daran zu erkennen, dass sie sich alien Eini-
gungsbestrebungen unter ihren respektiven Nationalitaten widersetzen.
,,Noch verabscheuungswiirdiger sind die in dieselbe Kategorie gehori-
gen gelben Zeitungen. Die Hauptaufgabe dieser Entarteten ist es, den Le-
sern ihrer Nationalittit falsche Ratschlage zu geben uud Manner, die im
Interesse des Gesamtwohls und ihrer Xationalitilt wirken, mit Schmutz zu
bewerfen.
,,Es ist daher die doppelte Pflicht der Staats- und munizipalen Behor-
den, darauf zu sehen, dass der Wille des Volkes rein und unverfiilscht zum
Ausdruck kommt; dass das System der Beeinflussung durch Begiinstigun-
gen jeglicher Art, oder auch mit klingender Miinze aufhort, fiir strafbar
erklart und bestraft wird; dass die Amterjagerei einer Gleichberechtigung
aller guten Biirger, Amter zu bekleiden oder in die munizipalen und gesetz-
gebenden Korperschaften erwiihlt zu werden, Platz macht.
,,Und es ist die Ehrenpflicht aller guten Deutschamerikaner, deren Vor-
t'ahren schon im Jahre 1688 den erstenProtest gegen dieSklaverei erliessen,
— religiose Freiheit erklarten, — die bis auf den heutigen Tag so viel fiir
dieses Land getan haben, sich von alien die Kechte des Volkes ueeintriichti-
genden Maximen unabhangig zu erklaren und deren Abhulfe zu erstreben.
Und alle politischen Parteien sollten uns dabei behiilflich sein, denn es ist
Berlchte und Notion. 23
riiehts ehrender fur eine Partei, als wenn sie den Willen des Volkes.i-ein
und unverfalscht znm Ausdruck bring!. Sollten die Parteien es unterlassen
oder sich weigem, dies zu tun, dann 1st es die Pflicbt jedes Deutschameri-
kaners, sich von seiner Partei loszusagen.
,,Wir, die in Konvention versammelten Vertreter des Deutschamerika-
nertums der Ver. Stauten, verpflichten uns auf Ehre und Gewissen, mit al-
ien ehrlichen uud gesetzlk-hen Mitteln fiir die Durchfiihrung der Satzungen
dieser Unabhangigkeitscrklarung zu wirken."
Weitere wichli^e Besohliisse der Konvention seien nachfolgend in kiir-
zester Form wiedtrgegeben:
1. Die Konventionen sollen a lie zwei Jalire abwechselnd im. Westen und
im Osten abgehalten \verden. Die nnchste Konvention findet im-Jahre 1905
in Indianapolis statt.
2. Es sollen ein eiserner und ein fliessender Fonds fiir Sehulzwecke, ein
Fonds fiir Organisationszwecke, sowie ein Fonds, tlureh welchen die Be-
st rebungen zur Wahrung der personliehen Freiheit fortgeset/t werden kiin-
nen, gesohaffen werden.
3. Der Zentralverein A'on Washington, D. C., wird mit der Bildnng .ejnes
Aufsichtskomitees beanftragt, welches dnriiber vvachen soil, dass alle Vor-
gange von internationaler Bedeutunif imd besonders solche, welche fiir das
Deutschamerikanertum von Wichtigkeit sind, baldmoglichst zur Kenutnis
der Bundesleitxmg gelangen.
4. Den Zweigen des Natioiialbundes wird empfohlen, auch Frauenver-
eine aufxunehmen.
5. Die Staatsverbiinde sollen in ihrein Bereich von alien dentschen Biir-
gern, Miinnern sowohl wie PYauen und Kindern, eine Gabe von je 5 Cents
erheben, um eiiien Fonds von ca. $14,000 zur Krrichtur.g eines Denkmals fiir
Franz Daniel Pastorius und die iibrigen Griinder von Germantown zusam-
menzubringen. Auch ein Prozentsatz des uberschusses von Deiitscher Tag-
Feiern soil fiir diesen Zweck verwandt werden. Die Ang^elegenheit wurde
dann an das Vereinigte Komitee fiir Geschichtsforschung und Presse iiber-
wiesen
6. Der President soil in Stiidten. die mit dem Nationalbund noch keiile
Fiihlung haben, VertrauensmUnncr ernennen.
7. Am 9. Mai 1905 soil der lOOjiihrige Todestag Schillers allgemein gc-
feiert werden.
8. Es soil darauf hingearbeitet werden, dass alle Gesetze, welche die
durch die Konstitution gewahrleisteten Rechte verkriippeln, die sogenann-
ten ,,Blue Laws", abgesehafft werdrn.
9. Vereine oder Yereinigungen von Staaten, wo noch keine festen Ver-
biinde bestehen, sollen zur Entsendung eines Delegaten und zu einer Stim-
me berechtigt sein.
10. Kein Beaniter des Natioiialbundes darf Kandidat fiir ein wahlbares
Amt sein.
11. Von der Griindung einer Bundeszeitung riet das Komitee fur die
deutsche Presse ab, sagte aber zum schluss: ,,Wir erkennen mit freudigem
Danke die tatkrilftige Unterstiitzung an, die die deutsche Presse des Lan-
des der deut.schamerikanischen BeAvegung hat angedeihen lassen, und spre-
chen die Hoffnung aus, dass dieselbe fortfahre, die Wichtigkeit 'und Be-
deutung dieser Bewegung clem Deutschtum des Landes dringend ans. Herz
zu legen. Da die deutsche Presse des Landes jederzeit fiir Wahrung deut-
scher Interessen und fiir die Wohlfahrt des Deutschtums furchtlos kiimpft
24 Padctgojp-sche Menatshefte.
rmd ohne dieselbe eineZentralisierung desDeutschtums kaum moglich ware,
so uaacht der Nafcionalverband es jedem Deutschen zur Ehrensache, diese
Presse nach Kraften zu unterstiitzen."
12. Gutgeheissen win-den anch die Empfehlungen, welche der Vorsitzer
des Komitees fiir deutsche Biihne machte, dahingehend, dass das Press-
kouiitee beauftragt werde, mit der grossten Energie fiir die deutsehe Biihne
Propaganda zu machen, dass aber Dilettantenbiihnen nur daUnterstutzung
fmden sollten, wo keine professionelle Biihne Gelegeiiheit habe aufzutreten.
13. Jeder Staatsverband ist verpflichtet, dem Publikationsfonds im In-
teresse der deutschamerikaiiischen Geschichtsforschung, als deren Organ
t»is* zur Schaffung~ eines amt lichen Organs die ..German-American Annals"
fcnerkennt wurdeiv, alle «7alire-$25 zuzu-wenden.
14. Der Nationalbnnd soil inkorporiert werden.
15. Auf der Weltausstellung in St. Louis soil nachstes Jahr ein Deut-
«euer Tag, verbunden mit einem germanischen Kongress abgehalten
v.rerden.
16. Ein Komi tee fiir deutsehe Sprache in den
Volksschulen Avurde ernannt, bestehend aus Dr. A. J. W. Kern, C. O.
Schonrich, M. H. Ferren, J. Miiller, J. Freitag. Dasselbe wird bei der nach-
*.ten Konrention berichten, wie auch ein
Komi tee fiir Turnen in den Volksschulen, bestehend
aus H. C. Bloedel, Noah Guter, Dr. H. A. C. Anderson, Carl Eberhard, Georg
VVeth, imd gleichfalls ein
K o m,i tee fiir Geschichtsforschung, zusammengesetzt aus
Emil Mannhardt, Dr M. D. Learned, Theodor Lamb, Kurt Volkner, C.
8cMichter.
Der nicht geschiiftliche Teil der Konvention verlief ebenfalls in schoner
v-'tirdiger Weise. Die Delegaten, von denen einige ihre Gattinnen mit-
batten, genossen unbegrenzte Gastfreundschaft. Sie wurden in
citiem vorziigliche» Hotel einquartiert und blieben daselbst wrahrend der
g-anzen Zeit ihres Aufenthaltes die geehrten Gaste des ,,Unabhangigen Biir-
^ervereins von Maryland."
Der Schreiber liess sich natiirlich das Vergniigen nieht nehmen, seinen
lieben Freund und Mitdelegaten Ferren im eigenen Hause zu beherbergen.
Von dem exklusiven ,,Germania Club", dem Gesangverein ,,Harmonie",
und den an dem betreffenden Abend vereinigten drei Turnvereinen ,,Vor-
\v;irts", ,,Gernr.ania", ,,Locust Point" waren sie der Eeihe nach zu Cast ge-
laden, und bei der Feier des Deutschen Tages im Darley Park am Mohtag
WacltmUtag'und-AbFend, jwaren die Delegaten die Gaste siimtlicher deutscher
Vereine' der Monumeiitenstadt, die alle mit einander gewetteifert batten,
ihre^ll^uptqtlartiere 'aiif,*3ein Festplat moglichst originell und anziehend
einzurichten und auszuschmiicken. Am originellsten war wohl das des
I'iattdeutschen Vereiiis, die wohlgelungene' Darstellung eines kunstgerecht
a ufgetakelten, vor Anker liegenden Segelschiffes. Bei Beginn des Festes
var an demselben die iibliche Schiffstaufe in aller Form durch die St.
Louiser Delegatin vollzogen worden.
Die Feier des Deutschen Tages bildete den Glanzpunkt der Konventions-
Festlichkeiten, sie war grossartig und eindrucksvoll, und dementsprechend
v/aren auch die. beiden Festreden unter dem griinen Bliitterdache des Parks,
die deutsehe von Dr. Hexamer, die englische von Oberst Morris. (Sie wei--
d?n demnachst in den ..German American Annals" erscheinen.) Es war ein
echtes Volksfest,gegen 30,000 -Menschen drang-ten sich in buntem Gemisch
Btiickte und Notion. 25
auf den Festplatz, ohne dass auch nur die geringste Stoning vorgekommen
ware. In den zahlreichen, am Abend mit bunten Ltiterneii festlich beleuch-
teten Vereins-Hauptquartieren, an den Schiessstanden, den Kegelbahuen,
dem Gliicksrad, auf dem Tanzboden, iiberall heitere Gesichter, frohliche Z\t-
rufe, Gesang und Musik. Und drinnen im Bankettsaale brachte Delegat
Guter von Newark die Gesinmmg der Ehrengaste zum Ausdruck, als er mit
seinem trockenen Humor seine Eede schloss: ,,Besser konnen uns die Bal-
timorer wirklich nicht bewirten, \vir konnten's ja gar nicht aushalten".
Ein ausgedehnter Landausflug am Tage zuvor, nnd eine Wasserpartie
am Tage danach, letztere verbunden mit einem interessanten Besuch der
Marylander Stahlwerke, be.reitete den Delegaten ebenfall.s grosses Vergnii-
gen, Dazu verschonte noch ein echtes, ungetriibtes Kaiserwetter die Tage;
den Delegaten aus dem Nordwesten war's zuerst freilich zu warm, sie
wussten sich aber bald dadurch zu helfen, dass sie sieh Sommerrocke an-
schafften.
Eine ganz besonclere Auszeichnung erfuhr die Konvention dadurch, dass
zu ihren Ehren die Stadt illuminiert wurde. Dies geschah am Sonntag
Abend. Es war eine Wiederholung der feenhaften Illumination, welche die
Stadtbehorde fiir das grosse Siingerfest im Jnni hatte vorbereiten lassen.
Ihre Grossartigkeit liisst sich aus der Tatsache erkennen, dass der Stadt-
rat damals $25,000 fiir die Einrichtung dazu ausgesetzt hatte. Zweimal seit-
dein war die Illumination fiir Konvenlionen wiederholt worden, fiir die der
,.Elks" und ,,Odd Fellows", welch beide von Zehntausenden besucht worden
waren, das dritte und letx.te Mai — die betreffenden Einrichtungen werden
jetzt abgenommen — geschah es zu Ehren unserer Konvention. Dass die
Stadt von 600,000 Einwohnern diese Konvention von 5f> deutschamerikani-
schen Delegaten in soldier Weise auszeichnete, zeigt, wie sich der ,,Unab-
hangige Biirgerverein von Maryland" in der ,,Monnmental C'ity" geltend zu
mac-hen versteht; und dass derselbe bei den angloamerikanischen Mit bur-
gem ein Verstandnis und warmes Interesse fiir die Bestrebungen des Bun-
des erweckt hat, das zeigen die mit scltener Einmiitigkeit gebrachten Aus-
lassungen der englischen Lokalpresse.
Um den reichen Erfolg dieser Konvention hatten sich die Herren John
Tjarks, Karl A. M. Scholz und Aug. F. Trappe, als leitende Beamte des
Marylander Verbandes, die sich einen Stab arbeitswilliger, einflussreicher
Mitarbeiter zu gewinnen verstanden, besonders verdient gemacht; wie dem
sicheren Takt des Bundespriisidenten Dr. Hexamer, und den umsichtigen
Vorarbeiten des Bundessekretiirs Timm die glatte und \virksame Geschafts-
leitung zu danken ist. An letztere wende sich, wer etwas iiber Angelegen-
heiten des Bundes zu \vissen, oder dafiir zu wirken wiinscht, er wird stets
ein promptes und enthusiastisches Entgegenkommen finden; seine Adresse
ist: Aclolph Timm, 522 Lehigh Ave., Philadelpnia, Pa.
So sind wir denn mit dieser Konvention dem erstrebten Ziele xini ein
gut Stiick naher gekommen: die iiber dieses weite Land zerstreuten Deut-
schen zu vereinigen, das Gefiihl ihrr Zusammengehorigkeit z\i kraftigen,
die Wertschatzung deutschen Wesens, deutscher Gedanken, deutscher Le-
bensauschauungeu und Ideale, sowie deutseher Mitwirkung am Aufbau und
Gedeihen unseres Landes zu strirken und zu vertreiben. D«r Nationalbund
steht heute nach zweijiihrigem Bestehen als eine kraftige deutsche Eiche
auf amerikanischem Boden da, ein knorriger Stamm. der seine Wurzeln ira-
mer weiter ausbreitet in das amerikanische Volk deutscher Geburt, deut-
scher Abstammung und deutschen Blutes.
26
Pddagogische Monatshefte.
Die Zeit wird hoffentlich nicht fern sein, wo ein einiges Amerikaner-
tum unter dem Banner des Nationalbundes dastehen wird. Oder will man
tia und dort, vornehmlich draussen im ,,deutschen" Westeii, wo ich mir uoch
letzten Summer an mehrcren Orten sagen lassen musste, das dortige
Deutschtum benotige einer solchen Vereinigung nicht, da es jetzt schon
alles haben konne, was es wolle (?), will man dort gelassen abwarten, bis
dem eingebiirgerten Deutschtum die Horden der ins Land stromenden
Mischvolker unangenehm fiihlbar gemacht worden sind? Der kluge Mann
baut vor. Auch fiir die Deutschamerikaner gilt die Mahnung Felix Dahns:
,,O haltet fest, was Ihr errungen,
Die deutsche Einheit haltet recht;
Jhr habt sie ja so oft besungen,
So oft vertrunken \md verzecht!"
II. Korrespondenzen.
(Fiir die PSdagoglechen flonatshef te. )
Davenport, Iowa.
Desgenialen Dapprich Tod
wird auch hier tief beklagt! Wir batten
ihn zum letzten Male unter uns zur Zeit
der Turnerbund-Tagsatzung imJuli 1902
und durften ihn bei dieser Gelegenheit
auch in der Ferienschule der FreienDeut-
schen Schule begriissen. VVie anregend
sprach er damals fiber diesen unseren
praktischen Beitrag zur Pflege des
Deutschtums und der deutschen Sprache,
Tviinschend, dass viele Stadte in Ost und
West der \7ereinigten Staaten dem Bei-
spiele der Davenporter Freien Deutschen
Seliule folgen mochten.
Zur Zeit sind die VVinterkurse
der letzteren (die Abendschule) in vol-
lem Gauge, und zwar mehr derselben als
je. NatUrlich (iberwiegen die praktischen
Klassen an Zahl: Zeichnen, Arithmetik,
Algebra, Geometrie, Trigonometric, Phy-
sik, Elektrizitat, Chemie, Tischlern und
Drechseln und Modellieren, daneben ele-
mentares (englisches) Lesen und Schrei-
ben, nnd Unterricht im Englischen fiir
neugekommene junge Deutsche. Aber die
Pflege des Deutschen bildet doch das ide-
ale Zentrum unserer Fortbildungsschule.
Wfihrend die deutsche Mittelklasse rein
spraehliche Ziele A'erfolgt, vertieft sic-h
die vorgeschrittene Klasse in diesemWin-
ter in die Schatze unserer Literaturge-
scliiclite, und zwar nach dem Grund-
satze: nicht nur iiber die Dichter und
ihre Werke zu reden, sondern die Dich-
terwcrke, soweit als tunlich, vor allem
selbst reden zu lassen. Die Anfanger-
klasse hat Herr Sehiek iibernommen, ein
neuer Lehrer des Deutschen an der hie-
sigen Iloclischule, der zusammen mitver-
schiedenen Dainen auch die Sonntags-
schule leitet.
Herr Sehiek hat einen Teil der Arbeit
des Herrn A. 0. Mueller iibernommen.
Diese Jtnderung war notig, weil dieFreie
Deutsche Schule die Genugtuung hatte,
ihren Lehrer der modernen Sprachen
(deutsch, franzosisch und spanisch),
Herrn A. O. Mueller, als Supervi-
sor des deutschen Unterrichts in den of-
fentliehen Schulen der Stadt Davenport,
einsehliesslich der bliihenden Hochschu-
le, berufen zu sehen. was ihn zwar nicht
verhindert hat., seia altes Amt weiterzu-
fiihren, aber doch notigte, manche Ar-
beiten einzuschriinken.
Mit dieser Bcrufung hat unser ,.platt-
dutschcs Athen'' ohne Zweifel einen gro-
ssen, weiteren Schritt getan in der Pflege
der deutschen Sprache und des deutschen
Geistes, was dem Schulboard zu nieht
geringer Ehre gereicht, und wir hoffen,
dass dieAnstellung des erwahntenHerrn,
die von der Presse und von der Lehrer-
scliaft im ganzen sehr gunstig aufgenom-
men wurde, auch die erwiinschten FrOch-
te tragen inoge. was natiirlich erst die
Zukunft zeigen kann. Das eine scheint
sicher, dass deiselbe voll und ganz e.n-
treten wird fiir Durehfiihrung (oderEin-
fiihrung) der in langem und ernstem
Geisteskainpfe errungenen modernen,
Korresponden^en.
27
fortschrittlichen Grundsatze des Unter- seien. Man ni«3ge . wohl bedenken, dass
richts, hier besonders des Uuterrichts im der Lehrer in der Sprache den Schiilern
Deutschen, so wie dieselben von dem un- ein Muster uud Vorbild sein solle, und
vergesslichen E. Dapprich vertreten wur- deshaib mti&se er sk-h einer korrekten
den und so klar und gediegen in den Pa- und mustergaltigen Sprache bediencn.
dagogischen Mohatsheften vertreten wer- Darauf hielt Heir Rud. Braun, dent-
den. Mehrere bereits gehaltene Lehre- scher Oberlehrcr au der 14. Distr.Schule,
rinnenkonferenzen lassen dartiber kaum einen Vortrag (iber Anschauung.sunter-
Zweifel.
richt unter Zuhiilfenahnie eines Bildes,
welches eine \Yinterlaudschaft darstellte.
Der Vortrag war t'iir eine Klasse im 3.
Grad bestimmt. Die Arbeit zeigte flei-
Milwaukee.
Schon wieder ist einer der edelsten, be-
eten und tiichtigsten unter den Lehrern ssiges Studium des Stoffes, sowie ge-
in deutschamerikanischen Kreisen at>be- schickte Anordnung und Einteilung des-
rufen durch den unerbittlichen Tod. 8elben in methodischer Hiusicht.* )° Ei-
Herr Emil Dapprich von hier, der nen ungleieh gr.'isserenWert jedoch hiitte
in der ganzeu Lehrerschaft so wohl be- die Arbeit gehabt, wenn der Referent sie
kannte und tiichtige Seminardirektor, er- praktisch in ' einer Lchrprobe mit Schii-
lag am 25. Nov. einem langwierigen Ma- lern hiitte vorfiihren konnen. Doch dies
genleiden. iiber 40 Jahre lang hat er in wild sich bei den jetzigen Versammlun-
Amerika in verschiedenen Stellungen aU gen an Schultagen und bei der Kiirze der
pflichtgetreuer Lehrer und Aufseher in Zeit. etwas iiber eine Stunde, wohl kanm
den Schulen gewirkt und viel Gutes ge-
tan. 15 Jahre war er in Milwaukee und
erwarb sich hier viele Freunde. Sein
Tod hat eine grosse Liicke unter den lei-
tenden SchulmJinnern verursacht. Er war
herstellen lassen.
A. W.
York.
lioher Mann, der nichts so sehr hasste,
als Liige, Verstellung und Heuchelei.
Dadurch erwarb er sich auch so viele
Obwohl derVerein Deutscher
Lehrer von New York und Um-
ein geborner Ldirer, ausgerfiatet mit al- gegend dieses Schuljahr noch kein Le-
lenEigenschaften, die einLehrer braucht, benszeichen von sich gegeben hat, er-
um erfolgreich im Amte zu sein. Rtih- freut er sich doch eines regen und anre.
rend war seine Liebe zu den Klemen, genden Daseins. Die Mitglieder sind
und er verstand es, sich zu ihnen herab- iiber Gross . New York und einige New
zulassen und sich ihnen verstiindhch zu Jersey stSdte zerstreut, und die Ver-
Dabei wair er ein offener, ehr- einstage sind daher aiu-h Symposien filr
die Mitglieder, die sich sonst wohl kaum
wUhrend der Wintennonate treffen wiir-
den. Die erste Versainmlung des Ver-
Freunde. und man kann wohl mit Recht eins am 3 Qktober, war, als die erste
bdiaupten, dass er keinen Feind hinter- des Sduiljahres, «ne stimmungsvolle Be-
lassen hat. \\ le behebt er in Milwau- grussung:,sit/ung. D^r Vortrag desHerrn
kee war, zeigte die tiefe Trauer und die von der Hevdc wurde auf den zweiten
grosse Beteiligung an der Leichenfeier. gitzungstag,* den ersteu Sonnabend des
Sein Ged&ehtnu wird immer in Ehren Monats November, verlegt. Herrn von
gehalten wei-den. der Heydens Thema war: Etwas aus und
Die erste Versa mm lung der (iber Fritz Renter. Der Redner fiihrte
deutschen Lehrer in diesemSchul- in kurzen Ziigen das Lebensbild des gro-
jahre fand am 12. Okt. statt. Bei der ssen Humoristen vor, indem er zuglcieh
Beamtenwahl wurden die beiden Vor- Proben des kostlioh«in Humors und der
sitzer, Herr Ph. Lucas und Frl. A. Hoh- ktlnstleriscben Uestaltungskraft Fritz
grefe, wiedergewiihlt, und als Schriftfiih- Reuters gab. Leidcr ist der Verein zur
rer Herr W. Schaffrath gewiihlt. Dann Zeit heimatlos. Herr Allaire, dem die
wurden nur Routinegeschafte erledigt. mUssigen Mitglieder zu wenig tranken
Die zweite Versammlung fand am 19. und assen, hat dem Vorsitzenden dieMit-
Nov. statt. Herr Abrams beriihrte in teilung gemaclit, dass der Veraamm-
seinen amtlichen Mitteilungen verschie- lungssaal pennaneat vermietet sei. Dei-
dene Punkte, die sich auf Methode bezo- Verein hat numlicii koin festes, gemiet*-
gen, und bemerkte dann noch besonders
bezilglich der Sprache der Lehrer beim
I'nterricht, dass er oftmals, und zwar
besonders bei hier geborenen Lehrern, -
Ausdrficke hore. die der englischen Spra- *) Die Arbeit
che entlelmt und deswegen nicht deutsch zuiu Abdruck.
tes Lokal. Doch hofft der Verein, im
deutschcn Pressklub ein dauerndes Un-
terkommen zu finden. FQr die niiehste
jflangt in den P. M.
Padagogische Monatshefte.
Versammlung ist eine Herderfeier in
Aussicht genommen, die sehr interessant
zu werden verspricht, und iiber die ich
des Langeren berichten werdc.
Am 6. Dezember hielt der Verein
deutscher Lehrer von New
York seine erste Versamm-
1 a n g im neuen Heim ab. Der Deutsche
Pressklub hat unserem Vereine in der
liebenawiirdigsten Weise sein gemiitli-
ehes Ha us geoffnet, und der Prasident
des Klubs, Herr J. Weil, driickte in Wor-
ten herzlichen Willkommens den Wunsch
aus, dass die deutschen Lehrer sich im
Klub zu Hause f tihlen mochten.
Zu Beamten des Vereins f iir
das kommende Jahr wurden folgende
Herren erwiihlt: Herr von der Heyde
(Newark), erster Vorsitzender; Herr
Tombo, senior (Barnard College), zwei-
ter Vorsitzender; Herr H. Boos (DeWitt
Clinton High School), korrespondieren-
der Schriftfuhrer; Herr H. Zick (De
Witt Clinton H. S. ), protokollierender
Schriftfuhrer; die Herren Dr. A. Remy
(Columbia), und Dr. Metzger (Newark)
wurden zu Beiraten ernannt. In Erin-
nerung des Todestages Herders waren
3 kurze Vortriige in Aussicht genommen
worden : iiber Klopstock ( Dr. Re-
my ) , W i e 1 a n d ( Dr. Jappe ) und Her-
der (J. Winter). Dr. Remy begann
seine interessanten Ausfiihrungen mit ei-
nem Zitate aus Fritz Mauthners humo-
ristischem Credo. Danach gehort auch
Klopstock zu den grossen Toten, deren
Ruhe wohl kaum ernstlich gestort wer-
den wird. Nur der Berufsliteraturhisto-
riker wird sich ernstlich mit den Wer-
ken Klopstocks beschaftigen, aber das
Andenken des deutschen Mannes wird
und soil ewig leben. Denn Klopstock
bleibt, obwohl seine Werke kaum blei-
benden, lebenden Wert besitzen, doch das
Verdienst, der Schriftsteller gewesen zu
sein, der gegen das Vorherrschen des
Fremden u. gegen die einheimischeFlach- "
heit, echten deutschen Gefiihls Ausdruck
verlieh, und der die Fahigkeit der deut-
schen Sprache als einer Literatursprache
bewies. Er lebt fort durch den Einfluss,
den er auf seine Zeitgenossen ausiibte.
Darin besteht auch die Unsterblichkeit
Wielands und Herders, deren Bedeutung
fur die Entwickelung unserer Literatur
von Dr. Jappe und Herrn .Joseph Winter
in knapper, treffender Weise dargelegt
wurde. Wieland hat das bleibende Ver-
dienst, der Vater des deutschen Romans
und des romantischen Epoa zu sein und
durch seine Schriften unter den hoheren
Klassen der Gesellschaft Interesse fiir
deutsch ge.schriebene Werke erweckt zu
haben. Dr. Jappe verteidigte den lie-
benswiirdigen, hedonistischen Wieland,
die zierliche Jungfrau von Weimar, wie
er nicht ganz unzutreffend genannt wur-
de, gegen den Vorwurf der Schlupfrig-
keit und wies auf Goethe bin, dessen Ro-
mane ja auch zu verurteilen wiiren,
vvollte man sie vom Madchenpensionat-
standpunkte aus beurteilen. Herr Joseph
Winter charakterisierte in der ihm eige-
nen enthusiastischen und gcistreichen
Weise Herder, der, wie er sagte, im v'or-
hofe der Klassiker stehe. Herder ist
kein schopferisches Genie, im Cid klei-
dete er einen fremden Stoff in eigene
Form, in den Legenden eigene Stoffe in
fremde Form, aber Eigenartiges in ei-
genartiger Form zu schaffen, ist ihm
nicht gelungen. Dagegen hat er befruch-
tend gewirkt auf Mitwelt und Nachwelt.
Er erschloss seinen Landsleuten das Ge-
biet der Weltliteratur und suchte di«
Gelehrtenwelt und dasVolkstum auf dcm
geuieinsamen Gebiete echter, wahrer Po-
esie in Beriihrung zu bringen. Herders
Einfluss auf Goethe, besonders wahrend
des persimlichen Verkehrs in Strassburg,
ist bekannt und von allergrosster Bedeu-
tung. Denn wem als Herder ist es zuzu-
schreiben, dass Goethe so friih und in so
gelungener Weise den Ton des echten
Volksliedes in seinen Gedichten an-
schlug? Auch Herders Einfluss als Kri-
tiker und Geschichtsphilosoph ist nicht
zu unterschatzen, hat er doch das Ver-
dienst, den Wert Homers und der natio-
nal-epischen Dichtung ins rechte Licht
gesetzt zu haben.
,,Humanitat," so schloss Herr Winter
seine interessanten Bemerkungen, er-
scheint unserem Herder der Endzweck
der Menschenbildungy und mit Rechtste-
hen in goldener, unaiisloschlicher Schrift
auf dem Grabsteine Herders die Worte:
Licht, Liebe und Leben."
Ehe der Verein die Versammlung ver-
tagte, ehrten die Mitglieder das Anden-
ken des unvergesslichen E m i 1 D a p p-
r i c h durch Erheben von ihren Sitzen.
Herr Dr. Wahl (Morris High School)
wird in der ersten Sitzung des Jahrea
1904 dem Leben und Wirken Emil Dapp-
richs den gebiihrenden Nadir uf widmen.
H. Z.
III. Umschau.
Dem S c h u 1 s u p e r i n t e nden -
ten Coolcy von Chicago ist ein Arti-
kel in dcni New Yorker ,,School Jour-
nal" von Arnold Tompkins, dem Prinzi-
pal der Chicagoer Normalschule, gewid-
met, in welchem die vielen Verbesserun-
gen des Schulsystems von Chicago, die
unter dem Regime Herrn Cooleys vorge-
nommen worden sind, gebiihrend hervor-
gehoben werden. Unter diesen wird
auch die Reorganisation des deutschen
Unterrichts erwahnt, durch welche nicht
nur eine Ersparnis von $200,000 erzielt
worden ist, sondern auch der Unter-
richt selbst gewonnen hat.
Uns will das nicht in den Sinn. Die Be-
richte iiber den Riickgang des deutschen
Unterrichts, besonders beziiglich der an
demselben sich beteiligenden Schiiler-
zahl, beweisen zu klar das Gegenteil, als
dass wir dem Berichte Glauben schenken
konnten. Ganz abgesehen davon, wiirde
die Tatsaehe, dass gerade an dem deut-
pchen Unterrichte Ersparnisse gemacht
wurden, unsere Zweifel wachrufen. Um-
*onst ist nichts zu haben. und sogar ein
g u t e r deutscher Unterricht kostet
Geld.
Prof. Harnacks Gedachtnis-
redeaufMomrnsen. In seiner Ge-
diichtnisrede bei der Trauerfeier charak-
terisierte Professor Ha mack Mommsen
als eine einzigartige Verbindung von
exakter Wissenschaft und poetischem
Genie, als Kiinstler und leidenschaftli-
chen Feuergeist. ,.Licht wird alles, was
ich fasse, Kohle alles, was ich lasse,
Flamme bin ich ganz gewiss." Des wei-
teren fiihrte Harnack aus, dass es noch
keinen deutschen Geschichtsschreiber ge-
geben habe, der mit solcher Kraft wie er
das Grosse und Kleine zwang, dass es
ihm Antwort gebe. Mommsen ist von
einem heroischen Fleiss gewesen, seine
durch wach ten Nachte erhellten unsere
Tage, fiir sein engeres preussisches Va-
terland war Mommsen der Organisator
der wissenschaftichen Arbeiten. Ausser
Leibniz und den beiden Humboldts hat
niemand um die akademischen Wissen-
schaften solche Verdienste sich erwor-
ben, wie er; niemand hat es auch ver-
inocht, wie er sich so vollig in den Dienst
von Arbeiten zu stellen, die die Krafte
des einzelnen ilbersteigen und wie zahl-
reiche von ihm angeregte Werke eines
ganzen Stabs von Mitarbeitern bedtirfen.
Mommsen war als Lehrer nicht nur
durch das gross, was er lehrte, ,sondern
nach dem Zeugnis seiner Schtiler auch
ein uniibertreffiicher Fiihrer und Anreger
im wissenschaftlichen nicht nur, sondern
auch im moralischen Sinne. Als Mensch
war er der treueste, liebevollste Freund,
den man gewinnen konnte und von viel
weicherem Gemiit, als die sarkastische
Art, mit der er Feindselige sich aus dem
Wege raumte, vermuten liess.
Rektor Dr. Seyffarth - Lieg-
nitz, bekannt als piidag. Schriftsteller,
ist am 26. Oktober im Alter von 75 Jah-
ren gestorben. Obwohl Geistlicher, fiihlte
er sich doch als Piidagoge. Sein Streben
ging vor a Hem dahin, seinen ,,Vater Pe-
stalozzi" der Lehrerschaft immer naher
zu bringen, und es war ihm vergonnt,
die Werke Pestalozzis in verbesserter
Auflage noch kurz vorher zu vollenden,
ehe die letzte Krankheit dem nimmermii-
den Mann die Fcder aus der Hand nahm.
Dr. Seyffarth war auch Redakteur der
Preussisehen Schulzeitung. Mit frischem
Geiste and mit vorwarts drangendem Ei-
fer behandelte er in genanntem Blat'te
alle pjidagogisehen Fragen der Gegen-
wart, namentlich stand er auch auf un-
serer Seite im Kampfe gegen die geistli-
che Schulaufsicht.
Professor Di. Rein bleibt in
Jena. Gewiss werden die Lehrer nicht
nur Ttmringens, sondern ganz Deutsch-
lands diese Nachricht mit Freuden ho-
ren. Die Professurstelle in Prag, die Dr.
Rein nach dem Abgange Dr. Willmanns
nliernehmen sollte, wird nunmehr ge-
teilt und mit den Herren Privatdozent
Arleth - Prag (Piidagogik) und Gymna-
sialprofessor Hufler-Wien (Philosophie)
besetzt werden.
. Bekanntlich hat der preussische Leh-
rerverein beschlossen, dem um die preu-
ssische Lehrerschaft und Volksschule
hochverdienten Kultusminister
F a 1 k in der Stadt H a m m ein
D e n k m a 1 zu errichten. Die Stadt-
verordneten - Versammlung in Hamm
beschloss nun kiirzlich mit grosser Ma-
joritat — dagegen waren nur einige ul-
tramontane Stimmen — , dem Preussi-
schen Lehrerverein zur Errichtung des
geplanten Fa Ik - Donkmals den Fried-
richsplatz, der fortan ,,Falkplatz" hei-
sscn soil, und ein Grundstiick an der
hen-lichen Ostenallee, das die Stadt in
einen hervorragend schonen Schmuck-
platz uimvandeln und in die Promenade
einziehen will, zur Verffigung zu stellen.
30
PdJjgogiscke Mon&tshefte.
Die Stadtver i return: gibt damit das Be-
ste, was sie uLerhaupt zu vergeben hat,
beschliesst aber trotzdem, urn jedes Ent-
gegenkommen zu z?igen. dem Preussi-
scheri Lehrerverein, fulls wider Erwar-
ten keiner der beiden Platze gefallen
sollte, jeden ahdern Plat/ der Stadtnach
eigener freier \Vahl bereitzustellen.
Die K o s t en fiir die offenllichen
V o 1 k s s c h nl e n betragen im
Deutschen Reiche insgesamt 415,-
198,000 M. Von dieser Summe \ver-
den aus Staatsniitteln gedeckt 120,-
357,000 M. Von den grosseren deut-
sclien Staaten wenden Preussen 269,-
917,000 M. (darunter 73,066,000 M.
aus Staatsmitteln), Bayern 39.8 Mill.
(4,2 Mill.), Sachsen 34,8 Mill. (4,8
Mill.), Wiirttemberg 12,3 Mill. (3,8
Mill.) und Baden 11,0 Mill. (2,4 Mill.)
i'iir ihre Volkssehulen auf.
Bulgarien. Die Augen der ge-
|samten Wolt sind auf den Wetter-
wiukel im Siidosten gerichtet. Es ist
nicht uninteressant, einen Blick auf
djis Schuhvesen dieses strebsainen
Fiirstentums zu werfcn. Das gegen-
\vartige Volksschulgesetz steht seit
1. September 18S2 in Kraft. Im .Tahre
1893 gab es iiach staatlichen Ziihlun-
gen unter den 3,300,000 Eimvohnern
noch 84 Prozent Analphabeten. Die
Gei--amtzahl der Volkssehulen be-
trtigt gegenvvjirtig 4507, da von 1446
private. Lehrpersonen wirken an
diesen Schulen 4587, darunter 1260
Lehreriunen. Die Kosten des Volks-
schulwesens betragen zirka 7,530,500
Jb'rankeii jahrlich.
IV. Vermischtes.
Wann soil der Klavier-
unterricht beginnen? Ein
Berliner Spezialist fiir Nerveoikranke
hat festgestellt, dass es fiir Kinder
schadlich ist, vor dem 16. Lebens-
jahre das Klavierspielen zu begin-
nen. Seine Untersnchungen an 1000
jungen Madchen, die Klavierunter-
richt genossen, ergaben, dass 600 von
ihnen an einer Nervenkrankheit lit-
ten, wahrend von 1000 aiideren, die
das Klavierspiel nieht betrieben,
nur 100 mit Nervositiit behnftet
waren.
Dezemler.
Christkindlein durch die Lande zieht
Mit seinen reichen Geschenken;
Mocht' cs doch auf der frohen Fahrt
Der Lehrer auch gedenken
Und bringen, was so not uns tut,
VertrUglichkeit und Opfermut,
Verstandnis im Volke bei Jung und alt,
Und bei den Behorden recht festen Halt;
Auch unser ,,Zapfen", der oft so klein,
Soil ihm recht warm empfohlen sein;
Es bringe uns Eintracht und festes Ver-
trauen,
Dann wollen wir froh in die Zukunft
schauen !
R. Z.
(Schweizerische Lehrerzeitung.)
Verteilung der Sprachen
auf der Erde. Eine interessante
Gegeniiberstellung der Verteilung
der 3 wichtigsten enropaisehen
Sprachen auf der Erde in den Jah-
ren 1800 und 1900 entnehmen wir der
,,Litterature americane". Danach
sprachen um das Jahr 1800 31 Millio-
nen Menschen franzosisch, 30 Millio-
nen deutsch und 20 Millionen eng-
lisch. x>is zum Jahre 1900 hat sich
die Pachlage so verandert, dass jetxt
50 Millionen franzosisch, 70 Millio-
nen deutsch und 125 Millionen eng-
lisch sprechen.
Humor aus der S c h vi 1 e. Im
Anschlusne an das Gedicht ,,Die
Glocke" von Schiller soil die Macht
des Feuers in kurzer Weise geschil-
dert werden. Eine Schiilerin scbreibt
Avie folgt: ,.Donner und Blitz fallen
zur Erde. Der Hinimel errotet. Die
Aufregung eilt zum Brandplatze.
Schon kommen aus den Nachbar-
orten die Feuerwehren, die das
Feuerngnal horten und damit das
Feuer zu loschen versuchen. Man
hort die Tiere floten. Der Abge-
brannte trostet sich, dpnn er hat
niemanden von seinen Verwandten
verbrannt. Der gottesfiirchtige
Hausvaler erknndigt sich am niich-
'sten Tag-e bei der Feuer^vehr, ob
nicht eines seiner Kinder verbrannt
sei." —
Schiiler in der Naturgeschichta-
stunde: ,,Die Seidenraupe liisst aus
dem Maule seine Faden herauslau-
feiij das ist die weisse Seide. Fried-
rich der Grosse maehle auch den
Versuch; aber, es wollte ilna nrcht
gelingen".
Bacherbesprechungen.
Das jungste Deutscliland.
Zvvei Jahrzehnte miter lebter Literatur-
geschichte. Dargestellt vou Adalbert
von Hanstein. Mit 113 Schriftstel-
lerbildnissen etc. Leipzig, 1901. R.Voigt-
lander.
Das Hauptverdienst des vorliegenden
Buches besteht darin, dass mit grossem
Fleiss eine Masse von schwerzuglingli-
chem Material zusammengetragen ist.
Das Buch ist in der Hinsicht wirklich
eine nicht zu verachtende Vorarbeit fiir
den zukiinftigen Geschichtsschreiber des
Jungsten Deutscliland; und der Verfas-
ser hat also eine seiner llauptabsichten,
wie er sie im Vorwort ausspricht, er-
reicht. Weniger gelungen ist ihm die
erstrebte Anschauliclikeit. Die Portriita
der Schriftsteller, iji denv nieinem Gf-fiihl
u^.ch ausserst ge*chmai klosen und ernui-
denden Zierleisten. diirften ohne Schaden
grossenteils fehlen. Und die allerdings
sehr zahlreich gogebenen Proben von Ge-
dichten und Pro.sa-Absehnitten wiegeu
das Fehlen des sichtenden Urteils nicht
auf. In der verwirreuden Masse von
grossen und kleinen Talenten kanu man
sich unmoglich zurechtfinden: wenn man
nicht v o r der Lektiire desBuches griind-
]>ose, the direction of study to the his-
tory and principles of criticism. The
lich Bescheid \veiss.
Wer nach deiu Untertitel — miter-
lebter Lit. — et\va erwartet, dass
Haustein auf dem Boden der modernen
Bestrebungen stehe, win! sich getauscht
?ehen. Der Verfass-er ist von dem Geist
der Neuzeit nur angehaueht. Das ware
nun an und fiir sich kein Fehler. Denn
ein unentwegter Parteiganger fiir die
Sache des strengeu Klassizismus kann,
svie z. B. Otto Harnjck, durch sohavfe.
wenn auch noch so ablehnende Kritik
moderner Erscheinungen sehr aurcgend
wirken und zum Probierstein des Neuen
vverden. Aber Scharfe des Urteils ist die
Sache des Verfass^rs cbensowenig wie
Weite des Gesichtakreises. Er ist hierin
dem Herausgeber desT ii r m e r s, seinern
Standesgenossen. Froil.errn von Grott-
huss, sehr iihnlich. Fast triumphierend
meldet er am Schlnsse seines Buches,
dass sich der Kreislauf dor literarischen
Stromungen wieder gesehlossen habe.
Voin Kampf fiir dasSclione sei man aus-
gegangen, dann in den krassen Natura-
li:smus geraten. Der Xaturalismus sei,
mc-hdem man seiner ftberdriissig gewe-
sen, vom Symboliiimis abgelost worden,
c'ioser hinwiederum von der 1'avt pour
1'art - Bewegung, dem SchonheitHkultus
der Gruppe um Stephan George. In ahn-
lich erhabener Einfachheit zirkulierte
nach der Ansicht der Mlteren Grammati-
ker — die Lautverschiebung. Die Sache
ist aber doch komplizierter. Es ist er-
staunlich, dass Hanstein unfiihig ist, die
Summe von all dem Durch einander zu
ziehcn. Er hittte zeigen sollen, wie diese
mannigfachen Stromungen nirgends iso-
liert erscheinen, sondern in fortwiihren-
der Wochsehvirkung und Vermischung
insgesamt dieEntwickiung der deutschen
Literatur fordern. Man vergleiche ein-
mal die Darstellung in Lamprechts Z u r
jungsten deutschen Vergan-
g e n h e i t, und man wird sehen.was mit
dcmselben Material, das Hanstein vor-
lag, ein Mann /.u tun weiss, der alle Ein-
zplerpcheinungen von dem weiten Ge-
sichtspnnkt des Historikers aus betrach-
tot!
Wenn Hanstein glaubt, die Zukunft
beruhe nicht auf ,,Schulen" und ,,Verei-
nen", sondern auf einzelnen grossen Per-
son! if.bkeiten. so mag er Recht haben.
Nur fallen die Genies auch nicht vom
Himiv-el. soviel sollten wir im zwanzig-
sten.Taltrhimdert jetzt dcch wissen! Wir
diivffTi iiioht vergessen, dass das ,.Jflng-
ste Deutachland" bei alien Entgleisungen
uml Verirrungen auch ein tiichtiges
Stiiik rcdlicher Arbeit vollbracht hat.
Wie in der bildenden Knnst, so sind aucli
in der Literatur die tecbniacben Aus-
dr"cl<!*inittel heute noch writ mehr ver-
vollkommnet, als sie es vor vicr/chn
Jahren waren: dank eben des gemeinsa-
«:cn Strebens der Gruppen inn Arno
Hoi/.. Richard Dehmel und Stephan
rU'orge. Dem Talent, das die gewonnene
Tec'inik anwenden kann, ist die Bahn ge-
ebiict. Wer weiss, ob sich nicht 7,u den
fvossen Kiinstlern Arnold Booklin und
Max Klinger nun auch Dichter gesellen,
welche dieTriiume des .,JiingstenDeutsch-
land" erfilllen konnen, weil sie selbst
mitgetraumt haben! Ob sich Gerhart
Hanptmann je aus seiner unmannlichen
Gebrochenhcit auf raff t, seheint nach dem
ve)->ch\voininenen ,,Armen Heinrich", wo
die Darstellung des Hauptproblems wie-
der einmal dem Zwischenakt iiberlassen
bleibt.mehr als je zweifelhaft. Aber jene
genanntcn Lyriker sind erst am Anfan?
ihrer Kraft; es sind. wenigstena die z\vei
ersten. Manner voll Mut und Konsequenz
des Denkens, voll Scluvung und Reichtum
32
Pddagogische Monatshefie.
dcr Phantasie, roll Innigkeit und Tiefe
des'Geffihls: noch haben sie ihr Bestes
nicht gegeben. — Der Geschichtsschrei-
ber soil sich vor allem hiiten, Talente,
die im steten Aufsteigen sind, schon zu
ihren Lebzeiten in den Kapiteln seines
Buches einzusargen. Trotz guten Wil-
lens ist Hanstein diesem Fehjer nicht
entgangen.
O. E. Lefsing.
Laboratory Physics by Dr.
Clarence Miller, professor of
physics in Case School of Applied Sci-
ence, is more than its name implies. It
is intended for college students, and they
are fortunate in having such a text
available. Twenty years ago students
largely depended upon their instructors
for aid in the laboratory, today Dr. Mil-
ler's book is a sure guide to the most
important work in close measurements.
Some of the problems may give aver-
age students trouble, but the discipline
in careful manipulation remains. About
one hundred and thirty experiments are
outlined and explained, covering, besides
the usual ^college work, some important
and interesting work in calibration of
scales and thermometers, Reed's method
for rating a fork, high temperature mea-
surements, concave-grating spectroscope,
magnetic variometer, etc.
In 403 pages, the author and pu^^ish-
«>rs, Ginn & L;O., have presented an at-
tractive book with splendid clear dia-
grams and work enough for at least 400
hours in a physical laboratory. Dr. Mil-
ler has given us a decided addition to
our laboratory manuals — it should be in
every college and technical school. Quar-
to, cloth, mailing price $2.15.
L e s s o n s i n P h y s i c s by L. D.
H i g g i n s, Ph. B., is certainly a clear
elementary treatise on this subject. It
appeals directly to the pupil's powers of
seeing and thinking for himself without
work in a laboratory, and at the same
time informs him clearly of those ques-
tions which men "have spent their lives
trying to answer".
The diagrams are clearly outlined and
in some instances half-tones are given of
important apparatus.
The publishers, Ginn & Co., deserve
credit for producing as usual a neat and
distinctly printed book. 12mo., cloth,
379 pages. Price 90 cents.
TheTeacher's Guide in Ele-
mentary Physical Geography,
by Prof. W. M. D a v i e, of Harvard, is
intended to accompany the text book on
Physical Geography by the earae
author.
This little book of 80 pages should be
in the hands of every instructor of phys-
ical geography. As the years go by, we
feel, more and more, the necessity for
laboratory work in MotherEarth's work-
shop, if we wish to successfully teach
physical geography. Anyone using this
Guide will be convinced that a topic
seemingly barren of laboratory inspec-
tion, is, after all. a most fruitful one for
cultivating observation. Hints are given
the teacher for using the local topo-
graphy in illustrating his lessons — it is
certainly a most valuable aid to teachers
using it. Ginn & Co. D. H.
Old- English Grammar. By
Edward Sievers, and translated
and edited by Albert S. Cook. Third
Edition. Ginn & Co., Boston. 5x7% in.
422 pages. $1.50.
This English translation has the mer-
its of following closely the text of the
new and improved German edition of
Professor Sievers' Angelsachsi-
sche Grammatik.
As Sievers' grammar has long been
recognized as authority, the present vol-
ume needs no commendation.
Loci Critici. By George
Saintsbury, M.A., LL.D. Ginn &
Co., Boston. 8x8'/, in. 439 pages. $1.63.
Not long ago appeared "The History
of Criticism and Literary Taste in Eu-
rope", by Professor Saintsbury, the most
elaborate history of criticism which has
yet appeared in the English language.
The present volume from the same
author carries its own commendation to
all thoughtful minds. The volume is
one of the ir,of-t strictly practical pur-
principle of the book is to present pas-
sages illustrative of critical theory and
practice, which experience has shown to
be most useful for the purpose, from
ancient writers, from Dante, from a few
Renaissance critics of the formation per-
iod, and from English critics of theEliz-
abethan age onward through the age of
Johnson.
The volume which is designed to meet
the needs of students, represents the
fruit? of many years of study and ob-
servation.
L. Sh.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
3abiu_unuj V. 3anuan 1904. Heft 2.
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,,Grau, teurer Freund, 1st alle Theorie;
Doch griin des Lebens goldner Baum!"
Dies sonst yiel gemissbrauchte Wort unsres alten Bekannten Me-
phistopheles schien mir besonders am Orte an der Spitze eines Aufsatzes
iiber Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis. Denn in keinem
Zweige menschlichen Wissens und Handelns stehen Theorie and Praxis
meist in krasserem Gegensatz als auf dem Gebiete der Erziehung. Wie
aiiders z. B. in der Chemie, wo die Theorie, d. h. die rein wissenschaft-
liche Chemie, fortwahrend die Praxis, d. h. die angewandte Chemie, er-
ganzt und ihr an die Hand geht; wo Hunderte konstant nicht nur an der
praktischen Verwertung der Fortschritte ihrer Wissenschaft arbeiten,
sondern nach alien Eichtungen experimentieren, um mehr Ankniipfungs-
punkte zwischen Theorie und Praxis zu gewinnen. Auf unserm Gebiete
fmden wir dies harmonische Verhaltnis iui allgemeinen nicht; da wird
die Theorie denen, die sie exploitieren, nur zu oft zum Steckenpferd, das
sich in hochst imponierender Weise vorfiihren lasst, wahrend. seine Reiter
die Praxis sorgfaltig vermeiden: da werden die Stellen, wo folgerichtiges
padagogisches Yerfahren am wichtigsten ist, namlich beim Legen der
ersten Fundamente, mit denen besetzt, die von philosophisch-padago-
gischer Durchbildung, sowie von Kenntnissen und Erfahrung am wenig-
sten haben; da vergisst man, — die Jesuitenschulen etwa ausgenommen
— dass mit steigender Wiehtigkeit eines mehr als elementaren Wissens
in den Unterrichtsgegenstanden die der rein erziehlichen Fahigkeit der
Lehrkraft sich vermindert, weil sie nicht mehr so sehr in Anwendung
kommen soil. In folge dieser und andrer Tatsachen und Umstande ist
die Theorie der Padagogik noch bei vielen, und nicht etwa bloss den
schlechtesten Lehrkraften in argem Misskredit, speziell in Deutschland.
Sie geht auch nicht jedem in Fleisch und Blut iiber; mancher hat die
Padagogik mit Loffeln gegessen, ist aber trotzdem ein kiimmerlicher Er-
zieher; andere wieder kummern sich so wenig als moglich darum, ver-
lassen sich auf ihr eignes gesundes Urteil und praktische Erfahrung und
geniigen ihrem Beruf, so weit sich urteilen lasst, durchaus. Horen Sie
36 Padagogische Monatsfiefte.
die Ansichten zweier deutscher Oberlehrer an hohern Schulen, die mir
personlich nahe stehen nnd mir gegeniiber jedenfalls mit ihror wahren
Meinung nicht hinterm Berge halt en. Aut' meine diesbfeziigliche An-
frage schreibt mir der cine: ,,Es gibt viele anerkannt tiichtige Lehrer,
die sich um die Theorie der Padagogik nicht kiimmern. Bei den akade-
inisch gebildeten Lebrern erfrent sie sich meistens keines grossen An-
sehens nnd wird von vielen geradezu als etwas Minderwertiges., ihrer
Unwiirdiges betrachtet. Ich babe mich auch nie eingehend damit be-
schaftigt. AVas ich davon gelesen oder sonst erl'ahren babe, bat mir
meistens entweder den Eindruck gemacht, dass man cs sich bei einigein
Nachdenken selbst sagen konnte, nnd dass icli es, weiin aneh niclit klar
crkannt, so doch schon immer befolgt hatte; oder dass es irrtiimliche,
blosse Theorie sei. Die meisten padagogischen Leliren sind. ><>\veit (iher-
hanpt richtig, nnr im grossen nnd ganzen richtig, nicht in jedem ucuvhc-
nen Falle. Da hangt ?.\\ viel ab Aron der Personlicbkeit des Lehrers. dt-r
Art des Lehrstoffes, dem Schiilermaterial nnd anssern T'mstanden. .It1-
denfalls aber ist die Padagogik eine Lehre, nnd auch cine Knnst oder
ein Kb'nnen. Der Lehrer nnd Erxieher ist in der Bexiehnng in derselben
Lage wie der, der ,,die siindige Seele ansschimpft"; nnd sogar der, der
,,ihr verfallenes Hans flickt", wird oft von seiner AVissenschai't im Stich
gelassen, erreicbt aber viel dnrcb seine Knnst. d. b. semen ric-htigen.
]ilick nnd gesnnden Yerstand. Der Wert der theoretischen Padagogik
ist also derselbe, den Lessing der Kritik znschreibt: ..AVie die Kriicke dem
Ijalimen \vobl hi 1ft, sich von ein em Orte zinn andern zn bewegen, ihn aber
nicht zum I.aufer machen kann, so anch die Kritik." - Der andre
schreibt nnr folgendes: ,,Icb glaube, dass es in nnsrer Zeit nnr noeb die
Seminaristen sind, die den Mnnd immer voll Padagogik bal>en. \vahrend
bei akademisch gebildeten Lehrern der Gegensatz von Tlieorie nnd
Praxis weniger hervortritt; hb'chstens in einzelnen Ansnabmen bei Her-
ren, de gesalbte Lehrproben schreiben. nnd die dabei herzlich schlecbte
Lehrer sind." Es darf hierbei indes nicht ansser acht gelassen werden,
dass die Schiller dieser Her.ren der bei weiteni grossten Afehrzahl nach
iiber das gesetzlicbe Schnlalter, also die eigentlicbe 'Kindheit. binans sind.
Sie wissen, dass die offizielle Bezeichnnng fiir das Ganze der Krzieb-
lehre oder Padagogik bier ,,S c i e n c e of Education" ist. Es wird Ihnen
aber anch nicht nnbekannt sein, dass es immer noch Lente gibt, \velche
sie ansscbliesslich eine K u n s t nennen. Da J'ragt es sidi denn in erster
Linie: AVas ist Wissenschaft? und was ist Kunst?
Alan kann den Begriff Wissenschaft verscbieden fassen. am wicbti.u-
sien fiir nns indes ist die Unterscheidung von reiner nnd .a n g e-
wandter AA7issenschaft. Erstere ist die Gesamtheit des AA'issens in
irgend einem Zweige, das man in einer diesem Z \veige eigentumlichen
AVeise systematisch geordnet nnd anf gewisse Gmndprinzipien z\iriick-
Er^iebungswissenschaft und Er^iebungspraxis. 37
gefiihrt hat. Letztere dagegen 1st die Gesamtheit des Wissens in einem
/•weige, dor ans sich selbst heraus ein System nicht entwickelt hat, resp.
nicht entwickeln kann, sondern sich dies ans ciner andern Wissenschaft
oder einer Disziplin einer solehen borgt, der solchergestalt auf anderwei-
tig gewonnenen Grimdprinzipien beruht und claher durch Fortschritte
nnd Veranderungen seines oder seiner Glaubiger jederzeit affiziert wer-
den kann.
In nicht ganx uuiilinlicher Lage befinden sich auch die Kiinste,
nur (lass hier Talent oder Genie unbedingte Ert'ordernisse sind neben der
gelegentlich von den Wissenschaften unterstiitzten nnd geforderten,
mehr tnechanischen Praxis.
Dass beide, Wissenschaften \vie Kiinste. im letzten Ende der
Philosophic nnd ihren Disziplinen unterstehen, ist selbstredend; anf
jeden Fall also anch die Padagogik. Aber hat sic im iibrigen ihr eigenes,
mehr oder minder abgeschlossenes System? Steht sie wissenschaftlich
a ul' eignen Fiissen ? Ich glaube es niclit.
Durclilaut'en Sic im (iciste die Geschichte der Erziehnng nnd Sie
zngeben miissen, dass selbst die grossten Reformer auf diesem
von ihrem (Jet'iihl nnd Instinkt geleitet wurden; dass sie nicht
nach klar crkannten Gniiulsatzen wirkten; nnd dass dementsprechend
I't-rade nnter dem schonsten Weizen das hasslichste 1,'nkraut zu finden
ist. An Yersnche wissenschaftlicher Erklarimg wird meistens garnicht
gedacht, nnd \vo sie sich finden, da sind sie ebenso naiv wie primitiv; es
handelt sich dabei fiir sie eben nnr nm Verbesserung der Methoden.
Dies hat erst vor etwa 100 Jahren angefangen sich zu andern, na'm-
lich 180(i, wo Herbarts Padagogik erschien. der erste Versuch wissen-
schaftlicher Behandlimg nnd Begriindung derselben. Herbart ist zn-
gleich der Griinder der Psychologic als Wissenschaft, allerdings mit ein-
seitigor Ueduktion derselben auf mathematischc Formeln. Aber dariiber
kann im ganzen kein Zweife] sein, dass die Psychologie die meisten
Elemente fiir die wissenschaftliche Basis der Padagogik liefert, wenn
diese sicli aucli nebenbei noch auf Anthropologie, Ethik und Politik
stiit/t. Der Greifswalder Professor der Philosophic Joh. Rehmke betonte
dies noch kiirzlich in einem Vortrage iiber ,,Universitat und Volks-
schullehrer' anf der Lehrerversammlung zu Chemnitz, wo er die Frage
der /ulassung gepriifter Seminarist en zur philosophischen Fakultat cr-
brtt-rt. Er sigt : ,.Alle Erxiehungsfragen wurzeln in dem Niihrboden der
Pliiloso]»hie; ich \viisste kein einziges Stuck dieser Wissenschaft, das sich
nicht in den Dienst der Erziehung gestellt siihe: die Seinslehre, die See-
lenlehre, die Erkenntnislehre, die Sittenlehre, die Kunstlehre." Das
geht denn ja weit genug!
Dazu ist in neuester Zeit die Physiologic getreten, und von der Vcr-
einigung der Psychologic und Physiologic in der sogeuannten Psycho-
38 Pddagogische Monatshefte.
physik lasst sich fiir wahrhafi wisenschaftliche Erziehungsgrundlagen
und Grundsatze noch viel erhoffen. Indes dies alles 1st bei dem wohl-
bekannten Konservatismus in unserm Berufe so vollig neu zu nennen,
dass sich die bislang gewonnenen Resultate noch nicht zu leitenden Fak-
toren in unsern Erziehungssystemen erhoben haben, wenigstens nicht in
der Praxis. ,,There is very little pedagogy in the daily routine of the
common school", sagte mir noch vor sechs Monaten einer der tiichtigsten
Schulvorsteher.
. Wie immer sich aber die Dinge in der Zukunft gestalten werden, fiir
jetzt steht so viel fest, dass nur der rein abstrakte, theoretische Teil der
Padagogik, also diese im Gegensatz zur Didaktik und Methodenlehre, zur
Kot als angewandte Wissenschaft bezeichnet werden mag, wahrend ihr
der praktische Teil als eine Ivnnst gegeniibersteht.
(Fortsetzung folgt.)
Some Defects in the Teaching of Modern Languages
in College and University.*)
By Prof. Starr Willard Cutting, Chicago University.
A glance at the progress of the last twenty years in the aims and
results of modern language instruction in American institutions of
learning reveals ample cause of relative satisfaction with present con-
ditions and prospects. It would be easy to find in the more general in-
stitutional recognition of the claims of modern languages to an important
place in courses of study, in the better preparation of teachers, in more
ample library facilities, and in the manifold advantages springing from
the* cooperation implied in our Modern Language Association of
America, inspiration rather for a paean of victory than for the
ungracious tones of a Jeremiad. Not blindness to past triumphs, but the
hope that criticism may prove more helpful than congratulation has led
me to choose the invidious task of pointing out what seem to me certain
defects in our work, as yet unremedied.
My main contention applies equally well to both English and other
modern languages, although in the following considerations attention
is focused in detail upon languages other than the student's vernacular.
*) President's address delivered before the Central Division of the
Modern Language Association of America, at the Eighth Annual
Meeting, held in Chicago, January 1, 1904.
Some Defects in Teaching of Modern Languages in College, etc. 39
If we disregard that rather numerous class, whose personal choice
has nothing to do with shaping their course of study, who take modern
language as part of a prescribed curriculum, to be gotten through with
in some fashion, there remain various types of learners, determined by
the predominant purpose that controls their choice of subject. Thus
some undertake the task "for revenue only". They hope to find
immediate employment of their linguistic accomplishments as inter-
preters, clerks, book-keepers, and the like. Or they seek thereby to
fortify themselves against the wiles of foreign railroad officials, police
captains, shopkeepers, and customhouse guardians. It is the fashion to
decry this class of students as sordid utilitarians, unworthy of serious
consideration at the hands of college or university teachers. The equity
of this judgment may be open to question, in view of the general ap-
proval accorded to another class of learners, whose commercial utilization
of their acquirements is as indubitable as that of the tabooed class just
mentioned. I refer to those who regard their academic study of modern
languages as a preparation for teaching the same subjects to others.
Their conception of the work to be done is presumably broader than that
of the plain "commercialists". They crave some acquaintance with
literature and are on the whole less anxious than the first class for short
cuts and for the completion of the course in "six easy lessons". Yet the
hope of financial gain is the impelling motive here as there. Many treat
modern languages as a means for following more directly the past and
current thought of other nations in its bearing upon their special studies.
The standing formula employed to justify the scant attention paid by
such students to the work in hand runs: They seek only a "'reading
knowledge" of this or that. This catch-word unfortunately dominates
in such cases not only the action of the pupil, but also largely the course
of study and the nature of the instruction. A much larger group of
learners expects from the study of languages and literatures discipline in
sharp observation, careful discrimination, and correct inference, i. e.,
in clear thinking, on the one hand, and acquaintance with the literature
and life of the leaders of modern civilization on the other. Not salable
information, but the substance of a liberal education is the object of
their quest. A relatively small but important class of students finds in
modern languages and literatures a field of scientific research and looks
to the college and the university for the requisite special training in
methods of investigation. The needs of the last named group have re-
ceived steadily increasing recognition in this country since the founding
of the Modern Language Association of America.
There are, then, several distinct types of language learners. While
we meet more frequently than otherwise students whose aims combine in
various proportions those of two or more of these types, the college and
40 Piidagogische Monatsbefte.
university can safely ignore none of them in shaping the instruction to
I e offered.
One of the most obvious defects, as it seems to me,
of our modern language teaching, hurtful to all
classes of students, is neglect of the spoken word.
This neglect may come from a variety of causes. It is sometimes traceable
to the imperfect command of the spoken idiom, characteristic of many
American-born teachers. It may occasionally proceed from the foolish
desire of teachers of living languages to share the high esteem accorded to
teachers of Greek ond Latin, by imitating even the vices of the class-
room practice of some of the latter. It has certainly become a widespread
policy, in part at least, from a strong conviction of the impracticability
of the spoken word under existing conditions of class instruction.. Scant
time and large numbers seem to preclude the possibility of an amount of
attention to the individual, sufficient to insure a fluent oral command of
the language, even were this made of prime importance from, the outset.
This conviction has been strengthened latterly in America by the in-
evitable reaction against the wild claims and vagaries of the "Xatural
Method" mongers. Since the fluency which these colleagues deem the
sole possible justification of much attention to the spoken word is un-
attainable, thus the argument runs, why waste the precious time needed
for so many other objects that are attainable? A fe\v of these colleagues
quite likely assent to the phrasing given this view by one who writes:
"It requires no higher order of intellect and no more exercise of the
judgment, to speak French or German, ihan to play the banjo."1)
Now this view as to the negligible importance of the. spoken word
is an assumption that begs the whole question. It is certainly not true
that for any class students actually learning a foreign language, as
distinguished from 1 earing sundry more or less significant facts about it,
is a matter of minor concern. It is furthermore true that mere in-
formation about the general development of a language or a literature
is an accomplishment quite compatible with relative ignorance of the
language of said literature. Such information implies no necessary
familiarity with the national conception of artistic form, and is entirely
consistent with the crassest Philistimism with respect to the essence of
the whole subject. While such information may, as better than nothing
at all, properly be offered in a department of literature in the student's
vernacular, it is the flimsiest possible excuse for slighting instruction in
the language itself. For a modern language is primarily a varying
1) E. H. Babbitt: How to u s e Modern Languages as
a Means of Mental Discipline (in D. C. Heath's Methods
ofTeach ing Modern Languages, Boston, 1893. p. 127).
Some Defects in Teaching of Modern Languages in College, etc. 41
sequence of sound symbols, recalled for the ear through the eye by the
secondary symbols oi' printer's ink. ]t has its own peculiar rhythm and
cadence, characteristic of the feeling of the people whose collective ex-
perience gave them birth. These elements, distinct from the sound
values of the individual vocables, impart to the latter a variety of musical
quality, whose appreciation is one of the most important and also one
oi the most difficult acquisitions of the language student. Xo adequate
conception of the beauties of lyric, epic, or dramatic poetry, or even of
musical prose, is possible for one deaf to the subtle adjustment of time
siid tune characteristic of the spoken word.
Mere instruction in the pronunciation of vowels and consonants,
when reenforced by no long-continued efforts of the learner at reproduc-
ing them in connected discourse, is an inadequate means to the good end.
For the sound symbol, alone and in connection, becomes graven upon
the memory and vividly associated with its intellectual and emotional
equivalent in proportion to the self-activity involved in its use. No
amount of theoretical or practical explanation of the teacher can take
the place of this.
Again the words and idioms of one language correspond, in a vast
proportion of all cases, only approximately to the so-called equivalents
of another. The most painstaking lexicographer can hope, therefore, to
accomplish but imperfectly his task of interpretation. Just those elusive
shades of difference in connotation that baffle the skill of the lexico-
grapher must gradually be acquired by the really successful student of
any language. This can be accomplished only by oft-repeated com-
parison of the same word or phrase1 with itself in a variety of contexts.
Most subtle of all are the particles and idioms of everyday liL'e, whose
present signification reflects most intimately the hearth-stone and
market-place habit of thought and expression of a people. They pervade,
too, like an undertone the current of the best literary style and defy the
efforts of the interpreter, whose chief reliance is upon grammar and
dictionary, I»y continuous use of the spoken w#rd from the outset the
.student acquires slowly but surely an instinctive feeling for a multitude
of nice distinchions that elude all attempts at formal definition and give
him that sense of at-home -ness in the language, which is in-
dispensable for intelligent appreciation and criticism. To neglect this
surest means of reaching the desired goal, in favor of so-called "rapid
translation" is to condemn the pupil to perpetual ignorance of the inmost
spirit of the language. To expect from students so trained a fine feeling
for the niceties of syntax and style is to exhibit singular credulity as to
cause and effect.
Moreover the college and university aim to prepare teachers of
modern languages for their work. We must recognize to an extent
42 Padagogiscbe Monatshefte.
greater than ever before in the modern language preparation of the
average candidate for entrance to college a reflection through his teacher
of our own ideals and practice in college and university. Our frequent
complaint against the lifeless, ineffective teaching of language in
secondary schools is too often a boomerang that smites the man who
hurls it. For how shall the comparative stranger to the spirit of a
language inspire others with that spirit? Are even well-chosen facts of
linguistic and literary history an acceptable substitute in the teacher for
that intimate knowledge of the use of language, which alone lends such
facts their true significance? The absurdity of an affirmatine reply to
these questions is manifest.
The investigator is not less important than the teacher. Those
students who choose modern languages as a field for the research of a
lifetime look rightly to the university for such training as will contribute
most surely to their success. Numberless problems of interpretation,
syntax, and style can be profitably undertaken only by those whose
reading has been stimulated and guided by an instinctive feeling for
linguistic form, obtainable solely through contact with the spoken word.
Without mentioning in detail the other classes of learners, whose
whose work is seriously impaired by neglect of this element of instruc-
tion, we pass to a brief mention of the kindred neglect of real prose com-
position. Excessive devotion to reading and translation is a common
occasion of both defects. We follow slavishly the dictum ascribed to
Horace Greely: "The only way to learn to read is to read." This truth is
but a half-truth. It is certainly true that reading maketh a full man;
but mere fulness is a doubtful virtue. Eating beyond the power of di-
gestion is sheer gluttony. Now eating is to digestion what composition
is to reading in the economy of language learning. For a progressive
course in prose composition means constant discipline in actively examin-
ing and estimating the elements of the language successively passed in
review and in their practical use as an expression of the learner's own
thought. It is vastly important as the chief means of giving the pupil
that active grasp of the new vocabulary that transforms seeing "through
a glass darkly" into "face to face" vision. This is true of real composi-
tion in the language to be learned, not of mere translation from the
student's vernacular into that language. While the latter may be
necessary at first, it can shortly be supplanted with great advantage by
variant reproduction of material read or listened to by the student, with-
in clearly indicated lines of inflection, syntax, and style. For translation,
when fairly adequate, implies an almost equal command of the two
languages involved. This is, of course, beyond the present reach of the
learner, and his very familiarity with the forms of his mother-tongue
contrasts to his mental distress with his comparative ignorance of the
Some Dejects in Teaching of Modern Languages in College, etc. 43
foreign syntax. Whatever progress he .may make in the latter by -in-
dustrious "upsetting" of the vernacular is quite insufficient entirely to
remove this distress. He is constantly hampered by the fetters of the
familiar speech-forms. Xothing else can take the place of extended
elementary, intermediate, and advanced theme-writing in the language
he be acquired.
Another defect is the untimeliness of some of our work. Our ambi-
tion to. acquaint our pupils with a wide range of literary development is
the occasion of much premature discussion of literary facts, in place of
reading and interpreting literary monuments. We repeat the common
mistake of those who but yesterday taught literature by means of a
convenient manual, illustrated by a minimum of reading from an equally
convenient anthology. Our brave array of names, dates, and rival schools
becomes sometimes the trees that hide the woods. The young sailor has
little use for a chart of all the seas before he has learned to row a boat
or rig a sail. Good manuals and seasonable discussions are excellent
when used to broaden and clarify the knowledge gained by first-hand
study of literature. When substituted for such study they defeat their
own purpose.
What seems to me a false application of the "Same W o c h e n,
F r o h e F e s t e" principle often introduces the student to a nominal
study of literature, rendered comparatively fruitless by uiifamiliarty with
the language in which it is expressed. All attempts to enjoy the classics
of any people, undertaken during the period of linguistic groping, are
doubly disadvantagious to the student. First, they discourage him, by
impressing him with the magnitude of the task and the apparent worth-
lessness of the results; arid, secondly, they consume much time, whose
employment in wisely directed study of the language would equip the
learner for real appreciation and enjoyment of the literature, for which
he now acquires a positive distaste.
Acquaintance with and appreciation of good literature are one
thing; knowledge of genetical, chronological, biographical, and other
critical details is quite another. All students of modern languages need
the former as an important element of a liberal education. This is a
corollary of the fact that literature is one. of the most significant ex-
pressions of the mind of civilized man in all ages and in all lands. But
literature should not be confused with the history of literature. Dis-
criminating love of the form, color, and odor of flowers is quite inde-
pendent of systematic botany, even though study of the latter may some-
times quicken the former. Each is good and desirable in its own way.
The same is true of literary appreciation, on the one hand, and the facts
of literary history, on the other. Our educational blunder at this point
44 Pddagogisclie Monatshefte.
consists in neglecting the one or the other through carelessly regarding
them as interchangeable.
Similar to this is the common mistake of neglecting to instruct
students in language through misplaced zeal in imparting to them the
facts of language hisory. Morphological history is as distinct from
organic function, in the field of language as in that of zoology or botany.
Some teachers seem to labor under the honest delusion that the form and
spirit of a language can be most effectively acquired by strict attention
to the salient features of its historical development. Evidence of
this are those dictionaries and grammars intended for
the use of beginners, which devote much space and attention to etymo-
logies and genetical discussions of modern forms. When duly sub-
ordinated to direct oral and written drill, historical instruction of this
sort may with some pupils facilitate the acquisition of a foreign tongue
or of on older dialect of the vernacular. When not thus subordinated,
however, it prevents the acquisition of either the language or its history.
Other teachers frankly disregard the student's ignorance of the language,
as a vehicle of thought, and resolutely attempt to engraft upon this igno-
rance such scientific knowledge of language and literary history, as seems
lo them alone •• 'consistent with the supposed dignity of college and uni-
versity instruction. They are reluctant to recognize in their practice that
mastery of the inflectional, syntactical, and stylistic elements of a
language is for the learner primarily an art to be acquired rather than
a science to be comprehended. Such a recognition seems to them a de-
plorable concession to the unscientific spirit of the S p r a c h m e i s t e r.
They prefer to play the ostrich, by denying the student's need of instruc-
tion in the art of speech usage and by hurrying him at once into courses
intended to prepare him for investigative work. And yet even a bright
pupil thus unfamiliar with the idiomatic niceties and with the musical
values of the language must remain a mere bungler in all questions of
interpretation, phonology, morphology, syntax, prosody, and style.
Warning examples of this, are furnished anually by the score in the crude
studies of these subjects, offered to university faculties for the doctorate.
What these students of the earlier English, German and Romance
dialects need more than lectures upon historical grammar is intimate
acquaintance with the syntax, style, and vocabulary of the dialects in
question, based upon wide inductive reading of numerous authors of the
period chosen for special study. This is the only sure preventive of those
speculative extravagances of phonological, svntactical, and text-critical
research that shock or amuse the reader, according to his temper or mood.
In spite of recent conspicuous efforts to introduce into all our in-
struction in modern languages what some term the "spirit of university
work", it seems doubtful that we as yet distinguish sharply enough be-
Some Defects in Teaching of Modern Languages in College, etc. 45
tween the general needs of all classes of our students and the special
needs of our research students. Whoever studies a modern language
with any seriousness of purpose needs information along countless lines.
What is already known of linguistic and literary form, in their present
state and past development, is a great storehouse of detail, whose appro-
priation by the students may or may not he wisely restricted to essentials
by the choice of the teacher. Courses determined by wisdom and
courage in the omission of all information, not vital for the subsequent
steps of the work, are indispensable for satisfactory progress. Such
courses orient the student suitably in the field of his interest. Various
methods of procedure may be equally lit for this work. In any case the
main purpose of the teacher is to inform the learner of facts and re-
lations first discovered by another than the pupil himself. Informational
courses supplemented by occasional attention to clasic methods of re-
search, employed by exemylary workers, are sufficient for the needs of
most students. Such courses are at their best when most devoid of all
futile parody of research work. Efforts to inject into them elements
whose dubious purpose is to produce the appearance of scientific severity
of discipline are strangely at variance with the real scientific spirit.
The young investigator needs besides the best type of in format. ional
course for preliminary training, instruction in methodology, i. e., counsel
in. discovering and selecting suitable problems for solution and assistance
in devising working plans for the conduct of research, with frequent
criticism of his choice and interpretation of evidence. Work of this kind,
undertaken in connection with concrete problems and shaped so as to
jiH'ord discipline in the formulation of multiple hypotheses and in the
impartial evaluation of each in the light of all available material, is in
aim and effect quite different from the legitimate informational course.
The conditions of work in Amercan universities are unquestionably still
largely moulded by the informational ideal of teaching, which we have
inherited from the early American college. Institutional concessions to
the needs of research have hitherto been rather theoretical than practi-
cal. Large classes, many hours of instructional service per day. and
meagre library facilities still, for most of us, hamper all investigative
work in modern languages. The presence of immature students in courses
intended primarily for research is doubtless a frequent cause of an un-
fortunate compromise in the nature of the instruction, that vitiates its
usefulness alike for the specialist and the non-specialist. Such fad-.
however, are merely an explanation and no real excuse for offering our
sludents a hybrid instruction, the leanness of whose informational
features suggests the scant diet of the Prodigal Son and whose value a<
a preparation for philological research is practically zero. Intellectual
honesty would suggest that we resolutely refuse to offer course's in re-
46 Pddagogische Monatshefte.
search, for which we may have neither the time nor the indespensable
equipment. It would, in case of informational courses, just as surely
frown upon the merely decorative employment of the manners of re-
search.
The defects of our work, briefly indicated in the foregoing, have one
feature in common. They all spring, in part at least, from what seems
to me the confusion of two instructional ideals — the informational and
the research ideal. By premature devotion to the latter actually learning
the language is slighted, interpretative and appreciative reading of
literature is neglected, and the student is imbued with the conceit of
ignorance disguised as knowledge. By substituting for genuine courses
in methodology compromises, suggested by the immaturity of some of
our students, or by our own laxity in excluding such students from work
for which the}^ are not prepared, we hopelessly handicap the spirit of re-
search and thus diminish what might otherwise be our respectable
contribution to the total of trustworthy investigation in modern
philology.
None of these defects, however, whether occasioned by institutional
illiberality or by individual short-sightedness, seem irremediable. Hence
I have chosen, in the full consciousness of my own shortcomings in the
premises, to call to mind in this paper certain conspicuous obstacles
in the way of our attaining that degree of success as teachers which we
rightfully crave.
(Fflr die Padagogischen Honatshefte.)
Antwort
?.u den Versen auf dem Grabe Heinrich Hein e's, Paris, Cimetiere de
Montmartre:
,,Wo wird einst des Wandermiiden
,,Letzte R.uhestatte sein?
,,Unter Palmen in dem Sxiden,
,,Unter Linden an dem Ehein?
,,Werd' ich einst in oder Wiiste
,,Eingescharrt von freiuder Hand?
,,Oder ruh' ich an der Kiiste
,,Eines Meeres in dem Sand?
,,Immerhin mich wird umweben
,,Gottes Odem dort wie hier,
,,Und als Totenlampen schweben
,,Gottes Sterne iiber mir."
Heinricn Heine.
Lange bei des Dulders Bette
Stand das Schicksal schon bereit,
Zeigte sch\\eigend anf die Statte,
Seinem letzten Schlaf geweiht.
Nicht wo stolze Palmen traumen
Hoch im wolkenlosen 3Jlau,
Noch wo Meereswogen schaumen
An den steilen Felsenbau.
Nicht wo silberklare Quellen
Hiipfen durch des "\Valdes Moos,
Noch wo breiter Strome Wellen
Dome spiegeln, still und gross.
Nicht fiir dich, den Euhelosen,
Dem kein Menschenschicksal fremd,
Der des Lebens Dornenrosen
Fest noch driickt ans Totenhemd.
Nein, du schlummerst, wo die Schwiile
Lastet und der voile Tag,
Wo noch in der nacht'gen Kiihle
Eastlos tont der Hammer Schlag.
Wo das Leben spat und friihe
Itauscht und rasselt ungedampft,
Seinen Schlafern nnr mit Miihe
Selbst der Tod den Platz erkampft.
48 Pddagogisclie Monatsbefte.
Dioht an deinem stillen Hause
Xoch das Dampfross stampft und stoh
Und der Boulevards Gebrause
Bis in deine Traume tout.
Also ruhst du dicht am Herzen
Jener grossen Stadt Paris,
Den das Mutterland, der Schmerzen
Kind von seiner Brust verstiess.
Doi'h der Xachklang deiner Lieder,
Und das Echo deiner Fein
Tont durch alle Zeiten wieder
Hier um deinen Leieheiistein.
vor eines Tempels Sehwelle
Fronnner Andacht Gabe glanzt,
St-i init l{os' und Immortelle
Deine Ruhestatt bekriinzt.
'Kromme Pilgerscharen \vallen
Spater Enkel an dein Grab,
Und als Weihetropfen fallen
Hire Traneii drauf herab.
_ '_ C. L. Nicolay, M. A.
Leitfaden zum Unterricht nach Anschauungs=
bildern.
Vortrag gehalten vor dem Vereiu Dentscher I.ehrer in Milwaukee, Wis.
Von A. R. Braun, Public Schools, Milwaukee. Wis.
Die Schulbehorde hat jeder Schule eine Reihe von Anschauungsbildern
zur Yerfiigung gestellt. Wir Lehrer sollten diese Tatsaehe mit Freuden
begriissen, da dadurch unsere Arbeit, besonders im Anschauungsunter-
riehte, bedeut^nd erleichtert wird. \Velcher junger Lehrer wiirde es wohl
bestreiten, dass ihm gar oft in diesem Lehrfache der Stoff ausgegangen
ist, dass er wohl manchmal noch im letzten Augenblicke mit sich zu Rate
gegangen ist, was vorzunehmen sei, um das Interesse der Kinder zu wecken,
und den Unterricht nicht zur beiderseitigen Qual zu machen. Ehe i«-h zu
meiiier eigentliehen Aufgabe schreite, will ich mir gestatten, Ihr A'.igen-
inerk Mit' einige allgemein bekannte Punkte in bezug auf /week, Form und
Methode des Anschauungsunterrichtes zu lenken.
\\ir alle wissen, dass das Kind ziemlich verworrene und unklare A'or-
stellungen besitzt, wenn es als sechsjahriger Abc-Schiitze den Boden der
Sehule betritt. Seine Aufmerksamkeit muss geweckt, seine Sprachkraft
eiitfesselt werden. Es muss folglich erst fiir den eigentliehen Unterrieht
reif gemacht werden. Der Lehrer bedient sich dabei des Frageunterrii-h-
K-S \md lenkt die Aufmerksamkeit des Kindes in gewisse Bahnen. Die
Kinder miisseii angehalten werden, in Satzen bestimmt und scharf zu
Leitfaden ^ttm Unterricbt nach Anschaiiungsbildern. 49
sprechen, denn die Entfesselung der Sprachkraft ist ausserlich die Haupt-
sache. Es sollte deshalb kein undeutliches, leises Sprechen geduldet
werden.
Der Zweek der Anschauungs-, Denk- vmd Sprechiibungen ist, die
Kinder dahin zu fiihren, dass sie sich ein klares Bild von den Gegen-
standen der ausseren Welt machen und es richtig reproduzieren konnen,
Durch Fragen und Antworten miissen sie zur Fertigkeit im Spre-
chen und zvvar zunachst iiber sinnlich wahrnehmbare Gegenstande,
gefiihrt werden. Was ware \vohl fiir diesen Zweek besser geeignet, als
ein gutes Anschauungsbild, welches in seiner bunten Farbenpracht und
geordneten Ztisammenstellung dem Kinde im Schulzimmer eine Welt
im Kleinen vor Augen fiihrt, mit welcher es sich verwandt fiihlt und in
der seine Phantasie lebt und webt! Es darf jedoch nicht dem Zufalle,
<ler Willkiir und Laune iiberlassen bleiben, woriiber zu jeder Zeit mit dem
Kiude gesprochen werden soil, damit der Unterricht nicht ein planloses
Hin- und Herreden iiber die versehiedenartigsten Dinge \verde, was zn
Zestreuung und Oberflachlichkeit fiihrt. Von Anfang an muss dev Lehrer
sein Ziel fest im Auge behalten und in einem planmassig geregelten Gauge
dasselbe zu erreichen streben.
Der Form nach sollen die ubungen so eingerichtet sein, dass im Ge-
spriiche alle Wortarten, ihre Formen, Biegungen, Abieitungeii und Zusain-
niensetzungeii moglichst vollstandig und doch auf eine urtgezwungene Art.
vorkommen, was bei einer zweckmassigen Anordnung und BehandJung des
Stoffes sehr wohl ausfiihrbar ist.
Was die Methode dieses Unterrichtes betrifft, so muss sich dieselbe
in die Form einer freien Unterhaltung kleiden, welche nirgends mehr am
Platze ist wie hier. Da es Ubungen im Denken und Sprechen sein sollen,
so miissen die Kinder iiberall selbsttiitig erhalten werden. Der Lehrer
muss ihnen durch seine Fragen nur die Veranlassung geben, selbst zu
beobachten und das Gefundene richtig auszusprechen. Die Fragen, welche
ihnen der Lehrer zu diesem Ende vorlegt, miissen so bestimmt gefasst
sein, dass dem Sinne nach nur eine ric htige Autwort darauf gegeben wer-
clen kann. Er miiss nicht darauf bestehen, dass gerade in bestimmten
\Vorten geantwortet werde, vielmehr muss es ihm lieb sein, vvenn die Kin-
der amlere Wovte gebrnucheu, als die er vielleicht erwartete, und wenn
mehrere Kinder denselben Inhalt in andere Worte kleiden. Gerade dieses
zeigt, dass die Kinder denken. !\ie muss er gestatten, dass die Kinder
aus Bequemlichkeit mit einzelnen Wortern seine Fragen beantwor-
worten, sondern jede Antwort muss die Frage des Lehrers in sich
sehliessen. Keinen Fehler der Sprache darf der Lehrer unverbessert
las.sen. Wo die von den Kindern erworbene Sprachfertigkeit noch nicht
ausreicht, das Beobachtete oder Gedachte selbst sprachrichtig auszu-
driicken, da kommi der Lehrer ihnen zu Hilfe, fasst es notigenfalls selbst
in die richtigen Worte und liisst sie von den Kindern wiederholen.
Der zulet/t erwahnte Punkt bezieht sich besonders auf solche Schulen,
in welchen die Kinder die deutsche Sprache und ihren Gebrauch erst er-
lernen miissen. Hier ist die Aufgabe des Anschauungsunterrichtes eine
sehr schwierige. Er ist hier gleichsam die iMulter, welche ihre Kinder <);is
richtige Sprechen und Verstehen lehrt. Und wie in der Sprache der Kin-
•3er die Frage die Hauptralle spielt, so muss auch im Anschauungsini-
terricht die Frage in der mannigfaltigsten Gestalt die gehorige Beriick-
sichtig-ung finden. Da aber die Fragestellung besonders bei nicht deutsch-
50 Padagogische Monatshefte.
redenden Kindern den Zweck verfolgen muss, die Kinder mogliehst schnell
unterrichtsfiihig zu machen, so muss dieselbe in darauf berechneter Weise
systematise!! geordnet auftreten. Bedeutende Sctuilmanner haben sich
mit der Systematisierung der Fragen bei Anschauungsbildern beschaftigt,
doch den meisten Anklang hat die Methode von Aug. D u d a gefunden,
^velche ich in den folgenden Erorterungen, verwerten will.
Der erste Schritt beim Anschauungsunterricht nach Bildern ist die
Glieclerung des Stoffes, wodurch die Arbeit systematisiert und bedeutend
erleichtert wird. Ein guter Plan ist es, den Stoff in zwei Hauptteile zu
zergliedern und zwar in
Vorbesprechungen und Gruppen.
Die ersteren werden eingeleitet durch das Nennen der auf dem Bilde
dargestellten Dinge, wie dieselben dem Kinde in die Augen fallen. Hier
wird besonders der Gebrauch der Ein- und Mehrzahl, des bestimmten und
unbestimmten Geschlechtswortes und das richtige Anwenden des 4. Falles
geiibt. Ersteres wird veranlasst durch die Fragen: Wer oder was ist das?
wobei man auf den zu nennenden Gegenstand zeigt; letzteres wird erreieht
durch die Frage: Wen oder was siehst Du hier?
Z. B. Wer ist das? — Antw.: Jun Knabe, eine Fi*au.
Was ist das? — Ein Haus.
Wo ist der Baum? Die Miihle? Das Kind?
(Der Schiiler geht zur Tafel und zeigt die Gegenstande.)
Was siehst Du hier? — Einen, den Knaben, eine, die Frau, ein,
das Haus.
Dieselben Siitzchen konnen in der Mehrzahl ausgedriickt werden.
Die ubung im Benennen der Dinge wird fortgesetzt, bis den Kindern
samtliche Namen vollkommen gelaufig sind. Ein gutbewahrter Plan ist es,
die Kinder so oft wie moglich zur Tafel zu schicken und die Gegenstande,
die sie kennen, aufziihlen zu lassen, oder auch einzelne Kinder mit dem
Fragestellen zu betrauen, die sodann sich meldende Kinder aufrufen und
die gestellten Fragen beantworten lassen. Natiirlich muss dann und wann
der Lehrer helfend und verbessernd einspringen. Man versaume nie, eine
Antwort von einzelnen Kindern sowie der ganzen Klasse wiederholen zu
lassen, damit jeder Schiiler Gelegenheit tindet, seine Sprachfertigkeit zu
betatigen.
Nachdem die Kinder mit den Gegenstiinden auf dem Bilde hinliinglich
vertraut sind, gehe man zum Ordnen der Dinge nach gewissen Eiicksich-
ten iiber.
Folgende Einteilung kann dabei zur Verwendung kommen:
1. Menschen. — Was ist die Frau? Das Kind? — Auch Mehrzahl!
2. Tiere; a. vierfiissige; b. Vogel; c. niedere Tiere.
3. Pflanzen.
4. Gebaude.
5. Gertit-e (Werkzeuge.)
Daran kann sich noch das Benennen der Korperteile der Tiere an-
schliessen. Wenn die Kinder darin geniigend ubung erlangt haben, so wer-
den bei jeder neuauftretenden Tierform mir die charakteristischen Merk-
male hervorgehoben.
Zahl der Dinge.
Ein weiterer Schritt ist die Einiibung der Zahl der Dinge, welches
zugleich eine ubung der Mehrzahlist.
Leitfaden %um Unterricht nach Anschauiingsbildern. 51
Z. B. — Wie viele Menschen siehst Du auf dem Bilde?
- Ich sehe neun Menschen auf dem Bikle.
Tatigkeiten der Dinge.
Daraufhin folgt die Besprechung der Tatigkeiten der Dinge, wobei wie-
der nach gewissen Riicksichten vorgegangen wird, indem man zuerst Men-
schen, dann Tiere und Pflanzen, und zuletzt die leblosen Dinge ins Auge
fasst.
Z. B. — Was tut (tun) die Frau? die Kinder? der Knabe? die Knaben?
der Vogel? die Vogel? der Baum? der Strauch? der Kaueh? der
Besen? der Schnee?
Im Falle Tiere auf dem Bilde sind, so kann man auch iiber die Stim-
men derselben sprechen. Z. B.:
Was kann das Pferd? der Hund? der Hahn? der Vogel? die Biene?
Eigenschaften der Dinge.
Nach Beendigung der Tatigkeiten der Dinge gehe man zur Besprech-
ung der Eigenschaften derselben iiber, was ein unendlich reiches und
dankbares Feld bietet.
Zuerst kommen die Farben der Dinge in Betracht.
Z. B. — Eot — Wie ist das Kopftuch? das Kleid? die Tiir?
Blau — Wie ist die Schiirze? die Jacke des Miidchens?
Weiss — \Vie ist der Schnee? das Dach? der Hiigel?
Braun — Wie ist der Baum? der Schornstein?
Gelb — Wie ist der Rock dieses Knaben?
Wenn griine Gegenstlinde auf einem Bilde vorhanden sind, muss be-
sonders auf die Aussprache des ii gesehen werden. Auch der zweite Fall
der Dingworter kann bei dieser Gelegenheit vorteilhaft eingeiibt werden.
Daran schliesst sich die Aufzahlung anderer Eigenschaften, Z. B.:
Wie ist der Knabe? Wie ist er, weil er noch so klein ist? Wie sind
die Kinder, weil sie viel Spass haben? Wie ist die Frau, weil sie Holz
sammeln muss? Wie sind die Vogel? Der Baum, weil er keine Blatter
hat? Weil man mit der Hand nicht hinaufreichen kann? Der .uauch,
weil er in die Luft steigt? Das Eis, weil man leicht fallen kann?
Der Kompai'ativ und Superlativ von Adjektiven sollte bei dieser Gele-
genheit griindlich eingeiibt werden. Z. B.:
Wie ist die Miihle, weil man mit der Hand nicht hinaufreichen kann?
Das Haus? Der Hiigel? Wie ist der Knabe? Das Madchen? Dieser
Knabe?
Die genannten Dinge miissen mit einander in Bezug auf Grosse ver-
glichen werden.
Material der Dinge.
Nachfolgend bespreche man das Material der Dinge:
Holz, holzern; Stein, steinern; Eisen, eisern.
Frage nach dem Satzgegenstand.
B. — Wer streut Futter? Wer sitzt auf dem Schlitten? Wer tragt erne
Biirde Holz? WTer sitzt auf dem Dache? Was steigt aus dem Schorn-
stein auf? Was steht beim Hause? Was bedeckt den Teich? Die Erde?
Frage nach den Ergiinzungen.
4. Fall: Was streut die Frau? Was rollt der Knabe? Was machen die
Kinder? Was trtigt die Frau? Was hat der Schneemann in
der Hand?
3. Fall: Wem tun die armen A ogel leid? Wem gibt die die Frau Fut-
52 P&dagogiscbe Monatsliefte.
ter? Wem geben die Kinder einen Stock? Wem ist die Miitze
herabgef alien ?
Bestimmungen.
Des Ortes: Wo befinden sich die Knaben? Wo sit/.t der Yog-el? \Vo
stehen die Kinder? Wo sit/.t der Knabe? Wo steht der
Baum? Wo lehnt der Besen?
Wohin fliegen die Vogel? Wohin sind die Knaben ge-
gangen? Wohin fahrt der Knabe? Wohin wird die Fran
g-ehen, wenn sie das Futter gestreut hal ?
Woher kommt die Fran? Woher kommen die Yog-el
geflogen? Woher fallt der Sehnee? Woher kommt der
Eabe? Woher kommt im Sommer das \Yasser?
Der Zeit: W a n 11 werden die Kinder heimgehen? \Vanii werden die
Vogel fortfliegen? Wann wird der Rauch anfhoreii zu
steigen? Wanii wird der Schnee weggehen? Wann bliihen
die Ban me?
Wielange werden die Kinder auf dem Eise bleiben?
Wie lange bleibt der Schnee lieg-en? Wie lange wird der
Knabe den Ball rollen?
Des Grundes: W a r u in hat die Frau selbst IIolz geholt ? Warnm
fiittert die Fran die Vogel? Warum hat <lie Fran
Feuer angemaeht? Waruni hat der Kuabe die
Hiinde in der Tasehe?
Des Z we ekes: W o z u dient der Besen? die Schaufel? der Schlit-
ten? die Schlittschuhe? die Bank? der Kiibel? das
Wohnhaus?
G r u p p e n.
Xach Beendigung der Vorbespreehnngen geheii wir znr Behandlung
der Gruppen tiber. Hier sollte sieh die Selbstbetatignng der Kinder noeh
inehr zeigen. als im Vorhergehenden. Da nnsere Zeit bemessen ist. iind
es zu weit fiihren wiirde, jede einzelne Gruppe Y.\\ besprechen, so will ich
nnr eine oder zwei heransgreifeii und einige Worte dariiber bemerken.
Eine den Kindern besonders ins Ange fallende Gruppe ist die, welehe den
Sehneemann veransehanlieht. Das Xachfolgende muss den Kindern in Fra-
gen dargeboten werden.
I. Gruppe: Der Sehneemann.
Hier sehen wir einen Sehneemann. Er ist aus Sehnee. Die Kinder ha-
ben ihn gemacht. Bei dem Sehneemaiine sehen wir drei Knaben und ein
Madchen. Die Knaben haben grosse Schneebiille gerollt; dann ha ben. sie
dieselben aufeinander gesetzt. Oben ist der Kopf des Sehneemannes; das
ist seine Brust; das sind die Arme, die Augen, die Xase, der Mund. Aber
die Beine fehlen; deshalb kann er nieht laiifen. Seine Augen und seiii
Mund haben eine sehwarze Farbe; sie sind aus Kohle. In den Arm haben
die Kinder dem Sehneemann einen grossen Stock sresteckt. Wenu der
Sehneemann fertig sein wird, dann sprechen die Kinder zn ihm:
,,Seht den Mann, o grosse Not"
IT. Gruppe: Die Not der Vogel.
Nun ist der Winter eingetroffen. Draussen ist es kait. Alle.-; ist mit
Sehnee bedeckt. Aueh auf den Feldern und in den Wiildern liegt der
Sehnee. Wir horen dort keine Vogel singen. Sie sind hi wiirmere Liinder
g-ezogen. Dort fallt kein Sehnee; dort gibt es keinen Winter. Dot finden
Leitfaden %um Unterricht nach Anschauungsbildern. 53
die Vogel Fliegen, Miicken, Kafer, Raupen und Frosche. Bei uns wiirden
sie im Winter keine Nahrung finden. Erst im Friihling kommen sie wie-
der.
JS'icht alle Vogel haben uns verlasseji. Auf dem Bilde sehen wir Sper-
linge utid Eaben. Wenn der Boclen mit Sehiiee bedeckt ist, finden diese
Vogel kein Futter. Sie leiden oft Hunger und grosse Not. Sie iiirchteh
fcich dann nicht mehr so sehr vor den Meiischen; sie werden zahm. Wenn
die Hiihner gefiittert werden, kommen die Spatzen gern auf die Futter-
pliitze. (iute Leute lassen sie gerne mitpicken. Gute Kinder sammeln
Brotkriimehen und Korner. Dann offnen sie das Fenster und streuen das
.Flitter hinaus. Die Vogel clanken den Kindern und zwitschern. Die Kinder
:'rcuen sich iiber die Vogel. Wenn die Kinder im Winter die Vogel futtern,
sind sie gut und wohltatig-. Audi wir sollen wohltiitig sein. Wir sollen
den hungrigen Voglein im Winter Futter streuen. Dafiir singen sie fiir
uns im Sommer.
Gedi elite, Avelche bei dieser Gruppe zur Ver \vendung kommen konnen,
sind:
.,Was ist das fiir ein Bettelmann?"
ferner:
..An das Fenster klopft es, pick, pick!"
Ebenso lassen sich folgende Gruppen behandeln:
III. Gruppe: Die Schlittschuhlaufer.
Gedichtchen:
Michel auf dem Eise.
^lichel wollte Schlittschuhiaufen lernen gehn,
Juchhe! juchhe!
Liess sich auf dem blanken Eise sehn,
He didel duin dc!
,,Mut gefasst! Jetzt schwenk' ich mich herum, herurn!"
Juchhe! juchhe!
Hat es kaum gedacht, da fallt er tun,
He didel dum de!
I nd er stehet auf: ,,Der Anfang ist gemacht!"
Juchhe! juchhe!
Und er purzelt wieder, dass es kracht,
He didel dum de!
Oft noch fallt er, stehet immer wieder auf,
Juchhe! juchhe!
Endlich lernt er doch den Schlittschxihlauf,
He didel dum de!
Aller Anfang ist ja schwer — wer das nicht weiss,
Juchhe! juchhe!
"Ki, der bleibe lieber von dem Eis, .
He didel dum de!
(Hoffmann v. Fallersleben.)
JV. Gruppe: Die Schlittenfahrt.
Gedicht: Schlittenritt.
Auf dem Schlitten, auf dem Schlitten
Sind wir heute froh geritten,
Sind geritten stolz und munter
Von dem Berg ins Tal hinunter.
54 Padagogische Monatshefte.
Abwarts sind \vir rasch gefiogen,
Aufwiirts haben wir gezct'en
An dem Stricke unsern Gaul;
Aufwiirts war er itnmer faul.
Aber abwarts ihn zu lenken,
Schon'res liisst sich gar nicht denken!
Und, \venn wir gestiirzt zuweilen,
Gab's doch keine schlimmen Beulen
(Wiener Lesebuch.)
V. ( iruppe W o h n h a n s u n d M ii h 1 e.
Lied:
Es klappert die Miihle
VI. Gruppe: Der Wald im Winter.
VII. Gruppe: Die arme Frau.
Zum Schlusse mochte ich noch bemerken, dass es wohl jedem von nns
zweifellos einleuchten wird, dass natiirlich der Lehrer den grossten Erfolg
in diesem Unterrichtszweige haben wird, der die Sache fiir die Kinder am
interessantesten zu gestalten weiss Ein Lehrer, der kalt und steif die
Fragen vorlegt, wird die Kinder nur wenig fiir seine Sache erwarmen.
Nichts wirkt deprimierender auf den Geist der Schiiler, als die Pedanterie
des Lehrers. Lebhaftigkeit, Freundlichkeit und Herabsteigen auf den
kindlichen Standpunkt, — das heisst mit den Kindern Kind sein, ohne kin-
disch zu sein, — wird sie ganz unwillkiirlich mit fortreissen, und wo das
Interesse einmal geweckt ist, kann der Erfolg nicht ausbleiben. Zu guteni
Erfolge ist jedoch griindliche Vorbereitung unumganglich notvvendig. Ein
guter Plan ist es, jede Woche ein kleines Programm auszuarbeiten, w^el-
ches das tiiglich dnrchzunehmende Pensum fiir jede Klasse enthal*. Sicher
ist, dass die geringe, damit verkniipfte Arbeit auch reichlich ihre guten
Friichte tragen wird.
Berichte und Notizen.
I. Der 43. Nationale Lehrertag zu Boston.
(Fur die Padagogischen flonatshefte.)
Von B. A. Abrams, ^filwa.ukee, Wis.
(Fortsetzung.)
Der achte Juli bezeichnet den Hohepunkt der Tiitigkeit des Lehrer-
tages. Elf Versainmhingen, zweiundachtzig Vortrage und ebensoviele
kiirzere Ansprachen. Beim Durchblattern meines Xotizbuches finde ich
folgende Eintragung fiir diesen Tag: ,,Hitze unertraglich; Versammlungen
weniger gut besucht. Die stolzen Paliiste der Bostoner Geld- und Geburts-
aristokratie offnen Tiir und Tor zum gastlichen Empfange der besuchen-
den Lehrer. Festlichkeiten, Bankette, Ausfliige, Empfihige in Htille und
Fiille. — Etwa zweitausend Personen wohnten der Abendversammlung in
..Mechanics Hall" bei. Vier Redner beleuchteten von jedem Gesichtspunkte
das auf der Tagesordnung stehende Thema: Schulgarteii, Spielpltitze und
Der 43. Nationale Lebrertag %it Boston. 55
die Umgebung der Landschulen. Herr Orville T. Bright von Chicago war
der erste Refiner. Er driickte sein Bedauern dariiber aus, (lass iler Schul-
unterricht das Leben auf der ..Farm" nicht beriicksichtige. Man fiille die
Kopfe der Schulkinder auf dem Lande njit Kenntnissen fiber Bankweseii,
Aktien. T'fandscheinen, Diskontoberechnungen und mit Rechenoperatio-
nen, die ausserhalb des Schulhauses nie vorkommen. Es sei an der Zeit,
diesem Verfahren Halt zu gebieten. Die Aussichten auf Gliiek und Frei-
iieit. auf Wohlstand, Unabhiingigkeit und \Viirde und Schonheit der Arbeit,
welehe mit dem Landleben so innig verbunden siud. sollten in den Land-
schulen veranschaulicht werden. Man fiille den Lehrplan mit. Lernstoffen,
die auf das Landleben Bezug nehinen, und setze die Geschaftstransaktio-
nen der Stadt in den verdienten Uuhestand. Meiner Meinung naeh stellt
Herr Bright zu weitgehende Forderungen. Stadt und Land. Kaufmann und
Bauer, Ackerbau und Vertrieb stehen heute in so enger Wechselver-
bindung, dass der von dem Chieagoer Schulmann vorgeschlagene arka-
disehe Lehrplan als zu einseitig und mangelhaft verworfen werden muss.
Man soil das eine tun und das andere nicht lassen. Riickhaltslos darf man
jedoch den folgenden Satzen beipflichten: Stadte, die sich, wie in New
York, willig unter das Joch Tammany's beugen, oder, wie in Philadelphia,
sich einen Diktator Quay gef alien lassen, vergeuden in e i n e in Jahre
Smnmen, die den Bedarf an Schulhausern reichlich decken wiirden. Die
I'mgebung des Schulhauses sollte eine bestandige Anschauungslektion
t'iir den Distrikt sein, in dem das Schulhaus liegt. Blumen und Ranken,
Baume und Biische sollten durch Schonheit, Zierlichkeit, geschmackvolle
Ordnung und sorgfaltige Pflege das Schonheitsgefiihl wecken und niihren.
Die Fahigkeit, das Scheme wiirdigen /u konuen, sollte den Kindern durch
•len Lehrer ebenso gut iibermittelt werden, als die Fertigkeit des Buch-
stabierens und des Rechnens. Was man in Schweden, Deutschland und
Oesterreich tut. kann auch in unserem Lande erreicht werden. Herrn
Bright folgte als /weiter Redner Herr Henry L. Clapp von Boston. Die
Stadtkinder. sagte er, haben wenig Verantwortlichkeit und \\enig Gelegcn-
heit zur Haudarbeit. Die Korpertibung durch produktive Tatigkeit fehlt
ihnen. dafiir bieten die unproduktiven Bewegungen und Ubungen im Klas-
seiv/.i miner wenig Ersatz. Er befiirwortet die Einfiihrung von Schulgiirtfii
fiir die Schiiler der Stadtschulen. Gelegeuheit zur Gewohnung an Pfl;chl
erfiillung. schnelle Initiative und ubung aller Muskeln, die der I'tit'.Lit *»*••
diirfen, seien die Vorteile, welche der Schulgarten bietet. Auf den gL'icfceu
'!'<»]! waren dit> Ansprachen der letzten Jfedner, der Herren Skin no* Von
Albany. N. Y., und Stetson von Maine gestimmt
lu enger Yerbindung mit dem Gedankengange der vier \Tor1riige in der
..Mechanics Hall", steht der an demselben Tage im grosscn Saalr ilt-s
Bibliothekgel)iiiides gehaltene illustrierie Yortrag iiber ..Ausschmiickung
der Schulsiile". Der bekannte Fachmann auf diesem Gebietc. .1. JJandolph
Coolidge .Jr.. von Boston, war der Yortragende, und eiue Zohorerschaft,
fiir welche der geriiumige Saal sich als zu klein erwies, folgte mit lebhaf-
tem Interesse seinen durch zahlreiche Lichtbilder erliiuterten Ausfiihrun-
gen iil)«-r Karl)enharmonie und Wahl von 15ihlern und Skulpturen fiir die
verschi*'denen Altersstufen der Schulkinder. Eine interessaute Sit/ung
fand am Xachmiltage des vorletzten Tages im Kunstnuiseum der Harvard
rniversitiit statt. Die Professoren Sumichrast von Harvard und Cusachs
\on Annapolis befiirworteten die Yerwendung von Sprechmaschinen beim
Unterricht in den modernen Sprachen. Prof, Cusachs, Lehrer der moder-
56 P&dagogische Monatshefte.
nen Sprachen an cler Seekadettenschule zu Annapolis, erkliirte das von ihna
in der genannten Anstalt angewandte System. Die Sprechmaschine, die
nie ermiide, stets bereit sei, deiii Lernenden jeden Lant in unveriinderter
Farbting vorzusprechen, sei das vorziiglichste Hilfsmittel, das deiu Sprach-
lehrer zur Verfiigung stehe.
AVas in dem auf dem Erier Lehrertage gehaltenen Yortrage iiber die
Jiealien des Sprachunterrichts und in ehiem in der Oktobernummer der
..P. M. Hefte" veroft'entlichten Anfsatze zum Ausdrucke kam, bildete auch
den Gedankengang der von Prof. Sumichrast gehaltenen Ansprache: Der
Sprachlehrer soil den Lernenden iin Geiste in das Land fiihren, desst-n
Sprache er lehre. Der Schiiler lerne die Geschichte, die Sittt-u. Gebriiuche
n nd Anschauungen des Volkes kennen, dessen Sprache er sieh anzueigneii
bemiiht ist. — Meine Anfzeichnungen sind erschiipft. In ubereinsthnmimg
mit ineiner Absicht, nur dariiber z\i berichten, was ich gehiirt nnd »v-
sehen, mnss ich die Leser der P. M. Hefte, denen an einem planvoll geord-
neten erschcipfenden Berichte der Yerhandlungeii gelegen ist, anf das bald
zu erwartende Jahrbnch des Lehrerbundes verweisen. Die am letzten Tage
zur Annahme gelangte Prinzipienerkliirung unterschied sich weiiig von den
auf friiheren Tagungen gefassten Beschliissen; das Heer der Besucher
schwelgt wohl heute noch in der Erinnerung an die Bostoner Tage, viele
der in der alten Baysladt empfangeiien Eindriicke sind seitdem wohl in
der Geographic- und Geschk-htsstunde erspriesslich verwertet worden, und
Boston sonnt sich in dem stolzen Gefiihl, den 43. Lehrertag zu einem denk-
wiirdigen Ereignis gestaltet zu haben. Die Weltausstellungsstadt, St.
Louis, wurde als Tagungsort der ntichstjahrigen Versammlung erkoren.
II. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Baltimore. lande weilen, ein, sich an diesem
B a 1 1 i m o r e r B 1 u m e n s p i e- Dichterwettkampf zu beteiligen, und
le 1904. — Im kommenden Lenz wird stellt die folgenden Aufgaben:
Baltimore, wird Amerika seine Blu- i_ Ejn Liebesgedicht.
inenspiele haben. Und wenn der Ruf, 2 Gedicht zum preise des
den der hiesige ..Germama Club an Deutschtums
die deutschamerikanischen Dichter 3 Gedleht aus der Geschichte der
ergehen lasst, Anklang hndet, so ist Deutschen in Amerika.
die Einfuhrung der Blumenspiele in 4 Huinoristisches (nicht karneva-
Amerika auf die Dauer gesichert. listisches) Gedicht.
Der Euf lautet, wie folgi : 5 Xovelle in Versen oder Ballade.
..Cteleitet von dem \\ unsche, die _ . , ,
' 6- ^'
Form der altehrwiirdigen Blumen- 1. Frische Blumen in it einer
spiele zu veranstalten, die iui 14. renschleife fiir den Verfasser
.Tahrhundert in der Provence ent- des besten Liebesgedichtes.
standen und neuerdings in Barcelo- Derselbe hat ausserdem das
na, Zaragoza und durch Dr. Job. Eecht, die Blumenkomgm zu
Fastenrath in Koln am Bhein wieder ernennen, mit Kranz
aufgelebt sind. schmiicken und zum Trone zv
Der ..Germaiiia-Club" ladet alle in geleiten. 1st der Sieger eine
den Yereinigten Staaten lebenden Dame, so wird sie selbst Blu-
deutschen Dichter und solche ame- menkonigin.
rikanische Burger, welche im Aus- 2. Goldene Medaille, gestiftet von
Karresponden^en.
Rechtsanwalt L. P. Hennig-
hausen, Baltimore.
3. Ein silberner Pokal, gestiftet
von Ingenieur Fritz Mayer,
Baltimore.
4. Ein silberner Becher, gestiftet
vom Washingtoner Dichter-
Bund.
5. E^n Schreibzeug mit \\id-
mungsplatte, gestiftet von In-
genieur Dr. Ernst Henrici, Bal-
timore.
6. Ein silberner Dolch zum Brief-
falzen, gestiftet von der ,,Ge-
sellschaft fiir deutsche Litera-
tur und Kunst" zu Baltimore.
Ks stehen noch weitere Preise in
Aussie-lit, welche als zweite Preise
geyeben werdeii sullen. Ausserdem
soil tiichtigen Leistnngen eine ,.eh-
p-en voile Erwiihniing'' und Diploin
dariiber zu teil werden.
Bedingnngen fiir die B e-
w e r b n n g.
Die Dichter miissen entweder in
den Vereinigten Staaten leben oder
auswiirts lebende amerikanische
P>iirger sein.
Keine der einzusendenden Arbei-
ten darf schon gedruckt oder offent-
lich vorgelesen sein.
Alle Gedichte, mit Ausnahme des
humoristischen, miissen in hocli-
deutscher Spraehe abgefasst sein;
fiir lunnoristische sollen Dialekte
rugelassen werden.
Jeder Dichter darf sich um alle
ausiresetzten Preise bewerben, je-
doch nur mit je einer Arbeit fiir jede
A u f gabe.
Die Arbeiten diirfen nicht den Na-
men des Verfassers tragen, sondern
t>in Kennwort; einer jeden ist ein
iri'srhlossener Brief umschlag beizu-
Vii»vn, welcher als Aufschrift das-
seibe Kennwort (z. B. Titel der
Dichtnng) triigt, nnd innen den Na-
men nnd Wo'hiiort des Verfassers
enthalt.
Die Arbeiten sollen dentlich nnd
worn moglich auf der Schreibma-
schine geschriebeii sein, tind spti-
testens bis z n in 15. Febrnar
THU eingesendet werden an den Se-
kretsir der Baltimorer Blnmenspiele,
Dr. Ernst Henrici, Balti-
more, Md., 705 Portland-Sir."
Sieben Preisrichter werden \ir-
tfiic-n — sieben Richter. wie einst im
,l;ihre 1323 sieben Troubadours die
frohen Spiele stifteten. Und die
sieben Richter sind keineswegs ein-
>fitig Literaten. sondern gehoren so
ziemlich alien Berufszweigen an. so
class die Dichter keine Einseitigkeit
des Urteils zu fiirchten brauchen: da
ist der Fachprofessor der dentschen
Literatur an der Johns Hopkins
Universitat, der Redakteur einer
grossen dentschen Zeitnng, welcher,
ein ehemaliger Kollege nnseres un-
vergesslichen Emil Dapprich, zu-
gleich ein tiichtiger Schulmaiiu ist,
ein Ingenieur, ein Theologe, ein Pro-
fessor der Naturwissenschaften nnd
zwei Herren aus dem hiiheren Havi-
delsstande — also Vertreter der
Hauptrichtnngen der Knltur.
Sobald die Preisrichter ihre Ar-
beit vollendet haben. werden sie sich
mit dem Vorstaiul des Germania-
Clubs nnd dem Komitee der Blumen-
spiele zu einer Sitznng vereinigen
nnd durch Eroffnen der Briefum-
schlage die Nainen der Sieger fcst-
stellen. Nichtgekronte Arbeiten
w-erden, wenn sie von grosserem
Umfange sind, auf besonderes Ver-
langen den Verfassern zuriickg-e-
sandt.
Die Feier der Blnmenspiele soil
dann Mitte April in hiesiger Stadt
A'or sich gehen, die Sieger werden
dabei besonders willkommen ge-
heissen, nni aus den HUnden der
Blnmenkonigin ihre Preise in Em-
pfang zu nehmen. Die preisgekron-
ten Arbeiten, mit Ausnahme der all-
zn langen, \verden bei dieser Gele-
genheit feierlich vorgetragen wt-r-
den. Der Germania-Club behiilt sich
das Recht vor, die preisgekronten
und ehrenvoll erwiihnten Arbeiten
zii veroffentlichen, ohne dass da-
durch den Verfassern das Recht an-
der\Veitiger Veroffentlichung be-
schrankt werden soil.
So ist denn der \Vunsch. der durch
das im vergangenen Maimonat hier
abgehaltene Dichtertournier rege
geworden, iind woriiber seinerzeit in
diesen Spalten eingehend berichtet
wurde, der Erfiillung niiher gekom-
men. Nun mogen im ernst-friihlichen
Wettkampf die deutschamerikani-
sclien Dichter ihre Schuldigkeit tun
- nnd dann das Publikinn. ..Der
Xachtigallen, der sind viel!' siiiiz't
ein altdentscher Dichter; auch im
Lehrerbnnd sind solcho. wir h off en,
sie beim Blnmenspiel zu horen. Es
ist kein Spiel, sondern eine deutsche
Kulturtat. s-
Cincinnati.
TJ n s e r e n e u e S c h n 1 1 e i -
tung lasst sich sehr gut an. ^"ill
sagen: Seit Dr. John B. Peasleafl
Zeit, also seit nahezu -/wanzig Jah-
ren.'ging es nicht so glatt nnd rnhig,
(hibe'i iiiiirtMiscluMiilich ebenso er-
Iriiylich wie ertragsreich fiir allo ^'.^'-
teiligten in unserem Schulwesen, wie
58
Piidagogische Monatshefte.
dies jetzt unter dem neuen Superin-
tendenten der Fall ist. Selbst ein
sehr ruhiger, besonnener und um-
sichtiger Mann, flosst er nach alien
Seiten Yertraxien ein und belebt das
nachgerade abhanden gekoniniene
Selbstvertrauen wieder, ohne welches
von erspriesslicher Lehrtiitigkeit nur
sehr ausnahmsweise die Rede sein
kann. ,,Xene Besen kehren gut", ist
ja ,.ein altes, ein tiiehtiges Wort",
um mit Goethe zu reden; ich halte
aber dafiir, dass auch ,,so fort" ge-
kehrt werden wird, and dass die Zei-
ten des nimmer ruhenden „ Worry"
in unseren bchulen zum Dagewese-
iien gehoren. t
Aller Augen sind jetzt nach Co-
lumbus gewandt und \varten der
Dinge, die da in der eben zusammen-
getretenen Staats - Legisla-
t u r zur Ausheckung gelangen wer-
den. Als namlich vor zwei Jahren
die Gesetze des Staates Ohio einer
Revision unterzogen und besonders
die stadtischen Yerwaltungeu mit
allerlei, fiir notwendig und heilsam
eraehteten Xeuerungen bedacht
wurden. da liess man im Unterrichts-
wesen so ziemlich Fiinf gerade sein
und das Meiste beim Alten. Jetzt
aber haben die Gerichte erklart, dass
nach dem Wortlaute der revidierten
Verfassung die Schulverwaltung im
ganzen Staate einheitlich zu gestal-
ten sei. Und damit hat sich nun die
Legislattir in der niichsten Zeit zu
be.schaftigen. Das meiste Tnteresse
wird den zu erwartenden Be-
stimmungen, betrefPend die Zusam-
mensetzung und Errichtung der Yer-
waltungsbehorden, vulgo Schidrate,
entgegengebfacht.« Und mit Recht.
H'singt doch von diesen Behcirden ein-
fach der ganze Handel und Wandel.
das Wohl und Wehe jeder einzelnen
Schule im Staate ab. Zweierlei An-
sichten, zwei Stromungen sind es,
die 'da sich gel tend machen. Die
eine geht dahin. dass keiue Anderung
darin gemacht werden soil: Die
stimmberechtigten Biirger sollen
nach wie vor, nach Wards in den
Stiidten und nach Distrikten in den
Townships, so viele Mitglieder in die
Schulbehorde wiihlen. ein-. zwei-,
dreijiihrig, je nachdem. als Wards,
bezw. Distrikte vorhanden sind. Die
andere Ansicht begiinstigt kleine,
von den Burgermeistei'n in Stiidten
und irgend einem hoheren Beamten
in Townships zu besetzenden SchuJ-
rate. Hier in Cincinnati machen die
Verfechter der ersten Ansicht gel-
tend, eine aus nur einigenMitgliedern
bestehende oberste Schulbehorde
konnte viel leichter dem deutschen
Unterrichte in den offent lichen
Schulen etwas anhaben, als die
jetzige vielkopfige Behorde, deren
Mitglieder in vielen Wards jetzt aiii
Erwtihluno- gar nicht rechnen kon-
nen, wenn sie nicht Freunde des
deutschen Unterrichts sind. Da hat
sich eine dritte Ansicht Bahn gebro-
chen, die dahin geht, eine kleine von
alien Biirgern ..at large" zu erwiih-
lende Behorde sei alien anderen mtig-
lichen imd unmoglichen vorzuziehen.
Xun, die Legislatur tut schliesslich
das. was sie will, oder wozu sie sich
bestimmen liisst. Jeder Denkende
aber wird sich wohl dariiber klar
sein, dass, wie immer auch die Rate
eingesetzt werden, es vor allem da-
rauf ankommt, dass die stimmenden
Biirger willens und imstande sind,
den unumstosslich wahren Grund-
satz zur Geltung zu bringen, wonach
die Parteipolitik keinen Einfluss in
Schulsachen ausiiben sollte. Da
wird eben nach wie vor der Haken
sitzen!
..V on einer g r o s s e n
F u r c h t sind w i r b e f r e i t ! "
komien die Cincinnatier Abiturienten
des Milwaukeer Seminars sowohl,
wie aller anderen, als solche aner-
kannten ,,Xormalschulen" seit eini-
gen Tagen sagen. da man ihnen mit-
geteilt hat, dass ihre Lehrerdiplome
von dort fortan, beziiglich Anstel-
lung als Lehrer an unseren Schulen,
hier dasselbe Ansehen geniessen sol-
len wie die an der hiesigen Xormal-
schule erworbenen, und dass fiir sie
die Xotwendigkeit. erst 300 Tage
lang ..Schul-Kadett" zu sein. nicht
mehr existiert. Das ist nicht mehr
wie billig.
Es ist wohl uicht notig. an dieser
Stelle zu betonen, welchen Eindruck
die T r a u e r n a c h r i c h t von
Dapprichs A b 1 e b e n in alien
deutschen lyreisen hervorgerufen
hat, und zu ersviihnen, dass vor allem
die deiitschen Lehrer- und Turnver-
eine dadurch zu offiziellen Kundge-
bungen sich veranlasst sahen.
Auch \vir beklagen das sehon im
Xovember erfolgte Dahinscheiden
eines allerseits beliebten Kollegeii,
des Herrn K a s p e r G r o m e. des-
sen man sich auch in weiteren
deutschen Lehrerkreisen von Leh-
rertagen her wohl erinnern wird. Der
ebenso hochgebildete wie joviale
..gute Kamerad" litt seit einer Reihe
von Jahren schwer an Rheumatismus
und wurcle dadurch schon seit einer
betrachtlichen Zeit an der Ausiibung
seines Berufes verhindert. bis zu-
letzt auch dieser eiserne Korper den
Umschau.
59
furchtbaren Leiden erliegen musste.
VVir werden des braven Mannes ge-
wiss irnmer mit Liebe gedenken.
Xur wenige Tage nach Gromes
Tode feierte der Deutsche L e h-
rerverein von Cicinnati, in
dem er zweimal das Presidium ge-
fiihrt hat, den fiinfzehnten Jahres-
tag seiner Griindung durch ein Ban-
kett und gemiitliches Zusammen-
sein. Der Verein hat sich im La life
der Jahre zu einer der grossten der
zahlreichen hier bestehenden deut-
schen Vereinigungen emporge-
schwungen. Er zahlt heute nahezu
dreihundert Mitglieder, worunter
sich gebildete Deutsche aus alien
Standen befinden, und noch ist da
das letzte Wort nicht gesprochen
III. Umschau.
Vom Lehrerseniinar zu
M i 1 w a u k<? e. Der Verwaltungs-
rat des Nationalen Deutschamerika-
nischen Lehrerseminars hat am 6.
Dezember Herrn Max Griebsch
/inn Xachfolger des verstorbenen
Direktors Emil Dapprich gewiihlt.
Der ..Milwaukee Herold" vom 12.
Dezember berichtete iiber den Le-
benslauf des Herrn Griebsch wie
folgt:
..Herr Max Griebsch wurde vor 42
Jahren geboren zu Zduny in der Pro-
vinz Posen. Er besuchte die Biirger-
schule seines Heimatsstiidtchens und
spiiter das Gymnasium der Kreis-
stadt Krotoschin. Seine berufliche
Ausbildung erhielt er in dem Lehrer-
seminar zu Bunzlau in Schlesien. Zu-
erst unterrichtete er in mehreren
Schulen im schlesischen Riesenge-
birge und kam im Jahre 1890 nach
Amerika. In Cincinnati fand er An-
stellung an den ciffentlichen Schulen
und wurde nach dreijahriger Tiitig-
keit daselbst im Jahre 1893 von Di-
rektor Emil Dapprich an das Xatio-
nale Deutschamerikanische Lehrer-
seminar und die D.-E. Akademie be-
rufen, wo er seitdem ununterbrochen
liitig war.
Herr Griebsch nahm tiitigen An-
teil an der Entwickehing des ameri-
kanischen Schulwesens, besonders
sowcit der devtsche Unterricht in
I'.ctracht kommt. Seit dem Jahre
1891 war er regelmassiger Besucher
der Yersammlungen des Deutsch-
amerikanischen Lehrerbundes, und
(lessen Sekretiir von 1893 bis 1897.
Seine Vortriige vor den Lehrerta<ren
in Louisville und Buffalo iiber
..Herbert und seine Schule" und
in Cincinnati iiber ..Selbsttiilifr-
keit im deutschen I'nterricht" wur-
den mit grosstem Interesse von sei-
ifii der Lehrerschaft aufgenommen.
1m Jahre 1899 wurde er Redakteur
der dainals von der Herold Co. nach
dem Eingehen der ..Erziehunsrsbliit-
ter" gegriindeten Zeitschrift fiir das
dentschamerikanische Schulwesen,
der ,,Piidagogischen Monatshefte",
und trat in denselben unentwegt fiir
eine verniinftige, im Sinne humani-
stischer Prinzipien geleitete Erzie-
hung ein."
Herr Griebsch ist wahrend seiner
zehnjiihrigen Tatigkeit an Seminar
und Schule mit den Freuden und Lei-
den der beiden Anstalten innig ver-
wachsen. Er kennt Ziele und Bediirf-
nisse beider, und es steht zu erwar-
ten, dass er durch sein bekanntes
wiirdiges Auftreten und feinen
Takt. und durch seine padagogische
Erfahrung die Leistungsfiihigkeit
und den guten Ruf der ihm nunmehr
anvertrauten Lehranstalten erhalten
und fester begriinclen wird.
Am letzten Schultage vor den
\Veihnachtsferien wurde den Zoglin-
gen des Lehrerseminars zum ersten
Male in diesem Schuljahre e i n
Z e u g n i s iiber Fleiss und Betra-
gen und iiber die Leistungen in den
einzelnen Fachern eingehandigt,
nachdem eine Woche vorher eine
Priifung im englischen und deut-
schen Aufsatz stattgefunden hatte.
Es ist erfreulich, berichten zu kiin-
nen, dass Fleiss und Betragen aller
Zb'glinge zu keiner ernstlichen Klage
Veranlassung gegeben haben und
dass irgendwelche A'erstiisse gegen
die Disziplin im ganzen Seminar
nicht vorgekommen sind.
Am 22. Dezember hielten die Zoir-
linge des Lehrerseminars in der Mu-
sikhalle des Seminargebaudes einen
literarischen Abend ab. bei
dem neben musikalischen und dekla-
matorischen Vdrtriigen auch eine
Debatte iiber die nachteiligen oder
giinstigen Folgen der Kreu/ziige /nm
Austrair gebracht wurde. Herr Otto
Greubel fiihrte die Redner anf der
bejahenden Seite und Frl. Gretel
Schenk diejenigen auf der verneinen-
den Seite mit Geschick und \Viirnn-
an.
Mit dem .\7ifang des neuen Jahres
ist Herr John E i s e 1 in e i e r in
den Lehrkorper des Lehrerseminars
60
Padagogiscfie Monatskefte.
und seiner Musterschule eingetreten.
Herr Eiselmeier hat den Unterricht
in U. S. History, Geography, Weltge-
schichte, Geschichte der Padagogik,
und einen Teil des Deutschunter-
richts ubernommen. Herr E. ge-
niesst einen gnten Ruf als liebens-
wiirdiger Kollege und als tiichtiger
vScluilmeister: er ist aussedem
dureh den Eit'er. mit dem er erziehe-
risehe Fragen verfolgt. \md durch
den heiligen Ernst, mit dem er eine
gerechte Sache in Wort und Schrift
\erhcht, in den Lehrerkreisen St.
Pauls und Milwaukee* loblich be-
kannt geworden. Moge auch seine
Tatigkeit dem Seminar und der Aka-
demie viel Segen bringen! P.O.
Die X. E, A. h a 1 t i h r e n ii c h-
s t e J a h r e s v e r s a m in 1 u n g in
der Ausstellungsstadt St. Louis ab.
Das Datum ist noch nicht bestimmt.
Da in den K 1 a s s e n u 11-
serer Volksschulen oft
so v i e 1 e Kinder s i t z e n,
dass die Lehrerin einfach nicht mehr
weiss, was sie ..damit anfangen" soil,
so ist der Schulsuperintendent Keii-
7iedv in B a t a v i a im Staate New
York auf den (iedanken gekommen,
jede Volksschulklusse unter die Ob-
hut von / w e i Lehrerinnen zu stel-
len. iJie eine L?hrerin erteilt den
eigentlichen Unterricht. die andere
individualisiert, d. h. sie geht von
Bank zu Bank, urn dem Schiiler bei
der Vorbereitung auf die nachste
Lektion /u helfen. Herr Kennedy
hat die Xeuerung fiinf Jahre lang
oepriift. und sein Plan hat sich
selbstverstandlich bewiihrt! Was
wird der nachste Schritt in der Evo-
lution der amerikanischen Volks-
schule sein?
A,uch hierzulande erschallt jetzt
bald hier, bald dort eine Stimme, die
auf B e s e i t i g u n g des X a c h-
•m i t t a g s u n t e r r i c h t s in den
Volksschulen zielt. In einem Yor-
trage vor einem literarischen Klub
Milwaukees iiber das Thema ..War-
urn die Geisteskraft versagt" be-
hauptete jiingst Dr. Walter Kemp-
ster. ein b'ekannter Xervenarzt, dass
viele Krankheiten des Xervensystenis
unter uns Amerikanern von der
ijberarbeitung in den Schulen her-
ruhrten, und dass solch iible Folgen
der Schularbeit vermieden wiirden,
•\venn die Anzahl der Schulstunden
fiir Kinder unter 16 Jahren auf
taglich vier herabgesetzt werde.
Dr. Harper von der Universitat
Chicago sagte neulich vor einer Ver-
samlung von Hochschulprinzipa-
len: ,,Tn zehn Jahren werdpn die
Hochschulen (high schools) des gan-
zen Landes ein fiinf tes und sechstes
Jahr ihrem Lehrkursus hinzugefiigt
haben. und sie werden hann die Ar-
beit leisten, die jetzt den ersten bei-
den Jahren des ,. College" zxifiillt. Die
Universitateri von Michigan, imd
Minnesota anerkennen bereits jetzt
die Leistungen niancher Hochschulen
fiir das erste Jahr des , .College". Ich
zweifle nicht daran, dass in Zukunft
die Hochschulen die Arbeit des
,,C'ollege" iibernehmen werden."
Einen Fall von S c h u 1-
t y r a n n e i erziihlt die ,,Educatio-
nal Ueview" in der Dezember-Num-
mer. Am 24. Juni erhielten elf aus
21 Lehrerinnen eines kleinen Stiidt-
chens in Connecticut, 25 Meileii von
der Stadt New York entrernt, die
Mitteihmg. dass sie entlassen seien.
Aus welchem Grunde? Ein neuer
Schulrat war vor vier Wochen ge-
w^ahlt worden, der nur d r e i der
vom vorangegangenen Schulrat er-
nannten Lehrerinnen in ihren Stel-
lungen Hess.
S c h u 1 b e s uchsverhalt-
11 i s s e in P r e u s s e 11 nach der
neuesteii Statistik. Die Normalzah-
len fiir die Besuch.sverhaltnisse in
den einzelnen Klassen sind bis auf
die der Halbtagsschulen die gleicheii
geblieben. Bei diesen letzteren ist
die Normalzahl 70 ouf 60 heruiiterge-
setzt worden. Es vvurden unter nor-
malen Verhaltnissen unterrichtet (d.
h. bis 80 Schulkinder in der Klasse
bei einklassigen Schulen, bis 60
Schulkinder in der Klasse bei Halb-
tagsschulen, bis 70 Kinder in der
Klasse bei sonstigen zwei- und mehr-
klassigen Schulen) in den Stlidten
1896: 1.340.767 Kinder in 24,584 Klas-
sen, 1901: 1.684,334 Kinder in 31,558
Klassen, »auf dem Lande 1896:
2,505.534 Kinder in 50.252 Klassen,
1901: 2.730.614 Kinder in 56.397 Klas-
sen. iiberhaupt 1896: 3,846,301 Kin-
der in 74.836 Klassen, 1901: 4,414,948
Kinder in 87,955 Klassen.
Xach einer Mitteihmg der ,,Bliit-
ter f. d. Schulpraxis" erfreuen sich
die deutschen Schulen im
Auslande nicht nur der mate-
riellen Unterstiitzung des Deutschen
Reichs.sondern auch der bestiindigen
Fiirsorge in schultechnischer Be-
ziehung. So sind schon bliihende
Schulanstalten in Konstantiiiopel,
Bukarest, Briissel, Antwerpen vor-
handen. die der regelmiissiiren Be-
aufsichtigung der preussischen
Schulverwaltung unterstehen, und
an einzelnen dieser Anstalten wird
an Ort und Stelle die Priifung fiir
Vermischtes.
61
den einjahrig-freiwilligen , Militjir-
dieiist unter Aufsicht eines dorthin
entsendeten Sehulkomniissars vorge-
nominen. Wie die MNat.-Ztgy" hort,
hat jetzt auch die deutsche Schule
in Mailand uin eine ilhnliche Revision
gebeten, die demnachst der Geh. Re-
gierungsrat Dr. Matthias, vortragen-
der Eat in der Unterrichtsabteilung
des preussischenKultusministeriums,
vornehmen wird. Welchen Wert die
deutsche Reichsregierung auf die
Pflege dentscher Bildung und deut-
scher Schulen iin Auslanue legt, be-
weist der Umstand, dass bei dieser
(Jelegenheit Geh. Rat Dr. Matthias
vom Auswartigen Amt im Einver-
standnis mit dem preussischen Kul-
tusminister ersncht \vorderi 1st. auch
die dentschen Schulen in Gen ua, Flo-
rcn/. Rom und Venedig zu besuclien,
sie in schultechnischer Beziehuiig zu
priifen und, wenn notig, Vorschliige
zu ihrer Hebnng und Eorderung zu
ma die 11.
A us P r e u s s e n. E i n e b e-
1 r ii b e n d e S c h u 1 s t a t i s t i k,
die von der viel beklagteii uberfiil-
luug der Volksschulen und dem Leh-
rermangel handelt, wurde auf der
ji'mgst abgehaltenen Bezirkslehrer-
koufereiiz des Schulaufsichtskreises
Gostyn (Prov. Posen) zur Kenntnis
"ebracht. Danach werden in 118
Klassen 7146 Kinder von inir S7 Leh-
rern Tinterrichtet; 7 Lehrerstellen
sind aber noch unbesetzt. In 13
Tiilleii miissen weit mehr als 100
Kinder von einem Lehrer nnterrich-
1et werden. In Possadowo hat ein
Lehrer schon seit Jahren staiidig
iil>er 170 Kinder in seiner Klasse; in
/nlesic kommen zurzeit auf einen
Lehrer 160, in Ciolkowa 150, in Gra-
l)on op 144, in Altkrolen 13."). in Sul-
ko\vic;i I :::•>. in Zyohtewo 131, in Ro-
kossowo 137 Schiiltr. Was soil da
fiir die (lerinanisierungsarbeit her-
auskommeii? — In .den meisteii Fiil-
len siiid iibrigens auch nnr noeh
a I ic. baufallige Schulhiiuser vorhan-
den.
Berlin. uber die Ein-
\v i r k u 11 g- des Xachmittags-
Unterrichts in den hoheren
Schulen auf die Gesundheit der
Schiller sprach im Berliner Verein
fiir Schulgesundheitspflege Dr. Kor-
nlan-Leipzig. Wie der Referent mit-
teilte, betinden sich am Beginn des
Schuleintritts unter den Schiilern
nur 4 Prozent Blutarme. Aber am
Schluss des ersten Schuljahres ist
diese Zahl bereits auf 25 Prozent ge-
stiegen, bis schliesslich ein Drittel
aller Zoglirig-e zu den Blutarmeii ge-
rechnet werden mussen. Zur Be-
kampfung dieses ubelstandes em-
pfahl Dr. Korman die Beseitigung
des Xachmittags-Unterrichts. Wag-
ner-Darmstadt habe nachgewiesen,
dass nach dreistiindiger Pause 14
Prozent der Schiller von dem Vor-
mittags - Unterricht noch nicht vol-
lig erholt waren. Auch mache jeder
an sich selbst die Erfahrung, wie ge-
ring Arbeitskraft nnd Arbeitsfreu-
digkeit nach dem Mittagsmahl sind.
Die Knaben aber miissten sofort
x,um Xachmittags - Unterricht wie-
der aufbrechen. Der Gedanke daran
mache den Jinigen schon am Vormit-
tag liissig, wiihrend andrerseits die
Zuversicht, am Nachmittag frei zu
sein, den Schiller freudiger und so
seinen Geist elastischer stimme.
Dies alles wisse man ja selber noch
gut aus der eigenen Schulzeit. Da-
rum in den Grosssttidten zumal:
Fort mit dem Unterricht an den
Nachmittas-en. Zum Schluss ent-
wickelte Redner die Moglichkeit
hierzu an einem fimfstiindisren Un-
terrichtsplan. der seiner Meinung
nach alien Anforderungen der Hy-
giene entsprechen Aviirde. Danach
hiitte die Schule um halb 8 Uhr
more-ens zu beginnen, jede Lehr-
stunde ist auf 45 Minuten berechnet,
nach den beiden folgenden Stunden
haben Pausen von .ie 15 Minuten ein-
zutreten. Mittags 12 Uhr Schluss des
Unterrichts. Dann werde der grosse
hygienische Fortschritt erreicht
sein, den wir gerade dem heran-
wachsenden Geschlecht schulden.
IV. Vermischtes.
—-Unter der uberschrift ..Dent- hat Excellenz Studt ebcnfalls in
s c h e u b e r h o f 1 i c h k e i t" italienischer Sprache geantwortet,
schreibt der Diisseldorfer General- verrnutlich. weil er zcigen wollte,
anzeiifer vom 11. November 1003: dass man im Kultusministeriiini Ita-
...\nf ein in italienischer Sprache lienisch kann. und weil er befiirch-
abgefassles Telegrainm. in welchem tete. dass ein von einem deutscheii
der italienische Unterrichtsmiiiister Minister in deutscher Sprache ^ab-
beim Tode Mommsens dem preussi- cefasstes Danktelegramm in Rom
schen Kullusminister die Teilnahme nicht verstanden worden ware,
des gelehrten Italiens ausspriclit, italienische Minister hat aber ohne
Padagogische Monatshefte.
weiteres aiigenommen, class man im
Berliner Kultusministerium Italie-
nisch versteht. Wann wird encllich
diese uberhoflichkeit aufhoren, mit
cler unsere Behorden auf fremdspra-
chige Zuschriften ausliindischer Be-
hordeii nicht in der deutschen* son-
dern in der fremden Sprache ant-
worten, wiihrend es z. B. amerika-
nische Behorden, an welche von
hier aus hoflicherweise offizielle
Telegramme oder Zusehriften in
englischerSpraehe gerichtet \verden,
gar nieht einfiillt, diese Hoflichkeit
durch eine in deutscher Sprache ab-
gefasste Antwort zu erwidern? Fur
Montenegro oder Ungarn oder Siam
mag solcheGepflogenheit angebracht
sein, aber die deutsche Sprache 1st
eine Weltsprache."
- Unter dem Titel Vom geruhigeii
Leben hat Otto Ernst, der Ver-
fasser von ,,Flachsmann als Er-
zieher", kiirzlich einen neueii Sani-
nTelband seiner humoristischen
Skizzen erscheinen lassen. (Yerlag
von L. Staackmann in Leipzig, Preis
3 M.) Er enthiilt 11. a. zwei Beitrage,
die auch f iir den Padagogen und
Kinderpsychologen von hochstem
Reiz und Interesse sind. Wer fein-
sinnige und in poetisches Licht ge-
riickte Schilderungen des kindlichen
Seelenlebens lesen, so schreiben die
..Pad. Bl.", wer sich an unverfalsch-
ter Kindersprache ergotzen will, der
schlage die ,,Appelschnut"-Geschich-
ten Otto Ernsts auf. Er wird rei-
cheren Gewinn davon haben als von
dem Studium irgendeines theoreti-
schen Werkes iiber die Kinder-
psychologic.
- Ausgeriistet mit der doppelten
Autoritat des Sprachforschers und
Theologen hat zu dem Bab e 1-
Bibelstreite der Leipziger Ge-
lehrte Heinrich Zimmern das Wort
ergriffen. In seiner Broschiire Keil-
inschrift xind Bibel nach ihrem re-
ligionsgeschichtlichen Zusammen-
hange (Berlin, Reuther & Reichard,
1 M) will er ,,den weitesten Kreisen,
die nun einmal in diesen Streit hin-
eingezogen worden sind, die Mog-
lichkeit an die Hand geben. sich
selbst einigermassen * klar dariiber
zu werden, wieweit es sich bei die-
sem Streite \\m wirkliche urlcund-
liche Tatsachen handelt. und wie-
weit anderseits am blosse an diese
Tatsachen gekniipfte Kombinatio-
nen". Er kommt zu dem Ergebnis,
dass ein religionsgeschichtli^her
Zusammenhang zwischen den Keil-
inschriften iind dem Alten sowohl
wie dem Neuen Testament in ziem-
lich weitem Umfang anzuerkennen
ist.
- Uber die Nervositat der
Lehrer und Lehrerinnen
verbreitete sich auf dem im Septem-
ber in Kassel abgehaltenen 75.
deutschen Naturforscher- und Arzte-
tag Geh. San.-R. Wichmann-Harz-
burg. Auf Grund von Fragebogen er-
zielte er folgende interessante Er-
gebnisse: Von den 305 Lehrern,
welche die Fragen beaiitworteten,
^varen nur 46 gesund, von 782 Leh-
rerinnen nur etwa 200 (!). Im ein-
zelnen stellten sich die Erkrankun-
gen wie folgt:
Leh- Lehrer-
rer: innen:
Organische Herzleiden 3% 0,9%
Lungen 7 " 11
Magen vind Darm 14 " 13
Nase, Rachen, Ohr 23 " 20 :
]nfektionskrankheiten 27 " 20 !
Bleichsucht 42
Im besonderen klagten iiber:
Leh- Lehrer-
rer: innen:
Kopfdruck 60% 65%
Herzklopfen 50 "
Angstzustilnde 49 " 37 "
Zwangsgedanken 37 " 24 "
Der Redner erkalrte zvim Schluss,
das es im hochsten Grade erwiischt
sei, medizinischerseits den iiervosen
Erkrankungen der Lehrer ein er-
hohtes Interesse zuzuwenden.
(L.-Z. f. Thviringen.)
Farbenblindheit kommt leider
sehr oft vor und macht fiir viele Berufe
unfahig. 60 Prozent a Her Falle sind
nicht ein angeborenes tfbel, sondern wiir-
den im Kindesalter durch Erziehimgund
Weckung des Farbensinnes verhaltnis-
massig leicht gehoben werden. Die Ge-
sellschaft zur Griindung und Forderung
des Museums fiir weibliche Handarbeiten
will auf die Entwickelung des Farben-
sinnes der heranwachsenden Jugend Ein-
fluss nehmen und strebt zu diesem Zweck
die Aufnahme der Farbenlehre in das
Unterrichtsprogramm der Volks- und
Biirgerschulen an. Das Prasidium die-
ser Gesellschaft wendete sich daher an
die namhaftesten Kiinstler und Farben-
fachmsinner, sowie an Malerakademien
und Lehrervereine, um zu erfahren, wel-
che Farben in den Lehrplan der ersten
fiinf Klassen aufgenommen werden sol-
len, wo jene an Naturobjekten.voi'kom-
men, wie diese Farben immer gleich her-
gestellt werden konnen.
Biicherbesprechungen.
Die Anschaulichkeit des
geographischen Unter-
r i c h t s. Ein Beitrag zur Methodik
dieses Gegenstandes von Hans
*T r u 11 k. Vierte giinzlich umgear-
beitete Auflage. 1902. Wien, Karl
Graeser & Co.; Leipzig, B. G. Teub-
ner.
Auf 252 Seiten behandelt der Ver-
fasser die geographischen Anschau-
ungsmittel und die methodischeii
Hilfsmittel des geographischen Un-
teriehts. Unter den geographischen
Anschauuiigsinitteln sind bespro-
cheii: 1. die Hilfsmittel der unmit-
telbareii Anschauung fiir die Hei-
matkunde; 2. das Relief; 3. das Bild;
4. die Landkarte, und 5. die Hilfs-
mittel fiir den Unterricht in der
mathematischen Geographic; unter
den methodischen Hilfsmitteln des
geographischen Unterrichts: 1. das
Kartenzeichnen; 2. die Vergleichung;
5. die Schilderung; 4. die Erklarung,
und 5. das Hilfsbuch fiir die Hand
der Schiiler. Wie die Landkarten
hergestellt werden, wie sie beschaf-
feii seiii sollen, und wie sie beim Un-
terricht mitzbringend angewandt
werden konnen — das alles wird vom
Yerfasser in klarer, verstandlicher
Sprache geschildert. Ein Kapitel
iiber den Lehrer der Geographic bil-
det den Schluss. Die widerstreben-
den Ansichten von Schulmannern
sind in den Gedankengang des
Buches eingereiht, und das sich je-
desmal anschliessende sichtende Ur-
teil des Yerfassers verrat den er-
fahreiien Lehrer.
Auf Seite 73 fehlt nach dem Satze:
..Es (das Yerfahren, mittels der Berg-
striche oder Schraffen die grossere
oder geringere Steilheit einer Fliiche
darzustellen) beruht auf dem Grund-
satze. dass eine geneigte Flache von
weniger Lichtstrahlen getroffen
wird als eine horizontale" die Bedin-
gung: ..w enn die Lichtquel-
le senkrecht iiber dem
» J e g e n s t a n d s t e h t." Die
Verstiindlichkeit des Abschnittes
iiber die Darstelluiig des Gelandes
auf Seite 73 und den folgenden Seiten
leidet durch das ganzliche Fehlen
von lllustrationen. Wir glauben auf
diesen Mangel hinweisen zu diirfon,
well das Trunksche Buch ein Hohe-
lied auf die Anschaulichkeit alles
I'nterrichts ist.
Die Literaturnachweise sind fast
7.\\ zahlreiclu um die Angabe glau.b-
haft erscheinen zu lassen, der Ver-
fasser habe nur solche Schriften an-
gefiihrt, die besondere Empfehlung
verdienen. Eine solche Empfehlung
sollte nur nach der allersorgfaltig-
sten Priifung durch berufene Ken-
ner gemacht werden, aber nur zu
haufig ist der Name des Autors und
vielleicht noch der Titel des Werkes
das einzige, was derjenige, der die
Empfehlung macht, gelesen hat.
Dass der Verfasser von ,,Die An-
schaulichkeit des geographischen
Unterrichts" die Fahigkeit besitzt,
die meisten der empfohlenen Werke
zu beurteilen, wollen wir gerne an-
nehmen; dass die Priifung immer die
genaueste war, miissen wir bezwei-
feln. So empfiehlt Trunk z. B. auf
Seite 244 dem Lehrer der Geographic
zur ausreichenden Vorbereitung auf
jede Unterrichtsstunde unter andern
auch Tischendorfs ,,Priiparationen
fiir den geographischen Unterricht
an Volksschulen". Nach Durchsicht
desjenigen Teiles des fiinften Bandes
der Tischendorfschen Praparatio-
nen, der sich mit Nordamerika, und
besonders mit den Vereinigten Staa-
ten, beschaftigt, befiirchten wir,
dass der Geographielehrer, der sich
sein Material zur Behandlung von
Nordamerika aus Tischendorf holt,
den Kindern manch sonderbaren Be-
griff beibringen wird.
Wenngleich es vielleicht besser ge-
wesen ware, die eine oder andere
Schrift nicht zu empfehlen, so ha-
ben wir andererseits bei der Be-
sprechung des Bildes die Nennung
des Leipziger Schulbilderverlags von
F. E. Wachsmuth ungern vermisst.
Das Trunksche Buch ist merkwiir-
dig frei von Druckfehlern. Nur auf
den Seiten 43, 69 und 84 sind uns
einige Buchstabenfehlgriffe des
Setzers begegnet.
Wer in Trunks Arbeit eine trocke-
ne methodische Abhandlung zu fin-
den glaubt, der diirfte ausserst an-
genehm enttauscht werden. Der
Vortrag ist so klar und einfach und
die Behandlung des Gegenstandes so
teilnehmend, dass das Interesse des
Lesers erst recht beginnen diirfte,
nachdem das letzte Blatt umgewen-
det ist! P. O.
Heimatklang. Von E. Werner.
Edited with notes and vocabulary by
M a r i a n P. W h i t n e y. Ph. D.,
Teacher in the New Haven High
School. New York, 1903. Henry Holt
and Co.
As the editor states in her preface,
the production of this edition is
64
Padagogische Monatshefte.
justified by the fact that teachers
have felt the lack of lively and enter-
taining books for those who have
done some elementary reading', but
who are not yet fitted to study and
appreciate the great masterpieces of
German literature. Miss Whitney
lias tested the story by use in
several classes and has found it
interesting and stimulating. The
editing lias been done with a view to
second year work in schools or first
year in colleges. The vocabulary is
intended to be complete and to con-
tain all the idioms that occur in the
text. Here are only seven pages of
notes to the one hundred and thirty-
nine pages of text, but this is quite
enough to explain the various usages
and customs that might give the be-
ginner trouble.
The editing has been wisely done.
T would offer the following correc-
tions: The note to page 47. line 18,
seems to imply that schalten
n n d w a 1 t e n is a rhymed and alli-
terative phrase: a slight change in
the wording could obviate such an
interpretation. The reference in the
first line iif page 14S should read p.
47, line 18. instead of "p. 47, line 1".
In the note to page 76. line 11. "da-
tive after fern" might better read
'dative with f e r n'; this is a case
where the phraseology of English
grammar is applied to German gram-
mar regardless of the relative posi-
tion of the words. The reference in
the note to page S4. line 24, should
read p. 65. line 14, instead of "p. 64,
line 14". The note to page 98, line
1. should include The future as well
as the future perfect.
Questions o 11 T h o m a >'--
Grammar with Essentials
of Grammar in German. By
W, a r r e n W. F 1 or e r. I'niversity '
of Michigan. Ann Arbor, 1903.
George Wahr.
This little book is intended as an
aid in classes where the "direct
method" is used. (This method has
been discussed by Dr. Florer in an
article in this periodical, volume IV.
(•ages 303 — 309). The first part of
the book comprises twenty-two
Exercises, each of which contains
from six to twenty-four quest ions.
The questions are based upon twen-
ty-two of the first forty-two Exer-
cises in Thomas's German Grammar.
They are easy, and are such as a
teacher would naturally ask in an
effort to get students to talk about
the lesson in German. The second
part consists of German lUiles in
German on the essentials of German
Grammar. These have been taken
from the author's edition of Heysc's
L'Arrabbiata. Every alternate page
is left blank, evidently for notes. I
take it that the principal object of
the book is to stimulate interest in
German conversation and drill in the
language. In the hands of an
enthusiastic teacher like Dr. Florer,
it will be sure to do this.
Charley Bundy Wilson.
State University of Iowa.
Eingesandte Biicher.
A French R e a d e r. Arranged
for beginners in preperatory schools
and colleges by Fred Davis
A 1 d r i c h, A. B., Master in Modern
Languages in Worcester Academy,
and! rving Lysander Foster.
A. M., Assistant Professor in the
Uomanee Languages in the Pennsyl-
vania Slate College. Boston, Ginn
& Co.. 1903. Price 55 cts.
Preparation, en fiir den
g e o g r a p h 5 s c h e n U n t e r-
r i c h t a n V o 1 k s s c h u 1 e n. Fiinf
Teile. Ein methodischer Beitrag 7.um
erxiehenden Unterricht von ,T u 1 i u s
T i s c h e 11 d o r f, Schuldirektor in
Dohna. V. Teil: Aussereuropiiische
Erdteile. Zehnte und elfte Auflage.
Leip/ig, Ernst Wunderlich, 1904.
Preis M. 2.80.
U n t e r s u c h u n g e n ii b e r die
K i n d h e i t. Psychologische Ab-
handlungen fiir Lehrer und gebildete
Eltern von Dr. James S u 1 1 y.
Professor d<?r Philosophic am 1'ni-
versity College in Lodon. Aus deni
Englischen iibertragen xmd mit An-
merkungen versehen von D r. .T.
S t i m p f I. Konigl. Seminarlehrer
in Bamberg. Zweite vermehrte Auf-
lage. Leipzig, Ernst Wunderlich,
1904.
M a c a u 1 a y's Life of b a m \i e 1
Johnson, with a selection from
his essay on Johnson. Edited with
an introduction and notes by
Charles Lane Hanson, In-
strtictor in English, Mechanic Arts
High School, Boston, Giim £ ('<>..
1903. Price 30 cts.
Padagogische Monatshefte,
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
3nbtutiirm V. Febiuiat* 1904. Heft 3,
Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis,
Von Thos. H. Jappe, New York City.
(Fortsetzung.)
Dem hier iiber reine und angewandte Wissenschaft, sowie iiber
Kunst Gesagten scheinen mir iibrigens die gewohnlichen englischen Be-
griff serkliirungen genau zu entsprechen. Pure science, heisst es,
is knowledge of powers, causes, and laws, considered apart from all
application. Applied science, hingegen, is knowledge of facts,
events, and phenomena as explained, or accounted for, by pure science.
Art, diesen beiden gegeniiber, is a system of rules serving to facilitate
the perfomance of certain actions. Die beiden letzten dieser drei De-
fmitionen scheinen mir auf die Theorie und die Praxis der Piidagogik zu
passen, als wiiren sie dafiir gemacht. Vergleichen Sie damit nun das
Wort Ruskins iiber den Unterschied der Iviinste von den Wissenschaften:
,.The Arts differ from the Sciences in this that their power is founded
not merely on facts which can be communicated, but on disposi-
tions which require to be created." Mir scheint, dass dies in seiner An-
wendbarkeit auf die Erziehungspraxis nichts zu wiinschen iibrig lasst.
Dcnn jenes ,,creating dispositions", wie Ruskin sich ausdrttckt, lasst sich
nicht erlernen; es kann durch Ubung und Erfahrung, verbunden mit
wissenschaftlicher Bildung wohl zur hochsten Vollendung gebracht wer-
den, aber es lasst sich dadurch nicht ersetzen, wo es nun eininal am Ta-
lent oder Genie dieser Art fehlt; gerade wie bei jedem andern Kiinstler
auch. Daher ist denn auch ein grosser Philosoph und Weltweiser nicht
notwendig ein grosser Padagog; ich erinnere Sie nur an das gewisa klas-
Bische Beispiel Kants; daher gibt auch ein ausgezeichnetes Examen in
66 Pddagogisclie Monatshefte.
theoretischer Padagogik nicht die gcringste Garantie, dass der Enami-
nand ein guter Lehrer scin werde. >
Kaum brauche ich zu betonen, dass dies in keiner Wcisc cine Herab-
eetzung der Theorie sein soil, sondern nur eine Richtigstellung dessen,
was das Ganze der Padagogik 1st, namlich im theoretischen Teile ange-
wandte Psychologic, odor vielleicht richtiger Psychophysik, im pralc-
tischen Teile eine Kunst im vollen Sinne des Wortes. Ich kann mir
nicht versagen, an dicser Stelle auf einen Artikel von Geo. Trumbull
Ladd, Professor der Philosophic in Yale College, in der Educational Re-
view vom Oktober 1895 hinzuweisen, der mich damals so sympathiscli
beriihrte, dass ich ihn sofort fur die Milwaukeer Erziehungsblatter iiber-
setzte, wo er sich in den Heften vom Dezembcr 1895 imd Januar 1896
findet. Ladd sagte u. a.: ,,Die Erziehung ist einer der Gegenstiinde,
welche wegen ihres Charakters eine genaue Beweisfiihrnng nicht zulas-
sen. Weder aus der Geschichte, noch aus unsrer Kenntnis der Natnr
imd des Geistes, noch ans dem Studium der Einzelheiten friiherer Er-
fahrung kb'nnen wir eine wirkliche Wissenschaft der Erziehimg kon-
struieren. Die Padagogik wird wohl nie zu den exakten Wissenschaften
zahlen. \Vir kb'nnen mis jedoch verstiindliche imd haltbare Ansichten
dariiber bilden."
Damit waren wir denn zu der Frage gelang-t, was Psychologic imd
Psychophysik, sowie Psychogenesis sind, und in wiefern sie die TJnterlage
der Erziehungswissenschaft bilden.
Die Psychologie oder Seelenlehre ist eine Disziplin der Philosophic,
und zwar von Herbart als angewandte Metaphysik charakterisiert. Damit
wird ihm dann, wie ich der Kuriositat halber bemerkc, die Padagogik
zur Anwendung einer angewandten Disziplin der Philosophic, und so
etwas ist sicher nicht mehr reine Wissenschaft. Die Psychologie behan-
delt das Leben und Wirken der sogenannten Seele, d. h. der geistigen
Seite des Menschen, im Gegensatz zur Somatologie als der Lehre vom
Wesen des Korpers, beides entsprechend dem bis in die neuste Zeit ge-
henden landlaufigen Dualismus, dem auch Herbart huldigt. Denn ihm
ist ist die Seele ein besonderes Reales gegeniiber den korperlichen
Realen, das ewig ist, das seine gekniipften Vorstellungsverbindungen be-
halt, und das frei vom Leibe vollkomraencr erwachen wird, als es je im
Leben war. Es ist wohl nicht nb'tig, an diesem veralteten Standpunkt
hier eingehende Kritik zu iiben; alle Forscher sagen mehr oder weniger
deutlich, dass wir von der Seele als einem besondern Wesen, das nach
Linserm Tode weiterexistiert, absolut nichts wissen. Die Seele wird jedoch
den meisten von ihnen um der Religion willen zu einem Postulat, dessen
wir fiir praktische Erziehungszwecke nicht bediirfen. Sogar der fromme
Karl Lange giebt zu, dass "the heart of man with its changes and
vicissitudes still remains for psychologists an unfathomable
Eryehungswissenscb.ifl usid Erqiehungspraxis. 07
Fiir die moderne Psychologie, d. h. die der letzten 30 Jahre, gibt es'
kein von den mannichfaltigen Gedanken des Menschen imabhiingiges
Jch mehr. Der menschliche Geist ist eine Gescllschaft von Ideen, von
denen bald diese, bald jene sein Ich konstituiert. Die heutige Psycholo-
gie zerstb'rte die dualistische Ansicht von der Seele; und mehr als eine
Ansicht oder Meinung war jene eben nicht. Die Seele hat aufgehort
etwas von psychischer Tiitigkeit Unabhangiges und Yerschiedenes zu
sein; sie besteht ans unsern Geftihlen und Gedanken, nnsern Befiirchtun-
gen und Hoffnungen, imsern Wiinschen imd Idealen. In almlichem Sinne
sagte Jos. Carhart einmal in einem vortreffliclien Vortrag iiber "The
Pedagogy of History", den ich Ihnen am liebsten ganz vorlase: ''The
mind produces itself. It consists of the sum of its ideas, emotions, and
volitions. In its first form, the mind of the infant, it exists potentially.
Its destiny is to make actual that which it is potentially."
Und diesen Fortschritt verdankt die Psychologie der Psychophysik
oder physiologischen Psychologie, einer Art Xaturlehre der Seele, welche
die korperlichen Bedingimgen der Seelentatigkeiten und uberhaupt die
Wechselwirkung des Leiblichen und Geistigen in uns untcrsucht. Fech-
ner, Lotze, E. H. Weber, v. Ilelmholtz und besonders Wundt seit 1874 ha-
ben diese neue Disziplin entwickelt und gefordcrt; wogegen Darwin,
Preyer und der kiirzlich gestorbene Kussmaul die Hilfswissenschaft der
Psychogenesis schufen, d. h. die Entwickhmgsgeschichte der Seele, oder
die Lehre von der Entwicklung der Sinnesfahigkeiten, des Willens, der
Sprach- und Denkfahigkeit des Kindes. Xehmen Sie dazu noch die
finch ganz moderne Experimental-Psychologic, welche besonders die Zeit-
verhJiltnisse der Geistesphanomene untersucht, und fiir die Wm. Wundt
1878 in Leipzig, G. Stanley Hall und Dr. Cattell Ende der 80er Jahre
bier die ersten Laboratorien einrichteten, so haben Sie das ganze Gebiet
iiberschaut. Der Bequcmlichkeit wcgen fasst man dies alles vmter dcm
Namen Psychologie zusammen, gerade wie wir fortfahren von einer Seele,
vom Auf- undUntergehen, von Sonne und Mond u. s. w. zu sprechen.
Die Psychologie ware demnach eine umfassende Untersuchung und
Beschreibung des Seelenlebens, unsres Fiihlens, Vorstellens, Begchrens,
eine Sammluug und Erklarung der innern Erf ah rung, sowie der Wechsel-
wirkung von Korper und Geist.
Die sich immer mehr bahnbrechende Erkenntnis der absoluten Ein-
heit von Korper und Geist oder Seele bildet iibrigens eine crncute Be-
kraftigung des alten, wahren Wortes: Orandum est ut sit mens sana in
corpore sano; nur vielleicht mit Substituierung von ,,laborandunv' fiir
,,orandum". Die Ausbildung und Erziehung des Korpers ist eben nach
wie vor Mittel zum Zweck, nur in erhohtem Sinne; also nicht etwa urn
den Menschen zu befahigen mehr zu essen und zu trinken, sowie sicli rait
grosserer Freiheit alien denkbaren Exzessen hinzugeben, wie wir dies bei
68 Padagogische Monatshefte.
imsern Kraftmenschen, Athleten, Fanstkampfern u. s. w. oft genug er-
leben; sondern vielmehr seiner geistigen Entwicklung, Ausbildung imd
Betatigung eine gesundere, kraftigere Basis zu liefern, und ihm zur Ent-
wicklung einer Sunime von Energie zu stahlen, die der Schwachling und
der Kruppel selbst bei sonst giinstigen Anlagen und Umstanden nicht
zu erreichen vermogen. Denn wer bei jeder Gelegenheit das, was er un-
umganglich notig findet, trotz seines Korper- und Gesundheitszustandes
lun muss, wird bald erlahmen oder aber iiber kurz oder lang definitiv
zusammenbrechen. Es sei hier gleich bemerkt, dass auch bei der korper-
lichen Erziehung, auf die ich nicht weiter eingehen kann, ein gewisses
Individ ualisieren erwiinscht ware; nicht jeder Zogling braucht gleich viel
davon, und keiner iiber ein gewisses Quantum fiir geistige und Schul-
zwecke.
Es mag Ihnen aufgef alien sein,' dass ich garnicht der Unterscheidung
zwisehen rationaler und empirischer Psychologie gedacht habe, indes
einmal kiimmert uns die rationale Psychologie hier nicht, und zweitens
glaube ich, dass man iiberhaupt ohne sie fertig werden kann. Denn die
eine Halfte davon ist ein Teil der Metaphysik, und die andere Hirnge-
spinst; dies ist ungefahr auch Schopenhauers Standpunkt, der die ratio-
nale Psychologie verwirft. (Vgl. Parerga u. Paralipomena, Kap. 26.
(psychologische Bemerkungen) u. Kap. 28 (iiber Erziehung).)
Eine kurze Betrachtung des Verlaufs der geistigen Entwicklung des
Menschen, wie ihn die Psychologie lehrt, wird ihren Wert fiir die Pada-
gogik ermessen lassen. Dabei diirfen wir aber eine Tatsache nicht aus
den Augen verlieren, die die Padagogik in ihrer Anwendung zeitlich ein-
schrankt, ihren Wert innerhalb dieser Begrenzung indes ganz betracht-
lich vermehrt. Im Ganzen des Lebens ist die Zeit, wo der Mensch unter
den Einfluss systematischer Erziehung kommt, nur eine recht kurze
Phase; und diese ist nicht einmal die erste, denn es geht ihr die wich-
tigste formative Periode, die der ersten Kindheit, voraus. Und deren
Resultate oder Folgen konnen, soweit sie eben ungiinstige sind, selbst
dem besten Padagogen kaum zu iiberwindende Schwierigkeiten in den
Weg legen. Die hiermit zugleich im Bewusstsein aufsteigende weitere,
eben so unerfreuliche Tatsache, dass einem die Schiller meistens fort-
gehen, wenn man gerade glaubt sie im Zug zu haben, sodass es eine Lust
werden konnte mit ihnen weiterzuarbeiten, erwahne ich nur nebenbei.
Das neugeborene Kind ist sich anfangs seiner selbst nicht bewusst,
und das ist gut, denn so verhalt es sich passiv, bis seine Sinne und Ner-
ven sich mehr gestarkt haben; wo es sonst einfach durch die Masse der
Eindriicke und Wahrnehmungen iiberwaltigt werden wiirde und eher zum
Wahnsinn als zu geistiger Reife kame. Dieser natiirliche Schutz des
Sauglings vor geistiger t^berfiitterung hort allmahlich auf; fiir manche
Kinder in der Tat viel zu friih, manchen Eltern leider viel zu langsam.
Eryehungswissensc'iaft und Er^iehungsp:axis. 69
Die Sinneseindriicke nun, die das Kind erhalt, zerfallen in solche
von aussern Gegenstanden und von innern Zustanden; erstere wirken
vorziiglich auf die iiussern Sinne, und beide zusaramen auf den innern
Sinn. Sie sind von sehr verschiedener Starke und von sehr verschiedener
Klarheit. In der Vergleichung derselben, in der diskriminierenden Ar-
beit der aufnehmenden Sinne liegt schon etwas Aktives, das man Perzi-
pieren nennt. Aber das wahrhaft Aktive ist doch erst die mehr und mehr
bewusste und gewollte Ergreifung und Verarbeitung der Eindriicke, ihre
Assimilierung, welche die Herbartianer Apperzeption nennen.
Hier muss gleich darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei der
Unzahl der das Kind treffenden neuen Eindrucke, also seiner moglichen
Wahrnehmungen, sehr viele kaum perzipiert, sehr viele unvollkommen
fcpperzipiert, und nur die kleine Minderzahl, sozusagen ein Rest, an bis-
herige Vorstellungsreihen sich anschliessen und so fahig werden, sich
selbst wieder andere weitere Perzeptionen zu assimilieren. Es geht den
meisten Erwachsenen ja nicht viel besser.
Ferner fehlt in dem ganzen Vorgang jedes ersichtliche System der-
art, dass nur die fur eine folgerechte Entwicklung passendsten Ein-
drucke das Kind trafen, wiewohl sehr viele ungeeignete naturgemass ab-
gewiesen werden. Aiich ist die Entwicklung des Individuums nicht ge-
nau analog der der Menschheit iiberhaupt, wie sie uns die Anthropologie
zeigt; rait andern Worten, das Kind ist nur in beschranktem Sinne ein
Mikrokosmus. Und trifft es sich im einzelnen Falle so, dass die einer
systematischen Erziehung vorgreifenden Eindrucke iiberwiegen, so wird
das Kind entweder ein schwer resp. garnicht zu forderndes Erziehungs-
substrat sein, wenn es zur Schule kommt, oder es wird was wir friihreif,
altklug etc. nennen. Die Opfer fehlender oder verkehrter hauslicher Er-
ziehung und die derjenigen Kindergarten oder Infant Schools, denen
nicht sehr ttichtige und vorsichtige Erzieher vorstehen, reichen sich hier
die Hand.
Der wichtigere dieser beiden Punkte ist natiirlich der erstere, da er
daran erinnert, dass das Unklare und Unbewusste nie ganz aus unserem
Leben verschwindet, eben so wenig wie wir jemals ganz aufhoren noch
bis dahin vollig Jieue Eindrucke aufzunehmen. Ein Schiiler daher, der
alles ihm Gebotene, selbst wenn es im allgemeinen sich innerhalb der
Grenzen seines Begreifens halt, apperzipieren sollte, ist ein vollig uner-
reichbares Ideal; nur weniges sitzt gleich, anderes erst nach mehrfacher
Wiederholung, manches nie. Ferner, je mehr die Aussenwelt das Kind
mit Eindriicken iiberhauft, und je systemloser sie dabei vorgeht, desto
vorsichtiger muss die Schule der Kinderjahre, sagen wir von 6 bis 12 J.,
sein, nur beschranknte Quanta moglichst systematisch und griindlich ver-
orbeiten zu lassen; sonst muss sie unbedingt mehr schaden als niitzen.
,,Non multa, sed multum", so lange sich das Interesse nur dabei wach
halten lasst.
70 Padagogische Monatshefte.
Jeder geistige Yorgang geht durch eine gradierte aufsteigende Eeihe
der Entvvicklung; zuerst iibenviegt das physiologische Moment, und der
Eindruck 1st nur eine Beaktion des Nervensystems auf aussere Eindriicke
cder organische Zustande; spater wird das geistige Moment allmahlich
inerklicher. Dor Prozess veriindert, wie bereits angedeutet, seinen Charak-
ter vom mehr Passiven ins Aktive, wobci das sich nun zeigende Gedacht-
• ms-eme hervorragende Rolle spielt, und er geht dann auch immer rascher
.«nd geordneter vor sieh. Das Arerfahren des Kindes entspricht durchaus
dem Zustande seines Korpers; das Gehirn ist verhaltnismassig niemals
grosser als in den ersten 3 bis 4 Jahren, aber es sammelt bei seiner Un-
reife mehr als es verarbeitet. Sein Verfahren liisst sich, wie mir scheint,
r.m besten mit dem der Aetronomen vergleichen, die sich eine ganze
Menge lange ausgesetzter P]atten mit Himmelsbildern anlegen, welche
eie spater cntwiekeln und studieren. So nimmt anch das Kind schon vor
dem Schulalter tausenderlci zunaehst unentwiekelte, unklare, aber doch
danernde und eutwickhmgrfahige Bilder und Eindriicke und Fakta auf,
die der reifende Geist spater verarbeitet, d. h. allmahlich durch geeignete
Einreihung klarcr und klarer macht, van sie zuletzt ganz zu eriassen imd
j'.u beherrschcn; die freilich andrerseit?, wenn ungiinstig, schlecht auszu-
rottcn sind.
Diese Empfanglichkeit fiir neuc Eindriicke, fur zunaehst sinnliche
Vorstellungen, vcrmehrt sich noch im Schulalter, der zweiten Pcriode
der Kindheit, obzwar das Quantum des Neuen sich mindestens nicht ver-
raehrt; die Sinne verfeinern sich, wahrend zugleich bewusstcs Handeln
und Verglcichen der Wahrnehmungen sich zu zeigen anfangon. Gleich-
wohl nberwiegt die Kraft des Gedachtnisses noch fortdauerud die des
Vcr^tandes odcr Intellekts, v/ogegen die Lebhaftigkeit der Phantasie
rasch und gewaltig zunimmt. Wir finden demgemiis^, dass Kinder man-
ches Wort, manclie Bilder, Tatsachc-n, Geschichten rein meclianisch be-
hn.lten, also ohne voiles Verstandnis, und dass oft Jahre vergehen, ehe
Bedeulung des Gelernlen klar wird, wie es, gelcgent'Hch selbst
noch erght.
Fiir die Schule folgt hioraus klar, dass" es nicht unbedingt immer
fcdiadet, TJnverstander.es lernen zu lassen, wie z. I>. manches Poetische,
besonders in Yerbindung mit der Singstunde, odcr das Einmaleins bis
5.'0 re^p. 25. Natiirlich muss die Schule ausserst vorsichtig sein im Ein-
paukcn von dem, was man wohl Gedachtniskram nennt; aber sie braucht
sich nicht in jedein Fache und durchaus auf vollkommen und in seiner
ganzen Tragweite Verstandenea zu beschriinken, v/as sie ja, v;ie Sie alle
wissen, auch gainiclit kann. Es ist nicht notig, das ausfiihrlich zu ex-
eniplifizieren; icli branch e nur auf das gauze ethische, moralische und
religiose Gebict hinzuweiscn. Wcr kb'nnte da allcs ganz unvermeidlich
Yorkommende, dem niclit glek-h voiles Yerstandnis entgegenkommt, er-
Gustav Frenssen— A Study 71
klaren? Man 1st gezwungen sich zu beschriinken und vieles gehen zu
lassen. Es ist furchtbar bequem gegen blossc Gedachtnisarbeit zu predi-
gen, und gewiss wird das Gedachtnis noch in vielen Schulen, hier in dem,
da in jenem Faclie, gemissbraucht. Aber welche Idee haben Kinder
z. B. von irgend grb'ssern Dimensionen imd Zahlen? Wie viele Dinge hat
ein zelmjahriger Junge denn in grosserer Anzahl als hundert zusammen
gesehen, derart dass er sie zahlen und sich iiberzeugen konnte? Dabei
rechnet er womoglich in Hunderttausenden. Zur Vermeidung iiberflus-
sigen Auswendiglernens hat Schopenhauer den bemerkenswerten Vor-
schlag gemacht, man solle von kompetenten Leuten alle zehn Jahre den
stets wachsenden Memorierstoff sichten lassen, damit cr in keinem Fache
ein unschadliches Mass iibersteige.
(Fortsetzung folgt.) ..
Gustav Frenssen— A Study.
(FOr die Padagogischen Monatshefte.)
Von Dr. Warren W. Florer, University of Michigan.
The men who, but a few months ago, were maintaining that con-
temporary German literature was too corrupt and uncertain to bring
forth lasting fruit have been aroused by what seems to them the sadden
appearance of an unexpected poet, from an unexpected place and from
an unexpected profession. But Gustav Frenssen, the Pastor Poet of
H'emme, came in the fulness of time, when the minds of the German
people had been prepared by years of a secret social revolution. Legion
have been the underlying forces which have shaped this development;
modern commerce; modern social conditions; modern philosophy; modern
literature; modern development of the individual; modern conception of
religion. The tooth of time has been gnawing at the old, and the old
has been stubbornly struggling in the inevitable war of the survival of
the fittest. The "paper walls'" behind which the old retreat when
attacked, are the established government, the established religion with
set etiquette, laws and morality. Its weapons are dogma; its armor an
assumed authority of divine inspiration. The best example in the field
of literature is the forbidding of Heyse's powerful moral drama "Mary
of Magdala" (which has been weakened in the adaptation to the
American stage) by the police of Berlin. However, one sees the opposite
extremes in the excesses of the new. And it is well in this chaos of
transition, that the old is beginning to assert its tempering influence.
Who is Gustav Frenssen? The average teacher might say. "Gustav
Frenssen was born in the year 1862 at Barlt. His parents were god-
fearing industrious people. He has inherited the stern integrity of hia
father and the deep religious nature of his mother." The Low German
will rejoice over the fact that Frenssen comes from the same indomitable
72 Padagogische Monatshefte.
race as Renter and Bismarck, Storm and Hebbel. And the individuality
of the man might be overlooked.
The mere date of Frenssen's birth means but little shorn of its
environment. In other words Frenssen was born at a time when con-
ditions around him were beginning to grow and develop and ripen along
with his growth and development and ripening, and so influenced him
from his very childhood and prepared him for the day when he could
assume leadership. This correlation of individuality and Zeitgeist rests
upon observation trained by experience.
Frenssen's education might be given as schools of his native town,
Gymnasien, Universities of Tubingen, Berlin and Kiel, had he not in-
directly revealed it to us; practical occupation, expanseless fields of uni-
versal life's-wisdom, independent reflection, acquaintanceship with life,
entering upon unexplored fields and endeavoring to rise as well as
possible, plus the great objective factor — "nothing educates a man more
than to observe the lot of fellowmen".
At the Gymnasium he observed so much that when a Primaner he
wrote an essay of which the conservative teacher said: "You never wrote
that essay; it was written by a man fifty years of age, not by a youth of
eighteen". And this youth entered the universities and continued his
observations. Some of these observations are to be found in his writings.
Among other things he observed that many a lad obedient to the strong
will of his parents is compelled to finish the Gymnasium and the
University, although he has no inclination for or capability of such an
education. He also observed the opposite when at home. Many a lad
with talents and craving for an education is forced to remain a mere
laborer by the obstinacy of th*e parent.
When at Berlin Frenssen apparently passed the Literaturecafes, the
breeding places of that literature which has a slovenly and ugly form,
and which gives a man no more capability than that of an animal. The
world seems to it to be a tenementhouse. He, however, was diligently
preparing himself for his chosen field of labor.
Frenssen's chosen field of labor was, evidently, determined not so
much by feelings of homesickness, not so much by the desire to be in the
neighborhood of the sea with all its invisible influences, but because he
knew the secret wishes and the burning needs of the people, whom he
had been observing since his very childhood. The study of the past and
present history of this people emphasized the possibilities of the people.
For a few years he worked in his still quiet way, cheered by the helping
hand of a virtuous woman (this is often referred to in his writings).
His father always full of hope, his mother introspective, bashfully modest
and inclined to borrow troube. The worry brought upon him by the re-
ception and misinterpretation of his sermons is also evident in his
writings.
Gustav Frenssen — A Study. 73
The step of literary activity is best explained by his own words to
Theodor Rehtwisch: "Believe me we have many grand and capable men
among the country pastors who could fulfil entirely different tasks than
are assigned to them. Such a manifold inner life generally becomes
resigned. The children, if there are any, receive the best of it. For it
is certain that a moral wealth without coniporison has been carried out
into life from the evangelic parsonages by sons and daughters who enter
different fields of activity. What a list of great names comes from the
parsonages, but the people do not know it this way. Believe me, it is
awful to think that one must waste one's life, when forces which are
struggling towards light, are slumbering within one. I do not know what
would have happened if this talent had not worked itself free. What a
liberation it is to me that outside of my little parish I have a large
growing parish, to which I am allowed to give my best."
Frenssen's literary activity began in 1895 with sketches and
novelettes for a Berlin illustrated magazine. Then followed the "S a n d-
g r a f i n", "Die d r e i G e t r e u e n" and "J o r n U h 1". In addition
to these he has published a collection of ^ermons. A potent activity, if
one estimates by content and not by pages. Furthermore, it is not the
number of books which gives a poet a literary position, but the influence
of his writings. It is true that the poet was not recognized at first, but
this is the lot of nearly all great men. It was not until the criticism of
Karl Busse in "Tag" that the German people awakened to the fact that
a real German poet had been silently working among them. And since
that time the writings of Frenssen have entered nearly every educated
and many a common home. What does this tremendous demand mean?
The Germans are not in the habit of reading the novels of the day. It
means that the material presented corresponds to the needs of the
people, these needs springing from a secret development within the lone
sanctuaries of their hearts, and from forces which have been slumbering,
nut struggling for expression. The German people understand these
books, because they have an appreciative feeling for the people. And in
literature, as well as in government, the people crave to be controlled by
their own. They understand these books because they have experienced
them.
Again, these books have been written with a high moral purpose
notwithstanding the tradition that art must not have a purpose. In "D i e
dreiGetreuen" one finds: "Whoever wishes to write must first of all
be a genuine man, humble before his divinity, proud in the face of the
world. I wish to edify myself with what I read. It must elevate me. It
must make me stronger against every sin and more courageous against
every destiny". Heim Heiderieter also says: "You must write something
worth writing; something earnest, that one can grasp with both hands
T4 Pddagogische Monatskefte.
without breaking: Of sin, of sorrow, of Heimat and of Fatherland, of
true love and of upright work. Something real German and simple as
Reuter and Freytag have written, something for the entire German
people, something which the educated loves to read and also the common
man."
With this purpose and with the equipment at which I have merely
hinted Frenssen created his epic trilogy. Of the "S a n d g r a f i n" I will
give only the author's preface: "The Heimat is marshland, ,fertile as a
hot-bed and as flat as a slate. History has not written much about it,
and the people pass over it as an overgrown child would. The boy who
grew up in this Heimat possessed a restless fancy, but no opportunity to
satisfy it. He sought a land, manifold in its forms, beautiful in its
changes, and did not find it. An hour distant toward the west was the
sea, the ever turbulent. In the east the firm land ascended abruptly.
This bore villages and hills, meadow and forest in variegated blending.
Thither flew the hungry soul. The boy saw the men wandering over the
waste sea and the desolate heath, men who had experienced great deeds
and bitter privations. — When he began to become a man he wrote this
his first book".
"Since that time he has made a great step forward in the develop-
ment. He has learned to go more slowly and to see more clearty. But
whenever he will look into this book again, he will not regret what he
has written. He will rejoice that he has written it with such good cheer,
and will wonder that he had then seen so much and so extensively."
"He will continue to wonder as long as he lives. The 'nil admirari'
he will always leave to others/"
The transition from the "S a n d g r a f i n", which smells at times of
old library books, to "D i e d r e i G e t r e u e n" is on the surface abrupt.
However, if one reads between the lines and follows the then visible
threads the transition will appear natural and simple. The author frees
himself from the learned studies of past history and enters upon the
study of the human beings around him. He is at home among them.
The objective insight into the life about him enabled Frenssen to picture
the passions of his countrymen. He has fulfilled what Theodore Strom
with the same material failed to grasp on account of his extreme sub-
jectivity. It remained for Frenssen to be the first epic novelist of his
native country Schleswig-Holstein.
The space is too limited to give any adequate conception of this
typical German book, rich in material, perhaps not exactly unified, ac-
cording to the dogma of art, but all the more natural. We obtain a
beautiful picture of his country and of the influences of nature, especially
of the sea. The life manner of thinking and customs of the people are
unrolled before our very eyes. The short and simple annals of the poor
Gustav Frenssen — A Study. 75
affect us. We see the influences of the Franco-Prussian war and the re-
construction period upon this people. The scenes where man and woman
are brought together are beautiful. — Heyse mentioned this in a letter
to Frenssen. (Rehtwisch). We catch the underlying currents of the
social disturbances, the needs and hopes of the people, the crying need
being land. And to us Americans the book gives an insight into some
of the causes of that large migration to our country and also into the
hopes and sorrows of the men and women who have decided to cast their
lot among us. Most touching is the parting scene with the singing of
the Reiselied and the simple powerful farewell sermon of the old pastor.
The author adds: "If a stranger had been in the church, he would have
been able to have said exactly: 'Thus have these people lived. Such has
been their work, such is their love and such their hope'."
The poet's epic power is especially seen in the development of the
lives of "D ie drei Getreuen" and in the mastery of the final so-
lution. The refrain of the epic is contained in the song of the night-
watchman which ends each book:
"De Klock hett veer slahn,
Veer hett de Klock.
Der Tag vertreibt'die fmstere Nacht,
Ihr lieben Christen, seid munter und wacht,
Und lobet Gott den Herrn."
Especially interesting is the development of the poet Heim Heide-
rieter, the character which reflects Frenssen himself. The book in this
connection teems with literary references. The following conversation
of books illustrates Frenssen's keen sarcasm:
An old thick three volume Danish history said to its triplet sister:
*'I do not feel at home here. The man who is studying us is unworthy,
he is not learned".
"He is an enthusiast and a dreamer."
The insulted moon reflected a yellow light.
, "And often he stares past us."
"Yes" the sister answered, "it is sad. For twenty long years we have
i-tood unused in the stackrooms of the state-library; and now, since we
have finally come to life again they send us to this unlearned man."
'•'Do you recall the Professor at whose house we were twenty years
ago?"
"Yes, he was a different man".
"He wrote a very learned work, do you know it still" (the sister
shook her head). "He occupied himself very diligently with me, more
so than with you. He hemmed and hawed and puffed himself up and
v/as very learned and excited. He was so excited that he occasionally
wrote words in my margin. I did not get vexed at him either".
76 Pddagd&ische Monatshefte.
"What did he write?"
The leaves rustled lightly.
"What can it be? I only unterstand Danish. Something respectful,
you may depend upon that. See, there it stands''.
There stood scrawled with a hard leadpenciL
"Ignorantia Pyramidalis".
"And here?"
The short word "Blech".
"What does that mean?"
"It is a recognition of my authorithy. I am proud of the fact that I
am a learned book, the first born of us three. Who knows the olden
times as well as I?"
The moon endeavored to glide along the window-sill. It yawned and
was disgusted with the continues flood of books and wished for a passing
cloud to cover it up. Then another book began to speak with a still
suppressed voice.
"It certainly is not nice of him to lay such an old and heavy book
as I am upon my stomach, but I will tell you something, I, the chronicle
of the Priest Helmold von Bosau, am glad that I finally got out of the
hands of the professors and stackrooms, and have fallen into proper
hands and into the proper house. I am a fine book. I am so fine that I
must be read between the lines, for my truth and my reality lie far back
of my letters. Who reads you, must have learning, who reads me must
have heart and faith, he must be a poet".
Frenssen's first great plan, evidently, was to write an historical
novel, but the study of the past in books was overshadowed by his
occupation with the people around him. And the past was absorbed by
the present. In "D i e d r e i G e t r e u e n" we find a conversation bearing
on this presumption: "Do listen Heim, perhaps you could take material
from the past of your Heimat" — "Hm, an historical novel" — "Well,
yes" — "Dont want to read one, much less to write one".
Frenssen's attention went from the people to the individual. And
the next step was the development of an individual within his environ-
ments. He wrote "Jb'rn Uhl". Jorn Uhl's life is summed up in a con-
versation betweeen Jorn and his friend Heim Heiderieter at the close of
the book. Heim Heiderieter said:
"You have experienced a hard life, Jorn, I would like to know what
you think about it."
"Do you wish to write the history of my life, Heim? It certainly
is not the right material".
"Your life, Jorn Uhl, is not a minor human life. You have had a
ptill boyh'ood, adorned with variegated pictures. You have been lonely
when you were growing up and have courageously struggled without
Gustav F; ens? en— A Study. 77
assistance with the problems of life. And however little you may have
been able to have divited; the struggle has not been in vain. You have
marched to the front for the land which surrounds this spring, you have
been hardened in fire and frost, and have made progress in the most
essential of all, namely, to discriminate the values of things. You have
experienced woman's warm love, the second highest which life can give.
You have placed Lena Tarn and father and brothers in the coffin. In
those hours you looked human trouble in the very eye and have become
humble. You have struggled, with hard hostile destiny and have not
succumbed. You have freed yourself, although it lasted long before
assistance arrived. You, with set teeth and high courage, have worked
yourself into science, at an age, when . many are thinking of retiring.
And although surveying has been your work and joy for years, you have
not become onesided. You are interested in the country which lies be-
yond your chains. You are also interested in the books which your friend
Heim Heidrieter writes. What is one to relate Jorn, if such life is not
worthy of relating."
The moral of this reminds one of the moral of the story of "F r a u
Sorge": A man's life experience can not be given him. Another cannot
live a life for him. He must have experienced life, and he can not begin
to live until he has freed himself. And he must act of his own free will
and accord. The fundamental idea of "F r a u Sorge" and "Jorn
U h 1" which are alike in many respects and which have "die Sorge" as
the basis of the work, is that, "although sorrow has blighted the youth
of many excellent and capable young men and women, the opportune
moment of victorious decision can rescue".
The first woman in Hemme who read "Jorn U h 1" was the wife
of a farmer. She said: "The book is pretty good, but how any one can
pay money for it, I can not understand". And then a clergyman of high
position in Hamburg read it. After he had read the first few pages he
condescendingly expressed himself as beeing satisfied with it. "But after-
wards1) well afterwards when I describe that which I must describe, he
is said to' have remarked: "We must exert revivalistic influence upon our
Brother."
We are thus led to Frenssen's interpretation of religion, as this is the
most vital element of the hook, and accordingly the principal reason of
its increasing influence Frenssen recognizes that religion and nature are
not two separate things: "you certainly are not of the opinion that re-
ligion is from God and nature from the Devil, but both are from God,
and shall dwell together in perfect harmony, rendering one another
mutual assistance." He thus believes that the Seele and the Korper are
l) I quote Frenssen through Rehtwisch.
78 Pddagogische Moiiatsfofte.
inseparable. This is in direct contrast to Luther's opinions (see "vo»
der Freiheit eines Christenmenschen"). He recognizes that religion is
one thing and dogma another; that religion is one thing and the mere
history of religion another, that the development of religion correlates
with the development of the individual. And thus it is natural that the
development of Jorn U Ill's religion centres about his individual develop-
ment. In short we see in Jorn Uhl the development of a Christian man
within the newer conception of chritianity — the real freedom of a
Christian man. Such a man, as Frenssen thinks, the '"'Man of Galilee"
would wish. (To be continued.)
Zur gesetzgebenden Qrammatik.
(Far die Padagogischen Monatshefte.)
Von Dr. Edwin C. Roedder, Assistant Professor of German Philology, University of Wisconsin.
Die rein wissenschaftliche Sprachbetrachtung, ,,der es nur darauf an-
hommt, ihren Gegenstand zu begreifen."!) ist im wesentlichen die unver-
gleichliche Schb'pfung und das Hauptverdieivst Jakob Grimms, mi thin noch
keine hundcrt Jahre alt. Was Grimm vorfand, \var, abgesehcn von An-
satzen zur wirklichen Sprachforschung in den Arbeiten seiner bedeutend-
sten Vorgiinger, lediglich Sprachbeschreibung, im besten Falle eine zuvey-
iassige Darstellung der zu einer bestimmten Zeit nebeneinander vorkorn-
menden sprachlichen Formen und Erscheinungen. Diese iiltere Sprachbe-
handhing verfolgte aber auch keine wissenschaftlichen, sondern praldisehe
Zwecke. Ein Blick auf die Geschichte der systematischen Bcschiiftigung-
mit der Sprache wird dies erkliirlich erscheinen lassen. Bei den Griec'hcn,
cienen wir diese systematische Sprachbehandlung verdanken, und deren
Schopfung das ganze Geriiste und Fachwerk uiiserer Grammatik, ihre ganze
Terminologie und Methode 2) ist, hat die Sprachbetrachtung nie eine selb-
stiindige Stellung eingenommen; einerseits diente sie der Schriftsteller-
auslegung; anderseits lag es ihr ob, den richtigen Gebrauch der Sprache zu
lehren und zu erhalten. Auch das Mittelalter, dem die Hauptergebnisse der
Griechen durch romische Ehetoriker vermittelt wurden, brachte in der
Sprachbetrachtung keinen Fortschritt. Ebensowenig ging dem Humanis-
inus ein Licht liber das geschichtliche Werden und das eigentliche Wesen
der Sprache auf; eher noch konnte man fiir diese Zeit von einem tatsiieh-
lichen Riickschritt sprechen. Frisch und frcihlich hatte sich das mittel-
alterliche Latein in mehr als tausendjiihrigem Gebrauch immer weiter von
demMuster der goldenen Latinitat entfernt; das lag im Wesen der Sache,
uiid wenn Cicero und Ciisar hundertmal die Hande iiber dem Kopfe zu-
sammengeschlagen hiitten. Mit volliger Verkennung aller Gesetzc der
Sprachentwickelung aber erweckte der Humanismus das ciceronia7iische
1) Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und
Eomern, Berlin 1863, S. 709.
2) Steinthal, ebenda; und Eies, Was ist Syntax? Marburg 1894, S. 7.
Zur gesei^gebenden Grammatik. 79
Latein zu kiinstlichem Lebcn und machte ebcn dadurch das Lateinische zur
toten Sprache. Dass hierin der Humanismus die Sache der deutschen Ge-
meinsprache miichtig fordterte, bleibt sein unbestrittenes, wenn auch
hochst unfreiwilliges Verdienst; ebenso mag beiliiufig erwiihnt werden, dass
die Humanist-en durch ihre strenge Forderung, alles, was lateinisch abge-
fasst werden sollte, zuniichst griindlich durchzudenken und in angemessene
deutsche Form zu bringen, dem Deutschen — freilich wieder auf einem
Umwege — gute Dienste leisteten. Die lateinische Grammatik jedoch —
und um diese handelt es sich vorerst — musstte durch den gewaltsamen Ein-
griff des Humanismus in die Ehtwicklung des Lateinischen vorwiegend eine
Sammlung von Regeln zur Erlernung eines guten lateinischen Stils werden.
Dies um so mehr, je weniger in den folgenden Jahrhunderten das Lateini-
sche ziir praktischen Verwendung kam. Iminer dringender stellte sich die
Notwendigkeit hcraus, vom Standpunkte der Muttersprache aus ver-
gleichungsweise vorzugehen. Umgekehrt iibertrug man dieses nicht am
Forschungsgegenstande selbst gewonnene System der lateinischen Gram-
matik, in der man nach wie vor eine Idealgrammatik erblickte, auf die Mut-
tersprache sowie auf andere Idiome, was das Missverhiiltnis noch ver-
schlimmerte. Nicht nur die wissenschaftliche Behandlung der lateinischen
Grammatik musste darunter leiden, sondern die wissenschaftliche Behand-
lung der Grammatik iiberhaupt; das hat fur ein besonderes Kapitel Ries
in dem angefiihrten Buche anschaulich bewiesen.
Ob den Humanismus ausser dem moglichen Vorwurf, dass gerade er
durch die gekennzeichnete Art der Sprachbetrachtung die wissenschaft-
liche Sprachforschung auf geschichtlicher Grundlage verzogert habe, ob
ihn nicht der noch schwerere Vorwurf trifft, in sprachlichen Dingen dem
Geiste der Unduldsamkeit und Rechthaberei — einer ohnehin echt
deutschen Untugend! — betrachtlieh Vorschub geleistet zu haben? Fast
will es so scheinen. Fur die lateinische Schulgrammatik gab es seit dem
Humanismus iiber Cicero hinaus nur Verfall und Entartung; ihr war zum
mindesten verdiichtig, was sich nicht aus seinen Schriften belegon Hess.
Man gewohnte sich daran, in der Grammatik ein Gesetzbuch zu sehen,
dessen Vorschriften bindend waren wie die Paragraphen des romischen
Rechts und der hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung. Und so hat es
denn auch von jeher nicht an Grammatikern des Deutschen gefehlt, denon
nach solchem Muster alle Abweichungen von ihrem tngem-.u Standuunkt,
die Kulturfortschritte oder landschaftliche Besonderhcitcn hervorgerufen
hatten, ein fluch- und strafwiirdiger Greuel schienen. Nun konnte man
aber doch solchen Sprachfrevlern nicht mit Strang und Had und Schwert
zu Leibe. Also hiess es sie im Gewittersturme donneinder Machtspriiche
abtun. Das half freilich auch nicht viel; im Gegenteil, der Fre.vler, die solch
Schauspiel hochlich belustigte, wurden inimer mehr. A'ocr \voljl tat es doch,
so mit dem Wetterstrahl einherfahren zu diirfen; nnJ iibte man sicJi imch
vergeblich an Eichen und Bergeshohn, so gewiihrte immerhin das KSpfen
von Disteln eine gewisse aumutige Befriedigung.
Nun lege man aber das hier Gesagte ja nicht dahin aus, als sollo es der
gesctzgebenden Grammatik an und fiir sich alle Daseinsberechtigung
absprechen und die ganze deutsche Grammatik vor Grimm in Bausch und
Bogen verurteilen. Das ware vollig verkehrt, ungerecht und unwissen-
schaftlich. Erst«ns ist die gesetzgebende Grammatik durchaus notwendig,
sie ist das jederzeit gewesen, sie ist es fceute so sehr wie nur je. Zweitens
80 Padagogische Monatshefte.
hat trotz alien Fehlern und Mangeln die praktische Sprachbetrachtung des
16., 17. imd 18. Jahrhunderts sehr achtungswerte Ergebnisse hervorge-
bracht, und ,,5hr gebiihrt ein ganz wesentlicher Anteil an tier Festsetzung
und Ausbreitung unserer Gemeinsprache". 3) Nur muss sich die gesetz-
gebende Grammatik ihrer Grenzen stets bewusst bleibeii und nie vergessen,
dass sie nur auf dem Boden der Ergebnisse geschichtlicher Sprachforsch-
ung Gedeihliches leisten kann. Umgekehrt ist ja die historische Grammatik
aus der alteren, praktischen und beschreibenden, hervorgegangen, inclem
man die praktischen Grammatiken verschiedener Zeitalter verglich — wobei
natiirlich fiir Zeitalter, denen es an einer Grammatik noch fehlte, eine
solche erst aus den vorhandenen schriftlichen Denkmalem hergestellt wer-
den rnusste, — und aus den so erkannten Unterschieden die Veriinderungen
der Sprache aufzeigte.4)
Die ersten deutschen Grammatiken, die den Xamen verdienen und nicht
schlechtweg Orthographiebiicher sind, die des Laurent ius Albertus (1573)
und die des Albert Oelinger (1574), folgen in der Behandlung der Sprache
durchweg der lateinischen Grammatik. Dieser entnahmen sie auch die
streng loglschen Abhangigkeitsverhiiltnisse der Satzglieder und des Satz-
baus im Lateinischen, und mit dem aberglaubischen Respekt, den man nun
einmal vor dieser Sprache hatte, iibertrugen sie die ganze lateinische
Sprachlogik und noch alles mogliche Andere auf das Deutsche, ohne sich
iange zu fragen, was der Muttersprache gemass sei und was nicht. So
erlangte das Lateinische wiederum wie einst in althochdeutscher Zeit tief-
gehenden Einfluss auf die Gestaltung des Deutschen. Nur war dieser Ein-
fluss jetzt nicht mehr so berechtigt als in jener friiheren Periode; denn
die Prosa der althochdeutschen Zeit war grosstenteils Ubersetzung aus dem
Lateinischen; und es gab wenig rein deutsche Prosadenkmaler, die allge-
mein hiitten mustergiiltig werden konnen; so ist die unmittelbare Nach-
ahmung lateinischer Fiigungen im Althochdeutschen mindestens erkliirlich
und kaum der den Deutschen von jeher anhaftenden Auslanderei zuzu-
schieben. Zur Zeit des Humanismus jedoch hatte sich das Deutsche schon
Jiingst von allem Einflusse des Lateinischen freigemacht; neben einer blii-
henden Dichtung war in mittelhochdeutscher Zeit eine Prosa mit kuiistvol-
lem und doch hochst iibersichtlichern Satzbau erstanden, die auf dem
besten Wege war, an Glatte und Geschmeidigkeit mit der altisliindischen
Prosa zu wetteifern. Nun bewirkte das lateinische \7orbild wiederum die
Einfiihrung gewisser lateinischer Fiigungen und die ausgesprochene Be-
vorzugung der Fiigung, die bei der Moglichkeit einer Wahl zwischen meh-
reren der lateinischen Bedeweise am nachsten stand.5) Dieser Einfluss des
Lateinischen hatte fiir das Deutsche unheilvoll werden konnen und miissen,
wenn er sich zu halten und ins echt volkstiimliche Schrifttum ebenso stark
einzudringen vermocht hiitte als in die Schriften der Gelehrten, als diese
endlich wieder in deutscher Sprache zu schreiben begannen. Doch ist es
zum wenigsten sehr zweifelhaft, ob der Satzbau einer Fremdsprache und
3) H. Paul, Die Bedeutung der deutschen Philologie fiir das Leben der
Gegenwart, Miinchen 1897, S. 5.
4) Vergl. Otto Lyon, Historische und gesetzgebende Grammatik (Pro-
gramm der Annenschule zu Dresden-Altstiadt), Dresden 1890, S. 11.
5) Vgl. Otto Behaghel, Die deutsche Sprache, zweite Auflage, Leipzig
1902, S. 29.
Zur geset^gebenden Grammatik. gl
dazu einer toten unter normalen Umstiinden je den Satzbau eines lebens-
kraftigen Idioms auf die Dauer beeinflussen konnte, wenn nicht sehon die
innere Sprachform bei beiden sich sehr nahestiinde. Eine starke Neigung
lange Siitze zu Widen und die innere Einheit einer langeren Gedankenreihe
auch ausserlich zum Ausdruck zu bringen, eignet der deutschen Sprache
ohnehin und ist nicht auf Rechnung des Lateinischen zu setzen.6) Beson-
ders deutlich zeigt sich dies in der Sprache der Kanzlei und des Rechtes;
und dass das keineswegs eine Laune und Marotte des Deutschen ist, ergibt
sich zur Geniige aus den ganz analogen Verhaltnissen z. B. des Englischen,
dessen Satzgliederung doch sonst von der deutschen erheblich abweicht.
Ganz zu leugnen ist aber der Einfluss des Lateinischen in dieser Hinsicht
nicht; auch wiire es ein Wunder, wenn bei der grossen Anzahl der
Deutschen, die sich wahrend der letzten Jahrhunderte ihre Bildung vom
Gymnasium geholt haben, das Lateinische, rein sprachlich betrachtet, vollig
spurlos geblieben wiire.
Auch in der nachsten deutschen Grammatik, der des Johannes Clajus
(1578), wirkte das Latein des Humanismus vorbildlich, wenn auch in anderm
Sinne. Wie der Humanismus Cicero in Permanenz als sprachliches Muster
aufgestellt hatte, so fiel fur Clajus das Deutsche mit dem Deutsch Luthers
zusammen. Diese Wahl des Clajus ging nicht von denselben Erwagungen
aus, von denen sich ein Germanist unserer Zeit bei der Frage nach einem
Sprachmuster fiir jene Periode leiten liesse, wenn er auch annahernd zum
selben Ergebnis kommen miisste. Dann aber war des Clajus Entscheidung
nicht willkiirlich noch ganz unter dem Eindruck der machtigen Personlich-
keit des Reformators getroffen. Mit andern Worten, Luther war tatsach-
lich der Mittelpunkt der Entwicklung der deutschen Gemeinsprache in der
zweiten Halfte des sechzehnten Jahrhunderts. Fiir diese Gemeinsprache
konnte Luther zu keiner geeigneteren Zeit auftreten; und wenn ihm nuo ,
heute kein Einsichtiger mehr die Schopfung und die Einigung der deutschen
Schriftsprache zuschreibt, — ihre Anfiinge liegen viel weiter zuriick, ihre
Einigung ist im wesentilichen ein Werk des ausgehenden achtzehnten Jahr-
hunderts und ist heute noch nicht abgeschlossen, — so ist es doeh unbe-
streitbar, dass sie durch ihn die kraftvollste Forderung erfahren hat. Dar^
Ronnte sie aber nur, weil Luther auf dem Boden der einer gemein-
*amen deutschen Schriftsprache am nachsten kommenden, mitteldeutschen
kursachsischen Kanzleisprache mit Bewusstsein weiterbaute und sich in
Wortwahl und Satzbau an die Volkssprache anschloss.7)
Bei richtiger Auslegung der Griinde, warum gerade Luthers Sprache als
Muster fiir das Gemeindeutsche gelten konnte, hatte schon das ausgehende
sechzehnte Jahrhundert die Grundsatze entwickeln konnen, wonach sioh die
6) Vgl. Behaghel, ebenda, S. 47; und F. N. Fink, Der deutsche Sprach-
bau als Ausdruck deutscher Weltanschauung, Marburg 1900.
7) Es mag hier beiliiung erwahnt werden, dass wegen der vielen jetzt
vollig veralteten, uns nur aus der Lutherischen Bibeliibersetzung oder der
alteren Dichtung bekannten Worter, Wortformen und Wortfiigungen die
Sprache in Luthers Bibel, die ja zum Volksbuch bestimmt war, auf uns
heute einen wesentlich andern Eindruck macht, als sie auf Luthers Zeit-
genossen machen musste und sollte. Um denselben Eindruck auf uns her-
vorzurufen, ware es notwendig, die Bibel in die heutige Volkssprache um-
zusetzen.
82 Padagogiscbe Monatshefte.
Abfassung jeder gesetzgebendcn Grammatik gestalten irniss: ihre Regeln
und Forderungen miissen sich griinden auf den allgemeinen Sprachge-
brauch, wie er sich besonders bei den hervorragendsten Schrif tstellern der
betreffenden Zeit, und auf das Sprachgef iihl, wie es sich vorwiegend in der
Umgangsprache der hoheren Kreise kundgibt, wtihrend im Zweifelsfalle
die Sprachgeschichte, der Gebrauch der besten Dichter und Schriftsteller
der unmittelbar vorhergehenden Zeitalter und ein auf die geschichtliche
Entwickelung der Sprache gegriindeter gesunder Geschinack den Ausschlag
geben miissen.
Die hier genannten Erfordernisse, deren relative Wichtigkeit durch die
gegebene Eeihenfolge angedeutet 1st, bediirfen nsiherer Erklarung und Be-
griindung.
Vornehmste Eichtschnur und Regel fur jede praktische Grammatik ist
der lebende Sprachgebrauch. Zwischen Sprachgebrauch und Sprachrichtig-
keitj scheiden zu wollen ist trotz Andresens so betiteltem Buche verlorene
Liebesmiih; was'eine Sprachgemeinschaft einmal anerkannt und angenom-
men hat, das hat kein Grammatiker das Recht als fehlerhaft zu brand-
marken. 8) Was oft so Sprachrichtigkeit genannt wird, ist welter nichts
als der Sprachgebrauch eines dahingegangenen Geschlechtes. \Vie alle Er-
zeugnisse der Volkerpsychologie, so steht aber auch die Sprache in ihrer
Entwicklung nie still; und deshalb gibt es bei ihr keine Zeiten des reinen
Verfalls und keine Zeiten des reinen Aufbaus: Verfall und Aufbau gehen
bestandig neben einander her oder decken sich grosstenteils. Die Sprache
von gestern ist tot, so wie die tot sind, die sie gesprochen haben; keine
Macht der Erde wird sie wieder zum Leben erwecken, — denken wir ihrer
in Ehrfurcht, aber ohne Klage, und lassen wir die Toten ihre Toten begra-
ben; das Leben ist bei den Lebendigen. Auch die Sprache von heute geht
dahin, wie der Tag vergeht, und keines Josua Gebet wird ihre Sonne und
ihren Mond stillstehen heissen. Und indem sie stirbt, iibergibt sie, was von
ihr lebensfahig und keimkraftig ist, der Sprache von morgcn.
Im objektiven Sprachgebrauch liegt schon an sich die Allgemeiugiiltig-
keit. Festzustellen ist er also an moglichst vielseitigen Ausserungen der
Sprachttitigkeit. Dahin gehort bei der lebenden Sprache vor allem als
Ausgangspunkt die Unigangsprache, die wichtigste Seite des Sprachlebens,
und zwar sowohl in gewiihlter als in vertraulicher Form. Zu beobachten
ist die Umgangsprache, erstens im taglichen miindlichen Yerkehr, was
natiirlich nur fur die Gegenwart gelten kann; zweitens im Briefe, dessen
Sprache vorwiegend geschriebene Umgangsprache ist; drittens im ernsten
Prosadrama und hoheren Lustspiel zeitgenossischer Schriftsteller sowie im
Dialog des Romans. Die beiden letzten Punkte miissen fur vergangene
Sprachperioden den notigen Aufschluss gewiihren, da dann der erste ver-
sagt. Sodann sind erziihlende, beschreibende, rednerische und wissen-
schaftliche Prosa, einschliesslich der besten Zeitschriften und Zeitungen,
und endlich Dichtungen in gebundener Sprache zu untersuchen. Was sich
bei all diesen Gruppen vorfindet, ist allgemeiner Sprachgebrauch; findet
sich eine Erscheinung nur in der einen oder der anderen oder zweien der
Gruppen, so erwartet man dariiber in einer praktischen Grammatik zuver-
liissige Angaben.
Fur jedes Zeitalter muss die gesetzgebende Grammatik neu geschrieben
werden. Das ergibt sich zur Geniige schon aus dem Vorhergehenden.
8) Vgl. Lyon, a. a. O., S. 17. . : ':
Zur gesct^ge:enden Gmmmatik. 83
Das Sprachgefiihl beobachtet man ain sichersten wieder an der Urn-
grangssprache. Da diese zwischen Schriftsprache und Mundart die Mitte
halt, indem sie sich abg-esehen von mundartlicher Farbung in Lautstand und
Wortformen an die geschriebene Sprache, in Wortschatz und Wortfiigung
hauptsiichlich an die Mundart anschliesst, so gerat der kriiftigste Jung-
brunnen dcs Deutschen, der Dialekt, wohl schwerlieh in Gefahr verschiittet
zu werdcn.9)
Wo Sprachgebrauch und natiirliches Sprachgefiihl zur sicheren Ent-
scheidung nicht ausreichen, also in zweifelhaften Fiillcn, ist die Sprachge-
schichte zum Vergleich heranzuziehen. Bietet diese deutliche Parallelen, so
ist die fraglichc Erscheinung nicht zu beanstandeu. Dies ist besonders
v.ichtig, wenn eiiie Wendung nur bei einem Einzelnen belegt werden kann;
denn ,,gerade in sprachlichen Ding?n kann oft der Einzelne mehr bedeuten
als erne tausendkopfige Menge, und r.m allerwenigsteii liisst sich hier nacli
Majoritsiten entscheiden."10) Wegen dieser Aufgabe der Sprachgeschiehte
ist es aber auch unerlasslich, dass sich die gesetzgebende Grammatik je-
weils die Ergebnisse und Fortschritte der Sprachwissenschaft grundlich
zu eigen mache. Sonst entbehren ihre Aufstellungen der einzig sicheren
Grundlage und tragen den Karaktcr der Launenhaftigkeit und ^illkiir.
Dass auch der Sprachgebrauch der Klassikcr, v.-ofcrn er nur dem hen-
iigen nicht zuwiderliiiift, — aber auch nur dann, — zur Entschcidung her-
beigezogen werden kann, bedarf keiner besondercn Eechtfertigung.
Mit der Forderung, in der praktischen Grammatik auch dem Geschmack
eine Stimme einzuraumen, verlassen wir eigentlich schon das Gebiet
der Grammatik und begeben uns in das Gebiet des Stils, wo uns Dexitscheii
im allgemeinen nicht so sonderlich wohl ist, da wir nicht den festen Boden
unbedingter Objektivitat unter den Fiissen haben. In Fragen den Stils sind
die Romanen und vor alien die Franzosen ganz anders zu Hause. 1m
Deutschen, das fiir jeden Gedanken eine ungemeine Fiille von Ausdrucks-
mitteln, fiir jede Schattierung zahllose Halb- und Viertclsfarben zur Ver-
fiigung hat, braueht sich keiii Schriftsteller um seinen individtieilen Stil
abzuiniihen, solange er nur Jiidividualitht hat. Der niehr aufs Aligemeinc
gerichlete, mehr unpersonliche Franzose aber hat es infolgc der fest-
stehendeii Form seiner Sprache viel leichter, sich den objektiven Sprach-
slil anzueignen.ll)
Und dann ist der asthetische Sinn der Deutschen in sprachlichen Din-
tren in der langen Zeit, da das Deutsche unter fremder Zucht stand, sehr
abgestumpft worden. Zurn Gliick sind die Falle, bei deren Entscheidung
man sich einzig auf das Stilgefiihl verlassen muss, verschwindencl gering.
Wenn sie aber vorkommen, dann werden den, der sich an die Abfassung
einer gesetzgebenden Grammatik macht, seine Vorarbeiten zu dor ganzen
Aufgabe auch instandsetzen, in Stilfragen sein eigenes Urteil haben zu
diirfen.
Der Erste, der dem herrschenden Sprachgebrauch sein voiles Eecht
cinriiumte, war der Berliner Rektor Johann Bodiker; in seinen ,,Grund-
9) Vgl. Goethes Wort: ,,Der Dialekt ist doch eigentlich das Element, in
wek'hem die Seele ihren Atem scliopft."
10) Lyon, a. a. O., S. 19.
13) Vgl. Hans Meyer, Das deulsrhe Volkstum, Leipzig und Wien 1889,
S. 29
84 Pddagogische Monatshefte.
satzen der deutschen Sprache" (1690) verlangt er, dass die Grammatik den
Sprachgebrauch im Zusammenhange behandle; als Spraclimuster nennt er
eine Reihe zeitgenossischer Schriftsteller, daneben auch noch Luther. Die
Ansicht, dass die Schriftsprache (oder, wie sie damals oft genannt wurde,
hochdeutsche Mundart) von den Gebildeten als Umgangspraehe angenoni-
men werden miisse, hatte gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts viele
Anhanger gewonnen. Die bestehende Schriftsprache aber griindete sich
seit Luthers Zeit auf das Kursachsische, die ,,Meissner Mundart", und die
Meissner standen trotz dem energischen Einspruch des grossen J. G. Schot-
tel (Schottelius) in seiner ,,Ausfiihrlichen Arbeit von der teutschen Haupt-
sprache" (Braunschweig 1663) lange im Rufe, das schonste Deutsch zu
sprechen, worauf sie sich nicht wenig zu gut« taten.12) Gestiitzt wurde die
herrschende Ansicht noch im achtzehnten Jahrhundert durch Gottsched,
der in seiner ,,Grundlegung einer deutschen Sprachkunst'* (Leipzig 1748)
vom Meissner Deutsch (von ihm und Adelung als ,,obersachsische Mundart"
bezeichnet) ausging, und durch J. Chr. Adelung, der auf das Deutsche
starkeren Einfluss ausgeiibt hat als je ein Einzelner vor oder nach ihm.
(Lehrbuch der deutschen Sprache 1782; versuch eines vollstandigen gram-
matisch-kritischen Worterbuchs der hochdeutschen Mundart, 4 Bande,
1774 — 1780). Wahrend Gottschel noch den Schlesier Opitz an Stelle Luthers,
dessen Sprache durchweg veraltet sei, als Sprachmuster empfohlen hatte,
stellte Adelung die lebende Umgangspraehe Obersachsens sogar iiber den
Sprachgebrauch zeitgenossischer Schriftsteller. Und in Adelungs Bann-
kreis gerieth trotz anfanglicher Ablehnung und trotz den energischen Pro-
testen Bodmers selbst die klassische Dichtung, besonders Schiller. In der
Schreibweise und der Formenlehre hat tatsachlich Adelung die Einigung
der Schriftsprache vollzogen; in diesen Punkten sind wir heute noch kaum
iiber ihn hinausgekommen, wie iiberhaupt unsere praktische Grammatik
noch im ganzen die Gottscheds und Adelungs ist. Wer sich heute auf sein
Sprachgefiihl verlasst, spricht und schreibt nach den Regeln in den Wer-
ken Adelungs und der beiden Heyse, selbst wenn er sie nie gesehen hat. 13)
Nun trat im Jahre 1819 Jakob Grimm mit dem ersten Bande seiner
Deutschen Grammatik auf den Plan, die die wissenschaftliche Sprachbe-
trachtung von Grund aus umgestaltete. Grimms Werk lehnte von vorn-
herein jeden praktischen Zweck ab; und durch die Irrgange der gesetz-
gebenden Grammatik abgestossen, warf er diese vollig beiseite und erklarte
in der Vorrede seines Werkes, jeder Deutsche diirfe sich eine selbsteigene
lebendige Grammatik nennen und brauche sich nach keinerlei Sprach-
meisterregeln zu richten. Diese schroffe Ablehnung der gesetzgebenden
Grammatik vertragt sich aber keineswegs mit unsern heutigen Anschau-
ungen. Freilich kennt die historische Grammatik keine Sprachfehler, und
jede Ausserung der Sprachtiitigkeit, einerlei welcher Gestalt, ist ihr gleich-
•\villkommen als Material, woran sie die Gesetze der Sprachentwickelung
aufsucht und beobachtet. Nun ist aber der oberste Zweck der Sprache, der
12) Nach dem beriihmten Satze ,,Mir Sachsen sprechen das reenste
Deitsch" diirfte diese Anschauung heute noch nicht ausgestorben sein, wie
ja auch der alte Aberglaube, die hannoverische Ausprache des Deutschen
sei durchaus vollkommen, immer noch in Hannover den begeistertsten An-
hang findet.
13) Vgl. Lyon, a. a. O., S. 8—12.
Zur gesetzgebenden Orammatik. 85
sich im Laufe der Zeit immer starker herausgebildet hat, Mitteilung und
Verstandigung. Ob die Sprache diesem Zweck vollkommen geniigt, und ob
tie ihm iiberhaupt geniigen kann, bleibt sich gleich; der Zweck ist einmal
da, und ihm hat sich der Einzelne zu fiigen, wenn auch nach der Ansicht
einiger Sprachforscher jeder Einzelne eine Sprachinsel fiir sich bildet.
Gegen diesen Zweck der Verstandigung jedoch verstossen die Sprachfehler
des Einzelnen; ja, im eigentlichen Sinne werden solche Erscheinungen erst
zu Sprachfehlern infolge ihres Mangels an Verstandlichkeit. Der Einzelne
wird nun schon von selbst sich dem Ganzen anzupassen suchen. Wo aber
Schwankungen und Unsicherheiten einzureissen drohen, hat die Sprachge-
meinschaft das gute Recht, regelnd einzugreifen; am allerineisten, wenn.
jeder Sprachstumper es wagen darf, sich mit einer verkehrten Anschauung
des grossen Grimm schirmen zu wollen, die dieser heute ganz gewiss nicht
mehr aussprechen wiirde.
Ganz offenkundig besteht das Bediirfnis nach einer gesetzgebenden
Grammatik im Deutschen, und zwar, abgesehen von jedem anderen Grunde,
schon um die Einigung der Gemeinsprache riistig zu fordern. Daran haben
Jahrhunderte gearbeitet, und doch ist die Einigung noch lange nicht voll-
kommen. Ob sie jemals erreicht werden kann, ist zum mindesten zweifel-
haft; und noch zweifelhafter ist es, ob eine vollstandige Einigung wtin-
schenswert ware. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass einige der
Krafte (wie mundartliche Unterschiede), die, wenn nicht durch starke Ge-
genstromungen verhindert, die Gemeinsprache iiber kurz oder lang zer-
setzen mussten, zugleich unermiidlich der Sprache neue, kraftige Nahrung
an Wortschatz und syntaktischen Ausdrucksmitteln zufiihren. Doch diese
Vorteile konnen dem Deutschen voll erhalten bleiben, ohne den Dis-
integrationstendenzen das Feld zu iiberlassen. Bewirkt werden kann dies
jedoch nur durch eine neue praktische Grammatik auf streng geschicht-
licher Grundlage in dem schon oben besprochenen Sinne. Eine neue; denn
in das Heysische Werk sind zwar die Ergebnisse der geschichtlichen
Forschung mit anerkennenswertem Geschick und Fleiss hineingearbeitet
worden, aber verlangt wird von dem verdienstvollen Bearbeiter selbst, Dr.
Lyon, eine vollige Umgestaltung der praktischen Grammatik auf Grund
der historischen.
Diese Forderung enthalt zugleich auch die Angabe, wessen Pflicht es
ist, dem Bediirfnis nach einer gesetzgebenden Grammatik entgegenzukom-
men. Die Allgemeinheit hat ein Recht, das von den Vertretern der
deutschen Sprachwissenschaft an den Universitaten zu erwarten.14) Denn
ebensowenig wie jede andere Wissenschaft ist die Sprachwissenschaft nur
um ihrer selbst willen da; und keiner Wissenschaft tut es an ihrer Wiirde
Eintrag, sich sehr ernstlich darum zu kummern, welche Dienste sie der
Allgemeinheit leiste. Sie kann darum doch die hohe, die himmlische Gottin
bleiben und braucht keineswegs zu der beriihmten milchenden Kuh zu
werden. Hinter dem geflissentlichen Meiden aller Fiihlung mit dem Leben
versteckt sich leicht ,,das Unvermogen einer unfruchtbaren Gelehrsamkeit,
oder aber eitle Lust an dem zwecklosen Spiele des eigenen Scharfsinnes, die
beide gleich weit entfernt von wahrer Wissenschaftlichkeit sind."15) —
14) Vgl. auch H. C. G. von Jagemann, Philology and Purism. Publ. of
the Mod. Langg. Ass. of Amer., vol XV.
15) Paul, a. a. O., S. 3—4.
86 Padagogiscbe Monatshefte.
,,Wissenschaft und Praxis stehen vollkommen gleichberechtigt nebenem-
ander. Ja, die Wissenschaft gewinnt ihren wirklichen Wert nur erst dxirch
eine Yerwertung ihrer Ergebnisse im Leben. Und eine Wissenschaft, die
sich vom Leben trennt, erstarrt in totcn Fornien und wird zu einer un-
fruchtbaren Scholastik."lG) Wie unheilvoll und verwerilich anderseits die
Praxis wird, wenn sie losgelost von der Wissenschaft und im trotzigen Ge-
gensatz zu ihr eigene Wege zu gehen versucht, zeigt Lyon schlagend an
dem Beispiel des alten Daniel Sanders, desseii Bienenfleiss eine hundert-
fliltig reichere Ernte erlangt haben miisste, wenn er nicht in seiner Verbit-
terung es verschmsiht hatte, sich durch das Studium der Sprachgeschichte
zu mehr als lediglich zum Stoffsaminler auszubilden.17)
Den besten Beweis aber fiir das Bestehen des Bediirfnisses bestimmter
F.prachlicher Belehrung liefert der Erfolg eines Werkes, das in den letzten
i-.wolf Jahreii von sich redon gemacht hat wie kein zweites auf sprach-
lichem Gebiete, und das in seiner neuen Auflage die vorstehenden Be-'
incrkungen xiber die gcsetzgebende Gramrnatik veranlasst hat, Wustmanns
,,Spraehduromheiten".18) .
16) Lyon, a. a. O., S. 1.
17) Ebeuda, S. 13. Dass Xietzsehes Bezeichnung ,,lland- und Schand-
wo'rterbtich" ungerecht ist, bcdarf keines Beweises.
18) Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Gramma tik des
Zv/eifelhaften, des Falschen und des Iliisslichen. Ein Hilfsbuch fiir allc
die sich tiffentlich der deutschen Sprache bediencn, von Gustav Wustmann.
Dritte, verbesserte und vcrmehrte Ausgabe. Leipzig, F. W. Grunow, 1903.
(Fortsetzung folgt.)
Berichte und Notizen.
I. Korre5pondenzen.
(Far die Padagogischen flonatshefte.)
Cincinnati. wollen, indeni es allerlei ,,Enthiil-
Wie ich in meinem letzten Briefe lungen" zum Nachteile des Cincin-
schon betonte, konzentriert sich in natier Systems der Wardvertretung
den Gesezesh alien unserer mit grossem Gusto zum besten gibt,
guten Hauptstadt Colum- AA'iihrend anderseits Cincinnati sich
bus das bisschen Interesse, welches bemiiht, die sehr bedeiitenden J.Iehr-
dieStaats-Solone ,dem auszuhecken- kosten des als schlecht hingestellten
den Schulkodex iiberhaupt ent- Clevelander Unterrichtswesens in
geg-enbringen, hauptsiichlich auf die liebevoller Beleuchtung hervorzu-
Schulbehorden oder -rate, bezw. deren heben. Ich bin der unniassgeblichen
Zu&ainmensetzung. Jede grossere Meinung, dass die gauze Geschichte
Staclt im Staate empfielilt ihre gegen- durch diese Norgeleien geschiidigt
•vvartig bestehende Einrichtung als und zur Hinschleppung verdammt
Suinnrum der Weisheit, und die Leh- v>'ird, so dass vielleicht eben vor dem
rer dort petitionieren zu gunsten Schlusse der Legislatursitzxmg etwas
derselben. So Cleveland und Toledo ubereiltes und Halbfertiges zutage
fiir kleine, Cincinnati ftir grossere gefo'rdert und flugs per Einhaltsbe-
Schulrathe. Wie gewohnlich fehlt es fehl in die Ecke gestellt werden wird
dabei nicht an Liebenswiirdigkeiten, nach dem Motto: Was hilft das Ge-
die man sich nach beriihmten setz, wenn es nicht umgestossen
Mustern in der Presse nn die gegen- wird!
seitigen Kb'pfe wirft. Darin scheint Auch die Lehrerpensions-
Cleveland den Vogel abschiessen zu a n g e 1 e g e n h e i t ist wieder auf
Korresponden^en.
8?
der Bildnache erscliienen, und zwar
auf Anlass des traurigen Zustandes,
in deni sich die Finanzen der einzi-
gen derartigen Einrichtung imStaate,
der Lehrerpensionsbehorde von Cin-
cinnati, befinden. Ich habe dariiber
schon wicderholt berichtet, kann
mich daher heute auf die voratisge-
sehene traurige Tatsache beschran-
ken, wonach die Einkiinfte dieser
Kasse die Ausgaben, d. h. die Pen-
sionsbetrage nicht decken, trotz-
dem siimtliche Lehrer je $20 jiihrlich
dazu beitragen und die ausbezahlten
Pensionen sich kaum auf $400 jahr-
lich fiir jeden Pensioner belaufen.
Audi damit soil die Legislatur sich
befassen und gesetzlich bestimmen,
dass ein gewisser Teil der Schul-
steuer znr Pensionierung der Leh-
rer verwendet werden kann. Darob
Entriistung und Widerspruch von
alen Seiten, weil man nicht einsehen
kann, \varum Lehrer in dieser Hin-
sicht vor anderen stiidtischen Ange-
selltcn etwas voraushaben sollten.
V.'ir haben und brauchen, so heisst
cs, in unserem freien, grossen, glor-
reichcii Lande weder einen Beamten-
noch einen Lehrerstand, ergo: ,,Sur-
vival of the fittest" auch fiir die
Lehrer, mlt anderen Worten ,,Weiin
Du aber gar nichts hast, so lasse
Dich begraben, Hund!", oder sich
zu, dans Du Dich beizeiten aus deni
gottlichen Lehramte salvierest.
Letzeren Ausweg betreten denu
auch nicht wenige heiratsfiihige
Kolleginnen allhier, woriiber wieder
die ,,Kadetten'' ihre helle Freude
haben.
Einem vielgefiihlten Bediirfnisse
abzuhelfen, haben eine Anzahl von
Mitgliedern des hiesigen deutschen
Lehrervereines sich zu g e s e 1-
jlig - wissenschaflichen
Zwecken zusammengetan und einen
,,S c h e r z und Ernst" benamsten
Verein ins Leben gerufen. Hoffent-
lich ist's den Leuten auch rechter
Ernst damit und beherzigen sie das
beklagenswcrte Schicksal, das die
eine zeitlang so schon bliihende Ge-
sangssektion des genannten Ver-
eines betroffen hat, die augenschein-
lich auf Ximmerwiederzusammenge-
trommeltwerden (dieses Wort hat
Duden rein vergessen!) aus dem
Leim gegangen ist — ein ruhmloses
Sterben, das sich gewiss der Griin-
der der Sektion, unser Freund Re-
dektor der ,,P. M." seinerzeit nicht
hat triiumen lassen.
DerDeutscheOberlehrer-.
v e r e i n hat sich jiingst an die Ver-
leger der Weick-Grebnerschen deut-
schen Lesebiicher gewandt mit dem
Ansinnen, dieselben einer von seinen
Mitgliedern fiir dringend notig erach-
teten zeitgemsissen Revision und
Neubearbeitung zu unterziehen. Der
Bescheid der Verleger soil jedoch
ziemlich schroff ablehnend gelautet
haben.
Da ich gerade von Buchern
spreche! Von den zahlreichen .
,.edited', annotated with voca-
bulary" deutschen Dicht- und Pro-
sawerken, die uns neuerdings von
liebcn hoheren Kollegen dargeboteii
werden, hat mir noch keines so gut
gefallen wie ,,Der Trompeter von
Sakkiiigen"--), hergerichtet von Va-
lentin Biiehner, San Jose, Cal. Das
gilt vor allem von dem wirklich vor-
ziiglichen Erkliirungen und dem
nicht mir vom Verfaser so bezeich-
neten, sondern tatsachlich durchaus
vollstiindig deutsch-englischen Wor-
terverzeichnisse. Ich nehme keineu
Anstand, diese Arbeit des mir per-
sonlich unbekannten Verfassers eine
sehr zeit- uiid zweckgemiisse zu ncn-
nen und die Hoffnung auszuspre.-
chen, dass dieses Scheffelsche
Meisterwerk der neueren deutscheu
Dichtung sich in Schul- und Privat-
kreisen recht bald einej weiten Ver-
brcitung erfreuen nioge. Dass ich
mit Meister Joseph, wie im Buche
abgebildet, im Touristengewande
mehr als einmal personlich zusani-
niengekommen bin in ,,Alt - Hei-
delberg, der Feinen", das macht mir
den ,,Sang vom Oberrhein" in dieser
Form uni so lieber * * *
Milwaukee.
Grosses Interesse bringt man hier
jetzt der im niichsten Monate Marz
stattfindenden Wahl eines Lei-,
ters unsers Schul wesens
entgegen, und der Schulrat ist schon
mit den Vorarbeiten seit einiger Zeit
beschiiftigt. Es ist von demselben
ein Ausschuss ernannt, welcher sich
*) Diese Schulausgabe ist auch uns
zugegangen, und wir freuen uns,
unserm Herrn Berichterstatter voll
und ganz beipflichten zu konnen.
Eine Besprechung des Buches soil
in kurzer Zeit folgen. D. R.
88
Pcfdagogische Monatshefte.
nach Bewerbern und passenden
Miuiiic.ru fiir diesen Posteu umzu-
sehen und dem Schulrat passende
Vorschliige zu naachen hat. Es
stehen 5 Bewerber fiir das Anit im
Felde, von denen 3 von hier sind,
einschliesslich des jetzigen Inhabers
der Stelle, und zwei von aussen. So
weit bis jetzt verlautet, scheint im
Ausschuss ein Maim von auswarts
begiinstigt zu werden, wohl nach der
alten Kegel, dass das Gute weit her-
geholt vverden miisse. Der jetzige
Supt. Siefert, der das Ami 3 Termine
eur volligen Zufriedenheit, wie man
wohl behaupten kann, verwaltet hat,
scheint mehreren Mitgliedern des
Schulrats nicht inehr zu geniigen.
Man will vielleicht einen jiingern
Mann haben, der sich mehr der al-
lerneuesten und modernsten Rich-
tung in der Piidagogik zuwendet und
den Kopf voll allerlei up to date Me-
thoden hat, und solche denn auch
sofort einfiihren wiirde; ohne das
alte und wahre Sprichwort zu be-
denken, dass das Neue ineistens nicht
gut, und das wirklich Gute nicht neu
ist. Herr Siefert ist ein praktischer
uad erfahreiier Schulmann, der seit
mehr als 24 Jahren mit den offent-
lichen Schulen Milwaukees in Ver-
foindung steht, und dessen Anschau-
ungen in der Padagogik durchaus
nicht altmodisch und hinter der Zeit
zuriick sind, der aber trotzdem vor-
sichtig zu Werke geht bei alien
Neuerungen und als probat ange-
priesenen Methoden, und sich die-
selben erst gehorig ansieht und sie
priift. Doch was geht dieser ganze
Wechsel in der Oberleitung der
Schulen iiberhaupt uns Lehrer an?
Wir werden ja nicht um unsere An-
sicht befragt und haben mit der
Wahl nichts zu tun. Wir Lehrer wer-
den auch mit jedem neuen Leiter der
Schulen fertig werden, und miisgen's
ja auch, denn ,,Ordnung muss sind!"
sagt der Berliner. Aber dennoch ge-
wohnt man sich mit der Zeit so an
einen Vorgesetzten, der im amtlichen
Verkehr stets freimdlich, zuvorkom-
mend und hoflich ist, und niemals
ohne Not den ,,super" herauskehrt,
dass man solchen Vorgesetzten un-
gern aus dem Amte scheiden sieht;
noch dazu, da man nicht weiss, wer
sein Nachfolger wird und wie der-
selbe ,,regieren" wird. Doch hoft'en
wollen wir, dass die Wahl, wie immer
sie auch ausfallen moge, zum Wohl
und Besten der Schulen und der
Stadt ausfalle; die Wiinsche und
Hoffnungen der Lehrer fallen dabei
ja weniger ins Gewicht.
Im Verein der stadti-
schen Lehrer (Milwaukee
Teachers' Association) wurde vor
einiger Zeit ein Vorschlag zur Auf-
besserung der Lehrergehalter ge-
macht und debattiert. Die daraus re-
sultierende Resolution, welche vor-
gelegt und angenommen wurde, ist
sodann dem Schulrat iiberreicht. Die
Proposition empfiehlt icine Aufbes-
serung von 25 Prozent. Das ist ja
nun alles recht gut und schon, wenn
die Sache nur Erfolg hiitte. Der
Schulrat nimmt die Resolution ent-
gegen, und damit hat es sein Bewen-
den. Doch lassen Sie mich dieselbe
erst anfiihren. Sie enthalt die fol-
genden Bestimmungen. 1. Lehrer der
untersten 4 Grade, Hilfslehrer im
Deutschen und Lehrerinnen der
Kindergarten beginnen mit einem
Gehalte von $500, steigend mit $50
per Jahr, bis das Maximum des Ge-
halts von $1000 nach 11 Jahren er-
reicht ist. 2. Lehrer des 5. und 6.
Grades beginnen mit $600, steigend
mit $50 per Jahr, bis das Maximum
von $1000 nach 9 Jahren erreicht ist.
3. Lehrer des 7. Grades beginnen mit
$700, steigend mit $50 per Jahr, bis
das Maximum von $1000 na9h 7 Jah-
ren erreicht ist. 4. Lehrer des 8.
Grades beginnen mit $800, steigend
$50 per Jahr, bis das Maximum von
$1000 nach 5 Jahren erreicht ist. 5.
Erste Gehilfslehrer und Oberlehrer
des Deutschen beginnen mit $900,
steigend mit $50 das Jahr, bis das
Maximum von $1100 nach fiinf Jahren
erreicht ist. Das wiirde uns deutsche
Oberlehrer wieder auf den status quo
aute unsers Gehaltes bringen, wie
wir es vor 7 Jahren hatten, wo man
es fiir gut befand, uns um $200 per
Jahr zu beschneiden, wenn — die
'Sache den leisesten Schatten von
'Verwirklichung hatte. Aber der
Schulrat hat immer seine stereotype
Antwort bei der Hand: Wir haben
dazu kein Geld in der Kasse. Das
ist eben so stereotyp, wie der be-
kannte Ausspruch des Kirchen-
fiirsten — non possumus! Und so
warten wir Lehrer geduldig und den-
ken dabei mit Karl Havermann:
,,Badt iit nich, so schadt ja nich".
Dazu kommt nun noch die flaue Ge-
schaftszeit und allgemeine Depres-
sion, so dass wir Lehrer uns auf
dieselbe Antwort gefasst machen
konnten, die die Magnaten der hie-
sigen Strassenbahn ihren Angestell-
ten auf eine Anfrage nach hohern
Lohn gaben, namlich: ,,Seid nur
froh, dass wir euch nicht noch ab-
xiehen!" Lehrergehalter aufbessern
Umscbau.
und den Lehrern Pension zahlen, das
tut man nur in europaischen Lan-
dern, von wo die armen, ungebilde-
ten und halbbarbarischen Einwan-
derer kommen, denen man die Lan-
dung hier so missgonnt und er-
schwert. Fiir solche Extravaganzen
hat man hier kein Geld. In einem
englischen Schulblatt las ich neu-
lich in einem Aufsatz iiber Lehrer-
pensionen den Satz: ,,Alle zivi-
lisierte Lander und Nationen be-
sahlen ihren Lehrern Pensionen, mit
Ausnahme von England und Ame-
rika." Das Blatt fiihrte dann noch
#anz richtig aus, dass man das Geld,
was man hier in einigen Staaten den
alten Lehrern unter dem Namen
,,Pension" zahle, diesen Namen gar
nicht verdiene, da es nur eine spa-
tere Riickzahlung von friiher abge-
zogenem Gehalte sei. Pensionen be-
zahlt /. B. Onkel Sam seinen alten
und invaliden Soldaten. A. W.
New Yo-k.
Die erste Versammlung
unseres Vereines im neuen
Jahre, am 9. Januar, war dem Anden-
ken des verstorbenen Emil Dapp-
r i c h gewidmet. Dr. Wahl gab in
schlichten, schonen Worten, die von
Herzen kamen und zu Herzen dran-
gen, ein Lebens- und Charakterbild
des deutschen Mannes, der wie weni-
ge Wissen und Konnen zu einem har-
monischen Ganzen vereinigte und ein
lebendes Beispiel eines wahren Pa-
dagogen war. Herr Herzog schilderte
den Eindruck, den Dapprich auf die-
jenigen machte, die ihn auf Lehrer-
tagen kennen zu lernen und zu
beobachten Gelegenheit hatten, den
Eindruck eines Ritters vom Geiste,
ohne Furcht und ohne Tadel, wah-
rend drei Schiller des Verstorbenen,
die Herren Appell, Riemer und
Schmidt in kurzer und tiefgefiihlter
Kede des Lehrers und Freundes ge-
dachten. ,,Er war uns alien ein Vor-
bild; er lehrte uns arbeiten durch
sein Beispiel." ,,Er war uns mehr
als ein Lehrer, er war uns ein vater-
licher Freund.". ,,Sein heiteres, son-
niges Gemiit durchdrang die ganze
Schule." ,,Als Lehrer ist er unbe-
schreiblich. Er verstand es, wie kei-
ner, selbst den trockensten Gegen-
stand zu beleben und anziehend zu
machen durch seine Personlichkeit".
Er hat sich die beste Unsterblichkeit
gesichert im liebenden Andenken sei-
ner Freunde und Schuler. Kequiescat
in pace.
Unser Verein erfreut
sich eines frohlichen G e-
d e i h e n s. Derselbe hat im letzten
Jahre eine Anzahl neuer Mitglieder
gewonnen, und die jungen wie die
alten stellten sich und stellen sich
in erfreulicher Anzahl bei den Ver-
sammhmgen ein. Besonders lobens-
wert ist der piinktliche und zahl-
reiche Besuch unserer wackeren
Newarker, der alten Garde, die we-
der stirbt noch sich ergibt, oder
doch wenigstens nur dem geistigen
Genusse und der auf die Versamm-
lungen folgenden Gemiitlichkeit.
Piinktlich zur Sekunde findet sich
vor allem ein der allererste Nestor
unseres Vereins, Herr Geppert
(Newark), trotz Regen und Schnee.
Unser Verein wiinscht alien Bruder-
vereinen ein gliickliches neues Jahr:
Vivant, floreant, crescant.
H. Z.
II. Umschau.
Preisausschreiben. Der
iN o r d a me rikanische Tur-
ner b u n d hat einen Preis von $50
(210 Mark) fiir das beste, zum Text
fur ein Turnfestlied geeignete
deutsche Gedicht ausgeschrieben.
Dem von Herrn Hermann Lieber,
dem ersten Sprecher des Bundes-
vorortes zxi Indianapolis, und dem
ersten Schriftwart Herrn Theodor
Stempfel ebendaselbst unterzeichne-
ten Zirkular entnehmen wir folgende
Bestimmungen :
1. Die Gedichte sind dem 1.
Schriftwart des Bundesvororts,
Theodor Stempfel, Box 166, Indiana-
polis, Indiana, United States of
America, franko zu iibersenden. Sie
miissen sich spiitestens am 1. Mai
1904 in den Handen des genannten
Beamten befmden.
2. Zur Preisbewerbung sind Man-
ner und Frauen aller Lander berech--
Jtigt. Der Preisbewerber braucht
nicht Mitglied eines Turnvereins zu
sein. Da die infolge des ersten
Preisausschreibens eingesandten Ge-
dichte und Namensangaben sich
nicht mehr in den Handen des Preis-
gerichtes befinden, so ist es den be-
treffenden Einsendern gestattet, sich
entweder mit neuen Gedichten oder
Umarbeitungen der alten an der
Preisbewerbung zu beteiligen.
3. Die Gedichte miissen mit einem
Motto versehen sein, und es soil den-
90
Pddagogiscbe Monatshefte.
selben ein verschlossener Umschlag
mit dem Motto, dem Namen und der
Adresse des Dichters beiliegen. Die-
ser Umschlag wird erst nach Fallung
des Urteils geoffnet.
4. Der Text des Festliedes soil
niclit mehr als etwa 300 Silben ent-
halten.
5. Falls sich unter den einge-
eandten Gedichten kernes befindet,
das den gestellten Anforderungen
geniigt, so soil keinem der Dichter
der Preis zugesprochen werden.
6. Das Preisausschreiben fiir die
Tondichtvmg wird unter Mitteilung
des preisgekronten Gedichtes am 1.
Juni 1904 znr Post gegeben vrerden.
7. Konkurrenztermin fiir die Ton-
dichtnng: 1. November 1904.
Prof. Rein von der Universita t
Jena beabsichtigt, im kommenden
Sommer den Yereinigten Staaten
einen Besnch abzustatten und eine
Anzahl von Vortragen zu halten.
Wie uns Frl. Amalie Nix, die auf die
Einladung des Herrn Prof. R. im
Sommer des Jahres 1902 in mehre-
ren Universitiits - Sommerschulen
Deutschlands Vortriige iiber Frauen-
bildung in den Yereinigten Staaten
gehalten, mitteilt, reist Herr Prof.
E. in Begleitung seiner Gattin und
trifft Mitte Aug'ust in New York ein.
Die Vorbereitungen zu der Yortrags-
tour liegen in den Hiinclen von Frl.
Nix, Central High School, St. Paul,
Minn., an die man sich gefiilligst we-
gen naherer Auskunft baldigst wen-
den \volic. Herr Prof. Eein 1st in
den Yer. Staaten ebenso riihmlich
bekannt wie im alten Yaterlande,
und seine vielen Freunde werden
ihm einen warmen Empfang berei-
ten.
Die Welle der Bewegung z u r
Aufbesserung der Lehrer-
gehiilter in den Yereinigten
Staaten hat bereits die Kiiste des
Stillen Ozeans erreicht. In . Ivalif or-
nien ist es der Journalist Irving Mar-
tin, der im ,,Daily Record" von Stock-
ton entschlossen fiir hohere Gehalter
der kalifornischen Lehrer kampft.
Herr M. fordert unter anderem fiir
Manner und Frauen denselben Yer-
dienst fiir dieselbe Arbeit. Er hat
nicht allein bereits den Gouverneur
Pardee fiir die Sache gewonnen,
sondern, was weit wichtiger ist, er
hat auch die Presse seines Staates
veranlasst, die Angelegenheit der
Lehrer zu fordern.
In Pennsylvanien hat der Staats-
Schulsuperintendent Dr. N. C.
Schaffer in den letzten fiinf Jahren
sich fortgesetzt und, wie berichtet
wird, auch mit Erfolg bemiiht, die
Gehalter der Lehrer zu erhohen.
Auch in Indiana, Nebraska, Nord-
Carolina, Arizona und Kansas sind
die Lehrer nicht untatig geblieben,
ihre Lage zu verbessern.
Die Lehrer der Stadt New York
allein scheinen zufriedenstellende
Gehalter zu erhalten. Dort beziehen
4913 Lehrer Gehalter, die zwischen
$1000 und $8000 jahrlich schwanken.
Aber selbst das oft gepriesene New
York hat immer noch 5650 Lehrer,
die weniger als jahrlich $1000 haben.
Der Staats-Lehrerverband von
Wisconsin hat sich ebenfalls wjih-
rend seiner Sitzungen in den Weih-
nachtsferien recht ernstlich mit der
Frage der Lehrergehiilter befasst.
Er beschloss, sich an die Legislator
des Staates zu wenden.
Als Kiiriosum mag hier die Tat-
sache miterwahnt werden, dass es
in den Reihen der Lehrer selbst
Leute gibt, die einer Erhohung der
Lehrergehalter entgegenarbeiten. Zu
dieseii seltenen Vogeln gehcirt der
'Schulsuperintendent von Anderson,
Ind., ein gewisser J. W. Carr, der
,. seine" Lehrerinnen fragt, ob der
Aufenthalt unter Kindern, inmitten
einer Atmosphare von Rcinheit und
Unschuld, das Gliick und der Son-
nenschein auf den Gesichtcrii, und
was dergleichen schone Dinge mehr
sind, nicht schon Belohnung genug
sei. Es diirfte Herrn C., dem iibri-
gens das Gchalt sofort herabgesetzt
werden sollte, schwerlich gelingen,
einer aus tausend Lehrerinnen zu be-
Aveisen, dass Gotteslohn und im Alter
ein Leben im Armeiihause verlocken-
der sind als eine nennenswerte Ge-
haltszulage!
Die Fussball - Saison der
amerikanischen Hochschulen ist eben
zu Elide gegangen. Da eine zuver-
IJissige Unfall-Statistik nicht erhalt-
lich ist, so lasst sich iiber die vor-
gekommenen Ungliicksfalle nur das
mitteilen, was hier und dort in den
Tagesblattern berichtet worden ist.
Dreizehn Fussballspieler sind ge-
fahrlich verletzt worden, einige die-
ser dreizehn wrerden lebensliinglich
verkriippelt bleiben; einen Studeiiten
haben die erhaltenen Yerletzungen
wahnsinnig gemacht. Die Anzahl der
\veniger gefahrlichen, aber schmeiv.-
lichen Yerletzungen geht natiirlich
in die Hunderte.
Die schwereren Unftille sollen auf
die ungeschulten Spieler beschriinkt
Umschau.
91
geblieben sein. Die professionellen
Neuner- oder Elfer-Riegen der gros-
sen Universitaten haben keine per-
manenten Invaliden aufzuweisen ge-
habt. Zwei von diesen Athleten ha-
ben n u r je ein Bein gebrochen
(Yale und Harvard); andere haben
nichts weiter davongetragen, als eine
ausgerenkte Schulter oder einen zer-
schundenen Kopf, oder sonst eine
,,Kleinigkeit".
Infolge der vielen Unftille haben
nun eine Anzahl der kleineren
Schulen das Fussballspiel ganz ver-
boteii, Columbus Junction, Pa., und
Greenfield, O., auf Grund einer von
den Eltern den Schulbehorden zuge-
stellten Bittschrift.
Im Jahre 1903 belief sich die An-
zahl der Kinder in den
Schulen der Vereinigten
S t a a t e n auf rund 13 Millionen,
oder 22 Prozent der Gesamtbe-
volkerung. Der Durehschnirtsbestich
war 70 Prozent der 18 Millionen. Ein
V i e r t e 1 der halben Million Leh-
rer waren Manner. Durchschnitts-
gehalt der mannlichen Lehrkrtif te:
£aO. der weiblichen: $40.
Der Flachenraum der W e 1 1 a u s-
stellung zu St. Louis ist 1200
Acker gross; seine Form ist die ernes
liinglichen Viereckes, 2 Meilen lang
und eine Meile breit. Die Fliiche ist
wellig, und viele der schonsten Ge-
baude stehen auf Iliigcln. Das Haus,
in dem die Schulen der ganzen Welt
das Wenigstc, was sie zeigen konnen,
ausstellen sollen, ist 400 zu 600 Fuss
gross. Die Schulausstellung in St.
Louis soil insofern von alien vorher-
gegang-enen iihnlichen Ausstellungen
abweichen, als man dort die Zoglinge
selbst bei ihrer Arbeit im Laborato-
rium, in der Nah- oder Kochschule,
in der Werkstatt beim Ilandfertig-
keits-Unterricht, ja selbst die Taub-
stnmmen und Blinden bei ihrer Tii-
tigkeit vorfiihren will.
Die betreffendeii Beam ten haben
die Ausstellungsgegenstiinde der
Schulen in acht Gruppen geteilt, und
iwar wie folgt:
Gruppe I imd IT, Volksschulen;
III, Hochschulen; IV, Die schonen
Kiinste; V, Ackerbauschulen; VI,
Handels- und Industrieschulen; VII,
Blinden- und Taubstummen-Anstal-
ten; VIII, Textbiicher, Schulmobel,
Anschauungsmittel, etc.
Der S t a a t Wisconsin, mit
einer Bevolkerung von 2,069,042, hat
im Schuljahre 1902—03 $7,157,730 fiir
die Erziehung der Jugend ausgege-
ben. Die Anzahl der Kinder belief
sich auf 456,831, die der Lehrer ouf
13,669.
Mit grosser Hiirte ist der S t a a t s-
gesundheitsrat von India-
n a gegeu etwa 250 Lehrer und Leh-
rerinnen vorgegangen. Denselben
wurde die Wiederanstellung unter-
sagt, und zwar auf den Grund hin,
dass die betreffenden Herren und
Da men tuberkulos sind, so dass also
die Gefahr vorliegt, dass sie die
Keime der schrecklichen Krankheit
auch den Schiilern mitteilen.
Berlin. Streik im In-
teresse der Standesehre.
An den kaufmiinnischen Fortbil-
dungsschulen waren bisher 20 — 25
akademisch gebildete Lehrer be-
schiiftigt. Einem dieser Oberlehrer
wurde nach den Sommerferien ge-
kiindigt, weil er sich beschwert
hatte, dass der seminaristisch ge-
bildete IJektor bei ihm hatte hospi-
tieren wollen. Jetzt beschwerten
sich siimtliche Oberlehrer gegen
eine derartige ubei'wachung beim
Kuratoriuin, aber ohne Erfolg.
Daraufhin stellten mit Ausnahme
von zweien alle akademisch gebilde-
ten Lehrer am 1. Oktober ihre Wirk-
samkeit an den Fortbildungsschulcn
ein. In einer Versammlung des Ber-
liner Gymnasiallehrervereins wurde
folgende Resolution angenommen:
,,Die Versammlung nimmt mit In-
teresse von den Griinden Kenntnis,
die eine grosse Anzahl der Mitglie-
der veranlasst haben, ihre bisherige
Tiitig-keit an den kaufmiinnischen
Fortbildungsschulen aufzugeben. Sie
erkennt an, dass dieser Schritt im
Interesse der Standesehre unbedingt
notwendig war und halt deshalb
auch fiir die Zukunft eine Lehrtsitig-
keit von akademisch gebildeten
Lehrern an jenen Anstalten unter
den jetzigen Verhiiltnissen fiir un-
vereinbar mit dem Standesinteresse."
Dazu macht die ,,Leipz. Lehrerztg."
die folgenden Bemerkungen: Die
akademisch gebildeten Lehrer in
Preussen uncl einigen anderen Staa-
ten sorgen doch immer fiir den Hu-
mor. 1st doch erst kiirzlich einer
dieser Humoristen in die Redaktion
des Kladderadatsch eingetreten. Wir
empfehlen den in ihrem Standesge-
fiihl so tief Gekriinkten, solange
nach China auszuwandern, bis die
deutschen Regierungen das berech-
tigte Verlangen der deutschen Volks-
schullehrer auf uneingeschriinkte
Zulassung zum Studium an den Uni-
versitiiten erfiillt haben. Auch der
Pddagogische Monatshefte.
vor kurzem wegen Beleidigung eines
oldenburgischen Ministers verurteilte
Oberlehrer Dr. Ries, der in dem Pro-
cess erklarte: Ich war auch verbit-
tert, dass einem Seuiinarlehrer d-er
Titel ,,Oberlehrer" verliehen wurde,
kb'nnte sich mit ins Land der Zopfe
begeben.
Deutschland. Die im De-
cember 1902 und Januar 1903 ergaii-
genen neuen Verordnungeu
der preussischen Mini-
ster i en iiber die Erwerbung des
Berechtigungsscheines d u r c h S e-
minarabiturienten haben
bewirkt, dass auch in den iibrigen
deutschen Bundesstaaten ahnlich-
lautende Erlasse gegeben worden
sind. Damit ist die Frage der Er-
werbung des Berechtigungsscheines
endgiltig und fur alle Bundesstaateu
einheitlich geregelt.
Hesse n. Andertlniversi-
t a t zu Giessen sind mit Beginn
des Winterhalbjahres zum erstenmal
Volksschullehrer zum Stadium ein-
getreten, die von der kiirzlich er-
lassenen Verfiigung des Grossherzog-
lichen Ministeriums Gebrauch
machen, wonach es den Lehrern, die
mit den besten Noten die Abgangs-
priifung vom Seminar und die Staats-
priifung bestanden haben, gestattet
ist, eine dreijiihrige Studienzeit an
der Universitat durchzumachen, um
alsdann als Lehrer an hoheren Lehr-
anstalten, Lehrerbildungsanstalten
und im Schulverwaltungsdienst ver-
wendet zu werden.
Mecklenburg. Zum Besol-
dungselend. Nachdem in Sch.
die neuerrichtete Klasse ein halbes
Jahr von den dortigen Lehrern mit
verwaltet worden Avar, fand sich zu
Michaelis eine eigene Lehrkraft da-
fur. Das Anfangsgehalt betragt wie
iiblich 800 M. Als der neue Kollege
am Tage vor Schulanfang in seinem
neuen Wirkungskreise eintraf und
sich um eine geeignete Wohnung mit
Pension bewarb, forderte man fast
uberall mit besonderer ubereinstim-
mung 720 M. Enttiiuscht griff er
wieder zum Knotenstock und wandte
der ungastlichen Stadt den Riicken:
mit 20 M. Taschengeld pro Quartal
glaubte er Schneider und Schuh-
macher, Steuern und Abgaben etc.
nicht bezahlen zu konnen.
Zahl der Lehrerinnen in
den deutschen Gross-
s t a d t e n, nach dem statistischen
Jahrbuch der deutschen Stadte: Es
kommen in Berlin auf je 100 Lehr-
krafte 44,02 Lehrerinnen, in Aachen
49,50, Altona 44,51, Danzig 44,72, Lii-
beck 44,69, Miinchen 47,85, Strass-
burg 46,50, Chemnitz 4,02, Plauen i.
V. 5,81, Zwickau 5,17, Leipzig 10,92,
Duisburg 7,65, Niirnberg 15,98, Wies-
baden 19,85. Der Anteil der Leh-
rerinnen betragt zwischen 20 und
30 Prozent in 12 Stadten, in 14
Stadten zwischen 30 und 40 Prozent.
Durchschnittlich ist in den 42 Gross-
stadten der Anteil der Lehrerinnen
30 auf je 100 Lehrpersonen.
Schweden. Da die schwedische
Unterrichtsverwaltung den U n t e r-
richtsplan der hoheren
Lehranstalten zu andern
wiinscht, wandte sie sich an die Lehr-
korper der einzelnen Anstalten und
holte ihre Ansicht iiber den Unter-
richt in den neueren Sprachen ein.
Fast allgemein hielt man fiir notig,
Deutsch an die erste Stelle zu setzen
und ihm den Vorrang vor Englisch
und Franzosisch einzuraumen. Die
Begriindung dieser Ansicht gibt ein
Lehrerkollegium in folgender Weise:
,,Die deutsche Kultur mit ihren rei-
chen Wissensschiitzen, ihren dichteri-
schen Erzeugnissen und der Vielsei-
tigkeit des sprachlichen Ausdruckes
rangiert ganz unbestritten in unsern
Tagen an der vornehmsten Stelle.
Hinzu kommi, dass die neuzeitlichen
Schulbestrebungen mehr und mehr
einer positiven Brriicksichtigung
jener besonderen Aufgabe zuneigen,
durch welche die Befiihigung der
heranwachsenden Jugend zur spate-
ten Teilnahme am wissenschaftlichen
Leben erhoht und die Aussichten auf
eine gesicherte Lebensstellung ver-
bessert werden konnen. In diesen
beiden grundlegenden Beziehungen
bietet weder das Franzosische
mit seinem geringen kommer-
ziellen Werte noch das Englische
mit seiner geringen Bedeutung auf
rein kulturellem Gebiete die gleichen
Bildungsmoglichkeiten wie das
Deutsche." Dass die Reform durch-
gefiihrt wird, geht daraus hervor,
dass in Upsala und Lund zwei neue
Professuren fiir germanische Spra-
chen eingerichtet werden sollen, da-
mit es nicht an gut vorgebildeten
Lehrern fehlt.
S c h w e i z. In Zurich sind kiirz-
lich erschwerende Be-
dingungen fiir die Aufnahme
von Russinnen zum Studium der
Medizin erlassen worden. Als Grund
wird der aussergewohnlich starke
Zudrang aus dem Zarenreich ange-
Vermischtes.
93
geben. Russinnen, die zugelassen
werden wollen, miissen an Vorbil-
dung denselben Anforderungen ge-
niigen, wie die Schweizer Studenten;
damit dennoch letztere nicht be-
nachteiligt werden, sollen in Zu-
kunft auch noch Platzkarten fiir die
Kliniken ausgegeben werden.
Frankreich. Von den 10,049
kongreganistischen S c h u-
1 e n, die geschlossen worden sind, ist
wie die ,,Schweiz. Lehrerztg." berich-
tet, mehr als die Halfte (5830 Schu-
len) wieder eroffnet worden. Von 988
Knabenschulen werden 106 von welt-
lichen Lehrern, die anderen von sa-
kularisierten Monchen geleitet. Von
den Madchenschulen stehen 2976
unter Leitung ehemaliger Nonnen.
England. Auf der V e r s a m m-
1 u n g der ,,British Associa-
t i o n" in Southport f iihrte Sir Wil-
liam Abney aus, wie gross der Fort-
schritt der Erziehungswissenschaft
in den letzten 50 Jahren ist, sowohl
was Qualitat, als auch was Quan-
titat anbelangt. Im allgemeinen war
man dafiir, die Spezialisierung der
Schulen soweit wie moglich hinaus-
zuschieben. Besonders empfohlen
wurde das sogenannte Frankfurter
System, wonach Latein erst im 12.
kebensjahre des Schiilers beginnt. —
Am praktischsten war die Frage
iiber die Madchenerziehung. Es
wurde besonders die Gefahr des
tJberarbeitens zwischen dem 12. und
16. Jahre betont. tJber den Unter-
schied in Knaben- und Madchen-
schulen konnte wenig festgestellt
werden. Die neuesten Madchen-
schulen sind ahnlich den Knaben-
schulen angelegt. Sie haben diesel-
ben Examina und ebenso gute, oft
bessere Erfolge. Die mangelhafte
Erziehung fiir den ,,hauslichen Be-
ruf" wurde von Dr. Armstrong be-
sprochen, jedoch seine Worte waren
nur ,,vox clamantis in deserto".
Aus Russian d. Wen die Got-
ter hassen, den machen sie auch in
Russland zum Lehrer. Am 19. Okto-
ber traf auf der Station Werinnowka
aus Ssaratow eine unbekannte, off en-
bar kranke junge Dame ein; sie be-
gab sich in das Damenzimmer und
erregte durch ihren langen Aufent-
halt dortselbst die Aufmerksamkeit
des Stationspersonals. Als sich
schliesslich ein Wachter ins Damen-
zimmer begab, fand er die Dame wie
leblos auf dem Sopha liegen. Er rief
den Stationschef herbei, der, nach-
dem er sich von dem kranken Zu-
stande der Reisenden iiberzeugt
hatte, sofort einen Feldscher holen
liess. Diesem gelang es mit grosser
Miihe, die Kranke ins Bewusstsein
zuriickzurufen. Nachdem er ihr
einige Loffel Bouillon eingeflbsst
hatte, erfuhr er von der Dame, dass
sie eine Volksschullehrerin sei. In
letzter Zeit ware sie an einem Fieber
erkrankt und hatte sich zur Kur in
ihre Heimat begeben miissen. Un-
terwegs ware ihr ihre ohnehin sehr
kleine Barschaft — eine Unterstiitz-
ung hatte sie nicht erhalten — ge-
stohlen worden, so dass sie seit drei
Tagen buchstablich nichts genossen
hatte. Tatsachlich stellte der
Feldscher fest, dass sich die Kranke
im letzten Stadium des Verhungerns
befinde. Die Eisenbahnbeamten
nahmen sich auf das freundlichste
der Ungliicklichen an, veranstalte-
ten fiir sie eine Subskription und
forderten sie auf, bis zur volligen
Wiederherstellung auf der Station zu
bleiben.
III. Vermischtes.
*Eigenartiger Zufall. In
einer Schule zu Soest trug sich ein
eigenartiger Zufall zu. In der Friih-
stiickspause kam ein Kind zu Fall,
wobei es mit der Stirn auf einen
Stein schlug. Das Kind begab sich
alsbald mit den iibrigen ins Klassen-
summer, wo es plotzlich erblindete.
Sogleich wurde es dem Arzt vorge-
fiihrt, der eine leichte Gehirner-
schiitterung konstatierte, die vor-
aussichtlich in einigen Tagen geho-
ben sein wiirde. Zur besseren
Beobachtung und sorgfaltigen Pflege
wurde das erblindete Kind dem
Waisenhause iibergeben. Die Ge-
nesung ties Kindes schreitet langsam
fort. Schon gegen Abend war das
Auge fiir einige Lichtstrahlen
empfanglich.
* Plakatpadagogik. Die
,,Neue Westdeutsche Lehrerzeitung"
wendet sich gegen eine Art der Er-
ziehung der Jugend: Die Erziehung
durch Plakate. ,,Es ist an der Zeit,
mit lauter Stimme Protest zu erhe-
ben". - - Der Verfasser beruft sich
auf eine Erfahrung, die jeder Lehrer,
jeder Seminarist machen kann und
die er auch gemacht hat. Eine Karte
Pddagogische Monatshefte.
unit den Bildnissen der preussischen
Konige und ihrer Regierungszeit hing
nahc-zu em Jahr lang an der Vorder-
vvand cines Schulzimmers. Als das
Bild entfernt wurde, konnte niemand
eine von den Zahlen angeben ausser
den Eegierungszahlen der Kaiser.
Trotzdem ist man auf diesem Wege
fortgegangen. Uin den Kampf gegen
den Alkoholgenuss recht wirksam zu
fiiliren, hat ein Verein abstinenter
Lehrer zehn ,,Lehrsatze" verfasst
nnd sie anf Heftdeckel drucken las-
sen. Wenn ein Kind von semen Eltern
einen Schnaps bekommt, wird es
vielleicht daran denken, dass auf dein
Deckel seines Schreibheftes gesagt
ist, es sei besser, das Alkolioltrinkeii
zu unterlassen, \venn es zufiillig die
Siitze gelesen hat. Ein iihnliches
Mittel wendet man in Sachsen-Wei-
mar-Eisenach an. Dort hat man
Tafeln mit 21 Regeln in die Schul-
zimmer gebracht, die die Uberschrift
tragen: ,,Was iniissen wir tun, um
gesund zu bleiben?" — Die beiden an-
gefiihrten Massnahmen lassen den
Verfasser in die Worte ausbrechen:
,,Soviele Manner unterziehen sich
dem Studium der Psychologic; soviel
Manner suchen auf Grund dessen die
Padagogik auszugestalteii; soviel
Manner studieren ihre Zoglinge; so-
viel Manner bereiten sich auf ihreii
Unterricht vor; soviel Manner habeii
sich in ihreii Unterrichtsstunden
abgearbeitet; und das Avar alles un-
notig, die Sache ist so einfach. Mit
iinrner inehr Plakaten miissen die
Wiiiide bedeckt werden. Doch noch
erhabener lasst es sich gestalten.
Die Wande werden tapziert (was sehr
zu wiinsehen ware), die Tapeten sind
bedeckt mit lauter Siitzen, die An-
weisungen uncl Belehrnngen enthal-
ten, die Fussboden sind mit solchen
bemalt, ebenso die Banke. Essgerate
dtirfen nicht fehlen, Schuhanzieher,
Hosentriiger, alles, alles Padagogik."
Und nun die Griinde dafiir, dass man
auf diesem Wege nicht zuin Ziele
kommt? Man vertraut auf Worte,
man glaubt, die Vorstellungen seien
die Grunderscheinungen des Seeleii-
lebens, aus denen sich der Wille stets
aufbaue. Dazn kommt ein zweites.
Wie wir das Ticken der Uhr nach
einiger Zeit nicht niehr horen, so
verschwindet auch das Plakat vor
unseren Augen. Die Kinder sehens
und sehens doch nicht. Moge man
sich doch stets an das Wort des Ko-
nigsberger Philosophen erinnern:
,,Erziehung ist das grosste Problem
und das schwerste, was dem Men-
gchen kann aufgegeben werden."
•-• Am i n t e r n a t i o n a 1 e n
\S c h ii 1 e r b r i e f w e c h s e 1, der
ein von padagogischer Seite unter-
nommener Versuch ist, deutsche
'Schiller mit franzosischen, ong-
lischen und amerikanischen Schiilern
Briefe wechseln zvi lassen, sind nach
Angaben in einem den Gegenstand
behandelnden Schriftchen von Prof.
Dr. Markscheffel (Weimar) in
Deutschland beteiligt: 70 Gymnasien,
50 Eealschulen, 46 llealgymiiasien, ]4
Oberi'ealschulen, 5 Lehrerseminare,
5 Handelsscluilen, 75 hohere Miicl-
chenschulen, 9 Lehrerinnenseminare,
also 280 Schulen, in Frankreich 217,
in Grossbritannien 55, in Amerika 68
Schulen verschiedener Art. Die
,, Deutsche Zentralstelle fiir inter-
r.ationalen Briefwechsel" befindet
sich Leipzig-Gohlis, Fechnerstrasse 2.
Schiiler miissen sich fiir die An-
meldnng stets der Vermittlung durch
einen ihrer Lehrer bedienen. - - In
Nr. 285 der ,,Tagl. Rundschau" spricht
ein v/estdeutscher Alumnatsinspek-
tor schwerwiegende Bedenken gegcn
diesen Briefwechsel aus.
* Die f o 1 g e n d e n a e h t W 6 r-
t e r sollen die Uingsten der eng-
lischeu Sprache sein:
Incomprehensibility.
Subconstitutioiialist,
Philoprogenitiveness,
Disproportionableness,
Velocipedestrianistical,
Anthropophagmian,
Transubstantiationalist,
Antitransubstantionalist.
Da sollte das ,,W. Va. School Jour-
nal" erst mal die acht Uingsten Wor-
ter der deutschen Sprache
sehen!
•-•Was ist Faulheit? ,rDie
Wirkimg der Harnsiiure und der
Kohlensiiure auf willkiirliche Ner-
venmittelpunkte, sie (die Faulheit)
ist in ihrer Art ebenso wohl eine
Krankheit wie Rheumatismus." Das
ist Roy Glasgows Definition fiir Faul-
heit vor einer Lehrerversaininlung in
Missouri.
•"•Das W e i m a r e r S t a a t s-
m i n i s t e r i u m macht auf die Ge-
fiihrlichkeit der ,,Farbkreiden" aui'-
merksam und ordnet die Aufnahme
der ,,Alkoholgenussgefahr" in den
Lehrplan an.
* I n R u m a n i e 11 ist jedem
Gymnasialdirektor zur Besorgung
der Schreibgeschiifte ein Sekretiir
beigegeben, und die Lehrer sind nur
zu 12 wochentlichen Unterrichts-
stunden verpflichtet. Jede weitere
Biicherbesprechungen.
95
Stunde wird mit 20 Fr. pro Monat
honoriert. Das Gehalt der rumiini-
schen Gymnasiallehrer 1st ein ange-
messenes, denn es betriigt 3600 Fr.
und steigt jedes fiinftc Jahr bis zum
Hochstgehalt von 5040 Fr. Die Dienst-
zeit dauert 30 Jahre.
* Am 10. November verstarb im
Alter von 46 Jahrcn in Halle der
durch seine Arbeiten auf dem Ge-
biete der Kinderforschung bekannte
Arzt Dr. m e d. Schmidt - M o n-
n a r d. Auf arztlichen Kongressen,
im Stadtverordnetensaal, in Lehrer-
und Burgervereinen trat er stets fiir
schulhygienische Forderungen mit
Sachkenntniss und Wiirme ein.
* In der hessischen zweiten Kam-
mer wurde gesetzliche Festsetzung
der hochstzuliissigen Schii-
1 e r z a h 1 einer Klasse ouf 40 ver-
langt. Nur ausnahmsweise sollen bis
zu 60 Kinder einem Lehrer iiberwie-
sen werden diirfen.
*Bin reicher Hindu stif-
tete 25,000 Pfund Sterling zur
Griindung eines Lehrstuhles der
Philosophic an der Hochsehule zu
Oxford unter dem Namen Herbert
Spencers.
*Der Deutsche Frobel-
V e r b a n d verlangt bei der Reform
der hohern Miidchenschulen Pflege
der ,,Wissenschaft der Mutter":
Haushalt, Erziehung, Kinderpflege
nach ,,Harry Schmitt".
* G e winner der Nobel-
p r e i s e 1903: Bj. Bjornson ftir Lite-
ratur; Svante Arrhenius, Stockholm,
Prof., 45 J. alt, ftir Physik (Theorie
der elektrolytischen Disassozia-
tioiien); Nyls Ryberg Finsen, ein
Sohn der Faroer, Arzt in Kopenha-
gen, 43 J. alt, ftir Medizin (Begrtin-
der der Lichttherapie) ; das Ehepaar
Currie und Henry Becquerel in Paris,
Preis fiir Chemie (Erforschung des
Radiums); William Randall Cremer,
engl. Parlamentsmitglied, Friedens-
Preis (Urheber der Friedenskon-
ferenzen).
* I n S c h w e d e n haben viele
Sclmlen nur halbe Uiiterrichtszeit, je
den zweiten Tag. Da eine Scliulbe-
horde in Angermansland die voile
Schulzeit einfiihrte, beschlossen 200
Arbeiter zu streiken, d. h. ihre Kin-
der wie bisher je den zweiten Tag
zur Schule zu seiiden.
*In einigen Bezirken
S e r b i e n s haben die Lehrer 2 — 3
Monate keinen Gehalt (gesetzlich
1000—3000 Dinar, fiir Lehrerinnen
840 bis 2450 D.) erhalten.
* E i n e H 6 f 1 i c h e. Eine Ber-
liner Lehrerin miihte sich ab, den
Kindern die zuriickzielenden Zeit-
worter zu erkliiren. Schliesslich,
nachdem sie verstanden zu sein
hoffte, begann sie damit, die Kinder
das Zeitwort ,,sich setzen" durchkon-
jugieren zu lassen: ,,Fang du an,
Mariechen!" Mariechen: Ich setze
mir, du setzest dir, er setzet ihr. . .
Lehrerin: Falsch, die Nachste weiter!
Gretchen: Ich setze dir, du setzest
mir.... Lehrerin: Falsch! Weisst
etwa du es, Lieschen!" Lieschen von
der letzten Bank hat sich niimlich
durch Fingerhochheben benierkbar
gemacht. Und Lieschen nickt und
beginnt triumphierend: ,,Ich bin so
frei und setze mir, du bist so frei
und setzest dir. . . .
* A u s S c h ii 1 e r h e f t e n. Ob-
schon der Xagelschniied ein wackerer
Mann war, brannte seinem Nachbar
das Haus ab. -- lufolge der gliick-
lichen Regierimg kam bei der Ko-
nigin Elisabeth der beriihmte Dich-
ter Shakespeare hervor.
Bacherbesprechungen.
German Genders. Rules
and Exceptions. Compiled by
Robert Grimshaw, Ph. D.
New York. Brentano's, 1902.
This is a, handy little book of
thirty-five pages all told, — a com-
panion volume to the same author's
French Genders. In the first
place, the author points out, with
many illustrative examples, seven
ways in which gender is expressed
in German, devoting over thirteen
pages to affixes. Then follows a list
of nouns with double genders,
divided into two classes, (1) those
with practically the same meaning,
and (2) those with different mean-
ings. The book is closed with an
alphabetical list of exceptions
covering four or five pages. The in-
nocent little volume presents in
convenient form the most esential
rules on the subject of gender.
Charles Bundy Vvilson.
State University of Iowa.
96
Padagogische Monatslwfte.
Allen and Greenough's
New Latin Grammar for
Schools andCollegea, founded on compar-
ative grammar. Edited by J. B.
Greenough, G. L. Kittredge, A.
A. H. Howard, Benj. L. D. Ooge.
Boston, Ginn & Co., 1903.
The Allen and Greenough's New Latin
Grammar, recently published, will take
its place in the foremost ranks of Latin
grammars as a suitable text-book for
secondary schools and the college stu-
dent. Advantage has been taken of the
careful study, investigation and prac-
tical conclusions reached since the edi-
tion of 1888, and the result is an excel-
lent guide for the student of Latin. That
which recommends the book more than
any other feature is the clear and com-
plete setting forth of the fundamental
principles of Latin syntax, both noun
and verb constructions. While the cita-
tions of examples are from a wide range
of authors, yet they are unusually clear
and arranged in such a way as to invite
the attention of the beginning student.
The terminology employed is plain and
satisfactory and the typography is neat
and attractive, and with the beginner
these features are important.
Eingesandte Bucher.
Entwicklungslehre von
Dr. Franz T. Wagner. With
notes and vocabulary by Arthur
S. Wright, Professor of Modern
Languages, Case School of Applied
Science. Boston, D. C. Heath and
Co., 1904.
Robinson der Jungere von
Joachim Heinrich Campe.
Abridged and edited with notes and
vocabulary by C. H. I b e r s h o f f ,
Teacher of German, Detroit Uni-
versity School. Boston, D. C. Heath
and Co., 1904.
Elementary German for
Sight Translation by R. Clyde
Ford, Pht. D., Professor of French
and German in the Michigan State
Normal College, Ypsilanti, Ginn and
Co., 1904. Price 30 cts.
Goethes ,,d a s M a r c h e n".
Edited with introduction, notes,
vocabulary and conversational exer-
cises by C h a s. A. E g g e r t, Ph.
D., formerly Professor of the
German Language and Literature in
the University of Iowa. Boston, D.
C. Heath and Co., 1904.
The FirstThree Books of
Homer's Iliad with introduction,
commentary and vocabulary for the
use of schools by Thomas D.
Seymour, Hillhouse, Professor of
Greek in Yale College. Revised
Edition. Boston, Ginn and Co., 1903.
Price $1.25.
Die drei Freier, Erzahlung
ron Levin Schiicking. Edited
with introduction and notes by Otto
Heller, Ph. D., Professor of the Ger-
man Language and Literature in
Washington University, and Head of
the German Department in the
Chautauqua Institution. Boston
Ginn and Co., 1904. Price 35 cts.
La Mare au Diable by
George Sand. Edited, with brief
introduction, notes, and full vocabu-
lary by Leigh R. Gregor,
Lecturer on Modern Languages in
McGill University, Montreal, Canada.
Boston, Ginn&Co., 1903. Price 35 Cts.
New First Music Reader
by James M. M c L a u g h 1 i n, Di-
rector of Music, Boston Public
Schools, George A. Venzie, Supervisor
of Music, Chelsea Public Schools, and
W. W. G i 1 c h r i s t, Author of
"Exercises for Sight-SingingClasses",
etc. Boston, Ginn & Co., 1903. Price
30 Cents.
Elemetary Plane .Geo-
metry, Inductive and Deductive, by
Alfred Baker, M. A., F. R. S. C.,
Professor of Mathematics, Univer-
sity of Toronto. Boston, Giun & Co,
1903. Price 55 Cents.
Elementary Guide to Li-
terary Criticism by F. V. N.
Painter, A. M., D. D., Professor
of Modern Languages in Roanoke
College. Boston, Ginn & Co., 1903.
Price 95 Cents.
Bacteria, Yeasts, and
Molds in the H o m e by H. W.
Conn, Ph. D., Professor of Biology
in Wesleyan University, Middletcwn,
Conn. Boston, Ginn & Co., 1903.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Scbolweseo.
Organ <!es
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
3iibt'cjamj V. fftapz 1904. Heft 4.
Gustav Frenssen — A Study.
(Fttr die PadagogUchen flonatshefte.)
Von Dr. Warren W. Florer, University of Michigan.
(Concluded.)
Only the most important stages of Jorn UhFs slow and powerful
religious development may-be given in this article.
When but a mere babe Jorn Uhl was robbed of a mother by the care-
lessness of a father, whose inner life had been corroded by cards and drink.
Jorn had no guide to explain to him the phenomena he saw about him.
That it was so, was perhaps well, for he was compelled to look out for him-
self. As he grew up, he observed the lives of his brothers and father
and witnessed the increasing ruin of 'Die Uhl.' This in small way he
endeavored to correct and to prevent as much as possible. He learned in
early boyhood that the best thing in the world is work, the worst, idleness
with gambling, drink and certain forms of society as companions. (In
this connection Frenssen is unscathing in his attacks upon the gambling
and drinking of men and the excessive society of women, by which children
are shorn not only of their birthright, but also of their parent-, especially
mother-right.) Jorn was thus inwardly prepared to hear the history of
his family, but when the teacher noticed the rebellious instinct when he
came to tell about Jorn's father, he simply gave the following advice:
"What you have inherited from your fathers, acquire it in order to pos-
sess it."
Jorn then determined to prepare himself to be Landvogt; this was
also the wish of his father. To attain this end he was sent to the Gymna-
sium. But Jorn, who was prepared only in English, encountered Latin,
which has about the same relative position in the curriculum as mathe-
9& Pddagogiscbe Monatshefte.
rnatics in American schools. He therefore was compelled to begin in the
lowest class. The course of instruction offered nothing new to him. He
finally determined to follow Thiess Thiessen's advice — "gerade auf den
Landvogt los!"
The instruction in the confirmation class, in which the old church
dogma was proclaimed, was also incomprehensible to him and therefore
torturous. The practical, sober youth, who applied everything to 'Die Uhl'
and to the people who dwelt there and to the conditions of the village,
could not understand either the sin or the grace that was taught. The sin
seemed to him to come much too late and the grace much too soon. The
sin began with larceny, .theft and murder (not with cards, drink, excessive
society and gossip). The grace was there too soon, namely, when one cast
his sin upon the Lord. Jorn Uhl could not understand 'diesen lieben Gott.'
To him God seemed to be an impracticable bookkeeper, who in his
room kept his books in the most beautiful order and on the out-
side was being frightfully deceived by his chosen people.
Jorn Uhl went out to the open field and listened to old Wilhelm
Dreyer, as no one ever listened in the church. Dreyer's experience was
for him in those years evangel; to work and be sober and saving — glad
tidings of great joy.
Then came the time of life when one has no guide, when the parents
lose control, if they have any. And the other people do not grab for the
reins which are dragging behind us, when we are rushing madly down the
street — which leads to the marketplace of life, to that place where destiny
so earnestly asks us: — 'What are you worth?' The meaning of these hours
is so important because they denote the transition from youth to manhood
with all its conflicts and experiences. Jorn Uhl was no exception. He had
his experience with the Sanddeern and at the Jungeleuteball, where under
the influence of the experience with the Sanddeern and the resulting con-
flicts he attempted to outdo his father and brothers in their wild life. But
he did not possess the talent to become a vagabond. Then followed a sad
night and the morrow, when he struggled with his conscience which was
bidding fair to make a coward of him. Until this time he had nothing
which he could honor. No one had understood how to bring religion
close to him. The vigorous, beautiful and proud stature of the Savior
they had botched and destroyed. He did not have a mother. Thus this
warmhearted youth was without love. It was natural that he went again
to the Sanddeern who was pure, although wronged by the gossip of the
neighborhood, and who, after hearing his confessions, revealed unto him a
new gospel and went her way. The content of her gospel was: 'What
one has experienced is not necessarily destructive, rather productive of
strength, if one does not give up the battle for the good and the true.'
The experiences of these days worked upon him for years. He was
Gustav Frenssen—.-4 St'idir. 99
withcut friends and books. In his introspective mood ho determined to
separate himself from women and from the world. One cannot, however,
get. away from the world very easily. If one turns around, it is the.re; if
one turns around again, it is still there; if one closes hist eyes, one hears
its bustling; stops his ears, it capers before him. One must take a stand,
keep peace or begin conflict. . Jorn Uhl began conflict. In this conflict he
drew the eyebrows so deep that he did not perceive the great wonders,
and he carried his head so high that he did not heed the great beauties.
Therefore, if the world with all its natural and human equipment did not
meet his approval, so must he who created heaven and earth fare ill.
Jorn, indeed, went to church. He had been going to church for
months, because he noticed that the saving and the sober and the old-
fashioned people went to church; he also noticed that the young and the
wild and the statemakcrs did not go to church. Jorn went to church be-
cause he desired to be and remain a safe man. He wanted to show it, so
he went to church. He went to church and it bored him. Above all
things he could not reconcile the fact that the man who preached to him
was a hypocrite, judging from his outside actions. The old man Dreyer
said: "It does not depend on the life of the man, Jorn, but upon
whether he preaches the right word of God." But just this right
doctrine which the preacher proclaimed cut Jorn to the very quick.
The contents of the sermons were about as follows : ' ' The imagina-
tion of man 's heart is evil from his youth. " " The Trinity praised in
eternity." "Whoever builds upon his life and upon his works will
be eternally damned." "Believe and ye will be saved." Jorn Uhl
sat and listened and could not discover what these teachings had to
do with the wild life in the village and with his own life. He wondered
why the word of God was so impractical, and thought out his own
Bible.
At times when the small man read the prescribed passages with a sing-
ing, sepulchral voice it seemed as if he heard something else than what the
man afterwards really preached. It seemed to him as if he heard great
powerful thoughts right out of human life. He was like unto a man who,
lying in the edge of the woods, is surrounded by the twittering of birds and
the buzzing of insects and hears deep in the forest a spring rushing with
full, heavy and pure water. But in the dependency of his youth it never
occurred to him to read through Matthew or Marc to see whether the man
had not suppressed a good part of the evangel, and falsified another.
But Jorn still went to church, and was becoming as the others, when
an episode, the rescuing of a child, occurred.
On the next Sabbath, the little one whom he had rescued accompanied
him on the way to church. Jorn Uhl went in and listened to a sermon on
faith, and how the so-called good works and the so-called upright life
were to be looked upon with suspicion, as "Glanzendcs Laster." After
100 P&dagogische Monatshefte.
church the old tailor Rose followed him and began to talk about religion.
Jorn was at first surprised to hear a common man talk about religion, as
that was the business of the minister in the pulpit. The old man insisted
that one should always act with the help of God. Jb'rn Uhl could not
understand that. He then went to Wieten Penn, the faithful old servant,
and heard her interpretation. Jorn had thus three different interpreta-
tions of religion. The one which was preached in the church no sensible
man could sanction. The tailor's — to care for others in the name of
God — and Wieten's, to care for yourself in your own name — both had
sense. Reflecting over these problems, he began to become an indepen-
dent man.
Then followed years of experience, study, war, the reconstruction
period, the accident to his father, the story of Wieten Penn. And when
Jorn was thinking about the diagnosis of the physician there came upon
him for the first time the feeling of the limitations of human power, the
strong feeling of helplessness, the feeling, 'whither my soul in thy awful
loneliness and desertion.' And it was well that he had heard the Lord's
prayer when at school, otherwise he might have feared too much the super-
human phantoms which stood in hostile array about him. Yes, he might
have worshipped them! He then fled with trembling confidence to the
invisible, strong, blessing powers which are in the evangel. This was an
important step that Jorn Uhl made, who had previously been so certain.
For he began to investigate and question, wonder and respect. The portals
to a complete wide human existence were opened to him. He began to see
the wonders and heed the great beauties about him, for he realized that
he was not all-knowing.
Then followed work, nearer acquaintanceship with Lena Tarn, mar-
riage, a happy year, the birth of a boy, fever, death of Lena Tarn, return
of his brothers — reaction. Jorn Uhl's character began to break down, and
he was inclined to the dark and the hard. We see again the influence of
Wieten Penn in the home. She again relates the old stories and reads out
of the Old Testament, because she sought in accord with her experience
the secret of life not in, the sunshine, but in the dark, and therefore she
could not enter the spirit of the New Testament. Jorn Uhl continued
to live his life full of work and sorrow, unconsciously cheered by the little
one. Lisbeth Junker, the comrade of his youth, came from time to time
to 'Die Uhl,' to look after his child, as she said.
One day this child led the new pastor into the house. The old pastor,
the one had preached so loud and certain about the right faith, had
been called to a larger city. The new one was young, from his nature a
child, and spoke his opinion about everything. And everything he said
was true, but not always pleasant. He was not adapted to the 'Uhlen.'
He was not adapted to these hardshelled, clever and cautious men, with
Gusta-v Frenssen — A Study. ioi
whom one must diligently seek the truth concealed behind the words.
In the course of the year the opposition increased. Finally the entire
congregation cried out. It wanted another, it wanted a safer man, a bom-
bastic one, a smooth oily individual, and at the same time a good card
player.
The new pastor, however, hoped through love and work to win all
for himself and thereby for the proud, beautiful evangel. He came to
invite Jorn to attend the services to be held in the honor of the fallen
heroes. A tablet was to be placed in the church. On this tablet were
the names of the men and under these: ''They died for their country/'
This inscription pleased Jorn Uhl, but the parish wanted a more dignified
phrase. In this connection he said: "Every earnest man does what
these men have done." He then recalled in simple words the past, and
spoke of the simple life of Lena Tarn. He said in conclusion: "Serving
others, self-sacrificing, helping and remaining faithful, or whatever one
may call it, is the real human kingdom. That is also the real Christianity.
Jorn, who could understand this conception of Christianity, looked at
the pastor as if he longed to hear more. The pastor continued:
"The Savior has, through his beautiful, pure life and his wonder-
fully affecting death, and through his good, powerful and proud words,
brought a fulness of thought. and life into humanity, as a brilliant* fire,
as he said. Now the one takes this and the other that. The one church
this and the other that, and betakes itself into a corner with its little fire-
brand and lets it smoke or flame, according as it prefers smoke or flame,
and says that is the truth of the Savior. Many add their own wisdom,
many their dishonesty, and many indeed their malicious intent. Thus
the Savior's real image has become with some petrified, with some masked,
and with some so distorted that one no longer sees anything of his noble
countenance. And it really is not so very difficult, even for a layman,
to deduct from the first evangels a portrait so clear and distinct, that
one recognizes the fundamental traits of his being, will and life. As far
as I can see this is what he has to say to us: 'We shall have confidence
that God always stands at our side, at all times, yea, even in the darkest
moments, with a strong ever watchful will and with an ever good intent.
Eesting on this happy faith we shall war courageously against the evil
within and about us. Fortified by confidence in God as by a high strong
wall, we shall fight for the good and never doubt a final victory, first on
this side and then on the other side. That I think is the entire Christi-
anity." "If however," he continued, "one can not obtain this confidence
in God, for that is not everyone's privilege, and can fulfill the good and
the charitable without confidence in God, then one shall let that suffice
and be happy."
"Every good man must immediately agree with that," Jorn Uhl ans-
103 PiUagogiscfie Mon-atshefte.
wered. "One docs need to ponder over a thing for which one has no time.
Also it is not necessary to render immature the understanding which God
has given one, and then accept everything they charitably offer, or be
eternal )y damned."
The pastor laughed right out. "Nothing is more certain," he said,
*"Hian that the religion Jesus wished to bring unto man was a very simple,
•original and clear one."
Such is a mere outline of the religion which Frenssen has given to
his larger parish in "Jorn Uhl." He is simply helping to pave the way
for the broader conception, for which all modern men have been work-
ing. The creed of this is w o r k; the motive power individuality;
the commandments are, love, hope and c h a r i t y. The rock upon
which this religion may securely rest is confidence in God.
The pastor went to the village to bring his thoughts and deeds unto
the hardshelled people, and to attain as much, perhaps, as a dog attains
barking at a passing lumber wagon. Ju'rn Uhl went to the darkest hour
of his life, but with this new conception of the religion of the Savior
ringing in his ears. It is impossible to give even a general review of .Torn
I'hl's new development and of his corresponding influence at home, on
liis associates and on his country. One must read the book in order to
appreciate the genius of this village Pastor.
We can not, unless it be the history of the young pastor's Struggles,
divine what this noble, intelligent Factor will next produce. This Pastor
who knows life and knows the need* of his hearers, who is thoroughly
imbued with the sublime worth of those sacred writings which reveal the
destiny and contemplations of men, and who also kiiows the best secular
• literature/-' He understands it because he has experienced and observed
if, appreciating that all poetry comes from the need and lot of men and
wcinen. He is a real man, humble before his divinity and proud before
man. What he writes elevates, makes one more earnest against every sin,
and more courageous against every destiny.
^Hermann und Dorothea. Ilehtwisch's pamphlet entitled "Gnstav Frenssen.
der DIehter des Morn Uhl,' " has been freely used. The passages from
Frenssen's writings are adapted. April, 1903.
Zur gesetzgebenden Grammatik.
(Pflr die J»dtl«goSi»cheji Moaatsaeft*. )
You Or. Edwin C. Roedder. Assistant Professor of Gerraau Philology, University of Wisconsin.
(Fortsetzung.)
Afit vielen Biichern geht es uns wie mit Mensehen; wir werden den
ersten Eindruck nicht-los. Und der erste Eindruck, den ieh von den
,,8prachdurnmheHen" erhielt, war der einer gelungenen Bierzeitung1. Al^
Zur geset^gebenden Grammatik. 103
das Biichlein — jetzt priisentiert es sich als ein Band von fast doppeltem
Umfang — im Herbst 1891 zuerst erschien, war ich Fuchs in Alt-Heidelberg.
Der eigenartige Titel zog, er forderte formlich heraus; buchhandlerisch
betrachtet war er die beste Mitgift, die der Verfasser seinem Geisteskinde
schenken konnte. Bekannt war an der Universitat ausserdem die scharfe
Polemik des damaligen Privatdozenten Wunderlich gegen Wustmanns
Werkchen, als es zuerst in einzelnen Aufsatzen in den ,,Grenzboten" er-
schien. Kurzum, die ,,Sprachdummheiten" wurden gekauft; auch in unse-
rer Korporation tauchten sie auf. Die kiihnsten Erwartungen waren iiber-
troffen. Ja, mit solchen Kapuzinerpredigten batten es kaum unsere
deutschen Lehrcr am Gymnasium gewagt, uns die Kopfe zurechtzusetzen.
Mit ganz besonderem Vergniigen lasen wir Philologen den zukiinftigen
Gerichts- «nd Verwaltungsbeamten daraus Satze vor wie ,,Sowie der
Deutsche die Feder in die Tinte taucht, fahrt ihm der Registrator oder der
Kanzlist in die Glieder,"19) — und an solch treffenden Bemerkungen ist
ja in dem Biichlein kein Mangel. Die Juristen blieben uns die Antwort
nieht sehuldig und sprachen bei der Gelegenheit ganz verstandlich Deutsch.
Die Mediziner sassen stillvergniigt dabei und lachten; und warf ihnen einer
vor, sie verstiinden ja gar kein Deutsch zu schreiben, so hiess es einmutig,
sie freuten sich, dass sie es nicht notig batten; lateinisch konnten sie uns
mit Tiel besserem Gewissen umbringen. Uns alien aber war der ergotzliche
Herzenserguss wider die Englander und die Englanderei in Mode und
6prache ein Hochgenuss.
Einem Buche, an das sich solche Erinnerungen kniipfen, gram zu sein,
ist kein leichtes Stuck. Und doch ist es nur zu leicht, einzusehen, warum
sich die Sprachforschung so einhellig gegen den Geist des Werkes erhob.
Um das Gesamturteil vorwegzunehmen : Wustmanns Buch hat in der
Zeit seines Bestehens viel Nutzen, aber noch mehr Schaden gestiftet. Viel
Nutzen; es ist in weite Kreise gedrungen, hat manchen derb geschtittelt,
manch schlummerndes Sprachgewissen aufgeriittelt.20) Zweifellos hat es
in rielen den Wunsch erweckt, genauer auf den Pulsschlag des Sprach-
lebens zu achten, dieser oder jener Erscheinung weiter nachzuspiiren;
vielleicht hat sich mancher Leser dann auch einem berufeneren Fiihrer
anvertraut.21) Dass es eine so bedeutende Wirkung erzeugen konnte, ist
abgesehen von der Sache, die es vertritt, aus der anregenden Form des
Vortrags erklarlich, ob es nun Beifall oder Widerspruch herausfordert.
Auch sonst haben die ,,Sprachdummheiten" ihre grossen Vorziige. Der
19) S. 226 der dritten Auflage.
20) Der Rezensent von Behaghels ,,Deutscher Sprache" in den ,,Neueren
Sprachen," Band XI, S. 498, bemerkt, dass der \erfasser in der zweitcn
Auflage manches meide, was ihm in der ersten (1886) noch als gutes
Deutsch vorkam: so den Gebrauch von ,,derselbe" statt des Peraonalpro-
nomens; ,,der Unterschied ist ein betrachtlicher" statt ,,betriichtlich";
ebenso "i.welcher" als Relativ statt ,,der". Alldas bekampft auch Wust-
mann. Wie weit des Berichterstattera Beobachtung stimmt, hab« ich nicht
nachpriifen konnen.
21) Von Werken, die aus tier ganzen Bewegung entstanden sind, seien
hier genannt:~J.-* Minor, Allerhand- Sprachgrobheiten, Stuttgart 1892; Dr.
X»*», Allerhand Sprachverstand, Bonn 1892; Th. Matthias, Sprachleben und
Sprachschaden, Leipzig 1892, zweite Auflag-e, Leipzig 1897.
104 Pddagogische Monatsbefte.
Ausdruck ist fast immer klar und knapp, die Beobachtung oft iiberraschend
fein, einmal iibers andere trifft der Verfasser den Nagel auf den Kopf.
Die einzelnen Kapitel sind kurz, die Beispiele gewohnlich zahlreich und, wo
es angeht, wie in der Satzlehre, auch sinnreich gewah.lt, so dass sie auch
Eum Nachdenken iiber andere als sprachliche Fragen anregen — was frei-
lich auch wieder ein Nachteil sein konnte. Gut, zum Teil ausgezeichnet,
sind die Abschnitte iiber Unterdriickung des Subjekts; ,,die Ausstattung
war eine glanzende;" Missbrauch des Imperfekts; Worden; Wurde, war, ist
geboren; Erzahlung und Inhaltsangabe; Tempusverirrung beim Infinitiv;
tWelch letzterer; fortgesetzte Relativsatze; Relativsatz statt eines Haupt-
satzes; das Partizipium, ,,die stattgefundene Versammlung*" ,,das sich er-
eignete Ungliick;" der erstere und der letztere; Derselbe; Darin, daraus
u. s. w.; Derjenige; Jener; die Stellung der personlichen Fiirworter; der
Dritte und der Andre.
Damit wird die Liste der Vorziige so ziemlich erschopft sein. Eine
Darlegung des Schadens, den der Sprachforscher in dem Buche erblicken
muss, diirfte viel langer ausfallen.
Zunachst fehlt es dem Leipziger Stadtarchivar — beim Erscheinen der
ersten Auflage hielten ihn viele ftir einen Schulmeister — auf dem Gebiete
der Sprache am historischen Sinne, am Verstandnis fiir die Entwieklung
der Sprache im allgemeinen und fiir die Entwieklung der deutschen
Schriftsprache im besondern. In Einzelheiten ist zwar der ersten Atiflage
gegeniiber viel geandert; iiberall merkt man die nachbessernde Hand von
dem Sohne des Verfassers, dem Dr. Rudolf Wustmann; der Abschnitt iiber
die untrennbaren Prafixe S. 343 ff. stammt dem Inhalte nach a us dessen
1894 erschienener Dissertation ,,Verba perfectiva, namentlich im Heliand,"
worin der pfiichtgetreue Sohn auch das Racheramt an dem bosen Wunder-
lich iibernahm fiir dessen Angriffe auf den Papa und eine mehrjahrige
Familientragikomodie in Szene setzte. Tief aber ist dieser historisierende
Einfluss nicht gegangen.22) Wollte man das Buch mit der wissenschaft-
lichen Sprachforschung in Einklang bringen, so verlore es seine ganze Ei-
genart. Die frische Schreibweise wird ja zum Teil dadurch erreicht, dass
Wustmann sich iiber Lappalien, wie sie die geschichtliehen Tatsachen nun
einmal sind, je nach Bedarf auch mit souveraner Grandezza hinwegsetzt.
Und selbst zugegeben, dass das Buch gegen friiher um fiinfundsiebenzig
Prozent besser geworden ist, so will das wenig bedeuten; der Geist des
Buches ist ungeschichtlich geblieben. Nach annahernd einem vollen Jahr-
hundert eifrigsten historischen Sprachstudiums kann man aber unmoglich
die grossre Halfte seiner Schuld dem ungliickseligen Gestirn der tiber-
lieferung zuwalzen.
Wustmann geht von der gesprochenen Sprache aus, deren lebendigen
Fluss er auch fiir die geschriebene verlangt, und betont nachdriicklich den
Grundsatz: ,,Schreibe nichts, was du nicht auch sagen wiirdest." Dies ist
zweifellos eine verniinftige Anschauung, wie ja auch die Umkehrung ,,Sage
nichts, was du nicht auch wohliiberlegt schreiben, d. h. deinem lieben
Kebenmenschen schwarz auf weiss geben wiirdest" als gesunde Lebensregel
22) Dm im einzelnen zu verfolgen, ist mir unmoglich, da mir hier kein
Exemplar der ersten Auflage zur Verfiigung steht. Ich muss mich also auf
mein Gedachtnis verlassen und kann mich in manchem irren, denn seit dem
ersten Erscheinen des Buches hatte ich mich nicht mehr damit befasst.
Zur geset^gelwiden Grammatik. 105
gelten darf. Aber in blinder Einseitigkeit treibt Wustmann seine
Forderung auf die Spitze und verkennt dabei vollig, dass es zwischen ge-
schriebener Rede und gesprochener Rede eben auch wesentliche Unter-
schiede gibt, was Behaghel23) sehr anschaulich dargestellt hat. Wortlich
genommen ist Wustmanns Forderung ohnehin undurchfiihrbar; ein Fall
wie der Goethes, der nach mehrerer Zeugnis genau so sprach wie er
schrieb,24) scheint vereinzelt dazustehen.
Nicht zu billigen ist es, dass Wustmann als Norm fur das Gemein-
deutsche das Sachsische ansieht. Hier spuken wiederum die Geister Gott-
scheds und Adelungs. Wustmann sagt zwar dafiir Mitteldeutsch; aber das
ist in mehreren Fallen entweder Selbsttiiuschung oder eine ungerechtfer-
tigte Einschrankung des Begriffes auf Sachsisch-Thiiringisch. Und dieses
als Muster hinzustellen hat heutzutage ungefahr ebensoviel Sinn als die
Zumutung, die einheitliche Aussprache des Deutschen nach dem gemied-
lichen Leibzcher Dialekte zu gestalten. Verhehlen wir Mitteldeutschen uns
die Tatsache nicht, dass die sprachliche Fiihrung, die noch in mittelhoch-
deutscher Zeit Oberdeutschland, dann lange Jahrhunderte Mitteldeutsch-
land zugefallen war, heute an Norddeutschland iibergegangen ist. Wir
mogen das bedauern; andern konnen wir es nicht. Eher noch konnten sich
Mittel- und Siiddeutschland mit Erfolg gegen die unaufhaltsam vor-
riickende Verpreussung im politischen Leben wehren. Die Einigung der
Gemeinsprache wird dieses Verriicken des Schwerpunktes freilich nicht
fordern; und darum ist zu hoffen, dass es Mitteldeutschland recht bald be-
schieden sein moge, durch Erzeugung der fiihrenden Geister im Schrift-
tum sich seinen Ehrenplatz zuriickzuerobern.
Mit der Fehlerhaftigkeit in den Grundlagen verbindet nun Wustmann
die grossartigste Selbstuberhebung und Anmassung. Und die ist das
Grundiibel des Buches; denn sie erzieht systematisch zur Unduldsamkeit
gegen die Sprache des Nachsten, sei er Freund oder Feind. Wustmann ge-
liardet sich wie ein Sprachschutzmann, der unserm geliebten Deutsch aus
der von einem Wagnerianer beklagten Verrottung die vom selbigen er-
sehnte Errettung zu bringen sich berufen fuhlt. Doch um meine Anklage
zu beweisen, wenden wir. uns zum Vorwort zur dritten Auflage.
Gleich im ersten Abschnitte erzahlt hier Wustmann, er habe in den letz-
ten Jahren, nachdem er die ,,Sprachdummheiten" vollig aus den Augen ver-
loren hatte, sich ein paarmal aus einer bekannten Sprachzeitschrift Be-
lehrungen notiert, die ihm durch ihre iiberzeugende
.Klarheit und Sicherheit angenehm aufgef alien seien, und die
seien, wie er sich nachtriiglich iiberzeugt habe, einfach aus seinen
..Sprachdummheiten" abgeschrieben gewesen. Wenn nun einem ein Kri-
tiker iiberzeugende Klarheit und Sicherheit nachriihmt, so hat der Gelobte
gewiss ein Recht, sich daruber zu freuen; man darf auch im Vorwort oder
sonstwo kecklich erklaren, man habe in der Darstellung nach solchen
23) A. a. O., S. 45 ff. Aus dem Buche dieses Gelehrten, das in seiner
Art ein kleines Meisterwerk ist, konnte uberhaupt Wustmann bei einiger-
massen gutem Willen mehr lernen, als Behaghel Wustmann verdanken soil.
24) Vgl. Goethe-Jahrbuch 17, S. 62, und die tiefgriindige Abhandlung
Dr. E. A. Bouckes, ,,Associative and Apperceptive Types of Sentence
Structure," Journal of Germanic Philology, vol. IV, p. 401.
106 Padagogische Monatshefte.
Eigenschaften gestrebt. In der gegebenen Fassung abcr liegt ein heraus-
forderndes Eigenlob.
,,Mein Buch," heisst es weiter, ,,hat zwar grossen aussern Erfolg ge-
habt, aber doch eigentlich wenig geniitzt." Ein bemerkenswertes Zuge-
standnis! Und doch, glaube ich, irrt sich der Verfasser hier. Er sucht den
Nutzen jedenfalls darin, dass die zahlreichen Leser sich womoglich all
seinen Forderungen, ob richtig oder falsch, anbequemen sollten. Das wiire
naturlich eine unerfiillbare Zumutung. Der wirkliche Nutzen, der dem
Buche nicht abzusprechen ist, besteht wie schon erwiihnt in der Aut'riitt-
lung des Sprachgewissens und der Erweckung allgemeineren Interesses
an sprachlichen Dingen. Wer Nutzen davon haben wolle, miisse sich den
Geist des Buches zu eigen machen, meint der Verfasser weiterhin. Nein!
gerade davor muss er sich hiiten, will er Nutzen daraus ziehen; denn der
Geist, wiederholen wir es, ist der unwissenschaftlicher Kechthaberei. Da-
fur ein weiteres Beispiel: ,,Vor zwolf Jahren," sagt Wustmann auf Seite
X, ,,schrieb ich in der Einleitung zu diesem Buche, ich ginge jede »*ette
mit ein, dass ich in jedem neu erschienenen Buche, wo ich es auch auf-
schliige und den Finger hineinsetzte, in einem Umkreis von fiinf Zentime-
tern um die Fingerspitze eine Sprachdummheit nachweisen wollte. Die
fiinf Zentimeter konnte ich jetzt ruhig streichen." Soil das vielleicht ein
schlechter Witz sein? Wo nicht, heisst das dann nicht soviel, dass der
Einzige, der noch ohne Sprachdummheiten Deutsch schreiben konne, mit
dem Herrn Leipziger Stadtarchirar Gustav Wustmann identisch sei? t)bri-
gens mochte ich dem Verfasser verraten, dass, wenn er sich die Miihe neh-
men will, in der Erzahlung ,,Zwei Gefangene" von Paul Heyse, dem er als
bestem deutschen Stilisten der Gegenwart sein Buch widmefc, auf Seite eins
der Reclamschen Ausgabe den Finger einzxisetzen, ihm innerhalb der ge-
nannten fiinf Zentimeter auch eine Erscheinung begegnen muss, die er,
und diesmal mit Recht, als Sprachdummheit klassifiziert.
Die Art, wie auf Seite XIII dem Sprachgebrauch. der Text gelesen wird.
kann ich mit Wustinanns immer wiederholter Forderung, stets axif di*
miindliche Rede zu acht«n, nicht in Einklang bringen. Der Sprachgebrauch
stiitzt sich doch vornehmlich auf die gesprochene Sprache. Wustmann
fiihrt hier missbilligend den Ausspruch an, wenn der Sprachgebrauch sich
f iir etwas entscheiden zu wollen scheine, so habe er immerhin eine gewisse
Berechtigung. Immerhin eine gewisse! Auch wir missbilligen den Aua-
spruch, aber nicht in Wustmanns Sinn. Es gibt, wie im Leben, so auch in
der Sprache, Tagesmoden, denen man sich vornehm fernhalten darf, — •
erinnern wir nur an das ganz alberne Modewort fin de sigcle, das ja nun
gottlob abgetan ist. Der Sprachgebrauch als Ganzes aber steht auf einer
Stufe mit der herrschenden Sitte, und sich der zu widersetzen ist nicht
vornehm, solange wir nicht Eigenes, Besseres als Ersatz dafiir bieten.
Wieviel dabei der Einzelne seinem Geschmack zutrauen will, muss er mit
sich selbst ausmachen. Meinem Gefiihle nach ist z. B. Werdegang, das
Wustmann so hart verurteilt, ein schones, vornehmes Wort, auf das wir
stolz sein diirfen. Ich glaube hier sogar die Mehrheit auf meiner Seite zu
haben. Und so wird es ohne Zweifel noch in vielen andern Fallen sein.
Aber wie schon friiher ausgefiihrt, der Geschmack besagt in der Gramma-
tik und im lexikalischen Wortschatz so gut wie nichts; sein Gebiet ist
lediglich die Stilistik und die individuelle Wortwahl und Wortverwendung.
Ein Bedenken kann ich hier nicht unterdriicken. Ich traue dem Geschmacke
Zur geset^gebenden Grammatik. 107
tines arbiter elegantiarum nicht so recht, der dem allgemeinen Ge-
schmacke aufhelfen zu konnen vermeint, wenn er nur bestandig alle Ab-
\veichungen vom Hergebrachten als Dummheiten und Gestammel brand-
markt. Ein merkwiirdiges Zeugnis fiir seinen Geschmack stellt sich der
alte Herr auch aus, wenn er einmal, wo er aufs Englische zu sprechen
kommt, sich ganz polizeiwidrig gemein ausdriickt. Fiir eine vierte Auflage
wiire dem Verfasser in solchen Stiicken, um genau zu erfahren, was sich
ziemt, die Anfrage bei edeln Frauen dringend zu empfehlen.
Wenn Wustmann auf derselben Seite mil der Bemerkung, man habe
sogar angefangen, sich um die Geschichte des Satzbaus zu kiimmern, wozu
freilich sein Buch Tielfach Anlass gegeben habe, wenn er damit einen
$eitenhieb auf Professor Wunderlich ausfiihren will, so ist mir das nicht
ganz verstandlich. Wunderlichs deutscher Satzbau ist nicht aus der Be-
wegung gegen die ,,Sprachdummheiten' hervorgegangen.
Auf den Untertitel ,,Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des
Falschen und des Hasslichen" tut sich Wustmann nicht wenig zugute. Ich
sehe darin nur einen seltsamen Gebrauch des Wortes Grammatik. Darunter
habe ich mir immer eine Darstellung des richtigen Sprachgebrauchs vor-
g-estellt; Sprachlehre sagten wir dafiir in der Volksschule. Aus einer
Grammatik des Deutschen lernt man das Deutsche geb rauchen;
also darf man auch kaum erwarten, aus einer Grammatik des Hasslichen
dies vermeiden zu lernen.
Zum Schlusse beklagt Wustmann das Fehlen akademischer Vor-
lesungen ,,ttber Grammatik und Stilistik der heutigen, der lebendigen
Sprat-he, auf sprachgeschichtlicher Grundlage und mit sprachkiinstlerischen
Absiehten und Zielen." Der lluf nach der Einfiihrung solcher Vorlesungen
und praktischer tfbungen im Anschlusse daran ist in den letzten Jahren
ofters erhoben worden, z. B. in P. von Salvisbergs Hochschulnachrichten;
man hat sogar schon behauptet, die deutschen Studenten verlernten auf
dt>r Hochschule die auf dem Gymnasium erworbene Fahigkeit, sich schrift-
lich auszudriieken. Lyon verlangte selbst akademische Lehrstiihle fiir
Dichter, um zugleich den Fortschritten der Poetik Rechnung zu tragen.25)
Ich bezweifle, dass damit der gedeihlichen Forderung der deutschen Dicht-
kunst gedient ware; und niemand steht dafiir ein, dass dann nicht den jun-
gen Akademikern die gewagtesten Ansiitze zu einem Zukunftsstil und das
halt-lose, ohnmiichtige Gestotter einer Hypermoderne ex cathedra vordo-
ziert wiirden. Viel praktischer schienen mir Lehrgange und tJbungen in
Aufsatz und Stilistik, wic sie an den amerikanischen Universitaten fiirs
Englische eingerichtet sind. Den deutschen Verhaltnissen angepasat,
tniissten sie sich auch dort fruchtbringend erweisen.
Doch nun zu einigen Einzelheiten. Folgen wir dabei dem Buche selbst.
A. a. O., S. 3.
(Schluss folgt.)
Lehrproben zum deutschen Unterricht nach
konkreter Methode.
(FQr die P3dagoglschen Honatsliefte.
Von Dr. Arthur Altschul, San Francisco.
I.
Eine Lesestunde In der sechsten Volksschulklasse.
In der Novembernummer der P. M. babe ich die natiirliche (oder, wie ieh
von jetzt ab lieber sagen will, die konkrete) Metbode des Sprachunterriehts
in Ihren Hauptziigeu zu schildern gesucht. Im Anschluss daran sehien es
mir nun geraten, den Lesern dieses Blattes darzulegen, wie ich mir die An-
wendung der dort besprochqnen Priuzipien und Verfahren auf bestimmte
amerikaniscbe Schulverhaltnisse vorstelle. Zu diesem Zweck gedenke icb bier
einige auf meiner eigenen Praxis berubende Lehrproben mitzuteilen. Eine
solche Lehrprobe kann natiirlich nicht darauf Anspruch macben, in ihrein gan-
zen Umfang als ein Muster und Vorbild zu gelten, dessen Nachahrnung in je-
dem Fall zu einpfehleu ware; dafiir sind Umstande und Verhaltnisse von Fall
zu Fall zu verschiedeu. So zeigt die folgende Lehrprobe die Spuren der beson-
deren Verbaltnisse, unter denen icb arbeite, und maiiche der daraus entsprin-
genden Ziige der Bebaudlung wiirden moglicherweise von Kollegen, die etwa
durch meiue Mitteilungen zu eineui ahnlichen Vorgeben sicb angeregt finden
sollten, modifiziert oder auch ausgeschieden werden miissen. Dahin gehort
der stellenweise ziemlich ausgedebnte Gebraucb des Englischen, der sich
daraus erklart, "dasz icb auf die — in alien meinen Klassen vorbandenen — •
Schiller, die erst kiirzlich deutsch zu lernen angefangen baben oder aus sonst
eineru Grunde irn Deutschen zuriickgeblieben sind, Riicksicht nehmen musz.
Eine Eigentiimlichkeit, die manchein Leser noch unliebsamer auffallen diirfte,
ist das, wie es scbeiueu konute, ganz iiberuiaszig langsame Vorgehen. Nun
musz man nicbt deuken. dasz ich den Lesestoff iuimer so eiugehend behandle;
manchmal gehe ich bedeutend gescbwiuder vor; doeh halte ich ein solches
bedachtiges, griindliches I>urcbsprecheu, wie ini Folgenden dargestellt ist, fiir
das einzige Mittel, dein Schiller neue Kenntnis so beizubringen, dasz sie ihin
wirklich zu Fleiscb und Blut wird. Wenn ich niir eineu etwas unasthetischen,
aber treffendeu Vergleich erlauben darf, so mocbte ich sagen: wenu die den
Schiilern gebotene Speise ordentlicb verdaut und assiniiliert werden soil, so
musz sie zuerst von Lehrer uud Schiilern gemeinscbaftlich tiichtig durchge-
kaut uud wiedergekaut werden. Fiir rneine Praxis kommt auch nocb in Be
tracbt, dasz ich keine Hausarbelt vevlange; also was gelernt werden soil, musz
in der Schulstunde gelernt werden. Sollte trotz dem Gesagten der L«ser sicb
daran stoszen, dasz das in der ganzen gescbilderten Lesestunde im Buch Gele-
sene sicb auf kaum drei Zeilen belauft, so will ich gestehen, dasz ,, Lese-
stunde" eigentlicb keine recht zutreffende Bezeichnung ist: es handelt sicb
um eine, an einen gedruckteu Text sich anschlieszende, allgerneine Sprach-
iibung, wobei nicht uur das Versteben von Gedrucktem und das Lautlesen
geiibt wird, sondern auch das Sprecben, vor allem aber das Verstehen von
Gesprochenem (aus welchern sicb ja das Versteben von Gedrucktem fast un-
mittelbar ergibt, walirend das Umgekebrte keineswegs der Fall ist).
Im Folgenden kommen nur acht Scbiileruamen vor, die aber samtliche
Mitglieder der Klasse reprasentieren sollen. Mit Anna, Fritz und Wilhelm
sind alle Schiilerinuen gemeint, die vom Elternhause aus mit der Sprache mehr
oder minder vertraut siud: mit Mary, Ruth und John alle die, die ihr Deutscb
ausscblieszlich der Schule verdauken. aber tiicbtige Fortscbritte darin gemacbt
Lekrproben {urn deutschtn Unterricht nack honkreter Methode. 109
haben; mit Caterina und Patrick alle, die im Deutschen stark zuriick siiid.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen folge nun die Lehrprobe selbst.
We will read. Open your books (Weick und Grebners Zweites Lesebucb),
page 45. 1st dein Buch offen, John? — Ja, mein Buch ist offen. — 1st dein
Buch auf oder zu, Ruth? — Mein Buch ist auf. — Mary, mache dein Buch
zu; mache es auf. Anna, auf welcher Seite ist dein Buch offen? — Mein
Buch ist auf Seite 45 offen. — Wieviele Lesestxicke fangen auf dieser Seite
an? Mary! — Zwei. — Fritz, answer in a sentence! — Zwei Lesestucke fan«
gen auf dieser Seite an. — We will read number 36; wir wollen Numiner 36
lesen. Ist Numiner 36 ein Gedicht? — John! — Nein, Nummer 36 ist keia
Gedicht. — Gut. Wie heiszt dieses Lesestuck? Patrick, you don't under-
stand the question? — No, sir. — Wie heiszt du? (Da Patrick uicht antwortet,
richtet der Lehrer dieselbe Frage an verschiedene andere Schiiler, die alle
antworten, und kehrt dann zu Patrick zuriick.) Wie heiszt du? — Patrick. —
Gut. John, wie heiszt dieses Lesestuck? — Die schlaue Katze. — Gut. ,,Die
schlaue Katze," das ist die tJberschrlft. Who does not understand ,,tJber-
schrift"? (Verschiedene Schuler heben die Hand auf.) Cberschrift: t)ber-
Schrift. Mary, was ist ,,iiber" auf englisch? — Over. — Was ist ,,Schrift"?
Think of ,,schreiben". — Write. — No. ,,Schrift" is a noun. — Writing. —
Yes. Who can name a word similar (dies ist mein Schulausdruck fur "cognate
word") to ,,Schrift" in English? Wilhelm! — Script — Good. Ruth, was ist
,,t)berschrif t" ? — Over- writing. — Gut. Das Lesestuck hat eine ttber-
schril't. John, wo ist die Uberschrift? — (John zeigt sie in seinem Buch.) —
Translate ,,t)berschrift." — The heading. — Gut. Die Geschichte heiszt ,,Die
schlaue Katze." Ist es eine Tiergeschichte? Fritz! — Ja, es ist eine Tierge-
schichte. — Ist eine Katze ein Tier, Caterina? — Ja, eiu Kasse ist ein Tier. —
Ein e Ka t z e ist ein Tier. Say it again! — Eine Katze ist ein Tier. — Das
Lesestuck ist eine Geschichte von eineni Tier. Von was fur einem Tier?
Patrick, you don't understand it? — No, sir. — Well, listen! Anna, du hast
ein Buch in der Hand. Ist das ein englisches Buch? — Nein. — Was fur
ein Buch ist es? — E» ist ein deutscbes Buch. — Gut. Hast du ein rotes
Kleid an? — Nein. — Was fur ein Kleid hast du an? — Ich babe ein
blaues Kleid an. — Patrick, do you understand it now? — Yes, sir. — Was
ftir ein Buch ist das? — Das ist ein deutsches Buch. — Was fur ein Ding
ist das, John? — Das ist ein Bleistift. — Von was fur einem Tier erzahlt
die Geschichte? John! — Die Geschichte erzahlt von einer Katze. — Von
was fur einer Katze? — Von einer schlauen Katze. — Translate ,,scblau"! —
Cunning. — Better use the similar word. — Sly. — That's it. Welches Tier
ist sehr schlau? Anna! — Der Fuchs ist sebr schlau. — Ja. Ist die Cans
schlau? Ruth! — Nein, die Gans ist nicht schlau. — Wie ist die Cans? — Die
Cans ist dumm. — Caterina, translate ,,dumm." — ,,Dumb." — No. Der Fuchs
ist schlau, die Gans ist dumm. The fox is sly, the goose is — what do you
suppose? — Stupid. — Yes. Die Gans ist dumm. 1st der Hund dumm? —
Nein. — Ist das Pferd dumm? — Nein. — Ist das Schaf dumm? — Ja. — Was
fur ein Tier ist der Fuchs? — Mary! — Der Fuchs ist ein schlaues Tier. —
Was fur ein Tier ist die Gans? Patrick! — Die Gans ist ein dummes Tier.
(Mehrere Schuler mussen sagen ,,Der Fuchs ist schlau, die Gans ist dumm."
,,Der Fuchs ist zu schlau fur die durame Gans.")
Now we come to the story. "Die Nachbarin hat einen zahmen Zeisig."
Who understands it? (Hande.) Ruth, translate. — "The neighbor has a tame
gold-finch." — Not a gold-finch; a siskin. Der Zeisig ist ein hiibscher kleiner
110 Padagogiscbe Monatshefle.
Vogel. Seine Federn sind grun. In Deutschland giebe es vielc Zeisige. "Tlie
neighbor has a tame siskin." Ruth, was the neighbor's name Mr. Brown? —
I don't know. — Anna! No, it was not. — How do yon know? — It says ,,Nach-
barin." — That's right. ,,NaehbarSn" means a woman, or a girl. If you mean
H man, or a boy, what do you say? Fritz! — Naehbar. — Good. Herr M tiller
ist inein Naehbar, und Frau Miiller ist rueine Nachbarin. Taul 1st Emmas
Naehbar; Emma ist Pauls Nachbarin. Mary, ist Anna dein Freund? — Ja. —
Nein! Anna, ist Mary dein Freund? — Neiu, Mary ist uicht rnein Freund. —
(Mary ist sehr verdutzt.) — 1st Ruth dein Freund? — Nein. — Caterina? —
Nein. — Fritz? — Ja, Fritz ist mein Freuud. So? Fritz ist deiu Freuud, aber
Mary nicht? Was ist Mary? — Mary ist meine Freuudin. — (Mary geht ein
Licht auf.) — Ist Ruth deine Freundin? — Ja. — John, ist Mary eiu guter
Schiller? — Ja. — Nein. Ist Mary ein Freund von Anna? — Neiu. — Ist
Mary ein Schiller? — Ja. — Nein. Mary ist eiue Schulei'in. let Wilhelm
eine Schiileriu? (Heiterkeit.) Ist Miss Smith ein Lelirer? — Nein. (Ver-
schiedene Schiiler miissen sageu, und einer an die! Wandtafel techreiben:
,,Otto ist mein Freund und Agnes meine Freundin. Hans ist ein Schiiler und
Minna eine Schiilerin. Herr Miiller ist mein Lehrer und Fraulein Smith meine
Lehrerin.")
We will go on. ,,Die Nachbarin hat einen zahmeu Zeisig." Wer von euch
hat einen zahmen Vogel zu Hause? Du hast einen, Wilhelrn? Was fiir eineu?
Ich habe einen zahmen Kanarienvogel zu Hause. — Ist er ganz zahni? — Ja,
er ist gauz zahm- — Was ist das Gegenteil von zahni? — Das Gegenteil von
xalun ist wild. — Ja, ,.Die Nachbarin hat einen zahmen Zeisig, den sie oft
aus dem Kafig laszt." Translate ,,den," Mary, — "The." — No. — ,,Den"
very often means "the," but here it does not. ,,Den Mann," "the man," ,,den
Vater," "the father;" but here there is no noun after ,,den." Well, Wilhelm,
what do you say? — It means "him." — No. Translate ,,E>er Mann, der hier
ist." — "The man, he is here." — No; that would be in German ,,Der Maun,
der ist hier." Translate ,,Der Mann, der hier ist, ist mein Freund." — "The
man, who is here, is my friend." — Now translate ,,einen Zeisig, den ". —
"A siskin, which ". — Good. Mary, translate ,,den sie oft aus dem
Kafig laszt." — I don't understand the last word. — No? Sieh: ich lasse mei-
iien Bleistift fallen. Die Gans sagl «um Fuchs ,,Lasz mien gehen!" Do you
understand that? — Yes. — Well, go on. — that she often lets out of
the cage." — Good. ,,Die Nachbarin hat eiuen zahmen Zeisig, den sie oft aus
dem Kafig laszt." Lies den Satz vor, Ruth. (Ruth liest.)
In the next clause I want you to change two words. Change ,,lieblieh"
to ,,niedlich," and ,,umher" to ,,herum." ,,Dann hiipft das niedliche Tierchcn
in der Stube heruru." ,,Das Tierchen." Who does not understand that? (Nie-
mand meldet sich.) ,,Das niedliche Tierchen." Ist der Elefant ein niedliches
Tierchen? (Heiterkeit.) John! — (Nach langereni Besinnen:) Ja. (Groszer
Jubel.) — Tell him what he said, Mary. — "The elephant is a cute little
animal." — John, ist der Elefant ein Tierchen? — Nein. — Ist der Elefant
niedlich? — Nein. — Sentence! — Nein, der Elefant ist nicht niedlich? -
Who noticed a mistake in pronunciation? Anna! — He said ,,niedlich" (mit
weichem Laut des d). What do you say? —Niedlich. — Good. (Der Lehrer
schreibt die f olgenden Worter an die Waudtafel und laszt sie wiederholt lesen,
mit b, d, g = p, t, k: "niedlich, landlich, freundlich, eudlich, endlos, lieblich,
Liebling, lieblos, gelblich, taglich, klaglich;" dazu auch "Roslein Hauslein,
Haslein" mit s = ss.) Wer hat ein Katzchen zu Hause? (Hande.) Ruth, ist
dein Katzchen niedlich? — Ja, mein Katzcheu ist niedlich. — Was ist uied-
Lehrproben %um deutschen Unterricht nach konkreter Methode. Ill
licher, eine Katze ocler ein Katzchen? John! — Ein Katzchen 1st niedlicher
als eine Katze. — Sind alle Hunde niedlich? Fritz! — Nein, alle Hunde sind
nieht niedlich. — N i c h t alle Hunde sind niedlich. Was fur Hunde sind
niedlich? — KleSne Hunde sind niedlich. — 1st Fritz niedlich? (Grosze Hei-
terkeit. Fritz 1st ein groszer, vierschrotiger Junge.) 1st -Anna niedlich?
(Enthusiastisches "Ja, ja!" von verschiedeneu Seiten.)
,,Das niedliche Tierchen:" "the pretty little animal, the dear little animal."
,,Das uiedliche Tierchen hiipft." John, kannst du auch hiipfen? You don't
understand? Kannst du spriugen? — Ja. — Kannst du hiipfen und springen?
— Ja. — Ka'nn der Elephant hiipfeu? — Nein, der Elephant kann nicht hiipfen,
Translate ,,hiipfen." — Hop. — Would you call ,,bupfen" and "hop" similar
words? — Yes. — Who can name any more similar words with p in English
and with pf in German? Wilhelm! — Apfel. — Good. What is that, Patrick?
— Apple. — Yes. (Schreibt „ Apfel — apple" an die Wandtafel; dann unter
„ Apfel" ,,Kupfer.") Was bedeutet das? Das Kupfer ist ein Metall. Ruth! —
Copper. — Gut. (Schreibt "copper" unter "apple;" dann wieder links ,,Pfen-
nig.") Was ist das? Der Pfennig ist von Kupfer. John! Penny. — Die
Pfanne ist auch manchmal von Kupfer. Was ist eine kupferne Pfanne? Mary!
A copper pan. — Was ist eine Pfeife? — A pipe. — Pflaume? — Plum. —
(Dergleichen sprachvergleichende Uebungen halte ich auch in der Volksschule
fur durchaus angebracht und sehr nutzlich. Der Hauptzweck ist natiirlich,
dem Schiiler das Erkennen verwandter Worter in der fremden Sprache zu
erleichtern; aber auch abgesehen von diesem speziellen und direkten Nutzen
halte ich die durch solche ttbungen gewonnene Scharfung des Beobachtungs-
sinnes fur wertvoll, fur ein wahres Bildungselement.)
,,Dann hiipft das niedliche Tierchen in der Stube herum;" "then the dear
littles animal hops around in the room." Die Kinder springeu im Garten hen
um; die Kinder laufen um das Haus herum. „ und sucht Krumen am
Boden." Translate, Wilhelm. — ".... and hunts for crumbs on the floor." -»
Yes. What is the similar word to ,,sucht?" Anna! — Seeks. — Yes. In Ger-
man, instead of saying "I look for the book," "I hunt for the book," we saj
"I seek the book." Translate "Look for the bird." John! — Suche fur den
Vogel. — Xo; you must say "Seek the bird." — Suche den Vogel. — That's it.
Anna, tell Mary to look for your English book. — Mary, such mein englisches
Buch. — (Mary tut als suchte sie etwas in Annas Pult.) — Ruth, was tut
Mary? — Sie sucht Annas Buch. — Ruth, suche das Buch am Boden. (Ruth
tut es.) — Caterina, do you understand ,,Boden?" — Yes, Sir. — (Nach oben
sehend:) Do you understand "Decke"? — Yes. — Wo ist die Decke, und wo
ist der Boden? — Die Decke ist oben, und der Boden ist unteu. — Very good.
Hierauf wird das Gelesene von verschiedenen Schiilern vorgelesen. Dann
wird es noch einmal von Anfang an durchgenommen, indem die Schiiler fol-
gende Fragen beantworten miissen, und zwar imrner in Form von vollstan-
digen Satzen: ,,Was hat die Nachbarin? — Die Nachbarin hat einen Zeislg.
— Was fur einen Zeisig hat die Nachbarin? — Die Nachbarin hat einen zah
men Zeisig. — Wer hat den Zeisig? Wer lasst den Zeisig aus dem Kaflg?
Was fur ein Tierchen ist der Zeisig? Wo hiipft das niedliche Tierchen
herum? Was sucht es? Wo sucht es die Krumen?"
Hierauf wird noch eine grammatlsche Uebung im Anschluss an das Gele-
sene vorgenommen, wie folgt: What is the plural of ,,die Nachbarin," of
,,das Tierchen," of ,,die Stube"? Say in German "a tame bird, the tame bird,
the tame birds." Give the three principal forms of "laszt," "hupft," "sucht."
Hiermit endet unsere Lesestunde.
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
.FUr die PiidagogUchen Mon«t«hcfle.
Die grosze Feuersbrunst
— In den secbsunddreiszig Jabren sei-
ner Lehrtatigkeit in der groszen Stadt
Baltimore hat der Scbreiber keinen so
bewegten Scbulgang geuiacbt, als am
Montag Morgen, deiu acbten Februar.
Seit dem vorbergehenden Vormittag
stand das Herz der Stadt in Flammen,
und obgleich Loschmannschaften aus
einem Umkreis von nahezu zweihuu-
dert Meilen zur Hilfe herbeigeeilt wa-
ren, raste der sebreckliche FeuerdJi-
mon immer noch fessellos weiter. Die
gliiheude Hitze liesz dieselben deu
Feuerberden gar nicbt nabe kommen.
Wie ungebeuer diese Hitze war, laszt
sich daraus erseben, dasz eiserne Sau-
len angescbmolzen wurden; der
Schmelzpunkt des Eisens ist bekauut-
lich ungefabr 3000 Grad F. Viele der
ausgeworfenen maehtigen Wasser-
strahlen verwandelten sich scbnell in
Dampf, und aucb das Niederwerfer
ganzer Hauserreihen durch Dynainit
hatte sich immer noch vergebens er-
wiesen, der Feuerdamon raste ver-
heerend weiter. Der einzige Trost war
jetzt, dasz sich der heftige Wind von
den rielen bedrohten Wohnhausern
abgewendet hatte und die Millionen
fliegender Feuerbrande und Funkeu
der Hafengegend zuwirbelte, in dereu
reichgefiillten Lagerbausern sich der
Brand, durch das Bassin abgegrenzt,
voraussichtlich austoben konnte. Frei-
Hch konnte ein tlmscblagen des Win-
des sofort wieder neuen Schrecken
bringen.
Die Nacht war fur Viele eine
Schreckensnacht gewesen. Die stol-
zesten Gebaude der Stadt, Hotels,
Banken und Geschaftspalaste aus
Marmor, Granit und Eisen, und statt-
liche Lagerhauser brannten lichterloh,
und die riesigen ,,feuerfesten" Ge-
baudegruppen, unter ihnen das jung*t
nach allerneuerster Konstruktion mit
einem Kostenaufwand von drei Mil-
lionen Dollars erricbtete sechzehn-
stockige ..Continental" machten dabei
keine Ausnahme. Sie zeigten sich
feuerfest in dem Sinne, als sie Hoch-
ofen waren. Und hochofenartig war
die belle Glut, die fiber dem eine halbe
Quadratmeile umfassenden Feuer-
meere briitete. In Washington und
weiterhiu war sie zu sehen — eiu gchau-
erlich schoner Anblick!
Uuter diesen Eindriicken machte
Scbreiber den weiteu Schulweg, vorbei
an Rettenden und Helfenden. Unter-
wegs war Him gesagt wordeii, die drei
Gebaude seinor Schule seien zerstort,
er fand sie aber unversehrt, und bei
der nun heiTSChenden Windrichtung
auszer Gefabr. Von den 1600 Zoglin-
gen fanden sich nur 40 znsaiamen,
diese wurden natiirlicb fur den Tag
entlassen. Als sich der Schreiber ge-
gen Abend auf den noch woiteven Weg
zu seiner ebent'alls fast scbiilerleeren
Abendscbule machte — er hatte auf bei-
den Scbulwegen fiiufzebn ^leilen zu
gehen: der Bahndienst war durch Zer-
storuug der elktrischen Kraftstelle
unmoglicb geworden— war das Feuer
endlich unter Kontrolle. aber gar un-
heimlich droheud briitete am Nacbt-
biinmel die Feuersglut tiber achtzig
zevstorteu Hausergevierten. Auf 150
^rillioneu Dollars wird der direkte
Verlust gescbatzt. der indirekte laszt
sicb noch gar nicht absehen.
Bei alledeni wurde keine der stad-
tiscben Scluilen gescbadigt. wohl aber
ist das stattllche turmgekronte Ge-
)>aude des Maryland Institutes, dessen
Kunstschule unter der I^eitung unse-
res genialen Landsuiannes. Prof. Otto
Fuchs, zu einer der ersten des Landes,
weun nicht zur ersten, geworden ist,
mit all seinen Sammlungen und
Kunstschatzen in einen unformlichen
Haufen raucbender Triimmer verwan-
delt wordeu. Sie zahlt zur Zeit 1300
Zogliuge in den Tag- und Abendklas-
sen. Die Johns Hopkins Universitat
erlitt auch empfindliche Verluste. in-
dem achtzig zu ihrem Grundvermogen
gehorige Lagerhauser. im Wert von
etwa zwei Millionen Dollars, ganzlich
zerstort wurden. In abnlicher Weise
ist auch das so herrlicb bluhende
Woman's College geschadigt worden.
Dem Leser sind gewisz durch die illu-
strierten Zeitungen Bilder von der Zer-
storung vor Augen gebracht worden.
Diese vermogen aber kaum ein Bild
von der Trostlosigkeit und dem Urn-
fang des weiten Triimmerfeldes zu ge-
ben. Ein Fachmann der Regierung hat
berecbnet, dasz das Wegraumen der
Triimmer, um Uinbauten zu ermogli-
Korrespondenqen.
113
chen, fiber zwanzig Millionen Dollars
kosteu werde. Dieses alles bat hier
aber keineswegs entmutigt, es sind
scbon Vorkehrungen Im Gange, um
aus der Asche des alten ein neues,
schoneres Baltimore hervorzurufen.
Die Blumenspiele werden,
wie geplant, urn die Mitte des Monats
April hier stattfinden. Zu dern Dich-
ter-Wettkampfe sind bis zum 16. Feb-
vuar, deiii letzten Termin fiir die Ein-
sendung, 305 Gedichte eingelaufen,
und zwar Liebesgedichte 78, humoi'i-
stische 50, Novelleu und Balladen 42,
Gedichte zuui Preise des Deutschtums
42, sangbare Lieder 41, darunter 19 mit
Komposition, religiose Gedichte 26,
'Dichtungen, welche sich auf die Ge-
schichte der Deutschen in Amerika be-
zieheu, 17. Als keiner gestellten Auf-
gabe entsprechend wurden 9 ausge-
schlosseu. Die sieben Preisrichter ha-
ben ihre Arbeit begonnen und werden
gegen Eude Marz das Urteil fallen.
Enail Dappric h. — Ini Februar
war es ein Jahr, dasz Freund Dapp-
rich auf seiner Durchreise nach der
alten Heiinat den Schreiber in der
Schule besuchte. Eine kleine Ab-
schiedsfeier zu Ehren des lieben
Gastes wurde damals von den Zoglin-
gen der Oberklassen improviaiert, wie
sich die Leser dieser Spalten vielleicht
noch erinnern werden. Es war ein
Abschied fiirs Lebeu, denn als der
Hebe Freund bei seiner Riickreise an
unserem Hause anklopfte, waren wir
noch am Moeresstrande. Am Jahres-
tage jener Abschiedsfeier wurde dem
Heimgegangenen in demselben Schul-
rauru ein besonderes Gedenkeu gewid-
met, die beiden da Kir zusammengeru-
fenen Ol>erklassen sangen dabei wie-
der ,.Es ist bestimmt in Gottes Rat."
das ihu uud mich damals so tief er-
griffeu hatte. Wie herzlich und an-
haltend er mir dann, zum letzten Mai,
die Hand driickte. — ,,Er war mein
Freund, uiir immer echt und treu."
California.
S.
Der Verein von Lehrern
des Deutschen hielt am Samstag
den 16. Januar, eine Versamnilung in
San Francisco ab. Fiir das kommende
Jahr wurden folgende Beamten ge-
wahlt: Dr. H. K. Schilling. President;
Dr. Julius Goebel, Vize- President;
r-Terr Martin Centner, Scbriftfiihrer;
Fraulein Emma Garretson, Schatz-
meisterin
Dr. Julius Goebel hielt eine An-
sprache fiber ,,Prose Composition" jm
deutschen Unterricht. Als Vorsteher
des deutschen Departments an der
Stanford Universitat bat er Gelegen-
heit, die Arbeiten der eintretenden
Studenten und deren Korrektur durch
die Lehrer durchzusehen. Da zeigt es
sicb denn, dasz der Unterricbt im
deutschen Aufsatz sehr im argen-
liegt. Dies liegt teils an der Inkompe-
tenz mancher Ix?hrer und teils an den
mangelhaften Lelirbiichern. Im Be-
richte des Zwolfer-Komitees fiber mo-
derne Sprachen heiszt es, dasz ein
Lehrer fur den deutschen Unterricht
befahigt sei, wenn er eiuen Brief oder
Aufsatz scbreiben konue, "without
making gross mistakes in grammar or
idiom." Dies ist ein gefahrlicber Aus-
spruch; wir sollten besser vorgebildete
Lehrer ftir den deutschen Unterricht
verlangen. — In den Lehrbfichern fehlt
es vor allem an padagogischem Auf-
bau der Wbungsstucke, vom Leichte-
ren zum Schwereren fortschreitend.
Die Syntax sollte dabei systematisch
eingefibt werden. Der Reduer verwies
auf die ausgezeichneten Lehrbucher
fiir den Sprachunterricht in den Schu-
len Deutscblands, die von berufenen
Padagogen geschrieben sind, und in
welchen der Lehrstoff auf das genau-
este und gruudlicbste ausgearbeitet
ist. Solche Bucher feblen fur den
deutschen Unterricht in diesem Lande
noch ganzlich, und es steht zu wun-
schen, dasz diesem Mangel bald abge-
bolfen werde. Auch die deutschen
Lesebucher sind noch lange uicht, was
sie seiu sollten. Die Schuld liegt zum
grossen Teil an den Verlagsfirmen, die
wenig Sinn fiir die wirklicheu Bedfirf-
nisse der Schulen haben und, von
Geldmacherwut geleitet, den Autoren
nur eine winzige Vergutung bieten.
V. B.
Chica~ o.
Die Brandkatastropbc
vom 30. Dez. lag uns Allen so schwer
auf den Gemiitern, dasz ich es blsher
versaumt habe. mefnen regelmaszigen
Bericht an die P. M. zu senden. Ha-
ben wir doch unter den 590 Toten 103
Schulkinder und 38 Lehrer gehabt!
Unter letzteren zwei unserer bekann-
testen Turnlehrer, James Schneider,
vom Aurora Turn- Verein. und Her-
mann O. Dreisel. von der Crane Hooh-
schule. Beide waren Abiturienten des
Turnlehrerseminars in Milwaukee,
Dreisel hat aucb das I^hrerseminnr
dort absolvlert. Wahreud die anderen
stadtfschen Turnlehrer die Ferien-
woche benutzten, um sk-h auf das auf
114
P&dagoghche Monatshefte.
den 2. Januar anberaumt g«weseue
Promotions - Examen vorzubereiten,
wurde dem Dreisel, der seine Prufuug
schon im Juni vorber mit Auszeich-
nung bestauden batte, die freie Zeit
verhangnisvoll. Mit ihm nnd Schnei-
der verbrannten seine und des letzte-
ren Fran, dereu Schwester mit ibrern
Brautigam und deren Mutter — alle
gieben!
Unsere offentlichen Scbulen glicben
nacb deni Ungliick einem Trauerhaus.
Beinahe in jeder derselben fand man
leere Sitze, die von den Mitschiilern in
liebevoller Weise schwarz verbangt
wurden. Obne eine Frage zu stellen,
wuszte man, was das zu ;bedeuten
batte, und es lag lange Zeit wie ein
Alp auf Lebrern und Scbiilern.
Die Coroners-Gesebworenen haben
den Fall drei Wochen lang unter-
sucht und gefunden, dasz der Mayor
Hasrison mit seinem Feuerwehr-Chef
und mit seinew Oberbauinspektor, die
beiden Eigentiimer der Menschen-
falle und der Biihnenmeister fiir das
Entsetzlicbe verantwortlich seien. Der
Biirgernieister wurde gleicb am nach-
sten Tage von seinem Freund und
Parteigenossen, dem Ricbter Tuthill,
entlastet. Jetzt hat nun auch die
Grand Jury, die den Fall untersucht
hat, ihren Spruch abgegeben, nach
welchern e i n e r der Eigentiimer des
Theaters, W. H. Davis, ferner der Ge-
schaftsleiter desselben, Th. Noonan,
sowie der Biihnenzimmerrnann, J. E.
Cummings wegen fahrlassiger Totung,
und der Oberbaukommissar, G. Wil-
liams, und der Bauinspektor, E.
Laughlin, wegen strafbarer Pflichtver-
nachlassigung zum Prozesse festgebal-
ten werden. Uud wenn dann der dritte
Akt des Gerichtsschauspieles vorbei
sein wird, werden wir finden, dasz
noch weniger Personen oder eigentlich
gar niemand fur das Entsetzliche ver-
antwortlich ist — hochstens vielleicbt
der Buhnenzimmermann, demi bei
dem hort vielleicht der ,,Einflusz," wie
man das so schon uennt, auf. Und das
furchtbare Verbrechen an beinahe 600
Menschenleben — von den vielen fiir
L/ebenszeit verstiimmelteu gar nicht zu
reden — bleibt ungesiihnt!
Milwaukee.
Schule fiir verwahrloste
Kinder (Parental School). Fiir
die Aniage einer solchen Schule
wird bei uns jetzt fleiszig gearbeitet.
Dasz dieselbe dringend notwendig
ist, wird wohl jeder zugeben, der
das Leben einer Groszstadt keunt,
und somit die Gefalireu, deuen die Ju-
gend, und besonders die Knaben,
durch Verfiihrung und boses Beispiel
in schlechter Gesellschaft ausgesetzt
sind. Besonders siud dies solche Kin-
der, denen ein Teil Leichtsinn, Eigen-
wille, Uulenksainkeit, Trotz und Trag-
heit angeboren ist, uud die danu
noch oft das Ungliiek haben, dasz
ihnen eines der Elteru oder gar beide
starben. Kommen solche Kinder dann
in schlechte Umgebung und schlechte
Hande — uud wie viel Gelegenheit ist
dazu! — so geht es mit ihnen schnell
bergab, und scblieszlich wiukt das
Arbeits- und Zuchthaus. Da ist es
doch wohl die gebieterische Pflicht der
Gemeinde, diese Kinder zu retteu, so
lange es noch Zeit ist.
In einer Versammlung, die kiirzlich
von den Schulprinzipalen und der
"Children's Betterment League" ge-
meinschaftlich abgehalten wurde, be-
sprach man sich iiber Mittel und Wege
zur Ercichtung einer solchen Schule.
Auf dieNotwendigkeit dieser Anstalt
wurde zuerst von einigen Rednern bin-
gewiesen. Aus eiuem Bericht des Ju-
gendgerichtes. Juvenile Court, ging
hervor, dasz im letzten Jahre 561 Kna-
ben und Madchen verhaftet und als
anscbeinend unverbesserlich vor das
Gericht gebracht wurden, weil sie sich
gegen Gesetz, Ordnung und gute Sitte
vergaugeu batten. Von diesen waren
15 Prozent schon im vorigen Jahre
dem Gericht vorgefiihrt worden, und
es hat sich gezeigt, dasz von, ihnen
nur Besserung zu erhoffen ist, wenn
sie in eine bessere Umgebung gebracht
werden. Dagegen waren 67 Prozent
der Falle derart, dasz die Kinder
nach einer Parental School batten ge-
schickt werdeii sollen, da aber in Mil-
waukee keine solche Schule vorhanden
ist, so wuMe ein Teil mit einer Warn-
ung entlassen, und die andern unter
die Aufsicht der Probations-Beamten
gestellt. In den Jahren 1902 und 1903
hat die Zabl der Schulschwanzer um
16 bis 20 Prozent zugeuommen. Die
Priuzipale aber erklaren, dasz im gan-
zen etwa 240 Kinder in den Scbulen
siud, die in einer gesonderten Schule
untergebracht werden sollten, und
zwar zu ihrem eignen und dem Besten
der andern Kinder. Die meisten der
vor Gericht gebrachten Kinder werden
schon in friiher Jugend durch andere
an Leib und Seele verdorben, und zu
Diebstahl und andere Schlechtigkeiten,
verleitet. In alien groszeren Stadten,
wo solche Sohulen fiir verwahrloste
Korresponden^cn.
115
Kinder errichtet siud, be\vahrcn sie
sich ausgezeichuet, und es hat sich
herausgestellt, dasz selbst Kiuder der
allerschliinmsten Umgebung, die alien
La stern, frohnten, gebessert und zu
ehr- und brauchbareii Meuschen erzo-
geu werden konuten. Die richtige
Lage fiir sole-he Schulen ist das platte
Land, fern vom Getriebe der Grosz-
stadt mit ihreu Vei'suchungen und
Lockuugen, in der frischen freien Got-
tesnatur, wo sich das Gemiit des Kin-
des an den Bachen, Wiesen, Waldern
uud Fcldern erfretien und wieder ge-
sunden kann. Korperliche Uebungen
und Arbeiten im Freieu uiiissen mit
dein Unterrichte Hand in Hand gehen.
Fiir diese Schulen ist das sogennnute
Cottage-System das beste, wo eine Au-
zahl Knaben Oder Madcheu imterge-
bracht uud uuter die Aufsicht eines
Manues und einer Frau gestellt wer-
den. Liebe, Freundlichkeit und Ver-
trauen seitens der Leiter und vater-
liche und miitterliche Ermahnung, ge-
paart mit Milde und Ernst, sind die
eiuzigeu Mittel, welche auf Irr- und
Abwege geratene Kinder wieder auf
den rechten Weg zu fiihren und sie zu
niitzlichen Mitgliedern der mensch-
lichen Gesellsehaft zu machen. Man
riihmt sich in der jetzigen Zeit so sehr
der geiibten Mildtatigkeit in Erbanung
von Hospitalern, Altenheimen, Kin-
derheimen, etc.; da sollte man vor
alien Dingen auch die vorerwahnten
Anstalten nicht vergessen, dann hatte
man weuiger Zucht- und Arbeitshau-
ser zu errichten, uud, was die Haupt-
sache ist, konnte so nianche junge
Menscheuseele rotten, so lange es noch
Zeit ist.
Ob freilich die Agitation in unserer
Stadt etwas nutzen wird, ist noch sehr
fraglich. Der Stadtrat wird sich wohl
wieder mit dern Gel'dinangel entschul-
digen und sich um die Sache herum-
/udriicken suchen. Doch wir wollen
das beste hoflfen.
Englisches Urteil t) b e r
A ui e r i k a u i s c h e Schulen.
Letztes Jahr sandte eiu reicher eng-
lischer Philanthrop, uameus Alfred
Mosely in London, eine Anzahl Mit-
glieder der Trades Unionists nach
Amerika, um die Ursachen nnseres
rapiden Fortschrittes auf kommerziel-
loui und gewerblichem Gebiete zu stu-
dieren. Diese Manner schrieben dann
die Ursachen des Fortschritts der gro-
szen Bildung und Intelligenz der hiesi-
gen Arbeiter zu, und gaben als den
Grund hiervon wieder die guten Schu-
len in Amerika, an. Darauf samite
dann Mcsely eiuige Schulmanner her-
iiber, um auch auf padagogisehem Ge-
biet dem guten Onkel Sam einmal in
die Kartell zu gucken. Die Manner ka-
meu, wurden sehr freundlich empfan-
gen, gefeiert mit Festen und Reden,
wie es denn so iiblich ist. Darauf nah-
men einige Manner sie ins Schlepp-
tau, um sie zu fiihren uud ihnen d i e
Schulen und d i e Klassen zu zeigcn,
die sie sehen sollten, und — es klappte
alles wie am Schuurcheu. Doch nach
uud nach cmauzipierten sich die Her-
ren Englander von ihren Fiihrern und
versuchten auf eigene Hand eineu "re-
search"' vorzimehmen, um womoglieh
mehr und scharfer zu .seheu. Natiir-
lich fanden sie jetzt auch einige Sehat-
tenseiteu in unserm Schulwesen, uud
freimiitig sprachen ele sich iiber die
Mangel und Fehler aus. Zwei der Be-
sucher, namens Coward uud Cock-
burn, nehmen hohe Stellungen im eng-
lischen Schulwesen ein uud scheinen
tiichtige Schulniauner zu sein, und das
rnacht ihre Ausstellungen an unserm
Schulwesen um so wertvoller. Sie fin-
den, z. B., dasz wir ganz ausgezeich-
nete Schulhauser haben, wahre Pa-
laste; aber, meinen sie ganz naiv, es
ware vielleicht gut. wenn eiu Teil des
vielen Geldes, welches die Gebaude
kosten, den Lehrern an Gehalt zuge-
legt wiirde, deun dieses sei dnrchweg
zu gering, und kaum so hoch wie bei
ihuen in England; dagegen seien die
Kosten des Lebensunterhalts hier be-
deutend hoher als bei ihnen. .,Das
stimmt auffalleud," pflegt ein Freund
und Kollege von mir immer zu sagen,
und jeder von uus Lehrern wird den
Herren wohl in dem Punkte beistim-
men. Sodann behaupten sie, es wiirde
von groszem Vorteil fiir unsere Schu-
len sein. wenn wir mehr m a n n-
1 i c h e I>ehrkrafte hatteu, die Frawen
seien in zu groszer und unverhaltnisa-
masziger Ueberzahl. Vom 13. oder 14.
Jahre an sollten die Knaben, wenn
moglich. nur von Mannern unterricb-
tet werden, und zwar besonders we-
gen der notigen Charakterbildung.
In diesem Punkte werden von uns
wohl nur die niannlicheu Kollegen be>-
stimmen. Doch, ,,es ist nun einmal
so," bleibt auch so, ja — es wird noch
schlimmer; ich glaube, dasz wir nach
10 oder 20 Jahren gar keine Manner
mehr im Schulfach haben, und konse-
quent wiirde es daiin sein, auch Fran-
en zu Superiutendenten und Schulra-
ten zu ernennen. Amerika ist das
Land der Extreme; vielleicht wiirde
116
Pddagogische Monatshefte.
dadurch um so eher die notige Reak-
tion eintreten und Besserung kommen.
Interessaiit ist auch, was Mr.
Coward iiber korperllche Ziichtigung
sagt. Bekauutlicb ist ja in der Grosz-
stadt New York schon seit Jahren die
Priigelstrafe abgeschafft. Nun haben
aber an 5000 Lehrer in New York eine
Massen-Petition an den dortigen
Schulrat gerichtet, in welcher in drin-
gender Weise um Wiedereinfiihrung
der Korperstrafe nachgesucht wird.
Bel einem Bankett nun, welches die
dortigen Lehrer Herrn Coward gaben,
ersuchten sie ilm, sich tiber korper-
liehe Ziichtigung in den Schulen zu
auszern. Er sagte dann (1m Aus-
zug) folgendes: ,,Diese Frage spielt
bei uns gar keine Rolle, da man
es in England als selbstverstand-
lich ansieht, Oder besser, als not-
wendig, dem Lehrer In der Schule
auch das Ziichtigungsrecht zu erteilen.
Doch musz ich bekennen, dasz diese
Frage eine sehr wichtige ist. Es ware
wirklich gut, wenn man in der Schule
ganz ohne Ziichtigung fertig werden
konnte; jedoch es gibt Schiller, die das
nicht zulassen. Von hundert Kindern
kann man bei 99 ohne Ziichtigung fer-
tig werden, aber vielleicht nicht bei
dem hundertsten, "and then the teach-
er will find himself sometimes between
the 'devil and the deep sea' in man-
aging such a boy, and — he will break
the rule not to punish." Sind das nicht
treffliche und wahre Worte? Das ist
ein Schulmann, und er keuut die
Schule uml die Schiller. Dann musz
ich noch ein kleines Erlebnis erwah-
nen, dasz die Manner in Washington
batten, und das fiir sie sehr merk-
wiirdig war, jedoch fiir uns von kei-
uerlei Bedeutung ist. Wie die Her-
ren dort eine Volksschule besuchten,
fliisterte einer der Lehrer, oder wohl
der Prinzipal, Herrn Coward ins Ohr:
Der Schiller dort heiszt Quentin
Roosevelt. Was! ist das ein Sohn des
Prasidenten? Ja. und ich kann Ihnen
noch mehrere Sohne von Sekretaren
im Kabinet des Prasidenten, oder Kin-
der von Senatoren zeigen. Merkwiir-
dig! und die besuchen eine gewohn-
licbe Volksschule und sitzen neben
dem Sohne eines gewb'hnlichen Arbei-
ters! Und die Englander staunten und
verwunderten sicb sehr. Ja, das ist
ecbt amerikanisch und demokratisch,
und das ist ein groszer Vorzug bei un-
sern Schulen, und zugleich ein Segen
fiir unser Land. Wird's immer so
bleiben? Wer weisz? Zu wiinschen
ware es wohl.
Die Englander werden bier manches
gelernt haben. Vielleicht auch dieses,
dasz man die hoheren Schulen, als
Hochschulen, Colleges, Seminarien
und Universitaten sehr reichbaltig
ausstattet. Die "donations" regnen
nur so auf sie herab, sogar in Millio-
nen. Darum schwimmen sie nur so
,,im Fett". Dagegen sind die gewohn-
lichen Volksschulen das Aschenbrodel,
Die Kommunen haben immer viel
Geld fiir irgendwelche Zwecke, nur
nicht fiir die Schulen. Sie sind und
bleiben das Schmerzenskind, und an
und bei ihnen musz man sparen, so
viel man kann.
/. W.
N^w Yo k
In der lezten Versammlung
des V e reins Deutscher Leh-
rer von New York und U m-
g e g e n d, die am 5ten dieses Monats
stattfand, hielt Herr Dr. Volkel vom
City College in freier, gefalliger und
anregender Weise einen Vortrag iiber
,,D5e Bedeutung der Etymologic irn
deutschen Unterricht," eiuen Vortrag,
den er krankheitshalber vor 4 Wochen
zu halteu verhindert war. Der Redner
betonte vor allem die Bedeutung der
Etymologie fiir den Schiller. Als ein
Seitenstiick zu diesem Vortrage wird
Herr Doktor Remy von der Columbia
University am 2ten April das Thema
behandeln: ..Die Bedeutung der ger-
manischen Philologie fiir den Lehrer."
Seit der Verein gastliche Aufnahme im
Heim des Deutschen Presz-Klubs ge-
funden bat, entwickelt sich auch die
gesellige Seite des Vereiues, was
wesentlich der guten Kiiche, die echt
deutsch ist, zuznschreiben ist. H. 7,
II. Umschau.
Auf der Weltausstellung zu
St. Louis werden die A u s s t e 1-
1 u n g s g e g e n s t a n d e der
S c h u 1 e n zum ersten Male in einem
besonderen Gebaude untergebracht.
Dieses Gebaude steht im Mittelpunkte
aller andern Bautea; es bedeckt 210,-
000 Quadratfusz Grundflache, ist in
modern klassischem Stil gehalten und
kostet $350,000. Der zu Ausstellungs-
zwecken verfvigbare Raum belauft
sich auf 156,670 Quadratfusz, wovon
43 Prozent auf die Schulen fremder
Staaten kommt. Deutsehland, Eng-
land, Frankreich, Schweden, Belgien,
Gstreich, Italien, Japan, China, Cey-
lon, Mexico, Cuba, Brasilien, Argenti-
nien und Chile werden vertreten sein.
Fiinf Stadte des Landes, namlich
New York, Chicago, St. Louis, Cleve-
land und Indianapolis, werden ihre
Ausstellungen gesondert von den an-
dern vorfiihren, um den Grad der
Vollkoinmenheit zu zeigen, bis zu wel-
chem sich die Volksschulen jener
Stadte entwickelt haben. Prof. C. M.
Woodward von St. Louis wird eine
Muster-Handfertigkeitsschule wah-
rend der Dauer der Ausstellung in der
Arbeit zeigen, und Schulsuperinten-
dent Louis Soldan von St. Louis stellt
einen Muster-Kindergarten aus. Der
Staat Missouri hat Photographien
eines jeden Schujhauses im Staate,
mit den Kindern und Lehrern vor
dem Gebaude aufgestellt, fiir die
Weltausstellung anfertigen lassen.
Ein triibes Bild unseres
S ii d e n s entwirft Professor F. P.
Claxton von der Tennessee Universi-
tat. In einer neulich in New York ge-
haltenen Ansprache sagte er: ,.In ein-
zelnen Teilen der Siidstaaten konnen
sogar bis zu 33 Prozent der w e i s z e n
Bewohner weder lesen noch schreiben
und sind deshalb nicht im Stande, ihre
Stimmzettel zu lesen. Unter 660,000
Bewohnern siud 100,000 des Lesens
und Schreibens unkundig. In einem
Teile des Siidens gibt es 30,000 Wahler,
die nicht lesen konnen, und in einem
anderen Teile 33,000 des Lesens unkun-
dige Mutter, die Kinder erziehen sol-
len."
Auf eine alberne Bemerkung des
Major Vardaman, des Gouverneurs
von Mississippi, dasz Erziehung
die Neger zu Verbrechern
m a c h e und dasz kein TJnterschied
besteshe zwischen Booker Washington
— dem bekannten schwarzen Lehrer
der Schwarzen — und dem Neger-
burschen, der des Majors Stiefeln
putzt, antwortete Washington in einer
Rede zu New York am 12 Februar:
,,Kein einziger Abiturient der Er-
ziehungsanstalten zu Hampton oder
Tuskegee beflndet sich heute im Ge-
fangnis oder im Zuchthaus." ,,K6nnte
man ebenso viel fiir Harvard oder
Yale sagen?" fragt die ,,Nation."
Herr W. fiigte noch hinzu, dasz 90
Prozent der Farbigen, die im Gefang-
nis sitzen, ohne Kenntnis eines Hand-
werks, und dasz 61 Prozent Illiteraten
seien. (Herr W. betatigt in den Ne-
gerschulen zu Hampton und Tuskegee
den Grundsatz, dasz der Schwarze im
spatern Leben leicht sein Fortkommen
findet, wenn er in der Schule ein nutz-
liches Handwerk gelernt hat; er er-
zieht den Neger zur Arbeit.)
Die Januarnummer der "German-
American Annals" ist von bleibendem
geschichtlichem Werte. Sie enthalt
den amtlichen Bericht von der Ein-
weihung des germanischen Museums
der Harvard-Universitat, einschliesz-
lich der gehaltenen Reden; ferner
die Mitteilung vom Ableben Emil
Dapprichs; und endlich den offe-
nen Brief des Deutsch-amerika-
nischen Nationalbundes an den Gen-
eralmajor McArthur wegen dessen
abfalliger Auszerung iiber die Be-
teiligung resp. Nichtbeteiligung der
Burger deutscher Abkunft am spa-
nisch-amerikanischen Kriege; dazu den
Brief, den der Deutschamerlkanische
Zentralbund von Minnesota in dersel-
ben Angelegenheit McArthur an den
Herrn Prasidenten Roosevelt gerich
tet hat. Die beiden Briefe treten den
Beweis an, dasz der Herr General ent-
weder aus Dummheit oder Bosheit die
fragliche Aeuszerung getan hat; sie
sind nicht weniger ein nationales
Ereignis als die Einweihung des ger-
manischen Museums. Der National-
bund und sein Minnesotaer Zweig ha-
ben sich durch ihr mannhaftes Vorge-
hen den aufrichtigen Dank aller der-
jenigen Deutschen erworben, die treue
Burger dieses Landes sind und sich
dnrch keinen Bramarbas die Errun-
genschaften deutschen Geistes da-
durch rauben lassen wollen, dasz man
die Vereinigten Staaten in einen Krieg
mit Deutsehland hineinhetzt.
118
P&dagogiscbe Monatshefte.
Das Unterhaus der Staatsgesetz-
gebung vou Kentucky hat mit 75 ge-
gen 5 Stimmen einen Gesetzvorschlag
angenommen, der die g e in e i n-
s a m e Erziehung vou W e I-
s x o n und Schwarzen verbie-
t e t. Dasselbe Gesetz gestattet einer
Behorde die Leitung einer Erziehungs-
anstalt, in der Schwarze und Weisze
unterriehtet werden, nur dann, wenn
die ,,schwarze" Schule f ii u f u n d-
7, vr a u z i g Meilen von der ,,weiszen"
Schule entferut ist!
Die J a h r e s ~7 * r s a m m 1 u n g
d e r N. E. A. \vird vom 28. Juni bis
1. Juli ia St. Louis abgehalten.
Zur Frage der Lehrerge-
halter sei hier mitgeteilt, was
Kehulsuperintendent E. S. Dreher in
Columbia, S. C., in seinem letzten Jah-
resberlcht sagt: ,,Nach jahrelangera
geduldigem Warten auf eine Zulngc
ist die Aukiindigung des Schulrats,
dasz das Hochstgehalt eines Klassen-
lehrers kiinftig $405 statt $360 jahrlich
betragen wird, unsern Lehrern eine
sehr willkommene Nachricht. Ob-
gleich diese Zulage daukbar anzuer-
kennen ist, so zeigt doch eiu einfaches
Divisionsexempel, dasz ein Lehrer, der
ein Gehalt von $405 im Jahre erhalt,
eiu taglicb.es Einkommen von nur $1.11
bat. So viel zahlen wir unsern Leh-
reru dafiir, dasz sie aus dem Menscben
eiueu Charakter macben! Die unwis-
isenden Arbeiter, die den Schmutz der
Straszen sehaufeln, erbalten fast eben-
so viel, wahrend Klenipner, Maurer
und Tischler wenigstens zweiinal so
viel verdieneu. Unser Volk scheint
nocb niebt ganz im Staude zu sein, die
Tatsnche zu erfassen, dasz das Schul-
ziminer uber das Schicksal unseres
Landes gebietet; wenn es das eiust tut,
dann werden unsern Lehrern Gehalter
gcKahlt werden, die der Wichtigkeit
der Arbeit einigermaszeu angeinessen
sind."
Der Scbulrat von Chicago, 111.,
hat den 3000 Lchrern und Lehrerinnen
eiae Erhohung Hires Jahre s-
gehaltcs von $50 bewilligt. Auch
hat sie den Schuletat fiir 1904 ange-
nommen, worin $9,831,324 bewilligt
werden; $7,405,619 fiir Lehrergehalter
und Reparaturen an Schulhausern, der
Rest fiir neue Schulgebaude und Bau-
pliitze.
Ebenso ist in Pitts burg, P a.,
das Gehalt der stadtischen Lehrer
(Uirchschnittlich zelin Prozent erhoht
worden, in dem Falle der Ijehrer des
achten Grades sogar um 28 Prozeut.
Die Lehrer des ersten Grades erhalten
nunmehr $70, die des achten Grades
$90 monatlich; die Gehalter der Prinzi-
pale schwanken jetzt zwischen $1400
und $2500. Die Vereinigung der Prin-
zipale hatte eine etwas hohere Ge-
haltszulage fiir die Lehrer verlangt,
aber der Schulrat glaubte dem Verlan-
gen uicht nachkommen zu konnen,
weil eine neue Hochschule mit einem
Kostenaufwand von einer Million Dol-
lars gebaut wrerden miisse.
Nach einem Vortrage von Supt. John
W. Carr, vor dem Staatsverband der
Lehrer von Indiana betragt das
Durchschnittsgehalt der 16,304 Lehrer
jenes Staates $308.55 jahrlich, oder
weniger als eineu Dollar den Tag. Der
Verband traf geeignete Maszregeln,
eine Aufbesserung der Gehalter zu er-
streben.
A u c h i u den K r e i s e n der
Professor en der Colleges
und Universitaten der Verein-
igten Staaten tritt man jetzt der G e-
haltsfrage naher. Die Dezember-
nummer von ,, Harvard Graduates'
Magazine" teilt mit, dasz das Gehalt
des Prasidenten von Harvard 1856-57
$2500, das einiger Professoren $2200,
und das von James Russell Lowell.
Smith Professor des Franzosischen
und Spanischen, $1200 betragen habe.
Der Yerfasser des Artikels behauptet
dann, dasz die Gehalter von heute ver-
haltniszmaszig niedriger seien, denn
die ,,bestbezahlten Professoreu erhal-
ten nur $5000 jahrlich am Ende Hirer
Laufbahn, wahitud einige $3500 ha-
ben, und die Mehrzahl zwischen $4000
und $4500. Das Hochstgehalt von
$5000 ist aber an Kaufkraft mit den
$2200 der besten Professoren von 1856
uicht gleichwertig." Er fragt, ob es
nicht paradox sei, dasz die College
Professoren, welche Meister ihres
Faches siud, und welche die Advoka-
ten, Aerzte, Ingenieure, Elektriker, u.
s. w., heranbilden, dem Volke heute
verhaltnismaszig von geringerem
Werte sind als vor fiinfzig Jahren, und
ob die aufgedrungene einfache Lehrer-
weise nicht schlieszlich eiue Rasse von
Professoren erzeugen miisse, die
grosze Gedanken nicht mehr zu erfas-
sen vermag.
An den Artikel des "H. G. M." an-
kniipfend, fiihrt "The Nation" aus,
dasz unsere Professoren zu schlecht
bezahlt werdeu. In manchen Hoch-
schulen des Siidens und Westens sei
das Hochstgehalt von $1200 bis $1500
so lacherlich gering, dasz Krafte zwei-
ter und dritter Giite es nicht anneh-
Umschau.
119
men wollten. Die einzige Rettung Je-
ner Colleges sei dann, sich fahiger jun-
ger Leute zu versichern und auf deren
lokale Anhanglichkeit und Beharr-
ungsvermogen zu bauen. "Wenn es
nun aber auch wahr sel, dasz Aerzte,
etc., mehr als zweimal so viel wie
Professoren verdieuten, so folge dar-
aus uicht, dasz die Professorengehal-
ter uach der Meinung einiger gleich
verdoppelt werden miiszten. Ein
Draufschlag von $1000 bis §1500 ge-
\vahrleiste ein anstandiges Auskom-
men und ziehe die besten Manner an.
Der beste College Professor sei derje-
nige, der den Geldgewinn den edleren
Einkiinften des Berufes zu opfern wil-
lens sei, vorausgesetzt, dasz er bequem
und anstandig leben konne.
Darauf antwortet ein E-insender,
,,Veritas," dasz "The Nation" eine
schreiende Schande viel tiefer an der
Wurzel getroffen haben wiirde, wenn
sie mit dem glanzenden Elend des
Durchschnitts-Professors vollstandig
bekannt gewesen ware. Dasz viele,
vielleicht die Mehrzahl, nicht genug
haben, um bequem und austandig
leben zu konnen, konne man am leich-
testen dadurch beweisen, dasz man ein
Rundschreiben an ihre Franen richte.
Von diesen Martyrinnen der Selbstver-
laugnung und Sparsamkeit konne man
lernen, was es bedeute, zur Jetztzeit
standesgeinasz zu leben, die Kinder,
selbst in eineni kleinen Collegestadt-
chen, anstaudig zu kleiden und zu er-
ziehen, und sich gegen die vieleu Kra-
mer zu wehreu, die den ,,uuprakti-
schen" Professor als leichte Beute be-
trachteten. Noch konne die F r a u
des College-P rofessors einsehen,
warum der College-P r a s i d e n t von
der Bereitwilligkeit i h r e s Gotten,
Geldeslolm den edleren Gewinnen des
Berufes zu opfern, befrelt sein solle.
,,Ist der President ein groszerer Ge-
lehrter?" fragt Veritas. ,,Kauft er
mehr Bticher? Halt er groszere oder
bessere Gesellschaftsabende ab?" In
einem westlicheu College ist es vorge-
kommen, dasz der Prasident, der
$12000 jahrlich erhalt, von seinen un-
geniigend besoldeten Professoreu ver-
langte, sie sollten fxir den Tee und die
..Crackers" zahlen, womit sie spater
an seiuem Enipfangsabende ,er-
frischt' wurden."
Und endlich stimmt in einem weite-
ren Artikel ein Einsender "X" aus
Ithaka mlt weithin horbaren Tonen
die Jeremiade des College-,,1 n-
s t r u c t o r s" an. ,,Hat eiu 'In-
structor* nicht auch Frau und Kinder?
Musz er nicht auch fur Miete, Nahr-
ung und Kleidung zahlen? Braucht er
nicht auch Biicher, wie der Professor,
ukid soil er nicht auch zum Studium
oder zur Erholung im In- und Aus-
lande auf Reisen gehen? Zahlt er den
Handlern nicht dieselben Preise wie
der Viertausenddollar-Professor, oder
der Millionarssohn, sein Schiller?
Wird von ihm nicht erwartet, dasz er
Eintrittskarten zu alien Wohltatig-
keitsvorstelhmgen kauft, die Studen-
tenzeitungen halt, die athletischen,
christlichen und Debattier-Vereine un-
terstiitzt, und einen Tuxedo tragt?
Soil ein Jnstruktor' einer gi'oszen tlni-
versitat ein Gehalt von $700 bis $1000
bekommen, wie ein Clerk eines Gro-
cery Store?"
So zieht die Bewegung unter den
Lehrern der Volksschulen und der
Hochschulen zur Verbesserung ihrer
finanziellen Lage iminer weitere
Kreise!
DielnternationaleKinder-
g a r t e u-U n i o n halt ihre elf te jahr-
liche Tiigimg vom 27. bis 29. April 1904
in ROCHESTER, N. Y., ab. Das
vorlaefige Programm enthalt die An-
kumligimg einer stattlichen Anzahl
von Reden, von geplanten Unterhal-
tnngen und anderem Wissenswerteu.
Wer die Tagung besuchen will und
nahore Auskunft braucht, moge sich
an Frl. Martha E. Brown, 56 Rowley
St., Rochester, N. Y., wenden.
Deutsches Reich. P r e u s z e n. In
Preuszen bestehen sehr viele P r i v a t-
s c h u 1 e n. Die Lehrer und Lehrerin-
nen an denselben besitzen noch keine
gesetzlich geregelte Altersversorgung.
Sie haben sich nun an den Landtag ge-
wandt und baten urn Einfiihrung einer
solchen. Es soil eine Pensiousanstalt
ins Leben gerufen werden, welche die
Selbsthilfe in den Vordergrund stellt,
aber staatlich unterstiitzt wird.
Eine F or tb i 1 d u ng s s c h u 1 e
fur geistig zuriickgebliebene Jiinglinge
und Madchen will die Stadt Ber-
lin einrichten. In derselben solleu
ehemalige Schiller von Nebenklassen
und solche junge Leute, die sich In-
folge einer eigentiimlichen Veranlag-
ung oder schwerer Ei'krankung nur
geringe Fertigkeiten und ein gauz be-
scheidenes Wissen aneignen konnten,
und deneu daher der Besuch einer be-
stehenden Fortbildungsschule versagt
werden musz, so weit ausgebildet wer-
den. dasz sie doch noch moglichst
niitzliche Glieder der menschlichen
120
Palagogische Monatshefte.
Gesellsclmft werden konnen. Die
Mt-thode soil ganz besonders Riicksicht
auf die Schiller nehmen. Der Unter-
richt soil abends stattfinden und un-
entgeltlich sein. (Allg. D. Lehrerztg.)
Der Streik der Akademiker an den
Berliner F o r t b i 1 d u n g s-
s c h u 1 e u, die den f remdspracblichen
Unterricht niedergelegt, weil sie nicht
von seminarisch gebildeten Fortbil-
dungsschulleitern beaufsichtigt sein
wollen (s. P. M., V, p. 91), hat einen
unerwarteten Ausgang gehabt. Das
Zentralbureau der Altesten der Kauf-
inannschaft veroffentlichte namlich
eine E-rklanmg, aus welcher hervor-
geht, dasz die vakanten Stunden sofort
wieder von anderen Lehrkraften fiber-
nommen warden. Eine bittere Pille
aber fiir die Streikenden mag folgende
Stelle der betr. Erklarung sein: ,,Der
Austritt der Oberlehrer gab Gelegen-
heit, eine Anzahl vorzuglieher, gerade
fiir den kaufmaunischen Sprachunter-
richt geeigneter Lehrkrafte einzustel-
len, insbesondere durch langjahrigen
Auslandsanfenthalt geschulte Akade-
miker, sowie kaufmannisch und me-
thodisch vorgebildete Auslander."
Bayern. InErlangen haben
die stadtischen Kollegien den An-
faugsgehalt der Lehrer von 1700 M.
auf 1800 M. erhoht und bestimnit, dasz
60 Prozent des jeweiligeu Gehaltes
pensionsberechtigt sind.
Eine L e h r e r f 1 u c h t macht
sich jetzt im Groszherzogthum Wei-
mar bemerkbar. Zu Ostern verlassen
nicht weniger als 10 Volksschullehrer
Weimar, um in andereu Landern Stel-
luugen anzunehmen, in denen sie bes-
ser beznhlt werden. Die vollig unge-
nugende Bezahhmg — der I^ehrer er-
halt vom 49. Lebensjahre an 2000 M.
Gehalt — erklart dieson Weggang voll-
kommen.
II o 1 1 a n d. Lehrer S. de .Vries hat
eiue Broschure fiber das nieder-
landische S c h u 1 w e s e n her-
aui<iregeben. Nach derselben wer-
den die dortigen offentlicheii Volks-
schulen von 74 Prozent der schul-
pttichtigen Madchen besucht. Die
ubrigen Schulpflichtigen besuchen Pri-
vatschulen, welche meist einen be-
stimmt religiosen Charakter trageii
und von Vereinen oder Privatpersonen
gegrundet warden. An fast samtli-
chen Schulen wird Schulgeld erhoben.
Von dem Lehrpersonale ist ein groszer
Teil weiblieh und zwar verhalten sich
die mannlichen und weiblichen Lehr-
krafte bei den offentlicheii Schulen
wie 5 : 2, bei den privaten 5 : 4. An
Gehalt beziehen die offentlicheii Leh-
rer 500 Gulden und 4X50 Gulden Zu-
lage nach je 5 Jahren. Schulleiter be-
ziehen 750 Gulden Anfaugsgehalt.
Zum Gehalte kommt freie Wohnung
und Garten.
Biicherschau.
I. Bucherbesprechungen.
A Latin Grammar, by Willi-
am Gardner Hale, Professor of
Latin in the University of Chicago, and
Carl Buck, Professor of Comparative
Philology in the University of Chicago.
Boston, Ginn & Co., 1903.* Price $1.00.
There is no doubt that Messrs. Hale
and Buck have given to Latin students,
in many ways, an unusually excellent
grammar. They have been careful to
avoid the many mistakes made in the
arrangement of earlier grammars. That
part, dealing with phonology and word-
formation is especially good. Syntax
naturally commands a closer study and
the most serious consideration of its pre-
sentation. It is a question for sub-
sequent decision, reached by practical
application, whether their treatment of
syntax in its every phase and especially
that of the subjunctive, while original
and sound, and defended by the ripest
scholarship, will not confuse the begin-
ing student. The faxilt lies in the no-
menclature, not because it is incorrect,
quite the contrary, but because it may
bewilder rather than enlighten the im-
mature mind, struggling with a subject
more difficult than it has heretofore
met with. On the other hand, the more
mature student will find much of lasting
value.
TheOdesandEpodesof Ho-
race. Edited with introduction and
notes, by Clement Lawrence
Smith, Pope Professor of Latin in
Harvard University. Boston, Ginn &
Co., 1903. Price $1.60.
This second edition of the Odes and
Epodes of Horace by Professor Smith is
in the main the same as the earlier edi-
tion, but with some much-desired im-
provements in the way of indexes, — an
index to different poems, an index of
Bucherbesprechnngen.
121
citations, and a general index. These will
aid very much the inquiring and poetry-
loving student and will lead him on to a
keener appreciation of the poems. It is
unnecessary to say anything concerning
the main part of the text. Since it is
practically the same as the earlier edi-
tion, its continued use for years past is
a well-deserved sanction of its genuine
worth. R. B. Holt.
Kinder- und Hausmarchen
der Briider Grimm. Selected
und edited with an introduction,
notes and a rocabulary by B. J. V o s,
Associate Professor of German in the
Johns Hopkins University. American
Book Company. New York, Cincin-
nati, Chicago, (1903).
As frontispiece the book has a re-
production of the statue erected in
honor of the Grimm Brothers at
Hanau in 1896. The Introduction
contains biographical sketches of
the two brothers and two chapters
on the M a r c h e n, treating its
literary aspects and its scientific as-
pects. In comparing Jacob and
Wilhelm Grimm, the editor says:
"As a pathfinder in the field of
Teutonic antiquity and philology
Jacob stood without a compeer in
universality of knowledge, acumen,
originality and power of combina-
tion. Wilhelm on the other hand was
Jacob's superior as editor of texts,
possessing greater skill of presenta-
tion and more patience in the investi-
gation of detailed critical problems."
Professor Vos has devoted much time
to the study of the M a r c h e n, as
evidenced by his paper on "Stylistic
Survivals in Grimm's Kinder- und
Hausmarchen, which was pre-
sented before the Modern Language
Association of America in 1902 (see
Publications of Mod. Lang. Assoc.,
vol. XVIII, p. VI): Some of this
paper has evidently been used in
preparing this Introduction. The
editor draws attention to the fact
that scientific considerations were
not uppermost in the minds of the
Grimms in their collection and
publication of the M a r c h e n, but
that the book is primarily a literary
production.
In the chapter on the scientific
aspects of the subject, Professor
Vos states and discusses the three
principal theories which would ex-
plain the correspondence in the great
majority of folk-tales that "are not
peculiar to any one people but are
the possession of many peoples,
frequently living apart and not un-
commonly belonging to different
races". (1) The Grimms believed
that the traditions of the folk-tales
were a common heritage of the Indo-
European race, transmitted from
primitive times, and held that the
similarities were due to the same
cause as resemblaces among cognate
languages. The editor presents the
three following objections to this
theory: (a) that there is no evidence
of the antiquity of the tales; (b)
that the theory does not account for
correspondences with tales among
non-Indo-European peoples; (c) that
the resemblances are in many cases
too detailed to make an explanantion
on the score of common heritage
seem plausible. This theory has now
been generally abandoned by
scholars. (2) The second theory,
that of E. B. Tylor and Andrew
Lang, explains the similarities in
folk-tales as the result of the pre-
valence in all parts of the world, at
one time or another, of similar
mental traditions and ideas. (3) A
German scholar, Benfey, is the best
exponent of the third theory, the one
most commonly accepted, according
to which folk-tales are Buddhistic in
origin and by various channels made
their way to Europe.
TheNotas, which are at the bottom
of the page, show care and skill in
preparation, and they are not too
copious for the class of students
that are likely to use the book. The
Vocabulary seems to be complete: I
have found no words missing. I have
noted two misprints: page 16, last
line, for "on" read in; page 24, last
line, for "fathers" read father's.
Goethe's Egmont, Edited
with introduction and notes by
Robert iWaller Deering,
Ph. D., Professor of Germanic
Languages in Western Reserve Uni-
versitjr. New York. Henry Holt &
Co., 1903.
The Introduction is divided into
seven chapters which treat in an
attractive and scholarly manner the
following topics: The composition of
the play, the historical background,
Goethe's use of the history, the char-
acters, the dramatic structure of
the play, style and tone of the play,
and criticism of the play. The first
chapter clearly points out, by way
of introduction, that Goethe was at-
tracted to the career of the historical
Egmont because he saw in him the
embodiment of a character and of
views similar to his own, and that,
122
Padagogiscbe Monatshefte.
besides, Goethe was impressed by
the psychological possibilities in the
conflict between Egmont, the ad-
vocate of liberal government and of
personal freedom, and Alba, the
embodiment of despotic tyranny.
The third chapter discusses Goethe's
use of this history, showing how he
followed the well known principles
laid down by Lessing and freely
adapted his historical material to his
own plans, first, by condensing and
simplyfying it to secure dramatic
imity, clearness, and rapid move-
ment, and secondly, by changing the
historical figure into a nature more
like his own. Professor Deering's
treatment of the characters shows
appreciation and sympathetic under-
standing. The dramatic structure is
handled with lucidity. Space will not
permit mention of all the admirable
features of the introduction, but
quotations from the closing para-
graph will not be out of place:
"While Egmont, therefore, may
not be tragic in the orthodox sense
of the word as used by Schiller,
Lessing, and Freytag, yet as Schiller
admits, it moves as tragedy should.
- which shows that Goethe con-
sidered the ordinary canons of
tragedy too narrow and thought it
possible to write a drama that is in
the highest sense tragic without
conflict and guilt of the usual type.
It is not to be condemned because
the critic may not understand it or
may not be able to measure it with
his ordinary rule and compass. . . .
Egmont is like all his later
dramas — they were not intended
to be popular, they were not written
for the masses, they are denied the
highest stage effects, but they are
soul-pictures of tremendous power."
There are sixty-two pages of notes
to the one hundred and twelve pages
of text — a rather generous quantity
more than in Primer's edition, but
not so many as in Winkler's edition.
The notes are interesting though,
and should add to the student's
enjoyment and understanding of the
play.
The book will rank high. There is
Tery little in it to criticise. The
teacher betrays himself through an
occasional repetition, as for in-
stance: "Conflict between the powers
of light and of darkness, so to
speak", page X, and "Struggle be-
tween the powers of light and dark-
ness, so to speak", page LIII; "Its
great drawback is that it is not
positive and evident enough for the
ordinary reader", page LVIII, and
"Perhaps the greatest fault is the
fact that Goethe expects too much
of his readers", pages LXXI and
LXXII. But such repetitions do no
harm and often help to impress im-
portant facts upon the mind.
Charles Bunde Wilson.
State University of Iowa.
Das Habichtsfraulein von.
Rudolph Baumbach. By Dr.
Wilhelm Bernhardt, D. C. Heath &
Co., 1904. We have to thank the well
known editor Dr. Bernhardt for a prac-
tical and accurate edition of Rudolf
Bauinbach's instructive and fascinat-
ing story 'Das Habichtsfraulein'. This
romance of the free forest will find a
welcome place in High School and
College courses. It will help to intro-
duce the student to the spirit of the
Thuringian Forest, thereby preparing
him for the study of the poets who
have drawn so much inspiration from
the natural forces, legends and history
of this poetic locality.
The notes will be of great help to
the students. The experienced editor
has carefully avoided the Introduction
of things which find their proper place
in the vocabulary. The questions in
German offer good material for the
use of German in the classroom. How-
ever, suggestive questions which bring
out the development of the story more
completely would have been wel-
comed.
In this connection I wish to answer,
if possible, Dr. Bernhardt's question
in his coui'teous review of my edition
of 1'Arrabbiata (P. M., IV, 1). He said:
,,Zu bedauem ist ferner, dasz das dem
Buch angefiigte Worterverzeichnis
nicht vollstandi^ ist ,und, nach des
Herausgebers eigener Aussage, auch
nicht bestimmt war, vollstandig zu
sein. ,Warum iiberhaupt ein Worter-
verzeichnis?' fragt man sich dabei
unwillkurlich." My first reason, was
simply this — I do not deem it neces-
sary to include in a vocabulary the
words which the student should know
by the time he has reached a text, as
TArrabbiata'. The second reason is.
that the student should start as soon
as possible to ascertain the meaning
of the words from the context. And
if the student knows that he can find
the meaning of the word in the voca-
bulary, he will be inclined to depend
upon it, thus retarding his reading
power. W. W. Florer.
Bucherbesprecbungen.
Report of the Commis-
sioner of Education for the
year 1902. Vol. 1. Washington: Gov-
ernment Printing Office. 1903. Pp.
CXII and 1176. Vol. 2. Pp. 1177-2447.
Aus dem Material, welches unser
Erziehungskommissar in seiuem so-
eben erschienenen Jahresbericht auf
2600 Seiten gesammelt hat, kann man
natiirlich nur wenig beriihren.
Auf Seite 47 wird berichtet, dasz das
Analphabetentum in unserem Lande
abnimmt. Wahrend im Jahre 1870
noch 83.5 Prozent der stimmberechtig-
ten Neger unseres Landes weder lesen
noch schreiben konnten, war der Pro-
«entsatz im Jahre 1900 auf 47.4 gesuu-
ken. Fur die Weisen gelten die Zahlen
9 fur 1870 und 6.6 fiir 1900.
Den geringsten Prozentsatz des
Analphabetentums findeu wir unter
den "native born of foreign parents"
nainlich 2 Prozent. ''This small illit-
eracy of the sons of immigrants is
general, being observable in every one
of the five geographical divisions as a
whole " (Das sollten sich Senator
Lodge und seine Freunde ins Stamm-
bnch schreiben.)
Im Jahre 1870 besuchten 7,561,582
Schiller die offentlichen Schulen unse-
res Landes; heute hat sich die Zahl
verdoppelt; sie betragt 15,925,887
20.2 Proz. aller Bewohner besuchen die
Schulen: 1896 betrug die Zahl 20.6 vom
Hundert; mithin ist in den 6 Jahren
ein Riickgaug urn .4 Prozent z\i ver-
zeichnen.
Nicht sehr erfreulich ist die Tat-
sache. dasz durchschnittlich nur 69.07
Prozent der eingeschriebenen Schiller
die Schule besuchen. Dadurch wird
die hone Ziffer der 15.925,887 einge-
schriebenen Schiller auf 10,999,273 re-
duziert. Die Schulzwangsgesetze
scheinen demnach ganz am Platze zu
sein.
Das Durchschnittsschuljahr, welches
im Jahre 1870 nur 132 Tage betrug, ist
in diesen 30 Jahren nur um 13 Tage
gestiegen. Es betragt heute 145 Tage.
Wahrlich. ein sehr kurzes Schuljahr!
(Und doch macht man immer wieder
die Schule fiir so viele unerquick-
liche Dinge verantwortlich.)
I in Jahre 1870 waren von 100 Lehr-
kraften noch 41 Manner; 1901 waren
es nur noch 27.8. Wenn es in diesem
Masze weitergeht, wird in unserem
Lande im Jahre 1967 der letzte Schul-
meister begraben.
Das Durchschnittsgehalt betrug im
Jahre des Heils 1901 fiir den Lehrer
$49.05, filr die Lehrerin $39.77. (Da-
bei ist unser Land eines der reichsten
der Erde und erfreut sich einer nie
dagewesenen Prosperitat.) Da das
Durchschnittsschuljahr nur 7.25 Mo-
nate betragt, so stellt sich das Durch-
schnittsjahreseinkommen des Lehrers
auf $355.61, das der Lehrerin auf
$288.33. Beschamende Zahlen! Wenn
man bedenkt, dasz in den Stadten die
Gehalter doch gliicklicherweise iiber
jenen Durchschuittsziffern stehen, so
miisseu die Gehalter auf dern Lande
entsetzlich niedrig sein. (Das Jahres-
einkomrnen des amerikanischen Arbei-
ters betragt etwa $400.00.)
Im Jahre 1870 besuchten 50,000
Schiller die 'secondary schools'; 1901
betrug die Zahl 650,000; ein Steigen
von .2 Prozent der Gesamtbevolker-
ung im Jahre 1870 auf .75 Prozent
1901.
Die Zahl der 'College students' stieg
von 20,000 im Jahre 1870 auf 110,000
1901.
Dem verstorbeneu Padagogen Fran-
cis Wayland Parker wird ein 49 Seiten
langer Nachruf gewidmet. Er hat
denselben redlich verdient.
President W. R. Harper von der
University of Chicago schildert in ei-
ner 17 Seiten langen Abhandlung 'the
educational progress of the year
1901-.02' In dieser Abhandlung spricht
•er auch iiber 'the tenure of office of
professors — freedom of teaching'. Herr
Harper ist der Ansicht, dasz die Stel-
lung der Professoren an Universitaten
im Laufe des Jahres eine sicherere ge-
wordeu ist. (Prof. Ross von der Le-
land Stanford University und Prof.
Triggs von der University of Chi-
cago!?)
Interessant sind gerade jetzt die An-
gaben iiber den Elementarunterricht
in Russland. Dort gab es im Jahre
1898 78,724 Volksschulen mit 3,801,133
Schiilern. Und das in einem Reiche,
das 120,000,000 Einwohner hat. Daher
die hohe Zahl der Analphabeten, 61.70
Prozent. Armes Reich! Wenn in
Russland derselbe Prozentsatz der
Schiller die Schule besuchen wiirde.
wie das in unserem Lande der Fall ist,
so miiszten dort 24,240,000 Elementar-
schiiler in den Schulen sein.
Und Japan? Im Jahre 1900 hatte
dasselbe 28,421 Schulen mit 92,963
Lehreren und 4,247,341 Schiilern. Da-
bei hat Japan etwa 40,000,000 Eiu-
wohner.
Besonders interessant sind fur uns
noch die Tabellen, welche die Anal-
124
Pddagogische Monatslxfte.
phabeten in den europaischen Lan-
dern angeben. Nach dem Kaiserlichen
Statistischen Amt in Berlin gab es iui
Jahre 1901 unter den eingezogenen
Rekruten in Preuszen .07 Analphabe-
ten; in Baiern .01, Sachsen .00, Wiir-
temberg .01, Baden .03, Hessen .02,
Mecklenbiirg-Schweriu . 00, Sachsen-
Weimar .00, Mecblenburg-Strelitz .00,
Oldenburg .00, Braunschweig .11,
Sachsen-Meinigen . 00, Sachsen- Alten-
burg .00, Sachsen-Koburg-Gotha .00,
Anhalt .07, Schwarzburg-Sonderhau-
sen .00, Schwarzburg-Rudolstadt .00,
Waldeck .00, Reuss, altere Linie .00,
Reuss, jiingere Linie .00, Schaumburg-
Lippe 00, Lippe .00, Liibeck .00, Bre-
men .00, Hamburg .05, Elsasz-Loth-
ringen .06. Wahrlich, giinstige Zah-
len!
Nun kommen die auszerdeutschen
Lander: Die Schweiz .13, Danemark
.2, Finnland .49 (Dagegen das ubrige
Russland mit 61.70 — und den Finnen
zwingen jetzt die Russen ihre Kultur
und ihre Sprache auf), Holland 2.3,
Schottland 2.46, England 3 (Man ver-
gleiche die deutschen Lander mit Eng-
land Oder mit den Ver. Staaten),
Frankreich 4.7, Irland 7.9, Belgien
10.10, Griechenland 30, Italien 32.9,
Oesterreich 35.6, Ungarn 47.8, Oester-
reich-Ungarn 41.7, Russland 61.7,
Spanien 68.1, Portugal 79.2, Serbien
79.3, und Rumanien mit 88.4 Prozent
Analphabeten.
Sehr interessant und belehrend sind
die Tabellen iiber Pensionen der Leh-
rer. Es bezahlen nach denselben fol-
gende Lander ihren Volksschullehrern
Pensionen:
Preuszen zahlt nach 45-jahriger
Dienstzeit 75 % des Hochstgehalts.
Wiirteuiberg nach 45 Jahren 85%
Baiern nach 45 Jahren 75%
Sachsen nach 45 Jahren 80%
Baden nach 45 Jahren 75%
Hessen nach 45 Jahren 100%
Mecklenburg-Schwerin
nach 50 Jahren 90%
Oldenburg nach 45 Jahren 80%
Sachsen- Weimar, nach 37 Jahren 80%
Braunschweig . . .nach 50 Jahren 100%
Anhalt nach 50 Jahren 100%
Sachsen- Altenburg
nach 45 Jahren 86%
Sachsen-Koburg-Gotha
nach 40 Jahren 100%
-Sachsen-Meiuingen
nach 50 Jahren 100%
Reuss, altere Linie
nach 45 Jahren 80%
Reuss, jiingere Linie
nach 45 Jahren 80%
Schwarzburg-Sonderhausen
nach 48 Jahren 80%
Schwarzburg-Rudolstadt
nach 50 Jahren 100%
Lippe-Detmold .. .nach 45 Jahren 80%
Schaumburg- Lippe,
nach 45 Jahren 80%
Waldech nach 45 Jahren 66%%
Bremen nach 45 Jahren 80%
Liibeck nach 35 Jahren 75%
Hamburg nach 40 Jahren 80%
Elsass-Lothringen
nach 45 Jahren 75%
Es folgen dann die folgenden auszer-
deutschen Lander:
Oesterreich zahlt nach 40 Dienstjah-
ren 100%
Ungarn zahlt nach 45 Dienstjahren,
$150 bis $200.
Danemark nach 45 Jahren 66%%
Schwedeu nach 30 Jahren 75%
Holland nach 40 Jahren 66 %
Frankreich nach 25 Jahren 50%
England, nach 35 Dienstjahren $100
fur jedes Jahr nach einem 10-jahri-
gen Dienst.
Und in unserem Lande? "In the
United States teachers are not pen-
sioned from public school funds, ex-
cept in Maryland." (S. 2371.)
John Eiselmeier.
a. Padagogische Briefe
von Prof. Dr. M. Lazarus. Mit
einem Vorwort herausgegebet von
Dr. Alfred Leicht. Breslau,
Schlesische Verlagsanstalt von S.
Schottlaender, 1903. Preis M. 1.50.
b. Die allgemeine obliga-
torische Madchen - Fort-
bildungsschule. Vortrag von
Joh. Hofmann, Rektor. Leipzig,
Ernst Wunderlich, 1903. Preis 50 Pf.
c. Die Unterricntslektion
als didaktische Kunst-
f o r m. Praktische Ratschlage und
Proben fur die Alltagsarbeit fiir
Lehrproben von Dr. Richard
S e y f e r t, Seminaroberlehrer. Leip-
zig, Ernst Wunderlich, 1904. Preis
M. 2.40.
Man hat von Luther gesagt, als
Sohn des Bergmannes habe er die
Klumpen edlen Metalls zutage ge-
fordert, wahrend sein Gehilfe Me-
lanchthon, der Sohn des Schmiede-
meisters, dieselben zu kunstvollen
Gebilden verarbeitet habe. In die-
sem Sinne lasst sich Dr. Lazarus dem
letztern an die Seite stellen. Er ist
kein schopferisch.es Genie, das sich
neue Bahnen bricht und die Welt
mit neuen Entdeckungen, Erfindun-
gen oder Kunstwerken iiberrascht;
kein Stiirmer, der mit flammender
Bucberbespreckungen. 125
Rede, mit dem Schwerte des Geistes chen. -- Der erste Brief zeigt uns
morsche iiberlieferungen oder die vor allem den lautern Idealismus des
Gotzen des Tages zerschlagt, son- Verfassers, der dureh eine zweck-
dern ein edler, vornehmer Geist, ein massige Erziehung die "Volksseele zu
Kiinstler im achtenSinne desWortes, einem Kunstwerk gestalten mochte,
der die tiefen Gedanken der grossen in dem jeder Teil von andern sich
Geistesheroen nachdenkt und mit lie- unterscheidtet, aber alle Teile ein
bendem Verstandnis, mit bewun- harmonisches Ganzes bilden. Die
derungswiirdiger Feinfiihligkeit idealistische Stimmung des Erzie-
sich in ihr Innenleben versenkt. Die hers, die ,,von der intimen Schatz-
Philosophen und Dichter des klas- ung jenes eigenartigen und unver-
sischen Altertums, die Seher Israels, gleichlichen Wertes abhiingt, den
die grossen Dichter und Denker die Entwickelung einer menschlichen
Deutschlands, besonders Herbart, (individuellen) Seele hat", und die
als dessen Jtinger man ihn so- ,,wie ein Imponderables in atheri-
fort erkennt, liefern ihm das sehen Wellenbewegungen das Feste
kostbare Metall, aus dem er und Schwere des Lehrstoffes durch-
seine Hterarischen Kunstgebilde dringen kann", mochte er auch dem
formt. Er ist in erster Linie Leser mitteilen. Im zweiten Briefe
der zartbesaitete Kiinstler, der vor- behandelt er mit Ruhe und Klarheit
nehme Stilist, iiber dessen Werken die Frage der ,,Staatserzie fa-
die ruhige Schonheit, die massvolle xi n g", die besonders damals in
Anmut des klassischen Griechen- Deutschland und der Schweiz viel
turns schwebt, gleich zarten Rosen- Aufregung verursachte. Schreiber
wolken iiber einer schonheitstrunke- dieser Zeilen erinnert sich noch'mit
nen Friihlingsladschaft. Dass Dr. einem wehrnutigen Lacheln jener be-
Lazarus aber auch die Waffen einer wegten Tage, da er von einem
geistvollen Polemik meisterhaft zu einsamen Winkel der schneebe-
fiihren versteht, beweisen die vor- deckten rhiitischen Alpen aus
liegenden ,,padagogischen Briefe". in Prosa und stiirmischen poe-
Mehr als zwanzig Jahre sind dahin- tischen Ergiissen gegen die ,,des-
gegangen, seit er diese wertvolle potischen Dunkelmiinner und Je-
Gabe dem deutschen Volke dar- suiten" mitkampfte und iiber die
brachte, — im Hinblick auf unsre .,unbegreifliche Lauheit" seines fru-
raschlebige Gegenwart eine sehr hern Lehrers, des Seminardirektors
lange Zeit; die Verhaltnisse haben Th. Wigel, und seiner Herbart'schen
sich zum teil geandert, die ihn in die Gesinnungsgenossen sich fast zu Tod
Arena riefen, und Lazarus selbst ist argerte. Es war ein lustiger, froh-
seitdem in das von ihm ersehnte Hcher, oft auch recht roher ,,Kultur-
Reich des ewigen Friedens, der voll- kampf", bei dem man die Hiebe nicht
kommenen Schonheit eingegangen, sparte. . ., ein oft kindischer, aber
wo vermutlich keine Dunkelmanner doch unschiitzbarer Idealismus, fur
und keine hochmutigen Bureaukva- eine Nation trotz aller Schlacken
ten, die alles nivellieren mochten, zu von grosserm Werte, als alle Schatze
finden sind; — ja, wir miissen fiir ties Klondyke. . . Doch vorwarts ge-
den amerikanischen Leser noch blickt: da dieses Problem auch bei
hinzufiigen: die a, u s s e r n Umstan- uns friiher oder spater viel Kopfzer-
de, die diese Briefe veranlassten, brechen verursachen diirfte, beson-
sind hier, trotz der Wiihlereien ge- ders wenn Onkel Sam fortfahrt, seine
wisser Maulwiirfe, im deutschen ethnologische Mustersammlung zu
Sinne des Wortes so gut wie unbe- bereichern, — so hat wenigstens em
kannt. Mogen sie es noch recht Teil dieser Briefe auch fiir Amerika
lange bleiben! — Dennoch mochten ein bedeutendes praktisches In-
wir auch letzteren das Studium die- teresse. Mit gewichtigen sachhchen
ser Briefe aufrichtig empfehlen, und philosophischen Grunden, mit
denn die Probleme, die darin bespro- iiberraschenden kulturhistorischen
chen werden, sind nicht nur fiir Streiflichtern tritt Lazarus fiir die
Deutschland, sondern auch f iir Ame- Staatserziehung em, doch
rika, ja fiir die gesamte Menschheit nur unter drei sehr wichtigen Be-
von grossten Interesse. Diese kurze dingxmgen: 1) Die Letter des hchi
Besprechung erlaubt kaum eine wesens sollen von jeder Partei volhg
fliichtige Andeutung dieser Proble- unabhiingig sein; 2) nur padag
me; aber dieselbe wird geniigen, um gische Erwagungen sind fiir diesel-
den Leser auf die Reichhaltigkeit ben massgebend, und 3) den Lehrern
dieser ,,Briefe" aufmerksam zu ma- soil das grosstmogliche Mass person-
Padagogmhe Monatskefte,
licherFreiheit gewiihrleistet werden.
Bureaukratismus und Nivellierung
Bind fur Lazarus wie fiir jedeii eiu-
sichtigen Anhiiiiger der wissen-
schaftlichen Piidagogik ein Griiuel,
worin sie mit Herbert Spencer,
IS'ietzsche und Goethe wenigstens im
Prinzip iibereinstimmen. Padago-
gische Griinde sind fiir Lazarus vor
allem niassgebend, und es 1st wohl
der Millie wert, den logischen, von
jeder Parteiriicksicht unabhangigen
Gedankengang zu verfolgen, den der
Polemiker bei seiner hochst interes-
santen Untersuchung verfolgt. Ini
dritten Brief fahrt er fort, die Ver-
dienste des Staates um die Schule
und die Vorteile der Staatserziehung
zu beleuchten; von seinem jetzigen
Standpunkte aus konute ihm der Re-
zensent nicht iiberall Kecht geben,
mochte aber umsomehr auf die kost-
lichen Gedankenperlen aufinerksain
machen, die iiberall in die Unter-
suchung eingestreut sind. Hierauf
bespricht er im vierten Briefe die
Erziehungsideale W. v. Humboldts,
Schillers und Goethes, um sodann
der Teilnahme des Einzelnen an den
Kulturaufgaben des Staates, zu
welcher ihn die Schule befiihigen
soil, zu gedenken. Das Ideal des
modernen Staates wird im fiinften
Briefe vorgefiihrt. Seine Burger
sollten alle leiblich (und okono-
misch) freie, selbstdenkende, s i c h
selbst bestimmende Meii-
schen sein. Er soil konserva-
t i v sein im b e s t e n Sinne des
Wortes, indem er durch die Bildung
seiner Biirger dafiir sorgt, ,,d a s s
die einmal errungene K \i 1-
tur und Sittlichkeit nicht
wieder verloren geh t," und
liberal, indem er an den
F or t schrit t e n der Zeit
sorgfaltig priifend teil-
n i m m t." Er darf es nicht dulden,
,,dass irgend eine Kirche oder Partei
die Jugend zur geistigen Abhangig-
keit von ihren Lehren erzieht oder
gar eine antinationale Gesinnung
pflegt" ,,Der Staat soil zwar
die oberste Aufsicht iiber die Schu-
len fiihren, aber dabei den einzelnen
Lehrern, Dorfern, Stadten und Pro-
vinzen moglichst viel Selbstandigkeit
und Raum zur freien Bewegung und
Entwickelung lassen," mit andern
Worten, der Staat 1st hauptsiichlich
xur A b w e h r gegen die Kriihen,
Wolfe und Rotfiichse da. . . . Die
individuelle Freiheit von Lehrern
und Gemeinden wird im sechsten
Briefe, der von der Schulverwaltung
handelt, noch besonders betout und
eindringlich empfohlen. Im sie-
benten, achten und neunten Briefe,
die von allgemeinem Interesse sind,
wird die Anzahl der Schuljahre und
die Notwendigkeit der Fortbildungs-
schule besprochen. Was Lazarus
darin iiber den Zweck des Volks-
schulunterrichtes, iiber die Ent-
wickelung der Apperzeption, des un-
mittelbaren Interesses, wie es Her-
bart und Ziller nennen, sagt, ist fiir
alle Erzieher sehr interessaiit und
lehrreich, wenn auch leider auch
sehr nnvollstandig. Er versucht
darin zu zeigen, wie die geistigen
Apperzeptionskreise, die die Schule
erzeugt, fiir das spatere Leben we it
•\vichtiger siud, als die positiveu
Kenntnisse, die sie iibernaittelt, und
dass ein psychologisch richtig ge-
leteter Unterricht auch im spiitern
Leben noch die wertvollsten Friichte
zeitigt. Ware irgend ein Millioniir,
Ward-Politiker oder Kanzelredner
imstande, dies den Amerikanern ein-
leuchtend zu machen, — auf andre
Leute horen sie ja nicht, — so hiitte
er sich von seiten unsrer armen, ge-
plagten, gedrillten, verflachten, iiber-
biirdeten, versimpelten uud verdor-
benen Schulkinder ein Denkmal in
Gold und Elfenbein verdient — dazu
wiirde aber das Studium dieser
Briefe bei weitem nicht ausreichen!
— Lazarus sucht hier, wie im
z e h n t e n und letzten Briefe, der
von der Erziehung an und fiir sich
handelt, die streng wissenschaftlich
gehaltenen Untersuchungen Her-
barts und seiner Schule in ein volks-
tiimliches Gewand zu kleiden, und
wenn ihm das auch nicht iiberall gut
gelungen ist, so sind doch seine
Ausfiihrungen fiir jeden denkenden
Leser, besonders aber fiir den ge-
wissenhaften Lehrer, von grossem
Werte. Die Bekanntschaft mit ei-
nem so edlen, idealgesinnten Geiste
wie Lazarus ist schon an und fiir
sich ein kostlicher Gewinn, und so-
darf ich wohl mit dem Wunsche
schliessen, der werte Leser mochte
diese geistvolle Gabe des sinnigen
Weisen selber zur Hand nehmen und
die Perlen, die sie enthiilt, zu heben
suchen. Idealisten wie Lazarus sind
leider sehr seiten; umsomehr sollten-
wir sie hochschatzen. . . .
b. Ich komme nun zu eiiier zweiten
Publikation, die zwar etwa 22 Jahre
spjiter (1903) erschien, als diese
Briefe, dieselben aber doch nach ei-
ner Richtung hin zu erganzen
scheint, niimlich in Bezug auf das
Ttiicherbesprechungen
12
Ton Lazarus iiber die Fortbildungs-
schulen Gesagte. Es ist dies eine
kleine, sehr lesenswerte, wenn auch
nicht einwandfreie Broschiire, die
einen Vortrag von Kektor John Hof-
inaun iiber die allgenieine obli-
gatorische Madchen - Fort-
bildungsschule enthalt, den
er auf der Meiningischen Lehrerver-
sammlung ana 4. August 1903 gehal-
ten hat. Dieser Vortrag errthalt in
seiner schlichten Einfachheit viele
vortreffliche Gedanken und wird je-
dem, der sich fiir diese Frage in-
teressiert, mannigfache Anreguiigen
darbieten. Herr Kektor Hofmann
geht von der gewiss sehr berechtig-
ten Voraussetzung axis, dass die
obligatorische Madchenfortbildungs-
schule eine zeitgeschichtliche Not-
wendigkeit sei, um die Madchen fiir
ihren spiiteren Beruf als Hausfrauen
xind Mutter durch praktischen Fach-
unterricht und die Pflege des Ge-
mutlebens, besonders nach der sitt-
lich-religiosen Seite, vorzubereiten,
ihnen iiberhaupt, auch wenn sie zeit-
lebens auf sich gestellt sein sollten,
eine bessere praktische und innere
Ausbildung auf den sich immer
schwieriger gestaltenden Lebensweg
mitzugeben. Was er bei dieser Ge-
legenheit iiber den Wert der Familie
fiir den Staat und einer guten Haus-
frau fiir die Familie, sagt, sind gol-
dene Worte. Seine Anregungen und
Vorschlage, die die praktische Seite
der Madchenerziehung betreffen,
reugen von wirklichem Verstandnis
der Sachlage und diirften auch
ausserhalb Deutschlands sehr beher-
zigenswert sein. Leider lasst sich
iiber das, was er als ,,Gesinnungs-
unterricht" vorftihrt, nicht das
Gleiche sagen. Diesen Teil des Vor-
trags, der eigentlich der allerwich-
tigste 1st oder sein sollte, da ja im
letzten Grunde alles von der Gesin-
nung, dem Gemiite, abhangt, behan-
delt er sehr stiefmiitterlich, oder
vielmehr stiefvaterlich. Mit einigen
schtinen Phrasen und einer bunten
Zusammenstellung unzusammenhan-
gender Gedichte, die sich an keinen
eigentlichen Gesinnungsstoff anleh-
nen, 1st fiir ihn die Sache abgetan!
Von einer Durchfiihrung der Kon-
xentrationsidee ist bei Hofmann, der
doch sonst mit den Grundsatzen der
wissenschaftlichen Padagogik ver-
traut ist und ihre technischen Aus-
driicke oft genug anwendet, kaum
die Rede. Natiirlich ist dieser Teil
des Problems der schwierigste, be-
sonders wenn man, wie es Ziller ver-
sucht hat, eine allgemein giiltige
Stoffauswahl treffen ^v-ill. Prakti-
scher ware es, iiur die allgemeinen
Gesichtspunkte, nach welchen die-
selbe zu geschehen hat, klar darzu-
legen, und das Weitere dem intelli-
genten Erzieher zu iiberlassen. Die
Verhaltnisse, Individualitaten, natio-
len Unterschiede u. s. w., miissen ja
in jedem besondern Falle beriick-
sichtigt werden. Yermutlich war
auch Herr Hofmann der gleichen
Ansicht, und seine Vorschlage soil-
ten nur eine Art Beispiel sein. Dazii
passen sie aber nicht. Auch hatte er
in solchem Falle ganz leicht auf
bessere Beispiele hinweisen konnen,
woran es ja in Deutschland schon
langst nicht nicht mehr fehlt. Der
intelligente und erfahrene Lehrer
kann diese Liicke in Herrn Hoff-
manns Vortrag selber zu ergiinzen
suchen, und im iibrigen wird er, wie
gesagt, in dieser Broschiire viele
wertvolle Anregungen linden, denn
dem Verfasser hat die einfache, ge-
miitvolle, durch den Geist der Eeli-
giositat und Sittlichkeit veredelte
deutsche Hausfrau, die dem Manne
nicht bloss die niitzliche Gehilfin,
sondern vor allem die verstandnis-
volle Genossin und treue Freundin
ist und ihre Kinder zu guten, brauch-
baren Menschen zu erziehen ver-
steht, als Ideal vorgeschwebt, sowie
ein trautes, gliickliches deutsches
Familienleben
c. TVir haben oben gesehen, wie
Lazarus in seinen letzten ,,piid. Brie-
fen" mehr Wert legt auf das un-
mitelbare Interesse, die Apperzep-
tionskrafte, wie er sie dort nennt,
die geistige Eegsamkeit und Aneig-
nungskraft, die ein methodisch rich-
tiger Unterricht im Zogling erzeugen
kann, als auf Detailkenntnisse, die
bloss gedachtnismassig angeeignet
wurden und bald wieder dem Be-
wusstsein entschwinden. Um dieses
unmittelbare Interesse ins Leben zu
rufen, ist aber, wie ich friiher in
meinen Bemerkungen iiber die ,,Be-
rufsbildung des Lehrers" zu zeigen
versucht, eine griindliche theore-
tisch-praktische Vorbildung des Leh-
rers unerlasslich. Dies mochte ich
besonders betonen, bevor ich zur
Besprechung des dritten mir vorlie-
genden piidagogischen Werkcheus
komme, welches offenbar
diese Vorbildung voraus-
s e t z t. Nur insofern es dies tut,
verdient Dr. Kichard Seyferts
Buch ,,Die Unterrichts-
lektion als didaktische
128
Padagogisclie Monatsfofte.
Kunstfor m" den Lehrern em-
pfohlen zu werden. Fur Lehrer, die
mit der Herbart-Zillerschen Rich-
tung, d. h. mit der wissenschaft-
lichen Piidagog'ik vertraut sind, ent-
halt dieses Werkchen manchen wert-
vollen Wink. Die allgemeinen Be-
merkungen des ersten Teils, die von
der kiinstlerischen, wissenschaftli-
chen und ethischen Seite des Unter-
richts handeln und das Verfahren bei
der Erteilung von Lektionen auf
geistvolle, oft humoristische Weise
beleuchten, diirfte selbst der Laie
recht lesenswert finden. Die Kapitel
iiber das Verhalten gegeniiber dem
werten Publikum bei offentlichen
Priifungen, resp. Musterlektionen,
iiber Stimmung und Mache, iiber die
Unterrichtsimpulse" und das Fragen
enthalten besonders fiir angehende
Lehrer eine wahre Fundgrube wert-
voller Gedanken und Anregungen,
und die zwei letzten Kapitel geben
uns eine ergotzliche Kritik falscher
Lektionen (wie sie hierzulande be-
sonders in den Sonntagsschulen vor-
kommen) und eine Art Rechtfertig-
ung fiir das vorliegende Buch. Die
,.praktischen Versuche", das heisst
die im zweiten Teil dargebotenen,
versehiedenartigen ,,Musterlektio-
nen" enthalten eine sehr reiche
Fiille wertvollen Unterrichts-
materials, und diirften dem theore-
tisch gut vorgebildeten Lehrer sehr
willkommen sein und ihm mannig-
faltige Anregungen, dankbaren Stoff
zu zahlreichen Variationen darbie-
ten. Leider aber beschrankt sich der
Wert dieser Lektionen fast ganz a\if
diejenigen Lehrer, die mit den
Grundlagen der \vissenschaftlichen
Padagogik gut vertraut sind. Fiir
die grosse Mehrzahl der Erzieher,
besonders in Amerika, sind sie in der
Fassung, wie sie jetzt vorliegen, fast
wertlos. Diesem Mangel liesse sich
jedoch einigermassen abhelfen,
wenn der Verfasser eine psycholo-
gisch begriindete Erklarung der
formalen Unterrichtsstufen, und ge-
legentlich eine ebensolche Auf-
klarung ober sein didaktisches Ver-
fahren wahrend der Lektion geben
wollte. Dann ware auch der ,,Un-
eingeweihte" imstande, an Hand die-
ser Beispiele und gestiitzt auf me-
thodische Grundsiitze, sich seine
,,Lektionen" selbst anzufertigen.
Statt dessen hat der Verfasser es
sich nicht versagen konnen, nach
,,beriihmten" piidagogischen Mnstern
eigene Wege zu suchen, die von den
urspriinglichen ,,Formalstufen" eini-
massen abweichen sollen, und mog-
lichst weithergeholte neue Bezeich-
nungen fiir eine langst bekannte
Tatsache, die nichts ntitzen und nur
allenfalls Verwirrung anrichten kon-
nen. Diese ,,Originalitat" a tout
prix, die sich so oft in padagogischen
und kiinstlerischen Kreisen zeigt, ist
ein trauriges Zeichen menschlicher
Schwache. Nach dem Gesagten
braucht es wohl kaum noch hinzuge-
fiigt zu werden, dass das vorlie-
gende, an und fiir sich wertvolle
Biichlein nur von denen mit Nutzen
studiert werden kann, die mit den
theoretischen Voraussetzungen ver-
traut sind. Wem dieselben fehlen,
der wird gut daran tun, sie sich vor-
her durch ein eingehendes Studium
anzueignen, oder wenigstens
R e i n's ,,S c h u 1 j a h r e" s o r g-
faltig zu studieren. ...
I. Barandun.
II. Eingesandte Bucher.
GERMAN COMPOSITION. With
a review of grammar and syntax and
with notes and vocabulary by B.
MACK DRESDEN, A. M., Instructor
in German, State Normal School, Osh-
kosh, Wis. American Book Co.
DER TROMPETER VON SAKKIN-
GEJf. Ein Sang vom Oberrhein von
JOSEPH VIKTOR VON SCHEFFEL.
With introduction, notes and vocabu-
lary by VALENTIN BUEHNER,
Teacher of Modern Languages, High
School, San Jose, Cal. American Book
Co.
DIE ERZIEHUNG DES WILLENS,
von JULES PAYOT. Berechtisrte
t)bersetzuug nach der elften Auflage
der franzosischen Ausjrabe von DR.
TITUS VfllKEL, Buchschmuck von
RICHARD GRIMM. Zweite Auflage.
Leipzig. R. Voigtlander, 1903. Bro.
3 M; geb. 4 M.
SCHILLER'S WILHELM TELL.
With footnotes and vocabulary. Intro-
duction by E. M. GRANGER, A, B.
Hinds & Noble, New York City.
THE MAN WHO PLEASES AND
THE WOMAN WHO CHARMS, by
JOHN A. CONE. Hinds & Noble, New
York City. Price 75 cts.
THE LEADING FACTS OF
FRENCH HISTORY, by D. H.
MONTGOMERY, Ginn & Co., Boston.
1903, Price $1.12.
Padagogische Monatshefte,
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
3abPQana V. flpnil 1904. Heft 5.
Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis.
Von Thos. H. Jappe, New York City.
(Fortsetzung.)
Mit herannahender Pubertat, mit derZunahme des Bewnsstseins, init
der gesteigertcn Disziplin der Sinne wic des Geda<jhtnisses und der Einbild-
ungskraft, mit verbesserter Urteilsbildung, die allerdings durch Einprag-
ung von Vomrteilen vcrschiedcnster Art nur zu oft 'ge'Klhmt wird, begirint
dann der definitive Charakter des jungen Menschen sich zu bildeu. Dass
dieser letzte Vorgang in richtiger Weise cingeleitet werde, nnd bei deni
zeitigen Abgang der grossen Masse der Kinder aus der Sehiilc auch wirk-
lich richtig eingesetzt habe, ist die schwerste und wiehtigste Aufgabc des
Erziehers.
Denn kaura der Schulstube entronnen soil das juugc Volk begiiinew,
seine Sinne und sein Urteil je nach der Bcrufstatigkcit zu spezialisicren,
soil Encrgie besitzen, soil moralischen Charakter in bis dahin niir Acm
I^amen nach gekannten Versuehungen zcigcn, und soil sieh seine Ideale
bilden; ja cr soil Selbsterkenntnis erlangen, die ohne Selbstbeobachtung
gar nicht zu ermb'glichen ist. Und letztere wiedermn wird um so schwerer
und unangenehmer fiir die moisten durch den TJmstand, • dass sic unter
nutiirlichen Yerhaltuissen stets h inter unserin Tun und Treiben herhinkt.
Sic ist zwar mit dem Handcln gleiehzeitig dcnkbar, daun abcr ein posi-
tives Hindernis fiir voile Encrgie und Hingabe an die vorliegende Tatig-
keit, und also dann fiir den Durchschnittsmensehen uunatiirlich • und
unerwiinscht. Ihr ausgcpragtes Erscheinen bei eigentlichen Kindem ist
jcdenfalls als krankhaft zu bezeichnen.
Der gereifte Mann endlieh soil so ausgeriistet sein, class die schliesslieh
unvermeidliche Abnahme der Fiihigkeit, Neues, event. Schwerverbindliehes
130 P&dagogische Mowtskefte.
zu seinem dauernden Eigentum zn machen, so weit als moglich hinausge-
schoben werde; dasssein Gedachtnis und seine sonstigen Geistesgaben nicht
vor eintretender Schwache des Grcisenaltcrs abnehmen, und er erst im Tode
selbst aufhore, seine Empfanglichkeit fiir neue Vorstellungen sowie In-
tcresse an denselben zu zeigen, was alles wir im gewohnlichen Leben
,,geistig frisch bleibcn" nennen. Es ist mir gelegentlich so vorgekommen,
als ob diese geistige Frische schon in der Schule ein fur allemal umge-
bracht werden kann und wird, wenn die Schule nichts taugt.
Hoffentlich ermiidet es Sie nicht zu sehr, mit mir durch die Hanptmo-
mcnte des schon beriihrten wichtigen Vorgangs der Apperception hindurch-
zugehen, im wesentlichen auf Gruud von Karl Langes gleichnamiger
Schrift, die ich.Ihnen wohl nicht weiter anzupreisen brauchc. Das erste
ist selbstredend der rein p h y s i s c h e Akt, dass etwas die Enden der
Nerven eines oder mehrerer der iiusseren Sinne trifft. Dadurch wird deren
Tatigkeit erregt, womit das physiologische Moment beginnt; und
diese Tatigkeit wird im allgemeinen um so lebhafter sein, je mehr Sinne
der Eindruck getroffen hat. Dies ist fiir die Schule von grosser Wiehtig-
keit, insofern es lehrt, die ausschliessliche Inanspruchnahme eiues einzelnen
Sinnes tunlichst zu vermeiden; ich denke hier in erster Linie an das Gehor.
Die Nervenerregung nun pflanzt sich nach den zentralen Enden fort, die
Ganglien werden erregt, und daunt ist die Wahrnehmung oder Perzeption
da; der rein physiologische Vorgang ist zu Ende. Findet sich dann in der
Masse der im Bewusstsein auf- und niederwogenden Vorstellungen vey-
wandter Gedankeninha.lt, und erkennen wir die Ursache des neuen Ein-
drucks, so richtet sich der Wille, d. h. die Aufmerksamkeit darauf, womit
andere Ideen zuruckgcdrangt werden, und also das dritte Moment, das
psych ische hinzutritt. Es setzt sich der Strom in den sensiblen Ner-
ven nach dem vordern Tcile des Gehirns, dcm Orte der Apperzeption, fort,
um von hier teils nach den sensiblen Nerven zwecks weiterer Priifung des
Neuea zuriickzugehen, teils nach den in jedem gegebenen Falle in Dienst
zu nehmenden Muskeln.
•Die Zeit, die dies in Anspruch nimmt, wie klein sie auch sei, lasst sich
messen, und sie ist weder fiir die verschiedenen Sinne, noch fur verschiedene
Individuen gleich. Besonders, mochte ich abermals darauf hinweisen, dass
Perzeption und Apperzeption sich nicht immer unmittelbar folgen, wenig-
stens nicht, wo es sich um geistiges Erfassen handelt. Lange meint, das
seien Ausnahmen, aber ich kann ihm darin nicht beipflichten. Denn viele
konnea gar nicht apperzipiert werden, weil der verwandte Gedankeninhalt
fehit; viele nicht, weil der Wille dazu fehlt, sei es nun, dass habituelle oder
hereditare Schlaft'heit vorliegt, oder dass zeitweilige Erschlaffung cinge-
tretc-n ist; von gelegentlichen Schwachezustanden, wie Zerstreutheit oder
Gadankenlosigkcit, gar nicht zu reden.
Js-t aber die Disposition giinstig, so ergeben sich als Resultate der voll-
Erpehungswissenscbaft und Er^iehungspraxis. 131
2ogenen Apperzeption folgende: 1. Eine Bereicherung oder Berichtigimg
der Kenntnisse; 2. Ein erwecktes Interesse fiir das betreffende Objekt;
und 3. Eine Scharfung des oder der benutzten Sinne.
Bei ofterer Wiederholung dieses Prozesses gewinnen wir allgemeine
Anschauungen, logische Begriffe, Gesetze und Regeln, die schliesslich auch
unsere moralische Disposition beeinflussen und gelegentlich eine vollige
Umkehr und Revolution in uns bewirken konnen. Ich erinnere Sie nur
an anscheinend plotzliche und kaum erhoffte Anderungen im Wesen und
Tun einzelner Schiller; desgleichen an Vorfalle in sogenannten ,,Revivals."
Hoher als die bisher ins Auge gefasste iiussere Apperzeption steht
natiirlich die innere, wenn Ideen von schon vorhandenen Ideen- oder Ge-
dankenreihen apperzipiert werden, wie z. B. in hervorragender Weise im
Geiste des Dichters, Erfinders oder Forschers. Hierher gehort auch die
Selbstbeobachtung, denn sie ist in der Tat nichts anderes als absichtliches
inneres Apperzipieren.
Die kitzliche Frage nach der ersten Apperzeption eines Kindes, die
ihre Schwierigkeiten hat, konnen wir fiiglich unberiihrt lassen, da wir es
in der Schule gliicklicherweise nicht mit Sauglingen zu tun haben. Wir
konnen uns hier damit begniigen zu sagen, eine Apperzeption sei diejenige
seelische Tatigkeit, mittelst derer Wahrnehmungen, Ideen oder Ideenkora-
plexe mit unserm vorherigen Geistes- und Gefiihlsleben in Beriihrung ge-
bracht, ihm assimiliert und so zu grosserer, event, grb'sster Klarheit, Aktivi-
tiit und Bedeutimg erhoben werden. Bis zur befriedigenden selbstandigen
Wiedergabe des so Erfassten ist dann nur ein verhaltnissmassig kleiner
Schritt; was wirklich verstanden und zu eigen gemacht ist, das kann man
auch ausdriicken. Und somit waren uir denn ganz von selbst zu President
Elliott's Definition des Prozesses und Zieles der Erziehung gef iihrt, namlich
"'to observe carefully, to judge clearly, to express accurately."
Systematise!! f ortgesetztes Apperzipieren ist daher gleichbedeutend mit
geistiger Entwicklung, das Wort geistig hier im weitesten Sinne genom-
men. Aber freilich einen Wert fiir die konstante Beschleunigung und Er-
leichterung der Entwicklung hat nur die aus der willkiirlichen Aufmerk-
samkeit resultierende aktive Apperzeption, nicht die aus unwillkurlicher
hervorgehende passive, wo der Schiller beinahe gegen seinen Willen apper-
zipiert. Wir sehen Beispiele letzterer oft genug in der Schule, wo Kinder
etwas lernen "in spite of themselves," wie man sagt; sie hatten kein In-
teresse an dem Neuen, es blieb aber doch etwas davon hangen.
Das bed der aktiven Apperzeption notwendig vorauszusetzende Interesse
enthiilt, wo es voll vorhanden ist, folgende drei Elemente:
1. Es muss dem Neuen, das erfasst werden soil, irgend welche, wenn
auch beschrankte Kenntnis von Verwandtem entgegenkommen; 2. Der
Gegenstand muss sich im Vordergrund des Bewusstseins befinden, derart
132 Pddagogisdw Monatshefte.
dass die Aufmerksamkeit imgcteilt 1st; und 3. das Xeue muss Gef alien
erregen, so dass Erweiterung der Kenntnis gewiinscht wird.
Nun 1st aber das Interesse ndcht immer voll vorhanden, wie sich aus
den in der Schule gebotenen drei Arten von Neuem ergibt:
1. Manches ist nur zum Teil neu, war schon friiher mehr oder weniger
unvollstandig vorgekommen, so dass es sich vielfach nur um Erganzung
und Berichtigung des bezweckten Wissens handelt. Und da hat der Pada-
goge nicht selten eine recht unangenehme, wenn auch hochst wichtige und
wohltatige Aufgabe; ja, es gibt Leute, die vielleicht mit Recht behaupten,
dies sei seine allerwichtigste Aufgabe.
2. Manches, besondersim Anschauungsunterricht,lasst sich alien Kin-
dem sehr anziehend maclien, sodass die mehr oder minder riickstandigen
Wenigen von den Viclen einfach mit fortgerissen werden, und die ge-
wiinschte allgemeine Vermehrimg der Kenntnisse mit Leichtigkeit zu er-
reichen ist.
3. Manches endlich interessiert nur wenige, oft schon, weil es sich wohl
erklaren, aber nicht gut f iir die ausseren Sinne, also durch Bilder. Objekte,
Tone, etc., illustrieren lasst,wahrend es doch im Rahmen des Unterrichts
gefordert wird uud gef ordert werden muss. Da greift man denn zu allerlei
z. T. zweifelhaften Hilfsmitteln, — vergleichen Sie z. B. Shaw's School De-
vices, Educat. Foundations, Juni, 1901, — wirkt auf die Gefuhle, erzeugt
kiinstlichen Entlmsiasmus oder Ehrgeiz, worauf ich hier nicht niiher ein-
gehen kann.
Die Hauptsache ist, dass es sich bei dieser Art von Neuem nicht bloss,
wie bei den beiden andern, um eine wiinschenswerte Vermehrungj der
Kenntnisse, sondern um den Wilkn, die Selbstbeherrschung, den sittlichen
Ernst und also im letzten Ende um das allerwichtigste, die Charaktcrbild-
ung, handelt. Denn ohne guten Willen gibt es keine erspriessliche Selbst-
tatigkeit des Schiilers, und dann i&t in diesem Falle wenig zu machen; da
muss schon mit Hilfe der beiden ersten Arten von Neuem vorgearbeitet
.worden sein.
Dort lasst sich eher das Bewusstseiu des Konnens und Wissens, die
Freude am Gelingen und die Entschlossenheit zum Versuchen der erworbe-
.nen Kraft an Schwererem erzeugen, die das Lebenselement der Selbst-
tatigkeit bilden.
Der Wille aussert sich als das Begehren von etwas, das wir auf Grund
einer im Bewusstsein befindlichen Kausalreihe als erreichbar aiisehen; i?t
solches Begehren mehrfach von Erfolg begleitet gewesen, so gcwinnen
wir Mut und Selbstvertrauen, uns an Weiteres, Schwereres zu wagen, wiili-
rend im entgegengcsetzten Falle Zweifel und Verzagtheit erfolgen. Der
auf Selbstvertrauen beruhende Wille zur Tatigkeit ergibt aber die bei weitem
beste Aufmerksamkeit.
Diese Aufmerksamkeit immer zu haben, ist der ideale Wunsch des
Er^iehiingsiiissenschaft wid Er^iehungspraxis. 133
Lehrers; aber er muss sich nur zu oft mit Aufmerksamkeit bcgniigen, die
in der Xengier ihre Quelle hat. Sie ist immerhin besser als gar keine und
mag gelegentlich iiber eine Periode der Erschlaffung weghelfen; von lan-
gerer Daucr kann sie naturgemass nicht sein, dient auch nicht notwendig
der Entwicklung des Intellekts, und jedenfalls nicht der des Charakters.
Wertvoll hierfiir, weil dauerndes Interesse erzeugend, ist nur das Gefiihl
der Befriedigung, welches der Erfolg, die gliickliche Ueberwindung von
Sehwierigkeiten, im Gefolge hat.
Dabei mag bisweilen Tausehung mit imterlaufen; der Schiller denkt
wohl mal, er habe eine Regel erfaszt, eine Erklarung begriffen, und es stellt
sich nachher heraus, dass ihm die Hauptsache entging. Da heisst es dann,
ihn nicht unnotig entmutigen, sondern ihn event, auf Umwegen zum
rechten Yerstandnis f iihren, soweit das innerhalb seines geistigen Horizonts
licgt.
Strong genonimen gibt es innerhalb der Sclmljahre ja doch nur unvoll-
kommenes Erfassen, sei es allein mit dem Gefiihl oder der Phantasie oder
dem Ver?tande, von feme in seiner Einseitigkeit vergleichbar dem des
Die-liters, Malers, Botanikers, etc. Zum volleren Erfassen bringt uns erst
eine abgerundete Erziehuug zusammen mit der direkten Erfahmng des
spateren Lebens, und vollends systematisches, logisches, sagen wir philo-
sophisches Erfassen ist nur wenigen je beschieden. Ich darf Sie hierbei
wohl an Schopenhauers Schatzung der grossen Masse der Menschen er-
innern. ,
Es komrnt, wie gesagt, vor allem darauf an, dass der Schiller das
frohe Gefiihl des Erfolges habe, dass er also zu erfolgreicher Selbsttatigkeit
gefiihrt werde. Bedauernswert sind in der Tat die Schiller, die dies Ge-
fiihl nicht kennen, einerlei durch wessen Schuld; nicht minder beklagens-
wert abcr auch jeder Lehrer, der viel derartige Schiller hat. Es mag das
ja in manchen Fallen an ihm selber liegen, wenn er eben volHg seinen Beruf
vcrfehlt hat, oder fur die ihm vorkommende Altersstufe nicht passt, oder
seine Tatigkeit nur als eine zwar unangenehme, aber niitzliche zeitvveilige
Er\verbsquelle ansieht. Liebt er dagegen seinen Beruf, so wird er selbst bei
geringem Talent unter leidlich giinstigen Umstanden noch viel Gutes stiften
i«nd demgemass Erfolg-erzielen. Hat er noch Talent oder gar Genie dazu,
und ist also jedenfalls keine blosseUnterrichtsmaschine, sondern wirkt auch
sittlich und charakterbildend, so wird die Schuld an gelegentlichem Miss-
erfolg andern Faktoren zuzuschreiben sein.
Ich will von diesen nur einen beriihren, namlich das Schiilermaterial,
wolches in unserer Einheitsschule naturgemass sehr gemischt ist; auf
andere, wie die soziale Herkunft und Stellung der Lehrenden, ihre durch-
sclmittliche allgemcine Bildung im Gegensatz zu dem, was fur Examina
gclernt wird, die Dauer und Sicherhcit resp. Unsicherheit ihres Dienstes,
134: Padagogiscfjc Monatsbefte.
ihre Behandlung durch Yorgesetzte und Eltern, ihr Quantum an prak-
tischem Sinn, u. s. w., verbietet es sich hier einzugehen.
1. Ungiinstig 1st schon die Mischung so vieler Nationalitaten und Ras-
sen, die erst zu einer Einheit verschmolzen werden sollen, was die meisten
der einseitig anglo-amerikanisch angelernten Lehrkrafte ganz und gar
ndcht im rechten Sinne zu tun verstehen; mir wohl bekannte riihmliche
Ausnahmen bestatigen bloss die Regel. Durch z. T. ganz schamloses Para-
dieren ihrer spezifisch anglo-amerikanischen Vorurteile schaden manche
mehr als sie und andere niitzen und wieder gutmachen konnen.
£. Die Schiller sitzen oft mit sehr verschiedener geistiger wie korper-
licher Reife in einer und derselben Klasse, wofiir die Schule keineswegs
immer zu tadeln ist, und bei Yersetzungen spielt bald das positive Wissen,
bald das Betragen eine zu grosse Rolle. Daher ist notwendig vieles den
einen langweilig, oft schon durch die Art der Behandlung dcs Stoffes, was
die andern noch interessieren kann, weil ihnen neu und angepasst; und um-
gekehrt, ein Teil versteht schon, wo der andere es noch nicht vermag.
3. Die natiirlichen Anlagen und Neigungen gehen unendlich weit
auseinander, sind nicht selten in ein und demselben Kinde fast widerspre-
chender Art, und nicht jedes wird erkannt in seiner Eigenart, denn schnelle
Erkenntnis der verschiedenen Individualitaten ist nicht jedermanns Sache,
und in der rechten Weise zu diskriminieren ist noch schwerer. Dies ver-
mehrt denn die Zahl der Fehlschlage ganz betrachtlich.
4. Verschiedene Ernahrung, Lebensweise, hausliche Erziehung, resp.
Nlchterziehung, sowie erbliche Belastung der einen oder andern Art
niachcn vielfach die Schiiler einer und derselben Klasse ganz disparat, und
die etwa nicht sehr phlegmatische Lehrkraft desparat. Setzen Sie z. B.
folgenden Fall, wie er Ihnen in jeder Grossstadt vorkommen kann. Es be-
stehe eine Klasse zu ednem Drittel aus Kindern, womoglich noch beider
Geschlechter, des respektablen kleinen Mittelstandes, der zwar den guten
Willen hat, dass seine Kinder ehvas lernen sollen, aber nicht viel fiir sie
tun kann; zu einem Drittel aus Kiudem der allerndedrigsten Mietskasernen-
Bevolkerung, die sich in unsern grossern Stadten fast nirgends mehr auf
einen bestimmten Stadtteil beschrankt; und im letzten Drittel aus Kin-
dern von Leuten, die ihre Sprosslinge eigentlich f iir die offentliche Schule
fiir zu gut halten, aber nicht in der Lage sind, die Preise der fashionablen
Privatschulen zu bezahlen, da sie sonst schon bis zur aussersten Grenze
ihrer pekuniaren Mittel leben. Wer aus dieser Mischung etwas macht, der
verdient als zaubcrisches Lehrgenie verherrlicht und belohnt zu werden;
im entgegengesetzten Falle ist er als Martyrer zu beklagen. Kaum brauche
ich hinzuzufiigen, dass wie es Wunderkinder gibt, so auch unter den
425,000 Lehrkraften der Union sich einzelne erstaunliche Genies finden;
aber nach diesen die ubrigen abzuurteilen ware noch schlechter, als einiger
Monstra wegen alle zu verdammen.
Ertfchungswissenscbaft und Er^iehungspraxis. 135
Wo sich mehrere Klassen desselben Grades in einer Sclmle befinden,
1st solche Mischung der Elemente leicht zu vermeiden; und bedauerlieh
bleibt sie immcr, denn die Folge davon ist gemeiniglich, dass die betr. Lehr-
kraft, auch olme besondere "pets" zu habcn, sich ausschliesslich den ihr
kongcnialeren Kindern widmet, — nur zu oft sind das etwelche von den
Madchen, — \viihrend den andern ihre Schulzcit mehr sehadet als niitzt.
Die Schule des Lebens wird fiir diese nur so viel hiirter, wenn sie nicht
ganz darin zu Grunde gehen; und das siiid leider gar zu viele.
Gerade hier in dicsem Lande ist es von dcr grosstenWiehtigkeit, dass
die Kinder zeitig auf die Bildung eines festeu Willens und sittliehen Cha-
rakters hingeleitet werden, einerlei wie viel positives Wissen sie dabei er-
langen, und dazu f iihrt vor alien Dingen die richtige Disziplin. Ich meine
nicht die der militarischen nachgeahmte Schwijidel<lisz,ip}in,,die,.allerdings
fiir die Sehulvorsteher die bequemste ist; auch nicht diejenige, wo die
argsten "ring leaderes" zu Aufsehern der andern gemacht werden, wie man
es gelegentlich wohl in Straf- und Korrektionsanstalten macht; auch nieht
diejenige, v.'elche den Teufel durch Beelzebub austreibt, also sehleehte
Eigenschaften wie Eitelkeit, krankhaften Plhrgeiz und Grossenwahn ziieh-
tet, um die allergewohnlichste Roheit und Gemeinheit bloss fiir die Schul-
stunden einzudammen. Denn auf die Dauer ausgerottet werden sie da'durch
nicht, sie werden vielmehr, um im Bilde zu rcden, auf Eis gelegt und hal-
ten sich dabei ausgezeichnet. Andrerseits wollen wir auch nicht die bar-
barische Zucht z. B. der Zeit Luthers oder Elizabeths .von England.
Vielmehr soil das Bestreben sein, die Kinder auf ihre fruh eintretende
Verantwortlichkeit hinzuweisen, auf ihre Fflichten gegen Eltern, Sclmle
und Staat; damit also ihre zuniichst rein personlichen, sinnlichen Interes-
sen in ethische zu venvandeln; ihnen zu zeigen, dass das Interesse-der Ge-
samtheit, d. h. in erster Linie der Klasse und Schule, der gegeniiber das
Individuum nichts bedeutet, sobald es opponieren will, zugleich ihr eigenes
bestes Interesse ist; dass sie durch treue Pflichterfiillung nicht etwa
ihren Lehrern und Angehorigen einen Gef alien tun, sondern indirekt sich
selbst den grossten Dienst erwicsen; dass iiberhaupt kleine Dienste und
Gefiilligkciten nicht arge Pflichtversiiuinnis gutmachen konnen, was viel-
fach sogar noch der Standpunkt Erwachsencr dem von ihnen gcglaubtea
Gotte gegeniiber ist.
Der Lehrer hat hicrbei zwei Tatigkeitcn zu vereinigen, die sich auf
den ersten Blick zu widersprechen scheinen, niimlich einerseits die uber-
wiegende Wichtigkeit der Gesamtheit, also zunachst der ganzen Klasse oder
Schule als einer Einheit zu betonen, andrerseits den Individuen gegen-
iiber behutsam zu diskriminieren und nicht nach jeder Richtung hin alle
iiber einen Kamm zu scheren.
(Schluss folgt.)
Zur gesetzgebenden Grammatik.
(Far die Piidairogisclten Monatshefte.)
1*« Of. El win C, Roedtler, Assistant Professor of German Philology, University of Wisconsin.
(Schluss.)
Sear bose ist Wustmann auf den Apostroph zur Bczeichnung des Genitivs
in Ausdriicken wie Voss' Luise — Brockhaus' Lexikon; er nennt ihn
bier Incherlich, weil er nicht. auszusprechen sei. 1st dem aber wirklicli
so? SprecUen bier uicbt sebr viele Deutscbea eben ein gelangtes s, das dem
doppeltea s in den romanischcn und skandinavischen Sprachen entspricht, und
bei dem der La ut gewissermassen in zwei Halften, mit einer Icichten Druck-
gronze in der Mitte horbar wird? Das Alemanniscbe bietet hiczu eine Paral-
lele mit seinem gelangten n, weun fiir ,,in den Hof ' in Ilof gesagt wird.
Efoenso ist es gauz leic-bt, bei einem Genitiv wie Busch' das s horeu zu lassen.
' Fur die Pluralbildung Herzoge gait natiirlich nicbt die Analogic Trog—
Troge, sondern etwa eine Bildimg wie Bischofe. tberbanpt ist es raerk-
wiirdig, -die Analogiewirkmig ar.s Reimspielereien berleiten zu wollen.
Bei Ort (S. 21) macbt man wenigstens in Suddeutscblaud beute noeli den
Uutcrscbied, dass der Or t—Platz den Plural O r t e, d a s Or t— Dorf
O e r t e r bildet.
Unricbtig ist auf S. 25 die Bebauptung, die Adjektiva batten in der
scbwacben Deklination, v/ie die Hauptworter, nnr die Enduug e u; im Nomina-
tiv des Singulars haben sie in alien Geschlecbtern e.
Wenn bei deutlicb bezeicbnetem Genitiv eines Hauptwortes in der Ein-
zaht das begleitende Adjektiv in die schwache Flexion iibergetreten 1st, wenn
man also beute statt friiberen ,,gutes Mutes" guten Mutes sagt, — eine Bildung,
die Wustmann ausrotten mocbte, weil ,,Spracbkundige" des 17. und 18. Jabr-
bunderts dagegen ankampften, — so ist das die letzte Konsequenz des Obsiegens
eioes formalen Prinzips, wo friiber ein wortbildendes gegolten batte. Heute
stebt bier die schwache Flexion durcbgangig, wenn der Genitiv durch ein vor-
ausgebendes Bestimmungswort oder ein nacbfolgendes Hauptwort kenutlich
gemacht ist; sonst die starlce; also muss man sagen grosses (nicht
grossen) H e 1 d e n, da die schwache Form Akkusativ der Einzahl ooer Dativ
der Mehrzahl sein konntc.
Falsch ist es wieder, wenn auf S. 31 gesagt wird, die schwache Form des
Adjektivs sei endgiiltig durchgedrungeu binter den besitzanzeigenden Adjek-
tiven. Es heisst doch mein lieber Freund, unser jiingstes
Kind. Die schwache Form stebt nur nacb flektiertein Possessiv. Nicht ganz
dem Sachvcrlmlt entspricht die Darstellung, dass iui Nomiuativ und Akkusativ
des Plurals nacb viele, inanche, einige u. s. w. starkes Adjektiv stehe; siid-
deutscb beisst es: viele jungen Leute, mane he bittern E r-
fahrungen. Dass es keinem Zweifel unterliegen soil, dass nach dekli-
niertem Zablwort (zweier, dreier) das starke Adjektiv (zweier grosser Volker)
deh Vorzug verdiene, stebt in direktem Widerspruch mit Wustmanns Er-
klarung, dass die schwache Form vorzuzieben sei, weun das vorausgehende
(flektierte) Wort cine bestinimte Menge bezeiclme; sind z w e i V 6 1 k e r nicht
ebea so gut eine bestinimte Menge als alle VolkerV
Zur geset^gebenden Grammatik. 137
Reste der schwacheu Form substantivicrter Adjektive und Partizipien
finclen sich noch viel zahlreicher als auf Seite 32 in Zusammensetzungcn wie
Gelehrtenversamrnlung, Beamtenwahl.
Sehr viel milder als in der ersten Auflage ist die Ausdrucksweise in den
Abschnitten lieben Freuude Oder liebe Freunde? und W i r
Deutsche oder wir Deutschen? Falsch ist es im letztgenannten,
dass der Singular die starke Form verlange; wir sagen \vohl i c h A r m e r
(mannlich) und ich Arme, micb A r m e (weiblich), aber sonst schwach
m i r A r m e n (mannlich und weiblich), mich Armeu (mannlich). Im
Nominativ musste die starke Form eintreten, als durch das Zusammenbrechen
der Vollvokalendungen in spatalthochdeutscher Zeit der Unterschied. im Ge-
schlceht verwischt zu werden drohte.
,,K inVereinvon Kiinstlern; erst durch das v o n entsteht ein
erkcunbarer Genitiv (S. 38). — ein auf irgend eine Weise erkennbar ge-
machter Genitiv (eine M e u g e von Menschen) der abhangige
Genitiv von Menschen (S. 95)." In all diesen Fallen handelt es sich
natiirlich nicht um einen Genitiv. Geiueint ist, dass hier von uiit dem
Dativ dieselbe grammatische Beziehung ausdriickt wie sonst der Genitiv.
Dass die genanute Verbindung ein Genitiv sei, ist eine schulerhafte Auschau-
ung. ,
Eine Bildung wie grosstmoglichst (S. 42) ist allerdings nicht
schon, weder wohllautend noch logisch. Solche Formen entspringen aber
cinem ,,sprachlichen Drange, der fiir eine gewisse Funktion das typische
Zeichen auch da auzuweuden sucht, wo dasselbe bereits anderweitige Ver-
korperuug erfahren hat."2« So stcht neben dein alten Komparativ fort
die Weiterbildung f u r d e r ; so ist auch der Superlativ zu e i n z i g zu
erklaren.
Die Genitivbildungeu u n s e r e r, e u r e r, statt u n s e r, e u e r, erschei-
nen in jeder Stilart; erinnern wir uns nur an Tells ,,Und Eurer, wahrlich,
halt' ich nicht gefehlt!" Die Formen sind nicht unlogischer als m e i n e r,
d e i n e r, u. s. w. statt m e i n, dein, die selbst wieder analogisch zu
unser, euer gebildet worden sind. Wir konnen hier einen vollstandigen
Kreislauf in der Analogiewirkung beobachten.
Die flektierten Formen jemandem, niemandem, jeinanden,
uiemanden werden in absehbarer Zeit die uuflektierteu jemand, nie-
mand verdrangen. Dariiber sollte sich Wustmann doch eigentlich freuen;
sind sie doch ein Zeichen, dass das Gefiihl fur die Flexion nicht im Schwinden
ist. Tatsachlich erstarkt das GefQhl iinrner mehr; selbst die Verwendung
des Geuitivs, der dem Uutergaug in absehbarer Zeit geweiht schien, nimmt
wieder zu.
Der Gebrauch von e i n statt etwas in ein Schones, ein W un-
der bares, sollte dftn hoheren Stile vorbehalten sein; da aber besteht er
zu Recht (vgl. ,,Bald werden sie ein Weiteres von mir horen." (Schillers Tell
IV, 1). E i n ist hier gar iiicht der unbestimmte, sondern eiu Rest des ver-,,
einzelnden Artikels, wie er auch noch vorliegt in der Fuguug ,,Das konnte ein
Bismarck, aber kein Caprivi."
Wnstmaim verurtcilt die Ortlinalbildung h u n d e r t u n d e i n t e; wa-
rum, ei-fahrt man nicht. Ist aber h u n d e r t u n d e r s t e logischer? Dieses
stimmt zum Englischen, die Neubilduug zum Franzosischen; orgauisch sind
beide Formen berechtigt.
20 Vgl. Behaghel, Die Syntax des Heliand, Leipzig 1897, S. 11.
138 Pddagogische Monatshefte.
Komiseh diirftc in manchen Teilen Deutschlands folgender Satz (S. 67)
lauteu: ,,Bei Pate unterscheidet man den Paten und die Pate, je
nachdem ein Kuabe oder ein Madchen gemeint ist." Vielerorts kommt es
auf das Geschlecht des Tauflings gar nicht an, und in Fnlnken haben die
meisten Kinder einen Paten und eine Pate.
S. 69 heisst es, fiir Zusaminensetzung mit Feinininen gebe es nur zwei
Moglichkeiten, das Biude-e n und den verkiirzten Stamm. Das schlosse Falle
wie Gansefuss, iiberhaupt aus; diese werden S. 73 gestreift. Dazu ge-
hort auch das vollig richtig gebildete B 1 u t e z e i t, das Wustmann in der
Anmerkung fiir falsch erklart; denn inittelhochdeutsch heisst es d i u b 1 u o t,
derbliiete. DieBliitenzeitist nicht die Zeit des Blxihens einer ein-
zelnen Blume oder irgend einer Erseheinung auf geistigem Gebiete, sondern
die Zeit, da alle Blumen bliihen.
M ii n c h e n, das auf S. 83 als slavischer oder slavisch-deutscher Orts-
name gilt, ist ein echt deutscher Dativ des Plurals.
Um seine Verurteilung von. Fiigungen wie ,,Die Anschauung ist eine vollig
verkehrte" noch weiter zu begriindeu, hatte Wustmann (S. 90 ff.) auch auf
das einfache Mittel hinweiseu konnen, solche Siitze in den Plural umzusetzen;
bleibt das Pradikat auch dann flektiert, dann ist die Fiigung mit e i n im
Singular berechtigt; sonst ist sie zu verwerfen.
Dass in Satzen wie ,,Sowohl Frankreich als auch Deutschland entwickeln
sich sozialistisch" der Plural im Pradikat (S. 97) durchdringeu wird, darf man
als sicher annehmen. Man hat hier ebcn das Gefiihl, dass die beiordnenden
Fiigeworter zusammen so vlel heissen wie und.
Auf w e 1 c h e r als Relativ ist Wustmann besonders schlecht zu sprechen;
er weist es ganz uud gar; der Papiersprache zu. Dies stimint aber insofern
nicht, als es auch mundartlich in Relativsatzen belegt ist. Bedingte Gnade
lasst er walten, wenn es zur Einfiihrung eines Relativsatzes dienen soil, der
einem vorausgeheuden Relativsatz uutergeordnet ist. Eine solche Unter-
scheiduug ist aber rein willkiirlich. Berechtigt ist es ohne Zweifel, zwischen
der und welcher zu wechseln. Eine iiicht allgemein bekannte, auch
von Wustmann nicht erwahnte Tatsache ist die Abneigung der Sxiddeutschen.
gegen welcher als unbestimmtes Fiirwort. Ihnen klingt cine Satzfolge
wie diese geradezu greulich: ,,Hast du Federn? ich brauche welche. — Ja,
hier sind welche; nimui dir welche." Der Siiddeutsche, der nicht ,,ange-
preusselt" ist, lasst in all diesen Fallen das welche einfach aus.
,,Einer der schlimmsten Unfalle, der uns betroffen hat" (S. 126) ist zwar
wieder unlogisch, aber psychologisch gerechtfertigt. Wer so sagt, denkt tat-
Bachlich nur an das eine Ereignis. Weniger verzeihlich wiire ,,einer der
schlimmsten Unfalle, der uns betreffen kann"; hier denken wir an die Zukunft
und verschiedene Moglichkeiten. Interessant ist es iibrigens, dass Macaulay,
der besten englischen Stilisten einer, die Fiigung unbedenklich verwendet. —
in dem Satze ,,eine der grossten Schwierigkeiten fiir das Verstandnis unse-
rer Vorzeit, die nieist gar nicht gewiirdigt wird" bezieht sich das Relativ
nur auf Vorzeit, nicht auf eine; hier ist zur Verdeutlichung das Einfiigen
von und zwar unerlasslich.
S. 131 Z. 9 v. u. lies weglassen statt weggelassen. Meines
Wissens der einzige Druckfehler des ganzen Buches.
Warum soil trotzdem nicht Konjunktion sein diirfen, so gut wie
in dem, seitdem? Wer sind die ,,vielen," die das Bediirfnis nach einem
Unterschied zwischen trotzdem und trotzdem dass noch f iihlen
Zur geset^gebenden Grammatik. 139
(S. 132)? Gebraucht man nicht auch seitdem als Konjunktion wie als
Adverb?
Und warum sollen Bedingungssatze Oder vielmehr warum soil das sehr
oft cine Bedingung bezeichneude w e n n (S. 133) nicht in adversativem Sinne
verwendet werden? besonders wenn dam it stilislische Feiuheiten zu erzielen
sind?
Im Nebensatz das Hilfszeitwort (haben und sein) zu unterdrucken (S.
134 ff.) sollte dem hoheren Stile und vorab der Poesie vorbebalten sein; die
aber diirfen auf dies Vorrecht bestehen. ,,Die Feuerwehr loschte die Flammen,
nachdem sie betrachtlichen Schaden angerichtet," las ich neulich in einer
Zeitung. Wer? darf man da fragen. Vielleicht die Feuerwehr selbst durch
Unacbtsamkeit und Ueberflutung der Zimmer? Wohin iibrigens die leidige
Angewohnheit fuhrt, hinter jedem partizipahnlichen Worte nach einem aus-
gelasseuen Hilfsverb zu schniiffeln, zeigt eine wahrhaft ungeheuerlicbe Er-
klarung von Schillers schonen Versen In der Huldigung der Kiinste: ,,Schnell
kniipfen sich der Liebe zarte Bande; wo man begliickt, 1st man im
Vaterlande." In die zweite Person umgesetzt, heiest dies natiirlich ,,wo du
begliickst, bist du im Vaterlande." Und was hat eim Banause von Erklarer
da raus gemacht? ,,Wo man begliickt 1st, 1st man im Vaterlande." La-
teinisch, ubi bene, ibi patria. Kann man sich eine schandlichere Entweihung
des Dichterwortes vorstellen?
,,Das Belegen der Platze, um sie Spaterkonimenden zu sichern, 1st ver-
boten," enthalt nach Wustmaun ein falsches u m (S. 159). Weitere Aufklarung
glbt er nicht. Soil man sagen z u m Z w e c k, s i e u. s. w.?
,,In friihern Jahrhunderten war die Sprache unsers Volks so voll uber-
quellenden Lebens heute ist sie so tot und starr (S. 179)." Kom-
mentar iiberflussig.
Unter einem Shakespearedrama (S. 190) sollte man sich aller-
dings ein Drama denken, das Shakespeare zum Helden, und keins, das ilm
zum Verfasser hat. Zwischen Bismarckbeleidigungeri und B e-
leidigungen Bismarcks gab es einmal einen tatsachlichen Unter-
schied. Wenigstens schrieb einst, ich glaube es war die Frankfurter Zeitung:
,,Das ist nun freilich keine Beleidigung Bismarcks, aber es ist eine Bismarck-
beleidigung und darauf steht Strafe." Das Wort ist ganz offenbar als Gegen-
stiick zu Majestatsbeleidigung gebildet.
Zu den Ausf alien Wustrnanns gegen die adjektivische Verwendung von
Adverbien auf w e i s e vergleiche man die Darstellung bei Andresen.27 dem
man sicherlich im allgemeinen nicht den Vorwurf machen wird, gegen Neu-
erungen allzu nachgiebig zu sein.
Fiir das Englische gebricht es Wustmann an allem Verstanduis. Dass
er den jetzigen Einfluss des Englischen aufs Deutsche einzudammeii sucht,
dafiir wird ihm jeder E-insichtige dankbar sein, und nicht zum wenigsten die
Deutsch-Amerikant r. Dazu bedarf es aber keiner Schmahungen gegen das
Englische an sich.28 Uiid dabei passiert es Wustmann, der sich doch bestan-
dig auf die lebendige Sprache beruft und den Buchstaben so scharf bekampft,
dass er bei den Wortzusammensetzungen einzig das Schriftbild beriicksich-
tigt und BO dem Englichen alle Wortzusammensetzungen abspricht. Dass
aber Fire Insurance Company gerade so gut e i n Wort ist als Feuerversicher-
ungsgesellschaft, die Erkenutnis scheint ihm nie aufgedaminert zu sein.
Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit, 7. Auflage, Leipzig, 1892, S. 243.
Mit seinein Antisemitismus verschont uns der Verfasser In der neuen Auf-
lage.
140 Pddagogische Monatshefte.
Zuin Besteu gehoren die Abschnitte von 218-234. Zu dom, was iiber d e r
e r s t e r e und der letztere gesagt 1st, seieai Kenner des Englischen
wiedcr auf Macaulay verwiesen, der in einer Vergleichung der Koniginnen
Maria und Elisabeth in rund zwanzig Satzpaaren nacbeinander seine Per-
souen nie anders als Mary und Elizabeth nennt. ,
Die Verwechslung von m i r und m i c h ist keine Berliner Eigenheit, son-
dern gehort deni ganzen niederdeutschen Sprachgebiet an, wo Dativ xind Ak-
kusativ sieh lautlich zur selben Form entwickelt haben. Da iiber den Ber-
liner Dialekt die irrigsten Vorstellungen verbreitet sind, verweise ich bei
dieser Gelegenheit auf eiue Darlegung davon, die wahrend der letzten Monate
1903 in der Beilage der Miinehener Allgemeinen Zeituug erschienen, mir'aber
in diesem Augenblick nicht zuganglich ist.
,,Aus aller Herrn Landern" (S. 242): Das doppelte ern erscheine uner-
tragiich. Aber sagen nicht die meisten Deutschen H err en? Und waren
denn auch bei der Aussprache Herrn die belden e r n in der Aussprache
gleichartig?
Die Anfiihrungszeichen vulgo Gansefusschen nennt Wustmann cine ahn-
lich unniitze Spielerei wie den Apostroph. Gewiss kann auch damit Miss'-
brauch getrieben werden. Aber notig sind sie doch; existierten sie noch uicht,
so mu'sste man sie eigens erflnden. Sie erfullen sogar einen moralischen
Zweck; sie verhindern manchen geistigen Diebstahl; darum den Hut ab vor
den Gansefusschen! Zweitens kann man sie zwar nicht direkt aussprechen,
und doch sind sie uns auch beim lauten Lesen dienstbar, indem sie den Vor-
leser auf notige Anderungen in der Stimmlage aufmerksain inachen. Drit-
tens sind sie ein sehr bequemes UnterscheidungsmSttel beim stillen Lesen;
und soil man denn darauf gar keine Riicksicht nehmen? Hat der Leser nicht
auch das Recht, zu verlangen, dass man ihm seine Aufgabe so leicht als
moglich mache, genau so gut wie der Horer? Wenn ich also in einem Auf-
satze schreibe; Schillers ,,T e 11" ist sein letztes grosses
Drama, und weiterhin : Schillers Tell ist ein andrer als der
der Sage, ist da mit den Gansefusschen nicht mehr gewonnen als verloren?
Einen Zweck, meint Wustmann, batten sie nur da, wo man eine Stelle aus
der Darstellung eines andern einflechte, oder WQ man Worter ironisch ge-
brauche, um sie lacherlich zu machen. Wieviel Selbstironie doch der Herr
Wustmann haben muss, wenn er in seiner Vorrede den Titel seines Buches
immer in Gansefusschen anfu'hrt! Doch der Sachverhalt ist anders. Er fiihlt
eben, dass zwischen Wustmanns ,,Sprachdummheiten" und Wustmanns
Sprachdummheiten ein Unterschied besteht (oder doch bestehen sollte). Seine
..Sprachdummheiten" sind das von ihm verfasste Biichlein mit besagtem Titel;
seine Sprachdummheiten sind die Sprachdummheiten, die er selber macht.
Wer sich die Millie nehmen will, die beiden letzten Satze laut zu lesen, wird
eine Bestatigung des oben Gesagten iiber Wesensunterschiede zwischen miind-
licher und.schriftlicher Rede darin finden und auch merken, wieviel welter
die schriftliche Rede mit einem ganz einfachen Mittel kommen kann. War-
um ihr also dieses verleidenwollen?
Wer grundsatzlich die Provinzialismen in Acht und Bann tut, sollte die
seines eigenen Landstriches nicht als mundartliche Feinheiten verteidigen.
Das tut Wustmnnn mit dem sachsisch-thiiringischen aller v i e r W o c h e n,
wo das Genieiudeutsche den Akkusativ verlangt. Die Feinheit hierin ent-
zieht sich meiner Beobachtung. Der Ausdruck steht auf einer Stufe mit
j e d e n M o n a t, j e d e W o c h e, j e d e n S o n n t a g, wo auch die
Zur gestt^gebenden Grammatik. 141
Sachsen den Akkusativ verwenden, der hier Wiederholung und nicht Zeit-
dauer bezeichnet. Bcklagt sich jemand, cr babe drei Woclien in einem oden
Nest zubringen miissen, so frage ich ilm nicht mit Wustmann, ob or a 1 lo
drei Woe hen, soudern ob er die ganzen drei Wochen Oder
noch wahrscheiulicher die ganze Zeit da gewesen sei, und er kann mir
getrost antworteu, er habe alle drei Tage oder jedeu dritten T a g
einen Ausflug gemacht, und dabei den Zauber des partikularistischen distri-
butiven Genitivs verschmerzen.
Sachsischer Provinzialismus ist auch die Mitt wo c h statt des Mas-
knlins.. Wie lange wohl hier noch das etymologische Gefiihl gegeniiber deu
sechs mannlichen Wochentagen kiinstlich wach gehalten werden kann? Es
wiirde nicht sonderlich befreunden, wenn Wustmann da auch den Provinzia-
lismus e r m a c h e n in Schutz nahme.
Von den auf S. 262 geriigten Doppeladjektiven sind s o z i a 1 - w i r t-
schaftlich und sozial-ethisch wohl aus den Substantiven Sozial-
wirtschaft und Sozialethik entstanden, sollten daher in einem Worte geschrie-
ben werden. An dieser Stelle ware auch cine Anmerkung iiber Zusammen-
ziehungen wie deutseh-frauzosisch, blauschwarz am Platze
gewesen.
Dass ein Wort so gut wie aussterben und doch in ciner gewissen Kate-
gorie sich erhalten kann, scheint Wustmann nicht zugestehen zu wollen; er
verwirft d e n n als Komparativartikel auch in Satzen wie Er war g r 6-
sseralsStaatsmanndennalsDichter und verlangt dafiir a 1 s
als. Mir ist diese Doppelung unertraglich; lieber noch verwendete ich eine
weitlaungeUmschreibung. Aber warum soil d e u n nicht sein Dasein weiter
fristen?
W a r n e n mit verneintem Infinitiv scheint unter englischem Einfluss
entstanden zu sein (S. 266).
Worter wie Referent, Berichterstatter, K lager werden
wohl wie Eigennamen gefiihlt; daher der Branch, den Artikel wegzulassen
(S. 268). In Fallen wie an Land, auf Deck haben wir es mit iiberlebeu-
den Bildungen zu tun, in auf Wache, auf Festung mit analogen Ncu-
bildungen.
,,F r a u 1 e i n (sachlich) D o k t o r (mannlich) II e d w i g (weiblich).
Dabei ist aber eigentlich gar nichts Verwunderlichcs. Die Verschrobenheit
der Sprache ist ja nur das Abbild yon der Verschrobeuheit der Sache." So
Wustmann auf S. 271. Wie viel schoner wars doch, als der Grossvater die
Grossmutter nahm! Da wusste man nichts von Mamsell und Madam; und
von Inhaberinnen des Doktortitels traunite man noch nicht einmal.
,,Das Gymnasium geriet in einen innern Widerspruch hiuein" ist cnt-
schieden ein Stilfehlcr, trotz Wustmanns Billigung auf S. 283.
Fiir und wider die sogenannte Inversion nach und ist schon so viel
geschrieben worden, dass ein Wort daruber kauui der Miihe lohnt; ich halte
es hier gerne mit Wustmann. Unter einem ueuen Gesichtspunkte behandelt
die Frage Behaghel in seinem Aufsatze ,,Die Herstellung der syutaktischen
Ruhelage im Deutschen." 20 t
Die Stellung hinter der PVaposition ware hasslich bei alien Adverbien,
die den Adjektivbegriff einschrauken, lierabsetzeu u. s. w. (S. 310). Also
darf man auch nicht sagen: e r versuchte e s mit k a u m g e n ii g e n-
den Mitteln, er sprengte die Tiir in fast (bcinahe)
20 Indogermauische Forschungen. XIV. S. 438-59.
142 Padagogische Monatshefte.
wahnsinnigem Zorn? Was wird aus dem luhalt der Satze bei der
Vorstellung des Adverbs?
Dass die Einzahl Hose fiir fein gilt, wird die siiddeutschen Bauern
stolz machen, da sic den Plural gar nicht kennen. Auch das Wort B e i n
bedeutet iin Volksmund nur K n o c h e n, und der siiddeutsche Bauer hat viel-
leicht seit Jahrhunderten keine Beine mehr, sondern nur noch F ii s s e. Aber
nicht aus Vornehmtuerei.
Die Klasse von Wortern, die sich am leichtesten uud bestandig verschiebt,
ist die der modalen Hilfszeitworter k 6 n n en, diirfen u. s. w. Jedes
gute Worterbuch auf historischer Grundlage gibt dariiber reichhaltige Aus-
kunft; ein Blick in die deutsehen Klassiker lehrt, welche Wandlungen liter
schon ein Jahrhundert erzetigt hat. Nicht anders ists im Euglischen. Fiir
Wustmann ist das alles ohne jeden Belang, Sprachduminheit, nichts weiter.
Wenn bei Zeitwortern mit iibertragner Bedeutung h i n durch her voll-
standig verdriingt worden ist (S. 343), was soil dann die Verurteilung von
r e i n f a 1 1 e n (S. 342) ?
Von einem neu aufkommenden Worte fordert Wustmann, ,,das es regel-
recht, gesetzmassig gebildet sei, und dass es mit einleuchtender Deutlichkeit
wirklich das ausdrucke, was es auszudriicken vorgibt (S. 350)." Diese zweite
Forderung stellt an die Neubildungen zu hohe Anspriiche; auch iiberschatzt
sie die Starke des etymologischen Bewusstseius. Eigentlich sollte man von
einem ueuen Worte auch nicht mehr verlangen als von eiuem alten; wieviele
Worter fiir Gegenstaude und Verrichtungen des taglichen Lebens, Dinge, die
alien genieinsam sind, wie viele entsprechen denn tatsachlich der Forderung
einleuchtender Deutlichkit? Wie viele bezeichnen denu auch nur einiger-
massen die Beziehung, die sich uns bei der Analyse zuerst aufdrangt? Lea
mots ne signifient naturellement, mais a plaisir, sagt Rabelais. Will sagen,
die Bedeutung wohnt ihnen nicht von Natur inne, sondern stiitzt sich auf
uienschliches tibereiukommen. Wenn einmal ein Wort fiir eine Sache ins
Leben getreten ist, so gleicht es sich sehr schnell dem bezeichneten Objekte
an. so Allerdings werden alljahrlich eine Unzahl neuer Worter gebildet, die
es nur zu einer Eintagsfliegenexistenz bringen. Die wirksamsten schopfe-
rischen Krafte hierbei sind die sich stetig steigernde Hast des modernen
Lebens, die uns zu keinem ruhigen Sucheu nach entsprechenden Ausdrucks-
mitteln im vorhandenen Wortschatze kommen. lasst, und die eitle Sucht, mit
noch nie dagewesenem zu prunken. Mit den meisten derartigen Bildungen
mac-lit die Sprache kurzen Prozess; auch auf geistigem Gebiefce, nicht min-
der als auf physichem, gilt der Satz vom iiberleben der Tauglichsten. Hierin
kann man ruhig die Sprache sich selbst iiberlassen. Doch selbst angenommen,
neunzig Prozent aller Neubildungen erwiesen sich als nicht lebensfahig, so
darf uns der Rest mit der fieberhaften sprachschopferischen Tatigkeit aus-
sohnen. Tatsachlich ist das Deutsche auf dem besten Wege, sich unter den
heutigen Kultursprachen den reichsten Wortschatz zu erwerben, wenn es ihn
nicht ohnehin schon besitzt.si Das kann uns Deutsche aber doch nur mit
stolzer Freude erfiillen.
Erhalt sich nun neben einem bereits bestehenden Worte eine Neubildung
so Vgl. hierzu die schonen Ausfiihrungen iiber ,,gedankenlosen Wortgebrauch"
bei K. O. Erdmnnn, Die Bedeutung des Wortes, Leipzig 1900.
si Man hat bereits Zehntausende von Wortern gesammelt, die Muret-Sanders,
das vollstandigste deutsche Worterbuch, nicht verzeichnet.
Zur gesetyebenden Grammatik. 143
von annaherud demselben Begriffsinhalt, so geschieht das immer in der Weise,
dass sicb in sehr kurzer Zeit der Begriffsinhalt des einen oder des andern
oder auch beider mehr oder minder verandert; oder eines der beiden entwik-
kelt einen gewissen Nebensinn; oder endlich sie decken sich zwar begrifflich,
gehen aber im Stimmungsgehalt oder Gefiihlswert auseinander.sz go wird
.es sicherlich auch mit mancheu der von Wustmann angefochtenen Neuschopf-
ungen gehen. Werdegang z. B. ist inhaltlich soviel wie Evolution und Ent-
wickelung, und doch hat'tet ihm ein Etwas an, das es in eine hohere Gefiihls-
sphare riickt.
An Einzelheiten nur folgendes: Brauch ist nicht dasselbe wle G e-
pflogenheit; dieses ist subjektiv, Brauch aber ist es nicht. Was ist denn
so Garstiges an Einakter? und wenn man ein Distichon einen Zwei-
z e i 1 e r nennen will, warum nicht? Die A u s r e i s e eines Schiffes ist nicht
dasselbe wie A b r e i s e, die auch die H e i m r e i s e sein kann; wenn man
in Mitteldeutschland, wo der Unterschied zwischen stimmhaftem und stimin-
losein s nicht deutlich gemacht wird, dabei an ausreissen denkt, so
erinnert ja wohl die A b r e i s e auch an abreissen.
Bei der Besprechung des Wortes bedeutsam konimt Wustmann auf
den sinnvollen Wortgebrauch. Nun wiirde es ja den schriftstellernden
Menschen zieren und davon zeugen, dass ihm Verstand ward, wenn er im
innern Herzen spiirte, was er so schreibt mit seiner Hand, — wollte er das
aber bei jedem W'orte tun, so konnte er ebensogut sich bei jeder Bewegung
deren Zusammenhang mit der Tatigkeit aller Organe seines Korperg, bei
jedem Schritte in eiuer Gesellschaft den Ursprung jeder Sitte, jedes Brauche*
klar machen wollen. Wie Erdmannaa es treffend dargestellt hat, ist ein gut
Teil gedankenloser Wortgebrauch .zur kraftigen Sprachentwicklung sehr
notwendig.
Der absolute Komparativ findet sich nicht nur bei besser, das auf
S. 359 abgekanzelt wird, sondern auch sonst vielfach; ein alterer Herr
ist jiinger als ein alter Herr, und weun ich langere Zeit an einem
jQrte war, so brauche ich nicht lange Zeit da gewesen zu sein; ein
hoherer Beamter in reiferem Alter; er ist ohne ed-
lere Regungen. "Man empfindet den Komparativ als Ausdruck der Er-
hebung fiber ein gewisses nicht naher bezeichnetes Durchschnittsniveau, die
in der Regel den durch den Positiv bezeichneten Punkt nicht ganz erreicht." s*
Suddeutsch gebraucht man inn sogar adverbiell: "Das ist schon langer (ziem-
lich lange) her."
Unter einer Darstellung in grossen Zugen verstehe ich keine ober-
flachliche, sondern elne kurze, alles Wesentliche hervorhebende (S. 360). Dem
Adjektiv grossziigig liegt offenbar der Zug ins Gross e, nach
dem Grossen zugrunde.
Gut, aber etwas iibertrieben ist der Abschnitt "haben und besitzen," S.
391 ff.
Die haufigen Umschreibungen eines einfachen Zeitwortes durch Verbin-
3= Vgl. Erdmann, a. a. O., Kapitel vier. Dies liebenswurdige und geistvolle
Biichlein sei jedem aufs warmste empfohlen, der sich fur die Spracha
als Kunst interessiert.
ca A. a. O., Kapitel sechs.
«* Wilmanns, Deutsche Grammatik, zweite Abteilung, zweite Auflage, Strass-
burg 1900, § 333,3.
144 Pddagogische Monatshefte.
dungen vonHauptwort undZeitwort(Wustrnanns "Verbalsurrogate" S.307ff.)
erklart Behaghel 35 aus der der miindlichen Rode cntnomnienen Neiguug, den
Schluss der Rede volltonender zu gestalten. Daher k o ru m t heute z u r
V e r 1 e s u n g, was fruher einfach verlesen wurde.
Unter den Verdeutschungen von Fremdwortem verwirft Wustmann (S. 414)
die, die keine Uebersetzungen, sonderu Umschreibungen Oder Begriffserklar-
ungen seien, z. B. Schriftleiter f iir Redakteur. Allein ist die
Begriffserklarung nicht das hochste Lob, das man einer Neubildung gpendeu
kann? Abgesehen da von, dasz Redakteur urspriinglich auch nur einen
Teil seines heutigen Begriffsinhaltes umfasste, braucht man der Verdeutsch-
ung dafiir nur etwas Zeit zu gonneu, und sie wird schon denselben Begriffs-
unifang auszufiillen wissen wie ihr Vorganger. Ein Deutscher, der das Wort
Redakteur gar uicht kennt, wurde im Handumdrehen ausnndig macheu, was
ein Schriftleiter ist, ebensoschnell als er sieh uber das Fremdwort Rats holen
konnte. Das Beste iiber die ganze Frage hat wieder Erdmann im letzten
Kapitel seines Buches geschriebeu.
Die fife sisters und fife brother* anf S. 418 sollen doch jeweils wohl five
sein; oder sind wirklich Querpfeifer damit gemeint? Zum Tingeltangel konute
das passen. — Der hannoverische Teegebackfabrikant, der sein Fabrikat als
den besten Buttercakes anpreist, Leibnitz heisst er, verdient eine strengere
Riige, als sie Wustmann ihm erteilt, fiir seine Englanderei und die scheuss-
liche Sprachvergewaltigung. Der deutsche Reklamenmischmasch ist unbe-
schreiblich kliiglich, voll wirklicher Sprachdummheiten. Die Sprachver-
mengung im Anzeigeteil deutsch-amerikanischer Blatter ist demgegeniiber
noch ertraglich.
Wir sind am Eude unserer Betrachtnng. Erfreulich ist dieselbe nicht
gewesen. Der Umfang, der den Einwandeu gegen Wustmanns Bueh gege-
ben werden musste, — und an Eiuzelausstellungen hatte noch manches ge-
naunt werden konnen, — musste notweudigerweise viel grosser ausfallen als
der auf die Auerkennung der Vorziige verweudete Raum. Das ist einnial die
traurige Pflicht der Kritik diesem Buche gegeniiber. Ich fiirchte, sie wird,
cs immer bleiben. Xiemand aber wird das Buch aus der Hand legen, ohne
sich ehrlich gestehen zu miissen, dasz er daraus gelernt hat. Freilich nicht,
wie man das Palladium unserer Muttersprache retten kounte, wenn ihm
tJefahr drohte. An diese Gefahr glaubea wir uicht. Im .Gegeaiteil, das
Deutsche geht einer grossartigen Zukuuft entgegen. Aber der E-ifer des Ver-
fassers ist ansteckend; und dass es ihm ehrlich Ernst ist um seine Sachc, wird
auch der nicht verkennen, deui seine Kampfesweise nicht zusagt. Lassen
wir auch dein Fleisse Wustmanus Gerechtigkeit Aviderfahren. Selbst im be-
standigeu Widerspruch gegeu ihn, achtlos darf die deutsche Sprachwissen-
schaft weder in der Gegenwart noch in der Zukunft an dem Buche vorbei-
gehen.
Zum Schlusse kann ich mirs nicht versagen, auf das baldige Erscheineu
ciues gross augelegteu und durchgefiihrten Werkes hinzuweisen, an dem ich
warmen personlicheuAuteil nehme, — Professor George O. Curmes "German
as Spoken and Written Today," eine umfangreiche wissenschaftliche Gram-
matik der lebenden deutschen Sprache seit 1850, auf streng geschichtlicher
Gruudlage, die noch dieses Jahr im Verlag von Mac Millan & Co. erscheinen
soil. Das Werk, die reife Frucht zwauzigjahriger treuester Hingabe uud Auf-
opferuug uud eines unbeugsamen eiseruen Fleisses, den kein Hiudernis zu
s-i Die deutsche Sprache, S. 69.
Bcrichtc und Notion. 145
schreckea vcrmoehte, wird ein glanzendes Deukmal der gerinanistischea Wis-
seiischaft seiii, worauf die ganze sprachwissenschaftliche Welt stolz sein darf ;
und mit urn so grosserer Genugtumig darf es uas erfulleu, dass eine sole-he'
Arbeit aus dem Stndierzimmer eines arnerikauisclieii Gelehrten hervorgegangcu
ist. Mauche veralteteii Anschauuugeii fiber die deutscbe Sprache, die sich seit
Adeluug YOU Jabrzebnt zu Jabrzebnt weitergesehleppt baben, wird Professor
Curincs Bucb hinwegramnen; und icb wiisste von keiuer Schulgramaiatik, die
nicht auf Grund dieses Werkes wird uingeschriebea werdea miissen. Wie-
viel icb dem Bucbe, von dem es mir vergonut Avar, einige Teile iiu Mauuskript
zu lesen, beute scbou verdanke, vermag icb nicbt zu berechnen. Nacb seiner
Vollenduug aber wird jeder sein Scbulduer sein, der scbopfen will am Borne
der Erkcnntnis der wtinderbaren deutscben Spraehe, wie sie sicli offeabar!
in der lebendigcu Gegenwart.
Berichte und Notizen.
I. Report of the Meeting of the Modern Language Association.
(Fiir die Padagoglschen Monatshefte.)
The Union meeting' of the Modern Language Association of America
and the Central Division of the Association held at the University of
Michigan was a very successful one in representative attendance, work, and
goodfellowship.
The address of welcome by President James B. Angell will always be
remembered. President Angell gave reminiscences about the nature of the
study of Modern Languages in this country and in Germany during his
student days. He also reviewed the history of the Modern Language De-
partments at the University of Michigan and referred with kind and
touching words to the tragic deaths of Professors Walter and Heneh. Dr.
Angell expressed the wish that the main emphasis should be placed 011
literary interpretation in the colleges of the country, rather lhan <5n
philology. He also said that 'tho students should be introduced to the
riches and the spirit of the writings of the poets, and that the interrelation
and the interdependence of literatures should be especially emphasized'.
One of the most pleasant events was the social gathering in the cozy
and comfortable rooms of the University Club of Detroit. The 'Smoke
Talk' of Professor Calvin Thomas was characteristic of the man and made
all forget the daily work and the differences of opinion. Professor Victor
Aiichels of Jena honored the association with a 'Bierrede' in which, among
other things he expressed his surprise that such "Gemutlichkeit" was
possible in this country.
The P r e s i d e n t's address by Professor George H c m p 1
was especially timely, and, as is always the case when Professor Hempl
speaks on his chosen subject, was a valuable contribution, based on inde-
pendent observation and investigation. Among other things, he showed
that the attitude assumed toward the mother tongue by the average
teacher of English, as well as by the averag'e person of education is wrong.
Language is looked upon as something printed rather than as something-
spoken, whereas real speech is spoken. The language of books makes little
146 Piidagogischc Monatshefte.
impression upon the speech of most people, but the tendencies that spring
from the conditions of spoken speech are allpowerful and determine the
future of the language. The average teacher regards print as the norm
and strives to make the pupils read and speak like print, forgetting that
print is but a poor picture of language, and, in many respects, a picture
not of the speech to-day but of that of five hundred years ago.
Another common error is the assumption that English is somewhere
.spoken to perfection and that it is our duty to strive to speak this perfect
speech, If we try to localize it, we find that its habitat is is quite un-
certain, and we flit from the West to Boston and from Boston across the
sea to England, only to find that there too the teachers are talking about
this mythical perfect speech and reproving their pupils for their natural
usage. The English-speaking world is far too large for \is to expect
uniformity of speech. Speech is nothing but one of the results of human
activity, dependent upon the conditions under which men live. We must
expect diversity and respect it.
The task of the English teacher is a large one. His chief function is
to teach his pupils to write clearly and effectively and, in order to do that
to think clearly and mars-hall their thoughts well. He must also teach them
to avoid that in their speech which would give offense to the great mass of
English-speaking people. But there he should stop. There arc so many
important things to be tauglit that no time should be wasted on petty
matters. If a teacher knows that a pronounciation or construction which
he is trying to teach a boy, will be given up as soon as the boy gets out
into the world, it is his business to find something to teach that boy that
will remain by him and be of some use to him and to the world that he
lives in.
A large number of papers are of immediate interest to the readers of
the P. M. 1. Professor James Taft Hatfield announced the
finding of the missing volume 3 of the Al edition of G o e t h e's works
(1806), containing the misprints recorded by Eiemer in Goethe's Tagebuch
for 1809, i. e. p. 83, "magst" for "machst", and (p. 191) "habe" for "hatte".
From vol. 5 of A' (1807) he infers several important amendments to the
Weimar-text of Egmont.
Prof. Hatfield also described a copy of Egmont (Leipzig, Goschen 1788)
resembling. El as recorded by Minor, but exhibiting fewer errors. It has
none of the errors of E2.
2. Professor Osthaus presented a carefully prepared paper on
"The S t a ge o f ,-H a n s Sachs and the Nuremberg Drama
etc." The paper gave a picture of the stage and the stage-apparatus, the
sources of the paper being the contemporary accounts and the dramas
themselves. The principal points discussed were: the nature of the stage,
its effect on the stage-apparatus; stationary fixtures and temporary ad-
ditions; the actors, their number, dress, and the demands on their skill;
mute persons.
3. Professor Hohlfeld offered a valuable contribution to the
history of modern German rhyme. He gave a comprehensive
account of the history of the 6-e, ii-i, and eu-ei rhjrmes so common in al-
most all German verse of the last three centuries. The teacher of German
literature has to constantly deal with these rhymes, but their nature and
frequency are not understood by some of our best scholars.
Report of Meeting of M. L A. 147
Systematic investigation shows that these rhymes begin to appear
sporadically as early as the second half of the 14. century, if not earlier.
They are firmly established about the year 1500 in authors who belong to
the south-west of Germany. They are less frequent in authors who belong
in the east or midland. Their appearance proves that in certain parts of
Germany the umlaut vo%vels o, ii, and iiu lost their original rounding, being
pronounced e, i, and, ei respectively. During the 16th century this phonetic
change and the rhyme practice based on it spreads eastward and north-
ward, and from the 17. century on the new rhymes seem to have been
established in all parts of Germany. In the third quarter of the 18. century
this development reaches its high-water mark. The writer quoted figures
to establish his point of view from a wide range of authors from Brant to
Liliencron and the contemporary writers.
Since the first decades of the past century, partly through bookish
influences and partly through the growing preponderance of the north in
Germany's intellectual life, a rerounding in the pronounciation of 6, ii, and
eu has made strong headway and, hence in the technically more careful
poets the ii-e, ii-i, and eu-ei rhymes are rapidly disappearing. And thus a
development that began 300 years ago and reached its climax in the 18.
century seems to be drawing to a close. Professor Hohlfeld finally pointed
out that various phonetic and philological deductions of a more general
character are suggested by the results of his observations.
4. The venerable Professor Edward H. Magill presented the
report of the Committee on International Cor-
respondence. The committee reported that in France, Germany and
the United States, 1098 persons had been placed in correspondence in the
past year, at a charge of 25 Cents; and that copies of the Easter Annual,
"Comrades All" had been given to new subscribers. They also reported that
it was not proposed to continue that Annual the coming year, and that the
price to be paid should be reduced from 25 cents to 10 cents each. They
also presented two plans of work which they had \inder consideration; one
to interest leading Educational Journals to take charge of it, instead of
a central committee; and the other was to continue the work of the
committee, and let this committee secure names of Educational Institu-
tions that are willing to enter upon the work, and send the names of all
interested applicants to the proper officers in such institutions, and let
these officers make the arrangements, and pair the students whose names
are thus sent. The committee also suggested that the German bureau be
requested to make no charge to our students, but be satisfied, as we had
been, with the fees of the students of one's own nation. The committee
desired further time to consider the two forms of proceeding proposed.
The committee was continued, their work much approved, and they were
directed to report the conclusion of their further investigations to the
next annual meeting of the association.
5. M r. P. W. M e i s n e s t of Wisconsin presented an excellent paper
on "Leasing and Shakespear e". Mr, Meisnest will, it is hoped,
follow the suggestion of Professor Thomas and publish his investigations
in full. The conclusions reached were: 1. What little Lessing knew of
Shakespeare up to 1758 he obtained from Voltaire, La Place's French
translation and the few articles in German periodicals. Nicolai and Men-
delsohn, together with Dryden's 'Essay on Dramatic Poesy' led him to
148 Pi'Utigogische Monatsbefte.
study and read Shakespeare in the original in 1758. 2. Lessing's utterances
referring to Shakespeare are comparatively few in number, and always
mi. ^6 incidentally. Only five of his dramas are referred to (Hamlet, Othello,
Lear, Borneo and Juliet, and Richard III.). 3. The only probable
Shakespearean influence discernible in Lessing's dramas is the approach
to the character-drama in Emilia Galotti. 4. In introducing Shakespeare
into Germany Lessing was more a follower than a leader. Nicolai, Men-
delsohn, Gerstenberg, Herder, and Wieland — each deserve more credit
than Lessing. 5. What Lessing did for Shakespeare was due largely to his
eminence as a critic and to the vigor of his attacks on Voltaire, Corneille
and Racine, which removed many difficulties in the way for a favorable
reception of the great dramatist.
6. Professor Gruener's paper was of especial interest to those
who have followed the interrelation of German and American literatures.
The paper briefly called attention to the conflicting views held by critics
in regard to the influence of Hoffmann uponPoe. After
a brief synopsis of the conflicting views concerning the influence of Hoff-
mann upon Poe, mention was made of the various French and English
translations of Hoffmann before Poe's early works. The conclusions were:
1. Poe knew Hoffmann, as shown by his references to "phantasy-pieces",
the name coined by the latter for his earliest tales. 2. Poe borrowed from
the "Serapions-Briider" the chief idea and the setting of his "Tales of the
Folio Club". 3. Poe, as seems quite probable, obtained from "Walter Scott's
article on Hoffmann (Foreign Quarterly Review, July, 1827) the suggestions
for the name "Tales of the Grotesque and Arabesque", and also, from the
outlines of Hoffmann's "Das Majorat" as given in that article, suggestions
for the "House of Usher" and "Metzengesstein". 4. A certain peculiarity of
style noticeable in Poe's early tales and prose seems quite evidently to have
been taken from Hoffmann. It is the peculiarity, chiefly in conversational
dialogue, of beginning a sentence with one or more words, then putting in
the word of phrase of saying, or some other parenthetical word, and re-
peating the opening words before proceeding with the rest of the sentence.
These observations seem to furnish tangible evidence of a direct and
striking influence of the German upon the American author.
7. The summary of Professor Scott's valuable contribution on
"TheMostFundamentalDifferentiaofProseand
Poetry is as follows:
The difference between prose and poetry has its root in the difference
between two distinct and ever-recurring social situations: first, the sit-
uation in which a member of society is moved to utterance bjr a desire to
communicate with his fellow-men, the desire for self-expression being
present but subordinate; second, the situation in which one man, or a
number of men acting in concert, are moved by a desire to give vent to
their feelings and ideas, the desire for communication being present but
subordinate. The character of the situation colors in each case the quality
of the utterance — gives it a peculiar tone or tang or atmosphere, what-
ever form the utterance may take. But in the history of human utterance
the form also has been shaped by the situation out of which the expres-
sion flowed. The situation which is toned communicatively, gives rise to
the form of utterance in which, to use the language of Professor Budde,
*'the current of speech flows consistenly as far as the thought carries it",
Report of Meeting of M. L A. 149
or until there is some response of comprehension on the part of the
listener. The situation which is toned expressively gives rise to a form of
utterance in which "the store of thought is divided into relatively brief
units", the recurrence of whose elements is determined by the ebb and
flow of individual feeling or by the consent of the throng. In a
formula, poetry is communication in language for expression's sake; prose
is expression in language for communication's sake.
8. Professor Carruth's paper, based on extensive and accurate
investigation was a most interesting one and \vill help to diffuse the pe-
culiar and erroneous views on Schiller's religion. The summary
of the paper is:
The most valid evidence on Schiller's religious convictions is offered by
his letters, his essays and hisories, and his lyric and gnomic verse. The
sentiments found in the dramas are to be accepted only with reservations
and rather as confirmation of views expressed elsewhere, never when in
contradiction to such expressions.
From about his seventeenth year Schiller learned to distinguish be-
tween religion as a personal experience and the outward institutions of
religion. He had always religious convictions of his own, but he rejected
practically the whole theological system of the Church as he understood
it, and very explicitly: All impeachments of the law-fullness of the Uni-
verse, including special revelations, the inspiration and peculiar authority
of the Bible, the exceptional divinity of Jesus, his miraculous origin and
deeds, and special providences. He distrusted religious organization of all
kinds, fearing their tendency to fetter the human spirit. Hence he avoided
and to some extend antagonized the hierarchy, the clergy, public worship,
and all rites and ceremonies. Toward the end of life this attitude was
less belligerent, but none the less distinct.
Schiller believed steadfastly, and with no more hestitation and inter-
mission than many a patriarch and saint, in one Good, Allwise, Allknowing,
Loving Power, immanent in the Universe and especially in man.
He believed in Virtue supremely, and in the Inner Voice, its monitor,
holding virtue to be the harmonious adaptation of the individual's will to
the will of God as revealed in the laws and history of the Universe and in
the heart of man.
He believed with a strong faith in immortality, wavering sometimes as
to the persistance of the individual consciousness, and rejecting all
attempts to locate and condition the future state.
He believed in the brotherhood of man, and trusted man as the image
of God on earth.
He recognized the greatness of Jesus of Nazareth and revered his
ethics and life.
He recognized the immense service to mankind of the Christian religion.
He was intensely reverent toward all that was good and beautiful, and
worshipped sincerely in his own way which was, indeed, not the way of the
Church.
From the standpoint of the enlightened thought of the twentieth
century Schiller was without question a deeply religious man, and all of
his writings, no less than his life, bear testimony to the fact.
150 Pddagogischc Monatshefte.
9.*) Owing to the departure of Professor von K 1 e n z e to
Germany his valuable paper "G o e t h e's S uc c e s s o r s in Italy
inthe Nineteenth Century" was read. The paper dealt especially
with the changes wrought by Romanticism in the attitude toward Italy;
the revival of religious sentiment; admiration for the Middle Ages; the
charm of historical associations; love of the picturesque replacing love of
the "plastic"; fondness for detail; interest in, art as a manifestation of
social conditions and race characteristics.
10.*) Profcssr Voss presented a valuable contribution entitled
"Erasmus Roterodamus in his Relations to Mar tin
Luther and Philip Melanchtho n." The results of this investi-
gation when published will be of great interest to the students of that
important and too much neglected period. Apamphlet called Yrteyl Doctor
Martin Luther and Philippi Melanchthoni von Erasmo Roterdam 1323 (Br.
Mus. 3915. bb. 13), which the writer intends to publish, throws light upon
the chief differences in opinion and character between Erasmus and both
Luther and Melanchthon once his most ardent admirers. The correspon-
dence between Erasmus and Luther and Melanchthon has been collected
from the year 1019 up to 1326, when Erasmus wrote his last letter to Mar-
tin Luther.
The following papers were presented by title:
1. "Some Hitherto Unpublished Criticisms by W i 1-
h e 1m Heinse (1749 — 1803) on Lessing, Herder, Schilling, and Goethe,
especiallu on the Faustf ragment" by Dr. Karl D. Jesse n. The im-
portance of the critical views was emphasized by Erich Schmidt as early
as 1878 in the "Archiv fur Literaturwissenschaft". They betray, in a striking
manner, the critical acumen of the famous author of "Ardighello", the lirst
art novel in German Literature. Since a genuine revival of interest in
Heinse has set in within the last few years, these criticisms may claim
especial timeliness. Remarkable is his estimate of Lessing, and with a keen
insight he discerns in the first part of Faust the different strata of
Goethe's work.
2. "F r i e d r i c h S p i e 1 h a g e n, the Best Representative of the
German Contemporary Novel of the Nineteenth Century" by Professor
Albert B. Faust. Spielhagen combines characteristics of a number
of German novelists. Such are: 1) thoroughness and high seriousness; 2)
theorized art; 3) purpose, or Tendenz; 4) treatment of the problematic
character; 5) philosophy, or Weltanschauung. Being most representative,
his works constitute a convenient centre for the study of the modern
German novel.
3. "A Comparison of the 1522 and 1545 E d i tio n s of the
New Testament: S u b s t a n t i v e s" by D r. W a r r e n W. F 1 o r e r.
This paper is the first of a series based on an investigation of the linguistic
development of Luther, as seen in his translations of the Bible. The
principal paragraphs will treat of the apocope and syncope of e in the a
and ja classes, the o aid n classes of feminines, the e and er plural endings
of neuters. W. VV. F.
regret that I can only give the outlines of the program.
II. Korrespondenzen.
(Fflr die Padagogischen Honatshefte.)
Baltima.-e.
Bis vor vier Janren bestand u n -
sere Schulbehorde aus zwei-
undzwanzig vom Stadtrat ernannten
Mitgliedern, einem aus jeder Ward.
Danu fand die damals an dicser
Stelle mitgeteilte Anderung statt,
wonach jene Behorde aus neun vom
Biirgermeister ernannten Mitglie-
dern zusammengesetzt ist. Dadurch
wurden tiichtigere Miinner gesichert
und unserc Schulen dem leidigen
Parteihader der Politik entzogen.
Nun ist zur Zeit wieder eine Be-
wegung im Gange, die sich zum Ziel
gesetzt hat, die stadtischen Schul-
RommiKsare durch die Biirger wah-
len zu lassen. Das wiirde wieder Po-
litiker und politische Streber in un-
sern Schulrat bringen. Gliicklicher-
weise ist die offentliehe Meinung, wie
selbe in der gesamten Lokalpres.se
zum Ausdrnck kommt, gegen eine
solche Anderung, und es ist daher
nicht anzunehmen, dass diese Be-
wegung einen Erfolg haben wird.
Die in den vier Jahren e i n g e-
fiihrten 11 e f o r m,,e n beziehen
sich so weit vornehmlich auf die
iiusserlichen Einrichtungen, die der
technischen Leitimg zu gate kom-
men. Dabei ist mit der Ernennung
von Gruppen-Prinzipalen eine Reihe
der tiichtigsten Lehrer zur Routine-
Arbeit verwandt Avorden, die als
praktische, erfahrene Lehrer in den
Klassen sehr vermisst werden. In
den Unterriehtsmethoden hat sich
tine entschiedene Wendung zuni bes-
seren vollzogen, und wenn dies bis
jetzt noch nicht in weiterem Um-
1'ang und gro.sserem Masse bewerk-
stelligt wordcn ist, so ist es eine
offene Frage, ob das Lehrpersonal
nicht teilweise selbst die Schuld dar-
an tritgt. Es sei hier nur darauf
hingewiesen, dass von den 1800 Leh-
rern und Lehrerinnen nur etwa 250
die jetzt nur noch vierteljiihrlich
Ktattfiiidenden Vereinsversaramlun-
geu besuchen, und dass die vom Ver-
ein herausgegebene Schulzeitung
.,The New Pedagogue", trotzdem
das Jahresabouneinent auf fiinfund-
zwanzig Cents herabgestezt worden
war, aus Mangel an Unterstiitzung
eingehcn inusste. O Lehrerbcwusst-
sein!
So betriibend dem Schreiber die
Erwahnung dieser Tatsachen ist, so
tut cs ihin im Herzen weh, hinzu-
fiig-en zu miissen, dass das deutsche
Lehrpersonal keine Ausnahme
macht. I>er Verein der deut-
schen Lehrer und Lehrerinnen- an
unsern offentlichen Schulen ist ein-
gegangen, und wie viele, Oder viel-
mehr wie wenige zur Zcit das Be-
diirfnis und die Verpflichtung fiih-
len,' die ,,Pa<Jagogisehen Monat«-
hefte" 7.u halten, dariibcr kann die
Abonnentenliste ein trauriges Zeug-
nis abstatten. Es ist in vielen ande-
ren Stadten ja leider auch nicht
besser.
Wenn heutzutage jeder anstiindige
Handworker, jeder tiichtige Schnei-
der und Schuhmacher, eine Fach-
zeitung halt, um sich anf der
Hiihe seines Bcrufs zu halten, so ist
es geradezn unverstiindlich, wie
solche, die dem hochsten, dem Leh-
rerberuf, folgen wollen, eine solche
vernachliissigen und geringschiitzen,
'zumal wenn sie so reichhaltig nnd
anregend ist, wie die Padagpgischen
Monatshefte, dazu noch die einzige
deutschamerikanische Behulzeitvin^r.
Um so mehr elirende Anerkennung
gebiihrt denen. d>e eine lobliche Aus-
nahme bilden.
Es fiingt hier un, an deutsehen
Lehrerinnen zu mangel n.
Von andern Stadten her sind keine
mehr zxi bekommen, denn uach den
jetzigen Itegulationen ist das Ein-
kommen einer Lehrerin in der ersten
Zeit lange zu goring zuin Jjebensun-
terhalt, und hiesige Kandidatiniten
scheinen sich damit zu begniigen, die
englische Priifung bcstanden zu ha-
bcn, und vcrsuchen nicht auch noeh
ben. Nach denselben Regulationcu
ist das Gehalt der erfahrenen Kla*-
senlehrerinneii anf sechshundert
Dollars erhoht wordet. Das ist er-
freulich. S.
Cincinnati.
Tod und Krankhoiten,
sonst aljer nichts, am Ohio! Die Zei-
ten sind so ,,gut", sagen die Herren
Politiker, so ruing, sagen wir, dass
einfach nichts sich zu passieren ge-
traut in unserem Haushalte.
Kollege August Roth, ei-
ner unserer Veteranen, seit etwa
152
PaJjgogische Monatshcfte.
zwei Jahren beinahe erblindet und
in wohlverdienter Ruhe sich selbst
erworbenen Wohlstandes und einer
iniKroskopischen Pension iiebenher
c-rfreuend, starb vor kurzer Zeit in-
folge einer Operation. Das Hin-
scheiden dieses gemiitvollen, als Pii-
dagoge und Kamerad, wie als Bur-
ger und uberall gerne gesehener Ge-
sellschafter, allgemein geachteten
Mannes wird von alien, die ihn kaiin-
ten, aufrichtig bedauert.
Krank waren und sind heute nocli
nicht wenige Kollegen. Die Grippe
halt formlich Umzug, und keiner
weiss^ wie bald sie bei ihm anldopfen
mag.
Dass die Kolleginnen aus-
serdein auch, nun der Schluss her-
annaht, Extra-Nerven haben und von
diesen geworfen werden, ist ebenso
wie die Tatsache, dass bereits voll-
zogene, wie auch bevorstehende Ver-
lobungen an der Tagesordnung sind,
in diesem Jahre mehr als seit laii-
ger Zeit, eigentlich nichts Neues. Es
ist ja recht traurig, weibliche Jung-
gesellen der Fahne untreu werden zu
sehen; aber es gibt iininer Leutchen,
denen ,,Kosen lachen", wo ,,andere
diirren Sand sehen" — das sind im vor-
liegenden A'alle unsere Kadettinnen,
ein ganz priichtiges, aber stelleu-
durstiges lunges Volkchen, dem man
xibrigens nur ,,Waidmanns Heil!" zu-
rufen kana.
Laut Mitteilung unseres deutschen
Ilerra Superintendenten, Dr. Fick,
steht uns im konimenden Erntemond,
bei Gelegenheit des stiidtischen
,,Teachers Institute", der Besuch des
11 e r r 11 Professors Rein aus
Jena bevor, der drei Vortriige vor
der deutschen Lehrerschaft halten
wird.
Wie es mit unserer in der Luft
luiiigenden Staats - Schulver-
f a s s u n g werden wird, ist beim
besten Willen nicht abzusehen. Vor-
lagen sind allerdings mehr als genug
bei der I/egislatur eingekouimen.
KoaapromissvorschUige eind jetzt, da
das hohe Haus sich balcl vertagen
wird, an der Tagesordnung, und dar-
u liter einer, den ich der Kuriositat
halber hier anfiihren will: ,,Jede
jetzt bestehende oberste Schulbe-
iiorde soil die Befugnis erlangen,
selbst zu bestimmen, wie die zu er-
richteude neue Behorde zusammen-
gesetzt werden muss." Das ist fiir
die einzelnen Lokalitaten vielleicht
ganz vorteilhaft, wird aber jeden-
falls an ,,allgemeiner Einheit" zu
wiinschen iibrig lassen. Uns C'in-
cinnatiern ist es ganz genehm, denn
wir haben, so viel ich weiss, alle zu
punsten der Beibehaltung des jetzi-
geu Systems petitioniert. Ebenso
haben es die Clevelander, die Tole-
doer und, tutti quanti mit den ihri-
gen gehaltcn, also: You see!
Geht der Kompromiss durch, dann
bleibt der deutsche Unterricht in
Cincinnati unangefochten, weil wir
dann die Wardsvertretung beibehal-
ten. Da, wo er durch die kleinen Be-
horden bereits angetastet worden
ist, wird so wie so an der vollendeteii
Tatsache nichts zu anclern sein.
Sonst, Gott sei Dank, nichts Neues,
und daher Gott befohlen! * * *
c
Milwauke0.
Eine Superintendenten-
W a h 1 — b r i n g t d o c h in a n c fa-
in a 1 grosse Qual. \Vie in der
vorletzten Korrespondenz mitgeteilt
wurde, lag dem Schulrat die wichtige
Pflicht ob, einen neuen Leiter unsers
stiidtischen Schulwesens am 1. Marz
zu erwahlen. Diese Wahl gestaltete
sich nun dieses Mai zu einer wirk-
lichen Qual. Nach einigen Yorposten-
Gefechten und Plankeleien beim Ab-
stimmen, w^odurch die verschiedenen
Parteien, respektive deren Kandida-
ten, ihre Starke erprobten und fest-
stellten, gelangte man alsbald zu
einem sogenannten ,,dead lock", und
da hiess es denn in Wirklichkeit :
..Und keiner wankte, keiner wich."
Da 11 ur auf 4 Kandidaten Stimmeii
fielen, so hatten sich vier Gruppeii
gebildet, Avelche nun treu und fest
r\\ ihrem Kandidaten hielteu, als ob
es sich um Tod ocler Leben gehanclelt
hatte. Die Abstimmungen, die am
ersten Abend von 8 Uhr bis 2 Uhr
r.achts fortgesetzt wurden, blieben
wie folgt stehen: Blodgett von
Syraciise 10, Diedrichsen von hier 7,
•Supt. Siefert von hier 3, und JIc-
Lenegan von hier 3, und dieses Re-
siiltat blieb bis zur 150. Abstiramnng.
Am folgenden Abend blieb dasselbe
Resultat bis zum 200. Ballott. Xun
vertagte man sich auf eine Woche.
Es liisst sich denken, wie in der Zeit
gearbeitet wurde, um eine Wahl her-
beizufiihren. Am moisten arbeite-
ten die zehn Mitglieder, welche fiir
den Auswiirtigen, Bloociget, ge-
stimmt hatten, um die noch fehlen-
deu zwei Stimmeii heriiberzuziehen,
Korresponden^en.
153
aber alles Avar vergeblich. Es hatte
sich die Sache schliesslich auf die
Frage, ob ein Einheimischer oder
Fremder gewahlt werden sollte, zu-
gespitzt. Doch da man einsah, dass
man keinen der genannten vier Kaii-
didaten durchbringen konnte, so
einigte man sich schliesslich auf
einen neuen Kandidaten, Supt. C. G.
Pearse von Omaha, welcher denn
auch mit 20 Stimmen, gegen drei,
endlich gewahlt wurde. Die Gegen-
stimmen fielen auf Siefert, dessen
Wahler stets treu und fest zu ihm
gehalten batten, und merkwiirdig —
keiner von ihnen ist ein Deutscher.
Herr Siefert hatte die Sympathie
fast samtlicher Lehrer und ebenso
der Mehrzahl der Burger, und die
Wahl erregte unter der Burgersehaft
zuerst grosse Verstimmung, wenig-
stens hatte man lieber einen Mil-,
waukeer als einen Auswartigen ge-
habt. Doch der Schulrat kiimmerte
sich nicht um die Wiinsche der Be-
volkerung. Er wollte nun einmal
einen ,,outsider" haben. Anscheinend
hat man ja auch eine gute Wahl ge-
troffen. Supt. Pearse soil ein tiichti-
ger Schulmann sein, den man ungern
in. Omaha- ziehen Hess. Der Schulrat
hat bei der Wahl sogleich sein Gehalt
von $4000 auf $6000 erhoht. Eecht so!
In Schulsachen soil man nicht knau-
sern. Milwaukee kann sich dasselbe
leisten, was andere Grossstadte
ihren Superintendenten zahlen. Wir
wollen hoffen, dass sich Herr Pearse
als ein tuchtiger Schulmann erwei-
sen wird, der im Eeformieren nicht
gar zu eifrig und zu eilig vorange-
hen wird, sondern Eile mit Weile
recht schon und harmonisch zu ver-
binden weiss.
Ein Empfang dem aus-
scheidenden Supt. Siefert
als Ehrung gegeben. Der
Prinzipals-Verein und der Lehrer-
Verein haben gemeinschaftlich am
30. Murz im grossen Schulratssaal
Herrn Siefert einen Empfang gege-
ben, der recht schon verlief. Der Saal
war fast vollstiindig von Lehrern und
Prinzipalen gefiillt. Prinzipal Cook
als Vorsitzer eroffnete die Feier und
stellte nach einigen passenden Wor-
ten als ersten Redner Prinzipal Don-
nelly vor. Derselbe hob in eiuer ge-
fiihlvollen und zu Herzen gehenden
Eede die Verdienste Sieferts als Leh-
rer, Prinzipal und Superintendent um
die Schulen Milwaukees hervor. Er
betonte besonders das freundliche
und Vertrauen erweckende Verhal-
ten Sieferts gegeniiber seinen Unter-
gebenen, und wie er sich dadurch die
Achtung, die Liebe und das Ver-
.trauen der Lehrerschaft Milwaukees
erworben habe. Dann verlas er die
von beiden Vereinen verfassten Be-
solutionen, worin der vielen .Ver-
dienste des Scheidenden um das
Schulwesen Milwaukees in warmen
Worten gedacht wurde. Nachdem
dann noch Friiulein M. Minnehan als
Vertreterin des Lehrervereins, und
Herr M. Meyer als Mitglied der
Schulkommissare geredet batten,
wurden Herrn Siefert vom Vorsitzer
einige Geschenke als Andenken iiber-
reicht, namlich eine kostbare gol-
dene Uhr mit Diamanten besetzt und
die Bildnisse Sieferts und seiner Ge-
mahlin enthaltend, sodann die vor-
hin verlesene Kesolution eingraviert
und eingerahmt. Supt. Siefert war
von seinen Gefiihlen so iiberwaltigt,
dass er kaum sprechen konnte. Er
dankte dann alien Lehrern herzlich
fur alle Beweise der Achtung, Liebe
und Zuneigung, und er versicherte
den Anwesenden, dies sei der
schonste und zugleich stolzeste
Tag seines Lebens. Er habe stets
versucht, in seinem Amte seine voile
und ganze Schuldigkeit zu tun. Er
habe den Lehrerberuf zu seiner Le-
bensaufgabe gemaoht. Er habe auch
stets versucht, seinen Untergebenen
so viel wie moglich Freiheit zu las-
sen, und ihnen nur ratend und hel-
fend zur Seite zu stehen. Nun sehe er
aber, dass man ihn nicht bios achte
und ehre, sondern dass man ihn lieb
habe, und- das erfiille ihn mit Stolz
und Freude, und er versichere alien,
dass sie seiner Gegenliebe gewiss
sein konnten. Zum Abschiede driick-
ten ihm noch die meisten die Hand.
Man kann wohl mit Eecht be-
haupten, dass selten einem Schul-
leiter von seinen Lehrern solcheLiebe
und Verehrung entgegengebracht
wurde, wie Herrn Siefert. Hat-
ten die Lehrer die Wahl zu vollzie-
hen gehabt, so ware er wohl perma-
nent im Amte geblieben. Doch wie
es denn so geht im Leben — Le roi est
mort — Vive le roi! In der niichsten
Woche wurde dem neuen Supt.Pearse
bei seinem hiesigeii Amtsantritt von
den Lehrern ein Willkommen - Em-
pfang gegeben, und jetzt wendet
sich alles dem neu aufgehenden Ge-
btirn zu.
154
PSdagogische Monatshcfte.
Moge der iieue Leiter versuchen, und den Lehrern anzubahnen und zu
ein ebenso gutes und freundschaft- erhalten, wie es unter Herrn S. der
liches Einvernehmen zwischen sich Fall war. A. W.
II. Umschau.
— Auf der Weltausstellung in St.
Louis veranstaltet die bereits im
Jahre 1789 gegriindete Verlagsbuch-
handlung von Gerhard Stal-
ling in Oldenburg i. Gr. cine
Ausstellung deutschna-
fcionaler Ku n s tbliitter.
Diese Kunstblatter, in einer Grosse
von drei Fuss Hohe und zwei Fuss
Breite, sind nack Gemiilden beriihm-
ter deutscher Meister in dem jetzt
vornehmsten Yervielfiiltigungsver-
fahren der Photogravure hergestellt.
Die Firma beabsichtigt, die Blatter
den weitesten Kreisen der amerika-
nischen Deutschen zugiinglich zu
machen; deshalb hat sie den Preis
auf einen bis zwei Dollars herabge-
setzt, wahrend sie sonst das Fiinf-
und Sechsfache fordert. Den P. M.
hat Herr H. Stalling sechs dieser
Kunstblatter freundlichst zur An-
sicht zugeschickt. Der hohe kihist-
lerische Wert der Bilder ist unbe-
stritten, und der erstaunlich billige
Preis Hisst sich nur durch die Worte
des Herrn H. S. erklaren, dass seine
Firma in dieser Sache mehr ideelle
als materielle Ziele ins Auge gefasst
liat. Die Kunstblatter sollen ,,zur
Starkung des Deutschtums und
der nationalen Gesinnung" beitra-
gen.
— N a c h z w e i h u n d e r t A b-
s t i m m 11 n g e n wiihlte der Schul-
rat von M i 1 w a u k e e Herrn C a r-
roll G. Pearse von Omaha zum
Buperintendenten der offentlichen
Schulen. DasGehalt wurde von $4000
auf $6000 erhoht. Die Ereignisse vor
der Wahl, zu denen der auf die Eiu-
ladung des Schulrats erfolgte Be-
such der beiden auswartigen Kandi-
daten Pearse von Omaha und Blod-
gett von Syracuse gehort, vor alien
Dingen aber die Wahl selbst, haben
die Gemiiter lange Zeit in Spannuug
gehalten. Alle Versuche, die Mehr-
heit der Stimmen auf einen Mihvau-
keer Schulmann zu vereinigen, schei-
terten an der sonderbaren Yorstel-
lung von elf Schuldirektoren, das
Heil der Schulen Mihvaukees miisse
von auswiirts kommen. Mit einem
Blic\ in die Zukunft haben die Mil-
waukeer deutschen Zeitungen die
eindringlichsten Ermahnungen, den
f<eitherigen verdienstvollen Inhaber
des Aintes, Herrn H. O. R. Siefert,
wiederzuerwiihlen, ergehen lassen.
Audi den Beifall, der sich unter den
vielen anwesenden Angehorigen des
Lehrstandes jedesmal erhob, wenn
sich Herrn Sieferts Aussichten bei
der Stimmenabgabe zu verbessern
schienen, haben die Herren Schuldi-
rektoren nicht verstehen kounen.
Keiner wankte, keiner wich. Endlich
durchbrach der schwarze Eitter in
der Person des genannten Herrn
Pearse die achttiigige Wahlsperre.
Herr P. hat sein Amt bereits ange-
treten; die besten Wiinsche, er moge
das auf ihn gefallene Vertrauen
rechtfertigen, werden ihm von alien
Seiten entgegengebracht.
— Dr. William H. Maxwell
ist am 24. Februar vom Schulrat der
Stadt Gross-New York auf weitere
sechs Jahre mit einem jahrlichen
Gehalte von $8000 zum Sui)erinten-
denten der offentlichen Schulen ge-
wahlt worden.
— Der Yersuch der Trennung
derGeschlechter an der Uni-
versitiit von Chicago soil erfolgreich
gewesen sein. Sogar diejenigen Mit-
glieder des Lehrkorpers, die anfangs
Gegner der Trennung der Studenten
nach dem G^schlecht waren, haben
erkliirt, dass sie nach den gemach-
ten Erfahrungen herzlich fur die
Sache eintriiten. — Die Northwestern
University hat dieser Tage nun auch
den Anfang gemacht, die mannlichen
von den weiblichen Studenten zu
sondern. Vorlaufig erstreckt sich
die Ti'enuung indesseii nur darauf,
dass man den ,. girls" ein Plauder-
zimmer an einem Ende uud den
,,boys" eins an dem entgegengesetz-
ten Ende einer langen Halle einge-
richtet hat. Diese Massregel hat
ihren Grund darin, dass sich die Pro-
fessoren iiber das Betragen der jun-
gen Lcute wahrend der Pausen zwi-
schen den Vorlesungen -vviederholt
beklagt hatten.
Umscbau.
155
— Der Vereiii mannlicher Lehrer
der Stadt New York hat nach mo-
natelanger Beratung eine Reihe von
Empfehlungen zur Hebung der
Disziplin in den Schulen
einstimmig angenommen. Er er-
sucht den Schulrat, die Regel zu
widerrufen, nach welcher alle Schii-
ler spjitestens halb vier Uhr nach-
mittags entlassen werden miissen;
f e r n e r, dem Principal unum-
schrankte Gewalt zu geben, einem
Schiller das Recht des Schulbesuchs
zeitweilig zu entziehen; d r i 1 1 e n s,
die Macht des Prinzipals, wegen be-
sonderer Fiihigkeit in eine hohere
Klasse oder wegen Unftihigkeit und
Faulheit in eine niedere Klasse zu
versetzcn, ebenfalls unumschrankt
zu machen; viertens, die Be-
ratung iiber die Duchfiihrung
ron Massregeln, Unverbesserliche
und Schulschwaiizer gesondert zu
erziehen, zu beschleunigen; f ii n f-
t e n s, schleunigst Vorkehrungen
dafiir zu treffen, dass geistig
und sittlich Verkommene, Nerven-
schwache und Schlechternahrte un-
ter die Obhut eines besonders dazu
geschickten Lehrers gestellt wer-
den; sechstens, die Schulbe-
volkerung besser einzuteilen, um die
iiberfiillten Schulen zu entlasten und
die leeren Banke in anderen Schulen
zu besetzen; siebentens, sol-
chen dem Lehrer unangenehmen
Schiilern, die einseitig befahigt sind
und denen deshalb die gewohnliche
abstrakte Gedankenarbeit ein Greuel
ist, Gelegenheit zu geben, in beson-
deren technischen Schulen sich zu
entwickeln; a c h t e n s empfiehlt er
Lehrern und Prinzipalen, mehr Ge-
brauch von dcr Stsirke zu machen,
die aus einem herzlichen Einverneh-
men zwischen Lehrer und Eltcrn
fliesst, und e n d 1 i c h ersucht der
Verein alle Prinzipale und Lehrer
der ganzen Stadt, die vorgeschlage-
nen Reformen durchfiihren zu hel-
fen, um dann, wenn moglich, ohne
die Rute fertig werden zu konnen!
— Freude herrscht unter
d«n Brooklyn er L-ehrer-
i 11 n e n ! Der Schulrat hatte seiner
Ilegel gemiiss, die den weiblichen
Lenrkriiften das Heiraten verbietet,
eine Lehrerin nach vollzogener Hei-
rat entlassen, und die Lehrerin hatte
darauf den Schulsuperintendenten,
vv-cil er ihr vcrboten, ihren Pflichten
in der Schule weiter nachzukommen,
verklagt. Sic hat die Klage gewon-
nen. Der Freibrief von Gross-New
York verbiirgt eine gerichtliche Un-
tersuchung der Anklagen vor der
Entlassung und bestimmt die Griin-
de, weswegen eine Lehrerin entlas-
sen werden kann, namlich: Unfahig-
keit, Grehorsamverweigerung, Unmo-
ralitat. Heirat sei unter diesen
Griinden nicht angegeben, und der
Schulrat konne keine Regel machen,
die d«ni Freibrief der Stadt zuwider-
laufe, entschied der Richter.
— Nach einem fur die ,,Ed. Re-
view" von F. W. Nash aus Manila,
P. L, geschriebenen Artikel haben
die Philippinen - Inseln jetzt
38 s. g. Hochschulen, von denen die
meisten erst im letzt«n Jahre eiuge-
richtet wurden, und 2000 Primar-
schulen. An diesen Schulen unter-
richten 723 amerikanische Lehrer —
700 weniger als letzt-es Jahr — und
ung^fahr 3000 eingeborene Lehrer.
Die Anzahl der eingeschriebenen
Schxiler ist 700,000, wahrend der
erste zuverlassige, kiirzlich aufge-
nommene Schulzensus anderthalb
Millionen unterrichtsbediirf tiger
Kinder allein in den christlichen
Provinzeii anfiihrt. Der General-
superintendent der Erziehung
schatzt, daps wenigstens 10,000 ein-
heimische Lehrer und 850 aufsicht-
fiilirende amierikanische Lehrer in
den philippinischen Primarschulen
tiitig sein sollt«n.
So viele einheimische Lehrer sind
indessen jetzt nicht vorhanden und
werden auch in den nachsten Jahren
noch nicht zu haben sein. Die Nor-
malschule in Manila ist von 400 Stu-
deiiten besucht, auch in Lingaryen,
und in lloilo befinden sich Normal-
schulen. Aber sie alle geniigen den
Anforderungen nicht. Jedem Ver-
suche, die Einrichtung dcr Schulen
zu erweitern und zu verbessern, um
d«m Andrange der Einlass-Begehren-
den zu geniigen, steht die Armut der
Bevolkerung hindernd entgegen.
In einzelnen Fallen hat ein ein-
ziger amerikanischer Lehrer die
Schulen eines Gebietes mit einer Be-
volkerung von 30,000, in vielen Ort-
ischaften zerstreut, zu beaufsichtl-
gen. In den Inseln Lyte und Samar
kommt ein amierikanischer Lehrcr
auf je 27,000 Einwohner, in Bohol
einer auf je 24,000, in Cebu einer auf
je 21,000.
1m l^aufe des Jahres kamen 14
Todesfiille unter den amerikanischeu
Lehrern vor: Vier Lehrer starben an
der Cholera, vier an den Pocken,
zwci wurden von Ladroncn ermordet
156
Pddagogische Monatshefte.
und einer beging Selbstmord. 38
Lehrer mussten wegen Selbster-
krankung oder wegen Krankheit in
der Familie ihre Stellungen aufgeben,
93 resignierten nach Ablauf des zwei-
jjihrigen Kontraktes, 21 nahmen an-
dere Stellungen an, und 50 wurden
Kaufleute.
Herr Nash erzahlt auch, dass die
anstissige katholische Geistlichkeit
den amerikanischen erzieherischen
Bestrebtingen eine Zeit lang be-
trachtlich opponiert habe, was aus
der unrichtigen Axiffassung der Ziele
der Regierung der Ver. Staaten zu
erklaren sei. Diese Gegnerschaft sei
heute beinahe verschwunden, und
viele Kirchenschulen, die mit der er-
klarten Absicht gegriindet worden
seien, den .ttesuch der Regierungs-
schulen zu beeintrachtigen, seien
wieder geschlossen worden. Viele
der Padres gehorten jetzt zu den
starksten Stiitzen der amerikani-
schen Schule.
— Dr. David P. Barrows, der
General-Superintendent der Schulen
auf den Philippinen-Inseln, sagt in
seinem Berichte an die Philippinen-
Kommission, dass alle auf jenen In-
seln gesprochenen Dialekte gemein-
samen malayischen Ursprungs seien.
Ihr grammatikalischer Ban sei der-
selbe; ein Satz werde in jedem in
derselben Weise gebildet. Der auf-
fiillige Gebrauch von Vor- und Nach-
silben, die einer Sprache das eigent-
liche Geprage geben, sei in alien
gleich. Ausserdem giibe es Worter
und Ausdriicke, die in alien Dialek-
ten gleichbedexitend seien; man kon-
ne mit Leichtigkeit hundert gewohn-
liche "\V6rter flndeii, die kaum von
einander abwichen. Aber trotz des
gemeinsameii grammatischen Baus
seien die philippinisclien Dialekte in
ihrem Wortschatz so sehr verschie-
dien, dass die Angehorigen zweier
Stamme sich bei der einfachsten
Mitteilung nicht verstiindlich ma-
chen kbnnten. Der gleichartige Bau
der Dialekte erleiehtere einem
Philippino eines Stammes das Er-
lernen der Sprache eines andern
Stammes; niehtsdestoweniger hat-
ten die philippinischen Zungen wah-
rend einer europaischen Herrschaft
von mehr als drei Jahrhunderten und
•angesichts einer gemeinsamen Re-
ligion und trotz der betrachtlichen
Wanderung und Mischung der ver-
schiedenen Stiimme ihre Eigenart er-
halten. Nirgends sei ein Zeichen vor-
handen, dass die Dialekte sich misch-
ten. Der Philippino hange seinem
heimischen Dialekte in seiner Rein-
heit an und gebrauche gebrochenes
Spanisch, wenn er sich mit einem
Philippino eines andern Stammes
unterhalt. Zum gemeinsamen Ver-
kehr und zu Bildungszwecken
braucht der Philippino — das sagt Dr.
Barrows! — eine f r e m d e Sprache.
Aus den angefiihrten und aus ande-
ren, praktischen, Griinden — Englisch
sei die lingua franca des fernen
Ostens, sagt Dr. Barrows — sei es
wteise, die englische Sprache zum
Ausgangspunkt des offentlichen Un-
terrichts auf den Philippinen zu ma-
chen.
— Siidamerika. In Argen-
tinian sind die neuen Lehrplane in
Kraft getreten. Nach diesen ist fiir
das 5., 6. und 7. Schuljahr der Na-
tionalkollegien, d. h. fiir diejenigen
Klassen, die fiir die juristische, me-
dizinische und mathematische Lauf-
bahn vorbereiten, als e i n z i g e
fremlde Sprache das
Deutsche vorgeschrieben, das in
mindestens 6 Stunden wochentlich
gelehrt werden soil.
— Ein Ver ein deutscher
Lehrer in Siid - Chili besteht
seit einigen Monaten. Nach den vor-
liegenden Satzungen bezweckt der
Verein unter Ausschluss aller kon-
fessionellen und politischen Be-
strebungen die Hebung der
deutschen Schulen innerhalb seines
Wirkungskreises und die Forderung
der an ihnen angestellten Lehrer in
Hinsicht auf ihreii Beruf, ihre amt-
liche Stellung iind ihre wirtschaft-
liche Lage. Der Verein gliedert sich
in Ortsgruppen, deren jede minde-
stens vier Mitglieder zahlen muss.
Mitglied kann jeder Lehrer ^verden,
der eine abgeschlossene Bildung in
Deutschland genossen hat, seit min-
destens einem Jahr in Siid-Chile eine
Lehrtiitigkeit ausgeiibt und nicht
durch eigenes Verschulden seine
Stellung in der Heimat verscherzt
hat. Doch konnen auch anderweitig
vorgebildete Lehrer, die sich schon
in der Praxis bewiihrt haben, Mit-
glieder \verden.
— DeutschesReich. Im Vor-
anschlag fiir das Jahr 1904 hat die
Reichsregierung den F o n d s z u r
U n t e r s t ii t z u n g deutscher
Schulen im Auslande auf
500,000 M. erhoht. Es ist damit in
dankenswerter Weise die Bitte er-
Umschau.
157
fiillt, die der Kolonialkongress 1902
auf Anregung des.Allg. Deutschen
Schulvereins an den Reichskanzler
gerichtet hatte, der ja sein Ver-
standnis und seine Teilnahme fiir
das deutsche Auslandschulwesen
wiederholt bekundet und schon bei
der Aufstellung des Staatshaushalt-
planes fiir 1903 eine Erhohung des
Auslandsfonds bewirkt hat. Wir
machen, wie auch im vorigen Jahr,
bei dieser Gelegenheit darauf auf-
merksani, dass diejenig-en deutschen
Auslandschulen, welche sich um eine
Reichsunterstiitzung bewerben wol-
len, gut tun werden, ihre Antriige
moglichst bald an das Auswartige
Amt in Berlin gelangen zu lassen.
Um Riickfragen zu vermeiden und
eine rasche Erledigung der Gesuche
zu ermoglichen, empfiehlt es sich, die
Gesuche durch Vermittlung der di-
plomatischen und konsularischen
Vertreter einzureichen, in deren
Amtsbezirk die -unterstutzungsbe-
diirftigen Schulen sich befinden.
— Hervorragende Arzte Deutsch-
Jands haben sich fiir den Fort-
fall des Nachmittags - Un-
terrichts ; ausgesprochen. Geh.
Medizinalrat Dr. Eulenburg ver-
langt die Beseitigung als die drin-
gendste schulhygienische Forderung,
die von der offentlichen Meinung
notigenfalls zu erzwiiigen ware. D r.
Schmidt - Monnard in Halle
fand folgende Kriinklichkeitsziffern:
a) Nur Vormittagstmterricht Kna-
ben 13 — 25 Prozent, Madchen 21 — 40
Prozent, b) Vor- und Naehmittags-
unterricht Knaben 26 — 37 Prozent,
Madchen 30 — 45 Prozent. — Die
D ii, is s e 1 d o r f e r R e g,i e r u n g
hat durch einen Erlass angeregt, in
Beratungen dariiber zu treten, ob es
sich empfiehlt, auch bei den Volks-
schulen die ungeteilte Unter-
richtszeit einzuf iihren. Der El-
berfelder Lehrerverein hielt zur Be-
sprechung der Frage kiirzlich eine
teehr stark besuchte Versammlung
ab, in der ausfiihrlich die Vorteile
und Nachteile der Unterrichtszeit
fiir Schiiler und Lehrer beleuchtet
wurden. Es wurde folgende Reso-
lution einstimmig angenommen:
,,Der Elberfelder Lehrerverein halt
es aus padagogischen, hygienischen
und sozialen Griinden fiir wiin-
schenswert, dass auch in den Volks-
schulen Elberfclds die ungeteilte
Unterrichtszeit zur Einfiihrung ge-
langt, und gibt sich der Hoffnung
hin, dass die Schulverwaltung den
Griinden ihre Anerkenmmg nicht
versagen und einer versuchsweisen
Einfiihrung der ungeteilten Unter-
richtszeit zum 1. Mai dieses Jahres
ihre Zustimmung erteilen \vird." —
Xachdem in Dortmund bereits
in zwei Schulen ein ebenfalls giinstig
ausgefaaener Versuch gemacht wor-
den ist, geht man dort mit dem
Plane um, zu Ostern an alien Sch\i-
len die ungeteilte Unterrichtszeit
einzufiihren. — Den Wert einer ver-
nunftgemJissen KSrperpflege hat
auch in besonderem Masse der deut-
sche Kaiser erkannt, der sich als
eifriger Forderer alles Spiels und
gesunden Sports zeigt, der aber auch
erkannt hat, dass ohne die freie Zeit
alle modernen hygienischen Be-
strebungeii fiir die Schuljugend auf
dem Papier und wertlos bleiben und
darum erkliirte: ,,Was den Korper
betrifft, so bin ich auch der be-
stimmten Ansicht. dass die Nachmit-
tage frei sein miissen, ein fiir alle-
mal."
— P r e u s s e n. Ein Schiilerheer
von 223,818 Kindern steht <in Ber-
lin gegemvartig unter Aufsicht der
stadtischen Schuldeputation; es ver-
teilt sich auf 56 Schulanstalten,
welche die Schulbehorde der Stadt
Berlin beaufsichtigt, und 265 An-
stalten, welche sie zugleich verwal-
tet. Das Gros der Kinder besucht
die Berliner Gemeindeschulen, wel-
che,258 an der Zahl, nicht weuiger
als 213,699 Kindern den Unterricht
gewiihren; dann folgen die 13 stahti-
schen Realschulen mit 5,689 Schii-
lern, die hoheren Miidchenschulen
mit 4234 Schiilerinnen u. s. w. Auf
Kosten der Stadtgemeinde werden
214,325 Kinder (einschl. der Zoglinge
des Waisenhauses, der Taubstum-
men- und Blindenschule u. s. w.) un-
terrichtet. Das Gemeindeschulwesen
allein erfordert einen Kost«nauf-
wand von xiber 15 Millionen Mark pro
Jahr; das sind 617,761 Mark mehr als
im Vorjahre; fiir ein Kind zahlt die
Stadt sonach 70,69 Mark (gegen 68,48
Mar kim Vorjahre). Die stadtischen
TJealschulen erheischten einen Zu-
schuss von 799,667 Mark (pro Kopf
140,56 Mark), ihre Einnahme belief
sich auf 442,164 Mark.
— S a c U s e n. Xach einer Mit-
teilung der Regierung' im sachsi-
schen Landtag wachst die B e v o 1-
kerungin Sachsen .iahrlich im
Durchschnitt um 82,905 Kopfe. Da
sich die Schulkinderzahl auf 16 Proz.
der Bevolkerung stellt, so sind, weiin
158
Pddagogiscbe Monatsheftf.
fur je 100 Kinder eine Lehrkraft er-
forderlich 1st, alljahrlich 130 neue
Klasscn zu errichten. Die bestehen-
den Seminare sind nicht mehr im-
staiide, diesen Mehrbedarf an Leh-
rern zu decken, weshalb die Regie-
rung die Errichtung ernes neuen Se-
minars verlangte. Der Landtag ge-
nehmigte die Errichtung eines sol-
chen in Leipzig, ein im Hinblick auf
die vielen Vorteile, die eine Gross-
stadt bietet, hocherfreulicher Be-
schluss.
— Osterreic h-U n g a r n. Die
Stellung der VereinsleH-
rer des Deutschen Schul-
v e r e i n s ist eine recht traurige.
Das gilt insbesondere dort, wo sich
eine deutsche und eine slavische
Schule in einem weltentlegenen, ge-
wohnlich deutschgewesenen Orte be-
finden. So \vurde der deutsche Ver-
einslehrer in einer Ortschaft Bcih-
mens im Verlaufe der Jahre zweimal
ganzlich ausgeraubt. Unziihligemale
wurde tcils bei Nacht, teils bei Tage
die Schule gestiirmt, einigemale auch
der Versuch gemacht, den Unter-
richt gewaltsam zu storen. Der be-
treft'ende Lehrer hatte 104 Gerichts-
verhandlungen und 18 Kreisgerichts-
verhandlungen, 9 Disziplinarunter-
suchungen durchzumachen. Das ge-
niig-t doch! (A. D. L,)
— Italien. Von 364 italieni-
schen Soldaten antworteten auf die
Frage: Welches ist die Hauptstadt
Italiens? 150 gar nicht oder falsch;
mehr als 200 konnten die Hauptstadt
der Lombardei nicht nennen. Wel-
ches ist der grosste Strom Italiens?
180 keine Antwort, andere der Nil,
der Jordan. Von Garibaldi wussten
100 gar nichts, andere meinten, ein
Konig, ein mutiger General, ein
Garibaldianer. Man begreift, dass
der Minister Orlando auf obligatori-
fcchen Untierrieht dringt in einem
Lande, wo der Lehrer taglich 40 Kp.
(Provinz Florenz), 30—20 Rp. (Man-
tua), 13 Rp. (Cuneo), ja 10 Rp. (Ab-
ruzzen) verdient. (Rp. ist die Ab-
kiirzung fiir Rappe, die volkstiim-
liche Bezeichnung fiir Centime in der
Schweiz; 5 Rappen also gleich 1
Cent.) (Journ. d. G.)
— Japan. Langjiihrigen Be-
miihungen ist es endlich gelungen,
den Plan der Errichtung einer
deutschen Schxtle in Yoko-
hama der Verwirklichung nahe zu
fiihren. Die Sammlungen fiir die-
selbe hatten das schone Resultat von.
nahezu 10,000 Dollar gleich 20,000 M.
ergeben. Daraufhin ist von den
Zeichnern, die zu einem ,,Deutschen
Schulverein Yokohomo" zusammen-
getreten sind, ein Ausschuss gewahlt
worden, zu welchem die bisher fiir
diese Sache am meisten tatig gewese-
nen Herren gehoren. Dieser Aus-
schuss soil die Satzungen fiir den
neuenSchulverein vorbereiten und die
Wahl eines Schulrates in die Wege
leiten, der aus 9 Mitgliedern beste-
hen soil. Stiindig sollen zu demselben
der deutsche Generalkonsul in Yoko-
hama, sowie der Pfarrer der deut-
schen Gemeinde gehoren. Audi soil
der diplomatische Vertreter des
Deutschen Reiches das Recht haben,
den Sitzungen des Schulrates stimm-
berechtigt beizuwohnen. Die Schule
soil Kindern deutscher Reichsange-
horigkeit, sowie osterrcichisch-un-
garischer und Schweizer Staatsan-
gehorigkeit ohne Unterschied des
Bekenntnisses offen stehen. Kinder
anderer Staatsangehorigkeit sollen
durch Beschluss des Schulrates auf-
genommen werden kcinnen, doch soil
ihre Zahl ein Viertel der Gesamt-
schiilerzahl nicht iiberschreiten diir-
fen. Der Untcrricht soil natiirlich
in deutscher Sprache erteilt werden.
Die technische Leitung der Schule
soil in den Handen des deutschen
Pfarrers liegen.
IV. Vermischtes.
* Z w e i e r 1 e 5 ..neue" B e c h t-
schreibung? Wie verlautet, will
das osterreichische Reichsministerium
eine ,,leichter erlernbare" Orthogra-
phic fur die k. u. k. Militar-Bildungs-
aostalten zulas*en. Das betreffende
Buch soil im Privatverlag erscheinen.
Die Qffiziere werden sieh also in Zu-
kunft vom Zivil auch durch die Recht-
schreibung unterscheiden. Ware eine
grossartige Idee! (Fr. Schztg.)
* Das Allerneueste! Aus
Schmalkalden wird als Neuestes auf
dem Gebiete der Schulhygiene vermel-
det, dass in den dortigen Schulen
jetzt Gurgeliibungen vorge-
nommen werden miissen. In der
Madchenschule wurde am 13. Dezbr.
Vermischtes.
159
anno 1903 damit begonnen. Warum?
Weil bei Halskrankheiten oft gegur-
gelt werden muss, und manche Kin-
der sich dabei dann recht unge-
schickt anstellen. Auch die Eltern
wissen oft nicht, wie sie ihre Spross-
linge dazu anleiten sollen. Also muss
die Schule dran! Gurgeln. Gurgeln
bis zur grossten Fixigkeit. Und das
1st nicht der Laune eines Scholar-
ehen entsprungen. Nein, die sta'dti-
scne Gesundheitskommission ist der
Autor der Neuerung, und die
stadtische Schuldeputatiou hat den gc-
nialen Gedanken anfgenommen und in
die Praxis iibergeleitet. Man will
eventuell der Diphtheric damit ein
Sclmippehen schlagen.
(Frankf. Schulztg.)
* S c h u I e und L e b e n. Ein
franzosisclier Schulinspektor erzahlt
in seinem amtlichen Bericht an
seine vorgesetzte Behorde einen be-
zeichnonden Zwischenfall von einer
seiner Inspektionsreisen. Es war in
der hoheren Tochterschule einer gro-
ssen Provinzstadt. Er richtete an eine
Schiilerin die Frage, welche Art von
Nahrstoff ein Ei enthalte. ..Stickstoff-
haltigen Nahrstoff," antwortete die Ge-
fragte olme Zogern. Er fragte eine
zwelte nach der Farbe verschiedener
Haus- und Wildvogel. Auch darauf
erhielt er fast durchweg zutreffende
Antworteu. Nun fragte er weiter:
,,Wie lange muss man ein Ei kochen
lassen, inn es pftaumenweich zu be-
kommen?" Eine Schlilerin wurde sehr
rot, schwieg eine Weile nnd stotterte
dann: ,,Eine halbe Stunde." Der
Schnlinspektor blickte unzufrieden,
und wandte sich dann an die naehste.
,,Mindestens drel Viertelstnnden!" er-
widorte diese zuversichtlich. Eine
dr-itte meinte, ungefahr eine Stunde,
und eine vlerte, pflaumenweiche Eier
wiirdon iiberhaupt nicht gekocht, Ge-
lehrt waren alle diese Madchen und
batten sich mit moderner P.ildung voll-
gesogen, aber ein Ei kocheu konnte
keines.
* Pariser Volksschulgeo-
graphic. Aus Paris wird der .,Voss.
Ztg." folgender Dialog aus einer dor-
tigen Volksschule mitgeteilt: Die Leh-
rerin fragt eiu kleinea Madeheii iiber
die verschiedenen Lander: ,,Was
weisst Dn von Deutschland zu sa-
g-en?"— ,.O, das ist das Land, wo die
deutsehen Dienstmadchen herkommen,
die guten Kuchen backen." — ,.TJnd
von England? — ,,Dort essen die Loute
Beefsteak und trinken Tee." — ,,Aber
die Russen, unsere Verbundeten?" —
,.Die tragen Schafpelze, essen Talg
und schmieren sich auch den Bart
damit." — ,,Genng, setz dich."
*Ueber Deutsch lands
kleinste Schule schreibt man
aus Sehleswig-Holstein: Weit drau-
ssen in den Wogen der Nordsee liegt
die kleine Insel Nordstrandischmoor,
einst durch eine Sturmflut von der
grossen Insel Nordstrand abgerissen.
Von Jahr zu Jahr schwindet das Ei-
land mehr und mehr, denn Wind und
Wetter setzen ihrn hart zu. Und mit
dem Schwinden des Bodens geht Hand
in Hand ein Schwinden der Bevolker-
ung. Vor 50 Jahren lebten.dort noch
50 Menschen, jetzt nur 15. Fischerei
und Viehzucht sind ihr Erwerb. Das
stattlichste Haus auf der Insel ist das
Schulhaus. und doch sind zur Zeit nur
zwei Schiiler vorhanden. 1836 wurde
das Schulhaus erbaut, und eine ganz
stattliche Schiilerzahl hielt ihren Ein-
zug. Danach nahm die Schiilerzahl
schnell ab und betrug 1898 bis 1903
gleich 0. Erst am 1. April d. J. wur-
den wieder zwei Kinder schulpflichtig,
und sie unterrichtet ein Lehrer, der
von der Insel Nordstrand besoldet
wird.
*Zur Bedeutung der
deutsehen Sprache in Ost-
e u r o p a. Der auf den Schauplatz
des mazedonischen Aufstandes ent-
sandte Berichterstatter der Petersbur-
ger ,,Nowosti" berichtet diesem Blatte,
er habe von Wien abwarts das Schiff
der Donaudampfergesellschaft be-
nutzt, und nn Bord des Dampfers hat-
ten sich unter den Mitreisenden Rus-
sen, Polen, Tschechen, Kroaten, Ser-
ben und Montenegriner, kurz die An-
gehorigen aller erdenklichen slawi-
F.chen Stamme befunden. Aber als
diese verschiedenen Vertreter des Sla-
wentnnvs unterwegs miteinander in
Verkehr traten, bedienten sie sich ins-
gesamt beim Gesprach der — deutschen
Sprache. Einer der am Gesprach teil-
nehmenden slawischen Briider be-
merkte unter allgemeinem Gelachter:
,,D ie deutsche Sprache ist
doch die a 1 1 g o in e i u e s 1 a-
V7 i s c h e." Und alle Slawen, die zu-
gegen waren, stimmten ihm zu.
* A u s Schiilerheft'en. Urn
den Drachen besser bekiimpfen zu
konnen, zog Struth von Winkelried
eine eiserne Uniform an. — Sie setz-
ten eine alte Spinnerin vor jedes
Stadttor. Nun fiillten sie sich sicher.
— Ich habe mein obligatoriscb.es
160
Padagogische Mouatsbefte.
Vermogen auf der Bank (statt in
Obligationen). — Die Ilonier bauten
breite Strassen, damit die romischen
Religionen (Legionen) darauf mar-
schieren konnten. — Zu diesein Spiele
(Schlagball) eignet sich am besten
eine Wiese, deren Gras kurz abge-
schnitten uncl nicht mit Biiumen be-
wachsen 1st. — Die Mutter nahm ein
Binsenkorblein, legte das Knablein
hineiii und bestrich es aussen und
innen mit Pech. — Man nennt sie
Schmarotzerpflanzen, weil sie auf
andere Pflanzen hocken und ihnen
den Saft entziehen. — Die Ameisen
und Wespen durchlochern die Apfel
und dann gehen sie zugrunde. — Das
so gewonnene Kochsalz ist sehr un-
reinlich. — Eine Magd liess ein Seil
aus der Burg. Mehr als 20 Jiinglinge
kletterten hinauf und eroberten sie
mit Leichtigkeit. — Wir Kinder wiir-
den auf Weihnachten oder Neujahr
gerne ein kleines Theaterstiick auf-
fiihren; aber wir haben leider keine
passenden Biiuchlein.
* U e b e r t r i e b e n e Angst-
lie h k e i t. Der Pfarrer in Ockstadt
bei Friedberg (Hessen) hat, wie die
Mitteldeutsche Sonntagszeitung be-
richtet, angeordnet, dass beim
Schlittschuhlaufen Knabeu und
Madchen getrennt werden. Jedenfalls
ordnet der Herr Pfarrer nlichstens
an, dass in seiner Gemeinde die ein-
zelneii Familien entweder bloss
Knaben oder Madchen haben diirfen.
* Humor aus den Aufsatz-
Heften: ,,Das Schaf erfreut uns
auch nach dem Tode noch durch den
liehlichen Klang seiner Gedarnie." —
..Friiher sind die Leute im hohen Al-
ter gestorben: denn mit der arzt-
lichen Kunst war es noch nicht weit
her." • — ,,Walfische zeichnen sich
durch ihr unhandliches Format aus.'r
— ,,Lessings Gram iiber den Tod sei-
ner Frau Avar ein so tiefer, dass er
iiberhaupt erst nach Italien gehen
musste, um dort die Wunden zu hei-
len, die ihm seine Frau geschlagen
hatte." (Piid. Brosamen.)
*Eine franzoslscheSchnl-
geschichte. In Frankreich
braucheu die Kinder nach dem Gesetz
nur bis ztim vollendeteii dreizelmten
Lebensjahre in der Schule zu bleiben.
In einer Volksschule eines etwas \vil-
den Pa riser Viertels erhob sich nun
dieser Tage mitten in der Stuude ei-
ner von den Jiuigen, packte seine
Biicher zusammen, legte sie auf deu
Tisch des Lehrers, nahm seine Miitze
und ging zur Tur. Die Uhr schlug
eben halb drei.
..Was ist das, wo willst du deuu
hin?" fragte der Lehrer.
,,Herr Professor," erwiderte der
Bcngel ganz keck, ,,soeben bin ich
voile dreizelm .Tahre. Ich bin sogar"
— er sah nach der Uhr hiuiiber —
,,schon seit vier Minuten im vierzehn-
ten, Sie haben also nach dem Gesetze
kein Recht mehr auf mich."
Sprachs und verschwand — der Pro-
fessor und die Klasse wareu sprach-
los.
Gegen die Logik des Jungeu. im
Sinne des Gesetzes, ist nichts einzu-
wenden.
Eingesandte Biicher
A Guide for the Study of
G o e t h e's Hermann und Do-
rothea by Ernst Wolf, E.
Saginaw High School, and Warren
W. F 1 o r e r, University of Mich.
George Wahr, Ann Arbor, Mich., 1904.
Plane Trigonometry by
James M. T a y 1 o r, A. M., LL. D.,
Professor of Mathematics, Colgate
University.
Lesebuch zur Einfiihrung
in die Kenntnis Deiitsch-
lands und seines geisti-
g e n L e b en s. Fur auslandische
Studierende und fur die oberste
Stufe hbherer Lehranstalten des In-
und Auslandes. Bearbeitet von D r.
W i 1 ht e 1 m P o s z k o w s k i, Biblio-
thekar an der koniglichen Biblioihek
zu Berlin. Berlin, Widmanusche
Buchhandlung, 1904.
Goethes Egmont. Edited
Avith an introduction and notes by
James Taft Hatfield, Pro-
fessor of the German Language and
Literature in Northwestern Uni-
versity. Boston, D. C. Heath & Co.,
1904.
Note - Book to accompany
B e r g e n's Text-Books of
Botany or for general use in
botanical laboratories of Secondary
Schools by Joseph Y. Bergen.
Boston, Ginn ot Co., 1904. Price 90
Cents.
Padagogische Monatshefta
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Dabtujiimj V. IThii 1904. Heft 6.
Nationales Deutschamerikanisches Lehrerseminar zu Milwaukee,
Wis., 558-568 Broadway.
Das Rationale Deutschamerikanische Lehrerseminar eroffnet am
sechsten September dieses Jahres seinen sechsundzwanzigsten Kursus.
Seit ihrer Griindung im Jahre 1878 hat diese Pflegestatte deutscher
Sprache, deutscher Padagogik und deutscher Sitten Hunderten von jun-
gen Lehrern und Lehrerinnen ihre berufliche Vorbildung gegeben und
sie instand gesetzt, an offentlichen und privaten Lehranstalten mit Be-
geisterung und treuer Hingabe an dem grossen Erziehungswerke mit-
zuhelfen.
Das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar bildet seine
Zoglinge im Sinne der modernen Padagogik fur die amerikanische
Volksschule aus und befahigt sie, sowohl in englischer als in deutscher
Sprache zu unterrichten.
Der Seminarkursus umfasst drei Jahre bei vollstandig
kostenfreiem TJnterricht. Mittellosen Zb'glingen wird auf Em-
pfehlung des Direktors der Anstalt aus der Seminarkasse ein in Monats-
raten zur Auszahlung gelangender Stipendienvorschuss gewahrt.
Das Lehrerseminar verfiigt iiber tlichtige und erprobte Lehrkrafte,
die Schulraume sind modern, alien sanitaren Anforderungen Reclu»«ng
tragend; die Klassenarbeit wird erganzt und unterstiitzt durch reichhal-
tige Sammlungen und eine gute Biicherei; es erf rent sich einer Muster-
gchule, — der Deutsch-Englischen Akademie, — die erfolgreich die
hochste Stufe der Leistungsfahigkeit anstrebt und den Zb'glingen des
Seminars die erwiinschte Gelegenheit gibt, sich fiir ihren Beruf als
Lehrer praktisch auszubilden.
16& Padagogische Monalsbefte.
Durch das in innigster Verbindung mit dem Lehrerseminar imd
dessen Musterschule stehende Tiirnlehrerseminar, einer
Schopfung des Nordamerikanischen Turnerbundes, wird den Semi-
naristen eine grundliche turnerische Ausbildung gewahrleistet. Der ein-
jahrige Kursus fiir Turnlehrer wird im September gleichfalls eroffnet.
An die Freunde imserer Anstalt und an Erziehimgsfreunde im all-
gemeinen, an alle, denen die Pflege der deutschen Sprache an den Lehr-
anstalten dieses Landes und die Verbreitung gesunder Erziehungsgrund-
satze und Unterrichtsmethoden am Herzen liegt, richten wir die
dringende Bitte, in ihren Kreisen unsere Bestrebungen durch die Zu-
weisung passender Schiiler zu unterstiitzen.
Strebsame junge Leute, welche die Neigung in sich fiihlen, sich
dem schweren aber schonen Lehrerberufe zu widmen und der begriinde-
ten Ansicht sind, dass ihre sprachliche und wissenschaftliche Vorbildung
sie befahigt, den untenstehenden Aufnahmebedingimgen zu entsprechen,
werden freundlichst ersucht, sich mit dem unterzeichneten Direktor des
Lehrerseminars baldigst schriftlich oder personlich in Verbindung zu
setzen.
Aufnahmebedingungen :
A) Deutsche und englische Sprache. 1. Mechanisch-
gelaufiges und logischrichtiges Lesenj 2. Kenntnis der Hauptregeln
der Wort- und Satzlehre; 3. Richtige (miindliche und schriftliche)
Wiedergabe der Gedanken in beiden Sprachen.
B) Mathematik. Sicherheit und Gewandtheit in ganzen Zah-
len, in gemeinen und Dezimalbriichen, in benannten und un'oe-
nannten Zahlen, Zins- und Diskonto-Rechnung.
C) Geographic. Bekanntschaft mit den fiinf Erdteilen und
Weltmeeren, der Geographic Amerikas und den Hauptbegriffen der
mathematischen Geographic.
D) G e s c h i c h t e. Kenntnis der Geschichte der Vereinigten
Staaten.
E) Naturgeschichte und Naturlehre. Beschreibung
einheimischer Pflanzen, Tiere und Steine; die eintachsten Lehren der
Chemie und Physik; eine elementare Kenntnis des menschlichen
Korpers
F) T u r n e n. Alle korperlich befahigten Zoglinge des Lehrer-
seminars sind verpflichtet, behufs Ausbildung als Turnlehrer am
Turnunterricht teil zu nehmen. Zeitweilige sowohl als permanente
Entschuldigung von diesem Fach kann nur durch das Zeugnis des von
der Anstalt angestellten Arztes erlangt werden.
Da der Kindergarten ein wesentlicher Teil des Volksschulsystems
ist, so ist von der Seminarbehorde ein Kursus zur Ausbildung von
Lehrerinnen fiir solche Anstalten eingerichtet worden. Die Aufnabme-
bedingungen fiir diesen Kursus sind die gleichen wie fiir die anderen
Zoglinge des Seminars.
Max Griebsch, Direktor.
Milwaukee, Wis., 25. Mai 1904.
Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis,
Von Thos. H. Jappe, New York City.
(Schluss.)
Nur ja keine Moralpauken! Die verstehen die meisten doch nicht,
und sie sind nicht so sehr zu tadeln, wenn sie nachtraglich dariiber lachen.
Aber das verstehen sie bald, wenn jeder unweigerlich fiir sich und sein
Tun, einerlei wie es andern geht, und was sie tun, einzustehen hat; wenn
jedem genau das zu- und angerechnet wird, wofiir er unter seinen Verhalt-
nissen verantwortlich ist; wenn jeder so viel Freiheit und Zutrauen geniesst,
und nicht mehr, als sein Gesamtverhalten in und ausser der Schule gewahr-
leistet; wenn dem Kinde auf diese Weise langsam aber sicher beigebracht
wird, dass Freiheit nicht Schrankenlosigkeit ist, sondern einzig und allein
darin besteht, innerhalb sittlicher Schranken das Rechte zu tun und das
Schlechte mit Festigkeit abzuweisen; dass wir uns diese Schranken mehr
und mehr selbst setzen, oder doch sollen setzen kb'nnen; dass Verbote nur
fiir die eine Sklavenkette bilden, die ohnehin unfugsam und sittlich unfrei
sind; dass Versuchungen uns wohl gelegentlich straucheln lassen konnen,
uns aber die Folgen des Falles niemand abnimmt; dass es sich nicht lohnt,
andere mit zu inkriminieren und die Schuld auf sie zu schieben, sondern,
dass der feste Vorsatz der Besserung in der Zukunft die beste Reue ist.
Fiir den Eigensinn und die Verstocktheit, die Zerrbilder des Charakters,
bleibt da jedenfalls kein Platz.
Auch an systematischen Moralunterricht in eigens dazu angesetzten
Stunden glaube ich trotz Herrn Felix Adler nicht; es ware in der Schule
ohnehin keine Zeit dazu, und es kann am Sonnabend und Sonntag dafiir
genug getan werden.
Aussere Manieren und gute Sitte kann man neben dem eignen guten
Beispiel wohl durch mundlichen Hinweis und Ermahnung lehren; des-
gleichen Regeln der blossen Klugheit. Aber den sittlichen Charakter bil-
det nur das Vorbild, d. h. die ganze Personlichkeit des Lehrenden und
des Versorgers, sowie sonst mit geniigender Klarheit und Lebendigkeit vor-
gefiihrte Charaktere. Dies ist vor allem Sache des Unterrichts in der
Geschichte und Literatur, wenn richtig gefiihrt; • da heisst es fiir den
Schiiler:
,,Ein jeglicher muss seinen Helden wahlen,
Dem er die Wege zum Olymp hinauf
Sich nacharbeitet."
Ich sagte, wenn richtig gefiihrt, denn beim biographisch-historischen
Unterricht liegt die grosse Gefahr vor, dass aus den in Betrachtung ge-
nommenen Charakteren reine Engel und Wunder gemacht werden; die sich
dann ergebenden Gefiihle des blossen Staunens und der Verwunderung
164 Pddagoghche Monatshefte.
aber rufen nicht eifernde Nachahmung hervor, sondern schwachen statt zu
sarken, well die Vergeblichkeit des Versuchs, solchen Ubermenschen
gleichzukommen, instinktiv gefiihlt wird.
Viele Padagogen wie Nichtpadagogen glauben, dass die Bildung eines
gittlichen Charakters in erster Linie Sache des Eeligionsunterrichts sei,
dass also wahre Moral ohne Religion nicht entstehen oder existieren konne.
Das ist grundfalsch und nichts als vorgefasste Meinung, obzwar in
der Bibel und in der Religionsgeschichte viele sehr schatzbare Charaktere
vorkommen; die gehoren eben, gerade wie die der Fabel, My the und Sage,
mit zur Geschichte und Literatur im Sinne der Schule und konnen sehr
wohl helfen, die einseitige direkte Erfahrung der Schiller an Eltern, Be-
kannten und Lehrern durch indirekte Erfahrung zu erganzen.
Im iibrigen aber kann man Moral und Religion garment scharf genug
auseinander halten; denn jene griindet sich ausschliesslich auf den aus
den Gefiihlen der Achtung, Verehrung und Ehrfurcht abgeleiteten Begriff
der Pflicht, wahrend die blosse Liebe bekanntlich blind ist, und die Re-
ligion sich im grunde immer auf die Gefiihle der Furcht und Hoffnung
basiert : Furcht vor geglaubter ewiger Strafe f iir zeitliche Vergeheu,
Hoffnung auf ewige Belohnung fur seitliche Guttaten. Das mag
nun nicht bed jedem Glaubigen scharf hervortreten; wo es aber nicht min-
destens im Hintergrunde noch hie und da auftaucht, da hat de facto das
rein religiose Element im Gegensatz zum moralischen aufgehb'rt zu existie-
ren, und wer sich dann noch fur einen Glaubigen halt, tauscht sich selbst,
so harmlos einem diese Art Selbsttiiuschung auch scheinen mag.
Einen moralischen Charakter kann aber weder die Schule noch sonst
jemand durch Furcht und Hoffnung erziehen, eben so wenig wie man eine
griindliche Bildung durch Furcht vor den Examina resp. Hoffnung auf
Preise und Priimien im Fall des Bestehens erzielt. Moral und Religion sind
eben nicht dasselbe, sondern gehen oft ^veit auseinander; Sie wissen so
gut wie ich, dass nicht jeder Mensch moralischen Wert hat, der religios ist,
und dass man also auch nicht religios im streng dogmatischen Sinne zu
sein braucht, um moralischen Charakter zu besitzen.
In der Erziehung zur Moral ist es daher dringend geboten, die reine
Religion aus dem Spiel zu lassen, da Furcht und Hoffnung allein, wenn
nicht die Gefiihle der Achtung vor dem Guten, Edlen, Schonen und des
Abscheus vor ihrem Gegenteil sich eng damit verbinden, die Bildung eines
wetterfesten moralischen Charakters eher hindern als fordern; denken Sie
z. B. nur an die Friichte der deutschen Internate. Gerade so muss auch,
wie bereits fliichtig erwahnt, das System des "doing favors," statt strikter
Pflichterfullung auch ohne besondern Dank dafiir, aus der Schule fern-
gehalten werden. Charaktere von Wert bilden sich in der Welt nur t r o t z
Furcht und Hoffnung, niemals durch sie, oder doch wenigstens nicht
durch sie allein.
Eryehungswissenscbaft und Er^iehungspraxis. 165
In diesem Zusammenhang diarf ich Ihnen vielleicht ein Wort Gibbons
anfiihren: "All religion is equally true to the vulgar, equally false to the
philosopher, equally useful to the magistrate." TJnter den "vulgar" sind
hier offenbar diejenigen zu verstehen, welche meinen, dass positive, dog-
matische Religion, einerlei welcher Schattierung, unbedingt notig, und
einerlei wie riickstandig, besser sei als keine.
Wer freilich die oben von mir charakterisierte Moral mit dem Kar-
dinalbegriff der Pflicht nicht haben kann, weil ihm das alles bohmische
Db'rfer sind, der muss sie wohl auf positive, dogmatische Religion begriin-
den, denn sonst mbchte er in der Tat gemeingefahrlich werden, wie etwa die
Anarchisten. Und dies ist allerdings bis jetzt die Lage der grossen Mehr-
zahl der Menschen.
Hieraus aber folgt fur den Padagogen, dass er sich, wie das unsrer
amerikanischen Einheitsschule ja auch entspricht, vollig objektiv und neu-
tral verhalten muss, wenn es sich um Glaubens- und Gef iihlssachen handelt;
seine meist zu weit gehende Abhangigkeit von sozialen und andern Ein-
fliissen schreibt ihm ohnehin vor, im Ausdruck seiner personlichen An-
sichten behutsam zu sein. Trotzdem darf er weder ein Heuchler noch ein
Hermaphrodit aus Kautschuk sein, und er wird es zu zeiten notig finden,
gerade heraus zu sagen, was schwarz ist, und was weiss; denn es ist so klar
wie das Licht der Sonne, wer nicht Charakter hat, kann keine Charaktere
bilden.
Wenn nach dem Gesagten nun auch die Gefiihle der Achtung, Ehr-
furcht, Verehrung und ihre Gegenteile fur den Erzieher die weitaus wich-
tigsten sind, so sind doch die der Liebe, Zuneigung, Sympathie, Mitgefiihl,
Mitleid und ihre Gegenteile keineswegs von geringer Bedeutung.
Mehr als irgendwo sonst, ausser vielleicht im Schosse der Familie, gilt
in der Schule das Wort des grossen Apostels, der da sagt: ,,Wenn ich mit
Engelzungen redete und hatte der Liebe nicht, so ware ich ein tonendes
Erz und eine klingende Schelle." Mit Recht setzte Schiller an Kants Sit-
tengesetz dessen iibergrosse Rigorositat aus, denn was mit Neigung ge-
schieht, so fern es nur gut, ist darum nicht schlechter, sondern besser, weil
es dadurch an dem asthetischen Moment des Schonen teil gewinnt.
Erst an dritter Stelle endlich kommen die Gefiihle der Furcht und
Hoffnung in betracht, da wir die .Strafen und Belohnungen, auf die sie
sich griinden, nur als notwendiges Uebel betrachten kb'nnen.
tiber die z. T. recht kindischen und unpassenden Belohnungen, die
in manchen Schulen vorkommen, wo oft nichts als die allergewohnlichste
Pflichterfiillung die Veranlassung dazu ist, will ich hier nichts weiter sagen;
aber der Begriff der Strafe verdient und fordert Erwagung. Wollten wir
wortlich nach dem Dichter gehen, der da sagt: ,,Alle Schuld racht sich
auf Erden," so ware strafendes Eingreifen der Menschen gegen einander
absurd, um so mehr, als niemand vollkommen ist. Dieser Aus?prtich be-
166 Padagoghche Monahhefte.
zieht sich aber nur auf das gesamte sittliche Bewusstsein, d. h. das Ge-
wissen; und dieses, wenn es sich auch bei jedem Menschen in irgend einer
Weise friiher oder spater regt, geniigt nicht zur Verhinderung von Wieder-
holungen desselben Vergehens oder der Begehung andrer Schlechtigkeiten,
schon weil es gar zu viele Menschen gibt, die wohl ein untriigliches Ge-
wissen, aber keinen festen Charakter haben.
Also Strafe muss sein; es fragt sich nur, was genau darunter zu ver-
stehen ist, desgleichen wie, wann und wo sie angebracht ist.
In erster Linie ist Strafe im alttestamentlichen Sinne, also das ,,Auge
um Auge, Zahn um Zahn," niemals und nirgends zu billigen, am allerwe-
nigsten in der Schule, denn das ist gleichbedeutend mit Rache.
Auch die Idee des Wiedergutmachens durch Erleidung von Strafe ist
zu verwerfen, denn sie befordert die Selbsttauschung. Vieles, was wir uns
zu schulden kommen lassen, einerlei in welchem Grade schlecht oder falsch
oder unsinnig, ist einfach nicht wieder gut zu machen, und das blosse
Biissen des einen Menschen kann niemals einen andern, sich selbst achten-
den, sittlichen Menschen befriedigen. Wo aber in der Schule ein Wieder-
gutmachen wirklich erfolgen kann, muss der Eindruck, als sei das einer
Strafe gleich, und daher mehr oder weniger eine Schande, der sich das
Kind zu schamen habe, mit der grossten Sorgfalt vermieden werden. Der
Unterschied zwischen Restitution und Strafe sollte auch dem jungern
Schiller schon klar gemacht werden. Desgleichen sollte ihm die Tatsache
eingepragt werden, dase sich manches im Fall der Besserung wohl v e r-
g e b e n, aber nicht so leicht vergessen lasst; dass manches Unrecht,
welches wir andern tun, einerlei ob absichtlich oder unabsichtlich, in ihrer
Erinnerung immer wieder, und sogar als ein bitterer Schmerz, auftauchen
mag, selbst wenn kein Rachegefiihl damit verbunden sein sollte, oder doch
uicht mehr damit verbunden ist.
Xach diesem bleibt aber nur ein verniinftiger Standpunkt in bezug
auf Strafen iibrig, und der ist folgender. Da adaquate Gerechtigkeit im
natiirlichen Lauf unsres Lebens ausserlich zum mindesten nicht waltet,
und da die meisten Menschen nicht gewissenhaft oder charakterfest genug
sind, um aus freien Stiicken Unrecht zu vermeiden, so miissen wir fur
jedes nennenswerte Vergehen gewisse Folgen kiinstlich festsetzen, die den
Fehlenden unweigerlich treffen, um ihn wie andre von Wiederholung des-
selben Delikts abzuschrecken; wie das die Selbsterhaltungspflicht der
menschlichen Gesellschaft fordert. Und diese Folgen, vulgo Strafen, diir-
f en keine blossen Akte der Grausamkeit sein, weil sie statt des Gef iihls des
Bedauerns oder der Reue sonst das der Rache erzeugen; ganz abgesehen
davon, dass sie auf den sittlichen Charakter des Vollstreckers hochst
nachteilig wirken wiirden.
Die Anwendung hiervon auf die Schule ist nun leicht gemacht; man
miisste denn, wie Rousseau an einer Stelle im ,,Emile" tut, gegen alle
Er^iehungswissenscbaft und Erqiehungspraxis. 167
Strafen sein. Jede Strafe also, die einerseits die Gesundheit, andrerseits
die keimende Selbstachtung des Kindes nicht schadigt, muss dem Lehrei-
gestattet sein, da es im eignen Interesse des Kindes liegt, in der dem ein-
zelnen Vergehen angemessenen Weise korrigiert zu werden. Und wer da
den Lehrer beschrankt, so dasz er gezwungen wird, entweder zu unpassen-
den Strafen zu greifen, oder Strafen zu verhangen, die in ihrer Art und
Anwendung dem betr. Vergehen nicht entsprechen, oder aber entgegen
seinem padagogischen Gewissen alles Mogliche hingehen zu lassen, der ver-
siindigt sich auf das grb'bste an der heranwachsenden Generation. Denn
klar ausgepragtes sittliches Gefiihl und deutliches 'Bewusstsein der Ve£-
antwortlichkeit vor sich selbst wie vor andern kann dann nicht resultieren,
und ohne diese wird der Hauptzweck der eigentlichen Sehulerziehung, die
Bildung eines festen, moralischen Charakters verfehlt, da jene eben seine
Basis sind.
Es hat auch, um das hier anzufiigen, noch niemals ein Lehrer die
Achtung seiner Schiller, ja ihre Verehrung entbehrt, weil er sie strafte,
vielleicht sogar hart strafte, wo sie es verdienten, so weit es nur 1. auf der
Stelle, 2. mit Besonnenheit und 3. mit sittlichem Ernst geschah; im Ge-
genteil, oft haben sie ihm spater dafiir gedankt, dass er sie die Schwere
ihrer Vergehen entsprechend hat fiihlen lassen, denn sie sind dabei zn
wahrhaft freien, ordentlichen Menschen geworden. Sehr wahr sagt darunpt
Diesterweg: ,,Wer Freiheit will, muss Ordnung wollen; wer Ordnung
will, muss die Achtung des Gesetzes wollen; wer die Achtung des Gesetzes
will, muss die Erziehung zur Achtung des Gesetzes, muss dieErziehung in
Achtung und Ehrfurcht vor dem Erzieher wollen. Wer unter jener Be-
dingung diese Dinge nicht will, der weiss nicht, was er will." Die hier
geforderte Ordnung ist aber ganz ohne Strafen vorerst nicht zu haben.
Trotz der Unerschopflichkeit des Stoffes glaube ich Sie schon zu lange in
Anspruch genommen zu haben, und doch lag mir daran, keinen der soweit
beriihrten Punkte zu iibergehen, da sie mir auf Grund einer SOjahrigen
Erfahrung die wichtigsten scheinen. Lassen Sie mich daher zum Ab-
gchluss die Resultate meiner Erorterungen kurz zusammenfaesen.
Die Psychologic zeigt uns 1) was das Kind beim Eintritt in die
Schule geistig ist, sie gibt uns Kenntnis der geistigen Elemente und des
Prozesses ihrer Entwicklung; 2) was wir aus dem Kinde machen konnen
und sollen, wobei sie uns hilft das Individuum richtig zu beurteilen; 3)
was fiir diesen Zweck die beste allgemeine Methode ist, also wie nach
Alter und Fassungskraft in der Ordnung und Sichtung der Unterrichts-
facher vom Konkreten zum Abstrakten, vom Einfachen zum Kompli-
zierteren, vom Leichten zum Schwereren fortgeschritten werden muss:
und endlich 4) zeigt sie uns zugleich die Begrenzung unsrer Tatigkeit,
dass namlich Erziehung und Unterricht wohl unterstiitzen und ent-
wickeln, aber nichts schaffen, eben so wenig wie die Philosophic etwas
1G8 Padagoghche Monatshefte.
Neues schafft. Wir gleichen in vieler Beziehung denjenigen Gartnern,
welche Pflanzen, die sie nicht selbst grossgezogen haben, zur Pflege und
Aufbesserung in Verwahrung nehmen.
Dies alles zeigt die Psychologic aber nur bei eingehendem Studium,
aus dem sich dann alsbald die Not wend igkeit der nahern Bekanntschaft
mit andern philosophischen Disziplinen ergibt. Ein klein wenig Psycho-
logic ist so gut wie gar .kerne Psychologic, ja vielleicht schlimmer; denn
sic :kanh dann nur verwirrend wirken und entwickelt das wichti^ste
nicht, was sie zu entwickeln helfen soil, den padagogischcn Takt. Ira
ganzen und grossen k'ann man wohl sagen, dass ein Hauptwert des Stu-
diums der Psychologic in der philosophischen Durchbildung besteht, zu
der sie uns verhilft. Wenn sie trotzdem bei manchen Leuten in Misskre-
dit gekommen ist, so sind diejenigen schuld, welche sie nur halb ver-
dant haben und ihren Namen unniitzlich fiihren, sowie diejenigen,
welche sie zum Zweck der Selbst verb errlichung missbrauchen. Da sind
denn die immer noch viel besser, welche das rein theoretische Studium
der Psychologic wie Padagogik ganz den Mannern der Wissenschaft
iiberlassen, denen das Lebensaufgabe ist, und die gereiften Kesultate
stillschweigend praktisch verwerten.
Die Padagogik selbst aber, auf Psychologic und andere philosophi-
sche wie naturwissenschaftliche Disziplinen sich stiitzend, ist zeitweilig,
derart, dass ein Teil erlernt werden kann, der andere nur entwickelt.
Da letzterer nun fur den Erfolg im ganzen und auf die Dauer der wich-
tigere ist, so betrachte ich die Pagagogik oder Erziehlehre als cine Kunst,
deren Basis zum Teil angewandte Wissenschaft ist, zum Teil Talent oder
Genie, Wissen und Erfahrung; in diesem Sinne mao1 man demnach von
Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis reden.
Alle Erziehung f erner teilt sich in natiirliche, die den Anfang
macht und eigentlich nie endet, und k ii n s 1 1 i c h e, die zeitweilig dazu
tritt. In der natiirlichen ist kein System, aber wenn sie nur ungehindert
fortschreitet, kommt ihr der Instinkt im Menschen entgegen, der
das Neue, das iiberhaupt geboten wird, von selbst in der passenden Ord-
nung aufnehmen lasst.
In der kiinstlichen oder Schulerziehung dagegen ist mehr oder
weniger System, aber wie logisch und nach unserm Verstiindnis grad-
weise angemessen es auch sei, es bleibt etwas Gemachtes, also Unvollkom-
menes, und der Instinkt versagt seine Hiilfe; an seine Stelle muss das
Interesse treten, welches freilich erweckt und lebendig erhalten wer-
den will.
Zweck aller. Schulerziehung aber ist die mit moglichst viel Ein-
sicht und moglichst wenig blosser Dressur verbundene Vorbereitung und
Kinleitung des moralischen Charakters, der die rechte Mitte zwischen
Herders Perscenlichkeit. 169
Altruismus und Egoismus zu halten versteht; ein gewisses Quantum
niitzlicher sowohl als rein kultureller Kenntnisse 1st dabei ein selbstvcr-
standliches Corollarium.
Herders Personlichkeit.
(FUr die PSdazogischen Monatshefte.
Von A. Busse, University of Wisconsin.
Was Herder in der gesamten deutschen Kultureiitwicklung bedeutet,
1st wohl dem ,,modernen" Menschen recht wenig klar und gegenwartig.
Dass dieser gewaltige schopferische Geist so sehr in Vergessenheit ge-
raten ist, so dass wir uns durch Literarhistoriker an bedeutenden Ge-
clenktagen wie der hundertjahrigen Wiederkehr seines Todestages erst
wieder auf ihn aufmerksam machen lassen miissen, mag zum Teil an sei-
ner eigenartigen Stellung innerhalb der Geschichte liegen. Denn im
flrunde musste er sich mit der ihm vom Geschick zuerteilten Rolle eines
Bahnbrechers und Wegebereiters fur den, der da kommen sollte, begnii-
gen. Und dieser Kommende war Goethe. Das Licht dieses Geistesriesen
drangte Herder in seinen eignen Schatten. Doch nicht Goethe allein be-
reitete er den Weg, er hat vielmehr zu einer ganzen Reilie wissenschaft-
licher Forschungen des reiferen neunzehnten Jahrhunderts den ersten
Spateristich getan. Selten aber erntet ja bekanntlich der die gebiihrende
Anerkennung, der die ersten scheinbar kaum bemerkenswerten Funda-
mentsteine zusammentragt; der Baumeister, der sein Gebaude darauf
auffiihrt, tragt nur zu oft den Ruhmeslorbeer ungeteilt davon. Das
erstere war denn auch Herders Schicksal, allein wie gesagt, doch nur zum
Teil. Dass wir von ihm nicht in unserem Andenken das Bild eines mar-
kigen, festen Kampen seiner Sache bewahren, wie beispielsweise doch ein
Lessmg in unserem Gedachtnis fortlebt, daran ist Herder zum grossen
Teil selbst schuld. Er hat sich zeit seines Lebens fast immer selbst im
Lichte gestanden. Fein und zart, empfindlich und reizbar, wie er veran-
lagt war, hat er nie mit der Unverletzbarkeit und dem Siegesbewusstsein
seines Vorgangers Lessing oder seines grossen Zeitgenossen in die
Schranken treten konnen. Seiner vorteilhaften tJberlegenheit, die er
den meisten seiner Gegner voraus hatte, nicht immer bewusst, stellte er
sich mit diesen auf gleiche Basis und verlor in Differenzen mit ihnen die
vornehme Ruhe des echten Geistesadels. Recht musste er immer behal-
ten, sich iiir besiegt, fiir iiberzeugt zu erklaren, war ihm unmoglich. Da-
durch wurde oft sein Wagemut gebrochen fiir solche Falle, wo von vorn-
herein das Recht auf seiner Seite war. Das hat viele seiner wissenschaft-
170 Padagogiscbe Monatshefte.
lichen Erzeugnisse verkiimmert und trotz der Fiille wertvoller Mitteilun-
gen, die er aus seinem Erkenntnisschatz der Hit- und Nachwelt zu
machen hatte, ist doch manches uns verschwiegen worden, wie z. B. ge-
rade aus der unschatzbaren Sammlung seiner Volkslieder. Hier beson-
ders hat er mit den Ergebnissen eines andauernden Fleisses tentativ
naoh dem mbglicherweise ungiinstigen Eindruck geforscht und doch zu-
lezt mi seinen Gaben gegeizt. War es ihm gleich unmoglich, sich mit
der Wucht seiner Personlichkeit durchzusetzen und sich Geltung zu ver-
schaffen, zuriickziehen von der Walstatt der kritischen Waffengange
konnte und wollte er sich trotzdem nicht. So verbittert er gleich zuweilen
war, wenn man an den Resultaten seines Forschens zweifelte, das Selbst-
bewusstsein des echten Forschers besass er dennoch und liess sich daher
nicht abschrecken, immer wieder aufs neue zu suchen.
Denn sichten, sammeln, sinnen musste er; das war ihm gleichsam
zweite Natur. Ein freies unbehindertes, von Sorgen unsretriibtes Schaf-
fen. wie ein Goethe es kannte, war ihm freilich nicht vergonnt. Nicht
nur die Menschen, sondern auch das Leben geriet in arge Schuld bei
ihm. Aber er war eine zu fein und geistig zu hoch gestimmte Natur, als
dass er sich durch matsrielle Bekiimmernisse hatte hinunterziehen las-
sen von seiner hohen Warte in das Tiefland dunkler Alltaglichkeit.
Hochlandsluft war ein unerlassliches Sublimat fur sein geistiges Dasein.
Sein Wirken und Schaffen war ihm aber nicht nur Liebhaberei, nicht
nur Zeitvertreib fiir die ode Einsamkeit des Lebens, die ihn oft umgab.
Wo er stand, da wollte er immer zunachst seinen Platz ganz ausfullen.
Darum war er in der Schule ein ganzer Schulmeister und hat lange vor
einem Pestalozzi und Herbart edit padagogische Bahnen im modernen
Sinne eingeschlagen. Seine Tuchtigkeit und Griindlichkeit in dieser
Arbeit waren nicht nur leicht verduftende Bliiten eines schnell wuchern-
den und ebenso schnell ersterbenden Enthusiasmus. Sich auszuleben in
seinem Beruf war ihm Bediirfnis. Und gerade dies hat er versucht in
dem Amt, das er sich zum Lebensberuf erwahlte. Er selbst hat es wohl
nie empfunden, wie wenig er gerade in diese Bahn hineinpasste. Erst
die Geschichte hat das Urteil endgiltig dariiber abgeschlossen, und der
Zahn der Zeit hat uns wirklich wenig iibrig gelassen gerade von dem
j.Konsistorialrat" Herder. Wie viele haben heute iiberhaupt noch die
Vorstellung, dass er sein Leben lang als Geistlicher gewirkt hat. So
unvereinbar uns ein Goethe mit Regierungsarbeiten erscheint, so wider-
epruchsvoll will uns ein Herder im Talar auf der Kanzel und am Altar
vorkommen. Aber er hat sein Pfarramt nicht nur zum Broterwerb inne
gehabt, wenngleich es ihm in erster Linie Not und Nahrungssorgren von
der Tiir fernhalten musste. Als der primus inter pares hatte er seinen
Amtsgenossen gar manches Beherzigenswerte zu sagen iiber Amts-
Herders Perscenlichkeit. 171
fiihrung, Schriftauslegung und Predigt. Als der geistliche Versorger
. wiinschte er seine Gemeinde zu heben und bei frischem Leben zu erhalten
durch einen erweiterten geistlichen Liederschatz, durch lebendige man-
nigfaltige liturgische Formen, durch weise und ordnungsmassige Hand-
habung kirchlicher Gesetze. Hier kam besonders eine Seite seines so viel
umspannenden innersten Wesens zum Ausdruck. Der Menschheit, aus
deren Mitte ihm so viel Verkenmmg, soviel Undank entgegentrat, mit
deren Gliedern er bestandig im Kampf lag, gerade der wollte er dienen.
Nicht aus eineh falschen Selbstgefalligkeit, aus einem unaufrichtigen
Eigennutz wurde dieser "VVunsch, dieser Trieb gezeugt; es war das der
innerste Gedanke seiner Seelc, denn — er liebte diese Menschheit. Beim
Verfolgen ihrer Geschichte, ihres Werdeganges, ihres Daseinszweckes in
dem Plan des Universums Gottes, da wurde er zum Pfadfinder neuer
Ideen, neuer Probleme, neuer Forschungsgebiete. An dem Suchen und
Arbeiten in dieser Richtung schien ein fiir das Kosmische, das Universale
veranlagter, stets weit ausholender Geist sich zu erfrischen, denn durch
cine ganze Periode seines Lebens zieht sich die Arbeit an den Ideen zur
Philosophic der Geschichte und an dem Versuch der Geschichte der
Menschheit. — ,,Die Poesie 1st die Muttersprache des Menschenge-
schlechts," dieses sein gefliigeltes Wort kennzeichnet die Tiefe und die
Erhabenheit seins Menschheitsgedankens. Melodisch und harmonisch
sind ihm die ersten Laute menschlicher Gefiihls- und Willensausserun-
gen, bis sie mit ,,der Entwicklung der Vernunft" auch andre Formen an-
nehmen. Jene poetischen Laute erscheinen ihm als eine der edelsten
Gaben Gottes, als es die Menschen ins Dasein rief. So verallge-
meinert und idealisiert er diesen Menschheitsbegriff, um ihn gleich-
zeitig wieder zu individualisieren. Denn in jener ersten biblischen Ur-
kunde des Menschengeschlechts sieht er die ganze Entwicklung der
Menschheit vorgebildet in den einzelnen Beziehungen zu einander wie
in ihrer Gesamtheit.
Die ganze Geschichte der Menschheit ist nur eine Wiederholung
derselben Geschicke eines einzelnen Menschen, denn die grossen Bliite-
perioden gewisser Volker sind nur Lebensabschnitte im Dasein des ge-
samten Menschengeschlechts. Alles entwickelt sich, um zu immer rei-
neren Formen zu gelangen, gleich wie die menschliche Seele, die ihren
Aufenthaltsort von einem Korper in den andren verlegt. Licht, Leben
und Warme sind ihm die Fundamentalfaktoren, durch die eine rechte,
vernunftsmassige Entwicklung zu wahrer, reiner Menschlichkeit ge-
schieht. Diese letztere verbietet jeden Partikularismus, da alle Volker
unter sich gleichberechtigt dastehen; darum wahle man sich auch in der
Geschichte kein Lieblingsvolk aus, weil alle Volker sich entwickeln und
uns nur nicht immer ihre vorteilhaften Seiten ins Auge fallen. Sie alle
172 Padagogische Monatshefte.
haben einst in der poetischen Muttersprache der Menschen geredet und
reden darin heute noch. — Diese poetischen Laute der Volker zu be-
lauschen war daher gewissermassen logisches Axiom fiir Herder. Es <nng
aus seiner Weltanschauung hervor, wie er eine solsche sich aus tausend
feinen Faden zusammenwob, so dass uns dies Gewebe wie eine feine, zarte
Dichtung erscheint. Denn Vieles, was er in den erwahnten Schriften
sagt, mag einen tiefen philosophischen Anstrich haben, wirklich be-
stechen kann es uns doch nur durch den poetischen Hauch, den er un-
willkiirlich dariiber ausbreitete. Denn im Grunde war Herder doch eine
Dichternatur. Philosoph wollte er selbst nicht sein und auch nicht als
solcher gelten. Abstraktionen waren ihm Friichte eines miissigen Trei-
bens; am Metaphysischen sah er die Grenze seiner Gedankenarbeit. Bis
dorthin, glaubte er, gingen die Rechte eines jeden Forschers, alles tibrige
sei unfruchtbar fiir die Menschheit und daher zu unterlassen. Mit ehr-
f urchtsvoller Scheu und frommer Verehrung macht er daher auch in
seinem theologischen Denken vor dem Transzendentalen Halt. Wurde er
gleich trotz seiner streng biblischen Bichtung, der er sich in Biickeburg
zugewandt hatte, in Weimar liberaler, so blieb er doch auch hier seinen
innersten Gefiihlen treu und hiitete sich vor reflexiven Spekulationen.
Fiir seine Vorstellungen itber die grossen Frangen des Woher und Wo-
hin des Menschengeschlechts half ihm gerade seine dichterische Veran-
lagung zu einer ihm befriedigenden Losung. Zur Dichtung wurden ihm
daher seine tiefsinnigsten philosophischen Schriften; und was er andrer-
seits in seinem Suchen und Forschen als Dichtung entdeckte, das fesselte
ihn darum auch wieder machtig.
Mit seltenem Fleiss hat er, diesem Triebe folgend, Zeit seines Lebens in.
den Poesien aller Volker gesucht und daraus gesammelt. Ohne Vorlau-
fer darin zu haben, ohne einen Fiihrer an der Seite, hat er dabei den
Weg zu den herrlichsten Schatzen und Kleinoden gef unden. In die
grauste Vorzeit wie in die jiingste Mitwelt, zu den Volkern des eisigen
Nordens sowohl wie zu denen des sonnigen Siidens erstreckten sich seine
Forschungstriebe. Nicht nach den bereits durch alle Kunstmittel ge-
feilten Juwelen der Dichtkunst suchte er, obwohl sich sein Herz und
Auge nicht minder daran erfreuten. \Villkonimener waren ihm doch die
von Schlacken umhiillten Edelsteine echter Volkspoesie. Volkslieder
wollte er sammeln; den Xamen dazu erf and er sich selbst, und dass er
ihn uns mit seinem weiten Begriff gegeben wie einen Schliissel zu einein.
reizenden Zauber- und Feenland, dafiir miissen wir ihm dank wissen.
Wie vorher angedeutet, hat er uns leider nicht alle Funde seines Sam-,
meleifers mitgeteilt, nur verkiirzt und arg geschmiilert liess er
seine Mitwelt an dem mitgeniessen, woran er selbst wohl die
tiefste Freude und den grossten Genuss fand. Denn zu dieser
Herders Persoenlichkeit. 173
Arbeit 1st er mit dem ganzen Eifer seines arbeitsamen Geistes
Und seiner Freude am Schaffen, das ihm Lebensbedingung war,
immer wieder zuriickgekehrt; ihr verdanken wir nicht allein
die schb'nsten Proben deutscher und noch vielmehr ausserdeutscher
Volkspoesie, sondern vor allem das Ergebnis der Arbeit, die dem ver-
bitterten imd enttauschten Greise den Lebensabend versiisste, namlich
die tibersetzung des Cid.
Mehr als an seinen kritischen Untersnchungen und seinen aestheti-
schen und theologischen Schriftstellererzeugnissen fand Herder wohl im
Jnnersten seines Gemiits Befriedigung an dieser prodnktiven Dichter-
arbeit. Hier trafen von aussen Klange in Sinn und Gemiit, die ohne wei-
teres im Innern einen Wiederhall fanden, hier schmolz das Leben, das
ihn von aussen anwehte, leicht und fiiissig mit dem eigenen Innenleben
zusammen. Denn das war das tragische Verhangnis, das iiber den iibri-
gen Arbeiten unseres Dichters schwebte, dass er sich darin nicht bis zur
inneren Selbstbefreiung ausleben und ausarbeiten konnte. Es schien
vielmehr stets in seinem Innern etwas haften zu bleiben, das nicht zum
Leben kommen und das er infolgedessen auch nicht mitteilen konnte.
So sieht er in seinen Arbeiten nie sein eigenes wahres Leben in seinem
ganzen Umfang vor sich; er verliert daher bald das Interesse daran, sie
bleiben liegen und oft erst nach Jahren beginnt er am kalt gewordenen
Eiseiv ohne rechtes Feuer wieder zu schmieden. Daher haftet vielen
Herderschen Produktionen etwas stark Fragmentarischcs an, und andere
sind iiberhaupt unvollendet auf die Xachwelt gekommen.
Ohne sich selbst dessen vollig bewusst zu werden, hat er doch den
Mangel an ausreichender Kraft wohl je und dann gefiihlt. Aber er hatte
einen zu starken Glauben an seine Bestimmung und an sein Recht, Fiih-
render zu sein, als dass er auch nur einen Augenblick in seinem eigenen
Sinn zusammengebrochen ware. In den Zenith seines Jahrhunderts
wollte er treten und die Stelle hat er erreicht; etwas iiber seine Zeit Hin-
ausragendes und Hinausreichendes wollte er hinterlassen, und das ist
ihm gelungen. Herder ist uns als Ganzes nicht so sehr Vorbild fiir einen
edlen Menschentypus wie Goethe oder Emerson, zu denen wir auf-
blicken wie zu Mustern echten Menschentums. Die unverwiistliche Ener-
gie seiner Herrennatur, die beispiellose Selbstlosigkeit in seinem aussern
materiellen Leben, der Adel seiner Gesinnung, die Vielseitigkeit seiner
Ideenwelt, das alles sind einzelne Ziige, die wir an ihm bewundern, an,
denen wir auch von ihm lernen kb'nnen. Wahrhaft gross wird er uns
doch aber erst als der, der selbst den Besten seiner Zeit genug getan und
darum gelebt hat fiir alle Zeiten, auch fiir unsere Zeit.
Denn das ist unumstrittenes Faktum; Herders Einfliisse reichen
direkt und indirekt bis auf unsere Tage. Eins vor alien andren Ver-
174 Pddagogiscbe Monatsbefte.
diensten wird die Weltgeschichte ihm in ihrem Buche unausloschlich
bewahren, namlich, dass seine Lebenswanne, sein unzerstorbarer Lebens-
kern den Dichter Goethe werden half. Denn als Goethe, der Mensch,
dem gereiften Herder zum ersten Mai gegeniiber trat, war das reiche
Leben in ihm noch ein grosses Chaos, erst die erprobte Hand des alteren
Gefahrten half darin Ordnung und Grundlage schaffen, und die Volks-
lieder, Herders geistige Lieblingskinder, die er damals sammelte, waren
das giinstige Omen, unter dem dies geschah. Sie haben also bei dem
Dichtertalent unsres grossen Goethe gewissermassen Patenstelle einge-
nommen. Der Dichter des Faust hat diesen Einfluss und jene ersten
friihesten Anregimgen zu geordnetem zusammenhangendem Schaffen
durch Herder stets anerkannt und seinem alteren und erprobteren
Freunde gegeniiber bis zur aussersten Moglichkeit sich dankbar erwiesen.
Neben ihm hat aber kein geringerer als Burger bekannt, dass Herders
Anregungen ihm zur dichterischen Yollendung seiner ,,Lenore" verhol-
fen haben. Novalis, der leider zu friih seine fruchtbare Tatigkeit ab-
brechen musste, hat von dem Erbe Herders reichen Gewinn gezogen und
A. W. Schlegel vollends nahm direkt unsres Dichters Gedanken auf, um
sie zu weitrer Entfaltung und Entwicklung zu fiihren.*) So darf man
fiiglich sagen, dass die gesamie Friihromantik in Herder einen ihrer Vor-
laufer und Lehrmeister gefunden hat. Die Evolutionisten andrerseits,
wie sie in England und Amerika im vergangenen Jahrhundert mit
grossem Erfolge aufgetreten sind, werden nicht umhin konnen, Herder
als einem ihrer friihesten Anreger und Vorgan^er Dank zu zollen. Auch
die ausgedehnte Forschung orientalischer Literatur und Kunst zuerst
belebt zu haben, wird man Herder als Verdienst anrechnen miissen.
Auch auf die Philosophic des neunzehnten Jahrhunderts hat er nicht
geringen Einfluss gehabt; Schelling und Hegel miissten hier in erster
Linie als von ihm beeinflusst angefiihrt werden.
Doch wer will sie alle aufzahlen, die Friichte seines reichen und
ergiebigen Schaffens, ohne Gefahr zu laufen, ihm Unrecht zu tun. Denn
wer kann sie alle nennen, die in Herder ihren geistigen Yater gesehen
haben? Machtig und weit ist der von ihm ausgestreute Same aufgegan-
gen iiber die Grenzen Deutschlands hinaus. Herder ist daher nicht mehr
ausschliesslich Eigentum der deutschen Nation; seine Schriften gehoren
der Weltliteratur an. Dennoch bleibt er uns einer der ersten Sohne un-
seres Vaterlandes, den Ehrenplatz unter den ,,0riginalgenies" des 18.
Jahrhunderts raumen wir ihm ohne Bedenken ein. Seine Person mag
imserem Gedachtnis entschwinden; die reiche Arbeit seines Geistes wird
*) Dessen Schrift von deutscher Art und Kunst ist ihm nach seinem
eignen Gestandnis friih zum Lieblingsbuch geworden.
Ein Bruch mil der Ueberlieferung. 175
fortleben bis in kommendo Geschlechter. Was er fiir sich selbst als cchter
Mensch forderte, was er seiner Zeit und seiner Nachwelt bringen wollte
und auch gebracht hat, was wir ihm daher heute noch als seine Erben
schulden, das hat sein Fiirst und Conner Karl August in treffender
Weise auf seinen Leiehenstein eingraben lassen, damit seine Lebensdevise
und seinen Wert in die drei inhaltsschweren Worte zusammenfassend:
Licht, Leben, Liebe.
Ein Bruch mit der Ueberlieferung.
(FQr die Padagogischen Honatshefte.)
Von Dr. August Prehn, Columbia Grammar School, New York City.
Auszug aus dem Originalvortrag, gehalten vor dem 33. Lehrertag zu Erie, Pa.
Der Vortrag ,,Ein Bruch mit der Uberlieferung" war fiir die Ver-
treter der westlichen Staaten von vornherein dadurch interessant, dass
derselbe sich mit einem geographischen Gebiete befasste, mit welchem
die Mehrzahl der Konventsbesucher in gar keiner, oder nur sehr loser
Fiihlung stehen, und innerhalb desselben wieder mit einem grossen. Mit-
telpunkte, der Stadt New York, welche gemass den Ausfiihrungen des
Vortragenden unter den grossen deutschen Sprachinseln in den Verei-
nigten Staaten trotz eines hochentwickelten Vereinslebens, trotz deut-
scher Theater, Kirchen und reichlich ausgestatteter Bibliotheken nur
noch diirftige Spuren eines sprachlich deutschen Lebens aufweist. Die
heutige Generation der New Yorker Kinder deutscher Eltern kennt mit
wenigen Ausnahmen die deutsche Sprache augenscheinlich nur vom
Horensagen. Die besser gestellten Deutschen selbst haben den deutsch-
amerikanischen Schulen, deren es vor zwanzig Jahren noch eine Menge
gab, den Todesstoss versetzt, viele haben die deutsche Sprache sogar
vom hauslichen Herde verbannt und ereifern sich dann unbegreiflicher-
weise iiber das einmiitig ablehnende Verhalten ihrer eigenen Kinder und
der New Yorker Schulverwaltung in Sachen des Unterrichts in der
deutschen Sprache in den Elementarschulen.
Unter diesen Umstanden sollte der denkende Lehrer sich bestreben,
einen durch ortliche Verhaltnisse entwiirdigten Lehrgegen stand durch
die Anwendung ungeeigneter Grundsatze nicht vollstandig lahmzulegen.
Der Vortragende warnt vor der Erzeugung von Wahnvorstellungen
im Geiste der Anfanger, die in erster Linie durch den vorzeitigen Un-
terricht in der Grammatik, sowie die entsprechende Verzogerung des
Lese- und Sprechunterricht hervorgerufen werden. Er schildert das
176 Pddagogische Monatshefte.
Obersetzen von Satzchen ins Deutsche ohne eine ausreichende Bekannt-
schaft mit der Sprache als das schadlichste Mittel der Spracherzeugung
und empfiehlt an Stelle derselben, wo iiberhaupt ein Zwang vorliegt, die
Wiedergabe von idiomatisch zuverlassigem Material als das natiirliche
Prinzip der Erweckung eines richtigen Sprachgefiihls und will den Ge-
brauch der Grammatik auf die Einiibung der unentbehrlichen Abschnitte
beschrankt wissen, um den Scbiiler daran zu gewohnen, in dieser Wis-
senschaft statt einer gefurchteten Zuchtmeisterin und vermeintlicben
Sprachbildnerin eine treue, aber untergeordnete Beraterin in zweifelhaf-
ten Fallen zu sehen.
Der Vortrag richtet sodann seine Angriffe auf die Lacherlichkeiten
in den Ubungssatzen, welche selbst die besten Grammatiken enthalten,
und welche im Bunde mit dem unzeitgemassen Lesestoff der meisten
Biicher fiir Anfanger, Fabeln, Marchen und mittelalterlichen Schwan-
ken, im Gehirne des Durchschnittsschiilers ein Zerrbild vom deutschen
Kulturleben entwickeln.
Dass trotz aller Fortschritte auf padagogischem Gebiete der Unter-
richt in der deutschen Sprache nicht nur kein moderneres Geprage er-
halt, sondern immer ruckschrittlicher wird, schreibt der Vortragende
der Gleichgiltigkeit zahlreicher Lehrer, dem Despotismus von manchen
fachlich unmassgeblichen Aufsichtsbeamten und dem Charakter der Ein-
trittspriifungen unserer hervorragendsten Colleges zu. Er riigt es, dass
die ganze Wucht des Examens in der Grammatik und Satzbildung in
der fremden Sprache auf die niedrigste Priifungsstufe fallt und kniipft
daran die wohlberechtigte Frage, welchen Vorteil ein junger Mann aus
einer solchen Bekanntschaft mit der deutschen Sprache in denjenigen
Fallen zieht, wo die elementare Aufnahmepriifung gleichzeitig der
letzte Akt in der Tragodie der Spracherlernung ist, und was dann auf
diese Weise von denen erreicht wird, welche stets die Phrase von dem
idealen Einflusse der deutschen Sprache und Literatur im Munde fiih-
ren und ihren Schiilern die Eingangspforte verriegeln, statt als kundige
Fuhrer denselben einen Blick auf die vorhandenen Herrlichkeiten zu
eroffnen und von der ersten Stunde an so viel Lust und Liebe in ihnen
zu erwecken, dass der Erfolg nicht ausbleiben kann.
Die Mittel, welche die Ausfuhrung eines solchen Planes ermogli-
chen, sind einfach genug. Durch gehorige Ausbeutung der lautlichen
Verwandtschaften beider Sprachen liisst sich in kurzer Zeit ein Wort-
schatz anhaufen, mit dessen Hilfe die meisten zusammenhangenden Er-
zahlungen iibersetzt werden konnen, die unsere grossen Verlagshauser
auf den Markt bringen. Ein betrachtlicher Teil dieses Wortvorrates
kann gleichzeitig, wo das Bediirfnis dazu vorliegt, zu Gesprachsiibun-
gen verwendet werden, die bei fertig gegebenen grammatischen Formen
in systematischer Weise das ganze Gebiet der Wortstellung entwickeln
Ein 'Bruch mit der Ueberliefening. 177
miissen, und erst nachtraglich soil die Formenlehre, mit deren gesam-
tem Inhalt der Lernende inzwischen durch das anhaltende Lesen ver-
traut gevvorden ist, zur Einiibung gelangen.
Irgend ein Schiiler, der gegen fiinfhundert Seiten guter und fes-
selnder deutscher Texte gelesen hat, kann nicht umhin, die Beobachtung
zu machen, dass die idiomatische Verschiedenheit der beiden Sprachen
so gross ist, dass jede eigenmachtige Hervorbringung als ein Unding
erscheint, und dass die Sprachnachahmung, der wir alle in der sichtbar-
sten Gestalt beim Briefschreiben frohnen, der theoretischen Stiitze nicht
entbehren kann, und der Vortragende behauptet, dass die Grammatik
bei dieser Verschiebung ohne Schwierigkeit mit gutem Erfolge in sehr
kurzer Zeit bewaltigt werden konne und von den Schiilern als eine will-
kommene Gabe mit Freuden begriisst werde.
Um einen durchschlagenden Erfolg vpm ersten Augenblicke an zu
sichern, musse die Tat an die Stelle der Phrase treten. Es sei unnatiir-
lich, amerikanischen Kindlrn, die doch keine deutschen Kolonisten sind
oder sein sollen, ein Evangelium zu predigen, an das sie nicht glauben,
und sie durch das verbrauchte Reizmittel der geistigen Giiter zu kodern,
die sie so haufig im eigenen Hause von den in Deutschland geborenen
Eltern mit Fussen getreten sehen. Der Unterricht in der deutschen
Sprache sollte als ein niitzliches und unentbehrliches Glied der allgemei-
nen Bildung ohne jegliche Gefiihlsduselei behandelt werden, und wenn
wir unseren Zoglingen ohne schwulstigen Kommentar immer nur das
allerbeste in der schonsten Form darboten, so konnten wir eine Liebe
zur deutschen Sprache und eine Achtung vor dem deutschen Volke her-
vorrufen, um die uns der gewiegteste Diplomat beneiden diirfte.
Zur Abwehr.
Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika betitelt sich eine Schrif t, die von Dr. Julius
Goebel, Professor der deutschen Philologie und Literatur an der Stan-
ford-Universitat, Kalifornien, verfasst und vom Alldeutschen Verband
herausgegeben ist. (Miinchen, 190-4, J. F. Lehmanns Verlag.)
,,Die deutschamerikanische Geschiehte ist so recht die G e-
sc hie lite verpasster G el e gen licit en", das ist der Grund-
gedanke, der sich dureh die obengenannte Schrift hindurchzieht, und
mit Wehmut betrachten wir das Bild, das der Yerfasser vor unseren
Augen entrollt, das uns das ideale Streben, edle Menschenliebe, die
Liebe zur Freiheit, die ungeheure Arbeitskraft, das grosse Konnen, den
unermiidlichen Fleiss and die gewaltigen Zukunftsplane der dcutschen
Einwanderer auf der einen Seite, auf der anderen deren Enttausehungen
und den Niedergang des Deutschamerikanertums zeigt. Und das Bild
erscheint um so triiber, wenn wir an der Hand des Buches sehen, wie
die Misserfolge durch eigenes Verschulden — infolge der Uneinigkeit
der Deutschen, der elenden Kleinstaaterei, des Mangels an praktischem
Sinn und politischer Selbstandigkeit — und dadurch, dass das Hehnat-
land seine Solme im Stiche Hess, entstanden. Freilich fehlt es diesem
Bilde auch nicht an Lichtseiten; und es erfiillt uns mit Genugtuung,
wenn uns der Verfasser an der Hand geschiehtlicher Tatsachen die Teil-
nahme des Deutschamerikanertums an der politischen sowohl, als an
der kulturellen und wirtschaftlichen Entwickelung unseres Landes
nachweist. Es wiirde hier zu weit fiihren, wollten wir ins einzelne
gehen; ge'niige es zu sagen, dass der Hauptteil an der Kolonisations-
arbeit in Amerika von Deutschen getan worden ist, und dass in alien ge-
schichtlichen Wendepunkten deutscher Einfluss massgebend gewesen ist.
Aber wo ist die Anerkennung geblieben? Welche aussere Geltung hat
sich das Deutschamerikanertum verschafft? Wahrend einst ein Benjamin
Franklin noch vor der Germanisierung Amerikas warnte, zeigen sich
jetzt iiberall nur die Spuren ,,verpasster Gelegenheiten", und wir fiihren
einen ,,Kampf urns schwindende Yolkstum", um zu ret ten, was vielleicht
noch zu retten ist.
Das teuerste Gut, das der eingewanderte Deutsche mit einer ge-
wissen Zahigkeit festgehalten hat, ist seine Sprache. "Was zu ihrer Er-
haltung und Pflege getan worden ist und noch getan werden kann, dem
widmet der Verfasser seine besondere Aufmerksamkeit. Leider aber
zeigt er gerade in diesen Ausfiihrungen eine Einseitigkeit, die uns
zwingt, dagegen Stellung zu nehmen.
Zur Ab-dcehr. 179
Prof. Goebel sieht alles Heil fiir die Erhaltung der deutschen
Sprache einzig und allein in der Universitat. Xur der akademisch ge-
bildete Lehrer ist imstande, wirkliche Resultate zu erzielen. ,,Denn fiir
jedes deutschamerikanische Kind, auch fiir das gebildeter Eitern, be-
deutet die voile Erlernung und Beherrschung der deutschen Sprache ein
Studium, um so mehr, weil sich das Englische, als Umgangssprache, mit
seinen Idiomen immer wieder gewaltsani und verwirrend ins Sprachge-
fiihl drangt. Dieses Studium aber zu leiten ist der gewohnliche, semi-
naristisch gebildete Lehrer gar nicht befahigt." Mit Keulenschlagen
zieht er gegen die ,,halbgebildeten", ,,freisinnigen" Schulmeister aus
der nach 48er Periode, sowie gegen ihre Lesebiicher zu Felde, ,,wo das
Stroh freisinniger Jugenddichtung auf der Wassersuppe moralischer Er-
zahlungen herumschwimmt und dem deutschamerikanischen Kinde die
Sprache seiner Eitern verekelt."
Der im Jahre 1870 von ,,freisinnigen" deutschamerikanischen Leh-
rern gebildete Lehrerbund und das von ihm errichtete Schullehrersemi-
nar finden natiirlich auch wenig Gnade. Von einem Einfluss auf die Ent-
wickelung der amerikanischen Volksschule durch den Lehrerbund kann
keine Rede sein; denn ,,nur zu oft stellte er sich in friiheren Jahren den
amerikanischen Schulbestrebungen wenn nicht feindselig, so doch hoch-
iniitig abweisend gegeniiber".
Das deutsche Erziehungswesen hatte der Amerikaner unabhangig
von den Deutschen in Amerika entdeckt. (Merkwiirdigerweise nennt der
Verfasser bald darauf unter den Schulmannern, welche aus Amerika
nach Deutschland geschickt wurden, um das dortige Schulsystem kennen
zu lernen, Prof. Stowe, ,,der in Cincinnati die deutsche Lehrmethode
aneinerderdeutschenS c h u 1 e n hatte bewundern lernen/')
Mit der Ausdehnung und allmahlichen Verbesserung der amerika-
nischen Yolksschule ,,waren die paar Vereinsschulen mit wenigen Aus-
nahmen bald geliefert, zumal es mancher deutsche Knauser*) als Er-
*) Mit dem reichen Deutschamerikaner geht der Prof, scharf ins Ge-
richt, und wir konnen uns nicht versagen, seine Worte wiederzugeben:
,,Der reiche Deutschamerikaner ist mit wenig riihmlichen Ausnahmen ein
elender Knauser, der an seinem Besitze mit hitziger Zahigkeit festhalt und
ihn lieber lachenden Erben als einem gemeinniitzigen Zwecke hinterlasst.
Vergleichen wir die ungezahllen Millionen, die reiche Amerikaner, eiuem
Pflichtgefiihle folgend, mit fiirstlicher Freigebigkeit an Wohltatigkeits-
und Erziehungsanstalten geschenkt haben, mit dem, was ebenso reiche
Deutschamerikaner je weggaben, dann ergreift uns das Gefiihl ekler
Scham. Und mit diesem schiibigen Knausertum geht nicht selten der
Mangel an geistigen Interessen Hand in Hand; ja im Vergleich zu dem
grossartigen Bildungsstreben des Amerikaners ist der Deutschamerikaner
geistig tot."
180 Pfidagogische Monatshefte.
leichterung empfand, kein Sclmlgeld mehr zalilen zu brauchen". Um
nun das Deutsche zu retten, ,,schien nur noch ein Ausweg iibrig: den
deutschen Unterricht soviel als moglich in die amerikanische Volksschule
einzufiihren." Er schildert alsdann die verschiedenen Versuche, die dazu
gemacht wurden. Nur das Cincinnatier System findet bei ihm Aner-
kennung, wenn auch padagogische Einwiirfe seine Einfiihrung nicht
wiinschenswert erscheinen liessen. Im allgemeinen beweise die Besultat-
losigkeit des Unterrichts, dass ,,das Deutsche — da es als Fremdsprache
betrieben werden muss — so wenig eine Stelle in der amerikanischen
Volksschule hat, wie ein einjahriger Unterricht im Franzosischen etwa
in der deutschen Dorfschule."
Da nun natiirlich mit dem Aufheben des deutschen Unterrichts
das Lehrerseminar in seiner jetzigen Gestaltung unnotig ware, so sollte
sieb dasselbe sobald als moglich in eine hohere akademische Lehranstalt
umwandeln. Es sollte ein ,,Hochsitz des Studiums der deutschen Philo-
logie und Literatur werden, wo deutschamerikanische Lehrer der deut-
schen Sprache — Amerikaner bringen es selten zur volligen Be-
herrschung des Deutschen — theoretisch und praktisch herangebildet
wurden."
"Wir haben versucht, die Ansichten Prof. Goebels, soweit wie mog-
lich, in seinen eigenen Worten wiederzugeben. Bei aller wohlwollenden
Beurteilung ist es uns nicht moglich geworden zu erkennen, welches denn
nun eigentlich seine Vorschlage sind, die bessere Eesultate herbeizu-
fiihren imstande waren. Er greift an — sind diese Angriffe aber wirk-
lich notwendig gewesen? Heutzutage erkennt jeder verniinftige Lehrer
an, dass die Sache des Deutschtums weder mit Eeligion noch Freisinn
verquickt werden darf. Wozu also die Ausfalle gegen eine Bewegung,
die, soweit die Schulein Betracht kommt, langst abgetan ist? Er erwartet
von den Vereinsschulen Hilfe, gesteht aber deren Verfall ein. Er
zollt den Kirchenschulen gerechterweise hohes Lob. Sie haben viel zur
Erhaltung der deutschen Sprache beigetragen. Aber auch dort wachst
leider ein neues Geschlecht heran. Ihnen war die Erhaltung der
deutschen Sprache nie Endzweck, sondern nur Mittel zum Zweck. Mit
dem Nachlassen der deutschen Einwanderung und der Anglisierung der
hier geborenen Deutschamerikaner wird das Aufgeben des Deutschen
eine notwendige Folge werden, und die Leiter der Kirchengemeinden
werden eben ihres Endzweckes wegen williger fur die Umwandlung zu
haben sein, als es die Leiter der ,,freisinnigen" Vereinsschulen je
waren.*)
*) Die Anzeichen fiir diese Umwandlung sind leider schon allzu zahl-
reich vorhanden: In vielen friiher strong deutschen Gemeinden wird jetzt
deutsch und englisch gepredigt; ja. urn die Osterzeit berichteten Milwau-
Zur Abwehr. 181
Prof. Goebel wiinseht eine deutsche Schule mit deutscher Methode
und deutschem Geiste. Das sagt er als Advokat des alldeutschen Ver-
bandes. Sind die Ziele dieser Yereinigung aber wiinschenswert, auch
wenn sie bei dem stark pulsierenden nationalen Leben in unserem Lande
erreichbar waren? Diese wiirden einen Kiickschritt in unserer nationalen
Entwickelung bedeuten. Eine Schule in seinem Sinne hatte heute nur
da die Moglichkeit der Existenz, wo sich das gebildete Deutschtum und
das gebildete Amerikanertum die Hande reichen. Den breiten lioden
aber finden die berechtigten Bestrebungen des Deutschamerikanertums
einzig und allein in der amerikanischen Volksschule; sie miissen wir zum
Bimdesgenossen gewinnen und in ihr unser Arbeitsfeld suchen. Gewiss
ist die amerikanische Volksschule auch nicht das, was sie sein soil. ,,Sie
ist vom eigentlichen Geiste deutscher Padagogik noch wenig beriihrt.
Neben geisttotendem Mechanismus und einseitigem Abrichten der Ver-
standeskrafte wird hier durch Tausende von Lehrerinnen ein hysteri-
scher Patriotismus geziichtet, der Yerstandnis und Liebe zu einer ande-
ren Sprache und zu einem anderen Yolkstum gar nicht aufkommen
lasst". Aber hier ist doch andererseits die Moglichkeit zum Besserwerden
gegeben. Die Eeihen derjenigen, die die Mangel sehen, werden immer
grosser. Der Fortschritt ist sichtbar, mehr in der Elementarschule als
in der Hochschule (High School),, wo der Mechanismus — wir erinnern
iiur an die Prozentwirtschaft — fast arger als je sein Unwesen treibt. Das
Grosse und Sehone, das in der Kenntnis einer zweiten Kultursprache
liegt — und willig spricht man der deutschen Sprache die Palme zu —
wird in immer weiteren Kreisen empfunden und verstanden.
Aber erst in den High-Schools will Prof. Goebel den deutschsprach-
lichen TJnterricht beginnen. Hier halt er ,,in einem 3 — 1 jahrigen Kur-
sus, bei guten Lehrmitteln und einer akademisch gebildeten Lehrerschaft
wirkliche Eesultate fiir moglich". Hier also soil dem Herrn Professor ein
Material geliefert werden, mit dem er das hohe Ziel erreichen will, das
ihm bei seiner Arbeit vorschwebt? Wenn aber der Unterricht in der
Yolksschule beganne, dann ware dies nicht moglich? Doch ja, da unter-
richten keine akademischen Lehrer! Prof. Goebel spricht von einer
ywanzigjahrigen Erfahrung. Wenn er wahrend dieser Zeit je die Arbeit
des deutschamerikanischen Lehrers beobachtet hat, dann begeht er mit
seinem Urteil eine Ungerechtigkeit, die unverzeihlich ist. Er mtisste ge-
sehen haben, wieviel ernste Arbeit, wieviel Hingabe, wieviel padago-
keer englische und deutsche Zeitungen — jene mit einem gewissen Gusto,
diese unter verlegenen Entschuldigungsworten — von einer separaten
englischen Konfirmation an einer deutschen Kirchengemeinde.
182 Pddagogische Monatshefte.
gisches Kb'nnen zu finden 1st.*) Freilich lauft viel Afterwirtschaft mit
unter, und wir finden unter den deutschamerikanischen Lehrern aueh
Mietlinge und Verrater an ihrer Sache. Sind die Universitaten und
Hochschulen ganz frei von solchen?
Wenn die Universitaten das im deutschsprachlichen Unterricht er-
reichen wollen, was Prof. Goebel vorschwebt, dann muss dieser Unter-
richt so friih als moglich beginnen. Unser Schulsystem — die allge-
meine Volksschule — verweist uns dann ganz von selbst auf die Elemen-
tarschule. Und die Lehrer an den hoheren Schulen sollten ihren ganzen
Einfluss geltend machen, dass der Unterricht dort gestarkt werde, dass er
organisch in den Lehrplan aufgenommen und von padagogisch tiichtigen
und sprachlich griindlich vorgebildeten Lehrern und Lehrerinnen er-
teilt werde. Unser Lehrerseminar hat die Aufgabe, solche Lehrkrafte
heranzubilden. Wie weit es seiner Pflicht nachkommt, das sollen die be-
urteilen, die dazu berufen sind. Sicher ist es, dass die Zoglinge des Se-
minars Liebe und Begeisterung zum Lehrerberuf in ihre Amtstatigkeit
hinausnehmen. Sie besitzen padagogisches Konnen; es fehlt ihnen viel-
leicht an Philologenweisheit, sie sind auch nicht so fruchtbar in der
Herausgabe von Schulausgaben; aber der Geist der deutschen Sprache
wohnt in ihnen, und ihr sprachlich.es Konnen kann sich im Durchschnitt
mit dem Gros der akademisch vorgebildeten Lehrer messen.
Der Herr Professor sollte nicht zu den vielen ,,verpassten Gelegen-
heiten" nun noch die zufiigen, dass er sich des wichtigsten Faktors zur
Geltendmachung der deutschen Sprache, der Volksschule, und dadurch
des Erfolges seiner Bestrebungen begibt. Wenn er ehrlich sein will, so
muss er doch zugeben, dass die Universitaten bei weitem das nicht lei-
sten, was bei einem geordneten deutschen Sprachunterricht ge-
leistet werden konnte. Wie oft muss sich der Universitatsprofessor mit
Quartanerarbeit begniigen! Und das nur darum, weil die Grundlage, die
in der Jugend des Schiilers gelegt werden muss, fehlt.
Wenn wir einmal erreicht haben werden, dass der deutsche Un-
terricht von der Volksschule an bis herauf zur Universitat systema-
tisch geordnet ist, dann kann vielleicht einmal eine solche Hochschule,
zu welcher Herr Prof. Goebel das Seminar machen will, notwendig wer-
den. Fiir die Anspriiche von heute geniigen die Universitaten vollstan-
dig, und sie werden geniigen, auch wenn die ersteren noch verdoppelt
und verdreifacht wiirden. M. Q.
*) Prof Goebel empfiehlt zur Ilebung- Jes deutschen Sprachunterrichts
die Stsirknncr der Vereins- und Kirchenschulen. Sollen die Lehrer dersel-
ben auch akademische Vorbildung haben; oder sind diese avis einem an-
deren Holze geschnitzt als der seminaristisch gebildete Lehrer der Volks-
schule?
AHerlei.
Schiilerehre. Schiilerehre ist in unserm Sprachgebrauch kein
gebrauchliches Wort. Wir sprechen wol von Manner- und Frauenehre, von
Biirger-, Soldaten-, Studentenehre etc., dass aber auch der Schiller seine
Ehre besitzt, die man ihm nicht ungerechterweise angreifen soil, wird bin
und wieder von einem Erzieher vergessen. Einen Schiller in seinem Ehr-
gefiihl unbegriindeterweise zu kranken, ist ein Unrecht.
Wer Ehrgefiihl besitzt, kommt freiwillig den moralischen Gesetzen
nach, welche in einer Lebensgemeinschaft gelten, der es angehort. Eine
Frau mit Ehrgefiihl wird stillschweigend und ungezwungen alien An-
forderungen einer sittlichen Lebensart folgen, welche wir von einem guten
Weibe erwarten. Und so der Burger, der Soldat, der Student, jeder in
seinem Kreise. Wird diese gute Lebensfiihrung von irgend jemand ange-
zweifelt, so wird sich der Betroffene in seinem Ehrgefiihle verletzt fiihlen
und sich wehren, bis die ihm angetane Schmach gesiihnt und der aufge-
driickte Makel weggenommen ist. — Auch der Durchschnittsschiiler hat
das Bestreben, den Gesetzen eines guten Lebenswandels nachzukommen,
das zu tun, was Eltern und Lehrer billigerweise von ihm fordern konnen.
Der gute Wille zum mindesten wird dazu bei den Schiilern in der Kegel da
sein. Mangelhafte Kenntnis der Welt und ihrer Anforderungen, un-
klare Vorstellungen iiber gut und bose, recht und unrecht und ein unge-
bandigter starker Wille lassen die Schiller oft den Weg verfehlen und zu
falschen Mitteln greifen. Die Absicht aber zu einem ehrenhaften Leben
werden wir ihnen nicht absprechen durfen.
Wie es die Erwachsenen krankt, wenn ihr Ehrgefiihl verletzt wird, so
schmerzt es die Kinder, wenn man ihre Ehre betastet, und in diesem Falle
sind diese meist viel schlimmer daran, als jene. Ein Burger oder ein Sol-
dat oder eine Frau, deren Ehre angegriffen wird, werden sich zu helfen
und zu wehren wissen. Ein Schtiler, dem Ehrlosigkeit vorgeworfen wird,
steht in vielen Fallen ja meistens dem Vorwurf hilflos gegeniiber.
Das Ehrgefiihl kann durch die Lehrer hauptsachlich in zweierlei Art
gekrankt werden: durch Argwohn und durch ungerechten, iibertriebenen
Tadel.
Es gibt Lehrer, zu deren padagogischer Maxime es geradezu gehort,
den Schiilern fortwahrend Misstrauen entge^enzubringen, von ihnen von
vornherein das Schlechte zu denken. Das zeigt sich etwa bei den Unter-
suchungen gegen die Schiller, die kleiner Vergehen gegen die Schulord-
nung, wie solche an jeder Schule von Zeit zu Zeit vorkommen, angeklagt
sind. Da wird jede Kleinigkeit zu einem Kriminalfall aufgebauscht, zu
einer an den Gerichtssaal erinnernden Untersuchung, die an und fur sich
schon, auch wenn sie Schuldige trifft, die Kinder anwidert. Aber nicht
/ufrieden damit, einen oder zwei Hauptiibeltater erwischt zu haben, deh-
nen solche Untersuchungsrichter ihre Tatigkeit gerne etwas aus und fan-
gen an ins Blaue hinein den einen oder andern Schiller zu beschuldigen,
ihn dieses oder jenes Verschuldens zu bezichtigen. Die Kinder sollen damit
eingeschiichtert und eher zu einem Gestandnis getrieben werden. Hat der
Lehrer aber wirklich einen Unschuldigen vor sich, den er ohne Grund eines
Fehlers zeiht, so wird der Betroffene tief gekrankt, ohne sich iibrigens
184 Pa.lagogische Monatshefte.
stark genug wehren zu konnen. Der Lchrer aber steht in den Augen des
Schiilers erbarmlich da, als ein kleinlicher umvahrhafter Mensch, der sich
dariiber freut, seine Macht dem Schwachern gegeniiber zu missbra lichen.
Aus diesem Gefiihl entspringt Widerwillen, Abneigung, Hass gegen den
Lehrer und die Schule, und schwer halt es dein Schiiler selbst, dieses Ge-
fiihls los zu werden. Es folgt ihm wie ein boser Schatten lange iiber die
Schulxeit hinaus.
Man kanh sich als Lehrer in den Argwohn gegeniiber den Schiilern
ganz verrennen. Aus Versehen lasst ein Schiiler ein Buch fallen, was eine
Stoning verursacht; der argwohnische Lehrer empfindet das als ein Arger-
uis. Schiiler werden oft wegen der unbedeutendsten und albernsten Klei-
nigkeit zum Lachen gereizt; der schwache, argwohnische Lehrer glaubt
sogleich, man lache ihn aus. Und so in hundert Fallen. Hinter allem,
was die Schiiler tun, fragen u. s. w., sucht man schliesslich etwas Boses,
Absichtliches. Die Schiiler werden durch die vielen Beschuldigungen ge-
kriinkt und fangen an, den Lehrer zu hassen. Der Lohn seiner Arbeit ist
dahin.
Ebenfalls verletzend fur das Ehrgefiihl der Schiiler ist ein roher Ta-
del, welcher in seinem Mass nicht im Verhaltnisse zum Vergehen steht.
Xiemand lasst sich in seinem spatern Leben auch nur den geringsten
Schimpfnamen aiihangen. Ist es da zu verwundern, wenn sich ein Gym-
nasiast einer obern Klasse auflehnt, wenn der Lehrer ihm an den Kopf
wirft, er sei versimpelt, \vfeil er eine unrichtige lateinische Perfektum-
form gebraucht hat? Oder ist der Schiiler nicht im Ilecht, gekriinkt zu
sein und gering von dem Lehrer zu denken, der ihm vor seinen Kaniera-
den vorhiilt, aus ihm werde Zeit seines Lebens nichts Rechtes, weil er ir-
gend eine Dummheit gesagt hat? Mit solchen albernen Drohungen scha-
det der Lehrer sich selbst und der Schule.
Die Ehre des Schiilers verdient es, vom Lehrer geachtet zu werden.
Man richtet entschieden weniger Unheil an, hie und da zu wenig arg-
wohnisch zu sein, oder zu milde zu strafen, als die Schiiler mit zu viel
Argwohn und Tadel zu verletzen. Krankungen in der Schule werden oft
das ganze Leben nicht mehr vergessen.
P^ndlicn sollte ein Lehrer auch die Grosse haben, einem Schiiler gegen-
iiber, den er falsch beargwohnt oder ungerecht gestraft hat und dessen
Unschuld spa'ter an das Tageslicht tritt, seinen Fehler zu gestehen und
durch offene Aussprache gut zu machen.
(Willi Nef. Schweizerische Lehrerzeitung.)
Patriotismus, — n i c h t Jingoismus. ,,Kind und Heimat
— wie natiirlich! Man weiss ja, dass die Kleinen zwar gern nach aussen
s-treben, aber noch lieber heimkehren. Da kniipfe man an, lehre sie Liebe
zum Hause. Ein eigener Herd, eine Familie, in diesem Kreise ist der
Mensch vor dem Argsten bewahrt; in diesem Kreise entwickelt sich leicht
die Aufmerksamkeit, die Opferwilligkeit, das Selbstvertrauen und die
Zufriedenheit; in diesem Kreise gedeiht die Liebe zur Gemeinde, die Treue
iiim Vaterlande. Nicht so sehr jenen Patriotismus liebe ich, der unsere
Sohne auf das von Staatslenkern ausgemesfene Schlachtfeld jagt und sie
dort sterben heisst, sondern jenen, der fiir das Vaterland 1 e b e n lehrt.
Gegen feindliche Einfiille z u s c h 1 a g e n, ja! Das ist manubar und
echt. Aber nur nicht selbst anfangen. Oft hat der Patriotismus seine
Wurzel in Vorurteilen, so sollte man die Kinder lehren, wo er aufhort, eine
Allerlei. 185
Tugend zu sein. Xebst der Liebe fur das Heimatland hat im Menschen zum
Oliick auch noch eine Liebe fur die ganze Welt Platz. Anstatt die Kinder
fiir die Kriegshelden der Geschichte zu begeistern, ist es besser, ihneu vor
dem Kriegshandwerk den zornigsten Abscheu einzuflossen. Die Idee, aus
was immer fiir eineni Grunde unschuldige Menschen toten zu diirfen, muss
allmahlich im Menschengeschlechte ausgeloscht werden."
Das sind wahre und fiir uns Lehrer beherzigenswerte Worte, geschrie-
ben von dem humor- und gemiitvollen P. K. Rosegger, und zwar in der
\vundervollen Erzahlung ,,Die Schriften des Waldschulmeisters", welche
ich alien Kollegen dringend zum Lesen empfehlen mochte. Diese Worte
liber den wahren und echten Patriotismus passen auch fiir unser Land
und besonders fiir unsere jetzige Zeit ganz ausgezeichnet. Den gemeinen,
riiden und grossmauligen Jingoismus, welcher hier jetzt so recht iippig
ins Kraut schiesst, und der von der gelben Sensationspresse so geflissent-
lich geniihrt und unterhalten \vird, verwechselt man jetzt so vielfach mit
Patriotismus. Selbst unsere Schuljugend wird schon davon angesteckt.
Die fortwahrenden Hetzereien in den Jingobliittern erhitzen das Blut und
entflammen die Eauf- und Kriegslust bei Jung und alt. We can fight the
whole world! Das ist die herrschende Stimmung. Als ob das grausige und
blutige Kriegshandwerk ein nobles und ruhmreiches Gewerbe ware.
Wohl sollen wir Lehrer in der Schule den Kindern Liebe und Treue
zum Vaterlande und zugleich Achtung, Verehrung und Begeisterung vor
den Kriegshelden in dem Befreiungskriege einzuflossen suchen; aber eben-
sowohl ist es auch unsere Pflicht, wie Kosegger sagt, den Kindern Abscheu
und Entsetzen vor Morden und Blutvergiessen im Kriege beizubringen.
Man sollte denken, jeder Lehrer sollte selbstverstandlich sich in iiberein-
stimmimg erklaren mit den Bestrebungen der Friedensliga in Deutschland,
<1ie das Motto ,,Die Waffen nieder!" auf ihre Fahne gsehrieben hat. Was
niitzt uns aller Fortschritt und alle geriihmte Zivilisation, wenn die alte
Barbarei des Kriegfiihrens noch immer unter uns bestehen bleibt? Sollten
nicht gerade wir, das Yolk der Vereinigten Staaten, die wir uns doch so
gern das reichste, miichtigste, intelligenteste und humanste Yolk der Erde
nennen, es als unsere Aufgabe ansehen und diese edle Mission uberneh-
men, alle Kriege und alles Yolkermorden und Blutvergiessen unter den
Yolkern zu verhindern suchen, unu alle Streitigkeiten unter denselben auf
giitigem Wege zu schlichten, wie es zwischen den einzelnen Individuen
doch auch geschieht? Leider haben wir die beste Gelegenheit hiezu vor-
iiber gehen lassen, namlich in dem barbarischen und grausamen Kriege
zwischen England und den Buren. Ja, noch mehr, wir haben durch unser
Stillschweigen England zugestimmt, nach dem alten romischen Rechte und
Grundsatz: qui tacet, consentet. Doch wir konnen das vielleicht wieder
gut machen, wenn wir die Buren hier in unserem Lande aufuehmen und
ihnen Land und Heimstiitten verkaufen.
Unsere Jingos mochten es nun auf keinen Fall mit England verder-
ben; aber gar zu gerne mochten sie uns gegen Deutschland verhetzen und
zum Kriege gegen dasselbe treiben. Deutschland ist ja iiberhaupt nach
ihrer Ansicht immer das Karnickel gewesen, das nur Boses gegen uns im
Schilde fiihrt. Gliicklicherweise ist unsere Eegierung verniinftiger, und
vor allem President Roosevelt weiss die Freundschaft Deutschlands zu
fichiitzen, und er hat in seiner Rede hier in Milwaukee den Jingos fiir ahre
Hetzereien gehorig den Kopf gewaschen. Er scheint auch iiberhaupt nicht
186 Pddagogische Monatshefte.
fur kiinftige Eroberungs- und Raubpolitik zu schwiirnien, \vie er sich
deutlich genug in der Kede in St. Louis bei der Denkfeier der
Erwerbung des Louisiana Landgebiets dahin ausdriickte. Er sagte
dort am Schluss seiner Rede: ,,Wir miissen kiinftig auf den rein
mannlichen Tugenden bestehen, der Tugend der Zuriickhaltung, der
Selbstbeherrschung und der Riicksichtnahme a\if die Eechte anderer; wir
miissen im offentlichen und privaten Leben in gleicher Weise unsern Ab-
Kcheu vor Grausamkeit, Brutalitat und Verderbtheit zeigen. Wenn wir
eine dieser Eigenschaften vermissen lassen, so werden wir sichtliche Fehl-
schllige erleiden. Doch wenn wir diese Eigenschaften in noch lib'herem
Grade ausbilden, dann werden wir aus unserer Republik den freiesten,
ordnungsliebendsten, den gerechtesten und miichtigsten Staat erschaffen,
der jemals dem Schosse der Zeiten entsprungen." A. W.
Padagogische Aphorismen.
Von Peter Rosegger.
Das erste und allcrerste Lebenszeichen, welches in dem jungen Menschen-
kinde die aul'keimende Seele von sich gibt, ist die Offeubarnng der Selbstliebe.
Ob Menschenliebe daraus wird oder Selbstsucht, das entscheidet die Erziehuug.
Eiu Schleif stein paszt nicht fiir alle Messer; niancher Schiller lernt mehi
iiu Leben als in der Schule.
Soil man den Kindern sagen: Die Weltordnung ist nichts weniger als gut,
die Menschen sind unvollkominen, armselig, ihr Dasein ist zwecklos, das
Leben ist em Ungliick?
Soil man ilmen die schlechten. und guten Seiten zeigen, ihnen alles niich-
tern auseinandersetzen, wie es uns selbst erscheint?
Oder soil man sie in ihrem Sehen, dasz alles grosz, wunschenswert und
zum besten sei, bestarken?
Das erstere wird ein Erzieher tun, der weder Yernuuft noch Herz hat?
das zweite wird ein Erzieher tun, der Yernuuft hat; das dritte wird ein Er-
zieher tun, der Yernunft und Herz hat.
luimer besser, man schiichtere den Mund der Kinder ein als ihre Hande.
Uud haben sie etwas Gefehltes getan, etwas Verkehrtes vollbracht, so gebc
man ihneu Gelegeuheit, es noch einmal uud besser zu machen.
Die Schule allein kann freilich nicht alles tun; sie lehrt die Jugeud, aber
sie vermag dieselbe nicht zu erziehen. Mit welchen Organen saugt das junge
Baumchen mehr Nahr- und Lebensstoff an sich, mit den Zweigen und Blat-
tern aus der freien Luft oder mit der Wurzel aus dem Boden, dem esi ent-
sproszt? Was das Kind durch die Schule aufuimmt, musz miihsam verar*
beitet werden, aber die Beispiele und Anleitungen der Eltern gehen unwill-
kiirlich in Fleisch und Blut iiber. Den Elteru obliegt es, ini Kinde den Grund
zur gedeihsamen Weltanschauung zu legen.
(Eduard Siegers in ,,0st. Schulbote.")
Berichte und Notizen.
I. Das erste Dichterfest in Amerika.
Die Baltitnorer Blumenspiele, abgehalten am 21. April 19O4.
Von C. O. Schoenrich, Baltimore.
(Fiir die Padagogisciien Monatshefte. )
,,Sei gegriisst, du Stadt der Musen,
Heut von Deutschlands Irikolore,
Da das Dichterfest Du feierst
Selbst in Deinem Trauerflore,
Baltimore, Baltimore."
(Dr. Fastenrath, Koln.)
Die ,,Jeux floraux" oder Blumenspiele entstanoen im 14. .Tahrhundert
in Siid-Frankreich. Es waren poetische Tourniere, auf denen mit den Waf-
fen des Geistes gefochten wurde, wie im wirklichen Tournier mit der
Lanze. Sieben Preisrichter batten ihr Urteil abzugeben, und den Siegern
iiberreichte die Blumenkonigin ihre Preise: teils frische Blumen, teils in
Gold und Silber gearbeitete. Es war ein inniges, ideales Fest inmitten des
Alltagslebens. Von der Provence verbreiteten sich die Blumenspiele nach
Spanien, wo sie besonders in Catalonien bis auf den heiitigen Tag gefeiert
werden. Seit 1898 sind durch den feinsinnigen Dr. Fastenrath diese Dich-
terwettkampfe in Koln eingefiihrt, und sie haben bereits eine tiefgehende
Bedeutung im geistigen Leben des deutschen Volkes gewonnen, indem sie
einen Brennpunkt rein idealen Lebens inmitten krassen Geldmaterialismus
geschaffen haben, und einen Damm gegen bedrohliche literarische After-
stromungen.
Von Koln ist das Dichterfest in diesem Friihling nach Baltimore ver-
pflanzt worden. Warum es nicht, wie in der frohlichen Rheinstadt, am
ersten Maisonntag gefeiert wurde? Nun, aus zartfuhlender Eiicksicht,
man wollte die Kreise des heiligen Puritan nicht storen. — Die Durch-
fiihrung unseres schonen Festes geschah ganz nach dem Plan, wie er in
der Januarnummer der P. M. eingehend mitgeteilt worden war, und die
weihevolle Stimmung wurde durch gewahlte Musik und kiinstlerischen Ge-
sang gekraftigt. Der mit Guirlanden und Pflanzen geschmackvoll de-
korierte Bankettsaal des tonangebenden Germania Clubs war bis auf den
letzten Platz mit festlich gekleideten Herren und Damen gefiillt, und vom
goldenen Tronsessel herab erteilte die Blumenkonigin die Preise. Nur eine
geringe Zahl der Preisgedichte hatte zum Vortrag gelangen konnen, und
diee. war in den meisten Fallen von den Dichtern selbst geschehen.
Es waren 305 Gedichte eingegangen, wovon neun als nicht den Be-
dingungen entsprechend axisgeschieden worden waren. 31 Preise und
ehrenvolle Erwahnungen wurden 22 Verfassern zxierkannt; einige siud
also mehrfach siegreich gewesen; so wurde Pastor Hildebrand, der Dich-
ter des Kaiserpreislieds, fiinfmal vor den Tron der Blumenkonigin gerufen.
Die Sieger wurden teils mit den schon friiher beschriebenen Preisen, teils
mit Ehrendiplomen belohnt; die Namen derselben sind, wie folgt:
188 Pddagogische Monatshefte.
Liebeslieder (78 waren zur Beurteilung gekommen) : Pastor A.
W. Hildebrandt, Greenfield, Mass.; Frau Martha Toplitz, New York; Frau
Elisabeth Eudolph, Baltimore; Anna Wiinn, Dresden; William Apel, Mil-
waukee; Oskar Illing, Detroit; Wilhelm Wageniann, San Francisco.
Zum Preise des D-e utschtums (42) : Konrad Nies, St. Louis;
Pastor A. W. Hildebrandt; Edna Fern, St. Louis; Pedro Ilgen, St. Louis.
Balladen und Novellen (42) : Konrad Nies; Edna Fern; Dr.
Berthold A. Baer, Seranton, Pa.
Geschiche der Deutschen in Amerika (17) : Pastor A.
W. Hildebrandt; Dr. Emil Schneider, Hoboken; Dr. H. H. Fick, Cincinnati.
Religiose Gedichte (26): Pastor Paul Wienand, Brooklyn;
Pastor A. W. Hildebrandt; William Apel; Carrie, Freifrau v. Veltheim,
Berkley, Californien.
Sangbare Lieder (27): A. O. Miiller, Davenport, la.; Dr. B. A.
Baer; Erwin T. Bussmann, Newark; Hugo Feix, Hoboken.
Sangbare Lieder mit Tonsatz (14): Oskar Illing, Detroit;
H. W. Hartmann, Miinchen.
Humor (50): Paul Brandner, ><ew York; Pastor A. W. Hildebrandt;
Hermann Schening, Milwaukee; , New Jersey.
Der zugemessene Raum gestattet nicht einmal die Titel der preisge-
kronten Gedichte anzufiihren, geschweige denn die eine oder andere der
vorgetragenen Dichtungen, gar kostliche Perlen; es sei nur angedeutet,
dass Konrad Nies mit seiner ergreifenden Schopfung ,,Die Rache der
Walder" die Palme des Abends davongetragen hat. Dr. Fastenrath hatte
eine in Silber getriebene kiinstlerische Nachbildung des Kolner Doms als
ersten Preis fiir religiose Dichtung iiber den Ozean geschickt, er wurde
Herrn Pastor Wienand zuerkannt fiir das tief empfundene Gedicht ,,Ich
will vergelten!" Die preisgekronten Gedichte werden in einem Band ver-
offentlicht werden, und da hervorgehoben wurde, dass sich unter den nicht
ausgezeichneten schone Sachen fanden, die eben so viel Recht haben, be-
kannt zu werden, schliigt Dr. Henrici vor, selbe zu sichten und in einem
Anhang dazu zu geben, oder in der Presse, etwa dern in Cleveland er-
scheinenden ,,Deutschen Magazin" zu veroffentlichen — nicht als zuriick-
gelegte Ware, sondern als iiberscnaumenden Champagner.
Wrohl fehlten einige der bekanntesten Dichternamen, sei es, dass sie
diesmal noch nichts eingesandt hatten, sei es, dass sie nicht die Tone an-
geschlagen haben, die der Gesamtstimmung der sieben Richter entsprach.
Freilich hatten sich unter diesen selbst die Urteile initunter grundver-
schieden gezeigt, und manche Entscheidung konnte nur durch eine knappe
Abstimmung erfolgen, als sie nach mehrwochentlicher Einzelpriifung die-
selben gegenseitig austauschten. tiber den Geschmack im allgemeinen
lasst sich eben nicht streiten, und iiber den Kunstgeschmack im besondern
erst recht nicht, die einen halten dies fiir gut und preiswiirdig, die andern
jenes. So ist die Tatsache zu erklaren, dass am ersten Mai in Koln ein
Gedicht ehrenvoll erwahnt wurde, das zehn Tage zuvor in Baltimore leer
ausging. Diese Tatsache wird den Nichtgekromen, die mit dem Spruch
bei den Baltimorer Blumenspielen unzufrieden sein sollten, eine gewisse
Genugtuung gewahren.
Wenn man bedenkt, dass der Gedanke eines solchen Dichter-Wett-
kampfes in diesem Lande vollig neu war, auch an gar nichts Vorhandenes
Komsponden^en. 189
ankniipfen konnte, und dass trotzdem ein nicht zu bezweifelnder Erfolg
errungen wurde, so kann Amerika mit Befriedigung auf dies Ergebnis
blicken. Und die hochste Anerkennung seitens des gesamten Deutschtums,
liier und auswarts, gebvihrt dem genialen Ingenieur-Dichter, Dr. Ernst
Henrici, dem Begriinder der Baltimorer Blumenspiele. Blumenspiele —
es ist ja nur ein poetischer Xame fur eine ernste Sache, eine Kulturtat,
die vom ,,Spiel" weit entfernt ist — waren und sind auch jetzt der
Krystallisationspunkt reinen Idealismus, bewussten ethischen Strebens,
wie das durch die alte Devise ,,Vaterland, Glauben, Liebe" zusammenge-
fasst wird.
Das war die Auffassung des Begriinders der Baltimorer Blumenspiele,
das war die Auffassung, die im Laufe des Festes in ergreifender Weise
durchdrang. Wer Saiten in sich hat, die beim Schonen, Edlen und \Vahren
erzitternd schwingen, dem werden die EindriicKe dieses Festes eine be-
seligende Erinnerung bleiben. Mogen all die Lieder und Dichtungen hin-
ausklingen in die Menschenherzen, fiir die sie bestimmt sind, und dort die
Empfindungen wecken, die sie bei den Festteilnehmern hervorriefen.
Dieser Artikel beginnt mit einem Vers aus dem poetischen Festgruss,
den Dr. Fastenrath, der deutsche Troubadour, von Koln heriibersandte, er
schliesse nun mit zwei Versen aus dern Eroffnungsgruss, den der hiesige
Trotibadour, Dr. Henrici, der ersten amerikanischen Blumenkonigin in den
Mund legte :
,,Das ist der Lenz, der zog herein
Und schenkte uns Blumen vom deutschen Ehein,
Blauveilchen, Maiglockchen und Eosenglut,
Die brachte der Lenz uns iiber die Flut.
Nicht Blumen, geknickt fiir den Totenschrein,
Der Lenz bringt uns Blumen mit Wiirzelein.
Wir pflanzen sie heute mit frommer Hand,
Mit hoffendem Herzen in diesem Lanu."
II. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogisclien flonatshefte.)
Baltimore. segemvirkenden Musteranstalt nah-
Die Johns Hopkins Uni- men ein ganzes Hfhisergevierte am
versitat ist durch die Gross- schonsten und hochstgelegenen Teil
herzigkeit des Olkonigs Rockefeller des Broadway ein.
von einer schweren Sorge befreit Auch dem Maryland Insti-
worden. Derselbe hat niimlich dem t u t degsen ausgedehntes Gebiiude,
Umversitatshospital die Summe von . , ., , . , ,
500,000 Dollars bedingungslos ge- ^vie bereits benchtet, in jener
schenkt. Diese Summe und dazu die Schreckensnacht der ganzhchen Zer-
erhaltenen Versicherungsgelder rei- storung anheimfiel, ist Hilfe gewor-
chen gerade hin, um an Stelle der den, inrlem die Staatslegislatur
vom Feuerdamon zerstorten achtzig $^75,000 clafiir bewilligte, allerdings
Lagerhauser, die zum Grundvermo- lange nicht so viel, als verlangt wor-
geii des Hospitals gehorten, neue den war. Von den Versicherungs-
Gebaude aufzufiihren, was auch so- geldern werden nur $100,000 ein-
fort geschehen wird, so dass das gehen, da mehrere der lokalen Ge-
Hospital schon in wenigen Mo- sellschaften nicht im stande sind,
naten wieder das normale Einkom- dje vollen Betriige auszubezahlen.
men geniessen wird. Die stattlichen Einige derselben sind eingegangen.
Gebiiulichkeiten und Anlagen dieser Es sei hier erwahnt, dass sich die
190
Padagogische Monatshefte.
beiden lokalen deutschen Gesell-
schaften bei der iiberaus traurigen
Brandkatastrophe riihinenswert aus-
zeichneten. Sie zahlten prompt die
vollen Summen aus, im ganzen 1
i[i Hi on und 200,000 Dollars, und da-
bei bleib noch bei der iilteren das
Stammkapital, % Million Dollars,
unberiihrt.
Die offentlichen Abend-
s c h u 1 e n haben ihren sechsmonat-
lichen Kurs beendet. Derselbe er-
weist sich nac^i den einberichteten
Beforderungen erfolgreicher als je.
Jn der Abendschule, welcher der
Schreiber als Prinzipal vorsteht, und
die sich in der Hafengegend befin-
aet, waren Angehorige von elf ver-
schiedenen Nationalitaten, im Le-
bensalter von 16 bis 45 Jahren. Aus
denjenigen, die bei der Aufnahine
gar nicht Englisch verstanden, war
wie friiher, eine besondere Klasse
gebildet worden, die der Prinzipal
selbst iibernahm. Diese ,,internatio-
nale Klasse" uberraschte bei der
Schlussfeier den Schreiber mit einer
wfetvollen Standuhr, und gab ihm
am spateren Abend noch ein kleines
Abschiedsbankett. ,,'s ist nicht die
Wurst, aber man sieht doch die
Liebe".
Vor der Deutschen His tor i-
schen Gesellschaft dahier
wurde unliingst eine liingere Ab-
handlung in deutscher Sprache,
,,Als Deutsche in Venezuela regier-
ten", verlesen, welche Distriktsrich-
ter Otto Schonrich in Porto Rico
seinem Vater dahier zu Weihnach-
ten gesandt hatte. Aus vergilbten
Schriftstiicken, die der junge Rich-
ter bei seiner Durchforschung der
portorikanischen Archive aufgefun-
den hatte, hatte er neue Tatsachen
betreffs der deutschen Eroberer
Venezuelas ans Licht gebracht. Die
alten Berichte zeigen, wie jene
deutschen Eroberungsziige denen
Pizarros an kiihnem Wagemut bei
unsaglichen Hindernissen und Ent-
behrungen nicht nachstanden; und
wie bei letzteren spanische Grau-
samkeit obwaltete. so zeigen erstere
Ziige deutscher Ritterlichkeit. Der
Verein will die Abhandlung drucken
lassen. In seiner eben eingelaufenen
Erwiederung auf einen ihm zugegan-
genen Dankesbeschluss schrieb der
Verfasser dem Verein u. a.:
,,Die Geschichte der spanisch-
amerikariischen Liinder ist mir hoch-
interessant, und es freut mich, dass
Detitsche eine solch hervorrasrende
Rolle darin spielten. Was Porto Rico
betrifft, so hat sich in dessen neue-
ster Geschichte deutsches Blut auch
geltend gemacht. Der amerikanische
General Schwan, dessen Namen ge-
niigend seinen Ursprung andeutet,
befehligte die ersten Belagerungs-
truppen im Westen der Insel.
Der Oberrichter Louis Sulzbacher in
San Juan, der erste amerikanische
Polizeikommandant, und der
Strassenbaudirektor, -sind geborene
Deutsche, und der Delegat Porto
Ricos im Kongress, — Degetau — , ist
der Sohn eines genialen Harnbtirgers.
Deutsche Kaufleute spielen eine
grosse Rolle in dem Exporthandel
und ich habe manche Woche mehr
Gelegenheit, deutsch zu sprechen,
als englisch." S.
Ch'cpgo.
Die hiesige Teachers
Federation ist begreiflicher
Weise den Reformbestrebungen un-
seres Superintendenten Cooley ab-
geneigt. Insbesondere sind den Mit-
gliedern derselben die Bestimmun-
gen der neuen Regeln verhasst, nach
welchen sich alle Lehrer, die in eine
hohere Gehaltsstufe eingereiht wer-
den wollen, sich einer Promotions-
priifung unterziehen miissen und die
Mitglieder der Federation bleiben
diesen Examina mit anerkennens-
wertem Corpsgeist fern. Nun hat es
die genannte grosse Lehrerverbin-
dung fertig gebracht, dass bei der
letzten Wahl den Stimmgebern die
Frage zus Entscheidung vorgelegt
worden ist, ob der Schulrat weiter-
hin vom Biirgermeister der Stadt er-
nannt werden, oder ob er vom Volke
direkt gewiihlt werden soil. Und
diese letztere Frage ist von der
WJihlerschal't mit rieeiger Mehrzahl
bejaht worden. Wenn uiichstes Jahr
die Legislatur zusammentreten
wird, wird wohl ein dahin lautendes
Gesetz erlassen werden und dann
sind wohl die Tage des Herrn Coo-
ley als Superintendent geziihlt.
Ob eine Wahl des Schulrats durch
das Volk der Ernennung desselben
durch den .olirgermeister oder durch
eine Kommission vorzuziehen sei und
zum Wohle der Schule ausfallen
wird, ist freilich eine andere Frage.
Aber Herr Cooley hat sich mit sei-
nen Reformbestrebungen unter der
Lehrerschaft und auch unter den
Biirgern sehr viele Gegner ge-
schaffen, die mit allem Eifer darauf
hinarbeiten, ihn durch einen libera-
leren Mann zu ersetzen.
191
Die Deutschen brauchen ihm keine
Trane nachzuwemen — unter ihm
ist der deutsche Unterricht in den
offentlichen Schulen so verkriippelt
worden, dass eine ganzliche Ab-
schaffung desselben gerade so gut
ware. Und dann wtisste man doch
genauer, woran man ware.
ubrigens hatten wir die Dienste
des Herrn beinahe verloren. Die
Staatsuniversitiit hat ihm angeblich
die Rektorschaft angetragen, und er
hatte sie wohl auch angenommen,
wenn er — gewiihlt worden ware.
Aber es scheint, man wollte ihn
Lehrmittel, die sanitaren Einrichtun-
gen sehr gefallen hatten, dass es ihn
aber wundere, warum man den Leh-
rern so kleine Gehalter bezahle. Und
der Mann hat recht. Nieht der Su-
perintendent, nicht der Prinzipal,
sondern der Lehrer ist die Seele der
Schule. Ohne die ersteren konnten
wir am Ende ferti°- werden, ohne
den letzteren nicht. ° E.
Cincinnati.
Wiederum entriss der unerbittliche
Tod einen unserer Besten aus un-
serer Mitte< den deittschen Ober-
lehrer W i 1 h e 1 m S c h a f e r. Die
• i i* • i i, • -i.
entwickelte sich bei mm
S.ta^ken Lungenentzundung,
Ziic h t i g u n g befiirworten. So *ep ^>st die starke Institution
hat sich die Vereinigung der Prin- d*s n.ur achtundvierzig Jahre alten
Mehr und mehr werden wieder
Stimmen laut, die die E i n f ii h-
rung der korperlichen
zipale neulich einstimmig dafiir aus-
gesprochen. Und das ist recht! In
unserer Gefiihlsduselei sind wir auf
ganz falsche Wege geraten. Ein
Knabe, der's verdient, sollte sicher-
lich die Hosen gespannt bekommen.
Dann brauchten wir nicht so viele
,,Parental"-, Reform- und derglei-
chen Schulen, die eine Unsumme
Geld kosten und ihren Zweck nicht
erfiillen.
In unserer ,,P a r e n t a 1" - S c h u-
1 e kommt jeder Insasse dem Gemein-
wesen auf $700 per Jahr zu stehen.
Neulich haben wir wieder
eine der bekannten ,,Untersuchun-
gen" jener Anstalt gehabt, die den
Steuerzahlern die Augen geoffnet
hat. Aber wie kann es denn anders
sein, wenn man die Leitung in die
Hande von mehr oder weniger ge-
riebenen Politikern legt?
Jetzt sollen wir auch eine H a n-
delshochschule bekommen!
$500,000 soil der Bau mit dem Grund-
stiick und der Einrichtung kosten!
O, wir haben's ja! Unser Superin-
tendent wird zwei Monate lang auf
Reisen gehen und ahnliche Schulen
des Landes besuchen und sie studie-
ren. Selbstredend mit vollem Gehalt
von $1000 per Monat. Wenn einmal
ein Klassenlehrer eine kleine Auf-
besserung verlangt, liest man ihm
die Armutsakte vor, oder man sagt,
du musst eine Priifung machen.
Einer der deutschen Pro-
fessoren, die kurzlich zum Be-
suche unserer Universitiit hier wa-
ren, hat viele Schulen in Chicago be-
sucht und dann offentlich gesagt,
dass ihm die herrlichen Gebaude, die
tief betrauerten und hoch
geachteten Mannes nicht standhal-
t-en konnte. Auf langere Zeit, jeden-
falls bis zum nachsten Schuljahre,
dienstunfahig sind, gleichfalls wegen
schwerer Krankheit, hochgradige
Nervenerregung, die beiden Ober-
lehrer Aloys Schultz und Benjamin
Wittich. Ob damit nun ,,die letzten
vorbeigezogen" sind? Wrir hoffen
das Beste, wollen ober von der ei-
nem Berichterstatter wohl zu ge-
stattenden Lizenz Gebrauch machen,
indem wir alien zuliebe und keinem
einmal zuleide die wohlgemeinte Warming
hier recht fett drucken lassen: So
du noch nicht tapfer in den Sechzi-
gern, also noch nicht bombenfest,
bist, Kollege, tue des Gnten nicht zu
viel. Halte Mass in alien Dingen, be-,
senders in der Arbeit. Musst du dir
in irgend etwas einmal ein Mehr
leisten, lass es lieber in der Er-
holung eintreten und wenn auch. . .
nun, den Kopf wird's ja nicht gleich
kosten! * * *
Milwauks-.
Die neue Schule des 9.
Distrikts. Was lange wahrt,
wird endlich gut. Nun sind wir Leh-
rer und Schiller des 9. Distrikts doch
endlich auch einmal an die Reihe ge-
kommen, und haben ein neues, aus-
gezeichnetes Schulhaus erhalten.
Das alte Schulhaus war schon recht
baufallig geworden, und als es nie-
dergerissen wurde, mussten Lehrer
und Schiiler sich recht kiimmerlich
durchhelfen und fast zwei Jahre lang
die sechs Oberklassen in einer alten
baufalligen Schule und die andern
192
Pddagogiscbe Monatshefte.
Klassen teils in Barracken und teils
in g-emieteten Lokalen ihr tempo-
riires Heim anfschlagen. Am 12.
April haben \vir dann unser neues
Schulgebiiude bezogen, das in jeder
Hinsicht ein Musterschulhaus ge-
nannt zu werden verdient. Es steht
auf dem alten Piatze, Ecke 14. und
Galena Strasse, wo Schreiber dieses
in dem alten Gebiiude fast 27
Jahre lang tmterrichtete. Die
Frontseite des Gebiiudes langs der
14. Strasse ist 154 Fuss, und die bei-
den Seitenfltigel je 120 Fuss lang.
In der Mitte ist ein grosser Lichthof,
52x69 Fuss, gelassen. Das Gebiiude
ist dreistockig und aus gelben Back-
steinen errichtet, einem stiidtischen
Fabrikat, das unserer Stadt den be-
kannten Namen ,,Cream City" gege-
ben hat. Die Plane sind von dem
Architekten G. Ehlers entworfen, so-
wie der Bau von den beiden Kontrak-
toren A. Holstein, Schreiner, und
Theo. Riesen, Maurer, ausgefiihrt
wurde, unter der Aufsicht des Bau-
inspektors G. DeBrake. Die Bau-
kosten betragen $75,000. Das Ge-
biiude enthalt mit dem Kindergarten
21 Klassenzimmer, alle hell, gerau-
mig und praktisch gelegen. Die
Pulte sind alle so aufgestellt, dass
das Licht den Schiilern zur linken
Seite fiillt. Im dritten Stock ist eine
recht geriiumige Halle, 75x57 Fuss
gross, die zwischen 700 — 800 Perso-
nen fassen kann. Im zweiten Stock
befindet sich die Amtsstnbe des
Prinzipals, und daneben ein Biblio-
thekzimmer. Im ersten Stock ist ein
geriiumiges Lehrerzimmer; alle drei
Eiiunie sind passend ausgestattet.
Das Gebiiude hat vier Ein- und Aus-
g'iinge, die auf breiten Treppen nach
oben fiihren; ausserdem sind noch
Ausgiinge den Lichthof hinunter,
zur Benntzung bei Feuersgefahr. Die
Wasserklosets fiir die Schiiler, sehr
praktisch und den sanitiiren Vor-
schriften entsprechend, sind in alien
drei Stockwerken an der Nordseite
eingerichtet. Die Heizung geschieht
mit Dampf und zwar nach dem aus-
gezeichneten Johnsonschen elektri-
schen Selbstregulierungssystem. Ein
Fiicherrad im Erdgeschoss treibt die
kalte Luft durch Luftschachte in
alle Zimmer und reguliert somit die
Temperatnr. Sodann wird noch eine
elektrische Uhr in der Office aufge-
stellt, welche auf die Seknnde ge-
jiau das Programm anzeigt und
durch ,,gongs" im ganzen Gebiiude
verkiindet.
Moge die neue Schule Lehrern und
Schiilern Gliick und Gedeihen brin-
gen und Lehr- und Lerneifer an-
reizen und stiirken. Die Burger der
Ward, sowie Lehrer und Schiiler
konnen mit Eecht stolz auf ihre
Schule sein. A. W.
New York.
I n d e r Versarnmlung des
\ereines Deutscher Leh-
rer von New York und TJ m-
g e g e n d, die in der ersten April-
Woche statfand, hielt Herr Dr. Remy
vom Columbia College einen gediege-
nen, fachmannisch und doch auch
popular gehaltenen Vortrag iiber:
Die germanische Philologie im
Dienste des Lehrers. Die Anwesen-
den \vurden, so weit sie es noch
nicht waren, griindlich iiberzeugt
von der absoluten Xotwendigkeit
der Kenntnis der historischen Gram-
matik und der Etymologie. Es war-
den im Verlaufe der Sitzung zwei
\Ausschiisse gebildet; ein Dreier-
ausschuss, um fiir die Verbreitung1
der Piidagogischen Monatshefte zu
agitieren, und ein Fiinferausschuss,
der sich mit der Entdeckung von
Mitteln undWegen beschaftigen soil,
die zur Griindung einerDeutschame-
rikanisch-Historischen Abteilung in
Verbindung mit einer der ciffent-
lichen Bibliotheken fiihren dtirften.
Vorsitzender des Ausschusses ist der
streitbare und federgewandte Prii-
sident der Vereinigten Deutschen
Gesellschaften New Yorks, unser
allgeehrter Dr. A. Kern; unter den
Beisitzern befinden sich der urger-
in}anische, kampfbereite Herkules
unseres Vereines, Hermann Boos,
und Herr Joseph Winter, der Vor-
kiimpfer im Streite um Eecht und
Gerechtigkeit inSachen des Deutseh-
tums. Parturiunt montes et nasce-
tur die deutsche Abteilung der New
Yorker Bibliothek. Fiir den ersten
Samstag im Mai hat Herr Doktor
Eckhoff, der vielgereiste und tief-
imterrichteteGelehrte, einen vielver-
sprechenden Vortrag angekiindigt:
,.Warum Herbart?" Fiir den Juni ist
ein Ausflug ins nahe Newark, der
Geburtsstadt unseres Vereins, in
Aussicht genommen.
Im allgemeinen liisst sich sagen,
dass der Verein sich eines regeren
Lebens erfreut, seit er sein Heim im
Press-Klub aufgeschlagen. Teilweise
Konesponden^en.
193
diirfte der Grund darin auch zu su-
chen sein, dass der gemiitliche
Okonom uncl seine kochkundige bes-
sere Halfte zu zivilen Preisen ein
Abendmahl liefern, dass die Fein-
schmecker unseres Vereines wohl zu
wiirdigen verstehen. H. Z.
Pop land, Maine.
Dass in der Geburtsstadt Long-
fellows das Deutsche in hohen Ehren
steht, liisst sich wohl denken, und
das zeigt sich auch recht deutlich in
dem Sonimerkursus an un-
serer stadtischen Hoch-
s c h u 1 e, denn da nimmt von den
zehn Departements das Deutsche den
ersten Hang ein, seit vor einigen
Jahren Professor Spanhoofd von
Washington die Leitung der ,,Port-
land Summer School" ubernommen
hat. Wie das eben angekiindigte
Programm darlegt, hat Direktor
Spanhoofd fiir den diesjtihrigen
Sommerkurs eine noch grossere Er-
weiterung des deutschen Departe-
ments vorbereitet, und ist dafiir
Professor Schonrich von Baltimore
gewonnen worden. Die Unterrichts-
stunden sind nur vormittags, abends
finden im Laufe des Sommers 18
iiffentliche Vortriige statt, woven
sechs in deutscher, die andern in
englischer und franzosischerSprache,
und zwar wird Direktor Spanhoofd
iiber ,,Dichter fiir die Kinderwelt",
,,Was ist ein Drama?" ,,Dichtermut-
ter" und ,,Heine" sprechen, wahrend
Professor Schonrich^ folgende The-
mata behandeln wird: ,,Das deutsche
Sprichwort" und ,,Der neuere Idea-
lismus". Xachmittags, und den gan-
zen Samstag, werden Wasser- und
Landausfliige in unsere einzig schone
Umgebung unternommen.
Unsere Sommerschule zeichnet
sich vor den andern zunachst durch
zwei Punkte aus: Hier sind fur die
modernen Sprachen besondere Klas-
sen fiir die eingerichtet, die eine
solche praktisch, d. h. sprechen ler-
nen wollen, wozu dann die nattir-
liche Methode angewandt wird, und
hier kommt die gesellschaftliche
Seite recht zur Geltung. Da niimlich
die Glieder der besten Gesellschaft
unserer reichen Stadt zur Sommer-
schule gehoren oder gehort haben,
so sind die der Schule Angehorigen
in alien Hausern willkommen, und
das werden die- von auswarts auch
verstehen, wenn sie am Juli bei der
Eroffnungsfeier vom Biirgermeister
der Stadt in iiblicher Weise bewill-
kommt und sie die herzlichen Worte
horen werden: ,,You are no
strangers here, you are our welcome
guests". Und solche willkommserte
Gaste sind uns bereits wieder aus
ientfernten Teilen des Landes, bis
Californien, angesagt, aus Mexiko
und Cuba, und in den letzten Tagen
auch zum ersten Mai aus Porto Kico.
Zur unentgeltlichen Erlangung des
eben erschienenen hiibsch illustrier-
ten Zirkulars wende man sich an die
iSekretiirin Miss Mary P. Ames, 23
Shepley Street, Portland, Maine.
P. R.
III. Umschau.
— Im Senat der Vereinig-
ten Staaten protestierte am 9.
Marz Senator Bacon geegn die A.n-
nahme einer Statue Friedrichs des
Grossen, weil Friedrich die Verkor-
perung des Absolutismus darstelle.
Senator Stewart von Nevada vertei-
digte den preussischen Konig, indem
er sagte, er habe jene Platze in Hol-
land personlich aufgesucht, wo
Friedrich als Schiffszimmermann ge-
arbcitet habe. Nachdem Herr
Steward indessen erfahren, dass er
den grossen Friedrich mit dem gro?-
sen Peter verwechselt, beeilte er
r>ich, seine Bemerkungen aus den
amtlichen Berichten entfernen zu
lassen.
-Das Reprasentanten-
haus zu Washington hat ei-
nen Gesetzesvorschlag angenommen,
nach welchem sechshundert Lehrer
der Insel Porto Kico freie Fahrt
nach den Vereinigten Staaten ge-
wiihrt werden soil, um Sommerschu-
len besuchen zu konnen.
— Xach Priisident Harper der Uni-
versitsit Chicago sieht das B i 1 d
des,,idealen" College - Pro-
fessors so aus: 1) Der Professor
muss verheiratet sein; 2) er muss
^"n Kirchenmitglied sein; 3) er muss
mit seinen Studenten auch ausser-
halb der Klassenzimmer verkehren;
4) er muss den Doktorgrad besitzen;
5) er muss willens sein, elf Monate
im Jahre tiichtig zu arbeiten; 6) er
muss tiitigen Anteil an offentlichen
(Angelegenheiten nehmen. — Sonst
nichts?
194
P&dagogischt Monatshefte.
— Die Universitat Chicago hat am
22. Miirz der deutschen W i s-
senschaft einen Tribut
gebracht. In feierlicher Versamm-
lung wurde den Botschaftern Tower
und Speck von Sternbnrg und fiinf
Professoren deutscher Hochschulen,
die zu dem Zwecke die Reise iiber
das Meer gernacht hatten, der Eh-
rendoktor verliehen. President
Rooseyelt und der deutsche Kaiser
sandten telegraphische Griis"se.
— SuperintendentCooley
hat den Plan gefasst, den Unterricht
in der Volkswirtschaftslehre in den
Chicagoer Schulen p r a k t i s c h e r
zu gestalten. Jede Grammatikschule
scliickt einen Abgeordneteu in das
nationale Unterhaus, jede Stadt-
hochschule zwei Senatoren in das
uoerhaus, und der ,,Kongress*' ist
fertig! Die staatliche und die stadti-
sche Verwaltung sollen in ahulicher
Weise nachgeahrnt werden. Der
President und die Beamten der an-
deren Regierungszweige diirfen
selbstverstandlich nur nach der au-
stralischen Abstimmungsweise ge-
wiihlt werden. Das kann recht nett
werden.
— Der Schujrat der
Deutsch - Englischen A k a-
demie zu Milwaukee hat nach
reiflicher Efwiigung die Abschaffung
des rein wissenschaftlichen Xach-
mittags - Unterrichts beschlossen
und die Anderung bereits nach den
Osterferien in Kraft treten lassen.
Nach dem neuen Plane fangt die
Schule morgens 8 Uhr an und dauert
mit je einer viertelstiindigen Pause
nach der zweiten und vierten Lek-
tion bis hai - eins. Fiir die drei un-
tersten Klassen schliesst damit die
Arbeit fiir den Tag uberhaupt; die
vierte und die fiinfte Klasse hinge-
gen erhalten an zwei, und die drei
oberen Klassen an drei Nachmit-
tagen der Woche noch Unterricht in
Handfertigkeit und im Turnen, und
zwar von halb drei bis vier Uhr. Mit
dieser Anderung des Stundenplanes
hat der Schulrat der Akademie einer
gesundheitlichen und erzieherischen
Forderung Rechnung getragen, die
unter leiteuden Schulmannern und
Arzten hierzulande und in Deutsch-
alnd immer mehr die gebiihrende
Anerkennung findet: der Vormittag
der Ausbildung des Geistes, und der
Nachmittag der andern Seite des
Menschen.
Da die Arbeit der Akademie mit-
bestimmend in den Unterricht des
Lehrerseminars greift, so ist auch
der Stundenplan des letzteren dem-
entsprechend geiindert worden. Im
Seminar dauert indessen der Unter-
richt taglieh bis ein Uhr. An drei
Xachmittagen hat jede Klasse von
halb drei bis dreiviertel fiinf eine
wissenschaftliche Lektion und je
eine Lektion im Singen und Turnen;
der Dienstag und der Donnerstag
Xachmittag sind schulfrei.
— Was fiir eine deutsche
Stadt das Borough Manhattan (Xew
York) ist, geht aus dem ersten offi-
ziellen Berict des Tenementhaus-
Departements hervor. Darnach sind
unter der Gesamtzahl der in Tene-
ments lebenden Familien 93,850 deut-
sche, 80,101 irliindische, 56,853 ameri-
kanische, 37,884 russische, 29,623 ita-
lienische, 13,884 englische und 6376
polnische. Nach Familienlitiuptern
gerechnet stehen wieder voran die
deutschen mit 24.20 Prozent, dann
kommen die irliindischen mit 22.02
Prozent, und erst in dritter Reihe
die eingeborenen Amerikaner mit
34.55 Prozent.
— Ein Rechtsfall ganz
eigner Art, auf dessen Ausgang
man in LehrerKreisen allgemein ge-
spannt ist, wird vor Richter Dunne
in Chicago verhandelt. Im Monat
Juli 1902 zahlten fiinf grosse Gesell-
schaften, die sich, obgleich im Be-
titze offentlicher Gerechtsame, der
feteuerhinterziehung schuldig ge-
macht hatten und vorn Chicagoer
Lehrerverein auf dem Klagewege zur
Erfiillung ihrer Steuerpflichten dem
Staate gegeniiber gezwungen worden
waren, das nette Siimmchen von
.$598,000 riickstandiger Steuern fiir
1890 in die Kasse des Schatzmeisters
von Cook County. Von diesem Be-
trage gehorten $249,000 dem Schul-
fonds an. Am 9. Juli 1902 erhielt der
Stadtschatzmeister den aiif die Stadt
Chicago fallenden Anteil ausbezahlt,
und der Finanzausschuss des Schul-
rates hatte nichs Eiligeres zu tun,
als in einer Spezialsitzung zu be-
schliessen, die $249,000 fiir Kohlen,
fiir das Reinigen von Sehulhiiusern
Tind fiir andere Zwecke fiir das Jahr
1902 zia bewilligen. In der regelmiissi-
gen Sitzung des Stadtrates in dersel-
ben Woche wurde verkiindigt, dass
Fonds aus einer sich unerwarlet er-
schlosseuen (!) Quelle es mciglich
Umschau.
195
rnachten, den Feuerleuten — die ini
Jahre 1902 einen Monat unfreiwilli-
g-er Ferien nebst Lohnabzug hatten
nehmen miissen — den verlorenen
Monatxlohn zuriickzuzahleii.
Da wallte — den Lehrern anch ihr
Bhit! Sie glaubten ebenfalls An-
spruch auf einen Teil der $249,000 zu
haben und nagelteii das Siimmchen
mittles ESnhaltsbefehls vorlaufig
fest. Miss Goggin rief, nicht als
Lehrerin, sondern als Steuerzahler,
die Gerichte an, um den Schulrat zu
verhindern, Steuern des Jahres 1900
fiir Zwecke des Jahres 1902 auszu-
geben. Sie sagte in ihreni Gesuche
inn einen Einhaltsbefehl, dass der
Schulrat gesetzlich gehalten sei,
seine Schuldeii aus dem Jahre 1900
mit dem Gelde, dass der Stadtrat
mm ausdriicklich zu diesein Zwecke
in jenein Jahre zur Verfiigung ge-
stellt habe, zu bezahlen. Die in Frage
stehenden Schulden nun betreffen
die Gehiilter der sogenannten ,.er-
fahrenen" Lehrer Chicagos. Im
Januar 1900 wurden die Gehalter je-
ner Lehrer beschiiitten; und der
Verlust des Gehaltes fiir eine Woche,
den ausserdem a 1 1 e Lehrer wegen
Schulschlusses im September 1900
erlitten, gehort auch zu jenen
,,Schulden" des Schulrats.
Der Richter hat nun zu entschei-
den, ob der Schulrat den Lehrern
fiir das Jahr 1900 noch etwas schul-
det, und ob der Stadtrat Ver-
\villigungen zu dem Zwecke gemacht
hat, die betreffenden Schuld abzu-
tragen.
- F r a n k r e i c h. In Paris hat
der Franzose Toni Mathieu plaii-
mtissig das Werk in die Hand genom-
men, den Austausch von
Ivindern beiderlei G e-
schlechts zwischen Familien
verschiedener Nationalitat und Zun-
ge zu vermitteln. Durch den Aufent-
halt in der fremden Familie und in
dem fremden Lande soil den Kindern
ein Mittel zu grosserer allgemeiner
und sprachlicher Ausbildung insbe-
sondere geboten, sowie durch die An-
kniipfung personlicher Beziehungen
zwischen den Familien der ausge-
tauschten Kinder zugleich in politi-
schem Sinne aufklarend und den
Friedeii fordernd gewirkt werden.
Der Genannte ging dabei von dem
Grundsatze aus, jedes Geld-Interesse
als selbstverstandlich bei dem Aus-
tausch auszuschliessen, und nur
darauf z\i achten, dass den Kindern
in der fremden Familie die gleiche
liebevollc, durch die Gegenseitigkeit
gewjihrleistete Unterkunft wie im
eigenen Elternhause gewiihrt werde.
Es meldeten sich zu dem ersten Ver-
suche 135 Familien, 66 in Frankreich
und 69 im Auslande, die bereit wa-
ren, zuniichst fiir die Dauer der letz-
ten Herbstferien auf den angeregten
Austausch einzugehen. Bezeichnend
fiir die franzosische Madchener-
ziehung und die Abneigung der fran-
zosischen Eltern, ihre Tochter aus
der eigenen Obhut oder der eines
Klosters zu lassen, ist es, dass die
66 franzosischen Familien 65 Kna-
ben und nur ein Miidchen anmelde-
ten. Im iibrigen scheint aber nach
der ,,Koln. Ztg." der erste Versuch
sehr zur Zufriedenheit der Eltern
ausgefallen zu sein. Denn dem
Griinder des Werkes gingen von
vielen Familien Dankes- und Aner-
kennungsschreiben fiir seine Ver-
mitteilung zu, namentlich aus
Deutschland. Eine Miitter fiigte
ihrem Danke die Bemerkung
hinzu: ,,Wenn so die Volker sich
besuchen und achten und lieben
lernen, werden vielleicht die Konige
sie nicht mehr zvvingen konnen, sich
zu bekriegen." Xicht nur die Konige
konnte man hinzfiigen, sondern viel-
leicht auch die Demokraten, die des-
halb, wie gerade Frankreich zeigt,
nicht ohne weiteres friedliebender
sind, weil sie keinen Konig mehr ha-
ben. Fiir die Franzosen ist es aber
immerhin ein erfreuliches Zeichen
des Fortschritts, wenn gerade von
ihnen jetzt dieser Kinderaustiiusch
ausgeht und befiirwortet wird. Ge-
rade sie sind es, die der nationalen
Abschliessung von freundschaftli-
chem Verkehr mit den Angehorigen
anderer Nationen durch Sitte und
Gewohnheiten am meisten huldigen.
- Der Schiessunterricht
in Frankreich soil fortan aus-
giebiger beriicksichtigt werden. Der
Minister des offentlichen Unterrichts
hat niimlich folgende Verfiigung er-
lassen: Es ist darauf hinzuwirken,
dass die Schiessiibungen einen immer
grcisseren Platz in der Schule ein-
nehmen, da doch bald eine Verkiirz-
ung der aktiven Militiirzeit eintreten
wird. Bisher nahmen etwa 1000
Schulen an dem ja'hrlichen Preis-
schiessen teil, diese Zahl ist mog-
lichst zu vergrossern. Helfend, for-
dernd und anspornend tritt der Bund
der Schiessvereine hinzu, der beson-
196
Piidagogische Monatshefie.
dere Preise fur die Lehrer und
Hchiiler hat anfertigen lassen, um so
moglichst viel fiir den Schiesssport
zu interessieren. Ausserdem hat der
Bund ein Taschenbuch herausgege-
ben, das alle notigen Uiiterweisun-
gen fiir das Schiessen enthalt. Es
wird kosteiilos durch den Bund zur
Yerfiigung gestellt. Ferner soil eine
Kasse zur Entschtidigung bei etwai-
gen Ungliicksfiillen gegriindet wer-
den. Die Regierung wird jahrlich 50
Sehulflinten verteilen; zu diesem
Zweclce sollen die Schulinspektoren
iiber besonders eifrige und tiichtige
Lehrer auf dein Gebiete des Schiess-
K'ports berichten, damit sie bei die-
ser Verteiluiig und bei Auszeichnun-
gen herangezogen werden koiinen.
F r a n k r c i c h. Die Sektioa des
"Conseil superieur" (Volksschulrates)
dps oiTentlichen Unterrichts hat neuer-
dings besehloKsen, den Untcrricht in
den neueren Sprachen in den L e h-
rerbildungsanstalten f aknl-
t.ntiv zu machen und folglich auch die
Prii fung in den neueren Spracheu
beim Lelirer-Examen. Gegen deu obli-
jratcrischen Unterricht der neueren
Sprachen in den Lehrerbildungsanstal-
ten werden folgende Griiude angege-
ben:
I. Dieser Unterricht hat keinen Er-
folg. Nach abgelegter Prufuug be-
schaftigen sich die Lehrer weder rait
dem Englischen noch mit clem
Deutschen.
II. Die neueren Spracheu venneh-
ren zu sehr den ohnehin schon so
reichen Unterrichtsstoff in den Leh-
rerbildungsanstalten.
III. Die Lehrer brauchen keine neu-
eren Sprachen zu konnen; da sie die-
selben in ihren Klasseu nicht unter-
richten miissen und auch keiue Gele-
genheit haben, sich der neueren
Sprachen zn bedienen.
Der ., Manuel general*' bemerkt hier-
zu, dass diese Massregel, wenn sie
vom ,.Conseil superieur" angenommen
wird, den Ruin des Studiums
der neueren Sprachen irn
V o 1 k s s c h u 1 u n t e r r i c h t e her-
beifiihrt. Der ..Manuel general" be-
merkt zu Punlct 1. dass dieser Vor-
v.'iirf nicht gerechtigtfertigt ist. Das
Interosse an dem neusprachlichen Un-
lerrichte ist so gross, dass in
alien T e i 1 e n F r a n k r e i c h s
v c n L e h r e r 5 n n e n und L e h-
r e r n u in U u t e r s t ii t z u n g z u
e 5 n e m A u f e n t h a 1 1 e i in A u s-
1 a n d e u a c h g e s u c h t wird.
Der Minister bewilligt jedes Jahr 30
Lehrkraften, welche Uuterricht in den
neueren Sprachen an der hohern
Volksschule erteilen, Stipendien. Zu
Punkt II, dass derselbe Vorwurf auch
andere Unterrichtszweige trifft, so z.
B. in Chemie, Physik, Naturgeschichte
eiue Vermindenmg des I^ehrstoffes er-
forderiich ist. Zu Punkt III: Der Un-
terricht ist sehr uiitzlich vom bildeu-
den, sozialen usw. Standpuukte aus.
Die Abschaffung des Examens in den
neueren Sprachen beim Lehrerexamen
oder, was dasselbe ist, die Prufung
fnkultativ zu niachen, geht g e g e n
deu W i 1 1 e n d e s P a r 1 a in e n-
tes und die Stimine des Yol-
k e s. Es wird dadurch iinnioglich.
den Unterricht in der Yolksschule ein-
zufiihren. Das ist antidemokratir-ch,
indem man den Kinderu des Yolkes
einfache Bildung gibt, die bessere aber
fiir die Kinder der bemittelten Idas-
sen reserviert. Durch die Abschaffung
der Priifuug wird es ferner unmoglich
gemacht, Lehrkrafte fiir die Leh-
rerbildungsanstalten nnd hoheren
Yolksschulen aus dem Yolkssclmlleh-
rerstande zu wahlen. Das heisst zu-
riickkoir.nieu auf das Regime vor 1887
in dem Moment, da D e u t s c h-
1 a n d von u n s- e r e m B e i s p i e 1 e
beeinflusst, den Unter-
richt in den neueren Spra-
chen in s e i n e n L e h r e r b i 1 d-
ungsanstalteu obligate-
risch macht (Juli 1902). Im Re-
gime vor 1887 war der Unterricht in
den neueren Sprachen in den Lehrer-
bildungsanstalten fakultativ. Alle die,
welche ihn kannten. haben ihn ein-
stirnmig verurteilt. Die Fakultativge-
staltung des neusprachlichen Unter-
richts ist gleich einer Abschaffung. Es
ware besser, den Unterricht gauz ab-
zuschaffen, als eine solche Massregel
zu ergreifen. Ware es nicht besser,
den Unterricht. seine Methode. zu re-
formieren wie in den Gymnasien und
Lyzeen, ihn gehorig zu kontrollieren
und ihn bewahrten Lehrkraften anzu-
vertrauen? Die Sache ware dann in
einigen Jahren besser begriiudet. und
die Erfahrung wiirde uberzeugen.
(Allg. D. Lztg.)
— England. Die \V e r t-
schsitzung der deutschen
Pprache ist in England im YVachsen
begriffen. Die Londoner Morning
Post empfiehlt in einem Leitaiifsatze
dringend nebeii dem anerkannt not-
wpTirlipen Unterricht in der franzosi-
schen Sprache den der deutschen als
Vermischtes.
197
gleicherweise uneiitbehrlich fur das
geschiiftliche \vie das wissenschaft-
liche Leben. Die Halfte der Sehwie-
rigkeiten, unter denen Grossbritan-
nien hente leide, fiihrt der Yerfasser
auf die Unbekanntschaft britischer
Staatsmanner, Offiziere, Seeleute,
Abgeordneter mit der deutschen
Bprache zuriick, die der Schliissel
zu der Halfte des geistigen Lebens
im heutigen Europa sei. — Deutsch
sei die Sprache Luthers und Les-
fcings, Kants und Goethes, Kankes
und Bismarcks. Wer die deutsche
Sprache nicht verstehe, konne auch
diese Manner nicht verstehen und
ihr Werk ebensowenig, er konne also
ivur eine ganz einseitige Anffassung
der niodernen Geschichte und des
modernen Europe bekomnieh, der
Welt also, in der er leben niiisse. In
der Nationaiokonomie, der verglei-
ohenden Sprachwissenschaft, der
Chemie, auch in der Erdkunde gehe
Deutschland voran, ohne einen
deutschen Atlas komme kein engli-
scher Geograph aus.
— Russia n d. Als man die
deutschen Schulen der Ostseepro-
vinzen russifizierte, da wurde an-
fangs aus den Elementarschulen,
wie iiberhaupt den unteren Bil-
dungsanstalten, die deutsche
Sprache vollstiindig verbannt. All-
mahlich indes erwies es sich, dass
bei der Stellung, die das Deutsch-
tum in den Ostseeprovinzeii ein-
nimmt, diese Aiiordiiung auf die
Dauer nicht durchzufiihren sei.
Ohne Kenntnis des Deut-
schen kann man in den Ost-
seeprovinzen nichts a n,-
f a n g e n. Es wurden heshalb Ge-
suche von estnischer und lettischer
Seite an den Kurator gerichtet, die
darin gipfelten, man mb'ge das Er-
lernen der deutschen Sprache den
unteren Klassen erleichtern. Die Re-
gierung wollte anfangs nichts von
der Sache wissen, sic hat sich aber
genothigt gesehen, nachzugeben. In
den Elementarschulen der balti-
schen Stiidte wird von nun an regel-
miissiger deutscher Unterricht er-
teilt werden. Verschiedene Stadt-
verordnetenversammlungen haben
sich deshalb schon mit den Einzcl-
heiteii dieser Neuemng beschaftigt,
die im Prinzip natiirlich allenthal-
ben angenommen wird. Jedenfalls
ein Beweis, dass das deutsche Kul-
turelement den Ostseeprovinzen
doch organischer und inniger ver-
wachsen ist, als die Moskowiter sich
dachten.
— G'riechenland. Am 12.
April 1904 wurde in Athen eine
iSchulau. sstellung (Dauer 1
Monat) erciffnet, die das griechische
Schulwesen und das Zeichnen
(Mathem. und Zeichnungen) darstel-
len und den Grundstock zu einem
Schulmuseuna in Athen bilden soil.
— Japan. Der g e g e n w si r-
t i g e K r i e g lenkt die Aufmerk-
samkeit auf das niongolische Insel-
volk, das von eiiiem Kenuer japaiii-
scher Zustiinde nach der ,,Frankf.
Zeitung" als das ,,Volk ohne Gott"
bezeichnet wird. uber die Religions-
losigkeit der dortigen Schulen wird
daselbst berichtet: ,,In den japarii-
schen Schv.leii wird keine Religion
gelehrt, den Kiiidern werden nur
allgemeine ethische Begriffe beige-
bracht. Gott oder der Himniel wer-
deii nie erwiihnt. Den Kinilern wird
bloss die einfache menschliche
Pflicht gelehrt, die der Mensch ge-
geniiber dem Menschen hat. Seit
tausend Jahren hat der japanische
Nationalgeist es sich geniigen las-
sen, eine rein ethische Knltur im
Yolke zu pflegen. Im Herzen der
[Nation hat der Konfuzionismus
eine Stiitte gefunden, und alle "Ver-
suche, das Christentum auszubrei-
ten, sind fehlgeschlagen."
IV. Vermischtes.
* Unter dem Drucke der Not
wandte sich im Bezirke Pogstall
(Niederosterreich) ein Lehrer an-
den Bezirksschulrat mit der Bitte,
ihm die Ausiibung des Binderhand-
werkes als Nebenbeschiiftigung zu
gestatten. Das Gesuch wurde ab-
schliigig beschieden. O welche Lust,
Lehrer zu sein!
* Erziehungsgrundsiitze
eihes alten Lehrers. Man
erziihlt von einem alten Lehrer, dass
er Eltern, die ein Kind in die Schule
brachten, zwei Spriiche sagte. Er-
stens: ,,Allein kann ich nicht ziehen,
Ihr miisst mitziehen." Zweitens:
,,Und wenn Ihr mitzieht, so miisst
Ihr nicht riickwarts wollen, wenu
198
Pddagogische Monatshefte.
ich vorwiirts will." Wenn aber ein
Vater ein Sohnchen ocler eine Mut-
ter ihr Tochterchen recht heraus-
strich, pflegte er einen dritten
Spruch beizufiigen: ,,Lieber unge-
zogen Kind, als verzogen Kind" —
und erziihlte folgendes Exempel:
Ich kannte einen Lautenschliiger,
der oftmals sagte: ,,Wenn ich einen
Schiiler bekomme, der iiichts auf
der Laute kann, so fordere ich 5 fl.
Lehrgeld; bekomme ich aber einen,
der schon etwas kann, so verlange
ich 10 fl." Wenn man ihn fragte,
warn in er das tue, sprach er: ,,Fiinf
verlange ich fiir das, was ich lehre,
und fiinf fiir das, was ich ihm ab-
gewohnen muss." (Sachs. Schulz.)
— Ein starkes Anwachsen
der Z a h 1 der Lehrerinnen
zeigt Stettin. Unter den 758 Lehr-
krilften der Stadt sind 503 Lehrer
und 254 Lehrerinnen.
* Ja so! A Lehrer war a Millioniir
Und hat si' beinah g'schaamt!
Bald aber hat er si' erholt:
Er hat ja 's Ganz' bloss 'traamt!
— Fiinfundvierzig Prozent der
Einwohner von Moskau
sollen Illiteraten sein. Das ist das
Ergebnis einer Untersuchung der
stadtischen Behorden. Die Priifung
verlangte, dass jeder seinen Namen
schreibe. (Ed. Rev.)
* Lehrer: Wie heissen die drei
Weisen aus dem Morgenlande?
iS c h u 1 e r: Kaspar, Melchior,
Balthasar.
Lehrer: Welcher von den dreien
war der Mohr?
Schiiler: Der Schwarze!
* Ein mit drei Tochtern gesegne-
ter Vater klagte nach der 6st.
Schlztg. am Weihnachtsmorgen:
,,Die Mutter stickte
Und Elli stickte
Und Olli stickte,
.Doch keine strickte
Und keine flickte.
Nun hab' ich vier Paar gestickte
Schuh'
Und keinen ganzen Strumpf dazu."
Biicherschau.
I. Studten in der deutschen Literatur.
(Pur die Padaoroglschen Honatshefte.)
Von Prof. Chas. Bundy Wilson, State University of Iowa.
Coars Buch*) ist, wie der Verfasser selbst hervorhebt, nicht eine Ge-
schichte der deutschen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, sondern
mir ein Versuch, die demokratischen Ideen zu verfolgen, die in gewissen,
charakteristischen Gattungen der deutschen Literatur dieses Zeitrauuis
so ausgepriigt zu Tage treten. Der bedeutsame Einfluss, den politische,
biirgerliche, und soziale Zustiinde auf die Entwicklung des deutsehen
Schriftstellertums gehabt haben, ist das Grundthema seines Buches. Es
war die Absicht des Verfassers, den Fortschritt der deutschen Nation nach
den Idealen der amerikanischen Dfemokratie, jedoch nicht nach dem Mass-
stabe amerikanischer Lebensweiae zu bemessen. Sein Standpunkt war also,
wie er selbst freimiitig zugibt, durchaus nicht vorurteilsfrei.
Das erste Kapitel hebt hervor, dass zu Anfang des neunzehnten Jahr-
hunderts dor nationale Geist in Deutschland einerseits von Provinzialis-
mus, anderseits von Kosmopolitanismus befehdet wurde, und dass darum
*) John Firman Coar, Studies in German Literature in the Nineteenth
Century, New York, The Macmillan Company, 1903, 401 pp.
Studien in der deutschen Ltteratur. 199
die deutsche Literatur dieser Periode nationales Bewusstsein nicht zum
Ausdruck bringt. Wie hatte auch die Erkenntnis einer gemeinsamen Zu-
kunft, gemeinsamer Interessen in einer hundertfaltig zerstiickelten Nation
bestehen konnen? Die Weltanschauung des einzelnen war damals so be-
schriinkt, dass seine Interessen kaum iiber den engen Kreis des Familien-
lebens hinausgingen. Die Gefiihle nahmen ihren Ursprung auschliesslich
in den Interessen der Lokalitiit; so waren sie wohl oft niiichtig und tief,
aber auch immer beschrankt im Bereich und kleinlich von Natur. So kam
es, dass die Institution der Familie den ersten Platz in der sozialen Rang-
ordnung einnahm; biirgerliche Ideale hingegen fanden wenig Gelegenheit,
sich im Yolksbewusstsein zu entwickeln, und der Gedanke einer politischen
Einheit zahlte wenige Anhiinger. Ein anderer Umstand, der das Aufkeimen
tiefen, patriotischen Gefiihls verhinderte, war das damals noch stark aus-
gepragte Kastenwesen. Das Volk zerfiel in drei scharf abgegrenzte
Stande: Adelige, Burger und Bauern; und derartige Verhaltnisse unter-
driickten naturgemass jenen grossherzigen, selbstlosen Trieb, welcher die
Angehorigen derselben Rasse zu einer Nation vereinigt. Coar macht auf
die Reaktion gegen die oben angefiihrten Tendenzen aufmerksam. Diese
Riickwirkung kam zuerst im Sturm und Drang zum Ausdruck, also schon
im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts, jedoch ohne sofortigen,
sichtbaren Erfolg. Die Romantische Schule loste die verungliickte Be-
wegung ab. Da ihre Dichter in der Gegenwart geistige Einheit nicht finden
konnten, so suchten sie darnach in der gesamten Menschheit und verflelen
in phantastische Allgemeinheiten. Demniichst wandten sie sich der Be-
trachtung des Weltalls zu und rerloren sich schliesslich in der mystischen
Welt des Unbekannten. Der ubrige Teil des Kapitels behandelt diejenige
Phase von Schillers Wirken, die in ,,Wilhelm Tell" hervortritt, und schliesst
mit einer kurzen Betrachtung des phantastischen und unverantwortungs-
fahigen Mystikers Zacharias Werner. Coar sagt, ,,Tell" war zwar keine
bewusste Prophezeiung der bevorstehenden Auferweckung des Volfcs-
geistes, aber das Schauspiel gab zum wenigsten dramatisches Leben zu
dem Grundsatz, dass das Volk und nicht die Regierung den Staat aus-
macht, und dass darum der Volkscharakter und nicht die Regierungsform
das Wesen und den Umfang politischer Freiheit bestimmt. Der Verfasser
findet in Werners Schriften, trotz der Unverantwortlichkeit dieses Dich-
ters, zwei Elemente, die direkten und wesent lichen Bczug auf die WiecTJr-
geburt des national-patriotischen Gefiihls haben: niimlich das religiose
Element und die Erkenntnis historischer Einheit. Coar gesteht gern ein,
dass die Romantiker in ihrer Verehrung des Mittelalters iiber das Ziel
geschossen, doch wunscht er nicht leicht hinwegzugehen iiber den Um-
stand, dass das Deutschland des Mittelalters der Gegenstand der roman-
tischen Dichtung wurde, denn gerade dadurch spielte die letztere eine
wichtige Rolle in der Auferweckung des Nationalbewusstseins in den
deutschen Landen.
Heinrich von Kleist steht im Mittelpunkte des zweiten Eapitels, wel-
ches angeblich die Geburt der deutschen Einheit behandeln soil. Es zeigt
uns das Ringen der Dichtkunst, mogliche Ldeale eines nationalen Lebena
zum Ausdruck zu bringen, doch nur insofern, als die Werke dieses einen
Schriftstellers in Betracht kommen. Das ganze Kapitel ist deshalb nur
eine interessante Besprechung Kleists und seiner Werke; doch gleichzeitig
ein Versuch, eine bestimmie Phase in der Entwicklung der deutschen Ein-
200 Padagogiscbe Monatshefte.
heit zu erlautern. Dieses Xebenziel ist sehr gut erreichbar, denn Kleists
beste Werke haben wir der Auferweckung des nationalen Bewusstseins zu
verdanken. Zwei Ideen haben anscheinend Kleists ganzes Leben be-
herrscht: das doppelte Verlangen, die Wahrheit kennen zu lernen und
Weisheit zu erwerben. Der Begriff der Wahrheit bedeutete fur ihn Er-
kenntnis der Bestimmung des Menschen hier auf Erden und im zukiinftigen
Leben. Weisheit zu erwerben, war fiir ihn eine Schulung des Menschen,
welche ihn in den Stand setzen wiirde, mit Intelligenz die Verwirklichung
dieser Bestimmung zu beschleunigen. Coars Studie ist vielleicht philo-
sophischer als Nollens in der Vorrede zu seiner Ausgabe des ,,Prinzen von
Homburg", aber nicht so klar. Coar betont besonders die sozialen und
politischen Zustiinde, Xollen mehr die literarische und kiinstlerische Seite.
Coar weist hin auf die metaphysischen Probleme Kants und auf die sozia-
len Theorien Rousseaus, wahrend Nollen in Kleists Stil den Einfluss der
griechischen Literatur entdeckt und darauf aufmerksam macht, welch
:wich.tige Eolle Phantasie und Gefiihl in Kleists Werken spielen. Der
letztere erklarte, dass Gefiihl fiir ihn eines der heiligsten Dinge im Men-
schenleben sei, und Verwirrung des Gefiihls ist ein in seinen Schriften im-
mer wiederkehrendes Thema.
Das nationale Erwachen in den Freiheitskriegen ist der allgemeine
Gegenstand des iiachsten Kapitels, welches ausfiihrt, dass lyrische Poesie
jetzt besonders drei Grundprinzipien der Vaterlandsliebe verherrlicht.
Korner, Schenkendof', und Arndt sind als Vertreter dieser Prinzipien ge-
wahlt. Coar schei.v.§ tibgeneigt, Korners poetischen Werken grossen Wert
beizumessen, da er der Ansicht ist, dass Korner nicht so sehr durch ausser-
gewohnliche Vortreffiichkeit seiner Schriften, als vielmehr durch eben den
Soldatentod, von dem er so gem sang und der seiner poetischen Laufbahn
ein Ziel setzte, der Abg'ott des deutschen Volkes wurde. Der Yerfasser
lasst dem Angedenken des gefallenen Dichters mehr Gerechtigkeit wider-
fahren, wenn er sagt, dass Korner sich weigerte, das komplizierte Frei-
heitsideal zu analysieren, und dass er es vorzog, die Bestatigung des Ge-
fiihls anstatt die Ursache des Gefiihls zu verherrlichen. Der Umstand, dass
Korner Gefiihl als den Grundbestandteil lyrischer Toesie behandelte, zeigt,
dass er ein ziemlich klares Verstandnis von der Natur und dem \Yesen der
lyrischen Poesie gehabt haben muss. Coar findet, dass die treibende Kraft
in Schenkendorfs dichterischer Natur nicht die leidenschaftliche Frei-
heitsliebe Korners war, sondern ein seltsames Yerlangen nach einer poe-
tisch-religiosen Verkltirung des Lebens. Coar zollt Schenkendorf gerechte
Anerkennung, wenn er erklart, dass kein anderer Dichter den deutschen
Khein besungen hat in einer Weise, so durchdrungen von lebhafter Schon-
heit und feurigem Nationalgefiihl. Schenkendorfs ljrrische Gedichte brin-
gen zum Bewusstsein der Deutschen ein Band der Einheit, zarter und doch
dauerhafter und zwingender als das gemeinsamen Ursprungs und ge-
meinsamer Einrichtungen, das Band gemeinsam ererbter Seeleneigen-
schaften, eines gemein&amcn geistigen Charakters. Coar nennt es das
Band gemeinsamer ,,Spiritualitat . Arndts Gedichte zeigen \\reder den
mystischen Geist, der Schenkendorfs Yerse erfiillt, noch die naive Leiden-
schaft von Korners lyrischer Muse. Arndt betont in seinen Dichtungen
eine Phase des nationalen Bewusstseins, die weniger an die person^che
Yaterlandsliebe oder an das Gefiihl geistiger Zusainmengehorigkeit, als
Studien in der deutschen Literatur. 201
vielmehr an den verwandtschaftlichen Instinkt der Rassengemeinschaft
appelliert.
Im vierten Kapitel zeigt Coar, wie die romantische Dichtung schliess-
lich durch die nationale Bewegung erlost und versohnt wurde und sich
mmmehr in den Dienst des ethischen Zartgefiihls der Deutschen fiir das
Naturleben stellt. Der Verfasser macht besonders raif die Bedeutung der
Volksideale aufmerksam. Wiederum wiihlt er bestimmte Schriftsteller als
Vertreter gewisser Phasen und Tendenzen in der Entwicklung und Enian-
/ipation der deutschen Literatur: diesmal den Sehlesier Eichendorff und
den Schwaben Uhland. Im schonen Schlesierland lernte Eichendorff zuerst
die Schonheit der Natur kennen und schatzen, dort erwarb er sich die erste
Einsicht in das tiefe und doch so einfache Gefiihlsleben der schlichten Er-
zahlungen des Volkes. Nur wenige Dichter haben es so gut verstanden \vie
er, den ewigen Wandel der Natur in ihren Versen auszudriicken. Der
rhythmische Wechsel im Leben der Natur war der Grundton des Eichen-
dorffschen Gesanges. Coar ist der Ansicht, dass die aussergewohnliche
Schonheit der Uhlandschen Dichtung wesentlich dieselbe ist als die der
Eichendorff schen; nur menschlich tiefer und, trotz ihrer Einfachheit, um-
fassender. Das Kapitel schliesst mit einem Zitate von Auerbach, welches
das Leben Uhlands hinstellt als den Inbegriff des Geistes der biirgerlichen
Freiheit, der Deutschland seit den letzten fiinfzig Jahren bewegt und er-
regt hat.
Hierauf folgt ein Kapitel u'ber die typischen Vorlaufer der verneinen-
den Dichtung, representiert durch Manner wie Holderlin und Chamisso,
Platen und Baiimmd, und liber das Zeitalter des Pessimismus. Grillparzer,
Lenau, und Grabbe nennt Coar die grossen Dichter der Isolierung, und er
entrollt vor unseren Augen mit allzuviel Eealismus die doppelte Tragodie
Jhres Lebens und ihrer Werke. Die drei letztgenaiinten, so erkliirt tier Ver-
fasser, sind Typen, die nur in einem Zeitalter existieren konnten, in dem
die Moglichkeit fiir gesundes, individuelles Interesse mit Bezug auf die
Angelegenheiten des offentlichen Lebens so eng umschrieben, so scharf
abgegrenzt war, dass moralisches Bewusstsein clariiber zu Grunde ging
und der Glaube an die Realitat der Wirklichkeit schwand. Man hat das
Gefiihl, dass Coar gegen Grillparzer und Lenau etwas ungerecht ist, bis
man zu dem Paragraphen kommt, in dem er bekennt, dass diese beiden
Dichter der Verneinung ihren Werken den Stempel einer Seelengrosse auf-
gedriickt haben, die wir, selbst wenn in hochst unsympathetischer Stim-
mung, respektieren und oft bewundern miissen.
Nach dieser Periode des Pessimismus ist es erfreulich, etwas iiber die
\7orliiufer der aufbauenden Dichtkunst und ihre demokratischen Ideale zu
horen. Immermann, Hegel und ,,die Jung-Deutschen" sind jetzt zu be-
handeln. Coar fasst sein Urteil iiber Immermann ungefahr folgender-
massen zusammcn: Er hat keinen Anspruch auf Grosse auf Grimd seines
dichterischen Erfolges, aber er war ein Dichter voller gediegener Wahr-
heitsliebe und echt demokratischer Triebe. In seiner Ungeduld, die Er-
losung seines Volkes herbeizufiihren, hat er sich oft durch Dummheiten
und Irrtiimer des Volkswillens von dem schmalen Pfade dieser Triebe
abbringen lassen, ist aber immer wieder auf denselben zuriickgekehrt. Die
Ansichteii Immermanns stimmten theoretisch mit den Prinzipien des
Hegelschen Systems und mit dem politischen Glaubensbekenntnisse der
202 Pddagogische Monatsbefte.
Jung-Deutschen iiberein. Coar hebt hervor, dass die sogenannte jung-
deutsche Bewegung einen ausschliesslich politischen Charakter hatte, und
dass die von den Jnng-Deutschen verfolgten biirgerlichen Ziele nicht ganz
mit der Idee nationaler Einheit im Einklange waren. Diese Bewegung
hatte einen weltbiirgerlichen Anstrich und trat in die Schranken fiir
Mannes- und Menschenwiirde, erhoht durch biirgerliche Pflichten, und
gesichert durch grossere individuelle Rechte. Ein bedeutsames Anzeichen
der neuen Epoche, das besonders in Ludwig Borne Ausdruck fand, war das
Veilangen nach gegenseitigen Austausch zwischen dem Gelehrtenstande
und den Leuten der Tat; und, als das Resultat des wiedererwachten An-
teils an der Wirklichkeit, ein Verlangen nach lebendiger Wissenschaft.
Das Kapitel, welches Heine behandelt, betitelt Coar ,,Demokratie ge-
gen Aristokratie.'' Es gehort zu den interessantesten Teilen des Baches
und lasst Heine mehr Gerechtigkeit widerfahren, als vieles andere, das
u'ber ihn geschrieben worden ist. Coar halt, dass die cynischen Anklagen,
die Heine den selbstsiichtigen Leitern des deutschen Volkes ins Gesicht
geschleudert, seinerzeit manchem mildgestimmten Patrioten Anstoss ge-
gebeu und sogar noch heute geben. Ware Heines Vaterlandsliebe geringer
gewesen, wiirde sein Sarkasmus gelinder ausgefallen sein. Gerade durch
seine Vaterlandsliebe zog er sich den Namen eines Vaterlandsfeindes zu.
Seine innerliche Ehrei-bietung vor alien gottlichen Dingen, seine erhabe-
nen Ansichten iiber die Herrschergewalt, seine ideale Wertschatzung des.
deutschen Charakters sind wohl bekannt. Der Kampf fiir Freiheit machte
einen theoretischen Demokraten aus ihm; die poetische Anschanung der
Demokratie blieb ihm indessen versagt.
Die dreiunddreissig Seiten des neunten Kapitels sind der Revolution
von 1849 und 1849 gewidmet. Es hat zwei Unterabteilungen, das Drama und
die lyrische Dichtung der Revolution. Coar sagt gleich im Anfange des
Kapitels, dass Heine im Recht war, als er Einspruch gegen die sogenannte
politische Dichtung erhob und dieselbe als Erniedrigung der Kunst be-
zeichnete. Es dient zur Bcstiitigung von Heines Urteil, wenn man zugeben
jmiss, dass politische Dichtung im engeren Sinne nie bis auf die naehste
Generation gekommen ist. Aber trotz des Mangels an Phantasie, der diese
Dichtungsart kennzeichnet, hat dieselbe doch eine Aufgabe zu erfiillen,
manchmal sogar eine Aufgabe von weitreichender Bedeutung, und ein
Kritikcr der menschlichen Seite der Literatur muss das leidenschaftliche
Verlangen nach biirgerlichen Rechten, welches in der dexitschen Dichtung
die Revolution von 184S vorschattete, nicht zu gering anschlagen. Der
zwischen Freiligrath und Korner angestellte Vergleich ist interessant.
Zeit und Eaum verbieten uns, niiher auf dieses Kapitel einzugehen, welches
mit der Erklarung schliesst, dass ein Verehrer der Schonheit um der
Schonheit willen Einspruch erheben muss gegen das dichterische Lebens-
werk eines Griin oder Freiligrath und anderer Dichter dieser Art. Dieser
Einspruch ist gerecht, doch wer ihn erhebt, muss dariiber nicht vergessen,
sich streng an den Bereich des Schonen zu halten, alles ubrige aber un-
angetastet zu lassen.
Die nachsten rierundzwanzig Seiten handeln von dem Siege der Demo-
kratie iiber die Sonderparteien, und die Werke Otto Ludwigs, Richard
vVagners, und Friedrich Hebbels sind als Grundlage gewiihlt, da in densel-
ben drei verschiedene, demokratische Phasen des poetischen Realismus
Studien in der dentschen Literatur. 203
zum Ausdruck kommen. Obschon diese drei Dichter nicht iibereinsthnmen,
so verfolgten sie doch dasselbe Ziel, mir dass sie es auf verschiedenen We-
gen zu erreichen suchten, und dass aus diesem Grunde ihr Ringen und
Streben in abweichender Weise kiinstlerische Betatigung fand. Coar er-
lautert, wie dieses Streben zu psychologischer, metaphysischer und histo-
fischer Symbolisierung fiihrte. Jeder dieser Dichter sah in seiner Kunst
rine erlosende Kraft; alle drei betrachteten sich als Jiinger einer rieuen
Lehre. Der Verfasser findet es besonders bedeutungsvoll, dass in jedem
<ueser Manner der musikalische Trieb zuerst erweckt und angeregt wurdft.
Sie horten mit dera Ohre der Seele, ehe sie die Dinge mit dem inneren Auge
schauten.
Nationalismus und Sozialismus, wie sie in Alexis', Spielhagens, und
Kellers Romanen zu Tage treten, nehmen demnachst unsere Aufmerksam-
keit in Anspruch. Coar lasst dem grossen Einflusse, den Walter Scott s
Werke auf den nationalen Roman in Deutschland batten, voile Gerechtig-
keit widrfahren und bemerkt sehr treffend, dass Scott die literarische
Form schuf fiir gewisse Ideen, die in den Besitz aller iibergegangen waren,
wahrend Goethe die Entdeckung dieser Ideen andeutete, die dereinst Ge-
meingut werden sollten. Der Verfasser 1st der Ansicht, dass das deutsche
Volk nicht von der politischen Macht der Gesamtheit, sondern von irgend
einer festbegriindeten Autoritat Fiihrung erwartete; und dass diese Be-
reitwilligkeit, sich leiten zu lassen, das Emporkommen Bismarcks errnog-
lichte, dessen Einfluss auf die biirgerliche Gesellschaft so miichtig war
und sogar jetzt noch ist. Coar sieht in ihm die Verkorperung des bosen
Prinzips, welches die Fortentwicklung der demokratischen Freiheit er-«
heblich verspatete. Bismarck mit seinem durchgreifenden Verstandnis
des deutschen Charakters sah in der Sozialdemokratie nur einen Hebel
fiir Regierungzwecke. Die Romanschriftsteller dieser Periode fiihlten, so
scheint es, dass das Nationalbewusstsein der Deutschen viel zu kompliziert
war, um sich alsbald als Thema fiir schaffende Literatur verwerten zu
lassen. Charaktereinheit des Volkes, einheitliche Geschichte, fanden sie
iiur in der Entwicklung der verschiedenen kleinen Staaten und Provinzen,
nnd in ihrem Verlangen, Einheit und Einigkeit als eine nationale Tatsache
darzustellen, behandelten sie die Provinz als Symbol der Nation.
\Vir kommen jetzt zum umfangreichsten Kapitel des Buches, fiinfuncl-
fiinfzig Seiten. Sozialismus und das Individuum bilder. das Thema; oder
richtiger gesagt, der Kampf zwischen Realismus und Idealisnius. Die
Werke Wildenbruchs, Sudermanns, Hauptmanns, und Anzergrubers bilden
die Grundlage der Ausfiihrungen. Die Frage iiber die Rechte und Pflichten
des Individuums als Mitglied der biirgerlichen Gesellschaft erregte plotz-
lich in Schriftstellerkreisen solch leidenschaftlichen Anteil, dass Schon-
heit, und was damit in Verbindung steht, fiir die Gegenwart mit Fiissen
getreten wurde, wie Coar sehr riehtig bemerkt. Naturahsmus herrschte
tyrannisch im Bereiche der deutschen Kunst und fiihrte mit gebietendem
Stolze seinen Anhangern den Abschaum der Gesellschaft vor. Friedrich
Nietzsche, zum Beispiel, ist nur verstandlich als ein Opfer des Hungers
nach kiinstlerischen Idealen; in ihm brach schliesslich das ungestillte Ver-
langen seiner Generation nach einer kiinstlerischen Vision ihrer Ideale
\iber die Ufer. Die Werke Wildenbruchs, Sudermanns und Haiiptmanna
tragen alle die charakteristischen Merkmale des Ringens um die Ideale des
204 Padagogiscke Monatshefte.
Wertes des Lebens. Ihre Dichtungen streben, nach Coar, die Losung des,
grossen Problems der ethischen Individualitiit an. Von diesen Schrift-
stellern, Demokraten in Theorie, Aristokraten in der Praxis, wendet sich
Coar mit einem Gefiihl der Erle'ichterung zu eineni Dichter voller echter
demokratischer Sympathien, verbunden mit ungetriibter demokratischer
Vision, namlich zu Ludwig Anzengrnber. In Anzengrubers Schriften
linden wir wecler den idealen Trimmer und unbedingten Realisten der
W'ldenbruchschen, noch den moralischen Bildungstiirmer und hyperortho
doxen Moralisten der Sudermannschen, noch die mystischen Beformideen
*md geistige Verkommenheit der liauptmannschen Dichtungen. Anzen-
grubers Optimismus ist gesund. Er verschloss seine Augen den Schatten-
seiten des Lebens nicht, noch zauderte er, dieselben in seinen Vverken zu
schildern, aber es waren und blieben immer nur Schattenseiten. In seinen
Dichtungen herrscht iiberall helles Tageslicht, wahrend in der triiben
Finsternis des Sudermannschen und Hauptmannschen Naturalismus
Schatten zu den Unmoglichkeiten gehoren, denn dort ist die Sonne noch
\veit vom Aufgehen entfernt; es ist und bleibt Nacht, finstere Xacht. Die
Quelle von Anzengrubers Optimismus war seine gesunde Freude am Leben
in der Gewissheit von dessen gottlicher Natur, welche er als das unver-
ausserliche Besitztum der Menschheit betrachtete.
Das letzte Kapitel fiihrt den Titel: Das neunzehnte Jahrhundert im
Lichte und Schatten des Goetheschen Genies. Coar sagt, Goethe vvurde
durch seine Grosse die hauptsiichlichste Stiitze unsinniger Autoritat, und
eine der verneinenden Kriifte des dahinsterbenden neunzehnten Jahrhun-
derts. Der Verfasser sucht seinen Standpunkt durch Hinweis auf gewisse
Stellen in Goethes Werken zu rechtfertigen. Der erste Teil des Kapitels
ist enttauschend, denn er klingt fast durchgehends wie der Versuch einer
Anklage gegen Goethe. Im zweiten Teil jedoch zeigt der Verfasser, wie
Goethes Ringen und Streben nach personlicher Freiheit, nach hohen
Idealen eine bei weitem nachhaltigere und heilsamere Wirkung hatte, als
irgend eine seiner besonderen politischen, biirgerlichen, und sozialcn
Theorien. In den letzteren war Goethe immes Aristokrat, in seinem
Kampfe \im aufgekliirte Freiheit war er ein griindlicher Demokrat. Kein
anderer Dichter hat je durch seinen Gesang in solchem Masse die
deutschen Herzen mit der Freude an dem ewigen Ruhme des rastlosen,
unermiidlichen Strebens nach hoheren und immer hoheren Zielen erfiillt,
als der Altmeister der deutschen Dichtung. Zum Schlusse hebt Coar
Goethes Kampf gegen das Philistertum hervor, und unterstiitzt seine Aus-
fiihrungen durch Zitate aus ,,Faust".
Im ganzen und grossen ist Coars Buch ein wiLkommener Zuwachs zur
Geschichte der deutschen Literatur. Es ist belebend und anregend, und es
bezeugt des Verfassers Enthusiasmus fiir den Gegenstand. Leider fehlt
oft das verbindende Glied zwischen den einzelnen Kapiteln. Die Ursache
hiervon ist die. Art und Weise der Behandlung. Schon der Titel, Studien
in der deutschen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, deutet darauf
hin, dass jede Studie in sich abgeschlossen ist, ohne Bezugnahme auf die
Einheit des Ganzen. Ausserdem betont der Verfasser in der Vorrede, dass
sein Buch, wie schon gesagt, keine Geschichte der deutschen Literatur sein
soil. Die historische Perspektive scheint zuweilen zu eng fiir den behan-
aelten Gegenstand, und die literarische Charakterisierung ist nicht immer
Biicherbesprechnngen.
205
unmittelbar, klar und bestimmt. Doch trotz manch kleineren Fehlers
«ollte das Buch in den Hiinden eines jeden Lehrers der deutschen Litera-
tuv rein.
I!. Bacherbesprechungen.
Encyklopadisches Hand-
buch der Padagogik von D r.
U e i n. Zweite Auflage. I. Band,
erste Halfte. Langeiisalza, Hermann
Bej-er und ;Sohne. 1903. Preis des
Halbbandes M. 7.50.
Eine Besprechung des oben ge-
naniiten Werkes im gewohnlicheii
Sinne des Wortes zu liefern, wiirde
veit iiber den Eahmen der P. M.
hinausgehen; zudem hat sich lleins
Handbuch der Padagogik in seiner
ersten Auflage in der piidagogischen
Welt einen solchen Nanien erwor-
ben, dass es wohl nur des Hinweises
auf das Erscheinen der zweiten
Auflage bedarf, um von neuem die
Aufmerksamkeit unserer Leser auf
das hochbedeutende Werk zu len-
ken.
In der Form von Monographieen
behandelt das Encyklopiidische
Handbuch alle Zweige des Er-
ziehungs- und Unterrichtswesens,
und fiir jeden derselben hat Prof.
Ilein, unstreitig gegenwiirtig der
bedeutendste Vertreter auf dem Ge-
biete der Padagogik, in dessen Han-
den die Leitung des Unternehmens
liegt, eine Autoritiit ersten Grades
zur Bearbeitung gefunden.
Der vorliegende erste Halbband
besteht aus 83 einzelnen Abhand-
lungen, auf die wir selbstverstiind-
lich nicht eingehen konnen. Nur
eine wollen wir hervorheben: Ame-
rikanisches Schulwesen. Sie ist von
W. Ch. Bagley in St. Louis verfasst,
ist aber keine selbstandige Arbeit,
sondern folgt im allgemeinen den
Arbeiten, die unter der Leitung des
Herrn Nicholas Murray Butler,
PrLisidenten der Columbia-Universi-
tat, fiir die Schulabteilung der Ver-
einigten Staaten der Pariser Welt-
tiustellung,' 1900, veroffentlicht wur-
den. Die P. M. brachten nach Er-
scheinen dieses Werkes eine Be-
sprechung aus der Feder unsers ver-
storbenen Seminardirektors Dapp-
rich (IT, 3), in welcher seine Mangel
dargelegt wurden. Dieselben haften
natiirlich auch dem Artikel in dem
Handbuch an. Es zeigt sich auch
hier eine gewisse Einseitigkeit, die
weder dem Einfluss der deutschaine-
rikanischen Privat- und Kirchen-
schulen auf dem Elementarschulge-
biet, noch demjenigen der deutschen
Wissenschaft auf die Entwickelung
unserer Universitiiten, noch dem
auf dem Gebiete des Kindergar-
tens und dem der kiinstlerischen^Er-
ziehung Eechnung triigt. Es ware
.wiinschenswert, dass Prof. Rein in
einem Nachtrag auch dem Deutsch-
amerikanertum Gerechtigkeit wider-
fahren liesse.
Doch dies ist eine Ausstellung, die
nur von lokalem Inter esse sein
kann. Das Werk als solches muss
als ,,standard" fiir die gesamte
padagogische Wissenschaft be-
zeichnet werden, dem kein zweites
als ebenbiirtig an die Seite gestellt
werden kann. M. G.
Lesebuch zur Einfiihr-
u n g in die Kenntnis
Deutschlands und seines
geistigeii Lebens. Fiir aus-
landische Studierende und fiir die
oberste Stufe hoherer Lehranstalten
des In- und Auslandes. Bearbeitet
von Dr. W i 1 h e 1 in P a s k o w s k i,
Bibliothekar an der koniglichen
Bibliothek, Lektor an der UniVersi-
tiit von Berlin, 1904; Wiedemannsche
Buchhandlung.
",,Bei der Beriihrung mit Ausliin-
dern sind wir uns bewusst, wie wir
in diesem Augenblicke eine Mission
besitzen, wie wir wirklich unser Va-
terland zu vertret«n haben. Nicht
durch Riihmen und Eig-ensinn, soii-
dern durch ein solches Wesen, dass
ullgemein menschlich in Ehren steht
und allenthalben Beifall fiiidet,
durch williges Verstiindnis des
Fremden, durch massvolles Urteil,
durch vornehme Selbstbeherrschung,
durch Herz". Dieses, das vorliegende
Bnch einleitende Motto von Wilhelm
206
Padagogiscbe Monatshefte.
Munch passt ganz auf die Lage der
hiesigen deutschen Lehrer an hohe-
ren Lehranstalten, wo dasselbe nicht
genug zum Gebrauch empfohleii
werden kann . 1st es doch heute
jedem gutert deutschen Lehrer hier-
zulande vollstandig klar, dass das
geistige Leben der Deutschen es 1st,
mit dem die deutschlernenden Schil-
ler unserer Hochschulen und Uni-
versitiiten bekannt gemacht werden
miissen, wenn sie in Geist xmd We-
sen der deutschen Sprache und Lite-
ratur eindringen sollen. Aber der
Lehrer allein kann das nicht bewerk-
stelligen. Er muss liber den geeig-
neten Lesestoff verfiigen. Mehrere
Lesebiicher in einem Schuljahre,
oder gar in einem Semester anzu-
schaffen, ist kaum angiinglich. Einen
einzigen Schriftsteller zu lesen, er-
miidet. Beides kann nun vermiedeii
werden durch den Gebrauch eines
Lesebuches, wie das hier kurz zu be-
sprechende. Die Stoffwahl, der Stil,
die Geeignetheit der Lesestiicke fiir
sprachliche Erliiuterungen und
sachlich-abschweif elide Ankniipfmi-
gen, der Grundgedanke der ganzen
Sammlung — Wertschiitzung fiir
dcutsche Wissenschaft, Kunst, Sitte
und Sprache, sowie Achtung vor dem
Deutschtume iiberhaupt — dies alles
ist in dem Buche stetig im Auge be-
halten, wie die nachstehende ge-
druiigte ubersicht des Inhaltes des-
selben bestiitigen wird:
1. Flinf Stiicke zur deutschen
Landes- und Volkskunde von eben
sovielen Ycrfassern, von denen her-
vorgehoben seien: ,,Das deutsche
Yolk" von J. Kutzen und ,,Der
deutsche Wald" von P. D. Fischer.
2. Zwei Stiicke zum allgemeincn
Geistesleben der Deutschen; dar-
unter besonders .,Deutsche Bildung
— Menschenbildung" von F. Paulsen.
3. Zum Universilatswesen Deutsch-
lands: vier Stiicke, wie z. B. ,,Der
Charakter der deutschen Universi-
tiit" von F. Paulsen.
4. Acht Stiicke zur deutschen
Sprache und Literatur, worunter
,,Das geistige Geprage der deutschen
Sprache" von O. Weise; ,,Die beiden
klassischen Perioden der deutschen
Literatur" von A. Vilmar; ,,Die Ge-
briider Grimm" von W. Scherer;
,,Deutsche Charakterziige in Goethes
Leben" von P. Lorentz.
5. ~cht Stiicke zur deutschen Ge-
schichte, wie ,,Luther und die
deutsche Nation" von H. v. Treitsch-
ke; ,,Konigin Luise" von Th. Momm-
sen; ,, Kaiser Wilhelm I" von O.
Fiirst v. Bismarck; ,,Bismarck" von
11. Harm; ,,Aus dem Staate Fried-
richs des Grossen" von G. Freytag.
6. Fiinf Stiicke zur deutschen
Philosophic und Kunst; u. a.: ,,Das
klassische Zeitalter der deutschen
Philosophic" von A. Lasson; ..Cha-
rakteristische Ziige der deutschen
Musik" von E. H. Kostlin.
7. Zur Rechtswissenschaft und
Yolkswirtschaftslehre, zwei Stiicke:
,,Der Kainpf urns RechtJ' von R. v.
llinring und ..Gegenwart und Zu-
kunft der Familie" von G. Schmoller.
8. Zur Medizin und Naturwissen-
schaft, drei Stiicke, wie ,,Goethes
naturwissenschaftliche Arbeit en"
von H. von Helmholtz.
9. Yier Briefe von Konigin Lviise,
Goethe, Schiller, Moltke.
Im Ganzen 41 Stiicke, die achtund-
dreissig Schriftsteller eiiifiihren,
ausnahmslos dazu geeignet sind, \in-
seren Studiereiiden Respekt vor
deutschem Wesen und Tun einzu-
flossen. Audi wo das Buch sich nur
in den Hiindcn des Lehrers beftinde,
Aviire es ausnehmend dazu angetan,
ihm zu helfen, seine Schiiler zxi be-
leben mit der Goetheschen ,,Courage,
sich den Eindriicken hinzugeben",
und sie einsehen zu lassen, woher
dem Deutschen jenes Gefiihl der
Mannesehre kommt, das ,,seinen
Xacken so gerade, seine Brust so
frei, seiiien Blick so klar" sein liisst.
Das Buch hat 196 Seiten. Die
Stiicke sind demnach kurz genug,
um sowohl den Lehrer, wie die
Schiiler ergiinzend, erliiuternd und
wiedergebend zu Worte kommeii zu
lassen, ohne, an den Grundgedanken
der Yerfasser vorbei, ins Weite zu
schiessen. Gewiss wird es, mit die-
sem Buche in der Hand, auch gelin-
gen, amevikanische Studierende da-
hin zu leiten, dass sich ihre inner-
lichen Gefiihlsspharen umsetzen in
die Eigenschaft, die niemand in so
hohem Grade besitzt, wie der
Deutsche, in das Gemiit. Damit
wiirde aber allein schon unendlich
viel gewonnen sein, selbst auf die
Gefahr hin, dass solche deutsch-
Bucherbesprecbungen. 207
lernende Amerikaner durch diese fasslich und werden Zoglingen von
Gefiihlsinnerlichkeit zu Jndividua- Hochschulen, Colleges und Universi-
listen wiirden, wie die Deutschen es taten hierzulande jedenfalls genii-
sind. gen. Eine Karte der Eheingegend
Auf Grimd dieser Vorziige allein vom Feldberg bis zum Siintis und
ist jedem Lehrer des Deutschen in vom Bodensee bis Basel ist behufs
Amerika, der so oder annahernd so ortlicher Orieiitierung beigefiigt.
unterrichten soil oder will, recht Ein Kniebild Scheffels im Reiseko-
sehr anzuraten sich dieses Buch an- stiim, sowie zwei Wiedergaben von
zuschaffen, noch besser die Ein- Hlustrationen zum ,,Trouipeter"
fiihrung desselbeii in seinen Klassen (»Jung- Werner beim Freiherrn" und
ermoglichen zu suchen. ,, Werners Abschiedsgruss") sind als
Der Tro-np.t.r von SI*
km gen, em Sang vom Oberrhein den das Buch durch schemes Papier'
J"°ni w-*tP- + i V°r V' ! ; aus^zeichneten Druck und soliden
fel With introduction, notes and Einband auch dem Aeusseren nach
vocabulary by \ a 1 e n t in B u e h- macht. Auf die Druckfehleria-d
n e r, teacher of modern languages, sind wir nicht aus^egan^en Hat der
High School, San Jose, Cal. Ameri- bewusste Teuiel doch cfa oder dort
can Book Company, Xew York, Cin- sein Spiel getrieben — habeat sibi'
cinuati, Chicago. — Zu der ,,Note" 27 auf Seite 29
Wir haben dieses Buch bereits in mochten wir bemerken, dass Sche'f-
der Februar-Xummer der ,,P. M." fel sowohl wie viele andere , Xeue"
fiir eine sehr zeit- und zweckgemasse ja wohl sagen: ,,ich anvertraue"
Arbeit erkltirt und stehen nicht an, ,,ich anerkenne" u. s. w., auch dann'
nach sorgfiiltiger Priifung unser da- wenn es sich nicht um das Metrum
maliges Urteil befestigend zu wie>- handelt. Seite 46, Xote 14: In Schef-
derholen. fels Studentenzeit hielten sich die
Dem Buche ist die, mit Ausnahme Herren Studiosen noch ,Stamm-
des zehnten Stiickes (,,In der Erd- biicher", und wiire deshalb das
mannshohle") und einiger Gedichte 5,Stanimbuchblatt auf manche o-]at-
im vollsttindigen Wortlaute abge- te Wange besser als eine *Ver-
druckte zweihundertsiebenundfiinf- gleichung dieses Gesichtsteiles mit
zigste Auflage (1902) des ,,Sanges" einem Stammbuche erkliirt worden
zugrunde gelegt, die Rechtschrei- als durch den Hinweis auf den
bung jedoch den iieuesten llegeln Schmissstolz deutscher Studenten
gemass geiindert worden. um so mehr, da Werner nur solcher
In der Einleitung gibt der Ver- manche ausgeteilt zu haben sich
fasser eine gedriingte, aber durch- riihmt und seinen ersten spiiter von
aus genaue und wahrhafte Lebens- dem ,,alten Wallensteiner" beim
beschreibung Scheffels; die Ent- ,,Hauensteiner Iiummel" davontrug.
e.tehungsgeschichte des ,,Trompe- •- Seite 72, Xote 24: ,,Am Aral und
ters"; eine Angabe der iibrigen am Irtisch" hausen Kirgisen und
Scheffelschen Werke und schliess- Tartaren, also Mongolen, nicht aber
lich die Erlebnisse des Dichters Slaven; auch haben wohl die erste-
wahrend seiner fiinfzehn schweig- ren und nicht die letzteren insge-
samen Jahre bis zu seinem Tode, mein ,,etwas plattgedriickte Xasen".
1886, wo ,,der diirre Ast" endlich Dass beide Sorten ,,ihren Brannt-
brach. wein trinken", wenn sie welchen ha-
Als Hauptvorziige der Buehner- ben, wollen wjr nicht in Abrede
schen Arbeit sehen wir die unbe- stellen. — Seite 111, Xote 11: ,,Fahn-
dingte Vollstandlgkeit des Vocabu- rich" war die niedrigste Charge ei-
lariums ("it is intended to be com- nes Adeligen, in der er beim Mili-
plete", sagt er selbst) und die tiir eintrat, wenn er, was zur Zeit
miissige Anzahl und Lunge der An- des dreissigjiihrigen Krieges vor-
merkungen und Erkliirungen an, die ausgesetzt werden kann, bereits im
in richtiger Weise nicht als Anhang JWfvffenhandwerk geiibt war. Der
hinten im Buche, sondern unten an Hinweis auf Scheffels Kneipname
den betreffenden Textseiten ange- ,,Fahnrich Pistol" beim ,,Falstaff
bracht sind. Dieselben sind, mit Club" in Karlsruhe scheint ausser-
einigen Ausnahmcn, korrekt, leicht dem unbegriindet, weil der Trom-
208
Padagogische Monatsbefte.
peter eine geraume Weile vor der
Karlsruher Zeit des Dichters vol-
lendet war. — Seite 218, Note 27:
Das beriihmte sch\vedische ,,blaue
Regiment" Mess ,,voii Siidermann-
land" (Sodermanland) nach der
Herkunft der Mehrzahl seiner
Mannschaften aus der Landeshaupt-
mannschaft dieses Xamens, nicht
aber nach einem denselben tragen-
den schwedischen General, den es
unseres Wissens zu jener Zeit, und
auch wohl spiiter, nicht gegeben hat.
— Ini ubrigen halten \vir, wie be-
reits gesagt, die Erkliirungen fiir
sehr vortreffdch, und wir sind, soil-
ten wir uns unit unseren im ganzen
ja geringfiigigen Einwiirfen irren,
dann werden wir uns gerne eines
Besseren belehren lassen. Mit gutem
Gewissen konnen wir der braven Ar-
beit des werten Kollegen am Stillen
Ozeane wiinschen, dass sie dazu bei-
tragen mogc, dem Scheffelschen
..Schwarzwaldgesaiig eiii Heimat-
recht" auch in unseren Erziehungs-
anstalten zu erwerben. C. Q.
Px. Clyde Ford, Ph. D., Ele-
mentary German for Sight Trans-
lation. Boston, Ginn and Co., 1904.
Cloth 20 cents.
Das Blichlein enthalt auf 43 Sei-
ten, auf 18 ,,Exercises*' verteilt, gut
ausgewuhlte Stiicke in Prosa und
Poesie zur 'Stegreiflibersetzung ins
Englische. Ein Yokabular ist selbst-
verstandlich nicht beigegeben;
kurze Fussnoten bringen die Er-
lauterung sprachlicher Schwiei-ig-
keiten. Der Wert solcher tJbungen
diirfte kaum einem Zweifel unter-
liegen, und das Werkchen wird
rnanchem Leser willkommen sein
und erspriessliche Dienste leisten.
Levin S c h ii eking, Die drei
Freier. Edited with an introduction
and notes by Otto Heller, Ph. D.
Boston, Ginn and Co., 1903. Cloth,
30 cents.
Prof. Hellers Ausgabe dieser nn-
gemein spannenden und tiefsinnigen
Erzahlung Schiickmgs ist eine der
erfreulichsten Leistungen, die mir
seit langer Zeit auf diesem Gebiete
begegnet sind. Einmal war die Wahl
des Stoffes eiii gliicklicher Griff; so-
danu ist die Einleitung (17 Seiten)
musterhaf t, - - besonders hervorzu-
heben ist die auf selbstandiger
Forschung beruhende kurze Ab-
handlung iiber die Sagen vom Ewi-
gen Juden, Wilden Jiiger und Flie-
genden Hollander, — und die An-
merkungen (22 Seiten) halten das
rechte Mass und sind durchweg klar
gefasst. Riihmend erwtihnen mochte
ich auch die vier Seiten lange Dar-
stellung der sprachlichen Eigenhei-
ten in der Einleitung. Die Ausstat-
tung liisst nichts zu wiinschen iibrig.
]\HL einem Worte, ein vorziigliches
Buch. E. C. Roedder.
Goethe's EgmjOnt, edited
with an introduction and notes by
Professor James Taft
H a t f i e 1 d. D. C. Heath and Co.,
Publishers, 1904.
The well known editor, Professor
James Taft Hatfield, has added to
the useful series of D. C. Heath and
Co. another edition which is Avell
adapted to the practical use of
American students. The text is the
product of diligent and painstaking
research. The notes, although not
extensive and exhaustive, are very
helpful and show scholarly work,
even if one may differ in the inter-
pretation of several passages. They
also contain literary references of
a suggestive nature. Professor Hat-
field, like Professor Deering, has
deemed it best not to include a
comparative study of Schiller's re-
vision. There is room for a differ-
ence of opinion in regard to this
subject. Such a comparison gives
the student an insight into the
different methods and motives of the
two poets, if, indeed, it does not
lend assistance to the comprehen-
tion of the drama "Egmont". One
may also have a different opinion
concerning the value of inserting
exhaustive historical notes. These
may help or retard the interpreta-
tion of the Drama. Professor Hat-
field thinks that the exposition, in
addition to the material suggested
in the introduction, will fully pre-
pare the student for the under-
standing of the drama. And there
is no doubt that Goethe was very
particular in weaving into the ex-
position as much information as
compatible with his purposes.
The introduction consists of four
chapters: 1. The Spirit of Goethe's
Egmont. 2. The Chief Characters. 3.
How Goethe Wrote Egmont. 4. The
Historical Background. The book is
equipped with a map, facsimiles and
Tlticherbesprechungen.
209
engravings, for which original ma-
terials have been used.
Professor Hatfield's attitude to
scientific accuracy is rather mis-
leading in the statement about
Motley's "Rise of the Dutch Re-
public": "but there is vastly more
deep historical truth in its vivid
dramatic fiction than in all the dead
facts of mere statisticians". Histo-
rical truth is always based on ac-
curacj^. How many misconceptions
concerning the development of
civilization and religion have arisen
from sources of "vivid dramatic
fiction". Again, this statement does
not accord with Professor Hatfield's
methods. In order to obtain the
"Spirit of Egmont", he insists upon
a pure text. In order to obtain a
pure text, he has worked through
all the editions of "Egmont" and has
diligently sought for misprints of
the most minute nature (compare
P. M., V., 5, p 146). Are these live
facts and the products of modern
historical research dead facts of
mere statisticians?
"Vivid dramatic fiction" seems to
play a part in reading into "Eg-
mont', as well as into "Hermann and
Dorothea" too much influence of
"The Spirit of '76". For example:
"The beginnings of the American
Revolution were holding Goethe's
breathless attention as he wrote,
and its ideals of liberty and equality
are reflected everywhere in the
work". Are these ideas not due more
to the influence of the Zeitgeist of
the age in which Goethe lived than
to the beginnings of our country's
struggle for independence, which is
but a particular product of the
European revolution, differing ac-
cording to the different conditions
and according to the different Welt-
anschauung caused by the different
conditions? (Compore "Hermann
und Dorothea". Canto VI, Das Zeit-
alter.*)
The statement that "Egmont
mixes freely with the people, re-
spects their judgment, and takes
them into his confidence in a way
which would have been approved of
by Abraham Lincoln" seems a little
overdrawn. Egmont, no doubt,
sympathizes with the people and
is a champion of their rights, but he
hardly respects their judgment.
Again the statement that "Goethe
was always, in a certain deeper
sense, a good democrat at heart",
is not exactly clear. Goethe was "a
lordly aristocrat", and can be com-
pared with Bismarck rather than
with Lincoln in many respects.
A tendency to sanctify Goethe, or
rather Egmont, is noticeable in the
chapter, "The Spirit of Goethe".
Will this not hinder the student in
obtaining an insight into "die Dar-
stellung menschlicher Naturen in
Goethes unerschopflich reicher Fiille
und Lebendigkeit"?
The above, perhaps too subjective
observations, are not intended to de-
tract from the interesting intro-
duction and the helpful edition of
the drama into which the maturer
poet has worked so much of his
great experiences and forceful
personality.
Goethes "Das M a r c h e n",
edited with introduction, notes,
vocabulary, and conversational ex-
ercises by Professor Charles A.
E g g e r t. D. C. Heath and Co.,
1904.
Professor Eggert's neat and care-
ful edition of "Das Miirchen" will,
undoubtedly, be introduced by many
teachers who appreciate the fact
that the training of the imagination,
is one of the important factors in
education. The pupils are inclined
to remember that which is fanciful
and weird. This will help them to
acquire a living vocabulary. The
conversational exercises, as far as
they go, will be of assistance to the
pupil in preparing the work at
home. The notes are well selected.
*) Denn wer leugnet es wohl, dass
hoch sich das Herz ihm erhoben,
Him die freiere Brust mit reineren
Pulsen geschlagen,
Als sich der erste Glanz der neuen
Sonne heranhob.
Als man horte vom Rechte der Men-
schen, das alien gemein sei,
Von der begeisternden Freiheit und
und von der loblichen Gleichheit!
Damals hoffte jeder, sich selbst zu
leben; es schien sich
Aufzulosen das Band, das viele Lan-
der umstrickte,
Das der Miissiggang und der Eigen-
nutz in der Hand hielt.
210
Ptidagogische Monatshejte.
The vocabulary is carefully pre-
pared. However, it hardly seems
necessary to include words which
the pupil already knows.
W. W. Florer.
Entwicklungslehre von
Dr. Franz v. Wagner with
notes and vocabulary by A r t h u r
S. W r i g h t, Professor of Mod.
Languages, Case School of Applied
Science, Boston, Heath and Co.,
1904. IV + 61 Ss.
Mit dieser Ausgabe von Herrii
Prof. Wagners Tierkunde, denn un-
ter diesem Titel ist das Werkchen in
der Sammlung Goschen erschienen,
hat der Herausgeber die Liste der
wissenschaftlichen Texte, die dem
ainerikanischen Lehrer zu Gebote
steht, um ein sehr brauchbares Buch
bereichert. Es mangelt tins immer
noch an solchen Texten, denn von
derartigen vorhandenen Texten ist
eine grosse Anzahl in Bezug auf den
Inhalt veraltet, und da hat der Herr
Herausgeber entschieden recht,
solche wissenschaftlichen Texte
sollten auch inhaltlich von Wert
sein. Der Text ist wohl etwas
schwierig und diirfte daher wohl
kaum Sals Einfiihrung in die wis-
senschaftliche Lektiire benutzt
werden.
In den Text (p. 32 ff) ist ein fiinf
Seiten langes Kapitel iiber den
,.Kampf uins Dasein" aus Hertwigs
,uehrbuch der Zoologie eingeschal-
tet worden, angeblich, iim zuni bes-
seren Verstandnis des Kampfes urns
Dasein beizutragen, wohl aber auch,
um die Seitenzahl, die sonst viel-
leicht als zu gering empfunden wer-
den mochte, um etwas zu vermeh-
ren.
Der Text, sowie Vokabulariuin
tmd Anmerkungen, sind auffallend
frei von Druckfehlern. Die den An-
merkungen voransteheden Paragra-
phen iiber die Partizipialkoiistruk-
tion im Deutschen sind gut ange-
bracht. Anmerkungen und Voka-
bular, welches letztere nur die
Fachausdriicke enthillt, sind durch-
weg gut und genau gemacht. Man
konnte allerdings fragen, wozu die
Anmerkung zu formbildende
Wirksamkeit p. 40, 17 ? Hill te
<es nicht geniigt, formbildend
in das Vokabular zu bringen?
Warum ferner die Anraerkung z u
d a r b i e t e n p. 42, 5. ff., da man
doch sonst die trennbaren Verba
nicht beriicksichtigt. Im Vokabular
heisst es ferner: W e c h s e 1 1 i e r-
c h e n, pi. amoebae, wiihreiid das
Wort p. 5, 9 auch Sing, vorkommt.
A Guide for the Study of
Goethe's Hermann and Do-
rothea by Ernst Wolf and W.
W. F 1 o r e r, Geo. Wahr, Ann Ar-
bor, Mich., 1904. Ill + 82 Ss.
Dieser Leitfaden besteht aus
deutschen Fragen, die so gestellt
sind, dass der Schiller am besten
und bequemsten mit den Worten des
Dichters selbst antworten wird. Die
Fragen sind dtirchweg in gutem
Deutsch gehalten, was bei einem
solchen Leitfaden von der aller-
grossten Wichtigkeit ist, denn wel-
chen Schaden unrichtige, nicht
deutsche 1 ragen anzurichten im
Stande wliren, kann man sich den-
ken. Das Biichlein soil dazu dienen,
die Handhabung der sog. direkten
Lehrmethode zu erleichtern. Was
diese M^ethode betrifft, so konnen
wir jede in diese Eichtung gehende
Stromung nur gut heissen. Eine Ge-
fahr liegt aber immer vor, niimlich
die, dass der Lehrer sich die Fragen
nicht selbst einpriigt imd dieselben
einfach vom Buch abliesst. Das Be-
streben der Herren Herausgeber ist
aber nur zu loben. Es ist ge-
wiss Zeit, dass die alte routinen-
massige Lesung und ubersetzung
etwas Werthvolleren Platz macht.
Charl s H. Handschin.
Elementary Guide to
Literary Criticism. By F. V.
N. P a i n t e r, A. M., D. D., Profes-
sor of Modern Languages in Roa-
noke College. Boston, Ginn and Co.,
1903.
Any work that will aid or encour-
age the study of literature should
be heartily welcomed. This book, as
the title indicates, is intended to
help the young student, but many
an older student will find something
in it that will make his literary
study more definite. The work is di-
vided into three parts. Part I dis-
icusses the fundamental principles
of literary criticism in three chap-
ters which treat of the nature and
office of criticism, the author and
his work, and aesthetic principles.
The few pages, only seventeen, de-
voted to aesthetic principles will
set the student to thinking, and will
Bucberbesprecbungen.
211
surely lead him to see beauties in
literary expression and suggestion
that never before appealed to him.
Part II explains the rhetorical
elements of form under the sub-
jects words, sentences, paragraphs,
figures of speech, and style.
Part III is the best in the book,
still its arrangement might be im-
proved. The main subject is kinds
of literature. There are six chapters,
but the line of division is not well
defined. For instance, didactic and
lyric poetry are discussed in the
chapter that is entitled kinds of
poetry, while epic and dramatic
poetry are treated in a chapter by
themselves. These two chapters
might well have been thrown to-
gether, or else there should have
been a greater subdivision in order
to give the various kinds of poetry
equal importance or coordinate
rank. The introductory chapter on
the nature and structure of poetry
is interesting and stimulating.
Each chapter throughout the book
is followed by a list of review ques-
tions, and with the exception of the
last four, each chapter is supple-
mented by illustrative and practical
exercises. In the case of these four
chapters, which deal with epic and
dramatic poetry and the various
kinds of prose, the author recom-
mends that the student be referred
to representative productions, and
in lieu of the exercises, he offers
some sensible suggestions for the
guidance of the teacher in making
selections.
The book is certainly helpful as
an elementary guide, and it can be
used to advantage even in the study
of foreign literatures.
German Composition. With
a Review of Grammar and Syntax
and with Notes and a Vocabulary.
By B. Mack Dresden, A. M.,
Instructor in German, State Normal
School, Oshkosh, Wis. American
Book Company, 1903.
The author states in his Preface
that this book has been compiled
for the use of students who have a
fair knowledge of the grammar of
the German language, and who have
done, in addition, at least one half
3'ear's reading and translating from
German into English. He has en-
deavored to present well-graded se-
lections for translating English into
German. The notes, which are at
the bottom of the page, and the
vocabulary are m,erely suggestive,
and they will not make grammar
and dictionary unnecessary. The
brief review of grammar and syntax
preceding the exercises will be help-
ful to the student. The author has
accomplished with success his task.
The book could be used to good ad-
vantage alternately with another
composition book, for experience
has shown that it is well to change
composition texts from time to
time.
There are a few unusual words
and expressions in the work, for in-
stance, "stage of advance", page 5,
line 10; "addresive", p. 12, 1. 4. The
signs and abbreviations after the
word "April", p. 52, in the Vo-
cabulary, seem to indicate that one
form of the genitive may be "April".
Under "Dorn", p. 66, the more usual
weak plural "Dornen" should be
added. Among misprints may be
noted, "pheasants' egg" for "pheas-
ant's egg", p. 43, 1. 6; also 1. 11;
"embarassment" for "embarrass-
ment", p. 56, 1. 13.
Charles Bundy Wiison.
The State University of Iowa.
III. Eingesandte Biicher
Die Chemie im t a g 1 i c h e n
L e b en von Prof. Dr. Lassar-
Cohn. Abridged and edited with
notes and an introduction on Ger-
man chemical nomenclature by
Neil C. Brooks, Ph. D., Assist-
ant Professor of German, University
of Illinois. Boston, D. C. Heath and
Co., 1904.
An Introduction to Ver-
tebrate Embryology. Based
on the Study of the Frog and the
Chick by Albert Moore Reese,
Ph. D, (Johns Hopkins), Associate
Professor of Histology in Syracuse
University and Lecturer on Histo-
logy and Embryology in the College
of Medicine. With 84 Illustrations.
G. P. Putnam's Sons, New York and
London, 1904.
Germelshausen von Fried-
rich Gerstacker. Edited with
introduction, notes, exercises, and
vocabulary by Griffin M. Love-
lace, Instructor in Modern Lan-
guages, Louisville Male High School.
Boston, Ginn and Co., 1904. Price 35
cts.
Minna von Barnhelm oder
!D a s Soldatengliick von
L e s s i n g. Edited with notes and
vocabulary by Richard Alex-
ander von Minckwitz and
Anne C r o m b i e Wilder, B. A.
Boston, Ginn and Co., 1904, Price 50
cts.
Primary Arithmetic by
David Eugene Smith, Ph. D.,
Professor of Mathematics in
Teachers College, Columbia Uni-
versity, New York. Boston. Ginn
and Co., 1904. Price 33 cts.
An Elementary American
History by D. H. Montgom-
e r y. Boston, Ginn and Co., 1904.
Price 85 cts.
The Louisiana Purchase
and the Exploration Early
History and Bxiilding of
the West by Ripley Hitch-
cock. Boston, Ginn and Co., 1904.
TheShipofState by Those
at the Helm. Boston, Ginn and
Co., 1904.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
3abrujany V. Scptembcn-Oktohcn 1901. Heft 7-8.
26. Generalversammlung des Nationalen Deutsch-
amerikanischen Lehrerseminar=Vereins.
(OffizieJl.)
Die 26. Generalversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen
Lehrerseminar-Vereins fand am 29. Juni im Seminargebaude statt.
Dr. Louis F. Frank, President der Verwaltungsbehb'rde des Seminars,
richtete eine herzliche Begriissungsansprache an die Delegaten.
Der Ausschuss fur Beglaubigungsschreiben, welcher aus den Herren
Albert Wallber, Wm. J. Krauthofer und Chas. F. Ringer bestand, berichtete,
dass 68 Mitglieder mit 1694 Stimmen zu Sitz und Stimme berechtigt seien.
Die folgenden Beamten verlasen hierauf ihre Jahresberichte.
Bericht des Prasidenten Dr. L. F. Frank.
Eine wehmiitige Stimmung lagert iiber unserer diesjahrigen Versamm-
lung; konnen wir doch nicht umhin, des Mannes zu gedenken, der seit 16
Jahren wie ein kundiger Steuermann mit sicherer Hand das Schifflein unserer
Anstalt lenkte, er, der auf die Fahne seines Lebens das Motto geschrieben
hatte: ,,Vorwarts in Wahrheit, Freiheit und Liebe" — er, der mit gliihender
Begeisterung und rastlosem, selbstlosem Fleisse an der Hebung des Lehrer-
standes arbeitete — er, von dem man nicht vveiss, was an ihm grosser war, ob
die Scharfe seines Denkens, die Tiefe seines Gemiites oder die Energie seines
Willens ; unser in alien Kreisen hochangesehener Direktor Emil Dapprich ist
von seinem segensreichen Wirken durch den Tod uns entrissen worden. Ich
ersuche die Versammlung, durch Erheben von den Sitzen unserem toten
Freund den schuldigen Tribut der Dankbarkeit zu erweisen.
214 Padagogische Monatshefte.
Nach dem am 25. November erfolgten Ableben Emil Dapprichs wurde
in einer im Dezember abgehaltenen Versammlung Herr Max Griebsch, wel-
cher mit Herrn Oskar Burckhardt wahrend der neunmonatlichen Krankheit
des Direktors die Leitung der Schule, letzterer die des Seminars iibernommen
hatte, zum interimistischen Direktor beider Anstalten gewahlt. Es gereicht
mir zur grossen Freude bei der heutigen Gelegenheit den beiden Herren fiir
ihre miihevolle und treffliche Leitung der Anstalt im Sinne ihres Vorgangers
meine Anerkennung und den Dank des Seminars auszusprechen.
Das verflossene Schuljahr war ein Jahr ernster, zugleich aber harmoni-
scher und erfolgreicher Arbeit; dieses war erkennbar an der in der letzten
Woche stattgefundenen Schlussfeier des Seminars, welche ein beredtes Zeug-
nis nicht allein der Fahigkeit der Abiturienten, als auch der Teilnahme und
Gewissenhaftigkeit der Lehrer ablegte.
Herr Henry Mann resignierte als ein Mitglied des Venvaltungsrats ; auf
Empfehlung des Prasidenten wurde Herr Carl Penshorn zum Mitgliede ge-
wahlt.
Wahrend des verflossenen Jahres wurde die Anstalt von 32 Zoglingen
besucht, von denen sich 10 in der Oberklasse, 14 in der Mittelklasse und 8 in
der Unterklasse befanden. Sieben Abiturientinnen und ein Abiturient erhiel-
ten Diplome und 8 das Diplom als Turnlehrer und Lehrerinnen.
Die diesjahrige Benefizvorstellung des Deutschen Theaters zum Besten
der Anstalt brachte ,,Clavigo" und ,,Die Geschwister", welche in der gedie-
gensten Weise aufgefiihrt wurde. Ober den finanziellen Erfolg berichtet der
Schatzmeister.
Als sehr erfreulicher Umstand ist es zu bezeichnen, dass der erfolgte
Aufruf an friihere Stipendiaten einen befriedigenden Erfolg hatte.
Es liegt der heutigen Versammlung die wichtige Frage zur Erorterung
vor, ob das Seminar die finanzielle Leitung und Verantwortung der Padago-
gischen Monatshefte iibernehmen soil. Zu diesem Zwecke wurde von den
Herren Griebsch und Abrams ein Zirkular an die deutschamerikanische
Lehrerschaft erlassen, mit der Anfrage behufs materieller und geistiger Un-
terstiitzung.
Zwringende Griinde veranlassen mich, eine Wiederwahl als Prasident des
Seminars abzulehnen. Es geschieht dies mit den freundschaftlichsten Ge-
fiihlen gegen jeden mit mir an dem Seminar Beteiligten, und ich kann nicht
umhin, das zu jeder Zeit angenehme Verhaltnis des Venvaltungsrats unter
sich und den Lehrern der Anstalt hervorzuheben und fiir die entgegen-
kommende und liebenswiirdige Art und Weise, wie sie mein Amt erleichter-
ten, meinen herzlichen Dank auszusprechen.
Louis F. Frank,
Prasident.
Milwaukee, den 29. Juni 1904.
Generalversammlung des Lehrerseminar-Vereins. 215
Sekretar Wallbers Bericht.
An die 22. Generalversammlung des Lehrerseminars!
Das 26. Schuljahr ist zu Ende. Wir ziehen den Vorhang zuriick, um
die Vorkommnisse des verflossenen Termins Revue passieren zu lassen. Zu
Anfang desselben fungierte Herr Oskar Burkardt als stellvertretender
Direktpr, wahrend Herr Dapprich in Deutschland auf seiner Erholungsreise
begriffen war. Als letzterer im Juli v. J. zuriickkehrte, verschlechterte sich
sein Gesundheitszustand derartig, dass ihm eine weitere Ruhepause bewilligt
wurde. Seine Krafte nahmen zusehends ab, und Ende November schied er aus
dem Leben. Die Trauer um seinen Verlust war eine allgemeine und recht
schmerzlich beriihrte sein Ableben die Mitglieder der Verwaltungsbehorde,
mit denen er so viele Jahre fur die Interessen des Seminars gearbeitet hatte.
Eine imposante Leichenfeier fand in der Bundes-Turnhalle statt und die
Ehrung, welche ihm zu teil wurde, bewies, in welch hoher Achtung er bei
seinen Mitmenschen stand, und wie sehr er als Lehrer beliebt war. In dank-
barer Anerkennung seiner Verdienste um das Seminar iibernahm der Voll-
zugsausschuss in Gemeinschaft mit der Deutsch-Englischen Akademie die Be-
grabniskosten, sowie die Auszahlung seines vollen Gehalts an die Witwe
wahrend des restierenden Schuljahres.
Herrn Burckhardt, welcher die Leitung des Seminars wahrend Dapp-
richs Abwesenheit in arierkennenswertester Weise fiihrte, wurde eine Extra-
Vergiitung und herzlicher Dank fiir seine erschwerenden Arbeiten zugedacht.
Um wieder eine einheitliche Leitung ftir Akademie und Lehrerseminar
herzustellen, erwahlte der Vollzugsausschuss, mit Zustimmung der aus-
warts wohnenden Mitglieder des Verwaltungsrats, Herrn Max Griebsch
zum provisorischen Direktor, es dem Verwaltungsrate, den Statuten gemass,
iiberlassend, die Ernennung zu einer permanenten zu machen.
Die Beforderung des Herrn Griebsch veranlasste eine Vakanz im Lehr-
personal, welche durch die Anstellung von Herrn John Eiselmeier von Mil-
waukee gut ausgefiillt wurde. Die vielseitige Tatigkeit samtlicher Lehrer
hatte zur Folge, dass fiir Erteilung des Zeichenunterrichts, der eine Zeitlang
ausfiel, Frl. Mary Shields, eine Lehrerin der Ostseite Hochschule, gewonnen
wurde.
Seminarlehrer Hall, welcher die englischen Facher unterrichtete, been-
digte seine Tatigkeit am Schlusse des Schuljahres. An dessen Stelle gewan-
nen wir Herrn Chas. W. Babcock, einen an der Universitat Yale ausgebilde-
ten Lehrer, welcher sein Amt mit Beginn des neuen Schuljahres antreten
wird.
Neue Gedanken und neue Wege, welche auf dem Gebiete der Erziehung
und des Unterrichts auftauchen, finden bei uns stets Forderung. So auch die
bereits in mehreren Landern eingefiihrte ungeteilte Schulzeit. Sie wurde als
gut anerkannt und ist seit Ostern in Akademie und Seminar mit Erfolg ein-
216 Padagogische Monatshefte.
gefiihrt worden. In dem Bericht unseres Direktors wird diese Massnahme
die ausgibigste Erorterung erfahren. Wir diirfen es uns zur Ehre anrechnen,
hier die Ersten zu sein, die in dieser Richtung bahnbrechend vorgegangen
sind.
Zu den 23 am Anfange des Schuljahres sich in der Anstalt befindlichen
Schulern traten 8 neu ein ; von diesen trat eine Schulerin in das Turnlehrer-
seminar liber, 2 Schiller und eine Schulerin resignierten, so dass 30 Schiiler
verblieben. Aus dieser Zahl graduierten 8.
Stipendiaten hatten vvir 8, denen $818 Vorschuss ausgezahlt wurden.
In der letzten Generalversammlung wurde Herr C. O. Schonrich dazu aus-
ersehen, das Seminar bei der im September 1903 in Baltimore tagenden Kon-
vention des D. A. Nationalbundes zu vertreten. Herr Schonrich entledigte
sich dieser Aufgabe aufs Energischste, und ist es seiner speziellen Befiir-
wortung zu verdanken, dass der Konvent seinen Mitgliedern ans Herz legte,
den im Interesse des Lehrerseminars gefassten Beschluss, dem Institute eine
kraftige finanzielle Unterstiitzung angedeihen zu lassen, in Ausfiihrung zu
bringen. Als nach mehreren Monaten noch keine Gelder eingingen, unter-
nahm es der Unterzeichnete, ein Rundschreiben an alle dem Nationalbunde
zugehorigen Vereine zu senden, sie ersuchend, dem Beschlusse freundlichst zu
entsprechen.
In Beantwortung dieses Aufrufs envarben sich folgende Vereine und
Personen die Mitgliedschaft :
D. A. Zentral Bund, westlicher Zweig, Allegheny, Pa.
Allegheny Turnverein, Allegheny, Pa.
H. C. Bloedel, Allegheny, Pa.
Zentral Turnverein, Pittsburg, Pa.
Verband der Deutschen Vereine, Indianapolis, Ind.
Ausserdem sandte Herr Clemens Vonnegut, Sr., Indianapolis, vvelcher
bereits zu unseren Mitgliedern zahlt, den Betrag von zwei Mitgliedszerti-
fikaten ein.
Vom Schillerverein in St. Louis erhielten wir eine Abschlagszahlung mit
dem Versprechen, dass weitere Rimessen folgen wiirden, bis ein Mitglieds-
zertifikat in Voll bezahlt sei.
Die Summe der so eingezahlten Betrage beziffert sich auf $360. Auch
eine Theatervorstellung zum Besten des Stipendienfonds fand statt, jedoch
fiel das Ergebnis derselben hinter dem des Vorjahres zuriick, weil die Saison
bereits zu weit vorgeschritten und es unmoglich war, die Vorstellung friiher
abzuhalten. Der Reinertrag belief sich auf $338.68.
Unsere Bibliothek, der ein neues, mehr entsprechendes Heim angewiesen
wurde, ist von Herrn Burckhardt katalogisiert worden und befindet sich jetzt
in geordnetem Zustande. Ein jeder, der diese immense Arbeit, welche damit
verkniipft war, zu wiirdigen weiss, wird es begreiflich finden, dass der Voll-
Generalversammlung des Lehrerseminar-Vereins. 217
zugsausschuss Herrn Burckhardt seinen verbindlichsten Dank fur seine
Miihewaltung aussprach. Auch Herrn Gerisch wurde Anerkennung und
Dank zuteil fur die Inventuraufnahme der physikalischen und naturwissen-
schaftlichen Lehrmittel.
Aus dem Finanzbericht werden Sie entnehmen, dass das diesjahrige
Defizit $2,100 betragt. Es ware auf hochstens $900 zu stehen gekommen,
wenn nicht die Extraausgaben gewesen waren, welche mit dem Ableben
unseres Direktors verbunden waren.
Die Riickzahlung von Stipendiengeldern ging ziemlich flott von statten
Dank des, an die japanesische Kriegsfiihrung erinnerden, forschen Vorgehens
unseres Cincinnatier Verwaltungsratsmitgliedes. Dieses hatte zur Folge, dass
4 in Cincinnati wohnhafte Abiturienten ihre Konti vollstandig ausgeglichen
haben.
Von solchen Abiturienten, die bisher Abzahlungen geleistet, sind leider
zwei in dem Iroquois Theaterbrande in Chicago urns Leben gekommen.
Mit dieser Versammlung lauft der Amtstermin von folgenden 5 Ver-
waltungsratsmitgliedern zu Ende, deren Nachfolger wahrend der heutigen
Sitzung zu wahlen sind :
Gottlieb Miiller und John Schwab, Cincinnati; Starr W. Cutting,
Chicago; Dr. Louis F. Frank und Dr. Joseph Schneider, Milwaukee.
Im Jahre 1878 eroffnet, konnte unser Institut am I. September 1903 auf
ein 25Jahriges Arbeitsfeld zuriickblicken. Es hat, wie Sie wissen, machtig
mit unzureichenden Mitteln zu kampfen gehabt und ist jetzt noch nicht
dahin gelangt, dass sein Einkommen es vor einer Unterbilanz bewahrt. Aber
sein bisheriges erspriessliches Wirken als Erziehungsanstalt sichert seine
Existenz auch fur die Zukunft, von der wir die uns mangelnde materielle
Hilfe erhoffen. Mb'ge das einzige nationale deutsche Werk in Amerika von
seinen Freunden weiter gepflegt und so liberal unterstiitzt werden, wie das-
selbe es verdient.
Gliick auf denn zum zweiten Vierteljahrhundert.
Milwaukee, den 29. Juni 1904.
Albert Wallber,
Sekretar.
Bericht des Seminardirektors Max Griebsch.
Milwaukee, den 29. Juni 1904.
An die Generalversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrer-
seminar-Vereins.
Geehrte Versammlung!
Am 2. September des Jahres 1903 waren 25 Jahre seit der Griindung
•des Lehrerseminars verflossen. Unter gliicklicheren Umstanden ware dieser
Tag wohl in gebiihrender Weise gefeiert worden. Aber schon zum Beginn
218 Padagogische Monatshefte.
des Schuljahres lagerte eine triibe Wolke liber der Anstalt, die jede Fest-
freude bannte. Unser Direktor Dapprich war von seiner Urlaubsreise zu-
riickgekehrt, ohne die gesuchte und von uns alien so sehnlichst gewiinschte
Heilung gefunden zu haben. Das Krankenlager, auf das er sofort nach seiner
Riickkehr geworfen wurde, ward ihm zum Sterbebette. Am 25. November
wurde er von seinem langwierigen und schweren Leiden durch den Tod er-
lost.
In Dapprich verlor die deutschamerikanische Lehrerschaft ihren be-
deutendsten Fiihrer, seine Freunde den treuesten Berater, unsere Anstalten
den aufopferndsten Leiter, dessen ganzes Sinnen und Trachten einzig und
allein dem Wohle derselben gait. Das, was Dapprich auf diesem seinem Ar-
beitsfelde getan hat, wird unauslb'schlich in den Annalen unserer Anstalt ein-
gegraben bleiben, und Ihr unterzeichneter Berichterstatter, der durch Be-
schluss des Verwaltungsrates mit dem Amte des Direktors fur den Rest des
laufenden Schuljahres betraut worden war, kann nichts Weiteres iiber seine
Tatigkeit sagen, als dass er sich bemiihte, das Seminar im Sinne und Geiste
unseres verstorbenen Freundes weiter zu fiihren.
Die Arbeit des Seminars verlief sonst im verflossenen Schuljahre ohne
besondere Zwischenfalle. Lehrer und Schiller waren gleichmassig bemiiht,
der Anstalt durch doppelte Pflichterfiillung iiber die schweren Tage hinweg-
zuhelfen. Und ich erlaube mir an dieser Stelle, insbesondere meinen Kollegen
fiir ihr freundschaftliches Entgegenkommen den herzlichsten Dank abzu-
statten.
Das Seminar war von 32 Schiilern besucht, die sich in folgender Weise
auf die einzelnen Klassen verteilen: I. Klasse — 8, 2. Klasse — 14 und 3.
Klasse — 10. Von den Schiilern der dritten Klasse erhielten acht nach abge-
legtem schriftlichem und miindlichem Examen das Zeugnis der Reife; eine
derselben hatte den Kindergarten-Kursus gewahlt. Zwei Mitglieder der
Klasse zogen aus eigenem Antrieb vor, die Arbeit des dritten Kursus im
folgenden Jahre zu wiederholen.
Gemass dem Beschluss der vorjahrigen Generalversammlung, durch
welchen der stellvertretende Direktor Herr Burckhardt in Verbindung mit
dem Lehrerausschuss beauftragt wurde, wenn moglich eine Entlastung der
Schiiler und Lehrer vorzunehmen, fand eine Abanderung des Stundenplanes
statt, durch den namentlich in Obereinstimmung mit dem technischen Leiter
des Turnlehrerseminars, Herrn Wittich, die Stundenzahl fiir den theoreti-
schen Turnunterricht verringert wurde.
Eine weitere Abanderung des Stundenplanes trat am 5. April d. J. in
Kraft. Der Vorstand der Deutsch-Englischen Akademie hatte in Wiirdigung
hygienischer sowohl, als damit auch in enger Verbindung stehender padago-
gischer Griinde beschlossen, den Unterricht in den wissenschaftlichen Fachern
auf den Vormittag zu verlegen und nur den Unterricht in Handarbeiten und
Generalversammlung des Lehrerseminar-Vereins. 219
Turnen fur die Oberklassen am Nachmittag bestehen zu lassen, den Unter-
klassen dagegen den Nachmittag vollstandig freizugeben. Da die Lehrkrafte
des Seminars auch in der Schule tatig sind, erheischte diese Veranderung des
Stundenplanes in der Akademie auch eine solche im Seminar. Mit Genehmi-
gung des Vollzugsausschusses war daher fur die Monate April, Mai und Juni
die Schulzeit so festgesetzt, dass der Hauptunterricht von 8 — I Uhr in Drei-
viertelstunden-Sektionen mit zwei Pausen von je 15 Minuten stattfand, dass
am Dienstag und Donnerstag ebenso wie in den Oberklassen der Akademie —
der Nachmittagsunterricht ausfiel, an den drei anderen Schultagen von 2 130
— 4:45 Unterricht vornehmlich in Gesang und Turnen erteilt wurde. Diese
Anordnung bewahrt sich in Bezug sowohl auf den Gesundheitszustand der
Schiiler als auch auf die geleistete Arbeit vorziiglich.
Im Sommer des vorigen Jahres wurde im Daehraume unseres Schul-
gebaudes ein Zimmer zur Aufnahme der Bibliothek neu angelegt. Wahrend
des Jahres unterzog sich Herr Burckhardt der Aufgabe, die Biicher von
Schule und Seminar zu ordnen und zu katalogisieren. Dank seinem beharr-
lichen Fleisse und seinem grossen Geschick, prasentiert sich unsere Bibliothek
nunmehr in prachtigster Ordnung, die das Auffinden eines jeden Buches und
seinen sofortigen Gebrauch ermoglicht.
Eine wertvolle Bereicherung erhielt unsere Bibliothek in den letzten
Wochen dadurch, dass uns Frl. Klara Kuehn die Bibliothek ihres Vaters,
unseres langjahrigen Freundes und Mitgliedes des Vollzugsausschusses,
Herrn Ferd. Kuehn, iiberwies, wofiir ihr der Dank des Seminars gebiihrt.
Durch den Hingang Dapprichs war die Neuanstellung einer Lehrkraft
notwendig geworden. In Herrn J. Eiselmeier gewann die Anstalt einen fur
seinen Beruf begeisterten, mit griindlichem Wissen ausgestatteten und uner-
miidlich tatigen Lehrer. Auch fiir den Zeichenunterricht ergab sich die Not-
wendigkeit der Anstellung einer besonderen Lehrkraft. Frl. Mary D.
Shields, Lehrerin des Zeichnens an der Hochschule der Ostseite, iibernahm
dieses Unterrichtsfach auch im Seminar, wo sie Samstags von g — 11 Uhr
tatig war.
Eine Veranderung im Lehrpersonal des Seminars tritt mit Ende des
Schuljahres in Kraft, indem Herr E. A. Hall, Lehrer der englischen Sprache
und Literatur, die Anstalt verlasst. Herr Hall gehorte ihm 5 Jahre an, und
seine Energie und Tatkraft, verbunden mit dem notigen Konnen, machten
seine Wirksamkeit zu einer sehr erfolgreichen. An seiner Stelle wurde durch
Beschluss — Maiversammlung des Vollzugsausschusses Herr Chas. W. Bab-
cock von New Haven, Conn., wo er wahrend des letzten Jahres an der Hoch-
schule unterrichtete und an der Yale-Universitat studierte, erwahlt.
An der Weltausstellung zu St. Louis beteiHgten sich auch unsere An-
stalten mit einer Anzahl von Schiilerarbeiten, die vornehmlich zeigen sollen,
wie das Prinzip des zweisprachigen Unterrichts durchgefiihrt wird.
220 Padagogische Monatshefte.
Dieses Jahr fiihrt eine Reihe bedeutender Manner Europas aus Anlass
der Ausstellung nach Amerika. So wird auch Prof. Dr. W. Rein von Jena
erwartet, und es gereicht dem Seminar zur Ehre, diesen bedeutendsten Ver-
treter auf dem Gebiet der Piidagogik fur zwei Vortrage gewonnen zu haben,
fiir welche vorlaufig der 16. und 17. September festgesetzt sind.
Nachdem die Herold Co. von Milwaukee zu dem Entschluss gekommen,
die Padagogischeh Monatshefte, das offizielle Organ des Lehrerbundes, nicht
mehr weiter zu fiihren, befasste sich der Vollzugsausschuss mit der Frage,
ob das Lehrerseminar den Verlag iibernehmen soil. Ein Zirkular von Herrn
Abrams und dem Unterzeichneten an die bisherigen Abonnenten ausgesandt,
brachte eine ganze Reihe von Antworten, die durchweg dem Plane ihre Zu-
stimmung gaben und die Unterstiitzung zur Forderung desselben zusagten.
Eine tJbernahme der Zeitschrift durch das Lehrerseminar vviirde eine nur
heilsame Zentralisation der Sache des deutschen Unterrichts in unserem
Lande bedeuten, und ich erlaube mir daher, den Plan der tJbernahme befiir-
wortend zu unterbreiten.
Zum Schluss gestatte ich mir noch, den Herren des Vollzugsausschusses
und des Verwakungsrates fiir ihr Interesse an dem Wohl und Gedeihen der
Anstalt, sowie fiir das mir erwiesene Wohlwollen von ganzem Herzen zu
danken. Der Wert der Kenntnis der deutschen Sprache wird in immer wei-
teren Kreisen anerkannt, und auch die Wichtigkeit fiir ihren Beruf tiichtig
vorgebildeter Lehrer bricht sich im Erziehungswesen immer mehr Bahn. Dies
gibt unserer Anstalt die Gewahr nicht allein des Weiterbestehens, sondern
einer grosseren segensreichen Tatigkeit in der Zukunft, vorausgesetzt, dass
sie den Anforderungen, die an sie gestellt werden, gerecht wird. Da, wo
Fortschritt ist, da ist Leben — und auch im Lehrerseminar ist Fortschritt Be-
dingung fiir Bestand. Mochten die alten bewahrten Krafte uns treu bleiben
und sich immer neue hinzufinden, um vereint diesen Fortschritt zu erstreben
und die Anstalt so auszubauen, dass sie je mehr und mehr ihrer Aufgabe ge-
recht werde: dass sie ein Sarnmelplatz fiir alle diejenigen werde, denen die
Pflege unserer schb'nen deutschen Sprache am Herzen liegt, dass sie junge
Lehrer und Lehrerinnen in immer grosserer Anzahl hinaussende, die nicht
allein mit dem notigen Wissen ausgestattet sind, sondern auch mit der wahren
Begeisterung fiir ihren Beruf erfiillt sind, und in denen der Geist der Hu-
manitat lebendig ist, der den Menschen aus dem Materialismus zu allem
Wahren, Guten und Schonen erhebt.
Ergebenst,
Max Griebsch.
Generalversammlung des Lehrerseminar-Vereins. 221
Bericht des Priifungsausschusses.
An den Vorstand des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes und
den Verwaltungsrat des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrer-
seminars.
Geehrte Herren:
Die Tatsache, dass nur der Name eines Mitgliedes des auf dem Erier
Lehrertage ernannten Priifungsausschusses unter dem nachfolgenden Berichte
steht, ist auf den Umstand zuriickzufiihren, dass Herr John Eiselmeier vor
einigen Monaten in die Fakultat des Lehrerseminars eintrat und Herr Dr. H.
H. Fick eine Ferienreise nach Deutschland angetreten hat.
Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass das Seminar seit dem
Dahinscheiden unseres unvergesslichen Freundes Emil Dapprich interi-
mistisch unter der Leitung des Herrn Max Griebsch steht. Es gereicht uns
zur Freude, konstatieren zu konnen, dass diese Erziehungsanstalt wahrend
des heute zu Ende gehenden Schuljahres im Sinne und im Geiste des ver-
storbenen Leiters gewirkt hat.
Dem Priifungsausschusse wurden im Monate Mai die schriftlichen Prii-
fungsarbeiten der Oberklasse zur Durchsicht unterbreitet. Diese behandelten
in tJbereinstimmung mit den Vorschlagen der Fakultat und des Priifungs-
ausschusses die folgenden Facher: Aufsatz, Literaturgeschichte, Geschichte
der Padagogik, Composition und Physics.
Samtliche Arbeiten zeichneten sich durch Sorgfalt und Sauberkeit in der
Ausfiihrung aus und zeugten von fleissiger, erfolgreicher Arbeit seitens der
Schiiler und Lehrer wahrend des Jahres.
Auch iiber den Ausfall der miindlichen Priifungen, welche in den
Tagen vom 20. bis zum 22. Juni stattfanden, ist Erfreuliches zu berichten.
Die vorgefiihrten Probelektionen bewiesen, dass die jungen Lehrer sich mit
Freudigkeit und Ernst fiir die ihnen gestellten Aufgaben vorbereitet hatten;
sie zeigten Sicherheit, Gewandtheit und Ruhe in der Handhabung der ihnen
zeitweilig unterstellten Schulklassen, und die Fragestellung war in den
meisten Fallen entwickelnd und spracchlich und padagogisch einwandfrei.
In einer Vorversammlung hatte man sich ausser den erwahnten Probe-
lektionen auf folgendes Programm beziiglich der miindlichen Priifungen ge-
einigt: Padagogik und Psychologic durch Direktor Max Griebsch, Algebra
und deutsche Grammatik durch Herrn Oskar Burckhardt, englische Litera-
tur durch Herrn E. A. Hall, Physiologic cxurch Herrn Paul Gerisch, und
Geschichte der Vereinigten Staaten durch Herrn Eiselmeier. Die Fragen er-
streckten sich iiber ein weites Gebiet in jedem Fache, die Antworten der
Schiiler waren sicher und bestimmt, inhaltlich und sprachlich wohl gegliedert
und berechtigen uns zu dem Urteil, dass die Abiturientenklasse des Jahres
1904 sich den besten Hirer Vorgiinger wiirdig anreiht. Ein Umstand, fiir den
die Leitung des Seminars nicht verantwortlich gemacht werden kann, erfiillt
222 Padagogische Monatshefte.
uns mit Bedauern: das mannliche Geschlecht ist unter den Zb'glingen des
Nationalen D. A. Lehrerseminars numerisch sehr schwach vertreten. Die
Miglieder des Lehrerbundes und die anderen Freunde der Strebeziele unserer
Anstalt sollten es sich zur Aufgabe machen, tiichtige junge Manner zum
Eintritt in das Lehrerseminar zu bewegen.
Indem wir dem Leiter und den Lehrern des Seminars Dank und An-
erkennung zollen fiir ihr segensreiches Wirken im Dienste der Erziehung,
verbleiben wir mit kollegialischem Grusse und Hochachtung
Bernard A. Abrams, Milwaukee.
M. Schmidhofer, Chicago.
Milwaukee, den 22. Juni 1904.
Die Ausschiisse fiir Priifung der Jahresberichte unterbreiteten folgende
Beschliisse zur Annahme:
1. Mit schmerzlichem Bedauern haben wir die Kunde von dem Dahin-
scheiden des langjahrigen Direktors des Lehrerseminars vernommen. Einer
der wackersten Manner deutscher Abstammung, ein fortschrittlicher, fiir
seinen Beruf begeisterter Erzieher und Lehrer, ein edler Mensch schied mit
Emil Dapprich allzufriih von dem ihm so teuren Wirkungsfelde. Wir ver-
sichern hiermit der Familie unseres verewigten Freundes unser inniges Beileid
und sprechen dem Vollziehungsausschusse Dank und Gutheissung aus fiir
alle von ihm zur Ehrung des Andenkens unseres verstorbenen Direktors ge-
troffenen Massregeln.
2. Wir ersehen aus dem Bericht des Sekretars, dass auch das letzte
Rechnungsjahr des Seminars mit einem Defizit abschliesst. Wir empfehlen
dem Verwaltungsrat dringend, durch rege Agitation eine Vermehrung des
Stammkapitals herbeizufiihren.
3. Die Jahresversammlung ist der Ansicht, dass die Weiterfuhrung der
Padagogischen Monatshefte im Interesse der Ziele unserer Kb'rperschaft von
hoher Wichtigkeit ist. Sie erkliirt sich im Prinzip mit dem Plane, die Mo-
natsschrift unter der Agide und der finanziellen Verantwortung des Lehrer-
seminars weiterzufiihren, einverstanden. Sie verweist hiermit diese Ange-
legenheit an den neuen Verwaltungsrat mit dem Auftrage, den Plan und
dessen Ausfiihrbarkeit sorgfaltig zu priifen und nach bestem Ermessen zu
handeln.
4. Die Jahresversammlung driickt hiermit ihr Bedauern aus, dass der
verdienstvolle President, Herr Dr. Louis F. Frank, eine Wiederwahl ent-
schieden ablehnt. Sie spricht jedoch die Hoffnung aus, dass seine wertvollen
Dienste der Anstalt nicht entzogen werden.
5. Wir schliessen uns dem Vollziehungsausschusse an, indem wir dem
Seminarlehrer Oskar Burckhardt herzlich danken fiir die Opfer an Zeit
Generalversammlung des Lehrerseminar-Vereins. 223
und Miihe, die er auf die Ordnung der Biicher des Lehrerserainars ver-
wandt hat.
Fiir die Uberweisung der Bibliothek ihres verewigten Vaters gebiihrt
Frl. Klara Kuehn der herzliche Dank der Versammlung.
Diese Empfehlungen wurden gutgeheissen.
Vertretung in St. Louis.
Herr C. O. Schonrich von Baltimore, Md., machte die Delegaten auf
die am 16. und 17. September in St. Louis stattfindende Konvention der Ger-
manischen Vb'lker aufmerksam, zu der man von Europa zahlreichen Besuch
erwarte. Er wiinschte auch das Nationale Deutschamerikanische Lehrer-
seminar auf derselben offiziell vertreten zu sehen, und solle dort auch wo-
moglich ein Vortrag iiber das Deutschamerikanische Lehrerseminar gehal-
ten werden. Auf den Antrag von Prof. B. A. Abrams wurde der Wunsch
des Herrn Schonrich zum Beschlusse erhoben, sodass die Milvvaukeer Lehr-
anstalt in St. Louis offiziell vertreten sein wird.
Der Nominationsausschuss, dem die Herren Wm. J. Krauthofer, Chas.
F. Ringer und Paul Gerisch angehorten, brachte die folgenden Herren in
Vorschlag: Gottlieb Miiller und John Schwab von Cincinnati, O., Dr. Louis
F. Frank und Dr. Joseph Schneider von Milwaukee und Prof. Otto Heller
von St. Louis.
Die Vorgeschlagenen wurden einstimmig erwahlt. In einer unmittel-
bar darauffolgenden Sitzung organisierte sich der Verwaltungsrat wie folgt:
President: Dr. Louis F. Frank.
Vize-Prasident : Fred. Vogel jr.
Schatzmeister : Albert O. Trostel.
Sekretar: Albert Wallber.
Finanzausschuss : Fred. Vogel, jr., Karl Penshorn.
Lehrerausschuss : Bernard A. Abrams, Prof. Otto Heller, St. Louis,
Louis Schutt, Chicago.
Herr Max Griebsch wurde einstimmig auf 3 Jahre als Direktor er-
wahlt.
Der Bericht des Schatzmeisters Albert O. Trostel, ergab: Einnahmen
$9,102.38; Ausgaben, $11,247.53; Defizit, $2,145.15.
Albert Wallber,
Sekretar.
Das Kind in der Literatur.
(Aus der Schweizerischen Lehrerzeitung.)
Von L. von Dobrzynska.
Das Gebiet der Literatur hat sich in den letzten zwanzig Jahren be-
trachtlich erweitert. Es sind so tiefgreifende, geheimnisvolle Geisteszustande
ans Tageslicht gefordert und zum Ausdruck gebracht worden, dass Kunst-
werlje wie diejenigen eines Dehmel, Schlaf, Hauptmann, Gorki, Przybys-
zewski, d'Annunzio nicht nur Offenbarungen fiir die Kunst sind, sondern
auch als wissenschaftliche Vorarbeiten der Psychologic gelten konnen. Sie
erschliessen Gefuhlszustande, die aus den bis jetzt unerforschten Grenzge-
bieten herriihren, wo Geist und Korper zusammentreten, sich unterstiitzen,
bekampfen oder ewig peinigen.
Der Mensch begegnet nicht mehr dem Leben als Dulder oder Lenker
unerwartet eintretender Ereignisse ; er wird stets als der Urheber des Lebens
und seiner Zufalligkeiten gezeigt. — Wir erfahren nicht nur, ,,wie" das
Dasein und die Menschen sind — sondern ,,warum" sie so sind, welchen An-
teil jede Individualitat an diesem ,,warum" hat, wie jede Tat aufgebaut wird,
durch alle Stadien, vom ersten Eindruck oder Gefiihl an bis zur letzten, in
die aussere Handlung sich gestaltenden, definitiven Aufregung. Diese Analyse
ist das Grossartige der modernen Kunst.
Und nicht genug, dass der reife Mensch unter jenem Skalpell der ge-
nauen Beobachtung seine Seele vollstandig enthiillen muss; auch das Kind
wird herangezogen und an ihm festgestellt, welche Elemente des Mannes
oder der Frau im Knaben und Madchen schon vorhanden sind und als Trieb-
feder des kindlichen, ausseren Wesens. gelten konnen.
Die Kleinen haben seit langen Zeiten her den Dichtern ein nie seine
Wirkung verfehlendes, kiinstlerisches Mittel geboten.
Das Kind war das unschuldige, gedankenschwache, gefiihlvolle, phan-
tasiereiche, nach Liebkosung und lustigem Spiel lechzende Geschopf, wie es
Viktor Hugo in zahlreichen Gedichten besungen hat. Es war sein Recht,
absolut sorglos zu leben, von den Verirrungen, Kampfen, Konflikten des
reiferen Alters keine Ahnung zu haben, iiberhaupt ein tibergangsglied zwi-
schen Engel und Menschen zu bilden, eher mit dem ersten als dem zweiten
verwandt. — Diese Vorstellung vom Kinde, die noch bei alien Grossmiittern
und bei mancher Mama des XX. Jahrhunderts unversehrt fortlebt, war bis
in die letzten Jahrzehnte auch der Standpunkt der Literatur. Der Schrift-
steller oder Dichter brauchte dann nur jenen unschuldigen, sich selbst unbe-
wussten Engel dem Leben in die rohen Klauen zu werfen, ihn von Abenteuer
zu Abenteuer zu fiihren — und der Erfolg war gesichert.
Das Kind in der Literatur. 225
Und wenn ich den Sachverhalt so darstelle, will ich gar nicht dariiber
scherzen. Ich verdanke dieser Methode viele tiefe und erschopfende Ein-
driicke.
Wer in Shakespeares ,,Kb'nig Johann" die Szene gelesen hat, wo der
zwblfjahrige Arthur von Bretagne durch seine Klagen und Bitten den Hen-
ker dazu bringt, ihn unversehrt zu lassen — wo jener ihm die Augen aus-
brennen sollte — ; wer mit den Kindergestalten Dickensscher Romane, einem
Oliver Twist, David Copperfield, Paul Dombey mitgefiihlt; die Schicksale
des kleinen Remy in Malots ,,Sans Famille", oder des Daudetschen ,,Petit
Chose" verfolgt, die Anfangskapitel des ,,Homme qui rit" von Viktor Hugo
bewundert und seine Cosette in den ,,Miserables" liebgewonnen, hat das
Dramatische und Liebliche dieser Schopfungen nicht genug bewundern kon-
nen — und wird sie noch jetzt schatzen miissen, obgleich er in dieser Hinsicht
etwas Besseres kennt.
Denn leugnen kann man es nicht : die moderne Behandlung des Kindes
in der Literatur bezeichnet einen grossen Fortschritt. Es wird vor allem der
Wahrheit ein gerechter Tribut gezollt. Das Kind ist nicht mehr das Ge-
schopf, das mit dem zukiinftigen Menschen keinen sichtbaren Zusammenhang
aufweist — ganz besonders nur ihm zukommende Gefiihle, Urteile und Be-
gehrungen hat, das Kind ist jetzt der kleine Mensch. Das Leben, mit dem
es zusammentritt, bildet alle in der Seele niedergelegten Keime, und dank
der Kunst wird der bisher geheime Entwicklungsprozess sichtbar ; die Hiillen
des Samenkornleins sind behutsam gehoben, man sieht den Baum wachsen.
So hebt Peter Altenberg, der grosse Wiener Meister, in mehreren seiner
Skizzen aus der Sammlung ,,Wie ich es sehe" eine Seite der Madchenseele
hervor, in der sich die zukiinftige Frau kundgibt. Mit ein paar Zeilen meis-
selt er seine Gestalten wie aus Marmor. — Die kleinen Miidchen mit langen
Locken und stimmungsvollen Kleidchen bewahren ihre ganze kindliche
Naivitat. Wie er sie zu belauschen versteht! Hier schildert er ein winziges,
siebenjahriges Ding, das hinausgegangen ist in die Fruhlingssonne, es will
nicht spielen, sondern sitzt und schaut in den blauen Himmel, die Friihlings-
diifte einatmend — eine sich noch unbewusste, aber tiefe Kiinsilerseele. —
Dort sieht er von einer Hotelterrasse einer Zwolfjahrigen zu, die mit fliegen-
dem Haar und vor Freude gerotetem Gesichtchen am Gartenteich steht und
angelt. Es wirft die kleinen, goldenen Fischlein, die es herauszieht, auf den
weichen Sand. Die Fischlein verenden nach kurzem Todeskampf — das
Kind kummert sich um ihre Qual nicht. Alte Damen schelten liber diese
Grausamkeit. Der Dichter lacht und ruft: ,,Angle, Kind, — bis die Zeit
kommt, wo du Herzen so angeln wirst, du Liebliche, Grausame — du
Konigin !"
Die Grausamkeit der Frau erschreckt ihn nicht. Der Mann soil Konig
sein, der bettelt bei einer Konigin, .und nicht ein Bettler — der Konig bei
226 Padagogische Monatshefte.
einer Bettlerin ist. Seine Kleinen sind auch immer stolz, aber wie liebevoll
zugleich ! — ,,Der Mann hat eine Liebe — die Welt, die Frau eine Welt —
die Liebe," meint Altenberg, und die jungen Seelen, die er heraufbeschwort,
haben alle schon jene traumerische Sehnsucht, zu verstehen, zu fiihlen —
sich hinzugcben. So das Magdlein, das gewissenhaft ihre Klavieriibungen
halt und sich zugleich stark wundert, wie es doch sonderbar ist, dass sie bei
gewissen Akkorden immer an den jungen Hausfreund denken muss, dessen
Seele, ihrem Urteil nach, diesem Akkord so sehr ahnlich sei. — Sie fragt den
Jiingling um Erklarung. Er steht betroffen vor dem tiefen Gemiit dieser
Zwolfjahrigen und denkt: ,,Wie wird einst diese in den Seelen zu dichten
verstehen, wie wird sie eine jener Frauen werden, die nicht das sind, was sie
sind, sondern das, was sie im Manne dichten, Dichter und Dichtung, des
Liedes Sanger und das Lied zugleich."
Von den beiden braunlockigen Schwesterchen tont jede gleichsam die
Melodic ihres Wesens aus. Die eine unterhalt sich am liebsten mit Hrn.
Altenberg, die andere hat nur Ohr und Auge fur Blumen und Baume; jene
eine zukiinftige Frau — diese einsame Kiinstlerin.
Die Zartheit, Lieblichkeit, Beredsamkeit dieser Kindertypen lasst sich
nicht in einem fliichtigen Feuilleton wiedergeben. Man muss das Buch lesen.
Ein Gegenteil zu Altenberg ist Gorkie in vielen seiner Werke, besonders
aber in seinem Roman ,,Die drei Menschen". Diese ,,drei Menschen" sind
drei kleine Knaben: Ilja Lunew, Paschka Gratschew und Jakob Filimonow.
Das Milieu, in dem sie aufwachsen, ist dasselbe, wie in ,, Oliver Twist", d. h.
die niedrigsten Volksklassen. Dunkle Kellerraume dienen als Wohnung und
schmutzige Hofe und noch schmutzigere Strassen als Spielplatz. Um sich her
sehen die Kinder nur Ausschweifung, Betrug, Luge. In der Schule lernen sie
zwar lesen, schreiben und rechnen — aber von Religion, Moral, Weltan-
schauung keine Spur. Ganz ihrer eigenen Natur iiberlassen, so dass Rousseaus
Herz in Wonne hatte dariiber aufgehen kb'nnen, — verstehen die Kinder den
Sumpf, der sie umgibt, nicht — und ihr ganzes Streben geht darauf hin, sich
ein reines, asthetisches Dasein zu verschaffen. Besonders strebsam ist der be-
gabte, lebenslustige Ilja.
Da bekommt er Dinge zu sehen, die liber sein Verstandnis reichen. Das
Bose siegt iiber das Gute in der Weise, dass er an Gott zweifelt. In der Liebe
und dem Schaffen hofft er eine Zuflucht zu finden, sein ungeschulter Geist
kann aber nicht die richtigen Mittel wahlen, um Menschenherzen zu ge-
winnen, seine Arbeit ertragsvoll zu machen. Ein grossartiger Kampf beginnt
zwischen dem, seine Mangel immer starker fiihlenden Verstande und dem
immer vervvorrener werdenden Leben. Die Leidenschaf ten wachsen ; Misse-
tat hauft sich auf Missetat — alien Vorsatzen, alien Versuchen eines Besseren
zum Trotz. — Der gepeinigte Geist verlangt nach Befreiung, und wenn der
?,ur Verzvveiflung getriebene Ilja sich an einer Mauer den Schadel einschlagt
Das Kind in der Literatur. 227
mit dem Rufe: ,,Flieg Seele" — so bleibt man vor dieser markerschiitternden,
inneren Tragodie bestiirzt stehen, wie vor einem machtigen Sj-mbol jenes,
die Gesellschaft zerfressenden Cbels der falschen oder mangelnden Begriffe,
an dem so unzahlige Existenzen zugrunde gehen. — Und nicht nur daran.
Es miissen auch Menschen untergehen, wenn sie nach zu hoch gestellten
Idealen greifen. ,,Der Kinderkreuzzug" Schwobs 1st eine Versinnlichung die-
ser Wahrheit. Die Modernen gebrauchen das Kind nicht nur als grund-
legendes Studium der Psychologic der Erwachsenen — sondern ebenso oft
zum Symbolisieren. Schwob gebiihrt darin die Siegespalme. Selten wird die
siisse Zuversicht, Menschenliebe, geduldige Aufopferung, Unvorsichtigkeit,
gefiihlvolle Phantasie des Idealisten so schlicht und doch ergreifend dargelegt,
wie in den Erzahlungen der kleinen Alix und ihrer Gefahrten, die nach Jeru-
salem wandern, um das heilige Grab zu befreien.
Dass die Auffassung des Kindes, wie sie in diesen Werken vorkommt,
keine kiinstlerische Abstraktion, sondern aus der Erfahrung herausgeschalter
Eindruck ist, beweisen Versuche von Nicht-Kiinstlern, auf dieselbe Weise
zu verfahren, d. h. die zu einer Tat sich verschmelzenden Gefiihle und Ge-
danken bis auf ihren Ursprung zu verfolgen und Ziige der allgemein mensch-
lichen Psychologic im Kinde zu unterstreichen. — Die Ergebnisse zeigen sich
als hochst befriedigend. Lou Andreas-Salome verdankt dieser Methode das
psychologisch iiberaus reiche, neue und ergreifende Material, welches aus
ihrer Novellensammlung ,,Im Zwischenland" eine hervorragende Leistung
macht, trotz der hochst mangelhaften, durch weitschweifige Schilderungen
und iiberflussige Gesprache entstellten Form.
Ihre Kindergestalten weisen einfach herrliche Momente auf.
Die unbewussten und halbbewussten Assoziationsprozesse, aus denen
Affekte entstehen, die Wendepunkte im geistigen Dasein des Kindes bilden,
sind mit einer Feinheit und Wahrheit geschildert, welche nichts zu wiinschen
iibrig lasst. — Nicht minder der gewaltige Zwang der fortschreitenden Ent-
wicklung. Er fiihrt trotz ihres Willens und oft auf miihsamem, dornenvollem
Wege die Kleinen aus dem sonnigen Lande der Kindheit in das sturmbevvegte
Konigreich der Jugend hiniiber und wirft einen tragischen Schein auf sie.
Die so grausam missverstandete Ubergangszeit vom Kind zum Backfisch
wird hier vielleicht zum erstenmal ins richtige Licht gestellt. Wer je die
Unbesonnenheit begangen hat, iiber die herannahenden Kinder und ihre sich
so oft unangenehm aussernden seelischen Umwalzungen zu schelten oder zu
lachen, mag die Heldinnen von Lou Salomes ,,Im Zwischenland" kennen
lernen, und es wird ihm wohl die Lust vergehen, fliichtig iiber die kindlichen
inneren Kampfe hinwegzugehen. Helfen muss man hier, nicht ziirnen oder
t-cherzen.
Ungeschickte Behandlung, ein gedankenloses Spott- oder Scheltvvort
228 Padagogische Monatshefte.
kann das ausserordentlich stark in die Hohe schiessende jugendliche Gedan-
ken- und Gefiihlsleben knicken, es dazu zwingen, sich in die tiefsten Tiefen
der Seele zusammenzuknicken, zu verkriechen, dort zu verderben, um den
schlammigen Boden zukiinftiger Entartung zu bilden.
Aufbau im Sprachunterricht.
(Oesterreichischer Schulbote.)
Von Julia Pulitzer, k. k. Uebungsschullehrerin in Linz, a. D.
Von dem Satze ausgehend, dass der Gebrauch der Sprache das Gebiet
sei, das im Sprachunterricht die moglichste Beriicksichtigung und zielbe-
wussten Auf- und Ausbau zu erfahren habe, suchen wir jene Teile der
Sprachlehre heraus, die erfahrungsgemass am meisten gegen den Anprall der
teils vernachlassigten, teils fehlerhaften Umgangssprache geschiitzt werden
miissen. Ein solches, vielen Angriffen ausgesetztes Kapitel ist die Rektion
der Zeitworter.
Was hier zu lehren, vor allem zu iiben ist, liegt vollstandig im gewohn-
heitsmassigen Denken und Sprechen. Regeln aufzustellen, ist selbst fiir die
Oberstufe schwer und nicht lohnend. Eine Durchsicht von Lehrbiichern der
Grammatik wird den Lehrer bald zu dem Ergebnis fiihren, dass hier mit
Grammatik im engeren Sinne nichts erreicht werden kann. Was sollen Kin-
der damit anfangen, wenn man sie lehren wollte, der Akkusativ bezeichne
das nachste Ziel der Tatigkeit, der Dativ ein entfernteres. Und selbst wenn
man Regeln aufstellen wollte, zeigen dieselben nichts anderes, als dass sie
unbestimmt und schwankend sind. Nach welcher Regel soil man unterschei-
den, warum der Jager den Hund jagt, der Hund demselben nachjagt, dabei
aber ihn verfolgt. Wenn Grammatiker behaupten, der Dativ werde nach
Zeitwortern gesetzt, die trennbar zusammengsetzt sind, so frage ich, warum
kann ich dich suchen und ebenso dich aufsuchen.
Es hiesse Wasser mit Sieben schopfen, wollte man sich in der Volks-
schule und namentlich in der Unter- und Mittelklasse mit grammatischen
Regeln heifen. Nichts anderes als Gewohnheit und Ubung konnen eine feste
Grundlage fiir korrektes Sprechen und Schreiben schaffen, und zwar Ubung
beim Lese- und Schreibunterricht, in den sehr ernst zu nehmenden Memorier-
und Erzahliibungen und haufiges Erkennenlassen der durch die Falle der
Haupt- und Fiirworter ausgedriickten Beziehungen. Dass bei entsprechen-
der Erziehung und Aufmerksamkeit das Sprachgefiihl bald vorhanden und
die Einsicht in die Beziehungen der Satzglieder selbst im zarteren Alter
Aufbau im Sprachunterricht. 229
moglich sind, erlebte fch an Kindern, die in richtiger Umgangssprache auf-
wuchsen. So las ein siebenjahriger Knabe die Aufschrift: ,,Eingang im Gast-
garten." — ,,Ist denn der Eingang drin im Garten?" fragte das Kind. Aller-
dings war sein Sprachgefiihl nicht irre gemacht worden, Hatten wir iiber-
haupt nicht mit angewohnten Fiigungen wie: ,,Ich habe ihm gesehen," —
,,ihm gefragt" — ,,die Wasche im Kasten gelegt" u. s. w. zu kampfen, so
ware die Arbeit in der Schule weniger entmutigend. So treten die Dativ-
Unarten gerade erst im spateren, schulpflichtigen Alter auf, wenn die Frei-
schreibiibungen beginnen, da ja dann der durch den Familiendialekt ange-
wb'hnte Sprachgebrauch erst recht seine zwingende Macht ausiibt. Und ich
muss leider bekennen, dass es mir bei aller Sorgfalt und Miihe nicht gelungen
ist, Vorstosse gegen die Rektion, die einem oft einen Faustschlag versetzen,
vollstandig auszurotten. Indessen darf man' doch den Mut nicht verlieren
und muss in der angedeuteten Richtung so bald als moglich den Kampf gegen
die Nachlassigkeit des Sprechens und die Fliichtigkeit des Denkens auf-
nehmen.
Die Lehrplane verlangen auf der Unterstufe den einfachen Satz. Da-
durch wird man leicht veranlasst, die Sprachiibungen, miindliche sowohl als
schriftliche, auf den einfachen Satz zurechtzuschneiden. Es werden also ein-
fache Satze geiibt, die nur die verschiedenen Pradikatsformen enthalten. Das
Kind wird im I. un'd 2. Schuljahre verbal ten, in ganzen Satzreihen auszu-
sagen, was das Subjekt tue, wie es sei, was es sei, was mit ihm getan werde.
Dabei werden aber in dem empfanglichsten Alter, in der Zeit der bildsamsten
Sprechfahigkeit der 3. und 4. Fall vermieden. Und das sollte nicht sein.
Man wende nicht ein, das sechs- bis siebenjiihrige Kind sei noch zu unreif
dazu. Man lausche nur, wie so oft schon betont wurde, der Lehrmeisterin
Natur und horche, was das Kind auf seinen Spielplatzen, was es unter seines
gleichen spricht. Es wird ihm nicht einfallen, nur in einfachen Satzen zu
sprechen. Langst schon hat es den Begriff der zielenden Zeitworter. Es
verlangt, es bittet, es nimmt, es gibt, es schenkt, und lasst sich beschenken.
Karl fangt seinen Bruder und versetzt ihm einen Hieb, Marie behiitet den
kleinen Bruder und fiihrt ihn zur Schule, sie erhalt den Apfel und verspeist
ihn — lauter Beziehungen, die den Kindern gelaufig und vertraut sind und
fiir die sie auch den richtigen Ausdruck finden werden, insofern er nur auch
richtig gepflegt wird.
Im Anschauungsunterricht und in den Erzahlungen finden wir in der
Elementarklasse reichlich Gelegenheit, die Sprechiibungen so vorzunehmen,
dass der 3. und 4. Fall der Haupt- und Fiirworter zur Einiibung gelangt,
lang bevor er grammatikalisch behandelt werden kann.
Ich setze voraus, dass der anlehnende Sprachunterricht seine Geltung be-
halte, hoffe dabei eine Wiedergeburt unserer Lesebiicher und lasse hier einige
230 Padagogische Monatshefte.
Beispfele folgen, die zeigen sollen, welche Sprachiibungen, sowohl miindliche
als schriftliche, sich aus dem Anschauungs- und Lesestoff ergeben konnen.
2. Schuljahr.
Lesebuch des k. k. Schulbiicherverlages. II. Teil.
Grundlage : 2O. Der grosse Tisch.
Anschauungsstef? : Was Menschen und Tiere essen.*)
Einiibung des 4. Falles.
Anna und Hermann assen die Suppe, das Brot, den Braten, die Kar-
toffeln, den Apfel. Die Mutter hatte den Tisch gedeckt; der Vater hatte
versprochen, einen anderen gedeckten Tisch zu zeigen. Er zeigte das Feld,
die Wiese, den Wald und den Berg. Die Bienen suchten Honig, die Spatzen
schmausten die Kirschen, die Schwalbe ring eine Miicke nach der anderen, der
Hase frass den Kohl auf dem Felde, die Schafe weideten das Gras ab und
die Kinder suchten und fanden Erdbeeren.
Zur EinVibung des 3. Falles (miindlich und schriftlich).
Die Mutter gab den Kindern die Speisen. Sie reichte dem Knaben und
dem Madchen ein Stiick Brot. Die Kinder dankten dem Vater und der
Mutter. Spater zeigte der Vater den Kindern das Feld, .die Wiese, den Wald
und den Berg. Er hatte seinem Sohne und seiner Tochter einen Spaziergang
versprochen. Damit machte er seinen Lieblingen eine grosse Freude.
4. Fall. (Das Furwort ,,ihn".)
Grundlage: 33. Set versohnlich.
Josef begleitete seinen Mitschiiler Franz. Er \vurde zornig und stiess
ihn und schlug ihn ; dann aber wurde er angstlich und bat ihn um Verzeihung.
Er wollte ihn nimmer schlagen und stossen.
NB. Es ist aufzufassen, wer mit dem Worte ,,ihn" gemeint sei.
3. Fall. (Das Fiirwort t,ihm".)
Josef zeigte seinem Mitschiiler Franz seine Aufgabe. Die gefiel dem
ordentlichen Knaben nicht. Da wurde Josef zornig, riss ihm die Schrift weg,
gab ihm Stosse und versetzte ihm einen Hieb. Franz drohte ihm, er werde
ihn verklagen. Anfanglich trotzte Josef dem friedfertigen Franz, dann aber
sah er sein Unrecht ein und bat um Verzeihung. Franz verzieh ihm auch,
reichte ihm die Hand und versprach ihm, er werde dem Herrn Lehrer von
dem Streite nichts sagen.
*) Das Zeitwort ,, essen" ist sehr wertvoll als Typus des zielenden Zeit-
wortes.
Aufbau im Sprachunterricht. 231
3. Fall der Mehrzahl. (Einubung der Endung t,n".)
Grundlage : 93. Die Haustiere.
Was den Tieren schmeckt.
Franz ist bei einem Bauersmann gewesen, der hat ihm seinen Hof und
seine Tiere gezeigt. Franz ist ein Tierfreund und bringt den Tieren etwas
mit. Den Hunden reicht er ein Stiickchen Fleisch, den Katzen stellt er ein
Schalchen Milch auf den Boden, den Kiihen, den Kalbern, den Ochsen
pfliickt er Gras und gibt es ihnen. Den Enten macht er mit Disteln Freude,
den Schafen und den Ziegen mit einem Stiickchen Brot. Den Schweinen
schiittet er saure Milch in den Trog. Den Hiihnern, den Tauben, den Enten
und Gansen streut er Hafer und Mais in den Hof. Den Pferden gibf er
Zucker. Die Tiere kennen ihn und folgen ihm nach, sobald sie ihn erblicken.
Anders konnen sie ihm nicht danken.
3. Fall. (Das Furwort ,,ihnen".)
Grundlage: 74. Sei bescheiden und geniigsam!
(Nach Chr. Schmid.)
Ein reicher Mann liess die armsten Kinder zu sich kommen. Er sagte
ihnen, sie mogen sich Brot nehmen. Es liege in einem Korbe, den er fiir sie
habe fiillen lassen. Er schenkte ihnen das Brot. — Wenn die Kinder Brot
holten, sah er ihnen zu. Da bemerkte er unter ihnen viele unbescheidene, ja
undankbare Kinder. Nur eines fiel ihm unter ihnen wegen seiner Bescheiden-
heit auf. Das war die kleine Hedwig. Er belohnte sie auch, wie ihr wisst.
* # *
Nicht ohne Absicht haben diese Ubungen eine gevvisse materielle Grund-
lage. Aber man ist bei Zeitwortern wie essen, schlagen, stossen etc. des vollen
Verstandnisses der Beziehungen des Pradikats sicher. Man wird nicht ver-
saumen, bei den notwendigen Entwicklungs- und Wiederholungsfragen die
fragenden Fiirworter wen? und wem? recht zu Gehor zu bringen.
* * *
Akkusativ der Sache und Dativ der Person.
Grundlage: 115. Ich mag nicht liigen.
Der Vater schenkte seinera Sohne Georg ein schones Messer. Er machte
dem Knaben damit eine grosse Freude. Leider vergalt Georg seinem Vater
das Gute mit Bb'sem. Er wollte sich iiberzeugen, wie scharf das Messer sei.
Er erblickte einen jungen Kirschbaum, den schnitt er durch. Dafiir hatte der
Vater ihw bestrafen sollen. Aber er erliess dew Knaben die Strafe. Denn
reumiitig bekannte Georg seinew Vater seinen Leichtsinn.
3. Schuljdkr.
Im 3. Schuljahre tritt schon durch die Deklination der Hauptworter
die grammatische Einsicht in die Fallbiegung auf. Man wird jedenfalls bei
232 Padagogische Monatshefte.
der Biegung des Artikels und des Hauptwortes des Mechanismus nicht voll-
standig entbehren kb'nnen. Hauptwb'rter miissen dekliniert werden. Man
wird es darin bald zu einer gewissen Fertigkeit bringen, hat aber damit noch
keineswegs den richtigen Gebrauch des 3. und 4. Falles erreicht. Ahnliche
tibungen wie im 2. Schuljahre werden auftreten, das schon etwas mehr ent-
wickelte Sprachbewusstsein wird dieselben nur giinstig beeinflussen. Sobald
der 3. und 4. Fall in der Grammatik auftreten, empfiehlt es sich, das Ver-
standniss des erweiterten einfachen Satzes anzubahnen. Auf Grund der vor-
bereitenden tibungen des 2. Schuljahres wird es moglich sein zu zeigen, dass
das Zeitwort die betreffenden Falle regiere. Sprachstiicke, die das Sprach-
gesetz veranschaulichen, werden aus den Lesestiicken herausgearbeitet.
Ausserdem werden Zeitworter herausgehoben und verwertet, wie folgt .
4. Fall.
1. Grundlage: 34. Ein kostbares Krautlein.
Zwei Madde trugen jede einen Korb mit Obst.
Gebt an, was man tragen kann! (Den Korb, den Mantel, den Hut, den
Schirm, den Ranzen, den Koffer, die Tasche, das Gewehr, den Sabel, den
Spaten, den Rechen .... u. s. w.)
2. Grundlage : 39. Der kluge Richter.
Verlieren und finden. (Das Geld, einen Heller, den Bleistift, eine
Feder u. s. w.)
3. Grundlage : 76. Der weisse Hirsch.
(Uhland.)
Erjagen. (Den Hirsch, das Reh, den Fuchs, den Hasen, die Hirsche,
die Rehe, die Schnepfe etc.)
Sehen. (Den Wald, die Baume, den weissen Hirsch u. s. w.)
3. Fall.
1. Grundlage: Liebet cure Feinde!
Helfen. (Mir, dem Knaben, dem Feinde, dem Mitschiiler, der Mutter,
der Schwester.)
Nachahmen. (Dem Heiland, dem Vater, der Mutter, alien guten
Menschen.)
2. Grundlage: 64. Die Wichtelmanner.
Gefallen, sich empfehlen, danken.
3. und 4. Fall.
3. Grundlage : 90. Der Wolf und der Mensch.
Erzahlen — dem Wolfe.
Widerstehen — dtm Menschen.
Zeigen (dir einen Menschen.)
Geben (dem Wolfe die Ladung.)
4. Fall.
Aufbau im Sprachunterricht. 233
4. Grundlage: 135. Die Hauskatze.
Putzen, belecken, suchen, beriihren, streicheln, necken, strafen, zuriick-
ziehen, vorstrecken, erhaschen, dauern, lieben, verbergen, fressen, finden.
Eine hohe Auslese von Zeitwortern ist das Ergebnis eines sachlich und
sprachlich behandelten Lesestiickes und die Zeitworter sind dann wieder
Bausteine zur Rekonstruktion von Satzen, die niedergeschrieben werden.
Mit einiger Sorgfalt gewinnt man durch diesen Wiederaufbau ein logisches
Ganze; auf die richtige Fiigung seiner Teile achtend, hat man wieder fur
den Aufsatz etwas gewonnen. Wie das zu halten sei, wird aus der Behand-
lung des 4. Schuljahres ersichtlich sein.
4. Schuljahr.
Die Schiller des 4. Schuljahres sind voraussichtlich schon zum Ver-
standnis gelangt, dass in der Bedeutung des Zeitwortes selbst auch der Hin-
weis auf den richtigen Fall des Objekts liegt. Neben dem haufig auftreten-
den 3. sowie dem 4. Falle werden auch die Zeitworter, welche den Genetiv
regieren, beachtet und zum Hauptworte tritt das mit demselben deklinierte
Attribut, sei es nun Eigenschafts-, Fiir- oder Mittelwort.
Man wird die schriftlichen Ubungen so einrichten, dass immer wieder
in irgend welchem Zusammenhange die Rektion der Zeitworter zur An-
wendung kommt. Der Aufsatz gibt Gelegenheit hiezu.
Es folgen nun im Verlaufe dieser Abhandlung Zeitworter, welche sich
aus dem Sachunterricht und den Leseiibungen gewinnen lassen und einige
Proben von Aufsatzchen, in welchen der Standpunkt der Rektion wohl ein-
genommen wird, ohne der Sprache wesentlich Zwang anzutun. Wenigstens
ist das Bestreben vorhanden, gezwungene Fiigungen zu vermeiden. Sowie
diese grammatikalischen Arbeiten in den Dienst der Stiliibung treten kon-
nen, ebenso bilden sie nach ihrer Anfertigung wieder ein angemessenes Sprach-
stiick zur Veranschaulichung der Sprachgesetze.
Wenn bei der im folgenden aufgestellten Reihe von Zeitwortern Wie-
derholungen auftreten, so wird diese Wiederholung mit Absicht vorgenom-
men, mit Riicksicht auf die verschiedenen Schichten der Intelligenz und der
Sprachentwicklung, wie sie eben in jeder Schulklasse vorkommen.
~Ubung des 4. Falles.
I. Grundlage: 14. Die Pfirsiche.
(Nach Krummacher.)
Bringen (die schonsten Pfirsiche), sehen (herrliche Friichte), verteilen
(die vermeintlichen Apfel), aufbewahren (den Stein, den harten Kern),
ziehen (einen jungen Baum), aufessen (meinen, seinen Pfirsich), wegwerfen
(den unnotigen Stein), geben (ihren Pfirsich, die saftige, siisse Frucht, den
ihrigen ) .
3. und 4. Fall.
234 Padagogische Monatshefte.
Erganzungen nach den Zeitwortern bringen, geben, schenken. (Dem
kranken Nachbarssohne den saftigen Pfirsich u. s. w.)
2. Grundlage: 61. Der Wolf und der Fuchs.
(Briider Grimm.)
Erwischen, auffressen, hinunterschlucken, herunterreissen, anfiihren,
helfen, zeigen.
Erganzungen : dich, mich, ihn ; mir, dir, ihm.
3. Grundlage : 49. Das Wunderk'dstchen.
(ChristopH Schmid.)
Was die Hausfrau sah, als sie ihr Haus durchwanderte.
Die Hausfrau gehorchte dem Einsiedler und trug das Kastchen, welches
er ihr mitgegeben hatte, im Hause fleissig umher. Dabei musste sie jeden
Raum des Hauses durchwandern und entdeckte allerlei Ubelstande. Der
Knecht trug heimlich einen Krug Bier aus dem Keller, die Magde hatten
ohne Erlaubnis einen Eierkuchen gebacken. Dazu hatten sie viele Eier,
Mehl, Fett und Milch verwendet. Die Knechte hatten die Pferde nicht ge-
striegelt, die Magde die Kiihe nicht gereinigt. Auch hatten sie die Haus-
tiere nicht geniigend gefiittert. So musste die Hausfrau alle Tage einen an-
deren Fehler abstellen. Nach einem Jahr hatte sie die Ordnung wieder her-
gestellt und dankte dem Einsiedler fur sein gutes Mittel.
4. Grundlage: 125. Ratsel. (Die Biene.)
,,Es ist ein kleiner Soldat,
Der ein giftig Spiesslein hat". . . .
Von der Biene.
Die Biene gleicht einem Soldaten. Sie tragt wie er eine Waffe, einen
giftigen Spiess sogar. Sie zieht ins Feld und erobert viele schone Schlosslein.
Sie besucht den tiefen Keller desselben und holt daraus siissen Wein und fei-
nes Mehl. Wird sie verfolgt, so gebraucht sie den scharfen Spies. Lasst man
sie aber in Ruhe, dann vermeidet sie den Kampf. Sie sucht ihn nicht, sie liebt
den Frieden. Sie gleicht auch einem Baumeister. Sie baut viele schone Kam-
mern, fiillt sie mit siissem Most und schafft so den Wintervorrat herbei.
5. Grundlage: 130. Einkehr. (Uhland.)
Der Apfelbaum gleicht einem freundlichen Wirte. Er bietet seinen
Gasten ein reiches Lager, frischen Schaum und siisse Kost. Er verschafft
ihnen auch hellen Sang und Klang. Seine Gaben gibt er als Geschenk. Denn
niemand bezahlt dem Wirte die Zeche.
6. Grundlage: 119. Die Kreuzotter.
Die Kreuzotter ist dem Menschen sehr gefahrlich. Sie kann ihn durch
einen Biss toten. An jeder Seite des Oberkiefers besitzt sie einen sehr spitzen,
hohlen Giftzahn. Diesen richtet sie beim Beissen auf und ergiesst durch ihn
das Gift in die Wunde. Ihr Biss erzeugt eine schwere Krankheit oder baldi-
gen Tod. Gebissene Menschen sollen so rasch als moglich den Arzt rufen.
Aufbau im Sprachunterricht. 235
5. Schuljahr.
Es treten ahnliche Ubungen mit gesteigerten Anforderungen auf.
1. Grundlage: 78. Der Edel- oder der Baummarder.
Der Dativ.
Wir miissen dem Edelmarder Bewunderung zollen. So klein er 1st, so
mutig ist er. Mit welcher Kiihnheit stellt er nicht nur jungen, sondern auch
erwachsenen Rehen nach. Es ist klar, dass der Jager solchem Rauber eifrig
nachspiirt und ihn unschadlich zu machen sucht. Er legt ihm Schlingen und
Fallen aller Art. Er schleicht ihm im Waldesdickicht nach. Er lauert ihm
auf, wo und wann er nur kann. Aber nur dem geiibten, dem aufmerksamen
Weidmanne gelingt es, dieses schlauen und wehrhaften Raubers Herr zu
werden.
2. Grunlage : 63. Der Lowe und der Hase.
(Lessing.)
Der Genetiv.
Ein Lowe wiirdigte einen drolligen Hasen seiner naheren Bekanntschaft,
seines Umganges. Der Hase gedachte dabei des Unterschiedes, der zwischen
dem Konig der Tiere und zwischen ihm, dem Kleinen, dem Wehrlosen be-
stand, nicht mehr. Er vergass der Vorsicht und fragte den Lowen, ob es
wahr sei, dass er das Krahen eines Hahnes fiirchte. Der Lowe veriibelte
seinem kleinen Gesellschafter die vorwitzige Frage nicht, sondern beant-
wortete sie ihm mit aller Ruhe. Er nannte diese Furcht eine kleine Schwache
grosser Tiere. Nun vergass der Hase abermals seiner Wehrlosigkeit und
seiner Kleinheit und nannte seine Furcht vor dem Hunde auch eine kleine
Schwache.
Wenn wir nun die vorgefiihrten Obungen rekapitulieren, so zeigt sich,
dass schon in diesen wenigen typischen Beispielen eine ganz stattliche Reihe
von Zeitwb'rtern mit den von ihnen abhangigen Fallen zur Anwendung und
Einiibung gekommen sind. Und diese Ubung eben in den Vordergrund des
Sprachunterrichts zu stellen, ist der Zweck dieser Abhandlung.
Aus dem Tagebuch eines deutschamerikanischen
Schulmeisters.
FUr die Padagogischen Monatshefte.
6. Schule und Haus.
Von C. O. Schonrich, Baltimore, Md.
Es 1st in der Schule, wie im Leben, je hoher die Klasse, desto weniger
der Mitglieder. Das gilt besonders fiir die amerikanische Schule. Bis zura
vierten Schuljahr finden wir voile Klassen, vom fiinften an beginnt die Aus-
diinnung, die dann mit den folgenden Jahren lawinenartig zunimmt. Fragt
man sich nach dem Grund des Wegbleibens so vieler, so muss ich gestehen,
dass ich in vielen Fallen denselben selbst ausfindig machen musste, denn
nicht immer verabschiedeten sich abgehende Zoglinge, und das waren dann
in der Regel solche, die wegen Verzug oder Familienverhaltnissen die Schule
zu verlassen genotigt waren.
Manche Eltern haben ihre Kinder zu Hause behalten, weil dieselben bei
den jahrlichen Klassenversetzungen wiederholt zuriickgeblieben sind. Ein
solches Zuriickbleiben ist dem nicht befremdlich, der erfahren musste, wie
bereit viele Eltern sind, Entschuldigungen fiir Ausbleiben, Zuspatkommen
oder fehlende Arbeiten zu schreiben, ohne selbst einmal einen plausiblen
Grund angeben zu konnen, und ohne dabei zu bedenken, wie schadlich sie auf
das Kind einwirkeri, das sie gerade dazu ermutigen, unfleissig und unpiinktlich
zu sein.
Befremdlich war es mir aber immer wieder und sehr peinlich, wenn ich
bei Erkundigungen Antworten horte, wie ,,Mein Sohn (Tochter) will nicht
mehr in die Schule gehen," ,,Er will nicht weiter lernen." Und wenn ich
mir einzig im Interesse des Schiilers Miihe gab, klar zu legen, wie ein langerer
Schulbesuch denselben um so besser fiir das Leben bereit mache, da musste
ich oft vom Vater horen, er gebe das alles zu, aber der Junge wolle einmal
nicht; oder derselbe habe sich ganz allein eine Stelle gesucht, er wolle auch
Geld verdienen, wie der und jener, und es gebe doch nichts, das zu tun oder
zu lassen man den Sohn zwingen solle. (There is nothing one's son ought to
be compelled to do or not to do). Dieser verderbliche amerikanische Grund-
satz hat schon unsagliches Unheil angerichtet
Als ich in ahnlichen Fallen fragte, was fiir eine Stelle sich der Sohn
gesucht habe, erhielt ich auch von sehr wohlhabenden Eltern mehr als einmal
die Antwort, sie wiissten es selbst nicht genau, aber er bekomme gleich von
Aus dem Tagebuch eines deutscham. Schulmeisters. 237
Anfang $2 die Woche. Durch Beantwortung von Zeitungsanzeigen batten
sich die Jungen solche Stellen gewohnlich gesichert.
Gilt es nicht auch heute, was Krates, der Thebaner, so oft zu sagen
pflegte, dass er, wenn es moglich ware, auf den hochsten Ort der Stadt
steigen, und aus alien Kraften rufen wollte: ,,Wo denkt ihr bin, ihr Leute,
dass ihr alien Fleiss auf die Erwerbung von Reich tiimern verwendet, um cure
Kinder aber, denen ihr sie hinterlassen wollt, euch gar nicht bekiimmert!"
Plutarch, der uns dieses erzahlt, setzt hinzu, dass solche Vater sich eben so
verhalten, wie einer, der alle Sorgfalt auf den Schuh verwendet, aber den
Fuss dariiber vernachlassigt.
Bei den vorriickenden Altersklassen macht sich neben manchem Eltern-
haus noch ein weiterer Faktor in der Erziehung Jungamerikas mehr und mehr
storend geltend : die Gesellschaf t. Da und dort muss der Beobachter wahr-
nehmen, wie die zarten Pflanzen an Schaden leiden, die ihnen Nachtfroste
und Sonnenhitze zugefiigt haben. Kein Wunder, viele Kinder werden aus
der schiitzenden Familienstube, in der der platonische Grundsatz ,,Gotter
sind Freunde des Spiels" massgebend sein sollte, herausgeholt, nicht um zur
Anschauung der herrlichen, Seele und Korper erfrischenden Gottesnatur
gebracht, sondern in die schwiilen und zugigen Vergniigungsplatze der Er-
wachsenen genommen zu werden, wo die ohnedem zur Friihreife Beanlagten
aus dem einzig schonen Jugendtraum geriittelt werden. Und selbst manche
der von Deutschamerikanern angeblich fur die Jugend veranstalteten Feste —
Picknicks bei Kirchlichen, Kinderballe bei Nichtkirchlichen — wiirden viel
besser ohne die Kinder gefeiert werden.
Die Gesellschaft beeinflusst die Jugend auch schadigend auf der Strasse,
das offene anmutige Kinderauge wird getriibt, das ganze Wesen verandert.
Ein Deutscher kann bei solchen Wahrnehmungen nicht untatig bleiben, und
wenn ich in solchen Fallen die Eltern brieflich auf die zunehmende Gleich-
giiltigkeit ihrer Kinder aufmerksam gemacht und den Wunsch ausgedriickt
hatte, mit ihnen einen Plan zur Abhilfe zu beraten, erfuhr ich nicht oft ein
verstandiges Entgegenkommen, wohl aber kamen Antworten wie :
,,Werter Herr Schuhlehre!
Appliziren Sie nur den Stock, das wird Ihn schon kuriren.
Achtungsvoll
F. Mater."
,,Geehrter Herr!
Hauen Sie ihm tiichtig durch and oblige
Yours respectfully,
John Bauer."
Das hiesse also die Kinder fur die Unterlassungsiinden der Eltern schla-
gen. — Ein anderes Bild.
238 Padagogische Monatshefte.
,,Wertester Herr S. !
Die Lehrerin von der Annie hat Vorurteile gegen sie, meine Annie ist
ganz gut, wenn man ihr nur den Willen lasst.
Hochachtungsvoll
Mrs. G. Smith."
Ja, wenn man uns nur den Willen lasst, sind wir alle gut, uns ware das
schliesslich aber nicht gut; darum ist es gut, dass uns die Welt nicht immer
den Willen lasst.
Von der Schule schifft die bunte Schar, die Segel geschwellt von reichen
Hoffnungen, zuversichtlich hinaus ins Leben, zum Nutzen oder zum Schaden.
Mit ihnen ziehen die guten Wiinsche des Lehrers, ja gewissermassen ein Teil
seiner Seelc, denn er hat sie im Lauf der Jahre schiitzen und lieben gelernt.
Doch auch bange Besorgnis begleitet seine Wiinsche, sind doch schon so
manchmal die Envartungen, die er an die ausziehenden Freunde kniipfte,
bitter getauscht worden. Wie hatte er sie oft wiedersehen miissen, manche
schon hinter Schloss und Riegel, und zwar solche, die einst zu den besten
Hoffnungen berechtigten, Kinder wohlhabender und wohlmeinender Eltern.
Freilich habe ich auch wieder andere schon in hohen Vertrauens- und Ehren-
a'mtern sehen diirfen, einer davon sitzt gegen war tig im Kongress.
Die solche bedrohenden Klippen, bei denen der angeborene Sinn fiir
Freiheit in den Sinn fiir Ungebundenheit verkehrt wurde, sind dem Erfahre-
nen schon bei der Ausfahrt klar in Sicht; solchen, die sich bis dahin einer
guten Obhut derer erfreuten, nun aber ganz auf sich angewiesen sind, werden
die Stiirme des Friihlings manche Gefahr bieten; bose Beispiele und eine
verderbliche Literatur werden ihren Kurs gefahrden.
Bei der Hinneigung des Jugendalters zur Sinnlichkeit, und bei der noch
nicht erstarkten Geistes- und Willenskraft desselben, aussern bose Beispiele
eine bei weitem grossere Wirksamkeit als gute Beispiele. Die oft wiederholte
Behauptung, man miisse die Jugend austoben lassen, die Wildesten wiirden
gewohnlich die Besten, hat sich in meinen Erfahrungen nicht bewahrt; bei
vielen Vatern scheint dieser Grundsatz nur darum so viel Anklang zu finden,
weil er ihnen die eigenen Jugendjahre in ertraglicherem Lichte zeigt.
Man sieht, Jungamerika, Knaben und Madchen, ist mitunter von Hause
aus libel beraten. Doch zeigen Kundgebungen aus dem grauen Altertum,
dass die Jugendbliite von jeher iihnlichen Storungen in ihrer Entwickelung
ausgesetzt war; durch alle Jahrhunderte bis heute gelten die Worte Juvenals:
,,Die Ursache der Verdorbenheit, woriiber die Eltern klagen, liegt in ihnen
selbst."
Und heute ist es noch .ebenso; nicht Unwissenheit und Unmassigkeit
liefern die meisten Verbrecher ; zuverlassige Gefiingnisstatistiken weisen nach,
dass die grosse Mehrzahl der Gefangenen eine gewisse Schulbildung besassen
und keine unmassigen Trinker gewesen waren ; sie waren aber von den Eltern
Das Chorsprechen und -lesen in der Sckule. 239
verzbgen, verwahrlost oder verlassen worden. Es ist ein schweres Wort,
das Wort Christi : ,,Eure Kinder werden cure Richter sein."
Wenn trotz alledem die Menschheit sich hoher entwickelt hat, so ist
das ein Beweis fiir das Gottliche im Menschen. Das zeigt sich deutlich bei
Jungamerika.
Ein noch vielseitig unterschatzter Fakter tragt viel zur Steuerung der
Jungamerika bedrohenden iiblen Einwirkungen bei: die Sonntagsschulen. An-
fanglich, often gestanden, sehr gegen sie eingenommen, habe ich sie im Laufe
der Jahre, nachdem ich die Spreu vom Weizen unterscheiden gelernt hatte,
als einen grossen Segen erkannt.
In Sonntagsschulen, woselbst Religion frei von Dogrnatik gelehrt und
geiibt wird, (zu viele Pfeiler verdunkeln dem Kinde das Gotteshaus), die
Religion der Liebe, der Liebe zu Gott und dem Nachsten, muss sich das Kind
wohlig fiihlen. Religion liegt ja in dessen innerster Natur. Religion ist sein
erstes Gefiihl der Liebe, der Dankbarkeit, der Zuversicht dem teuren Eltern-
paar gegeniiber ; eine hohere Liebe, eine hohere Dankbarkeit, eine hohere Zu-
versicht tragt es dann zu Gott iiber. Damit erscheinen ihm dann die teuren
Eltern, die an Gottes Statt stehen, in verklartem Lichte, ihre Autoritat ist
ihm heilig.
Wohl einem solchen Hause, dort folgt der Ausfiihrung des Gebots:
,,Du sollst Vater und Mutter ehren" auch die Verwirklichung der Ver-
heissung ,,auf dass dir's wohl gehe und du lange lebest auf Erden."
Das Chorsprechen und -lesen in der Schule.
(Schweizerische Padagogische Zeitschrift. ' (Gtkiirzt.)
Von Heinrich Heine, Nordhausen.
In vielen lesmethodischen Werken kann man die Anweisung finden, dass folgen-
der Gang beim Lesen eines Stiickes innegehalten werden miisse: 1. Vorlesen seitens
des Lehrers, 2. Nachlesen seitens der Schiller, und zwar a) ein/eln, b) im Chor. Es
ist nun aber doch die Frage, ob die Verfasser dieser Vorschrift sich iiber den ei-
gentlichen Zweck des Chorlesens recht klar geworden sind. Wenn das Chorlesen
ans Ende der methodischen Massnahmen gestellt wird. ersclieint es als beabsichtig-
ter Zweck und erstrebtes Ziel des Leseunterrichts. Das kann es aber nicht sein,
jedes Kind soil e i n z e 1 n schon lesen konnen, denn spiiter im Leben liest es ein-
zeln und nicht im Chor. Es ware also zu untersuchen, welche Stellung das Chor-
sprechen oder -lesen im Schulunterricht einnehmen soil. Jn seinem Bnche: ,,D i e
Kunst des Vortrags" bespricht Emil Talleske in dem Abschnitte
,,Das Seminar als Leseschule" die Leistungen des Seminars zu Lobau (West-
preussen) im Chorsprechen und erteilt demselben das hochste Lob. Und wenn ein
solcher Vortragskiinstler wie Palleske sich so anerkennend ausspricht, so miissen
die Leistungen des Seminars im Sprechen wohl ganz ausserordentliche gewesen sein.
Dieselben erregten um so mehr seine Bewunderung, als die Seminaristen fast aus-
schliesslich aus Gegenden stammten, in denen mehr polnisch ah deutach und das
Deutsche in der schiirfsten westpreussischen Mundart gesproehen wurde; und doch
240 Pddagogische Monatshefte.
horte er ein vollkommen dialektfreies Hochdeutsch von den jungen Leuten. Diese
sprachreinigende und sprachverbessernde Wirkung schreibt er dem C h o r-
sprechen zu, das dort unter dem damaligen Direktor Goebel ganz besonders
gepflegt wurde; ,,in dem Ensemblesprechen," sagt er, ,,liegt eine Heilquelle fiir die
kranken und verkruppelten Sprachglieder der grossen Massen," und er hofft, dass
auf diesem Wege durch die Schule in die Tiefen der Bevolkerung allmahlich der
Sinn fiir edleres Sprechen einziehen wird.
Palleske und mit ihm wohl auch der Seminardirektor Goebel fassen das Chor-
sprechen mehr als eine Kunst auf, die um ihrer selbst willen gepflegt werden musse.
Der Seminarsprechchor wirkte in Auffiihrungen mit und trug Dichtungen vor, wie
sonst ein Singchor, und jedesmal erzielte er einen ungewohnlichen Erfolg, so dass
von fernerher Direktoren und Lehrer nach Lobau kamen, um diese Leistungen als
Vorbild kennen zu lernen.
Ohne Zweifel wirkt ein schoner Sprechchor kiinstlerisch bildend und es ist ge-
wiss ein hoher asthetischer Genuss, derartige vollendete Leistungen zu horen; die
Kraft des gesprochenen Wortes kommt bei solchen Sprechchb'ren mit einer elemen-
taren Gewalt zur Erscheinung, so dass ein Singechor an einfacher Wirkung dahinter
zuriickbleibt. Kapellmeister Zelter, der Freund Schillers und Goethes, der gewiss
Musik verstand, bemerkt iiber die unisono gesprochenen Stellen von Schillers
,,Braut von Messina", dass sie eine erschiitternde Wirkung ausgeiibt hatten. Und
wer jemals von einer gut eingeiibten Knabenklasse einen Vortrag im Chor gehort
hat, etwa einen Psalm, der wird wissen, welche Macht darin liegt. Aber so hoch
man auch die Leistung eines Sprechchors einschatzen mag, fiir die Volksschule liegt
doch kein Grund vor, das Chorsprechen um seiner selbst willen zu betreiben, als
eine Kunst, die auch im spateren Leben zur Anwendung kommt; und wenn Palleske
in den Hoch- und Hurrarufen der einzelnen Gruppen im Parlamente sogar Anklange
dieser Kunst in der Wirklichkeit sieht, so ist das doch wohl kaum ernst zu nehmen.
So weit sind wir doch noch nicht gekommen, dass das Hoch- und Hurrarufen etwa
als ein unfehlbares Mittel zur Erziehung zur Vaterlandsliebe angesehen und zur
fleissigen tibung anbefohlen wird, und die parlamentarischen Formen beherrschen
bis jetzt das Leben auch noch nicht so sehr, dass die weitesten Kreise davon er-
griffen sind und daher ein dringendes Bediirfnis vorliegt, die Zwischenrufe ,,H6rt,
Hort!" ,,Oho!" ,,Sehr richtig!" in der Schule einzuiiben. Also nicht um seiner
selbst willen ist das Chorlesen in der Schule zu treiben, sondern nur als Mittel
zum Zweck, und da muss man allerdings sagen, dass es eins von den Mitteln
ist, die in der Hand des umsichtigen Lehrers Wunder wirken, wie das Palleske an
dem Lobauer Seminar beobachtet hat.
Zunachst iibt das Chorsprechen einen ausserordentlichen Einfluss auf das laut-
reine und sprachlichschone Sprechen iiberhaupt. Woher kommt das? Durch die
grossere Klangmasse des Chores entsteht ein grosserer Umfang der Schallwellen,
der den Sprecher zwingt, etwas langer auf den tonstarken Silben zu verweilen und
die Worter scharfer zu accentuieren. Die Konsonanten, die das eigentliche Geriist
der Sprache darstellen und von deren Bildung die Deutlichkeit der Aussprache
wesentlich abhangt, kommen hierbei zu vollerer und klarerer Auspragung. Darin
liegt. der Hauptunterschied des Chorsprechens von dem Chorsingen, bei dem die
Bildung der Vokale die Hauptsache ist.
Die wichtigste Bedingung fiir ein gutes Chorsprechen ist eine gute Disziplin;
wo diese zu wunschen iibrig lasst, artet das Chorsprechen leicht in argen Schlendrian
aus und kann dann unermesslichen Schaden stiften. Seine Anwendung erfordert
stets Umsicht und Aufsicht seitens des Lehrers; mit dem Auge muss jeder Ein-
zelne im Sprechchor hinsichtlich seiner Mitwirkung beobachtet werden; mit dem
Das Chorsprechen und -lesen in der Schule. 241
Ohre muss man Tonbildung und Aussprache kontrollieren, mit der Hand den Rhyth-
mus leiten bezw. andeuten. Wo keine straffe geistige Disziplin in der Klasse herrscht,
wo der Einzelne nicht gewohnt ist, sich zusammenzunehmen, da wird das Chor-
sprechen immer Schwierigkeiten bereiten.
tiberhaupt ist das Chorsprechen mit einer gewissen Vorsicht anzuwenden.
Dass es wohl nur in einer ganz zuchtlosen Klasse vorkommt, dass Kinder im Chore
durcheinander antworten mag hier nur angedeutet werden; jedenfalls ist es ein
Zeichen wildester Disziplinlosigkeit, wo so etwas vorkommt. Zu verwerfen ist aber
auch die Art und Weise der Anwendung des Chorsprechens, wie man es nur leider
allzuhaufig horen kann.
Der gewohnlichste Fehler beim Chorsprechen ist der, dass die Kinder in einen
leiernden singenden Tonfall hineingeraten, in den nur zu bekannten und ebenso
gefiirchteten Schulton. Dass dieses Leiern, dieser monotone, ziehende Ton sehr bald
einreisst, weiss wohl jeder aus Erfahrung und ist auch leicht erklarlich; denn
infolge der grb'sseren Schallmasse neigen die Kinder unwillkiirlich dahin, bei den
Vokalen, als den Tragern des Schalles, liinger zu verweilen, so dass die Konsonanten,
die an sich schon einen schwachen Lautgehalt haben, fast verschwinden. Das Spre-
chen wird dabei unverhaltnismassig langsam und schlafrig. Wirkt dieser leiernde,
singende Tonfall schon bei Erwachsenen, die sich eine derartige Sprechweise ange-
wohnt haben, so unangenehm, ja widerwartig, wie viel mehr erst in der Schule von
frischen Kindern. Vor alien Dingen muss aber auf ein schones, wohlklin-
d e s Sprechen hingearbeitet werden, und das soil nicht durch das Chorsprechen
erschwert oder gar unmoglich gemacht, sondern durch dasselbe herbeigefiihrt und
vermittelt werden.
Haufig, namentlich auf den unteren Stufen, wird das Chorsprechen als Mittel
/urn Einpragen eines Stoffes benutzt. Als solches hat es schon in der friihesten
Zeit seine Anwendung gefunden. Von den alten Chinesen wird bereits berichtet,
dass sie in ihren Schulen laut und zusammen lesen liessen und zwar meist in
singender Weise, und von den Griechen berichtet uns Plato, dass die Lernstoffe
durch gemeinsames Absingen eingepragt wurden; das Chorsprechen artete bei ihnen
also auch in einen leiernden Tonfall aus, das ging sogar so weit, dass man den
Memorierstoffen eine Art Melodic unterlegte. Und auch bei den Juden geschah das
Zusammenlesen in einem gewissen melodischen Tonfall, ja das Lesen der Bibel ohne
denselben wurde als geschmacklos angesehen. Dass das Einpragen haufig im Chore
geschah und noch geschieht, beruht auf dem psychologisch ganz richtigen Schluss,
dass die kraftigsten und starksten Anschauungen am leichtesten in der Seele
haften; gewiss bringt das Chorsprechen, der voile Ton von 40 bis 50 Stimmen einen
ganz andern Eindruck hervor, als die Stimme eines Einzelnen und schafft damit
die Bedingungen fiir ein leichteres Einpragen und festeres Haften des Stoffes. So
ist das Chorsprechen ein Mittel, den Vorstellungen einen hoheren Grad von An-
schaulichkeit und demgemass auch eine leichtere Behaltbarkeit zu geben; dass
vorher eine zweckmassige Veranschaulichung stattgefunden hat, versteht sich von
selbst. Ferner wird durch das Chorsprechen die Verbindung der Vorstellungen zu
Reihen eine festere, und Wort und Wort ketten sich enger aneinander, so dass be-
sonders das mechanische Gediichtnis durch dasselbe eine wesentliche Stiitze erhalt.
Es lasst sich gegen das Chorsprechen zum Zwecke des Memorierens auch nichta
einwenden, sofern es in der richtigen Weise geschieht und die erforderliche Sorgfalt,
auf das Sprechen selbst gelegt wird; geschieht das nicht, so richtet es mehr Unheil
als Segen an und ist zu verwerfen. Es geht mit dem Chorsprechen wie mit vielen
anderen unterrichtlichen Hilf smitteln : in der Hand eines geschickten Lehrers wirkt
es Wunder, wahrend eine ungeschickte Anwendung ins GegeMeil umschliigt.
242 Padagogische Monatshefte.
Was fiir das Chorsprechen gilt, lasst sich auch iiber das Chorlesen
sagen: beide sind nicht um ihrer selbst willen zu pflegen, sondern sind nur Mittel
zum Zweck; auf beide finden daher auch dieselben Grundsiitze Anwendung.
Was ist nun beim Chorlesen besonders zu beachten?
Im Gegensatz zu dem lauten Einzellesen muss das Chorlesen moglichst g e-
massigt im Toneundleise geschehen. Schon in Riicksicht auf die Nerven
ties Lehrers und auf die etwa benachbarten Klassen ist dies geboten; aber auch
asthetische und methodische Griinde erfordern es. Was die letzteren anlangt, so
geniigt es nicht, dass der Lehrer vorspricht oder vorliest, er muss auch im Chore
mitlesen. Seine Stimme muss gleichsam der Schrittmaclier sein, der das Tempo
bestimmt, die Betonung regelt, auf die Satzze ichenachtet
u .s. w., sie muss iiber dem Chore schweben und von jedem Einzelnen gehb'rt werden
konnen. Je besser das Lesen der Kinder wird, desto mehr tritt die Stimme des
Lehrers zuriick, bis sie bei geniigenden Leistungen des Chors ganz schweigen kann.
Der Lehrer kann sich hierbei mancherlei Hilfen schaffen. Wie der Gesangslehrer
den Singchor mit dem Taktstock leitet, so muss auch der Dirigent eines Sprech-
chors das Tempo und die Betonung durch Handbewegungen regeln; beim Lesen, wo
die Kinder diese nicht sehen, markieren leichte Schlage mit dem Stock auf den
Tisch oder Handklappen das Tempo. Man glaube ja nicht, dass der Lehrer auf diese
Weise seine Stimme allzusehr anstrengen miisse; wenn die Kinder leise genug
sprechen, dringt seine Stimme leicht durch, und ausserdem braucht er auch nicht
alles mitzulesen oder mitzusprechen, es wird geniigen, wenn er einzelne Stellen
mitliest. Er wiirde seine Kehle noch mehr anstrengen, wenn er den vielen schwachen
Lesern der Klasse bei ihren ungeniigenden Iieistungen einzeln vorlesen miisste, ganz
abgesehen davon, dass der Erfolg der aufgewandten Miihe nicht entsprechen konnte.
Nicht minder beachtenswert sind die asthetischen Griinde, die ein leises
Sprechen im Chor erfordern. Es liegt ein eigener Zauber in dem gedampften, an-
sichgehaltenen Chorsprechen; man merkt formlich die gebandigte elementare Ge-
walt des Redestroms, dessen rohe Masse durch den eigenen Willen zuriickgehalten
wird. Wie in einem grossen Orchester kann die gebundene Tonfiille durch ein ge-
ringes Zutun der Einzelnen in machtigen Proportionen sich steigern, ohne dass die
Schonheitslinie iiberschritten wird; eine ganze Skala von feinsten Nuancen kann
durchlaufen werden; im Crescendo kann der Chor bis zum Sturmesbrausen an-
schwellen und im Decrescendo bis zum leisesten Gefliister herabsinken.
Ein solches Chorsprechen muss fiir das Kind von packender Vorbildlichkeit und
Anschaulichkeit sein. Sein Sprachgefiihl wird auf diese Weise kraftiger angeregt,
als wenn ein Einzelner vorliest. Diese Beobachtung kann man jeden Tag machen.
Eine beim Einzellesen stets falsch betonte Stelle wird sogleich besser gelesen, wenii
man sie einige Male hat im Chore lesen lassen. Es ist das ein ganz vorziigliches
Mittel, ich mochte sagen, das einzige Mittel, eine sinngemiisse Betonung irgend
einer Stelle auf kiirzestem Wege herbeizufiihren. Da werden alle gezwungen, mit
tatig zu sein, die Schwacheren werden von den Besseren mit fortgerissen, der Ton-
korper der ganzen Klasse dringt auch in die verschlossensten Ohren und fiihrt auch
den stumpfsten Geistern die richtige Betonung in markiger Weise vor, so dass em
Abweichen von dieser vorgezeichneten Linie nicht mehr moglich ist.
Was das Tempo des Chorlesens anlangt, so muss darauf gehalten werden,
dass dasselbe recht flott geht. Jede Langsamkeit, zu der die Kinder beim Chorlesen
gern neigen, birgt die Gefahr in sich, dass der Tonfall singend und leierig wird. Ein
schnelleres Lesen lasst die Vokale nicht zu lange festhalten, wodurch ein Ziehen
derselben vermieden wird. Auf ein solches flottes Tempo ist von vornherein grosses
Gewicht zu legen, es schutzt vor manchen Gefahren.
Das Chorsprechen und -lesen in der Schule. 243
Auch die T o n h 6 h e des Sprechchors ist von Bedeutung; sie ergibt sich in der
Regel von selbst. Das Gefiihl weist die Kinder schon auf die richtige Hohe; wenn
noch einige ,,Brummer" dazwischen sind, kann man bald nachhelfen, indem man aie
zunachst zuhoren, sie auch wohl mit nur einem Schiiler zusammen sprechen lasst
oder sie notigt, recht laut zu sprechen u. dergl. Mit der Zeit finden sie sich in den
rechten Ton hinein.
So tritt das Chorsprechen iiberall nur helfend auf. Die eingangs erwahnte An-
weisung muss also folgende Reihenfolge aufweisen: 1. Vorlesen dea Lehrers, 2.
Nachlesen der Schiller und zwar 1. im Chor, 2. einzeln. Das Einzellesen muss als
das zu erstrebende Ziel den Beschluss bilden, das Chorlesen geht ihm als Mittel,
dies Ziel zu erreichen, voran.
Schon auf der Unterstufe tritt das Chorsprechen auf ; es beschrankt
sich hier allerdings naturgemass eben auf das Sprechen; das Chorlesen wird
hier noch nicht angewandt werden konnen, weil die Kinder noch zu unsicher im
mechanischen Lesen sind. Beim Einpragen kleiner Satze und Verse, das auf dieser
Stufe ja noch in der Schule geschieht, wird aber das Chorsprechen wichtige Dienste
leisten.
Auf der M i 1 1 e 1 s t u f e, wo die Kinder schon gelaufiger lesen konnen, wird
auch das Chorlesen eintreten und bis ans Ende der Schulzeit als ein wichtiges Un-
terrichtsmittel benutzt werden miissen. Besonders wird es immer da angewendet
werden, wo es hauptsiichlich auf guten Vortrag und richtige Betonung ankommt.
Bei dem sogenannten kursorischen Lesen, bei dem es mehr auf die mechanische Lese-
fertigkeit ankommt, wird es daher seltener Verwendung finden, obgleich auch hier
stets dann, wenn falsch betont wird, zum Chorlesen gegriffen werden mag, das so
lange wiederholt wird, bis die richtige Betonung beim nachfolgenden Einzellesen
erreicht ist. Um die Kinder nicht zu ermiiden, darf nicht zu viel auf einmal im
Chore gelesen werden; wenn ein kleiner Abschnitt im Chore geiibt ist, folgt gleich
das Einzellesen.
Dass das Chorlesen durch eine genaue Ordnung geregelt werden muss, ist Be-
dingung fiir den Erfolg desselben. Durch kurze Kommandos oder auch durch Zahlen
muss besonders der Beginn desselben scharf markiert werden.
Unterricht in der Bildersprache.
(Deutsche Blatter fur erziehenden Unterricht.)
Von Dr. Gerhard Heine, Bernburg, a. S.
Die Behandlung von dichterischen Stiicken hat auf der Unterstufe besonders
das Ziel, das, was der Dichter sagt, wohltonend in der Seele des Kindes widerhallen
zu lassen. Sie sieht ab von der verstandesmassigen Zergliederung iiber das Wie?
und Wodurch ? dieser Wirkung. Doch schon dieses Ziel verlangt beim Kinde ein lie-
bevolles Entgegenkommen, ein freudiges Verstiindnis fur dichterische Form nnd An-
schauung. Die Anlage dazu ist in hohem Grade vorhanden. Ich sehe die heller
leuchtenden Augen vor mir, wenn ich an die Geschichtsstunden denke, die ich durch
Vorlesen eines Gedichtes unterbrach. Wenn aber das Kind Teilnahme und Span-
jmng schenken soil, so stellt es seine Gegenf orderung : es will nicht soviel erklart,
nicht soviel zergliedert haben; die Augen, die sich an einer Bliite satt gesehen haben,
schweifen lieber weiter, als dass sie geneigt waren, aufmerksam die Staubfaden zu
zahlen. Gleichwohl aber ist's notig, dass Klarheit herrsche. Der Genuss wachst bei
liebevollem Vertiefen, und die Unfahigkeit dazu zu nahren, 1st recht die Vor-
bereitung fiir oberflachliche, zerfahrene Lektiire. Es ist, von diesem Gesichtspunkt
aus betrachtet besonders wertvoll, vor der Lektiire den Stoff des Gedichtes ent-
wickeln, gleichsam selber dichten zu lassen, sowie in diese Entwicklung die der
Erklarung bediirftigen Ausdriicke .einzuflechten. Die Moglichkeit dazu bietet fast
jedes Gedicht. Wenn dann die Lektiire erfolgt, so wird sie ein Verstiindnis finden,
das' auch kiinstlerisch reiner und hoher ist und, weil es klare Durchdringung vor-
aussetzt, auf der Freude an den dichterischen Mitteln, an der Form, beruht.
Dieses wiinschenswerte Ziel zu erreichen, scheint mir nun noch ein anderes
Mittel anwendbar zu sein. Nicht nur darauf kommt's an, vor der Lektiire jedes
cinzelnen Gedichtes das Verstandnis fiir dieses zu wecken. Dichterische Form und
Anschauung haben in alien Dichtungen viel Gemeinsames. Wenn es gelange, dafiir
Stimmung und Verstandnis zu pflegen, so ware damit eine Vorbereitung nicht fiir
Gedichte, sondern fiir die Dichtung gegeben. Dichtersprache aber ist Bildersprache.
Bildersprache miissen die Kinder verstehen lernen, dann verstehen sie Dichter-
sprache.
Es soil etwa an einem schonen Friihlingsmorgen Robert Reinicks Friih-
lingslied ,,Wie ist doch die Erde so schon" gelesen werden. Die Kinder lernen ver-
stehen, wie ein Dichter die Welt ansieht, wie ihm die Vogel die Schonheit des
Friihlings singen und die Fliisse und Seen ihn abmalen. Dass dies nicht nur die
Dichter tun, sondern alle, auch sie selber, das merken zu lassen, findet sich andere
Gelegenheit. Sie haben sich ja selber mit ihrem Schaukelpferd auf du und du ge-
standen. Beim ersten lateinischen Stiick entdecken wir mit Erstaunen, dass das
Lateinische keinen Artikel hat. Diese Gelegenheit kann dazu fiihren, die anschau-
iiche, bildende Kraft der deutschen Sprache zu zeigen. Nicht nur Mann, Fran und
Kind verteilen unter sich die Artikel, auch Hahn, Henne und Kiichlein, auch Baum,
Blurne und Baumchen. Der Baum wird als Mann angesehen, die Blume als Frau,
das Baumchen, das Bliimchen als Kind (vgl. Hildebrand, Vom deutschen
Sprach unterricht). Es ist ein wahres Vergniigen, sie dies entdecken zu lassen.
Unterricht in der Bildersprache. 245
Solche dichterische Anschauung schliigt ganz in ihr eigenes Gebiet, 1st ja auch eonst
ihre Starke. Diese zu erhalten, ist eine schone Aufgabe der Schule. Was sie so
oft unbewusst getan haben, sollen sie nun auch mal bewusst tun. Denkt Euch ein
Volk, das ruhig und im Frieden lebt. Das wird plotzlich von einem andem Volke
angegriffen und bekriegt. Womit lasst sich das vergleichen? Ein kurzes Stutzen,
und dann regnen die Vergleiche von dem Himmel, der iiber dem kindlichen Horizonte
sich ausspannt. ,,Mit dem Wolf, der in die Schafherde einbricht." ,,Wie wenn der
Habicht auf die Hiihner herabstosst." ,,Wenn ieh auf der Strasse gehe und denke
an nichts, und dann klopft mich einer plotzlich auf die Schulter" u. s. w.
Beliebte Vergleiche wie z. B. der Schlacht mit dem Gewitter konnen in dieser
Weise nicht nur gefunden, sondern auch einmal griindlich, anschaulich, lebhaft und
packend ausgefiihrt werden. Die Kinder werden dann sicher eher befahigt, kiirzere,
metaphorische Ausdriicke, die aus diesem Gebiet genommen sind, in ihrer Bildlich-
keit und urspriinglichen Frische zu fiihlen. Auch der Sinn fiir das Treffende der
Bilder kann leicht gescharft werden, wenn das Recht der Vergleiche zu hinken nicht
gar zu unumschrankt anerkannt wird. Doch lieber iippige Ranken als Stubenge-
wachse; die Phantasie hat's notig, munter zu treiben, und will geschutzt sein, vor
allem dagegen, ,,dass die alte Schwiegermutter Weisheit das zarte Seelchen ja nicht
beleidige". Jeder soil im kleinen die Freude dichterischer Schopfungskraft empfin-
den.
Besonders die Entwicklung geistiger oder abstrakter Begriffe aus sinnlichen ist
der Aufmerksamkeit wert. Wie Seele und Wille dazu kommen, mit See und Welle
zusammenzuhangen, dass der Zweck mit der Schusterzwecke von gleicher Ab-
stammung ist, was Ausbund mit binden zu tun hat, welches Bild den Begriffen des
geistigen Vorstellens, Erfassens, Begreifens, Einbildens zu Grunde liegt, solehe
und ahnliche Hinweise miissen dazu dienen, das Denken anschaulich zu machen
und den Staub von den alten, schonen Bildern wegzublasen. Die Schxiler miissen
erkennen, wie erst das Auge, das wieder das Sinnliche, Bildliche erfasst, fiihig
wird, die Schonheit der Dichterrede zu verstehen, und dass, worauf 's mir hier gerade
besonders ankommt, die Schonheit des Stiles zum guten Teil auf der Fahigkeit
bildlichen Erfassens beruht.
Wenn das Wort gilt, dass der Stil der Mann ist, so liiest sich auch aus der
Eigentiimlichkeit der Bilder die der Geistesrichtung erkennen. Und das ist in der
Tat der Fall.
Nicht nur die orientalische Phantasie zeigt ihre Verschiedenheit von der ger-
manischen in der Art, wie sie sich in Bildern auepriigt; auch innerhalb des Germa-
nischen sehen wir dasselbe, wenn wir Goethe iuit Shakespeare oder Schiller ver-
gleichen. Die hebraische Phantasie ist wohl kiihn und machtvoll, aber die An-
schaulichkeit, die schlichte Einfalt fehlt ihr oft, sie liebt es, Bilder weiter zu malen,
Faden weiter zu spinnen um der Bilder, nicht um der Sache willen. Es ist notig,.
sich damit vertraut zu machen, um das Befremdende daran zu iibenvinden, ja um
iiberhaupt das richtige Verstandnis zu gewinnen. Die peinliche Ausdeutung der
einzelnen Ziige neutestamentlicher Gleichnisse wird der orientalischen Phantasie
nicht gerecht. Ein Gleichnis wie das vom ungerechten Haushalter zeigt, wie notig
das Verstandnis daf iir ist. Schnellers Werk }rKennst du das Land ?" ist ge-
eignet, aus der Redeweise der jetzigen Orientalen die der damaligen verstehen zu
lehren.
Die Dichtereigentumlichkeit Goethes und Shakespeares vergleicht R ii m e 1 i n
in seinen Shakespearestudien (2. Auflage, S. 271 ff.). Kaum hat er im allgemeinen
die besondere Natur der Dichtergabe eines jeden geschildert, so wendet er sich dazu,
246 Padagogische Monatshefte.
den Beleg und die Anwendung zugleich zu geben, indem er das Vergleichungsver-
rnogen beider Dichter betrachtet. ,,Die Bilder Shakespeares sind in der Regel kiih-
ner, frappanter, fernerliegend, die von Goethe einfacher, treffender, wahrer. Jene
ruhen auf einer Einbildungskraft von der wunderbarsten Beweglichkeit, diese auf
einer Fiille und Breite der klarsten Anschauungen. Shakespeares Vergleiehungen
halten manchmal die niihere Priifung nicht aus; sie neigen sich zur Hyperbel; es
fehlt ihnen nicht selten die sinnliche Vollziehbarkeit . . . . Shakespeare erfindet die
Ahnlichkeiten, Goethe sieht sie. Jener hatte nicht die reiche Naturkenntnisse, die
breite Welterfahrung, das umfassende Wissen; die Phantasie hatte alles aus sich
selbst zu schopfen, die Gebilde von unbekannten Sachen auszugebaren und dem
luftigen Xichts festen Wohnsitz zu geben. Diesem drangen sich die Bilder der
wahrgenommenen Dinge zu, wie die Schatten urn Odysseus Haupt, dass er sich
ihrer nur zu erwehren hatte und eine Auswahl trefFen musste, welchen von ihnen er
das Wort vergonnen will."
So tragt ein aufmerksames Betrachten der Bilder zum Verstandnis der Dichter-
eigentu'mlichkeit bei. Ja auch die Entwicklung e i n e s Dichters geht Hand in
Hand mit der seines Vergleichungsvermogens. Die Unfertigkeit des jungen Schiller,
der spiiter so meisterhaft die Kunst der Bildersprache verstand, lasst sich kaum
besser als an der Verschwommenheit seiner Bilder verstiindlich machen, z. B. an
dem Durcheinander der Bilder in der ersten Strophe der ,,Grosse der Welt":
Die der schaffende Geist aus dem Chaos schlug,
Durch die schwebende Welt flieg' ich des Windes Flug,
Bis am Strande
Ihrer Wogen ich lande,
Anker werf, wo kein Hauch mehr weht,
Und der Markstein der Schopfung steht.
Oder an den Vergleichen der Elegie auf den Tod eines Junglings, die teils einer
den andern verdrangen, teils links und rcchts iiber die Grenzen des Masses und Ge-
schmackes hinausgehen.
Nicht nur zum Verstandnis der Jugendentwicklung Schillers, auch um den
eignen Stil zu bilden, sind seiche Hinweise, wie iiberhaupt das Studiuni bildlicher
Vergleiche, wertvoll.
Einige recht drastische Beispiele fur misslungene Vergleiche tun als Vogel-
scheuchen gute Dienste, so das bekannte vom Zahn der Zeit oder von den Univer-
sitaten, die wie rohe Eier sind, und sobald man sie antastet, sich auf die Hinter-
beine setzen. Dadurch wird auch das stumpfeste Gefiihl aufgeriittelt und fahig, nun
auch das Gemengsel, das sich in andern Redensarten findet, zu erkennen, so wenn
von durchschlagendem Eindruck gesprochen wird, was Wustmann anfiihrt,
oder wenn der Schwerpunkt der Frage gipf eln soil . . . . , wie H e i n / e zitiert.
Diesen Ausgeburten der Fliichtigkeit miissen dann klassische Beispiele treffen-
der Bilder gegeniibergehalten werden, wie sie unsere Dichter soviel bieten. Die
Schiller miissen nur erst lernen, aufzumerken, und es wird sich lohnen, Vergleiche
und Bilder sammeln und in der Schule vorlesen zu lassen. Die Absicht dea Sam-
melns macht aufmerksam, und wer gefunden hat, wird auch den Fund untersuchen,
ob's ein echter Edelstein ist.
Die Sehonheit eines Bildes beruht besonders darauf, dass es nicht nur im
Voriibergehen mit einem Blick gestreift wird, sondern dass der Blick sich darein
vertieft. Wie oft wird davon gesprochen, dass ein Kunstler das Leben malt, ohne
Unterricht in der Bildersprache. 247
class einer an den Maler denkt. Wie hiibsch und lebendig wird gleich das Bild,
wenn es so ausgefiihrt wird, wie jiingst in den Fliegenden Blattern: Auch Idealisten
malen das Leben naturgetreu, aber sie sagen stets zu ihrem Modell : Wenn ich bitten
darf, recht freundlich.
Darauf beruht das Geheimnis der Vergleichung, das Bild, das durch eine leise
Ahnlichkeit sich eingestellt hat, nicht gleich entschliipfen zu lassen, sondern fest-
zuhalten und zu zeigen, wie es auch noch einen andern verwandten Zug hat.
Ich setze als Beispiele zwei bekannte Bilder her. Leasing in der Hamb.
Dram.: ,,Ich fiihle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigene Kraft sich
emporarbeitet, durch eigene in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen auf-
schiesst; ich muss alles durch Druckwerk und Rohren aus mir herauspressen" und
Schiller, Uber das Pathetische: ,,Die Poesie kann dem Menschen werden, was
dem Helden die Liebe ist. Sie kann ihm weder raten, noch mit ihm schlagen, noch
sonst eine Arbeit fur ihn tun; aber zum Helden kann sie ihn erziehen, zu Taten
kann sie ihn rufen und zu allem, was er sein soil, ihn mit Starke ausriisten."
Die Bildersprache hat Ahnlichkeit mit dem Witz. Aber wahrend dieser nach
einem bekannten Worte ein Priester ist, der jedes Paar kopuliert, so finden sich
beim guten Vergleich nur die Paare zusammen, deren Ehe im Himmel geschlossen
ist. Eine tiefe Wesensverwandtschaft muss Bild und Sache verbinden. Wo hingegen
eine komische Wirkung am Platze ist, da wird sie vielfach dadurch erreicht, dass nur
ein loser Faden das Bild an die Sache kniipft. So wenn Frau Rat ihre Schwieger-
tochter bittet, ihr Biicher zu senden : ,,Wir haben hir das Thirische Leben betrefendt
annichts mangel — aber dem Geist geht es wie Adonia dem Konigs Sohn im Alten
Testament — von dem geschrieben steht wie wirst du so mager du Konigs Sohn."
(15. 2. 98.)
Weithergeholt und breit ausgefiihrt, beides tragt zur komischen Wirkung bei.
Nun hat aber iiberhaupt kein rhetorisches Bild die Verpflichtung, ein Portrat
der Sache zu sein; ja eine besondere Kunst der Rede besteht darin, durch Hinweis
auf die nicht zutreffenden Ziige des Bildes die Sache naher zu erliiutern. Denn das
gilt ein fiir allemal als Grundsatz, dass nicht die Bilder um ihrer selbst willen,
sondern um der Sache wrillen da sind. Ein schones Beispiel, wie in dieser Weise ein
abweichender Zug des Bildes benutzt wird, findet sich am Schluss von Fried-
richs des Grossen de la litterature allemande: ,,Diese schonen
Tage unserer Literatur sind noch nicht gekommen, aber sie nahen. Ich kiindige
sie Ihnen an, sie sind im Anzuge; ich werde sie nicht schauen, das zu hoffen verbie-
tet mir mein Alter. Mir geht's wie Moses: ich sehe das gelobte Land von ferae,
aber ich werde es nicht betreten. Lassen Sie mir diesen Vergleich hingehen. Moses
bleibt darum doch, was er ist, und ich will niich keineswegs mit ihm in eine Linie
stellen; die schonen Tage der Litteratur aber, die wir erwarten, sind mehr wert,
als die kahlen und diirren Felsen des unfruchtbaren Idumaa." (tibers. von Simon.)
Ja sogar ein Herausfallen aus dem Vergleich kann von besonderer Wirkung sein, so
wenn Jesajas Kap. 31 den Konig (oder Gott) der Assyrer als ihren Fels bezeichnet,
der vor Grauen davonlauft. (Ob diese tfbersetzung die treffendste ist, bleibt hier
gleichgiiltig.)
Es ist niitzlich und bietet sich Gelegenheit genug, die Schiiler auf diese Grund-
eatze und Arten der Gleichnisbildung hinzuweisen. Aber es geniigt nicht. C h o 1 e-
v i u s in seiner Praktischen Anleitung zur Abfassung deutscher Aufsatze stellt des-
halb die lohnende tibung an, einzelne Stiicke, die durch Schonheit der Bilder sich
auszeichnen, in diirre Prosa zu verwandeln, um durch den Gegensatz die Schonheit
248 Padagogische Monatshefte.
des Stils rum Bewusstsein zu bringen. So ein Beispiel aus Schiller. ,,In den
Briefen iiber iisthetische Erziehung hatte er folgende Bemerkung auszusprechen:
.Unsere Zeit macht zu ihrein hochsten Zwecke den Nutzen; nur nacli ihm sollen
alle kraftvollen und begabten Menschen streben. Demgemiiss finden die KUnstler
fiir ihre geistigen Werke jetzt keine Anerkennung, und, von niemand beachtet,
stellen sie bei dem matereillen Treiben des Jahrhunders endlich ihre Tiitigkeit ein.'
Vergleiche hierinit die bilderreiche Sprache jener Briefe: ,Der Nutzen ist das grosse
Idol der Zeit, dem alle Krafte fronen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser
groben Wage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht und, aller Auf-
munterung beraubt, verschwindet sie von dem larmenden Markt des Jahrhunderts.'"
Von noch sicherer Wirkung scheint mir eine andere tibung zu sein, namlich ein-
fach die Aufgabe zu stellen, Bilder zu bestimmten Gegenstanden zu suchen oder
umgekehrt bestimmte Dinge zu Bildern zu verwenden. Die Anregung dazu habe ich
aus einem Werke von Henry Ward Beecher (Vortriige iiber das Predigtamt,
deutsch von Kannegiesser, Berlin, Berggold) empfangen, einem Werke, das
mir bei uns nicht geniigend bekannt geworden zu sein scheint, obwohl es nicht nur
dem Prediger, sondern iiberhaupt dem Redner manches Gute bietet. Er verlangte
von seinen Zuhorern: ,,uben Sie sich im Stillen vor gedachten Zuhorern; machen
Sie Bilder und wenden Sie sie an; bilden Sie Sich dazu." S. 157.
Eiuiges kann die Schule tun.
Stellen wir die Aufgabe, den Tapfern, den Idealisten, den Zankischen, den
Schwermiitigen in Bildern darzustellen; die Phantasie wird nicht vergeblich an-
gerufen.
,,Die Schwermut," schreibt ein Schiiler (la), ,.gleicht einer tiefen finstern
Hohle. Mag der Sonnenschein auch noch so hell sein, es bleibt darin immer dunkel;
wenn man auch noch so frb'hlich hineinruft, es schallt doch dumpf zuriick."
Oder die Forderung wird umgekehrt gestellt.
Moses, der das heilige Land nur schauen, aber nicht betreten durfte, ein Schiff
im Sturm, ein geblendeter Vogel, ein prunkvoller Rahmen um ein schlechtes Bild,
ein Wasserspiegel oder ein Regenschirm sollen zu Vergleichen verwandt werden.
Nur ein Beispiel, wie die letzte Aufgabe delost ist: ,,Der Egoismus des Menschen ist
wie ein Regenschirm, der von dem Menschen selbst den Regen (in diesem Falle alles
Ltistige) fernhiilt. Doch ebenso wie die Tropfen, wenn man den Regenschirm dreht,
abspritzen und die Voriibergehenden treffen, so schieben wir durch unsern Egoismus
das Ltistige gern auf unsere Mitmenschen." (Das Bild gleicht einem, das sich bei
Bellamy, Riickblick, findet, ist aber von dem Schiiler nach seiner Aussage selbst
gefunden; iibrigens wurde die ubung in der Schule vorgenommen.)
Von besonderm Werte wird es nun sein, nachdem die Schiiler selbst gesucht
haben, zu zeigen, wie in klassischen Mustern das gleiche Bild eigenartig und schon
gemalt ist. Ebenso lassen sich auch an misslungenen Versuchen die Fehler, an denen
Vergleiche gern kranken, aufzeigen. Wer sich vorher mit dem gleichen Bilde be-
schaftigt hat, wird ganz besondere Aufmerksamkeit den Irrwegen schenken, denen
er dabei ausgesetzt war.
Den Unterricht in der Bildersprache wird die Warnung begleiten miissen, die
Bilder da anzuwenden, wo der Zweck des Aufsatzes nicht nach Schonheit, sondern
nach streng sachlicher Beweisfuhrung oder Begriffsbestimmung verlangt. Schil-
ler sagt in seinem Aufsatz ,t)ber die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schb'ner
Formen' dariiber: ,,Zur tJberzeugung des Verstandes kann allerdings die Schonheit
Zur Sprachgeschichte irn deutschen Unterricht des Lehrerserninars. 249
der Einkleidung ebensowenig beitragen, als das geschmackvolle Arrangement einer
Mahlzeit zur Siittigung der Gaste, oder die aussere Eleganz eines Menschen zur Be-
urteilung seines innern Wertes. Aber ebenso, \vie dort durch die schone Anordnung
der Tafel die Esslust gereizt und hier durch das Empfehlende im Aussern die Auf-
merksamkeit auf den Menschen iiberhaupt geweckt und gescharft wird, so werden
wir durch reizende Darstellung der Wahrheit in eine giinstige Stimmung gesetzt,
ihr unsere Seele zu 6'ffnen, und die Hindernisse in unserm Gemiit werden hinweg-
geriiumt, die sich in der schwierigen Verfolgung einer langen und strengen Ge-
dankenkette sonst wiirden entgegengesetzt haben. Es ist niemals der Inhalt, der
durch die Schonheit der Form gewinnt, und niemals der Verstand. dem der Ge-
schmack beim Erkennen hilft. Der Inhalt muss sich dem Verstand unmittelbar
durch sich selbst empfehlen, indem die schone Form zu der Einbildungskraft spricht
und ihr mit einem Scheine von Freiheit schmeichelt.
Es wiirde aus dem Rahmen dieses Aufsatzes hinausgehen, Schillers Gedanken
weiter zu folgen. Das von mir erstrebte Ziel ist, den Unterricht in der Rhetorik
praktisch nutzbar zu gestalten. Denn ich meine, dass die Lektiire guter Schrift-
steller und die Verbesserurg der Aufsatze allein nicht geniigend sind, um zu diesem
Ziele zu fiihren. Fur den Begabten mag's ausreichen. Fiir die Mehrzahl wird's gut
sein, noch zu andern ubungen verschiedener Art zu greifen. Nur eine davon ver-
euchte ich hier anzugeben.
Zur Sprachgeschichte im deutschen Unterricht des
Lehrerseminars.
(Aus den Padagogischen Blattern fiir Lehrerbildung und Lehrerbildungsanstalten.)
1. Das ist kein Spielzeug nicht.
Die neuen preussischen Lehrplane fordern fiir Klasse III. des Seminars: Laut-
lehre und Aussprachelehre, deutsche Mundarten; fiir Klasse II: Uberblick iiber die
geschichtliche Entwickelung der deutschen Sprache, Bedeutungswandel — also kurz
einen sprachgeschichtlichen Betrieb des grammatischen Unterrichts. Die methodi-
schen Anweisungen sagen, dass sich diese Belehrungen iiberall an Beispiele an-
schliessen und auf wesentliche Erscheinungen beschriinken sollen. Diese Forderungen
und Anweisungen sind geboren aus dem Geiste Rudolf Hildebrands; ihre Aus-
fiihrung wird den Seminaristen das Verstiindnis fiir das Leben und Werden unsrer
Muttersprache geben und in ihnen so allmahlich die Werturteile erzeugen, die sie in
Schenkendorfs Worten aussprechen:
Sprache schon und wunderbar,
Ach, wie klingest du so klar!
Will noch tiefer mich vertiefen
In den Reichtum, in die Pracht;
Ist mir's doch, als ob mich riefen
Viiter aus des Grabes Nacht.
Wie wir Lehrer das machen miissen, das lehrt uns Rudolf Hildebrand an Beispielen;
und darum sollen solche Beispiele aus dem Unterricht im Seminar uns auf die Wege
Rudolf Hildebrands fiihren, beziiglich auf den begonnenen Wegen weiterfiiliren.
250 Pddagogische Monatshefte.
Der Bauer ist kein Spielzeug nicht.
Wie tief hatte sich doch der Franzose Chamisso in den deutschen Geist und
seine Sprache eingelebt! Das Riesenfriiulein hat aus dem Tal in seiner Schiirze den
Bauer mit Pflug und Gespann auf die Hohe der Burg Niedeck getragen.
Sie spreitet aus das Tiichlein und fangt behutsam an,
Den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
So klatscht sie in die Hande und springt und jubelt laut.
Sie erwartet, dass der Vater ihre Freude teile, mit ihr lache und scherze, ihre Kraft
bewundere; aber er verneint ihre Hoffnung:
Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht :
Was hast du angerichtet ? das ist kein Spielzeugnicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin!
Der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn!
Das Riesenfraulein zogert, das artige Spielding wieder hinzutragen, wo es war; da
aber fahrt der Vater auf und gebietet ihr mit rauher, starker Stimme:
Sollst gleich und ohne Murren erfiillen mein Gebot.
Zwei Urteile iiber den Bauer stehen sich gegeniiber; so urteilt das Kind, anders
der Vater; er, der Vater, verneint das Urteil seines Kindes, mit ernster, dann
barscher Stimme; und damit diese Verneinung Kraft habe, damit sie von dem
Fraulein nicht iiberhort \verde, verdoppelt er sie: das ist kein Spielzeug
nicht. Ergebraucht die doppelte Verneinung A 1 s ver-
starkte Verneinung. So will's sein Denken und Fiihlen, so will's aber auch
die Riesensprache; denn heute spricht man nicht mehr so, da heisst's: die doppelte
Verneinung ist eine leise Bejahung. Doch auch unsre grossen Dichter gebrauchen
die doppelte Verneinung, Lessing sagt: Keinen wirklichen Nebel sah Achilles nicht
— Goethe: Es ist kein Schnee nicht; es ist, als hatte niemand nichts zu treiben und
nichts zu schaffen — und Schiller: Alles ist Partei und nirgends kein Richter. Und
neben diese Grossen stellt sich der thiiringische Bauer, der foergeblich nach etwas
gesucht hat, und berichtet voll Verdruss : ech konne's nergends nich f enge. Wer wird
so geschmacklos sein, eine solche Zusammenstellung zu wagen? Jeder, der sich
einen Schiiler Rudolf Hildebrands nennt, und das sind viele und werden Gott sei
Dank immer mehr. Doch die Griinde? Sie stehen in der letzten Strophe von
Chamissos Gedicht:
Burg Niedeck ist im Elsass der Sage wohlbekannt,
Die Hohe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand;
Sie selbst ist nun verf alien, die Statte wiist und leer;
Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
Die doppelte Verneinung als verstarkte Verneinung ist die Sprache der Zeit, da
von unsern Hohen stolze Ritterburgen hinunter in die Tiller schauten, da noch
manniglieh an Riesen und Zwerge, Elf en und Wichte glaubte, die mittelhochdeutsche
Sprachstufe. Und darum musste der Riese von der Burg Niedeck in den Formen
seiner Zeit sprechen und die doppelte Verneinung gebrauchen.
Zur Verneinung gebrauchte man mhd. die Partikel en, ne oder n. Sie trat vor
Umstandsworter, Fiirwb'rter und Dingworter, zumeist aber vor Tatigkeitsworter.
Wir horen sagen :
daz beste daz ich ie gewan und iemer mac gewinen.
ie bezieht sich auf die Vergangenheit, iemer (= ie + mere, also von jetzt an) auf
das Zukiinftige. Wir verneinen beide Worter durch ein vorangestelltes n und erhal-
Zur Sprachgeschichte im deutschen Unterricht des Lehrerseminars. 251
ten n + ie = nie und n + iemer = niemer = nimer. Aus der Entstehung dieser
Wb'rter ist ersichtlich, dass auch nie sich auf die Vergangenheit, nimmer auf die
Zukunft beziehen muss. Wir greifen das Fiirwort ieman heraus (ie + man), d. h.
irgendeiner, der gedacht werden kann, ohne dass man ihn naher bezeichnet. Es ist
der mhd. Vater der nhd. jemand; denn das d, der weiche Zahnverschlusslaut, ist ein-
fach dadurch hinzugekommen, dass die bei der Aussprache des n, des Zahnnasals, ge-
schlossenen Zahne wieder geoffnet werden. Jetzt verneinen wir ieman durch die
Verneinungspartikel n und erhalten nieman, niemand. Noch wertvoller wird diese
kleine Verneinungssilbe bei der Entstehung unsers nicht und nichts; der Stamm
von nichts ist iht; das ist ein zahlendes Pronominalsubstantiv und bedeuted irgend-
ein Ding, etwas. Von ihm wird ein schwaches Verb abgeleitet: ihten, oder durch
Ausstossung des t = ihen = nhd. eichen, d. h. eine Sache zu etwas machen, ihr
einen Wert geben. Das tun die Eichmeister auf dem Eichamt mit dem Eichstempel
an Gewichten und Gefiissen, damit diese Dinge den Wert erhalten, der ihnen durch
das Gesetz fiir das Verkehrswesen zuerkannt ist. Nun zuriick zum alten iht; es
deklinierte iht, ihtes oder ihts, ihte, iht; und nun verneinen wir es durch das kleine
Zauber-n, und so erhalten wir die Formen niht, nihts, nihte, niht. Also nicht ist ein
etwas, das keinen Wert hat; und dieser alte Sinn ist in dem Dativ zunichte machen
= einer Sache den Wert, die Eedeutung nehmen, bewahrt. Unser Verneinungswort
nicht ist also der Nominativ, nichts der Genetiv eines alten Pronominalsubstantivs.
Nicht verlor diesen substantivischen Charakter gar bald und sank zum blossen Ver-
neinungswort herab. Es war eine derbe, kraftvolle Zeit, da das geschah; es war, als
die Ritterheere zum Karnpf gegen die lombardischen Stiidte und den Papst Jahr um
Jahr iiber die Alpen oder gegen die Tiirken iibers Mittelmeer nach Palastina zogen,
da eisengepanzerte Manner mit Schwert und Lanze hochste Ehre errangen. Und
solche Manner voll Kraft redeten auch eine kraftvolle, markige Sprache, wenn sie
dem andern zustimmten oder anders dachten; sie redeten genau wie die Bauern
unsrer Zeit. Was die falsch ansehen, das nennen sie auch gleich ordentlich falsch.
So teilte einer meiner Schiiler (aus Sulzbach, 3 Stunden von Weimar) folgende
Redewendungen seiner Heimat mit : Der Jonge hat sich falsch ver-
schrewn. August hat das Schreftstecke falsch veriinnert; und der
Gastwirt, der in ein falsche Zigarrenkiste gegriffen hatte, entschuldigte sich mit den
Worten : ech ha mech falsch vergreffen. Uns geniigt zur Bezeichnung des
Falschen die Vorsilbe ver (verschrieben, verrechnen, verziihlen), dem Bauer nicht,
er muss das sicherer, fester, zweifelloser aussprechen, und darum sagt er's zweimal,
durch die Vorsilbe ver und das Umstandswort falsch. Und so war's auch in der
Ritterzeit; das nicht trat neben das alte ne, en oder n und k e i n verstiirkend hin-
zu, und so ward die doppelte Verneinung eine verstarkte Verneinung. Die Werke
unserer mhd. Dichter sind voll davon ; hier nur zwei Beispiele von Walter von
der Vogelweide.
Walter hofft, dass sich Herzog Leopold von Gsterreich auch gegen ihn milde
erweise; aber dies Gliick (saelde) wird ihm nicht. Daher singt er:
Mir ist verspart der saelden tor,
da sten ich als ein weise vor:
mich hilfet niht, swaz ich dar an geklopfe.
So berichtet er, dass sein Bitten ergebnislos ist, dass es verneint wird: mich
hilfet niht. Aber er denkt an die andern alle, die sich der Gunst des Fiirsten
erf reuen :
Des fiirsten milte uz Osterriche
frout dem siiezen regen geliche
beidiu liute und ouch daz hint.
252 Padagogische Monatshefte.
Das verstimmt ihn und macht ihn unwirsch, ja zornig; und darum gebraucht er
run, seinem Arger iiber die Verneinung seiner Bitten dutch den Herzog Leopold
Ausdruck zu geben, die doppelte Verneinung:
Wie mohte ein wunder groezer sin?
ez regent bedenthalben min,
daz mir des alles niht enwirt ein tropfe.
Es ist 1198; die Staufen haben Friedrich I. Sohn Philipp, die Welfen Otto von
Braunschweig zum Konig gekiirt, und nun durchtobt Biirgerkrieg die deutschen
Lande :
Untriuwe ist in der saze,
gewalt vert {if der straze:
frid unde reht sind sere want.
Es ist dieselbe Zeit, da Walter aus Osterreich scheiden und als ein Fahrender
durch die Lande gehen muss. Seine Not und des Vaterlandes Not bedrlicken sein
Herz und machen ihra schwere Gedanken.
Ich saz uf eime steine
und dahte bein mit beine,
dar uf satzt' ich den ellenbogen,
ich hete in mine bant gesmogen
daz kinne und ein min war.ge,
do dahte ich mir vil ange,
wie man zer werlte solte leben.
Doch all sein Den ken ist umsonst.
deheinen rat kund' ich gegeben,
wie man driu dine erwurbe,
der keines niht verdurbe.
diu zwei sint ere und varnde guot,
daz dicke ein ander schaden tuot:
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier iibergulde.
die wolte ich gerne in einen schri'n.
Wie lange er auch sitzt und denkt, er findet keinen Rat, und daher muss er be-
triibt und traurig bekennen:
ja leider des enmac niht sin,
daz guot und wertlich ere
und gotes hulde mere
zesomen in ein herze komen .
Achten wir scharf auf Stimmung und Sprache des Dichters. Nach dem ersten
Gang seines Denkens und Sinnens begniigt er sich, den Misserfolg durch eine ein-
fache Verneinung auszusprechen :
deheinen (keinen) rat kund' ich gegeben.
Als er aber wiederholt keinen Weg aus der Not findet, als ihm das Herz eng dabei
wird (vil ange) und ihn der Kummer niederdriickt, da will das stiirkere Gefiihl auch
einen starkeren Ausdruck haben, und daher gebraucht er jetzt die doppelte Ver-
neinung:
ja leider daz enmac niht sin.
Und so ist's in mittelhochdeutscher Zeit immer; eine
verstarkte Verneinung wird durch eine doppelte
Verneinung ausgedriickt.
Zur Sprachgeschichte im deutschen Unterricht des Lehrerseminars. 253
Auch Luther hat diesen Gebrauch da und dort beibehalten. Einige Zeugnisse!
Im 1. Kapitel der Klagelieder wird Versl— 4 Jerusalem nach der Zerstorung 586
els eine verlassene Witwe geschildert, der die Tranen des Nachts iiber die Backen
laufen. ,,Es ist niemand unter alien ihren Freunden, der sie trb'ste. . . . Die Strassen
gegen Zion liegen wiiste, weil niemand auf kein Fest komm t." Und als
Jesus den Aussiitzigen geheilt hat, verbietet er diesem, von der Heilung zu erzahlen,
mit den Worten : ,,Siehe zu, dass du niemand nichts sages t."
Anders ward der Gebrauch im 18. Jahrhundert ; die Gelehrten, die den lateini-
schen Stil als Muster aufstellen, fanden, dass eine doppelte Verneinung eine Be-
jahung sei, und ihre Ansicht hat sich allmahlich durchgesetzt. Die Zeit unsrer
Klassiker kennzeichnet sich als ubergang, und so kommt es, dass wir bei ihnen,
wie oben an einigen Beispielen gezeigt wurde, die doppelte Verneinung ofters noch
als verstarkte Verneinung finden. Greifen wir nur ein Beispiel heraus, das Wort
Wallensteins (Tod III, 15): ,,Alles ist Partei und nirgends kein
R i c h t e r." Wallenstein ist in schwerer Gefahr; alle sind von ihm gewichen, auf
die er gebaut; jetzt stehen die Pappenheimer vor ihm, von ihm selbst zu erfahren,
ob er ein Feind und Landesverriiter ist. Jetzt gilt's, sie zu gewinnen, dass sie bei
ihm bleiben und mit ihm gegen den Kaiser streiten. Er sagt ihnen, dass er der Welt
aus seinem Lager den Frieden schon gekranzt entgegefiihren wolle; denn der
Jammer des deutschen Volkes erbarme ihn. Und zutraulich fahrt er fort:
Seht! Fiinfzehn Jahr schon brennt die Kriegesfackel,
Und noch ist nirgends Stillstand. Schwed' und Deutscher!
Papist und Lutheraner ! Keiner will
Dem andern weichen! Jede Hand ist wider
Die andre ! Alles ist Partei und nirgends
Kein Richter! Sagt, wo soil das enden ? Wer
Den Kniiuel entwirren, der, sich endlos selbst
Vermehrend, wachst? — Er muss zerhauen werden.
I c h f ii h 1's, dass ich der Mann des Schicksals bin,
Und hoff' s mit eurer Hilfe zu vollfiihren.
Wie wunderbar tief begriindet ist doch diese doppelte Verneinung! Ihr gehen
einfache Verneinungen voraus, sie ist die Zusammenfassung derselben. Schon die
Wucht der Zusammenfassung verlangt Starke und Kiirze des Ausdruckes; noch
mehr aber der Gegensatz, den Wallenstein aufstellt. Allem stellt er sich gegeniiber.
Und nun vergleiche man den Ausspruch:
Alles ist Partei und nirgends ein Richter.
Ich f iihl's, dass ich der Mann des Schicksals bin,
mit dem andern:
Alles ist Partei und nirgends kein Richter.
Ich fiilil's, dass ich der Mann des Schicksals bin —
und man wird gestehen, dass der Gegensatz: ,,nirgend kein — ich" doch viel kraft-
voller wirkt als der andere ,,nirgend ein — ich". Und so hat der alte Sprachgeist
unsern Schiller beseelt und ihm geboten, seinen gelehrten Zeitgenossen zum Trotz
die doppelte Verneinung zu gebrauchen, damit Sprachinhalt und Sprachform sich
einander vermahle; denn das haben doch unsre Beispiele gezeigt, dass hier nichts
Zufalliges und Willkiirliches, sondern etwas Notwendiges, aus deutschem Geist
Geborenes waltet.
254: Padagogische Monatshefte.
Und so ist's nun auch nicht zufallig, dass die doppelte Verneinung vom sog.
gemeinen Mann und vom Bauer noch heute massenhaft gebraucht wird. Zwei Ziige
seines Charakters verlangen das. Liebe und Abneigung, Freude und Leid, Zustim-
mung und Verwerfung, das alles aussert er kriiftiger, leidenschaftlicher als der sog.
gebildete Mann. Und dann ist er im Grunde seines Wesens doch konservativ; er
ist nicht nur der Erhalter und Bewahrer alter Sitten und Gebriiuche, sondern auch
alter Sprachf ormen. In der Mundart des gemeinen Mannes ver-
bindet sich die Sprache alter und neuer Zeit. Auch h i e r gilt,
natiirlich init einer gewissen Beschrankung, die Gleichung: volkstiimlich =
altertiimlich. Und daher nun noch gewisse Zeugnisse aus dem Munde des
Volkes selbst und aus dem Munde volkstiimlicher Schriftsteller.
Aus dem Munde des ,,Galoppschusters" in Sulzbach hat der obengenannte
Schiiler noch folgende Wendungen gehb'rt: s' es ooch ke Schpass nech — in d'r
Schule, da hat e ke mal nischt gekonnt — su a Paar Langschafter wie die dahier,
die fing'n Se nargends en keen Schuhgeschiifte nee h." Wie stolz ist der
Galoppschuster auf sein Werk, wie voll von Verachtung blickt er auf die Fabrik-
ware herab, wie kraftig verneint er deren Giite, ein-, zwei-, dreimal: nargends —
keen — nech! In einem Volkslied vom alten Fritz (Fridericus Rex, Strophe 7)
heisst es:
Unsre Artillerie hat ein vortrefflich Kaliber,
Und von den Preussen geht keinernicht zum Feinde nicht iiber;
Die Schweden, die haben verflucht schlechtes Geld,
Wer weiss, ob der Osterreicher besseres halt.
Und in Anton Sommers Bildern und Klangen aus Rudolstadt, in Thiiringen
viel gelesen, heisst es z. B.: ,,De alte Knoppern verseimte kiine Kerche nech." •
Der Nargelfriede schreit entriistet: ,,Da stieht Jimal widder de Kallerthb'r sperr-
angelweit offen, hat'er ann nur gar keene Agen nech?" — ,,Schuhmersch Wilhelm —
s war su a Fidewig, dar nergends nech gut tat." ,,Und d'r Her Kanter setzte iiinal
sein' Jong' ausananner, dass manches Dong gar nech das war', was sei Name aus-
drb'ckte. Guckt, saht'r, da hasst's a Walfisch, un das as doch gar kii Fesch nech —
oder d'r Seidenworm, un das as doch gar ka Worm nech — oder ane Fischotter, un
das as doch gar keene Otter nech, und mere dergleichen. Und wie ar nachen zu'n
Kb'nnern sahte: Na, ihr Jong', war kann nier noch su was nenne? da reef d'r klane
Rinkelmann: Lagerbier: mei Vater sprecht ammer: Unser Lagerbier etze, dos os
gar kee Bier nich."
Wer das hb'rt und weiss, woher es kommt, der iiberfliegt in Gedanken die
Jahrhunderte, und durch seine Seele ziehen Schenkendorfs Wovte:
Ist mir's doch, als ob mich riefen
Vater aus des Grabes Nacht.
Die naturliche Methode in der Grammatik.
(FUr die Padagogischen Honatshefte. )
Von Dr. A. Altschul, San Francisco, Cal.
In der Novembernummer der P. M. habe ich die naturliche Methode (im
weiteren Sinne des Wortes; ich meine damit die direkte oder konkrete Methode) des
Sprachunterrichts in ihren allgemeinen Umrissen zu schildern gesucht. Heute ge-
denke ich einen einzelnen Punkt, der dort nur angedeutet werden konnte, eingehen-
der zu behandeln; ich meine die Anwendung der Idee des natiirlichen Lehrens auf
das Gebiet des grammatischen Unterrichts.
Ich beginne die Besprechung mit einem Bericht iiber das wichtigste auf den
Gegenstand beziigliche Buch: Francois Gouin's L'art d'enseigner et d'etudier les
langues, Paris, 1880. (Ich benutze und citiere nach der dritten Auflage der unter
dem Titel "The Art of Teaching and Studying Languages" in Scribners Verlag er-
schienenen englischen ubersetzung. ) Von den fiinf Abschnitten, in die das Buch zer-
fallt, ist der ganze dritte Abschnitt, S. 196 — 303, der Grammatik gewidmet. Der
grammatische Teil ist, wie das ganze Buch, weitschweifig und rhetorisch; aber der
Wert des darin enthaltenen Guten ist sehr gross. Durch das, was er hier bietet, hat
Gouin sich um die Begriindung und Ausbildung der natiirlichen Grammatik die
grossten Verdienste erworben, liesse es sich feststellen, dass seine Ideen zur Zeit
ihrer Veroffentlichung ganz neu waren. Dies zu entscheiden bin ich nicht im stande.
(Das Buch von R. Kron ,,Die Methode Gouin", Maiburg 1896, worin diese Frage ver-
mutlich besprochen ist, ist mir nicht zuganglich.) Meine Meinung geht dahin, dass
Gouin wohl nicht der erste gewesen ist, der die Idee der natiirlichen Grammatik ge-
habt und sie ausgesprochen und auch verwirklicht hat, dass er aber der erste war,
der dies mit Nachdruck und Konsequenz und mit vollem Bewusstsein der weit-
reichenden Bedeutung der Idee getan hat, und dass s e i n Vorgang es war, der die
Idee zu weiter Verbreitung und Annahme gebracht hat, wiihrend das von seinen
Vorgangern wohl nur unbedeutend und unwirksam gewesen sein kann.
In den folgenden Notizen will ich versuchen, dem Leser in moglichster Kiirze
von allem, was mir in dem grammatischen Teile von Gouins Buch von besonderem
Wert mit Hinsicht auf die natiirliche Grammatik erscheint, einen Begriff zu geben.
Ich numeriere die Notizen, um nachher bequemer darauf verweisen zu konnen.
Notiz 1. In den einleitenden Bemerkungen, auf S. 196, spricht sich Gouin unge-
fahr wie folgt aus: Es gibt jetzt zwei entgegengesetzte Ansichten iiber das
Studium der Grammatik beim Erlernen fremder Sprachen: 1. Grammatik ist not-
wendig; in der Sprache herrschen Regeln; diese Regeln also miissen erlernt wer-
den. 2. Die Grammatik ist iiberfliissig; denn Kinder lernen Sprachen vollkommen
ohne Grammatik. — "Which of these judgments is wrong? which is right? To our
mind, both are well founded, and it is by reason of this that they are reconcilable.
The reconciliation must take place upon the basis of a grammatical reform." Indem
das Kind eine Sprache vollig zu beherrschen lernt, lernt es doch tatsiichlich Gram-
matik. Wir miissen also beim Sprachunterricht auch Grammatik lehren; aber wir
miissen uns dabei die Methode zum Vorbild nehmen, womit die Natur das Kind
Grammatik lehrt; wir miissen eine naturliche Methode des Grammatik-Lehrens an-
wenden.
256 Padagogische Monatshefte. ,
Notiz 2. Im folgenden gebe ich die Hauptziige von Gouins Lehrplan fii die erste
Unterrichtsstunde in einer fremden Sprache.
la. Der Lehrer pragt zuerst dem Schiller raiindlich und in der Mutter-
s p r a c h e ein ,,theme" ein, d. i. eine Reihe von kurzen Siltzen, die eine zusam-
menhangende Folge von Handlungen ausdriicken (siehe S. 129 ff. und 173) :
Ich schreite auf die Tiir zu.
Ich nahere mich der Tiir.
Ich komme bei der Tiir an.
Ich bleibe bei der Tiir stehen.
Ich strecke den Arm aus.
Ich fasse den Griff an.
u. s. w.
Hierauf f iingt der Lehrer wieder beira Anfang an und lehrt das V e r b u m
jeden Satzes in der fremden Sprache.
Hierauf fangt er abermals von vorn an, und nun wird in der fremden Sprache
zu jedem \rerbum der Rest des betreffenden Satzes gefiigt, bis das ganze theme ein-
gepriigt ist.
Ib. Soweit war alles miindlich. Jetzt wird das Buch geoffnet und der Schiiler
liest das eben studierte theme.
Ic. Hierauf schreibt er es ab.
Ha. (S. 198.) Hierauf beginnt (gleich in der ersten Stunde!) das gramrnatische
Studium, namlich so: Der Lehrer pragt dem Schiiler miindlich ein die fremd-
sprachlichen Formen des Indik. Pras. des ersten im theme vorkommenden Ver-
bums. Er schreibt sie dann nieder und lasst sie auch vom Schiiler schreiben; der
Stamm wird hierbei von den Endungen getrennt:
ich schreit e wir schreit en . .
du schreit est ihr schreit et
er schreit et sie schreit en
Der Schiiler muss dann alle im theme vorkommenden Verben so abwandeln.
lib. Hierauf wird die Abwandlung wiederholt, dabei aber jedem Verbum der
Rest des Statzes, worin es im theme erscheint, zugefiigt :
Ich schreite auf die Tiir zu,
Du schreitest auf die Tiir zu. u. s. w.
He. Die beiden letzten tibungen (Ha und lib), sagt Gouin selbst, sind etwas
abstrakt; wir miissen uns beeilen wieder ins Konkrete zu kommen, namlich: es
wird jetzt das ganze theme in die zweite Person Sing, iibertragen:
Du schreitest auf die Tiir zu,
du niiherst dich der Tiir,
du kommst bei der Tiir an, u. s. w.,
und dann ebenso in die iibrigen Formen, wobei also jedesmal eine zusamtnen-
hangende Handlung geschildert wird.
Notiz 3. Auf S. 205 — 207 wird treffend auseinandergesetzt, dass es sehr un-
zweckmassig ist, das Verbum auf die Art zu lehren, dass man dem Schiiler gleich
eine ganze Konjugationstabelle vorlegt, die er sich vor allem aneignen soil, worauf
man ihm dann zumutet, die einzelnen Formen richtig zu gebrauchen; das ver-
niinftige Verfahren sei viehnehr, eine jede Form fiir sich allein darzustellen und
einzuiiben, und zwar nieht die Form allein, sondern Form und Bedeutung zusammen.
Notiz 4. Auf S. 231 ist die folgende Tabelle beachtenswert. Hinsichtlich des
Sprachgebrauchs ist sie freilich nicht vollig korrekt.
Indicative.
Simple and Momentary Acts.
Die natiirliche Methode in der Grammatik. 257
Gestern Ich off ntete die Tiir.
Heute
Heute morgen Ich habe die Tiir geoffnet.
Soeben Ich habe die Tiir geoffnet.
Jetzt Ich offne die Tiir.
Sogleich Ich will die Tiir offnen.
Ich werde die Tiir offnen.
Heute abend Ich will die Tiir offnen.
Ich werde die Tiir offnen.
Morgen Ich werde die Tiir offnen
N. B. We regard here the list of times as a simple grammatical indication;
for this reason we construe ,,ich offnete, ich habe," etc., instead of ,,offnete ich, habe
ich."
Notiz 5. S. 250: In Bezug des Verfahrens, beim Einpriigen neuer themes in
jedem Satz das Verbura zu isolieren und dann die- iibrigen Satzteile wieder daran-
zufiigen, sagt Gouin: ,,'Je marche vers la porte.' When the teacher gives the lesson,
this sentence is detached, as we have seen, from the rest of the theme; then it is
concentrated for one moment in th verb 'marche'; then it blossoms out finally, by
unfolding or evolving from itself, first the subject and then the complement of the
verb. But is this manner of presenting the phrase really anything else than an
analysis — an analysis at the same time both grammatical and logical? Will it be
necessary, think you, to unmake and remake such sentences before the student
learns to distinguish the subject from the verb, the verb from its complements?
Where is the child who, at the first hour, at the first lesson, at the first phrase,
will not comprehend this 'spoken' analysis?"
Notiz 6. S. 241: Das Plusquamperfektum wird wie folgt eingeiibt: Der Lehrer
sagt: Yesterday you opened this door; how did you do it? — The pupil will reply:
First of all, I walked towards the door. — Teacher. Well, and when you had walked
towards the door, what did you do next? — Pupil. After I had walked towards the
door, I arrived at the door. After I bad arrived at the door, I stretched out my arm.
And when I had stretched out my arm, etc.
Notiz 7. S. 261: Die Deklinationstabellen sollen erst in Angriff genommen wer-
den, nachdem samtliche Deklinationsformen einzeln vorgekommen und praktisch
erlernt worden sind; und zwar sollen die Tabellen nicht vom Lehrer fertig dem
Schiller vorgelegt werden, sondern die Schiiler sollen sie unter Anleitung des
Lehrers, selbst herstellen.
Notiz 8. Auf S. 263 finden wir die folgende Deklinationstabelle:
What T port-a subject.
Of what, whose? ae complement of noun.
What? am 1st complement of verb.
To what? ae 2nd complement of verb.
By what ? a 3rd complement of verb.
Notiz 9. S. 270: "How does the assimilation of the preposition take place?. . . .
We shall not draw up, as do the ordinary grammars, and abstract list of these
prepositions and of the cases they govern. No; this is an abstract work, a barren
task. We shall take them, we shall grasp these prepositions living; as living as the
idea of which they are the embodiment. . . . The preposition will be learned in the
phrase and by the phrase."
Soviel iiber Gouin. Seit dem Erscheinen seines Buches ist die natiirliche Gram-
matik mit grossem Erfolge weiter ausgebildet worden, vor allem in Deutschland, wo
258 Padagogische Monatshefte.
denn auch heutzutage die Anwendung der natiirlichen Grammatik ira franzosischen
und englischen Unterricht ganz iiblich ist.
Ich komme nun zum zweiten und letzten Abschnitt dieses Aufsatzes, worin ich
den Gegenstand in systematischer Anordnung darstellen will.
1. Vielleicht das wichtigste Prinzip der natiirlichen Grammatik ist dies: ,,Die
Theorie soil der Praxis folgen, nicht ihr vorausgehen." Das heisst, die theoretisch-
grammatische Behandlung soil nicht dazu dienen, den Schiller mit ganz neuen
Sprachformen oder Spracherscheinungen bekannt zu machen, sondern sie soil nur
angewendet werden wenn der Schiller mit der betreffenden Form oder Erscheinung
schon durch praktischen Gebrauch, unreflektierend, einigermassen vertraut geworden
ist. Z. B. der Schiiler soil keine Deklinationstabelle sehen, bevor er in Wortern, die
ihm bei seinen praktischen Sprachiibungen (Sprechen oder Lesen) vorkoinmen, die
verschiedenen Kasusendungen kennen gelernt hat. Man findet dieses Verfahren vor-
trefflich demonstriert in dem von Frederic Spencer in seinem Buch ,,Aims and Prac-
tice of Teaching" S. 100 ff. mitgeteilten detaillierten Lehrplan fiir den deutschen An-
fangsunterricht.
2. Hieraus folgt fast mit Notwendigkeit die induktive Behandlung der Gram-
matik. Denn selbstverstandlich wird der verstandige Lehrer sich nicht damit be-
gniigen, die Theorie zeitlich auf die Praxis folgen zu lassen, sondern er wird sie auch
logisch damit verkniipfen, das heisst er wird seine grammatischen Mitteilungen
auf Beobachtungen und Vergleichung der vorgekommenen Formen etc., woran er
die Schiiler teilnehmen lasst, begriinden.
3. Wir haben schon bei Gouin (Notiz 7) den Gedanken gefunden, dass die
grammatische Induktion von den Schiilern selbst, nur unter Anleitung des Lehrers,
vorgenommen werden soil; und hierin sind nicht wenige Anhanger der neuen Me-
thode — aber doch wohl nur eine Minoritat — mit ihm einverstanden.
4. Die Mitteilung neuen grammatischen Stoffes soil immer miindlich erfolgen;
erst das Ohr, dann das Auge. Auch beim Einiiben des Gelernten soil das miindliche
Verfahren viel gebraucht werden.
5. Neue Sprachformen sollen nicht massenweise geboten werden, sondern es
ist moglichst eine jede fiir sich zu lehren und einzuiiben. Gouin, Notiz 3; man ver-
gleiche auch den oben erwahnten Lehrplan von Frederic Spencer. — Man konnte hier
an die bekannte Geschichte von dem Biindel Pfeile erinnern, um die umgekehrte
Moral daraus zu ziehen: Das Biindel ist schwer zu zerbrechen, darum soil man
lieber einen Pfeil nach dem andern in Angriff nehmen.
6. Kom-ersation ist auch beim grammatischen Unterricht viel zu verwenden.
7. Und ebenso das aktuelle Element. Dieses besteht darin, dass der Inhalt der
Sprachiibungen irgendwie sich auf den Schiiler selbst oder die ihn umgebende Wirk-
lichkeit bezieht. (Siehe hieriiber meinen Aufsatz in der Novembernummer, S. 327 f.)
Beispiele der Verwendung des Aktuellen in grammatischen ijbungen findet man in
dem vortrefflichen Biichlein von Mary Brebner ,,The Method of Teaching Modern
Languages in Germany" (New York, Macmillan) auf S. 6, 9, 20 unten.
8. Die Beschrankung der Reflexion beim grammatischen Studium.
Bei den ersten sieben von den genannten acht Punkten geniigt fiir die Zwecke
dieses Aufsatzes die obige kurze Erwahnung; ihre Natur und Bedeutung ist leicht
zu verstehen und zu wiirdigen ohne weitere Erklarung als die in meinen Zitaten
aus Gouin geboten ist. Dagegen der achte Punkt verlangt eine ausfiihrliche Be-
sprechung, umsomehr als er bisher in der padagogischen Literatur, soweit meine
Kenntnis reicht, auffallend vernachlassigt worden zu sein scheint. Der Rest meiner
Arbeit von hier an wird der Besprechung dieses einen Punktes gewidmet sein.
Die naturliche Methode in der Grammatik. 259
Der Hauptfehler der traditionellen Methode des grammatischen Unterrichts ist,
dass sie sich allzusehr an die Reflexionstiitigkeit des Schiilers richtet, wodurch die
grammatische Arbeit ungebiihrlich anstrengend wird und obendrein noch unge-
niigende Resultate gibt, da die durch Reflexion erworbene Kenntnis nur langsam
oder auch garnicht zu wirklicher Belierrschung der Sprache fiihrt. Die natiirliche
Methode sucht diesen Fehler zu vermeiden, indem sie die Reflexion des Schiilers
moglichst wenig in Anspruch nimmt.
A. Oft liisst sich die abstrakte Denkarbeit ganz eliminieren; dem Schiller
werden einfach Beispiele geboten, in Form von vollstiindigen Satzen (entweder
mittels Kohversation oder durch blosse Mitteilung, letztere mit oder ohne tiber-
setzung) ; bloss durch Gewohnung und haufig wiederholte Nachahmung gelangt er
zur Beherrschung des in den Beispielen enthaltenen Faktums.
B. Wo dies aber nicht angeht, wo vielmehr ein verstandesmiissiges Begreifen
des grammatischen StofFes notig ist, da besteht doch ein tiefgehender Unterschied
zwischen der natiirlichen und der traditionellen Lehrweise. Die letztere namlich
bezweckt, dass der Schiiler das verstandesmiissig Erfasste durch logische An-
wendung auf den besondern ihm vorliegenden Fall zur praktischen Sprachproduk-
tion verwerten soil. Die naturliche Lehrweise dagegen will von diesem rein logischen
Verfahren nichts wissen. Sie gebraucht das logische Element nur Im engsten An-
schluss an die konkreten Beispiele, nur als eine helfende Zugabe zum Studium der
letzteren, und sucht das verstandesmassige Begreifen moglichst bald, durch Ver-
schmelzung der abstrakten mit der konkreten Kenntnis, geistige Anschauung um-
zuwandeln, um auf d i e s e r dann die richtige Sprachproduktion f ussen zu lassen.
Ich will dies an einem Beispiel zeigen. Die Regel, dass in Nebensiitzen das Verbum
am Ende steht, ist leicht zu begreifen, und es diirfte auch beim natiirlichen Ver-
fahren sich empfehlen, sie sehr bald (nachdem anfangs nur in jedem vorkommenden
Nebensatz die Stellung des Verbums bemerkt worden ist) in ihrer abstrakten Form
zur Kenntnis des Schiilers zu bringen. Diese Mitteilung diirfte von wesentlichem
Nutzen sein; trotzdem sollte aber danach der Schiiler sich nicht auf seine Kenntnis
der Regel verlassen, sondern er sollte hauptsiichlich durch haufiges Horen, Lesen
und Nachsprechen von einfachen Beispielsatzen und sonstige tibungen der Art sich
die praktische Beherrschung dieser Art der Wortordnung aneignen; und wenn er
einen Fehler machte, wiirde ich ilm nicht auf die Regel verweisen, sondern viel-
mehr ihn an einen zu diesem Zweck auswendig gelernten, oder wenigstens ihra
wohlbekannten, Mustersatz erinnern (etwa ,,Er sagt, dass er heute nicht mit uns
in den Park gehen k a n n").
C. Wenn abstrakte Erkenntnis geboten wird, so muss das in einer solchen
Form geschehen, dass die Umsetzung in geistige Anschauung moglichst erleichtert
wird; der abstrakte Inhalt muss in einer moglichst konkreten Form geboten wer-
den. Dies lasst sich oft besonders durch graphische Darstellung, mittels gramma-
tischer Tabellen, erreichen. Diese sollten so abgefasst sein, dass ihre Bedeutung
soweit mb'glich bloss durch die Anordnung und Gruppierung der gegebenen Formen
und Beispiele, durch typographische Mittel (fetten Druck und dergleichen) und
durch beigefiigte tJbersetzung ausgedriickt wird; wenn aber erklarende tJber- und
Beischriften notig sind, so. wird es sich oft empfehlen, hierfur statt technischer
Ausdriicke natiirliche Bezeichnungen zu verwenden, wie wir das bei Gouin, Notiz 4
und 8, gesehen haben. Ich gebe zwei selbstverfasste Beispiele von solchen Tabellen.
Die Inversion wiirde ich folgendermassen darstellen:
Das
Ich sehe
sehe ich
das.
260
Padagogische Monatshefte.
Mein Buch
Haben
Ich muss
muss ich
muss ich
mein Buch haben.
habeu.
mein Buch.
Oekommen
Erist
ist er
gekommen.
Die folgende Tabelle ist bestimmt dem Schiiler den, vom Englischen so auf-
fallend abweichenden, Gebrauch der drei Geschlechter im persb'nlichen Fiirwort ver-
standlich zu machen.
Nominative. Objective.
Wo ist der Mann ? E r ist hier. Ich sehe i h n. Masc. Persops.
Wo ist die Frau? Sie ist hier. Ich sehe s i e. Fern. Persons.
Wo ist das Kind? Es ist hier. Ich sehe es. Neut. Persons.
Wo ist d e r Tisch ? E r ist hier. Ich sehe i h n. Masc. Things.
Wo ist die Blume? Sie ist hier. Ich sehe sie. Fern. Things.
Wo ist das Buch? Es ist hier. Ich sehe e s. Xeut. Things.
D. Schliesslich ist einiges zu sagen iiber die verschiedenen Verfahren, die die
natvirliche Methode zur Einiibung grammatischen Stoffs anwendet.
Die traditionelle Methode hat hierfiir ein einziges Verfahren: das ttbersetzen
aus der Muttersprache in die frenide Sprache. Hier ist der Schiiler ganz selbst-
tatig; nachdem ihm die grammatischen Fakten in abstrakter Form, als Paradigmen
und Regeln mitgeteilt und eingeprsigt worden sind, soil er nun bloss darauf fussend,
ohne sonstige Hiilfe, gegebene Gedanken in der fremden Sprache ausdrticken. Die
natiirliche Methode verwirft dieses Verfahren entweder ganz und gar (so die radi-
kaleren Vertreter der deutschen Sprachlehvreform), oder schliesst es wenigstens da
aus, wo es sich um Einiibung von neu erlerntem grammatischen Stoff handelt. Als
Ersatz verwendet sie iJbungen, worin dem Schiiler als Material zur Bearbeitung
nicht Satze in seiner Muttersprache, sondern Siitze in der fremden Sprache vorge-
legt werden; diese hat er entweder einfach zu wiederholen, oder aber er muss sie in
einer bestimmten Art und Weise verandern, wobei die gegebene Form des Satzes
ihm als Vorbild dient, woran er sich mehr oder \venigcr anlelmen kann.
1. Eine hb'chst einfache, aber sehr niitzliche ubung ist das rein rezeptive und
wiederholende Studium von Beispielsittzen: ofteres Lesen, Nachsprechen, und Aus-
wendiglernen. Solche Siitze sollten dem Schiiler in Menge geboten werden, sowohl
durch den Lehrer als auch gedruckt im Lehrbuch.
2. Das satzanalysierende Frageverfahren, wie ich es nennen mochte. Es ist sehr
wichtig nicht nur als speziell grammatisches Verfahren, sondern zur Sprachiibung
iiberhaupt, besonders zum nachtrsiglichen Durch sprechen von Gele-ienem. Es wird
folgendermassen geiibt: Wenn etwa der Satz ,,Im Juli gingen die Kinder mit ihren
Eltern aufs Land" durchzunehmen ist, so werden folgende Fragen dariiber gestellt:
,,Wer ging aufs Land? Was taten die Kinder? Wohin gingen die Kinder? Wann
gingen die Kinder aufs Land? Mit wem gingen sie?" Es wird also ein Satzteil nach
t!em andern sozusagen als unbekannte Grosse behandelt. Die Antwort muss immer
in Form eines vollstandigen Satzes erfolgen.*) Wenn es sich um Einiibung eines
bestimmten grammatischen Punktes handelt, da wird im allgemeinen iiber jeden
*) Henry Sweet erwiihnt in seinem Buch ,,The Practical Study of Languages",
S. 207, dass dieses Verfahren schon von A. Bernays von King's College, London, in
der Vorrede zu seinem German Header, siebente Auflage, 1856, (und moglicherweise
auch schon in friiheren Auflagen) beschrieben und empfohlen wordon ist.
Die naturllche Methode in der Grammatik. 261
vorliegenden Satz nur eine einzige Frage gestellt werden konnen; z. B. bei Ein-
iibung des Dativs nach Verben: ,,Julius half seinem Bruder. Wem half Julius?"
Die Antwort besteht in der Regel einfach in Wiederholung des besprochenen Satzes,
vollstiindig oder verkiirzt; aber es ist dies doch von bloss rezeptiver Wiederholung
wesentlich verschieden; ein gewisses Mass von Selbsttatigkeit wird vom Schiller
erfordert.
3. Auch einfache Konversationsfragen konnen von der Art sein, dass das zur
Antwort erforderte Sprachmaterial in der Frage schon vollstiindig vorliegt. Z. B.
bei Einiibung des Relativums: ,,Ist das Buch, das dort liegt, deutsch?" Die vom
Schiiler geforderte Selbsttatigkeit ist hier schon von einem etwas hoheren Grade
als in 2.
4. Ferner konnen Fragen ahnlicher Art gestellt werden, worin derjenige Satz-
teil, der das gerade einzuiibende grammatische Element enthalt, schon so enthalteii
ist, wie er in der Antwort erscheinen muss, wogegen der Rest des Satzes in Frage
und Antwort mehr oder weniger verschieden ist. Z. B. bei Elniibung des Rela-
tivums: ,,Wem gehort die Feder, die auf deni Tisch liegt? (Antwort: Die Feder,
die auf dem Tisch liegt, gehort mir.) Wie gefullt Ihnen das Bild, das dort hangt?
Kennen Sie den Herrn, der dort sitzt? Wem gehort der Bleistift, den ich in de»
Hand habe?"
5. Etwas ahnliches liegt vor bei dem Verfahren, wo der Lehrer eine einzu-
iibende Konstruktion oder Redensart in einem Mustersatz anwendet, worauf die
Schiiler nach diesem Vorbild ahnliche Siitze bilden miissen. (Der Lehrer wird in der
Regel angeben, welche Satzteile des Mustersatzes beibehalten, welche variiert wer-
den sollen.) Z. B. bei Einiibung von i n, a n, a u f u. s. w. mit dem Akkusativ:
Mustersatz: Ich lege das Buch auf den Tisch.
Variationen: Ich stelle die Flasche auf den Tisch.
Ich setze das Glas auf den Tisch.
Ich werfe meine Miitze auf den Tisch.
Er stellte den Stuhl neben den Tisch.
Wir setzten uns an den Tisch.
Ich schob den Kasten unter den Tisch.
Ferner zur Einiibung des Unterschieds zwischen Dativ und Akkusativ nach
diesen Priipositionen:
Mustersatz: Ich lege das Buch auf den Tisch; nun liegt das Buch auf dem Tisch.
Variationen: Ich setze mich auf den Stuhl; nun sitze ich auf dem Stuhl.
Ich stelle den Stock in die Ecke; nun steht der Stock in der Ecke.
Ich nehme das Buch in die Hand; nun habe ich es in der Hand.
Er warf das Buch in die Kiste; da lag das Buch in der Kiste.
Auf dieselbe Weise kann der Unterschied von hier und hierher, da und
dahin, darin und hinein, zu Hause und nach Hause eingeiibt
werden.
Eine (Jbung dieser Art in Form von Frage und Antwort finden wir bei Gouin,
Notiz 6.
6. Schliesslich gibt es noch ein Verfahren, wobei das Material zur Antwort in
der Frage oder Aufgabe teihveise gegeben ist, aber gerade der einzuiibende Satzteil
n i c h t. Z. B. der Gebrauch von e r, s i e, e s = it kann getibt werden, indcm der
Schiiler Fragen beantworten muss, wie folgt:
Ist das Wasser klar? Ja, es ist klar.
Ist die Milch gut ? Ja, sie ist gut.
Ist der Garten schon? Ja, er ist schon.
262
Padagogische Monatshefte.
Eine sehr niitzliche tibung der Art besteht darin, dass in einem gegebenen Satze
ausgelassene Worter oder Endungen vom Schiiler einzufiigen sind. Dieses Verfah-
ren findet man in einem sonst von der neuen Methode wenig beeinflussten Buch,
Collar's Shorter Eysenbaeh, zur Einiibung der Deklination des Adjektivs (§85. 93)
und des Relativums (§190) angewendet; z. B. ,,Stark.. Kaffee ist nicht gesund
i'iir dich, lieb. . Karl; du inusst schwach.. trinken." ,,Der Vogel, von - - wir
eprachen, war ein Adler."
Hierher gehort schliesslich das Variieren von gegebenen Siitzen durch uber-
tragung des Verbums in eine andere Person oder Zahl oder Zeit, oder durch Um-
wandlung eines Hauptsatzes in einen Nebensatz( oder durch Veriinderung der
Wortordnung, u. s. w. Z. B. zur Einiibung der Inversion wiirde ich u. a. folgende
zwei ubungen gebrauchen:
a) (Stelle das Subjekt an den Anfang!) Dem Buch habe ich nicht. Hier kann
er nicht sein. Dort ist er.
b) (Stelle die Worte in Kursivschrift an den Anfang! Ich sehe einen Vogel.
Mein Bruder kam hcute. Er sah micJi nicht. Ich tue* das jeden Tag. Ich tue das
•eden Tag.
Zur Einiibung der Transposition kann man dem Schiiler aufgeben, eine Reihe
von gegebenen Hauptsatzen mittles Voranstellung von ,,Ich weiss, dass" oder der-
gleichen in Nebensatze zu verwandeln.
Zur Einiibung einer bestimmten Verbform, etwa der 2. Person Sing. Indik.
Perf., kann man irgend ein geeignetes Lesestiick mit Umwandlung jedes vorkom-
menden Verbums in die gewiinschte Form lesen oder schreiben lassen.
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
(Fiir die PUdagogischen Honatshefte.)
C incinnati.
Mit dem wohligen Bewusstsein, nur
auf ein einziges Jahr wieder angestellt
zu sein, ziehen siimtliche Lehrer im gan-
zen Staate Ohio ins neue Schuljahr hin-
ein. Wie ich bereits friiher angedeutet
habe, kreiste die verflossene Staatslegis-
latur einen ganz neuen Schulkodex zu-
recht, der unter anderem die Bestim-
mung enthalt. dass alle jetzt amtierenden
Lehrer sich stehenden Fusses noch einmal
einer Priifung unterziehen miissen, um
nach September 1905 wieder angestellt
werden zu ko'nnen. Die hiesige Schulbe-
hb'rde hat diese sonderbare Bestimmung
dermassen zur Ausfiihrung gebracht,
dass man uns alle anstellte mit der Be-
dingung jedoch, uns vor Ablauf des
Schuljahres neue Priifungszertifikate zu
erwerben, da die jetzt bestehenden als-
dann keine Giiltigkeit mehr haben wer-
det, gleichviel auf welche Zeitdauer die-
selben lauten. Auch werden dann keine
lebenslanglichen Zertifikate erlangt wer-
den konnen, sondern nur solche auf 2, 3
Jahre furs erste — ich weiss das nicht
genau; die Sache ist einigermassen ver-
wickelt und nicht angenehm fiir Lehrer,
die schon seit Jahren auf Lebzeit ange-
stellt sind. Natiirlich braucht, wer sonst
nichts auf dem Kerbholz hat, sich nicht
zu angstigen — kurios ist's dennoch.
Besser fiel die Sache mit der Einrich-
tung der neuen Schulrate aus, indem
alle Stadte der ersten Klasse (20,000 und
mehr Einwohner) durch ihre jetzige
Schulbehorde es bestimmen lassen sol-
len, wie es in der Zukunft gehalten wer-
den wird. Cincinnati bekommt daher
einen aus sieben und zwanzig Mitgliedern
bestehenden Schulrat, was besonders im
Hinblicke auf den fleutschen Unten-icht
in seiner gegenwartigen Gestalt sehr
giinstig ist. Noch eine recht annehmbare
Bestimmung ist die, dass bestehenden
oder zu errichtenden Lehrer - Pensions-
kassen eine gewisse Quote — wenn ich
mich nichi irre, bis zu vier Prozent — •
der Schulsteuer dem Pensionsfonds zu-
gewendet werden darf. Das wird unseren
Fonds ganz bedeutend erhohen und
sicher stellen.
Korrespondenzen. 263
Beinahe hatten die mannlichen Lehrer Einen weiteren grossen Verlust erlitt
hier mit dem September dieses Jahres das hiesige Deutschtum durch das Ab-
eine Gehaltserhohung bekommen — vom leben unseres friiheren Kollegen Karl L.
$700 und $800 auf $1000 und $1300 Nippert, der, wenig iiber 50 Jahre alt,
Maximum, aber. . . . das Ewig-Weibliche! durch ein Herzleiden dahingerafft wurde.
Wie ein Mann erhob es sich und pro- In Deutschland von deutschamerika-
testierte, alien Vorstellungen taub und nischen Eltern geboren, erzogen und fur
unzuganglich: Entweder auch die weib- das Ingenieurfach ausgebildet, kam Nip-
lichen Lehrer. oder gar niemand! Und pert vor 28 Jahren nach Amerika und
so ist es gckommen. Hatten die Damen ergriff ein paar Jahre darauf den Leh-
nur ein Jalir warten wollen, sie wiirden rerberuf, dem er 16 Jahre lang als deut-
im nachsten Jahre gewiss auch Erhohung scher Oberlehrer und als Schulprinzipal
bekommen haben. Aber nein ! und ce que in unserer Stadt angehorte.
femme vent, Dieu le veut: Weder miinn- Von Lehrertagen her, als Sekretar,
liche noch weibliche Gehaltserhohung, Vizepriisident und President des D. A.
vielleicht auf Jahre hinaus. ,,Kann ich Lehrerbundes war er in weiteren Lehrer -
den Hafer nicht fressen, so soil ihn doch kreisen sehr vorteilhaft bekannt. Vor
das Pferd auch nicht haben!" So lasst 10 — 12 Jahren wurde er Advokat, Po-
Lafontaine den Hund in der Fabel spre- lizeirichter, Staatssenator und Vize-
chen. Ich mache es wie Heine, der, an- gouverneur von Ohio, ,,Probate"-richter
statt eine vorlaute weibliche Frage zu und — herzleidend, bis nun der Tod uns
beantworten, die Arme fromm iiber der diesen hochgebildeten, genial-gemiitlichen
Brust kreuzte und gliiubig redete: ,,La und ganz allgemein beliebten Mann ent-
illah, ill allah, warn hamed rassul allah!" riss.
Ich meine ferner, dass jede Zeit, wenn sie Ein anderer deutscher Oberlehrer, Ben-
neue Ideen bekommt, auch neue Augen jamin Wittich, ein durch und durch ge-
bekommt, und dass es den Menschen bildeter Schulmann, hat dem Lehrerfache
dann nichts hilft, sich blind stellen zu Valet gesagt, um sich einem anderen
wollen. Das beste wird auch in der Berufe zu widmen.
Frauenfrage sein, man lasst die ,,zer- \yie bekanntlich Cincinnati im Jahre
storende Plotzlichkeit" sich austoben; 1897 gelegentlich des Allgemeinen
schliesslich wird die ,,begiitigende All- Deutschamerikanischen Lehrertages einen
mJihlichkeit" ja doch siegen, wenn erst etwa dreitausend Stimmen starken
tiichtig Haare gelassen sind. deutschen Kinderchor unter Theo. Mey-
Wahrend der Ferien starb noch der ders Leitung mit deutschen Volksliedern
deutsche Oberlehrer Aloys Schultz. Er vorfiihrte — das erste Mai, dass so etwas
war erst einige Jahre im Dienste und hierzulande unternommen worden — , so
hatte bald nach seinem Eintritte in das hat es auch kurz vor den Ferien beim
ihm fremde Lehrerfach die Erfahrung Cincinnati-Turnbezirksfeste gegen fiinf-
zu verzeichnen, dass dazu feste Nerven tausend turnende Zoglinge der offent-
gehoren, denn die Nerven waren es, die lichen Schulen in Freiiibungen und teil-
den sehr gebildeten und stark scheinen- weisen Geniteturnen vorgefiihrt und da-
den Mann so herunterbrachten, dass ein mit nicht nur einen glanzenden L/folg er-
schnell eintretendes weiteres Leiden ihn rungen, sondern auch einen propagan-
ohne viel Federlesens hinwegraffen distischen Einfluss Don ungeheurer Kraft
konnte. und Tragweite zur Geltung gebracht. Der
Eines anderen vor ganz kurzer Zeit Anblick dieser frischfrohlich turnenden
eingetretenen Todesfalfes muss ich ge- Kindermassen, je ir-3,000 zusammen
denken: Friedrich Bartsch, der in den war geradexu uberwaltigend und so recht
weitesten Kreisen so hoch angesehene da/u angetan, diese Seite deutscher Kul-
deutschamerikanische Turnerveteran turarbeit in Amerika in das he.rlichste
starb hier nach langem Siechtum. Wenn Licht zu stellen. Hunderte und aber
er auch mit dem Volksschullehrerstande Hunderte unter den Zuschauern wurden
nicht in direkter Verbindung gestanden zum sonst belachelten Schulturnen be-
hat, so gehorte er doch durch seine Tatig- kehrt' und es ^ird nunmehr nur an den
keit als Turner-Zeichenlehrer und durch massgebenden Behorden hegen, demsel-
das grosse Interesse, das er alien Fort- ben die allerdmgs noch zu wunschende
schritten im Erziehungswesen. besonders Ausbreitung und Erhohung der Leistun-
aber dem Bestehen des deutschen Unter- 8en zu sichern.
richts in Schrift und Wort immer be- Schreiten wir auf diesem Wege fort,
zeugte, ganz und voll zu uns. Ihm fehlte dann konnen unseretwegen noch mehr
es darum auch in unseren Kreisen im Herren Professoren Biicher gegen das Ge-
Leben nicht an Anerkennung. und wir bahren der Deutschamerikaner und gegen
werden seiner stets in Ehren gedenken. das deutschamerikanische Volksschul-
264
Padagogische Monatshefte.
wesen druben drucken lassen und ihr
eigenes Nest beschmutzen. Sie werden
vielleicht mir zu bald gewahren, dasa sie
den Ast abgesagt haben, auf dem sie
jetzt so stolz horsten; das Deutschtum
in Amerika aber wird fortbestehen, nur
starker und angesehener, anscheinend
getrennt im Haushalte, vereint, wenn es
gilt zu handeln und zu schlagen. Da von
wird man sich bei der bevorstehenden
Schiller-Feier auch hier iiberzeugen, und
f iir deren Vorbereitung ist auch den Ver-
tretern unserer deutschen Lehrervereine
der diesen gebiihrende Anteil einge-
riiumt worden.
Am 6. September beginnen wir
unsere Jahres - Verproviantierung beim
,,Teachers' Institute", und am 12. treten
wir wieder in der Schule an. Proficiat!
Unser deutscher Superintendent, Herr
Dr. Fick, ist wohlbehalten von seiner
Europareise heimgekehrt, hat also, da er
sich hauptsachlich in Italien aufhielt, den
alten Spruch ,,Vedi Kapoli e poi muori!"
zu Schanden gemacht. * # *
Milwaukee.
Kleine Ursachen haben oft grosse
Wirkungen. Da man jetzt so viele Sachen
als niitzlich und notwendig erachtet, in
den b'ffentlichen Schulen gelehrt zu wer-
den, so gestaltet sich denn dadurch auch
der Lehrplan recht vielseitig, und die
armen Lehrer wissen oft nicht, wie sie
alle diese Lehrgegenstande xmterbringen
und wo sie die dafiir nb'tige Zeit her-
nehmen sollen. So wurde denn in einer
Versammlung im Mai in der "Teachers'
Association" ein Ausschuss ernannt, um
Mittel und Wege zu finden, wie diesem
Ubelstande, namlich der uberbiirdung des
Lehrplans, abzuhelfen sei und dann
eventuell dem Schulrat passende Vor-
schlage zu machen.
Da hatte denn eine "smarte school-
ma'm" auch bald des Ratsels Lbsung ge-
funden und schlug ganz unverfroren in
der nachsten Versammlung vor, den
deutschen Unterricht im ersten und
zweiten Grade einfach abzuschaffen. Wie
das in die Zeitung kam, da gab's Auf-
ruhr; denn die Deutschen Milwaukees
lassen sich den deutschen Unterricht
nicht so leicht rauben und sind sehr auf
der Hut, beizeiten die Gefahr abzuwen-
den. War nun die Sache auch an und fiir
sich dumm und einfaltig und von keiner-
lei Bedeutung, da sie nur als naseweise
Ausserung eines uberklugen Damchens
anzusehen war, so konnte man ander-
seits doch nicht wissen, ob nicht der
Vorschlag doch bei dem einen oder an-
dern Schuldirektor Anklang finden wiirde.
Vor allem aber war man noch ganz im
Unklaren betreffs der Stellung des neuen
Supt. Pearse zum deutschen Unterricht.
Schon hatte der hiesige Turnverein Mil-
waukee, der stets bei der Hand ist, wenn
es gilt, die Fahne des Deutschtums hoch-
zuhalten und seine edlen Giiter eu ver-
teidigen, die Sache in die Hand genom-
men, um in einer offentlichen Bespre-
chung sich iiber die geeigneten Schritte
klar zu werden und dann bei dem Schul-
rat vorstellig zu werden, als Supt. Pearse
plbtzlich der ganzen Sache ein Ende
machte.
Eine hiesige deutsche Zeitung hatte
sich namlich an ihn gewandt und sich
seine Meinung iiber den deutschen Un-
terricht erbeten. Herr Pearse gab dann
folgende offene und mannliche Erklarung
ab: ,,In Beantwortung Ihrer Frage be-
ziiglich des deutschen Unterrichts in den
offentlichen Schulen Milwaukees er-
scheint es mir klar, dass darin den
Wiinschen der Bewohner der Stadt vor
alien Dingen Rechnung getragen werden
muss. Manche Stiidte haben in ihren
Schulen Handfertigkeitsunterricht, an-
dere nicht. Einige treiben systematische
Ausbildung des Korpers, andere nicht.
In gleicher Weise lehrt man in einigen
Stadten die Grundelemente des Gesangs,
in andern nicht. In Milwaukee ist es ge-
briiuchlich, Deutsch zu lehren als einen
Teil des regelmassigen Schulpensums. So
lange nun die Bewohner der Stadt dies
wollen, wird der Unterricht auch beibe-
halten werden miissen. Ich glaube nicht,
dass irgend welche Aussicht vorhanden
ist, dass der deutsche Sprachunterricht
in unsern offentlichen Schulen aufgege-
ben wird; imd ich fiir meine Person neige
in keiner Weise der Ansicht zu, dass es
geschehen sollte; auch habe ich nie daran
gedacht, einen solchen Vorschlag zu ma-
chen. Wenn es mir erlaubt ist, ein Ur-
teil zu wagen, mb'chte ich sagen, dass der
deutsche Unterricht in den offentlichen
Schulen von Milwaukee schwerlich auf-
gehoben werden wird, ausser die deut-
schen Burger Milwaukees fordern es."
Carroll G. Pearse,
Supt. der offentlichen Schulen.
Bemerken mo'chte ich hier noch, dass
wir alle Gegenstiinde in den Schulen
haben, die Supt. Pearse anfiihrt, als
Handfertigkeitsunterricht, Turnen und
Gesangsunterricht. Nun, das war ge-
sprochen wie ein Mann, offen und ehrlich,
ohne RiicKhalt und Hintergedanken.
Jedermann weiss also jetzt, dass Supt.
Pearse nicht fiir Abschaffung, Verkur-
zung oder Beeintrachtigung des deutschen
Unterrichts zu haben ist.
ubrigens niochte ich noch hinzufiigen,
dass schon seit Jahren sich gar keine
Stimmen, .weder editoriell noch in Ein-
Korrespondenzen.
265
gesandts, in den englischen Zeitungen
Milwaukees gegen den Unterricht im
Deutschen erhoben haben, trotzdera das
Schulbudget von Jahr zu Jahr hoher
wird, und dieses Jahr nahezu eine Mil-
lion erreicht hat. Es scheint also, als ob
die Feinde desselben es endlich einge-
sehen, dass alle ihre Bemiihungen in die-
ser Hinsicht fruchtlos sind und sie sich
endlich mit Grazie und Bonhomie in das
Unvermeidliche zu schicken haben. So-
dann ware auch die Zeit zu einer solchen
Agitation sehr schlecht gewahlt, denn die
Wahlen stehen vor der Tiir, und da
braucht man die guten Deutschen, oder
doch wenigstens ihre Stimmen, und so
lasst man sie ungeschoren, ja nennt sie
sogar "our dear German fellow citizen."
A. W.
Professor Dr. Rein in Milwaukee. Sie
ist doch noch nicht ganz ausgestorben,
die deutsche Gemiitlichkeit in unserem
Lande. Damit soil indes nicht gemeint
sein jene soldatenspielende, kamerad-
schaftsduselige Deutschtiimelei, die lei-
der nur den einen sehr zweifelhaften
Segen haben kann, der bei uns schon
allzusehr ins Kraut geschossenen Pflanze
des Militarismus Nahrung zuzufiihren.
Es ist vielmehr gemeint jene, wenn auch
manchmal allzutiefe Innigkeit der Ge-
fiihle, die die Wurzel ist des vielgeriihm-
ten und ebenso geschmahten deutschen
Idealismus, der in der Studentenzeit alles
in rosafarbne Schminke taucht, der aber
auch in den erniichterten Mannesjahren
zu begeistern vermag zu grossen, edlen
Taten. Dass die obige Behauptung be-
griindet ist, zeigte sich gelegentlich des
Besuches, mit dem Dr. Wm. Rein, Prof,
der Piidagogik und Philosophic zu Jena
am Abend des 19. Septembers unsern
Deutschen Lehrerverein beehrte. Vorher
Melt der deutsche Gelehrte, dessen Na-
men in Schriften seit beinahe 2 Jahr-
zehnten jedem deutschen Schulmeister
ruhmlichst bekannt sind, unter den
Ausspizien des Lehrerseminars im Turn-
saale desselben einen Vortrag iiber die
Entwicklung des Schulwesens in Eng-
land, Frankreich und Deutschland, der
Dank der geistvollen Ausfiihrung des
Redners von Anfang bis zu Ende mit
hohem Interesse verfolgt wurde. Der
grosse Saal des Turnlehrerseminars war
bis auf den letzten Platz geftillt; von
den hervorragenden Personlichkeiten
unseres Milwaukeer Schulwesens fehlten
nur wenige, und eine grosse Anzahl der
Vertreter des intelligenten Deutschtums
unserer lieben Stadt Milwaukee hatte
sich eingef unden; — was aber der Phy-
siognomic des Ganzen einen besonders
wohltuenden Zug verlieh, war, dass bei
dieser Gclegenheit alle die Schulmeisterei
leider hierzulande haufig noch trennenden
Schranken niedergeworfen waren. So
fanden wir unter den begeisterten Zu-
horern Vertreter von alien Erziehungs-
instituten Milwaukees und seiner Nach-
barschaft: Professoren der Staatsnormal-
schule, dem Downer College, Direktor und
Professoren der Xorthwestern Universi-
tiit von Watertown, einer hoheren An-
stalt der lutherischen Wisconsin Synode,
Professoren des zur Missouri- Synode ge-
horigen Concordia-College und der ge-
samten Lehrerschaft beider Synoden. Sie
alle vereinte der Gedanke, dem hervor-
ragenden Vertreter deutscher Padagogik
ihre Huldigung darzubringen.
Nachdem Prof. Rein in meisterhaft
akademischer Weise, wie sich von selbst
versteht, seiner Aufgabe sich entledigt,
folgte er einer Einladung des Vereins der
deutschen Lehrer an den offentlichen
Schulen, die ihm einen Empfang in dem
oberen Saale des Lehrerseminars bereitet
hatten. Dank dem emsigen Tatigkeit des
Herrn Lucas, Prasidenten des Vereines,
sowie des fur solche Zwecke ernannten
Komitees unter Frl. Hohgrefe, war es
trotz der kurzen Zeit, die zu Gebote
stand, gelungen, alle Vorbereitungen zu
einer wiirdigen Aufnahme der Ehren-
gaste zu treffen. Zu denselben gehorte
auch unser neuer Schulsuperintendent
Carrol S. Pearse, der von Anfang bis zu
Ende der Feier beiwohnte und dem es
augenscheinlich in der Mitte seiner
deutschen Lehrer ganz wohl gefiel.
Eine lange Tafel war einfach, aber ge-
schmackvoll von unsern Damen herge-
richtet, denselben Damen, die stets bei
solchen Gelegenheiten in dankeswertester
Weise den wirtschaftlichen Pflichten und
Lasten sich unterzogen haben.
Herr Lucas, Pras. des D. L. V., waltete
in gewandter, launiger Weise seines
Amtes als Toastmeister. Ea war Sorge
getragen worden, einige passende Musik-
einlagen einzufiigen, die in gelungener
Weise, in Abwechslung mit den verschie-
denen Reden geliefert wurden.
Der Reigen wurde eroffnet von Prof.
Rein, der in gemiitvoller Weise seine
Beobachtungen wahrend seines Aufent-
halts in unserm Lande schilderte und
freimiitig zugestand, dass er sich nie so
gemiitlich wohl gefiihlt hatte, wie an
diesem Abend in der Mitte der deutschen
Lehrerschaft der deutschesten Stadt der
Union. In bescheidener Weise lehnte er
es ab, sich iiber das amerikanische Schul-
wesen zu aussern und schilderte in eini-
gen launigen Anekdoten, zu welchen
Missgriffen ein voreiliges und unreifes
Aburteilen f iihren konne. Der herzlichste
266
Padagogische Monatshefte.
Dank fiir die ihm erwiesene Ehrenbe-
zeugung bildete den Schluss seiner Rede,
die natiirlich mit dem herzlichsten Beifall
aufgenommen wurde.
Prof. Ernst von Watertown sprach
liber die hohe Aufgabe deutscher Pada-
gogik in unsern Landen und mahnte die
Vertreter derselben, nicht miide zu wer-
den, die hohen, idealen Ziige derselben so
viel als mbglich in der praktischen Be-
rufsarbeit zum Anisdruck zu bringen. —
Superintendent Pearse zeigte in langerer
Rede, dass er die deutsche Padagogik
wohl studiert und die Ziele und den Wert
derselben wohl erkannt habe, und dass
besonders die praktische Amvendung der-
selben in den deutsehen Gewerbeschulen
unsre eifrige Nachahmung verdiene. Zum
Sehluss kniipfte Dr. Rahn vora deutsehen
Lehrerverein an die Worte Prof. Reins
an und wies nach, dass wir alle Ursache
haben, mit hohem Stolz auf die Eutwick-
lung unseres Mihvaukeer Schulsystems
zu blicken, wie wir es hier wohl verstan-
den haben, das Beste und Brauchbarste
der Schulsysteme des alten Landes aus-
zuwahlen und zur Anwendung zu bringen.
Wenn es dennoch hiiben wie driiben nicht
zu verkennende Mangel gabe, so liegen
dieselben hier einerseits in der Unvoll-
kommenheit aller menschlichen Einrich-
tungen, ganz besonders aber in der Tat-
sache, dass wir hier doch noch so gar
jung sind, wrenn wir bedenken, dass noch
vor kaum einem halben Jahrhundert un-
sere ,,schb'ne Erde" ein Tummelplatz
der Indianer gewesen. Die allzu hastige
Jagd nach dem alhnachtigen Dollar, sowie
die allzueifrige Anbetung des Gb'tzen
..Erfolg" habe uns bisher gehindert, die
Bildungsideale der deutsehen Schule zu
verwirklichen, doch habe in erster Linie
der dexitsche Unterricht durch seine Ver-
treter diese Ziele ins Auge gefasst, und
werde an der Verwirklichung derselben
arbeiten, so lange ihm eine Statte in un-
serm Schulwesen beschert sei, zu Nutz
und Frommen unserer amerikanischen
Jugend und zum Segen unseres herr-
lichen, schbnen und grossen Vaterlandes.
So verlief der Abend in hoch genuss-
reicher, harmonischer Weise, und alle, die
an demselben zugegen waren, werden
ohne Ausnahme die Erinnerung daran zu
den angenehmsten ihres Berufslebens
zahlen. **
II. Umschau.
Vom Lehrerseminar zu Milwaukee.
Das Nationale Deuschamerikanische Leh-
rerseminar hat am 6. September den 27.
die Deutsch-Englische Akademie den 54.,
und das Turnlehrerseminar des Nord-
amerikanischen Turnerbundes den 27.
Jahreskursus in den Anstaltsgebiiuden
am Broadway zu Milwaukee begonnen.
Die Akademie zeigt einen erfreulichen
Zuwachs an Schiilern in alien Klassen.
Bedauerlich ist der Umstand, dass Frau
Magdalene Boppe, in der Herr D. eine
iiusserst tiichtige, erfahrene Lehrkraft
gewonnen hatte, wegen Wiederverhei-
ratung am 1. Oktober die Schule ver-
lassen hat. Der Posten des Klassen-
lehrers des achten Grades und Lehrers
der englischen Sprache und Literatur am
Seminar ist durch Herrn Chas. Babcock,
M. S., aus Boston neubesetzt worden.
Durch ein Vermachtnis des Herrn Herr
mann Stern, besonders aber durch die
Freigebigkeit einiger Mitglieder des
Schulvorstandes, wurde es moglich, das
Handfertigkeitsziinmer mit neuen,
elektrisch betriebenen Sage- und Drech-
selniaschinen neu auszustatten, sowie zu
dem physikalischen Apparat der Schule
manches Neue, wie Cooksche Rbhre mit
Leuchtschirm, Marconi - Instrument,
Geissler - Rbhren. zerlegbare Dynamo-
maschine, Pascalsche Vasen, und noch
manches andere, hinzuzufiigen. Alle diese
Xeuanschaffungen kommen natiirlich
auch dem Unterricht im Seminar zu-
gute.
Zwolf Zb'glinge wurden nach abgeleg-
ter Priifung in das Seminar aufgenom-
men, drei mannliche und neun weibliche.
Ihrer Befahigung nach wurden zwei der
oberen, zwei der mittleren und die iibri-
gen der unteren Klasse zugeteilt. Von
giinstiger Vorbedeutung fiir den Fort-
schritt der Klassen ist diesmal die gleich-
miissig gute Vorbildung der neueinge-
tretenen Zbglinge. Eine Xeuerung ist in-
sofern zu verzeichnen, als zum ersten
Mai dem Seminar zwei junge Damen
(Lehrerinnen) angehbren, die sich im
praktischen Gebrauche der deutsehen
Sprache die nbtige Fertigkeit erwerben
wollen, wozu sich in Seminar und Schule
reichlich Gelegenheit bietet.
In das Turnlehrerseminar des N. A.
Turnerbundes sind zwblf Zbglinge, sieben
Herren und fiiuf Damen, eingetreten.
Zwei Mitglieder der diesjiihrigen Klasse
wollen sich ein Diplom fiir Turnlehrer an
hbheren, Volks- und Vereinsschulen er-
werben, fiinf ein solches fiir Turnlehrer
an hbheren und Volksschulen. und fiinf
ein solches fiir Turnlehrer an Volks- und
Vereinsschulen. Diejenigen Zbglinge des
Turnlehrerseminars, die nicht vom
Umschau.
267
sprachlichen Unterricht entbunden sind,
erhalten diesen Unterricht in der einen
oder andern der drei Seminarklassen,
wahrend fiir den Unterricht in Anatomie,
Physiologic und anderen Fachern eine
derartige Trennung- nach Vorbildung und
Befahigung nicht besteht.
Als erstes bedeutsames Ereignis in
dem eben begonnenen Termin des Leh-
rerseminars verdient der Vortrag ge-
nannt zu werden, den Prof. Dr. Rein
von der Universitat Jena auf die Ein-
ladung des Verwaltungsrats des Lehrer-
seminars ana Abend des 19. September
vor einem sehr zahlreichen, meist aus
Lehrern bestehenden Publikum gehalten
hat. Prof. Rein sprach iiber ,,Erziehungs-
methoden Englands, Frankreichs und
Deutschlands." Er fiihrte aus, wie das
Prinzip der Dezentralisation, der Nicht-
einmischung des Staates, die gesamte
englische Schule noch immer beherrsche;
wie dagegen die franzb'sische Schule,
namentlich in den Zeiten des grossen
Napoleon, der Pestalozzis Gedanken von
der Erziehung des Volkes als unpraktisch
von sich gewiesen habe, ganz in dem
Banne des Prinzips von der Zentralisa-
tion stehe, wie jedoch Frankreich nach
dem Tage von Sedan den Blick nach in-
nen gerichtet und sein Schulwesen griind-
lich reformiert habe. In Deutschland
nun halte der Staat die Leitung des ge-
samten Erziehungswesens fest in der
Hand, doch nicht so, dass Privatinteres-
sen nicht umgestaltend und fordernd
einwirken diirften. Wie Deutschland zur
Fb'rderung der Erziehung nicht ver-
schmaht, das Gute aus andern Landern
zu holen, zeigte er in dem Hinweise auf
die aus England iiberlieferte Spielbe-
wegung, die in D. recht miichtig gewor-
den ist und die der geistigen uberbiirdung
der deutschen Schuljugend die Wage zu
halten bestimmt sei.
Es war nicht der Inhalt des Vortrages,
der vielen Anwesenden mehr oder weni-
ger bekannt gewesen sein diirfte, was die
Zuhorer veranlasste, atemlos bis zum
letzten Worte dem gefeierten Redner zu
lauschen. Die freie Rede, die Einfachheit
des Ausdrucks, und besonders die jugend-
lich feurige Begeisterung des Vortragen-
den zogen jeden Anwesenden unwider-
stehlich in den Bann dieses grossen
Lehrers. Wir verstehen jetzt, warum
Herrn Prof. Dr. Rein die Horer aus alien
Landern zustrb'men.
Nach dem Vortrage verweilte Herr
Prof. Rein noch ein Stundchen in den
Rjiumen des Lehrerseminars, und zwar
als Gast des Vereins der Lehrer des
Deutschen von Milwaukee. Manches
ernste und heitere Wort wurde da ge-
redet, und auch manch Glas geleert! Als
Herr Prof. Rein sich schliesslich erhob,
urn fiir die ihm gebrachten Ehrungen zu
danken, legte er noch ein kraftig Wb'rt-
lein zugunsten der Pflege der deutschen
Sprache ein. Seiner Meinung nach
miissten die Deutschamerikaner kraft der
Macht, die in der Kenntnis der englischen
und der deutschen Sprache al-
lein schon liege die gebietende Macht im
Lande sein. Herr Prof. Rein mag auf
der Fortsetzung seiner Reise noch
manchen Beweis gesammelt haben,
warum das Deutschtum dieses Landes
die ihm gebiihrende Stellung nicht ein-
nimmt. Einer der Griinde ist der, dass
es dem Deutschtum an selbstlosen, ziel-
bewussten Fiihrern fehlt. Nachdem
Herr Prof. Rein so machtig die Herzen
gepackt, mag in manchem Zuhorer der
Wunsch rege geworden sein, der be-
geisterte, beredte Mann mochte ein
Apostel des Deutschtums in Amerika
werden !
Herr Prof. Dr. Rein sollte urspriinglich
zwei Vortrage im Lehrerseminar halten;
seine verspatete Ankunft in Amerika
machte jedoch eine Xnderung und Ver-
schiebung des gesamten Vortragspro-
grammes notwendig. Aufrichtig bedauert
wurde allerseits, dass die Reiseplane des
Herrn Professors keine Verlangerung des
Milwaukeer Aufenthalts gestatteten.
Als am Abend des 19. September der
Vortrag iiber Erziehungsmethoden im
Seminargebaude seinen Anfang nehmen
sollte, langte Herr Prof. Rein in Mil-
waukee an; friih am andern Morgen
fiihrte ihn das Dampfross bereits wieder
iiber die Grenzen Milwaukees hinaus.
Der Aufenthalt war wirklich allzu kurz
Auf Wiedersehen!
Preisausschreiben. Bei Gelegenheit der
Feier zu Ehren der deutschen Wissen-
schaft in der ,,University of Chicago" im
Marz dieses Jahres machte der President
der Universitat, Prof. Win. R. Harper,
bekannt, dass Frau Konrad Seipp von
Chicago zum Gediichtnis an ihren ver-
storbenen Gatten drei Preise von 3000,
2000 und 1000 Dollars gestiftet habe
fiir die besten Arbeiten iiber das folgende
Thema: ,,Das Deutsche Element in den
Vereinigten Staaten unter besonderer
Beriicksichtigung seines politischen, ethi-
schen, sozialen und erzieherischen Ein-
flusses."
Die Arbeiten sind abzuliefern bis zum
22. Marz 1907 inklusive, an das Ger-
man Department of the University of
Chicago."
Die Arbeiten kb'nnen in englischer oder
in deutscher Sprache verfasst werden;
die zur Veroffentlichung gewiihlte Schrift
268
Padagogische Monatshefte.
wird jedenfalls in englischer — wenn
moglich auch in deutscher — Sprache
gedruckt \verden.
Das Buch wird unter den Auspizien
der Universitat von Chicago bei einer
erstklassigen Verlagshandlung in den
Vereinigten Staaten von Amerika ver-
legt und wird dieses auf dem Titelblatt
vermerkt werden.
Die HJilfte der aus dem Vertrieb des
Buches vom Verleger wahrend der ersten
zehn Jahre nach dem Tage der Ausgabe
erzielten Reineinnahme fliesst dem Autor
zu (neben dem errungenen Preise), die
andere Halfte und nach Ablauf von
zehn Jahren die voile Reineinnahme er-
halt das ,,German Department of the
University of Chicago" zur Forderung
deutscher Forschung und Wissenschaft
in den Vereinigten Staaten.
Die Preise werden den Gewinnern
durch ein aus drei Richtern bestehendes
Komitee zuerkannt; dieses Komitee soil
auch das zur Veroffentlichung geeignetste
Werk auswahlen, das indessen nicht das
mit dem ersten Preise bedachte zu sein
braucht. Die nicht gewahlten Schriften
werden den Autoren zuriickgesandt.
Zur Forderung von Arbeiten auf Spe-
zialgebieten, die in den Rahmen der ge-
stellten Preisaufgabe fallen, steht den
Preisrichtern das Recht zu, solche Werke
ganz oder teilweise zu erwerben und sie
unter dem Namen des An tors dem ge-
wahlten Werk auzugliedern. Der Preis
hierfiir ist fiir die Zeile 7 Cents, d. h.
ungefahr 30 Pfennige bis zu 50 Seiten.
Fiir langere Aufsiitze, deren Veroffent-
lichung erwiinscht erscheint, wird beson-
dere Vereinbarung zu treffen sein.
Das Buch soil einen Umfang von etwa
800 Druckseiten haben in dem Format
etwa wie Treitschke, Deutsche Geschich-
te, Band 1.
Da das Buch in erster Linie zum Stu-
dium fiir junge Leute an Colleges und
Universitaten bestimmt ist, muss es in
anziehender Form geschrieben sein.
Das Buch soil zahlreiche Illustrationen
enthalten ; diese Einzelheiten .werden vom
German Department der Universitat in
Chicago bearbeitet werden.
Herr Karl Schurz hat das Preisrichter -
amt bereits angenommen; man hofft,
dass der friihere Botschafter der Ver-
einigten Staaten in Berlin, Herr Andrew
D. White, gleichfalls als Preisrichter
fungieren wird. Diese beiden Herren
sollen einen dritten Preisrichter ernen-
nen.
Dem deutschen Konsul Dr. jur. Walter
Wever in Chicago und bei dessen Ver-
hinderung dem jeweiligen deutschen Ge-
neral - Konsul in New York wird das
Recht iibertragen, jede Schwierigkeit. die
ira Laufe von drei Jahren entstehen
kann, aus dem Wege zu riiumen, auch irn
Verhinderungsfalle an Stelle der vorge-
nannten Preisrichter, andere Herren dazu
zu ernennen. Herr Wever, wie bei seiner
Verhiudei img der etwa entscheidende Ge-
neral-Konsul in New York, darf aber
weder als Mitbewerber urn den Preis
noch als Preisrichter fungieren, die
Preisrichter ebensowenig als Mitbe-
werber.
Es ist bekannt, dass die Nationale
Lehrerversammlung — N. E. A. — all-
jjihrlich Resolutionen annimmt.
Diese Resolutionen weisen gewohnlich
auf die Wichtigkeit der Schule hin, for-
dern eine Ausdehnung der Machtbefug-
nisse des ..Bureau of Education", u. s. w.
In diesem Jahre hat die Versammlung
z\vei Resolutionen angenommen, die
einen Sieg der Volksschullehrerinnen
verzeichnen. Es sind dies die Reso-
lutionen, welche eine f e s t e A n-
stellung der Volksschullehrer und
hohere Gehalter verlangen, so-
wie die Resolutionen, welche die K i n-
derarbeit regeln.
Die Resolutionen lauten im Wortlaut :
7. Wie believe that merit and merit
alone should determine the
employment and retention
of teachers, that, after due
probation, tenure of office
should be permanent during
efficiency and good be-
havior, and that promotions should
be based on fitness, experience, profes-
sional growth and fidelity to duty. We
especially commend the efforts that are
being made in many parts of the country
whereby teachers, school officials, and
the general public working together for
a common purpose are securing better
salaries for teachers and de-
vising a better system for conserving
the rights and privileges of all and for
improving the efficiency of the schools.
9. We advocate the enactment and
rigid enforcement of appropriate laws
relating to child labor, such as will pro-
tect the mental, moral and physical well-
being of the child, and will be conducive
to his educational development into
American citizenship.
Chicagoer Lehrerinnen siegreich. Im
,,Circuit Court of Cook County" ist am
22. August d. J. vom Kreisrichter Dunne
| in dem Prozess der Lehrerinnen gegen
den Schulrat eine Entscheidung zugun-
sten der Lehrerinnen abgegeben worden.
Am 28. Februar 1900 setzte der Schul-
rat das Gehalt der Lehrkrafte um $7.50
pro Monat herab; die so erniedrigten
Urnschau.
269
Gehjilter wurden von Januar bis Juni
1900 bezahlt.
Im Sept. 1900 erschien ein Ausschuss
der ,,Chicago Teachers' Federation" mit
eiuem Anwalt vor dem ,,State Board of
Equalisation" in Springfield und ver-
langte, dass derselbe die Gerechtsame
der Gasgesellschaft, der Strassenbahn-
gesellschaft und verschiedener anderer
Korporationen zu dem Betrage von 200
Millionen Dollars auf die Steuerliste
setze. Der ,.Board" ignorierte dieses
Verlangen.
Nun forderten die Lehrerinnen am 16.
Nov. 1900 im ,,Circuit Court" von
Sangammon County, in welchem Spring-
field liegt, einen ,,writ of mandamus" ge-
gen den ,,Board of Equalisation."
Mit der den Korporationen eigenen
Hartnackigkeit \vehrten sich die fiinf
Gesellschaiten gegen die Besteuerung.
Nicht weniger als fxinfmal wurde der
Prozess zwischen dem 16. Nov 1000 und
dem 22. Aug. 1904 in den verschiedenen
Gerichtshofen verhandelt.
Schliesslich bezahlten die Gesellschaf-
ten die ihnen auferlegten Steuern. Von
diesen so durch die Agitation der Lehrer-
iiiRen eingetriebenen Steuern (die Schul-
behorde sowie andere Stadtamter kiim-
merten sich nicht um die Klage) erhielt
der Schulrat der Stadt die Summe von
$249,554.
Nun verlangten die Lehrerinnen fiir die
sechs Monate des Jahres 1900 die Nach-
zahlung - ihres Gehalts. Der Schulrat
weigerte sich, das zu tun, sondern wollte
das Geld anderweitig verwenden.
2,300 Lehrerinnen gingen nun vor den
Richter Dunne uud ersuchten um einen
Einhaltsbefehl gegen den Schulrat, die
Summe fiir andere Zwecke als fiir Zah-
lung des riickstandigen Gehalts auszu-
geben.
Diesen Einhaltsbefehl hat nun Richter
Dunne am 22. August den Lehrern ge-
geben. Er lautet:
,,The prayer of the petition, restrain-
ing the Board of Education from using
the funds described in the bill to an
amount sufficient to pay the defendant-
teachers the balance due them for the
salaries of January to June 1900 in-
clusive, on the same basis that they were
paid in December 1899, for any purpose
other than paying the same to the de-
fendant-teachers and praying that the
same be paid to the defendent- teachers
is granted and it is so ordered."
Durch diese Entscheidung erhalten nun
2,300 Lehrerinnen je $45.00 nebst Zinsen,
wenn der Schulrat nicht etwa Berufung
einlegt, und das Obergericht die Ent-
scheidung des Richters Dunne umstosst.
Der Anwalt des Schulrats hatte be-
hauptet, dem Schulrat stehe daa Recht
zu, die Gehiilter der Lehrer, welche im
Juni 1899 angestellt wurden, im Febr.
1900 herunterzusetzen, wenn es notwen-
dig erscheine. Hierzu bemerkte das Ge-
richt :
,,A valid contract made between the
Board of Education and the teachers by
the resolution of January 11, 1899, the
election of the teachers in the following
June, and the performance by the
teachers of their work under the con-
tract, cannot be abrogated by the reso-
lution of ipse dixit of the the Board in
February, 1900, no matter what may
have been the motives or necessities
inspiring the resolution."
Die Entscheidung enthalt eine Riige,
die der Schulrat wohl nicht erwartet hat.
Die Lehrerinnen hingegen werden belobt,
dass sie die Behorden gezwungen haben,
ihre Pflichten zu erfiillen.
,,While the defendant," heisst es in
dem Urteil, ,,the Board of Education, sat
supinely by, and while other public
officials, more especially charged with the
levy and collection of these taxes, re-
fused to perform their sworn duty, this
complainant, (Fraulein Katharina Gog-
gin, welche im Namen der Lehrerinnen
um den Einhaltsbefehl nachsuchte) acting
for and on behalf of these same teachers,
out of their own limited resources, went
out and performed the duties which,
primarily, devolved upon the tax-levying
bodies of the state and secondarily, upon
the Board of Education, to see that the
tax-levying officers of the state collected
the taxes honestly belonging to the
schools of the city, and brought about
the payment of these dishonestly with-
held taxes."
Dr. W. Rein hat, einem Rufe der Uni-
versittit Manchester folgeleistend, im
Laufe dieses Sommers dortselbst Vor-
triige gehalten, bei welcher Gelegenheit
ihm von der UniversitJit der Titel eines
,,Doctor of Letters" honoris causa ver-
liehen wurde. Der Vizekanzler der Hoch-
schule und insbesondere Professor Find-
lag hoben die Verdienste Reins als eines
Fiihrers in den padagogischen Wissen-
schaften hervor, wobei vornehmlich auf
die Bedeutung des Universitiits-Seminars
in Jena fiir Lehrer aus alien Landern und
auf zwei Ziige in seinen Darlegungen, die
man in England besser zu schatzen wisse
als vielleicht in Deutschland, hingewiesen
wurde; namlich Rein sahe auf Einheit
bei dem Werke der Erziehung, das die
Lehrer von der Dorfschule bis zur Univer-
sitJit umfasse und er raume auch den
Frauen einen gebiihrenden Platz in der
270
Pizdagogische Monatshefte.
Erziehung ein. Die Klassen im Neben-
hause der tibungsschule in der Bruns-
wickstrasse, die zu eroffnen Rein einge-
laden wurde, sollen kiinftig ,,Rein-
Klassen" genannt werden. In seiner An-
sprache legte Prof. Rein die Geschichte,
Notwendigkeit und Einrichtung des
Jenenser Seminars dar.
Universitat und Volksschullehrer. Im
bayrischen Landtage wiinschte bei der
Generaldebatte zum Kultusetat Abgeord-
neter Dr. Andreae eine eigene Professur
fiir Padagogik. Kultusminister Dr. v.
Wehner antwortete darauf: ,,Dass das
heurige Budget in dieser Hinsicht keine
Position erhalt, wird, glaube ich, auch
den Herrn Dr. Andreae nicht uberraschen.
Im iibrigen glaube ich allerdings auch,
dass die Einrichtung einer eigenen Pro-
fessur fiir Padagogik wenigstens an einer
der drei Landesuniversitaten nicht mehr
allzulange wird zuriickgestellt werden
kb'nnen." — In der 2. badischen Kammer
erklarte der Kultusminister am 15. Juni :
Was das Studium der Lehrer an den
Universitaten anlangt, so werde eine Ver-
ordnung ausgearbeitet, die unter gewis-
sen Bedingungen das Universitatsstu-
dium ermoglicht. — In Wiirttemberg hat
die Kammer der Abgeordneten beschlos-
sen, eine Eingabe der beiden Landesleh-
rervereine, den Seminarabiturienten den
Besuch der Hochschule zu gestatten und
einen Lehrstuhl fiir Padagogik zu er-
richten, der Regierung zur Erwagung zu
iiberweisen.
Eine Waldschule. Eine Waldschule,
eine vollstandig neue Einrichtung, will
der Charlottenburger Magistrat errich-
ten. Diese Waldschule ist fiir solche
Kinder bestimmt, die zwar nicht krank
sind, aber so schwachlich, dass sie den
Keim von Krankheiten in sich aufnehmen
konnen. Die Kinder bleiben den ganzen
Tag von fruh bis abends in der Wald-
schule, wo sie nicht nur Unterricht, son-
dern auch ihre Mahlzeiten erhalten. Ein
Frauenvevein hat sich bereit erkliirt, die
Bewirtschaftung zu fiihren. Es wird
eine Baracke fiir die Schule und eine fiir
die Verpflegung errichtet. Die Kinder,
die taglich nur 2 — 2y2 Stunden lang un-
terrichtet werden, sollen vorlaufig etwa
vier Monate in der Waldschule bleiben.
Sie hat etwa fiir 120 bis 150 Kinder
Platz. Die Einrichtung gilt zunachst als
ein Versuch.
Die Hamburger Lehrerschaft hat sich
neuerdings mit der Scheidung der
Schiller nach ihrer Begabung (Mannhei-
mer System) befasst und nach eingehen-
der Aussprache, die auf gedruckten
Kommissionsarbeiten beruhte, folgende
Resolution mit 134 gegen 36 Stimmen an-
genonimen: ,,Das Prinzip der Trennung
nach Fiihigkeiten, . . sowie jede Art von
sogenannten Abschlussklassen ist zu ver-
werfen."
Zur Lehre innsnfraoe.
In einer der letzten Versammlungen
des Bezirksvereins Stuttgart behandelte
Dr. Barth die Lehrerinnen-
f r a g e in eingehender, griindlicher
Weise. Das Ergebnis der Verhandlungen
war die einstimmige Annahme folgender
Satze: Der Verein kann der Frau — bei
voller Anerkennung ihrer Pflichttreue —
nicht in demselben Masse wie dem Manne
diejenigen Eigenschaften zuerkennen,
welche in der offentlichen Erziehung zur
Wahrung der Autoritiit und Zucht und
zur allseitigen geistigen Ausbildung der
Kinder notwendig sind; er anerkennt die
Mitwirkung der Lehrerinnen auf den un-
teren Stufen des Lehr- und Erziehungs-
planes, erblickt aber in einer vermehrten
Anstellung weiblicher Kriifte (Klassen-
lehrerinnen) aus piidagogischen, natio-
nalen und sozialen Griinden eine Schadi-
gung unseres Volkslebens und in der all-
zureichlichen Verwendung von Lehrer-
innen in den grosseren Gemeinden eine
empfindliche Benachteiligung der mann-
lichen Lehrkrafte. (Lehrerheim.)
Ungeteilte Unterrichtszeit. In Meinin-
gen, soil, gleichwie am Gymnasium, am
Realgymnasium und an der Hoheren
Tochterschule, auch an der Volksschule
die ungeteilte Unterrichtszeit (Vormit-
tagsunterricht) eingefiihrt werden, da
man sich iiberzeugt hat, dass der Nach-
mitt<ag3unterricht eine abnorme geistige
Belastung darstellt.
III. Vermischtes.
* Eine Probe des ^Pennsylvania
Dutch", d. h. des auch heute noch in
mehreren Counties von Pennsylvania ge-
sprochenen Deutsch geben die folgenden,
einer pennsylvanischen Zeitung entnom-
menen Lebensregeln : ,,Es sollte niemand
zu leichte Butter uf de Markt bringe
und net die beste Grumbeere und Aeppel
als obe uf der Basket lege, bekahs von so
Leut kauft mer just emol. — Es sollt
sich ke junger Mann einbilde, dass er
eppes Apartiges is, wenn er en Schnurr-
bart rehse kann. — Schulmeister sollen
partikuler dene grosse Mad nie mehr
lehren, wie in den Biichern steht. —
Handwerker sollten keh Mad heiern, di
das Piano spielen und goldene Watsclien
tragen. — Temperenzmucker sollte an-
kehm Wirthshaus stoppe, wann noch
Platz in der Scheuer is. — Es sollte ab-
solut nit sein, dass Weibsleit fashionable
in der Strass herumlaufen, und dahehm
alles im Dreck leien hen, bekahs die
erste und schonste Faschen bei Weibs-
leut ist und bleibt immer en sauber
Haus."
* Prof. Brandl vom ,,Deutschen Schul-
verein" schreibt: Unsere ausgewanderten
Landsleute und deren Nachkoramen mo-
gen in ein anderes Staatswesen iiberge-
gangen und dessen loyale Burger gewor-
den sein, so lange sie sich die deutsche
Sprache bewahren, bleiben sie mit uns in
einer Kulturgemeinschaft, behalten eine
Gemiitsbeziehung zu ihrem Jugendleben,
eine Liebe zu den deutschen Dichtern,
deren Worte sie in der Schule lernten, zu
der Musik und Kunst. die ihre Feste ver-
schonten, zu heimischer Sitte und Art
auch in den praktisehen Gepflogenheiten
des Werktaglebens. Erst sobald sie die
deutsche Sprache verlieren, schwindet
diese Anhiinglichkeit, der Mensch wird
englisch, portugiesisch. spanisch, und alle
seine angestammte Tiichtigkeit wird es
mit ihm. Da gibt es kein Leugnen und
kein Beschonigen; Kultur haftet nicht
am Boden, an Regierungsfornien, an
Sammlungen und Bauten, sondern an der
Sprache, denn die Sprache ist das Werk-
zeug un seres Denkens.
0 diese Fremdwb'rter! Dieser Tage er-
schien, so erziihlen die Hamburger Nach-
richten (Xr. 556 vom 9. August), ein
Mann im Rathause zu Altona und er-
kundigte sich nach dem ,.Bureau des
Krematorium s". Es wurde ihm
bedeutet, dass sich in Altona kein Kre-
matorium befinde. wohl aber in Hamburg
und zwar in Ohlsdorf. Der Mann Hess
sich aber nicht abweisen, behauptete,
nach dem Krematorium beschieden zu
sein, und schliesslich stellte sich heraus,
dass er das ,,K uratoriu m" der
Reallehranstalten meinte.
Biicherschau.
I. Biichersprechungen.
Robinson der Jiingere. Von Joachim
Heinrich Campe. Abridged and Edited
with notes and vocabulary by C. H.
Ibershoff, Teacher of German, De-
troit University School. Boston, D. C.
Heath and Co., 1904.
The editor of this volume has selected
an easy story that is full of interest and
action, a story that appeals to young
students and that is not without fascina-
tion for older minds. There is no intro-
duction; the editor has missed an
opportunity to discuss the various "Ro-
binsonaden" and their relation to Defoe's
Robinson Crusoe. Yet, while such a dis-
cussion would be interesting and profit-
able to the student of mature years, it
might perhaps be unpedagogical to in-
clude it in a book intended to be used so
early in the course.
The notes are good and not too
copious; there are -twenty-two pages of
notes to one hundred and twelve pages of
text. The vocabulary seems adequate;
a careful examination has failed to de-
tect any great errors. The gender of
"Begriff", page 144. and of "Einstern",
page 156, is not indicated. The book is
well printed, the typography being clear
and distinct. This story should meet
with much favor.
Schillers Wilhelm Tell. With Foot-
notes and Vocabulary. Introduction by
E. M. Granger, A. B. Hinds and
Noble, New York.
In internal appearance this is a very
unsatisfactory book; the print is allto-
gether too fine, and the typography, in
general, has a muddy, dim look. An
attempt to read it gives one's eyes and
patience a severe test.
272
Padagogische Monatshefte.
The introduction consists of two parts:
a brief sketch of the author's life and
about two pages on the drama itself.
We are told, among other things, that
"in appearance Schiller was tall and
quite lean, with dark -red hair, a pale,
thin face, and thoughtful and dreamy
eyes, which lighted up when he became
enthusiastic." A fuller discussion of the
elevating thoughts that filled Schiller's
noble life would be more likely to lead
the student to an appreciation of the
poet's genius and character.
The notes, which are almost entirely
translations into English, are too numer-
ous; on some pages there is a note to
nearly every line, while some lines have
two notes. The book is equivalent to a
text and a translation for the student's
use. There is not, in introduction or
notes, any adequate discussion of
"Wilhelm Tell" as a piece of literature
worthy of careful and appreciative study.
Xot many misprints have been noted.
In the vocabulary, page 176, "Tor"
(gate) is given as masculine instead of
neuter; page 176, "Trumm", which is
given as masculine, may also be neuter.
No gender is indicated for the following
nouns: "Geliiute". page 156; "Himmels-
raum", p. 161; "Lebensgliick", p. 164;
"Mehr" p. 166. Charles" Bundy Wilson.
The State University of Iowa.
Die Erziehung des Willens. Von Ju-
les P a y o t, Agrege de philosophic,
Docteur es lettres, Inspecteur d'Acade-
mie. Berechtigte tibersetzung nach der
elften Auflage der franzosischen Ausgabe
von Dr. Titus V o e 1 k e 1. Zweite
Auflage. R. Voigtlander, Leipzig; 1903,
315 Seiten.
Das Buch zerfallt in einen theoreti-
schen und einen praktischen Teil, und
beginnt mit der niederschmetternden
Erklarung, dass wir ,,alle anderen Dinge
mit einiger Sorgfalt studieren, die
Wissenschaft des Lebens aber gar nicht
lernen und auch gar nicht wTiinschen,
dieselbe zu erlernen". Das wird wohl
stimmen; und, nachdem man das vor-
liegende Werk, besonders den zweiten
Teil desselben, ,,studiert" hat, wird man
noch viel weniger Lust verspuren, aus
einem Kompendium zu lernen, wie man
leben soil. ,.Fruher", so meint der Ver-
fasser weiterhin, ,,geniigten die Krafte,
iiber welche die katholische Kirche, diese
unvergleichliche Erzieherin der Charak-
tere verfiigte, um dem Leben der Gliiu-
bigen in seinen grossen Linien Ziel und
Richtung zu geben; heute fehlt aber der
Afehrzahl der denkenden Geister diese
Leitung." Jammerschade ! Aber wir
miissen uns eben behelfen, und wir wer-
den es gerne, je nach Anlage und
Neigung, tun, nachdem wir dieses Buch
gelesen haben. Ich habe die beiden obi-
gen Siitze wortlich angefuhrt, um ein
fur allemal zu zeigen, dass der liber-
setzer, dessen Stil und vorziigliche
Schreibweise wir durchaus nicht be-
mangeln wollen, sich in vielen Fallen
doch etwas allzu sklavisch an den
Originaltext halt, den man gar nicht
vor sich zu haben braucht, um die fran-
zosischen Siitze dennoch beinahe wort-
lich vor sich zu sehen.
Anhiinger der Theorie vom freien
YVillen und angeborenen Charakter wcr-
dea mit dem Verfasser, der natiirlich
beides negiert, von vorneherein nicht
einverstanden sein. Anderseits werden
sich nur schwache Geister oder abge-
w irtschaf tete Existenzen dazu verste-
hen, ihren Willen nach den Rezepten
dieses Buches erziehen zu wollen. Ob
wir aber Kant, Schopenhauer, Spencer
und anderen beistimmen, oder ob wir
mit Payot die einschlagigen Theorien
dieser Denker ,,als ein bemerkenswertes
Beispiel der geistigen Faulheit, welche
gewissermassen die unausloschliehe Erb-
siinde der grossten Geister ist", betrach-
ten, das Avird die Frage nach dem freien
Willen und dem angeborenen Charakter
ebensowenig Ibsen, wie es der Verfasser
auf den 220 Seiten seines theoretischen
Teiles getan hat, oder auf eben so viel
tausend Seiten tun konnte. Die Vor-
schlage und Anregungen zur Willens-
erziehung und Charakterbildung, die wir
da fmden, sind in fesselnder, beinahe be-
stechender Weise vorgetragen, jedoch
keineswegs neu und hie und da von
einem formlich anwidernden Pessimis-
mus angefressen, den der Verfasser,
trotzdem er sich dagegen verwahrt, nicht
verhehlen oder ableugnen kann. Die
,,Studenten" (,,etudiants" ware im gan-
zen Buche besser mit ,,Studierenden"
iibersetzt worden), die willens wTaren,
Anachoreten oder Saulenheilige aus sich
machen zu lassen, sind jedenfalls fisch-
bliitige oder unrettbar blasierte junge
Herren und werden in Deutschland und
in Amerika wohl nur in seltenen Exem-
plaren aufzutreiben sein. Damit sei nicht
gesagt, dass wir die Angabe des Ver-
fassers bezweifeln, er habe beifallige Be-
urteilungen seines Buches von vielen
,,Studenten" erhalten.
Wie will Herr Payot den Willen er-
ziehen, den Charakter bilden? Wir
lassen seine Mittelchen in der im Buche
eingehaltenen Reihenfolge aufmarschie-
ren: Arbeiten; nicht lugen; immer nach-
sinnen; fortwahrend sich anstrengen;
keine Redensarten; Einsamkeit pflegen;
Backer besprechungen.
273
mit bisheriger Umgebung brechen; nicht
rauchen; Geduld iiben; die Zeit aus-
niitzen; einen festen Arbeitsplan fiir je-
den Tag machen; nicht zu viel auf ein-
mal tun; die Nerven in acht nehmen;
sich in Weisheit und Miissigkeit er-
niihren nach streng wissenschaftlichen
Gmndsiitzen; Atmung und Muskeln
pflegen; des Nachts nicht arbeiten, son-
dern schlafen, aber nicht zu lange, und
niemals wach im Bette liegen; viel
spazieren gehen, aber dabei lesen, oder
wenigstens systematisch meditieren;
nicht zu spat heiraten; nie kneipen;
keine frohlichen Karaeraden haben; wo
moglich nicht in einer grossen Stadt
wohnen; sich nicht zu viel um die
offentliche Meinung kiiramern; sich
hiiufig rait den grossen Toten unterhal-
ten — voila tout! Auch da ist nicht viel
Neues. Wenn man aber einen solchen
Katechismus schwarz auf weiss vor sich
hat, so sieht man sich unwillkiirlich nach
dem Hauptstiick vom Abend- und Mor-
gengebete um.
Dass das gegenwartige Erziehungs-
system und Unterrichtswesen (er hat
hauptsachlich das franzosische im Sinne)
dem Verfasser ein Dorn im Auge ist und
von Grund aus reformiert werden muss,
ist selbstredend; aber er sagt uns nicht
wie. Endlich heisst es auf Seite 287:
,,der Verfasser betrachtet seine Abhand-
lung iiber die Erziehung des Willens als
das niitzlichste Buch, das er je schreiben
wird, mit einem Worte als sein Haupt-
werk. Daher gedenkt er es noch lange
Jahre auf dem Bauplatze zu behalten,
um es zu vervollstandigen und umzu-
arbeiten."
Allzu verlockend scheint dem Schreiber
dieses die Aussicht auf ein Mehr von der
Sorte keineswegs — doch, habeat sibi!
Constantin Grebner, Cincinnati, O.
Friedrich Gerstacker, Germelshausen.
Edited with introduction, notes, exer-
cises, and vocabulary by Griffin if.
L o v e 1 a c e. Boston, Ginn and Co.,
1904. XIII -|- 107 pp., 16 mo. 30 cents.
Abgesehen von einer Reihe Einzelaus-
stellungen, die unten zur Sprache kom-
men sollen, haben wir es in dieser Aus-
gabe der bekannten phantastiachen Er-
ziihlung Gerstackers mit einer recht an-
erkennenswerten Leistung zu tun. Die
etwa sechs Seiten lange Einleitung gibt
ein anschanliches Bild von dem vielbe-
wegten Leben des Verfassers und eine
gerechte Wiirdigung seiner schriftstelle-
rischen Tatigkeit. Die Anmerkungen (22
Seiten) beschiiftigen sich besonders mit
den wichtigsten Erscheinungen der
deutschen Syntax und mit der genauen
Wiedergabe haufig in verschiedeuem
Sinne gebrauchter Partikeln. Vierzehn
sorgfaltig ausgearbeitete Ubungen zum
Riickiibersetzen ins Deutsche, sechs
Seiten umfassend, denen eine drei Seiten
lange Darstellung der deutschen Wort-
folge vorangeht, bilden einen fortlaufen-
den Text, der zugleich eine Inhaltsangabe
der ganzen Erzahlung bietet. Dariiber
liesse sich allerdings streiten, ob bei
einem so kurzen Texte (40 Seiten) eine
Inhaltsangabe wiinschenswert ist; der
Schiller, der sie von vornherein entdeckt
und dtirchliest, wird dadurch um den
vollen, tiefen Eindruck der uberraschung
gebracht, auf den hier so viel ankommt.
Jedoch wird dieser Nachteil, wenn es
einer ist, reichlich aufgewogen durch den
Vorteil eines das Interesse fesselnden
fortlaufenden Textes.
In der Einleitung hatte der Heraus-
geber auf S. XII sehr wohl etwas naher
auf die der Geschichte zu Grunde liegende
Idee, die Sage von der vom Meere ver-
schlungenen Stadt (wofiir Vineta ein
schones Beispiel abgibt), vom ver-
sunkenen Kloster, von der Glocke im
tiefen See, deren Gelaut nur die Sonn-
tagskinder vernehmen, und iihnliche
Volksiiberlieferungen eingehen konnen;
der denkbare Einwurf, dass auf diese
Weise das Geheinmis preisgegeben wer-
den miisste, ist hinfiillig im Hinblick auf
die fiir die Dbersetzungsaufgaben ge-
wiihlte Form. — Auf S. IV spricht der
Herausgeber von einer kaiserlichen Re-
gicrung im Jahre 1849; was ist damit
gemeint ?
Erwiinscht ware auf S. 1 eine An-
merkung zu den Worten ,,des Jahres
184--," die, nur fiir das Auge, nicht fiir
das Ohr berechnet, dem Schiller beim
Lesen Schwierigkeiten machen diirften;
ebenso eine Anmerkung iiber die Orts-
namen JIarisfeld und Wichtelhausen
(sowie weiterhin Dillstedt und Bischofs-
roda), die keiiie willkiirlichen Bildungen,
sondern bis auf unbedeutende Ver-
anderungen die Xamen einer Gruppe von
Dorfern in der Umgebung von Meiningen
und Eisenach sind.
Zu der Grabschrift auf S. 22 (die
Schreibung Dcbr. war zu erklaren) be-
merkt der Herausgeber, der Gebrauch
arabischer ZitFern statt romischer fiir die
angegebene Zeit, 1188 — 1224, sei ein
Anachronismus. Sehr richtig; und wenn
er nur der einzige ware! Germelshausen
strotzt ja formlich davon; es kann einem
wind und well werden, und da braucht
man noch nicht einmal Kulturgeschichte
des Mittelalters studiert zu haben. Schon
diese Grabschrift ist so modern, als sie
nur sein kann: erstens ist zum
mindesten fraglicb, ob fiir die be-
274
Padagogische Monatshefte.
treffende Landschaft der Gebrauch von
Familiennamen fiir Bauern um die
Wende des zwolften und dreizehnten
Jahrhunders angesetzt werden darf;
zweitens hiess es noch im achtzehnten
Jahrhundert nicht ,,Anna Maria Berthold,
geborene Stieglitz", sondern ,,Anna Maria
Stieglitz, verehelichte Berthold;" drit-
tens starb man anno 1224 nicht am 2ten
Dezember, sondern am Tage des betref-
fenden Kalenderheiligen ; viertens bekam
man als einfache Bauersfrau keinen
Grabstein; bekam man aber dennoch
einen, so war, fiinftens, die ganze Auf-
schrift lateinisch. Noch viel mehr gilt
dies fiir Leichensteine mit der Jahres-
zahl 930. Ausserdem begrub man da-
mals die Toten mitten im Dorfe um die
Kirche und nicht ausserhalb des Dorfes
in einem gesonderten Friedhof. Ebenso-
wenig gab es zu jener Zeit in Bauern -
hausern glaserne Fensterscheiben, die
sich ja kaum die reichsten Privatleute
leisten konnten; von einem Schulhause
auf dem Dorfe zu triiumen ware halsge-
ftihrlich gewesen; hiitte der wiederer-
standene Dorfschulze von Germelshausen
seinem Cast auf der Violine zum Tanz
aufspielen wollen, so hatte die Form
seiner Fiedel allein schon Arnold auf-
kliiren miissen, dass es hier nicht mit
rechten Dingen zuging; einer Schlag-
uhr auf dem Kirchturm, die ohnehin eine
grosse Seltenheit gewesen ware, riihmten
sich die Germelshauser schwerlich; und
ebensowenig spielten sie Karten, weil
diese erst mehrere Jahrhunderte spjiter
in Europa bekannt wurden. All das
brauchte der Herausgeber ja keineswegs
aufzufiihren; im Gegenteil, ich erachte
es sogar als erzieherisch wertvoll, den
Schiiler unter Anleitung des Lehrers
solche Sachen selbst finden zu lassen;
eine Andeutung aber darf man in einer
Schulausgabe dartiber doch wohl erwar-
ten, dass der Verfasser, um geschicht-
liches Werden unbekiimmert, ein deut-
sches Dorf seiner Zeit frischweg ins drei-
zehute Jahrhundert zuriickversetzt hat.
Auch zu S. 40. Z. 7 sahe ich gerne eine
Anmerkung. Hier reicht Arnold dem
Forster die Hand zum Abschied mit den
Worten ,,Griiss' Gott!" worauf der
Forster mit ,,Schonen Dank" antwortet.
Die Stelle charakterisiert den Verfasser
als Norddeutschen, der mit dem schb'nen
siiddeutschen Grusse nicht umzugehen
weiss. Denn die Form ,,Griiss' Gott,"
worauf immer dieselben Worte als Ge-
gengruss erfolgen, gilt nur fiir die Be-
gegnung; der Abschiedsgruss ist
,,B'h iit' Gott," und geantwortet wird im-
mer nur mit ,,B'hiit Gott", ubrigens ist
diese Grussform keineswegs, wie aus
der Anmerkung zu S. 11, Z. 22 hervor-
gehen konnte, auf die landlichen Bezirke
beschriinkt; in Osterreich z. B. ist sie
die allgemein iibliche, einschliesslich
Wiens.
,,Heute abend" (S. 12, Z. 18) wird ala
= diesen Abend gegeben; soil das
heissen. dass diese Ausdrucksweise vor-
zuziehen sei? Das Gegenteil ist der Fall;
,,diesen Abend" ist ein Eindringling aus
dem Franzosischen. — Wenn zu S. 13, Z. 2
,,Dicht neben der Kirche steht auch ge-
wohnlich die Schenke" die Erklarung
,,a relic of old German civilization" ge-
geben wird, durfte auch der Grund dafiir
angegeben werden. — Dass Eisenbahn und
Telegraph noch in den fiinfziger Jahren
an abgelegenen Orten nicht bekannt ge-
wesen seien (zu S. 21, Z. 23), ist eine
willkiirliche Annahme; die versteckte-
sten Hinterwalder hatten sicherlich um
jene Zeit von diesen Einrichtungen schon
gehort, wenn auch nicht notwendiger-
weise durch die Zeitung, so doch von
Handwerksburschen, herumziehenden
Hiindlern, Landstreichern u. dgl.
Zu S. 65, I, 3 ware zu bemerken, dass
die Auslassung von dass doch auch
die ungerade Wortfolge zulasst; ,,er
sagte, gestern habe (nicht ,,hatte") er
mich gesehen." — Ebenda ist die Zuge-
hb'rigkeit der Unterabteilungen a, b, c, d
etc. wegen der Bezeichnungsweise nicht
ganz klar.
Das Vokabular bezeichnet die langen
Vokale. Ich halte das, von einigen we-
nigen Fallen abgesehen, fiir unnotig und
geradezu schiidlich. Der Schiiler, der
Germelshausen lesen kann, sollte auch
die paar leichtfasslichen Aussprache-
regeln iiber Vokallange so anzuwenden
wissen, dass er keiner solchen Nachhilfe
bedarf; wird sie ihm dennoch gewahrt,
so gewohnt er sich leicht an Denkfaul-
heit. ubrigens sind hier eine grosse An-
zahl Versehen untergelaufen. Das Lange-
^zeichen fehlt bei Anzug, Art, aufgelegt,
Bahn, beiwohnen, benachbart (zweites
a), dafiir (ii), da(r) nach (zweites a),
Eisenbahn, oder (unter entweder — oder),
genug, Glas, Grab, grad, Gras, Kirchhof-
mauer, lautlos, Mittag mit seinen Zu-
sammensetzungen, Nachbar, Nachmittag,
Ohr. Schlag, Sonntag. Spinnrad, Tag, un-
gewohnt, Ururgrossmutter, (o), Vor-
schlag, Weg. Umgekehrt steht es falsch
bei Heimat, Sakristan (erstes a), Tele-
graph (erstes e). Die Form frug sollte
nicht als veraltet bezeichnet werden.
Neutra wie Deutschland, Marisfeld wur-
den besser nicht mit dem bestimmten
Artikel gegeben.
Druckfehler sind mir nur zwei aufgefal-
len; S. 19, Z. 12 lies Vortrefflich; S. 90,
Biicherbesprechungen.
275
Spalte 2, lies hundert. Die aussere Aus-
stattung ist gediegen.
Lessings Minna von Barnhelm. Edited
with introduction, notes, and vocabulary,
by Richard A. von Minckwitz
and Anne C. Wilder, XVIII -|- 202
pp., 16 mo. Boston, Ginn and Co., 1904.
45 cents.
Die Beigabe eines annahernd fxinfzig
Seiten starken Vokabulars und die
Kurze der Einleitung (etwas iiber fiinf
Druckseiten lang) charakterisieren diese
neue Ausgabe der Minna als fur die
Schule, nicht das College, berechnet. Dass
sie fur Schiiler des dritten Jahrgangs
geschrieben ist, entnehmen \vir ausser-
dem der dem Rezensionsexemplar beige-
legten gedruckten Notiz, die dem Be-
richterstatter seine undankbare Aufgabe
erleichtern soil. (Fiir diese Art Notizen
hat man in Deutschland den von schno-
der Herzlosigkeit zeugenden Ausdruck
Waschzettel aufgebracht. Obwohl ich
dies Verfahren, den Referenten ge-
wissermassen zu beeinflussen, sehr be-
dauerlich finde, soil daraus dem Verlag
kein Vorwurf gemacht werden; es ist
hierzulande einmal so Mode.) Eben diese
Beilage belehrt uns auch, dass das Buch
extra cathedram verfasst ist, da beide
Herausgeber Lehrer der klassischen
Sprachen sind; das Titelblatt gibt diese
Auskunft nicht.
Die Hiilfte der Einleitung beschaftigt
sich mit Lessings Leben; es leuchtet ein,
dass man auf den iibrigen dritthalb Sei-
ten dem geschichtlichen oder gar dem
literarischen Werte des Stiickes nicht
gerecht werden kann, zumal da mehrere
Abschnitte hier so gehalten sind, dass
sie wohl in eine Festrede, nicht aber in
ein Schulbuch passten.
"For students who wish to gain a
deeper insight into Lessing, his time,
and his writings, a list of reference books
is added," sagt das Vorwort. Die Zu-
sammenstellung dieser Liste aber ist,
urn es ehrlich zu sagen, eine Ungeheuer-
lichkeit. Wer wiirde einem Schiiler z. B.
Erich Schmidts ,.Lessing" oder Wundts
,,Lessing und die krititsche Methode" in
die Hand geben wollen ! Die Befiirchtung,
dass der Schiiler mit kritischer Literatur
iiber Lessing iibersjittigt werden konnte,
wird freilich schon dadurch gegen-
standslos, dass sich von den angefiibrten
27 Werken auch in guten Schulbiblio-
theken kaum mehr als drei bis vier vor-
finden diirften. Dem Durchschnittslehrer
nicht minder als dem Schiiler ware viel
besser gedient. wenn eine kleine AnzahJ
Werke (bei denen man aber iibrigens
auch Ort und Jahr des Erscheinens an-
geben miisste) ausgewiihlt und bei jedem
noch besonders die betreffenden Ab-
schnitte bezeichnet wiirden.
Auch an den Anmerkungen ist man-
cherlei auszusetzen. Fiir unnotig halte
ich z. B. die teilweise zu langen An-
merkungen zu vermaledeit (S. 3, Z. 7),
ah (S. 20, Z. 13), Dukaten (S. 22, Z. 9),
Blitz (ebenda, Z. 18), Lichtmess (S. 30,
Z. 21), wegkapern (S. 31, Z. 21), Karat
(S. 34, Z. 5), Rummel (S. 49, Z. 10),
Potzgeck (S. 57, Z. 7) ; in all diesen
Fallen geniigte eine einfache tibersetzung
im Vokabular. Die Etymologie von Potz-
geck ist iibrigens unrichtig angegeben;
der erste Bestandteil ist nict aus Bocks
•=. des Teufels verstiimmelt, sondern aus
Gotts und enspricht dem englischen Odds,
woftir Sheridan's Rivals so mannigfache
Belege gewiihren, und dem franzosischen
bleu fiir Dieu.
Umgekehrt wiiren Anmerkungen drin-
gend erwiinscht zu einer grossen Reihe
sprachlicher Erscheinungen, die dem
Schiiler auffallen und ihn verwirren
miissen. Ich hebe nur folgende heraiis:
unterkommen ware (S. 6, Z. 20) ; Justen
(S. 7, Z. 8), ebenso Wernern (S. 11, Z. 3),
Herr Wernern (S. 38, Z. 14); meine
iibrige Saehen (S. 9, Z. 6; ahnliche Falle
S. 85, Z. 4 f.: S. 93, Z. 4 f. und 23);
diirfen im Sinne von brauchen (S. 12,
Z. 8); Maul fiir Mund (S. 25, Z. 16 if.);
mit einer hohen Polizei (S. 31, Z. 29) ;
die ihn diesen Morgen komplimentieren
lassen (S. 38, Z. 25), ahnlich S. 90, Z. 15;
ofterer (S. 41, Z. 2); wenn = wann (S.
49, Z. 23 u. o.) ; die Rittmeisterin Mar-
loff (S. 61, Z. 6); ein acht Tage (S. 62,
Z. 26) ; fiinf zehn Tage als ubersetzung
des franzosischen quinze jours fiir
deutsches vierzehn Tage (S. 80, Z. 25);
Vorbitterin fiir Fiirbitterin (S. 112, Z.
3); vertraulich statt vertraut (S. 114, Z.
6). Der Notwendigkeit sprachlicher Er-
lauterungen Hesse sich nur durch das
Gewaltmittel einer Anderung des Textes
nach Massgabe unseres heutigen Sprach-
gebrauchs vorbeugen; und dazu wiirden
sich hoffentlich die Herausgeber nicht be-
reit finden. Auch der transitive Gebrauch
von niitzen war als veraltet zu kenn-
zeichnen.
Falsch gefasst ist zu S. 3, Z. 12 die
Bemerkung, spater sei Eur mit dem
plural en Verb in Gebrauch gekommen,
gewohnlich mit Titeln; steht es denn je
ohne Titel? Ebenso das iiber Ihro ge-
sagte. Epiphaniii (zu S. 21, Z. 10) ist
kein bewegliches Fest, sondern fallt auf
den 6. Januar, der allerdings auch gc-
legentlich mit dem zweiten Sonntag nach
276
Padagogische Monatshefte.
Weihnachten zusammenfallen kann.
Zur reilektierten Form jemanden war
Thomas 321,2, nicht 154 beizuziehen; die
Fassung dieses Abschnittes entsprang
lediglich praktischen Riicksichten.
Sehr ungliicklich sind eine Anzahl
Auslegnngen einzelner Stellen. Die Fas-
sung der Erklarung zu S. 10, Z. 8 ist
wohl nur ein Versehen; der Sinn ist ge-
rade umgekehrt. In dem Ausruf ,,Herr
Major!" (S. 13, Z. 21) sehe ich alles an-
dere eher als einen Vorwurf, dass Tell-
heira der Sprecherin nicht glauben wolle.
— S. 52, Z. 20 ,,Nun ist mir fiir das
Avancement des Laufers bange" soil na-
tiirlich bedeuten, wenn die Andern so
avanciert sind, was werde ich da von dem
Laufer fiir nette Sachen zu horen be-
kommen: Justs Antwort beweist, dass er
diesen Sinn verstanden hat, wie es ja
auch die einzig richtige Auslegung ist;
auch Franziskas niichste Rede ,,Dacht'
ich's doch!" stimrat dazu. Z. 22 muss
demgemsiss auch anders iibersetzt wer-
den, niimlich etwa ,,no, no, he really has
advanced." — Wenn der spitzbubische
Wirt fiir den Ring statt der darauf ge-
liehenen achtzig Pistolen hundert haben
moehte und dann auf neunzig zuriickgeht,
so ist das selbstverstandlich keine Ge-
dachtnisschwache (S. 55, Z. 17). — S. 58,
Z. 7: ,.Das heisst Ihn Gott sprechen!"
= es ist ein Gliick fiir dich, dass du das
sagst; nicht aber = deine eigene Nieder-
tracht hat dir diese Worte nicht einge-
geben, sondern Gott selber. — S. 61, Z. 7:
Die Rittmeisterswitwe wiirde einem Un-
teroffizier wohl kaum ihre Leiden klagen,
selbst wenn sie krank ist, lesen wir hier.
Diesen Satz kann nur ein Reserveleut-
nant geschrieben haben! — Minnas Aus-
spruch ,,Die Ehre ist die Ehre!" (S. 96,
Z. 2G) ist nach unsern Herausgebern ,.ein
sarkastisches Zugestandnis, dass das
Weib keine walire Auffassung des Ehr-
begriffes habe."!!! — Werner nennt eich
einen Tolpel (S. 126, Z. 2), nicht weil er
das Geld zur Unzeit gebracht, sondern
weil er sich unnotig geargert und auf-
geregt hat.
Ein guter Gedanke war es, fiir die
franzosischen Stellen ein gesondertes
kleines Vokabular anzuhangen.
Von zweifelhaftem Werte ist das dem
Buche beigegebene Bildnis. Es sieht
Lessing so ahnlich, als nur ein gewieser
anderer Klassiker ihm Jihneln kann. —
Druck und Ausstattung entspreehen alien
berechtigten Anforderungen.
Univ. of Wis. Edwin C. Roedder.
II. Eingesandte Buche r.
Our Bodies and How we Live. An ele-
mentary text book of Physiology and
Hygiene for use in schools by Albert
F. B 1 a i s d e 1 1, M. D. Revised Edition.
Boston, Ginn and Co., 1904. Price 75 cts.
A Manual of Pronunciation for pract-
ical use in schools and families. Contain-
ing a careful selection of words in the
English Language most commonly mis-
pronounced, together with their pronun-
ciation as given by the best authorities
in England and America, by Otis
A s h m o r e, Supt. of Schools, Savannah,
Ga. Ginn and Co., Boston, 1904.
A Scientific German Reader by George
Theodore Dippold, Ph. D., Professor of
Modern Language of the Massachusetts
Institute of Technology. Revised Edition.
Boston, Ginn and Co., 'l904. Price 80 cts.
Das Gymnasium zu Stolpenburg von
Hans Hoffmann. Die Handschrift A —
Erfiillter Beruf. Edited with introduc-
tion, notes, and vocabulary by Valen-
tin Buehner, Teacher of Modern
Language, High School, San Jose, Cal.
Boston, D. C. Heath and Co., 1904.
Pole Poppenspiiler von Theodor Storm.
With introduction, notes and vocabulary
by D r. Wilhelm Bernhardt, D. C. Heath
and Co., Boston, 1904.
Essays of Charles Lamb. Selected and
edited with introduction and notes by
George Armstrong Wanhope,
M. A., Ph. D., Professor of English in
South Carolina College. Boston, Ginn and
Co., 1904. Price 60 cts.
Meaning and Practice of Commercial
Education by C h e e s in a n A. He r-
r i c k, Ph. D., Director School of Com-
merce, Central High School, Philadelphia.
New York, The Macmillan Co., 1904.
La Mere de la Marquis et la Fille du
Chanoine par E d m o n d A b o u t. Edited
with notes and vocabulary by O. B.
Super, Ph. D., Professor of Romance
Language in Dickinson College. Boston,
Ginn and Co., 1904.
Flachsmann als Erzieher. A comedy by
Otto Ernst. Edited with notes and
vocabulary by Elizabeth Kings-
bury, A. M. Ginn and Co. Price 45 cts.
Der zerbrcchene Krug von H e i n r i c h
Z s c h o k k e. With introduction, notes,
and vocabulary by H e r b e r t C h a r 1 e s
S a n b o r n, A. M., Bancroft School,
Worcester, Mass. Ginn and Co. Price
30 cts.
Padagogische Monatsheftt
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
V. novcmbcu 1904. Heft 9
Dichter und Schule.
(Schweizerische Schulzeitung.)
,,Du sollst nicht toten, sondern
lebendig machen."
Ein Zogling einer schweizerischen Mittelschule sagte mir einst, im
deutschen Lesebuche gefielen ihm jene Dichtungen am besten, welche nicht
von dem Lehrer in der Schule behandelt worden seien. Dieses Urteil spricht
jedenfalls nicht sehr zugunsten der Behandlungsart der Poesie durch den be-
treffenden Lehrer, denn durch eine Erklarung einer Dichtung sollte die
Freude der Schiller an den Kunstwerken erhoht und nicht vermindert wer-
den. Dieser eine Fall steht aber nicht allein da. Gebildete Manner, die
unsere Mittelschule besucht haben, klagen nicht selten, man habe ihnen in
der Schule die Freude an den deutschen Kassikern verdorben,. Diese Stim-
mung hat auch Widerhall gefunden auf dem letzten deutschen Kunster-
ziehungstage in Weimar, auf welchem harte Anklagen gegen die Behandlung
der Poesie in der Schule erhoben worden sind.
Ein Vertreter der Schule, Otto Anthes, hat es nun unternommen, zu
zeigen, auf welche Weise die Dichtung den Schiilern lebendig gemacht wer-
den kann. In einem kleinen Biichlein ,, Dichter und Schulmeister" gibt er
an der Hand von vielen schonen Beispielen reiche Anregung, wie man in der
Schule Poesie behandeln soil. Seine wichtigsten Gedanken mogen hier in
Kiirze erwahnt werden.
Die Hauptsache an einem Gedicht, das eigentlich Kiinstlerlsche daran
ist die durch die Anschauung vermittelte Stimmung. Diese soil der Lehrer
278 Padagogische Monatshefte.
beim Schiller erwecken, indem er diesem die Plastik des Gedichts vor Augen
fiihrt, indem er ihn schauen u»d horen lehrt, indem er ihm das eigentliche
Bildliche (im weiten Sinn des Wortes) eines Gedichts lebendig macht. Man
muss die Vorgange in einem Gedicht mitschauen, dann stellt sich auch das
Mitfiihlen ein. Den Grundgedanken aus der Dichtung herauszuschalen,
totet die Poesie; denn der Gedanke ist abstrakt, wahrend das eigentlich
Kiinstlerische anschaulich ist. Ebenfalls aus der Anschauung und damit aus
der Stimmung heraus vvird der Schiller gerissen, wenn der Lehrer beim Be-
handeln der Dichtung abschweift und z. B. solche historische, geographische
literargeschichtliche Bemerkungen einflicht, die nicht unmittelbar zum An-
schauungs- und Stimmungsgehalt der Dichtung gehb'ren.
Dieser kurze Auszug moge nur dazu dienen, alle Lehrer und besonders
die Deutschlehrer an den Mittelschulen anzuregen, das Biichlein von Anthes
selbst zu studieren. Dagegen moge es mir gestattet sein, meinerseits auf einen
Fehler in der Schulbehandlung von Dichtungen aufmerksam zu machen.
Eine Siinde an einer Dichtung begeht man, wenn man sie in der Schule
vollstandig erschopfend behandeln will. Weshalb behalten die bedeutenden
Dichtungen, welche einem nicht von einem Schulmeister verdorben worden
sind, einen evvig neuen Reiz das ganze Leben hindurch ? Ich denke doch zum
Teil deshalb, weil man immer wieder etwas Neues in ihnen entdeckt. Ich
kanri mir nicht vorstellen, dass man den Wallenstein, oder den Faust, oder
Hermann u. Dorothea je ausgelesen haben wird. Man wird immer wieder
etwas Frisches darin entdecken, wenn man die Dichtungen von Zeit zu Zeit
wieder liest. Das steigende Lebensalter und die wechselnden Erfahrungen
und Stimmungen lassen uns zu verschiedenen Zeiten verschiedene Schon-
heiten in den Dichtungen geniessen. Und eben dieses immer neue Entdecken
macht es zum Teil aus, dass wir gerne zu den alten bekannten Dichtungen
zuriickkehren.
Wie sieht nun eine Dichtung nach einer erschopfenden Schulbehandlung
aus? Eine solche Dichtung gleicht einer auf den letzten Tropfen ausge-
quetschten Zitrone. Alles iiberhaupt Denkbare ist erklart; jeder Gedanke,
jeder Satz, oft fast jedes Wort ist erlautert. Beinahe alle iiberhaupt mb'g-
lichen Assoziationen sind herbeigerufen worden. Ein Schiiler darf etwa an
Schillers Glocke nicht nur das geniessen, was ihm ans Herz geht, was ihm
nahe liegt, man qualt ihn damit, die ganze Bedeutung dieses Gedichtes fur
andere Leute in anderen Lebenslagen kennen zu lernen. Diese Bedeutung
der Schillerschen Worte fiir andere ist dem Schiiler in der Regel gleichgiiltig,
weil er wegen seiner geringen Erfahrung gar nicht nachfuhlen kann. Hat
man dem Schiiler dann alles erklart und alles vorgenommen, so mag er spater
das Gedicht nicht mehr ansehen ; es hat fiir ihn keinen Reiz mehr (der Pada-
goge sagt: kein Interesse mehr), weil er nichts Neues darin suchen und finden
kann.
Dichter und Schule. 279
Man wird also besser daran tun, dem Schiller nur soviel an einer Dich-
tung zu erklaren, als er fur das momentane Erfassen der Dichtung bedarf,
so dass er dann auch zum augenblicklichen, asthetischen Genuss gelangt.
Lasse man sich den Schiller doch am Wallenstein begeistern, lasse man ihn
doch aus dem Wallenstein das aufnehmen, was fhm in seinem Alter nur als
das Wichtigste erscheint, wenn es auch nicht ganz mit dem iibereinstimmt,
was der reife Schiller sich unter der Wallensteinwirkung vorgestellt hat. Der
Schiller wird dann zum mindesten mit Freude an den schillerschen Wallen-
stein denken und als Mann wieder nach dem Buche greifen. Dann wird er
allerdings das Drama wieder anders auffassen und als Greis vielleicht wieder
anders, aber die Dichtung wird ihm so ewig lebendig bleiben, er wird sich
ihrem Einfluss mit immer neuer Freude wieder hingeben.
Ich fiirchte, man wird einwenden, dass aus einer nicht erschopfenden
Behandlung der Dichtungen die Schiller nicht viel lernen werden. Dazu ist
folgendes zu bemerken : Allerdings wird der Schiller aus einer kiinstlerischen
Betrachtung von Dichtungen sozusagen keine abstrakten Kenntnisse davon
tragen ; die Dichtung ist aber auch nicht dazu da, abstrakte Erkenntnis zu
fordern. Dichtung ist anschauliche Darstellung; sie ruft Anschauungen her-
vor und weckt dadurch Stimmungen. Wenn Goethe von der Geschichte sagt,
dass das Beste, was wir von ihr haben, der Enthusiasmus, den sie erregt, sei,
so gilt ein Ahnliches von der Poesie. Konnen wir in der Schule Begeisterung
fiir die Dichtungen erregen, so haben wir schon manches erreicht. Dann
werden sicher viele Schiller spater gerne wieder auf die Dichtungen zuriick-
greifen und sie werden die Meisterwerke ohne weitere, fremde Hilfe noch
mehrmals mit Freuden und mit tieferer Auffassung lesen; denn das Leben
hat ihnen in der Erfahrung das gegeben, was wir Lehrer durch die Er-
klarung doch nicht ersetzen konnten. Suchen wir also in unserem Deutsch-
unterricht der Mahnung jenes Philosophen nachzuleben, der einem jungen
Germanisten ins Stammbuch schrieb: ,,Du sollst nicht toten, sondern lebendig
machen."
Sprachliches.
(Aus der "Zeitschrift des Allgemeinen Sprachvereins")
ij b e r den Ursprung einiger Namen von Hausgeraten
Das so rein deutsch klingende Wort T i s c h 1st aus dem griechischem diskos =
Diskus, Wurfscheibe, entstanden, das dann im Lateinischen die Form discus und die
Bedeutung Teller, Platte annahm. Im Englischen haben sich daraus zwei Worter
disk = Scheibe und dish = Schiissel, Gericht entwickelt. Von Stuhlarten sei
Fauteuil erwahnt, das trotz seines franzosischen Aussern doch deutschen Ursprungs
ist und eigentlich Faltstuhl bedeutet. Das althochdeutsche valtstuol ist namlich
ins Franzosische iibergegangen und aus diesem wieder mit fremdlandischem Auf-
putz in unsere Sprache heimgekehrt. Diesen eigenartigen Vorgang der Aus- und
Riickwanderung deutscher Worter kann man iibrigens mehrfach beobachten, so bei
B i w a k aus frz, bivouac, das wieder vom deutschen biwake = Beiwache herkommt,
ferner bei Bresche (frz. breche, deutsch Breche), Garde (frz. garde, ahd. warta),
Balkon (frz. balcon, ahd. balco = Balken) u. a. K am in ist das lat. caminus =
Feuerstatte und damit hangt das jetzt in Dichtungen wieder viel gebrauchte Wort
Kemenate zusammen, das aus lat. caminata entstanden, eigentlich ein mit Ka-
min versehenes Zimmer ist, im Mittelalter aber ein Schlaf- und besonders ein
Frauengemach bezeichnete. Die Worter T a p e t e und T e p p i c h gehen beide auf
das griechische tapes zuriick und bedeuteten zunachst das gleiche, namlich Teppich.
Wurden doch in friiheren Zeiten die Wande nicht wie jetzt mit Papierstreifen be-
klebt, sondern mit Geweben behangt, von denen besonders beriihmt waren die aus
Arras in Frankreich (daher engl. arras = Teppich oder Tapete) und die Gobelins
aus der Anstalt der Gebriider Gobelin in Paris. T a p e t, das wir jetzt allerdings
nur in der Redensart kennen ,,etwas aufs Tapet (= zur Besprechung) bringen",
wurde friiher vom Tische eines Beratungszimmers gesagt und dieser wieder hatte
seinen Namen von der auf ihm liegenden Tapete oder Decke. F. W.
Ich will dir zeigen, was eine Harke ist. Diese Redensart, die be-
kanntlich bedeutet : ich will dir etwas gehorig, in handgreif licher Weise klar machen,
wird auf die Erzahlung von einem Bauernsolme zuriickgefiihrt, der, nach langem
Aufenthait in der Fremde heimgekehrt, verachtlich auf die vaterliche Wirtschaft
herabsieht und vorgibt, nicht einmal mehr zu wissen, was eine Harke ist. Als er
jedoch aus Versehen auf die Ziihne einer Harke tritt und ihm dabei deren Stiel ins
Gesicht schlagt, vergisst er alle stadtische Bildung und ruf t aus : Au, du verdammte
Harke! Dem entspricht die Wendung ,,er kennt die Harke nicht" von einem der so
tut, als sei er in der Heimat fremd geworden und als verstehe er seine Muttersprache
nicht mehr ein Ausdruck, der besonders in Holstein in der Form ,,He kennt de Hark
nig" iiblich ist. Friedrich van Hoffs hat die Geschichte von dem Bauernsohn in
folgende launige Verse gebracht:
Der Rechen.
Der Stoffel war drei Vierteljahr
Im Franzenland gewesen.
Das Deutsche hatt' er schier verlernt,
Er konnt es kaum noch lesen.
Sprachiiches. 281
Er trat ins Zimmer mit bon jour
Statt mit dem guten Tage.
,,Comment — wie sagt man gleich auf deutsch?"
War seine dritte Frage.
Bei Tisch begrusst' er pommes de terre —
Wie mundeten sie Stoffeln!
,,Comment? Wenn ich nicht irre bin,
Sagt man auf deutsch: Kartoffeln."
Nach Tische ging er in den Hof,
Da lag ein neuer Rechen;
Der mochte mit dem blanken Stiel
Ihm in die Augen stechen.
,,Comment?" Er zeigte mit dem Fuss
Und trat aufs untre Ende;
Der Rechen richtet sich empor —
O unverhoffte Wende!
Ein derber Schlag auf Nas' und Maul
Lehrt plotzlich deutsch ihn sprechen.
Er greift nach seinem Kopf und schreit:
,,I du verdammter Rechen!"
Schwiegermutter, Sch wager. Die Sprache eines Volkes ist daa Buch
seines Lebens, das dem kundigen Leser iiberraschend reichlich Auskunft gibt iiber
Vergangenes und Werdendes in seiner Geschichte. Ein Beispiel heute aus der altesten
Vergangenheit ! Die Worter Schwiegervater, Schwiegermutter,
Schwager, Schwa g e r i n bezeichnen jetzt ebenso gut Vater, Mutter und
Geschwister der einen als der anderen Ehehalfte. Urspriinglich gab es dagegen keine
Bezeichnung f iir den Schwiegersohn und die oben genannten Worte konnte
nur die Frau gebrauchen, um Vater, Mutter und Geschwister ihres Mannes zu be-
zeichnen, nicht auch dieser von den gleichen Verwandten seiner Frau. Man erkennt
daraus, dass die Frau mit dem Kauf durch ihren Mann, mit der Unterordnung unter
dessen Gewalt iiber Leben und Tod vollstandig aus ihrer Sippe ausschied und sich
nur noch zugehorig fiihlen durfte zur Verwandtschaft des Mannes. In der alt-
deutschen Vergangenheit ist diese Beschriinkung freilich schon iiberwunden; so
friih hat die auf die Gleichberechtigung der mannlichen und weiblichen Reihe von
Mann und Frau gerichtete Bewegung eingesetzt!
Etwas vom sprachlichen Ausdruck fiirZeitver-
haltnisse. Ebenbild, Ebenmass, ebenbiirtig, e b e n falls,
ebenderselbe lassen noch deutlich erkennen, dass e b e n die Grundbedeutung
gleich hat. Die E b e n e ist die Flache, in der ein Teil den niichsten gleich in der
Lage ist. Wem das Leben eben dahinfliesst, der wird vom Schicksal nicht iiber
Stock und Stein gefiihrt. In Goethes Heidenroslein bedeuten die Worte: ,,Musst'
es eben leiden" ganz entsprechend: "musste es genau so, gerad in der Weise lei-
den, in der es kam". Diselbe Bedeutung von grade hat eben namentlich in Ver-
bindung mit nicht: eben nicht schon, nicht eben schon, d. h. nicht gerade — , nicht
sonderlich schon. Scheinbar seitab liegt eine andere Bedeutung des Wortchens.
282 Padagogische Monatshefte.
Wenn ich sage: "er ist eben angekommen", bezeichne ich mit demselben Worte
nicht mehr das Nebeneinander im Eaura oder die Gleichheit der Stufe, sondern daa
V or her in der Zeit. Indes auch neben (= in-eben: im gleichen) bezeichnet
ja nicht die Gleichheit, sondern nur die Nahe im Raum ; so konnte dann auch eben
die unmittelbare Vergangenheit ausdriicken, zumal es dazu erst mittelbar, infolge
der Verbindungen mit der Zeitform der Vergangenheit kam. — Auch g e r a d e ge-
wann erst aus der raumlichen Bedeutung sehnurstracks, genau auf
etwas zu, gerade insAuge die zeitliche: genau im Augenblick mit oder vor
einem andren Ereignisse. Im iibrigen geht bei diesen Bedeutungsentwicklungen
Jediglich noch vor unseren Augen vor, was ein allgemeiner Vorgang im sprachlichen
Leben gewesen ist. Der Raum ist etwas sichtbares, mit der ausseren Vorstellung
Wahrnehmbares, die Zeit selbst nicht, der Raum ist der aussere, die Zeit die innere
Anschauungsf orm ; sollte also vor ihr das Gesetz des sprachlichen Ausdrucks Halt
machen, wonach Ausseres, Angeschautes zum Bilde von Innerlichem, nur Vorstell-
barem wird? Dass es ein solches Halt nicht gibt, zeigt die Gesamtheit unserer zeit-
lichen Verhaltnisworter : in, an, nach, vor, auf, gegen, die samtlich ur-
spriinglich Raumverhaltnisse bezeichnen. Gewinnt nicht auch das Kind die Vor-
stellungen von den Beziehungen im Raum lange vorher, ehe sich ihm nach ihrer
Art und Ausdrucksweise auch die fiir die Zeit bilden? •
H a n s e 1 n. Es ist den meisten Leuten unbekannt, dass das Wort ,,Hanseln",
womit wir eine harmlose Neckerei bezeichnen, von dem alten Worte Hansa abge-
Jeitet ist, das eine Schar, Vereinigung, Gesellschaft und spater insbesondere den
bekannten norddeutschen Stiidtebund bedeutete. Doch war das Hanseln urspriing-
lich durchaus nicht harmloser Natur. Denn, um den gewaltigen Zudrang der jun-
gen Kaufleute zu dem beriihmten Komptoir der Hansa im norwegischen Bergen
einzuschranken, fiihrte man dort fiir diese eine Priifung ein, und erst durch deren
Bestehen wurden sie in den Bund aufgenommen, d. h. gehanselt. Diese Prufung
stand aus drei ,,Spielen", 1. dem Wasserspiel, wobei der Neuling dreimal unter
einem Schiffe durchgezogen und dann von vier handfesten Kerlen mit Ruten ge-
strichen wurde, 2. dem Rauchspiel, wobei er in einen Schornstein, den ein betau-
bender Gestank von brennenden Haaren, Fischgraten usw. erfiillte, zehn Minuten
lang gehangt wurde, 3. dem Staupenspiel, wobei er mit Spiessruten durchgepeitscht
wurde, bis das Blut kam. Der rohe Gebrauch verbreitete sich iiber viele andere
deutsche Handel sstadte und ging auch auf andere Berufe, z. B. auf die Fuhrleute,
iiber. Mit der Zeit jedoch, und vielfach unter dem Druck der staatlichen Verwal-
tungsbehorden, wurde die Roheit des Hiinselns gemildert. Auch konnte man sich
durch den sog. Hanselgroschen von der Prufung loskaufen; da von wurde dann der
j,Hanselerschmaus" bestellt. So kam das Hanseln immer mehr auf ein frohes
Mahl und eine harmlose Neckerei hinaus.
F r an zosische Fremdwb'rter und ihre deutsche Be-
u e u t u n g. Zu den vielen irrtiimlichen Griinden, mit denen die Fremdworter vei>.
teidigt werden, gehb'rt auch der, dass sie die Verstandigung im fremden Lande er-
leichterten. Dass dies gerade bei einer Reihe von Verkehrs- und Bediirfnisgegen-
standen, deren Namen man in der Fremde kennen muss, nicht zutrifft, mag folgende
Gegeniibersetzung lehren, in der links unser Fremdwort in der Mitte die deutsche
Bedeutung und rechts die von dem Franzosen in dieser Bedeutung wirklich ge-
brauchte Bezeichnung steht; ein Strich in dieser Reihe deutet an, dass der Franzose
die Bildung iiberhaupt nicht kennt, eine deutsche tibersetzung in der ersten Reihe,
welche Bedeutung das franzosische Wort daheim hat.
Sprachliches.
283
Fremdwort
Deutsche
Franzosische Bezeichnung
im Deutschen:
Bedeutung:
dafiir:
sich blamieren
sich blossstellen
se compromettre
(tadeln)
u. a.
Blamage
Blossstellung
—
Delikatessengeschaft
Vorkost-, Feinkost-
1'epicier, le fruitier;
handlung
le machand de
comestibles, —
de volaille
Galoschen
iJberschuhe
les caoutchocs
Garderobe (Kleider-
Kleiderraum
le vestiaire
schrank, -bestand)
Gardinen
Vorhange
les rideaux, stores,
vitrages
(chambre) garni (e)
Junggesellenwohnung
la chambre meublee
Koffer (Truhe, Geld-
la malic
kasten)
Koupe (Postsitz u. a.)
Abteil
le compartiment
Kourierzug
Schnellzug
le (train) express
Kuvert (Tischgedecck)
(Brief-) Umschlag
Tenveloppe
Logis (Stube mit
Wohnung
un appartement
Kiiche u. Kammer)
Melange (Kaffee mit
Milchkaffee
un cafe a la creme
Schlagsahne)
Parket (getafelter Fuss-
Sperrsitz
1'orchestre
boden u. a.)
Parforcejagd
Hetzjagd
la chasse a courre
Parterre (Beet u. a.)
Erdgeschoss
le rez de chaussee
Perron (Freitreppe)
Bahnsteig
le quai
Plumeau (Federwedel)
Feder-, Deckbett
1'edredon
Portier ( Tiirsteher )
Pfortner, Tiirschliesser
le concierge
Regal (Schmaus)
Biichergestell
le rayon
renommieren (wieder-
grosstun
se vanter u. a.
ernennen, beriihmt
machen)
Renommage
Grosstuerei
fanfaronnade
Tornister
Ranzen
le sac
Zy Under (an der Lampe)
hoher Hut
le chapeau haut
(de forme)
Der Widerspruch der Bedeutung bei uns und im Ursprungsfande erklart sich
nat iirlidi geschichtlich : die fremden Wb'rter haben bei uns im wesentlichen noch die
Bedeutung, die sie zur Zeit ihrer Aufnahme in unsre Sprache auch in ihrer Heimat
batten. Aber eben damit ist auch bewiesen, dass Fremdworter ein starrer Be-
standteil der Sprache und nicht in gleichem Masse wie das heimische Sprachgut
Trager innerer, geistiger Entwicklung sind. Philipp StolL
Die Auswanderer.
Von F. Freiligrath.
(Aus der Schule — fiir die Schule.)
Lehrprobe bearbeitet von W. Mueller, Lehrer in Plettenburg.
I. Vorbereitung: a) Wohin zog im vorigen Jahre der Schuhmacher-
meister Z von hier mit seiner Familie? (Nach Amerika.) In jedem Jahre
wandern aus unserm Vaterlande viele Leute aus. Weshalb wohl die meisten? (Weil
es ihnen in der Heimat nicht mehr gefallt.) Oder auch?! — Nun, sie traumen sich
ihr Gliick, ja goldene Berge jenseits des Ozeans in Amerika. Wie nennt man die
Leute, weil sie auswandern? — Wohin wenden sie sich gewohnlich? (Amerika.)
Wohin wandern sie auch? (Afrika.) Wohin noch? Denkt an unsere jiingsten Er-
werbungen! (Nach Asien.) — Nach welchen von den eben genannten drei Erd-
teilen gehen die meisten Auswanderer? — Besonders machte sich in den Jahren
von 1830 — 40 in Deutschland eine starke Aus \vanderung nach Nord- Amerika be-
merklich. Dort hatte eine Gesellschaft am Missouri grosse Landerstrecken ange-
kauft und lockte durch Verheissung goldener Berge viele Heimatuberdriissige und
Gewinnsiichtige nach dem Lande der Freiheit. Es folgten dem lockenden Rufe viele
schwiibische Landleute aus dem Schwarzwalde, Neckartale und Spessart. (Karte!)
Welchen Weg wahlten diese wohl damals, zumal in jenen Gegenden noch keine
Eisenbahnen gebaut waren? — Wohin kamen sie, wenn sie den Rhein hinabfuhren?
(Amsterdam.) (Zeigen!) Hie nahmen grosse Auswandererschiffe sie auf. tiber
welches Meer fuhren sie dann? — Wie lange dauerte in jener Zeit die Fahrt iiber
den atlantischen Ozean? (Wochenlang.) Aus welchem Lesestiick wisst ihr dies?
(,,Ein Gesang iiber den Wassern.") Sprich die Stelle aus dieser Erzahlung, welche
unsere Behauptung beweist! (,,Und sie (die rheinischen Bauersleute) waren schon
wochenlang mitten auf dem \Veltmeere, wo man keinen griinen Wald sieht und
keinen Kornacker" u. s. w.) Warum dauerte die Fahrt damals wochenlang? (Kein
Dampfschiff.) Heute wahrt die uberfahrt mit einem Dampfschiff 9 — 12, hochstens
14 Tage. Nach welchen Hafenstadten reisen heutzutage die deutschen Auswanderer
gewohnlich? — Wohin hatten sich noch jene schwabischen Landleute aus dem
Schwarzwalde, Neckartale und Spessarte gewandt ? — Damals lebte in der hollan-
dischen Hauptstadt Amsterdam der junge Dichter Ferdinand Freiligrath. Er war
1810 zu Detmold als Sohn eines Biirgerschullehrers geboren. Nachdem er in Soest
die Kaufmannschaft erlernt hatte, ging er nach Amsterdam und arbeitete von
1831 — 36 in einem Bankierhause daselbst. War seine Phantasie schon in Soest, wo
ihm Reisebeschreibungen in die Hande fielen, entziindet, so fand sie in dem bunten
Volkergemisch und vielgestaltigen Treiben dieser grossen Handel sstadt neue
Nahrung. In seinen Mussestunden ging er nach dem belebten Hafen und sah mit
herzlicher Teilnahme der Einschiffung von Auswanderern zu. Unsere Auswanderer-
gruppe aus dem Schwarzwalde, Neckartale und Spessart fesselte ihn besonders und
r#gte ihn dichterisch an. Was er da empfunden hat, teilt er uns in einem schonen,
riihrenden Gedichte ,,Die Auswanderer", welches im Sommer 1832 entstand, mit.
b) Wer kann das Gesagte zusammenf assen ? —
II. Ziel: Wir wollen jetzt dieses Gedicht, welches eine Perle Freiligrathscher
Poesie ist, kennen lernen; hb'rt zu!
]3. Vortrag: Der Dichter spricht: (Der Lehrer tragt nun das ganze Gedicht
Die Auswanderer. 285
mit guter Betonung vor, wobei er nach der 3., 5. und 10. Strophe eine kurze Pause
macht, um dadurch die Teile des Liedes ausserlich kenntlich zu machen.)
b) (Nachlesen des Gedichts durch vier Kinder, von denen das erste Kind Str.
1 — 3, das zweite Str. 4 und 5, das dritte Str. 6 — 10 und das vierte Str. 11 liest.)
IV. Erlauterungen: ,,Blick" = Auge nicht abwenden. ,,Ich muss euch
anschaun iramerdar" = immerfort, ohne» Unterbrechung. Geschaft'ge Hande =
fleissige, tatige Hande, Hande, welche schaffen. ,,Habe" = was ich habe, besitze,
was mir gehb'rt, mein Eigentum ist; hier ist Hausgerat u. drgl. gemeint. Fur
,,Nacken" kb'nnen wir Schulter und Riicken setzen. ,,Die Kbrbe langt" = reicht.
,,Brot gerb'stet" erinnefn: auf einem Rest braten, hier soil uns der Ausdruck sagen,
das Brot ist zu Schiffszwieback gerostet (zweimal gebacken), damit es sich als
Mundvorrat fiir die lange Seereise besser halte. ,,Herd" = Backofen. Schaluppe =
Schiffsboot, welches zwischen Schiff und Landestelle fahrt, Menschen und Guter be-
fb'rdert. Griine Bank = griin angestrichene Bank in der Schaluppe. Heimat Born
= Brunnen. Missouri ist ein Strom in Nord-Amerika, hier sind die Gegenden Nord-
Amerika gemeint, durch welche dieser Strom fliesst. Die Tb'pfe und Kriige malen
euch der Heimat Bild = sie rufen das Bild der Heimat ins Gedachtnis zuriick, sie
erinnern an den Dorfbrunnen, an den hauslichen Herd und an die reinliche Kiiche.
Steingefasste Quelle = Brunnen mit steinerner Einfassung. ,,Wandgesims" =r
Brettergesims oder Bank iiber dem Herde in der Kiiche, auf der die blankgescheuer-
ten Tb'pfe und Kriige standen. ,,Braunen Gasten" = kupferbraune Indianer.
Tscherokesen = indianischer Volksstamm. Andere Indianerstamme : Mohikaner,
Huronen u. s. w. ,,Alpler" werden die Hirten im Spessart genannt, weil ihr Leben
mit dem der Alpenbewohner viel Ahnlichkeit hat. ,,Bootsmann" = der Ftthrer der
Schaluppe oder des Bootes, der dasselbe durch Rudern fortbewegt.
V. Gliederung:
1. Die Auswanderer im Hafen. (Str. 1 — 3.)
2. Die Auswanderer in der alten Heimat. (Str. 4 u. 5.)
3. Die Auswanderer in der neuen Heimat. (Str. 6 — 10.)
4. Wiinsche des Dichters fiir die Auswanderer. (Str. 11.)
VI. Grundgedanken: ,,O sprecht ! warum zogt ihr von dannen ?" — Ana
Vaterland, ans teure, schliess dich an; das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft! Dort in der fremden Welt stehst du
allein, ein schwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt. — In der Fremde wird es
klar, wie so schb'n die Hehnat war. — Bleibe im Lande und nahre dich redlich !
VII. Gedankengang (etwas erweitert, weil er als Aufsatz Verwendung
finden soil) : Nach beendigter Lehrzeit war Ferdinand Freiligrath langere Zeit ala
Handlungsdiener in Amsterdam tatig. In seinen Mussestunden ging er oft an dem
Hafen spazieren, wo seine Einbildungskraft reichlich Nahrung und Anregung fand.
Stundenlang stand es da und sah dem geschaftigen Treiben zu. Die gewaltigen
Fahrzeuge, die mannigfaltigen Erzeugnisse aller Zonen, die fremdlandischen Trach-
ten und Gesichter machten auf seinen Geist tiefen Eindruck. Am meisten zog eine
Gesellschaft deutscher Auswanderer seine Aufmerksamkeit auf sich. Es waren ja
seine Landsleute, welche die Heimat verliessen. Sie sind eifrig beschaftigt, ihre Habe
einzuschiffen. Die Manner tragen Kb'rbe mit deutschem Brote auf ihrem Nacken.
Schmucke Schwarzwaldmadchen stellen sorgfaltig saubere Topfe und Kriige in das
Boot. Diese Hausgerate werden sie noch oft an die teure Heimat erinnern: an den
Brunnen des Dorfes, woraus sie Wasser geschopft und an dem sie manches ange-
nehme Plauderstiindchen verbracht haben, an die traute Feuerstelle des Herdes
und an das Wandgesims, dessen Zierde die Kriige und Tb'pfe waren. Bald werden
286 Pddagogische Monatshefte.
diese die Wiinde eines rohen Blockhauses schmiicken. Kein liebes und bekanntes
Gesicht wird sich den Auswanderern zeigen. Hb'chstens erscheint ein Tscherokese,.
der mit unverstandlichen Lauten um einen Trunk bittet. Da konnen sie ihm nieht
den funkelnden Wein der Heimat reichen, sondern nur einen Becher Wassers. Der
Dichter wird von Wehmut ergriffen. Sind es doch seine Landsleute, deutsche Man-
ner mit biederem Sinn und starkem Arm, die ihre Heimat verlassen. Er spricht
zu ihnen: ,,Warum zogt ihr von dannen? Hat nicht das Neckartal Korn und Wein
genug; steht nicht der Schwarzwald voll majestatischer Tannen; hort man nicht im
Spessart die lieblichen Klange des Alphorns? ,,Wie wird das Bild der alten Tage-
durch eure Traume glanzend wehn! Gleich einer stillen frommen Sage wird es euch
vor der Seele stehn." Doch der Dichter will ihnen das Herz nicht weiter mit Trau-
rigkeit beschweren. Die Stunde der Abfahrt ist gekommen. Wehmutsvoll wiinscht
er ihnen in der neuen Heimat Zufriedenheit, Gliick und Segen.
VIII. Schonheiten des Gedichts:
1. Von machtiger Wirkung ist die Personifikation der Kriige und Topfe.
2. Gar meisterhaft ist die Gegeniiberstellung der Heimat und Fremde.
Die Heimat, welche die Auswanderer verlassen, bietet alles, was das Leben
gemiitlich und gliicklich machen kann: ein mildes, fur den Anbau der Rebe und des
Getreides giinstiges Klima, einen fruchtbaren Boden, griinumgebene Dorfer, in den
Talern wunderschbn gelegen, fette Weiden und freundliche Obstgarten.
Die Fremde dagegen, der die Auswanderer zueilen, hat von alledem nichts auf-
zuweisen. Zerstreut umher liegen einzelne Blockhauser, die aus unbehauenen
Baumstammen und Brettern gebaut sind. Die innere Einrichtung ist sehr einfach
und hochst ungemiitlich. Weite Strecken endloser Walder sind niedergebrannt und
urbar gemacht. Grosse Flachen sind mit Mais bestanden, die sumpfigen Niederungen
mit Reis bestellt. Alles zeugt von einer erst beginnenden Kultur.
3. Ein eingreifender Ton tiefer Wehmut klingt durch das Gedicht und weckt
etwas wie Heimweh in uns.
Infolge dieser Schonheiten hat es Aufnahme in die Lesebiicher gefunden und
ist ein Lieblingsgedicht unserer Jugend geworden.
IX. Verwandtes: Ein Gesang iiber den Wassern.
X. Aufgaben fur schriftliche Arbeiten:
1. Der Hafen. (Eine Schilderung.)
Im Geiste stehen wir mit dem Dichter im Hafen an der Landestelle. Vor unsern
Blicken breitet sich das grosse wogende Weltmeer aus. Hier schaffen die Matrosen
den reichen Inhalt eines Schiffes ans Land, dort wird eii> anderes beladen. Etwas
vom Ufer liegt ein grosses Auswandererschiff vor Anker. Aus dem Schornsteine des-
selben steigt bereits Rauch auf, ein Zeichen, dass es bald abfahrt. An der Land-
stelle liegt ein grosses Boot, welches die Menschen und Giiter zum Schiffe bringt.
In demselben steht ein Schiffer. Die Auswanderer reichen ihm vom Lande aus ihre
Habe in das Boot hinein. Starke Manner tragen schwere Kb'rbe u. s. w.
2. Die alte Heimat.
3. Die neue Heimat.
(Schilderungen mit Benutzung von 2 unter VIII.)
4. Ein Brief aus der neuen Heimat an Verwandte oder Bekannte.
5. Gedankengang des Gedichts. (Siehe unter Punkt VII!)
6. Warum verlassen die Auswanderer die Heimat?
Aphorismen aus Herders "Schulreden
S c h u 1 e soil nie ohne Zucht sein, sonst ist's keine Schule, denn eine M e n g e
kann nie zusammen bestehen (nie zusamraen unterrichtet oder geiibt werden) ohne
0 r d n u n g, ohne strenge Einrichtung und Anstalt. Nur was wir ii b e n,
\vissen wir: wir k 6 n n e n nur so viel, als wir geiibt haben; dies gilt in Sprachen,
Wissenschaften, Sitten und schb'nen Kiinsten. Eine Schule also, die viel Zucht, viel
und strenge tibung im Guten und allerlei Guten hat, dazu die Jugend gebildet werden
soil, das ist eine gute Schule.
Schule! Bist du verloren, so ist alles verloren, denn aus dir miissen dem
Staate neue, bessere Burger kommen.
Ein guter Kopf bei einem schlechten Herzen ist wie ein Tempel bei einer
Mordergrube, und gute Wissenschaften ohne Sitten, ohne Erziehung sind wie eine
Perle im Kot.
Jede Wissenschaft hat ihre eigene Methode; und wer eine in die andre hiniiber-
tragt, macht's oft nicht kliiger, als wer in der Luft schwimmen, im Wasser saen
und ackern will .
tibung ist die Mutter aller Vollkommenheit. Sie muss also auch die Gehilfin,
die treue Gefahrtin jedes Lernens sein, oder es ist zu besorgen, das Lernen selbst
werde einem grossen Teile nach unniitz.
Sobald der Lehrer das Gliick hat, seine Klasse in rege Aufmerksamkeit, ja in
einen Wettstreit von Aufmerksamkeit, von eigenen, sich iibenden Seelenkraften
seiner Schiiler zu setzen und darin zu erhalten, macht und fordert sich alles gleich
von selbst.
Traurig ware jede Schule, wo nichts von selbst, nichts durch edle Nacheiferung,
nichts durch eigene Lust und Miihe hervorkame; wo der reichste Boden soviel triige
als der armste.
Sehr ausgezeichnete Menschen bilden sich ohne Lehrer; es ist aber iibel, wenn
insonderheit zu unsrer Zeit sich alles ohne Lehrer bilden und oft nur durch seine
Unformlichkeit ausgezeichnet sein will.
Eine Schule guter Art ist eine Gesellschaft Bienen, die auffliegen und Honig
sammeln, eine Schule lassiger Art ware eine Gesellschaft der lastbaren Tiere, die
hingehen, wohin sie getrieben werden, und auch von dem, was man ihnen auflegt,
zeitlebens nichts erbeuten.
Jede Kunst, jede Wissenschaft, sie werde schon oder hsisslich genannt, erfordert
Fleiss, Miihe, timing; auch Dichter und Redner, wenn man, wie gemeiniglich, ihre
Werke fiir die einzigen schb'nen Wissenschaften halt, wurden nie ohne Fleiss, ohne
Miihe gross.
288 Padagogische Monatshefte.
Was unsre Seelenkrafte bildet, ist schon, was uns nicht dazu bildet, verdient
den Namea der schonen Wissenschaften nicht, wenn es auch iiber und iiber mit
Goldschaum bekleckt ware.
Schone und ernste Wissenschaften konnen einander nicht entgegengesetzt wer-
den, denn die schonen Wissenschaften sind keine Hofspassmacher; auch sie haben
ernsthafte Zwecke und befordern sie durch ernsthafte Mittel und Regeln.
Keine Wissenschaft nennt man schon, wenn sie nur unser Gedachtnis martert,
wenn sie uns Worte ohne Gedanken, Satze und Behauptungen ohne Licht, ohne
Beweis, ohne praktisches Urteil darlegt, kurz, wenn sie keine von unsern Seelen-
kraften bildet. Sobald sie dies tut, wird sie angenehm; und je rnehr sie's tut, je
mehr sie unsre Seelenkrafte, unsre Phantasie und Erfindungskraft, unsern Witz und
Geschmack, unser Urteil, insonderheit unser praktisches menschliches Urteil be-
schaf tigt, je mehr Seelenkrafte sie auf einmal beschaftigt, desto — bildender
ist sie, und jedermann fiihlt's und sagt's, auch desto s c h 6 n e r.
Von Kindheit auf empfangen wir den besten Teil unsers Wesens von andern,
durch Unterricht, durch Erziehung, und gleichsam durch mitgeteilte Erfahrung.
Wer etwas weiss, muss es gelernt haben, und muss es so lange lernen, bis er's
weiss. Wer etwas konnen will, muss es getibt haben, und muss sich so lange iiben,
bis er's kann.
Lerne was, so kannst du was; lerne es recht, so kannst du es recht und weisst,
warum du es konnest; gegenteils bleibst du mit alien deinen Genieanlagen ein
Stumper.
Besitzt der Lehrer Methode, so kommt dadurch Ordnung in meinen Kopf, und
die halbe Wissenschaft ist Ordnung.
Nichts kleidet einen wirklich grossen Mann schoner als dies Gewand der Be-
scheidenheit, wenn man sieht, dass solche keine stolze Demut oder vielmehr ein
demiitiger Stolz, sondern das echte Gefiihl der Erkenntlichkeit und Wahrheit ist.
Nichts racht sich so sehr als ein versaumter Schulunterricht; nichts riicht sich
so sehr als eine vernachlassigte Grammatik, als hintangesetzte Prinzipien, auf denen
alle unsre Kenntnisse und ubungen beruhen. Mb'get ihr auf der hoheren Schule so
fleissig sein, wie ihr wollt, und ihr seid der niedrigen Schule halbfertig entlaufen,
so wird man euch immer ansehen, dass ihr, um eine wahre Gestalt zu bekommen,
noch einmal in den Ofen getan werden miisstet, weil der Teig immer nachher niisset,
oder das Gebilde kriippelhaft und elend ist.
Durch die Geographic wird die Geschichte gleichsam zu einer illuminierten
Karte fur die Einbildungskraft, ja fur die Beurteilungskraft selbst.
Die Schule sollte von jeder Wissenschaft, die fiir den Knaben dient, das Not-
wendigste, Wahreste, Wissenswerteste im schb'nsten und strengsten Umrisse geben,
und ich weiss nicht, warum sie es nicht ungescheut, ohne Riicksicht auf Zeiten und
Menschen, geben diirfte? Je reiner eine Wissenschaft gelehrt wird, desto schul-
massiger wird sie; und je schulmiissiger, desto reiner soil sie werden.
Aphorisrnen aus Herders Schulreden. 289
1st das Messer einmal gewetzt, so kann man allerlei daniit schneiden, und nicht
jede Haushaltung halt sich eben ein ander Gedeck, das Brot, ein andres das Fleisch
auseinanderzulegen. So ist es auch mit der Scharfe und Politur des Verstandes.
Scharfe und poliere ihn, woran und wozu du willst, genug, dass er geschilrft und
poliert werde, und gebrauclie ihn nachher nach Herzenslust, und nach deines Standes
Bediirfnis. Ob du an Griechen oder an Romern, ob an der Theologie oder der
Mathematik denken gelernt, d. i. deinen Verstand und dein Urteil, dein Gedilchtnis
und deinen Vortrag ausgebildet habest; alles gleich viel, wenn sie nur ausgebildet
sind und du mit so hellen, scharfen, polierten Waffen ins Feld der offentlichen und
der besonderen Geschafte eintrittst.
Der Sinn der Humanitat, d. i. der echten Menschenvernunft, des wahren
Menschenverstandes, der reinen menschlichen Empfindung ist ihm aufgeschlossen,
und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit, Genauigkeit und innere Giite iiber alles
schatzen und lieben.
Zur Menschheit und fur die Menschheit gebildet soil unser
Geist und Herz werden, und was uns dazu gebildet, ist studium humanitatis.
Da nun der Mensch fiir alle Geschafte des Lebens nichts Besseres lernen kann
als Aufmerksamkeit, zu sehen, was da ist, woraus es entspringt und was aus ihm
folget, so muss billig, wie Pythagoras an seinen Lehrsaal schrieb: ,,Niemand komme
ohne Geometrie herein!" an die Tiir der oberen Klassen eines Gymnasiums ge-
schrieben werden: ,,Niemand gehe ohne Geometrie heraus!"; und so wa'ren denn,
wenn wir alles zusammennehmen, Sprachen, Schreibart und Vortrag, Geschichte,
Philosophic und Mathematik, die schb'nen Wissenschaften, die die Jugend bilden,
also im edlen Sinne der Alten die humaniora. Sie geben unserm Verstande
Richtigkeit und Gewissheit, unsern Sitten Grundsatze, unserm Gedachtnis einen
niitzlichen Vorrat von Kenntnissen und Erfahrungen; unsrer Einbildungskraft ver-
schaffen sie einen edlen Flug iiber den tragen Gang des gemeinen Lebens und geben
zugleich unsrer Sprache Sicherheit und Anstand, eine gefiillige Harmonic und Ge-
echicklichkeit iiber jeden Gegenstand, iiber jedes Geschait des Lebens zu sagen und
zu schreiben, was fiir ihn gehoret.
Wir miissen mit der Zeit fortgehen, oder die Zeit schleppt uns fort, ans Zuriick-
gehen ist nicht mehr zu denken; gliicklich ist der, der willig geht, der nicht nur
seinem Nachbar mit Schritten zuvorkommt, sondern selbst der Zeit, die bisweilen
langsam schleicht, und dem Bediirfnis, das sich zuweilen spat, aber sodann desto
grausamer und barter meldet, freudig und einsichtsvoll voreilet.
Kein edles Bild, keine grosse Gesinnung, Aufmunterung und Warnung, wenn es
musterhaft gedacht und gesagt ist, sollte bloss in unsern deutschen Biichern und
Bibeln stehen oder makulaturweise in unsern Buchladen liegen, sondern in den
Schulen sollte, wie auf der Tenne das Korn von der Spreu gesichtet, jedes Edelste
und Beste laut gelesen, auswendig gelernt, von Jiinglingen sich zur Regel gemacht,
und in Herz und Seele befestigt werden
Subordination und piinktlicher Gehorsam muss, sowie im Kriegsheer und auf
dem Schiff, so bei jedem offentlichen Geschaft sein, an welchem mehrere zu arbeiten
haben; also gewiss auch in der Schule. ,
290 Padagogische Monatshefte.
Hiervon bin ich so iiberzeugt, dass ich das Schulgeschaft wie eine Hollenqual
des Sisyphus und der Danaiden ansehe, solange der Lehrer nicht vollig in seiner
Klasse Herr, seiner Schiller miichtig und eines jeden Winkes, den er gibt, gewiss ist.
Gottliche, edle Talente im Menschen unbenutzt liegen, verrosten und sich selbst
aufreiben zu lassen, ist nicht nur Hochverrat gegen die Menschheit, sondern der
grosseste Schade, den ein Staat sich selbst zufiigen kann.
Lernt erzahlen, berichten, fragen und antworten; zusammenhangend, an-
dringend, klar, natiirlich schreiben, verniinf tige Ausziige, Tabellen, Expositionen und
Deduktionen der Begriffe machen; lernt, was ihr denkt, wollt, sagen. Die Zeit ge-
bietet's, die Zeit fordert's.
Im Willen leben wir; das Herz muss uns verdammen oder trosten, starken
oder niederschlagen, lohnen oder strafen; nicht auf Kenntnisse allein, sondern auf
Charakter und Triebe. auf die menschliche Brust ist die Wirksamkeit und der Wert,
das Gliick oder Ungliick unsers Lebens gebauet.
Jeder Lehrer muss seine eigene Methode haben, er muss sie sich mit Verstand
erschaffen haben, sonst frommt er nicht.
Nun aber gibt's wohl keinen verachtlicheren Titel, ja f iir sich und andere wohl
kaum eine grossere Last des Lebens, als zeitlebens in seinem und jedem Geschaft
ein Stiimper zu sein und zu bleiben, kein eigenes Land, wo wir recht zu Hause sind,
sich angeeignet zu haben, in dem wir mit Gewissheit des Eigentums, mit Ehre und
Freude wohuen.
Die Prinzipienerklarung der diesjahrigen Tagung
der N. E. A. in St. Louis.
— In Ermangelung eines ausfiihrlichen Berichtes iiber die naheren Vorgange
auf der diesjahrigen Tagung der N. E. A. in St. Louis bringen wir nachstehend die
am 1. Juli von den Kollegen angenommene Prinzipienerklarung.
Schulaufsicht, Lehrergehalter, Ausbau der Volkshochschule und der Landschule,
Kinderarbeit, Gleichstellung der Lehrer i n mit dem Lehr e r und Schulsteuern sind
einige der Punkte. zu denen die N. E. A. Stellung nimmt. Aus gutem Grunde nennen
wir hiermit die Namen, die die ,,Platform" gezimmert haben: Chas. D. Mclver,
North Carolina; John W. Carr, Indiana; Amelia C. Fruchte, Missouri; Margaret A.
Haley, Illinois; Anna I. Smith, Dist. Col.; Augustus S. Downing, New York; S. Y.
Gillan, Wisconsin.
Punkt 8 werden sich unsere weiblichen Leser jedenfalls herausschneiden. In
Punkt 9 beriihrt die N. E. A. eine ernste soziale Frage. Wir konnen leider nicht
angeben, ob die N. E. A. bei ihren sonstigen Verhandlungen der Lb'sung der Frage
naher getreten ist. Zu wiinschen ware es gewesen. Punkt 10 ist auf jene amerika-
nischen Stlidte gemiinzt, in denen der Schulrat ernannt statt vom Volke gewahlt
wird. Der Verfasser dieses Punktes diirfte den Milwaukeer Lesern der P. M. be-
kannt sein. Auch die Hand der mutigen Streiterin Marg. A. Haley ist im elften
Absclmitte unschwer zu erkennen.
Die Prinzipienerkldrungder N. E. A. in St. Louis. 291
Die Prinzipienerklarung kennzeichnet den Geist, der die St. Louiser Verhand-
lungen der N. E. A. beseelte, und wir empfehlen sie deshalb der Beachtung unserer
Leser. Sie folgt hiermit unverkiirzt in der tibersetzung :
E r s t e n s : Wir kb'nnen nicht oft genug das erzieherische Credo hervor-
heben, das vor mehr als hundert Jahren zum ersten Male verkiindet wurde,
namlich: ,,Da Religion, sittlicher Lebenswandel und Bildung notwendige Be-
diagungen zu einer guten Regierung und zur Gliickseligkeit der Menschen sind,
so sollen Schulen und die Mittel, die Menschheit zu erziehen, zu alien Zeiten
gefordert werden." Diese Erklarung unserer Vater klingt uns heute wie ein
erneuter feierlicher Ruf, wenn wir daran denken, dass in manchen Teilen unse-
res gemeinsamen Vaterlandes die einfachsten Fragen der Volkserziehung —
ortliche Besteuerung; die Verbindung und Kraftigung schwacher Schulen; ver-
niinftige Beaufsichtigung; geeignete Anerkennung des Lehrers als eines Er-
ziehers im Schulsystem: Schulbibliotheken und gutvorgebildete und gutbe-
zahlte Lehrer — noch immer grosstenteils nicht gelost sind.
Zweitens: Wir erlauben uns deshalb, die Auf merksamkeit auf die
Notwendigkeit eines fahigen, taktvollen Aufsichtsbeamten fiir jede Stadt, jedes
Dorf und County und jede staatliche Volksschule zu lenken. In dieser Stellung
werden Fiihrer benotigt, die nicht allein fahig sind, das Beste, was der Lehrer
zu leisten imstande ist, zu verstehen und anzuregen, sondern die ebenfalls die
Eigenschaften eines Fiihrers des Volkes zu dem Zwecke besitzen, um die An-
teilnahme aller Klassen des Volkes wachzurufen, damit jeder zukiinftige Bur-
ger der Republik die allerbeste Gelegenheit zur Bildung fiir seine gesellschaft-
liche und staatliche Wirksamkeit erhalt.
Drittens: Die Beschaff enheit der Arbeit eines Lehrers erf ordert ganz
von selbst, dass diese Arbeit nur Mannern und Frauen von Bildung und von
geistiger und sittlicher Kraft anvertraut werde. Ungeniigende Bezahlung fur
erzieherische Arbeit treibt manche tiichtige Kraft aus dem Schulzimmer und
verhindert viele strebsame Manner und Frauen, den Lehrerberuf zu ergreifen.
Es gereicht weder dem Lehrerstande noch dem Volk zur Ehre, dass man den
Lehrern unserer Kinder, selbst wenn man sie zu dem Preise erhalten kann, die
niedrige Summe von jiihrlich dreihundert Dollars zahlt, was ungefahr das
jahrliche Durchschnittsgehalt eines Lehrers in den Ver. Staaten ist.
Viertens: Das Bureau der Erziehung zu Washington sollte in seiner
Vollkommenheit erhalten bleiben und die Bedeutung seiner Stellung vergrb'ssert
werden. Ihm sollten von unsern Gesetzgebern die Anerkennung und die Geld-
bewilligungen zuteil werden, die es in den Stand setzen, nicht nur die not-
wendige fachmannische Hilfe in Dienst zu stellen, sondern auch die Resultate
von Untersuchungen in passender und brauchbarer Form herauszugeben, damit
auf diese Weise dieses Departement unserer Regierung zu einer Quelle werde,
aus der das Volk solche Auskunft und solchen Rat schopfen kann, die der
Sache der Erziehung am meisten niitzen.
Fiinftens: Wir erlauben uns f erner, die Notwendigkeit des Ausbaus
der Volkshochschulen hervorzuheben, wo immer diese in geeigneter Weise
unterhalten werden konnen, damit die grosstmb'gliche Zahl derjenigen, die die
Elementarklassen durchlaufen haben, den Vorteil einer guten Erziehung ge-
niesst, und ferner auch aus dem Grunde, weil in den Elementarklassen der
Volksschule meist nur solche Lehrer unterrichten, die keinen andern Unter-
richt als den einer Volkshochschule erhalten haben.
Sechstens: Solange mehr als die Hiilfte unserer Bevolkerung auf dem
292 Pddagogische Monatshefte.
Lande wohnt, sollten die Landschulen und deren Aufgaben von der N. E. A.
aufs sorgfiiltigste beriicksichtigt werden. Die Republik nimmt wesentlichen
Anteil an der erzieherischen Entwisklung eines jeden Teiles ihres Gebietes. In
unserem Bunde von Staaten und Territorien, und in unsern abhangigen Staats-
wesen sollte es nirgends vernachlassigte Volksmassen geben.
Siebentens: Wir sind der Ansicht, dass nur das Verdienst die An-
stellung und Beibehaltung von Lehrern bestimmen sollte; dass nach ange-
messener Probezeit die Stellung, solange die Tiicbtigkeit und gute Fiihrung
des Inhabers ausser Zweifel steht, lebensliinglich sein sollte; und dass Be-
fb'rderungen auf Fahigkeit, Erfahrung, Pflichttreue und jene Erweiterung von
Kenntnissen, wie sie die tagliche Ausiibung des Berufs und die Hingabe an die
Aufgaben der Erziehung mit sich bringt, gestiitzt werden sollten. Wir loben
besonders die Bern iihungen, die in manchen Teilen des Landes jetzt gemacht
werden, durch welche Lehrer, Schulbehorden und Volk in einmiitiger Weise
den Lehrern bessere Gehalter sichern, und bessere Mittel ergreifen zur Be-
wahrung der Rechte und Freiheiten aller und zur Erhohung der Leistungs-
fahigkeit der Schulen.
A c h t e n s : Wir erklaren f erner, dass, falls gleicher Charakter und
gleiche Tiichtigkeit und gleiche erfolgreiche Tatigkeit zugestanden wird, die
Frauen in gleicher Weise wie die Manner zu den Ehren und Vorteilen des
Lehrerberufs berechtigt sind.
Neuntens: Wir bef iirworten die Annahme und strenge Durchf iihrung
von geeigneten Gesetzen, die auf die Kinderarbeit (in Fabriken) Bezug haben,
damit die geistige, sittliche und korperliche Wohlfahrt des Kindes geschiitzt
und damit die erzieherische Entwicklung zu amerikanischem Biirgertum gefor-
dert werde.
Zehntens: Die Verantwortlichkeit f iir den guten oder den schlechten
Zustand der Schulen liegt ganz in der Hand des Volkes, und deshalb sollte die
Volksschule dem Volke so nahe als moglich bleiben. Zu diesem Zwecke heissen
wir den Grundsatz von der lokalen Volksregierung in alien Schulangelegen-
heiten gut.
E 1 f t e n s : Da die Erziehung eine offentliche Angelegenheit von der
grossten Wichtigkeit ist, so sollte unsere Volksschule durch Besteuerung voll-
standig und in geniigender Weise unterhalten werden; und Steuergesetze soll-
ten gerecht und streng durchgefiihrt werden sowohl in bezug auf die Steuerein-
schatzung als auch in bezug auf die Eintreibung der Gelder.
Zwb'lftens: Wir sprechen derWeltausstellungsbehorde Dank und
Gliickwunsch dafiir aus, dass sie bei der Klassifizierung der Ausstellungsgegen-
sttinde den Schulen don ersten Platz eingeraumt hat; wir danken ihr fiir die
Lage und die Pracht des Erziehungsgebaudes und fiir die Ausdehnung und die
Anordnung der Schulausstellung. Eine solche Anerkennung der Erziehung
steht im Einklange mit dem Geiste unserer Demokratie und wird die An-
teilnahme an der Volkserziehung auf der ganzen Welt rege machen.*) P. G.
*) Im Anschluss an die Worte beziiglich der Weltausstellung teilen wir unseren
Lesern mit, dass es uns gelungen ist, eine Reihe von Berichten aus berufenen Federn
iiber die Ausstellung in St. Louis, das Erziehungswesen betreffend, fiir die P. M. zu
sichern. Es sind vier Berichte vorgesehen: 1. Die Unterrichtsausstellung im all-
gemeinen. 2. Die Unterrichtsausstellung der Vereinigten Staaten; 3. die deutsche
Unterrichtsausstellung; 4. die Unterrichtsausstellung der Stadt St. Louis.
Das Gedachtnis nach der neuen Psychologic.
t)ber dieses Thema fiihrte G. Friedrichs im Lehrerverein zu Osnabriick folgen-
des aus:
Wohl keine geistige Funktion wird von der Schule mehr in Anspruch genom-
men, als das Gedachtnis. Es ist daher wolil angebracht, den gegenwartigen Stand-
punkt der Wissensehaft iiber das Gedachtnis festzustellen. Die alte Psychologic
geht aus vom Begriff ,,Seele". In ihr lasst sie samtliche geistige Vorgiinge sich ab-
spielen, ohne dem Gehirn den geringsten Anteil daran zuzugestehen. Nach der neuen
Psychologie dagegen ist jede geistige Funktion an einen Gehirnteil geknupft. Auch
bei dem Gedachtnisse ist das Gehirn in ganz hervorragender Weise beteiligt. Im
Jahre 1861 gelang es Broca, einwandsfrei nachzmveisen, dass das artikulierte
Sprachvermb'gen an die zweite und besonders an die dritte Stirnwindung geknupft
ist. Sodann wurde nachgewiesen, dass der Gehb'rsinn seinen Sitz in den Schlafen-
lappen, der Gesichtssinn in dem Hinterhauptslappen und der Gefiihlssinn in dem
Scheitellappen hat. Zwischen diesen Sinnesgebieten sind Assoziations- oder Be-
griffszentren eingelagert. Das gesprochene Wort setzt sich als ein Lautbild in dem
Gebiete des Gehbrsinnes fest. Wird das Wort nicht nur mechanisch aufgefasst,
sondern auch verstanden, so muss es von dem Lautbildzentrum in der Gehbrsphiire
zu einem Assoziations- oder Begriff szentrum wandern; denn nur diese vermitteln
das Verstandnis. Um ein Wort auszusprechen, ist die Bewegung bestimmter Ar-
tikulationsorgane notwendig, die nur durch ein sogenanntes motorisches Sprach-
zentrum zustande kommen kann. Wird ein Wort ohne Verstandnis nachgesprochen,
so durchlauft es nur das Ohr, das Lautbildzentrum und das motorische Sprach-
zentrum, ohne das Begriffszentrum zu beriihren. Ahnlich verhalt es sich mit den
geschriebenen oder gedruckten Worten. Ist die Verbindung zwischen dem Laut-
bildzentrum und dem Begriffszentrum gestbrt, so werden die Worte wohl gehbrt,
aber nicht verstanden. So berichtet Kussmaul von einer Frau, welche das Ticken
einer Uhr klar vernahm, den Klang zweier Hausglocken unterschied, vorgesprochene
Vokale nachsprach, gesprochene Worte aber nur als ein verworrenes Gerausch hb'rte,
wie sie spater nach ihrer Gesundung selbst erzahlte. Kussmaul nennt diese Krank-
heit Worttaubheit und die entsprechende bei der Schrift Wortblindheit. Funktio-
niert das Sprechzentrum nicht, so ist jedes Sprechen ausgeschlossen. Auch hierzu
ein Beispiel. Ein bliihender junger Beamter verliert, ohne dass irgend eine Lahm-
ung eintrat, ganz seine Sprache. Er konnte jedoch alle seine Geschiifte schriftlich
abmachen. Nach seiner Besserung erzahlte er: ,,lch hatte alle Worte vergessen,
hatte aber alle meine Kenntnisse und meinen ganzen Willen. Ich wusste sehr wohl,
was ich sagen wollte, aber nicht konnte. Ich verstand alles vollkommen, machte
alle Anstrengungen zu antworten; aber es war mir unmbglich, mich der Worte zu
erinnern. Im iibrigen konnte1 ich alle Bewegungen der Zunge und Lippen mit
Leichtigkeit ausfiihren."
Zwischen den verschiedenen Wortbildzentren bestehen vielfache Verbindungen.
Daraus erklart sich auch, dass Stb'rungen in einem Zentrum fast regelmassig
solche in anderen nach sich ziehen, sodass Falle, in denen nur ein einziges Zentrum
zerstb'rt ist, sehr selten sind.
Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass das Gedachtnis nicht eine Einheit, son-
dern eine Vielheit ist, dass wir nicht ein Gedachtnis, sondern viele Gedachtnisse
294 Padagogische Monatshefte.
haben. Fiir die Schule 1st diese Kenntnia von grossena Nutzen. So ist es nicht einer-
lei, ob die Kinder bei der Schreibung eines Wortes das Schreibzentrum von dem
Lautbildzentrum her oder von dem Schriftbildzentrum her in Bewegung setzen.
Da das Lautbild sich in vielen Fallen nicht mit dem Schriftbilde deckt, so werden
Kinder, die das Lautbild beim Schreiben verwenden, bedeutend mehr Fehler maclien,
als diejenigen, welche durch das Schreibbild das Schreibzentrum in Bewegung setzen.
Das Gedachtins beruht auf Nervenfunktionen. Ware das nicht der Fall, so
ware es unerklarlich, wie mit der Zerstorung oder Ausschaltung von bestimmten
Nervenpartien auch bestimmte Teile des Gedachtnisses verloren gehen konnten.
Dass letzteres aber tatsachlich der Fall ist, zeigen eine Anzahl von Beispielen, die
von anerkannten Autoritaten beobachtet sind. Viele derselben sprechen dafiir, dass
jede Zahl, jedes Wort, jedes Bild u.s.w. ganz bestimmte Nervenzellen, vielleicht auch
Komplexe solcher Zellen in Anspruch nimmt. Ribot teilt z. B. mit, dass ein Soldat,
der bei einer Gehirnoperation etwas Gehirnsubstanz verlor, die Zahlen 5 und 7
nicht mehr wusste. Ferner erwahnt er einen Kranken, der durch ein Fieber die
Kenntnis des Buchstaben f einbiisste. Kussmaul f iihrt einen Mann an, der nach
einer Kopfverletzung die Dingworter verloren hatte. Man braucht nicht zu fiirchten,
dass bei der eben erwahnten Annahme nicht genug Nervenfasern zur Leitung und
genug Nervenzellen zur Aufbewahrung und Reproduktion der Reize vorhanden
waren, denn die Nervenzellen werden auf mindestens 1000 Millionen und die Nerven-
fasern auf 4 bis 5 Millionen geschatzt. Durch tibung und Gebrauch sind viele Ner-
venzellen vermittelst Nervenfasern zu Gruppen verbunden, die gemeinschaftlich mit
einander in Funktion treten. Ein Beispiel moge dies klar machen. Ein Kind will
das Wort ,,Bild" buchstabieren. Jeder Buchstabe des Alphabets befindet sich in
einen bestimmten Nervenzellenkomplex, ebenso das Wort ,,Bild". Buchstabiert das
Kind das Wort mit dem Schriftbilde desselben, so treten nacheinander die Buch-
staben des Wortes als Buchstabenbilder ins Bewusstsein und werden mit den Laut-
bildern derselben durch Nervenfasern verbunden. Die Herstellung dieser Ver-
bindungen geht nur langsam vor sich. Je haufiger sie aber wiederholt werden, desto
gelaufiger und fester werden sie, bis sie schliesslich fast von selbst funktionieren.
In dem zweiten Teile seines Vortrages verbreitete sich Referent iiber ver-
schiedene Arten des Gedachtnisses bei der Begriffs- und Schlussbildung und zeigte
dabei, dass sicheres Denken auch sichere und feste gedachtnissmassige Verbindun-
gen erfordert. Da diese aber nur auf Gebieten vorhanden sein konnen, die man be-
herrscht, so ist es klar, dass auf unbekanntem Gebiete leicht die tollsten Trug-
schliisse gemacht werden. Denken ohne Stoff ist unmoglich. Die zum Denken
nb'tigen Stoffe aber konnen nur durch die Sinne geliefert und dann im Gedacht-
uisse aufbewahrt werden. Albrecht Rau sagt: ,,Unser Verstand schafft nichts
Neues, er ist kein Organ des Begreifens oder Verstehens, sondern sein Begreifen
beruht nur auf einem methodischen Anordnen. Ohne Inhalt und Gegenstand ist
der Verstand ein blosses Wort, ein Nichts, ein Auge ohne Licht, ein Ohr ohne Klang.
Den Verstand bloss formal schulen oder bilden zu wollen, ist ein Speisen von
Luft, ein Atmen im Vakuum, ein Gehen ohne Boden, ein Emporsteigen ohne Leiter;
es ist kurz eine Ungereimtheit. (Aus der Schule — fur die Schule).
Berichte und Notizen.
I. Ko rrespo ndenzen.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Cincinnati.
Leider ist das Wenige, das ich zu be-
richten habe, nicht durchweg angeneh-
mer Art. Andere mogen davon unter-
richtet gewesen sein, jedoch vorgezogen
haben die vollendete Tatsache, um die es
sich handelt, in den gegenwiirtigen Zeit-
laufen der Besteuerung, der bevorstehen-
den Wahlschlacht und anderer ein-
schlagiger Kleinigkeiten nicht an die
grosse Glocke zu hiingen. Mir personlich
ist der Seifensieder erst vor kurzem auf-
gegangen, als ich einer hiesigen deut-
schen Zeitung die traurige Kunde ent-
nahm, dass die verflossene Staatslegis-
latur fiir gut befunden habe, die
festeste Saule des deut-
schen Unterrichts in den
offentlichen Schulen von
Ohio zu stiirzen: das Gesetz
namlich, welches bestimmt, dass die
deutsche Sprache in alien Schuldistrik-
ten des Staates gelehrt werden muss,
wo fiinfzig in dem Distrikte stimmbe-
rechtigte Burger solchen Unterricht ver-
langen. Es sei, so sagt die Zeitung, nicht
angjingig gewesen, auf der ferneren Bei-
behaltung dieses Gesetzesparagraphen zu
•bestehen, weil dann die durch den neuen
Schulkodex beabsichtigte Einheit des
Schulwesens im ganzen Staate gefahrdet
oder nicht durchfiihrbar geworden ware;
doch sei dem deutschen Unterrichte da-
mit keine Gefahr erwachsen. ,,Die Kunde
hor ich wohl, doch mir fehlt der Glaube,"
oder, nach einer anderen Lesart, ,,ich
here die Vogel und sehe sie nicht!"
Wenn auch — ich spreche von Cincinnati
— bei der jetzigen Zusammensetzung
unseres Schulrates und voraussichtlich
auch des bald zu wiihlenden neuen, kei-
nerlei Gefahr der Beschneidung oder gar
der Abschaffung des deutschen Unter-
richts vorhanden zu sein scheint, so iat
eben doch die schone Zeit auf Nimmer-
wieder verschwunden, wo die Deutschen
von Ohio irgend einer Schulbehorde in
aller Gemiitlichkeit sagen konnten: Ihr
k 6 n n t den deutschen Unterricht nicht
abschaf fen ! oder auch : Ihr m ii s s t das
Deutsche einfiihren — das Staatsgesetz
verbietet euch das erstere, es gebietet
euch das letztere, je nach Umstanden.
Damit ist es hier und anderswo in Ohio
jetzt gi-iindlich vorbei; jeder Schulrat
hat auch beziiglich des deutschen Unter-
richts freie Hand, alleinige Befugnis;
und da ist das klassische Wort wohl er-
laubt: ,,Der Teufel traue!"
Auch wir hatten uns eines kurzen, mit
einem Vortrage — das Thema war das
gleiche wie in Milwaukee — verbundenen
Besuches des beriihmten Piidagogen,
Professor Rein, zu erfreuen, und
ausserdem Gelegenheit, seiner gernut-
vollen anheimelnden Personlichkeit,
wenn auch, der Umstande halber, in sehr
engem Kreise, wenigstens einigermassen
naher zu treten. Dem, was Milwaukee
iiber diesen magister mundi in der letzten
,,P. M."-Nummer zu sagen hatte,
schliesst Cincinnati gewiss sich an, das
zu behaupten iibernehme ich.
Man riistet sich augenblicklich hier auf
die festliche Begehung eines welter-
schiitternden Ereignisses : Die I n -
stallierung eines neuen
Rektors der McMicken-
Universitat. Die Elite der Uni-
versitiitsprofessorenschaft im Lande
wird zur Teilnahme an dem Festaktus
erwartet; der President der Vereinigten
Staaten von Nord-Amerika wurde dazu
eingeladen, desgleichen der Exprasident
Grover Cleveland — beide werden aber
durch notgedrungene Abwesenheit gliin-
zen. Der beriihmte Herr heisst Dabney
und kommt von Tennessee. Moge die
neue Ara, die er inaugurieren soil, von
recht langer Dauer sein!
Allhier wurde bereits der Anfang ge-
macht mit den Vorbereitungen fiir eine
auf den 9. Mai 1905 festgesetzte wiirdige
Todesfeier Friedrich von
S c h i 1 1 e r s, des Lieblingsdichters al-
ler Deutschen, wo immer sie auch leben.
Die ,,Deutsche Taggesellschaft" hat die
Sache in die Hand genommen, und sie
besitzt in ihrem Priisidenten, dem ehe-
maligen Lehrer, jetzt Advokaten, Richter
A. H. Bode, den rechten Mann fiir eine
ihrer hohen Bedeutung angemessene
Durchfiihrung. Die deutschen Lehrer, in
deren Versammhing wiihrend des an-
fangs September stattgefundenen
Teachers' Institute durch einen Vortrag
iiber die ,.Frauengestalten in Schillers
Wilhelm Tell" der erste Ton in Cincin-
296
Padagogische Monatshefte.
nati angeschlagen wurde, sind ausserdem
durch die Vorsitzer von drei der mit-
wirkenden deutschen Vereine (,,Turnge-
meinde", ,,Deutscher Lehrerverein",
,,Deutscher Oberlehrerverein") aktiv an
dem Arrangement der Feier beteiligt.
Cincinnati wird gewiss auch dieses Mai
Ehre einlegen. * * *
Milwaukee.
Suppenkiichen fiir die Schulen. Der
hiesige Frauen-Verein fiir Wohltatigkeit
hat in Verbindung mit der Schulbehorde
beschlossen, fiir bediirftige Schulkinder
in den offentlichen Schulen Suppen-
anstalten einzurichten, so dass Kindern
von armeren Eltern ein warmes Essen,
wenigstens ein Teller Suppe mit Gemiise
wahrend der Mittagspause im Winter
verabreicht werden kann. Das ist eine
sehr gute Idee. In den Schulen sind gar
manche Kinder, die zu Hause im kalten
Winter nicht einmal ein warmes Zimmer,
viel weniger noch eine warme Mahlzeit
zu erwarten haben. Die Kosten fiir diese
Einrichtung sollen durch freiwillige Bei-
trage gedeckt werden. Da kb'nnte man
denn die Kochschulen gut verwenden,
und es ware recht praktisch und wiin-
schenswert, wenn die jungen Madchen in
den Kochschulen lernten, wie man eine
gute Suppe kocht, anstatt nur zu lernen,
wie man cakes und pie backt, und
hb'chstens noch, ein beefsteak zu braten.
Ob wohl die gelehrten Kochkiinstlerin-
nen, die als Lehrerinnen fungieren, alle
verstehen, eine kraftige und schmack-
haf te Gemiisesuppe zu bereiten ? Doch wir
wollen einstweilen diese Frage als eine
offene betrachten. Recht schon ware es,
weun in dieser Weise unsere Kochschulen
einen praktisch en Nutzen aufweisen
konnten. Ich glaube, es sind eine
Menge Skeptiker in Milwaukee, denen
der praktische Nutzen unsrer Kochschu-
len noch immer nicht recht einleuchten
will.
Freie Schulbiicher. Jetzt hat auch der
Schulrat beschlossen, einen Fond zu
bilden, urn Kindern von bediirftigen
Eltern die Schulbiicher frei zu liefern,
was bis jetzt durch Privatpersonen ge-
schehen ist. Viel Weisheit, Takt und
Gerechtigkeitsgefiihl wird dazu gehoren,
um hier die richtige Auswahl zu treffen.
Ebenso auch von seiten der Lehrer und
Prinzipale bei Austeilung der Biicher, um
den betreffenden Kindern eine Art der
Beschamung vor den andern zu ersparen.
Applikanten werden sich wohl genug ein-
stellen, auch solche von den Eltern, die
nicht sowohl bediirftig und notleidend
sind, als vielmehr frisch und frei, und
nicht besonders verschamt veranlagt.
Man hat nun dieses Amt, namlich die
Auswahl solcher Eltern zu treffen, den
Schulpolizisten (Truant officers) iiber-
weisen wollen, aber diese scheinen nicht
grosse Lust dazu zu haben, umsomehr da
sie schon genug, und mehr als genug, zu
tun haben, um nur die Schulschwanzer
ausfindig zu machen und sie den betref-
fenden Schulen zuzuweisen. Bisher hat
man nur die Prinzipale damit betraut,
diese Auswahl zu treffen, und ich glaube,
dass sie es an Takt und Diskretion nicht
haben fehlen lassen. Es werden voraus-
sichtlich eine grossere Anzahl sich mel-
den als bisher, denn die Kasse der Pri-
vatpersonen wurde meistens mit dem
ominosen Namen ,,Poor fund" benannt.
Wenn aber nun die Stadt der Lieferant
wird, so werden manche die Gelegenheit
benutzen, die es nicht so notig haben,
um so mehr, da ja schon ofter die Frage
der allgemeinen freien Schulbuchliefer-
ung durch die Stadt ventiliert worden
ist. Ich muss bekennen, dass ich mich
zu dieser Idee noch nicht aufschwingen
kann. Aber ich glaube, dass wir in
unsern oiFentlichen Schulen eine ganze
Menge Biicher haben, die recht wohl ent-
behrlich waren fiir die Schiiler, und die
nur dazu dienen, um die Taschen der
ohnehin schon reichen Herausgeber und
Lieferanten zu fiillen. A. W.
New York.
Verein deutscher Speziallehrer, New
York. Dass Sie im letzten Jahre keinen
Bericht von unserein Verein erhielten,
hat semen Grund in dem bedauerlichen
Umstande, dass unser Mitglied Karl
Herzog aus Gesundheitsriicksichten die
Versammlungen nicht regelmiissig be-
suchen konnte und schliesslich als Be-
richterstatter resignierte. Als der Unter-
zeichnete an dessen Stelle gewahlt
wurde, war bereits mehr als die Hiilfte
des Schuljahres verflossen, und die Vor-
kommnisse in den letzten Sitzungen
schienen nicht wichtig genug, um darti-
ber speziell zu berichten.
Die Vorstandswahl in der Maiver-
sammlung brachte einige Veranderungen.
An Stelle des Vizepriisidenten Hiilshof,
der wegen geschwiichter Gesundheit sich
nicht mehr aktiv beteiligen konnte,
wurde Kollege Stampe gewahlt, und an
Stelle unserer seitherigen Schriftfiihrerin
Frl. Constantini, die eine lange Reihe
von Jahren treu und gewissenhaft ihres
Amtes gewaltet und dringend ihre Ent-
lassung verlangt hatte, war bereits im
Jamiar Frl. Luther gewahlt worden.
President Scholl und Schatzmeistein
Frau Richter haben sich seit Jahren so
gut bewahrt, dass ihre Wiederwahl ohne
irgend welche Opposition erfolgte.
Am 18. Juni machten die Vereinsmit-
glieder und deren Angehorige einen Aus-
Berichte und Notizen.
297
flug nach Staten Island, der alien Be-
teiligten einige heitere und genussreiche
Stunden bereitete.
Am 29. September hielt der Verein
seine erste Versammlung im neuen
Schuljahre. Beschliisse von besonderer
Wichtigkeit wurden nicht gefasst und
der Bcsuch war schwach, was teilweise
dem Umstande zuzuschreiben ist, dass
manche Mitglieder in den entlegensten
Distrikten von Gross New York ange-
stellt sind und das Versammlungslokal
nicht rechtzeitig erreichen konnen. Be-
kanntlich wird jetzt deutscher Unter-
richt in den Volksschulen aller fiinf
Borough von Gross New York erteilt,
wahrend friiher nur dip Boroughs Man-
hattan und Bronx diesen Vorteil genos-
sen. Allerdings war friiher in diesen
zwei Boroughs der Unterricht auf die
letzten zwei und ein halb Schuljahre
ausgedehnt, wahrend er jetzt auf das
letzte Schuljahr beschrankt ist. Doch
muss beriicksichtigt werden, dass friiher
die Unterrichtszeit per Klasse und
Woche nur 100 Minuten betrug, wahrend
gegenwartig im letzten Schuljahre jeden
Tag 40 Minuten diesem Gegenstande ge-
widmet werden. Wenn auch die neue
Einrichtung durchaus nicht den An-
forderungen an einen gi-iindlichen und
ausreichenden deutschen Unterricht ent-
spricht, und wenn namentlich zu be-
dauern ist, dass jetzt eine weit geringere
Anzahl von Kindern an dem Unterricht
teilnimmt als friiher, so ist die Neuer-
ung immerhin als ein entschiedener
Fortschritt zu bezeichnen, und die Re-
sultate sind im Ganzen besser als friiher.
Quantitativ haben wir verloren, hingegen
qualitativ gewonnen. D. Adler.
Der ,,Verein Deutscher Lehrer von
New York und Umgegend" hielt seine
erste Sitzung im neuen Schuljahre am
ersten Oktober im Deutschen Pressklub.
In Anbetracht dessen, dass der ein-
ladende Sekretar und Finanzsekretar
unseres Vereins, Herr Boos, seine Mit-
gliederliste verlegt und die Einladungs-
karten aus dem Gedachtnisse addressiert
hatte, war der Besuch ein sehr zahl-
reicher. Obwohl kein Vortrag oder
sonstige Geschafte vorgesehen waren, ge-
staltete sich die Sitzung zu einer
iiusserst interessanten, unterhaltenden
wie belehrenden durch das Verlesen
einiger Berichte iiber unsre Sitzungen
im verflossenen Vereinsjahre durch un-
seren allverelirten Herrn Geppert. Mit
kostlichem Humor und liebenswiirdiger
Satire, die aber keinen Stachel zuriick-
liess, gab unser ,,a 1 1 e r Herr" uns
jiingeren Sprosslingen ein Bild unseres
Tuns und Lassens. Da Herr Geppert uns
eine Fortsetzung seines wirklich humor-
istischen Bildes versprochen hat, und
ausserdem Herr Doktor Wahl uoer Wil-
helm Db'rpfeld und seine Bedeutung als
Padagoge sprechen wird, so diirfen wir
mit Zuversicht auf ein ,,volles Haus"
rechnen. Es diirfte auch weitere Kreise
interessieren zu erfahren, dass eines
unserer Mitglieder, der tiichtigsten und
beliebtesten einer, Dr. Karl Kayser,
an Stelle des verstorbenen Doktor Keller
zum Professor der deutschen Sprache am
New Yorker Normal College ernannt
worden ist. Der Neuerwiihlte erschien
gerade, als die Fassung eines Gliick-
wunschbeschlusses im Werke war, der
ihm denn auch sofort miindlich iiber-
mittelt wurde. Die Anwesenden tranken
dann, natiirlich auf Dr. Kaysers Rech-
nung, einen Gliick Auf! Schluck. Die
Finanzen des Vereins stehen gliinzend,
da sich bis jetzt kein Defizit eingestellt
hat. H. Z.
II. Umschau.
Vom Lehrerseminar. In seiner Ver-
sammlung am 19. d. M. bedachte der
Schwaben • Verein von Chi-
cago das Lehrerseminar mit einem
Geschenk von $100. Dem Verein gebiihrt
der aufrichtige Dank des Seminars fur
diese Schenkung, deren Wert nicht allein
darin liegt, dass der Anstalt damit eine
willkommene finanzielle Hilfe zuteil
wird, sondern auch darin, dass sie eine
Anerkennung ist fur die 26jahrige Tiitig-
keit des Seminars. Dieser Anerkennung
gab der Verein iibrigens auch durch ein
Schreiben seines Schatzmeisters, Herrn
G. F. Hummel, in der herzlichsten Weise
Ausdruck. Mochte dieses Beispiel andere
zur Nachahmung anspornen!
— Preisausschreiben. Das Komitee
fur dieGedenkfeier des hun-
dertsten Todestags Schil-
ler s, die durch das Zusammenwirken
des American Institute of Germanics und
des Schwabenvereins von Chicago veran-
staltet wird, bereitet ein ausgedehntes
Schillerfest fiir den Mai 1905 vor und
setzt Preise von je $75 aus fur zwei Pro-
loge in Versen, den einen in deutscher,
den anderen in englischer Sprache. Diese
Prologe sollen wahrend der Festtage zum
Vortrag gelangen, keiner jedoch darf
mehr als sieben Minuten in Anspruch
nehmen.
Alle Gedichte, die zur Preisbewerbung
298
Padagogische Monatshefte.
-eingesandt \verden, miissen sich im Be-
sitz des ,,Corresponding Secretary of the
Committee on the Schiller Comemora-
tion, 617 Foster St., Evanston, 111." spii-
testens am Mittwoch, den 1. Marz 1905,
befinden. Das Gedicht muss unter einem
angenommenen Namen eingesandt und
von einem verschlossenen Briefumschlag
begleitet werden, in dem sich der wirk-
liche Name und die Adresse des Verfas-
sers befindet.
Die Verbffentlichung der preisgekrbn-
ten Prologe behalt sich das Programm-
Komitee fur die Sehiller-Gedenkfeier vor.
Im Namen des Zentral Komitees,
Otto C. Schneider,
President des American Institute of
Germanics,
Ernst Hummel,
President des Schwabenvereins von
Chicago.
- Der Schulrat der Stadt Milwaukee
hat nun endlich die Erhohung der Ge-
htilter der Lehrer und Lehrerinnen bis
zu $150 iiber die bisherigen hb'chsten
Grenzen beschlossen. Nach sechsjahri-
gem Dienst steigt das Gehalt um $50,
nach neunjahrigem Dienst um weitere
$50, und nach nochmals drei Jahren ist
mit einer nochmaligen Zulage von $50
das Hbchstgehalt erreicht. Allerdings
kann der Biirgermeister den Beschluss
mit seinem Veto belegen, aber da 19 aus
21 Schulratsmitgliedern fiir die Mass-
regel gestimmt haben, so ist kaum an-
zunehmen, dass die Gehaltserhb'hung zu-
guterletzt noch Schiffbruch erleiden
kbnnte. Es ist also auch nicht mehr
nb'tig, dem Milwaukeer Schulrat, wie von
einem Wechselblatte vorgeschlagen
wurde wegen wiederholter Verschlep-
pung der Angelegenheit eine lederne Me-
daille zu iiberreichen. Die Milwaukeer
Lehrerschaft aber trifft der Vorwurf,
durch Lauheit imd Uneinigkeit in den
eignen Reihen die Verzbgerung mitver-
schuldet zu haben. Wir erinnern nur an
den Widerstreit der Meinungen zwischen
dem Prinzipalverein und dem Lehrer-
verein. Jeder Teil glaubte, allein ein
Anrecht auf den grbssten Batzen bei der
Gehaltserhb'hung zu haben. Man darf —
in den meisten Fallen — von dem Laien
nicht verlangen, dass er die Arbeit des
Lehrers zu wiirdigen versteht, und dass
er aus freien Stiicken bereit ist, dem
Lehrer eine wiirdige Entschadigung fiir
geleistete Dienste zuzuerkennen. Wo-
immer in letzter Zeit sich die Verhalt-
nisse der Lehrer gebessert haben, ist das
Ziel nur durch unablassigen Druck auf
die Schulbehbrden seitens einer einigen,
geschlossenen Lehrerschaft erreicht wor-
den. Hoffentlich hat die Annahme des
Schulratsbeschlusses die gute Folge,
dass sich die Milwaukeer Lehrervereini-
gung fester zusammenschliesst, um
durch verstandige, aufklarende Agita-
tion ihre guten Rechte wahren und auf
dem Errungenen weiterbauen zu kbnnen.
— Das Schulwesen Gross-New Yorks
ist von den dortigen Baugewerkswirren
schwer beriihrt worden. Bis zum Schluss
der Schulferien hatten achtzehn Schul-
bauten fiir 21,000 Schul kinder vollendet
sein sollen; aber in Folge der Arbeits-
stockungen im Baufache war dies nicht
mbglich; und so haben tausende von
Schulkindern im September nicht unter-
gebracht werden kbnnen.
— Der Pittsbiyger Distrikt des Ver-
eins der Prediger der Unabhangigen Ev.-
Prot. Kirche von Nordamerika fasste in
einer Versammlung folgenden Beschluss:
,,Der Predigerverein erklart seine voile
Sympathie mit den Bestrebungen des
Deutschamerikanischen Zentralbundes,
spez. fiir Einfiihrung des deut-
schen Sprachunterrichts in
unseren bffentlichen Schulen, und ver-
pflichtet seine Vereinsmitglieder, nach
besten Kriiften fiir diese Sache inner-
halb, wenn moglich auch ausserhalb ihrer
betr. Gemeinden dafiir mannhaft einzu-
treten."
— Leopold Clausnitzer hat das Amt
des Vorsitzenden des Deutschen Lehrer-
vereins, das er vierzehn Jahre lang be-
kleidet hat, niedergelegt.
— Nach einer Ausserung von Klara
Zetkin aus Stuttgart auf der Frauen-
konferenz des sozialdemokratischen Par-
teitages zu Bremen ist die Volksschule
(Deutschlands) das Aschenbrbdel des
modernen Staates, der fiir sein Heer und
seine Marine jiihrlich 1018 Millionen, fiir
die Volksschule dagegen nur 99 Millio-
nen ausgebe.
— Am 9. Mai 1905 werden hundert
Jahre seit dem Tode Schillers vergangen
sein. Mit Bezug hierauf erlasst die wei-
marsische Regierung folgende Ver-
fiigung: Das Nahen des Tages, an dem
vor 100 Jahren Schiller starb, legt auch
der Schule die Pflicht auf, in besonderer
Weise die Erinnerung an den Dichter zu
pflegen. Erfolgreicher als eine kurze
Schulfeier am Todestage wird dieser
Aufgabe dadurch entsprochen werden
kbnnen, dass wahrend des bevorstehen-
den Vierteljahres jede Schule es sich an-
gelegen sein lasst, im deutschen Unter-
richte eingehender als sonst, den Ver-
haltnissen und dem Standpunkt der
Schiiler entsprechend die Persbnlichkeit
und geeignete Werke des Dichters der
Jugend vorzufiihren.
Umschau.
299
— Die deutschen Lehrer Bbhmens,
die an der Sprachgrenze wirken,
schreibt die ,,Bayr. Lztg.", haben einen
schweren Kampf u m ihr Ba-
se i n zu fiihren. So wurde erst wieder
anfang September auf einen deutschen
Lehrer ein Mordanschlag ausgefiihrt.
Der deutsche Schulleiter in der Ge-
meinde Rb'scha war es, den die fanati-
schen Tschechen unschadlich zu machen
versuchten. Zum Gliick ging der An-
schlag fehl.
— In Ungarn liegt ein Entwurf eines
Volksschulgesetzes vor, der die un-
garische Sprache fiir alle Stamme des
Reiches zur Hauptsprache machen soil.
Nicht entsprechender Erfolg im magyari-
schen Sprachunterricht kann zur Ab-
setzung des Lehrers geniigen.
— Ein Komitee, das sich gebildet hat
behufs Erwerbung des Neuhofs bei
Brugg, auf dem seinerzeit Pestalozzi
sein Werk der Liebe an armen Kindern
getrieben hatte, erklart, dass es seine
Mission nicht ausfiihren kb'nne, da der
Besitzer des Neuhofs eine Summe als
Kaufpreis gefordert habe, die den wirk-
lichen Wert der Hauser und Grund-
stiicke um vieles iibersteigt. Es war be-
absichtigt worden, dort eine Anstalt im
Geiste Pestalozzis zu grunden.
— Um dem Auslander das Studium
der englischen Sprache und des eng-
lischen Lebens zu erleichtern, veranstal-
tete die ,,Teachers' Guild", der Lehrer-
verein der vereinigten Kb'nigreiche, ver-
gangenen Sommer in der Stadt London
zum ersten Male einen Ferienkurs. Von
dem Bediirfnis solcher Kurse zeugt die
rege Beteiligung, namlich 125 Herren
und 83 Damen. Deutschland hatte 66,
tisterreich-Ungarn 14, Frankreich 28,
Danemark 31, Schweden-Norwegen 32
Teilnehmer gesandt. Der Leiter der
Kurse, Prof. Walter Rippmann, ein
Deutscher von Geburt, erwartet eine
doppelt so starke Beteiligung im nach-
sten Jahre.
— Der franzbsischen Kammer ist ein
vom Abg. Limyau im Auftrag der
Budgetkommission abgefasster Bericht
iiberreicht worden, der die G e h a 1 1 s-
verhaltnisse der Volks-
schullehrer zum Gegenstand hat.
Die Gehaltserhohung ist notwendig, um
dem Lehrermangel abzuhelfen, der schon
jetzt besteht und infolge Schliessung der
Kongregationsschulen noch zunehmen
wird. Der Andrang zum Lehrerberuf ist
so gering, dass die Seminare nicht ein-
mal voll besetzt sind. — Im Interesse
der besseren Vorbildung der Volksschul-
lehrer ist es sehr wiinschenswert, dass
die, welche das hohere Examen bestan-
den haben, von Anfang gleich besser be-
zahlt werden als die, die nur das Ele-
mentarexamen abgelegt haben, damit
mb'glichst viele die hohere Priifung be-
stehen. Von den 105,416 franzbsischen
Volksschullehrern haben jetzt nur 40,585
das hohere Examen gemacht. Diese be-
ziehen aber jvahrend der ersten 15
Dienstjahre kein hbheres Gehalt als die,
die nur das Elementarexamen gemacht
haben. (Man. gen.)
- Bemerkenswert ist es, dass gerade
in Belgien, einem Lande, das durch sei-
nen Handel und seine Industrie eine her-
vprragende Stellung unter den Nationen
einnimmt, einem Lande, das verhaltnis-
massig die grbsste Bevolkerung Europas
auf weist, die Regierung fiir die
Volksschulbildung so we-
nig Sorge tragt. Obwohl die
Klerikalen seit jeher dies zu bemanteln
suchten, ist nunmehr von der Regierung
selbst durch Statistik vom Jahre 1900
festgestellt worden, dass tatsachlich auf
3,499,618 Personen von den Gemeinden,
die mehr denn 5,000 Einwohner aufzu-
weisen haben, insgesamt 1,135,765 Perso-
nen und auf 3,103,930 Personen von den
Gemeinden, die weniger denn 5,000 Ein-
wohner aufzuweisen haben, 1,002,277
Personen weder lesen noch schreiben
kb'nnen. — Demnach befinden sich unter
den 6,693,548 Einwohnern -- 2,138,042
Personen, die weder imstande sind, ihren
Namen zu lesen noch zu schreiben.
— Bekanntlich, so schreiben die ,,D.
Bl. f. erz. Unt.", ist im Friihjahr in Rom
an Stelle der alten deutschen Kapitol-
schule eine allgemeine deutsche
S c h u 1 e mit Hilfe eines Reichszuschus-
ses gegriindet worden. Gegen diese
Neugriindung erhob sich Widerspruch
von zwei Seiten, von katholischer und
von evangelischer. Es wurde von diesen
beiden Seiten die Griindung einer
deutsch-katholischen und einer prote-
stantischen Schule angekiindigt und in
Angriff genommen. Die Schaffung einer
deutschen protestantischen Schule nun,
fiir die sich ein Ausschuss seinerzeit bil-
dete, ist noch nicht durchgefiihrt. Da-
gegen ist nach den Mitteilungen des All-
gemeinen Deutschen Schulvereins der
Plan einer deutsch-katholischen Schule
so gut wie verwirklicht. Fiir die Er-
offnung einer solchen Anstalt, die von
den fratres carissimi geleitet werden
soil, ist der 1. Oktober festgesetzt wor-
den.
— Die deutsche Schule in Konstanti-
nopel zahlte letztes Jahr 559 Schiiler.
300
Padagogische Monatshefte.
— Der Schulrat von Bergen hat den
Antrag auf Einfiihrung von geinein-
samem Unterricht fiir Knaben und
Madchen abgelehnt.
— In Russland leben mehr als z w e i
Millionen Deutsche. In Rus-
sisch-Polen allein sind 1,200,000, und in
der Fabrikstadt Lodz, die allgemein als
deutsche Stadt bezeichnet \vird, sind 35
v. H. der Einwohner deutscher Nationa-
litat. In den baltischen Provinzen sind
300,000, ira ubrigen Russland 600,000
Deutsche. Vor allein ist Riga iiber-
wiegend deutsch, denn es zsihlt unter
175,000 Einwohnern 102,000 Deutsche.
Petersburg hat* 60,000, Warschau 15,000,
Odessa 12,000, Kiew 70,000 und das
Gouvernement Samara 200,000 Deutsche.
— Die Nachfrage nach geeigneten
Schullehrerinnen fiir SMafrika wachst
fortwiihrend. Das Educational Com-
mittee der Siidafrikanischen Kolonisa-
tions-Gesellschaft hat eine grosse Zahl
Lehrkrafte fiir alle Teile Siidafrikas ver-
langt. Das Gehalt in der Kapkolonie be-
tragt an Staatsschulen und vom Staate
unterstiitzten Schulen 60 bis 300 Pfund
Sterling jahrlich. Es werden Lehrkrafte
gesucht sowohl fiir den Elementarunter-
richt, als auch fiir das hohere Schul-
wesen. — In Grahamstown hat man ein
neues ,,Secondary Training College" er-
richtet. Die Ausbildung dauert 1 — 2
Jahre. Unterricht und Wohnung kostet
40 Pfd. St. Die Regierung bewilligt Sti-
pendien von 20—40 Pfd. St. fiir alle be-
sonders geeigneten Studenten, wie solche,
die in Oxford und Cambridge studiert ha-
ben u. s. w., solchen, die einen akade-
mischen Grad erreicht haben. Bewerber,
welche im ,,Training College" geniigt,
linden Anstellung nach Beendigung des
Kursus.
— Japan hat zwei Handel s-
hochschulen, in Tokio und Kobe.
Die Handelshochschule zu Tokio ging
aus einer Privatschule (Vicomte Mori
1875) hervor und steht seit 1885 unter
Leitung des Unterrichtsministers. Sie
umfasst einen einjahrigen Vorkurs, drei
Jahre im Hauptkurs und einen hoheren
Kurs von zwei Jahren. Facher dea
Hauptkurses sind: Kaufmannische
Moral, Handelskorrespondenz, kaufm.
Arithmetik, Handelsgeographie, Buch-
haltung, Maschinenlehre, Warenkunde,
Volkswirtschaft, Finanzwirtschaft, Sta-
tistik, Privatrecht, Konkursrecht, Han-
delspolitik, Volker- und internat. Pri-
vatrecht, Sprachen, Kontorarbeiten,
Turnen und militarische tibungen. Die
Schiiler des hoheren Kurses konnen das
Doktorat der Handelswissenschaften er-
\verben. Der Handelshochschule ist ein
Handelslehrerseminar (2 Jahre), das die
Ausbildung der Handelslehrer zur Auf-
gabe hat und ein Handelsmuseum ange-
gliedert. Zahl der Zoglinge (1903): 1084,
im Handelslehrerseminar 28. Die Han-
delshochschule zu Kobe wurde im Marz
1903 eroffnet. Eine dritte Anstalt ist in
Nagasaki geplant.
— Der Krieg und die japanische Volks-
schule. Aus Tokio schreibt man: In
Japan gibt es 109,000 Volksschullehrer.
Davon sind nicht weniger als 36,000 in
den Krieg gezogen. Nun waren die
Schulen schon vor dem Ausbruch dea
Krieges mit Lehrern schlecht versorgt;
man kann sich denken, wie jetzt, wo ein
weiteres Drittel derselben abgeht, die
Not gross ist. Man lasst in vielen
Schulen die Lchrer jetzt schon in zwei
Kursen, vor- und nachmittags unter-
richten. Das hat natiirlich seine grossen
Nachteile fiir Lehrer und Schiiler. Die
einen nutzt man zu sehr aus, ohne ihnen
dafiir einen Gegenwert in Erhohung des
Lohnes zu geben, die anderen werden
weder selbst den Unterricht mit glei-
chem Nutzen wie friiher geniesen, noeh
werden sie vom Lehrer die gleiche
Frische am Nachmittag, wie am Morgen
erwarten diirfen. Dennoch werden schon
Stimmen laut, dass man diese Neuein-
sichtung auch nach dem Kriege beibe-
halten will, um zu sparen. Es heisst
schon jetzt, dass man vielleicht einige
der Lehrerseminarien aus Geldmangel
zeitweise aufheben werden miisse. Wenn
man bedenkt, wie Klaglich der Volks-
schullehrer in Japa"ii bezahlt wird (mo-
natlich 10 bis 12 Yen = 24 bis 25 M!),
und wie wenig geachtet die Stellung ist,
die er einnimmt, wird man dieser Neu-
ordnung nur mit grosser Besorgnis ent-
gegensehen konnen.
III. Vermischtes.
* Die Tanzlehrer des Konigreichs monika werden, wo sie gebraucht wur-
Sachsen haben sich dariiber beschwert, den, jedenfalls aus der Turnstunde ver-
dass die Madchen schon in der schwinden. Dam it die Madchen aber
Schule tanzen lernten, wodurch nicht in Versuchung geraten, etwaige
sie, die Tanzlehrer, natiirlich in ihrem geradlinig gelernte Hopserschritte rund-
Broterwerb geschmalert wiirden. Es ist herum zu probieren, sind jedenfalls noch
dann auch schleunigst eine Untersuchung ernste Erwagungen in den beteiligten
erfolgt, ob dem so sei. Geige und Har- Kreisen notwendig. Vielleicht empfiehlt
Vermischtes.
301
sich die Einfiihrung einer besonderen dem solche Rohheiten mit ewigen Strafen
Inspektion durch Tanzlehrer, meint die belegt werden?" — Lange Pause, bis
,,L. L." einer den Finger hebt. -- ,,Nun?" —
* Der Kaiser und die Volksschulen. Der Kleine ruft: ,,Was Gott zusammen-
Bei seiner Anwesenheit in Kadinen be- gefugt hat, soil der Mensch nicht schei-
gab sich der Kaiser, wie der Graudenzer den."
,,Gesellige" berichtet, in Begleitung des * Wie ein Schulbube sich vom Schul-
Landrats v. Etzdorf in die dortige Leh- besuch befreien wollte. Einem zwolf-
rerwohnung, wo er sich einige Zeit mit jahrigen Bengel in Kl.-Koslau passte es
der Frau des Lehrers unterhielt. Hierbei schon lange nicht mehr, zur Schule zu
*»rkiinHicrt,« sich der Kaiser nach der crphpn. TTm ainh Awnn n.i/.i, ^, ,;,,,,,- M.,;_
erkundigte
Schiilerzahl, und als ihm die Auskunft
wurde, dass 58 Schiller zu unterrichten
seien, ausserte der Monarch sich dahin,
dass der Lehrer bei solcher Schiilerzahl
gehen. Urn sich davon nach seiner Mei-
nung befreien zu konnen, griff er zu
folgendem Mittel: In Abwesenheit seiner
Eltern schnitt er sich mit dem Kiichen-
messer die Finger der rechten Hand voll-
vermutlich viel Scherereien habe. Als standig ab und erwiderte auf Vorhaltun-
der Landrat v. Etzdorf darauf aufmerk- gen der Eltern, dass es ihm ganz recht
sam machte, dass bei Erreichung einer sei, wenn er ohne Finger herumlaufe,
SAhiilprznhl von 7ft TCrinfpn. scinor MAI- warum hatten sie ihn auch immer mit
der Schule gequalt.
* Verfiigung eines Dorfschulzen. ,,Ea
ist mich zu Ohren gekommen, dass hier
das Vieh mit brennenden Pfeifen und Zi-
garren gefiittert wird. Wer es wieder
tut, der wird ins Spritzenhaus ge-
stochen."
* Juristendeutsch. ,,Auf die Berufung
des Beklagten wird das Urteil pp dahin
abgeiindert, dass Beklagter unter Ab-
weisung des Klagers mit seinem weiter-
gehenden Antrage verurteilt wird anzu-
erkennen, dass dem Klager, als Eigen-
tiimer des Hofes No. x zu Th das
Recht zusteht, iiber das b'stlich der Bau-
und Hofstelle seines Hofes gelegene, zu
dem Hof e No. z zu Th gehb'rige
Schiilerzahl von 70 Kopfen, seiner Mei
nung nach, ein zweiter Lehrer ange-
stellt werden miisste, meinte der Kaiser,
dass es ,,wohl eine Menschequale-
r e i sein miisse, eine so hohe Schiiler-
zahl zu unterrichten."
* Morallehre auf Schulhefte. Die
Uinschlage von Schulheften werden jetzt
in Frankreich, wie die ,,Papier-Zeitung"
dem Pariser ,,Figaro" entnimmt, viel-
fach zur Verbreitung niitzlicher Kennt-
nisse benutzt. Eine solche Umschlag-
seite zeigt eine Abbildung der Lungen-
heilstatte von Bligny. Dr. Maurice Le-
tulle hat zu dem Bilde eine klare Er-
klarung geschrieben; er verschweigt
nicht die Gefahren der furchtbaren
Krankheit, fiigt aber hinzu, dass die
Tuberkulose heilbar ist, und gibt niitz-
liche Vorsichtsmassregeln und wirksame
Heilmittel an. Ein anderes Heft weist
auf die traurigen Folgen des Alkohols Beklagten verbindenden Briicke in der
hin; auf der einen Seite sieht man den Breite welche sie vor der vom Klager
niichternen Arbeiter, kraftig, arbeits- daran vorgenommenen Veriinderung
lustig, heiter und bereit, den schweren hatte beim Transporte von Stroh und
Hammer zu schwingen, auf der anderen Heu auf den Boden seines Hauses vor die
den unverbesserlichen Trunkenbold, des-
sen Aussehen Abscheu und Mitleid em-
Grundstiick des Beklagten mit Wagen
von der Dorfstrasse aus unter Benutz-
ung der diese mit dem Grundstiicke des
in der Qstwand dieses Hauses befindliche
jiaustur und zum Transport von Diinger
flosst. Weitere Hefte zeigen die Wohl- yon dem hinter seinem Hause gelegenen
taten des Genossenschaftswesens.
Hofe und von Hoiz nach diesem Hofe zu
* Medizinerdeutsch. ,,Die Autopsie fahren."(Aus einem richterlichen Urteil.)
N der alte
fr dir
konstatierte die Existenz einci sanguino-
lent tingierten Serums im Pericardium." ^ A*^ch
Hier ist kaum ein Wort deu^sch Und £ jagdgeschichte ~einen Baren auf-
doch konnte man, ohne der Wurde der * unden gzughaben , » ,,Ach geh' doch, ich
Wissenschaft etwas zu vergeben, ganz *
gut sagen: ,,Bei der Leichenoffnung
zeigte sich's, dass der Herzbeutel blutig
gefarbte Fliissigkeit enthielt."
* Die Schiiler einer Volksschulklasse
haben einer Katze den Schwanz abge-
hauen. Der Pastor erfahrt von der Ge-
schichte. Am nachsten Morgen erscheint
er in der Klasse und halt den Knaben die
mit
d ,aubt er glaubt, ich
* >
* Prinzenunterricht. Erzieher: ,,Und
was ist das fiir eine Taube, Hoheit? —
(Prinz schweigt, verlegen lachelnd.) —
Erzieher: ,,Ganz richtig Hoheit! Es ist
eine Lachtaube!"
* Guter Rat. ,,In meinem Jungen
..v.,^... ^.« menem
Schlechtigkeit ihrer Tat vor. k,',Wer"von steckt ein Kiinstler!" — ,,Lassen Sie 'a
euch weisa denn einen Bibelspruch, in stecken!"
B liche r sch a u,
I. Zeitschriftenschau. *
The Pedagogical Seminary (G. Stanley Hall, editor), Worcester, Mass., vol. XI,
No. 1 (March 1904), pp. 30—50: W. G. Chambers, How Words Get Meaning.
Ein sehr lehrreicher Aufsatz. Bietet Proben aus den Ergebnissen einer Umfrage,
zu deren Beantwortung die Schiller einer Anzahl offentlicher Schulen in Minnesota
aus dem Stegreif sechs ihnen vorgelegte Wb'rter definieren mussten, und zieht
Schlussfolgerung iiber das Wachstum der Begriffe, die allmahliche Klarung ver-
schwommener Vorstellungen, Bereicherung und Vertiefung bei gleichzeitiger Ver-
engerung des Begriffsinhaltes und uingekehrt, u. s. w., wie auch iiber praktische
Anforderungen an den Unterricht, die sich daraus ableiten lassen. Auch dem Lehrer
der Fremdsprachen bietet die Arbeit viel Interessantes, obwohl nur von der Mutter-
sprache des Schiilers darin die Rede ist; denn er zeigt, welche Vorsicht besondera
beim Gebrauch einer fremden Sprache im Unterricht geboten ist, damit die Schiiler
erstens einen bestimmten BegrifT, zweitens einen anntihernd richtigen Begriff mit
einem neu erlernten Worte verbinden. Die praktische Forderung, die sich fiir den
fremdsprachlichen Unterricht aus der Untersuchung ergabe, ware also haufige
Kontrolle des Wortschatzes dureh tibersetzung in die Muttersprache des Schiilera
oder durch moglichst vielseitige Begriffsumgrenzung in einfachen Ausdriicken der
Fremdsprache.
Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiet der padagogischen Psychologie
und Physiologic, herausgegeben von Prof. Th. Ziegler (Strassburg) und Th. Ziehen
(Berlin), Band VII, No. 4 (Berlin 1904): Dr. Bruno Eggert (Oberlehrer in Frank-
furt a. M.), Der psychologische Zusammenhang in der Didaktik des neusprachlichen
Reformunterrichts. 74 S. 8.
Eine bedeutsame, unsers Wissens die erste Untersuchung iiber didaktische
Forderungen im fremdsprachlichen Unterricht auf psychologischer Grundlage. Der
Verfasser vertritt darin die Anschauungen der deutschen Reformbewegung und
zwar die des radikalen Lagers, das alle tibersetzung in die und aus der Mutter-
sprache des Schiilers verwirft und den Gebrauch der Fremdsprache im Unterricht
konsequent durchgefiihrt wissen will; und diese Forderungen werden aus allgemein
psychologischen Gesetzen abgeleitet. Ein nachhaltiger Einfluss auf die Gestaltung
des neusprachlichen Unterrichts und die Durchfiihrung der Forderungen der Reform
diirfte aber nur mittelbar von dieser Schrift ausgehen, da der Verfasser eingehende-
Bekanntschaft mit der philosophischen Ausdrucksweise voraussetzt und ein Ein-
dringen in den Gang der Untersuchung ein ansehnliches Stuck Arbeit erfordert.
*) Unter dieser Rubrik planen wir eine kurze tibersicht iiber die wichtigsten
Artikel in Zeitschriften verwandten Inhaltes und sonstige einschliigige Erscheinun-
gen zu geben. Wahrend manche Aufsiitze nur mit dem Titel genannt werden sollenr
werden wir von andern kurze Inhaltsangaben bringen. Vorerst ist nur ein ge-
legentlicher Bericht iiber anderwarts erschienene Arbeiten auf unserem Gebiete vor--
gesehen; doch ist eine Erweiterung in der Aufnahme von Fachblattern und regel-
massiges monatliches Erscheinen der Zeitschriftenschau fiir spaterhin in Aussicht
genommen.
Zeitschriftenschau. 303
The School Review (University of Chicago Press), June, 1904, pp. 441 461:
Cloudesley Breseton, The Teaching of Modern Languages in England.
Kurze Obersicht iiber den gegenwartigen Zustand des neusprachlichen Unter-
richts an den englischen Sekundiirschulen, Methoden und Ziele. Wir erfahren hier,
class auch in England die Reform sich fast uberall Bahn gebrochen hat; der Ver-
fasser teilt die Lehrerschaft nach der Analogie eines Parlaments in eine konser-
vative Rechte, ein vermittelndes Zentrum und eine radikale Linke; den Ta<* be-
hauptet jetzt der linke Fliigel des Zentrums, d. h. die gemassigte Reform. Speziell
englisch ist das Vorwiegen des Unterrichts im Franzbsischen, wiihrend das Deutsche
dort eine weniger wichtige Rolle spielt; auch der Verfasser neigt zu der Ansicht,
das Franzb'sische \verde in England noch lange den Vorrang vor andern Fremd-
sprachen behalten.
- pp. 468 — 472: Adolphe Cohn, The Adjustment between Secondary
School and College Work in Modern Languages.
Eine Aufgabe, die zu den vornehmsten der National Educational Association
gehb'ren sollte und wohl erst in Jahrzehnten zu vb'llig befriedigendem Abschluss ge-
langen wird, besonders da die Bewegung, den Lehrgang der Sekundiirschule nach
unten hin auszudehnen und die letzten zwei Jahre der Elementarschule einzube-
ziehen, immer mehr erstarkt. Eine Seite der Frage wird in nitchster Zukunft hier
in Wisconsin zur Verhandlung kommen, indem voraussichtlich Ausschiisse aus
Vertretern der SekundJirschulen und der Staatsuniversitat eine Liste von Texten
ausarbeiten werden, die dem zvveijahrigen Lehrgang im Deutschen an Sekundiir-
schulen (der vierjahrige wird davon kaum beriihrt werden), und solchen, die dem
deutschen Unterricht tin der Universitat vorbehalten bleiben sollen. Es ist nicht zu
befiirchten, dass bei der ausserordentlichen Mannigfaltigkeit an Textbiichern und
bei der Schnelligkeit, mit der fortwiihrend neue erscheinen, solche ausschliesslichen
Listen zu eng gefasst werden und nicht jeder Geschmack befriedigt werden kbnnte.
Weniger leicht diirfte eine andere Seite der Frage zu erledigen sein, niimlich wie
etwa das Pensum der Grammatik auf die verschiedenen Schulen zu verteilen ware;
und die grossten Schwierigkeiten werden sich der Erledigung der Frage in den Weg
stellen, wieweit die Unterrichtsweise in der Sekundiirschule einheitlich auszubilden
ware, um sowohl den berechtigteri Erwartungen hinsichtlich einer verhiiltnis-
massig abschliessenden Mittelschulbildung als auch den angemessenen Forderun-
gen der Universitat beziiglich einer annehmbaren Vorbildting fiir ihre Arbeit in
gleicher Weise zu entsprechen. — Prof. Cohns Aufsatz enthalt drei Forderungen:
1. Sekundarschule und College sollten nicht beide im fremd.sprachlichen Unterricht
sprache muss also der Sekundarschule zuf alien, und zwar, (a) weil viele Schiiler
dieseiben Kurse auf ihrem Lehrplan haben. 2. Der Anfangsunterricht in der Fremd-
dieser Anstalten kein College besuchen kb'nnen, Kenntnis einer modernen Fremd-
sprache aber als allgemein bildenden Faches ihnen niclit vorenthalten werden darf,
(b) weil die Schiiler im Sekundiirschulalter gewisse Phasen des Sprachunterrichtes,
z. B. das Sprechenlernen, leichter bemeistern als in hb'herem Alter. 3. Die Sekun-
darschulen sollten sich nicht damit begniigen, ihren Zbglingen nur soviel Kenntnis
der Fremdsprache beibringen zu konnen, dass diese den geringsten Anforderungen
zum Eintritt ins College entsprechen, sondern, zum Teil schon aus den unter (2)
genannten Griinden, es ihren Abiturienten ermb'glichen, beim Eintritt ins College
hohere Kurse zu belegen, die anfiinglich teilweise, spater vollstandig in der Fremd-
sprache gefiihrt werden konnen.
pp. 482 — 490: Leigh R. Gregor, Translation.
Befasst sich erstens mit der ttbersetzung als Kunst und ihren besondern Auf-
gaben, wie der Notwendigkeit bewussten oder unbewussten Studiums des nach Per-
304 Padagogische Monatshefte.
sb'nlichkeit des Verfassers und Inhalt fiir jeden einzelnen Fall \\-echselnden Stils.
Daraus werden dann im zweiten Teile der Abhandlung die Forderungen fiir tiber-
setzungen im Unterricht abgeleitet; verlangt wird die dynamische An*passung des
Einzehvortes, von dem auch das beste Worterbuch in der Regel nur die statischen
Werte verzeichnen kann, an die wechselnde Umgebung, d. h. ubersetzung in ganzen
Satzen und nicht in einzelnen Wortern; der Verfasser tritt darum auch ftir Her-
stellung von Spezialworterbiichern zu den Schultexten ein, an die er mit Bezug auf
Genauigkeit und Reichhaltigkeit die hochsten Anforderungen gestellt zu sehen
wiinscht.
pp. 491 — 501: Maxirae Ingres, The Teaching of Modern Languages
under Present Conditions.
Erne sehr geistreiche, — leider nur zu geistreiche Erb'rterung iiber alle mb'g-
lichen mit dem Spraelistudium zusammenhangenden Fragen, die jeder Lehrer gerne
lesen, und aus der nur der Tausendste unmittelbaren Xutzen ziehen wird. In der
Einleitung verurteilt der Verfasser die Beschaftigung mit der griechischen und
lateinischen Sprache und Literatur in Bausch und Bogen, wobei er vollig iibersieht,
wie schwer das gerade das Ansehen der von ihm iiber Gebiihr hochgeschatzten
Literatur des Zeitalters Ludwigs XIV., besonders Corneilles, erschiittern miisste.
Die Sprache will er dtirchweg als Kunst behandelt wissen; von der Wissenschaft im
allgemeinen hat er keine sonderlich hohe Meinung; ganz besonders aber giesst er
die Schale seines Zornes aus iiber die Verblendeten, die da meinen, anders als durch
allerstrikteste Verbannung der Muttersprache des Schiilers aus dem Schulzimmer
ihren Zoglingen etwas von einer Fremdsprache beibringen zu konnen. Vom wahren
Lehrer meint er, er werde geboren, nicht gemacht, so wie der Kiinstler; — dem-
gegeniiber moge einmal hier ausgesprochen werden, dass dieser romische Satz in
der iibfichen Ubertreibung von einer erschreckend leichtfertigen Auffassung des
kiinstlerischen Schaffens zeugt, einer Auffassung, die ethisch und intellektuell nicht
hoher steht als der Ausspruch des deutschen Bauers, das Dichten sei miissiger Er-
werb; das Leben und Wirken unserer Grb'ssten beweist, dass der Kiinstler wohl
nicht von aussen her gemacht werden kann (und doch, wie viel verdankt auch daa
Genie so oft seiner Umgebung!), dass er aber mit bewusster, schwerer Arbeit sick
selbst schaffen muss, auf dass der Gottesfunke in ihm nicht zum ziellosen Spriih-
feuer werde, sondern anwachse zu dem ,,stillen grossen Leuchten" auf den hochsten
Gipfeln der Menschheit. Und die Anzahl der wahren Lehrer, meint der Verfasser,
sei in einer Generation und in einem Lande noch geringer als die der grossen Kiinst-
ler. In diesem Punkte ist der Aufsatz geeignet, gerade dem gewissenhaften Lehrer
seinen Beruf zu verleiden (wenn er den Aufsatz ernst nimmt) ; vielleicht folgt der
und jener dem hier erteilten Rate, Maurer zu werden; auch dass Arbeiter auf dem
Lande und Dienstmadchen iinmer gesucht sind, erfahren wir. Der Lehrer aber,
meinen wir, der mit ehrlicher Begeisterung, Liebe zur Jugend, Vertrauen zur
Menschheit (griindliche Bildung ist vorausgesetzt) seines Amtes waltet, mag sich
einstweilen immer noch trosten; wer immer strebend sich bemiiht, — fiir den
Rest des Zitats mache sich jeder selbst seinen Vers. Recht charakteristisch ist der
Satz, der vom Lehrer zeichnerische Fahigkeiten und noch mehr schauspielerisches
Talent verlangt, da sich manche Sachen nicht zeichnen lassen, aber fast alles und
jegliches mimen lasst. Ja, wenn der Lehrer ein Komodiant ist, wie das denn wohl
zu Zeiten kommen mag! Hier spricht der Romane, der ja eine langere Unter-
haltung fiihren kann, ohne dabei den Mund zu Hiilfe zu nehmen. — Bei der stetig
fortschreitenden Vermehrung der Lehrgegenstiinde und den immer hoheren An-
forderungen an die Schiiler ist wohl schon mancher auf den Gedanken gekommen,
den der Verfasser am Schlusse etwas zaghafter ausspricht, als das sonst seine Art
Zeitschriftenschau.
305
ist: man konnte ja andere Leln-gegenstande mit dem fremdsprachlichen Unterricht
verbinden. Also z. B. Mathematik auf Franzosisch, Geschichte auf Deutsch, Botanik
auf Spanisch lehren?? und sollte dann der regelrechte SprachunteiTicht wegfallen?
wie sollte die Teilung der Facher unter die Sprachen vorgenommen werden? und
wie, wenn an einer Schule nur eine Fremdsprache gelehrt wird? Die Idee lasst sich
mit Erfolg — nach Beweisen brauchen wir nicht lange zu suchen — verwirklichen,
aber nur an Schulen, deren Zoglinge von Hause aus die Kenntnis zweier Sprachen
mitbringen; an andern Anstalten, also an der iiberwaltigenden Mehrheit der
Schulen, lasst sich weder heute noch in aller Zukunft davon traumen. — Wenn auch
stellenweise bizarr, auf jeder Seite zum Widerspruch herausfordernd, und nicht
immer konsequent, so enthalt der Artikel doch nachhaltige Anregungen in Fiille;
und dass er aus der Feder eines tiichtigen, erfolgreichen und schaffensfrohen Lehrers
stammt, bezweifeln wir keinen Augenblick. Edwin C. Roedder.
II. Jugendschriften -Verzeichnis.
In dem Novemberhefte des dritten Jahrganges (1902) der P. M. veroffentlichten
wir ein Verzeichnis empfehlenswerter Jugendlektiire, welches nach einer von den
vereinigten deutschen Priifungsausschiissen fiir Jugendlekttire hergestellten Liste
angefertigt wurde. Die folgende Liste enthalt die Biicher, welche nach Abschluss
des letzten Verzeichnisses neu aufgenommen worden sind. Bei Benutzung gelten
selbstverstiindlich dieselben Winke, die wir der zuerst veroffentlichten Liste bei-
f iigten : Die Altersgrenzen sind fiir deutsche Kinder
berechnet und werden bei uns teilweise hinaus-
geschoben werden miissen, je nach der sprach lichen Ausbildung der
Kinder; das Urteil dariiber muss selbstverstfindlich Eltern oder Lelirern iiberlassen
bleiben. Vor dem Preise ist in Klammern der Verlag angegeben. Bei Be-stellung
durch hiesige Buchhandlungen wird es ratsam sein, diesen Verlag anzugeben, um
den Bezug der Biicher zu erleichtern.
I. Fiir jedes Alter geeignet.
1. R i c h t e r, L., Familienschatz. (50
Holzschnitte.) (Wiegand - Leipzig.)
3 M.
II. Vom 8. Jahre an.
2. Gerlachs Jugendbticherei.
Bee h stein, Miirchen. Farb. ill.
v. Fahringer. 1,50 M.
3. L e h m e n s i c k, Thiiringer Sagen.
' (Bredt.) 1,25 M.
4. M o s e r - K o 1 Ib r u n n e r, Jugend-
land. Band II. (Gesch. u. Ged. farb.
ill.) (Kitnzli-Ziirich.) 5 M.
II. Vom 10. Jahre an.
5. D a h n h a r d t, Deutsches Marchen-
buch. Illustr. v. Kuithan. (Teub-
ner.) 2,20 M.
6. F i c k, Die schonsten Sagen aus
Rheinland und Westfalen. (Wiegand-
Hilchenbach.) 1,50 M.
7. Gerlachs Jugendbii-
c h e r e i, Till Eulenspiegel. Farb. ill.
v. Weissgerber. 1,50 M.
8. H a u f f, Zwerg Nase. (Ein Marchen.)
(Seemann.) Illustr. v. Tiemann. 4 M.
9. Schneider, Deutschland in Lied,
Volksmund und Sage. (Wiegand-
Hilchenbach.) 0,90 M.
IV. Vom 13. Jahre an.
10. A m e i 1 a n, Aus Urvater Tagen.
(Gotter- und Heldensagen.) (Meidin-
ger.) 3 M.
11. B e i e r 1 e i n, Bei den roten India-
nern. Erlebnisse eines Missionars.
(Richter-Dresden.) 0,70 M.
12. D o n a t h, Physikal. Spielbuch.
(Vieweg -Braunschweig.) 4 M.
13. Fischer. Das Licht im Elendhause.
(Erzjihlung.) (Wiesbad. Volksb.)
0,15 M. ungeb.
14. L e n k, Wanderungen der Buren.
(Reclam..) 0,20 M. ungeb.
15. L i 1 i e n c o r n, Umzingelt. Der
Richtungspunkt. (2 Kriegsnovellen.)
(Wiesb. Volksb.) 0,10 M. ungeb.
16. M a i s t r e. Die junge Sibirierin.
(Erz.) (Bibl. Inst.) 0,10 M. ungeb.
17. M o h a u p t, Gesundheitsspiegel.
(Henkel-Tetschen.) 2 M.
18. Mvigge, Sam Wiebe. (Erz.) (5h-
migke.) 0,40 M. ungeb.
19. O b e r 1 a n d e r, Kent Kane, der
Nordpolfahrer. (Spamer.) 5 M.
306
Padagogische Monatshefte.
20. Rosegger - Schmittham-
m e r, Sein Geld will er haben und
and. Gesch. (Verein f. V. g. Schr.,
Bern.) 0,15 M. ungeb.
21. S c h in i e d g e n, Nansens Nordpol-
fahrt. (Perthes.) 4 M.
22. Vogel, Gliickskindle. (Munchen.)
(Waetzel-Freiburg.) 111. v. J. Gehrts.
4,50 M.
23. W e b e r, E., Der deutsche Spiel-
mann. (Geb., Marchen Erz.) 7 Bande
a 1 M. mit farb. Bildern. (Calwey-
Mtinchen.
1. Kindheit, ill. v. Kreidholf.
2. Wanderer, ill. v. Cissarz.
3. Wald, ill. v. Weingartner.
4. Hochland, ill. v. Hoch.
5. Meer, ill. v. Cissarz.
6. Helden, ill. v. Weingartner.
7. Schalk, ill. v. Diez.
24. W e h e r, F., Der Schmied v. Ochsen-
furt. (Ged.) (Lehmann.) 3 M.
25. W e i s e, Deutscher Liederschatz.
(Weise-Berlin.) 0,20 M. ungeb.
26. W e r n e r, Erinnerungen u. Bilder a.
d. Seeleben. (Allg. Verein f. Lit.)
8 M.
27. W e r n e r, Salzwasser. (Erz.) (Allg.
Ver. f. Lit.) 6 M.
28. W i s s e r, Wat Grotmoder vertellt.
(Plattdeutsche Marchen.) (Diede-
richs.) 0,75 M.
29. N e u e s Schatzkastlein, 2
B-indchen a 0,90 M. (Wiegand-Hil-
ehenbach.) (Erz. v. Amicis, Miigge,
Frommel etc.)
V. Fiir die reifere Jugend.
30. Andersen, Marchen. 111. .v. Teg-
ner. (Neff.) 12 M.
31. Brentano, Chronika eines fahren-
den Schiilers. (Winter-Heidelberg.)
4,50 M.
32. Eckstein, Der Kampf zwischen
Mensch und Tier. (Teubner.) 1,25 M.
33. En gel, Herr Lorenz Stark. (No-
velle.) (Ohmigke.) 0,40 M. ungeb.
34. F r e y t a g, Ingo und Ingraban.
(Hist. Erz.) (Hirzel.) 7 M.
35. Frommel, Nach des Tages Last
und Hitze. (Steinkopf. 4,20 M.
36. Gerlachs Jugendbii-
c h e r e i, Eichendorfs Gedichte. Ill v.
Horst-Schulze. 1,50 M.
37. G o 1 1 h e 1 f , Elsi, die seltsame
Magd. (Erz.) (Wiesb. Volksb.) 0,10
M. ungeb.
39. H a u f f, Das Bild des Kaisers. (No-
velle.) (Ohmigke.) 0,40 M. geb.
(Biou-Bern.) 0,20 M. ungeb.
40. J a n s o n, Meeresforschung und
Meeresleben. (Teubner.) 1 M.
41. Kipling, Brave Seeleute. (Vita-
Berlin.) 4 M.
42. L a s s a r - C o h n, Die Chemie im
tagl. Leben. (Voss-Hamburg.) 4 M.
43. Meyer, Eine Amerikafahrt 1492 u.
1892. (H. Patel.) 0,80 M.
44. M eve r, Ludwig u. Annemarie.
(Doffgesch.) (Reclam.) 0,20 M.
45. R a a b e, Die schwarze Galeere.
(Hist. Erz.) (Wiesb. Volksb.) 0,15
M. ungeb.
46. Rinne, Kasana. (Eine Celebes-
fahrt.) (Hohn-Hanover.) 4,50 M.
47. Sohnrey, Hiitte u. Schloss (Erz.)
Warneck-Berlin.) 4 M.
48. W o r g i t z k y, Bliitengeheimnisse.
(Blvitenbiologie.) (Teubner.) 3 M.
III. Bucherbesprechungejn.
Flachsmann als Erzieher. A comedy
by Otto Ernst. Edited with notes
and vocabulary by Elizabeth
Kingsbury, VII -|- 109 pp. Boston
Ginn and Co., 1904. List price, 40 cents.
Was man wohl in Deutschland dazu
sagen wird, dass man nunmehr den
Flachsmann hierzulande als Schulbuch
herausgegeben hat? Das Stiick hat im
ersten Jahre seines Bestehens iiber acht-
hundert Auffiihrungen erlebt; 1902 — 3
war die Anzahl freilich bereits auf etwas
iiber dreihundert gesunken; fiir das
letzte Theaterjahr fehlen mir die An-
gaben. Der buchhandlerische Erfolg
scheint nicht gleichen Schritt gehalten
zu haben, wenn wirklich erst fiinfzehn-
tausend Exemplare des Stiickes verkauft
worden sind. Immerhin noch Zahlen, die
sich sehen lassen konnen! Und trotzdein
scheint man iiber Flachsmann als Er-
zieher zur Tagesordnung xibergegangen
zu sein; und die Griinde dafiir sind ge-
wichtiger als der naturgemasse Riick-
schlag nach einer aussergewohnlichen
Wirkung. Nichtsdestoweniger ist es ein
Werk, das ein Lehrer immer wieder ein-
mal, wenn auch nur in kleinen Teilen,
mit Nutzen und mit Anregung lesen
wird; ware es auch nur das Privatissi-
mum, das Flemming dem Bildungs-
schuster iiber die Eigenschaften des
wahren Lehrers liest; oder die Szene, wo
der Held vor dem Bilde Pestalozzis sich
nach der grossen Liebe sehnt; oder des
Schulrats Wort ,,Arbeiten, dann kommt
die Begeisterung ! " Ob aber die Lektiire
bei denen, fiir die die Ausgabe doch
hauptsiichlich bestimmt ist, nicht leicht
schadlich werden kb'nnte? ob unreife
Biicherbesprechungen.
307
Kopfe sich da nicht allzuleicht, allzu-
gern zu schlimmen Verallgemeinerungen
werden verleiten lassen? Mir ist von der
hiesigen Auffiihrung im April 1902 noch
sehr wohl in Erinnerung, welch merk-
wiirdigen Eindruck selbst hochgebildete
Amerikaner mitfortnahmen. Ich ver-
weise auch auf die schonen Ausfiihrun-
gen Prof. Burckhardts, die seinerzeit in
dieser Zeitschrift erschienen, (Band II,
S. 224 ff. und 253 ff.) Fiir mich sind
iibrigens solch idyllische Zustande wie
•die in der Schule Flachsmanns unglaub-
lich, selbst wenn wirklich beim heiligen
Bureaukrazius nichts unmoglich ist. Auf
alle Fiille wiiren die tibertreibungen und
Verzerrungen des Dramas in der Ein-
leitung (nicht im Vorwort, dessen
Schicksal es ja ist, nicht gelesen zu wer-
den) und den Anmerkungen viel scharfer
hervorzuheben, als es in unserer Ausgabe
geschieht; und der Lehrer, der das Ganze
f iir baare Miinze nimmt, lasse die Hande
von dem Buch, oder er wird schlimmes
Unheil anrichten. Wer sich getraut, dies
vermeiden zu kb'nnen, wird der Heraus-
geberin ftir ihre fleissige Arbeit dankbar
sein. Xur ist davor zu warnen, den gan-
zen Text als Grundlage fur Gesprache
benutzen zu wollen; und die Heraus-
geberin hatte gut getan,1" die betreffenden
Teile zu bezeichnen; tibertragungen dia-
lektischer Reden in gutes Schriftdeutsch,
so der Erzahlung Brockmanns of S. 20,
in den Anmerkungen oder noch besser
unter dem Texte waren ratsam gewesen
und hiitten den Umfang des Buches nicht
sonderlich vermehrt. Ohnehin wiirde ich
das Stiick nicht fiir das zweite oder
dritte Jahr des deutschen Lehrganges an
einer Sekundarschule empfehlen, son-
dern es sowohl aus sprachlichen wie in-
haltlichen Griinden dem Studium an
College oder Universitat vorbehalten.
In den Anmerkungen vermisse ich eine
Erkliirung des Titels, der wie eine Un-
menge anderer (z. B. ,,Bismarck bezw.
Moltke, Goethe, — — Meier, Miiller,
Schulze, als Erzieher) auf Langbehns
Buch ,,Rembrandt als Erzieher" zuriick-
zufiihren ist (vergl. S. 55, Z. 11). An-
merkungen waren ferner erwiinscht zu
S. 5, Z. 3 (wenn das Buch wirklich so
frtih iin deutschen Lehrgang gelesen
werden soil); S. 10, Z. 11, wo eine
tibersetzung ins Englische nicht geniigt;
S. 11, Z. 20, zur Erklarung des recht
faden Kalauers; S. 12, Z. 1, zur Urform
des Zitats; S. 14,' Z. 10 (Anspielung auf
Gottfried Kellers Tanzlegendchen ) ; S.
18, Z. 15 u. 6. zu jaa; S. 19, Z. 21, Ver-
•weis auf S. 9, Z. 13; S. 22, Z. 28 so'n
Spass; Z. 29 u. 6. denn fiir dann; S. 23,
Z. 29, zu Genie, das die Sprecherin von
genieren ableitet. Solo (S. 6, Z. 29) ist
kein solitaire, den die Deutschen mit
Patience bezeichnen, sondern eine milde
Form des Skats. — An Druckfehlern sind
mir aufgef alien: S. 15, Z. 2 einigermassen
(statt sz); Z. 5 sriiher (friiher) ; S. 47,
Z. 9 lautet (statt lautet) ; S. 51, Z. 26
das (dass) er mehr kann; S. 68, Z. 20,
stehend (statt stehen); S. 70, Z. 14 — 15
Schamloseste — Schaffen (klein zu schrei-
ben); S. 80, Z. 21 Madschenschule ; S.
102, Z. 16 Besehl (statt Befehl). Die
hiiung gebrauchte Form jawoll statt ja-
wohl war in den Anmerkungen oder im
Worterbuch als abweichende Aussprache
zu kennzeichnen.
Zum Schlusse kann ich ein grundsatz-
liches Bedenken nicht unterdriicken. Die
Herausgeberin, fiirchte ich, kam auf den
Gedanken, das Stiick der Schule zugang-
lich zu machen, zu einer Zeit, als es noch
auf dem Hohepunkte seiner Beriihmtheit
stand, und nicht lediglich seines literari-
schen und dramatischen Wertes wegen.
Ohne nun dem vorliegenden Stiicke sol-
chen Wert absprechen zu wollen, erlaube
ich mir die Frage: wohin steuern wir,
wenn der Tageserfolg unsern Kurs beein-
flussen oder gar bestimmen darf? Mils-
sen wir uns gar auf Schulausgaben von
(der Gedanke ist f iirchterlich ! ) ,,Im
weissen Rossi," ,,Zapfenstreich" u. dgl.
gefasst machen ? Emerson empfiehlt, kein
Buch zu lesen, das nicht mindestens ein
Jahr alt ist; und ahnlich diirfte man
sich's zur Regel machen, kein Werk her-
auszugeben (wohlgemerkt, ich spreche
nicht davon, es nicht mit einer Klasse
lesen) zu wollen, das nicht wenigstens
auf ein Alter von fiinf, vielleicht noch
besser zehn Jahren zuriickblicken kann.
Wir Lehrer sind von Hause aus und mit
Recht konservativ, und diese Eigenschaft
in verniinftigen Grenzen sollte sich bei
den Herausgebern von Schulbiichern po-
tenzieren diirfen. Sonst geraten wir in
die Gefahr, vor der ein Dichterwort also
warnt: ,,Ihr hort nur auf den Schrei der
Stunde und iiberhort den Ruf der Zeit!"
Edwin C. Roedder.
Univ. of Wis.
Der zerbrochene Krug von Heinrich
Zschokke. With Introduction, Notes and
Vocabulary by Herbert Charles
S a n b o r n, A. M. Ginn and Company,
Boston. XVI -|- 76 pp.
Diese oft herausgegebene Geschichte
konnen wir anch in dieser neuen Ausgabe
nur willkommen heissen. — In der Ein-
leitung heisst es p. XII: ,,He became a
citizen later". Da man sich doch vorge-
setzt, den Lebenslauf Zschokkes, und
besonders seine Beziehungen zu der
Schweiz, darzutun, ware es vielleicht am
Platz gewesen zu bemerken, wie er
308
Padagogische Monatshefte.
schweizerischer Burger geworden. — Der
Paragraph iiber: ,,two principal kinds of
scholarship", p. XV. ist schwer ver-
standlich und wird den Schiiler kaum
fordern.
In dem Vokabular werden ,,for the
sake of uniformity" alle Langen be-
zeichnet, was uns als uberflussig er-
scheinen will, besonders im Falle von
der, dem, den, etc., in denen das e so wie
so nicht denselben Wert hat, und man
sich doch auf die Aushilfe des Lehrers
verlassen muss. So scheint auch das
Langezeichen in abends unter Abend un-
notig, sowie Dienstmadchen under Mad-
chen und iihnl. — Unter Colin, Cannes,
Jacques heisst es: ,,pronounce as in
French." Was, wenn aber der Betreffende
kein Franzosisch versteht, vielleicht so-
gar sein Lehrer nicht? — In uberbringer
liegt der Accent auf der dritten Silbe,
nicht auf der ersten, wie angegeben.
Die Anmerkungen und das Vokabular
sind durchweg gut gemacht, und die
typographische Ausstattung des Buches
lasst nichts zu wiinschen iibrig. Das
Urteil iiber die Ausgabe muss lauten:
»gut".
Die Chemie im tiiglichen Leben von
Prof. Lassar - Cohn. Abridged and
edited with notes and an introduction
on German chemical nomendature by
Neil C. Brooks, Ph. D. D. C.
Heath and Co., Boston, 1904. 130 pp.
Genau ein soldier Text hat uns ge-
mangelt. Er bietet nicht nur einen inter -
essanten Stoff in wissenschaftlicher
Sprache, er hat auch den Vorteil, dasa
er nicht allzu technisch ist. Folgende
uberschriften einzelner Kapitel mogen
den Inhalt des Buches andeuten: Die
Erniihrung der Pflanzen, Kiinstliche
Diingemittel, Die Ernahrung der
Menschen, Die Eiweissstoffe, Der Wert
des Kochens, Die Rontgenstrahlen.
Den Anmerkungen steht ein Kapitel
iiber die deutsche chemische Terminolo-
gie voran, das gut gemacht und sehr an-
gebracht ist. Die Anmerkungen selbst
sind kurz und biindig und durchweg zu-
trefFend. Druckfehler sind mir keine
aufgestossen. Als Einfiihrung in die
wissenschaftliche Lektiire, oder auch als
zweiter Text, ist die Ausgabe alien sehr
zu empfehlen. Chas. H. Handschtn.
Univ. of Wis.
IV. Eingesandte Biicher.
Meaning and Practice of Commercial
Education by C h e e s m a n A. H e r-
r i c k, Ph. D., Director School of Com-
merce, Central High School, Philadelphia.
New York. The Macmillan Co., 1904.
Price $1.25.
Readings in European History. A col-
lection of extracts from the sources
chosen with the purpose of illustrating
the progress of culture in Western
Europe since the German Invasions by
James Harvey Robinson, Pro-
fessor of History in Columbia Univers-
ity. Vol. I, From the Breaking up of the
lloman Empire to the Protestant Revolt.
Ginn and Co., Boston. Price $1.65.
A Guide for the Study of Schiller's
Wilhebn Tell by Ernst Wolf, Yeat-
man High School, St. Louis, Mo., and
Warren W. F 1 o r e r, University of
Michigan. Sheehan and Co., Ann Arbor,
Mich., 1904.
A Guide for the Study in German of
Lessings Minna von Barnhelm by
Ernst Wolf, Yeatman High School,
St. Louis, Mo. Sheehan and Co., Ann
Arbor, Mich., 1904.
The Sonnets of Shakespeare with an
introduction and notes by H. C.
B e e c h i n g, M. A., D. L i 1 1. Athe-
naeum Press Series, Boston. Ginn and
Co., 1904. Price 65 cents.
A Short History of England by E d-
ward P. Cheyney, Professor of
European History in the University of
Pennsylvania. Ginn and Co. Price $1.55.
In St. Jiirgen von TheodorStorm.
Edited with introduction, notes, exercises
and vocabulary by J. H. B e c k m a n n,
B. A., Teacher of German, Lincoln
(Neb.) High School. Ginn and Co.,
Boston. Price 40 cents.
A Guide and Material for the Study
of Goethe's Egmont by Warren W.
F 1 o r e r, University of Michigan.
George Wahr, Ann Arbor, Mich., 1904.
Gennelshausen von Friedrich
Gerstacker. Edited with exercises,
notes and vocabulary by Lawrence
A. M c L o u t h, Professor of German
Language and Literature in New York
University. New York. Henry Holt and
Co., 1904." Price .30 cents.
The Educational Music Course:
Teachers' Edition for Elementary Grades.
Including a collection of rote songs, voice
training exercises, the material in the
new first music reader, and songs from
famous composers by James M. Me
L a u g h 1 i n, Director of Music, Boston
Public Schools, and W. W. G i 1 c h r i s t,
Author of "Exercises for Light Singing
Classes," etc. Boston, Ginn and Co.,
1904. Price $1.40.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbtmdes.
V. Dezembet* 1904. Heft 10
Offiziell.
Nationaler Deutschamerikanischer Lehrertag.
Die nachste Jahresversammlung.
Auf dem Erier Lehrertage wurde die Stadt Chicago als Tagungsort der
nachsten Versammlung des Lehrerbundes empfohlen und gewahlt. Der Nomi-
nationsausschuss, der Chicago empfahl, die leitenden Mitglieder des Lehrer-
bundes, welche die Empfehlung warm unterstiitzten, liessen sich durch die
folgenden Punkte bestimmen: Die zentrale Lage Chicagos, der Umstand,
dass der Lehrerbund sich seit dem Jahre i80J nicht in der Metropole des
Westens versammelt hat, die freundliche Erinnerung an friihere glanzende
Tagungen in Chicago, die bewahrte Gastlichkeit der deutschamerikanischen
Biirgerschaft der Stadt, die Moglichkeit, die grosse Chicagoer«Universitat
mit ihrer vorziiglichen deutschen Abteilung fur die Ziele des Lehrerbundes
zu gewinnen und — vielleicht, einen belebenden Einfluss auszuiiben auf den
klaglich verstiimmelten deutschen Unterricht an den b'ffentlichen Schulen
Chicagos.
Es gereicht mir zur Freude, der deutschamerikanischen Lehrerschaft
mitteilen zu konnen, dass die einleitenden Schritte zu einer erfolgreichen
Tagung im Sommer des Jahres 1905 geschehen sind.
Seminardirektor Griebsch, unser treues Chicagoer Mitglied, Herr Mar-
tin Schmidhofer, und der Unterzeichnete erhielten von hervorragenden
Deutschamerikanern, der Fakultat der deutschen Abteilung der Chicagoer
Abteilung und dem Prasidenten dieser Anstalt, Herrn Dr. Harper, so liebens-
wiirdige Zusicherungen, dass der Chicagoer Lehrertag sich seinen besten
310 Padagogische Monatshefte.
Vorgangern wiirdig anreihen wird, wenn die deutschamerikanische Lehrer-
schaft ihre Pflidit erfiillt und die Erwartung unserer Chicagoer Freunde auf
eine glanzende Beteiligung nicht zu Schanden macht. An die Kollegen im
Lande ergeht hiermit die dringende Aufforderung, sich jetzt schon mit dem
Gedanken, den nachsten Lehrertag zu besuchen, vertraut machen zu wollen.
Wer sich dazu berufen fiihlt, durch einen Vortrag oder ein Referat die
Tagung zu einer erspriesslichen fur unseren Beruf und unsere Ziele zu ge-
stalten, moge sich baldigst mit dem Unterzeichneten oder dem Bundessekretar
in Verbindung setzen.
Die Versammlungen finden in einem uns freundlichst zur Verfiigung
gestellten Saale der Universitat statt. Fur alles Ubrige biirgt die bekannte
Gastlichkeit Chicagos. Weitere Meldungen werden in dem Januarhefte
der P. M. erscheinen.
Fur den Vorstand,
Bernard A. Abrams,
President.
Land und Leute.
Ein Mahnwort.
(FUr die Padagogischen Honatshefte.)
Auf dem Fiinften Allgemeinen Deutschen Neuphilologentag zu Berlin
im Juni 1892 hielt der selige Stephan Waetzold einen Vortrag iiber ,,Die
Aufgabe des neusprachlichen Unterrichts und die Vorbildung der Lehrer"
(im Druck erschienen Berlin 1892), der wohl die stiirmischeste Begeisterung
hervorrief, die noch je in einer wiirdigen Schulmeisterversammlung ent-
fesselt worden ist. Der Abschnitt, dem der Beifall besonders gait, sei trotz
seiner Lange hier vollstandig wiedergegeben ; denn er bietet goldene Friichte
in goldener ^chale.
,,Ein dreifaches Bewusstsein," heisat es auf Seite 13, ,,fordern wir von
einem Gebildeten : ein Volksbewusstsein, ein Zeitbewusstsein, ein Weltbewusst-
sein. Ein dreifaches Verstandnis des Menschlichen soil hb'here Bildung dem
Einzelnen eroffnen, in drei grosse geistige Beziehungen ihn stellen: zum Vater-
lande, zur Antike, zu den mitlebenden Kulturvolkern. Als letztes bewusstes
Glied einer langen Kette verbindet der Lehrer den heranwachsenden Menschen
mit diesen drei geistigen Welten. Die vaterlfindische Welt in Vergangenheit
und Gegenwart eroffnet ihm der Lehrer des Deutschen und der Geschichte, die
Geisteswelt des Altertums der klassische Philolog; der Lehrer des Franzosi-
schen und Englischen aber verbindet den Schiiler mit der Kulturwelt der Ge-
genwart ausserhalb seines Vaterlandes, er erganzt die nationale Bildung zur
Weltbildung; er erzieht im Knaben den bewussten Mitarbeiter an den grossen
gemeinsamen Aufgaben der Menschheit, indem er mittels der fremden Sprache
Land und Leute. 3H
und ihrer Werke ihm das freie Verstiindnis fiir die eigenartige geistige und
materielle Kultur, fiir Heimat, Leben und Sitte der beiden grossten mit-
lebenden Vb'lker zu erschliessen trachtet. Diese Aufgabe ist jeder andern der
hoheren Sclmlen gleichwertig. Urn ihretwillen verlohnt es sich wohl zu leben
und zu lehren. Alle ubungen, die der Lehrer vorniramt, von dem Vorsprechen
des ersten Satzes in fremder Sprache bis zur Erklarung Descartes' und Victor
Hugos; alle Studien, die der Student treibt, von den zeitlich und ortlich ent-
legensten bis zu den nachsten, miissen von diesem Gedanken durchdrungen und
getragen sein :Franzosisch undEnglischlernen und
lehren, heisst Frank reich und England lernen
und lehren; in letzter Linie ist nicht die Sprache, sondern das Volk und
seine Kultur das Objekt des Studiums. Die Sprache und ihre Literatur ist nur
das geeignetste und unentbehrliche Mittel, um dem Ziele, Geist und Leben eines
andern Volkes zu fassen, am nachsten zu kommen. Denn in der Sprache pragt
das Volk sein Weltbild aus; seine Sprache enthalt das Gesamtkapital seines
Geistes, das in langsamer Arbeit die Jahrhunderte aufgehauft haben; sie ist
die Schatzkammer seiner Gedanken und Traume von den Zeiten der fernsten
Ahnen bis zur hellen Gegenwart. Aber neben und mit der Sprache und ihrer
Literatur gilt es, die D i n g e zu studieren, besteht doch die Weisheit in
den Dingen und nicht in den Wb'rtern: Landeskunde, politische und Sitten-
geschichte, bildende Kunst und Volksleben. Fasst der Lehrer seine hochste
Aufgabe so, dann wird er nicht leicht in Gefahr geraten, in padagogischen und
philologischen Kleinkram zu versinken, das Leben und seine Forderungen
aus dem Auge zu verlieren, und er wird hoch denken von seinem Berute auch da,
wo er ihn durch die Niederungen der elementaren Unterweisung und halb
mechanischer tibung fiihrt. Wir Lehrer der lebenden Sprachen sind an be-
scheidener Stelle Vermittler des Volkerverstandnisses, FCrderer des Volker-
friedens. Die Kulturaufgabe der Menschheit kann von einem Volke, und ware
es das gottgesegnetste, nicht gelost werden; wir konnen ohne England und
Frankreich materiell wie geistig ebensowenig mehr leben, wie diese ohne uns.
Nur wer das erkannt hat, wem seine tagliche Arbeit von jener hoheren,
idealen Aufgabe geadelt wird, ist ein echter Lehrer der neueren Sprachen; im
letzten Grunde nicht ein scharfer Linguist, ein gelehrter Literarhistoriker, ein
Phonetiker, ein Methodiker und Padagog, sondern der Kenner und Deuter eines
fremden Volkstums, einer mitstrebenden Nation, ihres Landes, ihrer Ge-
schichte und ihres Geistes. Wir sollen gegeniiber einem verstiegenen Teutonen-*
turn die ijberzeugung wecken und stiirken, dass zur Erreichung des Kultur-
zweckes mehrere Sprachen und Volker notwendig sind, dass neben alter po-
litischer und industrieller Erbfeindschaft und Nebenbuhlerschaft es auch eine
jahrhundertelange Erbbriiderschaft der Ideen und Interessen gibt, durch die
wir mit England und Frankreich verbunden werden. So gefasst, ist die Auf-
gabe des neuphilologischen Studiums und des Unterrichts in den lebenden
Sprachen eine unvergleichliche und einzige: Nicht ein Vergangenes, Fertiges,
triimmerhaft uberliefertes gilt es zu erkennen, sondern ein Lebendes, Wir-
kendes, das in liickenloser Vollstiindigkeit vor uns liegt, unmittelbar neben
und mit uns atmet und arbeitet. Was gabe ein Altphilologe darum, wenn fiir
einen Tag nur Forum oder Agora sich wieder fiillten und antikes Leben nicht
nur aus Triimmern zu ihm sprache, wenn der Ton der griechischen Rede nicht
aus der Feme der Jahrhunderte undeutlich und entstellt ihn erreichte, sondern
ein einzig Mai unmittelbar neben ihm an sein Ohr klange, wenn alles auf-
erstiinde und wandelte und neben ihm webte und sich beobachten Hesse. Das
alles ist uns Neuphilologen vergonnt; was jenen Rom und Hellas, sei uns
312 Padagogische Monatshefte.
England und Frankreich, ein Gegenstand des Studiums bis ins Kleinste des
ausseren und inneren Lebens. Einen so vielgestaltigen Organismus wie Frank-
reich oder England kennen zu lernen, intim zu beobachten, unbefangen aus
seinen Daseinsbedingungen in Gegenwart und Vergangenheit zu verstehen und
zu wiirdigen, dies Verstandnis durch den Unterricht in der franzosischen und
englischen Sprache und die Einfiihrung in ihre Literatur zu vermitteln, das
1st in der Tat eine hohe Aufgabe. Man wende mir niclit ein, das gehe weit
hinaus iiber die eigentliche Aufgabe der Philologie, welche sich doch auf die
Erforschung der Sprache und der in ihr ausgepriigten Geisteswerke beschranke.
Wenn als die hb'chste Aufgabe der klassischen Philologie die Rekonstruktion
der gesamten triimmerhaft iiberlieferten antiken Kultur bezeichnet ist, so
gilt es fiir die neuere Philologie, die gesamte er.glische und franzosische (oder
romanische) Kultur zu durch forsch en und darzustellen; in beiden Fallen ge-
hb'ren dazu neben rein philologischen Studien Kenntnisse geographischer, po-
litischer, kulturgeschichtlicher Art. Und letzte Aufgabe des Untcrrichts an
hoheren Schulen kann nicht die Befahigung zu einer gewissen praktischen
Fertigkeit sein. Soweit der Neuphilologe sich zum Lehrer bestimrat, wird er
also von vornherein den Umfang seines Interesses iiber das Sprachliche und
Literarische hinaus zu erweitern haben."
Herrliche Worte, die sich ein begeisterter Lehrer der lebenden Fremd-
sprachen, gleichviel welcher, gleichviel wo er wirkt, ob daheim oder in der
Fremde, nicht tief genug einpragen, nicht oft genug wiederholen kann;
Worte, die, unabhangig von der Tagesmode, stetsfort ihren Wert, ihre
Jugend behalten werden; Worte, die allein geniigten, dem hochverdienten
Verfasser, der nunmehr heimgegangen ist, einen bleibenden Ehrenplatz in
der Geschichte der deutschen Schule zu sichern.
Um aber zur niichternen Wirklichkeit zu kommen: zugegeben, dass
auch hierzulande fiir uns Lehrer des Deutschen das von Waetzold gesteckte
ideale Ziel gilt, — und wer wollte das bestreiten ? — wie kb'nnen wir hoffen,
ihm naher und naher zu kommen; welche besondern Schwierigkeiten haben
wir zu bekampfen; welche besondern Vorteile geniessen wir; welche beson-
dern Hilfsmittel stehen uns zur Verfiigung?
Zunachst ist an die Vorbildung des Lehrers ein Massstab zu legen, der
da ansetzt, wo nach der Ansicht und dem Diinkel gar mancher die denkbar
hochsten Anforderungen schon befriedigt sind. Ein Zustand, wie er noch in
einigen Teilen des Landes herrschen soil, wo namlich ein Kandidat fiir das
Lehramt an Sekundarschulen nach einjahrigem, sage und schreibe einjahri-
gem Studium des Deutschen an College oder Universitat, wohlgemerkt ohne
jegliche weitere Vorkenntnisse, von seiner Anstalt eine Empfehlung als
Lehrer des Deutschen, wenn auch nur im Nebenfach, erhalten kann, ein
solcher Zustand ist gottlob doch nur eine Ausnahme und hoffentlich eine, die
man in einem Jahrzehnt als eine Mar aus der Urvater Tagen behandeln
wird. Aber wieviele gibt es noch, die, wenn sie die deutsche Grammatik
hidlich beherrschen, einen deutschen Text in ertraglich.es Englisch zu iiber-
setzen verstehen, vielleicht zwei, drei Biicher mehr gelesen haben, als sie in
Land und Leute. 313
der Schule durchzunehmen haben warden, damit schon der Weisheit letzten
Schluss gefunden zu haben glauben! Gibt es doch selbst Lehrbiicher, bei
denen der unbefangene Beurteiler den Eindruck nicht los werden kann, dass
ihre auffallende Beliebtheit lediglich dem Umstande zuzuschreiben ist, dass
der Lehrer sich auf des Katheders stolzer Hohe unerschiitterlich behaupten
kann, sofern er nur seiner Klasse regelmassig um eine Lektion vorbleibt. Das
Ziel, das uns bei der Ausbildung deutscher Lehrer vorschweben sollte, miisste
einen griindlichen vierjiihrigen Lehrgang in der Sprache an der Sekundar-
schule, einen ebensolangen an College oder Universitat, ein einjahriges
Spezialstudium zur Erwerbung des Magistergrades und einen zum mindesten
einjahrigen Aufenthalt in Deutschland, der nach Belieben auch wahrend der
Studienzeit genommen werden konnte, in sich schliessen. Unerlasslich ist der
Aufenthalt im Auslande in jedem Falle; am allerwichtigsten gerade scheint
er uns das fiir den, der die Anfangsgriinde in der Fremdsprache zu legen hat.
Fur die, die das Deutsche nur als Nebenfach zu betreiben gedenken, und
denen der Aufenthalt in der Fremde allzu kostspielig werden konnte, waren
entsprechend leichtere Bedingungen zu stellen. Die meisten wiirden wohl
:hr Auslandsjahr am liebsten mit gleichzeitigem Studium auf einer deutschen
Universitat zu verbinden wiinschen. In vielen Fallen ware davon direkt
abzuraten; was der zukiinftige Sprachlehrer auf dieser letzten, wrichtigsten
Stufe seiner Vorbereitung braucht, ist nicht so sehr eindringendes Spezial-
studium zur Erwerbung hoherer akademischer Wiirden als vielmehr Be-
kanntschaft mit dem deutschen Volk und Verstandnis fiir seine Kultur in
den mannigfachsten Erscheinungsformen.*)
Gerade hierin nun hat der geborene deutsche Lehrer, zumal der, der
einen grossen Teil seiner Studienjahre im Vaterlande verbracht hat, dem
Angloamerikaner gegeniiber einen Vorteil, der manches — sagen wir ruhig,
das meiste von dem, was sonst gegen ihn geltend gemacht wird, aufwiegen
diirfte. Selbstverstandliche Voraussetzung dabei ist, dass er, frei von aller
Teutschtiimelei, sich ehrlich bestrebe, der Kultur seines Adoptivvaterlandes
ebensoviel liebevolles Verstandnis entgegenzubringen, als es von einem ge-
*) Der Verfasser, dessen Ausfiihrungen wir freudig zustimmen, wird uns ver-
zeihen, wenn wir hier einige Worte pro domo einfiigen. Das Nationals
Deutschamerikanische L e h r e r s e m i n a r hat sich die Aufgabe
gestellt, dem zukiinftigen Lehrer des Deutschen gerade das in seinen Beruf mitzu-
geben, was der Verfasser als Gmndbedingung eines erfolgreichen Unterrkhtes be-
zeichnet: das Aufgehen in den Geist deK, deutschen Sprache und Literatur, sowie
eine Vertrautheit mit der Geschichte und Kultur des deutschen Volkes, wodurch
der werdende Lehrer instand gesetzt wird, die eigenartigen Erscheinungen im
Staats- und Volksleben Deutschlands mit richtigen Blicken zu erfassen. Bei solchen
Vorbedingungen aber und bei der griindlichen piidagogischen Ausbildung unserer
Zoglinge werden diese mehr denn andere Zoglinge befahigt sein, der Arbeit des
Universitatslehrers zu folgen, und wir sind uberzeugt, dass sie auch ihren Beruf im
Sinne der obigen Ausfiihrungen auffassen werden. D. R.
314 Padagogische Monatshefte.
bildeten Auslander, und ein gut Teil mehr, als er von seinen Schiilern fur
sein eigenes Volkstum ervvarten darf; denn Jung-Amerika ist bekanntlich
schwer zu iiberzeugen, dass neben der Kultur seines Landes sich eine andere
sehen lassen kb'nne. Hier ist die Gefahr, dass der geborene Deutsche, der
seine Uberzeugung nicht opfern will, gelegentlich anstosst; und um das zu
vermeiden, braucht er ausserordentliches Feingefiihl. Verstandnis fur die
Eigenart des fremden Volkstums, zum mindesten den redlichen Willen dazu,
bringt er aber in der Regel mit; in den meisten Fallen geniigt zum Beweise
dafiir schon der Umstand, dass er gesonnen ist, Burger eines andern Landes
zu werden, d. h. die Tatsache seiner Auswanderung selbst.
Es ist leicht zu erkennen, welche aussergewohnlichen Vorteile da erst
der geborene Amerikaner deutscher Abkunft geniesst, in dessen Familie
deutsche Sprache und deutsche Traditionen liebevoll gepflegt worden sind.
Dies weiter auszufiihfen, verbietet der Raum; und eigentlich hiesse es auch
Eulen nach Athen tragen.
Weniger befriedigend diirfte die Antwort auf die Frage lauten, welche
technischen Mittel uns fur die Schule zu Gebote stehen, und welche Aus-
wahl wir bei den soweit vorhandenen Lehrbiichern fiir die Lektiire mit be-
sonderer Riicksicht auf das Ziel, die Schiller mit Land und Leuten bekannt
und vertraut zu machen, treffen konnen.
Vor einiger Zeit sah ich ein Bild, eine Szene in der Ecole des Forains
(Auswartigenschule) zu Paris darstellend, das sich mir unausloschlich ein-
gepragt hat. An der Vorderwand hing eine grosse Wandkarte, auf der
Frankreich und Russland etwa in der Provinz Schleswig-Holstein zusammen-
jirenzten ; ein dreieckiger Zipfel, den die beiden Lander vom Deutschen Reich
mit lobenswerter Bescheidenheit nicht verschluckt hatten, war zu Osterreich
geschlagen. Es bedarf keines Beweises, dass wir einer solchen zukunftskarto-
graphischen Musterleistung gerne entraten. Aber eine Karte von Deutsch-
land, unseres Erachtens noch besser eine von Mitteleuropa, wie etwa die
Kiepertsche, sollte in keinem deutschen Klassenzimmer fehlen. Dafiir miisste
unbedingt jede Schule, auch die kleinste, die notigen Geldmittel bewilligen.
Auch fiir sonstige passende Ausstattung des deutschen Klassenzimmers
ware zu sorgen. Landschafts-, Genre- und historische Bilder, Portrats einiger
Klassiker und anderer grosser Deutscher sind in alien Ausfiihrungen und in
jeder Preislage zu beschaffen. Hier ware ein schones Feld fiir private Frei-
gebigkeit wohlhabender Deutschamerikaner und sonstiger Freunde deutschen
Wesens ; auch die Ertrage von Schiilerauffiihrungen und freiwillige Beitrage
der Schiiler, wenn auch noch so gering, konnten einen Grundstock abgeben;
von bescheidenen Anfangen ausgehend liesse sich nach einheitlichem, wohl-
durchdachtem Plane nach und nach eine kiinstlerische Schatzkammer her-
stellen. Der Schulbibliothek oder einer eigenen Biicherei der deutschen Ab-
teilung waren illustrierte Werke iiber Deutschland (wie etwa Kiirschners
Land und Leute. 315
prachtiges Buch ,,Das ist des Deutschea Vaterland!") und deutsche Ge-
schichte einzuverleiben. Und, um nur eine Kleinigkeit zu ervvahnen, ein
Abreisskalender mit guten deutschen Landschaftsbildern, wie der Meyersche
oder der von Konig und Ebhardt, kann unter Umstanden Wunder wirken.
Bildliche Darstellungen, die den Unterricht zu beleben vermogen, gibt es in
Menge; eine Durchsicht einschlagiger Verzeichnisse ist reichlich der Miihe
wert.
An Biichern fiir die Hand des Lehrers fehlt es nicht, um sich in einzelne
Teile des grossen, fruchtbaren Gebietes tiefer einzuarbeiten. Die Nennung
weniger Titel, die ohne Miihe verzehnfacht werden kb'nnten, muss geniigen.
Fur Volks- und Heimatkunde, alien voran, Hans Meyers ,,Das deutsche
Volkstum," kiirzlich in zweiter Auflage erschienen; Friedrich Ratzels
,,Deutschland. Einfiihrung in die Heimatkunde" (leider nicht sehr leicht
lesbar) ; Oskar Weises liebenswiirdiges Biichlein ,,Die deutschen Volks-
stamme und Landschaften." Fiir deutsche Geschichte: David Miillers ,,Ge-
schichte des deutschen Volkes" ; Hendersons ,,A Short History of Germany ;"
Simes' ,,History of Germany." Fiir Kulturgeschichte : Gustav Freytags
,,Bilder aus der deutschen Vergangenheit ;" Albert Richters ,,Bilder aus der
deutschen Kulturgeschichte."
Aber an passenden Texten fiir die Klassenlektiire in Obereinstimmung
mit den obigen Ausfiihrungen ist hierzulande erheblicher Mangel. Ver-
schwindende Ausnahmen abgerechnet, bewegen sich — ein Blick in die
Kataloge der grossen Verlagshauser bestatigt es — unsere Textbiicher fast
ausschliesslich auf dem Felde der erzahlenden Dichtung. Nicht einmal Ge-
schichte und Biographic kommen zu ihrem Rechte, geschweige denn Landes-
kunde, Volksleben, Industrie und Verkehr. Man halte dagegen einmal das
Verzeichnis der ,,Schulbibliothek franzosischer und englischer Prosaschriften
aus der neueren Zeit, herausgegeben von L. Bahlsen und J. Hengesbach."
Ostern 1902 wies diese Sammlung fiirs Englische folgende Titel auf:
Tyndall, Fragments of Science ; Draper, History of the Intellectual Develop-
ment of Europe; Green, Modern England; Escott, England, its People,
Polity, and Pursuits; Brewster, Newton; McCarthy, The Crimean War;
Waterton, Wanderings in South America; Smiles, Industrial Biography;
Society in London; Black, Scottish Highlands; Great Explorers and In-
ventors ; Hope, Schoolboy Life ; English Life and Customs ; Besant, London ;
Mark Twain, Prince and Pauper; Fyfe, Triumphs of Invention and Dis-
covery; derselbe, The World's Progress; Corbet-Seymour, Romantic Tales
of Olden Times; Fyfe, History of Commerce; Barker, Station Life in New
Zealand; Home Rule; Useful Knowledge; J. S. Mill, On Liberty; Hope,
Holiday Stories; South Africa; Gordon, London Life and Institutions;
Mason, The Counties of England; Dickens, Christmas Carol; Modern
Travels and Explorations; Heroes of English Literature; Great English-
316 Padagogische Monatshefte.
women; Markham, One Century of English History; English Letters;
Goldwin Smith, A Trip to England; Ruskin, Chapters on Art; Escott,
Social Transformations of the Victorian Age; Greater Britain; Queen
Victoria; Modern English Novels; In the Far East.
Anstatt unsern Schiilern eine gleich kraftige Kost vorzusetzen, regalie-
ren wir sie nach alien Regeln der Kunst mit Marchen, Kindergeschichten
und Darstellungen, wie der deutsche Jiingling und die deutsche Maid — auf
dem Papier — schmachten und lieben. Nicht als ob nicht auch das in seiner
Weise verstattet ware, beileibe ! aber das eine tun und das andere nicht lassen !
Auch die beste, kiinstlerischeste Novellistik vermag kein vollkommenes Bild
vom Volke und von der Zeit des Autors zu geben, selbst zugegeben, dass ihr
das farbenreichste gelingt. Hier miissen die sachlichen Gebiete herangezogen
werden, das Verstandnis zu fordern, Dunkelheiten aufzuhellen, den Ge-
sichtskreis zu erweitern. Der einzige Einwand, der zur Zeit gegen eine um-
fassende Ausdehnung in der Wahl des Lesestoffes in den angedeuteten Rich-
tungen erhoben werden konnte, namlich der, dass wenig solcher Stoff in
Textbuchform erhaltlich ist, verschwindet in nichts gegeniiber der Tatsache,
dass solcher Stoff in Menge beigeschafft werden kann, sobald nur eine Nach-
frage danach existiert; und ein jedes Verlagshaus wird willens sein, geeig-
nete Herausgeber mit der Anfertigung solcher Textbiicher zu beauftragen.
Noch eine fiiichtige Anregung sei mir hier erlaubt mit Bezug auf die
durchschnittlichen Anmerkungen der Mehrheit unserer Texte erzahlenden
Inhaltes. Das Grammatische nimmt in den meisten Fallen einen viel zu
breiten Raum ein. Reduzierte man das auf die wirklichen Schwierigkeiten,
iiber die Schulgrammatiken nicht die notigen Aufschliisse geben, — ab-
geschen davon, dass es eigentlich die Pflicht des Lehrers ware, dafiir zu sor-
gen, — so konnte fur Anmerkungen iiber Land und Leute, von denen man
oft nicht einmal die notwendigsten antrifft, viel Raum gewonnen werden.
Aus einer solchen Anmerkung, vorausgesetzt, dass sie ein Wesentlich.es be-
trifft und gut gefasst ist, rettet der Schiller mehr ins Leben hiniiber als aus
zehn -grammatischen Erorterungen, die seinem Gedachtnis entschwinden,
sobald ihm der Wortlaut der sie hervorrufenden Stelle nicht mehr gegen-
wartig ist.
Und nun mochte ich zum Schlusse noch ein Buch nennen, dem ich einige
der angenehmsten Stunden verdanke, die mir je bei der Lektiire beschieden
gewesen sind, und das ich in jeder Schulbibliothek und in der Bibliothek jedes
deutschen Lehrers hierzulande wissen mochte: William Harbutt Dawson,
German Life in Town and Country ( New York and London, Putnam, 1901,
aus der Sammlung "Our European Neighbors"). Das hiibsch illustrierte
Buch behandelt in seinen dreizehn Kapiteln besonders die Seiten des deutschen
Lebens, iiber die im Auslande die meisten Missverstandnisse herrschen; einige
Uberschriften seien genannt: Social Divisions, Military Service, Public
Der blinde Konig. 317
Education, Religious Life and Thought, Woman and the Home, Pleasures
and Pastimes. Fast jedes Kapitel ist ein Meisterstiick. Der Verfasser, ein
hervorragender englischer Naturwissenschafter, hat langere Jahre in Deutsch-
land gelebt ; und wer den vornehmen Englander noch nicht kennt, lernt ihn
hier kennen und schatzen, denn auf jeder Seite offenbart sich die Kardinal-
tugend des Englanders, fairness, unbeugsamer Gerechtigkeitssinn. Was aber
noch angenehmer beriihrt, ist, dass der Verfasser mit einer herzlichen Warme
schreibt, die sonst des Englanders Sache weniger ist, dass er die Deutschen
nicht nur kennt, sondern sie auch liebt, mit der Liebe, die da bewundert, weil
sie versteht, und die da beim Tadel verzeiht, weil sie begreift. C. C.
Fur die Schulpraxis.
I. Der blinde Konig.*
(Deutsche Schulpraxis.)
Von R. Hecker, Danzig.
I. Einfiihrung in das Lokal der Handlung.
(Schilderung der Situation.)
Unser Gedicht setzt uns an die steile, felsige Nordlandskiiste, welche von zahl-
losen schmalen Meeresbuchten (Fjorden) zerschnitten ist, denen haufig kleine Fel-
seneilande oder Skjaren (van skiir = abgeschnittenes Felsstiick) vorgelagert sind,
sodass ein starker Ruf vom Festlande zu ihnen hiniiberschallt.**)
Nachstehende Skizze mb'ge die Situation veranschaulichen (Wandtafelzeich-
nung.)
In grauer Vorzeit hauste hier das markige, kriegerische Geschlecht der norman-
nischen Seekonige (Vikinger), welche auf ihren scharfgebauten, schnellsegelnden
Fahrzeugen (Meerdrachen) die Fluten der nordlichen Meere durchfurchten und auf
ihren Kriegsfahrten nach dem mittleren und siidlichen Europa (Normannenziige)
weithin Schrecken verbreiteten. Volkstiimliche Siinger oder Rhapsohen (Skalden)
*) Obige Skizze beansprucht nicht den Charakter eines streng formalen Lek-
tionenentwurfs, sondern will nur einige interessante neue Gesichtspunkte fiir die
Behandlung des schSnen Gedichts bieten. Zugleich will die Arbeit Richtungslinien
fiir die Ausbeutung derartiger epischer Stoffe geben.
**) Wenn wir als Schauplatz des Gedichts die Kiiste Skandinaviens und nicht
wie andere Erkliirer die felsigen Orkneyinseln nordlich von Schottland wahlen, so
verlegen wir damit die Handlung aus dem Bereich der giilischen (keltischen in den
der gerraanischen Sage, was der nationelen Tendenz Uhlands mehr entspricht. Jene
winzigen Felseneilands, deren Bewohner sich kiimmerlich vom Fischfange und der
Vogeljagd nahren, diirften auch in iilterer Zeit kaum die Bedingungen fiir die
Existenz auch nur eines kleinen Konigreichs (Clanschaft) gewahrt haben, wodurch
zugleich die Erwillmung der Skalden in Frage gestellt wird. Selbstredend ist unsere
Ansicht nur als' Hypothese, der aber die Begriindung nicht fehlt, anzusehen.
318 Padagogische Monatshefte.
verherrlichten die ruhmvollen Kriegstaten hervorragender Vikinger in Heldenlie-
dern (vergl. Str. 5).
An diese eben geschilderten Verhaltnisse kniipft nun Uhland, der seine Stoffe
rait Vorliebe dem romantischen Mittelalter oder alten Sagen entlehnt, an und
schildert uns eine ergreifende Episode aus den Kampfen dieser nordischen Recken.
II. Zur Wort- und Sacherklarung.
Str, 1. ,3ord" = Meerufer (B o r d, eigentlich das Erhabene, Hohe, dann das
Ausserste die Spitze). — ,,Eiland" (agls. eigland, von Ei, Insel und Land) =
Insel.
Str. 2. ,,F e 1 s v e r 1 i e s". Verlies wird nicht von verlassen (,,Verliess")
abzuleiten sein. In Holland heisst Verlies sowohl Verlust als Gefangnis,
Soweit hangt das Wort mit verlieren (mhd. verliesen) zusammen. (Nach
Leimbach.)
Str. 3. ,,H unenschwert" = Riesenschwert (a. d. Hun = Hunne).
Str. 4. ,,F e c h t e r = Kampfer, Heergefolge der Vasallen, welche nach alt-
germanischem Brauch dem Fiihrer zur Treue bis in den Tod (Blutbann) verpflichtet
waren. Um so verachtlicher tritt die Feigheit dieser Kriegerschar, der die Kiihnheit
des jungen Thronerben als Folie dient, hervor.
Str. 5. ,,Skalden" (altn. skalld) hiessen Dichter oder Sanger der nordischen
Yb'lker. ,,S i e i s t der SkaldenPreis" = das Heldenschwert des alten
Seekb'nigs wurde von den Skalden (Barden) als uniiberwindlich in vielen Helden-
liedern gepriesen.
Str. 8. ,,G u n i 1 d", eig. Chunihilt, die Heldin aus vornehmem Geschlecht.
(Kehrein.)
II. Deklamatorischer Vortrag.
Sehr wirkungsvoll, an sich schon eine langatmige Behandlung xiberfliissig
machend, ist die Deklamation*mit verteilten Rollen. Der
Chor (10 — 12 ausgewahlte Schiiler) liest in gehaltenem, leicht gedampften Tone
die Einleitung (Epilog), die der Haupthandlung in echt epischer Breite eingefiigten
Stellen, sodann die der Fechterschar in den Mund gelegten Zeilen ff. Je ein Schiiler
liest die Worte des blinden Konigs, der Hiinen, wie des jungen Kb'nigssohnes. —
In Str. 2 muss der Leseton die ergreifende Klage des unglxicklichen Vaters, sein
inbriinstiges Flehen um die Freilassung der lieblichen Gunilde, welche das Gliick
seines Alters bildet, durch entsprechende Modulation und zarte Abwagung der
stimmlichen Accente malen.***) Welche Gegensiitze sind in dem letzten Teil
der Strophen zu beachten ? Lies diese Zeilen ! ( ,,D i r ist es ewig Schande, m i r
beugt's das graue Haupt.") — In grellem Gegensatz zu der eben angedeuteten see-
lischen Erregung der Hauptperson steht die hohnvolle Antwort des Riesen, der allein
auf das Recht des Stiirkeren pocht.
Insbesondere ist der wundervoll geschilderten Kampfszene in Strophe 6, die in
schoner Lautmalerei durch allmahliches Anschwellen, sodann schrilles Ab-
brechen des Stimmfalls des Chores die einzelnen Phasen des Kampfes bis zu*r
blutigen Katastrophe wirkungsvoll zur Darstellung bringen muss, besondere Be-
**) Verfahrt der Unterrichtende in der Weise, dass er das Gedicht erst selbst
mbglichst mustergiltig vorliest und die besonderen Schattierungen des Lesevortrags
in der angedeuteten Art ausfiihrt: so ist fiir die Erliiuterung eigentlich das We-
sentliche vorweg geschehen, da nichts verkehrter ist, als Stimmungen und Gefiihle
in ein Stiick hineintragen zu wollen, die der Dichter gar nicht hineingelegt.
Der blinde Konig. 319
achtung zu widmen. Die Schiller, namentlich die reiferen, stehen dann unter dera
unmittelbaren Eindruck einer packenden, dramatisch gehaltenen Handlung und ihr
Interesse, das asthetisehe, wie sympatetische, ist aufs hochste angefacht.
Die von Gliick und Jubel iiberwallende Schlussstrophe, der aber der wehmiitige
Hauch eines Todesahnung beigemischt ist, stellt an den Deklamator insofern sehr
hohe Anforderungen, als hier eben diese Mischung seelischer Affekte, wie die klare
Hervorhebung der gehauften Apostrophen (,,Sohn", ,,Gunilde", ,,du Befreite")
schwer darzustellen ist.
IV. Zur Analyse und Synthese des Inhalts.
Aufbau und Anordnung unserer Rhapsodic sind meisterhaft. Str. 1 bildet eine
wundervolle Einleitung (Exposition), Etr. 2 — 8 schildern uns den Verlauf und die
Vollendung der Haupthandlung in vorziiglicher Weise und Strophe 9 endlich bildet
einen ungemein ergreifenden, versb'hnlichen Abschluss, der zugleich auf die G r u n d-
i d e e hinweist. Dieselbe entspricht derjenigen vieler anderer Dichtungen Uhlands,
in den en die deutsche Treue und ritterliche Heldenkraft verherrlicht werden. Letz-
tere findet in der Person des Heldenjiinglings, den warme Liebe zu den Seinigen
und starke Ruhmbegierde in den ungleichen Kampf treiben, einen durchaus wiirdigen
Vertreter. Das Ganze ist ein riihrendes Bild aufopfernder Sohnesliebe und iiber-
quellenden Vaterstolzes ! Ps. 127, 3: Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn. —
Gerade das psychologische Moment, der Einblick in den Seelenzustand
der handelnden Personen, in die Triebfedern der todesmutigen Aufopferungsfahig-
keit des Heldenjiinglings, das zarte, innige Familienverhaltnis zwischen Vater und
Geschwistern, bildet einen der hervorragendsten Reize des schonen Gedichta und
erhoht ungemein den unterrichtlichen Wert dessleben.
Zum Vergleich geben wir nachstehend die von Fr. Polack in der Anthologie
,,Aus deutschen Lesebiichern", Bd. II, S. 422 gewahlte Form der Grundgedanken :
,,Liebe macht stark und Treue siegt! Unrecht und Gewalt finden stets ein Halt! —
Gute, liebe Kinder sind stets fiir ihre Eltern ein Stab im Leben, ein Schirm im Un-
gliick, der Augen Licht, des Herzens Freude und des Grabes schonstes Denkmal." —
Wollen wir eine strenge logische Fassung des Gedankengangs wahlen ,so ergiebt
sich nachstehende Disposition (zu entwickeln!) :
I. Einleitung (Exposition), die die Hauptperson und zugleich das Lokal
der Handlung vorfiihrt, Str. 1.
II. Haupthandlung:
a. Klage des blinden Konigs, Str. 2.
b. Der Hohn des Raubers, Str. 3.
c. Das Auftreten des Befreiers (Xebenepisode) Str. 4 und 5.
d. Die Befreiung, Str. 6—8.
m. S c h 1 u s s, Str. 9.
Auch die sprachliche und metrische Form gehb'rt zu dem Vollea-
desten, was der Dichter geschaffen. Die von ihm in echt epischer Darstellung ge-
gegebenen Gegensatze bilden wie oft bei Uhland (die ,,Kapelle") einen Haupt-
reiz der Darstellung, die von Anfang bis zum Ende in einer durch dramatische Le-
bendigkeit und pragnante Kiirze ausgezeichneten Sprache die Handlung vorbereitet,
fortfiihrt und zu einem ungemein wirkungsvollen Abschluss bringt. Der tiefge-
beugte konigliche Greis, die Heldengestalt seines Sohnes, die liebliche Erscheinung
der blonden Konigstochter Gunilde, der ungefiige trotzige Recke und die feige Fech-
terschar: sie alle treten in lebensvoller Klarheit vor unser geistiges Auge und er-
weisen das meisterhafte epische Darstellungstalent des grossen schwabischen Dich-
320 Padagogische Monatshefte.
ters, verraten aber auch damit Grundziige germanischer Eigenart, wie wir
sie bei Personen keltischen Stammes kaum finden diirften.
Das fliissige jambische Versmass ist ein sehr gliicklich gewahltes - ausseres
Kleid fiir unser Gedicht; dasselbe schmiegt sich den einzelnen Phasen der Hand-
lung ungekiinstelt an und gibt dem Ganzen eine harmonische Abrundung. Die
letzte Vershalfte bildet mit ihren regelmassig einsetztenden gleitenden Reimen eine
Art Gegenstrophe zum ersten Teil und erinnert in ihrem Aufbau fast an die
Nibelungenstrophe. Vielfach ist auch die alte Kunstform des Stabreims in An-
wendung gebracht: ,,Und schlagt an seinen Schild" (Str. 3) — ,,Und keiner kampft
um sie ?" und besonders in Strophe 6 : ,,Der Schild und Schwerter Schall" etc.
1. Gebt eine Charakteristik des blinden Kb'nigs!
2. Auf satzentwurf : ,,Der blinde Konig." (Eine Erzahlung.)
Auf einer kleinen Insel an der rauhen Nordlandsktiste hauste vor graueu
Jahren ein wilder Riese, welcher die benachbarten kleinen Eilande und auch den
in unmittelbarer Nahe liegenden Strand durch Raub und Gewalttat heimsuchte.
Einst hatte er die liebliche Tochter eines benachbarten Seekb'nigs, namens
Gunilde, welche am griinen Gestade des Meeres mit ihren Gespielinnen weilte, heim-
tiickisch geraubt und hielt sie in einer finsteren Felsenhohle verborgen. Der un-
gliickliche blinde Vater, welchen die Last des Alters beugte, eilte zu spat zur
Hilfe herbei und erflehte vergebens in riihrenden Ausdriicken die Freilassung des
geliebten Kindes. Der wilde Hiine, welcher am jenseitigen Ufer des die Insel vom
Festlande trennenden schmalen Meeresarmes stand und die Klagelaute des ehr-
wiirdigen Greises deutlich vernahm, liess sich dennoch nicht erweichen, sondern ver-
hohnte denselben und wahnte straflos auszugehen, da die Krieger ihren Heerkonig
feige im Stiche lassen.
Da naht ein Retter in der Person des jungen Konigssohnes, welcher, umgiirtet
mit dem Heldenschwert des Vaters, iiber den Meeresarm setzt und den Kampf mit
dem Umholde aufnimmt. Dieser unterliegt nach heissem Ringen der jugendlichen
Kraft des Heldenjiinglings, der nun die Schwester befreit und mit ihr vereint zu
dem ungliicklichen Vater zuriickkehrt, der ihnen vom hohen Felsenufer ein freudi-
ges ,,Willkommen!" entgegen ruft und nun, gestiitzt durch die Hoffnung auf ein
wonniges Alter und ein ehrenvolles Grab, gefasst dem Ende seiner Tage entgegen-
sieht.
So verkb'rpert die schone Rhapsodic echt germanischen Heldensinn und die
echte Treue und Liebe eines hochherzigen Jiinglings den Seinen gegeniiber.
3. Der blinde Konig. (Ein Gemalde.)
Vordergrund: Nordische Meereslandschaf t, auf einem von griinlichen
Wogen umtosten Felseneiland der Hiine. Mittelgrund: Die hochragende Ge-
stalt des ehrwiirdigen Greises steht einsam auf einer ins Meer hineinragenden
Felsenklippe. Hintergrund: Das Heergef olge, eine wildzerkliif tete Gebirgs-
'landschaft.
4. Uhlands Gedichte: ,,Rolands Schildtrager" und:
,,D e r blinde Konig." (Ein Vergleich.)
A. Gleiche Ziige.
1. Beide Gedichte sind rhapsodischen Charakters und erinnern in Bezug auf
Inhalt und Form an die alten Heldenlieder. 2. Beide verherrlichen ritterliche Hel-
denkraft und Treue in lebensvollen markigen Ziigen. 3. In beiden treten jugend-
liche Helden fiir den bedrohten Ruhm des Vaters ein und nehmen mutig den Kampf
mit dem iibermachtigen Feiude auf. 4. In beiden unterliegt der machtige Gegner
Der blinde Konig. 321
trotz seiner ungeschlachten Starke und der grosseren jugendlichen Gewandtheit
und Behendigkeit. 5. In beiden Fallen lohnen ein kostlicher Siegespreis und die
vaterliche Anerkennung, letztere lesen wir auch aus Milons Worten heraus, dem
Sieger.
B. UngleicheZiige.
1. Wahrend der Stoff des ersten Gedichts dem Karolingischen Sagenkreise ent-
nommen ist, beruht der Inhalt des letzteren auf freier dichterischer Erfindung. 2.
Die Beweggriinde beider jugendlicher Helden vor der Tat sind nicht ganz gleich, da
Jung Roland mehr aus Besorgnis fur den Ruhm des Vaters, wie aus keeker Aben-
teuerlust die tollkiihne Tat begeht, wahrend der Konigssohn nur aus Liebe zum
greisen Vater und der teuren Schwester den ungleichen Karapf aufnimmt. Den-
noch hat auch das zweite Gedicht einen viel ernsthafteren Charakter und ein
hoheres sittliches Geprage wie das erste. 3. Der ubermut und die stolze Siegesge-
wissheit der reckenhaften Kampen stehen in grellem Kontrast zu dem entschlosse-
nen, todesmutigen Vorgehen ihrer jugendlichen Gegner, die der ungfiigige Hiinen-
kraft Gewandtheit und behende Bewegung mit Erfolg entgegensetzen.
Wahrend aber der junge Konigssohn mit vollem Einverstandnis und unter
heissen Segenswiinschen seines blinden Vaters als Befreier auftritt, unternimmt
Jung Roland ohne Vorwissen des schlafenden Milon den schweren Kampf und
erlangt erst nachtraglich die Billigung seines ihm anfanglich ziirnenden Vaters.
4. Wahrend im ersten Gedicht die einzelnen Stadien der Kampfesszene in breiter
opischer Darstellung geschildert werden, wird im zweiten die blutige Entscheidung
auf dem Eiland in wundervoller onomatopoetischer Malerei und dramatischer Kiirze
angedeutet, so dass auch nach der asthetischen Seite bin der Wert der zweiten
Rhapsodie iiberwiegt.
5. Vergleich zwischen dem Gedicht ,,Der blinde
Konig" und der Geschichte ,,David und Goliat h."
I. Ahnlichkeiten.
a. Beide Stoffe schildern uns einen wichtigen Zweikampf wie derartige Kampfe
in der alten Geschichte vielfach erwahnt werden. b. In beiden Fallen tritt ein
hiinenhafter Ka'mpe auf, der einem Herrscher, bez. seinem Heergefolge Trotz bietet.
c.2 Hier wie dort nimmt ein ungleicher Gegner, ein Jiingling, den Kampf mit dem
iibermachtigen Feinde auf. d. Sowohl in Uhlands Gedicht, wie in der Historie
werden die jugendlichen Helden seitens ihrer Vater gewarnt, jedoch vegeblich. e.
Beide Riesenbezwinger beseitigen die ihnen entgegenstehenden Beden-
ken durch den Hinweis auf ihren durch besondere Umstande bedingten unerschiit-
terlichen Entschluss. f. Jedesmal endigt der Kampf mit dem jahen Fall des
iibermutigen Feindes.
II. Verschiedenheiten.
a. Im ersten Fall trotzt der Hiine einem KSnige und seiner Fechterschar,
wahrend Goliath dem ganzen Israel Hohn spricht. b. Dort ist der nachste Zweck
des Kampfes die Befreiung einer einzelnen Person, wahrend es sich hier um die
Freiheit eines ganzen Volkes handelt. c. Sowohl bei Uhland, wie in der Geschichte
erhalten die Kiimpfer ihre besondere Ausriistung. Wahrend aber David die schwere
Rustling Sauls ablegt und zu einer Schleuder greift, beha'lt der junge Konigssohn
des Vaters Schwert, das nun auch gute Dienste tut. d. Wahrend die Geschichte
in breiter Ausfiihrlichkeit den Hergang des Kampfes schildert, gibt der Dichter
nur wenige Andeutungen, die das Interesse des Hb'rers aufs hochste spannen. e.
Uhlands Gedicht schildert zwar ideale sittliche Verhaltnisse, steht aber offenbar
322 Pddagogische Monatshefte.
noch auf dem Boden des altgermanischen Heidentums, so dass jedes religiose Motiv
fehlt, wiihrend die Historic einen religib'sen Hintergrund hat, was ihr einen ungleich
hoheren Wert verleiht. So erb'ffnet David den Kampf init den von gottvertrauender
Gesinnung getragenen Worten: ,,Du kommst zu mir mit Schwert, Spiess und
Schild; ich aber komme zu dir ira Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes Israels,
den du gehohnet hast." f. Demnach erscheint der Sieg im ersten Fall mehr als
Folge rein menschlicher Tapferkeit, wahrend David, der im Vertrauen auf Jehovahs
Hilfe Goliath entgegentritt, wesentlich als Gotteskampfer erscheint, der fur die
hochste Idee — Freiheit des Volkes und Erhaltung seiner Keligion — sein Leben
einsetzt.
6. Welche Eolle spielt das Schwert in dem vorliegenden Gedichte im Vergleich
zu ,,Siegf rieds Schwert ?"
7. Inwiefern bezeugt Uhlands Rhapsodie ,,Der blinde Konig" den miichtigen
Familiensinn des germanischen Volksstammes ?
Erklare die Ausdriicke ,,Bord", ,,Eiland", ,,Felsverlies", ,,Hiine", ,,Skalde",
,,Gunilde" !
II. Versuchung von Robert Reinick.
(Aus der Schule — fiir die Schule.)
Lehrbeispiel von Lehrer Karl Lichte, Wriezen.
Vorbereitung.
Ehe die Kinder in die Schule gehen, machen sie sich allerlei zu schaffen.
Was tun sie besonders gem? (Sie spielen.)
Dazu schenken ihnen die Eltern meist das Spielzeug, oft aber ersinnen sich die
Kleinen selbst mancherlei, und an diesem haben sie ihre grbsste Freude.
Womit spielen die kleinen Madchen am liebsten? (Puppe.) — Welche Spiele
lieben die Knaben? (Baukasten, Bleisoldaten, Schaukelpferd u. s. w.) — An welch en
Spielen vergniigen sie sich draussen? (Greifen, Blindekuh, Ball, Soldat, Wettlauf
u. s. w.)
So vergniigen sich die kleinen Kinder in froher Lust und die Augen der Eltern
belacheln das frohliche Treiben der sorglosen Jugend.
Diese Spiele und viele andere werden auch vorgenommen, wenn die Kinder
schon in die Schule gehoren. Sobald die Schulzeit beginnt, fangt fiir das Kind ein
neuer Lebensabschnitt, die Zeit der Arbeit, an.
Welche Arbeiten muss das Kind fiir die Schule verrichten? (Die Schularbeiten.)
— Wer gibt diese Arbeiten auf? — Was miissen die Kinder nun tun? (Die von dem
Lehrer aufgegebenen Arbeiten mit Fleiss anzufertigen, ist des Kindes Pflicht.) —
Was ist auch cure Pflicht? — Wann sollt ihr cure Schularbeiten machen? — Was
darfst du tun, wenn diese fertig sind? — Was sollst du also zuerst verrichten?
(Arbeit.) — Was folgt dann? (Spiel.)
Erst die Arbeit, dann das Spiel. Wer nach diesem Worte handelt, erfiillt seine
Pflicht. Das sollt ihr auch tun. Dazu will auch ein Gedicht euch mahnen, das wir
heute miteinander besprechen wollen.
Behandlung.
Vorsprechen oder Vorlesen des Gedichtes seitens des Lehrers. Lies die 1.
Strophe !
Versuchung. 333
Von wein wird hier erzahlt? (Von dem Knaben.) — Wo befindet er sich? (Im
Kammerlein.) — Womit beschaftigt er sich dort? — Was will er dadurch erfiillen?
(Seine Pflicht.)
Mit Lust und Liebe hat er sich an seinen Arbeitstisch gesetzt, um mit Fleiss
seine Aufgaben zu losen.
Wie arbeitet er? (Emsig.) — Gebrauche dafiir ein anderes Wort! (Fleissig.)
- Was lacht bei der Arbeit des Knaben durch das Fenster herein? (Die Sonne
echeint hell und freundlich auf seine Arbeit.) — Wie scheint sie verwundert zu
sprechen? (Lieb Kind, du sitzest hier?)
Sie will wohl sagen: du hattest ja im langen Winter Zeit genug, im Stiibchen
zu sitzen. Jetzt, wo ich nicht nur scheine, sondern aiich warme, musst du dich doch
draussen aufhalten, um mich in meiner Schb'nheit zu sehen.
Wie ladet sie den Knaben ein? (Komm doch heraus u. a. w.) — Wozu will sie
ihn veranlassen? (Ins Freie zu gehen und mit andern Knaben zu spielen.)
Gewiss tummeln sich schon viele Kinder, Spielgenossen des Knaben, draussen
umher im lustigen, blanken Sonnenschein. Einige von ihnen denken auch wohl, dass
das Spiel schoner sei als die Arbeit.
Aber der Knabe lasst sich nicht storen bei seiner Arbeit durch den Lockruf der
Sonne! — Wie spricht er zum Sonnenschein? — Welcher Gedanke fesselt ihn?
(Der Gedanke an seine Pflicht.)
Das war von dem Kanben recht gehandelt. Lerne du es auch von ihm. Es mag
vielleicht etwas Schb'neres geben, als die Arbeit gerade ist, die du verrichten musst.
Lass dich dadurch aber nicht ablocken, deine Arbeit und damit deine Pflicht zu
tun. Nach getaner Arbeit kannst du auch das genissen, was schoner ist oder dir
vielleicht nur schoner scheint. Erst die Arbeit, dann das Spiel!
In halt der 1. Strophe: Lass dich nicht abhalten in deiner Arbeit,
wenn man dir auch Schoneres verspricht.
Lies die 2. Strophe!
Der Knabe hat sich durch die Lockungen in seiner Arbeit nicht storen
lassen.
\Vas tut er vielmehr? — Wer unterbricht ihn in seiner Arbeit? (Ein lustig
Vogelein.) Das lustige Vogelein fliegt vor dem Fenster des Knaben hin und her und
singt sein frohliches Liedchen. Was will es dem Knaben darin zurufen? (Komm
mit u. s. w.)
Ein Gang unter blauem Himmel in den Wald mit seinem herrlichen Griin, auf
die Wiese mit ihrer Bliitenpracht ist eine Freude, die das Herz nur veredeln kann,
und die jeder Mensch, der sie recht geniesst, auch als edle Freude empfindet.
Doch der Knabe lasst sich nicht abhalten durch Versprechungen solcher Freu-
den ! — Wann kann er diese edlen Freuden geniessen ?
Auf jedes weitere Nachdenken iiber diese Freuden lasst der Knabe sich gar
nicht ein; er fahrt fort in seiner Arbeit.
Wie spricht er kurz zum Vogel? (Erst lass mich u. s. w.) — Wie denkt er
wieder? (Erst die Arbeit, dann das Spiel.)
Denke du auch stets so! Es werden auch von Leuten, die euch in der Arbeit
aufhalten wollen, Versprechungen gegeben und dabei allerlei sogenannte Freuden
in Aussicht gestellt. Hort nicht auf sie. Die Freuden, die euch solche Leute, die
meist lockere Vogel sind, versprechen, sind nichtig. Schenkt solchen Menschen
wenig Beachtung. Bleibt fest in eurer Arbeit, die das Leben siisa macht. Nach Be-
endigung derselben geniesst dann die Freuden, die das Herz nur veredeln ko'nnen.
324 Padagogische Monatshefte.
Inhalt der 2. Strophe: Lass dich in deiner Arbeit nicht abhalten,
wenn man dir auch die Freuden des Lebens verspricht!
Lies die 3. Strophe!
Der Knabe arbeitet mit Fleiss welter. Zufallig wendet er sein Auge von der
Arbeit nach dem Fenster. Was bemerkt er dort? (Apfelbaum.) — Wodurch machte
er sich bemerkbar? (Rauscht mit seinen Blattern.)
Der Apfelbaum stand nicht weit vom Fenster entfernt im Garten.
Was sieht der Knabe an den Zweigen des Baumes? (Diese schonen, rot-
backigen Apfel sind ein herrlicher Genuss.) — Wozu kb'nnten sie den Knaben ver-
locken? (Von der Arbeit zu lassen.) — Wie ruft der Apfelbaum dem Knaben gleich-
sam zu? (Schau meine Apfel u. s. w.)
Der Knabe geniesst gewiss gern einen schonen Apfel. Aber er weiss, dass es
jhm gestattet ist, von den Friichten zu essen, wann und wieviel er will. Darum
lasst er sich auch hierdurch in seiner Arbeit, die in kiirzester Zeit vollendet ist,
nicht unterbrechen.
Wie fertigt er den Apfelbaum ab, der ihm so schone Geniisse verspricht? (Erst
lass mich u. s. w.)
Darin sei auch der Knabe fiir dich ein Vorbild. Mit schonen iibertiinchten
Worten sucht so mancher Tagedieb den fleissigen Arbeiter aufzureizen, von der
Arbeit zu lassen, die ihm doch keinen Genuss, keine Befriedigung bringe. Dagegen
weiss er die Geniisse der Welt in den schonsten Farben zu schildern. Hort nicht
auf das lose Geschwatz dieser Menschen. Nur wer arbeitet, soil essen oder ge-
niessen, nur Arbeit macht das Leben suss. Wenn du deine Arbeit gern tust, wird
eie ein Segen werden fiir dich, und es wird fiir dich der hochste Genuss sein, dass
du dich und die Deinen darin gliicklich weisst.
Inhalt der 3. Strophe: Lass dich in deiner Arbeit nicht abhalten,
wenn man dir auch die Geniisse des Lebens verspricht!
Lies die 4. Strophe !
Dem Fleissigen gelingt sein Werk.
Wem ist es auch so gelungen?
Er hat seine Arbeit beendet.
Was tut er, nachdem er fertig ist mit seiner Arbeit? Das zeugt von Sorgfalt
und Ordnung. iJbe du auch solche Ordnung in deinen Sachen und du ersparst dir
manche Miihe und Unannehmlichkeiten.
Wo will der Knabe jetzt nicht mehr bleiben? — Wohin eilt er? — Was tut er
im Garten? — (Springt vor Lust und jauchzt u. s. w.) — Warum kann er jetzt
lustig sein? (Er weiss, dass er seine Pflicht getan hat.) — Er hat nichts versaumt.
Jetzt kann er erst die Freuden doppelt geniessen, und er geniesst sie recht.
Welche Worte der Strophe erziihlen davon? (Juchhe! wie lacht der Sonnen-
schein u. s. w.)
So sollst und kannst auch du dich recht freuen, wenn du in deinem Leben den
Knaben dir zum Vorbild nimmst. Tue furs erste deine Pflicht. Lass dich durch
keine Versprechungen schonerer Aussichten, besserer Freuden und edlerer Geniisse
davon abhalten. Hast du deiue Arbeit beendet und somit deine Pflicht erfiillt, dann
ist noch Zeit genug, dir einen Genuss der Freuden und Schonheiten des Lebens zu
verschaffen. Doch sei in der Wahl derselben vorsichtig. So allein kannst du nur
wirklich lustig oder gliicklich sein.
Inhaltder4. Strophe. Nach getaner Arbeit darf ich mich freuen.
Zusammenfassende Wiederholung.
Zum Gedachtnis John Locke's.
325
Der Mensch soil arbeiten. Das ist seine Pflicht. Im recliten Bewusstsein dieser
Pflicht soil er sich durch nichts in seiner Arbeit aufhalten lassen. Erst nach getaner
Arbeit geniesse er die Freude; dann ist sie ihm dopeplt suss.
Lies die Uberschrift des Gedichtes!
Wir wollen diese Uberschrift aus dem Gedichte erkliiren.
Womit war der Knabe beschaftigt?
Er hat das also getan, was seine Pflicht und Schuldigkeit war. Der Knabe war
auf dem rechten Wege.
Wer will ihn von dem rechten Wege abbringen? ( Sonnenschein, Vogel, Apfel-
baum.)
Wer darauf ausgeht, den Xachsten vom rechten Wege abzubringen, versucht
ihn.
Nenne die Versucher in diesem Gedichte!
Wie heisst ihre Tatigkeit? (Versuchung.) — Warum ist das Gedicht so iiber-
schrieben? (Es wird in dem Gedichte erziihlt, wie ein Knabe vom rechten Wege
abgelenkt werden soil.)
Der Versucher benutzt gewohnlich zu seinem Zwecke die Lieblingsgewohnheiten
des Menschen.
Welche werden hier benutzt? (Freude des Knaben am Spiel, Freude an der
Natur, Vorliebe fiir Obst.)
So macht es der Versucher immer im Leben des Menschen. Man hat vielfach
Zustiinde und Vorgange im Leben beobachtet \md beurteilt und die gefundene Wahr-
heit in ein Sprichwort zusammengefasst. Einige von ihnen, die sich hierauf be-
ziehen, merkt euch:
1. Mit Speck fiingt man Mause.
2. Wer einen Aal fangen will, macht zuvor das Wasser triib.
3. Man fiingt die Drossel mit Beeren, die sie am liebsten frisst.
(Mit Bezugnahme auf das behandelte Gedicht gebe der Lehrer einige kurz*
Erklarungen.)
Zum Gedachtnis John Lockes.
(Gestorben 28. Oktober 1704.)
Lauterbach-Neustadte).
Am 28. Oktober war es Ehrenpflicht der Erzieher, eines grossen Toten zu ge-
denken. Nicht Denkmaler aus Erz und Stein reden in unserer so denkmalfreudigen
Zeit von seinen Taten. Sein stilles in vielfacher Hinsicht segensreiches Wirken
wurde vielmehr lange verkannt und iibersehen; denn er machte nicht in markt-
schreierischer Weise die Welt auf seine Lehren aufmerksam! Es ist Englands
grosser Philosoph, Piidagog, Staatsmann und Arzt John Locke.
Am 29. August 1632 in Wrington bei Bristol als Sohn eines Friedensrichters
geboren, besuchte er die Westminsterschule in London und das beriihmte Christ-
Church-College der Universitat Oxford und studierte Theologie und Medizin an
dieser Hochschule, an der damals noch die alte scholastische Qelehreamkeit mit
alien Spitzfindigkeiten regierte. Xach absolviertem Studium begleitete er ah
Sekretiir einen englischen Gesandten an den brandengurgischen Hof und trat dann
als Arzt, Berater, politischer Sekretar und Erzieher in den Dienst des Lord Ashley
Grafen von Shaftesbury. Nach dessen Sturze begab sich Locke, die Rache Kails II.
326 Pddagogische Monatshefte.
fiirchtend, nach Holland, von wo ihm die glorreiche Revolution zuriickrief. Er be-
kleidete nun noch verschiedene Staatsamter und war u. a. Mitglied einer Kom-
mission fiir Handel und Kolonien. Seinen Lebensabend brachte er auf dem Landsitze
Gates im Kreise einer befreundeten Familie (Masham) zu, wo er auch am 28. Okto-
ber 1704 starb.
Soweit es der Raum gestattet, mb'gen die Faktoren hervorgehoben werden, die
seine Grosse bedingen. Bahnbrechend wirkte er durch sein philosophisches Werk
,,Essay concerning human understanding". Die Seele hat nach ihm keinen urspriing-
lichen Inhalt, ,,sie ist ein unbeschriebenes Blatt Papier", eine vollkommene ,,tabula
rasa". Alle Vorstellungen etc. erhalt sie durch die Erfahrung, die teils eine aussere,
teils eine innere ist. Jene erstere, die ,,Sensation", ist die Auffassung der ausseren
Objekte mittels der Sinne. Ihr gegeniiber steht die ,,Reflexion". Sie umfasst die
psychischen Vorgange als eine besondere Art von Erfahrung, deren Objekte der
Selbstbeobachtung unterliegen. Die Sensation geht natiirlich zeitlich der Reflexion
vorauf, und somit konnte Locke den Fundamentalsatz aufstellen: ,,Nihil est in
intellectu quod non fuerit in sensu". Er hat also das schon von Baco als Universal-
methode fiir alle Wissenschaften aufgestellte empirische Verfahren auf die Psycho-
logie angewandt und gilt mit Recht als der Begriinder der neueren Psychologic,
speziell der des ,,inneren Sinnes". Sehr oft mahnt er auch den Erzieher, die Seele
des Zoglings zu studieren; er weist hier und da auf das Leben und die geistige
Entwicklung des Kindes hin, erortert Verkehrtheiten in der herrschenden Er-
ziehung und erteilt Ratschlage oft von psychologischer Feinheit zu ihrer Beseiti-
gung. Allerdings hat er noch kein formvollendetes regelrechtes System geschaffen,
aber den grossen Gedanken, die Padagogik auf Psychologic zu begriinden, suchte er
bereits zu verwirklichen. Er hat das zwar nicht klar und bestimmt ausgesprochen,
er war sich aber doch, wie viele seiner Xusserungen padagogischen Inhalts bezeugen,
,,in seinem dunklen Drange des rechten Weges wohl bewusst."
Sein padagogisches Hauptwerk sind seine ,,Gedanken iiber Erziehung" (1693).
Aus einem Briefwechesl entstanden, zeigt es wohl die Mangel seiner Entstehung,
enthiilt aber doch eine Menge origineller Gedanken von bleibender Bedeutung. Ein
besonderes Gewicht legt er auf die korperliche Erziehung, veranlasst durch seine
tigene schwachliche Konstitution wie seine hervorragenden arztlichen Kenntnisse.
Schon Rabelais, Montaigne, Comenius waren dafiir eingetreten, Locke aber behan-
delt den Gegenstand viel griindlicher. Seinem Einfluss ist es ja zuzusehreiben, dass
selbsk heute noch die englische Erziehung so grossen Wert auf Leibespflege legt.
,,De& Sbhn eines Mannes- vom Stande soil so erzogen werden, dass er dereinst die
Waffen zu tragen und Soldat zu werden imstande ist." In bezug auf Hygiene fordert
er grosstmoglichste Abhiirtung, kalte Biider und Fusswaschungen, Bewegung in
frischer Luft, leichte nicht beengende Kleidung (kein Korsett) u. dgl. Die Diat soil
einfach und naturgemiiss sein. Dem Schlaf, als dem grossten Starkungsmittel der
Natur, soil geniigend Zeit eingerauint werden. Man hole bei momentanen Unpass-
lichkeiten nicht sofort den Arzt, ,,welcher die Fenster mit Medizinflaschchen und
den Magen mit Apothekerwaren fiillt". Als gymnastische Leibesiibungen empfiehlt
cr Bewegungsspiele, Reiten, Fechten, Tanzen und besonders das Schwimmen aus
Nutzlichkeitsgriinden. Seiner Zeit weit voranschreitend, tritt er fiir Handfertig-
keitsunterricht ein. Zur Erholung und Ausbildung des Korpers soil die Erlernung
von Gartenbau und Landwirtschaft, von Arbeiten in Holz (Zimmermann, Drechsler,
Tischler), Eisen, Messing, Silber, das Schneiden, Polieren und Einfassen edler
Steine, das Schleifen und Glatten optischer G laser etc. dienen. Man darf also wohl
nicht mit unrecht behaupten, dass Locke fiir die Ausgestaltung und grossere Be-
riicksichtigung der leiblichen Erziehung bahnbrechend gewirkt hat.
Zum Gedachtnis John Locke's. 327
Die kirchlich-politischen Wirren Englands im 17. Jahrhiindert sowie der starre
"Widerspruch der gegeniiber den fortgeschrittenen Wissenschaften zuriickgebliebenen
Theologie schufen den Deismus, fiir den neben Herbert Browne vor allem Locke sehr
heftig mit seiner ,,Verniinftigkeit" des Christentums eintrat (1694). Der Gottesbe-
griff ist nach ihm nicht angeboren, sondern wird von der richtig denkenden die
Werke Gottes betrachtenden Vernunft entdeckt. ,,Weniger nachdenkenden Volkern
wurde der Begriff von denen, die ihn batten, iibermittelt; in derselben Lage sind die
Kinder, sie miissen erst mit dem Vorrat einfacher Ideen versehen werden, aus denen
<lie Vernunft den Gottesbegriff zusammensetzt." Von konfessionellen Besonderheiten
absehend, hiilt er sich daher an das Allgemeinste der Religion, ,,durch gelegentliche,
etwa in der Form von Erzahlungen gekleidete Mitteilungen", sagt Locke, ,,fiihre
man das Kind zu der Vorstellung von Gott als dem hochsten Wesen, dem Schopfer,
Erhalter und Regenten, der um die Menschen wisse, ihnen wohltue und von ihnen
Oehorsam erwarte". Die Lektiire der Bibel im Unterricht missbilligt er, weil viele
Stellen die Moral gefahrdsn, andere die Apperzeptionsfahigkeit der Kinder iiber-
steigen; fiir die Hand der Schiiler geniigt ein kurzer Auszug, welcher die Religions-
grundsatze mit den Worten der heiligen Schrift enthalt. Da Locke in der Ab-
neigung historischer Stoffe, im Wissen, den Zweck des Religionsunterrichtes sieht
und den gemiitbildenden Einfluss, die Erwarmung und Veredlung des Gefiihls,
Starkung des Will ens im Dienste des Guten, nicht kennt (letzteres wenigstens nicht
in diesem Zusammenhange), so hat er, wie Gitschmann hervorhebt, bei aller per-
sonlichen Frb'mmigkeit und Glaubenstreue mehr zur Erschiitterung des Glaubens
beigetragen, als die schlimmsten Atheisten. Dennoch soil sein Verdienst
nicht geschmalert werden. Durch seine Befiirwortung einer vernunftgemassen
religiosen Erziehung rettete er seiner und unserer Zeit den freien Gebrauch unserer
Vernunft !
Sein empirisches Denken wie der Rationalismus seiner religiosen Stellung
1 lessen ihn als Ziel der Erziehung die Erlangung zeitlicher und irdischer Gliickselig-
keit ansehen. Das der Menschenbrust eingepflanzte Streben nach Wohlbefinden soil
unter Aufsicht des Verstandes und der Vernunft gestellt werden; geboten ist das
Begehren von dauernden, dem ewigen Gliick nicht widerstrebenden Giitern, das Er-
streben der Wahrheit oder freigewollte Ausiibung des Guten um seiner selbst willen :
cine Gedankenreihe, die an Kant erinnert. Da aber bei seiner eudamonistischen Le-
bensansicht von einem rein sittlichen, d. h. von jeder Nebenabsicht freien Streben
nicht die Rede sein kann, so ist seine Idee der Gliickseligkeit ethisch wertlos. Gleich-
wohl regte sie damals viele warmherzige Freunde der leidenden Menschheit, die
,,Philantropen", zu segensreicher Tatigkeit im Dienste der Gesamtheit an. Locke
ist also mit vollem Recht der Vorlaufer und geistige Vater des Philanthropinismus.
Als Sohn streng puritanischer Eltern, sowie als Zeuge der eittlichen Verkom-
menheit unter Karl II. gab Locke der moralischen Erziehung in seinem Programm
eine zentrale, herrschende Stellung, ,,Tugend, aufrichtige Tugend ist das schwierige
und wertvolle Teil, wonach in der Erziehung gestrebt werden muss". Das Haupt-
mittel hierzu ist anfanglich die Gewohnung, und zwar nicht nur Unterdriickung der
sinnlichen Triebe, sondern, wo geboten, auch ihre Unterstiitzung, dasselbe Prinzip,
das spater Schleiermacher wieder zu Ehren brachte. Mit grosserer Sorgfalt als
Comenius im Informatorium der Mutterschule beantwortete Locke die Fragen, wie
dem Kinde Gehorsam, Mut, Wahrheitsliebe, Menschenfreundlichkeit und Fleiss, wo-
2u bei ihm noch Wohlanstandigkeit und Takt im Umgange kommt, eingepflanzt
wird. Den wichtigsten Ersatz fiir die Anwendung korperlicher Strafen sieht er ia
der Appellation an die Vernunft und das Ehrgefiihl der Kinder. Letzteres ist natiir-
328 Padagogische Monaishefte.
Jich nur so lange zu benutzen, als das Kind infolge niedriger intcllektueller Ent-
\vicklungsstufe einer anderen Eimvirkung unzuganglich ist.
Das Lernen betrachtet Locke als den mindest wichtigen Teil der Erziehung.
Edit philantropisch klingt der Satz: Man mache dem Kinde das Lernen leicht und
angenehm und bedenke, dass es besser ist, \venn es das Lesen, Schreiben etc. um ein
Jahr spater lernt, als wenn es fiir immer gegen dasselbe Abneigung fasst. Als einer
der grb'ssten Vorkampfer der empirischen Forschung, als Nachfolger Bacos, Freund
Boyles, Sydenhams und Newtons wird er in seinen Gedanken nicht miide, mit
scharfen Worten gegen die scholastische Wortweisheit und Schulphilologie aufzu-
treten. Nur unterschatzt er zu sehr den Wert der formalen, humanistischen Bildung,
,,Der Zogling soil die grosste Miihe auf das verwenden, was am notwendigsten ist,
und der Hauptgegenstand der Sorgfalt soil das sein, was ihm den grossten und
haufigsten Nutzen in der Welt bringt''. Der reinste Utilitarismus ! Mit stolzer Ver-
achtung wendet er sich von Musik und Poesie ab. ,,Musik raubt einem jungen
Menschen zu viel Zeit und fiihrt ihn oft in die absonderlichste Gesellschaft." Uber
die Poesie sagt er: Es ist sehr selten bemerkt worden, dass jemand Gold- oder Sil-
berminen im Parnass entdeckt habe: ,,es weht dort eine liebliche Luft, aber der
Boden ist unfruchtbar". Dagegen ist ihm Zeichnen sehr erwiinscht. ,,Wie viele Ge-
baude sieht ein Mann, wie viele Maschinen, deren Vorstellung durch ein wenig Ge-
schick im Zeichnen leicht festgehalten werden kb'nnte!" Als praktischer Englander
verlangt er auch Stenographic, kaufmannisches Rechnen und kaufmannische Buch-
fiihrung, ,,denn sie sind fiir jeden jungen Mann von grossem Nutzen und Erfolg".
Unerlasslich ist eine gute Handschrift und das Abfassen von Rechnungen. Auch
Unterricht in den Realien fordert er. Der oben geschilderte krasse Utilitarismus ist
aber der Krebsschaden seiner Padagogik. Wenn auch hier dem Extrem verfallen, hat
er doch der padagogischen Reform des 18. Jahrhunderts ihre Bahn gewiesen. Und
liber Rosseau und die Philanthropen hinaus ist die Padagogik und Didaktik der
neueren Zeit mehr oder weniger folgerecht die Lockesche, dank dem stillen besonne-
nen Wirken des Philosophen von Gates.
Berichte und Notizen.
I. Arno Holz und sein Dafnis.
(Fiir die Padagogischen Honatshefte.)
Von Dr. O. E. Lessing.
Noch nie hat ein Dichter so unter dem Unverstand berufsmassiger Rezensenten
zu leiden gehabt, wie Arno Holz. Nach Veroffentlichung des Papa Hamlet
und Auffiihrung der Familie Selirke als ,,konsequenter Naturalist" ab-
gestempelt, nach dem Erscheinen der Sozialaristokraten als klein-
licher Karikaturist und verbohrter Alltagsfanatiker verurteilt, wird er heute, nach
dem grossen Erfolg des Traumulus, als Biilmenspekulant an den Pranger
gestellt.
Dieselbe Presse, die durch perfides Totschweigen oder lappische Witzeleien den
nach hochsten Idealen strebenden Dichter des Phantasus um die Friichte
^ahrelanger Arbeit betrog, kann ihm heute den wohlverdienten Erfolg nicht gonnen.
Richard Nordhausen und Alfred Kerr geraten ausser sich iiber die angebliche
Inkonsequenz des Konsequenten. L'nd der Rezensent der Allgemeinen Zeitung wid-
Arno Holz und sein Dafnis. 329
met dem plb'tzlich Beriihmtgewordenen ebenso sentimentale als holperige Distichen,
als ware der Traumulus ein Verrat an der Kunst.
Gewiss wiegt dieses Theaterstiick leichter, als die friiheren Werke des Dich-
ters. Aber der grosse Goethe wird bewundert, dass er nicht nur den metaphysischen
Faust dichten, sondern auch leichte Singspiele verfassen konnte: der Moderne
wird verlastert, wenn er es einmal wagt, statt eines scheinbar untheatralischen
Milieu-Dramas ein gutes Theaterstiick zu schreiben. Man glaubt, von geistigem
Bankerott und von Verflachung reden zu diirfen, wo der Dichter neben den
Traumulus ein lyrisches Kunstwerk wie den Dafnis gestellt und sich
damit aufs Neue als den genialsten Lyriker des modernen Deutschland erwiesen hat.
Wer kennt nicht den lustigen Zecher, den wahlerischen Gourmand, den liebes-
tollen Don Juan, den naturschwelgerischen Bummler — den ,,bsriihmbten Schaffer"
Dafnis? In den Poesien aller Zeiten und Volker treibt er sein Wesen. Kaum hat
die Ubermacht kirchlicher Askese ihn scheinbar vertrieben, so taucht der unbesieg-
bare Geist dieses menschlichsten aller Menschen wieder auf, bis er in der Schafer-
Poesie des 17. Jahrhunderts seine frohlichsten Triumphe feiert. Er ist eine Ge-
stalt, ebenso typisch wie Ahasver, wie Faust, wie Till Eulenspiegel, wie der Wilde
Jager, wie der Fliegende Hollander. Diese mythische Gestalt — denn zum Mythus
ist sie geworden, wie die andern — hat von jeher in tausend Verkleidungen gelebt.
Aber niemand hat ihr Wesen ganz durchschaut, niemand den gemeinsamen Kern aller
jener Verkleidungen erkannt, ihre typische Bedeutung erfasst, bis sie nun von
Arno Holz in ihrer ganzen Lebensfiille, in greifbarer Korperlichkeit vor uns ge-
stellt worden ist.
Allzu bescheiden hat der Dichter seine Schopfung ,,ein lyrisches Portrat aus
dem 17. Jahrhundert" genannt. Dieser Nebentitel gibt keine Ahnung von der leuch-
tenden Farbenpracht, dem sprudelnden Leben, dem iiberwaltigenden Humor, der
packenden Kraft und philosophischen Tiefe dieser im eigontlichsten Sinn des
Wortes mystischen Dichtung. Es wird manchen geben, der das Buch wegen des
verftihrerisch klingenden Aufdrucks: ,,Fress-, Sauff- und Venuslieder" kauft und
eine Sammlung leerer Pikanterien erwartet. Der beigeheftete Stich Behams, der
grinsende Tod zwischen Adam und Eva, wird einem solchen Kaufer wohl gar als
ein gelungener Spass erscheinen, und der Sinn des darunter stehenden Verses wird
ihm nicht aufgehn:
Horch driimb, wass mein Staub dir spricht:
So vihl Gold hat Ophir nicht,
Alss in ihrem Munde
die fliichtige Secunde.
0 Adame, o Eve,
Vita somnium breve !
Das Leben ein kurzer Traum — diese alte, tiefernste Wahrheit, der Arno Holz
hier in wunderbarer Praganz Ausdruck gibt, ist der Grundton, der all den graziosen
und duftigen Melodien des Buches die nachhaltige Resonanz verleiht.
Der miinnliche Ernst, die furchtlose Ehrlichkeit, der unbeugsam dem Tode
ins Auge schauende Trotz — das ist die Quelle des kostlichen Humors, des tollen
tibermuts, der frischen Lebensfreude, der derben Naturlichkeit, die im Dafnis ver-
korpert ist. Seit Goethe hat es in Deutschland keinen Lyriker gegeben, der iiber
so viele Farben und Tone verfiigt, der gleichermassen den Ausdruck der weichsten
Zartheit und des kraftigsten Pathos beherrscht, der heitere Anmut und kindliche
Naivetat so vollkommen mit tiefer Lebensweisheit in sich vereinigt hiitte, wie Arno
Holz.
330 Padagogische Monatshefte.
II. Der Qermanische Kongress.
Ein germanischer Kongress fand am 16. und 17. September 1904 in der Halle-
fiir Internationale Kongresse auf der St. Louiser Weltausstellung statt. Gleich zu
der ersten Sitzvmg hatte sich ein zahlreiches Publikum, bestehend aus Professorea
der hervorragenden Universitaten, Delegaten des Deutschamerikanischen National-
bundes, deutschen und amerikanischen Kanzelrednern, Schriftstellern und Personen,
die die Schatze der deutschen Literatur und die kulturellen Errungenschaften der
germanischen Volker wiirdigen, eingefunden.
Zweck und Ziel des Kongresses erhellt am besten aus der Ansprache, init der
Dr. C. J. Hexamer, der President des Deutschamerikanischen Nationalbundes, die
Versammlung begriisste:
,,Wie eine Anzahl Bache, die einer Quelle entstammen, sich aus natiir-
lichen Ursachen zeitweilig trennen, um sich spater wieder zu einem
gewaltigen Strom zu vereinigen, so haben sich auch in diesem, meinem Ge-
burtsland, die verschiedenen Volker, durch deren Adern germanisches Blut
fliesst, wieder vermischt. Hier haben Deutsche, Briten, Schweden, Norweger,
Danen und Hollander welche durch machtige Wogen sozialer, politischer und
religioser Stiirme an unsere Ufer geworfen wurden, eine neue Heimat gefun-
den und sich mit den Elementen anderer Rassen zu einer grossen Nation ver-
eint. Es war meiner Ansicht nach ein gliicklicher Einfall der Delegaten zum
letzten Konvent des Deutschamerikanischen Nationalbundes in Baltimore,
einen Internationalen Germanischen Kongress in Verbindung mit der Aus-
stellung einzuberufen. Die Zeit hatte nicht besser gewahlt werden kbnnen,
denn nie zuvor bestand ein so vorziigliches Einvernehmen und eine so allge-
meine gegenseitige Achtung zwischen den germanischen Nationen, als heute.
Von unseren Briidern und Vettern aus den alten Heimaten iiber dem Meerr
welche uns durch ihren Besuch beehrt haben, werden wir offenbar viel lernen
kb'nnen; ebenfalls konnen wir Amerikaner von verschiedener germanischer Ab-
stammung viel von einander lernen.
Ein Kongress, wie dieser — welcher nicht zur Verherrlichung einer Rasser
sondern behufs ernstlicher Forschungen abgehalten wird — ist deshalb von
grosser historischer und wissenschaftlicher Bedeutung. Ja, ich mb'chte sagen,.
dass die wahre Geschichte des amerikanischen Volkes nicht geschrieben worden
ist und nicht geschrieben werden kann, weil wichtige historische und ethnolo-
gische Data noch nicht gesammelt worden sind. Was in dieser Richtung ge-
tan werden kann, hat die Expedition der Deutschamerikanischen Historischen
Gesellschaft durch ihre Nachforschungen in einem kleinen Teil Pennsylvaniena
bewiesen. Es ist hbchste Zeit, dass die Bundes- und Staats-Behorden zur Er-
kenntnis der Wichtigkeit dieser Arbeiten gebracht werden, ehe wertvolle Ur-
kunden und Reliquien verschwinden.
Im Namen des Deutschamerikanischen Xationalbundes heisse ich Sie herz-
lich willkommen. Mogen diesem ersten Kongi'esse noch viele germanische Kon-
gresse in diesem und anderen Landern folgen und ein Einheitsgefiihl zwischen
den Nationen, durch deren Adern dasselbe Blut fliesst, fordern."
Weitere Ansprachen hielten Prof. Learned von der Universitat von Pennsyl-
vanien, der permanente Vorsitzende; Prof. Heller von der Washington Universitat,
der Vorsitzende der deutschen Abteilung; Dr. Enander, der Vorsitzende der schwe-
dischen Abteilung; und Gerrit H. Ten Brock von St. Louis, der Vorsitzende der
hollandischen Abteilung.
Der Cermaniche Kongress. 331
Den Reigen der Vortrage erb'ffnete Professor J. Harmon Deiler von der Tulane
Universitat, New Orleans, der einen historischen Vortrag iiber ,,Die ersten
Deutschen am unteren Mississippi und die Kreolen deutscher Abstammung" hielt.
Herr Emil Mannhardt aus Chicago bestritt in seiner Vorlesung iiber die
,,Mischung des deutschen Elements mit den anderen Bevolkerungselementen in
den Vereinigten Staaten", dass dieselbe grosse Fortschritte niache. Es zeige sieh
iiberall eine Neigung der deutschen Kinder, sich mit Angehorigen ihres eigenen
Stammes zu verehelichen.
Professor B. F. Hoffmann von der Universitat Missouri sprach iiber ,,GrilI-
parzers Konig Ottokars Gliick und Ende im Verhaltnis zu den fruheren dichteri-
schen Bearbeitungen des gleichen Stoffes."
Ihm folgte Frau Fernande Richter (Edna Fern) mit einem packenden, oft
durch stiirmischen Applaus unterbrochenen Vortrag iiber ,,Die Frau in Amerika."
Die deutschamerikanische Schriftstellerin teilte Lob, sprach aber auch scharfeu
Tadel aus, indem sie riigte, dass die deutsche Frau in diesem Lande nur zu oft die
Schonheit und die Schatze ihrer Sprache unterschiitzt und mit den Kindern lieber
ein schlechtes Englisch statt ein reines Deutsch spricht.
Die Abhandlungen von Dr. E. Z. Davis von der Pennsylvania Universitat iiber
,,ubersetzungen deutscher Gedichte in amerikanischen Zeitschriften in den Jahren
]740 bis 1810", und von Dr. A. Busse von der Northwestern Universitat von Chicago
iiber ,,Die deutsche Kirche und das Deutschtum in Amerika" wurden dem Drucke
iiberwiesen, ohne verlesen worden zu sein.
Herr Busse hielt zur Erlauterung seines Vortrags eine kurze Ausprache, in
welcher er sein Bedauern dariiber aussprach, dass immer mehr deutsche Kirchen
ihre deutschen Schulen eingehen lassen und auch englischen Gottesdienst einfiihren.
,,Wir sollten die deutschen Kirchen ersuchen, die deutsche Sprache beizubehalten,
eingedenk der Verdienste Luthers, Bismarcks und Goethes und das Deutschtum,"
sagte Redner. Ferner fiihrte Redner aus, dass die Kirche viele gebildete Deutsche
verloren habe, weil sehr viele Geistliche mit der Kultur des Deutschtums nicht
Schritt gehalten.
Professor Dr. Julius Lingenfelder von West Point, Neb., sprach iiber das
Thema ,,Die wichtigste Aufgabe germanischer Kulturtrager in der Jetztzeit". Er
fiihrte aus,. dass diese Aufgabe darin bestehe, eine neue biirgerliche Sittenlehre zu
schaffen. ,,Wir haben erne kranke Welt vor uns", sagte Redner, ,,die rastlos arbeitet,
aber die Resultate ihrer Arbeit nicht geniessen kann. Ich glaube, dass gerade die
Deutschen geschaffen sind, mit ihrer Gewissenhaftigkeit kulturell in dieser Rich-
tung zu wirken."
In der zweiten Sitzung des Germanischen Kongresses am 17. September wurden
folgende Vortrage gehalten:
Wm. Focke, Chicago: ,,Einige Betrachtungen iiber die Stellung der Deutschen
in de,n Vereinigten Staaten";
Konrad Nies, St. Louis: ,,Die deutschamerikanische Dichtung";
Prof. Dodge, Staatsuniversitat von Illinois: ,,EngIische Worter im modernen
Danisch";
Adolph Timm, Philadelphia: ,,Aufgaben amerikanischer Burger germanischer
Abstammung" ;
Dr. I. I. Houwink, St. Louis: ,,Der Einfluss des hollandischen Zweiges der ger-
manischen Rasse auf die Weltgeschichte".
Zehn weitere, nichtgehaltene Vortrage wurden an einen Ausschuss zur Ver-
bffentlichung verwiesen.
332
Padagogische Monatshefte.
Wahrcnd des geschiiftlichen Teiles der Verhandlungen erkliirte sich der Kon-
gress fiir permanent imd ermachtigte dann seinen Vorsitzenden und die Vorsitzen-
den des Abteilungen, sich zu einem Direktorium, das die Beamten erwahlt, zu er-
giinzen.
Weiter hiess die Geschaftsversammlung die Empfehlung des Deutschamerik.
Nationalbundes an den Kongress der Vereinigten Staaten gut, die Beratung der
Kinwanderungsfrage einem Ausschusse von unparteiischen Mannern zu uberweisen,
ehe die gegenwartigen Einwanderungsgesetze geandert werden.
Endlich sollen das Zensusbureau und der Kongress der Ver. Staaten ersucht
werden, den Zensus der Ver. Staaten durch die Feststellung der Abstammung der
Einwohner zu erweitern.
Der folgende, von Prof. C. 0. Schoenrich, Baltimore, eingesandte Antrag wurde
der michsten Zusammenkunft des Deutschamerikanischeii Nationalbundes iiber-
wiesen :
,,Der Germanische Kongress erachtet es als eine Notwendigkeit, dass fur
die deutsche Sprache jene Einheit in Formen, Ausdruck und Schreibweise be-
werkstelligt werde, welche, unbeschadtet des freien Wachstums und der
schopferischen Mannigfaltigkeit, von dem Bewusstsein der Gegenwart als
mustergiltig gefiihrt wird.
,,Die Schaffung eines allgemeinen deutschen Worterbuches, nach dem
Muster von Websters Worterbuch der englischen Sprache, wurde gleichfalls
dringend empfohlen."
Von der Ortsgruppe Elberfeld des Allgemeinen Deutschen Schulvereins lag ein
herzliches Anerkennungsschreiben fiir den Deutschamerikanischen Nationalbund
und dessen Verdienste um die Erhaltung und Hebung des Deutschtums vor, das
unter lautem Beifall verlesen wurde.
Vom Deutschen Romisch-Katholischen Zentralverein von Nordamerika, dessen
Prasident, Herr John B. Oelkers aus Newark, dem Kongress als Delegat beiwohnte,
lag ein Schreiben vor, in welchem es u. a. hiess: ,,Festes Zusammenhalten der
deutsch-sprechenden Burger der Vereinigten Staaten ist erwiinscht und von unserer
Seite wird alles geschehen, solches zu fb'rdern." P. G.
IP. Korrespondenzen.
CHICAGO.
Wie Ihr letzter Korrespondent aus
dieser Stadt sein trauriges Lied von der
Unterdriickungund tiberbiir-
<lung der Lehrkriifte ausklingen
Hess, so muss mein heutiges damit be-
^innen. Manner, denen das Wohl der
Schule und der Lehrkrafte am Herzen
liegt, fangen doch nach und nach an zu
fragen, wozu denn diese Priifungen?
Wozu denn diese Abhetzung der Lehrer?
Wozu haben wir den hochbezahlten Su-
perintendenten ($10,000), seine Hilfs-
superintendenten ($4,000), die Prinzi-
pale ($2.500), wenn sie die Fahigkeit
oder Unfahigkeit der Lehrer nicht fest-
zustellen vermogen? Und werden denn
-iiese etwa durch Priifungen f estgestellt ?
Der offizielle Ausweis spricht von ctwa
4,500 von den 5,500 Lehrern der Stadt,
die die sogen. Normal Extension Klas-
sen besucben, nicht zu sprechen von den
Hunderten, die Privatschulen fiir ihre
Vorbereitung auf das Examen vorziehen.
Viele derseiben besuchen zwei, drei,
manche fiinf Ivlassen per Woche. Wenn
man bedenkt, dass diese Kurse alle nach
den Schulstunden stattfinden, dass die
meisten Besucher derseiben lange
Strecken auf den Strassenbahneji zu
durehfahren haben, und dass sie dann,
iniida und abgehetzt, die halbe Nacht
noch sti:dieren. so kann man sich an den
Fingern abziihien, wie viel phyaische und
geistige Kraft noch iibrig bleibt zur
eigentlichen Arbeit in der Schule!
Vom Schulrate ist eine Abhilfe nicht
zu erwarten. Wir haben in der ganzen
Geschichte unseres stadtischen Schul-
wesens noch nie einen Superintendenten
gehabt, der seine vorgesetzte Behorde so
unter seinem Bann halten konnte, wie es
Korrespondenzen.
c33
der jetzige zu tun versteht. Er hat in
seiner dreijahrigen Amtszeit alle, aber
auch alle seine Vorschlage durchgesetzt,
und wir Lehrer haben uns also fiir die
Neuerungen einzig und allein bei Herrn
Cooley zu bedanken.
Am deutschen Unterricht
nehmen dieses Jahr noch rund 9,000 Kin-
der teil, gegen 11,000 im Vorjahr. Jeden-
falls ein deutlicher Beweis fiir die Vor-
trefflichkeit desselben unter dera neuen
System, wonach die Speziallehrer als
solche abgeschafft sind. Noch ein paar
Jahre so weiter wurschteln, und das Ziel
.onseres Direktors ist, was den deutschen
Unterricht anbelangt, erreicht. Und dabei
wagt man es, in die Welt hinauszupo-
saunen, wie fein dieses neue System
arbeite !
Als vor drei Jahr en Herr Cooley ans
Ruder kam, war schon ein kleiner
Lehrer mangel zu verzeichnen.
Manchen unserer Lehrerinnen gelingt es
eben doeh, in ihren eigentlichen Beruf,
den der Gattin und Mutter, zuriickzu-
kommen, und so muss immer fiir Nach-
schub gesorgt sein. Unser Superinten-
dent hat damals die Frage des Lehrer-
mangels in der denkbar einfachsten
Weise gelost, indem er die Maximalzahl
der Schriler in einem Zimmer von 45 auf
55 erhohte. Wir sind begierig zu er-
fahren, was er jetzt tun wird, wo wir
wieder und zwar vor einem weit grb'sse-
ren Lehrermangel stehen.
Mit Beginn dieses Schuljahres wurden
fiir beinahe alle Unterrichtsfacher
neue Lehr plane eingef iihrt. Selbst-
verstandlich mussten auch auf alien Ge-
bieten neue Biicher angeschafft werden.
Welche Riesenarbeit dieser vollstiindige
Wechsel im Unterricht wieder fiir den
Lehrer bedeutet, versteht nur der Ein-
geweihte! Aber dies ist ja ein Zeichen
der Zeit. Wir iiberstiirzen uns auch in
der Schule. Wir haben keine Zeit mehr,
eine Sache ausreifen zu lassen; alte be-
wahrte Methoden werden in die Rumpel-
kammer geworfen, Neues, Unerprobtes
wird an deren Stelle gesetzt, und in
dieser Hast lassen wir das Wichtigste
beim Kinde aus den Augen, die Charak-
terbildung.
Etwas herzerfrischendes muss ich
Ihnen noch mitteilen: Wir haben jetzt in
unseren manual -training
shops, wo die Buben hobeln, siigen,
nageln, drechseln u. s.w., weibliche Leh-
rer. Und ich kann Ihnen sagen, es ist ein
gottvolles Schauspiel, zuzusehen, wie die
1 ehrerin, die zu andern Zeiten keinen
Bescn oder sonst ein Werkzeug anriihrt,
den Jungens zeigt, wie man z. B. ein
Brett absagt. Wenn's nicht zum weinen
war', miisst' man lachen!
CINCINNATI.
Wenn selbstbewusste Bescheidenheit
das Kennzeichen eines echten Lehrers,
eines rechten Mannes iiberhaupt ist, dann
fahren wir mit unserem S c h u 1-
superintendenten, Herrn F. B.
Dyer, unbedingt gut. Sein jiingst
erschienener Jahresbericht,
1903 — 4, ist, soweit seine eigenen Aus-
lassungen in Anschlag kommen, ein eben-
so verstandig wie zielbewusst abge-
fasstes Dokument, das sich vor allem
dadurch vor vielen fruheren auszeichnet,
dass darin keine norgelnden Erwahnun-
gen dessen vorkommen, was friihere
Superintendenten angeblich schlecht oder
gar nicht getan haben. Ausdriicke wie:
,,Ich musste mich nur wundern, dass die
Schiiler unter einem solchen System
iiberhaupt noch etwas lernten", oder:
,,Ich fand gar keinen nennenswerten
Unterricht vor", u. s. w. wird man bei
Herrn Dyer ebenso vergeblich suchen, wie
selbstverhimmelnde Anpreisung alles
dessen, was Er und wieder nur Er tun
konnte und getan hat. Wir sehen iin
Gegenteil, dass er z. B. den so sehr not-
wendigen Lehrplan erst beim Antritte
seines zweiten Verwaltungsjahres her-
ausgegeben und ein voiles Jahr, im Ver-
ein mit seinen Prinzipalen und einer An-
zahl von Lehrern aller Grade, an dein-
selben gearbeitet hat, wiihrend er ausser-
dem jetzt noch fortwiihrend in ahnlicher
Weise daran fortarbeitet. Ferner wird
man sehr angenehm beriihrt durch Aus-
drticke wie: ,,Dieser Bericht ist nicht
dazu da, um eingehende giinstige oder
ungiinstige Bespi echungen irgend eines
Gegenstandes zu liefern; ich habe mich
auf die Angabe desjenigen beschrankt,
was not zu tun scheint". Die gang und
giibcn Schonfiirbereien iiber die immen-
sen Fortschritte dieses oder jenea Un-
tevrichtszweiges und dieser oder jener
Schule, von denen man sich in fruheren
Berichten buchstiiblich angewidert fiih-
len konnte, fehlen heuer ganz — und mit
llecht. Immer noch recht giinstig lautet
der Bericht mit Bezug auf
den deutschen Unterricht.
Von 45,500 Schiilern lernten 18,475
Deutsch, und der Unterricht als solcher
war durchaus zufriedenstellend. - - Im
Gegensatz zu den Ansichten friiherer
Machthaber spricht sich der Superinten-
dent entschieden fiir die Beibehaltung
erfahrener Lehrkriifte aus, ganz gleich-
giltig wie alt an Jahren dieselben auch
sein mogen, so lange ihnen Geist und
Korper nicht versagen. — Auch hinsichts
des Abfalls in der Zahl junger mannlicher
Lehrer, die er fiir notwendig ira Schul-
haus erachtet, trifft der Superintendent
das Richtige, indem er sagt, das Bisschen
334
Pddagogische Monatshefte.
Gehalt, das man solchen Leuten bezahlt,
sei nicht dazu angetan sie heranzuziehen
oder sie im Dienste zu halten, sobald sich
ihnen irgendwelche bessere Aussichten
bieten. Ich kann wohl sagen, dass wir
unter Herrn Dyers Devise, ,,Eile mit
Weile" gut fahren und immer besser
fahren werden, je mehr wir alle uns die-
sen Grundsatz zu eigen machen und vor
allem das leidige ,,Show"-Geschiift bei-
seite legen, das friiher stetig desavouiert,
aber ebenso krampfhaft unter alien
mbglichen Aushiingeschildern belassen
und griindlich weiter betrieben wurde. —
Alles in allera genommen, stehn wir also
gut und wiirden uns noch wohler befin-
den, wenn es gelungen ware ein bissel
mehr nervus rerum f iir Lehrer-
gehalter und andere hochst notwendige
Neuerungen zu ergattern. Doch damit
stehen wir ja nicht allein. uberall an-
derswo scheint es ebenso zu gehen: Hei-
denmassig viel Geld, aber — wenig!
Recht sehr erfreulich ist es, zu sehen,
wie die deutschen Lehrer vor die Front
treten mit Veranstaltungen fiir die
Schillerfeier. Sie werden am
Vorabende des Erinnerungstages eine
akademische Feier abhalten; werden fiir
die allgemeine Feier einen Kinderchor
stellen; einer aus ihrer Mitte hat den
Plan eines Preisausschreibens fiir das
beste ,,einheimische" deutsche Festge-
dicht angeregt; — das macht einem
Freude, und unsrem Dr. Fick, der das
alles angeregt hat, gebiihrt Ehre dafiir.
Besucher von friiheren Lehrertagen
werden mit Bedauern vernehmen, dass
Fraulein Celia Dorner, die
Tochter des ebenfalls in den weitesten
Kreisen seit vielen Jahren so giinstig be-
kannten, jetzt aber erblindeten Kollegen
Heinrich Dorner von hier, aus Gesund-
heitsriicksichten kiirzlich den Lehrberuf
aufgeben musste. Die ebenso hochge-
bildete wie eifrige und berufstreue Kol-
legin weilt jetzt in Florida, um sich wo
mb'glich von den Plagen eines akuten
rheumatischen Leidens zu befreien —
leider ein wohl aussichtsloses Beginnen,
wie die Erfahrung anderer in ahnlicher
Weise Betroffener zeigt.
Dass wir hierzulande manchmal so'n
wenig ruhmredig werden kb'nnen, wissen
wir ja alle. Was aber neulich bei der
I n s t a 1 1 i er u ng des neuen
R e k t o r s unserer Universitat, Dr.
Dabney, in dieser Beziehung hier ge-
leistet wurde, das ging einfach iibers
Bohnenlied — ganz baff! In erziehlichen,
industriellen, kommerziellen, sozialen,
asthetisch-kulturellen und zahllosen an-
deren Hinsichten ist Cincinnati einfach
der Welt iiber, und wer das nicht glauben
kann oder will, dem geschieht's recht.
Man hatte es wahrhaftig nicht nb'tig
nach Port Arthur zu reisen, um sich
beim Kanonendonner ein chronischea
Ohrensausen beizulegen — mir und vielen
anderen schwach besaiteten Genossen
brummt's heute noch mehr als gewaltig
im ganzen Schiidel von den gehb'rten
Lobreden auf Personen, Sachen und
Moglichkeiten. Es war einfach — sit
venia verbo ! — ,,nimmer schon".
* * *
MILWAUKEE.
Die erste Versammlung der deutschen
Lehrer in diesem Schuljahr fand am 12.
September in der 4. Dist. Schule statt.
Der Supt. des Deutschen kam in seinen
amtlichen Mitteilungen zuerst auf die
Reduktion der Zeit fiir den deutschen
Unterricht von 40 auf 35 Minuten zu
sprechen, und wies auf die grosse Not-
wendigkeit hin, dass die deutschen Leh-
rer jetzt noch haushalterischer mit der
Zeit umgehen wie sonst. Man solle das
Wichtigste beim deutschen Unterricht ja
nicht aus den Augen lassen, und das sei
vor alien Dingen Verstandnis und Ge-
wandtheit in der deutschen Sprache, ver-
bunden mit Lesefertigkeit, darnach erst
kame Schreiben (Schonschreiben, Diktat,
Aufsatz) und Grammatik. Das erstere
sei unbedingt notwendig, das letz-
tere nur Aviinschenswert. Zur
Erklarung der Reduktion der Zeit will ich
noch bemerken, dass Supt. Pearse sich
gezwungen sah, um Zeit fiir etliche neue
oder erweiterte Unterrichtsfacher zu
schaffen, andere Fiicher, und somit auch
das Deutsche, je um 5 Minuten taglich
zu beschneiden.
Darauf schritt man zu der Neuwahl
der Beamten des Vereins. Der Vorsitzerr
Herr Phil. Lucas, sowie die stellvertre-
tende Vorsitzerin, Frl. A. Hohgrefer
wurden einstimmig per Akklamation
wieder erwahlt. Da der Schriftfiihrer
und Schatzmeister, Herr H. Schaffrathr
sich weigerte, das Amt wieder anzu-
nehmen, so wurde die Wahl verschoben.
Ein Beschluss wurde noch gefasst, dass-
der Verein sich fortan immer in der 6.
Dist. Schule No. 1 versammeln solle, da
diese Schule mehr zentral fiir die Lehrer
gelegen sei.
Die Oktober - Versammlung
des Vereins fand am 14. d. M. in der 6.
Dist. Schule statt. Herr Abrams sprach
zuerst iiber Entschuldigungen vom
deutschen Unterricht. Er betonte be-
sonders, dass es im eigenen Interesse der
deutschen Lehrer liege, die Zahl der
deutschlernenden Schiiler mbglichst hoch
zu halten und alle Abgange darin so viel
wie moglich zu vermeiden suchen. Es
scheine aber, als ob einige Lehrer sich
Umschau.
335
dieser Tatsache nicht bewusst \viiren, in-
dem sie schwaclie Schiller im Deutschen,
die vielleicht kein Wort Deutsch von den
Eltern im Hause horten, mit 15 oder 20
im monatlichen Zeugnis markierten und
somit den Kindern selbst das beste Mit-
tel an die Hand gaben, sich vom
deutschen Unterricht entschuldigen zu
lassen. Solche Xummer sei entschieden
zu niedrig, und 60 oder 55 tue denselben
Dienst, da es immer nur schlecht oder
ungeniigend markiere. Auch die Eltern
solcher Kinder miissten auf diese Weise
gegen den deutschen Unterricht einge-
nommen werden. Besser sei es, solchen
Kindern in der letzten halben Stunde am
Nachmittage im Deutschen fortzuhelfen,
und ihnen Lust und Liebe zum deutschen
Studium einzuflossen.
Dann erwahnte er noch die Bewegung
unter den Lehrern des Deutschen in den
Hochschulen, den Direktor Wachsner vom
hiesigen Theater zu veranlassen, den
Schiilern der Hochschulen von Zeit zu
Zeit die Gelegenheit zu geben, klassischen
Vorstellungen an Samstagen bei er-
massigten Preisen beizuwohnen. Da Herr
Wachsner sich dazu bereit erklart habe,
so sei es wiinschenswert, dass ein Aus-
schuss ernannt werde, um auch unter den
Schiilern der oberen Grade fur diese
Sache Propaganda zu machen. Ein Aus-
schuss wurde darauf vom Vorsitzer er-
nannt. Als Sekretar und Schatzmeister
wurde dann noch Herr Ernst Traeger,
Oberlehrer des Deutschen im 23. Distrikt,
gewiihlt. Da es vorgeriickte Zeit war, so
wurde die Versammlung vertagt und die
Tagesordnung auf die nachste Versamm-
lung verschoben.
Die von mir oben erwahnte U b e r-
biirdung des Studienplans
mit alien moglichen modernen Fachern
und ,,fads" zieht die Aufmerksamkeit der
Eltern und der Burger im Allgemeinen
auf sich, und sie iiussern sich dariiber
in missbilligender und nicht Mrisszuver-
stehender Weise. Eine Zeitschrift ausser-
halb Milwaukee brachte kiirzlich eine
Zuschrift einer Frau, welche mit ,,a
parent and a teacher" unterzeichnet war.
Sie iiussert sich folgendermassen : ,,Do
not blame the teacher for the work of
the school board. My 11 year old
daughter is struggling this term with 19
different subjects, including civics,
physics, physical geography, English
history, literature, algebra, geometry,
several educational "frills" like vocal
music, drawing, watercolor painting,
construction work and sewing. She
carries from 6—8 Ibs. of books back and
forth, and studies out of school all I will
let her. I protested. "Yes," said the
long-suffering teacher, "it is dreadful —
ridiculous. All the parents are finding
fault, but the board requires these
things of me." Dazu bemerkt eine hie-
sige englische Zeitung, welche das obige
Eingesandt der Frau reproduzierte, fol-
gendermassen: ,,Ganz so schlimm mag es
bei uns in Milwaukee wohl nicht sein,
aber es ist schon schlimm genug. Doch
wie gesagt, es ist nicht die Schuld der
Lehrer. Sie versuchen ihr Bestes zu tun
unter den Umstanden. Der Schulrat
konnte die Last der iiberbiirdeten Leh-
rer und Schiiler erleichtern, und nebenbei
Ersparnisse machen, indem er das
,,Curriculum" im Interesse der wichtig-
sten Fundamentalfacher beschneiden
wurde. Allerdings wiirden einige ,,pet
fads" hinausgeworfen werden miissen,
aber es ware besser, sie zu missen, als die
Lehrer zu iiberburden, und die armen
Schul kinder an Nerveniiberanstrengung
zusammenbrechen zu sehen.
Wahr bleibt die ernste und dringende
Mahnung unseres heimgegangenen Dich-
ters, E. Geibel, welche er den Lehrern
(und Schulraten) zurief :
Nicht zu friih mit der Kost
buntscheckigen Wissens, ihr Lehrer
Riihret den Knaben mir auf,
selten gedeiht er davon.
Kraftigt und iibt ihm den Geist
an wenigen, wiirdigen Stoffen;
Euer Beruf ist erfullt,
wenn er zu 1 e r n e n gelernt.
A. W.
IV. Umschau.
Vom Lehrerseminar. In der Woche
des Danksagungstages weilte der kgl.
Seminardirektor P. Lichtenstein aus Be-
derkesa, Provinz Hannover, bei uns. Der-
selbe hatte im Auftrage des preussischen
Kultusministeriums die Erziehungsaus-
stellung in St. Louis besichtigt und
stellte sich auf seiner Riickreise die Auf-
gabe, sich mit dein Schulwesen einiger
grosserer Sta'dte bekannt zu machen.
Zu diesem Zwecke wahlte er St. Louis,
Milwaukee, Cleveland, Buffalo und New
York aus. Sein erster Besuch gait in
Milwaukee dem Lehrerseminar und des-
sen Musterschule, der Deutsch-Englischen
Akademie. Spaterhin besuchte er die
hiesige Staatsnormalschule, einige offent-
liche Schulen und lutherische Privat-
schulen. Wir lernten in unserm Gaste
einen wohlmeinenden Kollegen und
griindlichen Schulmann kennen, den
wohl jeder liebgewinnen musste, der das
336
Padagogische Monatshefte.
Vergniigen hatte, mit ihm in nahere
Beriihrung zu kommen.
Direktor Lichtenfeldts Aufenthalt in
unserem Lande erhielt eine schwere
Triibung durch die Nachricht von dem
plotzlichen Hingange seines Vaters, des
Kantors em. Lichtenfeldt zu Schweidnitz
in Schlesien. Die uns vorliegenden Nach-
rufe in den deutschen Tauschblattern
heben die personlichen Charaktereigen-
schaften des Verstorbenen, sowie seine
edit kollegiale Gesinnung und seine
schulmannischen Fahigkeiten hervor.
Als Jugendschriftsteller hat er sich einen
Nam en weit iiber den Rahmen seines
engeren Heimatlandes erworben.
Ehrenvolle Auszeichnung. Wie uns die
Tagesblatter berichten, ist dem Professor
der Deutschen Sprache und Literatur an
der Universitat Chicago, Starr Willard
Cutting, fiir seine Verdienste um die
Forderung des deutschen Sprachunter-
richts der Kronenorden dritter Klasse
vom deutschen Kaiser verliehen worden.
Deutschland. Unter den V o 1 k s-
schullehrern Deutschlands
ist eine Bewegung im Gange, die die
Universitiitsbildung fur alle
L e h r e r erstrebt. Die extremsten Be-
fiirworter des Gedankens fordern die Ab-
schaffung des Lehrerseminars. Auf der
im Monat Mai d. J. in Konigsberg abge-
haltenen Versammlung des deutschen
Lehrervereins kam die Sache eingehend
zur Sprache. In der ,,Pad. St." berichtet
Schuldirektor Enzmann dariiber wie
folgt:
,,Am 25 Mai sprach im dritten Haupt-
vortrage Seminaroberlehrer Muthesius-
Weimar iiber ,,U n i v e r s i t a t und
Volksschull ehrer b i 1 d u n g".
Ausgehend von dem Worte Kants: ,,Die
Erziehung ist das schwerste Werk, das
ein Mensch treiben kann", beleuchtet er
die Heranbildung eines besonderen Volks-
schullehrerstandes seit der Reformation,
weist hin auf die immer steigenden An-
forderungen, die an den Lehrer gestellt
werden und kommt zu dem Schlusse,
dass es nicht nur ein Recht, sondern eine
sittliche Pflicht des Lehrerstandes sei, zu
den Quellen der Wissenschaft vorzu-
dringen uad sich den Zugang zu den
Universitaten zu erzwingen. Mit Riick-
sicht auf das, was gegenwflrtig erreich-
bar scheint, schlagt er folgende Thesen
vor: 1. Die Universitaten als Zentral-
stellen wisenschaftlicher Arbeit sind die
geeSgnetste, durch keine andere Einrich-
tung zu ersetzende Statte fiir die Volks-
schullehrer-F ortbildung. 2. Den
Volksschullehrern, die einen regelrechten
Studiengang an der Universitat durch-
laufen haben, ist die Moglichkeit zu bie-
ten, ihre Studien durch Ablegung einer
wissenschaftlichen Priifung zum Ab-
scliluss zu bringen. Das Bestehen dieser
Priifung gewahrt die Anwartschaft auf
den Schulaufsichts- und Seminardienst.
In der Debatte gingen die Meinungen
wieder stark auseinander. Wohl war
man einig in der Forderung, dass den
Lehrern die Universitat offenstehen
solle; aber ob das Seminar bestehen
bleiben und we; tor ausgebaut, oder be-
seitigt werden und demgemiiss die Uni-
versitat nicht mir zur Fort bildung,
sondern zur A u s bildung des Lehrers
dienen solle, ob zumichst nur einer Aus-
wahl von Seminaristen (wie es gegen-
wartig in Sachsen, Hessen und Weimar
der Fall ist), oder alien der Zugang zur
Universitat offenstehen solle u. s. w.,
dariiber herrschte durchaus keine Einig-
keit. Schliesslich gelangten die Thesen,
die die weitgehenden Forderungen stell-
ten, zur Annahme: 1. Die Universitat als
Zentralstelle wissenschaftlicher Arbeit
ist die geeignetste, durch keine andere
Einrichtung zu ersetzende Statte fiir die
Volksschullehrei bildung (nicht Fort-
bildung). 2. Fiir die Zukunft erstreben
wir daher die Hocbschulbildung fiir alle
Lehrer. 3. Fiir die Jetztzeit dagegen for-
dern wir, dass jedem Volksschullehrer
auf Grund seiner Abgangszeugnisse vom
Seminar die Bereehtigung zum Univer-
sitatsstudium erteilt werde.
Die Frage, ob die Universitat in ihrer
gegenwartigen Beschaffenlieit iiberhaupt
geeignet und imstande sei, diese Aus-
bildung zu gewiihren, wurde in der De-
batte zwar beriihrt (Scherer-Btidingen),
blieb aber unerortert."
Wahrend Prof. Rein dafiir eintritt,
dass zur Fort bildung die Hochschulen
alien Lehrern offenstehen sollten,
stellt er den Konigsberger Beschliissen
init Nach4ruck den Satz gegeniiber: ,,Die
Universitaten sind in ihrer gegenwarti-
gen Verfassung vollstandig ungeeignet
fiir die Ausbildung der Volksschulleh-
rer."
Prof. Paulsen (Berlin) prazisiert sei-
nen Standpunkt mit den Worten: ,,Die
Annahme, dass die Universitaten iiber-
haupt die geeignetste Statte fiir die
Ausbildung des Volksschullehrers sei,
beruht auf einer Verkennung des We-
sens der Universitat oder der Aufgabe
des Volksschullehrers. Und die Forder-
ung, alle Lehrer an Volksschulen mit
Universitiitsbildung auszustatten, be-
wegt sich jenseits der Grenzen alles
Moglichen."
Anderseits stimmen eine ganze Anzahl
von Hochschullehrern, wie a us 49 von
B. Hofmann gesammelten Ausserungen
Umschau.
337
solcher Lehrer hervorgeht, den Konigs-
berger Beschliissen unbedingt zu.
Die Aufwendungen f iir die 6 f f e n t-
lichen Volksschulen betragen
in Preussen 269,917,000 Mark, in Bayern
39,760,000 M., in Sachsen 34,323,000 M.,
in Wiirttemberg 12,265,000 M., in Baden
10,999,000 M., in Hessen 7,875,000 M., in
Hamburg 3,721,000 M., in Elsass-Loth-
ringen 8,869,000 M.
Davon betriigt der Staatsanteil in
Preussen 27.07 Pi-ozent, in Bayern 35.72
Prozent, in Sachsen 13.90 Prozent, in
Wiirttemberg 30.55 Prozent, in Baden
21.79 Prozent, in Hessen 31.81 Prozent, in
Hamburg 94.35 Prozent, in Elsass-Loth-
ringen 29.76 Prozent.
Von den Gesamtausgaben des Staates
betragen die Zuschiisse zu den Volks-
schullasten in Preussen 2.75 Prozent, in
Bayern 3.13 Prozent, in Sachsen 1.62
Prozent, in Wiirttemberg 2.18 Prozent,
in Baden 1.59 Prozent, in Hessen 3.55
Prozent, in Hamburg 6.99 Prozent, in
Elsass-Lothringen 3.99 Prozent.
Auf einen Volksschiiler entfallen Ge-
samtkosten von 48 M. in Preussen, 46
M. in Bayern, 50 M. in Sachsen, 42 M.
in Wiirttemberg, 40 M. in Baden, 48 M.
in Hessen, 74 M. in Hamburg, 39 M. in
Elsass-Lothringen.
Der sachsische Staat gibt fur B i 1-
dungsanstalten die Summe von "
31,347,000 Mark aus. Jeder Besucher der
Leipziger Univertiit kostet ihm fur das
Jahr 507 Mark, jeder Student der Tech-
nischen Hochschule in Dresden 426 Mark,
der Bergakademie Freiberg 217 Mark, der
Forstakademie Tharand 1159 Mark (!),
der technischen Lehranstalt in Chemnitz
316 Mark, jeder Schiiler der Landesschu-
len Grim ma und Meissen 473 Mark, der
Gymnasien und Realgymnasien 280 M.,
der Lehrer- und Lehrerinnenseminare
510 Mark, der Kunstakademie und der
Kunst- und Industrieschulen 430 Mark,
der Bauhandvverkerschulen 331 Mark, der
Volksschulen 13 Mark. Hiezu kommen
noch liber 2,000,000 Mark Zuschiisse an
verschiedene Schulen.
Mexiko. Die Ehrung, welche die mexi-
kanisclie Republik dem Organisator ihrer
Volksschule, H. Rebsamen, ange-
deihen lasst, ist ganz aussergewb'hnlich.
Am 15. Juli, drei Monate nach dessen
Hinschied, veranstaltete La Escuela Nor-
mal de Professores in Mexiko eine gross-
artige Gedtichtnisfeier zu Ehren des un-
vergesslichen Direktors des Seminarun-
terriclits. Der Unterrichtsminister D. Ju-
stino Fernandez, sein Sekretar, die Di-
rektoren der Lehrerseminarien, zahlreiche
Lehrer und iiber 600 Schiiler waren an-
wesend. Das Programm enthielt fiinf-
zehn Nummern, darunter Gesiinge der
Seminarzoglinge, der Lehrer, zwei Reden
zum Lobe Rebsamens, Rezitationen von
Gedichten und feierliche Enthiillung
seines Portaits in 01 gemalt von Pro-
fessor Ruis, das der Minister dem Se-
minar zu Mexiko iibergab. Eine Reihe
von andern Seminarien und Schulen hat-
ten Kranze geschickt. Eine besondere
Feier veranstaltete die Gesellschaft
Ignazio Manuel Altamirano in Mexiko zu
Ehren Rebsamens, dessen methodische
Werke neu aufgelegt und durch eine von
Prof. Kiel in Veracruz vollendete ,,Geo-
metrie" vermehrt werden.
Brasilien. Man schreibt der ,,A. D. Z.":
Die deutscheKolonie von
Campinas und mit ihr zahlreiche
Freunde von nah und fern, Landsleute,
Sprachgenossen, sowie auch legitime Ab-
kb'mmlinge luso-brasilianischen Stam-
mes, riisten sich zu einer Doppelfeier,
deren erhebende Bedeutung es wohl
rechtfertigt, wenn wir ihrer gedenken.
Einundvierzig Jahre wahrt es nun, seit
der ,,Deutsche Schul- und Lese-Verein
Campinas" als festgefiigtes Bollwerk
zum Schutze nationaler Heiligtiimer er-
richtet wurde und seine Schule begriin-
dete, und fiinfundzwanzig Jahre sind es
gleichzeitig, seit Herr J. L. Schifferli
als unermiidlich treuer Hiiter dieser na-
tionalen Schatze, als Lehrer der
,,Deutschen Schule von Campinas" seines
Amtes waltet. — Es war am 23. Februar
1863, als sich in Campinas 28 Deutsche
und Deutschsprechende zusammenschlos-
sen, um gleichzeitig einen Beweis fur
ihre ererbte Liebe zur Ordnung und Ge-
setzmiissigkeit und fur die Treue und
Dankbarkeit zu erbringen, mit der sie
dem neuen Vaterlande seine Gastlichkeit
lohnten. Ungeklarte Verhaltnisse ver-
schuldeten unsichere Zustande, die in
haufigen Revolten zum Ausdruck kamen.
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung nun
konstuierten sich die obigen 28 Sprach-
genossen zu einem bewaffneten ,,Verein
Deutscher Freiwilliger", welche der
Munizipalbehorde seine Dienste zur Ver-
fiigung stellte. Sei es nun aber, dass die
damaligen Behorden sich tatsiichlich
stark genug fiihlten, um die Hilfe ent-
raten zu konnen, sei es, dass man die
Uneigenniitzigkeit des Anerbietens nicht
voll zu wiirdigen wusste — dass man
nicht begreifen konnte, wie Fremde, nur
von ihrem Biirgersinn geleitet, Leib und
Leben fur eine Sache einsetzen wollten,
die doch immerhin nur bedingt die ihre
war — kurz, das Anerbieten wurde in
einer Mitteilung an den Verein, datiert
vom 12. April 1863, dankend quittiert,
aber — vorlaufig ,,abgelehnt". — Es ist
338
Padagogische Monatshefte.
mb'glich, dass diese Ablehnung damals
als Verletzung empfunden wurde, heute
aber haben wir nur Anlass, uns iiber
dieselbe zu freuen, derm aus dem ,,Verein
Deutscher Freiwilliger" wurde in nam-
licher Sitzung, in welcher man von dem
ablehnenden Bescheid der Munizipalbe-
horden Kenntnis nahm, der ,,Deutsche
Verein fiir Campinas", mit der Be-
griindung einer deutschen Schule und
einer Bibliothek. Die erlittene Ent-
tauschung hatte nur den Impuls zu hohe-
rem Streben erweckt, und so ward aus
der urspriinglichen Absicht, friedliche
Burger zu schiitzen, die Idee geboren,
Oenerationen friedlicher Burger heranzu-
ziehen, die mit der Liebe zur Ord-
nung und zum Vaterlande die Fahigkei-
ten vereinigen konnten und sollten,
werktiitig am materiellen und ideelen
Gedeihen dieses Vaterlandes mitzuwir-
ken. Dass Schule und Bibliothek
deutschen Charakter tragen musten,
konnte jenen Mannern nicht zweifelhaft
sein. Sie alle kannten aus eigener Er-
fahrung die Bedeutung deutscher
Bildung, und sie alle waren von
dem natiirlichen Wunsche beseelt:
Sprache, Sitte und Art zu erhalten und
fiir die Ausbreitung dieser kostbaren
Saat im Boden der neuen Heimat zu
wirken.
Zur Lehrerbildung in Frankreich. In
Frankreich hat vor kurzem die standige
Abteilung des Conseil superieur de 1'In-
struction publique die Entscheidung ge-
troffen, dass in den Seminaren der Un-
terricht in den lebenden Fremdsprachen
kiinftig fakultativ werden soil, wahrend
er bisher obligatorisch war. Als Grund
wurde dreierlei geltend gemacht: 1. Der
Unterricht weise keinen Erfolg auf; so-
bald die Schiller einmal Lehrer seien, be-
schaftigten sie sich weder mit Englisch
noch mit Deutsch. 2. Die Fremdsprachen
bedeuteten eine uberlastung der Lehr-
plane, die so schon iiberladen seien. 3.
Die Lehrer bediirften der Kenntnis frem-
der Sprachen nicht, da sie weder Ge-
legenheit hatten, in ihnen zu unterrich-
ten, noch sich ihrer zu bedienen. Dieser
Beschluss erscheint eigentiimlich in ei-
nem Augenblick, wo eben Preussen durch
die Julibestimmungen seinen Seminaren
den Unterricht in einer lebenden Fremd-
sprache zur Pflicht gemacht hat. In
franzosischen Lehrerkreisen regt sich
denn auch eine lebhafte Opposition. So
werden z. B. im Manuel General (Jahrg.
1903, S. 555 und 556) die Griinde des
Conseil superieur geschickt widerlegt.
Durch Tatsachen, die auch fiir uns in
mancher Beziehung lehrreich sind, be-
weist der Verfasser, dass gerade unter
den Lehrern fiir die lebenden Fremd-
sprachen ein sehr reges Interesse vor-
handen ist. Aus alien Teilen Frankreichs
kommen an die Regierung immer zahl-
reichere Gesuche um Stipendien zum
Aufenthalt im Ausland, und jiihrlich
werden an etwa 30 Lehrer und Lehrerin-
nen solche Stipendien vergeben. Der in-
ternationale Briefwechsel unter Lehrern
breitet sich von Tag zu Tag weiter aus;
in 3 Jahren haben mehr als 2000 Lehrer
an fremde Kollegen Anschluss gefunden.
Mehr und mehr wachst auch die Zahl
derjenigen Lehrer, die aus eigenen Mit-
teln ihre Ferien im Ausland verbringen
oder mit deutschen und englischen Kol-
legen die Pension austauschen. Die Er-
gebnisse der verschiedenen Priifungen in
den Fremdsprachen sind standig in die
Hohe gegangen. Die Mitglieder der Ge-
sellschaft fiir Verbreitung der fremden
Sprachen sowie des Cercle polyglotte in
Paris sind fast nur ehemalige Schiiler des
Seminars. Weiter wendet sich der Ver-
fasser besonders gegen die Meinung, dass
der Unterricht in einer lebenden Fremd-
sprache fiir den Lehrer unnb'tig sei. Er
kommt zu der entgegengesetzten An-
sicht: Der Unterricht in den lebenden
Sprachen wirkt in demselben Masse er-
ziehend wie der in den alten Sprachen.
Wird er lebendig erteilt, so vermag er
den Geist zu wecken und bildet so fiir die
Schiiler, die bei ihrem Eintritt ins
Seminar oft ein wenig schwerfallig sind,
ein gliickliches Anregungsmittel. Auch
erweitert er ihren geistigen Horizont,
und das ist gerade fiir sie durchaus not-
wendig; denn sie haben bisher in den
engen Grenzen ihres Dorfes gelebt und
treten spsiter als Lehrer in dieselbe Enge
zuriick. Die Kenntnis einer Fremd-
sprache gewahrt vielen Lehrern die
Moglichkeit, durch Privatunterricht ihr
mageres Einkommen zu verbessern; an-
dern, und gerade den begabtesten, ist sie
der Weg zu einem hoheren Lehramt.
Schrankt man den fremdsprachlichen
Unterricht in den Seminaren ein, so min-
dert man damit zugleich die Moglichkeit,
ihn in den Volksschulen einzufiihren;
denn es wird dann immer mehr an ge-
eigneten Lehrkriiften fehlen. Eine solche
Schadigung des Volksunterrichts richtet
sich aber gegen den Willen des Parla-
ments und gegen die Wunsche des Lan-
des; sie ware also eine antidemokra-
tische Massregel.
In ganz ahnlichem Sinne aussert sich
auch der Verein der franzosischen Semi-
narlehrer gegen die geplante Anderung.
(Vgl. Manuel General 1904, S. 139.) Er
wiinscht ausdriicklich, dass die lebenden
Fremdsprachen obligatorisches Seminar-
'Bucherschau 339
fach bleiben; denn ausser ihrem prak- Frankreichs Internate. Nun hat aber
tischen und sozialen Wert sei ihnen ein unterm 9. Dezember 1903 der Generalrat
eminent erziehender Charakter eigen, und der Seine den Beschluss gefasst, den
deshalb wurde ihre Einschrankung das Unterricntsminister zu bitten, im De-
geistige Niveau des Lehrerstandes herab- partement der Seine an Stelle des Inter-
drucken. — Noch ist die Entscheidung nats das Externat zu setzen, und zwar
des Counseil superieur nicht Gesetz ge- soweit dies nur irgend moglich ist. Man
worden, und es darf wohl angenommen verspriclit sich davon sowohl moralische
werden, dass der lebhafte Widerspruch als auch materielle Vorteile. Im An-
der Lehrerschaft Gehor findet. schluss an diese Bitte wiinscht man in
In einer andern Seminarfrage kommen Lehrerkreisen auch in der Provinz das
viele franzosische Lehrer dem Vorgehen Internat nach Moglichkeit einzuschran-
«iner Regierungsbehorde freundlicher ken. (Vgl. Manuel General 1904, S. 41
entgegen. Bekanntlich sind alle Seminare und 64.)
V. Vermischtes.
* Ein Geniestreich der neuesten greifenden Gesetzes; das Schonste ist:
Rechtschreibung ist die Behandlung der die neue Unrechtschreibung widerspricht
Worter g e b e n und 1 e s e n. Zwei sicn selber, sie ordnet an : ergiebig, aus-
gleichartigere Worter als diese hat die giebig mi* ie!!! Wers nicht glaugt,
ganze deutsche Sprache nicht; der der lasse sich eines der hundert Worter-
Stamm beider besteht aus je drei Buch- biicher geben, welche durch die neue
staben (zwei einfachen Mitlautern, einem Schreibung zur Welt gekommen sind und
einfachen Selbstlauter) und die Zeit- uberzeuge sich dabei zugleich, dass kei-
formen lauten durchwegs iibereinstim- nem der Herausgeber eines dieser Wor-
mend: ich gebe — ich lese, ich gab terbiicher eingefallen ist, eine Bemerkung
— ich las, ich g a b e — ich 1 a s e, hierzu Zu machen. Aber auch in den
gegeben — gelesen. In diese vie'en Biichern iiber Sprachdummheiten,
ubereinstimmung bringt nun die neueste Sprachunrichtigkeiten, die nicht in Be-
Rechtschreibung eine Stoning; sie be- ziehung zu der neuen Rechtschreibung
fiehlt einerseits: du liesest (liest), er stehen, findet sich nichts iiber diese
liest, mit ie geschrieben, andererseits : du Sprachdummheit.
mit ie geschrieben; anderersents : du (C. Zentz, Wien, in der ,,Allg. D. Ztg.")
gibst, er gibt, beides ohne e. Man * Verteilung der Sprachen auf der
vergleiche aber die Abwandlung der Erde. Eine interessante Gegeniiberstel-
Worter sehen (sieht), geschehen (ge- lung der Verteilung der drei wichtigsten
schieht) ; ist denn das e in geben weniger europaischen Sprachen auf der Erde in
lang als das e in den Wortern lesen, den Jahren 1800 und 1900 entnehmen wir
sehen, geschehen? Und wie verhalt es der ,,Litterature Aniericaine". Danach
sich mit der Bildung des Intransitivums sprachen um das Jahr 1800 31 Millionea
liegen aus dem Transitivum legen? Und Menschen franzosisch, 30 Millionen
die Schreibung des aus schwer abgelei- deutsch und 20 Millionen englisch. Bis
teten Wortes schwierig? Beweist auch zum Jahre 1900 hat sich die Sachlage so
diese nichts fiir die Umwandlung eines verandert, dass jetzt 50 Millionen fran-
langen e in ie? — aber nicht genug mit zosisch, 70 Millionen deutsch und 125
dieser Verleugnung eines mit Handen zu Millionen englisch sprechen.
Bucherschau.
I. Zeitschriftenschau.
The School Review (University of Chicago Press), September, 1904, pp. 559 —
562: Katharine Damn, German in the Class-Room.
Das Ergebnis ihrer Untersuchung lautet in den eigenen Worten der Verfasserin
im Schlussabsatz wie folgt: "If interest, Sprachgefiihl, ability to think in German,
an easy familiarity with German expressions, and a feeling that other languages are
cxpreasive as well as English, are gained, we need not feel that our time in wasted
if our pupils do not speak glibly. They all speak somewhat and, when once brought
in contact with German-speaking people, will soon talk fluently. These results are
340 Padagogische Monatshefte.
intangible, and therefore difficult to put on paper; but here, as with many things,
the intangible is the most important."
- October, 1904, pp. 625—630: 0. Thiergen, The Plans of Instruction for
the German Middle-Class Schools and the Regulations of the Government.
Interessant wegen der tabellarischen tibersicht iiber die Verteilung der Schul-
stunden auf die A^erschiedenen Lehrfacher am Gymnasium, Realgymnasium, Ober-
realschule und Realschule (die ubersetzung Middle-Class Schools fiir Mittelschulen
im Titel konnte falsche Vorstellungen ervvecken). Zum Vergleich mit hiesigen Ver-
haltnissen die Anzahl der auf das Franzosische verwendeten Stunden: Gymnasium
SOO (aus insgesamt 11,360), Realgymnasium 1,160 (aus insgesamt 11,640), Ober-
realschule 1,880 (aus insgesamt 11,720), sechsklassige Realschule 1,240 (aus ins-
gesamt 7,640). Der Rest des Artikels behandelt den Religionsunterricht.
pp. 635 — 647: Frederick Liddeke, The Extension of the High-School
Course.
Fordert, dass, ohne den Bestand der Elementarschulen und die Zahl der dieser
zugewiesenen Unterrichtsjahre anzutasten, die Sekundarschule um z\vei Vorjahre
vermehrt Averde, so dass alle Schiiler, die diese zu besuchen gedenken, nach vol-
lendetem sechsten Schuljahr eintreten konnten. Diese Forderung wird gestellt be-
sonders im Interesse des fremdsprachlichen Unterrichts; der Verfasser ist der An-
sicht, dass dieser mindestens im zwolften oder dreizehnten Lebensjahre des
Schiilers beginnen miisse.
Education (The Palmer Company, Boston), June, 1904, pp. 581 — 595: Arnold
Werner-Spanhoofd, Aim and Character of the Work of First Year German.
Das Unterrichtsziel im ersten Jahre muss das des ganzen Lehrganggs sein; die
besten Lehrkrafte miissen darum auch die Unterweisung im ersten Jahre der
Sekundarschulen iibernehmen. Da erfahrungsgemass von alien Schiilern dieser
Anstalten iiberhaupt nur zehn Prozent sich fiir das College vorbereiten und tat-
Sfichlich nur etwa vierthalb Prozent dieses Ziel erreichen, so sind diese in Lehrplan
xind Methode ebensowenig zu beriicksichtigen als solche, die sich einem speziellen
Berufe widmen wollen; nicht die Eingangspriifungen der Colleges, sondern nur die
durch die Schule zu vermittelnde Allgemeinbildung (aber schliessen sich diese bei-
den denn eigentlich aus ? ? ) hat der Unterricht in Rechnung zu ziehen ; der Bericht
des Zwb'lferausschusses kommt dabei schlecht Aveg. Auch die vielen Schiiler, die
bereits nach dem ersten Jahre die Anstalt verlassen, haben dieselbe Riicksicht zu
erwarten wie die, die den ganzen Lehrgang zu absolvieren gedenken. In der be-
schrankten Zeit, die dem deutschen Unterrichte zugewiesen ist, ist ein anniihernder
Begriff der Schonheiten und des eigentlichen Wesens deutschen Schrifttums nicht
zu vermitteln; die Anzahl deutscher Werke, die der Schiiler der Sekundarschule
und der Student des College im regelrechten Lehrgang zu bewiiltigen vermag, ist
nicht grosser als die englischer Biicher, die er bequem in einer Woche lesen kann
(aber der Verfasser fiihrt selbst an einer andern Stelle Lowells Ausspruch an: "It
matters less what a man learns than how he learns it"). Auch zu einem Xiitz-
Hchkeitszwecke sollte das Deutsche nicht gelehrt werden, trotz dem praktischen
Werte der Kenntnis der Sprache. "In our public schools. . German should be taught
. . so that every pupil passing through a thorough and scientific process of learning
the language shall have acquired from it the power and habit of doing good and
honest work, together with a love of knowledge and an earnest disposition to
acquire it.. If we wish to benefit every student enrolled in our schools we must
not restrict our aims to the values of either language or literature, but found it
upon the rock of thorough instruction." (Die Ausfiihrungen des Verfassers lassen
dem deutschen Unterrichte an der Sekundarschule eigentlich nur disziplinarischen
Wert, den das Lateinische mit demselben Rechte beanspruchen kann; mit gering-
cBucherschau. 341
ftigigen Veranderungen ware seine Beweisfiihrung fur jede lebende Sprache zu ge-
brauchen, und selbst fur die klassischen. Mit Bezug auf eine Seite des Unterrichts,
die sein Artikel gar nicht beriihrt, verweise ich auf den Aufsatz ,,Land und Leute"
im vorliegenden Heft.)
Die Neueren Sprachen (Elwert, Marburg), Band VII, Heft 5 (August-September
1904), pp. 257—272: B. Uhlmayr-Nurnberg, Der fremdsprachliche Unterricht in
seiner Beziehung zur Schulhygiene.
Dieser ausserordentlich anregende, gehaltvolle Aufsatz, der auf dem Ersten
Internationalen Kongress fiir Schulhygiene (Niirnberg, April 1904) als Vortrag
auf dem Programm stand, lasst sich in dem geringen zu Gebote stehenden Raume
nicht voll ausschopfen. Die leitenden Gedanken sind kurz folgende: Die psychische
Gesundheit der Schiller ist schon wegen der Wechselwirkung von Seele und Korper
aufeinander ebenso wichtig wie die physische. Der fremdsprachliche Unterricht,
wie er jetzt gehandhabt wird, verurs^bht durch ubertriebene Anforderungen, durch
uberspannung der Geisteskrafte eine Schiidigung des seelischen Wohlbefindens.
Schuld daran ist der Konservativismus der Schule, der in den heutigen Fremdspra-
chen noch dieselben Leistungen verlangt wie frtiher im Lateinischen, als dies noch
Schulsprache war, dabei aber iibersieht, dass die Herstellung eines fremdsprach-
lichen Milieus nur auf jeweils sehr kurze Zeitdauer nicht genu'gt, um die Mutter-
sprache des Schiilers aus seinen Denkvorgiingen auszuschalten; es ist ein grosser
Irrtum, die natiirliche Spracherlernung auf die Schule iibertragen zu \vollen. Zur
Produktion in der Fremdsprache muss immer die Muttersprache bewusst in daa
fremde Idiom iibertragen, d. h. iibersetzt, werden. Wahrend der Gedanke bei der
Her-iibersetzung sich leicht von der fremden Sprachform ablest, bleibt er bei der
Hin-iibersetzung eng mit der Muttersprache verbunden und die ubertragung mus3
von der sprachlichen Form ausgehen und stiickweise erfolgen. Die Hin-ubersetzung
sollte sich darum auf die Einubung der Grammatik beschranken, und zwar an der
Hand kurz vorher durchgenommener fremdsprachlicher Texte, da sie dann verhalt-
nismassig leicht von statten geht. Der allgemeine Zweck der Erziehungsschule ist,
den allgemeinen Wert des Menschen zu erhohen, seinen Bewusstseinsirihalt zu er-
weitern, wertvoller zu machen, zu klaren und zu lebendigem, d. h. gedarikenerzeu-
gendem Besitze umzuschaffen und ihn zu befahigen, den Bewusstseinsinhalt genau
und in schb'ner Form auszudriicken. Dies aber vermag man in weitaus den meisten
Fallen nur in der Muttersprache und auch da nur mit andauernder Cbung; und der
Bildungsgrad eines sprachenkundigen Dichters wird mit Recht fmmer hoher ge-
schatzt als der des sprachengewandtesten Kommis. Das innige Verhaltnis zwischen
Denken und Muttersprache wird durch die Versuche der Produktion in einer Fremd-
sprache nur gestort, das Band zwischen Inhalt und Ausdruck gelockert, und die
Folge ist die oft anzutreffende Unfahigkeit zu passendem, unmittelbarem Ausdruck.
Der fremdsprachliche Unterricht erhielte den reichlichsten Gewinn, wenn man sich
einzig auf den rezeptiven Sprachbetrieb beschranken wollte, den die .klassischen
Sprachen iiber kurz oder lang in der Schule annehmen werden. Das praktische
Leben verlangt wohl die Fahigkeit, sich in der Fremdsprache miindlich und schrift-
lich ausdriicken zu konnen; aber die Absolventen der Erziehungsschulen besitzen
diese Fahigkeit nicht und konnen sie auf der Schule nicht erwerben. . Die Frage
nach einer Weltsprache, die nur aus der Schwierigkeit der fremdsprachlichen Pro-
duktion entsteht, ware am einfachsten zu losen, wenn man sich uriter den Haupt-
kulturnationen auf den zweisprachigen internationalen Verkehr einigen wollte, der
Zeit und Kraft ersparte und es ermb'glichte, zwei bis drei Sprachen gut yerstehen
zu lernen, bis man eine auch nur mittelmassig handhaben lernt, und. der zum Teil
auch schon auf internationalen Kongressen mit Erfolg gebraucht wird, : Die solcher-
34*3 Padagogische Monatshefte.
niassen -. gewonnene Energiemenge, .die sich in dem Versuche fremdsprachlicher
Produktion verzehrte, konnte verwendet werden, um viel tiefer in die in dem frem-
den Schrifttum niedergelegten Geistesschiitze einzudringen. — Wir gedenken auf
Einzelheiten des fesselnden Artikels bei Gelegenheit zuriickzukommen.
Heft 6 (Oktober 1904), pp. 338—344: Albert Waag-Karlsruhe, Wie
ubermitteln die neusprachlichen Schulen gegeniiber den altsprachlichen eine gleich-
wertige Allgemeinbildung?
Dieser im Mai d. J. auf dem Neuphilologentage zu Koln gehaltene Vortrag
gipfelt in der These, ,,dass mir die neusprachlichen Sehulen gegeniiber den alt-
sprachlichen nur unter zwei Bedingungen eine gleichwertige Allgemeinbildung uber-
mitteln zu konnen scheinen : sie miissen e i n m a 1 der im Gymnasium bewahrten
K'unst des tibersetzens in die Muttersprache reiche
Pflege widmen, um nicht einen grossen Ausftll an geist- und sprachbildender Kraft
zu erleiden; -und z u m z w e i t e n ist es dringend zu wiinschen, dass die Lehrer
des Franzosischen und Englischen gerade an neusprachlichen Schulen auch in
deutscher Sprache und Liter atur wohl vorgebildet sind,
damit sie das gesamte Empfindungsleben ihrer Schiiler in Schwung zu setzen ver-
mogen." Dabei bleiben auch die Forderungen der Reform bestehen: ,,erste Auf-
nahme der Fremdsprache durchs Ohr, Erziehung zu peinlich genauer Hervorbringung
der fremden Laute, andauernde iibung im Erfassen des Gesprochenen, Aneignung
eines umfassenden Wortschatzes durch mannigfaltige Umgestaltung des Lese-
etoffes. Der schone Aufsatz beriihrt sich in manchem mit dem vorhergehenden
Uhlmayrs, obwohl er ganz unabhangig von diesem entstanden ist.
Edwin C. Roedder.
II. Eingesandte Bucher.
Mozart auf der Reise nach Prag. Collins, Adjunct Professor of German
Novelle von E d u a r d M o r i c k e. in Teachers College, Columbia University.
Edited with an introduction and notes New York, The Columbia University
by William Guild Howard, In- Press, 1904. Price $1.50.
structor in German in Harvard Univer- A Brief German Course by C. F.
sity. Boston, D. C. Heath & Co., 1904. K a y s e r, Ph. D., First Assistant in
Deutsches Lesebuch. Deutsche Kultur- German and Latin, and F. M o n t e s e r,
geschichte in Wort und Bild f iir Sekunda, P h. D., Head of German Department, De
Prima und Oberprima par Charles Witt Clinton High School, New York.
Schweitzer, Doctur es Lettres, American Book Co., 1904.
"Professeur Agrege au Lycee Janson de Elements of the Differential and
SaHly, avec la collaboration de E m i 1 e integral Calculus by William A n-
S i m o n n o t, Professeur a College t h o n y G r a n v i 1 1 e, Ph. D., In-
Chaptal. Librairie Amand Colin, Paris, structor in Mathematics in the Sheffield
1904. Scientific School, Yale University. With
English Reader. A History of Civilisa- the editorial co-operation of P e r c e y
tion in England, with literary illustra- F. Smith, Ph. D., Professor of
tions. 'Seconde, Premere et Philosophic Mathematics in the same institution.
par Charles Schweitzer, Docteur Boston, Ginn & Co. Price $2.70.
es Lettres, Professeur Agrege au Lycee Grillparzer und das Neue Drama. Eine
Janson de Sailly, avec la collaboration de gtudie von Dr. O. E. L e s s i n g. Miin-
Louis Cozamian, Docteur es chen und Leipzig, R. Piper & Co., 1904.
Lettres, Professeur Arege de Anglais au Geheftet M 4
P5'^ ?SfUy°n Librairie Aramand Colin» School Civics. An outline study of the
laris, l,iU4. origin and development of government
Cyr's Graded Art Readers. Book Two an(j the development of political institu-
by E 1 1 e n M. C y r. Ginn & Co. Price tions in the United States. By F r a n k
35 cents. David Boynton, Superintendent of
The Teaching of German in Secondary Schools, Ithasa, New York. Ginn & Co.,
Schools by Elijah W. Bagster- 1904. Price $1.10.
Inhaltsverzeichnis.
Offizielles.
Deutschamerikanischer Lehrertag. . . 309
Emil Dapprich, gest 1
Nat. deutscham. Lehrerseminar 161
Generalversammlung des Lehrer-
seminarvereins 213
Aufsiitze.
Altschul, Natiirliche Methode in der
Grammatik 255
Busse, Herders Personlichkeit 169
C. C. Land und Leute 310
Cutting, Some Defects in the Teach-
ing of Modern Languages in Col-
leges and Universities 38
Dobrzynska, Das Kind in der
Literatur 224
Florer, Gustav Frenssen, A Study 71, 97
G., Zur Abwehr 178
Heine G., Chorsprechen und -Lesen
in der Schule 239
Heine H., Unterricht in der Bilder-
sprache 244
v. Jagemann, 1st der deutsche Wort-
schatz grosser als der englische. . 9
Jappe, Erziehungswissenschaft und
Erziehungspraxis 33, 65, 129, 163
Lauterbach, Zum Gedachtnis Lockes 325
Lessing, Arno Holz und sein Dafnis. 328
Prehn, Ein Bruch mit der Uber-
lieferung 175
Roedder, Zur gesetzgebenden Gram-
matik 78, 103, 136
Schonrich, Aus dem Tagebuch einea
deutschamerikanischen Schul-
meisters 236
Wilson, Studien in der deutschen
Literatur 198
— Dichter und Schule 277
— Das Gedachtnis nach der neuen
Psychologic 292
— Aphorismen aus Herders Schul-
reden 287
Fiir die Schul praxis.
Altschul, Lehrprobe: Eine Lese-
stunde 103
Braun, Leitfaden zum Unterricht
nach Anschauungsbildern 48
Hecker, Der blinde Konig 317
Lichte, Versuchung 322
Miiller, Die Auswanderer v. Frei-
ligratli 284
Pulitzer, Aufbau im Sprachunter-
richt 228
Sprachliches.
Ursprung einiger Nanmen von Haus-
geraten 280
Schwiegermutter, Schwager 281
Sprachlicher Ausdruck fiir Zeitver-
haltnisse 281
Hanseln 281
Franzosische Fremdworter 283
Gedichte.
Ernst, Erwartung der Weihnacht.. 8
Nicolay, Antwort auf Heines Grab-
schrif t 47
Berichte.
Abrams, Der 43. N. Lehrertag zu
Boston 54
W. W. F., Report of the Meeting of
the Modern Language Association 145
P. G., Die Prinzipienerklarung der
diesjahrigen Tagung der N. E. A.
in St. Louis 290
P. G., Der Germanische Kongress. . . 330
Schonrich, Das erste Dichterfest in
Amerika 147
Schonrich, Zweite Konvention des
D. A. Nationalbundes zu Baltimore 18
Korrespondenzen.
Baltimore (S) 56, 112, 151, 189
Cincinnati (***) 57, 86, 151, 191, 262, 333
Chicago (Ernes) 114, (E) 191, (*) 332
Davenport 26
Milwaukee (A. W.)
.... 27, 87, 114, 152, 191, 264, 296, 334
Milwaukee (**) 265
New York (H. Z.) 27, 89, 116, 192, 297
New York (D. Adler) 296
Portland (P. R.) 193
San Francisco (V. B.) 113
Umschau.
Amerika.
Aufbesserung der Gehalter in den
Ver. Staaten 90
Booker Washington und Gouverneur
Vardamann 117
Brooklyner Lehrerinnen , 155
Cambridge, Einweihung des germa-
nischen Museums der Harvard
Universitat 117
Chicago, Klage der Lehrerinnen ge-
gen die Stadt 194
Chicago, Lehrerinnen siegreich 286
Chicago, Volkswirtschaftslehrer in
den Volksschulen 194
Chicago, Superintendent Cooley 29
Chicago, Lehrergehalter 118
Chicago, Trennung der Geschlechter
an der Universitat von Chicago. . . 154
Chicago, Jubilaum der Universitat . . 194
Chicago, Preisausschreiben der Uni-
versitat 267
IV
Padagogische Monatshefte.
Chicago, Prof. Cutting geehrt 336
Der ideale College Professor nach
Pras. Harper 193
Columbia, Siid-Karolina, Lehrer-
gehalter 118
Deutsche Kunstbliitter auf der St.
Louiser Weltausstellung 154
Freie t)berfahrt fiir portorikanische
Lehrer 193
Fussballspiel v 90
Gehalter der Professoren der Colleges
und Universittiten 118
Internationale Kindergarten-Union. 119
Indiana, Gesundheitsbehorde gegen
kranke Lehrer 91
Kentucky, Gemeinsame Schulen fiir
Weisse und Neger 118
Milwaukee, Erhohung der Gehalter 298
Milwaukee, Lehrerseminar 59, 266, 297
Milwaukee, Vormittagsunterricht in
der Deutsch-Englischen Akademie 194
Milwaukee, Superintendentenwahl. . 154
New York, Hebung der Disziplin in
der Volksschule 155
New York, Das deutsche Element im
Borough Manhattan 194
New York, Schulwesen von Gross
New York 198
New York, Superintendentenwahl.. 154
Philippinen, Schulen auf denselben 155
Pittsburger Predigerverein 298
Pittsburg, Lehrergehalter 118
Protest gegen die Statue Friedrichs
des Grossen 193
Professor Reins Amerikareise 90
Preisausschreiben des N. A. Tur-
nerbundes 89
Schulausstellung in St. Louis 117
Schultyrannen 60
Sechsjiihriger Kursus der Hoch-
schulen 60
Sitzenbleiben der Schiller 60
Triibes Bild unseres Siidens 117
Volksschulstatistik in Amerika .... 91
Vormittagsunterricht 60
\Visconsins Ausgaben fiir Schulen.. 91
Deutschland.
Ausgaben fiir die offentliche Volks-
schule in Deutschland 337
Baiern, Universitat und Volksschul-
lehrer 270
Besoldungselend in Mecklenburg 92
Berlin, Streik im Interesse der
Standesehre 91
Berlin, Streik der Akademiker an
den Berliner Fortbildungsschulen . 120
Berliner Schulstatistik 157
Berlin, Einwirkung - des Nachmit-
tagsunterrichts 161
Charlottenburg Waldsehule 270
Clausnitzer, Leopold 298
Denkmal fiir Kultusminister Falk.. 29
Dr. Seyffarth 29
Deutsche Schulen im Ausland 60
Erlangen, Lehrergehalter 120
Fortbildungsschulen fiir Zuriickge-
bliebene in Berlin 119
Fortfall des Nachmittagsunterrichts
in Deutschland 157
Giessen, Volksschullehrer an der
Universitat 92
Hamburger Lehrerschaft gegen das
Mannheimer System 270
Harnacks Gedachtnisrede auf
Mommsen 29
Hochstzulassige Schiilerzahl in
Hessen 95
Kaiser und Volksschule 301
Kosten der Volksschulen des deut-
schen Reiches 30
Privatschulen in Preussen 190
Meiningen, Ungeteilte Unterrichts-
zeit 270
Rein, Prof. Dr 29
Schillers Todestag 298
Schulbesuch in Preussen 60
Stuttgart, Lehrerinnenfrage vor dem
Bezirksverein 270
Universitatsbildung fiir Volksschul-
lehrer 336
Unterstiitzung deutscher Schulen im
Ausland 156
iiberfiillung der Volksschulen in
Preussen 61
Verordnungen des preussischen
Unterrichtsministeriums vom
Januar 1903 '. . . 92
Volkssclmle als Aschenbrodel 298
Weimar, Lehrerflucht 120
Zahl der Lehrerinnen in den Gross-
stadten > 92
B e 1 g i e n.
Illiteraten in Belgien 299
Brasilien. Deutsche Kolonie von
schreibung 339
Bulgarien.
Volksschulwesen 30
England.
Ausliinder, Studium der englischen
Sprache fiir Auslander in London 299
Deutsche Sprache in England 196
Oxford, Griindung eines Lehrstuhls
der Philosophic 95
Professor Rein in Manchester 269
Versammlung der British Associa-
tion in Southport 93
Frankreich. .
Austausch von Kindern in Frank-
reich 195
Gehaltsverhaltnisse der Volksschul-
lehrer 299
Kongregationietische Schulen ge-
schlossen . 93
Inbaltsver^eicbniss.
Lehrerbi Idling in Frankreich 338
Unterricht in den modernen Spra-
clien in den Lehrerbildungsan-
stalten 196
Schiessunterricht 195
G r i e c h e n 1 a n d.
Schulausstellung in Athen 197
Holland.
Niederliindisches Schuhvesen 120
1 1 a 1 i e n.
Deutsche Schule in Rom 299
Priifung italienischer Soldaten 158
Mexiko, Ehrung Rebsamens 337
Osterreich - Ungarn.
Die deutschen Lehrer Bohmens 299
Nebenbeschaftigung der Volksschul-
lehrer 197
Stellung der Vereinslehrer 158
Volksschulen in Ungarn 299
R u s s 1 a n d.
Deutsch in den Ostseeprovinzen .... 197
Deutsche in Russland 300
Illiteraten in Moskau 198
Lehrerinnenelend in Russland 93
Schweden und N" o r w e g e n.
Halbe Unterrichtszeit in Schweden 95
Hohere Lehranstalten in Schweden 92
Gemeinsamer Unterricht fiir Kna-
ben und Madchen in Bergen 300
S c h w e i z.
Neuhof, Erwerb desselben 299
Zurich, Aufnahmebedingungen fiir
Russinnen an der Universitat 92
S e r b i e n.
Serbische Lehrergehalter 95
T ii r k e i.
Deutsche Schule in Konstantinopel 299
Siid - Amerika.
Argentinien.
Neue Lehrpliine 156
Chili, Verein deutscher Lehrer in
Chili 156
Sudafrika.
Lehrerinnen fur Sudafrika 300
Japan.
Deutsche Schule in Yokohamo 158
Handelshochschulen in Japan 300
Japanische Schulverhaltnisse 197
Japanische Volksschullehrer im
Krieg 300
Vermischtes.
Anwachsen der Zahl der Lehrer-
innen igg
Babel-Bibelstreit 62
Brandl, Ausgewanderte Deutsche... 271
Die langsten deutschen Worter 94
Deutscher Frobelverband 95
Deutschlands kleinste Schule 159
Deutsche Sprache in Osteuropa 159
Deutsche Uberhoflichkeit 61
Dezember 39
Eigenartiger ^Zufall 93
Erziehungsgrundsatze eines alten
Lehrers 197
Farbenblindheit 62
Gefahrliche Farbkreiden 94
Geniestreich der neuesten Recht-
schreibung 339
Gewinner der Xobelpreise 95
Gurgeliibungen 158
Internationaler Schulerbriefwecheg.! 94
Juristendeutsch 301
Klavierunterricht : 30
Lehrertraum 198
Medizinerdeutsch 301
Morallehre auf Schulheften 301
Nervositat der Lehrer 62
O, diese FremdwSrter 271
Pariser Volksschulgeographie 159
Patriotismus — nicht Jingoismus.. 184
Piidagogische Aphorismen von
Rosegger 186
Pennsylvania Dutch 271
Plakatpadagogik 93
Rechtschreibung 339
Schmidt-Monard, gest 95
Schreiber rumanischer Gymnasial-
direktoren 94
Schiilerehre 183
Schule und Leben 159
Tanzlehrer in Sachsen 300
tJbertriebene Xngstlichkeit 160
Verteilung der Sprachen 30, 339
Vom geruhigen Leben 62
Was ist Faulheit 94
Zweierlei neue Rechtschreibungen . . 158
Humoristisches aus Schule und Leben.
Aus Schiilerheften 95, 159
Die Glocke 30
Eine Hofliche 95
Eine franziisische Schulgeschichte. . 160
Die Seidenraupe 30
Klage eines Vaters 198
Biicherbesprechungen.
Bernhardt, Daa Habichtsfraulein,
(W. VV. F.) 122
Buhner, Der Troiupeter von Sackin-
gen, (C. G.) 207
VI
Padagogische Monatshefte.
Davis, Teacher's Guide in Physical
Geography (D. H.) 32
Peering, Goethes Egmont, (C. B. W.) 121
Eggert, Goethes Das Marchen,
(W. W. Florer) 209
Ford, Elementary German, (E. C.
Roedder) 208
Granger, Schillers Tell, (C. B. W.) 271
Grimshaw, German Genders ( C. B.
Wilson) 64
Hanstein, das jiingste Deutschland,
(O. E. Lessing) 31
Hale, A Latin Grammar, (R. B.
Holt) 121
Hatfield, Goethes Egmont, (W. W.
F.) '. 210
Heller, Die drei Freier, (E. C. Roed-
der) 208
Higgins, Lessons in Physics, (D. H.) 32
Hofmann, Obligatorische Madchen-
fortbildung, (I. Barandun) 124
Ibershof, Robinson der Jiingere, (C.
B. W.) 271
Kingsbury, Flachsmann als Erzieher,
E. C. Roedder) 306
Kittredge and Dodge, Allen and
Greenough's New Latin Grammar. . 96
Leicht, Padagogische Briefe von
Lazarus, (I. Barandun) 124
Lovelace, Germelhausen, (E. C.
Roedder) 275
Miller, Laboratory Physics, (D. H.) 32
Painter, Elementary Guide to Life-
rary Criticism, (C. B. Wilson) 210
Paskowsky, Lesebuch, (C. G.) 205
Payot, Erziehung des Willens, Con-
stantin Grebner 272
Rein, Encyklopiidisches Handbuch
der Padagogik, (M. G.) 205
Report of the Commissioner of
Education for 1902, (John Eisel-
meier) 123
Saintsbury, Loci Critici, (L. Sh.) . . 32
Sanborn, Der zerbrochene Krug, (C.
H. Handschin) 307
Seifert, Unterrichtslektion als di-
daktische Kunstform, (I. Baran-
dun) 124
Sievers, Old - English Grammar, (L.
Sh.) 32
Trunk, Anschaulichkeit des geogra-
phischen Unterrichts, (P. G.) 63
Vos, Kinder- und Hausmiirchen der
Briider Grimm, (C. B. W.) 121
Whitney, Heimatklang, (C. B. Wil-
son) 64
Wilder and Minckwitz, Minna Axm
Barnhelm, (E. C. Roedder) 275
Wright, Entwicklungslehre, (C. H.
Handschin) 210
Zeitschriftenschau.
(E. C. Roedder.)
Breston, The Teaching of Modern
Languages in England 303
Cohn, The Adjustment between
Secondary School and College
Work in Modern Languages 303
Chambers, How Words Get Meaning 302
Darrin, German in the Class-
Room 340
Eggert, Der psychologische Zusam-
menhang in der Didaktik des neu-
sprachlichen Reformunterrichts . . 302
Gregor, Translation 303
Ingres, The Teaching of Modern
Languages under Present Con-
ditions 304
Liddeke, The Extension of the High-
School Course 340
Thiergen, The Plans of Instruction
for the German Middle Class
Schools and the Regulations of
the Government 340
Uhlmayr, Der fremdsprachliche Un-
terricht in seiner Beziehung zur
Schulhygiene 341
Waag, Wie iibermitteln die neu-
sprachlichen Schulen gegeniiber
den altsprachlichen eine gleich-
wertige Allgemeinbildung ? 342
Werner-Spanhoofd, Aim and Char-
acter of the Work of First Year
German 340
Jugendschrif ten-Verzeichnis 395
PF
3003
M6
v.5
Monatshefte
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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