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VERHANDLUNGEN
DER VIERUNDDREISSIGSTEN VERSAMMLUNG
DER
DEUTSCHEN GESELLSCHAFT
FUR KINDERHEILKUNDE
IN GOTTINGEN 1923
VERHANDLUNGEN
DER VIERUNDDREISSIGSTEN VERSAMMLUNG
DER
DEUTSCHEN GESELLSCHAFT
FUR KINDERHEILKUNDE
IN GOTTINGEN 1923
IM AUFTRAGE
DER GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN
VON
PROF. DR. H. BRUNING
IN ROSTOCK
SCHRIFTFUHRER DER GESELLSCHAFT
MIT 7 KURVEN IM TEXT
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VERLAG VON F.C.W.VOGEL IN LEIPZIG
Alle Rechte vorbehalten
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
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Bericht
über die
geschäftliche Sitzung der Deutschen Gesellschaft
für Kinderheilkunde
auf der 34. ordentlichen Tagung in Göttingen
am 21. September 1928, nachmittags 5 Uhr.
Anwesend: 80 Mitglieder.
Vorsitzender: Herr Czerny; stellvertr. Schriftführer: Herr Hoffa.
Mitgliederbestand: 530.
Gestorben: 5. Gutzmann-Berlin; Swoboda-Wien; Freise-
Tübingen; Cronquist-Malmö; Limper-Göttingen.
Ausgetreten: I: Tobeitz-Graz.
Nicht auffindbar oder jahrelang ohne Beitragszahlung und
daher gestrichen: 8. Treplin-Hamburg; Schramm, Schütz-
Wien; Brun-Luzern ; Franz-Wien; Wolff-Greifswald; Henricke-
Steglitz.
Eingetreten: 49. Königstein-Wien; Merckens-M.-Glad-
bach; Salomon, Burlin-Berlin; Behrendt-Marburg; Benfey-
Charlottenburg; van Bokay-Budapest; Frank-Mediasch; Heil-
mann-Hamborn; Ihsan Hilmi-Konstantinopel; Heyer-Bonn;
Hofmeyer-Würzburg; Kikuth, Frl. Kulazenski, Mothes,
Rosenbaum, Vahmeyer, Frl. Wasiliavski-Barmen; Lang-
hans-Rostock; Lütjohann-Flensburg; Gertrud Meyer-Berlin;
van Pethéo-Debreczen; Kochmann-Freiburg; A. Salomon-
Frankfurt a. M.; Schaefer-Zwickau; Scher man-Berlin; Schlack-
Tübingen; Schmitt-Würzburg; Schulz-Saarbriicken; Thoenes-
Leipzig; Voigt-Kiel; Frl. Else Wolff-Breslau; Weltring-Würz-
burg; Brunthaler-Hildesheim; Grävinghoff-Magdeburg; A.
Fischer-New York; Czapski, van Bernuth, Best-Jena; K uhle-
Greifswald ; Snell-Dresden; Roedel-Altenburg; Schwarzenberg-
Berlin; Zimball, Zschocke, Frau Zschocke-Kéln; Mader-
Frankfurt a. M.; Vollmer-Charlottenburg; Banzä-Montevideo;
Schott-Pirmasens.
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VI Geschaftsbericht.
Es werden folgende Beschliisse gefaBt:
I. Antrag Noeggerath betr. Drucklegung der Verhandlungen
wird angenommen mit Zusatzantrag Siegert: Der Vorstand soll
beim Verlag F. C. W. Vogel, Leipzig sich erkundigen, ob Druck der
Verhandlungen als Monatsheft möglich ist. Die Vorträge sollen hierzu
von den Vortragenden selbst möglichst gekürzt werden. Herr
Czerny soll die Verhandlungen führen. Die Vortragenden sollen
außerdem dem Schriftführer ein kurzes Autoreferat zwecks Bericht-
erstattung an die Fachpresse übergeben.
II. Bezüglich der fachärztlichen Ausbildung wird von einer be-
sonderen Stellungnahme abgesehen.
III. Wahlen:
a) Vorsitzender für 1924: Goeppert.
b) An Stelle der ausscheidenden Vorstandsmitglieder Hoffa,
Goeppert und Schick treten die Herren van Reuß, Dünzel-
mann und Noeggerath.
Ein stellvertretender Schriftführer soll auf Vorschlag Brünings
vom Vorstand gewählt werden.
IV. Kassenbericht für 1922 von den Herren Rohden und
Bischoff nachgeprüft:
Einnahmen ........2.2.2.2.2.24.. 21 746,81 M.
Ausgaben . . . a ae he Oe ee 18 989,42 M.
Kassenbestand. ............. 2 757,39 M.
V. Jahresbeitrag: für 1923 ein a.o. Beitrag in Höhe von 3 Millionen
_ Mark, fiir 1924 ein solcher in Höhe von 8 Fernbriefentgelten bewilligt;
deren Einziehung wird dem Kassenführer anheimgestellt.
VI. Zeit und Ort der nächsten Tagung zu bestimmen, wird dem
Vorstand überlassen; falls die Naturforscherversammlung stattfindet,
soll möglichst auch eine Tagung der Gesellschaft abgehalten werden.
Der Vorsitzende: Der Schriftführer:
Czerny-Berlin. Brüning-Rostock.
Satzungen
für die
Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde.
$ I. Name und Zweck der Gesellschaft.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde hat den Zweck,
die wissenschaftlichen und fachlichen Aufgaben der Kinderheilkunde
zu fördern und dem persönlichen Verkehr der Fachvertreter zu dienen.
Dieser Zweck soll namentlich durch die Veranstaltung von Tagungen
erreicht werden.
§2. Mitgliedschaft, Aufnahme, Ausscheidung.
Es gibt ordentliche, korrespondierende und Ehrenmit-
glieder. AuBerdem kann die Stelle eines Ehrenvorsitzenden besetzt
werden.
Zur ordentlichen Mitgliedschaft kann sich jeder Arzt (Arztin)
beim Vorstand melden. Die sich Meldenden miissen durch minde-
stens zwei Mitglieder der Gesellschaft empfohlen sein. Der Vorstand
entscheidet über die Aufnahme mit ?/, Mehrheit der Mitglieder bei
schriftlicher oder geheimer Abstimmung. Bei Ablehnung ist eine
Berufung an die Mitgliederversammlung möglich, die mit ?/, Mehr-
heit in geheimer Abstimmung entscheidet.
Zu korrespondierenden und Ehrenmitgliedern können
Vertreter der Medizin des In- und Auslandes vorgeschlagen werden,
die sich in hervorragendem Maße um die Kinderheilkunde oder die
Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde verdient gemacht haben.
Ein solcher Vorschlag geht an den Vorstand, wird von diesem be-
raten und zustimmenden Falles den Mitgliedern unterbreitet. Beide
Male entscheidet 2/, Mehrheit der Mitglieder in geheimer Abstim-
mung. In gleicher Weise erfolgt die Wahl des Ehrenvorsitzenden.
Teilnehmer (Gäste) können zum Besuche der Tagungen der
Gesellschaft von Mitgliedern eingeführt werden. Eine Beteiligung
durch Vorträge und Aussprache bedarf besonderer Genehmigung des
Vorsitzenden der Gesellschaft.
VIII Satzungen.
Die Mitgliedschaft erlischt, wenn ein Mitglied seinen Aus-
tritt erklärt, der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig wird oder trotz
wiederholter Mahnung durch mehr als ein Jahr mit der Beitrags-
leistung im Rückstand bleibt. In letzterem Falle bedarf es zur Wieder-
aufnahme nur der Nachzahlung. Ausschluß aus der Gesellschaft
kann nur auf schriftlich begründeten Antrag eines ordentlichen Mit-
gliedes durch 3/, Mehrheit der Mitglieder des Vorstandes beschlossen
werden.
§3. Pflichten und Rechte der Mitglieder.
Sämtliche Mitglieder haben das Recht an den Veranstaltungen
der Gesellschaft teilzunehmen; sie sind in der Mitgliederversammlung
wahlberechtigt und wählbar und erhalten die Drucksachen der Ge-
sellschaft nach Maßgabe der Geschäftsordnung.
Ordentliche Mitglieder bezahlen den jeweils durch einfache Mehr-
heit in der Mitgliederversammlung festgesetzten Jahresbeitrag. In
besonderen Fällen kann der Mitgliedsbeitrag auf Antrag an den Vor-
stand auf die Hälfte ermäßigt werden. Die Beiträge sind alljährlich
bis längstens zum ı. Februar auf das Postscheckkonto 4275 der
Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde in Hamburg Ir ein-
zuzahlen. Bis dahin nicht eingegangene Beträge werden auf Kosten
der Säumigen durch Postauftrag eingezogen.
$4. Organe der Gesellschaft.
Die Organe sind der Vorstand, das Büro und die General-
versammlung.
A. Der Vorstand besteht aus einem Vorsitzenden, einem stell-
vertretenden Vorsitzenden, einem Schrift- und Kassenführer und
g Beisitzern. Die Vorstandsmitglieder werden durch die Mitglieder-
versammlung gewählt, und zwar der erste Vorsitzende auf die Dauer
des nächsten Kalenderjahres, das gleichzeitig das Geschäftsjahr ist,
durch einfache Mehrheit der Abstimmenden im besonderen Wahl-
gang mit Stimmzetteln. Der Schrift- und Kassenführer wird in glei-
cher Weise, aber auf unbestimmte Dauer gewählt. Mit der Stell-
vertretung des Vorsitzenden wird der Vorsitzende des Vorjahres
betraut. Die übrigen Vorstandsmitglieder werden durch Stimm-
zettel auf die Dauer von 3 Jahren gewählt; sie sind nicht unmittelbar
wieder wählbar. Bei erstmaliger Zusammensetzung des Vorstandes
sind 9 Beisitzer zu wählen, von denen durch das Los je 3 in den beiden
nächsten Jahren ausscheiden. Findet in einem Jahre keine Tagung
Satzungen. IX
statt, so verlangert sich die Amtsdauer aller Vorstandsmitglieder
um ein Jahr.
Der Vorstand leitet die gesamten Angelegenheiten der Gesellschaft,
soweit dieselben nicht ausdriicklich anderen Organen der Gesellschaft
zugewiesen sind. Er tritt anlaBlich der Jahrestagung zusammen und
ist beschlußfähig bei Anwesenheit von mindestens 5 Mitgliedern
(darunter einem Vorsitzenden und dem Schriftführer). Kann der
Vorstand außerhalb der Tagung nicht zusammentreten, so erfolgt
Abstimmung schriftlich durch Umlauf. Bei Abstimmung entscheidet
einfache Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit die Stimme des
Vorsitzenden.
B. Das Büro wird aus dem Vorsitzenden (im Verhinderungsfalle
seinem Stellvertreter) und dem Schrift- und Kassenführer gebildet.
Es führt die laufenden Geschäfte der Gesellschaft und ist deren
gesetzlicher Vertreter nach außen in allen gerichtlichen und außer-
gerichtlichen Angelegenheiten. Es verwaltet die Mittel der Gesell-
schaft unter Aufsicht der übrigen Organe. Die Mitglieder des Büros
sind zum Empfang von an die Gesellschaft gerichteten Postsendungen
berechtigt.
C. Die Mitgliederversammlung tritt gleichfalls anläßlich der
Tagung der Gesellschaft zusammen; sie hat
a) den Geschäftsbericht des Vorstandes für die Zeit der letzten
Versammlung und die Verwaltungsrechnung entgegenzunehmen.
Letztere wird durch zwei Mitglieder geprüft; auf Grund dieser Prü-
fung steht der Mitgliederversammlung die Entlastung zu;
b) über Abänderungen der Satzungen, Auflösung der Gesellschaft
und Verwendung ihres Vermögens zu bestimmen. Dahinlautende
Anträge müssen von mindestens 15 Mitgliedern der Gesellschaft
unterstützt und mindestens 6 Wochen vor der Tagung dem Büro
mitgeteilt werden. Zur Annahme ist 3/, Mehrheit der Anwesenden
erforderlich:
c) die Neuwahlen zum Vorstand vorzunehmen;
d) Zeit und Ort der nächsten Tagung zu bestimmen, insbesondere
zu entscheiden, ob diese im Anschluß an die Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte stattfinden soll oder nicht;
e) den Jahresbeitrag der ordentlichen Mitglieder zu bestimmen.
Die Mitgliederversammlung faßt ihre Beschlüsse, sofern nicht
anders verfügt ist, mit einfacher Stimmenmehrheit der Abstim-
menden.
Über die Zulassung weiterer Punkte zur Tagesordnung der Mit-
gliederversammlung entscheidet der Vorstand.
X Satzungen.
D. Der Ortsausschuß. Nach Festsetzung des Ortes der nächsten
Tagung tritt der Vorsitzende mit einem dort wohnenden Mitgliede
ins Benehmen, der als Einführender einen Ortsausschuß zusammen-
ruft und diesen leitet. Im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden
bereitet der Ortsausschuß die Veranstaltungen der Tagung in äußerer
Hinsicht vor (Wohnungsvermittlung, Sitzungsraum, Festabend usw.).
Wenn die Tagung der Gesellschaft im Anschluß an die Versammlung
deutscher Naturforscher und Ärzte stattfindet, ist der Einführende
der Abteilung Obmann des Ortsausschusses der Deutschen Gesell-
schaft für Kinderheilkunde. Seinen Verkehr mit der Gesellschaft
deutscher Naturforscher und Ärzte regelt eine besondere Dienst-
anweisung.
Geschaftsordnung
fir die
Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde.
§ I.
Die Darbietungen bei den wissenschaftlichen Versammlungen
sind Berichte, Einladungsvortrage, Vortrage, Vorweisungen (Demon-
strationen) und Aussprachen.
Die Anzahl der zu erstattenden Berichte, ihre Themata und die
Berichterstatter bestimmt der Vorstand der Gesellschaft bei oder
nach jeder Tagung. Dasselbe gilt für die Einladungsvorträge. Diese
sollen der Gesellschaft Gelegenheit geben, die Ansicht bestimmter,
zum Vortrag einzuladender Fachvertreter über gewisse Tagesfragen
zu hören. Berichterstatter und eingeladene Vortragende brauchen
nicht Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Andere Vorträge und Vor-
weisungen können von Mitgliedern und mit besonderer Genehmigung
des Vorsitzenden auch von Nichtmitgliedern angemeldet werden.
§ 2.
Die Tagesordnung der Jahresversammlung wird vom Vor-
sitzenden im Einvernehmen mit dem Schriftführer und Einführenden
soweit als tunlich vor Beginn der Tagung festgesetzt und bekannt-
gegeben (Zeitpunkt der Sitzungen, Einteilung der Berichte und
Vorträge auf die einzelnen wissenschaftlichen Sitzungen, deren
Reihenfolge usw.; für die Reihenfolge der Vorträge ist nebst ihrem
Inhalte auch der Zeitpunkt der Anmeldung maßgebend). Für jede
Sitzung wird ein Sitzungsleiter vorgeschlagen.
§ 3.
Die Höchstredezeit beträgt bei Berichten und Einladungs-
vorträgen 40 Minuten, bei anderen Vorträgen und bei Vorweisungen
15 Minuten, bei der Aussprache 5 Minuten. Außer dem Vortragenden
wird in der Aussprache das Wort einem Redner nur je einmal er-
teilt. Die einzelnen Sitzungsleiter sind verpflichtet, auf die Ein-
XII Geschaftsordnung.
haltung der Höchstredezeit genau zu achten; ihre Verlängerung ist
auch durch Anruf der Versammlung nicht gestattet. Bei Zeit-
bedrängnis stellt der für die Erledigung der Tagesordnung verant-
wortliche Sitzungsleiter an die Versammlung die Anfrage, ob die Aus-
sprache bzw. die Liste der dazu Vorgemerkten geschlossen werden
soll oder nicht. Einfache Mehrheit entscheidet. Nicht erledigte
Vorträge können in einer der nächsten Sitzungen erst nach Abschluß
der für diese festgesetzten Tagesordnung an die Reihe kommen.
§ 4.
Vortrage miissen in deutscher Sprache und frei gehalten werden.
Unzulässig ist die Vorbringung ausführlicher Krankengeschichten
und Versuchsaufzeichnungen, langatmiger statistischer Aufstel-
lungen usw., ferner der Vortrag bereits anderweitig veröffentlichter
oder auf unwissenschaftlicher Methodik und Gedankenführung be-
ruhender, sowie auf andere als wissenschaftliche Zwecke abzielender
Aufsätze. ‘Vorträge solcher Art können vom Sitzungsleiter mit einer
Berufung an die Versammlung unterbrochen oder aber in gleicher
Weise hinterher als unzulässig erklärt und damit von der Druck-
legung ausgeschlossen werden.
§ 5.
Von den Berichten und Vortragen sowohl als auch von den Aus-
sprachebemerkungen muß dem Schriftführer noch während der
Tagung eine gut leserliche Niederschrift übergeben werden,
sofern der Vortragende auf die Veröffentlichung seiner Darbietungen
Anspruch macht. Erhebt er diesen Anspruch nicht oder soll der
Vortrag anderweitig veröffentlicht werden, so ist dem Schriftführer
ein kurzer Auszug zu liefern.
§ 6.
Wenn irgend möglich, sollen die Verhandlungen der Gesellschaft
in getreuer Wiedergabe des bei jeder Tagung vorgebrachten Materials
durch Druck veröffentlicht werden. Über die Art und Weise
dieser Veröffentlichung entscheidet der Vorstand nach Verhandlung
mit den in Betracht kommenden Verlegern oder Druckereien, unter
Auswahl des für die Gesellschaft vorteilhaftesten Angebotes. Ver-
träge über die Drucklegung sollen auf höchstens 5 Jahre abgeschlossen
werden.
Mitgliederverzeichnis
der
Deutschen Gesellschaft far Kinderheifkunde.
Ehrenpräsident:
Geh.-R. Prof. Dr. Otto Heubner, Dresden-Loschwitz, Viktoriastraße 36.
NAPLN
23.
24.
Ehrenmitglieder :
. Prof. Dr. med. Emmet Holt, New York 14, West, 55. Street.
. Geh.-Rat Prof. Dr. med. Rubner, Berlin-GroBlichterfelde, Dahlemerstr. 69.
Mitglieder:
. Prof. Dr. med. M. Abelmann, St. Petersburg, Moika roo.
Dr. med. Paul Abraham, Kinderarzt in Berlin-Schlachtensee, Adalbertstr. 23.
Priv.-Doz. Dr. med. A. Adam, Heidelberg, Univ.-Kinderklinik.
. Dr. med. Edith Alexander- Katz, Charlottenburg, ChriststraBe 9.
Dr. med. Georg Alsberg, Kinderarzt in Kassel, Kronprinzenstr. 8 II.
Prof. Dr. med. Hans Aron in Breslau, Kaiser-Wilhelm-StraBe 76 I.
. Stadtmedizinalrat Dr. med. Erich Aschenheim, Remscheid, Neunheider
Straße 49.
. Dr. med. Siegfried Bach, Kinderarzt, Dortmund, Hansastraße 82 I.
. San.-Rat Dr. med. Baehus, Königsberg i. Pr., Vorderroßgarten 55.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
Prof. Dr. med. Hans Bahrdt, Dresden-A., Wiener Platz 2.
Dr. med. L. Ballin, Kinderarzt, Berlin W 35, Potsdamer Straße 53.
Dr. med. Banz&, Montevideo (Uruguay).
San.-Rat Dr. med. C. Baron, Dresden-N., Königsbrücker Straße 22.
Dr. med. L. Bartenstein, Kinderarzt, Horn b. Füssen (Allgäu).
Dr. med. W. Bartholomäus, Kinderarzt, Dresden-Striesen.
Prof. Dr. med. Bauer, Hamburg, Brahmsallee 25.
Dr. med. Aug. de Bary, Frankfurt a. M., GeriolettstraBe 19.
Dr. med. Otto Beck, Tiibingen, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Emerich Bedó, Kinderarzt, Szeged.
Dr. med. H. Behrendt, Assistenzarzt, Marburg a. d. L., Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Richard Behrens, Kinderarzt, Karlsruhe i. B., Leopoldstraße 2.
Geh.-Rat Prof. Dr. med. B. Bendix, Berlin-Charlottenburg, Grolmann-
straße 41.
Dr. med. Arnold Benfey, Kinderarzt, Charlottenburg, Kuno Fischer-Str. 15 I.
Prof. Dr. med. Erich Benjamin, Zell-Ebenhausen (Isartal).
Dr. med. Richard Benzing, Frankfurt a. M., Paul Ehrlich-Straße 40, Hyg.
Institut.
XIV Mitgliederverzeichnis.
26.
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28.
3
30.
31.
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33-
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44.
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72.
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74.
Dr. med. Emil Berggrün, Wien I., Zelinkagasse 11.
Dr. med. Julius Bergmann, Kinderarzt, Mühlhausen i. Thüringen.
Dr. med. Aug. Berkholz, Riga (Lettland), Kirchenstraße 7.
San.-Rat Dr. med. L. Bernhard, Berlin C 54, Weinmeisterstraße 9.
Prof. Dr. med. J. Bernheim-Karrer, Zürich II, Gartenstraße 36.
Dr. med. Fritz von Bernuth, Assistenzarzt, Jena, Kinv.-Kinderklinik.
Prof. Dr. med. Bessau, Leipzig, Bismarckstraße ı7 Il.
Dr. med. Emmy Best, Assistenzärztin, Jena, Univ.-Kinderklinik.
Priv.-Doz. Dr. Hans Beumer, Königsberg i. Pr., Fuchsberger Allee 53a.
Dr. med. Gertrud Bien, Wien I, Rathausstraße ı5,
Dr. med. Georg Bihlmeyer, Kinderarzt, Ravensburg (Württemberg).
Prof. Dr. med. W. Birk, Tübingen, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Bischoff, Oberarzt, Rostock, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Eugen Blattner, Kinderarzt, Karlsruhe, Westendstraße 38.
Dr. med. W. Bloch, Kinderarzt, Köln, Venloerstraße 59.
Dr. med. Blohm, prakt. Arzt, Greifswald, Gützkower Straße 86a.
Prof. Dr. med. Kurt Blühdorn, Göttingen, Haussenstraße 24. `
Dr. med. Felix Blumenfeld, Kinderarzt, Kassel, Querallee 38.
Dr. med. H. Boehm, Kinderarzt, Frankfurt a. M., Bockenheimer Landstr. 79.
Dr. med. Böringer, Dortmund, Eduard-Kleine-Straße 2.
Dr. med. H. Bogen, Kinderarzt, Bonn, Meckenheimer StraBe 60.
Prof. Dr. med. Joh. v. Bokay, Budapest VIII, Szentkiralvi-utca 2.
Univ.-Doz. Dr. med. Zoltan v. Bokay, Budapest VIII, Gólya utcza 48.
Priv.-Doz. Dr. med. Otto Bossert, Essen, Stādt. Kinderklinik.
Dr. med. Karl Brehmer, Kinderarzt, Erfurt, Anger 19/20 Il.
Dr. med. Brockmann, Dortmund, Redtenbacherstr. 21 I.
Dr. med. A. W. Bruck, Leit. Arzt des Stadt. Kinderkrankenhauses, Kattowitz.
San.-Rat Dr. med. Max Brückner, Dresden-A., Lüttichaustr. 34.
Prof. Dr. med. J. de Bruin, Amsterdam, Vondelstraat 150.
Dr. med. Hermann Brune, Kinderarzt, Lineburg.
Dr. med. Brunthaler, Stadtarzt, Hildesheim, Weinberg 1.
Dr. med. Helene Brüning, Stadtassistenzärztin, Münster i. W., Gerichts-
straße 6.
Prof. Dr. med. Hermann Brüning, Rostock, St. Georgstraße 102.
Dr. med. Dago Burlin, Assistenzarzt, Berlin-Lichtenberg, Hauptstraße 7.
Dr. med. Wilhelm Buttermilch, Charlottenburg 2, Knesebeckstraße 72/73.
San.-Rat Dr. med. Eugen Cahen-Brach, Frankfurt a. M., Eppsteiner Str. 45-
Dr. med. K. Calvary, Kinderarzt, Hamburg, HartvicusstraBe 1.
Dr. med. W. Camerer, Stuttgart, UlrichstraBe 9.
Dr. med. Capeller, Schularzt, Nordhausen.
San.-Rat Dr. med. Carstens, Leipzig, Augustusplatz 1 II.
Geh.-Rat Prof. Dr. med. J. Cassel, Berlin W 15, Lietzenburger StraBe 17.
Hofrat Dr. med. Rudolf Cnopf, Nirnberg, JohannisstraBe 1 I.
Dr, med. Coerper, Kreiskommunalarzt, Düsseldorf, Kühlwachterstr. 16 III.
Prof. Dr. med. A, Cramer, Bonn, Königstraße 17a.
Dr. med. F. Cuno, Frankfurt a. M., Falkensteiner Straße 22.
Dr. med. Ewald Czapski, Ass.-Arzt, Jena, Univ.-Kinderklinik.
Geh.-Rat Prof. Dr. med. Adalbert Czerny, Berlin NW 23, Altonaer StraBe 3.
Dr. med. Irmgard Dahm, Kinderärztin, Festenburg b. Zellerfeld i. Harz.
Dr. med. Heinrich Davidsohn, Berlin W 30, Bamberger Straße 47.
93.
94.
95.
96.
97.
98.
. Dr. med. Hermann Ewer, Kinderarzt, Berlin SW 29, Belle-Alliance-Str. 21.
100.
IOI.
102.
103.
104.
105.
106.
107.
108.
109.
110.
111.
112.
113.
114.
115.
116.
117.
118.
119.
120.
Mitglieder verzeichnis. XV
. Dr. med. Robert Dehne, Wien III, Ungargasse 9.
. Dr. med. Margarete Desensy, Prag, Landes-Findelanstalt.
. Dr. med. Demuth, Ass.-Arzt, Charlottenburg, Kaiserin-Augusta-Viktoria-
Haus.
. Dr. med. Ernst Deutsch, Chefarzt, Budapest V, Erzsebet-ter 16 I.
. Dr. med. Curt Dieren, Kinderarzt, Stettin.
. Hofrat Dr. med. Doernberger, München, Arcostraße 8.
. Dr. med. A. Dollinger, Berlin-Friedenau, Kaiserallee 79a II. |
. Dr. med. Rich. Dreher, Kinderarzt, Düsseldorf, Alt Pempelfort 7.
. Dr. med. D. Dudden, Kinderarzt, Harburg (Elbe), Wallstr. 45.
Dr. med. Ernst Dünzelmann, Kinderarzt, Leipzig, Waldstraße rra IlI.
. Dr. med. Duken, Assistenzarzt, Jena, Weinbergstraße ı.
. Prof. Dr. med. H. Eekert, Berlin W 50, Prager Straße 35.
. Priv.-Doz. Dr. med. Albert Eckstein, Freiburg 1. Br., Univ.-Kinderklinik.
. Dr. med. Fritz Ehrenfreund, Kinderarzt, Dresden-A., Bismarckplatz 14 II.
. Dr. med. §. Efehelberg, Kinderarzt, München - Gladbach, Albertus-
straße 23.
. Dr. med. Otto Einstein, Stuttgart, Friedrichstraße ı b.
. Dr. med. Hans Elienbeck, Kinderarzt, Düsseldorf, Jakobistr. 20.
. Dr. med. Ellerbrock, Direktor der Provinzialhebammenschule und Frauen-
klinik, Celle (Hannover).
Dr. med. Reinhard Eltzner, Kinderarzt, Leipzig, Plagwitzer Straße 1.
Prof. Dr. med. St. Engel, Kinderarzt, Dortmund, Elisabethstraße 14.
Dr. med. Berthold Epstein, Prag, Landes-Findelanstalt.
San.-Rat Dr. med. Eugen Epstein, Kinderarzt, Breslau, GartenstraBe 491.
Dr. med. Walter Erfurth, Kinderarzt, Suhl i. Th,
Dr. med. Bertha Erlanger, Ärztin, Mainz, Große Bleiche ı2.
Dr. med. M. Falk, Kinderarzt, Breslau, Königsplatz 3a.
Geh.-Rat Prof. Dr. Falkenheim, Königberg i. Pr., Kaiser-Wilhelm-
Damm 24.
Dr. med. Curt Falkenheim, Heidelberg, Handschuhsheimer Landstr. 45a.
Dr. med. H. Fauth, Kinderarzt, Oberhausen, Marktstraße 64 I.
Prof. Dr. med. Emil Feer, Zürich 7, Freie Straße 108.
Dr. med. Moritz Feibelmann, Kinderarzt, Nürnberg, Vordere Sterngasse 17.
Dr. med. E. Feibes, Kinderarzt, Aachen, Neumarkt 9.
San.-Rat Dr. med. et phil. Alb. Feuchtwanger, Frankfurt a.M. , Sandweg 7.
Prof. Dr. med. Heinrich Finkelstein, Berlin W 15, Lietzenburger StraBe 1.
Dr. med. Alfred Fischer, New York, 33 West 73 Street.
Dr. med, Louis Fischer, New York City, 33 West 73 rd Street.
Geh. San.-Rat Dr. med. M. Fischer, Stuttgart, Herdweg 59.
Prof. Dr. med. Rudolf Fischl, Prag II, Tegnov ı.
Dr. med. Rieh. Flachs, Dresden-A., Sidonienstraße 6.
Priv.-Doz. Dr. med. Hermann Flesch, Budapest V, Vilmos csaszarüt 36/38.
Dr. med. Flörsheim, Dortmund, Elisabethstr. 15.
Primararzt Hofrat Dr. med. Karl Foltanek, Wien IX, Freiheitsplatz 1 3.
San.-Rat Dr. med. W. Franeke, Städt. Kinderarzt, Leipzig, Talstraße 6.
Dr. med. Max Frank, Prag, Landesfindelanstalt.
Dr. med. R. Frank, Schularzt, Mediasch (Rumänien).
Priv.-Doz. Dr. med. Armando Frank, Leipzig, Kinderkrankenhaus.
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Dr. med. Curt Frankenstein, Charlottenburg, Lietzenburger Straße 4.
Prof. Dr. med. E. Freudenberg, Marburg a. d. L., Moltkestr. 19.
Dr. med. G. Freund, Kinderarzt, Stettin, Pölitzer Straße 3.
Primararzt Dr. med. Walter Freund, Breslau, Kaiser-Wilhelm-Straße 44.
Dr. med. Hans Freyberger, Kinderarzt, Barmen, Unterdörner Straße 87.
Dr. med. Friedland, Leipzig, Platzmannstraße ı.
Priv.-Doz. Dr. med. Josef K. Friedjung, Wien I, Ebendorfer Straße 6.
Prof. Dr. med. F. Friedländer, Wien VIII, Alserstraße 41.
San.-Rat Dr. med. Heinrich Fritzsche, Leipzig, FelixstraBe 6 IT.
Dr. med. Eugen Fromm, Kinderarzt, Minchen, OhmstraBe 15.
Dr. med. Theodor Frucht, Kinderarzt, Plauen i. Vogtl.
Dr. med. Erna Fürstenau, Stadtkinderärztin, Chemnitz, Ahornstr. 54.
Dr. med. Ernst Gauer, Königsberg i. Pr., Steindamm ı58 I.
Dr. med. Curt Gayler, Reutlingen, Karlstraße 19.
Dr. med. J. Gelßmar, Kinderärztin, Heidelberg, Erwin-Rohde-Straße IIa.
Dr. med. Fritz Gernsheim, Kinderarzt, Worms, Schloßgasse 2.
Prof. Dr. med. J. Gerstenberger, Cleveland, Ohio, 1940 Noble Road.
Frl. Dr. med. Aenne Giese, Dortmund, Wilhelmstr. 72 III.
Dr. med. H. Gloger, Dortmund, Kinderklinik.
San.-Rat Dr. med. Gmelin, Wyk auf Föhr, Südstrand.
Priv.-Doz. Dr. med. Goebel, Assistenzarzt, Jena, Schillergäßchen 5 I.
Prof. Dr. med. Fr. Göppert, Göttingen, Haussenstraße 22p.
Prof. Dr. med. Theodor Goett, München, Schellingstraße 3 I. G.-H.
Dr. med. Leopold Goldschmidt, Arad (Rumänien), Staatliches Kinderasyl.
Dr. med. Fritz Goldstein, Kinderarzt, Berlin-Lichterfelde, Jungfernstieg 18.
Dr. med. Kurt Gottlieb, Assistenzarzt, Heidelberg, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Karl Gottlieb, Wien, Lazarettgasse 14.
Dr. med. Fritz Götzky, Kinderarzt, Berlin-Lichterfelde, Augustastraße.
Dr. med. R. Gralka, Breslau, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Walter Grävinghoff, Oberarzt, Magdeburg-Altstadt, Kinderklinik.
Dr. med. Karl Grimm, Dirig. Arzt des städt. Kinderhospitals in Kölna. Rh.
KaesenstraBe 18.
Prof. Dr. med. F. Groer, Lemberg, Univ.-Kinderklinik, Glowitiskiego 5.
Prof. Dr. med. Paul Großer, Frankfurt a. M., Reuterweg 5ı II.
Dr. med. Maria Grosche, Kinderärztin, Hannover, Arnswaldstraße 311.
Dr. med. Grösz, Budapest V, Rudolf rakpart 3.
San.-Rat Dr. med. W. Grüneberg, Altona a. E., Treskowallee 38.
Dr. med. Grusewski, prakt. Arzt, Fraustadt b. Glogau.
Dr. med. Paul György, Assistenzarzt, Heidelberg, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. H. Hahn, Kinderarzt, Beuthen, Oberschlesien, Gymnasial-
straße 4 II.
Prof. Dr. med. Franz Hamburger, Graz, Mozartgasse 12.
Dr. med. Richard Hamburger, Berlin, W 50, SpichernstraBe 10.
San.-Rat Dr. med. Peter Hanssen, Kinderarzt, Kiel, GoethestraBe 8 p.
Dr. med. F. Hahn, Kinderarzt, Bremerhaven, LloydstraBe 15.
Dr. med. Curt Harmening, Kinderarzt, Stolp, Schraderplatz ı.
Dr. med. Max Hatzig, Kinderarzt, Hannover, Hildesheimer Straße 29 I.
Dr. med. Fr. Hassengier, Berlin-Lichtenberg, Hauptstraße 7.
Dr. med. Leo Hauschild, Berlin-Neukölln, Hebammenlehranstalt.
Priv.-Doz. Dr. med. Adolf F. Hecht, Wien 9, Alserstraße 24.
169.
170.
171.
172.
173.
174.
175.
176.
177.
178.
179.
180.
181.
182.
183.
184.
185.
186.
187.
188.
189.
190.
191.
192.
193.
194.
195.
196.
197.
198.
199.
200.
201.
202.
203.
205.
207.
208.
210.
211.
212.
213.
214.
215.
216.
Mitgliederverzeichnis. XVII
Prof. Dr. med. Rudolf Hecker, München, Leopoldstraße 26.
Dr. med. W. Hedrich, Kinderarzt, Fürth i. B., Königsstr. ı30 I.
Dr. med. Thilo Heidenheim, Kinderarzt, Köln a. Rh., Deutscher Ring 2.
Dr. med. Heidemann, Kinderarzt, Hamburg, Moorweidenstraße 26.
Dr. med. Heilmann, Kinderarzt, Hamborn.
Prof. Dr. med. Paul Heim, Budapest V, Katona Josefa 17.
Dr. med. Alfred Heimann, Elberfeld, Königstraße 75.
Dr. med. Ludwig Heine, Berlin-Wilmersdorf, Brandenburgische Straße 21.
Dr. med. Moritz Heinemann, Neukölln, Ganghoferstraße ı II.
Dr. med. Fritz Heller, Kinderarzt, Leipzig, Pfaffendorfer Straße 46.
Dr. med. Oskar Heller, Assistenzarzt, Heidelberg, Hauserstraße 3.
Dr. med. R. Hennig, Guben (Lausitz), Christl. Hospiz.
Dr. med. Hensay, Kinderarzt, Mainz, Kaiser-Friedrich-Straße ı.
Dr. med. Oskar Herbst, Berlin-Lichtenberg, Hauptstraße 7.
Dr. med. Elise Hermann, Kinderärztin, Hamburg 37, Oberstraße 59.
Prof. Dr. Rudolf Hess, Mannheim, Säuglings-Krankenhaus.
Dr. med. Heyer, Bonn, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Hille, Greifswald, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Ihsan Hilmi, Chef de service à l’höspital des Enfants, Konstan-
tinopel Chichli.
Dr. med. M. K. Hintner, Kinderarzt, Nürnberg, Äußerer baient 1.
Dr. med. Albert Hirseh, Kinderarzt, Heidelberg, Rohrbacher Straße 5 p.
Dr. med. M. Hirsch, Kinderarzt, Wiesbaden, Luisenstraße 6.
Dr. med. Hirsehfelder, Kinderarzt, Crefeld, Ostwall 148.
Dr. med. Helene Hirsehler, Kinderärztin, Ludwigshafen.
Dozent Reg.-Rat Dr. med. Carl Hochsinger, Wien I, Lichtenfelsgasse 7.
San.-Rat Dr. med. Theodor Hoffa, Kinderarzt, Barmen, Wertherstr. 43 I.
Dr. med. P. Hoffmann, Ass.-Arzt, Marburg a. d. L., Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Walter Hoffmann, Kinderarzt, Heidelberg, Bunsenstraße 10.
Dr. med. K. Hofmeyer, Assistenzarzt, Würzburg, Univ.-Kinderklinik.
Priv.-Doz. Dr. med. Martin Hohlfeld, Leipzig, Beethovenstraße 23 II.
Dr. med. Meta Holland, Ärztin, Barmen, Wertherhofstraße ıo0.
Dr. med. Hugo Holz, Kinderarzt, Stuttgart, Feuerseeplatz 9.
Dr. med. Hotzen, Kinderarzt, Rostock, Augustenstraße 41 I.
Dr. med. Hunaeus, Leit. Arzt des Cäcilienheims, Hannover, Jakobistr. 7 1.
Priv.-Doz. Dr. med. Josef Husler, München, Pettenkoferstr. 33.
. Dr. med. Alfred Hüssy, Kinderarzt, Zürich 7, Rämistraße 56.
Dr. med. Elisabeth Jacki, Kinderärztin, Ludwigshafen, Bismarckstr. 44.
. Dr. med. Otto Jacobi, Kinderarzt, Stralsund.
Prof. Dr. med. Jamin, Erlangen, SchillerstraBe 23.
Dr. med. E. Jansen, Kinderarzt, Barmen, Kleine FlurstraBe 6.
. Doz. Dr. med. Hans Janusehke, Wien XVIII, GymnasiumstraBe 32.
San.-Rat Dr. med. Alfred Japha, Berlin-Charlottenburg, Uhlandstr. 179/180.
Prof. Dr. med. L. Jehle, Wien IX, Spitalgasse 1.
Dr. med. Bernhard Jelski, Danzig, Wollwebergasse 24 II.
San.-Rat Dr. med. Kurt Jester, Kinderarzt, Königsberg i. Pr., Stein-
damm 31.
Dr. med. M. Joachim, Kinderarzt, Görlitz (O.-L.), Mühlweg 1.
Dr. med. J. Joel, Lübeck, Königstraße 10.
Prof. Dr. med. Axel Johannessen, Kristiania, Wergelandsveien 17.
II
XVIII Mitgliederverzeichnis.
237.
. Dr. med. Wilhelm Koch, Wiesbaden. Mainzer Straße ı8.
239.
240.
241.
242.
243.
244.
245.
246.
247.
248.
249.
250.
251.
252.
253.
254.
255.
256.
257.
258.
259.
260.
261.
262.
. Prof. Dr. med. Friedrich Lehnerdt, Halle a. S., SalzgrafenstraBe 3.
. Prof. Dr. med. J. Jundell, Stockholm, Artillerigotan 3.
. Prof. Dr. med. Jussuf Ibrahim, Jena, Kasernenstr. 10.
. San.-Rat Dr. med. Ide, Nordseebad Amrum.
. Dr. med. Paul Ivens, Kinderarzt, Gistrow, EisenbahnstraBe 1.
. Dr. med. R. Käekell, Cali, Kolumbien, Südamerika, bei Herrn Dr. Garees.
. Dr. med. Hans Kaczke, Kinderarzt, Stralsund, Neuer Markt 5.
. Dr. med. Walter Kahn, Dortmund, Städt. Säuglingsheim.
. Prof. Dr. med. Karasawa, Tokio (Japan).
. Dr. med. Karl Kassowitz, Wien IX, Lazarettgasse 14.
. Dr. med. Walter Kaupe, Kinderarzt, Bonn.
. Dr. med. Klaus Keilmann, Berlin N, Reinickendorfer Straße 61.
. Prof. Dr. med. Arthur Keller, Berlin W 50, RankestraBe 6.
. Dr. med. Kikuth, Volontärarzt, Barmen, Säuglingsheim, Zeughausstr. 40.
. Dr. med. Philipp Kissoff, Sofia, Univ.-Kinderklinik.
. Dr. med. Walter Klein, Kinderarzt, Königsberg i. Pr., Junkerstraße 13/14.
. Prof. Dr. med. H. Kleinschmidt, Hamburg, Hansastraße 27.
. Dr. med. Walter Klemm, Kinderarzt, Bad Kösen.
. Prof. Dr. med. M. Klotz, Lübeck, Kinder-Hospital.
. Prof. Dr. med. Wilhelm Knoepfelmacher, Wien IX, GiintherstraBe 3.
. Generaloberarzt a. D. Dr. med. M. Kob, Königsberg i. Pr., Hintertrag-
heim 32 II.
Dr. med. Georg Koch, Kinderarzt, Wiesbaden, Taunusstraße 14.
Dr. med. O. Koehler, Kinderarzt, Chemnitz.
Dr. med. R. Koehmanı, Assistenzarzt, Freiburg i. B., Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Robert Königstein, Kinderarzt, Wien VI, Mariahilferstraße 53.
Prof. Dr. med. Hans Koeppe, Kinderarzt, Gießen, Alicestraße 3.
San.-Rat Dr. med. A. Köppen, Norden, Ostfriesland.
Dr. med. Kotzulla, Kinderarzt, Beuthen (O.S.), Bahnhofstraße 5.
Dr. med. Hedwig Kozitschek, Wien IX, Sobieskigasse 31.
Dr. med. Erieh Krasemann, Kinderarzt, Rostock, Friedrich-Franz-Str. 109.
Dr. med. Marie Krieger, Jena, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. G. Kritz, Kinderarzt, Leipzig, Gustav-Adolf-Straße 14.
Dr. med. Wilh. Kuhle, Assistenzarzt, Greifswald, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Clara Kulazenski, Assistenzärztin, Barmen, Städtisches Kinder-
krankenhaus.
Dr. med. Lampe, Dortmund, Städt. Säuglingsheim.
Dr. med. A. Landau, Ass.-Arzt, Waisenhaus, Kürassierstraße.
Dr. med. L. Lande, Berlin N, Städt. Kinderkrankenhaus, Reinicken-
dorfer Str. 61.
Prof. Dr. med. Jer. Lange, Leipzig, Ferdinand-Rohde-StraBe 138.
Dr. med. Rose Lange, Kinderärztin, Siegen i. W., BahnhofstraBe 20.
Dr. med. Hans Langer, Charlottenburg 4, Mommsenstraße 12.
Prof. Dr. med. Josef Langer, Prag, Universitäts-Kinderklinik.
Dr. med. G. Langhans, Assistenzarzt, Rostock, Univ.-Kinderklinik.
Prof. Dr. med. Leo Langstein, Berlin W ı5, liietzenburger Straße 28.
Dr. med. W. Lasch, Kinderarzt, Breslau, Schulgasse 13.
Dr. med. Leo Lauter, Charlottenburg, Neue KantstraBe 25.
Priv.-Doz. Dr. med. Heinrich Lehndorff, Wien I, Bartensteingasse 31.
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301.
302.
303.
304.
305.
300.
307.
308.
. Prof. Dr. med. Ernst Moro, Heidelberg, Mozartstr. 10.
310.
Mitgliederverzeichnis. NIX
. Priv.-Doz. Dr. med. Bruno Leichtentritt, Breslau XVI, Univ.-Kinderklinik.
265.
266.
. Dr. med. Philipp Leitner, Ciy (Rumänien), Ferdinand-Str. 33.
268.
. San.-Rat Dr. med. Lenz, Kinderarzt, Halberstadt, Lindenweg 25 I.
. Dr. med. Alfred Leo, Frauen- und Kinderarzt, Remscheid, Alleestraße.
. Dr. med. Walter Levy, Königsberg i. Pr., Steindamm 130/131.
. San.-Rat Dr. med. Julius Lewin, Berlin W 30, Motzstraße 63.
. Dr. med. Loebenstein, Kinderarzt, Leipzig-Gohlis, Hallesche Str. 48.
. Prof. Dr. med. Hans Loes, Innsbruck, KarlstraBe 2 II.
. Dr. med. J. Lossen, Kinderarzt, Bochum, Kaiser-Wilhelm-Straße 28.
. Dr. med. Moritz Löwy, Wien IX, Sobieskigasse 31.
. Dr. med. Richard Lubitsch, Kinderarzt, Köln a. Rh., Hansaring 96.
. Dr. med. Lütjohann, Kinderarzt, Flensburg, Holm 53 I.
. San.-Rat Dr. med. E. Lugenbühl, Wiesbaden, Schützenhofstraße 9.
. Dr. med. Eugen von Lukats, Arad (Rumänien), Bulev. Regel. Fer-
Dr. med. Heinrich Leichtentritt, Kinderarzt, Berlin W 35, Am Karlsbad 22.
Prof. Dr. med. Karl Leiner, Wien IX, SchwarzpanierstraBe 9.
Dr. med. Robert Lenneberg, Kinderarzt, Disseldorf, KreuzstraBe 63.
dinand I, Nr. 12.
. Prof. Dr. med. F. Lust, Karlsruhe, Kinderkrankenhaus.
. Dr. med. Alfons Mader, Frankfurt a. M., Univ.-Kinderklinik.
. Dr. med. Hermine Maas, Kinderärztin, Nürnberg, Fürther Straße 4 B.
. Dr. med. K. Mallinckrodt, Kinderarzt, Elberfeld, WortmannstraBe 6.
. Med.-Rat Dr. med. Matthias, Stadtarzt, MeiBen, GroBenhainer StraBe 29.
. Dr. med. G. Matzdorff, Kinderarzt, Cottbus.
. Dr. med. Hans Mautner, Wien III, Dapontagasse 6.
. Dr. med. Eugen von May, Bern-Kirchenfeld (Schweiz), Obere Dufour-
straße 29.
. Dr. med. Cora Mayers, Kinderärztin, Santiago (Chile).
. Dr. med. L. Mendel, Essen a. d. Ruhr, Städt. Kinderklinik.
. Dr. med. L. Mendelsohn, Kinderarzt, Berlin N, Chausseestraße 59.
Dr. med. A. Mendelssohn, Oberarzt, Diisseldorf, Akademische Kinder-
klinik.
. Dr. med. Albert Merckens, Kinderarzt, M.-Gladbach, Hindenburgstraße 76.
Prof. Dr. med. H. von Mettenheim, Frankfurt a. M., Unterlindau 33.
. Geh. San.-Rat Dr. med. Josef Meier, München, Südliches Schloßrondell 5.
. Dr. med. Albrecht Mertz, Kinderarzt, Homburg a. d. Saar.
. Prof. Dr. med. L. F. Meyer, Berlin W 35, Genthiner Straße 19 1.
. San.-Rat Dr. med. Franz Meyer, Berlin NW 40, Kronprinzenufer 26.
. Dr. med. Gertrud Meyer, Assistenzärztin, Berlin-Lichtenberg, Hauptstr. 7.
Dr. med. Georg Meyer, Kinderarzt, Hannover, Hildesheimer Straße 232.
Dr. med. Max Meyer, Kinderarzt, Gelsenkirchen, Hindenburgstraße 75.
Dr. med. Oswald Meyer-Housselle, Kinderarzt, Spandau, Johannisstift.
Dr. med. Otto Meyer, Hamburg, Rotenbaumchaussee 34.
Dr. med. Albert Meyerstein, Berlin N 65, Reinickendorfer Straße 61.
Dr. med. Lotte Michael, Breslau, Städt. Säuglingsheim.
Dr. med. Günther Mogwitz, Kinderarzt, Wolfenbüttel, Lange Herzogstr.5ı.
Hofrat Prof. Dr. med. Leopold Moll, Wien XVIII, Glanzinggasse 37.
Dr. med. Mittelstädt, Kinderarzt, Gera (Reuß), Bahnhofstraße s.
Dr. med. Hans Mothes, Assistenzarzt, Barmen, Städt. Krankenanstalten.
{I*
XX Mitgliederverzeichnis.
311. Prof. Dr. med. Erich Müller, Berlin W 62, Landgrafenstraße 3.
312. Dr. med. Fritz Miller, Frankfurt a. M., Univ.-Kinderklinik.
313. Dr. med. Wilhelm von Muralt, Zirich, RamistraBe 18.
314. Dr. med. Erich Nassau, Berlin-Niederschönhausen, Kaiser-Wilhelm-Str. 2.
315. Dr. med. Edmund Nathan, Kinderarzt, Glogau, Breslauer Str. 4.
316. San.-Rat Dr. med. A. Neumann, Kinderarzt, Danzig, Holzmarkt ı5 I.
317. Priv.-Doz. Dr. med. Rudolf Neurath, Wien VIII, Lange Gasse 70.
318. Dr. med. F. K. Noack, Wyk auf Föhr, Nordsee-Sanatorium.
319. Doz. Dr. med. Edmund Nobel, Wien IX, Kinderklinik, Lazarettgasse 14.
320. Prof. Dr. med. C. T. Noeggerath, Freiburg i. Br., TivolistraBe 35.
321. Dr. med. M. Nordheim, Hamburg 37, IsestraBe 117.
322. Dr. med. Nussbaum, Dortmund, Städt. Säuglingsheim.
323. Prof. Dr. med. Oberg, Hamburg-Uhlenhorst, Goethestraße 28.
324. Dr. med. E. Oberwarth, Kinderarzt, Charlottenburg, Carmerstraße 10.
325. Dr. med. Kurt Ochsenlus, Kinderarzt, Chemnitz, Weststraße 46 II.
326. Dr. med. G. Oehlschlegel, Leipzig, Weststraße 22.
327. Dr. med. Julius Ohlmann, Kinderarzt, Frankfurt a. M., Friedrichstr. 40 I.
328. Priv.-Doz. Dr. med. H. Opitz, Breslau XVI, Univ.-Kinderklinik.
329. Dr. med. Karl Oppenheimer, München, Landwehrstraße 4.
330. Dr. med. Gustav Oppenheimer, Halle a. S., Leipziger Straße 70/71.
331. Priv.-Doz. Dr. med. A. Orgler, Charlottenburg, Leibnizstraße 60.
332. Dr. med. R. Osswald, Kinderarzt, Dresden-A., Reichsplatz ı.
333. Dr. med. Pape, Dresden-A., Kinderheilanstalt, Chemnitzer Str.
334. Primararzt Dr. med. Fritz Passini, Wien I, Getreidemarkt 18.
335. Dr. med. S. Paul, Frankfurt a. M., Univ.-Kinderklinik.
336. Prof. Dr. med. Pauli, Lübeck, Breite Straße 97.
337. Dr. med. H. Peé, Lübeck, Pferdemarkt 14.
338. Dr. med. Albrecht Peiper, Assistenzarzt, Berlin, Charité, Kinderklinik.
339. Geh. Med.-Rat Dr. med. Erich Peiper, Greifswald, Bahnhofstr. 52 I.
340. Dr. med. Peters, Stadtschularzt, Chemnitz, Ulmenstraße 26.
341. Dr. med. Johann von Petheé, Debreczen, Univ.-Kinderklinik.
342. Prof. Dr. med. M. von Pfaundler, München, .Bavariaring 6 Il.
343. Dr. med. Emil Philippi, Wiesbaden, Rheinstraße 15 I.
344. San.-Rat Dr. med. Theodor Pineus, Kinderarzt, Poznän, Pocztowa 31.
345. Prof. Dr. med. Clemens Freiherr von Pirquet, Wien VIII, AlsenstraBe 21.
346. Dr. med. Joh. Piske, Kinderarzt, Stettin, Friedrich-Karl-StraBe 8 p.
347. Dr. med. Karl Planner-Wildinghof, Kinderarzt, Graz, Normalschulgasse 1.
348. Dr. med. Max Plaut, Kinderarzt, Frankfurt a. M.. Eschenheimer Anlage 31.
349. Primararzt Hofrat Dr. med. D. Pospischil, Wien VIII, Maria-Treu-Gasse 6.
350. Dr. med. Post, Dortmund, Städt. Säuglingsheim.
351. Doz. Dr. med. Carl Potpeschnigg, Graz, Stubenberggasse 7 I.
352. Dr. med. Hermann Putzig, Berlin-Schöneberg, Innsbrucker Straße 5.
353. Priv.-Doz. Dr. med. Egon Rasch, Wien VIII, Florianigasse 52.
354. Dr. med. Hans Rasor, Kinderarzt, Frankfurt a. M., Hermannstraße 29.
355. Dr. med. Reckmann, Dortmund, Luisen-Hospital.
356. Dr. med. A. Reiche, Leiter des Landessäuglingsheims, Braunschweig,
Bommelsburger Straße ı.
357. Hofrat Dr. med. Reinach, München, Promenadenplatz 16 II.
358. Priv.-Doz. Dr. med. Aug. v. Reuss, Wien VIII, Hamerlingsplatz 4.
359. Dr. med. J. G. Rey, Aachen, Wilhelmstraße 76.
Mitgliederverzeichnis. XXI
. Prof. Dr. med. Paul Reyher, Berlin W 30, Bayrischer Platz 13/14.
. Dr. med. O. Rie, Wien III, Weyrgasse 5.
. Dr. med. Wilhelm Riehn, Kinderarzt, Hannover, Seelhorststraße 45.
. Reg.-Rat Dr. med. Gustav Riether, Wien XVIII, Bastiengasse 36/38.
. Dr. med. Hans Risel, Städt. Kinderarzt, Leipzig, Kronprinzenstraße 44.
. Prof. Dr. med. H. Rietschel, Würzburg, Ludwigstraße 22.
. San.-Rat Dr. med. Julius Ritter, Berlin W 15, Kurfürstendamm 54.
. San.-Rat Dr. med. Roberg, Münster i. W., Herwarthstraße 6.
. Dr. W. Roedel, Kinderarzt, Altenburg, Wettinerstraße 32.
Dr. med. Frieda Roeder, Kinderärztin, Göttingen, Plankstr. 7.
. Dr. med. Erna Roese, Kinderärztin, Stavenhagen i. M.
. Dr. med. Roggenkämper, Dortmund, Städt. Kinderklinik.
. Dr. med. Ludwig Rohden, Kinderarzt, Winterberg (Sauerland).
. Dr. med. Ernst Rohnheimer, Kinderarzt, Zürich, Gartenstraße 10.
. Dr. med. Rohr, Cassel-Wilhelmshöhe, Kindersanatorium.
. Priv.-Doz. Dr. med. E. Rominger, Freiburg i. Br., SchwarzwaldstraBe 1o.
. Hofrat Dr. med. O. Rommel, Minchen, AdalbertstraBe 96 I.
. Dr. med. Rosenbaum, Assistenzarzt, Leipzig, Platzmannstr. 1.
. Dr. med. Hans Rosenbaum, Assistenzarzt, Barmen, Städt. Krankenanstalt.
. Dr. med. Fritz Rosenberg, Kinderarzt, Frankfurt a. M., Trutz 32.
Dr. med. Ludwig Rosenberg, Wien I, Wollzeile 9.
. Dr. med. Oscar Rosenberg, Kinderarzt, Berlin W 62, Wichmannstr. 28.
. Dr. med. Heinrich Rosenhaupt, Stadtarzt, Mainz, Feldbergplatz 5.
. Dr. med. J. Rosenstern, Kinderarzt, Berlin-Wilmersdorf, Aschaffenburger
Straße 6.
. Dr. med. Ernst Roser, Kinderarzt, Schwerin i. M., Marienstraße 14.
. Primararzt Dr. med. Edwin Rossiwall, Wien IV, Favoritenstraße 13.
. San.-Rat Dr. med. J. Rothschild, Frankfurt a.M., Bockenheimer Anlage 7 p.
. Prof. Dr. med. Fr. Rott, Berlin W 62, LutherstraBe 36.
. Dr. med. Gertrud Rottgiesser, Buch bei Berlin, Kinderheilanstalt.
. Dr. med. Reinhold Rühle, Leipzig, Platzmannstraße ı.
. Dr. med. Paul Rupprecht, Leipzig, Platzmannstraße 1.
. Dr. med. F. Sachs, Kinderarzt, Darmstadt, Heidelberger Straße 7.
. Prof. Dr. med. Salge, Bonn a. Rh., Mediz. Klinik.
. Dr. med. Walter Salomon, Berlin W 35, Derfflingerstr. 4.
. Dr. med. Adolf Salomon, Assistenzarzt, Frankfurt a. M., Univ.-Kinderklin.
. Dr. med. Leonie Salmony, Kinderärztin, Mannheim P. 6, 20 II.
. Priv.-Doz. Dr. med. Samelson, Breslau, Goethestraße 45/47.
. Priv.-Doz. Dr. med. J. A. Schabad, St. Petersburg, Petersburger Seite,
Großer Prospekt 64.
. Dr. med. Fritz Sehäfer, Kinderarzt, Zwickau, Römerplatz 10.
. Dr. med. Hermann Schall, Leit. Arzt des Kindersanatoriums, Königsfeld,
Bad. Schwarzwald.
. Dr. med. L. Schall, Tübingen, Univ: -Kinderklinik.
. Dr. med. L. Schaps, Berlin-Friedenau, LauterstraBe 16.
. Dr. med. Erich Schede, Kinderarzt, Nordhausen, Grimmelallee ı.
. Priv.-Doz. Dr. med. Kurt Scheer, Frankfurt a. M., Westendstraße. 106.
. Prof. Dr. med. Hans Schelble, Bremen, Hornerstraße.
. Prof. Dr. med. Scheltema, Groningen (Holland), Kinderziekenhuis.
. San.-Rat Dr. med. Sehendell, Bromberg, Danziger StraBe 149.
XXII Mitgliederverzeichnis.
407.
408.
409.
410.
411.
412.
413.
414.
415.
416.
417.
418.
419.
420.
421.
422.
423.
424.
425.
420.
427.
428.
429.
430.
431.
432.
433.
434.
435.
436.
437.
438.
439.
440.
441.
442.
443.
444.
445.
440.
447.
448.
449.
450.
451.
452.
453.
454.
Dr. med. Rich. Schermann, Assistenzarzt, Berlin-Lichtenberg, Hauptstr. 7.
Dr. med. I. Scherrer, Kinderarzt, Leipzig, Dresdnerstraße 33 II.
Prof. Dr. med. B. Schick, New York City, Mount Sinai Hospital.
Priv.-Doz. Dr. med. Erwin Schiff, Berlin, Charité, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Arnold Sehiller, Karlsruhe, SophienstraBe 120.
Dr. med. Schlack, Tübingen, Univ.-Kinderklinik.
Priv.-Doz. Dr. med. Felix Sehleissner, Prag, Prikopy 7.
Prof. Dr. med. Eugen Schlesinger, Frankfurt a. M., WestendstraBe 79.
Dr. med. Schlossmann, Dortmund, Städt. Säuglingsheim.
Geh.-Rat Prof. Dr. med. Arthur Schlossmann, Düsseldorf, Oststraße 15.
Dr. med. Freiin Amelie von Schlotheim, Weimar, Am Jakobskirchhof 9 1.
Dr. med. Schmitt, Würzburg, Univ.-Kinderklinik.
Dr. med. Schmitz, Stadtfürsorgearzt, Gelsenkirchen.
Dr. med. Hans Schmoller, Berlin NW 23, Klopstockstraße 6.
Med.-Rat Dr. med. Johannes Schoedel, Chemnitz, Flemmingstraße 2.
Dr. med. Elisabeth Schohl, Kinderärztin, Pirmasens, Zweibrückerstr. 12.
Dr. med. Hans Schricker, Kinderarzt, Koburg, Löwenstraße 24.
Dr. med. Paul Schubert, Assistenzarzt, Dresden-A., Kinderheilanstalt.
Dr. med. Julius Sehütz, Im Winter: Wien IX, Wiederhofergasse 7. Im
Sommer: Baden bei Wien.
Dr. med. Schulte, Kinderarzt, Münster i. W., Bahnhofstraße 8.
Dr. med. Willi Schulten, Elberfeld, Haarhausstraße 7.
Dr. med. Walter Schultz, Kinderarzt, Allenstein (Ostpr.), Zeppelinstr. 2/3 11.
Dr. med. Paula Schultz-Bascho, Kinderärztin, Bern (Schweiz), Moserstr. 2.
Dr. med. Schulz, Kinderarzt, Saarbrücken.
Dr. med. J. Sehwab, Göttingen, Univ.-Kinderklinik.
Oberarzt Dr. med. Walter Schwalbe, Berlin-Grunewald, Delbrückstr. 18.
Dr. L. Schwarzenberg, Berlin, Arzt bei der Chilenischen Gesandtschaftt,
ReichsstraBe 5.
Dr. med. Schwarzburger, Stadtfürsorgearzt, Gelsenkirchen.
Dr. med. Johanna Sehwenke, Grimma in Sachsen, Lorenzstraße 1.
Dr. med. Paul Sehlbach, Kinderarzt, Freiburg i. Br., Dreisamstraße 71.
Dr. med. Seiffert, Kinderarzt, Stendal, Nicolaistraße 65.
Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. med. Seitz, München, Barerstraße 54 II.
Prof. Dr. med. Paul Selter, Solingen, Friedrichstraße 41.
Dr. med. Erich Siegel, Kinderarzt, Berlin NO s;, Hufelandstraße 45.
Geh.-Rat Prof. Dr. med. Siegert, Köln-Lindenthal, Stadtwaldgürtel 35.
Dr. med. Else Simmel-Rapp, Jena, Gutenbergstraße 1.
Dr. med. Hugo Simon, Berlin NW 21, Rathenower StraBe 74.
Dr. med. G. Simon, Kinderarzt, Frankfurt a. M., FellnerstraBe 11.
Dr. med. Paul Sittler, Kolmar i. E., Kopfhausgasse 42.
Dr. Snell, Kinderarztin, Dresden-A., Lindengasse 26.
Dr. med. Werner Solmitz, Berlin, W ıo, Friedrich Wilhelmstr. 2a.
San.-Rat Dr. med. Sonnenberger, Kinderarzt, Worms.
Dr. med. Gustav Sonnenschein, Kinderarzt, Olmütz, Palakystr. 7.
San.-Rat Dr. med. Ludwig Spanier, Hannover, Volgersweg 14 I.
Dr. med. Otto Spiegel, Kinderarzt, Kiel, Lorentzendamm 5p.
Dr. med. Fritz Spieler, Wien IX, Schwarzspanierstraße 4.
Hofrat Dr. med. Hans Spitzy, Wien IX, Frankgasse 1.
Dr. med. Eugen Stadelmann, Kinderarzt, Frankfurt a.M., Stallburgstr. 101.
455-
456.
457.
458.
459.
460.
461.
402.
463.
464.
465.
466.
467.
468.
469.
470.
471.
472.
473.
474.
475.
476.
477.
478.
479.
480.
481.
482.
483.
484.
485.
486.
487.
488,
489.
490.
491.
492.
493.
494.
495.
4%.
497.
498.
49.
500.
SOI.
503.
Dr. med.
Dr. med.
Geh.-Rat
Dr. med.
Dr. med.
Dr. med.
Prof. Dr.
Dr. med.
Dr. med.
Prof. Dr.
Prof. Dr.
Prof. Dr.
Dr. med.
Dr. med.
Prof. Dr.
Dr. med.
Prof. Dr.
Dr. med.
Dr. med.
Doz. Dr.
Prof. Dr.
Dr. med.
Dr. med.
Prof. Dr.
Dr. med.
Dr. med.
Dr. med.
Dr. med.
Dr. med.
Prof. Dr.
Dr. med.
San.-Rat
Dr. med.
Dr. med.
Dr. med.
Dr. med.
Prof. Dr.
Dr. med.
Dr. med.
Mitglieder verzeichnis. XXIII
Stahm, Dortmund, Stadt. Sauglingsheim.
Karl Stamm, Kinderarzt, Hamburg, Johnsallee 63.
Prof. Dr. med. von Starek, Kiel, Karolinenweg 9.
Franz Steinitz, Kinderarzt, Breslau, Gartenstraße 39.
Karl Stenger, Weidenau an der Sieg.
Georg Stern, Kinderarzt, Hagen i. W., Elberfelder Straße 66.
med. Ernst Stettner, Erlangen, Ratsberger Straße 13.
Steuernthal, Kinderarzt, Essen (Ruhr), Bertholdstraße 5.
Fritz Stirnimann, Luzern, Zwinggenthorstraße 6.
med. Stoeltzner, Halle a. S., MozartstraBe 19.
med. K. Stolte, Breslau 9, HedwigstraBe 4o.
med. Max Stooß, Bern, Rainmattstraße 3.
Eugen Stransky, Wien XVIII, Glanzinggasse 37.
Heinrich Strauss, Hannover, Alte Celler HeerstraBe 42.
med. Felix von Szontagh, Debreczen, Ferencz Jösef u. 16.
Otto Tezner, Ass.-Arzt, Wien, Karolinen-Kinderspital.
med. E. Thomas, Köln a. Rh., Univ.-Kinderklinik.
Thoenes, Leipzig, Platzmannstr. ı.
Fritz Toeplitz, Kinderarzt, Mannheim, L 2, 14.
med. Franz von Torday, Budapest, Üllöi üt 14.
med. Trumpp, München, Martinstraße 7.
Tugendreich, Berlin W 30, HohenstaufenstraBe 41.
Martha Türk, Kinderärztin, Frankfurt a. M., Kettenhofweg 73.
med. A. Uffenheimer, Miinchen, AkademiestraBe 11 I.
Walter Usener, Stadtarzt, Dessau, AntoinettenstraBe 9.
Georg Vahmeyer, Assistenzarzt, Barmen, Städt. Kinderfürsorge.
Vogel, Kinderarzt, Plauen i. V., Reichsstraße 5.
Fritz Vogt, Kinderarzt, Kassel, Obere Königstraße 22.
O. Voigt, Oberarzt, Kiel, Univ.-Kinderklinik.
med. H. Vogt, Magdeburg, Augustastraße 411.
H. Vollmer, Charlottenburg, Kaiserin-Augusta-Viktoria-Haus.
Dr. med. Voss, Schwerin, Lübecker Straße 29.
Rieh. Wagner, Assistenzarzt, Wien IX, Lazarettstraße 14.
K. Wallach, Kinderarzt, München-Gladbach, Mühlenstraße 6.
Waltermann, Kinderarzt, Essen a. d. Ruhr, Bahnhofstraße ı2.
Erich Walter, Kinderarzt, Chemnitz, Reichsstraße 21.
med. St. Wateff, Sofia, Univ.-Kinderklinik.
Hans Walter, Kinderarzt, Erfurt, NeuwerkstraBe 21 I.
Frieda Wasiliavski, Volontärärztin, Barmen, Städt. Kinder-
krankenhaus.
Dr. med. W. Wegener, Kinderarzt, Neukölln, Kaiser-Friedrich-Straße 63 1.
Dr. med.
Dr. med.
San.-Rat
med.
med.
med.
med.
med.
med.
SYSS3T3
Rich. Weigert, Kinderarzt, Breslau ı3, Kaiser-Wilhelm-Str. 55.
E. Weihe, Kinderarzt, Duisburg, Friedrich-Wilhelm-Straße 12.
Dr. med. Weise, Helbra (Mansfelder Seekreis), Chausseestr. 66.
Siegfried Weiss, Kinderarzt, Wien I, Mahlerstr. 5.
Weltring, Assistenzarzt, Würzburg, Univ.-Kinderklinik.
Wendenburg, Stadtmedizinalrat, Gelsenkirchen.
Ernst Wentzler, Frohnau (Mark), Kindersanatorium.
Ludwig Werner, Kinderarzt, Bielefeld, Grabenstraße 14.
Julius Weyl, Düsseldorf, Bleichstraße 20.
XXIV Mitgliederverzeichnis.
504.
505.
506.
507.
508.
509.
510.
511.
512.
513.
514.
515.
516.
517.
518.
519.
520.
521.
522.
523.
524.
525.
526.
527.
to
HOO SYAKH
ome
Dr. med. A. Wiechers, Frankfurt a. M., Univ.-Kinderklinik.
Prof. Dr. med. Emil Wieland, Basel, GellertstraBe 6.
Dr. med. Robert Wilmanns, Assistenzarzt. Barmen, Sauglingsheim.
Dr. med. Hans Wimberger, Assistenzarzt, Wien IX, Univ.-Kinderklinik,
LazarettstraBe 14.
Dr. med. Winoeouroff, Odessa, Gogolstraße 9.
Dr. med. Wilhelm Winter, Wiesbaden, Städt. Krankenhaus.
Dr. med. Ida Winternitz, Düsseldorf, Moltkestraße 22.
Dr. med. Ernst Wolff, Volontararzt, Berlin N, Kinderkrankenhaus,
Reinickendorier Straße 61.
Dr. med. Siegfried Wolff, Kinderarzt, Eisenach, Karthäuser Straße 7.4.
Dr. med. Else Wolff, Kinderärztin, Breslau, Klosterstraße -17 II.
San.-Rat Dr. med. Max Wollenweber, Bonn, Meckenheimer Allee 11.
Dr. med. Hans Wolffhein, Kinderarzt, Königsberg i. Pr., Steindamm 67/69.
Prof. Dr. med. A. Würtz, Kinderarzt, Stuttgart, Kriegsstraße ı5.
Dr. med. Max Zacharias, Hamburg 37, Werderstraße 6.
Dr. med. Hugo Zade, Immigrath (Kreis Solingen).
Prof. Dr. med. Julius Zappert, Wien VIII, Skodagasse 19.
Priv.-Doz. Dr. med. Max Zarfl, Wien XVIII, Bastiengasse 38.
Dr. med. Margarete Zielaskowski, Leipzig, Platzmannstr. 1.
Dr. med. Zimmermann, Greifswald, Univ.-Kinderklinik.
Dr. Zimball, Köln, Hohenstaufenring 23.
Dr. med. Zöpffel, Assistenzarzt, Würzburg, Univ.-Kinderklinik, Hoch-
straße 2.
Dr. Zschooke, Kinderarzt, Köln a. Rh.
Frau Dr. Zeschocke, Kinderärztin, Köln a. Rh.
Direktor Dr. med. Karl Zuppinger, Wien III, Klopsteinplatz 4.
Vorstandsmitglieder für 1924.
. Prof. Dr. Goeppert, Goettingen, Haussenstraße 22 p., Vorsitzender.
. Prof. Dr. H. Brüning, Rostock, St. Georgstraße 102. Schrift- und Kassen-
führer.
. Prof. Dr. Bessau, Leipzig, Bismarckstraße 17 IL.
Prof. Dr. W. Birk, Tübingen, Univ.-Kinderklinik.
Dr. E. Dünzelmann, Leipzig, WaldstraBe 11a III.
Prof. Dr. R. Fischl, Prag II, Tesnév 1.
Prof. Dr. H. Kleinschmidt, Hamburg, HansastraBe 27.
. Prof. Dr. L. F. Meyer, Berlin W 35, Genthiner StraBe 19 I.
. Prof. Nooggerath, Freiburg, Tivolistraße 35.
. Doz. Dr. A. von Reuß, Wien VIII, Hamerlingplatz 4.
. Prof. Dr. H. Rietschel, Würzburg, Ludwigstraße 22.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Bericht über die Be Sitzung Vv
Satzungen . ; ds ee VII
Geschāftsordnung . Dapa Ea E a cae de A XI
Mitgliederverzeichnis ..................... . XIII
Thymusdrise. Von Birk i ee el
Nebenniere. Von ERwIN THOMAS- Köln- Lindenburg- . 343
Die Schilddrüse. Von Scuirr-Berlin . 359
Klinische und experimentelle Beweise für die Lebensfahigkeit. transitum:
dierter körperfremder Erythrocyten. Von Hans Opitz-Breslau . 376
Die Innervation der Venensperre in der Leber. Von Hans MAUTNER-Wien 385
Experimentelle Beitrage zur Bakterienbesiedelung des Darmtraktes und
ihrer Beeinflussung durch Nahrung. Von EuGEN STRANSKy-Wien ... 388
Zur Kenntnis des vegetativen Nervensystems. ie Mitteilung.)
Von W. USENER-Dessau ; ee a ae ee a Oe
Uber den Innervationsmodus der Totaniespasmen? Von E. FREUDEN-
BERG-Marburg : 395
Beitrage zur Tetaniefrage. Voti OTTO TEZNER- Wien ; . 398
Vergleich einer Stillstatistik aus dem Jahre 1877 mit einer solchen: aus
dem Jahre 1922. Von BEck-Tübingen 402
Wirkungsweise und Erfolge der Salzsäuremilch bei Tetanie. Von K. SCHEER
und A. SALOMON... . 406
Zur Methodik und Bedeutung der Magenfunktionsprüfung “Von FR RITZ
MUO LLER-Frankfurt a. M. Ban . 415
Über das Verhalten der Serumsalzer per: Gewichtsschwankungen: ver-
schiedener Genese. Von LANDAU : 421
Infektionsverhütung in Anstalten mit spezifischen und inspesifischen
Schutzimpfungen. Von FRANZ v. TORDAY : 422
Über den Wert der Diastasebestimmung im Harn für die Beurteilung
der Rachitis. Von A. ApDAm-Heidelberg i 425
Die Entstehung des rachitischen Beckens. Von Tuzonor Horia, Barmen 429
Erfahrungen mit Dubo. Von van MALLINCKRODT-Elberfeld . 438
Über fettarme und fettreiche Senseo rer eee Von S. ROSENBAUM-
Leipzig ; 442
Reaktionen des Magendarmkanals auf Stotiwechselumstimmunged: Von
Fritz DemutuH-Charlottenburg . ; . 446
Stoffwechselumstimmungen durch Intrakutaninfektion Te andere Haut-
rejze. Von H. VOLLMER . 452
Das Konstitutionsproblem bei Säugling und Kleinkind. Von COERPER-
Düsseldorf . 457
Die Messung der Ca- Tonenkonzentration im a eerebrofpindhs. Von
H. BEHRENDT-Marburg .
. 458
1%
Aus dem Kinderhospital in Lübeck.
(Direktor: Prof. Dr. Klotz.)
Änderungen des CO,-Bindungsvermögens im Blut
von Säuglingen.
Von Dr. Ernst Saenger, Assistenzarzt.
Aus der Titrationsalkalescenz des Blutes, bestimmt nach der
von Rohonyi (I) angegebenen Methode, die uns in der Carbonat-
zahl (= C.) über das CO,-Bindungsvermögen Aufschluß gibt, glaubte
man anfänglich weitgehende Schlüsse auf die Stoffwechselrichtung
im Organismus — alkalotisch oder acidotisch — ziehen zu dürfen;
es hat sich aber herausgestellt, daß die C.-Zahl allein irreführen
kann. So kann trotz hoher C.-Zahl eine Acidose vorhanden sein.
und eine niedrige C.-Zahl spricht nicht gegen Alkalose. Die Unter-
suchungen der Heidelberger Schule haben gelehrt, daß erst aus der
Summe hierher gehöriger Kriterien: C.-Zahl, Titration der Harn-
phosphate, Ermittlung der wahren Harnacidität, Bestimmung des
Harnammoniaks ein Schluß auf Alkalose oder Acidose erlaubt ist.
Wenn die nachfolgenden Untersuchungen, welche nur auf Bestim-
mung der C.-Zahl aufgebaut sind, keinerlei tiefergehende Rück-
schlüsse erlauben, so bringen sie doch andererseits ergänzendes
Material zu aktuellen Themen der ne und sind
daher keine nutzlose Arbeit.
Krasemann (2) stellte bei Neugeborenen, Pfaundler, Berend
und Ylppö bei Frühgeburten acidotische Werte im Blut fest, die
sich mit zunehmendem Alter der Norm nähern. Der Hungerzustand
der ersten Lebenstage läßt diesen Befund zwanglos erklären. Viel-
leicht spielt auch die Blutacidose der Schwangeren kurz vor der
Geburt, die Bockelmann (3) jüngst bestätigte, eine ätiologische
Rolle. In Nachprüfung der Krasemannschen Befunde erhielten
wir bei Ernährung mit Keller-Malzsuppe alkalotische Carbonat-
zahlen. Bei Steigerung der Kohlenhydrate sahen wir folgende Werte:
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. I
2 Saenger. Heft ı
Fall 1. Sch. F., 4 Monate. Seit 3. VI. 35 -. 160 Halbmilch +- 2% Panin
(Reisstärke). 85 Cal. pro kg; Gewichtsabnahme. 5. VI. C = 1,14. — Seit
6. VI. 3 - 180 Halbmilch + 4% Panin. Gewichtszunahme. 8. YI. C = 1,52;
1,53. -—- Seit 8. VI. 5 >< 180 Halbmilch -+ 4% Hafermehl. ı2. Vl.C = 1,29;
1,31. Kontrolle bei derselben Kost C =: 1,40; 1,42.
Fall 2: Str., 5 Monate. Ernährung: 5 -. 140 Eiweißmilch; 8°, Rüben-
zucker; keine Gewichtszunahme. 30. V. C =- 1,14; 1,18. — Seit 30. V.
3. 140 EiweiBmilch; 129% Rübenzucker (gute Gewichtszunahme). 2. VI.
C = 1,63: 1,64. — Seit 3. VI. § ‘X 140 EiweiBmilch; 7°, Nahrzucker.
6. VI. C == 1,55; 1,55. — Seit 7. VI. 5X 140 Eiweißmilch, 12% Nahrzucker.
16. VI. C = 1,52. Kontrolle bei letzter Kost, durch leichte Dvspepsie gestört;
Gewichtsstillstand C = 1,22; 1,27.
Fall 3: Fr., 214, Monate. Ernährung: 5 .‘ ı20 Eiweißmilch; 3% Mehl;
39, Zucker. 31. V. C = 1,42; 1,52. -— Seit 2. VI. § X 120 Eiweißmilch ;
R% Zucker. Gute Gewichtszunahme. 8. VI. C == 1,48. 19. VI. dieselbe Kost:
leichter grippaler Infekt vorausgegangen. C == 1,53; 1,57.
Die aufgefiihrten Zahlen zeigen: auf Steigerung der Kohlehydrate
erfolgt Ansteigen der Carbonatzahl, wenn der Calorienbedarf gedeckt
ist und keine dyspeptischen Erscheinungen bestehen. Panin wirkt
als Stärke mit Hafermehl verglichen stärker alkalotisch. Nähr-
zucker erhöht die C.-Zahl mehr als Rübenzucker. Die gleichzeitige
Darreichung mehrerer Kohlehydrate drückt sich in der Titrations-
alkalescenz nicht aus.
Anreicherung der Nahrung mit Fett bewirkt nach Krasemann (2)
in allen Fallen ein Sinken der C.-Zahl um 10—20% in den ersten
24 Stunden nach der Fettzulage, um sich nach 3—5 Tagen den ur-
sprünglichen Werten wieder zu nähern resp. diese zu erreichen.
Interesse gewinnt dieser Befund für die Czerny-Kleinschmidtsche
Buttermehlnahrung. Czerny-Kleinschmidt (4) sehen den Vor-
teil ihres Nahrungsgemisches in dem durch die Erhitzung bewirkten
Austreiben der niederen Fettsäuren, stellen aber auch die Verände-
rung des Mehles durch den Bräunungsprozeß zur Diskussion. Daß
die Wahl des Kohlehydrates bei fettreicher Kost nicht gleichgültig
ist, belegt Finkelstein in seinem Lehrbuch mit einer überzeugenden
Kurve. Stolte hat beobachtet, daß bei Unterlassung der Mehl-
bräunung die Gewichtszunahme sistieren kann. Die guten Erfolge,
die Erich Müller bei sahnereichen Milchmischungen sah, sprechen
nicht für einen Einfluß des Röstprozesses auf das Fett; ebenso
kommen Bessau und Rietschel zu dem Resultat, daß die im Kuh-
milchfett enthaltenen niederen Fettsäuren nicht ausreichen, dem
Körper größere Mengen Alkali zu entziehen und den Stoffwechsel
in acidotische Richtung zu drängen. Andererseits wissen wir aus
Heft x Änderungen d. CO,-Bindungsvermögens im Blut v. Säuglingen. 3
den Untersuchungen von Czerny und Keller, daß bei fettreicher
Kost die Harnammoniakausscheidung erhöht ist. Noack (5), der
den Stoffwechsel bei Sahnemilchmischung und Czerny-Nahrung
untersuchte, fand die Ammoniakausscheidung bei Sahne um 11%
höher als bei Buttermehl, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß
die als Sahne gereichte Fettmenge die in der Buttermehlnahrung
enthaltene um 21%, übertraf; die Harnacidität war bei beiden gleich
groß; eine Differenz in der Fettresorption bestand nicht. Krase-
manns (2) Befunde gaben der Theorie, die niederen Fettsäuren
seien das schädigende Moment, eine eindrucksvolle Stütze; er fand
bei allen Kindern, die Buttermehlnahrung erhielten, hohe C.-Zahlen.
Bei 2 Kindern, denen zu einer Normalkost gebräunte und un-
gebräunte Butter zugefügt war, stieg die C-Zahl bei gebräunter
Butter wenig an, bei ungebräunter Butter sank sie prompt. Unter
diesem Gesichtspunkte untersuchten wir 2 Kinder:
Fall 4: R., 5 Monate. Ernährung: 22. V. 425 Milch; 425 Einbrenne(7,7,5 =
30g Butter gebräunt. 140Cal. prokg. 27.V.C= 1,18. — Seit 28. V. dieselbe
Kost. Butter ungebräunt. 29.V. C = 1,14; 1,19. — Seit 3. VI. dieselbe
Kost; Butter gebräunt. 6.VI. C = 1,23; 1,28. — Seit 8. VI. Butter
ungebraunt. 14. VI. C = 1,23; 1,26. — Seit 14. VI. Butter gebräunt.
17. VI. C = 1,30; 1,34.
Während der Versuchsperiode mangelhaftes Gedeihen, unabhängig
vom Bräunungsprozeß des Fettes; die beste Gewichtszunahme
zeigte die Periode vom 14.—17. VI., doch war bei jeder Umsetzung
auf andere Kost sowohl bei gebräunter wie bei ungebräunfter Butter
ein einmaliger Gewichtsanstieg zu beobachten.
Fall 5: P., 9 Monate. Ernährung: Seit 30. V. 300 Milch; 350 Wasser;
250 Sahne (1895) = 45 g Fett; 45 g Zucker. 2. VI. C == 1,44; 1,50. 115 Cal.
pro kg; Gewichtsanstieg tägl. 50—60 g. — Seit 3. VI. 315 Milch; 550 Wasser;
40 Zucker. 45 g Butter ungebräunt. Gewichtsstillstand. C = 1,25; 1,28.
— Seit 9. VI. dieselbe Kost; 45g gebräunte Butter. Gewichtsstillstand.
C = 1,38; 1,39. — Seit 15. VI. 350 Milch; 550 Wasser; og Zucker. 55g
Butter gebräunt. 7P nüchtern C = 1,44; 1,42. ızh ıl/,h ante coen.
C = 1,35; 1,40. 5h 24/,h post coen. C = 1,34; 1,32.
Der erste Versuch (Fall 4), der mit Buttermehlschwitze durchgeführt
wurde, zeigt in seiner ersten Periode entgegen Krasemanns Resul-
taten keinen Einfluß des Bräunungsprozesses auf die C.-Zahl.
Bei Fall 5 scheidet die Veränderung des Mehles als beeinflussender
Faktor aus. Sahne als kohlehydratreiche Nahrung erhöht die
Titrationsalkalescenz des Blutes gegenüber nativer:und gebräunter
Butter; letztere zeigt eine um I0o%, höhere C.-Zahl als ungebräunte
Butter. Diese geringen Differenzen fallen einmal in den Bereich
ı*
4 Saenger. Heft 1
der Fehlergrenze der Methodik; andererseits zeigt auch die Tages-
kurve der Blutalkalescenz Schwankungen in dieser Höhe.
Fall 6: W., 6 Monate. Ernährung: ?/, Milch — Mehl — Zucker. 20. VI.
zb nüchtern 1,31; 1,32. 2b ıb post coen. 1,30; 1,29. sb 3b post coen. 1,35; 1,38.
Theoretisch sind diese Schwankungen in Abhängigkeit zu bringen
von der Zeit der Nahrungsaufnahme und von dem Erregungszustand
des Atemzentrums resp. vom Schlaf. Die der Nahrungsaufnahme
folgende Steigerung der CO,-Spannung des Blutes wird von einigen
Autoren auf die vermehrte Salzsäureausscheidung im Magen zurück-
geführt, ist auch weitgehend abhängig von der Art der Nahrung.
Die Differenzen in den beiden Tageskurven untereinander erklären
sich aus der Schwierigkeit, Zeit der Nahrungsaufnahme und quali-
tative und quantitative Wertung des Schlafes in Rechnung zu setzen.
Die Tagesschwankungen betragen 9% und 7%.
Kurz sei über einige weitere Beobachtungen berichtet:
Fall7. L., 7 Tage. Habituelles Erbrechen; Hungerstühle fieberfrei.
Ernährung: 10 X 25 Frauenmilch. 18. V. C = 0,99.
Fall 8. Br., 3!/, Monate. Atrophie nach schwerer chronischer Dyspepsie ;
Ödeme. Ernährung: Allait. mixte mit Buttermilch. C = 2,09; 2,18.
Fall 9: T., 4 Monate. Bronchopneumonie, Intoxikation. Emah-
rung: Frauenmilch, Ringerklysmen, 17. V. C = 1,10; 1,22. Fieberfrei. 20. V.
tiefes Koma; 39° Fieber. C = 1,38; 1,40.
Im chronischen Hungerzustande finden wir, wie erwartet, einen
acidotischen Wert (Langstein, Meyer, Ylpp6). Krasemann (2)
berichtet bei einem 3 Tage mit Tee ernährten Kinde von einer C.-Zahl
= 1,50. Bei einem Atrophiker mit erheblichen Ödemen stellten
wir eine hohe C.-Zahl fest, im ausgebildeten Koma mit Fieber wider
Erwartung einen normalen Wert, während Krasemann (2) bei
deutlichen Intoxikationssymptomen acidotische Zahlen nachwies.
Bei fieberhaften Erkrankungen (Grippe, Bronchopneumonie)
fanden wir die bekannten alkalotischen C.-Zahlen.
Fall r0: Sch., 8 Monate. Rachitis; fieberfrei. Ernährung: Seit 22. V.5 x 120
Morobrei. 29. V. C = 1,38. — Seit 30. V. dieselbe Kost. 3mal ı Teel. Rubio
(Mohrrübenextrakt). 9. VI. C = 1,35; 1,39. — Seit 16. VI. Höhensonne
täglich. (1 m Abstand 5 Minuten je Bauch und Rücken). C = 1,55; 1,62.
Rubio hat keine, Höhensonnenbestrahlung eine deutliche Erhöhung der
C-Zahl verursacht.
Das Säuren-Basengleichgewicht des Blutes hat durch die Unter-
suchungen Freudenbergs und Györgys (6) für das Tetanie-
problem große Bedeutung gewonnen. Die von Rona aufgestellte
Formel, daß der Calciumionengehalt des Blutes direkt proportional
Heft I Anderungen d. CO,-Bindungsvermégens im Blut v. Sauglingen. 5
der H-Ionenkonzentration, umgekehrt proportional dem Bicarbonat-
gehalt des Blutes geht, wurde durch György durch Einführen
des Phosphataniom in diese Gleichung vervollständigt, dergestalt,
daß die Phosphate, insbesondere die basischen, den ionisierten Blut-
kalk vermindern. Diesem entsprechend stellte György bei der
idiopathischen Säuglingstetanie eine starke Herabsetzung der
Säure- und Ammoniakausscheidung im Harn fest, während andere
Autoren (6) (Porges, Wagner, Calvin, Borowsky) sowohl bei
der Tetanie der Erwachsenen wie der idiopathischen Säuglingstetanie
eine Störung im Säuren-Basengleichgewicht des Blutes ablehnen.
Die beste Stütze der Ansicht, die Tetanie gehe mit einer Alkalose
einher, sehen Freudenberg und György (7) in der prompten
antitetanischen Wirkung des Salmiaks und der von Scheer (8)
eingeführten Salzsäuremilch. Daß die Entfernung saurer Valenzen
aus dem Körper spasmophile Symptome hervorrufen kann, sehen
wir bei der Magen- und Atmungstetanie. György (9) stellt auch die
Kalktherapie als Säurewirkung hin und stützt sich auf die von
verschiedener Seite ausgeführten Stoffwechseluntersuchungen. In
diesem Sinne sollen aber nur die anorganischen Kalksalze wirken,
während die organischen Kalksalze, denen klinisch eine geringere
antitetanische Wirkung zugeschrieben wird, auch im Stoffwechsel-
versuch eine acidotische Wirkung vermissen lassen. 2 Kinder
wurden im tetanischen Anfall von uns auf die Titrationsalkalescenz
des Blutes untersucht. Das erste, bei dem sich im Anschluß an
plötzliches Absetzen von der Brust auf eine Normalkost tetanische
Dauerspasmen zeigten, hatte eine C.-Zahl = 1,40; das andere wies
neben schwerer Rachitis alle Zeichen einer manifesten Spasmophilie
auf; C. = 1,60. Solche Untersuchungen haben heute im Hinblick
auf die äußerst relative Bedeutung der C.-Zahl wenig Wert mehr.
Zu der Zeit jedoch, als die Heidelberger Schule ihre hierher gehörigen
neuen Thesen veröffentlichte und sich dogmatisch dahin äußerte,
„niedrige Carbonatzahl und Tetanie sind‘ unvereinbar“, waren
sie von höchstem Interesse. Die gefundenen, fast normalen oder
subalkalotischen Werte sprechen nicht gegen den Kern der György-
schen Theorie, sie zeigen nur die Wertlosigkeit der Carbonatzahl-
bestimmung. Zu ähnlichen Schlußfolgerungen berechtigen die
nachfolgenden bei Tetanie erhobenen Befunde.
Fall 11: P., 6 Monate. Spasmophilie; Rachitis. (Laryngospasmus,
mechanische Übererregbarkeit.) A.Ö.Z 2,2 M.A.; K.Ö.Z.._. 5sM.A. Ernährung:
Allaitement mixte mit !/, Milch— Mehl. 16.V. C = 1,29. — 26. V.
5 * 180 Frauenmilch; 5 œ 0,2 K,HPO,, elektrisch wie früher erregbar.
6 Saenger. Heit 1
C = 1,29; 1,32. — 1.-—6. VI. Bronchopnomonie. — 12. VI. 5... 140 ?/ Milch-
Schleim; 4og Zucker, peripher stark übererregbar. A.O.Z. 0,8 M.A; K.O.Z.
1,2 M.A. C = 1,60. — 19. VI. 5 X 140 Vollmilch, 30 g Zucker + Phos-
phorsäure (im Säuregrad der Scheerschen Salzsäuremilch angeglichen).
A.O.Z 1,3 M.A.; K.O.Z. 4,5 M.A. C = 1,07; 1,02. Nach Absetzen der Phosphor-
saure steigt die periphere Erregbarkeit wieder an. — 30. VI. 5 X 1402/, Milch-
Mehl; gog Zucker. A.O.Z. 2,4 M.A.; K.Ö.Z. 5—6 M.A. C = 1,40.
In dem Versuch ist ein Parallelgehen der elektrischen und mecha-
nischen Ubererregbarkeit mit der Blutalkalescenz deutlich. Die
Frauenmilch hebt die tetanigene Wirkung des sekundären Kalium-
phosphats auf; in der Phosphorsäuremilch überwiegt die Säure-
wirkung die Phosphatwirkung. Bei reiner Kuhmilchernährung
wurden an der Grenze der Norm liegende C.-Zahlen gefunden. Der
tetanigenen Wirkung des sekundären Kaliumphosphates, die beson-
ders von Jeppson (10) betont wird, steht die antitetanische des
einbasigen Ammoniumphosphats gegenüber, welches von Porges
und Adlersberg (11) mit. Erfolg bei der neurotischen Atmungs-
tetanie angewandt wurde. |
Freudenberg und Gyorgy dehnen ihre Alkalosetheorie auf
alle Tetaniearten aus, nachdem die Salmiaktherapie auch bei diesen
prompte Wirkung zeigte; und doch dürfen wir nicht außer acht
lassen, daß durch ihre Theorie eine Klärung aller klinischen und ex-
perimentellen Befunde keineswegs erfolgt ist. Bei der Säuglings-
und parathyreopriven Tetanie ist ein herabgesetzter Blutkalkgehalt
nachgewiesen, der nach Abklingen der Symptome ansteigt. Jakobo-
witz (6) fand auch nach Schwinden der Tetaniezeichen sehr niedrige
Blutkalkwerte; ein solcher Befund erlaubt aber keinen Schluß auf
die Menge der aktiven Calciumionen, welche den Grad der Nerven-
erregbarkeit bestimmen. Alle drei Tetanieformen werden durch
Kalk in großen Dosen günstig beeinflußt. Die unmißverständliche
Ablehnung G yörgys (9), die Therapie mit organischen Kalksalzen
per os und per venam betreffend, kann nicht unwidersprochen
bleiben; man kann auch mit Calcium lacticum per os eine Tetanie
erfolgreich bekämpfen und im Dringlichkeitsfall mit intravenöser
Injektion von milchsaurem Kalk die Erscheinungen sofort vorüber-
gehend zum Schwinden bringen. So sahen wir kürzlich auf intra-
venöse Injektion von 8ccm einer Ioproz. Calcium-lacticum-Lösung
für die Dauer von 24 Stunden bei einer manifesten Tetanie alle Über-
erregbarkeitssymptome aussetzen. Elias (12) und seine Mitarbeiter
stellen vor allem die spasmogene Wirkung der Phosphate in den
Mittelpunkt der Tetaniegenese. Die Untersuchungen über Blut-
phosphate haben keine befriedigenden Resultate ergeben; während
Heft 1 Änderungen d. CO,-Bindungsvermögens im Blut v. Säuglingen. 7
die Phosphatwerte bei der Tetanie der Erwachsenen stark erhöht
gefunden wurden, diese Erhöhung auch nach Besserung der Symp-
tome anhält [Elias, Weiß (6)], fand György bei der Säuglings-
tetanie normale Blutphosphatmengen, die aber nach dem tetanischen
Anfall absinken, und spricht von einer ‚relativen Phosphatstauung‘“.
Elias und Kornfeld (3) lehnen bei der Erwachsenentetanie eine
Störung im Säuren-Basengleichgewicht ausdrücklich ab und be-
tonen, daß sie die von anderen Autoren gefundenen Verschlimme-
rungen oder die Auslösung tetanischer Zustände durch Alkaliinfusion
nicht zu bestätigen vermögen. Sie kupierten sogar zweimal Tetanien
durch intravenöse Zufuhr von 100 ccm 4proz. Sodalésung. Die ver-
mehrte Acetonausscheidung (15), welche bei manifester und latenter
Tetanie beobachtet ist, läßt sich nicht mit Alkalose vereinen; Lief-
mann diskutiert auf Grund dieser Befunde die Möglichkeit einer
Acidose bei Tetanie. Watanabe (6) sieht in der Tetanie eine Acidose.
Nach der Parathyreodektomie ist das CO,-Bindungsvermögen un-
wesentlich herabgesetzt, die H-Ionenkonzentration des Blutes un-
verändert [Hastings, Murray jr. (6)]; andere Forscher vermissen
eine Anderung in der Alkalireserve des Blutes nach Entfernung
der Nebenschilddriisen, andere fanden acidotische Blutwerte und
erklaren diese aus den Muskelkrampfen des akut tetanischen Stadiums.
Auch das Guanidin steht in Beziehung zu allen drei Tetaniearten:
wie die Dimethylguanidintetanie eine sehr große Ähnlichkeit mit
der Säuglingstetanie besitzt, ist bei der Säuglingstetanie und der
parathyreopriven Form vereinzelt eine vermehrte Guanidinaus-
scheidung festgestellt. Daß ausgiebige Aderlässe [Biedel, Mac Col-
lum, Vögtlin (14)] und Injektionen kalkfreier Kochsalzlösungen
[Paton-Findlay (14)] bei parathyreopriven Tieren die tetanischen
Erscheinungen bessern resp. heilen können, würde im Sinne einer
Entgiftungstherapie sprechen. Das ganze, jetzt äußerst kompliziert
gewordene Tetanieproblem auf eine Formel zu bringen, ist, solange
dergleichen z. T. widersprechende Befunde vorliegen, unmöglich.
Literaturverzeichnis.
. Rohonyi, Münch. med. Wochenschr. 1920.
Krasemann, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 97.
Bericht der Gesellschaft f. Gynäkol. u. Geburtsh. Berlin. Sitz. 24. NI. 1922.
. Czerny-Kleinschmidt, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 87.
. Noack, Arch. f. Kinderheilk. Bd. 69.
. Sammelreferat über Tetanie. Zentralbl. f. Kinderheilk. Referate 1923
aAn$une
15.
Saenger: Änderungen des CO,-Bindungsvermögens.
. Freudenberg-György, Klin. Wochenschr. 1922, H. 9.
Scheer, Jahrb. f. Kinderbeilk. Bd. 97.
. Gyorgy, Klin. Wochenschr. 1922, H. 28.
10.
11.
12,
13.
14.
Jeppson, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 28.
Porges-Adlersberg, Klin. Wochenschr. H. 24. 1922.
Elias, Wiener klin. Wochenschr. 1922.
Elias-Kornfeld, Wien. Arch. f. inn. Med. Bd. 4, 1922.
Zitiert nach Orgler, Dtsch. ıned. Wochenschr. 1922.
Liefmann, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 77.
Heft ı
Aus dem Kinderkrankenhaus (Badische Landesanstalt für Säuglings-
und Kleinkinderfürsorge) in Karlsruhe.
Zur Klinik des Oesophagospasmus.')
Von Prof. F. Lust.
Die folgende Mitteilung beansprucht nichts weiter als einen kasu-
ıstischen Beitrag zur Klinik eines Leidens zu geben, das in der deut-
schen pädiatrischen Literatur bisher nur eine ganz stiefmütterliche
Berücksichtigung erfahren hat, obwohl es, wie die Erfahrungen
Huslers aus der Münchener Kinderklinik sowie auch meine eigenen
vermuten lassen, gewiß auch anderwärts häufiger beobachtet werden
wird, ist erst die Aufmerksamkeit mehr darauf eingestellt worden.
Ich meine den Oesophagospasmus im Kindesalter, einem
hinsichtlich der Vielgestaltigkeit seiner Formen ebenso reizvollen
wie hinsichtlich der Lückenhaftigkeit seiner pathogenetischen Er-
forschung weiterer Klärung dringend bedürftigen Krankheitsbilde.
Auch die hier kurz zu schildernden eigenen Beobachtungen ge-
hören keinem einheitlichen Krankheitsbilde an. Ihre Erörterung
rechtfertigt sich aber gerade deshalb, weil sie mir charakteristische
Vertreter gut herausschälbarer Typen des Oesophagospasmus zu
sein scheinen.
Fall ı. Im Februar vorigen Jahres wurde das 2!/, jährige Mädchen L. H.
mit den bekannten Folgeerscheinungen einer Verätzungsstruktur eingewiesen.
6 Monate vorher hatte das Kind Bäckerlauge getrunken. Die Schilderungen
des Vergiftungsbildes lassen auf eine recht erhebliche Verletzung schließen:
Schwellung des Mundes, heftiges, anfangs blutiges Erbrechen, hohes Fieber;
vom 3. Tag ab Abstoßung und Entleerung von nekrotischen Fetzen. Nach
3 Wochen war der Mund geheilt. Anfangs wurden nur flüssige Speisen ge-
nommen, 4 Wochen später aber, wenn auch zunächst nur mit Widerwillen,
auch Breie. Allmählich nahm das Kind nun auch Festes, sogar Brot mit Wurst
und Kartoffelsalat zu sich. Es schien schon alles gut zu sein, bis sich 4 Monate
nach der Verätzung eine 8 Tage mit hohem Fieber einhergehende ‚Grippe‘
1) Vortrag auf der Tagung südwestdeutscher Kinderärzte am 11. ITT. 1923
ın Mannheim.
Io | Lust. Heft ı
einstellte. Von diesem Zeitpunkt an traten die Schluckbeschwerden mit er-
neuter Heftigkeit wieder auf. Jegliche feste, aber auch jede breiige Speise
wird verweigert. Unter Zwang genommen, erfolgt sofortiges Regurgitieren
unter Beigabe reichlichen Speichels. Während der letzten ı4 Tage vor der Auf-
nahme soll das Kind alles, meist auch Flüssiges, wieder erbrochen haben.
Diesen Angaben gegenüber fällt an dem sonst keine Besonderheiten auf-
weisenden Aufnahmebefund zwar schon das verhältnismäßig gute Gesamt-
befinden des Kindes auf, aber auch in der Klinik wird zunächst jede Nahrung
unter reichlicher Schleim- bzw. Speichelbeimengung sofort nach dem Herunter-
schlucken wieder herausgebrochen. Ein Zweifel an dem Vorliegen einer schweren
echten Verätzungsstriktur taucht aber sehr bald auf, als einzelne Speisen,
einmal Grießbrei, ein anderes Mal aber gar eine von den Eltern mitgebrachte
„Fastenbretzel‘‘ anstandslos verzehrt werden. Solche ‚lichte Momente‘‘ sind
aber nur ganz vorübergehender Natur. Gewöhnlich erfolgt schon bei der
nächsten Nahrungsaufnahme bereits nach dem ersten Bissen heftiger Würg-
reiz und Herausbrechen der eben verschluckten Speisen. Die tatsächliche
Undurchgängigkeit der Speiseröhre wird durch mehrfach vorgenommene
Sondierungsversuche bewiesen. In keinem Falle gelangt sie bis in den Magen.
Einmal stößt man bereits ıı cm, ein anderes Mal erst bei ı5 cm hinter der
Zahnreihe auf unüberwindlichen Widerstand. Da aber gegen eine ausschließ-
lich organisch bedingte Stenose sowohl der Wechsel der Durchgängigkeit als
der inkonstante Sitz des Hindernisses sprechen, wird versuchsweise von jeder
lokalen Behandlung Abstand genommen. Bei Beschränkung auf reine Sug-
gestionsmaBnahmen und Papaverininjektionen erfolgt dann auch in den
nächsten Tagen eine ganz erhebliche Besserung. In der Regel werden alle Spei-
sen, auch feste, anstandslos genossen. Nur erfolgt die Nahrungsaufnahme etwas
langsam, und gelegentliche Rückfälle stellen sich in den nächsten Wochen
noch ein, so z. B. bei psychischen Erregungen (Besuch der Mutter oder An-
bieten einer nicht zusagenden Speise). Bei der 6 Wochen nach der Aufnahme
erfolgten Entlassung ist völlige Heilung eingetreten. Ein Rückschlag ist bisher
nicht erfolgt.
Epikrise: Bei einem 2!/,jährigen Mädchen stellen sich 6 Monate
nach einer anscheinend schweren Laugenverätzung im unmittelbaren
Anschluß an eine fieberhafte Grippeerkrankung typische Symptome
einer schweren Passagestörung des Oesophagus ein. Die Sonde
stößt das eine Mal bei ıı, das andere Mal bei 15 cm auf unüberwind-
lichen Widerstand. Um so auffälliger ist es, daß einzelne, anscheinend
besonders beliebte Speisen (Fastenbretzel, Kuchen) zwischendurch
anstandslos das Hindernis zu überwinden vermögen. Ein solcher
Wechsel der Erscheinungen läßt sich durch eine organisch bedingte
Narbenstriktur allein unmöglich erklären. Vielmehr darf angenom-
men werden, daß auf dem Boden einer wahrscheinlich geringfügigen
narbigen Veränderung eine funktionell gleichsinnig wirkende Inner-
vationsstörung sich aufgepfropft hat, nach deren Wegfall auch die
Passage wieder hinlänglich wird. Was die Auslösung solcher Spasmen
anbetrifft, so ist es nicht leicht, sich darüber eine klare. Vorstellung
Heft 1 Zur Klinik des Oesophagospasmus. II
zu bilden. Mit dem Begriff der neuropathischen Veranlagung zu
operieren, wäre zwar bequem, kann aber denjenigen nicht befriedigen,
der das durchaus ruhige und in keiner Weise sonstige Stigmata einer
neuropathischen Diathese aufweisende Kind beobachtet hat. Daß
im häuslichen Milieu vom Tag der Verätzung ab die Möglichkeit
einer eintretenden Narbenstriktur fortgesetzt vor dem Kind erwogen
und ihr Erscheinen ängstlich abgewartet wurde, mag bei der Sug-
gestibilität von Kindern vielleicht auch allein schon ohne erheblichere
neuropathische Veranlagung die Veranlassung zu solchen funktionel-
len Störungen abgeben.
Auch in einem zweiten Fall von Laugenverätzung, den
ich allerdings nur konsultativ gesehen habe, war die gesamte Um-
gebung des Kindes in einer derartigen Erwartungsangst vor dem
Eintreten narbiger Folgeerscheinungen und wirkte bei jeder Nah-
rungsaufnahme durch fortgesetztes ängstliches Fragen derart in-
fizierend auf das Kind, daß es schon einer besonderen psychischen
Widerstandsfähigkeit bedurft hätte, wenn es dieser andauernden
Suggestion nicht unterlegen wäre. Auch in diesem Falle wurden
feste und breiige Speisen in der Regel wieder herausgewürgt, während
sie in Gegenwart des Arztes unter. verständigem Zureden ohne
weiteres behalten wurden. Mangels einer Sondierung kann ich jedoch
über das Vorhandensein und den Sitz einer Passagestörung nichts
Sicheres aussagen. | |
Später wurde das Kind wegen Zunahme der Schluckstörung
klinisch behandelt. Der Verlauf war genau so wie im ersten Falle.
Die Sonde stößt anfangs bei 13 cm auf unüberwindlichen Widerstand.
Die Schluckfähigkeit wechselt innerhalb kürzester Zeit: die eine
Mahlzeit wird anstandslos verzehrt, die nächstfolgende kann nicht
geschluckt werden, jeder Bissen wird mit reichlichen Speichel- und.
Schleimbeimengungen zurückgegeben. Es kann selbst vorkommen,
daß innerhalb einer Mahlzeit Momente guter Schluckfähigkeit mit
solchen völliger Passagestörung abwechseln können, deren Kommen
und Verschwinden vom Kinde jeweils vorher angekündigt wird.
Auch hier besserte sich das Leiden unter Anwendung einfacher
Suggestivmaßnahmen und leichter Sondierungen in kurzer Zeit.
Solche sekundären, läsionsbedingte spastischen Neu-
rosen des Oesophagus, wie Husler sie nennt, dürften unter
den Folgeerscheinungen der Speiseröhrenverätzung wahrscheinlich gar
keine kleine Rolle spielen. Die wiederholt von chirurgischer Seite
gemachte Beobachtung, daß eine vollständige Speisenröhrenstriktur
nach Anlegen einer Magenfistel sich von selbst erweitert und durch-
12 Lust. Heft 1
gangig wird, wird sich wohl kaum auf andere Weise befriedigend
erklären lassen. Außerdem liegen aber auch vereinzelte Obduktions-
befunde vor, deren Geringfügigkeit in keiner Weise den Erwartungen
entsprach, die das klinische Bild hervorgerufen hatte. So berichtet
Husler von einem 2!/,jährigen Knaben, bei dem sich ro Monate
nach einer Verätzung mit Essigessenz ein kompletter Verschluß
der Speiseröhre selbst für Flüssigkeiten eingestellt hatte. Und wie
lautete demgegenüber der Obduktionsbefund ? ‚Nur kleine, läng-
liche Narbenleisten in der Schleimhaut, das Lumen kaum merklich
verengt, die lichte Weite überall von gut Bleistiftdicke.‘
Immerhin erschließen sich solche Fälle, in denen der Spasmus
sich auf dem Boden einer ernsten Läsion eingestellt hat, unserem
Verständnis weit eher, als wenn das Trauma zu geringfügig gewesen
ist, um überhaupt eine organische Veränderung hinterlassen zu
können. .: . u
Fall 3. Ein 5jähriges Mädchen verschluckt sich stark bei einer Linsen-
suppe. Nach Angabe der Mutter wird nach heftigem Würgen eine aufgequollene,
noch ziemlich harte Linse herausgegeben. Von diesem Augenblick behauptet
das Kind, keine festen Speisen mehr zu sich nehmen zu können. ‚Sie bleiben
mir alle im Halse stecken.“ Unter Zwang aufgenommene Speisen werden sofort
wieder herausgegeben. Schließlich stellt sich eine derartige Zwangsfurcht
vor den durch das Essen hervorgerufenen Beschwerden cin, daß jegliche Nah-
rungsaufnahme, selbst flüssiger Speisen, verweigert wird. Das merklich ab-
gemagerte, geistig sehr aufgeweckte Kind ist zunächst auch hier nicht zu be-
wegen, anderes als Flüssigkeiten zu sich zu nehmen. Auch diese nur sehr lang-
sam und unter fortwährendem Zureden. Dabei klagt es über starkes Druck-
gefühl in der Gegend der oberen Sternalgrube. Eine eingeführte Sonde stößt
bei 18cm auf starken Widerstand. In der Annahme, daß es sich auch hier
um einen Oesophagospasmus handelt, sind wir in diesem Falle ähnlich vor-
gegangen, wie Beck es für die Behandlung des Kardiospasmus im Säuglings-
alter empfiehlt: Wir haben 4 Tage lang jegliche Nahrungszufuhr von oben
ausgesetzt. Darnach schien der Spasmus gelöst. Wenn auch anfangs noch
langsam und zaghaft, so nahm das Kind dann doch alle Speisen ohne Wider-
stand.
Die Läsion, die hier dem Spasmus vorausging, dürfte, wenn sie
überhaupt in Frage kommt, doch so geringfügiger Natur gewesen
sein, daß man ihre Mitwirkung wohl kaum anders als auf dem Um-
weg einer psychisch hervorgerufenen gesteigerten Reflexerregbar-
keit verstehen kann, und es dürfte mehr oder weniger Sache des
persönlichen Geschmackes sein, ob man solche Reaktionen als hyste-
risch (Monrad) bezeichnen will oder nicht. Das Zurücktreten des
mechanisch läsionellen Momentes gegenüber dem affektbetonten
psychischen Insult räumt dieser Gruppe von Oesophagospasmen,
bei denen die Furcht vor den Folgen der Nahrungsaufnahme bis zur
Heft 1 Zur Klinik des Oesophagospasmus. 13
psychotischen Zwangsvorstellung sich steigern kann, eine gewisse
Sonderstellung ein. Ich möchte glauben, daß auch eine eigenartige
Form von ‚Erbrechen‘ bei manchen älteren neuropathischen Säug-
lingen während der Fütterung von Speisen, gegen die ein aus-
gesprochener Widerwillen besteht — meist handelt es sich um Ge-
müse oder Breikost —, hier einzubeziehen sein dürfte.
Das gar nicht allzu seltene, gewiß vielen erfahrenen Ärzten und
Pflegerinnen wohlbekannte, aber in der Literatur merkwiirdiger-
weise kaum beachtete Krankheitsbild sei an Hand eines Falles kurz
beschrieben:
Fall 4. F. H., 6 Monate alt. Mangelhaft gediehenes, sehr schreckhaftes,
aufgeregtes und unruhiges Kind, das wegen dystrophischer Störung eingeliefert
worden war, sich aber unter Buttermehlvollmilch gut erholt hatte. Erbrechen
war in den ersten 4 Wochen seines Anstaltsaufenthaltes niemals eingetreten.
Dieses stellte sich erst nach der Zugabe einer Breimahlzeit und ausschließlich
bei einer solchen ein, während die Flaschenmablzeiten auch fernerhin stets ohne
Störungen genommen wurden.
Der ganz typische, sich jedesmal in gleicher Weise abspielende
Vorgang verläuft folgendermaßen: Sobald das Kind den ersten
Löffel Brei genommen, ja oft schon wenn es den Breiteller nur ge-
sehen hat, beginnt es zu schreien. Unter sich steigernder Erregung,
mit hochrotem Kopf und nach jedem Löffel wieder aufs neue aus-
brechenden Schreien wird ein Teil der Nahrung aufgenommen.
Nach verschieden langer Zeit, zuweilen schon nach den ersten 2 bis
3 Löffeln, zuweilen erst gegen Ende der Breimahlzeit, aber immer
noch während der Nahrungsaufnahme, wird das Genossene wieder
ganz oder zum größten Teil herausgegeben. Das ‚Erbrechen‘ er-
folgt jedoch nicht in der üblichen Weise explosiv, vielmehr läuft
die ganze eben eingegebene Nahrung wieder langsam zum Mund
heraus, gleichsam als ‚liefe sie über“. Das Regurgitierte sieht
völlig unverändert aus, riecht nicht, bläut Kongopapier nicht. Es
kommt genau wieder im gleichen Zustand zurück wie es eingenommen
wurde. Die eingeführte Sonde stößt vor dem Mageneingang auf
Widerstand, der erst ganz allmählich, nach Beruhigung des Kindes,
überwunden wird.
Die Annahme hat viel für sich, daß es sich auch hier um einen,
wahrscheinlich am unteren Ende des Oesophagus gelegenen Spasmus
handelt. Das Charakteristische dieses, vorwiegend bei älteren neu-
ropathischen Säuglingen zu beobachtenden Regurgitierens ist, daß es
sich nur bei Nahrungen einstellt, die dem Kind zuwider sind und
die eine heftige, während der ganzen Nahrungsaufnahme anhaltende
14 Lust. Heft ı
Erregung auslösen, meist bei Breien oder Gemüsen, nicht aber bei
anderen gern genommenen Speisen — und damit unterscheidet es
sich grundsätzlich von dem von Göppert und von Beck beschriebe-
nen Kardiospasmus —, daß. das „Erbrechen‘‘, mehr ein Heraus-
laufen, ein „Überlaufen‘‘, als ein eigentliches unter Druck erfolgtes
Herausbrechen, schon bald nach Beginn, zum mindesten aber im
Laufe der Fütterung erfolgt und daß das Herausgegebene völlig
unverändert ist, nicht sauer riecht noch reagiert. Daß der mit der
Nahrungsaufnahme verbundene Affekt wohl die auslösende Ursache
ist, geht auch aus der Beobachtung hervor, daß das Erbrechen aus-
bleibt, sobald die Kinder sich an eine der unlustbetonten Speisen,
z. B. den Brei, gewöhnt haben und ihn ohne Erregung nehmen,
während es bei einer anderen, deren Zuführung noch ärgerniserregend
wirkt, z. B. bei Gemüse, regelmäßig wieder zum Vorschein kommt.
Ich möchte daher für diese Erscheinung in Analogie zu den am Respi-
rationsapparat durch Affekte ausgelösten Krämpfen die Bezeichnung
,oesophagale Affektkrimpfe“ vorschlagen’).
Zuletzt möchte ich eine Form von Oesophaguskrampf anführen,
deren Pathogenese noch völlig ungeklärt erscheint, und die sich
auch klinisch in wesentlichen Punkten von den bisher angeführten
Fällen unterscheidet. Ihr Wesen besteht in einem durch Jahre hin-
durch periodisch auftretenden, jeweils tage- bis wochen-
lang anhaltenden Oesophaguskrampf, der bis zur völligen
Unpassierbarkeit führen kann, den man weder mit einer voraus-
gegangenen mechanischen Läsion, noch mit einem psychischen In-
sult, noch mit einer affektiven Emotion als vorbereitendes Moment
in ursächliche Beziehung bringen kann, wenn ein solches auch auf
dem Boden primär vorhandener erhöhter Reflexerregbarkeit den
Impuls zur Auslösung eines anal gelegentlich wohl zu geben
vermag.
Für diesen primären essentiellen Oesophagospasmus, wie ich
ihn nennen möchte, dürfte der tolgende Fall ein gutes Beispiel
sein, der durch mehrfachen klinischen Aufenthalt teils in der Heidel-
a
1) Ich vermute, daB Finkelstein Ahnliches gesehen hat. Die kurze Be-
schreibung in seinem Lehrbuch (2. Aufl., S. 693) lautet folgendermaBen: ,, Bei
rachitischen und hydrocephalen Säuglingen. namentlich Frühgeburten, sah
ich bei Zugabe von Brei und Gemüsen zur bisherigen flüssigen Kost häufig ein
eigenartiges Bild. Jeder Versuch führte zu schwerer Erregung, Anfällen von
Cyanose, Husten und Erbrechen. Durch Phosphorlebertran schwanden die
Erscheinungen. Hier liegt wohl ein Oesophagismus auf spasmophiler Grundlage
vor.“ In den von mir beobachteten Fällen waren zwar in einzelnen, keineswegs
aber in allen Fällen Zeichen einer spasmophilen Diathese vorhanden, die ich
daher nicht als auslösende Ursache ansprechen möchte.
Heft ı Zur Klinik des Oesophagospasmus. 15
berger Kinderklinik, teils im Karlsruher Kinderkrankenhaus seit
nunmehr über 7 Jahren in Beobachtung steht. Bei deren langen Dauer
kann ich nur die wesentlichsten Etappen der Krankengeschichte
mit einigen Worten skizzieren:
Fall 5. Bei dem Knaben F. G. soll bereits in den ersten 4 Lebenswochen
häufig Erbrechen aufgetreten sein, das zeitweise wieder verschwand, um im
Alter von 10 Monaten — dem Zeitpunkt der ersten klinischen Beobachtung —
erneut und mit besonderer Heftigkeit aufzutreten. Beachtenswert ist, daß das
Erbrechen sich auch hier jeweils verschlimmert hat, sobald das Kind an eine
neue Nahrung gewöhnt werden sollte, so beim Übergang von der Brust zur
Flasche, beim Beginn von Brei-, von Gemüse- und fester Nahrung. Alle diese
Perioden wurden, wenn auch langsam und mühevoll, überwunden. Je älter
das Kind jedoch wird, desto heftiger werden die jeweiligen Erscheinungen, so
daß zeitweise nur Flüssiges geschluckt werden kann; aber auch dieses kommt
vielfach unter Würgen entweder sofort im Anschluß an die Nahrungsaufnahme
oder erst einige Zeit später, aber stets in unverändertem, nicht angedautem Zu-
stand wieder zum Vorschein. Die Sonde stößt bei 23 cm binter der Zahnreihe
auf Widerstand. Bei der Röntgendurchleuchtung bleibt der Bissen im unteren
Oesophagusdrittel für einige Minuten hängen. Die Kardiapassage erfolgt
danach glatt. Mit 22/, Jahren hat sich der Zustand erheblich verschlechtert,
das Kind erbricht alles, selbst löffelweise Fütterung von Milch und anderen
Flüssigkeiten. Aus vitaler Indikation muß eine Magenfistel angelegt werden.
Das Wechselspiel von Durchgängigkeit und Undurchgängigkeit des Oesophagus.
bleibt aber auch in den nächsten Jahren trotz Verbleib der Magenfistel be-
stehen. Ein leichter Katarrh ist meist der äußere Anlaß, daß zeitweilig keiner-
lei Speisen auf natürlichem Wege beigebracht werden können: Eine Besserung
scheint sich erst mit Hilfe einer Hypnosekur anzubahnen. Nachdem unter dieser
die Schluckstörung längere Zeit ausbleibt, wird die Magenfistel 2!/, Jahre
nach der Operation endgültig geschlossen. Die Besserung der Schluckstörung
ist aber trotz fortgesetzter hypnotischer Einwirkung nur eine zeitweilige.
Allmählich häufen und verstärken sich die Anfälle wieder und führen, als das
Kind immer elender wird, im Alter von 7 Jahren — es war inzwischen schon
ın die Schule gegangen — zur erneuten Aufnahme, diesmal im Kinderkranken-
haus Karlsruhe. Ein Versuch, mit den üblichen Suggestivmethoden unter Mit-
wirkung des Milieuwechsels zum Ziele zu kommen, mißlang gründlich. Obwohl
das Kind sich durchaus Mühe gibt zu schlucken, wird Flüssiges wie Festes
zusammen mit großen Massen verschluckten Speichels in toto bei jedem EB-
versuch wieder herausgewürgt. Die Röntgenaufnahme zeigt, wie der Cito-
bariumbrei den oberen stark erweiterten Teil des Oesophagus füllt und etwa in
Höhe des 6. Brustwirbels trichterförmig ausläuft. Unterhalb davon ist vom
Speisebrei nichts mehr zu erkennen. Es besteht hier also — bemerkenswerter-
weise diesmal viel höher als bei der ersten Durchleuchtung vor 4!/, Jahren —
ein völliges Passagehindernis. Der Zustand des Kindes wird in wenigen Tagen
ein völlig trostloser. Subcutane Kochsalzinfusionen verzögern nur wenig den
fortschreitenden Verfall. Im Urin finden sich Zucker und reichlich Aceton.
Im Regurgitierten erscheinen jetzt regelmäßig kaffeesatzartige Massen, so daß
die Annahme eines ulcerösen Prozesses als auslösendes Moment naheliegt.
Der Vorschlag zu erneuter Anlegung einer Magenfistel wird von den Eltern
abgelehnt. Aus rein gefühlsmäßigen Erwägungen gab ich dem Wunsch der
16 Lust. Heft ı
Eltern auf Hinzuziehung eines ärztlichen Hypnotiseurs (Dr. Rothschild)
nach, der sich bei dem anscheinend in extremis befindlichen Kinde aber auch
kaum mehr einen Erfolg verspricht. Die Hypnose versagt auch tatsächlich
das erstemal. Das Erbrechen blutiger Massen geht weiter. Zur größten Über-
raschung bahnt eine am folgenden Tag vorgenommene zweite Hypnose aber
eine völlige Wendung an. Wenige Stunden danach werden reichliche Flüssig-
keitsmengen aufgenommen, in den nächsten Tagen, unter Fortsetzung der
hypnotischen Behandlung, auch konsistente. Rasche Erholung. Das Blut-
brechen hört auf, Zucker und Aceton verschwinden wieder aus dem Urin.
Der Erfolg hat nahezu ı Jahr lang angehalten, Vor kurzem traten wieder
die alten Störungen in zunehmendem Maße ein, die diesmal infolge Versagens
der Hypnose zu erneuter Anlegung einer Magenfistel zwangen.
Das geschilderte Krankheitsbild läßt sich mit seinem ersten Auf-
treten in frühester Kindheit, seinem über viele Jahre sich hinziehen-
den intermittierenden Verlauf, wobei während der einzelnen, nach
verschieden langen Intervallen auftretenden, ohne erkennbare
Ursache ausgelösten Krisen eine tagelang anhaltende völlige Passage-
störung eintreten kann, als einen wohlcharakterisierten Typus
aus dem vielgestaltigen Bild des Oesophagospasmus im Kindes-
alter herausschälen!). Ganz ähnliche Fälle finden sich sowohl im
Huslerschen. Material als auch in der ausländischen Literatur
(Guisez, Rotch, Morse, Asby u. a.) mehrfach angeführt. Ihre
Pathogenese bleibt ganz im unklaren. Das hier wiederholt auftretende
Brechen blutiger Massen konnte zwar den Verdacht erwecken, daß
ein ulceröser Prozeß die Veranlassung zu den Spasmen gegeben haben
könnte. Dagegen spricht aber der durch nunmehr 7 Jahre beobachtete
intermittierende Verlauf, der rasche Wechsel der Erscheinungen und
des Sitzes des Hindernisses sowie das völlige Fehlen von Blutungen
in den anfallfreien Intervallen, die nur auf dem Höhepunkt der
schwersten Brechkrisen eintreten. Vielmehr hat es sehr viel mehr
Wahrscheinlichkeit für sich, daß die Blutbeimengungen dem Brech-
akt als solchem — per diapedesim — ihre Entstehung verdanken,
so wie ja auch im Säuglingsalter bei heftigen Brechattacken, z. B.
bei den Toxikosen, Blutbeimengen etwas sehr Häufiges sind. Guisez
u. a. rechnen diese Fälle zu den angeborenen Stenosen, deren Folgen
sich durch das Hinzutreten von Spasmen zu den geschilderten Krisen
summieren. Diese Annahme hat nicht sehr viel Wahrscheinlichkeit
für sich. Angeboren dürfte nur die spasmotische Bereitschaft sein,
die aber nicht eine einzelne Stelle der Oesophagusmuskulatur, sondern
das gesamte Muskelrohr, einschließlich der Kardia, in einem Zustand
1) Es erscheint mir weiterer Prüfung wert, ob nicht mancher hierhergehörige
Fall fälschlicherweise als periodisches (acetonämisches) Erbrechen gedeutet
wurde,
Heft 1 Zur Klinik des Oesophagospasmus. 17
erhöhter Reflexerregbarkeit hält, wodurch sich auch zwanglos er-
klart, daB der Sitz des Spasmus in den verschiedenen Krisen sich
verändern kann. Die eigentliche Ursache dieser Krankheitsbereit-
schaft bleibt aber ebenso unklar wie die auslésende Ursache der
spastischen Anfalle. Auch auf die in unserem Falle anscheinend so
verbliiffende Wirkung der Hypnose wird man deshalb nicht ein
ausschlaggebendes Gewicht legen diirfen, da ja das Schwanken der
Reflexerregbarkeit zum Wesen der Erkrankung gehört und auch
bei Husler in einem ebenso verzweifelt aussehenden Augenblick
ganz spontan eine günstige Wendung eintrat. Auch wies das Kind
weder allgemeine Zeichen noch besondere Stigmata eines hysterischen
Zustandes auf. |
Soweit Obduktionsbefunde bisher vorliegen (Asby), sind sie eben-
falls nicht in der Lage, wesentlich aufklärend zu wirken.
Zusammenfassung.
An Hand mehrerer Beobachtungen von Oesophagusspasmen im
Kindesalter wird eine Darstellung des klinisch und pathogenetisch
vielgestaltigen Krankheitsbildes gegeben. Ohne in Anbetracht
ihrer Variationenfälle den Anspruch zu machen, die verschiedenen
Formen in ein auf alle passendes Schema einordnen zu können,
dürfte es doch, ähnlich wie es Husler versucht hat, zweckmäßig
sein, einige Haupttypen zu unterscheiden. Solche sind:
ı. Der primäre, essentielle Oesophagospasmus, eine in
der Regel im frühesten Kindesalter ohne eine vorausgegangene
nennenswerte Läsion sich, einstellende Neurose. Sie kann
alle Teile des Oesophagusrohrs einschließlich der mit ihm
eine funktionelle Einheit bildenden Kardia befallen — im
letzteren Falle wählt man besser die Bezeichnung Kardio-
spasmus. Eine besondere Form ist der periodische Oeso-
phagospasmus, bei dem Zeiten guter Durchgängigkeit mit
solchen kompletter Passagestörung wechseln (oesophagale
Krisen).
2. Der sekundäre Oesophagospasmus, von Husler zweck-
mäßig läsionsbedingter Oesophagospasmus genannt,
bei dem ein durch eine Läsion (z. B. Verätzung) verursachte
organische Veränderung (Striktur) den ersten Anlaß zum
Auftreten von Spasmen gibt. Auch ein starkes psychisches
Trauma (Steckenbleiben eines Bissens, heftiges Verschlucken)
kann im gleichen Sinne wirken.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. X XVII. Band. 2
18 Lust: Zur Klinik des Oesophagospasmus.
Heft 1
3. Die oesophagalen Affektkrampfe des jiingsten Kindes-
alters, bei denen es während einer stark unlustbetonten Mahl-
zeit (z. B. bei der aufgezwungenen Eingabe einer unbeliebten
Nahrung, etwa nach Gemüse, Brei usw.) zu „oseophagalem
Erbrechen“ kommt, während gern genommene Speisen zu
keinem Spasmus Anlaß geben.
a aks lige SS
Literaturverzeichnis,
Asby, Brit. journ. of childr. dis. Bd. 17. 1920.
Beck, Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 9. 1910.
Finkelstein, Lehrb. d. Säuglingskrankh. 2. Aufl., S. 693.
Göppert, Therap. Monatsh. 1908.
Guisez, Presse méd. Bd. 21. 1923.
Husler, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 16. 1917.
Monrad, Akta paediatr. Bd. 1. 1921.
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Ridder, In Kraus-Brugsch, Erkrankungen der Speiseröhre. Bd. 5.
Rotch, Americ. journ. of dis. of childr. Bd. 6. 1913.
Aus dem Kinderkrankenhaus in Karlsruhe.
(Direktor: Prof. F. Lust.)
Zur Lehre von der Entstehung angeborener Mißbildungen.
Von Dr. Erich Jacobesohn.
Auf der letzten Tagung der deutschen Gesellschaft fiir Kinder-
heilkunde in Leipzig im September 1922 wurde bei Besprechung von
Vererbungsproblemen von anatomischer Seite (Prof. Benecke)
nachdrücklichst darauf hingewiesen, daß es erst dann angängig sei,
Keimanlagen und innere Ursachen für angeborene Defekte und
Mißbildungen verantwortlich zu machen, wenn mit Sicherheit alle
„äußeren“, insbesondere mechanischen Ursachen ausgeschlossen
werden könnten. Von diesem Gesichtspunkte aus gewann ein im
Kinderkrankenhaus Karlsruhe klinisch beobachteter und obduzierter
Fall für uns ein erhöhtes Interesse, über den ich im folgenden berich-
ten will, um daran einige kurze Betrachtungen aus dem Gebiet der
allgemeinen Mißbildungslehre zu knüpfen.
Es handelte sich um das 4. Kind gesunder Eltern, in deren beider Familien
nichts von Mißbildungen bekannt ist. Auch die 3 älteren Kinder sind völlig
normal gebildet. Nachträglich konnten wir in Erfahrung bringen, daß etwa
eine Woche nach dem Ausbleiben der ersten Menses ein ärztlicher Eingriff
(Uterussondierung) vorgenommen worden war, der mehrere Male im Abstande
von einer Woche wiederholt wurde. Das Kind kam 3/, Stunden nach einer
normalen Geburt in elendem cyanotischen Zustande, mit Vernix caseosa
bedeckt, zur Aufnahme und bot folgenden Befund: Neben rechtsseitigem
Klumpfuß bestand an typischer Stelle rechtsseitige Hasenscharte mit Wolfs-
rachen und linksseitige Lippenspalte. An einem kleinfingerdicken kurzen
Stiel, der dicht neben und oberhalb der intakten Nabelschnur aus der vorderen
Bauchwand heraustrat, hing ein etwa 14 cm langes, mehrlappiges, schmutzig-
rötliches, prall-elastisches, zum Teil fluktuierendes Gebilde, das, von einer
serösen Haut umkleidet, aus gallertartigem Gewebe zu bestehen schien und an
einer eingerissenen Stelle seröse Flüssigkeit absonderte. Von der Unterseite
betrachtet, bot es eine höchst auffällige Ähnlichkeit mit einem Embryo, mit
deutlichem Kopf- und Schwanzteil und den entsprechenden Krümmungen
und mit oberen und unteren Extremitätenstummeln. Die eigentümliche Be-
schaffenheit dieses Gebildes, das Fehlen jeglicher knöcherner Bestandteile
bei dieser Länge und der Mangel einer selbständigen Nabelschnur sprachen
2*
20 Jacobssohn. Heft 1
jedoch von vornherein gegen die Annahme eines nicht zur Entwicklung ge-
kommenen Zwillings oder einer teratomatösen oder parasitären Mißbildung.
Das Kind lebte im ganzen etwa ı!/, Tage, trank sogar etwa 60 g Milchschleim-
mischung, die zum Teil erbrochen wurde. Während der ganzen Zeit wurde
Mekoniumabgang nicht beobachtet. Ob während der Geburt Mekonium ab-
gegangen war, konnte leider nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
Die von mir vorgenommene Obduktion ergab zu unserer Überraschung,
daß das ganze beschriebene Gebilde aus einem Knäuel den gesamten Dünn-
und Dickdarm umfassender Darmschlingen bestand, die, zum Teil mit schmieri-
gem Inhalt gefüllt, zum Teil etwas kollabiert, in sulziges wasserreiches Gewebe
eingebettet waren. Der erwähnte, den unteren Pol bildende Stiel, durch den
das Gebilde mit dem Leibesinnern in Verbindung stand, setzte sich aus einem
zuführenden Darmteil, dem untersten Teil des Duodenum, und einem abführen-
den, unmittelbar ins Rectum übergehenden Darmteil zusammen. Weitere
Verbildungen oder Verlagerungen innerer Organe (Leber, Niere, Harnblase)
waren nicht nachweisbar. Die genaue Prüfung und Präparation der Nabel-
gegend zeigte, daß nur eine sehr nahe Nachbarschaft, nicht aber ein Zusammen-
hang zwischen Nabelschnur und Stiel der Darmmasse vorhanden war. Meine
erste Annahme, daß es sich um ein die Darmschlingen umgebendes Nabelschnur-
gewebe handeln könne (etwa im Sinne eines Nabelschnurbruches) wurde da-
durch als unhaltbar erwiesen. Vielmehr mußte der Vorgang als supra-
umbilikaler Bauchbruch mit völliger Ektopie des ganzen Darm-
traktus, mit Ausnahme der am stärksten fixierten Pole (Magen, Duodenum,
Rectum, Anus) aufgefaßt werden, wie mir auch Herr Prof. von Giercke
bestätigte, der liebenswürdigerweise das Präparat besichtigte und mir seinen
wertvollen Rat lich. Das eigentümliche gallertartige Gewebe ließ sich un-
gezwungen als dem Mesenterium und der visceralen Serosa angehörendes
Bindegewebe erklären, das nach allmählichem Durchtritt der Darmschlingen
infolge der mechanischen Behinderung des venösen Abflusses durch die enge
Bauchdeckenspalte in stärkstem Maße ödematös geworden war. Der Durch-
tritt mußte offenbar in mehreren Abteilungen zu verschiedenen Zeiten erfolgt
sein, wie die mehrfachen Einschnürungen und die verschiedene Stärke des
. Ödems bekundeten. Der Vollständigkeit wegen ist noch zu erwähnen, daß
eine Spina bifida nicht festzustellen war. Eine genauere Untersuchung des
Wirbelkanals und des Rückenmarks war aus äußeren Gründen nicht möglich.
Von irgendwelchen auffälligen Veränderungen der Eihäute ist nichts bekannt.
Der geschilderte Fall wird also im wesentlichen charakterisiert
durch das gleichzeitige Bestehen eines angeborenen rechts-
seitigen KlumpfuBes, eines Wolfsrachens mit Hasen-
scharte und eines Bauchbruches mit Ektopie des Diinn-
und Dickdarmes bei einem wenige Stunden alten Neu-
geborenen. ` l a! |
Wer einmal ein solch eindruckvolles Bild gesehen hat, wird keine
Bedenken tragen, diese Erscheinungen den sog. Mißbildungen ein-
zureihen, ohne sich vielleicht Rechenschaft darüber abzulegen, was
im strengen Sinne eigentlich mit dieser Bezeichnung gemeint sei.
Und in der Tat ist der Begriff der Mißbildung heute noch keineswegs
Heft 1 Zur Lehre von der Entstehung angeborener Mißbildungen. 2I
völlig geklärt. Nach Schwalbe (ı) ist Mißbildung ‚eine während
der fötalen Entwicklung zustande gekommene, also angeborene
Veränderung der Form eines oder mehrerer Organe oder Organ-
systeme oder. des ganzen Körpers, welche außerhalb der Variations-
breite der Spezies gelegen ist‘. Diese Definition, die wohl heute
in der gesamten Literatur als die beste gilt, ist nicht unangefochten
geblieben, und insbesondere Slingenberg (2) hat auf die schwer
zu bestimmende Grenze zwischen Variationen und Mißbildung
hingewiesen und als Kriterium für die Praxis die Störung der Funk-
tionen seiner Definition zugrunde gelegt. Mit Recht betont dem-
gegenüber Schwalbe (3), daß unzweifelhafte Mißbildungen, wenn
auch leichteren Grades, wie z. B. die Polymastie, keinerlei Funk-
tionsstörungen zu bedingen brauchen.
Es ist Schwalbes Verdienst, durch das Studium seiner „terato-
genetischen Terminationsperiode‘‘, das heißt der Feststellung jener
Embryonalzeit, in der spätestens die Ursache der Mißbildung ein-
gewirkt haben muß, die Frage der Entstehungszeit und der formalen
wie kausalen Genese der Mißbildungen unserem Verständnis näher-
gebracht zu haben. Naturgemäß steht die Frage nach der Ursache
dieser Skala von Mißbildungen, von einer geringfügigen Varietät
an bis zur ungeheuerlichen Monstrosität im Vordergrunde der wissen-
schaftlichen wie laienhaften Betrachtung. Daß man zunächst die
Ursachen ganz allgemeingültig für alle Mißbildungen in ektogene
und endogene einteilen kann, ist ohne weiteres klar. Denn daß eine
Störung der normalen Entwicklung durch äußere Einflüsse möglich
ist, beweist sowohl die Erfahrung wie die experimentelle Erzeugung
solcher Mißbildungen, wie sie Barfuth (4) in mannigfaltigen Ex-
perimenten (Erzeugung von .Hyperdaktylie beim Axolotl), Pagen-
stecher (5) (Augenmißbildungen bei mit Naphthalin gefütterten
Kaninchen), Roux u. a. gelungen ist. Daß ferner Temperatur-
veränderungen, Sauerstoffmangel, chemische und osmotische Ein-
flüsse, Gifte, schließlich noch Radium- und Röntgenstrahlen und das
vielumstrittene Gebiet der fötalen Entzündung, wahrscheinlich
auch fötale Störungen der inneren Sekretion eine Rolle spielen
können, erscheint erwiesen [Schwalbe (3)]. Weitaus die größte
Wichtigkeit aber unter den ektogenen Ursachen haben bis in
die jüngste Zeit hinein das Amion, seine Enge oder Verwachsungen
oder amniotische Stränge zu beanspruchen, dessen Besprechung
auch eine besondere Bedeutung für unseren speziellen Fall zukommt.
In der Tat werden ja Veränderungen des Amnions relativ häufig ge-
funden und diese gegenwärtig besonders für die Entstehung von
22 Jacobssohn. Heft ı
Mißbildungen verantwdrtlich gemacht, da wir eben über das Gebiet
der endogenen Ursachen eigentlich nichts wissen und demgemäß
den äußeren Ursachen die größere Bedeutung zuzuschreiben geneigt
sind. Für die amniogene Theorie haben sich besonders v. Winckel,
Kümmel (6), Klaußner (7), Ahlfeld (8) u. a. eingesetzt, und es
sind vor allem die Polydaktylie, Syndaktylie, Spalthand, die immer
wieder zum Studium herangezogen werden. Zander (9) hat diese
Theorie ausgearbeitet, und auch Schwalbe (10) stellt sich auf den
Standpunkt, daß Spalthand usw. ganz sicher amniogene Mißbil-
dungen sind. Neuere experimentelle Forschungen (Braus) haben
das sehr in Frage gestellt. Es ist wesentlich, darauf hinzuweisen, daß
die Vererblichkeit solcher Mißbildungen — man denke nur an das
immer wieder angeführte Dorf de l’Isere, in dem fast alle Einwohner
6 Finger und 6 Zehen hatten, an das familiäre Auftreten von Hasen-
scharten usw. — durch Vererblichkeit der Amnionanomalie erklärt
wird. Es ist klar, daß damit nicht allzuviel gesagt ist. |
Denn einmal erscheint ein solches Vorkommen etwa in mehreren
Generationen sehr gezwungen, dann aber wissen wir über die Ätiologie
von Amnionanomalien (entzündliche Prozesse?) so gut wie nichts,
geschweige denn über ihre Vererbbarkeit. Eine Mißbildung mecha-
nisch durch Amnionanomalien erklären zu wollen, heißt in Wirk-
lichkeit nur das Problem verschieben, da das Amnion ja auch zum
Foetus gehört. Die gleichen Erwägungen gelten naturgemäß auch
für die ätiologische Rolle, die vielfach dem Fruchtwassermangel
zugeschrieben wird.
So blieben denn schließlich die „endogenen Ursachen“ zur
Erklärung einer Mißbildung übrig. Dabei ist streng zu beachten,
daß unter diese Gruppe nur solche Mißbildungen zu rechnen sind,
die auf abnorme, meist vererbbare innere Veranlagung der Keim-
zellen zurückzuführen sind. Mißbildungen dagegen, die durch
„Keimschädigung‘“, wie etwa bei Experimenten an Larven, hervor-
gebracht werden, sind selbstverständlich als mechanisch bedingt
aufzufassen. Hierunter würden z. B. auch im weiteren Sinne degenera-
tive Zeichen in der Descendenz von Trinkern fallen.
© Sehen wir nun, wie sich die Frage nach der Pathogenese unseres
speziellen Falles im Rahmen der eben skizzierten Gesichtspunkte der
allgemeinen Mißbildungslehre einordnen und beantworten läßt.
Vom Klumpfuß zunächst abgesehen, stehen im Vordergrunde
der Wolfsrachen und der Bauchbruch. Ohne auf die überreiche
kasuistische Literatur, die Entwicklungsmechanik und die patho-
logische Anatomie näher eingehen zu wollen, können wir darüber in
Heft ı Zur Lehre von der Entstehung angeborener Mißbildungen. 23
Kürze folgendes sagen: Diese Erscheinungen sind als Spaltbildungen
zu betrachten und werden entwicklungsgeschichtlich allgemein zu
den „Hemmungsbildungen‘ gerechnet. Dieser Begriff gilt lediglich
im Bereich der ‚formalen Genese‘ und sagt an sich über die Ur-
sachen nichts aus. Ebensowenig schließt er die Vorstellung einer
„spalt- oder Defektbildung‘‘ ohne weiteres in sich, denn die Per-
sistenz irgendeines normalerweise sich zurückbildenden Organs, wie
z. B. des Meckelschen Divertikels oder des Thymus, muß auch zu
den Hemmungsbildungen gezählt werden.
Bekanntlich geht beim Embryo die Bildung des Gesichtsschädels
in der Weise vor sich, daß das vordere untere Ende der sog. Kopf-
kappe mit mehreren lappigen Fortsätzen die spätere Nase und den
Zwischenkiefer formen, während die Verwachsung der beiden seit-
lichen ersten Kiemenbögen zur Bildung des Unterkiefers führt
und die beiden seitlich herauswachsenden Oberkieferfortsätze mit
dem Stirnfortsatz der Kopfkappe zum Oberkiefer verschmelzen.
Zwischen diesen Fortsätzen und Lappen besteht also in früher
Embryonalzeit, etwa am Ende des ersten Foetalmonats, eine Anzahl
von Spalten, deren späteres Bestehenbleiben je nach ihrem Sitz
zur medialen oder lateralen Lippen- und Gaumenspalte, zur schrägen
oder queren Gesichtsspalte führt. Was nun speziell die Atiologie
der späteren Gesichtsspalten angeht, so gelang esz. B. Hönecke (II)
experimentell, beim Kaninchen durch Paarung von zu jungen Tieren
oder von rhachitischen Eltern, gelegentlich sogar bei chronischer
Alkoholvergiftung vor der Zeugung solche Spaltbildungen zu er-
zeugen. Als weitere Ursachen werden vermehrter intrakranieller
Druck, vordringender Hirnbruch, Schadeltumoren, Epithelcysten (12)
angegeben. Vom Amnion war bereits die Rede. Nach Schwalbe
sind manche, nämlich atypische Gesichtsspalten sicher amniogen,
wobei er allerdings die Frage offen läßt, „b beide Anomalien nicht
gleichgeordnet sind und in gar keinem kausalen Verhältnis zueinander
stehen. Schließlich ist noch die Ansicht Beneckes zu erwähnen,
die von anderen Autoren geteilt wird [Tothfalussy (ı2)], daß
bei zu starker Nackenbeuge infolge Enge des Amnions das Gesicht
gegen das Brustbein gepreßt und dadurch die Schließung der physio-
logischen Spalten verhindert wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem Bauchbruch. Ursprünglich stellt
die embryonale Bauchwand- und Darmanlage eine breite, offene
sogenannte Primitivrinne dar, bei deren mangelhaftem oder aus-
bleibendem Schluß es notwendig zu einem Offenbleiben der vorderen
Schließungslinie und damit zu Spalten der Körperhülle oder gar
24 ‚Jacobssohn. Heft ı
innerer Organe kommen: muß. Demgemäß sind totale Spalten,
Brust-, Bauch-, Darm-, Blasen-, Genitalspalten nicht prinzipiell,
sondern nur ihrer Intensität nach verschieden von partiellen Bauch-
spalten, Nabelschnurbruch und dem so häufigen bedeutungslosen
Nabelbruch. Es ist einleuchtend, daß dieser aufgestellten anato-
mischen Reihe eine embryologische, zeitlich bedingte parallel geht,
in dem einer ausgedehnteren Spaltung ein früherer Zeitpunkt der
Bildungshemmung entspricht. Erwähnt sei noch, daß sehr selten
seitliche Rumpfspalten auftreten, die nicht als Hemmungsbildungen
aufgefaßt werden können. AÄtiologisch dürften sich keine wesentlich
neuen Gesichtspunkte gewinnen lassen. Immer wieder werden
äußere traumatische oder von Uterus oder den Eihäuten ausgehende
Ursachen, namentlich Enge des Amnions, angeschuldigt. Nicht ohne
Interesse dürften in diesem Zusammenhang einige ursächliche Fak-
toren sein, die für einen besonderen Fall, nämlich den Nabelschnur-
bruch, in Betracht kommen. Seine Entstehung erklärt Ahlfeld (13)
dadurch, daß infolge von Persistenz des Duct. omphalomesentericus
der mit diesem verbundene Dünndarmabschnitt außerhalb der
Bauchhöhle bleibt und dadurch den Verschluß der Medianlinie in
der Nabelgegend verhindert. Tatsächlich findet sich in etwa einem
Drittel der bekannt gewordenen Fälle Persistenz des Meckelschen
Divertikels. Aber auch hier wird eine Hemmungsbildung durch
eine andere erklärt. Aschoff (14) führt die Fälle von Nabelschnur-
bruch, in denen eine Ektopie der Leber vorhanden war, auf erhöhte
intraabdominale Druckverhältnisse infolge der pathologisch bis in
den 3., 4. Foetalmonat sich erstreckende Dorsalkonkavität der Wirbel-
säule zurück. In gleichem Sinne könnten gelegentlich vorkommende
_ intraabdominale Tumoren [Cystenbildung — Fall Usener. (15)]
wirken. SchlieBlich sehen Reichel (16) und Kermauner (17) auch
hier die Ursache in inneren Wachstumsstörungen bestimmter Teile
der foetalen Anlage.
Welche Erklärungsmöglichkeiten ergeben sich nun für
den eingangs geschilderten Fall? Wie wir gesehen haben,
spielen Anomalien der Geburt, des Amnions usw., aber auch erbliche
Besonderheiten keine Rolle. Um so bedeutungsvoller erscheinen mir
zwei Momente, die ich gleichsam als Angelpunkte in den Vordergrund
' der Betrachtung stellen möchte. Einmal jene Ansicht Beneckes,
die es vielleicht gestattet, die Koinzidenz von Bauchbruch und Hasen-
scharte zu erklären, wenn man nicht für beides die gleiche endogene
Ursache annehmen will. Wenn es zutrifft, daß der Druck, den der
stark gebeugte und mit den Kiefern gegen das Sternum gepreßte
Heft ı Zur Lehre von der Entstehung angeborener Mißbildungen. 25
Kopf erleidet, zur Verhinderung des Schlusses der Gesichtsspalten
führen kann, so wäre eine gleiche Entstehungsmechanik, nur in weit
gesteigertem Maße durch den Druck der eventrierten Darmmasse
auf den zwangsmäßig gebeugten Kopf denkbar. Wenn man in Be-
tracht zieht, wie andauernder Druck von Weichteilgeschwülsten
oder ein wachsendes Aneurysma zur Knochenarrosion führen kann,
so wäre auch hier ein Klaffenbleiben der Gesichtsspalten verständ-
lich. Freilich stehen dieser Theorie mancherlei Bedenken entgegen;
insbesondere wissen wir über. das Verhältnis der Entstehungszeiten
beider Mißbildungen nichts Genaues. Voraussetzung wäre vor allem,
daß der Darmtumor bereits zu einer Zeit eventriert war, in der er
hemmend auf den Spaltenverschluß wirken konnte. Außerdem wäre
damit nur die Entstehung des Wolfsrachens, nicht aber die des Bauch-
bruches und des Klumpfußes erklärt.
Der zweite Punkt, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte,
ist die Frage nach der ätiologischen Wertigkeit des bereits erwähnten
ärztlichen Eingriffs in früher Embryonalzeit, nämlich ungefähr im
zweiten Foetalmonat. Da um das Ende des ersten Foetalmonats
herum die physiologischen Schlußspalten noch offen sind, nach
Marchand (18) aber „der menschliche Embryo die Ausbildung
seiner Körperformen vor dem 3. Monat beendet hat‘, so fällt dieser
Eingriff in eine Zeit, in der sehr wohl eine Verhinderung des normalen
Abschlusses denkbar wäre. So verlockend die Annahme eines Zu-
sammenhanges ist, so schwer ist es allerdings, sich eine klare Vor-
stellung darüber zu bilden, in welcher Weise wohl die plumpe Sonde
auf den Embryo gewirkt haben soll, um so typische, sonst .durch
ihre Vererbbarkeit bekannte Verbildungen hervorzubringen. Es ist
mir auch nicht gelungen, in der mir zugänglichen Literatur einen
hierher gehörigen überzeugenden Fall zu finden. Zumeist hört man
von Placentarlösung, Absterben der Frucht oder intrauterinen Frak-
turen durch ein Trauma. Ich stelle mir nun keineswegs vor, daß,
ähnlich wie wenn Roux unter der Kontrolle des Auges eine Nadel
in ein Froschei versenkt und so den Ablauf der normalen Entwick-
lung stört, die ärztliche Sonde in grob-mechanischer Weise gerade
auf die Mittellinie des gefährdeten Embryos, die Stelle der späteren
Mißbildung gestoßen sei. Wohl aber halte ich, ohne es beweisen und
mich in einer Richtung festlegen zu können, die Frage der Erörte-
rung für wert, ob nicht in diesem Falle möglicherweise das wieder-
holte schwere Trauma, dem der zarte, etwa 4 cm lange Foetus direkt
ausgesetzt war, Bedingungen schuf, unter denen es nicht zum nor-
malen Abschluß des embryonalen Aufbaues an primär wenig resi-
26 Jacobssohn: Entstehung angeborener Mißbildungen. Heft ı
stenten Stellen kam — nicht ganz naturwissenschaftlich ausgedriickt,
etwa im Sinne einer anenergetischen.Degenerationshemmung.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Für die Erklärung der
Entstehung von angeborenen Mißbildungen kommt neben der An-
nahme einer endogenen, in ihrem eigentlichen Wesen uns vorläufig
noch unbekannten abnormen Keimveranlagung, die wohl für die
meisten typischen Mißbildungen Geltung hat, eine Reihe von äußeren
und mechanischen Faktoren in Betracht. In einem Falle meiner
Beobachtung von angeborenem Wolfsrachen, Lippenspalte, Bauch-
bruch und KlumpfuB ist in erster Linie an den Einfluß eines mecha-
nischen Traumas durch eine wiederholte ärztliche Uterussondierung
zu denken, vielleicht hat auch der Druck des eventrierten Darmes
auf den Gesichtsschädel zur Entstehung der Gesichtsspalten bei-
getragen. Der Fall lehrt, wie wichtig es ist, weiterhin auf derartige
Zusammenhänge bei strengster Kritik zu achten.
mn nn mn ee e
Literaturverzeichnis.
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vo.
Aus der Kinderklinik der stadtischen Krankenanstalten Essen.
(Chefarzt: Priv.-Doz. Dr. Bossert.)
Die Stellung der Pädonephritis in der modernen
Nierenpathologie.
Von Dr. Leo Mendel.
Die Mannigfaltigkeit der Bezeichnungen in der Nomenklatur des
Morbus Brighti gibt in keiner Weise dem Vielerlei an Namen auf
dem Gebiete der Ernährungsstörungen etwas nach. Während die
Pädiatrie aber begreiflicherweise ein brennendes Interesse daran
hat, auf ihrem ureigensten Gebiete zu einer endgültigen Klärung
zu kommen, hat sie von sich aus in dem Meinungsstreit der an der
Nierenpathologie Interessierten niemals ihre Stimme erhoben. Wohl
hat sie stets den Wandel der Anschauungen mitgemacht: so sehen
wir Heubner unter dem Eindruck der Ausführungen Fr. v. Müllers
seine Bezeichnung Pädonephritis später in Pädonephrose umändern,
und heute finden wir die Pädiatrie in der Hauptsache auf dem Boden
der Volhardschen Anschauungen. Aber aus eigenem Antriebe
hat sie in dem auch heute noch auf und ab wogenden Für und Wider
der Meinungen nie das Wort ergriffen. Und doch könnte sie das mit
vollstem Rechte tun; fordert doch die Eigenart der Pädonephritis,
die Heubner überhaupt erst zur selbständigen Charakterisierung
dieses Krankheitsbildes veranlaßt hat, geradezu zu einer Diskussion
heraus, welche Stellung ihr in dem Gefüge der modernen Systematik
gebührt. Darüber hinaus wird sich die Anknüpfung an noch im Fluß
befindliche Streitfragen der Nierenpathologie von selbst ergeben.
Als Heubner seinerzeit von der Pädonephritis sagte, sie passe
in keine der Formen, die man sonst unter dem Begriffe chronischer
Nephritis unterscheidet, war das zu einer Zeit, wo die Klinik der
Nierenentzündungen auf einem toten Punkt gelandet war. Seit
der Zeit ist der Stein wieder ins Rollen gekommen, aber fast will
es scheinen, als ob er auf seinem Wege auch einiges von den Schranken
eingerissen hätte, die Heubner selbst vorsichtigerweise um das
28 Mendel. Heft 1
Gebäude der Pädonephritis errichtet hat. Man kann sich des Ein-
drucks nicht erwehren, daß in dem Streben, auch die Pädonephritis
auf die knappe Formel des Schemas zu bringen, den scharfen Um-
rissen, die Heubner von ihr entworfen hat, Gewalt angetan worden
ist. Sicher nicht zum Besten einer klaren Verständigung; denn
manches wurde zweifelsohne daraufhin als Pädonephritis ausgegeben,
was damit nichts zu tun hat. Aber auch um des Schemas willen ist
es unbedingt erforderlich, sich streng an das Original zu halten,
sonst könnte dem System als Mangel gedeutet werden was Lässigkeit
in der Stellung der Diagnose ist.
Seit Übernahme der Volhardschen Systematik in die Pädiatrie
wird die Heubnersche Pädonephritis mit der chronischen Herd-
nephritis Volhards identifiziert [Bratke (r), Stransky (2)], und
Volhard (3) selbst ist geneigt, in ihr und der infektiösen Herd-
nephritis ein und dasselbe Krankheitsbild zu sehen. Diese Ansicht
stützt sich, abgesehen von der Übereinstimmung in der Symptomato-
logie, auf die Annahme einer unbedingt günstigen Prognose der
Pädonephritis. In letzterem scheint mir diese Meinung aber anfecht-
bar. Heubner selbst spricht sich in einer späteren Mitteilung (4)
bezüglich der Prognose viel vorsichtiger aus als früher, indem er
schreibt: „Eine Äußerung über die Prognose ist im Einzelfall sehr
schwer, Ich habe schon früher Fälle mitgeteilt, wo auch nach jahr-
langem Bestehen eine völlige Heilung eingetreten war; aber ob das
nicht Seltenheiten sind, ist auch für eine reiche Erfahrung nicht zu
entscheiden.‘
Von der unbedingt günstigen Prognose, von der Stransky
spricht, ist demnach bei Heubner keine Rede; diese Zurückhaltung
ist bei dem eminent chronischen Verlaufe der Pädonephritis um so
berechtigter, weil Folgeerscheinungen sich erst jenseits des Kindes-
alters bemerkbar zu machen brauchen.
- Unter diesen Folgeerscheinungen werden wir in erster Linie der
Rückwirkungen auf das Herz zu gedenken haben. In dieser Hinsicht
verdienen zwei von den Heubnerschen Fällen Beachtung (5). In
der Beobachtung 23 findet sich rr Jahre nach Feststellung der
Albuminurie folgende Angabe: ‚Herzbefund bis auf stark klappende
Töne normal. Puls hart“, und in Fall 25 wird nach dreijährigem
Bestehen der Nephritis der Puls als gespannt angegeben. In dem
g Jahre spater erhobenen Untersuchungsbefunde finden wir zwar
keine Mitteilung über den Herzbefund, doch scheint dieser normal
gewesen zu sein. Angaben über die Höhe des Blutdruckes finden sich
bei diesen Fällen nicht; doch hat Heubner, wie er an anderer
Heft ı Die Stellung d. Pädonephritis in d. modernen Nierenpathologie. 29
Stelle (l. c.) hervorhebt, niemals Steigerung desselben beobachtet.
Demnach bleibt die Frage, ob der an Herz und Puls erhobene Befund
der Ausdruck für eine bestehende Hypertonie ist, unentschieden;
in keinem Falle läßt sie sich aber mit dem Hinweise darauf abtun,
daß nach einer Reihe von Jahren trotz Bestehens der Albuminurie
scheinbar normale Verhältnisse am Kreislauf, zum mindesten aber
vollkommenes Wohlbefinden der Patienten festgestellt wurde;
wissen wir doch, daß die Hypertonie bei chronischen Nephritiden
kein konstantes Symptom ist. „Zwischen normalen Werten und
starken Erhöhungen kommen bei demselben Kranken in kurzer Zeit
Schwankungen vor“ [Lichtwitz (6)]. Also selbst bei normalem
Blutdruck würde der geschilderte Herzbefund doch wohl als Folge
der im Kindesalter überstandenen Nephritis anzusehen sein, aber —
was für unsere Auffassung wichtig ist — als eine Folgeerscheinung,
die mit dem Bilde der Herdnephritis nicht zu vereinigen ist.
Es liegt auf der Hand, daß das Vorkommen von Schwankungen
in der Höhe des Blutdruckes dem Untersucher die Einreihung eines
Krankheitsfalles in die passende Stelle des Schemas erschwert, vor
allem dann, wenn er das Kind nicht im akuten Stadium, sondern
erst nach längerem Bestehen der Erkrankung zu Gesicht bekommt.
Als Beispiel hierfür möchte ich die eigene, von mir bereits an anderer
Stelle (7) erwähnte Beobachtung eines Kindes anführen, bei dem
sich nach dreijährigem Bestehen der Pädonephritis eine Blutdruck-
steigerung auf ı8ocm H,O einstellt; die Hypertonie hält sich ein
Jahr auf dieser Höhe und weicht dann wieder normalen Werten.
Nichts würde in dem Stadium normalen Blutdrucks gegen die Be-
zeichnung Herdnephritis gesprochen haben; erst die Blutdruck-
steigerung machte eine Revision dieser Auffassung und die Ein-
reihung unter die chronische diffuse Glomerulonephritis notwendig.
Die Einförmigkeit des klinischen Bildes der Pädonephritis, zumal
wenn sie sich nur auf Albuminurie ohne Ausscheidung krankhafter
Formelemente beschränkt, und das Fehlen oder die Geringfügigkeit
subjektiver Beschwerden erschwert aber auch die Abgrenzung
gegen die orthotische Albuminurie. Wenn man, wie es häufig der
Fall ist, anamnestisch keine Handhabe für eine vorangegangene
Nephritis hat, so wird unter Umständen auch die Entscheidung
gar nicht leicht sein, ob es sich im vorliegenden Falle um eine reine
orthotische Albuminurie oder etwa um eine postnephritische Eiweiß-
ausscheidung vom orthotischen Typ handelt. Es scheint mir rich-
tiger, sich überall da, wo namentlich bei Untersuchung der ein-
zelnen Urinportionen Nierenelemente gefunden werden, für das Vor-
30 Mendel. Heft x
liegen einer Nephritis mit orthotischer Eiweißausscheidung zu ent-
scheiden als für die erste Annahme. Die Grenze, wo das Normale
aufhört und das Krankhafte beginnt, ist zu schwer zu ziehen, und
man tut sicher besser, bei der Ansicht zu bleiben, daß rote Blut-
körperchen und Cylinder, auch wenn sie nur ganz vereinzelt vor-
kommen, dem Bilde der reinen orthotischen Albuminurie fremd
sind. |
Diese Armut an Symptomen birgt begreitlicherweise die groBe
Gefahr in sich, daB die Beobachtung eines Krankheitsfalles nicht
über genügend lange Zeit fortgesetzt wird. Es braucht nicht erst
hervorgehoben zu werden, was daraus für verhängnisvolle Irrtümer
entstehen können. Ich verweise nur auf die in dieser Hinsicht sehr
lehrreichen Befunde von Stroink (8) an Scharlachnephritiden, die,
im Kindesalter erworben, nach einem jahrelangen beschwerdefreien
Zwischenstadium, das sich lediglich durch Albuminurie auszeichnet,
in eine letale Urämie ausgehen. Es tut für unsere Zwecke nichts zur
Sache, daß die Arbeit von Stroink keine näheren Angaben über
den Verlauf des akuten Stadiums bringt. Aber selbst wenn damals
das typische Bild der diffusen Glomerulonephritis vorgelegen hätte,
so ist für unsere Frage doch nur das Stadium von Belang, das bei
fehlendem Krankheitsgefühl lediglich durch die Eiweißausscheidung
gekennzeichnet ist. Rechnen wir nach dem Gesagten noch die Mög-
lichkeit von Blutdruckschwankungen hinzu, so läuft ein und dasselbe
Krankheitsbild je nach dem Zeitpunkte der Untersuchung bald als
gutartige Pädo- bzw. Herdnephritis, bald als prognostisch zweifel-
hafte chronisch diffuse Nephritis. Die Hoffnung, mit Hilfe der
funktionellen Diagnostik die Scheidung derartiger Krankheitszustände
durchführen zu können, ist recht trügerisch, da die funktionelle
Anpassungsfähigkeit der Niere bekanntlich eine sehr weitgehende
ist. Auch ich habe in den beobachteten beiden Fällen keine Schädi-
gung der Nierenfunktion feststellen können.
Ein derartiges Vorkommnis, wie Blutdrucksteigerung bei einwand-
frei festgestellter Pädonephritis, erscheint uns als Seltenheit. Ver-
mutlich ist aber die Zahl solcher Fälle weit größer als wir im all-
gemeinen annehmen, einfach aus dem Grunde, weil solche Folge-
erscheinungen meist erst jenseits des Kindesalters einsetzen. Dem
später untersuchenden, doch sicher nur in den seltensten Fällen
speziell pädiatrisch eingestellten Arzte ist die Eigenart der Pädo-
nephritis viel zu wenig bekannt, als daß er an einen Zusammenhang
gerade mit diesem Krankheitsbilde denken würde. Dem in erster
Linie an dieser Frage interessierten Kinderarzt aber geht auf
Heft I Die Stellung d. Padonephritis in d. modernen Nierenpathologie. 31
diese Weise viel wertvolles Material verloren ; es ware deshalb dringend
zu wünschen, daß derartige Nachuntersuchungen an Nephritiden,
wie sie von Elis. Schiff (9) an dem Material der Heidelberger
Kinderklinik vorgenommen wurden, öfters erfolgten.
Wollten wir also nach dem Gesagten an der Anschauung festhalten,
daß die Pädonephritis mit der Volhardschen Herdnephritis gleich-
zusetzen ist, so müßten wir zwingend zu dem Schluß kommen, daß
die Pädonephritis kein einheitliches und selbständiges Krankheits-
bild ist. Sie würden Fälle umfassen, die dem reinen Bilde der in-
fektiösen Herdnephritis entsprechen, aber daneben auch Fälle,
die der diffusen Glomerulonephritis zuzurechnen sind. Oder aber
wir müßten in Anlehnung an Volhard mit dem Vorkommen von
Übergangsformen rechnen, d. h. ein ursprünglich als Herdnephritis
verlaufender Fall wandelt sich später in eine diffuse Nephritis um.
Berücksichtigt man die nach Volhards eigner Auffassung ganz und
gar verschiedene Entstehungsweise beider Prozesse, so wird man
Siebeck (Io) ohne weiteres beipflichten müssen, wenn er sich schon
aus diesem Grunde einer Zweiteilung der Nephritis gegenüber sehr
skeptisch verhält, Nehmen wir ferner nach Volhard noch die
Möglichkeit hinzu, daß sich auf eine ursprünglich diffuse Nephritis
eine herdförmige aufpfropfen kann, so erwächst daraus meines Er-
achtens der Beurteilung eine weitere große Schwierigkeit, auf die ich
an der Hand eines konkreten Falles etwas ausführlicher eingehen
möchte: |
Ein jetzt 7jähriges Mädchen macht Weihnachten 1922 eine Scharlach-
nephritis durch, die unter dem Bilde der diffusen Glomerulonephritis verläuft.
Gelegentlich einer 2 Monate später erworbenen Grippepneumonie kommt es.
zu einem Rezidiv der Nephritis, aber dieses Mal in Form der herdförmigen
Erkrankung, die nach Ausheilung der Pneumonie in Gestalt einer leichten
Eiweiß- und Blutausscheidung im Harn fortbesteht.
Vorausgesetzt, daB dieser Urinbefund in der Folgezeit persistiert,
würde sich die Nierenerkrankung bei späteren Untersuchungen als
die typische chronische Pädonephritis darstellen. Bleibt die Nieren-
funktion intakt, dann würde man von einer chronischen Herd-
nephritis sprechen, obwohl die Herderkrankung der zeitlichen
Entstehung nach der Sekundärvorgang ist; treten aber Folgeerschei-
nungen ein, dann ist das ganze Krankheitsbild eine diffuse Nephritis-
gewesen; beide Male aber verläuft das mutmaßliche Zwischenstadium
unter den gleichen klinischen Erscheinungen
Dieselbe Schwierigkeit besteht natürlich auch im umgekehrten
Fall, den ich wiederum mit einer Selbstbeobachtung belegen möchte:
32 Mendel: Die Stellung der Pädonephritis. Heft ı
Bei einem ıojährigen Knaben besteht scheinbar seit dem 3. Lebensjahre
eine chronische Pädonephritis. Gelegentlich einer Scharlachinfektion ent-
wickelt sich in der 3. Woche eine typische diffuse Nephritis mit Blutdruck-
steigerung und allgemeinen Ödemen. Nach Abklingen der akuten Symptome
ist der Urinbefund wieder genau der gleiche wie vor dem Scharlach, auch die
Nierenfunktion ist völlig normal. eo o
Wiederum erhebt sich die Frage: Herdnephritis oder diffuse
Nephritis, deren Beantwortung sich je nach dem Ausgang für die
eine oder andere Krankheitsform entscheiden wird, für das Zwischen-
stadium aber offen gelassen werden muß.
Somit kommen wir zu der Überzeugung, daß letzten Endes nur die
Zahl der erkrankten Glomeruli dafür ausschlaggebend ist, ob eine
Herdnephritis oder diffuse Nephritis vorliegt; damit sind die Über-
gänge beider Krankheitsbilder aber so fließend geworden, daß ihre
Trennung unnötig erscheint. Bezüglich der Pädonephritis gelangen
wir mithin zu einer Ablehnung der Auffassung, die sie als Herd-
nephritis betrachtet, wie überhaupt der Begriff der Herdnephritis
als selbständige Krankheitsform von der Klinik am besten aufzugeben
ist. Berücksichtigt man ferner, daß nach Heubners Angaben sehr
häufig der Scharlach die Ursache für die Entstehung einer Pädo-
nephritis ist und daß gerade die Scharlachnephritis der Schulfall
der diffusen Nephritis ist, so sehe ich darin eine weitere Stütze für‘
die Notwendigkeit, die Pädonephritis- als diffuse Nephritis anzu-
sprechen. Damit brechen wir auch mit der im Gegensatz zu Heub-
ners eigenen Angaben stehenden irrigen Meinung von der stets
günstigen Prognose der Pädonephritis und halten uns auch bei
zunächst scheinbar gutartigen Fällen die Möglichkeit später auf-
tretender Folgeerscheinungen vor Augen.
Literaturverzeichnis.
ı. Bratke, Jahrb. d. Kinderheilk. Bd. 89. 1919.
. Stransky, Jahrb. d. Kinderheilk. Bd. 90. 1920.
. Volhard, Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen. Berlin
1918. l
. Heubner, Jahrb. d. Kinderheilk. Bd. 77. 1913.
Derselbe, Erg. d. inn. Med. u. Kinderheilk. Bd. 2. 1908.
Lichtwitz, Die Praxis der Nierenkrankheiten. Berlin 1921.
Mendel, Jahrb..d. Kinderheilk. Bd. 100. 1922.
. Stroink, Jahrb. d. Kinderheilk. Bd. 74. 1911.
. Elis. Schiff, Inaug.-Diss. Heidelberg 1912.
. Siebeck, Beurteilung und Behandlung der Nierenkranken. Tübingen
1920.
Ww N
OO ONDUA
Aus der Kgl. Ung. Franz-Joseph-Universitats-Kinderklinth in Szeged.
(Letter: Privatdozent Dr. E. Hatniss.)
Hämoklasische Krise bei ernährungsgestörten Säuglingen.
Von Dr. Stephan Heller.
Um eine frühe Erkenntnis der Funktionsstörung der Leber zu
ermöglichen, veröffentlichte Widal eine neue Methode auf Grund
der Beobachtung, daß bei Leuten mit gesunder Leber nach Ver-
abfolgung einer eiweißhaltigen Nahrung binnen 20—60 Minuten
Leukocytose, wogegen bei Funktionsstörungen der Leber in oben-
genannter Zeit eine Leukopenie zu verzeichnen ist. Im normalen
Zustand werden die im Darmtrakte nicht vollkommen abgebaut
resorbierten Eiweißprodukte, die Peptone, durch die proteopektische
Funktion der Leber zurückgehalten, wogegen sie bei Erkrankungen
des Leberparenchyms diese Fähigkeit verliert. Die Peptone gelangen
in die Blutbahn und bringen jenen Symptomenkomplex zustande,
welchen Widal „hämoklasische Krise“ benannt hat. Obzwar ein
Teil der Forscher dies als zuverläßliche Probe bei der Unter-
suchung der Leberfunktion anerkennt, bezeichnet ein anderer Teil
sie als unzuverläßlich. Trotz dieser entgegengesetzten Beurteilung,
oder besser gesagt, ebendeshalb, führten wir die Untersuchungen
der „hämoklasischen Krise‘ bei Säuglingen ein, wo, da die Leber-
funktionsstörung einiger Ernährungsstörungen bekannt sind, für die
Wertbeurteilung dieser Untersuchungen sicherere Aufschlüsse zu
erwarten waren.
Meine 39 untersuchten Fälle beziehen sich zum kleineren Teil
auf gesunde, zum größeren Teil auf kranke Säuglinge. Die Unter-
suchungen erfolgten früh auf nüchternem Magen: die Säuglinge
erhielten die letzte Mahlzeit tags vorher um 9 Uhr abends. Ich
muß bemerken, daß ich in gewissen Fällen, sowohl was die Quantität
der Nahrung als auch was die .Zeitintervalle zwischen den einzelnen
Untersuchungen betrifft, von der durch Widal vorgeschriebenen
Methode etwas abgewichen bin, und zwar insofern, daß ich in den-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 3
34 Heller. Heft 1
jenigen Fällen, wo durch Stoffwechseluntersuchungen schon die
funktionelle Störung der Leber festgestellt ist (z. B. bei der alimen-
tären Intoxikation), nur eine sehr kleine Portion der Nahrung ver-
abfolgte, nicht nur wegen einer störungslosen Durchführung der
Therapie, sondern auch, damit wir ersehen können, inwiefern kleine
Dosen die proteopektische Fähigkeit der Leber auf Probe stellen.
Was die Intervalle der Untersuchungen betrifft, zählte ich die Blut-
körperchen — um die Veränderungen besser beobachten zu können —
nach der Nahrungsaufnahme nicht in Intervallen von 20 Minuten,
sondern im Zeitraum von 15 Minuten, der Kontrolle wegen mit zwei
Pipetten untersuchend.
Bei gesunden, frauenmilchernährten Säuglingen mußte
ich Untersuchungen auch durchführen, hauptsächlich darum, weil
in diesen Fällen entgegengesetzte Resultate mitgeteilt worden sind.
In ıo Fällen sah ich immer Verdauungsleukocytose, und
zwar folgend: |
Fall I: 93001)— 11200 — 12500 — 10300 — 10900; Höhepunkt nach 30 Min.
II: 7700 — 11660 — 8500 — 9600 — 7000; a fe. I5
III: 8100 — 9000 — 10100 — 10700 — 12200; es „ 60
IV: 9400 — 9000 — 12800 — 12100 — 8500; i 1» 30
V: 9300 — 12000 — 11300 — 10300 — 11700; = » IS
VI: 5950:— 7900 — 6100 — 7900 — 7600; 5 >» I5
. VII: 8400 — 12900 — 9450 — 9350 — 10000; au » 1S
‚ VIII: 7550 — 10900 — 8450 — 10650 — 9150; 7 „ 15
IX: 12000 — 13850 — 14800 — 14000 — 12300; A „ 30
X: 9850 — 12850 — 12550 — 12000 — 12550; m „o I5
Diese Angaben stimmen gegenüber jenen Schiffs mit den Resul-
taten, welche von Lesne und Langle mitgeteilt worden sind.
Bei alimentärer Intoxikation stellte ich in 7 Fällen Unter-
suchungen an, wobei ich auch das beobachten konnte, wie die Säug-
linge auf minimale Dosen der Nahrung reagieren. Meine Unter-
suchungen vollführte ich nach dem Abklingen der akuten Erschei-
nungen und nach einer 24stündigen Hungerzeit. In allen Fällen
fiel die Probe positiv aus.
Nach Verfütterung von 20—25 g Frauenmilch erreichte die Leuko-
cytenzahl nach 30 Minuten (I. 16 850 -— 16 500 — 13 600 — 13 700;
II. 6150 — 6350 — 5050 — 5800; III. 10 450 — 10 450 — 6400 —
9000) resp. nach 45 Minuten den tiefsten Stand (IV. 72 100 — 11 goo
— 0400 — 7900 — 12 000); bei 25—30 g Eiweißmilch ebenso nach
30 Minuten (V. 11 950 — 8900 — 8500 — 11 200; VI. 13 200 —
1) Die kursive Ziffer bezeichnet die Leukocytenzahl vor der Untersuchung.
Heft 1 Hämoklasische Krise bei ernährungsgestörten Säuglingen. 35
12 350 — 7350 — IO 400), resp. nach 45 Minuten (VII. 13000 —
II 700 — 12000 — I0 400).
Bei schwer dekomponierten Säuglingen hatte ich nur in
2 Fällen Gelegenheit, die Untersuchung ausführen zu können. Nach
Darreichung von I6og Eiweißmilch war Leukopenie zu kon-
statieren, wo der Leukocytenwert in beiden Fällen nach 60 Minuten
den Tiefstand erreichte (I. 8300 — 8400 — 7900 — 6700 — 5500 —
5700; II. 13 500 — 10 400 — 10 600 — 10 500 — g200 — 12 000).
In 2 Fallen chronischer Dyspepsie (welche zur Dystrophie des
Säuglings geführt hatten) stellte sich ebenso Leukopenie ein,
bei einem auf 150 g EiweiBmilch nach 60 Minuten (21 000 — 16 250 —
13 400 — 9500 — 7000), beim anderen auf 120g EiweiBmilch nach
45 Minuten (12 800 — 10 100 — 6400 -- 6200 — II 150). Während
bei den 2 Fällen von chronischer Dyspepsie die Widalsche
Probe positiv war, konnte ich bei Dyspepsie von vorübergehendem
Charakter keine hämoklasische Krise beobachten.
Bei 6 Fällen schwerer und mittelschwerer Enteritis follicularis
waren die Resultate verschieden. In 3 Fällen, bei Darreichung
von 150g Eiweißmilch veränderte sich der Leukocytenwert bis
45 Minuten nur bei einem (I. 9100 — 9000 — 7100 — 6800 — 8200),
bei den anderen bis diese Zeit sozusagen gar nicht, und eine Leuko-
penie tritt nur nachher (60 Minuten) ein (II. 15 500 — 15 500 —
14 750 —- 15 300 — II 000 — 14 250; III. 8300 — 8400 — 8500 —
8700 — 4250 — 5600). Im anderen Falle war eine langsam steigende
Leukocytose zu konstatieren, mit dem Höhepunkt nach 45 Minuten
(IV. 13 450 — 14 850 — 15 450 — 16950 —- 10200). Nach Dar-
reichung von 150g Mehlsuppe wurde in 2 Fallen Leukocytose ge-
funden mit dem Höhepunkt der Leukocytenzahl nach 15 Minuten
(V. 11 400 — 14 500 — 13 200 —- 13 000) resp. 45 Minuten (VI. 6700 —
6400 — 7350 — 8050).
In 9 Fallen der Atrophie ergaben die Untersuchungen, einen Fall
abgerechnet, positive Reaktion. Die Leukopenie war bei Dar-
reichung 1,5 deci saurer kohlenhydratreicher Magermilch zweimal
nach 30 Minuten (I. 10 200 — 7500 — 7250 — I2 250 -- II 320;
II. 8200 — 7700 — 5600 — 6900 — 7600), zweimal nach 45 Minuten
(III. 12 750 — 9400 — Io 200 — 8000 — 9200; IV. 9200 -- 9000 —
7000 — 6000 —6250) zu konstatieren. Bei derselben Nahrung
reagierte ein Säugling mit Leukocytose (V. 6800 — 8500 — 9650 —
5400 — 7500). Nach 1,5 deci Eiweißmilch war in allen 3 Fällen
Leukopenie zu beobachten, mit dem Tiefpunkt nach 30 Minuten
(VI. 8500 — 6800 — 6700 — 7100; VII. 9200 — 8400 — 8000 —
3*
36 Heller. Heft I
10 300; VIII. 7600 — 7600 — 5300 — 10 600), resp. einmal nach
60 Minuten (IX. 24000 — 21 000 — 22 400 — 18000 — 15 200).
Bei luetischen Säuglingen war die Krise am prägnantesten
zu sehen. In 3 Fällen, wo die Untersuchung eingeleitet wurde, sank
die Leukocytenzahl schon während der ersten 15 Minuten (I. 13 800 —
4000 — 6800 — 5800; II. 16 300 — 9000 — 1300 — 11 000; III. 13 000
` — 8000 — 10 200 — 15 100). Es ist aber zu bemerken, daß bei allen
dreien eine hochgradige Lebervergrößerung zu beobachten war.
Nach meinen Untersuchungen fand ich:
A. Hämoklasische Krise:
I. bei alimentärer Intoxikation in sämtlichen untersuchten
Fällen,
. bei den untersuchten zwei Dekomponierten,
. bei chronischer Dyspepsie,
. bei schwerer Atrophie,
. bei Lues congenita.
B. Negative Reaktion:
I. bei den ıo untersuchten gesunden frauenmilchernährten
Säuglingen,
2. bei leichter, vorübergehender Dyspepsie.
C. Verschiedene Resultate bei Enteritis follicularis.
Es ist von Interesse, daß bei alimentärer Intoxikation schon
nach Aufnahme sehr geringer Nahrungsmengen in den
meisten Fällen früh sich einstellende Leukopenie auftrat, was auf
die schwere funktionelle Störung der Leber schließen läßt. Die
schwerkranke Leber der Intoxizierten, wo die Funktionsstörung
schon durch die Stoffwechselversuche von Langstein-Mayer
sowie Pfaundler erwiesen wurde, kann ihre proteopektische Funk-
tion gegenüber kleinen Mengen zur Resorption gelangten Eiweißes
auch nicht erfüllen.
Was die Qualität der Nahrung anbetrifft, so konnte ich die stärkste
Reaktion bei Darreichung von Eiweißmilch beobachten. Ich muB
es eigentlich der Qualität der Nahrung zuschreiben, daß in beiden
Fällen von Enteritis follicularis, als die Säuglinge 10 prozenthaltige
Mehlsuppe — also kohlenhydratreiche Kost erhielten — die Widal-
sche Probe negativ ausfiel. Da diese auf den veränderten Verhält-
nissen des Eiweißstoffwechsels der Leber beruht, konnte die kohlen-
hydratreiche Nahrung die proteopektische Fähigkeit der Leber
nicht auf die Probe stellen. Demgegenüber haben Schiff und
Stransky neuerdings nach Darreichung von kohlenhydratreicher
pw N
Heft I Hämoklasische Krise bei ernährungsgestörten Säuglingen. 37
Nahrung hämoklasische Krise beobachtet, und sie halten die Widal-
sche Probe nicht für eine durch Eiweißstoffe ausgelöste spezifische
Reaktion.
Nach meinen Untersuchungen halte ich die Widalsche Probe
aus diagnostischen Standpunkt nicht für wertlos, "im Gegenteil
bestärken mich diese wenigen, der Vervollständigung harrenden
Versuche in dem Glauben, daß diese Reaktion zur Beurteilung
der Funktionsfähigkeit der Leber verwendbar ist. Diese Auffassung
wird um so gerechtfertigter erscheinen, wenn wir die negative Krise
der gesunden Säuglinge der stets positiven Reaktion der Luetischen
und Intoxizierten gegenüberstellen, wo die Leukopenie mit der
klinisch feststellbaren Leberveränderung sozusagen parallel ging.
In Anbetracht dessen, daß bei chronischer Dyspepsie, Dekomposition
und Atrophie eine hämoklasische Krise zu beobachten war, halte
ich es für wahrscheinlich, daß bei diesen Krankheiten die Leber-
funktion auch gestört ist.
Literaturverzeichnis.
Widal, Abrami, Presse méd. Nr. 31, 1920, S. 893.
Schiff und Stransky, Jahrb. d. Kinderheilk. Bd. 95, 1921, & 286.
Schippers-de Lange, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 33, 1922, S. 169.
Lesne-Langle, Physiologie norm. et pathol. du nourisson 1921.
Aus dem Karolinenkinderspital in Wien.
(Direktor: Prof. Dr. W. Knoepfelmacher.)
Leberfunktionsprüfungen bei Schilddrüsenstörungen.
(Auszugsweise mitgeteilt in der Ges. für Kinderheilkunde in Wien
am 24. I. 1923.)
Von Dr. Otto Pollak.
(Mit 1 Kurve.)
Die langst bekannten Beziehungen zwischen Thyreoidea und
Kohlenhydratstoffwechsel legten den Gedanken nahe, daB ein ge-
wisser Zusammenhang zwischen Funktionsstörungen der Thyreoidea
und solchen der Leber bestehen könnte. Wir haben auf Grund
dieser Erwägungen bei 3 Kindern mit Schilddrüsenstörungen Leber-
funktionsstörungen vorgenommen.
Die ersten 2 Fälle waren Wiener Kinder, bei welchen die Strumen
in der letzten Zeit sehr häufig beobachtet werden. Der 6jährige
Wilhelm W. und das r2jahrige, geschlechtlich noch nicht ent-
wickelte Mädchen Friederike F. hatten parenchymatöse Strumen,
die sich im Laufe von ca. 3 Monaten ausgebildet haben. Der Kropf
bewirkte bei dem Knaben ein erschwertes, schnarchendes Atmen
(röntgenologischer Befund: Kompression der Trachea), ansonsten
war der klinische Befund bei beiden Kindern ohne Besonderheiten.
Der dritte Fall, Ethel K., war eine typische kongenitale Thyreo-
aplasie: das r1jahrige Kind nahm seit dem zweiten Lebensjahre
Schilddrüsentabletten. Vor einem Jahre wurde ihm versuchsweise
Thyreoidea ın die Bauchdecken implantiert. Seitdem bekam es
keine Schilddrüsentabletten mehr; das Implantat scheint aber nicht
zur Funktion gekommen zu sein, so daß das Myxödem komplett
rezidivierte.
Leberfunktionsprüfungen.
I. Die erste Leberfunktionsprüfung, deren wir uns bedient haben,
ist von Glaessner (I) angegeben und wurde von Falk und Sa x] (2).
Heft 1 Leberfunktionsprüfungen bei Schilddrüsenstörungen. 39
Jastrowitz (3) und teilweise auch von Frey (4) bestätigt. Sie be-
steht darin, daß Leberkranke die zugeführten Aminosäuren nicht
gänzlich zu Harnstoff umwandeln, sondern daß sie die Aminosäuren
zum Teil wieder unverbraucht ausscheiden. Glaessner gebrauchte
zu dieser Leberfunktionspriifung 20g Glykokoll; andere Autoren
fanden ähnliche Resultate nach oraler Zufuhr von Leucin ader von
racemischen Formen der Asparaginsäure und des Alanins. Kin-
berg (5) hat gezeigt, daß man zu dieser Probe Gelatine verwenden
kann. Werden 50 g Gelatine zugeführt, so scheidet der lebergesunde
Organismus in den ersten 24 Stunden nach der Gelatinezufuhr
maximal 0,5 g Aminosäurenstickstoffes im Harne aus, der leber-
geschädigte dagegen mehr als 0,5 g.
Bei unseren Versuchen haben wir die letztgenannte Methode von
Kinberg angewendet. Zur Verdeckung des Leimgeschmackes
verabreichten wir die Gelatine im Pudding. Zur Konservierung
des Harnes gaben wir in das Gefäß, in welchem die 24stündige
Harnmenge gesammelt wurde, einige Tropfen Toluol; die Analyse
geschah gleich, nachdem die Menge gesammelt worden war. Zur
quantitativen Bestimmung der Aminosäuren bedienten wir uns der
Formoltitration nach Sörensen!). Die dabei nötige quantitative
Ammoniakbestimmung geschah nach Fohlin. Bei. den Analysen
wurden stets Doppelbestimmungen angestellt, und in der unten
angeführten Tabelle erscheinen Mittelwerte der erst in der zweiten
Dezimalstelle ganz gering differierenden Einzelbestimmungen. Die
Differenzen entsprechen einem Tropfen der Titrationsflüssigkeit.
Diese Leberfunktionsprüfung haben wir auch bei zwei gesunden
. Kontrollkindern angestellt. Die Ergebnisse unserer Versuche zeigt
folgende Tabelle:
| Vor der Gelatine- ' Nach der Gelatinezufuhr
in den ersten |in den nächsten
| futut i ee Stunden 24 Stunden
: A.N 0,210 0,432 0,416 |
Kontrollkinder W.R. 0,199 0,334 0,059 | g Amino-
fki W. W. 0,216 0,675 0,553 säuren-
ISTOpIBnder F. F. |! 0,360 0,708 ? | stickstoff
Myxödem E.K. | 0,113 0,205 | 0,196
Als Grenzwert werden, wie oben erwähnt wurde, 0,5g Amino-
säurenstickstoffes angenommen. Trotzdem wir vor den Versuchen
auch bei den Kropfkindern normale Aminosäurenstickstoffwerte
1) Bei ammoniakreichen Harnen gibt diese Methode schlechte Resultate,
deshalb konnten wir auch einen in der Tabelle fehlenden Wert nicht ermitteln.
40 Pollak: Leberfunktionsprifungen bei Schilddrüsenstörungen Heit 1
fanden, ergab sich nach der Gelatinezufuhr eine deutliche Differenz.
Nur die beiden Kropfkinder zeigten Werte über 0,5, das Myxödem
hingegen wies vor und nach der Probe die geringsten Werte auf.
Bei unseren Kropfkindern sahen wir also
eine abnorm erhöhte Aminosäurenausschei-
dung nach oraler Zufuhr von 50 g Gelatine,
bei Myxödem konnten wir dagegen keine
diesbezügliche Leberfunktionsstörung nach-
weisen. `
2. Zur Kontrolle dieses Ergebnisses ver-
suchten wir bei dem Kropfkinde Wilhelm
W. als zweite Leberfunktionsprüfung die
Kropfkinder Galaktoseausscheidung nach R. Bauer.
222222... Myxödem Bei dieser Leberfunktionsprüfung darf der
Kontrollkinder normale Organismus — was auch mehr-
mals bei Kindern nachgeprüft und bestätigt
wurde — nach oraler Zufuhr von 40g Galaktose nicht mehr als
3g derselben durch die Niere ausscheiden.
Bei unserem Versuche — die Galaktosemenge im Harne wurde
polarimetrisch bestimmt — hat das Kropfkind Wilhelm W. von den
oral zugeführten 40 g Galaktose 3,9 g im Harne ausgeschieden, also
um 0,9g mehr als noch normal zulässig wäre.
3. Die Vidalsche hämoklastische Krise war sowohl bei den Kropf-
kindern als auch beim Myxödem positiv. Es ergaben sich folgende
Leukocytenverminderungen:
0 24h 46h
Kropfkind Wilhelm W. von 12 500 in 20 Minuten auf 7600
i Friedrike T. von 9800 in 15 Minuten auf 6600
Myxödem Ethel K. von 7000 in 35 Minuten auf 5600.
Die Zahl unserer Versuche ist zwar gering. Der Ausfall derselben
berechtigt uns aber darauf hinzuweisen, daß Schilddrüsenstörungen
bei Kindern mit Leberfunktionsstörungen einhergehen bzw. dieselben
im Gefolge haben können.
Literaturverzeichnis.
. Glaeßner, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. Bd. 4, 1907, S. 336.
. Falk und Saxl, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 73, 1911, S. 131.
. Jastrowitz, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 59, 1908, S. 471.
. Frey, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 72, 1911, S. 382.
. Kinberg, Hygiea Bd. 81, 1919, S. 86.
wmh wb
Aus der Kinderklinik der Königl. Ungarischen Elisabeth-Universität,
derzeit im Weißen-Kreuz-Kinderspital zu Budapest.
(Direktor: Prof. Paul Heim.)
Über die Coffeinwirkung im Säuglingsalter.
Von Dr. Uli E. Herzfeld.
Coffein ist eines der wichtigsten und häufig gebrauchten Herz-
mittel. Man könnte glauben, daß die therapeutischen Dosen genau
bestimmt sind, wenn wir aber die Lehrbücher der Kinderheilkunde
betrachten, finden wir auffallend große Abweichungen in der Dosie-
rung. Kleinschmidt bestimmt die Dosis der Säuglinge in 0,05 ccm
4mal täglich per os und subcutan. Birk gibt im Säuglingsalter
bei auftretender Herzschwäche zweistündlich 0,01 Coffein per os,
in schweren Fällen subcutan ebensoviel. Nach Feers Vorschrift:
ist die Dosis des Coffeins im zweiten Halbjahr 0,03 Coffein, von
Jüngeren Säuglingen macht er keine Erwähnung. Lust empfiehlt,
daß die von Lewin angegebene Formel nur als Richtschnur dienen
soll, denn nach beiden Seiten kann und muß von ihr vielfach ab-
gewichen werden, wenn man einerseits die spezifische Überempfind-
lichkeit, anderseits die spezifisch erhöhte Toleranz des kindlichen
Organismus nicht außer acht lassen will. Lust gibt die Dosen von
Coffeinum natrio-benzoicum im ersten Lebensquartal in 0,025—0,05,
3—4mal täglich an. |
Einige Pharmakologen rechnen mit Hilfe einiger gebräuchlichen
arithmetischen Formeln die Dosen, die man im verschiedenen Lebens-
alter geben kann. Junker und Gaubius schreiben für Kinder
unter einem Jahr den 1/,,—*/,,. Teil der Erwachsenendosis vor
(von jedem Heilmittel), ebensoviel das ungarische Lehrbuch der
Pharmakologie. Stokvis und Joung kommen zu demselben Resul-
tat, einerseits das Körpergewicht, anderseits das Lebensalter der
Säuglinge der Berechnung zugrunde legend. Duret benützt zur
Berechnung der Dosis eine Bruchzahl, deren Zähler die Zahl der
Jahre, der Nenner 2o ist, und das erste Jahr teilt er noch in 10 Teile,
42 Herzfeld. Heft r
so daß ein 2 Monate alter Säugling den ?/æọ soviel wie */199. Teil
der Erwachsenendosis bekommen kann.
In folgendem haben wir systematische Untersuchungen angestellt,
wie die Wirkung der verschiedenen Coffeindosis im verschiedenen
Alter bei gesunden Säuglingen ist. (Unter gesunden Säuglingen
wollen wir immer nur solche verstehen, bei welchen keine Erkrankung
mit Zirkulationsstörung vorhanden ist.) Unsere Wahl traf darum
solche Säuglinge, bei welchen keine Kreislaufstörungen zu finden
waren, damit wir so die eventuellen schädlichen und toxischen Ein-
flüsse des Coffeins leichter und genauer beobachten können. Unter
den Kindern sind einige über ı Jahr alt, sie waren aber in der
Entwicklung hinter ihren Altersgenossen stark zurückgeblieben und
lagen auch im Spital auf der Säuglingsabteilung.
Coffein wirkt hauptsächlich auf das Zentralnervensystem, auf die
Zirkulation (Herz) und Diurese. Wir haben folgende Wirkungen
beobachtet: genau wurde der Blutdruck, Puls und Atemfrequenz
registriert. Wir haben mit Aufmerksamkeit das Benehmen der
Kinder verfolgt, ob sie nicht unruhig, aufgeregt wurden, ob sie
geschlafen haben, wie sich die Stuhlbeschaffenheit, der Appetit,
die Urinentleerung, das Gewicht, die Körperwärme verändert hat
und ob Erbrechen aufgetreten ist. Bei der Beurteilung der toxischen
Wirkung des Coffeins haben wir es für wichtig gehalten, das Ver-
halten der Gewichtskurve pünktlich zu beobachten. Die Gewichts-
veränderung spielt bei Erwachsenen keine Rolle, doch im Säuglings-
alter ist die gleichmäßige Körpergewichtszunahme eines der wich-
tigsten Kriterien der Gesundheit. Als wir an gesunden Kindern die
Coffeinwirkung beobachteten, hatten uns folgende Gesichtspunkte
geführt: r. Ein großer Teil der kranken Kinder ist bei schlechter
Laune und meist unruhig, weint viel, so daß es die Registrierung
des Blutdrucks, Puls und Atemfrequenz sowie die Beurteilung der
erregenden Wirkung des Coffeins wesentlich erschwert. 2. Die
Grewichtskurve schwerkranker Kinder sinkt oder, wenn sie auch halt-
macht, zeigt sie größere Schwankungen, so daß ein ev. durch die
toxische Wirkung des Coffeins hervorgerufener Gewichtssturz
nicht so auffallend ist. Wir haben es für notwendig gehalten, fest-
zusetzen, welches die maximale Coffeindosis, die von gesunden
Säuglingen ohne jeden Schaden vertragen wird, bei welcher weder
Gewichtsabnahme, Durchfall, Erbrechen, Fieber, Appetitlosigkeit
noch auffallende Unruhe oder ev. Kreislaufstörung auftritt.
Unsere Untersuchungsmethode war folgende: wir benützten in 9 Fällen
eine Coffeinlösung, wie sie aus der Apotheke in Ampullen geliefert war, in den
Heft 1 Uber die Coffeinwirkung im Säuglingsalter. | 43
übrigen Fällen verwendeten wir eine von uns selbst hergestellte 20 proz. Lösung
des Coffeinum natrio-benzoicum (einmalige Sterilisierung). Die Dosierung
geschah in Form von subcutanen Injektionen. Die Kinder wurden immer
in liegender Lage untersucht. Die Zählung der Puls- und Atemfrequenz haben
wir schon eine Viertelstunde vor der Injektion angefangen und zählen in dieser
wie in folgender Zeit dies jede 5 Minuten. Die Blutdruckmessung haben wir
ca. jede 5 Minuten ausgeführt mit dem Recklinghausenschen Tonometer,
immer zu einer Zeit, als die Kinder nicht weinten. Die Blutdruckwerte sind in
H,O cm angegeben. Die Beobachtung der Kinder in dieser Weise dauerte
2 Stunden lang. Das Gewicht der Säuglinge wurde täglich einmal, in einigen
Fällen auch vierstündlich gewogen. Die Körperwärme wurde außer früh und
abends auch knapp vor und nach dem Versuch gemessen. In einigen Fällen
batte dasselbe Kind die gleiche Dosis Coffein mehrmals bekommen, damit
wir die Änderungen der Gewichtskurve genauer beobachten können.
Bei der Analyse der Coffeinwirkung bezüglich der verschiedenen
Funktionen können wir folgendes hervorheben:
Die Atemfrequenz ändert sich nicht auffallend nach 0,20 Coffein.
Unter normalen Verhältnissen sehen wir große Schwankungen
in der Atemfrequenz im Zusammenhange mit dem Weinen und den
Umständen des Kindes, und demgemäß sahen wir keinen Unterschied
nach den Coffeininjektionen. In einem Fall (18), als wir 3 x 20 Cof-
fein gaben, sahen wir nach der ersten Injektion große Schwankungen
in der Atemfrequenz (20—70), nach der zweiten und dritten war die
Atmung verhältnismäßig ruhig, obgleich das Kind in dieser Zeit
auch geweint hat.
Nach 0,30 Coffein ist die Atemfrequenz etwas schwankender,
die Exkursionen sind etwas größer, aber diese können nur indirekt
auf die Coffeinwirkung zurückgeführt werden, weil die etwas höheren
Maxime mit dem Weinen und der sichtbaren Unruhe des Kindes
zusammenfallen.
Blutdruck: Nach 0,20 Coffein änderte sich der Blutdruck
nicht wesentlich, ebensowenig nach 3 X 0,20 Coffein. Einmal sahen
wir nur nach einmaliger Coffeininjektion eine Differenz von 25 H,Ocm.
In 2 Fällen, als das Kind 3 x 0.20 Coffein erhielt, erhöhte sich der
Blutdruck überhaupt nicht und zeigte auch keine Schwankungen.
Die maximale Differenz war unter normalen Verhältnissen zo H,O cm
(95—115), nach Coffeingabe 25 H,O cm (110—35).
Nach 0,30 Coffein stieg der Blutdruck nicht auffallend, die maxi-
male Differenz bei demselben Kind war 20 H,O cm, im allgemeinen
war die Differenz 10—ı5 H,O cm, sowie unter normalen Verhält-
nissen. Der Blutdruck wurde nur in 2 Fällen pünktlich bis zu Ende
beobachtet, bei einem Kinde waren wir während des Versuches
44 Herzfeld. Heft ı
zweimal 15—15 Minuten lang wegen der groBen Unruhe und dem
Weinen in der Blutdruckmessung verhindert.
Der Schlaf hatte keinen auffallenden Einfluß auf den Blutdruck,
in 8 Fällen konnten wir den Übergang vom ruhigen Zustand in Schlaf
beobachten, unter diesen war bei einem Kinde gar keine Änderung,
zweimal eine Erhöhung von ıoH,Ocm, in 5 Fällen eine Senkung
von 6—15 H,O cm solche Werte, welche von den normalen Schwan-
kungen nicht abweichen.
Pulsfrequenz: Nach 0,20 Coffein und 3 x 0,20 Coffein zeigt
die Pulzahl keine ständige bestimmte Vermehrung, zwischen 14 Fäl-
len sahen wir nur zweimal eine ausgesprochene Erhöhung der Puls-
zahl und einmal nach 3 x 0,20 Coffein.
Von 3 Fällen, wo wir 0,30 Coffein gaben, war die einzige auffallende
Änderung, daß die Pulszahl größere Schwankungen zeigte als vorher,
die Differenz zwischen dem Maximum und Minimum war größer.
Stuhlbeschaffenheit: Nach 0,30 Coffein änderte sich der Stuhl
bei einem Kind gar nicht, bei 2 Kindern sahen wir häufigeren Stuhl-
gang.
Von ıı Fällen nach ı x 0,20 Coffein wurde die Stuhlbeschaffen-
heit einmal schleimiger, in den anderen Fällen keine Änderung.
Nach 3 x 0,20 Coffein von ıı Fällen wurde der Stuhl bei 2 Kin-
dern schleimiger und häufiger, alle beide sind jüngere und früher
schwer geschädigte Kinder, die ihr altersgemäßes Entwicklungsgrad
noch nicht erreicht haben. Von diesen Säuglingen der eine, als er
schon weit über das Reparationsstadium hinaus war und I!/,kg
seit der letzten Coffeininjektion zu sich genommen hat, zeigte ın
der Stuhlbeschaffenheit nach 3 X 0,20 Coffein keine Änderung.
In 8 Fallen nach 3 x 0,10 Coffein und bei ebensovielen nach
3 X 0,05 Coffein und in g Fallen nach 1 x 0,10 Coffein veranderte
sich der Stuhl nicht.
Da wir nur solche Kinder zur Beobachtung aussuchten, die ständig
gute Stuhlbeschaffenheit zeigten und unmittelbar nach dem Versuchs-
tag oder höchstens in I—2 Tagen die normale Konsistenz der Stühle
zurückkehrte, können wir das Zustandekommen der schleimigen
Stühle nur auf nervösem Wege erklären.
Erbrechen: Von 3 Kindern, die 0,30 Coffein bekamen, reagierten
alle mit Erbrechen ı—2 mal, ein Kind mit habituellem Erbrechen
hat 4mal, ein Kind hat auch noch den nächsten Tag gebrochen.
Von ıı Fällen in vier nach 3 x 0,20 Coffein sahen wir kein Er-
brechen, zwei ältere (20 und 12 Monate alte) in gutem Zustand
befindliche Kinder haben nicht gebrochen. Ein Kind hat das erste-
Heft ı Über die Coffeinwirkung im Säuglingsalter. 45
mal 6mal, ı!/, Monate später nicht einmal gebrochen. Zwei solche
Säuglinge haben wir gesehen, bei welchen 5—6mal Erbrechen auf-
getreten ist, eines wiederholt im Strahl, Ein 17 Monate altes, in
gutem Zustand befindliches Kind hat auch einmal, 2 Kinder haben
noch den nächsten Tag, das eine 4mal gebrochen. Das Erbrechen
ist immer nur nach der zweiten oder dritten Injektion aufgetreten.
Nach I x 0,20 Coffein haben von ıı Kindern 4 gebrochen, bei
einem sahen wir auch sonst habituelles Erbrechen.
Von 8 Fällen nach 3 x 0,10 Coffein sahen wir in 3 Fällen Er-
brechen, ein Kind hat 3mal gebrochen, sämtliche nach der dritten
Injektion.
Nach 1 x 0,10 Coffein trat kein Erbrechen auf.
Auf 3 x 0,05 Coffein reagierten von 8 Kindern 3 mit Erbrechen,
von denen 2 früher an habituellem Erbrechen litten, jetzt aber seit
Monaten kein Erbrechen aufgetreten ist.
Appetit: Nach 0,30 Coffein sahen wir von 3 Kindern bei einem
verringerten Appetit.
Nach 3 x 0,20 Coffein sahen wir von ıı Fällen in 5 verringerten
Appetit, bei 3 Kindern auch noch den nächsten Tag.
Nach ı x 0,20 Coffein ist von ıı Fällen 2mal Appetitlosigkeit
aufgetreten.
Nach 3 x 0,10 und I x 0,10 Coffein tranken die Kinder mit
gutem Appetit.
Nach 3 x 0,05 Coffein hat sich der Appetit von 8 Kindern nur
bei einem früher schwer geschädigten verringert, sowie am Versuchs-
tag und auch den folgenden Tag.
Diurese: Die 24stündliche Urinmenge war an normalen Tagen
durchschnittlich zwischen 320 und 392 ccm an einem der Coffein-
gabe folgenden Tag sank die Urinmenge (von 24 Stunden) auf 194 ccm
(diesen Tag 190g Gewichtszunahme). An solchen Tagen, an denen
wir Coffein gaben, schwankte die 24stündliche Urinmenge zwischen
270 und 490ccm (an dem Tag, wo die Urinmenge 490 ccm war,
120g Gewichtszunahme). Zusammenfassend können wir sagen,
daß in den sechs untersuchten Fällen keine Steigerung der Diurese
infolge der Coffeingabe eingetreten ist.
Gewicht: Nach 0,30 Coffein ist von 3 Fällen in zweien eine
Gewichtsabnahme von I5og eingetreten, bei einem früher schwer
geschädigten Kind sahen wir einen Gewichtsverlust von 2408.
Bei diesem sind ähnliche Gewichtsschwankungen auch früher auf-
getreten. Die Körpergewichte der Kinder waren zwischen 3250 bis
5100 g.
46 Herzfeld. Heft 1
3 x 0,20 Coffein verursachte bei 6 Kindern einen Gewichtsverlust
von I30—430 g, ein Kind (VI) hat 40 g zugenommen. Dasselbe
Kind, welches das erstemal 430g abgenommen hatte, reagierte
auf dieselbe Dosis Coffein ı!/; Monate später mit 120g Gewichts-
zunahme. Bei den zwei jüngsten früher schwer geschädigten Kindern
sahen wir die größte Gewichtsabnahme. Die Körpergewichte der
Säuglinge waren zwischen 3600 und 7800 8.
Von ıı Kindern haben 2 nach I x 0,20 Coffein zugenommen,
bei 9 Säuglingen ist ein Gewichtsverlust von 50--170 g aufgetreten.
Vormals haben alle kontinuierlich an Gewicht zugenommen, so daß
die Gewichtsabnahmen sicher auf die Coffeininjektionen zurück-
zuführen sind. |
3 x 0,10 Coffein verursachte von 8 Kindern bei 4 keine Gewichts-
änderung oder minimale (40 g) Schwankung in der Gewichtskurve.
Ein Säugling hatte 350g abgenommen (3850 g Lues cong.), bei
3 Säuglingen sahen wir eine Gewichtsabnahme von 140—150 g.
Das Körpergewicht der untersuchten Kinder schwankte zwischen
3850—8600 g. Ein früher schwer geschädigtes Kind zeigte nach
2 x 0,10 Coffein einen Gewichtsverlust von 160 g.
3 X 0,05 Coffein verursachte in 3 Fällen von 8 Kindern eine Ab-
nahme von go—-170—-170 g (4590 g — 3870 g — 6850 g). In 5 Fällen
bei täglich wiederholter Dosierung sahen wir entweder Zunahme
oder minimale Gewichtsschwankungen.
I x 0,10 Coffein verursachte in 8 Fällen keine Veränderung,
nur ein mikrocephales Kind reagierte mit ıgog Gewichtsabnahme.
Im allgemeinen kann man von den Gewichtsabnahmen sagen, daß
die Gewichtskurve den 2. Tag nach der Coffeininjektion zu steigen
. anfängt und in einem oder dort, wo größere Gewichtsabnahmen waren,
in 2 oder höchstens in 3 Tagen das ursprüngliche Niveau erreicht.
Da wir auch in solchen Fällen Gewichtsabnahme sahen, wo weder
das Erbrechen noch die Verschlechterung der Stuhlbeschaffenheit
noch die Steigerung der Diurese in Anschlag kommen kann, ist die
Änderung der Gewichtskurve der Perspiratio insensibilis zuzu-
schreiben.
: Körpertemperatur: Nach 0,30 Coffein sahen wir in 2 Fällen
Fieber, bei einem Kinde am Tage der Injektion 37,3°, bei dem
anderen den darauffolgenden Tag 37,2°.
3 x 0,20 Coffein verursachte bei einem Säugling subfebrile Tempe-
ratur, in einem Falle am Tage nach der Injektion 39,3° (zugleich
430 g Gewichtsabnahme). Bei einem Kind stieg die Temperatur
während des Versuches von 37,1° auf 37,3° (indessen 4 mal Eklampsie),
Heft 1 Über die Coffeinwirkung im Säuglingsalter. 47
das andere Mal beim selben Kind nach der dritten Injektion 2 mal
Eklampsie (mikrohydrocephales Kind) und eine Temperaturerhöhung
von 36,9° auf 37,4.
Nach 1 x 0,20 Coffein und 1 x 0,10 und 3 x 0,10g keine Ande-
rung, nur bei einem Kind an dem Tag nach der Injektion, als der
Gewichtssturz von 350g zur Beobachtung kam, Fieber 39°, schon
am Versuchstag eine Temperaturerhöhung von 37,7°.
Psyche: Von 3 Fallen nach 0,30 Coffein fanden wir bei einem
Kind eine ausgesprochene Unruhe, die zwei anderen waren auch
ziemlich erregt und unruhig, aber trotzdem schliefen sie nach der
Injektion fiir kiirzere Zeit ein.
Auf 3 x 0,20 Coffein reagierten von 7 Kindern 3 mit schlechter
Laune, wenn wir aber mit ihnen spielten, wurden sie ganz heiter.
Ein Kind weinte viel, ein anderes war ganz ruhig, ein Säugling ist
nach der zweiten Injektion für eine kurze Zeit, eine halbe Stunde
nach der dritten Injektion, auf 40 Minuten eingeschlafen.
I x 0,20 g Coffein verursachte von g Fällen zweimal große Unruhe,
4 Kinder schliefen trotz der Pulszählung und Blutdruckmessung.
Nach 3 x 0,10 Coffein war ein Kind bei schlechter Laune, zwei
Sauglinge waren sehr unruhig (bei einem 350g Gewichtssturz).
Nach I x 0,10 Coffein weinten zwei Kinder etwas mehr den ganzen
Tag. |
Nach 3 x 0,05 Coffein keine Änderung. Ä
Bei einem mikrocephalen Kind verursachte 0,30 Coffein 4mal
Eklampsie, 3 x 0,20 Coffein nach der dritten Injektion 2 mal Eklamp-
sie, Achilles- und Patellarklonus, während dieses Versuches ständig
spontane Babinskystellung. Die Auslösung vom Patellarklonus
ist noch den folgenden Tag gelungen. ı x 0,20 Coffein verursachte
das eine Mal Eklampsie, das andere Mal konnten wir ®/, Stunden
nach der Injektion Achillesklonus auslösen.
Diese Daten zeigen uns deutlich, daß bei der Coffeinwirkung
wesentliche Unterschiede zwischen dem Säuglings- und dem Er-
wachsenenalter bevorstehen, aber auf alle Fälle können wir das
Säuglingsalter nicht einheitlich betrachten, weil auch dort grund-
sätzliche Unterschiede sind. Früher geschädigte Kinder zeigen eine
auffallende Überempfindlichkeit gegenüber anderen Kindern des
gleichen Alters auch dann, wenn sie schon längere Zeit über das
Reparationsstadium hinaus sind und gleichmäßige Gewichtszunahme
aufweisen können. Wenn wir von diesen Fällen absehen und nur
die anderen Kinder betrachten, finden wir, daß man unverhältnis-
mäßig große Coffeindosen verabreichen kann, ohne daß in der Zir-
48 Herzfeld. Heft 1
kulation oder Respiration die kleinste Änderung eintreten möchte.
Wenn wir diese Dosen fiir normal im Säuglingsalter annehmen
wollten und mit Hilfe der bekannten Formeln die Dosen der Er-
wachsenen ausrechneten, bekämen wir schwer toxische Dosen für
das Erwachsenenalter.
Diese Untersuchungen zeigen uns klar die außerordentliche Emp-
findlichkeit des Stoffwechsels und der Darmprozesse im Säuglings-
alter. Solche Coffeindosen, die vielmals kleiner sind als diese, die
überhaupt wirksam sind auf die Zirkulation und auf das psychische
Benehmen, führen zu beachtenswerten Gewichtsabnahmen. Wollten
wir die toxische Dose im ersten Lebensjahr festsetzen, da müßten
wir in erster Reihe unsere Aufmerksamkeit der Gewichtskurve
und dem Verhalten des Verdauungstraktus schenken. Bei der Fest-
setzung der toxischen Dose muß man immer diese kleinste Dose
nehmen, die noch irgendeine schädigende Wirkung ausübt. Aus
diesem Gesichtspunkt ist die Dosierung der üblichen 0,05 Coffein
mehrmals täglich auch nicht in jedem Falle erlaubt, denn bei früher
schwer geschädigten und schwachen Kindern ist damit eine toxische |
Wirkung auslösbar, dagegen bei älteren Kindern können viel größere
Dosen wirkungslos sein oder wenigstens zu keinen klinischen Sym-
ptomen führen.
Aus praktischem Gesichtspunkt ist hervorzuheben, daß die Stoff-
wechselvorgänge (Magen und Darmtraktus) eine ganz andere Emp-
findlichkeit gegenüber Coffein zeigen als die Kreislauforgane und
das Zentralnervensystem. Bei Erwachsenen, wenn von der toxischen
Dose die Rede ist, kommen hauptsächlich die letzteren in Betracht,
bei Säuglingen dagegen sind gerade der Zirkulationsapparat und das
Zentralnervensystem (psychisches Benehmen) die, die größte Toleranz
gegenüber dem Coffein aufweisen. Gute Beispiele zeigen dafür die
Versuche, wo die Kinder für kürzere oder längere Zeit ruhig ein-
schliefen.
Coffein wird im Säuglingsalter hauptsächlich als Herzmittel be-
nützt, und es ist unwahrscheinlich, daß wenn so große Dosen keine
auffallende Wirkung auf die Zirkulation haben, die vielfach kleineren
‘Dosen eine therapeutische Wirkung ausüben könnten. Bei Er-
wachsenen liegen die gewöhnlichen Dosen nicht weit von den toxi-
schen, jedenfalls darunter. Bei Säuglingen aber sind die Mengen,
die auf den Stoffwechsel toxisch wirken, viel kleiner als die Mengen,
die auf den Kreislauf überhaupt eine Wirkung ausüben. Man kann
die Möglichkeit nicht ausschließen, daß wenn unter pathologischen
Verhältnissen die Zirkulation gestört ist, 0,05 Coffein und noch
Heft 1 Über die Coffeinwirkung im Säuglingsalter. 49
kleinere Coffeinmengen eine günstige Wirkung auf die Zirkulation
entfalten können, dagegen aber muß man mit der Möglichkeit rech-
nen, daß die schädigende Wirkung auf den Magen und Darmkarfal
ausgeprägter wird. Um so eher kann man daran denken, da in
Fällen, bei denen Schädigungen vorausgegangen sind und, obgleich
die Kinder zur Zeit des Versuches schon in gutem Zustand waren,
toxische Symptome aufgetreten sind.
Eine bestimmte Antwort zu geben auf diese Frage ist nur bach
genauer Beobachtung mehrerer Fälle mit Zirkulationsstörung mög-
lich, von denen werden wir später berichten.
Literaturverzeichnis.
Kleinschmidt, Therapeutisches Vademekum für die Kinderpraxis.
Birk, Leitfaden der Säuglingskrankheiten.
Feer, Lehrbuch der Kinderheilkunde. 1920.
Lust, Diagnostik und Therapie der Kinderkrankheiten
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 4
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Debreczen.
(Vorstand: von Szontagh.)
Über Ekzemtod.
Von Dr. Johann v. Petheö, I. Assistent der Klinik.
Wohl die unangenehmsten Erkrankungen des Säuglings- und
Kindesalters sind sowohl für die Angehörigen wie auch für den be-
handelnden Arzt die ekzematösen Erscheinungen. Die Ekzem-
diathese produziert von ihrer ersten Erscheinung an die verschieden-
artigsten Hauterkrankungen, ohne daß der Arzt den Grund des
Leidens irgendwie zu beeinflussen vermöchte. Einige vererbte
Krankheiten und viele Ernährungsstörungen werden von Haut-
veränderungen begleitet, die mit unglaublicher Hartnäckigkeit —
allen Behandlungen trotzend — monatelang bestehen, dann plötz-
lich verschwinden, um von neuem wieder zu erscheinen. Es gibt
keine Ekzemart, die wir beim Säugling 'nicht antreffen würden,
und sozusagen heute kaum einen Säugling, der von ekzematösen
Erscheinungen ganz verschont wäre” Besonders gilt dies für die
Nachkriegszeit, wofür ein Grund vielleicht im Herunterkommen
der hygienischen Verhältnisse, in schlechter Ernährung und in dem
sozialen Kriegselend zu suchen wäre. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß die Entstehung des Ekzems nicht allein von den heutigen un-
seligen Zuständen verschuldet wird, sondern daß Vererbung (er-
erbte Disposition) wichtige Faktoren sind. Die Therapie stellt den
Arzt vor ein schwieriges Problem derart, daß längere Erfahrung
ihn auf das Prinzip des noli me tangere verweisen. Beim Säuglings-
ekzem kann man sehr eigenartige Erscheinungen feststellen. Ich
beohachtete einen Fall seit ungefähr einem Jahre, wo das Ekzem
seit der Geburt besteht, und zwar einmal in stärkerer, ein anderes Mal
in milderer Form. Hiernach richtet sich das Allgemeinbefinden des
Säuglings: wenn das Ekzem im Schwinden ist, ist er unruhig, reagiert
mit Temperatursteigerung und Abführen, wenn es in der Blüte steht,
ist das Befinden gut und auch gewisse Zunahme zu konstatieren.
Heft 1 Uber Ekzemtod. 5I
Blühen und Verschwinden variieren mit gewisser Regelmäßigkeit;
ohne daß das Ekzem irgendwie behandelt worden wäre, trocknet
es ungefähr dreiwöchentlich ganz ab, es stellen sich Gewichtsverlust,
Erregung, Appetitlosigkeit und hohe Temperatur ein, lauter Er-
scheinungen, für die ein genügender Grund nicht angegeben werden
kann. Nach einiger Zeit erscheint das Ekzem von neuem, wobei
sich der entgegengesetzte Befund einstellt. Was eigentlich sich im
Organismus hierbei abspielt, entzieht sich ganz unseren Kenntnissen.
Wahrscheinlich spielt sich im intermediären Stoffwechsel eine Störung
ab. Es hat den Anschein, als würde der Organismus ein Ekzem
entstehen lassen, um hiermit einer größeren Gefahr zu entgehen.
Man kann eine gewisse Äquivalenz zwischen Ekzem und einigen
Krankheiten nicht leugnen. Oft konnte ich beobachten, daß nach
dem Verschwinden des Ekzems sich Bronchitis, Koryza, Tonsillitis
usw. entwickelten. Auch ist es auffallend, daß bei starken Durch-
fällen das Ekzem verschwindet, ganz so wie z. B. nach Auftreten
von Masern die bis dahin hartnäckig bestandene Prurigo sich völlig
zurückbildet, um nach Abheilen der Masern wieder zu erscheinen.
Bei Asthma ist das Verhalten des Ekzems bekannt: die neuropathi-
schen Symptome rücken in den Vordergrund, wenn das Ekzem
verschwindet oder z. B. sich eine Meningitis entwickelt. Auch reagiert
der Säugling auf eine ihm nicht zusagende Diät mit Ekzem. Es sind
dies alles Tatsachen, welche in der Therapie des Ekzems wichtig
in die Wagschale fallen. Der Glaube, daß das Ekzem von äußeren
Faktoren bedingt würde, verliert immer mehr an Kraft. So wie die
Säuglingsfurunkulose entsteht auch das Ekzem infolge Einwirkung
innerer Faktoren auf endogenem Wege.
An unserer Klinik verwendete ich in der Therapie intravenöse
Calciuminjektionen mit Rücksicht auf einen evtl. Ekzemtod nur mit
großer Vorsicht. Diese Vorsicht ist geboten. Denn wenn auch das
Ekzem nach der Injektion rasch heilt, belehren uns die später ein-
tretenden Temperatursteigerungen, das Verfallen der Säuglinge usw.
eines Besseren, so daß wir diese Therapie als eine nicht ganz harmlose
nur mit gewissen Beschränkungen anwenden. Wir haben nach Calcium
in allen Fällen Temperaturabfall beobachtet, die Säuglinge reagieren
also auf eine nicht erwartete Art, und es schien, als würde das bis
hierher bestandene Gleichgewicht im Organismus eine Störung
erfahren haben. Dieselben beunruhigenden Symptome beobachtete
ich nach starken antiekzematischen Kuren. Es hat also den An-
schein, daß den Verlauf des Ekzems zu unterbrechen nicht ratsam,
ja sogar unzulässig sei. Ich huldige spontan jener alten Auffassung,
4*
52 v. Petheö. Heft ı
die das Ekzem in gewissen Fällen für den Organismus als gleichsam
notwendig erklärte. Moro bemerkt bei der Behandlung des Ekzems,
daß er die Möglichkeit des Nachinnengeschlagens, wenn er es auch
nicht in allem unterschreibt, nicht ganz verwirft; eine nähere Er-
klärung könne er aber für den ab und zu auftretenden Ekzemtod
nicht geben, bemerkt bloß, daß dieser bei pastösen Individuen
in den ersten Frühlingsmonaten zur Zeit der Frühlingsgipfel des
Ekzems vorkomme. Hinsichtlich des Frühlingsgipfels möchte ich
nur hinzufügen, daB ich einen solchen auch im Herbst beobachten
konnte.
‚Der Ekzemtod ist eine ziemlich seltene Erscheinung. Während
der vergangenen vier Jahre hatte ich die Gelegenheit, teils im Buda-
pester Johannes-Spital, teils an der Säuglingsabteilung der Debre-
czener Universitäts-Kinderklinik 8 Fälle von Ekzemtod zu beobachten,
und von einigen diesen stehen uns eingehendere anatomisch-patho-
logische und histologische Befunde zur Verfügung. Einen kurzen
Auszug aus den Krankengeschichten und pathologisch-histologischen
Befunden teile ich im folgenden mit:
ı. M. K. A., 2 Monate alt, aufgenommen am 15. I. 1921. Schlecht genährter
und entwickelter, blasser Säugling, mit einem frühalten Gesichtsausdruck
und schlechtem Turgor. In den Kniebeugungen, Achselhöhle, am Hals und
in den Inguinalgegenden stark nässender Intertrigo, am Schädel eitrige Kruste,
anı Gesicht und an den Ohren feuchtes Ekzem. Innere Organe ohne Befund.
Stuhl dyspeptisch, Nahrung Muttermilch. Der Säugling befand sich 3 Monate
lang unter unserer Behandlung, während dieser Zeit nahm er 2 kg zu, sein
Ekzem besserte sich, bald aber schlechterte es sich, bis es endlich am 25. V.
nach einer Behandlung mit milder Bleisalbe plötzlich heilte. Zwei Tage darauf
am 28. V. traten hochgradige Unruhe, Dyspnöe, gelinde Cyanose und Appetit-
losigkeit auf. Temperatur 37,6°. Elf Uhr nachts plötzlich 41,8°, Kollaps,
mäßige Krämpfe am ganzen Körper, starke Dyspnöe, Cyanose, Aceton in der
Atemluft und eine halbe Stunde hierauf trat der Tod ein. Der Obduktions-
befund (Doz. K. Minnich, Budapest) konnte außer geringfügiger Rachitis
nichts nachweisen, was den Tod hätte erklären können. Der histologische
Befund der wichtigeren Organe (Leber, Herz, Nieren) zeigte bloß Hyperämie,
andere Veränderungen waren nicht nachzuweisen.
2. R. E., 5 Monate alter Säugling, wurde am 26. XI. 1920 mit der Klage
aufgenommen, daß er seit 2 Monaten am ganzen Körper an Ausschlägen leidet,
daß der Milchschorf am Gesicht und Kopf auf keine Behandlung reagierte und
nach einer neueren Behandlung sich das Ekzem besserte. Trotzdem befindet
sich das Kind nicht gut und sei zuwider, unruhig. Der Säugling ist blaß, stark
abgemagert, Muskulatur schlaff, an der Haut ist ein ausgebreitetes, beinahe
geheiltes Ekzem sichtbar. Am Gesicht und am Scheitel noch nässendes, aber
schon auf dem Wege der Besserung sich befindliches Ekzem. Leichte Bron-
chitis, Stuhl schleimig grünlich. Wir nähren ihn mit Bengerschem Kindermehl;
die Symptome bessern sich nach einigen Tagen nicht. Am ı. XII. Temperatur-
Heft 1 Uber Ekzemtod. 53
steigerung bis 38°, Erbrechen und eine sich immens steigernde Unruhe. Am
folgenden Tage verschwindet das Ekzem gänzlich. In der Nacht plötzlich
41,6° hohe Temperatur, Cheine-Stokessche Atmung, Cyanose, Krämpfe,
Aceton in der Atemluft, nach einer Stunde Tod. Die Obduktion (Dozent
Dr. K. Minnich, Budapest) konnte keine derartigen Veränderungen finden,
mit denen der plötzliche Tod erklärt werden könnte. Die histologischen Be-
tunde der Hauptorgane zeigten nichts Besonderes.
3. H. J., 3 Monate alt, aufgenommen am 20. XI. ı920 mit der Beschwerde,
daß der Milchschorf, welcher seit der 5. Lebenswoche besteht, dauernd sich
verschlechtert, verbreitet und daß das Kind sich nicht entwickelt und ständig
bricht. Der Säugling ist stark abgemagert, Fettpolster sozusagen ganz ver-
schwunden, Muskulatur schlaff, Intertrigo, nässendes Ekzem auf der ganzen
Haut, am Gesicht und Scheitel fingerdicke eitrige Krusten. Der Säugling ist
unruhig und erbricht oft, normaler Stuhl; innere Organe weisen keine beson-
deren Veränderungen auf. Nahrung Ammenmilch. Nach Reinigung der
eitrigen Krusten leichte Borsalbe auf die verletzten Stellen. 4 Tage lang keine
besondere Veränderung im allgemeinen Zustand, nur das Ekzem bessert sich.
Am 2. XII. nachts ohne jeden Vorgang plötzlich 42,5° Temperatur, Krämpfe,
Cyanose, Cheine-Stokessche Atmung, Aceton in der Atemluft und nach einigen
Minuten Tod. Der Sektionsbefund (Doz. Dr. K. Minnich, Budapest) negativ.
4. M. A., ı Monat alter Säugling, aufgenommen am 2. IJ. 1920. Bei der
Aufnahme Gewicht 2350 g, schwacher Turgor, Zustand stark herabgekommen.
3 Monate lang befand er sich unter unserer Behandlung. Nahrung im Anfang
Ammenmilch, später noch Buttermilch. Entwicklung ist nicht zufrieden-
stellend, Zunahme kaum ı kg. Am Anfang Mai gesellt sich zum Krankheits-
bild ein schweres Ekzem, das mit Borvaseline behandelt wurde und sich nur
langsam besserte. Am 24. V. stellte sich leichte Bronchitis ein mit mäßiger
Temperatursteigerung. Am 25. V. Unruhe am Abend, plötzlich 43,6° hohe
Temperatur, Aceton in der Atemluft, später eklamptische Krämpfe, Dyspnöe,
Cyanose und nach einer Stunde Tod. Die Sektion (Doz. Dr. K. Minnich,
Budapest) konnte keine Todesursache nachweisen.
5. K.G., 6 Wochen alter Säugling, aufgenommen am 27. I. 1920 mit akuten
dyspeptischen Symptomen. Magerer Säugling mit schlechtem Turgor, Stuhl
grünlich-schleimig. Lunge, Herz normal. Bekommt Muttermilch, trotzdem
keine Entwicklung. Im Alter von 2 Monaten erscheinen die Symptome eines
nässenden Ekzems, das sich verbreitet am ganzen Körper, am ausgesprochensten
im Gesicht und am Scheitel. 14. II. leichte Bronchitis, Unruhe, Temperatur
bis 37,8°. ı5. II. abends plötzlich 42,6grädiges Fieber, Aceton in der Atemluft,
heftige Krämpfe, Cyanose, Dyspnöe, nach einer halben Stunde folgte Tod.
Der Sektionsbefund (Doz. Dr. K. Minnich, Budapest) konnte außer klein-
gradiger Colitis und Bronchitis nichts feststellen.
6. K. S., ıı Monate alt, aufgenommen am 17. V. 1922 mit der folgenden
Klage: Seit 7 Monaten leidet das Kind an Milchschorf und Ausschlägen, die
bald erscheinen, bald verschwinden, nichtsdestoweniger ungeachtet entwickelt
sich das Kind gut. Eltern gesund. Der Säugling ist gut entwickelt mit gutem
Turgor. Innere Organe normal. Das Gesicht ist beinahe maskenartig von
eitrigen und eingetrockneten Krusten bedeckt. Auf dem Scheitel fingerdicke
Seborrhöe, auf der Körperhaut zerstreut kleine Knoten, ekzemlose Stellen.
54 v. Pethed. Heft ı
Nach Reinigung der Krusten Borvaseline auf die beschädigten Hautpartien.
19. V. Unruhe, mäßige Dyspnöe, Cyanose, milde Krämpfe, im Urin und in der
Atemluft Aceton, stark positiv. Temperatur steigt plötzlich bis 42,0°, die
Symptome werden später ausgeprägter, kaum nach einer halben Stunde erfolgt
der Tod. Bei der Sektion (Prof. Orsós, path.-anatom. Institut Debreczen)
wurde Hyperplasie der Thymus, der Tonsillen und Lymphdrüsen aufgefunden.
Seitens der übrigen Organe war keine Veränderung sichtbar.
7. Cs. J., 10 Monate alt, aufgenommen am 19. X. 1922 mit folgenden Be-
schwerden: Seit 8 Monaten leidet das Kind an Ekzem, das sich auf keine Be-
handlung gebessert hat. Das Ekzem ist am ganzen Körper, besonders aber
am Gesicht und am Scheitel sehr ausgesprochen. Ziemlich pastöser blasser
rachitischer Säugling. Am Scheitel Seborrhöe, die Gesichtshaut zeigt nässen-
des Ekzem. An der Haut zerstreut ekzematöse Stellen, kleine Knoten. Innere
Organe normal. Das Ekzem wurde mit Borvaseline behandelt. Am 21. X.
große Unruhe, im Urin und in der Atemluft stark positives Aceton, Dyspnöe,
Cyanose, zu welchen sich später eklamptische Krämpfe und Temperatur-
steigerung bis 41,6° gesellten. Nach einer Stunde folgte der Tod. Bei der
Obduktion (Prof. Orsös, path.-anatom. Institut Debreczen) wurde eine klein-
gradige Myodegeneration des Herzens und eine milde Nephrosis gefunden,
die aber den Grand des Todes nicht erklärten.
8. N.G., 10 Wochen altes Mädchen, aufgenommen am 2. XI. 1922 mit der
Klage, daß seit der Geburt das Kind mit Milchschorf belegt ist und seit einer
Woche sich auf die Gesichtshaut verbreite; dabei entwickelt es sich gut, hat
aber grünliche Stühle. Blutarmes Kind mit schlechtem Turgor, die ganze
Gesichtshaut bedeckt mit dickem, eitrigem, nässendem Ekzem, am Scheitel
fingerdicke Seborrhöe. Innere Organe normal. Nahrung Muttermilch. Das
Ekzem wurde mit Borvaseline behandelt. Am 3. XI. plötzlich 43,6gradiges
Fieber, starke Dyspnöe und Cyanose, Aceton im Urin und in der Atemluft
stark positiv, eklamptische Krämpfe, dann nach einer halben Stunde Tod.
Die Sektion (Prof. Orsös, path.-anatom. Institut Debreczen) konnte außer
Gehirnödem überhaupt nichts aufweisen.
Sämtliche Organe der Fälle 7 und 8 wurden von Fr.D.M. Ambrus
einer genauen histologischen Untersuchung unterzogen. In beiden
Fällen konnte parenchymatöse Degeneration des Herzmuskels und
der Niere und eine fettige Entartung der Leber nachgewiesen werden.
Bei der Untersuchung der übrigen Organe und speziell der Haut
konnten nennenswerte Veränderungen nicht aufgefunden werden.
Wenn man den klinischen Verlauf überblickt, fallen die sozusagen
gesetzmäßig auftretenden Symptome: plötzliche Temperatursteige-
rung, Cyanose, Dyspnöe, Unruhe, Krämpfe, Aceton im Urin und
in der Atemluft und in einem jeden Falle das wichtigste Symptom:
der vorherige Schwund des Ekzems, als das die plötzliche Katastrophe
ankündigendes Moment, auf. Wodurch diese Katastrophe aus-
gelöst wird, ist schwer zu beantworten. Pathologisch-anatomische
und histologische Befunde geben keine genügende Aufklärung.
Heft 1 Uber Ekzemtod. 55
Makroskopisch sind in den meisten Fällen fast keine Veränderung,
ja sogar ganz normale Verhältnisse aufgefunden worden. Erwägt
man die in Fall 7 und 8 erhobenen. histologischen Befunde, so fällt
es auf, daß in den Organen eine langsam fortschreitende Krankheit
bestanden haben muß, die zur Dekomposition führte, was aber den
plötzlichen Zusammenbruch veranlaßte, war nicht nachzuweisen.
Rehn beobachtete in einem Falle lang bestehenden Ekzems, das
auf energische Behandlung sich zu bessern begann, plötzlichen Tod.
Die Obduktion ergab fettige Degeneration des Herzens, der Leber
und Nieren. Nach seiner Ansicht würde der Tod durch in der Haut
gebildete Toxine herbeigeführt worden sein.
Zweifellos sind die in der Haut entstehenden (?) oder gebildeten (?)
Toxine von schädlicher Wirkung auf den Organismus; daß aber nach
plötzichem Verschwinden des monatelang bestehenden Ekzems
der Organismus unter derart vehementen Erscheinungen binnen
wenigen Stunden zusammenbreche und dem Tod verfalle, kann mit
der Annahme einer cumulativen Wirkung der durch die Haut zur
Ausscheidung gelanten Toxine allein nicht erklärt werden, wenngleich
alles hierfür zu sprechen scheint. Eine wirklich ‚befriedigende Er-
klärung ist heute noch nicht recht möglich. Es hat den Anschein,
als hätte sich infolge der Resorption der bei langwährendem Ekzem
gebildeten und durch ihre Oxydation (?) freiwerdender Toxine im
Körper ein der Dekomposition ähnlicher Zustand entwickelt. Was
aber der Grund des den Ekzemtod charakterisierenden plötzlichen
Zusammenbruches sei, kann nur mit Hypothsen erklärt werden.
Das Wesen des Säuglingsekzems wird sehr verschieden aufgefaßt.
Im Sinne neuerer Untersuchungen solle es infolge von Stoffwechsel-
störungen entstehen. Feer spricht bei unterernährten Kindern
vom Ekzem der abnormen Konstitution, das Ekzem der überernähr-
ten Kinder erwähnt er bloß und komme bei ihnen der Ekzemtod
weit seltener vor. Nach meiner Ansicht ist auch die Iymphatische
Konstitution nicht wichtig, wie auch die als Bedingung angenommene
Frühlingszeit für das Entstehen des Ekzemtodes nicht von Bedeutung
ist, wie dies unsere Fälle zeigen. Aller Wahrscheinlichkeit nach
entsteht das Ekzem aus inneren Gründen, und zwar aus Stoff-
wechselstörungen, welche nach langem Bestand entweder zur Heilung
oder vollständigem Zusammenbruch führen. Wenn das Ekzem die
Folge einer intermediären, an der Haut sich äußernden Stoffwechsel-
störung ist, so könnte es gleichsam als Esophylaxie der Haut auf-
gefaßt werden. Dann wäre also das Ekzem ein esophylaktisches
Symptom einer sich in den innersekretorischen Organen abspielenden,
56 v. Petheö. Heft ı
wahrscheinlich ererbten, aber nicht nachweisbaren Erkrankung.
Je ausgesprochener dieses esophylaktische Symptom (z. B. Schar-
lach, Lues usw.) ist, um so günstiger scheint dies für den späteren
Verlauf des Grundleidens zu sein. Welchen Gesetzen aber die innere
Krise und das Bild des an der Haut erscheinenden Vorganges hul-
digen, bleibt eine offene Frage. Für jene alte Auffassung, daß das
Ekzem sich ‚‚nach innen geschlagen hat“, spricht in dem angeführten
Fällen der Umstand, daß dem Verschwinden des Ekzems in den
meisten Fällen eine energische Behandlung vorangegangen ist.
Demgegenüber verweise ich darauf, daß das Ekzem oft selbst einer
energischen Behandlung trotzt, während es in anderen Fällen spontan
verschwindet und nicht selten selbst bei mildester Salbenbehandlung
der Ekzemtod eintritt. Das zu raschem Tod führende Krankheits-
bild gleicht einer akut verlaufenden Vergiftung oder einer Katastrophe,
die durch eine Intoxikation mit artfremdem Eiweiß herbeigeführt
worden ist. Diese meine Annahme wird auch durch Auftreten von
Aceton bekräftigt, das bekanntermaßen bei hochgradigem Ekzem,
‚ferner nach Gewebszerstörungen usw. auftritt und dessen Entstehung
auf Eiweißzerfall zurückgeführt werden kann (Gaisler, Jahrb.
f. Kinderheilk. Bd. 100).
Heute eine ganz zufriedenstellende Erklärung. für den Ekzemtod
geben zu wollen, ist noch nicht möglich; ihn hintanhalten zu wollen
damit, daß wir das Ekzem nicht behandeln, ist wenig aussichtsvoll.
Im Frühling ist Vorsicht am Platz; eine unter allen Umständen durch-
zuführende Salbenbehandlung ist nicht notwendig, mit Ausnahme
der einfachen beruhigenden Kühlsalben. Günstige Erfolge zeitigt
eine Umstimmung des Stoffwechsels mit gründlicher Veränderung
der Diät, kombiniert mit äußerlicher Behandlung, wie dies auch ich
beobachtet habe. Allgemeine Regeln lassen sich aber nicht auf-
stellen. Eine Diät, die in allen Fällen bekömmlich wäre, gibt es nicht.
Auch Stoffwechseluntersuchungen vermögen oft keine Richtung
zu weisen. Anscheinend spielen auch andere Faktoren eine wichtige
Rolle beim Ekzem. Diätetische Behandlung führt hauptsächlich
bei Ekzem überernährter Kinder zum Ziele. Bei zur Atrophie neigen-
den Säuglingen ist fast kein Erfolg zu erwarten. Sehr schöne Resul-
tate sah ich bei Ekzem gestillter Säuglinge, denen ich neben der
Muttermilch schon im 3. Monat Suppe oder Schleim gab und noch
vor Halbjahr die Milch auf das Mindeste reduzierte. Bei künstlich
ernährten Kindern reduzierte ich die Milch immer ad minimum
und gab lieber Kohlenhydrate. In manchen Fällen bewährte sich
die Finkelstein-Suppe. In anderen versagte sie. Auffallend gute
Heft 1 Uber Ekzemtod. | 57
Erfolge sind ab und zu mit fettreicher Nahrung zu erreichen, wie
solche auch ich beobachten konnte. Auch Quarzlichtbehandlung
und Sonnenkur waren von günstiger Wirkung. Eine intravenöse
Anwendung von Ca halte ich im Säuglingsalter nur dann für zweck-
mäßig, wenn der Blutkalkspiegel sehr niedrig und die Eosinophilie —
die bei Säuglingsekzem 25—34% betragen kann — normal ist. Eine
sonstige Anwendung, sogar kleiner Dosen, kann mit unangenehmen
Symptomen einhergehen.
Zusammenfassung.
Es gibt einen Ekzemtod. Seine Erklärung liegt wahrscheinlich
in tieferen Stoffwechselstörungen, welche eben zur Katastrophe
führen. Pathologisch-anatomische bzw. histologische Untersuchungen
können das Problem nicht näher beleuchten. Das Ekzem mit ener-
gischer Behandlung um jeden Preis vertreiben zu wollen, ist nicht
ratsam, das Symptom nämlich, daß es vor dem Tode verschwindet,
spricht dafür, daß eine eigentümliche Beziehung zwischen Haut
und der im „Inneren“ sich abspielenden Krise bestehen müsse,
eine Auffassung, die auch von Autoren früherer Zeit geteilt worden ist.
Bei der Ekzembehandlung halte ich eine Umstimmung der Stoff-
wechselvorgänge, kombiniert mit äußerlicher Behandlung, besonders
Strahlentherapie usw., für netwendig.
Literaturverzeichnis.
Rehn, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 13.
Feer, Lehrb. f. Kinderheilk.
Moro, Lehrb. f. Kinderheilk.
Gaisler, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 100.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Debreczen.
(Vorstand: v. Szontagh.)
Über die Wirkung der Buttermilch auf die Magensekretion.
Von Dr. Eugen Dohnäl, Klinischer Assistent.
In der Säuglingsheilkunde ist die Buttermilch eine gleichsam
unerläßliche Nahrung, welche bei verschiedenen Formen der Er-
nährungsstörungen mit Erfolg angewendet wird. Wenngleich sich
viele Autoren mit der Erklärung der Wirkung der Buttermilch
befaßt haben, so sind wir noch weit davon, auf Grund der bisherigen
Untersuchungen ihre Wirkung vollkommen verstehen zu können.
Die schönsten Resultate ergeben sich bei dystrophischen Säuglingen
an der Mutterbrust, wo die Zugabe von 50—100 g Buttermilch
eine beträchtliche Steigerung der Gewichtskurve ergibt. Da der
Erfolg in diesen Fällen am meisten auffällig ist, so vermag eben
ihre Untersuchung zu einer Erklärung der Wirkungsweise zu führen.
Weil wir aber mit der Beigabe von Buttermilch den Energiequotienten
nicht erhöhen, also nicht ein Plus der Calorieneinfuhr sondern eine
vollkommenere Ausnützung der Muttermilch zur Gewichtszunahme
führt, so muß die Buttermilch die Stoffwechselvorgänge in einer
oder in mehreren Phasen günstig beeinflussen.
Als eine der wichtigsten und für die Untersuchungen am leichtesten
zugänglichen Stellen der Stoffwechselvorgänge bietet sich der Magen
dar. Eine Untersuchung seiner Funktionsverhältnisse, hauptsäch-
lich der Acidität, ist von großer Wichtigkeit. Hängt doch von dem
Grade der Acidität der Einfluß auf die Aktivierung der Magenfermente
ab, auch ist die Acidität von Einfluß auf die Magenmotilität, ander-
seits wirkt sie hemmend auf die Vermehrung der Magenbakterien,
wie dies die von Leichtentritt (r) mit Buttermilch angestellten
Experimente beweisen. Beim Zustandekommen der Magenacidität
sind zwei Faktoren wirksam, und zwar einerseits die von den Magen-
drüsen secernierte Salzsäure, anderseits die infolge von Gärungs-
prozessen entstehenden organischen Säuren, deren Anwesenheit
Heft 1 Uber die Wirkung der Buttermilch auf die Magensekretion. 59
oft auch bei normalen Säuglingen im Magen nachgewiesen werden
kann. Das richtige Maß der Magensäuresekretion kann dann erhalten
werden, wenn die Menge der Salzsäure bestimmt wird.
Um die Aciditätsverhältnisse des Magensaftes von Säuglingen,
die Buttermilch erhalten, untersuchen zu können, habe ich die
folgende Methode angewandt: Um 6 Uhr am Morgen bekommt
der Säugling Ioog Tee, dann wurde er in drei- bzw. vierstündlichen
Pausen ein- bis dreimal an die Brust gesetzt, wobei ich ihm entweder
die gleichen oder verschiedene Mengen Muttermilch trinken ließ.
3 oder 4 Stunden nach der letzten Brustmahlzeit bekam der Säug-
ling Buttermilch, und zwar 50—ıoog. Nach dieser Mahlzeit wird
das Kind in 3 bis 4 Stunden wieder an die Brust gesetzt. Nach
45 Minuten, vom Ende der Mahlzeit gerechnet, habe ich die ‚‚freie‘
und die ‚gebundene‘ Salzsäure, später mit der Braunschen Ver-
aschungsmethode die wirkliche Menge der Salzsäure bestimmt.
Aus meinen Versuchsprotokollen habe ich die folgenden Fälle
tabellarisch zusammengestellt:
Aciditat')
ne Menge |Gesamt- Indikator HCL
Fall Nahrung ea f der acidi- ;——_—+—__|_ nach
ine |Nahrung tät!) Phe- en. Braun
| nophta- |
| er Ä an
1. Difalko | Muttermilch = 12 10; 6, 6 | — | 4
Buttermilch | 15 : 70 į 46 | 46 — 22
Muttermilch | 18 + 100 | 27 27 0 — 16
Zus as mn, een de ie Se,
2. 3. Zeiler | Tee 6 90 8 6 | 2 | 4
Muttermilch 9 go 8 4 | 4 4
Buttermilch 15 50 46 40 6 14
Muttermilch 18 100 6 6 1 — 6
3. Petroci ‚3. Petroc | Tee ı 6 90 | 16 4 — 16
Muttermilch | 9 50 16 14 2 16
Buttermilch | 12 so} 48 | 48 — 20
Muttermilch | 18 50 2 | 36 | 8 16
4. Neuspieler Tee 6 70 10 8 2 Ä 4
Muttermilch 9 go 12 12 | 4
Buttermilch 15 50 24 24 — i I4
Muttermilch 18 100 | 14 12 2 | 12
5 Kiss Tee 6 80 3 | 3 — ! 2
Muttermilch 9 50 9 9 et 2
Buttermilch 12 50 39 39 — . 10
Muttermilch 15 150 15 15 | 5
1) Der Zahlenwert der Acidität entspricht der durch 100 cm® Magensaft
neutralisierten n/to NaHO in Kubikzentimeter ausgedrückt.
60 Dohnal. Heft 1
| a ee Gesamt- HCL
Fall Nahrung rungs- acidi- | nach
| einfuhr Kanning tät') . Braun
Bog ce a T —-- 7 ii
6. Kovács | 80 E 5 4
| Muttermilch 9 100 | 3 $
12 50 © O4 2,2
Buttermilch | 695 50 04 2,2
| Muttermilch 18 110 6 3
7. Ujlaki i Muttermilch Q | 100 3 j 3 - 3
‘Alkal. Buttermilch?) ı5 | 160 6 j 6 —- 6
Muttermilch 1R go 7 | 7 — 4
' wee ee IS ne a Vee run
8. Tolas Tee ı 6 | 100 | 5 be. og | -- , 2.8
Muttermilch 9 to | 7 5 7 be 4
| vs I 12 | go 13 | 13 - | 9
Buttermilch 18.170 | so | 50 | _- 28
Muttermilch IR 110 ; 32 | 32 | — 24
y. Herpai Muttermilch 9 | 150 ; 13 | 13 — 9
Buttermilch 15 | 100: 60 60 25
Muttermilch I3 | 200 | 2 | 2 _ 13
10, Kovacs Muttermilch i 9 100° 10 10 — 6
Gwsch. Bmilch 4) | 15 | so | 32 32 -— | 24
_ Muttermilch. BB) gr, — 12
11. Herpai Tee ! 6 | 100 2 | I | I | I
Muttermilch 9 | 120 7 7 | — ! 2,2
‘i 12 150 6,5 65) — | 1,6
| rs 15 | 100 9.5 a = 1,6
Gwsch, Bmilch?) | 18 | go | 29 29 | — j I6
Muttermilch | 21 | 150! 6 6 | — | 3,6
12. Csizmadia | Muttermilch | 9 120. 7,60 76 — 2,8
Gwsch. Bmilch ?) | 12 70 30. 300, 17
Muttermilch ; 4S 120 | 78 8.80 — 4
ı3. Fölze Muttermilch 12 | go: 8 8 = , 8
Buttermilch 18 50 52 | 52 | -— IQ
Muttermilch | 21 100 6 62-1 = 6
Wie aus der Tabelle ersichtlich ist,
weisen die Aciditatswerte
sowohl Tages- wie auch stündliche Schwankungen auf; in drei Viertel
der Fälle sind neben der Salzsäure auch die organischen Säuren
vor der Verabreichung der Buttermilch zu finden. Während die
Salzsäurekonzentration im Verlaufe des Tages vor der Einfuhr
der Buttermilch Schwankungen kaum aufweist, zeigt dem entgegen
1) Der Zahlenwert der Acidität entspricht der durch ı00 cm? Magensaft
neutralisierten n/1o NaHO in Kubikzentimeter ausgedrückt.
3) Neutralisierte Buttermilch.
3) Gewaschene Buttermilch.
Heft x Uber die Wirkung der Buttermilch auf die Magensekretion. 6I
der Aciditätsgrad der organischen Säure größere Abweichungen.
Die Menge der eingeführten Muttermilch ändert kaum an der Kon-
zentration der Salzsäure, woraus gefolgert werden kann, daß die
Magendrüsen bei verschiedenen Mengen ein und derselben Nahrung
eine bestimmte Salzsäurekonzentration aufrechtzuerhalten bestrebt
sind. |
Ich habe in einem Drittel der Fälle organische Säuren nach Ein-
fuhr von Frauenmilch gefunden, der Aciditätsgrad entsprach 2—7 ccm
"Jo NaOH. Im Durchschnitt entsprach sie 4 ccm "/,, NaHO ein
Resultat, welches mit der Angabe Huldschinskis übereinstimmt.
Die Quantität der Salzsäure nach Braun bestimmend, habe ich
2—16, im Durchschnitt 4 ccm °/, NaHO entsprechende Mengen
gefunden, bezogen auf ıooccm Magensaft. Aus der Anwesenheit
von organischen Säuren konnte nicht auf pathologische Prozesse
gefolgert werden, weil solche (organische Säuren) auch bei gut ent-
wickelten Säuglingen mit normalem Stuhlgang nachgewiesen werden
konnten. Anderseits wieder fehlten die organischen Säuren bei
dyspeptischen Säuglingen. Nach dieser Feststellung habe ich die
Magenaciditätsverhältnisse nach Buttermilchnahrung untersucht
und hier gefunden, daß die Acidität einen hohen Grad erreicht,
was natürlich ist, da wir mit der Buttermilch Säure in großer Menge
in den Magen einführen, anderseits aber auch die Menge der Salz-
säure eine Steigerung aufweist, und zwar im Durchschnitt Ig ccm
NaHO auf ıooccm Magensaft bezogen. Hier kann die Frage auf-
geworfen werden, ob die Salzsäurekonzentration nach Verabreichung
von alkalisierter oder schwach saurer Buttermilch gesteigert wird
oder nicht. Wenn wir die Falle 7, 10, 11, 12 in der Tabelle berück-
sichtigen, so können wir feststellen, daß auch bei ihnen eine Steige-
rung der Salzsäurekonzentration in nicht geringerem Grade als nach
saurer Buttermilch eingetreten ist. Die Untersuchungen von Hoff-
mann und Rosenbaum haben auf Grund der Zuckermagenkurven
zutage gefördert, daß Nährmittel mit einem größeren Eiweißprozent
als der Frauenmilch, die Sekretion des Magensaftes steigern. Unter-
suchungen wieder von Leichtentritt haben das Resultat ergeben,
daß die Buttermilch auf die Vermehrung der Colibacillen hemmend
einwirkt. Dieser Autor erklärt diese Wirkung der Buttermilch mit
ihrem hohen Aciditätsgrad. Aus den von ihm mitgeteilten Daten
ist auch ersichtlich, daß auch die alkalisierte Buttermilch, wenngleich
im schwachen Grade, nichtsdestoweniger aber im gleichen Sinne auf
die Colibacillen hemmend einwirkt. Diese letztere Beobachtung
kann ebenfalls mit der Steigerung. der Salzsäurekonzentration
62 Dohnäl. Heft ı
erklärt werden. Die Richtigkeit dieser Erklärung wird auch durch
die Feststellung zahlreicher Autoren gekräftigt, in derem Sinne die
alkalisierte und die saure Buttermilch gleiche Werte sind. Auch
konnte ich mit der Verabreichung demnach Filtration von saurer
Buttermilch zurückgebliebenen Molke eine Gewichtszunahme nicht
erreichen, während die Suspension des Buttermilchcaseins in süßer
Molke zu einer Gewichtszunahme führt.
Auf Grund dieser Tatsachen muß das wirksame Prinzip der Butter-
milch in ihrem Eiweiß vorausgesetzt werden. Wenn wir bedenken,
daß die mit der Buttermilch eingeführte Milchsäure eine schwächer
dissozierende als die Salzsäure ist, so muß geringere Konzentrations-
steigerung dieser Säure einen höheren Ph-Wert herbeiführen. Aber
im biologischen Sinne genommen ist nicht die durch Titration be-
stimmte Säuremenge sondern der Ph-Wert das entscheidende Moment.
Zur Aktivierung des Pepsins und des Labfermentes ist eine gewisse
Ph-Menge notwendig. Es ist sicher, daB nach einigen Autoren
der Ph-Wert des Säuglingsmagensaftes hierzu nicht genug hoch
ist, aber die Untersuchungen von Tobler haben gezeigt, daß dıe
Acidität des Mageninhaltes in der Nähe der Magenwand hochgradiger
ist als in den zentralen Teilen des Magens, also nur dort die Grade
erreicht, bei welchen eine Pepsinverdauung möglich ist. Anderer-
seits wieder muß sich bei gesteigerter Salzsäureausscheidung auch
die Wirkung des Pepsins besser erweisen, was eben im Sinne der
oben angeführten Tatsachen bei der Verabreichung von Buttermilch
gegeben ist.
Bei Frühgeburten scheint die günstige Wirkung der Buttermilch
teilweise ebenfalls auf gesteigerter Salzsäureausscheidung zu beruhen.
Bei 3 Frühgeburten habe ich die Magenacidität bestimmt; infolge
ungenügender Magensaftmenge konnte die Braunsche Methode
nicht ausgeführt werden.
Die Gesamtacidität entsprach 3 ccm "/,,-NaHO auf 100 ccm
Magensaft berechnet, während die stark positive Milchsäureprobe
auf die Anwesenheit von viel organischer Säure hingewiesen hat,
so daß hier eine ungenügende Sekretion des Magensaftes angenommen
werden kann. Nach Verabreichung von Buttermilch war auch in
diesen Fällen der Anstieg dgr Gewichtskurve auffallend.
Untersuchungen habe ich auch in der Richtung vorgenommen,
wie sich das Eiweiß der Buttermilch und das Casein der Kuhmilch
bzw. das mıt Lab hergestellte Paracasein gegenüber Pepsinverdauung
verhalten, also wieviel Pseudonucleinrückstand bei dem einen und
wieviel bei dem anderen zurückbleibt. Szontagh, der den Pseudo-
Heft x Uber die Wirkung der Buttermilch auf die Magensekretion. 63
nucleingehalt verschiedener Milcharten bestimmt hat, gelangte zu
dem Resultat, daß das mit Säure hergestellte Casein weniger Pseudo-
nuclein ergibt, als die Milch mit identischem Caseingehalt. Sowohl
mit Lab gefälltes Paracasein wie auch das aus der Buttermilch mit
Filtration hergestelltes Eiweiß habe ich mit Wasser gut durchge-
waschen und das Fett im Soxhlet-Apparat extrahiert. Trocknen bei
höherer Temperatur sowie auch Waschen mit Alkohol habe ich ver-
mieden, um nicht die Pepsinverdauung schädigend zu beeinflussen,
wie dies die Untersuchungen Szontaghs an bei höherer Temperatur
getrocknetem Casein erwiesen haben. Die Digestion habe ich mit
Wittescher Pepsinlösung bei 37° vorgenommen, und zwar kamen
2 g Casein auf 100 g Pepsinlösung.
Aus dem Mittelwert der sechs parallel angestellten Untersuchurigen
ergibt sich das folgende Resultat: Das Eiweiß der Buttermilch
ergab 1,1%, das Paracasein 2,7% Pseudonucleinrest. Der Pseudo-
nucleingehalt ist bei Buttermilch um mehr als die Hälfte geringer
als bei Paracasein.
Man könnte vielleicht auf den Gedanken verfallen, diesen gerin-
geren Pseudonucleingehalt der Buttermilch dahin zu erklären, daß
die Eiweißsubstanzen nicht nur Paracasein, sondern auch Serum-
eiweiß, Lactalbumin und Lactoglobulin enthalten, jedoch befindet
sich in diesen letzteren Substanzen kein Pseudonuclein. Wenn
wir aber die den 10% des MolkeneiweiBes und die dem 0,5% des
Lactalbumins und Lactoglobulins entsprechenden 150 mg abziehen,
auch dann noch beträgt der Pseudonucleingehalt des Buttermilch-
caseins 2%, gegenüber dem 1,2% Pseudonucleingehalt des Para-
caseins.
Auch diese Untersuchungen sprechen für die Vorteile der Butter-
milchdarreichung, und es ist wahrscheinlich, daß sie auch in den
weiteren Phasen der Assimilation dem Organismus günstige Be-
dingungen bietet. Dem entgegen wieder scheint das verschiedene
Verhalten des Paracaseins und des Buttermilcheiweißes gegenüber
Pepsinverdauung dafür zu sprechen, daß in der Lehre der Säuglings-
ernährung von der Eiweißfrage nicht abgesehen werden kann, eine
Auffassung, die in der modernen pädiatrischen Literatur auch von
anderer Seite geteilt bzw. betont wird.
Zusammenfassung.
1. Die Acıdität des Magensaftes von Säuglingen ist eine schwan-
kende, die Salzsäurekonzentration aber eine beständige.
64 Dohnal: Wirkung der Buttermilch auf die Magensekretion. Heft I
2. Durch Buttermilch wird die Salzsäurekonzentration gesteigert,
und dieselbe Wirkung weist die alkalisierte Buttermilch auf.
3. Der Pseudonucleingehalt des Butternuleheıyerbes ist halb so
groß, als der des Paracaseins.
Literaturverzeichnis.
Dr. Leichtentritt, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 44, 1921.
Hoffmann und Rosenbaum, Jahrb. f. Kinderheilk. 1922.
Huldschinsky, Zeitschr. f. Kinderheilk. H. 3, 1911, S. 366.
Szontagh, Magyar. Chem. Folyoirat ıı, S. 2.
Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen.
II. Sammelreferat (1921, 1922.)
Von A. Reuß, Wien.
Fötales Wachstum und Geburtsgewicht.
Wie ich in meinem ersten Sammelreferat berichtete!), geht aus den
zahlreichen statistischen Zusammenstellungen über die Geburts-
gewichte der Kinder aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren hervor,
daß die schlechten Ernährungsverhältnisse unter allen Altersperioden
auf die intrauterine verhältnismäßig am wenigsten schädigend ein-
gewirkt haben. Schon die Tatsache, daß man über den Einfluß
der Kriegsverhältnisse auf den Foetus überhaupt debattiert, weist
darauf hin, daß er kein sehr sinnfälliger gewesen sein kann. Kütting
stellt ihn ganz in Abrede, David fand für die Jahre 1915—1919
eine Verringerung des Durchschnittsgewichts der Neugeborenen
um 3—3,75%, desgleichen eine mäßige Verringerung der durch-
schnittlichen Körperlänge und des Kopfumfanges gegenüber den
Jahren 1909—1914. :
Wenn man lediglich das in den Körpermaßen des Neugeborenen
zum Ausdruck kommende fötale Wachstum ins Auge faßt, kann man
den Einfluß der Ernährung während der Schwangerschaft kaum sehr
hoch bewerten. Abels glaubt behaupten zu können, daß in der
günstigen Jahreszeit infolge des höheren Vitamingehalts der Nahrung
das durchschnittliche Geburtsgewicht im allgemeinen höher liege als
in den Wintermonaten. Hellmuth und Wnorowski konnten
jedoch bei der Verarbeitung eines sehr großen Materials keinerlei
Anhaltspunkte für eine solche Abhängigkeit des Geburtsgewichtes
von der Jahreszeit gewinnen.
Es wäre meines Erachtens ein Fehler, wenn man den Einfluß,
welchen die Nahrung der Schwangeren auf den heranwachsenden
Foetus ausüben kann, nur nach den Ergebnissen der Wage und des
Meßbandes bewerten wollte. Insofern verdienen die Ansichten von
1) Monatsschr. f. Kinderheilk. 20, S. 321.
Monatsschrift fir Kinderheilkunde. XXVII. Band.
wr
66 ReuB. Heft 1
Abels volle Beachtung. Wurde doch z. B. mehrfach die Beobachtung
gemacht, daB sich in den kritischen Kriegs- und Nachknegsjahren
die Zahl der konstitutionell nicht ganz vollwertigen Kinder vermehrt
habe. Insbesondere scheint die exsudative Diathese eine merkliche
Zunahme erfahren zu haben. Dies geht wieder aus einer kiirzlich von
Nobel mitgeteilten Statistik der Wiener Kinderklinik über die
in den letzten Jahren zur Beobachtung gelangten Fälle von Erythro-
dermia desquamativa hervor. Eine ätiologische Bedeutung der
quantitativ und insbesondere auch qualitativ unzureichenden Er-
nährung der Mutter auf die Keimanlage oder den heranwachsenden
Foetus kann man hier wohl kaum in Abrede stellen.
Freilich ist es nicht leicht, zu entscheiden, wieviel in derartigen Fällen
ektogenen Einflüssen zugeschrieben werden muß, so z. B. Veränderungen der
Muttermilch. Nach Kütting und Pribram- Rau habe sich als Folge der
Kriegsverhältnisse eine Beeinträchtigung der Stillfähigkeit schon im Beginn
der Lactationsperiode bemerkbar gemacht, was in den Gewichtskurven der
Neugeborenen durch starke Abnahme und spätes Erreichen des Geburtsgewich-
tes zum Ausdruck komme. Mehrfach wird auch über Veränderungen berichtet,
welche die Frauenmilch unter dem Einfluß der Kriegsernährung in ihrer quan-
titativen Zusammensetzung erfahren hat (Klotz, Lederer, Pasch). Den
positiven Befunden stehen allerdings auch negative gegenüber (Momm und
Krämer).
Stoffwechsel, Harn, Stuhl.
R. Pollitzer fand im Mageninhalt unmittelbar nach der Geburt
Labferment, aber keine freie Salzsäure; doch setzt die HCl-Aus-
scheidung sehr bald ein und erreicht nach etwa I2 Stunden den
Wert von I—2/-
Grulee und Bonar verfütterten eine 2proz. Eier-Eiweißlösung
an Neugeborene und untersuchten den Harn mittels der Präcipitin-
reaktion. Dabei erhielten sie bis zum II. Lebenstag positive Reak-
tionen, später nicht mehr, ein neuerlicher Beweis dafür, daß der
Darm in der ersten Lebenszeit für Nahrungseiweiß nicht ganz un-
durchlässig ist.
Chemische Untersuchungen des Meconiums durch Hymanson
und Kahn ergaben geringen Phosphor-, relativ hohen Schwefel-
gehalt, einen dem Hungerstuhl entsprechenden Gehalt an Fe und Ca.
Auffallend sind die negativen Befunde der Autoren bezüglich der
Fermente Trypsin, Erepsin und Lactase, während Amylase in Spuren
nachgewiesen werden konnte. Es fanden sich ferner Spuren von
Ammoniak, während Harnsäure im Meconium der ersten 24 Stunden
fehlte. Dies steht im Widerspruch zu Befunden von Rietschel,
welcher im Meconinm beträchtliche Mengen von Harnsäure nach-
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 67
weisen konnte, und zwar insbesondere bei totgeborenen Kindern;
das Meconium Lebendgeborener enthielt sehr viel weniger Harn-
säure, woraus man schließen darf, daß ein Teil der Harnsäure des
Mekoniums vom Neugeborenen resorbiert wird. Rietschel hält
es für das Wahrscheinlichste, daß die Harnsäure aus dem verschluck-
ten Fruchtwasser stammt, welches immer geringe Mengen solcher
enthält. Die Befunde sind für die Frage des Harnsäureinfarkts von
Wichtigkeit. Versuchsergebnisse von Bälint und Stransky
scheinen allerdings darauf hinzuweisen, daß die alte Annahme von
Beziehungen zwischen Harnsäureinfarkt und Leukocytenzerfall zu
Recht besteht. Sie fanden beim Neugeborenen meist erhöhte Werte
des Reststickstoffs im Blut, die ausnahmslos eine fallende Tendenz
zeigten.
Die Albuminurie der Neugeborenen wird von Lindig als eine
„Konstitutionelle“ aufgefaßt und auf die Reize zurückgeführt,
welche die während und nach der Geburt noch widerstandsschwache
Niere treffen. Derselbe Autor untersuchte bei 24 zangengeborenen
Kindern den Harn auf Zucker, und zwar mit negativem Resultat:
es gibt mithin keine ‚„traumatische Glykosurie‘‘ des Neugeborenen.
Rosenbaum untersuchte den Harn von Neugeborenen mittels
der Phenylhydracinprobe und konnte im Harn des 2.—5. Lebens-
tages häufig geringe Mengen von Lactose nachweisen, welche bisher
nur bei Frühgeborenen gefunden wurde. Er glaubt, daß bei dieser
Lactosurie, welche man fast als physiologisch bezeichnen könne,
der Gewichtsverlust ätiologisch eine Rolle spielen dürfte. Dextrose
konnte Rosenbaum niemals nachweisen, während Millikin
mittels empfindlicher Proben im Harn des Neugeborenen vor der
ersten Nahrungsaufnahme regelmäßig Zucker gefunden haben will,
den er, wenigstens vorwiegend, für Traubenzucker hält. Feldmann
prüfte die Toleranz des Neugeborenen gegenüber Rohrzucker. Sie
scheint größer zu sein als gegenüber Milchzucker (7,2 g RZ pro kg
Körpergew. gegen 3,3 g MZ). Alimentäre Saccharose findet man
besonders bei Frühgeborenen und Debilen.
Das häufige Vorkommen einer Indicanurie um die Mitte der ersten
I.ebenswoche wird durch Befunde von Bonar neuerdings erwiesen.
Was die Besiedelung des Darmes mit Bakterien betrifft, so konnten
in einzelnen Fällen sowohl im Rectum als auch in der Mundhöhle
des Neugeborenen gleich nach der Geburt Keime nachgewiesen wer-
Jen. Die Infektion erfolgt beim Durchtritt des Kindes durch die
Vagina. Mastdarm und Mundhöhle werden hierbei wohl gleich-
zeitig mit Scheidenkeimen infiziert, doch scheinen die Existenz-
5*
68 : Reuß. Heft ı
bedingungen in der Mundhöhle schlechtere zu sein. Der B. acido-
philus, welcher mit dem B. vaginalis minor identisch sein dürfte,
scheint vom Anus aus einzudringen (Naujoks), während der B. bi-
fidus per os in den Verdauungstrakt gelangt (Lauter). Nach Adam
beansprucht der B. bifidus zu seiner Entwicklung Zucker, Casein
und Seifen der Alkalien, kann im Meconium daher nicht gedeihen,
in welchem wieder die Köpfchenbakterien günstige Entwicklungs-
bedingungen vorfinden. Im Übergangsstuhl finden sich gram-
negative und sporenfreie Entwicklungsformen des sonst gram-
positiven, sporentragenden Köpfchenbakteriums, wie man sie auch
in vitro auftreten sieht, wenn man dem Nährboden Zucker zusetzt.
Die Köpfchenbakterien erscheinen erst nach 24 Stunden in größerer
Menge; am ersten Tag findet man vorwiegend grampositive Kokken,
welche auch in der Mundhöhle anfänglich das Gesichtsfeld beherrschen
(Salomon). Nach Perazzi besteht die Darmflora während der
ersten 4 Tage vorwiegend aus vier Arten: Perfringens, anaeroben
Vibrionen, B. Rodella III, B. bifidus; letzterer beherrscht nach
Ingangkommen der Ernährung schließlich das Feld. Sobald das
Kind angelegt wird, ist auch der Übergang von Keimen der Brust-
haut nicht zu unterschätzen. Für die Flora der Mundhöhle sind
jedenfalls letztere maßgebend (Clauss), doch gewinnt dieser In-
fektionsmodus nur bei ausgesprochen pathogenen Keimen praktische
Bedeutung.
Blut.
Über das Blut des Neugeborenen liegen neuerlich umfassende
Untersuchungen von Slawik sowie von amerikanischen Autoren
vor (Lucas, Dearing, Hoobler, Cox, Jones, Smyth). Die
Zahl der Erythrocyten kann am ersten T.ebenstag bis zu 8 Millionen
im Kubikmillimeter betragen. In den folgenden Tagen erfolgt ein
allmähliches Absinken, mitunter während der physiologischen
Abnahme ein Ansteigen, welches jedoch bei sehr hohen Anfangs-
werten ausbleibt. Die von den amerikanischen Autoren angegebenen
Durchschnittswerte von 150 Kindern zeigen auch bei verhältnis-
mäßig niedrigem Anfangswert (51/, Millionen) ein stetiges Absinken,
welches nur durch geringfügiges Ansteigen der Erythrocytenzahl
vom 3. zum 4. und vom 5. zum 6. Tag unterbrochen wird. Ein
Parallelismus mit der Bluteindickung läßt sich jedenfalls nicht kon-
statieren. Dasselbe gilt für den Hämoglobingehalt des Blutes, welcher
während der ganzen ersten Woche ein abnorm hoher ist, und dessen
Maximum auf den ersten Tag fällt. Ein Unterschied bezüglich
Heft 1 Zur Physiologic und Pathologie der Neugeborenen. 69
Erythrocytenzahl und Hämoglobinwert zwischen ikterischen und
nichtikterischen konnte im Gegensatz zu früheren Untersuchungs-
ergebnissen nicht festgestellt werden. Betreffs der morphologischen
Verhältnisse der roten Blutkörperchen stimmen die neuen Befunde
mit den früheren Angaben im wesentlichen überein.
Auch die Zahl der weißen Blutzellen ist anfangs eine hohe, steigt
während der ersten 24 Stunden sogar noch etwas an (Weill) und
sinkt in der zweiten Hälfte der ersten Woche ab, um dann wieder etwas
anzusteigen. Das Vorwiegen der neutrophilen, myelogenen Elemente
in den ersten Lebenstagen führt Fran k auf die Teilnahme des Foetus
an dem Stoffwechsel der graviden Mutter zurück. Hier wie dort
findet man neben der Vermehrung der Neutrophilen eine starke
Linksdrehung; sie schwindet im Laufe der ersten 8—10 Tage. Auch
die Lymphocyten, welche spater bekanntlich vorherrschen, zeigen
in der ersten Woche ein sehr schwankendes Verhalten. Es dauert
gewöhnlich 14 Tage, ehe ein definitives Leukocytenbild vorliegt.
Frank glaubt, daB man nach dem Blutbild die Neugeburtsperiode
von der Säuglingsperiode abgrenzen könne.
Die Zahl der Blutplättchen ist nach Slawik am ersten Tage eine
subnormale (bis zu 65 000), schwankt jedoch nach den amerikanischen
Forschern innerhalb weiter Grenzen (IOo0 000—413 000). Bei niedrigem
Anfangswert erfolgt während der nächsten Tage ein rasches Ansteigen.
Während der ersten 3 Wochen zeigen die Blutplättchen auffallende
Größenunterschiede und mannigfache Varianten ihrer Struktur, was
Slawik als Ausdruck einer überstürzten Produktion auffaßt.
Nach Zibordi findet man im Blut des Neugeborenen bei der Geburt
fast dieselbe Zahl von Hämokonien wie bei der Mutter, sämtlich extracellulär
und lebhaft beweglich. Sie vermehren sich in den folgenden Tagen stark;
zugleich treten in den roten Blutkörperchen unbewegliche Hämokonien auf,
welche bis zur 3. Woche an Zahl zunehmen, un während der Zeit der Brust-
ernährung auf konstanter Höhe zu verharren.
Die chemischen Untersuchungen von I.ucas und seinen Mitarbei-
tern ergeben in Übereinstimmung mit früheren Angaben ein Ab-
sinken des Rest-N, der Harnsäure, des Harnstoffs und Kreatinins
in den ersten Tagen, hingegen ein mäßiges Ansteigen des Blutzuckers.
Nach Simone steigt auch der Cholesteringehalt des Serums mit
zunehmendem Alter an und ist im allgemeinen der Höhe des Körper-
gewichtes proportional. Das fötale Serum enthält mehr Na und K
als das mütterliche, letzteres mehr alkohollösliche Stoffe, was wahr-
scheinlich auf seinen größeren Gehalt an Rest-N zurückzuführen
sein dürfte (Edelstein und Ylppö).
70 Reuß. Hett I
Die praktisch so wichtige mangelhafte Koagulationsfähigkeit
des Neugeborenenblutes konnte von den amerikanischen Autoren
neuerdings konstatiert werden. Sie fanden, daß die Gerinnungszeit
am ersten Lebenstag ca. 15 Minuten beträgt, am 4. Tag noch etwas
ansteigt und dann allmählich auf ca. 9 Minuten abfällt. Fuhrmann
und Kisch fanden, daB das Nabelschnurblut mitunter nach 24 Stun-
den noch nicht geronnen ist.
Die Oberflächenspannung des fötalen Serums ist unter normalen
Verhältnissen wesentlich niedriger als die des mütterlichen (Kisch
und Remertz, Fuhrmann und Kisch).
Refraktometrische Untersuchungen des Blutserums in den ersten
Lebenstagen durch Bakwin ergaben in Bestätigung früherer Unter-
suchungsergebnisse, daß die Eiweißkonzentration entsprechend dem
Gewichtsverlust in den ersten Tagen zunimmt, um nach Erreichung
des Gewichtsminimums wieder anzusteigen. Sehr bemerkenswert
ist die Feststellung, daß der Wassergehalt des Serums am ersten
Lebenstag beträchtliche individuelle Unterschiede aufweist, so daß
man aus dem Gewichtsabfall allein keine sicheren Schlüsse auf den
Grad der Exsiccation ziehen darf: bei anfänglich niedriger Kon-
zentration des Serums kann der Gewichtsverlust ein sehr großer sein.
ohne daß am Tage des Gewichtsminimums eine abnorm hohe Serum-
konzentration gefunden werden muB.
Säuglinge der ersten Lebenswochen zeigen nach K. Benjamin
eine besondere Fähigkeit zum Wasseransatz und verhalten sich so
wie ältere Säuglinge mit hydropischer Konstitution. Die prozen-
tualen Schwankungen des Körpergewichtes und des Blutwasser-
` gehaltes sind nach Benjamin in den ersten Wochen ungefähr
gleich groß, während Bakwin der Ansicht ist, daß beim Neu-
geborenen das Plasmawasser zunehmen kann, ohne daß eine Zu-
nahme des Körpergewichtes erfolgt.
Blutdruckbestimmungen durch A. Seitz und Becker ergaben
für den ersten Lebenstag sehr niedrige Zahlen, 33—48 mm; die bis-
her erhobenen Werte gehen nicht unter 5omm herab. Bis zum
Ende der ersten Woche erfolgt ein Anstieg auf 60 mm, bis zum Ende
der zweiten Woche auf 70 mm.
Die bactericide Kraft des Blutes ist beim Neugeborenen meist
verringert, beim Frühgeborenen jedoch nicht geringer als beim
ausgetragenen Kind. Vom 5. Tag an werden konstante Werte er-
reicht (Langer. Kyrklund).
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologic der Neugeborenen. 71
Icterus neonatorum.
Alle neueren Erkenntnisse über das Wesen des Icterus neonatorum
ruhen auf dem Fundament der Tatsache, daß es eine kongenitale
physiologische Hyperbilirubinämie gibt und eine durch sie gegebene
„physiologische Ikterusbereitschaft‘“ im Sinne A. Hirsch’s.
Als ich vor nahezu Io Jahren die bis dahin vorliegenden Tatsachen
und Theorien zusammenfaßte, kam ich zu dem Schluß, daß zur
Erklärung der beim Neugeborenen bestehenden Disposition zum
Ikterus im wesentlichen folgende drei Punkte herangezogen werden
können: der Reichtum des Neugeborenenorganismus an Farbstoff;
die Beschaffenheit seiner Leberzelle; endlich gewisse mechanische
Faktoren. In jeder dieser drei Richtungen sind unsere Kenntnisse
gefördert worden.
Was die Farbstoff-Frage anbelangt, so haben alle Nachunter-
suchungen das Bestehen der Bilirubinämie im Nabelschnurblut
bestätigt. Es ergab sich nun als Nächstes die Frage nach der Quelle
dieses Bilirubins. Selbst, wenn man mit Ylppö annimmt, daß die
Bilirubinämie nur auf den Übergang von Gallenfarbstoff aus der
in Funktion tretenden Leber ins Blut zurückzuführen sei — eine
Ansicht, die nach den inzwischen erhobenen Befunden über die
Natur des Farbstoffes (s. u.) kaum mehr haltbar ist —, muß man
sich fragen, woher denn der Organismus um die Zeit der Geburt
das zur Steigerung der Gallenfarbstoffproduktion, sei diese nun
hepato- oder hämatogen, notwendige Hämoglobin hernimmt.
Hatten schon frühere Autoren in dieser Beziehung an das Placentar-
blut gedacht, so hat erst Schick den naheliegenden Gedanken aus-
gesprochen, daß es sich um mütterliches Blut handeln könne,
welches ja auch das zur Bildung der kindlichen Blutkörperchen
notwendige Eisen zu liefern berufen ist. Er denkt dabei an eine
hämolytische Funktion der Placenta nach Art des Retikuloendo-
thelialapparates. Eine bilirubin-bildende Funktion des Placentar-
extrakts konnte in vitro nicht nachgewiesen werden, doch schließt
dies natürlich keineswegs aus, daß die Placenta das Material liefert,
aus dem der kindliche Organismus das Bilirubin aufbaut (Wagner).
Daß Abbauprodukte des Blutes zur Zeit der Geburt im kindlichen
Kreislauf vorhanden sind, geht daraus hervor, daß Hellmuth Oxy-
hämoglobin und Hämatin im Nabelschnurserum nachweisen konnte.
Lepehne nimmt an, daß die Sternzellen der Leber und die sonstigen
Retikuloendothelien, vorzugsweise der Milz, aus diesen Abbau-
produkten Bilirubin bilden.
72 ReuB. Heft 1
So wahrscheinlich es auch ist, daß die Placenta für den kindlichen
Organismus eine sehr wichtige Farbstoffquelle bildet, so kann man
doch wohl nicht ohne weiteres erklären, sie sei die einzige Quelle des
den Icterus neonatorum hervorrufenden Bilirubins.
Ein Erythrocytenzerfall in den ersten Lebenstagen läßt sich be-
kanntlich nicht recht nachweisen, wenigstens nicht einwandfrei
zahlenmäßig ausdrücken (obzwar die oben angeführten Befunde
Slawiks für das tatsächliche Vorkommen eines solchen immerhin
gewisse Anhaltspunkte zu geben scheinen), aber man darf doch nicht
unberücksichtigt lassen, daß bei den zahlreichen Stauungsblutungen,
welche intra partum eintreten, massenhaft rote Blutkörperchen
‚aus den Gefäßen austreten, mit deren Farbstoff doch irgend etwas
geschehen muß (s. a. Deluca).
Bei rasch abklingendem Ikterus könnte man sich mit der Annahme
zufrieden geben, daß der Gallenfarbstoff nur aus ante und intra
partum entstandenen Zerfallsprodukten des mütterlichen und kind-
lichen Blutes stamme. Bei wochenlang andauerndem Ikterus kommt
man aber wohl nicht um die Annahme herum, daß ein gesteigerter
Blutmauserungsprozeß im kindlichen Organismus auch post partum
noch eine Weile andauert. Lepehnes wichtige Beobachtung über
intracelluläre Erythrorhexis in der Milz spricht für die Annahme
einer solchen gesteigerten Tätigkeit des retikuloendothelialen Appa-
rates, wie ich sie seiner Zeit als Folge der Geburtsstauung angenom-
men habe. Für einen lebhaften Blutumsatz in den ersten Lebens-
wochen spricht auch das Vorkommen von reichlichen Blutbildungs-
herden in verschiedenen Organen (Gruber).
Seit Hijmans v. d. Berg die Ansicht ausgesprochen hat, daß es
zwei verschiedene Arten von Bilirubin gebe, deren eines außerhalb
der Leber gebildet werde, wurden auch beim Neugeborenen dies-
bezügliche Untersuchungen angestellt, welche einhellig ergaben,
daß es sich bei dem im Serum vorhandenen Farbstoff um das an-
hepatische (dynamische, funktionelle) Bilirubin handelt (Lepehne,
Hellmuth, Knoepfelmacher und Kohn, Schiff und Färber).
Daß wir es nicht mit Stauungsbilirubin zu tun haben, macht auch
das Fehlen der Hypercholesterinämie wahrscheinlich, die Dissonanz
zwischen Bilirubinämie und Cholesteringehalt des Serums, wie sie
in gleicher Weise bei den hämolytisch-dynamischen Ikterusformen,
welche nicht mit Gallenstauung einhergehen, beobachtet wurde
(Rosenthal und Meier, Simone).
Deswegen bleibt die Tatsache zurecht bestehen, daß beim Neu-
geborenen eine Pleiochromie der Galle vorhanden ist. Lepehnes Unter-
»
Heft ı Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 73
suchungen des Duodenalinhalts beim Neugeborenen ergaben einwand-
frei, daß der Bilirubingehalt der Galle erheblich höher ist als beim Er-
wachsenen. Es zeigte sich dabei auch ein bemerkenswerter qualitativer
Unterschied, insofern der Duodenalsaft des Neugeborenen die Eigen-
schaft zeigte, auffallend rasch grün zu werden, eine Eigenschaft der
Galle, auf welche auch die Farbe des Meconiums hinweist. Wir haben
somit beim Neugeborenen wahrscheinlich ein doppeltes Farbstoffplus :
sowohl an hepatischem wie an anhepatischem Gallenfarbstoff.
Nach dem Gesagten bedarf es zur Erklärung der Bilirubinämie
des Neugeborenen gar nicht der Annahme einer Insuffizienz der
Leber, es sei denn einer relativen, insofern als die Leber vielleicht
nicht imstande ist, die ganze Masse des im Blut kreisenden Farbstoffs
zu bewältigen und das gesamte ,anhepatische“ Bilirubin in ,hepa-
tisches“ überzuführen. Daß übrigens die Leber in der ersten Lebens-
zeit auch absolut betrachtet noch nicht auf der vollen Höhe ihrer
Funktion steht, dafür liefern u. a. die Versuche von Rosenthal
und Nossen Anhaltspunkte, welche beim Neugeborenen eine hoch-
gradige Armut des Serums an trypanociden Stoffen, deren Haupt-
bildungsstätte die Leber ist, feststellen konnten.
Was das klinische Symptom des Icterus neonatorum, nämlich die
Gelbfärbung der Haut, betrifft, so glaubte man nach der Entdeckung
der physiologischen Bilirubinämie sie einfach so erklären zu können,
daß der Hautikterus dann in Erscheinung tritt, wenn die Menge
des im Blute kreisenden Bilirubins eine gewisse Grenze überschritten
habe. Wenn auch ein solcher Parallelismus zwischen Ikterus und
Bilirubinämie in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich vorhanden ist,
so gibt es doch Ausnahmen von dieser Regel; es gibt Fälle starker
Bilirubinämie ohne wesentlichen Ikterus und ausgesprochenen Ikterus
bei sehr geringem Bilirubingehalt des Serums (Hijmans van den
Berg, Hellmuth, Schiff-Färber). Die beiden letzgenannten
Forscher nehmen deshalb an, daß beim Zustandekommen des Haut-
ikterus noch eine periphere Ursache wirksam sein müsse, und zwar
ein mechanischer Faktor, der in einer individuell verschiedenen
Permeabilität der Hautcapillaren zu suchen sein dürfte. Sie kann
durch verschiedene innere und äußere Einflüsse verändert werden.
Im Sinne einer schädigenden Wirkung auf die Gefäßendothelien
kommt auch das infektiöse Moment im ätiologischen Komplex des
Icterus neonatorum wieder in Frage, freilich nur als ein gelegentlich
in Wirkung tretender, unterstützender Faktor.
Der Weg zum Icterus neonatorum wire also nach dem heutigen
Stand der Ansichten etwa folgender:
74 ReuB. Heft 1
Blutzerfall in der miitterlichen Placenta ante et intra partum und
im kindlichen Organismus intra et post partum; aus den Blutzerfalls-
produkten Bildung von anhepatischem Bilirubin, welches ins Blut
übertritt und von der relativ und in gewissem Sinn auch absolut
insuffizienten Leber nicht oder doch nicht vollkommen in hepatisches .
übergeführt werden kann; infolge davon zunehmende Bilirubin-
ämie, welche bei entsprechender Stärke und entsprechender Per-
meabilität der Hautcapillaren zum Hautikterus führt.
Die kindlichen Brustdrüsen.
Aus Grubers sorgfältigen Studien über den Bau der kindlichen
Mamma sei vor allem seine Deutung der gewöhnlich als ‚Infiltrate“
bezeichneten Zellanhäufungen als Blutbildungsherde hervorgehoben,
wie sich solche beim Neugeborenen fern vom Knochenmark in den
verschiedensten Organen finden. Aus diesen Herden gehen Wander-
zellen hervor, welche sich z. T. mit Körnchen und Schollen zerfallen-
der Blutungsherde, z. T. (bei Milchstauung) mit Fettkörnchen
beladen. Gruber faßt diese Zellbildungen nicht als ‚deciduale“
auf, wenn er auch den protektiven Einfluß der mütterlichen Schwan-
gerschaftssubstanzen im Sinne Halbans auf die Milchdrüse des
Kindes anerkennt.
Ernährung.
Über den Wert des Colostrums haben Smith und Little an
Kälbern Versuche angestellt, aus denen sie entnehmen, daß er vor
allem in der Anwesenheit von Schutzstoffen gegen an sich harmlose
ubiquitäre Bakterien bestehe. Sie fanden, daß ein relativ hoher
Prozentsatz der neugeborenen Kälber, welche nicht mit Colostral-
milch ernährt worden waren, an Coliinfektionen zugrunde gingen.
Die schützenden Antikörper des Blutes sind nach Lewit und Wells
an das Euglobulin gebunden; dieses geht aus dem Blut der Mutter
in die Colostralmilch über, welche sich durch hohen Gehalt an diesem
Eiweißkörper von der fertigen Milch unterscheidet. Die ersten Blut-
globuline stammen, wie Versuche Howes an Kälbern lehren, alleın
Anschein nach aus dem Colostrum. Brugnatelli wies im Colostfum
diastatisches Ferment nach, welches wahrscheinlich ebenfalls aus
dem Serum der graviden Mutter stammt; der Diastasegehalt der
Milch geht nach der Geburt rasch zurück.
Über die Trinkmengen und den Nahrungsbedarf in den ersten
zwei Lebenswochen suchte Kirstein in der Weise ein Bild zu ge-
Heft ı Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 75
winnen, daß er die an einem großen Säuglingsmaterial ermittelten
Trinkmengen zum jeweiligen Körpergewicht in Beziehung brachte.
Er erhielt auf diese Weise in Prozenten des Körpergewichts ausgedrückt
folgende Zahlen:
1. Tag .... . . 0,52 8. Tag. .... . I2,52
2; . 3,94 9%. 022020200. 13,00
3. . 6,78 IOs os nr ce re EG
4. . 8,67 I; Gio rec te 288
Sn yy .10,41 T2: gs nee 73,20
Dr. Sn a s EEGSOS I3: yr weisen. 1307
7: .12,01 TAs ie se 13,40
Wir sehen ein rasches Ansteigen bis zum 4. Tag, dann ein langsameres bis zum
Beginn der 2. Woche; von da an schwanken die Werte um 13%, was der gewöhn-
lich angenommenen Zahl für das junge Brustkind (1/, des Körpergewichts)
ungefähr entspricht. Kirstein hat das Zahlenmaterial nach allen denkbaren
Gesichtspunkten verarbeitet und dabei wieder eine tabellarische Übersicht
über die absoluten Trinkmengen der verschiedenen Gewichtsklassen gewonnen,
welche mit den bereits vorliegenden Zahlenreihen im wesentlichen überein-
stimmt.
Als wichtigstes Ergebnis seiner Berechnungen erscheint mir
folgendes: Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht trinken im Durch-
schnitt zwar absolut weniger, relativ, d. h. im Verhältnis zu ihrem
Gewicht, aber mehr als schwere. Dieses Resultat wurde bei ganz
gleichmäßiger Ernährungstechnik (6, nur ausnahmsweise 5 oder
7 Mahlzeiten in 24 Stunden) und ohne Rücksicht auf den Gewichts-
verlauf erzielt. Trotz aller möglichen äußeren und inneren Einflüsse
kamen also die Kinder bei der Nahrungsaufnahme im allgemeinen
Ihren physiologischen Forderungen nach, so daß man bezüglich
der Trinkmengen im großen und ganzen von einer „Selbstbestimmung
des Neugeborenen‘ sprechen kann. Kirstein meint, „das Kind
weiß schon ganz allein, was es zu trinken hat“, eine These, welche
man allen jenen vorhalten sollte, die an jedes Neugeborene mit
Maßstab und Wage herantreten, um jedes vermeintliche Nahrungs-
defizit sofort mit künstlicher Nahrung zu decken.
Daß die Größe der Nahrungsaufnahme für die Form der Gewichts-
kurve des Neugeborenen bei aller ihr selbstverständlich zukommen-
den Bedeutung nicht allein ausschlaggebend ist, zeigen die Unter-
suchungen von K. Koch, welche wieder lehren, daß ausgezeichnet
trinkende Kinder mitunter flache Kurven aufweisen, während
solche mit geringen Trinkmengen gute Zunahmen zeigen können.
Es zeigte sich ferner, daß nach starker physiologischer Abnahme die
Gewichtskurve häufiger flacher ansteigt als nach mäßiger Abnahme,
was mit der von mir stets vertretenen Ansicht, daß die Abnahme
76 Reuß. Heft 1
in den ersten Lebenstagen nicht die alleinige Folge der geringen
Nahrungsaufnahme ist, gut im Einklang steht.
Faber suchte festzustellen, wieviel ein Kind trinkt, wenn man es
trinken läßt, soviel es will. Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß
schon am 5. Tage ein Energiequotient von 100 erreicht wird, der
bis zum Ende der zweiten Woche auf 115 ansteigt. Berechnet man
darnach die am 5. Tage getrunkene Milchmenge, so kommt man zu
einer Zahl, welche die bei unserer gewöhnlichen Ernährungstechnik
unter günstigen Stillverhältnissen erreichte Trinkmenge — besonders
wenn man den hohen Nährwert der Frühmilch berücksichtigt —
kaum übersteigt. Der Energiequotient von Ioo wird in raschem
Ansteigen erreicht, so daß also auch bei spontaner Nahrungsaufnahme
in den ersten 4 Lebenstagen die Unterernährung als etwas Physio-
logisches in Erscheinung tritt. Ein Ernährungsquotient von 115
ist für das junge Brustkind durchaus nicht besonders hoch. Daß
er bei Ausschaltung jeglicher Beschränkung nicht höher liegt, weist
darauf hin, daß wir bei unserer Ernährungsmethodik die Kinder
nicht unterernähren, andererseits aber auch, daß bei AuBeracht-
lassung der Regeln die gefürchtete Überernährung im allgemeinen
nicht eintritt.
Weitere Befunde über Trinkmengen des Neugeborenen wurden
erhoben von Adair und Steward, Ramsey und Alley, Pesta-
lozza. Scammon und Doyle bestimmten an der Leiche die ana-
tomische Magenkapazität, welche durchschnittlich 33 ccm beträgt
und bis zum Io. Tage auf 75—80 ccm ansteigt. Die „physiologische
Magenkapazität‘, wie sie durch den Wert der Einzeltrinkmenge
repräsentiert wird, erreicht erst am 4. Tage das Niveau der ana-
tomischen.
Bei Stillschwierigkeiten seitens des Kindes empfiehlt Came-
ron ein abwartendes Verhalten: die Zufütterung künstlicher Nahrung
soll das letzte und nicht das erste Auskunftsmittel sein, ein Rat,
dem ich aus vollster Überzeugung zustimme. Nach Camerons
Ansicht ist die wichtigste und häufigste Ursache der Behinderung
des Saugens an der Brust die nervöse Erregung des Säuglings, welche
man durch pflegerische Maßnahmen, Bäder, evtl. auch durch Ver-
abreichung beruhigender Medikamente bekämpfen soll. Ein seltenes,
aber auch nicht unüberwindliches Saughindernis wird von Eick
beschrieben: eine doppelseitige Choanaltresie.
Über die Physiologie des Saugphänomens hat E. Popper lehrreiche, auch
praktisch verwertbare Beobachtungen angestellt. Er fand, daß man von
den seitlichen Wangenpartien aus (Chvosteksche Stelle) einen ,,Mundspitz-
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 77
reflex“ auslösen kann. Auf streichelndes Berühren dieser Gegend erfolgen
schnappende Bewegungen des Mundes (Schnappreflex) und Wendungen des
Kopfes. Interessanterweise ließ sich eine Koinzidenz zwischen Hungergrad
und Saugphanomen nicht feststellen.
Zur Verhütung der Rhagaden an den Brustwarzen rät Moll,
die ersten Anlegeversuche, wenn möglich, an der hängenden Brust
vorzunehmen und zur Zeit des Milcheinschusses das Saugen an der
prall gespannten Brust durch vorheriges Abpumpen tunlichst hintan-
zuhalten. Zur Behandlung frischer Rhagaden empfiehlt er eine
abwaschbare Salbengrundlage mit 10% Perubalsam und 3% Bor-
säure. (Ich habe auf die wasserlöslichen Ebagasalben schon vor
Jahren hingewiesen.) Bei Macerations- und ekzematösen Erschei-
nungen erweist sich das Aufpinseln einer Mischung von Zinkoxyd,
Talkum, Glycerin und Wasser zu gleichen Teilen als zweckmäßig.
Kritzler empfiehlt — therapeutisch und prophylaktisch — die
sub- und intracutane Infiltration der Umgebung des Warzenhofes
mit 1/ proz. Chininlösung (ca. 30 ccm für beide Warzen).
Zur Bekämpfung der Hypogalaktie wurde von A. Seitz und
Vey die Diathermiebehandlung eingeführt und über gute Erfolge
berichtet. Die Behandlung wird zweckmäßig schon während der
Schwangerschaft begonnen. Werner empfiehlt Injektionen von
Caseosan oder Frauenmilch, Pok hatte gute Erfolge mit Injektionen
von „Extractum placentae sterilisatum“ (Richter, Budapest).
An der Milchpumpe von Jaschke - Scherbak, welche sich bei der Hypo- ;
galaktie und anderen Stillschwierigkeiten als so wertvoll erwiesen hat, läßt
sich nach dem Vorschlag von Kermauner eine Vorrichtung anbringen, welche
es ermöglicht, daß sich die Mutter selbst abpumpt.
Bezüglich der Ernährung der stillenden Mutter weist Grumme
besonders auf die Wichtigkeit ausreichender Eiweißzufuhr hin.
Wenn die für die Milchproduktion notwendige Vermehrung der
Nahrungszufuhr wegen mangelnden Appetits u. dgl. auf Schwierig-
keiten stoße, sei die Verabreichung konzentrierter Nährpräparate
angezeigt.
Über die Zufütterung künstlicher Nahrung beim Neu-
geborenen hat Schick seine Studien fortgesetzt und in Gemeinschaft
mit Helmreich verschiedene Gemische durchprobiert: Vollmilch;
Vollmilch mit 8!/,proz. Rohrzuckerzusatz; Doppelnahrung aus
Vollmilch, Butter, Mehl und Zucker; mit Zucker angereicherte
Trockenmilch. Es wird der reinen oder gezuckerten Vollmilch im
allgemeinen der Vorzug gegeben. Bei mit Fett angereicherter Nah-
rung ergaben sich größere individuelle Schwankungen der Toleranz:
78 ReuB. Heft 1
sie fiihrte manchmal zu gutem Gedeihen, zuweilen aber auch zu
Mißerfolgen. ‚Der Erfolg ist um so besser, je größer der Anteil
an Frauenmilch in der zugeführten Nahrung ist.“ Möge vor allem
diese Erfahrung beherzigt und beim Neugeborenen überhaupt so
wenig als möglich künstliche Nahrung beigefüttert werden! Wem
klinische Erfahrungen nicht genügen, der möge sich an die von
H. Langer erhobenen Befunde halten. Die Bedeutung der initialen
Frauenmilchernährung liegt nach diesem Autor darin, daß sie die
stark wuchernden Colirassen, deren Ansiedlung durch die künstliche
Nahrung begünstigt wird, zurückdrängt und die Besiedlung des
Darmes mit Colistämmen von geringem Wachstumsvermögen ver-
anlaßt.
Bei Frühgeborenen, denen schwer Nahrung beizubringen ist.
kann man nach Schicks Vorschlag den Nährwert der zu verfüttern-
den abgezogenen Frauenmilch in der Weise verdoppeln, daß man sıe
mit 17% Zucker versetzt, darf jedoch nicht außer acht lassen, daß
hierbei trotz Deckung des Calorienbedarfs die Eiweiß- und Salz-
zufuhr eine unzureichende werden kann. Man muß also bald für
entsprechende Zufütterung Sorge tragen. Jote und Nobel emp-
fehlen im Vakuum eingeengte Frauenmilch, welche vor der gezucker-
ten wegen des höheren Eiweißgehaltes den Vorzug verdient, aber
wohl nur für Anstalten in Betracht kommt.
Was die Kontraindikationen gegen das Stillen betrifft.
so geht aus Untersuchungen Moldenhauers hervor, daß tatsächlich
nur die offene Tuberkulose und wohl auch manchmal die Ruhr ein
Aufgeben des Stillens rechtfertigen. Im allgemeinen soll man bei
allen Erkrankungen — inneren (nichtinfektiösen und infektiösen.
akuten und chronischen), chirurgischen — ohne Rücksicht auf etwaige
Narkose, Mastitis — den Versuch machen, weiter stillen zu lassen.
Bei fieberhaften und schwächenden Krankheiten wird die Milchsekre-
tion nur durch das Darniederliegen des Allgemeinbefindens hemmend
beeinfluBt und pflegt nach erfolgter Besserung wieder anzusteigen.
Nach Oberg kann bei Fieber der Mutter trotz geniigender Nahrungs-
menge ein wahrscheinlich durch Toxiniibergang in die Milch ver-
ursachter Gewichtsstillstand eintreten. Mag diese Ansicht auch
richtig sein, so liegt damit doch keine Indikation zum Aufgeben des
Stillens vor.
Geburtsverletzungen.
Über eine seltene Weichteilverletzung infolge Umschnürung durch
den straffen Muttermund berichtet Henrard: Es fand sich ein
Heft ı Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 79
kranzartig um den Schädel verlaufender breiter Wundstreifen. Solche
durch den rigiden Muttermund veranlaßte Verletzungen bestehen
bekanntlich meist nur in Druckmarken oder Strangfurchen, welche,
wenn sie sich am Halse oder am übrigen Körper finden, nur aus-
nahmsweise nach Geburten in Schädellage vorkommen (Walz),
sondern meist nur bei in Beckenendlage geborenen Kindern.
Bezüglich der Entstehung des Cephalhämatoms äußert Schnei-
der die Ansicht, daß es durch unzweckmäßigen Dammschutz zu-
stande komme und demgemäß durch die entsprechende Prophylaxe
verhütet werden könne. Daß dies nicht ganz richtig sein kann, er-
gibt sich aus einer Mitteilung von Weinzierl, welcher ein Cephal-
hämatom bei einem durch Kaiserschnitt entwickelten Kinde beob-
achtete; es scheint schon durch die intrauterine asphyktische Stauung
zur Zerreißung periostaler Gefäße kommen zu können.
Die von den Klinikern gewöhnlich mit dem Namen „Entbin-
dungslähmung“ bezeichneten angeborenen Lähmungen der oberen
Extremität stellen wahrscheinlich ein ätioldgisch durchaus nicht
einheitliches Krankheitsbild dar. Es werden mehrfach Stimmen
laut, welche die Ansicht vertreten, daß wir es bei einer Anzahl der
Geburtslähmungen, und zwar insbesondere bei den persistierenden
Formen, gar nicht mit Folgen einer Geburtsverletzung zu tun haben,
sondern mit solchen einer intrauterinen Schädigung.: Weil denkt
an eine in utero erfolgte Druckschädigung des Plexus. Röntgen-
bilder scheinen dafür zu sprechen, daß die Druckwirkung manchmal
von der gegen den Hals vorgeschobenen Schulter ausgeht. Das
Vorkommen ausgesprochener Muskelatrophien sowie von Schlottern
des Schultergelenks in den ersten Lebenstagen scheint auf ein län-
geres Bestehen der Lähmung hinzuweisen. Für eine intrauterine
Genese spricht auch das gleichzeitige Vorkommen von verschiedenen
Deformitäten, wie Luxatio coxae, Scoliosis, Torticollis, Klump-
hand, Muskeldefekten usw. Während Weil auch für diese Fälle
an einer mechanischen Ätiologie festhält, geht Schubert noch einen
Schritt weiter und erklärt die Plexuslähmung als durch eine zentral-
nervöse Störung bedingt. Er weist darauf hin, daß gleichzeitig mit
der Armlähmung nicht nur die früher erwähnten Deformitäten
vorkommen, welche sich durch intrauterine Druckwirkung erklären
lassen, sondern auch andere Anomalien, wie z. B. Hypertrichosis,
Pigmentmäler, überzählige Finger, Verkürzung’ des gleichseitigen
Beins, welche sämtlich als koordinierte Hemmungsmißbildungen
aufgefaßt und auf die gleiche Ursache, nämlich eine Keimschädigung,
zurückgeführt werden können. Für die Annahme einer. zentral-
80 ReuB. Heft 1
nervösen Störung spricht auch der bisweilen ausgesprochen halb-
seitige Charakter in der Lokalisation der Deformitäten.
Wenn auch die Berechtigung einer solchen Auffassung zugegeben
werden muß, so müssen wir doch daran festhalten, daß bei der Mehr-
zahl jener Plexuslähmungen, welche im Laufe der ersten Wochen
oder Monate sich ganz oder teilweise zurückbilden, die ätiologische
Bedeutung des Geburtstraumas nicht in Frage gestellt werden kann,
besonders wenn man berücksichtigt, daß sich die Lähmungen vor-
wiegend nach schweren, und zwar meist operativ beendigten Geburten
finden, und daß anatomische Befunde vorliegen, welche das Bestehen
einer Nervenverletzung einwandfrei gezeigt haben.
So müssen z. B. 2 Fälle von Phrenicuslähmung, welche von
R. Weigert und Kofferath mitgeteilt werden, als zweifellos
traumatischen Ursprungs, nämlich durch Zangendruck zustande-
gekommen, aufgefaßt werden; in einem der Fälle fand sich auch eine
gleichseitige obere Plexusläihmung. Die Zwerchfellähmung äußert
sich durch rasche, angestrengte, vorwiegend thorakale Atmung,
doch muß die Diagnose durch eine Röntgenaufnahme verifiziert
werden, welche dann die charakteristische paradoxe Zwerchfell-
bewegung — Hochstand der gelahmten Zwerchfellhalfte bei der
Inspiration, Senkung bei der Exspiration — ergibt (s. a. Vogt).
In beiden Fällen trat nach verhältnismäßig kurzer Zeit vollkommene
Heilung ein.
H. Langbein beschreibt einen neuen Typ der Entbindungslahmung,
welcher durch vorwiegende Beteiligung der Brust- und Schultermuskeln charak-
terisiert ist. Bei einem 8jährigen Knaben wurde eine angeborene Lähmung der
folgenden Muskeln festgestellt: Serratus, Rhomboidei, Trapezius inf., Biceps,
Triceps, Pectoralis major, Latissimus dorsi. Es wird eine Läsion der 5. und
6. Cervicalwurzel angenommen. M. Bass beschreibt einen Fall von bilateraler
unterer Plexuslähmung.
Man hat bekanntlich mehrfach behauptet, die Entbindungs-
lähmungen seien vielfach überhaupt keine echten Lähmungen,
sondern Begleiterscheinungen einer Verletzung des Schultergelenks
oder oberen Humerusendes (s. Neck). Daß Distorsionen des Schulter-
gelenks Plexuslähmungen vortäuschen können, steht außer Zweifel.
Das Vorkommen von Luxationen des Humeruskopfes wird von
Valentin in Abrede gestellt. Nach seiner Ansicht kommen auch
Epiphysenlösungen nur in Ausnahmsfällen, nämlich bei grober Ge-
walteinwirkung zustande. Findet sich eine Knochenatrophie, so
ist diese als eine neurotische aufzufassen. als sekundäre Folge der
Nervenläsion.
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 81
Wie bei der angeborenen Facialislähmung, welche intrauterinen
(nucleären) Ursprungs oder intra partum erworben sein kann, wobei
übrigens nach Rosenbeck nicht, wie gewöhnlich angenommen wird,
der austretende Stamm, sondern die innerhalb der Parotis eingebet-
teten Äste des Facialis Sitz der Läsion sind, hätten wir auch bei den
angeborenen Armlähmungen die intrauterin entstandenen von den
bei der Geburt erworbenen zu trennen. Wir könnten mithin folgende
Formen der kongenitalen Armlähmung unterscheiden:
I. Intrauterinen Ursprungs:
I. echte Lähmungen:
a) zentral-nervösen Ursprungs,
b) Folge intrauteriner Druckwirkung.
2. Scheinlähmung: Parrotsche Lähmung bei Lues.
II. Geburtsverletzungen:
x. echte Lähmungen:
a) zentrale Läsionen bei intrakraniellen Blutungen;
b) Verletzungen des Plexus brachialis (Entbindungsläh-
mungen).
2. Scheinlahmungen hei Verletzungen im Bereich des Schulter-
gelenks und Humerus, vor allem bei Distorsionen der
Schulter.
Kahn stellte bei einem in Steißlage eingestellten, mit Armlösung,
aber ohne Anwendung von Gewalt entwickelten Zwillingskind,
welches post partum den betreffenden Arm schlecht bewegte, eine
Luxation im Ellbogengelenke fest, eine bekanntlich äußerst
seltene Geburtsverletzung. Greenhill berichtet über ein Kind.
dessen Oberschenkel in seinem oberen Drittel infolge eines Cervix-
krampfes so umschnürt wurde, daß es zu vorübergehenden Läh-
mungserscheinungen kam.
Über die intrakraniellen Verletzungen liegt eine größere
Zahl von Arbeiten vor, welche im wesentlichen eine Bestätigung
und Ergänzung älterer Befunde bringen. Recht zahlreich sind die
Mitteilungen über Tentoriumverletzungen. Es darf heute wohl als
gesicherte Tatsache hingestellt werden, daß sie die häufigste Ursache
der subduralen Blutungen sind (Vischer, Königsgarten u. a.).
Man hat zwar in einigen Fällen 'Tentoriumrisse ohne oder doch
ohne nennenswerte Blutung gefunden (Zangemeister), doch
handelt es sich hierbei nach Beitzke wahrscheinlich um postmortal
entstandene Verletzungen. Die Risse im freien Rand des Tentorium,
entstehen bei bitemporaler Kompression des Kopfes; bei frontos
occipitaler Kompression, wie sie z. B. bei hoher Zange erfolgen kann,
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 6
82 ReuB. Heft 1
kommt es zum AbreiBen des FuBes der Falx cerebri vom Tentorium
(Beitzke, Schafer, Zangemeister). Blutungen im Bereich der
Falx unterhalb des Sinus longitudinalis finden sich nach Gabriel
recht häufig und sind eine Folge der Zerreißung der zwischen beiden
Blättern verlaufenden feinen Venen; sie machen an sich keine klini-
schen Symptome, sind aber meist mit Tentoriumverletzungen ver-
gesellschaftet. Zerreißungen der Sinus sind selten, häufig jedoch
solche der in die Sinus einmündenden Venen. Nach Holland findet
man Tentoriumverletzungen besonders oft bei SteiBlage.
Daß intrakranielle Blutungen durchaus nicht nur nach operativen
geburtshilflichen Eingriffen, sondern auch bei spontan geborenen
Kindern nichts Seltenes sind, ja selbst bei Kaiserschnittkindern
gefunden werden, geht aus Mitteilungen von Henkel und Jorgen-
sen hervor. Ersterer mißt der Asphyxie als disponierendem Moment
eine wichtige ätiologische Rolle zu und empfiehlt, aus prophylak-
tischen Gründen vor allem sie hintanzuhalten; in diesem Sinne kann
mitunter die Zange das Zustandekommen einer intrakraniellen
Blutung verhüten. Fink weist darauf hin, daß Blutungen ın der
Schädelhöhle auch durch Traumen des graviden Uterus entstehen
können, entweder durch Gegenstoß des kindlichen Kopfes gegen
das mütterliche Becken oder infolge kurzdauernder Einklemmung
des Kindesschädels zwischen dem einwirkenden Gegenstand und
mütterlicher Beckenschaufel oder Wirbelsäule. Er teilt einen Fall
von Blutung in die vordere Schädelgrube mit, welche offenbar beim
Sturz der schwangeren Mutter vom Fahrrad zustande kam.
Was die Symptomatologie der intrakraniellen Blutungen betrifft.
sei folgendes hervorgehoben: Bei 2 Fällen von infratentorialer
Blutung sah Zimmermann den Tod unmittelbar im Anschluß
an den ersten (schnappenden) Atenızug eintreten; offenbar ruft
letzterer Strömungsveränderungen irn Kreislauf hervor, welche einen
plötzlichen stärkeren Bluterguß zur Folge haben. Thomas weist
auf eine bisher nicht beschriebene Art von Stridor congenitus hin,
die er als ‚zentralen Stridor‘‘ bezeichnet. Man findet ihn meist
nach schweren Geburten neben anderen zentralen Störungen im
Schluck- und Saugmechanismus; es dürfte sich um eine Läsion des
corticalen Schluck- und Kehlkopfzentrums handeln.
Docrfler beschreibt einen Fall von Protrusio bulbi, die auf einen intra-
kraniellen Bluterguß bezogen wird, der die Vena ophthalmica an ihrer Aus-
trittsstelle aus dem Sinus cavernosus komprimierte; der Exophthalmus bildete
sich im Verlauf einiger Wochen zurück. Feer berichtet über einen Säugling,
der durch mehr als ein halbes Jahr Temperaturschwankungen nach oben
und unten zeigte, als deren Ursache sich eine Verletzung des Halsmarkes
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 83
ergab, welche eine Unterbrechung der vom Wärmezentrum absteigenden
Leitungsbahnen zur Folge hatte.
Auf den diagnostischen und mitunter auch therapeutischen Wert
der Lumbal- evtl. auch der Subdural- und Ventrikelpunktion wird
von Voron und Delorme, Stefano, Foote, Irving, Sidbury,
Towne und Faber hingewiesen. Die letztgenannten beiden Autoren
berichten über einen Fall, welcher durch die Cushingsche Ope-
ration der Heilung zugeführt wurde. Als wichtige therapeutische
Maßnahme wird die Einverleibung gerinnungsfördernder Substanzen
angeführt; Rosamond injizierte mit Erfolg Hämoplastin, teils
intramuskulär. teils in den Sinus longit.
Bezüglich der Folgezustände cerebraler (seburtsschäden lehrt
eine Statistik von Schott, daß in der Ätiologie des Schwachsinns
nur bei etwa 3%, in der Ätiologie der Epilepsie sogar nur bei 1%
der Fälle eine Geburtsschädigung als alleinige Ursache angeführt
wird, so daß man bei der Mehrzahl der Fälle nur eine vorbereitende
Rolle des Geburtstraumas anzunehmen berechtigt ist. Auch Hannes
kommt auf Grund seiner statistischen Untersuchungen zu dem
Schluß, daß schwere Geburt und Asphyxie keine erhöhte Disposition
zu abnormer geistiger Entwicklung und Idiotie schaffen.
Nach allem, was wir heute über die Genese der intrakraniellen
Verletzungen und ihre Symptomatologie wissen, muß man mit der
Bewertung der Anamnese wohl recht vorsichtig sein. Wissen wir
doch, daß solche Verletzungen keineswegs nur nach schweren oder
operativen Geburten vorkommen und ihre Symptome, z. B. bei den
Pialblutungen der Frühgeborenen, oft recht wenig prägnant sind:
wurde man sich ihrer Häufigkeit doch erst am Sektionstisch be-
wußt!
Es sei an dieser Stelle besonders auf die wichtigen Befunde von
Schwartz hingewiesen, welcher unter rro zur Sektion gelangten
Neugeborenen Io5 mal ausgedehnte Schädigungen fand, und zwar
piale und cerebrale Blutungen sowie Erweichungsherde in der
Gehirnsubstanz. Die Blutungen waren bei Frühgeborenen meist
schon makroskopisch, bei ausgetragenen Kindern gewöhnlich nur
mikroskopisch sichtbar. Es zeigte sich fast immer ein deutlicher
Zusammenhang zwischen der Lokalisation dieser Veränderungen
und der Geburtslage. Kopfgeschwulst, Cephalhämatom, Pial- und
Intracerebralblutungen entstehen an der durch den Blasensprung
entstandenen Minderdruckstelle. Bei genügend großer Druck-
differenz staut sich daselbst das Blut, und die Blutgefäße zerreißen
(„Ansaugungsblutungen‘). Was Virchow seiner Zeit als Encephalitis
6*
84 ReuB. Heft 1
interstitialis congenita beschrieben hat, sind nach Schwartz durch
das Geburtstrauma hervorgerufene Erweichungsherde, welche sich
wenige Stunden nach der Geburt bilden, anfangs zum größten Teil
aus Fettkörnchenzellen bestehen und später vernarben. Solche
Erweichungsherde entstehen nicht nur infolge von Kreislaufsstörun-
gen, sondern auch durch direkte Traumen, Quetschung und Er-
schütterung. Schwartz glaubt, daß die traumatische Gehirn-
schädigung vielfach die Veranlassung nicht nur zur Totgeburt,
sondern auch zu Erscheinungen sein kann, die man der sog. Lebens-
schwäche zuzuzählen pflegt. Es läßt sich kaum beweisen, aber wohl
auch nicht in Abrede stellen, daß solche subtile Gehirnschädigungen,
welche jede Geburt im Gefolge haben kann, im Laufe der späteren
Entwicklung zu manifesten Störungen führen können.
Über einen Fall von schwerer Verletzung des Rückenmarks nach Wen-
dung und Extraktion berichtet Kooy. Sie führte zu Paraplegie und Sensi-
bilitätsverlust der unteren Extremitäten. Tod erst im 9. Lebensjahr.
Digestionstrakt.
Als „initiale Diarrhöe‘“ bezeichnet Davidsohn eine Form von
Durchfall, an welcher er die ins Spital aufgenommenen jungen Säug-
linge bei künstlicher Ernährung während der ersten Wochen ihres
Aufenthaltes erkranken sah. Es handelt sich um eine Darmaffektion.
welche sich vom sog. ,,Ubergangskatarrh‘‘ der Neugeborenen nur
graduell unterscheidet und wie dieser wahrscheinlich auf die über-
große Empfindlichkeit des Darmes gegenüber der Nahrung zurück-
zuführen ist. Wie bakteriologische Untersuchungen des Magen- und
Duodenalinhalts durch Hauschild zeigten, findet man in letzterem
keine Colibacillen, was den Schluß erlaubt, daß der Dünndarm
ireı von pathologischer Bakterienbesiedlung ist. Wir haben es
offenbar nur mit einer Dickdarmaffektion zu tun, welche (wie der
Übergangskatarrh) keine Nahrungsreduktion verlangt, sondern
durch Erhöhung der Calorienzufuhr behandelt werden soll, wobei
allerdings allzu kohlenhydratreiche Gemische zu vermeiden sind.
Jedenfalls lehren die Erfahrungen, daß ein brüsker Übergang zu
künstlicher Ernährung in der ersten Lebenszeit nach Möglichkeit
umgangen werden soll.
Bezüglich der Diagnostik der Darmatresien verdient eine Mit-
teilung von Levy Erwähnung, welcher bei einem Kind mit Atresia
ilei, das offenbar intrauterin erbrochen hatte, den Abgang von aus-
gesprochen grünem Fruchtwasser beobachtete, cin Befund, der bei
einer sonst ganz normalen Geburt vielleicht diagnostisch verwertet
Heft ı Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 85
werden kann. Schneider sah bei einer Duodenalatresie 3 Tage
andauerndes Bluterbrechen. Salzmann beobachtete bei derselben
Anomalie eine Vorwölbung der linken Unterbauchgegend. Hughes
berichtet über einen der seltenen Fälle von Darmokklusion durch
eingedicktes Meconium mit folgender Darmperforation und Perito-
nitis.
Über die Atiologie der kongenitalen Darmatresien s. bei Ritter und Hennig.
Respirationstrakt.
Mit den seiner Zeit von Ahlfeld beschriebenen intrauterinen
Atembewegungen befaßt sich in einer eingehenden Studie Walz.
Er hält diese Atembewegungen, an deren Vorkommen nicht zu
zweifeln ist, für eine notwendige Bedirigung zur Aufrechterhaltung
des fötalen Kreislaufes. Er glaubt, daß die Bewegungen der Atem-
muskulatur notwendig sind, um das Blut von der Placenta nach dem
Thorax mit entsprechender Geschwindigkeit anzusaugen. Wenn
bei Behinderung der placentaren Blutzufuhr die geringen Atem-
exkursionen zur Sauerstoffaufnahme nicht ausreichen, werden die
Atembewegungen so ausgiebig, daß die Barriere an der Stimmritze
durchbrochen wird.
Auf dem Gebiet der Asphyxiebehandlung werden verschic-
dene Vorschläge gemacht. Klee empfiehlt die Einführung eines
Trachealkatheters, dem eine Glaskugel zur Aufnahme der aspi-
rierten Massen vorgeschaltet wird, wodurch das wiederholte Ein-
führen des Katheters entbehrlich gemacht wird. Als eine zweck-
mäßige Methode der künstlichen Atmung gibt Greenwood eın
Verfahren an, das im wesentlichen darin besteht, daß (das zuerst mit
dem Kopf nach oben gehaltene Kind rasch bei den Füßen gehoben
wird, so daß nun der Kopf nach unten gerichtet ist. Bei dieser
Prozedur, welche ca. ı5mal in der Minute wiederholt wird, fallen
die Eingeweide bald gegen das Becken, bald gegen das Zwerchfell,
wodurch ein regelmäßiges Ansaugen und Auspressen von Luft aus
dem Thoraxraum erzielt wird. Lauer geht in der Weise vor, daB
er den Mund des Kindes gleichsam in seinen eigenen nimmt und seine
Atemluft entsprechend den eigenen Atembewegungen rhythmisch
einbläst; gelangt hierbei zu wenig Luft in den Thorax des Kindes,
so kann man dessen Nase vorsichtig zuhalten. Eine sehr bemerkens-
werte Methode, deren Nachprüfung sehr erwünscht wäre, sind die
von Mikulicz-Radecki in einigen Fällen mit Erfolg angewendeten
Injektionen von Lobelin (3 mg subcutan) zur Anregung des Atem-
zentrums. Ist auch das Herz erlahmt, so kann dessen Tätigkeit,
86 Reuß. Heft ı
wie schon früher mehrfach empfohlen, durch eine intrakardiale
Injektion von Adrenalin (1/,—1/, mg) angefacht werden (s. a. Dach-
arr y).
Die schon vor mehreren Jahren von Goeppert hervorgehobene
Bedeutung der Rhinitis als Ursache bedrohlicher Exsiccations-
zustände beim Neugeborenen wird von seinem Schüler C. Meier
neuerdings gewürdigt. Er weist darauf hin, daß sich die Erkrankung,
welche akut einzusetzen pflegt, manchmal nur in Veränderung der
Hautfarbe, in schweren Fällen aber auch in tiefer Benommenheit
und Krämpfen äußern könne. Fieber ist kein konstantes Symptom
dieses Durstschadens, der durch gewaltsame Flüssigkeitszufuhr rasch
behoben werden kann. .
Das ätiologisch so vielgestaltige Bild des Stridor congenitus
wird durch Thomas um zwei neue Typen bereichert, den bereits
oben erwähnten ‚zentralen Stridor“, und einen bei kräftigen Neu-
geborenen und jungen Säuglingen vorkommenden ,,Schreistridor“,
so genannt, weil er nur beim Schreien ertönt, beim Trinken und im
Schlaf aber nicht zu hören ist, wodurch er sich von dem gewöhn-
lichen Stridor benignus abgrenzen läßt, mit dem man ihn bisher
wohl konfundiert hat. Thomas und Kochenrath halten es übrigens
für unzweifelhaft, daß es Übergänge von Schreistridor zum klassischen
Stridor congenitus gibt, so daß vermutet werden könnte, dieser
sei eine Steigerung des Schreistridors. Ein anatomisch untersuchter
Fall von letzterem zeigte die bekannte Rinnenform der Epiglottis.
Die genannten Autoren nehmen an, daß dem frühen Kindesalter
im allgemeinen eine „Stridordisposition“‘ zukomme.
\tembehinderung infolge Struma congenita veranlaßte Melchior, bei
dem 2. Kind einer an Basedowkropf leidenden Mutter, deren erstes ebenfalls
mit Kropf behaftetes Kind kurz nach der Geburt gestorben war. am
3 Lebenstag die bilaterale Resektion der Schilddrüse vorzunehmen; der
Erfolg war gut.
Buttenwieser berichtet über ein Kind mit stridoröser Atmung und
Schlingbeschwerden infolge einer zwischen Oesophagus und Trachea befindlichen
Cyste. H. Schulze fand bei einem nach einem Monat unter zunehmender
Cyanose verstorbenen Kind, das seit der Geburt Atembeschwerden gehabt
hatte, die sich beim Einführen der Magensonde zu Erstickungsanfällen steiger-
ten, einen doppelten Aortenbogen, welcher Luft- und Speiseröhre ringförmig
umgab.
De kongenitale Pneumonie scheint häufiger vorzukomnıen,
als man bisher anzunehmen geneigt war. Fälle von Influenzapneu-
monie des Neugeborenen bei Influenza der Mutter wurden in den
letzten Jahren von Esch, Warwick. Fülöp beschrieben. Wenn
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 87
man bei einem totgeborenen Kind eine doppelseitige Pneumonie
findet, wie es der letztgenannte Autor beschreibt, muß man wohl
eine diaplacentare Infektion annehmen. Daß die Mehrzahl der in
den ersten lebenstagen vorkommenden Pneumonien Folgen einer
Aspiration infektiöser Stoffe aus dem Fruchtwasser oder den mütter-
lichen Geburtswegen oder aber solche einer aerogenen Infektion sind,
bleibt natürlich zu Recht bestehen. Solche Pneumonien scheinen
bei Kindern der ersten Lebenstage eine der häufigsten Todesursachen
zu sein. Sie sind klinisch oft schwer oder gar nicht zu diagnostizieren
und werden besonders bei debilen Kindern vielfach erst bei der
Sektion entdeckt, worauf Kolisko schon vor Jahren hingewiesen
hat, und was neuerdings von Nobel und Dabowsky betont wird.
Wenn physikalische Symptome fehlen, kann mitunter die Röntgen-
untersuchung das Vorhandensein von pneumonischen (und atel-
ektatischen) Verdichtungen aufdecken (E. Vogt). Selbst bei der
Autopsie können beginnende entzündliche Veränderungen über-
sehen werden, wenn nicht eine mikroskopische Untersuchung vor-
genommen wird (Browne).
Als „akute hämorrhagische Pneumonie“ beschreibt
Browne eine Erkrankung, welche Kinder der ersten l.ebenstage
hefallt und durch kongestive Hyperämie mit Gefäßrupturen und
konsekutiver Blutung in die Alveolen und Bronchien charakterisiert
ist. Die Erkrankung führt rasch zum Tode.
Rummel berichtet über einen Fall von isoliertem I.ungenabsceß bei einem
am 4. Lebenstag erkrankten Kind; der Durchbruch des Abscesses führte zu
eitriger Pleuritis. Wolf fand bei einem 3 Tage alten Kind ein hämorrhagisches
Pleuraexsudat (Streptokokkeninfektion).
Zirkulationsapparat.
Über eine Herzmißbildung, welche für den Kliniker deshalb nicht ohne
Interesse ist, weil sie eine längere Lebensdauer gestattet, berichtet Weber:
In einem Bruchsack zwischen Brustbein und Nabel findet sich eine pulsierende
Geschwulst, welche einem Anhang der Herzspitze entspricht. Das Kind wurde
im Alter von 5 Monaten operiert, und zwar mit Erfolg. In der Literatur finden
sich 9 derartige Fälle beschrieben, darunter ein ım 3. T.ebensjahr ebenfalls
erfolgreich operierter Fall von Wieting,
Gräper beschäftigt sich in einer längeren Arbeit mit der Frage des Ver-
schlusses des Ductus Botalli und spricht sich für die Virchowsche Theorie
aus (Verschluß durch Kontraktion der glatten Muskulatur).
Wenn ein Kind nach der Geburt oder in den ersten Tagen cyano-
tisch ist, so kann dies nach Gocppert entweder die Folge eines
Herzfehlers sein — dauernde Mischungscyanose oder vorübergehende
Cyanose bei anfänglicher Druckdifferenz zwischen dem kräftigeren
88 Reuß. Heft ı
rechten und linken Herzen —- oder der Ausdruck einer Druckdifferenz
zwischen rechtem und linkem Vorhof ohne Herzfehler. Die letzt-
genannte Form wird durch ein unzureichendes Arbeiten des linken
Vorhofes oder eine Druckzunahme im rechten Herzen verursacht
und findet sich als Folge einer Schädigung des Herzmuskels bei
Sepsis, bei Krampfanfällen und Lungenaffektionen. Die Druck-
differenz in den Vorhöfen kann nur so lange Cyanose erzeugen, als
das Foramen ovale offen ist.
Harnapparat.
Zur Pyelocystitis beim Neugeborenen liefert Hornung einen kasuist!-
schen Beitrag: aın 3. Lebenstag im eitrigen Harn Staphylokokken, welche all-
mählich an Menge abnehmen und in der 3. Woche durch Coli verdrängt werden.
Ich selbst sah bei cinem an einer ziemlich schweren Pemphiguserkrankung
leidenden Kind zu Beginn der 3. Lebenswoche eine Colicystitis, welche unter
der üblichen Therapie im Lauf einiger Wochen ausheilte.
Nervensystem.
Mit der Frage der kongenitalen Encephalitis beschäftigt
sıch Wohlwill. Er teilt einen Fall mit, wo sich im Gehirn eines
3 Tage alten frühgeborenen Kindes Veränderungen fanden, welche
nach dem histologischen Bild als Ausdruck einer Encephalitis un-
bekannten Ursprungs aufgefaßt werden mußten. Solche entzünd-
liche Erkrankungen gehören aber zu den größten Seltenheiten. Der
Begriff der Encephalitis congenita Virchow soll fallen gelassen
werden. Es handelt sich hier nicht um entzündliche Vorgänge,
sondern entweder um eine Ansammlung von Körnchenzellen, welche
als Aufbauzellen aufzufassen sind und keine pathologische Bedeutung
haben, oder um degenerative Abbauvorgänge. Diese degenerativen
Veränderungen im Gehirn Neugeborener sind Erweichungsherde
oder sklerotische Prozesses von nicht einheitlicher Ätiologie. Wohl-
will hebt gleich Schwartz (s. o.) die ätiologische Bedeutung des
Geburtstraumas hervor (Hämorrhagien, Commotio cerebri), doch
können seiner Ansicht nach auch endartcriitische Veränderungen,
möglicherweise auch endokrine Störungen bei diesen im Mark oder
auch in der Hirnrinde lokalisierten Erkrankungen im Spiele sein,
welche man als Encephaloskleromalacie, Sklerose des Hemisphären-
marks, lobäre oder atrophische Sklerose bezeichnen kann. Die
klinischen Bilder, welche den genannten Veränderungen entsprechen,
dürften in das Gebiet der cerebralen Kinderlähmung gehören.
Die eitrige Meningitis ist, wie die bereits recht reichhaltige
Kasuistik lehrt, eine nicht gar seltene Erkrankung des Neugeborenen
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 89
und dürfte nach den intrakraniellen Geburtsverletzungen die häufigste
Ursache von Krämpfen in den ersten Lebenstagen sein. Fieber kann
dabei vollkommen fehlen, wie mich kürzlich ein selbstbeobachteter
Fall wieder lehrte.
Von einer Staphylokokkenmeningitis berichten C. de Lange und Schiffers,
von einer Meningokokkenmeningitis mit auffallend protrahiertem Verlauf Root.
Funkhouser beschreibt einen im 7. Monat mit Erfolg operierten Fall
von doppelseitiger Encephalocele in der Gegend der Nasenwurzel (Foramen
coecum), Santner einen großen doppelten Occipitalbruch: obwohl die Opera-
tion eine reine Meningocele ergab, kam es in ihrem Gefolge zu Hydrocephalus,
Erblindung und Idiotie.
Knochensystem.
Mit der beim Säugling häufig auffallenden Einwärtskrümmung
der Unterschenkel, über deren Bedeutung der Arzt von den Müttern
bekanntlich oft interpelliert wird, beschäftigt sich Zschocke.
Es handelt sich, wie Skelettpräparate zeigten, nicht um eine Ver-
krümmung der Tibien, sondern bloß um eine eigentümliche Haltung
in den Gelenken, wie sie der im Fruchtwasser schwimmende Foetus
einnimmt, um ein Verharren in der ‚„Urform‘“. Der Uterusdruck
spielt hierbei keine Rolle.
Die Luxatio coxae congenita ist bekanntlich beim Neugeborenen
nur selten zu erkennen, schon deshalb, weil anfänglich keine voll-
ständige Luxation, sondern nur eine Subluxation zu bestehen pflegt.
Bei den wenigen schon in den ersten Lebenstagen konstatierten Hiift-
gelenksluxationen fanden sich stets andere Deformitaten, die als Folgen
einer Zwangshaltung in utero gedeutet werden muBten (Sippel).
Lydia Sicher bringt lehrreiche histologische Befunde über den
angeborenen Weich- und Lückenschädel. Neurath berichtet über
hereditare Ossificationsdefekte am Scheitelbein, welche sich als
symmetrisch zur Sagittallinie in den Scheitelbeinen liegende, mit
normaler Haut bedeckte Fenster darstellen und als typische Ent-
wicklungshemmung aufzufassen sind.
Die Chondrodystrophie ist nach Du ken durch eine Druckwirkung von seiten
des Amnion verursacht.
Baumann berichtet über einen schweren Fall von Osteogenesis imperfecta
bei einem frühgeborenen Kind, das mit multiplen Frakturen zur Welt kam
und im Laufe des ersten Lebensjahres vier Spontanfrakturen erlitt, dabei aber
verhältnismäßig gut gedieh.
Madier sah bei einem Neugeborenen mit eitriger Mastitis in der zweiten
Woche eine Osteomyelitis des 4. Brustwirbels.
Nürnberger und Errard beobachteten bei neugeborenen Kindern schwanz-
artige Anhänge, welche sich bei der histologischen Untersuchung als bloß aus
Bindegewebe mit Blutgefäßen bestehend erwiesen.
go ReuB. Heft 1
Haut.
Uber angeborene Hautdefekte am Kopf berichten Jacquin und
Graff. Der Vater des von Graff beobachteten Kindes zeigte an
derselben Stelle des Kopfes einen kongenitalen Hautdefekt. Die
bisherige Auffassung, daß die Defekte von amniotischen Verwach-
sungen herrühren, braucht deswegen nicht aufgegeben zu werden.
Hereditäres Auftreten findet man ja auch bei anderen, zweifellos
mechanisch zustandekommenden angeborenen Deformitaten wie
Klumpfuß und Hasenscharte, was wohl so zu erklären ist, daß eben
die mechanisch wirkenden Faktoren es sind, welche vererbt werden.
Große angeborene Hämangiome resp. Cavernome beschrieben
Stiefelund Gänsbauer. Die Affektion scheint auf konstitutionelle
Minderwertigkeit hinzuweisen.
In einer bemerkenswerten Studie über die sog. „blauen Geburts-
flecke‘“ (Mongolenflecke) weist Zarfl auf Untersuchungen von
Toldt hin, welcher bei Affen eine durch Corium- und Epidermis-
pigmentierung hervorgerufene Hautzeichnung feststellen konnte.
was die Annahmc berechtigt erscheinen läßt, daß auch die Vorfahren
des Menschen eine ähnliche spezifische Hautpigmentierung besessen
haben. Wenn man die Mongolenflecke in diesem Sinne als allgemeine
atavistische Erscheinung auffaßt, so muß deswegen der Einfluß
der Rassenkreuzung nicht geleugnet werden. Durch Einschlag
von Rassen, bei denen sich die ursprüngliche Hautzeichnung besser
erhalten hat, kann das Auftreten der Geburtsflecke gefördert werden.
Zarfl beschreibt zum erstenmal einen in der behaarten Kopfhaut
lokalisierten Mongolenfleck.
Fälle von Ichthyosis (Hyperkeratosis) congenita werden von Mc Anslin,
C. de Lange-Schippers, Heidler beschrieben.
Im Gegensatz zu Matzenauer, welcher bekanntlich auf Grund
von Uberimpfungsversuchen den Pemphigus neonatorum und
die Impetigo contagiosa für eine einheitliche Erkrankung erklärte.
fand Bierende, daß die Verimpfung des Inhalts von Pemphigus-
blasen von Neugeborenen auf Erwachsene bei intakter Haut über-
haupt nicht gelingt, nach vorheriger Schädigung aber die Entwick-
lung typischer Pemphigusefflorescenzen zur Folge hat. Es wird
daraus der Schluß gezogen, daß der Erreger des Pemphigus neona-
torum simplex ein spezifischer Staphylokokkus sei. Therapeutisch
wird Betupfen des Blasengrundes mit Sublimat und Alkohol und
Applikation einer Protargolsalbe empfohlen. Gralka sah günstige
Erfolge von Bestrahlungen mit künstlicher Höhensonne, welche man
bei prognostisch zweifelhaften Fällen stets anwenden solle.
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. QI
Mautner beobachtete bei einem Neugeborenen eine schwere
Form von Pemphigus, welche stellenweise zu tiefgreifenden Ulcera-
tionen mit Zerstörung von Skeletteilen (Phalangen) führte; Tod
nach 2 Monaten. Da die Anamnese ergab, daß zwei Geschwister des
Kindesvaters mit ähnlichen Blasen zur Welt gekommen seien, wird
ein hereditäres Verhalten angenommen — eine Art Epidermolysis
hereditaria non traumatica — und der Name ,,Pemphigus heredi-
tarius‘‘ vorgeschlagen.
Liebe fand im Blaseninhalt eines Pemphigus neon. Gonokokken.
J. Lange berichtet über ein typisches Bromexantheın bei dem Kind einer
Epileptikerin, welche während der Schwangerschaft wiederholt Brom ein-
genommen hatte. :
Grimaldi fand bei zwei Neugeborenen mit Sklerem eine Ver-
größerung der Thymus und nimmt deshalb eine Dysfunktion der
Thymus an; Bourne denkt an eine Funktionsstörung der Thyreoi-
dea, da er ein Sklerem unter Behandlung mit Thyreoidin verschwin-
den sah; Hodder sah ein Sklerema neonatorum nach starkenı
Blutverlust der Mutter infolge Placenta praevia. Brinckmann
stellte bei Sclerem eine amorphe, strukturlose Kalkmasse in den
Fettalveolen fest. Auch Dorlencourt, Banu und Paychere
fanden die Mineralsalze (mit Ausnahme des Kochsalzes) im Sklerem-
gewebe vermehrt, den Wassergehalt stark vermindert, den Gesanıt-
fettgehalt, insbesondere den Gehalt an Ölsäure, beträchtlich herab-
gesetzt.
Unsere Kenntnisse über die sog. Sklerodermie der Neugebo-
renen wurde durch histologische Befunde bereichert, welche Bern-
heim-Karrer und Keilmann mitteilen. Sie stimmen darin über-
ein, daß es sich um Reizerscheinungen handelt, welche durch irgend-
cine chemische Zersetzung des Fettes innerhalb der Fettalveolen
hervorgerufen wird. Bernheim-Karrer fand eine Nekrose des
Fettgewebes mit beträchtlicher entzündlicher Infiltration der Um-
gebung, Keilmann in Herden eines späteren Stadiums Wucherung
von jugendlichen Fettzellen, Fibroblasten, Riesenzellen, kleinzellige
Infiltration, keine Zeichen von Nekrose. Wie der ganze klinische
Verlauf weisen auch diese Befunde darauf hin, daß wir eine von der
Sklerodermie der Erwachsenen differente Hauterkrankung vor uns
haben, wenn auch in einzelnen Fällen beobachtet wurde, daß sich
die Herde nicht immer’ restlos zurückbilden, sondern zuweilen mit
Hinterlassung zentraler Atrophie ausheilen (R. Pollitzer). Auch
in den neueren Mitteilungen wird auf das häufige symmetrische
Auftreten sowie auf Beziehungen zu Geburtstraumen hingewiesen.
92 Reuß. Heft ı
Bei einem frühgeborenen Kind mit anfangs allgemeinen, später
am Gesicht, Hals und Genitale lokalisierten Ödemen fand Petenyi
eine auffallend kleine Schilddrüse, was ihn veranlaßt, die Frage auf-
zuwerfen, ob bei den Ödemen der Frühgeborenen nicht eine
Hypothyreose sowie eine mit letzterer vielleicht in Zusammenhang
stehende vasomotorische Labilität eine ätiologische Bedeutung
haben könne. Er hält es nicht für gerechtfertigt, das isolierte Genital-
ödem von den sonstigen Ödemen klinisch zu trennen.
Koegel berichtet über 2 Fälle von Hydrops foetus universalis mit Blut-
bildungsherden in Leber und Milz. Ätiologie in einem Fall Schwangerschafts-
nephritis, im anderen Syphilis.
Nabel.
Die vielbesprochene Frage, ob man ein Kind vor Abfall des Nabel-
schnurrestes baden solle, wird von H. Küstner einer neuerlichen
Bearbeitung unterzogen. Es fanden sich bei den gebadeten Kindern
verhältnismäßig häufig pathogene Keime im Nabelbett, welche bei
den nicht gebadeten stets vermißt wurden; ferner zeigte der Stumpf
öfters feuchte Gangrän. Es wird deshalb das Unterlassen des Bades
empfohlen. In demselben Sínn äußert sich Kritzler.
In einer lehrreichen Abhandlung über Nabelerkrankungen berichtet
Cullen u. a. über das Vorkommen atheromatöser Cysten des Nabels,
weicher, lipomartiger, gestielter Tumoren, welche seit den ersten
Lebenstagen bestehen und operativ entfernt werden sollen.
Nabelschnurbrüche sollen trotz der Möglichkeit einer Spontan-
heilung unter allen Umständen, und zwar möglichst früh, der Opera-
tion zugeführt werden. Genschel berichtet über eine große Nabel-
schnurhernie, bei welcher wegen Vorlagerung der Leber die Schließung
der Bauchdecken nur unter ziemlich starker Spannung möglich war
und trotz nachträglicher Dehiscenz und Eiterung Heilung erzielt
wurde. Tennent empfiehlt zur Entlastung der gespannten Därme
eventuell eine Appendikostomie vorzunehmen.
Hämorrhagien, Haemophilia neonatorum.
Wenn ich seinerzeit vorschlug, die Melaena neonatorum in benigne
und hämophile Formen zu scheiden, so geschah dies auf Grund klini-
scher Beobachtungen. Das Vorkommen von Übergangsformen schien
mir nicht gegen die Berechtigung des gewählten Einteilungsprinzips
zu sprechen, an dem ich nach den in den letzten Jahren veröffentlich-
ten Befunden über die Veränderungen der Blutungs- und Gerinnungs-
zeit in den ersten Lebenstagen auch heute noch festhalten zu können
glaube.
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 93
Man hat unter physiologischen Verhältnissen im Blute des Neu-
geborenen, besonders um die Mitte der ersten Lebenswoche, eine
Verzögerung der Gerinnung feststellen können (s. o.), welche unter
pathologischen Verhältnissen eine ganz wesentliche Steigerung er-
fahren kann; so fand z. B. Rodda bei Melaena eine Verlängerung
der Gerinnungszeit bis auf go Minuten! Es tritt so ein Zustand ein,
der an die konstitutionelle Hämophilie erinnert und deshalb am
einfachsten als ‚Haemophilia neonatorum“ zu bezeichnen wäre.
Wie bei der ersteren kommt es auch bei dieser passageren Störung
in der Koagulationsfähigkeit des Blutes erst dann zum Manifest-
werden der Erscheinung, wenn entsprechende Gefäßläsionen vor-
handen sind, die den Austritt von Blut ermöglichen. Hämorrhagien
sind beim Neugeborenen etwas sehr Häufiges, man könnte fast sagen
Physiologisches. Man findet sie als Folge der intra partum eintreten-
den Stauung in der Haut, den Schleimhäuten, aber auch in vielen
Inneren Organen, wie z. B. in der sehr capillarreichen Nebennieren-
rınde. Bei normaler Blutgerinnbarkeit werden diese Hämorrhagien
klinisch erst dann bedeutungsvoll, wenn sie größere Blutgefäße
betreffen, oder wenn sie an einer „empfindlichen“ Stelle lokalisiert
sind. Ein in die hintere Schädelhöhle blutender Tentoriumriß braucht
gar nicht umfangreich zu sein, um den Tod herbeizuführen. Im
allgemeinen werden die Hämorrhagien aber erst dann verhängnis-
voll, wenn die Haemophilia neonatorum sich hinzugesellt. Was die
Ursache der letzteren ist, entzieht sich einstweilen freilich unserer
Erkenntnis. Wahrscheinlich handelt es sich meist —- so vor allem
bei der hämophilen Frühform der Melaena —- um irgendwelche
toxische Stoffwechselprodukte, welche in geringerem Maße schon
unter normalen Verhältnissen wirksam sind. Es ist aber durchaus
möglich, daß gelegentlich auch infektiöse Noxen in diesem Sinne
wirken können. So fanden Stransky und Schiller bei einer
hämorrhagischen Streptokokkensepsis in der 3. Lebenswoche eine
ausgesprochene Herabsetzung der Gerinnbarkeit des Blutes. Daß
auch bei den Frühformen der Melaena ektogene Ursachen im Spiele
sein können, darauf scheinen Beobachtungen von Bernheim-
Karrer hinzuweisen, welcher in der Züricher Frauenklinik im
Laufe von 6 Tagen 6 Säuglinge an Melaena erkranken sah, allerdings
ohne einen Infektionserreger nachweisen zu können.
Es scheint mir nicht gegen die Berechtigung zur Aufstellung
des Begriffs Haemophilia neonatorum zu sprechen, wenn bezüglich
Schwere des Krankheitsverlaufs und Störung des Gerinnungsvorgangs
gewisse Unstimmigkeiten bestehen. Es wird niemand bestreiten,
94 Reuß. Heft ı
daß es aus einem Ulcus intestini oder ventriculi stark bluten kann.
auch ohne daß die Gerinnungszeit verlängert sein muß, ebensowenig.
daß eine hämorrhagische Sepsis an sich zu starken Blutverlusten
Veranlassung geben kann: abgesehen von der Gefäßwanderkrankung
mag hier auch die durch die infektiöse Noxe hervorgerufene aktive
Hyperämie blutungsfördernd wirken (Lötzenberg und White).
Andererseits kann die Gerinnungszeit verlängert sein, ohne daß
es zu schweren Blutungen kommen muß, wenn die Grefäßverletzung
keine bedeutende ist.
Die klinischen Erfahrungen drängen dazu, dem hämophilen
Zustand des Blutes eine Bedeutung beizumessen, sei es nun bei den
intrakraniellen Blutungen, sei es bei der Melaena oder anderen
hämorrhagischen Erkrankungen, und auch dementsprechend thera-
peutisch vorzugehen. Gelston berichtet über eine schwere Ompha-
lorrhagie bei einem dreitägigen Kind mit ausgesprochenem Mangel
an Prothrombin, welches einige Stunden nach der Injektion von
Citratblut wieder in normaler Menge vorhanden war. Von gün-
stigen, ja geradezu lebensrettenden Wirkungen der Bluttransfusionen
resp. -injektionen berichten auch Lapage, Laurie, Jervell,
Bamberger.
Was die Lokalisation der Hämorrhagien betrifft, so sei auf die
bisher noch wenig beachteten Blutungen in der Thymus hingewiesen.
wie sie Wahl und Walthall beschreiben. Müller beobachtete
einen Bluterguß ins Mittelohr, ferner ein Ulcus oesophagi, Lambrı
Blutungen aus der Wangenschleimhaut, welche beim Saugen an der
schwergiebigen Mutterbrust auftraten, Fraser und McCarsnev
‚eine Blutung in den Peritonealraum nach Durchbruch eines Häma-
toms, welches sich infolge Ruptur der persistierenden Dpttergang;-
arterie gebildet hatte.
Daß Nebennierenhämatome auch bei weitgehender Zerstörung
des Gewebes symptomlos bleiben können, ist vielleicht durch die
für den jungen Säugling physiologische Hypadreninämie und das
dementsprechend geringe Adrenalinbedürfnis zu erklären, wodurch die
verminderte Adrenalinproduktion latent bleiben kann (Victor, Vogt).
Winckelscher Symptomenkomplex, Methämo-
globinämie.
In meinem letzten Sammelreferat schlug ich vor, den Ausdruck
„Winckelsche Krankheit“ durch die Bezeichnung ‚Winckelscher
Symptomenkomplex“ zu ersetzen. Er besteht nach der Schilderung
seines Autors in schwerer Cyanose. mehr oder minder ausgeprägtem
Heft ı Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 95
Ikterus, Hämoglobinurie, toxischem Allgemeinzustand. Fehlt letz-
terer und vor allem die Hämoglobinurie, so bleibt von dem Komplex
nur die Cyanose übrig, welche, wie wir jetzt wissen, durch eine Met-
hämoglobinämie verursacht wird und dadurch einer Reihe von
prognostisch sehr verschiedenartigen Krankheitszuständen zwar
etwas Gemeinsames verleiht, nach meinem Dafürhalten aber doch
nicht genügt, um die in den letzten Jahren bei jungen Säuglingen
wiederholt beobachteten und durchweg günstig verlaufenen Stempel-
farbenvergiftungen mit den schweren Septicämien Winckels in
einen Topf zu werfen. Die Methämoglobincyanose gehört zwar
zum Winckelschen Symptomenkomplex, ist sie aber allein vorhan-
den, dann lasse man den Namen Winckel lieber weg. Wie Neu-
land ausführt, können verschiedenartige chemische Gifte in gleicher
Weise zu der genannten Veränderung des Blutfarbstoffs führen wie
bakterielle Gifte. Als erstere kommen in Betracht: Anilinöl, Naph-
thalin, Nitrobenzol, evtl. Vaselinöl. Alle jüngst beschriebenen Fälle
beziehen sich auf Vergiftungen mít Farbstoffen. welche zum Stempeln
der Wäsche benützt werden. Die Cyanose dauerte bald nur wenige
Stunden, bald mehrere Tage an, verschwand aber stets ohne weitere
Schädigung des Kindes (Neuland, Thomsen, Tebbe, Theodor).
Einen Fall von foudroyant verlaufender hämorrhagischer Strepto-
kokkensepsis mit dem Winckelschen Symptomenkomplex beschrei-
ben Anders und Stern.
Transıtorisches Fieber.
Daß die Exsiccation beim transitorischen Fieber ein bedeutsamer
ätiologischer Faktor ist, wird heute allgemein anerkannt, wenn auch
immer wieder die Beobachtung gemacht wird, daß zwischen Ge-
wichtsverlust und Fieber kein ganz gesetzmäßiger Parallelismus
besteht (Grulee und Bonar, Utheim). Bakwin ist allerdings
der Ansıcht, daß man Gewichtsverlust und Exsiccation nicht ohne
weiteres identifizieren könne. Man dürfe aus der Gewichtskurve
allein nicht auf den Grad der Exsiccation schließen. Denn der Ge-
wichtsverlust kann stark sein, ohne daß die Serumkonzentration
eine enorm hohe ist; wenn das transitorische Fieber bei starkem
Gewichtsverlust ausbleibt, so muß dies also noch nicht gegen die
ätiologische Bedeutung der Austrocknung sprechen. Ebensowenig
spricht gegen letztere der Umstand, daß das Fieber zuweilen schwindet,
bevor eine Gewichtszunahme eingetreten ist; denn der Temperatur-
abfall tritt bei Zunahme des Plasmawassers ein, und diese kann er-
folgen, ohne daß das Körpergewicht zunimmt. Die Eiweißkonzen-
96 | ReuB. Heft 1
tration des Serums kann beim transitorischen Fieber Werte erreichen.
wie man sie sonst nur bei akuten alimentären Intoxikationen fest-
stellen kann (S.C. = 9—91/%). Doch führt Bakwin auch ein
Kind an, welches schon bei S.C. = 7,6% fieberte, und ein anderes,
welches bei S. C. = 8,2% afebril blieb. Es müssen also doch wohl
noch andere Dinge im Spiel sein.
Man muß sich meines Erachtens auch die Frage vorlegen, ob denn
das Fieber nur die Folge des Wasserverlustes sein muß oder richt
auch seine Ursache sein kann. Selbst wenn man die Exsiccatıon
als das wesentliche pyretogene Moment anerkennt, wird man sich
fragen müssen, welche endogenen Ursachen denn diesen sonst nur
bei Intoxikationen vorkommenden akuten DehydrationsprozeB
herbeiführen. Ich bleibe vorläufig bei meiner Behauptung, daß
der Exsiccation zwar ganz sicher eine erhebliche, aber doch nur aus-
lösende Bedeutung zukommt.
Zu derselben Ansicht gelangt Langstein auf Grund sehr bemer-
kenswerter Versuchsergebnisse. Durch entsprechende Flüssigkeits-
karenz wurden Kinder, welche zur typischen Zeit gefiebert hatten.
nach einigen Tagen ein- bis zweimal in einen Exsiccationszustand
versetzt; darauf reagierte nun die Mehrzahl der Kinder mit Unter-
temperaturen, die Minderzahl mit geringen, aber niemals die Höhe
des Initialfiebers erreichenden Temperatursteigerungen. Es wäre
interessant zu wissen, wie sich in solchen Fällen die Serumkonzen-
tration verhält. Jedenfalls spricht der Versuch dafür, daß während
der Tage, in welchen das transitorische Fieber aufzutreten pflegt,
eine besondere Fieberdisposition vorhanden ist. Langstein ver-
mutet, daß um die kritische Zeit irgendeine Noxe in Wirkung tritt.
welche den nervösen Mechanismus der Wärmeregulation verändert.
Für die Bedeutung einer nervösen Komponente scheint ihm auch
die außerordentliche Unruhe zu sprechen, welche die fiebernden
Kinder zu zeigen pflegen. Welcher Art die supponierte Noxe ist.
bleibt allerdines unbeantwortet.
Infektionskrankheiten.
Morawetz hatte Gelegenheit, in einer kleinen Entbindungsanstalt
eine Variola-Epidemie zu beobachten. Die Mütter, welche sämtlich
in ihrer Kindheit geimpft worden waren, erkrankten nicht, von den
Neugeborenen mehr als die Hälfte. Aber nur eines der Kinder bot
die Erscheinungen einer schweren Variola confluens; bei den übrigen
verlief die Variola auffallend rasch, meist mit ungewöhnlich kleinen
und spärlichen Efflorescenzen. Man darf demnach annehmen, daß
Heft ı Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 97
die Impfung der Mutter entweder eine totale Immunität des Kindes
zur Folge hat oder doch zu einer allergischen Modifikation des Krank-
heitsbildes bei demselben führt.
Daß die Impfung der Mutter den Verlauf der Vaccination
beim Neugeborenen nicht wesentlich beeinflußt, lehren neuerdings
diesbezügliche Untersuchungen von Mensching. Es blieben zwar
38%, der Impfungen bei den Neugeborenen erfolglos, bei den 62%
positiven Fällen zeigte sich aber eine ganz normale Entwicklung
der Impfpusteln. Das seltene Auftreten des Impffiebers (2%) wurde
neuerlich konstatiert.
Schulze beschreibt eine zwischen 4. und 10. Lebenstage ablaufende Er-
krankung, die er als Masern anspricht und von einer Masernerkrankung her-
leitet, die die Mutter 14 Tage a. p. gehabt haben soll. Da Kopliksche Flecke
fehlten und die Masern der Mutter nicht ärztlich konstatiert waren, darf die
Diagnose wohl nur als Wahrscheinlichkeitsdiagnose verwertet werden. Das-
selbe gilt von einem Scharlachfall, den Dorner bei dem Kinde einer schar-
lachkranken Wöchnerin beschreibt. Die Diagnose wurde hier nur aus der
Schuppung gestellt; trotz täglicher Inspektion konnte weder ein Ausschlag
noch eine Angina konstatiert werden, die Temperatur erhob sich nur einmal
auf 37,6°. Dorner berichtet gleichzeitig über Fälle, wo bei schwerem Scharlach
der Mutter das Kind gesund blieb, und spricht sich auch für das Weiterstillen
scharlachkranker Wöchnerinnen aus.
Bezüglich der Diagnose Diphtherie beim Neugeborenen hat
sich eine interessante Kontroverse entsponnen.. Auf der einen
Seite wurde mittels der Schickschen Reaktion die Tatsache fest-
gestellt, daß die überwiegende Mehrzahl aller Neugeborenen Anti-
körper gegen Diphtherie im Blute besitzt, auf der anderen Seite
wird über Befunde nicht nur klinisch, sondern auch bakteriologisch
verifizierter Diphtherie trotz negativer Schick-Reaktion berichtet.
Der Widerspruch läßt eine zweifache Erklärung zu. Entweder es
handelt sich, wie Kirstein annimmt, um eine „biologische Eigen-
tümlichkeit des Neugeborenen“, darin bestehend, daß es weder
durch das von der Mutter übernommene noch durch das mittels
Heilserums einverleibte Antitoxin geschützt ist, weil es dasselbe
nicht zu verwerten imstande ist, oder die als Diphtheric angesproche-
nen Erkrankungen sind keine solche. Gröer glaubt das letztere
auf Grund von Versuchen behaupten zu können, welche ergaben,
daß ursprünglich antitoxinlose, also Schick-positive Kinder nach
Einverleibung von Diphtherieantitoxin auf Dipntherietoxin negativ
reagierten, also Schick-negativ wurden, was darauf hinzuweisen
scheint, daß das Neugeborene das ihm einverleibte Antitoxin in
gleicher Weise wie das ältere Kind zu verwerten vermag. Auch
Schick selbst spricht sich dahin aus, eine negative Intracutan-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 7
98 | Reuß. Heft ı
reaktion sei dafür beweisend, daß eine Erkrankung trotz klinisch
suspektem Aussehen und positivem Bacillenbefund keine echte
Diphtherie sei. Wenn man bedenkt, wie häufig man morphologisch
als Diphtheriebacillen imponierende, zweifellos nur saprophytisch
wachsende Stäbchen im Nasensekret oder auf belegteneWundflachen
findet, sowie daß croupös-diphtheritische Entzündungen auch durch
andere Erreger hervorgerufen sein können, so erscheint die Be-
hauptung nicht so befremdend als es fürs erste erscheinen mag,
besonders da es sich bei der fraglichen Diphtherie des Neugeborenen
fast ausschließlich um Nasen- und Nabelerkrankungen handelt.
In praxi wird man vorläufig besser fahren, bei einer klinisch und
bakteriologisch als Diphtherie imponierenden Erkrankung Heilserum
zu injizieren, um so mehr, als man die Injektion von Serum im
Sinne einer unspezifischen Proteinkörpertherapie rechtfertigen kann.
Daß der Typhus einer Schwangeren ohne Einfluß auf das Kind
bleiben kann, lehrt wieder eine Beobachtung von Wichels (Geburt
im g. Schwangerschaftsmonat in der 3. Krankheitswoche). Trotz
hohen Agglutiningehaltes des mütterlichen Serums ließen sich bei
fortlaufenden Untersuchungen im Serum des (gesunden) Kindes
keine Agglutinine nachweisen.
Über 3 Paratyphuserkrankungen bei Neugeborenen (Kontakt-
infektionen) berichtet Voigt. Klinisch verliefen die Fälle zweimal
als akute Gastroenteritis, einmal unter dem Bild einer schweren,
rasch zum Tode führenden Sepsis. Walz-Georges sah bei zwei
in der Schwangerschaft an Ruhr erkrankten Frauen Frühgeburt
eintreten; die Kinder erkrankten in den ersten Lebenstagen an
‚typischer Ruhr.
Zeissler und Käckell züchteten bei einem Fall von Nabel-
tetanus den Nicolaierschen Bacillus in Reinkultur und prüften
ihn nach allen Richtungen; nur wenige Fälle der Literatur genügen
bisher dieser Forderung. Therapeutisch wird von Progulski emp-
fohlen, das Heilserum nebeneinander intralumbal (bis 50 A. E.).
subcutan um den Nabel (50 A. E.) und intramuskulär (100 A. E.) zu
injizieren. Narkotica sind in relativ hohen Dosen zu geben: Vero-
nalnatrium ?!/,—!/, dg, zweimal täglich; Natr. brom. 1/,—ı g täglich.
A. Mayer sah gute Erfolge von intracutanen Aolaninjektionen.
Ibrahim berichtet über die beruhigende Wirkung von Magnesium-
sulfatinjektionen (15—25 proz. Lösung, dreimal täglich, bis zur
Höchstdosis von je 0,75g MgSO,).
Die ungünstige Prognose des Erysipels beim Neugeborenen
beruht wahrscheinlich auf geringer Resistenz, auf welche das Fehlen
Heft 1 Zur Physiologie und Pathologie der Neugeborenen. 99
besonderer entzündlicher Gewebsveranderungen in der Cutis und
Subcutis hinweist (Daléas).
Die Kasuistik der intrauterinen T uber kulose wird durch Dubois
und Käckell um 2 Fälle bereichert, welche wohl beide als Frucht-
wasserinfektionen aufzufassen sein dürften. Es handelte sich in beiden
Fällen um Kinder schwer tuberkulöser Mütter mit Placentartuber-
kulose, welche sofort nach der Geburt von der Mutter getrennt
wurden, so daß eine aerogene Infektion ausgeschlossen erscheint.
Tod am 54., resp. 20. Tage. Die Sektion ergab beidemal einen Lungen-
herd mit Hilusdriisentuberkulose. DaB bei Placentartuberkulose
Tuberkelbacillen ins Fruchtwasser gelangen können, geht neuerdings
aus Untersuchungen von Geipel hervor, welcher unter 3 Fällen
einmal einen positiven Befund erheben konnte.
Rietschel verteidigt gegenüber Pfitzer seine Theorie von der
Syphilisinfektion intra partum, welche die initiale Latenz der
Säuglingssyphilis in so einleuchtender Weise erklärt. Er. macht
darauf aufmerksam, daß der hämatogene Infektionsmodus, der vom
cutanen wesentlich verschieden ist, und die durch ihn bedingte Ver-
schiedenheit der ,„Massivität‘‘ der Infektion die Differenzen im
zeitlichen Auftreten der Symptome erklärlich erscheinen läßt. Eine
Stütze für Rietschels Anschauung sehen L. F. Meyer und Gug-
genheim in dem bei 5 Kindern in der 5.—6. Lebenswoche vor dem
Auftreten der Lueserscheinungen erhobenen Befund von Spiro-
chäten in einem Ulcus umbilici. Letzteres könnte die Folge eines
im Nabelvenenthrombus befindlichen Spirochätendepots sein. Man
wird in suspekten Fällen bei nässender Nabelwunde auf diese Ver-
hältnisse seine Aufmerksamkeit zu lenken haben.
Bezüglich der Gonorrhöe der Conjunctiva zeigen instruktive
histologische Bilder von Lahm, wie die Gonokokken zuerst auf den
Kittlinien des Epithels in die Tiefe dringen, wie sich das Zylinder-
epithel allmählich in Plattenepithel umwandelt, welches dann
„cancroid‘“ in zapfenförmigen Verbänden in die Tiefe wächst.
Die Conjunctivitis gonorrhoica der Neugeborenen hat in den Nach-
kriegsjahren wie die gonorrhoischen Erkrankungen überhaupt an
manchen Orten an Zahl zugenommen, während andernorts das Ab-
sinken der Blenorrhöeerkrankungen, welches in Deutschland seit
dem Jahre 1912 zu beobachten ist und von R. Hirsch auf die obli-
gatorische Prophylaxe und Anzeigepflicht zurückgeführt wird, durch
den Krieg keine Unterbrechung erfahren hat.
Als Prophylacticum wird statt des Argent. nitr., dessen ausgezeich-
nete Wirkung übrigens nach wie vor anerkannt werden muß (Mar-
„~E
/
IOOo ReuB. Heft 1
tin), von Salomon und Buchacker wieder ganz besonders das
Sophol, von Koltonski das Choleval (1%) geriihmt. Jacqueau
empfiehlt — auch therapeutisch — das Protargol in 20—25 proz.
Lésung. Clapp und M. C. Martin heben die baktericide Wirkung
des Mercurchroms 220 (2%) hervor. Lindner und Mehl berichten
über die günstige Wirkung intramuskulärer Milchinjektionen.
Häufiger, wenigstens relativ häufiger als früher, kommen nicht-
gonorrhoische eitrige Conjunctivitiden zur Beobachtung. Feilchen-
feld will in solchen eitrigen Bindehautentzündungen der Neugebore-
nen die „wichtigste‘“ Ursache der Mastitis puerperarum sehen und
empfiehlt deshalb Umschläge und Waschungen der Augen des
Kindes mit Borwasser vor jedem Anlegen. Diese Auffassung hat
wohl mit Recht Widerspruch hervorgerufen (E. Lang).
Als Erreger der nichtgonorrhoischen Conjunctivitis sind Pneumo-
kokken, Colibacillen, Staphylokokken, Influenzabacillen, Diphtherie-
bacillen beschrieben worden. Weitaus die größte Zahl dürfte aber der
sog. Einschlußblenorrhöe angehören (Lindner). Ihr Virus stammt
ebenfalls aus dem Genitale der Mutter, führt aber gewöhnlich erst
nach 7—8 Tagen zu manifesten Erscheinungen; das Cred&sche
Verfahren kann die Erkrankung nicht verhüten.
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Wirksamer Speichel wurde bei einmonatigen Säuglingen an-
getroffen. Mit dem Alter nimmt Menge und Wirksamkeit des Spei-
chels schnell zu. In Krankheitsfällen wird in erster Linie die Menge
der Speichelabsonderung beeinträchtigt, weniger der Ferment-
gehalt. Schwere schnell verlaufende Erkrankungen führen zu Ver-
minderung der Speichelabsonderung. Langdauernde Ernährungs-
störungen wirken wie schwere Infektionen; sie verringern nicht bloß
die Speichelmenge, sondern ebenso den Fermentgehalt. H. Vogt.
Halbertsma, Tj. Bemessung der Blutmenge bei Transfusion im Kindes-
alter (Blutdosierung). (Americ. journ. of dis. of childr. 24, 1922.
S. 269.)
Schätzt man die Gesamtblutmenge auf ein Dreizehntel des
Körpergewichts, so läßt sich berechnen, daß eine Zufuhr von I5 ccm
Blut auf das Kilogramm Körpergewicht genügen muß, um den Ge-
halt des Blutes an roten Blutkörperchen um eine Million zu erhöhen.
Die Beobachtungen an 20 Transfusionen im Kindesalter ergaben,
daß die beobachteten Werte mit den berechneten genügend überein-
stimmten. H. Vogt.
Gröer, Fr., Prof. Über Hygiogenese. (Polska gazeta lekarska 1, Nr. 50,
1922.)
Verf. schafft einen neuen Begriff, der den Weg zur Heilung um-
fassen soll, und zerlegt den komplizierten Prozeß des Gesundwerdens
in Stufen, die er mittels folgenden Diagramms zu erläutern sucht:
Umstimmungs- Reparations- Astiotrope- Immunisierungs-
reaktionen reaktionen reaktionen reaktionen
Bereitschaft Dynamik sekundäre
zum Gesundwerden des Gesundwerdens Folgezustände
Hygiogenese Immunogenese
; v
Gesund werden Immunitat.
Verf. erwartet von der Klärung der einzelnen Stufen des Gesund-
werdens große Bedeutung für die Therapie, indem neue Anhaltspunkte
gefunden werden können für unspezifische Mittel.
Cieszynski (Warszawa).
II2 Diagnostik. Heft ı
Diagnostik.
Cieszyński, Fr. Die diagnostische Bedeutung der Pandyschen Reaktion
in der Cerebrospinalflüssigkeit bei Kindern. (Pedjatrja polska 2,
Nr. 4, 1922.)
In allen 32 Fällen von Meningitis tbc., 7 Fällen von Genickstarre,
ı Fall von Hydrocephalus nach Genickstarre und ı Fall von Meningi-
tis haemorrhagica bei Malaria fiel die Reaktion positiv aus. Beim
negativen Ausfall handelte es sich um Influenza, Bronchitis, Pneu-
monie, Tetanus und Pyämie mit Meningismus. Autoreferat.
Erlich, M. Über den diagnostischen Wert der nicht geschlossenen
Fontanelle. (Pedjatrja polska 2, Nr. 3, 1922.)
Die Spannung und das Einfallen der Fontanelle hängt von
verschiedenen Bedingungen ab neben der Hauptursache des gestei-
gerten bzw. verringerten intrakraniellen Druckes. Vor allem muß
die Fläche der Fontanelle mehr als 2—3 qcm betragen. Auch ihre
Form hat groBe Bedeutung und zwar die Quadratform im positiven,
die Sternform im negativen Sinne. Ferner übt die Konsistenz der
Knochenflächen und des Fontanellenmembran einen Einfluß aus.
Cieszynski (Warszawa).
Bühling, R. Über die Bewertung des Rumpel-Leedeschen Phänomens
im Säuglingsalier. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Gottingen.)
(Doktordissertation 1922.)
Verf. kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem SchluB,
daß eine Gesetzmäßigkeit sowohl hinsichtlich des Lebensalters und
der Stärke, mit der das Rumpel-Leedesche Phänomen auftritt,
nicht konstruiert werden kann. Denn das Symptom findet sich
unregelmäßig nicht nur bei jeder Krankheit und beim Gesunden
in den verschiedenen Lebensmonaten, sondern auch ungleich an
beiden Armen und wechselnd bei demselben Individuum. Die Zu-
sammenhänge und Beziehungen zwischen Ursache und Durchlässig-
keit der Capillaren bei Kindern sind noch nicht geklärt. Fest steht
nur, daß die Capillarwand in den ersten 3 Lebensmonaten durch
den Stauversuch in keiner Weise verletzt oder überhaupt durch-
lässig wird und daß im Säuglingsalter der positive Ausfall des Rum-
pel-Leedeschen Phänomens absolut nichts bedeutet. Dagegen
scheint das Symptom am Ende des 2. Lebensjahres seltener zu
werden, an sich vielleicht der Bedeutung bei Erwachsenen zu nähern.
Blühdorn (Göttingen).
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.
Helminthiasis, |
mit besonderer Beriicksichtigung des Kindesalters.
(3. Sammelreferat; Literatur 1922.)
Von Prof. Hermann Brüning,
Direktor der Univ.-Kinderklinik und -Poliklinik in Rostock.
Auch im letzten Berichtsjahre war die Zahl der für uns in Be-
tracht kommenden Veröffentlichungen wieder eine ganz stattliche,
so daß hier im wesentlichen nur auf die am häufigsten beobachteten
Darmparasiten bei Kindern (Tänien, Askariden, Oxyuren und
Trichocephalen) eingegangen werden soll.
In der Literatur spielen einige Arbeiten über die Pathogenese
der Wurminfektionen eine wichtige Rolle, wie aus der zusammen-
fassenden Darstellung der hierhergehörigen Probleme von W. Fischer
hervorgeht. In erster Linie handelt es sich hierbei um die Spring-
würmer, deren zunehmende Häufigkeit Schmidt auf Seifenmangel
und kohlenhydratreiche Kost, Heubner dagegen mehr auf Ab-
nahme der Immunität zurückzuführen geneigt ist, sowie um die
Askariden.
Braun betont in Übereinstimmung mit Fülleborn, daß u. a.
für Askariden in seltenen Fällen eine pränatale Infektion vorkommen
kann, während Fülleborn in mehreren experimentellen Arbeiten
den sicheren Nachweis über den Infektionsweg bei Spulwürmern
erbringt derart, daß bei Meerschweinchen und Kaninchen die Larven
von Ascaris lumbricoides nicht im Magen aus der Eischale aus-
schlüpfen, sondern erst im untersten Teil des Dünndarmes und
massenhaft im Coecum. Hier dringen die Larven durch die Schleim-
haut bei der Ileocöcalklappe und gelangen durch die Pfortader
zur Leber, von wo sie durch die V. hepatica zum rechten Vorhof
und zur Lunge vordringen, um sich unter Bildung kleiner Blutungen
durch die Capillarwände in die Alveolen und von da, durch das
Flimmerepithel begünstigt, nach oben zur Trachea und in den
Rachen zu bewegen und größtenteils von der Mundhöhle aus zum
Magen zu gelangen, während eine weit kleinere Menge schon von der
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 8
II4 Brüning. Heft 2
Lunge aus embolisch in den großen Kreislauf eindringt und so in
gewisse Organe, wie z. B. Hirn, Nieren, Drüsen eingeschwemmt
werden kann. Beim Passieren der Lungen sollen Bronchitiden
und Bronchopneumonien zur Beobachtung gelangen. Nettesheim
hat die hier ausführlicher dargelegten Ergebnisse Fülleborns
an weißen Mäusen nachgeprüft und vollauf bestätigen können;
nach ihm ist Yoshidas Ansicht, daß die Spulwurmlarven das
Zwerchfell passieren, unrichtig. Er beobachtete dagegen bei seinen
Versuchstieren in der Leber Blutungen und Nekrosen, abgekapselte
leukocytäre Infiltrate mit Larven, Larven in den Capillaren und
frei im Gewebe und bringt hierfür einige anschauliche Bilder; auch
in den Lungen konnte er circumscripte peribronchiale und pen-
vasculäre larvenhaltige Infiltrate sowie freie Larven beobachten.
Die Fülleborn-Nettesheimschen experimentellen Tierresultate
wurden dann von Koino im Eigenversuche nachgeprüft und be-
stätigt. Koino, ein japanischer Arzt, gab seinem Bruder 500 Eier
vom Schweinespulwurm per os: Nach o Tagen bekam die Versuchs-
person Schüttelfrost, Temperaturanstieg auf 39°C für etwa eine
Woche lang; gleichzeitig bestand Husten, reichlich Auswurf, Kurz-
luftigkeit, Rasseln über der Lunge; im Sputum konnten keine Larven
und in den Stuhlentleerungen keine Askariden nachgewiesen werden.
Daraufhin nahm Koino selbst 2000 Eier vom Ascaris lumbricoides,
dessen Identität mit Ascaris suill. Fülleborn und andere betonen,
per os mit dem Erfolge, daß am 3. Tage eine Temperaturerhöhung
auf 40°C mit den Erscheinungen der croupösen Pneumonie sowie
eine Schwellung der Leber am 4. Tage sich bemerkbar machten.
Im sanguinolenten Sputum fanden sich vom 3.—ıo. Tage Larven
von Spulwürmern, und zwar am 5. Tage allein 178 Stück; ferner
konnten am 50. Tage nach dem Verschlucken der Eier durch eine
Wurmkur nicht weniger als 667 Askariden mit dem Stuhl abgetrieben
werden.
- Über die Häufigkeit von Darmschmarotzern überhaupt findet
sich eine kurze Notiz in Nr. 29, 1922 der Klinischen Wochenschnit,
aus der hervorgeht, daß bei systematischen Untersuchungen von
75 000 Menschen in Brasilien nicht weniger als 92% als mit Würmern
behaftet nachgewiesen werden konnten, daß nicht weniger als 74%
von den Infizierten Ankylostoma duodenale beherbergten, und daß
die Mortalität der Kinder in den ersten vier Lebensjahren hierdurch
ungünstig beeinflußt wurde.
In gewissem Gegensatz zu diesen Zahlen schreibt Wilson aller-
dings, daß dort Kinder unter 8 Jahren nur selten an Ankylostomen
Heft 2° Helminthiasis. I15
leiden, da sie nur selten zu Feldarbeiten herangezogen werden, von
denen er annimmt, daß sie bei der Nachlässigkeit der Einwohner
in der Entleerung der Faeces in erster Linie in den ländlichen Distrik-
ten die kolossale Häufigkeit der Ankylostomiasis — nach seinen
Berechnungen 97%! — hervorrufen.
Der Nachweis der Darmparasiten kann in der üblichen Weise
durch Abgang der Würmer in den Faeces oder durch deren Unter-
suchung ohne oder mit Anreicherung erfolgen; auch können Ob-
duktionen oder operative Eingriffe wie z. B. Appendektomien
zum Nachweis der Darmparasiten und zur Bestimmung ihrer Häufig-
keit verwandt werden. Wie weit die radiologische Untersuchung,
durch welche es Fritz gelang, bei einer Magendurchleuchtung im
Magen unä bei einem Iojährigen Knaben mit Dünndarmstenose
im oberen Jejunum einen Askaris festzustellen und auf der Platte
kenntlich zu machen, berufen ist, hier weiter zu helfen, müssen ein-
schlägige Beobachtungen lehren. Über die Brauchbarkeit von der
Anreicherungsmethode mit Natronwasserglas —- Wasser 1:2 bei
der die Eier und Embryonen ähnlich wie bei dem Fiille bornschen
Verfahren an die Oberflache steigen, berichtet fiir Haustiere Schuch-
mann, während Gmelin hierfür das Füllebornsche Verfahren
lobt und Olt auf das fast regelmäßige Vorkommen des Aneurysma
verminosum bei Pferden aufmerksam macht, das durch die Larve
von Strongylus bidentatus hervorgerufen wird. Die Untersuchung
operativ entfernter Appendices spielt eine besonders wichtige Rolle
für die Oxyuren, über deren Beziehungen Rheindorf neuerdings
wieder in mehreren Veröffentlichungen sich ausgesprochen hat.
Rheindorf weist zunächst die ihm früher von Drüner gemachten
Einwände zurück, daß die sog. Oxyurendefekte mechanisch durch
krankhafte Zuckungen der Oxyuren beim Konservieren oder bei
der Härtung der pathologisch-anatomischen Präparate entständen,
indem er die Notwendigkeit von Serienschnitten betont. Weiterhin
macht er die Anwesenheit der Springwürmer bzw. ihre Toxine
für die nicht selten vorkommenden ‚„Wurmschmerzen‘“ verantwort-
lich, wie sie namentlich unter dem Bilde der chronischen Appendi-
citis zur klinischen Beobachtung gelangen. Nach Rheindorf,
welcher auch bei Säuglingen durch Oxyuren hervorgerufene frische
Appendicitis pathologisch-anatomisch feststellen konnte, werden
viele Operationen deshalb unnötig gemacht, da die Abtreibung der
Oxyuren die Beseitigung der Beschwerden gewährleistet. Über die
ursächliche Bedeutung der Oxyuren für die Genese der Appendicitis
gehen die Meinungen immer noch auseinander, so daß es nur zu be-
8%
116 Brüning. Heft 2
grüßen ist, wenn neues Material zur Lösung dieser Streitfrage bei-
gebracht wird. Zimmermann, welcher eine Zunahme der Darm-
parasiten als Wurmfortsatzinhalt in den Jahren ıgI6—1920 an
seinem Harburger Obduktionsmaterial beobachtete, fand unter
1158 operativ entfernten Wurmfortsätzen folgende Werte:
300 Fälle ohne entzündliche Veränderungen mit r9 mal Oxyuren.
184 Fälle mit leicht entzündlichen Veränderungen mit 39mal
Oxyuren.
416 Fälle mit chronisch rezidivierenden Veränderungen mit
47 mal Oxyuren.
249 Fälle mit phlegmonös-abcedierender Entzündung mit Imal
Oxyuren.
Auf Grund dieser Befunde will Zimmermann den Rheindorf-
schen Standpunkt von der Appendicitis ex oxyure nur für einen
kleinen Teil der Fälle gelten lassen. Franke dagegen fand oft in
exstirpierten Wurmfortsätzen Oxyuren, und zwar je einmal 06
und 143 Exemplare; Marsch berechnet das Prozentverhältnis
auf. Grund von 9000 Appendektomien auf 50—60%, und Noack
konnte unter 15 wahllos herausgegriffenen Fällen gmal Oxyuren
im Wurmfortsatz nachweisen, und zwar bei 7 Früh- und 2 Intervall-
operationen; er fand ferner die von Rheindorf ausführlich be-
schriebenen Schleimhautdefekte mit entzündlicher Reaktion des
Peritoneums und vertritt den von letzterem geteilten Standpunkt,
daß die Appendicitis meist durch Sekundärinfektion von Oxyuren-
schleimhautschädigungen hervorgerufen werde. Auch Eastwood
konstatierte bei 59 operativ entfernten Appendices in 19,2%, bei
50o normalen auf dem Obduktionstisch gewonnenen dagegen in
28%, Oxyuren und fand Eosinophilie der Appendixwand bei beiden
Gruppen.
Über die mit diesen Fragen zusammenhängenden durch die
Darmparasiten gesetzten klinischen Erscheinungen bringt die
Literatur des Jahres 1922 wiederum eine Fülle interessanter Kasuistik
und einschlägiger ausführlicher Veröffentlichungen, wie überhaupt
aus einzelnen Publikationen, wie z. B. aus der von der Rockefeller-
Stiftung in die Wege geleiteten 417 Seiten umfassenden Biblio-
graphie des Ankylostoma duodenale mit nicht weniger als 5680 Litera-
turnachweisen sowie aus der Monographie von Hegner und Cort
über die Diagnostik der Protozoen und parasitischen Würmer beim
Menschen mancherlei Einzelheiten über Morphologie, Biologie,
Pathologie und Differentialdiagnostik der Eingeweidewürmer sowie
über ıhre Geschichte und erfolgreiche. Bekämpfung entnommen
Heft 2 Helminthiasis. 117
werden können. Was nun aber die einzelnen für uns in Betracht
kommenden Darmparasiten anlangt, so mögen zunächst einige
seltenere Fälle hier kurz mitgeteilt werden, welche, wie z. B. der von
Bihlmeyer publizierte, ein 8jähriges Mädchen mit Distomum
hepaticum betraf. Die kleine Patientin, welche an allgemeiner
Blässe, Appetitmangel, Übelsein und Teilnahmlosigkeit litt, ein
anämisches Herzgeräusch und einen Blutstatus mit nur 2,37 Mil-
lionen roten, 2480 weißen Blutkörperchen, 26%, Hämoglobin bei
52%, Leukocyten, 24% Lymphocyten und nicht weniger als 17%
eosinophilen Blutzellen aufwies, hatte zahlreiche Distomeneier im
Stuhl, die trotz der verschiedensten Anthelminthica nicht ver-
schwanden, so daß es nur mit einer Besserung seiner oligochrom-
ämischen und sekundär ageneratorisch-anämischen Erscheinungen
entlassen werden konnte. Über die kindlichen Wurmanämien
äußert sich auch Lehndorff. Nach diesem Autor kommen anämische
Zustände durch toxische Schädigung der Blutkörperchen und des
Knochenmarkes sowie durch wiederholte Blut- und Säfteverluste
(Ankylostoma, Bothriocephalus) zustande; bei Askariden und
Tänien sei die Toxinproduktion allerdings zweifelhaft und bei
Oxyuren sicher nicht vorhanden. Nach Opitz kommen derartige
Wurmanämien bei Kindern nur selten vor, und zwar entweder als
myeloplastische bei Bothriocephalus und Tänien oder als hämo-
pathische wie bei Ankylostoma duodenale; bei Trichocephalus liege
wahrscheinlich eine kombinierte Schädigung vor. Von sonstigen
Seltenheiten verdienen hier noch genannt zu werden ein von Thomas
beschriebener Fall von Strongylus stercoralis bei einem Bergmann
mit Ulcus-ventriculi-Verdacht, schleimig-blutigen Stühlen, 18% blut-
eosinophilen und reichlich eosinophilen Zellen undCharcot-Leyden-
schen Krystallen im Stuhl, ein Fall von Filaria medinensis von
Schilling bei einem ı8jährigen Patienten aus Buchara mit furunku-
löser Stelle am linken Knie, ein Fall von Trichosoma cutaneum
bei einem Affen von Swift mit serpiginösen Eruptionen an Hand-
tellern und Fußsohlen, ein Fall von Olpp, der einen deutschen Kna-
ben aus China mit 5 Wurmarten betraf, unter denen Ankylostoma
und Clonorchis sinensis sich befanden, 14 von Fuchs beschriebene
Fälle von Trichinose in Erlangen, ein Fall von Borstenwürmern
(Pachydrilus lineatus) im Darm bei einer Erwachsenen mit
häufigem, quälendem Stuhlgang von Müller und endlich ein
zweiter Fall von Strongyloidose, der von Frisch und Zimonjic
beschrieben worden ist und sich durch 7,7%, Eosinophilie aus-
zeichnete,
118 Brüning. Heft 2
Vier Fälle von perniziöser Anämie durch Bothriocephalus latus
beschreibt Cramer; er nimmt an, daß eine kongenitale oder er-
worbene Schwäche des Organismus zur Entstehung vorhanden sein
muß. Stukowski bringt einen Fall von chronisch-myeloischer
Leukämie bei Anwesenheit von Bothriocephalus und Taenia saginata;
der Kranke, ein 43jähriger Mann, wies eine Bluteosinophilie von
0,3—4% auf, und Calvin beobachtete zwei 3- bzw. 7 jahrige Knaben,
die mit Diphyllobothrium latum infiziert waren.
Bei Anwesenheit von Askariden sind die mannigfachsten klini-
schen Symptome beschrieben, zum Teil interner, zum Teil chirur-
gischer Art. Zusammenfassend schildert Kehl die letzteren, soweit
sie die Erkrankungen der Bauchhöhle angehen, während Moore
bei Kindern als ‚akute Abdomen“ einen Symptomenkomplex unter
Anführung von fünf charakteristischen Fällen beschreibt, welcher
differentialdiagnostisch an Typhus, Darmverschlingung, Appen-
dicitis und intestinale Intoxikation denken läßt, in Wirklichkeit
aber durch Darmparasiten bedingt ist und evtl. zu unnötigen opera-
tiven Eingriffen Veranlassung geben kann.
Fälle von Askariden in den Gallenwegen beschrieben sodann
Franke und Kauert. Der von letzterem beobachtete Fall betraf
einen gjährigen Knaben, welcher wegen Choledochusverschluß
durch einen Spulwurm laparotomiert werden mußte, nachdem
durch Spulwurmabgang und Ikterus die Diagnose gestellt war;
ein Jahr später bekam der Kleine ein Rezidiv, er wurde nochmals
operiert, und es fanden sich nicht weniger als 18 Askariden im
Choledochus und Hepaticus, nach deren Entfernung Heilung eintrat.
Auch Veit, welcher mehrere Male Askariden im Processus vermi-
formis und in den Gallenwegen fand, berichtet von einem derartigen
Falle, bei welchem ein Askaris im Ductus choledochus vollkommen
inkrustiert und mumifiziert erschien. Eine weitere eigene Beobach-
tung mit schwerer akuter Cholangitis, bei welcher durch Laparotomie
zwei im Ductus choledochus und Ductus hepaticus lebende Askariden
exstirpiert wurden, betraf eine 4gjährige Frau, welche zum Exitus
kam. Tsujim ura sammelte nicht weniger als 35 einschlägige Fälle,
von denen nur 8mal Askariden in den Gallenwegen waren ohne
gleichzeitige Steinbildung; er bringt zwei Krankengeschichten und
beobachtete, daß ein Spulwurm in Galle 8 Tage lang und dann in
physiologischer Kochsalzlösung noch 3 Tage, ein weiterer in Ascites-
fliissigkeit sogar 11 Tage lang am Leben blieb.
Der von vonRedwitz ausführlicher mitgeteilte Fall von Askariden
in den Gallengängen betraf einen ııjährigen Knaben mit kolik-
Heft 2 Helminthiasis. | IIg
artigen Schmerzen in der Lebergegend; durch vier operative Ein-
griffe wurden lebende Spulwürmer aus Choledochus und Hepaticus
entfernt. Nach diesem Autor sollen Askariden in den Gallengängen
bis 9 Wochen lang lebendig bleiben können und im wesentlichen
durch drei Momente zum Wandern angeregt werden (Fieber, Dünn-
darmkatarrh, Vermifuga). Neudörfer schildert die Askaridiasis
der Gallenwege unter Beibringung von vier eigenen Beobachtungen
als ein klinisch schweres Krankheitsbild, welches an eine akute
Cholangitis erinnert. Makai bringt die ausführliche Kranken-
geschichte eines 7jährigen Mädchens, bei welchem seit der Jugend
mehrfach Askariden im Stuhl ausgeschieden wurden und in letzter
Zeit heftige Koliken und Ileuserscheinungen aufgetreten waren.
Wegen Verdachts auf Leberabsceß wurde nach vergeblicher Santonin-
kur laparotomiert, und es fand sich ein nußgroßer Herd im linken
Leberlappen mit glattwandiger Höhle, worin 5 lebende Askariden
von 3—6 cm Länge knäuelartig zusammenlagen. Der Herd wurde
in toto reseziert, mehrere kleinere durch Stichincision eröffnet und,
wie später noch zu betonen sein wird, nach Injektion von 20%
Terpentinöl intraglutäal noch 2 Spulwürmer entleert mit dem Er-
folge, daß das Kind vollständig geheilt entlassen werden konnte.
Reich verdanken wir eine ausführlichere Mitteilung über Askaridiasis
der Speisewege und der Leber; er beobachtete Oesophagusverschluß
durch Spulwürmer einmal, während achtmal die letzteren in den
Gallenwegen, und zwar besonders bei weiblichen Individuen jenseits
des 40. Lebensjahres nachgewiesen werden konnten. Die Erkrankung
der Leber ist vorwiegend auf deren linken Lappen lokalisiert, und
zwar dicht innerhalb der Kapsel, und die Therapie ist eine rein
chirurgische. Weber beschreibt 2 Fälle von Askaridiasis, welche
unter den Erscheinungen der Appendicitis bzw. der Peritonitis zum
Tode führten und 2 Kinder betrafen. Das erstere, ein IIjähriger
Knabe, erkrankte plötzlich mit Erbrechen und Leibweh und wurde
laparotomiert; der Wurmfortsatz war frei, die Dünndarmschlingen
enthielten zahlreiche Spulwürmer, doch trat während der Operation
bereits der Tod ein. Die Sektion förderte 60 teils in Knäueln zusam-
mengeballte Spulwürmer zutage, das untere Ileum bis zur Ein-
mündung ins Coecum war tiefrot-cyanotisch, andere Dünndarm-
partien mit Blut durchsetzt und mit Nekrosen bedeckt. Weber
glaubt, daß die durch Obturation des Darmes bedingte schwerste
Darmintoxikation auf Giftwirkung durch die Askariden zurück-
geführt werden muß. Im zweiten Fall wurde ein 7jähriges Mädchen
wegen Peritonitis serofibrinosa operiert, zahlreiche Askariden waren
120 Brüning. Heft 2
auch hier im Darm fühlbar, und auch hier trat durch Herzschwache
infolge Askaridenintoxikation ohne lleuserscheinungen am 11. Tage
der Exitus ein. Auch Kurtzahn verdanken wir die Mitteilung
zweier Fälle von Askaridendarmverschluß, von denen der eine einen
5jährigen Knaben betraf, bei welchem ein walzenförmiger Tumor
in der rechten Bauchseite bestand und nach Operation ein Konvolut
von 24 Spulwürmern entfernt werden konnte mit dem Resultat,
daß das Kind geheilt wurde; im zweiten Falle wurden sogar 64 As-
kariden operativ aus dem Darm entleert. Über einen ähnlichen Fall
mit Darmresektion und Entleerung von 27 Würmern berichtet
Goebel, der übrigens histologisch erkennbare Schädigungen der
Darmwand beobachtete in Übereinstimmung mit Gerlach, welcher
ebenfalls im Dünndarm langverlaufende Schleimhautdefekte be-
schrieben hat als Folge der mechanischen Schädigung bei spastischem
Askaridenileus.
Auch Girgensohn schildert die chirurgischen Komplikationen
der Spulwurmkrankheit und bringt mehrere hierhergehörige Fälle;
er betont, daß einzelne derartige Fälle ohne Operation zur Heilung
kommen, daß aber massenhaftes Vorkommen von Eiern im Stuhl,
allmähliche Zunahme der Beschwerden und das Gefühl eines teigigen
Tumors im Bereich der Dünndarmschlingen die Indikation zur
Operation abgeben müssen. Von sonstigen Seltenheiten der durch
Askariden gesetzten chirurgisch anzugehenden Störungen seien
noch erwähnt zwei Fälle von Gignozzi, bei denen Frauen mit
perisigmoiditischen Abscessen, ohne daß eine Eosinophilie nach-
gewiesen werden konnte, operiert worden sind, und ein Fall von
Willimzik, der ein ı3jähriges Mädchen betraf, bei welchem
aus einem nach Scharlach aufgetretenen Nabelabsceß sich bei der
Incision zwei weibliche Spulwürmer entleerten.
Aber nicht nur chirurgisch, sondern auch für den internen
Mediziner bilden die Askaridenerkrankungen nicht selten Ursache
zu ärztlichem Eingreifen. So schildert Girbal, insbesondere bei
Kindern, einen Symptomenkomplex, welcher durch Kopfweh, Er-
brechen, Darmstörungen, Nackensteifigkeit, Krämpfe, Alteration
des Sehvermögens und gewisse Veränderungen des sterilen Liquors
ausgezeichnet ist (,,pseudomeningite vermineuse“‘), und von dem er
annimmt, daß er durch Toxinwirkung bei Eingeweidewürmern be-
dingt wird, zumal durch deren Abtreibung die angedeuteten Be-
schwerden prompt verschwanden. Auch Griffi weiß von nervösen
Manifestationen bei Helminthiasis zu berichten, als deren wichtigste
er an der Hand eines Falles bei einem ırjährigen Knaben mit As-
Heft 2 Helminthiasis. I2I
kariden die folgenden erwähnt: plötzlicher Schwindel, Unsicherheit
im Gehen, Umfallen, wechselndes psychisches Verhalten ohne Fieber
und ohne Erbrechen; auch hier trat auf Santonindarreichung so-
fortiger Nachlaß der Krankheitserscheinungen ein. Turcan beob-
achtete Askaridiasis unter dem klinischen Bilde der Basilarmenin-
gitis, Lefebre und Baillat beschrieben Zustände wie bei sub-
akuter postoperativer Peritonitis mit Facies peritonitica, leichten
Temperaturerhöhungen und Erbrechen, und Pentagua und Petro-
selli berichten über Hautaffektionen bei Anwesenheit von Spul-
würmern. Der erstere beobachtete zwei Kinder, bei welchen mehr-
mals starke Urticaria auftrat, und der letztere ein 3jähriges Mäd-
chen, bei welchem eine stark juckende knötchenförmige Dermatose
auf der Haut des Halses bestand, welche prompt auf erfolgreiche
Santoninkur verschwanden. Die beiden Autoren vertreten die An-
sicht, daß man auf solche durch Toxinwirkung im Sinne artfremden
Eiweißes verursachte Hauteruptionen bei Askariden achten muß,
deren Behandlung eine so außerordentlich dankbare ist.
Nicht weniger folgenschwer als die Askaridiasis können unter
Umständen die Oxyuriasis und Trichocephaliasis werden,
wie aus einer Reihe einschlägiger Mitteilungen aus der Literatur,
insbesondere für das Kindesalter, sich entnehmen läßt. Nicht, daß
das von Semon bei einem 6jährigen Knaben beobachtete, nach
seiner Ansicht durch Fadenwürmer bedingte abnorme Kopfjucken
mit Ausreißen der Haare und kapriziösem Appetit — die Beschwerden
gingen auf entsprechende Therapie prompt zurück — als alarmierend
hier aufgefaßt werden soll, gibt es doch andere Fälle, in denen es
Pflicht des behandelnden Arztes ist, den ursächlichen Bedingungen
genau nachzuforschen. So betont Hirschberg, daß ihm in letzter
Zeit wegen Verdachts auf Gonorrhöe eine Anzahl von jungen Frauen,
meist nulliparae in die Sprechstunde gekommen sind, welche über
längeres Kranksein klagten, und bei denen die Untersuchung eine
Rötung der äußeren Genitalien mit weißlichem oder gelblichem
Fluor und öfters auch intertriginösem Ekzem ergab, ohne daß
Gonokokken gefunden werden konnten. Dagegen entdeckte er
Oxyuren als Ursache dieser Vulvovaginitis und konnte durch eine
Wurmkur die Beschwerden bald beseitigen.
Von Kapelusch wird auf die Oxyuriasis als nicht seltene Ur-
sache der Fissura ani hingewiesen, und Meyer beobachtete einige
Male auch bei Kindern langwierige Hornhautentzündungen, die er
als Keratitis dentritica bezeichnet. An derselben Affektion litt
Heubner, dem wir interessante Eigenbeobachtungen bei Oxyuriasis
122 Brtining. Heft 2
zu verdanken haben. Jedenfalls sollten die Augenärzte es sich nicht
nehmen lassen, auf den hier angedeuteten ursächlichen Zusammen-
hang zwischen Keratitis (Herpes corneae) und Oxyuriasis genauer
zu achten, als es offenbar bisher gemeiniglich zu geschehen pflegt.
Von chirurgisch noch bemerkenswerten Begleiterscheinungen der
Oxyuren- bzw. Trichocephalenkrankheit verdienen dann noch die
Mitteilungen von Anschütz und Stahr erwähnt zu werden. An-
schütz operierte 5 Fälle, von denen vier Erwachsene und einer ein
3jähriges Kind betrafen. Bei 3 Fällen fanden sich Trichocephalen,
bei zweien, darunter bei dem Kinde Oxyuren als Ursache der Störung.
Und zwar war das 3jährige Mädchen mit Oxyuriasis wegen Appen-
dicitisverdachts zur Aufnahme gekommen. Die Operation ergab
jedoch eine ileocöcale Invagination vom Appendix aus mit Anwesen-
heit von Oxyuren; bei dem anderen 24jährigen Patienten bestand
eine Wandverdickung des Coecums mit knolligem, kleinem Tumor
nebst Oxyuren und starker lokaler eosinophiler Gewebsinfiltration.
Die übrigen 3 Fälle, Erwachsene im 4. Dezennium betreffend,
wiesen bei der Operation ebenfalls die vorhin angedeuteten schmerz-
haften Cöcalgeschwülste auf, welche mit dichten Infiltraten eosino-
philer Zellen in den Epithelzellen der Darmkrypten und in den
Interstitien einhergingen und durch die Anwesenheit von Tricho-
cephalus dispar ausgezeichnet waren. Zwei ganz analoge, durch
Peitschenwürmer verursachte Fälle werden ausführlich von Stahr
beschrieben, und zwar betrafen beide Knaben im Alter von Ir und
g Jahren. Beide mußten wegen Appendicitis- bzw. Ileusverdachts
laparotomiert werden. Bei dem ersteren fand sich 18mm vor der
Ileocöcalklappe eine kirschgroße, dunkelrosarote Vorwölbung mit
linsengroßer nekrotischer Kuppe, in welcher zwei weibliche Tricho-
cephalen staken; der Appendix war frei, und der Knabe wurde
geheilt entlassen. Mikroskopisch ergab die Untersuchung eine
ödematöse Durchtränkung des submukösen Bindegewebes mit
starker Leukocyteninfiltration; unter der geschwürigen. Stelle
fanden sich viele Eosinophile. Im zweiten Fall, bei welchem der
Appendix mit einem Teil des Coecums invaginiert war, bestand
an dessen Vorderwand ebenfalls ein kirschgroßes Geschwülstchen,
welches die Invagination bedingte; auch hier fanden sich bei analogen
mikroskopischen Gewebsveränderungen Trichocephalen am Tumor
haftend, welche zweifellos mit der Entstehung der geschilderten
Zustände in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden müssen.
Über die Behandlung der kindlichen Helminthiasis wird von
verschiedenen Autoren berichtet und je nach der Spezies der Ein-
Heft 2 Helminthiasis. 123
geweidewürmer die mannigfachsten Medikamente empfohlen, durch
deren Darreichung wiederum eine Anzahl von tödlich verlaufenen
Intoxikationen hervorgerufen worden ist. So beobachtete Gut-
stein das Auftreten von akuter gelber Leberatrophie nach Ein-.
verleibung von 20 g Filmaronöl bei einem Patienten mit tertiärer
Lues. Barny berichtet über zwei Todesfälle bei Erwachsenen mit
Ankylostomiasis durch Thymol, von denen die erstere 2,4g, die
letztere 1,8 g genommen hatte. Das Thymol wird auch von Kauert
und Thomas als Vermifugum erwähnt. Kauert benützte Palmitin-
säurethymolester Merck zur Nachbehandlung eines operativ behan-
delten Falles von Choledochusverschlu8 durch Askariden, und
Thomas glaubt bei einem der bei uns seltenen Fälle von Strongyloides
stercoralis durch Thymoldarreichung eine Besserung der Beschwerden
gesehen zu haben. Im übrigen wird aber immer noch zur Abtreibung
von Spulwürmern das Santonin herangezogen, durch dessen Ver-
abreichung Griffi bedenkliche nervöse Erscheinungen bei einem
ırjährigen Knaben zurückgehen sah, während in dem von Petro-
selli mitgeteilten Falle eine juckende Dermatose bei einem erst
3jährigen askaridenbehafteten Kinde auf die erfolgreiche Anwen-
dung dieses Mittels hin prompt verschwand und Makai bei einem
jährigen Mädchen mit Koliken keine Besserung beobachten konnte.
Als Antiascaridiacum erfreut sich dann immer noch regen Inter-
esses das amerikanische Wurmsamenöl (Ol.chenopodii anthelminthici),
obwohl Schüffner betont, daß das seit 10 Jahren auch in den
Tropen gebräuchliche Wurmmittel wegen Überdosierung mit ernsten
Vergiftungserscheinungen in Britisch-Indien in Mißkredit gekommen
sei. In einer noch nicht veröffentlichten Arbeit in der Deutsch. med.
Wochenschr. habe ich die oft unzweckmäßige und unnötige Durch-
führung einer anthelminthischen Kur geschildert und vier neue, töd-
lich verlaufene Vergiftungsfälle mit Ol. chenopodii bei Kindern mit-
geteilt. Ich kann nur immer wieder erklären, daß wir bei Hunderten
von derartigen Kuren keinerlei irgendwie bedenkliche Intoxikations-
erscheinungen erlebt haben, daß ich es aber für sehr wünschenswert
halte, wie auch Schüffner schreibt, die Dosis des Mittels an der
untersten Grenze zu halten und nur möglichst abgelagertes Öl zu
verabreichen, dessen toxische Komponente allmählich geringer ge-
worden ist. Daß das Chenopodiumöl aber ein vorzügliches Mittel
gegen Spulwürmer bildet, dafür zeugt der von Pessoa berichtete
Fall, bei welchem bei einem typhusverdächtigen Negerknaben auf
Wurmsamenöl mit nachherigem Ol. ricini 556 Askariden abgingen
und Fieber und übrige Krankheitssymptome sofort verschwanden.
124 Brüning. Heft 2
Auch Wilson rühmt das in Rede stehende Mittel, dessen pharma-
kologische Wirkungen jüngst von Jonkhoff an Tieren (Meer-
schweinchen, Kaninchen) im Hinblick auf die mehrfach in der
Literatur beschriebenen Gehörstörungen nochmals experimentell
nachgeprüft worden sind, mit dem Resultate, daß bei intravenöser
und subcutaner Injektion ein Stadium der Vergiftung eintritt, in
welchem alle Otolithenreflexe vollständig aufgehoben sind, während
der Bewegungsreaktion erhalten bzw. sogar gesteigert ist. Aber
nicht nur per os, sondern auch durch intramuskuläre Einverleibung
von Medikamenten hat man Wurmkranke zu heilen versucht. So
berichtet Makai, daß er nach operativer Behandlung eines Leber-
spulwurmabscesses dem Kinde eine 20 proz. intraglutäale Terpentin-
ölinjektion gemacht habe, und daß hierauf zwei Askariden sich aus
der Operationswunde entleert hätten. Als ein neueres Wurmmittel,
welches sowohl gegen Platt- als auch gegen Rundwürmer angewandt
werden soll, wird von Marx und Rabow das Santoperonin in den
Handel gebracht. Santoperonin ist eine Verbindung von wirksamen
Prinzipien des Santonins und der Filixsäure aus Extract. filicis marıs,
welche durch ein 3. vermicides Radikal gekuppelt sind (Naphthalin-
lacton + Phenol durch Oxygruppen verstärkt). Dem Mittel wird
völlige Geruch- und Geschmacklosigkeit, geringere Giftigkeit und
prompte Wirkung schon bei 0,01 g nachgerühmt, ohne daß ich selbst
in der Lage bin, aus Mangel an einschlägigen Beobachtungen hierzu
Stellung zu nehmen. Auch über den Tetrachlorkohlenstoff, der von
Hall, Lambert, Leach, Nicholls und Hampton als zuverlassiges
Ankylostomiacum empfohlen wird, habe ich bisher nur geringe
eigene Erfahrungen sammeln können, soweit es sich um die Ver-
abreichung dieses Mittels als Antiascaridiacum handelt. Hall
betont die geringe Giftigkeit des Kohlenstofftetrachlorids in Tier-
experimenten und verabreichte bis zu 6ccm pro Kilogramm Affe
ohne jede Schädigung: Lambert schließt sich diesen Ausführungen
an, rühmt u. a. die Billigkeit und gute Verträglichkeit und bemißt
die Einzelgabe für Erwachsene auf 3—4 ccm; Leach will das Carbon-
tetrachlorid nur gegen Ankylostomen und Askariden, nicht aber
gegen Oxyuren in Anwendung bringen und schlägt seine Einverlei-
bung in Gelatinekapseln vor, während Nicholls und Hampton
verlangen, daß vor allem ein chemisch reines Präparat benutzt wird,
dessen Dosierung sie auf 3ccm einer Lösung von 6 : 30 oder von
ı0—20 Minims (I Minim = 0,06g) bei 3—4jährigen Kindern be-
messen, ohne daß unter allen Umständen ein Abführmittel hinterher
verabreicht zu werden braucht.
Heft 2 Helminthiasis. 125
Die Behandlung der Oxyuriasis ist mit den verschiedensten
Mitteln versucht worden. Franke hält es für unnötig, Vermifuga
intern anzuwenden, sondern will lediglich durch Innehaltung pein-
lichster Sauberkeit, häufigen Wechsel der Bettwäsche und Inletts
sowie Tragen einer Hemdhose die quälenden Springwürmer zum
Verschwinden bringen. Robert und Schmidt empfehlen die
Gelonid. aluminii subacetici, und zwar die letzteren unter gleich-
zeitiger kohlenhydratarmer, fett- und eiweißreicher Nahrung.
Braun sah gute Erfolge vom Butolan der Bayerschen Farb-
werke, während unter dem Namen Vermox ein Wurmpräparat
von der Münchener Pharmazeutischen Fabrik in den Handel ge-
bracht wird, über welches mir eigene Erfahrungen fehlen.
Cramer benutzte Carsalanzäpfchen und Meyer das Cupronat
der Mühlheimer Troponwerke, während Heubner, der auf genossene
Zwiebel ein stärkeres Ausschwärmen der Oxyuren beobachten konnte,
an sich selbst eine ganze Reihe der gebräuchlichen Antioxyuriaca
anwandte, ohne einen besonderen Vorzug des einen vor dem anderen
feststellen zu können. Landgraf empfiehlt, als ein von seinem Vater
stammendes Rezept zur Abtreibung der Springwürmer ein kleinfinger-
großes Stückchen ungesalzenen Speck mit Ungt. ciner. bzw. bei
Kindern mit Ungt. hydrarg. praec. alb. nachts 2—3 mal als Supposi-
torıum in den Darm einzuführen. Japha beschreibt 3 Fälle, wo
bei Oxyurenträgern nach Einreichung des Vermiculins in die After-
gegend ein allgemeines Ekzem mit starkem Juckreiz aufgetreten ist,
und warnt deshalb vor der genannten Salbe. Von der Frankfurter
Firma Merz &Co. werden Ugalumintabletten in Verbindung mit
Wurmserol als Spezificum gegen hartnäckige Fälle von Springwürmern
empfohlen (Alum. acet. bas., Kal. oxychinolin. + 0,025 Phenol-
phthalein pro Tablette), und Hayos behandelte 6 Fälle von Oxy-
uriasis mit interner Darreichung von Salvarsan (bei einer 27jährigen
Frau 0,9g) und gab 4 Stunden später einen Einlauf mit dem schon
weiter oben erwähnten Thymol (1°/,,); dazu ließ er Badehose tragen
und graue Salbe einreiben. Er beobachtete nach der ausführlichen
Mitteilung schon bald nach dem Einnehmen massenhaft Oxyuren
in den Entleerungen; die Frau war dann 8 Monate frei und erhielt
bei wieder aufgetretenem Verdacht auf eine Reinfektion nochmals
dieselbe Salvarsangabe mit dem Erfolge, daß sie nunmehr von Be-
schwerden freigeblieben ist. Auf Grund dieses Falles regt Hayos
zu weiteren einschlägigen Versuchen, evtl. mit anderen Arsenpräpa-
raten an. Mir scheinen diese dringend geboten, um Zufälligkeiten,
wie sie bei einer so wechselvollen Störung, wie sie die Oxyuriasıs
126 Brüning. Heft 2
nun einmal in ihrem Verlaufe darstellt, mit Sicherheit ausschließen
zu können.
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Anus dem Pathologischen Institut der deutschen Universitat in Prag.
(Vorstand: Prof. Dr. A. Ghon.)
Ein Fall eines pulmonalen Granuloms besonderer
Atiologie bei einem 9tagigen Kinde.
Von Dr. W. Gübitz.
Am 1. IV. 1922 wurde uns von der Deutschen Pädiatrischen
Klinik der Findelanstalt (Prof. R. Fischl) ein 9 Tage altes früh-
geborenes Kind zur Sektion eingeliefert, welches Zeichen von Unter-
entwicklung, Schädelkollaps, starkem Mundsoor und geringes Skler-
ödem aufwies. Die Sektion hatte folgendes Ergebnis:
Schleimig-eitrige Tracheitis und Bronchitis und eitrige Bron-
chiolitis, Hyperämie der Lungen und zahlreiche granulomähn-
liche Infiltrate in beiden Lungen, besonders in den Oberlappen.
Pseudomembranöse Oesophagitis. Katarrhalisch-schleimige Ga-
stritis. Hyperämie desGehirns undSuffusionen derLeptomeninx.
Bilirabininfarkte der Nieren.
42cm lange, 1040 g schwere weibliche Kindesleiche, schwächlich Im
Gesicht, an den Extremitäten und am Stamme viel Lanugo. Die sichtbaren
Schleimhäute ohne Besonderheiten. Der Nabelstumpf kurz, augenschein-
lich noch nicht vollständig epithelisiert. Aus den Nabelgefäßen kein fremder
Inhalt ausdrückbar.
Kopfhaut mäßig blutreich. Die Stirnbeine etwas unter die Scheitel-
beine geschoben. In den Sinus dunkles, dickflüssiges Blut. Die Pauken-
höhlen frei. Dura mater blutreich, ebenso die Leptomeninx; in ihr
im Bereiche der Hinterhauptslappen einige Suffusionen. Die Windungen des
Gehirns an der Konvexität nur zum Teil entwickelt. Auf der horizontalen
Schnittfläche Mark und Rinde undeutlich abgegrenzt, verwaschen, ziemlich
blutreich.
An der Zunge keine besonderen Veränderungen. Rachen gerötet, voll
dicker gelblicher Massen. Tonsillen kleinerbsengroß, uneben. Larynx-
eingang frei, gerötet. Oesophagus stark injiziert, im oberen Teil einige
unter kleinlinsengroße graugelbliche Auflagerungen, im unteren Teil unregel-
mäßig begrenzte gelbliche, wie nekrotisch aussehende Stellen. In der Trachea
und in den großen Bronchien schleimig-eitriges rötliches Sekret in reich-
licher Menge. Die Schleimhaut der Trachea wenig, die der großen Bronchien
stärker gerötet. Thymus zweilappig, klein, substanzarm. Schilddrüse
entsprechend groß, graurötlich.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 9
130 Gibitz. | Heft 2
Rechte Lunge: Ober- und Mittellappen unvollstandig getrennt. Der
Oberlappen nur am vorderen Rande lufthaltig, der Unterlappen fast ganz
luftleer. Die Lunge schwer, blaurot. Im Oberlappen, besonders in seiner
kranialen Hälfte, zahlreiche kleinste, zum Teil konfluierte, graue,
gut begrenzte Knötchen oder infiltratartige Gebilde bis zu 3 mm
im Durchmesser, die über die Oberfläche nicht oder nur ganz
leicht vorspringen und einen schmalen roten Hof zeigen. Die
Zahl dieser Herde nimmt nach unten zu ab. Im Unterlappen
finden sich nur wenige in seiner Spitze. Auf der Schnittfläche
erscheinen diese Knötchen grau und fest. Im übrigen ist die Schnitt-
fläche der Lunge blutreich, wenig lufthaltig, und auf Druck sind aus den
Bronchiolen gelbliche, eiterähnliche Massen ausdrückbar. Die linke Lunge
zeigt ähnliche Veränderungen, aber in geringerem Grade.
Die cervicalen Lymphknoten bis über hanfkorngroß. Die tracheo-
bronchialen und bronchopulmonalen Lymphknoten klein, die
größten bohnengroß, alle blutreich, aber ohne besondere Veränderungen.
Herz entsprechend groß, der Herzmuskel gelblichbraun, an der Mitralis
und Tricuspidalis kleinste Klappenhämatome, sonst keine besonderen Ver-
änderungen.
Nebennieren ziemlich groß, in der Rinde gelblich, dunkelrot in der Mark-
substanz. In den Nieren Bilirubininfarkte. Die Rinde rötlichgrau mit einigen
bläulichroten Stellen. Harnblase kontrahiert mit etwas gelblichem Inhalt,
sonst ohne Veränderungen. Das Genitale ohne Befund.
Im Rectum dickbreiiger, gelblicher Inhalt. Im Magen schleimiger, grün-
gelblicher, zäher Inhalt, die Wand dünn, gerötet. In der Wand zahlreiche
kleinste runde oder ovale Plaques sichtbar, die größten bis z mm im Durch-
messer, die im Zentrum eine kleine Delle zeigen und schon von außen durch-
scheinen. Sie liegen im Fundus. Pylorus durchgängig. Duodenum ohne
Befund. In der Gallenblase grünliche Galle. Leber scharfrandig, 8:4 cm,
braun, auf der Schnittfläche die Zeichnung undeutlich, Konsistenz etwas
zähe. Im Dünndarm reichlich dicke, ockergelbe Hilusmassen, abnilicher
Inhalt im Dickdarm; seine Schleimhaut ziemlich stark injiziert, aber sonst
ohne Befund. Appendix 6cm lang mit gelblichen Massen gefüllt, sonst
ohne Befund.
“ Knorpelknochengrenze der unteren Extremitäten, Femur und Tibia,
normal.
Im histologischen Bilde erweisen sich die I.ungenpartien,
welche die makroskopisch sichtbaren Knötchen enthalten, als wenig
lufthaltig, stellenweise fast unentfaltet, stark hyperämisch und
stellenweise auch von kleinen Blutungen durchsetzt. Den makro-
skopisch verschieden großen Knötchen entsprechen nicht überall
scharf begrenzte Herde, die auch hie und da kleine Blutungen auf-
weisen und sich vorwiegend aus pyknotischen und zerfallenen Kernen
und aus Kerntrümmern zusammensetzen. Durch ihren geringen,
teilweise mangelnden Blutgehalt heben sie sich scharf von der stark
hyperämischen Umgebung ab. Alveoläre Struktur der Herde ist
in den zentralen Partien nicht mehr erkenntlich, mehr oder weniger
Heft 2 Pulmonales Granulom besond. Ätiologie bei einem gtigigen Kinde. 131
deutlich jedoch in der Peripherie, wo an solchen Stellen die gefüllten
Capillaren der Septen, die mit zerfallenen Gewebsmassen erfüllten
verschieden großen Alveolen gut umgrenzen. Abgesehen von Erythro-
cyten, die sich innerhalb der Herde in verschiedener Menge teilweise
auch in kleineren Haufen nachweisen lassen, kann man, soweit
die Zerfallserscheinungen der Zellen die Diagnose zulassen, unter
ihnen noch erkennen: Polymorphkemige Leukocyten in geringer
Menge; in wechselnder Zahl und ungleicher Verteilung Riesenzellen
verschiedener Größe mit ı bis höchstens 4 Kernen und verschieden
breitem Protoplasma, die mit ihren zentral gelegenen Kernen
den Sternbergschen Riesenzellen bei Lymphogranulomatose
gleichen ; sonst sind noch einkernige Zellen zu erkennen, die nur zum
kleineren Teil den Typus Iymphocytärer Zellen zeigen, im allgemeinen
aber größer sind als diese, einen breiteren Protoplasmasaum zeigen
und einen weniger chromatinreichen, zum Teil länglichen Kern haben;
schließlich finden sich noch langgestreckte Zellen mit spindeligem
Kern und wenig gutbegrenztem Protoplasma hauptsächlich in den
peripheren Anteilen der Herde. Die in der Umgebung der Herde
gelegenen Lungenpartien zeigen vielfach besonders starke Hyperämie,
wodurch die einzelnen Alveolen außerordentlich deutlich abgegrenzt
erscheinen. Sie sind zum großen Teile angefüllt mit protoplasma-
reichen Zellen, die einen runden Kern haben und in einzelnen Alveolen
wohl erhalten sind, in anderen jedoch alle Übergänge zur vollstän-
digen Karyorrhexis zeigen.
In Bronchien und Bronchiolen liegt serös-zelliges Exsudat, dessen
Zellen ebenfalls Kernzerfall aufweisen. Unter den Zellen kann
man Leukocyten, Rundzellen, abgeschuppte Epithelien und blasse
spindelige Zellen wahrnehmen. Plasmazellen sind nirgends nach-
weisbar.
Nach Färbung mit Sudan sieht man in den nekrotischen Herden
stellenweise in geringer Menge staubförmige Lipoidmassen ohne
Doppelbrechung. Säurefeste Stäbchen konnten in zahlreichen
untersuchten Schnitten mit der Färbung nach Ziehl-Neelson
nicht sichtbar gemacht werden. Ebenso war die Färbung auf Spiro-
chäten nach Levaditi negativ. In den nach Gram-Weigert und
mit Borax-Methylenblau gefärbten Schnitten waren Gram-positive
und Gram-negative Formen nachweisbar. Bei den negativen Formen
handelte es sich ausschließlich um Stäbchen ungefähr von der Größe
der Typhus-Coligruppe. In den oben beschriebenen entzünd-
lich nekrotischen Herden ließen sich nur Gram-negative
Stäbchen der beschriebenen Art in wechselnder Menge
9*
132 | Gübitz. Heft 2
nachweisen. Das nicht veränderte Lungengewebe war
frei davon. Im Exsudat der Bronchien fanden sich neben Gram-
negativen Stäbchen Gram-positive Kokken zu zweit und in Ketten
und kurze Gram-positive Stäbchen, anscheinend der Gattung Coryne-
bacterium zugehörig.
Das ganz ungewöhnliche Bild, das die Lunge des gtägigen
Kindes bei der Sektion zeigte, ließ grob anatomisch eine sichere
Diagnose nicht zu. Zunächst wurde daran gedacht, daß die granulom-
ähnlichen Herde spezifisch entzündlicher Natur wären, wobei Lues
und Tuberkulose in Betracht kämen. Einerseits auf Grund der
Ausstrichpräparate, die schon bei der Sektion von den Herden ge-
macht wurden, andrerseits auf Grund des histologischen und histo-
logisch-bakteriologischen Befundes konnten Lues und Tuberkulose
mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Es ließen sich weder Spiro-
chäten noch säurefeste Stäbchen nachweisen, abgesehen davon,
daß auch das histologische Bild, wie aus der gegebenen Beschreibung
zu ersehen ist, keine Veränderungen zeigte, die für Lues oder Tuber-
kulose charakteristisch waren. Gegen Tuberkulose sprach auch der
Mangel von gleichsinnigen Veränderungen in den regionären Lymph-
knoten, wenngleich bei dem Alter des Kindes daran gedacht werden
konnte, daß solche Veränderungen noch nicht zur Ausbildung ge-
langt waren, Das histologische Bild mit reichlichem Kernzerfall
erinnerte vielmehr an Veränderungen, wie wir sie bei Rotz sehen.
Durch den Reichtum an Riesenzellen und den Mangel epitheloider
Zellen unterschied sich jedoch histologisch unser Fall von Rotz,
abgesehen davon, daß auch die Anamnese und die Krankengeschichte
Anhaltspunkte dafür nicht ergaben. Der Annahme, daß es sich um
Lymphogranulomatose handeln könnte, welche die Form der Rıesen-
zellen aufkommen ließ, widersprach das übrige histologische Bild
und der Befund Gram-negativer Stäbchen, die in den Herden nach-
gewiesen werden konnten. Auch die Diagnose Pseudotuberkulose,
an die wegen des Nachweises von Gram-negativen coliähnlichen
Stäbchen gedacht wurde, mußte nach dem histologischen Bilde
fallen gelassen werden, denn Riesenzellen sind in den anerkannten
Fällen von Pseudotuberkulose nicht beschrieben. Auch waren
im eigenen Fall Herdbildungen in anderen Organen, wie sie in den
anerkannten Fällen beschrieben sind, nicht vorhanden.
In allen Herden, die zur Untersuchung gelangten, waren durch
Färbung nach der Methode von Gram-Weigert und mit Borax-
Methylenblau ausschließlich und in wechselnder Menge
Gram-negative Stäbchen nachweisbar, die morphologisch und
Heft 2 PulmonalesGranulom besond. Atiologie bei einem otagigen Kinde. 133
färberisch der Coligruppe glichen. In den herdfreien Partien der
Lunge waren diese Stäbchen nicht zu sehen, sie fanden sich nur noch
im Exsudat der Bronchiolitis und Bronchitis, hier allerdings zu-
sammen mit Gram-positiven Kokken der Gattung Streptokokkus
und Gram-positiven Stäbchen der Gattung Corynebacterium. Die
kulturelle Untersuchung hatte in Übereinstimmung mit dem mikro-
skopischen Befunde einerseits Kolonien der Gattung Streptokokkus
und der Gattung Corynebacterium ergeben, andrerseits solche eines
Gram-negativen Stäbchens, das nach seiner Bestimmung der Coli-
gruppe zugehörte. Leider vereitelte der Tierversuch eine sichere
Entscheidung darüber, ob es sich bei den Gram-negativen Stäbchen
um eine einheitliche Art gehandelt hat oder nicht, da beide Meer-
schweinchen, die geimpft wörden waren, schon nach 24 Stunden
eingingen. s
Daß die mikroskopisch und kulturell nachgewiesenen Stäbchen
im ursächlichen Zusammenhang mit den granulomähnlichen Herden
der Lunge standen, ist wohl außer Frage, und wahrscheinlich ist es
auf Grund der Ergebnisse der Untersuchung, daß es sich dabei nur
um Stäbchen der Coligruppe handelte. Es muß jedoch zugegeben
werden, daß die Kette des einwandfreien Beweises für diese Annahme
durch den Ausfall des Tierexperimentes nicht vollkommen geschlossen
erscheint.
Histologisch entsprachen die Veränderungen pneumonischen,
die allerdings durch den reichlichen Kernzerfall der Exsudatzellen
ein besonderes Gepräge erhielten. Die mehrkernigen großen Zellen,
die in den Herden angetroffen wurden, widersprachen einer solchen
Annahme nicht, da solche Zellen auch bei Pneumonie nach Masern
und Keuchhusten sowie bei Friedländerscher Pneumonie beschrieben
sind. Der Fall würde dadurch kausalgenetisch nichts Besonderes
darstellen. Seine Mitteilung erschien mir aber wegen des grob-
anatomischen Befundes berechtigt.
In der mir zugänglichen Literatur fand ich keinen gleichen Befund.
Erwähnen möchte ich jedoch einen Fall von sog. Pseudotuberkulose
bei einem neugeborenen Kinde, den Aschoff und Wrede mitgeteilt
haben, weil bei diesem Falle außer in anderen Organen auch in den
Lungen makroskopisch wie Tuberkel aussehende Knötchen gefunden
wurden. Mikroskopisch stellten sich die Knötchen als kleine pneu-
monische Herde dar. Die Knötchen der anderen Organe, besonders
der Leber, wiesen reichlichen Kernzerfall auf, wie wir ihn auch im
eigenen Fall gesehen haben. Als Erreger wurde ein kurzes gram-
positives unbewegliches Stäbchen sichergestellt, das dem Bacillus
134 Giibitz: Pulmonales Granulom besonderer Atiologie usw. Heft 2
von Kutscher und Preisz am nächsten steht. Da auch Verände-
rungen in den Verdauungswegen vorkamen, ist wohl anzunehmen,
daß es sich im Fall Wrede gleich dem eigenen um eine Infektion
durch Aspiration intra partum handelte.
Genetisch handelt es sich im mitgeteilten Falle um eine bronchogene
Infektion, wofür vor allem der histologische Befund spricht, abgesehen
von der Tatsache, daß sich auch grobanatomisch die Veränderungen
durch ihre Beschränkung auf die Lungen als primär pulmonale -
auffassen ließen. Unterstützt wird diese Annahme durch den Nach-
weis von Gram-positiven Kokken und Stäbchen der Coryne:
bacterium im Bronchialbaum.
Der hier kurz mitgeteilte Fall erweitert jedenfalls unsere Kennt-.
nisse der Pathologie bei den Säuglingen, insofern als wir dadurch
neben anderen herdförmigen, den Granulomen zugehörigen Bildungen
solche kennen gelernt haben, die ätiologisch von den bisher bekannten
abweichen. Es soll unterbleiben, der beschriebenen Veränderung
einen besonderen Namen zu geben, der Fall vielmehr einfach regi-
striert werden, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, damit
der Ätiologie dieser Prozesse bei ähnlichen Beobachtungen ein-
gehendere Beachtung geschenkt werde, als es mir role des Miß-
glückens des Tierversuches möglich war.
Kinderklinik Mt. Sinai Hospital, New York.
Energiestoffwechsel bei Kindern.
(Eine Übersicht über die neue amerikanische Literatur.)
Von Dr. Jerome L. Kohn, Assistent.
Unsere Kenntnis vom Nahrungsmittelbedarf der Kinder stützte
sich auf Feststellung der Nahrungsaufnahme und -ausscheidung.
Der nächste Schritt war die Messung der Wärmeabgabe, um den
Verbrennungsprozeß im Organismus genauer zu verfolgen. Seitdem
die Messung des Energiestoffwechsels durch passende Apparate
mehr zugänglich geworden ist, sind große Fortschritte auf diesem
Gebiete zu verzeichnen. In Amerika sind in den letzten 10 Jahren
viele Arbeiten ausgeführt worden. Besonders wichtig sind die
Arbeiten folgender Forscher: Lusk, Murlin, Du Bois, Benedict
und Talbot. |
Benedict und Talbot schrieben 3 Monographien iiber Energie-
umsatz vom Säuglingsalter bis zur Pubertät. Diese Arbeiten können
als vorbildlich und grundlegend betrachtet werden und wurden
durch das Nahrungslaboratorium des Carnegie-Institutes ermöglicht.
Über 1000 Messungen an 400 Kindern wurden gemacht. Benedict
und Talbot führten ihre Versuche an Kindern verschiedenen Alters,
jedoch unter sonst genau denselben Verhältnissen aus, so daß die
Resultate vergleichbar sind.
Totalenergiestoffwechsel oder Energieumsatz umfaßt alles, was
zur Wärmeabgabe. führt. Die Schwierigkeit, den Grundumsatz bei
Kindern und Säuglingen genau zu bestimmen, liegt in der Definitior:
des Begriffes. Grundumsatz ist der Minimalenergiestoffwechsel,
gerade genügend für die Lebensfunktion, unabhängig von Muskel-
arbeit, Nahrungsaufnahme und anderen Faktoren. Um diese Schwie-
ngkeiten zu überwinden, bauten sie eine große Kammer, in welcher
ein Kind tagelang gehalten werden konnte, um Bestimmungen unter
verschiedenen Bedingungen auszuführen. Es wurde die Methode
136 Kohn. Heft 2
der sog. indirekten Calorimetrie angewendet, d. h. die Messung des
Gesamtgaswechsels — CO,-Abgabe und Sauerstoffaufnahme. Muskel-
arbeit, Atmung und Puls konnten durch diese Methode graphisch
wiedergegeben werden. Fiir Kinder im Alter von mehr als 5 Jahren
kann man den Apparat von Tissoit benutzen, der die Anwendung
einer Kammer unnötig macht.
Benedict und Talbot glauben, daß das Rubnersche Gesetz
in bezug auf Säuglinge nicht anwendbar ist. Du Bois nimmt
an, daß das Gesetz auch nicht ganz für Erwachsene stimmt und
schlägt folgende Formel vor:
APK:
(A ist Oberfläche in qm, P ist Gewicht in kg. H ist Höhe in cm.
K ist eine Konstante 71,84.) Benedict und Talbot benutzen
diese Formel.
Nahrung hat eine spezifisch dynamische Wirkung, d. h. die Wärme-
abgabe der Nahrung ist größer als theoretisch zu erwarten ist. 6o g
Protein erhöhen den Energiestoffwechsel um 12% in 6—7 Stunden,
100 g Glucose und Fett haben eine schwächere Wirkung.
Es folgen nun praktische Anwendungen der besprochenen Beob-
achtungen über den Energiestoffwechsel.
Neugeborene. Benedict und Talbot studierten 105 Säug-
linge im Alter von einigen Stunden bis zu 6 Tagen und kamen dabei
zu folgenden Schliissen: a) In den ersten 24 Stunden existiert keine
geregelte Beziehung zwischen Stoffwechsel und Körpergewicht
oder zwischen Stoffwechsel und Körperoberfläche. Das läßt sich
wahrscheinlich dadurch erklären, daß der Organismus sich den
neuen Lebensbedingungen anzupassen sucht. Die Körpertemperatur
ist niedriger, und der Grundumsatz ist außerordentlich niedrig —
zwischen 38—42 Calorien pro Kilogramm in 24 Stunden, oder
612 Calorien pro Quadratmeter in 24 Stunden; am 2. und 3. Tage
beginnt die Wärmeabgabe zu steigen und erreicht ihr Niveau, und
zwar 48 Calorien pro Kilogramm in 24 Stunden oder 650 Calorien
pro Quadratmeter. Wenn man Bewegung, Schreien usw. in Betracht
zieht, muß man 62 Calorien pro Kilogramm als genügend für die
ersten Lebenstage annehmen. b) Das Körpergewicht kann besser
als Maßstab zur Berechnung des totalen Energiestoffwechsels dienen,
was durch graphische Darstellung bewiesen werden kann. Der Ge-
samtenergieumsatz des Neugeborenen, auf die Einheit des Körper-
gewichtes berechnet, ist nicht viel größer als der eines Erwachsenen.
Zieht man es jedoch vor, den Energieumsatz in den ersten Lebens-
Heft 2 Energiestoffwechsel bei Kindern. 137
wochen mittels der Körperoberfläche zu berechnen, so kann man
folgende Formel anwenden:
A = (Länge in Zentimetern) X 12,65 x 10,3 x VP.
Sie fanden die Wärmeabgabe pro Quadratmeter der Körperoberfläche
pro Zentimeter Körperlänge (Höhe) in 24 Stunden im Durchschnitt
gleich 12,65 Calorien. c) Die Frequenz des Pulses war von keiner
großen Bedeutung. d) Die Frage des Nahrungsbedürfnisses der
Neugeborenen ist kompliziert, da während der ersten Lebenstage
die Säuglinge teilweise hungern — das Colostrum gibt sicherlich
nicht genug Energie. Der respiratorische Quotient während des
. ersten Tages ist hoch — 0,9. Benedict und Talbot nehmen an,
daß der Grund des erhöhten RO. nicht auf der Größe der verbrauchten
Glykogenmenge beruht, sondern durch erhöhte CO,-Abgabe infolge
der veränderten Atmungsweise bedingt wird. Am 2. und 3. Tage
ist der RO. 0,73 und erreicht mit der ersten Milchaufnahme in einigen
Tagen seine normale Höhe. Es existiert keine geregelte Beziehung
zwischen dem RO. und der Größe und dem Zustande des Kindes.
Murlin und Bailey haben diese Resultate in Betracht gezogen
und gaben Beinahrung, um den RO. auf der normalen Höhe zu er-
halten. Diese Säuglinge verloren sehr wenig Gewicht. Dieser Verlust
des Körpergewichtes kann nicht vollständig durch Verbrauch des
Gewebes erklärt werden, sondern größtenteils durch Wasserverlust.
Bakwin zeigt, daß während des transitorischen Fiebers der Neu-
geborenen das Blut konzentriert ist, daß bei Wasserzufuhr die
Temperatur fällt und die Blutkonzentration geringer wird. Neu-
geborene sollten infolgedessen warmgehalten und nicht gebadet
werden und Flüssigkeiten in reichlicher Menge erhalten.
Foetus. Murlin stellte eine Untersuchung an, um die Wärme-
abgabe der Vorgeburtsperiode zu bestimmen. Er studierte Energie-
stoffwechsel von 3 Schwangeren während 3 Wochen vor der Geburt.
Unmittelbar nach der Geburt bestimmte er den Energiestoffwechsel
von Mutter und Kind. Es zeigte sich, daß mit Ausnahme des ersten
Tages der Unterschied zwischen dem Energieumsatz der Schwanger-
schaft und dem gesamten Energiestoffwechsel von Mutter und Kind
nur 1%, beträgt. Hieraus ersieht man, wie schnell sich der Neu-
geborene der Umgebung anpaßt.
Säuglinge und junge Kinder. Benedict und Talbot ver-
suchten das normale Kind zu charakterisieren. Sie bestimmten die
Maße von Hunderten Kindern in verschiedenen Stadtteilen und aus
verschiedenen sozialen Klassen. Sie verglichen Gewicht und Alter;
138 Kohn. Heit 2
Gewicht und Höhe, und endlich Gewicht, Höhe und Körperober-
fläche, das letztere mit Hilfe der Du Boisschen Formel. Sie kamen
dabei zum Schluß, daß das Verhältnis der Körperoberfläche zum
Körpergewicht am verläßlichsten ist. Das Körpergewicht hat die
größte Bedeutung für den Energiestoffwechsel. Sie waren imstande,
aus dem Körpergewichte normaler Kinder, die schwerer als ıo kg
wogen, den Energieumsatz vorauszubestimmen. |
Benedict und Talbot kamen zu folgenden Feststellungen:
Die Menge der verbrauchten Calorien stieg rapid an von Geburt
bis zum Alter von 2 Jahren, nachher merklich langsamer. Der höchste
Betrag des Energiegrundumsatzes fällt auf das Alter von ı!/, bis
11/, Jahren, ungefähr 56—60 Calorien pro Kilogramm. Der aktuelle
Grundumsatz liegt eigentlich um 14% niedriger, wenn man den
spezifischen dynamischen Effekt der Nahrung in Abzug bringt.
13 durch Milch ernährte Kinder zeigten einen etwas erhöhten Grund-
umsatz. Der durch Muskeltätigkeit bedingte Nahrungsverbrauch
schwankt zwischen 20 und 40%. Bei ruhigen Kindern beträgt er
etwa 20%; bei lebhaften steigt er bis zu 40% an. Ungefähr 5—10%
der Nahrung werden ausgeschieden in Kot und Harn. Zieht man das
von der totalen Nahrungsaufnahme ab, so erhält man den Verbrauch
während des normalen Wachstums.
Das Wachstum ist am höchsten in den ersten 6 Monaten, in welchen
der Säugling sein Gewicht verdoppelt. Während der nächsten
6 Monate ist die Gewichtszunahme ungefähr gleich groß. Die
Gewichtszunahme betrug 100%, Anstieg in dem ersten Lebenshalb-
jahr, jedoch nur 50% im zweiten Lebenshalbjahr, daher braucht das
Kind während dieser Zeit verhältnismäßig mehr Nahrung als in
irgendeiner anderen Lebensperiode. Während der ersten 6 Monate
werden 36% der Nahrung zum Wachstum verbraucht; beim
6monatigen Kinde 26%, beim gmonatigen 21% (Rubner und
Heubner fanden 12% genügend zum Wachstum.) Für den nor-
malen Säugling genügen 80 Calorien pro Kilogramm in 24 Stunden.
Das ist ungefähr 60% mehr als der Grundumsatz.
Ein Kind, welches mehr wiegt als das normale gleichalterige Kind,
sollte eine Nahrung erhalten, die calorienreicher ist als diejenige, die
dem Kinde mit Normalgewicht verabreicht wird,: jedoch weniger
calorienreich, als theoretisch seinem Gewichte entspricht. Der
Energieumsatz pro Kilogramm fetter Kinder ist etwas niedriger als
derjenige normaler Kinder.
Der Grundumsatz der 7 jährigen sinkt allmählich bis zu 44 Calo-
rien; im Alter von 12 Jahren beträgt er 32 Calorien pro Kilogramm
Heft 2 Energiestoffwechsel bei Kindern. 139
pro 24 Stunden. Berechnet auf Körperoberfläche zeigt die Wärmc-
abgabe der Kinder weite individuelle Schankungen. Benedict und
Talbot benutzen die Du Boisesche Formel, jedoch variierten sie
die Konstante. Bei der Geburt ist die Wärmeabgabe ungefähr
640 Calorien pro Quadratmeter und steigt allmählich an, bis sie im
Alter von 1 Jahre r100 Calorien pro Quadratmeter beträgt. Bei
10 jährigen beläuft sich die Calorienmenge auf 1000. Bei 14 jährigen
sinkt sie zu 800 Calorien. Der Grundumsatz bei Knaben und Mädchen
ist fast gleichgroß. Derjenige der Knaben ist nur 6%, höher. Die
Pulsfrequenz entspricht annähernd dem Energieumsatz. Während
der Pubertätsperiode ist bei Knaben keine große Zunahme im Grund-
umsatz zu bemerken. Bei Mädchen nur, wenn sie eine vergrößerte
Schilddrüse haben. |
Frühgeburt. Nach Rubner sollte die Wärmeabgabe Früh-
geborener größer als bei Normalen sein, da das Verhältnis ihrer
Körperoberfläche zum Körpergewicht größer ist. Benedict zeigte,
daß die durchschnittliche Wärmeabgabe frühgeborener Kinder
597 Calorien pro Quadratmeter ist, während diejenige Ausgetragener
nur 612 Calorien beträgt. 6 Säuglinge wurden während der ersten
ıı Tage beobachtet und zeigten einen sehr niedrigen Enero
wechsel.
Murlin und Marsh zeigten, daß der‘ Grundumsatz bei Früh-
geborenen, die während der ersten Wochen starben, sehr niedrig
war, dagegen bei den am Leben gebliebenen Frühgeborenen be-
trächtlich höher. Die Oxydationsprozesse sind bei dem letzteren
besser. Folglich können diese Bestimmungen als li ‚zur
Prognose dienen. !
Talbot nimmt an, daß dieser niedrige Energiestoffwechsel‘ ver-
ursacht wird durch den sehr niedrigen Oxydationsgrad des aktiven
Gewebes. Diese wenig entwickelten frühgeborenen Säuglinge haben
eine nur minimale Wärmeabgabe, die gerade für die Lebensfunktionen
unter den günstigsten Bedingungen ausreicht. Die Höhe der Wärme-
abgabe hängt vom Tonus des aktiven Gewebes ab und nicht von der
Größe der Körperoberfläche.
Das wichtigste Ergebnis in Bezug auf Frühgeborene ist, daß man
die Nahrung der letzteren nicht nach Calorien berechnen kann,
Unabhängig von seiner Größe, kann das frühgeborene Kind nicht
eher zunehmen, bis es mindestens 150—200 ccm Brustmilch bekommt.
Die Menge ist oft 21/,mal größer, als die Theorie für den Energie-
umsatz verlangt. Dieser große Überschuß ist notwendig für das
größere Wachstum des Frühgeborenen.
140 Kohn. Heft 2
Unterernährte. Es ist schon lange bekannt, daß die Wärme-
abgabe dieser Kinder größer ist als bei Normalen. Fleming schließt
aus seinen eigenen Versuchen und aus denen anderer Forscher,
daß kein fundamentaler Unterschied besteht, solange das Unter-
gewicht der Säuglinge nicht unter 33% sinkt; Talbot bestimmt es
als 20%; je mehr der Säugling unterernährt ist, desto mehr Calorien
pro Kilogramm verbraucht er; man kann daher annehmen, daß
das Körperfett eine inerte Substanz ist, und daß der hohe Energie-
umsatz hauptsächlich durch den Verlust an Fett erklärt werden kann.
Der Gesamtfettgehalt normaler Säuglinge ist beinahe ıomal größer
als bei diesen atrophischen Kindern. Die Fälle höchstgradiger
Unterernährung zeigen den höchsten Grad von abnormem Stoff-
wechsel. Das Fett spielt wahrscheinlich die Rolle eines Insolators.
Zwei Erklärungen sind für diese Tatsache möglich: ı. Die Menge
des aktiven Protoplasmas, welches Wärme erzeugt, ist wegen Unter-
ernährung vermindert. 2. Die Menge des Protoplasmas ist normaler-
weise nicht vermindert, jedoch ist das Protoplasma wegen Unter-
ernährung nicht imstande, dieselbe Wärmeabgabe wie vorher zu
erzeugen. Die letztere Anschauung hat mehr für sich.
Fleming bestimmte den Respirationsquotienten bei solchen
atrophischen Kindern. Er glaubt, daß in diesen Fällen die Nahrung
nur sehr schlecht vom Magendarmkanal absorbiert wird, während
der Teil, der das Gewebe erreicht, sehr schnell assimiliert wird.
Die Absorption ist besonders schlecht, wenn die Körpertemperatur
unternormal ist. Fleming rät daher die Kinder warm zu halten
und ihnen konzentrierte Nahrung zu geben, die viel calorienreicher
ist, als die Theorie verlangt.
Ältere Kinder von niederem Körpergewicht. Bei Kindern
von niedrigem Körpergewicht ist der Energieumsatz höher als bei
Kindern mit normalem Körpergewicht. Die Durchschnittszunahme
in Calorien pro Kilogramm ist 25% höher. Es scheint kein zahlen-
mäßiges Verhältnis zu bestehen zwischen Körpergewicht und erhöhtem
Stoffwechsel. Kinder, die größer sind als normale Kinder desselben
Alters, haben einen höheren Stoffwechsel pro Kilogramm Körper-
gewicht. 3 Kinder, die klein für ihr Alter waren, zeigten auch er-
höhten Stoffwechsel, jedoch war der Unterschied geringer als bei
normalen Kindern.
Fieber. Du Bois zeigte, daß während des Fiebers der Energie-
umsatz gesteigert ist, entsprechend dem van’t Hoffschen Gesetz,
d. h. für jede 10° C ist die Geschwindigkeit der chemischen Reaktion
zwei- bis dreimal größer. Im menschlichen Organismus entspricht
Heft 2 Energiestoffwechsel bei Kindern. 141
einer Zunahme von 3° der Körpertemperatur im Fieber ein Anstieg
des Energieumsatzes um 30—60%. Der Temperaturkoeffizient ist
ungefähr 2—3°. Daher war es anzuraten, während des Fiebers nach
Möglichkeit die Nahrungszufuhr zu erhöhen, um das Körpergewebe
zu sparen.
Typhus. Der respiratorische Quotient ist beim Typhus normal.
Es ist bemerkenswert, daB beim Typhuskranken das Protein nicht
seine dynamische Wirkung ausübt. In dieser Krankheit verabreicht
man reichlich Nahrung.
Tuberkulose. Bei Tuberkulose ist der Grundumsatz nur im
Fieber erhöht. In diesem Falle übt das Protein seine spezifische
Wirkung aus. Es ist daher ratsam, wenig Protein zu verab-
reichen.
Die sog. chirurgischen Tuberkulosen, die Luftkuren, Lichtkuren
oder Badekuren durchmachen, zeigen einen Pere gesteigerten
Grundumsatz nach einiger Zeit (1 Monat).
An der Seekiiste ist der Grundumsatz im Laufe von 3 Monaten
um 40% gesteigert. Luftkur hat denselben Effekt wie Bestrahlung.
In der Schweiz betrug die Energiezunahme 59—225%, über normal,
was sich durch die stark abkühlende Wirkung der Höhenluft er-
klären läßt. Alle diese Kinder erholten sich außerordentlich gut.
Erysipel. Der Grundumsatz hängt von der Höhe des Fiebers ab.
Malaria. Während des Schüttelfrostes ist der Grundumsatz
hoch, nachher klingt er allmählich ab.
Diabetes. Der Grundumsatz in Diabetes ist sehr kompliziert
und hängt von vielen Faktoren ab — z. B. von der Ernährungs-
weise, vom Grad der Krankheit usw. Da Diabetes nicht eine
typische Krankheit der Kinder ist, will ich darauf nicht näher
eingehen.
Nephrose. In typischen Fällen mit viel Ödem ist der Grund-
umsatz merklich vermindert. Das trifft nicht zu für akute Glomerulo-
nephritis.
Leukämie. In Leukämie ist der Energieumsatz stark erhöht.
Kretinismus. Der Grundumsatz ist weit unter normal. Der
Grundumsatz wird durch Thyroidin erhöht.
Hyperthyroidismus. Der Grundumsatz ist stark erhöht. In
nicht toxischen Fällen ist der Grundumsatz nicht erhöht.
Mongolismus. Der Grundumsatz ist nicht konstant, d. h. er ist
manchmal hoch, manchmal niedrig.
Frölichs Syndrom. Der Grundumsatz ist gewöhnlich weit
unter normal.
142 Zu Kohn. Heft 2
Geistig defekte Kinder. Es läßt sich keine bestimmte Be-
ziehung zwischen Grundumsatz und geistigen Defekten nachweisen.
Nur Fälle mit niedrigem Grundumsatz werden durch Thyroidin
gebessert.
Ein Kind, dem die cerebralen Hemisphären fehlten, hatte einen
außerordentlich niedrigen Energieumsatz.
Zwergwachstum. Der Grundumsatz ist normal, wenn keine
Störungen der inneren Sekretion vorliegen.
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Referate.
Pharmakologie.
Me Culloch, H., Rupe, W. The tolerance of children for digitalis.
(Southern med. journ. 15, Nr. 5, 1922, S. 38r.)
Kinder vertragen relativ mehr Digitalis als Erwachsene. Thera-
peutisch sind große Digitalisdosen zu bevorzugen. Man muß soviel
Digitalis geben, bis die ersten Intoxikationssymptome, Erbrechen
und Pulsverlangsamung, auftreten. Mit dieser Dosis ist der optimale
therapeutische Effekt zu erzielen. Verff. geben 50% der Tagesdosis
auf einmal nachts, 25% morgens um 4 Uhr und wenn keine Wir-
kung da ist, so wird 8 Uhr früh noch der Rest (25%) verabreicht.
Digitalis ist zu geben bei chronischen Vitien, ferner bei stark be-
schleunigter Herzaktion, wenn durch andere Mittel die Herabsetzung
der Frequenz nicht gelingt. Bei akut infektiöser oder toxischer
Myokarditis, wie auch bei akuten Herzfehlern, bei welchen eine
Überfüllung des Herzens besteht, ist die Anwendung großer Digi-
talisdosen kontraindiziert. Schiff.
Storm, H. Beitrag zur Dosierung des Opiums und zur Indikation
der Opiumtherapie im Kindesalter (Universitäts-Kinderklinik Göt-
tingen, Prof. Göppert). (Doktordissertation 1922.)
Verf. berichtet über die verschieden angegebene Dosierung
des Opiums (Extract. opii aquosa) nach Henoch, Heubner, Lux,
Débeli, Lewin. Seinen Versuchen legt er die in der „Prophylaxe
und Therapie der Kinderkrankheiten‘“ von Göppert und Lang-
stein angegebene Dosierung zugrunde:
Extr. opii aquosa: 3— 7 Mon. 0,02 mg
8—12 ,, 0,4—0,8
13—-18 j 1,0
19—24 „ 1,0—1,5
3 Jahre 3
4 » 5
5— 8 ,, Io en
9—-12 ,, 20 -
Statt Extract. opii aquosa ist die zehnfache Dosis der Tinct. opii
simplex und crocata, die 2ofache der Tinct. opii benzoica zu nehmen,
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 10
146 Pharmakologie. — Bakteriologie. Heft 2
wobei zu beachten ist, daB 45 Tropfen Tinct. opii simplex und crocata
= I ccm, 54 Tropfen Tinct. opii benzoica = I ccm sind. ,,Bei einer
Gegenüberstellung der Dosierungsweisen der angeführten Autoren
ergibt sich: Im ı.—2. Monat wird Opium vermieden. Im übrigen
kann man 2 Gruppen unterscheiden: Döbeli, Biedat - Vogel,
Lewin stehen Henoch, Heubner, Lust, Göppert gegenüber.
Besonders kraß ist der Unterschied in der Dosierung beim I—2 jähri-
gen Kinde. Die ersteren geben das 10—2ofache der von Gö p pert
und Lust angewandten Dosis. Im Schulalter findet ein gewisser
Ausgleich statt. Doch bleibt die von Göppert angegebene Dosie-
_ rung immer noch 3/;—/, der von Débeli, Biedat - Vogel, Le-
win. Unsere Versuchsdosen erreichen im 7.—8. Jahre die von
Döbeli usw., stehen aber im 1.—6. Jahre noch weit hinter ihnen
zurück.“ An 13 Fällen von septischen Darmblutungen, Pneumonie,
Bronchopneumonie, Grippe-Pneumonie, Meningitis tuberculosa, Peri-
karditis und Stenose wird Opium in seiner Wirkung erneut auspro-
biert. Die gute Wirkung bei Darmschmerz wird bestätigt. Als Mittel
gegen Unruhe ist seine Wirkung zu inkonstant, so daß hier Urethan,
das auch in großen Dosen beim Säugling noch ungefährlich ist, vor-
zuziehen wäre. Bei Keuchhusten wurde Schlafwirkung ohne Beein-
flussung des Hustenreizes erzielt, selbst nicht in hohen toxischen
Dosen. Bei Bronchopneumonie wurde bei wiederholten Dosen von
5 ccm eine Lösung von I cg Opium auf 100,0 Aqua dest., also 0,4
bis 0,5 mg pro dosi Beruhigung und Euphorie ohne Schlafwirkung
erzielt. Jedoch auch hier Fälle von vollständigem Versagen des
Opiums. Auch hier Urethan in seiner Wirkung sicherer. Trotzdem
rät Verf. zum weiteren Ausbau der Opiumtherapie, besonders bei
Fällen, in denen „eine Beruhigung ohne Schlafwirkung nötig er-
scheint“. Schwab (Göttingen).
Bakteriologie.
Krumwiede, C., Mishulow, L., und Oldenbuch, C. Die Existenz meh-
rerer immunbiologischer Typen des Keuchhustenbacillus. (Journ. of
infect. dis. 32, Nr. ı, Januar 1923.)
Durch Prüfung der Agglutination und der Agglutinabsorption
bei verschiedenen Stämmen des Bact. Pertussis konnten zwei unter-
schiedliche Kulturen festgestellt werden. Die beiden immunbiologi-
schen Gruppen werden als A und B bezeichnet. Antisera der Gruppe B
agglutinieren die B-Stämme, nicht aber oder nicht nennenswert die
A-Stämme. Die Antisera der Gruppe A agglutinieren nicht nur die
A-Stämme, sondern auch die B-Stämme bis zu einer beträchtlichen
Verdünnung. Stämme der Gruppe A verringern durch Absorption
nicht wesentlich den Gehalt der Sera der Gruppe B an Agglutininen,
die gegen die Gruppe B gerichtet sind. Dagegen werden die gegen
Heft 2 Bakteriologie. — Serologie und Immunitätslehre. 147
die A-Stämme gerichteten Agglutinine der A-Sera durch die B-Stämme
deutlich absorbiert. Die Antigene für sämtliche Untersuchungen ent-
stammten Kulturen, die auf gleichen Nährböden gewachsen waren,
so daß die serologischen Differenzen nicht auf den Einfluß verschie-
dener Nährböden zurückgeführt werden können; es zeigte sich nur,
daß Wachstum auf bluthaltigen Mährböden die agglutinatorischen
Eigenschaften frisch isolierter Stämme beeinflussen.
Wolff (Hamburg).
Povitzky, O. R. Verbesserte Methoden zur Isolierung und Kultur
des Keuchhustenbacillus. (Journ. of infect. dis. 82, Nr. 1, Jan. 1923.)
Die Untersuchungen beweisen die Wichtigkeit der Reaktion
des Nahrbodens fiir die Isolierung und Ziichtung des Keuchhusten-
erregers; es handelt sich dabei darum, die Reaktion so abzustimmen,
daB das Wachstum der Begleitbakterien, insbesondere des Influenza-
bacillus gehemmt wird, während der Bordet-Gengou-Bacillus még-
lichst günstige Wachstumsbedingungen findet. Bei einer Acidität
entsprechend Ph = 5 findet die Isolierung des Keuchhustenbacillus
am leichtesten statt. Der gewöhnliche Nährboden nach Bordet-
Gengou hat eine Reaktion von Ph 5,8 bis 6,1; die gewünschte höhere
Acidität, wie sie die optimale Reaktion darstellt, erzielt man durch
Zusatz organischer Säuren zu dem sterilisierten Nährboden vor dem
Zusatz des Blutes. Zur Fortzüchtung des isolierten Erregers erwies
ich ein Kartoffel-Glycerin-Kalbsbrühe-Agar, dem bei einer Tem-
peratur von 45° Blut im Verhältnis ı : 3 oder I : 4 zugesetzt wird,
außerordentlich geeignet. Zur Isolierung des Erregers eignet er sich
nicht, da er den Begleitbakterien zu günstige Bedingungen darbietet.
Zur Isolierung dient der Bordet-Gengou-Nährboden nach Ab-
stimmung auf Ph = 5. Wolff (Hamburg).
Serologie und Immunitätslehre.
Frankenstein, C. Zur Frage der aktiven Immunisierung im Säuglings-
alter. II. Mitteilung: Die Pockenvaccineimmunität. (Charlotten-
burg, Kaiserin Augusta Viktoria Haus.) (Zeitschr. f. Kinderheilk.
32, S. 25—33.)
Uber die Frage, ob durch die Vaccination beim Säugling eine
Serumimmunität hervorgerufen wird, liegen bisher noch keine Unter-
suchungen vor. Es wird zunächst mit den allgemein üblichen Metho-
den das Serum geimpfter Kinder auf komplementbindende Antikörper
untersucht mit negativem Erfolg. Eine exaktere Methode — Imp-
fung von Kaninchen mit Mischungen einer bestimmten Lymphmenge
von bekannter Virulenz und fallenden Mengen Serum von geimpften
Kindern an verschiedenen Tagen entnommen — ergibt ebenfalls ganz
eindeutig das Fehlen einer Abschwächung der Reaktion. Alter und
10*
148 Serologie und Immunitatslehre. Heft 2
Stärke des Impferfolges waren ohne Einfluß. Dabei war bei samt-
lichen Kindern tatsächlich eine Immunisierung erfolgt, wie durch
den Ausfall der vakzinalen Frühreaktion nachgewiesen wurde.
Auf Grund dieser Ergebnisse glaubt F. darauf hinweisen zu können.
daß bei der Pockenimpfung im Säuglingsalter der humorale gegenüber
dem cellulären Schutz vollkommen in den Hintergrund tritt. Dieser
Unterschied erklärt vielleicht, warum der im allgemeinen schlecht
aktiv immunisierbare Säugling schon im ersten Lebensquartal mit
Erfolg gegen Pocken immunisierbar ist. Schall (Tübingen).
Baagöe Kai. Cutane Proteinreakttonen bes Asthma bronchtale. (Uge-
skrift f. laeger 1923, S. 301.)
Verf., der eingehend die amerikanischen Versuche bespricht.
hat selbst die cutanen Proteinreaktionen bei einigen Kindern mit
Asthma bronchiale geprüft, darunter ein gjähriges Mädchen, das unter
38 verschiedenen Stoffen nur an Katzenhaaren reagierte. Es zeigte
sich auch, daß es im letzten Jahr, wo es die Anfälle gehabt hatte, mit
einem Kätzchen zu Hause spielte; und wenn man in die Klinik, wo das
Mädchen die ganze Zeit ganz anfallsfrei war, eines Tages ihm ein Kätz-
. chen hineinbrachte, bekam das Kind 2 Stunden später einen kräftigen
Anfall mit akutem Emphysem. Hertz (Kopenhagen).
Ratner, Bret. Kaninchenhaarasthma bei Kindern. (Americ. journ. of
dis. of childr. 24, 1922, S. 346.)
Einige in ihrer Entstehung zunächst dunkle Fälle von Asthma
konnten auf Sensibilisierung gegen Kaninchenhaare zurückgeführt
werden. Durch absichtlich herbeigeführte Berührung mit Kaninchen-
haaren gelang es bei diesen Kindern, Asthmaanfälle auszulösen.
und andererseits durch Ausschaltung der Kaninchenhaare die Kinder
von ihrem Asthma zu befreien. Kaninchenhaare sind ziemlich weit
verbreitet als Bestandteile von Filzhüten, von Kinderspielzeug, von
Pelzwerk, von Kissenfüllungen. Der Zustand der Überempfindlich-
keit war bei den Kindern offenbar nicht erblich übertragen, sondern
im frühen Kindesalter durch ausgiebige Berührung mit Kaninchen-
haaren erworben. Säuglinge mit langdauerndem Schnupfen und
wiederholten Anfällen von Luftröhrenkatarrh sollten sorgfältig ım
Auge behalten werden, ob sie nicht in Gefahr sind, später an Asthma
zu erkranken. H. Vogt.
Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie.
Leebron, J. D. Blood transfusion in malnutrition and infantile atrophy.
(New York med. journ. 1923, S. 298. Pediatrics.)
Indikation zur Bluttransfusion sind: Atrophie, sekundäre
Anämien, Kollapserscheinungen bei akuten Ernährungsstörungen,
Heft 2_ Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. 149
verschiedene Erschöpfungszustände. Man kann Citratblut infun-
dieren oder die direkte Transfusion vornehmen. Wichtig ist die
Dosierung. Wird zuviel Blut infundiert, so kann dies gefährlich
werden. Nach dem Verf. ist die erlaubte obere Grenze 20 ccm Blut
pro Kilogramm Körpergewicht. Bei der ersten Infusion gibt man
am besten eine geringere Menge und wiederholt die Einspritzung
in IO Tagen. Wichtig ist ferner, daß das Blut nur ganz langsam
infundiert wird. Das Blut wird in den Sinus long. infundiert. Die |
therapeutische Wirksamkeit erklärt Verf. damit, daß das Blut als
Reiz für das hämopoetische System wirkt, ferner — da nach den
Untersuchungen von Ashby die roten Blutkörperchen mehrere Wo-
chen noch nach der Infusion funktionieren —, so ist auch anzu-
nehmen, daß das infundierte Blut im fremden Organismus eine Zeit-
lang seine Tätigkeit entfaltet. Schiff.
Rietschel. ‚Dynamisches Eiweißfieber‘“ (Klin. Wochenschr. 2,
Nr. r, S. 9.)
Eiweißreiche, wasserarme Nährgemische können bei Säuglingen
zu beträchtlichen Fiebersteigerungen führen, eine Erscheinung, auf
die auch Finkelstein in der 2. Auflage seines Lehrbuchs hinweist.
Ersetzt man in der betreffenden Nahrung das überschüssige Eiweiß
(Plasmon) durch isodyname Mengen von Fett oder Kohlenhydrat,
so geht die Temperatur zur Norm zuriick; am schnellsten, innerhalb
weniger Stunden, tritt Entfieberung ein, wenn reichlich Wasser,
auch ohne Reduktion der Eiweißmenge, zugeführt wird. Die fiebern-
den Säuglinge machen keinen kranken Eindruck, der Stuhl ist meistens
fest, irgendwelche toxischen Züge sind nicht nachweisbar, es besteht
nur eine deutliche Unruhe, verbunden mit den Zeichen eines starken
Durstes. Das Eiweißfieber ist nicht nur vom Eiweißgehalt der
Nahrung und von der Flüssigkeitsmenge, sondern auch von dem
Salzgehalt der Nahrung abhängig: Reduktion der Molkensalze bei
gleichbleibender Eiweiß- und Flüssigkeitszufuhr führt eine Tem-
peratursenkung herbei. Verf. will diese Form des Eiweißfiebers vom
toxischen Eiweißfieber, das auf Resorption pyretogener EiweiBabbau-
produkte zu beziehen ist, unterschieden wissen; das von ihm als
„dynamisches Eiweißfieber‘‘ bezeichnete Fieber ist auf eine In-
suffizienz der physikalischen Wärmeregulation infolge ungenügen-
den Wasserangebotes in der Nahrung gegenüber der von Rubner
einwandfrei nachgewiesenen spezifisch-dynamischen Wirkung des
Eiweißes zurückzuführen. Diese Auffassung ist auch von Bedeutung
für die von alten Ärzten stets empfohlene eiweißarme Ernährung
bei Fiebernden; ferner erklärt sie auch den Vorteil der Frauen- |
milch, bei der es nie zu einer übermäßigen Eiweißzufuhr kommen
kann. |
er Wolff (Hamburg).
150 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. Heft 2
Davison, Wilburt C. Versagen der Hejebehandlung bei der Sauglings-
ernährung. (Americ. journ. of dis. of childr. 24, 1922, S. 339.)
Bei Kindern, die sich von akuten Ernährungsstörungen erholten,
bei solchen mit chronischer Verdauungsinsuffizienz sowie bei kör-
perlich rückständigen Kindern erwies sich die Verabreichung von
Hefe als erfolglos, sie schien sogar nicht immer harmlos zu sein.
H. Vogt.
Adam, A. Zur Pathogenese und Therapie der Sduglingsdyspepsie.
(Antrittsvorlesung.) (Klin. Wochenschr. 6, 2. jg. 1923, S. 248.)
Zusammenfassende Darstellung der neueren Ergebnisse auf
dem Gebiet der Erforschung der Säuglingsdyspepsie. Das Moment
der Keimbesiedlung des oberen Dünndarms mit Coliarten, die sich
im Gegensatz zu den Normalcolibakterien durch stärkeres Gär-
vermögen auszeichnen, steht im Mittelpunkt der Erörterungen.
Es zeigt sich, daß es dieselben Stoffe sind, die einerseits das Coli-
wachstum fördern, andererseits dyspepsieauslösend bzw. zur In-
toxikation führend wirken, nämlich Pepton, Mono- und Disaccharıde,
Fettsäuren sowie Alkaliseifen; diejenigen Stoffe, die das Coliwachs-
tum hemmen, erweisen sich auch als Heilnahrung dyspeptischer
Zustände. Von großer Bedeutung ist für die Keimbesiedlung des
Dünndarmes die dort herrschende Reaktion, eine Verschiebung der
normalerweise im oberen Dünndarm herrschenden alkalischen Re-
aktion nach der sauren Seite hin ist erforderlich, damit es zu einer
Ansiedlung gärungstüchtiger Colirassen daselbst: kommt; diese Ver-
schiebung der Reaktion wird durch eine Läsion der normalen Funk-
tion der Schleimhaut durch exogene Momente (Hitze, Uberfiitterung,
parenterale Infektionen) hervorgerufen. Verf. hat auf Grund dieser
Ergebnisse der Dyspepsieforschung eine neue Heilnahrung an-
gegeben, deren Zusammensetzung und Bereitung in einer pädiatri-
schen Zeitschrift angegeben werden soll; die damit erzielten Erfolge
sind sehr günstig. Wolff (Hamburg).
Boyd, Gladys L. The etiology of acute intestinal intoxication in infants.
(Die Ätiologie der akuten Darmintoxikation des Kindes.) (Arch.
of internal med. 31, Nr. 2, 1923, S. 297.)
Es wurden Extrakte aus der Darmschleimhaut von an Toxikose
verstorbenen Kindern hergestellt. Dieses Extrakt enthält eine
histaminähnliche Substanz. Wird das Extrakt Tieren (Meerschwein-
chen, Katzen) intraperitoneal bespritzt, so kommt es zu krankhaften
Störungen, die sich in Blutdrucksenkung, herabgesetzter Zirkulation,
‘ Appetitlosigkeit, Durchfall und in manchen Fällen in Form von
Krämpfen äußert. Junge Tiere sind viel empfänglicher als Erwach-
sene. Die toxische Substanz wird in der Wärme nicht zerstört.
Wässerige Stuhlextrakte von an Toxikose verstorbenen Kindern
Heft 2 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernahrungstherapie. IS5I
zeigten im Tierversuch keinen toxischen Wirkungen. Wurde von
an Toxikose erkrankten Kindern Blut entnommen und Tieren ge-
spritzt, so zeigten sich nur geringfügige Vergiftungserscheinungen,
während das Portalblut stark giftig wirkte. Charakteristische ana-
tomische Veränderungen bei den gespritzten Tieren konnten nicht
gefunden werden. Schiff.
Utheim, Kirsten. Fortgeschrittene chronische Ernahrungsstörungen ım
Säuglingsalter. (Journ. of metabolic research 1, 1922, S. 803.)
Die Mariottsche Schule teilt entsprechend dem Finkelstein-
schen Standpunkt die Ernährungsstörungen nach klinischem Maß-
stab ein und unterscheidet bei den akuten Formen zwischen Diarrhöe
und Anhydrämie. Diese entspricht unserer Intoxikation. Die
chronischen Ernährungsstörungen werden eingeteilt in Hypotherapie
und Athrepsie. Die athreptischen Säuglinge, die in den Jahren
1919-1921 in der Mariottschen Klinik zur Beobachtung kamen
und frei von chronischen Infektionen waren, wurden in der Abhand-
lung eingehend analysiert. Ätiologisch ist Unterernährung über-
wiegend. Die Mehrzahl war mit gezuckerter, kondensierter Milch
in starken Verdünnungen ernährt worden, insbesondere lag ein
Mangel an Fett vor. Nächstdem wird ein Fehlen anreizender Hor-
mone für möglich gehalten. Die Gesamtblutmenge ist vermindert
(Marriott), die Erythrocytenzahl gegenüber der Norm herab-
gesetzt. Leukocytose leichten Grades wird beobachtet. In fast
allen Fällen werden Zeichen von Pyelitis gefunden. Der Serum-
Eiweißgehalt beträgt nach Untersuchungen des Autors (refrakto-
metrisch) bei normalen Säuglingen 6,03—6,09% (2—3 Stunden
nach der Nahrungsaufnahme). Tagesschwankungen werden ver-
mißt. Frühgeburten zeigen einen Eiweißgehalt von 5%. Der Serum-
Eiweißgehalt athroptischer Säuglinge ist herabgesetzt auf 3,94 bis
5,90%, und verläuft die Gerichtskurve parallel. Außer Athrepsie
und Anhydrämie haben andere Krankheiten auf den Serumprotein-
gehalt keinen Einfluß. Die Blutzirkulation ist (von I4—2I ccm
auf 100 g Körpergewicht in der Minute bei normalen Säuglingen)
auf sehr niedrige Werte (I, 3, 4, 15, 17) herabgesetzt. Andere Krank-
heiten zeigen keinen Einfluß auf die Blutzirkulation. Erythrocyten
und Hämoglobin sind im Venenblut gegenüber dem Capillarblut
vermindert, woraus der Autor (nicht mit absoluter Berechtigung)
auf Kontraktion der Capillaren schließt. Andere Erkrankungen
mit Ausnahme der Durchfallskrankheiten zeigen solche Unterschiede
nicht. Der Blutdruck ist normal. Ausgedehnte Hunger- und Durst-
versuche wurden an Kaninchen vorgenommen, die nach starkem
Gewichtsverlust bei totalem Hunger auf Minimalernährung gesetzt
wurden; bei diesen Tieren ist am Tage des stärksten Gewichtsverlusts
die colorimetrisch bestimmte Gesamtblutmenge kleiner, als sie
152 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernahrungstherapie. Heft 2
in dem Gewicht oder der Körperoberfläche entsprechen würde.
Nur bei den jüngsten Kaninchen wurde eine Verminderung des
Blutvolumens vermißt. Die Benzoloxydation der Athreptiker ist
herabgesetzt. Der Calorien-N im Urin ist sehr hoch, aber weder
Harnsäure, noch Kreatinin, noch Aminosäuren sind in allen Fallen
erhöht. Die organischen Säuren im Urin sind vermehrt. Die hohe
NH,-Koeffizient wird als Folge der vermehrten Ausfuhr organischer
Säuren betrachtet. Die N-Bilanz ist oit negativ, auch bei ansteigen-
der Gewichtskurve. Die Kot- und Urinmengen wurden nicht ins-
gesamt am Ende der Periode verarbeitet, sondern es wurde, um
jeden N-Verlust zu vermeiden, jeder Urin sofort nach Entleerung
auf Eis gestellt, und Kot und Urin sofort nach Vereinigung der Tages-
menge verascht. So erklärt der Autor seinen bedeutsamen, von
den bisherigen Ergebnissen abweichenden Befund. Die Retention
von Na, Cl und Ca folgt der Kurve der N-Retention. Die Bilanz
von P und K ist zumeist positiv. Die Absorption ist für alle Salze
gut mit Ausnahme des Ca, von dem nur 35—55%, die Darmwand
passieren. Der respiratorische Quotient zeigt einen im Verhältnis
zum Ist-Gewicht erhöhten Stoffwechsel. Im Verhältnis zum Soll-
gewicht ist der Stoffwechsel aber niedrig. Grund zur Annahme einer
Demineralisation liegt nicht vor. In einem daraufhin untersuchten
Fall stieg die Ausfuhr von Na und K im Urin während erhöhter
peroraler Fettzufuhr und nimmt zur gleichen Zeit im Stuhl ab.
Der Bestand an Na im Blut ist herabgesetzt, ebenso der unorganische
P niedrig. Dies würde der Annahme Schiffs entsprechen, daß bei
Atroptikern — auch bei Fehlen von Epiphysenauftreibungen —
Rachitis vorhanden ist. Bei 6 röntgenologisch untersuchten Fällen
wird aber nur einmal Rachitis gefunden (Ref. vermißte bei röntgeno-
logischer Untersuchung bisher Rachitis bei Atroptikern stets).
Der Autor glaubt Diarrhöen der Atroptiker oft auf Unterernährung
zurückzuführen zu können — sie schwinden bei ausreichender Er-
nährung. Die Nahrungszufuhr ist nach dem Sollgewicht zu bemessen
und beträgt 150—200 Calorien pro Kilogramm Körpergewicht.
Empfohlen wird Buttermilch mit Zusatz von Malzextraktsyrup.
Rosenbaum.
Wollstein, M. Eine bakteriologische Untersuchung der akuten Durch-
fälle im frühen Kindesalter. (Americ. journ. of childr. of dis. 25,
1923, S. 310.)
Unter 86 Kindern, die in der Zeit vom 5. Juni bis 15. September
wegen frischer Durchfälle aufgenommen wurden, ergab die bakterio-
logische Untersuchung bei 20 oder 231/,% eine Dysenterie. Der bak-
teriologische Nachweis der Dysenterie gelang bei 37% aller Kinder,
die nach den klinischen Erscheinungen als dysenterieverdächtig
angesehen werden mußten. Bei den Ruhrfällen handelte es sich
Heft 2 Wachstum und Stoffwechsel. 153
3 mal um Shigabacillen, 5 mal um Flexner und 12 mal um die Mount-
Dessert-Art. Die Shigagruppe wies die höchste Sterblichkeit auf,
die Mount-Dessert-Gruppe den langwierigsten Verlauf und die
schwersten Veränderungen bei der Leichenschau. Durch die bak-
teriologische Untersuchung wurden 2 Fälle von Typhus aufgedeckt
bei Säuglingen, von denen der eine im Krankenhaus angesteckt sein
mußte, außerdem ein Fall von Paratyphus. Ein Kind mit starker
Schleimhautentziindung hatte B. faecalis alcaligenes im Stuhl, 3 Kıin-
der mit den klinischen Erscheinungen der Ruhr hatten überwiegend
B. pyocyaneus, . H. Vogt.
Wachstum und Stoffwechsel.
Holt, L. Emmet, und Fales, H. L. Der Nahrungsbedarf der Kinder.
V. Die anteilige Verteilung der Calorien. (Americ. journ. of dis. of
childr. 24, 1922, S. 311.)
Die Kost von 106 gesunden Kindern im Alter von ı bis I8 Jahren
wurde auf ihren Gehalt an Calorien und deren Verteilung auf Eiweiß,
Fett und Kohlenhydrate hin untersucht. Der Eiweißgehalt der Nah-
rung zeigte die kleinsten Schwankungen, größer waren die des Fett-
gehalts, am größten die Unterschiede im Kohlenhydratverzehr. Be-
merkenswert erscheint, daß sich trotz der Schwankungen im einzelnen
Falle doch im ganzen eine weitgehende Übereinstimmung in der Nah-
rungszusarmmensetzung herausstellte. So entfielen in mehr als der
Hälfte der Fälle 14—ı6%, der Nahrungscalorien auf Eiweiß, bei 3 Vier-
teln der Fälle 30—40% auf Fett und bei gleichfalls 3 Viertel der Fälle
zwischen 44 und 50% auf Kohlenhydrat. Die einzelnen Altersstufen
verhielten sichin.dieser Hinsicht ziemlichgleichmäßig. Im Durchschnitt
aller Altersstufen entfielen auf das Fett 34 (abgerundet 35), auf Kohlen-
hydrat 5ı (abgerundet 50) und auf Eiweiß 15% der Calorien. Das ge-
sunde Kind verzehrt etwa gleiche Mengen an Eiweiß und an Fett und
etwa das Dreifache davon an Kohlenhydrat. H. Vogt.
Talbot, F. B., und Moryarty, M. E. Die Bedeutung des Grundstoff-
wechsels für die Erkennung und Behandlung des Kretinismus.
(Americ. journ. of dis. of childr. 25, 1923, S. 185.)
Bei ıo Fällen von Kretinismus wurde der Ruhestoffwechsel
vor und nach Behandlung mit Schilddrüse untersucht. Sämtliche
Kinder waren an Körperlänge und an Gewicht hinter dem regel-
rechten Altersdurchschnitt zurückgeblieben. Die Berechnung der
Wärmeerzeugung auf die Körperoberfläche ergibt bei Kindern mit
Myxödem offenbar fehlerhafte Werte, denn ihr Grundstoffwechsel
erscheint bei dieser Art der Berechnung als regelrecht. Richtigere
Werte ergibt schon die Berechnung auf das Kilogramm Körper-
gewicht. Am besten bewährt sich zur Beurteilung des Grundstoff-
154 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 2
wechsels bei Kretinismus die Beziehung zum Lebensalter. So wurden
auch bei der Behandlung die besten Erfolge erreicht, wenn dieser
Maßstab zugrunde gelegt wurde, d.h. soviel Schilddrüsensubstanz
verabreicht wurde, daß der Grundstoffwechsel den regelrechten
Altersdurchschnitt erreichte. Mit Hilfe der Bestimmung des Grund-
stoffwechsels konnte die Diagnose auf Kretinismus bei einem Kinde
schon im Alter von 3 Monaten gestellt werden, während die klinische
Diagnose erst mit Io Monaten sicher stand. Die bisher besonders
hinsichtlich der geistigen Entwicklung noch unbefriedigenden Er-
folge lassen sich vielleicht verbessern, wenn die Behandlung früh-
zeitiger als bisher einsetzt. Fällt doch die schnellste Entwicklung des
kindlichen Gehirns in das erste Lebensjahr. Durch wiederholte Bestim-
mungen des Grundstoffwechsels im Verlauf der Behandlung kann fest-
gestellt werden, welche Gaben im einzelnen Fall ausreichen, den Grund-
stoffwechsel auf regelrechte Höhe zu bringen. H. Vogt.
Holt, L. E., und Fales, H. L. Kalkresorption beim Kinde bei fettarmer
Ernährung. (Americ. journ. of dis. of childr. 25, 1923, S. 247.)
Bei starker Einschränkung der Fettzufuhr mit der Nahrung
wurden die Stühle gesunder Kinder, die im Alter von 2—6 Jahren
standen, übelriechend und dünn. In 5 von 7 Fällen kam es gleich-
zeitig zu einer ausgesprochenen Verschlechterung des Kalkansatzes.
Nur zwei der Kinder, die schon bei gewöhnlicher Kost schlechtere Stühle
gehabt hatten, ließen keinen solchen Einfluß der Fetteinschränkung
auf den Kalkansatz erkennen. Mit einer Ausnahme war bei der
fettarmen Kost der Gehalt der Stühle an Trockensubstanz erhöht.
Ebenso war mit einer Ausnahme der Gesamtaschengehalt der Stühle
bei fettarmer Ernährung gesteigert. Vorläufig ist nicht zu entschei-
den, ob regelrechter Kalkansatz an ein bestimmtes Verhältnis ge-
bunden ist, in dem Fett und Kalk in der Kost vertreten sind, oder
ob der Einfluß des Fettes auf den Kalkansatz darauf zurückzuführen
ist, daß eine bestimmte Fettmenge erforderlich ist, wenn die Ver-
dauung regelrecht vor sich gehen soll. H. Vogt.
Leicher, Hans. Der Calciumgehalt des menschlichen Bluiserums und
seine Beeinflussung durch Störungen der inneren Sekretion. (Dtsch.
Arch. f. klin. Med. 141, S. 85.)
Der Ca-Gehalt des Blutserums beträgt bei Gesunden im Durch-
schnitt 11,6 mg (1I,I—12,0) und halt sich auf dieser Hohe ungefähr
bis zum 40. Jahre, um dann langsam zu sinken. Darreichung von
Schilddriisentabletten rief in 5 von 6 Fallen ein Absinken der Serum-
kalkwerte hervor; in 3 Fallen von Basedow fanden sich subnormal
Werte (10,3—10,9 mg Ca), in ı Fall von Myxödem erhöhte Werte
(12,8 mg Ca). Jodtinktur und Jodkali sind ohne Einfluß auf den
Kalkspiegel, ebenso Antithyreoidin Merck. Hyperfunktion der
Heft 2 Wachstum und Stoffwechsel. 155
Schilddriise scheint eine Senkung, Hyperfunktion eine Steigerung
der Serumkalkwerte hervorzurufen. Injektion von Hypophysin
und Pituitrin rief in 5 von 6 Fällen eine Verminderung des Serum-
kalkgehaltes hervor; in 2 Fällen mit Dystrophia adiposo-genitalis,
bei der eine Unterfunktion der Hypophyse angenommen wird, fanden
sich erhöhte Werte. Adrenalininjektionen riefen ein Sinken des Blut-
kalkspiegels hervor; auch scheinen die Patienten mit vermindertem
Serumkalkgehalt Adrenalin gegenüber empfindlicher zu sein als die mit
normalem oder erhöhtem Serumkalkgehalt. Zu Tetanie fanden sich
erheblich niedrigere Werte als normal. Bei Schwangeren und Wöchne-
rınnen waren in der Mehrzahl normale Werte, bei einigen herabgesetzte
Werte vorhanden, so daß den Ovarien kein gesetzmäßiger Einfluß
auf den Serumkalkgehalt zukommen kann. . Orgler.
Sieburg, Ernst, und KeBler, Adolf. Die Erhöhung der Calciumionen
im menschlichen Serum nach intravenöser Zufuhr von Kalksalzen.
(Arch. f. exper. Pathol. u. Pharmakol. 96, 1923, S. 180.)
Nach intravenösen Injektionen wässeriger Kalksalzlösungen
konnte der Gehalt des Blutes an freien Calciumionen für ungefähr
1/, Stunde erhöht werden durch das Chlorid, Formiat, Propionat
und Lactat, dagegen durch das Calciumhypophosphat nur für
ıo Minuten; durch gleichzeitige Injektionen von Gelatine wurde die
Dauer der Calciumwirkung nicht beeinflußt, dagegen konnte sie
durch gleichzeitige Gummi-arabicum-Injektionen etwas verlängert
werden. Die Verff. kommen zu dem Schluß, daß man keine allzu
großen Hoffnungen auf eine längere Zeit anhaltende Erhöhung des
Calciumspiegels des Blutes durch Calciumdarreichung hegen darf.
Orgler.
Freudenberg, C., und Gyorgy, P. Über Kalkbindung durch tierische
Gewebe VII und VIII. (Biochem. Zeitschr. 129, S. 134 und 138.)
In Versuchen mit Ultrafiltration und Quellung, das durch
die Chloride weniger Kalk an die Gewebskolloide gebunden wird
als durch Acetat, Nitrat, Phosphat und Bicarbonat. Die Bindung
durch die Säuren ist also nicht allein von der H-Ionenwirkung ab-
hängig; die Hemmung der Kalkbindung durch N-haltige organische
Stoffe konnte durch Quellungsversuche ebenfalls bestätigt werden.
Die Kalkbindung an Knorpel wird durch Formaldehyd und Trauben-
zucker gehemmt, durch Aceton und Äthylalkohol nicht beeinflußt;
die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit der Erhöhung der Tem-
peratur zu. Orgler.
Scheer, K. Neuere Ergebnisse der Spasmophilieforschung. (Antritts-
vorlesung.) (Zeitschr. f. ärztl. Fortbild. 20, Nr. 5, März 1923.)
Zusammenfassende Darstellung der verschiedenen Theorien über
die Pathogenese der Spasmophilie, unter besonderer Berücksichtigung
156 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 2
der Arbeiten von Freudenberg und G yörgy, die in einer Alkalose
und einer durch dieselbe verursachten Kalkverarmung der Gewebe
und der erregbaren Elemente den Mittelpunkt des pathologischen
Geschehens sehen. Verf. erzielte durch Darreichung einer mit einer
bestimmten Menge Salzsäure versetzten Milch einen schnellen Rück-
gang der spasmophilen Erscheinungen ; diese Nahrung erhöht deutlich
die Blutacidität bis zu py-Werten von 5, sie hat ferner zur Folge,
daß ein größerer Teil der Phosphorsäure den Körper durch die
Nieren anstatt durch den Darm verläßt, wodurch dem Organismus
größere Mengen der spasmogen wirkenden Na- und K-Ionen ent-
zogen werden; diese Tatsache sowie die verminderte Alkalescenz
des Blutes erklären die Erfolge dieser Säuretherapie.
Wolff (Hamburg).
Scheer, Kurt. Die Wasserstoffionenkonzentration und das Bacterium
coli. I. Säurebildungsvermögen des Bact. coli. (Biochem. Zeitschr.
130, 1922, S. 535.)
Die H-Ionenkonzentration, die in zuckerhaltiger Bouillon durch
Bact. coli hervorgerufen wird, steigt in den ersten Io Stunden auf
einen Wert von u = 5 und erreicht nach 1—2 Tagen den Sauerungs-
endwert. Der Säuerungsendwert ist von der Art der untersuchten
menschlichen Colistämme und an der anfänglichen H-Ionenkon-
zentration der Nährflüssigkeit unabhängig; wird aber etwas von
der Zuckerart beeinflußt. Zusatz von Milchsäure und Essigsäure
setzen den Endwert herab. Es wurden verschiedene Colistämme
untersucht; die Bestimmung der H-Ionenkonzentration geschah mit
der Gaskettenmethode. Orgler.
Scheer, Kurt. Die Wasserstoffionenkonzentration und das Bact. cols.
II. Die baktericide Wirkung bestimmter H-Ionenkonzentration auf
das Bact. coli. (Biochem. Zeitschr. 130, 1922, S. 545.)
Bact. coli ist lebensfähig innerhalb py 4,6—9,4. In zucker-
haltıgen Nährlösungen wird py = 4,6 durch Bact. coli selbst er-
reicht, teilweise sogar überschritten, so daß durch diese starke Säure-
produktion die Bouillon sich selbst töten. Ein Regulationsmechanis-
mus, der das Bact.coli vor der Erreichung schädlicher H-Ionen-
konzentration schützen soll, besteht nicht. Orgler.
Marine, D., Baumann, E. The possible influence of suprarenal in-
volution in new born infants on heat production. (Journ. of metabolic
research 2, Nr. 3, 1922.)
Die Verff. sind bei ihren Untersuchungen von der Fragestellung
ausgegangen, ob die Wärmeproduktion beim Säugling mit der
physiologischen Involution der Nebennierenrinde sich ändert. Im
Tierversuch gelingt es tatsächlich, eine Änderung der Wärme-
Heft 2 Wachstum und Stoffwechsel. — Neugeborene. 157
produktion bei intakter Schilddrüse durch Schädigung der Nebennie-
renrinde hervorzurufen und so glauben die Verff., daß die Zunahme
der Wärmeproduktion, wie dies beim neugeborenen Kinde in der
2. Lebenswoche zu beobachten ist, vielleicht mit der physiologischen
Involution der Nebennierenrinde im Zusammenhange steht. Bei
ihren Untersuchungen fanden sie (verwandt wurde die Haldane-
sche Einrichtung), daß beim gesunden Säugling die Wärmeproduktion
zwischen dem 2. und 8. Lebenstag annähernd konstant ist (1,88 Cal.
pro Kilogramm Körpergewicht), und daß in der 2. Lebenswoche
die Wärmeproduktion ansteigt (2,14 Cal. pro Kilogramm Körper-
gewicht). Da auch die Involution der Nebennierenrinde beim Kinde
in diese Zeitperiode fällt, so erblicken Verff. hierin eine Bestätigung
ihrer bereits erwähnten Annahme. Schiff.
Neugeborene.
Sidbury, J. Buren. Transfusion durch die Nabelvene bei Blutungen
der Neugeborenen. (Americ. journ. of dis. of childr. 25, 1923,
S. 290—296.)
Bei einem Neugeborenen, bei dem eine kleine Schnittwunde
eine sehr starke unstillbare Blutung herbeigeführt hatte, gelang
es noch am 4. Lebenstage, 100 ccm miitterliches Blut durch die
Nabelvene zuzufiihren, nachdem der Nabelschnurstumpf 8 Stunden
lang durch gesättigte Borlösung feucht erhalten war. Da die meisten
Blutungen bei Neugeborenen in den ersten 2—3 Lebenstagen auf-
treten, wird dieser Weg der Blutzufuhr häufig gangbar sein. Die
Sterblichkeit der Blutungen in der Neugeborenenzeit ist durch die
Transfusionsbehandlung erheblich vermindert worden; sie betrug
früher 35—87%, der Fälle, während von 37 seit dem Jahre 1914
mit Menschenblut behandelten Fällen 3 oder 8%, gestorben sind.
H. Vogt.
Munro, D., und Eustis, R. S. Die Erkennung und Behandlung der
Blutungen in der Schädelhöhle bei Neugeborenen. (Americ. journ.
of dis. of childr. 24, 1922, S. 273.)
Die große Häufigkeit der Blutungen innerhalb der Schädelhöhle
bei Neugeborenen und ihre Bedeutung als unmittelbare Todes-
ursache wie als Grundlage späterer Krankheitszustände ist erst
in den letzten Jahren erkannt worden. Sie lassen sich nach dem
Vorschlag der Verfasser in folgende Gruppen einteilen: I. traumati-
sche Gruppe; 2. Gruppe der „Asphyxie‘‘; 3. Gruppe mit Erkran-
kungen der Neugeborenen. In der letzten Gruppe sind besonders
häufig und wichtig die auf hämorrhagischer Diathese beruhenden
Fälle, die an der Verlängerung der Blutungszeit und der Gerinnungs-
158 Konstitutionsanomal. — Infektionskrankh. u. parasitäre Erkrank. Heft 2
zeit zu erkennen sind. Die Behandlung dieser Fälle besteht in der
Einspritzung gesunden Blutes unter die Haut. Die auf Geburts-
verletzungen beruhenden Fälle bedürfen entsprechender chirurgi-
cher Behandlung; daneben muß der erhöhte Druck im Schädel-
inneren durch Lumbalpunktion oder druckentlastende Eingriffe
am Schädel herabgesetzt werden. Für die Fälle mit „Asphyxie“
kommt nur die Druckentlastung in Frage. H. Vogt.
Konstitution und Konstitutionsanomalien.
Thursfleld (London). Thymus-Asthma. (Arch. of pediatr. 40, 1923,
S. 136.)
Keine Berücksichtigung der deutschen Literatur. Mitteilung eines
Falles, in dem die anscheinend röntgenologisch gut erhärtete Diagnose
sich als irrtümlich erwies und eine Verwechslung mit Drüsentuber-
kulose vorlag. Eine Druckwirkung der Thymus auf die Trachea
wird für äußerst zweifelhaft gehalten. Rosenbaum.
Infektionskrankheiten und parasitäre Erkrankungen.
de Biehler, M. Das Scharlachvaccin, sein Vorbeugungs- und Heilwert.
(Arch. de méd. des enfants 28, 1923, S. 161.)
Verfasserin hat seit dem Jahre 1913 im ganzen 12098 Personen,
darunter 33 Erwachsene; mit Scharlachvaccin behandelt. Von den
Behandelten erkrankten ı8 an Scharlach, der in allen Fällen in
Heilung ausging. Sie ist überzeugt, daß der Impfung auch eine
Heilwirkung zukommt, wenn sie bei bösartigen Scharlachfällen im
Verlauf der Erkrankung vorgenommen wird. H. Vogt.
Krauss, T. F. Plötzlicher Tod bei Scharlach. (Journ. of the Americ.
med. assoc. 80, Nr. 7, 17. Februar 1923, S. 454.)
Unter den 2322 Patienten, welche in den Jahren 19I3—2ı im
Durand-Hospital (Chikago) behandelt wurden, war eine Mortalität
von 3,7% festzustellen. 2 mal trat der Tod am 6. und 7. Krankheits-
tage ganz plötzlich auf, als beide Patienten bereits im Stadium
der Rekonvaleszenz zu sein schienen. Einmal trat kurz vor dem
Exitus Cyanose auf, im anderen Falle waren nicht die geringsten
Vorzeichen vorhanden. Einmal nur konnte die Obduktion vor-
genommen werden; es wurden degenerative Veränderungen im
Myokard festgestellt. Es kommen bei Scharlach, allerdings bei
weitem nicht so häufig wie bei Diphtherie, Fälle vor, wo das Herz
plötzlich seine Tätigkeit aussetzt. Gerade bei Scharlach tritt dieses
Versagen des Herzens gewöhnlich ohne irgendein klinisches War-
nungszeichen ein, dabei ist es für den Arzt nicht ratsam, bei dieser
Heft 2 Infektionskrankheiten und parasitäre Erkrankungen. 159
Krankheit eine feste Prognose zu stellen. Unbedingt angezeigt ist
bei allen Fällen von akutem Scharlach absolute Bettruhe, da
schon eine geringe Anstrengung eine tödliche Herzinsuffizienz aus-
lösen kann. Lehrnbecher (Eberswalde).
Nevin, M., und Bittman, F. R. Weitere Berichte über experimentelle
Masern bei Kaninchen und Affen. (Journ. of. infect. dis. 32, Nr. x,
Januar 1923.)
Frühere Versuche der Verff. bestätigende erfolgreiche Über-
tragung von Masern durch intravenöse Injektion des Blutes von
Masernkranken im Floritionsstadium auf Kaninchen mit erfolg-
reicher Passage durch 4 Tiere und als Abschluß der Serie positiver
Übertragungsversuch auf Affen. Kontrollversuche mit Injektion
von normalem Blut verliefen ergebnislos.. Wolff (Hamburg).
Regan, J.C., Regan, Cath., Wilson, Brickhouse. Das Verhalten der
Spinalflüssigkeit bei Diphtherielähmung. (Americ. journ. of dis.
of childr. 25, 1923, S. 284.)
Bei Diphtherielähmung ist die Spinalflüssigkeit klar und steht
‘unter regelrechtem oder nur wenig erhöhtem Druck. In keinem
Falle gab sie die Wassermannsche Reaktion. Der Zellgehalt
war nicht erhöht, die vorhandenen Zellen bestanden aus kleinen
Lymphocyten. In noch nicht einem Drittel der Fälle war der Glo-
bulingehalt gesteigert, und das nur in geringem Grade. Mit der
kolloidalen Goldprobe wurde eine Reduktion beobachtet, die für
gewöhnlich innerhalb der syphilitischen Zone lag. Mit der Heilung
der Lähmung verschwand auch die Reduktion. H. Vogt.
Gros und Herdmann (Neuyork). Vorläufiger Bericht über die Behand-
lung der Kehlkopfdiphtherie mit Absaugen. (Arch. of pediatr. 40,
1923, S. 170.)
Mittels Saugpumpe und Katheter oder Metallkolbens werden
Membranen, die durch direkte Laryngoskopie festgestellt sind,
abgesaugt; nach 6 Stunden wird der Vorgang nötigenfalls wieder-
holt. Die Dauer des Absaugens beträgt mehrere Minuten. Daneben
wurden auch Membranen mittels Zange entfernt, immer nach An-
wendung der Bronchoskopie. Bei stärkerer Stenose wird ein Versuch
mit der Absaugung empfohlen. Rosenbaum.
Stankiewiez, R. Die Dosierung des Diphtherieserums und die moder-
nen Methoden der Diphtheriebehandlung. (Pedjatrja polska 2,
Nr. 4, 1922.)
Im Anschluß an ein Sammelreferat führt Verf. Daten aus dem
Karl-Maria-Kinderhospital in Warschau an. Es wurden durch-
schnittlich einmalige Dosen von 3—4000 J. E. bei leichteren Angina-
fallen, 5—6000 J. E. bei schwereren Angina- und Croupfällen und
160 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. Heft 2
10000 J.E. nur ausnahmsweise — fast immer intramuskulär —
nur in Einzelfällen intravenös angewandt. Die Gesamtmenge des
Serums iiberstieg niemals 40000 J.E. Die Sterblichkeit betrug
11% (auf 1127 = 125 Todesfälle) und zwar bei Angina diphtherica
5% (19 Todesfälle auf 308), dagegen 12%, bei Croupfällen (auf 819
—= 106 Todesfälle). Die Statistik umfaßt 7 Hospitaljahre.
Cieszynski (Warszawa).
Gröer, Fr. und Progulski, St. Über die Wirkung des Diphtherieserums
im Organismus des Neugeborenen. (Pedjatrja polska 2, Nr. 4, 1922.)
Von 66 Neugeborenen wiesen 8 positive Schicksche Reaktion
auf, die durch Diphtherieserum gehemmt wurde, und zwar waren
beim Einspritzen vor der Ausführung der Reaktion mindestens
50 J. E., zugleich roo J. E. und nach ihr mehr als roo J. E. pro
Kilogramm Körpergewicht nötig. Ergotrope Mittel, wie Hammel-
serum und Caseosan, waren nicht imstande, die spezifische Wirkung
des Antitoxins zu ersetzen. Cieszynski (Warszawa).
Zingber, A. Diphtherie- Prophylaxe bei Kindern im Vorschulalter. (Journ.
of the Americ. med. assoc. 80, Nr. 7, 17. Februar 1923, S. 456.).
80—85%, aller Diphtheriefälle kommen bei Kindern unter dem
Alter von 5 Jahren vor. In großem Maßstab wurden daher im letzten
Sommer in New York bei Kindern im Vorschulalter Schutzimpfungen
vorgenommen; in den Vorstädten Manhattan, the Bronx, Brooklyn
und Queens wurde bei 300 000 Kindern die Schicksche Probe vor-
genommen, alle Kinder mit positiver Reaktion empfingen die Toxin-
Antitoxininjektion. Es wurden 3 Injektionen vorgenommen im Ab-
stande von I—2 Wochen. Zur Erlangung einer negativen Schick-
schen Probe waren mehrmals noch 2—3 weitere Injektionen not-
wendig. Die Vornahme so ausgedehnter Impfungen erfordert eine
großzügige Organisation, 7 Ärzte, 4 Pflegerinnen, 3 Laboratoriums-
assistenten waren notwendig. Groß waren die Schwierigkeiten, die
zerstreut lebenden Kinder zu sammeln, die Mithilfe der praktischen
Ärzte ist notwendig. Besonders gefährdet sind die Kinder im Alter
zwischen 6 Monaten und 6 Jahren, die Kinder der besser situierten
Volksschichten und die, welche in ländlichen Bezirken leben, er-
kranken oft noch im späteren Alter. Sie sind eben der Infektion
nicht so stark ausgesetzt wie die Kinder der ärmeren Klassen. Diese
überstehen sehr oft mild verlaufende Infektionen mit dem Klebs-
Löfflerschen Bacillus und erwerben natürliche Immunität.
| Lehrnbecher (Eberswalde).
Gragert, F. Über Diphtheriebacillenträger unter den Neuaufnahmen der
Göttinger Kinderklinik (Prof. Göppert). (Doktordissertation 1922.)
Verf. nimmt frühere Untersuchungen von Lande über Diph-
theriebacillenträger mit in diese Arbeit auf und unterzieht die’ Neu-
Heft 2 Infektionskrankheiten und parasitäre Erkrankungen. 161
aufnahmen der Göttinger Kinderklinik während eines Zeitraumes
von 41/, Jahren auf Grund der Vermerke über die bakteriologische
Untersuchung einer neuen Zusammenstellung. Die Therapie der
Diphtheriebacillenträger am Schluß der Arbeit kurz berührend,
teilt Verf. das Verfahren mit, das an der Göttinger Kinderklinik
gehandhabt wird. Bei jeder Neuaufnahme wird eine klinische Unter-
suchung der Nase und des Rachens vorgenommen, dann ein Ab-
strich von Nase und Rachen gemacht und bis zur Mitteilung des
Befundes vom Hygienischen Institut täglich dem neuaufgenommenen
Kinde eine 10 proz. Protargolsalbe in die Nase eingestrichen. Positive
Fälle werden dann isoliert und sämtliche Kinder der Station erneut
auf Diphtherie abgestrichen und bis zum nächsten Resultat des
Hygienischen Institutes mit Protargolsalbe weiter behandelt. Stei-
gerung der Prophylaxe durch Ausschließen vom Besuch von Kindern
auf Station und Anempfehlung von Untersuchung neu eingetretener
Ärzte und Schwestern auf Diphtheriebacillenträger. Das Material
umfaßt 1306 Fälle. Von diesen Neuaufnahmen hatten 69 Kinder
= 5,3% positiven Diphtherieabstrich. Von diesen 69 stammen
40 von Göttingen-Land und 29 aus Göttingen-Stadt, also mehr
Bacillenträger vom Land als aus der Stadt. Von den 29 Fallen aus
der Stadt kamen ıg Kinder aus der Familie und Io aus den hiesigen
Kliniken. Das Verhältnis von 733 Fällen vom Land mit 40 Bazillen-
trägern = 5,5% zu 573 Stadtzugängen mit 29 Bazillenträgern = 5%
bei 19 direkten Stadtzugängen = 3,4%, also kaum ?/, des Prozent-
satzes der Landbevölkerung, erklärt Verf. damit, daß Göttingen keine
überbevölkerte Großstadt ist und dann auf dem Lande jegliche
Prophylaxe fehlt. Das Alter der Bacillenträger schwankt zwischen
14 Tagen und 12 Jahren. Von den 69 Bacillenträgern erkrankten
4 noch nachträglich an Diphtherie. Die Dauer der Bacillentrager-
schaft bei den restlichen 65 Fällen beträgt
bei ı5 Fällen 3 Tage
26 ,„ r
IO $,, 14
4 » 20 „
je 1 Fall 60 bzw. 105 Tage.
Frei wurden nicht 8, davon 7 friihzeitig entlassen, 1 an Ruhr ge-
storben. Sichere Schliisse auf Zusammenhang zwischen bestimmten
Nasenerkrankungen (Schnupfen, Syphilis) und chronischem Bacillen-
befund sind aus obigen Zahlen der Dauer der Bacillose nicht zu
schließen. Schwab (Göttingen).
Reh und Garvin (Cleveland). Roseola infantum. (Arch. of pediatr. 40,
1923, S. 151.) .
Beobachtungen an 60 Fallen des erstmalig von Zahorsky
1910 beschriebenen Exanthems. Ätiologie und Inkubationszeit ist
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 11
162 Infektionskrankheiten und parasitäre Erkrankungen. Heft 2
unbekannt. Dem Auftreten des Exanthems geht eine 3—5 tägige
Periode von meist hohem Fieber voran. Beim kritischen Abfall
der Temperatur erscheint ein papulöser bis maculo-papulöser, erbsen-
großer, meist blaßroter Ausschlag auf Nacken, Gesicht, Rumpf
und Extremitäten. Angina fehlt; die Trommelfelle sind frei; keine
Drüsenschwellung. Nach 24—28 Stunden ist der Ausschlag restlos
geschwunden. Rosenbaum.
Melzner, M. Cerebrale Erscheinungen bei Kindern nach Grippe-
erkrankungen (Universitäts-Kinderklinik Göttingen, Prof. Göppert).
(Doktordissertation 1921.)
Die somatischen, zentral bedingten Symptome zweier Grippe-
epidemien von 1889—90 und 1918—20 werden in einem großen
berblick mit zahlreicher Autorenangabe mitgeteilt. Die psychischen
Erscheinungsformen bei den Grippeepidemien, die naturgemäß beim
Erwachsenen ausgeprägter als beim Säugling und Kind sind, sowie
die pathologisch-anatomischen Veränderungen am Gehirn und die
Liquorbefunde werden alsdann kurz erörtert. Ein Material von
g Fällen der Kinderklinik Göttingen im Alter von 2!1/, Monaten bis
g Jahren, darunter 5 Säuglinge, mit stets meningealen Erscheinungen
im Vordergrund des Krankheitsbildes, zeigt ein mannigfaltiges Sym-
ptomenbild, ohne daß sich aus einem Symptom klinisch eine scharfe
Diagnose stellen ließe. Bei naturgemäß geringen subjektiven Er-
scheinungen waren die Sensibilität außer bei einem Fall gestört,
die Reflexe im allgemeinen normal; einseitiger Babinski war in einem
Falle, Kernig und Nackensteifigkeit häufig, jedoch nicht in allen
Fällen vorhanden. Die Pupillenreflexe waren normal außer in einem
Falle. Deutliche Hypertonie der Muskulatur war in allen Fällen,
mehrmals grobschlägiger, ein- und doppelseitiger Tremor, tonische
Krämpfe, Grimassieren und Kaubewegungen in einzelnen Fällen
feststellbar. Facialislähmung, zentral wie peripher bedingt, wurde
je einmal beobachtet. In allen Fällen cerebral bedingtes häufiges
Erbrechen; auffallende Unruhe sowie Delirien als psychisches Sym-
ptom. Benommenheit war in der Hälfte der Fälle, ausgesprochene
Schlafsucht in 3 Fallen feststellbar. Der Liquordruck bewegte sich
zwischen IIO—420 mm. Punktat meist klar, außer in einem Falle.
Eiweiß und Zucker konnten im Liquor nachgewiesen werden. Der
Zellgehalt war wechselnd. Mikroorganismen wurden nicht gefunden.
Schwab (Göttingen).
Hirschfeld, Hanna. Die Atherbehandlung des Keuchhustens. (Pedjatrja
polska 2, Nr. 4, 1922.)
Von 73 behandelten Fällen wurden nach 4—6 Injektionen
(0,25—2 ccm Äther) ı8 geheilt, 34 gebessert (Aufhören des Er-
brechens, Milderung der Hustenanfälle) und ıı blieben ohne Erfolg.
Heft 2 Infektionskrankh. u. parasitäre Erkrankungen. — Tuberkulose. 163
Nur in einem länger mit Brom behandelten, ausgemagerten Falle
mit Bromakne leichte Nekrose. Cieszynski (Warszawa).
Perrin, M., Romy, A., Zuber, R. Eın Fall im Lande entstandener Amö-
bendysenterie bes einem 10 jährigen Kinde. (Arch. de med. des
enfants 26, 1923, S. 168.)
Der Fall ging tödlich aus, nachdem anfänglich eine Besserung
durch Behandlung mit Emetin erreicht war. H. Vogt.
Duzär (Budapest). Über die Malaria im Säuglingsalter. (Fortschr.
d. Med, 1922, Nr. ı2, S. 268.)
Die Malaria kommt im Säuglingsalter, besonders in den ersten
3 Monaten, sehr selten vor. Der mitgeteilte Fall betraf ein Kind
von 8 Monaten, das durch seine wächsener Blässe auffiel und Haut-
blutungen zeigte. Es ließ sich ein Anfall beobachten, bei dem die
Temperatur auf 41,5° stieg, Milz, Leber und Lymphdrüsen schnell
anschwollen und ım Blute außer zahlreichen kernzelligen roten Blut-
körperchen und einer Verringerung der Erythrocyten Plasmodien
nachzuweisen waren. 2 Tage darnach trat der Exitus ein und die
histologische Untersuchung stellte eine Pigmentablagerung extremen
Grades fest. Am stärksten waren die Zellen des Reticuloendothelial-
systems des Markes pigmentiert, in dem auch am häufigsten Plas-
modien gefunden wurden. Hohlfeld (Leipzig).
Tuberkulose.
Bernard, L. Tuberkulose und Mutterschaft. (Paris med. 1, 6. Januar
1923, S. 22.)
Da ungefähr die Hälfte der beobachteten Fälle von Tuber-
kulose aller Formen durch den Einfluß der Schwangerschaft, Ent-
bindung und Lactation verschlimmert wird, während die andere
Hälfte keine besondere Veränderung der Krankheit zeigt, ist keine
andere Indikation für die Frage der Unterbrechung gültig als die
gewöhnliche, nämlich ob Lebensgefahr für die Mutter besteht, ob
die Gefahr mit Sicherheit von der Schwangerschaft abhängt und ob
sie nach deren Unterbrechung aufhören wird. Da diese Fragen
nach den sorgfältigen Beobachtungen zu verneinen sind, so ist Verf.
der Ansicht, daß eine Unterbrechung in keinem Falle von Tuber-
kulose angezeigt ist, besonders da eine solche fast dieselben Folge-
erscheinungen in bezug auf die Krankheit zeigt wie die Entbindung
selbst. Anders verhält es sich mit der Lactation. Diese ist unbedingt
zu vermeiden, da die Ansteckungsgefahr besonders durch Tröpfchen-
inhalation sehr groß ist, und ist nur in den äußersten Fällen zu ge-
11°
164 Tuberkulose. Heft 2
statten, wo das Kind keinerlei andere. Nahrung verträgt. Zur Pro-
phylaxe des Kindes rät Verf., wie er es auch in seiner Klinik durch-
führt, unbedingt Mutter und Kind sofort zu trennen, so daß gar
kein Kontakt zwischen beiden stattfinden kann. Haber.
Nobécourt und Paraf.. Über die Tuberkulose des 1. Lebensjahres.
Welche Erscheinungen bieten die tuberkulösen Säuglinge. (Paris
med. 1, 6. Januar 1923, S. 18.)
Verf. beobachtete 2 Jahre hindurch 60 tuberkulöse Säuglinge
unter insgesamt 1296 Kindern, also einen Prozentsatz von 4,6 Tuber-
kulösen. 22 dieser Kinder boten das Bild einer subakuten oder
chronischen Gastro-Intestinalerkrankung, 18 das der Rachitis,
27 hatten respiratorische Symptome, von denen nur 4 als deutlich
tuberkulös zu diagnostizieren waren. Alle Kinder zeigten starke
Abmagerung, Hypertrophie und verspätete Dentition; meist bestand
Fieber oder abendliche Temperaturerhöhung. In weitaus den meisten
Fällen war die klinische Diagnose der Tuberkulose nicht möglich,
nur die Tuberkulincutanreaktion erlaubte eine schnelle und sichere
Diagnose. Haber.
Takenomata, N. Beitrag zur Serodiagnostik der Tuberkulose. (Schweiz.
med. Wochenschr. 5.)
Die Untersuchungen des Verf. erstrecken sich auf 45 Sera von
Tuberkulösen und tuberkuloseverdächtigen Personen sowie auf
48 Kontrollsera. Sie haben bestätigt, daß die Komplementbindungs-
reaktion ein Hilfsmittel darstellt, das in einer Reihe von Fällen zur
Sicherung der Diagnose beitragen kann. Bei Lungentuberkulose,
bei tuberkulöser Pleuritis und, wie es scheint, auch bei anderen
tuberkulösen Affektionen gibt die Komplementbindungsreaktion
in der Regel positiven Ausfall. Im Frühstadium, bei beginnender
Spitzenaffektion, wie auch im vorgeschrittenen Stadium der Tuber-
kulose können gelegentlich Versager vorkommen, andererseits
reagieren aber auch Frühfälle schon positiv. Unter 48 Kontroll-
proben lieferten 3 Sera positive Reaktion, obwohl nach dem klini-
schen Befund Tuberkulose ausgeschlossen werden konnte. Die Mög-
lichkeit positiver Fehlreaktionen ist demnach im Auge zu behalten.
Den Wert der Serodiagnostik bei chirurgischer Tuberkulose zu
prüfen, fehlte leider die Gelegenheit. Als Antigen für die Komple-
mentbindungsreaktion dürften nur Bacillenemulsionen in Betracht
kommen. Das Antigen Besredka hat sich als gut brauchbar er-
wiesen, desgleichen eine vom Verf. selbst hergestellte. Andere
serologische Methoden sind nicht anwendbar; die Präcipitation fiel
stets negativ aus, die Agglutination versagte vielfach.
Held (Berlin).
Heft 2 Tuberkulose. — Syphilis. | 165
Gordon, J. K., und Brown, E. W. Die bei einer Reihe tuberkulöser
Kinder festgestellten Erregerarten. (Americ. journ. of. dis. of childr.
25, 1923, S. 234.)
Von 30 Kindern mit Tuberkulose im Alter von 4 Monaten bis
I6 Jahren, die alle aus Boston und Umgebung stammten, erwiesen
sich I0 als angesteckt mit dem Typus bovinus, die anderen hatten
Tuberkelbacillen vom Typus humanus. Wo die Obduktion eine
Tuberkulose ergab, die durch Ansteckung von den Verdauungswegen
entstanden war, wurde regelmäßig der Typus bovinus als Erreger
festgestellt. H. Vogt.
Garrahan, Juan P. Brusifellentziindung der Lungenspilze bei tuber-
kulösen Kindern. (Arch. de med. des enfants 26, 1923, S. 197— 222.)
Bericht über 7 Krankheitsfälle, die in Erscheinungen und Ver-
lauf der von Eliasberg und Neuland beschriebenen epituber-
kulösen Infiltration entsprachen, aber als Pleuritis gedeutet werden.
H. Vogt.
Syphilis.
Linder. Lues congenita unter dem Bilde einer hereditären Ataxie (Fried-
rich-Marie) verlaufend. (Jahrb. f. Kinderheilk. 100, 1922, S. 65.)
Mitteilung eines entsprechenden Falles. A. Peiper (Berlin).
Modiglianie, E. und Castana, V. (Päd. Klin. Rom.) La terapia
arsenobenzolica per la via reitale nella cura della sifilide infantile.
(Die rectale Neosalvarsantherapie in der Behandlung der kind-
lichen Syphilis.) (La pediatria 31, 1923, S. 258.)
Die Salvarsantherapie ist auch bei Lues hereditaria der Queck-
silberbehandlung überlegen; die rectale Einverleibung ist einfacher
und weniger gefährlich als die intravenöse. Es ist notwendig, erst
ein Reinigungsklysma, dann ein anästhesierendes Cocainklysma
vorauszuschicken. Es wird wöchentlich ein Salvarsanklysma ge-
geben bis zum Negativwerden des Wassermann (meist nach dem
5.—6. Klysma); dieses Ziel ist jedoch nicht immer zu erreichen;
die Dosen betragen 0,1—0,6, 0,02I—0,147 pro Kilogramm und werden
in I0 ccm destilliertem Wasser verabreicht. Kinder über 4 Monate
halten das Klysma meist länger als 2 Stunden, jüngere kürzer; letz-
teres kann durch Erhöhung der Dosis innerhalb der eben angegebenen
Grenzen kompensiert werden. Intoleranzerscheinungen, wie Er-
brechen, Diarrhöe, Schlafsucht treten bisweilen auf, sind aber immer
leicht und dem Mittel selbst, nicht der Art seiner Einverleibung zuzu-
schreiben. Die Ausscheidung des Neosalvarsans beginnt zwei Stunden
nach der Einverleibung und hält 6— Tage an. Sein Nachweis im Urin
geschah nach der Methode von Gutzeit. Tezner (Wien).
166 Syphilis. — Respirationsorgane. — Blut u. blutbildende Organe. Heft 2
Heller, J. Das Schicksal der kongenital syphilitischen Kinder. (Zeit-
schrift f. arztl. Fortbild. 20, Nr. 4, 15. Februar 1923, S. 98.)
Auf Grund zahlreicher der umfangreichen Literatur entnomme-
nen statistischen Angaben und groBer eigener Erfahrung berichtet
Verf. über die Häufigkeit der kongenitalen Syphilis in Familien, in
denen einer der Eltern infiziert ist, wobei besonders untersucht
wird, wie häufig die Syphilis Ursache der Geburt nicht lebensfähiger
Früchte ist und wieviel syphilitische Kinder überhaupt in einem
Zustande der relativen Lebensfähigkeit geboren werden; die Prognose
für die weitere Entwicklung kongenital luetischer Kinder muß
immer mit größter Zurückhaltung gestellt werden. Eine energische
spezifische Therapie, wie sie z.B. von E. Müller und G. Singer
aus der Pflegestation Rummelsburg berichtet wird, scheint die Aus-
sichten auf günstige Erfolge wesentlich zu erhöhen. Aus solchen
Erfahrungen sowie aus allgemeinen ärztlichen Gesichtspunkten
heraus muß jedenfalls der Ansicht, daß die Syphilis der Eltern eine
Indikation zur Fruchtabtreibung sei, aufs schärfste entgegengetreten
werden. Wolff (Hamburg).
Respirationsorgane.
Kopeć, T. Bronchitis fibrinosa chronica essentialis. (Pedjatrja polska
2, Nr. 4, 1922.)
4jähriger Knabe (mit subfebrilen Temperaturen und Verdichtung
der rechten Lungenspitze bei stark positiver Pirquetscher Reaktion)
hustete über 1 Jahr lang fast täglich baumastförmige Luftröhren-
abgiisse aus, in denen Streptokokken gefunden wurden, bei mäßigem
Wohlbefinden. Tod an interkurrenter Pneumonie. Cieszynski.
Blut und blutbildende Organe.
Siperstein, D.M. Iniraperitoneale Transfusion mit C itratblut. (Americ.
journ. of dis. of childr. 25, 1923, S. 202.)
Die intraperitoneale Einverleibung von Citratblut gab in
mehreren Fällen von Anämie gute Erfolge. Bei einem Säugling mit
Intoxikation und Exsiccation wurden von 100 ccm Blut, das 3 Tage
vor dem Tode in die Bauchhöhle eingeführt war, nach dem Tode noch
30 ccm vorgefunden; es war also trotz des sehr schlechten Zustandes,
in dem sich das Kind befunden hatte, der größte Teil des Blutes
noch aufgesaugt worden. Das Blut des Spenders wird auf je 100 ccm
mit Io ccm einer frisch bereiteten 2 proz. Lösung von Natriumcitrat
gemischt und durch Gaze filtriert. Das Verfahren eignet sich nicht
für Fälle, bei denen eine sofortige Auffüllung des Kreislaufs erreicht
werden muß. H. Vogt.
Heft 2 Lymphatischer Apparat. — Innere Sekretion. 167
Lymphatischer Apparat.
Dunn, L., und Dunn, H. L. Eine zahlenmäßıge Untersuchung der
Ursachen tastbarer Lymphdriisen berm Neugeborenen. (Americ.
journ. of dis. of childr. 25, 1923, S. 319.)
Die Anzahl tastbarer Leistendrüsen steigt von 8% am 1. Lebens-
tage auf 58% am 7. und fällt langsam auf 48% am 11. Tage. Die
Occipitaldriisen sind am 1. Tage in 6% der Fälle fühlbar, am 5. in
16 und am 9.—ıı. in 25%. Die Zahl der tastbaren Cervicaldriisen
schwankt zwischen o und 4%. Kinn-, Ellenbogen- und Achselhöhlen-
drüsen waren nie tastbar. Beim Fahnden nach Achselhöhlendrüsen
liegt Verwechslung mit dem Oberarmkopf oder mit Nervenstämmen
nahe. Vergrößerte Cervicaldrüsen sind wohl meist auf Infektion
der Nasen- und Rachenschleimhaut zurückzuführen. Bei Frühgebur-
ten sind die Leisten-, Occipital- und Cervicaldrüsen öfter tastbar
als bei ausgetragenen Kindern. Die Schwellung der Leistendrüsen
hat nichts zu tun mit Infektion. Das neugeborene Kind bildet keine
Antikörper gegen seinen Nabelstrang oder dessen Eiweißabbau-
stoffe. Die Schwellung der Leistendrüsen beim Neugeborenen ist
wahrscheinlich zum guten Teil durch Resorption sterilen Eiweißes
aus dem trockenen Nabelstumpf hervorgerufen. H. Vogt.
Innere Sekretion.
Lereboullet, P. Kisnsk der hybophysären Dystrophien im - Kindes-
alter. (Arch. de méd. des enfants 26, S. 129—149; 223—241.)
Von den bisher auf die Hypophyse bezogenen Krankheits-
erscheinungen ist offenbar nach neueren Untersuchungen ein gut
Teil in Wirklichkeit mit den nahegelegenen Teilen des Nerven-
systems, besonders der Gegend des Tuber cinereum, in Zusammen-
hang zu bringen. Die echte Akromegalie scheint an Geschwiilste
der Hypophyse gebunden zu sein. Sie geht nicht immer mit Riesen-
wuchs einher. Übermäßiges Längenwachstum der unteren Glied-
maßen kommt auch vor bei Störungen der Genitalien, wie bei Eunu-
chen. Der sog. hypophysäre Zwergwuchs ist meist verbunden mit
Infantilismus; letzterer ist von der Genitalentwicklung abhängig.
Bei der von Hutinel beschriebenen Dystrophie der Adoleszenten,
die mit überstürztem Längenwachstum, Ermüdbarkeit und Neigung
zu Skoliose einhergeht, wirkt Behandlung mit Hypophyse günstig.
Die sog. hypophysäre Fettsucht ist sicher in einem Teil der Fälle
vom Nervensystem abhängig, z.B. wenn sie nach Verletzungen,
nach basilären Meningitiden und nach Encephalitis sich entwickelt.
Fettsucht kann auch durch Einflüsse von den Geschlechtsorganen
aus hervorgerufen werden. Doch sprechen die Erfahrungen von
168 Innere Sekretion. — Verdauungstraktus. Heft 2
Heilung durch Operation oder Bestrahlung der Hypophyse oder
durch Behandlung mit Hypophysensubstanz in dem Sinne, daB
auch die Hypophyse im Spiel sein kann. Glykosurie scheint bei
Tumoren der Hypophyse regelmäßiger vorzukommen als bei Ge-
schwülsten der Nachbarschaft. Dagegen ist die Polyurie wohl auf
Beteiligung der Kerne im Tuber cinereum zu beziehen trotz der
ausgesprochenen Wirksamkeit des Hypophysenauszugs auf die Harn-
absonderung. Die sog. hypophysäre Kachexie ist wohl dem Nerven-
system zur Last zu legen. Zur Behandlung der Hypophysen-
erkrankungen stehen die Operation, die Bestrahlung und die sog.
Organtherapie zur Wahl. Die Operation hat nach Cushing und
Bailey unter 243 Fällen eine Sterblichkeit von 10% aufzuweisen.
Ungefährlicher und auch wirksam ist die Bestrahlung, für die
Beclere Vorschriften gegeben hat. Die Behandlung mit Hypo-
physenauszügen kann durch Einspritzung unter die Haut oder
Einträufeln in die Nase geschehen. Die Wirksamkeit ist nicht zu
bestreiten, sie ist aber unzuverlässig. = H. Vogt.
Verdauungstraktus.
Grosser, F. Die Klinik der organischen Pylorusstenose im Kindes-
alter (Universitäts-Kinderklinik Göttingen, Prof. Göppert). (Doktor-
dissertation 1921.)
Ohne zunächst auf die Ätiologie der organischen und pyloro-
spastischen Stenosen am Pylorus einzugehen, werden zwei früher
beschriebene und drei neue Fälle von Pylorusstenosen, die an der
Göttinger Kinderklinik zur Beobachtung kamen, mit Epikrise be-
schrieben. Folgende Ursachen, für die dann noch mehrere Fälle aus
der Literatur angegeben werden, bedingen eine organische Pylorus-
stenose, wie sie Landererund Mayer bei Erwachsenenmägen sahen:
„I. Veränderungen am Pylorus selbst, wozu hier der Vollständigkeit
halber nochmals a) die angeborenen Formen Typ Mayer - Landerer
erwähnt seien; b) Tumoren am Pylorus; c) Ulcera am Pylorus. —
2. Veränderungen, die den Pylorus von außen beeinflussen. Dahin
gehören: a) Strangbildungen am Pylorus, besonders ein verkürztes
Lig. hepatoduodenale und b) von außen auf den Pylorus wirkender
Druck, der vor allem durch verlagerte Darmschlingen verursacht
wird. — 3. Eine organische Störung, die allerdings auf den Pylorus
selbst nur durch Nerveneinflüsse wirkt, kann bedingt werden durch
eine Veränderung im Bereich der N. vagi.‘‘ — Der Verlauf dieser
organisch bedingten Krankheitsfälle ıst folgender: Beginn mit galle-
freiem, unstillbarem Erbrechen in den ersten Lebenswochen, ja
gleich nach der Geburt. Später als in den ersten Lebenswochen be-
ginnendes Erbrechen sowie starker Wechsel der Erscheinungen
spricht mehr fiir Pylorusstenose. Verschluß des Pylorus durch
Heft 2 Verdauungstraktus. 169
Druck von außen gibt dem Erbrechen einen nicht so explosiven
Charakter. Das Erbrechen wird oft noch heftiger beim Übergang
zur festen Nahrung. Im weiteren Verlauf spricht die Dauer des
Leidens mehr für organischen Pylorusverschluß, da der Pyloro-
spasmus spätestens im 6. Monat in Latenz übergeht. Nach Heile
ist das Fehlen der Fühlbarkeit des Pylorus nicht gegen Pylorospasmus
zu verwerten, jedoch deutete die mächtige Peristaltik sowie die
Dilatation des Magens, wie sie in solchem Maße nie bei Pylorospasmus
vorkommt, auf eine organische Stenose hin. Mit der Dilatation
geht zusammen eine Insuffizienz. Diese wird durch zeitweise Über-
dehnung — daher Intermissionen des Erbrechens — herbeigeführt,
sei es durch zu großen Inhalt an Nahrung oder an Luft, wie in einem
operierten Fall der Göttinger Kinderklinik. Funktionelle Störungen
können das Bild komplizieren. Im Röntgenbild ist oft das Bild des
Sanduhrmagens sichtbar. Therapie: Operativer Eingriff kaum ver-
meidbar, wenn auch ‚„planmäßiges Lavieren‘‘ unter ärztlicher Auf-
sicht zunächst oft angebracht ist. Drohende Intoxikation durch
Hunger wird durch die typische Intoxikationsbehandlung mit der
in Göttingen üblichen Methode von Nährzuckerklystieren und sub-
cutanen Kaloroseinfusionen schon während der Teepause überwunden.
Bei Luftschlucken ev. Einguß der Nahrung, Aufstoßenlassen oder
Ablassen der Luft mit Magenschlauch. Schwab (Göttingen).
Findlay, L. Die Behandlung der angeborenen hypertrophischen Pylorus-
stenose. Interne oder chirurgische Behandlung? (Brit. journ. of
childr. dis. 20, 1923, S. 1.)
Die Fortschritte in der operativen Behandlung der angeborenen
hypertrophischen Pylorusstenose scheinen eine Reihe früherer
überzeugter Anhänger der internen Behandlungsmethode zur chirur-
gischen Therapie bekehrt zu haben. Auf Grund kritischer Durch-
sicht seines eigenen in den letzten 6 Jahren beobachteten, 80 Fälle
umfassenden Materials kann Verf. sich nicht von der Überlegenheit
der chirurgischen Behandlung überzeugen. Er will die Operation
nur für diejenigen Fälle angewandt wissen, die, in den ersten Lebens-
wochen, sehr bald nach Beginn der krankhaften Erscheinungen
in Behandlung kommen. Die ganz jungen Säuglinge scheinen wenig
empfindlich gegen den Operationsschock zu sein. Jede länger dauernde
Unterernährung verschlechtert sehr wesentlich die operativen
Chancen. Bei der internen Therapie tät Verf. dazu, unbekümmert
um das Erbrechen dem Kinde, immer wieder die erforderliche Nah-
rungsmenge beizubringen, er beruft sich dabei auf die guten Erfolge,
die Heubner mit dieser Methode hatte, wie sie auch durch die
besten chirurgischen Erfolge nicht übertroffen werden. Die Erfolge
in der Privatpraxis sind viel günstiger als im Krankenhaus, was
mit der individuellen Pflege zusammenhängt. Wolff (Hamburg).
170 Verdauungstraktus. Heft 2
Heile. Drie chirurgische Behandlung des Pylorospasmus der Säuglinge.
(Klin. Wochenschr. 6, 2. Jg. 1923, S. 262.)
Die Einführung der Operation nach Rammstedt hat die Ge-
fahren der chirurgischen Behandlung des Pylorospasmus sehr wesent-
lich herabgesetzt. Bei Betrachtung der Statistiken einer größeren
Reihe von Operateuren kommt man zu einer durchschnittlichen
Mortalität von ca. 10%. Sehr wichtig ist es, daß man die schwereren
Fälle, die sich nicht für die interne Therapie eignen, rechtzeitig dem
Chirurgen zuführt. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein gegebener
Fall zu den schweren zu rechnen ist, leistet die Röntgenuntersuchung
wertvolle Dienste: wenn 2 Stunden nach Sondeneinführung der mit
Kontrastmittel versetzten abgezogenen Frauenmilch noch keine
nennenswerten Mengen der Nahrung in den Darm übergetreten sind,
sollte man den Fall als für die weitere interne Therapie unggeignet
der Operation zuführen. Verf. geht so vor, daß er den Tumor zuerst
in seiner Mitte, an der Stelle seines größten Umfanges einschneidet,
dann aber nicht bis zur Submucosa durchschneidet, sondern mit
quergestellter Klinge ein tiefes Loch bis zur Muscularis mucosae ein-
bricht. So vermeidet man die Gefahr, die Muscularis mucosae zu
verletzten, was zu späteren Perforationen führen kann.
‘ Wolff (Hamburg).
Tumpeer, I. H., und Bernstein, M. A. Experimentelle Pylorusstenose.
(Americ. journ. of dis. of childr. 24, 1922, S. 306.)
Durch Einspritzen von Paraffin in die Muskeln der Pylorus-
gegend gelang es, bei Hunden das anatomische Bild der Pylorus-
stenose hervorzurufen, d.h. Verdickung der Muskelschicht und Ver-
engerung der Lichtung. Dagegen kam es auf diese Weise nicht zu
dem Krankheitsbild, wie es uns von der Pylorusstenose des Säuglings
bekannt ist: Erbrechen bestand nur zeitweilig, die Magenentleerung
war nicht behindert, die Zusammenziehung des Magens war etwas
gesteigert, die Stuhlentleerung unbeeinflußt, und Abmagerung trat
nicht ein. Die schlangenartigen über die Geschwulst verlaufenden
Zusammenziehungen sind beim Kinde wahrscheinlich die Folge der
Muskelhypertrophie, weil sie durch die Paraffineinspritzung sofort
und gesetzmäßig hervorgerufen werden. H. Vogt.
Zakrzewski. Sanduhrmagen bes 4wöchigem Kınde. (Demonstration
in der Lemberger Ärztegesellschaft.) (Polska gazeta lekarska 2,
Nr. 3, 1923.)
Ein dicker Ring umfaßte den bis auf 3 cm verengten Magen
ım ersten Drittel der Entfernung zwischen Cardia und Pylorus.
Die Mucosa und Serosa waren unverändert, die Muskelschicht da-
gegen deutlich hypertrophisch nur an Stelle der Verengung. Die
Magenanomalie war angeboren wie verschiedene andere Mißbildungen
Heft 2 Verdauungstraktus. — Leber und Gallenwege. 171
bei demselben Kinde: Spina bifida in der Sacralgegend, Einlappigkeit
der linken und Zweilappigkeit der rechten Lunge, Foramen ovale
aperum, Sattelnase, schräge Lidspalten und schließlich Zweiteilung
der Endphalanx des rechten Daumens. Verf. erklärt den Mechanis-
mus der Anomalieentstehung durch wahrscheinliche Dissoziation in
der Nervenüberleitung der Reize. Cieszynski (Warszawa).
Miller (London). Die Pathogenese der chronischen Verdauungs-
insuffizienz. (Arch. of pediatr. 40, 1923, S. 88.)
Es wird ein Mangel an gallensauren Salzen beschuldigt und
deren therapeutische Verabfolgung empfohlen. Rosenbaum.
Rheindorf. Beitrag zur Appendicıtisfrage beim Säugling und im
frühen Kindesalter. (Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 240,
Nr. 1/2, S. 203.)
Verf. fand bei mehreren lebenswarm fixierten Leichenwurmfort-
sätzen von Säuglingen und kleinen Kindern eitrige Appendicitiden,
hervorgerufen durch von Oxyuren herrührende Epitheldefekte.
Verf. sieht darin einen erneuten Beweis für die Pathogenese der
Appendicitis auch für den Säugling und empfiehlt weitere genaue
Untersuchung des lebenswarm fixierten Wurmfortsatzes. Verf. ist,
wie auch Aschoff, der Ansicht, daß die Erkrankung beim Säugling
überaus selten ist, während Autoren wie Kalzer und Fisch sie
als verhältnismäßig häufiges Vorkommnis bezeichnen. Haber.
Hayos, K. Die Behandlung der Oxyursasis mit Salvarsan. (Poli-
clinico 8, Nr. 11.)
Ohne zu behaupten, daß Salvarsan ein Specificum gegen Oxyuria-
sis sei, können wir doch aus den gemachten Erfahrungen schließen,
daß es ein gefahrloses und wirksames Heilmittel darstellt. Aus den
bisher erlangten Ergebnissen geht hervor, daß es sich verlohnen
würde, die Wirkung des Salvarsans auf Darmparasiten eingehend zu
studieren. Held (Berlin).
Leber- und Gallenwege.
Hilarowicz. Leberechinokokkus bes Il jahrıgem Mädchen. (Demon-
stration in der Lemberger ei) (Polska gazeta
lekarska 1, Nr. 52, 1922.)
Der Echinokokkus im rechten Peberlappen wurde operativ
entfernt, indem die Cystenwände an das Peritoneum parietale an-
genäht wurden, mit gutem Erfolg. Der Fall verlief ohne Eosino-
philie. Cieszynski (Warszawa).
172 Urogenitalsystem. Heft 2
Urogenitalsystem.
Tow, A. Polycystische Erkrankung der Nieren. Bericht tiber einen
Fall bei einem Säugling. (Americ. journ. of dis. of childr. 25,
1923, S. 222.)
Bei einem Kinde mit den bezeichnenden Erscheinungen der
Cystenniere — doppelseitigem Nierentumor, Nephritis, Herzver-
größerung — fand sich stark verminderte Ausscheidung von Phenol-
sulfonaphthalin. Der Gehalt des Blutes an Harnstoff, Kreatin und
Harnsäure war erhöht, das Kohlensäurebindungsvermögen des
Blutes herabgesetzt. Der Tod erfolgte im Alter von 12 Wochen
plötzlich unter Hirn- und Lungenödem. Da in mehreren Fällen
gehäuftes Auftreten der Erkrankung in einzelnen Familien beobachtet
worden ist, auch andere Mißbildungen, besonders Cysten ın der
Leber, häufig bei Cystenniere vorkommen, handelt es sich offenbar
um eine Mißbildung. H. Vogt.
Hill, L. W., Hunt, E. F., Brown, E. W. Bakteriologie des Harns bei
akuter Nephritis im Kindesalter. (Americ. journ. of dis. of childr. 25,
1923, S. 198.)
Bei Untersuchung von 21 Fallen hämorrhagischer Nephritis
im Kindesalter, ausgeführt in der Hälfte der Fälle in der ersten
Krankheitswoche und ausnahmslos innerhalb der ersten 4 Wochen
nach Krankheitsbeginn, wurde in 16 Fällen der Harn steril befunden.
In 2 Fällen fand sich Staphylococcus albus, einmal ein diphtherie-
ähnliches Stäbchen. Die in 2 Fällen angetroffenen Colibacillen
waren wohl auf eine Pyelitis als Nebenkrankheit zurückzuführen,
da der Harn gleichzeitig viel Leukocyten enthielt. Eine durch
Nebenkrankheiten nicht erklärbare Leukocytose bestand nur bei
einem Kinde mit hämorrhagischer Nephrits. ° H. Vogt.
Brokman, H., und Erlich, M. Gehtrnsymptome 1m Verlauf von Pyelstss
bei Kindern. (Polska gazeta lekarska 1, Nr. 42, 1922.)
Bei 4 Säuglingen im Alter von 6—10 Monaten traten plötzlich
im Verlauf von akuter Nierenkelchentzündung Symptome von
Nervenzentrenreizung auf. Im ersten Falle beobachteten Verff.
während ıo Tage hartnäckiges Erbrechen, Schluckschwierigkeiten,
BewuBtseinsstérung, ,,crie ncephalique“artige Schreistöße, automati-
sche Extremitätenbewegungen und anfallsweise auftretende Unruhe
ohne Gehirnhautsymptome. Im 2. Falle waren die Erscheinungen
ähnlich und verschwanden nach Heilung der Pyelitis; der Druck
im Rückenmarkkanal war trotz Gehirnhauptsymptomen nicht ge-
steigert. Im 3. Falle traten im Anfang der Erkrankung anfalls-
weise mehrstündige Krämpfe auf und hinterließen kurzdauernde
Heft 2 Urogenitalsystem. — Erkrankungen d. Zentralnervensystems. 173
Lähmung der linken Extremitäten. Auch im vierten Falle trat ein
kräftiger Reizzustand auf mit nachfolgender vorübergehender Mono-
plegie der linken oberen Extremität. Cieszynski (Warszawa).
Cooke Hirst, John. The rapid cure of cystitis in children. (New York
med. journ. 1923, S. 262. Pediatrics.)
Verf. spritzt 5 ccm Silvol oder Neosilvol in die Blase. Bei der
akuten Pyurie der Säuglinge meist prompter Erfolg, schon nach
der ersten Einspritzung. Beim älteren Kinde sind wiederholte Ein-
spritzungen erforderlich. Schiff.
Erkrankungen des Zentralnervensystems.
Lewkowiez, K., Prof. Spezifische Behandlung der epidemischen Genick-
starre. VI. Mitteilung. (Rozpravy Akademji Nauk Lekarskich 1,
Nr. 2, 1922. [Publikationen der polnischen Akademie der medi-
zinischen Wissenschaften.])
Für seine Theorie, daß die Entzündung bzw. das entzündliche
Material von den Ventrikeln ausgeht und durch den Liquorstrom
in den Subarachnoidalraum gebracht wird, führt Verf. folgende
Beweise an: a) Die Plexus chorioidei in den Ventrikeln wirken wie
Nieren, indem sie die im Blute kreisenden Meningokokken sezernie-
ren. b) Die Ventrikel und die Plexus sind mit einem Epithel bedeckt,
zu dem der Meningokokkus als katarrhalische Bakterie eine beson-
dere Affinität besitzt. c) Die Ventrikel sind immer von Anfang an
ergriffen. d) In ihnen ist der Prozeß am hartnäckigsten und von
ihnen gehen die Exalterationen und Recidiven aus. e) Im Sub-
arachnoidalraum löscht dagegen der Prozeß schnell aus, wenn er
von den Ventrikeln abgeschnitten ist. f) Die Meningokokken sind
proportional der Entfernung von den Ventrikeln mehr geschädigt,
mehr durch die Leukocyten verdaut. g) Im Subarachnoidalraum
wird der Eiweißgehalt des Liquors nicht vermehrt bei schneller
Resorption. h) Der meist niedrige Liquordruck bei selbständigen
Entzündungen ist durch die Erkrankung der Plexus zu erklären.
i) Das anatomische Bild läßt sich in allen Einzelheiten einfach durch
den ventrikulären Sitz der Entzündung erklären. j) Den Erfolg
bei spezifischer Behandlung entscheidet einzig und allein der Serum-
gehalt des Ventrikulärliquors. Die Meningitis epidemica faßt Verf.
als epidemische Meningokokkengrippe auf und die Gehirnhaut-
entzündung als deren Komplikation, so daß sie anscheinend verein-
zelt auftritt. Den blitzartigen Verkauf erklärt er als Folge eines
hochgradigen Hirnödems, das zur Incarceration des Organs führt.
Die selbständige Heilung der Krankheit hängt in manchen Fällen
von allgemeiner, humoraler Immunität, in anderen von der phago-
174 Erkrankungen des Zentralnervensystems. Heft 2
cytären Wirkung der Leukocyten- und Epithelzellen ab. Für Punk-
tionen der unteren Ventrikelhörner zwecks Seruminjektion schlägt Verf.
letztens die Schläfengegend vor. Cieszynski (Warszawa).
Lisbonne und Leenhardt. Akute Meningitis beim Säugling, hervor-
gerufen durch den Pfetfferschen Bacillus. (Paris méd. 2, Januar
1923, S. 47.)
Bei einem Fall von Meningitis, die klinisch ganz das klassische
Bild der Meningokokkenerkrankung bot, fanden sich in den Kulturen
des Liquors Pfeiffersche Bacillen. Eine grippale Erkrankung war
nicht vorausgegangen. Verf. gelangt zu dem Schluß, daß der Pfeiıf-
fersche Bacillus nicht als spezifischer Grippeerreger, sondern als ein
pyogener Mikroorganismus anzusehen ist, der beliebig lokalisiert
sein Kann. Haber.
Zielinski, K. Zwei Fälle von riesigem Hydrocephalus, (Pedjatrja
polska 2, Nr. 3, 1922.)
Der erste Fall betraf einen 7jährigen Knaben, der es nur bis zum
Erkennen der Mutter sowie ‚mama‘-sagen brachte und an Broncho-
pneumonie starb. Der zweite Fall entwickelte sich im 4. Lebens-
monat nach einer eitrigen Gehirnhautentzündung und starb mit
14 Monaten an chronischer Darmentzündung. In keinem Fall war
die Sektion ausgeführt. In beiden Fällen sollen die Eltern gesund
gewesen sein. Cieszynski (Warszawa).
Wollstein, M., und Bartlett, F. H. Hirntumoren im frühen Kindes-
alter. Eine klinische und pathologische Untersuchung. (Americ.
journ. of childr. 25, 1923, S. 257.)
Unter 4563 Leichenöffnungen bei Kindern bis zu 3 Jahren
entfielen 9, d.i. 0,2% auf Fälle von Hirngeschwulst. Sämtliche
Geschwülste waren Gliome, Befallen war 2mal das GroBhirn, 5 mal
das Kleinhirn. In keinem Falle hatte die Geschwulst auf andere
Organe iibergegriffen. Die Kleinhirngeschwiilste gingen vom Wurm
aus; sie saßen in der Regel (4mal) in der rechten Kleinhirnhälfte,
In 2 Fällen waren Brücke und Rückenmark ergriffen, 2mal der
rechte Kleinhirn-Brückenarm. In 3 Fällen war das obere Halsmark
zusammengedrückt. Hydrocephalus wechselnder Stärke war stets
vorhanden. Ein Gliom, das fast die ganze linke Großhirnhälfte ein:
nahm, war wohl angeboren — es hatte schon bei dem 2 Wochen
alten Säugling zu Vergrößerung des Kopfes geführt, in dem 8. Woche
zu einem Durchbruch des Schädels am linken Stirnbein mit Hirn-
bruch. Die Diagnose der Hirngeschwülste stößt im frühen Kindes-
alter auf große Schwierigkeiten. Die auf Empfindungsstörungen und
auf Gangstörungen beruhenden Krankheitszeichen fehlen ; Lähmungs-
erscheinungen kommen erst bei vorgeschrittenem Wachstum der
Heft 2 Erkrankungen des Zentralnervensystems. 175
Geschwulst zustande. Erbrechen wurde nur bei 3 Kindern iiber-
haupt beobachtet, gewaltsames Erbrechen nur einmal. Krampfe
traten nur bei einem der Kinder auf, und da erst kurz vor dem Tode.
Druckerhöhung der Spinalflüssigkeit ist nur im Beginn der Erkran-
kung vorhanden. Auch sonst zeigte die Spinalflüssigkeit keine ver-
wertbaren Befunde. Als einigermaßen bezeichnend für Hirngeschwulst
erschien das wechselvolle Verhalten besonders der Reflexe.
H. Vogt.
Rerrich, W. W. Behandlung der meningitischen Form von akuter
Encephalitis mit Antimeningokokkenserum. (Journ. of the Americ.
med. assoc. 80, Nr. 8, 24. Februar 1923.)
Ein Fall von Encephalitis mit meningitischem Typ bei einem
15jahrigen Jungen wurde mit Antimeningokokkenserum behandelt.
Bei der Lumbalpunktion war starke Drucksteigerung des Liquors
nachweisbar, dieselbe hatte eine starke Störung im Atmungszentrum
zur Folge mit wechselnder oberflächlicher und tiefer Respiration.
Außer den sonstigen für Encephalitis typischen Symptomen sprach
die wasserklare Beschaffenheit des Liquors und der wiederholte
negative Ausfall der bakteriologischen (Kultur) Untersuchung des
Rachenabstriches und Liquors mit Sicherheit gegen epidemische
Meningitis. Trotzdem entschloB man sich zur unspezifischen Be-
handlung mit Antimeningokokkenserum in der Gewißheit, daß der
Patient ohne energische aktive Therapie sterben würde. Es wurden
mehrmals verschieden große Mengen von Antimeningokokkenserum
intraspinal und intravenös gegeben. Von Beginn der Einspritzungen
an war keine Verschlimmerung mehr wahrzunehmen, nach 36 Stun-
den schien der Patient außer Gefahr zu sein. Dieser Fall ist ein Hin-
weis dafür, wie skeptisch Berichte über therapeutische Erfolge
mit spezifischem Serum bei Encephalitis (Helmholz und Rosenow)
aufgefaßt werden müssen. Lehrnbecher (Eberswalde).
Westphalen, F. von. Zur Klinik der Encephalitis acuta im frühesten
Kindesalter. (Aus der Universitäis-Kinderklinik in Gottingen.)
(Doktordissertation 1921.)
An Hand von g Fällen, von denen 2 zu der Encephalitis epi-
demica gerechnet werden, wird das klinische Bild der Krankheit
geschildert. In 6 Fällen wird der Nachweis erbracht, daß es sich
um vorher irgendwie minderwertige Zentralorgane gehandelt hat,
die von der Encephalitis befallen werden und die besonders für diese
prädisponiert erscheinen. Sechsmal ging der eigentlichen Gehirn-
affektion eine mehr oder minder schwere Spasmophilie voraus.
Bei 2 Fällen ist Spasmophilie mit Encephalitis kombiniert, wobei
das vorherrschende Krankheitsbild allerdings die Encephalitis bleibt.
Blühdorn (Göttingen).
176 Erkrankungen des Zentralnervensystems. Heft 2
Hanhart, E. Bettrage zur Konststutsons- und Vererbungsforschung
an Hand von Studien über hereditäre Ataxien (46 neue Fälle Fried-
reichscher Krankheit). (Schweiz. med. Wochenschr. 6.)
Die Anwendung der Vererbungslehre auf den Menschen ist nicht
nur unerläßlich zur Lösung medizinischer Konstitutionsprobleme,
sondern bildet auch die Grundlage der überall aktuellen Bestrebungen
der Eugeniker (sog. Rassenhygiene). Nach eingehendem Studium
der Friedreichschen Krankheit hält Verf. diese wenig bekannte,
aber gar nicht so seltene Affektion zu Untersuchungen über Vererbung
für sehr geeignet, denn sie ist der Prototyp einer Heredodegeneration.
Bei rein endogener Grundlage zumeist familiäres Auftreten im Alter
zwischen 5—20 Jahren, nie angeboren; die betr. Geschwister er-
kranken annähernd im selben Alter und ihr Symptomenbild stimmt
bis auf Einzelheiten genau überein; ohne Remissionen nimmt das
Leiden unbeeinflußt seinen Verlauf, verschlimmert sich stetig, bis
die Kranken schließlich einer interkurrenten Infektion erliegen.
Typisch ist, daß die Eltern nie befallen sind, dagegen hier und da
Verwandte in den Seitenlinien. Der Erbgang der Friedreichschen
Ataxien erweist sich als einfach recessiv. Das vorliegende Material
ergibt keinen Anhaltspunkt, die Konsanguinität als direkt kausalen
Faktor aufzufassen, sondern nur als propagierendes Hilfsmoment.
Erheblich zahlreicher als anderswo ist die Friedreichsche Krank-
heit in der Schweiz. Es bedarf offenbar für die Entstehung einer
bestimmten Form von Heredodegeneration eines besonderen Terrains
resp. gewisser Rasseeigentümlichkeiten. Gegen die Beteiligung des
Alkohols an der Pathogenese der hereditären Ataxien spricht, daß
in der großen Mehrzahl der angeführten Fälle weder bei den Kranken
selbst, noch bei ihren Angehörigen irgendwelche Häufung körper-
licher oder geistiger Degenerationsstigmata gefunden werden konnten.
Held (Berlin).
Gernert. Zur Behandlung der akuten spinalen Kinderlähmung.
(Zeitschr. f. ärztl. Fortbild. 5, 20. Jg. 1923, März.)
Empfehlung einer mit energischen Schwitzprozeduren kombi-
nierten intensiven Quecksilberschmierkur bei der Behandlung der
Poliomyelitis acuta anterior. Verf. hat mit dieser Therapie sehr
gute Resultate erzielt. Er stellt sich vor, daß es sich dabei um die
Resorption der die nervösen Elemente komprimierenden Exsudat-
massen handelt. Wolff (Hamburg).
Lampe, K. Die Factalislahmung auf otogener Grundlage wahrend der
ersten zwet Lebensmonalte. (Aus der Universitäis-Kinderklinik ın
Gottingen.) (Doktordissertation 1920.)
Es werden 2 Fälle mitgeteilt. Im ersteren handelt es sich um
einen 8 Wochen alten Säugling, der wegen Ohrenlaufen der Kinder-
Heft 2 _Erkrankungen des Zentralnervensystems. 177
klinik zugeführt wurde. Die Schwellung der vor und unter dem
Grehörgang gelegenen Drüsen erregte den Verdacht auf eine primäre
Ohrtuberkulose; der Zerfall des Trommelfells bestätigte die Diagnose.
Drei Tage später trat eine Facialislähmung zu dem Krankheitsbild
dazu. Nach einigen Wochen ging das Kind an Meningitis tuberculosa
zugrunde. Bei der Mutter, welche seit der Geburt des Kindes fieberte
und bei der eine Staphylokokkensepsis vermutet wurde, stellte man
auf Grund des Befundes am Säugling eine Tuberkulose der Genital-
organe fest. Auch sie verstarb an tuberkulöser Meningitis. — Bei
dem zweiten 18 Tage alten Säugling stellte sich die Facialislähmung
als einziges Symptom einer einfachen akuten Mittelohrentzündung ein.
Nach wiederholter Paracentese im Verlauf eines Monats völlige Heilung
und Schwinden der Lähmung. Blühdorn (Göttingen).
Buthenut, H. Über den Verlauf von Krämpfen im Säuglings- und
Kindesalter auf Grund von Nachuntersuchungen an 38 Fallen der
Klinik und Poliklinik. (Aus der Universitäts-Kinderklinsk in
Göttingen.) (Doktordissertation 1921.)
Es wurden insgesamt 38 Kinder, die zumeist als Säuglinge
wegen Krämpfen in Behandlung waren, nachuntersucht. Aus-
geschlossen waren alle Fälle, bei denen früher die spasmophile Ätio-
logie sicher gestellt war. Es wurde der Versuch gemacht, entsprechend
der weiteren Entwicklung der Kinder die Ursache der Krämpfe
zu erkennen, die bei der ersten Untersuchung zu finden nicht möglich
war. Es zeigte sich, daß in. einer Anzahl der Fälle sich jetzt ein
spasmophiler Ursprung sicher oder wahrscheinlich nachweisen ließ.
Echt epileptische Krämpfe wurden nach Möglichkeit von den epi-
leptiformen Krampfformen getrennt, die in die Gruppe der ‚Ge-
legenheitskrämpfe“, neuropathischen Epileptoide ‚„Vasomotoren-
epilepsie“ eingereiht wurden. Die sichere Entscheidung, ob es sich
in diesem oder jenem Falle, der jetzt nicht dafür gehalten wurde,
um echte Epilepsie handelt oder nicht, dürfte vielleicht die Weiter-
beobachtung in das spätere Lebensalter hinein treffen. Besonders
wird darauf hingewiesen, daß spasmophile Latenzsymptome bei
gleichzeitig bestehenden Krämpfen im späteren Kindesalter nicht
zu der alleinigen Diagnose Spasmophilie berechtigen, sondern daß es
sich sehr wohl um eine Kombination von Epilepsie und Spasmo-
philie handeln kann. Blühdorn (Göttingen).
Brokman, H. Die Todesursache während des Laryngospasmusanfalles.
(Pedjatrja polska 2, Nr. 3, 1922.)
Beim 6monatigen Säugling, der schlecht ernährt war und
Übererregbarkeit des Nervensystems aufwies, beobachtete Verf.
einen Laryngospasmusanfall, in dem während der mit Cyanose
einhergehenden Apnöe die Herzaktion noch anhielt und trotz künst-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 12
178 Erkrankungen des Zentralnervensystems. Heft 2
licher Atmung erst allmählich nach 5—6 Minuten aufhörte. Die
Sektion ergab vollständig geschlossene Glottis, Hyperämie der
Schädelorgane, der Thymus, Blutaustritte auf der Pleura und charak-
teristischen Befund für Status thymico-Iymphaticus. Auf Grund
. dieser Beobachtung bezweifelt Verf. die überwiegend vorherrschende
Todeserklärung durch Herztetanie für alle Fälle und rät immer
künstliche Atmung, Intubation bzw. Tracheotomie und im äußersten
Falle intrakardiale Adrenalininjektion anzuwenden.
Cieszynski (Warszawa).
Saxl und Kurzweil (Neuyork). Das Betinässen dey Kinder. (Arch. oi
pediatr. 40, 1923, S. 158.)
Falls eine ätiologische Therapie nicht möglich ist, wird neben
den üblichen Mitteln Atropin in Mengen von 0,5—1,5 mg pro Tag
empfohlen. Rosenbaum.
Fischer, Franz (Düsseldorf). Aus der Praxis zur Bekampfung der
reinen Enuresis nocturna. (Med. Klinik 19, 1923, S. 142.)
Neben den üblichen Maßnahmen verwandte der Autor Testes-,
bei Madchen Ovarientrockenpraparate (der Firma Hormona) r bis
3 Tabletten täglich steigend je nach Alter. Von 500 Fällen, die
2—3 Monate lang behandelt wurden, blieben nur 21 unbeeinflußt.
die durch 1—3 epidurale Injektionen mit 0,005% Novokain physio-
logischer Kochsalzlösung geheilt werden. Rosenba u m.
Szulizewski, B. Neue Gesichtspunkte für die Ätiologie der Chorca
minor. (Pedjatrja polska 2, Nr. 3, 1922.)
Verfassers Untersuchungen an einem größeren Material von
Choreakranken ergaben, daß etwa in 60% der Fälle als allgemeine
Grundlage für die Choreaentwicklung eine ‚‚nervöse Diathese‘“ be-
stand, weil in der Anamnese Spasmophilie, „Sensationsbereitschaft“,
Wahrheitsuntreue, Erziehungsfehler wie körperliche Strafen, Zärt-
lichkeit beim einzigen Kinde, überhaupt ‚Nervosität‘ zu finden
waren. Von diesem Standpunkte ausgehend, wandte Verf. die
Psychotherapie an, die besonders in den zur Hysterie übergehenden
Fällen Erfolg haben sollte. Cieszyński (Warszawa).
Samet-Mandels, S. Beitrag zur Klinik und Behandlung der epidemi-
schen Cerebrospinalmeningitis im Kindesalter. (Arch. de med. des
enfants 26, 343.)
In 2!/, Jahren kamen im Kinderkrankenhaus in Lodz 74 Fälle
von Cerebrospinalmeningitis zur Behandlung. Die verschiedenen
'Verlaufsarten werden an Hand eigener Beobachtungen besprochen.
Die Behandlung mit Serum erweist sich als ausgesprochen wirksam,
wenn sie zeitig einsetzt und der Art des Erregers angepaßt ist. Im
Heft 2 Erkrankungen des Zentralnervensystems. 179
Zweifelsfalle ist polyvalentes Serum vorzuziehen. Zur Verwendung
kamen 30 bis 40 ccm Serum täglich. Die intralumbale Einführung
war auch in solchen Fällen möglich und erfolgreich, wo die Lumbal-
punktion keine Spinalflüssigkeit zutage förderte. Die Behandlung
soll fortgesetzt werden, bis die Lumbalflüssigkeit keine Meningo-
kokken mehr enthält und die polymorphkernigen Leukocyten daraus
fast ganz verschwunden sind. H. Vogt.
Collin, André und Réquin, Jeanne. Psychische Folgezustände der
epidemischen Encephalitis im Kindesalter. (Arch. de med. des
enfants 26, 265.)
Unter 70 Fallen epidemischer Encephalitis beobachtete Comby
eine Sterblichkeit von 10%, völlige Heilung bei 21%, Heilung mit
bleibenden Folgezuständen bei 68%. Unter den zurückbleibenden
Störungen waren Hirnreizerscheinungen mit 16,6%, vertreten,
geistige Schwäche mit 25%, epileptische Zustände mit 21% und Be-
wegungsstörungen `: mit 45%. Die Folgezustände der Encephalitis
fallen verschieden aus je nach den Hirnabschnitten, die im einzelnen
Falle betroffen sind, daneben aber auch je nach dem Alter des be-
treffenden Kindes. Bis zum 7. Lebensjahr etwa. überwiegen die
Zustände geistiger Riickstandigkeit, wahrend vom 7.—17. Lebensjahr
Veränderungen des Charakters in den Vordergrund treten. Dahin
gehören Erregungszustände mit triebartigen Handlungen, Neigung
zu Gewalttätigkeit, auch male Erwachen des Geschlechts-
triebes u. a. m. H. Vogt.
Condat, Meningeale Form der Heine-Medinschen Krankheit. (Arch.
de med. des enfants 26, 279.)
Die meningeale Form der Heine-Medinschen Krankheit
kann nur dann als solche erkannt werden, wenn sehr sorgfältig auf
Lähmungserscheinungen gefahndet wird. Wie an Hand einer Kranken-
geschichte belegt wird, können die Lähmungserscheinungen dabei
so unbedeutend sein, daß sie nur bei sorgfältigem Nachsuchen ent-
deckt werden. Die Lähmung wird durch Schmerzen in dem betreffen-
den Glied angekündigt. Ein guter Teil der sog. gutartigen heilbaren
akuten Meningitiden ist der Heine - Medinschen Krankheit zu-
zurechnen. In dieser Form scheint die Krankheit vorzugsweise bei
älteren Kindern aufzutreten. H. Vogt.
Sahea, Prof. (Spital „Ravaschieri‘ Neapel.) Sulla cura chirurgica
della paralisi infantile. (Die chirurgische Behandlung der Kinder-
lahmung.) (La Pediatria 81, 1923, S. 382.)
Verf. tritt dafür ein, daß beim paralytischen Pes varus zuerst
die Transplantation der Sehnen und Muskeln vorzunehmen und erst
dann die unrichtige Stellung zu korrigieren sei, da sie im gegen-
12*
180 Erkrankungen des Zentralnervensystems, Heft 2
teiligen Falle dem Redressement starken Widerstand entgegensetzen,
dessen brüske Überwindung schädlich sei. Tezner (Wien).
Vollmer. Zur Pathogenese der genminen Epilepsie. (Klin. Wochenschr.
2, Nr.9, S. 394. 1923.) |
Im präparoxysmalen Stadium der genuinen Epilepsie ist die
Phosphatausscheidung durch den Harn abnorm gering, die Harn-
acidität ergibt dementsprechend ganz niedrige Werte, die pH-Werte
liegen oft im stark alkalischen Bereich. Diese Einstellung des Stoff-
wechsels im Sinne einer Alkalose deuten auf eine Stoffwechselbeschleu-
nigung. Von der bei manifester Tetanie nachweisbaren Alkalose
unterscheidet sich das Verhalten bei genuiner Epilepsie dadurch,
daß sich bei der Tetanie eine Vermehrung der Phosphate im Blut
nachweisen läßt, während dieses bei der Epilepsie nicht der Fall ist.
Verf. nimmt an, daß sich bei der genuinen Epilepsie die im Blut
nicht nachweisbaren Phosphate in den Muskeln anhäufen. Auch auf
die Gehirnzellen dürften die retinierten Phosphate im Sinne einer
Erregbarkeitssteigerung wirken, so daß die Phosphatretention in
zweifacher Hinsicht krampfauslösend wirkt. Der Anfall führt
durch Ausschwemmung der Phosphate zu einer vorübergehenden
Selbstheilung des Organismus. - Wolff (Hamburg).
Lemaire, L. Psychische Störungen bei der Tetanie im frühen Kindes-
alter. (Le Nourrisson 11, Nr. 2, Marz 1923.) f
Veränderungen des psychischen Verhaltens bilden ein recht
häufiges Symptom der latenten oder manifesten Spasmophilie
und können die einzige Störung sein, die die Eltern veranlaßt, ärzt-
lichen Rat in Anspruch zu nehmen. Die Veränderungen betreffen
die emotionelle Seite der psychischen Äußerungen in Gestalt von
Wutanfällen und Schreckhaftigkeit; auch visuelle Halluzinationen
kommen vor sowie Zustände von Pavor nocturnus. Die Kalk-
therapie sowie die Darreichung von Lebertran wirken auf die psychi-
schen Störungen prompt ein, was dafür spricht, daß sie als echte
Manifestationen der Tetanie aufzufassen sind.
= Wolff (Hamburg).
Behrendt und Freudenberg. Über die Angriffspunkte der tetanigenen
Reize. Beobachtungen bei der Atmungstetanie. (Klin. Wochenschr. 2,
S.866, 1023.)
Durch Beobachtungen und Versuche an Personen, bei denen
durch forcierte Atmung das typische Bild der Tetanie sich entwickelt
hatte, suchten Verff. die Frage zu lösen, welches Substrat den Angriffs-
punkt des tetanigenen Reizes darstellt, den sie in dem Mangel an
Ca-Ionen bzw. in einer Reizwirkung des Kaliums erblicken. Die
Heft 2 Wachstumskrankheiten und Wachstumsstörungen. 181
genaue Analyse der bei der Atmungstetanie auftretenden Symptome
unter besonderer Berücksichtigung der Reihenfolge ihres Auftretens
sowie ihres Verschwindens bei Nachlassen der forcierten Atmung
läßt 3 Stadien der tetanischen Übererregbarkeit unterscheiden:
zunächst den prätetanoiden Zustand, charakterisiert durch mecha-
nische oder mechanische und anodische Übererregbarkeit, dann die
latente Tetanie, zuletzt die manifeste Tetanie. Das erste Stadium
scheint in nahen Beziehungen zur Vagotonie zu stehen. Durch Ab-
binden eines Armes während des Atmungsversuches, wodurch die
Steigerung der elektrischen Übererregbarkeit in dieser von der Zir-
kulation ausgeschalteten Extremität hintangehalten wird, kann
gezeigt werden, daß die Übererregbarkeit rein peripher ohne Mit-
wirkung nervöser Zentren erfolgt. Ferner zeigte es sich, daß Aus-
schaltung der höher gelegenen Strecken der efferenten Nervenbahnen
durch Novokaininjektion in die Nervenstämme (Ulnaris und Radialis
am Oberarm, Ulnaris und Medianus oberhalb des Handgelenkes)
das Auftreten der tetanischen Übererregbarkeitssymptome nicht ver-
hindert. Eine Steigerung der direkten galvanischen Erregbarkeit
des Muskels während der Tetanie konnte nicht festgestellt werden.
Die durch Kaliuminjektion in die Arterie oder in den Muskel be-
wirkte erhöhte Bereitschaft zu Tetaniespasmen beim Menschen
fassen die Verff. als Äußerung einer Tonussteigerung auf. Atropin-
und Novokaininjektion in die Muskel setzen die Fähigkeit derselben,
an den Spasmen teilzunehmen, deutlich herab. Diese Befunde
sprechen dafür, daß die tetanigenen Reize an der rezeptiven Substanz
angreifen und so zur tonischen Kontraktur führen. Im Anschluß an
die Auffassung Franks von den parasympathischen Einflüssen auf
die Muskulatur im Sinne einer Tonussteigerung, nehmen die Verff. an,
daß die Spasmen die Äußerungen eines überwiegenden Vagustonus
sind. Wolff (Hamburg).
Wachstumskrankheiten und Wachstumsstörungen.
Magnus und Duken. Über Rachitisbehandlung. (Arch. f. orthop. u.
Unfall-Chirurg. 21, 1922, S. 43.)
Die Orthopädie behandelt hauptsächlich Folgezustände der
Rachitis, die sich in Deformierungen des Knochen äußern. Je älter
sie sind, desto fester ist die neue Form stabilisiert. Die Frage, wel-
ches der früheste Zeitpunkt ist für die Einleitung einer orthopädischen
Behandlung, ist daher berechtigt, um so mehr, als die zurückbleiben-
den Formfehler nicht nur Schönheitsfehler darstellen, sondern auch
auf die Gelenkfunktion ungünstig wirken. Es ist sehr zu begrüßen,
daß Kinderarzt und Orthopäde zusammen die Beantwortung im
vorliegenden Artikel versuchen. — Für veraltete Fälle bleibt nur
die blutige Operation als geeignetes Mittel. Solange das Individuum
182 Wachstumskrankheiten und Wachstumsstörungen. Heft 2
noch wächst, hilft die Möglichkeit der Wachstumskorrektur zur
Verbesserung erheblich mit. Als Verfahren wird die lineare Osteo-
tomie empfohlen. Die modernen komplizierten Operationen (Sprin-
ger, Löffler u.a.) werden — mit Recht — als viel zu eingreifend
und unnötig abgelehnt. Für die Nachbehandlung halten die Verff.
kurzdauernde Ruhigstellung, lange dauernde Entlastung als wichtig.
— Jüngere Kranke mit noch statischen Knochen werden durch un-
blutige Redression behandelt. Wo der Knochen zu spröde geworden.
wird er während 5—6 Wochen eingegipst, damit eine Inaktivitäts-
atrophie mit Kalkabbau einsetze (Anzoletti und Röpke), wo-
durch eine Durchbiegung ermöglicht wird. Um diesen rückläufigen
Weg über absichtliche Knochenschädigungen zu vermeiden, werden
die Deformitäten im floriden Stadium der Rachitis angegriffen.
Im Zeitraum der schweren Allgemeinerkrankung ist an eine Korrek-
tur allerdings nicht zu denken (Pneumoniegefahr, Furunkulose durch
Gipsverband usw.). Vor allem ist es die Gefahr einer Narkose, der
man Kinder im Zustande schwerster Erkrankung nicht aussetzen
darf. Die Behandlung muß auf den Zeitpunkt verlegt werden, wo
eine deutliche Heilungstendenz der Rachitis sich zeigt (Höhensonne),
wo Kalkräume im Röntgenbilde der Epiphysen auftreten, wo der
Stimmungsumschwung das verbesserte Allgemeinbefinden anzeigt.
Der inaktivierte Einfluß des Gipsverbandes ist so gering, daß er von
der Appositionstätigkeit des in Heilung befindlichen Knochens bei
weitem übertroffen wird. | Debrunner (Berlin).
Armand-Delille,P. F. Die Rolle des Sonnenlichtes in der Prophylaxe und
Therapie der Rachitis. (Presse med. 14, 17. Februar 1923, S. 159.)
Eine neue Auffassung der Pathogenese der Krankheit nach den
letzten Arbeiten. Verf. kommt, hauptsächlich gestützt auf die
Arbeiten amerikanischer Autoren, wie Hess und Kramer, zu dem
Ergebnis, daß die Ernährung, besonders auch das Fehlen der Vitamine
weder bei der Pathogenese noch bei der Therapie der Rachitis aus-
schlaggebend ist. Sowohl der Phosphorkalkstoffwechsel wie auch die
Ernährung des Knochengewebes werden nicht davon beeinflußt; dies
geschieht nur durch die Einwirkung des Sonnenlichtes, dem die Kinder
täglich mehrere Stunden, nackt oder sehr leicht bekleidet, ausgesetzt
werden. Die Sonnenbehandlung hat sich prophylaktisch wie therapeu-
tisch allen anderen Maßnahmen als überlegen erwiesen. Haber.
Hess, A. F., und Unger, L. J. Sduglingsrachitss. Die Bedeutung klsns-
scher, radiologischer und chemischer Untersuchungen für die Er-
kennung und die Beurteilung ihrer Häufigkeit. (Americ. journ. of
dis. of childr. 24, 1922, S. 327.)
Das verläßlichste klinische Zeichen der Rachitis ist der Rosen-
kranz, der nur den Nachteil hat, daß er auch bei geheilter Rachitis
Heft 2 Wachstumskrankheiten und Wachstumsstörungen. 183
noch bestehen bleiben kann. Die Röntgenuntersuchung der Epi-
physen versagt oft zu einer Zeit, wo die Rachitis durch andere Unter-
suchungsverfahren sichergestellt werden kann. Der Wert der Röntgen-
untersuchung liegt besonders in dem sicheren Nachweis der beginnen-
den Heilung. Der Gehalt des Blutes an anorganischen Phosphaten
ıst im allgemeinen herabgesetzt, bevor die Röntgenuntersuchung und
oft auch, bevor die Feststellung eines Rosenkranzes die Diagnose
erlaubt. Doch ist herabgesetzter Phosphatgehalt des Blutes nicht
unter allen Umständen beweisend für Rachitis, auch kann er gelegent-
lich trotz Bestehens von Rachitis vermißt werden. Bei einer Gruppe
wohlgenährter Brustkinder ergab die gegen Ende März ausgeführte
klinische und radiologische Untersuchung, daß mehr als die Hälfte
Rachitis hatten. Die Häufigkeit der Rachitis nimmt in der Zeit
von Dezember bis März von Monat zu Monat zu. Untersucht man
in der entsprechenden Jahreszeit und mit Aufbietung aller Hilfs-
mittel (Röntgenstrahlen, chemische Untersuchung), so finden sich
bei fast allen künstlich genährten Kindern Zeichen von Rachitis.
7 H. Vogt.
Calot, F. Die Osteochondritis auf dem Chirurgenkongreß. Der erbrachte
Beweis, daß es sich dabei um eine verkannte angeborene MiBßbil-
dung handelt. (Arch. de med. des enfants 26, 1923, S. 150.)
Zwischen Bildern von ausgebildeter angeborener Luxation des
Hüftgelenks und regelrechten Bildern finden sich alle Übergänge.
In dies Bereich fallen auch sämtliche Fälle der sog. Osteochondritis.
Eine genaue Überprüfung der Bilder des Hüftgelenkes von 3 solchen
Fälle, die angeblich ein regelrechtes Verhalten vor Beginn der Er-
krankung bewiesen, ergibt gleichfalls Abweichungen, die zur an-
geborenen Hüftgelenksverrenkung zugerechnet werden müssen.
Die Vorgeschichte der als Osteochondritis beschriebenen Fälle
lehrt fast immer, daß von Geburt an Störungen im Gebrauch der
Beine vorhanden gewesen sind. H. Vogt.
Biehler, Matylda. Ein Fall von seltener Knochen- und Gelenkveran-
derungen beim Säugling. (Pedjatrja polska 2, Nr. 3, 1922.)
Ein vom 2. bis 9. Lebensmonat beobachteter Säugling hatte
angeborenen. Mangel beider Hüftgelenke und biegsame sowie leicht
brechliche Knochen, so daß Verf. angeborene Rachitis mit darauf
sich entwickelnder Osteomalacie feststellte. Das Kind starb mit
14 Monaten an Bronchopneumonie nach Masern ohne Sektion.
Cieszynski (Warszawa).
Duncker. Partieller Riesenwuchs und angeborenes Aneurysma. (Arch.
f. orthop. u. Unfall-Chirurg. 21, 1922, S. 183.)
Angeborener Riesenwuchs ist nicht selten. Uber seine Ursachen
wissen wir vorläufig nichts. Um so mehr interessiert der beschriebene
184 Wachstumskrankheiten und Wachstumsstörungen. Heft 2
Fall, der eine Vergrößerung des rechten Fußes und Unterschenkels
zusammen mit einem Aneurysma der Art. femoralis und iliaca
externa darbietet. Auch nach traumatischem Aneurysma kann
vermehrtes Längenwachstum auftreten. Damit ist ein weiterer
Beweis dafür geliefert, daß vermehrter Blutzufluß oder chronische
venöse Stauung (unter gewissen, uns noch nicht bekannten Um-
ständen) das Wachstum anregen. Debrunner (Berlin).
Aron. Aus der Pathologie des Wachstums im Kindesalter. (Klin.
Wochenschr. 2, Nr. 8, S. 333.)
Die Erkenntnis der das Wachstum beeinflussenden exogenen
Faktoren (Ernährung, Krankheit, Jahreszeit, Klima, Lebensführung,
Körperpflege, Sport) ist nicht nur von theoretischer, sondern auch
von größter praktischer Bedeutung für manche Zustände im Kindes-
alter. Der Hauptwert bei der Beurteilung der Körpermaße ist auf
die Körperproportionen, auf die Art der Wuchsform zu legen. Die
bei Kindern der wohlhabenden Stände, insbesondere der Stadt-
bevölkerung nachgewiesenen höheren Zahlen für Länge und Gewicht
gegenüber den entsprechenden Werten der ärmeren und besonders
der ländlichen Bevölkerung sind, wenn man den Index ponderalıs
als Ausdruck der Wuchsform zugrunde legt, das Kriterium einer
rascheren Entwicklung, insbesondere des Längenwachstums; es
handelt sich bei den Kindern höherer Stände um ein disproportionales
Wachstum im Sinne des Hochwuchses, bei dem der Mangel an körper-
licher Betätigung vielleicht ätiologisch zugrunde liegt. Die bekannten
Klagen im Stadium des schnellsten Wachstums, die oft als Anämie
erledigt werden, sind auf das einseitig beschleunigte Längenwachstum
zurückzuführen. Hier kann man durch Verordnung passender
körperlicher Arbeit, durch Einschränkung der einseitigen Eiweiß-
ernährung versuchen, die Wachstumsreize etwas einzudämmen.
Wolff (Hamburg).
Aschenheim, Erich. Das Wesen der Rachitis. (Dtsch. med. Wochen-
schr. 49, Nr. 3, S. 85. 1923.)
Verf. steht ähnlich Stöltzner auf dem Standpunkt, daß das ent-
scheidende pathogenetische Moment bei der Entstehung der Rachitis
in innersekretorischen Störungen zu suchen ist, ohne allerdings für
seine Ansicht genügendes Beweismaterial bringen zu können. Nach kri-
tischer Besprechung der bisher aufgestellten wichtigsten Theorien über
das Wesen der Rachitis kommt Verf. zu dem Schluß, daß keine der
bestehenden Theorien mit der von ihtenen These einer pluriglan-
dulären endokrinen Störung als letzter Ursacheder Rachitis in Wider-
spruch steht. Fast alle neueren Erfahrungen über das Wesen der
Rachitis sollen nach Ansicht des Verfassers logischerweise zu der von
ihm vertretenen Theorie hinführen. Ernst Faerber (Berlin).
Heft 2 Wachstumskrankheiten und Wachstumsstörungen. 185
Wengrat, Fritz. Über Rachitis und Wachstum. I. Mitteilung. Aus
der Reichsanstalt für Mutter- und Säulingsfürsorge, Wien. (Zeit-
schr. f. Kinderheilk. 34, S. ı.)
Die ganz abnormen Ernährungsverhältnisse der Wiener Kinder
nach dem Kriege gaben Verf. Gelegenheit, auf einem indirekten
Wege der Frage der Rolle des Vitamin A als Wachstumsfaktor beim
Menschen nachzugehen. Fünf rachitische, hypotrophische, teilweise
übererregbare Kinder, aus den ärmsten Wiener Bevölkerungskreisen
stammend, alle extrem milcharm, daneben aber auch fett- und eiweiB-
arm ernährt, hat Verf. in einer ersten Periode mit einer A-vitamin-
armen (Magermilch, feinstes Weizenmehl Schweineschmalz), in einer
zweiten Periode mit A-vitaminreicher Kost (Vollmilch, Butter)
ernährt. Gewicht sowohl wie Längenwachstum, die beide während
der ersten Periode gleich Null waren, wurden durch die zweite Kost-
form in einer normale Verhältnisse noch übertreffenden Weise be-
einflußt. Außerdem wurden die jeweils A-vitaminfrei ernährten
Kinder gehäuft von Infektionen befallen, während die übrigen Kinder
der Station verschont wurden. Die Ursache hierfür sieht Verf.
ebenfalls in dem Unterschied der Kostform. Durch besondere Ver-
suche an vier willkürlich gewählten Kindern schließt Verf. den etwa
erhobenen Einwand aus, daß unterernährte Kinder ähnlich dem
atrophischen Säugling ein KReparationsstadium durehzumachen
hätten. Beck (Tübingen).
Wengraf, Fritz, u. Barchetti, Karl von. Über Rachitis und Wachstum.
II. Mitteilung. Aus der Reichsanstalt für Mutter- und Säuglings-
fürsorge Wien. (Zeitschr. f. Kinderheilk. 34, S. 14.)
Sämtliche Kinder der ersten Mitteilung wiesen neben den
übrigen Symptomen äußerst schwere Zeichen von Rachitis auf.
Nachdem ein ätiologischer Zusammenhang zwischen dem fettlös-
lichen akzessorischen Faktor und der Wachstumshemmung fest-
gestellt war, lag der Gedanke nahe, die Besserung der Wachstums-
verhältnisse mit der Heilung der Rachitis in Zusammenhang zu
bringen. Als Zeichen der Veränderung des rachitischen Prozesses
werden sowohl Änderungen des Symptomenkomplexes der ‚cere-
bralen Rachitis‘ der Czernyschen Schule wie auch im Röntgenbild
nachgewiesene Veränderungen des rachitischen Knochenprozesses
herangezogen. Röntgenuntersuchungen in 6 Fällen bestätigen in
der Tat, daß die Rachitis bei A-vitaminreicher Kost gebessert bzw.
geheilt wurde. Auch der Symptomenkomplex der cerebralen Rachitis
wurde durch zwei verschiedene Kostformen so auffällig beeinflußt,
daß die Zugehörigkeit dieser Symptome (Apathie, Bewegungsunlust,
Reizbareit) zu den Ausfallserscheinungen durch Vitaminmangel
bewiesen erscheint, wie auch der Schluß erlaubt ist, daß die erwähnte
Wachstumshemmung rachitischer Natur war. Beck (Tübingen).
186 Wachstumskrankheiten u. Wachstumsstérungen — Vitamine. Heft 2
Ambrozig, Matija, und Wengrat, Fritz. Über Rachitis und Wachs-
tum. III. Mitteilung. Aus dem Institut für experim. Pathol. und
der Reichsanstalt für Mutter- und Säuglingsfürsorge Wien.
(Zeitschr. f. Kinderheilk. 34, S. 24.)
Wachstumshemmung, Rachitis und Mangel an fettlöslichem,
akzessorischem Nahrungsstoff stehen in enger Wechselbeziehung
zueinander. Bei Fehlen von Vitamin Bin der Kost sistiert das Wachs-
tum z. B. junger Ratten sofort, während sich bei Fehlen von Vit-
amin A, auch nach noch so gründlicher Reinigung der Nahrung
auch von den letzten Spuren von Vitamin A ein gewisses Stadium
des Weiterwachsens nicht ganz ausschalten läßt. Verff. versuchen
festzustellen, ob in dieser Periode schon irgendwelche histologischen
Veränderungen vorliegen. Junge Ratten werden auf die Dr um mond-
sche A-vitaminarme Kost gesetzt. (Casein Hammarsten 20 Teie,
Reisstärke 55 Teile, Salzgemisch ı5 Teile, gehärtetes Fett ı5 Teile,
Marmite 5 Teile.) Kontrolltiere bei sonst gleicher Nahrung statt
Pflanzenfett Lebertran. Nach 3 Wochen deutliche Wachstums-
hemmung der Versuchstiere gegenüber den Kontrolltieren. Nach
7 Wochen erkranken zwei der Tiere an Keratomalacie, alle Tiere
sind viel kleiner als die Kontrolltiere, Gebiß brüchig, das Fell raudig.
Die Tiere wurden in wöchentlichen Intervallen mit Chloroform
getötet. Histologische Untersuchung des Skeletts. Nach 7 Tagen
(„kurzfristige Periode‘‘) akut einsetzende Störung der Kalkverhält-
nisse im Gebiet der provisorischen Verkalkungsschicht (P. V.).
Nach weiteren 7 Tagen pathologische Vermehrung des Osteoids.
Nach 21—36 Tagen (,‚mittelfristige Periode‘‘) Störung der enchon-
dralen Ossification. Nach 47—55 Tagen steht die enchondrale
Ossification völlig still. Die Knorpelwucherung setzt aus. Die
P.-V. wird enorm niedrig und verkalkt. Infolge schwerst gestörter
Wachstumsverhältnisse reichen die schwer gestörten Kalkverhält-
nisse noch zu völliger Verkalkung der P.-V. (vgl. McCollum,
„Heilung der Rachitis‘ durch Hunger). Die Auffassung der Rachitis
als Hypovitaminose macht die chronische Natur des Leidens ver-
ständlich, während avitaminotische Fälle wie diese nach Verf. als
akute Rachitis aufzufassen sind. Beck (Tübingen).
Vitamine.
Lesn& und Dubrenilhe. Über die antiskorbutische Kraft der verschiedenen
Milchantetle. (Le Nourrisson 11, 172. 1923.)
Versuche am Meerschweinchen. Entrahmte Milch wirkt anti-
skorbutisch, Kasein und Butter nicht; Molke wirkt antiskorbutisch,
muß also neben Milchzucker und Salzen noch ein Vitamin enthalten.
Rosenbaum.
Heft 2 Vitamine. 187
Hayashi, Yuzo. Experimentelle Studien über die Entstehung des Xeroph-
thalmus beim Kaninchen. (The tohoku journ. ofexp. med. 8, Nr. 1, 2.
1922.) |
Verf. stellte seine Versuche an Kaninchen an, die er mit dem Rück-
stand von gekochten Sojabohnen gefüttert hat. Das Futter wurde
vorher auf 120—130° C erhitzt. Die charakteristischen Augenerschei-
nungen traten bei den Tieren nach IO—90 Tagen auf. Schon frühzeitig
konnte Verf. im histologischen Bild die degenerative Veränderung
der Epithelschicht der Cornea feststellen. Im Stadium der Ulceration
ist auch bei der histologischen Untersuchung eine starke leukocytäre
Infiltration nachweisbar. Im Gegensatz zuGoldschmidt fand Verf.
die Augenveränderungen bereits in einer Zeit auftreten, wo die Tiere
an Körpergewicht noch zugenommen haben. Schiff.
Powers, G. F., Park, E. A., and Simmonds, N. The influence of radiant
energy upon the development of xerophthalmia in rats. (Der Einfluß
der Bestrahlung auf die Entwicklung von Xerophthalmie bei Ratten.)
(The journ. of biol. chem. 45, Nr. 4, S. 575. 1923.)
Die Verff. haben sich die Frage vorgelegt, ob es gelingt, bei ent-
sprechender Diät durch die Bestrahlung die Xerophthalmie ähnlich
zu verhüten, wie die Rachitis. Junge Ratten wurden auf eine Rachitis
und Xerophthalmie erzeugende Kost (Nr. 3127) gesetzt und in 4 Grup-
pen geteilt. Die eige Gruppe der Tiere wurde bei gewöhnlichem Zim-
merlicht im Laboratorium gehalten, die zweite im Dunklen, die
dritte Gruppe von Tieren wurde mit Ultraviolettlicht bestrahlt, die
vierte Gruppe wurde täglich ca. 4 Stunden lang dem Sonnenlicht
ausgesetzt. Unter ähnlichen Bedingungen wurden Ratten auf eine
nur Xerophthalmie erzeugende Diät gesetzt (Nr. 3392). Sowohl bei
der einen wie auch bei der anderen Diät bekamen die Tiere, die im
Dunklen, bei gewöhnlichem Licht gehalten und mit Ultraviolett-
strahlen bestrahlt wurden, bald die Xerophthalmie und gingen ein,
Bei der Kost Nr. 3127 verhinderte die Ultraviolettbestrahlung wie
auch das natürliche Sonnenlicht die Rachitis, während die Tiere,
die bei gewöhnlichem Licht und im dunklen gehalten wurden, rachi-
tisch geworden sind. Ultraviolettlicht, bei einer Bestrahlungsdauer
von täglich 30—60 Minuten, hatte die Tiere vor der Xerophthalmie
nicht geschützt. Bei Ratten, die dem Sonnenlicht ausgesetzt waren,
entwickelte sich die Xerophthalmie erst später und in milderer Form
als bei den anderen Tieren. Die Xerophthalmie, die bei den sonnen-
bestrahlten Tieren bei der Diät 3392 auftrat, verlief viel schwerer
als bei der Diät Nr. 3127. Während also das Sonnenlicht das
imLebertranvorhandeneantirachitische Prinzipersetzen
kann, ist es nicht imstande, das ebenfalls im Lebertran
vorhandene Xerophthalmie verhütende Prinzip zu er-
setzen. Schiff.
188 Haut. Heft 2
Haut. a
Hornhardt, Fritz. Ein Beitrag zur Frage der Erythrodermia desquama-
tiva. (Aus der Universitäts-Kinderklinik ın Göttingen.) (Doktor-
dissertation 1921.)
Kasuistische Mitteilung von 3 Fallen, die sich durch das Be-
stehen von Odemen bzw. Anämie auszeichnen. Zwei Säuglinge er-
lagen der Krankheit, die in allen 3 Fällen mit Magen-Darmstörungen
einherging. Diese Fälle unterscheiden sich von den übrigen durch
den chronischen Verlauf und die bestehenden Ödeme, welch letztere
gerade auch bei Brusternährung auftreten. Sie sind zum mindesten
prognostisch wahrscheinlich auch nosologisch anders zu bewerten.
Blühdorn (Göttingen).
Haushalter, P. Langdauernde fieberhafte Urticaria. Desensibilisse-
rung. (Arch. de méd. des enfants 26, 1923, S. 165.)
Ein 8jähriges gesundes Mädchen, das ein Jahr zuvor nach
Genuß von Erdbeeren an vorübergehender Urticaria gelitten hatte,
erkrankt an hohem Fieber, das regelmäßig in den Nachmittags-
stunden einsetzt, eingeleitet durch einen Schub von Urticaria. Das
Fieber erreicht 39,5—40°. Dieser Zustand dauerte trotz Behand-
lung einen Monat unverändert an. Da das Kind wenige Tage vor
Ausbruch der Erkrankung frische Austern verzehrt hatte, wurde
der Versuch gemacht, durch Zufuhr einiger Tropfen Wassers, in
dem eine Auster verrieben war, eine Desensibilisierung herbeizufüh-
ren. In der Tat hörte nach einigen Tagen das Fieber auf. In der
väterlichen und mütterlichen Familie des Kindes waren Fälle von
Urticaria nach Genuß bestimmter Nahrungsmittel (Fischkonserven,
Spargel) vorgekommen. H. Vogt.
Gillot, V., Fulconis, M., Attias, Mlle. Mongolenfleck in Algier. (Arch.
de méd. des enfants 26, 1923, S. 170.)
Unter 1450 in der Kinderklinik in Algier untersuchten Kindern
hatten 67 einen Mongolenileck. Nie wurde er bei blonden Kindern
angetroifen. In einer Familie mit ro Kindern hatte nur eines einen
Mongolenfleck. H. Vogt.
Langmead (London). Die Beziehungen einiger seltener Erkrankungen
zueinander. Generalisierte Sklerodermata, Calcınosıs, Dermato-
myositis, Myositis fibrosa. (Arch. of pediatr. 40, 1923,
S. 112.)
Die erwähnten Konstitutionsanomalien, zu denen noch Ray-
mondsches Phänomen kommt, sind vielfach miteinander kombiniert.
Rosenbaum.
Heft 2 Haut. 189
Hescheles, J. Klinische Untersuchungen über das Verhalten der
Kinderhaus nach Flohstichen. (Pedjatrja polska 2, Nr. 4, 1922.)
Die kindliche Haut reagierte auf experimentelle Flohstiche bei
I2 Kindern von 2—12 Jahren in 8 Fällen mit einem Fleck (Reactio
ruamlosa) und in 4 Fällen mit einer Blase (Reactio urticata), was
von der Konstitution des Kindes allein abhing. Die Haut der ein-
zelnen Körperteile reagierte nicht gleichmäßig. Durch wiederholte
Stiche an derselben Hautstelle ließ sich eine Abschwächung der
Reaktion, eine gewisse Allergie erreichen, aber die Reaktionsform
blieb ungeändert. Cieszynski (Warszawa).
Hennig, R. Vuztntherapte bei Hauterkrankungen der Säuglinge und
Kinder in der Universitäts-Kinderklinik Göttingen (Prof. Göbbert).
(Doktordissertation 1920.)
Die Arbeit berichtet über die Behandlung von Furunculose,
Impetigo contagiosa, Scabies und exsudat-diathetischem Ekzem
mit Vuzin in Konzentrationen stärker als in der Chirurgie üblich,
d.h. in I—2proz. Salben oder Spiritus-Glycerinlösungen. Kranken-
geschichten von Furunculosefällen zeigen vergleichend mit Zink-
oder essigsaurer Tonerde-Salben deutliche Virulenzschwächung,
Wachstumshemmung und antileukotaktische Wirkung des Vuzins
besonders in 2 proz. Salbenform. Von der Behandlung mit Alkohol-
Gilycerin-Vuzinverbänden (Dauer bis 20 Stunden) wird abgeraten,
da akute Dermatitis durch Alkohol auftrat. Bei zweimaligem Be-
tupfen, täglich einige Minuten, jedoch gute Erfolge. Als Ursache
wird die durch Glycerin bewirkte bessere Permeabilität der Epi-
dermis mit kesserer Resorption des Vuzins angenommen. Auffallende
Juckreizlinderung, glatte Narbenbildung. Alkohol-Vuzinlösung 1%
keine Reizerscheinung, aber auch ohne Erfolg. Impetigo contagiosa:
Keine Verbreiterung der Erkrankung am Körper durch desinfizierende
Wirkung des Vuzins, deutliche Milderung des Juckreizes, schnelle
Abheilung und Herabsetzung der Kontagiosität sprechen sehr für
Vuzin in I—2 proz. Salbenform. Zwei Fälle von exsudativer Diathese:
Kein Erfolg, deutliche Hautreizung. Pemphigus: gute Erfolge wie
bei Furunculose. Scabies: wie vermutet mit Vuzin kein Mittel zur
Abtötung der Krätzemilbe. Deshalb keine Anästhesierung. —
Die vorgenommenen Versuche sprechen für die Behandlung mit
Vuzin bei Erkrankungen der Haut der Kinder hervorgerufen durch
Staphylo- bzw. Streptokokken. Beste Applikation in I—2proz.
Salbenverbänden. Schwab (Göttingen).
Keilmann, Klaus. Circumscripte, symmetrische Feitsklerose im Säug-
lingsalter. Städt. Kinderheim Frankfurt a. M. (Zeitschr. f. Kinder-
heilk. 83, S. 298.)
Bei einem typischen Fall von Säuglingssclerodermie bei einem
11 Tage alten Säugling ergab die Probeexcision aus dem Oberschenkel
190 Haut. ` Heft 2
in der Hauptsache nur eine Veränderung im subcutanen Fett.
gewebe. Die äußeren Hautschichten waren völlig intakt, an der
Peripherie der Fettläppchen fanden sich ödematöse Quellung der
zwischen den Fettläppchen gelegenen Septen mit Fibroblasten,
Fremdkörperriesenzellen und zahlreichen nadelförmigen Gebilden,
die als Fettsäurenadeln gedeutet werden. Kaum einige gelappt-
kernige Leukocyten. Verf. nimmt an, daß das Primäre der Erkran-
kung vielleicht in irgendeiner chemischen Zersetzung des Fettes
innerhalb der Fettzellen zu suchen ist. Dadurch soll ein Reiz auf
die Umgebung ausgeiibt werden, der eine Wucherung von jugend-
lichen Fettzellen, von Fibroblasten und die Entstehung von Riesen-
zellen auslöst, Es besteht ein prinzipieller Unterschied hinsichtlich
des klinischen Verlaufs und anatomischen Befundes zwischen der
Sclerodermie der Säuglinge und der der Erwachsenen. Ätiologie
unbekannt. | Beck (Tiibingen).
Rautenberg, E. Peliosis rheumatica. (Dtsch. med. Wochenschr. 49,
Nr. 4, S. 112. 1923.)
23 Fälle von Peliosis rheumatica bei Erwachsenen konnten
durch endolumbale Einspritzung von 4 ccm 0,5proz. Novocain-
NaCI-Lösung sofort geheilt werden. Das klinische Bild (symmetrni-
sches Auftreten an den unteren Extremitäten) sowie die therapeu-
tischen Erfolge sprechen dafür, daß der Sitz der Erkrankung zentral
(spinal) zu suchen ist. Bei mikroskopischer Untersuchung von Haut-
stücken mit Peliosisflecken ergab sich, daß es sich hauptsächlich
um Capillarerweiterungen mit Exsudation seröser leukocytenhaltiger
Flüssigkeit handelt und daß eigentliche Blutungen nur in geringem
Umfange vorhanden sind. Ernst Faerber (Berlin).
Comby, Jules. Das Erythema nodosum im Kindesalter. (Arch. de
med. des enfants 26, 329.)
Gestützt auf die Beobachtung von 172 Fällen bespricht Comby
das Erythema nodosum, das nach seiner Auffassung als selbständige
Krankheit aufgefaßt werden muß. Die Beziehungen zur Tuberkulose
sind so zu verstehen, daß diese wie andere Infektionskrankheiten
(Masern, Grippe, Typhus) das Auftreten des Erythema nodosum
begünstigen kann. Andererseits kommt es vor, daß eine bis dahin
ruhende Tuberkulose durch ein Erythema nodosum zu neuer Aus-
breitung angefacht wird. Die Häufigkeit des Erythema nodosum
ist abhängig von der Jahreszeit. Während auf die Sommermonate
nur ıg Fälle entfielen, kamen 57 im Frühjahr und 45 im Herbst
zur Beobachtung. Mädchen werden stärker betroffen als Knaben
(113 gegen 59 Fälle). Die ersten 2 Lebensjahre waren nur mit 5 Fällen,
das 3. bis 5. Jahr mit 48, das 6. bis 10. mit 75 und das 11. bis 15. mit
42 Fällen beteiligt. Ganz überwiegend waren (104 Fälle) an der
Helt 2 Mund, Nase, Ohr, Kehlkopf. IQI
Erkrankung die Beine ausschließlich beteiligt, nicht selten (67 mal)
Arme und Beine und nur einmal ausschließlich die Arme. Der Aus-
gang .der Erkrankung ist fast immer günstig, wenn sich auch die
Erholung länger hinziehen kann. = H. Vogt.
Mund, Nase, Ohr, Kehlkopf.
Tanturri, O. Seltener, aus der Nasen-Rachenhöhle eines zweijährigen
Kindes entfernier Tumor. (La Pediatria 30, April 1922, Nr. 7,
S. 302.) Ä
Das Kind litt seit der Geburt an schweren Schling- und Atem-
beschwerden; mit dem Finger ließ sich eine harte, glatte, gut ab-
grenzbare, am Keilbeinkörper haftende Masse von Nußgröße pal-
pieren, die das Cavum ausfiillte. Nach der vom Autor beschriebenen
Methode wurde der Tumor mit einer gliihenden, mittels eines Kathe-
ters durch die Nase eingeführten Schlinge entfernt; es handelte sich
um ein Fibrom mit beginnender sarkomatöser Entartung.
Tezner (Wien).
Przedborski, J. Einige Worte über Koryza bei Sauglingen. (Pedjatrja
polska 2, Nr. 3, 1922.)
Als Beispiel dafür, daß der gewöhnliche Nasenkatarrh als Hinder-
nis für den Saugakt die Ursache einer schweren Entwicklungshem-
mung werden kann, führt Verf. einen poliklinischen Fall beim 23 tägi-
gen Säugling an, bei dem der vollständig atrophische Zustand durch
Beseitigung des Saughindernisses in der Nase mittels Protargol
und Adrenalin während Io Tage zum normalen übergeführt werden
konnte (470 g Gewichtsansatz). Cieszynski (Warszawa).
Gerstenberger, H. J., und Dodge, C. T. J. Die Verwendung strahlender
Warme — des Lichtes — zur Behandlung der Mittelohreniziindung.
(Americ. journ. of dis. of childr. 24, 1922, S. 320.)
Die Behandlung, bestehend in täglicher Bestrahlung des Ohres
in einem Abstand von Io cm und einstündiger Dauer, nach voraus-
gegangener Reinigung des Gehörganges, hatte den Erfolg, daß es
bei Fällen, die schon mindestens 4 Wochen lang vorher ohne Erfolg
behandelt worden waren, zu sofortiger Beseitigung der Beschwerden
und nach durchschnittlich 8, 7 Bestrahlungen zum Versiegen der
Absonderung und Heilung des Trommelfells kam. H. Vogt.
Hohlfeld. Erfahrungen mit der Intubation. Die Schluckstérung. (Jahrb.
f. Kinderheilk. 97, 1922, S. 320.)
Intubierte Kinder verschlucken sich leicht oder wollen nicht
schlucken. Der Tubuskopf hindert beim Schlucken den VerschluB des
192 Mund, Nase, Ohr, Kehlkopf. Heft 2
Kehlkopfeinganges. Er läßt den Kehldeckel nicht an die Stimmbänder
heran, und diese selbst werden durch den Hals des Tubus ausein-
andergedrängt, die Stimmritze kann nicht geschlossen werden. Die
Störung wird bei flüssiger Nahrung stärker als bei breiiger, denn diese
überbrückt gewissermaßen die undichten Stellen des Kehlkopfein-
ganges. A. Peiper.
Seifert. Erfahrungen mit der Tracheotomia inferior bes kindlicher
Larynxdiphtherie. (Zentralbl. f. Chir. 49, Nr. 17, April 1922,
S. 585.)
Verfasser empfiehlt auf Grund von 139 operierten Fällen die
Tracheotomia inferior als Methode der Wahl bei der Larynxdiphtherie
der Kinder. Die Tr. superior ist durchaus nicht technisch wesentlich
einfacher als die inferior, wie gewöhnlich behauptet wird. Nachteile
der Tr. sup. sind: Erschwertes Decanulement, Verbiegungsstenosen,
Stimmstörungen. Die Vorteile der Tr. inf. dagegen: Leichtes Decanu-
lement, Schonung des Ringknorpels und des Stimmapparates. Der
Hauptvorwurf, der der Tr. inf. gemacht wird, ist die Gefahr der —
meist tödlichen — Nachblutung. Unter den 139 Fällen des Verf.
war nur I Fall von Nachblutung (= 0,71%). — Gestorben sind im
ganzen 33 (= 23,7%). Todesursache hauptsächlich Bronchitis und
Bronchopneumonie; außerdem Sepsis, Miliartuberkulose, Schrumpf-
niere, Herzstörungen-und Marasmus. — Das Decanulement erfolgte
frühzeitig, im allgemeinen zwischen 2. und 5. Tag.
K. Wohlgemuth (Berlin).
Viggo, Schmidt. Adenoide Vegetationen und exsudative Diathese.
(Hospitalstidende 1923, S. 318.)
193 Kinder mit adenoiden Vegetationen wurden in der oto-
Jaryngologischen Klinik untersucht. Von diesen waren nur Ig unter
5 Jahre alt. Nur 5 mn sichere Zeichen der exsudativen Diathese
dar. Hertz (Kopenhagen).
Wiliams, F. H. Die Curtotherapie bei Hypertrophie der Gaumen-
mandeln. (Paris méd. 5, Februar 1923, S. 110.)
Verf. behandelte ror Fälle von Gaumenmandelhypertrophie
mit Radium mit dem Erfolge, daß die Mandeln im Volumen redu-
ziert wurden, Rezidive von Entzündungen verhindert wurden und
etwa bestehender Rheumatismus günstig beeinflußt wurde, während
alte Kardiopathien nicht gebessert werden konnten. Irgendeine Ge-
fahr besteht nicht, geringe Reaktionen waren schnell vorübergehend.
Jede Mandel wurde 10— 20 Minuten lang mit 50 mg Radiumbromure
bestrahlt je nach dem benutzten Filter, das 0,29, 0,58 oder 0,87 mm
dick war. Die Anwendung ist einfach für den Patienten, es genügt,
den Mund offen zu halten, während der Arzt den Applikator gegen
Heft 2 Mund, Nase, Ohr, Kehlkopf. 193
die Tonsille halt. Der Apparat ist von Zeit zu Zeit zu entfernen,
damit der Patient den Speichel entleeren kann. Eine Cocaineinpinse-
lung bei empfindlichen Patienten erübrigt sich in den meisten Fällen,
Häufig genügt eine Sitzung, um die Hypertrophie zu beseitigen. Der
Erfolg zeigt sich nach 2—3 Tagen; bei anderen Fallen sind 2—3 Sitzun-
gen im Intervall von 2—3 Wochen nötig. Besonders empfehlenwsert
ist die Methode für Erwachsene, bei denen eine chirurgische Behand-
lung aus manchen Gründen nicht ratsam ist. Haber.
Morgan, Edward A. Geschwürsge Mundhohlenentziindung und ihre
_ Behandlung mit intravenösen Arseneinspritzungen. (Americ. journ.
of dis. of childr. 25, 354.)
Die auf Infektion mit dem Plaut-Vincentschen Erreger
beruhenden geschwürigen Erkrankungen der Mundhöhle finden sich
nur bei Kindern, die bereits Zähne haben. Der Erreger ist an gesun-
den Zähnen bei 25 Untersuchungen 4 mal, an kranken Zähnen dagegen
bei 90% der Fälle nachgewiesen worden. Die Erkrankung beginnt
meist plötzlich, sie geht mit schweren Allgemeinerscheinungen,
Fieber, mangelnder EBlust, Kopfschmerzen einher und führt zu
Schwellung der Schleimhaut, die leicht blutet, und zu Nekrosen,
besonders am Zahnrand. Durch intravenöse Behandlung mit Neo-
arsphenamin wurde durchschnittlich in 5—6 Tagen Heilung erzielt.
Von dieser Form der geschwürigen Mundentzündung ist eine andere
abzutrennen, bei der es sich um oberflächlichere Geschwüre handelt,
die an der Schleimhaut der Zunge und der Wangen auftreten, mit
einem grauen Exsudat bedeckt sind und im Gegensatz zu den bei
Angina Vincenti vorkommenden mit polymorphkerniger Leuko-
cytose einhergehen. Sie werden durch Kali chloricum gut beeinflußt.
: H. Vogt.
Hohlfeld, M. Erfahrungen mit der Intubation. V. Die falschen Wege.
(Aus der Universitäts- Kinderklinik in Leipzig. Jahrb; f. Kinder-
heilk. 101, 1923, 349.)
Galatti hob hervor, daB nur ,,unmaBig forziertes, ungeschicktes
Vorgehen“ zu einem falschen Weg führen kann. Verf. verzeichnet
unter 428 Intubationen 4 Todesfälle, alle in der zweiten Hälfte der
Beobachtungen, trotz Kenntnis und Beherrschen der Technik. Sek-
tion ergab stets den falschen Weg im Sinus Morgagni. Asphyxie
kann klinisch fehlen, wie ein Fall zeigt. Widerstand bei der Ein-
führung des Tubus erklärt sich wahrscheinlich durch Stimmbänder-
krampf. In solchen Fällen seitliches Abweichen bei Anwenden von
Druck, den leichter der Geübtere wagt. Jede Gewalt ist unerlaubt,
ım Fall eines Widerstandes ist Narkose bei der Intubation oder recht-
zeitige Tracheotomie zu wählen. W. Gottstein.
Monatsschrift fir Kinderheilkunde. XXVII. Band. 13
194 Chirurgie. Heft 2
Chirurgie.
Hagenbuch, M. Beitrag zur Osteochondritis deformans caxae iuvenilis
(Perthes). (Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. 169, H. 3/4, 1922,
S. 289.)
Beschreibung eines Falles von doppelseitiger Perthesscher
. Krankheit der Hüfte bei einem ı2jährigen Mädchen. Die Erkrankung
trat zunächst an der linken, nach einem Jahre an der rechten Hüfte
auf. Während links unter Abduktionsgipsverbänden vollkommene
klinische Heilung eintrat, blieb rechts.eine Ankylose des Hüftge-
lenkes zurück. Der ganze Verlauf sowie der klinische Befund (Fieber!)
der Erkrankung wies im vorliegenden Falle mit großer Wahrschein-
lichkeit auf einen entzündlichen Prozeß hin, ein ätiologisch be-
deutsames Moment. L. Frosch (Berlin).
M. Bergamini. Osteosarkom des Wadenbeins. (Clinic. Pediatr. Jahrg.
IV, H. ı.)
Mitteilung einer Krankengeschichte, an der zwei Tatsachen be-
achtenswert sind: I. die Entwicklung eines Osteosarkoms, das inner-
halb von 9 Monaten zum Tode führt; ein 3 Monate vorher erlittenes
Trauma ist in nicht ganz sicheren Zusammenhang damit zu bringen.
2. war die Mutter der rojahrigen Pat. an einem malignen Tumor
(Uterus-Ca) gestorben. Diesen beiden Dingen kommt ein gewisser
ätiologischer Wert zu. Die Mehrzahl der Autoren gibt grade beim
Sarkom, mehr als bei anderen Neubildungen, die Möglichkeit einer
traumatischen Entstehung zu, besonders dann, wenn nicht weniger
als 3 Wochen nach erlittenem Trauma und nicht mehr als 2 Jahre
nach demselben die Neubildung in die Erscheinung tritt. Die para-
sitäre Theorie kann sich der traumatischen sehr wohl zugesellen, in-
sofern als ein Trauma zur Entwicklung der Keime sehr viel beitragen
kann. Wegen der Verschiedenheit der histologischen Struktur er-
scheint im vorliegenden Falle die mütterliche Neubildung ein Element
von zu ungewissem Wert, um es als Argument zugunsten der direkten
Heredität verwerten zu können; höchstens könnte man von einer
generellen hereditären Prädisposition sprechen. Als praktische Folge-
rung des mitgeteilten Falles gilt der Hinweis auf die Wichtigkeit der
rechtzeitigen Diagnosenstellung. Sie allein ermöglicht die ausgiebige
Entfernung der Neubildung, bevor es zum Auftreten von Metastasen
kommt. Held (Berlin).
Davis, Clara. Zwerchfellbruch bei einem Neugeborenen. Americ. joum.
of dis. of childr. 24, 1922, S. 356.)
Bericht über einen Fall von linksseitigem Zwerchfellbruch, bei
dem die Diagnose am 8. Lebenstage mit Hilfe der physikalischen
Heft 2 Orthopädie. 195
Untersuchung gestellt und durch Röntgenuntersuchung gesichert
werden konnte. Tod mit 5 Monaten; keine Leichenöffnung.
| H. Vogt.
Orthopädie.
Bradford, E. H. Das Redressement des angeborenen Klumpfußes.
(New York med. journ. 7. Februar 1923, S. 159.)
Beschreibung eines Instrumentes zum Redressement des an-
geborenen Klumpfußes. In einigen Fällen besteht die Notwendig-
keit, den am Malleolus int. ansetzenden, sehr straffen Bandapparat
Zu durchtrennen; dies kann subkutan mit Hilfe eines schmalen
OÖsteotoms geschehen, welches, um Gefäßverletzungen zu vermeiden,
unmittelbar am Periost des inneren Knöchels entlang geführt werden
muß. Bei vollkommener Beherrschung der Technik können auch
die schwersten Formen des angeborenen Klumpfußes tadellos re-
dressiert werden. Wolff (Hamburg).
Erlaeher, Th. Deformierende Prozesse der ,Epiphysengegend bei Kin-
dern (Arch. f. orthopäd. u. Unfall-Chirurg. 20, H. ı, Jan. 1922,
S. 81.)
Verf. beschreibt g Fälle, bei denen sich deformierende Prozesse
nicht im Gelenk, sondern im ‚„epiphysären‘ Teil der Diaphyse ent-
wickelten. Besonders häufig ist der Schenkelhals betroffen; immer-
hin sind auch geringfügige, aber deutliche Veränderungen am Kopf
und an der Pfanne zu finden. Klinisch besteht zwischen den beiden,
sonst gesondert auftretenden Erkrankungsformen (Coxa vara statica
einerseits, Osteochondritis deformans juvenilis andererseits) stets
eine gewisse Ähnlichkeit in Symptomen und Verlauf. Was Verf. zu
entdecken glaubte, war also weder das eine, noch das andere, sondern
„eine formverändernde Störung des wachsenden Röhrenknochens
mit ausgesprochenem Erweichungsherd nahe der Wachstumsfuge‘“.,
Zu diesem neuen Krankheitsbild würde sowohl die Osteochondritis
des Kopfes (Coxa vara capitalis) gehören, als auch die Coxa vara
epiphysaria, sowie die Coxa vara cervicalis; dazu noch ähnliche Er-
krankungen der Tibia, des Humerus und der Metacarpalia, die er
genau beschreibt. Die Frage nach der Identität der deformierenden
Gelenks-Knochenprozesse wird nach meiner Ansicht auch durch diese
Arbeit nicht beantwortet. Es fehlt all diesen Untersuchungen nicht
an spekulativem Schwung, wohl aber am nötigen Material. Denn
weder aus Röntgenbildern, noch aus klinischen Beobachtungen lassen
sich Schlüsse auf so feine histologische Gewebsumwandlungen ziehen.
Das Mikroskop ist sicher bestimmt, auch hier eine wichtige Rolle zu
spielen, da es die nötigen Grundlagen zu liefern vermag, auf denen erst
die verbindende Gedankenarbeit ihren Bau errichten kann. Da es
13*
196 Orthopädie. Heft 2
sich um lokalen Kalkmangel umschriebener, in starkem Wachstum
begriffener Zonen handelt, entstehen statisch bedingte Deformi-
täten, die sich zu Anfang unblutig korrigieren lassen. Die Heilung
erfolgt stets; der bleibende Funktionsausfall entspricht den in-
zwischen eingetretenen anatomischen Veränderungen.
Debrunner (Berlin).
Hernausek. Beitrag zur Behandlung der Skoliose durch Gipskorselte
(Rev. d’orthopedie 29, Heft 2, März 1922, S. 127.)
Hernausek beschreibt ein neues Verfahren zur Behandlung der
Dorsalskoliose, das durch Originalität und Einfachheit imponiert.
Er unterwirft das Abbotsche Verfahren einer Kritik und trifft, wie
mir scheint, einige wesentliche Fehler, die dem Verfahren anhaften.
Abbot bringt durch Kyphosierung die Wirbelsäule in eine Stellung,
in der sie möglichst leicht umzukrümmen ist; Hanausek findet mit
Recht dies Vorgehen unlogisch, da durch die Begünstigung der
Redression ein Teil der aufgewandten Kraft und des durchlaufenen
Weges brach liegen muß. Er selbst redressiert durch Gurtenzug im
Stehen, ohne daß eine Extension dabei angewandt wird. Er redressiert
also in natürlicher Haltung. Das Korsett umfaßt Becken und Rumpf
bis unter die Arme und muß sehr exakt sitzen. Es wird nach dem
Hartwerden in der Mitte entzweigesägt, so daß ein oberer und ein
unterer Ring entstehen, die auf der konkaven Seite gelenkig mit-
einander verbunden werden. Mit Hilfe langer hölzerner Hebel, die
an den beiden Gipsringen befestigt werden, vermag er nun täglich
die Rotation um ein weniges aufzurollen; die gewonnene Detorsion
wird durch Verschraubung im Gelenk festgehalten. Auf diese Weise
läßt sich die Skoliose nach und nach in Wochen und Monaten strecken.
Einige Abbildungen zeigen die glänzende Wirkung in einem Falle.
Über Dauerresultate verfügt der Verfasser noch nicht.
H. Debrunner (Berlin).
Frey, E. R. Die Entstehung der habituellen Dorsalskoliose und die
Grundlagen ihrer chirurgische Behandlung. (Deutsche Zeitschr. f.
Chirurg. 169, H. ı/2, Febr. 1922, S. 13.)
Eingehende Besprechung zunächst der Entstehung und des We-
sens der Dorsalskoliose, d.h. derjenigen Form der Wirbelsäulenver-
biegung, die anscheinend ohne merkbare äußere Veranlassung in der
späteren Kindheit und Pubertät auftritt. Als wesentlich wird ange-
geben: unter der Voraussetzung konstitutioneller Minderwertigkeit
der in Betracht kommenden Gewebe tritt eine Seitenneigung des
Rumpfes ein, die zur vermehrten thorakalen Seitenspannung, Aus-
biegung der hinteren Rippenpartien, Konvexrotation der Wirbel und
exzentrischen Belastung der letzteren führt. Hierauf Besprechung
Heft 2 -Orthopadie. — MiBbildungen. 197
der unblutigen und schließlich der blutigen Behandlung der Dorsal-
skoliose (Rippenraffung, beiderseitige Rippenresektion), Verfahren,
die unter der Voraussetzung der eingangs genannten Überlegungen
weitere Ausblicke hinsichtlich der Skoliosentherapie eröffnen.
L. Frosch (Berlin).
Kadza, F. Brüche des Brustbeines als Sturz- und Stützverletzungen
beim Turnen. (Arch. f. orthopäd. und Unfall-Chirurg. 20, H. 1,
Jan. 22, S. 106.)
Die Brustbeinfraktur ist sehr selten, meist direkt oder als Riß-
bruch entstanden. Der Rißbruch kann entstehen bei übermäßiger
Lordosierung der Wirbelsäule. Die Rißstelle sitzt meist zwischen
Manubrium und Corpus. Die Voraussetzungen sind gegeben bei so-
genannten „Stützübungen‘‘, bei denen der Turner den stark lordo-
sierten Rumpf aus dem Hang in Stütz zu ziehen hat. Als Therapie
kommt Bettruhe in Rückenlage unter Lordosierung der Wirbelsäule
zur Korrektur der Dislokation in Betracht. Debrunner (Berlin).
Nové- Josserand, G. Palliativbehandlung der KONEENIEALEN Hüft-
luxation. (Lyon méd. Nr. 6.)
Es handelt sich hier um solche Kranke, die zu nutzbringender
Zeit nicht behandelt werden konnten und nun in den Entwicklungs-
jahren oder sogar im erwachsenen Alter ihr Leiden durch Schmerzen
oder fehlerhafte Stellung des luxierten Gliedes verschlimmert sehen.
Gewöhnlich beeinflussen sich diese beiden Dinge gegenseitig. Von
allen unblutigen Behandlungsarten haben sich nachstehende vier
am besten eingeführt: die Ablatio des Femurkopfes, die unblutige
Transposition, die Osteotomia subtrochanterica und schließlich
die Suche nach einer neuen Beckenstütze. Den Vorzug der Einfach-
heit verdient die unblutige Transposition, deren Resultate konstant
befriedigend sind. Sie ist aber nicht immer durchführbar; in einem
Drittel der Fälle mißglückt sie, weil es nicht gelingt, den Kopf ge-
nügend zu mobilisieren. Dann tritt die blutige Behandlungsweise
in ihr Recht. Held (Berlin).
Mißbildungen.
Latta, J. St. Angeborenes Fehlen des Zwerchfells. (Americ. journ.
of dis. of childr. 24, 1922, S. 297.)
Bericht über einen Säugling, der gleich nach der Geburt ver-
storben war und bei dem die linke Zwerchfellhälfte fast vollkommen
fehlte. Beschreibung der Lage der Brust- und Baucheingeweide und
Besprechung des Falles in Zusammenhang mit 127 aus der Literatur
gesammelten einschlägigen Beobachtungen. Als einziger Rest der
198 Mißbildungen. — Vergiftungen. Heft 2
linken Lunge fand sich bei dem Kinde ein schmaler Gewebsstreifen
im mittleren oberen Abschnitt der linken Pleurahöhle, daneben aber
dicht oberhalb vom freien Rande des Zwerchfells eine kleine iiber-
zählige Lunge in Gestalt einer dreieckigen Gewebsmasse. H. Vogt.
Garrido-Lestache, J. Totales angeborenes Fehlen der Femora. (La
Pediatr. Esp. 11, Nr. 113, Februar 1922, S. 33.)
Verf. berichtet über ein Kind von 12 Tagen, Gewicht 2200 g,
39 cm lang; von dem hervorragendsten Punkte der Hüfte bis zur
FuBsohle miBt es 11cm; die Entfernung zwischen den beiden ent-
ferntesten Punkten der Hüfteri mißt 10 cm; von der Regio perinealis
bis zum Boden 6 cm. Das Röntgenbild ergibt vollständiges Fehlen
beider Femora. Die Ursache ist in der Lues congenita zu sehen; Verf.
nimmt an, daß es sich hier um eine direkte Keimschädigung handelt,
daß in dem Spermatozoon oder im Ei die zur Bildung der Femora
nötigen Anlagen fehlen. Lurje.
Vergiftungen.
Holt, Eınmet L. Bleivergiftung beim Säugling. (Americ. journ. of
dis. of childr. 25, 1923, S. 229.)
Bei einem 8 Monate alten an der Brust ernährten Mädchen ent-
wickelte sich zunehmende Blässe, dann traten Krämpfe auf, die
zunächst wegen der begleitenden Rachitis und festgestellter Über-
erregbarkeit als spasmophil gedeutet wurden. Doch fanden sich bei
dem Kind weite, träg reagierende Pupillen, Schwäche des rechten
N. facialis, erhöhter Druck und leichter Eiweißgehalt der Spinal-
flüssigkeit und im Blut zahlreiche rote Blutkörperchen mit baso-
philer Körnelung. Die daraufhin angestellten Nachforschungen
ergaben, daß die Brust der Mutter seit 8 Wochen wegen eines Ekzems
mit Bleisalbe behandelt worden war. H. Vogt.
Auban, Pierre. Anaemia pseudoleucaemica und erbliche Bleivergif-
tung. (Arch. de méd. des enfants 26, 297.)
_ Ein Kind im Alter von 18 Monaten, das als Achtmonatskind
zur Welt gekommen war, wies das Krankheitsbild der Anaemia
pseudoleucaemica auf und erlag im Alter von 26 Monaten einer
Bronchopneumonie, ohne daB es gelungen war, den Zustand nennens-
wert zu bessern. Die Mutter des betreffenden Kindes hatte vor seiner
Geburt bereits 5 Aborte durchgemacht, die nach dem Geständnis
des Ehemanns durch Einnehmen von Bleiacetat herbeigeführt worden
waren. Beim letzten Kind hatte dies Verfahren versagt, obwohl es
25 Tage durchgeführt war und zu Koliken, Delirien und Krämpfen der
Mutter geführt hatte. Da der Übergang von Blei aus dem mütter-
lichen in den kindlichen Körper sowohl beim Menschen wie im Tier-
Heft 2 Vergiftungen. — Hygiene. 199
wersuch schon friiher erwiesen worden ist, halt sich der Verf. fiir
berechtigt, die Anaemia pseudoleucaemica des Kindes als Folge
einer Bleivergiftung anzusehen. H. Vogt.
Holt, L. E. Lead potsoning in infancy. Blesvergiftung beim Kinde.)
(Amer. journ. of dis. of childr. Vol. 25, No. 3. 1923.)
Bei einem 8 Wochen alten Brustkinde, das wegen Krämpfen
in die Klinik gebracht wurde, bestanden Übererregbarkeitserschei-
nungen, und die Diagnose wurde auf Spasmophilie gestellt. Trotz
der Therapie konnten aber die Krämpfe nicht beseitigt werden.
Erst die Blutuntersuchung ermöglichte die richtige Diagnose. Diese
ergab die reichliche Anwesenheit von basophilen Zellen. Es wurde
an eine Bleivergiftung gedacht. Diese Vermutung hat sich auch
bestätigt, und als die Quelle der Vergiftung wurde eine Bleisalbe
ausfindig gemacht, mit der die Mutter ihr Ekzem an der Brust be-
handelt hat. Das Kind erholte sich nur langsam. Therapeutisch
kam CaBr, gegen die nervöse Übererregbarkeit zur Anwendung.
Die Basophilie bestand nur in der ersten Woche der Erkrankung.
Schiff,
Hygiene.
Friedberger, E. Zur Frage der Milchhygiene, insbesondere über die
Verhütung der Milichfälschung durch zweckmaBige Berechnung des
Milchpreises. (Klin. Wochenschr. 2. Jg. 1923, S. 215.)
Die Berechnung des Milchpreises lediglich nach dem Volumen
gibt dem Produzenten den Anreiz zur Verwässerung der Milch;
die gesetzliche Festsetzung eines Mindestfettgehaltes führt dazu,
daß der Produzent keine Milch von höherem Fettgehalt auf den
Markt bringt und die fetteren Portionen zum Buttern zurückbehält.
So wird aus dem Mindestfettgehalt von 2,7% eine Norm gemacht,
was durchaus den gesetzlichen Absichten widerspricht. Verf. will
den Milchpreis lediglich nach dem Fettgehalt berechnet wissen
auf Grund folgender Formel: Milchpreis = (m + f n) J, wobei
m den Preis für Magermilch, / den Fettpreis, n die Prozentzahl des
Fettes und J den jeweiligen Teuerungsindex bedeutet. Diese Art
der Berechnung würde jeden Anreiz zum Pantschen der Milch neh-
men, da der betreffende Händler wohl eine größere Anzahl Liter,
aber nicht mehr Geld erhalten würde. Nach Feststellung des Fett-
gehaltes müßte die Milch in plombierte Behälter gefüllt werden, die
ein Abfüllen ermöglichen, aber jede nachtragliche Wassernachfiillung
verhindern. Wolff (Hamburg).
200 Schule. Heft 2
Schule.
Gross, M. Der Schlaf der Schulkinder. (Lancet Nr. 5148, 29. April
1922, S. 836.) |
Verf. betont, daß die Schulkinder im Winter nicht genug schla-
fen. Die Kinder fühlen sich während’ des Tages schläfrig. Im Sommer
ist es noch schlimmer, woran die Sommerzeit auch zum Teil schuld
hat. Für Kinder sollte keine Sommerzeit bestehen. Man sollte den
Eltern lehren, wie nützlich viel Schlaf für die Kinder ist.
Koopman (Haag).
Sanford, C. H. Gründe der Schulversäumnis in einer Knabenschule.
- (Americ. journ. of dis. of childr. 25, 1923, S. 297.)
Die Beobachtungen des Verfassers, die einen Zeitraum von
3 Jahren umfassen, beziehen sich auf die Insassen eines Knaben-
schiilerheims. Den Löwenanteil an den Erkrankungen bestritten
die Krankheiten der Luftwege. Die Schulversäumnisse sind dem-
entsprechend am größten in den Monaten Januar bis März. In
zwei aufeinander folgenden Jahren waren je ıg Krankheitsfälle mit
65 Tagen Schulversäumnis auf Überessen zurückzuführen.
H. Vogt.
Strauch (Halle). Die Beurteilung geistiger Erschöpfung im Schul-
alter. Ein Beitrag zur Phosphorsäurebehandlung. (Med. Klinik 19,
1923, S. 209.)
Empfehlung von 2—3 mal täglich ı Tablette Recresal bei Fällen
leichter Ermüdbarkeit von Schulkindern in Anlehnung an die Arbei-
ten Embdens und die günstigen Erfahrungen v. Noordens und
v. Mettenheims bei verwandten Zuständen. Rosenbaum.
Lazar, E. und Tremel, F. Die klinisch-bädagogische Auswertung der
Ergebnisse von Prüfungen bei Hilfsschulkindern. (Wien, Universit.-
Kinderklinik, heilpädagogische Abteilung.) (Zeitschr. f. Kinder-
heilk. 32, S. 54—104.
Wie sich die neurologische Diagnose aus einzelnen zueinander in
Beziehung gebrachten Untersuchungsergebnissen aufbaut, so können
die einzelnen Funktionen, aus denen sich die Intelligenz zusammen-
setzt, geprüft werden, und aus den Ergebnissen dieser Prüfung läßt
sich ein Einblick in das Wesen der zu untersuchenden Intelligenz er-
möglichen. Es zeigt sich dabei, daß häufig isolierte Defekte vor-
kommen, die sich bei geeigneter Analyse gut unterscheiden lassen.
Zu diesem Zweck wird ein umfangreiches Schema von Tests allge-
meiner und spezieller Natur aufgestellt, durch welches es gelingt, die
Leistungen so zu analysieren, daß die Fälle in gewisse Gruppen und
Untergruppen eingeteilt werden können, wenn auch ausdrücklich
Heft 2 Hygiene. — Vakzination. 201
betont wird, daB es sich nur um Ahnlichkeiten handelt, und eine
völlige Übereinstimmung zwischen 2 Fällen nie gefunden wird. Es
werden Defekte der impressionalen Sphäre, und zwar rein auditive
und rein visuelle, getrennt von Defekten der intentionalen Sphäre,
der psychischen Aktivität. In jeder Gruppe lassen sich Untergruppen
abgrenzen. Es wird darauf hingewiesen, daß es aussichtslos erscheint,
den Schwachsinn durch einen gewissen Funktionskomplex zu er-
klären. Das einzige, was mit Hilfe des psychologischen Experimentes
möglich erscheint, ist die gruppenmäßige Bestimmung des Einzel-
falls. Die Untersuchungen, die sich auf die in den Hilfsschulen eines
Gtroßstadtbezirkes vorkommenden gewöhnlicheren Formen beschrän-
ken, sollen später auch auf gewisse typische Krankheitsbilder aus-
gedehnt werden. | Schall (Tübingen).
Vakzination.
White, Benjamin. Pocken und Impfung. (Boston med. a. surg.
journ. 188, Nr. 15.)
Das unvoreingenommene Studium von Pocken- und Impf-
geschichte aller Länder führt unweigerlic* zu dem Schluß, der die Zeit-
probe bestanden hat und überall von desyenigen anerkannt worden
ist, denen die öffentliche Gesundheitspflege anvertraut ist. Zugunsten
der Impfung sprechen folgende Tatsachen: ı. In richtiger Weise
ausgeführt, schützt sie den Organismus vor der Pockenerkrankung
genau wie das Überstehen der Krankheit selbst. 2. Sie schützt das
Individuum gegen Pocken während eines Zeitraums, der zwar nicht
mathematisch genau fixiert ist, der aber im Durchschnitt 7 Jahre
umfaßt. 3. Der Schutz kann durch eine Wiederimpfung erneuert
werden. 4. Personen, die zweimal erfolgreich geimpft worden sind,
besitzen gewöhnlich eine lebenslängliche Immunität gegen Pocken.
5. Der durch Impfung und Wiederimpfung erzeugte Schutz erstreckt
sich über die gesamte Bevölkerung, und zwar ist er hier von größerer
Dauer als beim Einzelwesen. 6. Ein Individuum, das einmal geimpft
ist und später an Pocken erkrankt, übersteht die Krankheit leichter
als ein nichtgeimpftes Individuum. 7. Der Impfschutz ist am
ausgesprochensten bei denen, bei denen sich die Impfung in typischer
Weise vollzogen hat. Die Impfgegner, welche Statistiken absichtlich
entstellen, unverantwortliche und unbegründete Anklagen gegen
Lymphhersteller, Impfüng und Gesundheitsbehörden erheben, bilden
eine öffentliche Gefahr; denn sie treiben eine Propaganda, die sich
gegen das Grundprinzip der modernen Medizin, die Prophylaxe,
richtet. Held (Berlin).
Buchbesprechungen.
Czerny, A. und Keller, A. Des Kindes Ernährung, Ernährungs-
` störungen und Ernährungstheradie. 1. Band, x. Teil. Verlag F.
Deuticke-Leipzig und Wien. 2. vollkommen umgearbeitete Auf-
lage. ` | |
Die zweite Auflage des rühmlich bekannten Werkes von Czerny-
Keller ist im Erscheinen begriffen. Vorläufig liegt nur die erste
Hälfte des ersten Bandes vor. Der Stoff wurde vielfach umgeordnet,
manches von der alten Literatur ist weggelassen und sozusagen
alles aus der neuen Literatur bis in die allerletzte Zeit kritisch auf-
genommen. Das Werk behandelt in ı2 Kapiteln I. den ersten
Lebenstag, 2. Die Wahl der Nahrung nach dem ersten Lebenstag,
3. Die Ernährung durch eine Amme, 4. Die künstliche Ernährung,
5. Die Nahrung im ersten Lebensjahr, 6. Die Vorgänge im Stoff-
wechsel während der ersten Lebenstage, 8. Die Nahrungsmenge im
ersten Lebensjahr, 9. Das Verhalten des Körpergewichtes im ersten
Lebensjahr, 10. Die chemische Zusammensetzung des Körpers,
tr. Den Bau und Funktionen des Magen-Darmtraktus und seiner
Adnexe, 12. Den Stoffwechsel im ersten Lebensjahr.
Die Anforderungen, die ein Handbuch zu erfiillen hat, sind m.
E. dreierlei Art. ı. Das Buch soll umfassend sein, d. h. möglichst
die ganze einschlägige Literatur berücksichtigen, 2. es soll originell
in der Bearbeitung und in der Stellungnahme zu wissenschaftlichen
Fragen sein, und schließlich 3. soll es in einem angenehm lesbaren
Stil abgefaßt sein. Wenn wir in der medizinischen Literatur Umschau
halten, so gibt es nur wenige Werke, die diesen Anforderungen
entsprechen. Das Buch von Czerny-Keller gehört zu diesen
wenigen.
Eine kritische Besprechung des allgemein bekannten und an-
erkannten Werkes ist überflüssig. Diese Zeilen sollen nur das Er-
scheinen der zweiten Auflage bekanntgeben. Schiff.
Hausmann, W. (Wien). Grundzüge der Lichtbiologie und Lichtpatho-
logie. Berlin und Wien 1923. Urban & Schwarzenberg.
Auf dieses Buch, dessen Thema scheinbar weitab von den For-
schungsrichtungen der Pädiatrie liegt, mögen die Kinderärzte auf-
Heft 2 Buchbesprechungen. 203
merksam gemacht werden, speziell jene, die sich mit Lichttherapie
beschäftigen, die in der Kinderheilkunde immer größere Bedeutung
erlangt. Es sei besonders auf das 5. Kapitel hingewiesen, wo die
Wirkung des Lichtes auf Wachstumsvorgänge besprochen wird
und sehr interessant sind im Io. Kapitel (Lichterkrankungen) die
Beobachtungen über Zusammenhänge zwischen Belichtung und
hämorrhagisaher Diathese, Auftreten von Barlow und Skorbut
in Sonnenstationen, von Blutungen nach intensiven Sonnen- oder
Quarzlichtbestrahlungen usw. Das Licht könnte bei Individuen,
die zu Skorbut prädisponiert sind, eine auslösende Wirkung ent-
falten, ebenso wie man dies für Infektionskrankheiten angenommen
hat. Ein für den Pädiater wichtiges Kapitel behandelt die heilende
Wirkung des Lichtes auf den tuberkulösen Prozeß, in
welchem gezeigt wird, wie sich die einzelnen Faktoren, die bakteri-
cide, entzündungserregende, pigmentbildende Fähigkeit der Licht-
strahlen zu kurativer Auswirkungen kombinierten. Aber auch die
anderen Abschnitte, die nicht direkt pädiatrische Fragestellungen
berühren, seien jedem, der sich über biologische und pathologische
Lichtwirkungen informieren will, zum Studium empfohlen.
Lehndorff (Wien).
Brüning-Schwalbe. Handbuch der allgemeinen Pathologie und der
pathologischen Anatomie des Kindesalters. 2. Bd., 2. Abt. München
und Wiesbaden. Bergmann.
Die vorliegende Lieferung des Schwalbe - Brüningschen
Handbuches enthält die pathologische Anatomie des Herzens und
Kreislaufs, des Blutes, der Muskulatur und des Fett- und Unterhaut-
zellgewebes sowie die Erkrankungen des Gehörorgans im Kindes-
alter. — Die Mißbildungen des Herzens und der großen
Gefäße sind von Berblinger verfaßt, dem das schwierige Unter-
nehmen, Ordnung und System in die mannigfachen Möglichkeiten
der Mißbildungen hineinzubringen, gut gelungen ist. Es fällt dem
Referenten nur auf, daß der Verf. die von Linzen me yer veröffent-
lichte Theorie des Verschlusses des Ductus Botalli auf diesen Autor
zurückführt, während sie doch eigentlich von Döhle herrührt, also
aus des Verf. eigenem (früherem) Institut stammt. — Die post-
embryonalen Erkrankungen des Herzens und der Ge-
fäße hat Jores beschrieben. Sein Beitrag ist unstreitig das beste
und wertvollste Kapitel des Buches. Wenigstens vom Bedürfnis
des Pädiaters aus betrachtet. Denn dieser erwartet von einem
Handbuch wie dem vorliegenden, daß es ihm nicht nur eine Samm-
lung von kasuistischen Fällen und eine vollzählige Wiedergabe der
wichtigsten Theorien liefert, sondern daß es ihm vor allem auch
ein kritisches, autoritatives Urteil des Fachmannes bringt, damit
204 Buchbesprechungen. Heft 2
er weiß, an welche der Theorien er sich zu halten hat. Dieser
Forderung wird der Joressche Abschnitt vor allen anderen gerecht.
— Der von Esser verfaßte, nach seinem Tode von Stursberg
veröffentlichte Abschnitt über Blut und blutbildende Organe
hat sich den Fortschritten der Blutforschung seit 1914 leider nicht
angepaßt und ist deshalb, gerade in wichtigen, neueren Fragen,
fast schon veraltet. — Von Brüning stammt das Kapitel über
Muskulatur, Fett- und Unterhautzellgewebe, während
Grünberg-Rostock die Pathologie des Gehörorgans geschrie-
ben hat, wobei er namentlich die neuesten Anschauungen über die
kindliche Otitis med. klar und kritisch verarbeitet, aber auch die
anderen Krankheitsbilder in ansprechender und übersichtlicher Weise
dargestellt hat. — Der eine der Herausgeber — Schwalbe — ist
leider gestorben. Hoffen wir, daß nun wenigstens der andere es
noch erlebt, daß das Buch endlich einmal fertig wird!
Birk (Tübingen).
Nobel, Edmund. Die Ernährung gesunder und kranker Kinder.
Wien 1923. Rithola-Verlag. 74 S.
Im Rahmen einer von Kyrle und Hryntschak herausgege-
benen Serie von medizinischen Abhandlungen bespricht Nobel
in einer für den praktischen Arzt geeigneten, mit zahlreichen Bei-
spielen, Kurven und Tabellen ausgestatteten, überaus klaren Weise
das Pirquetsche Ernährungssystem. Es wird hierbei auf die
theoretischen Grundlagen nur so weit eingegangen, als es für das
Verständnis notwendig ist, und gezeigt, wie sich an der Hand der
Nemwerttabellen und der Sitzhöhe mit Leichtigkeit für jedes Kind
die Mengen der erforderlichen Nahrungsmittel berechnen läßt.
Das gilt sowohl für das gesunde wie für das kranke Kind. Beim
kranken Säugling wird an der ursprünglichen Finkelsteinschen
Einteilung der Ernährungsstörungen festgehalten, hier vorwiegend
nicht auf gekünstelte oder komplizierte Milchmischungen, sondern
auf die quantitative Regelung das Gewicht gelegt. Auch darin
unterscheidet sich die Pirquetschule von den üblichen Lehren. —
Einige wichtige Bemerkungen seien noch besonders hervorgehoben:
Die Bedeutung der Vitamine, die Berechnung des Gesamtgewichts
jeder Nahrung für den Wasserstoffwechsel, die Berechnung des
Ernährungszustandes aus Sitzhöhe und Körpergewicht (Pelidisitafel).
Das Büchlein wird jedem Arzte ein verläßlicher Führer durch das
von Pirquet eingeführte System sein.
a
Knoepfelmacher (Wien).
Heft 2 Buchbesprechungen 205
Krasemann, Erich Dr. (Rostock). Sauglings- und Kleinkinderpflege
- an Frage und Antwort. Eine Vorbereitung zur Prüfung für staatlich
anerkannte Säuglings- und Kleinkinderpflegerin. 3. und 4. Auflage.
Leipzig 1922. Georg Thieme.
Die äußere Form des Buches (623 kurze Fragen mit Antworten)
ermöglicht es, in engem Rahmen viele Einzelheiten zu bringen. Zur
ersten Selbstbelehrung scheint es deshalb nicht geeignet, dagegen als
Kompendium neben oder nach einem Lehrgang, der das Verständnis
der Grundbegriffe auch der Anatomie und Physiologie vermitteln
und dadurch die einzelnen Tatsachen und Vorschriften ins rechte
Licht rücken müßte. So könnte doch nicht nur manches Grund-
sätzliche unklar bleiben, sondern auch manche Einzelheit mißverstan-
den werden. Soll z. B. die dicke ‚‚englische‘‘ Säuglingskleidung oder
das Gummituch im Einschlag unterschiedslos empfohlen werden ?
Oder ist etwa die Frage, ob man die geistige Entwicklung des Säug-
lings zu fördern suchen soll, mit einem glatten Nein erledigt? (Psy-
chische Verkümmerung in Anstalten!) Die Angabe, die Milch in
den ersten Lebenswochen mit Wasser, erst später mit Schleim zu
verdünnen, dürfte wohl auch Widerspruch finden. Erfreulich ist, daß
auch das Kleinkindesalter und in einem besonderen Abschnitt die
öffentliche Fürsorge berücksichtigt werden. Im ganzen ist. anzu-
erkennen, daß das Büchlein seiner Aufgabe gerecht wird.
Karl Benjamin (Berlin).
Engel, St. Prof. Dr., und Baum, Marie Dr. Grundriß der Sauglings-
und Kleinkinderkunde und Grundriß der gesundheitlichen Sãuglings-
und Kleinkinderfürsorge. 11. und 12. Auflage. München 1922.
J. F. Bergmann.
Das Buch ist in erster Linie für die in beruflicher Säuglingspflege
Tätigen bestimmt, für den Kinderarzt gewinnt es aber noch dadurch
an Bedeutung, daß er wohl kein zweites Buch so unbedenklich auch
der intelligenten Mutter empfehlen kann, die ihr Wissen vom Säug-
ling und Kleinkind erweitern will. Denn es ist kein Nachschlagebuch
mit schablonenhaften Pflegevorschriften und fragwürdigen Rezept-
chen, sondern sucht wirkliches Verständnis für Wesen und Aufgaben
der Kinderpflege zu erwecken, so daß manche Mutter neben der prak-
tischen Belehrung sogar die Freude des wissenschaftlichen Erkennens
beim Eindringen in die Biologie des werdenden Menschenkindes mit-
erleben wird. Demgemäß überwiegt immer das Allgemeine über das
Besondere, der Bericht über Art und Treiben des gesunden Kindes
nimmt viel, die Besprechung des kranken Kindes nur wenig Raum
ein, die Ernährung an der Brust wird in gebührender Ausführlichkeit,
die künstliche mehr allgemein erörtert. Neben der körperlichen Ent-
wicklung kommt auch die geistige und seelische zu ihrem Recht.
206 Buchbesprechungen. Heft 2
Von früheren Auflagen unterscheidet sich die vorliegende durch
Einbeziehung des Kleinkindes, das in Sprache, Spiel, Haltung, Be-
wegung und Benehmen, dann auch in seiner Pathologie eingehend
gewürdigt wird. Mit besonderer Liebe wird dabei die Rachitis und
ihre Verhütung besprochen. Sehr zweckmäßig sind ferner die Ab-
schnitte über Sitten und Unsitten bei der Ernährung und bei Er-
krankungen des Säuglings. Unter Berücksichtigung der Tatsache,
daß in den letzten Jahren die Säuglingssterblichkeit an Ernährungs-
störungen hinter der an Lungenentzündung immer mehr zurück-
geblieben ist und der Gipfel der Sommersterblichkeit vom Herbst-
und Frühlingsgipfel vielerorts schon überragt wird, hätte die Infektion
der Luftwege und ihre Verhütung vielleicht noch mehr Beachtung
finden sollen. ,,Die Entwicklung der körperlichen und geistigen
Fähigkeiten von der Geburt bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr“
hat Dr. Ella Runge mit lehrreichen Bildertafeln illustriert. Der
zweite Teil (von Dr. Marie Baum) behandelt das Säuglings- und
Kleinkindesalter unter dem Gesichtspunkt der Sozialhygiene. Er
berichtet über die Säuglingssterblichkeit in ihrer Abhängigkeit von
den verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, der Er-
nährungsweise, der Ehelichkeit, der Geburtsordnung usw., über die
Verbreitung und Bedeutung der natürlichen Ernährung, weiter über
die hygienische und kinderpflegerische Erziehung der Mädchen,
Mütterkurse, Mütterberatung, offene und geschlossene Fürsorge
für Säugling und Kleinkind, die besondere Fürsorge für uneheliche
Mütter und Kinder, schließlich über Gesetzgebung, Aufbau und Orga-
nisation der gesamten Kinderfürsorge in Gemeinde und Staat. Selbst
der Kinderarzt wird aus diesen mit vielem statistischen Material
belegten Ausführungen noch manches lernen können. Allen, die
beruflich mit der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge zu tun haben,
kann'dieses Buch die Verantwortung ihres Berufes zum Bewußtsein
bringen und sie in Pflichtgefühl und Liebe bei ihrer Ausübung be-
stärken. Der Wert des Buches wird durch die Güte von Druck und
Papier und besonders durch die sehr zahlreichen guten Photographien,
Zeichnungen und graphischen Darstellungen weiter erhöht.
Karl Benjamin (Berlin).
Berichte.
Vereinigung Frankfurter Kinderarzte.
7. Sitzung vom 27. Juni 1923 in der Universitäts-Kinderklinik.
Vors.: Herr v. Mettenheim, Schriftf.: Frl. Türk.
Tagesordnung:
3. Herr Bruch: Über mongoloide Idiotie und Mongolenfleck.
Anläßlich einer Demonstration eines zjährigen Knaben mit mongoloider
Idiotie, handtellergroßen Mongolenfleck auf rechter Lendenseite und frag-
lichen, ähnlich aussehenden Flecken auf der behaarten Kopfhaut (Zarpfl)
wird festgestellt, daß diese letzteren keine Mongolenflecken sind, da im ex-
cidierten Kopfhautstückchen bei histologischer Untersuchung die typischen
Mongolenzellen fehlten, während sie in dem Lendenfleck zahlreich gefunden
wurden. Das eigenartige dieses Falles besteht in dem gleichzeitigen Zusammen-
treffen von Mongolenfleck und mongoloider Idiotie.
4. Herr Mündel: Über Diagnose- und Prognosestellung der Säug-
lings- und Kleinkinder-Tuberkulose mit besonderer Berücksich-
tigung der Ausflockungsreaktion nach Math£eiy (Budapest). Es
wurde die Ausflockungsreaktion kombiniert mit der Blutkörperchen-Senkungs-
methode angestellt. Der gleichmäßige Ausfall dieser Reaktionen scheint
eine Stellungnahme zur Frage der Aktivität des tuberkulösen Prozesses zu
gestatten. Von besonderem, auch wirtschaftlich wichtigem Interesse wäre es,
der Lösung der Frage näherzukommen, inwieweit Kinder mit latenter Bron-
chialtuberkulose überhaupt einen spezifischen Behandlung (Tuberkulin und
ähnliche Präparate) bedürfen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen mit
diesen beiden Reaktionen scheint eine spezifische Behandlung nicht in allen
Fällen latenter Bronchialdrüsentuberkulose erforderlich oder auch nur
wünschenswert. Die Auswahl der fraglichen Fälle dürfte mit Hilfe dieser
Kombinationsmethode ermöglicht werden. Sollte sie sich weiterhin bewähren,
so wäre sie schon wegen der Einfachheit der Ausführung namentlich auch
für die Praxis zu empfehlen.
Sämtliche Vorträge erschienen ausführlich anderwärts.
Diskussion: Frl. Neumark, Herr Boehm, Cahen-Brach, Cuno,
v. Mettenheim.
ı. Herr Adolf Salomon berichtet über Lokalisation und Therapie der
Chorea infekt. Nachdem er auf die Schwierigkeit der Differentialdiagnose
zwischen Veitstanz und Encephalitis choreiform. hingewiesen hat, kommt
er auf die neueren Sektionsbefunde bei Chorea min. zu sprechen, die ebenfalls
eine auffallende Ahnlichkeit mit denen der Encephal. choreif. aufweisen.
208 Berichte. Heft 2
Ausgehend von den von Homburger geschilderten Motilitätsstörungen
des Pubertätsalters wird eine Theorie entwickelt, die es ermöglicht, in gleicher
Weise für die bekannte Beteiligung eines ganz bestimmten Lebensalter sowie
für die überwiegende des weiblichen Geschlechts an Chorea eine Erklärung
zu geben.
S, empfiehlt die Vornahme der Lumbalpunktion mit der in frischen Fällen
an der Frankfurter Kinderklinik ausgezeichnete Erfolge erzielt wurden, zu-
nächst ohne Kenntnis der guten früheren Erfahrungen Passinis. Gerade
in den schwersten Fällen verschwand die choreatische Bewegungsstörung
unmittelbar nach der L. P. Während anscheinend die Punktionstherapie im
Ausland häufig angewandt wird, dürfte sie bisher in Deutschland keine Nach-
prüfung erfahren haben.
2. Herr Paul demonstriert einen Fall von Lebererkrankung mit schwerem
Ikterus, aber ohne Bilirubinurie und ohne Entfärbung des Stuhles, verbunden
mit Symptomen von seiten des Zentralnervensystems (Opisthotonus, Rigidität
der Muskulatur, Tremor und choreatische Bewegungen der oberen, Aneinander-
wetzen der unteren Extremitäten). Nach Besprechung der Differentialdia-
gnose in der wegen der ungestörten Darmpassage der Galle der kongenitale
Gallengangsverschluß und wegen des fehlenden Milztumors die Splenomegalien,
wie Banti und Gauscher und wegen der nicht herabgeminderten osmotischen
Resistenz der roten Blutkörperchen auch der hamolytische Ikterus ausgeschlos-
sen werden, wird der Fall als Lebercirrhose gedeutet. Entsprechend den
klinischen und experimentellen Beobachtungen, welche seit der Beschreibung
der Wilsonschen Krankheit über die Beziehung von Leberschädigung zu Ver-
änderungen im Hirn, namentlich in den Stammganglien, gemacht wurden
einerseits, der Lakalisation der festgestellten Hirnsymptom in den Stamm-
ganglien andererseits wird angenommen, daß entweder eine primäre Leber-
cirrhose zur sekundären Beteiligung der Stammganglien geführt hat, oder
daß von einer Autointoxikation vom Darme aus Leber- und Hirnschädigung
als coordinierte Erscheinungen aufzufassen sind. Letztere Annahme wird
durch den Verlauf und der wenigstens bezüglich der Hirnsymptome erfolg-
reichen Therapie wahrscheinlich gemacht.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipz g.
Aus dem Sauglingskrankenhaus Barmen. (Leit. Arzt: Dr. Th. Hoffa.)
Das Schicksal der Frühgeburten.
Von Dr. med. Paul Brandt, Frauenarzt in Köln a. Rh.
(früher Assistenzarzt im Säuglingskrankenhaus Barmen).
Die Frage nach dem Schicksal der Frühgeburten, ihrer körper-
lichen und geistigen Entwicklung, erheischt nicht nur das Interesse
von Kinderarzt und Geburtshelfer, sondern hat auch eine große
volkswirtschaftliche Bedeutung. Ist die Aufzucht von frühgeborenen,
also unreifen Kindern zum Vorteil der Menschheit? Das Herab-
drücken der Mortalitätsziffer hat erst dann Sinn, wenn die Aussicht
der Überlebenden eine gute ist.
Was ist zunächst eine Frühgeburt ? Das Hebammenlehrbuch sagt:
„Frühgeburten sind Kinder, die zwischen 29. und 39. Woche geboren
werden. Gewicht ist meist unter 2500 g, Länge unter 48cm, zudem
zeigen sie am Körper mannigfache Zeichen der Unreife.‘
Dieser Begriff ist weit, wir müssen ihn enger ziehen. Je näher die
Geburt dem normalen Geburtstermin, um so mehr ähnelt dieses Kind
ın seiner Lebensfähigkeit dem ausgetragenen, wenn es auch noch
einzelne Zeichen der Unreife trägt. Für uns handelt es sich um
Kinder mit ausgesprochenen Zeichen der Unreife, und das sind solche,
deren Geburtsgewicht und -länge unter 2500g resp. 46 cm bleibt.
Wenn auch das typische Gesamtbild maßgebend ist und Ausnahmen
überall vorkommen, so ist doch zur Schaffung eines einheitlichen
Begriffes der Gedanke des einfachen Schematisierens gutzuheißen,
d. h. eine Grenze von Geburtsgewicht und -länge festzusetzen, bis
zu welcher man Kinder als Frühgeburten bezeichnet. Die im all-
gemeinen gültige Grenze von 2500 g : 45cm ist m. E. hinsichtlich
der Länge zu knapp. Ich möchte dafür 46 cm setzen. Diesen Vor-
schlag begründe ich mit dem Ergebnis meiner Nachforschungen
über Verhältnis von Geburtslänge und -gewicht bei Kindern unter
3000 g, wie es in Tabelle I und II niedergelegt ist.
Monatsschrift für Kinderbeilkunde. XXVII. Band. 14
210 Brandt. - Heft 3
Tabelle I.
angel REN
SI Fee FE FR
eg | | = bests EN.) ee wa
e RORA HHHH HER
unten die Zahl der weiblichen Kinder angegeben.
Es bedeutet: A — Ausziehung.
Zur Beachtung!
In jeder Rubrik ist oben die Zahl der männlichen,
Bj hei re" ee
SEE a
Seis aga es SL rrr aA AZIRAR
Verhältnis von Geburtsgewicht und -länge bei Kindern unter 3000 g. (Nach-
forschung an den im Zeitraum von g!/, Jahren, vom 1. 1. 1913 bis 1. VII. 1922
in der Hebammenlehranstalt zu Oppeln geborenen Kindern.)
Gesamtzahl. der Geburten 2 4-0 a and ea t o 28989
davon. unter SoG PERKE: oa a oh es I2
BOZEN EXEL giie ca n i a ah 45
2II
Das Schicksal der Frühgeburten.
Heft 3
65
129
315
. 1167
1000—1500 g exkl.
1500— 2000 g exkl.
2000—2500 g exkl.
2500—3000 g exkl.
Das wären an sogenannten Frühgeburten (d. h. Kindern unter 2500 g)
insgesamt 566 = 10,4%, ein hoher Prozentsatz.
Tabelle II.
LA A E E EERE HHHH HHH
AET E E EE a E
E A A E AT
MTT TTT
Se ee eee ee
EN TEILE TEN REIT IE
OT FI RT A ee
PTT CCCP
IBERRERRREAZRRERRARARDROREBREBBTSBEREOEZENERE
hi aa AS S a T E E S S A A
BRRRCEARARZERARRES RRR BOECERETRSTEBSEDRERRRRER
F
SSS SESITFRRHERAABAG
Wenn wir nun so eine Grenze nach oben haben, bis zu welcher
wir die Kinder als Frühgeburten bezeichnen, so können wir diese
Frühgeburten doch noch nicht alle in einen Topf werfen. Der Grad
der Unreife ist für die spätere Entwicklung von ausschlaggebender
Bedeutung, ebenso wie die Ursache der vorzeitigen Geburt Einfluß
auf das spätere Gedeihen hat. Es ist verständlich und auch nach-
gewiesen, daß die Aussichten eines Kindes, welches infolge Krankheit
der Mutter vorzeitig geboren wird, weit schlechter sind als die eines
solchen, wo Geburt aus äußeren Gründen verfrüht eintritt.
Um über das Schicksal von Frühgeburten Aufklärung zu bekom-
men, habe ich Nachforschungen gehalten über das weitere Gedeihen
frühgeborener Kinder, die im Zeitraum von I2 Jahren (von 1907
bis rọrọ) im Barmer Säuglingskrankenhaus Aufnahme fanden,
14*
212 Brandt. Heft 3
teils gleich nach Geburt, teils kurze oder spätere Zeit danach, sei es
wegen Erkrarfkung, sei es zur Pflege. Es handelt sich um 292 Fälle.
Leider habe ich nur in wenigen Fällen ermitteln können, welche
Ursache der zu früh eingetretenen Geburt zugrunde lag, so daß ich
diesen wenn auch wichtigen Umstand überspringen muß.
Auch der Grad der Uhnreife bei Geburt kann nur bei den Kindern
berücksichtigt werden, die am Tage der Geburt oder am darauffolgen-
den in Behandlung kamen. Diese Gruppe von 57 Kindern wird noch
gesondert behandelt.
Im allgemeinen habe ich mich bei der Auswahl der Fälle von den
in den Krankengeschichten angegebenen Bemerkungen über charak-
teristische Zeichen der Unreife der Kinder leiten lassen.
Es fanden Aufnahme:
ı. a) am Tage der Geburt. . .... 28
Höchstgewicht . . . . . . . 2470 (44!/,
größte Länge. . . . ... . 46 (1990)
alle übrigen höchstens 45 und unter 2500,
Tabelle III.
Lebensalter in Jabren
1—2 inkl. | 2—3 inki. | 3—4 inkl. | 4—5 inkl. 5—6 inkl. 32 ink..
cm kg ; cm kg cm kg : cm kg cm kg scm
vorgestellt
Ö | | Ä
-10 +0,3|—9 +9 — 18 ? 8 — §,5 —2 155 —o,8 +9
—14 +0,3| —3 oe | — 2,5 +0 | —11 +03|=-10 —2,4. —3,5
— 4 —-07|-9 + () — 9 230 '-ıı #0 — vd
—12 £0 [+1 -09|—-4 +0 | — | — +7
= er. —IlI 02! — | — | —
Q | |
— 2 +0,6| —9,5 +0 — 2 +9 fee +2,5;—- 1 —2 | —4
— 1 +0,3 — +1 4091-45 —ı | 45 —14, —8
= 2 =r] — i a -—12 —0,2 — | =
— 6 — 1,4 — = Sore 4-0,5 ei } =
— 85 +05) — = | = a.
=9 Ri = — | — — |
= ei a Re z |
brieflich
Ö | | |
mal +s <b [oe 418 = om:
? 2 — | aun == | en |
O | | | | |
—7,5 +0,3, —2 -08 —ı #9 —10 —14 +2 -2 4
? ? | — | — 3 —0,8 | — 3 4-0,8 os 6 +0 | =
— — ‘— 1 —0,7 | +6 —3 | — | =
Durchschnitt
= 6,6 — 0,3 | — 5,2 —0,4 ' — 45 —0,1 | — 6.5 — 0,1 — 3,8 — 1,6! —27
é
Heft 3 Das Schicksal der Frühgeburten. 213
b) am ersten Tage nach Geburt . . 29
bei 3 Fällen war Länge nicht angegeben bei einem Gewicht
zwischen 2400 und 2500,
bei 2 Fällen war Gewicht und Länge 2280 : 46, 1700 : 46
alle übrigen unter 2500 und höchstens 45 cm
2. bis zum Alter von ı4 Tagen . . . 116
3- » » i » © Monat... 44
4. ” j » 3 Monaten . . 57
5. ” „ os „ 6 ” .. 18
Es konnte ermittelt werden das Schicksal
von allen 292 Fällen bis zum Ende des ı. Monats
von 286 s i ce m ar 3: Ss
» 276 Pe Ae i s „» 6. u
» 262 a a - z „ I. Jahres.
Alle Aufnahmen liegen über ı Jahr zurück.
Von den 262 Fällen, deren Schicksal bis mindestens zum Ende
des ersten Lebensjahres verfolgt werden konnte, starben im Laufe
dieses ersten Jahres III, d. h. 42,3%.
Tabelle III.
u — nn nm nn ne rn nn
Lebensalter in Jahren
7—5 iukl. | 8—9 inkl. , g—10 inkl. 10—ı1 inkl. | 11—12 inkl. Tamia inkl. 13—14 inkl.
cm kg cm kg cm kg | em kg | cm kg | cm kg | cm kg
vorgestellt
i | !
im —O,7 + 3 e 2 250) 42". 5 —2,5|—4 — 55, re Ze
2 +0 eh. 2 ent ST a 55 — —
7 4 i = MOY ge ee, ee
45 — 3,5! | — -— | — | — —
| |
35 —4 :— 2 42,8/-— 2 —2,5'— 3 —1,5|-—8 —2 | — 9 +1
2 #1,2,—-14 30 |— 4 £0 | -ı18 —05|-9 —8,5| — —
8 +0,7:':—10 -—138|—- I —25; -— — _— -
15 +12 -1 0 —-235i+3 +, — = | — --
= '— 4 —0,5 ais | eae BEER: | 2x =
== — 2 +Q | = i en — — —
> mai eh Tr = — = =
brieflich
| i ! |
3-3 1-4 Ponk. e E s — 1-6-5) —
= ! 72 2: | a aa +8 59° =
| | | |
2 -+2,3'— 9 +3 | = Bee ee. ee
2 ~~ bof Sa 6 =. 3 | en — a —6 +2,53
Durchschnitt
9 0—12,-3 +1,1/—2,4 -241-84 —2,1'-5 —5,4|+1 —4 1-6 +25
214 Brandt. Heft 3
Und zwar fallen:
auf den 1. Monat ........... 52 = 46,9%
1.—ı10. Tag: = 31,69 ;
11.— 30. = F = En 46,9%
auf 2. und 3. Monat .......... 25 = 22,5%
» 4-—6. Monat. . . . 2 2 2 2 2 2 0. 23 = 20,7%
„ 7—12. Monat . . 2.222220. 11 = 9,9%
| 100 %
In späteren Jahren starben noch 8 Kinder.
Eine Zusammenfassung des Ergebnisses der Nachforschungen ergibt
kurz folgendes Bild:
gestorben . . . . 2... 119
ermittelt . . . 2.2.2... 126
vorgestellt: 72
brieflich: 29
lebend: 25
fraglich . . . wa e% 47
292
(‚Brieflich‘‘ ermittelt heißt eine Ermittlung auf besonderem Fragebogen.
Unter ‚lebend‘' verstehe ich solche Kinder, von denen wir durch Nachforschung
nur ermitteln konnten, daß sie leben, während nähere Angaben fehlen.
Was die körperliche Entwicklung der zur Vorstellung gekommenen
resp. brieflich ermittelten Kinder anbetrifft, so ergibt Tabelle III
eine gute Übersicht über Länge und Gewicht im Vergleich zu den
Camerer-Pirquetschen Normalzahlen getrennt nach den einzelnen
Jahresklassen.
Der Allgemeineindruck dieser Übersicht ist der, daß die Kinder
mit wenigen Ausnahmen mehr oder weniger in der körperlichen
Entwicklung zurückgeblieben sind.
Das stimmt überein mit dem subjektiven Urteil über die körper-
liche Entwicklung, welches folgendes ist:
vorgestellt brieflich
kräftig ......4.. «14 T= d i 219%,
mittelkraftig ...... #417 13 = 30, d. i. 30%
schwächlich E = . ae
sehr schwächlich . . . . f 4° 10 = 50, d. 1. 50%
Vom Schulbesuch auf ein Jahr zurückgestellt wegen körperlicher
Schwäche wurden von den 53 ermittelten Kindern, welche schon
das 6. Jahr erreicht hatten: g, d. i. 17%.
Was die Zeit des Laufenlernens und des Zahndurchbruchs betnifft,
so sind beide Termine als spät zu bezeichnen.
Heft 3 Das Schicksal der Frühgeburten. 215
Laufenlernen (95 Kinder) Zahndurchbruch (44 Kinder)
bis Ende des ı. Jahres -= 15 im 6. Monat Si
a3 a” 2? ii a? = 20 pe 7- 1 ` == 6
a) » ” il; 2 ” — 15 a? 8 » = 4
» a »» isi a» = I3 o> 9. „ = 3
>» 39 ay 2. vd ne 23 a? IO. = 5
a? >» n all a? = 3 0 II. » = 9
” n 3. „ = I ’ I2. — 9
über 3 Jahre = 5 1 Jahr 1 Monat = i
1 Jahr 2 Monate =
ı Jahr 3 Monate
Rachitis hat die Mehrzahl durchgemacht. Rachitische Verkrüm-
mung stärkeren Grades sah man bei 20 von den 72 vorgestellten
Kindern, d. i. 27,7%.
Von Littlescher Erkrankung sind nachgewiesenermaßen 3 Kinder
befallen gewesen, darunter ein Zwillingspaar. Diese drei sind mit
1/, resp. 31/, Jahr außerhalb des Säuglingsheims gestorben.
Einen nervösen Eindruck machten von den 72 Vorgestellten 36,
d. i. 50%; sollen von den 29 brieflich Ermittelten machen Io, d. i
34,5%-
Sehr wichtig ist sodann die geistige Entwicklung. Von den 72 vor-
gestellten Kindern machten einen geistig geweckten Eindruck 8, einen
normalen Durchschnittseindruck 47, wenig regsamen Eindruck 9,
psychopathisch 4, direkt geistig minderwertig 6. Bei den 29 brieflich
ermittelten Kindern wurden geistige Defekte bei keinem beobachtet, das
Urteil ‚sehr gut‘‘ wurde bei 3 gemeldet, ‚‚normal‘ bei 18, ‚‚mäßig‘“ bei8.
Die 6 als geistig minderwertig bezeichneten Kinder erfordern
besondere Betrachtung. Ich führe kurz die Krankengeschichten an.
-H. = Säuglingsheim.)
. 12 Jahre alt, 6, ehelich, 3. Kind (Mutter 3 mal ausgetragen, 5 mal Abort),
Be 6 Wochen alt ins S.-H. wegen Unterernährung, Intertrigo und Hydro-
cephalus. Im S.-H. 5!/, Monate, tägliche Zunahme durchschnittlich 10,18.
Wassermann negativ. Laufen gelernt mit 3!/, Jahren. Alle Kinderkrankheiten.
Bei Vorstellung. folgender Befund: Lang aufgeschossen, paralytischer Thorax,
sehr schwächlich, kyphotische Haltung, stumpfer Gesichtsausdruck, Mund-
atmung, auffallend große Ohren, Langschädel, schiefes Gesicht. Dürftige
Ernährung (+ 2 cm — 8 kg). Dermographie. Reflexe o. B. Lungen und
Herz o. B. Läppisches Wesen, besucht Hilfsschule.
2. ıı Jahre alt, Ö), ehelich, 3. Kind, Mutter schwächlich, geistig schwach,
Aufgenommen mit 4 Monaten wegen chronischer Ernährungsstörung. 6 Monate
lang im S.-H. mit täglicher Zunahme von 12,7 durchschnittlich. Pirquet
negativ. Laufen gelernt mit 2 Jahren. Bei Vorstellung schwächliches zartes
Kind, keine Tuberkulose, keine rachitischen Erscheinungen, Neuropath, Im-
bezillität. Insasse einer Blödenanstalt.
3. 81/, Jahre alt, Ô, unehelith, zweites Kind, 6 Monate alt ins S.-H. wegen
Tuberkuloseverdacht und chronischer Ernährungsstörung, Pirquet negativ.
216 | Brandt. Heft 3
Bleibt 5!/, Monate im S.-H. mit durchschnittlich täglicher Gewichtszunahme
von 26,4 g. Kind stellt sich mit ı?/, Jahren, mit 14 Monaten noch kein Zahn.
Bei Vorstellung außerordentlich ängstlich, weinerlich, Strabismus, links Kryptor-
chismus, rechts verkümmerter Hoden. Ist Hilfsschüler.
4. 7 Jahre alt, ©, ehelich, 4. Kind. Aufnahme am Tage der Geburt mit
1150 : 42 bei 28,5 Temperatur. Bleibt im S.-H. ı!/, Jahr, Entlassungsgewicht
8900 g. Tägliche Durchschnittszunahme 10,5 g. Die ersten Zähne im 7. Monat.
Körperlänge bei Geburt 42cm, mit ı Jahr 67cm. Kopfumfang bei Geburt
26,5, mit 1 Jahr 40!/,cm, mit 2 Jahren gelaufen. Bei Vorstellung schwächliches
Kind mit grazilem Knochenbau. Soll unnatürlich viel essen (— 4 cm, — 1,7 kg).
Herz und Lungen o. B. Fac. +. Sehr ängstlich, besonders nachts. Geistig
minderwertig. Mikrocephale.
5. 6 Jahre alt, Ô, ehelich, 8. Kind (5 Kinder tot, darunter 3 Frühgeburten).
Wird 3 Monate alt mit Unterernährung aufgenommen, bleibt 5 Monate im S.-H.,
durchschnittliche Tageszunahme 16,2 g. Bei Vorstellung mäßig entwickelt,
geringe Muskulatur. Verkümmerte Nasenscheidewand, mißbildete Ohrmuscheln,
links Hüftgelenkluxation. Imbezillität. Wird einer Idiotenanstalt überwiesen.
6. 5 Jahre alt, ©, ehelich, ı. Kind, Mutter bei Geburt tot. Kind gleich
nach Geburt ins S.-H. mit 2180 g, bleibt hier 4 Monate, tägliche Durchschnitts-
zunahme 6,3 g. Macht schwere Rachitis durch mit 2 Jahren. Fängt an zu
laufen mit 3!/, Jahren. Bei Vorstellung im Wachstum zurückgeblieben.
Rachitischer Körperbau. Überreiches Fettpolster, Sprache sehr schlecht. Geistig
minderwertig, läppisches Wesen, Enuresis, Herz und Lunge o. B., Reflexe o. B.
Von diesen 6 Kindern kamen also 2 gleich nach der Geburt in
unsere Behandlung. Bei beiden ist keine erbliche Belastung nach-
weisbar. Das eine mit 1150 g, das andere mit 2150 g Geburtsgewicht.
Daraus läßt sich also keine größere Gefährdung der mindergewich-
tigen Kinder herleiten.
Betrachten wir sodann die Frühgeburten, die bald nach Geburt
zur Aufnahme gelangt sind, wobei ich diejenigen, die am Tage der
Geburt selbst sowie am darauffolgenden in unsere Behandlung
kamen, zusammenfasse — der Gewichtsverlust der letzteren spielt
keine so große Rolle —, so läßt sich folgendes sagen.
Es handelt sich um 57 Kinder. Das Schicksal dieser konnte mit
Ausnahme eines Kindes, das nur 6 Wochen beobachtet wurde, später
nicht wieder zu Gesicht kam, von allen ermittelt werden. Eine
kurze Übersicht gibt Tabelle IV (siehe unten). Hieraus ergibt sich:
Es starben:
innerhalb der ersten 10 Tage . . . . 20 (siehe unten)
vom ıı. Tag bis Ende ı. Monat. 2 (r Lues, ı fraglich)
a a oe ı (Lues)
ie » 6. j 3 (2 Pneumonie, 1 Lues)
os » I. Jahres . 2 (1 Brechdurchf., 1 Krampfe)
später ı (Pneumonie)
29
Heft 3 Das Schicksal der Frihgeburten. 217
Todesursache der in den ersten Tagen verstorbenen Kinder war:
Debilitas romal, fraglich 6mal, Hirndruck 2mal, Leberschwellung
Imal, perinephritischer AbsceB 1 mal.
Es konnten lebend ermittelt werden insgesamt 27 Kinder, dazu
I nur bis zu 6 Wochen.
ı!/, Jahre alt: 3 43/, Jahre alt: 2 8 Jahre alt: 2
2 a6 ae 4 5 ve ye 4 9 os y 2
21/, ’ se 2 6 ” 1 12 oe r I
4 os IE) I 7 a? 2“ 5
Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild:
Geburtsgewicht unter 1000: 5, davon tot: 5 (100%), lebt: o
1000—1500: 16, : ,, „ It (68%), leben: 5
Iı 500—2000: 18, ,, „ 8 (44.4%), n» I0
2000—2500: 18, „, „5 (27.7%) » 13
57 29 28
Mortalitätsziffer der am Tage der Geburt und am darauffolgenden aufgenom-
menen 57 Kinder im Vergleich zu anderen Statistiken.
Barmen Crede Budin Betke Maygrin Bakker
Geburtsgewicht unter 1000: 100%
1000—1500: 68% 83% 97% 76% 674% 88%
1500—2000: 44,4% 36% 85,9% 60% 27% 34%
2000—2500: 27,7% 11% 68,2% 50% 6% 10,5%
Hierbei muß in Betracht gezogen werden, daß die Kinder einen
Transport von der Stelle der Geburt bis zum S.-H. hinter sich hatten
und so auch teilweise mit gefährlichen Untertemperaturen eingeliefert
wurden, wodurch besonders die stark untergewichtigen Kinder in
ihrer Lebensfähigkeit sehr beeinträchtigt waren. Wenn Budin
behauptet, daß Kinder mit Rectaltemperaturen von 32° und weniger
fast stets zugrunde gehen, so zeigen unsere Beobachtungen kein so
ganz düsteres Bild.
Das Schicksal der mit Untertemperatur von 32° und weniger
ins S.-H. eingelieferten Friihgeburten war:
Aufnahme am Tage der Geburt und am darauffolgenden: 18, siehe
Tabelle IV (niedrigste Temperatur 26,7°); davon 14 tot innerhalb
der ersten 4 Tage, d. i. 77%, 1 Kind tot nach 15 Tagen, Todesursache
unbestimmt; ı Kind tot nach 2!/, Monaten, an Lues; 2 Kinder
leben.
Aufnahme vom 2. Tage bis 14. Tage nach Geburt: ıı (niedrigste
Temperatur 29,1°). Hiervon 5 tot innerhalb 8 Tagen nach Aufnahme,
d.i. ca. 45%; I Kind tot nach 4 Wochen an Pneumonie; ı Kind
tot nach 7 Monaten draußen; ı Kind tot nach 9!/, Monaten draußen;
3 Kinder leben.
Brandt.
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Das Schicksal der Frihgeburten. 219
Heft 3
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220 Brandt. Heft 3
Die Durchschnittsentwicklung der iiberlebenden Kinder ist im
Vergleich zu den Camerer-Pirquetschen Normalzahlen folgende:
Geburtsgewicht zwischen 1000—1500: — 5,2 cm —1I1,0kg
I 500—2000: — 5 a0 — 0,9 a1
2000—2500: — 0,5 „, —o,8 ,,
also eine bedeutende Besserung mit höherem Geburtsgewicht.
. Das kleinste Kind, welches am Leben erhalten werden konnte,
wog I150 : 42, Aufnahmetemperatur 28,5°. Sein Schicksal ist ein
trauriges, denn das Kind ist geistig Munder WENNE; war bei Vorstellung
7 Jahre alt.
Fassen wir nunmehr das Ergebnis dieser Nachforschungen zu- `
sammen, so können wir sagen: das Schicksal der Frühgeburten ist
kein rosiges. Trotz alledem lohnt sich aber die Mühe, die wir beson-
ders in den ersten Lebenstagen und -wochen aufwenden müssen,
um diese unreifen Kindchen am Leben zu erhalten; denn der größere
Teil ist trotz Entwicklungsstörungen doch ein brauchbarer Bestand
der Menschheit, wenigstens soweit diese Nachforschungen zeigen,
die ja nur ein allgemeines Bild geben können.
Leider ist es mir nicht möglich, an einem größeren Material zu
zeigen, wie sich die Entwicklung bei den einzelnen Gruppen von
Frühgeburten (ich meine solche 1. von r000—1I500 g, 2. von 1500
bis 2000 g, 3. von 2000—2500 g Geburtsgewicht) voneinander unter-
scheidet, ob Ylppö recht hat, wenn er sagt: ,,Rein volkswirtschaft-
lich und rassehygienisch erweist sich die Aufzucht von kleinen und
kleinsten Frühgeburten nicht als wünschenswert.“
Unser Material setzt sich zusammen aus gesunden und kranken
Kindern, wobei letztere den größeren Prozentsatz stellen. Wenn
daher unsere Statistiken nicht schlechter sind als andere bisher ver-
öffentlichte, so ist das ein Zeichen, daß wir in Pflege, Wärmebehand-
lung und Ernährung einen Weg gegangen sind, der erfolgreich ist.
Welches ist dieser Weg?
Uber Pflege brauche ich nichts Besonderes zu sagen, die auf-
opferndste Pflege ist die richtige. — Wärmebehandlung! Wir haben
in unserer Anstalt ein sog. Frühgeburtenzimmer. Dasselbe wird
durch besondere Heizung auf einer Zimmertemperatur von 24°
gehalten. Zugluft bei Öffnung der Türe wird durch Wandschirm
von den Kindchen abgehalten, das Zimmer nur von der pflegenden
Schwester und dem Arzt betreten. Die Kindchen liegen in Körbchen,
die mit Leinen lose ausgeschlagen sind. Ganz kleine Kinder sind in
Watte gewickelt. Über das Körbchen ist ein Mullschleier gedeckt,
besondere Wärmezufuhr geschieht mittels Wärmekrügen. Jegliche
Heft 3 Das Schicksal der Frühgeburten. 221
Abkühlung wird aufs sorgfältigste vermieden, das Baden in den
ersten Wochen unterlassen. Couveusen haben wir nicht, Wärme-
krüge, wie dieselben draußen in der Praxis gebraucht werden, ge-
nügen unserer Überzeugung nach vollkommen. Was sodann die
Nahrung betrifft, so geben wir in den ersten Tagen und Wochen
Frauenmilch, um dann über Zwiemilchnahrung mit Frauenmilch —
Eiweißmilch — Buttermilch nach einigen Monaten auf Kuhmilch-
mischung überzugehen. Phosphorlebertran wird bei allen Früh-
geburten etwa vom zweiten Monat ab prophylaktisch in kleinen
Mengen gegeben. .
So durch die ersten gefährlichen Monate hindurchgebracht, be-
dürfen die Frühgeburten aber auch noch weiterhin besonderer
Pflege und Beachtung. Leider lassen es die Eltern oft selbst daran
fehlen, namentlich bezüglich der Verhütung der Rachitis. Hier
weiter aufklärend zu wirken und tatkräftig einzugreifen ist nötig,
wenn der Erfolg der aufopfernden Mühewaltung der ersten Wochen
nicht verlorengehen soll.
Aus der Kinderklinik der königlich ungarischen Elisabeth-Universität,
derzeit in Budapest. (Direktor: Professor Dr. Paul Heim.)
Die Neugeborenen-Zeit in einer neuen Beleuchtung.
Von Dr, Josef Duzär, Assistenten der Klinik.
Es wurde früher der Säugling so lange als neugeboren betrachtet,
bis der Nabelrest abgefallen, der initiale Gewichtsverlust ausge-
glichen war. Im allgemeinen wird dieser Zeitpunkt im ro.—1}4.
Lebenstage bestimmt, jedoch rechnet man heutzutage — wie sich
Birk richtig ausdrückt — zum Neugeborenenalter gegebenenfalls
so viele Wochen hinzu, wie viele eben erforderlich sind. Es werden
nämlich immer mehr und mehr Erscheinungen beobachtet, dir
zwar zu den sogenannten physiologischen Schwächezuständen des
Neugeborenen [Reiche (2)] gehören, doch öfters weit über die Grenze
des im engeren Sinne genommenen Neugeborenenalters hinaus-
reichen. Im vollen Einklang mit diesen Erscheinungen berechtigen
uns unsere kolloidchemischen Untersuchungen die Grenze der Neu-
geborenenzeit noch weiter: bis zu Beginn des 2. Monats hinauszu-
schieben. Danach könnten wir eigentlich von einem doppelten.
und zwar im engeren und im weiteren Sinne genommenen Neu-
geborenenalter sprechen.
Die das erste Neugeborenenalter charakterisierenden Schwäche-
zustände sind: die Unvollkommenheit der Temperaturregulation
und der Nahrungsaufnahme, Haut- und Schleimhauterytheme,
der initiale Gewichtsverlust, das transitorische Fieber, die Harn-
sauresedimente und Albumin im Urin, der Icterus neonatorum,
dessen Ursache nach unserer heutigen Auffassung eine Hypofunk-
tion (wegen Unentwickeltheit) der Leber sei [Ylppö (3)]. Als soge-
nannte Schwangerschaftsreaktionen werden Brustanschwellungen.
Genitalödeme und Vaginalblutungen beobachtet.
Für eine Mangelhaftigkeit der Leberfunktion, eine Trägheit des
Intermediärstoffwechsels spricht noch außer dem Ikterus, wie es wieder
Ylppö (4) nachgewiesen hat, auch ein für den Neugeborenen cha-
Heft 3 Die Neugeborenen-Zeit in einer neuen Beleuchtung. 223
rakteristischer acidotischer Zustand, der bis zum 2. Monate nur
langsam aufhört. Weiter ist die Stickstoffausscheidung sehr groß
(welche Größe sie — nach einer Verminderung in der ersten Woche —
erst im 2. Monat wieder erreicht). Das ‚Restnitrogen‘ wird im Harn
bedeutend erhöht vorgefunden [Birk (I)]J, um am 6.—8. Tage all-
mählich auf ein noch immer hohes endgültiges Maß zu sinken (ent-
sprechend der großen Menge von Polypeptiden (Simon (5), Oxypro-
teinsäuren (I) und Arminosäuren (Glykokoll), welche letzteren am
3. Tage noch eine weitere Erhöhung erfahren. Für eine unzurei-
chende Desamidierungsfähigkeit der Leber scheint im Urin der
niedrige Ammoniakgehalt zu sprechen. Ein abweichendes Verhalten
der hämoklasischen Krise [Linzenmeier und Lilienthal (6)], eine
starke Reaktion von Glykuronsäure ergänzen das geschilderte Bild.
Die Ausnützung der nitrogenhaltigen Stoffe ist sehr schlecht, die
Perspiration (und somit die \Vasserabgabe) sehr groß.
Das Blut des Neugeborenen ist sehr eingedickt. Es weist 61/,
bis 71/, Millionen rote Blutkörperchen auf, der Hämoglobingehalt
ist 120—140, die Zahl der polynucleären weißen Blutkörperchen
ist 36000, das spezifische Gewicht, die Viscosität, das Volum der
roten Blutkörperchen, der Gesamteiweißgehalt ist bedeutend er-
höht.
Sachs und Öttingen (7) waren die ersten, die die große Kolloid-
stabilität des Neugeborenenplasmas gegenüber Salzfällung mit dem
Mangel an Immunstoffen parallel stellten. György (8) ging weiter
und hielt sich auf Grund des Verhaltens der Senkungsgeschwindig-
keit der roten Blutkörperchen, sowie des Befundes von Sachs und
Öttingen berechtigt, eine „biologisch fundierte‘, bis zu dem
2. Monat dauernde Neugeborenenzeit anzunehmen. Nun, es ist mir
gelungen, zwischen den Strukturverhältnissen beziehungsweise der
Labilität des Plasmas und Serums einerseits und zwischen den
biologischen Eigenschaften des Neugeborenen andererseits enge
Beziehungen zu finden, die die Annahme einer erweiterten, sich bis.
zum 2. Monat hinziehenden biologisch fundierten Neugeborenenzeit
auch zu beweisen scheinen.
In einer kleinen Mitteilung habe ich (9) zuerst gezeigt, daß mit
der Daränyischen Reaktion (Io), die eine kombinierte Salz-, Al-
kohol- und Hitze-Fällungsmethode darstellt, eine hochgesteigerte
Labilität der Neugeborenensera nachzuweisen ist. Diese Labilität,
welche nach unseren neueren Untersuchungen oft auch die des
Erwachsenenserums übersteigt, vermindert sich während der ersten
10 Tage rapid, von da an bis zum 2. Monat langsam. Diese Angabe
224 Duzär. Heft 3
verschiebt die Grenze der Neugeborenenzeit bis zu Beginn des 2. Mo-
nats. Da dieser Befund in einem scheinbaren Widerspruch mit den
Angaben von Sachs und Öttingen (7) sowie von György (8) (und
anderen) steht, haben wir (II) weitere Untersuchungen angestellt,
und zwar mit der Da ränyischen Reaktion parallel, Plasmalabilitats-
reaktionen [nach Frisch-Starlinger (I2)] und nach Gerloczy (13)
sowie die Senkungsgeschwindigkeitsprobe nach Linzenmeier.
Diese Untersuchungen konnten die Befunde von Sachs-Ottingen
und die von György vollkommen bekräftigen. Die Neugeborenen-
zeit ist bis zum 2. Monat (also im weiteren Sinne genommen) mit
einer groBen Plasmastabilitat zu charakterisieren, die sich so in den
negativen Ergebnissen der Frisch-Starlingerschen Reaktion wie
in der sehr verzögerten (> 48 Stunden) Senkung der roten Blut-
körperchen kundgibt. Diese große Stabilität reicht weit über die
Grenze des Neugeborenenalters im engeren Sinne hinaus, geht bezüg-
lich der Frisch-Starlingerschen und Gerloczyschen Reaktion
auch über den 2. Monat hinaus, während die Senkung der roten
Blutkörperchen aus der extremen Langsamkeit am Anfang des
2. Monats in eine selbst die des Blutes erwachsener Frauen über-
treffende Schnelligkeit umschlägt. Bis zur selben Zeit nimmt, wie
oben erwähnt, auch die Labilität des Neugeborenenserums allmäh-
lich ab, so daß wir zur Behauptung geneigt sind, daß der Anfang
des 2. Monats, somit gleichzeitig das eigentliche Ende der
Neugeborenenzeit, die allerstabilste Periode des Neu-
geborenen- und Säuglingsalters darstellt. Von da an nimmt
zuerst die Senkung der roten Blutkörperchen sogar sprungweise in
Schnelligkeit zu, später, und nur stufenweise, vergrößert sich die
Labilität des Serums und schließlich des Plasmas.
Bevor wir die biologischen Eigenschaften dieses erweiterten
Neugeborenenalters mit den obigen Blutstrukturverhältnissen in
Parallele stellten, hielten wir es für notwendig, das Neugeborenen-
plasma und Serum näher zu untersuchen, um die Diskrepanz
zwischen denselben erklären zu können. Wir haben also im Plasma
derselben (IIo) Fälle ausführliche Eiweißfraktionsbestimmungen
gemacht [Duzär und Rusznyäk (11)].
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen scheinen eine vollkon-
mene Erklärung der obigen, scheinbar widersprechenden Befunde
zu geben. Es wurde zuerst refraktometrisch (Abbe) der Gesamt-
eiweißgehalt des Citratplasmas bestimmt; es stellte sich nun heraus,
daß der verhältnismäßig große Eiweißgehalt des Neugeborenen-
plasmas bis zum 10. Tage beträchtlich abnimmt [siehe Rott (15)
Heft 3 Die Neugeborenen-Zeit in einer neuen Beleuchtung. 225
und Russ (16)], um sich von da an nur langsam, stufenweise zu er-
hohen und den Wert der Neugeborenenzeit erst zwischen dem 2. und
3. Monat zu erreichen. Fiir das erweiterte Neugeborenenalter
ist demnach auch der groBe Wasserreichtum des Blut-
plasmas kennzeichnend. Dies entspricht vollkommen den
Untersuchungen, laut denen die allmähliche Eindickung der Gewebe
des Foetus in den ersten Tagen der Neugeborenenzeit abgebrochen
wird [Birk (I)]. So wie das Blut, zeigen auch die Gewebe in dieser
Zeit (10 Tage bis 2 Monate) den größten Wassergehalt während
des ganzen Extrauterinlebens, und die weitere Eindickung derselben
beginnt wieder erst zwischen dem 2. und 3. Monat, um sich bis zum
Ende des Lebens ungestört fortzusetzen. Auf die Bedeutung dieser
Tatsache werden wir im weiteren zurückkehren.
“ Was die einzelnen Eiweißfraktionen betrifft, so wurde festgestellt,
daß die Globulinfraktion jene ist, die im großen ganzen
dieselbe Kurve beschreibt, welche von uns bei der
Daränyischen Reaktion gefunden wurde. Nach einem an-
fänglich hohen Wert sinkt sie erst rapid (nämlich bis zum ro. Tage),
dann allmählicher bis zu einem sehr niedrigen Wert ab, welcher
den 2. Monat charakterisieren wird. Von da an ist nur eine sehr
langsame stufenweise Erhöhung der Globulinfraktion zu bemerken,
welche aber den bei den Neugeborenen gefundenen Wert selbst bis
zum 5. Monat nicht zu erreichen vermag.
Die Labilität des Neugeborenenserums bei der Daränyischen
Reaktion findet demnach ihre Erklärung in einer Veränderung
des Globulingehaltes, mit dem die Daränyische Reaktion, wie
wir es am anderen Orte ausführlicher demonstrieren, meistens ganz
parallel verläuft.
Wie für die Serumlabilität, haben wir mit den Eiweißfraktions-
bestimmungen auch für die Plasmastabilität der Neugeborenenzeit
eine Aufklärung finden können. Es ergab sich nämlich, daß die
Neugeborenenzeit (im älteren Sinne) durch einen auf-
fallend niedrigen Fibrinogengehalt charakterisiert ist
(0,08% des Citratplasmas). (Das Nabelblut gerinnt oft gar nicht, oder
nur sehr langsam.) Dieser niedrige Wert erhöht sich anfangs nur sehr
langsam, später, nach dem 4.—5. Monat, schneller. Da unsere anderen
Untersuchungen [l. c. (Ir)] zeigen konnten, daß die Frisch-Star-
lingersche sowie die Gerloczysche Reaktion mit dem Fibrinogen-
gehalt des Plasmas parallel verläuft, wird somit die mit Hilfe dieser
Reaktionen nachweisbare erhöhte Stabilität des Neugeborenenplas-
mas, wie die verzögerte Senkung der roten Blutkörperchen verständlich.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 15
226 Duzär. Heft 3
Eins ist nur mit der allmählichen Steigerung des Fibrinogen-
gehaltes nicht zu erklären. Nämlich der rapide Umschwung der
Blutkörperchensenkung im 2. Monat. Hier wäre aber vielleicht die
Viscosität des Blutes nicht außer acht zu lassen, die neben vielem
anderen die Senkungsgeschwindigkeit gleichfalls beeinflussen kann.
Es ist bekannt, daß sie bei Neugeborenen sehr erhöht ist und
seltsamerweise ebenfalls zu Beginn des 2. Monats eine plötzlich
auftretende beträchtliche Verminderung zeigt [Brünning (14)).
Bezüglich des Albumingehaltes sei nur erwähnt, daß die Albumine
mit dem Alter keine gleichmäßige Zunahme aufweisen.
Der volle Einklang, den wir zwischen den Labilitätsreaktionen
und zwischen den Eiweißfraktionen gefunden haben, die Folge-
richtigkeit, mit welcher jedes Neugeborenenblut an den oben ge-
schilderten Charakterzügen festhält, hat mich veranlaßt, weitere Be-
ziehungen zwischen diesen Blutstrukturverhältnissen und zwischen
den biologischen Eigenschaften des verlängerten Neugeborenenalters
zu suchen.
Die hier in Betracht kommenden biologischen Eigenschaften
dieser Neugeborenenperiode wären: die selbst im Säuglingsalter
allein stehende große Hydrolabilität, Schwäche der osmotischen
Regulation, die erhebliche Durchgängigkeit der Darmwand, die
erhöhte Veranlagung zu katarrhalen und infektiösen Erkrankungen,
sowie zu Odemen, Zirkulationsstörungen und starken Gewichts-
stürzen, der vollständige Mangel an Antikörperbildung, aber eine
beträchtliche Menge der von der Mutter herstammenden Antikörper
und endlich ein oft vorkommender negativer Ausfall der Wasser-
mannschen Reaktion bei sonst floriden kongenitalen Luesfällen.
Diese erweiterte Neugeborenenperiode wird ansonsten auch da-
durch gekennzeichnet, daß die Formelemente des Blutes an Zahl
allmählich abnehmen, bis zu Werten, welche den Säugling vom
2. Monat her endgültig charakterisieren: die Zahl der roten Blut-
körperchen ist 5 Millionen, der Hämoglobingehalt bloß 80%, die
Zahl der Leukocyten ıI—13 000 (binnen welchen die Lympho-
cyten die Polynucleären weit überwiegen). Das spezifische Gewicht
ist kleiner, der Restnitrogengehalt vom 6.—8. Tage an ständig
hoch. Die Stickstoffausscheidung vergrößert sich allmählich vom
8. Tage her bis zum 2. Monat ständig, wo dann der Wert des Neu-
geborenenurins erreicht wird. Der Aminosäuregehalt gelangt gleich-
falls zu dieser Zeit zu seinem endgültig hohen Wert. Der Ammoniak-
gehalt nimmt von dem niedrigen Wert der ersten Tage allmählich
zu, bis zu einem den der Erwachsenen übersteigenden Wert.
Heft 3 Die Neugeborenen-Zeit in einer neuen Beleuchtung. 227
Nun, die erwähnten biologischen Eigenschaften dieser Zeit könn-
ten vielleicht folgenderweise mit den oben geschilderten Plasma-
strukturverhältnissen in Parallele gestellt werden. Die Hydro-
labilität, die große Veranlagung zu katarrhalen und infektiösen Er-
krankungen (Influenza, Pertussis, Diphtherie, Erysipel, Meningitis
epid usw.), sowie die abnorme Durchlässigkeit der Darmwand
finden ihre Erklärung mit der größten Wahrscheinlichkeit in dem
erhöhten Wassergehalt und in der Schwäche der osmotischen Regu-
lationsfähigkeit, die, wie es Salge nachgewiesen hat, ebenfalls bis
zum 2. Monat reicht [Salge (17)).
Die von Czerny, Moser (19) und Behring (18) zuerst beobachtete
große Durchlässigkeit der Darmwand beginnt im großen ganzen
erst beim 2. Monat aufzuhören, wo sich auch die endgültige Bakterien-
flora des Säuglings einstellt. Eine Analogie mit der Durchlässigkeit
des Darmes finden wir auch in der Ansässigkeit des Soors, der in
dieser Zeit auch ohne Erkrankung des Neugeborenen selbst die
Schleimhäute des Mundes und eventuell des Oesophagus durchzu-
wachsen vermag. Zufolge dieser Durchgängigkeit dient der Darm
in so vielartigen Sepsisfällen des Neugeborenen als Eintrittspforte;
so daß die Darminfektionen meistens auch eine allgemeine Sepsis
bedeuten. (In Tierversuchen hat Weigert (27) gezeigt, daß die Nei-
gung des Meerschweinchens zu einer tuberkulösen Infektion mit dem
Wasserreichtum seiner Gewebe in direkter Beziehung steht.)
Die infektiösen Erkrankungen können weiter vielleicht auch
mit der Globulinfraktion in Beziehung gebracht werden. Das Neu-
geborenenblut verhält sich nämlich in bezug seines hohen Globulin-
gehaltes ähnlich wie das Blut eines erkrankten und somit eine
Globulinvermehrung aufweisenden älteren Säuglings. Es liegt der
Gedanke nahe, eine Erklärung für die oft irreparierbaren und sich
auf die geringsten Schädigungen einstellenden Verschiebungen im
Säuglingsorganismus in dieser erheblichen Globulinvermehrung zu
suchen, um so mehr, je jünger der Neugeborene ist. (Schwere
Gewichtsstürze, Zirkulationsstörungen usw.)
Es kann sogar vermutet werden, daß dieser Globulingehalt mit
dem mangelhaften Eiweißabbau beim acidotischen Zustand des
Neugeborenen im Zusammenhang stände. Noch plausibler scheint
die Beziehung desselben zu dem Antikörpergehalt des Neugeborenen-
blutes.
Der Neugeborene weist, wie bekannt, trotz seiner mangelhaften
Fähigkeit, Immunstoffe zu bilden, eine beträchtliche Menge von
denselben auf (Morbilli, Diphtherie, Typhus, Tetanus usw.). [Ru-
15°
228 Duzar. Heft 3
zicka und Luska (20) haben erwiesen, daß der Säugling Prä-
cipitine erst vom 2. Monat an bilden kann. Kramär (21) hat das
selbe für die Koliagglutinine nachgewiesen.] Ehrlich und seine
Schule (23) erwiesen zuerst, daß die biologischen Eigenschaften
des Kolostrums stärker sind als die der Frauenmilch, da in ihm
die koagulabilen Eiweißstoffe (Lactoglobulin und Lactalbumin),
die Träger der antitoxischen Wirkungen, in größerer Menge vor-
handen sind. Es ist möglich, daß die Globuline auch
im Blute des Neugeborenen die Träger der Anti-
körper sind und der erhöhte Globulingehalt eigent-
lich die vermehrte Antikörpermenge repräsentiert.
Denn es ist aus der neuesten umfassenden Arbeit Bergers (28)
bekannt, daß die Antikörper eine große Affinität zu den Präcipi-
taten bestimmter Eiweißfraktionen (in erster Linie der Pseudo-
globuline) besitzen. Es ist auch ansonsten nachgewiesen worden,
daß die Wirkung der Antikörper größtenteils von der physikalischen
Struktur der Blutflüssigkeit abhängt [Sachs-Öttingen (7) und
andere]. Daher kommt es, daß das Plasma mehr bactericide Stoffe
enthält als das Serum desselben Blutes [Gouzenbach und Ueme-
ra (7)]. Sachs (24) und Georgi fassen im wesentlichen auch die
lIytische Wirkung des Serums in diesem Sinne auf. Nach Dold (7)
spielt bei der normalen Agglutination auch die Ausflockung der
labileren Quote der Serumglobuline mit. — Auf die Beziehungen
zwischen der Plasmastruktur und den biologischen Eigenschaften
des Säuglings weisen noch jene Untersuchungen von Caspari,
Eliasberg und Fiegel (26) hin, die zwischen den anaphylaktischen
Erscheinungen und der Sedimentierung der roten Blutkörperchen
einen regelmäßigen Zusammenhang feststellen konnten.
Eine weitere, sehr wichtige Rolle können die Globuline bei der
Wassermannschen Reaktion spielen. Die Wassermannsche Reaktion
fällt nämlich oft bei floriden Kongenitalen Luesfällen negativ aus.
Sachs und Öttingen (7) führten diese Negativität auf die große
Stabilität des Nabelschnurplasmas zurück. Nun habe ich (g) aber
gefunden, daß das Nabelschnurserum eine erhöhte Labilität auf-
weist, die allmählich am Anfang des 2. Monats bis zur allergrößten
Stabilität des Säuglingsblutes abnimmt. Hier ist sowohl das Plasma
wie auch das Serum durch eine große Stabilität charakterisiert. So-
weit ich aus der Literatur ersehe, beziehen sich die Wassermann-
negativen Fälle auf dieses Alter. Die Neugeborenenzeit im engeren
Sinne wird im Gegenteil durch eine erhöhte Serumlabilität gekenn-
zeichnet, wodurch erklärlich wird, daß die Wassermannsche Reak-
Heft 3 Die Neugeborenen-Zeit in einer neuen Beleuchtung. 229
tion oft auch bei luesfreien Frisch-Neugeborenen positiv ausfällt.
(Die Reaktion wird ja doch im Serum durchgeführt.) Diese Annahme
scheint auch durch folgende Feststellung von Steinert und Flus-
ser (22) (auch älteren Autoren) gestützt: „Die Wassermannsche
Reaktion ist manchmal beim neugeborenen Kind, ohne daß Lues-
symptome vorhanden sind, positiv und wird binnen kurzem ohne
Behandlung negativ.“
Zuletzt kann der Mangel der Verteidigungsfähigkeit und der
Immunstoffe des Neugeborenen nach Sachs und Öttingen mit
der Stabilität des Plasmas, nach György mit den sehr niedrigen,
beinahe negativen Werten der Sedimentierung der roten Blutkörper-
chen parallel gestellt werden. Wir fanden aber, daß die Labilitäts-
reaktionen des Plasmas mit dem Fibrinogengehalt desselben parallel
verlaufen. Die große Plasmastabilität des Neugeborenenblutes kann
demnach auf einen niedrigen Fibrinogengehalt zurückgeführt wer-
den. Ob aber ein Zusammenhang zwischen Antikörpermangel und
geringem Fibrinogengehalt bestehe, muß dahingestellt bleiben.
Es sei noch erwähnt, daß bei Gravidität und auch noch zu Beginn
der Laktation, wo bis zum Anfang des 2. Monats — ebenfalls die
Globulinfraktion vermehrt, die Serumlabilität erhöht ist [Her-
mann und Gännsle (29)], bei sonst gesunden Frauen auch positive
Wassermannreaktionen vorkommen.
Es ist klar, daß wir nicht ohne weiteres an kausale Zusammen-
hänge denken, wenn wir die Verschiebungen der Eiweißfraktionen
zur Erklärung der biologischen Eigenschaften der engeren oder
«weiteren Neugeborenenzeit verwerten wollen. Zweifellos ist es aber,
daß die kolloidchemischen Labilitätsuntersuchungen
der Eiweißtraktionen, sowohl im Plasma, wie im
Serum die Auffassung einer doppelten Neugeborenen-
zeit ermöglichen, welches Doppelwesen auch in den
biologischen Eigenschaften des Neugeborenen sich
kundgibt. Weitere Untersuchungen sind berufen, die tiefere Er-
klärung und Bedeutung dieser Zusammenhänge aufzudecken.
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Aus der Kinderklinik der städt. Krankenanstalten in Essen.
(Chefarzt: Priv. Doz. Dr. Bossert.)
Bauchmuskelkrampf als Symptom der Übererregbarkeit.
Von Dr. Franz Boxbichen.
(Mit 1 Abbildung.) —
Die Mannigfaltigkeit der klinischen Erscheinungen, unter denen
die Übererregbarkeit der ersten Lebensjahre sich äußern kann, bringt
es mit sich, daß die Literatur darüber umfangreich und eingehend
ist und es kaum möglich erscheint, neue Linien in das Gesamtbild
einzufügen.
Insbesondere lenkten von jeher die tonischen Muskelkrämpfe
namentlich an den Händen und Füßen das allgemeine Interesse
auf sich und gaben Veranlassung zu dem Namen ‚Tetanie‘‘. Im
Gegensatz zur Tetanie der Erwachsenen und der späteren Kindheit,
bei der diese Extremitätenkrämpfe im Verein mit andern, sensiblen
Störungen häufig die einzigen in Erscheinung tretenden Symptome
bilden, sind beim jüngeren Kinde außerdem fast immer die Muskeln
des Stammes und des Gesichtes befallen, doch treten diese tonischen
Krämpfe gegenüber denen der Extremitäten in den Hintergrund,
und oft wird man bei kürzerer Beobachtung nur reine Carpopedal-
spasmen zu sehen bekommen.
Von diesem geläufigen Bild abweichend sahen wir kürzlich in
unserer Klinik ein ausgesprochenes Dominieren von Spasmen der
Bauchdeckenmuskulatur, ja zuweilen waren diese die einzige Mani-
festation der Übererregbarkeit. Soviel ich aus der Literatur entneh-
men konnte, ist ein derartiger Kontraktionszustand der Bauch-
muskulatur nicht beschrieben, wenn man von dem Pseudotetanus
Witzingers aus der Pfaundlerschen Klinik bei einem 10?/,
Jahre alten Knaben absieht, der nach Abbildung und Schilderung
an unsere Beobachtung erinnert. Wir werden nachher noch darauf
zurückkommen.
232 Boxbiichen. Heft 3
In unserem Falle handelt es sich um den ıı!/, Monate alten
W. D., der nach Angabe der begleitenden Mutter rechtzeitig und
ohne Kunsthilfe geboren wurde und kein Zwillingskind ist. Früher
soll er immer gesund gewesen sein, insbesondere wurden nie Krämpfe
bei ihm beobachtet. Ungefähr fünf Wochen vor der Aufnahme
traten plötzlich aus voller Gesundheit heraus allgemeine Krämpfe
und hohes, aber wieder schnell abklingendes Fieber auf. Sonstige
Krankheitserscheinungen fehlten, Husten, Schnupfen oder Durch-
fall waren nicht vorhanden. Seitdem wird bei dem Kinde häufig
angestrengt-ziehende, krähende Einatmung bemerkt mit Blauwerden
und „Wegbleiben‘. Seit zirka 14 Tagen sind die Stühle vermehrt
und «dünn, und vor 2 Tagen wiederholten sich die Krämpfe und das
Fieber.
Die Aufnahmeuntersuchung zeigt einen pastösen, etwas muskel-
schwachen Säugling mit geringer Kopf- und Thoraxrachitis, mäßiger
Epiphysenverdickung an den Handgelenken und deutlichen Perl-
schnurfingern. Ab und zu ist laryngospastisches Ziehen hörbar,
Blauwerden und Wegbleiben werden jedoch bei der Aufnahme
nicht beobachtet. Facialis- und Peroneusphänomen sind bei dem
heftigen Schreien und der motorischen Unruhe des Kindes nicht
deutlich auslösbar. An Hand- und Fußrücken zeigen sich ziemlich
derbe schwereindrückbare Oedeme. Die Temperatur beträgt 38,9
Grad, das Sensorium ist frei. Die sonstige Untersuchung ergibt
noch einen hochroten Hals und eine diffuse Bronchitis. Das Herz
ist kräftig, der Urin frei von pathologischen Bestandteilen. Die
bakteriologische Blutuntersuchung fällt negativ aus.
Kurz nach der Aufnahme erfolgt ein eklamptischer Anfall mit
Zuckungen an den Extremitäten und im Gesicht. Daneben finden
sich tonische Kontraktionen an der übrigen Körpermuskulatur. Es
entwickelt sich eine starke Cyanose bei kräftiger Herzaktion, und
im Verlaufe des Anfalls treten typische Carpopedalspasmen in Er-
scheinung. Das Facialisphänomen ist deutlich vorhanden. Nach
rectaler Darreichung von 0,5 g Chloralhydrat sistieren die Zuckungen
allmählich.
Der Übererregbarkeitszustand charakterisiert sich demnach hier
durch den Laryngospasmus, die tetanoiden Muskelkrämpfe, das
Auftreten allgemeiner Konvulsionen und die mechanische Über-
regbarkeit. Dazu kommt im weiteren Verlaufe der Erkrankung
noch das zeitweilige Vorhandensein des Erbschen Phänomens und
der kathodischen Übererrregbarkeit. Das Trousseausche Phä-
nomen ist Immer negativ.
Heft 3 Bauchmuskelkrampf als Symptom der Übererregbarkeit. 233
Die sofort einsetzende Kalktherapie und diaetetische Behandlung:
Ausschaltung der Kuhmilch und Wiedereinschleichen mit kleinen,
langsam steigenden Mengen hat keine wesentliche Besserung der
Ubererregbarkeitssymptome zur Folge, und auch die Darreichung
von Frauenmilch, die trotz des Alters des Kindes noch versucht”
wird, hat keinerlei Einfluß darauf. Durch die gleichzeitige Ver-
schlimmerung des Infektes und Entwicklung einer Pneumonie
wird bei ständigem Rückgang des Körpergewichts das Allgemein-
befinden sehr in Mitleidenschaft gezogen, und schließlich resultiert
eine rasch zunehmende Verstärkung des Übererregbarkeitszustandes
trotz späterer allmählicher Besserung der Pneumonie.
Und zwar sind es seltsamerweise die Bauchdecken, an denen der
tonische Kontraktionszustand der Muskulatur zuerst imponiert,
nachdem tagelang vorher wieder laryngospastisches Ziehen bemerkt
wurde. Der Leib erscheint im ganzen aufgetrieben, breit ausladend
und hart und ist anscheinend bei Berührung schmerzhaft.
Die tonischen Kontraktionen der Bauchmuskulatur zeigen die
Neigung zur Ausbreitung auf den übrigen Körper, und am folgenden
Tage sieht man einen schweren tetanischen Allgemeinzustand mit
Karpfenmund, schlitzförmiger Verengerung der Lidspalte, hartem
aufgetriebenem Bauch und Beteiligung der Atmungsmuskulatur
init EinschluB des Zwerchfells. Der Thorax ist gebläht, der Klopf-
schall hypersonor, in der linken Axilla besteht an umschriebener
Stelle eine Schallverkürzung mit Bronchophonie und bronchial-
klingendem Atmen. Das Röntgenbild ergibt weite Intercostalräume,
Hochstand des Zwerchfells und eine Verbreiterung der Herzfigur.
Auch vasomotorische Störungen wie Rötung des Gesichtes und
starker Schweiß fallen auf, Hand- und Fußrücken sind geschwollen.
Trotz regelmäßiger Injektion von Magnesiumsulfat wiederholen
sich die tetanischen Anfälle in der nächsten Zeit noch häufig in
ähnlicher Form aber wechselnder Stärke. Während die Symptome
von Seiten des Respirationsapparates und des Gesichtes mehr und
mehr im Hintergrunde bleiben, treten seltsamerweise die Erschei-
nungen an der Bauchmuskulatur immer mehr in den Mittelpunkt
des äußeren Bildes. Der Leib wird nach Aufhören der jeweiligen
Magnesiumwirkung immer wieder bretthart, er ist aufgetrieben
und seitlich ausladend mit starker Zeichnung der Bauchdecken-
muskulatur. Besonders die Mm. recti treten als plastische Längs-
wülste sichtbar hervor mit deutlicher Diastase, die als verhältnis-
mäßig flache Furchung mit ausgeprägt scharfen Rändern von der
Gegend unterhalb des Processus xiphoideus bis zum Nabel reicht.
234 Boxbiichen. Heft 3
An den recti selbst zeigen sich mehrfache Querfurchen, bedingt
durch die inscriptiones tendineae (s. Figur).
Der weitere Verlauf bringt zusammen mit dem Riickgang einer
noch dazugetretenen komplizierenden Pyurie und der Besserung
des Allgemeinzustandes ein Abklingen der Ubererregbarkeitser-
scheinungen, und nur noch das zeitweilig vorhandene Erbsche
Phaenomen läßt neben einer ab und zu nachweisbaren mechanischen
Übererregbarkeit noch die Bereitschaft zu äußeren Manifestationen
der Krankheit erkennen.
Das Krankheitbild erinnert, wie oben kurz angedeutet, rein auber-
lich lebhaft an einen von Witzinger beschriebenen Fall von Pseudo-
tetanus aus der Pfaundlerschen Klinik bei einem 10%/, Jahre
alten Jungen. Auch hier fallt die starke Kontraktion der Bauch-
deckenmuskulatur auf, deren Konturen scharf wie an einem ana-
tomischen Präparat hervortreten. Doch stehen die Erscheinungen
an den Bauchmuskeln nach der Beschreibung nicht im Vordergrund
des äußeren Bildes, wie denn besonders auch Gesichts- und Rumpf-
muskulatur in ausgesprochener Weise betroffen sind. Ferner fehlen
Heft 3 Bauchmuskelkrampf als Symptom der Uberregbarkeit. 235
sowohl die mechanische als auch die elektrische Ubererregbarkeit,
und die Reihenfolge in der die einzelnen Muskeln des Körpers
befallen werden, ist eine andere.
Escherich, von dem der Krankheitsbegriff des Pseudotetanus
stammt, ist geneigt, diesen dem Wundstarrkrampf ähnlichen, aber
nicht durch den Tetanusbacillus hervorgerufenen Krampfzustand
als eine Form der juvenilen Tetanie anzusehen. Diese Anschauung
gründete er besonders auf das häufige Vorhandensein von Über-
erregbarkeitssymptomen wie mechanischer und elektrischer Über-
erregbarkeit. Einen dem Pseudotetanus ähnlichen Zustand mit
mechanischer und elektrischer Übererregbarkeit haben Bossert
und Leichtentritt bei paratyphuskranken Kindern mit ausge-
sprochenen Carpopedalspasmen beobachtet. Die Autoren schreiben:
„Beim Berühren der Extremitäten schreckt das Kind zusammen
und wird nachher am ganzen Körper steif. Die Spasmen sind kaum
lösbar, und das Bild erinnert an einen Tetanuskranken“. Sie führen
den ‚‚Pseudotetanus‘‘ in diesen Fällen auf die Paratyphusinfektion
zurück.
Wir wollen es dahin gestellt sein lassen, ob sich diese einzelnen,
in ihren AÄußerungsformen verwandten Krankheitsbilder unter einem
Gesichtswinkel betrachten lassen.
Das Wesentliche an unserer Beobachtung ist diese vorübergehende
Beschränkung des Kontraktionszustandes auf die Bauchmuskulatur
bei einem übererregbaren Kinde, die zu der eigentümlichen Form
des Bauchdeckenreliefs geführt hat.
Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Breslau.
(Direktor: Prof. Dr. Stolte.)
Zur Differentialdiagnose der Nabelkoliken.
Von Dr. Felix Metis.
Leibschmerzen sind eine häufige Klage im Kindesalter, und oft
ist die Frage, ob es sich um eine organische, vielleicht entzündliche
Erkrankung oder um funktionell bedingte, rein nervöse Symptome
handelt, nicht leicht zu lösen. Auch für die Nabelkoliken werden
beide dieser ätiologischen Faktoren angeführt.
Das Krankheitsbild der ‚rezidivierenden Nabelkoliken‘‘ (Moro)
findet sich bei 4—ı4jährigen Kindern, und zwar in der Art, daß
aus vollem Wohlbefinden heraus Anfälle von heftigen Leibschmerzen,
mitunter von Erbrechen begleitet, einsetzen, die Minuten bis Stunden
dauern, um ebenso schnell, wie sie auftraten, wieder zu verschwinden.
Die Anfälle wiederholen sich in Abständen von Wochen oder Mo-
naten. Geringe Temperaturerhöhungen werden gelegentlich beobach-
tet. Häufig besteht eine chronische Obstipation. Die Schmerzen
selbst werden von den kleinen Patienten in die Nabelgegend, in das
Epigastrium, seltener in die rechte oder linke Seite des Abdomens
verlegt.
In ätiologischer Hinsicht gehen die Ansichten weit auseinander.
Während die Chirurgen die Schmerzattacken durch eine entzündliche
oder mechanische Komponente, wie z. B. Lageveränderungen der
Appendix (Küttner) erklären, werden sie von allen Pädiatern als
psychogen bedingt und als Folge neuropathischer Konstitution, evtl.
hervorgerufen durch Darmspasmen, angesehen. So sind auch die
für die Therapie gewiesenen Wege sehr mannigfaltig: Die Append-
ektomie steht der Behandlung mit Belladonna, Atropin, Tct.
Valerian., mit einem Heftpflasterverband oberhalb des Nabels, mit
Faradisation und Verbalsuggestion gegenüber.
Heft 3 Zur Differentialdiagnose der Nabelkoliken. 237
Von 20 Nabelkoliken, die monatelang in unserer Beobachtung
standen, betrafen 70% Madchen, 30% Knaben. Die Kinder standen
im Alter von 6—13 Jahren.
Auf die Wiedergabe der einzelnen Krankengeschichten glauben
wir verzichten zu können; sie decken sich im allgemeinen mit dem
vorher ausführlich geschilderten Krankheitsbild : Plötzlich auftretende,
in Abständen — einmal präzise angegeben alle 4—5 Wochen —
wiederkehrende Schmerzattacken, die nur einmal in das linke Ab-
domen, sonst immer in die Nabelgegend lokalisiert wurden. Die
Schmerzen stellten sich teils nach Mahlzeiten, teils ganz unabhängig
vom Essen ein und traten bei 2 Kindern auch in der Schule auf.
In 15% der Fälle fand sich als Begleitsymptom Erbrechen. Ein
Unterschied in der Art und Zeit des Auftretens, der Lokalisation
der Schmerzen oder sonstige Besonderheiten in den Fällen mit und
ohne Erbrechen waren nicht festzustellen. Auffallend war, daß die
mit Erbrechen einhergehenden Fälle durchweg kräftige, gesund und
frisch aussehende Mädchen betrafen. Von sonstigen Nebenbefunden
wären je einmal eine Bronchitis sowie Tonsillitis, Kopfschmerzen
und Enuresis nocturna zu erwähnen. Druckempfindlichkeit der
Nabelgegend wurde einmal angegeben. Ein pathologischer Organ-
befund, der für die Koliken hätte verantwortlich gemacht werden
können, war niemals nachweisbar, dagegen waren sämtliche Patienten
ausgesprochene Neuropathen in meist gutem Ernährungszustand.
Das frische, blühende Aussehen war bei vielen echt; bei anderen
dagegen, durch Vasolabilität bedingt, machte es bald einer mehr
blassen Gesichtsfarbe Platz. In 20%, war es das einzige, in 30%, das
erste, in 30%, das jüngste Kind der Familie.
Bei den oft beträchtlichen Schwierigkeiten, die die Diagnose-
stellung macht, muß jedes Hilfsmittel willkommen sein. Deshalb
versuchten wir festzustellen, ob sich mit Hilfe der Aciditätsbestim-
mung im Magensaft und auf Grund des Verhaltens der weißen Blut-
körperchen, da man nur bei entzündlichen Prozessen wenn nicht
Leukocytose, so doch Linksverschiebung beobachtet, einheitliche
Charakteristica finden lassen, die in Zweifelsfällen zur Klärung der
Diagnose beitragen könnten.
| In sämtlichen Fällen bestimmten wir bei dem nüchternen Kind
nach dem Anfall — in der Klinik bekamen wir einen solchen nie zu
sehen — die Zahl der Leukocyten und ihr Differentialbild. Die
Leukocytenzahlen waren abgesehen von einem Falle, dessen Leuko-
cytose auf eine akute Bronchitis zurückzuführen ist und dessen
eigentliches Blutbild nach Abklingen der Bronchitis kontrolliert
238 Metis. Heft 3
wurde, normal. Das Differentialbild zeigte sonst überall innerhalb
der Neutrophilen keine Besonderheiten, insbesondere keine Links
verschiebung. Dies stimmt auch mit neueren Untersuchungen von
Nassau und Schohl überein. In fast allen Fällen ergab sich eine
mehr oder weniger erhebliche Lymphocytose, die von Schiff bei
Vagotonikern gefunden wurde. Dagegen ließ sich die von ihm be-
schriebene Eosinophilie nur in einem Falle nachweisen ; die Zahl der
Eosinophilen war im Gegenteil ebenso wie die der Mononucleären
und Übergangsformen im Allgemeinen der Fälle gering.
Die normale Leukocytenzahl würde zwar an sich nicht gegen eine
Entzündung sprechen, wohl aber ist dem Blutbilde nach eine solche
sicher auszuschließen.
Vergleichsweise vorgenommene Blutuntersuchungen bei akuten
Gastritiden und Appendicitiden zeigten eine Leukocytose und eine
nicht unerhebliche Linksverschiebung innerhalb der Neutrophilen.
Eines besonderen Hinweises bedarf folgender Fall eines 6 jährigen
Knaben, der mit der oben beschriebenen, für die Nabelkoliken cha-
rakteristischen Anamnese in die Poliklinik kam. Die mehrmalige
Untersuchung ergab außer zahlreichen neuropathischen Stigmatis
keinen pathologischen Befund. Fieber bestand nicht. Die Aciditäts
werte waren normal, ebenso die Zahl der Leukocyten. Dagegen
zeigte das Differentialbild eine Linksverschiebung. Eine Nabelkolik
wurde daraufhin abgelehnt. Die Nachfrage ergab, daß er 5 Wochen
später wegen einer Pneumonie in einem anderen Krankenhaus auf-
genommen wurde und dort nach weiteren 2 Wochen ad exitum
kam. Die Sektion bestätigte die bereits in vivo diagnostizierte
Pneumonie und zeigte weiter eine Pericholangitis chron. Von
etwaigen Veränderungen am Wurmfortsatz ist nichts protokolliert.
Wir möchten die Pericholangitis für die damaligen Schmerz-
attacken und auch für die Linksverschiebung verantwortlich
machen. Der Fall beweist jedenfalls, daß die Feststellung der
Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen nicht genügt, daß vielmehr
ihr Differential bild mit herangezogen werden muß. Die Diagnos
„Nabelkolik‘ wurde hier lediglich auf Grund des Differentialbildes
abgelehnt.
Zur Klärung der Frage, ob die Koliken nicht vielleicht doch mit
der Appendix in Zusammenhang stehen könnten, bestellten wi
7 Fälle, die vor I—51/, Jahren wegen Nabelkoliken in poliklinische
Behandlung waren, zur Nachuntersuchung. Der Bericht über den
damaligen Verlauf der Krankheit sowie die erneute Untersuchung
ergaben keinerlei Anhaltspunkte, daß die Kinder seinerzeit einen
S
Heft 3 Zur Differentialdiagnose der Nabelkoliken. 239
entzündlichen Prozeß durchgemacht hätten oder jetzt ein solcher
bestehe. In 5 Fällen waren die Schmerzen bald nach der Behand-
lung mit Tct. Valerian., Tct. Rhois arom. völlig geschwunden, bei
2 traten noch vereinzelte Attacken auf. Eine Operation war niemals
notwendig.
Bei einem 13jahrigen Madchen war von einem Privatarzt im
Januar 1921 eine Appendektomie ausgefiihrt worden. Uber den
Befund der Appendix war nichts zu erfahren. Im November 1922
traten anfallsweise heftigste Leibschmerzen auf, so daB die Chirur-
gische Poliklinik aufgesucht wurde. Von dort wurde dann das Kind
zwecks Behandlung unserer Poliklinik überwiesen. Ein besonderer
Organbefund war außer einer Pharyngitis nicht zu erheben. Zahl-
reiche neuropathische Stigmata. Die Schmerzen wurden um den
Nabel lokalisiert. Kein Palpationsbefund am Abdomen, keine
Druckempfindlichkeit, auch nicht der alten Operationsnarbe. Urin:
Alb. neg. Sed.: ohne pathol. Formelemente. Leukoc. 9000, Diffe-
rentialbild normal. Acidität nach Probefrühstück 27—55.
Bereits beim nächsten Besuch war das Kind, das nur suggestiv
behandelt wurde, wieder völlig beschwerdefrei, im Verlauf der fol-
genden 3 Monate traten keine neuen Schmerzattacken auf. Nach-
träglich gab die Mutter an, das Kind sei nach der Operation zu-
sehends nervöser geworden.
Dieser Fall ist deshalb so interessant, weil er zeigt, daß zwischen
Appendix und Nabelkolik absolut kein ätiologischer Zusammenhang
zu bestehen braucht.
Über das Verhalten der Acidität nach Probefrühstück bei Nabel-
koliken sind in der Literatur nur spärliche Angaben verzeichnet.
So fand Gernsheim bei mehreren diesbezüglichen Fällen Hyper-
acidität, in einem vollständige Anacidität, Ohly gibt für freie HCI
Werte zwischen 36 und 58, für Gesamtacidität zwischen 46 und
78 an.
Unsere Untersuchungen geschahen in der Weise, daß der 45 Mi-
nuten nach Einnahme des Ewald- Boasschen Probefrühstücks aus-
geheberte Mageninhalt filtriert und nach Zusatz von Dimethylamido-
azobenzol und alkoh. Phenolphtaleinlésung gegen 4/,, Normal-
natronlauge titriert wurde.
Es ergab sich in 35% der Fälle normale Acidität, in 45% Hyper-
acidität und in 20%, Hypacidität. Die drei Aciditätsgruppen waren
in gleicher Weise auf die Fälle mit Erbrechen verteilt. In einem
weiteren Fall mit Brechreiz und Übelsein war die Acidität normal.
Die Kinder mit Hyperacidität standen im Alter von 6—12, die mit
240 Metis. Heft 3
Hypaciditat von 8—13 Jahren. Auftreten, Lokalisation und das
klinische Bild waren in allen 3 Gruppen gleich. Zum Vergleich fur
unsere Untersuchungen wurden die von Briining fir normale
Kinder festgestellten Zahlen herangezogen:
-L Freie HCI c j Gesamtacidităt
Für 2—rojabrige ; 11,5 | 46,9
» II—-I5,, 26,1 | 52,8 nach Probefrühstück.
Die so für die einzelnen Gruppen von uns gefundenen niedrigsten
und höchsten Werte für freie HCl und Gesamtacidität gehen aus
der folgenden Übersicht hervor:
Hypacıdität
Freie HCl | Gesamtacid.
Normale Acidität Hyperacidität
Freie HCl Gesamtacid.]| Freie HCl | Gesamtacid.
6—10 6-10 Jahre |: 14—28 [43.350 35—50 , 55—90 9—16 | 25— 36
11—13 25—27 | 48—55 35—30 |92,5—120| 13—22 | 39—44
Die für freie HCI ermittelten Werte sind niedriger, die für
Gesamtacidität höher als die von Ohly bei Nabelkplken an-
gegebenen.
Der Versuch, einen Durchschnittswert für die Acidität bei Nabel-
koliken zu errechnen, ist, wie aus vorstehender Tabelle hervorgeht,
zwecklos. Wenn sich bei Neuropathen die freie HCl auf 25,0 und
die Gesamtacidität auf 57,7 (Brüning) beläuft, so können wir für
Neuropathen mit Nabelkoliken diese Werte nicht als Mittel an-
nehmen. Es wäre vielleicht naheliegend, die Fälle mit Hypacıdität
auf Grund der augenblicklichen Ernährungsverhältnisse mit der
während des Krieges gefundenen Verminderung der Salzsäure
werte in Parallele zu setzen. Aber selbst dann liegen die beiden
anderen Aciditätsgruppen noch so weit auseinander, daß eine
Durchschnittszahl gar keinen praktischen Wert hätte. Damit
kommt die Aciditätsbestimmung für die Diagnose der Nabelkolik
in Fortfall.
Am ungezwungensten erscheint es uns, die so verschiedenen
Aciditätswerte als eine Vagusneurose, da ja der Vagus sekretions-
hemmende undf-fördernde Fasern führt, zu deuten und diese Se
kretionsneurose zum mindesten als ein begleitendes Moment der
Nabelkoliken anzunehmen, ohne damit dieses Symptom als ätio-
logischen Faktor zu betrachten oder gar die Schmerzattacken darauf
zurückführen zu wollen.
Es hat sich gezeigt, daß die Schmerzen in gar keinem Zusammen-
hang mit den Aciditätsverhältnissen stehen; sie sind sowohl beı
Heft 3 Zur Differentialdiagnose der Nabelkoliken. 24I
normaler wie bei Hyper- oder Hypacidität vorhanden. Sie blieben
auch bei „spezifischer“ Behandlung der Sekretionsneurose mit
Na. bicarb., Magnesia usta bzw. mit Acidolpepsin bestehen. Bei
anderen Kindern, denen Tct. Chinae, und Valerian., Calcaona, Pro-
monta oder gar keine Medikamente gegeben wurden, schwanden sie,
obwohl die Sekretionsstörung weiter fortdauerte.‘ Dies würde mit
Untersuchungen von I. E. Schmidt übereinstimmen, der eine
direkte spezifische Schmerzempfindung der Magennerven gegenüber
hohen HCl-Werten bei gesunder Schleimhaut nicht feststellen konnte
(zitiert nach Müller). |
Wir möchten deshalb glauben, daß die Schmerzen bei diesen
sensiblen, vasolabilen Kindern, bei denen die leichteste Erregung schon
einen Farbenwechsel, d. h. eine Änderung in der Innervation der
Kapillaren bedingt, durch Darmspasmen verursacht werden. Wissen
wir doch, daß alle vom vegetativen Nervensystem versorgten Organe
durch Stimmungen leicht beeinflußt werden (vermehrte Schweiß-
drüsensekretion, Puls), daß diese auch auf die Darmperistaltik hem-
mend oder fördernd einwirken können. Da zwischen dem Zentral-
und dem autonomen Nervensystem Wechselbeziehungen bestehen
(Peiper), sind die Koliken und die meist vorhandene Sekretions-
neurose als für diese Krankheit charakteristische neuropathische
Stigmata anzusehen.
Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, behalten wir uns die Be-
handlung mit Atropin, Belladonna, zumal ihr Erfolg vielfach nur
als Suggestivwirkung anzusehen ist, für akute schwere Fälle vor,
handelt es sich doch vielmehr darum, nicht nur einzelne Symptome,
sondern möglichst das Grundleiden, also die Neuropathie, zu be-
seitigen. Gerade der Umstand, daß wir mit den verschiedensten
Medikamenten und Präparaten den gleichen Effekt erzielen konnten
wie mit der Aufnahme in die Klinik oder ohne jede Behandlung,
beweist die Richtigkeit unserer Ansicht. Wenn man daher neben
der Suggestivtherapie, der bei der Behandlung eine nicht zu unter-
schätzende Rolle zufällt, Medikamente, „ut aliquid fieri videatur“
für angezeigt hält, dann möge man sich solcher bedienen, die wirklich
einen günstigen Einfluß auf den Allgemeinzustand des Kindes aus-
zuüben vermögen.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. Ih
242 Metis: Zur Differentialdiagnose der Nabelkoliken. Heft 3
Literaturverzeichnis.
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Sammelreferat über die dermatologische Literatur
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Von Dr. Carl Leiner.
| Syphilis.
White und Veeder geben in ihren Arbeiten eine detaillierte
Übersicht über eine durch 8 Jahre fortgeführte Evidenz einer großen
Reihe kongenital luetischer Kinder, eine Besprechung wichtiger
sozialer Fragen, der klinischen Symptome und der Behandlungs-
resultate. Im ganzen wurden 396 Familien mit 1145 Kindern beob-
achtet, von denen 233 kurz nach der Geburt starben. In einem
hohen Prozentsatz (17,8%) wurden Störungen des Zentralnerven-
systems gefunden; hierher gehören die Fälle von Hemiplegie, Diplegie,
Labyrinthtaubheit, Epilepsie, Tabes und Hydrocephalus internus.
Die Therapie bestand in intravenösen Injektionen von Neosalvarsan,
intramuskulären Injektionen von Sublimat und in der internen
Darreichung von Kalomel. Die Behandlung soll sich auf Jahre
erstrecken unter ständiger Kontrolle durch die Wassermannsche
Reaktion. Neben der antiluetischen Behandlung muß auch auf die
richtige Ernährung, Pflege und Hygiene des Kindes geachtet werden.
Wie bei jeder Syphilisfürsorge haben auch White und Veeder
die Erfahrung gemacht, daß nur ein geringer Prozentsatz der Kranken
einer gründlichen vollständigen Kur unterzogen werden kann und
mehr als die Hälfte der Patienten aus der Behandlung ausbleibt.
Im ganzen wurden von den 308 Fällen, deren Endresultat bekannt
ist, 22%, geheilt, 35%, gebessert, 17% ungebessert und 25% erlagen
der Krankheit. Das Endresultat ist nicht als günstig zu betrachten.
Die Lösung des Problems der kongenitalen Syphilis. liegt nicht so
sehr in der Behandlung als in der Verhütung der Erkrankung, somit
in der Behandlung der schwangeren luetischen Mütter.
Für die antenatale Behandlung treten auch Givan, Fardyce
und Rosen ein. Die beiden letzten Autoren sahen die besten Er-
folge bei der intramuskulären Injektion von Quecksilber und
Neosalvarsan, welche Mittel wöchentlich abwechselnd gegeben
16*
244 Leiner. Heft 3
wurden. Im ganzen werden 6—8 Neosalvarsaninjektionen und ebenso-
viele Quecksilberinjektionen gemacht und für eine exakte Behandlung
mindestens 3 Kuren empfohlen. Es ist bekannt, daß die kongenitale
Lues oft längere Zeit latent bleibt, weshalb große Vorsicht am Platze
ist, bevor ein Neugeborenes einer Amme übergeben wird, nament-
lich dann, wenn irgendwelche Anhaltspunkte für die Möglichkeit
einer Lues vorliegen. Daß trotzdem immer noch Verstöße gegen
diese bekannten Regeln vorkommen, beweist ein von Zieler mit-
geteilter Fall. Eine gesunde Amme infizierte sich an einem syphi-
litischen Säugling und übertrug die Krankheit auf 3 Pflegekinder.
Patzsch ke begründet an der Hand einschlägiger Fälle seinen Stand-
punkt, bei klinisch luesfreien Kindern von syphilitischen Müttem
sofort die Behandlung einzuleiten. Es genügt oft eine Kur. Frank
bringt in seiner Arbeit einen Beitrag zur Kenntnis der Nierenerkran-
kungen bei kongenitaler Lues. Sie gleicht im allgemeinen der nach
Vollhard als septische Herdnephritis bezeichneten Nierenerkran-
kung. Daneben kommt noch eine zweite Form vor, bei der nur das
Parenchym der Nieren ergriffen wird und die sich ihrem klinischen
Verlauf nach als Nephrose im Sinne von Vollhard präsentiert.
Glomerulonephritis konnte bei kongenitaler Lues nicht beobachtet
werden. Nonne teilt einige Fälle von Hypophysenstörungen wie
Infantilismus, Dystrophia adiposo-genitalis, auf der Basis einer
kongenitalen Lues mit. Besonders bemerkenswert sind einige Fille,
bei welchen sich diese Störungen bei kongenitaler Lues in der dritten
Generation einstellten. Der strikte Beweis, daß es sich hier um
luetische Folgeerscheinungen handelte, konnte durch die anatomi-
schen Befunde und durch mitunter auf antiluetische Behandlung
sich einstellende Besserung erbracht werden. |
Kraus teilt einen Fall von Syphilis der dritten Generation
mit, der alle Postulate erfüllt, die bei der Stellung dieser Diagnose
gefordert werden müssen. Der Patient, ein 4 Monate altes Kind.
leidet an Osteochondritis beider Ellbogengelenke mit Parrotscher
Parese. Die Mutter hatte am Ende der ersten Lebenswoche einen
Ausschlag an beiden Fußsohlen, der als luetisch erkannt und an
der Prager Klinik behandelt wurde. Die Wassermannsche Reaktion
ist noch positiv. Die Großmutter des Kindes hatte nach der Anamnese
vier Schwangerschaften durchgemacht, wovon die beiden ersten
ım 8. Monat mit der Geburt toter macerierter Früchte endeten, die
dritte im 5. Monat durch künstlichen Abortus unterbrochen wurde.
Die vierte Schwangerschaft endete normal mit Geburt eines an-
scheinend gesunden Kindes — der Mutter des Patienten —
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 245
und zeigte dann, wie bereits erwähnt wurde, am Ende der ersten
Lebenswoche einen syphilitischen Ausschlag. Weinstein demon-
strierte ein Kind mit Spatlues (komplette Taubheit, Keratitis paren-
chymatosa seit 2 Jahren) mit einer bisher nicht beobachteten Kompli-
kation, einem gummösen Geschwür der Rachenwand, das sich unter
Jodtherapie zurückbildete.
Parounagian und Goodman weisen darauf hin, daß die ak-
quirierte Syphilis im Kindesalter keineswegs gar so selten ist; sie
findet sich im allgemeinen bei Mädchen häufiger als bei Knaben.
Sie ist fast immer extragenital, nur äußerst selten genital. Einen
derartigen Fall, einen 5!/,jährigen Knaben betreffend, teilen die
beiden Autoren mit. Einen eigenartigen Fall einer Syphilisüber-
tragung bildet der von Helmreich in der Wiener Gesellschaft für
Kinderheilkunde demonstrierte. Es handelt sich um ein 6 Monate
altes Brustkind mit erworbener Syphilis im Stadium der Generali-
sierung, wofür der Milztumor und die positive Wassermannsche
Reaktion sprechen. Die Infektion der Mutter erfolgte beiläufig
31/, Monate nach der Geburt des Kindes. Es ist in diesem Falle
daran zu denken, daß das Kind mit der Muttermilch Spirochäten
übernommen hat, wenn auch der Nachweis von Spirochäten in der
Muttermilch bisher noch niemals gelungen ist.
Im folgenden sollen mehrere Arbeiten Erwähnung finden, die sich
mit therapeutischen Fragen der kongenitalen Lues befassen.
Ong und Selinger besprechen die in manchen amerikanischen
Kinderspitälern bestehenden eigenen Stationen zur Behandlung
der Säuglings- und Kindersyphilis und bringen einen kurzen Bericht
über eine solche Station im Kinderspital zu Washington. Die Erfolge
der ambulatorischen Stationsbehandlung sind zufriedenstellend.
Die Kranken erhalten intravenöse Neosalvarsan- und intramuskuläre
Sublimatinjektionen. Pinard und Girand berichten über die
guten Erfolge, die sie mit Sulfarsenolinjektionen erzielen. Jede
Kur besteht aus 3 Serien, jede Serie aus 8—ıo Injektionen, die sub-
cutan in der Dosis von 0,0I—0,02 pro Kilogramm Körpergewicht
verabfolgt werden.
SchuBler teilt eine von ihm mit Erfolg geübte Heliandiungs-
methode mit, deren Wesen in der Anwendung höherer Neosalvarsan-
dosen besteht, als sie sonst üblich sind. Die Kur beginnt mit drei
intravenösen Neosalvarsaninjektionen, die in zweitägigen Intervallen
vorgenommen werden. Dann folgen durch 8 Wochen Quecksilber-
einreibungen, und zwar an 3 Tagen in jeder Woche. Hierauf werden
wieder 3 Neosalvarsaninjektionen gemacht und zum Schluß der
246 Leiner. Heft 3
Kur wieder wie früher durch 4 Wochen Quecksilber eingerieben.
Das Neosalvarsan wird in auffallend hoher Dosierung gegeben.
Dosis 0,15 bei einem Gewicht unter 12 Pfund, Dosis 0,30 bei einem
Gewicht zwischen I2 und 22 Pfund, Dosis 0,45 bei einem Gewicht
zwischen 22 und 35 Pfund. Zur ersten Injektion wird gewöhnlich
die Hälfte der entsprechenden Dosis genommen.
Müller tritt mit großer Wärme für die von ihm eingeführte
energische Behandlung der kongenitalen Lues mit Neosalvarsan
und intramuskulären Injektionen von Kalomelöl ein. Die chemische
Fabrik Kade in Berlin stellt eine feine Kalomelemulsion in Ver-
dünnungen von 3—9% her, von denen entsprechend dem Gewicht
0,Io ccm injiziert werden. Die hierbei sich bildenden entzündlichen
Schwellungen sind fast immer flüchtiger Natur.
Stransky erörtert einige wichtige Ernährungsprobleme bei der
kongenitalen Lues. Es wird darauf hingewiesen, daß die Erkrankung
bei vielen Fällen ein mangelndes Gedeihen, oft einen Stillstand
des Gewichtes mit sich bringt, welche Störungen sich erst auf eine
spezifische Behandlung bessern ; in manchen Fällen ist die Schädigung
so hochgradig, daß es zu einem parenteralen, irreparablen Gewichts-
sturz kommt, dessen Grund in einer Störung des intermediären
Stoffwechsels liegen dürfte. Bei vielen luetischen Kindern wurde
ein erhöhter Energiebedarf beobachtet, so daß Gewichtszunahmen
erst eintraten, wenn Nahrungsmengen zugeführt wurden, die einem
abnorm hohen Energiequotienten (I50—200) entsprachen.
Scharlach.
Haselhorst und Blum befassen sich mit der Frage der Ver-
wendbarkeit des Auslöschphänomens für die Scharlachdiagnose.
Das Wesentliche der von Schulz und Charlton entdeckten Er-
scheinungen besteht darin, daß Normalserum, ebenso Scharlach-
rekonvaleszentenserum — nach dem 25. Tag entnommen — einem
Patienten mit Scharlachexanthem intracutan injiziert, an der In-
jektionsstelle eine Auslöschung, und zwar frühestens nach 6—8 Stun-
den, erzeugt. Andererseits verursacht Scharlachfrühserum (in den
ersten 5 Krankheitstagen entnommen), einem Patienten mit Schar-
lachexanthem intracutan injiziert, an der Injektionsstelle keine
Veränderung.
Haselhorst kommt auf Grund einer längeren Beobachtungszeit
zu dem Schlusse, daß gerade in den differentialdiagnostisch schwierigen
Fällen mit geringem Fieber, ohne typischen Rachenbefund mit
schwachem, flüchtigem Exanthem das Auslöschphänomen ım
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 247
Stiche läßt. Blum fand bei Benützung eines Standard-Normalserums
(inaktiviert und mit 0,5 proz. Phenol sterilisiert) bei jedem echten
Scharlach ein positives Auslöschphänomen. Die sog. chirurgischen
Scharlachfälle verhielten sich nicht so eindeutig. Unter zehn der-
artigen Fällen war bei sechs ein positives, bei vier ein negatives
Auslöschphänomen zu sehen. Bei einem Fall, bei dem die direkte
Probe negativ wär, wurde Blut zur Anstellung der indirekten Probe
entnommen, und es stellte sich heraus, daß das Serum viermal
nicht imstande war, ein echtes Scharlachexanthem auszulöschen.
Hier sprach die direkte Anwendung gegen, die indirekte für
Scharlach.
Degkwitz berichtet über die interessante und wichtige Frage
der Scharlachprophylaxe. Von 509 der Scharlachinfektion aus-
gesetzten Kindern erkrankten nach prophylaktischer Seruminjektion
nur drei in leichtester Form. Die schützende Dosis betrug für Kinder
bis zu 8 Jahren 5—6 ccm, für Kinder zwischen 9 und 14 Jahren
to ccm. Rekonvaleszentenserum wurde nur von mittelschweren
und schweren Fällen in der vierten oder bei- Nachkrankheiten in der
fünften bis sechsten Krankheitswoche mit den Kautelen gegen Lues
und Tuberkulose entnommen. Die Scharlachprophylaxe ist eine
rein passive Immunisierung, der Schutz dauert nur einige Wochen.
Simpson hat 35 Fälle der sog. „vierten Krankheit“ beobachtet,
die nach seiner Ansicht zur Scharlachgruppe gehören, da sie eine
Immunität gegenüber echtem Scharlach aufweisen.
Masern.
Nach Nöthen gibt es auch bei Masern ein Vorexantlıem, aller-
dings nur in manchen Fällen, das sich von den Prodromalexanthemen
anderer akuter Infektionskrankheiten durch stärkere Flüchtigkeit,
wiederholtes Auftreten innerhalb kurzer Zeiträume, Mangel einer
bestimmten Lokalisation auf der Haut und die wechselnde Form
des Exanthems (Erythem, Roseolen, skarlatinöser und morbilli-
former Ausschlag, Urticaria, Purpura) unterscheidet. Die Bedeutung
des Vorexanthems für die Frühdiagnose der Masern ist gering, jedoch
kann es bei bestehender Leukopenie, selbst wenn katarrhalische
Erscheinungen fehlen, von Bedeutung sein.
Schilling ist in der Lage, die guten Resultate mit der prophylak-
tischen Masern-Rekonvaleszentenserumimpfung zu bestätigen. Seine
Versuche einer unspezifischen Masernprophylaxe, mittels Injektion
von artfremdem Eiweiß, Serum oder Caseosan, sind nicht ganz
negativ ausgefallen. Von Io Kindern, die je ı ccm Caseosan erhielten,
248 Leiner. Heft 3
blieben sieben gesund, ein Kind erkrankte abortiv, bei 2 Kindem
war das Exanthem blaß und flüchtig.
Asal-Falk hat in mehreren Fällen von Grippe Koplikflecke beob-
achtet.
Typhus abdominalis.
Kisters teilt 2 Fälle von Typhus abdominalis mit, die von der
Norm abweichende Hautveränderungen aufweisen. Bei dem einen
Falle, einem 12 Monate alten Kind mit schwerem, zum Exitu:
führendem Typhus, kam es zu einer Umwandlung der Roseolen
in Hämorrhagien, wobei noch hervorzuheben ist, daß das Exanthem
auch auf der Kopfhaut und im Gesichte lokalisiert war. Bei dem
zweiten Falle, einem gjährigen Knaben, bestand neben der typischen
Roseola ein makulo-papulöses und urticarielles Exanthem am
ganzen Körper.
Varicella.
Stooß demonstrierte.an der Hand eines Falles den Zusanımen-
hang von Varicellen und Herpes zoster.
Sack führt eine besonders heftige Eruption von Varicella bei
einem Falle auf die mehrere Tage vorher vorgenommene Höhen-
sonnenbestrahlung zurück. Er hält es für wahrscheinlich, daß
diese Bestrahlung mit ultravioletten Strahlen die Haut stark
sensibilisiert und den Eruptionsprozeß in hohem Maße aktiviert
und mobilisiert.
Nach den Versuchen von Thomas und Arnold gelingt eine
Schutzimpfung gegen Varicellen auch mit dem Inhalt einer über
einer Varicella-Efflorescenz erzeugten Katharidenblase.
Variola und Vaccination.
Morawetz befaßt sich in seiner Arbeit mit verschiedenen Fragen
der Variola-Vaccineimmunität und kommt auch auf die angeborene
Immunität zu sprechen. Auf Grund klinischer Erfahrungen scheint
in den ersten Lebenswochen eine gewisse Immunität gegenüber der
Variolainfektion zu bestehen.
Frankenstein kann die Resultate‘ der intracutanen Impfung
nach Leiner-Kundratitz bestätigen. Er verwendete eine Lymph-
verdünnung von I : Io und damit sind einige Abweichungen im Ver-
laufe der Impfung gegenüber Leiner-Kundratitz zu erklären.
Der Vorzug der intracutanen Vaccination besteht darin, daß eine
einzige Injektion, die keine Narbe hinterläßt, genügt. Sie vermeidet
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d.J.1922. 249
bei gleichem Enderfolg die Nachteile der cutanen Impfmethode.
Sie beweist auch, daB das Entstehen der Pockenvaccineimmunitat
nicht an das Auftreten der Jennerschen Impfpustel gebunden ist.
Mikrobielle Dermatosen, Mykosen und Dermatozoonosen.
Diphtherie der Haut.
Biberstein betont die Häufigkeit der ekzematoiden Form,
die sehr oft von den Hautfalten, besonders der retroaurikulären
Gegend, ihren Ausgang nimmt. Kinisch weist oft ein eigenartiger,
schleierähnlicher Belag auf die bestehende Erkrankung hin, meistens
führt erst die bakteriologische Untersuchung zur sicheren Diagnose.
Der Verlauf der Erkrankung ist meist ein chronischer, das Allgemein-
befinden nur wenig gestört. Erscheinungen von seiten des Herzens
oder sonstige postdiphtherische Schädigungen wurden nie beob-
achtet.
Pyodermien.
Lewandowsky unterscheidet eine streptogene und eine staphylo-
gene Impetigo. Bei der Streptokokkenimpetigo ist das Bläschen-
stadium rasch vorübergehend, oft gar nicht nachweisbar. Die Krusten
sind dick, von gelber, gelbbrauner Farbe, meist von einem geröteten
Hof umgeben. Hauptlokalisation ist das Gesicht; nach dem Ab-
heilen bleiben oft noch monatelang rote Flecke zurück. Die Staphylo-
kokkenimpetigo läßt das primäre Bläschenstadium gewöhnlich
deutlich erkennen, die Krusten sind dünn, serös-durchsichtig. Bei
manchen Fällen fehlt die Krustenbildung ganz. Circinäre Formen
sind bei der Staphylokokkenform viel häufiger als bei der strepto-
genen. Die streptogene Form steht dem Ekthyma nahe, die staphylo-
gene der Dermatitis exfoliativa Ritter und dem Pemphigus neo-
natorum. Fuchs behandelt das gleiche Thema und hebt noch her-
vor, daß die Staphylokokkeninfektionen sich als ansteckender er-
weisen und besonders gehäuft in den Sommermonaten auftreten.
Die Arbeiten von Wieland und Weber befassen sich mit den
Beziehungen des Pemphigus contagiosus zur Dermatitis exfoliativa.
Wieland kommt auf Grund der Beobachtung einer kleinen
Pemphigusepidemie von ı2 Fällen, von denen zwei in das schwere
Krankheitsbild der Dermatitis exfoliativa übergingen, zu dem
Schluß, daß die beiden Krankheiten zusammengehören. Auch Weber
ist der Ansicht, daß der Pemphigus contagiosus, die Impetigo con-
tagiosa und die Dermatitis exfoliativa eng verwandte .Krankheiten
250 Leiner. | Heft 3
darstellen, ja wahrscheinlich sogar nur verschiedene Erscheinungs-
formen einer und derselben Krankheit sind.
Kerley sah nach Tonsillektomie bei einem 2jahrigen Kind einen
mit Fieber einhergehenden septischen ProzeB auftreten, der auf der
Haut zu einem der Dermatitis exfoliativa ähnlichen Ausschlag
führte.
Dudden bringt in seiner Arbeit 3 Fälle von Ekthyma gan-
graenosum, jener zuerst von Hitschmann und Kreibich
beschriebenen Pyocyaneusinfektion. Das Wesentliche der Erkran-
kung besteht in dem Auftreten von knotenförmigen Infiltraten,
die rasch in Geschwüre sich umwandeln, ohne daß es zur Eiterung
kommt. Dudden hält die Frage, ob hier eine endogene oder exogene
Infektion vorliegt, noch nicht für entschieden.
Hußler weist darauf hin, daß die Nephritis nach Impetigo con-
tagiosa keineswegs selten ist und eine ausgesprochene Kinderkrank-
heit vorstellt. Therapeutisch hat sich zur Entfernung der Krusten
besonders das Schmierseifenbad bewährt.
Barabäs hebt mit Recht hervor, daß das Erysipel der Kopf-
haut oft übersehen wird, zumal bei lebensschwachen Kindern die
Temperatur sogar subnormal sein kann. Nach dem Abflauen der
Entzündung tritt eine leichte, kleienförmige Schuppung ein. Das
Erysipel zeigt oft eine günstige Wirkung auf eine bestehende Haut-
erkrankung. In einem Falle verschwand eine hartnäckige Prurigo.
Mykosen.
Nach Kumer kann der als harmloser Saprophyt normalerweise
auf der gesunden Haut vorkommende Soorpilz unter besonders
günstigen Bedingungen verschiedene Krankheitserscheinungen her-
vorrufen. Als Primärefflorescenzen wurden kleine Bläschen oder
scheibenförmige, zentral schuppende Erytheme beobachtet. Die
Soormykose, die fast immer mit Soor des Mundes sich vorfindet,
ist hauptsächlich in der Analgegend lokalisiert. Rayka beschreibt
einen ausgebreiteten Fall einer Soormykose vom Typus des Ery-
thema mycoticum Beck. Zur Ansiedlung des Pilzes genügt
im allgemeinen eine leichte Maceration der Haut.
Dermatozoonosen.
Heilmann hebt als Unterschied der Säuglingsskabies gegenüber
der des Erwachsenen hervor, daß die erstere auch die behaarte
Kopfhaut und das Gesicht befällt. Zur Behandlung der Skabies,
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 25I
auch des Gesichts, empfiehlt Heilmann die von Oppenheim
angegebene Salbe: Sulfur. praecip., Cretae albae, Zinci oxyd. ää 15,0,
Vaselin. puriss. 45,0.
Dermatosen unbekannter Ätiologie.
Die Arbeiten von Cooke und Wolf bringen interessante Beiträge
zur Lehre der allergischen Reaktionen der Haut. Wolf spricht
von ,Proteosen“ und versteht darunter die allergische Reaktion
bestimmter Individuen auf die Einführung eines . oder mehrerer
bestimmter fremdartiger Proteine; die Empfindlichkeit kann an-
geboren sein oder sich erst später entwickeln. Die Reaktion besteht
entweder in einem anaphylaktischen Schock — Kuhmilch-Idio-
synkrasie — oder sie äußert sich als chronisches Leiden, was häufiger
vorkommt. Zur letzteren Gruppe gehört das Asthma, die Urtikaria,
das Ekzem, besondere Katarrhe der Luftwege und der Augenbinde-
haut. Nach der Herkunft des verursachenden Eiweißkörpers zer-
fallen die Proteosen in ı. Pollinosen, 2. Nahrungsproteosen, 3. Tier-
schuppenproteosen und 4. bakterielle Proteosen. Die verschiedenen
Proteine pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel, sowie der Bak-
terien und der Pollen vieler Blüten sind in chemisch reinem Zustande
isoliert worden und in Amerika käuflich zu erhalten. Die Impfung
wird cutan oder intracutan ausgeführt und aus dem Ausfall der
Reaktion auf die Empfindlichkeit des Kranken gegen ein bestimmtes
Protein geschlossen. Entgegen den diagnostisch und therapeutisch
guten Resultaten der amerikanischen Autoren kommen van Leeu-
wen, Bien und Varlkamp auf Grund gleicher Versuche zu dem
Schlusse, daß man mit diesen Reaktionen nur die allgemeine Diagnose
der allergischen Disposition, nicht aber die spezifische Diagnose des
kausalen Agens stellen kann. Nach Bloch kommen Urticaria und
exsudative Arzneidermatosen dadurch zustande, daß im sensibili-
sierten Organismus das Antigen, das ein körperfremdes Eiweiß, ein
chemisch verändertes, körpereigenes Eiweiß oder ein exogener
oder endogener, nicht eiweißartiger Stoff sein kann, kreist und durch
Einwirkung auf meist zellständige Antikörper im peripheren Ge-
fäßsystem Veränderungen im Sinne einer erhöhten Durchlässigkeit
oder einer Entzündung hervorruft. Die Urticaria entsteht nach
Mautner durch Kontraktion kleinster Venen während einer an-
aphylaktischen oder idiosynkrasischen Reaktion. Wenn auch die
Resultate aller dieser Arbeiten noch keine einheitlichen sind, so
können wir doch erwarten, daß auf diesem Wege die Ätiologie ver-
schiedener Dermatosen unserem Verständnis näher gebracht werden.
252 Leiner. Heft 3
Leiner befaBt sich in seiner Arbeit mit der Frage der Beziehung
der Dermatosen des Säuglingsalters zur Ernährung. Von diesem
Gesichtspunkte aus wird das Ekzem, der Strophulus und die Erythro-
dermia desquamativa besprochen. Klinik und Pathogenese der
einzelnen Krankheitsbilder werden genau erörtert, um auf diesem
Wege gewisse Anhaltspunkte für einen möglichen Zusammenhang
zwischen den Hautveränderungen und dem jeweiligen Ernährungs-
zustand herauszufinden. Nach der klinischen Erfahrung scheint
ein solcher Zusammenhang zu bestehen, während die wissenschaft-
lichen Ergebnisse im großen und ganzen uns den exakten Beweis
in dieser Frage noch schuldig geblieben sind. Völlige Klarheit besteht
ätiologisch und therapeutisch nur in jenen Fällen, die auf echter
Idiosynkrasie beruhen. In einem Fortbildungsvortrag bespricht
Leiner die universellen Sduglingsdermatosen: die Dermatitis ex-
foliativa Ritter, das seborrhoische Ekzem, das Erythéme
seborrhoique Lebard-Moussous und die Erythrodermia
desquamativa Leiner. Bei der Dermatitis exfoliativa wird auf
die Beziehung zum Pemphigus contagiosus und auf die Ähnlichkeit
mit gewissen Hautveränderungen, die durch Maceration entstehen,
hingewiesen. Die Erythrodermia desquamativa wird als selbständige
Dermatosa aufgestellt und von den übrigen seborrhoischen Haut-
krankheiten abgetrennt. Haller beschreibt in seiner Abhandlung
drei für das erste Säuglingsalter sehr wichtige Hauterkrankungen,
die das Symptom der Hautabschilferung gemeinsam haben, sich aber
in ihrer Natur, ihrem Beginn und Entwicklung und in der Häufig-
keit, mit der man sie beobachtet, unterscheiden. Es handelt sich
um die physiologische Desquamation der Neugeborenen, um die
Dermatitis exfoliativa Ritter und um die Erythrodermia desquamativa
Leiner.
Hackel weist darauf hin, daß in den Jahren der Lebensmittelnot
und Unterernährung, besonders in den Jahren IgIg und 1920, in
Wien ein gehäuftes Auftreten der Erythrodermia desquamativa beob-
achtet wurde. Von 44 Fällen, die in den Jahren 1918 —ı921 zur
Aufnahme gelangten, starben 23, geheilt entlassen wurden 17, un-
geheilt 4. Die Untersuchung des Blutbildes in 1o schweren Fällen
ergab die Tatsache, daß in allen Fällen eine Vermehrung der Leuko-
cyten bestand, die oft hohe Grade erreichte und in 8 Fällen zo 000
bis 26 000 betrug. Die Vermehrung betraf hauptsächlich die poly-
nucleären Formen. Die eosinophilen Zellen waren vermindert, fehlten
oft ganz im Gegensatz zu dem Befunde bei exsudativen Erkrankungen.
Dem Blutbild kommt eine gewisse differentialdiagnostische Bedeu-
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 253
tung zu bei der oft schwierigen Abgrenzung der Erythrodermie gegen
andersartige ekzematöse Erkrankungen. In einem sehr schweren
Falle kam es bei Brustnahrung unter Zugabe von hohen Dosen
Citronensaft (6 Kaffeelöffel täglich) zur Heilung, in anderen Fällen
versagte die Zugabe von Citronensaft. Auch Nobel empfiehlt in
schweren Fällen von Erythrodermia desquamativa die Zufuhr von
Citronensaft, ohne ganz überzeugt zu sein, daß die Erythrodermie
tatsächlich Beziehungen zur Avitaminosengruppe hat. Allerdings
läßt das zeitliche Verhalten, die Verteilung der Erythrodermie auf
die einzelnen Jahre vielleicht einige Beziehungen zur Häufigkeit
anderer Avitaminosen besonders zum Morbus Barlow herausfinden.
Nach einer Zusammenstellung der beobachteten Fälle aus den Jahren
IQI4—I922 war eine auffallende Häufung in den ersten Nachkriegs-
jahren und speziell in den Monaten Dezember, Januar und Februar
zu beobachten. In einer zweiten Mitteilung berichtet Nobel über
den Exitus eines Erythrodermiefalles, der nach Zufuhr von Citronen-
saft in voller Abheilung sich befand. Als Todesursache wurde eine
chronische Enteritis follicularis, Bronchopneumonie und Otitis media
gefunden.
Bosänyi konnte in 2 Fällen von Erythrodermia desquamativa
bei der Obduktion als seltene Komplikation ein Duodenalgeschwür
auffinden. In dem einen Fall war schon klinisch die Diagnose aus dem
Bluterbrechen und Blutnachweis im Stuhl gestellt worden.
Barab ás beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der ,, Proteink6érper-
therapie“ in der Kinderheilkunde und weist unter anderem auf die
guten Erfolge von Menschenblutinjektionen bei Erythrodermie hin.
In der amerikanischen Literatur häufen sich die Arbeiten über
ein eigenartiges Krankheitsbild, das als „Erythroedema“ oder
„Pink disease“ oder ,,Acrodynia® oder ,,Dermato-Poly-
neuritis“ beschrieben wird. Ich erwähne die Arbeiten von Za-
horsky, Stevens und Johnson, Thursfield und Paterson,
Davis, Porter, Vipond, Comby und Weber. Es handelt sich
um eine ausgesprochene Kinderkrankheit, die fast stets zwischen
dem 4. Monat und 4. Jahr auftritt, meistens sporadisch, seltener
in kleinen Epidemien. Die Krankheit beginnt meist mit hohem Fieber
und ist charakterisiert einmal durch Hautveränderungen, die miliaria-
ähnlich oder auch fleckig, morbilliform oder selbst knötchenförmig
sein können; weiter durch polsterartige Schwellung der Hände
und Füße mit Rötung der Handflächen und Fußsohlen, durch inten-
siven Juckreiz, Schwellung des Zahnfleisches, ev. mit Ausfall der
Zähne, Geschwürsbildung der Haut und Mundschleimhaut, Abmage-
254 Leiner. Heft 3
rung, Muskelschwäche, Unruhe, Schlaflosigkeit usw. Die Prognose
ist im allgemeinen gut, die Dauer der Krankheit meist chronisch,
oft über, Monate sich erstreckend. Ätiologisch herrscht noch völlige
Unklarheit. Trotz mancher Ähnlichkeiten mit Beri-Beri oder Pellagra
liegt kein Anhaltspunkt für die Annahme einer Avitaminose vor.
Von mancher Seite wird die Krankheit als Trophoneurose aufgefaßt,
durch irgendeine Infektion hervorgerufen. Die Therapie besteht
in guter Ernährung, guter Pflege und entsprechenden symptomati-
schen Medikamenten. Im Blute konnte oft eine deutliche Leukopenie
nachgewiesen werden.
Lehndorff und Leiner machen auf ein nicht seltenes, bisher
noch nicht beschriebenes Erythem aufmerksam, das in manchen
Fällen von akuter oder rezidivierender Endokarditis beobachtet
werden kann. Es besteht in blaßvioletten, ringförmigen Flecken,
die hauptsächlich am Stamme lokalisiert sind; es ist meist flüchtiger
Natur, kann sich aber auch unter Nachschüben über Wochen er-
strecken. Die Frage, ob es sich um ein bakterielles oder toxisches
Erythem handelt, ist noch unentschieden. In den bisher unter-
suchten Fällen sind die Kulturen aus Blut und Lokalefflorescenzen
steril geblieben. Soviel läßt sich von dem Erythema annulare
mit Sicherheit sagen, daß es für akute Endokarditis pathognomonisch
zu sein scheint.
Bernheim-Karer und Keilmann besprechen die Skleroder-
mie der Neugeborenen. Die Entstehung, der Verlauf und Ausgang
zwingen zu einer scharfen Trennung dieser Hautveränderung von der
Sklerodermie der Erwachsenen und der älteren Kinder. Es handelt
sich um eine umschriebene Veränderung des subcutanen Fettgewebes,
die möglicherweise durch Geburtstraumen ausgelöst wird und zu
der vor allem übergewichtige Kinder disponiert zu sein scheinen.
Infolge der Traumen kommt es zu Blutungen in die Subcutis und
anschließend zu Nekrosen des subcutanen Fettgewebes. Diese
Nekrose führt weiter zu einer beträchtlichen entzündlichen Infil-
tration der Subcutis und ödematösen Schwellung des Bindegewebes.
Der Ausgang ist restlose Resorption und Heilung ohne Narben-
residuum innerhalb von 2—3 Monaten.
Jordan, Heidler, Lange und Schipper besprechen einige
Fälle von Ichthyosis congenita. Jordan teilt 2 Fälle mit, die
von einer luetischen Mutter geboren wurden. Der eine Fall zeigte
die typischen Erscheinungen der Ichthyosis congenita und starb
kurz nach der Geburt; beim anderen Fall entwickelten sich im Laufe
des ersten Jahres langsam jene Hautveränderungen, die der Ichthyo-
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 255
sis larvata entsprechen. Die Haut des ganzen Körpers, auch an den
Beugen, ist trocken, schilfernd. Die Kopfhaare und Augenbrauen
fehlen; es besteht ein Ektropium der Augenlider. Jordan faßt
den zweiten Fall als Ubergangsfall zur Ichthyosis vulgaris auf und
will beide Formen nicht scharf voneinander trennen. Heidler
spricht sich für eine Zusammengehörigkeit beider Formen aus und
erwähnt 2 Fälle von Ichthyosis vulgaris, bei welchen die ersten
Erscheinungen bereits in den ersten Lebenswochen deutlich vorhan-
den waren. Blotevogel beobachtete einen 8jährigen Knaben mit
allen Veränderungen der verschiedenen Ichthyosisformen (Ichthyosis
simplex, nitida und hystrix). Die Hystrixbildung war an den Gelenks-
beugen ausgeprägt, außerdem zeigten die Handflächen und Fuß-
sohlen stalaktitenartige Hornhautwucherungen.
Siemens teilt 2 Fälle mit vom Typus der acneiformen bzw.
comedoähnlichen Keratosis follicularis. Es handelt sich um ein
kongenitales Leiden, das in der Regel in den ersten Lebensmonaten
sich zu entwickeln beginnt. Die Primärefflorescenz ist ein comedo-
ähnlicher, in den höchsten Stadien kuppelförmiger, harter Horn-
pfropf, der auf einer mattroten oder schmutzigbraunen, runden
Papel sitzt. Nach Herauskratzen des Hornpfropfes bleibt eine trich-
terförmige Vertiefung zurück. Der Prozeß ist vornehmlich lokalisiert
an den Ellbogen, Knien, den Streckseiten der Extremitäten, in ge-
ringerem Maße an den Nates und in der Umgebung des Mundes.
Gleichzeitig finden sich Nagelveränderungen, umschriebene Keratosen
an Palmae und Plantae und an der Mundschleimhaut. Die Ätiologie
des Leidens ist nicht geklärt, die Veränderungen können das ganze
Leben hindurch bestehen und mit zunehmendem Alter etwas zurück-
gehen.
Leiner demonstriert in der Wiener Gesellschaft für Kinderheil-
kunde ein gjähriges Mädchen mit einer eigenartigen, den Kinder-
arzten wenig bekannten Hautaffektionen, einem Granuloma
annulare. Charakteristisch sind die scheiben- oder ringförmigen
Herde von elfenbeinartiger Farbe, lokalisiert an der Dorsalseite der
Finger oder an dem Rücken der Hand. Die Ätiologie ist nicht ge-
klärt. Von mancher Seite werden Beziehungen zur Tuberkulose
angenommen. In dem Falle Leiners waren alle Tuberkulinproben
negativ.
Mayer und Katz nehmen an der Hand von 2 Fällen von „Epi-
dermolysis bullosa hereditaria“ zu einigen Fragen in der
Genese dieses Leidens Stellung. Bei beiden Kindern ist das Auftreten
von Blasen bereits in den ersten Lebenstagen in Erscheinung getreten.
256 Leiner. Heft ;
Der eine Fall zeigte Veränderungen, die der sog. dystrophischen
Form zugerechnet werden. Alle Versuche, beide Formen voneinander
zu trennen, haben sich nicht als hinreichend beweiskräftig erwiesen.
Zum Zustandekommen einer klinisch in Erscheinung tretenden
Epidermolysis werden 2 Faktoren benötigt: I. die Anlage zu einer
temporären ,Blasenbereitschaft“ der Haut, die durch einen be-
sonderen Reizzustand der Capillaren oder der Gefäßnerven hervor-
gerufen wird (erbliches Moment) und 2. ein mechanischer, von außer.
wirkender Insult.
Lewi demonstrierte in der Wiener Gesellschaft für innere Medızın
und Kinderheilkunde (9. XI. 1922) einen Fall von Dermatitis
herpetiformis Diihring. Bei einem luetischen, imbecillen Kind
kam es 3 Wochen nach einer antiluetischen Kur eines scheiben-
förmig angeordneten Exanthems am Stamme, das aus kleinen Blä-
chenefflorescenzen sich zusammensetzte. Daneben bestanden an
verschiedenen Stellen des Körpers auch Knötchenefflorescenzen
und Quaddeln. Die Eruption erfolgte in mehreren von Fieber be
gleitetenden Nachschüben. Eosinophilie war weder im Blute noch
im Bläscheninhalte nachweisbar. Oliver und Eldrige haben dies
Dermatose bei zwei Kindern im Alter von 18 Monaten bzw. ro Jahren
beobachtet.
König teilt einen Fall von Purpura fulminans bei einem
19 Monate alten luetischen Kinde mit, das innerhalb von 2 Tagen
zugrunde ging. Die histologische Untersuchung einiger punktförmiger
Flecken ergab, daß sie kleine Blutaustritte darstellen, und zwar
rings um die Hautgefäße, in denen Streptokokkenembolien saßen.
Aus dem Blute wurden dieselben Kokken gezüchtet. McConnell und
Weaver erwähnen einen Fall von Purpura fulminans, der während
der Scharlachrekonvaleszens auftrat und ebenfalls letal ausging.
Hoffmann bespricht einen Fall von Werlhofscher Krankheit
bei einem sjährigen Mädchen im Anschluß an Varicellen. Der Fall
ist insofern bemerkenswert, als die vorausgegangene Infektion
nicht zu einer anaphylaktoiden, sondern zu einer Werlhofschen
Purpura gefiihrt hat.
Nobe&court gibt eine Übersicht über die chronischen Purpura-
formen des Kindesalters. Zur Behandlung wird die Injektion von
frischem Pferdeserum oder auch Menschenserum empfohlen, in schwe-
ren Fällen kann die Splenektomie oder Röntgenbestrahlung der Milz
in Frage kommen.
Schuscik demonstrierte in der Wiener Gesellschaft für inner
Medizin und Kinderheilkunde (g. III. 1922) ein ı!/sjähriges Mädchen
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 257
mit multipler Gangrän. Unter Fieber, Erbrechen und Unruhe
kam es zum plötzlichen Auftreten von einem hämorrhagischen
Erythem und weiterhin zu multipler Gangränbildung an den oberen
und unteren Extremitäten. An der Mundschleimhaut bildeten
sich kleine Geschwüre. Die Wassermannsche Blutuntersuchung
fiel negativ aus. Das Kind erlag der Krankheit außerhalb des
Spitals.
v. Bokay macht auf eine nicht unwichtige Hautveränderung
aufmerksam, die in einer oberflächlichen Geschwürsbildung an und
in der Umgebung der äußeren Harnröhrenöffnung bei circumzidierten
Kindern besteht. Die Ursache dürfte in mechanischen und chemischen
Momenten als Folge schlechter Hygiene und Pflege zu suchen sein.
Schmidt bringt einen interessanten Beitrag zur Xanthomfrage.
Er beobachtete die Xanthombildung bei 5 Geschwistern; Vater
und Mutter waren frei von der Krankheit, so daß man annehmen
muß, daß die Eltern die Erbanlage in äußerlich nicht sichtbarer
Form in sich trugen. Die Prädilektionsstellen des Xanthoms sind
dieselben wie bei Psoriasis, vor allem jene Stellen, die häufigen
Traumen ausgesetzt sind. Bei der beobachteten Familie, auch bei
Vater und Mutter, die nicht an Xanthom litten, tang sich Hyper-
cholesterinämie.
Bahrawy weist an der Hand einer groBen Untersuchungsreihe
darauf hin, daB die 1m Corium gelagerten Pigmentzellen, die das
Wesentliche des Mongolenfleckes ausmachen, auch bei der
kaukasischen Rasse regelmäßig sich finden, Nur sind die Pigment-
körnchen hier in so geringer Zahl vorhanden, daß die sie enthalten-
den Zellgebilde nur schwer von der Umgebung differenziert werden
können. Der Unterschied ist also nur ein quantitativer. Die Mon-
golenzellen geben eine positive Dopareaktion und erweisen sich somit
als Pigmentbildner (Melanoblasten).
Nach Hashimoto hat Baltz im Jahre 1896 auf eine Verfärbung
der Haut nach dem reichlichen Genuß von japanischen Orangen
hingewiesen. Hashimoto beobachtete bei einer großen Zahl von
Fällen diesen Pseudoikterus nach dem reichlichen Genuß von
Kürbissen, die große Mengen von Carotin, einen lipoidähnlichen
Farbstoff, enthalten, der auch im Blut resp. Serum der Fälle nach-
weisbar war.
Adam beschreibt eine männliche Frühgeburt im 8. Fötalmonat
mit einem angeborenen Ödem der ganzen unteren Körperhälfte.
Das Kind starb am 9. Lebenstage. Die Sektion ergab eine kompli-
zierte Mißbildung: angeborene Striktur im Bereich der Pars pro-
Monatsschrift für Kinderheilkunde KXVII. Band. 17
258 Leiner. Heft 3
statica, die zu starker Blasen-, Ureteren- und rechtsseitiger Nieren-
beckenerweiterung geführt hatte. Eine rechtsseitige Nierencyste
von Faustgröße hatte zu einer Kompression der Vena cava inferior
Veranlassung gegeben.
Therapie.
Gralka empfiehlt namentlich in schwereren Fallen von Pemphigus
neonatorum die Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne, da auf
diese Weise der Krankheitsverlauf wesentlich abgekürzt werden kann.
Die Dauer der Behandlung beträgt bei der ersten Sitzung bei einem
Lampenabstand von gocm 3—5 Minuten, bei den folgenden wird
langsam bis zu 15 Minuten gesteigert. Die Bestrahlungen werden
in der Weise vorgenommen, daß bis zum Sistieren der Nachschübe
bzw. der örtlichen Ausdehnung der Blasen in der Regel täglich
Vorder- und Rückseite des Körpers behandelt werden.
Czepa berichtet über gute Erfolge mit der Quarzlampe beim
Erysipel. Beim Gesichtserysipel tritt die Besserung, der Temperatur-
abfall oft schon nach der ersten Bestrahlung ein. Gegen das milde
reaktive Erythem werden Umschläge mit, stark verdünnter essig-
saurer Tonerde oder o,ı proz. Resorcinwasser empfohlen.
Wassermann empfiehlt zur spezifischen Lokaltherapie der
Furunkulose das Histopinpflaster (Histoplast), das durch Ver-
‚mengen der Wassermannschen Staphylokokkenextraktgelatine mit
einer indifferenten, leicht resorbierbaren und bei Körpertemperatur
schmelzenden Masse und Auftragung auf eine geeignete Grundlage
gewonnen ist. |
Eder und Freund haben eine neue Schutzsalbe gegen
Lichtschäden — Gletscherbrand, Sommersprossen, Hydroa
aestivalis usw. — eingeführt; das wirksame Prinzip dieser Salbe
sind 2—4proz. naphtholsulfosaure Salze in lanolinhaltigen Fett-
salben, die schon in dünnster Schicht nicht nur das ganze Ultra-
violett, sondern auch das äußere Violett vollständig absorbieren.
Das Mittel wird unter dem Namen ,,Cutilux“ in den Handel
gebracht.
Siemens betont die Wirkung des Salvarsans auf Warzen.
Bei einer Reihe von Fällen genügte eine einmalige, entsprechend ver-
dünnte Neosalvarsaninjektion (0,15 :40 bis 0,15 :15 in physo-
logischer Kochsalzlösung), um die Warzen zur Heilung zu bringen.
Die Warzen bzw. das unter ihnen befindliche Gewebe werden mit
I—I}/, Teilstrichen einer Io-ccm-Spritze infiltriertt. Die Heilung
trat nach Io Tagen, manchmal auch später, erst nach Monaten ein.
Heft 3 Sammelreferat über die dermatologische Literatur d. J. 1922. 259
StraBberg hat zur Milderung des Juckreizes bei verschiedenen
Dermatosen mit Erfolg Autoserum oder Afenil oder 50 proz. Trauben-
zuckerlösung in der Menge von 2 ccm angewendet. Die Mittel wurden
intravenös injiziert.
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Das aus der Lobelia inflata durch Heinrich Wieland isolierte
Lobelin, das sich durch die pharmakologischen Untersuchungen
Hermann Wielands als hervorragendes Excitans des Atemzen-
trums erwiesen hat, wurde in einer Reihe von Fällen von Asphyxia
neonatorum mit gutem Erfolge angewandt. Die Dosis von 3 mg
subcutan injiziert, führte nach durchschnittlich 5 Minuten zur
Wiederbelebung. In einigen Fällen mußte die Injektion wieder-
holt werden, um eine volle Wirkung zu erzielen. Der Injektion
muß natürlich die Entfernung der Schleimmassen aus den oberen
Luftwegen vorangehen. Die intrakardiale Injektion scheint wegen
der Wirkung konzentrierter Lobelinlösungen auf das Herz nicht
unbedenklich zu sein; jedenfalls muß dann sehr langsam injiziert
werden. Wolff (Hamburg).
Serologie und Immunitätslehre.
Sogen, J. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß der ver-
schiedenen Bakterienioxine auf die überlebenden Darmbewegungen.
(The tohoku journ. of exp. med. Vol. I. Nr. 3, 4, S. 330.)
Die Untersuchungen wurden am iiberlebenden Kaninchendarm
ausgefiihrt. Ruhrtoxin hemmt die Darmbewegungen, wahrschein-
lich durch Ausschaltung des Auerbachschen Plexus. Choleratoxin
beeinflußt die Darmbewegungen nicht. Auch das Colitoxin übt auf
den überlebenden Darm keine nennenswerte Wirkung aus. Typhus-
toxin hemmt in einer bestimmten Konzentration die Darmbewegung.
Das Pneumotoxin zeigt keinen merkbaren Einfluß auf den über-
lebenden Darm. Schiff.
Heft 3 Serologie und Immunitätslehre. 265
Ronchi, A. (Pad. Klin. Rom.) Ricerche sperimentale sul meccanismo
di azione curativa e preventiva degli estratti leucocitari autolisati.
(Experimentelle Untersuchungen über den Mechanismus der heilenden
und vorbeugenden Wirkung der autolytischen Leukocytenextrakte.)
(La Pediatria 31, 1922, S. 365.)
Die therapeutische Wirkung der vom Autor hergestellten
Extrakte bei der Infektion des Meerschweinchens mit Gärtnerbacillen
ist hauptsächlich antitoxisch, nur indirekt antibakteriell. In den
Extrakten läßt sich eine thermostabile Substanz von Ferment-
natur nachweisen, die mit dem Gift des Gärtnerbacillus als Antigen
Komplementablenkung zeigt. Die Wirkung der Extrakte ist auf
die in ihnen enthaltenen Fermente zurückzuführen, nicht als un-
spezifische Eiweißwirkung zu deuten. Es gelingt, Extrakte herzu-
stellen, welche reich an mononucleären, und solche, welche reich
an polynucleären Leukocyten sind. Das lipolytische Ferment der
ersteren ist imstande, die Fetthülle der Tuberkelbacillen aufzulösen,
das Ferment der letzteren, die tuberkulösen Gifte zu neutralisieren.
In der Tat hat sich gezeigt, daß mit gemischten Extrakten behandelte
Meerschweinchen eine Tuberkuloseinfektion im Gegensatz zu den
Kontrolltieren ohne Erscheinungen überstanden. Bei der Autopsie
erwiesen sich die Lymphdrüsen verkalkt und fibrös verändert, die
Lungen waren frei. Tezner (Wien).
Sogen, Junkichi. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß
des Pneumotoxins 'auf den Kreislauf, insbesondere auf das Herz.
(The tahoku journ. of exper. Med. 1, Nr. 3, 4, S. 287.)
Romberg und Mitarbeiter fanden, daß die Kreislaufstörungen
bei Infektionskrankheiten dem Bilde der vasomotorischen Lähmung
gleichen. Sie fanden, daß bei experimentellen Infektionen während
einer längeren Periode fortschreitender Blutdrucksenkung nicht
Herzschädigung, sondern die Gefäßlähmung für die Kreislaufstörung
verantwortlich zu machen ist. Gestützt wurde diese Auffassung
noch durch die Untersuchungen von Pässler, der gefunden hat,
daß bei der Kreislaufsschwäche infizierter Tiere (Pyocyaneus, Diph-
therie, Pneumokokken) diejenigen Pharmaka am wirksamsten sind,
welche die Erregbarkeit des Vasomotorenzentrums steigern. Von
diesen Untersuchungen ausgehend hat Verf. die Wirkung des Pneumo-
toxins auf den Kreislaufapparat mit moderner phaı makologischer
Methodik untersucht. Er fand, daß das Pneumotoxin — genau so
wie Chloralhydrat oder Kaliumsalze — auf die automotorischen
Apparate des Herzens lähmend wirkt. Beim Krötenherz tritt erst
eine Beschleunigung des Herzschlages ein, bald wird aber der Herz-
schlag langsamer, die Systolen werden unvollkommener und schließ-
lich kommt es zum diastolischen Stillstand. Hervorzuheben ist,
daß dieser diastolische Stillstand durch Campher zu be- .
266 Entwicklung und Sprache. — Emährung. Heft 3
hebenist. Das Herz beginnt wieder zu schlagen, die Kontraktions-
höhe steigt. Verf. glaubt, daß der Campher dem Toxin gegenüber
als ein antagonistisches Mittel wirkt. Während des Pneumotoxin-
stillstandes verliert das Herz nicht seine Reaktionsfähigkeit. Die
Toxinwirkung ist am Froschherzen in situ dieselbe wie am Warm-
blüterherzen. Auf die peripheren Gefäße beim Kaninchen wirkt das
Toxin vasokonstriktorisch und nie dilatatorisch. Die Kreislauf-
störung bei der Pneumonie beruht nicht allein aufeiner Gefäßlähmung,
die primäre Schädigung des Herzens spielt dabei wahrscheinlich
eine bedeutende Rolle. | Schiff.
Entwicklung und Sprache.
Angelis, F. de. (Päd. Klin. Neapel). Lo sviluppo corporeo in rapporto
all’ eredolue e all infezione tubercolare. (Die körperliche Entwicklung
mit Bezug auf die hereditärluetische und tuberkulöse Infektion.)
(La Pediatria 31, 1923, S. 357.)
Verf. kommt zu dem überraschenden Resultat, daß zwar die
hereditärluetischen Kinder etwas zurückgeblieben sind, daß dafür
aber jene, welche, ohne klinische Erscheinungen zu zeigen, luetisch
und tuberkulös infiziert sind, eine bessere Entwicklung aufweisen
als die normalen (beurteilt nach den Marken und dem klinischen
Aspekt), offenbar weil die Abwehrmaßnahmen des Körpers gegen die
Infektionen die Entwicklung beschleunigen. Weiter zeigt sich,
daß die zum größten Teil im Lande untergebrachten Kriegswaisen
viel besser entwickelt waren als die unterstandslosen, auf der Straße
aufgelesenen Kinder. Dies beweist, daß die Entwicklung haupt-
sächlich von äußeren Umständen bestimmt ‘wird.
Tezner (Wien).
Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie.
Schaps, L. Pathologie und Therapie der Ernahrungsstorungen. (Jahrb.
f. Kinderheilk. 101, 1923, S. 315.) |
In der Arbeit bringt Schaps nach einer geschichtlichen Zu-
sammenfassung älterer Anschauungen über akute und chronische
Ernährungsstörungen in einem Abschnitt ‚Allgemeine Pathologie“
physiologische, diagnostische und therapeutische Hauptlinien. (Die
Bedeutung der artfremden Milch, Entwicklung der Gärungsflora,
Störungen, die primär durch Reizung der Magenschleimhaut aus-
gelöst werden.) Ursächlich vorgehende Behandlungsarten ruhen bei
akuten Ernährungsstörungen auf dem Grundsatz der ‚Kontrast-
wirkung“, bei chronischen wird das ..Komplementärprinzip‘““ erfolg-
Heft 3 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernahrungstherapie. 267
reich durchgeführt. Zahlreiche Erfahrungen (Schaps beschreibt in
der Arbeit 25 Fälle), die seine theoretischen Erwägungen bestätigten,
zeigen vor allem den Wert zweier Mittel: der Milchsäure und der
Gelatine. Die Abschnitte „Spezielle Pathologie“ und „Therapie“
bringen Anwendungsbedingungen, Gegengründe im Einzelfall und
Darreichungsweise. Milchsäure entweder in Höhe von 2—3g pro
Tag oder vermischt mit Calcium lacticum (Acilacton, Firma Wülfing-
Berlin enthält 40%, freie Milchsäure, pro die 2,5 mal Milchsäure zu
verabfolgen). Anwendung bei echten und parenteralen Dyspepsien,
leichteren Fällen von Pylorospasmus, Strophulus. Bei toxischen
Zuständen wegen der Acidose verhängnisvoll. Hier wirkt Gelatine,
nach Ansicht des Verf.s durch Kontrastwirkung, Förderung der
Fäulnis. Eine Reihe von Fällen (r0—20 g Gelatine, mit 2 1 Wasser
. angesetzt, auf I l eingekocht, innerhalb 24 Stunden verabreicht)
bewirkte überraschend schnelle Beseitigung toxischer Erscheinungen.
W. Gottstein.
Langstein, Leo. Zur Systematik der Ernährungsstörungen und deren
Behandlung. (Dtsch. med. Wochenschr. 49, Nr. 5, S. 137. 1923.)
Langstein will eine Systematik der Ernährungsstörungen
geben, die besonders den Bedürfnissen der Praxis und des Unterrichts
angepaßt ist. — Erkrankt ein Kind akut mit Durchfall, so soll
man von einer Durchfallerkrankung bzw. Enterokatarrh sprechen,
nicht von einer Ernährungsstörung. Durch letztere Bezeichnung
werden zu heterogene Zustandsbilder umfaßt, außerdem ist diese
Bezeichnung weder in der allgemeinen Pathologie noch in der inneren
Medizin gebräuchlich. Eine ätiologische Differenzierung des Entero-
katarrhs ist sehr erstrebenswert, oft aber gar nicht durchführbar.
Dagegen ist sehr in Betracht zu ziehen, in welchem Zustand das
Kind von dem Enterokatarrh betroffen wird. Ferner ist eine Diffe-
renzierung wichtig, ob Durchfälle aus pathologischen Zuständen
des Magens, Nährdarms oder Dickdarms entstehen, entsprechend der
internen klinischen Betrachtungsweise. Statt von Intoxikation
sollte man lieber von einer komatösen Reaktionsform des Entero-
katarrhs sprechen. Die Intoxikation ist keine Ernährungsstörung.
— Der Ausdruck Ernährungsstörung kann für chronische Störungen
beibehalten werden, die tatsächlich mit der Ernährung in ursäch-
lichem Zusammenhang stehen, doch ist hierfür der Ausdruck Nähr-
schaden (Czerny) besser geeignet. Abzulehnen aber ist der Aus-
druck. Ernährungsstörung für chronische Störungen des Ernährungs-
zustandes. Hierfür erscheint der Name Ansatzstörungen (Dystro-
phien, Finkelstein) geeignet. Langstein unterscheidet zwischen
primären Ansatzstörungen (die rein alimentär bedingt sind und sich
zum großen Teil mit den Nährschäden decken) und sekundären,
die durch chronische Infekte bedingt sind. Dabei ist ebenso wie bei
268 Ernahrung, Ernahrungsstérungen und Ernadhrungstherapie. Heft 3
den Enterokatarrhen zweckmäßig zwischen leichten und schweren
Formen zu unterscheiden. Der Ausdruck Dekomposition ist nur als
- funktionelle Bezeichnung beizubehalten, er ist nicht identisch mit
Atrophie. Für Atrophie aus alimentären Gründen ist der Ausdruck
Athrepsie (Parrot) zweckmäßig. — Bei der Behandlung der Durch-
fälle ist Buttermilch der Eiweißmilch vorzuziehen, da Eiweißmilch
eine insuffiziente Nahrung ist (Mangel an Albumin und Salzen)
und ein Luxusangebot von Eiweiß darstellt. Nur bei akuten Durch-
fällen älterer Säuglinge kann sie angewandt werden, bis normale
Stühle auftreten. Bei dystrophischen Zuständen mit Durchfall ist
zunächst der Durchfall zu behandeln.. Die Ätiologie der Inanition
bei den Dystrophien wird überschätzt. Inanition führt meist zur
Verstopfung, nicht zum Durchfall. Durchfälle sind also ganz all-
gemein. mit vorübergehender Nahrungsentziehung zu behandeln.
Ernst Faerber (Berlin).
Faber, Harold K. Prüfung der Pirqueischen Ernährungslehre. Mit
besonderer. Berücksichtigung der Grundgedanken. (Americ. journ.
of dis. of childr. 25, 339.)
Der Nembegriff unterscheidet sich vom Begriff der Calorie nur
zahlenmäßig. Das Arbeiten mit dem Calorienbegriff ist in Amerika
unter Ärzten und Laien so eingebürgert, daß die Ersetzung durch
den Nembegriff nur verwirrend wirken könnte. Gegen die ganze
mit dem Nembegriff verbundene Ernährungslehre werden schwer-
wiegende Einwände erhoben. Die zur Berechnung des Nahrungs-
bedarfs verwendete Sitzhöhe läßt sich nicht mit ausreichender Ge-
nauigkeit bestimmen. Ein Vergleich zwischen Sitzhöhe und der zu-
verlässigeren Stammhöhe ergab Fehler der Sitzhöhe bis zu 5 cm.
Sie müssen stark ins Gewicht fallen, da schon ein Unterschied in
der Sitzhöhe von I cm das Pelidisi um annähernd 2 Punkte verschiebt.
Die Behauptung Pirquets, daß die Darmoberfläche in regelmäßiger
Beziehung zur Sitzhöhe stehe, stützt sich auf Durchschnittswerte
der Sitzhöhe und zwei grobe Schätzungen von Sappey für den
geblähten bzw. leeren Dünndarm. Es ist von vornherein unwahr-
scheinlich, daß gesetzmäßige Beziehungen zwischen aufsaugender
Darmoberfläche und dem Nahrungsbedarf bestehen. Denn alle ge-
sunden Organe sind mit größerem Leistungsvermögen ausgestattet,
als sie für gewöhnlich brauchen. Auch sind die Aufgaben der einzel-
nen Darmabschnitte hinsichtlich der Aufsaugung der Nahrung
durchaus verschieden. Die Annahme, daß die Sitzhöhe gewisse Be-
ziehungen zum Nahrungsbedarf habe, ist wahrscheinlich zutreffend.
Das beruht aber darauf, daß Sitzhöhe und Körperoberfläche einander
annähernd entsprechen. Die Beziehungen beider Größen zueinander
sind aber nicht so enge, daß die Körperoberfläche mit ausreichender
Genauigkeit aus der Sitzhöhe bestimmt werden könnte. H. Vogt.
Heft 3 Ernahrung, Ernahrungsstérungen und Ernahrungstherapie. 269
Bessau, G. Das Problem der künstlichen Dauerernährung des Säug-
lings. (Klin. Wochenschr. 2, Nr. 19, S. 861.)
Antrittsvorlesung. Für die in den Dienst der Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit sich stellende Kinderheilkunde bildet die
Frage nach der Pathogenese der bei künstlicher Ernährung entstehen-
den Störungen ex alimentatione das Zentralproblem, aus dem sich
das weitere Problem ergibt, eine künstliche Ernährung ausfindig zu
machen, die sich als Dauernahrung bewährt, indem sie im Darm-
traktus und im Stoffwechsel des Säuglings Verhältnisse schafft, die
sich den Bedingungen bei Ernährung bei Frauenmilch möglichst
annähern. Die Störungen ex quantitate werden dadurch am besten
vermieden, daß man sich, was die Menge der zuzuführenden Nahrung
und die Quantität der einzelnen Nahrungsstoffe betrifft, möglichst
an das Vorbild der natürlichen Ernährung an der Brust hält. Für die
Pathogenese der Durchfallsstörungen sieht Verf. auf Grund seiner
und seiner Mitarbeiter Untersuchungen in der abnormen Keim-
besiedlung der oberen Dünndarmabschnitte, wie sie sich besonders
bei Stagnation des Darminhaltes einstellt, den Mittelpunkt des
krankhaften Geschehens; es zeigte sich ferner, daß es möglich ist,
durch peptische Vorverdauung des Kuhmilcheiweißes die Verweil-
dauer des Chymus im Magen und oberen Dünndarm zu verkürzen
und so eine Annäherung an die Verhältnisse bei natürlicher Ernährung
zu erzielen. Die gleiche Maßnahme verspricht auch den Gefahren
des Milchnährschadens gegenüber einen Erfolg: Bessau sieht in
den hellen Stühlen ein Kardinalsymptom der Erkrankung, das durch
abnorme bakterielle Umwandlungen des abgesonderten Gallenfarb-
stoffes zustandekommt. Peptisch vorverdaute Milch verändert die
Stuhlbildung im Sinne der Frauenmilch. Auf diesem Wege, ferner
unter Berücksichtigung der eigenartigen physikalisch-chemischen
Bedingungen der Frauenmilch, hofft Verf. der Lösung des Grund-
problems der Pädiatrie näher zu kommen. Wolff (Hamburg).
Kovacs, Edmund. Die Proteinkérpertherapie der Sduglingsatrophten.
(Dtsch. med. Wochenschr. 49, Nr. 10, S. 320. 1923.)
Bei Säuglingen mit primärer Atrophie (d.h. solchen, die trotz
sachgemäßer Ernährung auf Grund von konstitutionellen Anomalien
in ein atropisches Stadium geraten) wird der atrophische Zustand
durch Pferdeseruminjektionen günstig beeinflußt. Bei sekundärer
(symptomatischer) Atrophie bleibt die Proteinkörpertherapie erfolg-
los. Ernst Faerber (Berlin).
Weil et Bertoye (Lyon). Der Hitzschlag der Säuglinge. Abkühlung der
Krippen durch Eisblocke. (Le Nourrisson 11, 145. 1923.)
Es werden drei Formen des Hitzschlags bei Säuglingen nach
dem Vorgang Lesages unterschieden: ı. Blässe, Schlafsucht, hohe
270 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. Heft 3
Temperaturen. 2. Hohe Temperaturen, Trockenheit der Haut,
Unruhe, Beschleunigung von Atmung und Puls ohne jede Verdauungs-
störung. Die Lumbalpunktion ergibt in diesen Fällen auch bei Vor-
handensein meningitischer Symptome keine Besonderheiten. 3. Er-
brechen und Durchfall mit hohem Fieber, aber ohne tonische Sym-
ptome. Ein anatomischer Befund wurde bei den 21 beobachteten
Fallen (von 1—22 Monaten) nicht erhoben. Ursächlich wird Wärme-
stauung bei feuchter Außenluft angenommen. Die Befunde Riet-
schels und Siegerts werden besprochen. Kühlung der Krippen
durch Eis wird empfohlen. Rosenbaum.
Helmreich, E. und Kassowitz, K. Körperbau und Ernahrungszustand
in ihrem Einfluß auf den Index der Körperfülle. (Wien, Universitäts-
Kinderklinik.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 35, 1923, S. 67—78.)
Der Pirquetsche Körperfüllenindex, eine Funktion der gesamten
Körperbeschaffenheit hat bei Untersuchungen an großem Material
eine Konstanz der Beziehung zwischen Gewicht und Sitzhöhe in allen
Lebensaltern ergeben. Trotzdem kommen auch hier Abweichungen
vor, die nicht mit dem Ernährungszustand des Kindes in Einklang
zu bringen sind. Die Schwankungen nach oben und unten können
nur auf den Ernährungszustand bezogen werden, wenn es sich um
einen konstitutionellen Durchschnittstyp handelt. Verff. haben nun
die Fälle, in denen Ernährungszustand und Index nicht in Überein-
stimmung standen (27% der untersuchten Kinder) einer eingehenden
Untersuchung unterworfen. Es ließ sich durch Berechnung ver-
schiedener Partialindices (Beinhöhe : Sitzhöhe, Brustumfang : Sitz-
höhe, Knochenbreite : Knochenlänge, Weichteilbreite : Extremitäten-
länge) nachweisen, daß Beinlänge, Breitenentwicklung des Thorax
und Massivität der Knochen und Muskulatur solche die Indexzahl
beeinflussende Faktoren darstellen. Wenn eine Übereinstimmung
zwischen Gesamtindex und Ernährungszustand nicht besteht, muß
also nach solchen konstitutionellen Momenten gefahndet werden.
Schall (Tübingen).
Newman, S. Die Bestimmung der Pelidiss bei normalen Säuglingen
und Kleinkindern. (Wien, Universitäts-Kinderklinik.) (Zeitschr.
f. Kinderheilk. 35, 1923, S. 102—104.)
Das Verhältnis zwischen Sitzhöhe und Körpergewicht, aus dem
a en
Pirquet den Pelidisiindex | ee a a =10= | ableitet, wird
Sitzhöhe 100
an 206 normalen Kindern im Alter von 8 Tagen bis zu 4 Jahren nach-
geprüft. Das Pelidisi liegt ın der Mehrzahl der Fälle zwischen 94,5
bis 99.5. Schall (Tübingen).
Heft 3 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernahrungstherapie. 271
Japha, A. Einige Fragen der Säuglingsernährung. Dtsch. "med.
Wochenschr. Nr. 15, 49. Jahrg., 1923, S. 479.
Verfasser polemisiert gegen die mißverständliche Anwendung
des Begriffes Minimalernährung. Der Säugling soll so ernährt
werden, daß er optimal gedeiht. Das sicherste Mittel bei Durchfall
ist Eiweißmilch. Der Durchfall braucht nicht unter allen Um-
ständen mit einer längeren Hungerperiode behandelt zu werden,
dagegen stets mit Änderung der Ernährung.
Ernst Faerber.
Wülffing, E. Eın Beitrag zur Ernährung mit gekochter Frauenmilch.
(Bonn, Universitätskinderklinik.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 835,
1923, S. 56—58.)
Bei einem Zwillingspaar sollte die noch bestehende Streifrage,
ob das Abkochen der Muttermilch auf die Entwicklung einen Einfluß
habe, während einer allerdings sehr kurzen Periode (Io Tage) geprüft
werden. Ein Unterschied im Gedeihen fand sich in dieser Zeit nicht.
Auch beim Absetzen. zeigte das mit gekochter Frauenmilch ernährte
Kind kein besonderes Verhalten. Das Vergleichskind dagegen starb
im Anschluß an den Versuch, was für dessen Bewertung nicht gerade
sehr günstig ist. Schall (Tübingen).
Sehiff, Er. und Caspari, J. Zur Pathogenese der Ernährungsstörungen
besm Säugling. II. Chemische Leistungen der Kolibakterien. (Aus
der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.) Jahrb. f. Kinderheilk.,
102, 1923. S. 53.
Nachdem eine vorangegangene Untersuchung von Schiff und
Kochmann (Jahrb. f. Kinderheilk. 99, Heft 4/5) als Haupt-
ergebnis feststellte, daß der Colibacillus Eiweißkörper und Pepton
unter Bildung basischer Produkte zerlegt, wird in dieser Arbeit, die
physiologische Verhältnisse eingehender berücksichtigt, der Einfluß
von Colibacillen auf peptisch und tryptisch abgebaute Eiweißkörper
(Kasein Merck und Albulaktin Wülfing) geprüft. Die bakterielle
Vergärung des Traubenzuckers wird durch tryptische Verdauungs-
produkte wesentlich stärker gefördert als durch peptische. In Nähr-
boden, die keine vergärbare Substanz und als N-Quelle peptisch
abgebautes Kasein oder Laktalbumin enthalten, werden durch Coli-
bacillen aus den Eiweißabbauprodukten flüssige Säuren gebildet.
Aus tryptischen Verdauungsprodukten entstehen Basen. Aus den
peptischen Verdauungsprodukten bilden sich offenbar durch die
Colibacillen selbst flüchtige Fettsäuren. Tryptische Verdauungs-
produkte werden leichter zerlegt als peptische. Vor allem wurden
in Nährböden, die außer der N-Quelle auch Traubenzucker ent-
hielten, nicht nur der Zucker, sondern auch das Eiweiß und seine
Abbauprodukte durch Colibacillen angegriffen. Am deutlichsten
272 Ernährung, Ermährungsstörungen und Ernahrungstherapie. Heft 3
verlief dieser Vorgang, wenn als N-Quelle im Nährboden tryptisch
verdautes Eiweiß vorhanden war. W. Gottstein.
Canelli, F. Anatomische Pathologie der Gastroenterstis bei Säuglingen
(Hämorrhagien, Hämosiderosen, entzündlich-degenerative Verände-
rungen. (Riv. di clin. pediatr. 1923, 11, H. 2, S. 93.)
Vom pathologisch-anatomischen Gesichtspunkte kann man
mindestens zwei große Gruppen von Gastroenteritis der Kinder
unterscheiden: A. Gastroenteritis mit degenerativen (und entzünd-
lich-degenerativen) Veränderungen der Organe, parenchymalen
Blutungen, Hämosiderose und Magen- und Darmblutungen. B. Gastro-
enteritis ohne sichtbare degenerative Organveränderungen, ohne
parenchymale Blutungen, mit oder ohne Magen- und Darmblutungen.
Die Blutungen, manchmal nur durch die histo-mikrochemischen
Untersuchungen ersichtlich, befinden sich in den letzten Teilen des
Duodenums und des Ileums, im Wurmfortsatz, in den Biegungen des
Kolons, im Mastdarm, in der Leber, in den Nieren und im Pankreas.
Vielleicht ist ein Verhältnis zwischen besonderen intertriginösen
Ekzemen in der Perianal- und Perigenitalgegend: und den hämor-
rhagischen Magenerosionen nachweisbar. Ein solches Verhält-
nis könnte aus der von der Diarrhöe abstammenden Alkalıpenie
und aus der folgenden Hyperacidität Ursprung nehmen. Die Hämo-
siderose kommt oft in der Leber, in der Milz, in den Nieren, in den
Hoden, in den Iymphatischen Bauchdrüsen vor. Die Entartungen,
die am häufigsten vorkommen, sind: die Verfettung und die amyloide
Degeneration. Sie greifen die Leber, die Nieren, die Darmblutgefäße
und die Darmganglien an. Bei den atrophischen Kindern findet
man die Hämosiderose sehr oft, und die Darmatrophie steht im
kausalen Verhältnis zu den schweren Gastroenteritiden, von denen
diese Kinder angegriffen werden.
Holstein, D. Ein Beitrag zu der Frage nach dem Wesen der sog. Kuh-
milchidiosynkrasie bei Säuglingen. (Köln, Universitätskinderklinik.)
(Zeitschr. f. Kinderheilk. 35, 1923, S. 38—50.)
Den zahlreichen Hypothesen über die der Kuhmilchidiosynkrasie
zugrunde liegende schädigende Substanz wird eine neue zugefügt.
Nach Holstein stellt die verschiedene anorganische Zusammen-
setzung der Nahrung, namentlich das Überwiegen der Kalium-
ionen, das schädigende Agens dar. Zunächst weist H. vergleichsweise
auf die Eiidiosynkrasie hin, die nur mit Eiweiß, nicht aber mit
Eigelb hervorgerufen werden kann. In der Asche des Hühnereiweißes
findet sich dementsprechend auch eine ungleich größere Menge von
Kalium. Der Unterschied zwischen Frauen- und Kuhmilch ist lange
nicht so ausgesprochen, hier scheint ein Überwiegen des Chlors
durch Verdrängen des Kaliums aus dem Organismus mehr indirekt
Heft 3 Ernahrung, Em4hrungsstérungen und Ernahrungstherapie. 273
zu wirken. Fälle aus der Literatur wie auch eine eigene Beobachtung
werden herangezogen, um die Hypothese zu stützen. Die letztere
gab erst den Anstoß zu diesen Überlegungen, sie wurde daher noch
nicht in dieser Hinsicht experimentell verwertet. Immerhin zeigt
es sich, daß bei den Nahrungsgemischen, die ertragen wurden, der
Gehalt an artfremdem Eiweiß nicht maßgebend war, wohl aber eine
gewisse Beziehung zum Kaligehalt im Sinne der oben besprochenen
Hypothese zu bestehen schien. Schall (Tübingen).
Wagner, R. Therapeutische Eynährungsversuche ber der Sduglings-
tuberkulose. I. Mitteilung.
Happ, W. M. und Wagner, R. II. Mitteilung. (Wien, Universitäts-
kinderklinik.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 85, 1923, S. 127—151 und
S. 152—175.)
In der Einleitung geht Wag ner erst ausführlich auf die Frage
der isodynamen Vertretung der Energieträger ein und bespricht
die v. Gröerschen Versuche am fettfrei ernährten Säugling und deren
Kritik. Es selbst will zu dieser Frage an einem anderen Material
Stellung nehmen, und zwar am aktiv tuberkulösen Säugling, bei dem
man jede dazutretende Infektion leicht an objektiv nachweisbaren
Kriterien (Temperatursteigerung, physikalischem Befund usw.)
feststellen könne. So lasse die Heilwirkung eines diätetischen Faktors
sich besser beurteilen. Frühere Erfahrungen über den Einfluß
der Ernährung bei tuberkulös infizierten Individuen, meist an
Tieren erhoben, ergaben noch keine einwandfreie Erklärung darüber,
ob das Fett, der fettlösliche A-Faktor oder das Eiweiß einen günstigen
Einfluß auf die Infektion ausüben. W. studiert die Verhältnisse
bei g Säuglingen mit aktiven tuberkulösen Prozessen, die er längeren
oder kürzeren Perioden fettarmer Ernährung unterzog. (Praktisch
waren die Fettmengen zu vernachlässigen, dagegen war die Nahrung
nicht vollständig frei von dem A-Faktor.) Es konnte ein hemmender
Einfluß auf Körpergewicht und Längenwachstum nachgewiesen
werden, wenn auch nicht alle Fälle die Erscheinung gleich ausgeprägt
zeigten. — In der II. Mitteilung werden dann die einzelnen Fälle
ausführlich besprochen. Es wird die Frage diskutiert, ob ein Einfluß
der fettarmen Ernährung auf den Ablauf der Tuberkulose zu be-
merken ist. Die Verff. bejahen dies. Der tuberkulöse Prozeß wird
i. a. durch die milchfett- und A-faktorarme Ernährung ungünstig
und umgekehrt durch die milchfett- und A-faktorreiche Ernährung
günstig beeinflußt. Es handelt sich dabei wohl nicht um einen direk-
ten Einfluß, sondern um eine Hebung des allgemeinen Ernährungs-
zustandes, der zwar nicht der einzige, die Prognose bestimmende
Faktor ist, wohl aber insofern eine besondere Bedeutung gewinnt,
als er am leichtesten willkürlich beherrschbar ist. Des weiteren
konnten während der fettarmen Periode an den Kindern wenigstens
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 18
274 Ernährung, Ernährungsstörungen. — Milchwissenschaft. Heft 3
andeutungsweise die Zeichen des von Bloch als Dystrophia ali-
pogenetica beschriebenen Krankheitsbildes beobachtet werden.
Diese sind neben dem Wachstumsstillstand Blässe, schlaffe Haut
und Muskulatur, Trockenheit der Haut, Herabsetzung der Beweg-
lichkeit und des Appetits. Eine Resistenzverminderung gegenüber
Infektionen läßt sich bei den schwierigen Verhältnissen im Säuglings-
alter nicht eindeutig nachweisen. Für die Praxis ergibt sich als
wichtige Folgerung, daß eine sahnereiche Ernährung bei tuberkulösen
Säuglingen sowohl den Ernährungszustand als auch den Verlauf
der Erkrankung günstig beeinflußt. Vielleicht kommt dem A-Faktor
dabei die Rolle eines Heilfaktors zu, ähnlich wie dies bei der Rachitis
angenommen wird. Schall (Tübingen).
Guttmann, M. Ist eine objektive Beurteslung des Ernährungszustandes
des Menschen möglich? (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1922, S. 23.)
Der Verfasser, ein Schulrat, hat sich der mühevollen Aufgabe
unterzogen, die gebräuchlichen Indices darauf zu untersuchen,
wieweit sie miteinander und mit der Wirklichkeit ın Widerspruch
stehen und tritt auf Grund seiner sehr ausgedehnten Messungen
an gesunden Schulkindern, die er durch mehrere Jahre verfolgte.
für die weniger bekannte Bornhardtsche Formel ein. J = G— B. vi
wobei G = Körpergewicht, B = Brustumfang in Mittelstellung,
L = Körperlänge ist. Diese Formel, die für erwachsene Soldaten
aufgestellt wurde, hat sich auch bei Messungen der Wachstums-,
Ernährungs- und Pubertätskurven der Kinder bewährt. Besonders
betont wird, daß grundsätzlich zwischen Ernährungszustand und
Leistungsfähigkeit unterschieden werden muß. P. Karger.
Milchwissenschaft und Molkereipraxis.
Martin, A. Abgekochte Mutter- und Frauenmilch. (Klin. Wochenschr. 2,
1923, Nr. 7, S. 299.)
Auf Grund seiner Erfahrungen an 50 Neugeborenen und Säug-
lingen, die vom ersten Tage an nur mit abgekochter Frauenmilch
ernahrt wurden, kommt Verf. zu dem SchluB, daB die so aufgezogenen
Kinder in keiner Weise weniger gutes Gedeihen als Brustkinder
zeigten. Die Milch wurde durch manuelles Ausdrücken der Brust
gewonnen, wobei sich zeigte, daß der Saugreiz durchaus nicht un-
bedingt erforderlich ist, um die Milchproduktion in Gang zu bringen
oder auf der Höhe zu halten. Da das Colostrum beim Abkochen
gerinnen würde, mußte den Neugeborenen in den ersten Tagen
fremde abgekochte Frauenmilch gegeben werden. Die Flaschen
enthielten stets mehr als die für das betreffende Kind notwendige
Heft 3 Milchwissenschaft und Molkereipraxis. 275
Menge; auffallend ist, daB die Kinder trotz der erleichterten Saug-
arbeit weniger tranken, als nach den Normalzahlen für Brustkinder
zu erwarten war. Die initiale Gewichtsabnahme war im Durchschnitt
von den bei Brustkindern tiblichen Werten nicht verschieden. Die
weitere Beobachtung der Kinder nach Umsetzung auf Brustnahrung
oder künstliche Ernährung ergab völlig normales Verhalten. Diese
Tatsachen fordern zu einer Revision der These von den besonderen
Eigenschaften der nativen Frauenmilch auf. Wolff (Hamburg).
Mader, Alfons. Die essentiellen Aminosauren in der Kuh- und Frauen-
milch. (Aus der Universitiäts-Kinderklinik 'in Frankfurt a. M.)
(Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923, 281.)
Verf. bestimmte mit der von Ruhemann und Abderhalden
eingefiihrten Ninhydrinreaktion, die von Riffart auf colorimetnschen
Wege quantitativ ausgebaut wurde, in den Ultrafiltraten von Kuh-
und Frauenmilch abiurete Eiweißstoffe nach Art und Menge. Es
handelt sich um Aminosäuren mit einem N-Gehalt von 18—25 mg
für Kuhmilch, 51—60 g für Frauenmilch im Liter. Die biologische
Bedeutung dieser Stoffe ist noch ungeklärt. W. Gottstein.
Cocchi, Cesare. Gebrauch der Milchpumpe. Modell einer solchen.
(Riv. di clin. pediatr. 1923, 11, H. 6, S. 345.)
Nachdem Verf. die verschiedenen Verwendungen des Milchsaug-
apparates in der Therapie des Säuglings beschrieben hat, geht er
daran, einen Apparat, von ihm erfunden und konstruiert, zu be-
schreiben, welcher mit Leichtigkeit 50—100 g Milch von der mensch-
lichen Brust in einer sterilisierten Flasche auffangen kann. Man
kann die Milch auf diese Art aufbewahren und dem Säugling ein-
geben, ohne dieselbe überschütten zu müssen, wobei der Gefahr
von Unreinigkeit und Infektion vorgebeugt wird.
Cavanaugh, G. W., Dutcher, R. Adams und Hall, James S. Die Wir-
kung der Trocknung mittels Zerstaubung auf den Gehalt der Mtlch
an Vitamin C. (Americ. journ. of dis. of childr. 25, S. 498.)
Um ein zutreffendes Urteil iiber den Vitamingehalt getrockneter
Milch zu erhalten, wurde die Schutzwirkung gegen Skorbut bei
entsprechenden Mengen derselben teils frisch verfiitterten, teils
getrockneten Milch an Meerschweinchen ermittelt. Es ergab sich,
daß der Vitamingehalt beim Trocknen völlig unversehrt geblieben
war. Die Haltbarkeit der Schutzstoffe in getrockneter Milch erstreckt
sich nach den bisherigen Erfahrungen auf viele Monate. Damit
ergibt sich die Aussicht, daß im Sommer gewonnene, an Schutz-
stoffen reiche Milch in Form von Trockenmilch während der Winter-
monate zur Säuglingsernährung verwandt werden kann.
H. Vogt.
18*
276 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 3
Wachstum und Stoffwechsel.
Demuth, Fritz. Magenfunktionsprüfungen beim gesunden Sauglıng.
I. Mitteilung. Auguste-Viktoria-Haus. (Zeitschr. f. Kinder-
heilk. 38, S. 276.)
Verf. versucht zunächst, hinsichtlich der Verweildauer der
Nahrung, der Acidität und des Bakteriengehaltes Normalwerte
aufzustellen. Die Verweildauer wurde vor dem Röntgenschirm
bestimmt. Von Fermentuntersuchungen wird wegen der großen
Fehlerquellen abgesehen. Untersuchungen mit und ohne Barium-
zusatz ergaben keinen Unterschied. Dabei ergab sich, daß eine dem
Nahrungsbedürfnis entsprechende Menge annähernd die längste
Verweildauer hat. Kleine Nahrungsmengen wurden relativ langsamer
entleert als große. Da die Verweildauer bei den einzelnen Individuen
bei denselben Nahrungsmengen in weiten Grenzen schwankt, stellt
Verf. Verhältniszahlen auf, um die Unterschiede auszugleichen,
wobei Frauenmilch als Bezugsnahrung gebraucht wird. Untersucht
wurden Brust-, Halbmilch- und Buttermilch; dabei nimmt die Ver-
weildauer von Brust- bis Buttermilch zu. Bei künstlich genährten
Kindern zeigen Buttermilch, Eiweißmilch und Vollmilch besonders
lange Verweildauer, während Malzsuppe den Magen immer schneller
verläßt wie Frauenmilch. Die Verweildauer geht parallel mit dem
Caseingehalt der Nahrung. Fett wirkt erst in späterem Alter hem-
mend. Es wird im ganzen eine längere Verweildauer gefunden als
von früheren Untersuchern. Bei einer bestimmten Nahrung hat
jedes Kind eine spezifische Acidität des Mageninhalts, die ım Ver-
lauf der Verdauung und mit zunehmendem Alter steigt. Direkte
Beziehungen zwischen der Verweildauer und der Acidität bestehen
nicht, eine gewisse Abhängigkeit von der Acidität zeigt jedoch das
Bakterienwachstum, indem bei py unter 4,0 der Mageninhalt prak-
tisch steril gefunden wird. Unterhalb fy 4,5 ist der Magen frei von
Coli. Oberhalb 4,5 findet man in 69% der Fälle Coli im Magen,
daher kann ein Colibefund oberhalb 4,5 nichts Pathologisches sein.
Beck (Tübingen).
Bakwin, Harry. Der Wassergehalt des Säuglingsblutes bei steilem
Gewichtsanstieg. (Americ. journ. of dis. of childr. 25, 406.)
Bei 5 Säuglingen wurde der Refraktometerwert des Blutes vor
und nach der Zulage größerer Mengen Kohlehydrat bestimmt. Die
Zufuhr der Kohlehydrate hatte regelmäßig steilen Gewichtsanstieg
zur Folge, also Wasseransatz am Körper. Diese Verschiebung im
Wassergehalt des Körpers kam in den Refraktometerwerten nicht
zum Ausdruck. Es kann also erhöhte Wasserablagerung in den Ge-
weben erfolgen, ohne daß es zu entsprechender Wasseranreicherung
des Blutplasmas kommt. H. Vogt.
Heft 3 Wachstum und Stoffwechsel. 277
Koehler, A. E. Acid-Base Equilibrium. I. Clinical studies in alca-
losis. (Säure-Basengleichgewicht. 1. Klinische Studien über Alka-
lose.) (Arch. of intern. med. 81, Nr. 4, S. 590. 1923.)
Im Fieber ist das Säure-Basengleichgewicht nach der alkalischen
Seite verschoben. Die Fieberalkalose wird ähnlich wie die bei der
Hyperpnoe durch die verstärkte Lungenventilation hervorgerufen.
Die Verschiebung des Säure-Basengleichgewichtes nach der alkalischen
Seite kann zu einer mangelhaften Sauerstoffbeladung des Blutes führen
(Anoxämie). Im klinischen Bilde kann sich dies durch das Auftreten
von Cyanose äußern. Mit der Beseitigung der Alkalose verschwindet
auch dieCyanose. Andere konkommitierende Faktoren können hierbei
allerdings auch von Bedeutung sein. Schiff.
Hendrix, B. M., and Crouter, O. Y. Relation of the alkali reserve of
the blood to glycosuria and hyperglycemia in pancreatic diabetes. (Die
Beztehung der Blutalkalireserve zur Glykosurie und zur Hyper-
glykamie beim Pankreasdiabetes.) (The journ. of biol. chem. 46,
Nr. 1, S. 52. 1920.)
Elias u. a. fanden, daß beim Hund Glykosurie und Hyper-
slykämie auftritt, wenn dem Tier eine Mineralsäure zugeführt wird.
Murlin und Kramer haben beim pankreaslosen Hund nach Zufuhr
von Salzsäure das Ansteigen von Blut- und Harnzucker beobachten
können. Murlin und Sweet fanden dann, daß der Pankreasdiabetes
wesentlich leichter verläuft, wenn man dem Tier mit der Pankreas-
drüse gleichzeitig auch den Magen entfernt. Sie glauben aus diesen
Versuchen schließen zu dürfen, daß die‘ Pankreasdrüse den Kohle-
hydratstoffwechsel in der Weise beeinflußt, daß sie die Magensäure
neutralisiert und somit die Leber vor der Säureintoxikation schützt.
Verf. hat nun an 5 Hunden diese Hypothese auf ihre Richtigkeit
weprüft. Er fand, daß eine Abnahme der Alkalireserve im Blut nicht
gleichzeitig mit dem Auftreten von Glykosurie und Hyperglykämie
erfolgt. Ausgesprochene Acidose tritt beim pankreaslosen Hund
erst verhältnismäßig spät ein. Am frühesten erfolgt die Abnahme
der Alkalireserve im Blut 2 Tage nach der Operation, während die
Hyperglykämie bereits einen Tag und die Glykosurie schon einige
Stunden nach der Pankreasentfernung auftritt. Diese Befunde
sprechen also gegen die Tätigkeit der erwähnten Hypothese von
Murlin und Sweet. Schiff.
Holt, L. E., und Fales, H. L. Calcium absorption in children on a
diet low in fat. (Calciumabsorption bei Kindern bei einer Nahrung
mit niedrigem Fettgehalt.) (Amer. journ. of dis. of childr. Vol. 25,
No. 3. 1923.)
Frühere Untersuchungen der Verff. ergaben, daß beim jungen
Kinde die Fettabsorption dann am günstigsten ist, wenn sie in der
278 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 3
Nahrung pro Kilo Körpergewicht mindestens 3g Fett zugeführt
bekommen. Auch muß zwischen Fettgehalt und Ca der Nahrung
eine gewisse Proportion bestehen. Am besten ist sie, wenn auf
I g Fett 0,03—0,06 g CaO kommen. In 7 Fallen wurden jetzt wieder
Stoffwechselversuche ausgeführt. Untersucht wurden 2- bis 6jahrige
Kinder. Bestimmt wurde der Ca-Umsatz. Diät: Vollmilch, Brot,
Fleisch, Butter und Eier. In der Hauptperiode wurde dann das Fett
ausgeschaltet und durch Kohlenhydrat ersetzt. Calorienzufuhr,
Eiweiß und Ca-Zufuhr wie in der Vorperiode. Nachdem die Kinder
eine Woche lang bei dieser fettarmen Kost waren, wurde die Haupt-
periode angestellt. Zwei Kinder bekamen mehrere Wochen hindurch
die fettarme Nahrung. In 4 Fällen ist auch noch eine Nachperiode
angeschlossen worden. Die einzelnen Stoffwechselperioden dauerten
4 Tage lang. Bei fettarmer Kost verändert sich die Stuhlbeschaffen-
heit. Die normalerweise alkalischen Stühle werden sauer und ent-
halten reichlich unverdaute Nahrungsreste. Ob diese Änderung
durch Fettmangel oder Kohlenhydratüberschuß oder durch beides
hervorgerufen wird, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Bei 5 Kindern
fanden Verff. die Ca-Absorption bei fettarmer Kost wesentlich
herabgesetzt, in 3 Fällen waren die Bilanzen negativ. In zwei anderen
Fällen zeigte die Ca-Bilanz keine Änderung. Eine Erklärung können
Verff. für dieses abweichende Verhalten nicht geben. Die Mehr-
ausscheidung an Ca erfolgt im Stuhl. Mit Ausnahme eines Falles
ist bei den anderen Kindern auch der Gesamtaschegehalt der Stühle
in der Hauptperiode vermehrt gewesen. Schiff.
Talbot, F. B. und Moriarty, E. M. The value of basal metabolism in
the diagnosis and treatment of cretinism. (Die Bedeutung des Grund-
umsatzes in der Diagnostik und in der Behandlung des Myxödems.)
(Amer. journ. of dis. of childr. Vol. 25, No. 3.)
Verff. haben sich die Frage vorgelegt, ob die Untersuchung
des Grundumsatzes nicht die Frühdiagnose des Myxödems ermög-
licht, ferner ob man aus diesen Untersuchungen nicht auch gewisse
Richtlinien für die Dosierung von Schilddrüsensubstanz in der Be-
handlung des Myxödems erhalten kann. In Bestätigung früherer
Untersuchungen fanden die Verff., daß der Grundumsatz beim
Myxödem tatsächlich erniedrigt ist und auf dieser Grundlage die
Diagnose in fraglichen Fällen von Hypothyreoidismus gestellt
werden kann. Verff. vermuten, daß die therapeutischen Erfolge
wesentlich verbessert werden könnten, wenn die Organtherapie
möglichst bald einsetzt, d.h. bereits in einer Zeit, in der die klinischen
Manifestationen noch nicht zu sehr ausgebildet sind. Aus diesem
Grunde legen sie auf die Bestimmung des Grundumsatzes in allen
myxödemverdächtigen Fällen einen großen Wert. Schiff.
Heft 3 Wachstum und Stoffwechsel. 279
Wilcose and Lyttle (Neuyork). Der diagnostische Wert der Zucker-
konzentration im Liquor. (Archives of Pediatrics 60, 215. 1923.)
Der Zuckergehalt der Spinalflüssigkeit, nach verschiedenen Me-
thoden bestimmt, ergibt bei Normalen und bei den verschiedensten
Krankheiten Werte zwischen 0,050 und 0,093 mg %. Bei tuberkulöser
Meningitis ist der Zuckergehalt des Liquors herabgesetzt, bei der
epidemischen Encephalitis ist er im Gegensatz dazu erhöht. Bei
der Poliomyelitis anterior acuta bestehen keine eindeutigen Be-
ziehungen. Rosenbaum.
Haake, G. Dextroseausscheidung bei schweren Infektionen des Säug-
lingsalters. (Aus der Unsversttats-Kinderklintk in Göttingen.)
(Doktordissertation 1920.)
Verf. fügt zwei alten zwei neu beobachtete Fälle von Säuglings-
erkrankungen, die den Eindruck einer alimentären Intoxikation
machten, hinzu. Durch die Bestimmung der Zuckerart, die aller-
dings nur in 3 Fällen vollständig ist, ist der Nachweis erbracht, daß
es sich um eine alimentäre Dextrosurie handelt, die nicht durch die
Vorgänge im Darm, sondern durch die Allgemeininfektion bedingt
ist. Die Unterscheidung einer alimentären Intoxikation von einer
toxisch wirkenden Allgemeininfektion ist also auf diesem Wege
möglich. Blühdorn (Göttingen).
Underhill, F., Tileston, W., and Bogert, J. Stoffwechseluntersuchungen
bei der Tetanie. (The journ. of metabol. research. 1, Nr. 6. 1922.)
Untersuchungen an einer 35jährigen Frau, die an Tetanie und
unklaren Durchfällen litt. Zur Kontrolle wurden dieselben Unter-
suchungen auch an zwei gesunden Frauen ausgeführt. Bestimmt
wurde: Ca in der Nahrung, im Urin und im Kot nach der Methode
von Mc. Cruden. N nach Kjeldahl. H nach Henderson und
Palmer, Gesamtazidität, Ammoniak, Kreatin-Kreatinin und Phenol
nach Folin. Organische Säuren nach van Slyke und Palmer,
Phosphat und Schwefel nach Benedikt, Indikan nach Ellinger.
Ferner wurde auch durch Atherextraktion der Fettgehalt des Stuhles
und der Blutkalk nach Marriott und Howland bestimmt. Im
wesentlichen ergaben diese Untersuchungen, daß bei der Tetanie
der Kalk, wenn Ca-reiche Nahrung verabreicht wird, in stärkerem
Maße retiniert wird, als vom gesunden. Diese Ca-Retention ist aber
labil, denn bei kalkarmer Ernährung wird der retinierte Kalk wieder
bald ausgeschieden. Dies ist wahrscheinlich damit zu erklären, daß bei
der Tetanie zwar ein Kalkhunger besteht, aber das Ca-Gleichgewicht
gestört ist. Die Ca-Ausscheidung erfolgt zum größten Teil im Stuhl.
Durch den Harn verlassen nur geringe Ca-Mengen den Organismus.
Sowohl bei Ca-reicher wie auch bei Ca-armer Kost ist bei der Tetanie
der Blutkalkgehalt erniedrigt. Eine Störung des N-Umsatzes konnte
280 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 3
nicht festgestellt werden. Auffallend ist die stark vermehrte NH,-
Ausscheidung im Urin, ohne daß im Harn andere Zeichen der Azıdose
nachweisbar wären. Verff. glauben, daß die vermehrte Ammoniak-
ausscheidung nicht ohne weiteres als ein Maß der Azidose betrachtet
werden kann. Der Fettstoffwechsel war bei der tetanischen Patientin
wesentlich gestört. Dies ist aber wahrscheinlich nicht von der Te-
tanie verursacht worden, sondern von den Durchfällen, an denen dıe
Frau zur Zeit der Untersuchungen gelitten hat. Schiff.
Stoye, W. Uber das Gramverhalien der Kotbakterien des Sduglings
und seine Abhängigkeit von der Art der Nahrung. (Kinderklinik
Halle.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 33, S. 313.)
Verf. stellt sich auf den Standpunkt von Stöltzner, daß dıe
Gramfärbbarkeit auf Gegenwart von freien Fettsäuren und Wachsen
beruht. Deshalb wırd der Name lipophile Bakterien vorgeschlagen.
Es wird die Möglichkeit erörtert, daß die Grampositiven imstande
sind, ihren Nährstoffbedarf aus durch Abspaltung aus Fettsäuren
gewonnenen höheren Fettsäuren zu bestreiten. Diese Annahme
wird gestützt durch die Beobachtung Salges, wonach bei gewissen
schweren Endemien von Brechdurchfällen bei Säuglingen fast
nur Grampositive ausgeschieden wurden. Diese vermuteten Erreger
der „blauen Bacillose‘‘ wuchsen besonders gut bei Zusatz von olein-
sauerem Natron zur Nährflüssigkeit, wobei das fettsaure Salz ver-
braucht wurde. In eigenen Versuchen wird das Gramverhalten der
Kotbakterien bei verschiedenem prozentualen Fettgehalt der Nahrung
an 400 Einzeluntersuchungen geprüft. Daß durch Fette, in hinreichen-
der Menge verfüttert, das Wachstum der Grampositiven im Darm
des Säuglings begünstigt werde, wird aber durch diese Versucht
nicht schlagend bewiesen. Beck (Tübingen).
Adam, A. Über Darmbakterien. IV. Zur Biologie der Darmflora des
Neugeborenen. (Ernährungsphysiologie der Knöpfenbakterien.)
Kinderklinik Heidelberg. (Zeitschr. f. Kinderheilk. 38, S. 308.)
Der Verwendungsstoffwechsel der Bakterienzelle erlaubt ge-
wisse Rückschlüsse auf die erforderlichen Lebensbedingungen im
Darmkanal, wie am Beispiel des Bacillus bifidus schon gezeigt wurde.
Von den Bakterienarten, die im Meconium fast konstant zur Ent-
wicklung gelangen, interssieren die bei nicht zu raschem Übergang
zum Frauenmilchstuhl fast regelmäßig nachweisbaren von Escherich
als grampositiv, schlank, sporentragend geschilderten Knöpfen-
bakterien. Die ungünstigen Lebensbedingungen, die sie mit Auf-
treten der Bifidusflora anscheinend mit einem Schlage zum Ver-
schwinden bringen, liegen zum Teil wohl in der Reaktionsänderung
des Milieus begründet, denn bei dem fiir den Bac. bifidus optimalen
sauren Reaktionsgrad gehen sie sofort zugrunde. Neben der Eigen-
Heft 3 Wachstum und Stoffwechsel. 281
wasserstoffzahl ist aber von ganz besonderer Wichtigkeit die Art
der Nährstoffe, die sie zum Aufbau brauchen. Die betreffenden
Nahrungsstoffe hat Verf. in steigender Konzentration einer zucker-
freien Fleischbouillon mit Kokszusatz zugefügt. Von den Eiweiß-
körpern ermöglichten nur solche vom Peptoncharakter und in ge-
wissem Grade Asparagin das Zustandekommen der normalen Form.
Zucker und Zuckerabbauprodukte ließen überhaupt nur gram-
negative, sporenarme Formen in Erscheinung treten. Fette hemmen
ihre Entwicklung. Die günstigen Lebensbedingungen der K.-B.
dürften von den Eiweißbestandteilen der Darmepithelien und Sekrete
gebildet werden. Außerdem ist die alkalische Reaktion ihrer Ent-
wicklung günstig. Demnach können aus der Analyse des Stoff-
wechsels der K.-B. Schlüsse auf die Entstehung der Darmflora
des Neugeborenen und die Abhängigkeit des Florawechsels von der
Art der Ernährung des Kindes gezogen werden.
Beck (Tübingen).
Adam, A. Über die Biologie der Dyspepsiecoli und ihre Beziehungen
zur Pathogenese der Dyspepste und Intoxtkatson. (Aus der Heidel-
berger Kinderklinik. (Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923, 295.)
In dieser Arbeit sind drei Fragen erörtert und durch Versuche
erläutert. Erstens werden bestimmte Colirassen festgestellt, die
Dyspepsie erzeugen. Zweitens werden die Lebensbedingungen dieser
Arten untersucht. Drittens wird geprüft, welche Wechselbeziehungen
zwischen künstlicher Ernährung und Coliwachstum bestehen. Dys-
pepsiecoli entwickeln im Gegensatz zu Normalcoli auf Agar Knopf-
kolonien, der Geruch ist stärker aromatisch, sie gedeihen gut auf
Malachitgrünagar. Sie wachsen besser als Normalcoli auf Frauen-
milch. Durch Zuckerabbauprodukte werden sie stärker gefördert,
Kalksalze lassen das Wachstum unter sonst günstigen Bedingungen
unbeeinflußt. Dyspepsiecolistämme agglutinieren bei einem höheren
u als Normalcoli. Sie zeigen im ganzen stärkeres Gärungsvermögen.
Unter den zahlreichen physiologischen Einzeluntersuchungen über
die Wachstumsbedingungen erscheint als eines der wichtigsten ein
vom Verf. früher schon betontes Ergebnis, daß die Gärungsförderung
durch Eiweiß von der Art des Eiweißes und dem spezifischen Ver-
halten der Bakterien abhängig ist. Im dritten Abschnitt werden
Schlüsse für klinische Fragen gefolgert. Es findet sich, daß die
gleichen Eiweißkörper, Kohlenhydrate und Fettbestandteile, die
Dyspepsie auslösen, nämlich Pepton, krystallinischer Zucker, Fett-
säuren, auch die Colivermehrung fördern. Es ergibt sich als Reihe
der Vorgänge: Gestörter Stoffwechsel durch äußere oder innere
Schädigung. Verminderte Erzeugung alkalischer Valenzen, Ansied-
lung von gärungstüchtigen Colirassen, Bakterienvermehrung durch
wachstumsfördernde Nahrungsbestandteile. W. Gottstein.
282 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 3
Gydérgy, P. Bestrag zur Frage der Aciditat 1m Saduglingsmagen. (Arch.
f. Kinderheilk. 72, 1922, S. 1.)
Die geringe Acidität des Säuglingsmagens nach Milchprobe-
mahlzeit hängt mit dem isoelektrischen Punkt des Caseins zusammen,
wie überhaupt der isoelektrische Punkt der Eiweißkörper einen
starken Einfluß auf die Acıdität des Magensaftes hat. P. Karger.
Schönfeld, H. Zur Lehre vom enteralen Kochsalzfieber. (Arch. f.
Kinderheilk. 72, 1922, S. 120.)
Wo es nach NaCl-Darreichung zu Dyspepsie und uncharakteri-
stischen Temperaturerhebungen kommt, liegt kein echtes Kochsalz-
fieber vor. Zwischen Fieber und Blut-Chlor-Kurve besteht ein
zeitlicher Zusammenhang, aus dem hervorgeht, daß NaCl, falls es
direkt fieberauslösend wirkt, vom Blut aus wirken muß. Auch ın
Fällen, wo die Temperatursteigerung fehlte, stieg die Blut-Chlor-
Kurve an. P. Karger.
Röckemann, W. Die Beeinflussung der Chlorausschesdung durch
Phosphorsäurezufuhr. (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 161.)
Die Chlorretention, die nach Phosphatzufuhr auftritt, gleicht
sich nach Aufhören dieser wieder aus, die Ausscheidungswerte beider
zeigen deutlichen Antagonismus. P. Karger.
Gernk, Grete und Blühdorn, Kurt. Der Kalkspiegel des Blutes und
Lumbalpunktates bei tödlich verlaufenen Krankheiten des Sauglings-
und Kindesalters. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Göt-
tingen.) Jahrb. f. Kinderheilk. 102, 1923, S. 83.
: . Ca‘? HCO! CC,
Nach der Gleichung von Rona-Takahashi S ste k,
welche die Beziehungen des ionisierten Kalkes zur Kohlensäure und
dem n im Blute festlegt, könnte man annehmen, daß eine Acidose
durch vermehrte Kalkzufuhr in das Blut ausgeglichen werden kann.
Die Verfasser geben selbst an, daß ihre Untersuchungen an 25 Fällen,
bei denen der Gesamtkalkgehalt im Serum nachgewiesen wurde
(nach der de Waardschen Methode) unvollständig sind und vor allem
die Anregung zu weiteren Prüfungen geben sollen. Ergebnisse an
klinisch untersuchten Fällen und Tierversuche an mit CO, vergifteten
Meerschweinchen sind z. T. nicht einheitlich. Immerhin zeigt sich
die auffällige Tatsache, daß in den Fällen erhebliche Erhöhung des
Serumkalkspiegels auftrat, wo die normale Regulation länger ver-
sagte, wo eine Acidose ungehindert fortgeschritten war, vor allem
bei schweren Graden der Intoxikation und Erkrankungen mit langer
Agonie. W. Gottstein.
Heft 3 Wachstum und Stoffwechsel. 283
Steiner, Béla. Uber den Zuckergehalt des Liquor cerebrospinalis. (Aus
dem Stefanie-Kinderspital Budapest.) (Jahrb. f. Kinderheilk, 102,
1923, Heft 3/4.)
Die Untersuchungen wurden wie die von SchloB, Schroeder
und Suzuki quantitativ mit der Bangschen Methode durchgefiihrt.
Der Zuckergehalt des Liquor nimmt bei Meningitis ab. Diese Ab-
nahme ist sehr häufig die erste nachweisbare pathologische Ver-
anderung. Der Zuckergehalt kann bei Meningitis tuberculosa haufig
schon 24 bis 48 Stunden vor dem Tode mit der Bangschen Methode
nicht nachgewiesen werden. Erreicht der Zuckergehalt nach an-
fänglicher Abnahme wieder den normalen Wert, kann Meningitis tbc.
mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden. Bei unter meningitischen
Erscheinungen verlaufendem Typhus, Gehirnabsceß, bei Beginn
oder während des Verlaufes der Infektionskrankheiten auftretenden
Cerebralerscheinungen ist der Zuckergehalt des Liquors normal. Bei
Poliomyelitis, Tetanus und Gehirntumor ist der Zuckergehalt der
Lumbalflüssigkeit erhöht. W. Gottstein.
Scheer, Kurt und Müller, Fritz. Zur Physiologie und Pathologie der
Verdauung beim Säugling. II. Mitteilung. Über den Gärungs-
verlauf im Darm. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Frank-
furt a. M.) Jahrb. f. Kinderheilk. 102, 1923, S. 93.
Diese Arbeit bringt einen weiteren Ausbau der vorangegangenen
Untersuchung; es wurden der Einfluß der Darmfunktionen und die
Bedeutung der Peristaltik auf die Gärungsvorgänge geprüft. Ver-
fasser betonten schon früher, daß nach ihrer Ansicht die Stärke des
Gärsubstrat
Pufferungsvermögen
im Chymus abhängt. Auch diese letzten Versuche stützten
ihre Annahme, denn unter verschiedenen Bedingungen verlängerte
stets der schwer resorbierbare Zucker die Gärung, während ver-
mehrter Puffergehalt in Form von Eiweiß und Salzen sie verlän-
gerte. Es wurde ähnlich wie in der früheren Arbeit der Einfluß ver-
schiedener Nahrungsgemische auf die Stuhlacidität, ferner die Fähig-
keit der Nachgärung von Faeces im Brutschrank unter wechselnden
Bedingungen ermittelt. Bemerkenswert erscheint eine Angabe, die
im Einklang mit dieser Theorie der Verfasser steht. Kalomel, das die
Peristaltik beschleunigt, erzeugt saure Stühle, während Opium-
tinktur mehr alkalische Stühle verursacht. Erfolgt die Stuhlent-
leerung so schnell, daß nach vollendeter Gärung eine rückwärtige
Alkalisierung des Darminhalts durch den Eiweißabbau nicht mehr
erfolgen kann, üperwiegt die saure Reaktion der Entleerungen.
W. Gottstein.
Gärungsablaufes vor allem von dem Verhältnis
284 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 3
Gamble, J. L., RoB, G. S. u. Tisdall, F. F. Untersuchungen iiber Tetanie.
I. Die Wirkung der Zufuhr von Calciumchlorid auf Saure-Basen-
umsatz des Sãuglings. (Americ. journ. of. dis. of. childr. 25, S. 455.)
Sorgfältige Untersuchungen, die sich auf die Zusammensetzung
des Blutes, die Ausscheidung durch Stuhl und Harn erstreckten
und an einem gesunden und einem tetaniekranken Säugling vor und
nach Zufuhr von Calciumchlorid ausgeführt wurden, führten zu
folgenden Ergebnissen. Calciumchlorid wirkt auf den Körper wie
eine Säure, da verhältnismäßig vrel mehr vom Chlorion als vom
Calciumion resorbiert wird. Die Aufnahme von Ig Calciumchlond
hat dieselbe Wirkung auf das Säure-Basengleichgewicht im Körper
wie die Aufnakme von 75cm ?/iọ Salzsäure. Die Ausscheidung
des Säureüberschusses wird vom Körper bewältigt, indem die Harn-
acidität und die Ammoniakausscheidung gesteigert werden, während
die regelrechte Basenkonzentration im Blutplasma erhalten bleibt.
Die nach Aufnahme von Calciumchlorid eintretende Verminderung
im Bicarbonatgehalt beruht nicht auf einer Abnahme des Basen-
gehaltes im Blutplasma, sondern auf einer Zunahme des Chlorid-
gehaltes (Cl), wodurch der äquivalente Wert gebundener Kohlen-
säure verdrängt wird. Nach Einnahme von Calciumchlorid steigt
der Gehalt des Harns an festen Alkalien, besonders an Natrium
und Kalıum, etwas an. Die erhöhte Basenausscheidung im Ham
ist die Folge einer erhöhten Ausscheidung von Körperflüssigkeit
und nicht etwa als Verarmung der Körpersäfte an Basen zu deuten.
Der Gesamtbasengehalt des Serums wird auf gleichmäßiger Höhe
erhalten durch eine außerordentlich feine Einstellung der Ausschei-
dung der festen Alkalien durch den Harn. Diese Einstellung arbeitet
erfolgreich, wie die Untersuchungen ergaben, obwohl dem Körper
zu gleicher Zeit die Ausscheidung eines erheblichen Überschusses
an Säure und eines Teiles der Körperflüssigkeit zugemutet wird.
Die Herabsetzung des Bicarbonatgehaltes im Blut bedeutet keine
Verminderung des Gesamtbasengehaltes. H. Vogt.
Gamble, J. L. und Roß,G.$S. Untersuchungen über Tetanie. II. Der
Einfluß der Verabreichung Salzsäure erzeugender Stoffe auf den
Saure-Basenhaushalt des Säuglings und die vermutliche Art ihrer
Wirkung bei der Behandlung der Tetanie. (Americ. journ. of dis. of
childr. 25, S. 470.)
Bei einem 13 Monate alten Kinde mit Tetanie wurde die Wir-
kung der Verabreichung vom Calciumchlorid, Ammoniumchlorid
und von Salzsäure auf den Säure-Basenhaushalt festgestellt. Es fand
sich regelmäßig eine Abnahme des Bicarbonatgehalts im Blutserum.
Sie ist als Folge eines erhöhten Salzsäureumsatzes im Körper anzu-
schen, wobei der Chloridgehalt des Serums auf Kosten seines Bi-
carbonatgehaltes zunimmt. Der Gesamtbasengehalt des Plasmas
Heft 3 Wachstum und Stoffwechsel. 285
bleibt dabei unverändert. Die Abnahme an Bicarbonat ist also nicht
als die Folge eines verminderten Gehalts an festen Alkalıen anzusehen.
Die Wasserstoffionenkonzentration des Serums betrug vor Ver-
abreichung von Salzsäure Pu 7,39; nach zweitägiger Verabreichung
u 7,22 und 3 Tage nach Aussetzen der Verabreichung Zu 7,34. Die-
selbe Wirkung ist für Calcium- und Ammoniumchlorid anzunehmen.
Unter der Einwirkung von salzsäureerzeugenden Substanzen stieg
die Ausscheidung von Phosphaten und von festen Alkalien ım Harn.
Eine Gehaltsverminderung an festen Alkalien in den Körpersäften
ist nicht anzunehmen, vielmehr ist ihre erhöhte Ausscheidung offen-
bar die Folge einer Abgabe von Flüssigkeit vom Körper, veranlaßt
durch die diuretische Wirkung der zugeführten Substanzen. Am-
moniumchlorid führt nicht zu Steigerung des bei Tetanie herabgesetz-
ten Kalkgehalts des Plasmas. Die Heilwirkung des Salzes ist also
nur auf den gesteigerten Umsatz an Salzsäure zurückzuführen,
der zu einer Herabsetzung des Bicarbonatsgehalts und einer höheren
Wasserstoffionenkonzentration im Plasma führt, das heißt, zu
zwei Verschiebungen, die eine Ionisation des Calciums begünstigen.
Es kommt also bei vermindertem Gesamtgehalt an Kalk ım Plasma
zu einem regelrechten Gehalt an ionisiertem Kalk. Calciumchlorid
und Salzsäure wirken in dieser Hinsicht wie Ammoniumchlorid;
darüber hinaus aber steigern sie den Gesamtkalkgehalt des Plasmas.
Es ist deshalb anzunehmen, daß Calciumchlorid und Salzsäure in
der Behandlung der Tetanie mehr leisten als Ammoniumchlorid.
Die Wasserabgabe vom Körper hat wohl mit der Heilwirkung der
genannten Salze nichts zu tun. H. Vogt.
György. Rachitis und Tetanie. (Aus der Heidelberger Kinderklinik.)
Jahrb. f. Kinderheilk. 102, 1923, Heft 3/4.
Während Hochsinger in dem soeben erschienenen I. Band
der dritten Auflage des Pfaundler-Schloßmann eine erschöpfende
Darstellung der pathologischen Anatomie und der äußeren Ursachen
der Rachitis gibt, faßt György nun das Ergebnis langjähriger Unter-
suchungen der Heidelberger Schule über die Stoffwechselvorgänge
und die physikalisch-chemischen Grundlagen der Rachitis und Tetanie
in dieser Arbeit einheitlich zusammen. Er verschweigt nicht die
Schwierigkeit einer rein chemisch-dynamischen Deutungsweise, die
histologischen Erscheinungen werden keineswegs in ihrer Bedeutung
einseitig unterschätzt, den Zusammenhängen mit den ‚lokalen
Momenten“ in der Pathogenese der Rachitis dient ein eigener Ab-
schnitt, die Zwiespältigkeit zwischen Experiment und Klinik, daß
zusammengehörige Krankheitsbilder wie Rachitis und Tetanie ent-
gegengesetzten Entstehungsbedingungen unterliegen sollen, wird
eingehend besprochen. Die alte Auffassung von der Acidose bei der
Rachitis war nur eine Krasenlehre, die celluläre Vorgänge wenig
286 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 3
beriicksichtigte. In Erweiterung der Untersuchungen von Pfaundler
über die Austauschadsorption bei der physiologischen Ossification
haben Freudenberg und György 3 Phasen bei dem Vorgang
der Bindung von Calcium und Phosphor an das Knorpeleiweiß in
Versuchen erwiesen. Gestörte Kalkaufnahme ist ursächlich bedingt
durch Hemmung im Knorpelgewebe selbst oder in der umspülenden
Flüssigkeit. Phosphate und Bicarbonate begünstigen vor allem die
Össification, während tryptische und autolytische Eiweißabbau-
produkte Ca-Bindung hemmen und Entbindung vorher gebundenen
Kalkes verursachen. Wichtig erscheint die Kenntnis des Serum-
kalkes und des Serumphosphors. Im florid-rachitischen Stadium
findet sich eine geringe Erniedrigung des Gesamtserumkalkes und
eine im Verhältnis weit stärkere Abnahme des Serumphosphor:.
Auch für die Pathogenese der Tetanie sind die Ca- und P-Salze von
Bedeutung. Eine Erweiterung der Aona-Takahashischen Formel.
die außer den H, HCO,, und Ca-Ionen auch die HPO,-Ionen be-
rücksichtigt, würde theoretisch alle bis jetzt bekannten Bedingungen
der Nervenübererregbarkeit in sich schließen. Rachitis und Tetanie
zeigen in mehrfacher Hinsicht eine entgegengesetzte Stoffwechsel-
richtung. Bei Rachitis besteht Acidose, bei Tetanie Alkalose. Bei
Rachitis sind die Blutphosphate erniedrigt, bei Tetanie relativ er-
höht. Der Blutkalk ist bei Rachitis mäßig, bei Tetanie stark herab-
gesetzt. Das bei Rachitis unveränderte Blutkalium wird bei Tetanie
stark erhöht. Die Säureausscheidung im Urin ist bei Rachitis erhöht,
bei Tetanie erniedrigt. Die Adrenalinblutzuckerkurve erweist sich
bei Rachitis hyperglykämisch, bei Tetanie hypoglykämisch. Der
Widerspruch mit der Klinik, daß die Tetanie ein ‚Negativ der
Rachitis“ ist, erklärt sich nach György mit einem verschiedenen
Reaktionsablauf auf die gleiche Ursache, wobei endrokin bedingte
Umstimmungen des Organismus, z. B. durch die ,,hormonale Friih-
jahrskrise“, eine Rolle spielen sollen. W. Gottstein.
Furno, Alberto. Kindliche acetonamtsche Intoxtkation. (Riv. di clin.
pediatr. 1923, 11, H. 5, S. 257.)
Die kindliche acetonämische Intoxikation ist eine Krankheit
des Fettstoffwechsels auf wahrscheinlich anaphylaktischer Grund-
lage. Während der acetonämischen Krisen ist die Leber das am
meisten angegriffene Organ. Das vegetative Nervensystem ist bei
den acetonämischen Kindern im Sinne einer ausgesprochenen Ver-
mehrung des Vagotonus alteriert, wie aus pharmakologischen
Priifungen hervorgeht. Auf die anatomisch-pathologischen Befunde
eines Falles sowie auf klinische Beobachtungen gestützt, hält Verf. die
Acetonämie für eineVeränderung des Stoffwechsels, dessen anatomische
Grundlage in primären Veränderungen der Thymus und der Schild-
drüse und sekundären der Leber und des Pankreas zu finden ist.
Heft 3 Wachstum und Stoffwechsel. — Neugeborene. 287
Wimberger, H. Röntgenometrische Wachstumssiudien am gesunden
und rachiiischen Säugling. (Wien, Universitätskinderklinik.)
(Zeitschr. f. Kinderheilk. 85, 1923, S. 182—194.)
Zur Messung wird auf der Röntgenplatte die Distanz der prä-
paratorischen Verkalkungszonen an den Enden der Diaphyse benutzt.
Am brauchbarsten erschien für die Messung die Tibia. Beim gesunden
Säugling ergibt sich das beste Längenwachstum im Sommer, das
schlechteste ım Winter, ein mittleres im Frühjahr und Herbst, wobei
der Frühjahrsanstieg steiler erfolgt als der Herbstabfall. Im vor-
rachitischen Stadium findet sich dagegen ein Wachstumsgipfel im
Frühherbst und eine bedeutende Verlangsamung zur Winterstagna-
tion noch bevor die Rachitis einsetzt. In der Rachitisrekonvaleszenz
zeigt sich dann ein überschnelles Frühjahrswachstum, das die Verhält-
nisse beim normalen Säugling weit übertrifft. Das Wachstum wird
schon einige Zeit vor dem Röntgennachweis der Rachitis verlangsamt
und sinkt unter das Maß des normalen Winterzuwachses. Durch
das über das Mittelwachstum hinaus gesteigerte Frühjahrswachstum
ım Rachitisrekonvaleszenzstadium wird aber eine Wachstumseinbuße
verhindert. Schall (Tübingen).
Neugeborene.
Hishikawa, T. Die Regulation der Atemfrequenz beim Neugeborenen
in den ersien Lebensjahren. (Schweiz. med. Wochenschr. 1923,
Nr. 13.) .
Die Atemfrequenz beim Neugeborenen ist auf eine begrenzte
Frequenzzone einreguliert, welche für verschiedene Individuen bei
verschieden hohen Frequenzen liegt. Im Laufe der ersten Lebenstage
verkleinert sich dieser Schwankungsbereich, indem die Individuen
mit hochliegender Frequenzzone sich den übrigen nähern. Die mitt-
lere Atemfrequenz sinkt dadurch von der Geburt bis zum 3. Tage
von 78 auf 61, die Schwankungsbreite von 106 auf 70 am 7. Tag,
um im Laufe des ersten Lebensjahres annähernd auf diesem Niveau
zu bleiben. Im Laufe des 2. und 3. Lebensjahres sinken Mittelwert
und Schwankungsbreite auf etwa die Hälfte des Wertes im ersten
Lebensjahr. Die Dauer aufeinanderfolgender Atemzüge zeigt wäh-
rend des ganzen ersten Lebensjahres sprunghafte Veränderlichkeit,
welche in den folgenden Jahren rasch abnimmt. Die Erscheinungen
sind aufzufassen als eine schrittweise Anpassung und Verfeinerung
der Regulationsmechanismen der Atemfrequenz. Held (Berlin).
Conkey (Neuyork). Komplikationen der Geburt als Ursache intra-
kranieller Blutungen. (Archives of Pediatrics 60, 139. 1923.)
Hinweis auf die in Deutschland insbesondere durch Beneke
genugsam bekannten Folgen schwerer Geburten. Rosenbaum.
288 Neugeborene. Heft 3
Kuttner, Ann u. Ratner, Bret. Die Bedeutung des Colostrums für
das neugeborene Kind. (Americ. journ. of dis. of childr. 25,
S. 413.)
Von neugeborenen Kälbern, die kein Colostrum erhalten, erliegen
nach den Untersuchungen von Theobald Smith und seinen Mit-
arbeitern bis zu 80% einer Colisepsis. Mit dem Colostrum werden
Immunkörper, z. B. Agglutinine, vom Muttertier auf das Junge
übertragen. Dagegen fehlt bei Kühen und Ziegen im Gegensatz
zu den Nagetieren und zum Menschen der Übergang von Anti-
körpern auf dem Wege über die Placenta. Die menschliche Placenta
ist, wie in Bestätigung der von früheren Untersuchern erhobenen
Befunde gezeigt werden konnte, für Diphtheneantitoxin durch-
lässig. Mit dem Verfahren von Kellog wurde ermittelt, daß ım
mütterlichen Blut wie in dem Blut der Nabelschnur wenigstens
1/39 Einheit Diphtherieantitoxin vorhanden ist, wenn die Mutter
keine Schicksche Probe gibt. Versagt die Schicksche Probe bei der
Mutter, so fehlt sie auch bei dem von ihr geborenen Kinde. Dagegen
ist die Schicksche Probe beim Neugeborenen nicht immer erfolgreich,
wo sie bei der Mutter vorhanden war. Das liegt offenbar daran,
daß die intracutane Einspritzung bei der dünnen Haut des Neu-
geborenen auf Schwierigkeiten stößt. Will man sich über den Im-
munitätszustand des Neugeborenen gegen Diphtherie unterrichten,
so ist es am besten, die Schicksche Probe an der Mutter vorzunehmen.
da am Übergang der Antikörper durch die Placenta kein Zweifel
besteht. Der Antitoxingehalt des Nabelschnurblutes entspricht
ziemlich genau dem des mütterlichen Blutes, so daß ein meßbarer
Verlust beim Durchtritt durch die Placenta offenbar nicht erfolgt.
In Versuchen an Meerschweinchen wurde gezeigt, daß menschliches
Colostrum kleine Mengen Diphtherieantitoxin enthält, aber stets
weniger als das zugehörige mütterliche Blutserum oder Nabelschnur-
blut. In Übergangsmilch und in reifer Milch ließ sich kein Antitoxin
nachweisen. Die Aufnahme von Colostrum führte nie zu meßbarer
Zunahme des Antitoxins im kindlichen Blute. Die sorgfältige Beob-
achtung von I8 Säuglingen, die bestimmt kein Colostrum erhalten
hatten, ließ keine schädliche Folge des Ausfalles der Erstmilch
erkennen. H. Vogt.
Emmanuele, A. (Päd. Klin. Neapel). Ricerche sulle piastrine e sulla
coagulabilita del sangue nel neonato. (Untersuchungen über di
Platichen und die Gerinnungsfähigkeit des Neugeborenenblutes.
(La Pediatria 1923, 31, S. 422.)
Die Zahl der Blutplättchen nimmt in den ersten Lebenstagen
ah; sie ist beständig höher bei den Frühgeburten (ungefähr 560 000
im Mittel gegen 440 000 bei normalen Neugeborenen). Die Genn-
nungszeit steigt von 2 Min. am ersten Tage auf 3 Min. 45 Sek. am
Heft 3 Frihgeborene. — Infektionskrankheiten. 289
fünften; bei Frühgeburten beträgt sie 1 Min. 30 Sek. im Mittel.
Bei Kindern mit Hämorrhagien ist die Anzahl der Plättchen geringer,
die Gerinnungszeit länger. Tezner (Wien).
Frühgeborene.
Hoffa, Lizzie. Siudien über den calorischen Bedarf der Frühgeburten.
(Arch. f. Kinderheilk. 72, 1922, S. 6.)
Ein theoretisch zu errechnender und bisher allgemein angenom-
mener erhöhter Bedarf der Frühgeburten existiert bei klinischer
Beobachtung nicht, der wirkliche Bedarf liegt in vielen Fällen sogar
unter 100 Calorıen pro Kilogramm Körpergewicht. P. Karger.
Schoedel, Johannes. Trinkmengen und Trinkfolge gut gedeihender
Schwachgeburten bei Ernährung mit Mutter- oder Ammenmilch.
(Aus dem Mütter- und Säuglingsheim der staatlichen Frauenklinik
Chemnitz.) (Jahrb. f. Kinderheilk. 102, 1923, Heft 3/4.)
Die Untersuchungen täglicher Trinkmengen wurden an 57 Kin-
dern durchgeführt. Schwachgeburten und Frühgeburten wurden
nicht getrennt, die Prüfung erstreckte sich überhaupt auf unter-
gewichtige Kinder von der zweiten Lebenswoche an. Es ergaben
sich als Trinkmengen am Ende der 2. Woche zwischen 130 und 175 g,
am Ende der 3. Woche zwischen 140 und 190 g, am Ende der 4. Woche
zwischen 145 und 210g, in der 6.—8. Woche 150—250g pro kg
Körpergewicht. Für gutes Gedeihen der Schwachgeburten bei aus-
schließlicher Ernährung mit abgedrückter Milch ist dagegen oft
eine höhere Nahrungszufuhr erwünscht. Der Versuch größerer
Nahrungspausen bleibt wegen der mangelhaften Saugkraft schwach-
geborener Kinder nach Ansicht des Verfassers stets ein Wagnis;
Schoedel zieht 6—8maliges Anlegen in diesen Fällen vor, steigt
bei Ernährung mit abgespritzter Milch sogar auf 8—ıo Mahlzeiten
und berichtet über gute Erfolge im Allgemeinzustand und in der
Gewichtszunahme. W. Gottstein.
Infektionskrankheiten und parasitäre Erkrankungen.
Zingher, Abraham. Ausführung der Schickschen Probe an mehr als
150 000 Kindern aus öffentlichen und Gemeindeschulen in Neuyork.
(Americ. journ. of dis. of childr. 25, 392.)
Beim Schulbeginn sind die Kinder, bei denen die Schicksche
Probe positiv ausfällt, so zahlreich (60—80%,) vertreten, daß man
auf die Ausführung der Probe verzichten und die Kinder sämtlich
mit Toxin-Antitoxingemisch gegen Diphtherie immunisieren kann.
Als geschützt sollte man die so geimpften Kinder aber erst betrachten,
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 19
290 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. Heft 3
wenn eine nach 6 Monaten ausgefiihrte Schicksche Probe wir-
kungslos bleibt. Die Zahl der Kinder, bei denen die Schicksche
Probe eine Immunität nachweist, wächst mit den Jahren stark an
bis auf 77% im Alter von 13—14 Jahren. Unter Kindern der wohl-
habenden Bevölkerungskreise, die aus weniger dicht bebauten
Stadtteilen stammen, finden sich 100—200% mehr mit Empfind-
lichkeit gegen Diphtherietoxin als unter den Kindern der Armen.
Dementsprechend ist die Zahl der diphtherieempfänglichen Kinder
unter der ländlichen Bevölkerung sehr hoch, sie kann 85—90%
betragen. Die sog. „natürliche Immunität‘ gegen Diphtherie ist
offenbar auf häufigere Berührung mit Diphtheriebazillen zurück-
zuführen. Beherbergen doch 2—3%, der Stadtbtevölkerung virulente
Diphtheriebacillen im Rachen. Da Diphtherie für die Altersklasse
von 3—5 Jahren die häufigste Todesursache darstellt, für die Kinder
von I—3 Jahren unter den Todesursachen an 3. Stelle steht, so sollte
die aktive Immunisierung gegen: Diphtherie bei Kindern im Alter
von 6 Monaten bis zu 6 Jahren genau so regelmäßig durchgeführt
werden wie die Pockenimpfung. H. Vogt.
Kirch, Eugen. Über das Zustandekommen der Invasion von Diphtherie-
bacıllen im menschlichen Körper bei dibhtherischen Affektionen
der Lufiwege. Path. Inst. Würzburg. (Zeitschr. f. Kinderheilk.
33, S. 229.)
Die Möglichkeit einer intravitalen Invasion von Diphthene-
bacillen in den menschlichen Organismus bei einer durch Diphthene-
bacıllen hervorgerufenen Erkrankung der oberen Luftwege kann
nicht mehr in Zweifel gezogen werden, wenn auch die verschiedenen
Angaben über prozentuale Häufigkeit dieser Invasion noch sehr weit
auseinandergehen, wofür Kirch, allerdings nur in geringem Maße
teils den Umstand verantwortlich macht, daß die einzelnen Autoren
den Kreis dessen, was sie als echte Diphtheriebacıllen bezeichnen.
verschieden weit ziehen, teils daß ungleiche Materialmengen zur
Verwendung kamen oder daß verschiedenartige Technik angewendet
wurde. Viel maßgebender für den verschiedenen Ausfall der bak-
teriologischen Prüfungen hält K. die inneren Verhältnisse des jeweils
vorliegenden Materials. Zum Versuch einer Analysierung der ver-
schiedenen Bedingungen, unter denen ein Diphtheriebacilleneinbruch
ins Blut zustande kommt, stehen 32 Fälle zur Verfügung. Scharfe
Trennung in eine Diphtherie im eigentlichen Sinne, die charakten-
siert ist durch ein Tieferreichen der Beläge und vorwiegender Bevor-
zugung plattenepitheltragender Schleimhautbezirke, und in einen
Croup, bei dem die Pseudomembranen auf das Oberflächenepithel
beschränkt sind, locker aufliegen und hauptsächlich zylinderepithel-
tragende Schleimhautbezirke befallen. Bei ersterer reichen die
Löffler-Bacillen entgegen weitverbreiteter Ansicht weit ins Tiefen-
Heft 3 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. 291
gewebe. Eine Invasion in die durch Entzündung alterierten Gefäße
kommt von hier aus recht häufig vor. Beim Croup dagegen fehlt
Tiefenwanderung und damit der Einbruch ın die Gefäße. Ausführung
der Tracheotomie und Komplikationen von seiten der Lunge sind
für das Eintreten der Invasion ohne sonderliche Bedeutung. Eine
starke Vermehrung der Diphtheribacillen im Blute findet nicht
statt, sie verschwinden, wenn die Invasionsquelle in den Luftwegen
versiegt. Besonders bevorzugt ist das Myokard. Die Diphtherie-
bacillen, die hier offenbar besonders gut gedeihen, können auch hier
gerade zu einer stärkeren Toxinentwicklung führen, indem hier
lokal gebildete Toxine zu den im Blut kreisenden kommen und da-
durch sich vielleicht das besondere Gefährdetsein des Herzmuskels
bei der Diphtherie ganz allgemein erklärt. Eine absolute Kongruenz
zwischen Bacillenbefund einerseits und geweblichen Veränderungen
ım Herzmuskel besteht nicht. Beck (Tübingen).
Graeser, Fritz. Zur Ätherbehandlung des Keuchhustens. (Dtsch. med.
Wochenschr. 49, Nr. 17, S. 55I. 1923.)
Verf. glaubt, intramuskuläre Ätherinjektionen (jeden zweiten
Tag ı ccm bei Kindern bis zu einem Jahr, 2 ccm bei Kindern über
ein Jahr) bei komplizierten Keuchhustenfällen empfehlen zu können.
Ernst Faerber (Berlin).
Bowditch und Leonard. Vorläufige Mitteilung über die Röntgen-
strahlenbehandlung des Keuchhustens. (Boston med. a. surg. journ.
188, Nr. 10.)
26 Fälle von Keuchhusten wurden mit Röntgenstrahlen be-
handelt; die Patienten im Alter von 3 Monaten bis zu 40 Jahren
befanden sich in verschiedenen Krankheitsstadien, von I—IO Wochen.
Die Bestrahlung erfolgte drei- oder viermal, ın Abständen von
2—3 Tagen. Die Dosierung richtete sich nach dem Alter des Patienten,
der Gesamtbetrag blieb unter der Erythemdosis. In einem kleinen
Prozentsatz der Fälle gingen die Anfälle prompt zurück. Der größte
Teil der Patienten fühlte sich wesentlich erleichtert, und nur ein
kleiner Teil verhielt sich refraktär. Wenn auch die geringe Zahl
von Beobachtungen keinen bindenden Schluß zuläßt, so scheint
die Röntgenbehandlung des Keuchhustens doch anderen Heilmetho-
den überlegen, auch der Serumbehandlung. Held (Berlin).
Auriechio, L. (Päd. Klin. Neapel.) Ricerche immunitarie sul liquido
cefalorachidtano nel? infezione tifoide. (Untersuchungen über
Immunkörper im Liquor bet Typhus.) (La pediatria 1923, 31,
S. 353.)
Im Liquor von 1r Typhuskranken konnten Typhusbacillen
nachgewiesen werden; Eiweiß und Zellen waren nicht vermehrt.
19*
292 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. Heft 3
Immunkörper fanden sich ım Liquor nicht; dies ist auch der Grund,
weshalb im Liquor öfter als im Blut Typhusbacillen nachweisbar
sind. Tezner (Wien).
v. Torday, Franz. Die Bekämpfung der akuten Infektionskrankheiten
des Kindesalterss. (Aus dem städtischen Kinderasyl Budapest.)
(Jahrb. f. Kinderheilk. 102, 1923, Heft 3/4.)
Verfasser bringt in übersichtlicher Darstellung allgemein be-
kannte Forderungen der Seuchenbekämpfung. Besonderer Wern
wird auf die geschichtliche Entwicklung gelegt; die Erfahrunger.
der bakteriologischen Forschung, der Dispositionslehre und der
Immunologie werden eingehend am Diphtherieproblem erörtert.
Die Auffassungen von Szontagh über die geringe Kontagiosität
mehrerer Infektionskrankheiten des Kindesalters werden bestnitter.
Die Scharlachprophylaxe durch Einspritzen von Scharlachrekon-
valeszentenserum bestätigt sich nicht. Bemerkenswert ist eine Be
obachtung an 116 Kindern, daß Einspritzung von Blut der Masern-
rekonvaleszenten statt Serum (20 ccm Blut am 2.—6. Incubation:-
tage) den gleichen Schutz zu gewähren scheint. W. Gottstein.
Geissmar, J. Zur Beurteilung der Schickschen Intracutanreaktion au!
Diphtherteantitoxin. (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 194.)
Paralleluntersuchungen sprechen für die Zuverlässigkeit der
Methode, wenn die Giftbouillon rein ist, was immer erst dura.
Kontrollen mit gekochtem Toxin geprüft werden muß. Die Be-
sichtigung der Impstellen empfiehlt sich am besten nach zwei- oder
viermal 24 Stunden. P. Karger.
Kuhn, P. Beiträge zur Kenntnis der Noma. (Mainz, pathologisches
Institut des Stadtkrankenhauses.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 8,
1923, 5. 79—94.)
4 Nomafälle, die im Anschluß an Keuchhusten, Ruhr, Diphthene
und Masern auftraten, geben Verf. Gelegenheit, auf die ätiologische
Bedeutung der von Perthes als Streptotrix aufgefaBten Noma-
fäden einzugehen. Es wird dabei die Ansicht vertreten, daß dies
nicht den Erreger, sondern nur einen Saprophyten in dem auf andere
Weise beschädigten Gewebe darstellen. Ein endgültiger Beweis
für die eine oder die andere Ansicht kann jedoch nicht erbracht
werden. Daß der Noma aber eine Infektion mit pathogenen Mikro-
organismen zugrunde liegt, scheint Kuhn sicher, dagegen wird
offen gelassen, ob es sich um eine Krankheitseinheit handelt. 2 Falle
traten im Zusammenhang miteinander auf, was eine schon früher
behauptete Kontagiosität in den Bereich der Möglichkeit rückt.
Eine vom Verf. beobachtete Beteiligung der Meningen kann auch
als eine durch Keimembolie erzeugte Metastase der entzündlichen
Krankheit aufgefaßt werden. Schall (Tübingen).
Heft 3 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. 293
Widowitz. Klinische Beobachtungen über Masern. (Arch. f. Kinder-
heilk. 72, 1923, S. 274.)
Der Infektionsmodus ist durch den Luftstrom von Person zu
Person gegeben. Das jüngste Kind war 4 Monate alt, jüngere er-
krankten auch bei starker Infektionsmöglichkeit nicht. Kopliksche
Flecken fehlten in einem Drittel der Fälle. Verf. befürwortet die
Anzeigepflicht bei Masern. P. Karger.
Bürgers, Th. J. Das Scharlachproblem. Eine epidemiologische Studie.
(Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh., Bd. 99, H. 4, S. 323
bis 344, 1923.)
Der Verfasser wollte durch statistische Erhebungen nach-
prüfen, ob die Beobachtung, daß die Scharlachmorbidität in den
letzten Kriegsjahren und in der Nachkriegszeit abgenommen hat,
zu Recht besteht. Diese Untersuchungen ergaben, daß im Jahre
1915 in Preußen die Scharlachmorbidität und auch die Mortalität
eine sehr hohe gewesen ist, ferner daß in den Jahren 1917—1920
ein scheinbarer Rückgang der Scharlachmorbidität fast um 50%
im Vergleich zu dem Jahre 1915 eintrat. Als scheinbar bezeichnet
der Verfasser diesen Rückgang aus dem Grunde, weil der Berech-
nung die Relativzahl der Gesamtbevölkerung zugrunde gelegt
wurde, während ein richtiges Bild nur die Berechnung auf die einzel-
nen Jahresklassen geben könnte. Verfasser fand, daß in der Zeit
der Abnahme der Scharlachmorbidität die Altersklasse zwischen
2—Io Jahren ebenfalls eine Abnahme von 50%, aufwies, ein Um-
stand, der bereits den Rückgang der Scharlachmorbidität erklären
könnte. Die weiteren Untersuchungen ergaben, daß sowohl der
Verlauf, wie auch die Scharlachmorbidität große örtliche Schwan-
kungen aufweisen. So fand sich z. B. die hohe Scharlachmorbidität
Preußens im Jahre 1915, auch in Düsseldorf, Königsberg usw.,
weniger ausgesprochen in Köln, Schwerin M. und garnicht in der
Stadt Berlin und in Nürnberg. Die soziale Lage ist auf die Schar-
lachmorbidität scheinbar ohne Einfluß. Auch die Rationierung
machte sich in dieser Beziehung bis zum Jahre 1922 nicht geltend.
Es ist bereits von Hirsch gezeigt worden, daß der Scharlach in
früheren Zeiten nicht nur seinen Charakter oft gewechselt hat,
sondern daß zwischen den Epidemien auch epidemiefreie Zeiten
gelegen sind. Die statistischen Kurven des Verfassers zeigen, daß
eine so geringe Scharlachmorbidität, wie in den Jahren 1917—1920
auch in den Jahren 1896—98, in Hamburg 1905, in Budapest 1884
bis 1885, in Lübeck 1884 da gewesen sind. Diese periodischen
Schwankungen der Scharlachmorbidität sprechen dafür, daß die
Abnahme der Scharlachfälle in den letzten Jahren nicht ohne
weiteres auf die Abnahme der Kinderzahl zurückgeführt werden
kann. Verfasser erwähnt auch die Ansicht Czernys, der die Ab-
294 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. Heft 3
nahme der Scharlachmorbidität in den letzten Jahren auf die knappe
Ernährung, insbesondere auf die milcharme Ernährung zurück-
führen will. Er lehnt diese Ansicht aber mit der Begründung ab,
daß auch in Norwegen in derselben Zeit die Scharlachmorbidität
ähnlich zurückging, in einem Lande, wo die knappe Ernährung als
ursächliches Moment wohl kaum in Frage kommen kann. Nach
den Untersuchungen von Nesemann soll zwischen Scharlach und
Diphtheriemorbidität ein Parallelismus bestehen. Die Nachprü-
fungen des Verfassers am Hamburger und Budapester Material
konnten diese Beobachtung weitgehend bestätigen, während ein
solcher Parallelismus mit der Pertussis sich nicht nachweisen ließ.
Die Mortalitatskurve in Preußen zeigt von Ig0O2—IQI4 eine
abfallende Tendenz. Seit ıgI4 ist die Scharlachmortalität auf die
Hälfte, seit 1920 auf !/, herabgesunken. Da nun die Letalität beim
Scharlach dem Alter umgekehrt proportional ist, und für Düssel-
dorf sich zeigte, daß die Scharlachmortalität in den ersten Lebens-
jahren in den Jahren Ig20—2ı auf Bruchteile eines %, herunter
gesunken ist, so ist dies nur in dem Sinne auszulegen, daß der Schar-
lach in den letzten Jahren einen gutartigeren Verlauf zeigt. Der
Rückgang der Scharlachmorbidität in den letzten Jahren ist eine
Erscheinung, die sich in der Geschichte des Scharlachs schon öfter:
gezeigt hat.
Schließlich wird die Frage ‚„Scharlach und Anaphylaxie“ kurz
besprochen. Verfasser nimmt hierbei einen ablehnenden Stand-
punkt ein. Die Anaphylaxietheorie kann nicht die große örtliche
Divergenz der Scharlachmorbidität, das An- und Abschwellen der
Scharlachkurve in verschiedenen Zeiten, ja auch in derselben Stadt,
ferner das Fehlen des Scharlachs in manchen tropischen Gegenden
erklären.
Bemerkungen des Ref.
Verfasser schreibt: „Eine Reihe anderer Autoren wie Schiff
deuten den Scharlach als reine Anaphylaxie usw.‘“. Hier wird wohl
— was meine Person anbetrifft — ein Versehen vorliegen müssen.
Nie habe ich mich für diese Hypothese ausgesprochen, ja ganz ım
Gegenteil, ich habe sogar versucht durch meine Untersuchungen
den Beweis zu erbringen, daß das erste Stadium der Scharlacher-
krankung mit anaphylaktischen Vorgängen nichts zu tun hat.
Wenn „anaphylaktische‘‘ Prozesse bei der Scharlacherkrankung
überhaupt eine Rolle spielen, so können solche höchstens nur für da:
sogenannte zweite Kranksein in Betracht kommen. Schiff.
Meyer, S. Der Scharlach als anaphylaktisches Phänomen. (Dt. med. W.
Nr. 16, 49. Jahrg. 1923, S. 509.)
Zusammenfassende Darstellung der epidemiologischen. klini-
schen, seriologischen und haemotologischen Erscheinungen. welche
Heft 3 Infektionskrankheiten und parasitare Erkrankungen. 295
che Auffassung des Scharlachs als anaphylaktisches Phänomen .
rechtfertigen. Die notwendige Sensibilisierung mit artfremdem
Eiweiß erfolgt durch vorangehende Infekte (meist Streptokokken.)
Die weitgehende Immunität der Säuglinge im ersten Lebensjahre
erklärt sich durch die noch fehlende Sensibilisierung (geringe Aus-
bildung des Iymphatischen Rachenringes, daher fehlende Eintritts-
pforten für Streptokokken). Umgekehrt ist die gesteigerte Dis-
position exsudativer Kinder mit der Hypertrophie des lymphati-
schen Rachenringes und der dadurch bedingten Neigung zu Ka-
tarrhen und Anginen zu erklären. Zweckmäßige antiexsudative
Ernährung hält die Neigung zu Katarrhen in Schranken und kann
auf diese Weise (gemäß der Czernyschen Auffassung) als Scharlach-
prophylaxe angesehen werden. Ernst Faerber.
de Lange, C. Herpes Zoster varicellosa (Bokay) und Varicellen. (Neder-
landsch Tijdschr. v. Geneesk. 1923, 1, S. 1634.)
Ein ätiologischer Zusammenhang zwischen Herpes Zoster und
Varicellen, angenommen durch Bokay u. a., bestritten durch
Comby u. a., soll durch die Erfahrung von de L. eine Stütze finden.
In einem Kinderheim wird bei einem Pflegling Herpes Zoster thoracis
lokalisiert vom 5. bis 7. linken Intercostalraum, konstatiert. Nachher
traten bei drei anderen Kindern, die mit dem erstgenannten dasselbe
Zımmer bewohnten, Varicellen auf in Zwischenräumen von einzelnen
Wochen. Graanboom.
Cantilena, A. (Zivilspital Venedig). Allattamento e pertosse. (Ernäh-
rung und Keuchhusten.) (La Pediatria 1923, 81, S. 555.)
In 8 von ıo Fällen mit schwerer Pertussis traten eklamptische
Anfälle auf. Obwohl nur in 3 Fällen elektrische oder mechanische
Übererregbarkeit vorhanden war, will Verfasser alle 8 Fälle zur
Spasmophilie zählen, nur weil die Lumbalpunktion negativ war,
bei jenen Fällen, welche seziert wurden, keine Meningitis gefunden
werden konnte und in den übrigen die Anfälle auf Einleitung einer
milchlosen Diät sistierten. Sämtliche Kinder waren künstlich ge-
nährt. Verfasser tritt für die Brusternährung ein.
Tezner (Wien).
Hayano, M. Klassifikation des Keuchhustenbacillus, Vaccinetherapie
und Keuchhustenprophylaxe. (Japan med. world 8, Nr. 5, Mai 1923.)
Auf dem Wege der Agglutination gelingt es, vier verschiedene
Typen des Bac. pertussis zu unterscheiden. Die Typen sind auch
durch ihr kulturelles Verhalten gegeniiber verschiedenen Zuckerarten
voneinander zu trennen. Empfehlung einer Behandlung des Keuch-
hustens mit Injektionen einer polyvalenten Vaccine sowie Berichte
über einzelne Versuche einer Vaccineprophylaxe.
Wolff (Hamburg).
296 Infektionskrankheiten u. parasitäreErkrankung. — Tuberkulose. Heft 3
Hull, Th. G. und Nauss, R. W. Intracutaninjekitonen bet Keuchhusten.
(Journ. of the Americ. med. assoc. 23. Juni 1923, 80, Nr. 25,
S. 1840.)
Die Berichte von Modiglani, de Villa und Orgel iiber diagno-
stische Intracutanreaktion bei Keuchhustenkindern lieBen wesent-
liche Fortschritte für die Frühdiagnose erhoffen, in einer kürzlich
erschienenen Arbeit aber kam Riesenfeld zu wenig befriedigenden
Resultaten. Verff. untersuchten an reichlichem Material (341 In-
jektionen) die Wirkungsweise von Aufschwemmungen der Bordet-
Gengouschen Bacillen in neunfach verschiedener Zubereitung. Sie
verwandten ältere und frische Bacillenemulsionen, die durch ver-
schieden hochgradige Erhitzung und den Zusatz von verschieden
stark konzentrierten Chemikalien (Trittresol) avirulent gemacht
waren. Die Versuche führten zu völlig ablehnendem Urteil über
den Wert der Methode. Die positive Reaktion, die fast bei allen
Kindern eintrat, hatte durchaus unspezifischen Charakter, sie war
auch in Fällen von gesunden und bronchitiskranken Kindern vor-
handen. Andererseits fehlte sie wieder in Fällen von klinisch sicher
nachgewiesenem Keuchhusten. Kontrollversuche bei Erwachsenen
zeigten, daß diese für die Injektionen bedeutend weniger empfäng-
lich waren. Lehrnbecher (Eberswalde).
Emmanuele, A. (Päd. Klin. Neapel). Su due cası d’infezione asso-
ciata leishmaniosi interna-melitense. (Zwei Fälle von Doppelinfektion
mit Kala-Azar und Maltafieber.) (La Pediatria 1923, 31, S. 603.)
In einem Falle wurden beide Parasiten im Blut nachgewiesen.
im zweiten Kala-Azar und eine Agglutination von 1 : 1000 fir
den Micrococcus melitensis; das Fieber war in den ersten Tagen
ungewöhnlich hoch und kontinuierlich, im übrigen wich der Verlauf
nicht von dem einer gewöhnlichen Leishmaniosis ab; die Doppel-
infektion ist daher nur auf Grund der Laboratoriumsuntersuchungen.
nicht auf Grund klinischer Beobachtung zu erkennen. Da das Kind
erst nach der Erkrankung rohe Ziegenmilch, mittels derer bekannt-
lich der M. melitensis übertragen wird, erhalten hat, dürfte die
Infektion mit Kala-Azar vorangegangen sein. Es wurde zuerst die
Vaccinebehandlung gegen das Maltafieber, dann die Verabreichung
von Tartarus stibiatus angewendet; die Kinder wurden geheilt.
Tezner (Wien).
Tuberkulose.
Marfan. Der Zwei-Ton-Husten bei der Bronchialdrüsentuberkulose.
(Le Nourrisson 11, 157. 1923.)
Dieser „durchaus pathognostische‘““ Husten wird im Gegensatz
zum normalen Hustenstoß durch 2 gleichzeitige Töne, einen hohen
Heft 3 Tuberkulose. 297
und einen tiefen, gebildet. Er ıst bei jungen Säuglingen mit ent-
sprechender Lymphdrüsenschwellung häufiger als bei Kindern des
2. Lebensjahres. Während Marfan ihn früher durch Rekurrens-
Ummauerung erklären wollte, neigt er heute mehr dazu, die Ver-
engerung der Trachea direkt für das Entstehen dieses eigenartigen
Klangphänomens verantwortlich zu machen. Rosenbaum.
Langer, Hans. Der diagnostische Wert der Wirbelsaulenphänomene
ber der Bronchsaldriisentuberkulose im Kindesalter. (Kaiserin-
Auguste-Viktoria-Haus, Berlin.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 34,
S. 60.)
Die Spinalgie, die nach de la Camp bei Erwachsenen sym-
ptomatische Bedeutung besitzt, leistet bei Kindern als diagnostisches
Zeichen einer Bronchialdrüsentuberkulose nichts, so wertvoll sie im
Hinblick auf die Erkennung einer beginnenden Wirbelcaries ist. Auch
das d’Espinesche Zeichen ist unsicher, denn abgesehen von der
schwierigen eindeutigen Abgrenzung des Auscultationsergebnisses
hängt es von der Stärke der Flüstersprache und von der Beschaffen-
heit der Iymphatischen Rachenorgane ab. In den ersten Lebens-
jahren, in denen die Bronchialdrüsentuberkulose auch ohne sinn-
fällige Allgemeinsymptome an Ausdehnung gewinnt, ist es nicht
anwendbar. Bei Kindern jenseits des 5. Lebensjahres erlaubt die
Größe der Drüsenschwellungen keinen Rückschluß mehr auf die
Aktivität. Sehr gut brauchbar ist die de la Campsche Wirbel-
säulenperkussion. Jede Verlängerung der Dämpfung über den
zweiten Brustwirbel hinaus hat etwa bis zum 6. Lebensjahr eine
sichere pathologische Bedeutung. Als Maßstab für die Notwendig-
keit oder Entbehrlichkeit einer Röntgenaufnahme kann aber auch
dieses Symptom nicht gelten. Beck (Tübingen).
Broca, Aug. Die tuberkulösen Osteoarthritiden im Säuglingsalter.
(Le Nourrisson 11, Nr. 2, Marz 1923.)
Hinweis auf die Wichtigkeit der Differentialdiagnose gegen den
infantilen Skorbut. Die Spondylitis tuberculosa kann in diesem Alter
mit einer rachitischen Wirbelsäulenverkrümmung verwechselt werden ;
vor diesem Irrtum schützt die Untersuchung des Kindes in Bauch-
lage, wodurch der rachitische Gibbus ausgeglichen wird. Die Be-
handlung der tuberkulösen Gelenkserkrankungen im Säuglingsalter
ist sehr undankbar; feste Verbände werden bei der Coxitis wegen
der Durchnässung kaum zur Anwendung kommen können. Meist
kommt es zur Fistelbildung mit nachfolgender Mischinfektion. In
den wenigen zur Ausheilung kommenden Fällen tritt dieselbe in
fehlerhafter Stellung ein, oder es kommt zur Ankylose. Diese Folge-
zustände müssen später chirurgisch-orthopädisch korrigiert werden.
Wolff (Hamburg).
298 Tuberkulose. Heit 3
Dehoff, Elisabeth. Die Bestimmung der Senkungsgeschwindigkail
der Erythrocyten bei kindlicher Tuberkulose. (Dt. med. W., Nr. 18,
49. Jahrg., 1923, S. 578.)
Die Bestimmung der Senkungszeit bei kindlicher Tuberkulose
ist ein wertvolles klinisches Hilfsmittel. Unter physiologischen
Verhältnissen sind die Senkungszahlen für das junge Kind niedriger
als für das ältere und den Erwachsenen. Die kindliche Lungen-
tuberkulose zeigt im wesentlichen dieselben Zahlen wie beim Er-
wachsenen (rein cirrhotische Prozesse 115—300 Min., nodöse Pro-
zesse 56—80 Min., exsudative, bzw. produktiv verkäsende 20-44
Min.). In Betracht kommt die Senkungsbestimmung besonders
1. differentialdiagnostisch vor allem bei Deutung von unklaren
Röntgenplatten, bei Beurteilung der Bronchialdrüsentuberkulose
(ob aktiv oder latent), vor allem zur Unterscheidung epituberkulöser
Infiltrate. 2. diagnostisch zur Beurteilung des Heilungsverlaufes
bei Peritoneal-, Mesenterialdrüsen-, Knochen- und Gelenktuberku-
lose. 3. prognostisch, indem hohe Senkungszahlen gegen aktive
Prozesse sprechen. 4. therapeutisch, indem niedrige Senkungs-
zahlen eine Kontraindikation gegen spezifische Behanlung bilden.
Ernst Faerber.
Aronson, A. Versuche über eine Sensibilisierung der Pirquetschen
Reaktion. (Klin. Wochenschr., II. Jahrg., Nr. 27, 2. Juli 1923.)
Ausgehend von den Versuchen von v. Groer und Hecht,
die nachweisen konnten, daß kutane Applikation von Morphin
nach Art der Pirquetisierung zu einer Dilatation der Hautgefäße
bzw. zu Hyperämie führt, suchte Verfasser durch Morphinzusatz
zum Alttuberkulin die Pirquetsche Reaktion zu verfeinern. Es
zeigte sich aber, daß nur in einer ganz geringen Anzahl von Fällen
auf diese Weise bei der Schlußablesung nach 24 Stunden eine po-
sitive Reaktion erzielt wurde, wo die einfache Pirquetisierung ein
negatives Resultat gezeitigt hatte; in einer Reihe von Fällen aktiver
Bronchialdrüsentuberkulose war die Pirquetsche Reaktion unter
Morphinzusatz deutlich intensiver als ohne diesen Zusatz. Das
Ergebnis der Versuche gestattet nicht, dem Morphiumzusatz all-
gemein diese Reaktionsverstärkung zuzuschreiben, so daß von der
Empfehlung des Morphinzusatzes für die Praxis abgesehen werden
muß. Wolff (Hamburg).
Peyrer, K. Über das Verhalten des Tuberkulins im Organismus.
(II. Kinderabteilung der Wiener allg. Poliklinik.) (Zeitschr. f.
Kinderheilk. 35, 1923, S. 202—206.) |
Nach Analogie mit anderen Toxinen wäre zu erwarten, dab
Tuberkulin bei parenteraler Einverleibung bei tuberkuilosefreien
Heft 3 Tuberkulose. 299
Tieren lange im Organismus kreisen, bei infizierten aber rasch ver-
schwinden würde. Peyrer kommt in einer Reihe von Versuchen
zu einem anderen Ergebnis. In beiden Fällen ist das Tuberkulin
nach 24 Stunden aus dem Organismus verschwunden. Es ist daher
anzunehmen, daß die Inaktivierung unspezifisch erfolgt. Das Tuber-
kulin kommt deswegen auch wohl nicht als eigentliches Antigen,
das Receptoren spezifischer Art bildet, in Betracht.
Schall (Tübingen).
Riedel, G. Die Pirquetsche Hautreaktion mit Alt- und Morotuberkulin.
(Klin. Wochenschr. 2, Nr. 32, S. 1503.)
Auf Grund seiner Erfahrungen mit der gleichzeitigen Pirquet-
impfung mit Alttuberkulin (Höchst) und Morotuberkulin bei einem
Material von chirurgischer Tuberkulose kommt Verf. zu dem Er-
gebnis, daß das diagnostische Tuberkulin nach Moro das wertvollere
Präparat ist, da er mit demselben nie Versager gefunden hat, während
er in 3 Fällen bei positivem Moro einen negativen Ausfall mit Alt-
tuberkulin erlebte. In diesen Fallen handelte es sich um ganz junge
Kinder; bei älteren Kindern stimmten beide Tuberkuline mitein-
ander überein. Es empfiehlt sich, stets beide Tuberkuline anzuwenden,
und zwar nur in der konzentrierten Form, da sich zeigte, daß das
Morosche Tuberkulin in Verdiinnungen nie eine positive Reaktion
ergab. Wolff (Hamburg).
Duzar, Josef. Kollordchemische Blutuntersuchungen bei Sãuglings-
tuberkulose. (Aus der Kinderklinik der Elisabeth-Universität
Budapest.) (Jahrb. f. Kinderheilk., 102, 1923, S. 69.)
Verfasser priifte unter Vermeidung richtiger Fehlerquellen an
der Gesamtzahl von 50 Säuglingen die Kolloidlabilität der Serum-
eiweißkörper nach der Ausflockungsreaktion von Daränyi. (Ge-
meinsame Wirkung von Alkohol, Salz und Hitze. Dtsch. med.
Wochenschr. 1922.) Das Serum gesunder Kinder wurde in 19 Fallen
untersucht. 5 akute Erkrankungen und 26 tuberkulöse Säuglinge
wurden ferner ausgewählt. Die wichtigsten Ergebnisse folgten aus
den Serumuntersuchungen tuberkulöser Säuglinge. Die Prüfung der
Kolloidlabilität der Bluteiweißkörper durch die Senkungsgeschwin-
digkeit der roten Blutkörperchen und Fällungsreaktionen im Serum
wurde bisher bei Säuglingen nicht so systematisch durchgeführt wie
bei Erwachsenen; auch ist die Deutung schwieriger, da die Kolloid-
labilität der Serumeiweißkörper im Laufe des ersten Lebensjahres
anfangs fällt, dann ansteigt; sorgfältige Gegenüberstellungen nor-
maler und pathologischer Verhältnisse sind hier besonders notwendig.
Bei den vom Verfasser beobachteten Fällen von Säuglingstuberkulose
deckte sich die Stärke der Ausflockungsreaktion mit der klinischen
300 Tuberkulose. Heft 3
Schwere des Falles. Schwerere Erkrankungen zeigten haufig einen
so deutlich positiven Ausfall, daB die Flockenbildung bereits nach
3 Stunden vollständig war. Klinisch und röntgenologisch nachweisbar
leichtere Fälle wiesen eine deutlich schwächere Reaktion auf, die bei
einer späteren Untersuchung oftmals stärker ausfiel, wenn die Krank-
heitszeichen auch klinisch vorgeschritten waren. In 2 Fällen sicherte
das Ergebnis dieser Prüfung eine klinisch nicht feststehende Diagnose.
Schließlich fand Verf., daß die ‚Urinstalagmone‘‘ tuberkulöser
Kinder, dem Normalserum zugesetzt, zum positiven Ausfall der
Reaktion führen. W. Gottstein.
Peiser, Julius. Über die Tuberkulose des Schulkindes. (Aus der Tuber-
kulosefürsorge der Landesversicherungsanstalt Berlin.) (Jahrb. i.
Kinderheilk. 102, 1923, Heft 3/4.)
Die klinisch-statistische Arbeit von Peiser bringt einen zu-
sammenfassenden Überblick zugleich mit langjährigen eigenen Er-
fahrungen über die Altersverteilung der Tuberkulose, die Morbidität
und Mortalität des Schulkindes, die Tuberkulosebedrohung und
Gefährdung während des schulpflichtigen Alters. In den Kriegs-
jahren fand sich, wie aus der Tuberkulindiagnostik hervorging, ein
Ansteigen der Infektion mit dem Lebensalter. (Umber, Hoffa.)
Die Zahl der tuberkulosekranken Schulkinder nahm nicht zu, doch
war die Letalität größer. Auf Grund zahlreicher Krankenhaus-
statistiken, die natürlich das Material nur einseitig erfassen, sind
ı—2%, der Schulkinder tuberkulös. (Krankenhaus Westend, Leipzig.
Erfurt, Chemnitz, amtliche Rundfragen bei deutschen Größstädten.)
Die röntgenologische Feststellung der Bronchialdrüsentuberkulose
des Schulkindes weist frischere, ausheilende und alte Herde nach.
der Nachweis ist prognostisch wichtig wegen der Entstehung der
Lungenschwindsucht des Reifealters durch die endogene Reinfektion.
Unter Berücksichtigung aller Lokalisationen (einschließlich Piyk-
taenen!!) ergaben sich in der Kinderabteilung der Tuberkulosefür-
sorge der Landesversicherungsanstalt Berlin im Jahre 1922 12,4%
der untersuchten Kinder als erkrankt an Tuberkulose. Von dieser
großen Zahl ist jedoch bereits ein erheblicher Teil geheilt! Die ge-
ringste allgemeine Abnahme der Tuberkulosesterblichkeit von
1886—1913 zeigt das Schulkindalter. Die Tuberkulosesterblichkeit
im schulpflichtigen Alter ist auch nach dem Kriege im Verhältnis
zur Sterblichkeit aller Altersklassen auffallend gering (etwa 1,8%
der Gesamtsterblichkeit an Tuberkulose). Die Schulzeit leitet aber
das große Sterben an Tuberkulose im Reifealter ein. Kampfesmittel
sind die Vorsorge und die Fürsorge, die sich gegen Bedrohung und
Gefährdung ausgesetzter oder bereits erkrankter Schulkinder richten
sollen. W. Gottstein.
Heft 3 Tuberkulose. — Syphilis. 301
Armand-Delille, P., Georges, J. und Ducrohet. Der therapeutische
Pneumothorax bei der Lungentuberkulose der Kinder. (La Presse
medicale Nr. 45, 6. Juni 1923, S. 506.)
Der Pneumothorax beim Kinde ist in 22 von 230 Fällen mit
gutem Erfolge angewandt worden. Die Bedingungen — vor allem
Unilateralität des Prozesses — sind dieselben wie beim Erwachsenen,
finden sich aber beim Kinde ungleich häufiger als bei diesem.
Haber.
Syphilis.
Kundratitz, Karl. Über Lues congenita. Fürsorge, Schicksal und Be-
handlung derselben. Liquorbefunde. (Aus der Säuglingsabteilung
und der Internen Abteilung des Mautner-Markhofschen Kinder-
spitals in Wien. (Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923, 251.)
Im ersten Teil der Arbeit bringt Verf. auf Grund mehrjähriger
Beobachtung allgemeine Leitsätze für die ambulatorische Behand-
lung kongenital-syphilitischer Kinder. Als Richtlinien kommen in
Betracht: Gesetzlicher Behandlungszwang, rechtzeitiges Erfassen der
Erkrankungen, vorgeschriebener Besuch der Fürsorgestellen, Auf-
spüren der verdächtigen Fälle durch Fürsorgeschwestern, bessere
Schulung praktischer Ärzte in der Differentialdiagnose. Schwierig-
keiten und einige Einwände gegen diese sozialhygienischen Forde-
rungen werden besprochen. Es folgen klinische Erfahrungen. Die
Gesamtzahl der wegen Lues congenita von 1920—1922 behandelten
Kinder betrug 107, davon 66 Säuglinge = 1% des gesamten Säug-
lingsmaterials. Unter 66 Säuglingen während der Beobachtung
16 Todesfälle. Therapie bestand, soweit die Kinder regelmäßig vor-
gestellt wurden, in 3 Kuren im ersten Jahr, es folgten im zweiten
Jahr 2, dann nach Bedarf 1—2 Kuren jährlich. (Kombinierte Hg-
Neosalvarsankur, teilweise Silbersalvarsan, Mirion, oft Mischspritze.)
Bei Säuglingen ausschließlich intravenöse Technik. Wassermannsche
und Meinickesche Reaktion verliefen meist übereinstimmend. Er-
reichen der negativen WaR ist erstrebenswert, die positiv bleibende
WaR bedeutet oft nur Warnungszeichen, doch kann nach ausgiebigen
Kuren praktisch und klinisch auch bei positiver WaR oft von Heilung
gesprochen werden. Unter 41 länger beobachteten Fällen nur 13
„Dauerheilungen“ mit negativer WaR. Die meisten pathologischen
Liquorbefunde im ersten Lebensjahr, doch offenbar selteneres Er-
griffensein des Zentralnervensystems bei der Lues congenita gegen-
über der Lues acquisita. (Unter 45 Kindern 13 pathologische Liquor-
befunde.) Metaluische Erkrankungen im Kindeslater nicht beob-
achtet. W. Gottstein.
302 Syphilis. Heft 3
Guggenheim, Richard. Uber ein syphilitisches Nabelulcus. (Waisen-
haus u. Kinderasyl der Stadt Berlin.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 33,
S. 329.)
Die Möglichkeit syphilitischer Natur der Nabelulcera ist in
der deutschen Literatur nicht erörtert, wohl aber findet sie in
der französischen Erwähnung (Hutinel). Deshalb verdient der Fall
des Verfs., der sowohl durch seine klinischen Erscheinungen als auch
den mit der Tuschmethode geführten Nachweis von Spirochaeta
pallida sicher als kongenitale Lues charakterisiert war, besondere
Beachtung. Verf. stellt sich auf den Standpunkt, daß als Art des
Infektionsmodus die primäre Infektion des Nabelstumpfes und von
dort aus die spätere Allgemeininfektion in Betracht zu ziehen ist.
Zur Festigung dieser Annahme wäre die Beobachtung ähnlicher Fälle
von besonderer Bedeutung. Beck (Tübingen).
Frank, Max. Beitrag zur Kenntnis der Nierenerkrankungen bei kon-
genttaler Lues. Deutsche Univ.-Kinderklinik Prag. (Zeitschr.
f. Kinderheilk. 33, S. 248.)
In der Regel erscheinen die Nieren bei Erblues makroskopisch
normal. Erst die mikroskopische Untersuchung läßt die dort vor-
handenen pathologischen Prozesse erkennen. Besprechung der
größeren einschlägigen Arbeiten, aus denen hervorgeht, daß die
Pathologie der Niere auf diesem Gebiet noch nicht endgültig geklärt
zu sein scheint. Einteilung des Materials in 3 Gruppen: Neugeborene,
unbehandelte und behandelte Säuglinge. Bei der ersten Gruppe
fanden sich nie makroskopische Veränderungen, wogegen stets
Entwicklungshemmungen am glomerulären Apparat wie chronisch
entzündliche Prozesse des Interstitiums festgestellt wurden. Verf.
lehnt es im Gegensatz zu Karvonen ab, aus dem Vorhandensein
der neogenen Zone die Diagnose der kongenitalen Nierensyphilis
zu stellen, weil es sich bei Erblues meist um frühgeborene Kinder
handelt, bei denen auch die Entwicklung innerer Organe noch nicht
abgeschlossen ist. Dagegen muß herdförmigen entzündlichen Pro-
zessen im interstitiellen Bindegewebe und einer pathologischen
Veränderung der Tunica externa der Gefäßhaut größte Bedeutung
für die Diagnose Erblues beigemessen werden. Ohne andere luetische
Symptome gestatterf sie schon allein die Diagnose Erblues. Fehlen
von Spirochäten bei entzündlichen Veränderungen dieser Art spricht
nicht gegen die Diagnose einer luetischen Nierenaffektion. Von
9 untersuchten Säuglingen zeigten 6 mikroskopisch wahrnehmbare
Veränderungen. 5 davon waren nicht, einer war behandelt. Verf.
fand bei diesen Fällen zwei verschiedene Formen luetischer Nieren-
affektion: Eine prinzipiell der bei Neugeborenen gefundenen
gleichende interstitielle Form, die der septischen interstitiellen
Herdnephritis (Volhard) gleichzusetzen und rückbildungsfähig ıst.
Heft 3 Syphilis. 303
und eine das Parenchym der Niere befallende, als Nephrose im
Volhardschen Sinne anzusprechende Form, die anscheinend eine
ernste Prognose bietet. Glomerulonephritiden hat Verf. nicht be-
obachtet, ohne jedoch die Möglichkeit ihres Auftretens in Abrede
stellen zu wollen. Beck (Tiibingen).
Ravaut,P. Hereditäre Syphilis und die Phänomene der Sensibilisierung.
(La Presse médicale Nr. 42, 26. Mai 1923, S. 473.)
Verf. erkennt in der Syphilis, speziell der hereditären Syphilis,
die Grundursache der Sensibilisierungserkrankungen, wie Urticaria,
Asthma, Ekzeme, die auf dem Umwege endokriner Störungen aus-
gelöst werden. Es besteht seiner Ansicht nach eine humorale Heredi-
tät, die ein jenen Erkrankungen günstiges Terrain schafft. Eine in
den acht beobachteten Fällen angewandte spezifische Kur, meist
Kalomel und Novarsenobenzol, führte zu vollem Erfolge, während
alle anderen Behandlungsmethoden versagten. Haber.
Nitschke, W. Blutbefund bei angeborener Syphilis. (Arch. f. Kinder-
heilk. 72, 1922, S. 136.)
Auf Hb und Erythrocyten hat auch schwere Lues keinen Einfluß,
erst während der Behandlung treten Abnahmen dieser Werte auf.
Auch im weißen Blutbilde ist neben einer mäßigen Vermehrung
keine regelmäßige Einwirkung zu finden, wohl aber eine Vermehrung
des Lymphocytenanteils in manchen Fällen. Eine Spezifität besteht
nicht. P. Karger.
Milio, G. (Päd. Klin. Messina). Contributo alla terapta della sifilide
ereditaria dell? infanzia. (Beitrag zur Therapie der Lues hereditarıa
in der Kindheit.) (La Pediatria 1923, 31, S. 430.)
Autor berichtet über Erfahrungen mit Silbersalvarsan bei
Kindern von 3 Monaten bis 7 Jahren; es wurde !/, cgr pro kg, 5 cgr
als Maximaldosis injiziert; außer gelegentlichem Schüttelfrost und
Herxheimerscher Operation wurden keine Erscheinungen beobachtet.
Kontraindikationen sind: schlechter Allgemeinzustand, Ernährungs-
störungen, Nierenerkrankungen. Die Erscheinungen der Spiro-
chätensepsis wie Exanthem usw. werden rascher beseitigt wie durch
die übrigen Arsenobenzolpräparate. Die dystrophischen Erschei-
nungen (Anämie, Splenomegalie) bleiben unbeeinflußt.
Tezner (Wien).
Gallo, C. (Päd. Klin. Neapel). Sifilide e gravidanza gemellare. (Syphilis
und Zwillingsgeburten). (La Pediatria 1923, 31, S. 599).
Marfan, Grancher und andere haben die Behauptung aus-
gesprochen, daB Zwillingsgeburten besonders häufig seien, wenn
304 Syphilis. — Respirationsorgane. Heft 3
Lues der Eltern vorliege; auf Grund seiner Untersuchungen an
690 Kindern kommt Verfasser zum entgegengesetzten Resultat.
Tetzner (Wien).
Respirationsorgane.
Bergmann, E., und Kochmann. Preumonie und neuropathische
Konstitution im Kindesalter. (Klin. Wochenschr. 2, Nr. 22, S. 1011.)
Durch genaue Beobachtung des somatischen und psychischen
Verhaltens einer größeren Reihe an Pneumonie erkrankter Kinder
gelangten Verff. zur Bestätigung der bereits öfters beobachteten Tat-
sache, daß für die Schwere des Krankheitsbildes bei der Pneumonie
im Kindesalter in erster Linie die psychische Konstitution des Patien-
ten maßgebend ist. Das psychisch normale Kind zeichnet sich durch
das ruhige Verhalten während der Krankheit aus, es schont dadurch
seine Kräfte und setzt sie ganz in den Dienst der Abwehr der Krank-
heit. Im Gegensatz hierzu treten beim neuropathischen Kinde über-
triebene Äußerungen seines Unbehagens und seines Krankheits-
gefühls in die Erscheinung, jede therapeutische Maßregel wird zur
Veranlassung zu einem heftigen Abwehrkampf, der die Kräfte des
Kindes stark in Anspruch nimmt. In prognostischer Hinsicht spielt
dieses verschiedene Verhalten eine bedeutende Rolle; für die Frage
der Behandlung ergibt sich aus diesen Beobachtungen, daß beim
neuropathischen Kinde große Zurückhaltung mit allen exzitierenden
Maßnahmen, aber auch mit allen harmlos erscheinenden hydrothera-
. peutischen Maßnahmen (Bäder, Brustwickel) zu üben ist; Ruhe ist
hier das oberste Gebot. Die Freilufttherapie ist hierbei von größtem
Nutzen. Wolff (Hamburg). _
Hallez. Bauchtympanie und Pseudo-Darmparalyse sm Verlauf schwerer
Bronchopneumonien im Säuglingsalter. (Le Nourrisson 11, 167.
1923.)
Das allgemein bekannte Bild des großen Bauches im letzten
Stadium schwerer Pneumonien wird an der Hand zweier Fälle aus-
führlich beschrieben. Der Autor macht die Stauung im rechten
Herzen mit nachfolgender Überfüllung des Darmgefäßsystems für
dies Phänomen verantwortlich. Während postmortale Anfüllung
der Därme mit Luft den Bauch nicht in gleicher Weise aufzutreiben
vermag, soll dies durch Injektion der Darmgefäße möglich sein.
Rosenbaum.
Lemaire und Lestrognoy. Über das Röntgendreieck bei der Pneumonie
der Sauglinge. (Le Nourrisson 11, 174. 1923.)
Ein Dreiecksschatten im oberen Lungenfeld mit der Spitze
zum Hilus ist nicht charakteristisch für Lobärpneumonie, sondern
Heft 3 Respirationsorgane. 305
kommt, wie an der Hand mehrerer Fälle demonstriert, auch bei -
Bronchopneumonie und Tuberkulose vor. Rosenbaum.
Marx, E. Psychogenität und Psychotherapie des Asthma bronchiale.
Dtsch. med. Wochenschr., Nr. 15, 49. Jahrg., 1923, S. 477.
Wendet sich gegen die generelle Auffassung des Asthma bron-
chiale als Freudsche Neurose. Das Asthma entsteht auf psychischem
Wege im Anschluß an eine Erkrankung der Atmungswege. Nach
dem ersten Anfall bleibt eine Krampfbereitschaft zurück. Die Be-
handlung muß die Beseitigung der erregenden körperlichen Ursachen
sowie die Benebung der Krampfbereitschaft durch psychothera-
peutisch-hypnotische Methoden erstreben. Ernst Faerber.
Pritzel, Alfred. Zur Asthmabehandlung. Dtsch. med. Wochenschr.
Nr. 15, 49. Jahrg. 1923, S. 478.
In 40 Fallen von Asthma sollen durch Réntgenbestrahlungen
der Lunge sowie der Schilddrüsen- und Nebennierengegend gute
Erfolge erzielt worden sein. (Genaue Angaben fehlen.) Durch die
Bestrahlung der Lunge sollte die katarrhalische Komponente des
Asthmas beeinflußt werden, durch die Bestrahlung der Schilddrüse
und Nebenniere die nervöse Konrponente. Verfasser konnte nämlich
bei einem großen Teil der Fälle Schwellungen der Schilddrüsen
beobachten und hält infolgedessen den engen Zusammenhang
zwischen innersekretorischen Organen (Schilddrüse, Nebenniere) mit
dem vegetativen Nervensystem für genügend bewiesen.
Ernst Faerber.
Maneinelli, Rocco. Interlobdres, metapleuritisches Empyem.. (Riv.
di clin. pediatr. 1923, 11, H. 4, S. 217.) -
Zwei Hauptursachen haben Verf. bestimmt, den interessanten
klinischen Fall zu veröffentlichen, und zwar : erstens das nicht häufige
Vorkommen der interlobären Pleuritis und zweitens die an sie
geknüpften diagnostischen Schwierigkeiten. Nach Würdigung der
Literatur über diese Krankheit bringt Verf. die klinische Kranken-
geschichte vor und gelangt zu folgenden Schlüssen: ı. In allen jenen
Fällen, in denen die Symptome auf eine nicht gut definierte Erkran-
kung der Lungen schließen lassen und die Erkrankung hartnäckig
andauert mit einem Verlauf, der sich der Lungentuberkulose nähert,
denke man an die Möglichkeit einer interlobären Pleuritis! 2. Wenn
nach einer abgelaufenen Lungenentzündung nach einigen Tagen
Fieber, Dyspnöe und alle anderen den Thoraxaffektionen eigenen
Symptome wieder auftreten, oder wenn bei noch nicht stattgefun-
dener Krisis die Symptomatologie verharrt, unter den verschiedenen
Komplikationen der Lungenentzündung; denke man an die Möglich-
keit einer interlobären Pleuritis.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 20
306 Respirationsorgane. — Blut und blutbildende Organe. Heft 3
Silliti, G. (Pad. Klin. Palermo.) Constderaziont sulla pleurite puru-
lenta nell. infanzia. (Betrachtungen über die eitrige Pleuritis im
Kindesalter.) (La Pediatria 1923, 81, S. 577.)
Die eitrige Pleuritis tritt im Kindesalter besonders häufig in
den ersten 3 Jahren auf, häufiger rechts als links, meist nach Broncho-
pneumonie, sie ist in 70% durch den Diplokokkus Fränkel hervor-
gerufen, in den übrigen Fällen durch Strepto- und Staphylokokken
oder Influenzabazillen, in 8%, steril; die Diagnose kann nur durch
Punktion, bei abgesacktem Empyem durch Radiographie gestellt
werden; häufige Komplikationen sind Myocarddegeneration, Sepsis
usw. Die Mortalität beträgt 24%. Wenn das Exsudat spärlich und
der Prozeß gutartig ist, was oft bei Infektion mit Diplokokkus Fränkel
der Fall ist, erfolgt bisweilen‘ spontane Resorption; bei reichlichem
Exsudat ist Thorakotomie angezeigt, daneben spezifische Vaccine-
therapie, die besonders bei Diplokokkus pneumoniae wirksam ist.
Tezner (Wien).
Muggia, Aldo. Über einen seltenen Fall von plötzlichem Tod durch
Fremdkörper in den breiten Bronchienverzweigungen. (Riv. di
‘clin. pediatr. 1923, 11, H. 1, S. 1.) |
Ein 13 Monate altes Kind hatte ein Stück Hühnerknochen ver-
schluckt. Kein Anzeichen von Okklusion der Luftwege, weder
klinisch noch radiologisch. Plötzlicher Tod einige Stunden nach
Aufnahme in der Klinik. Bei der Autopsie: Fremdkörper in der
Mündung des rechten Bronchus, Emphysem an der betreffenden
Lunge. Linke Lunge durchaus atelektasisch mit absolut freiem
Bronchiallumen. Nachdem der Fremdkörper anfangs in den linken
Bronchus gelangt war und diesen verschlossen hatte, gab er zu einer
vollständigen aus Okklusion entstehenden Lungenatelektasie Ver-
anlassung. Später erlitt er eine nachträgliche Verrückung, wodurch
derrechte Bronchus verstopft und der plötzliche Tod verursacht wurde.
Blut und blutbildende Organe.
Condat, A. Akute Leukämie beim Kind. (Arch. de méd. des enfants
26, 286.)
An der Hand von 4 selbstbeobachteten Fällen, die z. T. nur einige
Tage im Krankenhaus verweilten-und von denen nur einer obduziert
wurde, bespricht die Verf. das Krankheitsbild der akuten Leukämie
im Kindesalter. H. Vogt.
Foot, Nathan Chandler und Jones, Gwendolyn. Myelogenes Chlorom.
Bericht über einen Fall mit autoptischem Befund. (Americ. journ.
of dis. of childr. 25, 379.)
Ein dreijähriger Knabe erkrankt im Anschluß an einen Fall,
der keine äußerliche Kopfverletzung herbeigeführt hatte, an einer
rechtsseitigen Lähmung mit Beteiligung des Gesichtes. In den
Heft 3 Blut und blutbildende Organe. 307
nachsten Tagen trat schwer stillbares Nasenbluten auf mit aus-
geprägter Anämie, das eine Transfusion nötig machte. Weiterhin
kam es zu Nystagmus, Ungleichheit der Pupillen und zu Purpura. `
Tod nach 3monatiger Krankheitsdauer. Die anfangs regelrechte
„Zahl der roten Blutkörperchen sank nach dem Nasenbluten bis auf
2 Millionen. Im weißen Blutbild fand sich eine starke Verschiebung:
die Zahl der polymorphkernigen Leukocyten sank bis auf 4%, Myelo-
cyten und Myeloblasten bildeten etwa 78%, während Lymphocyten
nur 20% ausmachten. Bei der Autopsie fand sich eine frischere Blutung
in der rechten Parieto-occipitalgegend, im linken Schläfenlappen ein
großer, bis dicht an die Fissura Rolando reichender Erweichungsherd.
Auch in den Lungen war es zu großen Blutergüssen gekommen. Als
Grundkrankheit fand sich ein Chlorom, das außer dem Knochenmark
des Oberschenkels die Thymus, die Tonsillen, die mesenterialen
Lymphknoten, die Schleimhaut der Nierenbecken und der Blase die
Testikel befallen hatten. Die myeloide Natur der Geschwulstzellen
wurde auch durch die Oxydaseprobe sichergestellt. H. Vogt.
Stransky, W. Beiträge zur klinischen Hämatologie im Säuglingsalter.
(Wien, Reichsanstalt für Mutter- und Säuglingsfürsorge.) Caen:
f. Kinderheilk. 35, 1923, S. 195—201.)
Stransky teilt zwei hämatologisch interessante an Säuglingen
beobachtete Fälle mit. Der erste, 9 "Monate alt, leidet an einer kon-
genitalen Pulmonalstenose. Neben der längst bekannten Poly-
globulie wird eine im Kindesalter bei Vitium congenitum noch nicht
beschriebene: Erythroblastose gefunden, die namentlich während
einer Keuchhustenperiode sehr stark in Erscheinung tritt. Die
weißen Knochenmarkszellen sind dabei nicht verändert, es besteht
also nur eine Überfunktion des Knochenmarks ohne Erschöpfungs-
oder Reizerscheinungen. Zugleich ist darin ein Zeichen zu sehen,
daß die Neubildung der Blutelemente im Knochenmark streng
differenziert geschehen kann. — Der zweite Fall betrifft einen
3t1/. Monate alten Säugling, der unter den Zeichen einer schwersten
Anämie akut zugrunde geht. Das Blutbild erinnert zunächst an Jaksch-
Hayemsche Anämie. Durch histologische Untersuchung ließ sich jedoch
nachweisen, daß es sich um eine Sepsis gehandelt hat und die Anämie
als hämotoxisch aufzufassen war. Schall (Tübingen).
Weil, A. J. Über Bluibildungsherde in der Prostata und in der Fuß-
sohlenhaut von Neugeborenen und Föten. (Pathol. Institut des Städt.
Krankenhauses, Mainz.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 35, 1923, S. 1—9.)
Extramedulläre Blutbildungsherde sind in einer ganzen Reihe
von Organen beim Neugeborenen und Föten nachgewiesen. Außer
in der Fußsohlenhaut konnte Verf. nach dem Vorgang von Schlachta
in 8 von ı2 Fällen in der Prostata solche feststellen. Die in Frage
kommenden Zellen ließen sich als zur myeloischen Reihe gehörig
20*
308 Blut und blutbildende Organe. Heft 3
identifizieren. Sie entsprechen morphologisch den Elementen des
Knochenmarks, die als Jugendformen der Blutzellen dort anzutreffen
“sind. Außerdem besteht eine enge Beziehung zu den Gefäßwandzellen
der kleinen Gefäße und Capillaren, welche die Genese der Zellherde
aus denselben Elementen wie im Knochenmark sehr wahrscheinlich
erscheinen lassen. Ä Schall (Tübingen).
Brusa, Piero. Hamatologische Untersuchungen in einem Falle von
Hämophilie. (Rıv. di clin. pediatr. 1923, 11, H. 2, S. 65.)
Untersuchungen des Blutes eines Irjährigen hämophilen Mäd-
chens haben zu folgenden Feststellungen geführt: keine bedeutende
Änderung der morphologischen Blutelemente mit Ausnahme einer
deutlichen Trombopenie; Widerstandsfähigkeit der roten Blut-
körperchen nicht nur im maximalen, sondern auch im minimalen
Wert stärker als in der Norm; erhebliche Verspätung der Blutgerin-
nung im Vergleich mit normalen Individuen. Diese letzte Tatsache.
von größter Bedeutung bei der Hämophilie, konnte in diesem Falle
weder in Zusammenhang mit einem Mangel an Kalksalzen noch mit
Anomalien des Fibrinogens gebracht werden, sondern es fand sich,
daß, außer einer verminderten Wirksamkeit des Thrombogens, ein
bedeutender Mangel an Thrombokinase zu verzeichnen war, so daß
nur die Zugabe dieser letzten Substanz zum Blute der Patientin
normale Gerinnungsverhältnisse wiederherstellen konnte. In diesem
Falle waren die hämorrhagischen Erscheinungen nicht nur mit einer
Veränderung der Blutgerinnung, sondern auch mit einer abnormen
Blutgefäßfragilität verbunden.
Auricchio, L. (Päd. Klinik Neapel.) Un caso di emofilia in bambina
lattante. (Hämophilie bei einem weiblichen Säugling.) (La Pediatnıa
1923, 31, S. 532.)
Das Kind zeigte bei der Geburt ein sehr ausgedehntes Kephalo-
hämatom, das lange bestehen blieb; auf leichte Traumen traten
beständig schwerere oder leichtere Blutungen auf. Gerinnungszeit
und Blutungszeit waren stark verlängert. Rumpel-Leede war nega-
tiv, ebenso Pirquet und Wassermann. Auf Grund der verlängerten
Gerinnungszeit, sowie auf Grund des Fehlens spontaner Blutungen
glaubt Verfasser Purpura ausschließen zu können und zählt den
Fall zur Hämophilie, trotzdem das Kind ein Mädchen war und Here-
dität fehlte. Angaben über Fibrinferment- und Fibrinogengehalt.
Thrombocytenzahl, Retraktibilität des Serums werden nicht gemacht.
. Tezner (Wien).
Nasso, Z. (Päd. Klin. Neapel.) Un claso di cloroma in una bambina
di sette mest. (Ein Fall von Chlorom bei einem Madchen von stchen
Monaten.) (La Pediatria 1923, 31, S. 489.)
Es traten Tumoren am Schädel, in der Orbita, im Abdomen
auf. Die Orbitatumoren führten zu Hämorrhagien in den Lidern
Heft 3 Blut und blutbildende Organe. 309
und Atrophie des Nervus opticus; 1m peripheren Blut war lediglich
schwere Anämie vorhanden, dagegen in den Blutbildungsstätten
Myelocyten, Myeloblasten, Erythroblasten etc. Verfasser zählt den
Fall zu den Chlorolymphosarkomen mit aleukämischem Blutbefund;
er ist der jüngste, der bisher in der Literatur beschrieben wurde.
| _Tezner (Wien).
van der Zande. Hereditäre hämorrhagische Thrombasthenie (Glanz-
mann). (Nederlandsch Tijdschr. v. Geneesk 1923, 1. S. 544.)
Bei der Untersuchung der Familiengeschichten von seiner an
Morb. Werlhofii leidenden Kranken hatte Glanzmann damals
festgestellt, daß in der betreffenden Familie in der Regel eine Dis-
position zu Blutungen, eine hämorrhagische Diathese, vorhanden
war. Diese Diathese, welche u. A. sich kundgibt durch eine funk-
tionelle Insuffizienz der Blutplättchen, sollte ebenso häufig
sein wie die exsudative Diathese, und, ebenso wie diese, an die ersten
Lebensjahre gebunden sein, obgleich bei den betreffenden Individuen
auch noch in späterem Lebensalter Neigung zu Blutungen öfters
bestehen bleibt. Die genannte funktionelle Insuffizienz der Blut-
plättchen wird begleitet von Herabsetzung des Gehaltes an Fibri-
nogen. Diese Diathese, Thrombasthenie (Glanzmann), sollte
die Folge einer vererbten Schwäche des Knochenmarkes, eine Myel-
asthenie sein. Während nun bei der Hämophilie nur die männlichen
Abkömmlinge geschädigt werden, werden bei der Thrombasthenie
die weiblichen ebensogut wie die männlichen in Mitleidenschaft ge-
zogen. Bei der Hämophilie überträgt die Frau die Krankheit, ohne
selbst Bluter zu sein. Weibliche Bluter können also nicht zu den
Hämophilen gerechnet werden. Ein Fall, den v. d. Z. in der Kinder-
klinik bei einem 7jährigen Knaben beobachtete, der an Hämatoma
Genus und später an einer Blutcyste nach Trauma erkrankt war,
gab die Gelegenheit, den Familienstammbaum von der Großmutter
ab zu studieren. In dieser Familie kamen sowohl männliche als weib-
liche Bluter vor. Bei der Untersuchung des Blutes des Knaben wurde
konstatiert: I. Herabsetzung der Zahl der Erythrocyten, 2. Blut-
plättchen von normaler Zahl, die die von Glanzmann beschriebenen
morphologischen Abweichungen zeigten, 3. verlängerte Dauer der
Nachblutung, 4. normale Dauer der Blutstillung und 5. Retraktion
des Blutkuchens in der von Glanzmann beschriebenen Weise. In
der Familie kam M. Werlhofii nicht vor. Bemerkenswert ist, daß bei
dem betreffenden Knaben Gelenkblutungen vorkamen, im Gegensatz
zu der Erfahrung von Glanzmann. Graanboom.
Righi, Giuseppe. Beitrag zum Studium der Oxydase. (Riv. di clin.
pediatr. 1923, 11, H. 4, S. 193.)
Verf., die Technik von Sapegno gebrauchend, hat das Verhalten
der weißen Blutkörperchen studiert, welche Oxydasekörnchen ent-
310 Innere Sekretion. Heft 3
halten, und zwar während der Entwicklung von verschiedenen
Krankheiten und im gesunden Organismus. Davon hat er eine Pro-
zentaufstellung gemacht. Von diesen zahlreichen Beobachtungen
hat eine besonderes Interesse: nämlich die stürmische Erscheinung
- zahlreicher Oxydasekörperchen einige Tage vor dem Auftreten einer
Krankheit und vor dem Entstehen einer Krankheitskomplikation,
während sie langsam einige Zeit. vor dem Auftreten der krankhaften
Symptome verschwand. Von dem Prozentsatz der oxydasehaltigen
Blutkörperchen verbleibt nichts während des regulären Verlaufs
der Krankheit. Während der Konvaleszenz von verschiedenen Krank-
heiten wächst der erwähnte Prozentsatz nach und nach an. In
2 Fällen von Tuberkulose ohne Fieber blieb der Prozentsatz sehr hoch
und beschrieb eine stark intermittente Kurve. Die weißen Blut-
körperchen, welche Oxydasekörnerchen enthalten, sind mehr oder
weniger lichtbrechend, und die Körnchen, von sehr verschiedener
Größe, können mehr oder weniger zahlreich sein.
Innere Sekretion.
Bergamini, M. Kindliche Myopathien und endokrine Störungen.
(La clinica pediatrica, 5, H. 1.)
Verf. hatte in den letzten Jahren dreimal Gelegenheit, Fälle
von progressiver Myopathie zu beobachten, die gleichzeitig das Bild
endokriner Störungen boten. In den beiden ersten Fällen bestand
eine deutliche Gleichgewichtsstörung der Schilddrüse, im 3. Falle
schien sich das klinische Bild auf Störungen der Genitalsphäre zu
beziehen. Die vielerörterte Frage der Erblichkeit der progressiven
Muskelparalyse mußte in den beiden ersten Fällen verneint werden,
im dritten Falle zeigten sich die männlichen Mitglieder der Familie
in 3 Generationen betroffen, zugleich ein weiterer Beweis für die noch
umstrittene Frage der Bevorzugung des männlichen Geschlechts.
Mit Hilfe von Röntgenbildern konnte Verf. nachweisen, daß nicht
nur der Muskelapparat, sondern auch der Knochenapparat an der
Störung teilnimmt. Die direkte und konstante ätiologische Abhängig-
keit der Myopathie von der Endokrinopathie hat noch niemand
nachweisen können. Daher hat auch die Darreichung von Drüsen-
präparaten bei progressiver Muskelparalyse bisher noch keine Heil-
ergebnisse gehabt, bestenfalls wurde ein temporärer Stillstand
erzielt. Immerhin kann man selbst aus dieser vorübergehenden Be-
einflussung wohl den Schluß ziehen, daß sie der Ausdruck der kom-
plizierten Beziehungen ist, die zwischen myopathischem Symptomen-
komplex und funktioneller endokriner Störung bestehen. Wenn diese
letztere auch nicht echte Myopathien auslöst, so hat sie doch die
Möglichkeit, im Muskel Bedingungen geschwächter Widerstandskraft
Heft 3 Innere Sekretion. 311
zu schaffen, die die Wirkung der wahren ätiologischen Faktoren
erleichtern. Eine weitere Begleiterscheinung der Myopathien, die
Einschränkung der geistigen Fähigkeiten, steht zu den Intelligenz-
störungen bei Endokrinopathien sicherlich in Beziehung. Ein ätio-
logischer Zusammenhang zwischen primitiven Myopathien einer-
seits, anatomischen und funktionellen Veränderungen der Blut-
drüsen andererseits wird nicht von der Hand zu weisen sein, man
darf ihn aber bis jetzt nur als konkausales Element betrachten,
als beachtenswerten Koeffizienten bei der Determination der pro-
gressiven Amyotrophien des Kindeslaters. Held (Berlin).
Korenschevsky, V. The influence of parathyrotdectomy on the skeleton
of animals normally nourished, and on rickets and osteomalacia
produced by deficsent diet. (EinfluB der Parathyreotdektomie auf das
Skelett von .Tieren, die mit normaler, rachitıs- bzw. osteomalacie-
erzeugender Nahrung gefüttert wurden.) (The journ. of pathology
„and bacteriology 25, S. 366. 1922.)
Fragestellung: Führt die Entfernung der Nebenschilddrüsen
beim gesunden, normal gefütterten Tier zur Rachitis oder Osteo-
malacie? Ferner beeinflußt die Parathyreoidektomie die chemische:
Zusammensetzung des Skeletts von Tieren, die mit calciumarmer,
A-vitaminarmer Kost, bzw. mit .einer Nahrung ernährt wurden,
die sowohl wenig Ca wie auch einen Mangel am fettlöslichen Vitamin
aufweist? Zur Untersuchung kamen 21 Ratten, bei welchen die Ope-
ratıon mit Erfolg ausgeführt wurde (histologische Kontrolle). 14 Rat-
ten wurden als Kontrollen verwandt. Die Untersuchungen ergaben,
daß nach der Entfernung der Nebenschilddrüsen bei den Tieren
abnorme Erscheinungen an den Zähnen auftreten, sie bestätigen also
die Befunde Erdheims. Dieselben Veränderungen können aber
auch bei nicht parathyreoidektomierten Tieren auftreten, die mit
einer Ca- bzw. A-vitaminarmen Nahrung gefüttert wurden. Rachitis
sah Verf. nach der Operation, im Gegensatz zu Erdheim, nicht auf-
treten. Die Entfernung der Nebenschilddrüsen scheint auf das Skelett
normal bzw. mit Rachitis erzeugender Nahrung gefütterter Tiere
keinen Einfluß auszuüben. Verf. findet die Ergebnisse seiner früheren
Untersuchungen, daß der A-Faktor auf den Ca-Stoffwechsel von
wesentlichem Einfluß ist und in der Ätiologie der Rachitis und
Osteomalacie eine bedeutende Rolle spielt, ferner, daß die Skelett-
veränderungen sich rascher und auch häufiger einstellen, wenn die
Nahrung der Tiere sowohl an Ca wie auch an Vitamin-A arm ist,
bestatigt. Bei solchen Versuchen ist das Alter der Tiere stets zu
beriicksichtigen. Rachitis erzeugende Kost fiihrt bei Tieren, die ein
gewisses Alter überschritten haben (bei Ratten nach dem 3. Lebens-
monat), zu keinen nennenswerten Skeletterscheinungen, oder es tritt
eine geringfügige Osteomalacie auf. Zwischen Rachitis und Osteo-
312 Innere Sekretion. — Verdauungstraktus. Heft 3
malacie bestehen keine Unterschiede. Die Divergenz im klinischen
Bilde ist allein durch das Lebensalter dadurch bedingt, daß dieselbe
Schädlichkeit, wenn sie auf Individuen in verschiedenem Alter ein-
wirkt, verschiedene klinische Manifestationen in Erscheinung treten
läßt. | : Schiff.
Halbertsma, T. Mongolismus bei einem von Zwillingskindern und die
Ursache des Mongolismus. (Americ. journ. of dis. of childr. 25, 350.)
In sämtlichen 15 Fällen, wo Mongolismus von Zwillingskindern
nur eines betroffen hat, führt zu dem wichtigen Ergebnis, daß es sich
in diesen Fällen stets um Kinder verschiedenen Geschlechts gehandelt
hat. Daß von Zwillingen verschiedenen Geschlechts beide vom
Mongolismus betroffen worden wären, ist nie beobachtet worden.
Wohl aber sind 2 Fälle bekannt, wo beide gleichgeschlechtliche Zwil-
linge Mongolen waren. Diese Erfahrungen bestätigen die Auffassung,
daß der Mongolismus auf einen Fehler in der ersten Anlage des Keim-
plasmas zurückzuführen ist. H. Vogt.
Verdauungstraktus.
Morton, John J. Atresie des Duodenum und rechisseitige innere
Hernie. (Americ. journ. of dis. of childr. 25, 371.) |
Bis zum Jahre 1922 sind Berichte über 392 Fälle von angebore-
nem Darmverschluß zusammengestellt worden, wovon nicht weniger
als 134 auf den Zwölffingerdarm entfielen. Viel seltener noch sind
die Fälle von rechtsseitiger innerer Hernie, deren nur 17 bis zum
Jahre 1906 bekanntgegeben waren. Verf. berichtet über ein Kind,
das beide seltenen Mißbildungen vereint aufwies. Auf Grund der
klinischen Erscheinungen — Erbrechen bräunlicher mekonium-
ähnlicher bluthaltiger Massen, Erweiterung des Magens — sowie des
Röntgenbildes war ein Duodenalverschluß angenommen worden.
Die Operation ergab, daß etwa die Hälfte des Dünndarms in einem
Bruchsack lag, der durch eine vom Colon quer über die hintere Bauch-
wand zum unteren Pol der rechten Niere verlaufende Bauchfellfalte
gebildet war. Daß daneben auch noch der im Leben angenommene
Duodenalverschluß bestand, wurde durch die Autopsie erwiesen.
Der Bruchsack ist wahrscheinlich so entstanden, daß die in der Regel
im 3. Fötalmonat erfolgende Verschmelzung des Mesenteriums des
Duodenums mit der hinteren Bauchwand ausgeblieben ist.
H. Vogt.
Gehrt. Zur Pathogenese des periodischen Erbrechens bei Kindern.
(Berlin, Kinderkrankenhaus der Stadt.) (Zeitschr. f. Kinderheilk.
35, 1923, S. 51—55.)
Bei cinem 13%/,jährigen Knaben mit kongenitaler Lues, der
schon früher an periodischem Erbrechen gelitten hat, kommt es ım
Heft 3 | Verdauungstraktus. 313
Anschluß an eine Lumbalpunktion zu einem 86 Stunden dauernden
Anfall von unstillbarem Erbrechen. Verf. spricht als auslösende
Ursache ein Kopftrauma und die dadurch bedingten Druckschwan-
kungen des Liquors an. Eine Ketonämie bestand, wenigstens zu
Begınn des Zustandes nicht. Gehrt faßt das periodische Erbrechen
von Kindern nicht als primäre Stoffwechselstörung, sondern als Stö-
rung im vegetativen Nervensystem auf konstitutioneller Grundlage
auf. Ein prinzipieller Unterschied zwischen den Formen mit Keton-
ämie und denen mit migräneartigen Symptomen besteht nicht.
Schall (Tübingen).
Vaglio, R. (Päd. Klin. Neapel.) Ancora sui vomiti ... (Noch
einmal das habituelle Erbrechen.) (La pediatria 1923, 81, S. 482.)
Marfan hat zuerst die Ansicht ausgesprochen, daß das habi-
tuelle Erbrechen oft auf Lues beruhe; Verfasser bestätigt dies,
da in 75% von 20 Fallen Lues sicher oder doch mii groBer Wahr-
scheinlichkeit anzunehmen war. Die Ursache liegt vielleicht in
einer Reizung des Brechzentrums, das noch dazu dem vermehrten
Druck durch den Hydrocephalus ausgesetzt ist, oder einer Schädi-
gung der Verdauungsdrüsen durch die Lues. Quecksilber brachte
oft Besserung. Die Diagnose Lues stellt Verfasser meist nur auf
Grund von Lues des Vaters oder Abortus der Mutter oder Milz-
und Lebertumor des Kindes; über Exanthem wird nie, über positiven `
Wassermann des Kindes nur 2mal berichtet.. Tezner (Wien).
Redlin, Gotthold. Schicksale von Kindern mit Pylorospasmus.
Deutsch. med. Wochenschr., Nr. 13, 49. Jahrg., 1923, S. 415.
Von 19 Kindern mit Pylorospasmus starben drei im Verlaufe
der Erkrankung. Etwa die Halfte der Kinder stammte aus Familien
geistiger Arbeiter, ebensoviele zeigten sich nervös belastet. Männ-
liche Brustkinder sind besonders von der Erkrankung befallen.
%/, der Kinder zeigten später Symptome von Nervosität.
Ernst Faerber.
Timmer, H. Nabelkoliken bei Kindern. (Nederlandsch Tijdschr. v.
Geneesk. 1923, 1, 2378.)
In dem Streit zwischen Moro, der die Nabelkolik der Kinder
als internes Leiden von psychogenem Ursprung, unabhängig von
einer organischen Erkrankung der Appendix auffaßt, und Kattner,
der im Gegenteil das Leiden als Folge eines organischen Leidens der
Appendix, das nur durch chirurgischen Eingriff zu heilen sei, auf-
faBt, wird von Timmer nach langjähriger chirurgischer Er-
fahrung, die Seite der Internisten (Moro) gewählt. T. ist der Mei-
nung, daß die Diagnose Appendicitis durch viele Chirurgen leicht-
fertig gestellt wird. Er weist auch darauf hin, daß für die Diagnose
314 Verdauungstraktus. Heft 3
das Symptom von Mühsam, ebenso wie der Druckpunkt von Küm-
mell wertlos ist. Die genuinen nervösen Nabelkoliken sind durch
das anfallsweise Auftreten des Schmerzes mit völlig schmerzlosen
Zwischenräumen bei normaler Temperatur charakterisiert. In diesen
Fällen ist Druckschmerz auf der Appendix auch kein Beweis
für das Bestehen einer Appendicitis. | Graanboom.
Bischoff, H. Über einen bemerkenswerten Fall von Ascaridiasis.
Dt. med. W. Nr. 15, 49. Jahrg. 1923, S. 479.
Ausfiihrliche kasuistische Mitteilung eines schweren Falles von
Ascaridiasis bei einem ız Monate alten Säugling. Innerhalb g Tagen
wurden 151 Ascariden ausgeschieden. Nach Verschwinden der
Ascariden stieg der Haemoglobingehalt von 55 auf 93%. Bemerkens-
wert ıst, daß Eosinophilie während der Erkrankungsdauer fehlte.
Ernst Faerber.
Rheindorf. Über drei Fälle von akuter Appendicitis bei Schulkindern.
(Berlin, pathol.-anatom. Abteilung des Kaiser- und Kaisenn-
Friedrich-Kinderkrankenhauses.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 35,
1923, S. 105—II9Q.)
Vier Wurmfortsätze von Kindern, von denen zwei makro-
skopisch keinerlei Veränderungen zeigen, geben Verf. Gelegenheit,
sich ausführlich über die Rolle der Oxyuren in der Ätiologie der
Appendicitis auszulassen. In einem Falle findet sich nur ein ab-
gehobenes Epithel, eine oberflächliche katarrhalische. Veränderung,
die eine toxische Reizwirkung der Würmer darstellen soll. In den
beiden anderen Fällen finden sich Epitheldefekte, die den Oxyuren
zur Last gelegt werden. In einer Abbildung wird ein in einem
Schleimhautdefekt liegender Oxyuris dargestellt. Bei den übrigen
Fällen, einer ulcerös phlegmonösen und einer perforierten Appen-
dicitis mit Kotstein fanden sich ebenfalls Veränderungen, die Verf.
auf die Tätigkeit von Oxyuren bezieht. Es wird aber offengelassen,
ob nicht die durch den Kotstein des Epithels beraubte Schleimhaut
den Ausgangspunkt der Entzündung darstellt. Der oft negative
Nachweis von Oxyuren habe nichts zu sagen. An 62 Oxyurenträgern
konnte bei der Obduktion nur 32 mal ein positiver Befund erhoben
werden. Schall (Tübingen).
Trinei, Ugo. Chronische Invagination des Wurmfortsatzes bei beweg-
lichem Coecum. (Riv. di clin. pediatr. 1923, 11, H. .1, S. 10.)
Madchen, 3 Jahre alt, mit beweglichem Coecum, chronischer
Wurmfortsatzinvagination und Veränderungen ah den Wänden des
Coecums. Durch eine erfolgreiche Operation wurde das Coecum
abgetragen. Nach eingehender Erwägung der Ätiologie beider Krank-
heitsformen und nach einer Übersicht des Zusammenhanges zwischen
Heft 3 Leber und Gallenwege. — Urogenitalsystem. 315.
denselben, beschreibt Verf. die anatomisch-pathologischen Befunde,
die Symptomatologie dieser ungewöhnlichen ‚Krankheit und die
verschiedenen Operationen, welche in cop verschiedenen Fallen an-
gewandt werden sollen.
Leber und Gallenwege.
Hecht, Adolf, und Nobel, Edmund. Zur Frage der Leberfunktions-
prüfung im Kindesalter. (Kinderklinik in Wien.) (Zeitschr. f.
Kinderheilk. 34, S. 42.) `
Die Frage nach der Funktionstüchtigkeit der Leber ist für den
Kinderarzt von großer Bedeutung insofern, als bei der Toxikose
ernährungsgestörter Säuglinge zweifellos eine Herabsetzung ver-
schiedener der Leber obliegender Leistungen vorliegt. Die Galaktose-
probe wurde in 27 Fällen angestellt. Ihr Wert liegt nach Verf. nur
in der Differentialdiagnose zwischen katarrhalischem Ikterus und
anderen Lebererkrankungen, vor allem gegenüber Icterus haemo-
lyticus. Ihr Verhalten ist auch bei lebergesunden Kindern schwan-
kend. Icterus catarrhalis und progrediente Phthisen ergeben die
niedrigste Toleranz. Zufuhr von 80g Milchzucker führte in einem
Fall von Ikterus zur Ausscheidung eines Kohlenhydrats, das wahr-
scheinlich auch Galaktose war. (Bestimmt mit der Schleimsäure-
probe nach Richard Bauer. Gärungs- und Osaconprobe leider
nicht angestellt.) Zur Prüfung der synthetischen Funktion der Leber
wurde die Campherglycuronsäurepaarung herangezogen. 12 Cadechol-
versuche ergaben beim lebergesunden Kind eine nicht so vollkommene
Ausscheidung wie beim lebergesunden Erwachsenen, nämlich 71 bis
78,5%. Beck (Tübingen).
Condat. Lebergeschwulst bei einem Kind von 14 Monaten. (Arch. d.
med. des enfants 26, 293.)
Bisher sind etwa 50 Fälle von bösartigen Neubildungen der
Leber im Säuglingsalter bekannt. Im vorliegenden Falle, der nicht
obduziert wurde, kam unter Radiumbehandlung eine 6 Monate
anhaltende weitgehende Besserung zustande. H. Vogt.
Urogenitalsystem.
Webb Hill, L., Hunt, F., Brown, E. W. The bacteriology of the urine
in acute nephritis in children. Die Bakteriologie des Harns bei der
akuten m der Kinder. (Journ. of dis. of childr. 1923, Vol. 25,
No. 3.)
Der steril entnommene Harn wurde zentrifugiert und je ein
Ausstrich nach Gram und Ziehl-Nelson gefärbt. Dann wurden Agar,
Endo- und Blutagarplatten beimpft. Untersucht wurden zı Fälle
316 Urogenitalsystem. Heft ;
von akuter hämorrhagischer Nephritis. In 16 Fallen ist der Ham
steril gewesen. In 2 Fällen wuchs Staphylococcus alb. (Verunreir:-
gung?), in einem Falle sind diphtheroide, in zwei weiteren Cah-
bacillen gewachsen. In beiden letzteren enthielt der Urin Eiter.
Wenn also die klinischen Zeichen der Nephritis da sind, dann ı:t
der Harn meist steril. Immerhin ist die Möglichkeit nicht von de
Hand zu weisen, daß die bakterielle Infektion der Nieren mit der
Einsetzen der Nephritis erfolgt. Die Untersuchungen von Pa pper.-
heimer, Hyman und Zeman fordern dazu auf, an diese Möglich-
keit zu denken. Diese Forscher fanden nämlich, daß, wenn Meer-
schweinchen direkt in die A. renalis Bakterien gespritzt werden.
diese in wenigen Minuten von den polymorphen und Endothelzellec
in den Glomerulis aufgenommen werden und bereits in einigen
Stunden intracellular verdaut sind. Vielleicht werden hierdurch
Toxine in Freiheit gesetzt; die dann die Nieren schädigen. Anderer-
seits ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Toxine vom
Infektionsherde aus zur Resorption gelangen und so die Nieren-
schädigung herbeiführen. Schiff.
Tow, A. Polycystic disease of the kidneys (Cystenntere). (Amer. jour.
of dis. of childr. Vol. 25, No. 3. 1923.)
Bei einem 6 Wochen alten Kinde waren beiderseits in der Lum-
balgegend Tumoren tastbar, die bereits gleich nach der Geburt
festgestellt worden sind. Wassermann, Pirquet negativ. Blutbefund
normal. Im.Urin fanden sich Albumen, granulierte Zylinder und
Leukocyten. Das Herz war vergrößert. Das injizierte Phenol-
sulphophthalein wurde verzögert ausgeschieden, die Urinmengen
sind niedriger als in der Norm gewesen. Bei der Sektion fand sich
typische Cystenniere. Schiff.
Vallery-Radot und Sales. Die Hydrocele beim Saugling, Zusammer-
hang gewisser Formen mit hereditärer Syphilis. (La Presse médicale
Nr. 37, 9. Mai 1923, S. 420.)
Eine unilaterale Hydrocele, die länger als 4—5 Wochen besteht,
muß den Verdacht auf hereditäre Syphilis erwecken, besonders wenr:
der darunterliegende Hoden nach Entleerung der Flüssigkeit hart
und atrophisch ist. Verf. rät in jedem Falle zu einer Punktion. um
sich von dem Zustande des Hodens zu überzeugen; diese ıst nur dann
zu unterlassen, wenn die Hydrocele so klein ist, daß bei der Punktion
der Hoden verletzt werden könnte. Haber.
Hoag, Lynne A. Bosartiges Hypernephrom beim Kinde. (Amen.
journ. of dis. of childr. 25, S. 441.)
Bei einem 3jährigen Mädchen fällt den Eltern schnelles Wachs-
tum der Haare an den Genitalien auf. Im Alter von 4 Jahren 2 Mo-
Heft 3 Urogenitalsystem. — Knochen und Gelenke. 317
naten erkrankt das Kind’an Krampfen der linken Körperhälfte,
die eine Trübung des Bewußtseins hinterlassen und sich ım Laufe
der nächsten Wochen wiederholen, wobei abwechselnd beide Seiten
beteiligt sind. Bei gutem Ernährungszustand weist das Kind auf-
fallend tiefe Stimme, Bartwuchs an Lippen und Kinn auf. In der
rechten Brustseite unterhalb der Leber fand sich eine Geschwulst,
wie sich beim Versuch der Entfernung und bei Obduktion herausstellte,
ein Hypernephrom. Zahlreiche Metastasen in den Lungen; im Hirn
Arteriosklerose der Piagefäße und viele oberflächliche Erweichungs-
herde der Rinde. Pathologische Zellanhäufung im Stiel der Hypo-
physe. Wie eine Zusammenstellung der bisher bekannt gegebenen .
22 Fälle von Hypernephrom im Kindesalter lehrt, entfielen ıg auf
Mädchen, nur 3 auf Knaben. Bei den Mädchen zeigte die über-
wiegende Mehrzahl Erscheinungen heterosexueller Frühreife: Be-
haarung des Gesichts, tiefe Stimme, übermäßige Entwicklung der
Klitoris. Von Metastasen waren meist die Lungen und die Leber
betroffen, das Gehirn nur einmal, obwohl 4 Kranke schwere Krampf-
anfälle erlitten hatten. Das Auftreten von Erscheinungen hetero-
sexueller Frühreife in Fällen von Hypernephrom wird verständlich
durch eine von Krabbe aufgestellte Hypothese. Nach Kohn
ist das Ovarium in seiner Anlage hermaphroditisch und enthält
in der Marksubstanz Zellbildungen, die Verwandtschaft mit solchen
der Testikel haben. Die Nebennierenrinde des Menschen entwickelt
sich aus der Genitalrinne in naher Beziehung zur Anlage der Ge-
schlechtsdriisen. Krabbe vermutet, daß abgesprengte Zellen,
die für gewöhnlich die rudimentären männlichen Bestandteile des
Ovarıums bilden, in der benachbarten Nebennierenrinde eingeschlos-
sen bleiben, sich dann geschwulstartig entwickeln und durch ihre
innere Sekretion zum Auftreten der heterosexuellen Züge führen.
H. Vogt.
rT
Knochen und Gelenke.
Trèves, André. Allgemeine Polyarthritts. Wachstumshemmung an
der rechten oberen Tibiaepiphyse. (Arch. de méd. des enfants 26, 365.)
Ein bis dahin im wesentlichen gesundes Madchen von 18 Monaten
erkrankt an Gelenkentziindung, die zuerst das rechte Knie-, dann
das rechte Hiiftgelenk und im weiteren Verlauf ziemlich alle Gelenke
des Körpers befällt. Die zuerst angenommene Tuberkulose konnte
durch den weiteren Verlauf und den Ausfall der Hautreaktion aus-
geschlossen werden. Alle Behandlung orthopädischer und sonstiger
Art blieb erfolglos, bis die trotz fehlender Wassermannscher
Reaktion eingeleitete Kur mit intravenösen Einspritzungen von
Novarsenobenzol eine wesentliche Besserung und die daran an-
schließende Behandlung mit Hectargyrum völlige Heilung brachte.
318 Hospitalwesen. — Physiologie und allgemeine Pathologie. Heft 3
Doch blieb das Wachstum an der oberen rechtsseitigen Tibiaepiphyse
vollkommen stehen, so daß das rechte Bein um 4!/, cm kürzer blieb
- als das linke. Die Natur der Krankheit, die der Verf. weder der
Tuberkulose noch der Syphilis zurechnen möchte, blieb ungeklärt.
2 H. Vogt.
Hospitalswesen.
Aschenheim, Erich. Über psychische Inanition der Säuglinge. (Aus
dem Kleinkinderheim Remscheid-Ehringhausen.) (Jahrb. f. Kinder-
heilkunde 101, 1923, 353.) |
Da im Kleinkinderheim, das Verf. leitet, kaum akute Erkran-
kungsfälle, hauptsächlich gesunde Säuglinge und Kleinkinder zu
monate- oder jahrelanger Pflege aufgenommen werden, ist ein Haupt-
ziel geistige und seelische Fürsorge, die in Kliniken bei kürzerem
Aufenthalt zurücktritt. Verf. beobachtete zunächst bei nicht-
rachitischen Kindern Verzögern statischer Funktionen, das sich
schnell ausglich bei Übersiedelung älterer Säuglinge in den Klein-
kindersaal. Ohne Rücksicht auf die Gefahr der Hausinfektion
wurden früher Säuglinge im Laufstall vereinigt, im Sommer auf
der Terrasse. Bei Einhalten von Vorsichtsmaßregeln (AusschlieBen
von Rhinitis- und Bronchitis-Kindern) sind die Vorteile mehrfach.
Nach bisherigen Erfahrungen offenbar Fortschritte statischer Funk-
tionen durch gegenseitige Reize; der psychischen Inanition wird
vorgebeugt; eine Schwester kann mehr Kinder versorgen.
W. Gottstein.
| HT — nn
Physiologie und allgemeine Pathologie.
Davidsohn, H., und Hymanson, A. Untersuchungen über den Saug-
lingsspeichel. (Berlin, Waisenhaus und Kinderasyl der Stadt.)
(Zeitschr. f. Kinderheilk. 35, 1923, S. 10—24.)
Bei gesunden und kranken Säuglingen wird Reaktion, Menge
und Fermentstärke des Speichels bestimmt. Normalerweise schwankt
die Reaktion zwischen 6,8—7,8 pu. Es handelt sich also um eine
leicht alkalische bis neutrale, bis spurweise saure Flüssigkeit. Tages-
zeit, Nahrungsaufnahme, Alter oder Zustand des Kindes haben
keinen erkennbaren Einfluß auf die Reaktion. Dagegen steigen
Menge und Fermentkonzentration mit zunehmendem Alter. Erstere
schwankt weniger um die Normalwerte als letztere. Bei kranken
Säuglingen ist die Menge häufiger und intensiver verändert als
der Fermentgehalt. Bei akuten Ernährungsstörungen scheint ¢s
sich nur um eine durch Wasserverlust bedingte Mengeneinschränkung
zu handeln, bei chronischen Ernährungsstörungen und schweren
Infekten ıst auch die Fermentstärke beeinflußt.
Schall (Tübingen).
Heft 3 Physiologie und allgemeine Pathologie. 319
Buchheim, Irene. Die Bedeutung der Rontgenologie des Magendarm-
kanals im Säuglingsalter für seine Physiologie und Pathologie.
(Arch. f. Kinderheilk. 72, 1922, S. 50‘)
Ausfiihrliches Ubersichtsreferat mit reicher Literatursammlung;
wegl. auch die Forschungen des Verf. ibid. S. 100, die sich mit den
Verhältnissen beim älteren Kinde befassen. P. Karger.
Demuth, F. Magenfunktionsprüfungen beim gesunden Säugling.
IV. Mitteilung. (Charlottenburg, Kaiserin-Augusta-Viktoria-Haus.)
Zeitschr. f. Kinderheilk. 85, 1923, S. 176—181.)
In der IV. Mitteilung befaßt sich Demuth mit dem Zusammen-'
hang zwischen Acidität und Verweildauer und der Säureproduktion
cles Magens. Es wird nachgewisen, daß eine Salzsäuremenge, die
14,5 ccm "/ıo-HCl entspricht, schon eine Steigerung der Acidität
ın den meisten Fällen bedingt, sicher ist eine solche mit der doppelten
Menge zu erreichen. Die Erhöhung der Acidität ist um so geringer,
je saurer der Mageninhalt schon an sich ist. Die Verweildauer bleibt
durch die Erhöhung der Acidität unbeeinflußt. Des weiteren wurde
untersucht, ob. die im ausgeheberten Mageninhalt gefundene Wasser-
stoffionenkonzentration nur von dem Pufferungsvermögen der Milch
bestimmt wird, oder ob eine verschieden starke HCl-Sekretion
angenommen werden muß. Das letztere ist der Fall. Es konnte
nachgewiesen werden, daß Vollmilch und zwei Drittel Milch trotz
größerer Menge an pufferungsfähigen Substanzen saurere Werte
ergeben als Frauenmilch, was auf eine erhöhte HCI-Produktion im
ersten Fall schließen läßt. Butter- und Eiweißmilch stehen der
Frauenmilch in dieser Beziehung näher, wenn nicht besonders saure
Nahrungen verfüttert werden. Es wird also gegenüber anderen
Kuhmilchmischungen HCl gespart, was von praktischer Bedeutung
für die ren der Magenacidität, z. B. bei Infekten, ist.
Schall (Tübingen).
Schippers, J. C., und de tance: C. Verdauungsleukocytose und Ver-
dauungsleukopemie bei Kindern. II. Mitteilung. (Amsterdam,
Emma-Kinderkrankenhaus.) (Zeitschr. f. Kinderheilk. 35, 1923,
S. 95—I01.)
Nochmals untersuchen die Verff. die Widalsche Reaktion auf
ihre Brauchbarkeit beim Säugling und bei älteren Kindern. Der
erste Einwand gilt der Untersuchung im Capillarblut, in dem die
Leukocytenwerte ohne erkennbare Ursache recht erheblich schwanken
können. Ob eine Neubildung von weißen Blutkörperchen stattfindet,
läßt sich an einem vermehrten Auftreten von jugendlichen Formen
und Stabkernigen, einer Linksverschiebung des Blutbildes feststellen.
Aber ebensowenig wie die gesamte Leukocytenzahl ein typisches
Verhalten zeigt, findet sich bei der Differenzierung etwas Typisches,
320 Physiologie und allgemeine Pathologie. Heft ;
und von einer Linksverschiebung nach Arneth kann nicht gesprochen
werden. Die Verff. kommen zum SchluB, daB beim gesunden jungen
Kind und beim Säugling das weiße Blutbild so vielen Einflüss
unterworfen ist, daß man kein Regelmaß entdecken kann.
Schall (Tübingen).
Kochmann, R. Uber die klinische Bedeutung der hamoklasische:
Krise im Kindesalter. (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 242.
Die hämoklasische Krise fällt beim lebergesunden Kinde jenseit:
des ersten Lebenshalbjahres negativ, beim leberkranken positiv aus.
Nach ihrem Eintritt’ dauert beim jungen Kinde die „Immunität“
4 Stunden, beim älteren bis zu 8 Stunden. Bei schwer ernährung:-
gestörten Säuglingen fällt die Krise auch nach Nahrungspausen
von weniger als 4 Stunden positiv aus, was vielleicht klinisch ver-
wertbar sein kann. P. Karger
Mensi, E. (Spital „Königin Margerita“ Turin.) S#tstema endocrine
e nervoso vegetativo nella clinica infantile. (Endokrines und vegetats-
ves System in der kindlichen Klinik.) (La Pediatria 1923, 31.
S. 465.)
Verfasser hat Reaktion auf Pilocarpin, Atropin und Adrenalin.
sowie das Verhalten des Vagus- und Bulbusdruckes bei 56 Kindern
mit verschiedenen Krankheiten geprüft. Es reagierten 34%, nur
auf Atropin, 7% nur auf Pilocarpin, 5% nur auf Adrenalin; dit
übrigen auf 2 oder 3 Pharmaka oder auf gar keines; Bulbus- und
Vagusdruckphänomen, das in 24%, positiv war, wurde durch alle
3 Pharmaka bald gehemmt, bald hervorgerufen; das Alter hatte
keinen Einfluß; öfters zeigte ein und dasselbe Kind zu verschie-
denen Malen verschiedene Reaktionen. In einem Fall von Myxödem.
von Basedow, von Idiotie, in 3 Fällen von Diabetes insipidus und 3
von Typhus zeigte sich Vagotonie, bei den übrigen Krankheiten
waren die Resultate nicht eindeutig. Verfasser schließt aus seinen
Versuchen, daß die Einteilung von Heß und Eppinger in Vago-
und Sympathikotoniker berechtigt ist, daß es aber auch Individuen
gibt, die auf beide Arzneigruppen reagieren. (Die angewendete
Dosis von 0,5 mg — I mg ist für Atropin und Adrenalin entspre-
chend, für Pilocarpin sehr niedrig. Der Ref.) . Tezner (Wien).
Druck der Spainerschen Buchdruckerei in Leipzig.
MONATSSCHRIFT
fiir
KINDERHEILKUNDE
Herausgegeben von
sessau Birk Comba Czerny Dotti Göppert Graanboom
Leipzig Tübingen Florenz Berlin Florenz Göttingen Amsterdam
Heim Hess Johannessen Kleinschmidt Klotz Knöpfelmaeher
3uciapsst New York Kristiania Hamburg Lübeck Wien
Koplik v. Mettenheim Moll Moro Noeggerath Stolte Vogt Wieland
New York Frankfurt a. M. Wien Heidelberg Freiburg Breslau Magdeburg Basel
Redigiert von
Arthur Keller-Berlin
Band XXVII.
Leipzig
Verlag von F.C. W. Vogel
1924
Spamersche Buchdruckere: in Leipzig
Originalmitteilungen.
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Kongreß- und Sitzungsberichte.
Berliner Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde.
Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde. Originalbericht.
35. Jahresversammlung der amerikanischen Pädiatervereinigung. 527.
Munchener Gesellschaft fiir Kinderheilkunde.
Niederländischer Verein für Pädiatrie.
Sitzung der Vereinigung rheinisch-westfälischer Kinderärzte.
Vereinigung Frankfurter Kinderärzte,
624.
321.
25>”
520.
525.
620.
207.
Daß es möglich wurde, diesen Bericht ungekürzt zu
veröffentlichen, ist dem tatkräftigen Eingreifen der päd-
satrischen Sektion der Gesellschaft für innere Medizin
und Kinderheilkunde in Wien zu verdanken. Wir möchten
es nicht unterlassen, auch an dieser Stelle den Kollegen
ın Wien unsern wärmsten Dank dafür auszusprechen.
FÜR DIE DEUTSCHE GESELLSCHAFT
FÜR KINDERHEILKUNDE
Czerny
Erste Sitzung.
Freitag, den 21. September 1928, vormittags 9 Uhr,
in Göttingen.
Vorsitzender: Herr Czerny.
Schriftführer: Herr Hoffa.
Thymusdriise.
Herr Birk.
Meine Herren! An Stelle einer Einleitung möchte ich meinen
eigentlichen Ausführungen einen kurzen Überblick über die Anatomie
der Thymus(drüse) vorausschicken.
Die Thymusdrüse stammt vom Schlundepithel (III. Schlundtasche)
ab. Sie hat also denselben Ursprung wie Schilddrüse und Epithel-
körperchen, und wer will, kann aus diesem gemeinsamen ent-
wicklungsgeschichtlichen Ursprung schon auf eine innersekretorische
Verwandtschaft der drei Drüsen schließen.
Ausnahmsweise kann sie sich auch mal — außer von der 3. Kiementasche
aus — noch aus der 4. und 5. Thymusgewebe bilden. Das ist für unsere Frage
hier nicht unwichtig, denn es wird vielfach in der Literatur, wenn man Thymus-
exstirpationsversuche, die ohne Ausfallserscheinungen verlaufen sind, erklären
will, darauf hingewiesen, daß in diesen Fällen vielleicht so ein Stückchen über-
zähligen Thymusgewebes vorhanden gewesen sei, das die Ausfallserscheinungen
ausgeglichen habe.
Die Drüse liegt in einer Kapsel, von der aus Bindegewebszüge ins
Innere gehen, durch die die Drüse in einzelne Läppchen aufgeteilt
wird. Jedes dieser Läppchen erweist sich im mikroskopischen Bild
als aus Rinde und Mark bestehend. Die Rinde erscheint dunkler als
das Mark, ein Unterschied, der dadurch zustande kommt, daß die
Zahl der Thymusrundzellen in der Rinde viel größer ist als im Mark.
Histologisch besteht jedes Läppchen aus einem Grundgerüst, das
von epithelialen Zellen gebildet wird, die dem ursprünglichen
Schlundepithel entstammen. Sie sind in Form eines Netzwerkes an-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 21
322 Birk. Heft 4
geordnet, in dessen Maschen der zweite wichtige Bestandteil der
Thymus liegt, nämlich die Thymuslymphocyten.
Dieser ganze Aufbau kommt dadurch zustande, daß in die ursprünglich reir
epitheliale Thymusanlage — etwa vom 2. Fötalmonat an — von den Blutgefäßen
her Lymphocyten einwandern, die die epithelialen Zellen auseinanderdrängen,
so daß sie die Beschaffenheit eines Netzwerks bekommen. In dieses hinein legen
sich die Lymphocyten, die auch fürderhin durch Einwanderung aus dem Blut
wie durch Neubildung an Ort und Stelle sich, namentlich in der Rinde, al»
normaler Bestandteil der Thymusdrüse erhalten.
Indem ich von einem Auswandern der Thymusrundzellen aus dem Blut
und einem Einwandern in die Maschen des retikulären Netzwerkes spreche.
stelle ich mich auf den Standpunkt der sog. Immigrationslehre, die haupt-
sächlich von Maximow, Hammar u. a. vertreten wird, und zu der die
Transformationslehre, — vertreten von Tourneux, Stöhr, Hermann
— im Gegensatz steht, die annimmt, daß die Thymusrundzellen keine echten
Lymphocyten seien, sondern nur lymphocytenähnliche Gebilde von ebenfalls
epithelialem Ursprung, also von derselben Herkunft wie die Reticulum-
zellen. Diese Anschauung ist aber offenbar nicht richtig.
Eines besonderen Hinweises bedarf es noch auf die Hassalschen
Körperchen, jene eigenartigen, nur in der Thymusdrüse vorkommen-
den und auch nur im Thymusmark sich findenden Gebilde. Sie sind
epithelialer Natur und entstehen so, daß eine aus dem retiku-
lären Verband losgelöste Zelle aufquillt, kugelförmig wird, und daß
sich um sie wie um einen Kristallisationspunkt neue Zellen herum-
legen, die sich konzentrisch schichten und so das Hassalsche Kör-
perchen bilden.
Daneben gibt es noch sog. irreguläre Zellverbände, wie sie Hammar
nennt, die ebenfalls durch Vergrößerung und Aneinanderlegen von ursprüng-
lich verzweigten Markzellen entstehen, sich aber durch die fehlende konzer-
trische Schichtung von den H.-K. unterscheiden, im übrigen aber alle Über-
gänge zu diesen erkennen lassen.
Als wichtig ist noch das Vorkommen von reichlichen Mengen
eosinophiler Zellen zu erwähnen, die sich namentlich in der
Rinde finden, wo sie um die Gefäße herum sitzen, während sie 1m
Mark nur in oder um die Hassalschen Körperchen herum vor-
kommen.
Das ist im wesentlichen der anatomische Aufbau der Thymus-
drüse, der nun aber keine sich stets gleichbleibende Größe darstellt.
sondern sich ändert, einmal unter dem Einfluß des Alters und zweitens
unter dem Einfluß äußerer, akzidenteller Umstände. Die Änderung
erfolgt stets im Sinne einer Rückbildung, die man im ersten Fall
als physiologische Altersinvolution, im zweiten Fall als akzidentelle
Involution bezeichnet.
Heft 4 Thymusdrüse. 323
Was zunächst die physiologische oder Altersinvolution
anbetrifft, so ist ihr Beginn und ihr Fortschreiten am besten aus
den Zahlen Hammars, des schwedischen Anatomen, auf den
eigentlich unsere gesamten heutigen Anschauungen über Anatomie
und Entwicklung der Thymusdrüse zurückgehen, zu entnehmen:
Thymus-Gewicht Thymus-Gewicht
in g in g
Neugeborene. .. . . . 13,26 26.—35. Jahr. .. . . 19,87
1.—5. Jahr... .. 22,98 30.—45. n»... . . I6,27
6.—10. , ..... 26,10 4$6.—55. n» . .... 412,85
IL.—IS. 3 Gk we ie 37,52 56.—65. , ..... +168
16.— 20. „o #8 eae a 25,58 66.—75. 2 ek 6,0
21.—25. u « «+. . 24,73
Die Driise ist am schwersten in der Zeit vom 11.—15. Jahr. Also
etwa um die Pubertätszeit herum erreicht sie den Höhepunkt ihres
Wachtsums. Dann bildet sie sich zurück. Mit dem Ende des Kindes-
alters hat sie offenbar ihre Hauptaufgabe erfüllt, von da ab wird
sie entbehrlich, was nicht bloß an sich bemerkenswert ist, sondern
noch durch den Zeitpunkt, von dem ab die Aufgabe der Thymusdrüse
als erledigt anzusehen ist, eine besondere Bedeutung erhält.
Die anatomischen Vorgänge bei der Altersinvolution verlaufen (nach
Schminke) so, daß schrittweise eine Verkleinerung von Mark und Rinde statt-
findet. Die Thymusrundzellen wandern zuerst aus der Rinde ab, wodurch die
Unterscheidung zwischen Mark und Rinde undeutlicher wird. Danach erfahren
auch die Reticulumzellen eine Rarefizierung. Die Hassalschen Körperchen
lassen ein verschiedenes Verhalten erkennen: zum Teil wandeln sie sich in
Reticulumzellen zurück, zum Teil bleiben sie erhalten oder nehmen sogar an
Größe zu. Mit der Reduzierung des Parenchyms tritt das Bindegewebe mehr
in Erscheinung, und auch Fettgewebe wuchert nach. Es kommt aber niemals
zu einer völligen Verödung der Drüse, vielmehr bleibt sie bis ins hohe Alter
hinein als retrosternaler, thymischer Fettkörper (Waldeyer) erhalten, der
noch alle Eigenheiten der Form wie des Baues, wenigstens angedeutet, er-
kennen läßt. Es ist auch erwiesen, daß noch im späten Alter Kernteilungs-
figuren sich nachweisen lassen sowohl in den Reticulumzellen, den Hassalschen
Körperchen wie in den übrigen Zellen — als ein Zeichen, daß noch immer ein
gewisses Leben, ein Rest der alten Funktion in der Drüse steckt.
Der ganze Ablauf der Veränderungen geht wieder am besten aus einer Auf-
stellung von Hammar hervor. Er unterscheidet:
die Kindheitsthymus in der Zeit vom 1.—10. Jahr, die reichlich Paren-
chym, aber nur schmale Bindegewebszüge enthält, und bei der die Rinde den
überwiegenden Teil des Parenchyms ausmacht;
die Pubertätsthymus vom 10.—15. Jahr, bei der zwar noch keine
Verminderung des Parenchyms erkennbar ist, die aber schon viel breitere
Bindegewebszüge enthält;
die Jünglingsthymus vom 16.—2o. Jahr, bei der die Rindenfollikel
schon verkleinert sind, und die breite Bindegewebszüge aufweist;
dieMannesthymus im Alter bis zu 45 Jahren, bei der das Bindegewebe
21*
324 Birk. Heft 4
schon zu Fettmassen umgewandelt ist, während die Parenchymläppchen
spärlich, klein und verdünnt erscheinen;
die Greisenthymus mit schmalen Parenchymzügen und verwischter
Grenze zwischen Mark und Rinde.
Dieselben histologischen Veränderungen finden sich nun auch bei
der akzidentellen Involution, nur ist das Tempo ein viel
schnelleres. Die Thymus ist eben ein Organ, das außerordentlich
leicht und ausgiebig auf äußere Einflüsse reagiert: auf Ernährungs-
störungen, Hungerzustände, Infektionen, überhaupt auf alle mit
Körperschwund einhergehenden Erkrankungen. Die akzidentelle
Involution kommt auch bei Frauen in der Schwangerschaft, bei
Tieren im Winterschlaf, bei Einwirkung von Röntgenstrahlen vor.
Bei letzterer unterscheidet sich die Involution dadurch von dem
üblichen Vorgang, daß die Lymphocyten an Ort und Stelle zerstört
und von den Reticulumzellen phagocytiert werden.
Das, was uns hier nun am meisten von dem anatom:-
schen Aufbau der Thymusdrüse interessiert, ist einmal
die Tatsache, daß sie ein Organ ist, das sich aus zwei ver-
schiedenen Teilen zusammensetzt, nämlich einem epi-
thelialen und einem Iymphocytären, und daß man als
die Stätte der angeblichen inneren Sekretion den epi-
thelialen Anteil, das Thymusmark, ansieht, während der
Iymphocytäre Anteil, namentlich also die Rindensub-
stanz, nur als eine Art Sammelbecken für die aus dem
Blut zugeströmten oder an Ort und Stelle neugebildeten
Lymphocyten angesehen wird.
Ferner ist bemerkenswert, daß die anatomische Ent-
wicklung der Drüse eine zeitlich begrenzte ist. Das hat
sie gemeinsam mit den Keimdrüsen, und zwar handelt es sich hier
nicht bloß um eine rein äußerliche Zufälligkeit, sondern es bestehen
zweifellos auch ursächliche Beziehungen zwischen Thymus und Keim-
drüsen: die Thymus fängt dann ansich zurückzubilden, wenn die Keim-
drüsen sich herangebildet haben, und die Annahme liegt nahe, daß
die Ursache der Rückbildung der Thymus darin zu suchen ist, daB
die, von der Pubertät an in Funktion befindlichen, Keimdriisen einen
Teil der Funktion der Thymusdrüse übernehmen, wodurch diese
entbehrlich wird.
Drittens ist auf die Hassalschen Körperchen hinzuweisen, die
Gebilde von einer so charakteristischen Eigenart darstellen, daß es
verständlich ist, wenn sie von einzelnen als der morphologische Aus-
druck einer spezifischen Funktion der Thymusdrüse angesehen werden.
Heft 4 Thymusdrüse. 325
Auf der andern Seite aber muß ich betonen, daß irgendein sicherer
Anhaltspunkt dafür, daß die Thymusdrüse eine Drüse mit innerer
Sekretion ist, ein Anhaltspunkt, wie wir ihn z.B. bei den Neben-
nieren oder bei der Schilddrüse haben, sich aus dem anatomischen
Aufbau nicht ergibt.
Daraus erwächst uns nun die Aufgabe zu untersuchen, ob sich
nicht anderes, klinisches oder experimentelles Material
beibringen läßt, um die Auffassung von der innersekretorischen
Funktion der Thymus zu stützen.
Auch auf diesem Wege ist es nicht leicht, in das Wesen und die
Bestimmung der Thymus einzudringen, jedenfalls nicht so leicht wie
bei den meisten der anderen innersekretorischen Drüsen, wo man teils
schon das darstellbare Inkret besitzt, oder wo man doch wenigstens
die Ausfallserscheinungen nach angeborenem Fehlen der Drüse oder
nach ihrer operativen Ausschaltung zum Ausgangspunkt der Er-
örterungen über die Art ihrer Funktion machen kann.
Was das angeborene Fehlen der Drüse anbetrifft, so stammen
fast alle dahingehenden Beobachtungen aus der älteren Zeit, wo
man noch nicht so gut wie heute von dem Vorkommen der akzi-
dentellen Involution der Drüse unterrichtet war. Aus neuerer Zeit
gibt es keine derartigen Beobachtungen. Ein Fehlen der Drüse kommt
offenbar nicht vor außer bei schweren Mißbildungen des Kopfes, des
Halses und des Herzens, also bei lebensunfähigen Kindern.
Nur Lubarsch gibt einmal an, daß er bei einem 8 Wochen alten Säugling
das Fehlen der Thymusdrüse beobachtet habe.
Ebensowenig verwertbar sind die Fälle von angeblicher hypo-
plastischer Entwicklung. Sieht man sich die in der Literatur
niedergelegten Fälle an, so handelt es sich stets um Kinder, die als
hochgradig abgemagert bezeichnet werden. Also die angebliche
angeborene Hypoplasie ist in diesen Fällen offenbar auch nichts
anderes gewesen als eine gewöhnliche akzidentelle Involution. Man
täte gut, diese Fälle am besten ganz aus der Literatur verschwinden
zu lassen.
Was dann die radikale operative Entfernung der Drüse an-
betrifft, so ist sie noch nie beim jungen Kind gemacht worden, ist
nach dem Urteil der Chirurgen (Nordmann, Klose) technisch beim
Kind auch gar nicht ausführbar.
Man kennt dann noch Zerstörungen der Drüse durch Blu-
tungen, Absceßbildungen und Geschwülste. Aber wo diese
326 Birk. Heft 4
Erkrankungen tiberhaupt Symptome hervorriefen, da waren es
solche mechanischer Natur (Atembehinderungen), niemals aber
waren es Ausfallserscheinungen im Sinne einer innersekretorischen
Funktionsstörung. So fallen also bei der Thymusdrüse alle diese
Möglichkeiten, denen wir bei den anderen Drüsen mit innerer Se-
kretion so wertvolle, zum Teil ungewollt erlangte Einblicke in ihre
Funktion verdanken, vollkommen weg, und wir haben keine Mög-
lichkeit, uns in irgendeiner Weise auf klinischem Wege darüber zu
unterrichten, was beim völligen Ausfall der Drüse im Körper des
Kindes sich ereignen würde.
Beim Erwachsenen hat man natürlich Thymusexstirpationen vorgenommen
und große oder gar völlige Zerstörungen durch Tumoren gesehen. Aber die
Thymus des Erwachsenen ist ein ganz anders zu bewertendes Organ als das
des Kindes.
Unter diesen Umständen müssen die experimentellen Unter-
suchungen eine besondere Bedeutung gewinnen. Die ersten
Versuche, die Thymus auszuschalten, stammen aus den vierziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie gehen zunächst von der Frage
aus: Hat die Thymus überhaupt eine Bedeutung? Die umfassend-
sten dieser Versuche stammen von Friedleben, der, wenn man
seine Versuche von den damaligen Zeitverhältnissen aus beurteilt.
sehr bemerkenswerte Ergebnisse erzielte, auf Grund deren er die
Thymus für ein wichtiges, aber keineswegs lebenswichtiges und
unentbehrliches Organ erklärte. Nach ihm ruhten die Thymus-
untersuchungen, und erst mit Basch beginnt im Jahre 1906 eine
neue Zeitspanne experimenteller Thymusforschung, aus der sich
neben Basch noch die Namen von Fischl, Matti, Klose und
Vogt sowie Hart und Nordmann hervorheben, um nur die wich-
tigsten zu nennen. Denn die Thymusforschung stellt ein fast un-
übersehbares Kapitel dar.
Wenn man kritisch zu den mannigfachen und widerspruchsvollen
Ergebnissen Stellung nehmen will, so kommt man zu zwei Fest-
stellungen, die sich nun allerdings diametral gegenüberstehen: die
einen Experimentatoren — zu ihnen gehören Basch, Matti, Klose
und Vogt — finden, daß nach Herausnahme der Thymusdrüse die
Tiere nach einer gewissen Latenzzeit im Wachstum zurückbleiben,
Veibiegungen der Knochen bekcemmen, auch mikroskopisch an
Rachitis erinnernde Veränderungen der Knochen zeigen, daß auch
nervöse Störungen zu beobachten sind, daß es bei einzelnen zu einer
Idiotia thymopriva kommt — Veränderungen, die nach Basch nur
vorübergehender Art, nach Klose und Matti aber progressiver
Heft 4 Thymusdrise. 327
Natur sind und schließlich über ein Stadium der Cachexia thymo-
priva zum Tode führen.
Diesen positiven Erfolgen stehen unvereinbar gegenüber die Er-
gebnisse von Fischl und von Hart und Nordmann, von denen
namentlich die der beiden letztgenannten Autoren als besonders
bedeutsam anzusehen sind, da sie an dem gleichen Tiermaterial
und mit der gleichen Operationstechnik, mit der die genannten
anderen Autoren arbeiteten, gewonnen sind, und deren Ergebnis
ich mit den eigenen Worten Harts wiedergeben möchte: ‚Je besser
die Operationstechnik wurde, je sorgfältiger alle die Momente be-
rücksichtigt wurden, die Einfluß auf die Entwicklung des thym-
ektomierten Tieres üben konnten, um so mehr stieg für die Ver-
suchstiere auch die Wahrscheinlichkeit, am Leben zu bleiben, und
schließlich ließ sich mit aller Bestimmtheit der Satz aufstellen, daß
eine frühzeitig und vollständig ausgeführte — in zahlreichen Fällen
durch genaueste histologische Untersuchung des Thymusbettes und
seiner Umgebung kontrollierte — Thymektomie weder das Leben
des Tieres zu gefährden noch dauernde Störungen des Organismus
hervorzurufen braucht. Die Thymusdrüse ist für das Tier kein un-
bedingt lebenswichtiges Organ.“ (Jahrb. f. Kinde: heilk. Bd. 86, S. 320.)
Meines Erachtens kann an der Richtigkeit dieser, mit einwand-
freier Methodik und von einwandfreien Untersuchern gewonnenen,
Ergebnisse kein Zweifel sein, um so weniger, als auch diejenigen
Untersucher, die die erwähnten Ausfallserscheinungen erhielten, von
einzelnen negativen Ergebnissen zu berichten wissen, d.h. von Thy-
musexstirpationen, die ebenfalls folgenlos für die Tiere verliefen.
Diese negativen Ergebnisse werden zum Teil damit erklärt, daß
hier möglicherweise jenes überzählige Thymusgewebe vorhanden ge-
wesen sei, von dem ich eingangs sprach, also das Thymusmetamer 4
oder das postbranchiale Thymusmetamer 5. Das kann natürlich der
Fall gewesen sein. Aber damit nun die gesamten Ergebnisse von
Hart und Nordmann wegdiskutieren zu wollen, geht wohl nicht
an. Vielmehr komme ich zu dem Schluß, daß die Versuche von Hart
und Nordmann zu Recht bestehen, und daß sie beweisen, daß
die Thymektomie bei entsprechender Technik einen für das Tier
belanglosen Eingriff darstellt, d. h. mit anderen Worten: der
plötzliche Ausfall der inneren Sekretion der Thymus-
drüse kann von den entsprechenden anderen inner-
sekretorischen Organen so schnell und so gut auskom-
pensiert werden, daß keinerlei klinische Erscheinungen
bemerkbar werden.
328 Birk. Heft 4
Nun bleibt aber immer noch die Frage zu erörtern, was denn die
von Basch und den anderen genannten Autoren beobachteten
Folgeerscheinungen zu besagen haben. Und zwar zunächst die
Knochenerscheinungen. Handelt es sich hier um Veränderungen,
die nur mit dem Öperationstrauma oder sonstigen äußeren Um-
ständen zusammenhängen, oder sind sie wenigstens zu einem ge-
wissen Teil auf den Ausfall des Thymusinkretes zu beziehen?
Was zunächst das Operationstrauma anbetrifft, so weiß jeder,
der selbst einmal Thymusexstirpationen gemacht hat, daß es sich
dabei um einen sehr schweren Eingriff für die Tiere handelt. Es
muß das Brustbein weit gespalten werden, denn die Thymus ist
bei jungen Tieren so butterweich, daß sie sich nicht mit Pinzetten
hervorziehen läßt. Dabei kommt es regelmäßig zum Pneumothorax,
es sei denn, daß man mit dem Überdruckapparat arbeitet. Es kommt
sehr leicht zu Blutungen dadurch, daß man die Anonyma anreißt.
Die Tiere müssen außerdem in sehr jungem Alter, vor der Geschlechts-
reife, auf der Höhe der Entwicklung der Thymus, operiert werden.
Zum Zustandekommen der Folgeerscheinungen spielt auch die Art der
Versuchstiere eine Rolle. Bei Fröschen z.B. verläuft die Exstirpation
folgenlos. Auch Pflanzenfresser reagieren wenig, weil sie schon in
den ersten Lebenswochen ein sehr kalkreiches Knochenskelett haben.
Am besten eignen sich Hunde dazu, und zwar entweder die hoch-
gezüchteten, nervösen Rassen oder die hochwüchsigen, mit starkem
Knochenwachstum ausgezeichneten Tiere. Sie sind das empfind-
lichste Reagens für solche Exstirpationsversuche. Aber gerade darın
liegt wieder eine große Gefahr, denn diese Tiere mit ihrem starken
Knochenwachstum zeigen eigentlich bei jedem Eingriff, der ihre
Entwicklung trifft, Störungen des Knochenwachstums. Ich erinnere
z.B. daran, daß Pawlow bei seinen magenfisteloperierten Hunden
auch solche ‚Rachitis‘‘ beobachtete. Aber ebenso wie hier nicht
die Magenfistel die Rachitis verschuldete, sondern der Ein-
griff in das Befinden des jungen Tieres, so hat nach meiner Über-
zeugung auch in den Versuchen von Basch, Matti und Klose
nicht die exstirpierte Thymus, sondern eben die Exstirpation an sich
höchstwahrscheinlich die Knochenveränderungen hervorgerufen.
Weiter zieht sich durch alle Thymusexstirpationsversuche die
Klage der Experimentatoren, daß die Tiere so außerordentlich stark
zu Infektionen neigten. Und nun weiß man, daß nach den Erfahrungen
der Tierpathologie schon durch eine Infektion allein rachitisartige
Knochenerweichungen bei Hunden hervorgerufen werden können.
Nimmt man dann noch hinzu, daß solche operierten jungen Tiere
Heft 4 Thymusdrüse. 329
in der Regel noch anderen Schädlichkeiten ausgesetzt zu sein pflegen,
daß sie namentlich im freien Herumspringen behindert sind, so
kommt man zu dem Schluß, daß der einwandfreie Beweis dafür,
daß die Knochenveränderungen der thymektomierten Tiere wirklich
thymektogenen Ursprungs gewesen sind, noch nicht als erbracht
angesehen werden kann. Vielmehr spricht alles dafür, daß äußere
Umstände und individuelle Eigentümlichkeiten der Versuchstiere
daran schuld gewesen sind — womit dann natürlich auch alle
Spekulationen, daß die kindliche Rachitis etwas mit der Thymus-
drüse zu tun habe, hinfällig sind.
Nächst den Knochenveränderungen sind es die nervösen Stö-
rungen nach Thymektomie, die eine Erklärung heischen. Sie sind
von Basch zuerst beobachtet und genauer studiert worden. Es
sind Erscheinungen, die an die Tetanie des Kindes erinnern, mit
Krämpfen, elektrischer Übererregbarkeit usw. verlaufen, also mit
Erscheinungen, die wir sonst eher auf einen Ausfall der Epithel-
körperchenfunktion zurückzuführen gewohnt sind. Es ist meines
Erachtens auch hier die Frage, ob die Tetaniesymptome wirklich
mit der Thymus etwas zu tun haben. Ich trage jedenfalls gewisse
Bedenken, hier eine rein thymogene Tetanie anzunehmen. Ich er-
innere daran, daß es auch eine Schwangerschaftstetanie gibt, daß
ferner in neuerer Zeit (Melchior) eine Anzahl Fälle beschrieben
worden sind, in denen es nach Exstirpation der Hoden zu Krämpfen,
Facialis-phaenomen und elektrischer Übererregbarkeit kam. Wollte
man eine thymogene Tetanie annehmen, so hindert nichts, auch von
einer testiculogenen Tetanie zu sprechen. Aber es scheint mir nicht
wahrscheinlich zu sein, daß jede einzelne innersekretorische Drüse
zu einer für sie spezifischen Tetanie führt; ich glaube vielmehr,
daß diese Tetanieformen auf andere Art und Weise zustande kommen:
Man kommt ja eigentlich immer mehr zu der Auffassung, daß wirk-
liche monoglanduläre Störungen, also Störungen, die nur den
Funktionsbereich einer einzigen Drüse betreffen, selten sind, und
daß es sich in der Regel um polyglanduläre Störungen handelt.
Die sämtlichen Drüsen mit innerer Sekretion bilden einen großen
Verband, und außerdem bestehen zwischen einzelnen von ihnen noch
besonders enge, gegenseitige Beziehungen. Ich erwähnte ja schon die
Zusammenhänge zwischen Keimdrüsen und Thymus. Fällt eine der
innersekretorischen Drüsen plötzlich aus, so werden auch sämtliche
anderen in Mitleidenschaft gezogen, ohne daß das klinisch immer
in Erscheinung zu treten braucht. Die Tatsache, daß Hart und
Nordmann keine nervösen Erscheinungen bei ihren Versuchstieren
330 Birk. Heit 4
beobachteten, beweist ja, daB der Thymusausfall prompt von den
anderen inneren Driisen ausgeglichen werden kann.
Wenn nun in den Fallen von Basch u. a. Tetaniesymptome auf-
traten, so besteht durchaus die Möglichkeit, daß sie entweder durch
eine Störung des Gesamtverbandes der inneren Drüsen oder ver-
mittels einer Fernwirkung des Thymusausfalles auf die
Epithelkörperchen zustande gekommen sind.
Die dritte Folgeerscheinung der Thymektomie ist die Verlang-
samung des Wachstums. In diesem Befund stimmen sämtliche
Tierversuche überein. Selbst da, wo die Herausnahme der Thymus
sonst völlig folgenlos für die Tiere ausging, wo keine Knochenver-
änderungen, keine nervösen Erscheinungen hervorgerufen wurden,
wie in den Versuchen von Hart und Nordmann, fand sich doch
ein Zurückbleiben im Wachstum. Dieser Befund findet nur bei
Hart seine richtige Einschätzung. Die anderen Autoren erwähnen
ihn nur nebenbei. Ihre Augen sind eben wie fasziniert immer nur
auf das Knochensystem gerichtet gewesen. Und doch ist zweifels-
ohne die Wachstumsverlangsamung des ganzen Körpers, mit der
parallel natürlich auch immer eine Störung der Knochenentwicklung
geht, das eigentliche und regelmäßige Ergebnis aller Exstirpations-
versuche.
In diese Richtung gehen nun auch alle sonstigen Versuche, die
man zur Aufklärung der Funktion der Thymus angestellt hat. Man
hat ja mehrere Wege, die physiologische Bedeutung eines inner-
sekretorischen Organs festzustellen. Entweder schafft man durch
Herausnahme der Drüse den Zustand des Funktionsausfalles, oder
man stellt umgekehrt den Zustand der Hyperfunktion her, indem man
das betreffende Organ einpflanzt oder Extrakt davon einspritzt
oder das Organ verfüttert. Am wenigsten leistet das Einspritzen
der Organextrakte. So ein Extrakt ist niemals ein einheit-
licher Körper, sondern ist ein Gemenge von Substanzen. Man darf
auch nicht annehmen, daß diejenigen Substanzen, die sich im Ex-
trakt finden, nun in der gleichen Form auch in der lebendigen Drüse
vorhanden seien, ebensowenig wie man annehmen darf, daß das
Drüsensekret nur eine einzige, bestimmte Wirkung ausübe. Es er-
füllt vielmehr eine ganze Reihe von Partialfunktionen, von denen
bald die eine, bald die andere — je nach Bedarf — überwiegt. Und
weiter muß man sich vorstellen, daß die Zellen des Körpers wohl
auf die einzelnen Partialen eingestellt sind, aber keineswegs auch
auf die Gesamtheit des Inkretes anzusprechen brauchen. So geben
also schon die theoretischen Überlegungen keine große Hoffnung,
Heft 4 Thymusdrüse. 331
aus Einspritzungen von Organextrakten irgendwie sichere Auf-
schlüsse über Organfunktionen zu erhalten. Die Praxis hat das
auch bestätigt: Wenn man sich erinnert, daß es weder gelingt, mit
Einspritzungen von Hypophysenextrakt eine Akromegalie oder durch
Schilddrüsenextrakteinspritzungen einen Basedow hervorzurufen, so
wird man sich keinen großen Erwartungen hinsichtlich der Thymus-
extrakteinspritzungen hingeben. In der Tat ist denn auch nicht
viel und vor allem nicht viel Sicheres dabei herausgekommen.
Besser waren die Ergebnisse mit der Einpflanzung von
Thymusgewebe. Auch hier kommt es auf eine bestimmte Technik
an. Es genügt nicht, daß man einem Tier an irgendeiner Stelle
ein Stückchen Thymusgewebe einpflanzt. Wenn man die intra-
peritoneale oder die subcutane Einpflanzung übt, so wird die im-
plantierte Thymus schnellstens — innerhalb 2 Wochen — aufge-
saugt. Wenn man hingegen Thymus, und zwar von einem gleich-
altrigen und gleichartigen Tier, in gefäßreiches Muskelgewebe ein-
bettet, so bleibt sie wochenlang am Leben, und — was uns hier am
meisten interessiert — zur Funktion der eigenen Thymus des Tieres
addiert sich die der eingepflanzten hinzu, und das Ergebnis dieser
gesteigerten Thymuswirkung ist ein gesteigertes Wachs-
tum, wie zuerst Demel einwandfrei gezeigt hat.
Man sieht also: vorhin, bei Ausfall der Thymusfunktion, ein
verlangsamtes Wachstum, hier — bei gesteigerter Thymuswirkung —
ein gesteigertes Wachstum.
In dieselbe Kerbe schlagen nun auch die viel bekannteren Ver-
suche von Gudernatsch mit Thymusfütterung. Auch hier bedarf
es einer besonderen Technik, nämlich des Kaulquappenversuches.
Füttert man Kaulquappen mit Thymussubstanz, so setzt ein mäch-
tiges Wachstum ein, aber gleichzeitig verlangsamt sich die Meta-
morphose, d.h. die Entwicklung zum Frosch. Umgekehrt ıst das
Ergebnis bei Fütterung von Schilddrüsensubstanz, nämlich: so-
fortige Einleitung der Metamorphose, aber Stehenbleiben des Wachs-
tums.
An den Grundversuch von Gudernatsch haben sich ausgedehnte
weitere Versuche angeschlossen. Es lag ja auch nahe zu fragen: Wo-
durch wirkt denn die Thymus? Durch ihren Eiweißgehalt oder ihren
hohen Gehalt an Nucleoproteiden oder vielleicht durch ihre Lipoid-
substanzen, die die Träger irgendeines wachstumsfördernden Vita-
mins sein könnten, oder wirkt sie durch ihren Inkretgehalt? Bei
Gelegenheit solcher Versuche hat sich herausgestellt, daß sich die
beiden Teile der Thymuswirkung trennen lassen, daß die Verfütte-
332 Birk. Heft 4
rung des Acetonextraktes nur die Entwicklungshemmung, aber nicht
die Wachstumsstörung hervorruft, und daß umgekehrt die fettfreie
Trockensubstanz das Wachstum beeinflußt, aber keine Entwicklungs-
hemmung hervorruft. Wie diese Versuche weiter ausgehen werden,
läßt sich noch nicht übersehen.
Auch von Abderhalden und seinen Mitarbeitern sind groß an-
gelegte Versuche begonnen. Das Ziel dieser Versuche ist, die ein-
zelnen innersekretorischen Drüsen stufenweise tief abzubauen, um
dann festzustellen, bei welcher Abbaustufe die dem Organ eigen-
tümliche Wirkung verschwindet. Die Versuche mit diesen „Op-
tonen‘‘, wie Abderhalden sie nennt, haben bisher zu keinen — für
den Kliniker bemerkenswerten — Ergebnissen geführt. Soweit sie
feststellten, daß die betr. Wirkungen auch den allertiefsten Abbau-
stufen anhaften, haben sie uns nichts Neues gesagt. Denn die von
jeher geübte Verabreichung von Schilddrüsensubstanz per os gründet
sich ja auf die schon lange bekannte klinische Tatsache, daß auch
die Verdauung im Magen-Darmkanal die Wirksamkeit der Substanz
nicht beeinträchtigt. Und wenn sich weiter (Pflügers Archiv 1921,
Bd. 187, S. 243) ergeben hat, daß das Thymusopton am enucleierten
Froschbulbus mydriatisch und am Löweschen Herzstreifenpräparat
in 0,3% Lösung pulsverkleinernd, in 0,2%, Lösung dagegen puls-
vergrößernd, am überlebenden Froschoesophagus tonussteigernd urd
am überlebenden Uterus des Meerschweinchens tonusherabsetzend
wirkt, so muß man gestehen, daß das alles zwar sehr interessant ist.
aber uns für die Aufklärung der Funktion der lebenden Thymus-
drüse des Menschen vorläufig noch nicht viel sagt.
Dahingegen werden die Gudernatschschen Versuche ihre Bedeu-
tung behalten, auch wenn sich später herausstellen sollte, daß die
Schilddrüsenwirkung vielleicht auf das Jod zurückzuführen ist und
die Thymuswirkung auf etwas anderes. Denn die Hauptsache bleibt,
daß jede der beiden Drüsen eine für sie spezifische Wirkung her-
vorruft, in dem Sinne, daß die Schilddrüse in der Richtung eines
differenzierten Wachstums und die Thymusdrüse in der Richtung
eines Massenwachstums wirkt. Und es ist namentlich den Guder-
natschschen Versuchen zuzuschreiben, selbstverständlich in Ver-
bindung mit den anderen Versuchen (von Basch usw.), wenn sich
in den weitesten Kreisen der Ärzte und Naturforscher die Meinung
gefestigt hat, daß die Funktion der Thymusdrüse in der Lie-
ferungeines dasWachstum befördernden Hormons bestehe.
Ich habe nun schon erwähnt, daß wir Grund zu der An-
nahme haben, daß sich die Bestimmung einerinnersekre-
Heft 4 Thymusdrise. 333
torischen Driise nicht mit einer einzigen Funktion er-
schöpft, sondern daß sie sich wahrscheinlich aus einer
ganzen Reihe von Partialfunktionen zusammensetzt.
Und so erhebt sich denn die Frage: Was für weitere Funktionen
erfüllt das innere Sekret der Thymusdrüse ?
Gehen wir von der Klinik aus, so müssen wir sagen, daß heut-
zutage die ganze Klinik der Thymusdrüse nichts anderes ist als die
Klinik der hyperplastischen Thymusdrüse. Die hyperplastische
Thymusdrüse war es auch, die den Anlaß zu den vorhin schon er-
wähnten Untersuchungen Friedlebens bildete. Es war kein auf
bloßen theoretischen Fortschritt eingestellter Forschungsdrang, der
Friedleben zu seinen Untersuchungen veranlaßte, sondern es war
eine für die damalige Zeit höchst wichtige praktische Frage, näm-
lich die des plötzlichen Todes der Kinder mit Thymus-
hyperplasie. Seit den ältesten Zeiten war den Ärzten aufgefallen,
daß sowohl bei Erwachsenen wie namentlich bei Kindern plötzliche
Todesfälle vorkommen, für die die Sektion keine recht befriedigende
Aufklärung liefert, und bei denen sich als Nebenbefund immer nur
eine auffallend hyperplastische Thymus findet. |
Der Alteste dieser Falle ist 1614 von Plattner beschrieben, der ein 5 Monate
altes, bisher gesundes Kind beobachtete, das — wie früher schon zwei andere
Kinder derselben Familie — plötzlich zugrunde ging und bei der Sektion
nur eine hyperplastische Thymus zeigte?).
Über diese plötzlichen Todesfälle bei Kindern mit großer Thymus war etwa
20 Jahre vor Friedleben eine Arbeit von Kopp erschienen, die den plötz-
lichen Tod mit der großen Thymus in ursächlichen Zusammenhang brachte.
Kopp stellte die Lehre vom Asthma thymicum auf, einen sehr anfechtbaren
Begriff, denn er bezog z.B. auch den Laryngospasmus des Säuglings in dieses
hinein. Gegen dieses Asthma thymicum richteten sich die Untersuchungen
Friedlebens, der nun seinerseits zu dem Ergebnis kam: es gibt kein Asthma
thymicum — womit auch er wieder übers Ziel hinausschoß.
In der weiteren Entwicklung dieser Frage kam es dann 1889 zur Aufstellung
des Krankheitsbildes des Status thymico-lymphaticus durch Paltauf. Auf
der Tagung in Karlsbad im Jahre 1902 beschäftigte sich schon mal die Ge-
sellschaft für Kinderheilkunde mit dem Thema der plötzlichen Todesfälle der
Kinder. Nach den Referaten von Ganghofner und Richter wurde dem Status
thym. Iymphat. seine Existenzberechtigung im wesentlichen abgesprochen —
mit dem Ergebnis, daß er heute eine Rolle spielt, die größer ist als je, so daß
wir auch an dieser Stelle nicht an ihm vorübergehen können.
Was uns hier am Status thym.-lymph. interessiert, ist die Frage:
Inwieweit spielt bei ihm die innere Sekretion der Thymusdrüse eine
Rolle?
1) Barak, Inaug.-Diss. Berlin 1894.
334 Birk. Heft 4
Nach Paltauf ist der Status thym.-lymph. dadurch charakteri-
siert, daB seine Trager (im Kindesalter) mit einer Hyperplasie der
lymphoiden Organe und der Thymus ausgestattet sind. AuBerlich
zeigen diese Kinder einen bestimmten Habitus, nämlich eine gewisse
Adipositas, eine schlaffe, schlechte Muskulatur und gleichzeitig
eine auffallende, an die Blässe und Gedunsenheit des Nephrotikers
erinnernde weiße Färbung der Hautdecken bzw. des Hautfettes. Diese
Kennzeichen sind nach Paltauf der Ausdruck einer lymphatisch-
chlorotischen Konstitution, und die Todesursache liegt in einer — gleich-
falls konstitutionellen — Labilitat des Herzens begriindet, das bei
bestimmten Reizen funktionsuntüchtig wird und versagt. In der Be-
schreibung Paltaufs spielt die Thymus zunächst gar keine be-
sondere Rolle. Er ordnet sie völlig den Lymphdrüsen gleich. Beide,
Thymusvergrößerung wie Lymphdrüsenanschwellung, sind ihm nur
Kennzeichen der Konstitution, sind gewissermaßen dasEtikett,dasdem
Menschen aufgeklebt ist, um ihn alsden Träger eineslabilen Herzens zu
kennzeichnen. Dieses — das Herz — steht bei Paltauf im Vorder-
grund des klinischen Geschehens, nicht etwa die Thymushyperplasie.
Aber schon Escherich, der sich als einer der ersten mit zu Palt-
aufs Lelire bekannte, wich insofern von ihm ab, als er an die Mög-
lichkeit dachte, daß vielleicht als Grundlage dieser Konstitutions-
anomalie eine Autointoxikation des Körpers durch abnorme Thymus-
funktion in Frage käme. In der Folgezeit wurde, wenn ich das
vorweg nehmen darf, die Stellung der Thymusdrüse immer be-
herrschender, bis Hart schließlich sie bewußt an die Spitze des
Symptomenbildes stellte, während er die — ihr von Paltauf noch
als gleichwertig an die Seite gestellten — Lymphdrüsenschwellungen
zu vollkommen sekundären Erscheinungen stempelte und auch
die Labilität des Herzens nur zu ciner Folgeerscheinung der
Thymushyperplasie machte, nämlich sie als eine Hypotoni-
sierung des Herzens durch ein der inneren Sekretion
der Thymus entstammendes Hormon erklärte. Man sieht,
wie grundsätzlich sich der Begriff des Status thym.-lymph. und
insbesondere die Stellung der Thymusdrüse in ihm gewandelt hat.
Es ist nun die Frage, ob diese neue Auffassung vom Wesen
des Status thym.-lymph. und von der Art des Thymustodes als
klinisch begründet anzusehen ist. Seitdem Paltauf den Anstoß
gab, sind die Untersuchungen zur Frage des Status thym.-lymph.
im wesentlichen nach 3 Richtungen hin gegangen:
Einmal suchte man nach weiteren anatomischen bzw. morpho-
logischen Kennzeichen der von Paltauf geschilderten Konstitutions-
Heft 4 Thymusdrise. 335
anomalie und reihte nach und nach eine Fiille von neuen Symptomen
dem Krankheitsbilde ein. Auf diese Weise wurde es immer mehr
erweitert, aber auch immer mehr verwässert. Aus dem Status
thymico-lymphaticus wurde der Status hypoplasticus
von Bartels. Wenn man sich überlegt, was für ein Nutzen da-
durch geschaffen wurde, so ist es höchstens der: daß sich heraus-
stellte, daß die Menschen mit Status thym.-lymph. noch in vielfacher
anderer Hinsicht als Träger einer abwegigen Körperkonstitution
gekennzeichnet sind. Aber für das Verständnis des Wesens der
Konstitutionsanomalie ist dabei nichts herausgekommen.
Der zweite Weg führte in die entgegengesetzte Richtung: man
suchte immer mehr abzubauen am Status thym.-lymph., ihn immer
mehr einzuschränken, indem man durch möglichst eingehende und
genaue Sektionen an die Stelle des vagen Begriffes des labilen
Herzens gesicherte anatomische Veränderungen zur Erklärung des
Thymustodes zu setzen suchte.
Ich sagte schon, daß bereits im Jahre 1902 auf der Versammlung
der Ges. f. K. in Karlsbad die Frage des Thymustodes Gegenstand
von Referaten war, und daß die Existenzberechtigung des ganzen
Krankheitsbildes teils stark in Frage gezogen, teils ganz abgelehnt
wurde. Das geschah namentlich auf ein Referat des Pathologen
Richter hin, über dessen Gründe von damals man heute denken
mag, wie man will, aus dessen Referat mir aber eine Tatsache
heute mehr denn je aktuell erscheint. Richter wies nämlich darauf
hin, daß unser Blick hinsichtlich der normalen Entwicklung
von Thymus und Lymphdrüsenapparat durch die üblichen
Sektionen getrübt sei. Was wir zur Sektion bekämen, seien in der
Regel Spitalsleichen, und wenn sich bei diesen mangelhaft entwickelte
Thymen und Drüsen fänden, so seien wir gewöhnt, das für die
Norm zu halten, ohne daran zu denken, daß es sich um Organe
handele, die durch die dem Tode vorangegangene Krankheit atro-
phisch geworden seien. Und wenn uns dann mal ein aus voller
Gesundheit heraus gestorbener Mensch vorseziert werde, mit
gut entwickelter Thymus und gut entwickelten Lymphdrüsen, dann
hielten wir das für krankhaft, für Status thym.-Iymph. Aber gerade
das Gegenteil sei richtig: gut entwickelte Iymphoide Organe seien
die Norm beim Menschen. Diese Feststellungen Richters scheinen
mir besonders wert, hervorgehoben zu werden. Denn sie sind offenbar
nicht nur den Klinikern, sondern auch den Pathologen verloren-
gegangen gewesen. Anders jedenfalls ist es nicht zu erklären, daß
sie im Kriege wieder entdeckt wurden. Ich erinnere an die Fest-
336 Birk. Heft 4
stellungen Grolls und anderer Pathologen, die im Verlauf des
Krieges berichteten, daß an die 50%, der Kriegssektionen den Befund
eines Status thym.-Iymph. ergäben, und daß das nicht anders zu er-
klären sei, als daß es sich bei den Sezierten um junge, gesunde, kräf-
tige Leute, die plötzlich geendet seien, gehandelt habe, und daß die
gut entwickelte Thymus nebst Lymphdrüsenapparat eben als cha-
rakteristisch für den gesunden jungen Menschen aufge-
faßt werden müsse.
Richter hat übrigens aus Anlaß dieser Kriegsveröffentlichungen sich
in der Münch. med. Wochenschr. (1919, S. 890) noch mal gemeldet und auf
seine alten Feststellungen erneut hingewiesen.
Wie beim Erwachsenen, so hat man meiner Meinung ‚nach auch
beim Kind früher viel zu oft die Diagnose Status thym.-Iymph.
gestellt. Denn aus dem Vergleich der Hammarschen Normalzahlen
mit den bei manchen Sektionen gefundenen Thymusgewichten geht
hervor, daß viele dieser Fälle überhaupt gar keine solche von
Status thym. lymphat. gewesen sind, womit natürlich auch die
Schlußfolgerungen aus diesen Fällen hinfällig geworden sind.
Noch auf eine andere Feststellung muß ich in diesem Zusammenhang
hinweisen: Von Lubarsch ist mitgeteilt worden, daß, wenn Leute durch
Unfall getötet worden seien, und ihr Magen sich bei der Sektion als gefüllt
erweise, die Verdauung also im Augenblick des Todes auf der Höhe gewesen
sei, sich ein dem Status lymph. gleichender Befund erheben lasse. Dagegen
fehle bei den mit leerem Magen getöteten Personen die Schwellung des
Lymphdrfisenapparates.
Wenn man diese Angaben, die natürlich auch für das Kindesalter ihre Geltung
haben, liest, so fällt einem ohne weiteres ein, daß sich bei Kindern, die plötz-
lich infolge eines Stat. thym. Iymphat. gestorben sind, überaus häufig die An-
gabe findet, daß sie noch ganz fidel die Flasche genommen hätten und bald
darauf tot gefunden seien. Man kommt nicht umhin, die Abhängigkeit
des Zustandes des Lymphapparates von der Verdauung ın
Berücksichtigung zu ziehen. Jedenfalls muß man diese Tatsachen berück-
sichtigen, um zu verstehen, daß es Pathologen gibt, die (wie z.B.Benda) be
streiten, daß der Status thym. eine Existenzberechtigung als besondere Kon-
stitutionsanomalie habe.
Noch in anderer Weise hat man am Status thym. lymphat. ab-
gebaut: Schon vor Paltauf war es bekannt, daß ein sog. Thymustod
auch durch die mechanische Wirkung der vergrößerten Thymus
auf ihre Nachbarschaft hervorgerufen werden könne. Paltauf selbst
hat die Beweiskraft dieser Fälle bestritten und immer nur den
Herztod anerkannt. Nach ihm ist es aber durch einwandfreie
klinische Beobachtungen der Art des Sterbens, durch genaue
Sektionen, durch Härtung der Brusteingeweide vor der Sektion.
gelungen, den Beweis zu führen, daß der Druck der hyperplastischen
Heft 4 Thymusdrise. 337
Thymus auf die Luftröhre zur Erweichung derselben und dadurch
zum Tode führen kann, der mit dem eigentlichen Thymustod nichts
gemeinsam hat, sondern eben ein Erstickungstod ist.
Ferner kommt es zweifelsohne vor, daß die Druckwirkung
der Thymus auf die großen Gefäße zur Herzhypertrophie
und Dilatation und dadurch zum allmählichen Erlahmen des Herzens
führen kann.
Weiter erklären sich eine ganze Anzahl von angeblichen Todes-
fällen infolge Status thym.-Iymph. daraus, daß eine Myokarditis
bestand. Hierzu gehört z.B. ein großer Teil der sog. Ekzem-
todesfälle. Auch sie haben nichts mit der Thymus zu tun, sondern
sind den plötzlichen Todesfällen der Diphtheriekinder mit Myokar-
ditis an die Seite zu stellen.’
In wieder anderen Fällen hing der Tod bei Status thym.-lymph.
damit zusammen, daß sich lymphocytäre, nicht entzündliche
Infiltrate im Herzfleisch fanden.
Schließlich sind noch die plötzlichen Todesfälle bei gleichzeitiger
Hypoplasie des chromaffinen Apparates der Neben-
nieren zu nennen.
Auf diese Weise erfuhr der mysteriöse Thymustod von allen Seiten
her eine starke Einschränkung. Aber es blieben noch immer be-
stimmte Fälle übrig, und zwar gerade die typischen, aus voller Ge-
sundheit heraus erfolgenden, schlagartig eintretenden Fälle, wo der
Sektionsbefund völlig negativ war, und wo man nun, gewissermaßen
per exclusionem, auf den dritten Weg gedrängt wurde, nämlich den
Tod auf den Status thymico-lymphaticus zu beziehen, d.h. darauf,
daß die hyperplastische Thymus ein nach Menge oder
nach Beschaffenheit abnormes Hormon liefere, das
auf Herz und Gefäße schädigend einwirke. Damit stehen wir wieder
vor der Frage der inneren Sekretion der Thymus.
Diese Frage der Herzwirkung des Thymusinkretes wurde schon oft
experimentell zu entscheiden angestrebt. Alle Versuche verfolgten das
Ziel, eine blutdrucksenkende Wirkung des Thymusinkretes nach-
zuweisen, durch die sich der plötzliche Tod erklären ließe. Aber alle
sind sie widerlegt oder doch wenigstens ihrer thymogenen Spezifizität
entkleidet worden. Auch die neueren Versuche von Adler und
Yokoyama können noch nicht als beweisend angesehen werden.
Sie suchen den Beweis auf einem Umweg zu erbringen, nämlich auf
dem Weg über die Nebenniere: weil es bei bestimmter Versuchs-
anordnung gelingt, durch Einspritzung von Ihymusextrakt die blut-
drucksteigernde Wirkung des Adrenalins zu beseitigen, hat man
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVTI1. Band. 22
338 Birk. Heft 4
geschlossen, daß das Thymusinkret eine blutdrucksenkende Wir-
kung besitze.
Man ist noch weiter gegangen und hat geglaubt, bereits den chemischen Körper
festgestellt zu haben, der das wirksame Prinzip des Thymusinkretes aus-
mache, nämlich das Cholin. Cholin wirkt blutdrucksenkend und findet sich
wie in allen parenchymatösen Organen so auch in der Thymusdräse. Dies
Behauptung ist inzwischen von Vincent widerlegt worden.
Man muß nach meinem Dafürhalten allen solchen Versuchen gegenüber
eine große Zurückhaltung üben. Es erscheint mir als viel zu weit hergeholt,
Schlußfolgerungen für die menschliche Thymus aus Versuchen zu ziehen.
die am überlebenden Uterus des Meerschweinchens gewonnen wurden,
denen man Thymusextrakt vom Kalb injiziert hatte.
Im wesentlichen ergebnislos sind auch die Versuche verlaufen,
durch Einpflanzung von Thymusgewebe oder Verfütterung von
Thymussubstanz den Zustand der Dys- oder Hyperthymisation zu
erzeugen.
So bleibt nur übrig, aus klinischen Tatsachen heraus
die Annahme eines hypotonisierenden Thymushormons zu stützen.
und ich glaube, daß dazu folgende Beobachtung geeignet ist, dir
zwar der Pathologie des Erwachsenen entnommen ist, sich aber
zwanglos auf das Kindesalter übertragen läßt. Beim Erwachsenen.
und zwar beim Erwachsenen mit Basedow, kommt auch eine Thymus
hyperplasie vor, und auch diese Fälle sind dadurch ausgezeichnet.
daß es bei ihnen zum plötzlichen Tod kommt, manchmal während
der Kropfoperation, manchmal hinterher, manchmal auch schon
vorher. Beim gewöhnlichen Basedow ist die Gefahr des plötz-
lichen Todes nicht vorhanden, vielmehr ist dieser an das Vor-
handensein der Thymushyperplasie geknüpft, d.h. also: Erst dadurch.
daß die Thymushyperplasie im Bild des Basedow erscheint, daß sich
zu der bereits vorhandenen endokrinen Störung nun noch eine be-
sondere spezifische Wirkung der hyperplastischen Thymus hinzu-
gesellt, wird das katastrophale Moment in das Krankheitsbild des
Basedow hineingetragen. Die Verhältnisse liegen hier so klar wie
selten, und es bleibt gar nichts anderes übrig, als auf eine toxische.
der inneren Sekretion der Thymus entsprungene Ursache des Todes
zurückzugreifen. Und wenn die hyperplastische Thymus des Base-
dowkranken eine solche toxische, herzlähmende Substanz liefert, sc
ist es nur folgerichtig, wenn man annimmt, daß auch die Thymus
im Bild des Status thym. Iymph. dazu imstande ist.
Auf diese Weise läßt sich eine gewisse Grundlage schaffen, auf
der sich die Annahme eines Herz und Gefäße beeinflussenden, aus
der inneren Sekretion der Thymus stammenden Hormons aufbauen
Heft 4 Thymusdrüse. 339
kann. Ob es sich dabei um eine Dysthymisation oder eine Hyper-
thymisation handelt, ist eine Cura posterior.
Wer diesen Analogiebeweis ablehnt, dem bleibt nichts anderes
übrig, als sich auf den Standpunkt zu stellen, den Lubarsch ein-
nimmt, d.h. in solchen Fällen, in denen sich eine wirkliche, organische
Todesursache nicht feststellen läßt, sich mit dem Befund einer
großen Thymus zufrieden zu geben, denn es sei immer noch besser
— sagt Lubarsch — eine Unkenntnis einzugestehen, als mit
einer ungenügend begründeten Annahme weiter zu arbeiten.
Man kennt noch eine dritte Partialfunktion der Thymus-
driise, die lymphoexcitatorische. Wenn man ein mikroskopi-
sches Präparat der normalen Thymus ansieht, so haftet der Blick
— abgesehen vielleicht von den eigenartigen Gebilden der Hassal-
schen Körperchen — an der Unzahl von Lymphocyten. Von den
epithelialen Reticulumzellen sieht man im allgemeinen nichts, man
sieht nur Lymphocyten. Angesichts dessen kommt einem sofort die
Frage: Was haben diese Unmengen von Lymphocyten zu besagen ;
stehen sie in irgendeiner Beziehung zur Funktion der Thymus?
Das Bemerkenswerteste ist, daß sich in solchen Fällen, in denen
die Thymusdrüse hyperplastisch ist, auch im Blut wie in den
Geweben eine Lymphocytenvermehrung findet. Man hat ja über-
haupt den verhältnismäßig hohen Lymphocytengehalt des kind-
lichen Blutes mit dem Vorhandensein der funktionierenden Thymus
in Zusammenhang gebracht, und man findet nun bei hyperplastischer
Thymusdrüse nicht nur eine noch weitere Erhöhung der Lympho-
cytenzahl des Blutes, sondern es läßt sich auch durch Einspritzung
von Thymusextrakt, z.B. von Thymoglandol, die Lymphocytose
des Blutes noch weiter hinauftreiben. Weiter hat man bei hyper-
plastischer Thymusdrüse auch im Gewebe, im Herzfleisch, im Gehirn,
in den Muskeln, kurz überall Iymphocytäre Infiltrate gefunden.
Daß sie mit der Thymusdrüse etwas zu tun haben, ergibt sich daraus,
daß man sie außer beim Status thym. lymph. auch bei anderen
mit Thymushyperplasie einhergehenden Krankheiten gefunden hat,
so bei der sog. Myasthenia gravis, jener eigentümlichen Erkrankung,
die dem Kinderarzt etwas fern liegt, bei der sich auch häufig ein
Thymustumor findet.
Diese Iymphocytären Infiltrate haben in den letzten Jahren eine
größere Rolle in der pädiatrischen Literatur gespielt. Man hat sie
teils als Metastasen, also als in die Organe verschleppte Lympho-
cyten angesehen, teils hat man sie für entzündliche Herde
erklärt. Auch das ist möglich. Sehen wir doch, daß Kinder mit
22°
340 Birk. Heft 4
hoher Blutlymphocytose nicht selten bei Infektionen an Stelle der
sonst üblichen neutrophilen Leukocytose eine Iymphatische Reaktion
zeigen. Es gibt noch eine dritte Erklärung, daß es sich nämlich um
autochthon entstandene Herde handelt, die unter dem Einfluß
der Hormonwirkung der Thymus herangewachsen sind (Schminke).
Im Sinne einer solchen Hormonwirkung sprechen auch die Wechsel-
‘beziehungen zwischen Ovarien und Thymusdriise. Nimmt man
Tieren die Ovarien heraus, so stellt sich eine Lymphocytose her.
Exstirpiert man dagegen die Thymus, so sinkt die Lymphocytenzahl.
Durch Einspritzung der betr. Organpreßsäfte läßt sich jederzeit
vorübergehend der normale Zustand wiederherstellen. Die Ovarien
müssen also einen Stoff produzieren, der die Lymphocytenzahl
herabsetzt, während die Thymusdrüse einen Stoff liefern muß, der
die Lymphocytenbildung oder zum mindesten die Lymphocyten-
ausschwemmung anregt. Man sieht also, daß die Annahme eines
Iymphoexcitatorischen Hormons sich mit gewissen klinischen Tat-
sachen durchaus in Einklang bringen läßt.
Eine ganz andere Vorstellung von der Funktion der Thymus hat
nun Hammar. Für ihn sind die Hassalschen Körperchen der
morphologische Ausdruck der Organfunktion, und diese Funktion
selbst sei eine antitoxische. Die Lymphocyten regten die Bildung
von Hassalschen Körperchen an, und diese selbst hätten die ge-
nannte Funktion, zu der es aber noch eines besonderen sensibili-
sierenden Einflusses von der Schilddrüse her bedürfe. Ham mar
stützt sich dabei auf alte Versuche von Brieger, Kitasato und
Wassermann, die angeblich festgestellt haben, daß Bakterien,
die man auf Thymusextraktnährböden wachsen läßt, ihre Virulenz
einbüßen. Damit hätten wir dann also noch eine vierte Funktion
der Thymusdrüse, die allerdings aus dem Rahmen dessen, was man
sonst als endokrine Leistung eines Organs anzusehen gewohnt ist,
herausfallen würde.
Ich will übrigens nicht unerwähnt lassen, daß man auch die Anwesenheit
der eosinophilen Zellen in der Thymus als einen Ausdruck ihrer inneren Sekre-
tion angesehen hat. Ich sagte schon einleitend, daß der Befund von eosino-
philen Zellen in der Umgebung der Hassalschen Körperchen und an der Grenze
zwischen Mark und Rindenzone als etwas Normales anzusehen sei. Bei Hunger-
involution, wo die Funktion leidet, schwinden die eosinophilen, bei hyper-
plastischer Thymus, wo die Funktion abwegig geht, sind sie verringert. Viel-
leicht haben sie also etwas mit der Funktion zu tun.
Zum Schluß möchte ich nochmal — der Vollständigkeit halber —
daran erinnern, was ich an verschiedenen Stellen schon nebenbei
erwähnt habe, daß nämlich für die Thymusdrüse genau dasselbe
Heft 4 Thymusdröse. 341
gilt wie für die anderen Drüsen, daß es sich bei etwaigen Störungen
ihrer Funktion nicht um eine isolierte, rein thymogene, also mono-
glanduläre Störung, sondern in der Regel um eine polyglanduläre
Störung handelt, auch dann, wenn die Thymus sich in ausgesproche-
nem Maße in den Vordergrund schiebt. Ich erwähnte schon die
Beziehungen der Thymus zu den Keimdrüsen, zu den Nebennieren,
zur Schilddrüse, zu den Epithelkörperchen, Beziehungen, die man
teils als gegenseitige Förderung, teils als Hemmung auffaßt, und die
äußerlich darin zum Ausdruck kommen, daß ein großer Teil der
endokrinen Erkrankungen von einer Thymushyperplasie begleitet
ist. Diese klinischen Tatsachen sind ja bekannt, sie spielen bei
Kindern noch keine große Rolle, und ich kann deshalb darüber hin-
weggehen, um so mehr, als wir noch gar keine Erklärung dafür
haben, was in solchen Fällen, die den Kinderarzt nun wirklich
interessieren, wie zum Beispiel die Fälle von Thymushyperplasie
mit gleichzeitiger Schilddrüsenhyperplasie und Herzvergrößerung
beim Neugeborenen — was da die primäre Störung ist.
Das sind die Tatsachen und Theorien über die innere Sekretion
der Thymusdrüse. Man wird vielleicht sagen: Wenig Tatsachen
und viel Theorien. Aber wo die Tatsachen fehlen, müssen uns eben
noch die Theorien helfen, natürlich Theorien, die was wert sind und
als Arbeitshypothesen richtunggebend sind, die uns den Weg weisen,
um zu den Tatsachen zu kommen.
Wenn man von diesem Gesichtspunkt aus die Theorien gelten
läßt und die Frage der inneren Sekretion der Thymus betrachtet,
so wird man gestehen müssen, daß sich ihre Funktion heute doch
schon ganz anders abzeichnet, als wie es vor Io oder 15 Jahren
der Fall war.
Diskussion.
Herr Rietschel: Die Iymphocytäre Reaktion ist ein so häufiges Symptonı
beim Säugling, daß ihr diagnostischer Wert sinkt, sodann frage ich: Wie
diagnostiziert man klinisch einen Status thymico-Iymphaticus? Ich halte das
für unmöglich.
Herr Goeppert: Die Literatur über die Klinik der Hypertrophien der
Thymus leidet unter der ungenügenden Feststellung, was ‚„pathologisch‘ ist.
Die große Thymus wie die ‚markige Infiltration“ der- Mesenterialdrüsen
und Peyerschen Plaques ist eine Funktion des Mastzustandes jedes durch-
schnittlichen Ernährungszustandes. Dieselben Erscheinungen wie bei Thymus-
bzw. Schilddrüsenfütterung finden wir, wenn wir Kaulquappen, besonders
342 Birk: Diskussion. Heft 4
aber Larven des Feuersalamanders beobachten: Wärme und schlechte Nahrung
ergibt frühzeitige Metamorphose des kleinen Tieres, Kälte bei zureichender
Nahrung (kalte Quelle) führt zur Verspätung der Metamorphose bei Riesen-
wuchs der Larve.
Herr Mautner: Sehr viele führende pathologische Anatomen stehen auf
dem Standpunkt, daß die Thymus im Verlauf der Krankheiten kleiner wird
und bei plötzlichen Todesfällen nur deswegen so oft sehr groß gefunden wird,
weil dies eben der Normalzustand sei und für die Atrophie keine Zeit war.
Zur Frage Thymus und Morb. Basedow ist von Interesse, daß Liebesny
Basedowiker durch Thymusverfütterung heilt.
Herr Kleinschmidt demonstriert Diapositive von Herzschnitten, aus
denen hervorgeht, daß diffuse Lymphocyteninfiltration stärksten Grades
beim Status thymico-Iymphaticus vorkommt, ohne daß irgendein Anhalts-
punkt für überstandene oder noch vorhandene Infektion gegeben ist. Die
Infiltrationen sind im übrigen von sehr wechselnder Ausdehnung und keines-
wegs in jedem Falle vorhanden. Es sind aber auch makroskopisch nicht bei
jedem Todesfall durch Status thymico-lymphaticus Herzveranderungen nach-
weisbar.
Herr v. Siegert: Die auch von mir angegebene Tatsache des plötzlichen
Thymustodes ohne jede mechanische Ursache (Thymusdruck), s. Z. von Birk
abgelehnt, wird jetzt von ihm anerkannt. Die ebenfalls mir gegenüber von
ihm abgelehnte Verkleinerung der hyperplastischen Thymus durch Tiefen-
bestrahlung erscheint also gerechtfertigt. Die exakte Beobachtung von zahl-
reichen Fällen des plötzlichen Todes, der durch die Sektion sich als Thymus-
tod erweist, steht fest. Prophylaktische Verkleinerung in Verbindung mit
geeigneter Ernährung bleibt nicht nur berechtigt bei Geschwistern von am
Thymustod gestorbenen Kindern. Sie ist so wirksam wie unschädlich.
Herrn Rietschel kann ich nur darauf hinweisen, daß die Radiographie
unabhängig vom Verdauungsstadium der betreffenden äußerlich und klinisch
verdächtigen Kinder den einwandfreien Nachweis sowohl des Thymustumors
wie seiner Dauerbeseitigung durch Tiefenbestrahlung erlaubt. In jedem Fall
von Thymustod in einer Familie sollte bei weiteren Kindern das Verhalten
der Thymus ärztlich beachtet werden.
Herr Birk (Schlußwort) bestätigt Herrn Rietschel, daß die klinische
Diagnose des Stat. thym. Iymphat. ebenso schwer sei, wie die der einfachen
Thymushyperplasie leicht sei. Herrn Siegert gegenüber erinnert er daran,
daß er ja selbst eine größere Anzahl von Fällen mit hyperplastischer Thymus-
drüse, bei denen durch Röntgentiefenbestrahlung eine Verkleinerung erzielt
worden sei, veröffentlicht habe.
Nebenniere.
Herr Prof. Dr. Erwin Thomas, Köln-I.indenburg.
Meine Herren! Für das Verständnis der Nebennierenfunktion ist
die Kenntnis der eigenartigen Entwicklungsgeschichte des Organs
von großer Wichtigkeit. Es ist aus 2 Teilen, aus der Rinde, welche
dem mittleren, und aus dem Mark, welches dem äußeren Keimblatt
entstammt, also aus 2 Teilen von ganz verschiedener Entstehung
zusammengesetzt. Bei den niederen Wirbeltieren, bei den Selachiern
und Teleostiern sind, diese beiden Teile noch räumlich getrennt,
man unterscheidet da einen der Rinde entsprechenden Interenal-
und einen dem Mark entsprechenden Suprarenal-Körper. Schon bei
den Amphibien findet eine teilweise Aneinanderlagerung beider
Systeme statt, bei den Reptilien und Vögeln wird die Verbindung
eine noch engere, und bei den Säugetieren kommt es zu einer
völligen Vereinigung, indem das zentralgelegene Mark von der
Rinde umschlossen wird. Hier wird nuninder Entwicklungdes
Einzelindividuums die Stammesgeschichte wiederholt.
Beim Menschen treten etwa in der 5. Fötalwoche an die Rinden-
anlage von dem embryonalen Bauchsympathicus her Stränge und
Haufen von kleinen, runden, ähnlich wie Lymphocyten aussehende
Sympathicusbildungszellen heran, durchbrechen die Reihen der
Rindenzellen und durchwandern so das Organ, bis sie im Zentrum
angelangt sind. Dort bilden sie eine embryonale Markanlage,
die sich nur sehr langsam weiterentwickelt. So haben wir gegen
das Ende der Fötalzeit beim Menschen eine ziemlich große, fast nur
aus Rindensubstanz bestehende Nebenniere vor uns, in deren Zen-
trum die Sympathicusbildungszellen zu typischen Markzellen aus-
reifen, indem sie allmählich die Fähigkeit erlangen, mit Chrom-
gemischen sich braun zu färben, also chromaffin zu werden und
Adrenalin zu produzieren. Das Organ besteht also beim neugeborenen
Menschen fast nur aus Rindensubstanz; die teilweise noch unreife
Marksubstanz ist zu unbedeutend, um makroskopisch erkennbar zu
sein. Nun kommt es zu einer sehr merkwürdigen Umwandlung.
344 Thomas. Heft 4
Wie im Jahre 1910 gefunden wurde (1), geht die ganze zentrale
Schicht der Nebenniere, soweit sie aus Rinde besteht, im Lauf des
ersten Lebensjahres zugrunde, und ihre Stelle wird von dem sich
entwickelnden und ausbreitenden Mark eingenommen, so da8 wr
nach AbschluB des ersten Lebensjahres in groBen Ziigen das Bild
des fertigen Organs vor uns haben.
Nicht alle Sympathicusbildungszellen sind indessen in
topographische Beziehung zu der Rinde getreten. Ein Teil der-
selben bleibt selbstandig und entwickelt sich schon ziemlich frih
zu chromaffinem Gewebe. Es handelt sich im wesentlichen um
Körperchen, die an der Bauchaorta liegen und alssog.Zuckerkandl-
scher Nebenkörper beschrieben sind, um die Karotisdrüse usw.;
aber es gibt auch Teile der Rindensubstanz, die isoliert
auftreten. — Verschiedene Vorgänge bewirken eine Abtrennung
von Teilen der Rindensubstanz beim Embryo. Beim Herabsteigen
der Geschlechtsdrüsen werden sie in die Genitalregion verschleppt
und bilden die sog. Marchandschen Nebennieren, rundliche
Körperchen vom Bau der Nebennierenrinde von 1—3 mm Durch-
messer bei Neugeborenen und Kindern, von Marchand zunächst
im breiten Mutterband in der Nähe des Eierstockes beschrieben.
Bei ihnen ist im Gegensatz zu den selbständigen chromaffinen Ge-
bilden eine weitgehende Fähigkeit zu vikariierender
Hypertrophie nachgewiesen, wenn das Hauptorgan durch irgend-
welche Prozesse zerstört wird.
Wir haben also beim Neugeborenen außer dem Hauptorgan
noch selbständige, aus Mark- oder aus Rindensubstanz bestehende
Körperchen. Die ersteren werden mit dem Mark der Nebenniere
zusammen als chromaffines System zusammengefaßt. Indessen
ist es sehr zweifelhaft, ob sie wirklich untereinander und namentlich
der Marksubstanz gleichzuachten sind. Die Nebennierenrinde
und die versprengten Rindenkeime werden unter der Bezeichnung
Interenal-System zusammengefaßt. Ihre Fähigkeit zu vika-
riierender Hypertrophie zeigt an, daß sie funktionell sich in vieler
Beziehung, vielleicht auch ganz, vertreten können. Während
nun das Hauptorgan im Lauf des ersten Lebensjahres tiefgreifende
Veränderungen erleidet, verfallen die beiderlei selbständigen
Körperchen im ersten Lebensjahr einer weitgehenden Reduktion,
so daß das Übergewicht der in der Nebenniere repräsentierten Rinden-
und chromaffinen Substanz sich noch vergrößert.
Der Untergang der zentralen Rindenschicht und die Reifung des
Markes geht bei Anencephalen und Hemicephalen schon
Heft 4 Nebenniere. 345
intrauterin vor sich. Die Nebenniere eines Anencephalen zeigt
bei der Geburt das Bild wie bei dem Säugling von 6 Monaten. Sie
weist auch die verhältnismäßige Kleinheit und die Fältelung der
Oberfläche auf, wie sie für dieses Alter charakteristisch ist. Die
Beziehungen zwischen Gehirn und Nebenniere gehören zu den be-
rühmtesten und ältesten Erkenntnissen der Pathologie. Während
z.B. von Alexander (2) angenommen wurde, daß das Zurück-
bleiben der Gehirnentwicklung durch eine zu geringe Lipoidproduk-
tion der Nebenniere bedingt sei, ist jetzt die ursprüngliche Ansicht
von Zander (3) durchaus anerkannt, daß das Primäre die Gehirn-
mißbildung sei. Das Wachstum der Nebenniere geht nur dann
ın normaler Weise vor sich, wenn das Großhirn, und zwar an-
scheinend die vorderen Partien, intakt sind. In welcher Weise
wir uns die Einwirkung des Gehirns auf das Wachstum der Neben-
niere vorzustellen haben, ist gänzlich unklar. Es handelt sich um
einen ausgesprochenen formativen Reiz, der vom Gehirn aus-
geübt wird. Es soll hier an Versuche A. Czernys (30) erinnert
werden, welcher bei Injektionsversuchen Lymphverbindungen
zwischen Gehirn und Nebenniere finden konnte. Ist der Defekt des
Gehirns vorhanden, so vollziehen sich die Umbauvorgänge, die wir
sonst beim Säugling beobachten, schon vor der Geburt (4). Spätere
Veränderungen des Gehirns scheinen ohne Einfluß auf die Neben-
nierenentwicklung zu sein. Im übrigen dürfte die Nebenniere ein ge-
eignetes Objekt sein für Einzelstudien über Entwicklungsgeschwindig-
keit. Die Entwicklung der Nebenniere ist zeitlich viel besser markiert
als die Entwicklung anderer Organe, z. B. der Schilddrüse.
Die Nebennierenrinde hat auch ausgesprochene Beziehungen
zur Entwicklung der Geschlechtsorgane. Das ergeben nicht
nur experimentelle Untersuchungen von Raineri, Schenk, Kol-
mer (5), Leupold u.a., sondern auch klinische und pathologische
Beobachtungen. In weitaus den meisten Fällen finden wir eine
Hypertrophie der Rinde zusammen mit einer Maskulinisierung
weiblicher Individuen. Es handelt sich zweifellos um eine
Hyperfunktion der Rindenelemente, auch Tumoren mit dem Bau
der Nebennierenrinde können vorhanden sein, während z.B. die
Sarkome, der spezifschen Zellen entbehrend, einen solchen Zu-
sammenhang durchaus vermissen lassen. Aber auch unter den
Tumoren, z.B. den Hypernephromen, die mit Vermehrung des
Rindenparenchyms einhergehen, ist nur eine kleine Zahl, die ihn
zeigen, und man kann es einem solchen Tumor mikroskopisch nicht
ansehen, ob er die oben genannten besonderen Beziehungen auf-
ee eee y
346 Thomas, Heft 4
gewiesen hat. Die Rindenhypertrophie oder der Tumor
kann angeboren sein, und zwar scheint die Hypertrophie der
Nebennieren gegen Ende der Fötalzeit zu entstanden, wie A pert (6)
angibt, der eine eingehende Darstellung dieser Verhältnisse geliefert
hat. Die Maßgebende ist in allen kindlichen Fällen eine Hyper-
trophie der Klitoris und eine vorzeitige Schambehaarung.
Im späteren Kindesalter kann auch eine übermäßige körperliche
Entwicklung deutlich sein. Dabei ist, wie Neurath (6) hervorhebt,
die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale beschleunigt,
ohne daß eine Keimzellensekretion mit Sicherheit anzunehmen
ist. Es ist nichts Erstaunliches, daß das Auftreten männlicher se-
kundärer Geschlechtscharaktere nicht mit einer vorzeitigen Ent-
wicklung weiblicher Geschlechtszellen einhergeht, wissen wir ja,
daß das Auftreten von solchen Rindenhypertrophien in der
Periode der Sexualität außer zur Behaarung und Bartbildung zu
einem Aufhören der Menses führt. Der außerordentlich großen
Zahl von Fällen des Auftretens männlicher sekundärer Geschlechts-
merkmale bei weiblichen Individuen stehen nur zwei Ausnahmen
gegenüber: ein Fall von Bittorf: Feminisierung eines männlicheh
Individuums, und ein Fall von Linser (7) - Dietrich: Frühreife
und vorzeitige Körperentwicklung bei einem Knaben. Diese beiden
Fälle zeigen, daß wir von einem Glied in dem Zusammenhang noch
keine Kenntnisse haben. Apert hat diese starke Behaarung als
das Hauptkennzeichen der Rindenhyperplasie aufgefaßt und sie als
Hirsutismus bezeichnet, während die verringerte Ausbildung der
Rinde eine Hypoepinephrie zur Progeria führe, welche durch
harte Haut, Fettschwund, zurückgebliebene körperliche Entwick-
lung, Hypotrichosis gekennzeichnet sei.
Nach diesen mehr formativen Beziehungen kommen wir zu einer
andersartigen Funktion der Nebennierenrinde, zur entgiftenden.
Es gibt allerdings kein innersekretorisches Organ, dem nicht eine
besondere entgiftende Funktion zugeschrieben worden wäre. Bei
keinem aber ist diese Ansicht begründeter wie bei der Nebenniere.
Unsere Kenntnisse übereine derartige Funktion der Neben-
nierenrinde gingen aus von den Veränderungen, welche an den
Nebennieren bei Infektionskrankheiten beobachtet wurden (1).
Seitdem Behring, Roux und Xersin, Simon Flexner u.a.
auf die außerordentliche Hyperämie des Organs und andere zellu-
läre Veränderungen bei der Diphtherie-Infektion und -Intoxikation
des Meerschweins aufmerksam gemacht haben, versuchte eine sehr
umfangreiche Literatur für alle möglichen Infektionen und Intoxi-
Heft 4 Nebenniere. 347
kationen den Beweis einer Nebennierenschädigung zu erbringen.
Letztere zeigt zu gleicher Zeit an, daß das Organ eine Stätte des
Kampfes ist zwischen dem eingedrungenen Virus und den an Ort
und Stelle besonders reichlich vorhandenen Abwehrkräften des
Organismus. Während die Schädigung der Meerschweinchenneben-
nieren so konstant sind und die Blutüberfüllung so deutlich, daß
dieser Umstand beim Meerschweinchen als Test einer erfolg-
reichen Infektion gilt, sind die Veränderungen beim Kind nicht
immer so ausgesprochen. Doch können wir annehmen, daß in
einem Viertel der Fälle Blutungen und so schwere degenerative
Veränderungen der lebenswichtigen Rindensubstanz vorhanden sind,
daß sie als Todesursache in Betracht kommen, daß ferner auch
in den andern Fällen mehr oder minder erhebliche Veränderungen
deutlich sind (I). Beträchtlich sind dieselben auch bei Scharlach
und bei septischen Infektionen. Die Blutungen sind hier unbe-
trachtlich,:im Vordergrund steht ein entzündliches Ödem der Rinden-
substanz. Bei Scharlach und bei septischen Infektionen tritt die
vakuoläre Degeneration, welche für Diphtherie charakteristisch
ist, zurück gegenüber dem Ödem mit ausgesprochenen reaktiven
Veränderungen am Gefäßbindegewebeapparat (I). Diese
Veränderungen beim Scharlach usw., welche hauptsächlich auch
von französischen Autoren hervorgehoben worden sind, erreichen
nur selten die Intensität der Schädigung bei Diphtherie, ebenso
wie diejenigen, welche bei anderen Infektionskrankheiten beobachtet
worden sind (I). Wir werden bei der Besprechung des Neben-
nierenausfalls noch darauf zurückkommen. Es möge hier nur
kurz hervorgehoben werden, daß sie nur dann in genügendem Um-
fang hervortreten, wenn sie an feinen Paraffinschnitten mit
einwandfreier Methode studiert werden.
Nicht nur diese degenerativen und reaktiven Veränderungen
spielen sich bei Infektionskrankheiten in der Nebennierenrinde ab,
sondern auch Veränderungen in dem wichtigsten und charakteristi-
schen Bestandteilen der Rindenzellen, dem Lipoid (18). Nach Biedl
besteht ein Drittel der gesamten Trockensubstanz des Organs
aus Fetten und Lipoiden, schon in den Fötalmonaten ist der Gehalt
ein beträchtlicher, aber wechselnder (Beumer [39]). Die Unter-
suchungen der letzten 15 Jahre haben zu einer Aufklärung über
die Natur ‘dieser Stoffe in vieler Hinsicht geführt, insbesondere
haben Untersuchungen der Wiener Forscher sowie ganz beson-
ders der Freiburger und der Münchener Schule aufklärend
gewirkt. Die Ergebnisse, welche heute zu verzeichnen sind, ver-
348 Thomas. Heft 4
danken wir einer Zusammenarbeit chemischer und histologisch-
chemischer Untersuchungsmethoden. Während lange Zeit
das Adrenalin als der alleinige Repräsentant der Nebenniere bekannt
war, sind erst neuerdings die fettähnlichen Stoffe in den Vorder-
grund getreten, nachdem schon 1902 Kaiserling und Orgler
das Auftreten doppeltbrechender Substanz in der Nebenniere nach-
gewiesen hatten. Ich möchte deshalb etwas näher auf dieselben
eingehen.
Wir finden in den Nebennieren normalerweise, wenn wir einer
Einteilung von Aschoff folgen wollen, einmal die Neutralfette
undFettsäuren. Alszweiten Bestandteil dasdoppeltbrechende
Cholesterin und seine Ester. Als dritten schließlich noch eine
große Anzahl anderer nicht doppeltbrechender fettähn-
licher Stoffe, Phosphatide, Cerebroside usw., die wir im folgenden
als Lipoide im engeren Sinn bezeichnen wollen (8).
Von diesen Bestandteilen hat das Cholesterin in erster Linie
die Aufmerksamkeit erregt. Es tritt in der Nebenniere in beträcht-
lichen Mengen auf, und zwar in zwei Formen. Einmal als reines,
freies Cholesterin und dann als Cholesterinfettsäureester.
Das freie Cholesterin ist verhältnismäßig stabil, während die Chol-
esterinester außerordentlich wechseln. Nach Wacker und Hueck (o)
können die Ester um das fünf- bis siebenfache steigen oder
um ebensoviel abnehmen unter pathologischen Umständen. Die
Nebennierenrinde hat, wie nunmehr von den meisten Autoren an-
genommen wird, zunächst einmal die Fähigkeit der Stapelung
des Cholesterin, wenigstens der Ester. Diese Tatsache, zuerst
von Krylow (Io) festgestellt, ist seither von zahlreichen Nach-
untersuchern bestätigt worden. Auf gesteigerte Zufuhr reagiert
beim Kaninchen das Organ mit Massenzunahme. Zuerst werden
die ausgereiften Zellen der mittleren Rindenschicht damit überladen,
gleichzeitig aber geraten die Zellen der äußersten Schicht, die als
embryonale, als Wachstumschicht zu bezeichnen ist, in beschleunigte
Teilung, sie beladen sich rasch mit doppeltbrechenden Fetten und
zeigen, daß es die Aufgabe der Nebennierenrinde ist, für
eine rasche Stapelung des großen Cholesterinangebotes
zu sorgen. Erst wenn zahlreiche Zellen der äußeren Keimschicht
nicht mehr zu folgen vermögen, kommt es zu einer Beladung der
anderen Organe. Nur die Endothelien des Knochenmarkes scheinen
frühzeitig bei der Aufnahme des Cholesterins mitzuwirken. Die
maßgebenden Versuche sind am Kaninchen gemacht, an
Pflanzenfressern, und es fragt sich, ob man die Verhältnisse beim
Heft 4 Nebenniere. 349
Menschen und bei anderen Tieren damit vergleichen kann. In der
Tat zeigten Weltmann und Biach (11), daB sich die Hyperchol-
esterinämie, welche bei Einbringung von größeren Mengen Cholesterin
folgt, beim fleischfressenden Tier nur unvollkommen und
vorübergehend erzeugen läßt. Während die Herbivoren nicht die
Fähigkeit besäßen, zu viel zugeführtes Cholesterin mit der Galle
auszuscheiden, sollten die Carnivoren sich der großen Mengen leicht
entledigen können. Nach neueren Untersuchungen von Verse& (I2)
und Rotschild (13) ist hier aber nicht ein prinzipieller, sondern
nur ein gradueller Unterschied vorhanden. Dafür, daß die Ver-
hältnisse beim Menschen den Speicherungsversuchen am Kaninchen
gleichen können, sprechen Untersuchungen über die Schwanger-
schaftsnebenniere (31). In den letzten Monaten der Schwanger-
schaft kommt es zu einer Hypercholesterinämie, vielleicht
durch Abdichtung des Leberfilters. Das zurückgehaltene Cholesterin
wird größtenteils in die Nebennieren eingelagert, gleichzeitig
sehen wir auch in der äußeren Schicht, der Keimschicht, lebhafte
Vermehrungsvorgänge der Zellen, die sich mit Cholesterin beladen.
Wir haben hier also eine ziemlich genaue Wiederholung des oben
angeführten Fütterungsexperimentes beim Kaninchen. Auch bei
der Addisonschen Krankheit wurde öfters ein vermehrter
Cholesteringehalt gefunden: die Nebennierenrinde konnte ihrer
Funktion als Depotorgan nicht mehr nachkommen. Es ist also
ein Vergleich der Verhältnisse beim Menschen und beim
Kaninchen sicher bis zu einem gewissen Grade möglich.
Welche Wirkungen sind nun dem Cholesterin, welches
in der Nebenniere besonders aufgestapelt wird, zuzu-
schreiben? Am bekanntesten ist wohl die antitoxische. Seit
Ransom wissen wir, daß die hämolytische Wirkung des
Saponins durch Cholesterin aufgehoben wird, und zwar entsteht
die neutralisierende Wirkung durch Bildung einer inaktiven Doppel-
verbindung zwischen dem Cholesterin und dem Saponin. Für eine
Anzahl anderer Gifte ist das ebenfalls erwiesen. Diese Wirkung
geht aber nur von dem freien Cholesterin aus, während wir doch
gerade auf Grund der außerordentlichen Schwankungen, welche
die Ester in der Nebenniere bei Infektionskrankheiten aufweisen,
in erster Linie an eine besondere Rolle der Ester denken müssen.
Diese scheint also keine rein chemische zu sein. Bei perakuten
Infektionen wird eine Vermehrung der Cholesterinester in
der Nebenniere gefunden (Dietrich). Offenbar reißt das Organ
rasch die vorhandenen Mengen von Cholesterinestern an sich. Aber
- — _— Lu.
350 Thomas. Heft 4
bei längerdauernden septischen und konsumierenden
Prozessen kommt es zu einer Verarmung des Organs an diesen
Stoffen, aber nicht stets, wie auch Beumer (I4) bei kachektischer
Phthise mitunter keine Verringerung des Cholesterins beobachten
konnte. Kawamura (8) fand bei septischen Prozessen und
bei Intoxikation der Säuglinge eine Verminderung der doppelt-
brechenden Substanz. Im übrigen hat schon Traina gezeigt, daß
Inanition diese Stoffe wenig beeinflußt, ebenso wie auch bei
chronischen schweren Ernährungsstörungen der Säuglinge normaler
Cholesteringehalt der Nebenniere angegeben wird. Rotschild
fand bei Inanition im Tierversuch nicht nur im Blut, sondern
auch in den Nebennieren und in der Galle vermehrtes Cholesterin.
Dies kann man wohl nur so erklären, daß bei dem Abbau
des Neutralfettes zu energetischen Zwecken ziemlich viel Cho-
lesterin frei wird, denn das Cholesterin findet sich stets in mehr
oder minder großen Mengen und in mehr oder minder fester
Bindung auch in den allgemeinen Fettdepots mit den
Neutralfetten zusammen. Bei allen konsumierenden Krankheiten
muß man an diese Möglichkeit des Erscheinens von Cholesterin
denken. Inanition vermehrt also das Cholesterin in der Nebenniere,
septische Prozesse aber belegen das Cholesterin mit Beschlag, welches
aus den einschmelzenden Fettdepots frei wird. So könnten wir uns
diesen Widerspruch erklären. Von Wichtigkeit ist es jeweils, welches
Moment überwiegt.
Ein günstiger Einfluß von Cholesterinfütterung bei
verschiedenen Infektionen ist im Tierversuch festgestellt worden
(Leupold und Bogendörfer[15]). Von anderer Seite (Hacker,
Beck) wurde eine vermehrte Resistenz bei Säuglingen angenommen,
die Cholesterin erhalten hatten. Danach mußten Zustände, die mit
einer Anhäufung von Cholesterin im Blut und in den Neben-
nieren einhergehen, zu einer vermehrten Abwehrkraft gegen
Infektionen führen, so z. B. die Schwangerschaft, die Arteriosklerose,
manche Lebererkrankungen, die meisten chronischen Nierenerkran-
kungen. Das ist doch unwahrscheinlich. Nicht die einfache An-
wesenheit oder Speicherung dieser Stoffe kann von Bedeutung sein,
sondern die Fähigkeit der lebenden Zelle zu ihrer spezifischen Ver-
arbeitung und Verwertung.
Von einer gewissen Bedeutung scheint die Nebenniere auch für
den Stoffwechsel der Vitamine zu sein. Nicht daß das Cholesterin
gleichzeitig der Repräsentant des Vitamins A ist, sondern wir finden
bei verschiedenen Avitaminosen der Tiere eingreifende Verände-
Heft 4 Nebenniere. 351
rungen in den Nebennieren. Bei Meerschweinchenskorbut kommt
es, wie MacCarrison (16) zuerst festgestellt hat, zu einer Ver-
größerung der Drüse, hämorrhagischer Infarzierung, Atrophie der
Driisenelemente. Auch bei der Tauben-Beriberi kommen nach
diesem Autor ähnliche Veränderungen der Nebenniere vor. Die
Befunde sind von mehreren Autoren bestätigt, zuletzt von Iwa-
buchi (17). Leider sind noch keine Nebennierenuntersuchungen
bei menschlichen Avitaminosen, namentlich bei Möller-
Barlowscher Krankheit, gemacht worden.
Übrigens ist die Nebennierenrinde nicht der einzige Ort der
Cholesterinspeicherung, das muß kurz erwähnt werden, denn aus
diesem Umstand sind vielleicht manche Verschiedenheiten in den
Untersuchungsergebnissen zu erklären. Zweifellos sehr früh beladen
sich bei Hypercholesterinämie die Retikuloendothelien des
Knochenmarks mit doppeltbrechenden Stoffen, später, bei noch
größerem Angebot, der gesamte retikulo-endotheliale Stoff-
wechselapparat. Weiterhin enthält die Thymus, wie schon
Kaiserling und Orgler (18) nachwiesen, rasch nach der Geburt in
den ersten Lebensjahren beträchtliche Mengen von doppeltbrechender
Substanz, ebenso das Corpus luteum der Ovarien und — schlieB-
lich nicht zuletzt — die akzessorischen Nebennieren.
Welches ist nun die Rolle der Lipoide im engeren Sinne,
der Phosphatide, des Kephalins, des Phrenosins, des Protagons usw.,
die ja in der Nebenniere reichlich auftreten, und zwar sehr häufig in
einer Art lockerer Bindung mit dem Cholesterin und seinen Estern ?
Wenn auch diese Verhältnisse noch dunkel sind, so kann man doch
nicht annehmen, daß alle diese Körper in der Nebenniere nur einfach
als solche abgelagert und dann wieder abtransportiert werden.
Vielleicht ist die Rolle dieser einzelnen Bestandteile zu starr auf-
gefaßt worden, und es finden fortwährende Umwandlungen statt.
Wir können also wohl zweifellos über die Funktion der Neben-
nierenrinde sagen, daß sie die Aufgabe hat, fettähnliche Körper
zu speichern und bis zu einem gewissen Grade deren Stoffwechsel
zu regeln; vielleicht hat sie auch die Fähigkeit einer ziemlich weit-
gehenden gegenseitigen Umwandlunginnerhalbdereinzelnen
Gruppen. Bei Infektionen und Intoxikationen kommt ihr eine
wichtige Funktion zu, wahrscheinlich im Sinne einer Entgiftung.
Die Repräsentantin der Rinde ist die lipoiderfüllte Zelle, die
chromaffine Zelle jene des Markes. Diese hat die Eigenschaft,
bei der Behandlung mit Chromgemischen sich zu braunen, und damit
steht die Fahigkeit, Adrenalin zu produzieren, in Zusammenhang.
352 . Thomas. Heft 4
Die Stärke der Chromreaktion ist, wie zuletzt St6ltzner (19) und
Ogata (19) gezeigt haben, ungefähr ein Maß des Adrenalingehaltes.
indem Bichromatlösungen mit Adrenalin einen braunen
Niederschlag unter Bildung von Chromoxyd (CrO,) geben. Da:
größte Ansehen als quantitative Methode des Nachweises genießt
die Bestimmung der vasoconstrictorischen Substanzen mittels
des Läwen-Trendelenburgschen Froschmuskelpräparates.
Nachdem O’Connor gefunden hat, daß durch Blutplättchenzerfall
vasoconstrictorische Substanzen freigemacht werden, bedient man
sich allgemein des Hirudinplasmas. Mißt man mit dem vaso-
constrictorischen Effekt desselben den Adrenalingehalt, so findet
man, daß die meisten direkten Methoden, denselben zu be-
stimmen, andere Werte liefern. Dies gilt vor allem von vielen
colorimetrischen. Durch die Verwesungsprozesse an der Leicht
gehen Abbauprozesse an Adrenalin vor sich, und man findet, daß
colorimetrisch ein höherer Wert herauskommt als mittels der phar-
makolog schen Bestimmungsmethoden. |
Was ist nun bisher mittels der gebrauchlichen histologischen.
pharmakologischen und chemischen Methoden über quantitativ
Schwankungen des Adrenalingehaltes gefunden worden?
Beim menschlichen Foetus und bei der Frühgeburt werden kein:
blutdrucksteigernden Substanzen und auch kein Adrenalin nach-
gewiesen. Dies entspricht vollkommen ihrem entwicklungsgeschicht-
lichen Verhalten. Schmorl und Ingier (21) fanden mittels de
Commesatischen Methode von der Geburt ab ständig zunehmenden
Adrenalingehalt. Wenn auch diese Methode am Leichenmatena!
nicht die genauen Resultate gibt, so können wir doch annehmen.
daß bei den verhältnismäßig geringen Zersetzungen in Kinderleichen
die Fehlerquellen jedesmal ungefähr dieselben waren. Samelson
hat wohl beim Säugling gegenüber dem Erwachsenen eine herab-
gesetzte vasoconstrictorische Wirkung gefunden, allein keine Zu-
nahme derselben entsprechend der Größenzunahme und Reifung der
Marksubstanz. Freilich sind die Versuche von Samelson (21) nicht
am Plasma sondern am Serum gemacht.
Standardwerte über den Adrenalingehalt der Kindernebenniert
sind nicht vorhanden. Schmorl und Ingier (21) fanden den
Adrenalingehalt im Alter von o—g Jahren zu 1,52 mg, später zu
4,8 mg. Doch sind diese Werte aus Sektionsmaterial natürlich
nicht vollkommen zutreffend.
Bei eitrigen und septischen Infektionen ist ziemlich regelmäßig
eine herabgesetzte Chromierbarkeit gefunden worden.
Heft 4 Nebenniere. 353
Durchaus wechselnd sind die Befunde bei anderen Infektionen
z. B. bei Diphtherie. Kramer (22) fand bei alimentärer Intoxikation
und ähnlichen toxischen Zuständen fast immer Adrenalinmangel in
der Nebenniere, während G. Grimm (23) den vasoconstrictorischen
Effekt des Hirudinplasmas bei alimentärer Intoxikation mittels der
Läwen-Trendelenburgschen Methode stets erhöht fand. Von
anderen Zuständen wurde der Status thymico-lymphaticus auf eine
Hypoplasie des chromaffinen Systems zurückgeführt. Die Befunde
von Schmorl und Ingier ergaben einen wechselnden Adrenalin-
gehalt der Nebenniere. Stöltzner (24) nahm bei Rachitis eine
verminderte Funktion des Marks der Nebenniere an. Lehnerdt
und Weinberg (25) haben bei dieser Erkrankung mittels Adrenalin-
injektion gute Erfolge gehabt. Bei länger dauernden Inanitions-
zuständen scheint die Adrenalinmenge vermindert zu sein. So hat
Peiser (26) bei Kriegsunterernährung an Sektionsmaterial zu geringe
Adrenalinmengen gefunden.
Das große Gebiet der pharmakologischen Wirkung des Adrenalins,
der Prüfung des vegetativen Nervensystems, und die Versuche,
damit beim Kind verschiedene Konstitutionstypen zu unterscheiden,
würde zu weit führen und soll an dieser Stelle nicht behandelt werden.
Im vorausgegangenen haben wir uns bemüht, im Hinblick auf die
Angaben der betreffenden Untersuchungen die Rolle der Rinde
und des Markes gesondert zu betrachten. Wir treffen aber
häufig, und zwar besonders in der französischen Literatur, auf die
Bezeichnung der Nebenniereninsuffizienz. Man hat diese
Bezeichnung besonders angewandt auf die Nebennierenblutungen
der Neugeborenen, auf ihre Veränderung bei Infektionskrankheiten
auf die Addisonsche Krankheit und endlich jene Veränderungen des
Habitus, die im Gegensatz zum Hirsutismus stehend, als Progeria
bezeichnet wurden; sie haben weiter oben bereits Erwähnung ge-
funden. Vermutlich liegt ihr eine reine Rindeninsuffizienz zugrunde.
Die Nebennierenblutungen bei Neugeborenen befallen in
erster Linie jene zentrale Schicht der Rinde, welche im Laufe des ersten
Lebensjahres normalerweise zugrunde geht. Man könnte fast sagen,
diese Blutungen gehören zum Mechanismus dieses Unterganges,
indem dadurch eine derartige Schädigung des Parenchyms zustande
kommt, daß eine Erholung der Zellen nicht mehr möglich ist. An-
dererseits könnte es möglich sein, daß diese Zentralschicht deshalb
von Blutungen befallen wird, weil sie minderwertig geworden ist.
Die jugendlichen Vorstufen der Markzellen, welche in geringer Menge
im Zentrum angehäuft sind, überstehen allerdings, mit der Wachs-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 23
354 Thomas. Heft 4
tumenergie wenig differenzierter oder ganz jugendlicher Zellen be-
gabt, offenbar größtenteils diese Blutungen, wenn sie nicht allzu
bedeutend sind. Die Hämorrhagie kann indessen so mächtig
sein, daß das ganze Organ durch dieselbe bis aufs äußerste gedehnt
wird, und die schmale Rinde kann sogar gesprengt werden, so daß
eine Verblutung in das Nierenlager oder in die Bauchhöhle zustande
kommt. Die in durchschnittlicher Stärke auftretenden Blutungen
sind natürlich wohl auch nicht ganz gleichgültig. Derjenige Teil der
Markzellen, welcher schon ausgereift ist, dürfte zweifellos geschädigt
werden, und so beobachten wir, daß ein Organ, welches eben anfängt
zu funktionieren, in dieser Beziehung wieder zurückgeworfen wird.
Ob größere Blutungen, namentlich wenn sie im wesentlichen ein-
seitig sind, den Tod herbeiführen können, auch wenn es nicht zur
Sprengung des Organs und innerer Verblutung kommt, ist im Neu-
geborenenalter zweifelhaft. Einerseits ist die Funktion des Organs
hier an und für sich wahrscheinlich noch keine bedeutende, an-
dererseits sind zunächst genügend akzessorische Nebennieren vor-
handen. Die auf die Vernichtung von Rindensubstanz durch Blu-
tungen beim Neugeborenen auftretenden Symptome sind zu un-
bestimmt, als daß man daraufhin eine Diagnose in vivo stellen könnte.
Ganz besonders ist es ausgeschlossen, daß in diesem Alter und beı
dieser kurzen Krankheitsdauer Addison-Symptome auftreten können.
Etwas sicherer ist bei Kindern, die über die ersten Monate hinaus
sind, die Diagnose einer akuten Nebennierenblutung zu stellen.
Friedrichsen (27) hat neuerdings eine große Anzahl von Fällen
zusammengefaßt, und Viktor (28) hat zwei ähnliche Beobachtungen
hinzugesellt. Gesunde Kinder erkrankten plötzlich mit beunruhigen-
den Symptomen, vereinzelt mit Krämpfen. Unter sehr starker
Cyanose kommt es ohne besondere Zeichen von Lungenaffektionen
zu hyperpyretischen Temperaturen. Alsbald treten purpuraähnliche
Efflorescenzen auf, und die Krankheit endet in den 24 Stunden
nach dem Beginn tödlich. Bei der Obduktion werden stets beträcht-
liche Blutungen in den Nebennieren nachgewiesen. Es ist möglich
daß in vielen Fällen die Ursache der Nebennierenblutung eine per-
akute Infektion ist, denn wir wissen ja, wie häufig Blutungen
bei den Infektionen besonders dieses Alters hervortreten. Das ge-
schilderte Krankheitsbild tritt am häufigsten auf im Säuglingsalter,
auch bei Kindern, es befindet sich aber auch unter den eigenen
Fällen Friedrichsens ein Knabe von 14 Jahren.
Die Nebenniereninsuffizienz bei Infektionskrank-
heiten ist oben schon erwähnt worden. Sichere Beweise haben
Heft 4 Nebenniere. 355
wir für die Schädigung der Rindensubstanz, aber auch das Mark
scheint bei manchen schweren Infektionskrankheiten in Mitleiden-
schaft gezogen zu sein. Es liegt nahe, besonders den Nachlaß des
Blutdrucks bei Diphtherie auf einen Adrenalinmangel im Blut zu
beziehen. Die histochemischen Befunde können eine derartige Auf-
fassung nicht als gesichert erweisen. Das Splanchnicusgebiet steht
unter der Herrschaft zentraler Regulatoren, und ebensogut könnte
die Ursache des verringerten Blutdruckes eine unmittelbare Schä-
digung des Zwischenhirns sein.
Die bekannteste Form der Nebenniereninsuffizienz ist jene, welche
durch die Addisonsche Krankheit hervorgerufen ist. Hier bildet
die Schädigung der Rinde zweifellos das ausschlaggebende Moment,
aber auch Schädigung des Markes ist nachweisbar. Im Kindesalter
ist noch wenig über diese Krankheit berichtet worden, doch dürfte
sie gegen die Pubertät zu ab und zu vorkommen. Leider sind die
beschriebenen Fälle hauptsächlich in ausländischen Doktordisser-
tationen aufgezeichnet, so daß sie nicht eingesehen und auf ihre
Zugehörigkeit geprüft werden konnten. Immerhin ist es merk-
würdig, daß die Erkrankung im Kindesalter so selten vorkommt.
Die Tuberkulose dieses Alters hat anscheinend nicht die Neigung,
die Nebenniere zu befallen. Von Wiesel ist die Addisonsche Krank-
heit in Zusammenhang gebracht worden mit dem Status lym-
phaticus. Wir müßten demnach erwarten, daß sie im Kindes-
alter häufig sei, wo der Prozentsatz der mit dieser Konstitutions-
anomalie Behafteten noch groß ist.
Im Eingang haben wir festgestellt, daß Rinde und Mark, bei den
niederen Wirbeltieren noch räumlich getrennt, in der aufsteigenden
Tierreihe in immer engere topographische Beziehungen zueinander
treten. Wir haben festgestellt, daß im Laufe der Ontogenese dieser
Entwicklungsgang sich wiederholt. Wir sehen also, daß in beider
Hinsicht Mark- und Rindenbestandteile in immer nähere Be-
ziehungen zueinander treten. Beim Menschen kommen noch dazu
die komplizierten Umbauprozesse nach der Geburt. Mit dem Unter-
gang der zentralen Rindenschicht ist gleichzeitig eine Verkleinerung
des ganzen Organs verknüpft. Wir haben also die merkwürdige
Erscheinung, daß die Nebenniere des Neugeborenen viel
größer ist als die des Säuglings und Kleinkindes. Spricht das nicht
dafür, daß das Organ beim Foetus eine besonders wichtige Rolle zu
erfüllen hat? Diese eigenartige Tatsache wird von Alfred Cohn
auf andere Weise erklärt, nämlich durch den Vorgang der Synkatıno-
genese. Darunter versteht er jegliche Störung, Abänderung oder
23°
356 Thomas. Heft 4
Beeinflussung des autonomen Entwicklungsganges eines Placentalier-
keimes, welche durch seine symbiotische Verbindung mit der graviden
Mutter verursacht wird. In dem starken intrauterinen Wachstum
der Nebennierenrinde erblickt er eine Beeinflussung durch den
mütterlichen Organismus und verweist als Analogon auf die Keim-
drüsen des neugeborenen Pferdes und anderer Organe, die dann
eine Rückbildung erfahren.
Mit dem Kleinerwerden des Organs durch den Untergang zentraler |
Schichten wird das Aussehen der Nebenniere faltig, indem sich die
äußeren Schichten nur durch starke Faltenbildung dem zentralen
Schwund anpassen können. Damit wird, wie Landau hervorhebt,
die Berührungsfläche von Mark und Rinde bedeutend vergrößert
und dadurch auch die Möglichkeit eines engen Zusammenwirkens
beider Teile. Diese ist natürlich schon seit langem erörtert worden,
und man hat nachzuweisen versucht, daß die Rinde irgendeine
Vorstufe des Adrenalins zubereitet, welches sodann vom Mark
fertiggestellt wird. Genauere Angaben darüber haben sich indessen
nicht als stichhaltig erwiesen. Indessen gibt es doch eine Reihe von
Tatsachen, die einen engen funktionellen Zusammenhang beider
Teile wahrscheinlich machen. Insbesondere ist es nicht an-
zunehmen, daß beim Menschen das Mark einfach ein Stück
des chromaffinen Systems ist, welches nun zufällig allseits von
Rinde umschlossen ist. Dagegen sprechen zunächst die kom-
plizierten Mechanismen, welche aufgewendet werden, um die
fertige Nebenniere zu bilden. Die außerhalb der Nebenniere
liegenden chromaffinen Komplexe reifen ungleich früher als die
in:dem Organ liegenden und haben nicht die Fähigkeit der kom-
pensatorischen Hypertrophie. Das sind gewichtige Unterschiede,
welche Nebennierenmark und selbständige chromaffine Körperchen
doch nicht ohne weiteres als gleichwertig erkennen lassen. So ist
z.B. neuerdings die Karotisdrüse auch funktionell als andersartig er-
kannt worden (32). Die ganze stammesgeschichtliche und ontogene-
tische Entwicklung spricht dafür, daß beim Menschen, vielleicht
auch schon bei dem Menschenaffen, die Schaffung der einheitlichen
Nebenniere in der ganzen Tendenz des Aufwärtsschreitens liegt.
Nur der Mensch zeigt den Untergang der zentralen Rindenschicht,
und dadurch bedingt die faltige Oberfläche der Nebenniere, die eine
besonders enge Zusammenarbeit beider Teile ermöglicht und die
mit den Windungen des Gehirns verglichen worden ist.
Im Sinne einer Zusammenarbeit spricht auch der Umstand, daß
alle Schädlichkeiten, die das Organ betreffen, offenbar beide
Heft 4 Nebenniere. 357
Teile in Mitleidenschaft ziehen, wenn auch in ungleichem Maße.
Vom Standpunkt der Annahme einer einheitlichen Nebenniere aus,
ist das frühe Säuglingsalter, sagen wir die ersten 3—4 Monate, die-
jenige Zeit, in welcher sich die Bildung des einheitlichen Organs
vollzieht. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden,
von welcher Wichtigkeit gerade für den Kinderarzt die Klärung
der Frage einer einheitlichen Nebenniere ist. Die Aufgabe zu-
künftiger Forschung wird sich etwas verschieben: Bei Zuständen,
welche eine Veränderung der Adrenalinbildung vermuten lassen,
müßte besonders auch die Rinde, bei solchen, wo eine Veränderung
des Lipoids wahrscheinlich ist, auch die Adrenalinbildung unter-
sucht werden. |
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27. Friedrichsen, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 87.
28. Viktor, Zeitschr. f. Kinderheilk. 1921, Bd. 30.
29. Beumer, Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 19.
30. Czerny, Zentralbl. f. allgem. Pathol. 1899, Bd. Io.
31. Sternberg, Zieglers Beitrage Bd. 60.
2, Aszodi und Paunz, Biochem. Zeitschr. 1923, Bd. 136.
Diskussion.
Herr Aron: Die Nebennieren sind, wie der Vortragende betonte, ebenfalls
durch die Ernährung beeinflußbar;- und zwar nehmen die Nebennieren bei
Unterernährung und verschiedenen Nährschäden an Gewicht zu. Diese eigen-
artige Hypertrophie bei allgemeiner Kachexie läßt sich vielleicht durch die
zwischen den verschiedenen innersekretorischen Organen bestehende Korre-
lation erklären. Da die meisten Organe mit innerer Sekretion, besonders
Thyreoidea und Geschlechtsdrüsen bei Nährschäden usw. stark in Gewicht
abnehmen, so hypertrophieren die Nebennieren ähnlich, wie etwa bei Lähmung
einer Muskelgruppe die Antagonisten das übrige meist gewinnen.
Die Schilddriise').
Herr Privatdozent Dr. Sehiff, Berlin.
Meine Damen und Herren! Wenn ich heute dem ehrenvollen Auf-
trage nachkomme, in diesem Kreise ein Referat über die Schilddrüse
zu halten, so bin ich mir der Schwierigkeiten, die das Thema mit sich
bringt, wohl bewußt. Über die innere Sekretion im allgemeinen wie
auch über die Schilddrüse liegt eine kaum übersehbare Literatur
vor. Klinik und experimentelle Forschung gehen hierbei nicht den
gleichen Schritt. Zwischen den beiden den richtigen Mittelweg zu
finden, ist oft schwer, auch aus dem Grunde, weil wohl kaum ein
anderes Kapitel der Medizin von fruchtlosen Spekulationen so über-
schwemmt ist wie das der inneren Sekretion.
Ich werde mich bei meinen Ausführungen möglichst an die kli-
nische Beobachtung halten und die experimentellen Erfahrungen
nur soweit berücksichtigen, als sie uns einen tieferen Einblick in das
pathologische Geschehen gewähren. — Ich möchte die Schilddrüsen-
erkrankungen in zwei Gruppen getrennt besprechen, je nachdem,
ob im klinischem Bilde eine veränderte Tätigkeit der Schilddrüse
nachweisbar ist oder nicht.
Die für das Kindesalter wichtigste Sekretionsanomalie ist die
herabgesetzte oder fehlende Funktion der Schilddrüse. Das klinische
Bild, das hierbei entsteht, wird als Myxödem bezeichnet. Auf die
klinischen Erscheinungen einzugehen, ist überflüssig, schon allein
aus dem Grunde, weil das Krankheitsbild allgemein bekannt ist und
die Klinik des Myxödems in den letzten Jahren wohl kaum einen
Fortschritt aufzuweisen hat. Bemerkenswert ist, daß auch bei totaler
Aplasie der Schilddrüse die Ausfallserscheinungen nicht gleich nach
der Geburt, sondern erst nach mehreren Wochen klinisch in Er-
scheinung treten. Man führt dies’darauf zurück, daß der Foetus von
der Mutter auf placeniarem Wege mit Schilddrüsenstoffen versorgt
wird. Wenn dies aber so ist, dann kommt man ungezwungen zu
dem Gedanken, daß die Schilddrüse im fötalen Leben kaum eine
1) Referat erstattet auf der 34. Versammlung der Deutschen Gesellschaft
für Kinderheilkunde in Göttingen 1923, 22. Sept.
360 Schiff. Heft 4
nennenswerte Rolle spielen diirfte. Leider sind unsere Kenntnisse
über die Entwicklung der Schilddrüsentätigkeit noch recht mangel-
haft. Man fand, daß gleich nach der Geburt eine fast vollkommene
Epitheldesquamation und ein vorübergehendes Schwinden des Kol-
loids stattfindet. Welche Bedeutung dieser Vorgang hat, ist kaum
zu verstehen, und Siegert fordert auch noch weitere Nachprüfung
und Bestätigung dieser Befunde. Tatsache ist, daß die fötale Schild-
drüse kein Jod enthält, und bemerkenswert die Angabe, daß die kol-
loid- und jodfreie Schilddrüse neugeborener Kinder im Froschlarven-
versuch gänzlich unwirksam ist (C. Wegelin und J. Abelin). Ob
das Schilddrüsenhormon in die Milch übergeht, ist eine Frage, die
noch nicht mit Sicherheit entschieden ist. Wenn auch manches dafür
zu sprechen scheint, so muß doch hervorgehoben werden — worauf
ganz besonders Siegert hingewiesen hat —, daß trotz Ernährung
an der Brust der gesunden Mutter das Myxödem doch zur Entwick-
lung gelangt. Es ist demnach anzunehmen, daß das Schilddrüsen-
hormon entweder gar nicht oder nur in so geringen Mengen in
die Milch übergeht, daß sie praktisch kaum eine Rolle spielen
dürften. — |
Eine besondere Beachtung verdient die Frage des infantilen
Myxödems. Pineles hat bekanntlich das infantile Myxödem vom —
Congenitalen getrennt. Das congenitale Myxödem beruht auf einer
totalen oder nach Thomas auf einer dystopischen Hypoplasie der
Schilddrüse, während beim infantilen degenerative Vorgänge in der
bereits fertigen, an normaler Stelle befindlichen Schilddrüse auf-
treten. Während Pineles das Auftreten des infantilen Myxödems
in das fünfte Lebensjahr verlegt, vertritt Siegert den Standpunkt,
daß die Involution der Schilddrüse in jedem Lebensalter, ja sogar
auch intrauterin erfolgen kann. Ich selbst möchte mich in dieser
Frage der Ansicht Siegerts anschließen.
Die Frage, ob angeborenes oder erworbenes Myxödem, glaubte
man auf röntgenologischem Wege entscheiden zu können. Bekannt-
lich treten beim Myxödem die Knochenkerne sehr verspätet auf.
Beim gesunden Kinde sind schon im 4.—5. Lebensmonat die Kerne
des Capitatum und Hamatum zu sehen. Beim Myxödem sind, wenn
die Erkrankung frühzeitig eingesetzt hat, auch in den späteren Le-
bensjahren keine Knochenkerne nachweisbar. Der Befund von
Knochenkernen in der Handwurzel eines myxödematösen Kindes
spricht also gegen angeborenes Myxödem, und aus der Zahl der
Knochenkerne ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Zeit-
punkt des Einsetzens des Myxödems feststellbar.
Heft 4 . Die Schilddrüse. 361
Bis vor kurzem herrschte die Lehre, daß das congenitale Myxödem
eine Hemmungsmißbildung ist, beruhend auf einer totalen Aplasie
oder dyspotischen Hypoplasie der Schilddrüse. Die Richtigkeit dieser
These wurde an der Tagung der pädiatrischen Gesellschaft in Jena
(1921) von Siegert angezweifelt, und er versuchte den Beweis zu er-
bringen, daß angeborenes wie infantiles Myxödem ‚‚auf der restlosen
Involution vor wie nach der Geburt der in der Entwicklung gestörten,
nachweisbar vorhanden gewesenen Schilddrüsenanlage‘“ beruhen.
Klinik und Experiment haben eindeutig erwiesen, daß zwischen
Wachstum und Schilddrüsentätigkeit die engsten Beziehungen be-
stehen. Daß die Wachstumsvorgänge beim Myxödem des Kindes
stark gekemmt sind, steht außer Zweifel und ist allgemein bekannt.
Kinder, die an Myxödem leiden, sind Zwerge. Moro spricht von
einem neotenischen Charakter des Myxödems. Welche Bedeutung
die Schilddrüse für das Wachstum hat, ist in interessanten Unter-
suchungen von Gudernatsch gezeigt worden. Werden Kaul-
quappen von Fröschen mit Schilddrüse gefüttert, so wird das Wachs-
tum gehemmt, die Metamorphose aber beschleunigt. Thymusfüt-
terung hingegen hemmt die Methamorphose und regt das Wachstum
an. Bemerkenswert ist die Beobachtung von Hart, daß bei Thymus-
fütterung der Kaulquappen die Schilddrüse atrophiert, und er glaubt
sowohl die gehemmte Metamorphose wie auch den gesteigerten Was-
sergehalt, das Myxödem der so behandelten Tiere, hierauf zurück-
führen zu müssen. Im besten Einklang mit diesen Befunden steht
die Beobachtung E. Uhlenhuts, daß der Höhlensalamander
(Typhlomolge rathbuni), der sich nur bis zum Larvenstadium ent-
wickelt, keine Schilddriise haben soll. Es sei auch hervorgehoben,
daB die spezifische Schilddriisenwirkung auch durch Schilddriisen-
hydrolysate hervorgerufen werden kann (Abderhalden und Schiff-
mann).
Von den Wachstumsstörungen der Knochen beim Myxödem ist
insbesondere die verlangsamte Knochenresorption zu erwähnen.
Hierdurch entsteht gewissermaßen eine Osteosklerose, also ein gegen-
sätzlicher Vorgang wie bei der Rachitis. Dies erklärt die von Siegert
betonte Tatsache, daß Myxödem und Rachitis nebeneinander nicht
vorkommen. Der Nachweis von Rachitis bei einem an Myxödem
leidenden Kinde spricht also dafür, daß die Schilddrüseninsuffizienz
bei diesen Kinde erst im einer Zeit einsetzen mußte, in der die Rachitis
bereits bestand. |
Von einer ganz besonderen Bedeutung ist die Beeinflussung des
Nervensystems durch den Fortfall der Schilddriisentatigkeit. Ob es
` 362 © Schiff. Heft 4
„sich hierbei um eine direkte oder indirekte Wirkung handelt, läßt
sich nicht sagen. Tatsache ist aber, daß beim angeborenen Myxödem
‚eine beschränkte Entwicklung der Gehirnfunktionen besteht, die oft
diè höchsten Grade erreichen kann. Ein anatomisches Substrat
‚dieser cerebralen Anomalie ist bisher nicht gefunden worden. Die
"histologischen Befunde zeigten entweder keine Veränderungen oder
durchaus atypische Bilder (Hun und Prudden, Weygandt,
Scholz, Bayon). Immerhin fehlt es auch hier nicht an Hypothesen.
Marie, B. C. Tritiakoff und Stumpfer fanden in einem Falle
von congenitalem Myxödem bei einem 36jährigen Patienten Gefäß-
veränderungen in der weißen Substanz, in der Olive und im Linsen-
kern. Sie glauben, daß die cerebralen Erscheinungen bei der Athy-
reose auf einer durch die Gefäßerkrankung verursachte Nutritions-
störung der Gehirnsubstanz beruhen. —
Auch das vegetative Nervensystem wird durch den Fortfall der
Schilddrüsentätigkeit in Mitleidenschaft gezogen. Nach Asher ist
eine der wichtigsten Funktionen des Schilddrüsenhormons die Sen-
sibilisierung der neuroplasmatischen Zwischensubstanz. Fehlt die
Schilddrüsentätigkeit, so ist also die Reizbarkeit des Sympathicus
gehemmt. Manche Erscheinungen, die beim Myxödem zu beobachten
sind, könnten hierauf zurückgeführt werden. Z. B. die fehlende
Adrenalinglykosurie und die gesteigerte Assimilationsgrenze für
Traubenzucker (Hirschl, Knöpfelmacher). Diese Beobachtungen
sind in letzter Zeit von Cori bei einem 4jährigen schwer myxödema-
tösen Kinde bestätigt worden, dürfen jedoch nicht verallgemeinert
werden. Freudenberg konnte z. B. bei einem r4jahrigen myx-
ödematösen Kinde weder eine Steigerung der Zuckertoleranz noch
das Ausbleiben der Adrenalinglykosurie beobachten.
Worauf diese Divergenzen in der Reaktionsweise beruhen, ist
schwer zu sagen. Etwas Ähnliches ist aber auch beim Basedow zu
finden. Man spricht von einer vagotonischen und einer sympathico-
tonischen Form des Basedow und glaubt, daß die Thymus hierbei eine
wesentliche Rolle spielt. Ich vermute, daß auch beim Myxödem viel-
leicht ähnliche Verhältnisse vorliegen. Wahrscheinlich steht auch die
Hypotonie der Muskulatur beim Myxödem (Kassowitz, Siegert)
mit der mangelhaften sympathischen Innervation im Zusammen-
hang. Ich denke hierbei an die Arbeiten von holländischen Forschern
und von Frank (Breslau). In den seltenen Myxödemfällen, bei
welchen spastische Zustände in den Extremitäten bestehen (Kocher,
Friedjung, Dieterle) ist an besondere, cerebral lokalisierte patho-
logische Vorgänge zu denken.
Heft 4 Die Schilddrise. 363
In diesem Zusammenhange sei eine Beobachtung H. Zondeks
erwähnt. Er fand beim Myxödem ein großes schlaffes Herz mit auf-
fallend träger Kontraktion und im Elektrokardiogramm das Fehlen
der A- und F-Zacke. Durch die spezifische Therapie wird das Herz
kleiner, und das Elektrokardiogramm zeigt normale Verhältnisse. Ich
konnte die Beobachtungen Zondeks im vollem Umfange bestätigen.
Bekannt ist die Neigung zur Hypothermie bei der Athyreose. In
Tierversuchen konnten Mansfeld und Ernst!) zeigen, daß thy-
reoidektomierte Tiere bei künstlicher Infektion weder mit einer
Steigerung der Wärmeproduktion noch mit einer solchen des Stick-
stoffumsatzes reagieren. Auch Boldyreff betont, daß schilddrüsen-
lose Tiere sich wie Kaltblüter verhalten. Ganz besonders sind an
dieser Stelle die schönen Versuche Adlers an winterschlafenden
Tieren zu erwähnen. — Durch spezielle Untersuchungen hat Cori
unlängst bei einem 4jährigen myxödematösen Kinde die gestörte
Wärmeregulation nachgewiesen. Wenn aber A. Mayer behauptet,
daß Athyreotiker nur schwer fiebern, so kann ich dem auf Grund
meiner Erfahrungen nicht beistimmen. Vielmehr habe ich den Ein-
druck, daß myxödematöse Kinder besonders anfällig sind und recht
häufig an fieberhaften Infekten erkranken.
Oft, aber keinesfalls konstant, ist beim Myxödem eine Anämie
mäßigen Grades nachweisbar, während Abweichungen von der Norm
im Differentialbild der Leukocyten weniger häufig sind. Daß die
Schilddrüse die Blutbildung beeinflußt, hat in Tierversuchen Mans-
feld gezeigt. Er fand, daß bei schilddrüsenlosen Tieren die Ver-
mehrung der Erythrocyten im Höhenklima ausbleibt, daß bei ihnen
die Blutregeneration stark beeinträchtigt ist und schließlich, daß
die Anämie der thyreoidektomierten Tiere durch Schilddrüsen-
behandlung günstig zu beeinflussen ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einiges über die Stoffwechsel-
wirkung des Schilddrüsenhormons besprechen. Daß Schilddrüsen-
stoffe den Stoffwechsel beschleunigen, ferner, daß bei Hyperthyreosen
ein vermehrter Eiweißzerfall besteht, ist längst bekannt. Vollmer
fand vor kurzem, daß die Stoffwechselbeschleunigung durch Schild-
drüsensubstanz zu einer Alkolose führt. Nach Eppinger wird
unter Schilddrüsenwirkung die Wasser- und Chlorausscheidung be-
schleunigt.
Die bisher erwähnten Eigenschaften der Schilddrüsensubstanz ver-
werten wir hauptsächlich in der Therapie, während die bereits von
) Grafe und Redwitz haben diese Beobachtungen nicht bestätigen
können. Zeitschr. f. physiol. Chemie 1922, Bd. 119, S. 125.
364 Schiff. Heft 4
Magnus- Levy und von v. Bergmann festgestellte und wieder-
holt bestätigte Tatsache, daß bei Hyperthyreose der Grundumsatz
gesteigert, bei Hypothyreose erniedrigt ist, in den letzten Jahren
in diagnostischer Beziehung eine ganz besondere Bedeutung er
langt hat.
Bei Versuchen, die ich über die Wirkung von Schilddrüsensubstanz
auf den Säuglingsorganismus vor einigen Jahren ausgeführt habe!),
ist es mir aufgefallen, daß bei diesen, trotz wochenlanger Zufuhr von
täglich 0,5 g Thyreoidintabletten sich nicht die geringsten subjektiven
Störungen einstellten. Die vorher gesunden Säuglinge nahmen un-
gestört weiter zu. Czerny hat mir dann mitgeteilt, daß in seiner
Praxis bereits wiederholt Kinder versehentlich eine ganze Packung
von Schilddrüsentabletten zu sich genommen haben, ohne zu er-
kranken. Auch Beckers 2!/,jähriger Patient verzehrte auf einmal
go Tabletten (& 0,3 g) und blieb vollkommen gesund. Meine an drei
gesunden und einem kranken Säugling ausgeführten Stoffwechsel-
versuche ergaben kurz zusammenfassend folgendes: In dem einen
Falle kam es in der Schilddrüsenperiode zu einer mäßigen, in den
zwei anderen zu einer wesentlichen Steigerung sowohl der Stickstoff-
wie auch der Kalk- und Phosphorbilanzen. Nur bei einem Kinde
haben sich die Bilanzen etwas verschlechtert. Bei diesem trat in der
Hauptperiode eine Pneumonie auf. Diese Beobachtungen sind auf-
fallend, weil sie im Gegensatze zu den bisherigen stehen. Nun haben
Hirsch und Blumenfeldt im Laboratorium von Fr. Kraus ge-
funden, daß bei jungen wachsenden Hunden durch Zufuhr von
Schilddrüsensubstanz der gesamte Stoff- und Energieumsatz ein-
geschränkt wird. Diese Befunde stehen mit meinen Beobachtungen
jedenfalls im besten Einklange. Bei Kindern im Schulalter hat
Orgler die Stoffwechselwirkung der Schilddrüsensubstanz studiert.
Er fand trotz reichlicher Zufuhr von Schilddrüsensubstanz keine
subjektiven Störungen bei den Kindern, hingegen kam es wie beim
Erwachsenen zu einer beträchtlichen Steigerung der Eiweißzer-
setzung. In allen Fällen traten negative Stickstoffbilanzen in der
Hauptperiode auf. Man kann also in den verschiedenen Lebens-
perioden verschiedene Wirkungen der Schilddrüsensubstanz auf den
Organismus beobachten. Beim Erwachsenen kommt es nach Zufuhr
von Schilddrüsensubstanz in entsprechend hohen Dosen zu sub-
jektiven Störungen und zur Steigerung der dissimilatorischen Vor-
gänge im Stoffwechsel. Beim Kinde im Schulalter fehlen die sub-
jektiven Störungen, der Stoffwechsel wird aber ähnlich wie beim
1) Nicht veröffentlichte Untersuchungen.
Heft 4 Die Schilddrüse. | 365
Erwachsenen beeinflußt. Beim Säugling vermissen wir beide Wir-
kungen in der Regel. Bei diesen scheint die Schilddrüse vielmehr
eine assimilatorische Wirkung zu entfalten. Ich vermute, daß diese
verschiedene Wirkungsweise als der funktionelle Ausdruck jener Ver-
änderungen anzusehen ist, welcher die physiologische Korrelations-
verschiebung des hormonalen Gleichgewichtes in den verschiedenen
Lebensperioden zugrunde liegt. In diesem Sinne sprechen auch die
Versuche von Swehla, der gezeigt hat, daß Extrakte der inkre-
torischen Drüsen in verschiedenen Altersstufen verschieden wirksam
sind. Beim Säugling steht an erster Stelle der Wirkungsintensität
die Thymus, an letzter die Nebennieren, ein Verhalten, das sich im
späteren Lebensalter umkehrt. Ich glaube, daß diese Beobachtungen
auch für das Konstitutionsproblem nicht ganz belanglos sind. Im-
merhin darf nicht verschwiegen werden, daß der erniedrigte Grund-
umsatz bei der Athyreose des Kindes und die Steigerung desselben
durch die spezifische Therapie zu den eben entwickelten Vorstel-
lungen im Gegensatze stehen. Ich bin vorläufig noch nicht in der
Lage, hierfür eine Erklärung zu geben.
Stoffwechselversuche beim Myxödem des Kindes sind von Lang-
steinund Hougardy, ferner von Benjamin und Reuß ausgeführt
worden. Schließlich wäre noch aus der letzten Zeit das von Beumer
und Iseke beobachtete Fehlen der Kreatinausscheidung und der
niedrige Kalkgehalt des Blutes beim Myxödem (Leicher) zu er-
wähnen.
Die aus dem Experiment bekannten Wechselbeziehungen zwischen
den einzelnen inkretorischen Drüsen treten auch im klinischen Bilde
zutage. — Thyreoidektomie beim wachsenden Tier führt zu einer
Vergrößerung des Hypophysenvorderlappens (Hofmeister, Gley,
Biedl u. a.). Bei Athyreose hat Berblinger eine Hyperplasie der
Hypophyse mit Vermehrung der Hauptzellen — ähnlich wie bei der
Gravidität — beobachtet. In der pädiatrischen Literatur sind diese
Verhältnisse unlängst von A. Roggen ausführlich erörtert worden.
Roggen glaubt, daß Hypophysenveränderungen beim Myxödem
nur dann auftreten, wenn vor der Erkrankung eine funktionierende
Schilddrüse vorhanden gewesen ist. Sie fehlten in der Regel bei
totaler kongenitaler Aplasie. Schließlich sei noch erwähnt, daß
Leschke hypophysäre Adipositas beim Myxödem eines Erwach-
senen beobachtet hat; die Hypoplasie der Genitalien, das Fehlen
von sec. Geschlechtsmerkmalen beim Myxödem entsprechen Ver-
hältnissen, wie sie bei schilddrüsenlosen Tieren zu beobachten sind.
Bei diesen verkleinert sich auch die Thymus. Bei Myxödem des
366 Schiff. Heft 4
Kindes kann die Thymusdriise nach Siegert normal, atrophisch wie
auch hypertrophisch sein.
Anschließend an das Myxödem möchte ich kurz den endemischen
Kretinismus behandeln.
Ätiologie und Pathogenese dieser Erkrankung — das kann wohl
ruhig behauptet werden — sind noch nicht aufgeklärt. Sicher scheint
nur zu sein, daß der endemische Kretinismus an gewisse Territorien
gebunden ist, daß endemischer Kretinismus, der endemische Kropf
und die endemische Taubstummheit ätiologisch zusammengehören,
und schließlich, daß beim endemischen Kretinismus noch nie eine
normale Schilddrüse gefunden wurde. Sporadischer und endemischer
Kretinismus sind ätiologisch sicher differente Zustände. Beiden ge-
meinsam ist aber die Beteiligung der Schilddrüse an dem Krankheits-
bilde. Bekannt ist, daß in Kropfgegenden die Schilddrüse schon
normalerweise größer ist als in kropffreien Gegenden, ferner, daß an
diesen Orten Kinder schon mit einer Struma auf die Welt kommen
können, die unter Umständen durch ihre Größe schwere stridoröse
Zustände veranlassen kann (Remy, F. Hamburger). Nach Feer
ist Kropf bei Neugeborenen und Säuglingen in gewisssen Teilen der
Schweiz sehr häufig, und er betont, daß bereits in den ersten Lebens-
tagen des Kindes eine sicher feststellbare kretinische Physiognomie
beobachtet werden kann. Feer betont dies aus dem Grunde, weil
nach den Angaben der Literatur der kretinische Habitus beim Kinde
erst nach Monaten (Kocher) bzw. erst mehrere Jahre nach der
Geburt auftritt (E. Bircher). Das klinische Bild des endemischen
Kretinismus kann unter Umständen mit dem sporadischen eine
solche Ähnlichkeit aufweisen, daß nach dem Berichte erfahrener
Ärzte im Endemiegebiet die Diagnose sporadischer Kretinismus die
größten Schwierigkeiten bereiten kann. Vor kurzem beschrieb Feer,
daß bei Säuglingen mit endemischem Kropf oft eine erhebliche Herz-
vergrößerung festgestellt werden kann. Sie geht auf Jodbehandlung
zurück. Häufig hat Feer bei diesen Kindern auch eine Thymus-
hypertrophie gesehen.
Bemerkenswert ist, daß beim endemischen Kretinismus die Heredität
im Gegensatz zum sporadischen von Bedeutung ist, ferner, daß die
Bevorzugung des weiblichen Geschlechts, wie diese beim sporadischen
Kretinismus vorkommt, beim endemischen nicht zu beobachten ist,
und schließlich die Angabe von Kutschera, daß Kinder von Kretinen
nur wenig widerstandsfähig sind und eine Polyletalität aufweisen.
Auf die Frage, ob manche Symptome des endemischen Kretinismus
durch die Hypothyreose hervorgerufen werden (z. B. die Sprach-
Heft 4 Die Schilddrüse. 367
und Hörstörung), oder ob sie durch die strumigene Noxe direkt er-
zeugt werden, möchte ich nicht eingehen. Auch glaube ich, die ver-
schiedenen Kropftheorien (Trinkwasser, Jodmangel, Infektion usw.)
übergehen zu dürfen.
Ich möchte mit einigen Worten noch die abortiven Formen der
Hypothyreose erwähnen.
Wieland denkt in diesen Fällen an eine glanduläre Hypoplasie
und erblickt in dieser die Disposition zur Schilddrüseninsuffizienz
im extrauterinen Leben. Er spricht in diesen Fällen von einer hypo-
thyreotischen Konstitution, während Siegert die Existenz einer
solchen für nicht erwiesen hält.
Ganz entschieden gibt es Kinder, die Andeutungen von hypo-
thyreotischen Zeichen aufweisen. Wir finden die Haut trocken, da:
Gesicht öfters etwas gedunsen, das Längenwachstum mehr oder
weniger stark gehemmt usf. Ich habe diese Fälle stets mit Interesse
verfolgt, muß aber gestehen, daB es mir recht zweifelhaft zu sein
scheint, ob es berechtigt ist, bei diesen Kindern immer einen Hypo-
thyreoidismus anzunehmen. Ebensowenig wie Husler konnte ich
bei diesen durch die spezifische Therapie einen Erfolg erzielen, auch
habe ich weder durch die röntgenologische noch durch die elektro-
kardiographische Untersuchung Anhaltspunkte für das Bestehen
eines Hypothyreoidismus gewinnen können.
Immerhin kann das Vorkommen einer Hypothyreose beim Kinde
— nach den Literaturberichten jedenfalls — nicht geleugnet werden.
Solche Fälle sind von Siegert, Wieland u. a. in der in- und aus-
ländischen Literatur beschrieben worden. Sie sind alle der Schild-
drüsentherapie sehr zugänglich gewesen. Hervorzuheben ist, daß
diese abortiven Formen des Myxödems beim Kinde ebenso pro-
gressiv verlaufen (Wieland) wie beim Erwachsenen (Kocher).
Für das Bestehen einer Hypothyreose möchte ich in diagnostischer
Hinsicht die Progredienz der Erscheinungen jedenfalls höher ein-
schätzen als die Diagnose ex juvantibus. Auf die Angaben von
Hertoghe will ich nicht eingehen. Die Fälle, die er als gutartigen
chronischen Hypothyreoidismus bezeichnet hat, haben mit einer ge-
störten Schilddrüsentätigkeit sicherlich nichts zu tun. Jedenfalls
liegen hierfür nicht die geringsten Beweise vor.
Das andere Extrem veränderter Schilddrüsentätigkeit ist die
Hyperthyreoset), wie sie z. B. beim Basedow vorkommt. Ich glaube
mich bei dieser Erkrankung nicht lange aufhalten zu brauchen, weil
sie beim Kinde sicherlich nur eine ganz geringe Rolle spielt. Sichere
1) Die Frage, ob Hyper- oder Dysfunktion soll hier nicht erörtert werden.
368 Schiff. Heft 4
Fälle von Basedow beim Kinde gehören zu den größten Seltenheiten.
Ob die abortive Form dieser Erkrankung, das sog. Basedowoid,
häufiger vorkommt, scheint mir recht fraglich zu sein. Ob Fälle,
wie z. B. der von Hochsinger — der nebenbei gesagt, noch durch
Schilddrüsenzufuhr geheilt wurde — mit einer gesteigerten Schild-
drüsentätigkeit überhaupt etwas zu tun haben, ist wohl sehr proble-
matisch. Tatsächlich gibt es einen Typus von Kindern, bei welchen
Symptome zu beobachten sind, die man vielleicht mit einer Hyper-
thyreose in Zusammenhang bringen könnte. Es sind meist schlanke
Kinder, die durch ihre weiten Lidspalten, glänzende Augen, Neigung
zum Schwitzen, kardio-vasculäre Störungen usw. gekennzeichnet
sind. Am meisten ausgeprägt sind diese Symptome bei Kindern im
Schulalter. Ich möchte aber gleich betonen, daß ihr Auftreten nicht
an die Zeit der Pubertät gebunden ist. Bei manchen dieser Kinder
— meist sind es Mädchen — findet sich eine mehr oder weniger aus-
gesprochene Struma, sie fehlt aber in der Mehrzahl dieser Fälle.
Nie habe ich bei diesen Kindern den charakteristischen feinschlä-
gigen Tremor der Hände, nie das Basedowherz gesehen. Von den
Augensymptomen ist der Graefe öfter angedeutet, nur äußerst
selten ist der Stellwag, und nie habe ich das Möbiussche Phänomen
gesehen. Ob man in diesen Fällen — sie sind bereits unter verschie-
denen Titeln beschrieben worden — einen Hyperthyreoidismus an-
nehmen soll, bleibt vorläufig der reinen Willkür überlassen. Beweise
für die Richtigkeit einer solchen Annahme liegen bisher jedenfalls
nicht vor. Wenn Wieland den Nachweis leichter Augenstörungen
oder einer Struma selbst bei Fehlen von Exophthalmus oder den
Nachweis einer relativen Lymphocytose für die Diagnose Basedow
als ausschlaggebend ansieht, so kann ich mich dem keinesfalls an-
schließen. Wenn das richtig wäre, so wäre der Basedow zum min-
desten in seinen abortiven Formen beim Kinde eine außerordentlich
häufige Erkrankung.
' Vor einigen Jahren hat Schlesinger zu dieser Frage Stellung ge-
nommen. Nach ihm kommen bei Kindern im Schulalter kardiovasculäre
"Störungen mit oder ohne Struma vor. Als Ursache dieser kardiovascu-
lären Störungen nimmt Schlesinger in den meisten dieser Fälle
cinen Hyperthyreoidismus an. Ich glaube, daß die Richtigkeit dieser
Ansicht noch durch exaktere Untersuchungen gestützt werden müßte.
Ich komme jetzt zur Besprechung derjenigen Fälle, die eigentlich
nur durch einen abnormen lokalen Befund an der Schilddrüse charak-
terisiert sind, und bei welchen eine Funktionsstörung der Thyreoidea
nicht nachweisbar ist.
Heft 4 Die Schilddrise. 369
Die beim Kinde nur selten vorkommende Thyreoiditis sei nur kurz
erwähnt. Sie kann nach den verschiedensten Infektionskrankheiten
auftreten. Ich habe sie nach Scharlach und Typhus gesehen. In der
Regel verursacht sie keine Funktionsstörung der Schilddrüse. Daß
auch chronisch entzündliche Prozesse, wie Tuberkulose und Lues,
hier und da in Form von einzelnen Tuberkeln bzw. Gummen in der
Schilddrüse vorkommen können, sei nur kurz angedeutet. Ferner
sei erwähnt, daß eine durch Hyperämie verursachte Vergrößerung
der Schilddrüse schon bei neugeborenen Kindern vorkommen kann
und vorübergehender Natur ist.
Eine praktisch größere Bedeutung beanspruchen allein schon
wegen ihrer Häufigkeit die in kropffreien Gegenden vorwiegend bei
Mädchen in den Wachstumsjahren vorkommenden Strumen. Ich
erwähne sie an dieser Stelle aus dem Grunde, weil ich mich in diesen
Fällen von einer abnormen Schilddrüsenfunktion nicht habe über-
zeugen können. Bemerkenswert ist, daß nach den Angaben der
Literatur (Vas, M. Schick, Uffenheimer, Nobel und Rosen-
blüth) diese Strumen in der Nachkriegszeit viel häufiger zu beob-
achten sind als vorher. Die Ursache dieser Erscheinung ist unbe-
kannt. Vas denkt.an die Möglichkeit einer infektiösen Genese, weil
er in Budapest ein gruppenweises Auftreten dieser Strumafälle nur
in ganz bestimmten Gegenden der Stadt wie auch eine familiäre
Häufung beobachten konnte. |
Meine Damen und Herren! Typische Fälle von A- oder Hyper:
thyreose zu erkennen, ist eine leichte Aufgabe. Leichte Störungen
mit nur angedeuteten Symptomen richtig einzuschätzen, ist unter
Umständen außerordentlich schwierig, wenn nicht ganz unmöglich.
Gerade in solchen Fällen wäre es aber wünschenswert, Methoden zu
besitzen, die uns die sichere Entscheidung einer abnormen Schild-
drüsenfunktion ermöglichen würden.
Als eine solche wird in Amerika die Probe von Goetsch venandi:
Man priift die Adrenalinempfindlichkeit, die bei Hypothyreosen
herabgesetzt, bei Hyperthyreosen gesteigert sein soll. Auf Grund
von eigenen Erfahrungen muß ich diese Methode ablehnen, wie sie
auch in Amerika von verschiedenen Seiten angefochten wird. Neben-
bei sei nur erwähnt, daß es mir niemals gelungen ist, beim Kinde,
durch Verabreichung von Schilddrüsensubstanz eine Steigerung der
Adrenalinempfindlichkeit hervorzurufen.
In letzter Zeit ist die Bestimmung des Viscositätsfaktors im Blute
zur funktionellen Schilddrüsendiagnostik empfohlen worden (Hell-
weg und Neuschloß). Diese Methode bedarf noch der weiteren
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 24
370 Schiff. Heft 4
Nachprüfung. Sie wurde unlängst von Frey und Stahnke ab-
gelehnt.
Wesentlich mehr ist in der erwähnten Richtung von der Bestim-
mung des Grundumsatzes zu erwarten. Nach übereinstimmenden
Angaben der in- und ausländischen Literatur haben die bereits er-
wähnten Befunde von Magnus Levy und Bergmann — daß der
Grundumsatz bei der Hyperthyreose gesteigert, bei der Hypothyreose
herabgesetzt ist —, eine allgemeine Bestätigung erfahren. In letzter
Zeit wurde diese Methode von Talbot und Moriarty, M. Kroghu.a.
sowohl zur Frühdiagnose des Myxödems, wie auch zur Kontrolle der
Schilddrüsentherapie und der Dosierung von Schilddrüsensubstanz
empfohlen.
Schließlich könnte auch daran gedacht werden, das E.K.G. zur
Beurteilung der Schilddrüsenfunktion heranzuziehen. Ob in abortiven
Fällen von Hypothyreose die Ausschläge aber genügend deutlich
sind, muß noch in weiteren Untersuchungen geprüft werden. In
einigen Fällen, bei welchen ich den Eindruck einer leichten Hypo-
thyreose hatte, konnte ich im E.K.G. keine Abweichungen von der
Norm erkennen.
Zum Schluß noch einiges über die therapeutische Verwendung der
Schilddrüsensubstanz.
In der Regel wird die Schilddrüsensubstanz per os verabreicht.
Daß bei dieser Anwendungsform spezifische Wirkungen zu erzielen
sind, ist um so bemerkenswerter, weil die Extrakte der anderen
inkretorischen Drüsen vom Magen-Darmkanal aus unwirksam sind.
Daß das Schilddrüsenhormon von den Verdauungsfermenten nicht
zerstört wird, bringt Murray damit in Zusammenhang, daß bei
gewissen Wirbeltieren (Amphyoxus, Fische) die Schilddrüse einen
Ausführungsgang besitzt, durch den sie ihr Sekret in den Verdauungs-
trakt entleert. Es wurde bereits erwähnt, daß das Schilddrüsen-
hormon auch bei der Hydrolyse durch Säuren oder Laugen nicht
zerstört wird. Das Thyroxin (Trijodindoxiindolpropionsäure), das
wahrscheinlich dem Schilddrüsenhormon entspricht, ist eine Sub-
stanz, die Kendall aus dem Naoh-Hydrolysat von Schilddrüsen-
substanz isoliert hat. Eine dem Thyroxin nahestehende jodhaltige
Substanz wurde bereits früher von Benno Romeis aus dem Baryt-
Hydrolysat isoliert. Leider ist er durch den Krieg daran verhindert
worden, seine Untersuchungen seinerzeit zu Ende zu führen.
Therapeutische Versuche mit Schilddrüsensubstanz sind in den
verschiedensten Richtungen ausgeführt worden. Sie wurde zur
Behandlung des Ekzems, der Rachitis, der Tetanie, der Hypo-
Heft 4 Die Schilddrüse. 371
trophie usf. empfohlen. Ich glaube, daß wir diese Angaben heute
wohl übergehen können.
Die anderen Anwendungsgebiete der Schilddrüsentherapie basieren
auf den physiologischen Wirkungen des Schilddrüsenhormons. Die
beschleunigte Wasser- und Chlorausscheidung unter Thyreoidin-
wirkung (Eppinger), die auch beim Kinde zu beobachten ist
(Schiffund Peiper), hat Eppinger dazu veranlaßt, das Thyreoidin
zur Behandlung von Ödemen zu verwenden. Insbesondere sollen
die Ödeme bei der Nephrose günstig reagieren. In manchen Fällen
von Nephrosen habe ich selbst gute Erfolge gesehen, während das
Thyreoidin in anderen Fällen vollkommen versagte. Es sei nur
kurz erwähnt, daß es mir niemals gelungen ist, das Ödem von spasmo-
philen Kindern durch Thyreoidin zu beseitigen.
Auf der dissimilatorischen Beeinflussung des Stoffwechsels durch
Schilddrüsensubstanz beruht ihre Anwendung bei der Behandlung
der endogenen Fettsucht. Wir in der Berliner Kinderklinik ver-
suchen die Fettsucht hauptsächlich auf diätetischem Wege zu be-
kämpfen. Über eigene Erfahrungen hinsichtlich der Beeinflussung
der Fettsucht durch Thyreoidin kann ich somit nicht berichten. In
diesem Zusammenhang sei nur auf folgendes noch hingewiesen.
Bekanntlich wird in der Klinik von einer thyreogenen Fettsucht
gesprochen. Man hat auf die Beteiligung der Schilddrüse bei diesen
Formen von Fettsucht aus dem Umstande geschlossen, weil durch
Thyreoidin in diesen Fällen eklatante therapeutische Erfolge zu
erzielen sind. Bemerkenswert ist immerhin, daß wir in den typischen
Fällen von Athyreose eine nennenswerte Fettsucht in der Regel nicht
beobachten und ganz besonders hervorzuheben ist, daß bisher bei
den Fällen von sog. thyreogener Fettsucht der Grundumsatz nicht
erniedrigt gefunden wurdet). (M. Krogh, J. J. Means.)
Der Einfluß der Schilddrüse auf die Blutbildung berechtigt den
Versuch, Schilddrüsensubstanz zur Behandlung gewisser anämischer
Zustände anzuwenden. Ich konnte mich von dem Nutzen dieses
Verfahrens bisher nicht überzeugen.
Ganz entschieden günstig sind die therapeutischen Erfolge bei der
Behandlung der benignen Strumen der Kinder. Die Struma wird
kleiner, aber ein vollständiges Verschwinden habe ich in Überein-
stimmung mit den Beobachtungen anderer Ärzte nicht gesehen
(Dobrowsky, Knöpfelmacher, Firbas). Ich darf allerdings
nicht unerwähnt lassen, daß durch kleine Jodgaben in diesen Fällen
1) R. Plaut fand allerdings den Grundumsatz bei der ,tyreogenen Fettsucht“
herabgesetzt. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 142, H. 5/6.
24*
372 Schiff. Heft 4
ebenfalls giinstige therapeutische Erfolge zu erzielen sind. Welche
Bedeutung dem Jod in der Kropfprophylaxe sonst zugeschrieben
wird, ist allgemein bekannt.
Das Hauptanwendungsgebiet der Schilddriisensubstanz sind die
A- bzw. Hypothyreosen. Es ist wohl überflüssig hier auf Einzel-
heiten einzugehen. Ich möchte nur kurz erwähnen, daß man bei
myxödemkranken Kindern mit der Dosierung der Schilddrüsensub-
stanz etwas vorsichtig sein soll. In zwei Fällen haben wir nämlich
bei der üblichen Dosierung unaufhaltsame Gewichtsstürze mit
letalem Ausgang bei myxödematösen Säuglingen beobachtet.
Die wichtigste Frage ist, welche Erfolge beim Myxödem des Kindes
mit der Organtherapie zu erzielen sind.
Die gewaltigen Veränderungen im Habitus des an schwerem
Myxödem erkrankten Kindes, die sich unter Schilddrüsenbehand-
lung bereits in wenigen Wochen einstellen, sind bekannt. Leider,
aber muß gesagt werden, daß von einer.wirklichen Heilung nicht
gesprochen werden kann. Auch bei dauernder Zufuhr von Schild-
drüsensubstanz geht die Besserung nur bis zu einem gewissen Grade.
Nach einem bestimmten Zeitpunkt zeigen sich weder im Wachstum
des Kindes, noch in der geistigen Entwicklung irgendwelche Fort-
schritte. Die Schilddrüsensubstanz, von der man im Beginn der
Behandlung eine Wunderwirkung zu sehen glaubte, scheint auf
einmal zu versagen. Daß sie noch eine gewisse Wirkung hat, zeigt
sich jetzt nur darin, daß nach Fortlassen der Medikation wieder die
bekannten Rückfälle in den schweren myxodematösen Zustand auf-
treten. Wesentlich günstiger sind die therapeutischen Erfolge nach
den Literaturangaben bei den leichten Fällen von Hypothyreosen.
Meine Damen und Herren! Ich bin zum Ende meiner Ausfüh-
rungen gelangt. Die kurze Zeit, die mir zur Verfügung stand, hat
es mir unmöglich gemacht, mein Thema ausführlicher zu behandeln.
Ich habe mich bemüht, die mir wichtig erscheinenden Fragen heraus-
zugreifen und diese möglichst objektiv, ohne hypothetische Speku-
lationen, darzustellen. — |
Diskussion.
Herr Siegert: Erfreulicherweise herrscht jetzt doch die Feststellung.
daß meine viel angefochtenen Angaben betr. die Genese der Athyreosis, das
Skelettverhalten, die Beurteilung des Beginnes. aus dem Handskelett, die
sog. hypothyreotische Konstitution, durchaus berechtigt waren und bleiben.
Was den Gehirnbefund anbelangt, den die Franzosen behaupten, so ist er
ausgeschlossen durch die Tatsache, daß binnen 8 Tagen geistiges Erwachen
Heft 4 Die Schilddrise. 373
und geistige Arbeit auf die Therapie eintritt um so auffallender, je länger das
Mxyödem bestand. Der Muskeltonus wird genau so rasch geändert, wie es
die Bauchpresse, der Eintritt normaler Bewegung, beweisen. Betreffs der
Therapie habe ich niemals unaufhaltsamen Gewichtssturz beim myxödematösen
Säugling gesehen. Die Athyreosis erlaubt viel dreisteres Vorgehen mit Schild-
drüsenmedikation als das Vorhandensein derselben. Ein weiterer Fortschritt
liegt in den Resultaten der anatomischen Untersuchungen Sebastians und
des Jodnachweises bei Frühgeburt und Neugeborenen durch Thomas und
Delongne. Der Nachweis der ganz verschiedenen Reife im Sinne Salges,
eines oft hochgradigen Geburtstraumas, der Verschiedenheit des Jodgehaltes
erklären uns die rapide Entwicklung im ersten Lebenshalbjahr gegenüber der
späteren Zeit.
Herr Thomas: In neuen Untersuchungen habe ich gezeigt, daß die Schild-
drüse der Frühgeburten oft, die Schilddrüse des Neugeborenen wohl immer
Jod enthält. Das beweist noch nicht die spezifische Funktion der Drüse, denn
nur ein Viertel des Jodes der Schilddrüse ist auf Thyroxin zu beziehen. Wahr-
scheinlich ist der Hergang so, daß für die erste Lebenszeit dem Neugeborenen
von der Mutter ein Thyroxindepot mitgegeben wird. Daher auch das Latent-
bleiben der myxödematösen Symptome beim athyreotischen Neugeborenen.
Ist das Depot verbraucht, so kommen die Symptome zum Vorschein. —
Athyreotiker wachsen etwas auch ohne Therapie. Das ist entweder Wirkung
anderer wachstumsfördernder inkretorischer Drüsen oder einfach eine Funk-
tion der jugendlichen organisierten Materie überhaupt. — Ernährungszustand
und Jodgehalt stehen oft in Zusammenhang. Chronisch abgemagerte Kinder
haben in der Regel einen herabgesetzten Jodgehalt. Die Kriegshammelschild-
drüsen sind wenig wirksam. Vielleicht bestehen gewisse Beziehungen zwischen
Vitamingehalt und Jodgehalt. Sommerschilddrüsen sind jodreich (Vitamin-
reichtum).
Herr Goeppert: Die Unwirksamkeit der Thyreoidintabletten im und
nach dem Kriege bleibt ein großes Rätsel. Denn die Hammel sind im Kriege
nicht anders als sonst ernährt. Hier liegen wohl Fabrikhindernisse vor.
Herr Opitz: Ich bin gemeinsam mit Kollegen Metis mit Versuchen be-
schäftigt, den Einfluß innersekretorischer Produkte auf das Blutbild anämischer
Säuglinge zu studieren und habe auch Thyreoglandolinjektionen angewandt.
Die sofortige Reaktion scheint ziemlich übereinstimmend zu verlaufen: es läßt
sich etwa eine Stunde nach der Injektion eine Erythrocytenvermehrung nach-
weisen, die aber etwa ebenso schnell wieder abklingt. Die weitere Reaktion
ist verschieden: z. T. zeigt sich keine Veränderung der Zahl, z. T. nimmt die-
selbe nicht unerheblich wieder zu, um sich dann auf dem erhöhten Stande
zu halten. Eine erneute Injektion kann zu einer weiteren Steigerung führen,
doch scheint damit die Wirkung erschöpft zu sein. Die Versuche sind noch
nicht abgeschlossen.
Herr Tezner: r. In Wien hat der Kropf in der Nachkriegszeit sehr stark
zugenommen; dabei zeigt sich in vielen Fällen gesteigerter Grundumsatz.
Auf minimale Joddosen reagiert eine große Zahl dieser Kropfträger mit Abnahme
des Kropfes und Verringerung des Grundumsatz. — 2. Völlige Heilung des
Myxödems durch Thyreoidin scheint nicht vorzukommen. Es ist auffallend,
daß in einem Teil der Fälle die körperlichen, in einem anderen Teil die geistigen
374 Schiff. Heft 4
Symptome besser reagieren; es ist sicher, daß Myxödeme unter Umständen
stark fiebern; es wurde ein Myxödem beobachtet, das an Masern erkrankte,
bis 40° fieberte und starb,
' Herr Gött (München): Hypophyse (erscheint ausführlich im Archiv für
Kinderheilkunde). Die verschiedenen Anteile der Hypophyse bilden unab-
hängig voneinander verschiedene Sekrete von verschiedener Wirkungsweise
und können anscheinend unabhängig voneinander erkranken. Das Sekret
oder die Sekrete des Vorderlappens gelangen nach Biedl unmittelbar ins Blut,
das des Zwischenlappens nach Aktivierung im Hinterlappen in die Hirn-
substanz oder in den Liquor. Während dem Extrakt des Vorderlappens keine
Wirkung auf das vegetative Nervensystem zukommt, besitzt das aus ver-
schiedenen Stoffen zusammengesetzte Sekret des Zwischenlappens ausgedehnte,
bekanntlich und therapeutisch ausgenutzte Wirksamkeit (Einfluß auf GefaB-,
Uterus-, Darm- und Bronchialmuskulatur). Der Vorderlappen ist eine der
wichtigsten Wachstumsdrüsen; krankhafte Störung seiner Tätigkeit wird daher
gerade beim wachsenden Individuum, beim Kind, zu den Erscheinungen ge-
störten Wachstums führen müssen. Sein Ausfall hat Zwergwuchs oder
Ateleiosis zur Folge; bei ersterer bleibt nur das körperliche, bei letzterer
auch die geistige Entwicklung stehen. Der hypophysäre Zwergwuchs ist von
anderen Formen der Nanosomie (der primordialen, hypothyreotischen, kreti-
nistischen) wohl abtrennbar, ob es tunlich ist, mit Biedl die Bezeichnung
Ateleiosis, die von Gilford für eine allgemein hypoplastische, nicht endokrin
verursachte Entwicklungsstörung geschaffen wurde, auch für die endokrin
bedingte hypophysäre Rückständigkeit zu gebrauchen, mag dahingestellt
bleiben. Zwergwuchs und Ateleiosis hypophysärer Genese sind durch Verab-
reichung von Vorderlappenextrakten sehr auffällig zu bessern. Überproduktion
von Vorderlappensekret (bei Adenomen des Vorderlappens) führt zum Riesen-
wuchs, der auch beim Kind nicht selten mit akromegalieähnlicher Vergröße-
rung der Extremitätenenden vergesellschaftet ist. Echte Akromegalie mit den
charakteristischen Weichteilverdickungen, Periostauflagerungen und Binde-
gewebswucherungen ist bisher nur einmal beim Kind mit Sicherheit nach-
gewiesen (Fall von Schultze und Fischer); offenbar gestatten die dem
Kindesalter eigenen Wachstumstendenzen die enormen Weichteilverdickungen
der Pierre Marieschen Akromegalie nicht, oder es kommt beim Kind so gut
wie nie zur Entwicklung solcher Adenome des Vorderlappens, die Akromegalie
zur Folge haben. Hypophysärer Riesenwuchs dürfte ebenso wie der pituitäre
Zwergwuchs kaum angeboren vorkommen; gekennzeichnet ist er durch evtl.
Zeichen eines Hypophysärentumors, Sellaveränderungen im Röntgenbild oder
spätere Kombination mit akromegalen Erscheinungen. Die Adipositas, die
sich beim hypophysären Zwergwuchs wie in dem erwähnten Akromegaliefalle
finden kann bzw. fand, kann auch ohne Wachstumsstörungen für sich allein
oder zusammen mit Genitalatrophie oder Diabetes insipidus vorkommen. Sie
hängt von Stoffwechselstörungen ab, die durch Funktionsausfall gewisser
Hypophysenanteile — wie Biedl und viele andere vermuten, des Zwischen-
lappens — verursacht sind. Sie ist durch auffallende Lokalisation der Fett-
massen an Bauchmons veneris, Gesäß usw. ausgezeichnet. Wie Experiment
und Klinik lehren, kann ebenso lokalisierte Adipositas mit und ohne Genital-
atrophie und Diabetes insipidus, aber auch durch Läsion des Zwischenhirns
bei intakter Hypophyse entstehen; daher faßt man heute Hypophysenzwischen-
Heft 4 Diskussion. 375
und Hinterlappen und die vegetativen Centren am Boden des Zwischenhirns
als eine funktionelle Einheit auf und unterscheidet nicht nur bei der mit Genital-
atrophie kombinierten Fettsucht (Dystrophia adiposogenitalis oder Fröhlich-
sche Krankheit), sondern auch bei der isolierten hypophysäre und cerebrale
Formen. Fettsucht bei Tumor des Zwischenhirns oder bei Hydrocephalus
dürfte ebenso wie die nach epidemischer Encephalitis auftretende und die
jüngst von Biedl beschriebene Form als cerebral aufzufassen sein, Fettsucht
bei Lues kann ebensowohl auf spezifischer Hypophysitis wie auf Gehirn-
erkrankung beruhen, Adipositas bei Hypophysentumor oder hypophysärem
Zwergwuchs ist als hypophysär anzusehen. Nach Stoffwechseluntersuchungen
von Kestner, Plaut u.a. ist der Grundumsatz bei solcher Adipositas nicht,
wohl aber die ‚spezifisch dynamische Wirkung der Nahrung“ herabgesetzt.
Mit Plaut hierin eine Folge des Ausfalls von Hypophysenhormonen zu sehen,
besteht keine zwingende Notwendigkeit. Plaut konnte durch Hypophysen-
vorderlappenzufuhr bei solcher Adipositas die herabgesetzte spezifisch-dyna-
mische Wirkung der Nahrung deutlich erhöhen; das spricht nicht im Sinne
einer ursächlichen Bedeutung des Zwischenlappens für die Entstehung der
Dystrophia adiposogenitalis; da auch die anatomischen Befunde bei diesem
Zustand keineswegs eindeutig auf den Zwischenlappen hinweisen, so ist vor-
erst noch eine gewisse Zurückhaltung bezüglich der Pathogenese der Fettsucht
empfehlenswert. Über das Zusammenspiel der Hypophyse mit den anderen
endokrinen Drüsen sind manche Einzelheiten bekannt; die Formel, die die
Einzelheiten miteinander verbindet, ist noch nicht gefunden.
Herr Kleinschmidt: Bei Untersuchungen des Gasstoffwechsels von
12—ı4jährigen Kindern mit einer der Dystrophia adiposogenitalis entsprechen-
den Fettverteilung zeigte sich mehrfach, aber nicht regelmäßig Herabsetzung
der spezifisch dynamischen Wirkung, ohne daß sonst Anhaltspunkte für eine
Erkrankung der Hypophyse gegeben waren. Obes sich hier um eine Funktions-
störung der Hypophyse handelt von ursächlicher Bedeutung für die Fettsucht,
muß dahingestellt bleiben. Hypophysenvorderlappenpräparate waren ohne
Wirkung.
Klinische und experimentelle Beweise fiir die Lebensfahigkeit
transfundierter körperfremder Erythrocyten.
Von Hans Opitz, Breslau.
(Mit 3 Kurven.)
Seit 4 Jahren behandeln wir an der Breslauer Kinderklinik hoch-
gradige Anämien im Kindesalter mit großen Bluttransfusionen.
Diese Therapie gilt speziell für die das Säuglingsalter betreffenden
Erkrankungen. Von den mehr als 150 Transfusionen, die wir bisher
ausgeführt haben, entfallen 130 auf 33 Säuglinge mit Anämien
alimentärer (26) oder infektiöser (7) Ätiologie. Sieht man von 6 Fällen
ab, die mit bereits bestehender Bronchopneumonie fast in extremis
in Behandlung kamen und wenige Tage darauf starben, so haben
wir von 27 Fällen nur 3 verloren. Die Zahlen erhalten dadurch ihre
besondere Bedeutung, daß nur ausgesprochen schwere Fälle dieser
Behandlung unterzogen wurden. Von diesen 27 Säuglingen hatten
25 < 2750 000, IJ < 2000 000, 7 < I 100 000 Erythrocyten; von
diesen letzten ist nur ein einziger gestorben. Die hochgradigste
Erythrocytenverminderung, die wir überhaupt beobachtet haben,
betrug 640000. Der betreffende Säugling konnte nach 5 Wochen
mit normalem Blutstatus entlassen werden. Meistens wurden zur
Erreichung dieses Zieles nur I—3 Wochen benötigt, und gerade
durch diese Abkürzung der Behandlung gewinnt der Wert dieses
Heilverfahrens noch ganz außerordentlich.
Über die Wirkungsweise der transfundierten Erythrocyten gehen
die Ansichten diametral auseinander. Die überwiegende Mehrzahl
der Autoren führt die guten Erfolge der Bluttransfusionen auf
einen dadurch bedingten intensiven Reiz auf die blutbildenden
Apparate zurück und nimmt an, daß die körperfremden Erythro-
cyten sehr rasch zugrunde gehen und so Baustoffe für Neubildung
liefern. Wir vertreten demgegenüber mit einigen wenigen anderen
den Standpunkt, daß die zugeführten roten Blutkörperchen für län-
gere Zeit lebensfähig und funktionstüchtig bleiben. Für unsere Auf-
fassung lassen sich eine ganze Anzahl klinischer und experimentell
gefundener Beweise anführen.
Heft 4 Lebensfahigkeit transfundierter kérperfremder Erythrocyten. 377
Ich erlaube mir, Ihnen zunächst an einem Beispiel den Einfluß
der Bluttransfusion auf ein Blutbild zu veranschaulichen.
Bei einem 9 Monate alten an Ziegenmilchanämie leidenden Säug-
ling wurden vor der Transfusion etwa 1,5 Millionen Erythrocyten
gezählt. Nach Zufuhr von 1,4 Millionen pro cbmm kindlichen Blutes
steigen dieselben auf 2,9 Millionen an. In den folgenden acht Tagen
macht sich keine wesentliche Änderung bemerkbar, bis eine neue
Transfusion von 1,4 Millionen die Zahl der roten Blutkörperchen von
3,2 auf 4,6 Millionen zunehmen läßt. In den folgenden 8 Tagen
halten sie sich auf diesem Niveau, wie tägliche Zählungen beweisen,
und im Verlauf von weiteren 3 Monaten ändert sich nichts Wesent-
liches.
Beide Male sehen wir die angeführten körperfremden Erythrocyten
zahlenmäßig wieder in Erscheinung treten und auch späterhin nach-
weisbar bleiben. Diese Tatsache ist mit der Annahme einer Reiz-
wirkung unter Zugrundegehen der Erythrocyten unvereinbar.
Auch die Betrachtung der andern Blutelemente spricht gegen eine
solche. Vielfach zeigen die anämischen Säuglinge den embryonalen
Blutbildungstyp als Zeichen einer sehr gesteigerten Tätigkeit der
erythropoetischen Apparate. Bezeichnenderweise gehen die Norm-
oblasten mit zunehmenden Erythrocyten sprunghaft zurück, um
mit Erreichung normaler Werte gänzlich zu schwinden. In gleicher
Weise verlieren sich Aniso- und Poikilocytose und Polychromasie.
Setzte die Bluttransfusion einen Reiz, so müßte eine Vermehrung
der unreifen Elemente eintreten. Ebensowenig findet sich außer
gelegentlicher Linksverschiebung eine nennenswerte Reizwirkung
am leukopoetischen Apparat; auch hier schwinden im Gegenteil im
Laufe der Behandlung unreife Elemente und Leukocytosen.
Mitunter finden sich nicht alle Erythrocyten zahlenmäßig wieder;
hier mag ein mehr oder weniger großer Prozentsatz infolge schädi-
gender Einwirkungen vor der Transfusion oder infolge endogener
Faktoren zugrunde gehen, das Gros bleibt aber erhalten. Auch ein
Plus gegenüber der errechneten Zufuhr oder ein weiterer Anstieg
kann bisweilen festgestellt werden, wie die folgende Kurve Schön-
felder zeigt. Die wagerechte unterbrochene Linie gibt jeweils die '
Höhe an, die die Erythrocytenkurve unter Berücksichtigung der
zugeführten Blutmenge "hätte erreichen müssen. Zunächst lassen
sich die zugeführten Erythrocyten zahlenmäßig nachweisen, dann
erfolgt spontan eine weitere Zunahme. Hier kann einerseits vielleicht
ein Reiz, der zu einer vermehrten Ausschwemmung aus den Blut-
bildungsstätten führt, eine Rolle spielen, doch ist er offenbar nur
378 Opitz. Heft 4
von untergeordneter Bedeutung, andererseits darf man aber nicht
vergessen, daB bei derartigen Schwankungen, die wir gerade kurz
nach Transfusionen sehen, osmotische Vorgänge von Bedeutung
sein können.
Um festzustellen, ob dem mit dem Blute zugefiihrten Plasma ein
Einfluß auf die Blutbildung zukomme, wurde dieses allein injiziert.
Schönfelder, ı4 Monate.
o A Š o O VVOO WO N Way
8500 |1205 |6 ,0
3250|10% |5,5
8000 | 100% | 5.0
2250} 90%|% ,5
7500) 80%14 ,0
2250 | %0%13.5
2000 | 60% |3,0
6%50| 50%|2,5
6500| 40% |2,0 7
6250 | 30%|1.5
6000} 20% 14 .0 7
5250| 10% 10,5
5300| 0%10,C
Plasma könnte ja im Sinne der Eiweißkörpertherapie oder infolge
seines Gehaltes an innersekretorischen oder sonstigen Reizstoffen
wirken. Wir sehen nach Injektion von 55 ccm Plasma am selben
Tage zunächst eine Verminderung der Erythrocytenzahl der Ver-
dünnung des Blutes entsprechend, die am nächsten Tage sogar noch
deutlicher ist; am Tage darauf wird der Ausgangswert wieder erreicht.
In den folgenden 13 Tagen zeigt sich nur eine Vermehrung um
Hieft 4 Lebensfahigkeit transfundierter kérperfremder Erythrocyten. 379
300 000 Erythrocyten, in den weiteren 18 Tagen eine solche von
400 000. Zudem fällt diese Zunahme der roten Blutkörperchen in
eine Zeit besten Wohlbefindens des Kindes. Eine neuerliche Injektion
von 80occm Plasma bewirkt in 16 Tagen keinerlei Steigerung. Dem
intravenös injizierten Plasma kommt demnach bei unseren Trans-
fusionen kein nennenswerter Einfluß auf die Blutbildung zu. Dieser
muß also an die Erythrocyten gebunden sein. Dies läßt sich in sehr .
hübscher Weise direkt demonstrieren durch Injektion plasmafreier
Erythrocyten. Am 67. Tage wurden dem Kinde mehrfach in
Ringerlésung gewaschene Erythrocyten
injiziert, und zwar 473 000 procbmm ¢ g = Saegner, 11 Mon.
mit dem Erfolge, daB die roten Blut- Msc.
körperchen genau um diese Zahl an- 90%14,5
stiegen und sich bei 3wöchiger Be-
obachtung ohne Schwankungen auf
diesem Stande hielten. 10%| 3,5
Die Beibehaltung des durch die
Transfusion einmal erzielten Niveaus 6%|3.0
scheint mir ein Beweis dafür zu sein,
daß die zugeführten Erythrocyten zu-
nächst lebensfähig bleiben und dann 40%|2.0 [>
ganz unmerklich wie die körpereigenen
abgebaut werden. Wenn sie wirklich
nur als Reiz oder als Baumaterial 999|4.0
wirkten, dann könnten die Zahlen sich
nicht so konstant verhalten. Vor allem 10%] 0,5
müßten sich aber ähnliche Erythro- 9g|0,0
cytenkurven dort wiederfinden, wo die o—————- Srythroryptew
angenommenen Verhältnisse tatsächlich ere ae
vorliegen, d.h.in den seltenen Fallen, wo
die transfundierten Erythrocyten durch Hämolyse zugrunde gehen
oder wo die Abnahme der Erythrocytenzahl auf einen allmählichen
Abbau schließen läßt. An Bausteinen für die roten Blutkörperchen
kann es hier nicht fehlen und speziell die Hämolyse dürfte mit aller
Wahrscheinlichkeit einen Reiz auf die blutbildenden Organe aus-
üben. Hier ließ sich in unsern Fällen nicht einmal eine nennens-
werte Neubildung nachweisen, geschweige denn eine der zugeführten
Erythrocytenmenge entsprechende konstante Zahl roter Blutkörper-
chen. Dies: soll die Kurve Saegner, die von einem II Monate alten
an Ziegenmilchanämie von Jaksch-Haymschen Typ leidenden Säug-
ling stammt, veranschaulichen.
380 Opitz. Heft 4
Hier tritt infolge einer mit Hämoglobinurie einhergehenden Hämo-
lyse am selben Tage nur die Hälfte der zugeführten Erythrocyten
in Erscheinung, in den nächsten Tagen vollzieht sich ein allmählicher
Abfall zu den Ausgangswerten und erst nach 8 Tagen hatte es den
Anschein, als ob eine geringe Neuproduktion einsetzte. Noch in-
struktiver ist die folgende Kurve Olesch.
Olesch, 6 Jahre.
5S 9 2 30 35 O 5 © Sias
—— buztine
nn Hämogloßiw
Es handelt sich um einen 6 Jahre alten Knaben mit thrombo-
phlebitischem Milztumor, der infolge profuser Blutungen aus Oeso-
phagusvaricen eine sehr erhebliche Anämie erworben hatte. Zu-
nächst wurden dem Kinde tentaminis causa gewaschene Erythro-
cyten injiziert, die aber in den nächsten Tagen abgebaut wurden,
ohne daß Hämoglobinurie aufgetreten wäre. Nach 5 Tagen ist an-
nähernd der Ausgangsstatus wieder erreicht, der sich im Verlauf
von weiteren 8 Tagen nicht wesentlich ändert. Also innerhalb von
14 Tagen keine Neubildung trotz reichlicher Zufuhr von Bausteinen.
Jetzt wird etwa die gleiche Erythrocytenmenge in Form von Ge-
samtblut injiziert mit dem Erfolge, daß das erwartete Niveau er-
reicht und für die Folgezeit innegehalten wird. Nach 14 Tagen er-
folgt dann infolge Hebung des E TEAS ein weiterer
spontaner Anstieg.
FIcft 4 Lebensfahigkeit transfundierter kérperfremder Erythrocyten. 381
Dieses zufällige Zusammentreffen von Abbau und Erhaltenbleiben
der Erythrocyten bei ein und demselben Patienten bildet eine schöne
Ergänzung zu den Tierversuchen, die ich gemeinsam mit Kollegen
M etis angestellt hatte und die ausführlich anderen Orts veröffent-
licht werden sollen. Denselben lag folgender Gedankengang zu-
grunde: Wenn die transfundierten Erythrocyten nicht als solche
lebens- und funktionstüchtig blieben, sondern zugrunde gehend, teils
als Reiz- teils als Baustoffe wirkten, so müßte bei zwei anämischen
Hunden die Zufuhr von gleichen Mengen unveränderten und hämo-
lWytischen Blutes denselben Effekt haben. Nachdem durch einen aus-
gibigen Aderlaß eine Anämie erzeugt worden war, erhielt der eine
Hund eine bestimmte Menge fremden Hundeblutes intravenös, der
andere eine erheblich größere Menge hämolysierten Blutes an drei
aufeinanderfolgenden Tagen zur Hälfte intraperitoneal und zur
Hälfte intramuskulär. Der Unterschied war eklatant. Während
letzterer erst nach I2 Tagen die vor der Venaesectio festgestellten
Werte erreichte und auf den aus der Menge der zugeführten Bau-
steine errechneten Erythrocytenstand auch trotz dreiwöchiger
Beobachtung nicht kam, wurde bei dem Kontrollhund das erwartete
Niveau sofort nach der Transfusion erreicht und auch in den fol-
genden Wochen beibehalten,
All diese angeführten Versuche und klinischen Beobachtungen
beweisen unseres Erachtens, daß die durch Bluttransfusionen
erzielten Steigerungen der Erythrocyten nicht auf einer vermehrten
Bildung oder Ausschwemmung körpereigener beruhen, sondern auf
der Lebensfähigkeit und Funktionstüchtigkeit der zugeführten
körperfremden.
Zum Nachweis der Lebensfähigkeit transfundierter Erythrocyten
hat man auch Stoffwechselversuche herangezogen. Landois fand
auf Grund seiner in den siebziger Jahren angestellten Versuche eine
nur geringe Steigerung der U-Ausfuhr durch den Harn unmittelbar
nach der Transfusion, die er auf das SerumeiweiB bezieht. Dieselbe
Deutung gibt Pfliiger den noch älteren Versuchen von Forster und
Tschiriew, die eine unbedeutende U-Vermehrung im Harn erst
etwas langere Zeit nach der Transfusion feststellten. Andere Autoren
(z. B. Lommel, Rona und Michaelis) dagegen sahen einen Rück-
gang der N-Ausscheidung. Diese widersprechenden Befunde zeigen,
daß der übliche Stoffwechselversuch für die Lösung der Frage,
welches Schicksal das parenteral eingeführte Eiweiß erleidet, un-
geeignet ist. Ich habe daher gemeinsam mit Klinke neben der Be-
stimmung der Ú -Ausscheidung i im Harn den Versuch gemacht, einen
382 Opitz. Heft 4
Einblick in den intermediären Eiweißstoffwechsel nach Transfusionen
zu gewinnen. Zu diesem Zwecke wurden teils stunden- teils tage-
weise Bestimmungen der verschiedenen Eiweißabbauprodukte im
Blute vorgenommen insbesondere der Albumosenfraktion, der ge-
samten Reststickstoffgruppe und speziell der Aminosäuren- und
Harnstofffraktion. Natürlich wird man auch hier keinen schema-
tisch gleichen Ausfall der Untersuchung erwarten dürfen. Indi-
viduelle Momente werden eine große Rolle spielen, ebenso die dar-
gebotenen Eiweißmengen. So soll das proteolytische Vermögen der
Organe begrenzt sein und gegenüber größeren Quantitäten versagen.
Von Bedeutung sind ferner die Abderhaldenschen Schutzfermente
und vor allem die Diffusionsvorgänge zwischen Blut und Gewebe
(zeitweilige Verschiebungen von Stoffwechselprodukten vom Blut
nach den Geweben und umgekehrt, wie wir das aus der Nierenpatho-
logie kennen), Vorgänge, die vielleicht für die einzelnen chemischen
Körper gesetzmäßig, uns aber vielfach noch unbekannt sind. Auch
der zeitliche Ablauf der Abbauprozesse wird variieren, so daß man
hier vielleicht die Albumosen — dort bereits schon die R. N-Fraktion
sehr erhöht findet. Da man also bei der Betrachtung unserer Er-
gebnisse eine Fülle von Faktoren berücksichtigen muß, auf die aus
Zeitmangel hier nicht näher eingegangen werden kann, so sollen nur
Ausschnitte der Kurven kurz erläutert werden, die in ihrer Deutung
einfach sind, der Harnstoffkurven.
Nach Injektion von gewaschenen Erythrocyten — 1 Million pro cbmm
— in einem Gesamtvolumen von go ccm, zeigte sich eine entspre-
chende Erhöhung der Erythrocytenzahl und eher ein Absinken des
Harnstoffs in den folgenden 24 Stunden. Auch nach „5 Tagen sind
diese Werte unverändert. Ganz anders verläuft die UÜ-Kurve nach
Injektion von 83 ccm erythrocytenfreien Plasmas. Eine Abnahme
der Erythrocytenzahl entsprechend der Verdünnung des Blutes und
ein beträchtlicher Anstieg des tb —N von 13 mg% auf 21 mg%, der
nach 24 Stunden noch nachweisbar ist. Wenn ein Erythrocyten-
zerfall „erfolgte, so mußte sich wohl dieser in einer Vermehrung des
Blut-17 bemerkbar machen, wie man es beim Abbau von Plasma-
eiweiß sieht. Das ist jedoch bei Injektion gewaschener Erythrocyten
weder sofort noch mehrere Tage später der Fall.
In einem andern Falle wurden zuerst mit etwa 30 ccm Plasma
I 190 000 Erythrocyten pro cbmm zugeführt, eine Menge, die mn
der gefundenen Erythrocytenzahl zum Ausdruck kommt, dann
55 ccm Plasma. Im ersten Fall ein Anstieg des Ü—N von 17 mg%
auf 25 mg% mit ziemlich raschem Absinken; im zweiten eine
Heft 4 Lebensfähigkeit transfundierter körperfremder Erythrocyten. 383
prozentual stärkere Erhöhung, nämlich von 20 mg% auf 35 mg%
ohne nennenswerten Abfall im Verlauf von 24 Stunden.
Dies Ergebnis berechtigt zu dem SchluB, daB auch bei der Injektion
vom Gesamtblut die Ü-N-Vermehrung durch den Plasmaanteil be-
dingt ist. Der stärkere Ausschlag der Kurve im zweiten Versuch ist
auf die hier injizierte größere Plasmamenge (30 :55 ccm) zurück-
zuführen. In analoger Weise ist auch die U-Ausscheidung durch den
Harn gegeniiber dem Versuch mit Gesamtblutinjektion vermehrt.
Um dem Einwand zu begegnen, daB der Erythrocytenzerfall sich
nicht sofort sondern erst nach einigen Tagen bemerkbar machen
könnte, wurde ein weiterer Versuch über 5 Tage ausgedehnt. Auch
hierbei ließ sich nicht ein gesteigerter Eiweißabbau an der Harnstoff-
kurve nachweisen. Dagegen zeigte bei einem Zerfall der Erythro-
cyten infolge intravitaler Hämolyse die Blutharnstoffkurve einen
sehr erheblichen „Anstieg und protrahierten Verlauf und der Urin
eine sehr starke U-N-Ausschwemmung.
Fassen wir nun das Ergebnis dieser Versuche noch einmal kurz
zusammen, so sehen wir, daß nach Injektion von Gesamtblut nicht
ein größerer Eiweißabbau erkennbar ist, als nach Injektion erythro-
cytenfreien Plasmas gemessen am Blut-Ü, daß dagegen ein nennens-
werter Blutzerfall, wie er durch Hämolyse zustande kommt, in ganz
eindeutiger Weise an einer enormen Vermehrung des Blut-U er-
kennbar ist. Auch diese Versuchsanordnung spricht für das Er-
haltenbleiben der zugeführten Erythrocyten.
Auf Grund dieser nur ganz kurz mitgeteilten experimentellen
Untersuchungen und klinischer Beobachtungen glauben wir den
prinzipiell wichtigen Nachweis erbracht zu haben, daß körperfremde
Blutzellen unbeschadet ihrer Lebensfähig- und Funktionstüchtigkeit
überpflanzt werden können.
Diskussion.
Herr L. F. Meyer empfiehlt die Bluttransfusion bei Anämien ebenfalls
eindringlich, weil sie rascher als jede Ernährungstherapie den Blutstatus
zu heben imstande ist. Daneben empfiehlt er die intraperitoneale Infusion
bei schweren Ernährungsstörungen.
Herr Goebel: Der therapeutische Fortschritt, den die Behandlung der
kindlichen Anämien durch Biluttransfusionen bezüglich der Schnelligkeit
und Sicherheit des Erfolges gebracht hat, ist offenbar. Aber die Beobachtung,
daß nach den Transfusionen die anfangs erhöhte Erythrocytenzahl wieder
absinken und gleichzeitig der Hämoglobingehalt ansteigen kann, beweist,
daß mindestens nicht allein das Überleben der transfundierten Erythrocyten
384 Opitz: Diskussion. | Heft 4
die klinische Heilung bewirkt, sondern auch eine Anregung und vor allem
qualitative Verbesserung der Erythropoese.
Herr Opitz (Schlußwort): Die Behandlung schwerster Ernährungsstörungen
mit intraperitonealen Blutinfusionen haben wir gleichfalls auf Veranlassung
von Herrn Professor Stolte bei einem Säugling mit schwerer Toxikose ange-
wandt. In größerem Maßstabe soll das Verfahren erst zur Anwendung kommen
nach Abschluß der im Gange befindlichen Tierversuche. Danach scheint das
Blut sehr schnell ohne Zerstörung der Erythrocyten resorbiert zu werden,
eine Beobachtung, die schon andere gemacht haben. — Die Angabe von
Herrn Goebel über das Vorkommen von Hämolyse selbst bei Verwendung
von elterlichem Blute kann ich bestätigen. Es scheint in dieser Beziehung
kein Unterschied zwischen Verwandten- und Fremdblut zu bestehen. Neben
der Prüfung auf Agglutinine und Hämolysine schützt am ehesten die Vor-
injektion von 10—20ccm Blut vor Überraschungen. Daß vielleicht eine ge-
ringe Reizwirkung mitunter vorkommt, habe ich selbst erwähnt, von Be-
deutung ist sie jedoch nicht gegenüber der im Vordergrunde stehenden ent-
lastenden Wirkung. Die Hundekurven scheinen mir insofern beweiskräftig
zu sein, weil sie ja nicht mit den Verhältnissen beim Menschen sondern nur
untereinander verglichen werden sollen. Blieben die transfundierten Erythro-
cyten nicht lebensfähig, sondern lieferten sie nur zugrunde gehend Bausteine
für Neubildung, so müßten eben beide Kurven gleich verlaufen. Die mit-
geteilten Harnstoffkurven sind nur Ausschnitte aus ausgedehnteren Versuchen,
die in toto jedoch aus Zeitmangel nicht berücksichtigt werden konnten.
Die Innervation der Venensperre in der Leber.
Herr Dr. Hans Mautner, Wien. ©
Die Kontraktion der abführenden Lebervenen unter Einfluß ge-
wisser Eiweißabbauprodukte oder hypotonischer Lösungen ist ein
theoretisches Kapitel der Physiologie, das, von Tierversuchen seinen
Ausgang nehmend, erst in den letzten Jahren Aufmerksamkeit bei
Klinikern gefunden hat.
In den wenigen Jahren, die die Sperre bekannt ist, hat. sich abe
ergeben, daß sie von weitgehender Bedeutung für die Kreislaufver-
hältnisse, für die Entlastung des zu stark beanspruchten Herzens,
ferner für die Aufrechterhaltung der Isotonie des Blutes, für die
Lymphbildung und für den Wasserhaushalt ist. Bei dieser Fülle der
Beziehungen ist auch ihre klinische Bedeutung klar, zahlreiche
klinische Bilder werden von diesen neu aufgedeckten Beziehungen
der Lebercapillaren beeinflußt.
Es hat sich auch herausgestellt, daß das Verhalten der Leber-
gefäße nicht prinzipiell, sondern nur graduell vom Verhalten der
Capillaren im übrigen Organismus abweicht und daß die Venolen
des ganzen Körpers die Hauptarbeit in der Regulation des Füllungs-
zustandes der Capillaren leisten. Dadurch gewinnen unsere Fest-
stellungen über die Innervation der Lebersperre, über die ich hier
berichten will, an prinzipieller und praktischer. Bedeutung.
Ob die Venensperre in der Leber geöffnet oder erschlafft ist,
prüften wir neuerlich in der Weise, daß wir eine Klemme an der
Arteria pulmonalis anlegten. Dadurch kam es zu einer Stauung im
rechten Herzen, die sich bei offener Sperre sofort auf die Leber fort-
setzt. Bei geschlossener Sperre hingegen bleibt das Lebervolumen
unverändert oder es kann sogar wegen der geringeren Füllung der
Vena portae durch die schlechtere Herzarbeit etwas abnehmen.
Wir hatten mancherlei Ursache zur Annahme, daß der Nervus
vagus die Sperre verschließt, der Sympathicus sie öffnet Denn der
anaphylaktische Schock, den Biedl und Kraus durch Atropin
unterdrückten, ist nach Leschke und seinen Mitarbeitern eine
Reaktion des Vagus. Unsere Auffassung von der’ fast rein capillaren
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 25
386 Mautner. Heft 4
Entstehung des Schocks wird heute fast allseits anerkannt (Sim-
monds).
Nach Burton- Opitz hemmt die Reizung des Sympathicus den
Lymphstrom, der direkt von der Venensperre abhängt. Dem
Histamin sprechen Spor, Fröhlich und Pick eine vagale Kom-
ponente zu, und die Leukopenie, die nach Sperre der Lebervenen
eintritt (Cori und Mautner), ist nach Rüchel und Spitta nach
Sympathicusdurchschneidung zu sehen. Die Widersprüche in den
Arbeiten über die hämoklasische Krise werden ebenfalls durch die
Annahme von einem Parallelgehen von Vagusreizung, Leberinsuf-
fizienz, Lebersperre mit einem Schlag geklärt.
Im Tierexperiment zeigte sich die volle Richtigkeit dieser Argu-
mentation. Die Reizung des Nervus vagus gibt uns toto coelo ver-
schiedene Bilder, je nachdem, ob wir ein Tier im Versuch haber.,
das eine Venensperre besitzt oder nicht. Bei Hund und Katze wird
durch Vagusreizung die Lebersperre geschlossen und das Leber-
volumen ist nur vom Füllungszustand von der arteriellen Seite her
abhängig, es geht genau der Blutdruckkurve parallel. Beim Ka-
ninchen hingegen, das über keine Sperrvorrichtung verfügt, schnellt
das Lebervolumen bei Vagusreizung sofort in die Höhe, weil die
Stauung im Herzen sich auf die Lebergefäße direkt fortsetzt. Wäh-
rend starker Vagusreizung bei Hund und Katze setzt sich auch die
Stauung, die wir durch Abklemmen der Art. pulmonalis erzeugten,
nicht auf die Leber fort, die Adrenalinwirkung ist sogar noch durch
einige Minuten völlig verändert.
Diese Wirkung des Adrenalins auf die Venengefäße, die Reizung
des Nervus sympathicus, bewirkt. bekanntlich eine deutliche Ver-
kleinerung der Leber. Gegenteilige Angaben in der Literatur werden
dadurch erklärlich,. daß manchmal, besonders beim Kaninchen mit
seinem besonders labilen Herzen, nach Abklingen der vollen Adre-
nalinwirkung eine Vergrößerung der Leber einsetzt, die wir in der
Weise erklären möchten, daß das Herz nur solange, als es unter der
Peitsche des Adrenalins steht, den erhöhten Blutdruck aufbringt,
um die Kontraktion der Arterien zu überwinden. Wie das Herz
nachläßt, wird der Blutdruck absinken, und da das Gefäßsystem
noch kontrahiert ist, kommt es zur Stauung im Herzen, und, bei weit
offener Lebersperre zur Stauung in der Leber.
Daß aber Adrenalin auch aktiv die Sperre öffnet, geht aus Ver-
suchen hervor, bei denen der Histaminverschluß, durch die Klemme
an der Art. pulmonalis geprüft, sofort unter Adrenalinwirkung
eröffnet wird und die Leberstanung vom Herzen her ermöglicht.
Heft 4 Die Innervation der Venensperre in der Leber. 387
Es erscheint uns also nicht zweifelhaft, daB der Nervus vagus die
Sperre ebenso verschlieBt wie die EiweiBabbauprodukte Pepton
oder Histamin und wie das Wasser. Ebenso eröffnet der Sympathicus
die Sperre in derselben Weise wie die Diuretica und wie hyper-
tonische Lösungen.
Wenn aber unsere Auffassung richtig ist, daß die Capillaren des
ganzen Körpers im Prinzip genau so reagieren, wie die Lebergefäße,
und wenn wir den Grundsatz akzeptieren, daß die Weite der Capil-
laren nicht von der Herzarbeit oder von der Kontraktion der Arterien
und nicht vom aktiven Eingreifen der Capillarwand allein abhängt,
sondern in erster Linie vom Verhältnis der Weite der zu- und ab-
führenden Gefäße, daß also auch die Capillaren durch Vaguswirkung
auf die Venen gefüllt, durch Sympathicuswirkung, die die Venen
öffnet, geleert werden, dann wird begreiflich, daß die Beeinflussung
der Venolen durch das autonome Nervensystem auch für die Kli-
niker und Therapeuten von Wichtigkeit ist. Nur genaueste Kenntnis
der Physiologie kann unser therapeutisches Handeln über die Stufe
der tastenden Empirie zielbewußt emporheben.
Diskussion.
Herr Ebbecke: Die Tatsache, auf welche sich die Folgerungen des Herrn
Vortragenden stützen, ist die Stauung und Schwellung der Leber nach Schock-
giften. Diese Anschoppung und vermehrte Lymphbildung kommt aber ebenso
durch eine primäre Erweiterung und Durchlässigkeitssteigeruug der Capillaren
zustande, ohne daß es dazu einer Venensperre bedarf. Beispielsweise wirkt
das Histamin, das in höheren Dosen die glatte Muskulatur sowohl an Arterien
als an Venen zur Kontraktion bringt, schon in geringeren Dosen capillarerwei-
ternd. — Die Venoconstrictoren verlaufen wie die Arterioconstrictoren im
Sympathicus und haben nichts mit dem Vagus zu tun. — Adrenalin vermag
eine Venensperre nicht aufzuheben, sondern bringt die Venen zur Kontraktion.
Herr Mautner (Schlußwort): Der Ansicht des Herrn Ebbecke, daß die
Anschoppung der Capillaren durch aktive Erweiterung derselben zustande
kommt, stehen manche Befunde entgegen, besonders der Blutdruckanstieg
nach Histamin in der Vena portae, den Bayliss und Starling nachgewiesen
hat, ferner die Befunde von Inchley über Venenkrämpfe nach Histamin-
injektion, wenn bei abgebundener Arterie und Incision in das Gewebe Histamin
in die Venen injiziert wird. — Daß die Sperre zwischen Leber und Herz in den
Venen selbst sitzt, wurde durch die Auffindung der Muskelwülste in der Vena
hepatica von Arey und Simonds bewiesen. — Gegen die Venenkontraktion
durch Adrenalin hat neuerlich Rominger berechtigte Einwände vorgebracht.
Allerdings schiebt er irrtümlicherweise diese Auffassung Pick und mir zu,
die wir diese Ansicht gar nicht vertreten.
t
n
Experimentelle Beitrage zur Bakterienbesiedelung
des Darmtraktes und ihrer Beeinflussung durch Nahrung.
Herr Eugen Stransky, Wien.
Die Erforschung der Darmbakterien und Beeinflussung derselben
auf normale und pathologische Verdauungsvorgänge im mensch-
lichen Darm bildet seit jeher ein Arbeitsgebiet der Pädriater. Seit
Escherichs bahnbrechenden Untersuchungen und Entdeckungen
wurde dieses Arbeitsgebiet stets von Kinderärzten in Anspruch ge-
nommen. Moro und seine Mitarbeiter haben die Wichtigkeit der
Darmbakterien für die Ernährungsstörungen im Säuglingsalter klar
erkannt und den Begriff der endogenen Infektion bzw. endogenen
Besiedelung des Dünndarmes geschaffen, der auch von Bessau und
seinen Mitarbeitern weiter ausgebaut wurde. Wir wollen hier auch
Passini erwähnen, der als erster sich mit der Frage der anaeroben
Bakterien im menschlichen Darm beschäftigte und ihre Wichtigkeit
erkannte. Außer ihm verdanken wir auch Blühdorn grundlegende
Untersuchungen und Erkenntnisse auf diesem Gebiet. Trotz des
großen Interesses vermissen wir aber bis nun tierexperimentelle
Untersuchungen auf diesem Gebiete, die verschiedene Fragen, die
die menschliche Pathologie interessieren, die aber beim Menschen
nicht durchführbar sind, zu klären imstande wären. Erst in der
letzten Zeit hat Bernheim-Karrer in der Czerny- Festschrift
eine Untersuchungsreihe mitgeteilt, in der er sich mit der Frage
beschäftigte, ob Invasion des Dünndarmes mit Bakterien mit einer
Darmstörung zu idendifizieren wäre oder nicht. Dabei fand er,
daß der Dünndarm durch Bakteriengifte geschädigter Kaninchen
und Meerschweinchen voll von Bakterien ist, obwohl dabei kein
Durchfall oder sonstige Darmerscheinungen mit im Spiele sind.
Meine Untersuchungen unternahm ich auf Anregung meines Chefs.
des Herrn Hofrates Prof. L. Moll, in der Wiener Reichsanstalt für
Mutter- und Säuglingsfürsorge, zuerst um festzustellen, ob durch
einseitige Milchernährung krank gewordene Kaninchen bezüglich
ihrer Darmflora sich von gesunden Kaninchen unterscheiden oder
nicht. Moll ist es gelungen, junge Kaninchen durch Milchernährung
Heft 4 Experimentelle Beitrage zur Bakterienbesiedelung. 389
elektrisch übererregbar zu machen; dabei entwickelte sich ein Krank-
heitsbild,. das. dem Milchnährschaden der Säuglinge sehr ähnlich
sieht, zuerst mit Gewichtsstillstand, später im letzten Stadium mit
Gewichtssturz und Durchfällen einhergeht. Meine Methode war
folgende: Junge Tiere, etwa 500 g schwer, wurden ausschließlich mit
gekochter Vollmilch und Hafer ernährt. Sie wurden in Käfigen mit
durchbrochenem Boden gehalten, daß Stuhl abfallen, Harn ab-
fließen konnte. Die Nahrung wurde in drehbaren Näpfen gereicht.
Es wurde Sorge getragen, daß die Tiere nie saure Milch genießen
sollen. Die so ernährten Tiere bleiben in ihrer Entwicklung stark
zurück, sind hypotonisch. Serienuntersuchungen zeigen eine ständige
elektrische Übererregbarkeit; im Laufe der Zeit kommt es zu Kalk-
seifenstühlen, die schließlich dyspeptischen Stühlen Platz machen.
Manchmal gelingt es aber auch, die Tiere viele Monate am Leben
zu erhalten. Diese Tiere im Stadium der Seifenstühle wurden zu
den Untersuchungen verwendet.
Die Tiere wurden narkotisiert, in der Narkose unter aseptischen
Kautelen eine Laparotomie gemacht, die verschiedenen Darmab-
schnitte freigelegt und aus ihnen mit fein ausgezogenen Glascapil-
laren Darminhalt gewonnen, der teilweise für kulturelle Zwecke,
teilweise für bakterioskopische Zwecke verwendet wurde. Der
Darminhalt wurde in Bouillon oder Peptonwasser verdünnt, im
Brutschrank 24 Stunden stehen gelassen und dann auf Platten über-
impft oder fiir Stichkulturen verwendet. Die Abstriche wurden
nach Gram gefärbt. Für die Züchtung von Bacterium coli wurden
Drigalski- und Endo-Nährböden bzw. Stichkulturen in Trauben-
zuckerragar verwendet. Ich kann mich nicht auf sämtliche näheren
Details (so anaeroben Züchtung usw.) auf technische Einzelheiten,
und Versuchsprotokolle ausbreiten, diesbezüglich verweise ich auf
die zu erscheinende ausführliche Arbeit.
Kulturen und Ausstriche wurden entnommen: aus dem Magen,
aus dem Duodenum, aus den verschiedenen Dünndarmabschnitten,
etwa 5—6, aus dem untersten Ileum, das immer die Verhältnisse
des Dickdarms bietet, und schließlich aus Coecum und Dickdarm.
Ich will nur die Versuchsergebnisse kurz zusammenfassen :
Drei mit Milch ernährte Kaninchen hatten übereinstimmend in
allen Darmabschnitten sowohl im Ausstrich als in Kulturen Bak-
terien. Aus allen Darmabschnitten sind Colikolonien reichlich auf-
gegangen. Daneben wuchsen selbstverständlich verschiedene andere
Kolonien, wie auch im Ausstrich neben plumpen gramnegativen
Stäbchen zarte, ebenfalls gramnegative Stäbchen, grampositive
390 Stransky. Heit 4
Stäbchen und Kokken, vereinzelte SproBpilze, verschiedene anaerobe
Bakterien (die sich in der Kultur als solche erwiesen) gefunden wer-
den konnten. Drei Kontrolltiere dagegen, die mit Grünfutter er-
nährt wurden, hatten in den Ausstrichen aus dem Dünndarm ent-
weder überhaupt keine oder ganz vereinzelte zarte gramnegative
Stäbchen, die in den Kulturen nicht aufgingen. Im untersten Ileum
sowie Coecum und Dickdarm eine sehr reichliche mannigfaltige
Bakterienflora, Magen und Duodenum ergaben im Ausstrich ver-
einzelte Stäbchen und Kokken. Die Platten vom Dünndarm blieben
zum größten Teil steril, öfters wuchsen vereinzelte, spärliche Ko-
lonien verschiedenster Art. Ähnlich war der Befund bei jungen,
wenige Wochen alten Kaninchen, die noch beim Muttertier saugten
und keine andere Nahrung genossen haben. Jedenfalls steht aus
diesen Versuchen fest, daß bei normalen Tieren der Dünndarm
praktisch bakterienfrei ist, bei ernährungsgestörten nichtdyspep-
tischen Tieren dagegen sehr reichlich Bakterien enthält.
Dieser Satz ist aber nicht für alle Tierarten von allgemeiner Gültig-
keit. Untersuchungen an Hunden ergaben, daß der Dünndarm stets
bakterienhaltig ist; nicht nur alle Kulturen waren positiv, sondern
auch die frischen Ausstriche erwiesen sich stark bakterienbaltig.
Dieser Satz gilt auch für junge, saugende Hunde. So wurde z.B. bei
einem fünf Tage alten Hund und bei einem sieben Tage alten Hund
vom Magen angefangen in allen Darmabschnitten reichlich Coli-
gruppen sowie grampositive Kokken gefunden. Bemerken möchte
ich, daß ich diese Befunde bei Hunden erheben konnte, die nach
der Operation sich sofort erholten und weiter sehr gut gediehen sind.
Bei Hunden dürfte also der Dünndarm in der Regel bakterien-
haltig sein.
Ähnlich wie beim Kaninchen liegen die Verhältnisse bei Ratten,
obwohl hier ein Übergang zum Hundetypus zu verzeichnen ist. Bei
gesunden, kräftigen Ratten findet man in den Dünndarmausstrichen
mikroskopisch fast keine Bakterien. Trotzdem gelingt es, kulturell
meistens auch im Dünndarm Bakterien (hauptsächlich Coligruppen)
nachzuweisen. Im Ausstrich findet man Bakterien im Magen teil-
weise, im Dünndarm nur ausnahmsweise. Kulturell findet man Coli
in den oberen und in den unteren Dünndarmabschnitten ständig, in
den mittleren Abschnitten fast nie. Dagegen findet man bei kranken
oder infolge Vitaminmangel schlecht gedeihenden Ratten auch im
Dünndarm bereits im Ausstrich massenhaft Bakterien verschieden-
ster Art, hauptsächlich aber Coli. Dabei spielt es keine Rolle, welches
Vitamin fehlt. Die einzige Bedingung ist nur, daß die Tiere durch
Heft 4 Experimentelle Beitrage zur Bakterienbesiedelung. 391
Vitaminmangel in ihrem normalen Gedeihen gestört sein sollen.
Dies erreichte ich, indem die Tiere mit bei 120° getrocknetem Weiß-
brot und Molke und Butter (Mangel an D-Vitaminen) oder ohne
Butter (Mangel an A -Vitaminen), aber genügendem D-Faktor ernährt
wurden. Auf nähere Einzelheiten kann ich leider nicht eingehen.
Die Ergebnisse meiner bisherigen Untersuchungen möchte ich
also in folgenden Sätzen zusammenfassen: |
Wenn Tiere aus irgendeinem Grunde in ihrer Resistenz geschwächt
sind, haben die Bakterien die Möglichkeit, im Dünndarm kräftig
zu wuchern. Bakterienbefunde im Dünndarm sind nicht
die Folge, auch nicht die Ursache einer Darmerkrankung,
sondern einer Allgemeinstörung. Bei Kaninchen verursacht
eine einseitige Milchernährung eine Ernährungsstörung, das Tier
wird in seiner Resistenz gegenüber Bakterien geschädigt, und die
Folge ist eine Überwucherung des Dünndarmes mit Bakterien. Im
Dünndarm sind ständig vereinzelte Bakterien vorhanden, die bei
gegebenen Verhältnissen leicht wuchern können. Weitere im Gang
befindliche Untersuchungen dürften ergeben, daß im normalen
Dünndarmsekret baktericide Kräfte innewohnen, die das Bakterien-
wachstum auch in vitro hemmen können. Diese Sätze gelten für
die Pflanzenfresser, vielleicht auch für Omnivoren, bei Fleischfressern
dürfte der Dünndarm ständig reich an Bakterien sein. Untersuchungen
an Ratten ergaben ferner, daß nach Nahrungsaufnahmen zahlreiche
Bakterien durch die Nahrung in den Magen gelangen, und daß sie
während der Verdauung auch im Dünndarm nachweisbar sind.
Diese letzteren Ergebnisse sollen nur erwähnt werden, sie werden
ebenfalls noch weiter verfolgt werden.
Diskussion.
Herr Prof. Bessau: Wie wurde eine Baktericidie des Darmsaftes nach-
gewiesen ?
Herr Adam: Im normalen Dünndarm kommt vorwiegend B. lactis aerogenes
vor.
Herr Stransky (Schlußwort): Die Wichtigkeit des Befundes bei Hunden
wird hervorgehoben. Trotz normaler Darmtätigkeit ist der Dünndarm voller
Bakterien. Der Beweis der baktericiden Kraft des Dünndarminbhaltes ist ex-
perimentell festgestellt und wird in allernächster Zeit veröffentlicht werden. —
Unter Coli wird immer die Coli-lactis-aerogenes-Gruppe gemeint ohne weitere
Differenzierung.
Zur Kenntnis des vegetativen Nervensystems.
(Vorläufige Mitteilung.)
Herr Stadtarzt Dr. W. Usener, Dessau.
Auf Grund ihrer Studien über das vegetative Nervensystem und
dessen Beziehungen zu Drüsen mit innerer Sekretion haben Ep-
pinger und Heß angenommen, daß der Tonus im vegetativen
Nervensystem von der Einwirkung innerer Sekrete abhängig sei, und
haben hierin wesentliche Beziehungen der endokrinen Drüsen zum
vegetativen Nervensystem gesehen; sie haben eine sympathico-
tonische und vagotonische Disposition angenommen, eine Neurose
Vagotonie aufgestellt und diese in Zusammenhang mit der exsu-
dativen Diathese gebracht. Zur Abgrenzung dieser ihrer Ansicht
nach durch periphere Tonussteigerung bedingter Zustände haben sie
eine diagnostische Methode pharmakologischer Prüfung angegeben.
Die Nachuntersuchung!) dieser pharmakologischen Prüfungs-
methode ergab neben unsicheren Ausschlägen für Pilocarpin und
Atropin keine Bevorzugung der Reaktion bei exsudativer Diathese,
dagegen zeigten alle Kinder auf Adrenalin Glykosurie, so daß schon
aus dieser Tatsache geschlossen werden muß, daß „sympathico-
tonische‘“ und ‚vagotonische‘“ Kinder nicht sicher abzugrenzen sind.
Modifiziert wurde die Methode dahin, daß nicht Einheitsdosen ge-
geben wurden, sondern einschleichend für jedes Kind von kleineren
Dosen ausgehend, die Grenzdosis ermittelt wurde, bei der Reaktion
eintrat. Auf diesem Wege.wäre die Reizbarkeitsgrenze am ehesten
im pathologischen Sinne festzustellen. Hervorzuheben ist die Ver-
wendbarkeit des Atropins für Reizzustände im autonomen Nerven-
gebiet diagnostisch und therapeutisch.
Im Verlauf der Versuche, besonders deutlich auch bei größeren thera-
peutischen Gaben, zeigte sich als eine wichtige Erscheinung, daß die
Atropin- und Adrenalinwirkung durch den Schlaf unterbrochen wird;
d.h. daß sie durch ein physiologisches, vom Zentralnervensystem
abhängiges Moment ganz oder fast aufgehoben wird und unter Um-
ständen nach dem Eı wachen wieder deutlich in die Erscheinung tritt.
1) Die Versuche wurden an der Universitätskinderklinik Göttingen (Direktor:
Prof. Dr. F. Göppert) 1913/14 ausgeführt.
Heft 4 Zur Kenntnis des vegetativen Nervensystems. 393
Es ergeben sich aus dieser Tatsache zwei mit den Vorstellungen
von Eppinger und Heß unvereinbare Annahmen. I. Der Tonus
im vegetativen Nervensystem kann nicht peripher bedingt sein,
sondern ist wesentlich abhängig vom Zentralnervensystem und den
Zentren der vegetativen Nervensystems. Die Adrenalinsekretion
ist, wie wir von dem Zuckerstich her wissen, zentral bedingt, also ist
auch die wechselnde Adrenalinsekretion (abgesehen von denkbaren
direkten Beeinflussungen der endokrinen Drüsen untereinander und
auf die Nebenniere) bedingt durch die sympathischen Zentren. Das
Adrenalin ist ferner eine ausgesprochenes Reizgift, das den Tonus
nicht unterhalten kann, da es sowohl bei fortlaufender intravenöser
Applikation (Rietzmann) wie bei täglicher subcutaner Appli-
kation (eigene Beobachtungen am Kaninchen und bei therapeu-
tischer Darreichung an Kindern) nach einiger Zeit nicht mehr glyko-
surisch wirkt. Das Physostigmin endlich, ein pharmakologisch aus-
gesprochen tonussteigerndes Mittel, wirkt nur dann, wenn vom
Zentrum oder Ganglion aus der Tonus noch unterhalten ist und nicht
mehr nach Nervendegeneration (wie als Reizgift Pilocarpin); es ver-
stärkt also nur den vorhandenen Tonus unter Umständen bis zum
Reizeffekt. Dagegen ist die große Bedeutung der Sekrete innerer
Drüsen (Sexualhormone, Hypophysen-, Schilddrüsen-, Nebennieren-
hormone u. a.) auf das Zentralnervensystem und so auf die Zentren
des vegetativen Nervensystems und auf deren Zustandsänderungen
normaler und pathologischer Art hervorzuheben neben dem noch
kaum: aufgeklärtten Wirkungsmechanismus innerer Sekrete auf die
Zelltätigkeit (allgemeines und partielles Wachstum, Stoffwechsel usw.).
Ähnliche Wirkungen haben andere Einflüsse wie Klima, Sonne,
Jahreszeit u. a., vielleicht indirekt über die Haut und die inner-
sekretorischen Drüsen.
2. Physiologisch besteht ein normaler Wechsel von Sympathicus-
tonus und autonomem Tonus durch den erhöhten Tonus im sym-
pathischen Nervensystem bei Tag und den erhöhten autonomen Tonus
bei Nacht. Der erstere ist, wie ich annehme, als der beherrschende
anzusehen, wie denn das sympathische Nervensystem fördernde Ein-
flüsse besonders auf alle animalen Funktionen (Blutzufuhr, Stoff-
wechsel, Wärme, Muskeltonus u. a.) ausübt, während der nächtliche
Vagustonus ein relativer ist und als Herabsetzung des Sympathicus-
tonus aufzufassen sein wird. Das autonome Nervensystem versorgt
fördernd besonders die vegetativen Funktionen innerer. Organe.
Diesem physiologischen Antagonismus, dieser Schwankung im
Tonus der gegensätzlichen sympathischen und autonomen Inner-
394 Usener: Zur Kenntnis des vegetativen Nervensystems. Heft 4
vation entsprechen wichtige andere biologische Antagonismen wie
die Wärmeregulation, die Fieberregulation, Schock (als sympathischer
Erregungszustand) und Kollaps.
Von diesen Vorstellungen ausgehend können, abgesehen von vielen
daraus sich ergebenden Beziehungen des vegetativen Nervensystems
zu Erkrankungen aller Art, besonders den Infektionskrankheiten,
vorerst 3 Gruppen von Neurosen des vegetativen Nervensystems
aufgestellt werden. Es handelt sich nicht mehr um peripher bedingte
Tonussteigerung, sondern um Zustände in Zentren des vegetativen
Nervensystems, die, immer im Zusammenhang mit neuropathischer
Anlage, latent sein oder manifest werden können.
I. Eine allgemeine Neurose im Gebiet des autonomen Nerven-
systems, bedingt durch einen neuropathisch-asthenischen Zustand
des sympathischen Nervensystems. Die Labilität des letzteren
ergibt wechselnd hervortretende, erhöhte Erregbarkeit im auto-
nomen Nervensystem bei Reizbarkeit des sympathischen Nerven-
systems.
2. Die symptomatischen (meist monosymptomatischen) Neurosen
im Gebiet des autonomen Nervensystems, d. h. das, was E ppinger
und Heß unter anderer Deutung als lokale Vagotonie beschrieben
haben: hypersekretorische und spastische Zustände an den inneren
Organen. Diese sind bedingt vermutlich durch reflektorische Reiz-
zustände, ausgehend von Erkrankungen des Endorgans meist ent-
zündlicher oder toxischer, mitunter auch mechanischer Art. Es
erklärt sich die häufige Beziehung solcher Neurosen zur exsudativen
Diathese dadurch, daß akute oder chronische Schleimhauterkran-
kung der Luftwege und des Magen-Darmkanals, der Blase und Geni-
talien besonders zu diesen Störungen Veranlassung geben. Als ein
typisches Beispiel dafür habe ich die Pathogenese der spastischen
Symptome und des Stuhlbildes bei der Ruhr?) dargelegt. Das häufige
Auftreten bei Nacht erklärt sich ebendaher.
3. Die vasomotorischen, wesentlich sympathisch bedingten Stö-
rungen und Erkrankungen, wobei zu unterscheiden sein werden
einerseits Schwächezustände der sympathischen Gefäßinnervation
(Ohnmachtsneigung, oft mit Reizzuständen im autonomen Nerven-
gebiet verbunden) und anderseits Krampfzustände der sympathischen
Gefäßinnervation, wie sie neuerdings für Absencen, Epilepsie, Migräne,
vasomotorische Ödeme wahrscheinlich gemacht sind).
1) Berl. klin. Wochenschr. 1916, Nr. 29.
2) Curschmann, Minch. med. Wochenschr. 1922, Nr. 51. — Westphal,
Klin. Wochenschr. 1923, S. 1008 u.a.
Uber den Innervationsmodus der Tetaniespasmen.
Herr E. Freudenberg, Marburg.
Kürzlich habe ich mit Behrendt gezeigt, daß das spastische
Stadium einer Atmungstetanie auch dann eintritt, wenn die spinal-
motorische Innervation durch endoneurale Injektion 2—4 proz.
Novocainlösung ausgeschaltet wird. So konnte nicht nur die noch
in jüngster Zeit bestrittene Existenz eines von der spinalmotorischen
Innervation unabhängigen Tonus bewiesen werden, es ergaben sich
auch synergische und antagonistische Beziehungen der beiden Inner-
vationsarten. Ein funktioneller Antagonismus ergibt sich daraus,
daß Willkürbetätigung der Muskeln die Fähigkeit derselben, bei der
Atmungstetanie mit Spasmen zu reagieren, hemmt. Diesem Anta-
gonismus liegt der verschiedene biochemische Mechanismus der
beiden Leistungen zugrunde: bei der Tetanie Alkalose, bei der Will-
küraktion Lactacidose.
Dieses Verhalten klärt einen bisher unverständlichen klinischen
Befund auf: das Fehlen des Erbschen Zeichens und der mechanischen
Übererregbarkeit in einer eklamptischen Krampfperiode oder nach
gehäuften Laryngospasmen. Die Krampfacidose hebt vorüber-
gehend die biochemischen Entstehungsbedingungen des ‚Erb‘ und
„Chvostek“ auf. Diese Feststellungen erledigen gleichzeitig den
Einwand Hochsingers, die Alkalose sei erst die Folge der Krämpfe.
Ein auffälliger Gegensatz lag nun aber in unseren Experimenten
am Menschen zu früheren Tierversuchen anderer Autoren vor. Bis-
her war gefunden worden, daß Nervendurchschneidung die Ent-
wicklung tetanoider Spasmen aufhebt. Ich hielt es daher für ge-
boten, auch an Tieren zu experimentieren. In Gemeinschaft mit
Läwen- Marburg habe ich an 6 Hunden tetanoide Spasmen erzeugt,
nachdem zuvor an den Nerven einer Extremität, die hierzu frei-
gelegt wurden, verschiedene Eingriffe vorgenommen waren. Die
Spasmen wurden durch langsame, endovenöse Infusion halbmole-
kularer, sekundärer Phosphatlösung hervorgerufen. Die Eingriffe an
den Nerven bestanden in endoneuraler Injektion von !/,-, I-, 2- und
4 proz. Novocainlösung, endlich im Einfrierenlassen der Nerven mit
dem Vereisungsapparat von Läwen.
396 Freudenberg. Heft 4
Man kann zusammenfassend sagen, daß in dem Maße, in welchem
die Parese eintrat, die Fähigkeit, mit tetanoiden Spasmen zu rea-
gieren, herabgesetzt war, am schwersten also bei Vereisung und
Anwendung 4proz. Lösung. Das Ergebnis war tatsächlich prinzipiell
anders als beim Menschen. Wie ist der Unterschied zu erklären?
Möglich ist folgendes:
I. Bei den Versuchen am Menschen war die spinalmotorische
Innervation nicht ausgeschaltet.
2. Beim Hunde verlaufen die Tonusfasern im gemischten Spinal-
nerven, beim Menschen außerhalb desselben.
3. Die Cocainempfindlichkeit der Tonusfasern beim Hunde ist
größer als die dieser Fasern beim Menschen.
Wir können I. ausschließen, denn es bestand klinisch ausgesprochene
Parese, und beim Versuche, willkürlich die betreffenden Muskeln zu
gebrauchen, fehlten Aktionsströme. 2. ist als Annahme wenig an-
sprechend und würde den Nachweis der angenommenen, außerhalb
des Spinalnerven verlaufenden Fasern erfordern. Gelingt dieser nicht,
so ist die dritte Möglichkeit als die wahrscheinlichste anzusehen.
: Da H. Freund kürzlich angegeben hat, daß den Stoffwechsel des
Muskels beeinflussende Fasern in den periarteriellen Geflechten ver-
laufen, haben wir die Wirkung der Ausschaltung derselben mittels
der Operation nach Lériche auf die Fähigkeit der zugehörigen
Muskelgebiete, mit tetanoiden Spasmen zu reagieren, untersucht.
Beim Hunde fehlt jede Einwirkung dieser Art. Beim Menschen
hatten wir noch keine Gelegenheit, den Einfluß der Operation etwa
auf eine Atmungstetanie zu prüfen. Ein Einfluß auf die indirekte
elektrische Erregbarkeit konnte ich beim Menschen nach Sym-
pathektomie nicht nachweisen. Als Ersatz der Operation haben wir
bei 8 Erwachsenen periarterielle Umspritzungen der Arteria radialis
am Vorderarm gemacht, um so die Ausschaltung der periarteriellen
Geflechte zu erreichen. Die Experimente hatten aber kein klares
Ergebnis, so daß der Versuch des Nachweises extraneuraler Tonus-
fasern als gescheitert gelten muß.
Es wäre nun noch eine Frage zu beantworten. Ist es überhaupt
erforderlich, einen innervatorischen Einfluß auf die Tetaniespasmen
anzunehmen, nachdem nachgewiesen ist, daß ein von der spinal-
motorischen Innervation unabhängiger tonischer Zustand vorliegt ’?
Genügt nicht die früher statuierte Ionenverschiebung zwischen
Calcium und Kalium mit dem Angriffspunkt an der rezeptiven Sub-
stanz von durch ihre Verkürzungsruhelage in erhöhtem Maße tonus-
bereiten Muskeln ?
Heft 4 Uber den Innervationsmodus der Tetaniespasmen. 397
Ich halte die Annahme eines innervatorischen Einflusses für un-
umgänglich. Den damals vorgebrachten Gründen möchte ich noch
einen weiteren hinzufügen: das Zustandekommen des ‚Trousseau““.
Schaeffer hat schon gezeigt, daß er von der Anämisierung unab-
hängig ist, Behrendt und ich wiesen nach, daß es sich nicht um
einen über das Rückenmark laufenden Reflex handelt. Neuerdings
fanden wir, daß durch Reizung der Wand der Arterie, die freigelegt
war, das Phänomen nicht zustande kommt, so daß also nur die An-
nahme bleibt, daß der Druck im Sulcus bicipitalis die in den Nerven
verlaufenden Tonusfasern reizt. Die durch den Druck vermittelten,
in den Tonusfasern absteigenden Reize sind also befähigt, einen
spastischen Zustand dann schon herbeizuführen, wenn die physiko-
chemischen, peripheren Bedingungen noch nicht ausreichen, um
einen spontanen Spasmus zu bewirken.
Mit der Annahme des Mitwirkens nervöser Impulse bei den Tetanier
spasmen führen wir neben dem physikochemischem ein neues Moment
ein. Nach unseren dauernd fortgesetzten Untersuchungen über
Atmungstetanie reagiert jeder Mensch, der eine genügend vertiefte
Atmung genügend lange durchhält, mit tetanoiden Erscheinungen.
Unterschiede gibt es aber in der Geschwindigkeit, mit der die Spasmen
eintreten. Es liegt also nahe, sich vorzustellen, daß die Geschwindig-
keit des Auftretens der Spasmen nicht nur an die Verschiebung des
Ca/K-Quotienten gebunden ist, sondern auch vom Erregungszu-
stande der Zentren abhängt, von denen die oben erwähnten Impulse
ausgehen. Ist er erhöht, so wird eine geringere Änderung der physiko-
chemischen Bedingungen als sonst genügen, um Spasmen auszu-
lösen. Der Blutchemismus ist in diesen Fällen, soweit unsere geringen
bisherigen Erfahrungen ein Urteil zulassen, nicht verändert. Die
Besonderheit beruht also auf dem zentralnervösen Mechanismus,
ohne daß die peripheren physikochemischen Bedingungen abgeartet
sind. Wer in den Vorgängen, die zu dieser Abartung führen, das
Wesen der Tetanie sieht, für den verliert damit die elektrische und
mechanische Übererregbarkeit von ihrer üblichen hohen Bewertung.
nee
Diskussion.
Herr Bessau (Leipzig): Wenn die spasmophilen Krampfe auf Alkalose
beruhen, so müßte, da die Krämpfe selbst acidotisch wirken, sozusagen eine
Selbstheilung eingeleitet werden. Nach allgemeinen Konvulsionen schwinden
auch in der Tat die Latenzsymptome der Spasmophilie, trotzdem aber können
sich die Krampfanfälle wiederholen.
—
Beiträge zur Tetaniefrage.
Herr Otto Tezner, Wien.
Die Frage über den Zusammenhang zwischen Tetanie und Alkalose
hat ihren Ausgang genommen von den Erscheinungen bei Hyper-
ventilation. Es schien daher dle Lösung der Vorfrage angezeigt, ob
es sich bei der Hyperventilationstetanie wirklich um die Wirkungen
der Alkalose handle. Zwar hatten schon Hill und Flak, Grant
und Goldmann, Porges und Adlersberg gezeigt, daß die Über-
erregbarkeitserscheinungen völlig ausbleiben, wenn CO,-haltige Luft
eingeatmet und also die Alkalose verhindert wird. Und Behrend
und Freudenberg lehren die Deutung der englischen Autoren
Davies, Haldane und Kennaway, Bazett und Haldane,
Morris ab, daß es sich hierbei um den Effekt eines Sauerstoff-
mangels handle, der infolge der Hyperstabilität des Oxyhämoglobin:
entstehe, da die ersteren Autoren durch Einatmung von reinem
Sauerstoff die Tetaniekrämpfe nicht verhindern konnten. Es er-
übrigte jedoch noch immer der Einwand, daß es nicht der Verlust
der Säure, sondern des CO,-Moleküls als solchen sei, welcher die
Erscheinungen hervorrufe. Um diese Frage zu entscheiden, wurden
Hunde hyperventiliert, was nach Henderson durch leichte Äther-
narkose bewerkstelligt werden kann, und nach ?/, Stunde wurde beı
fortdauernder Hyperventilation "/-HCl infundiert; dabei
wurde fortlaufend die py des Harnes und die elektrische Erregbarkeit
bestimmt. Hierbei zeigte sich, daß tatsächlich die elektrische Erreg-
barkeit während der Hyperventilation stieg und während der HCI-
Infusion trotz fortdauernder Hyperventilation wieder sank; in einem
Falle trat auch Trousseau auf, der bei HCl-Infusion wieder schwand:
py des Harnes, die während der Hyperventilation gestiegen war.
sank während der HClI-Infusion wieder ab. Ließ man andererseits
einen Hund 15 1 Luft einatmen, welche 8 Volumprozent CO, enthielt.
so fiel die elektrische Erregbarkeit ab; nach einer Zeit der Erholung
wurden 300ccm 6 proz. NaHCO, infundiert, worauf die elektrischen
Werte unter die Anfangszahlen sanken; eine neuerliche CO,-Ein-
atmung bei fortdauernder Infusion brachte nur sehr geringes Sinken
Heft 4. Beitrage zur Tetaniefrage. 399
der Erregbarkeit hervor. Manifeste Tetanie sahen wir niemals auf-
treten; trotzdem glauben wir diese Versuche dahin deuten zu dürfen,
daß die Hyperventilationstetanie tatsächlich auf Alkalose beruht.
Aus der erwähnten, auf Bicarbonatinfusion entstehenden Erreg-
barkeitssteigerung. ist zu ersehen, daß beim Tiere auch Alkalose,
welche nicht durch Hyperventilation entstanden ist, zur Übererreg-
barkeit führt; zu denselben Resultaten sind auch zahlreiche andere
Autoren gekommen; dagegen wurde die Wirkung der Bicarbonat-
gaben auf gesunde Kinder nur von Henderson geprüft, der keine
wesentliche Wirkung sah. Wir haben in Nachprüfung dieser Ver-
suche zunächst 4 Säuglingen und 4 älteren Kindern Bicarbonat ver-
abreicht. 7 Kinder waren gesund, I Säugling zeigte Zeichen von
latenter Tetanie; die älteren Kinder erhielten 5—2o g, die Säug-
linge 4g (und zwar 2g per os und 2g per rectum); hierauf wurde
der Harn kontrolliert und die Erregbarkeit durch 4 Stunden stünd-
lich untersucht; bisweilen sanken die Anodenwerte etwas ab, sonst
zeigte sich keine besondere Wirkung. Etwas größeren Effekt zeitigte
längerdauernde Verabreichung. Io Säuglinge erhielten durch 5 Tage
je 6g, am 6. Tage vor der Untersuchung 4g auf einmal, Io ältere
erhielten täglich 20 g, am 6. Tage 10—20 g auf einmal. Die K.S.Z.
wurde auch hier wenig beeinflußt; dagegen sank öfters die A.Ö.Z.,
und auch die K.Ö.Z. sank einigemal unter 5 M.A., zweimal trat
Ulnarisphänomen, einmal Facialisphänomen auf, niemals Trousseau
oder Spontankrämpfe, ebensowenig wie bei den eben erwähnten
Bicarbonatinfusionen bei Tieren. Nach Davies, Haldane und
Kennaway genügten Gaben von 0,6g NaHCO, pro kg, um beim
Menschen eine inkompensierte Alkalose herbeizuführen, dasselbe
haben Dale und Evans beim Tier schon nach Infusion von 30 ccm
6 proz. NaHCO, erzielt ; in unseren Versuchen wurden in beiden Fällen
diese Mengen oft überschritten und trotzdem trat nie eine manifeste
Tetanie auf. Die Hyperventilation muB nach Behrend und Freuden-
berg oft bis ı!/, Stunden fortgesetzt werden, um Krämpfe hervor-
zurufen; all dies scheint darauf hinzudeuten, daß die inkompensierte
Alkalose zwar stets erregbarkeitsteigernd wirkt, daß sie aber offenbar
einen sehr bedeutenden Grad erreichen muß, um manifeste Tetanie
zu erzeugen.
Schließlich soll noch über Versuche berichtet werden, die vielleicht
zur Erklärung des Trousseauschen Phänomens etwas beitragen
können. Kürzlich haben Behrend und Freudenberg mitgeteilt,
daß der abgeschnürte Arm an den Spasmen bei Atmungstetanie
nicht teilnimmt; sie fanden auch. daß nach vorübergehender Stei-
400 Tezner. Heft 4
gerung eine Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in diesem
Arm stattfindet, was sie auf die durch Stauung oder Anämie erzeugte
Acidose zurückführen. Die Vorbedingung für das Zustandekommen
des Trousseau und der Spontankrämpfe sei die Versorgung mit
alkalotischem Blut; die: vorübergehende Erregbarkeitssteigerung sei
ihrem Wesen nach unbekannt und habe mit dem Trousseauschen
Phänomen nichts zu tun. Geigel hingegen hatte seiner Zeit fest-
gestellt, daß im abgeschnürten Arm eine deutliche Steigerung der
elektrischen Erregbarkeit, wenigstens der Öffnungswerte auftrete;
es könnte sich hierbei um die „vorübergehende Erregbarkeitssteige-
rung“ von Behrend und Freudenberg handeln. Um dies festzu-
stellen, haben wir beinormalen, unbeeinflußten und bei bicarbonat be-
handelten Kindern die elektrischen Werte 5—20 Minuten nach anämi-
sierender Abschnürung untersucht. Nach 5 Minuten zeigte sich hierbei
in mehreren Fällen wie bei Geigel ein Absinken der Öffnungswerte,
namentlich der K.Ö.Z., die Schließungszuckungen: blieben unver-
ändert oder stiegen sogar an. In einigen Fällen blieben alle Werte
gleich oder zeigten leichten Anstieg. Läßt man die umschnürende
Binde längere Zeit liegen, so kommt es, wie auch Behrend und
Freudenberg hervorheben, zu einem Sinken der Erregbarkeit,
doch erfolgt dies keineswegs gleichmäßig; am meisten steigt die
K.S.Z., weniger die A.S.Z. und A.Ö.Z., letztere hielt sich in 3 Fällen
noch unter dem Anfangswert; die K.O.Z. sank sogar in 2 Fällen
noch weiter ab. Zu ähnlichen Resultaten kamen unabhängig von
uns Elias und Kornfeld. Wir konnten jedoch ein weiteres, bisher
noch nicht beobachtetes Symptom feststellen, das wir zuerst bei
2 tetaniekranken Kindern mit fehlendem Trousseau beobachtet
hatten; es trat nämlich wie bei diesen, so auch bei einigen der ge-
sunden Kinder nach Abschnürung ein positives Ulnarisphänomen auf;
dieses war maximal einmal nach 5 Minuten, ein andermal nach 20 Mi-
nutcn und erschien manchmal erst, wenn die elektrische Erregbarkeit
schon wieder im Sinken war. Ob dieses Sinken der Erregbarkeit
tatsächlich auf Acidose beruht, soll hier nicht erörtert werden; es
sei nur festgestellt, daß sich zwischen Kindern mit und ohne Bi-
carbonatbehandlung, id est solchen mit weniger oder mehr alka-
lotischem Blut kein Unterschied in der Reaktion finden ließ. So viel
aber erscheint uns sicher, daß in den ersten Minuten nach der Ab-
schnürung die Steigerung der elektrischen und mechanischen Erreg-
barkeit das Feld beherrscht, d, h. in den Fällen, in denen überhaupt
eine solche auftritt. Da dies jedoch gerade die Zeit ist, die für das
Auftreten des Trousseau in Betracht kommt, glauben wir im
Heft 4 Beitrage zur Tetaniefrage. 401
Gegensatz zu Behrend und Freudenberg diese Erregbarkeits-
steigerung sehr wohl zur Erklärung dieses Phänomens heranziehen
zu können. Trousseau und Dauerspasmen bei Tetanie werden
ja allgemein als wesensverwandt angesehen. Man muß nun nur
noch die nicht unwahrscheinliche Annahme machen, daß die Er-
reichung eines gewissen Schwellenwertes der peripheren Erregbarkeit
nötig ist, damit Krämpfe auftreten, dann ist es klar, daß zur Er-
reichung dieses Punktes entweder die tetanische Übererregbarkeit aus-
reicht — Dauerspasmen — oder daß sich zu ihr noch die Abschnürung
erzeugende Erregbarkeitssteigerung addieren muß — Trousseau. Man
darf sich freilich den Schwellenwert nicht als fixen Punkt vorstellen;
nicht nur vom Trousseau, sondern auch von den Spontankrämpfen
ist es bekannt, daß sie bei hochgradiger peripherer Erregbarkeit
fehlen können und umgekehrt. Biedl erklärt dies damit, daß außer
der peripheren Übererregbarkeit auch eine zentrale bestehen müsse;
es ist eine Ladung des gesamten Nervensystems nötig, um Krämpfe
zu erzeugen. Es wird daher auch je nach dem Grade der zentralen
Übererregbarkeit auch jener Schwellenwert des peripheren Systems
wechseln müssen. Es ist für die oben gegebene Erklärung ganz
irrelevant, ob wir den Trousseau als reflektorisches oder rein peri-
pheres Phänomen auffassen; im letzteren Falle ist ja der Mechanis-
mus ohne weiteres klar; im ersteren müßte man annehmen, daß die
Abschnürung erstens die Erreichung jenes Schwellenwertes ermög-
licht, dessen Überschreiten die Vorbedingung für das Auftreten des
pathologischen Reflexes bildet und zugleich auch als reflexauslösen-
des Moment wirkt.
Diskussion.
Herr Freudenberg: Gegen die Zurückführung des ‚„Trousseau‘‘ auf die
Erregbarkeitssteigerung durch die Umschnüruug, sofern diese auf die Zirku-
lation wirkt, spricht der Befund Schaeffers, daß es nicht auf die Anämi-
sierung bzw. Stauung ankommt. Es wird auf die soeben vorgetragenen Ver-
suche mit Reizung der Arterienwand bzw. der Nervenstämme bei Hunden
im Vorstadium der Phosphattetanie hingewiesen. Die Erregbarkeitsförderung
durch Wirkung auf die Zirkulation dürfte nur als Hilfsmoment bei der Aus-
lösung des Trousseau anzusehen sein.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 26
Vergleich einer Stillstatistik aus dem Jahre 1877
mit einer solchen aus dem Jahre 1922.
Herr Beck, Tubingen.
Im Jahre 1877 stellte der damalige wiirttembergische Oberamts-
arzt Camerer eine Stillstatistik seines Oberamtsbezirks Riedlingen
auf. Diese Statistik ist, soviel ich weiß, die älteste, die es überhaupt
gibt. Sie liefert ein Bild von den überaus schlechten Verhältnissen,
wie sie damals nicht bloß in Riedlingen, sondern überall herrschten,
und ist dadurch ein Zeitdokument von größtem Werte,
Aber jede Stillstatistik gewinnt dann doppelt an Wert, wenn man
ihr eine andere zum Vergleich an die Seite stellen kann, sei es eine
gleichzeitige Statistik aus einer anderen Gegend, oder sei es eine
Statistik derselben Gegend, aber aus späterer Zeit, die dann zeigt,
wie sich die Verhältnisse geändert haben, entweder in gutem oder in
schlechtem Sinn. Eine solche Vergleichsstatistik aus demselben
Oberamt — Riedlingen —, nur ein halbes Jahrhundert später, möchte
ich Ihnen hiermit vorlegen.
Diese neue Statistik verdanken wir dem jetzigen Oberamtsarzt
von Riedlingen, Herrn Med.-Rat Missmahl, der sie uns liebens-
würdigerweise zur Verfügung gestellt hat. Das Oberamt Riedlingen
liegt im südlichen Württemberg, etwa zwischen Sigmaringen und Ulm,
und hat in überwiegender Mehrheit landwirtschaftlich tätige Be-
völkerung.
Das Ergebnis zeigt nachstehende Tabelle.
Zunächst sieht man, daß gemäß dem Ergebnis der alten Camerer-
schen Statistik die Stillverhältnisse außerordentlich schlechte waren.
Von 18 Ortschaften sind es nur vier, in denen in 50% und darüber
gestillt wird, während in 14 anderen der Prozentsatz des Stillens außer-
ordentlich tief liegt, und bis auf 15 und 13%, heruntergeht, so daB
also von 100 Kindern nur 13—15 gestillt wurden.
Das hat sich nun ganz außerordentlich geändert, und zwar so, daß
in nicht weniger als 8 Ortschaften sämtliche Kinder wenigstens eine
Zeitlang gestillt wurden. Das schlechteste Stillergebnis überhaupt
ist heute dasselbe, wie es 1877 das beste war, nämlich 62%, damals
Heft 4 Vergleich einer Stillstatistik aus den Jahren 1877 und 1922. 403
in Pflummern, heute in Uigendorf. Man sieht dies auch aus der
letzten Aufstellung, aus der sich ergibt, daß heute nur noch 29 Kinder
überhaupt nicht gestillt werden, gegenüber 384 von damals. In
Prozenten ausgedrückt bedeutet das, daß heute 88%, gestillt werden,
gegenüber früher 33%.
Gestillt
U
S Gemeinde 1877 Nicht gestillt
2
1.] Pflummern. ....... 62 a 16 100 | 18 15 —
2. | Reutlingendorf...... 56 | 14 100 | 9 Owe as
3.1 Kappel ......... 53 | 5 100: 8 8 —
4. | Sauggart. . . . 2.2 2.. 50 8 100 ; 10 Ba
5.4 Bechingen, Zell... ... 44 8 71 8 5 2
6.| Dürmentingen ..... . 39; «II 100 8 17 | —
7.1 Hundersingen ...... 37 : 12 80 Io 29 3
8. | Dietelhofen, Möhringen, Unlingen 35 13 87 9 34 4
9.| Binzwangen ....... 33 , Io 80 6 24 3
10. | Zwiefaltendorf ..... . 33 | 14 86 | 10 8 I
11.] Betzenweiler . . ..... 32 | 10 100 8 32 —
12.] Uigendorf ........ 31 | 13 62 10 II 3
13.| Riedlingen. ....... 30 9 100 ota l 54 | =
14.] Kanzach. ........ 24 CC 9 100 8 24 —
15. | Uttenweiler ....... 23 ` I2 96 9 37 I
16. | Göffingen, Heiltingen. ..| 20 | 8 70 | 17 20 3
17. | Dauzendorf ....... 15 | 8 70 8 28 5
U Ne@uitas 55. oo 2.08 4 13 12 70 7 26 4
Gesamtsterblichk. im I. Lebensj. | 190 — 32,9% 26 = 10,2%
Diese Besserung kommt dann natürlich auch in der Besserung
der Gesamtsterblichkeit zum Ausdruck. Einer Sterblichkeit
von 190 Säuglingen steht eine solche von nur noch 26 gegenüber,
bzw. in Prozenten ausgedrückt: Früher starb jedes dritte Kind,
heute stirbt nur noch jedes zehnte Kind.
In diesen Zahlen kommt die Veränderung der Verhältnisse
außerordentlich deutlich zum Ausdruck, und es liegt hier natürlich
nahe zu fragen: Worauf beruht diese Besserung des Still-
willens? |
Das eine Moment könnte die Einrichtung der staatlichen Für-
sorge, also die Errichtung des Jugendamts und die Anstellung der
Bezirksfürsorgerinnen sein. Beides ist aber erst im Jahre 1923 erfolgt,
hat also diese Besserung nicht herbeigeführt. Diese Feststellung ist
sehr wichtig, denn wenn wir unsere Statistik erst einige Jahre später
gemacht hätten, würden wir die Besserung der Verhältnisse wohl
26°%
404 Beck. Heft 4
ohne weiteres auf das Konto des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes
gebracht haben. |
Irgendwelche Einrichtungen der privaten Säuglingsfürsorge
hat esin Riedlingen nicht gegeben. Also die eigentlich organisierte
Fürsorge scheidet hier ebenfalls aus.
Der größte Teil des Fortschritts dürfte meines Erachtens darauf
zurückzuführen sein, daß einmal die Ärzte dank ihrer zwangsläufigen
Ausbildung in Kinderheilkunde während ihrer Studienzeit nicht nur
eine gewisse Kenntnis vom Wert der Frauenmilchernährung, sondern
auch ein gewisses Interesse daran mit in die Praxis bringen, daß
weiter die Hebammen, denen in solchen ländlichen Bezirken wie
hier ein noch viel größerer Einfluß als woanders zugemessen ist, heut-
zutage auch von den Frauenkliniken und den Hebammenlehranstalten
viel bessere Anschauungen mitbringen und in der Regel nicht mehr
fragen, ob die Mutter ihr Kind stillen will, sondern es ihr — gewisser-
maßen automatisch — an die Brust legen.
Daneben wird natürlich auch noch der Geist der Zeit, der heut-
zutage auf das Selbststillen eingestellt ist, vielleicht auch noch die
Gewöhnung an das Stillen durch die Stillprämien während des Krieges
mitgewirkt haben.
SchlieBlich ist zu erwägen, ob nicht auch das Sinken der Geburten-
ziffer die Besserung mit veranlaßt hat. In einzelnen Dörfern ist ein
geradezu erschreckendes Sinken der Geburtenzahl zu bemerken.
z. B. in
Reutlingendorf. .. .. . . . von I6 (1877) auf 2 (1922)
Hundersingen . . . . . . . . von 46 auf 14
Riedlingen. ......... von 79 auf 23
Angesichts dessen kann man meines Erachtens gar nicht umhin,
auch dieser Tatsache eine Bewertung für die Besserung des Stillens
zuzumessen. Je weniger Kinder geboren werden, um so wertvoller
sind sie, also um so mehr werden sie gestillt werden.
Diskussion.
Herr Bauer: Die Hebung des Stillens in einer Bevölkerungsgruppe wird
stillschweigend hier als nationalökonomisch günstig angesehen.
Ausdrücklich wird dabei der Einfluß der Belehrung durch Fürsorge abgelehnt.
Um also einen volkswirtschaftlichen Nutzen in den höheren Stillzahlen zu
sehen, muß man noch hinzufügen: Wieviel Säuglinge haben das erste Lebens-
jahr überschritten, hat sich die Bevölkerung vermehrt, haben sich ihre Ver-
hältnisse wirtschaftlich geändert (Ab- und Zuwanderung, Fabrikanlage), wie
ist die Geburtlichkeit ?
Heft 4 Diskussion. 405
Herr Stransky: Mitteilung der Ergebnisse der Stillhäufigkeit in der
Krippe in Hainburg (Niederösterreich). Vor der Stillprämie wurden in der
Fabrikkrippe fast gar keine Kinder gestillt, seit der Gewährung derselben
stillen alle Mütter. Es sind allerdings ziemlich viele, die Beinahrung geben
mußten. Das Resultat ist die kolossale Verminderung der Sterblichkeit. Die
Stillfähigkeit ist unvermindert vorhanden, wenn der Stillwille vorhanden ist.
Herr Mautner: Die wichtigste Ursache der besseren Stillstatistik ist zweifel-
.los die wirtschaftliche Lage. Die Kuhmilch ist entweder unerschwinglich
oder wird von der Landbevölkerung lieber anders verwertet als durch Verfüt-
terung an das Kind, das auch an der Brust aufgezogen werden kann.
Herr Weiss: Die wertvollen Angaben über den Einfluß der Stillpropaganda
durch die Hebammen in einer örtlich abgeschlossenen Bevölkerungsgruppe kann
ich erweitern durch meine gleichsinnigen Ergebnisse in der fast zwanzigjährigen
Tätigkeit der Wiener Stillkasse. Hier kann noch ein weiterer Beitrag
für die moderne Familienforschung geliefert werden, weil das Mütter-
material nach dem Stillerfolg ihres letzten der Stillkasse angehörigen Säug-
lings gegenüber ihren vorausgeborenen Kindern in bezug auf die natürliche
Ernährung nach zwei Methoden geprüft wurde. Für die älteren Kinder wurde
die anamnestische Erhebung durch direkte Ausfrage der Mütter angewendet.
Diese Resultate ergeben trotz scharfer Trennung der ausschließlichen Brust-
milchperiode von der nachfolgenden Zwiemilchernährung eine Angabe von
zumeist längerer Stilldauer, weil das für die Stillung erweckte Interesse der
Mütter geneigt ist, in bester Absicht einer etwas längeren Stilldauer sich zu
rühmen. Dagegen ist die Bestimmung der Stilldauer jedes Stillkassensäug-
lings eine zahlenmäßig durch das jedesmalige Probestillen erhobene direkte
Statistik von einwandfreiem Charakter. Nach dieser Gegenüberstellung haben
die Mütter bei ihren früheren Kindern eine Stillhäufigkeit von bloß 85%
(siehe Stillerfolg Becks im Jahre 1919) gehabt, während sie bei dem letzten
Kinde, für dessen künftige Stillprämiierung der Beitritt schon in der Schwanger-
schaft erfolgte, eine Stillfrequenz von 98,1% erreichten. Diese Ziffer
ist bereits der in geschlossenen Anstalten erzielten Stillbetätigung gleich-
gestellt und von der offenen Säuglingsfürsorge ohne vorausgehende Schwan-
gerenfürsorge nicht zu erreichen. Was die Stilldauer anbelangt, so wurde
eine Verlängerung derselben bei dem Stillkassensäugling um 48%
gegenüber den älteren Geschwistern nachgewiesen.
Wirkungsweise und Erfolge der Salzsäuremilch bei Tetanie.
Herren K. Scheer und A. Salomon.
(Mit 4 Kurven.)
Meine Damen und Herren! Im Laufe der letzten Jahre ix
das Gebiet der Tetanie ganz besonders eingehend erforscht
worden, wobei weniger klinische Gesichtspunkte, deren Klärung
es kaum noch bedurfte, als vielmehr ätiologische und thera-
peutische Fragen maßgebend waren, Gebiete, die der Forschung
großen Anreiz boten.
In dieser Richtung sind dann auch bedeutungsvolle Beobach-
tungen gemacht worden, die zur Aufklärung der Erkrankung wesent-
lich beizutragen vermochten. Besonders das therapeutische Gebiet,
das früher nahezu ausschließlich vom Caleium beherrscht war, wurde
durch die Einführung der Säurebehandlung bereichert. Die Aera
dieser Säuretherapie wurde eröffnet durch die Einführung der Salz-
säuremilch durch Scheer. Hier wurde zum ersten Male Säure zu
Behandlung der Tetanie angewendet, und Scheer konnte zeigen.
daß allein durch Verabreichung von Salzsäure die Symptome der
mechanischen und elektrischen Übererregbarkeit zum Schwinden
gebracht wurden.
Kurz darauf stellten Freudenberg und György ihre Versuche
mit Salmiak an und führten dies ebenfalls erfolgreich in die The-
rapie ein.
Die Säuretherapie war um so bestrickender, als von den Amen-
kanern Grant und Goldmann die Überventilationstetanie ent-
deckt und als Folge einer Alkalosis des Körpers gedeutet wurde.
Diese Erklärung wurde von Freudenberg und György über-
nommen und weiter ausgebaut. So erschien denn nichts nabe-
liegender, als daß durch die Säurezufuhr die angenommene Alkalosis
beseitigt wurde. Diese Therapie würde dann auch umgekehrt eine
bedeutsame Stütze dieser Theorie darstellen.
Allerdings haben sich gewichtige Stimmen gegen diese Theone
erhoben, an ihrer Spitze vor allem Greenwald, dann aber auch
Heft 4 Wirkungsweise und Erfolge der Salzsäuremilch bei Tetanie.e 407
Elias und Kornfeld, Calvin und Borovsky u.a., so daß man
von einer allgemeinen Anerkennung nicht sprechen kann. Übrigens
will auch Grant nur die Überventilationstetanie und die sog. Magen-
tetanie mit Alkalose in Beziehung bringen und trennt streng davon
die andere große Gruppe, die die idiopathische Kindertetanie, die
parathyreoprive und die Guanidintetanie umfaßt und die er auf ein
Calciumdefizit bezieht.
' Die Frage der Wirkungsweise der Säuretherapie ist daher noch
keineswegs vollkommen geklärt.
Unsere ausgedehnten Untersuchungen an spasmophilen Kindern
geschahen neben anderem auch unter dem Gesichtspunkte, Auf-
schluß über die Wirkungsweise der Salzsäuremilch zu erlangen.
In seiner ersten Arbeit über Salzsäuremilch hatte Scheer bereits
gezeigt, daß bei dieser Behandlung eine starke Phosphatausscheidung
durch die Nieren stattfindet und hat in dieser Phosphatverminderung
im Organismus die hauptsächlichste Wirkung der HCI-Milch an-
genommen.
Es war daher einmal notwendig, auch den Phosphatgehalt des
Blutserums, der von Howland, György u. a. bei Tetanikern als
relativ erhöht angegeben wurde, während der HCl-Milchbehandlung
in fortlaufenden Untersuchungen zu prüfen. Wir begnügten uns
dabei nicht mit der Bestimmung des säurelöslichen Phosphors, son-
dern stellten auch die Menge des lipoiden fest, wozu wir uns der
Greenwaldschen Methode bedienten.
Da wir seit Starkenstein wissen, daß der Phosphatgehalt in
engem Zusammenhang mit der Calciumkonzentration steht, daß
letzteres sogar durch Erhöhung des Phosphatgehaltes aufgefüllt
werden kann, so war es wichtig, auch das Serumcalcium mitzu-
bestimmen, was wir nach der de Waardschen Methode aus-
führten.
Anfänglich versuchten wir auch, die Säurebasenverschiebung im
Blut nach Rohony nachzuweisen. Wie bereits von Scheer früher
angegeben, konnten auch diesmal in etwa 60 Untersuchungen keine
eindeutigen Resultate erzielt werden. Da auch Freudenberg
darauf hinwies, daß die Methode zur Bestimmung der Alkalose
unsicher sei, sahen wir von weiteren Untersuchungen mit dieser
Methode ab.
Neben der Bestimmung der beiden Phosphatfraktionen sowie des
Calciums wurde auch das klinische Bild nicht vernachlässigt und
die mechanische und elektrische Übererregbarkeit regelmäßig ver-
zeichnet. Über Einzelheiten der Methodik sowie die zahlreichen
408 Scheer und Salomon. Heft 4
Ergebnisse, die auch nach anderer Hinsicht interessant sind,
soll anderweitig berichtet werden. Hier sollen nur in großen
Zügen an einigen charakteristischen Kurven unsere Befunde bei
Tetanie und ihre Veränderung bei HCl-Milchbehandlung gezeigt
werden.
Vorweg sei erwähnt, daß wir zuerst die HCI-Milch in der ursprüng-
lichen, von Scheer mitgeteilten Form, nämlich 740 Vollmilch und
260 "/,, HCl mit 5% Zucker, gaben. Da wir in manchen Fällen
keine genügend energische Wirkung sahen, gingen wir zu einer
stärkeren Form über, bestehend aus 600 Vollmilch und 400 ”/,, HU.
Diese Milch ist etwas saurer und entspricht einem py von etwa 3,5—4.
Unsere Fälle können ‚wir in zwei Gruppen einteilen, einmal solche
mit dem charakteristischen Befund der Tetanie. Zu diesen gehört
der Fall Borst.
Tetonie behandelt mit Salzsauremilch
= E
Eee
QG49 On @ 8 % 1 6 17 8 19 20 21 Datum
Kurve 1.
Es handelt sich klinisch um eine mittelschwere Tetanie mit La-
ryngospasmus, starkem Facialis- und Peroneusphänomen, jedoch
ohne Carpopedalspasmen.
Aus der Kurve geht folgendes hervor:
Die K.O.Z. ist zu Beginn 3,5 Mill. Amp. (Der Übersicht halber
sind die Werte der anderen Zuckungsformen weggelassen.)
Heft 4 Wirkungsweise und Erfolge der Salzsäuremilch bei Tetanie. 409
Der Ca-Gehalt ist stark erniedrigt, 6,7 mg% gegen normal
xx mg. Der sdureldsliche P. ist etwas erhöht, 6,8 mg% gegen
normal 5,5 mg%; es bestehen also die charakteristischen Zeichen
der Tetanie. |
Unter HCI-Milch (starke Form) steigt im Laufe eines Tages die
K.Ö.Z. auf einen normalen Wert von > 5.
Gleichzeitig steigt das Ca auf 8 mg, der rn Phosphor
hingegen fällt auf 4,5 mg.
Dagegen steigt der Lipoidphosphor im gleichen Maße von 7,5 auf
11,5 mg%. Alle Werte werden also normal oder nähern sich stark
der Norm. Nach Aussetzen der HCl-Milch wieder pathologische
Werte. Aus diesen Werten kann man charakteristische Verhältnis-
zahlen herauslesen.
György legt Wert auf den Quotienten =.
Dieser betragt nach ihm im Durchschnitt: normal 1,95, bei Ra-
chitis 3,5, bei Tetanie 1,4.
Unser Material bestätigt diese Zahlen. In unserem Falle
beträgt der Quotient zunächst 0,9, steigt bei zunehmender
Besserung an, um dann bei einsetzender Verschlechterung wieder
abzusinken.
Doch noch einem weiteren Quotienten wollen wir Beachtung
schenken, nämlich dem Verhältnis von säurelöslichem zu lipoi-
dem Phosphor. Seine Ausschläge sind freilich geringer, doch äußerst
typisch. Sein Wert beträgt normalerweise 0,56, ist bei Rachitis
kleiner, bei Tetanie größer. Er verhält sich also umgekehrt, wie
der Quotient a. (Diese Beziehungen sind eingehend besprochen in
P
der Arbeit über den Phosphatgehalt, die demnächst im Jahrbuch
erscheint.)
Man erkennt auf der Kurve deutlich das Verhalten des Phosphat-
quotienten. Zunächst erhöht 1,0 sinkt er rasch auf unter 0,5, um
dann langsam wieder anzusteigen. Also umgekehrtes Verhalten wie
Ca
bei 5 -
Der andere Fall Büttner zeigt die gleichen charakteristischen Er-
scheinungen. Es handelt sich klinisch um eine weniger stark aus-
gesprochene Tetanie.
Peron. Phänom.
K.O.Z. nur 4,5 Mill. Amp.
410 Scheer und Salomon. Heft 4
Unter der Einwirkung der HCI-Milch sehen wir, wie in der
ersten Kurve Ansteigen bzw. Absinken der pathologischen Werte
zur Norm.
BERRA RR RRP A
Hm
Kurve 2.
Die zweite Gruppe von Tetanikern, von der wir 3 Fälle besitzen,
verhält sich in mancher Beziehung abweichend. Klinisch handelt
es sich um außerordentlich schwere Fälle von Tetanie. Dabei ist
der Ca-Gehalt auffallend niedrig, der säurelösliche Phosphor enorm
hoch, doppelt so hoch als sonst, der Lipoidphosphor ganz ungemein
niedrig, nur die Hälfte der Norm.
Säurelösl.P.
Lipoid P. |
Zur Veranschaulichung dieses Verhaltens ist der Fall Weider
besonders geeignet. Klinisch manifestiert er sich durch schwere
Krämpfe mit ‚Ausbleiben‘ und Lyrangospasmus.
Das Facialis- und Peroneusphänomen ist von seltener Heftigkeit.
K.0.Z. = 2,0.
Der Ca-Gehalt, der zuerst 8,3 mg% beträgt, ist nicht sehr niedrig,
der säurelösliche P. 11,3, hingegen sehr hoch. Der lipoide P. betragt
nur 6 mg, ist also auffallend niedrig.
Der Quotient muß somit ungewöhnlich hoch werden.
Heft 4 Wirkungsweise und Erfolge der Salzsäuremilch bei Tetanie. 411
Unter HCl-Milchbehandlung (schwache Form) gehen die Werte
fiir P. zuriick, doch das Ca sinkt weiter. Die klinischen Erschei-
nungen werden kaum gebessert. Auch bei CaCl,-Gaben in Dosen
von 6, später 8 g pro die setzt keine Besserung ein. Erst auf
HCl-Milchverabreichung in der neuen Konzentration schlagartige
Besserung. Die Übererregbarkeitssymptome schwinden rasch, die
K.Ö.Z. wird > 5 Mill. Amp. Wie aus der Kurve ersichtlich, nimmt
a Säure. P
lip. P
-4
x Surel. P
» Ca
” Lip.P
1820 22 24 262830247 4 6 8 N W 1 6 20
Kurve 3.
der Ca-Gehalt zu, der säurelösl. P. dauernd ab, der lipoide hingegen
wieder zu. Der. Quotient nähert sich der Norm, der Quotient
P
ap fällt dauernd ab.
Der 2. Fall, Hoffmann, der leider kurz nach der Aufnahme im
Anfall verstarb, zeigte die gleichen Werte, der 3. Fall, Geifrig,
wies klinisch schwerste Krampfzustände auf. Seine Werte für den
säurelösl. P. sind zwar nicht so hoch, die für den lipoiden jedoch
auffallend niedrig.
Auf diesem kleinen Material läßt sich natürlich keine Pnishi
treffen, ob es sich hier um eine besondere Form der Tetanie mit
abnormen Werten fiir P., ob es sich also um eine eigentliche ,,Phos-
phattetanie‘‘ handelt, oder ob wir hier extrem schwere Fälle der
allgemeinen Tetanie vor uns haben. Die äußerst schweren klinischen
Erscheinungen sprechen für das letztere. Melee Untersuchungen
würden diese Frage noch klären. |
412 Scheer und Salomon. Heft 4
Ganz allgemein läßt sich aus dem hier Gezeigten und zahlreichen
anderen Fällen feststellen, daß die HCl-Milch besonders in ihrer
starken Form eine rasche Veränderung der Blutzusammensetzung
hervorzubringen vermag. Unsere Ergebnisse passen sehr gut zu der
Annahme, daß wir die Wirkung der Salzsäuremilch in einer Phos-
phatverminderung zu suchen haben. Die erhöhte Phosphataus-
scheidung durch die Nieren wurde von Scheer bereits in seiner
ersten Arbeit als Ergebnis von 3 Stoffwechselversuchen nachdrück-
lich betont. Eine von uns neuerdings ausgeführte Nachprüfung be-
stätigte die früheren Versuche.
Da nun die Salzsäuremilch, ferner die Tetanie, so überaus günstig
beeinflußt und die klinische Besserung mit der Stärke der Phosphat-
ausscheidung durch den Urin gleichen Schritt hält, dürfen wir wohl
hier einen ursächlichen Zusammenhang vermuten. Dies können wir
um so mehr, als mit der Herabsetzung des Phosphors eine Steigerung
des Calciumgehaltes einhergeht, worauf neuerdings auch Freuden-
berg und György hinweisen. Der wieder normale Calciumgehalt
bringt dann auch wieder normale nervöse Erregbarkeit mit sich.
(Auch Freudenberg und György erklären übrigens die Wirksam-
keit des Salmiak durch erhöhte Phosphatausscheidung.)
Es ist nun sehr naheliegend, die Frage nach der Bekömmlichkeit
dieser Heilnahrung aufzuwerfen, deren Zusammensetzung ja auf
den ersten Blick ungewöhnlich anmutet und tatsächlich hat Blüh-
dorn in seinem Sammelreferat Bedenken geäußert bei Dyspep-
tikern noch HCI-Milch zu verabfolgen. Dies steht im Gegensatz zu
neueren Anschauungen, die auch von den Amerikanern propagiert
werden, nämlich stark angesäuerte Milch bei der kindlichen Darm-
störung zu verwenden.
Mit der Wirkung dieser Säuregaben hat sich auch Müller an der
Frankfurter Klinik beschäftigt. |
Zur Prüfung dieser Frage müssen wir zunächst feststellen, wie
sich die Magensekretion zur eingeführten HCI-Milch verhält. Dazu
bedienten wir uns der Bestimmung der Acidität. Es ist ja nach den
Untersuchungen der letzten Jahre von Aron, F. Müller, und
Demuth bekannt, daß das Säurebindungsvermögen, d. h. das
Pufferungsvermögen der verschiedenen Nahrungen, recht verschieden
ist, so daß man aus dem erreichten Säuregrad nicht unmittelbar
auf die Menge der sezernierten Salzsäure schließen kann. So ist
z. B. das Pufferungsvermögen von Kuhmilch dreimal so groß als
das der Frauenmilch. Es müßte also der Magen um eine für die
Verdauung der Kuhmilch günstige Acidität zu erzeugen, eine recht
Hieft 4 Wirkungsweise und Erfolge der Salzsäuremilch bei Tetanie. 413
große Menge Säure sezernieren. Vergleichen wir in dieser Richtung
unsere HCl-Milch mit einer entsprechend starken wäßrigen Milch-
verdiinnung, also mit gleichem Pufferungsvermégen, dann finden wir,
wie aus Kurve IV hervorgeht, daß die 2/,-Milch von einem Anfangs-y
von 7 nach 2 Stunden sich auf 3,4 erhöht hat, dagegen HCI-Milch
mnit verschiedenem Ausgangs-f;;, schwankend zwischen 3,2—4,2, nach
2 Stunden ein fy von 1,8—2,3, also rund py 2 erreicht hat.
9% 058
57
46 .
55 Chlorspiegel
imSéerum
54
53 |
52 === be Solasduremilch
3
PH 1
2
3
; —— bei % Milch
2 Taz bei NCI Milch
6
7
gh gh n’ 12b 1h
Kurve 4.
Es wird also eine relativ hohe Acidität erreicht, die für den Ablauf
der Verdauung im allgemeinen günstig ist. Trotzdem läßt sich zeigen,
daß bei der HCl-Milchzufuhr weniger Magensalzsäure sezerniert
wird als bei der gleichen wäßrigen Milchverdünnung.
Die günstige Beeinflussung der Magenverdauung durch die HCI-
Milch steht also im Einklang mit der Ansicht von Mariott, Demuth
und F. Müller, die die starke Pufferung der Kuhmilch durch vor-
herige Ansäuerung zu entlasten suchen.
Zur Beurteilung der Verdauung sind wir ferner auf die Beschaffen-
heit der Faeces angewiesen.
Wie bereits früher mitgeteilt, konnten wir auch weiterhin fest-
stellen, daß während der HCl-Milchdarreichung die Stühle salbig
oder fest und stets gut verdaut waren. Selbst dyspeptische Stühle,
wie sie z. B. häufig unter Calciumchloriddarreichung auftreten,
414 Scheer und Salomon: Diskussion. Heft 4
verschwanden bei Ernährung mit Salzsäuremilch prompt, so daß
wir sogar in manchen Fällen von schlechten Stühlen HCI-Milch
direkt als antidyspeptisches Mittel anwandten.
Um es noch einmal zu betonen, verwenden wir die HCI-Milch jetzt
immer in der stärkeren Konzentration, wobei auf 600 Vollmilch
400 ”/,, Salzsäure und 5% Zuckerzusatz kommen. In einem Liter
geben wir also 40g n HCI.
Wir haben somit in der HCl-Milch ein stark antispasmogen wir-
kendes Mittel, das gut vertragen wird, bei dessen zahlreicher An-
wendung in vielen Fallen wir nie eine Schädigung und fast immer
großen therapeutischen Erfolg gesehen haben, so daß wir glauben,
es der Nachprüfung und Anwendung empfehlen zu dürfen.
Diskussion.
Herr Blühdorn hält die praktische Anwendung der Salzsäuremilch be-
schränkt, weil sie sowohl an Quantität wie Qualität in vielen Fällen nicht die
geeignete Nahrung darstellen wird.
Herr Müller (Frankfurt): Man kann zur Herstellung der Salzsäuremilch
auch nHCI statt ”/,, HCl benutzen. Die Säure muß dann tropfenweise zur
Milch zugesetzt werden und nach Zusatz jedes Tropfens gründlich umgerührt
werden. So kommt eine ganz feinflockige Gerinnung zustande. Die Milch
wird sehr gern genommen.
Herr Stolte möchte den Herrn Vortragenden fragen, ob es zulässig und
empfehlenswert ist alle, auch schwerste Fälle mit HCI-Milch zu behandeln.
Er selbst hat fast immer die Therapie wegen Verschlimmerung abbrechen
müssen, nachdem er tagelang mit Sorge und Angst auf Besserung gewartet
hatte. Auch wäre ein Auszug darüber wichtig, ob die verschiedenen Mani-
festationen der Tetanie gleich gut ansprechen, da wir doch auch sehr ver-
schiedene Momente kennen, die die einzelnen Formen hervorrufen.
Herr Ibrahim: Auch mit den neuen Verfahren kommen noch Todesfälle
an Tetanie vor. Am meisten gefährdet scheinen junge Säuglinge und Fälle
mit Bronchotetanie zu sein. Es würde von Interesse sein, zu erfahren, ob in
Frankfurt unter der Anwendung der Salzsäuremilch keine Todesfälle mehr
vorgekommen sind.
Schlußwort: Die Menge der verabfolgten HCI-Milch (bis 1000 g pro die)
richtet sich nach Alter und Gewicht des Kindes. Obwohl stets große Milch-
mengen, es handelt sich doch um eine Zweidrittel-Milch (!), verabfolgt
werden, schwinden die Symptome oft innerhalb einiger Stunden. Es wurden
daher auch die schwersten Fälle der Tetanie mit Erfolg der HCI-Milch-
behandlung unterzogen. Wo anderwärts Versager beobachtet wurden, wurde
nur die alte, schwache Konzentration angewendet, die auch an der Frank-
furter Klinik in einigen Fällen nur geringen Erfolg zeitigte.
Zur Methodik und Bedeutung der Magenfunktionsprüfung.
Herr Fritz Müller, Frankfurt a. M.
Wenn auch durch die systematischen Einteilungen der Ernährungs-
störungen des Säuglings von Czerny, Finkelstein und Lang-
stein dem therapeutischen Handeln wertvolle Richtlinien gegeben
wurden, so ist dennoch die klinische Differenzierung der einzelnen
Krankheitsbilder nicht immer mit befriedigender Sicherheit möglich.
Zweifellos wird der erfahrene Kliniker durch ein geschultes Auge
meist den einzelnen Fall richtig einregistrieren können, der jüngere,
mehr auf Laboratoriumsmethoden eingestellte Arzt wird gern in
objektiven Symptomen seine Stütze suchen, die ihm Ätiologie und
Sitz des Krankheitsprozesses zu klären imstande sind. Naturgemäß
mußte zunächst die Beschaffenheit der Faeces solche Handhaben
bieten. Aber es ist bekannt, daß die Bedeutung der Stuhlunter-
suchung an Kredit viel, vielleicht zu viel verloren hat. Experi-
mentelle Arbeiten, wie klinische Beobachtungen haben gelehrt, daß
Farbe, Schleimgehalt, Konsistenz und Acidität der Faeces an Be-
dingungen geknüpft sind, zu deren Zustandekommen ganz ver-
schiedenartig einzuschätzende Vorgänge beizutragen vermögen.
Noch stärker machte sich die Resignation gegenüber der Magen-
funktionsprüfung geltend. Festzustellen bleibt, ob diese an sich
zweifellos berechtigte Resignation wirklich einer völligen Unmög-
lichkeit entspricht, aus dem Verhalten des Magens Anhaltspunkte
für gewisse pathologische Prozesse zu gewinnen oder ob es nur
Fehler der bisherigen Methodik sind, die dieses Mißtrauen groß-
gezogen haben. Danach wird zu prüfen sein, ob es wirklich bei
exakter Methodik gelingt, durch einmalige Untersuchung zu dia-
gnostischen Schlüssen zu gelangen oder ob nicht die physiologischen
Schwankungen groß genug sind, um diese Hoffnung von vornherein
zu zerstören; aber auch in diesem Falle wird eine genaue Kenntnis
der Magenfunktionen es ermöglichen, gewisse Veränderungen der
Motilität und Sekretionsfähigkeit mit konstitutionell oder rein,
exogen bedingten Schäden in Parallele zu setzen.
416 Müller. Heft 4
Von allen neueren Untersuchern wie Theile, Krüger, Bessau
und Demuth, wird zur Prüfung der Motilität des Magens allein
die röntgenologisch festgestellte Verweildauer der gereichten Nah-
rung bestimmt. Bei aller Exaktheit, die diese Methode für sich in
Anspruch nehmen darf, und wenn auch die durch sie gewonnenen
Ergebnisse in keiner Weise in Zweifel gezogen werden sollen, so ist
doch der Auswertung der Resultate gegenüber gewisse Vorsicht am
Platze. Beim genaueren Durchlesen der Protokolle der Theileschen
Arbeit wird man finden, daß fast in der Mehrzahl der Fälle kleine
Reste von der Mahlzeit 2!/,—41/, Stunden nach der Mahlzeit im
Magen zurückgehalten werden. Auch Demuth gibt zu, daß oft
ein kleiner Rest unverhältnismäßig lange retiniert bleibt. Will man
aber den Zeitpunkt der Entleerung auf röntgenologischem Wege
früher festlegen, so ist man, wie auch Demuth meint, großem
Subjektivismus ausgesetzt. Vielleicht finden hierdurch die recht
beträchtlichen Unstimmigkeiten in den Ergebnissen der Arbeit von
Krüger einerseits, Bessau, Rosenbaum und Leichtentritt
andererseits ihre Erklärung, ebenso die auffälligen Befunde der
gleichmäßigen Entleerungsbeschleunigung durch Casein reduzierte
Kuhmilch einerseits, durch molkenreduzierte Kuhmilch anderer-
seits, obwohl die verantwortlich gemachte Eiweißkonzentration in
ersterer nur etwa 1/,, der letzteren ausmacht, sowie die längere
Verweildauer bei Casein + Molkenreduktion.
Berücksichtigt man nun die teils auf eigene Untersuchungen ge-
stützten Befunde, daß diese Reste im Magen nach 2!/, Stunden, die
insbesondere bei der stärker sekretionserregenden Kuhmilch gefunden
werden, zum großen Teil aus Magensaft bestehen und eine hohe
Acidität aufweisen, so wird man die aus der röntgenologischen Ver-
weildauer bestimmte Motilität anders beurteilen und ihre Bedeutung
für die Pathogenese der Ernährungsstörungen bei Kuhmilchemäh-
rung geringer einschätzen müssen, um so mehr, als meist ja Milch-
verdünnungen gegeben werden. Um ein richtiges quantitatives Bild
von der Magenmbotilität zu gewinnen, wäre es notwendig, die durch-
schnittliche Aufenthaltsdauer der Nahrung unter Berücksichtigung
der Magensaftsekretion zu gewinnen. Röntgenologisch die einzelnen
Phasen der Entleerung einigermaßen quantitativ zu beurteilen,
dürfte große Schwierigkeiten bereiten, eher dürften hier vielleicht
in Reihenuntersuchungen vollständige Ausheberungen in verschie-
denen Zeitintervallen zum Ziele führen.
Zur Beurteilung der Motilität des Magens im Einzelfall vollends
scheint die ein- oder zweimalige röntgenologische Bestimmung der
Heft 4 Zur Methodik und Bedeutung der Magenfunktionsprifung. 4I7
Verweildauer vor der alten, schon von Epstein in der Pädiatrie
eingeführten Schlundsondenausheberung keine Vorteile zu besitzen,
selbst wenn brauchbare Stundenwerte der Entleerungszeit ge-
funden werden. Es empfiehlt sich zu diesem Zwecke an zwei auf-
einanderfolgenden Tagen 5 Stunden nach der ersten Mahlzeit eine
Menge einer Halbmilchschleimmischung zu reichen, die etwa 1/,, des
Körpergewichts beträgt und nach 3 Stunden eine vollständige Aus-
heberung vorzunehmen. Werden beidemal nennenswerte Reste ge-
funden, die Kongopapier nicht bläuen, so ist eine abnorme Motilitäts-
störung anzunehmen, durch den negativen Befund allerdings nicht
anszuschließen.
Magenverweildauer und Magenacidität stehen. ohne Zweifel in
engem Zusammenhang; weniger in dem Sinne, daß der Säuregrad
wesentlich die Entleerungsdauer zu beeinflussen imstande wäre;
die bisher darüber vorliegenden Untersuchungen scheinen eher da-
gegen zu sprechen. Jedoch muß gleiche Saftsekretion je nach der
jeweiligen Mageninhaltsmenge verschiedene Acidität hervorrufen.
Diese Verhältnisse sind, außer von Davıdsohn, nicht genügend
beachtet. Aber auch Davidsohn scheint hieraus nicht die Kon-
sequenzen gezogen zu haben, wenn er aus seinen Befunden schließt,
daß bei Infekten sowohl die Motalität wie die Acidität, d. h. die
Sekretion, herabgesetzt sei, denn nur das erstere ist zunächst be-
wiesen.
Überhaupt, während in der Magenpathologie des Erwachsenen
gewisse Prüfungsmethoden sich fest einbürgern konnten, hat in der
pädiatrischen Literatur fast jeder Autor einen eigenen Weg ein-
geschlagen, am ehesten ist eine doch so notwendige Einigung über
den Zeitpunkt der Untersuchung erzielt, nämlich 2 Stunden nach
der Mahlzeit, weil dann der Magen auf der „Höhe der Verdauung“
stehen soll. Der Begriff ‚Höhe der Verdauung‘ scheint mir aber
noch keineswegs hinreichend definiert, um so mehr, als man ja .
gar nicht weiß, in welchen Formen fermentativer oder sonstiger
Energie die Verdauung im Säuglingsmagen sich erschöpft. Bei
einer so späten Untersuchungszeit müssen sich aber die Differenzen
der Motilitat besonders empfindlich bemerkbar machen und
die Vergleichbarkeit der gefundenen Werte unter der relativ
bedeutend größeren Verschiedenheit der Mageninhaltsmengen er-
heblich leiden.
Als Probemahlzeit verwenden manche Autoren die gewöhnlichen
Milchmischungen, andere Tee resp. Schleim wegen des hohen Salz-
säurebindungsvermögens der Kuhmilch, was aber keinen Gegen-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. > 27
418 Miller. Heft 4
grund bilden dürfte, wenn man diese Größe nur richtig in Rechnung
zieht. Zu berücksichtigen ist der Fehler, der durch die Säurebildung
aus der fermentativen Fettspaltung bei der Beurteiluug der Sekretion
mittels Aciditätsbestimmung erwächst. Wenn dieser Fehler nach
eigenen Messungen auch nicht erheblich zu sein pflegt, außer bei
stark herabgesetzter Salzsäuresekretion, dürfte doch Magermilch als
Probenahrung vorzuziehen sein.
Während fernerhin früher die Acidität durch Titration, und zwar
immer leider im filtrierten Magensaft gemessen wurde, wird neuer-
dings fast ausschließlich allein die Wasserstoffionenkonzentration
angegeben. Diese vermag aber an sich nur einen Einblick in die
Fermenttätigkeit zu gewähren, über die Sekretionsfähigkeit sagt sie
von vornherein nichts aus. Erst dann ist die Bestimmung der wahren
Acidität zur Messuug der Magensaftsekretion zu verwerten, wenn
man genau das Pufferungsvermögen der Probenahrung, sowie die
durchschnittliche Verweildauer kennt. Dann besitzt sie aber einen
großen Vorzug vor der Titration des unfiltrierten Magensaftes. Die
Rücktitration vermag nämlich, wie eigene Untersuchungen ergeben,
nicht die Menge der gebildeten Säure ganz zu erfassen, da die Laugen-
bindung an die kolloiden Eiweißkörper zeitlich viel langsamer er-
folgt als die Säurebindung. Die Bestimmung der Wasserstoffionen-
konzentration kann aber eine gewissermaßen positive Titration er-
setzen, wenn man die zur Erreichung verschiedener $,-Werte not-
wendige Säuremenge in der Milch feststellt, d. h. wenn man ibre
Pufferungskurve bestimmt.
In einer früheren Arbeit wurde deshalb das Pufferungsvermögen
der Milch genauer untersucht, außerdem die Verweildauer durch
möglichst vollständige Ausheberung in verschiedenen Intervallen
gemessen. Exakte Messungen des Pufferungsvermögens auch des
Mageninhaltes ergaben, daß innerhalb der ersten Stunde nach der
Mahlzeit sich die Pufferungskurve nur unwesentlich im Sinne einer
relativen Caseinanreicherung ändert, was übrigens neben anderen
Gründen ebenfalls gegen die Annahme Toblers über das rasche
AbflieBen der Molke in den Darm spricht. Um ein Bild darüber zu
gewinnen, wieweit aus den obengenannten Faktoren auf die Saft-
menge geschlossen werden kann, wurde die Verdünnung nach der
Methode von Hoffmann und Rosenbaum, in einigen Fällen
Chlor sowie die aus Fett gebildete Fettsäuren direkt und durch
Vergleich von Mager- und Vollmilch bestimmt. Ich glaube damit
erstmalig bei den ad hoc angestellten Versuchen zu wirklich unter-
einander quantitativ vergleichbaren relativen und vielleicht an-
Heft 4 Zur Methodik und Bedeutung der Magenfunktionsprifung. 419
nähernd richtigen absoluten Werten der während einer Mahlzeit
entleerten Magensaftmengen gelangt zu sein.
Auf die einzelnen interessanten, zum Teil mit früheren Unter-
suchungen sich .deckenden Ergebnisse soll an anderer Stelle ein-
gegangen werden. Es sei hier nur kurz zunächst auf den bedeutenden
Einfluß der Acidität der Nahrung auf die Saftsekretion hingewiesen.
Beispiel.
Vollmilch + Natronlauge. . . . . 2.2 2220. PH 10,0
nach 30 Min. sezernierte Magensaftmenge 40 ccm „ 7,7
» 60 ae o> a” 48 o? » 6,2
a, 90 a? ’ » 48 > ry) 6,2
» 120 ” » » 48 » 0° 6,2
viel Schleim.
Vollmilch + Salzsäure ... . 2 2 2 2 200° PH 4,15
nach 30 Min. sezernierter Magensaft 3 ccm... ,, 4
os 60 yo os » Io a” . ° . » 3,8
as 90 os os a. II oe s ° = 22 3:7
ae 120 » ? ’ 13 a” . e o >» 3,3
Vorführung von Kurven zur Demonstration der Einwirkung der Milch-
konzentration auf die Sekretion. Zeitlicher Verlauf der Sekretion.
Meine Damen und Herren! Bei der offenbaren Uneinheitlichkeit
der Magensekretionsprüfung des Säuglings wäre es wünschenswert,
zu einer einheitlichen Methodik zu gelangen, die die Ergebnisse ver-
schiedener Autoren zu vergleichen gestattet. Ob wir wirklich damit
differentialdiagnostisch weiterkommen, kann erst später ent-
schieden werden. Hier sei nur zu einigen Fragen kurz Stellung ge-
nommen. Als Probenahrung kann weder Schleim noch Tee empfohlen
werden, einmal wegen des unphysiologischen Reizes, zweitens wegen
der besonders unregelmäßigen Entleerungsverhältnisse, drittens,
weil die bei diesen Nahrungen rasch ansteigende Acidität mit ihrer
sekretionshemmenden Wirkung die dy-Werte stark nivelliert. Gut
verwendbar erscheint eine Mischung aus halb Magermilch, halb
Haferschleim. Als Mengen werden 3 Standardwerte gewählt bis zu
einem Gewicht von 3500 g 120 ccm, 5000 g I60 ccm, darüber 200 ccm.
Ausheberung nach ı Stunde (spätestens), möglichst vollständig.
Feststellung der Inhaltsmenge und Messung der Wasserstoffionen-
konzentration mittels Indicatoren. Ablesen der zu dem Py-Wert
gehörenden Säuremenge aus der Pufferungskurve und Multiplikation
je nach der Inhaltsmenge mit einem aus einer Tabelle entnommenen
Faktor.
27*
420 Miller: Diskussion. Heft 4
Diskussion.
Herr Müller (Frankfurt), Schlußwort: Die Ergebnisse der röntgenologi-
schen Motilitätsprüfung sind zum Teil noch widerspruchsvoll. Nimmt man
als Endpunkt der Entleerung nicht die letzten röntgenologisch feststellbaren
Reste, so ist man, wie schon Demuth ebenfalls bemerkt, großem Subjektivis-
mus ausgesetzt. Hinsichtlich der in letzter Zeit in den Vordergrund gescho-
benen pathogenetischen Bedeutung der verzögerten Magenentleerung der
Kuhmilch muß betont werden, daß ja in der Säuglingsernährung fast immer
Milchverdünnungen, Drittel- und Halbmilch gereicht wurden, die den Magen
ebenso schnell verlassen wie Frauenmilch. -Die Pufferung der Milch ist bisher
fast stets nur qualitativ in Rechnung gezogen worden. Die möglichst voll-
ständige Ausheberung ist weniger, wie von Davidsohn wegen der wechselnden
Acidität in verschiedenen Schichten zu fordern, vielmehr darum, weil bei
gleicher Acidität die Sekretionsgröße von der jeweiligen Mageninhaltsmenge
abhängig ist.
Uber das Verhalten der Serumsalze
bei Gewichtsschwankungen verschiedener Genese.
Herr Landau.
Blutuntersuchungen bei Intoxikationen ergaben bisher in jeder
Beziehung eine Eindickung: Vermehrung des Eiweißes, der Chloride,
der Zellen, Gefrierpunktserniedrigung. Wie sich aber die Kationen
im einzelnen verhalten, darüber fehlten bisher Befunde. In ge-
meinsamer Arbeit mit Nassau wurde festgestellt, daß eine der
Eindickung entsprechende Vermehrung nur das Natrium zeigt,
während das Kalium nur unwesentlich unter der Norm erniedrigt,
das Calcium leicht erhöht gefunden wird. Diese Befunde stehen in
guter Übereinstimmung mit Toblers Leichenbefunden, der auch
in Fällen schwerer Demineralisation im wesentlichen Na-Verluste
feststellte, während die übrigen Kationen nur bei hochgradigen
Toxikosen vermindert waren. Die Serumsalze zeigen also infolge
der ungleichartigen Ausschwemmung in die Blutbahn eine erheb-
liche Veränderung der Kationen-Korrelation. Ein ähn-
liches, allerdings weniger ausgesprochenes Bild ergaben Unter-
suchungen bei den durch schwere akute Dyspepsien hervorgerufenen
Gewichtsstürzen. —
Im Gegensatze dazu sahen wir bei den oft beträchtlichen Gewichts-
stürzen der Hydrolabilen entweder normale Werte oder aber eine
ganz gleichmäßige Verminderung aller Kationen, der
eine Herabsetzung der Eiweißwerte genau parallel geht, d. h. eine
reine Hydoämie. Die Wasserwanderung scheint also hier bis zu
einem gewissen Grade vom Fetthaushalt unabhängig zu sein. Es
zeigte sich, daß die Ultrafitrationsgeschwindigkeit in den Fällen
von Hydrämie bis zu 25%, gegen die Norm beschleunigt ist, daß
es sich also hier wohl um eine Veränderung des Quellungsdrucks
der Eiweißkörper handelt. Jedenfalls ist wohl das Wesen der Hydro-
labilität als eine ‚‚clysosmotische Diathese‘‘ nicht erschöpfend
charakterisiert.
Infektionsverhiitung in Anstalten mit spezifischen
und unspezifischen Schutzimpfungen').
Herr Prof. Franz v. Torday.
Vortragender versuchte an der Sammelabteilung des Budapester
staatl. Kinderasyls die unvermeidlichen, allzu häufig eingeschleppten
Seuchen durch unspezifische Schutzimpfungen zu verhindern. Es
wurden in nahezu 1000 Fällen die verschiedenen animalen Seren,
Milch usw. in 5—Ioccm Einzeldosen eingespritzt. Der Versuch,
durch unspezifische Schutzimpfungen die schlechten sanitären
Verhältnisse der Abteilung zu sanieren, das Einschleppen von
Infektionskrankheiten hintanzuhalten und der Verbreitung von
Infektionskrankheiten Schranken zu setzen, ist gänzlich miß-
lungen.
Von den spezifischen Schutzimpfungen sprechend, will Vortragen-
der das Masernrekonvaleszentenserum ausschließlich zur Abwehr der
die Kinderspitäler, Säuglingsheime usw. bedrohenden Maserngefahr
verwenden lassen. Für das tägliche Leben, für die Privatpraxis, wo
wegen ausschlaggebender Gründe ein Schutz der Kinder gegen
Masern notwendig erscheint, empfiehlt er Schutzimpfungen mit
nicht sicher spezifischen Stoffen (Milch, Blut gemaserter oaer un-
gemaserter Mütter oder Normaltierseren).. Zur Bekämpfung der
Seuchen, Hausepidemien in Säuglings- und Kinderanstalten, überall,
wo kein Isolierboxsystem vorhanden ist, aber auch dann, wenn
Masern bereits eingeschleppt wurden, namentlich aber in Kinder-
anstalten mit größeren gemeinschaftlichen Sälen mit hohem, ja
überbelegtem Stand, sollen systematische Schutzimpfungen, wo-
möglich mit spezifischem Impfstoff, nötigenfalls mit nicht sicher
spezifischem Impfstoff gegen die einzelnen eingeschleppten Infek-
tionskrankheiten vorgenommen werden. Durch dieses Verfahren
kann nicht nur die Morbidität, sondern besonders die Mortalität der
Anstalten bedeutend verbessert und ihre ungestörte Tätigkeit ge-
sichert werden.
I) Erscheint ausführlich im Jahrbuch für Kinderheilkunde.
Heft 4 Diskussion. 423
Diskussion.
Herr SchloBmann: Die unspezifische Prophylaxe gibt sicher keine Er-
folge, aber selbst bei der spezifischen Masernprophylaxe hat man Versager,
darin die neuen Infektionen aufleben können. Es ist fraglich oder vielmehr
nicht fraglich, ob der Arzt in Anstalten wirken darf, die derartig unhygienisch
und überbelegt sind wie das staatliche Asyl.
Herr Ibrahim: Die Degkwitzsche Prophylaxe ist zweifellos ein großer
Fortschritt für die Anstaltsprophylaxe der Masern, besonders wenn man
nicht über zahlreiche Isolierräume verfügt. Versuche mit Varicellenpro-
phylaxe durch Rekonvaleszentenserum haben uns wenig Erfolge
gebracht. Es mag sein, daß die Mißerfolge dadurch zu erklären sind, daß
als Spender vorwiegend Kinder unter 2 Jahren in Betracht kamen. Blut
eines erwachsenen Varicellenrekonvaleszenten schien in einem Fall Schutz
zu verleihen, in einem anderen versagte sie. Leider steht aber den Anstalten
zu Zeiten von Varicellenendemien fast ausschließlich Blut von Kindern unter
2 Jahren zur Verfügung.
Herr Rietschel: Gewiß ist das Rekonvaleszentenserum ausgezeichnet,
aber leider haben wir Erfahrungen gemacht, die uns stutzig gemacht haben.
Wir haben Fälle gesehen, wo das Serum mit Staphylokokken infiziert war
und die Kinder schwer erkrankten, ja in einer anderen Klinik starben 2 Kinder.
In der Praxis und auch im Krankenhaus ist und bleibt das Serum oder besser
das Blut der Erwachsenen das einfachste Mittel, wie wir es auch empfohlen
haben.
Herr Kleinschmidt: Die Mißerfolge des Masernrekonvaleszentenserums
lassen sich vermindern, wenn der erste Exanthemtag als fünfter Infektionstag
betrachtet wird und wenn die Beschaffenheit des Serums einwandfrei ist
(kein altes Trockenserum, Mischserum). Wir haben häufig starke Abschwächung
der Erkrankung durch Erwachsenenblut, gelegentlich auch durch Aolen ge-
sehen. Die Varicellenimpfung verdient in Anstalten Anwendung, weil man
mit ihrer Hilfe sich sonst lange hinziehende Endemien abkürzen und ab-
schwächen kann.
Herr Bogen: Einspritzungen von 2occm Blut eines Erwachsenen, der
Pertussis durchgemacht hatte, waren in einer großen Anzahl von Fällen (etwa
90%) von dem Erfolge, daß die gespritzten Kinder 3 Wochen lang geschützt
waren.
(Schlußwort): Vortragender betont neuerdings, daß die verzweifelten,
der allgemeinen schweren Lage zufolge unabänderbaren schlechten hygienischen
Verhältnisse ihn gezwungen haben, den möglich erschienenen Schutz durch
unspezifische Schutzimpfungen zu versuchen. Die Bedeutung der spezifischen
Schutzimpfungen liegt eben darin, daß man auf wenige Versager zu rechnen
hat, deren Absonderung keine Schwierigkeiten verursacht und die Anstalts-
_ tatigkeit durch den Hausepidemen weniger gestört wird. Um das Verschaffen
von unschädlichen Rekonvaleszenten zu sichern, scheint es empfehlenswert,
daß die Kliniken und Spitäler bloß das Blut von den rekonvaleszenten Infek-
tionskranken nehmen, die Zubereitung der Seren den bakteriologischen oder
hygienischen Instituten überlassen sollen.
Unbekümmert um die noch verbesserungsfähigen Resultate durch die
Serumprophylaxe kann es als ein Fortschritt über den Rahmen eines Ver-
424 v. Torday: Diskussion. Heft 4
suches hinaus angesehen werden, wenn in derart elenden Milieuverhältnissen
die systematische Serumverwendung eingeführt wurde. Vielleicht darf ich
dieses ärztlich gerechtfertigte Vorgehen aus meiner eigenen Erfahrung bei
den Masernepidemien im niederösterreichischen Flüchtlings-
lager Gmünd, woselbst ich die gesamte Kinderfürsorge leitete, bestätigen.
In den 4 Epidemien waren insgesamt ı0 ı74 Kinder erkrankt. Im Jahre
1915 war die Lagerbevölkerung aus Ukrainern und Südslawen gemischt. Die
Masernsterblichkeit betrug 45,93%. Die schon seßhafte Bevölkerung war
allmählich durchgemasert; nur die neu zusammengezogene, immer wieder
aus der Ukraine evakuierte Zuwachsbevölkerung wurde in den späteren Epı-
demien ergriffen, hatte aber nur mehr eine Masernsterblichkeit von 15,53°,
im Jahre 1917. Dieser Erfolg war durch die inzwischen verbesserte Lager-
hygiene und strenge Isolierung im Frühstadium der masernver-
dächtigen Kinder erzielt worden. In den ersten Jahren hatten die Mütter
der Isolierung durch Verstecken der schon masernerkrankten Kinder unter
den Betten und in Nachbarbaracken den allergrößten Widerstand entgegen-
gesetzt. Nicht unerwähnt möge bleiben, daß vielleicht die Freiluftzufuhr
durch die offene Bauweise der Baracken günstig gewirkt haben
kann. Immerhin wäre eine Schutzimpfung damals den mit der Schwierig-
keit in der Epidemiebekämpfung bei einer primitiven Landbevolkerung gut
vertrauten Ärzten sehr willkommen gewesen.
Ober den Wert der Diastasebestimmung im Harn
fur die Beurteilung der Rachitis.
Herr A. Adam, Heidelberg.
Die Mannigfaltigkeit pathogenetischer Bedingungen und klinischer
Erscheinung sprechen nach der am meisten verbreiteten Ansicht
— ich berufe mich auf die Darstellungen von Czerny, Hochsinger,
Klotz, Stöltzner — dafür, daß die Störung im Salzstoffwechsel
zwar eine wesentliche, aber nicht die einzige, ausschlaggebende
conditio des rachitischen Symptomenkomplexes sein kann. Die
Eigenart der Knorpel-Knochenveränderung ist durch den beschleu-
nigten Wachstumsvorgang bedingt, während das gesamte klinische
Bild als eine besonders geartete Dystrophie bezeichnet wird.
Ich versuchte, von einem anderen Gesichtspunkte an die Dystro-
phiefrage heranzugehen. Eine Dystrophie, d.h. eine Auf- bzw.
Abbaustörung, könnte auf einer Anomalie derjenigen Funktionen
beruhen, welche diese Vorgänge beherrschen, nämlich der fermen-
tativen Prozesse.
Zunächst beschränkte ich mich auf eine Verfolgung der Fermente,
welche die wichtigsten für den Aufbau sind, der glykolytischen,
tryptischen und fettspaltenden, und suchte sie auf ihren Ausschei-
dungswegen, in Blut, Stuhl und Harn, da hier Mangel oder Über-
schuß zutage treten mußten.
Wesentlich war eine geeignete Technik. Insbesondere mußte der
gebräuchliche jodometrische Diastasenachweis umgearbeitet werden,
da er bei Vergleichsuntersuchungen versagte. Die in der klinischen
Wochenschrift 33 und 48, 1923 veröffentlichte Methode berücksich-
tigt die bisher unvollständig beachteten Faktoren des spezifischen
Gewichts, des Jodbindungsvermögens, des Optimum der H-Ionen-
konzentration und der Salzkonstanz. Einwände, die Wohlgemuth
für seine jodometrische Methode geltend macht, sind nicht stich-
haltig. Die Versuchsdauer beträgt !/, Stunde.
Systematische Untersuchungen im Frühjahr und Sommer d. J.
in über 100 Fällen ergaben ein eindeutiges Resultat. Der rachitische
Säugling scheidet in Harn und Stuhl unabhängig von der Art der
426 Adam. Heft 4
Ernährung regelmäßig mehr Diastase aus als das gesunde Kind
gleichen Alters, in beginnenden Fällen nur im Stuhl. Es handelt
sich um echte, Stärke und Glykogen spaltende Amylase, da die
Zuckerreaktionen positiv werden. Die ausgeschiedene Menge ist
etwa proportional der Schwere rachitischer Knochenveränderungen,
mit Ausnahme beginnender Fälle, bei denen sie relativ stärker sein
kann. Mit der Heilung nimmt die Höhe der Ausscheidung ab. Im
Blute wird der Diastasespiegel nahezu normal gehalten. Trypsin-
und Lipaseausscheidung scheinen ohne Abhängigkeit vom rachiti-
schen Krankheitsprozesse zu sein, ich fand sie meistens normal.
Unter den rachitischen Säuglingen fanden sich die höchsten Werte
im 2. Halbjahr. Vorher sind sie durchschnittlich niedriger. Es können
aber sowohl im I. sehr hohe, wie im 2. niedrige Werte vorkommen,
je nach der Schwere der Rachitis. Es handelt sich nicht um eine
Alterserscheinung, da auch im 2. Halbjahr nichtrachitische Kinder
normale Ausscheidungshöhe haben. Das jüngste Kind mit geringer
Diastase-Vermehrung war erst 14 Tage alt. Auch die Rachitis des
Brustkindes zeigte sich in gleicher Weise an.
Das Parallelgehen der Schwere rachitischer Knochenerkrankung
und der Diastasemengen war bis zum 3. Lebensjahre ausgesprochen.
Ältere Kinder und Erwachsene haben durchschnittlich höhere Werte
als der Säugling.
Eine enge Beziehung besteht zum Verlaufe der Krankheit. Zum
Beispiel hatte ein 5 Monate altes Kind normale Werte. Im 8. Monat
traten Symptome beginnender Rachitis auf (Bewegungsunlust,
Hautblässe, Kopfschweiße) und zugleich war die Harndiastase ver-
mehrt. Von besonderem Interesse war in diesem Zusammenhange
ein Vergleich mit den Blutphosphatwerten. In einer Reihe von
Fällen führte Herr Dr. György die Blutuntersuchung aus. In un-
behandelten Fällen und bei gesunden Kindern war. stets Überein-
stimmung vorhanden. Ein Unterschied trat dagegen bei behandelten
Fällen zutage, insofern die Blutphosphatwerte bereits eine Um-
stimmung des Stoffwechsels im Sinne der Heilung zeigen, ja normal
sein konnten, während die Diastaseausscheidung wesentlich lang-
samer abnahm. Diese entsprach mehr den klinischen Symptomen.
Ein Beispiel: Bei einem r!/,jährigen Mädchen mit schwerster
Rachitis waren die Phosphatwerte normal geworden, die der Diastase
hatten nur wenig abgenommen. Das Kind konnte trotz guten Er-
nährungszustandes noch nicht sitzen, der Zahndurchbruch sistierte
seit Monaten; es bestanden starkes Schwitzen und schwere Knochen-
deformitäten. Erst 2 Monate später hatte mit wesentlichem Fort-
Heft 4 Uber den Wert der Diastasebestimmung im Harn. 427
schreiten klinischer Besserung (Sitzen, Zahndurchbruch, Nachlassen
der Schweiße) auch die Diastasehöhe beträchtlich abgenommen,
war aber immer noch nicht normal.
Von heuristischer Bedeutung ist der Befund bei Weichschädel.
In 2 Fällen, davon einem mit Eindrückbarkeit des ganzen Schädel-
daches ohne rachitische Befunde, fand sich keine Diastasever-
mehrung (auch die Blutphosphatwerte waren normal). Ein 3. Fall
mit latenter Spasmophilie und Rosenkranz hatte dagegen erhöhte
Werte, die sich auch nach Beseitigung der Spasmophilie auf
CaCl- Behandlung nur wenig änderten. Ich muß demnach die
hauptsächlich von Wieland vertretene Ansicht unterstützen, nach
der es eine Schädelweichheit gibt, die mit Rachitis nichts zu
tun hat.
Theoretisch wichtiger ist das Verhalten des Rachitikers mit
Tetanie. Die Diastaseausscheidung ist hier ebenfalls erhöht, ja
unter Umständen anscheinend mehr, als der Schwere rachitischer
Erscheinungen entspricht, und sie ändert sich auch nur wenig nach
Verschwinden der manifesten Symptome. Damit ist eine in dieser
Beziehung gemeinsame Stoffwechselstörung bei Rachitis und Tetanie
erwiesen.
Fieber, septische Prozesse und Dyspepsie erwiesen sich ohne
wesentlichen Einfluß auf die Ausscheidung.
Schon im Jahre 1914 waren McClure und Chancellor (Zeitschr.
f. Kinderheilk.) die hohen Diastasewerte im Rachitikerharn auf-
gefallen, ohne daB sie die Bedeutung des Befundes wiirdigten.
Dodds dagegen, dessen Mitteilung im British medical Journal
1922 mir nach Beginn meiner Arbeit bekannt wurde, und der
denselben Harnbefund erhob, schließt in Kombination mit einer
von ihm angenommenen mangelhaften Fettspaltung des Rachitikers
auf Vorliegen einer Pankreatitis. Diese Schlußfolgerung erscheint
mir zu weitgehend, da Trypsin- und Lipaseausscheidung nach meinen
Befunden mit der der Diastase nicht parallel gehen, sogar meist normal
sind. Gegen eine so schwerwiegende Erkrankung wie Pankreatitis
spricht meines Erachtens auch der Verlauf der Krankheit. Zudem
ist gegen die früheren Untersuchungen der Einwand unvoll-
kommener Technik zu erheben.
Eine Pankreasfunktionsstörung nehme auch ich an, zumal
die Erhöhung der Diastaseausscheidung auch im Stuhl nachweisbar
ist, ja hier zuerst auftreten kann. Die von der Darmschleimhaut
oder von Darmbakterien gebildete Diastase fällt wenig ins Gewicht.
Außerdem hat diese Harndiastase dasselbe H-Ionenoptimum wie
428 Adam: Über den Wert der Diastasebestimmung im Harn. Heft 4
die des Pankreas (bei #47). Speicheldiastase ist infolgedessen auch
auszuschließen, da ihr Optimum bei 2,6 liegt.
Welche Bedeutung hat diese gesteigerte Produktion des zucker-
spaltenden Pankreasfermentes ?
Da sowohl bei Diabetes als experimentell ein Parallelgehen von
Harndiastase und innerer Sekretion des Pankreas wahrscheinlich
gemacht ist, wird die Annahme nahegelegt, daB die Hormonbildung
des Pankreas bei Rachitis und Spasmophilie gesteigert ist. Es ist
bekannt, daß das Pankreas des Säuglings relativ zur Organgröße
viel reicher an Langerhansschen Inseln ist, als das des Er-
wachsenen. Auch fand ich, daß Insulin (Bayer) die Harndiastase
in vitro mäßig aktiviert. In diesem Zusammenhange ist bedeutsam,
daß diejenigen innersekretorischen Drüsen, deren Funktionsstörung
bei Rachitis, teils mono-, teils polyglandulärer Natur, von ver-
schiedenen Seiten, zuerst von Stöltzner und Uffenheimer,
später insbesondere von Aschenheim, angenommen wurde, gerade
die Antagonisten des Pankreas sind. Hierzu gehören Nebennieren,
Schilddrüse, Hypophysis, Thymus und Geschlechtsdrüsen. Es fehlte
bisher an einer Vorstellung für die Ursache der relativen Dys- bzw.
Hypofunktion dieser Drüsen, deren Inkrete eine, wenn auch nicht
konstante, Heilwirkung auszuüben vermögen. Jetzt gibt die An-
nahme einer Hyperfunktion ihres nn Antagonisten eine
Deutung an die Hand.
Eine Hyperproduktion des Pankreashormons bedeutet zum Teil
eine Hemmung der durch die genannten anderen Drüsen geförderten
Glykogenmobilisierung der Leber, vielleicht auch vermehrte Zucker-
verbrennung, d.h. aber Kohlenhydrathunger der Gewebe.
Der Befund weist auf die Notwendigkeit hin, dem Kohlenhydrat-
stoffwechsel bei Rachitis und Tetanie mehr Aufmerksamkeit zu
widmen als bisher geschehen ist. Die Bedingungen der rachitischen
Dystrophie und ihre diätetische Beeinflussung (durch erhöhte
Zuckerzufuhr) könnten dadurch weitere Klärung erfahren.
Die Entstehung des rachitischen Beckens.
Herr Dr. Theodor Hoffa, stadtischer Kinderarzt in Barmen.
Die Untersuchungen, über die ich in folgendem kurz berichten
möchte, wurden veranlaßt durch den Wunsch von Herrn Martin-
Elberfeld, von mir als Kinderarzt etwas zu erfahren über den Zeit-
punkt der Entstehung des rachitischen Beckens beim Säugling. Es
sollte zunächst die Frage geklärt werden, inwieweit die Deformierung
der Beckenknochen beim Säugling unter dem Einfluß der Körperlast,
beim Sitzen und Stehen, erfolgte bzw. ob auch ohne diese Belastung
eine Verbiegung der Knochen zustande kommen könnte. In der
pädiatrischen Literatur findet sich nur spärliches Material zur Be-
antwortung dieser Frage.
Stöltzner!) erwähnt, daß die Beckenknochen ihre bekannten, für
die Geburtshilfe so wichtigen Gestaltungsveränderungen schon sehr
früh erleiden.
Wieland?) bezieht sich auf die noch zu erwähnenden Unter-
suchungen von v. Recklinghausen, wonach das Becken in allen
Fällen von Rachitis mißgestaltet ist und schon vom 2. Lebensjahre
an die Kartenherzform darbietet. Atiologisch wird von Wieland
der Druck der Rumpflast angeschuldigt, bei Kindern, die bereits
gehen und stehen, auch der Gegendruck von seiten der Femurköpfe.
Czerny?°) äußert sich folgendermaßen: ‚Es ist bisher noch nicht
genügend beachtet worden, wann diese pathologischen Becken-
formen entstehen. Gibt dazu bereits die Rachitis der ersten Lebens-
jahre oder erst die Spätrachitis Veranlassung? Nach meinen eigenen
Beobachtungen übt auch schon die erstere einen deutlichen Einfluß
aus. Daß dies nicht viel Berücksichtigung findet, erklärt sich aus
dem Umstande, daß sich in den ersten Lebensjahren die patho-
logischen Beckenformen klinisch nicht störend bemerkbar machen.
Der Beckenrachitis muß aber wegen ihres Einflusses auf die Becken-
stellung Beachtung geschenkt werden, weil diese maßgebend für
1) Handb. d. Kinderheilk. von Pfaundler und Schloßmann, 2. Aufl.
2) Handbuch der pathologischen Anatomie des Kindesalters von Brüning
und Schwalbe, Bd. 2, S, 272.
3) Kraus-Brugsch, Bd. 9, S. 32%.
430 Hoffa. Heft 4
die spätere Krümmung der Wirbelsäule ist. Vergleichen wir ein
normales und ein rachitisches Kind zur Zeit der ersten Stehversuche,
so fällt zunächst der Unterschied in der Breite der Beckengegend
auf. Das Becken des rachitischen Kindes bleibt im Wachstum
zurück, und eserscheint infolgedessen die ganze Beckenpartie schmäler.
Ebenso wie beim Thorax gleicht sich auch meist die Entwicklungs-
hemmung des Beckens in den späteren Kinderjahren aus. In schweren
Fällen von Rachitis werden aber niemals normale Durchschnitts-
werte erreicht. Neben dieser Größendifferenz fällt bei den Steh-
versuchen ein großer Unterschied in der Beckenstellung auf. Beim
normalen Kinde zeigt das Becken vorn eine geringe, beim rachitischen
eine starke Neigung nach abwärts. Beim letzteren bildet die Mittel-
linie der Beine mit der des Rumpfes, von der Seite betrachtet, einen
Winkel, dessen Spitze in der Gegend des Steißbeines liegt. Diese
Haltung erschwert den rachitischen Kindern das Stehenlernen.
Durch fortgesetzte Übungen bessert sich allmählich die Stellung des
Beckens, sie übt aber dauernd einen beachtenswerten Einfluß auf
die Form der Wirbelsäule aus. Die Stellung des Beckens ist teils
von der Konfiguration der Oberschenkel, teils von der des Kreuz-
beines abhängig. Die Rachitis wirkt auf beide, dies bedingt mannig-
faltige, von der Rachitis abhängige Varianten der Körperhaltung.“
Soweit Czerny, dessen Ausführungen ich wörtlich wiedergebe,
weil in ihnen noch allerlei bedeutungsvolle Problemstellungen ent-
halten sind.
Hochsinger!) erwähnt, ebenfalls unter Beziehung auf v. Reck-
linghausen, die frühzeitigen Wachstumsstörungen und Formen-
veränderungen durch die rachitischen Knochenerweichungen.
In der sonstigen pädiatrischen Literatur habe ich brauchbare
Angaben zur Klinik des rachitischen Beckens beim Säugling und
Kleinkind nicht gefunden. Es erscheint dies einigermaßen ver-
wunderlich, nachdem in der großen Monographie von v. Reckling-
hausen ‚„Rachitis und Östeomalacie‘‘, Jena 1910, und vor allem
in dem klassischen Werk von Breus und Kolisko, ,,Die patho-
logischen Beckenformen“, ein reiches Tatsachenmaterial beigebracht
worden ist, das auch der Aufmerksamkeit und dem Studium der
Kinderärzte aufs dringlichste empfohlen werden muß. Ich beschränke
mich hier auf die Wiedergabe der -wesentlichsten Punkte.
v. Recklinghausen?) fand regelmäßig in allen Fällen, denen die
sichere Diagnose evidente Rachitis gegeben werden konnte, deutlich
1) Pfaundler SchloBmanns Handb. Bd. 1, S. 686,
2) 1. c. S. 303.
Heft 4 Die Entstehung des rachitischen Beckens. 431
das Becken mißgestaltet. Sogar schon im 2. Lebensjahre fand sich
abnorme Form, durchschnittlich Kartenherzform, des Beckens.
Schon bei 1—2jährigen Kindern kamen nach v. Recklinghausen
die pathologischen Beckenformen, die bei den Erwachsenen auf-
gestellt werden, in nuce wenigstens zum Vorschein. Die sogenannte
Kartenherzform wurde in allen Fällen, welche spezieller untersucht
und den Schilderungen der Befunde zugrunde gelegt wurden, regel-
mäßig, ja fast ausnahmslos festgestellt, jedenfalls von der Mitte
des 2. Lebensjahres ab.
v. Recklinghausen!) fand ausgeprägte symmetrische Karten-
herzform bei Kindern, die nie gelaufen waren, wie er in Überein-
stimmung mit Breus und Kolisko annimmt, als Folge einer Wachs-
tumshemmung, und er sah (Seite 395) die Beckenknochen manchmal
stärker von der rachitischen Porosierung betroffen als die übrigen
Knochen.
Noch viel eingehender befassen sich Breus und Kolisko in
Band I, 2. Teil ihrer ‚„Pathologischen Beckenformen‘‘ mit dem
Becken rachitischer Kinder. Sie betonen vor allem die allgemeine
rachitische Wachstumshemmung, welche auch die nicht qualitativ
veränderten Appositionsstellen des Skelettsystems betrifft. Das
Becken rachitischer Kinder ist niemals normal groß, auch wenn
das Becken wie dessen Knochen und Knorpel, nichts von spezifisch
rachitischen Veränderungen erkennen lassen. Das platte Becken
rachitischer Kinder fällt auf durch die Kürze der Pars iliaca bei
verhältnismäßig breitem Sacrum und langer Pars pubica. Am
stärksten verkürzt ist die Conjugata vera. Bei besonderem Tief-
stand des Promontoriums, wenn dieses unter das Niveau der Ter-
minalebene herabgesunken ist, wird vom letzten Lendenwirbel eine
stellvertretende Conjungata gemessen, die dann noch etwas kürzer
als die Vera ist.
Das Becken florid rachitischer Kinder weicht nach Breus und
Kolisko stets in seiner Größe, meist auch in seiner Form vielfach
ab und zeigt erhebliche, selbst gegensätzliche Differenzen gegen die
Rachitisbecken Erwachsener. Während der Erkrankung ist es auf-
fallend klein, plump, von verminderter Festigkeit und sehr oft
mißgestaltet. Die Kleinheit des ganzen Beckens ist oft geradezu
überraschend. Einzelne Knorpel sind analog den Epiphysenschwel-
lungen der langen Röhrenknochen aufgetrieben. Bei der Kleinheit
des ganzen Beckens erscheinen daher überwiegend knorpelige Par-
tien, wie die Cristae ilei, die Symphyse und Pfannengegend, be-
m a a
1) }. c. S. 303.
432 Hoffa. Heft 4
sonders plump. Die Pfannengegend wélbt sich als wulstige Pro-
tuberanz gegen den Beckeneingang vor und dominiert förmlich in
dem Bilde eines solchen Beckens. Die Ileosakralgelenke sind nicht
selten gelockert und zeigen eine gewisse Beweglichkeit. Es herrscht
ein erhebliches Mißverhältnis zwischen der Breite des Kreuzbeines
und der Kleinheit der Hüftbeine. Die Sacrumbreite erreicht zwar
nicht das normale Maß, bleibt aber doch nur wenig hinter dem-
selben zurück, dagegen ist die Kleinheit der Darmbeine eine enorme.
Das Becken erscheint auffallend disproportioniert und ist entstellt
durch die Formveränderung der Beckenknochen und die veränderte
Situation des Kreuzbeines, durch die Auftreibung der Pfannen-
gegend und die Lage der Pfannen an der vorderen Beckenwand.
Es ist niedriger abgeplattet und mehr trichterförmig als das normale
kindliche Becken. Die Darmbeinschaufeln sind klein, niedrig, ihre
Cristae reichen weniger weit nach vorn, klaffen. Die innere Fläche
der Darmbeinschaufeln ist stärker gehöhlt. Ihre Höhlung ist oft
derart vertieft, daß eine trichterförmige Grube entsteht, welche
etwas hinter dem Ileosakralgelenk liegt. Das Kreuzbein liegt weiter
vorn und tiefer im Becken, ist stärker geneigt, der Terminalwinkel
vergrößert. Der Beckeneingang ist stark abgeplattet, sein Quer-
durchmesser bedeutend größer als der gerade. Die Begrenzung des
Beckeneingangs hat Dreiecksform, die Seiten des Dreiecks sind ent-
weder ziemlich gradlinig oder am Promontorium und manchmal
auch in der Pfannengegend konvex einspringend. Das kindliche
Becken scheint im Verlaufe der Rachitis seine Mißgestaltung sehr
rasch zu erfahren und auch den hohen Grad derselben, in welchem
es so häufig gefunden wird, sehr bald zu erreichen. Bei Unter-
suchung einjähriger Becken fanden Breus und Kolisko noch
meistens hauptsächlich bloß den Effekt der quantitativen Wachs-
tumstörung neben anderweitigen Lokalisationen der Rachitis am
Skelett. Es schien das zu dieser Zeit sonst besonders lebhafte Wachs-
tum der Beckenknochen abgeschwächt. Im 2. Lebensjahre waren
die spezifischen Ossificationsstörungen auch am Becken schon sehr
ausgesprochen. Am Ende des 2. Lebensjahres fanden Breus und
Kolisko schon alle charakteristischen Deformationen vollkommen
ausgebildet vor. Nach dieser Zeit, vom 3. Lebensjahre ab, tritt
nur noch eine graduelle Steigerung ein, der Kontrast zwischen Alter
und Beckengröße wird immer auffallender.
Auffallend häufig findet sich bei Kindern mit florider Rachitis
die an QOsteomalacie erinnernde Beckengestalt, das sogenannte
pseudoosteomalacische Becken. Es ist bei Kindern viel häufiger
Heft 4 Die Entstehung des rachitischen Beckens. 433
als bei Erwachsenen. Breus und Kolisko nehmen an, daB das
pseudoosteomalacische Becken bei Kindern nicht nur in Fallen be-
sonders schwerer Rachitis, sondern tiberhaupt bei allen Fallen von
vollem Intensitatsgrade auftritt, daB in der Regel aus den pseudo-
osteomalacischen Kinderbecken die gewöhnlichen plattrachitischen
Becken Erwachsener werden und nur bei mangelhafter postrachi-
tischer Wandlung, besonders bei abnorm langer Dauer der Rachitis,
die pseudoosteomalacische Form bewahrt wird. Breus und Ko-
lisko haben sich auch sehr eingehend mit den Heilungsvorgängen
am rachitischen Kinderbecken beschäftigt und dem postrachitischen
Kinderbecken ein eigenes größeres Kapitel gewidmet. Als die wich-
tigste Erscheinung des postrachitischen Wachstums bezeichnen sie
die Knochenapposition vom Faciesknorpel des Darmbeines aus,
dadurch wird die während des floriden Stadiums der Rachitis im
Wachstum zurückgebliebene Pars iliaca des: Darmbeines verlängert
und die der Linea arcuata entsprechende Krümmung dieses Knochen-
teils erzielt, der während des akuten Krankheitsprozesses flach
gestreckt oder selbst gegen den Beckenraum einwärts gebogen ge-
funden wird. Wenn so einzelne fehlerhafte Wachstumseffekte ge-
mildert und abgeschwächt werden, so können doch nach Breus
und Kolisko auch durch gesundes postrachitisches Knochenwachs-
tum keine ganz normalen Relationen der einzelnen Segmente und
keine regulären Formen des ganzen Knochens mehr zustande ge-
bracht werden. ‚Der komplizierte Wachstumsplan des Becken-
ringes in seiner Gesamtheit ist gestört und bleibt auch nach Heilung
der Rachitis verzerrt. Seine Vollendung durch die Wachstums-
einrichtungen ist entgleist und gelangt nicht mehr in korrekte
Bahnen.“
Die wertvollen Befunde von v. Recklinghausen und von
Breus-Kolisko am anatomischen Material mußten am lebenden
Kinde nachgeprüft werden, wenn wir die von Martin aufgeworfene
Frage ihrer Beantwortung näherbringen wollten. Vielfach rönt-
genologische Aufnahmen ergaben wohl einzelne brauchbare Bilder,
aber es bedurfte dazu einer umständlichen Vorbereitung (Darm-
entleerung), und gerade bei den jüngeren Säuglingen, auf die es uns
zur Beurteilung der ersten Äußerungen der Rachitis ankam, ver-
sagte die Methode. Als einfache und durchaus genügende klinische
Untersuchungsmethode zur Feststellung rachitischer Veränderungen
am Becken des Säuglings und Kleinkindes bewährte sich die Aus-
tastung des Beckens mit dem ins Rectum eingeführten Finger.
Bei vorsichtiger Einführung des gut eingeölten Fingers gelingt es
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 28
434 Hoffa. Heft 4
ohne Verletzung und ohne allzu groBe Schmerzen fiir das Kind,
das Innere des Beckens in allen Einzelheiten auszutasten, und auch
leichte Formveränderungen des Knochens genau festzustellen. Ich
habe gemeinsam mit Martin diese Untersuchungen an sehr zahl-
reichen Säuglingen und Kleinkindern in Klinik und Sprechstunde
vorgenommen. Über die Ergebnisse möchte ich nachstehend kurz
berichten.
Der erste Eindruck, den man bei der Austastung des Beckens
rachitischer Säuglinge erhält, ist der der auffallenden Kleinheit des
ganzen Beckens. Der untersuchende Finger stößt überall bald
auf die Wandung des Beckens. Am stärksten ist das Becken in
sagittaler Richtung verengt; die Conjugata vera ist so klein,
daß bei jüngeren Rachitikern, etwa 7—8monatigen Säuglingen,
der Abstand von Promontorium zur Symphyse oft kaum r!/, Quer-
finger beträgt.
Ein weiteres markantes Symptom der Rachitis am Säuglings
becken ist das Vorhandensein eines ausgesprochenen Promontoriums
schon bei Kindern im ersten Lebensjahr. Der erste Kreuzbeinwirbel
ist gegen die Lendenwirbelsäule in einem deutlich fühlbaren Winkel
abgesetzt; in hochgradigen Fällen sinkt das Promontorium unter
die Terminalebene hinunter ins Becken, es wird dann, wie dies
Breus und Kolisko (s.o., Seite 430) schon am Leichenpräparat
festgestellt haben, vom 5. Lendenwirbel gewissermaßen ein zweites
Promontorium gebildet. Diesen Befund des ‚doppelten Promon-
toriums‘“ konnten wir bei zahlreichen Kindern, namentlich des
2. Lebensjahres, feststellen. Gesunde, rachitisireie Kinder der beiden
ersten Lebensjahre haben keinen deutlichen Promontoriumwinkel.
Die Vorderfläche des Kreuzbeines liegt annähernd in der gleichen
Ebene wie die Vorderfläche des untersten Lendenwirbelkörper:.
Durch das Vorspringen und Herabsinken des Promontoriums kommt
es beiderseits vom Kreuzbein, zwischen diesem und der Pars sacralis
des Darmbeines, zur Bildung einer mehr oder weniger tiefen Nische,
die oft so eng wird, daß der tastende Zeigefinger nicht bis zu ihrem
Grunde vordringen kann. Der Umriß der Beckeneingangsebene er-
hält im ganzen die bekannte Kartenherzform; ist die Nischenbildung
nicht so ausgeprägt, so nähert sich die Form der Beckeneingangs-
ebene mehr dem Dreieck. Bei florid-rachitischen Kindern fühlt man
bisweilen eine knopfförmige Verdickung an der Hinterwand der
Symphyse, ähnlich dem Knoten des rachitischen Rosenkranzes.
Ebenso fühlt man in einzelnen Fällen die verdickten Spinae ischia-
dicae lateral vom Kreuzbein.
Heft 4 Die Entstehung des rachitischen Beckens. 435
Die Gegend der Acetabula ist in schweren Fallen von Rachitis
gegen das Beckeninnere vorgewölbt, so daß eine erhebliche Ver-
engerung der Beckenmitte eintritt.
Die Tubera ossis ischii sind dagegen eher auseinandergedrängt,
der Beckenausgang erweitert.
In den schwersten Fällen von Rachitis finden wir typisch aus-
gebildet die sogenannte pseudoosteomalacische Form des Beckens:
stark verkleinertes Becken; Promontorium stark vorspringend,
tiefstehend, eventuell doppelt, ausgesprochene Kartenherzform des
Beckeneingangs mit tiefen engen Nischen beiderseits vom Kreuzbein,
schnabelförmig vorspringende Symphyse mit fast parallel ver-
laufenden Schambeinästen.
Die Schwere der Deformation des Beckens geht meist, aber nicht
immer, parallel der Schwere des übrigen Krankheitsbildes der
Rachitis. Bei einigermaßen ausgesprochener Rachitis an den anderen
Skeletteilen fehlen aber rachitische Veränderungen am Becken nach
unseren Beobachtungen wohl niemals ganz.
Eine für die Pathogenese der Rachitis besonders wichtige Fest-
stellung konnten wir gelegentlich unserer rectalen Untersuchungen
noch bezüglich der Muskulatur machen: Bei kleinen Kindern gelingt
es, mit dem tastenden Finger über die Linea terminalis hinaus nach
oben vorzudringen. In solchen Fällen fühlt man bisweilen, nament-
lich dann, wenn die Kinder stark schreien und pressen, beiderseits
den Musculus psoas wie eine straffgespannte Sehne über die Linea
. innominata herüberziehen. Der Muskel ist in diesen Fällen zweifellos
stark hypertonisch, durch seine Contractur wird die für den Rachi-
tiker so pathognostische Beugehaltung der Oberschenkel bedingt.
Czerny!) hat schon für die Erklärung gewisser rachitischer Defor-
mationen eine ungleiche Wirkung von Muskelgruppen postuliert.
Er bezeichnet die Hypertonie einzelner Muskelgruppen als bc-
kannten Befund und exemplifiziert dabei auf die eben erwähnte
zwangsmäßige Beugestellung der unteren Extremitäten beim
Rachitiker.
Es unterliegt nach unseren Untersuchungen keinem Zweifel mehr,
daß deutliche rachitische Deformationen am Becken von Säuglingen
und Kleinkindern gefunden werden können, die niemals weder
gesessen noch gestanden haben. Ich würde diesen Satz nicht mit
solcher Bestimmtheit aussprechen, wenn ich für die Beurteilung der
statischen Funktionen auf die anamnestischen Angaben der Eltern
und Pflegemütter angewiesen wäre. Wir verfügen aber über einige
| 1) 1. c. S. 339.
28*
436 Hoffa. Heft 4
Beobachtungen an Anstaltskindern, Friihgeburten, Zwillingen und
einem Falle von Drillingen, wo die Rachitis unter unseren Augen
entstand und wo sich bei Kindern, die nie gesessen noch ge-
standen haben, deutliche Symptome der Beckenrachitis feststellen
ließen : Promontoriumbildung, Kartenherzform, Wachstumshemmung.
Czernys Annahme, daß schon die Frührachitis die Beckenanomalien
hervorruft, ist also in vollem Umfange bestätigt. Zu Beginn des
2. Lebensjahres sehen wir häufig schon die allerschwersten Ver-
änderungen ausgebildet. Die jüngsten Säuglinge mit Beckenrachitis
waren 7—8 Monate alt. Über die Heilungsvorgänge am rachitischen
Kinderbecken vermag ich auf Grund unserer klinischen und rönt-
genologischen Feststellungen noch kein abschließendes Urteil zu
fällen. Um einen vorläufigen Einblick in die Verhältnisse des post-
rachitischen Beckens zu erlangen, habe ich eine Anzahl älterer,
4—8jahriger Kinder, Besucher eines städtischen Kindertagesheimes,
untersucht, von denen wir auf Grund persönlicher Beobachtungen,
vom 2. Lebensjahr an wußten, daß sie an schwerer Rachitis gelitten
hatten. Mehrere dieser Kinder hatten erst mit 2—3 Jahren laufen
gelernt. Bei diesen Untersuchungen gewannen wir den Eindruck,
daß die Becken der älteren (4 Jahre und darüber zählenden) Kinder
sich in sehr weitgehendem Maße der Norm wieder angenähert und
sich gestreckt hatten. Bei Kindern vom 6. Lebensjahre ab gelingt
allerdings die Austastung vom Rectum her nicht mehr vollkommen.
Bei einigen Kindern war das Becken im ganzen klein geblieben,
zeigte ausgesprochene Kartenherzform und stark vorspringendes, -
zum Teil doppeltes Promontorium.
Daß eine weitgehende Ausheilung der rachitischen Beckendeformi-
tät möglich und häufig ist, scheint mir nach diesen Beobachtungen
erwiesen. Die Anschauungen von Breus und Kolisko (siehe oben,
Seite 432), wonach auch durch gesundes postrachitisches Knochen-
wachstum keine ganz normalen Relationen der einzelnen Segmente
und keine regulären Formen des ganzen Knochens mehr zustande
gebracht werden, scheinen mir hiernach dringend revisionsbedürftig.
Klinische Befunde allein sind allerdings dafür nicht ausreichend.
Es wird nötig sein, zur Nachprüfung der Breus-Koliskoschen
Befunde auch die Röntgenographie hinzuzuziehen. Diese Nach-
prüfung wird nicht nur von großem praktischem Interesse sein,
sondern auch geradezu entscheidend für die Klärung der theoretischen
Fragen, die Herr Martin auf Grund unserer gemeinsamen Unter-
suchungen in Angriff genommen hat.
Heft 4 Diskussion. 437
Herr Koeller (Göttingen): Über die Verwendbarkeit der bio-
logischen Untersuchungsmethode von Straub. (Niederschrift trotz
wiederholter Anforderung nicht eingesandt.)
Diskussion.
Herr Kochmann: Die Straubsche Methode liefert nur dann beweisende
Resultate, wenn die Versuche an ein und demselben Herzen ausgeführt werden.
Wenn aber vor und nach der antirachitischen Behandlung Blutserum unter-
sucht wird, ist diese Bedingung nicht erfüllbar.
Herr Freudenberg: Das Straubsche Verfahren gibt nicht die Ca-Ionen-
konzentration im Blute wieder, da der Einfluß der Kohlensäurespannung
nicht zum Ausdruck kommt.
Erfahrungen mit Dubo.
Herr Dr. van Mallinckrodt, Elberfeld.
Die Versuche, die in Anstaltspflege schlecht und nur mäßig ge-
deihenden Säuglinge zu fördern, haben zur Einführung der an-
gereicherten und konzentrierten Nahrungsgemische geführt. Die
Arbeiten Czernys und Kleinschmidts, Moros und der
L. F. Meyerschen Schule haben erfreuliche Ergebnisse gezeitigt.
Schicks Verdienst ist es vor allem, bei seinen Ernährungsstudien
an Neugeborenen eine ebenso einfach herzustellende wie brauch-
bare Nahrung für Neugeborene, Frühgeburten und schwächliche,
trinkschwache Kinder in seiner Vollmilch-Rübenzucker-Doppel-
nahrung gefunden zu haben. Heller, Kahn, Grosser, Voigt
und Davidsohn haben seine Ergebnisse zum größten Teil be-
stätigt.
Meine Versuche mit Dubo gingen davon aus:
I. bei Nachlassen der Muttermilch eine geeignete Ergänzungs-
nahrung zu finden;
2. bei schlecht gedeihenden Flaschenkindern eine höherwertige
erfolgreichere Nahrung zu geben.
Ein weiterer Grund, der mich zur Verwendung von Dubo ver-
anlaßte, war der, daß uns zur Herstellung anderer konzentrierter
Nahrungen, Buttermehlnahrung, der Moroschen Nährmischungen.
die dazu notwendige Butter wegen der Schwierigkeit sie aufzutreiben,
sowie den bei uns sehr hohen Preis dafür zu bezahlen, fehlte und
der Ersatz durch Margarine oder Schmalz nicht Gleichwertiges
leistete. Als ich im Juli diesen Vortrag anmeldete, hatte ich fast
nur Erfolge zu verzeichnen, die mich geradezu begeisterten. Im
Verlaufe der weiteren Beobachtungen ergaben sich neue Gesichts-
punkte über die Grenzen, welche auch der Verwendung von Dub
gesteckt sind.
Von etwa 5o Säuglingen des Mütter- und Säuglingsheims des
Bergischen Diakonissen-Mutterhauses erhielten 31 im Laufe der
letzten 5 Monate Dubo, in erster Linie 20 Brustkinder, bei denen
Zwiemilch notwendig war. Diese 20 Kinder vertrugen sie gut und
zeigten ausgezeichnete Zunahmen (Kurve von Zwillingen), bei II
Heft 4 Erfahrungen mit Dubo. 439
von ihnen wurde nach dem Abstillen Dubo weiter gegeben und
erzielte bei 10 einen guten Erfolg, bei einem trat nach 17 Tagen
eine Störung auf, die parenteraler Natur war und zum Nahrungs-
wechsel führte. 2 erhielten sie bisher länger als ı Monat, 5 länger
als 2 Monate und eins 92 Tage ohne irgendwelche Störung.
Die täglichen Zunahmen lagen zwischen 20 und 30 g, bei 130 bis
200 Cal. pro kg. 11 weitere Kinder bekamen Dubo, nachdem mit
anderen Milchmischungen entweder keine oder nur mäßige Erfolge
erreicht werden konnten; bei 5 war der Zuwachs wesentlich, bei 3
nur etwas besser, 2, ließen jeden Erfolg vermissen; 7 von ihnen
bekamen dem Alter entsprechend später Beikost dazu. Der plötz-
liche Übergang zu der verminderten Nahrungsquantität kam, wie
auch Schick hervorhebt, in der Gewichtskurve nicht zum Aus-
druck. Die Dauer der Beobachtung erstreckt sich bei 3 dieser Kinder
über I, bei weiteren 3 über 2 Monate bis zu 80 Tagen, so daß die
Frage der Dauer der Verwendbarkeit als Alleinnahrung, die Hahn
aufwirft, wohl im positiven Sinne beantwortet werden kann.
Die Eindrücke, die ich erhielt, waren die gleichen, die neben
Schick, Kahn, Grosser, Voigt und Davidsohn hatten. Dubo
wurde gern genommen und gut vertragen. Speien beobachtete ich,
solange parenterale Infekte fehlten, nur bei Kindern, die auch bei
Brust und anderen Nährgemischen gebrochen hatten; in einem Falle
sah ich durch Vorbehandlung der Milch mit Pegnin Erfolg. Auf-
treten von Erythema gluteale, Gewichtsstillstand, Dyspepsie und
Erbrechen nach etwa 8tägiger Gabe, wie Heller angibt, sah ich
nicht. Die Stühle wurden ı—2mal täglich entleert, gleichartig,
hellgelb, pastenartig, teilweise leicht knollig von etwa 20 g Gewicht.
In dem strohgelben Urin nie Zucker, auch nicht bei parenteralen
Infekten. Magenspülungen ergaben, daß nach 3 Stunden bis auf
einige Flöckchen der Magen geleert war.
Auch den Angaben Rietschels, daß die konzentrierten Nah-
rungsgemische besonders im Sommer direkt gefährlich seien, durch
Auftreten von Fieber und Durchfällen, kann ich für Dubo wenigstens
nicht beipflichten. In den heißen Julitagen wurde von allen Kindern
Dubo ausgezeichnet vertragen; bei einigen reinen Dubokindern
machte sich eine gewisse Appetitlosigkeit und Gewichtsstillstand
bemerkbar. Das Flüssigkeitsbedürfnis schien auch bei großer Hitze
kaum gesteigert. Genaue Anweisung an die Pflegerinnen, gerade bei
diesen Säuglingen auf etwa auftretenden Durst zu achten, machte
nur an zwei sehr heißen Nachmittagen die Zugabe von 30—50g8
Tee notwendig. Reines Durstfieber, wie es z.B. Freise in dem
440 van Mallinckrodt. Heft 4
Fall Kern bei Verabreichung von 400 g Buttermehlbrei beschrieben
hat, habe ich bei Dubo nie erlebt, während ich im vorigen Jahre bei
Vollmilchbuttermehlnahrung eine der Freiseschen ähnliche Be-
obachtung machte (Kurve). Freise selbst läßt auch die Frage
offen, ob bei diesem Durstfieber reine Konzentrationsbedingung
oder die Anreicherung mit einem bestimmten einzelnen der beteilig-
ten Nahrungsstoffe ausschlaggebend ist, schwand doch bei Freise
das Fieber bei 2 mal 100 Wasser und 2 mal 100 Vollmilch, also der
gleichen Flüssigkeitsmenge. Der Ansicht Kah ns, daß die gute Verträg-
lichkeit der hohen Zuckergabe auf die Korrelation: Zucker zu Eiweiß
zurückzuführen sei, kann man wohl beipflichten, ist doch das Ver-
hältnis von Eiweiß zu Zucker das gleiche wie in der Frauenmilch, 1:7.
Anders möchte ich die von Helmreich und Schick aufgestellte
Indikation der Verwendung von Dubo bei infektionskranken Säug-
lingen bewerten. Am 25. VII. erkrankten 3, am 3. VIII. weitere 10
auf demselben Saale befindlicher Kinder während einer Periode
regnerischer, kühler Tage an grippeartigen Erscheinungen, Angina
und Bronchitis mit mäßigem Fieber (37,5—38,2). Von diesen waren
Io nur mit Dubo ernährt.
Schon einige Tage vorher hatten die von Grünfelder neuerdings
wieder betonten prodromalen Dyspepsien eingesetzt, die sich mit
einer Ausnahme, bei der sich regelrechter Durchfall einstellte, in
großer Appetitlosigkeit und vor allem in starkem Erbrechen äußerten;
die Zunge zeigte dicken weißen Belag; nur 50—60 g Dubo wurden
bei jeder Mahlzeit angenommen. Diese geringe Nahrungsaufnahme
in Verbindung mit dem Erbrechen, welches oft erst 3 Stunden nach
der Mahlzeit auftrat, führte zu starkem WasserverJust und _ bel
4 Kindern zu ausgesprochenen Intoxikationszeichen: groBer Hin-
falligkeit, Benommenheit, groBer Atmung, welche durch Wasser-
klistiere, deren Wert besonders Göppert hervorgehoben hat, und
Absetzen auf !/, Milch mit Plasmon, in kurzer Zeit behoben werden
konnten, so daß sich alle Kinder erholten.
Die Stühle waren nur wenig vermehrt, 2—3mal täglich, mit
dyspeptischem Charakter, gehackt mit sogen. Käsebröckeln, die sich
mikroskopisch-chemisch als aus Fett bestehend erwiesen. Die Ge-
wichtsstürze betrugen 300—700 g in 4—6 Tagen, nach Beginn des
Erbrechens einsetzend. Bei 6 Kindern war das Erbrechen wesentlich
geringer. Dubo wurde beibehalten und führte nach 8 Tagen wieder
zum Ansatz. Bei 3 anderen, zu derselben Zeit erkrankten, mit
wasserreicheren Gemischen ernährten Kindern war der Verlauf
ähnlich, nur fehlten die schweren Intoxikationssymptome.
Heft 4 Erfahrungen mit Dubo. 441
Diese schweren Störungen bei einer leicht erscheinenden Grippe
möchte ich darauf zurückführen, daß der Infekt, wie jüngst wiederum
Krüger und Pewny nachwiesen, eine Verzögerung der Entleerung
und Herabsetzung der Verdauungskraft des Magens herbeiführte.
Mit einer so konzentrierten Nahrung wie Dubo wird der Magen nicht
mehr fertig und es kommt zu Anorexie und Erbrechen. Das Er-
brechen führt in Verbindung mit der geringen Nahrungsaufnahme
wie Bessau, Rosenbaum und Leichsentritt in ihren eingehen-
den Versuchen zeigten, zur Exsiccation und den dadurch bedingten
Symptomen der Intoxikation. Daß besonders die gestörte Ver-
dauungskraft des Magens in erster Linie daran schuld ist, glaube
ich daraus zu erkennen, daß es mir in einem Falle gelang, durch
Salzsäuregabe das Erbrechen zu stillen und ohne Nahrungsänderung
den Infekt ablaufen zu lassen.
Ein 14 Tage später an Pyelocystitis erkranktes Kind hatte eben-
falls diese schweren Begleiterscheinungen, die wir aber auch sonst
bei dieser Erkrankung erleben.
Wir sehen nach dem Gesagten in Dubo eine Nahrung, die sich
I. besonders eignet zur Zwiemilchernährung, vor allem bei schwäch-
lichen, wenig Nahrung aufnehmenden Kindern; die 2. auch nach
dem Absetzen mit Erfolg monatelang weiter gegeben werden kann;
die 3. bei sonst schlecht gedeihenden Flaschenkindern infolge ihrer
höheren Calorienmenge Erfolge verspricht ; die 4. auch in der heißen
Jahreszeit nicht prinzipiell als gefährlich zu betrachten ist; 5. bei
parenteralen Infekten, sobald Erbrechen auftritt, zweckmäßig sofort
durch ein wasserreicheres Gemisch zu ersetzen ist, um die Gefahr
der Exsiccation zu vermeiden; die 6. ohne Schwierigkeit sich auf
andere Nährmischungen überleiten läßt, ebenso wie sich der Über-
gang zu ihr ohne Störung vollzieht.
Daß Dubo sich, genügendes Verständnis bei Mutter oder Pflegerin
vorausgesetzt, auch außerhalb der Anstalt verwenden läßt, be-
zweifle ich nicht. Auf die Gefahren bei Popularisierung haben
Helmreich und Schick hingewiesen; wir erleben sie bereits oft
genug bei Buttermehlnahrung, sobald ärztliche Aufsicht fehlt.
Diskussion.
Herr Mallinckrodt (Schlußwort): Die Kinder machten einen gesunden,
kräftigen Eindruck, waren stets munter. Herrn Bessau erwidre ich, daß ein
Hauptanlaß zur Verwendung von Dubo, wie ich bereits ausführte, eine gewisse
Notlage war.
Uber fettarme und fettreiche Säuglingsernährung.
Untersuchungen an Zwillingen.
Herr Dr. S. Rosenbaum, Leipzig.
Die Not der Gegenwart zwingt zur Erörterung der Frage, ob und
wieweit wir in der Säuglingsernährung auf das Fett verzichten
können. Dabei ist es nicht ohne Reiz, zu beobachten, wie weit
wirtschaftliche Bedingungen auch auf die Urteilsbildung der Forscher
einwirken. Während noch vor kurzem die Wiener Klinik für eine
sehr weitgehende Ersetzbarkeit des Fettes durch Kohlehydrate
eintrat, fordern amerikanische Autoren einen Fettgehalt der Säug-
lingsnahrung, der sogar weit über das vor dem Kriege bei uns Ubliche
hinausgeht.
Man könnte versuchen, dem Problem im Tierversuch näherzu-
kommen. Bedenken wir aber, wie sehr bei jeder Tierart Besonder-
heiten in der Einstellung auf bestimmte Nahrungen eine Rolle
spielen, und wie weit diese von denen des Menschen entfernt sind,
so wird nur der Versuch am Menschen zur Beantwortung der Frage
geeignet erscheinen. Um möglichste Gleichheit der Bedingungen
für eine Gegenüberstellung des Einflusses fettreicher und fettarmer
Kost zu erreichen, wird man Zwillinge von gleichem Anfangsgewicht
wählen müssen. Um den Einfluß klar zu erkennen, werden die
Nahrungen bezüglich ihres Fettgehaltes sich recht weitgehend unter-
scheiden müssen. Nur dann kann die fortlaufende Beobachtung
des Massenwachstums, der Differenzierung, des Manifestwerdens
etwaiger Konstitutionsanomalien uns ein Urteil über die Bedeutung
des Fettes in der Nahrung erlauben. Daneben werden wir versuchen
müssen, durch Feststellung aller möglichen Konstanten, insbesondere
des Blutes, Unterschiede herauszufinden, die vielleicht als direkte
Ursachen etwa beobachteter Abwegigkeiten in den Funktionen des
Körpers anzusprechen sind. Von solchen Funktionen wird besonders
das Verhalten gegenüber Infekten bedeutungsvoll sein.
Eine Schwierigkeit bringt die Frage mit sich, ob der Brennwert
der Vergleichsnahrungen gleich sein soll. Daß fettreiche Nahrungen
im allgemeinen zur Erzielung gleicher Zunahmen einen größeren
Heft 4 Uber fettarme und fettreiche Säuglingsernährung. 443
Caloriengehalt haben müssen als fettarme, ist wohl allgemein an-
erkannt. Da also diese Feststellung weniger interessierte, ver-
suchten wir, immer eine möglichst gleichartige Zunahme bei beiden
Zwillingen zu erreichen, also die Nahrungsmenge mehr durch die
Rücksicht auf einen möglichst geradlinigen und gleichartigen Verlauf
der Gewichtskurve zu regeln.
So wurden 3 Zwillingspaare jedesmal mit recht differenten Nah-
rungen aufgezogen. Alle drei traten im Alter von wenigen Wochen
in den Versuch, 2 ganz gleichgewichtig, das 3. mit beträchtlichem
Gewichtsunterschied. Die Dauer des Versuches betrug jedesmal
21/ Monate. l
Es gelang nur bei einem Paar, die Gewichtskurve bis zum Schluß’
identisch verlaufen zu lassen. Bei dem 2. erkrankte der fettarın
Ernährte an einer Pyelitis, die mit Nierenabscessen zum Tode führte.
Auch bei dem 3. Versuch trat eine sehr schwerwiegende Folge der
fettarmen Ernährung ein: Es war der von Anfang Mindergewichtige
auf Magerkost gesetzt worden; er verfiel einer schweren Atrophie,
die auch nach Rückkehr zur normalen Frauenmilchernährung un-
überwindlich war.
Als fettreiche Kost wurden fettangereicherte Frauenmilch, Butter-
mehlvollmilch und Buttermehlbrei verwandt, als fettarme Frauen-
und Kuhmagermilch mit Mehl- und Eiweiß-Anreicherung. Der Fett-
gehalt der Magermilch betrug meist 0,1%, im Maximum 0,3%.
Der erforderliche Energiequotient war zwar im allgemeinen bei
der fettreichen Ernährung etwas größer, aber auch bei fettarmer
Kost wurden weit mehr als ıoo Calorien pro Kilo Körpergewicht
gebraucht.
Auffallend war bei den fettarm ernährten Säuglingen die immer
wiederkehrende Durchfallsneigung. Im Gegensatz zu den fett-
gemästeten Geschwistern beherbergten sie wiederholt Coli im Magen.
Abgesehen vom Einfluß des Infektes bei dem 2. Zwillingspaar
blieb der Blutstatus bei jedem einzelnen Kinde außerordentlich
konstant. Auch die Übereinstimmung in allen Werten bei je 2 Zwil-
lingen war erstaunlich. Erst unter dem Einfluß der beiden oben
erwähnten Störungen, der Pyelitis und der Atrophie, zeigten sich
mäßige Differenzen im Erythrocyten- und Hämoglobingehalt. Auch
Serum-Eiweißgehalt und Viscosität zeigten eine starke Individual-
konstanz. Völlig unbeeinflußt von der Nahrung blieb der Fibrinogen-
und Komplementgehalt des einzelnen Kindes.
Erkennbare Konstitutionsanomalien zeigte nur das erste Zwillings-
paar. Eine latente Spasmophilie äußerte sich durch mechanische
444 Rosenbaum. Heft 4
und elektrische Ubererregbarkeit bei beiden Kindern genau gleich.
Dagegen traten deutliche Symptome von Rachitis nur bei dem
Fettmast-Saugling zutage, also dem, der reichlich Vitamin A erhalten
haben diirfte.
Diese Zwillinge wurden auch geimpft. Der Vaccinationsverlauf
war völlig identisch. Infekte des Respirationstraktus traten niemals
auf. Die Colipyelitis des Magermilchkindes bei Versuch II war von
Anfang an schwer und blieb durch die üblichen therapeutischen
Maßnahmen völlig unbeeinflußt. Die Obduktion zeigte zahlreiche
kleine Nierenabscesse.
Auch die allgemeine Körperreduktion, der das fettarm genährte
Mindergewichtige des Versuches III zum Opfer fiel, war sehr aus-
geprägt. Nach Umsetzen auf Frauenmilch traten am 3. Tage
gehäufte durchfällige Stühle von völlig weißer Farbe auf: offenbar
ein Versagen der Gallenproduktion, das Bild der Weißen Dyspepsie.
Obwohl schließlich die Stühle wieder gelb wurden, und obwohl Herz-
kraft und Stimmung des Kindes keineswegs schlecht waren, lag es
plötzlich am 8. Tage der fetthaltigen Ernährung tot im Bett. Die
Obduktion ergab keinen besonderen Befund.
Was lehren uns also unsere Versuche? Daß bei einigermaßen
widerstandsfähigen Säuglingen offenbar ein recht weitgehender
Ersatz des Nahrungsfettes durch Kohlenhydrate und Eiweiß für
längere Zeit möglich ist, daß aber auch in diesem Falle immer eine
leichte Dyspepsieneigung besteht. Die Anfälligkeit gegenüber In-
fekten bei fettarmer Kost, die die klinische Beobachtung längst
gelehrt hat, kommt in der schweren Nierenaffektion des Versuches II
zum Ausdruck. Der Versuch III, bei dem die Mindergewichtigkeit
des Fettarmernährten die Bedingungen für diese Kostform von
Anfang an erschwerte, beweist schließlich, daß für weniger resistente
Säuglinge ein weitgehender Mangel an Nahrungsfett schwere Folgen
nach sich zieht. So stützen unsere Versuche die klinische Erfahrung,
wie sie erst kürzlich wieder von Rietschel ausgesprochen und von
Wagner bei tuberkulösen Säuglingen festgelegt wurde, daß, wo es
nur irgend möglich ist, nur ein reicher Fettgehalt der Nahrung
einen guten Ernährungserfolg weitgehend verbürgt.
Diskussion.
Herr Koeppe: Buttermilchsuppe als fettarme Nahrung mit aus Mager-
milch in gleicher Weise bereitete Nahrung ist nicht zu vergleichen. Butter-
milch und Magermilch sind chemisch gleich, biologisch nicht. Buttermilch
enthält die gesamte Katalase der Vollmilch, Magermilch ist katalasefrei. But-
Heft 4 Diskussion. | 445
termilchsuppe ist eine fettarme Nahrung, trotzdem sind die Ernährungs-
ertolge mit dieser Nahrung auch als Dauernahrung während des ganzen acht-
zehnten Lebensjahres und länger ausgezeichnete nach jeder Richtung. Bei
Ernährung mit Magermilch gelingt die erfolgreiche Ernährung nicht.
Herr Lasch hat neben einer großen Anzahl mehr oder weniger fettreich
(darunter 7 Kinder mit Buttermilchfettnahrung) ernährter Kinder 9 Säuglinge
beobachtet, denen er von einem Alter von ı4 Tagen bis 4 Wochen an eine
calorienreiche, sehr fettarme Nahrung (Buttermilch mit reichlich Kohlenhydra-
ten) verabreichte. Nur ein Kind, das von Beginn an ein relativ hohes Gewicht
aufwies, gedieh dauernd prächtig bei guten, seltenen Stühlen, setzte auch
Bauchpolsterfett an. Die anderen 8 zeigten trotz im allgemeinen leidlicher
Gewichtszunahme (wöchentlich durchschnittlich 115 g; die fettreich ernährten
136g) mit der Zeit ein immer mehr zunehmendes dystrophisches Aussehen,
setzten auch so gut wie überhaupt kein Bauchpolsterfett an. Bemerkenswert
ist, daß die Stühle bei all diesen 8 Kindern während eines großen Teils der
Beobachtungszeit dyspeptisch waren. Nach 21/,—3 Monaten mußten diese
Kinder, die schließlich zum größten Teil an Infekten und Ernährungsstörungen
erkrankten, auf fettreiche Nahrung umgesetzt werden, woraufhin die Mehr-
zahl der am Leben Gebliebenen wieder ausgezeichnet gedieh und Bauchpolster-
fett einsetzte. Die recht guten Erfahrungen von Pädiatern mit holländischer
Säuglingsnahrung in ihrer Praxis sind vielleicht auf den Unterschied zwischen
Anstaltsverhältnissen und denen der Praxis oder auf den relativ hohen Fett-
gehalt der Buttermilch vor dem Kriege zurückzuführen.
Herr Aron: Der Wert der fettreichen Ernährung beruht hauptsächlich
auf ihrem Gehalt an fettlöslichem Faktor oder Vitamin A. Während wir früher
glaubten, daß mit dem Entfetten auch alles fettlösliche Vitamin aus der Milch
entfernt würde, scheint doch ein Teil in der Milch, besonders in der Buttermilch,
zurückbleiben zu können. Auch ich verfüge über die Beobachtung eines mehr
als 6 Monate ausschließlich mit Buttermilch ernährten Kindes, das dabei
tadellos gediehen ist. Die von mir früher kritisierten Auffassungen v. Pirquets
und v. Groers bzw. die Versuche, auf die sich die Anschauungen dieser Autoren
von der Entbehrlichkeit des Fettes stützen, können sich durch einen Gehalt
der entfetteten Milch an fettlöslichem Faktor erklären.
Herr Bessau (Leipzig): Der häufige Befund von Colibakterien im Nasen-
rachenraum bei Säuglingen und Kindern scheint uns bemerkenswert, weil
wir annehmen, daß von hier aus die Invasion ins Blut erfolgt, die zu der eitrigen
Colinephritis (mit evtl. sich anschließender Pyelocystitis) führt. Der klinisch
längst erkannte Zusammenhang zwischen grippaler Infektion und sog. Pyelitis
dürfte dahin seine Erklärung finden, daß der grippale Infekt in dem Nasen-
rachenraum eine lokale Gewebsschädigung hervorruft, die den Colibakterien
das Vordringen in die Blutbahn ermöglicht. Selbstverständlich kann die
Invasion auch vom Magendarmkanal aus erfolgen, selten nach den mehr funk-
tionellen Ernährungsstörungen, häufiger bemerkenswerterweise nach Darm-
infektionen (Ruhr), die eine schwerere lokale Gewebsschädigung setzen.
Reaktionen
des Magendarmkanals auf Stoffwechselumstimmungen.
: Herr Dr. Fritz Demuth, Charlottenburg.
(Mit 2 Kurven.)
Von der Heidelberger Schule ist gezeigt worden, daB sich bei
Rachitis eine Verschiebung des Stoffwechsels in acidotischem Sinne
findet. Im Urin ist die aktuelle und die potentielle Acidität erhöht.
Hochsinger hält die Beweisführung aus dem Urinbefund nicht
für stichhaltig, weil die vermehrte Säureausscheidung im Urin durch
eine verminderte Säureausscheidung, z.B. im Verdauungskanal,
paralysiert werden könnte. Tatsächlich fand ich bei meinen Unter-
suchungen über die Funktionen des Säuglingsmagens, daß bei Rachi-
tis regelmäßig die Magenacidität deutlich herabgesetzt ist. Es lag
nahe, diese Beziehungen durch experimentelle Erzeugung von
Acidose und Alkalose näher zu studieren.
Zu diesem Zwecke wurden Hormonpräparate!) nach dem Vorgange
Vollmers benutzt, sowie eine Reihe stoffwechselumstimmender
Mittel, Höhensonnenbestrahlungen, Proteinkörper- und Intracutan-
injektionen, schließlich Pilocarpin und Atropin. Ich übergehe die
Methoden und wende mich gleich zu den Ergebnissen.
Auf der ı. Figur sind die Aciditätsveränderungen dargestellt.
16 gesunde Säuglinge wurden untersucht. Die Normalwerte jedes
einzelnen Kindes sind immer auf einer Grundlinie in eine gleiche
Höhe gebracht. Die Säulen geben für jedes Kind die Größe der
Aciditätsveränderung an. Ihre Richtung nach oben bedeutet Acı-
ditatserhdhung, nach unten -herabsetzung. Die einzelnen Mittel
sind in acidotische und alkalotische geteilt. Einige befinden sich
aber unter beiden Gruppen, da sie 2 Phasen haben. Es kommt auf
die Zeit an, zu der sie gegeben worden sind. Die angegebenen Zahlen
zeigen an, wieviel Minuten vor dem Aushebern das betreffende
Mittel gegeben worden ist. Soweit darauf untersucht worden ist,
1) Diese wurden mir von der Firma Grenzach bereitwilligst zur Verfügung
gestellt.
Heft 4 Reaktionen d. Magendarmkanals auf Stoffwechselumstimmungen. 447
haben alle benutzten Medikamente mit Ausnahme von Atropin,
bei dem die Resultate unsicher sind, eine zweiphasische Wirkung.
In der ersten Phase setzt Pituglandol und Pilocarpin die Acidität
herab, während der Befund bei Suprarenin unsicher ist. Hier ist
die Wirkung zu flüchtig, um
sich gegenüber der stetig zu- |
nehmenden Acidität bemerk- >UPRAR 50
bar zu machen. Vielleicht
spielt auch die langsame Re-
sorption eine Rolle. Daß auch PITUGL 60
Pilocarpin eine zweiphasische m I| aA '
all.
12345678994 2ORSS 1234567898 NQONEY
Wirkung hat, ist in letzter
Zeit mehrfach angenommen THMO6L
worden. Wir werden darauf
noch zurückzukommen haben.
In der zweiten Phase er-
höhten Pitu-, Thymo-, Thyreo-
und Ovoglandol, also die al-
kalotischen Hormone, und TENMEOSL >
Pilocarpin die Acidität. Testi- nn ci
und Epiglandol, also die aci-
dotischen Hormone, und das
Acidose machende Afenil pe. aso’
setzen sie herab, ebenso Atro-
pin. Auf die Magensäure-
sekretion wirken also die
AFENIL 120,
Alkalose machenden Mittel
wie Pilocarpin, die Acidose
machenden wie Atropin. PILOC
Eine Ausnahme fand sich
bei Chloralhydrat. Narkose ATROPIN 120.
macht Acidose. Gibt man nn
OVOGL
aber Chloralhydrat in groBen
Dosen per Clysma, so be-
kommt man in der Regel eine Kurve ı. Acidität.
Erhöhung der Magensäure-
werte. Der direkte Einfluß des Mittels auf den Verdauungskanal
überwiegt offenbar die Allgemeinwirkung.
Was die Unregelmäßigkeiten bei den Befunden angeht, so handelt
es sich natürlich zum Teil um Fehler, die durch die physiologische
Schwankung bedingt sind. Gelrgentlich findet man aber geradezu
448 Demuth. Heft 4
parodoxe Reaktionen, und zwar bei Kindern mit exsudativer
Diathese. Eine Einteilung in Vago- und Sympathicotoniker ließ sich
aber nicht durchführen.
Durch Versuche an einem anderen Teile des Verdauungskanals
wollte ich die gefundenen Resultate verallgemeinern. Parasympa-
thischer Reiz erhöht bekanntlich den Bicarbonatgehalt des Speichels’).
Die h, die natürlich auch vom Bicarbonatgehalt abhängt, ist beim
Säugling, wie Jacobi und ich gezeigt haben, wegen der Art der
Speichelentnahme nicht gut verwertbar. Der Speichel des Erwach-
senen dagegen hat eine sehr konstante Aciditätskurve. Injiziert
man kleine Mengen Pilocarpin, so bleibt während der ersten 2o bis
30 Minuten die Acidität unverändert oder steigt etwas an, dann
sinkt sie plötzlich ganz erheblich, um bei einigen Versuchspersonen
stundenlang relativ niedrig zu bleiben. Injiziert man aber irgend-
welche Hormone, so bleibt eine absolut eindeutige Wirkung auf die
Speichelaciditat aus?). Wir kommen also hier nicht weiter.
Es sei hier nebenbei bemerkt, daB die SchweiBsekretion oft un-
mittelbar nach der Injektion von Pilocarpin, jedenfalls aber immer
in der ersten Phase einsetzt, in der wir offenbar eine Sympathicus-
reizung vor uns haben. Mit dieser Erklarung lieBe sich der Wider-
spruch beseitigen, daß die Schweißdrüsen zwar anatomisch vom
Sympathicus innerviert werden, aber auf Pilocarpin reagieren.
Nun zu den anderen Stoffwechselumstimmungen. Höhensonnen-
bestrahlung führt im Magen zwischen 1. und 3. Tag zu einer Acidi-
tätserniedrigung, die dann langsam, zuweilen schon am 2. Tag,
gewöhnlich über den Anfangswert hinausgehend in eine Erhöhung
übergeht. Nach Novoprotin, einem Proteinkörperpräparat, sinkt
der Säuregehalt etwas am 2. oder 3. Tag und steigt dann zwischen
2. und 6. Tag sichtlich an. Intracutane NaCl-Injektionen, auf deren
Bedeutung Herr Vollmer nachher eingehen wird, machen keine
sichere Aciditätserhöhung, auch wenn man die Injektion mehrmals
vornimmt. Die Wirkung ist offenbar zu kurzdauernd und wird
außerdem wahrscheinlich dadurch paralysiert, daß die Verärgerung
des Kindes durch die schmerzhaften Injektionen die Acidität herab-
setzt. —
Die Motilität wird folgendermaßen beeinflußt: Pituglandol,
2 Stunden vor der Mahlzeit gespritzt, also nur in der 2. Phase wirk-
1) Die Titration gibt wenig brauchbare Resultate.
2) Einige Präparate zeigen bei einigen Versuchspersonen eine dem Pilo-
carpin entsprechende Wirkung, in anderen Fällen findet man keine Verän-
derung.
Heft 4 Reaktionen d. Magendarmkanals auf Stoffwechselumstimmungen. 449
sam, verzögert die Entleerung. Testi- und Epiglandol verändern
die Motilität nicht. Pilocarpin in kleinen Dosen 2 Stunden vor der
Mahlzeit gespritzt, verzögert, etwas weniger sicher, wenn die In-
jektion gleichzeitig mit der Fütterung erfolgt, während bei In-
jektionen 2 Stunden danach keine Veränderung der Verweildauer
festzustellen ist, offenbar weil die entgegengesetzte Wirkung der
beiden Phasen sich gerade die Wage hält. Atropin, zurzeit der
Fütterung injiziert, verzögert ganz besonders stark. Per os wirkt
es nicht so stark, doch kommen auch hier bei mittleren Dosen Ver-
zögerungen bis zu 70% vor. Bei großen Dosen, die Rötung und
234567839 NBS 23456789NDAS 25456789 NBAS
PITUGL. 1200. TESTIGL 12 ea EPIGL. “T
=
F
Kurve 2. Motilitat.
PILOC. 27: ll eal PILOC. 0 PILOC. 120°
ATROPIN 0’
Mydriasis machen, ist die Wirkung meist kleiner als bei kleinen
Dosen. Die Aciditätsveränderungen bei Darreichung von Pilocarpin
per os sind ebenfalls viel unsicherer als bei subcutaner Injektion.
Das Bild der Beeinflussung der Magenmotilität ist also viel bunter
als das der Aciditätsverschiebungen. Mit den Begriffen Vagus-,
resp. Sympathicusreiz und -lähmung kommen wir hier nicht aus, da
Atropin ebenso wie Pilocarpin in den Hauptphasen die Verweil-
dauer verlängert, eine Beobachtung, die kürzlich auch von Löwy
und Tezner an älteren Kindern gemacht worden ist. Ich möchte
folgende Erklärung geben: Atropin verzögert durch Herabsetzung
der austreibenden Kräfte, Pilocarpin durch Vermehrung der Saft-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 29
450 Demuth. Heft 4
menge. Durch Vermehrung der Saftmenge möchte ich auch die
verzögernde Wirkung des Pytuglandols erklären. Die Verweildauer
ist ja abhängig von der Menge und der Art des Mageninhaltes einer-
seits, von dem Pylorusspiel und der Stärke der austreibenden Kräfte
andererseits. Bei Pilocarpin und bei Pituglandol überwiegt die
Vergrößerung der Menge die Peristaltiksteigerung, die in Tierver-
suchen festgestellt worden ist.
Fassen wir zusammen: Dieselben Hormonpräparate, die eine
vermehrte Säureausscheidung im Urin hervorrufen, setzen die
HCl-Sekretion des Magens herab, und umgekehrt und ebenso ver-
halten sich andere stoffwechselumstimmende Eingriffe. Daß es sich
hierbei aber nicht um eine einfache Verschiebung der Säureaus
scheidung vom Verdauungs- zum Nierensystem handelt, scheint mir
aus folgendem hervorzugehen.
Dieselben Reize, die im Magen HCI-Sekretion hervorrufen, fördern
die Sekretion alkalischen Darmsaftes. Der Magen-Darmkanal hat
also sein eigenes Säuren-Basengleichgewicht. Bei der Ähnlichkeit,
die zwischen der Wirkung der Hormone und der vegetativen Gifte
= besteht, dürfen wir wohl auch für sie den gleichen Mechanismus
annehmen. Wäre nur die HCl-Sekretion durch die untersuchten
Präparate verändert, so würden wir in kürzester Zeit Störungen des
Verdauungsapparates beobachten. Man kann aber wochenlang
Hormonpräparate spritzen, ohne eine Störung zu sehen, von Höhen-
sonnenbestrahlung ganz abgesehen. Leider läßt sich über die Se-
kretionsverhältnisse des Darmes beim Säugling nichts direktes aus-
sagen. Ylppö fand bei seinen Intoxikationsstudien einen Antago-
nismus von Stuhl- und Urinacidität bei Hunger und beim Umsetzen
von Frauenmilch auf Kuhmilch. Wir wissen aber heute, welchen
Anteil die Bakterien an der Bildung der Stuhlacidität haben, welche
Bedeutung der Art der eingeführten Nahrung und der Schnelligkeit
der Darmpassage zukommt. Da unsere Präparate auch die Motilität
. nicht unbeeinflußt lassen, ist es also möglich, auf diesem Wege
eine Entscheidung zu bringen. Tatsächlich wird die Stuhlacidität
nicht verändert. Ich sehe aber gar keinen Gegengrund gegen die
Annahme, daß bei einer allgemeinen Erhöhung der Zelltätigkeit die
Magen- und die Darmdrüsen erhöht arbeiten. Setzen wir statt der
Begriffe Alkalose-Acidose, Vagotonie-Sympathicotonie einfach Stoff-
wechselerhöhung und Stoffwechselherabsetzung, so wird die gleich-
artige Wirkung so vẹrschiedener Eingriffe wie Höhensonnenbestrah-
lung und Injektion aktivierender Hormone, die sonst schwer er-
klärbar wäre, ohne weiteres verständlich und legt die Annahme
Heft 4 Diskussion. 451
nahe, daß wir es hier nicht mit speziellen Einwirkungen auf einzelne
Teile des Magen-Darmkanals zu tun haben, durch die erst sekundär
die Urinacidität verändert wird, sondern mit den Folgen allge-
meiner Stoffwechselumstimmungen.
Mit diesen Untersuchungen ist aber nicht nur eine lediglich theo-
retische Frage beleuchtet worden, indem der Zusammenhang zwischen
allgemeinen Stoffwechselumstimmungen und den Magenfunktionen
gewissermaßen experimentell reproduziert worden ist, sondern wir
kommen auch zu klinisch interessanten Ergebnissen.
Wir können mit den Alkalose hervorrufenden Mitteln eine dar-
niederliegende Verdauungstätigkeit anregen. Der gute Einfluß von
Höhensonnenbestrahlungen und von Proteinkörpertherapie auf den
Appetit ist ja bekannt. Durch persönliche Mitteilung von György
und Vollmer weiß ich auch von günstigen Ergebnissen einer
Hormontherapie bei Rachitis und die fortschreitende Verbesserung
der Säureverhältnisse im Magen konnte ich bei jeder Form von
Aktivierung, wie Höhensonne, Serum- und Hormoninjektionen,
experimentell verfolgen.
Diskussion.
Herr Rosenbaum: Bei Chlorverarmung des Körpers sinkt der Chlorgehalt
und die Menge des Magensaftes (Cahn). Es ist möglich, daß bei Erhöhung
bzw. Erniedrigung der Chlorausscheidung im Urin, deren zeitliche Verhältnisse
zu berücksichtigen wären, der Chlorgehalt des Magensaftes vikarlierend ein-
tritt, was bei einem genauen zeitlichen Vergleich der Aciditätskurve für Magen-
saft und Urin erkenntlich werden könnte. Schließlich müßten die Resorptions-
verhältnisse der Hormone berücksichtigt werden, möglicherweise spielen diese
eine größere Rolle, als die Verschiedenheiten der Herkunft.
Herr Mautner (Wien): Die Sekretionsverhältnisse sind äußerst kompliziert,
wie etwa aus den Versuchen von Alphen am Magenfistelhund hervorgeht,
der nach Adrenalin kurzdauernde, nach Pituitrin durch Tage anhaltende
Sekretionsherabsetzung auf minimale Werte fand. Die Hormone sind anderer-
seits nicht rein spezifische Substanzen, deren Wirkung sicher zu sehr großem
Teil auf Eiweißabbauprodukte, Histamin usw., zurückzuführen ist.
Herr Demuth (Schlußwort): Die Aciditätsveränderungen können nicht
durch Chlormangel oder -überschuß erklärt werden, da die Urinausscheidung
gerade die entgegengesetzte Wirkung haben müßte. Eine spezifische Hormon-
wirkung muß angenommen werden, weil sich zwei ganz entgegengesetzt wir-
kende Gruppen finden. Im übrigen glaubt Verf., daß die Verhältnisse viel
komplizierter liegen, als es hier der Kürze und der Klarheit wegen dargestellt
werden konnte.
29*
Stoffwechselumstimmung durch Intracutaninjektion
und andere Hautreize.
Herr H. Vollmer.
Wir wissen, daB Hautreize, etwa die Höhensonnenbestrahlung,
unmittelbar nur die Haut treffen, offenbar aber zugleich fundamen-
tale Umstimmungen des gesamten Organismus bewirken. Welche
Beziehungen zwischen dem Hautorgan und den vitalen Vorgängen
bestehen, darüber wissen wir wenig. Die folgenden Untersuchungen
sollen zur Klärung dieser Frage beitragen.
Zu biologischen Untersuchungen der Haut eignet sich am besten
die Intracutaninjektion, da durch sie genau dosierbare Reize gesetzt
werden können, die tatsächlich nur die Haut treffen. Injiziert man
einem Säugling 3mal 0,I ccm physiologischer Kochsalzlösung intra-
cutan, so nimmt die Säureausscheidung mit dem Harn am Injektions-
tag gegenüber den Vortagen ab. Diese Stoffwechselumstimmung
war nicht regelmäßig festzustellen. Offenbar war die Wirkungsdauer
der Intracutaninjektion so kurz, daß sie bei Tagesstoffwechselunter-
suchungen gelegentlich nicht zum Ausdruck kam. Wir sahen uns
darum zu Versuchen am Erwachsenen genötigt, wo Harnunter-
suchungen in bestimmten kurzen Zeitabständen möglich waren.
Alle Untersuchungen wurden im Selbstversuch ausgeführt, ihre
Resultate durch Parallelversuche an Kollegen bestätigt. Als ge-
eignete Tageszeit wurden die späten Nachmittagsstunden erkannt,
in denen die Harnacidität stetig geradlinig oder parabolisch zu
sauereren Werten ansteigt. Injiziert man während dieser Zeit 3 mal
0,Iccm physiologischer Kochsalzlösung intracutan, so wird die
normalerweise ansteigende Harnaciditätskurve jäh unterbrochen,
es kommt zu einer wesentlichen Verminderung der Säureaussche-
dung, die etwa nach 30—40 Minuten ihren tiefsten Punkt und
häufig alkalische py-Werte erreicht, um nach 6o—ọ9o Minuten wieder
zur normalen Höhe anzusteigen.
Diese starke Stoffwechselumstimmung in alkalotischer Richtung
nach Intracutaninjektion einer Flüssigkeit, die ihrer Menge und
Natur nach fast als indifferent zu bezeichnen ist, erinnert an die
Heft 4 Stoffwechselumstimmung durch Intracutaninjektion. 453
Stoffwechselwirkung gewisser Hormone. Die Frage lag nahe, ob
das Hautorgan, ahnlich wie die endokrinen Driisen auf einen intra-
cutanen Reiz hin Fermente zu produzieren imstande ist, die auf.
dem Blut- oder Lymphwege in den Körper gelangen und dort zur
Wirkung kommen. Diese Möglichkeit ließ sich durch einen einfachen
Versuch ausschließen. Unterbindet man den Arm bis zum Ver-
schwinden des Radialispulses und injiziert man vor Eintritt mo-
torischer und sensibler Lähmung distal von der Unterbindungs-
stelle physiologische Kochsalzlösung intracutan, so treten die gleichen
Erscheinungen ein wie bei Versuchen ohne Blutsperre. Es- müssen
also nervöse Bahnen sein, die die Fernwirkungen einer Intra-
cutaninjektion auf den Gesamtorganismus und dessen Stoffwechsel
vermitteln. Es wurde darum versucht, an der Injektionsstelle die
nervösen Elemente auszuschalten. Die Intracutaninjektion einer
isotonischen Novocain-Kochsalzlésung führte jedoch ebenfalls
zu einer Verminderung der Säureausscheidung mit dem Harn.
Dieses zunächst überraschende Ergebnis schließt keineswegs die
Möglichkeit einer nervösen Reizleitung aus. Kamen doch Freuden-
berg und Behrendt bei ihren Untersuchungen über die Angriffs-
punkte des tetanigenen Reizes zu der wohlbegründeten Anschauung,
daß Novocain die parasympathischen Fasern intakt läßt. Es mußten
also gerade vagische Fasern sein, die von der Intracutaninjektion
physiologischer Kochsalzlösung betroffen werden und deren Reizung
zu einer Tonuserhöhung des gesamten parasympathischen Systems
führt. Tatsächlich blieb nach Intracutaninjektion von 1%/,, Atro-
pin in 0,9pröz. Kochsalzlösung eine Stoffwechselwirkung aus, die
Harnaciditätskurve verlief ohne jede Schwankung wie eine Normal-
kurve. Pilocarpin setzte dagegen bei intracutaner Applikation
die Säureausscheidung stark herab, allerdings erst nach einer 30 Mi-
nuten dauernden acidotischen Phase. Diese zweiphasische
Wirkung des Pilocarpins erklärt eine Reihe von Widerspriichen _
und Unklarheiten in der Pilocarpinliteratur. Gelang es durch lokale
Vaguslähmung die Wirkung der physiologischen Kochsalzlösung
auszuschalten, so war durch Sympathicusreizung eine Umkehr
der Wirkung zu erzielen. Intracutaninjektion einer mit Kochsalz-
lösung zur Isotonie gebrachten Adrenalinlösung führte zunächst
zu einem starken Anstieg der Harnacidität, die nach etwa 30 Minuten
wieder absank und nach etwa 2 Stunden tiefe Werte erreichte, die
unter den Anfangswerten lagen. Auch hier wie in meinen früheren
Versuchen mit Subcutaninjektionen ergab also das Adrenalin eine
zweiphasische Wirkung, wobei die initiale Acidose, die mit den
454 Vollmer. Heft 4
klinischen Zeichen einer Sympathicusreizung zeitlich zusammenfällt,
von einer alkalotischen Stoffwechselrichtung abgelöst wird. Der
‚früher erbrachte Nachweis von Verschiebungen der anorganischen
Blutsalze während dieser beiden Adrenalinphasen führte mich dazu,
Sympathicotonie, Acidose und Calciumvermehrung bei Phosphat-
und Kaliumverminderung einerseits, Vagotonie, Alkalose, Phosphat-
und Kaliumvermehrung bei Calciumverminderung andererseits als
antagonistische Zustände einander gegenüberzustellen, die sich in
den vegetativ innervierten Erfolgsorganen funktionell manifestieren.
Da nun die Intracutaninjektion offenbar die Möglichkeit bot,
unmittelbar auf die vegetativen Nervenendigungen ein-
zuwirken, lag es nahe, die Wirkung verschiedener Ionen auf
diese zu prüfen. Als die wichtigsten kamen die H-, OH-, K-, HPO,-
und Ca-Ionen in Betracht, deren grundlegende Bedeutung für das
vegetative Nervensystem und die Stoffwechselintensität sich uns
wiederholt aufdrängte. Und zwar war von den Hydroxyl-, Kalium-
und Phosphationen eine Reizwirkung auf den Vagus, von den
Wasserstoff- und Calciumionen eine solche auf den Sympathicus zu
erwarten. Nach intracutaner Injektion von etwa tjn-
Natronlauge und ebenso von isotonischer Kaliumphos-
phat- und Kaliumchloridlösung trat eine Verminderung
der Säureausscheidung ein, während etwa 7/,n-Salzsaure,
Afenil und Calciumchlorat ohne Wirkung blieben oder
zu einer Steigerung der Harnacidität führten. Die Wirkung
der angeführten Ionen auf die Stoffwechselintensität des Organismus
bei intracutaner Applikation kleinster Mengen entsprach also voll-
kommen ihrer bereits bekannten Wirkung auf die Sauerstoffzehrung
isolierter Zellen. Die Zellatmung wird nun auch vom osmotischen
Druck der umgebenden Lösung gesetzmäßig beeinflußt, durch
Hypotonie wird sie gefördert, durch Hypertonie gehemmt. In
gleicher Weise ergaben Untersuchungen mit abgestuften Konzen-
trationen einer Kochsalzlösung eine gesetzmäßige Abhängigkeit der
Stoffwechselwirkung und Säureausscheidung von den osmotischen
Drucken der intracutan injizierten Lösungen. Hypotonische
Kochsalzlösung führte zur stärksten Verminderung der Säureaus-
scheidung, während stark hypertonische Kochsalzlösungen die
Säureausscheidung vermehrten.
Überblicken wir alle diese Resultate, so sehen wir uns veranlaßt,
auch die intracutan injizierte physiologische Kochsalzlösung als
keineswegs indifferentes Agens anzusprechen und ihre alkalotische
Wirkung auf das Natriumion zurückzuführen. Tatsächlich er-
Heft 4 Stoffwechselumstimmung durch Intracutaninjektion. 455
wiesen sich isotonische Lösungen von physiologischen Elektrolyt-
gleichgewicht, also Ringer, besonders aber Normosal, als un-
wirksam.
Nachdem wir den Wirkungsmechanismus in die Haut einge-
brachter Stoffe pharmakologisch geprüft haben, können wir unsere
Befunde dahin zusammenfassen: Hydroxyl-, Natrium-, Ka-
lium-, Phosphationen und Hypotonie wirken vagus-
reizend und ihrem atmungsfördernden Einfluß auf iso-
lierte Zellen entsprechend stoffwechselbeschleunigend.
Den Wasserstoff-, Calciumionen und der Hypertonie
kommt eine antagonistische Wirkung durch Vermitt-
lung sympathischer Bahnen zu.
Sind wir nun berechtigt, die Veränderungen der Säureausscheidung
mit dem Harn hier als Ausdruck einer wahren Stoffwechselum
stimmung aufzufassen? Untersuchungen der anorganischen Blut-
salze sollten zur Klärung dieser Frage beitragen. Tatsächlich fanden
sich nach intracutaner Kochsalzinjektion Elektrolytverschiebungen
wie sie bei der Tetanie gefunden wurden. Die Veränderungen waren
sehr gering, fast innerhalb der Fehlergrenzen. Eine große Unter-
suchungsreihe erlaubt jedoch die Feststellung, daß intracutane
injizierte physiologische Kochsalzlösung zu einer Cal-
ciumverminderung, einer Kalium- und Phosphatver-
mehrung im Blutserum führt, also zu einer Elektrolytkon-
stellation, welche die oxydative Zellfunktion fördern, mit anderen
Worten die Stoffwechselintensität steigern muß. Hiermit ist der
Wesenszusammenhang zwischen Vagusreizung und Stoffwechsel-
beschleunigung über das Hypothetische erhoben.
Schließlich wurden Blutzuckerbestimmungen vorgenommen,
die zunächst nur als Kontrolle der übrigen Befunde gedacht waren,
letzten Endes aber zur weiteren Klärung unserer Fragestellung
beitrugen. Ich will nur die wichtigsten Ergebnisse herausgreifen.
Physiologische Kochsalzlösung und Normosal, ebenso Atro-
pin- und Novocainlösung, die mit Kochsalz zur Isotonie ge-
bracht wurden, führten bei intracutaner Applikation nach
15 Minuten fast regelmäßig — vereinzelte Versuchspersonen
reagierten mit Hypoglykämie — zu einer ausgesprochenen
Hyperglykämie. Nach dem Ergebnis gleichzeitiger Hämatokrit-
bestimmungen war diese Hyperglykämie nicht auf eine Verschiebung
der Relation Plasma : Erythrocyten zurückzuführen. Das Resultat
war also das gleiche, ob die Kochsalzlösung bei Atropinkombination .
nur die sympathischen oder bei Novocainkombination nur die
456 Vollmer: Diskussion. Heft 4
vagischen Fasern treffen konnte. Von den mannigfachen Deutungen,
die diese Befunde zulassen, erscheinen mir nur die folgenden dis-
kutabel. Entweder kann Hyperglykamie sowohl durch Sympathicus-
als durch Vagusreizung ausgelöst werden, oder die Reizung des
einen Systems trifft immer zugleich den Antagonisten. Demnach
würde jede Intracutaninjektion einen Reiz auf das gesamte vege-
tative Nervensystem ausüben. Das Übergewicht eines Systems
über das andere wäre lediglich bedingt durch die Elektrolytkonstel-
lation und andere chemisch physikalischen Eigenschaften der intra-
cutan injizierten Agentien.
Diese Untersuchungen zur Biologie der Haut sind nur Vorunter-
suchungen und auf praktische Ziele gerichtet. Sie bringen den
Wirkungsmechanismus in die therapeutische Technik eingeführten
Hautreize unserem Verständnis 'näher. Durch thermische Reize,
wie heiße und kalte Bäder, lokale Chloräthylabkühlung und Ver-
eisung, konnte ich ähnliche Umstimmungen des Organismus erzielen.
Auch die Stoffwechselwirkung der Höhensonne wird als Wirkung
eines photochemischen Hautreizes aufzufassen sein, zeigen doch
gerade die kurzwelligen ultravioletten Strahlen, die am meisten
von der Haut adsorbiert werden und diese kaum durchdringen, die
stärkste stoffwechselbeschleunigende Wirkung. Schließlich konnte
ich zeigen, daß Hormone bei intracutaner Applikation schon in weit
geringeren Dosen den Stoffwechsel umstimmen als bei subcutaner
Injektion. Damit ist auch wahrscheinlich geworden, daß die Hor-
mone unmittelbar auf die vegetativen Nerven wirken und erst auf
diesem Wege die Elektrolytverschiebungen bedingen, auf die wir
die hormonale Stoffwechselbeeinflussung zurückführen.
Diskussion.
Herr Ebbecke weist auf die Beziehung zu der von E. F. Müller nach
intracutaner Injektion von Aolan und von anderen nach intracutaner Injektion
der verschiedensten Mittel gefundenen Leukopenie hin.
Herr Bauer (Hamburg) weist darauf hin, daß auch auf stomachale Reize
(Nahrungsaufnahme, selbst Wasserzufuhr) Leukopenie, in gleicher Weise wie
auf Hautreize, erzeugt werden kann.
Das Konstitutionsproblem bei Säugling und Kleinkind').
Herr Coerper, Düsseldorf.
Praktische Konstitutionsforschung bei Säugling und Kleinkind
bedeutet zweierlei: ı. Erforschung der variablen Gestaltungen
biologischer Gesetze und Regeln (Variationslehre); 2. Erforschung
der Individualität (Individuallehre). Letztere leitet ihre Begründung
als naturwissenschaftliche Forschung u.a. daher, daß in der ärzt-
lichen Beobachtung Säugling und Kleinkind sich als einheitlich
regulierte Gestalten darbieten, die als solche Beachtung finden
müssen, will man der Wirklichkeit gerecht werden und nicht nur,
wie es die Variationslehre tut, Teilausschnitte der Gesamtbeobach-
tungen wiedergeben.
Die Methode der Individuallehre ist Beobachtung und Beschrei-
bung verständlicher Zusammenhänge. Die Wege dieser Forschung
sind: 1. Erforschung der gewordenen Reaktionsbasis des Kindes,
d.h. von Erbgang und Peristase; das bedeutet im wesentlichen
Erforschung der Wesensart (Entwicklung und Zustand) der Eltern.
2. Erforschung des Habitus von Eltern und Kindern unter Benutzung
einer Typik und Vergleichung der ähnlichen Gestaltungen des Ha-
bitus; auf Grund dieser Vergleichungen Forschung nach ähnlichen
Individualentwicklungen bei Eltern und Kindern. Hierdurch wird
eine möglichst gesicherte Prognose der Entwicklungsform und ihrer
Beeinflussungsmöglichkeiten konstituiert. 3. Erforschung der Ge-
bahrung (d.i. das qualitativ einheitliche Verhalten der Kinder, das -
den die Individualität konstituierenden Allgemeinfunktionen und
den aus ihnen resultierenden Gewohnheiten entspringt). Als Beispiel
für die Betrachtung eines Kindes im Sinne der Gebahrung kann die
„Agilität‘‘ gelten, auf Grund deren sich die Gesundheit eines Kindes
viel sicherer beurteilen läßt als auf Grund einzelner Teilfunktionen
des Kindes. — Der überwiegende Teil kinderärztlicher Tätigkeit bei
Säugling und Kleinkind ist ärztliche Erziehung. Diese ist nur mög-
lich auf Grund der Individualanalyse. Auf diesem Wege müssen
die bereits vorliegenden Beobachtungen (s. vor allem A.Czerny,
Der Arzt als Erzieher des Kindes. Deuticke, Wien 1922) erweitert
und verständlich gemacht werden. _ (Autoreferat.)
2) Ausführliche Veröffentlichung in der Klinischen Wochenschrift.
Die Messung der Ca-lonenkonzentration
im Liquor cerebrospinalis.
Herr H. Behrendt, Marburg.
Die direkte Messung der Ca-Ionenkonzentration im Blut ist eine
methodisch noch nicht gelöste Aufgabe. Sie erschien von vornherein
aussichtsreicher für die Untersuchung der Lumbalflüssigkeit. Nach
der Methode von Brinkman und van Dam wurde unter Benutzung
einer für kleine Flüssigkeitsmengen modifizierten Apparatur die
Konzentration des ionisierten Kalkteiles direkt gemessen. Das
Prinzip dieser nephelometrischen Methode beruht auf der Ermittlung
derjenigen Menge Oxalationen, die zur beginnenden Entionisierung
des Calciums notwendig sind, mit folgender Berechnung der Ca-
Ionenmenge aus dem bekannten Löslichkeitsprodukt zwischen
Ca+ und Ca,0,—. Ich erhielt folgende Resultate: Im Liquor ge-
sunder Kinder ist im Mittel 20% des Gesamtkalkes in ionisierter
Form vorhanden, also der gleiche Prozentsatz wie er im Blut von
Rona und von Brinkman angenommen wird. Die absolute Menge
betrug im Durchschnitt 1 mg% Ca.. bei þu = 7,7. Bei Säuglingen
und Kindern mit cerebralen Affektionen, selbst eitrigen Prozessen,
sind die gleichen Werte vorhanden. Auch manifest und latent teta-
nische Säuglinge mit stark vermindertem Ca-Gehalt des Serums
weisen im Liquor dieselbe normale Ca-Ionenkonzentration auf. In
Übereinstimmung mit Leicher wurde die Gesamtcalciummenge im
Liquor selbst bei sehr reduziertem Gesamt-Ca des Serums unver-
ändert normal gefunden, im Mittel 5 mg%. Diese Feststellung steht
im Einklang mit den neueren Ansichten über den Mechanismus der
Liquorabsonderung und zeigt uns, daß Änderungen der Ionenkon-
zentration im Blut nicht entsprechend in der Lumbalflüssigkeit zum
Ausdruck kommen, wie dies auch für die Anelektrolyte gilt. Es ist
also nicht möglich, die z. B. bei Tetaniefällen im Blut theoretisch
angenommenen Veränderungen auf den Liquor zu übertragen und
hier einem experimentellen Nachweis zugänglich zu machen, und es
ist vor allem nicht angängig, aus negativen Liquorbefunden Rück-
schlüsse auf die Ionisationsverhältnisse im Blut zu ziehen, weder
Heft 4 Messung der Ca-Ionenkonzentration. 459
in bezug auf die Mineralstoffe, noch auf das Säure-Basengleich-
gewicht. |
Sehr geeignet dagegen ist der Liquor cerebrospinalis zum Studium
‘der Ionisationsverhältnisse des Calciums unter dem künstlich ge-
setzten Einfluß besonders interessierender Faktoren. Die Möglich-
keit, in einer physiologischen Flüssigkeit die Ca-Ionen unter will-
kürlicher Variation des Milieus quantitativ zu messen, wies einen
neuen Weg, um die Theorie von Freudenberg und György über
die Bedingungen der Dissoziation des Blutkalkes bei der Tetanie
experimentell zu prüfen. Freudenberg und György sehen in
dem Zusammentreffen von alkalotischem Stoffwechsel und Phosphat-
stauung das pathogenetische Prinzip der Tetanie. Sie haben mehr-
mals betont, daß den Phosphaten als Pufferungssubstanz gerade in
bezug auf die Kalkdissoziation eine größere Bedeutung zukomme,
als den Bicarbonaten und György hat deshalb eine Erweiterung
der Rona- Takahashischen Formel vorgeschlagen.
Unter diesen Gesichtspunkten wurde daher
I. der Einfluß der H-Ionenkonzentration auf die Calciumdisso-
ziation im Liquor geprüft. Wie erwartet, war in der durch Kohlen-
säureentweichung alkalisch gewordenen Portion stets die Ca-Ioni-
sation stark zurückgedrängt.
2. wurde die Veränderung der Ca-Ionenmenge durch Steigerung
des sekundären Phosphatgehaltes in Liquor quantitativ verfolgt, und
3. dasselbe mit Bicarbonatzusatz gemacht.
Aus den Tabellen!) geht deutlich hervor, wie sowohl Phosphat-
als auch Bicarbonatzusatz eine Entionisierung des Calciums bewirkt;
aber gleichzeitig sieht man, wie verschieden die Intensität ihrer Wir-
kung ist, um wieviel wirksamer sich die Phosphate erweisen, als die
Bicarbonate. Wenn man nämlich die zu gleichem Effekt notwen-
digen Mengen der beiden Salze in Prozenten ihrer ursprünglichen
Konzentration im Liquor ausdrückt, so ergibt sich, daß Phosphat-
zusätze von 28—50% der praformierten Menge in ihrer Wirkung
aquivalent sind einer Steigerung des Bicarbonats um 130—170%.
Damit ist ein Experimentalbeweis für die größere Bedeutung der
Phosphate gegenüber dem Bicarbonat in bezug auf die Ionisation
des Calciums in physiologischen Lösungen erbracht.
1) Die ausführliche Veröffentlichung erfolgt an anderer Stelle.
iO gf = ` -f ~o i :
> ' : I: “
PB FEN are
i
Aus der Kinderklinik Massachuselts, General Hospital.
Grundstoffwechsel im Kindesalter.
Neuere amerikanische Forschungen !).
Von Fritz B. Talbot, M. D., Boston, Mass.
(Mit 25 Kurven.)
Die amerikanischen Forschungen über den Grundstoffwechsel
beim Säugling und Kinde sind hauptsächlich im letzten Jahrzehnte
vorgeschritten. Dieser Fortschritt wurde durch die im vorher-
gehenden Jahrzehnte vervollkommnete Technik ermöglicht. Der
mustergültige Ausbau und die Vereinfachung der Methoden hat
den allgemeineren Gebrauch des Kalorimeters und seine Anwendung
sowohl auf physiologische wie auf klinische Probleme möglich ge-
macht. Die aus den Laboratorien von Prof. F. G. Benedict und
Prof. Graham Lusk hervorgegangenen Arbeiten sind wesentlich
beteiligt an dem schnellen Fortschritte unseres Wissens vom Grund-
stoffwechsel, und durch sie ist auch unser Wissen über den Grund-
stoffwechsel beim Säuglinge und Kinde so befestigt worden, daß
das Thema jetzt auf gesunder Grundlage steht.
Durch die Bemühungen Benedicts und seiner Mitarbeiter wurde
eine Respirationskammer konstruiert, die es ermöglichte, sowohl
die Kohlensäurebildung wie auch die Menge des verbrauchten
Sauerstoffs zu messen. Der Apparat ist so konstruiert, daß man
indirekt sowohl für lange Perioden wie auch für kurze Zeiten von
einer halben Stunde oder weniger die Wärmeproduktion messen
kann. Nachfolgende Abbildung zeigt das Schema des Respirations-
apparates, der sehr ähnlich dem für ältere Kinder gebrauchten ist.
Vom heutigen Gesichtspunkt aus ist der Grundstoffwechsel der
Stoffwechsel eines Individuums mit normaler Körpertemperatur,
bei absoluter Muskelruhe und im nach-absorptiven Zustande. Bei
Säuglingen ist es nicht möglich, Momente völliger Ruhe bei völlig
leerem Magen zu erreichen. Da die durch die Verdauungsarbeit
hervorgerufene Wärme geringer ist als die durch Muskelanstrengung
1) Übersetzung von Frau Emmy Keller.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. KXVII. Band. 30
466 Talbot. Heft 5
beim unruhigen Kinde produzierte, so ist der Stoffwechsel beim
ruhigen Kinde nach der Nahrungsaufnahme, besonders wenn es
schläft, eher als Grundstoffwechsel anzusprechen als beim unruhigen
hungrigen Kinde. Die Bestimmung des Stoffwechsels fūr kurze
Perioden ist besonders wichtig bei Säuglingen und Kindern, bei
denen Zeiten absoluter Ruhe selten länger als zwei Stunden hinter-
einander dauern, außer bei Nacht während des Schlafes. Die Zahlen
für Grundstoffwechsel des Säuglings sind daher nicht den Messungen
während des ,,post-absorptiven‘‘ Zustandes, sondern durchschnittlich
Respirations Hamrver
CO, produziert
O> konsumiert
Ne
Oa
Sauerstoff
eıngefuhrt
Mohlendioxyd Wasser
absorbiert absorbiert
N? CO, are mE,
o, Verlust “A 0j Vertust 0, verlu
Kurve ı. Schematische Skizze des Respirationsapparates.
den Messungen während des Schlafes entnommen. Große Sorgfalt
ist von den amerikanischen Forschern darauf verwendet worden,
Grundperioden zu erreichen. Dies war nur mit einem Apparat
möglich, der gegebenen Falles auch kurze Perioden messen konnte.
Da in Europa hauptsächlich mit Apparaten gearbeitet worden ist,
die stundenlange Messungen erforderten, so ist es nicht verwunder-
lich, daß die Resultate oft von den in amerikanischen Laboratorien
gefundenen abweichen, bei denen genaue basale Bedingungen ge-
wahrt wurden.
Die Möglichkeit, daß die direkte Messung der abgegebenen Wärme
nicht mit der indirekten Messung der produzierten Wärme über-
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 467
einstimmen könnte, wurde von Howland zum Gegenstand der
Untersuchung gemacht. Er maß die Wärme direkt und indirekt
bei drei Kindern in einem besonders konstruierten Kalorimeter im
Laboratorium von Prof. Lusk der Russell Sage Foundation und
fand, daß die indirekt gemessene Wärme, ohne Vorhandensein von
Fieber und bei stabiler Körpertemperatur innerhalb 3%, der direkt
gemessenen Wärme war (I). Diese Feststellung bewies die Ge-
nauigkeit der Messungen der Wärmeproduktion mittels der in-
direkten Methode bei Kindern.
Einfluß der Muskeltätigkeit auf den Grundstoffwech-
sel. Der Einfluß der Muskeltätigkeit auf den Grundstoffwechsel ist
seit 1898 beobachtet worden, als Rubner und Heubner fest-
stellten, daß beim unruhigen Kinde mehr Wärme entwickelt werde
als beim ruhigen.
Howland hat im Jahre ıgız die Tatsache betont, daß der
„Einfluß aktiver Bewegung auf den Stoffwechsel, selbst auf den
des jungen Säuglings, sehr groß sei“. Er fand, daß für Vergleich
geeignete Bedingungen nur während des Schlafes erreichbar seien.
Wenn auch Schloßmann die Stärke der Muskeltätigkeit durch
Beobachtung zu schätzen suchte, so war es doch erst dann möglich,
eine genaue Messung der Muskeltätigkeit anzustellen, als Benedict
und Talbot (2) graphische Aufzeichnungen und häufige Zählungen
‘ der Pulsfrequenz machten.
Graphische Messungen der Muskeltätigkeit werden jetzt auf der
geschwärzten Trommel eines Kymographen aufgezeichnet. Das
Bett, auf dem das Individuum liegt, ist so eingerichtet, daß die
leichtesten Bewegungen des Patienten die Stellung des Bettes
ändern und diese Aktivität wird durch einen Porter-Pneumographen
oder einen ähnlichen Apparat auf einen Zeiger übertragen, der sie
auf die rotierende, geschwärzte Trommel des Kymographen auf-
zeichnet. Wenn das Bett sorgfältig auf das Gewicht des Individuums
eingestellt ist, so können leichte, durch die Atmung hervorgerufene
Bewegungen oft von der geschwärzten Trommel abgelesen werden.
Eine ruhige basale Periode wird durch eine ununterbrochene hori- |
zontale Linie angezeigt. Eine genaue Beschreibung dieser Methode
findet sich in der Veröffentlichung Nr. 201 der Carnegie Institution
von Washington.
Die Aufzeichnungen des Kymographen und die Aufzeichnungen
über die zur selben Zeit durch ein auf der Brust des Kindes an-
gebrachtes Stethoskop aufgenommene Pulsfrequenz ergeben sehr
sichere Berechnungen der Muskeltätigkeit. Die Muskeltätigkeit kann
30*
468 Talbot. Heft 5
auch mittels Tönen, die durch das Stethoskop dringen, festgestellt
werden und es wird so nach einiger Übung und unter der Kontrolle
durch die optische Prüfung möglich, subjektiv nachzuprüfen, was
mit dem Kinde vorgeht.
Es ist festgestellt worden, daß die Muskeltätigkeit den Grund-
stoffwechsel um 30 bis 40%, in 24 Stunden erhöht. Bei einem ver-
hältnismäßig ruhigen Kinde (E. S. (3) hat Verf. eine Gesamterhöhung
von nur 20% in 24 Stunden gefunden. Zwei sechsmonatige Säug-
linge zeigen jedoch oft eine Erhöhung von 70% über das Basale
hinaus. In einem Falle bestand eine Erhöhung von 211%, hervor-
gerufen durch Schreien.
Grundstoffwechsel des Neugeborenen. Benedict und
Talbot (4) sowie Bailey und Murlin (5) haben zu gleicher Zeit und
unabhängig voneinander Studien über den Grundstoffwechsel bei
einer großen Anzahl von Neugeborenen gemacht. Ihre Resultate
stimmen überein. Diese Untersuchungen bestätigten die weiter
zurückliegenden Arbeiten von Hasselbach (6), die 8 Neugeborene
umfassen, und zeigten, daß die gesamte Wärmebildung in 24 Stunden
bei sehr jungen Säuglingen nieder war und proportionell zu dem
Alter des Säuglings anstieg. Hierzu Kurve 2 (4).
Ein großer Teil der Kinder hielt sich in den Schwankungen von
10%, die durch die helleren Linien an jeder Seite der dunkleren
Linie bezeichnet sind, und die den durchschnittlichen Stoffwechsel,
d. h. 42 Kalorien per Kilogramm Körpergewicht in 24 Stunden
darstellen.
Die basale Wärmeproduktion pro Quadratmeter Körperoberfläche
in 24 Stunden (Lissauer) zeigte Schwankungen von 459 bis 732
Kalorien und einen Durchschnitt von 612 Kalorien. Benedict
und Talbot (4) fanden, daß folgende Formel in engen Grenzen den
Stoffwechsel Neugeborener nach den ersten I!/, Lebenstagen vor-
ausbestimme:
Gesamt-Kalorien = L. X 12.65 X 10.3 | wt,
L = Länge
12,65 = Konstante
10.3 y wt, = Lissauers Formel der Körperoberfläche.
Wenn man die vorausbestimmte Warmeproduktion mit der
tatsächlichen Messung des Stoffwechsels verglich, so stellte sich
heraus, daß der Grundstoffwechsel innerhalb 6% des gemessenen
Stoffwechsels vorausbestimmt werden kann.
Körpergew. Kg.
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 469
Respiratorischer Quotient während der ersten Lebens-
woche. Während der ersten drei Lebenstage erhält der normale
Neugeborene wenig oder keine Nahrung. Dann beginnt die Mutter-
milch ‚‚einzuschießen‘, und die Nahrungsmenge nimmt zu, bis der
"90 10 HỌ 120 130 10 150 160 ı70 180 190 _ 200
Kalorıen ın 24 Stunden
e Benedict ETaibot x Bailey & Muriin 4 Hasseibalch
Kurve 2. Mindestwärmebildung beim Neugeborenen in 24 Stunden im Verhältnis
zum Körpergewicht.
Körperbedarf gedeckt ist. Die ersten drei Tage sind daher Bei-
spiele für teilweises oder vollständiges Fasten. Das Studium des
respiratorischen Quotienten des Kindes während der ersten Lebens-
woche nach der Geburt zeigt bei Säuglingen den Einfluß des An-
fangsfastens auf den respiratorischen Quotienten und ermöglicht
470 Talbot. Heft 5
es im allgemeinen, die Nahrungsbestandteile zu bestimmen, die
die Quelle dieser Energie sind. Dies zeigt die folgende Tabelle (4):
Tabelle I.
Respiratorischer Quotient der ersten 8 Lebenstage.
vag] eTu =
3,32| 3,34 | 3,43 | ,51| 3,54 | 3,82
0,73 | 0,75 | 0,79 | 0,82 | 0,81 | 0,80
Durchschnitt bei 105 Säuglingen 8. Tag
Körpergewicht kg .. .
Respiratorischer Quotient .
3,48} 3,
0,80! o,
41
74
Diese Tabelle zeigt, daß der respiratorische Quotient von der
Geburt an schnell abfällt, bis er 0,73 am dritten Tage erreicht und
so anzeigt, daß der Glykogenvorrat im Körper schnell aufgebraucht
wird, sowie daß ein großer Teil der Energie durch Körperfett auf-
gebracht werden muß. Klinisch geht der große Gewichtssturz,
wenn man vom mechanischen Anfangsverlust durch die Ausschei-
dung des Mekoniums und des Urins absieht, hauptsächlich auf
Kosten des Körperfetts. Wenn reichlich Milch vorhanden ist, so
wird der Verlust schnell ausgeglichen und erfolgt eine schnelle
Gewichtszunahme. Dann steigt der respiratorische Quotient und
nähert sich dem durchschnittlichen des älteren Säuglings.
Frühgeborene. Neuerdings sind Untersuchungen über den
Grundstoffwechsel beim Frühgeborenen von Talbot (7) und seinen
Mitarbeitern, sowie von M urlin (8) unabhängig voneinander gemacht
worden. Da Murlins Befunde als vorläufige Mitteilung veröffent-
licht worden sind, kann man nicht darüber diskutieren, jedoch
sind sie im allgemeinen denen des Verfassers konform. Es wurde
festgestellt, daß beim Frühgeborenen und beim Neugeborenen ein
Verhältnis zwischen der Gesamtwärmeproduktion und dem Körper-
gewicht besteht; je kleiner das Kind, um so niedriger die Gesamt-
wärmeproduktion. Ein Vergleich zwischen dem Stoffwechsel des
Frühgeborenen und des normalen Säuglings läßt es möglich er-
scheinen, daß der Grundstoffwechsel des Frühgeborenen auf die
Wärmeproduktion des Foetus bei einem gegebenen Gewicht Schlüsse
ziehen läßt. Der Stoffwechsel des Frühgeborenen ist wahrschein-
lich höher als der des Foetus vom selben Gewichte infolge der größeren
Inanspruchnahme durch das extrauterine Leben. Der Stoffwechsel
des Frühgeborenen ist sehr gering im Vergleich mit dem des nor-
malen Säuglings. Dies wird besonders deutlich, wenn die Wärme-
produktion auf die Körperoberflächen-Einheit berechnet wird. In
einigen Fällen betrug sie kurz nach der Geburt weniger als 400
Kalorien per Quadratmeter Körperoberfläche. Diese Resultate
Grundstoffwechsel im Kindesalter.
Heft 5
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472 Talbot. Heft 5
stimmen im allgemeinen mit den weiter zurückliegenden von Hassel-
bach überein, sie sind jedoch nicht vereinbar mit denen von Rubner
und Langstein, deren Methoden es unmöglich machten, streng
basale Perioden zu erreichen.
Da die Körperoberfläche proportionell um so größer ist, je
kleiner der Säugling ist, so müßte man bei kleinen Säuglingen einen
höheren Stoffwechsel per: Oberflächeneinheit erwarten. Beim Messen
Fall 6. a W.( weiblih)
Gewicht
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hol | |} Grundstoffwedsel
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cae Q W m
Kurve 4. Grundstoffwechsel eines Frühgeborenen im Verhältnis
zur Kalorieneinnahme und zum Körpergewicht.
des Grundstoffwechsels stellte sich diese Annahme jedoch nicht als
richtig heraus. Es fand sich, daß je kleiner das Kind, um so nied-
riger die Wärmebildung sowohl beim Frühgeborenen wie auch beim
normalen Säugling. Dieser Befund zeugt eindeutig gegen Rubners
Oberflächengesetz.
Das Verhältnis der Wärmeproduktion per Quadratmeter Körper-
oberfläche beim Frühgeborenen zu der Wärmeproduktion beim älteren
normalen Säugling geht aus der Kurve 3 hervor (7).
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 473
- Vorstehende Abbildung 4 ist ein charakteristisches Beispiel fiir
das Verhältnis des Grundstoffwechsels zu der Kalorieneinnahme und
der Gewichtskurve eines Frühgeborenen (7).
Dieser Fall ist für alle anderen Versuche, die gemacht wurden,
charakteristisch und zeigt einen großen Überschuß der aufgenomme-
nen Nahrung über den Bedarf des Grundstoffwechsels hinaus. Er
zeigt zugleich die mit dem steigenden Gewicht und zunehmenden
Alter erhöhte Wärmeproduktion.
Grundstoffwechsel normaler Säuglinge und älterer
Kinder. Untersuchungen über den Grundstoffwechsel normaler
Säuglinge und Kinder sind angestellt worden von Murlin und
Hoobler (9), Benedict und Talbot (Io), Du Bois (11), und
Benedict und Hendry (12). Das charakteristische Merkmal bei
diesen Befunden war der starke Einfluß des Wachstums auf den
Grundstoffwechsel. Besonders deutlich trat dies im ersten Lebens-
jahre, der Zeit des verhältnismäßig stärksten Wachstums hervor.
Zur Feststellung der Veränderungen des Grundstoffwechsels
durch zunehmendes Alter und ‚Gewicht wurden zwei Methoden
angewendet. Erst wurde der Stoffwechsel beim selben Individuum
bei verschiedenem Alter und Gewicht festgestellt und dann wurden
Untersuchungen über den Stoffwechsel bei einer großen Anzahl
von Kindern verschiedenen Alters, Gewichtes und Geschlechtes
gemacht und miteinander verglichen. Zwei Beispiele der ersten
Methode sind aus nachfolgender Kurve 5 ersichtlich (10). Bei einer
Anzahl der Fälle war es möglich den Grundstoffwechsel lange Zeit
hindurch zu beobachten.
Der Ausfall der Stoffwechseluntersuchungen bei diesen beiden
Individuen wurde durch die Untersuchung zahlreicher anderer
Fälle verschiedener Altersstufen bestätigt und erweitert. Es bestand.
ein normal ansteigendes Körpergewicht bei allen normalen Kindern
und eine ziemlich nahe Parallele der Gesamtkalorien mit der Körper-
gewichtskurve, d. h. eine Zunahme der Gesamtkalorien bei Zunahme
des Körpergewichts. Jeder der Säuglinge und Kinder wurde in
gewohnter Weise untersucht und hatte im Verhältnis zum Längen-
maß und Alter normales Gewicht. Vergleicht man die Resultate
der verschiedenen Untersuchungen und Arbeiten, so stellt sich
heraus, daß sie im großen und ganzen für die ersten. Lebensjahre
übereinstimmen, aber beim älteren Kinde sind große Unterschiede
vorhanden. Da die experimentelle Technik der verschiedenen
Autoren eine genaue war, so müssen die bei älteren Kindern beob-
achteten Verschiedenheiten im Material selbst und in den äußeren
474 Talbot. Heft 5
Umständen, unter welchen die Untersuchungen ausgeführt wurden,
liegen, und können wohl nicht Fehlern in der Technik bei der Messung
der Wärmeproduktion zur Last gelegt werden.
Kal No.17 1-
&
ioe
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Tanzen
ig
im At
j
| NH. #
‚(Al || | [go
J A TE
Kurve 5. Grundstoffwechsel in verschiedenem Alter bei den Fallen 171 und 1 39.
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 475
EinfluB des Alters auf den Stoffwechsel. Es ist festgestellt
worden, daB die Gesamtwarmeproduktion in 24 Stunden mit zu-
nehmendem Alter ansteigt. Diese Tatsache wird durch die nach-
folgenden Kurven (10) 6 und 7 vorziiglich dargetan, auf welchen die
Fälle von Benedict und Talbot, Du Bois und Mitarbeiter (11)
und (13) sowie Murlin und Hoobler (9) illustriert sind. Auf
Kal. Total Kal. ı.Bez. auf das Alter Knaben
e Benedict and Talbot + Du Bois
å Murlin and Hoobler
Kurve 6.
Kurve 7 ist die Kurve fiir die Madchen-Riege von Benedict und
Hendry durch die Punkt-Strich-Linie angegeben (12).
Die dunkle Linie gibt den Stoffwechselverlauf an, stellt aber
keinen mathematischen Durchschnitt dar. Während des ersten
Lebensjahres besteht eine schnelle Zunahme der Wärmeproduktion,
später ist die Zunahme langsamer und abgestufter.
Einfluß des Körpergewichts auf den Gesamtstoff-
wechsel. Eine ähnliche Tendenz der Kurve beobachten wir, wenn
476 Talbot. : Heft 5
die Gesamtkalorien fiir 24 Stunden mit dem Körpergewicht ver-
glichen werden (10), Kurven 8 und 9.
Die Befunde zeigen ein regelmäßiges Ansteigen der Wärmebildung
bei ansteigendem Körpergewicht. Die von Benedict und Talbot
aufgestellte Theorie, daß die Wärmeproduktion von den aktiver
Protoplasmageweben im Körper abhängt, stimmt mit diesen
Kal. Total Kal. i. Bez. auf das Alter Madchen
A Murlin & ane
-— Benedict & Hendry
e Benedict & Talbot
Kurve 7.
Kurven tiberein. Die aus den vorstehenden Kurven hervorgehenden
Veränderungen des Stoffwechsels bei Veränderungen des Altes
sind nicht das alleinige Produkt dieser Altersveränderungen, sondern
beruhen auf der Tatsache, daß mit dem Alter zugleich sich auch das
Gewicht ändert.
Das Verhältnis zwischen der Wärmeproduktion und dem Körper-
gewicht war bei Knaben so übereinstimmend, daß es möglich war.
sn A = oa
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 477
eine Formel zu finden, auf Grund deren man den Gesamtgrund-
stoffwechsel der Knaben über einem Jahre vorausberechnen kann,
wenn das Körpergewicht bekannt ist. Es ist die folgende Formel (14).
H = 66,4730 + 13,7516 w + 5,0033 s — 6,7550 a.
H = Gesamtwärmeproduktion in 24 Stunden.
W = Gewicht in Kilogramm.
S = Länge in Zentimetern.
A = Alter.
Kal Toral nal. i. Bez. auf das Gewior - Knaben
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eal!
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X
d
eka
K
‘a
i)
L
a Eintritt der Puberiät.
Kurve 8.
Mit Hilfe dieser Formel konnten Benedict und Talbot bei den
männlichen Versuchskindern innerhalb von + 6,3% des aktuellen
gemessenen Grundstoffwechsels die Vorausbestimmungen machen.
Diese Formel ist aber unter einem Lebensjahre nicht mit Sicherheit
anzuwenden und ist auch bei Mädchen nicht von gleicher Zuver-
lässigkeit.
Der Stoffwechsel der Mädchen jedes Lebensalters bewegt sich in
weiteren Grenzen als der der Knaben. Die am meisten einleuchtende
478 Talbot. Heft 5
Erklärung hierfür ist, daß die Fettmenge bei Madchen verschie-
dener ist.
Kalorien per Kilogramm Körpergewicht in Bezug auf
das Alter. Schon lange hat man festgestellt, daß die Wärmepro-
duktion per Kilogramm Körpergewicht in Bezug auf das Alter bei
mageren Individuen größer ist, als bei fetten. Der Gesamtstoff-
Kal. Tota! Kal. i. Bez. auf das Gewicht Madchen
1500 red
Pt tt | | "
AA
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CECE
COCA RE
CCEA
IN
MIET EZEREERSEN
raid Io hehe Bi EN
= Eintritt der Puberrär
Kurve 9.
wechsel per Kilogramm Körpergewicht in Bezug auf das Alter ist in
folgenden Kurven IO und II zusammengestellt. l
Betrachtet man Kurve Io und II, so zeigt sich eine Zunahme
der Wärmeproduktion per Einheit des Körpergewichts bis zum
Ende des ersten Lebensjahres, worauf die Kurve mit einer gewissen
Regelmäßigkeit wieder absteigt. Während des dritten Jahres ist
ein plötzliches Absinken in der Kurve bemerkbar, das besonders
in Kurve ıı (Mädchen) hervortritt und wahrscheinlich damit
zusammenhängt, daß nach dem zweiten Lebensjahre der Stoff-
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 479
wechselversuch beim Fasten vorgenommen werden konnte und die
stimulierende Wirkung der Nahrungsaufnahme wegfiel, während
vorher die Säuglinge kurz vor der Überführung in die Respirations-
kammer gefüttert wurden.
Die weite Entfernung und Verstreuung der Punkte in den Kurven
erklärt sich durch den verhältnismäßig geringen Stoffwechsel der
Kal. proKg.i.Bezug auf das Alter Knaben
ae EB
7
7
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ala SE Er
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e Benedict & a u. Bois
AMurlin & Hoobler
Kurve 1o.
EL le hem an
bodes eed
Q
7
N
&
fetten Säuglinge, die durchschnittlich unterhalb der glatten Linie
ihren Platz haben und durch den verhältnismäßig starken Stoff-
wechsel der mageren Säuglinge, die durchschnittlich über derselben
liegen.
Kalorien pro Quadratmeter Körperoberfläche. Die Mes-
sung der Wärmeproduktion pro Einheit der Körperoberfläche wurde
zuerst von französischen Autoren im Jahre 1839 vorgenommen.
480 Talbot. Heft 5
Die erste amerikanische Arbeit war die von Howland ıgrı.
Durch eine Kombination der Formeln von Meeh und Lissauer
errechnete er folgende Formel:
y=mx-+b (y = Oberfläche; x = Gewicht in g; m = 0,483;
b = 730 qcm).
ia
Fr
EEE -
3
jt 2 2 3 n B
» a s a
e= Benedict & Hendry
Kurve Itr.
Du Bois und Du Bois (15) veröffentlichten später die Resultate
ihrer Beobachtungen und verwendeten das Höhengewicht und die
Linearformel von den tatsächlichen Körpermaßen. Die Höhen-
gewichtsformel von Du Bois ist folgende:
A = WS x H75 x 71,84
A = Oberflache in Quadratzentimetern; W = Gewicht in Kilo-
gramm; H = Lange in Zentimetern; 71,84 = Konstante.
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 481
Benedict und Talbot (ro) fanden, daß die Körperoberflächen-
messungen nach der Lissauer- und Linearformel für die Säuglings-
zeit ziemlich genau sind, daß sie aber mit fortschreitendem Alter
eine steigende Divergenz zeigen. Sie schlugen daher vor, die Kon-
stanten für die verschiedenen Altersstufen und Geschlechter ver-
schieden zu berechnen, wie folgt.
ral. Kal. proO m.i Be2. auf das Alter Knaben
= ESRT
wool_| | | | | | | ff
yy
|
ee
aber
Pt ey | SSSA
ed gene
AEA E
E EEA
A E
nme
ae
es
Ka
ge
a ae sci a pea deeded
Jh.!' 2 3 4 8 6 7 8 9O O0 th 2 NB 4 5
e Benedict & Talbot + Du Bois
4M Murlin & Hoobler
Kurve 12.
Tabelle 2. Konstanten zur Berechnung der Körper-
3
oberflache (KYW). (Benedict und Talbot.)
Knaben
Madchen
Körpergewicht (ohne Bekleidung) | Konstante
Körpergewicht (ohne Bekleidung) | Konstante
Bis u6ckg ....n 10,0 Bis zu 6 kg .... . 10,1
6 bis 15 kg .... . 10,6 6 bis rokg .... . 10,6
15 bis 25 kg .... . 11,2 15 bis 25 kg . ... . 10,8
25 bis 40 kg .... . 11,5 25 bis 40 kg . ... i ILI
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 31
482 Talbot. - Heft 5
Die in Tabelle 2 angegebenen Konstanten stimmen im großen
und ganzen gut bei normalen Kindern, aber sie können nicht mit
gleicher Genauigkeit bei abnormen Individuen angewendet werden.
Verfasser nimmt die für die Du Boissche Linearformel notwendi-
gen Messungen in allen abnormen Fällen vor. Auf diese Weise
Kal. Kai. pro O m. |. Bez. auf das Alrer mädchen
1500
1400
pp
>
BAT
|
LLLE
A
A A A
ATETA eS
Pt tt tt
SRE HUES
ASSISI PU
.— Benedict & Hendry
e Benedict & Talbot
Kurve 13.
kommt man zu einer größeren Genauigkeit als bei Anwendung einer
Formel.
Dreyer (16) vertritt die Ansicht, daß die Oberfläche kein physio-
logisches Maß darstelle, und sieht die Sitzhöhe als physiologisch
normaler an.
In den Kurven I2 und 13 sind die Befunde über den Stoff-
wechsel von Kindern per Quadratmeter Körperoberfläche aus-
gedrückt (Benedict u. Talbot: Modification of Lissauero formula).
Heft 5
Grundstoffwechsel im Kindesalter.
483
Diese Kurven zeigen, daB die Warmeproduktion per Quadrat-
meter während der ersten achtzehn Lebensmonate schnell an-
steigt und dann langsam abnimmt.
Einfluß des Geschlechts auf
den Grundstoffwechsel. Die
Verschiedenheit der beiden Ge-
schlechter in bezug auf die Be-
schaffenheit und die Entwicklung
führte zu der Zusammenstellung
einer Kurve des Stoffwechsels von
Kindern nach dem Gewicht und
eines Vergleichs der beiden Ge-
schlechter auf dieser Basis (10). Dies
bringt nebenstehende Kurve.
Ein Studium der Kurven zeigt
eine deutliche Differenz zwischen
dem Stoffwechsel der Knaben und
der Mädchen über ıı kg Körper-
gewicht. Verfasser glaubt eine ein-
leuchtende Erklärung dieser Diver-
genz in dem Umstande gefunden zu
haben, daß die weiblichen Kinder
weniger „aktives Gewebe“ als die
männlichen Kinder, aber mehr Fett-
gewebe haben.
Bei Durchsicht der pathologischen
Fälle erscheint der Unterschied im
Stoffwechsel beider Geschlechter
groß genug, um den Gebrauch einer
verschiedenen Norm für jedes Ge-
schlecht nach dem ersten Lebens-
jahre gerechtfertigt erscheinen zu
lassen.
Einfluß der Pubertät auf
den Stoffwechsel. Die erste gut
aufgebaute Arbeit über den Ein-
fluß der Pubertät auf den Stoff-
wechsel wurde 1916 von Du Bois
(11) geschrieben. Seine Beobach-
tungen bei Knaben-Riegen zeigten
eine Zunahme des Stoffwechsels
Mäddıen u. Frauen
Knaben u. Manner
Kal.proQ m.i. Bez. auf das Gewicht.
pia | tt tT tT | | TT tT
wo N T-I)
fT} i] ttt} Tee tT tT dE dE ET tT tt
se e OA] n (J 5
4 18 22 26
10
2ko. 6
TRE ETT eee
w A l =
ZEEE
oT a a
Ww
=
Kurve 14.
484 = Talbot. Heft 5
gerade vor dem Eintritt der Pubertät. Du Bois schloß, daß es
besser sei, diese Zunahme irgendeinem unbekannten mit dem
Wachstum zusammenhängenden Stimulus zuzuschreiben, aber er
schließt die Möglichkeit nicht aus, daß sie eventuell theoretisch
durch eine Zunahme der Schilddrüsentätigkeit erklärt werden könne.
Nach dem Auftreten der physischen Pubertätsmerkmale fand er
einen verringerten Stoffwechsel.
Benedicts Beobachtungen an Mädchenriegen zeigten bei der
Pubertät keine Abnahme des Gruppen-Stoffwechsels (group meta-
bolism) (12).
Verfassers Beobachtungen an einer Anzahl von Kindern mit
einer Vergrößerung der Thyreoidea zeigten während der Pubertät
eine deutliche Neigung zur Steigerung des Stoffwechsels. Wenn
auch bis jetzt ein ausreichendes Material nicht vorhanden ist, um
auf breiter Grundlage ruhende Schlüsse zu erlauben, so erscheint
es doch wahrscheinlich, daß ein erhöhter Stoffwechsel bei der Pu-
bertät eine Über-Aktivität der Schilddrüse anzeigt. Weitere noch nicht
veröffentlichte Forschungen des Verfassers unterstützen diese Ansicht.
Einfluß der Ernährung auf den Stoffwechsel. How-
land (I) verursachte ein Ansteigen des Stoffwechsels um 10%
bei einem drei Monate alten Säugling, indem er 15 g Nutrose
(14,25% N) beigab, und ein Ansteigen von 26%, bei einem sieben
Monate alten Säugling durch Beigabe von 30 g Nutrose.
Murlin und Hoobler (g) schlossen nach einer kritischen Durch-
arbeitung der Frage, daß wahrscheinlich die „dynamische Wirkung“
der Ernährungsweise bei den verschiedenen Individuen nicht weiter
als ro bis 12%, schwankt.
Benedict unf Talbot (ro) machten Versuche, um die Wirkung
der „stimulierenden Aktion der Nahrung“ auf den Stoffwechsel
von Säuglingen festzustellen. Es wurde gefunden, daß, wie schon
Schloßmann und Murschhauser angedeutet haben, Azid-
körper im Urin nach wenigen Stunden des Hungerns auftraten.
Dadurch war es unmöglich, mit derselben Exaktheit wie beim Er-
wachsenen die Zeitdauer festzustellen, in der die Nahrung den
Stoffwechsel beeinflußte.
Bei Säuglingen und sehr jungen Kindern ist es schwer, ruhige
basale Perioden im ‚post-absorptiven‘‘ Zustande zu erreichen, da
der Nahrungsmangel Unruhe und Schreien hervorruft. Man nimmt
jedoch an, daß die Zufuhr kleiner Nahrungsmengen, die gerade
genügen, um Muskelruhe zu erzeugen, nur eine kleine, wenn über-
haupt eine Zunahme des Stoffwechsels hervorrufen.
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 485
Benedict und Talbot (Io) schlossen aus ihren Fällen, daß die
„stimulierende Wirkung‘ der Nahrungsaufnahme auf den Stoff-
wechsel direkt durch die Menge der aufgenommenen Nahrung
beeinflußt wird. Nach Aufnahme einer geringen Quantität von
Milch beginnt wahrscheinlich der Grundstoffwechsel nach 41/,
Stunden, während nach Aufnahme größerer Quantitäten die „sti-
mulierende Wirkung‘ unter Umständen erst nach g bis 10 Stunden
eintritt. Auch ging aus ihren Fällen hervor, daß die „stimu-
lierende Wirkung“ der Nahrung den Stoffwechsel beim Säugling
rund von 8 auf 15% über den wirklichen Grundstoffwechsel
erhöht. Dies kommt den für Erwachsene berechneten Zahlen
sehr nahe.
Bei Neugeborenen zeigte ein Vergleich des Stoffwechsels während
der ersten 24 Stunden, der den Hunger-Stoffwechsel darstellt, mit
dem Durchschnittsstoffwechsel des dritten bis achten Tages (in-
klusive), nachdem die Brust in Tätigkeit getreten war, eine Er-
höhung um 14% nach der Nahrungsaufnahme. Wenn man auch das
Wachstum ebenfalls während dieser Zeit in Rechnung zu stellen
hat, so hat es doch wahrscheinlich eine außerordentlich geringe
Wirkung auf den Stoffwechsel.
Die auf der „stimulierenden Wirkung‘ der Nahrung beruhende
Zunahme des Stoffwechsels beim Neugeborenen beträgt ungefähr
14%, während sie im späteren Säuglings- und im Kindesalter in
weiteren Grenzen von 8 bis 15%, schwankt. Die auf der stimulie-
renden Wirkung der Nahrung beruhende Zunahme des Stoff-
wechsels wird auch von der Menge und Qualität der aufgenommenen
Nahrung beeinflußt. Wenn es auch schwer ist, zu bestimmen, wann
der Einfluß der aufgenommenen Nahrung aufhört, so nimmt man
doch im allgemeinen an, daß der „post-absorptive‘“ Zustand
etwa zehn bis zwölf Stunden nach einer Normal-Mahlzeit be-
ginnt. Azeton erscheint im Harn wahrscheinlich erst einige Stunden
später.
Stoffwechsel in 24 Stunden. Talbot (17) untersuchte den
Stoffwechsel in 24 Stunden bei zwei normalen Säuglingen und
erreichte viele basale sowie Tätigkeits-Perioden. Die Beobachtungen
wurden ohne Unterbrechung durchgeführt bis auf die zur Fütterung
notwendigen Unterbrechungen. In einem Falle wurde der Stoff-
wechsel während 22 Stunden und 31 Minuten gemessen und im
anderen während 23 Stunden und ıo Minuten innerhalb der 24
Stunden. Die Resultate der Stoffwechseluntersuchungen bei diesen
2 Fällen zeigt folgende Tabelle:
486 Talbot. Heft 5
Tabelle 3. 24-Stunden-Stoffwechsel beim normalen
Saugling.
I---
| Gesamt-
Ä 25 Gesamt- | ne
Kalorien , Zunahme Kalorien | Zunahme
Grundstoffwechsel ....... | 285 338
24-Stunden-Stoffwechsel . . . . | 372 30 404 20
Maximum-Stoffwechsel für eine |
Periode von 1/, Stunde. . . . | 428 50 487 43
Diese Tabelle ist darum interessant, weil sie die Warmebildung
sowohl während der Tätigkeit wie auch während der absoluten Ruhe
zeigt und ein ziemlich genaues Bild der Veränderungen im Stoff-
wechsel während eines Tages von 24 Stunden gibt. Bis jetzt ist noch
keine Methode ausfindig gemacht worden, die es erlauben würde.
den ununterbrochenen Stoffwechsel zu bestimmen oder die Energie
zu messen, die beim Saugen aus der Flasche verausgabt wird.
Grundstoffwechsel anormaler und pathologischer Kin-
der. Wenn auch einzelne Arbeiten über den Grundstoffwechsel
pathologischer Fälle in der Literatur aufgetaucht sind, bevor die
oben angeführten Normalzahlen zur Verfügung standen, so war
trotzdem eine Deutung dieser Fälle nicht möglich, da keine normalen
Tabellen zum Vergleiche verfügbar waren. Es ist schon betont
worden, daß vorstehende Normalkurven keinen mathematischen
Durchschnitt darstellen, sondern daß sie nur die Tendenz des Stoff-
wechsels zeigen. Eine sorgfältige Analyse der einzelnen Fälle (18)
zeigte, daß 90%, von ihnen nicht mehr als 10% vom Durchschnitt
abwichen. Die klinische Analyse hat auch gezeigt, daß, wenn das
Verhältnis von Höhe zu Alter, von Gewicht zu Alter und von Ge
wicht zur Höhe in Betracht gezogen wurde, eine sogar größere
Proportion der Individuen sich innerhalb der 10%-Abweichung
von der Norm befinden. Die Beobachtungen über den Stoffwechsel
normaler Kinder sind also zahlreich genug, um sie als Vergleichs
Normen für die anormalen Fälle zu gebrauchen.
Ernährungsstörungen. Benedict und Talbot haben ın
einer älteren Publikation (2) Untersuchungen über den Stoffwechsel
zahlreicher Fälle von Ernährungsstörungen der Säuglinge ver-
öffentlicht. Aber umfassende Studien über Ernährungsstörungen,
als klinische Einheit betrachtet, wurden nicht gemacht, bevor
Fleming (19) eine Anzahl seiner Fälle und zum Schluß Talbot (2o)
eine weitere Serie veröffentlichte. Auch Murlin und Hoobler (o)
sowie Howland (1) haben ihre Fälle publiziert. Ernährungsstörungen
Heft 5 Grundstoffwechsel jm Kindesalter. 487
bei alteren Kindern sind von Blunt, Nelson und Oleson (21)
untersucht worden. |
Während des Säuglings- und Kindesalters zeigt das Problem zwar
verschiedene Seiten, doch sind die Resultate der Untersuchungen
über den Grundstoffwechsel beider Perioden im allgemeinen die-
selben. Es wurde festgestellt, daß je weiter unter dem Normal-
gewicht das Individuum, um $ 5
so höher der Stoffwechsel per Ernährungsstörung
kg Körpergewicht war. Dies Hal. pro Kg. des aktuellen Gewidtts
zeigt nebenstehende Kurve,
die den Stoffwechsel von
Kindern unter dem normalen
Gewicht darstellt, wie er von
verschiedenen Autoren be-
obachtet wurde.
Bei nebenstehender Kurve
zeigt die gestrichelte Fläche
die äußerste normale Schwan-
kung des Stoffwechsels pro kg
Körpergewicht bei beiden Ge- =: ne
schlechtern und verschiedenen YH) 77 OORE
schnittsgewicht des normalen
Kindes dar. Je weiter die POS SHE das erwörter: gewdiis
Punkte nach links fallen, um n r
so mehr ist das Individuum
unter dem normalen Gewicht. ;
Diese Abbildung zeigt ab- Fleming
schließend, daß, je tiefer das Murlin & Hoobler.
Kind unter dem normalen Ge- Kurve 15.
wicht steht, um so höher die
Wärmeproduktion. Eine deutliche Zunahme des Stoffwechsels zeigt
sich erst, wenn der Säugling 20% oder mehr als 20% unterhalb des
„erwarteten“ oder Durchschnittsgewichts seines Alters sich befindet.
Der Stoffwechsel dieser Säuglinge ist anscheinend hoch in bezug auf
die Körperoberflächeneinheit und die Gesamtkalorien in bezug auf
das Gewicht. Dies wird in den Kurven 16 und 17 gezeigt.
Da das Element des Gewichts zu diesen Kurven gehört, so zeigen
sie, daß bei Kindern mit Ernährungsstörungen eine größere Pro-
portion des Körpergewebes Wärme bildet als beim normalen Kinde.
Talbot (new Bari
Benedict & Talbot.
0D @o o
488 Talbot. Heft 5
Angenommen, daB das Fett ein inaktives Gewebe ist und keine
_ Warmebildung verursacht, so kann man schlieBen, daB der Verlust
an Körperfett für die relativ hohe Wärmeproduktion der Kinder
mit Ernährungsstörungen verantwortlich zu machen ist. Es besteht
jedoch eine geringere Gesamt-Wärmeproduktion als beim normalen
Kinde desselben Alters. Die Kurve 18 zeigt dies.
Ernährungssrörung
Total Kal. i. Bez. auf das Gewicht
nal.
seo
EZ
EVA
|
f a
2 Kgs.
TEEN
8 10 12 a
Kurve 16.
Diese Untersuchungen sind gemacht worden, um zu zeigen, dad
sowohl ein Verlust von Muskelgewebe wie ein Verlust an Fett statt-
findet, wenn die Ernährungsstörung einen hohen Grad erreicht hat.
Ernährungssiörungen bei älteren Kindern (Mädchen) lassen sich
in ihrem Einfluß auf den Stoffwechsel mittels der Folgerungen nach
Blunt und Mitarbeitern (21) dahin zusammenfassen, daß der Grund-
stoffwechsel der Kinder mit Untergewicht die Tendenz zeigt, höher
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 489
zu sein als der der normalen Kinder., in manchen Fällen plus 40%.
Der Durchschnitts-Prozentsatz des Überschusses über die Normal-
zahlen von Benedict und Talbot hinaus war 24 für die Kalorien
pro Quadratmeter Körperoberfläche. Dieser Überschuß würde
sogar noch größer gewesen sein, wenn der Stoffwechsel mit dem
neuerdings von Benedict veröffentlichten für Mädchen-Riegen
verglichen worden wäre (12).
Ernährungsstörung
Kal.pro Dm. i. Bez. avf das Alter
A E IE
CEA ES
N e
HHT
F
i
ee
ie
CEPR EE
\ N
IT IT
Kurve 17.
Klinischer Wert des Grundstoffwechsels. Untersuchungen
über den Grundstoffwechsel des Säuglings und Kindes sind in zwei
Beziehungen von Wert. Erstens, weil sie dem Forscher genaue
Daten an die Hand geben, durch die er viele von den Problemen
in der Physiologie des Kindesalters erklären kann, zweitens als Hilre
bei der Diagnose und Behandlung pathologischer Fälle.
Um ein klares Bild davon zu bekommen, was bei pathologischen
Fällen vorgeht, muß man sich erst über die Ausnützung der Nah-
rung beim normalen Säugling klar sein. Dies zeigt Kurve 19.
Die Linie für Grundstoffwechsel, die die Anzahl von Kalorien
anzeigt, die unter basalen Umständen in verschiedenen Monaten
490 Talbot. Heft 5
verbraucht werden, zeigt eine Steigung von ungefahr 14 Prozent
über den post-absorptiven Grundstoffwechsel infolge der ‚spezifisch
dynamischen Wirkung“ der Nahrung. Dies drückt sich in der
unteren starken Linienkurve aus.
Die nun nach oben folgende kleinstrichige Linie zeigt die hin-
zugesetzten Kalorien, die gebraucht werden, um die Energie für
mäßige Muskeltätigkeit zu erzeugen; die Menge des tür die Tätigkeit
zu Berechnenden hängt von dem Charakter und der Entwicklung
Ernährungsstörung
Kal. Total Kal. i. Bez. auf das Alter
Mon. ı 2 3 4 2 6 7 8 9 IO l 2 3 14
Kurve 18.
des Kindes ab. Bei ruhigen Kindern beträgt es etwa 20%, bei leb-
haften Kindern manchmal bis zu 40% in 24 Stunden.
Da etwa 5—10% der per os eingeführten Nahrung, die durch
die breite Linie angedeutet ist, durch Excreta verlorengeht, so kann
man diese Menge von der Gesamt-Nahrungseinfuhr abziehen, um
so die Zahl der als Energie im Körper benutzbaren Kalorien zu be-
rechnen. Die „zur Verfügung stehenden Kalorien“ sind in der Strich-
linie ausgedrückt; der Raum zwischen den Punkt- und Strichlinien
stellt die Kalorien vor, die neue Körpergewebe bilden.
Bei dem wachsenden und sich immer weiter ausdehnenden Inter-
esse, dem die Grundstoffwechsel-Bestimmungen begegnen und dem
größeren Einfluß, den sie als Mittel zur Diagnose und Maßstab für
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 49I
die Behandlung gewinnen, ist es aber nötig, vor zu schnellen Schlüssen
und falscher Interpretation der Resultate zu warnen. In der Inter-
pretation der Grundstoffwechsel-Zahlen entstehen viele Schwierig-
keiten. Diese Schwierigkeiten sind bei der Deutung im Kindesalter
weit größer als beim Erwachsenen durch die Komplikation der imnier
wechselnden Norm infolge des Wachstums. Daher muß man in
alle bei Befunden des Grundstoffwechsels vorschnell zustandegekom-
mene Schlüsse ein entschiedenes Mißtrauen setzen, bis eine aus-
Kg STOFFWECHSEL IM ERSTEN LEBENSJAHRE
TOTAL KAL.IN FIUSSIOKEIT
reichende Anzahl von Tatsachen beisammen ist. Trotz des Um-
standes, daß relativ wenige Stoffwechselversuche an pathologischem
Material gemacht wurden, ist es klar, daB solche Bestimmungen
eine wertvolle Beigabe zu den anderen spéziellen Methoden der
Diagnose zu sein versprechen.
Wie schon erwähnt, sind Studien über den Grundstoffwechsel
von größtem Interesse für die Pathologie. Durch sie ist es möglich,
gewisse unbekannte Zustände zu erklären und eine Hilfe für Diagnose
und Behandlung zu erlangen. |
492 ‘ Talbot. Heft 5
Gegenwärtig sind von höchstem Interesse die Beziehungen des
Stoffwechsels zu endokrinen Störungen, von denen wiederum die
der Funktion der Schilddrüse an der Spitze stehen. Durch Bestim-
mungen des Grundstoffwechsels ist es möglich, zwischen Hyper-
und Hypothyroidismus zu unterscheiden.
Kretinismus. Die erste amerikanische Arbeit über den Grund-
stoffwechsel beim Kretin stammt von Du Bois (22) aus dem Jahre
1914. Er berichtete über den Grundstoffwechsel eines 36 Jahre
alten Kretins, der die Mentalität eines 8 Jahre alten Kindes aufwies.
Der Grundstoffwechsel war 18 bis 25% unter der Norm. Nach
dreitägiger Schilddrüsenbehandlung war es möglich, den Stoffwechsel
normal zu gestalten.
Verfasser fand im Jahre 1916 (23) den Stoffwechsel eines 3?/, Jahre
alten Kretins 20% unter der Norm.
Means und Aub (24) fanden 1919 bei einem 20 Jahre alten
Kretin 23% unter der Norm.
Fleming (25) hat neuerdings Beobachtungen an 2 Kretins (einer
von 23 Monaten, der andere von 4 Jahren und 8 Monaten) vor und
während der Behandlung veröffentlicht. Es gelang ihm, eine Zu-
nahme des Stoffwechsels durch Gaben von Schilddrüsenextrakt zu
erreichen.
Verfasser hat vor einiger Zeit Befunde bei einer Serie von
ıo Kretins (26) publiziert.
In nachstehender Tabelle ist das Gewicht und der Grund-
stoffwechsel der unbehandelten Kretins dieser Serie mit der
Norm verglichen. |
Tabelle 4.
Vergleich von Gewicht und Grundstoffwechsel unbehan-
delter Kretins mit dem normaler Kinder.
Fall Alter Alter nach dem Alter nach dem Grund-
Gewicht stoffwechsel
1. | R. T. ! 23 Mon. 8—9 Mon. 5—6 Mon.
2: McA. 23 Mon 8—g Mon. | 4 Mon.
3.1 A. DeL. . 3 Mon. | 3 Mon. | Neugeb. Säugling
4. E.S. ` 41/, Mon. Geburt | Neugeb. Säugling
Ä | 6 Mon. | ı Mon. | 1 Mon. .
| | ıo Mon. | 3 Mon. 3 Mon.
6.. J. P. 6 Jahre 2", Jahre | 6—7 Mon.
7. W. G. 121/ą Jahre | ıı Jahre | 4 Jahre
8. M. S. 26 Mon. | 8—9 Mon. 2 Mon.
k C. G. 3 Jahre, 8 Mon. | 23 Mon. | 10 Mon.
10.) M.M. 5 Jahre | 41/, Jahre | 2 Jahre
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 493
Bei der Durchsicht von Tabelle 4 zeigt es sich, daB Gewicht und
Grundstoffwechsel dieser unbehandelten Kretins tief unter das beim
normalen Kind gewöhnlich beobachtete herabsinken. Auch zeigt sich
die Altersentwicklung der unbehandelten Kretins dieser Serie.
® Linbehandeir. Krerin],
O Behandelt u
© Teilweise behandelf. u
+ Flemings unbehandell: +
© » behandeit «
ee ero
ie ff te | bf ad th de lewd
my aS 2 3 4 5 6 7 8 9 10 4 12 4
Kurve 20. Grundshoffwedisel beim behandelten u. unbehandelten Kretin.
Kabrien pro Om. tn Bez. auf das Alter. die Bedeutung der Zeichen ist
dieseibe wie bei den übrigen Kurven.
Weiter geht aus der Tabelle hervor, daß der Grundstoffwechsel
und die physische Entwicklung eines Kretins vor der Behandlung
wesentlich unter der Norm stehen und wird auf die Wichtigkeit
der Schilddrüse als wachstumförderndes Mittel hingewiesen.
In den begleitenden Abbildungen ist der Stoffwechsel bei un-
behandelten und bei behandelten Kretins im Vergleich zur Norm
zusammengestellt und die Wärmeproduktion pro Quadratmeter
494 Talbot. Heft 5
Körperoberfläche, die Gesamtcalorien in bezug auf das Gewicht
und die Gesamtcalorien in bezug auf das Alter gezeigt.
Kurve 20 zeigt die Wärmeproduktion für jede Körperoberflächen-
einheit bei unbehandelten und bei behandelten Kretins in bezug
auf den Normalstoffwechsel.
Die nach unten stehende Verteilung der gefüllten Punkte und
der Kreuze (unbehandelte Kretins) stimmt im allgemeinen mit den
Resultaten der Stoffwechseluntersuchungen bei erwachsenen Kretins
überein (der Stoffwechsel bei anormalen Erwachsenen wird gewöhn-
lich mit der normalen Wärmeproduktion pro Quadratmeter Körper-
beorfläche verglichen). Einige der Fälle in dieser Serie kommen den
normalen Grenzen so nahe, daß, wenn der Grundstoffwechsel für
jede Körperoberflächeneinheit das einzige angewendete Kriterium
wäre, die Diagnose auf Kretinismus nicht berechtigt erschiene. Anderer-
seits war bei diesen Fällen der Stoffwechsel außerordentlich niedrig.
Ein Vergleich des Stoffwechsels beim behandelten Kretin mit der
Durchschnittskurve für jede Körperoberflächeneinheit ist sehr irre-
führend und bietet ein Bild, welches zu der Annahme berechtigen
würde, man habe es mit Fällen von Hyperthyreoidismus zu tun.
Daher kann ein Vergleich mit der normalen Wärmeproduktion für
jede Körperoberflächeneinheit einen falschen Eindruck machen;
die Wärmeproduktion für jedes kg Körpergewicht ist sogar von ge
ringerem Werte. Da sorgsame und zahlreiche Messungen des Körpers
nach der Du Bois-Linearformel angestellt wurden, so sind die
Messungen der Körperoberfläche so genau wie möglich, ohne direkt
die Oberflächenarea zu messen.
Ein Vergleich der Gesamtwärmeproduktion in bezug auf das
Gewicht und Alter gibt ein besseres Bild des Verhältnisses der un-
behandelten und behandelten Fälle zu den Normalen. Kurve 21
zeigt einen Vergleich der Gesamtwärmeproduktion beim behandelten
und unbehandelten Kretin in bezug auf das Gewicht und im Ver-
hältnis zur normalen Kurve.
Der Stoffwechsel in bezug auf das Gewicht beim unbehandelten
Kretin steh., mit Ausnahme von 2 Fallen (Fall xı und 4) unterhalb
der Norm, beim behandelten Kretin steigt er meistens über die
Norm an. In dieser Kurve besteht eine viel gleichmäßigere Ver-
teilung der Fälle als wenn sie auf der Grundlage der Körperober-
fläche verglichen werden. Die Befunde entsprechen den voraus zu
erwartenden, da bei Schilddrüsenbehandlung ein Verlust von in-
aktivem myxödematösem Gewebe und ein deutlicher Anstieg des
Stoffwechsels gegen die Norm hin eintritt.
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 495
Eine Patientin (Fall 4) litt an Ernährungsstörung, der für ihr
Gewicht erwartete Stoffwechsel ist infolgedessen höher als die
Norm. Im Vergleich zu dem Stofrwechsel von Säuglingen, die im
selben Grade an Ernährungsstörungen litten, aber keinen Mangel
der Schilddrüse aufwiesen, war ihr Stoffwechsel niedrig. Man mußte
in diesem Falle genügende Mengen von Schilddrüse verabreichen,
Kal. >
CCEE EEC eee
1100
Li ae
SECC eree
a a ee et
z LE
Kurve 21. Grundstoftwechsel beim behandelten u unbenandelten Kretin.
Totel- Kal. i. Bez. auf das Gewidır.
wit
um den Stoffwechsel auf die Höhe zu bringen, die bei Fällen von
so schwerer Ernährungsstörung, wie sie bei ihr vorlag, normal ist.
Der Stoffwechsel wird wahrscheinlich über dem für das Gewicht
üblichen Standart bleiben, bis eine Gewichtszunahme ihre Klassi-
fikation verändert. Die Höhe, die der Stoffwechsel nach der Be-
handlung erreicht, ist deutlich aus Kurve 20 und 2I zu ersehen.
Der Gesamtstoffwechsel der unbehandelten Kretins pro 24 Stun-
den verglichen mit der für das Alter normalen Kurve zeigt eine regel-
mäßigere Verteilung der Punkte als auf einer der anderen Kurven.
496 Talbot. Heft 5
In der Mehrzahl der beobachteten Fille trat die deutlichste kli-
nische Besserung erst dann ein, wenn genug Schilddriise verabreicht
worden war, um den Stoffwechsel auf die dem Alter angemessene
Hohe zu erheben.
Zwei der behandelten Falle auf Abbildung 22 liegen unterhalb
der 10%-Grenze und es könnte die Frage entstehen, ob diese Pa-
tienten genügende Mengen von Schilddrüse erhalten haben. Die
Dosis ist mit Erfolg erhöht worden, aber der Stoffwechsel ist nicht
festgestellt worden. Die Schwierigkeit, nach Beginn der Behandlung
basale Perioden zu erhalten, ist in verschiedenen Fällen aufgetreten
und erklärt bei manchen Fällen den Mangel an Daten nach der
Behandlung. Fleming hatte mit denselben Schwierigkeiten zu
kämpfen.
Das Wachstum ist wahrscheinlich die Hauptursache bei der Ver-
schiedenheit des Stoffwechsels beim Kinde und Erwachsenen, und
infolgedessen spielt das Alter eine wichtige Rolle in der Interpreta-
tion der Resultate. Kurve 22 zeigt, daß der Stoffwechsel der Kretins
für ihr Alter stark zurückbleibt.
Die niedere Verteilung der Punkte beim unbehandelten Kretin
zeigt eine gewisse Gleichmäßigkeit und läßt annehmen, daß man
vielleicht den Stoffwechsel eines unbehandelten Kretin von bekann-
tem Alter voraussagen kann.
Da der Zweck der Behandlung beim Kretin der ist, ihn auf die
Durchschnittsnorm seines Alters zu bringen, so erschien es richtig,
Schilddrüse in so großen Mengen zu geben, daß der Stoffwechsel
auf den normalen Gesamtstoffwechsel gebracht wird. Unsere bis-
herige Erfahrung zeigt, daß dies Niveau erreicht werden muß, bevor
gute therapeutische Resultate eintreten.
Die Untersuchung über den Grundstoffwechsel sind von unbe-
streitbarem therapeutischem Werte als Indikation einer genauen
Dosierung der Schilddrüsengaben. Dies geht aus Fall 5 (E. W.)
dieser Serie deutlich hervor. Patient kam im Alter von 8 Monaten,
nachdem 5 Monate vorher Schilddrüse in geringer Menge gegeben
wurde, zur Beobachtung. Die Gaben von Schilddrüse wurden um
3 Gran (0,195 g) pro Tag erhöht, und im Alter von ıı Monaten
wurde der Stoffwechsel untersucht und der Befund ergab die Norm
für das Alter. Aus dieser Tatsache wie auch aus der klinischen
Besserung schloß man, daß man die richtige Dosierung angewendet
habe.
Es gelang Du Bois den Stoffwechsel eines erwachsenen Kretins
in wenigen Tagen auf die Norm zu bringen. Bei einem Säugling
Heft 5 | Grundstoffwechsel im Kindesalter. 497
ist jedoch der sich entwickelnde Organismus empfindlicher, und es
ist daher geraten, langsamer auf die Norm zuzusteuern. In Fällen
von zweifelhafter Mangelhaftigkeit der Schilddrüsenfunktion sind
die Untersuchungen über den Grundstoffwechsel ebenfalls von
großem Nutzen. Wenn der Stoffwechsel bei diesen Fällen normal
eh Ik a
Kal.
1200
1100
3 4 5 ) 7 8 9 1
Jh. I 2 6
Kurve 22 Grundstoffwedhsel beim behandelten u. unbehandelten retin:
Total-Kal. i. Bez. auf das Alrer
ist, so besteht eine klare Kontraindikation gegen die Schilddriisen-
behandlung. Viele solche Falle sind beobachtet worden.
Fall 7 dieser Serie ist ein Beispiel für Schwankungen im Stoff-
wechsel, die durch eine intermittierende Anwendung von Schild-
drüse hervorgerufen wird. Wenn es in diesem Falle möglich ge-
wesen wäre, von der Geburt an hie und da Bestimmungen über
den Grundstoffwechsel zu machen, so daß man, hierauf gestützt,
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 32
S
498 Talbot. Heft 5
die Schilddrüsenbehandlung hätte einstellen können, so wären die
Resultate weit besser gewesen.
Je früher die Diagnose Kretinismus feststeht, um so früher kann
die Behandlung begonnen werden. In dem hier angeführten Fall 4
zeigt sich der Wert der Bestimmungen über den Grundstoffwechsel
zum Zwecke einer Frühdiagnose des Kretinismus. Patient wurde
im Alter von 3!1/, Monat zum erstenmal vorgestellt. Damals fand
man: verdickte Zunge, etwas heisere Stimme und eine Spur von
supraclaviculären Fettpolstern. Das Haar war weder grob noch
fein. Die Zeichen waren so unklar, daß die verschiedenen Pädiater
sich in zwei fast gleiche Lager teilten bei der Frage, ob Kretinismus
zu bejahen oder zu verneinen sei. Bei diesen klinischen Zweifeln
wurde Patient, trotzdem der mit 4!/, Monaten bestimmte Grund-
stoffwechsel Hypothyreoidismus anzeigte, keiner Behandlung unter-
zogen; hingegen wurde der Stoffwechsel von Zeit zu Zeit bis zum
Io. Lebensmonate untersucht. Dieser Fall war also einige Monate
lang ohne Behandlung geblieben, so daß zu unserer großen Be-
friedigung bewiesen werden konnte, daß schon im dritten Lebens-
monat eine Diagnose auf Kretinismus möglich gewesen wäre. In
den ersten Monaten waren die Zeichen so unklar, daß damals eine
Diagnose klinisch zweifelhaft gewesen wäre, aber im Io. Lebens-
monat, als die Behandlung begonnen wurde, war auch die klinische
Diagnose unzweifelhaft. Dieses zeigt, daß eine Frühdiagnose des
Kretinismus mit Hilfe der Respirationskammer möglich ist. Schild-
driisentherapie wurde nun begonnen und der Einfluß auf den
Stoffwechsel zeigt sich bei Kurve 23.
Der für das Alter des Patienten normale Stoffwechsel wurde
erreicht, als 3/ Gran (0,038 g) Schilddrüse pro Tag erreicht waren.
Zugleich wurde sowohl körperlich wie geistig ein schneller Fort-
schritt beobachtet. Dieser Fall zeigt, daß eine klare Diagnose des
Hypothyreoidismus mit Hilfe der Respirationskammer in Fällen
gestellt werden kann, bei welchen eine klare klinische Diagnose
nicht möglich ist. So kann die Behandlung früh einsetzen und
bessere Resultate können erreicht werden.
Hypothyreoidismus. Ein Beispiel für die Wirkung der
Schilddrüsentherapie in einem Falle von Ekzem mit Hypothyreoi-
dismus wird in Kurve 24 gezeigt.
Der Anfangsstoffwechsel war 20% unter der Norm. Er wurde
auf die Norm mittels ®/, Gran Schilddrüsenextrakt pro Tag ge-
bracht. Geistig trat große Besserung ein und die vorhandene Erup-
tion der Haut verschwand.
Heft 5
Grundstoffwechsel im Kindesalter.
499
Im April 1921 wurde die Schilddrüsenbehandlung ohne unser
Wissen ausgesetzt. Es trat so schnell ein Rückschritt ein, daß die
Eltern das Kind sofort ins Krankenhaus zurückbrachten und die
Behandlung wieder auf-
genommen wurde. Dort
wurde, entgegen meiner
Anordnung, die Dosis
übermäßig erhöht, die
Eruption der Haut trat
wieder auf und wurde
pronunziert. Das Kind
wurde nervös und erreg-
bar. Deram 10. Juli 1921
gemessene Stoffwechsel
zeigte Aktivität Num-
mer III und war 73%
höher als der Durch-
schnitt. Der Schild-
driisenextrakt wurde
nun auf °/, Gran pro
Tag reduziert, die Ner-
vosität verschwand, die
Haut wurde klarer, ud
es trat eine fortgesetzte
geistige und physische
Besserung ein. Das
Kind kann jetzt gehen,
sprechen und spielen.
Die Mentalität ist zwar
unter der Norm, aber
außerordentlich gebes-
sett. Die Schwester, die
das Kind zuerst gesehen
hatte, sagte, es wäre
„aus einem Idioten ein
kluges Kind geworden“.
Man kann die Wichtig-
keit einerrichtigen Inter-
pretation und Anwen-
dung der Resultate nicht
zu hoch einschätzen. In
ng
Schild druse
von
Kurve 23. Grundsroftwedhsel bei Fali 4. der Einflu® der Thyroideabehandiung auf
die Warmeproduktion; Total-Kal.i.Bez. auf das Alter,
Kurve 23.
500 Talbot. Heft 5
Fällen von Hyperthyreoidismus bilden Bestimmungen des Grund-
stoffwechsels eine sichere und brauchbare Methode, um die
Dosierung des Schilddrüsenextraktes zu bemessen. Das zeigt der
obige Fall mit größter Deutlichkeit. Hier wurde die Dosierung
der Schilddrüse genau durch Bestimmungen des Grundstoffwechsels
festgesetzt. Diese Untersuchungen sind auch ein sichrerer Wegweiser
©
o
©
Z
D
PAo l |
See
Gele a
ples he
i fe
o Wee
E€ alkola
ö A
:3 0
3 Eruption Klarehaur Eruprion > klare Hauf
5 Kurve 24. Hypothyreoidismus. Einfluß des Schilddrüsenextrakts
N auf den Grundstoffwechsel.
als klinische Beobachtungen und sind bei unklaren Fällen ein Mittel
zur Differentialdiagnose.
Mongoloide Idiotie. Fleming (25) hat neuerdings über den
Grundstoffwechsel einer Serie mongoloider Idioten berichtet. Er
stellt fest, daß der Grundstoffwechsel normal war und daher keine
Indikation zur Schilddrüsenbehandlung vorlag. Verfasser hat eben-
falls den Stoffwechsel einer Serie von Säuglingen mit mongoloider
Idiotie untersucht (unveröffentlicht) und wenn die Befunde am
Grundstoffwechsel auch in einigen Fällen anscheinend normal waren,
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 501
so waren sie doch in vielen anderen unter der Norm. Je älter das
Individuum, um so subnormaler der Stoffwechsel. Einige der Säug-
linge mit scheinbar normalem Stoffwechsel zeigen bei Schilddrüsen-
behandlung eine deutliche Besserung.
Zwerg. Talbot hat im Jahre 1920 (27) über den Stoffwechsel
eines 7 Jahre alten Zwerges berichtet. Der Stoffwechsel war für
das Alter niedrig, aber die Intensität des Stoffwechsels war hoch,
was aus der Tatsache hervorgeht, daß sowohl der Gesamtstoff-
wechsel pro Gewichtseinheit, wie pro kg Körpergewicht und pro
Quadratmeter Körperoberfläche hoch war, nämlich 20% oder noch
mehr über dem Durchschnittsstoffwechsel. Die Stoffwechselbefunde
sind ähnlich denen der Säuglinge mit schweren Ernährungsstörungen.
Stoffwechsel bei einem Falle von kongenitalem Fehlen
der Hirnhemisphären. Der folgende Fall bei einem Säugling
mit kongenitalem Fehlen der Hirnhemisphären wurde vom Ver-
fasser im Jahre 1915 (28) beobachtet. Er sah das Kind zuerst im
8. Lebensmonat. Das Kind war unfähig zu sitzen oder seinen Kopf
hoch zu heben. Das Gesicht hatte einen idiotischen Ausdruck.
Physisch war es ein großes Kind mit einer dicken Schicht von
cutanem Fett. Die Untersuchung der Augen zeigte, daß es blind
war. Die Untersuchung des Fundus zeigte Opticusatrophie mit
beträchtlicher Cupping of the discs. Bei einer zur Herstellung des
Sehvermögens ausgeführten Operation zeigte es sich, daß die Hirn-
hemisphären ganz fehlten und dass an ihrer Stelle Cerebrospinal-
flüssigkeit vorhanden war.
Den Stoffwechsel zeigt nachstehende Tabelle:
Tabelle 4. Stoffwechsel bei einem Falle von kongenitalem
Fehlen der Hirnhemisphären.
| Gesamtwärme
Gewicht | Höhe
Fall | Alter | ; pro Quadratmeter
| in 24 Stunden | pro kg Körperobe fe
kg | cm Cal. | Cal. Cal.
J. J-M. | 8 Mon. | 8,43 | 735 | 245 | 27,0 |: 574
Der Befund zeigt einen sehr niedrigen Stoffwechsel. Der Grund
dafür scheint zu sein, daß vom klinischen Standpunkt aus der
Körper des Kindes große Mengen von Fett und im Verhältnis hierzu
kleine Muskelmengen aufwies.
Stoffwechsel bei einem Falle von Dyspituitarismus.
Verfasser hat im Jahre 1920 den Grundstoffwechsel eines sehr dicken
Kindes mit kleiner Sella turcica, das dem von Frölich beschrie-
benen Typus von Dyspituitarismus glich, veröffentlicht (29). Der Fall
502 Talbot. Heft 5
kam mit 2 Jahren und g Monaten zuerst zur Beobachtung. Das
Kind wog damals 24,82 kg. Bis zum Ende des ersten Lebensjahres
war er ein magerer und schlecht entwickelter Säugling; nach dieser
Zeit nahm er schnell und dauernd an Gewicht zu. Als er zur Be-
obachtung kam, machte er geistig den Eindruck eines Io Monate
alten Kindes. Der Gesamteindruck war der: außerordentliche
Obesität, heisere Stimme, träges Gebaren, glatte Textur der Haut
und etwas rauhes Haar. Sein Grundstoffwechsel war sehr niedrig.
Klinisch ist er durch Schilddrüsenbehandlung sehr gebessert.
Die Dosis ist jetzt 6 Gran pro Tag.
Amaurotische familiäre Idiotie. Talbot (30) untersuchte
einen typischen Fall von amaurotischer familiärer Idiotie und fand
den Stoffwechsel außerordentlich niedrig. Auch die Pulsfrequenz
war niedrig und man hatte den Eindruck, als bestände eine Be-
ziehung zwischen dem Stoffwechsel und der Pulsfrequenz. Da
kein subcutanes Fett oder ein Übermaß von Wasser in den Muskeln
vorhanden war, so muß die Bedeutung des niedrigen Stoffwechsels
entweder darin bestehen, daß den Muskeln der normale Tonus
fehlte oder daß ihre Menge verringert war. Es sind noch weitere
Beobachtungen bei dieser Krankheit nötig, bevor man behaupten
kann, daß der niedrige Stoffwechsel für sie charakteristisch sei.
Die Anwendung der Untersuchungen über den Grundstoffwechsel
in der klinischen Medizin war nicht eher möglich, als bis ein normaler
Standard durch die Beobachtungen an einer genügenden Anzahl
von normalen Kindern und Säuglingen geschaffen war. An diesen
Standards ist Kritik geübt worden und man hat die Aufmerksamkeit
auf Abweichungen von der Norm hingelenkt (18). Die Ernährungs-
störungen verdienen besonders bei Säuglingen eine besondere
Beobachtung, weil sie häufig als Komplikation anderer Krankheiten
auftreten und daher bei der Interpretation der Resultate besonders
berücksichtigt werden müssen. Da mit jedem neuen Falle auch neue
Aufklärung und neue Probleme erscheinen, so sind in Zukunft
große Fortschritte zu erwarten. Die Prinzipien, die bei Kindern
und Säuglingen sich als richtig erwiesen haben, müssen auch bei
Erwachsenen stimmen, abgesehen von dem Einfluß, den das Wachs-
tum ausübt. Die proportionellen Unterschiede sind jedoch bei
Kindern so viel größer als beim Erwachsenen, daß diese Verschieden-
heiten bei ersteren mehr in Erscheinung treten. Die Unterschiede
beim Erwachsenen können andererseits so gering sein, daß sie unklar
sind. Es ist zu hoffen, daß die Untersuchungen über den Grundstoff-
wechsel der Kinder Abweichungen von der Norm ausweisen werden,
Heft 5 Grundstoffwechsel im Kindesalter. 503
die im anderen Falle verborgen bleiben wiirden, und daB so viele
Fragen aufgeklart werden, die bis jetzt unbeantwortet geblieben sind.
We wp
a
S)
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Aus der Universitäts-Kinderklinik Frankfurt a. M.
(Direktor: Professor von Mettenheim.)
Zur Technik der Behandlung mit Eiweißmilch.
Von Dr. Paul, Assistenzarzt.
Anläßlich von Untersuchungen über den Zusammenhang von
Darmfäulnis und Capillarbild hatte Hochschild die Frage erwogen,
ob es nicht möglich ist, aus der Menge der bei der Ernährung mit
Eiweißmilch ausgeschiedenen Fäulnisprodukte einen Wegweiser bei
der Technik der Eiweißmilch zu gewinnen. Er hatte beobachtet,
daß in den Fällen, in welchen unter Eiweißmilch die Stühle sich nicht
besserten und gleichzeitig hohe Werte für die Ausscheidung von
Fäulnisprodukten gefunden wurden, die Zulage von Kohlenhydrat
in Form von Mehl, Mondamin oder Nährzucker, in anderen Fällen
dagegen, in welchen bei weiterbestehenden dyspeptischen Stühlen
Fäulnisprodukte im Harn und Kot fehlten, die Anreicherung der
Eiweißmilch mit Eiweiß anzuraten ist. Diese Untersuchungen
wurden von mir weitergeführt, da aus den bisherigen Beobachtungen
die Möglichkeit gegeben schien, auf genau feststellbaren chemischen
Grundlagen eine Technik der Eiweißmilchbehandlung aufzubauen.
Die erste Frage, die dabei zur Beantwortung steht, ist naturgemäß
die: wann und unter welchen Umständen werden beim dyspeptisch
kranken Säugling Fäulnisprodukte ausgeschieden? Daß aus ge-
formten, im Dickdarm lange verweilenden Stühlen Fäulnisprodukte
dort aufgenommen und im Urin und Kot abgegeben werden, ist
selbstverständlich. Es entspricht dies einer alten Erfahrung, dıe
erst kürzlich wieder von Scheer und Müller im Einklang mit den
neueren physikochemischen Anschauungen gebracht werden konnte.
Es gelingt nämlich auch bei lebhafter Gärung im Dünndarm mittels
Stopfmittel diese noch im Darm zu Ende gehen zu lassen und einen
alkalischen, fauligen Stuhl zu erzielen. Daß gerade in diesen Fällen
die Ausscheidung von Fäulnisprodukten ziemlich erheblich sein
kann, erklärt sich aus der dureh v. Noorden festgelegten Tatsache,
Heft 5 Zur Technik der Behandlung mit Eiweißmilch. 505
daß in wasserreichem Kote, wie er bei reichlicher Gärung aus den
oberen Darmabschnitten in den Dickdarm übertritt, eine lebhaftere
Fäulnis statthat als in wasserarmem.
Wichtiger ist die Frage nach der Ausscheidung von Fäulnispro-
dukten bei dyspeptischem Stuhlbild. Ohne weiteres verständlich
erscheint ihr Auftreten bei solchen Darmerkrankungen, an welchen
ausgesprochene Fäulniserreger, wie Ruhr- oder Pseudoruhrbacillen
beteiligt sind, oder bei sonstigen infektiösen Enterokolitiden. Auch
überall da, wo Ulcerationen oder andere Veränderungen vorliegen,
die zu Blutaustritt in. den Darm Veranlassung geben, werden infolge
des hohen Gehaltes des Blutes an fäulnisfähigem Tryptophan Fäulnis-
produkte nachzuweisen sein. Besondere Beachtung hingegen ver-
dient ihr Auftreten bei nicht infektiösen Dyspepsien, d. h. bei den
im allgemeinen als Gärungsdyspepsie bezeichneten Ernährungs-
störungen.
Die pathologischen Prozesse, die den Dyspepsien zugrunde liegen,
gehen nach den derzeitigen Anschauungen im Dünndarm vor sich.
Im Hinblick auf diesen Umstand erschien die nähere Verfolgung
desjenigen Fäulnisproduktes, das auch bei beschleunigter Darm-
peristaltik zum größten Teil im Dünndarm der Resorption unter-
liegt, nämlich des Indicas, von besonderem Interesse. Nach den
Erfahrungen an Erwachsenen ist bekanntlich die Resorptions-
möglichkeit des Indicans im Dünndarm am beträchtlichsten. In-
folgedessen kann bei Stauung im Dünndarm, wie sie auch bei der
akuten Dyspepsie statthat, die Indicanurie zu hohen Werten an-
steigen, wenn dort gleichzeitig Fäulnisprozesse aufkommen. Daß
bei Dyspepsie die Indicanresorption eher im Dünndarm als im
Dickdarm vor sich gehen dürfte, wird auch durch die Beobachtung
Kahns wahrscheinlich gemacht, daß bei Dyspepsien die Dickdarm-
passage im Vergleich zur Norm weit mehr verkürzt erscheint als
die Dünndarmpassage, wodurch im Dickdarm weniger Gelegenheit
zu resorptiven Vorgängen gegeben ist.
Von geringer Bedeutung erscheint die Feststellung der Fäulnis-
produkte, besonders des Indols im Kote, da über den Ort ihrer
Bildung im Einzelfall nichts ausgesagt werden kann. Ebenso kann
die Phenolausscheidung im Harn für gewöhnlich unberücksichtigt
bleiben, da bei gesteigerter Indicanausscheidung die Phenolausschei-
dung fast regelmäßig vermehrt ist; freilich kann dabei eine vermehrte
Fäulnis in allerdings sehr seltenen Fällen übersehen werden, da ein
phenolreicher Harn nicht unbedingt ein indicanreicher zu sein braucht.
Bezüglich der Atherschwefelsäuren sei hervorgehoben, daß nach
506 Paul. Heft 5
Hammarsten weder ihr absoluter Wert noch aber das Verhältnis
von Neutralschwefel zu Sulfatschwefel zur Beurteilung der Stärke
der Fäulnis herangezogen werden kann.
So habe ich mich schließlich darauf beschränkt, das Indican im
Harn nach der Methode von Strauß zu schätzen. Dies geschah
auch aus dem Gesichtspunkte, eine für die Praxis möglichst einfache
Methode zur Beurteilung des Erfolges der Eiweißmilchbehandlung
zu finden, nachdem Versuche, die Urobilinurie, die bekanntlich
parallel der Darmfäulnis ansteigt, heranzuziehen, an der Vieldeutig-
keit der Urobilinentstehung gescheitert waren. In mehreren Fällen
bestimmte ich auch den Blutindicangehalt, ohne daß dabei irgend-
welche besonderen Gesichtspunkte gewonnen worden wären.
Einige Male entstand neben dem in Chloroform übergehenden
blauen Farbstoff eine Rotfärbung des Harns auf Zusatz der eisen-
chloridhaltigen Salzsäure. Der gebildete rote Farbstoff ließ sich
nicht in das Chloroform überführen. Dadurch gab es sich als Skatol-
rot oder als das von vielen Autoren als mit diesem identisch ange-
sehene Urorosein zu erkennen.
Irgendwelche Beziehungen der Skatolrotbildung zur Ernährungs
weise oder zu den klinischen Erscheinungen konnte ich nicht aus-
findig machen. |
Die Betrachtung der Indicanausscheidung bei der Gärungsdys-
pepsie erfordert die Berücksichtigung der Anamnese des betreffenden
Krankheitsfalles und des Zeitpunktes der festgestellten Indicanurie.
Es ist einleuchtend, daß eine beim Eintritt des Patienten in die
Klinik sich vorfindende Indicanurie, wenn schon eine Behandlung
mit eiweiBreicher, zugleich kohlenhydratarmer Kost vorausgegangen
ist, anders zu bewerten ist, als bei einer unbehandelten, sich noch
im akuten Stadium befindenden Dyspepsie. Unter 32 solchen akuten,
vor der Klinikaufnahme noch nicht therapeutisch beeinfluBten
Fällen, konnte ich in 18, d. h. in 54% der Fälle eine, wenn auch meist
sehr leichte Indicanurie feststellen. In 7 von diesen Fällen bestimmte
ich auch den Blutindicangehalt, da eine vorhandene leichte Albumin-
urie eine Minderausscheidung des Indicans durch die geschädigte
Niere nicht ausgeschlossen erscheinen ließ. Doch konnte niemals,
weder I noch 3 Stunden nach den Mahlzeiten ein nennenswerter
Blutindicangehalt nachgewiesen werden. Eine Parallelität der
Indicanurie zur Schwere der Dyspepsie besteht nicht; die Stühle
werden dabei sauer. Okkultes Blut fand sich nicht. Auch einen
bestimmten Zusammenhang zwischen der Konstitution des Kindes
oder zwischen der vorher gereichten Nahrung und der Indicanune
Heft 5 Zur Technik der Behandlung mit Eiweißmilch. 507
vermag ich nicht aufzufirden. Parenterale Dyspepsien, soweit
wenigstens die parenterale Infektion im Vordergrund des Krank-
heitsbildes stand, wurden von den Untersuchungen möglichst aus-
geschlossen.
Nassau äußerte die Ansicht, die Indicanurie sei gebunden an:
I. eine Darmwandschädigung,
2. eine Bakterieninvasion des Dünndarms.
Das letztere dürfte nach der jetzt herrschenden Ansicht wohl bei
jeder akuten Gärungsdyspepsie der Fall sein. Die erste Forderung
dürfte jedoch nicht mit einer Darmwandschädigung, wie man sie
bei der Intoxikation annimmt, d. h. einer erhöhten Durchlässigkeit
der Dünndarmwand gleichzustellen sein, wenn man die Häufigkeit
der Indicanurie der Seltenheit der Intoxikation gegenüberstellt.
Wenn man freilich unter Darmwandschädigung nur die Herabsetzung
der Alkalität der Schleimhautoberfläche, die nach Adam zur Ent-
stehung der Dyspepsie unerläßlich ist, versteht, ist allerdings auch
dieser Forderung Nassaus entsprochen. Da aber nach den Er-
fahrungen an Erwachsenen auch von nicht durchlässigem Dünn-
darm Indican sehr leicht resorbiert wird, liegt es näher, auch beim
Säugling die Aufnahme des Indicans durch die normale Dünndarm-
wand anzunehmen, namentlich in Anbetracht des längeren Ver-
weilens des Chymus im Dünndarm infolge der Stagnation. Nach
Adam ist die Indolbildung, wenigstens im Reagenzglasversuch,
am stärksten bei einer Reaktion die der Eigenwasserstoffzahl des
B. coli entspricht. Da nun nach Schiff und Kochmann Eiweiß
auch bei Anwesenheit von Zucker in bescheidenem Maße von Coli
angegriffen wird, so dürfte die geringfügige Indicanurie aus dem
Vorhandensein des dem Bact. coli eigenen Reaktionsoptimums im
Darm ohne gesteigerte Durchlässigkeit desselben zu erklären sein.
Daß bei Vorherrschen der Gärung eine, wenn auch geringe, Fäulnis
vor sich gehen kann, darauf wiesen auch Schiff und Kochmann
hin. Die Möglichkeit der Indicanbildung ist also gegeben, der Unter-
schied zwischen Gärung und Fäulnis in der alten Form ist also nicht
aufrecht zu erhalten, sondern beide Prozesse laufen nebeneinander her.
Zu sehr hohen Werten der Indicanausscheidung kann es, wie
bereits erwähnt, in Fällen infektiöser Darmerkrankungen kommen.
Im Sommer 1922 wurden 135 frische Ruhrfälle, bei denen als Erreger
der X-Bacillus festgestellt wurde, im Herbst 1922 6 Grippeenteritis-
fälle mit z. T. blutig schleimigen Stühlen ohne epidemiologische Be-
ziehung zur Ruhr und ohne Bacillenbefund bezüglich ihrer Indican-
ausscheidung untersucht. In allen diesen Fällen waren sehr hohe
508 Paul. Heft 5
Mengen Indican im Urin vorhanden. Eiwei8faulnishemmende und
gärungsfördernde Kost, wie die alte Liebigsche Malzsuppe, zeitigte
bei allen diesen Fällen sehr gute Erfolge. Die Stühle besserten sich
bald, auch die Indicanurie verschwand nach einigen Tagen. Bei ganz
jungen Säuglingen dürfte freilich die Liebigsche Malzsuppe keine
geeignete Nahrung darstellen, aber auch bei ihnen erwies sich die
Verabreichung ähnlich kohlenhydratreicher Nahrung von großem
Vorteil. Darauf haben schon v. Groer und mehrere amerikanische
Autoren hingewiesen. (Spence, Bradley, auch Velasco Blanco.)
Ähnlich liegen die Verhältnisse, wenn unter Eiweißmilchbehand-
lung mit 3—5 evtl. sogar 8%, Kohlenhydrat das Indican, das an-
fänglich, wenn auch in geringem Maße bei der Gärungsdyspepsie
sich findet, nach zeitweisem Verschwinden wieder auftritt, ohne daß
unter der bisherigen Behandlung eine Besserung der Stühle statt-
gefunden hat. Klinisch gibt sich der Zustand meist durch die Ab-
lösung des sauren Charakters der Faeces durch einen alkalisch fauligen
zu erkennen. Bei solcher Sachlage ist nach den gemachten Er-
fahrungen die wieder auftretende Indicanurie eine unbedingte An-
zeige zur Steigerung des Kohlenhydratzusatzes der Eiweißmilch.
Die Zugabe von Kohlenhydrat führte in allen, d. h. 12 Fallen, nicht
nur zum Anstieg der meist bisher horizontal verlaufenden Gewichts-
kurve, sondern auch zur Besserung der Stühle im Sinne des Auf-
tretens typischer Kalkseifenstühle.
Nicht so eindeutig zu bewerten ist der Befund fehlender Indican-
urie bei Weiterbestehen schleimiger, saurer Stühle unter Eiweiß-
milchbehandlung mit 3—8% Kohlenhydrat.
Hochschild hatte in dem Mangel an Fäulnisprodukten i im Stuhl
und Harn die Indikation zur Verabreichung konzentrierter Eiweiß-
milch bzw. zur Anreicherung der Eiweißmilch mit einem Eiweiß-
präparat erblickt. Im Laufe unserer weiteren Beobachtungen ergab
es sich aber, daß das von Hochschild angegebene Verfahren zwar
in der Regel zur Besserung der Stühle führt, meist auch die bis dahin
mangelnde Gewichtszunahme bringt, wie es Nassau zuweilen auch
bei Weiterbestehen der Durchfälle beobachtet hatte, daß aber ge-
legentlich diese Methode doch versagt. In vereinzelten Fällen (2 von
16) besserten sich die Stühle gleichzeitig mit dem Anstieg der Ge-
wichtskurve bei weiterem Kohlenhydratzusatz trotz fehlender Indi-
canurie. Allerdings wäre es falsch, daraus ableiten zu wollen, daß
also in jedem Falle eine Steigerung der Kohlenhydrate am Platze
ist, denn bei den Versuchen (6 Fälle), trotz fehlender Indicanurie
die Kohlenhydrate auf 8 resp. 10% zu steigern, erlebte ich Fehl-
Heft 5 Zur Technik der Behandlung mit EiweiBmilch. 509
schläge, die mit weiterer Verschlechterung der Stühle und akuten
Gewichtsstürzen einhergingen und die nur durch Einschränkung
der Kohlenhydratzulage resp. Anreicherung mit Eiweiß wieder gut
zu machen waren.
Zusammenfassend läßt sich auf Grund unserer Beobachtung wohl
folgendes sagen: Bestehen bei Gärungsdyspepsie unter der Behand-
lung mit Eiweißmilch mit maBigem Kohlenhydratzusatz dyspeptische
Stühle fort bei mangelnder Gewichtszunahme, so erwächst aus den
Befund einer deutlichen Indicanurie die Indikation, den Kohlen-
hydratzusatz der Eiweißmilch durch Zugabe von Mehl oder Nähr-
zucker zu erhöhen. Bei gleichem klinischen Bild vermag hingegen
der negative Ausfall der Untersuchung auf Indicanurie nicht mit
Sicherheit die Anzeige zur Anreicherung der Eiweißmilch mit Eiweiß
abzugeben, — wenn auch letzteres Verfahren dabei im allgemeinen
zum Ziele führt. | l
Daß diese Untersuchungen die Technik der Eiweißmilchbehand-
lung nur von dem Gesichtspunkte des Kohlenhydratzusatzes be-
treffen, nicht aber die Mißerfolge der Eiweißmilch bei schweren
lokalen entzündlichen Prozessen im Darm oder bei zu langer Dar-
reichung infolge von Vitaminmangel berücksichtigen, braucht kaum
hervorgehoben zu werden..
Literaturverzeichnis.
Siehe bei Hochschild. Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 33, H. 1/2.
Ferner: ; i
Adam, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 99, S. 88. 1922.
Bradley, Ref.: Zentralbl. f. d. ges. Kinderheilk. Bd. 12, H. 1.
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Hammarsten, Lehrb d. physiol. Chemie.
Kahn, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 33, S. 49—53. 1922.
Nassau, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 26, S. 170—181. 1921.
Scheer u. Müller, Zeitschr. f. Kinderheilk. Bd. 99.
Schiff u. Kochmann, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 91, H. 4/5.
Velasca, Blanco, Ref. Zentralbl. f. d. ges. Kinderheilk. Bd. 13, H. 1/2.
Masern ohne Exanthem bei drei Geschwistern.
Von Erich Krasemann, Rostock.
Nassau ist der Ansicht, daB der relative Masernschutz der jungen
Sauglinge nicht auf einem angeborenen Vorrat von Schutzstoffen
beruht, sondern auf der Unfahigkeit der Zelle, in diesem Alter mit
dem Maserngift in Wechselbeziehung zu treten. (Monatsschr. f.
Kinderheilk. XXII, H. 1.) |
Ich verfüge nun über eine Beobachtung an älteren Kindern, die
diese These wenig wahrscheinlich sein läßt, sondern mehr für Immun-
körperbildung spricht. Es handelt sich um einige Fälle von abortiven
Masern.
Masern mit sehr schwachem oder ganz fehlendem Exanthem
sieht man seit der Degkwitzschen Serumprophylaxe häufiger, aber
auch sonst bietet sich, besonders während Epidemien, des öfteren
Gelegenheit, solche zu beobachten.
In der ersten Hälfte dieses Jahres (1923) herrschte in Rostock
eine schwere Masernendemie, während der ich in etwa 3% aller
Fälle das Exanthem vermißte. Dabei rechne ich nur diejenigen, bei
denen die Diagnose durch Nachweis der Infektionsgelegenheit, Auf-
treten von Koplikschen Flecken und eventuell weitere Ansteckung
gesichert werden konnte. Unter diesen befinden sich nun 3 Fälle,
die deutlich erkennen lassen, daß von den Eltern resp. Großeltern
her Schutzstoffe im Körper kreisen müssen, die die Maserninfektion
zwar nicht ganz unterdrücken konnten, aber doch eine Abschwächung
der Erkrankung zur Folge hatten. Es handelt sich um 3 Geschwister
ım Alter von 2, 6 und 7 Jahren:
Kind K. ]J., 6 Jahre alt, fühlt sich seit einigen Tagen nicht gut. Etwas
Schnupfen und Husten sowie leichte unregelmäßige Temperatursteigerungen.
Ein Schulfreund hat eben die Masern überstanden.
Befund: Subfebril, leichte Conjunctivitis und Rhinitis, Rachenrötung.
geringe Bronchitis. In der Mundhöhle auf der Wangenschleimhaut an typischer
Stelle einige linsengroße rötliche Flecken, in der Mitte mit einer stecknadelkopf-
großen weißen Stelle versehen. Die Diagnose lautete daraufhin: Masern.
Ein Exanthem zeigte sich jedoch nicht, die katarrhalischen Erscheinungen
yingen bald zurück; am nächsten Tag war der Patient fieberfrei.
Heft 5 Masern ohne Exanthem bei drei Geschwistern. 511
Eine Absonderung der beiden Geschwister von 2 und 7 Jahren wurde
unterlassen, da die Ansteckung wahrscheinlich schon erfolgt war und es sich
um kräftige, gesunde Kinder handelte.
10 Tage später erkrankte der größere und nach 2 Tagen der kleinere Bruder
unter den gleichen Erscheinungen. Bei dem älteren konnte ich wiederum
Kopliksche Flecken entdecken, bei dem andern nicht. Auch bei diesen beiden
erfolgte kein Exanthemausbruch.
In diesen Tagen kam trotz meiner Warnung eine Freundin der Mutter mit
ihrem 3jährigen Töchterchen zu Besuch. 14 Tage später bekam die Kleine
Masern mit starkem Exanthem.
Es handelt sich also um Morbillen, die vor und nach dem Passieren
der drei Brüder mit gut ausgebildetem Exanthem einhergingen,
während sie bei den erwähnten Kindern ohne Ausschlag verliefen.
Interessant ist nun, daß auf mein Befragen die Mutter angab, sie
selbst habe nie Masern gehabt, wohl aber sei ihre Mutter (also die
Großmutter der Kinder) zweimal von schweren Masern befallen
worden.
Offenbar handelt es sich also bei der Mutter und ihren drei Kindern
um eine auffallend starke Immunkörperbildung, deren Wirksamkeit
bei der Mutter selbst noch voll entwickelt, bei den Kindern jedoch
bereits soweit abgeschwächt war, daß zwar der Infekt haftete, die
Krankheit jedoch nicht voll zur Entwicklung gelangte.
Mitteilung aus der Kinderklinik der Franz-Joseph-Universität
zu Szeged. (Anstaltsleiter: Privatdozent Dr. E. Hainiss.)
Das Verhalten der Leucocytenzahl während der Verdauung
bei Neugeborenen.
Von Priv.-Doz. Dr. E. Hainiss und Dr. Stefan Heller.
Seit Widals Mitteilung wird in jedem Spezialgebiet vielfach mit
der hämoklasischen Krise gearbeitet. Einige Autoren meinen auf
Grund der beobachteten Krise nach bestimmten Krankheiten auf
die funktionelle Störung der Leber schließen zu können [Ma yer-
Estorf (I)], andere beurteilen die Verwertbarkeit der Reaktion
[Eisenstädt (2)], wiederum andere wollen ihr diagnostische Be-
deutung bei unbestimmten Formen einiger Krankheiten beimessen
[Scarlatina: Torday (3)]. Nach Schiff und Stranskys (4) allge- ,
meinen Untersuchungen bei Säuglingen stellte Heller (5) seine Expen-
mente bei Ernahrungsstérungen an, welche ergaben, daß gegenüber
der Verdauungsleukocytose gesunder Säuglinge bei hyperakuter und
chronischer Ernährungsstörung nach der Nahrungsaufnahme aus-
gesprochener Leukocytensturz auftritt. Seine wenigen vergleichs-
halber bei gesunden Säuglingen angestellten Versuche widersprechen
der Mitteilung von Schiff und Stransky und stimmen mit denen
von Lesne und Langle (6) überein. Auch Schippers und C. de
Lange (7) geben zu, daß bei größerem Versuchsmaterial die Zahl
der ‚Ausnahmen‘ zunimmt, doch stellen sie sich der von Schiff
und Stransky betonten Anschauung, daß die Verdauungsleukopenie
physiologisch sei, nicht schroff gegenüber.
Bei den an 12 Neugeborenen aus der Franz- Joseph-Universitäts-
Frauenklinik!) während 8 Tage angestellten Untersuchungen war
1) An dieser Stelle sei Prof. Dr. Kubinyi für die gefällige Überlassung
des Neugeborenenmaterials Dank gesagt. — Die auf 12 Tage geplante Beobach-
tung konnte leider nicht durchgeführt werden, da bei der großen Beanspruchung
der Klinik die Wöchnerinnen nach normal verlaufender Geburt die Anstalt
nach 8 Tagen verlassen mußten.
Heft 5 Das Verhalten der Leukocytenzahl während der Verdauung. 513
es unser Bestreben, ı. das Verhalten der Leukocyten während der
Verdauung von der Geburt an in der ganzen Neugeborenenzeit zu
beobachten, 2. zu bestimmen, ob bei dem Übergang in das Säuglings-
alter die Verdauungsleukopenie oder die Leukocytose die regelmäßige
Reaktion sein wird, 3. zu sehen, ob zwischen der Gelbsucht der
Neugeborenen und der hämoklasischen Krise ein Zusammenhang
besteht.
Unsere Untersuchungen wurden dermaßen angestellt, daß am
ersten Lebenstag bei der allerersten Nahrungsaufnahme mit der
Beobachtung begonnen wurde. In den folgenden 7 Tagen wurde
jedesmal die Wirkung der ersten Morgennahrungsaufnahme, welche
der abends um 9 Uhr beginnenden Nachtpause folgte, beobachtet.
Die Nahrungsdosen wurden dem physiologischen Nahrungsquantum
sich nähernd bemessen und so wurde am ersten Tage 5, am zweiten
10 g Colostrum, sodann vom dritten Tage an täglich um Io g steigende
Menge Übergangs- bzw. Frauenmilch verabreicht. Die Blutkörper-
chenzählung wurde mittels Kontrollpipetten nach der Nahrungs-
aufnahme alle 15 Minuten eine Stunde lang fortgesetzt. Zur Ver-
wertung unserer Ergebnisse, um hiervon reale Schlüsse ableiten zu
können, muß auf Berücksichtigung verschiedener Standpunkte hin-
gewiesen werden. Bei unseren Untersuchungen wird die Vermin-
derung der weißen Blutkörperchen nicht in absoluten Zahlen (z. B.
2000) angegeben, da dies Grund zu Irrealitäten bilden würde, wenn
wir berücksichtigen, daß die Hungerzahl der weißen Blutkörperchen
zwischen 3250 und 28300 schwankt. Es schien eher angezeigt,
perzentuelle \Verte anzugeben, auf Grund welcher eine mindestens
20%-ige Verminderung der weißen Blutkörperchen (auf Grund der
erforderten Verminderung von 2000 :bei einem Nüchternwert von
Io 000) als positive Reaktion, d. h. Krise bewertet wurde. Diesen
Wert nicht erreichende Verminderungen der Leukocytenzahl rech-
neten wir zu den negativen Reaktionen, ebenso wie die wesentlich
unveränderten oder Leukocytose aufweisenden Fälle. Größere Über-
legung beanspruchte die Bewertung jener Fälle, wo die Verdauungs-
Leukocytosenkurve wellenförmig ausfiel. Hier bezeichneten wir mit
„negativ“ jene, wo die Verminderung unter 20% blieb, und „positiv“
wenn 20%, überstiegen wurde und hierbei die Schwankung in Per-
zenten ausgedrückt mehr als 10 ausmachte. Nicht bewertet und
als unbestimmt bezeichnet wurden jene Fälle, wo die Verminderung
der weißen Blutkörperchen zwar 20%, erreichte, der Prozent der
Steigung jedoch kaum davon abwich und der Unterschied zwischen
den zwei Prozentwerten kleiner als 10 war. Bei diesen sich wellen-
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 33
514 Hainiss und Heller. Heft 5
förmig verändernden Werten kann die erste Phasis (Verminderung
oder Erhöhung) der Blutkörperchenzahlveränderung nicht als rich-
tungsbestimmend angesehen werden, ist doch die Krise positiv bei
solch allgemeinen und 20% übersteigende Leukopenie aufweisenden
Fällen, wo eine initiale schwache Vermehrung der weißen Blut-
körperchen stattfand. (Z. B. Fall 10, IV. Tag: 9600— 10 250— 7000 —
8500.) Die Veränderung der weißen Blutkörperchenzahl während
der Verdauung kann unserer Meinung nach nur mit solcher Kritik
einer Einschätzung unterzogen werden, und es ist möglich, daß das
Fehlen einer solchen für die sich widersprechenden Versuchsergeb-
nisse bzw. für die unzutreffend gesogenen Schlüsse verantwortlich
gemacht werden muß [z. B. Stransky-Langer (8) 7600 — 7200—
7300—8000 Leukopenie? — 5%].
Die beigelegte Tabelle zeigt die Resultate der bei den 12 Neu-
geborenen in den ersten acht Lebenstagen ausgeführten Unter-
suchungen, wo die binnen einer Stunde beobachtete maximale Ver-
änderung der Leukocytenzahl in Prozenten ausgedrückt wurde.
wobei „+ Steigung „—‘“ Verminderung bedeutet. Die kursiv
gedruckten Zahlen bezeichnen Krisen, die gewöhnlichen negative
Reaktionen, die durchgestrichenen unbestimmtes Verhalten.
Fall ı zeigt am I. und IV. Tag hämoklasische Krise, am II. und
III. Tag unbestimmte Reaktion, vom V. Tag an wurde die Ver-
dauungsleukocytose beständig. Bleibend ausgesprochene Steigung
der Leukocytenzahl vom V. Tag an weist auch Fall 6 auf, mit
erstem verglichen den Unterschied aufweisend, daß bei diesem die
Krise der ersten zwei Tage folgend, am III. und IV. Tag die Leuko-
cytenkurve wellenförmig verlief, doch mit zweimal so hohem Auf-
stieg als Abfall, wonach schon am III. und IV. Tag negative Reaktion
angenommen werden mußte. Bei Fall 2 tritt nach der Krise der
ersten zwei Tage am IIT. und IV. Tag Verdauungsleukocytose auf.
um am V. und VI. Tag wiederun der Krise Platz zu machen. Bei
Fall 3, 5, 7, 9 und 10 läßt sich im großen und ganzen dasselbe Ver-
halten verfolgen. Diese wiesen in den ersten Tagen keine Krix
auf, an einem oder anderem der folgenden Tage trat sie ein- zwei-
mal auf, um bald nach einer erneuten Steigung der weißen Blut-
körperchenzahl in den drei folgenden Tagen launenhaft hie und
da aufzutreten. Fall 4 und 8 reagierte in der ganzen Nev-
geborenenzeit negativ, und endlich Fall ır und I2 reagierten ır
den acht ersten Lebenstagen nur an einem Tage auf Nahrung:-
aufnahme mit Krise, zeigten aber sonst Steigung der weißen Blut-
korperchenzahl.
Heft 5 Das Verhalten der Leukocytenzahl während der Verdauung. 515
| { 3% Bu nr,
Tage I m tm. m! vw "an" vm I vo.
Durchschnittl. i 4
Nüchternwert 17,976
Fall 1 | — 22,5
ty
“I
‚ 10
Hämoklasische ! |
Krise 3 ! 6
i i
Negative | | | i |
Reaktion 8 5 ' oa |) 10 | 8 ' 9 8 | 12
: | i
Unbestimmte | | | | : | |
Reaktion FL baan Dop Di y o I o
Eine Regelmäßigkeit kann in unseren Fällen nur darin geschen
werden, daß eine ausgesprochene Krise am VIII. Tage bei keinem
derselben auftrat. Zwei Fälle (9. und 12.) zeigten zwar wellenförmige
23%
33
516 Hainiss und Heller. Heft 5
Leukocytenkurven an diesem Tage, jedoch entweder mit Verände-
rungen unter 20%, (Fall 9) oder aber mit unverhältnismäßig höherem
Aufstieg als Abfall (Fall 12). Auch diese zwei Fälle müssen demnach
zu den negativen Reaktionen gezählt werden, nach unserer oben
besprochenen Auffassung. Eines ist sicher, daß wir ausgesprochene
Leukopenie am Ende der Neugeborenenzeit am VIII. Tage nicht
gesehen haben. Dies kann nicht nur auf Grund unserer Reihe von
12 beobachteten Fällen ausgesagt werden, sondern kann weiter mit
25 am VIII. Tage vollzogenen Untersuchungen unterstützt werden.
Diese Ergebnisse tragen dazu bei, unsere schon an anderer Stelle
betonte Meinung [Heller (5)] zu bekräftigen, daß, in Widerspruch
mit Schiff-Stranskys Untersuchungen bei gesunden Brustkindern
die Verdauungsleukopenie nicht physiologisch ist, im
Gegenteil — zugebend, daß wir selten auch Verdauungs-
leukopenie gefunden haben — unserer Meinung nach bei
gesundem Säugling die Verdauungsleukocytose die regel-
maBige ist. Nach Schippers und C. de Lange steigen im großen
Material die mit Schiffs Angaben widersprechenden Ausnahmen,
doch Friedemann und Nubian glauben auf Grund ihrer orien-
tierenden Versuche, daß der gesunde Säugling in dieser Beziehung sich
nicht anders verhält, als der Erwachsene und machten für Schiffs
Versuchsergebnisse die Überdosierung der Nahrung verantwortlich.
Ihre Annahme, laut welcher bei gesundem Säugling die Verdauungs-
leukocytose regelmäßig wäre, findet Unterstützung in unseren
Untersuchungen, doch können wir nicht zugeben, daß die von Schiff
beobachtete Verdauungsleukopenie ein Folgezustand der Über-
dosierung der Nahrung wäre. Schiffs Nahrungsmengen können im
allgemeinen nicht als zu große angesehen werden, und übrigens hat
er theoretisch Friedemann und Nubians Auffassung bereits
widerlegt. Wir gaben wiederholt die !/,—2fache Menge der physio-
logischen Nahrung, um den Einfluß der Überdosierung auf die Ver-
dauungsveränderung der weißen Blutkörperchenzahl zu beobachten.
Von diesen seien nur 3 Fälle erwähnt, als je ein Beispiel des beobach-
teten verschiedenen Verhaltens. Der eine Fall, ein vier Wochen alter
3!/, kg wiegender Säugling, welcher auf seine gewöhnliche Mahlzeit
von 100 g Frauenmilch mit Verdauungsleukocytose reagierte (9300—
10 200—II 000—11 600—12 000), auf Darreichung von 180 g Frauen-
milch, d. h. fast die doppelte Menge ebenfalls Steigung der weißen
Blutkörperchenzahl aufwies (10900— 11300—12350—10500—10850).
Die zwei anderen Fälle sind Neugeborene, welche nach der Geburt
50 g Colostrum bekamen. Der eine antwortete auf die Überdosierung
Heft 5 Das Verhalten der Leukocytenzahl während der Verdauung. 517
mit Leukopenie (15 900—14 500—12 900—14 300—10 100), der
andere mit Leukocytose (20 250—24 100—25 500—2I 900— 22 IO0),
wahrend bei 5 g Colostrum beide Leukopenie aufwiesen (I. 14 000—
II 300—10 250—9500—12 000, II. 18 700—16 300—15 400—16 300
—17 500). Uberdosierung lést demnach nicht unbedingt
Verdauungsverminderung der Leukocytenzahl aus bei
cinem sonst mit Verdauungsleukocytose reagierendem
Säugling oder Neugeborenem.
Was die Veränderung der Leukocytenzahl der Neugeborenen an-
belangt, stimmen diese mit den älteren Angaben von Scipiades
überein: Die bei der Geburt hohe Zahl fällt allmählich ab, am III.
und IV. Tag ziemlich gleichbleibend, um am VII. und VIII. Tag
ein wenig steigend, seine bleibende Höhe zu erreichen. Individuelle
Schwankungen sind ziemlich groß, am ı. Tag zwischen 28 300 (Fall 6)
und 10 250 (Fall 9) schwankend.
Linzenmeier (ro) hat jiingst mitgeteilt, daB aus der am ersten
Tage auftretenden Krise beinahe mit Bestimmtheit die Erscheinung
des Icterus neonatorum vorausgesagt werden kann. Er beobachtete
die Leukocytenzahlveranderung an 30 Neugeborenen, bei 22 nach
Verlauf der ersten 24 Stunden, bei 8 am III.—IV. Tag bei bestehen-
dem manifestem Icterus. Nach seinen Untersuchungen wurden
Neugeborene, welche nach Verlauf der ersten 24 Stunden hamo-
klasische Krise aufwiesen, gelbsiichtig, die sich anders verhaltenden
jedoch nicht. Die acht untersuchten icterischen Säuglinge aber
wiesen Leukopenie auf. Dieser Zusammenhang schien interessant,
und in Anbetracht dessen, daß von der hämoklasischen Krise auf
eine funktionelle Störung der Leber geschlossen werden kann, auch
wahrscheinlich zu sein. Unsere an großem Material bewerkstelligten
Untersuchungen scheinen dies jedoch nicht zu bekräftigen. Unter
109 untersuchten Neugeborenen bestand bei 46 sichtbare Gelbsucht,
bei 63 keine. Von den 46 gelbsüchtigen reagierten auf Nahrungs-
aufnahme 12 (26,08%) mit Leucopenie, 32 (69,56%) mit Leukocytose,
und bei 2 (4,36%) war die Reaktion unbestimmt. Von den 63 Neu-
geborenen ohne sichtbare Zeichen von Icterus (die jedoch schwach
icterisch sein konnten) bei 24 (38,09%) war Krise, bei 33 (52,38%)
Leukocytose, bei 6 (9,53%) war der Befund nicht bestimmbar. Diese
letzte Gruppe außer acht lassend, bei der, wenn auch nicht sichtbar,
doch mittels Blutuntersuchung Gelbsucht wahrscheinlich nachweisbar
gewesen wäre, wollen wir nur das Material der ersten Gruppe be-
rücksichtigen. Bei diesen war der Icterus sichtbar, demnach stark
ausgeprägt, und doch bestand nur in 26% Krise, in 69% nicht.
518 Hainiss und Heller. Heft 5
Diese Verhältnisse zeigen an, daß zwischen der Gelbsucht der
Neugeborenen und der hämoklasischen Krise kein Zu-
sammenhang festzustellen ist, doch bekräftigt dies auch
unsere ausführliche Versuchsreihe von 12 untersuchten Fällen, von
denen wir nur die Fälle 4 und 8 erwähnen wollen als solche, die
in der Neugeborenenperiode niemals mit Krise reagiert hatten, ob-
zwar Fall 4 stark sichtbaren Icterus aufwies. Fall 8 jedoch über-
haupt nicht gelbsüchtig wurde. Wir können uns auch Linzen-
meiers Ansicht nicht anschließen, nach welcher aus dem Ergebnis
der nach Ablauf der ersten 24 Stunden verrichteten Untersuchung
auf das Auftreten des Icterus geschlossen werden könnte. Die Fälle
2, 3, 5, 6, 7, IO reagierten zu dieser Zeit mit Leukopenie, doch
wies nur Fall 13, 5, 7, 10 sichtbare Zeichen von Icterus auf. Um-
gekehrt fanden wir nach Ablauf der ersten 24 Stunden ausgespro-
chene Verdauungsleukocytose im Falle 9 und 11 (den II. Tag der
von uns ebenso bewerteten Fälle 4, 8, 12 gar nicht mitgerechnet)
und beide wurden stark gelbsiichtig, Fall II sogar in selten hohem
Grade. Auf Grund unserer in Serien ausgeführten Untersuchungen
können wir Linzenmeiers Angaben, welche aus einer einmaligen
Beobachtung gezogene Schlüsse vorstellen, nicht zustimmen. In
der Neugeborenenzeit ist vom Vorhandensein der hämoklasischen
Krise entweder kein Schluß auf die unvollkommene Funktion der
Leber zu ziehen, da die Krise ganz unerwartet auch an solchen Tagen
wieder auftreten kann, an welchen die Funktion der ‚rückständigen“
Leber schon vollkommener geworden ist, oder — sollte der hämo-
klasischen Krise ein sicherer diagnostischer \Vert zugegeben sein —
ist die Leber der Neugeborenen nicht in einer funktionellen ‚„Rück-
ständigkeit‘‘ sondern in einer funktionellen Unsicherheit.
Nach den Ergebnissen unserer Versucheistinder Neugeborenen-
zeit
1. Verdauungsleukocytose und Leukopenie regellos wechselnd,
2. hämoklasische Krise am häufigsten am II. Tage zu finden.
3. Es gibt keine auf Nahrungsaufnahme immer mit Leukopenie
reagierenden Neugeborenen.
4. Vereinzelte Neugeborene reagieren in der ganzen Neugeborenen-
zeit kein einziges Mal auf die Nahrungsaufnahme mit Krise.
5. Am Ende der Neugeborenenzeit wird die Verdauungsleuko-
cytose die Regel.
6. Zwischen der Gelbsucht des Neugeborenen und der Veränderung
der weißen Blutkörperchenzahl besteht kein Zusammenhang.
Heft 5 Das Verhalten der Leukocytenzahl wahrend der Verdauung. 519
Iy m
Wi de w
Literaturverzeichnis.
. Mayer-Estorf, Klin. Wochenschr. 1922, Nr. 18.
. Eisenstadt, Klin. Wochenschr. 1922, Nr. 36.
. Torday, Orvosi Hetilap 1922, Nr. 22.
. Schiff und Stransky, Jahrb. f. Kinderheilk. 1921, Bd. 95.
. Heller, Orvosi Hetilap 1923, Nr. 14 und Monnatsschr. f. Kinderheilk. 1923,
Bd. 26.
. Lesne und Langle, Physiologie norm. et pathol. du nourisson 1921 (ref.).
. Schippers und C. de Langle, Zeitschr. f. Kinderheilk. 1922, Bd. 33.
. Stranskv und Langer, Klin. Wochenschr. 1922, Nr. 5.
. Friedemann und Nubian, Klin. Wochenschr. 1922, Nr. 40.
. Linzenmeier und Lilienthal, Zentralbl. f. Gynakol. 1922, Nr. 47.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Breslau. (Dir.: Prof. Dr. Stolie.)
Zur Differentialdiagnose zwischen Relaxatio diaphragmatica
und Hernia diaphragmatica.
Von Dr. Wilhelm Schober, Assistent der Klinik.
(Mit 8 Abbildungen.)
Die Atrophie des Zwerchfells, eine im ganzen recht seltene Ano-
malie — die Literatur weist nur 22 sichere Fälle auf —, die sich
pathologisch-anatomisch in einem Verlust oder wenigstens in einer
erheblichen Reduzierung der zwischen Pleura und Peritoneum ge-
legenen Muskelschicht dokumentiert, führt zu einem Krankheitsbild,
das fast immer große differentialdiagnostische Schwierigkeiten
bietet. Im Vordergrund der Symptome steht eine Hochdrängung
des in seiner Kontinuität intakten Zwerchtells, weshalb von manchen
Autoren von einem „idiopathischen Zwerchfellhochstand‘ ge-
sprochen wird. Lange war die von Cruvelhier geprägte Bezeich-
nung Eventratio diaphragmatica üblich, am treffendsten dürfte jedoch
das Krankheitsbild nach dem Vorschlag von Wieting als Relaxatio
diaphragmatica = Zwerchfellerschlaffung benannt werden, da mit
diesem Ausdruck am besten der anatomischen Grundlage Rechnung
getragen wird und die daraus resultierenden klinischen Verhältnisse
sich leicht vermuten lassen. Frühere diagnostische Irrtümer, wie
Verwechselungen mit Pleuritis exsudativa, Pneumothorax und
echter Dextrokardie, lassen sich seit Einführung des Röntgenver-
fahrens leicht vermeiden, nur die differentialdiagnostische Abgren-
zung der Relaxatio diaphragmatica gegenüber der Hernia dia-
phragmatica ist auch heute so schwierig, daß sie von manchen Autoren
sogar für unmöglich gehalten wird. Die Schwierigkeiten erhellen
vielleicht am besten aus der Tatsache, daß der in der Literatur oft
genannte Fall Schneider (autoptisch: Relaxatio diaphragmatica)
an verschiedenen Universitätskliniken und Krankenhäusern Deutsch-
lands von berufensten Untersuchern bald als Hernia, bald als Rela-
xatio diagnostiziert wurde. Und doch ist die Sicherstellung des
Befundes für den Patienten von weittragendster Bedeutung, da die
Heft 5 Zur Differentialdiagnose zwischen Relaxatio diaphragmatica usw. 52I
Hernie wegen der Gefahr der Incarceration den chirurgischen Ein-
griff erfordert, während ihn die Relaxatio unnötig und zwecklos
erscheinen läßt.
Im folgenden sei kurz über eine 'eigene Beobachtung berichtet,
bei der wir die Klärung des Symptomenkomplexes als Relaxatio
. für durchaus gesichert halten.
Der ı2 jährige, gut entwickelte und aus gesunder Familie stammende Knabe
Paul B. wurde vom Schularzt, dem er bei einer Reihenuntersuchung wegen
eines linksseitigen Lungenbefundces aufgefallen war, zugeschickt. Bemerkens-
wert erschien, daß das Kind, von einer Scarlatina mit Ohrkomplikation ab-
gesehen, stets gesund gewesen war und auch zur Zeit keinerlei Beschwerden
hatte. Als physikalischer Befund fiel zunächst eine Verlagerung der Herz-
dAmpfung nach rechts auf (Herzgrenzen [relative Dämpfung]: 1. Parasternal-
linie, r. Parasternallinie, 1. oben 3. Rippe). Über der linken Lunge fand sich
hinten unten unterhalb des Angulus scapulae ein Dämpfungsgebiet mit tympani-
tischem Beiklang, das sich nach der Wirbelsäule zu aufhellte. In diesem Be-
zirk war das Atemgeräusch außerordentlich stark abgeschwächt, teilweise
aufgehoben. Während bei der ersten Untersuchung, gestützt durch eine Tempe-
raturerhöhung bis 38,5° (es hat sich wohl um einen vorübergehenden banalen
Infekt gehandelt), die Vermutung eines pleuritischen Exsudates nahe lag,
störte im Symptomenbild das Mißverhältnis zwischen der geringen Intensität
der Klopfschallverkürzung und dem hohen Grad der Abschwächung des Atem-
geräusches. Die Durchleuchtung vor dem Röntgenschirm gab rasch eine ge-
wisse Klarheit: die Lungenfelder waren frei, ein Exsudat war nicht erkennbar,
dagegen zeigte sich ein auffallender Hochstand des linken Zwerchfells. Auf
den ersten Blick hatten wir den Eindruck, daß eine einfache Hochdrängung
der in ihrem Verlauf etwas stärker als gewöhnlich gewölbten Grenzlinie zwischen
Bauch- und Brusthöhle vorlag. also eine Relaxatio.
Diese Diagnose versuchten wir durch genaue klinische Be-
obachtung, durch ausgiebige Verwendung des Röntgenverfahrens
und durch Messung des Mageninnendrucks in seiner Abhängigkeit
von der Respiration zu sichern. Obwohl eine Reihe von Unter-
suchern auf die röntgenologische Diagnose allein schwören zu
können glauben, hielten wir doch eine Heranziehung der letztge-
nannten von Hildebrand und Heß!) angegebenen Methode für
angezeigt. Die mit beiden Verfahren gewonnenen Resultate stützten
die Diagnose der Relaxatio voll und ganz, so daß auch wir trotz
der von Becker?) gegen die Methode Hildebrands und Heß’
vorgebrachten Einwände der Ansicht Bergmanns?) beipflichten, daß
1) Hilde brand und HeB: Zur Differentialdiagnose zwischen Hernia
diaphragmatica und Eventratio diaphragmatica. [Münchner med. Wochenschr.
1905, Nr. 16.]
2) Becker: Röntgenuntersuchungen bei Hernia und Eventratio dia-
phragmatica [Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen, Bd. 17 (1911).}
2) Bergmann: Über Relaxatio diaphragmatica. [Ergebnisse der inneren Me-
dizin und Kinderheilkunde, Bd. 12 (1913).] (Dort ausführliche Literaturangaben |)
522 Schober. Heft 5
man mit Hilfe der Magendruckmessung „mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit‘‘ die Differentialdiagnose zwischen
Hernia diaphragmatica und Relaxatio diaphragmatica stellen kann.
Die klinische Beobachtung ‘unseres Falles ließ bald eine gesetz-
mäßige Abhängigkeit des physikalischen Befundes von der Nahrungs-
aufnahme erkennen. Der wechselnde Befund wird vielleicht am besten
durch die folgender Skizzen illustriert:
Angulus scap
Z A
Dämpfung _- "=. (Rückansicht!
> oo ` N
a r N
>
a.
ai 2,
2) 5
7| ©
DSS
= 10. Brustwirbel
Skizze 1.
( Vorderansicht)
o Mamille
Nerzdämpfung:
absolute Leberdämpfung 7
_ :\ord. Mahlzeit
-° : nach d. Mahlzeit
Skizze 2.
Heft 5 Zur Differentialdiagnose zwischen Relaxatio diaphragmatica usw. 523
Das Bild vor dem Röntgenschirm ergänzt die Ergebnisse der
Perkussion und Auskultation mit noch größerer Deutlichkeit. Er-
wähnt mag noch werden, daß bei häufigen Nachuntersuchungen
innerhalb von 4 Monaten stets die gleichen Befunde erhoben wurden.
®
(nüchtern) (nach der Mittagsmahlzeit)
Skizze 3. Skizze 4.
Die Skizzen 1, 2 und 4 werden natürlich durch einen stärkeren
Füllungszustand des Magens und das dadurch bedingte Ausweichen
des linken Zwerchfells, das einen locus minoris resistentiae darstellt,
hervorgerufen.
Unbedingt klar zu beantworten ist dabei die Frage: Stellt die
Grenzlinie zwischen Abdomen und Brustraum einfach die Zwerch-
fellkontur dar oder wird sie teilweise durch Zwerchfell und teilweise
durch den Magen, der durch eine Zwerchfellücke hindurchgetreten
ist, gebildet. Der springende Punkt bleibt also letzten Endes der:
Befindet sich der Magen im Brustraum oder im Bauchraum ?
Nur eiri Zusammentreffen mehrerer gleichsinniger Beobachtungen
kann eine einwandfreie Entscheidung geben. Die gleichmäßig bogen-
förmige Linie, die in unserem Fall Brust- und Bauchraum trennt,
spricht für Relaxatio; bei der Hernie würde man eine mehr stufen-
förmige Kontur erwarten können. Die Bogenlinie macht verhältnis-
mäßig ausgiebige Exkursionen bei der Respiration, tritt bei der
Inspiration ca. 4 cm tiefer, während im Fall einer Hernia diaphrag-
matica durch den negativen Druck im Thoraxraum Magen und
Darmteile aspiriert werden müßten und dann eine Aufwärtsbewegung
der Bogenlinie, eine paradoxe Verschieblichkeit, eintreten müßte
oder wenigstens könnte. ‘Indes liefern diese Beobachtungen nur
gewisse Anhaltspunkte zugunsten der einen oder der anderen Auf-
fassung. Den schlagenden Beweis für die Diagnose der Relaxatio
diaphragmatica erbringt die Röntgenphotographie nach Wismutbrei-
524
Schober.
ee
— — u
Heft 5 Zur Differentialdiagnose zwischen Relaxatio diaphragmatica usw. 525
füllung des Magens, wenn es gelingt, Zwerchfell und Magenwand
getrennt darzustellen.
Figur I zeigt die hochstehende Bogenlinie, darunter fast senk-
recht dazu 2 Konturen, die der Magenwand entsprechen dürften.
Bei Drehung (Figur 2) gelangen diese beiden Konturen fast zur
Deckung, die Bogenlinie bleibt unverändert. Auf Figur 3 endlich
erkennt man den dichten Schatten des mit Kontrastbrei gefüllten
Magens, daneben deutliche Dickdarmteile mit Zeichnung der
Haustrien. Darüber hinweg zieht in unveränderter Gleichmäßigkeit
vom Herzschatten zur Peripherie die Bogenlinie, deren Identität
mit dem Zwerchfell besonders auf Grund der letztgenannten Röntgen-
aufnahme nicht mehr in Zweifel zu ziehen ist. |
Die Ergebnisse der nach Hildebrand-Heß’ Vorschlag vor-
genommenen Druckmessungen bilden einen weiteren Stiitzpunkt der
Diagnose.
Um der Kurve noch mehr Beweiskraft zu verleihen, registrierten
wir neben der Respiration und dem Mageninnendruck gleichzeitig
die Druckschwankungen im Dickdarm, einem sicher im Abdomen
526 Schober: Differentialdiagnose. Heft 5
gelegenen Hohlorgan. Liegt der Magen im Bauchraum, so muß
nach Schlippe?) der Innendruck bei der Inspiration erst absinken
infolge Hebens der Rippen, dann bis zur Höhe der Inspiration an-
steigen; bei Beginn der Exspiration muß der Druck infolge Er-
schlaffung und Hochsteigens des Zwerchfells sinken, dann beim
Inkrafttreten der Bauchpresse etwas ansteigen, um schließlich end-
R | | x Pr
h `t
ww asi AN
R = Respiration I = Inspiration,
Me oe E = Exspiration,
D == Darmdruck, Pr = Pressen auf der Höhe der In-
spiration.
gültig abzufallen. Die gleiche Forderung besteht unseres Erachtens
für den Ablauf der Darmkurve. Da unsere Kurve in allen ihren
Phasen diesen Forderungen gerecht wird, so schließen wir daraus
mit aller Bestimmtheit: Weil die Magenkurve direkt gleichsinnig
der Darmkurve verläuft, so muß auch der Magen in derselben Körper-
höhle liegen wie der Darın, also kann es sich in unserem Falle nur
um eine Relaxatio diaphragmatica handeln.
Was die Ätiologie der Zwerchfellschädigung betrifft, so möchten
wir eine kongenitale Mißbildung für am wahrscheinlichsten halten.
Unsere Auffassung findet in autoptischen Befunden — hat man
doch mehrfach bei Neugeborenen eine Zwerchfellatrophie feststellen
können — ihre Begründung und deckt sich mit derjenigen der meisten
Autoren. Ein Trauma scheint in unserem Fall nicht in Frage zu
kommen, eine primäre Schädigung des N. phrenicus möchten wir
bei der doch noch recht guten Bewegung des Zwerchfells ablehnen.
1) Schlippe: Physikalische Untersuchungen bei der Anwendung des
Magenschlauches. (Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 76 (1903).]
Referate.
Physiologie und allgemeine Pathologie.
Slawik, E. Über Ödembereitschaft beim Säugling. (Arch. f. Kinder-
heilk. 72, 1923, S. 178.)
Es werden die verschiedenen Formen der Ödeme der Neugebore-
nen und Säuglinge geschildert und nach ihrer verschiedenen Ätiologie,
soweit diese bekannt ist, geordnet. P. Karger.
Borrino, Angiola. Schwankungen der „Perspiratio insensibilis“. Ihr
Wert für die Pathologie des Sauglings. (Riv. di clin. pediatr. 1923,
11, H. 3, S. 151.)
Mit dem für Kinder veränderten Galeottischen Apparat hat
Verf. beträchtliche Schwankungen der ‚Perspiratio insensibilis‘
und der Hauttemperatur bei verschiedenen Kleidungszuständen
feststellen können. Bei Neugeborenen, Säuglingen und auch älteren
Kindern bewirkt die Beschwerung der Kleidung eine schnelle Steige-
rung der Hauttemperatur und der ‚Perspiratio“, besonders bei
schwer durchdringlichen Kleidern und bei hoher Umgebungs-
temperatur. Diese Ergebnisse beweisen die große Bedeutung der
Kleidungsart für den Wasser- und Wärmestoffwechsel im Kindes-
alter und für die spezielle Pathologie des Säuglings (Sommersterblich-
keit wegen Gastroenteritis).
Diagnostik.
Nizzoli, A. (Universität Modena). I} valore semetologico della pressione
arteriosa in Pediatria. (Die diagnostische Bedeutung des Blutdrucks
in der Pädiatrie.) (La Pediatria 1923, 31, S. 609.)
Die auskultatorische Methode von Korotkow ist bei kleineren
Kindern schwer anwendbar; sehr gute Resultate gibt das Oscillo-
meter von Pachon. Senkung des maximalen und minimalen Blut-
drucks findet man bei Vasomotorenlähmung, bei plötzlichen Blut-
verlusten, bei Myokardeıkrankung und vielen Infektionskrank-
heiten ; Steigerung des maximalen und normalen minimalen Drucks
bei Aorteninsufficienz; erhöhten Maximal- und Minimaldruck bei
Hypertension infolge von Nierenerkrankungen, normalen Maximal-
druck und erhöhten Minimaldruck bei Fällen von Hypertension,
die mit Herzinsufficienz kombiniert sind. Tezner (Wien).
528 Diagnostik. Heft 5
Koeppe, Hans. Die Perkussion des kindlichen Schadeis. (ÜUniver-
sitäts-Kinderklinik Gießen.) Jahrb. f. Kinderheilk. 102, 1923, 'S. 13.
Auf Grund langjähriger Erfahrungen, über die Verfasser schon
ıgıg (Dtsch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 6) berichtete, kommt er
zu dem abschließenden Ergebnis, daß die Perkussion des kindlichen
Schädels keineswegs die Diagnose bestimmter Krankheiten zuläßt.
Der praktische Wert dieser klinischen Methode soll vielmehr darin
liegen, ganz allgemein einen Anhaltspunkt für erhöhten intrakra-
nellen Druck zu geben, in gewissen Fällen den richtigen Zeitpunkt
für eine Lumbalpunktion zu bestimmen, gemeinsam mit anderen
Symptomen die Diagnose erhöhten Hirndruckes zu festigen. Die
Methode ist, wie Koeppe angibt, nicht neu, wurde von alten Tier-
ärzten und namhaften Klinikern (Piorry 1828, Betz 1855, Bruns
1897) geübt und verfeinert, kann bei fehlerhafter Technik leicht zu
Trugschlüssen führen. Untersuchung erfolgt am besten in Rücken-
lage des Patienten, der Kopf soll auf einem Kissen liegen. Die Schall-
unterschiede sind wahrscheinlich in der verschiedenen Spannung der
Schädelwandung begründet, eine genaue physikalische Erklärung
ist schwierig. Das wichtigste klinisch verwertbare Symptom ist
ein Auftreten von tympanitischem Schall und ,,Schettern‘ (bei
direkter ganz kurzer Perkussion mit leicht gekrümmtem Zeige- oder
Mittelfinger) das stets für erhöhten intrakraniellen Druck spricht.
Die Befunde deckten sich in einer Reihe von Fällen (Hirntumor.
Meningitis, Encephalitis, Hydrocephalus) mit den Ergebnissen der
Lumbalpunktion (erhöhter Liquordruck) und der Augenhinter-
grundsuntersuchung (Stauungspapille). Das Symptom ist bei Säug-
lingen weniger brauchbar als jenseits des ersten Lebensjahres.
W. Gottstein.
Provinciali, U. (Päd. Klin. Parma). Sul valore diagnostico della
reazione di Pandy nelle meningiti tuberculari de; bambini. (Der
diagnostische Wert der Pandyschen Reaktion bet der tuberkulésen
Meningitis der Kinder.) (La Pediatria 1923, 31, S. 409.)
Die Pandy-Reaktion muß stets den Verdacht auf Meningitis
tuberculosa erwecken, ist aber für diese nicht charakteristisch.
Nur wenn außerdem noch ein Spinnwebgerinnsel auftritt, ist die
Diagnose mit Sicherheit zu stellen. Tezner (Wien).
Landau, A. Über einen tonischen Lagereflex beim ältern Säugling.
(Klin. Wochenschr. II. Jahrg., Nr. 27, 2. Juli 1923.)
Hebt man ältere Säuglinge aus der Bauchlage, in der sie be-
kanntlich selbst den Kopf heben und das Kreuz durchdrücken —
eine Lage, wie sie bei zurückgebliebenen Rachitikern therapeutisch
verwertet wird —, von ihrer Unterlage auf, ohne sie dabei um ihre
Längs- oder Querachse zu drehen, so verharren die Kinder, selbst
Heft 5 Diagnostik. — Behandlung. 529
wenn sie nur an den oberen Thoraxpartien unterstiitzt, gewisser-
maßen schweben, in ihrer opisthotonischen Haltung eine geraume
Zeit, bis sie dann plötzlich Kopf und Becken schlaff herabsinken
lassen. Während des Stadiums der tonischen Schwebehaltung
bewirkt passive Beugung des Kopfes sofortige Erschlaffung der
Rückenstrecker. Diese Erscheinungen finden sich besonders aus-
geprägt bei Kindern, deren Kopf und Oberkörper beim Versuch des
Aufsetzens schlaff auf die Unterlage sinken. Kinder mit vollent-
wickelten statistischen Fähigkeiten zeigen dieses Phänomen nicht
mehr. Verfasser bringt diese Beobachtungen in Beziehung zu den
von Magnus und seiner Schule studierten Stellreflexen. Die be-
sondere Verknüpfung der Labyrinth- und Halsreflexe beim älteren
Säugling dürfte für die Entwicklung der statischen Fähigkeiten
von Wichtigkeit sein. Die Erscheinungen zeigen ferner, daß der
klinische Eindruck vom Tonus der Muskulatur keinen Schluß auf ihre
„wahre“ tonische Leistungsfähigkeit zuläßt. Wolff (Hamburg).
Tebbe. Über den hemmenden Einfluß von Luesflocken auf die Saponin-
hämolyse. (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 257.)
Bei positiven Reaktionen hemmen die Flocken stärker als die
abpipettierte Flüssigkeit allein, bei negativen kein Unterschied.
Das Cholesterin, das als hemmender Faktor angesehen wird, muß
also vornehmlich in den Flocken vorhanden sein. P. Karger.
Behandlung.
Herrmann, G. Vergleichende Untersuchungen über Heslwirkungen der
Quarz- und der Heltollampe. (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923,
S. 172.)
Bei geringem Material gleiche Erfolge. Bei exsudativen Haut-
erscheinungen erwies sich Heliollampe als besser, bei Rachitis kein
Unterschied. P. Karger.
Eckstein, A. und Möllendorff, W. v. Histophysiologische Untersuchun-
gen über den Einfluß der Bestrahlung mit der Quecksilberquarzlampe.
(Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 205.)
Weiße Ratten wurden mit Trypanblau injiziert und nach Be-
strahlung mit mäßiger Dosis die Speicherung des Farbstoffes in der
Niere histologisch geprüft. Die Speicherung erfolgte bei den be-
strahlten Tieren schneller. Die Tätigkeit der Niere wird gesteigert
durch Bestrahlung, was sich in beschleunigter Ausscheidung der
Farbe manifestiert. Depots in der Haut werden durch die Bestrah-
lung mobilisiert und in rascheren Umlauf gebracht, die stärkere Durch-
blutung stellt dabei wohl ein ursachliches Moment dar. P. Karger.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 34
_* = a
530 Behandlung. Heft 5
György, P. und Gottlieb, K. Verstärkung der Bestrahlungstherapie
der Rachitis durch orale Eosinverabreichung. (Klin. Wochenschr.
II. Jahrg., Nr. 28, ọ. Juli 1923.)
Durch orale Verabreichung von Eosin (0,1 Eosin cryst. bläulich
Höchst tgl. auf die Mahlzeiten verteilt) kann die photodynamische
Wirkung der Quarzlichtbestrahlung deutlich verstärkt und die
Heilungsdauer der Rachitis wesentlich verkürzt werden, was bei
den hohen Kosten des. elektrischen Stromes und des Krankenhaus-
aufenthaltes sehr erwünscht ist. Der Heilungsverlauf wurde nicht
nur klinisch, sondern auch röntgenologisch und durch Bestimmung
des Blutphosphatwertes kontrolliert. Wolff (Hamburg).
Bucky und Kretschmer. Röntgenbestrahlungen zur Hebung des All-
gemetnzustandes schwächlicher Kinder. (Klin. Wochenschr. 2, Nr. 32,
S. 1498.)
Die bei der therapeutischen Röntgenbestrahlung tuberkulöser
Kinder gemachte Erfahrung, daß schon nach den ersten Bestrah-
lungen sich der Allgemeinzustand deutlich besserte, vor allem der
Appetit auffallend zunahm und sich ein steiler Gewichtsanstieg zeigte,
gab die Veranlassung auch bei sicher nichttuberkulösen, elenden
Kindern einen Versuch mit Bestrahlungen mit Einzeldosen von
ca. 1/, Erythemdosis, auf die Sternalgegend appliziert, zu machen.
Der Erfolg war bei diesen Kindern, was den Allgemeinzustand an-
langt, der gleiche wie bei den tuberkulösen Kindern. Nach einer
einzigen Bestrahlung trat eine stark vermehrte Eßlust und ein
starker Gewichtsanstieg auf; auch das Hämoglobin und die Erythro-
cytenzahl nahm zu. Eine erneute Bestrahlung wurde erst dann
vorgenommen, wenn der Erfolg der ersten nachzulassen begann,
was nach 6 Wochen bis 3 Monaten einzutreten pflegt. Die Wirkung
wird in Analogie gesetzt zu dem Effekt von Bluttransfusionen; in
beiden Fällen handelt es sich um die Wirkung von Zerfallshormonen
im Sinne Freunds. Wolff (Hamburg).
Barabäs, Z. v., u. Torday, F. v. Proteinkörpertherapie in der Kinder-
hetlkunde. (Arch. f. Kinderheilk. 7, 1922, S. 111.)
Sehr skeptische Stellungnahme nach Versuchen an groBem Mate-
rial. Bei Tuberkulose keine Erfolge, bei infektiösen Fieberprozessen
oft Verschlimmerungen, kontraindiziert bei atrophischen Säug-
lingen. Artfremde Eiweißkörper sind nicht zu empfehlen, am besten
wirkt menschliches Blut, dann die Tiersera und Frauenmilch.
P. Karger.
Herbst, Käte. Über Behandlung der Säuglingsekzeme mit Witigal.
(Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 218.)
Kurze Empfehlung des bekannten Antiscabiosum für die Be-
handlung trockener Ekzeme. P. Karger.
Heft 5 Pharmakologie. — Entwicklung. 531
Pharmakologie.
Siperstein, David M., und Kvenberg, Anna L. Die Wirkung von
Arzneimitteln auf die Blutagglutinine. (Americ. journ. of dis. of
childr. 26, S. 65.)
Die Bestimmung der Gruppenagglutinine im Blut gab vor und
nach Behandlung mit Chinin, mit milchsaurem Kalk, mit Ather
(Narkose) und mit Arsen (Fowlersche Lösung) dasselbe Ergebnis.
H. Vogt.
Guy, Ruth A. Geschichte des Leberirans als Heilmittel. (Americ. journ.
of dis. of childr. 26, S. 112.)
Der Gebrauch von Fischtran zu Heilzwecken findet sich schon
bei Hippokrates erwähnt, und Plinius schreibt, daß die Leber
des Delphins bei langwierigen Hautleiden äußerlich und innerlich
gebraucht wurde. An der Küste der Shetlandsinseln und des Nordens
von Schottland galt die Leber des Kabeljau von jeher als ein Lecker-
bissen, der Kranken und Schwächlichen verabfolgt wurde. Die
erste Erwähnung der Verwendung des Lebertrans zu Heilzwecken
findet sich im Jahre 1789, wo Darbey aus dem Krankenhaus in
Manchester berichtete, daß bei chronischem schweren Gelenkrheu-
matismus sehr schöne Erfolge damit erreicht worden seien. Offenbar
hat es sich dabei um Fälle von Osteomalacie gehandelt. Im Jahre
1822 schrieb die Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst in Utrecht
einen Preis aus für eine Arbeit über die chemischen Eigenschaften
und die Heilwirkungen des Lebertrans. Im gleichen Jahre erschien
in Deutschland die erste Abhandlung über den Lebertran als Heil-
mittel (Schenck, Journal der prakt. Heilkunde 56, S. 31), und im
Jahre 1824 brachte Schütte die ersten Krankengeschichten von
Rachitisfällen, die mit Lebertran geheilt wurden (Arch. f. med. Er-
fahrung 79. 1824). Seit dieser Zeit hat der Lebertran seinen Platz
als Heilmittel der Rachitis behalten, wenn auch seine Wirksamkeit
von Heubner, Salge, Baginsky, Biedert und Fischl geleugnet
wurde. Die Untersuchungen der letzten Jahre haben über allen
Zweifel sichergestellt, daß die bei Rachitis vorliegende Störung im
Aschenstoffwechsel durch Lebertran behoben werden kann.
H. Vogt.
Entwicklung.
Holt, L. E., und Fales, H. L. Beobachtungen über Gesundheit und
Wachstum an Kindern einer Anstalt. (Americ. journ. of dis. of childr.
26, S. I—22.)
Die Entwicklung und die Ernährung einer größeren Anzahl
Kinder im Alter von 4— 14 (Mädchen bis 16) Jahren konnte während
34°
532 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. Heft 5
31 Monaten genauer verfolgt werden. Der Gesundheitszustand war
während der ganzen Beobachtungszeit gut, dank der regelmäßigen
Lebensweise, einer reichlichen, aber einfachen Kost und der Ver-
meidung von Ansteckung — die Kinder wurden im Hause unter-
richtet. An 2 aufeinander folgenden Tagen wurde die Nahrungs-
aufnahme der Kinder genauer festgestellt. Der Caloriengehalt der
Kost war hoch. Dabei entfielen auf Fett durchschnittlich 22%,
auf Kohlenhydrat 61% und auf Eiweiß 17%. Die Kinder verzehrten
sehr viel Brot zu den Mahlzeiten, worauf der hohe Kohlenhydrat-
verbrauch (61 statt 50%) zurückzuführen ist. Obwohl die Kinder
7 verschiedenen Nationalitäten angehörten, fanden sich nur 6
Knaben und ı Mädchen auf eine Gesamtzahl von 346, bei denen das
Körpergewicht mehr als 10% unter dem für die Körperlänge berech-
neten Durchschnittsgewicht zurückblieb. Auffallenderweise ergab
die Beobachtung dieser Anstaltskinder, die das ganze Jahr hindurch
unter sehr gleichmäßigen Bedingungen lebten, keinen Einfluß der
Jahreszeit auf die Entwicklung. Der Jahreszuwachs an Körper-
gewicht war sehr gleichmäßig, während sich für die einzelnen Monate
sehr erhebliche Schwankungen, aber ohne jede Regelmäßigkeit, heraus-
stellten. Beobachtung verdient, daß monatelange Gewichtsstill-
stände vorkamen ohne erkennbare Gesundheitsstörung. H. Vogt.
Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie.
Zimmermann, E. Zur Indikationsstellung der Czerny-Kleinschmidi-
schen Buttermehlnahrung. (Doktordissertation der Univ.-Kinder-
klinik Göttingen 1922.)
Bei dem im großen ganzen sehr schwerkranken Säuglings-
material mußte mit der Verordnung der Nahrung vorsichtig vor-
gegangen werden. Es wurde daher nicht immer sofort die Voll-
nahrung gegeben, sondern z. B. mit 400 Milch, 200 Wasser und 400
Buttermehlschwitze angefangen und später 400 Milch und 600
Buttermehlschwitze gegeben. Auch letztere wurde noch variiert
von 4:4 :3 und 5:5:4 bis 7:7:5. Mehr als !/, des Körper-
gewichts wurde nur nach längerer Zeit gegeben. Bei ganz jungen
Säuglingen wurde mehrmals die Mischung mit Frauenmilch ver-
ordnet. Die Erfahrungen erstrecken sich auf ein Material von 47 Säug-
lingen und Kleinkindern im Alter von 5 Monaten bis 61/, Jahren.
Die Resultate waren sehr günstig. Besonders zwei Indikations-
gebiete haben sich ergeben, bei denen die Buttermehlnahrung durch-
aus zu empfehlen ist, nämlich für den gewesenen Atrophiker und
den schlecht gedeihenden Rachitiker. Eine dritte Gruppe von
Säuglingen sei erwähnt, bei denen es sich sehr wahrscheinlich um
schwere parenterale Schädigungen handelte, die auf die Buttermehl-
Heft 5 Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. 533
nahrung mit sehr gutem Erfolg reagierte. Schließlich wurden 8 Säug-
linge mit Pneumonie, Lungentuberkulose, Knochen- und Hauttuber-
kulose und Spasmophilie, die mit anderen Nährgemischen keine
gedeihliche Entwicklung zeigten, zu guter Zunahme gebracht. Auch
Mißerfolge blieben nicht erspart. Wenn sich eine Schädigung bei
der Ernährung mit der Buttermehlnahrung einstellte, so wurde der
Zustand des Säuglings meist sehr bedenklich, und eine Reparation
war nur mit großer Mühe zu erreichen. Autoreferat.
Brody, S., Ragsdale, A. C., und Turner, C. W. Der Einfluß der
Gestation auf den Verlauf der Abnahme der Milchsekretion mit fort-
schreitender Lactationsdauer. (Journ. of general physiol. 5, Nr. 6.
S. 777.)
Die Beobachtung des Verlaufs der Milchsekretion bei der Kuh
ergibt, daß die im Laufe der Lactationsperiode eintretende Abnahme
der Milchmenge zahlenmäßig ausgedrückt sich so verhält, daß sie
eine Exponentialfunktion der Zeit darstellt; das bedeutet, daß die
Milchproduktion eines jeden Monates einen gleichbleibenden Prozent-
satz der Milchproduktion des jeweils vorhergehenden Monats beträgt;
das entspricht, ins Chemische übersetzt, dem Ablauf einer sog.
monomolekularen Reaktion: die Milchsekretion würde sich voll-
ziehen entsprechend einer bei der Gebürt eingeleiteten chemischen
Reaktion und würde abnehmen entsprechend der Abnahme der
Konzentration des in Milch umzuwandelnden Stoffes. Mit Eintritt
einer neuen Gravidität geht die Milchmenge schneller zurück, als
dieser Kurve der unimolekularen Reaktion entspricht; dabei besteht
eine deutliche quantitative Relation zwischen der Gewichtszunahme
des trächtigen Tieres und der Abnahme der Milchsekretion über das
bei nichtträchtigen Tieren zu erwartende Maß hinaus.
Wolff (Hamburg).
Angelis, F. de. Sul comportamento morfologico del sangue nei disturbi
della nutrizione. (Das morphologische Verhalten des Blutes bei
Ernährungsstörungen.) (Päd. Klinik Neapel.) (Pediatria 81,
1923, S. 641.)
Bei einfacher Dystrophie fand Verf. herabgesetzten Hämoglobin-
gehalt bei normaler Erythrocytenzahl; zuweilen leichte Leukocytose
und Polynucleose, bei Dystrophie mit Dyspepsie dieselben Verände-
rungen ausgesprochener. Bei Dekomposition betrug der Hämoglobin-
gehalt 40—50%, Sahli, die Zahl der Erythrocyten 2—3 Millionen,
die der Leukocyten ungefähr 13 000 mit Vermehrung der Polymorph-
kernigen. Bei akuter Dyspepsie findet sich Leukocytose, bei In-
toxikation ist die Zahl der roten Blutkörperchen mäßig, die der
weißen stark vermehrt, es sind bis 90%, Polynucleäre vorhanden,
sowie Eosinophile und Mononucleäre in größerer Anzahl.
Tezner (Wien).
534 Ernährungstherapie. — Wachstum und Stoffwechsel. Heft 5
Stephanie, Elisabeth. Pathologisch-anatomische Befunde bei Ernäh-
rungsstörungen der Säuglinge. (Pathologisches Institut der Uni-
versität Leipzig.) (Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923, S. 201.)
Die Arbeit bringt eine zusammenfassende Darstellung eigener
histologischer Befunde an Leber, Milz, Nebennieren, Thymus. An
dem reichen Material von ı2ı Fällen (99 Säuglingen, unter diesen
44 verschiedenartige Ernährungsstörungen) werden die vorangegan-
genen Untersuchungen von Lubarsch und Hübschmann teils
bestätigt, teils erweitert. Obgleich sich nur in einem Bruchteil aller
Ernährungsstörungen eindeutige histologische Veränderungen nach-
weisen lassen, gibt es doch vor allem für die akuten klinischen Bilder
anatomische Unterlagen. Kurzdauernde tödlich verlaufende Dys-
pepsien und Intoxikationen führten zu Leberverfettung, Fettschwund
in der Nebennierenrinde, Hämosiderinablagerungen geringen Grades
in Milz und Leber. Chronische Fälle weisen auffallend starke Hämo-
siderinablagerungen besonders in der Milz auf, dagegen keine Leber-
verfettung mit Ausnahme des Mehlnährschadens, wo sich überein-
stimmend mit den Befunden von Hübschmann regelmäßig die
starke Fettleber zeigte. Das häufige Vorkommen der Fettleber nach
ganz akuten Dyspepsien spricht für die Annahme von Finkel-
stein (neben toxischen Eiweißabbauprodukten wirken starke
Wasserverluste schädigend auf das Leberparenchym), Verfettung
der Thymuszellen, dessen Grad dem Gewebeschwund entsprach,
fand sich bei akuten und chronischen Störungen ohne Zusammen-
hang mit der klinischen Verlaufszeit. W. Gottstein.
Wachstum und Stoffwechsel.
Scheer, Kurt und Müller, Fritz. Zur Physiologie und Pathologie
der Verdauung beim Säugling. I. Mitteilung. Acidıtät und Puffe-
rungsvermögen der Faeces. (Universitäts-Kinderklinik in Frank-
furt a.M.) (Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923, S. 143.)
In dieser Arbeit ist der Versuch gemacht, die Acidität der Säug-
lingsstühle nicht nur aus der Art der Nahrung (Frauenmilch, Kuh-
milch, Milchmischungen, Zuckerzusätze, puffernde Eiweißsub-
stanzen) zu erklären, sondern die Reaktion auch aus den rein mo-
torischen Vorgängen (Darmperistaltik, Verweildauer, Zahl und
Konsistenz der Stühle) abzuleiten. Messungen des py bestätigten
die älteren titrimetrischen Ergebnisse, daß Frauenmilchstuhl ım
allgemeinen eine höhere Acidität zeigt als Kuhmilchstuhl. Weitere
Versuche, die teilweise an verschiedenen Kindern, teils an dem glei-
chen Fall bei Wechsel der Ernährung (Frauenmilch, dann Vollmilch,
Kuhmilch mit steigenden Zuckermengen, Steigerung des puffernden
Eiweiß) angestellt wurden, zeigten, daß reichlicher Zuckergehalt
Heft 5 Wachstum und Stoffwechsel. 535
und geringes Pufferungsvermögen mehr saure, Verminderung der
schwer resorbierbaren Zucker und Steigern der Puffersubstanzen
alkalischere Stühle bedingt. Das Pufferungsvermögen wurde durch
die zur Erreichung einer bestimmten Acidität verbrauchte Säure-
menge — Pufferindex nach F. Müller — bestimmt. Wichtig er-
scheint vor allem die Beobachtung, .daß zahlreiche Stühle sauer,
seltenere alkalisch zu sein pflegen. Verf. nehmen eine Wechsel-
beziehung zwischen Häufigkeit, Pufferungsvermögen und Acidität
an (längere Verweildauer und Eindickung bewirkt höheren Puffer- |
gehalt). W. Gottstein.
Ederer, Stefan und Kramär, Eugen. Untersuchungen über Acidose
und Hyperglykämie in dem toxischen Symptomenkomplex des Saug-
lingsalters. (Kinderklinik und physiologisches Institut der ElIi-
sabeth-Universität Budapest.) (Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923,
S. 159.)
Verff. geben zunächst eine zusammenfassende Darstellung
vorangegangener Arbeiten über die Acidose bei der alimentären
Intoxikation. Die Czerny-Kellersche Säurehypothese fand
durch die Untersuchungen von Yllpö (y des Blutes elektrom. be-
stimmt) völlige Bestätigung. Alle Versuche (Yllpö, Krasemann,
Verff.), teilweise elektrometrisch, teils nach van Slyke angestellt,
zeigen, daß Acidose zum klinischen Bild der Intoxikation gehört.
Es kann eine relative (niedriger Bicarbonatgehalt bei normalem Zu),
eine unkompensierte -(niedriger Bicarbonatgehalt bei niedrigem fy),
schließlich eine überkompensierte Acidose (Ylppö) (erniedrigter
Bicarbonatgehalt und erhöhtes fy) in der Zustandsgleichung
K [CO,]
[HCO,]
läßt jedoch der Grad der Acidose kein Urteil über die klinische
Schwere des Falles und die Prognose zu. Die oft beobachtete, von
Verff. bestätigte toxische Hyperglykämie (nach Hagedorn und
Jensen bestimmt, etwas höhere Werte als nach Bang) läßt sich
nicht durch überstürzten Glykogenabbau als Folge der Blutsäuerung
erklären. Der Grad der Hyperglykämie entspricht durchaus nicht
immer der Stärke der Acidose. Man muß annehmen, daß bei dem
wechselvollen klinischen Bild der alimentären Intoxikation der
Zellstoffwechsel im Einzelfalle in ganz verschiedener Weise an-
gegriffen wird. W. Gottstein.
gefunden werden. Nach zahlreichen Versuchen der Verff.
Berichte.
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
Sitzung vom 22. Februar 1923.
Herr v. Lange: Die Haltungsfehler der Kinder.
Die auf intrauterine Schädigung zu beziehenden Skoliosen und Kyphosen
sind selten. Erstere beruhen auf Bildungsfehlern, letztere auf Fruchtwasser-
mangel. Sie neigen zur Versteifung und sind schwer zu beeinflussen. Günstig
ist die Prognose des durch Zwangshaltung bei Fruchtwassermangel bedingten
Schiefhalses. Behandlung: Liegeschale in Uberkorrektur. Die Haltungsfehler
im Säuglingsalter sind auf Rachitis zu beziehen. Kyphosen entstehen
` durch frühzeitiges Sitzen bei abnormer Knochenweichheit. Versteifung ist
häufig. Bei lockeren Kyphosen genügt zur Behandlung Bauchlage, bei ver-
steifenden ist Liegeschale erforderlich. Skoliosen sind die Folge statischer
Deformierung (Tragen auf einem Arm) bei rachitischen Kindern. In Japan,
in dessen nördlichem Teil Rachitis häufig sein soll, fehlt die Skoliose, weil
die Kinder auf dem Rücken getragen werden. Die Skoliosen sind sehr ernst
zu nehmen, da fortschreitende Verschlimmerung eintritt. Behandlung: Liege-
schale in Überkorrektur. Fast alle schweren Skoliosen sind auf Säuglings-
skoliosen zurückzuführen. In der Vorschulzeit entstehen selten schwerere
Haltungsanomalien. Der häufigste Fehler ist die unsichere Haltung. Während
bei echten Skoliosen meist schon im Beginn leichte Unterschiede in der Dorn-
fortsatzlinie bei Rechts- und Linksbeugen vorhanden sind, fehlen diese hier.
Von den Haltungsanomalien des Schulalters ist die häufigste der runde
Rücken (hohlrunder Rücken, Totalkyphose, die letztere in Zusammenhang
mit Rachitis). Er entsteht auf dem Boden von Muskelschwäche und Muskel-
faulheit. Die Wirbelsäule wird lediglich durch Bänderspannung fixiert, während
die Schultern nach vorne sinken. Später Versteifung und Verkürzung des
Pectoralis. Ziel der Behandlung, die dankbar ist, wenn sie vor völliger Ver-
steifung einsetzt, ist die Dehnung der verkürzten Weichteile und die Lockerung
der Versteifung durch Sayresche Schwebe und Gewichtszüge sowie Verstär-
kung des Erektor Trunci und der Schulterrückwärtsstrecker durch aktive
Übungen. Schreibhaltung ist zu beachten und durch geeignete Vorkehrung
zu bessern. Geradehalter sollten nur 6—8 Stunden täglich getragen werden.
Orthopädisches Schulturnen! Die meisten schweren Skoliosen entstehen im
Säuglingsalter, doch treten leichtere auch späteı auf. Ein Teil dieser später
auftretenden Skoliosen wäre auf Rachitis zu beziehen, die sich durch Vorhanden-
sein cines Rosenkranzes manifestiert. Die Orthopäden sprechen dann von
Rachitis tarda. Fehlt der Rosenkranz, so scheint die Skoliose mit Blutarmut,
Heft 5 Berichte. 537
Chlorose, lymphatischem Habitus in Beziehung zu stehen, Zustände, die die
Knochen ebenfalls erweichen kénnten.
Gewohnheitshaltungen führen ebenfalls zu Skoliosen (Bettlage, Violinspiel,
Schultasche, Schreibhaltung). Da völlig versteifte Skoliosen nur schwer zu
bessern sind, muß die Behandlung rechtzeitig einsetzen. Die Diagnose der Form
der Verbiegung und der Gegenbiegung ist nicht einfach (zu beachten: seitliche
Contractur, Dornfortsatzlinie, Schulterstand, Torsion, Beckenstellung, Ver-
steifung). Bei Skoliosen mit beginnender Versteifung besteht die Therapie
in passiver und aktiver Überkorrektur. Wenn Gegenbiegungen da sind, dürfen
sie an der Überkorrektur nicht teilnehmen. Gipsbehandlung führt zu schnelleren
und überrachenderen aber vorübergehenden Besserungen. Unterstützt wird
die Behandlung durch passive und aktive Gymnastik, durch Liegeschalen
und Korsetts, doch dürfen diese beiden letzten Methoden nie allein angewandt
werden.
Aussprache: Herren Schneider und Gött.
Sitzung vom 22. März 1923.
Demonstrationen aus der Kinderabteilung des Krankenhauses München-
Schwabing.
ı. Herr Cailloud (a. G.): Zwei Fälle primärer chronischer Poly-
arthritis.
a) 4jähriger Knabe, mit 3!/, Jahren an entzündlicher Schwellung beider
Sprunggelenke erkrankt. Allmähliches Übergreifen auf fast sämtliche größere
und kleinere Gelenke der Extremitäten, auch auf Halswirbel- und Kiefergelenke.
Verschont blieben Hüft- und Schultergelenk. Die Schwellungen fühlen sich
teigig, nicht deutlich fluktuierend an, Druckschmerzhaftigkeit und Bewegungs-
einschränkung sind mäßig. Daneben hochgradigste Muskelatrophie, Schwel-
lung der regionären Lymphdrüsen und unregelmäßiges, von häufigen Remis-
sionen unterbrochenes Fieber von monatelanger Dauer. Weder Endo- noch
Perikarditis, Milz nicht deutlich palpabel, stark herabgesetzter Hämoglobin-
wert, negativer Pirquet. Réntgenologisch atrophische Diaphysen mit stellen-
weiser ossifizierender Periostitis; geringe Knochendefekte waren im Bereich
der erkrankten Gelenke nur an der Basis zweier Metacarpalien vorhanden.
b) 12jahriges Madchen, seit dem 2. Lebensjahr an chronischer Gelenk
erkrankung leidend. Beginn an den Fußgelenken, dann Mitbeteiligung anderer,
auch der Halswirbelgelenke. Im Lauf der Jahre bald Besserung bald unter
Beteiligung neuer Gelenke Verschlimmerung. Während einer 5/, jährigen
Krankenhausbehandlung mit 5 Jahren wurden Lymphdrüsenschwellungen,
Fieber und Exantheme beobachtet. Nach ruhigeren Jahren neue, weniger
stürmische Attacke ohne Fieber und Drüsenschwellung, mit Beschränkung
auf Hand- und Halswirbelgelenke. In letzter Zeit wieder Schmerzen in den
Fußgelenken und urticarielle und prurigoartige Exantheme; Handgelenke
nicht schmerzhaft, aber versteift. Herz stets intakt, Milz nicht palpabel, Pirquet
negativ. Radiogramm der Handgelenke zeigt beiderseits Verschmelzung der
Handwurzelknochen untereinander und mit Metacarpus II und III. An anderen
Gelenken keine Veränderungen.
538 Berichte. Heft 5
Hier, also gleichzeitiges Vorliegen verschiedener Stadien der Gelenkerkran-
kung (Ausheilung bzw. Stillstand, frische Entzündung, Endstadium der Ver-
steifung und Verwachsung).
In beiden Fällen außerdem einige ätiologisch wichtige Eigentümlichkeiten:
auffallend geringe Entwicklung des Unterkiefers und mäßiger Exophthalmus,
dazu beim ersten noch starke Pigmentierung und abnorme Gesichtsbehaarung.
Familiäre Belastung liegt wohl in beiden Fällen vor. Es müssen daher für die
Entstehung der Erkrankung konstitutionelle Momente verantwortlich gemacht
werden; einer Infektion könnte unter Umständen die Rolle eines auslösenden
Faktors zugebilligt werden.
Therapeutisch hatten Wärmeapplikation und Bewegungsübungen einen
gewissen Erfolg: alle gegen eine infektiöse Noxe gerichteten Versuche, wie auch
Anwendung von Salicylaten blieben wirkungslos.
Aussprache: Herren v. Pfaundler, Benjamin, Keins.
2. Herr Stubenrauch berichtet über einen ernährungsgestörten Säugling,
der in der Reparation einen perinephritischen Absceß mit Durch-
bruch ins Nierenbecken durchmachte; Heilung.
3. Herr Gött demonstriert:
a) einen bald 2jährigen Knaben mit einer indolenten Hautaffektion: über
die ganze Körperoberfläche verstreute, namentlich im Gesicht sitzende, ober-
flächliche, gelblich-bräunliche, flach erhabene oder knötchenförmige, an der
Oberfläche manchmal feingefältelte Einzelefflorescenzen von Hanfkorn- bis
Linsengröße. Dermatologische Diagnose: Hämangioendothelioma cutis
tuberosum multiplex.
b) das Bild einer von einem kongenital luetischen Säugling stammenden,
offenbar durch diffuse Infiltration der Schleimhaut hervorgerufenen, an ge-
pflasterte StraBe erinnernden Lingua dissecata.
c) Ubersichtskurven vom Krankheitsverlauf zweier ruminierender
Sauglinge, die durch Breikost und Ablenkung nach der Mahlzeit im Laufe
weniger Wochen geheilt wurden. Versuche ergaben, daß Geschmacksstörungen
bei diesen beiden Kindern nicht vorlagen; der Lustgewinn beim Ruminieren
schien also nicht auf gustatorischem Gebiet zu liegen. Zufütterung von Chininum
tannicum zur Breimahlzeit hatte beim einen Säugling keinen, beim anderen
einen zweifellos hemmenden Einfluß auf die Rumination, was gelegentlich
vielleicht‘ der Therapie nutzbar gemacht werden kann.
d) einen Fall von chronischer Nephritis bei einem ı2jähren Knaben,
bei dem Herzhypertrophie, erhebliche Hypertonie und Einschränkung des
Konzentrationsvermögens der Niere den Übergang zur Schrumpfniere
wahrscheinlich machen.
e) die Fieberkurve eines kongenital luetischen Säuglings, bei dem infolge
schwerer, zu wochenlangem Sopor führender Encephalomeningitis und
Pachymeningitis haemorrhagica interna (mit Blutcyste über der
einen Hemisphäre und ausgedehnten Höhlenbildungen im Bereich der beiden
Stammganglien und der weißen Substanz) völlige Anarchie der Körpertempera-
tur mit Steigerungen auf 4I und Abfällen bis auf 31° bestand; Hinweis auf die
analogen Fälle von Ylppö, Langer und Mader.
Heft 5 Berichte. 539
Sitzung vom 24. Mai 1923.
ı. Herr v. Pfaundler zeigt einen Säugling mit Epidermolysis here-
ditaria. Das Mädchen ist unter den vier Kindern der Familie das dritte,
welches diese Anomalie darbietet.
2. Herr Benjamin: Beobachtungen über Asthenie im Kindes-
alter.
Material: 116 Fälle. Überwiegen der Knaben (66%). Mädchen außerdem
viel weniger schwer betroffen.
Habitus: Es wird besonders auf die in 80%, der Fälle vorhandene Längen-
wachstumspräcipitation bei zurückbleibendem Massenwachstum und auf die
geringere Disharmonie zwischen staturalem und ponderalem Wachstum bei
Mädchen hingewiesen, ferner auf die Bänderschwäche (Haltungsfehler, Platt-
fuß, Gelenküberstreckbarkeit). Analogon zum Plattfuß schlaffe Hand.
Begleitende Konstitutionsanomalien: 1. Exsudative Diathese
bei älteren Kindern (Katarrhe) 50%, bei Säuglingen nur 10% (Haut). 2. Lym-
phatismus 70% (meist auch Tonsillen und Adenoide, oft Bronchialdrüsen.
3. Hypoplastische Konstitution, nicht selten auf angeborene Hypoplasie
oder Frühgeborenheit zurückzuführen. Genitalgefäßhypoplasien. Lanugo-
behaarung. 4. Neuropathie (90%). 5. Thyreotoxische Züge (?). 6. Bil-
dungsfehler.
Entwicklung: 88% Brustkinder, davon ein großer Teil als Säugling
ernährungsgestört (Homodystrophiker). Spasmophilie nur 4%. Im Klein-
kindesalter Habitus (besonders Wachstumspräcipitation) oft schon deutlich,
ebenso Erscheinungen nervöser Dyspepsie, ferner Katarrhneigung, Enuresis,
Schlafstörungen. Beim Schulkind Manifestation vor allem während erster
Streckung. Von nervösen Erscheinungen vor allem: motorische Unruhe
(57%), nervöse Dyspepsie mit Erbrechen, Appetitlosigkeit und (meist) Ver-
stopfung (25%), viel seltener Durchfälle, Asthma (7%), Migräne (7%), Schlaf-
störungen (25%), Angstzwangszustände (15%), Enuresis (9%), häßliche
Angewohnheiten wie Nägelbeißen usw. (6%), Tics (4%), Facialisphanomen
(33%). Katarrhneigung, Otitiden. Tonsillitiden, Adenoitiden. Rectale Hyper-
thermien 88%, oft auch Hyperthermien bei Ruhe. Charakterbeanlagung bei
Buben und Madchen sehr verschieden, erstere i. a. viel konzentrationsschwacher
(schlechtere Schüler), ermüdbarer, gutmütiger, weicher.
Erblichkeit: Bei 78%, arthritische Belastung (nichtasthenische Kontrollen
nur 31%), meist von seiten der Mutter, die oft selbst frei bleibt.
Therapie: Umgebungswechsel versagt oft, da Konstitution wichtiger als
Milieuschaden. Lehre vom einzigen Kinde ist einer Revision zu unterziehen.
Mastkuren (Beschreibung der Technik) erzielen oft überraschende Erfolge.
Bei kleineren Kindern (3—5 Jahre) sind solche fast nie durchführbar.
Aussprache: Herr v. Pfaundler: Der Vortragende bespricht unter dem
Titel ‚Asthenie‘‘ einen großen Teil der an seinem Krankenmateriale beobachte-
ten Störungen. Der Ausdruck aber ist als Terminus technicus für eine engere
Gruppe von Erscheinungen bereits in Anspruch genommen und ihm, wie es
in der ausgehängten Tabelle geschieht, verschiedene Zeichenkreise unter-
zuordnen, die Stiller seinerzeit nicht aufgenommen hat, kann gewisse Bedenken
finden. Herr Benjamin gelangt, wie viele seiner Vorgänger, bei dem Versuche
die Grenzen einer konstitutionellen Abartung abzustecken zu einer Ärt von
540 Berichte. Heft 5
Pandiathese. In der Tat führen von jeder Diathese Brücken zu jeder anderen.
Man spricht heute dem Arthritismus zugehörige Dinge, wie Gicht, Fettsucht,
Diabetes zwar geradezu als „antiasthenische'‘‘ Krankheiten an, wird aber
trotzdem zugestehen müssen, daß manche Symptomgruppen, beispielsweise
etwa die Schleimkolik ebensowohl zur Asthenie wie zum Arthritismus Beziehun-
gen haben, und daß man über diese Brücke von der einen Diathese zwanglos
zur anderen gelangen könne, die aber beide streng zu differenzieren doch aller
Anlaß vorliegt. In solcher Scheidung und Teilung, in der Analyse, aber sehe
ich eine wichtigere und dankbarere Aufgabe als in der Synthese.
Daß das Gros der Benjaminschen Fälle als Asthenien im Stillerschen Sinne
anzusprechen ist, scheint mir nicht ausgemacht. Bei ihm überwiegen die Knaben
stark, bei Stiller die Mädchen deutlich, bei Benjamin die Überlangen und
Hypotoniker, bei Stiller die Unterlangen und die Hypotoniker. Die Protero-
plasie der Asthenie anzugliedern, kann ich mich gleichfalls nicht entschließen;
denn manchen gemeinsamen Zeichen stehen konträre gegenüber, wie z. B.
bezüglich des Zwerchfellstandes und bezüglich gewisser Thoraxmaße und
-proportionen. Auch ist die Proteroplasie durch ihren Frequenzrückgang
im Kriege als eine vorwiegend paratypisch bestimmte Erscheinung charakten-
siert — im Gegensatze zur wahren anlagemäßigen Asthenie. Manches von dem,
was Benjamin schilderte, ist meines Erachtens Pseudoasthenie, nämlich
erworbene Krüppelhaftigkeit infolge völligen Mangels an Körperübung im
frühen Lebensalter und an Anregung sowie an elterlichem Beispiel in gleicher
Richtung. Erblichkeitsfragen, sowie diätetisch-therapeutische Fragen fordern
sicher gleichfalls strenge Analyse und Scheidung in enger umschriebene
Zeichenkreise. Wenn heute noch über das Vorkommen einer angeborenen
Asthenie die widerstreitendsten Urteile vorliegen, so rührt dies von der Kon-
fusion des Status asthenicus mit dem Morbus asthenicus her. Folgeerschei-
nungen der Muskel- und Bänderschlaffheit, wie beispielsweise die Splanchno-
ptose, zähle ich zum letzteren; aber auch bei der Entstehung der charakteri-
stischen Thoraxform nach Erlangung des aufrechten Standes mag jenes mecha-
nische und sekundäre Moment im Spiele sein. Etwas anderes ist es. mit der
Costa decima fluctuans.
Bei der Beurteilung von therapeutischen Erfolgen gegen die wahre Asthenie
wird man sich die Frage vorlegen müssen, ob idiotypische Schäden auf solchem
Wege überhaupt beeinflußbar sind und inwieweit man sie verneinendenfalls
zu verdecken vermag, ferner, was das Individuum für einen Dauernutzen
von solcher Verdeckung hat. Daß die bisher geläufigen Ansichten über die
Gefahren der Mästung bei neurolymphatischen und exsudativen Kindern ganz
und gar irrtümlich seien, halte ich noch nicht für erwiesen, wenngleich man
sicher in dieser Richtung sehr übertrieben hat. Was den Nahrungsbedarf
fiir asthenische Kinder anlangt, so wird man auf Schwierigkeiten stoBen ihn
zu ermitteln angesichts der artwidrigen Körpermaße und der Bedarfsunter-
schiede, die zwischen verschieden muskelkräftigen Induviduen besonders
nach Untersuchungen der E. Müllerschen Schule bestehen.
Herr Wetzel: Er hat die 160 letztgeführten Krankengeschichten der Säug-
lingsabteilung zusammengestellt. Sie betreffen 44 = 27,5% Astheniker und
116 — 72,5%, Nichtastheniker. Unter den Asthenikern überwog unverhalt-
nismäßig mehr als bei den Nichasthenikern das männliche Geschlecht. Der
Partus prämaturus spielte keine Rolle in der Ätiologie der Asthenie. Letalität
der Astheniker mit 45,50%, höher als die der Nichtastheniker mit 37,1%, UD-
Heft 5 Berichte. 541
geklärterweise die der Mädchen die der Knaben überwiegend. Dyspeptisch
erkrankten von den Asthenikern 54,5%, von den Nichtasthenikern nur 22,4%.
Pylorospastiker waren nur Asteniker, schwere Speier waren 50% aller Astheniker.
Lues congenita betraf unverhältnismäßig mehr Nichtastheniker. Gering ist
die Syntropie von Rachitis und Asthenie. Dystrophisch verhalten sich zur
Asthenie exsudative Diathese und Spasmophilie Hinsichtlich des Verlaufs
der Ernährungsstörungen zeigt sich bei den Asthenikern eher eine bessere
Anpassungsfähigkeit als bei den Nichtasthenikern. Das ergab sich sowohl
aus diesbezüglichen Letalitätsziffern, wie aus der Toleranz gegenüber Gewichts-
abnahme wie aus der durchschnittlichen täglichen Zunahme des Rekonvaleszen-
ten. Hingegen ist der Astheniker Infekten gegenüber wesentlich schlechter
gestellt als der Nichtastheniker. Calorienbedarf der Astheniker mit durchschnitt-
lich 170 Energiequotient höher als der der Nichtastheniker mit 150. Länge
der Astheniker durchschnittlich tiefer unter den Camererschen Zahlen als die
der Nichtastheniker; desgleichen -Längensollgewicht. Hernienverteilung bei
Asthenikern und Nichtastenikern gleich. Einkindehe kam in der Tat eigentüm-
licherweise in seinem Material auch bei Asthenikern etwas häufiger vor als bei
"Nichtasthenikern.
Niederländischer Verein für Pädiatrie.
(Nederlandsch Tijdschr. v. Geneesk. 1923, 1, 1702.)
1. Thiange zu Avitaminosen. Bericht über 3 Fälle, Säuglinge im Alter
von 11—15 Wochen, mit chronischen Verdauungsstörungen, Durchfall und
Zurückbleiben des Körpergewichts, bei welchen baldige Heilung der Darm-
erscheinungen und Zunahme des Körpergewichts eintrat, nachdem pro Tag
1/,g frische Hefe und pro Flasche ein Teelöffel Apfelsinensaft verabreicht
wurde.
2. Plantenga berichtet über Konstitution. Die alte Lehre der Diathese
sollte für die Erklärung der Krankheitserscheinungen nur von zweifelhaftem
Werte sein. Sie sollte ersetzt werden durch die Lehre von der Konstitution.
Für die Verschiedenheit der Konstitution soll die Art, wie der Organismus
gegenüber den verschiedenen Nahrungsstoffen, sowie Eiweißstoffe, Fette,
Kohlenhydrate und Salze reagiert, maßgebend sein.
3. C. de Lange. Einige Bemerkungen über Neuropathie bei
Säuglingen. Bei 3 neuropathischen Säuglingen konnte eine stark nach
hinten gebogene Haltung des Kopfes, der Genickstarre ähnlich, kon-
statiert werden. Es fehlte Opistotonus. Eines dieser Kinder starb an De-
komposition. Bei der Obduktion konnte keine Abweichung, auch nicht im
Zentralnervensystem, festgestellt werden.
4. van Gilse-West. Zur Frage der Flaschenreinigung. van Gilse
ist der Meinung, daß die in vielen Milchküchen gebräuchliche Methode der
Flaschenreinigung (Spülung und nachher Reinigung mit warmer Seifenlösung
mittels einer Bürste) keine genügende Fürsorge gegen Infektion liefert. —
542 Berichte. Heft 5
Es hatte sich nämlich ergeben, daß, wenn dem Säugling, unmittelbar vor dem
Trinken aus der Flasche, einige Teelöffel mit einer B. prodigiosus infizierte
Milch verabreicht war, nachher diese Bakterie in den Milchresten der Flasche
ebenso wie in dem Spülwasser des Spülbeckens zu finden war und daß also bei
dem Trinken aus der Flasche Mikroorganismen aus dem Munde des Säuglings
in die Flasche übergehen. In der auf die oben genannten Weise gereinigten
Flaschen enthaltenden Milch konnte nach einigen Stunden immer der B. pro-
digiosus konstatiert werden.
5. Sthee mf£M-berichtet über calciprive Konstitutionsabweichung.
6. Ligtenberg berichtet über einen eigenartigen Fallvon pylorospasmus-
artigem Erbrechen bei einem Säugling. Knabe von 7 Wochen mit rezi-
divierender Hämatemesis, hypotonisch, anämisch, sichtbare Magen-
peristaltik; keine Geschwulst. Bei der Operation wird keine Pylorusstenose,
sondern eine Verwachsung des Pylorus und Duodenums mit dem Colon trans-
versum gefunden. Nach Lösung dieser Verwachsung trat Heilung ein. Ver-
mutlich war also in diesem Falle ein Ulcus am Pylorus oder Duodenum, welcher
zu einer lokalen Peritonitis mit Verwachsung geführt hat, die Ursache des
pylorospasmusartigen Erbrechens.
7. Arntzenius demonstriert a) einen Knaben von 2 Jahren mit Poly-
arthritis rheumatica chronica nach akutem Gelenkrheumatismus,
b) einen Knaben von 2 Jahren, der sich an einem Stückchen Haselnuß
verschluckt hatte und seitdem während 2 Monaten an fieberhaften Lungen-
infiltraten litt. Nach dem Aushusten des vorgezeigten Stückchen Haselnuß
trat baldige Heilung auf, c) ein Mädchen von 6 Jahren mit vermutlicher
Leontiasis hemilateralis.
8. Becking berichtet über die Erfolge der Butterıinehlsu p pe bei klinisch
und poliklinisch beobachteten Säuglingen.
9. van Lohuyzen berichtet über Erfolge der Buttermehlsuppe bei
verschiedenen Säuglingen, unter welchen mehrere Couveusekinder. Es ergab
sich, daß wenn das Verhältnis von Butter, Mehl und Zucker, welches gewöhnlich
ist 7,7 resp. 5, wurde geändert in 7,5 resp. 7, die Erfolge sich nicht änderten.
Diese wurden aber schlechter, sobald die Butter ungebraten verabreicht
wurde. Im allgemeinen war der Erfolg nicht günstiger als bei der Ernährung
mit Eiweißmilch oder Buttermilch.
10. Heybroek berichtet über Erfolge der Buttermehlsuppe bei
60 Säuglingen einer Couveuscabteilung, welche im allgemeinen günstig waren.
Die Suppe wurde erst verabreicht, nachdem durch Frauenmilchernährung der
anfängliche Gewichtssturz ausgeglichen und die Temperatur normal geworden
war,
11. Hengeveld berichtet über zweifelhafte Erfolge mit der Butter mehl-
suppe bei 57 Säuglingen der Rotterdamer Säuglingsklinik.
12. v. d. Kasteele berichtet über günstige Erfolge mit der Buttermehl-
suppe bei atrophischen Säuglingen einer Säuglingsfürsorgeanstalt.
Graan boom.
Heft 5 Berichte. 543
35. Jahresversammlung
der amerikanischen Padiatervereinigung
in French Lick Spring vom 31. Mai bis I. Juni 1923.
(Archives of paediatrics 40, 431. 1923.)
H olt-New York schilderte in seiner Begrüßungsansprache die Fortschritte
der amerikanischen Pädiatrie in den letzten 25 Jahren, die er besonders in
dem Anwachsen der Laboratoriumsforschung zu sehen geneigt ist. Die künfti-
gen Aufgaben der Pädiatrie werden wie die der gesamten Medizin in dreierlei
Richtung liegen: Erstens in der Forschung, die immer an die Universitäten
gebunden sein wird, zweitens in der praktischen Heilkunde im Hause, in
Klinik und Poliklinik, drittens wird der sozial tätige Pädiater im öffentlichen
Dienst eine besondere Bedeutung haben. Der medizinische Fachunterricht
muß geeignet sein, den Studenten auf all diesen drei Gebieten die beste Aus-
bildung zu geben. ;
De Buys-New Orleans berichtete über Rachitis bei Brustkindern. Aus
seinen Schlüssen ist bemerkenswert, daß Mangel an Fürsorge und Aufsicht
Rachitis zu verschlimmern scheint, daß einfache akute Erkrankungen ohne
Einfluß sind, daß die Zahl der Kinder in einer Familie ebenso wie die Reihen-
folge ohne Bedeutung ist, daß Rachitis schon sehr bald nach der Geburt be-
ginnt. In der Diskussion betonte H es s-Neuyork die Bedeutung der Rachitis-
forschung unter verschiedenen geographischen Bedingungen.
Anderson und Schloss berichteten über Antikörper gegen Kuh-
milch im Blut von Säuglingen mit schwerer chronischer Ernährungsstörung.
Sie fanden solche in 8o von 98 Fällen.
Faber-San Franzisko sprach über Salzsäuremilch in der Säuglings-
ernährung. Marriot-San Louis hält die Beigabe organischer Säuren für
vorteilhafter, zumal ein pH von 4,0 bis 4,4 der verfütterten Kuhmilch optimal
ist und zur Erreichung dieser Acidität zu große Salzsäuremengen hinzugefügt
werden müßten. Er empfiehlt deshalb die Beigabe von 8 ccm Milchsäure auf
1000 ccm Milch.
A p t -Chikago empfahl eine elektrisch betriebene Milchpumpe, die ins-
besondere für den Anstaltsbetrieb praktisch erscheint.
Kerley und Craig-New York empfahlen zur Behandlung dyspepti-
scher Säuglinge eine EiweiBmilch, die zur Halfte mit B. acidi lactici, zur an-
deren mit B. bulgaricus 8 Stunden der Hitze ausgesetzt ist.
Hess-Chikago rihmte Röntgenstrahlenbehandlung bei Keuchhusten,
während Saunders-San Louis den prophylaktischen Wert von Pertussis-
vaccine betonte.
Taylor, Zeigler und Gordeau fanden weder bei chronischer
Verdauungsinsuffizienz noch bei Gaben von Lebertran eine Veränderung im
Gehalt des Duodenalsaftes an Gallenpigment und Gallensalzen.
Über hereditäre Syphilis des Nervensystems berichteten Janes und
Schwab-San Louis. Sie fanden bei Kindern unter 2 Jahren in 27, bei
älteren Kindern in 20,4°%% positiven Wassermann im Liquor. Zwischen Schwere
544 Berichte. Heft 5
der cerebralen Symptome und Zellbefund im Liquor zeigte sich ein bemerkens-
werter Mangel an Übereinstimmung. Ebenso zwischen Schwere der Infektion
und Ausdehnung der Nervenbefunde.
In einem Bericht über sekundäre akute Anämie im Kindesalter empfahlen
Lucas und Hoobler-San Franzisko bei Hypoplasie und mangelnder
Funktion des Knochenmarks wiederholte kleine Bluttransfusionen von 30 bis
60 ccm.
Marriot und Clausen-San Louis fanden bei akuter Nephritis den
kolloid-osmotischen Druck des Blutes im Serum niedrig, ebenso war die Ober-
flächenspannung im Blutserum in allen Fällen von Nephritis mit Ödem herab-
gesetzt. Die Mehrzahl ihrer Patienten litten unter eitriger Erkrankung der
Nebenhöhlen, nach deren Abheilung die Nephritis zurückging.
Die Wirkung von Salzsäure und Ammoniumchlorid bei Tetanie bezieht
Ga mble-Boston auf die Reduktion des Plasma-Bicarbonats und das An-
wachsen der Wasserstoffionenkonzentration, womit ein Anwachsen des ioni-
sierten Calciums verbunden ist.
Cowi und Parsons-Ann Arbor empfehlen bei Diabetes der Kinder
über längere Zeit hindurch fortgesetzte Insulinbehandlung mit kleiner Dosen.
Geylin-New York vermißte bei Epilepsie eine in allen Fällen charak-
teristische Wasserstoffionenkonzentration im Blut.
Talbot-Boston fand, daß bei Hypothyreoidismus die Größenwachs-
tumskurve dann der Norm entsprach, wenn durch Thyreoidingaben der Grund-
umsatz auf das normale Maß gebracht worden war.
Hess-New York berichtete über Studien betreffend den Einfluß der Er-
nährung während Schwangerschaft und Lactation auf Rachitis der Kinder.
Die Rachitis kann durch Lebertrangaben an die Mutter während der Schwanger-
schaft nicht verhütet werden. Der Calcium- und Phosphorgehalt im Blut der
Schwangeren ist ungefähr normal. Der Gehalt an anorganisch gebundenem
Phosphor ist nicht derselbe, der des Kindes ist fast regelmäßig höher als der
der Mutter. Frühgeburten zeigen keine Erniedrigung des Phosphatgehaltes.
‚Der Gehalt an unorganischem Phosphor bei der Geburt und die Entwicklung
der Rachitis im Winter stehen in keinem Zusammenhang. Hess hält zusam-
men mit seinen Mitarbeitern eine bestimmte Grenze des Kalk- und Phosphor-
gehaltes für gegeben, unterhalb deren eine Rachitis als im aktiven Stadium
zu betrachten ist. Ist schwere Rachitis mit Tetanie kompliziert, so ist der
Phosphorgehalt relativ hoch.
Porter und Morris-San Franzisko behandeln das Emphyem mit
wiederholten Punktionen.
Gerstenberger-Cleveland glaubt, daß Stomatitis aphthosa und
Herpes labialis durch einen Mangel an B-Vitamin verursacht werden.
Rosenbaum.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.
Aus der chirurgischen Abteilung der Universitats-Kinderklinth und
-Poliklinik Leipzig. (Chefarzt: Prof. Dr. R. Ssevers.)
Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter,
mit besonderer Beriicksichtigung des Sauglingsalters.
Von Dr. med. Gustav Ranft, Assistent der Abteilung.
(Mit 9 Kurven.)
Kovacs schreibt, daß über die Behandlungsweise der Brüche
Erwachsener nicht nur die Ansichten der Chirurgen, sondern der
ärztlichen Welt überhaupt bereits geklärt seien, die einzig richtige
Methode sei hier die radikale Operation. Für die Frühoperation
der Brüche im Kindes- und ganz besonders im Säuglingsalter stimmt
diese Anschauung noch nicht in diesem Umfang. Die Frage nach
der Berechtigung der Hernienoperationen im Kindesalter ist nicht
zu allen Zeiten gleich beantwortet worden und wird es auch heute
noch nicht. |
Vor der Mitte der achtziger Jahre finden wir überhaupt noch
keine Statistik über Radikaloperationen bei kleinen Kindern. Noch
im Jahre 1880 lehnt Israelsohn in einer Dissertation die Operation
der freien, einfachen Hernien im frühen Kindesalter ab, weil ein
aseptischer Wundverlauf hier nicht zu erreichen sei. Auch König
verhält sich noch 1885 in der 4. Auflage seines Buches der speziellen
Chirurgie den Operationen der Kinder gegenüber ablehnend. Erst
die Arbeiten englischer und französischer Chirurgen (Cham-
ponniére, Trélat, Chirurgenkongreß 1888) brachten einen Um-
schwung der bisherigen Anschauungen. Sie verfochten auf dem
Chirurgenkongreß 1888 einen operativen Standpunkt schon zu
einer Zeit, in der sich die deutschen Chirurgen noch in der Mehrzahl
ablehnend verhielten. Erst im Anfang der neunziger Jahre änderte
sich die Ansicht der deutschen Chirurgen im günstigen Sinne der
operativen Behandlung gegenüber (Karewski). Das Säuglings-
alter wollen sie jedoch auch jetzt noch prinzipiell ausgeschlossen `
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 35
546 Ranft. Heft 6
wissen. Fraenkel vertrat 1899 in einer Arbeit, die viel Beachtung
gefunden und in diesen Fragen befruchtend gewirkt hat, auch fir
die Säuglinge einen operativen Standpunkt. Er will in seiner Arbeit
(‚Über Radikaloperationen der Leistenbrüche bei Säuglingen“)
die Hernien des allerjüngsten Kindesalters, d.h. des Säuglings,
schon der Radikaloperation unterworfen wissen. Karewski trat
ıhm entgegen, er rät immer noch, wie auch Wolff, ab, bei Säug-
lingen und Kindern unter 2 Jahren prinzipiell zu operieren. Im
Laufe der nächsten Jahre stellten sich jedoch eine Reihe von Chi-
rurgen, ich führe an: Tillmanns, Broca, Gordon, Berger,
Anschütz, Kremm, Stiles, Clogg, Großmann, Castenholz
und andere, mehr auf den Standpunkt, daß man auch Kinder im
ersten und zweiten Lebensjahr radikal operieren soll. Vor allem
sehen sie, wie auch Karewski, Maas u.a. im Säuglingsalter nicht
mehr eine absolute Gegenindikation gegen die Ausführung der
Radikaloperation. Wenn auch heute wohl unter den Chirurgen volle
Einheit herrscht, daß das Kleinkindesalter der Radikaloperation
in jedem Falle zu unterziehen ist, so herrscht doch hinsichtlich der
Indikationsstellung für den Säugling noch nicht diese Einheit. Im
Jahrgang 1922 der Klin. Wochenschr. erschienen 2 Arbeiten von
Gohrbandt und von Maas, die sich erneut mit der Frage, wann
sollen Kinderhernien operiert werden, befassen, und in denen die
genannten Autoren sich gegensätzlich gegenüberstehen. Gohrbandt
schreibt als Resume seiner Arbeit: ‚Sonst aber gibt es keine so
schnell zum Ziele führende, sichere und einfache Behandlungs-
methode wie die operative. Ob es sich nun um ein älteres Kind
handelt oder um einen Säugling, ist ganz gleichgültig; denn die
Säuglinge vertragen, wie ich es zahlenmäßig erwiesen habe, die
Operation genau so gut.‘ Maas steht dagegen, wie die meisten
Pädiater und die Mehrzahl der praktischen Ärzte, auf dem Stand-
punkt, daß ein nicht unerheblicher Teil der Säuglingshernien noch
vor Ablauf des ı. Lebensjahres spontan zur Ausheilung komme —
er spricht von 50%, solcher Spontanheilungen — und will deshalb
nur bei besonderer Indikation (Einklemmung, enorme Größe, Ovarial-
hernie) früh, d.h. im Säuglingsalter operieren, im allgemeinen aber
die Operationen auf das 2. und 3. Lebensjahr verschieben, zumal die
Mortalität des Säuglingsalters größer sei als die jenseits des 2. Lebens-
jahres. Ä
Es ist unseres Erachtens unbedingt erforderlich, daß heute, nach-
dem große Statistiken und reiche Erfahrungen auf dem Gebiete der
‘ operativen Behandlung der Säuglingshernien vorliegen, unter den
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 547
Chirurgen in der Frage der Indikation Einheit herrscht. Zur Klärung
dieser Fragen soll die vorliegende Arbeit beitragen, die das Material
aus der chirurgischen Abteilung der Universitats-Kinderklinik
Leipzig von der Übernahme ihrer Leitung durch Prof. Sievers
vom I. Januar 1920 bis zum Juni 1922 umfaßt.
Der Einwand gegen die Operation, der auch vor allem immer
von den Kinderärzten (Goeppert-_Langstein) erhoben wird, daß
die Brüche zum großen Teil ausheilen, ist unseres Erachtens nicht
stichhaltig. Alle neueren Autoren stehen dem späteren Erwerb
von Hernien besonders auf traumatischem Wege sehr skeptisch
gegenüber. Traumatischen Ursprungs ist nicht der Bruchsack,
sondern fast immer nur das Eintreten vom Bruchinhalt in den
Bruchsack. Wir sehen also, daß die soviel gerühmte Spontanheilung
oft nur eine scheinbare ist. Gewiß, es ist eine Tatsache, daß im
späteren Kindesalter prozentual viel weniger Leistenbrüche diagnosti-
ziert werden als im Säuglingsalter ; ob dieser Unterschied nur zugun-
sten der Spontanheilung zu buchen ist, ist indes fraglich. Genaue,
zahlenmäßige Unterlagen über die Spontanheilung habe ich in der
Literatur, außer der Angabe von Maas, nicht finden können. Es
wird sicher auch schwer sein, darüber genaue Angaben zu bekommen.
Die Säuglingssterblichkeit ist an und für sich eine höhere als in den
späteren Lebensaltern, und es ist sicher nicht unberechtigt, anzu-
nehmen, daß sich gerade unter diesen oft sehr heruntergekommenen,
atrophischen, unterernährten Frühgeburten und Säuglingen mit
schlechtem Paniculus adiposus eine beträchtliche Zahl Hernien-
träger befindet, die der Spontanheilung durch den Tod entgeht.
Ich habe ferner den Eindruck gewonnen, daß die Mütter mit einem
mit Bruch behafteten Säugling eher, ja fast in jedem Falle, den
Arzt aufzusuchen scheinen, während sie dies mit ihren älteren Kin-
dern nicht mehr zu tun pflegen. Erstens fällt den Müttern „die Ge-
schwulst, der Knoten‘ bei dem stündlichen Umgange mit dem
Säugling wohl fast in jeden: Falle auf, und zum anderen bringen sie,
dies sicher nicht ganz zu Unrecht, Störungen im Wohlbefinden und
Gedeihen des Säuglings bei Vorhandensein eines Bruches, wie
Schreien, Unruhe, Erbrechen, schweren Stuhl mit dem Bruch selbst
in ursächlichem Zusammenhang und verlangen Klarheit vom Arzt.
Daß bei älteren Kindern die Eltern oft gar nichts wissen von der
Existenz eines Bruches bei ihrem Kinde, geht daraus hervor, daß
sie auf Anraten des Schularztes, der den Bruch entdeckt hat, erst
die Klinik aufsuchen. Im Interesse der Klärung dieser Fragen
wäre ein gemeinsames Zusammenarbeiten vor allem in den Fürsorge-
35*
548 Ranft. Heft 6
und Mtitterberatungsstellen, ferner bei der schularztlichen Unter-
suchung, die auf das Vorhandensein von Leistenbrüchen und deren
evtl. Spontanheilung ihr Augenmerk richteten, eine gute Unterlage
für die Spontanheilungsziffer zu finden. Nur an dieser Stelle ist es
möglich, die Mehrzahl der Säuglinge und Kinder zu erfassen, die
dem Chirurgen nicht zugänglich sind; vielleicht würde die Ziffer
der im späteren Kindesalter erst diagnostizierten Brüche dann
doch eine größere. Nicht in einseitigem Verharren auf
einer vorgefaßten Meinung, sondern nur in gemein-
samer vorurteilsfreier Zusammenarbeit zwischen Pa-
diatern und Chirurgen können und müssen solche Grund-
fragen .im Grenzgebiet der Pädiatrie und Chirurgie ge-
löst werden. Viele kongenitale, angeblich spontan geheilte Brüche
treten auch sicher erst dann wieder in Erscheinung, wenn die Kinder
ins Erwerbsleben treten, und wie viele dann ins Lager der Kurpfuscher
abwandern, ist auch zahlenmäßig nicht zu erfassen. Viele mögen
sich auch aus Angst und aus Sorge, ihr Erwerbsleben unterbrechen
zu müssen, der Operation später entziehen. Murray, der an 200
Leichen 68 offene proc. vag. feststellen konnte, schreibt: ‚Ist
einmal der Bruch durchgetreten, so ist kaum mehr auf eine Spontan-
heilung zu rechnen.“ Fraenkel schreibt: ‚Wir sehen allerdings
mit und ohne Bracherium in vielen Fällen die Bruchgeschwulst
schwinden. Schon die normalen Wachstumsverhältnisse, durch
welche sich der gerade Leistenkanal der frühen Kindheit durch sein
allmähliches Schiefwerden verengt, können ein solches Schwinden
einer Bruchgeschwulst bewirken. Die Bruchanlage ist aber nicht
zum Sċhwinden gebracht.“ Also auch der Spontanheilung gegen-
über ein ganz ablehnender Standpunkt. Desgleichen schreibt Esten,
daß die Spontanheilung meist nur eine scheinbare sei. Schließlich
finden wir auch bei Erwachsenen bei der Operation noch viele kon-
genitale Bruchsäcke vor. Sich auf die Spontanheilung ver-
lassen zu wollen und lediglich aus diesem Grunde allein
bei einem gesunden Säugling die Operation ablehnen
zu wollen, erscheint uns nicht berechtigt. Maas schreibt
ferner, die Mortalität jenseits des 2. Lebensjahres sei nicht so groß
wie die des Säuglingsalters. Er führt in einer seiner Arbeiten eine
Mortalität von 16% für die Säuglinge an, d. h. es starben von 24 Kin-
dern 4. Das ist allerdings ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz,
dem andere Statistiken mit weit besseren Zahlen gegenüberstehen.
So hatte Carmichael unter 152 Kindern, worunter 44 Säuglinge,
nur einen Todesfall, der ein 3 Wochen altes Kind mit Einklemmung
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 549
betraf. Gohrbandt verzeichnet in seiner Statistik eine Mor-
talitat von 0%. Spitzy hatte unter ıroo Kindern, worunter
20% Säuglinge = 220, keinen Todesfall. Unsere Statistik hat
unter 61 Säuglingsoperationen Iı Todesfall aufzuweisen = 1,7%.
Wie die folgende Beschreibung zeigt, handelt es sich dabei aber
um das unglückliche Zusammentreffen einer schweren Mißbildung
mit wahrscheinlich spasmophiler Diathese und Status thymo-
lymphaticus, so daß man wohl berechtigt wäre, ihn als Ausnahme-
fall zu betrachten und außerhalb der Statistik zu stellen, so daß
im Grunde auch unsere Mortalität 0% wäre. Es war ein Säug-
ling von ıo Monaten mit doppelseitiger Hernie und Blasenektopie.
Er starb am Tage post operationem, wahrscheinlich in einem spasmo-
philen Anfall. Die Sektion wurde leider nicht ausgeführt, jedoch
die Wunde post mortem von Herrn Prof. Huebschmann unter-
sucht und kein besonderer pathologischer Befund erhoben. Es ist
bekannt, daß Kinder mit schweren Mißbildungen weit weniger
widerstandsfähig sind. Im vorliegenden Falle mußte man den töd-
lichen Ausgang ja als ein Glück ansehen und braucht in solchen
Fallen wohl kaum besondere Ängstlichkeit in der Indikations-
stellung walten zu lassen. Wohl aber bei Konstitutionsanoma-
lien (Rachitis im Stadium floridum, exsudative Diathese, Spasmo-
philie, Hämophilie), die nach Möglichkeit evtl. in gemein-
samer Beratung mit dem Pädiater von der Operation
ausgeschlossen werden müssen. Ganz vereinzelte Unglücks-
fälle werden sich jedoch trotz größter Sorgfalt nicht vermeiden
lassen. Die operative Mortalität des Säuglings bei der‘
Radikaloperation ist nicht höher als die der späteren
Lebensalter. Die Ablehnung der Radikaloperation ist
deshalb aus diesem Grunde nicht berechtigt.
Ferner wird von Maas angeführt, daß die Säuglinge die Narkose
schlechter vertragen sollen und Narkosenzufälle häufiger seien.
Gohrbandt ist auch hier anderer Meinung als Maas, und wir möch-
ten uns Gohrbandt anschließen, wenn er meint, die Narkosen-
gefahr sei keine Gegenindikation gegen die Säuglingsoperation.
Wir sind mit Gohrbandt darin einer Meinung, daß die Säuglinge
die Narkose vorzüglich vertragen. Wir verwenden bei Säuglingen,
im Gegensatz zu Gohrbandt, der die Äthernarkose bevorzugt,
jetzt ausschließlich Chloroform. Auf 61 Operationen kommen
41 reine Chloroformnarkosen und in 16 Fallen Chloroformather-
narkosen. In 4 Fällen ist über die Art der Narkose in den Journalen
nichts bemerkt, d. i. in 71,9% reine Chloroformnarkose und in
550 Ranft. Heft 6
28,0% Mischnarkose. Narkosenzufälle haben wir auf die 61 Ope-
rationen 2 zu verzeichnen, d. i. in 3,2% der Fälle.
Es handelt sich in dem ersten Falle um einen Säugling von
3 Monaten, ı2 Tagen, mit doppelseitigem Leistenbruch, bei dem
nach einer Narkose von 15 Minuten mit 3,0 g Chloroform ein kurzer
Atemstillstand eintrat, der uns, um das Kind nicht zu gefährden,
von der noch geplanten Hernienoperation der anderen Seite Abstand
nehmen ließ. Der Verlauf post operationem war fieberfrei, das Kind
bekam keinerlei Lungenerscheinungen, nahm gut zu und wurde
am 7. Tage post operationem geheilt entlassen. Im 2. Falle bekam
das Kind bei der Reposition des Intestinums einen Atemstillstand,
sah cyanotisch aus, die Operation wurde unterbrochen und künst-
liche Atmung eingeleitet. Nach einer Minute war der gefahrdrohende
Zustand behoben. Die Narkose wurde ganz ausgesetzt und die
Operation ohne Narkose beendet. Der Säugling war 3 Monate,
20 Tage alt und hatte bei einer Narkosendauer von 24 Minuten
2,0 g Chloroform und 1,0 Äther erhalten. Die beschriebenen Stö-
rungen waren wohl stets auf Unachtsamkeit und Ungeschicklichkeit
der narkotisierenden Person zurückzuführen. Auf eine gute Nar-
kosentechnik, Gewissenhaftigkeit und Akuratesse ist noch mehr
Gewicht zu legen als auf die Frage des verwendeten Narkoticums.
Die Narkosen im ersten Kindesalter sind durch ihr unbemerktes
Übergehen in das Toleranzstadium unter Ausfall der Exzitation
gekennzeichnet und erfordern aus diesem Grunde doppelte Acht-
samkeit und besondere Erfahrung. Wir führen über unsere Narkosen
‘genau Buch, so daß wir zuverlässige Angaben über Dauer und Ver-
brauch machen können. Die Dauer unserer Narkosen beträgt vom
ersten Tropfen an gerechnet in 56%, der Fälle 25 Minuten. Die
Durchschnittsmenge des Narkoticums bei unseren 4ı reinen Chloro-
formnarkosen beträgt 4,1 g Chloroform (Tobler 4—5 g Chloroform).
Tonka und ebenso Tobler bevorzugen übrigens gleich uns das
Chloroform und heben ganz ausdrücklich hervor, daß sie keinen
Narkosetod zu beklagen haben. Grunert berichtet über einen
Narkosetod beim Säugling, der allerdings bei 7 Monaten 80 ccm
Äther, Alkohol und Chloroform bekommen hatte, eine Menge, die
selbst für einen Erwachsenen schon ganz beträchtlich ist. Wir
haben übrigens in letzter Zeit mit gutem Erfolg auch im Säuglings-
alter die Lokalanästhesie angewendet. Ein äußerst schwäch-
liches, frühgeborenes, spasmophiles Kind mit schon lang bestehen-
der Incarceration legte uns das erste Mal die möglichste Umgehung
der Narkose nahe. Der gute Erfolg mit der Lokalanästhesie ermu-
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 551
tigte uns zur Wiederholung auch in weniger dringlichen Fällen.
Sind die Kinder gut festgebunden und beschäftigt sich eine ver-
ständige Schwester mit dem kleinen Patienten (Sauger usw.), dann
kommt man mit einem kleinen Rausch nach Eröffnung des Bruch-
sackes zur Reposition des Intestinums, da hierbei, wie ja auch öfter
beim Erwachsenen, trotz sonst einwandfreier, wohlgelungener
Anästhesie, diese nicht ausreicht, völlig aus. Die Methode läßt sich
sicher erweitern und die Narkosengefahr dadurch: sicher herab-
mindern. Zur Zeit zwingt uns der französische Raubzug leider,
die Fortsetzung der Versuche einzustellen. Auch Krause hat
übrigens gleichfalls, um die Gefahren der Narkose zu umgehen,
Säuglinge in Lokalanästhesie operiert. Ganz ohne Anästhesie Säug-
lingsbrüche zu operieren, wie z.B. Spitzy, möchten wir ablehnen.
Die Narkose bedeutet also für den Säugling keine
erhöhte Gefahr. Auf eine einwandfreie Narkosentechnik
ist großes Gewicht zu legen. Dem Chloroform ist der
Vorzug bei der Säuglingsnarkose zu geben. Die Durch-
führung der Radikaloperation des Säuglings in Lokal-
anästhesie wird die geringen Narkosengefahren noch
weiter herabmindern.
Auf einen Einwand von Goeppert-Langstein, der in ihrem
Lehrbuch ‚Prophylaxe und Therapie der Kinderkrankheiten‘ ge-
sperrt gedruckt ist, soll noch kurz eingegangen werden. Sie schreiben:
‚Dann aber ist das Loslösen erfahrungsgemäß beim Säugling aus
seinen bisherigen Verhältnissen und die Unterbringung in einer
Klinik, in der auf die Ernährungstechnik keine Rücksicht ge-
nommen wird, eine Gefahr, deren ganze Bedeutung erst nach der
Entlassung in Erscheinung tritt und somit in der chirurgischen
Statistik nicht enthalten ist. Geradezu frevelhaft ist es, wenn das
Kind zwecks Operation vorzeitig abgesetzt wird, weil die Mutter
zu Hause unabkömmlich ist.‘ Hierzu ist folgendes zu bemerken:
Wir erheben von jedem Säugling, der wegen einer chirurgischen
Affektion auf unsere Abteilung kommt, eine ganz genaue Ernäh-
rungsanamnese, lassen uns von der Mutter peinlich genau die Art
und Zusammensetzung der Nahrung mitteilen und ernähren das
Kind, wenn anders es gutes Gedeihen aufzeigt, guten Turgor, seinem
Alter entsprechendes Gewicht, normale Stühle hat und die Art der
Ernährung den modernen Anschauungen der Pädiatrie entspricht,
in genau der gleichen Weise. Nur haben wir stets statt Ziegenniilch,
die die Kinder hier und da bekommen hatten, unbedenklich und
ohne Schaden davon zu sehen, auf Kuhmilch umgesetzt. Ist das
552 Ranft. Heft 6
Gedeihen des Kindes in der Klinik weiter gut, sind die Stiihle normal,
steigt die Gewichtskurve, dann wird der Säugling am dritten Tag
ohne Bedenken operiert. In Fällen, in denen keine Anamnese vor-
liegt, richten wir uns nach den von den Pädiatern für die künstliche
Ernährung des Säuglings gegebenen Prinzipien und beobachten
auch hier vor der Operation in der gleichen Weise. Brustkinder
haben wir in keinem Fall absetzen lassen und halten es für genau
so frevelhaft wie Goeppert-Langstein. Wir behalten Brust-
kinder in poliklinischer Beobachtung, machen die Mütter auf die
Symptome und Gefahren der Incarceration aufmerksam, die selbst-
verständlich auch beim Brustkind eine absolute Operationsindi-
kation gibt, und operieren solche Kinder erst, nachdem das Still-
geschäft seinen natürlichen Abschluß gefunden hat. Liegt die Mög-
lichkeit vor, Mutter und Kind aufzunehmen bei einer besonderen
Indikation, z. B. rasches Größerwerden, anhaltende Beschwerden
und Einklemmungsgefahr, so sehen wir kein Hindernis, ein gesundes
Brustkind zu operieren. In anderen Fällen prüfen wir die Möglich-
keit, ob die Mutter zum Stillen hereinkommen kann, was sie in
manchen Fällen, bei Gewissenhaftigkeit der Mutter, zumal wenn sıe
auf die dringende Notwendigkeit des Stillens gerade jetzt vor und
nach der Operation aufmerksam gemacht wird, auch gern tut.
Die Zahl der reinen Brustkinder mit Hernien scheint auch viel
geringer zu sein als die der künstlich genährten. Dies scheint mir
auch darin seinen Grund zu haben, daß Brustkinder an und für
sich in der Mehrzahl der Fälle sicher ruhiger sind und weniger schreien
als künstlich genährte, die viel eher einmal einen Infekt erwerben,
sei es von seiten des Digestions- oder Respirationstraktus, Störungen,
die sicher einen Bruch bei offenen proc. vag. manifest werden lassen
können. Sollte auch nicht das schöne, gleichmäßige, durch keine
‘Form der künstlichen Ernährung zu erreichende Fettpolster des
Brustkindes einen guten Schutz gegen das Eintreten des Intestimims
in den Bruchsack abgeben können!? Wissen wir doch, daß bei hoch-
gradiger Abmagerung auch beim Erwachsenen Brüche manifest
werden können, was sich durch unsere Nachkriegserfahrungen be-
stätigt hat. Im ganzen kamen 7 Brustkinder zur Operation, und zwar
zwei mit rechtsseitigem Bruch, eines mit linksseitigem Bruch, vier
mit doppelseitigen Brüchen. Von diesen 7 Säuglingen bekamen
5 bereits Beikost. In allen Fällen war die Indikation zur Operation
gegeben. Bezüglich der Ernährung konnte so verfahren werden,
daß die zwei ausschließlich an die Brust gewöhnten Säuglinge mit
sehr großen Brüchen, im Alter von 2 und 31/, Monaten, in der Klinik
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 553
von den Müttern selbst weiter gestillt werden konnten. Von den
übrigen konnte bei 3 Säuglingen, die in sehr gutem Ernährungs-
zustand waren und im Alter von 5, 8 und 9 Monaten standen, die
noch unerhebliche Brustmenge ruhig abgesetzt werden. Bei den
2 übrigen kam beim einen die Mutter nach wie vor zu den zwei
Mahlzeiten, die das Kind auch draußen erhalten hatte, herein zum
Stillen und einem zweiten brachte die Mutter die abgespritzte Frauen-
milch, da die Mutter wegen Hohlwarzen nicht stillfähig gewesen war.
Das Gedeihen der Kinder ist durch diese Maßnahmen in keiner Weise
„frevelhaft‘“ beeinträchtigt worden. Es kamen also unter 35 Säug-
lingen bis zu einem halben Jahre nur zwei reine Brustkinder zur
Operation, dies entspricht einer Häufigkeit von 5,7%. Schließlich
müßte man sich in einem besonders dringenden Falle (z. B. Ein-
klemmungsgefahr!), beim Brustkind, wo keine der oben angegebe-
nen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Stillgeschäftes gegeben
ist, auch einmal zur ambulanten Operation entschließen, eine Not-
wendigkeit, vor die wir bisher in keinem Falle gestellt wurden. Auch
Clogg und Esten erwähnen ausdrücklich, daß man bei Brust-
kindern bis zur Entwöhnung mit der Operation warten soll. Auf
die sachgemäße Ernährung, Wartung und Pflege des
Säuglings ist größtes Gewicht zu legen. Die Operation
ist in jedem Falle erst dann zulässig, wenn der Säug-
ling auf die Ernährung in der Klinik gut anspricht.
Brustkinder sind nur zu operieren, wenu das Still-
geschäft einwandfrei aufrechterhalten werden kann,
in besonders dringenden Fällen, um dies zu ermöglichen,
evtl. ambulante Operation. — Jedenfalls dürfen Brust-
kinder zum Zwecke der Operation nicht ohne weiteres
abgesetzt werden.
Wir haben ferner gerade im Hinblick auf die Bemerkung im
Goeppert-Langstein, ‚deren ganze Bedeutung erst nach der
Entlassung in Erscheinung tritt“, bei unseren Nachuntersuchungen
sorgfältig auf diesen Punkt geachtet und haben feststellen können,
daß es bei nicht einem Säugling im Anschluß an die Operation zu
Ernährungsstörungen kanı, akuten Dyspepsien usw. Ganz im Gegen-
teil haben wir aus den Äußerungen der Mütter auf die Fragen:
„Ist das Kind nach der Operation krank gewesen (insbesondere
Durchfälle, Erbrechen, Gewichtsabnahme, Kinderkrankheiten, Hu-
sten)“ nur den Eindruck gewinnen können, daß die Kinder sich in
den meisten Fällen nach der Operation besser entwickelt haben,
oft überraschend gut. Aussagen: ‚nach der Operation ging es erst
554 | Ranft. Heft 6
aufwärts mit dem Kind” — ,,es ist erst ein Kind nach der Operation
geworden‘‘ — ,,das Schreien und Weinen blieb fort“ — ,,von dem
Tage der Operation an schlief das Kind, während es früher nicht
schlief‘ — ‚das Kind nahm zusehends zu nach der Operation und
fühlte sich sichtlich wohler‘‘ — ,,das Erbrechen blieb nach der
Operation weg“ — „das Kind war ruhig nach der Operation, ganz
das Gegenteil von früher‘ — ‚ist außerordentlich gut gediehen
nach der Operation, im Gegensatz zu vorher“ sind alles spontane
Äußerungen der Mütter auf die Frage nach dem Verhalten des
Kindes post operationem. Die Reihe ließe sich noch vermehren,
und auch andere Autoren führen immer wieder solche Worte der
Mütter an, dies nicht ganz zu Unrecht. Wir Ärzte sind wohl nirgends
so als gerade beim Säugling auf die sorgfältige Beobachtung der
Mütter angewiesen, und deshalb müssen sie auch immer wieder bei
Erörterung solcher Fragen gehört werden. Sicher ist die Ein-
stellung einer Mutter ihrem Säugling gegenüber auch auf diesen
selbst in seinem Verhalten von Einfluß. Ich glaube, daß eine ängst-
liche, besorgte Mutter, die einen Säugling mit großem Bruch zu
pflegen hat, immer das Gespenst der Einklemmung vor Augen
sehend, auch einen Säugling ungünstig beeinflussen kann. Wissen
wir doch, daß zu Hause in einem nervösen Milieu sich aufhaltende
Kinder und auch Säuglinge in der Klinik von ihren Müttern oft
kaum wiedererkannt werden. Ist daher durch die Operation auch
der Anlaß zur Besorgnis und Unruhe der Mutter zugleich mit be-
hoben, dann wird dies veränderte Verhalten der Mutter nur im
günstigen Sinne auf das Kind und sein Gedeihen einwirken können.
Ernährungsgestörte Kinder, stark exsudative Säuglinge haben wir
zur Regelung der Ernährung stets der inneren Abteilung überwiesen
mit der Bitte, sie uns nach Regelung und nach gutem Gedeihen zur
Operation wieder zuzuführen, und sind damit im Interesse der
Säuglinge nur gut gefahren. Ganz im Gegenteil zu Goeppert-
Langstein gibt gerade das Bestehen eines Bruches oft genug An-
laß zu Störungen von seiten des Digestionstraktus, die nur durch
die Operation dauernd behoben werden. Winternitz operiert
z.B. Säuglinge gerade, um hartnäckige Verstopfung zu beheben,
wie sie sicher durch sehr große Brüche allein zu erklären ist. So
hatten wir auch einen Fall, wo sich im Scrotum ein derber, teigiger
Tumor befand, der sich bei der Operation als eingedickter Kot erwies.
Broca, Fraenkel, später Stiles, Tavel, Castenholz, Groß-
mann, Martin weisen darauf hin, daß Verdauungsstörungen bei
Säuglingen post operationem verschwinden. Leites schreibt, „daß
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 555
das Abwarten mit Rücksicht auf die Ernährung des Säuglings nur
bei ganz kleinen Brüchen empfehlenswert sei und nicht bei großen,
denn in solchen Brüchen liegen große Darmpartien mit ihren Mesen-
terien. Die dadurch verursachte Zerrung des Mesenteriums führt
zu einer Störung in der Zirkulation in den Mesenterialgefäßen, in-
folgedessen kommt es zu einer Schädigung des Darmes und seiner
resorptiven Tätigkeit. Die Kinder leiden an Darmkatarrhen, ihr
Ernährungszustand geht herunter, und die Gefahr eines operativen
Eingriffes geht rasch in die Höhe.'‘ Auch Tobler weist ausdrücklich
darauf hin, daß der kausale Zusammenhang zwischen Enteritis und
Hernie nicht immer ohne weiteres von der Hand zu weisen sei. Sicher
spiele die Stase, die Stagnation des Inhaltes bei der Ätiologie dieser
Enteritis eine große Rolle. Wissen wir doch gerade aus den neueren
Arbeiten der Pädiater, so vor allem von Bessau, welche große
Rolle gerade der Stagnation des Darminhaltes für die Ätiologie der
Verdauungsstörungen des Säuglings beigemessen wird, und daß
alles beim Säugling auf Verhinderung der Stagnation und glatte
Darmpassage ankommt, um eine Infektion der oberen Darmabschnitte
zu verhüten. Wenn dann schließlich Goeppert-Langstein
schreiben, alle Leistenbrüche, auch die, welche Einklemmungs-
erscheinungen hervorgerufen haben, sind im ersten Lebensjahre
konservativ zu behandeln, so müssen wir auf Grund unserer und
auch anderer Erfahrung diesen Standpunkt als nicht gerechtfertigt
abweisen.
Bei sachgemäßer Beachtung der Ernährungsgrundsätze
der. Pädiatrie für den Säugling wird dieser durch die
Radikaloperation und den Aufenthalt in der Klinik
in keiner Weise in seinem Gedeihen, auch nicht nach
der Entlassung aus der Klinik, geschädigt. — Durch
interne Therapie nicht zu behebende Verdauungsstö-
rungen können die Radikaloperation des Säuglings als
besonders indiziert erscheinen lassen.
Auch Birk erwähnt die Operationsmöglichkeit in seinem „ Leit-
faden der Säuglingskrankheiten‘ mit keinem Wort bei der Behand-
lung der Hernien. Er schreibt: Ein großer Teil (d.h. der Brüche)
verschwindet, wenn die Kinder älter werden und weiter „begünstigt
wird die Heilung dadurch, daß man den Bruch durch ein Bruchband
zurückhalten läßt, bei Säuglingen benutzt man Wollbruchbänder.“
Wir müssen also auch zur Frage des Bruchbandes, das beim
Säugling vor der Operation den Vorzug verdienen soll, Stellung
nehmen, dessen gute Erfolge angeblich die Hernienoperation im
550 | Ranft. Heft 6
Säuglingsalter überflüssig erscheinen lassen soll. Ich glaube nicht,
daß sich eine Heilung immer auf konservativem Wege erzwingen
läßt, und man wird oft nur zum Schaden des kleinen Patienten an
diesem Dogma festhalten. Ein Fall aus letzter Zeit ist in dieser
Hinsicht besonders lehrreich: Bei einem Säugling mit doppel-
seitigern Leistenbruch, dem von anderer Seite ein Bruchband ver-
ordnet worden war, kam es trotz Aufwendung aller Sorgfalt und bei
peinlichster Pflege zum wiederholten Austreten der Brüche mit
leichten Einklemmungserscheinungen, die immer schnell behoben
werden konnten, bis der Bruch eines Tages nicht spontan zurück-
ging und das Kind wegen des linksseitig incarcerierten Bruches,
also unter viel ungünstigeren Bedingungen, operiert werden mußte.
Ein Decubitalgeschwür, an der linken Seite durch das Bruchband
entstanden, verbesserte die Prognose quoad sanationem nicht.
Der Säugling überstand die Operation und entwickelte sich gut
weiter. Wir rieten auch zur Operation der anderen Seite, die jedoch
abgelehnt wurde, und das Kind wurde mit dem Versprechen der
Spontanheilung konservativ weiterbehandelt. Die rechte Seite kam
dann nachts zur Einklemmung. Die Eltern, in höchster Besorgnis,
kamen nachts !/,ı2 Uhr mit dem Kind zur Operation in die Klinik.
Die Worte der Mutter waren fast wörtlich: ‚Nun nehme ich mein
Kind nicht wieder unoperiert mit nach Hause, diese fortwährende
Sorge halte ich nicht aus‘, sie bestätigen sicher eindrucksvoll das
vorher Erörterte. Es gelang in diesem Falle zunächst noch die
Taxis, und die Radikaloperation konnte ein paar Tage später, nach
Abklingen der akuten Erscheinungen der Incarceration, unter für
das Kind günstigeren Bedingungen ausgeführt werden und wurde
vom Kinde gleichfalls gut und ohne Störung überstanden. — Die
Nachteile der Bruchbänder für den Träger, sowohl die der üblich
käuflichen als die der Wollbruchbänder, sind von so vielen Seiten
immer wieder betont worden, daß es sich eigentlich erübrigen sollte,
darauf hinzuweisen. Dennoch erscheint es uns nicht überflüssig,
da sie noch immer nicht aus dem therapeutischen Rüstzeug der
Kinder- und vor allem auch praktischen Ärzte als alleiniges Hilfs-
mittel verschwunden sind, auch in den Lehrbüchern der Pädiatrie
(Goeppert-Langstein, Birk, Lust, Feer) usw. dem Studenten
immer wieder warm ans Herz gelegt werden, während die Operation
abgelehnt oder gar nicht erwähnt wird. Als letzter hat sie auch
Gohrbandt wieder ausdrücklich abgelehnt. Auch wir möchten
uns auf den Standpunkt stellen: wenn schon nicht operiert
werden soll im Säuglingsalter, dann lieber gar keine
|
Heft 6 Die Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 557
Behandlung. In der chirurgischen Literatur wird das Bruchband
wohl überall verworfen. Nach allseitiger Erfahrung nützt das Bruch-
band nur vorübergehend und hindert doch nicht das spätere Auf-
treten eines Rezidivs. Es bedeutet eine sehr mühevolle Aufgabe
und stellt an die Akuratesse und Intelligenz der Pflegeperson die
höchsten Anforderungen.
Es schädigt das Kind, indem es sehr leicht entzündliche Haut-
verletzungen nach sich zieht (Ekzeme, Decubitus, Furunkulose),
die Bruchpforte durch den zum Erfolg unentbehrlich anhaltenden
Druck schwächt und so die evtl. operativen Aussichten beeinträchtigt.
Das Kind bleibt, solange es an das Bruchband gefesselt ist, ein
Krüppel und wird in seiner freien körperlichen und seelischen Ent-
wicklung gehemmt. Oft werden die Kinder durch das Band gequält.
Sie schreien erst recht und erweitern die Pforte, wenn das Bruch-
band nicht exakt paßt. Ein ausschlaggebender Einwand gegen die
Bruchbandbehandlung sollte aber der Umstand sein, daß gerade
im Kindesalter eine große Zahl von Brüchen nicht ganz frei reponibel
sind, sei es, daß es sich um Gleitbrüche handelt oder daß, wie so
oft, der Wurmfortsatz den einzigen Inhalt darstellt und infolge
Entzündungen Verwachsungen mit der Bruchsackwandung ein-
gegangen ist. Solche Appendicitiden im Bruchsack werden sicher
nicht selten durch Bruchbänder erst verursacht. Es genügt wahr-
scheinlich schon eine geringfügige Quetschung des ziemlich exponiert
liegenden Organs, um seine Serosa an umschriebener Stelle so zu
schädigen, daß es zu Verwachsungen mit der parietalen Serosa
kommt, wie wir sie gerade in letzter Zeit mehrfach beobachtet haben.
Schmidt betont das häufige Vorkommen des Wurmfortsatzes im
Leistenbruch zumal beim Säugling, er will auch wiederholt gerade
beim Säugling Entzündung des Wurmfortsatzes im Leistenbruche
gesehen haben. Aus diesem Grunde schreibt er, daß, wenn man
hier die Operation aufgeschoben haben würde, die Kinder dauernd
der Gefahr der Brucheinklemmung und der Wurmfortsatzentzündung
ausgesetzt und in bezug auf letztere durch ein später angelegtes
Bruchband noch ganz besonders gefährdet seien. Bajardi fand
den Wurmfortsatz in 9,5%, der Fälle im Bruchsack und auch von
anderen wird auf die Häufigkeit dieses Vorkommnisses hingewiesen.
Wir fanden bei unseren Säuglingen den Wurmfortsatz in 14,6% der
Fälle im Bruchsack. Kern in 25% (in ı2 Fällen 3mal). Von der
Appendektomie sehen wir in solchen Fällen beim kleinen Kinde ab,
um nicht die Operation zu verlängern und die Asepsis nicht zu ge-
fahrden. Was zunächst die Dauerbehandlung der Bruchband-
558 Ranft. Heft 6
behandlung anbelangt, so sind die Mitteilungen Gordon’s von
größter Wichtigkeit, die schreibt: ‚Unsere Ziffern zeugen von der
Nichtigkeit des Bruchbandes in bezug auf die Radikalkur der Her-
nien. In einzelnen Fällen wurde es 4, 5, 6, 7, 8 Jahre hindurch Tag
und Nacht getragen oder vielmehr ertragen, ohne daß dadurch
irgendeine Tendenz zur Verkleinerung der Bruchpforte hervor-
gerufen worden wäre. Bei denjenigen Hernien, und dieselben bilden
bei Kindern die überwiegende Mehrzahl, bei denen es sich um kon-
genitale Malformationen des Leistenkanales, um Abwesenheit oder
mangelhafte Konstruktion der Leistenpfeiler, um einen abnorm
erweiterten Leistenring handelt, kann selbstverständlich mit der
Behandlung durch die Bruchbänder kein irgendwie nennenswertes
Resultat erzielt werden. Das Kind wird unter solchen Umständen
niemals imstande sein, jenen adhäsiven, physiologischen Entzün-
dungsprozeB hervorzurufen, der bei der Obliterierung des Processus
vaginalis und der Verklebung des serösen Bruchsackhalses eine so
bedeutende Rolle spielt.“ Ferner: ‚In einer kleinen Zahl von
Brüchen kann man beim Kinde durch die methodische, mehrjährige
Behandlung mittels des Bruchbandes in der Tat eine Heilung erzielen,
aber um welchen Preis?! Es bedarf hierzu der unausgesetzten,
peinlichsten Überwachung. Ausdauer seitens der Umgebung und
größte Geduld und Fügsamkeit von seiten des kleinen Patienten.
Und nachdem dem letzteren so die schönste Kindheit vergrämt
wird durch ein Gebrechen, das ihm jede Anstrengung und Ermüdung
verbietet, das ihn folglich von den Spielen und Erholungen seiner
Kameraden, von allen Freuden der Jugend ausschließt, ist er nicht
einmal sicher, daß der Bruch nicht nach Jahren, wenn man ihn
längst radikal und definitiv geheilt glaubte, wieder erscheine.“
Aus den Ausführungen Gordon’s möchten wir als besonders wichtig
die Unterscheidung zwischen solchen Hernien, die im wesentlichen
Folge von Malformationen der Bruchpforte und Bruchwandungen
sind und solchen, die allein durch das Offenbleiben eines Teils des
Processus vaginalis peritonaei bedingt sind, hervorheben. Nur die
letzteren lassen sich durch die vom Bruchband bewirkte seröse
Obliteration mit einiger Aussicht auf Dauererfolg heilen. Jedoch
ist hierbei stets zu berücksichtigen, daß an der Stelle, wo eine solche
durch Druck zu erzielende Obliteration erhofft wird, nämlich am
Anulus ing. internus, wegen der Weichheit der Teile und ihrer Aus-
weichmöglichkeiten diese Wirkung äußerst hypothetisch ist und
weiter unten am Anulus ing. externus erst den viel umfangreicheren
Funiculus spermaticus quetschen miiBte. Schlechte Erfahrungen mit
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 559
dem Bruchband hat u. a. auch Fraenkel gemacht. Er schreibt:
„Ich habe mich um so leichteren Herzens nach diesen günstigen Er-
fahrungen bei den vier Einklemmungen hierzu entschlossen (d. h. zur
Operation), als ich trotz aller, durch Jahre fortgesetzten Bemühungen
mit der Bruchbandbehandlung der Säuglinge die allerschlechtesten
Erfahrungen gemacht habe. Ich kann wohl mit gutem Gewissen
behaupten, daß die Säuglinge unter der Bruchbandbehandlung mit
der unvermeidlichen Konsequenz der [Irritation der Haut durch
die kot- und urinbeschmutzten Bracherien unverhältnismäßig mehr
zu leiden hatten als durch die Operation.“ Schließlich hat Gohr-
bandt auch mit Recht wieder auf die Kostspieligkeit der Bruch-
bänder hingewiesen, ein heutzutage sicher nicht zu unterschätzendes
Argument. Wichtig ist auch, daß Gohrbandt hervorhebt, daß
man für den Fall der Notoperation bei Incarceration (s. vorn) durch
die Bruchbandbehandlung, die diese absolut nicht verkleinert oder
gar ausschließt, nur ungünstige Verhältnisse schafft; nicht nur, daß
evtl. Ekzeme, Ulcera usw. die Prima intentio gefährden müssen,
sondern auch die entstandenen entzündlichen Verklebungen er-
schweren dann bei der Operation die Auslösung des Bruchsackes,
machen verstärkte parenchymatöse Blutungen und verlängern die
Operationsdauer. French führt unter den Ursachen der Rezidive
u.a. mit an eine mangelhafte Entwicklung und Erschlaffung der
tiefen Muskelplatte, z. B. nach längerer Bruchbandbehandlung,
ein Grund, der auch mit gegen die Bruchbänder spricht. De
Garmo schließlich weist noch auf die unerträglichen Schmerzen
beim Tragen der Bruchbänder hin, was nach seiner Meinung eine
direkte Indikation zur Operation gibt.
Wir lehnen auf Grund unserer eigenen Erfahrungen das Bruch-
band auch im Säuglingsalter im allgemeinen ab, da wir in
keinem Falle irgendwelchen Nutzen von der Bruchbandbehandlung
gesehen haben. Nur im ersten Quartal, wo wir mit anderen
(s. oben) einen konservativen Standpunkt einnehmen, lassen
wir es unter ganz bestimmten Indikationen gelten.
Einmal, wenn der Bruch schnell größer wird und die operative Be-
handlung wegen des Allgemeinzustandes des Kindes nicht erlaubt
ist, andererseits die örtliche Beschaffenheit der Bruchregion, die freie
Reponibilität des Bruches das Anlegen des Bandes gestatten. Ferner
sind entscheidend die sozialen Verhältnisse: nur wo Sorgfalt und:
liebevolle Fürsorge waltet, kann die Behandlung durchgeführt werden.
Gelegentlich wird man wohl mal, wo man ohne Behandlung den
Operationszeitpunkt abwarten könnte, den Angehörigen das Zu-
560 Ranft. Heft 6
gestandnis des ,,ut aliquid fiat'’ machen, da sie sonst in dauernder
Unruhe sein wiirden. Aber das sind seltene Ausnahmefalle. —
Wir haben der Frage: Wie war die Behandlung des Leisten-
bruches vor der Operation und welchen Erfolg hatte sie vor
allem auch in Hinblick gerade auf die Bruchbandbehandlung, be-
sondere Aufmerksamkeit geschenkt. In vielen Fallen gaben die
Miitter an, der Arzt habe den Bruch einfach hineingedriickt und
gesagt, man könne nichts weiter tun, eine Operation käme vor Ab-
lauf des ersten Jahres nicht in Frage. In 5 Fällen von den nicht
komplizierten, einfachen Leistenbrüchen hatten die Säuglinge ohne
Erfolg ein Bruchband getragen, teils waren die Bruchbänder dauernd
entzweigegangen (Kosten) und der Ersatz den Eltern zu teuer,
teils waren die sichtlichen Beschwerden der Säuglinge durch die
Behandlung in keiner Weise behoben worden, teils kam es zu Wund-
sein und Intertrigo und oft kam der Bruch trotzdem immer wieder
heraus. Die geringe Zahl der verordneten Bruchbänder scheint doch
dafür zu sprechen, daß das Vertrauen der Ärzte zu dieser Behandlung
beim Säugling selbst nicht sehr groß ist, denn sonst wären sie sicher
öfter verwendet worden. In der Mehrzahl der Fälle fand überhaupt
vorher keine anderweitige Behandlung statt, die Mütter suchten
direkt unsere Poliklinik auf.
Es wurde schon oben erwähnt, daß bereits Israelsohn im Jahre
1880 die operative Behandlung der Hernien im Säuglingsalter ab-
gelehnt habe, weil ein aseptischer Wundverlauf nicht zu er-
reichen sei, ein Einwand, den man heutzutage überhaupt nicht
mehr zu entkräften braucht, denn die Zahlen reden eine beredte
Sprache in diesem Punkt und lassen auch heute noch auf Grund
dieses Punktes gegen die Operation beim Säugling vorgebrachte
Bedenken als völlig unberechtigt erscheinen. Die Wundbehandlung
bei den 75 operierten Brüchen war folgende: Bei keinem Bruch
erfolgte eine Heilung per secundam. Nur in 4 Fällen lagen ganz
belanglose, geringfügige Störungen vor, geringe seröse Sekretion,
Dehiscenz kleiner Partien der Hautwundränder usw., die nur wenige
Tage anhielten, ohne die Prima intentio zu stören. Solche kleinen
Störungen kommen bei der weichen, beweglichen Haut des Kindes
leicht einmal dadurch zustande, daß die Nähte nicht exakt adaptiert
sind und sich die Ränder übereinander schieben. Es kommt also
auf eine sehr sorgfältige Ausführung der Hautnaht viel an. Auch
Kovacs weist auf diesen Punkt besonders hin. Er nimmt ebenso
wie wir übrigens von der Verwendung der Michelklammern wegen
Decubitalstellen und unschöner Narbenbildung Abstand. Erst bein
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 561
größeren Kind, wenn die Haut derber geworden ist, werden sie ver-
wendet. In einem einzigen Fall war infolge äußerer Beschmutzung
des Verbandes bei dem sehr unruhigen Kinde ein Verbandwechsel
schon am vierten Tage post operationem nötig, während wir sonst
erst zur Entfernung der Fäden 7 Tage post operationem den ersten
Verband abnehmen. Hier kam es zu einer oberflächlichen Störung
der Wundheilung. In 59 Fällen, d.i. in 94,5% der Fälle, hatten wir
eine einwandfreie per-primam-Heilung. Die Zahlen zeigen, daß
man mit Wundinfektion bei der aseptischen Radikal-
operation nicht mehr zu rechnen hat. Allerdings ist hierbei
nicht nur die selbstverständliche, peinlichste Asepsis bei der Ope-
ration und ihre möglichst einfache, schnelle Technik von Bedeutung,
sondern sehr wichtig auch die richtige Vorbereitung und vor allem
Nachbehandlung.
Besonders aber sind Säuglinge mit Unreinheiten der
Haut, auch entfernt von der Operationsstelle (Pyodermien,
Ekzemen, Furunkeln, Intertrigo usw.) und sonstigen Infektio-
nen (Lymphome, Otitis media, Angina, Cystitis) von der Ope-
ration zuriickszustellen.
Leichtere intertriginöse Ekzeme heilen bei der unten gleich zu
erörternden Lagerung der Säuglinge oft überraschend schnell ohne
jede weitere Therapie ab, so daß es uns gelingt, in kürzester Zeit,
innerhalb 2—3 Tagen, solche Kinder zur Operation geeignet zu
machen.
Der Reinigung des Kindes zur Operation mit Bad folgt Waschung
mit Äther und Alkohol und aseptische Bedeckung des Wundgebietes
am Abend vor dem Operationstage. Schon jetzt werden die Kinder
so gelagert, wie sie post operationem zu liegen haben. Riickenlage,
Anbinden der unteren Extremitäten und Fixation des Oberkörpers
mit Tüchern am Bett, Anlegen eines am Boden durchbohrten Reagens-
glases an den Penis, das mit Heftpflaster am Mons pubis befestigt
wird. Das Glas taucht in eine Flasche und fängt den Urin sicher auf.
Unterstellen eines Gefäßes (Unterschieber, Eiterbecken) unter den
After zum Auffangen des Stuhles. So kann es von dem After aus
12 Stunden vor der Operation nicht mehr zur Verunreinigung des
Wundgebietes kommen, und so wird nach der Operation der Ver-
band sicher vor derselben geschützt. Eine besondere Art des Ver-
bandes ist absolut unnötig. Wir betupfen post operationem die
Wunde mit Jodtinktur und legen darauf einen Jodoformgazestreifen,
der mit einem Mullschleier durch Mastix festgelegt wird. Wichtig
ist, daß die Operationswunde möglichst hoch angelegt wird (?/, über
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 36
562 Ranft. Heft 6
dem Anulus ing. externus) und der Klebeverband sie abwärts nicht
weiter, wie eben nötig, zur sicheren Bedeckung überragt, damit er
möglichst weit von der unsauberen Region entfernt vor Beschmutzung
mit Urin sicher ist. Kompliziertere Verbände, das Bestreichen der
Wunde mit dicker Paste u.a., wie es angegeben worden ist, halten
wir für völlig entbehrlich, ja ungeeignet.
In der Chirurgischen Abteilung der Leipziger Universitäts-Kinder-
klinik wurden in der Zeit vom 1. I. 1920 bis Anfang VI. 1922 81 Säug-
linge wegen Leistenbruches aufgenommen, und zwar handelte es
sich um:
20 Falle Hernia ing. indir. reponibilis dextra
25 » „ ” » si sinistra
I5 » „ 7 és bilateralis
10 ,, ii re », irreponibilis incarcerata
11 ,, wurde die Operation zur Zeit abgelehnt.
Die incarcerierten Hernien sollen hier zunächst als Krankheits-
bild sui generis ausscheiden und werden für sich besprochen. Die
Gründe für die Ablehnung der Operation in den ıı Fällen seien kurz
angeführt.
Fall 1. 4 Monate, 27 Tage alt. Lag zur Beobachtung des vom Kassenarzt
festgestellten Leistenbruches auf Station. Wurde jedoch ohne Operation ent-
lassen, da sich ein Bruch nicht nachweisen ließ.
Fall 2. 1 Monat, 17 Tage alt. Abgelehnt wegen ausgiebigem, intertriginösem
Ekzem.
Fall 3. ı Monat, 23 Tage alt. Entlassen ohne Operation wegen des dürftigen
Allgemeinzustandes.
Fall 4. 3 Monate alt. Entlassen wegen zur Zeit bestehender Furunkulose
und Intertrigo.
Fall 5. 3 Monate, 7 Tage alt. Operation des angeblich eingeklemmten
Leistenbruches wegen des schlechten Allgemeinzustandes zur Zeit abgelehnt.
Fall 6. ı Monat, 5 Tage alt. Operation wegen des schlechten Allgemein-
zustandes abgelehnt.
Fall 7. 5 Monate alt. Operation wegen zur Zeit bestehender Dyspepsie
abgelehnt.
Fall 8. ıı Monate, ıı Tage alt. Operation wegen starker Bronchitis zur
Zeit abgelehnt.
Fallg. 3 Monate, 21 Tage alt. Operation wegen Furunkulose und Bronchitis
zur Zeit abgelehnt.
Fall ro. 8 Monate, 26 Tage alt. Die Operation wurde bei dem schwer-
kranken, tuberkulösen Kinde abgelehnt.
Fall ıı. 2 Monate alt. Operation wegen zur Zeit bestehender Dyspepsie
abgelehnt.
Wir kamen also in 13,6% der Fälle zur Ablehnung der
Operation bei den uns überwiesenen Säuglingen. In den 13,6%
der Fälle handelt es sich also um folgende Ablehnungsgründe:
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 563
ı x Bruch nicht nachweisbar, 3 x zu elender Allgemeinzustand
(Untergewichtigkeit), 3 x Furunkulose und Intertrigo, 2 x Ernahrungs-
störungen, I x Bronchitis, r x Tuberkulose; zu denen evtl. noch
hinzukommen können: alle sonstigen Infektionen, Konstitutions-
anomalien, alle manifesten Erkrankungen sonstiger Art, insbesondere
noch Lues!).
Es wurden also an 60 Säuglingen 75 reponible Leisten-
brüche operiert. Unter diesen waren 57 Knaben = 95%, und
3 Mädchen = 5% der Fälle.
Das Alter der Säuglinge am Operationstage betrug:
bis zu !/, Jahr in ıo Fällen
” ’ 1, 9 » 25 oe
oe ’ 3/, »» a” 13 ’
über. Ji seo ec. u
612) Fälle
Die Operationsmethoden waren in unseren Fällen folgende:
I1. Kochers Invaginationsmethode . 36 Fälle = 48,0%
2. nach Karewski........ 33°» =440%
3. mach Bassini ......... 4 » = 53%
4. atypisch. ........... 2 «¢ =] 242%
Die Tabelle zeigt, daß wir in einer großen Zahl von Fällen die
Invaginationsmethode Kochers angewandt haben. Wir haben
sie in etwas veränderter vereinfachter Form ausgeführt: nach nicht
besonders hoch gelegter Ligatur des Bruchsackhalses wird der
Bruchsackstumpf mit einer leicht gebogenen Führungszange hinter
der vorderen Bauchwand aufwärts geführt und nach Anlegen einer
kleinen Längsincision auf das vordrängende Maul der Zange in
Aponeurose des Externus und Muskulatur mittels Seidennaht am
meist nicht eröffneten Peritonaeum und Muskelschicht so fixiert,
daß er sich beim Herausholen der Führungszange nicht mehr herab-
ziehen läßt. Wir sehen jetzt von dieser Hilfsoperation ab und re-
servieren sie nur für die Fälle, wo die hohe Ligatur des Bruchsackes
wegen Gleitbrüchen oder aus anderen technischen Gründen sich
nicht exakt durchführen läßt. Sonst beschränken wir uns auf
die hohe Ligatur. Ein plastischer Verschluß der Bruch-
1) Es ist noch zu bemerken, daß diese 13,6%, noch nicht alle Säuglinge,
bei denen wir die Operation ablehnten, umfassen, sondern nur die, die bereits
zwecks Operation auf der Station aufgenommen waren. Die in der Poliklinik
als ungeeignet abgewiesenen Fälle (Brustkinder usw.) sind in dieser Zahl nicht
enthalten.
2) Nb.: 61 statt 60, da ein doppelseitiger Leistenbruch zweizeitig operiert
wurde.
36*
564 Ranft. Heft 6
pforte ist, darin stimmen wir mit Karewski u. a. tiberein, im
Säuglingsalter in den allermeisten Fällen unnötig.
Karewski schreibt, daß der gute Erfolg der Operation nicht allein
in der größeren Plastizität der kindlichen Gewebe, sondern auch
in dem Umstand liege, daß sich die Bruchpforten des Kindes, sobald
sie nicht mehr durch das Heraustreten der Intestina auseinander-
gedrängt werden, sehr schnell spontan verengen, und daß im beson-
deren der Leistenkanal mit dem fortschreitenden Wachstum nicht
nur länger werde, sondern auch einen viel schrägeren Verlauf
annehme. Besser als irgendwelche künstliche Verengung der Bruch-
pforte sichere dieser Vorgang den Dauererfolg und mache die an
sich so ausgezeichneten, plastischen Verfahren entbehrlich. Mit
Karewski hält auch Tavel bei Kindern die Ablösung des Sackes
mit Abtragung des distalen Teils nach Ligatur ohne Fixation für
die Methode der Wahl. Sie machen beide vor der Abbindung noch
eine Torsion des Sackes, um ihn so gut aus seiner Umgebung
abzulösen. Diese hat unserer Meinung nach vor allem noch den Vor-
teil, daß sie den Inhalt des Bruchsackes sicher bauchhöhlen-
wärts zurückdrängt. Auch Spitzy hat bei Kindern die ein-
fachste Methode für die beste erklärt. Er sagt sogar einmal, daß
die Muskelnaht und Neubildung des Kanales nach Bassini bei
Kindern nach seinen Erfahrungen bei der Dünne der Muskulatur
fast unmöglich sei. In gleicher Weise äußert sich Stiles, der nur
noch eine oder zwei Pfeilernähte zur Verengerung der Bruchpforte
macht. Nur in den Fällen, in denen eine Einklemmung am Bruch-
sackhalse bestand, kam bei ihnen der Bassini zur Anwendung. Auch
Buessel hält jede plastische Operation für unnütz, die Resektion
allein genüge. Großmann schreibt zur Technik der Operation,
man könne heute ruhig behaupten, daß bei der Radikaloperation
der Kinder die Resultate ebenso günstig, ja noch günstiger seien
als beim Erwachsenen, da man kompliziertere Methoden nur in
den seltensten Fällen benötige und der Eingriff sich rasch und ein-
fach abspiele. In der Raschheit des Eingriffes liegt ja gerade
beim Säugling ein so wesentlicher Vorteil; aus diesem Grunde lehn-
ten wir ja schon oben die prinzipielle Appendektomie,
wie sie übrigens auch Großmann verurteilt, ab. Karewski
sagt einmal, wenn die blutige Behandlung einer Hernie bei einem
Säugling indiziert erscheine, so muß die einfachste Methode, welche
schnell und ohne Gefahr ausgeführt werden kann, den anderen vor-
gezogen werden, sofern sie gleich zuverlässig wie diese sei. Auf
letzteren Punkt soll bei Besprechung der Nachuntersuchungen noch
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 565
eingegangen werden. — Wir verwenden, wie schon gesagt, bei den
Säuglingen fast ausschließlich die hohe Ligatur. Auf ein völliges
Auslösen des Bruchsackes wird verzichtet. Von einem zu zwei
Drittel oberhalb, zu einem Drittel unterhalb des Anulus ing. sub-
cutaneus gelegenen Hautschnitt aus wird der Bruchsack freigelegt,
seine Hüllen mit glattem Schnitt bis auf das Peritonaeum durch-
trennt, die Gebilde des Samenstranges an der Außen- und Hinter-
seite des Bruchsackes bis zum Anulus ing. internus abgelöst, der
Bruchsackhals bis zu dieser Höhe exakt isoliert und nach Inspektion
seines Inneren, evtl. Reposition seines Inhaltes, mittels so hoch wie
möglich gelegter Durchstechungsligatur unterbunden, wonach ledig-
lich der proximale Stumpf reseziert, das periphere Stück aber be-
lassen und mit dem Testikel in das Scrotum zurückversenkt wird.
Über den Bruchsackinhalt besagen unsere Krankengeschichten
folgendes:
Leer . . . . 2 2 2.2... 22mal
Keine Angabe. . . ... 20 „,
Netz ...... oa Sar sg a N
Appendix. ....... or
Appendix und Dünndarm. 6 ,,
Ovarium und Tube 2 +63
Ovarium und Uterus .. I ,,
Dickdarm. ...... 6 ,,
Dünndarm ...... the 33
Dünn- und Dickdarm I
Wichtig erscheint uns, darauf hinzuweisen, daB in den drei Fallen,
wo es sich um weibliche Säuglinge, die einzigen überhaupt,
die zur Operation kamen, stets um Adnexe handelte, die sich
im Bruchsack vorfanden. Die drei Fälle seien deshalb ausführlich
erwähnt:
Fall ı. B. E., 3 Monate, 5 Tage alt. 2980 g schwer, etwas schwächlich,
innere Organe gesund. In der linken Leistenbeuge befindet sich eine, bis zu
kleinpflaumengroße Vorwölbung, die beim Schreien des Kindes noch zu-
nimmt. Die Vorwölbung ist wenn auch schwer, reponierbar. Im Bereich der
Vorwölbung fühlt man noch eine harte Resistenz von etwa Bohnengröße.
Dieser Tumor läßt sich nicht reponieren, er macht den Eindruck einer Hydro-
cele. Durch Punktion wird aus dem Gebilde fadenziehende Flüssigkeit ge-
wonnen, die sich schnell ersetzt. — Operationsdauer ı2 Minuten. 1,5 Chloro-
form. Typischer Schrägschnitt, Freipräparieren des Bruchsackes. Der Bruch-
sackinhalt fühlt sich derb und höckerig an. Der Bruchsack reißt beim Frei-
präparieren ein. Der Inhalt des Bruchsackes besteht aus dem Uterus, den
beiden Tuben und den cystisch entarteten Ovarien. An einer besonders großen
Cyste ist eine blutunterlaufene Stelle, von der vorhergegangenen Punktion her-
rührend, sichtbar. Vollständiges Eröffnen des Bruchsackes. Die Reposition
des Inhaltes gelingt erst nach Spaltung des äußeren Leistenringes. Durch-
566 Ranft. Heft 6
stechungsligatur. Resektion. Invagination. Verschluß des Anulus ing. sub-
cutaneus. Naht der Bruchsackhüllen. Hautnaht. 6 Tage post operationem
Fäden entfernt, Heilung per primam.
Fall 2. S. I., 9 Monate, 20 Tage alt. Kind in nur mäßigem Ernährungs-
zustand. 4780 g schwer. Zeichen der Rachitis. Epiphysenlinien aufgetrieben.
Innere Organe o. B. Oberhalb der rechten Leistenbeuge findet sich eine etwa
bohnengroße, harte Geschwulst, die auf der Unterlage gut verschieblich ist.
Beim Schreien des Kindes zeigt sich oberhalb dieser Drüse (?) eine deutliche
Vorwölbung, die, wenn das Kind ruhig ist, wieder in die Bauchhöhle zurückgeht.
— Operation 33 Minuten Dauer. 4,0 Chloroform. Typischer Schrägschnitt.
Freipräparieren des Bruchsackes. Im Bruchsack kann man die oben beschrie-
bene harte Geschwulst tasten. Sie besteht nach Eröffnen des Bruchsackes aus
dem cystisch entarteten Ovarium und der Tube; letztere ist mit der Bruch-
sackwand ziemlich fest verwachsen und nur mit Mühe von ihr zu lösen. Die
Reposition des Bruchinhaltes gelingt erst nach Spaltung des äußeren Leisten-
ringes. Hohe Ligatur. Naht des Anulus ing. subcutaneus. Hautnaht. 6 Tage
post operationem Fäden entfernt. Heilung per primam.
Fall 3. P. S., 5 Monate, 3 Tage alt. Zur Anamnese: Mit 3 Wochen be-
merkt, daß ein Bruch rechts besteht. Links besteht ebenfalls ein Bruch, aber
er ist nicht so ‚‚hart‘‘ als der rechte. Zeitweise soll der Bruch sehr hart werden,
das Kind schreit dann stark und wird unruhig, kann oft nicht urinieren. Be-
fund: Säugling in dürftigem Ernährungszustand. 3820 g. Innere Organe o. B.
In der rechten Leistenbeuge wölbst sich ein kleiner Tumor von Kirschkerngröße
vor, der sich beim Schreien und Anspannen der Bauchdecke noch vergrößert.
Er läßt sich zum Teil reponieren, eine Geschwulst von Erbsengröße bleibt
jedoch immer zurück. — Operation: Dauer und Narkosenmenge unbekannt.
Typischer Schrägschnitt rechts, Freipräparieren des Bruchsackes. Bruchsack
sehr dünn. Eröffnen des Bruchsackes. Inhalt: Ovarium. Tube und Fimbrien,
die mit dem Bruchsack stark verwachsen sind und sich nicht reponieren lassen.
Freipraparieren; selbst dann ist die Reposition unmöglich, da der Uterus
auch noch mit dem Peritonaeum verwachsen ist. Hervorziehen des Uterus,
lösen desselben, erst jetzt gelingt die Reposition. Vernähen des Bruchsackes.
Versenken des Stumpfes. Zwei Aponeurosennähte. Hautnaht. 6 Tage post
operationem Fäden entfernt. Wundheilung per primam.
In allen drei Fällen mußte, um die Reposition zu ermöglichen,
erst der Anulus ing. subcutaneus durchtrennt werden. Tobler
hat schon darauf hingewiesen, daß man bei Kindern so oft die Adnexe
im Bruchsack vorfinde. Unter 6 Fallen fand er 2mal die Adnexe,
das wäre in 33,3%, der Fälle. Wir hatten unter unseren Fällen 3 mal
Adnexe, das ware sogar 100%. Corner hat sich besonders mit den
Leistenbrüchen bei Kindern weiblichen Geschlechts befaßt. Er
schreibt, daß dieselben, wenn sie irreponibel sind, fast immer ein
Genitalorgan enthalten. Er berichtet über 103 weibliche Kinder.
wovon 90 reponible, 4 irreponible und 9 incarcerierte Hernien hatten.
13 enthielten ein Genitalorgan, und zwar meistens Tube und Ovarium.
Das wären auf 100 Kinder weiblichen Geschlechts 12,6%, der Fälle,
in denen ein Genitalorgan im Bruchsack vorliegt. Auch wir fanden
-
Heft6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 567
in unseren drei Fällen in jedem Falle eine noch irreponible Ge-
schwulst, die sich in jedem Falle bei der Operation als ein Genital-
organ erwies. Daß für diese Fälle die Operation nur die einzige
Möglichkeit der Behandlung ist, möchten wir noch besonders unter-
streichen. Die Bruchbandbehandlung wäre geradezu verhängnis-
voll wegen der Irreponiblität. Andererseits erleiden die dystopischen,
steten mechanischen Reizen ausgesetzten Genitalorgane mit der
Zeit Schädigungen, wie die cystisch entarteten Ovarien beweisen.
Ihre normale Entwicklung ist sicher ernstlich gefährdet. Watson
weist auch noch darauf hin, daß die Torsion der Adnexe eine häufige
Komplikation der Hernie des Ovariums und der Tube bei Kindern
unter 2 Jahren sei. Als Symptome führt.er an: Unruhe, unmoti-
viertes Schreien und Reizbarkeit, Erbrechen, Aufblähung des Leibes
seien selten. Vor allem sei die Hernie irreponibel, druckempfindlich
und schmerzhaft. Bei Strangulation stelle sich dann Übelkeit, Er-
brechen und Stuhlverhaltung ein; Peritonitis sei selten. Die Be-
handlung der irreponiblen Hernien des weiblichen
Säuglings hat unbedingt in der Frühoperation zu be-
stehen.
Das Verhalten der Temperaturkurve post operationem
bei den Säuglingen haben wir besonders genau verfolgt. Das Vor-
kommen erhöhter Temperatur beim Säugling gehört fast zur Regel,
und auch von anderen Beobachtern wird auf diese Tatsache beson-
ders hingewiesen. Nevarro hat z. B. unter 70 Fällen bei 52 Kin-
dern leichte Temperaturen, ohne Störung der primären Wundheilung
beobachtet. So schreibt Tobler, daß er das Vorkommen von Tem-
peraturen bei ganz unkomplizierten Brüchen, bei lokal absolut
reaktionslosem Wundverlauf, und ohne daß die geringste Andeutung
einer Lungen- oder anderweitigen Komplikation bestände, beobachtet
habe. Er fand in der Regel gleich am Abend des Operationstages
die Temperatur 37,5—38,5°, doch auch Temperatur 39,0° und
darüber. Wir haben versucht, aus 49 Fällen, die postoperativ bei
genauer klinischer Beobachtung, ohne jedwede Störung der Wund-
heilung, glatte prima intentio in allen Fällen, keinerlei Störung von
seiten des Respirations- und Digestionstraktus boten und ander-
weitige Infekte auszuschließen waren, eine Durchschnittskurve für
den operierten Säugling aufzustellen. Natürlich ist eine solche
Kurve schematisch, sie soll auch nur ein ungefähres, anschaulicheres
Bild des Verhaltens der Temperatur der operierten Säuglinge geben.
Das Alter der Säuglinge haben wir bei der Aufstellung der Kurve
nicht besonders berücksichtigt. Möglich, daß jüngere Säuglinge
Heft 6
Ranft.
568
feiner reagieren als ältere. Das Maximum liegt bei 38,0° am ersten
Tage post operationem friih, von da ab lytischer Abfall der Kurve.
Die Kinder sind am 3. Tag
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Normal-
bzw.
Unsere Unter-
peratur am 2. Tag post
operationem 37,5’
und 37,3° abends noch als
leichte Steigerung ansieht
da der Durchschnittswert
vor der Operation bei 37,2°
einzelnen Tage graphisch
dargestellt, um zu zeigen,
wieviel Fälle unter,
und über der Tagesdurch-
schnittstemperatur liegen.
selben; nur einige wenige,
ganz extreme Steigerungen
drücken den Durchschnitt
In der
suchung ist eine neue Be-
stätigung, daß selbst sehr
in die Höhe.
graphischen
post operationem entfie-
bert, wenn man die Tem-
liegt. Außerdem wurden
die Temperaturen für die
Das Gros liegt unter der-
kann man unseres Erach-
tens auch ein anschau-
licheres Bild gewinnen über
die Entstehung der Normal-
kurve.
kurve haben wir übrigens
in punktierter Linie über
bzw. unter dem Normal-
wert die an dem jeweiligen
Tage zur Beobachtung ge-
kommene Maximal-
Minimaltemperatur einge-
hohe Temperaturen
beim Säugling an den
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Heft 6
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Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 569
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Graphische Darstellung der Entstehung der Durchschnittstemperaturkurve
(Operationstag bis einschließlich III. Tag post operationem) für den am
Leistenbruch operierten Säugling.
570 Ranft. Heft 6
ersten beiden Tagen post operationem uns nicht eine
Störung des Wundverlaufes oder das Auftreten anderer
Komplikationen fürchten zu lassen brauchen. Man ver-
meide es daher, den Wundbereich unnötig zu eröffnen. Es ist ja
eine bekannte Tatsache, daß kleine Kinder viel schneller mit Tem-
peraturen reagieren als Erwachsene. Das Wärmezentrum spricht
leichter auf Resorption von Zellzerfallstoffen und anderen Giften an,
und die Wärmeregulierungsmechanik arbeitet noch nicht so exakt.
Wichtig erscheint uns auch gerade für den Säugling die Beant-
wortung der Frage nach der Dauer des Krankenhausaufent-
haltes, legen doch Goeppert-Langstein gerade hierauf so
großen Wert und betonen die Gefahr, die für ein Loslösen des Säug-
lings aus seinem bisherigen Milieu bestehen soll. Da wir zunächst
keinen Säugling sofort nach der Aufnahme operieren, möchte ich
unterscheiden in ı. Krankenhausaufenthalt einschließlich der Be-
obachtungszeit vor der Operation und 2. den Tag festlegen, an dem
die Mehrzahl der Säuglinge post operationem entlassen werden
konnten. Die Beobachtungszeit vor der Operation ist ,,Conditio
sine qua non‘, um die sonstige Gesundheit und Resistenz des Kindes
festzustellen. Sie ist für Temperaturmessung, Bestimmung der
Gewichtskurve, Regelung der Diät, Beobachtung der Stühle, des
Schlafes usw. von Wert. Auch können in verdächtigen Fällen Tuber-
kulosereaktionen angestellt werden. Bei normalen gesunden Säug-
lingen genügen 2 Tage. Es beträgt in 83%, der Fälle der gesamte
Krankenhausaufenthalt nur ı2 Tage, und in 88,1% der Fälle konnten
die Säuglinge schon am 8. Tage post operationem geheilt entlassen
werden. Zu einer ambulanten Behandlung post operatio-
nem haben wir uns bisher nicht recht entschließen
können, da wir durch diesen nur kurzen Aufenthalt für die
Säuglinge hinsichtlich ihres weiteren Gedeihens keinerlei Schaden
gesehen haben. Es kommt doch für einen glatten, komplikations-
losen Ablauf, für eine einwandfreie prima intentio zuviel auf
die Nachbehandlung an, so daß wir nach dieser Seite hin nichts
riskieren möchten und vor der prinzipiellen ambulanten Be-
handlung lieber warnen möchten. Sehen wir doch gerade in
anderen Fällen — ich denke hier an die ambulante Behandlung
der Luxationen —, wie schwierig gerade das Sauberhalten der Kinder
für die Angehörigen ist. Außerdem kommt ein so kurzer Aufent-
halt im Krankenhaus auch heute noch immer wesentlich billiger
als die teueren, ewig zu erneuernden Bruchbänder und das Verband-
material.
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 571
Schließlich soll noch ein Fall erwähnt werden, bei dem es im An-
schluß an die Operation zweimal zu blutigen Stühlen kam, Der
Fall betraf ein 3 Monate, 28 Tage altes Kind mit rechtsseitigem
Leistenbruch. Bei der Operation, die sonst technisch keinerlei
Schwierigkeiten bot, fand sich als Inhalt im Bruchsack das Coecum
mit dem Wurmfortsatz sowie Dünndarm. Das sehr lange Coecum
war teilweise mit dem Wurmfortsatz verwachsen, die Reposition
des großen Darmkonvolutes war erst möglich nach Incision des
Anulus ing. subcutaneus. Darauf hohe Ligatur und Verlagerung.
Die Operation dauerte 27 Minuten, Chloroform wurde 4,0 verwandt.
Am Tage nach der Operation Temperatur früh 38,6° und zweimal
rein blutige Stühle. Das Fieber war am 2. Tag post operationem
wie auch die Blutung verschwunden, und am 6. Tag konnte das
Kind post operationem geheilt entlassen werden. Der Fall betraf
eines der Brustkinder, die in der Klinik von der Mutter weiter ge-
stillt wurden.
Ducastaing berichtet über „Note sur un cas d’hemorragie in-
testinale précoce consécutive 4 la kélotomie“. Es handelt sich
um eine akute Brucheinklemmung, an die im Anschluß an die Ope-
ration nach einer halben Stunde und etwas später zum zweiten
Male profuse Darmblutungen auftraten. Ungestörte Heilung. Bei
der Operation fand sich eine sehr starke Einschnürung und ein
großes Konvolut von Dünndärmen mit einem beträchtlichen Mesen-
terialsegment im Bruchsack. Ducastaing führt die Blutung auf
die arterielle Ischämie infolge der Brucheinklemmung zurück. Aloi
berichtet auch einmal über 3 Fälle von gastrointestinalen Blutungen
im Anschluß an Hernienoperationen. Der erste Fall betraf eine
Rezidivoperation mit Netzresektion, in dem zweiten Fall war es eine
Blutung aus einem Geschwür in einer eingeklemmt gewesenen Schlinge,
und im 3. Fall kam es nach anfänglich glattem Verlauf 7 Tage nach
der Operation zur Blutung. Aloi nimmt eine Schädigung durch die
Narkose, der drüsigen Organe bzw. der endokrinen Drüsen an.
Unser Fall hat meiner Meinung nach in manchem mit dem von
Ducastaing Ähnlichkeit: zwar keine akute Einklemmung, aber
schwere Reponiblität (Incision des Anulus ing. subcutaneus war er-
forderlich). Hier wie dort ein großes Darmkonvolut, hier wie dort
bald nach der Operation die Blutung und schließlich in beiden
Fällen ungestörte Heilung und glatter Verlauf. Vielleicht haben
in unserem Fall, der einen Säugling betraf, schon die geringen
Stauungen genügt und zur arteriellen Ischämie und Blutung post
operationem geführt.
572 Ranft. Heft 6
Der postoperative Verlauf unserer operierten Säug-
linge, bot bis auf den eben erwähnten Fall keinerlei
Besonderheiten, insbesondere kamen schwere Lungen-
erkrankungen und schwere Verdauungsstörungen in
keinem unserer Fälle zur Beobachtung, auch blieben
anderweitige Komplikationen aus.
Unsere Nachuntersuchungen hatten folgendes Ergebnis:
Von den 59 Säuglingen wurden von uns selbst in der Klinik nach-
untersucht 45 Fälle, d. s. 76,3%. In 7 Fällen erhielten wir durch
die Eltern Nachricht (11,9%), in 4 Fällen keine (6,8%,) und in 3 Fällen
(5,1%) waren die gesund entlassenen Kinder aus nicht mehr mit
der Operation in Zusammenhang stehender Ursache gestorben;
2 an Pneumonie, bei einem 3. Kinde hat, trotz eingehendster Nach-
forschungen, die Todesursache nicht festgestellt werden können.
Unter den 45 selbst nachuntersuchten Kindern mit zusammen
56 Brüchen sind 3 Rezidive. In den 7 Fällen mit zusammen acht
Brüchen, wie die Eltern berichten, kein Rezidiv. Das macht auf
65 Brüche 3 Rezidive, das wäre in 4,7% der Fälle. Nach Garré
sollen die Rezidive für das Säuglingsalter schwanken zwischen den
Zahlen 0,5—3%. Die Rezidive seien ausführlicher angeführt:
Fallı. E.K. 7 Monate 14 Tage alt. Operation Mischnarkose. Bruchsack
sehr zart. Bruchsack reißt an mehreren Stellen beim Abpräparieren ein. In-
halt: Dünndarm, Coecum, Appendix. Reposition gelingt erst nach Incision
der vorderen Wand des Leistenkanales in Beckenhochlagerung. Im Kanal
eine divertikelartige Ausstülpung des Bruchsackes. Durchstechungsligatur
Bassini, Wundheilung per primam. Am 8. Tage post operationem entlassen.
Fall 2. I. G. 4 Monate ı9 Tage alt. Operation typischer Schrägschnitt
links. Freipräparieren des Bruchsackes. Isolierung vom Ductus def. und Ge-
fäßen. Bruchsack dünnwandig, kein Inhalt. Durchstechungsligatur. Invagi-
nation. Hautnaht. Rechts gleichzeitige Operation in der gleichen Weise,
hier jedoch nur hohe Ligatur. Heilung per primam. Entlassen am 7. Tag
post operationem. Rezidiv links.
Fall 3. M. H. 2 Monate ı8 Tage alt. Operation zunächst links Schräg-
schnitt. Freilegen des Bruchsackes und Abpräparieren des mit ihm eng ver-
wachsenen Samenstranges. Bruchsack sehr dünnwandig, enthält nur wenig
Netz. Durchstechungsligatur. Stumpf schnurrt nach Resektion gut zurück.
Rechts Punktion einer Hydrocele, alsdann Radikaloperation nach Kocher.
Bruchsack enthielt Darmschlingen war derbwandiger als links. Heilung per
primam. Am 7. Tage post operationem entlassen. Rezidiv rechts.
In allen 3 Fällen weicht die Operationsmethode von
der einfachen, hohen Ligatur ab. Im Fall ı, Rezidiv nach
Bassini. Im Fall 2 und 3, die deshalb besonders instruktiv sind,
zeigt sich, daß die einfache hohe Ligatur nach Karewski nicht
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 573
rezidivierte, sondern stets die nach Kocher operierten Falle. Kein
Rezidiv kommt auf die hohe Ligatur von Karewski,
die wir deshalb als die Methode der Wahl beim Säugling
hinstellen möchten. Karewski selbst schreibt: Eine Unter-
bindung läßt keine Rezidive zu, offenbar weil die natürliche, beim
Wachstum sich einstellende Veränderung des Leistenkanales eine
dauernde Sicherung nach Fortschaffung der Peritonealausstülpung
schafft. Im Fall 3 fand sich bei der Rezidivoperation ein Gleit-
bruch, der wahrscheinlich auch schon bei der ersten Operation dieses
Falles, im Entstehen begriffen, vorgelegen und nur nicht richtig
erkannt worden war. Nach Gleitbrüchen tritt aber erfahrungsgemäß
aus bekannten Gründen häufiger als bei anderen Brüchen ein Rezidiv
auf. Brunzel schreibt, daß ein hohes Abbinden bei Gleitbriichen
unmöglich sei; daher die Neigung zu Rezidiven; die Methode, nach
der man operiere, sei ganz gleichgültig. Wir möchten indes glauben,
daß bei zuverlässiger Durchführung des beschriebenen Verlagerungs-
verfahrens doch eine wesentlich größere Sicherheit gegen das Rezidiv
gegeben ist,und wir werden daraufhin später unser Gleitbruchmaterial,
das mit der Zeit schon zahlreich geworden ist, nochmals durch-
prüfen. |
Zwischen Operationstag und Nachuntersuchungstag lagen in
7 Fällen über 2 Jahre = 13,2%, in 22 Fällen über ı Jahr = 41,5%,
in ı6 Fällen über !/, Jahr = 30,2%, unter !/, Jahr in 8 Fällen =
15,1%. Da wir in unserer Arbeit nur die bis Anfang Juni 1922 ope-
rierten Kinder aufgeführt haben, liegt also in allen Fällen die Ope-
ration jetzt über ein Jahr zurück. Wir haben die Eltern bei der
Nachuntersuchung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, ja
auf die Operationsstelle zu achten und uns irgendwelche Änderung,
Auftreten einer neuen Geschwulst usw. sofort im Interesse des
Kindes mitzuteilen und wieder vorstellig zu werden. Ich glaube
deshalb, daß man mit Sicherheit sagen kann, daß wir alle Rezidive
erfaßt haben und weitere an den in der Arbeit zugrunde gelegten
Fällen nicht zu erwarten sind. Eine Nachuntersuchung aller Fälle,
um absolute Sicherheit zu haben, ist nochmals geplant, und es soll
seinerzeit darüber berichtet werden. — Über das zeitliche Auftreten
des Recidivs post operationem schreibt Coley, daß, wenn ein Rezi-
div eintrete, sich dasselbe innerhalb des ersten Jahres nach der
Operation manifestiere. In 2 Fallen wurden die Rezidive, die von
den Eltern gar nicht bis zur Nachuntersuchung bemerkt worden
waren, von uns gelegentlich, einmal 10 Monate, das zweite Mal
I Jahr, ıı Monate nach der Operation festgestellt. Im dritten Falle
574 Ranft. Heft 6
war das einwandfreie Rezidiv schon einen Monat nach der Operation
in Erscheinung gerteten. Lobmayer (Budapest) schreibt sogar,
daß später als 6 Wochen nach der Operation Rezidive nur äußerst
selten auftreten. Sertoli schreibt zu dieser Frage, daß die Chirurgen
noch nicht darüber einig seien, nach welchem Zeitpunkt man einen
mit Radikaloperation behandelten Bruch als definitiv geheilt betrach-
ten darf. So habe er sich dem Kriterium der Mehrzahl angeschlossen,
welche 2 Jahre als genügend annehmen, da die meisten Rezidive
sich im ersten oder zweiten Jahre einstellen. Schwartz schreibt
zur Frage der Rezidive nach Bassini, daß er unter 207 Operationen
Ir Rezidive und davon g (!) im ersten Jahr nach der Operation
gefunden habe. Hessert hat festgestellt, daB mit zunehmendem
Lebensalter sich die Rezidivgefahr erhöhe, was für die Frühoperation
der Säuglinge sprechen würde. Galeazzi hat so z. B. bei 1411 Nach-
untersuchungen festgestellt, daB
im ersten Dezennium 1,5%
, zweiten s 4,2%
‚ dritten = 6,9%
Rezidive auftreten. Kelbing weist auch mit Recht darauf hin,
daß Rezidive im jugendlichen Alter viel seltener als später sind,
da der Vernarbungsprozeß beim jugendlichen Gewebe ein besserer
sei. Kovacs schließlich betont gleichfalls, daß die Zahl der Rezidive
bei Erwachsenen weit höher sei als bei Kindern. Die guten Dauer-
resultate der Radikaloperation des Säuglingsleisten-
bruches, die im Vergleich zu anderen Lebensaltern
nicht erhöhte Rezidivgefahr sprechen sehr zugunsten
der Frühoperation des Säuglings.
Wir glauben durch unsere Ausführungen die Meinung
derer, der Nutzen der Frühoperation des Säuglings-
leistenbruches werde mit einer zu großen Gefahren-
quote erkauft, widerlegt zu haben. Wir unterstreichen
als besonders wichtig auch für einen guten chirurgi-
schen Erfolg:
I. Genaueste Beachtung der Vorschriften der Ernäh-
rung, Wartung und Pflege des Säuglings. Nur, wo dies
absolut sichergestellt ist (geschultes Säuglingspflegepersonal,
einwandfreie Zubereitung der Nahrung), dürfen Säuglings-
operationen vorgenommen werden.
2. Die Operationstechnik, die an und für sich einfach
ist, erfordert ein genaues Vertrautsein mit den beson-
ders diffizilen Verhältnissen des Säuglingsalters. Die
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 575
Operation darf deshalb nur von in Säuglingsoperationen
besonders Erfahrenen ausgeführt werden.
Auf 8ı Säuglinge, die mit der Diagnose ‚„Leistenbruch‘“ auf-
genommen wurden, kommen ı0 Fälle mit Einklemmung.
Dies entspricht einer Häufigkeit von 12,3%. Im Vergleich zu älteren
Autoren ein verhältnismäßig hoher Prozentsatz. Koenig berichtet
in der 4. Auflage seines Lehrbuches der speziellen Chirurgie, daß er
nur zweimal während seiner bisherigen Tätigkeit im ersten Lebens-
jahre Einklemmungen erlebt habe. Von Nußbaum erlebte unter
54 000 Kindern in 25 Jahren 2 Fälle. Holmes in London sah in
13 Jahren keinen Fall, Buchanan in 4 Jahren ı Fall. Stern
berichtet, daß er unter 138 741 klinischen und poliklinischen Fällen
in 4 Jahren keine Herniotomie wegen Einklemmung bei Kindern
verzeichnen kann. Er berichtet in seiner Arbeit aus dem Jahre
1894 über das umfangreiche Material der Kliniken Basel, Prag,
Breslau, Krakau, Wien, Frankfurt, Amsterdam, Bern und Göttingen.
Nach ihm kommen auf 108 Herniotomien’ bei Erwachsenen eine
bei Kindern wegen incarcerierter Hernien.
Tscherepinin ist gleichfalls der Ansicht, daß Einklemmungen
bei Kindern sehr selten sind, und auch Dubs, der in neuerer Zeit
über 3 Säuglingsincarcerationen berichtet hat, hebt ausdrücklich
die Seltenheit dieses Krankheitsbildes hervor. Im Gegensatz hierzu
berichtet Krause aus der Königsberger Klinik im Jahre 1921, daß
er 8 Fälle = 4% der in 2 Jahren beobachteten Fälle von Bruch-
einklemmungen bei Säuglingen fand. Er glaubt, daß trotz der ent-
gegenstehenden Angaben der Literatur das Krankheitsbild der Ein-
klemmung keine so seltene Komplikation des Säuglingsbruches sei,
wie es den Anschein habe. Er meint, daß die Fälle von Einklem-
mungen in diesem Alter sehr häufig dem Arzt überhaupt nicht zu
Gesicht kommen, die Einklemmung gehe entweder spontan zurück
oder werde in vielen Fällen durch Manipulationen von seiten der
Mutter zurückgebracht. Sicherlich werden auch vom Allgemein-
praktiker und Kinderarzt viele Einklemmungen reponiert, die der
chirurgischen Statistik verloren gehen. Ich habe ferner des öfteren die
Beobachtung gemacht, daß uns Kinder von auswärts mit der Diagnose
„incarcerierte, nichtreponible Hernie‘ eingeliefert wurden, die sich teils
durch den Transport mit Wagen auf schlechtem Pflaster, teils durch
die gleichmäßigen Erschütterungen einer Eisenbahnfahrt spontan
bei der Einlieferung schon gelöst hatten. Krause ist den Gründen
für das gehäufte Auftreten der Säuglingsincarcerationen gegenüber
576 Ranft. Heft 6
Alter am | Dauer der, |
Name Operations- Ein- | Diagnose Befund bei der Operation
tag klemmung
| : ! \
1
+ i 1 m nn nn
—
| K., Kurt 5 Mon. Nicht ' Hern. ing. indirecta | —
5830 g 7 Tage genau |irreponibilis incarce-
bekannt
rata dextra. |
- | Nummer
2 |W., Gerhard 8 Mon. Uber | Hern. ing. indirecta —
6600 g 5 Tage 12 Std. |irreponibilis incarce- !
rata dextra.
j
G., Margot 1 Mon. Uber Hern. ing. indirecta | Adnexe, Ovarium und
|
|
J Hem. ing. in
| 37708 20 Tage ı Tag irreponibilis incarce-| Tube mit Bruchsack
| | rata dextra. ~ fest verwachsen.
| | | |
4 M., Kurt 4 Mon. Über | Hern. ing. indirecta ' Blutig seröses Bruch-
| 4000 g 5 Tage I Tag ;irreponibilis incarce- | wasser. Stark gestauter
| rata sinistra. | Dünndarm.
| |
"5 IN., Karl Hz.| 7 Mon. 4!/, |Hern. ing. indirecta | Blutig seröses Bruch-
6330 g 8 Tage Stunden|irreponibilis incarce- | wasser. Stark gestauter
rata dextra. Dünndarm.
6 | V., Werner | 7 Mon. | Schon |, Hern. ing. indirecta | Blutig seröses Bruch-
6380 g 9 Tage | 36 Std. |irreponibilis incarce-| wasser. — Dünndarm-
| rata sinistra. schlingen.
7 W. Klaus | 7 Mon. | Nicht | Hern. ing. indirecta| Blutig seröses Bruch-
| 98508 8 Tage | genau jirreponibilis incarce- | wasser. Stark injicier-
| bekannt ' rata dextra. ter Dünndarm.
:
8 K., Herbert | 2 Mon. Über | Hern. ing. indirecta | Rein blutiges Bruch-
2770 g 3 Tage | 1 Tag ‘irreponibilis incarce- | wasser. — Stark inji-
rata dextra. ciertes, dunkel verfarb-
| | |tes Coecum. Schwere
| Ä | Adhäsionen.
9 | Sch., Walter) 3 Mon. 2—3 Hern. ing. indirecta| Reposition des Brucb-
| 6800 g 10 Tage |Stunden irreponibilis incarce-| sackinhaltes vor seiner
| rata dextra. Eröffnung. Bruch-
| wasser stark getrübt.
10 , Kl., Rudolf | 7 Mon. ' Über iHern. ing. indirecta | Blutiges Bruchwasser.
| Gew. nicht | 27 Tage ı2 Std. irreponibilis incarce- |Gangränös gewordene
bekannt. | rata dextra. Dünndarmschlinge.
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 577
Geheilt
men Bad nur teilweise. op. Bauchwand-
bruch; s. diese
Arbeit.
po {ae N
oe ge + | Besonderes Nachuntersuchung
post P si
Taxis in Hanglage 7. Tag | Kind wurde am 3. Tag post [an Monate post
des Kindes gelungen. Taxim operiert. Im Bruch-|op. + an Stimm-
sack fand sich noch blutiges | ritzenkrampf.
Bruchwasser. Modifizierter
Kocher.
Taxis gelingt; im 7 Tagı — Kin wurde am 4. Tag| Kein Rezidiv.
warmen Bad | | post Taxim operiert. Modi-
i | | fizierter Kocher. — Trug
| | | von der 6. Woche bis zum
Tag der Einklemmung ;
| | Bruchband.
Taxis gelingt im war- | 8. Tag' — iKind wurde am 2. Tag ı!/), Jahr post
|
fizierter Kocher. Vgl.
| ‚ausführlichen Bericht in
|
| post Taxim operiert. Modi-
der Arbeit!
Sofortige Operation. | 11. Tag |
Radikalop. nach _ |
|
2 Mon. post op.
Rezidiv.—4 Mon.
nach der 1. Op.
: wieder operiert,
starb 2 Mon. spä-
ter an Grippe.
|
Re Bruch bestand seit der Kein Rezidiv.
| 6. Woche und hatte wieder-
| holt Einklemmungen ge-
|
Bassini.
Sofortige Operation. 8. Tag |
Hohe Ligatur nach
Karews ki.
"habt, war mehrfach vom
Arzt immer wieder repo-
niert worden.
Sofortige Operation. 11. Tag
Hohe Ligatur und mo-
difizierter Kocher. |
Sofortige Operation. | 15. Tag
Hohe Ligatur nach |
— ‚Bruch bestand seit der Kein Rezidiv.
8. Woche!
— | Bruch seit der 4. Woche. Kein Rezidiv.
‘ Trug bis zum halben Jahr:
Karewski. | | Bruchband!
Sofortige Operation. | 24. Tag: — Bestehen des Bruches seit Kein Rezidiv.
Hohe Ligatur nach | | Geburt. Schwere chro-
Karewski. | | nische Obstipation.
Ä |
Sofortige Operation. , 7. Tag) — Bestehen des Bruches seit Kein Rezidiv.
Hohe Ligatur nach ' Geburt. Schwere chro-
Karewski. | nische Obstipation seit der
| | 7. Woche!!!
Sofort. Operation. Re- — + Bestehen des Bruches seit | —
sektion von 6cm Partis wenige Geburt!
intestini ilei. Hohe Li- Steer
gatur n. Karewski. | |
Monatsschrift fir Kinderheilkunde. XXVII. Band. 37
578 Ranft. Heft 6
älteren Angaben nachgegangen und kommt zu folgenden Schlüssen.
Die Zahl der Hernien hat sich in den Kriegsjahren auch für Erwachsene
um etwa das Doppelte vermehrt, und die Zahl der eingeklemmten
Hernien hat eine Steigerung von 10,2%, auf 17,6%, aller behandelnden
Hernien erfahren. Das gleiche gilt nach seinen Untersuchungen auch
im speziellen für die Säuglinge. Die besonderen Gründe sind:
I. gehäuftere Störungen des Darmtraktus,
2. die verminderte Wartung und Pflege des Kindes,
Die Untersuchungen, die aus den Kriegsjahren 1917/18 stammen,
haben sicher auch noch für die heutige Zeit ihre Gültigkeit. Wir
haben in der Tabelle S. 576/577 das Wichtigste über unsere 10 Fälle
zusammengestellt. Von einer Aufführung der Krankengeschichten im
einzelnen soll Abstand genommen werden. Unter den ıo Fällen
lag 3mal eine Einklemmung der linken Seite und 7mal eine solche
der rechten Seite vor. Auf 9 Knaben kam nur r Mädchen. Die
Häufigkeit des männlichen Geschlechtes und die Bevorzugung der
rechten Seite werden immer wieder in der Literatur betont und finden
auch durch unsere Angaben eine erneute Bestätigung. Die Gründe
für beides sind bekannt und bedürfen nicht eingehender Erwähnung.
Ausführlich hat sich auch Krause erst kürzlich wieder darüber
geäußert. Zwei Kinder standen im ersten, 3 im zweiten und 5 im
dritten Quartal des Lebens. Im vierten Quartal stand keines unserer
Kinder. Zwei Drittel der Einklemmungen sollen nach Knobloch auf
die ersten I2 Lebensmonate kommen und nach Krause soll im ersten
Lebensjahr hauptsächlich die zweite Hälfte betroffen werden, wohin-
gegen in anderen Statistiken wiederum die ersten 3 Monate bevorzugt
sind. Unsere Statistik ist mit 5 Fällen im dritten Quartal eine Be-
stätigung der Angabe Krauses. Kovacs fand bei 253 Kindern
21 Einklemmungen und unter diesen Io Fälle im ersten Lebensjahr.
Wir finden für das ganze Kindesalter unter 189 Kindern in 2!/, Jahren
12 Fälle, was einer Häufigkeit von 6,2%, und für die ersten beiden
Lebensjahre mit ıo Fällen einer solchen von 9,9% entspricht.
Salzer errechnete für die ersten beiden Lebensjahre eine Häufig-
keit von 11,5% der Einklemmungen unter 352 Kindern. Unsere
Mortalität beträgt mit einem Todesfall 10%. Die folgende
kurze Beschreibung des Falles (Nr. ro der Tabelle) wird jedoch
zeigen, daß es sich in vieler Beziehung um einen seltenen Aus-
nahmefall handelt.
Etwa 8 Monate alter Säugling. Einklemmung bestand bei der
Operation schätzungsweise I2 Stunden. Genaue Zeitangabe fehlt
leider. Taxis gelingt nicht mehr. Sofortige Operation, Dauer
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 579
der Operation 110 Min. Narkosenmenge 8,0 Chloroform. Beim
Eröffnen des Bruchsackes entleert sich reichlich blutiges Bruch-
wasser. Eine dicht oberhalb der Valvula Bauhini gelegene Dünn-
darmschlinge ist fast in ihrem ganzen Umfange blutig infarciert, die
Wandung stark verdickt und blaurot verfärbt. Zu- und abführen-
der Schenkel zeigen nach Lösung bald normales Aussehen, die in-
carceriert gewesene Schlinge jedoch nicht. Im zugehörigen Mesen-
terium keine Pulsation, keine Peristaltik nachweisbar. Resektion
von 6 cm Intestini ilei, End-zu-End-Vereinigung. Plötzlicher Exitus
letalis kurze Zeit nach der Operation. Sektion (Prof. Hübsch-
mann). Status post resectionem partis intestini ilei. Degeneratio
hepatis (narcosi effectu ?).
Epikrise: Zunächst trägt sicher die Hauptschuld am Exitus
des Kindes die bei der Operation sich als nötig erweisende Darm-
resektion. Gelingt es auch hin und wieder, unter besonders günstigen
äußeren Bedingungen bei ausgezeichneter Technik einen Säugling
mit Darmresektion durchzubringen, so verschlechtert jedoch dieser
Eingriff die Prognose quoad vitam in jedem Falle. Im vorliegenden
Falle kommt als weiteres ungünstiges Moment die unverhältnismäßig
lange schädliche 'Narkosendauer 110’ — Degeneratio hepatis! —
hinzu, die sich aus dem Umstand erklärt, daß die Operation von
einem mit der Technik der Darmresektion noch wenig erfahrenen
Assistenzarzt ausgeführt werden mußte. Schließlich müssen wir
die bei der Operation festgestellte Gangrän, die sich innerhalb 12 Stun-
den entwickelt hatte, für dieses Alter als auBergewöhnlich bezeichnen.
Nach den Angaben Wimmers hinsichtlich der Dauer der In-
carceration und Prognose beim Kinde ist diese bei einer Dauer
bis zu 24 Stunden als durchweg günstig zu bezeichnen. Wenn auch
Gürtler über einen Fall von Darmgangrän beim Säugling nach
erst einstündiger Dauer berichten konnte, so ist man im allgemeinen
doch der Ansicht, daß Darmbrand beim Kinde später und seltener
auftrete. Einmal fehlt in diesem Alter dem einschnürenden Bruchteil
die Starre und Unnachgiebigkeit des späteren Lebensalters, und
zum anderen soll der Darm eine größere Lebensenergie besitzen. —
Eine viel größere Gefahr im Säuglingsalter ist der durch die Intoxi-
kation bedingte Schock. Keimer macht bezüglich des Darmbrandes
folgende Angabe: ‚Wir sehen eine Zunahme der Gangrän von
Lebensalter zu Lebensalter, ihre höchste relative Zahl erreichen
sie im letzten Jahrzehnt mit etwa 70%. Bei Kindern fehlten dagegen
Fälle von Darmbrand ganz.“ Schließlich hat auch Krause wieder
in seiner Publikation die Verschlechterung der Prognose quoad
37°
580 Ranft. Heft 6
vitam beim Säugling betont, wenn Darmresektion erforderlich ist. —
Die Bezeichnung des Falles als einer seltenen Ausnahme erscheint
uns nach dem Gesagten als gerechtfertigt. — Krause hat für das
Säuglingsalter bei Einklemmungen auf 44 Fälle ıı% Mortalität
errechnet. Jedenfalls ist Sterns Angabe mit 22%, Mortalität zu
hoch. Wir müssen allerdings berücksichtigen, daß seine Angabe aus
dem Jahre 1894 stammt und sich seit dieser Zeit die Technik der
Operationen ganz wesentlich verbessert hat, ein Punkt, den auch
Krause ausdrücklich betont. Jedenfalls liegen, wenn man für die
Einklemmung der Erwachsenen einen Durchschnitt von 20% Mor-
talıtät nimmt, die Zahlen für das allerjüngste Kindesalter immer
noch günstiger, allerdings ist die größere Sterblichkeitsziffer beim
Erwachsenen zum großen Teile sicher durch die oft schon sehr alten
decrepiden Individuen mit Einklemmung bedingt.
g Fälle gingen in Heilung aus. In 2 Fällen gelang noch die Taxis.
Die Radikaloperation wurde am 2. bzw. 3. Tag später angeschlossen
Die restlichen 7 Fälle mußten bis auf den weiblichen Säugling sofort
operiert werden, da die Taxis nicht mehr gelang.
Wir versuchen die Taxis in jedem Fall. Krause will sie
nur bei schwächlichen Säuglingen mit kurzdauernder Bruchein-
klemmung zulassen und betrachtet sie sonst als Kunstfehler. Spitzy
will sie nur für die Fälle vorbehalten wissen, in denen die Einklem-
mung nicht über 12 Stunden besteht. Gelingt die Taxis nicht gleich
beim ersten Handgriff, dann werden die Versuche in Hängelage
und schließlich im warmen Vollbad wiederholt, wobei alle forcierten
Manöver strengstens vermieden werden. Wichtig erscheint uns.
darauf hinzuweisen, daß man bei allen Taxisversuchen den Anulus
inguinalis subc. exakt mit Zeigefinger und Daumen der- einen Hand
umgreifen muß, während die andere einen gleichmäßigen Druck
auf die Geschwulst ausübt. Die Taxis völlig verwerfen, wie dies
Krause für die Incarcerationen des Erwachsenen tut, ist nach
unseren Erfahrungen für das Säuglingsalter nicht berechtigt. Sicher
aber sollten alle Fälle mitEinklemmung oder Irreponibli-
tät im Säuglingsalter unmittelbar dem Chirurgen zu-
geführt werden, damit keine unnötige und kostbare Zeit verloren
geht, sondern sofort, wenn die Taxis nicht gelingt, die Operation
unmittelbar angeschlossen werden kann. Es gilt unserer Ansicht
nach für die eingeklemmte Säuglingshernie das gleiche Prinzip wie
für den Ileus im Säuglingsalter, über den Spitzy schreibt: „Ge-
lingt die hohe Irrigation nicht, so ist es ein Verbrechen, mit der
Operation zu warten.“ Der gelungenen. Taxis schließen wir die
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 581
Radikaloperation nicht unmittelbar an. Einmal, um sich das Kind
von dem Trauma (Schock) der Einklemmung wieder erholen zu lassen,
Abklingenlassen von schon oft nach kurzer Zeit auftretenden Intoxi-
kationserscheinungen, Abwarten der normalen Wiederherstellung
der Darmtätigkeit, schließlich um auf Grund eingehender klinischer
Beobachtungen zur Zeit für die Operation ungeeignete Säuglinge
ausschließen und für einen günstigeren Operationstermin zurück-
stellen zu können. Wir möchten uns hierin Graser anschließen,
wenn er sagt, „daß bei ganz kleinen Kindern es manchmal rätlich
erscheinen kann, die Einklemmung durch Taxis zu beseitigen und die
Radikaloperation auf bessere Zeiten zu verschieben“. Ferner sollen
sich die gedehnten succulenten Gewebe wieder normal zurück-
bilden können. Wenn wir auch für die eingeklemmte Hernie des
Säuglings hinsichtlich der Operationsmethode gleich anderen Autoren
die hohe Ligatur nach Karewski als Methode der Wahl bezeichnen
möchten, so können andererseits doch einmal besondere Verhält-
nisse gerade beim eingeklemmten Bruch ein plastisches Verfahren
wie z. B. den Bassini erfordern. Operiert man in derartigen Fällen
sofort nach gelungener Taxis, so besteht bei der Operation in dem
pathologisch veränderten Operationsgebiet eher die Möglichkeit
eines Rezidives, als in den Fällen, wo man noch zugewartet hat.
Das einzige Rezidiv, das wir bei unseren Nachuntersuchungen .
fanden, betrifft einen Fall (Nr. 4), der sofort operiert werden mußte,
und bei dem außerdem wieder eine Bassini-Operation ausgeführt‘
wurde, deren Unzuverlässigkeit beim Säugling schon einmal erwähnt
wurde, und deren Vorkommen unter diesen pathologischen Verhält-
nissen des Operationsgebietes uns noch leichter erklärlich als unter
den Verhältnissen der unkomplizierten reponiblen Säuglingshernie
erscheint. Das Rezidiv trat bereits 21/, Monate nach der Operation
auf. Das Kind wurde später nochmals operiert und blieb dann
rezidivfrei. Im Januar 1923 ist es an einer Grippe verstorben. Ein
Kind entging der Nachuntersuchung durch den Tod, es starb
2!/,. Monate nach der Operation nach Angabe der Mutter am Stimm-
ritzenkrampf. In den restlichen 8 Fällen lag die Operation bei der
Nachuntersuchung in 3 Fällen über 2 Jahre und in den anderen
Fällen über ı Jahr zurück, es fand sich kein Rezidiv. Also auf
g Fälle ı Rezidiv (12,5%). Die Wundheilung erfolgte in
allen Fällen per primam, nur in 2 Fällen geringfügige ober-
flächliche Störungen der Wundheilung, jedoch ohne Störung der
prima intentio. Die Nachbehandlung der Kinder weicht in nichts
von der der unkomplizierten reponiblen Hernien ab und bedarf
582 Ranft. Heft 6
nicht nochmaliger Erwahnung. Bis-zum 11. Tage nach der Operation
waren als geheilt 7 Kinder entlassen. Besonders erwähnt werden
sollen noch die Fälle Nr. 8 und 9, in denen es sich um Brust-
kinder handelte. Der Bruch bestand seit Geburt, und es wurde von
den Eltern in beiden Fällen über seit der Geburt bestehende chronische
Verstopfung geklagt, die nach der Operation in beiden Fällen ver-
schwand, bei guten Gedeihen der Kinder. Der Hinweis erscheint
uns wichtig, da er erneut beweist, daß selbst bei optimaler Ernäh-
rung eines Säuglings mit Brust, die an und für sich dünnere und häu-
figere Stühle macht und den Darm schneller passiert als Kuhmilch
— Pseudoobstipation an der Brust konnte in beiden Fällen aus-
geschlossen werden —, das Bestehen eines Bruches wieder Verdauung*-
störungen gemacht hatte. Ich glaube, sicherlich besteht in diesen
beiden Fällen mit der chronischen Verstopfung auch ein kausaler
Zusammenhang mit der erfolgten Einklemmung. Ausführlich soll
noch der Fall Nr. 3 erwähnt werden.
Krankengeschichte: G. Margot. 1 Monat 20 Tage alt. Gesunde
Eltern. Brustkind. Die Eltern bemerkten gestern das Heraustreten einer Ge-
schwulst in der rechten Leistenbeuge, die nicht wieder zurückging. Der tags
darauf zugezogene Arzt stellt eingeklemmten Leistenbruch fest und reponierte
denselben, was verhältnismäßig leicht gelang. Außerdem machte er einen
Einlauf, da heute noch kein Stuhl, wohl aber Winde abgegangen waren! Nach
‘der erfolgten Reposition am Nachmittag war der Leib des Kindes sehr hart.
es schrie viel, hat auch etwas erbrochen und war sehr unruhig. Das Kind
wurde deshalb mit der Diagnose ‚„Bauchfellentzündung nach Leistenbruch-
Reposition rechts“ der Klinik überwiesen. Befund nach der Aufnahme: 3770 8
schwerer Säugling weiblichen Geschlechtes, blasse Gesichtsfarbe, Sensorium
frei, Turgor und Tonus gut. An den inneren Organen (Herz, Lunge) kein
krankhafter Befund. FingergliedgroBer Nabelbruch, reponible Bruchpforte
fir die Fingerkuppe eben einlegbar. Leib weich, nicht aufgetrieben, kein
Milz-, kein Lebertumor, keine Druckschmerzhaftigkeit. In der rechten Leisten-
gegend tastet man einen etwas weiten Leistenring, von einem Bruch ist zur Zeit
nichts nachweisbar. Linke Leistenbeuge o. B. Der abgegangene Stuhl ist von
normaler Beschaffenheit.
Ein paar Tage später, als bereits geplant war, das sehr schwächliche Kind
wegen Untergewichtigkeit und zu großer Jugend (7 Wochen) ohne Operation
zu entlassen, ist der Bruch rechts wieder ausgetreten. Es findet sich ein fast
taubeneigroßer, ziemlich fester Knoten, der zunächst nicht, auch nicht in
Hängelage des Kindes, zu reponieren ist; im warmen Bade gelingt schließlich
die Taxis. Wegen der dauernden Einklemmungsgefahr wird die Operation
beschlossen.
Operation (Prof. Sievers): Chloroformnarkose 1,0. Schrägschnitt rechts
über dem wieder ausgetretenen Bruch, Freilegen des Bruchsackes. Nach
Eröffnen findet sich als Inhalt zum Teil mit der Wand verwachsenes Ovarıum
und Tube. Beides läßt sich nicht durch den Schnürring reponieren. Erst nach
Einkerben des An. ing. subc. gelingt die Reposition. Durchstechungsligatur.
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 583
möglichst weit oben, Verlagerung. Pfeilernaht, Hautnaht. Primäre Wundhei-
lung, gutes Gedeihen des Kindes bei Muttermilch und H.-S.-Nahrung. Verlauf
völlig fieberfrei.
Epikrise: Im vorliegenden Falle finden sich bei dem einzigen
weiblichen Säugling wieder Adnexe als Inhalt des Bruchsackes.
Wahrscheinlich sind Darmschlingen niemals eingetreten gewesen.
Ob die Taxis bei der zweimaligen Einklemmung restlos gelungen ist,
möchte ich auf Grund des Operationsprotokolles, daß die Verwach-
sungen des Eierstockes und seine Irreponiblität ausdrücklich her-
vorhebt, bezweifeln. Die Anamnese scheint für die Annahme der
nur teilweise gelungenen Taxis beim ersten Male auch sichere An-
haltspunkte zu geben. Es bestanden zunächst noch am Nachmittag
bei dem Kind große Unruhe, unmotiviertes Schreien, Erbrechen,
Meteorismus (harter Leib), Winde gingen ab! Diese Symptome
finden wir bei weiblichen Säuglingen unter 2 Jahren als Folgen einer
Torsion der Adnexe der Ovarien und Tuben. Ich möchte daher
glauben, daß vielleicht auch der Uterus zunächst mit austrat
(s. Krankengeschichte fester Knoten!). Dieser wurde allein leicht
reponiert, während das Ovarium und die Tube, deren Stieldrehung
die akuten Symptome nach der ersten Taxis auslöste und den Arzt
draußen zur Diagnose Peritonitis, eine Verwechselung, die leicht
möglich ist, veranlaßte, noch eine Zeitlang bestehen blieben und dann
spontan zurückgingen, nachdem der Uterus reponiert war; nach der
_ Einlieferung in die Klinik waren die Erscheinungen dann restlos
abgeklungen. Das in diesem Alter noch sehr winzige Ovarium und
die Tube sind vielleicht der Palpation entgangen, denn daß sie
irreponibel waren, geht doch mit Eindeutigkeit aus dem Operations-
protokoll hervor. Es handelt sich also um den immerhin seltenen
Fall einer Einklemmung der Adnexe mit Stieldrehung bei einem erst
I Monat 20 Tage alten Säugling, der in Heilung ausging. Wir glaub-
ten uns zu ausführlicherem Bericht dieses Falles für berechtigt zu
halten. Bei der Nachuntersuchung dieses Falles fand sich folgender
Befund: In der rechten Leistenbeuge 3,5 cm lange lineäre Narbe,
die im unteren Drittel ein wenig eingezogen ist. Beim Husten und
Pressen wölbt sich rechts neben der Narbe etwas oberhalb des oberen
Narbenendes eine halbkugelige kleine Geschwulst vor, die beim
Pressen praller wird und sich leicht wegdrücken läßt. Sie hat zum
Leistenkanal keine Beziehung, sondern liegt außerhalb desselben
und scheint durch einen Defekt der Fascie des Obliquus externus
hindurchzutreten. Die Operation bestätigte die Richtigkeit. Es
lag kein Leistenbruchrezidiv sensu strictiori vor. Es hatte sich
584 Ranft. Heft 6
an der Stelle der Aponeurose, wo dieselbe zur Ausführung der Durch-
stechungsligatur am Peritonaeum parietale des bei der ersten Ope-
ration verlagerten Bruchsackstumpfes incidiert worden war, ein
Bauchwandbruch gebildet. Auf einen exakten Nahtverschluß des
kleinen Fascienschnittes war bei der Operation des erst 7 Wochen
alten Kindes, um dieselbe nach Möglichkeit abzukürzen, verzichtet
worden. Der Fall zeigt aber, daß in jedem Falle auf einen exakten
Nahtverschluß des Aponeurosenschnittes Wert zu legen ist, um
nicht einen Locus minoris resistentiae zuriickzulassen. Krause
schreibt in seiner Publikation zur Technik der Operation: ,,Es gibt
in dieser Hinsicht Schnelligkeits-Rekord-Operateure, doch muB,
wie überall, so auch hier eine übermäßige Geschwindigkeit mit Be-
einträchtigung der Gründlichkeit bezahlt werden.‘ Auch wir stehen
hinter solchen Rekordleistungen der Bruchoperationen in 4—5 Mi-
nuten (Spitzy) gleich Krause zurück, wie aus unseren Angaben
über die Dauer unserer Narkosen schon eingangs im ersten Teile
deutlich hervorgeht.
Wir fassen unsere Ansicht über die Incarcerationen der Eee ge
dahingehend zusammen:
I. Im Hinblick auf die im Säuglingsalter nicht allzu
selten vorkommenden Incarcerationen ist grundsätz-
lich jeder Leistenbruch im Säuglingsalter der Radikal-
operation zu unterziehen.
2. Jeder Fall von Irreponiblität und Incarceration
im Säuglingsalter gehört beschleunigt in die Hand des
Chirurgen. Ein Versuch mit schonsamer Taxis ist be-
rechtigt. Gelingt die Taxis jedoch nicht sofort, so sind
‘ein weiteres Zuwarten und weitere konservative Maß-
nahmen ein Verbrechen am Leben des Kindes.
3. Einer gelungenen Taxis soll in jedem Falle ein paar
Tage später die Radikaloperation angeschlossen werden.
4. Die Resultate der operativen Behandlung der Säug-
lingsincarcerationen sind gut, auf ıo Fälle kam ı Exitus
und I Rezidiv.
Im folgenden soll noch kurz über die Erfolge unserer Operatio-
nen jenseits des ersten Lebensjahres bis zum I4. Lebens-
jahre berichtet werden. Wir teilen diese Kinder in 2 Gruppen.
Gruppe A: Kinder des 2. Lebensjahres. Das erste Lebensjahr
hat seine eigene Indikationsstellung, die sich bei der Abtrennung
vom 2. Lebensjahr schärfer herausarbeiten läßt. Andererseits schien
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 585
es wichtig, auch das zweite Jahr für sich zu behandeln, da die Stel-
lungnahme der Chirurgen zur Operabilität wohl erst vom 3. Lebens-
jahr ab eine einheitlich positive ist. Im zweiten Lebensjahr standen
53 Kinder. Von diesen wurden 51 mit zusammen 55 Briichen
operiert, und zwar handelte es sich in
21 Fallen um Hern. ing. ind. rep. dextra
24 ’, >? oy 9 >39 os sinistra
ae 3 » oo» » » Ddilateralis
2: 5 „» incarcerata irreponibilis
In 2 Fallen, d. 1. in 3,8% de Fälle, wurde die Operation abgelehnt.
Einmal wegen starker Gewichtsabnahme des Kindes, das zudem
an einer Furunkulose litt, im anderen Falle konnte der bisher allein
von der Mutter beobachtete Leistenbruch klinisch nicht nachgewiesen
werden, die Operation wurde deshalb abgelehnt. Die 2 Fälle von
Einklemmung werden wieder für sich erörtert werden. Auf 49 ope-
rierte Kinder mit nichtkomplizierten Hernien kommen 2 Mädchen,
dies entspricht einer Häufigkeit von 4,1% für das 2. Lebensjahr.
Die beiden Fälle boten keine Besonderheiten, der Bruchsack war
in beiden Fällen leer. Unter den 53 operierten Brüchen heilten
einwandfrei per primam 48, d. s. 90,5%. In 3 Fallen kam es zu
einer geringen Störung der Wundheilung ohne eigentliche Störung
der Prima intentio, d. s. 5,6%. Zusammen in 96,1% der Fälle pri-
märe Wundheilung. In ı Fall kam es bei einem nichtkomplizierten
linksseitigen Leistenbruch zu einer Wundinfektion und Heilung per
secundam, ohne daß ein besonderes Moment hätte angeschuldigt
werden können, also in 1,8% der Fälle Heilung per secundam. Ein
Fall, der einen Bluter betrifft, nimmt eine Sonderstellung ein und soll
für sich ausführlicher besprochen werden. In 46 Fällen konnten die
Kinder schon bis zum 10. Tage nach der Operation, d. i. in 93,9% der
Fälle, und in 57,1% schon am 7. Tage geheilt entlassen werden. Über
den Bruchsackinhalt besagen unsere Krankengeschichten folgendes:
Leer 3 u 1.20. anra eg et Ge a a 24 Fälle
Netz o e a e i d a a n edi 2
Dünndarm .......... 10
Dickdarm . . . os er ae ee, Fra I
Harnblase .......... 2
Hoden ; ».. 2 wanna a 2% I
Dünndarm, Netz u. Dickdarm . . 1
Appendix, Coecum u. Dünndarm. 4
Appendix und Netz ...... I
Keine Angabe. ........ 7
In 9,4% der Falle fanden wir den Blinddarmfortsats als Bruchsack-
inhalt.
586 Ranft. Heft 6
Die operative Mortalität der Kinder im 2. Lebensjahr ist 0° .
Die Operationsmethoden waren in unseren Fällen folgende:
1. nach Karewski ı8 Fälle = 32,7%
Z; 3 Kocher . 27 `$ == 49,0%
3. 4, Bassini . 7 „ = 12,7%
4. atypisch. ... 3 „ = 54%
Das Alter der Kinder am Operationstag war: bis I Jahr 3 Monate
alt 18 Fälle, bis ı Jahr 6 Monate alt ı3 Fälle, bis ı Jahr 9 Monate
alt g Fälle, bis ı Jahr 12 Monate alt g Fälle. Alle Kinder wurden in
Narkose operiert. Die Zeit der Dauer der Narkose ist in 4ı Fällen
bekannt. Sie betrug in 28 Fällen, vom ı. Tropfen an gerechnet, bis
30 Minuten und weniger, das entspricht 68,3% der Fälle. Von
47 Narkosen sind 28 reine Chloroformnarkosen, 19 Chloroform-
Ather-Narkosen. Die Durchschnittsmenge des Chloroforms betrug
6,1 g. In.ı Fall wurde ein leichter Narkosenzufall bei einem 1 Jahr
4 Monate alten Kinde beobachtet, der durch künstliche Atmung und
Sauerstoffzufuhr schnell wieder behoben werden konnte. Das ent-
spricht einer Häufigkeit von 2,0% Narkosenzufällen. Alle Kinder
hatten sich nach der Operation tadellos, in den meisten Fällen sogar
besser, entwickelt und waren in keiner Weise durch die Operation
in ihrer Weiterentwicklung ungünstig beeinträchtigt worden. Be-
sonders erwähnenswert erscheinen uns folgende Fälle dieser Gruppe.
1. Rechtsseitiger Gleitbruch. 1 Jahr 5 Monate 7 Tage alter Knabe. Im
Bruchsack liegt neben einer Dünndarmschlinge das Coecum mit dem Wurm-
fortsatz. Der Wurmfortsatz wurde, da er Zeichen alter Entzündungen auf-
wies (er war durch noch leicht lösbare Verwachsung am Coecum adhärent),
entfernt. Der postoperative Verlauf war ohne Besonderheit. Ein mäßiges
Scrotalhämatom resorbierte sich spontan. Am 8. Tag post operationem geheilt
entlassen.
2. Zwei Fälle von Gleitbruch der Harnblase, die in dem einen Fall ver-
sehentlich incidiert wurde. Der Fehler wurde sofort erkannt, Catgutnaht der
Blasenschleimhaut, darüber 2 Reihen Peritoneal-Seidenknopfnähte. Verweil-
katheter, völlig komplikationsloser ungestörter postoperativer Verlauf, Heilung
per primam. Am 9. Tag post operationem Katheter entfernt, tags darauf
geheilt entlassen. Störungen von seiten der Blase sind auch später niemals
beobachtet worden. Der andere Fall bot keine Besonderheit.
3. Fall von Hämophilie. Die Krankengeschichte sei ausführlicher be-
richtet. ı Jahr 3 Monate altes Kind. Im Anschluß an die glatte Operation
der linksseitigen Leistenhernie und des linksseitigen Wasserbruches (nach
v. Winkelmann) kommt es gegen Abend zunächst ohne Fieber zu einer
starken Schwellung des Scrotums einschließlich des ganzen Wundgebietes.
Das Kind ist blaß, der Puls stark beschleunigt. Abends subcutan 0,75 Coagulen.
Tags darauf: Zunahme der Blässe, Puls 140, Temperaturanstieg, die Schwellung
des Scrotums hat zugenommen, sein Umfang mißt 22,8 cm. Operation ohne
Narkose. Nach I.ösen der Nähte Ausräumung des Hämatoms. Genaueste
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 587
Wundrevision, nirgends findet sich ein blutendes Gefäß. An einzelnen Stellen
wird das Wundgebiet nach dem Tupfen sofort wieder feucht, ohne daß fest-
zustellen ist, woher das Blut sickert. Diese Stellen werden zur Sicherheit
unterbunden. In die Wundhöhle selbst werden 2 ccm Coagulenlösung ge-
gossen, ein kleiner Gazestreifen eingelegt. Hautnaht. Steriler Verband,
manuelle Kompression durch 2!/, Stunden. Das steril aufgefangene
Hämatom wird filtriert, mit etwa 100 ccm Normosal verdünnt und subcutan
unter Brust- und Oberschenkelhaut injiziert. Gegen Abend war das Kind
ruhiger. Immer noch sehr blaß, verlangte viel zu trinken, die Temperatur
39°, der Puls 186, das Scrotum fing bereits wieder an anzuschwellen. Tags
darauf hat die Blässe wieder mehr zugenommen. Das Scrotum ist wieder
stärker geschwollen. Puls noch 186, Temperatur früh 38,6. Das Kind macht
einen sehr bedrohlichen Eindruck. Mittags: Erste Bluttransfusion. Das der
Mutter aus der Armvene entnommene Blut wird mit Natrium citricum versetzt
und dem Kinde in die Armarterie — etwa 40 ccm — injiziert. Nach der Trans-
fusion leise Rötung der Wangen. Nachmittags Puls 160, kräftig. Kind etwas
lebhafter, Wangen und Finger leicht gerötet. Trinkt viel und hat etwas gegessen.
Die Schwellung des Scrotums hat wieder zugenommen. Am Io. Tag nach der
Operation — die bedrohliche Blutung war nach der ersten Bluttransfusion im
wesentlichen zum Stehen gekommen — wurden der Mutter nochmals ıo ccm
Blut aus der Armvene entnommen und dem noch sehr stark anämischen Kinde
in die Streckmuskulatur des rechten Oberschenkels injiziert. Seit dem Tage
der Operation hatte das Kind hoch gefiebert, war sehr elend und anämisch ge-
worden. Am Tage der 2. Transfusion ergab die Blutuntersuchung durch Herrn
Dr. Gelpke folgendes:
Das der Vene entnommene Blut scheidet sich kurz nach der Entnahme
in einen weißen und einen roten Teil, das überstehende Plasma bleibt länger
flüssig als das rote Coagulum. Eine Einschnürung an der Grenze beider Schich-
ten bleibt aus. Die Gerinnung beginnt innerhalb ıo Minuten. Die Retraktion
des Gerinnsels ist verzögert, beginnt aber nach 2 Stunden und erfolgt schließ-
lich vollständig mit vermehrter Serumabscheidung und reichlichem Sediment
roter Blutkörperchen.
Hämoglobin.. . . 2. 2 2 2 2 a 25,69,
Erythrocyten ........... =... 23115 Mill.
Leukocyten . . . a a Ne 13 620, und zwar
Neutrophile polymorphkernige. EEE 32,50%,
Kleine Lymphocyten. ......... 23. Ny
Große Lymphocyten . . . 2.2.2.2... 31 2.
Riederformen ............. 3. 25
Plasmazellen. . . .. 2.2 22 2200. 1:50,
Eosinophile . . . . eh 0,75 %
Mononucleare und Übergangszellen a 4,25%
Myelöcyten . „=. o 2,7520
Mastmyelocyten ............ o 2570
Mastzellen. :: =. 2... 0% wa 1 %
Thrombocyten. . . . . 163 800, wobei
Mikrothrombocyten und Riesenplättchen.
Im weiteren Verlauf unter lytischem Abfall der Temperatur bis zur Norm
langsame Erholung des Kindes. Vorübergehend ein leichter Ikterus. Urin
588 Ranft. Heft 6
stets ohne krankhaften Befund. Am 21. Tage nach der Operation wird das
Kind in ambulante Behandlung entlassen. Das Scrotum war völlig abgeschwol-
len, das Wundgebiet bis auf einige Sugillationen reizlos. Irgendwelche Ent-
zündungserscheinungen im Wundgebiet waren niemals beobachtet worden.
Eine Nachuntersuchung dieses Falles war aus äußeren Gründen leider nicht
möglich.
Es handelt sich um einen Fall von Hämophilie im Anschluß an
die Operation einer linksseitigen Hernie mit Wasserbruch bei einem
11/, Jahr alten Kinde, der in Heilung ausging. Nachträglich gab uns
die Mutter an, daß das Kind nie frei von blauen Flecken gewesen
sei, sobald es sich irgendwo gestoßen habe, sei sofort ein solcher Fleck
entstanden. Bei einer eingehenderen Anamnese hätte man auf
Grund dieser typischen Angabe die Hämophilie vorher erkennen
und von der Operation ausschließen können. Der Hinweis auf diese
für den Chirurgen so wichtige Konstitutionsanomalie erscheint uns
nicht unberechtigt.
Unter den 53 Kindern des 2. Lebensjahres befanden sich 2 Ein-
klemmungen, dies entspricht einer Häufigkeit von 3,8%.
Im ersten Falle handelte es sich um einen ı Jahr 2 Monate 3 Tage alten
Knaben. Der Bruch bestand seit Geburt und hatte schon des öfteren Einklem-
mungserscheinungen gemacht, war aber bisher noch stets zu reponieren ge-
wesen. Die Einklemmung bestand seit dem Tage vor der Aufnahme. Die
genaue Zeitangabe fehlt leider in dem Protokoll. Kein Abgang von Stuhl
und Winden seit gestern. Es fand sich bei dem sonst kräftigen Kind ein über
mannsfaustgroßer Tumor in der linken Leistenbeuge. Die Taxis gelang nicht.
Sofortige Operation — Dauer ı Stunde 24 Minuten — Dr. Frommolt: 20°
Chloroform, Schrägschnitt über der Bruchgeschwulst, Eröffnen des freigelegten
Bruchsackes, aus dem sich reichlich Bruchwasser entleert. Als Inhalt
findet sich eine Dünndarmschlinge, das Coecum mit dem Wurmfortsatz. In-
cision des schnürenden äußeren Leistenringes, Hervorziehen der Darmschlingen.
Am Coecum deutliche Schnürfurche mit einem Serosadefekt ‚der übernäht wird.
Dünndarm hochgradig gestaut blaurot. Mesenterialgefäße pulsieren noch,
Reposition erst nach Freilegen des Leistenkanales bis zum inneren Leisten-
ring möglich. Tabaksbeutelnaht am bis hoch hinauf isolierten Bruchsackhals,
Radikaloperation nach Bassini. Hautnaht. Abends Entleerung von etwas
blutig gefärbtem Stuhl. Im Anschluß an die Operation entstand ein gering-
fügiges Scrotalhämatom, das sich allmählich spontan völlig resorbierte. Post-
operative leichte Bronchitis, Wundheilung bis auf eine geringe oberflächliche
seröse Sekretion per primam. Am 12. Tage nach der Operation geheilt ent-
lassen. Nachuntersuchung ı!/, Jahr später, kein Rezidiv.
Zweiter Fall. Gleichfalls ein Knabe, ı Jahr 2 Monate 3 Tage, mit rechts-
seitig eingeklemmtem Leistenbruch. Der Bruch bestand seit der Geburt und
war bisher stets zu reponieren gewesen. Die Einklemmung bestand bereits
den zweiten Tag. Wiederholtes Erbrechen, kein Abgang von Stuhl und Winden
seit der Einklemmung. Mittelgut genährtes Kind, etwas zart, von blasser
Gesichtsfarbe. In der rechten Leistengegend eine über hühnereigroße, bis in
das Scrotum reichende pralle Bruchgeschwulst, die sich nicht mehr reponieren
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 589
14Bt. Sofortige Operation (Prof. Sievers), 24 Minuten, 2,0 Chloroform. Schnitt
über der Geschwulst, Freilegen und Eröffnen des Bruchsackes. Inhalt: stark
infizierter Dünn- und Dickdarm sowie der Wurmfortsatz. Die Taxis wurde
offenbar durch die Flex. ileocoecalis behindert, die sich mit dem Wurm bei
dem Repositionsmanövern vorn am Bruchsackhals fing. Reichlich blutig-
seröses Bruchwasser. Innere Herniotomie. Hohe Ligatur. Wundnaht. Kom-
plikationsloser postoperativer Verlauf, am 7. Tag geheilt entlassen. ı?/, Jahr
später nachuntersucht. Kein Rezidiv.
Die Mehrzahl der Kinder des 2. Lebensjahres wurde vor der Ope-
ration nicht behandelt. In dem einen Fall, in dem es zur Einklem-
mung kam, hatte das Kind !/, Jahr lang ohne jeden Erfolg ein Bruch-
band getragen, das schließlich von den Eltern, da das Kind dauernd
wund war, nicht mehr angelegt worden war. In 5 weiteren Fällen
wurden gleichfalls bis zur Dauer von ı Jahr ohne Erfolg Bruchbänder
getragen!
Von den 49 operierten Kindern konnten wir 37 selbst nachunter-
suchen. Einmal erhielten wir Nachricht durch die Eltern, in ı Fall
war das Kind 1/ Jahr nach der Operation an einer Lungenentztin-
dung gestorben. In ıo Fällen war eine Nachricht nicht mehr zu
erhalten. Unter den 38 lebenden nachuntersuchten Kindern fand
sich I Rezidiv auf 42 Brüche, das wären 2,4% Rezidive.
Dieser Fall betrifft einen ı Jahr 4 Monate alten Jungen, der insofern beson-
dere Schwierigkeiten bot, als im eröffneten Bruchsack neben einer Dickdarm-
schlinge der Wurmfortsatz lag, der mit der Bruchsackwand zum Teil verwachsen
und sehr gefäßreich war (alte appendicitische Attacken). Es mußte deshalb
die Appendektomie im Bruchsack ausgeführt werden. Die Reposition durch
den äußeren Leistenring war sehr schwierig und machte seine Spaltung sowie
die Spaltung der Aponeurose nötig. Radikaloperation nach Bassini, p.p.
geheilt am 6. Tage entlassen. Nachuntersuchungsbefund ıı Monate nach der
Operation: 4,3 cm lange Narbe in der rechten Leistenbeuge. In der unteren
Hälfte der Narbe beim Pressen eine deutliche, etwa 2 cm lange Vorwölbung.
Testikel normal und beiderseits etwas hochstehend. Keine Beschwerden an
der Operationsstelle. Die Eltern hatten bisher nichts bemerkt.
Möglicherweise war die Technik der Operation nicht ganz auf der
Höhe, da ein junger, noch unerfahrener Assistent dieselbe ausgeführt
hat. Bemerkenswert ist aber, daß das Rezidiv wieder eine Bassini-
Operation betraf. In allen Fällen liegen die Nachuntersuchungen
über ı Jahr, in 57,5% der Fälle über 2 Jahre zurück.
Wenn wir schon den Nachweis führen konnten, daß
die Operation im Säuglingsalter gut vertragen wird,
so gilt dies natürlich erst recht für das 2. Lebensjahr.
Es besteht kein zwingender Grund, der es berechtigt
erscheinen ließe, das 2. Lebensjahr noch von der Ope-
ration zurückstellen zu wollen.
590 Ranft. Heft 6
Wir möchten sogar glauben, daß es nicht nur für die körperliche,
sondern vor allem auch für die seelische Entwicklung des Kindes besser
ist, wenn es einer an und für sich unvermeidlichen Operation mög-
lichst frühzeitig unterzogen wird. — Das Kind wird die Trennung
vom Elternhause um so weniger schwer empfinden, je kleiner es ist.
Die unvermeidlichen postoperativen Maßnahmen — feste Lagerung
und Anbinden des Kindes — werden ihm weniger roh erscheinen
und das Kind nicht erheblich in seinem Wohlbefinden beeinträch-
tigen. Die Erinnerung an das ganze Erlebnis in der Klinik — bei
labilen neuropathischen Kindern doch immerhin ein psychisches
Trauma — wird um so eher aus dem Gedächtnis verschwinden,
je früher der Eingriff erfolgte. So läßt es sich sicher auch oft ver-
meiden, daß eine die ganze Kindheit anhaltende Furcht vor dem
Arzt nur zum Schaden des Kindes zurückbleibt. Auch aus diesen
Gründen setzen wir uns für eine möglichst frühzeitige, d. h. Operation
im Säuglingsalter ein und halten es gar nicht für ratsam, sie bis zum
2. Lebensjahr aufzuschieben.
Die rein statistischen Erhebungen aus unserem Material und die
Ergebnisse unserer Nachuntersuchungen zeigen, daß das 2. Lebens-
jahr im Vergleich zum späteren Kindesalter in keinem Punkte eine
Sonderstellung einnimmt. :
Gruppe B (3.—14.Lebensjahr): 68 Kinder mit zusammen
75 operierten Brüchen. Auf 49 Knaben kommen rg Madchen, d.s.
28% Madchen und 72% Knaben. Es handelte sich in
40 Fallen um Hern. ing. ind. rep. dextra
2I „ i 7 » oo „» Sinistra
7 » 4 i » o oo Dilateralis
Irreponible incarcerierte Hernien kamen nicht zur Beobachtung.
Das Alter der Kinder am Operationstage betrug:
Im 3. Jahr standen. ....... ıı Kinder
bis 6 Jahr alt waren. ...... 19
9 ,, ji sie «hy Sy e e a 19
p T2 y j bet We Me ae ALR? VE, 13
über ı2 „, a pe Ba ee 6
Von den 75 operierten Brüchen heilten einwandfrei per
primam 6ọ Fälle, d. s. 92%. In den restlichen 6 Fällen mit Stö-
rungen der Wundheilung handelte es sich einmal um eine Rezidiv-
operation (das Kind war anderweitig operiert worden). Bei der
Operation wurde ein staphylokokkenhaltiges Gewebsstück — wie
die angelegte Kultur ergab — excidiert, und so erklärt sich die
Infektion und sekundäre Wundheilung. Im zweiten Falle erkrankte
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 591
das Kind unmittelbar im Anschluß an die Operation an Scharlach,
in dessen Verlauf es zur sekundären Infektion des Wundgebietes
und infolgedessen zur Heilung per secundam kam. Die Störung
der Wundheilung in den restlichen 4 Fällen war stets belangloser
Natur, eine schwere Infektion lag in keinem Falle vor. 60 Kinder
waren bereits bis zum Io. Tage nach der Operation geheilt entlassen,
d.s. 88,3% der Fälle. Die Operationsmethode war folgende:
ı. nach Bassini ........ 40 Fälle
2. mach Karewski. ....... 8
3. modifizierter Kocher ..... 21
å: atypisch = a s roe a we we wa 4 »
In 2 Fällen fehlt das Operationsprotokoll.
Obwohl unter dieser Gruppe die hohe Ligatur nach Karewski
nur 8mal vertreten ist, möchten wir trotzdem glauben, daß sie auch
für das spätere Kindesalter als Methode der Wahl zu bezeichnen
ist. — Alle plastischen Verfahren möchten wir für bestimmte Fälle,
wie z.B. besonders mangelhafte Entwicklung der Leistenpfeiler,
vorbehalten wissen. Die Dauerresultate der hohen Ligatur sind
gleich zuverlässig, wenn nicht sogar zuverlässiger, kein Rezidiv
kommt unter unserem gesamten Material auf die hohe Ligatur.
Zum Teil mag dies sicher darin begründet sein, daß der operative
Eingriff entschieden phsyiologischer ist. Der anatomische Aufbau
der Leistengegend und ihre normale Weiterentwicklung wird durch
den operativen Eingriff in keiner Weise zerstört und getrennt. Der
Eingriff ist ferner entschieden kürzer und bietet hinsichtlich der
Wundheilung eine noch größere Gewähr für eine glatte prima in-
tentio. Die hohe Ligatur nach Karewski beseitigt in sehr voll-
kommener Weise nur das pathologische — den noch offenen Pro-
cessus peritonaei vaginalis — und beseitigt somit für immer die Mög-
lichkeit der Entstehung eines indirekten Leistenbruches. In letzter
Zeit verwenden wir die hohe Ligatur in allen Fällen von Leistenbruch-
operationen im Kindesalter, ohne Rücksicht auf das Alter des Kindes.
4ı mal wurde in Lokalanästhesie, 16 mal in Narkose operiert, 11 mal
ist über die Narkose bzw. Anästhesie im Protokoll nichts vermerkt.
Unter den in Narkose operierten Kindern befinden sich nur 5, die
älter als 6 Jahre sind. In diesen Fällen mußte auf die Lokalanästhesie
verzichtet werden, da die Kinder überängstlich und zu unruhig waren.
Es waren bis 6 Jahre alt 30 Kinder. Unter diesen konnten 17 in Lokal-
anästhesie operiert werden, d. s. 56,6%. Über 6 Jahre alt waren
38 Kinder, davon wurden 24 in Lokalanästhesie operiert, d.s. 63,1%.
Der Bruchsackinhalt war in unseren Fällen folgender:
592 Ranft. Heft 6
Keine Angabe. x 4.5. 2.05. 5 ee 28 Fälle
Deer s-e ao at He RE ee te G 25
Netz a re a a en s Ue seen, TA
Dünndarm 3 u. 2.2, a 2 Ks 3
Dickdarm u 5: 2 ew “es ar Bd we SRO S I
Tube und Ovarium . . 2. 2. 2 2 2 2 2 2 0. I
Kein Bruch bei der Operation nachweisbar. . 3 „
Die Fälle der Gruppe B boten bis auf folgende vielleicht erwäh-
nenswerte Einzelheiten nichts Besonderes. Alle Kinder überstanden
die Operation gut und haben sich nach ihr ohne jede Störung weiter
entwickelt.
Besonderheiten: In 2 Fällen war bei der Operation das Vas de-
ferens versehentlich durchtrennt, jedoch sofort wieder genäht wor-
den. In beiden Fällen keine Atrophie des entsprechenden Testis.
In einem weiteren Fall kam es im Anschluß an die in Lokalanästhesie
ausgeführte Operation zu einer leichten Pneumonie, das Kind wurde
am 18. Tag post operationem geheilt entlassen. Bei einem Mädchen,
2 Jahr ıg Tage alt, handelte es sich um einen linksseitigen Ovarial-
Gleitbruch. Das cystisch entartete Ovarium war breit mit dem
Meßovarium am Peritonaeum adhärent. Es wurde mittels zweier
Längsschnitte in das Peritonaeum von der Bruchsackwand gelöst.
So gestielt konnte Ovarium und Tube reponiert werden. Hohe
Ligatur nach Karewski, Hautnaht, per primam geheilt. Die ope-
rative Mortalität der Gruppe B beträgt 0,0%.
10 Kinder waren mit Bruchband vorbehandelt worden. In keinen
Falle kam es daher zur Ausheilung. Die Bruchbänder waren:
2mal bis !/, Jahr lang
1/
3 le
3/
ee
SONS we
getragen worden!
Von den 68 Kindern konnten wir 58 selbst nachuntersuchen.
Durch die Eltern erhielten wir Nachricht in 5 Fallen, in den rest-
lichen 5 Fallen erhielten wir keine Nachricht. Ein Rezidiv kam
nicht zur Beobachtung. Uber 1 Jahr lagen die Nachunter-
suchungen in 40 Fällen zuriick. Zur Zeit liegen alle Nachunter-
suchungen über ı Jahr zurück und ist uns von einem Rezidiv nach-
träglich nichts bekannt geworden.
Der statistische Bericht über die Kinder vom 3.—14. Lebensjahr
einschließlich bestätigt das bisher in der Literatur darüber Bekannte.
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 593
Die operativen Resultate auch dieser Gruppe sind gut. Ein Todesfall
und ein Rezidiv kamen nicht zur Beobachtung.
Zusammenfassung.
Im vorstehenden wird über 215 Leistenbruchoperationen im
Kindesalter berichtet. Aus den Ergebnissen, besonders auch der
Nachuntersuchungen, lassen sich folgende Leitsätze für die Frage
der Frühoperation aufstellen:
I. Grundsätzlich ist jeder Leistenbruch im Kindesalter der Radikal-
operation zu unterziehen, da mit Spontanheilung nicht zu
rechnen ist, die Entwicklung des Kindes durch den Bruch ge-
hemmt, das Leben des Kindes durch die durchaus nicht sel-
tenen Incarcerationen gefährdet wird.
2. Das Bruchband kann nicht als vollgültiger Ersatz der Operation
angesehen werden, da es trotz jahrelangem Gebrauche nicht
sicher zur Dauerheilung führt, eine sehr mühevolle, für das
Kind lästige, ja manchmal quälende, in der Hand Unerfahrener
gefährliche Behandlung darstellt und zudem die Chancen der
Operation verschlechtert.
3. Die Radikaloperation des Leistenbruchs im Kindesalter hat
nur in der hohen Ligatur zu bestehen, alle plastischen Verfah-
ren sind bei einfachen Fällen entbehrlich, die Durchtrennung
und Naht der Externusaponeurose zu verwerfen, da sie die
Rezidivgefahr erhöht. Beim Gleitbruch oder bei Verwach-
sungen zwischen Bruchsack und Bauchinhalt (Appendicitis
im Bruchsack) erscheint die Kochersche Invaginationsverla-
gerung in der von uns gewählten einfacheren Form aussichtsvoll.
4. Die Resultate der Radikaloperation sind gut: auf das gesamte
operative Material kommen
94,1%, Primärheilungen
2,3% Rezidive
0,5%, Todesfälle,
wobei der eine Todesfall, wie im Texte nachzulesen, als ganz
besonderer Ausnahmefall evtl. noch abzuziehen wäre, so daß
sich eine Mortalität von 0,0% ergibt. Auf die Altersklassen
verteilt, ergeben sich im
ersten | zweiten | 3- Tr Lebensjahr
94,5 | 96,1 19 2,0%, Primärheilungen
4,7 | 2,4 o 0% Rezidive
1,7 0,0 | 0,0%, Mortalität
Motatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 38
594
Ranft. | Heft 6
Rezidive kamen bei einfacher hoher Ligatur nicht vor. Sie
wurden beobachtet 2mal nach Bassini, ımal beim Invagi-
nationsverfahren infolge mangelhafter Verschließung der In-
cisionsstelle in der Externusaponeurose, ımal bei Gleitbruch.
Sie sind daher abhängig von den anatomischen Verhältnissen
des Bruches und der Operationstechnik, nicht aber vom Alter
des Kindes.
. Das Säuglingsalter hat keine ungünstigeren Resultate und er-
fordert daher auch im allgemeinen keine Abweichung vom
Grundsatze der Frühoperation. Nur im ersten Quartal machen
wir, obgleich unsere Erfahrungen auch hier keinen Anlaß dazu
geben, noch den Anhängern konservativer Bruchbehandlung
Konzessionen, insofern wir nur unter ganz bestimmten An-
zeigen zur Operation raten, bei schnellem Wachstum des Bruchs,
bei Irreponibilität, Neigung zur Einklemmung, oder wenn
durch keine Ernährungstechnik zu bekämpfende Verdauungs-
störungen als Folge des Bruchs anzusprechen sind und der
Allgemeinzustand des Kindes den operativen Eingriff gestattet.
. Grundbedingung für jede Bruchoperation im ersten Kindes-
alter ist sonstige Gesundheit des Kindes. Um diese zuverlässig
zu eruieren, ist ein zweitägiger klinischer Aufenthalt vor der
Operation erforderlich. Im Säuglingsalter ist vor allem die
Verdauungstätigkeit so zu regeln, daß die Gewichtskurve an-
steigt. Die externe Kost wird dabei nach Möglichkeit bei-
behalten, insbesondere die natürliche Ernährung im ersten
Lebensjahre niemals ohne Not unterbrochen.
. In allen Fallen, wo die Radikaloperation aus irgendwelchen
Griinden noch nicht vorgenommen werden kann, findet eine
örtliche Behandlung des Bruches nicht statt, außer der stets
notwendigen Hautpflege. Die Anlegung von Bruchbändern,
die nur unter Kontrolle eines damit: vertrauten Arztes statt-
finden darf, gestatten wir nur, wenn der Allgemeinzustand des
Kindes die im übrigen indizierte Operation noch nicht zuläßt,
wie bei Katarrhen der Atmungswege, Herzleiden, Blutkrank-
heiten (Hämophilie) und Tuberkulose, in Fällen also, wo das
Grundleiden voraussichtlich nicht in kurzer Frist zu beheben ist,
andererseits die Beschaffung des Bruches eine örtliche Behand-
lung unbedingt angezeigt erscheinen läßt durch großen Umfang,
Einklemmungsneigung, Schmerzen und Digestionsstörungen.
. Die Anzeigestellung zur Bruchoperation ist Sache des mit der
Chirurgie des Kindesalters besonders vertrauten Chirurgen.
Heft 6 Zur Frage der Leistenbruchoperationen im Kindesalter. 595
IO.
Ja
O ON AWN
10.
II.
12.
13.
14.
15.
Ihm sollten daher alle Brüche des Kindes ohne Ausnahme
zugeführt werden.
. Nur auf solche Art lassen sich die im Kindesalter durchaus
nicht mehr seltenen Einklemmungen auf ein Minimum redu-
zieren, Todesfälle durch sie unbedingt verhindern, da die ope-
rative Behebung der Incarceration auch unter ungünstigen
äußeren Umständen fast immer mit gutem Erfolge durchführ-
bar ist.
Wir versuchen in jedem Falle von Einklemmungen im Kindes-
alter die Taxis unter evtl. Zuhilfenahme der Hängelage, des
heißen Bades und unter Vermeidung aller gewaltsamen Maß-
nahmen. Gelingt sie nicht, wird die Herniotomie und Radikal-
operation sofort angeschlossen, glückt sie, so wird einige Tage
bis zur Erholung des Kindes, Wiederherstellung reizloser Ver-
hältnisse an der Bruchpforte mit der Radikaloperation gewartet.
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Daß abgesehen von den Masern noch manche anderen fieberhaften
Infekte gelegentlich die cutane Tuberkulinempfindlichkeit herab-
setzen können, ist von einer Reihe von Autoren beschrieben worden,
so für die Varicellen von Hamburger (1).
Voraussetzung für die Beweiskraft derartiger Beobachtungen ist
die Ausschaltung einer wichtigen Fehlerquelle, auf die Bessau (2)
hingewiesen hat und deren Nichtbeachtung unter Umständen zu
Täuschungen Veranlassung geben kann. Fällt nämlich die Reaktion
— erstmalig zur Zeit des Infektes angestellt — negativ oder schwach
positiv aus und kommt es bei der Wiederholung der Prüfung, nach-
dem inzwischen das Fieber abgeklungen ist, zu einer stark positiven
Reaktion, so braucht hierbei der Infekt gar keine Rolle zu spielen,
sondern eskann und wird sich sehr oft um die bereits von v. Pirquet
(3) beschriebene und später von Bessau und Schwenke (4) genauer
untersuchte ‚sekundäre Reaktion“ handeln. Beweisend für eine
tatsächliche Unterdrückung der Tuberkulinreaktion durch einen
Infekt können demnach nur solche Fälle sein, in denen das biologische
Verhalten des betreffenden Individuums schon vor dem Auftreten
des jeweiligen Infektes genau bekannt war.
Unter derart einwandfreien Versuchsbedingungen haben wir im
Laufe eines halben Jahres in 8 Fällen den Einfluß der Varicellen-
infektion auf die Tuberkulinreaktion studieren können. In einem
dieser Fälle haben wir eine vorübergehende völlige Aufhebung
der cutanen Tuberkulinempfindlichkeit beobachtet (Tabelle 1).
Die Messung der Reaktion erfolgte erstmalig 24 Stunden nach der intra-
cutanen Injektion und wurde nach jeweils 24 Stunden bis zum Abklingen
der Reaktion wiederholt. In der Tabelle bedeuten die untereinander stehenden
Zahlen die Resultate je zweier gleichzeitig am gleichen Bein (Oberschenkel)
ausgeführter Injektionen. Bei den während der Varicellenerkrankung aus-
geführten täglichen Prüfungen wurde jedesmal nur eine Injektion vorgenom-
men. Die Registrierung erfolgte nach v. Pirquet: Die Zahl bedeutet das
arithmetische Mittel zweier aufeinander senkrecht stehender Durchmesser
Heft 6 Einfluß der Varicellen auf die cutane Tuberkulinempfindlichkeit. 603
der Reaktion in Millimeter; die Zeichen über der Zahl geben den Grad der
Infiltration, die unter der Zahl stehenden den Grad der Rötung an.
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Tabelle I. Latente Hilusdrüsentuberkulose.
* T =0,1 ccm einer Alt-Tuberkulinverdünnung I : 10 000.
Über der Zahl bedeutet: “~ starke Infiltration
~ schwache ,,
— keine 7
Unter der Zahl bedeutet: ~ starke Rötung
- schwache ,,
— keine s$
604 Schönfeld. Heft 6
Zwischenstufen werden durch Kombination verschiedener Zeichen dar-
gestellt, wobei Hinzutreten eines ` Verstärkung, Hinzutreten von ~ eine
Abschwächung bedeutet: z. B. A sehr starke Infiltration, = = etwas geringer
als ~~ Infiltration (s. a. Bessau, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 81, S. 185).
Zwei weitere in den beiden folgenden Tabellen dargestellten Fälle
zeigten eine starke Herabsetzung der Tuberkulinempfindlichkeit:
ee I III
zezlelatsleleı I 11
8787
Pa Be
pate
See
F ee
TIR E
Wrizellenausbruch
ancene Blaschen
Neve dıchte
|
ST
P lee
entlassen
esse
PURO
zahl
sl al ll A OO
Keine weiteren Schübe IT
cter: eae | 5700 a B650 | 6000
Tabelle II. Bronchialdrüsentuberkulose.
Von den übrigen 5 in der gleichen Weise durchgeprüften Fällen
zeigten 2 eine mäßige, aber doch noch deutliche Abschwächung der
Tuberkulinreaktionen im Verlaufe der Varicellenerkrankung, während
die anderen 3 keine Beeinflussung der Reaktionsfähigkeit durch
Heft 6 EinfluS der Varicellen auf die cutane Tuberkulinempfindlichkeit. 605,
den Infekt erkennen ließen. Von einer Gesetzmäßigkeit, wie sie für
die Masern erwiesen ist, kann demnach keine Rede sein.
ee pet TT
Ec
Q
NY
as
eS
ve
se
zu
Tabelle III. Hilusdrüsentuberkulose.
Die Herabsetzung der Tuberkulinempfindlichkeit trat ausnabnıs-
los nur ganz im Anfang der Erkrankung deutlich hervor, mit Ab-
klingen des Exanthems oder wenige Tage nachher war die frühere
Reaktionsfähigkeit wiederhergestellt.
606 Schönfeld. Heft 6
Zur Entscheidung der Frage nach einem etwaigen Zusammenhang
zwischen der Schwere des Infektes und der Beeinflussung der Tuber-
kulinempfindlichkeit ıst das Material wohl noch etwas zu klein,
wenn auch ein gewisser Parallelismus unverkennbar ist. Das Exan-
them war in fast allen Fällen sehr intensiv, nur ein einziges Mal
bestand es aus einigen wenigen Bläschen. Die Tuberkulinreaktion
zeigte bei diesem Falle eine nur geringe Abschwächung. — Tempe-
raturen bis 39° wurden bei allen Kindern beobachtet, wiederum mit
Ausnahme eines einzigen Falles, der völlig fieberlos verlief und bei
dem keinerlei Beeinflussung der Tuberkulinempfindlichkeit zu er-
kennen war.
Am schwersten verlief zweifellos der in der ı. Tabelle dargestellte
Fall F. Th., bei dem die Tuberkulinempfindlichkeit vorübergehend
vollständig aufgehoben war. Er zeichnete sich vor allen anderen
Fällen aus durch ziemlich schwer gestörtes Allgemeinbefinden,
durch einen sehr intensiven, mehrere Tage lang bestehenden scarla-
tiniformen Rash, durch eine sehr starke Leukopenie und durch
eine positive Diazoreaktion. Diese Erscheinungen können wohl auf
eine stärkere Beteiligung einer anaphylatoxischen Komponente im
Vergiftungsbilde schließen lassen und die Beeinflussung der Tuber-
kulinempfindlichkeit im Sinne einer Giftantianaphylaxie — wie
es Bessau für die Masern getan hat — zu deuten erlauben. Und
bei der zwischen Masern und Varicellen ohne Zweifel bestehenden
nahen Verwandtschaft handelt es sich wohl in bezug auf anaphyla-
toxische Komponente und Giftantianaphylaxie im Prinzip bei
beiden Krankheiten um gleichartige Erscheinungen, aus dem bei
den Masern im Vergleiche zu den Varicellen gesetzmäßig viel schwere-
ren Vergiftungsbilde erklärt sich die weit größere Gesetzmäßigkeit
der Giftantianaphylaxie bei der ersteren Krankheit.
Als eine Folgerung für die Praxis ergibt sich aus obigen Beob-
achtungen, daß wir aus dem gleichen Grunde, aus dem wir in den
Masern eine für tuberkulosekranke Kinder bedenkliche Kompli-
kation sehen, auch die Varicellen, besonders wenn sie mit schwereren
toxischen Erscheinungen einhergehen, nicht als das harmlose Er-
eignis betrachten dürfen, für das sie im allgemeinen gelten. Hier
müßten wohl noch klinische Beobachtungen gesammelt werden.
Zusammenfassung.
Unter acht fortlaufend auf ihre Tuberkulinreaktion
untersuchten Varicellenfällen zeigte sich einmal ein
Heft 6 Einfluß der Varicellen auf die cutane Tuberkulinempfindlichkeit. 607
vollständiges Verschwinden, zweimal eine starke, zwei-
mal eine geringe Herabsetzung und in drei Fällen keine
Beeinflussung der cutanen Tuberkulinempfindlichkeit.
Literaturverzeichnis.
1. Hamburger, Fr., Die Tuberkulose des Kindesalters. Leipzig und Wien.
1912.
. Bessau, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 81, S. 293. 1915.
. v. Pirquet, Verhdlg. d. Ges. f. Kinderheilk. Dresden 1907. i
. Bessau und Schwenke, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 79, S. 123. 1914.
> WN
Aus der Heidelberger Kinderklinik.
Paralleluntersuchungen über Serumeiweißgehalt,
Senkungsgeschwindigkeit und Lipasegehalt des Blutes
gesunder Kinder (hämoklinischer Status).
Von Dr. Maria Lederer.
Im vergangenen Jahre wurde an obiger Klinik bei sämtlichen
tuberkulosekranken und tuberkulin-positiven Kindern der hämo-
klinische Status — das ist die gleichzeitige Bestimmung des Serum-
eiweißgehaltes, der Lipase und der Blutsenkungsgeschwindigkeit —
angestellt, der sich als ein sehr brauchbares Hilfsmittel für die Be-
urteilung der Aktivität und Schwere des pathologischen Prozesses
erwies.
Erlaubt die Feststellung eines Wertes in manchen Fällen schon
eine Beurteilung des pathologischen Zustandes, so erschließen uns
solche Paralleluntersuchungen tieferen Einblick in die Statik der
humoralen Abwehrkräfte beim kranken und der Reaktionskräfte
im gesunden Organismus. Mit der einmaligen Untersuchung ist
natürlich nur ein Urteil über den augenblicklichen Stand der Ab-
wehrkräfte zu gewinnen, nicht dagegen über die Dynamik, Ansprech-
barkeit und Reaktionsfähigkeit.
Im folgenden soll das Ergebnis der Untersuchungen an 92 gesunden
Kindern dargelegt und damit die physiologische Vergleichsgrundlage
zu den von Asalund Falkenheim bei kranken Kindern ermittelten
Werten gewonnen werden. Damit erscheint die Lücke der Normal-
werte, auf die in der Arbeit von Asal und Falkenheim hingewiesen
ist, ausgefüllt.
Über Serumeiweiß liegen in der Literatur ausgiebige Unter-
suchungen auch bei gesunden Kindern und in jedem Alter vor (Reiss,
Nast, Russ, Rominger-Grunewald, Meyer-Bisch.
Die Lipase ist nur in wenigen Fällen bei gesunden Kindern unter-
sucht (Beumer, Caro, Kollert- Frisch, Falkenheim und
Gottlieb).
Heft 6 Paralleluntersuchungen über Serumeiweißgehalt. 609
Über die Senkungsgeschwindigkeit lagen bis vor kurzem keine
systematischen Untersuchungen bei Kindern vor. Es ist neuerdings
zu verweisen auf die Untersuchungen von Dehoff, György.
Über die Untersuchungsbedingungen soll einiges vorausgeschickt
werden. Bei den Untersuchungen hat es sich herausgestellt, daß
sowohl der Lipasetiter, wie die Senkungsgeschwindigkeit, wie auch
das Serumeiweiß bei den Kindern mit positiver Tuberkulinhaut-
reaktion in ihren Werten von denen der Norm abweichen. Dies
findet seine Erklärung in der Tatsache, daß eine positive Haut-
reaktion im Säuglingsalter gleichbedeutend ist mit einer aktiven
Tuberkulose. Im späteren Alter reagiert ein großer Teil der Kinder
positiv auf Tuberkulinproben, und es ist mit klinischen Untersuchungen
ohne Zuhilfenahme von biologischen Untersuchungsmethoden oft
kaum zu beurteilen, ob ein Prozeß abgelaufen oder noch aktiv ist.
Daher wurden zur Aufstellung der Durchschnittswerte nur solche
Kinder untersucht, die klinisch als vollkommen gesund zu betrachten
waren, sämtlich negativ auf Tuberkulinproben reagierten und keine
erhöhte Temperatur zeigten. Zum Teil wurde dazu die Pirauetsche
Cutanreaktion mit diagnostischem Tuberkulin, zum Teil die Ein-
reibung mit Moroscher diagnostischer Tuberkulinsalbe angewandt.
Die Untersuchungen wurden im Herbst 1922 begonnen und bis
zum Frühjahr 1923 weitergeführt, um auf einen Einfluß der Jahres-
zeit zu fahnden. Da neuerdings an der Klinik bei Skrofulösen eine
Veränderung der Senkungsgeschwindigkeit beobachtet wurde, so lag
der Gedanke nahe, daß im Frühjahr, wo häufig Erkrankungen an
Skrofulose sich manifestieren, die Blutbeschaffenheit sich ändern
könnte. Es soll in einem späteren Abschnitt darüber berichtet werden.
Das zur Untersuchung nötige Blut, etwa 3 ccm, wurde bei Säuglingen
durch Sinuspunktion und bei älteren Kindern nach kurzer Stauung durch
Venenpunktion in nüchternem Zustand oder mindestens 4 Stunden nach der
Nahrungsaufnahme entnommen.
Die Senkungsreaktion wurde nach der von Linzenmeier angegebenen
Methode ausgeführt. Das Blut wurde dazu mit dem fünften Teil seines Vo-
lumens mit einer fünfprozentigen Natriumcitratlösung versetzt. Es wurde
kein Senkungsstundenwert errechnet, sondern die Zeit angegeben, in der das
Niveau der roten Blutkörperchen die unterste Marke (18 un) im graduierten
Röhrchen erreicht hatte.
Die Serumlipase ist mit der von Rona und Michaelis ursprünglich an-
gegebenen Methode bestimmt worden, die von Gottlieb und Falkenheim
vereinfacht und für klinische Zwecke brauchbar gemacht wurde. Es wurde
die Zeit bestimmt und in Minuten angegeben, in der das Serum bzw. die Lipase
die Oberflächenspannung einer mit Phosphatlösung gepufferten Tributyrin-
lösung so verändert, daß sie die Höhe einer zur Hälfte mit Wasser verdünnten
Tributyrinlösung erreicht.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 39
610 Lederer. Heft 6
Das Serumeiweiß wurde mittels Refraktometrie mit dem Pulfrichschen
Eintauchrefraktometer festgestellt.
Eine Einteilung in drei Altersklassen erscheint nach den gefundenen
Werten als zweckmäßig.
Die erste Klasse umgreift das Säuglingsalter, die zweite das Klein-
kindesalter, die dritte Kinder über 6 Jahre. Es soll damit kein festes
Schema gesucht werden — ebensowenig wurde Wert gelegt auf
prozentuale Berechnung der Normalwerte, da eine Untersuchung
von etwa 100 Kindern nicht die Festlegung von allgemein
gültigen Prozentzahlen erlaubt —, vielmehr wurde nur die physio-
logische Variationsbreite innerhalb der Norm dargestellt.
Serumeiweiß.
Das Blut ist beim Säugling, wie schon von früheren und im letzten
Jahr erschienenen Arbeiten (Lust, Reiss, Russ, Rominger) be-
kannt, hydrämisch, und zwar besteht ein Unterschied zwischen dem
jüngeren (bis zu 3 Monaten) und dem älteren Säugling. Beim jüngeren
Säugling bis zu 3 Monaten kann ein Serumeiweißgehalt von ca. 5%
als die Norm angesehen werden. Schwankungen nach oben (bis 6%)
und unten kommen, dem Turgor, der Körperfülle, dem Fyne tangy:
zustand und Körpergewicht entsprechend, vor.
Die Körperfülle, der Turgor und vielleicht auch die Wachstums-
tendenz scheinen in inniger Beziehung mit der Höhe des Serum-
eiweißwertes zu stehen. So wiesen magere und untergewichtige Kinder
mit schlechtem Turgor höhere Werte auf als solche mit gutem Turgor
und dem Alter entsprechend hohem Körpergewicht.
Vom 3. Monat an aufwärts bis zu 2 Jahren variieren die Werte
in der Breite von 5,5—6,5%. Einen höheren Eiweißgehalt von 7,7%
zeigt ein I2 Monate altes Kind mit leichter Dystrophie, das in die
Tabelle aufgenommen wurde, um darzutun, welche Rolle der Unter-
gewichtigkeit beizumessen ist.
Auch beim älteren Kind ist für die Größe der Schwankung innerhalb
der physiologischen Variationsbreite die Größe der Untergewichtig-
keit und der Körperfülle maßgebend. Mit dem Alter steigt der
Serumeiweißgehalt an, so daß für das Alter von 2—6 Jahren die
Grenzen zwischen 6,5 und 7,8% liegen und beim 6—14jahngen
Kinde der Mittelwert um ca. ı%, höher ist und zwischen 7,5 und
8,2%, variiert. Dabei ist noch einmal zu betonen, daß nur Kinder
mit negativer Cutanreaktion in den Tabellen aufgezählt sind. Es
mag daher die höchste Grenze von ca. 8%, als niedrig erscheinen
gegenüber den von Reiss beobachteten Zahlen, der in seiner grund-
Heft 6 Paralleluntersuchungen über Serumeiweißgehalt. 611
legenden Arbeit über die Refraktometrie bis zu 9% als Normal-
wert ansieht.
Blutlipase.
Der Säugling ist bekanntlich ein schlechter ‚Antikörperbildner“,
und die Abwehr gegen Krankheitskeime stellt an ihn wesentlich
höhere Anforderungen als an das ältere Kind. In diesem Sinne ist
auch der niedrige Lipasetiter bzw. die lange Zeit, die das Serum des
Säuglingsblutes zum Abbau des Tributyrins erfordert, zu verstehen.
Je jünger der Säugling ist, desto länger die Reaktionszeit. Der nied-
rigste Lipasetiter wurde bei 3 Frühgeburten gefunden in der Höhe
von 48, 64 und 57 Minuten; Werte, die bei älteren Säuglingen und
erst recht bei älteren Kindern nicht mehr als physiologisch zu be-
zeichnen wären. Etwa mit 3 Monaten wird der Bereich der physio-
logischen Schwankungen des späteren Alters erreicht, wenn auch
meist die obere Grenze der Norm noch eingehalten wird. Es bewegen
sich die physiologischen Schwankungen gewissermaßen um eine höher
gelegene Abszisse,
Der junge Säugling im ersten Trimenon unterscheidet sich also
von sämtlichen anderen Altersstufen. Es ergeben sich daher zwei
Gruppen: die des jungen Säuglings und eine große, die das gesamte
spätere Alter umfaßt. Bei der ersten Gruppe berechnet sich der
Durchschnittswert auf etwa 40 Minuten, während er bei der zweiten
Gruppe etwa 30 Minuten beträgt. Die Schwankungsbreite ist eine
ziemlich beträchtliche; indes wird etwa bei 70% der Bereich der
Variation zwischen 25 und 35 Minuten Reaktionszeit eingehalten.
Bemerkenswert scheint die Tatsache zu sein, daß bei Nachunter-
suchungen im Frühjahr sich in den meisten Fällen eine längere Re-
aktionszeit herausgestellt hat. Ob dies mit einer durch den Winter
bedingten Domestikation zusammenhängt oder ob durch andere
Einflüsse ebenso wie andere Abwehrkräfte auch die lipolytische
Kraft geschädigt wird, mag erwogen werden. Es sei dabei an die
Tatsache erinnert, daß häufig im Frühjahr Erkrankungen an Tuber-
kulose exacerbieren und bei Skrofulösen PEIN und sonstige
Manifestationen erscheinen.
Senkungsreaktion.
Von physiologischen und pathologischen Zustandsänderungen des
Organismus in höchstem Maße abhängig ist die Senkungsgeschwindig-
keit, wie schon aus der zahlreichen Literatur darüber bekannt ist.
Es interessiert uns hier die Entwicklung der Kolloidstabilität in
39*
612 Lederer. Heft 6
den verschiedenen Altersstufen. Sie soll im folgenden betrachtet
werden.
Wie schon G yörgy festgestellt hat, besteht im ersten Säuglings-
alter eine beträchtliche Kolloidstabilität, die ihren meßbaren Aus-
druck in einer langen Dauer der Blutkörperchensenkung findet;
diese Höchstwerte (bis zu Io Stunden) werden später nur in Aus-
nahmen erreicht. Die Periode dieser größeren Kolloidstabilität um-
faßt etwa die ersten 2 Lebensmonate. Darauf stellt sich eine wesent-
liche Beschleunigung der Senkung ein: der normale Durchschnitts-
wert ist mit wenigen Ausnahmen bis zum 2. Lebensjahr etwa
1!/, Stunden. Ein faßbarer Grund für die große Schwankung inner-
halb der Variationsbreite ist nicht zu ermitteln. Auf die Periode
der raschen Senkung folgt ein Anstieg der Zeit um etwa I— 2 Stunden
bis zum 3. und 4. Lebensjahr, um wiederum einer Periode der größeren
Kolloidlabilität Platz zu machen (Durchschnittswert 2 Stunden), die
um das 5. und 6. Jahr festzustellen ist. Nach dem 6. Lebensjahr
beobachten wir eine Zunahme der Senkungsdauer, so daß nach dem
10. Jahr die Werte sich allmählich denen der Erwachsenen nähern.
Diese betragen für die Frau 4—6 Stunden, für den Mann 6—8 Stunden.
Ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Individuen
ist im ersten Kindesalter nicht zu konstatieren, wohl aber später.
Nach dem 10. Lebensjahr ist die Senkungsdauer des weiblichen
Blutes um 1—2 Stunden kürzer als die des männlichen Blutes. Nach
oben sind beim gesunden Kind keine Grenzen zu setzen, wohl aber
nach unten: jeder Senkungswert, der nach dem 6. Lebensjahr unter
2 Stunden beträgt, ist als pathologisch zu betrachten.
Eine bemerkenswerte Beobachtung hat sich bei den Untersuchungen er-
geben. Bei einer Anzahl von Kindern im Spielalter fiel die außerordentlich
kurze Senkungszeit auf und stand außerhalb der Reihe des Normalen. Es
stellte sich heraus, daß diese Kinder sämtlich mit Impetigo und ähnlichen Haut-
erkrankungen behaftet waren. Größtenteils waren es nur kleine, vereinzelte,
höchstens pfenniggroße, über den Körper oder im Gesicht verteilte, teils näs-
sende, teils eitrig borkige Stellen, dabei ein Fall von Pyodermie des Kopfes und
Panaritium subcutaneum. Da sämtliche Kinder sich bei der Erhebung des
Status sonst als vollkommen gesund erwiesen, sonstige Fehlerquellen also aus-
geschaltet waren, darf der Schluß gezogen werden, daß Erkrankungen der Haut,
und zwar solche, die durch lebhafte Entzündung charakterisiert und pyogenen
Ursprungs sind, eine wesentlich beschleunigende Wirkung auf die Senkung
der roten Blutkörperchen ausüben und sie ins Pathologische zu verschieben
imstande sind. Weiterhin kann der Schluß erlaubt sein, daß diese Erkrankungen,
mithin die Haut, einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Zusammensetzung
des Blutes und die Beschaffenheit der Plasmakolloide hat. Nach der Ab-
heilung der impetiginösen Hauterkrankungen stellten sich bei sämtlichen
Kindern wieder normale Werte der Senkungsreaktion ein.
Heft 6 Paralleluntersuchungen über Serumeiweißgehalt. 613
Die im Frühjahr nachuntersuchten Kinder zeigten häufig
ohne sonstigen klinischen Befund eine Beschleunigung der
Blutkörperchensenkung bis herab zu ı!/, Stunden. Es ist dem-
nach wahrscheinlich, daß im Frühjahr eine Veränderung der
Kolloidstabilität eintritt.
Eine weitere Beobachtung mag hier Platz finden. Der als Frühgeburt
mit normalen Werten angeführte Fall K.S. zeigte bei der Untersuchung bis
zur 12. Lebenswoche normale Werte und verriet auch klinisch keine Zeichen
einer latenten Krankheit. Auch die Wassermannsche Reaktion, die dann
wegen Auftretens eines Lebertumors angestellt wurde, war negativ. Bald darauf
entwickelte sich bei dem Kind ein luetisches Exanthem, und die Senkungszeit
erfuhr eine Beschleunigung auf 25 Minuten (vgl. György, Senkungsgeschwin-
digkeit bei Lues). Die daraufhin angestellte Wassermannsche Reaktion
war positiv. Dieser Fall zeigt, daß nicht jede kongenitale Lues sich durch
eine Beschleunigung der Blutkörperchensenkung anzeigen muß, solange sie
nicht manifest ist. Andererseits erscheint gerade hier die Senkungsreaktion
als ein willkommenes Behelfsmittel, das uns anzeigt, wann die Ausführung der
Wassermannschen Reaktion Aussicht auf ein eindeutiges Resultat gewährt.
Es ist das um so wertvoller, als die Senkungsprobe einfacher, rascher und billiger
auszuführen ist als die Wassermannsche Reaktion.
Säuglinge.
I. | K. S. g' | 17 Tage | 2,4 | 48’ ‘toh 12’ | 4,81 Frühgeburt
2.;ıR.K.O| 24 „ 2,4 | 64’ | ıh20°| 5,3 u
3.1K. K. £| 24 . 2,0 | 57 | ıh 30° | 5,03 =
4I L.G. S | I4 2,0 | 41°! 2b ı0| 5,13 . Gesund
5. || R. W. 21, |31|47| 717| 515 x
6. E. B. g 2 Mon 3.0 | 34’ | 2ħ 40| 5,96 | Gesund, untergewichtig.
7- i| K. S. EAI 2. ss 4,2 | 49’ | 35 27 5,5 Gesund
8.) K. O. ot} 21/, Mon. | 5,1 | 42’ | ıh 6 5,3 j
9. || K. F. t| 2 | 4.5.1 37” | 228 30°] 5,96 ss
10.) A. L. ot} 284, 3,8 | 42’ | ıh 30° | 5,85 | Untergewicht., sonst ges.
11. K. R. ot! 3 Mon. | 4,0 | 43’ | 12 46’ | 4,7 Geheilte Scabies
ı2.|EB.d'| 3 „ 4:2 | 29 | 1b 15 | 64 Untergewicht., sonst ges.
13. W. B.Ọ| 4 „ 40 | 37 | 18 527| 4,8 i u
14. || H. W. "| 4?/, Mon. | 6,3 | 20’ | ıh ı9 | 6,3 Gesund
15.10. W. J'| 5 Mon. | 6,7 | 20’ | ıb 28° | 5,9 5
16. || L. J. ot | 54/g Mon. | 4,0 | 38’ | ıb 43’ | 5,68 Geheilte Dyspepsie
17.| H.L.Q 15%, „» 5,9 | 20° | ıh 30° | 6,29 Gesund
18.|| F. F. gt} 6 Mon. | 4,2 | 40’ | ıh ı1° | 6,07 | Untergewicht.,sonstges.
1g. | H. R. 6?/, Mon. | 5,7 | 32° | 1515’) 6,2 Gesund
20. || E. F. I x 72 | 32| zb 35’| 6,2 =
21.| A. Z. 9 , 7,8 | 24’ | 7415’! 6,46 ie
22.| H. E. ţ'| 10 „, 7.1) 47 | 1835| 5,29 | 5
23. N. R. 12 , 5.7 | 417 | 1h 41’| 7,73 Į|Dystrophie mittl. Grad.
24. A. N.Q | 14 8,9 | 33’ | rh 15’ | 6,7 Gesund
25.|| E. H. | 16 „ | 8,8 | 30° | 1h 25’| 6,63 | Latente Spasmophilie,
| |
sonst gesund
614 Lederer.
Kleinkinder.
Ge- ‘ Serum-
Name Alter n p = poder ing eg
26. || K. F. ot | 2 Jahre {11,9} 35’ | 32 51’ | 7,37
27. K. W. 2-3, 11,5| 22’ | 4h 7,1
28.|| E. S. g 21a» [13.1] 42 | 18 38| 7,24
29. || F. C. S| 2e » I1,0| 37’ | 22 7,49
30. | R. H. F| 2th 13,2| 23° | 22 10’ | 6,45
31. || A. D. 2 11,2| 217 | 12 35’ | 7,98
32. || E. BS 3 » 12,5| 27’ | ıh24 | 7,05
33.1J.H.f| 3 „ 13,4| 21’ | 5h 12’ | 6,55
34.| E.N.Q | 3%/, „ |13,9| 41’ | 2b 35’ | 7,8
35-1 A.L. ot] 4, 12,0; 47’ | 2b 29 | 7,8
36. || W.W. oo] 4, 14,8; 41’ | 32 20’ | 6,76
37.|H.B.g'| 4 „n |14,7| 28° | 22 6,29
38.1G.S.0'|4 » 17,8| 28’ | 3b 8,02
39. | F. H. | 41/2 n» |14.8| 35’ | 2b 56 | 7,85
40. | W. W. 44/o,, |14,2| 49 | 1} 18| 7,09
41. || L. W. g 4a» 12,7, 21’ | 22 37 | 7,74
42.| A. Z. of = 16,0| 33 | 1B 41 | 7,1
43.|G. N. QO] 5%/.., |171| 45°! 12 32’) 8,06
44.|| H.S.o7) 54/2, 113.9! 41” | 1B 49 | 7,37
45. || W. S. S| 5th . 17,2| 28’ | 1b 20 | 7,32
46. |W. D. S| 5ta » 15,6| 27 | 3b 15 | 6,9
47.| R. Z. 5e» 16,9| 25’ | 12 18’ | 7,98
48.|| P. SS 53/4 » 18,7; 447 | 22167! 7,5
Kinder über 6 Jahre.
49.| A. Z. g'| 6 Jahre |18,1| 35’ | 4b 30° | 7,35
50.|W. P. of] 6, 20,3} 35’ | 3% 6,9
51.|W. D. ot] 6 „ |17,6| 34’ | ıh 25’! 7,91
52..|R.B.y|6 „, 19,5 | 33° | gb 36’, 7,28
53-1 J. R. ot] 6 ,, 1 18,5] 26’ | 35 47’ | 75
54. A. K. ot] 6 „ | 18,9] 23’ | 32 15’ |. 7,8
55.1K. 0. Z| i 18,5| 21’ | 22 47’! 7,56
56.!R.W. J'| 6'/, „ | 18,7] 187 | 4B | 7.8
57.|R.B. "| 61% „ | 20,2] 377] 55 19% | 7,5
§8.||W. D. "| 64/2 ,, 16,5| 34’ | 1525’ 7,91
59.||W. M. o4| 64/2 ,, | 20,0] 297 | 52 24’ | 7,85
60. || H. W. G4] 6th ,, 17,0] 29’ | 3h | 7,45
61.| R.W. "| 61), „, 17,8| 29’ | 2b 7 7,5
62. |H. W. F| 6/i n 17,4) 18° | ıb 20° | 7,91
63. J. R. 7 » |185| 39 | 4} 19! 7,48
64. | D. S. g a g 18,3| 37° | 2Þ | 8,5
65. | P. A. 7 » {19,4} 32’ 4 15’ | 7,03
66. | R. L. 7 „ °{17,8) 29% | 15 27 | 7,7
67. || R. W. la 17,8| 29’ | 2b 7’ 7,5
68. | R. L. Ua 17,1| 25’ | zh | 8,28
69. | K. E. €| Ph. 17,3| 14’ | 2b 46 | 7,54
70. | M.S.Ọ18 ,, 25,6!) 37’ | ıb 23° | 8,5
71. K. H. g 8 22,0| 27 | 6 41° | 7,82
72.. A, F. 81/, ,, 19,9 23’ | 4216’ 7,41
Heft 6
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Untersuchung im März
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Untersuchung im März
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fe. | 25,6 i
Kinder über io Jahre.
ıo Jahre |25,6| 33° | 3b 57’ | 7,7 Gesund
II „1289| 36’ | 3b 8,1 ki
ııl/s „ 128,1| 35 | 1B 47 | 7,63 | Untersuchung im März
10 /, 4, 127,3) 20° | 58 37 | 8,1 Gesund
12 ,, |30,0| 38° | 5b 7,89 {Untersuchung im Marz
I2 „1298| 317 | 38 7,74 Gesund
124/, ,, | 35,0| 40° | 22 48’ | 7,74 ee
13 4, |40,1] 387} 12 44’ | 89 Untersuchung im Marz
13 „1350| 30° | 4b >’ 8,8 Gesund
13 „1298| 29° | 426 | 7,8 2
14 5 |41,2| 41° | 2b 53’ | 8,03 a
i4 4, 1373| 327 | 4246 | 7,7 Re
14» | 39,8 20’ | 2h 35’ | 7,85 u
PE Towa ma
TETAP ORUP Y
TOIL TOIIQ
a
15,2
14,4
16,2
22,3
49,0
7,49
7:47
8,57
7.41
7:99
8,04
Am Rumpf und am Kopf einige
wenige kaum pfenniggroße frische
Impetigostellen.
Impetigo wie im vorigen Fall, aber
meist nahezu abgeheilt, geringe
Infiltration der befallenen Haut-
partien.
Noch etwas Rötungder wenigen mit
Impetigo befallenen Hautpartien
und z. T. Narbenbildung.
Befund wie im vorigen Fall.
Rhagaden am Mund, Impetigo am
linken Ohr.
Befund wie bei Fall Nr. 3.
Ausgebreitete Pyodermie am be-
haarten Kopf.
Panaritium subcutaneum am lin-
ken Zeigefinger. Noch keine Pu-
bertatsentwicklung.
616 Lederer. Heft 6
Nachschrift.
Der von meinen Assistenten (Asal, Falkenheim, Gottlieb
und Heller) zur Beurteilung des tuberkulésen Zustandes im Kindes-
alter herangezogene und von Asal und Falkenheim beschriebene
„Hämoklinische Status‘‘ steht an meiner Klinik nunmehr bereits
seit über 2 Jahren in ständigem Gebrauch. Bisher wurden über
200 Fälle in dieser Weise, zumeist wiederholt, untersucht. Hätte-
sich die Methode als wertlos erwiesen, so wären wir sicher bereits
davon abgekommen, um so mehr, als deren Ausführung einen immer-
hin nicht unbeträchtlichen Aufwand von Mühe, Zeit und Erfahrung
erfordert. Darin liegt zweifellos ein gewisser Nachteil, und es würde
mich nicht wundernehmen, wenn sich das Verfahren gerade deshalb
nicht leicht Eingang in die Klinik verschaffen wird. Allein wenn
man bedenkt, wie oft die Frage an uns herantritt, ob ein tuber-
kulöser Prozeß bei Kindern noch als aktiv oder bereits als inaktiv
zu gelten hat und wie außerordentlich schwierig diese Frage in
einzelnen Fällen zu entscheiden ist, sollte man jedes Bestreben
begrüßen, das dahin abzielt, uns die Antwort wenigstens einiger-
maßen zu erleichtern und klinische Beobachtung, Tuberkulinreaktion
und Röntgenbild nach irgendeiner Richtung zu ergänzen.
Hamburger scheint uns jedoch selbst diesen Schimmer von
Anerkennung versagen zu müssen, indem er sich veranlaßt fühlte,
in der III. Auflage des Handbuches Pfaundler-Schloßmann,
II. Bd., S. 700, den ganzen hämoklinischen Status kurzerhand als
ein „zusammengekünsteltes Hypothesengebäude‘“ abzufertigen. Ich
will nicht darauf eingehen, daß das Prinzip der Methode von Ham-
burger anscheinend nicht mit der erforderlichen Schärfe erfaßt
wurde und mich nicht bemühen darzutun, daß bei einer Ver-
schmelzung von 3 an den verschiedensten Orten inaugurierten,
gut studierten und in ihrer Einzelanwendung bereits vielfach be-
währten Methoden zu einem synergischen System — und etwas
anderes vorzustellen hat ja unser hämoklinischer Status niemals
beansprucht — von einem „Hypothesengebäude‘‘ unsererseits doch
wirklich nicht die Rede sein kann, sondern hier nur feststellen, daß
der hämoklinische Status an der Grazer Klinik nicht ein
einziges Mal ausgeführt wurde.
Ein auf solcher Basis gefälltes Urteil pflegt man sonst als leicht-
fertig und anmaßend zu bezeichnen; ich will mich jedoch an diesem
Ort damit begnügen, Hamburger die gleichen Worte entgegen-
zuhalten, deren er sich bei anderer Gelegenheit einem anderen
Heft 6 Paralleluntersuchungen über Serumeiweißgehalt. 617
Autor gegenüber zu bedienen beliebte, wonach nie und nimmer das
Recht eingeräumt werden kann, ‚gegen Beweise und Tatsachen,
welche mit Mühe und Fleiß festgestellt wurden, Zweifel laut werden
zu lassen, wenn den genannten Tatsachen und Beweisen nicht
einmal der Versuch entgegengestellt wird, die Zweifel mit eigener
Beobachtung oder der Beobachtung anderer zu stützen. Dabei
müßte selbstverständlich verlangt werden, daß solche Beobachtungen
bzw. Tatsachen in extenso veröffentlicht werden. Es kann nicht
das Resultat von redlicher Arbeit und jahrelanger Forschung durch
ein hingeworfenes Wort entkräftet werden‘. (S. 631 des gleichen
Artikels.) Moro.
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618 Lederer: Paralleluntersuchungen über Serumeiweißgehalt. Heft 6
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Referate.
Wachstum und Stoffwechsel.
Malmberg, Stockholm. Uber den Stoffwechsel des gesunden, natürlich
ernährten Säuglings und dessen Beeinflussung durch parenterale
Infektion und Intoxikation. (Acta paediatrica 2, 1923, S 209.)
Fett-, Stickstoff- und Mineralumsatz wurden bei zwei in jeder
Hinsicht gesunden Frauenmilchkindern unter normalen Verhält-
nissen sowie nach Vaccination und nach Typhusimpfung unter-
sucht. Die bisher vorliegenden Stoffwechselversuche bei natürlichen
Ernährungsbedingungen werden gleichzeitig einer eingehenden Kritik
unterzogen. In der Normalperiode beträgt die Fettresorption 97%,
das unresorbierte Fett besteht zum überwiegenden Teil aus freien
höheren Fettsäuren. Die. Menge des retinierten Stickstoffs beträgt
38—49% (0,44—0,79 g). Die Retention an Gesamtasche beträgt
22—39% (0,252—0,754 g), im einzelnen: K,O 26—28%, Na,O
46—66%, CaO 42-47%, MgO 21-27%, P20; 43—79%, Cl 19-35%.
Die Vaccination beeinfluBt ebensowenig wie die Typhusimpfung den
Fettumsatz, nur nimmt im Stuhl die Menge der Seifen im Verhältnis
zum Neutralfett und zu den höheren Fettsäuren ab. Die Stickstoff-
retention wird durch beide Eingriffe verschlechtert (Steigerung der
N-Ausscheidung durch den Urin). Ebenso wird die Retention der
Mineralstoffe sowohl vor wie in und nach der Fieberperiode ver-
schlechtert. Zuerst erfolgt ein Anstieg der Na- und Cl-Ausscheidung
im Urin; in der Fieberperiode wird Na, K, Cl und P im Urin und
Ca und Mg in den Faeces vermehrt ausgeschieden. :In der Nach-
fieberperiode wurden Ca, Mg und Pin den Faeces, P auch im Urin
vermehrt ausgeschieden. Die Erhöhung der Cl-Ausscheidung scheint
vom Fieber unabhängig zu sein. Rosenbaum.
Wilkins, L., und Kramer, B. Untersuchungen über den Kalium-
gehalt des menschlichen Serums. (Arch. of internal med.. 81, Nr. 6,
S. 916.)
- ‘Zur exakten Bestimmung des Kaliums im Serum ist es un-
bedingt erforderlich, jegliche Hämolyse zu vermeiden und das Serum
von den Blutkörperchen möglichst schnell zu trennen. Der normale
K-Gehalt des Serums ist ziemlich konstant, er beträgt 18—22 mg
620 Wachstum und Stoffwechsel. Heft 6
in 100 ccm Serum. Erhöhte Werte fanden sich nur bei einigen Fällen
von Nephritis und Tetanie. Bei den Nierenerkrankungen wurden
Werte bis zu 26 mg gefunden, bei Tetanie bis zu 29 mg. Die Er-
höhung der K-Werte im Tetanikerserum ging nicht mit einer Er-
niedrigung der Ca-Werte einher. Zufuhr von Jodkali bis zu 1,3 g
führte nicht zu einer Erhöhung der K-Werte im Serum, dagegen
konnte nach massiven Dosen von Chlorkali eine Erhéhung der Werte
bis auf 35 mg festgestellt werden. Dabei traten keinerlei subjektive
Beschwerden, wohl aber Veränderungen im Elektrokardiogramm auf.
Wolff (Hamburg).
Park, E. A., Guy, Ruth A., und Powers, G. F. Ein Beweis für den
beherrschenden Einfluß des Lebertrans auf den Kalk und Phosphor-
umsatz. (Americ. journ. of dis. of childr. 26, S. 103.)
Junge Ratten im Alter von 36—44 Tagen wurden während
35 Tagen auf einer Grundkost gehalten, der wechselnde Mengen von
Calciumcarbonat und Dinatriumphosphat beigegeben waren. Als-
dann wurde die Hälfte der Tiere aus jeder der 5 Gruppen durch
Verbluten getötet und der Kalk- und Phosphorgehalt ihres Blut-
serums ermittelt. Die andere Hälfte der Tiere verblieb noch für
Io Tage bei der gleichen Nahrung, der aber 2%, Lebertran zugefügt
wurde. Sämtliche Versuchstiere wurden bei zerstreutem Licht im
Zimmer gehalten. Es zeigte sich, daß unter diesen Bedingungen ent-
sprechend der Zusammensetzung der Versuchsnahrung sehr starke
Verschiebungen im Kalk- und Phosphorgehalt des Serums auftraten.
Unter dem Einfluß des Lebertrans wurde der Erfolg einer unzweck-
mäßigen Zusammensetzung der Nahrung weitgehend ausgeglichen;
es näherten sich die Werte an Kalk und Phosphor im Blutserum den
für gesunde Tiere geltenden weitgehend an oder erreichten sie. Wie
diese Wirkung des Lebertrans zustande kommt, ist vorläufig un-
erklärt. H. Vogt.
Rühle, Reinhold. Zur Pathogenese der akuten alimentaren Ernäh-
rungsstorungen. X. Mitteilung. EtwetB und Gärung. (Aus den
Kinderkliniken der Universitäten Marburg und Leipzig.) (Jahrb.
f. Kinderheilk. 101, 1923, S. 127.)
Verf. erklärt aus einer Reihe chemisch-bakteriologischer Ver-
suche die Ursache der Gärungsbeförderung durch Eiweiß. Während
Blühdorn bei gleichgerichteten Experimenten verschiedenen Nähr-
lösungen Bakteriengemische (Stuhlfiltrate) hinzusetzte und dadurch
leicht Zufallsergebnisse erzielen konnte, wählte R. ein einheitliches
Nährmedium, das mit Colireinkulturen beimpft wurde. Der Ein-
fluß steigender Kohlenhydratmengen, stufenweise erhöhten Eiweiß-
gehaltes (Nutrose) im Nährboden, wechselnder Bakterienzabl auf
die Vergärung des gleichen Nährgemisches wurde in 12 Haupt-
Heft 6 Wachstum und Stoffwechsel. ` 621
versuchen geprüft. Bei gleichbleibendem Eiweißgehalt genügte ein
Zuckerzusatz von etwa 1% schon zur Erreichung des von Michaelis
und Marcora festgestellten maximalen Säuerungsvermögens für
Coli. Während höhere Zuckerkonzentrationen die Gärung nicht
weiterförderten, erzielte Steigern der hinzugefügten Nutrosemenge
bis zu 10% bei gleichem Zuckergehalt des Nährbodens stetiges An-
wachsen der Gärung (übereinstimmende Ergebnisse mit Kayser,
Blühdorn, Langer und Wolff). Vorverdautes Eiweiß wirkte
besser als unverdautes. Von physiologischem und klinischem Wert
ist vor allem die Feststellung, daß die größeren Säuremengen, welche
infolge des Eiweißzusatzes bei Coligärung aus Zucker entstehen,
an das Eiweiß selbst gebunden werden. (Methode: Ultrafiltration.
Getrennte Filtration von Rückstand und Filtrat.) Die wahre Acidität
der Lösung bleibt die gleiche. Wahrscheinlich können nach Ansicht
des Verf. Bakterien im eiweißreichen Gärsubstrat mehr Säure bilden,
weil sie an Eiweiß gebunden und dadurch für die Darmschleimhaut
unschädlich gemacht wird. Die antidyspeptische Wirkung des Eiweiß
bedarf noch weiterer Aufklärung. W. Gottstein.
Camescasse, J. Steigerung der Assimilation durch Mangan. (Arch.
de méd. des enfants 26, S. 406.)
Unter den ııo Knaben und ebenso vielen Mädchen, die vom
Wohlfahrtsamt der Stadt Paris nach Forges-les-Bains zur Erholung
geschickt werden, findet sich immer eine gewisse Zahl, die nicht an
Gewicht wie die anderen zunehmen. (Höchstmaß bei einem Mädchen
Zunahme von 40% des Anfangsgewichtes in 115 Tagen.) In solchen
Fällen erwies sich die Verabfolgung von Manganpastillen, täglich
einmal 0,07 g Mangandioxyd während 14 Tagen, als erfolgreich.
Gleichzeitig damit, daß die Gewichtskurve nunmehr in die Höhe
ging, besserte sich der Allgemeinzustand der Kinder. Während ein
solcher Erfolg unter 10 Mädchen gmal durchschnittlich eintrat.
blieb er bei Knaben viel öfter aus. H. Vogt.
Talbot, F. B., Sisson, Warren R., Moriarty, M. E., Dalrymple, A. J.
Der Grundstoffwechsel der Friihgeburten. III. Stoffwechselbefunde
bei 21 frühgeborenen Kindern. (Americ. journ. of dis. of childr. 26,
S. 29.)
Der respiratorische Quotient der Frühgeburten beträgt durch-
schnittlich 0,96. Danach sind die Kohlenhydrate als Hauptquelle
der gebildeten Wärme anzusehen. Inden ersten Lebenstagen schwankt
der respiratorische Quotient des Säuglings stark und sinkt bis zum
dritten Tage nach den Untersuchungen von Benedict und Talbot
auf 0,73, steigt dann wieder an, bis zum 8. Tage auf 0,80 und er-
reicht im späteren Säuglingsalter gelegentlich Werte über 0,90.
Die Wärmeerzeugung der Frühgeburten wächst mit steigendem
622 _ Wachstum und Stoffwechsel. — Neugeborene. Heft 6
Lebensalter, bleibt aber zurück hinter der Wärmeerzeugung gleich-
altriger ausgetragener Kinder. Wird die Wärmeerzeugung der Früh-
geburten zu ihrem berechneten ‚wahren Lebensalter‘ in Beziehung
gesetzt, so nähern sich die Werte den für ausgetragene Säuglinge
ermittelten. Die Wärmeerzeugung der Frühgeburten von mehr als
1,8 kg Gewicht ist größer als die von gleichaltrigen ausgetragenen
Säuglingen. Dasselbe Verhältnis besteht auch bei atrophischen
Säuglingen. Der Grund liegt wahrscheinlich in beiden Fällen in der
Fettarmut des Körpers. Die Körperlänge steht nicht in gesetz-
mäßiger Beziehung zur Wärmeabgabe. Die auf das Kilogramm
Körpergewicht berechnete Wärmeerzeugung bleibt bei Frühgeburten
in der ersten Lebenszeit hinter der gesunder ausgetragener Säuglinge
zurück, während sie etwa vom 40. Lebenstage ab sie meist über-
trifft. Da auch bei ausgetragenen Säuglingen verschiedenen Körper-
gewichts in den ersten Tagen des Lebens die Wärmeerzeugung oft
auffallend niedrig ist, so ist wohl der Grund in beiden Fällen darin
zu suchen, daß der Säugling zunächst die Fähigkeit erwerben muß,
sich seiner Umgebung anzupassen, wozu bei Frühgeburten eine längere
Zeitspanne erforderlich ıst. Die auf den Quadratmeter Oberfläche
berechnete Wärmeerzeugung der Frühgeburten ist in der ersten
Lebenszeit oft überraschend niedrig: 330 und 360 Cal.! Im allgemei-
nen steigt mit zunehmendem Körpergewicht die Wärmeerzeugung
auf die Einheit der Oberfläche bezogen. Durch körperliche Betäti-
gung kommen Steigerungen der Wärmeabgabe um 40%, des Grund-
stoffwechsels zustande. H. Vogt.
Neugeborene.
Falls, F. H. Bluttransfusion bei Neugeborenen. (Journ. of the Americ.
med. assoc. 80, Nr. ıo, Io. März 1923, S. 678.)
Für die Anwendung der Bluttransfusion bei Neugeborenen
kommen verschiedene Methoden in Frage. Die mehrmals wiederholte
subcutane oder intramuskuläre Injektion von IO—20 ccm Blut,
die direkte Transfusion durch Anastomose der Venen des Spenders
und Empfängers und die Injektion in den Sinus longitudinalis haben
gewisse Nachteile. Die erste Methode ist zu unsicher in ihren Er-
folgen, die zweite kann nur bei erheblicher chirurgischer Geschick-
lichkeit vorgenommen werden, die dritte ist unter Umständen ge-
fährlich. Als relativ einfache Methode, die auch von jedem einiger-
maßen geschickten Allgemeinpraktiker ausgeführt werden kann,
wird die Transfusion in eine periphere Vene unter Zugabe von Natrium-
citricum-Lösung empfohlen. Es wird zweckmäßig nicht die Vena
mediana cubiti gewählt, die bei Neugeborenen so klein ist, daß nur
die Einführung einer allerfeinsten Kanüle möglich ist, sondern die
Vena jugularis. Die Kinder müssen sorgfältig fixiert werden, bei
— -= -= ne
Heft 6 Neugeborene. — Orthopädie. 623
starker Rotation des Kopfes ist es mit Leichtigkeit möglich, die
Vene zu finden, namentlich wenn die Kinder schreien. Die Technik
ıst dieselbe wie bei jeder intravenösen Infusion.
Lehrnbecher (Eberswalde).
Bakwin, Harry, und Morris, Ruth M. Die Leukocytenzahl von Neu-
geborenen mit Durstfieber. (Americ. journ. of dis. of childr. 26,
S. 23.)
Zählungen an einer größeren Zahl gesunder fieberfreier Neu-
geborener ergaben 20—25 000 weiße Blutkörperchen gleich nach der
Geburt, einen schnellen Abfall auf etwa 5000 in der ersten und einen
Anstieg auf IO—I2 000 in der zweiten Lebenswoche. Die starken
Schwankungen der ersten Lebenszeit sind nicht abhängig von Än-
derungen im Wassergehalt des Blutes, wie durch gleichzeitige Ver-
folgung des Refraktometerwertes festgestellt wurde. Ebensowenig
ergab sich eine gesetzmäßige Beziehung der Leukocytenzahl zu dem
sog. Durstfieber der Neugeborenen. H. Vogt.
Ratnoff, Hijman L. Zur Frage von dem Wesen des Icterus neonatorum.
(Chemische Abteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses in
Berlin.) (Jahrb. f. Kinderheilk. 101, 1923, S. 187.)
Weder vorangegangene Infekte noch die Bilirubinämie oder
Leberschädigung reichen aus, um das Wesen des Icterus neonatorum
zu erklären. Von ursächlicher Bedeutung ist wahrscheinlich auch
Übertritt von Bilirubin in die Gewebe infolge erhöhter Durchlässig-
keit der Gefäßwand, wie Eppinger, Schiff und Faerber gleich-
falls annehmen. Mangelhafte Ausbildung der Kittsubstanz der
Gefäßwand tritt vielleicht hinzu. Die von Verf. oft bei Icterus
neonatorum (im Gegensatz zu nichtikterischen Neugeborenen) nach-
gewiesenen okkulten Blutmengen im Stuhl sprechen nach seiner An-
sicht für erhöhte Durchlässigkeit feiner Capillaren auch für andere
Bestandteile als Bilirubin. W. Gottstein.
Orthopädie.
Estor und Aimes. Die angeborene Luxation der Peroneussehnen.
(Revue d’orthopéd. 1923, 30, S. 5.)
Sie ist sehr selten und macht häufig keine erheblichen Be-
schwerden, so daß man sie zufällig entdeckt. Oft ist sie bleibend,
oft handelt es sich um habituelle oder besser gesagt intermittierende
Luxationen. Die Mißbildung ist meist doppelseitig. Interessant
ist die Tatsache, daß in dem beobachteten Falle das Fußzewölbe
eine übertriebene Höhe aufweist, während die meisten Beobachter:
Plattfußbildungen feststellen. Die Therapie richtet sich haupt-
sächlich gegen die Beschwerden des SenkfuBes. Operation ist nur
624 Orthopädie. Heft 6
selten nötig. Estor und Aimes vertieften die retromalleoläre
Grube und fixierten die Sehne durch Herstellung eines künstlichen
Retinaculums, das sie mit einem Silberdraht armierten.
Debrunner (Berlin).
Mouchet und Roederer. Einige Bemerkungen über die angeborene
Skoliose. (Rev. d’orthoped. 1923, 30, S. 19.)
Mouchet und Roederer lenken der Leser Aufmerksamkeit
auf die angeborenen Skoliosen, deren Häufigkeit in Deutschland
durch Arbeiten von Böhm bekannt geworden ist. Die verhältnis-
mäßig seltenen Skoliosen ohne Knochenanomalien werden auf
fehlerhafte Kindslage zurückgeführt. (Die Deutung hat wenig
Wahrscheinlichkeit für sich.) Manchmal findet man Hemiatrophien
des ganzen Körpers. Vielleicht spielt die Vererbung eine gewisse
Rolle.
Häufiger sind die Skoliosen mit nachweisbaren Knochenmiß-
bildungen. Am meisten finden sich Schaltwirbel.e. Die Prognose
ist überraschenderweise nicht schlecht, was auch unsere eigenen
Erfahrungen bestätigen können. Die kurzen scharfen Bogen werden
verhältnismäßig leicht und unauffällig kompensiert. Ähnlich sind
die Skoliosen zu bewerten, die durch unregelmäßige Ausbildung
eines rechtzähligen Wirbels entstehen. Grobe Veränderungen der
Wirbelsäulenform bilden sich meist bei schweren Rachischisen aus,
während die leichte spina bifida höchstens kleine Abweichungen
nach der Seite hervorruft. Ob es sich um Folge oder Gleichzeitigkeit
handelt, ist allerdings noch nicht klargestellt.
Mit Nachdruck weisen die Verfasser auf die große Anzahl von
Skoliosen hin, die durch Mißbildung des V. Lumbalwirbels ent-
standen sind, und die bei uns noch wenig bekannt geworden sind
Die Form des V. Lendenwirbels ist solchen Schwankungen unter-
worfen, seine Variationsbreite, die seine phylogenetische Umwand-
lung zu beweisen scheint, ist so groß, daß man eine Normalform
gar nicht aufstellen kann. Die Skoliose entwickelt sich oft spät
und langsam. Wahrscheinlich findet sich die Ursache manch einer
leichten Lumbalskoliose in Asymmetrien der Lendenkreuzbein-
gegend (Lumbalisation, Sakralisation).
Debrunner (Berlin).
Rey. Die praktische Bedeutung der postpleurstischen Skoliose im
Kindesalter. (Arch. f. Kinderheilk. 72, 1923, S. 261.)
Skoliosen auch nach nichteitriger Pleuritis sind häufig. Sie ent-
stehen am schnellsten da, wo das Exsudat rasch resorbiert wird
und die Lunge mit ihrer Entfaltung nicht so schnell nachkommt.
Prophylaktisch wird das Gipsbett in Überkorrektur empfohlen
oder eine Art Abbottscher Verband, der das Aufrichten der eingesun-
Heft 6 Mißbildungen. 625
kenen Thoraxpartie erleichtert. Später kommen Atemübungen
nach Hofbauer, die Kuhnsche Saugmaske, Trompetenblasen usw.
in Frage, die ein ‚Pumpen der Lunge gegen die starre Thoraxwand““
darstellen. P. Karger.
Mißbildungen.
Cozzolino, O. (Päd. Klinik Parma). Emupertrofia congentta in un
lattante. (Angeborene Hemihyperirophie bei einem Säugling.) (La
Pediatria 1923,81, S. 521.) -
Es handelt sich um eine rss der en linken
Körperhälfte; sie war in den distalen Partien der Extremitäten
ebenso ausgesprochen wie in den proximalen; der Blutdruck war
links etwas niedriger als rechts; die Knochen waren an der Hyper-
trophie nicht beteiligt; dennoch handelte es sich nicht um Elephan-
tiasis, da die Haut nicht wie bei dieser verdickt, sondern weich
und zudem der Zustand angeboren war; es ist also das Verhalten
der Knochen nicht als differentialdiagnostisches Moment heranzu-
ziehen. Die Hemihypertrophie beruht auf einer fehlerhaften, embryo-
nalen Anlage. Tezner (Wien).
Macera, José-Maria. Aibo multiple Dystrophie des elastischen
Gewebes. Doppelseitige angeborene Pneumocele. (Arch. de méd. des
enfants 26, S. 412.)
Bei einem 4 Monate alten Säugling fanden sich ein Nabelbruch,
ein großer Leistenbruch sowie eine Schwellung, die zu beiden Seiten
des Halses bis zu einem Drittel seiner Höhe reichte und lufthaltig
war, bei Einatmung . verschwand, bei Ausatmung wieder auftrat
und als Pneumocele gedeutet wurde. Da auch die äußeren Schlüssel-
beingelenke wiederholt eine Subluxation erkennen ließen, wird bei
dem Kind eine verbreitete angeborene Schwäche in der Entwick-
lung des elastischen Gewebes angenommen. H. Vogt.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. XXVII. Band. 40
Berichte.
Berliner Verein fiir innere Medizin und Kinderheilkunde.
(Pädiatrische Abteilung.)
Von Albrecht Peiper.
Sitzung vom 14. Mai 1923.
Krankenvorstellungen.
Finkelstein: Knabe mit juveniler Arteriosklerose und Schrumpfniere,
Mädchen in der Genesung nach Encephalitis epidemica.
Japha: Demonstrationen aus dem Gebiete der Syphilis.
Landau: Demonstration eines tonischen Lagereflexes beim Säugling.
Hält man einen Säugling mit dem Rücken nach oben in der Hand, so beugt
er das Becken nach unten, wenn der Kopf plötzlich passiv nach unten gebeugt
wird.
Hauschild: Vorstellung von Mikrosporiefällen.
Färber: Vorstellung eines Neugeborenen mit Oesophagusattresie.
Peiper: Stammbaum, in dem der Mann die Anlage zur Zwillingsschwanger-
schaft vererbt hat.
Eliasberg: Kind mit rezidivierendem Empyem auf tuberkulöser Grund-
lage.
Schiff: Kind mit Ödemen unklarer Ätiologie.
Sitzung vom II. Juni 1923.
Ockel: Über den Einfluß saurer bzw. alkalischer Kost auf
die elektrische Erregbarkeit bei Kindern. Es wurde die elektrische
Erregbarkeit bei Kindern untersucht, die eine überwiegend saure oder alkalische
Nahrung erhalten hatten. Die Kinder hatten eine leichte Rachitis, sie standen
im Alter von 9 bis ıı Monaten. In einzelnen Fällen sank die Erregbarkeit
in der alkalischen Periode, während gleichzeitig ein Facialisphänomen auftrat,
in anderen Fällen ließ sich dies Verhalten aber nicht beobachten. Ein sicherer
Zusammenhang zwischen der Ernährung und der elektrischen Erregbarkeit
war also nicht festzustellen. Bei saurer und alkalischer Nahrung kam eine
elektrische und mechanische Übererregbarkeit zustande. Verf. zieht aus
seinen Beobachtungen den Schluß, daß Alkalosis nur eine Begleiterscheinung
der Spasmophilie ist, aber nicht ihre Ursache bildet.
E. Schiff: Das Spasmophilieherz. Sch. fand bei Kindern, die an
Spasmophilie erkrankt waren, häufig ein auffallend großes Herz. Die Herz-
Heft 6 Berichte. 627
veränderungen zeigten sich aber nicht nur an der Röntgenplatte, sondern auch
in den Elektrokardiogrammen dieser Kinder traten manche Besonderheiten
zutage. Als charakteristischer Befund konnte die hohe, stark ausgeprägte
Finalschwankung verzeichnet werden. Sch. betont, daß trotz der erwähnten
abnormen Befunde am Herzen niemals bei diesen Kindern klinisch Erschei-
nungen zu beobachten gewesen sind, aus welchen auf eine bestehende Kreis-
laufsinsuffizienz hätte geschlossen werden können. Klinisch verhielt sich die
Zirkulation ganz normal. Vortragender bringt seine Befunde in Analogie mit
den experimentellen Befunden von Fr. Kraus und S. G. Zondek. Er ver-
mutet, daß es sich bei der Spasmophilie um ein Vagusherz handelt, und bringt
dies mit der bei der Spasmophilie bestehenden Elektrolytverschiebung —
Ca-Verminderung und Kalium-Vermehrung im Blute — in Zusammenhang.
Bei der operativen Tetanie von jungen Hunden fand Sch. im Röntgenbild
und im Elektrokardiogramm dieselben Veränderungen wie beim spasmophilen
Kinde. — Des weiteren wird die Frage der Herztetanie als Todesursache bei
der Spasmophilie erörtert. Schiff trennt zwei Todesarten voneinander.
ı. Die plötzlichen, unerwarteten Todesfälle. In diesen handelt es sich wahr-
scheinlich um einen Sekundenherztod. 2. Die Todesfälle, in denen das Aus-
setzen der Atmung das primäre ist und die Herztätigkeit erst sekundär erlischt,
wie bei der exspiratorischen Apnöe oder im laryngospastischen Anfall. Diese
sind nicht als Herztod, sondern als Atmungstod aufzufassen.
Aussprache. Finkelstein: Die Theorie von Freudenberg uud
György vernachlässigt die konstitutionelle Übererregbarkeit. Auch Rachitiker
haben oft ein großes Herz, das später verschwindet. Bei dem plötzlichen
Tode der Spasmophilie handelt es sich doch um einen Herztod, denn auch künst-
liche Atmung bringt keine Rettung. Das Tetanieherz bildet sich später wieder
zurück.
Zondek: Empfehlenswert für die vorliegenden Fragen sind Untersuchungen
des Blutes, und zwar der Reaktion, der Alkalireserve und des Kalkspiegels.
Guggenheim: Der Wintergipfel der Säuglingssterblichkeit.
Seit 1920 liegt der Gipfelpunkt der Säuglingssterblichkeit in den Wintermonaten.
Die Todesursache bilden überwiegend Pneumonien. Klimatische Faktoren
spielen eine Rolle, besonders Wohnungsnot und Kohlenmangel. Außerdem
sind Infektionen wichtig. Die Rachitis begünstigt im Winter die Pneumonien.
Sitzung vom 9. Juli 1923.
Nassau: Demonstration einer Serumreaktion bei Ernährungsstörungen.
Meyerstein: Referat über Gonorrhöe und Fluor im Kindes-
alter. Die Anfälligkeit der Mädchen für Gonorrhöe beruht auf dem Klaffen
der großen Labien, der alkalischen Reaktion des Sekretes und der noch feh-
lenden Verhornung der Vulva und Vagina. Das Rectum ist meist miterkrankt
und muß mitbehandelt werden. Die Behandlung besteht hauptsächlich in
bäufigen Spülungen mit Silberpräparaten. Der nicht gonorrhoische Fluor
kann mechanisch bedingt sein, mit exsudativer Diathese oder Neuropathie
zusammenhängen oder durch Oxyuren hervorgerufen sein. Die Onanie wird
wahrscheinlich durch den Fluor veranlaßt, nicht umgekehrt.
40*
628 Berichte. Heft 6
Sitzung der Vereinigung rheinisch-westfälischer Kinderärzte
in Barmen, Städt. Krankenanstalten, am 18. November 1923.
I. Demonstration. Herr Hoffa stellt ı. Fälle von Pylorospasmus
vor, die nach Weber - Ramstaedt operiert wurden. Er macht darauf auf-
merksam, daß gute Erfolge nur bei sorgsamer Nachbehandlung in der schwie-
rigen postoperativen Zeit erreicht werden. Bei Kindern jenseits des 3. Lebens-
monates sind die Erfolge zweifelhaft. 2. 5'/, Jahre altes Kind mit Still-
schem Syndrom, seit ı!/, Jahren krank. — Herr Vahrmeyer stellt 2 Fälle
von Situs viscerum inversus totalis vor (Röntgenbilder) und ı Fall
mit Situs inversus partialis (Mesokardie nach Hochsinger); in letzterem
Falle bestand an erkennbaren Abwegigkeitszeichen außerdem noch Stridor
congenitus und Mikrognathie. — 3. Herr Mothes stellt einen Fall (13j. Junge)
von bulbärer, pontiner Poliomyelitis vor (in Abheilung begriffen) und
einen Fall (12j. Junge) von Residualzustand nach Encephalitis.
In der Aussprache betonen die Herren Hoffa und Rosenbaum die
Erscheinungen der postencephalitischen Charakterveränderung, die bald als
moralisches Irresein, bald allgemein als Asozialismus bezeichnet werden können.
Im vorliegenden Falle ließ sich diese Erscheinung auch an Hand der Schul-
zeugnisse instruktiv beweisen.
Herr Waethjen als Gast demonstriert anatomische Präparate von iso-
lierter Pulmonalsklerose im frühen Kindesalter (rımonatiges
Mädchen). Angeborene Enge der Pulmonalvenen, Ausbuchtungen der Gefäße
(Arterien wie Venen), offener Ductus Botalli und offenes Foramen ovale,
Hypertrophie des r. Ventrikels und Dilatation des r. Vorhofes; aneurysmatische
Bildungen in den Gefäßen, Endarteritis productiva der Gefäße, nicht nur
sklerotische Prozesse der Arteria pulmonalis. Von Vaters Seite her Blutungs-
übel (4 Fälle), sowie ein Fall von „Vergrößerung der Lungenschlagader" er-
bringt den Beweis konstitutioneller Verursachung des Erscheinungskomplexes.
Tod des Kindes infolge banaler Grippeinfektion. Herr Martin fragt, ob nicht
fötale Infektion von seiten der Mutter einen Teil der Erscheinungen erkläre.
Herr Waethjen hält in diesem Falle erbmäßig präformierte Prozesse für vor-
liegend. Herr Hoffa sieht den Beweis der konstitutionellen Bedingtheit des
Erscheinungskomplexes vor allem auch durch die erwähnten Erbverhältnisse
erbracht. Herr Coerper hält den Fall für eine Kombination einer Mißbildung
mit sekundären Erscheinungen auf Grund einer mehr weniger örtlich beschränk-
ten Variation des mittleren Keimblattes. Es konkurrieren wie so oft bei konsti-
tutionellen Leiden Variationen der Anlage (hier die angeborene Enge der
Pulmonalvenen) mit sekundären, physikalisch bedingten Folgeerscheinungen
an den anlagegemäß in ihrer Leistungsfähigkeit verminderten Gefäßen. Be-
achtenswert erscheint die familiär verschiedene Lokalisation der Keimblatt-
erkrankung (im Gehirn und am Herzen) in verschiedenem Grade und mit
Vordatierung des Manifestationstermines.
II. Vorträge. ı. Herr Martin: Über die Zusammenarbeit von Gynä-
kologe und Kinderarzt bei der Säuglingsfürsorge. Die Mutter darf mit dem
Kinde nicht eher die Anstalt verlassen, bis die Unterbringung beider sicher-
Heft 6 Berichte. 629
gestellt ist. Organisatorische Anregungen. — Korreferat. Herr Hoffa:
In der Fürsorge dürfen die Personalwerte — auch von seiten der Verwaltung —
nicht hinter die Sachwerte gerückt werden. Der Lebensnotbedarf für Kinder
des ersten Lebensjahres ist !/, 1 Milch. Es besteht mehr als angenommen
‚„unbewußte Fürsorgebedürftigkeit‘‘, auch in sog. gebildeten Familien. Er-
fassung der Ehelichen durch Hausbesuche der Fürsorgeschwestern notwendig:
es sind zahlreiche Fälle von wochenlanger Schleimernährung ohne Milch neuer-
lich festzustellen. Hinsichtlich der Unehelichen wird auf ihre Zunahme in
Barmen von 3 auf 10%, hingewiesen. Die Pflegegelder betragen nicht !/, der
Selbstkosten der Pflegeeltern; Versuch der Unterbringung von gesunden
Säuglingen in Heimen (nicht Säuglingskrankenhäusern), die hierfür entsprechend
einzurichten sind. Hinweis auf die Zunahme der Tuberkulose bei unehelichen
Müttern des Barmer Mütterheimes: Von 6 Müttern nur eine ohne klinische
tuberkulöse Erscheinungen, unter den 5 tuberkulösen eine mit floriden Er-
scheinungen. Herr Aschenheim: Die Säuglingssterblichkeit ist die Sterb-
lichkeit der ersten Lebenstage, die von seiten der Pädiater nur wenig herab-
gedrückt werden kann. Herr v. Mallinckrodt hält eine womöglich noch
straffere Organisation in der Säuglingsfürsorge für angezeigt. Herr Martin
will bei auftretender Kollision der Pflichten: Kollegialität oder Patient in der
Fürsorge, die Pflichten beiden gegenüber aufrechterhalten wissen, sicher aber
auch nicht das kranke Kind in seiner Hilfsbedürftigkeit hinter der Kollegialität
zurücktreten lassen. Herr Gaumitz: Besuche bei sog. Gebildeten von seiten
der Fürsorgerin werden als selbstverständlich aufgenommen. Irgendeinen
polizeilichen Zwang soll man nicht in der Fürsorge anwenden. Die Zeitumstände
erfordern Milchverbilligungen durch die Fürsorgestellen auf ?/, 1 Milch täglich.
Herr Hoffa: Die Erforschung der „Lebensschwäche‘‘, als Todesursache der
ersten Lebenstage, ergibt nur wenig Hoffnung auf Verminderung der Sterbe-
fälle. Doch könnten noch eine ganze Reihe von Kindern erhalten bleiben
bei besserer Zusammenarbeit zwischen praktischem Arzte und Kinderarzt.
2. Herr Coerper: Über Reizwechseltherapie in der Kinderheilkunde.
Unter Reizwechsel verstehen wir die Änderung genereller biologischer Vor-
gänge quantitativer wie qualitativer Natur. Die physiologische Entwicklung
erfordert eine relativ kleine Anzahl von Reizwechseln. Ein notwendig wer-
dender oftmaliger Reizwechsel weist auf Individualvarianten der Konstitution
hin. Die Qualität der Reize ist, abgesehen von symptomatischen Indikationen,
bei organischen Erkrankungen innerhalb einer gewissen Indikationsbreite
nicht so ausschlaggebend wie der Reizwechsel an sich. Beweise liefert im
Kindesalter die Ernährung, die Rachitis, die sog. Avitaminosen, die Protein-
körpertherapie. Reizwechseltherapie ist Konstitutionstherapie (Schlußzusam-
menfassung). Herr Aschenheim bestätigt den häufig notwendig werdenden
Reizwechsel bei Neurotikern. Als Reiz dürften auch wohl Gifte benutzt werden.
Die Frauenmilchanämien könnten als Avitaminosen aufgefaßt und so auch
durch Reizmangel erklärt werden. Herr v. Mallinckrodt macht auf die
enge Koppelung physischer und psychologischer Reize aufmerksam. Herr
Rosenbaum führt praktische Versuche bei Kleinkindern an, die er auf An-
regung des Vortragenden mit gutem Erfolge durchgeführt hat. Grundsätzlich
sollte man festhalten daran, daß der Reizwechsel durch klinische Erschei-
nungen erst notwendig indiziert werden müsse. Herr Hoffa hält die vor-
getragene Betrachtungsweise für brauchbar. So lasse sich die Lehre von der
Kontrasternährung, der Korrelation der Nahrungsmittel, die Wirkung des
630 Berichte. Heft 6
Pflegewechsels verstehen. Der Reizwechsellehre stinde die Lehre von dem
Eisendepot als der Erklärung für die Säuglingsanämie entgegen. Herr Coerper:
Handelt es sich bei einer Säuglingsanämie lediglich um die Folgen eines zu
kleinen Eisendepots, so kann einzig schon durch Beigabe von Eisen (sympto-
matische Therapie) ein Erfolg ohne weiteren Ernährungswechsel erzielt werden;
handelt es sich aber zugleich auch um einen funktionellen Schaden des Blut-
bildungssystems,.so muß außerdem ein Reizwechsel angewandt werden, was
beides durch entsprechende Beobachtungen bestätigt wird.
3. Herr Aschenheim: Zur Klinik der Rachitis. Die Klinik der Rachitis
beweist die rachitische Erkrankung der Muskulatur, die palpatorisch durch
Vergleichsuntersuchungen mit dem Tonus normaler Muskeln diagnostiziert
werden kann. Gerade an dem Muskelsystem lasse sich die Rachitis der Schul-
kinder noch weit in die Entwicklungsjahre hinein erkennen. Hinweis auf
Rachitiker in Hilfsschulen und bei der ärztlichen Berufsberatung. Herr
Martin teilt Beobachtungen aus seiner umfassenden Untersuchung über das
rachitische Becken und seine Entstehung mit (Ergänzung zu Hoffas Unter-
suchungen, mitgeteilt auf der Tagung der Gesellschaft deutscher Kinderärzte,
Göttingen 1923). Bei der Tonusminderung rachitischer Muskeln kann es sich
nur um antagonistische Erscheinungen handeln. Einer Entspannung ent-
spricht die Überspannung des Antagonisten. Ein rachitisches Becken (Ver-
treter des Promontoriums, später auch Schnabelform der Symphyse) wird
auch bei Kindern gefunden, die nie gestanden oder gelaufen haben, oft als
erstes Zeichen der Rachitis. Erklärung: Zugwirkung des Psoasmuskels. Herr
Roepke als Gast wendet sich gegen die Meinung, als ob die Entspannung
bzw. Spannung eines Muskels nicht durch einen schmerzlosen Knochenprozeß
hervorgerufen werden könne; längst bevor Schmerzen geäußert würden, z. B.
bei der tuberkulösen Coxitis, falle die Zwangshaltung der Muskeln auf. Die
Knochenerkrankung sei das Primäre, die Reaktion des Muskel- und des Nerven-
systems das Sekundäre.
4. Herr Rosenbaum: Zur Klinik der Lebererkrankungen im Säuglings-
alter. Fall von Leberatrophie. Demonstration von mikroskopischen Prä-
paraten. Eingehende Besprechung der Verursachungsmöglichkeiten.
Coerper (Düsseldorf).
Namenverzeichnis.
(Die fettgedruckten Zahlen bezeichnen Originalartikel.)
Adam 280, 281, 425.
Adam, A. 150.
Anderson 543.
Angelis, F. de 266, 533.
Ambrozig 186.
Apt 543.
Armand-Delille 182, 301.
Arntzenius 542.
Aron 184.
Aronson, A. 298.
Aschenheim 318, 628.
Aschenheim, E. 184.
Attias 188.
Auban 198.
Auricchio 291, 308.
Bakwin 276, 623.
Barabas, Z. v. 530.
Barchetti, K. v. 185.
Bartlett, F. H. 174.
Baum 205.
Baumann 156.
Beck 403.
Becking 542.
Bebrendt 180, 458.
Benjamin 539.
Bergamini 194, 310.
Bergmann, E. 304.
Bernard, L. 163.
Bernstein 170.
Bertoye 269.
Bessau, G. 269.
Biehler, M. de 158, 183.
Birk 821.
Bischoff 314.
Bittmann, F. R. 159.
Blühdorn 282.
Bogert 279.
Borrino 527.
Bowditch 291.
Boxbüchen 231.
Boyd, G. L. 150.
Brandt, Paul 209.
Bradford 195.
Broca, Aug. 297.
Brody, S. 533.
Brokman 172, 177.
Brown 315.
Brown, E. W. 165, 172.
Bruch 207.
Brüning 118, 203.
Brussa 308.
Buchheim 319.
Bucky 530.
Bühling 112. .
Bürgers 293.
Buthenut 177.
Buys, de 543.
Cailloud 537.
Calot, F. 183.
Camescasse 621.
Canelli 272.
Cantilena 295.
Caspari J. 271.
Castana 165.
Cavanaugh 275.
Cieszyhski 112.
Claussen 544.
Cocchi 275.
Collin 179.
Comby 190.
Condat 179, 306, 315.
Conkey 287.
Coerper 457, 627.
Cowi 544.
Craig 543.
Crouter 277.
Culloch, H. Mc. 145.
Czerny 202.
Dalrymple 621.
Davidsohn 318.
Davidsohn, H. 111.
Davis 194.
Davison, W. C. 150.
Dehoff 298.
Demuth 276, 319, 446.
Dodge 191.
Dohnäl 58.
Ducrohet 301.
Duken 181.
Duncker 183.
Dunn 167.
Dutcher 275.
Duzär 163, 232, 299.
Eckstein, A. 529.
Ederer 535.
Emmanuele 288, 296.
Engel 205.
Erlacher, Th. 195.
Erlich 112, 172.
Eustis, R. S. 157.
Faber 543.
Fales, H. L. 153, 154,
277, 531.
Findlay, L. 169.
Fischer, Franz 178.
Foot 306.
Frank, Max 302.
Frankenstein, C. 147.
Freudenberg 155, 180,
895.
Frey, E. R. 196.
Faber, H. K. 268.
Friedberger 199.
Fulconis 188.
Furno 286.
Gallo 303.
Gamble 284, 544.
Garrahan, J. P. 165.
Garrido-Lestache 198.
Garvin 161.
Gehrt 312.
GeiBmar 292.
Gernert 176.
Gernk 282.
Gerstenberger 19I, 544.
Geylin 544.
Gillot, V. 188.
Gilse, van 541.
Gordeau 543.
632
Gordon 165.
Gött 538.
Gottlieb 530.
Gragert 160.
Graeser 291.
Gröer, v. III, 160.
Gros 159.
GroB, M. 200.
Grosser, F. 168.
Gibitz 129.
Guggenheim 302.
Guttmann 274.
Guy, R. A. 531, 620.
György 155, 282, 285.
György, P. 530.
Haake 279.
Hagenbuch 194.
Hainiß 512.
Halbertsma 111, 312.
Hall 275.
Hallez 304.
Hauhart 176.
Happ 273.
Haushalter, P. 188.
Hausmann, W. 202.
Hayano 295.
Hayashi 187.
Hayos 171.
‘Hecht 315.
Heile 170.
Heller 38, 166, 512,
Helmreich 270.
Hendrix 277. .
Hennig 189.
Herbst, K. 530.
Herdmann 159.
Hernausek 196.
Herrich, W. W. 175.
Herrmann, G. 529.
Herzfeld 41.
Hescheles 189.
Heß 543.
Heß, A. F. 182.
Heybroek 542.
Hilarowicz 171:
Hill 172.
Hirschfeld, Hanna 162.
Hishikawa 287.
Hoag 314.
Hoffa 429, 627.
Hoffa, L. 289.
Hohlfeld 191, 193.
Holstein 272.
Holt 543.
Holt, E. L. 198, 199.
Namenverzeichnis.
Heft 6
- Holt, L. E. 153, 154, 277, ' Lemaire 180, 304.
531.
Hoobler 544.
Hornhardt, F. 188.
Hull 296.
Hunt, E. F. 172.
Hunt 315.
Hymanson, A. 111.
Hymanson 318.
Jacobsohn 19.
Japha, A. 271.
Jones 306.
‚Kadza 197.
Kassowitz, K. 270.
Keilmann 189.
Keller 202.
Kerley 543.
KeBler, Adolf 155.
Kirch, E. 290.
Kochmann 304, 320.
Koehler 277.
Kohn 188.
Kopec 166.
Koeppe 528.
Korenschevsky 311.
Koväcs 269.
Kramär 535.
Kramer, B. 619.
Krasemann 205, 510.
Krauß, T. F. 158.
Kretschmer 530.
Krumwiede 146.
Kuhn, P. 292.
Kundratitz 301.
Kurzweil 178.
Kuttner 288.
Kvenberg 531.
Lampe, K. 176.
Landau 421.
Landau, A. 528.
Lange, v. 536.
Lange, C. de 295, 319,
541.
Langer, H. 297.
Langmead 188.
Langstein, L. 267.
Latta 197.
Lazar, E. 200.
Lederer, Maria 608.
Leebron, J. D. 148.
Leenhardt 174.
Leicher, H. 154.
Leiner 248,
Leonard 291.
Lereboullet 167.
Lesné 186.
Lewkowicz 173.
Ligtenberg 542.
Linder 165.
Lisbonne 174.
Lohuyzen, van 542.
Lucas 544.
Lust 9,
Lyttle 279.
Mader 275.
Magnus 181.
Mallinckrodt 488.
Malmberg 619.
Maucinelli 305.
Marfan 296.
Marine 156.
Marriott 544.
Martin 274, 626.
Marx, E. 305.
Mautner 885.
Melzner 162.
Mendel 27.
Mensi 320.
Metis 286.
Meyer, S. 294.
Meyerstein 625.
Milio 303.
Miller 171.
Miltner, Th. v. 264.
Mishulow, L. 146.
Modighiani 165.
Möllendorff, W. v. 329.
Morgan, E. A. 193.
Moriarty, M. E. 153.
Moriarty 278, 621.
Morris 623.
Morton 312.
Muggia 306.
Müller Fritz 283, 415,
534-
Mündel 207.
Munro, D. 157.
Nasso 308.
Nauß 296.
Nevin, M. 159.
Newman 270.
Nitschke 303.
Nizzoli 527.
Nobécourt 164.
| Nobel 204, 315.
| Nové-Josserand 197.
Heft 6
Ockel 624.
Oldenbuch, C. 146.
Opitz 876.
Parat 164.
Park 187, 620.
Parsons 544.
Paul 208, 504.
Peiser, J. 300.
Perrin 163.
Petheö, v. 50.
'Peyrer, K. 298.
Pfaundler, v. 539.
Plantenga 541.
Pollak 38.
Povitzky, O. R. 147.
Powers 187.
Powers, G. F. 620.
Pritzel, A. 305.
Progulski 160.
Provinciali 528.
Przedborski 191.
Ragsdale, A. C. 533.
Ranft, Gustav 545.
Ratner 148, 288.
Ratnoff 623.
Rautenberg 190.
Ravaut 303.
Redlin 313.
Regan 159.
Reh 161.
Remy 163.
Réquin 179.
Reuß 665.
Rheindorf 171, 314.
Riedel, G. 299.
Rietschel 149.
Righi 309.
Réckemann 282.
Ronchi 265.
Rosenbaum 442, 628.
RoB 284.
Rühle, R. 620.
Rupe, W. 145.
a ee ee
ee ee ee Se a al ema ee tae
Namenverzeichnis.
Sahea 179.
Sales 316.
Salomon 207, 406.
Samet-Mandels 178.
Sanford, C. H. 200.
Saenger 1.
Saxl 178.
Schaps, L. 266.
Scheer 155, 283, 406,
543.
Schiff, Er. 271, 860, 624.
Schippers 319.
Schloß 543.
Schober 520.
Schoedel, J. 289.
Schénfeld 282.
Schénfeld, H. 602.
Schwalbe 203.
Seifert 192.
Sidbury 157.
Sieburg, Ernst 155.
Silliti 306.
Simmonds 187.
Siperstein 166.
Siperstein, D. M. 531.
Sisson 621.
Slawik 527.
Sogen 264.
Stankiewicz 159.
Steiner 283.
Stephanie 534.
Stoem, H. 145.
Stoye 280.
Stransky 307, 888.
Strauch 200.
Stubenrauch 538.
Szulizewski 178.
Takenomata 164.
Talbot 465, 544.
Talbot, F. B. 153, 278,
621.
Tanturri 191.
Taylor 543.
Tebbe 529.
Tezner 898.
Thiange 541.
nr Dr nn
633
Thomas 848.
Thursfield 158.
Tileston 279.
Timmer 313.
Tisdall 284.
Torday, F. 292.
Torday, von 422, 530.
Tow 172, 316.
Tremel, F. 200.
Tréves 317.
Trinci 314.
Tumpeer 170.
Turner, C. W. 533.
Underhill 279.
Unger, L. J. 182.
Usener 892.
Utheim, K. 151.
Vaglio 313.
Vallery-Radot 316.
Viggo 192.
Vollmer 180, 452.
Wagner, R. 273.
Webb Hill 315.
Weil 269, 307.
Wengraf, F. 185.
Westphalen, F. v. 175.
White 201.
Widowitz 293.
Wilcose 279.
Wilkin 619.
Williams 192.
Wilson 159.
Wimberger 287.
Wollstein, M. 152, 174.
Wilffing 271.
Zakrzewski 170.
Zaude, van der 309.
Zeigler 543.
Zielihski 174.
Zimmermann, E. 532.
Zingher, A. 160.
Zuber 163.
Sachverzeichnis.
(Die fettgedruckten Zahlen bezeichnen Originalartikel.)
Adenoide Vegetationen und exsuda-
tive Diathese (Viggo) 192.
Alkalose (Koehler) 277.
Aminosäuren in Milch (Mader) 275.
Anaemia pseudoleucaemica (Auban)
198.
Anatomie, pathologische, bei Er-
nährungsstörungen (Stephanie) 534.
Anatomische Pathologie der Gastro-
enteritis (Canelli) 272.
Aneurysma, angeborenes (Duncker)
183.
Antikérper gegen Kuhmilch (Ander-
son und Schloß) 543.
Appendicitis (Rheindorf) 171.
—, akute (Rheindorf) 314.
Appendix, Invagination (Trinci) 314.
Askariden (Bischoff) 314.
Asthenie (Benjamin) 539.
Asthma, Behandlung (Pritzel) 305.
— bronchiale (Marx) 305.
— —, EiweiBreaktionen (Kai) 148.
— durch Kaninchenhaare (Ratner)
148.
Ataxie, hereditäre (Hauhart) 176.
Atmung, Frequenz bei Neugeborenen
(Hishikawa) 287.
Atmungstetanie (Behrendt u. Freu-
denberg) 180.
Avitaminosen (Thiange) 541.
Azetonaemie (Furno) 286.
Azidose und Hyperglykamie im to-
xischen Symptomenkomplex (Ede-
rer u. Kramär) 535.
Bact. coli, Säurebildungsvermögen
(Scheer) 156.
Bakterien, EinfluB der Toxine auf die
Darmbewegungen (Sogen) 264.
Bericht, Deutsche Gesellschaft für
Kinderheilkunde 321.
—, Berliner Verein f. innere Medizin
und Kinderheilkunde 624.
—, Vereinigung rheinisch-westfäli-
scher Kinderärzte 626.
Bericht, Frankfurter Kinderärzte 207.
Blei, Vergiftung (Holt) 198.
Blut, Wirkung von Arzneimitteln auf
die Agglutinine (Siperstein und
Kvenberg) 531. f
—, Alkalireserve (Hendrix und Crou-
ter) 277.
—, Kaliumgehalt des Serums (Wil-
kins und Kramer) 619.
—, Kalkgehalt (Gernk und Blühdorn)
282.
—, Serumsalze bei Gewichtsschwan-
kungen (Landau) 421.
—, Wassergehalt bei Gewichtsanstieg
(Bakwin) 276.
—, CO,-Bindungsvermögen (Saenger)
1
—, Morphologie bei Ernährungsstö-
rungen (de Angelis) 533.
—, Plättchen u. Gerinnungsfähigkeit
beim Neugeborenen (Emmanuele)
288.
—, Senkungsgeschwindigkeit der Ery-
throcyten bei Tuberkulose) (De-
hoff) 298.
—, SerumeiweiBgehalt, Senkungsge-
schwindigkeit und Lipasegehalt
(Lederer) 608.
—, Transfusion (Halbertsma)
(Leebron) 148.
—, intraperitoneale Transfusion (Si-
perstein) 166.
—, Transfusion bei Anämie (Lucas
und Hoobler) 544.
—, Transfusion bei
(Fails) 622.
—, Transfusion durch die Nabelvene
(Sidbury) 157.
—, Lebensfähigkeit transfundierter
körperfremder Erythrocyten
(Opitz) 876.
Blutdruck (Nizzoli) 527.
Blutungen, intrakranielle (Conkey)
287.
Bronchitis fibrinosa (Kopec) 166.
IIl;
Neugeborenen
Heft 6
Bronchopneumonie (Hallez) 304.
Bronchus, Fremdkörper (Muggia) 306.
Buttermehlnahrung (Zimmermann)
532; (Becking) 542.
Buttermilch, Wirkung auf die Magen-
sekretion (Dohnäl) 58.
Chlor, Ausscheidung und Phosphor-
zufuhr (Röckemann) 282.
Chlorom (Nasso) 308.
—, myelogenes (Foot und Jones) 306.
Chorea (Szulizewski) 178; (Salomon)
207.
Coffein, Wirkung im Säuglingsalter
(Herzfeld) 41.
Cystitis (Hirst) 173.
Darm, Bakterien (Adam) 280.
—, Bakterienbesiedelung (Stragsky)
— , Gärung (Scheer und Müller) 283.
Dermatologie, Sammelreferat (Leiner)
248.
Dextrose, Ausscheidung bei Infek-
tionen (Haake) 279.
Diaphragma, Hernie (Davis) 194.
—, Relaxatio und Hernie (Schober)
520.
—, angeborenes Fehlen (Latta) 197.
Diastase im Harn bei Rachitis (Adam)
425.
Digitalis, Toleranz (Mc Culloch und
Rupe) 145.
Diphtherie des Kehlkopfes, Behand-
lung mit Absaugen (Gros und
Herdmann) 159.
—, Lähmung (Regan) 159.
—, Invasion von Bacillen (Kirch)
290.
—, Bacillentrager (Gragert) 160.
—, Dosierung des Serums (Stankie-
wicz) 159.
—, Wirkung des Serums (Gröer und
Progulski) 160.
— , Prophylaxe (Zingber) 160.
Dubo (Mallinckrodt) 488.
Duodenum, Atresie (Morton) 312.
Durchfälle, akute (Wollstein) 152.
Durstfieber und Leukocytenzahl bei
Neugeborenen (Bakwin und Mor-
ris) 623.
Dysenterie durch Amöben (Perrin,
Remy und Zuber) 163.
Dyspepsie (Adam) 150.
—, Colirassen (Adam) 281.
Sachverzeichnis.
635
Eiweiß und Gärung (Rühle) 620.
Eiweißfieber, dynamisches (Rietschel)
149.
Eiweißmilch (Kerley und Craig) 543;
(Paul) 504.
Ekzemtod (v. Petheö) 50.
Elektrische Erregbarkeit, Einfluß sau-
rer resp. alkalischer Kost (Ockel)
624.
Empyem, metapleuristisches (Man-
cinelli) 305.
Encephalitis (von Westphalen) 175.
—, epidemische (Collin und Réquin)
179.
—, Behandlung der meningitischen
Form (Herrich) 175.
Endokrines und vegetatives System
(Mensi) 320.
Energiestoffwechsel, Sammelreferat
(Kohn) 135.
Enuresis (Fischer) 178; (Saxl und
Kurzweil) 178.
Epidermolysis, hereditäre (v. Pfaund-
ler) 539.
Epilepsie (Vollmer) 180.
Epiphyse, deformierende Prozesse (Er-
lacher) 195.
Erbrechen, periodisches (Gehrt) 312;
(Vaglio) 313.
Ernährung, Handburh (Czerny und
Keller) 202.
— (Nobel) 204.
—, künstliche Dauerernährung (Bes-
sau) 269.
— mit abgekochter Frauenmilch
(Martin) 274.
— mit gekochter Frauenmilch
(Walffing) 271.
—, Störungen (Langstein)
(Schaps) 266.
—, chronische Störungen (Utheim)
151.
Erythema nodosum (Comby) 190.
Erythrodermia desquamativa (Horn-
hardt) 188.
267;
Faeces, Gramverhalten der Bakterien
(Stoye) 280.
—, Acidität und Pufferungsvermögen
(Scheer und Müller) 534.
Facialis, Lähmung auf otogener
Grundlage (Lampe) 176.
Femur, angeborenes Fehlen (Garrido-
Lestache) 198.
Fettarme und fettreiche Säuglings-
ernährung (Rosenbaum) 442.
636
Fettsklerose (Keilmann) 189.
Fibula, Osteosarkom (Bergamini) 194.
Flohstiche, Verhalten der Kinderhaut
(Heschells) 189.
Fontanelle, nicht geschlossene (Erlich)
112.
Frühgeborene, Grundstoffwechsel
(Talbot, Sisson, Warren) 621.
—, calorischer Bedarf (Hoffa) 289.
Frühgeburt, Trinkmenge (Schoedel)
289.
—, Schicksal (Brandt) 209.
Gärung im Darm (Scheer und Müller)
283.
— und Eiweiß (Rühle) 620.
Gastroenteritis, anatomische Patho-
logie (Canelli) 272.
Gonorrhöe und Fluor (Meyerstein)625.
Granulom, pulmonales (Gübitz) 129.
Grippe, cerebrale Erscheinungen
(Melzner) 162.
Grundriß der Säuglings- und Klein-
kinderkunde (Engel und Baum)
205.
Grundstoffwechsel (Talbot) 465.
— bei Frihgeborenen (Talbot, Sisson,
Warren) 621.
— bei Kretinismus (Talbot und Mory-
arty) 153.
Grundumsatz bei Myxödem (Talbot
und Moryarty) 278.
Haltungsfehler (v. Lange) 536.
Hämatologie (Stransky) 307.
Hämoklasische Krise (Heller) 88;
(Kochmann) 320; (Hainiß und
Heller) 512.
Hamoklinischer Status (Lederer) 608.
Hämophilie (Auricchio) 308; (Brusa)
308.
Handbuch (Czerny und Keller) 202;
(Brüning und Schwalbe) 203.
Harn, Bakteriologie bei akuter Ne-
phritis (Webb, Hunt und Brown)
315.
Hefe (Davison) 150.
Heliollampe (Herrmann) 529.
Helminthiasis, Sammelreferat (Brü-
ning) 113.
Hernia diaphragmatica (Schober) 520.
Hernie, Leistenbruchoperationen
(Ranft) 545.
Herpes zoster und Varicellen (de
Lange) 295.
Hilfsschule, Prüfungen (Lazar und
Tremel) 200.
Sachverzeichnis-
Heft 6
Hirn, Tumoren (Wollstein und Bart-
lett) 174.
Hitzschlag (Weil und Bertoye) 269.
Hüfte, kongenitale Luxation (Nové-
Josserand) 197.
Hydrocele (Vallery-Radot und Sales)
316.
Hydrocephalus (Zieliński) 174.
Hygiogenese (Gröer) ııı.
Hypernephrom (Hodg) 316.
Hypophysäre Dystrophien (Lereboul-
let) 167.
Hypothyreoidismus, Wachstum (Tal-
bot) 544-
Icterus neonatorum (Ratnoff) 623.
Idiosynkrasie gegen Kuhmilch (Hol-
stein) 272.
Immunisierung, aktive (Frankenstein)
147.
Inanition, psychische (Aschenheim)
318.
Index (Guttmann) 274.
— der Körperfülle (Helmreich und
Kassowitz) 270.
Infektionen, Verhütung (v. Torday)
Infektionskrankheiten, Bekampfung
der akuten (v. Torday) 292.
Insulin (Cowi und Parsons) 544.
Intoxikation, akute (Boyd) 150.
Intubation (Hohlfeld) ror.
Kala-Azar und Maltafieber (Emma-
nuele) 296.
Kalk, calciprive Konstitutionsab-
weichung (Stheemann) 542.
—, Bindung (Freudenberg und Gy-
örgy) 155.
—, Gehalt des Blutes (Gernk und
Blühdorn) 282.
—, Gehalt des Blutserums (Leicher)
154. (Sieburg und Keßler) 155.
Kalium, Gehalt des Serums (Wilkins
und Kramer) 619.
Kalk, Ionenkonzentration im Liquor
(Behrendt) 458.
Kalorien, Verteilung in der Nahrung
(Holt und Fales) 153.
—, Einfluß des Lebertrans auf den
Stoffwechsel (Park, Guy und Po-
wers) 620.
—, Absorption bei fettarmer Nah-
rung (Holt und Fales) 154, 277.
—, Zufuhr von Calciumchlorid und
Säurebasenumsatz (Gamble, Roß
und Tisdall) 284.
Heft 6
KlumpfuB, Redressement (Bradford)
195.
Kochsalzfieber, enterales (Schönfeld)
282.
Kolibakterien bei Dyspepsie (Adam)
281.
— , chemische Leistungen (Schiff und
Caspari) 271.
Kolostrum (Kuttner und Ratner) 288.
Konstitution (Coerper) 457; (Plan-
tenga) 541.
Koryza (Przedborski) 191.
Krampfe, Nachuntersuchungen (But-
henut) 177.
Kretinismus, Grundstoffwechsel (Tal-
bot und Moryarty) 153.
Laryngospasmus (Brokmann) 177.
Leber, Funktionsprüfung (Hecht und
Nobel) 315.
— , Funktionsprüfungen bei Schild-
drüsenstörungen (Pollak) 88
—, Innervation der Venensperre
(Mautner) 385.
—, Erkrankungen (Rosenbaum) 628.
—, Cirrhose (Paul) 208.
—, Echinokokkus (Hilarowicz)
—, Tumor (Condat) 315.
Lebertran (Guy) 531.
— , Einfluß auf den Kalk- und Phos-
phorumsatz (Park, Guy und Po-
wers) 620.
Leistenbruch, Operationen (Ranft)
545.
Leukämie, akute (Condat) 306.
Leukocyten, Extrakte (Ronchi) 265.
Leukocytenzahl während der Ver-
dauung (Hainiß und Heller) 512.
Licht, Biologie und Pathologie (Haus-
.mann) 202.
Liquor, Zuckergehalt (Steiner) 283.
—, Zuckerkonzentration (Wilcose und
Lyttle) 279.
Lobelin bei Asphyxie (von Miltner)
264.
Lymphdrüsen, tastbare (Dunn) 167.
(Buchheim)
171.
Magen,
319.
— , Acidität (György) 282.
—, Funktionsprüfung (Demuth) 276,
319; (Miller) 415.
—, Wirkung der Buttermilch auf die
Sekretion (Dohnäl) 58,
Magendarmkanal, Reaktionen auf
Stoffwechselumstimmungen (De-
muth) 446.
Röntgenologie
Sachverzeichnis.
LT, a a
‘Nephritis,
637
Malaria im Säuglingsalter (Duzär) 163.
Maltafieber und Kala-Azar (Emma-
nuele) 296.
Mangan und Assimilation (Cames-
casse) 621.
Masern ohne Exanthem (Krasemann)
510
. Mathelys Ausflockungsreaktion (Mün-
del) 207.
Meningitis, cerebrospinale (Lewko-
wicz) 173.
— cerebrospinalis (Samet-Mandels)
178.
— durch Pfeifferschen Bacill.
bonne und Leenhardt) 174.
Milch, Hygiene (Friedberger) 199.
—, antiskorbutische Kraft (Lesné und
a) 186.
‚ Einfluß der Schwangerschaft auf
Er Lactation (Brody, Ragsdale
und Turner) 533.
Milchpumpe (Apt) 543; (Cocchi) 275.
Mißbildungen, Entstehung angebore-
ner (Jacobssohn) 19.
Mongolenfleck (Gillot,
tias) 188.
Mongolismus (Bruch) 207.
— und Zwillinge (Halbertsma) 312.
Morbillen (Widowitz) 293.
—, experimentelle (Nevin und Bitt-
man) 159.
Myopathien und endokrine Störungen
(Bergamini) 310.
Myositis fibrosa (Langmead) 188.
Myxödem, Grundumsatz (Talbot und
Moriarty) 278.
(Lis-
Fulconis, At-
Nabelkoliken (Metis) 286;
313.
Nahrungsbedarf (Holt und Fales) 153.
Nebenniere (Thomas) 848,
—, Einfluß der Involution auf die
Wärmebildung (Marine und Bau-
mann) 156.
Neosalvarsan, rectale Therapie (Modi-
gliani und Castana) 165.
Bakteriologie des Harns
(Hill, Hunt und Brown) 172.
Neugeborene, Physiologie und Patho-
logie, Sammelreferat (Reuß] 65.
—, Durstfieber (Bakwin und Morris)
623.
—, Blutungen in der Schädelhöhle
(Munro und Eustis) 157.
Neugeburtszeit (Duzär) 222.
Neuropathie (de Lange) 541.
(Timmer)
638
Niere, Paedonephritis (Mendel) 27.
—, Erkrankungen bei kongenitaler
Lues (Frank) 302.
—, Cysten (Tow) 316.
—, polycystische Erkrankung (Tow)
172.
Noma (Kuhn) 292.
Ödem, Bereitschaft (Slawik) 527.
Opium, Dosierung (Storm) 145.
Oesophagospasmus (Lust) 9.
Osteochondritis (Calot) 183.
— deformans coxae juvenilis (Hagen-
buch) 194.
Osteomalacie (de Biehler) 183.
Otitis media, Luftbehandlung (Gers-
tenberger und Dodge) 191.
Oxydase (Righi) 309.
Oxyuriasis, Behandlung mit Salvar-
san (Hayos) 171.
Paedonephritis (Mendel) 27.
Pandysche Reaktion (Provinciali) 528.
— in der Cerebrospinalflüssigkeit
(Cieszynski) 112.
Parathyreoidektomie, Einfluß auf das
Skelett (Korenschevsky) 311.
Pelidisi (Newman) 270.
Peliosis rheumatica (Rautenberg) 190.
Perspiratio insensibilis (Borrino) 527.
Pertussis, Bacillus (Krumwiede, Mishu-
low und Oldenbuch) 146.
—, Bacillus (Povitzky) 147.
—, Atherbehandlung (Graeser) 291.
— (Hirschfeld) 162.
—, Intracutaninjektionen (Hull und
NauB) 296.
—, Réntgenbehandlung (Bowditch u.
Leonard) 291.
—, Vaccinebehandlung (Hayano) 295.
— und Ernährung (Cantilena) 295.
Pirquets Ernährungslehre (Faber) 268.
Pleuritis, eitrige (Silliti) 306.
Pneumonie, Röntgendreieck (Le-
maire und Lestrognoy) 304.
— und neuropathische Konstutution
(Bergmann und Kochmann) 304.
Pneumothorax (Armand-Delille u.
Ducrohet) 301.
Pneumotoxin (Sogen) 265.
Polioencephalitis anterior acuta (Con-
dat) 179.
Poliomyelitis anterior acuta (Sahea)
179.
— anterior acuta, Behandlung (Ger-
nert) 176.
Sachverzeichnis.
Heft 6
Polyarthritis (Cailloud) 537; (Tréves)
317.
— rheumatica (Arntzenius) 542.
Prostata, Blutbehandlungsherde (Weil)
307.
Proteinkörpertherapie (Barabäs und
v. Torday) 530.
— der Atrophie (Koväcs) 269.
Proteinreaktionen bei Asthma bron-
chiale (Baagöe) 148.
Pyelitis, Gehirnsymptome (Brok-
mann und Erlich) 172.
Pylorus, Spasmus (Heile) 170.
Pylorospasmus (Redlin) 313.
Pylorus, Stenose (Findlay) 169; (Gros-
ser) 168; (Tumpeer und Bernstein)
170.
Quarzlampe (Herrmann) 529.
Quecksilberquarzlampe (Eckstein und
v. Möllendorff) 529.
Rachitis (Aschenheim) 628; (Heß und
Unger) 182.
—, Ätiologie (Aschenheim) 184.
—, orale Eosinverabreichung zur Ver-
starkung der Bestrahlungstherapie
(György und Gottlieb) 530.
—, Einfluß der Ernährung der Mutter
während der Schwangerschaft und
Laktation (Heß) 544.
—, Behandlung (Magnus und Duken)
181.
—, Sonnenlicht (Armand-Delille) 182.
— bei Brustkindern (de Buys) 543.
— und Tetanie (György) 285.
— und Wachstum (Ambrozig und
Wengraf) 186; (Wengraf und von
Barchetti) 185.
Rachitisches Becken (Hoffa) 429.
Reizwechseltherapie (Coerper) 627.
Relaxatio diaphragmatica (Schober)
520.
Riesenwuchs, partieller (Duncker) 183.
Röntgenbestrahlung zur Hebung des
Allgemeinbefindens (Bucky und
Kretschmer) 530.
Roseola (Reh und Garvin) 161.
Rumpel-Leedesches Phänomen (Büh-
ling) 112.
Salzsäuremilch (Faber) 543.
Saponinhämolyse (Tebbe) 529.
Säuglings- und Kleinkinderpflege
(Krasemann) 205.
Heft 6
Schadel, Perkussion (Koeppe) 528.
Schicksche Probe (GeiBmar) 292;
(Zingher) 289.
Schilddrüse (Schiff) 860.
Schlaf der Schulkinder (GroB) 200.
Schule, geistige Erschépfung (Strauch)
200.
—, Gründe der Versaumnis (Sanford)
200.
Skarlatina (Bürgers) 293; (S. Meyer)
294.
—, plötzlicher Tod (Krauß) 158.
—, Vaccin (de Biehler) 158.
Skleroderma (Langmead) 188.
Skoliose, habituelle dorsale (Frey) 196.
—, Korsettbehandlung (Hernausek)
196.
Spasmophilie (Scheer) 155.
—, Herz (Schiff) 624.
Speichel (Davidsohn und Hymanson)
318; (Hymanson und Davidsohn)
III.
Sternum, Frakturen (Kadza) 197.
Stillstatistik (Beck) 402.
Stoffwechsel unter Einfluß parente-
raler Infektion (Malmberg) 619.
Stoffwechselumstimmung durch Intra-
cutaninfektion (Vollmer) 452.
Stomatitis ulcerosa (Morgan) 193.
Syphilis, kongenitale (Kundratitz)301 ;
(Milio) 303.
—, Sensibilisierung (Ravaut) 303.
—, Blutbefund (Nitschke) 303.
—, hereditäre Ataxie (Linder) 165.
—, hereditäre des Nervensystems
(Janes und Schwab) 543.
—, Nabelulcus (Guggenheim) 302.
— , Einfluß auf körperliche Entwick-
lung (de Angelis) 266.
—, Schicksal kongenital syphilitischer
Kinder (Heller) 166.
— und Zwillingsgeburten (Gallo) 303.
Tetanie (Tezner) 898.
—, psychische Störungen (Lemaire)
180.
—, Salzsäuremilch (Scheer und Salo-
mon) 406. l
—, Wirkung von Salzsäure und Am-
moniumchlorid (Gamble) 544.
—, Stoffwechsel (Underhill, Tileston
und Bogert) 279; (Gamble, RoB
und Tisdall) 284.
— und Rachitis (György) 285.
Thrombasthenie, hereditäre hämor-
rhagische (van der Zaude) 309.
Sachverzeichnis.
639
Thymus, Asthma (Thursfield) 158.
Thymusdrise (Birk) 821.
Thyreoidea, Leberfunktionsprüfungen
bei Störungen (Pollak) 88.
Tonischer Lagereflex (Landau) 528.
Tonsillen, Curiotherapie (Williams)
192.
Tracheotomia inferior (Seifert) 192.
Trockenmilch, Vitamingehalt (Ca-
naugh, Dutcher und Hall) 275.
Tuberkulin, Reaktion (Aronson) 298;
` (Peyrer) 298; (Riedel) 299.
—, Empfindlichkeit unter Einfluß
der Varicellen (Schönfeld) 602.
Tuberkulose, Erreger (Gordon und
Brown) 165;
— der Bronchialdrisen (Langer) 297;
(Marfan) 296.
—, Pleuritis der Lungenspitze (Gar-
rahan) 165.
—, Osteoarthritis (Broca) 297.
—, Diagnose und Prognose (Mindel)
207.
—, fettarme Ernahrung (Happ und
Wagner) 273.
—, kolloidchemische Blutunter-
suchungen (Duzar) 299.
—, Serodiagnostik (Takenomata) 164.
— des ersten Lebensjahres (Nobé-
court und Paraf) 164.
—, Einfluß auf körperliche Entwick-
lung (de Angelis) 266.
— des Schulkindes (Peiser) 300.
— und Mutterschaft (Bernard) 163.
Typhus, Immunkörper im Liquor
(Auricchio) 291.
Übererregbarkeit, Bauchmuskel-
krampf (Boxbüchen) 281.
Urticaria, langdauernde, fieberhafte
(Haushalter) 188.
Vakzination und Variola (White) 201.
Variola und Vakzination (White)
201.
Varizellen, Einfluß auf die Tuberku-
linempfindlichkeit (Schönfeld) 602.
— und Herpes zoster (de Lange) 295.
Vegetatives Nervensystem (Usener)
892.
Verdauungsleukocytose (Haini8 und
Heller) 512, (Schippers und de
Lange) 319.
Verdauung, chronische
(Miller) 171.
Insuffizienz
640 Sachverzeichnis. Heft 6
Vitamin, Mangel an B-Vitamin als | Wachstum von Kindern in einer An-
Ursache von Stomatitis aphthosa | - stalt (Holt und Fales) 531.
und Herpes labialis (Gerstenberger) | Witigal (Herbst) 530.
544-
Vuzin bei Hauterkrankungen (Hennig) | Xerophthalmus (Hayashi) 187.
189. —, Einflu8 der Bestrahlung (Powers, |
Park und Simmonds) 187.
Wachstum, Pathologie (Aron) 184.
—, réntgenometrische Studien (Wim- | Zucker im Liquor (Steiner) 283; (Wil-
.berger) 287. cose und Lyttle) 279.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA MEDICAL SCHOOL LIBRARY
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